Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Anni Brandt-Elsweier, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Mit ihrem Antrag verlangt die
CDU/CSU-Fraktion in Sachen des Kollegen Pofalla eine
sofortige Entscheidung des Bundestages
({0})
mit dem Ziel, der Bundestag möge beschließen, die Bundesregierung aufzufordern, Klage gegen das Land Nordrhein-Westfalen wegen eines Verstoßes gegen seine
verfassungsmäßigen Pflichten zu erheben. Das ist sicherlich ein ungeheuerlicher Vorwurf.
({1})
- Das ist ein Vorwurf, selbstverständlich.
({2})
Lassen Sie mich vorab betonen, dass ich die tiefe Betroffenheit des Kollegen Pofalla über die dem Antrag der
CDU/CSU-Fraktion zugrunde liegende Angelegenheit
verstehen kann. Ihm ist Unrecht geschehen, wie das Landgericht Kleve in seinem rechtskräftigen Beschluss vom
11. August 2000 ausdrücklich festgestellt hat. Der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat sich ja auch
für das Vorgehen seiner Behörde entschuldigt.
({3})
Es ist das Schicksal von Abgeordneten, dass sie zweifach von Strafe bedroht sind, wenn gegen sie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, weil die Aufhebung der
Immunität stets öffentlich gemacht werden muss und sich
die Medien sofort auf diese Sensation stürzen.
({4})
Im Falle des Kollegen Pofalla ist es gut, dass das Landgericht Kleve sehr schnell die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen festgestellt hat und dass das Ermittlungsverfahren eingestellt worden ist.
({5})
Es ist klar, dass die hiermit verbundene Rufschädigung damit nicht ungeschehen gemacht werden kann.
({6})
Dennoch ist dies kein Grund für uns, die Tagesordnung
heute zu ändern und den vorliegenden Antrag aufzunehmen und darüber heute zu entscheiden.
Selbst wenn die Frist für eine Bund-Länder-Klage
demnächst ablaufen sollte, haben wir in der nächsten
Sitzungswoche Gelegenheit und Zeit, den Antrag eingehend zu diskutieren und darüber zu befinden. Den Fraktionen muss ausreichend Gelegenheit gegeben werden,
die geforderte Verfassungsklage der Bundesregierung gegen das Land Nordrhein-Westfalen, die meines Wissens
in der Geschichte des Bundestages einmalig ist,
({7})
in allen rechtlichen Konsequenzen zu prüfen und dann
darüber zu entscheiden. Dies muss mit der gebotenen
Eckart von Klaeden
Gründlichkeit geschehen, da der Antrag eine Vielzahl
rechtlicher Probleme aufwirft, mit denen die SPD-Fraktion äußerst kurzfristig, nämlich am 10. Oktober, konfrontiert worden ist.
Insbesondere die Frage der Zulässigkeit muss sorgfältig geprüft werden. Ohne in die inhaltliche Diskussion
einzusteigen - es handelt sich ja um eine Geschäftsordnungsdebatte -, möchte ich doch auf Folgendes hinweisen: Allein die Sachverhaltsdarstellung im Antrag ist unvollständig. Es kann nicht übersehen werden, dass die
Ursachenkette zwischen den Maßnahmen der Staatsanwaltschaft und der Entscheidung des Immunitätsausschusses bzw. des Bundestages schon dadurch unterbrochen worden ist, dass das Amtsgericht Kleve durch seine
Beschlussfassung zu den Beschlagnahmemaßnahmen
eine eigene Entscheidung getroffen hat. Diese wiederum
war auch Grundlage für die Entscheidung des Immunitätsausschusses und des Bundestages.
Niemand wird davon ausgehen - dies wird nicht einmal im Antrag der CDU/CSU-Fraktion behauptet -, dass
der zuständige Richter ohne eigene Prüfung und unter
Missachtung von Gesetzen seine Beschlüsse gefasst hat.
Die Entscheidung des Amtsgerichts wird in dem vorliegenden Antrag nicht einmal erwähnt. Sowohl der Immunitätsausschuss als auch der Bundestag haben die Aufhebung der Immunität in diesem Fall nach Recht und dem
geltenden Gesetz und den selbst gegebenen Regeln auf
der Grundlage gerichtlicher Beschlüsse einstimmig - ich
betone: einstimmig - beschlossen.
Um die schwerwiegende Verletzung der Bundestreue
durch das Land Nordrhein-Westfalen feststellen zu können, bedarf es einer eingehenden und seriösen Beratung;
denn auch bei näherer Befassung mit dem Antrag drängt
sich dieser Verstoß nicht auf.
Wir lehnen diesen Geschäftsordnungsantrag ab.
({8})
Ich erteile dem Kollegen Jörg van Essen, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorwegzunehmen: Auch
wir werden dem Geschäftsordnungsantrag der CDU/CSUFraktion nicht zustimmen.
({0})
Ich habe gemerkt, dass bei diesem Thema die Emotionen natürlich hochkochen. Ich glaube, das ist zu Recht der
Fall; denn jeder von uns kann sich vorstellen, in welche
Situation man kommt, wenn man für ein höheres Amt
vorgesehen ist und dann wenige Tage vorher eine solche
Maßnahme durchgeführt wird, von der sich hinterher
auch noch herausstellt, dass sie klar und eindeutig rechtswidrig war. Deshalb stehen wir in der Verpflichtung - und
zwar in der Verpflichtung gegenüber diesem Haus, aber
auch gegenüber jedem und jeder einzelnen Abgeordneten -, Konsequenzen daraus zu ziehen.
Wir als F.D.P. haben dies als eine persönliche Verpflichtung empfunden. Zum Beispiel habe ich als Erster
die Vorladung des nordrhein-westfälischen Justizministers vor den Immunitätsausschuss beantragt, damit er
vortragen kann, welche Konsequenzen er zieht. Für mich
gehört zu dieser Verpflichtung ferner, dass in Zukunft die
Akten des Verfahrens zur Generalstaatsanwaltschaft und
zum Justizministerium mitgeschickt werden müssen, damit dort eine sachliche Prüfung stattfinden kann, was jetzt
nicht geschehen ist. Die F.D.P.-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen hat die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragt. Auch das scheint mir eine
vernünftige Reaktion zu sein.
Warum sagen wir aber heute Nein zu dem Antrag? Die
Begründung ist ganz einfach. Wir ziehen uns nicht darauf
zurück, dass wir noch Zeit brauchen. Wenn Fristen ablaufen, sollte es auch möglich sein - wir als kleine Fraktion
haben dies getan -, die Sachverhalte schnell zu prüfen.
Wir kommen aber zu dem Ergebnis, dass ein Antrag durch
die Bundesregierung, wie von der CDU/CSU vorgeschlagen, nicht erforderlich ist. Die CDU/CSU kann nämlich
aus eigenem Recht einen Antrag stellen. Aufgrund der
Konstellation - die Bundesregierung ist mit der gleichen
Farbe besetzt wie die Landesregierung - sollte man von
der Bundesregierung nicht verlangen zu klagen, sondern
man sollte aus eigenem Recht einen Antrag stellen. Ich
denke, das entspricht der politischen Hygiene.
({1})
Ein zweiter Aspekt hat für uns dabei eine Rolle gespielt. Wenn man die Prüfung aus eigenem Recht vornimmt, könnte es sein, dass der Prüfungsumfang eingeschränkt ist, dass nicht so weit geprüft werden kann, wie
die Angelegenheit es verlangt. Aber auch das ist nicht der
Fall.
Da die Situation so ist, sollten wir der CDU/CSU-Fraktion raten, diesen Weg zu gehen. Wir sind dafür, dass es
zu einer verfassungsrechtlichen Prüfung kommt, aber
dann auf diesem Wege. Deshalb werden wir dem Antrag
der CDU/CSU-Fraktion nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr
Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Namens der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen widerspreche ich dem
Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Aufsetzung des Antrages auf die heutige Tagesordnung.
Sie haben dem Deutschen Bundestag äußerst kurzfristig einen absolut ungewöhnlichen Antrag vorgelegt und
verlangen, dass innerhalb von drei Tagen über einen so
weitreichenden Antrag entschieden wird. Ich halte das bei
dem Ansinnen, das dieser Antrag enthält, für der Sache
nicht angemessen, zumal der Antrag nach einer ersten
Prüfung aus meiner Sicht unzulässig, juristisch äußerst
zweifelhaft begründet und die Bundesregierung der
falsche Adressat für Ihr Ansinnen ist.
({0})
Sie wollen, dass die Fraktionen dieses Hauses die Bundesregierung zu einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auffordern, ohne dass Sie diesen Fraktionen, im Übrigen auch Ihrer eigenen, ausreichend
Gelegenheit geben, diesen Antrag zu prüfen. Ich teile
nicht die Argumentation, dass die Zeit für eine Prüfung
nicht ausreichen würde, da zum Ende dieses Monats eine
Verjährung des Vorganges eintreten würde. Ich denke,
dass genug Zeit wäre, diesen Antrag sorgfältig zu prüfen.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass das Angebot
aller Fraktionen dieses Hauses vorliegt, sich mit den Vorgängen in Nordrhein-Westfalen eingehend zu beschäftigen. Wir haben Ihnen dieses Angebot im Immunitätsausschuss unterbreitet. Sie haben im Immunitätsausschuss
dazu bisher keine eigenen Vorschläge eingereicht. Sie haben dort nicht dargelegt, wie man sich mit diesem Verfahren noch einmal beschäftigen kann. Der Kollege
van Essen hat darauf hingewiesen, dass von ihm der Vorschlag ausgegangen ist, Justizminister Dieckmann in den
Ausschuss einzuladen. Ich denke, Sie sollten zunächst im
Ausschuss für Immunität Ihrer Sorgfaltspflicht hinsichtlich dieses Vorganges nachkommen, bevor Sie den Bundestag mit Ihrem Antrag befassen.
Das Landgericht Kleve hat vor zwei Monaten entschieden, dass die Vorgänge in Nordrhein-Westfalen nicht
in Ordnung waren.
({1})
Sie hatten zwei Monate Zeit, den Bundestag mit einem
solchen Antrag zu konfrontieren. Sie hatten zwei Monate
Zeit, Vorschläge zu unterbreiten, wie die Angelegenheit
juristisch geprüft werden kann. Kollege Pofalla war vor
vier Wochen im Immunitätsausschuss anwesend und hat
uns dort seine Sicht der Dinge dargelegt, in einem sehr
emotionalen Vortrag, was ihm aber angesichts der
Schwere des Vorganges mit Sicherheit zustand.
({2})
Aber dann nach vier Wochen mit einem solchen Antrag
vor den Bundestag zu treten, finde ich nicht in Ordnung.
Die Forderung an die Bundesregierung, eine Bundesverfassungsgerichtsklage einzureichen, ist die falsche
Forderung.
({3})
- Es geht nicht um Recht und Moral bei Ihrem Antrag.
({4})
Wir haben gesagt, dass wir diesen Vorgang sehr wohl
prüfen wollen, nach Recht und Moral,
({5})
aber nicht auf die Art und Weise, die Sie dem Bundestag
vorschlagen.
({6})
Sie haben die Bundesregierung aufgefordert, die aber
in dieser Angelegenheit des Immunitätsrechts keine
Rechte hat, den Deutschen Bundestag zu vertreten. Das ist
eine Angelegenheit, die der Deutsche Bundestag selber
klären muss und die nicht seitens der Bundesregierung
über eine Verfassungsgerichtsklage zu klären ist. Das ist
der falsche Weg der Befassung mit diesem Vorgang.
({7})
Wir haben Ihnen im Immunitätsausschuss zugesichert,
dass wir die Vorgänge in Nordrhein-Westfalen diskutieren
wollen, dass wir bereit sind, zu überprüfen, inwieweit das
Immunitätsverfahren an dieser Stelle verändert werden
muss, um einen solchen Vorgang in Zukunft zu verhindern.
All diese Zusagen liegen Ihnen vor. Offensichtlich legen Sie aber im Moment auf diese Art der Befassung keinen Wert. Ich denke, dass inzwischen seitens des Kollegen Pofalla und auch seitens der CDU/CSU-Fraktion sehr
wohl eine Verfassungsgerichtsklage hätte eingereicht
werden können. Dass Sie darauf abzielen, dass dies die
Bundesregierung tun soll, finde ich nicht richtig.
An dieser Stelle möchte ich dem Kollegen van Essen
widersprechen: Es geht mir nicht darum, dass die Bundesregierung die gleiche Konstellation hat wie die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen.
({8})
Das ist nicht die Begründung dafür, dass die Bundesregierung den von Ihnen vorgeschlagenen Weg nicht beschreiten soll.
Sie sollten sich vielmehr mit der Argumentation Ihres
Antrages auseinander setzen. Die Bundesregierung übernimmt doch nicht die Vertretung der juristischen Angelegenheiten des Deutschen Bundestages. Sie haben in Ihrem
Antrag eine äußerst zweifelhafte Begründung vorgelegt.
Deshalb werden wir nicht zustimmen, dass sich heute der
Bundestag mit diesem Antrag befassen soll. Wir werden
über das, was vor dem Bundesverfassungsgericht geprüft
werden soll, in unserer eigenen Fraktion noch einmal diskutieren und uns mit diesem Vorgang noch einmal befassen, aber nicht auf die Art und Weise, wie Sie es heute dem
Bundestag vorgeschlagen haben.
({9})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Heidi Knake-Werner, PDS-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Vorgehen der
Staatsanwaltschaft gegen den Kollegen Pofalla ist in der
Tat alles andere als rechtmäßig - Konsequenzen sind bereits gezogen worden - und das gegenüber dem Immunitätsausschuss des Bundestages unverantwortlich. Damit
hat sich der Bundestag in der Tat noch zu befassen. Beide
Vorgänge sind für uns völlig inakzeptabel.
Dafür, dass Sie den Fall Pofalla zum Anlass nehmen,
Fragen, die die Aufhebung der Immunität betreffen,
grundsätzlich anzugehen, gibt es bei uns ein gewisses Verständnis.
Nach einer ersten juristischen Prüfung haben wir allerdings Zweifel, ob das angestrebte Bund-Länder-Streitverfahren das richtige juristische Mittel ist, gegen den
unrechtmäßigen Eingriff in die Immunität des Kollegen
Pofalla vorzugehen. Wir glauben, dass die Bundesregierung hier die falsche Adresse ist. Genau das ist der Grund
dafür, warum auch die PDS dagegen stimmen wird, dass
Ihr Antrag hier heute behandelt wird und dass über ihn
abgestimmt wird.
Ich will das kurz begründen: Wenn die Bundesregierung - genau das ist ja die eigentliche Intention Ihres Antrages - gegen das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen Verfassungsbeschwerde führt, dann ist das etwas,
was nicht jeden Tag vorkommt. Im Gegenteil - das ist
schon angesprochen worden -, das ist ein sehr ungewöhnlicher Fall. Wir haben es hier also mit einem richtigen politischen Schwergewicht zu tun. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, sehen Sie ja
wohl genauso. Deshalb haben Sie sich sehr gründlich vorbereitet: Sie haben ein paar Wochen lang recherchiert und
Sie haben Gutachten anfertigen lassen. All das war sicherlich auch angemessen.
Was ich allerdings nicht verstehen kann, ist, dass Sie
den anderen Fraktionen hier im Hause nicht die gleiche
Chance zur gründlichen Prüfung zubilligen. Das ist überhaupt nicht einzusehen. Im Gegenteil, Sie versuchen mit
Ihrem Antrag, das Parlament im Eilverfahren zu verpflichten, einen weitreichenden juristischen Schritt gegen
das Land NRW einzuleiten. Das halten wir für nicht
akzeptabel. Deshalb werden wir nicht zustimmen.
Ein möglicher Konflikt zwischen der Bundesregierung
und dem Land NRW eignet sich nach unserer Auffassung
nicht für einen parlamentarischen Schnellschuss. Ich sage
es Ihnen ganz offen: Wir werden das Gefühl nicht los, dass
es Ihnen mehr um einen Vorführeffekt im Hinblick auf die
SPD auf Bundes- und auf Landesebene in NRW geht, dass
dies ein Stück weit ein Nachkarten in Bezug auf die Landtagswahlen in NRW ist und dass es Ihnen weniger darum
geht, für ein wirklich ernstes Problem eine solide, gemeinsame Grundlage zu finden. Darum aber geht es uns
und deshalb stimmen wir nicht zu, dass sich der Bundestag heute mit Ihrem Antrag befasst.
Vielen Dank.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der
CDU/CSU-Fraktion? ({0})
Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Auf-
setzungsantrag ist mit den Stimmen der SPD-Fraktion,
des Bündnisses 90/Die Grünen, der PDS-Fraktion und
von Teilen der F.D.P.-Fraktion gegen die Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion bei einigen Stimmenthaltungen aus
der F.D.P.-Fraktion abgelehnt worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis f sowie die
Zusatzpunkte 11, 12, und 13 auf:
14. a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung
einer Entfernungspauschale und zur Zahlung eines einmaligen Heizkostenzuschusses
- Drucksache 14/4242 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung einer Vergütung der Mineralölsteuer für die Land- und Forstwirtschaft
({2})
- Drucksachen 14/4218, 14/4294 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Protokoll vom 22. März
2000 zur Änderung des Übereinkommens
vom 9. Februar 1994 über die Erhebung von
Gebühren für die Benutzung bestimmter
Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen
- Drucksachen 14/3651, 14/4052 ({4})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({5})
- Drucksache 14/4273 Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich ({6})
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/4274 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Dr. Rolf Niese
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses ({8})
zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Dr. Hermann Otto Solms,
Hildebrecht Braun ({9}), weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der F.D.P.
Ökosteuer zurücknehmen
- Drucksachen 14/3519, 14/4276 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz
Heinz Seiffert
Gerhard Schüßler
Dr. Barbara Höll
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses ({10})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias
Weisheit, Annette Faße, Iris Follak, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Steffi Lemke, Kerstin Müller ({11}), Rezzo
Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Wettbewerbsposition für die deutsche
Landwirtschaft verbessern und nachhal-
tige Entwicklung der Landwirtschaft und
der ländlichen Räume sichern
- zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Heizöl als Kraftstoff für die deutsche
Land- und Forstwirtschaft
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Marita Sehn, Michael Goldmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.
Agrodiesel tanken - Gasölbetriebsbeihilfe
abschaffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kersten
Naumann und der Fraktion der PDS
Betriebliche Obergrenze von 3 000 DM
Gasölbeihilfe zurücknehmen
- Drucksachen 14/2766, 14/2690, 14/2384,
14/2795, 14/3724 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Detlev von Larcher
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Marita Sehn, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Tanken von eingefärbtem Agrardiesel unbürokratisch ausgestalten
- Drucksache 14/3105 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({12})
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 11 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Unterglasgartenbau in Deutschland sichern
- Drucksache 14/4243 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten({13})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Anpassungsbeihilfen für Unterglasbetriebe im
Gartenbau
- Drucksache 14/4257 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten({14})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich ({15}), Hildebrecht Braun ({16}), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der F.D.P.
Kraftfahrzeugsteuer für schwere LKW auf EUNiveau senken - Bedingungen am Güterkraftverkehrsmarkt harmonisieren
- Drucksache 14/4254 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({17})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Außerdem ist interfraktionell vereinbart worden, die
heutige Tagesordnung zu erweitern:
ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kersten
Naumann, Rolf Kutzmutz, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Schaffung eines Nothilfefonds für existenzbedrohte Unterglasgartenbaubetriebe
- Drucksache 14/4291 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten({18})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Der Antrag soll bei diesem Tagesordnungspunkt beraten
werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist
es so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Angelika Mertens, SPD-Fraktion. Vorher bitte
ich aber diejenigen, die den Saal verlassen wollen, es
möglichst geräuscharm zu tun, damit die Rednerin eine
Chance hat, gehört zu werden. Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann auch ziemlich laut sein. Ich
werde also jetzt, am Freitag, dem 13., dagegen anbrüllen.
Seit Anfang der 70er-Jahre haben wir eine problematische Beziehung zu Energie und vor allen Dingen eine problematische Beziehung zum Öl. Wir hätten in dieser Zeit
Präsident Wolfgang Thierse
eigentlich dringend an einer Partnerschaft arbeiten müssen. Wir haben uns aber gar nicht so unwohl gefühlt: Es
hat einen erhöhten Wohlstand gegeben, es hat erhöhte
Mobilität gegeben, es hat erhöhte Gewinne - vor allem bei
den Mineralölkonzernen - und auch erhöhte Steuereinnahmen gegeben. Auf der rechten Seite des Hauses sitzen
viele Abgeordnete, die innerhalb ihrer Regierungszeit die
Mineralölsteuer viermal angehoben haben, und zwar um
50 oder 55 Pfennig, die im Haushalt versickert sind.
({0})
Es hat immer wieder ein paar Krisen gegeben. Man hat
sich dann, was die Energie anging, auch einmal geschworen, dass endlich Schluss sei. In einer normalen Beziehung hätte man wahrscheinlich den Scheidungsanwalt
angerufen oder wäre wenigstens in eine Partnerschaftsberatung gegangen. Irgendwie ist es aber doch immer wieder zur Versöhnung gekommen.
Der eine Partner hat sich längst neue Nester gebaut.
Die Ölförderländer fördern ihr Öl ja nicht mehr sozusagen von der Hand in den Mund, sondern haben ihr verdientes Geld hoffentlich ordentlich angelegt. Die Mineralölkonzerne produzieren auch nicht nur Mineralöl.
Der andere Partner ist aber eigentlich immer ohne
strukturelle Alternativen gewesen. Er konnte zwar einige
Maßnahmen ergreifen: Er konnte sich ein sparsameres
Auto kaufen, intelligenter fahren oder sich eine neue Heizung zulegen. An der Grundabhängigkeit hat sich aber
nichts geändert. Es ist also bei dieser ungleichen Beziehung geblieben.
Es ist auch schon lange keine Liebesbeziehung mehr.
Wenn man sich jetzt nicht schnell voneinander trennen
kann oder will, dann, denke ich, muss man die Verhältnisse klären. Da gibt es eigentlich nur zwei Strategien:
erstens mit dem, was man quasi als Unterhalt bekommt,
so sparsam wie möglich umgehen und zweitens auf die
Piste gehen und sich etwas anderes suchen. Auch andere
Mütter haben schöne Töchter und Söhne. Davon sind einige schon im beziehungsfähigen Alter. Einige sind noch
ein bisschen jung und müssen noch etwas wachsen. Das
sind leider vor allen Dingen die, die uns Mobilität garantieren oder sie verbessern können.
Die deutsche Automobilindustrie - das muss hier auch
einmal gesagt werden - entwickelt ja alternative Antriebstechniken. Wir können uns eigentlich nur wünschen, dass
ihr dies so schnell wie möglich gelingt. Diese Techniken
wären auf dem Weltmarkt der große Renner.
({1})
Seit der ersten Ölkrise, also seit mehr als einem Vierteljahrhundert, wissen wir, dass wir mit Energie anders
umgehen müssen, besonders mit Öl. Es hat sich schon viel
getan. Der durchschnittliche Benzinverbrauch der Autos
ist zum Beispiel von 9,7 Litern im Jahre 1978 auf 7 Liter
im Jahre 1998 gesunken.
Wenn wir heute einen Gesetzentwurf zur Einführung
einer Entfernungspauschale und zur Zahlung eines einmaligen Heizkostenzuschusses vorlegen, bedeutet das
nicht, dass wir irgendetwas an unserer Entscheidung für
die Ökosteuer zur Disposition stellen. Die Ökosteuer ist
für uns nicht verhandelbar.
({2})
Sie beträgt zurzeit 12 Pfennig pro Liter plus Mehrwertsteuer. Der übrige Preisanstieg geht voll auf das Konto der
OPEC, der anderen Rohölexporteure, des starken USDollars - über den sich übrigens unsere exportierende
Wirtschaft richtig freut - und der Mineralölkonzerne. Die
Einnahmen durch die Ökosteuer oder besser die ökologisch-soziale Steuer werden in vollem Umfang zurückgegeben. Die Rentenbeitragssätze sind um 1,2 Prozentpunkte gesunken.
Die CDU hat mit ihrer dümmlichen Ökosteuer-Kampagne eines bewirkt, nämlich dass den Menschen klarer
geworden ist, wohin die Einnahmen fließen und warum
sie dahin fließen.
({3})
Es hat - das können Sie auch sehen - sehr viel Akzeptanz
für die Ökosteuer gegeben und diese Akzeptanz steigt
auch weiter.
({4})
Es ist klug, den Energieverbrauch zu verteuern und Arbeit preiswerter zu machen. Es ist klug, dies schrittweise
zu tun, damit sich die Verbraucher und vor allem die Verkehrsteilnehmer darauf einstellen können. Auf der rechten
Seite des Hauses gibt es genügend Kronzeugen, die das
belegen können: Herr Schäuble, Herr Merz und Frau
Merkel.
({5})
Von ihnen gibt es diverse Aussagen, die ich hier nicht
noch einmal zitieren muss.
({6})
Im Übrigen liegen unsere Benzinpreise trotz der Ökosteuer innerhalb Europas im Mittelfeld. Außerdem gibt es
bei uns keine Belastung der Verkehrsteilnehmer durch
Maut.
Die F.D.P. will die Ökosteuer gänzlich abschaffen.
({7})
Die Partei der Marktwirtschaft beruft sich auf das Prinzip
von Angebot und Nachfrage. Dazu sage ich Ihnen: Eine
Preisreduzierung durch den Wegfall der Ökosteuer würde
nicht erst in Wochen, sondern schon in Tagen oder vielleicht sogar Stunden von den Mineralölkonzernen ausgefüllt werden. Dies belegen auch die nach Abzug der Steuer
unterschiedlichen Preise in Europa. Die Mineralölkonzerne nehmen das, was der Markt hergibt. Dies ist auch
nicht verwerflich, sondern entspricht den Grundsätzen der
Marktwirtschaft.
Ich frage Sie von der F.D.P.: Für wen kämpfen Sie eigentlich? Kämpfen Sie für die Mineralölkonzerne oder
für die Autofahrer?
({8})
Man kann natürlich von einer Partei, die bei einem bundesweiten Anteil von 6,7 Prozent einen Kanzlerkandidaten nominieren will, vielleicht auch nichts anders erwarten. Hier übersteigt das Angebot wohl entscheidend die
Nachfrage. Seit Möllemann Ihren Kurs bestimmt, haben
Sie sich als ernsthafter Gesprächspartner verabschiedet.
({9})
Wir legen heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir
die Kilometerpauschale endlich in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale umwandeln. Wir
machen Schluss mit der sozialpolitisch und ökologisch
bedenklichen Bevorzugung des Autos.
({10})
Dadurch legalisieren wir auch eine beliebte Form der
kreativen Steuererklärung.
Gleichzeitig erhöhen wir die Pauschale um zehn Pfennig auf 80 Pfennig pro Kilometer. Damit tragen wir den
sprunghaft gestiegenen Benzin- und Dieselpreisen Rechnung, für die wir nichts können. Dies bedeutet für jemanden, der schlau handelt, bares Geld, wenn er den ÖPNV
nimmt. Auch - das freut mich als Großstädterin besonders - gibt es weiterhin die Möglichkeit, die Monatskarte
abzurechnen. Dies ist besonders für diejenigen interessant, die sehr kurze Strecken zu fahren haben.
Wir gewähren einkommensschwachen Haushalten einen einmaligen Heizkostenzuschuss in Höhe von 5 DM
pro Quadratmeter Wohnfläche, um die drastisch gestiegenen Heizölpreise aufzufangen.
({11})
Diesen Zuschuss erhalten Wohngeld- und Sozialhilfeempfänger, BAföG-Empfänger, die nicht mehr zu Hause
wohnen, und Haushalte mit niedrigem Einkommen; das
heißt derjenige, der nicht mehr als 1 650 DM monatlich
als Haushaltsvorstand plus 650 DM für die zweite und
550 DM für jede weitere Person verdient. Mit diesen
Maßnahmen helfen wir zielgenau denen, die von den gestiegenen Ölpreisen besonders betroffen sind: den Berufspendlern und den einkommensschwachen Bürgerinnen
und Bürgern.
({12})
Die Betonung liegt hier auf dem Wort „zielgenau“. Wir
wollen, dass denen geholfen wird, die es wirklich brauchen.
({13})
Für die Union und die F.D.P. mag diese Zielgenauigkeit
zwar Flickschusterei sein, aber für uns Sozialdemokraten
ist sie eine Frage sozialer Gerechtigkeit.
({14})
Wir müssen davon ausgehen, dass die Ölpreise langfristig steigen werden. Wir können auf die vorhersehbaren
Preisentwicklungen nicht mit regelmäßigen Heizkostenzuschüssen reagieren. Es wird also Zeit für eine Energieeffizenzoffensive. Das mag zwar die Opposition in ihrem
Kampf gegen die Ökosteuer nicht mitbekommen haben.
Aber wir haben schon einmal ohne sie angefangen, die
ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts in Angriff zu nehmen.
({15})
Wir schaffen die notwendigen Rahmenbedingungen
für eine Verlagerung von Verkehr auf die Schiene. Ihre
Krokodilstränen, was die Schiene angeht, können Sie sich
wirklich sparen.
({16})
Sie haben geschlafen, als Sie für die Schiene hätten eintreten können. In den nächsten Jahren werden wir der
Bahn 6 Milliarden DM aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm zur Verfügung stellen.
({17})
Um eine Gleichberechtigung der Partner zu gewährleisten, führen wir ab 2003 die entfernungsabhängige
LKW-Maut ein. Damit werden wir auch endlich das Verursacherprinzip in die Verkehrspolitik mit einbeziehen.
Auch in der Wohnungs- und Baupolitik setzen wir
neue Akzente. Wir wissen, dass etwa ein Drittel des Energiebedarfs für den Gebäudebestand verwandt wird. Hier
gibt es enorme Einsparpotenziale, die wir nutzen sollten,
damit Heizen nicht zu einem unerschwinglichen, dauersubventionierten Luxus wird.
Wir haben jetzt ein umfangreiches Maßnahmenpaket
beschlossen. Wir streben mit der Energieeinsparverordnung eine Senkung des Energieverbrauches bei Neubauten um durchschnittlich etwa 30 Prozent an. Ein weiteres
wichtiges Instrument ist die Bekämpfung von sinnloser
Energieverschwendung durch das CO2-Minderungsprogramm, das knapp 12 Milliarden DM umfasst.
10 Milliarden DM werden für die Wohnraummodernisierung der KfW zur Verfügung gestellt. Auch hier werden wir erhebliche Einspareffekte erzielen. In der Eigenheimförderung ist eine Ökokomponente eingebaut. Am
1. April dieses Jahres trat das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Kraft. Mit ihm stärken wir die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen ebenso wie mit dem 100 000Dächer-Programm.
Frau Kollegin, Sie
sind schon über Ihre Redezeit hinaus.
Gestern haben wir außerdem beschlossen, 300 Millionen DM für die Erforschung
schadstoffarmer Antriebe zur Verfügung zu stellen. Das,
meine Damen und Herren, ist moderne Verkehrs-, Energie- und Umweltpolitik sowie übrigens auch Arbeitsmarktpolitik. Nur so gestaltet man die Zukunft. Das heißt:
mehr Wohlstand und Mobilität durch weniger Energieverbrauch.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
zur Einführung einer Entfernungspauschale und zur Zahlung eines einmaligen Heizkostenzuschusses gesteht auch
die Bundesregierung ein, dass die Ökosteuer gescheitert
ist.
({0})
Wir haben von Anfang an gesagt, dass es sich hier um
eine Mogelpackung handelt. Die Grundidee der Ökosteuer ist ja, den Energieverbrauch aus umweltpolitischen
Gründen zu verteuern und die dadurch eingenommenen
Erträge der Rentenversicherung zuzuführen. Dieses Konzept konnte von vornherein nicht aufgehen. Lassen Sie
mich den gedanklichen Fehler, der diesem Konzept zugrunde liegt, einmal überspitzt formulieren. Wenn ich die
Steuer auf ein bestimmtes Gut verdopple, dann kann ich
damit die Erwartung verbinden, dass sich der Verbrauch
dieses Gutes halbiert. Oder ich kann damit die Erwartung
verbinden, dass sich die Steuereinnahmen verdoppeln.
Beide Wirkungen zugleich eintreten zu lassen, das wird
selbst dem größten Staatsmann des Jahres 2000 nicht gelingen.
({1})
Inzwischen wird auch in der Bundesregierung offen
darüber nachgedacht, wie man sich möglichst geräuschlos aus der Ökosteuer verabschieden kann. Der Bundesfinanzminister hat sich dafür ausgesprochen, den engen
Zusammenhang zwischen Ökosteuer und Rentenversicherungsbeiträgen aufzugeben. Ich kann Sie dazu nur
beglückwünschen, Herr Finanzminister.
({2})
Auch der Bundeskanzler lässt keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen, vor allem bei Treffen mit den Bossen
der Automobilindustrie zu zeigen, was er von der Ökosteuer hält, nämlich eigentlich gar nichts.
({3})
Das eine Mal lässt er verlauten, dass er das Instrument
nicht für ideal halte. Das andere Mal lässt er seinen Verkehrsminister verkünden, dass ab 2003 mit dieser Steuer
Schluss sei.
({4})
Auch wenn es kurz darauf heißt, dass das alles nicht so
gemeint gewesen ist, Herr Kollege Schmidt: Der Bundeskanzler ist auf jeden Fall dabei, die Ökosteuer sturmreif
zu schießen, oder wie „Die Welt“ schrieb - ich darf das zitieren, weil mir der Satz so hervorragend gefallen hat -:
Wenn der Bundeskanzler seine Macht gefährdet
sieht, dann verabschiedet er sich mit Brutalität von
Positionen, die gestern noch als unverbrüchlich galten.
({5})
Diese Lockerungsübungen in Sachen Ökosteuer sind
aber natürlich keine Antwort auf die Probleme, vor denen
die Menschen in Deutschland heute aufgrund des enormen Anstiegs der Energiekosten stehen. Inzwischen hat
auch die Regierung gemerkt, dass diese selbstgefällige
Attitüde sie bei den bevorstehenden Wahlen teuer zu stehen kommen könnte. Vor allem die Sozialdemokraten haben erkannt, dass etwas geschehen muss, um die über den
Energiepreisanstieg beunruhigten Wähler zu beschwichtigen. Das Nächstliegende und einzig Richtige, die Ökosteuer abzuschaffen, so wie wir dies fordern, wollen sie
aber nicht tun.
({6})
Zum einen würde das ihr grüner Koalitionspartner nicht
hinnehmen. Zum anderen wäre damit das offene Eingeständnis verbunden, dass diese Steuer von Anfang an
falsch war.
({7})
Wenn man erkannt hat, dass man etwas tun muss, das
einzig Richtige aber nicht tun kann, dann bleibt in der Regel immer nur die Möglichkeit, etwas Falsches zu tun. Genau dies, nämlich das Falsche, tut die Bundesregierung
mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Dieser Gesetzentwurf ist ein Meisterstück an Flickschusterei.
({8})
Er ist eine Notlösung, der nicht an der Sache, sondern an
rein taktischen Erwägungen orientiert ist.
Der Energiepreisanstieg betrifft in der einen oder anderen Form jeden Menschen in Deutschland. Die heute
von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen
kommen aber nur einem kleinen Teil der Bürger zugute.
({9})
Das sind noch nicht einmal unbedingt diejenigen, die unter dem Energiepreisanstieg und den hohen Kosten am
meisten zu leiden haben.
Von der Einführung der Entfernungspauschale profitieren diejenigen am meisten, die darauf am wenigsten
angewiesen sind, weil ihnen durch die Wege zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte keine oder nur geringfügige
Kosten entstehen. Das sind Fußgänger, Radfahrer oder
Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel. Sie sollen mit dem
Pauschbetrag von 80 Pfennig pro Kilometer künftig wesentlich höhere Kosten absetzen können, als ihnen
tatsächlich entstehen. In vielen Fällen wird die Kluft so
groß sein, dass die tatsächlichen Aufwendungen sogar geringer als die Steuerminderungen sind, die sich aus dem
Abzug des Pauschbetrages ergeben. In diesen Fällen
bringt jeder Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
dem Arbeitnehmer bares Geld ein.
Viele werden die Entfernungspauschale als Steuergeschenk zu nutzen wissen. Ich nenne ein Beispiel aus der
Wirklichkeit, das wir in der Arbeitswelt in Berlin erleben.
Ein Fernpendler, der 200 Kilometer fahren muss und einen guten ICE-Anschluss hat, kann jeden Tag 160 DM absetzen. Bei 200 Arbeitstagen sind das 32 000 DM im Jahr.
Bei einer Steuerquote von 35 Prozent hat er eine Steuerersparnis von 11 200 DM aus dieser Entfernungspauschale. Davon kauft er sich für 6 500 DM bei der Bundesbahn eine Netzkarte. Damit hat er ein gutes Geschäft
gemacht und kann auch noch privat kostenlos fahren.
Vom Überschuss kann er auch seiner Frau eine Netzkarte
kaufen; mit diesem Geschenk haben dann beide völlig
freies Fahren mit der Deutschen Bundesbahn.
Ein anderes Beispiel: Wenn einer hier in Berlin 15 Kilometer Entfernung zur Arbeitsstelle hat, sind das bei
80 Pfennig Kilometerpauschale 840 DM Steuerersparnis
im Jahr, wenn er seine Werbungskosten ansonsten ausnutzt. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen auf
dem Lande, die zu ihrem Auto keine Alternative haben.
({10})
- Herr Poß, hören Sie einmal zu und rechnen Sie nach.
Sie gestatten keine
Zwischenfrage des Kollegen Poß?
Nein, keine Zwischenfragen jetzt.
({0})
Wie sieht es bei dem aus, der auf das Auto angewiesen
ist? Bei einer Entfernung von zum Beispiel 20 Kilometern
zum Arbeitsplatz - er hat ansonsten keine Werbungskosten - kann er 8 Kilometer geltend machen.
({1})
- Ich komme gleich darauf zurück. Herr Poß, wer schreit,
weiß sich sonst nicht zu helfen; das ist eine alte Regel.
({2})
Das Beispiel tut ihm weh,
({3})
deshalb will er mich stören, damit das nicht im Zusammenhang vorgebracht werden kann.
Also noch einmal: Wer auf dem Lande wohnt und
20 Kilometer Entfernung zum Arbeitsplatz und ansonsten
keine Werbungskosten hat, kann 8 Kilometer ansetzen. Er
bekommt einen Groschen mehr Pauschale, also 80 Pfennig am Tag; mal 20 Tage im Monat sind das 16 DM. Bei
einer Steuerbelastung von 35 Prozent hat er 5,60 DM Ersparnis.
({4})
Ab dem 1. Januar muss er dann aufgrund der nächsten
Stufe der Ökosteuer 7 Pfennige mehr bezahlen. Er fährt
800 Kilometer im Monat. Bei einem Verbrauch von 10 Litern Benzin pro 100 Kilometer sind das 80 Liter. Er muss
dann 7 Pfennige mehr bezahlen, dann sind das 5,60 DM.
Also, Sie verarschen genau die Leute, die Sie durch dieses Gesetz eigentlich begünstigen müssten.
({5})
Es kommt noch eines hinzu. Für Arbeitnehmer, die
zum Auto keine Alternative haben, bringt der Gesetzentwurf sogar echte Verschlechterungen. Das ist bisher nur
wenigen aufgefallen. Wer auf der Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einen Unfall erleidet, konnte die
dadurch entstehenden Kosten bisher zusätzlich zu den
Pauschbeträgen absetzen. Nach dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung soll diese Möglichkeit künftig ausgeschlossen werden. Auch das trifft diejenigen besonders
hart, die ohne Rücksicht auf die Witterungsverhältnisse
täglich weite Strecken mit dem Auto zurücklegen müssen.
Die Einführung der Entfernungspauschale führt auch
nicht zu einer Verwaltungsvereinfachung. Im Gegenteil:
Die meisten Steuerpflichtigen, die das Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen, kommen mit ihren
Werbungskosten bisher nicht über den Arbeitnehmerpauschbetrag von 2 000 DM hinaus. Das würde sich durch
die Einführung der Entfernungspauschale ändern. Viele
dieser Steuerpflichtigen - Herr Eichel, Sie werden das erleben - werden sich deshalb überlegen, welche zusätzlichen Aufwendungen, zum Beispiel für Fortbildung, für
Arbeitsmittel, für Berufskleidung, sie noch absetzen können, um die Steuerersparnis aus der Entfernungspauschale voll ausnutzen zu können. Herr Eichel, was Sie da
machen, ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die
Finanzämter. Wundern Sie sich nicht, wie findig die Menschen sind, wenn solche Gesetze erst einmal auf dem
Wege sind.
({6})
Überhaupt nicht geholfen wird der gewerblichen
Wirtschaft, obwohl die Erhöhung der Energiepreise gePeter Rauen
rade für viele kleine Unternehmen zu gravierenden Einkommensverlusten führt. Für Spediteure, Landwirte, Gartenbauer, Reiseveranstalter, Busunternehmer und viele
andere ist sie zu einer Existenzbedrohung geworden. Kollege Klaus Lippold hat Beispiele errechnet, die auch in der
„Welt“ abgedruckt waren.
({7})
Ein LKW hat 30 000 DM Mehrkosten; 10 000 DM sind
nur durch die Ökosteuer bedingt. Ein Stahlbauunternehmen mit einem Fuhrpark von 12 Fahrzeugen und einer
Fahrleistung von jeweils 30 000 Kilometern hat Mehrkosten von 30 000 DM pro Jahr; 10 000 DM bedingt durch
die Ökosteuer. Höhere Heizöl und Stromkosten für Lagerund Produktionshallen sowie das Bürogebäude bei dem
genannten Betrieb sind überhaupt noch nicht eingerechnet.
Diese Mehrkosten lassen sich oft wegen des Kostendrucks auch nicht ohne weiteres abwälzen, sodass viele
Betriebe diese dramatische Erhöhung teilweise als einen
enteignungsgleichen Vorgang begreifen.
Der vorgesehene Heizkostenzuschuss von einmalig
5 DM pro Jahr und Quadratmeter Wohnfläche ist sozial
nicht ausgewogen. Anspruchsberechtigt sind nur die
Empfänger von Wohngeld, Erziehungsbeihilfe und Ausbildungsförderung sowie andere besonders einkommensschwache Personen. Ich will gar nicht leugnen, dass die
Wirkung des Energiepreisanstiegs für diesen Personenkreis besonders einschneidend ist. Aber nach den Ausführungen der Regierung werden 2 Millionen Haushalte
in Deutschland dadurch begünstigt; wir haben jedoch in
Deutschland 38 Millionen Haushalte, darunter sehr viele
mit kleinen oder mittleren Einkommen, die sich zwar
noch selbst helfen können, aber bei steigender Kostenbelastung auch an ihre Grenzen kommen und dann vom
Staat Hilfe fordern.
({8})
An diese wird bei dem heute eingebrachten Gesetzentwurf überhaupt nicht gedacht.
({9})
Wer in diesen Wochen seinen Heizöltank füllt, muss
für das Heizöl ungefähr doppelt soviel bezahlen wie im
letzten Jahr, das bedeutet für 3 000 Liter einen Mehraufwand von 1 500 DM; dazu kommen 160 DM aus der
Stromsteuer. Herr Eichel, der verheiratete Arbeiter mit
5 500 DM Gehalt hat aus Ihrer Steuerentlastung im nächsten Jahr gerade einmal 1 026 DM mehr in der Tasche,
während er in diesem Jahr bereits 1 700 DM mehr aufgrund des Heizkosten- und Energiekostenanstiegs bezahlen muss.
({10})
Was denken Sie, was los ist, wenn Millionen von Mietern ihre Nebenkostenabrechnung bekommen und statt
Erstattungen erhebliche Nachzahlungen und Nebenkostenerhöhungen ins Haus stehen? Ich kann Ihnen nur raten:
Überlegen Sie jetzt schon, wie Sie große Wohnungsbaugesellschaften dahin gehend beeinflussen können, diese
Abrechnungen nicht vor dem 25. März - Wahl in BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz - zu verschicken. Wir
werden umgekehrt überlegen, wie dies geschehen kann.
Diese Nebenkostenabrechnungen werden wie eine Bombe einschlagen, wenn sie die Leute erreichen.
({11})
Der Gesetzentwurf ist aber nicht nur auf der Empfängerseite problematisch, sondern auch auf der Finanzierungsseite. Sie haben ja erlebt, dass selbst die SPD-regierten Länder - wir haben das im Bundesrat in der letzten
Woche zur Kenntnis genommen - bei diesem Unfug nicht
mitmachen werden.
Ich kann zum Schluss nur an die Bundesregierung appellieren, die sachlichen Einwendungen gegen den vorliegenden Gesetzentwurf nicht in den Wind zu schlagen.
Herr Bundeskanzler, stellen Sie die taktischen Spielchen
zurück und packen Sie das Übel an der Wurzel. Nehmen
Sie die Erhöhung der Energiepreise durch die Ökosteuer
zurück und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zur Senkung der Mineralölsteuer und zur Abschaffung der Stromsteuer zu.
Schönen Dank.
({12})
Lieber Kollege
Rauen, Sie haben vorhin - wie soll ich mich ausdrücken einen unsagbaren menschlichen Körperteil in Verbform
gebracht. Das ist ein unparlamentarischer Ausdruck. Die
deutsche Sprache ist reich, es gibt viele andere Möglichkeiten, seine Empörung auszudrücken.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Albert Schmidt vom Bündnis
90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einführung einer verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale beendet die steuerliche Benachteiligung all derer, die jeden Tag mit Bus, Bahn oder
Fahrrad von der Wohnung zur Arbeit pendeln. Das ist eine
gute Nachricht für alle Nutzerinnen und Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel und des Umweltverbundes. Das
ist die Beendigung der steuerlichen Bevorzugung des Autofahrens, das steht im Koalitionsvertrag, das werden wir
umsetzen, und das ist auch gut so.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
Herr Merz, Sie wissen natürlich auch selbst, dass die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale das richtige Konzept ist, denn dieses Instrument ist Bestandteil
Ihres eigenen Steuerkonzeptes seit den Petersberger Beschlüssen.
({1})
Wenn es eine Regelung gegeben hat, die zum Schummeln
und zum Missbrauch geradezu eingeladen hat, dann war
es doch, Herr Kollege Rauen, die alte Regelung, nämlich
die Kilometerpauschale, die für die Autofahrer besonders
hoch und für andere besonders niedrig ausgefallen ist. Die
Entfernungspauschale, die wir einführen wollen und werden, setzt in einer Zeit steigender Benzinpreise genau das
richtige Signal: Bus- und Bahnfahrer können mehr von
der Steuer absetzen, oder - noch kürzer gesagt - Umsteigen lohnt sich.
({2})
- Ich komme darauf zurück, Herr Kollege, keine Sorge.
Das weiß übrigens auch die Deutsche Bahn und das
wissen auch die kommunalen Verkehrsbetriebe. Deswegen erwarten sie mehr Fahrgäste, mehr Kundschaft und
mehr Geschäft. Es ist folgerichtig und konsequent, dass
der Bahnchef in Aussicht gestellt hat, genau deshalb auf
die bereits angekündigte Fahrpreiserhöhung im Bahnverkehr zu verzichten. Er hat die kommunalen Verkehrsverbünde eingeladen, sich dieser Haltung anzuschließen. Ich
kann alle öffentlichen Verkehrsbetriebe nur bitten:
Schließen Sie sich an. Kommen Sie Ihren Fahrgästen mit
stabilen Fahrpreisen entgegen. Dann werden Sie mehr
Kundschaft und damit auch mehr Einnahmen bekommen.
({3})
Der positive Trend im öffentlichen Verkehr hat übrigens bereits eingesetzt. Im ersten Halbjahr dieses Jahres
haben wir gegenüber dem Vorjahr beim Schienenpersonenverkehr einen Zuwachs von rund 5 Prozent und beim
Güterverkehr auf der Schiene von 11 Prozent zu verzeichnen. Die Ökosteuer, die Sie von der Opposition am
liebsten abschaffen möchten, weil sie angeblich keinen
Lenkungseffekt hat, hat genau diesen erfreulichen Trend
mitverursacht,
({4})
zumal die öffentlichen Verkehrsmittel - anders als Sie immer darzustellen versuchen - zur Hälfte von der Ökosteuer befreit sind. Das verschafft dem Umweltverbund
einen relativen Preisvorteil gegenüber dem Straßenverkehr und führt genau zu diesem Wachstum im öffentlichen Verkehr. Diesen Trend werden wir mit der Entfernungspauschale verstärken.
({5})
Ich kann also viele Menschen im Lande nur ermutigen:
Machen Sie, wo immer es geht, von der Möglichkeit des
Umsteigens auf Bus und Bahn Gebrauch. Sie entlasten damit nicht nur die Umwelt, sondern auch Ihren Geldbeutel;
denn Sie sind vor dem Finanzamt nicht länger Pendler
zweiter Klasse.
Allerdings wissen wir sehr wohl, dass gerade im ländlichen Raum - ich komme selbst aus einer solchen Region
in Bayern - viele Menschen noch nicht ein dichtes und attraktives Bus- und Bahnangebot zur Verfügung haben,
({6})
sie also bei dem täglichen Weg zur Arbeit bitter auf das
Auto angewiesen sind und nicht einfach sagen können:
Heute fahre ich einmal nicht mit dem Auto zur Arbeit, um
Benzinkosten zu sparen.
Da es Menschen gibt, die sich dieser Art der Zwangsmobilität nicht entziehen können, schlagen wir im Gesetzentwurf die Erhöhung dieser Pauschale um 10 Pfennig vor, übrigens nicht als Ausgleich für die Ökosteuer,
die den gefahrenen Kilometer - je nach Fahrzeug - nur
um 1 bis 2 Pfennig verteuert, sondern wegen des insgesamt ungleich höheren Preisanstiegs, der durch die Mineralölproduzenten und die Ölkonzerne verursacht worden
ist und der für die Berufspendler zweifellos eine Belastung darstellt.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Überlegen Sie sich gut,
ob Sie Ihren Wahlkreisbürgerinnen und -bürgern diese
Entlastung vorenthalten wollen, indem Sie aus einer kindischen Fundamentalopposition heraus immer prinzipiell
Nein sagen.
({7})
Ich verstehe, dass viele Bundesländer zunächst einmal
ordentlich über die Finanzierung dieser Erhöhung streiten
wollen; denn man will natürlich nicht so gern in die eigene, sondern lieber in die Bundeskasse greifen. Da kennt
man erst einmal keine Verwandten. Aber ich sage all denen, die wochenlang so mitfühlend nach der Erhöhung der
Pendlerpauschale gerufen haben: Wer sich jetzt nicht
selbst daran beteiligen will, der hätte damals besser geschwiegen.
({8})
Wohltaten nur aus der Kasse der anderen zu sponsern
ist keine Kunst und es ist auch nicht besonders glaubwürdig. Es ist gut, dass unsere Finanzverfassung insoweit
eine gemeinsame finanzielle Anstrengung von Bund und
Ländern verlangt. Der Bund ist bereit, seinen Anteil zu
leisten. Die Länder sollten es auch sein.
Dazu gehört auch der soziale Ausgleich für Menschen
an der untersten Einkommensgrenze, die in diesen Wochen eine Heizölrechnung bekommen, die doppelt so
hoch ist wie im vergangenen Jahr.
({9})
Dafür die Ökosteuer verantwortlich zu machen ist besonders dumm und ignorant. Die Ökosteuer beträgt je Liter
Albert Schmidt ({10})
Heizöl lediglich 4 Pfennig. Der Heizölpreis aber liegt bei
1 Mark. Es ist also überhaupt nicht nötig, die Ökosteuer
zurückzunehmen, weil die Auswirkungen in diesem
Punkt so gut wie gar nicht da sind.
({11})
Dass Sie hier vorschlagen, mit dem Instrument der
Ökosteuer zu operieren, zeigt nur, wie wenig Sachkenntnis Sie haben.
({12})
Wir schlagen stattdessen eine Heizkostenzulage von
5 DM je Quadratmeter für die sozial Schwächsten vor.
Das ist schlicht und einfach ein Gebot sozialer Fairness,
dem sich auch die Länder nicht verweigern sollten.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wie
töricht Ihr Antrag auf eine gänzliche Abschaffung der
Ökosteuer ist, zeigt die Benzinpreisentwicklung der
letzten Wochen. Als der Marktpreis vor zwei Wochen bei
über 2 Mark lag, hat sich der Kollege Klaus Lippold hier
aufgeblasen wie ein Ochsenfrosch und Arm in Arm mit
den so genannten Liberalen nach dem Staat geschrien:
Weg mit der Ökosteuer! 12 Pfennige müssen verschwinden, Steuerverzicht! - Mit anderen Worten: Planwirtschaft, steuerliche Subventionen.
Inzwischen haben die Preise nachgegeben. Sie können
an manchen Tankstellen in Berlin den Liter Diesel wieder
für 1,56 DM kaufen, obwohl wir an der Ökosteuer gar
nichts verändert haben.
Wie wollen Sie uns das jetzt erklären? Wollen Sie, dass
wir die sinkenden Benzinpreise wieder durch Steuererhöhungen anheben? Wie hoch soll eigentlich der Benzinpreis sein, Herr Brüderle, den wir mithilfe von steuerlichem Dirigismus festschreiben sollen? Was machen Sie
von der CDU jetzt eigentlich mit Ihren Unterschriftslisten?
({13})
Die Benzinpreise sind ja schon um mehr als 12 Pfennig
gesunken, obwohl Sie mit Ihrer Aktion noch gar nicht fertig sind. Ich finde, die Ölkonzerne hätten schon so lange
warten müssen, bis Sie Ihre Unterschriftslisten voll haben.
({14})
Nein, hektischer Aktionismus ist keine Politik. Wir
bleiben bei einer klaren und berechenbaren Linie: das Sozialabgabenniveau stabilisieren und senken sowie Anreize zum Energiesparen durch eine entsprechende Besteuerung schaffen.
({15})
Die eigentliche Botschaft der Energiepreisentwicklung - die haben Sie überhaupt nicht verstanden - ist
schlicht und einfach: Wir müssen weg vom Öl! Das macht
uns unabhängiger von Importen. Das hält das Geld im
Land. Das macht uns ökologisch und wirtschaftlich zukunftsfähig.
({16})
Daher ist die Benzin- und Ölpreiskrise eine Chance.
Aber Sie definieren sie immer nur als Belastung. Deswegen werden Sie niemals die richtigen Schlüsse daraus ziehen können.
({17})
Sie lamentieren doch nur und rufen nach staatlichen Subventionen.
Die richtige Antwort lautet: Energieeinsparung, effizientere Technik und Umsteigen auf die erneuerbaren Energien.
({18})
Wir haben das alles auf den Weg gebracht: 100 000-Dächer-Programm, Erneuerbare-Energien-Gesetz und Solarthermie-Programm. So sieht unsere Antwort aus. Aber
Sie haben alles abgelehnt. Was ist denn der Kern dessen,
was gestern unter der Überschrift Zukunftsinvestitionsprogramm von den Koalitionsfraktionen beschlossen
worden ist? Der Kern ist: zusätzliche Milliarden für eine
moderne, bürgernahe, attraktive Bahn; mehr als 1 Milliarde DM als Anreiz zu Sanierung und Wärmedämmung in
Hunderttausenden von Wohnungen; 300 Millionen DM
für die Erforschung von Antrieben, die auf der Basis
erneuerbarer Energien - Stichwort: Solarwasserstoff- und
Brennstoffzellentechnologie - arbeiten; zusätzliche Milliarden für Bildung und Forschung, damit auch die wissenschaftliche Entwicklung der Zukunftstechnologien
vorangebracht wird. So sieht unser Programm der ökologischen Modernisierung aus! Ein solches Programm
haben Sie in 16 Jahren noch nicht einmal annähernd zustande gebracht.
({19})
Hätten Sie damals auch nur einen kleinen Teil dessen
gemacht, was wir heute auf den Weg gebracht haben, dann
müssten wir über die Höhe der heutigen Energiepreise gar
nicht erschrecken; denn wir könnten mit zwei Dritteln des
heutigen Kraftstoffverbrauchs genauso weit fahren und
wir könnten es mit zwei Dritteln des heutigen Heizenergieverbrauchs genauso warm haben. Wir müssten dafür
noch nicht einmal mehr bezahlen, weil wir die steigenden
Kosten durch eine moderne Technologie ausgeglichen
hätten.
({20})
Das, was Sie zu tun versäumt haben, werden wir nachholen. Ich bin ganz sicher, dass Sie auch dies wieder ablehnen werden und dass Sie in Ihren Schützengräben bleiben
werden.
Albert Schmidt ({21})
Ich sage an die Adresse der wirklich Konservativen
- die gibt es; das weiß ich; Herr Repnik, ich spreche Sie
persönlich an - in Ihren Reihen. Ich bin mir nach vielen
Diskussionen, die ich geführt habe, ziemlich sicher: Die
Mehrzahl der Menschen wird unser Programm der ökologischen Modernisierung mittragen. Auch viele CDU-Mitglieder wenden sich angewidert von Ihrem plumpen
Antiökosteuerklamauk ab.
({22})
Sie erwarten nämlich von der Opposition Alternativen,
Konzepte und Ernsthaftigkeit. Aber Sie legen nichts auf
den Tisch.
({23})
Wo ist Ihr Ökosteuerkonzept, wenn Sie tatsächlich eine
„bessere“ Ökosteuer wollen? Wo ist Ihre Beschreibung
des Weges vom Ölzeitalter hin zum Solarzeitalter? Wo
sind Ihre ernsthaften Antworten?
({24})
Solange Sie selbst nichts vorlegen, meine Damen und
Herren von der CDU, so lange werden Sie niemanden in
diesem Land nachhaltig überzeugen können. Uns werden
Sie so nicht aus der Ruhe bringen.
({25})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rainer Brüderle, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Bundesregierung beglückwünschen, dass sie aus unserem Antrag „Ökosteuer
zurücknehmen“ teilweise gelernt hat;
({0}): Aber nur teilweise!)
denn die Einführung einer verkehrsmittelunabhängigen
Entfernungspauschale fordern wir nicht erst in unserem
heute zur Beratung anstehenden Antrag, sondern schon
seit Jahren. Aber für die Erkenntnis, dass eine Entfernungspauschale sinnvoll ist, brauchen wir keine Ökosteuer.
({1})
So haben wir zum Beispiel in Rheinland-Pfalz im Koalitionsvertrag eine ökologisch sinnvolle Entfernungspauschale schon seit langem festgeschrieben. Dass Sie bessere Ideen von uns übernehmen, ist in Ordnung. Aber
versuchen Sie bitte nicht, die widersinnige Ökosteuer
über die Runden zu retten! Das werden wir Ihnen nicht
durchgehen lassen. In diesem Punkt haben Sie sich unseren Antrag leider nicht zu Herzen genommen. Wir schlagen die Entfernungspauschale nämlich als Alternative zur
ökologisch wirkungslosen Erhöhung der Steuern auf
Kraftstoffe und Heizöl vor. Wir wollen keine Entfernungspauschale, die die offensichtliche Fehlentwicklung
durch die so genannte Ökosteuer kaschiert. Das ist ein
durchsichtiges Ablenkungsmanöver.
({2})
Deshalb werden wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Unsere Forderung ist, das gescheiterte Ökosteuerprojekt endlich abzuschaffen.
({3})
Die Ökosteuer darf nicht bar jeder Vernunft auf Teufel
komm raus bis zum Ende der Legislaturperiode durchgeschleppt werden. Die Menschen in Deutschland - Pendler, Rentner, Taxifahrer, Trucker - verdienen Lösungen
für drängende Probleme. Heftpflasterstrategien bei berechtigten Sorgen der Menschen sind nicht angemessen.
Wir brauchen das Ende einer verbohrten, ideologieverhangenen Steuererhöhungspolitik. Deshalb muss die
Ökosteuer weg.
({4})
Die Menschen wissen längst, was sie von dem Abkassiermodell Ökosteuer zu halten haben. Ich brauche all die
Fehllenkungen dieser staatlichen Zwangsbeglückungen
nicht zu wiederholen. Aber dass Grün-Rot wider besseres
Wissen, aus reinem Machterhaltungstrieb und Koalitionsraison mit Rücksicht auf die Grünen, um ihre letzte Begründung für die Dienstwagen aufrechtzuerhalten und auf
Gedeih und Verderb an dem Projekt Ökosteuer festhält, ist
ein starkes Stück.
({5})
Der Bundeskanzler hat wörtlich gesagt:
Über Instrumente können wir reden, wenn es bessere
gibt.
Der Kanzler weiß, dass es bessere gibt.
Verkehrsminister Klimmt sagte wörtlich:
Die Steigerungen sind bis 2003 festgelegt und damit
ist Sense nach meiner Meinung.
In der SPD-Führung widerspricht ihm keiner. Selbst die
Grünen äußern derzeit reihenweise, das Konzept sei „verbesserungsfähig“.
({6})
Man hat allmählich den Eindruck, dass uns die Bundesregierung nur noch veralbert.
({7})
Sie sagen beinahe täglich: Das Ökosteuerkonzept ist eine
schlechte Politik. Diese führen wir aber bis zum Ende der
Legislaturperiode fort. - Das ist eine Frechheit gegenüber
den Menschen im Lande und der Gipfel der Schizophrenie.
({8})
Albert Schmidt ({9})
Auch eine andere Legendenbildung muss ein Ende haben. Der penetrante Verweis, dass andere an den gestiegenen Benzinpreisen Schuld sind und nicht die Ökosteuer
und nicht die steuerliche Belastung, wird allmählich zur
Lachnummer. Frau Mertens, in den USA ist die Steuerbelastung auf die Benzinpreise ungleich niedriger als in
Deutschland. Ich kenne kein Produkt, bei dem über 70 Prozent Steuern abkassiert werden.
({10})
Es muss geradezu eine Einladung für alle Scheichs der
Welt sein, in den Vereinigten Staaten zuzulangen. Das ist
eine Milchmädchenrechnung. Dass Herr Schmidt so laut
schreit, beweist, dass er Unrecht hat. Getroffene Hunde
bellen.
({11})
Ihnen waren und sind die sinkenden Energiepreise in
Deutschland aufgrund der Liberalisierung schon immer
ein Dorn im Auge. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Müller spricht wörtlich sogar von einem „unsinnigen Preiskampf auf dem europäischen Strommarkt“.
Sie gönnen den Verbrauchern, dem Mittelstand und den
großen Unternehmen keine günstigen Strompreise, damit
sie mehr Arbeitsplätze schaffen bzw. damit sie mit ihrem
Geld besser haushalten können. Deshalb dreht die Bundesregierung die Liberalisierung mit aller Kraft zurück. In
den kommenden zehn Jahren werden Sie mit der Subventionierung alternativer Energien und der Förderung der
Kraft-Wärme-Kopplung 40 Prozent des Strommarktes
wieder aus dem Wettbewerb herausnehmen.
Kollege Brüderle, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin BullingSchröter?
Ja, gerne. Ich habe sowieso
wenig Zeit.
({0})
Kollege Brüderle, Sie
haben gerade über die Benzinpreise in den USA gesprochen. Was halten Sie davon, dass gerade die USA das
Land sind, das den höchsten CO2-Ausstoß pro Person in
der ganzen Welt hat?
({0})
Wenn Sie bei dem Thema,
das wir diskutiert haben, die Behauptung aufstellen, Frau
Kollegin Mertens, dass niedrige Steuerbelastungen
zwangsläufig zu höheren Preisen führen - ({0})
- Sie dürfen fragen, was Sie wollen. Ich antworte, was ich
will. Das ist im Parlament so.
({1})
Ich bin zwar noch nicht fertig, Frau Kollegin BullingSchröter, aber Sie können sich schon einmal setzen, wenn
es für Sie so zu hart ist.
Zur Frage der Kollegin Mertens: Dass die Steuerreduktion zwangsläufig zu höheren Benzinpreisen durch
eine Erhöhung der Konzerne führen würde, ist eine so
schlichte Milchmädchenökonomie, dass man sie so nicht
stehen lassen kann.
({2})
Wer Beispiele aus Ländern wie den USA sieht, wird feststellen, dass dort bei deutlich niedrigeren Steuerbelastungen die Scheichs nicht zulangen. Das zeigt, dass die These
falsch ist. Er demaskiert eine Strategie,
({3})
die aufgrund der Politik der Grünen zulasten der kleinen
Leute und der Mittelstandsbetriebe in diesem Lande
Ideologien austobt. Das ist der Kernpunkt.
({4})
Sie wollen in einem Restaurant ja auch nicht Kotelett geliefert bekommen, wenn Sie Hering bestellen. Sie müssen
also schon beim Thema bleiben. Ich verstehe, dass es Ihnen unangenehm ist, wenn hier Wahrheiten ausgesprochen werden. Aber wir sind dafür da, dass hier Wahrheiten ausgesprochen werden.
({5})
Die Grünen schlagen als neues Instrument neuerdings
eine Abwrackprämie vor. Die einzige Prämie, die Sie kassieren werden, wenn die nächste Stufe der Ökosteuer im
Jahre 2001 in Kraft tritt, wird auf den Stimmzetteln der
Wähler in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zum
Ausdruck kommen, die Ihrer dreisten Politik damit eine
Absage erteilen werden.
({6})
Wir werden die Wahl zu einer Abstimmung über Ihre fehlgeleitete Politik machen.
({7})
Ich erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie wissen, befürwortet
die PDS eine sozial gerechte und ökologisch wirksame
Ökosteuer. Genau deshalb lehnen wir die rot-grüne
Ökosteuer ab, um die es heute ja geht.
({0})
Die Koalition hat mit ihrer Steuerkonstruktion die Idee
der Ökosteuer in Deutschland sowohl in sozialer als
auch in ökologischer Hinsicht diskreditiert. Ihre Beschäftigungseffekte sind zu vernachlässigen. Deshalb können
wir sie in dieser Form auf keinen Fall unterstützen.
Damit wir nicht missverstanden werden: Wir lehnen
nicht das Ziel ab, den Umweltverbrauch teurer zu machen. Besser gesagt, wir sind dafür, die Subventionen für
Umweltverschmutzung, Ausplünderung der natürlichen
Ressourcen und die Zerstörung der Lebensbedingungen
künftiger Generationen abzuschaffen.
({1})
Wer die Ökosteuer pauschal ablehnt, hat also die Nachhaltigkeitsdiskussion verschlafen oder leidet - wie anscheinend Frau Merkel mit ihrer Stammtischkampagne an punktuellem Gedächtnisschwund. Sie, meine Herren
und Damen von der CSU, kann ich nur daran erinnern,
dass es in Ihren Reihen noch den Herrn Göppel gibt, den
umweltpolitischen Sprecher der CSU im Bayerischen
Landtag, der sich explizit für eine Ökosteuer ausspricht.
({2})
- Sie diskreditieren Ihren eigenen Kollegen; das empfinde
ich nicht als fair.
Wir wollen eine intelligente Ökosteuer, die eine
Chance hat, zum zukunftsfähigen Umbau der Gesellschaft beizutragen, und einen grundlegenden Strukturwandel befördert. Dann muss sie auch nicht, was praktisch ja gar nicht möglich ist, immer weiter nach oben
geschraubt werden, bis alle Umweltkosten internalisiert
sind. Wir wollen eine ökologische Steuerreform, die nicht
Menschen mit geringem Einkommen sozial ausgrenzt,
während Großunternehmen noch ein Schnäppchen machen.
({3})
Die PDS fordert deshalb eine neu gestaltete Ökosteuer
und nicht deren Abschaffung. Wir werden dazu einen Antrag vorlegen.
({4})
Jürgen Trittin brüstet sich zur Verteidigung der Ökosteuer damit, dass die Wirtschaft in dieser Stufe netto
- ich wiederhole: netto - um 2,2 Milliarden DM entlastet
wird. Davon spricht in diesem Haus nur die PDS. Dieses
Geschenk kommt daher, dass die großen Unternehmen
des produzierenden Gewerbes, insbesondere die Großunternehmen, weitgehend von der Ökosteuer befreit werden,
während sie voll von der Senkung der Lohnnebenkosten
profitieren. Ich empfinde das, gelinde gesagt, als absurd.
Irgendwie verbinde ich mit der Ökosteuer keinen Subventionstatbestand für Konzerne und Banken.
({5})
Am Ende bezahlen nur noch die Bürgerinnen und Bürger sowie das Kleingewerbe und der Mittelstand die Zeche. Außerdem verteilt sich die Senkung des Arbeitnehmeranteils an den Rentenbeiträgen ungleich, und zwar
ähnlich wie die Kilometer- oder Entfernungspauschale.
Auch wir haben in der letzten Legislaturperiode die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale gefordert und unterstützen sie, geben aber zu bedenken, dass
die Konstruktion verändert werden sollte. Momentan bekommt derjenige mehr zurück, der mehr verdient; wer zu
arm ist, um Steuern zu zahlen, erhält gar keinen Ausgleich. Ihr Sozialpaket gleicht diese Probleme eben nicht
aus.
Ich möchte noch eine Bemerkung zur Heizkostenzulage machen, die wir sehr begrüßen. Fakt ist aber, dass damit auf die Länder und auf die Kommunen jeweils zusätzlich 1 Milliarde DM Kosten pro Jahr zukommen, die
der Bund nicht ausgleicht. Ich denke, so kann es nicht
sein.
({6})
Ihre Ökosteuer ist weder geeignet, es den Menschen einfacher zu machen, auf umweltfreundlichere Alternativen
umzusteigen, noch übt sie auf die Wirtschaft wirksamen
Druck aus, einen tatsächlichen Wandel in Technologie
und Produktion einzuleiten.
Wie wir heute zudem aus der Presse erfahren haben,
sollen die Unternehmen im Klimaschutz von umweltpolitischen Ambitionen unseres Hauses künftig verschont
bleiben. Von Selbstverpflichtung gegen Verzicht auf weitere ordnungspolitische Regelungen seitens der Politik ist
im unterschriftsreifen Papier die Rede. Einen solchen
Freifahrschein, Herr Trittin, hat noch nicht einmal Frau
Merkel ausgestellt. Das „ND“ titelt: „Bundesregierung
befreit Wirtschaft vom Klimaschutz“. Ich denke, so kann
es natürlich auch nicht gehen.
({7})
Wer von Ökosteuer spricht, der sollte von Ökologie
sprechen. Die Ökosteuer soll zum Verkehrsumbau und
zum Übergang von einer fossil-atomaren Energiewirtschaft zur Solarwirtschaft sowie zu einer umweltverträglichen Mobilität beitragen. Ich könnte noch einiges andere
hinzufügen; aber meine Redezeit ist fast abgelaufen. Wir
könnten noch über den Nahverkehr, über die Bahn und die
Abschaffung der Interregios - der Kollege Schmidt hat
dazu leider nichts gesagt - reden. Wir müssen uns jetzt
entscheiden. Wir brauchen einen ökologischen und sozialen Weg, um Akzeptanz bei der Bevölkerung wirklich
herzustellen.
Danke.
({8})
Ich erteile dem Kollegen Reinhard Schultz, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An sich wäre es
doch intellektuell redlicher, Herr Brüderle und Herr
Rauen, dass Sie dann, wenn Sie wirklich helfen und mithilfe von Steuerpolitik Energiepreise regulieren wollten,
hier den Antrag stellten, dass die Mineralölsteuererhöhung um 55 Pfennig, die während Ihrer Regierungszeit
zustande gekommen ist, sofort zurückgenommen wird,
statt Ihre Bemühungen auf die 6 Pfennig zu reduzieren,
die unter unserer Verantwortung hinzugekommen sind.
({0})
Diese 6 Pfennig werden an die Arbeitnehmer und an die
Wirtschaft dadurch komplett zurückgegeben, dass wir die
Rentenversicherungsbeiträge gesenkt haben und auf niedrigem Niveau stabil halten können, womit wir auch das
Versorgungsniveau unserer Rentner auskömmlich halten
können.
({1})
Wenn Sie heute fordern, dass die Ökosteuer abgeschafft wird, dann ist das nicht nur wie das Abgeben Ihrer
politischen Verantwortung an der Garderobe von Mineralölkonzernen und Ölscheichs; vielmehr müssen Sie uns
dann auch erklären, ob Sie die Rentenversicherungsbeiträge auf 25 Prozent anheben oder ob Sie meiner Oma
stattdessen lieber die Rente kürzen wollen;
({2})
denn anders als bei Ihren Erhöhungen der vergangenen
Jahre gibt es für die Einnahmen aus der Ökosteuer eine
klare Zweckbestimmung.
({3})
- Natürlich ist das rechtlich zulässig. - Mit Ausnahme
derjenigen 2,5 Millionen DM, die wir für erneuerbare
Energien ausgeben, weil wir den Strom aus erneuerbaren
Energien besteuern müssen, geht dieses Geld komplett in
die Rentenkasse des Bundeshaushalts.
Um Sie zu beruhigen und den Spekulationen entgegenzutreten - ich denke, auch unser verehrter Herr Bundesfinanzminister wird das gleich tun -: Das gilt natürlich
ebenfalls für die Zukunft. Nach unserem Ökosteuerkonzept wächst die Ökosteuer bis zum Jahr 2003 in fünf
Schritten von jeweils 6 Pfennig an. Dadurch entsteht ab
dem Jahr 2003 ein Einnahmevolumen, das auf die Dauer
dazu beitragen wird, mit den generationsbedingten Problemen der Rentenversicherung fertig zu werden, die
Beiträge stabil zu halten und das Versorgungsniveau der
Rentner über 2003 hinaus zu sichern.
Die Ökosteuer ist ein wichtiger Bestandteil des Rentenreformkonzeptes. Sie dient entscheidend zur Stabilisierung des Generationenvertrages, also des Vertrauens
zwischen der jungen, aktiven Generation und der älteren
Generation, die im Ruhestand ist und sich darauf verlassen muss, dass sie gute Renten bekommt.
Wenn Sie heute fordern, die Ökosteuer abzuschaffen,
dann stellen Sie den Generationenvertrag und seine Stabilität infrage. Auch das müssen die Rentner und die jungen Beitragszahler wissen.
({4})
Wie die weitere Entwicklung von Umweltsteuern nach
2003 aussehen wird, wird sich dann entscheiden. Dabei
spielt natürlich die Energiepreiskulisse eine Rolle. Wenn
also die Preise selber möglicherweise die Funktion übernehmen, die die Ökosteuer bislang übernommen hat, wird
man das einkalkulieren müssen. Wir wollen ja niemanden
quälen,
({5})
sondern wir wollen neben der Absicherung der Renten zugleich erreichen, dass das Verhalten sich zum Energiesparen hinneigt, Wettbewerbs- und Preisgleichheit für erneuerbare Energien entstehen und Strom, Wärme und andere
Energien möglichst effizient hergestellt und genutzt werden. Dazu leisten wir, wie ich denke, auch durch die Ökosteuer einen wertvollen Beitrag.
({6})
Es ist überhaupt nicht zu bestreiten und keiner von uns
ist davon begeistert, dass die geplanten kleinen und kalkulierbaren Schritte einer Erhöhung der Ökosteuer durch
unkalkulierte Preisentwicklungen und -explosionen überlagert worden sind. Aber dafür hat doch nicht die Politik
gesorgt. Wir regieren weder in Kuwait, noch stellen wir
die Vorstandsvorsitzenden von Shell, BP oder Esso.
({7})
Das Ganze geschieht derzeit vielmehr auf dem von Ihnen,
Herr Brüderle, so geliebten Markt von Angebot und
Nachfrage. Derzeit wird hier die Angebotsmacht von der
Mineralölwirtschaft und den Erdöl produzierenden Ländern missbraucht.
({8})
Dem müssen wir natürlich auch im europäischen Konzert
der Industriestaaten etwas entgegenstellen, zum Beispiel
Nachfragemacht gezielter organisieren, um die Erdöl produzierenden Länder und die Mineralölkonzerne zu einer
Verstetigung ihrer Preispolitik zu zwingen.
({9})
Diese muss kalkulierbar und vorhersehbar sein, wenn sich
die Wirtschaft und die Verbraucher darauf einstellen sollen. Dieses zeichnet unsere Ökosteuer aus, die Zeit dazu
lässt, dass die Industrie rechtzeitig sparsamere Aggregate
anbieten kann und sich der Verbraucher darauf einstellen
kann.
({10})
- Das ist Marktwirtschaft pur. Das haben Sie in Ihrer Regierungszeit nie zustande gebracht. Im Augenblick bemühen Sie sich seminaristisch darum, die Marktwirtschaft zu entdecken.
({11})
Während der Zeit, als Sie Regierungsverantwortung trugen, hat sie nicht stattgefunden.
Die Regierung macht ja nicht nur Ökosteuern,
({12})
sondern verstärkt mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm, das die Koalitionsfraktionen gestern dankenswerterweise verabschiedet haben, den Ansatz einer Politik, die weg von der Fixierung auf das Öl und hin zu
Energiesparen, zu erneuerbaren Energien und zum öffentlichen Personennahverkehr als Alternative zum individuellen Autoverkehr führt. Es hat eine Größenordnung von
15 Milliarden DM über drei Jahre.
({13})
Das haben Sie während Ihrer Amtszeit nie zustande gebracht.
({14})
Wenn Sie etwas privatisiert oder verkauft haben, dann haben Sie diese Einnahmen in Haushaltslöcher gesteckt. Wir
konsolidieren.
({15})
Mit den eingesparten Zinsen finanzieren wir Zukunft:
„Zukunftsfähigkeit für Deutschland durch Energiewende“ lautet die Überschrift unseres Zukunftsinvestitionsprogramms. Das haben Sie nie gemacht; wir machen
es.
({16})
Ich finde, das kann sich auch gut sehen lassen: auf der einen Seite ein vorsichtiger, planvoller Umgang mit Energiepreisen, auf der anderen Seite eine eindringliche Einladung an die Industrie und die Verbraucher, mit
Primärenergie, insbesondere mit Öl, möglichst sparsam
umzugehen.
Sie glauben doch wohl selber nicht, dass es in den
nächsten Jahren oder Jahrzehnten wieder einen nennenswerten Einbruch bei den Ölpreisen geben wird. Wir müssen uns schon jetzt darauf einstellen, dass die Ölpreise auf
hohem Niveau bleiben und nur dann sozialverträglich und
wirtschaftlich abgefangen werden können, wenn ein rationeller Umgang mit diesem Öl organisiert wird. Das machen wir nun in einem Umfang, wie es in der Bundesrepublik bislang noch nie der Fall gewesen war.
({17})
Wir denken aber nicht nur auf lange Sicht, wie wir mit
den Zukunftsproblemen fertig werden, sondern wir reagieren auch flexibel auf die Marktverzerrungen, die die
Ölpreisexplosion gebracht hat. Deswegen ist es natürlich
notwendig, denjenigen, die zur Arbeit fahren müssen, zu
helfen, damit die Ölpreisexplosion sie nicht hindert, mobil auf dem Weg zur Arbeit zu sein. Deswegen erhöhen
wir die Möglichkeiten der steuerlichen Berücksichtigung
von Fahrten zum Arbeitsplatz und wandeln die reine
Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige
Entfernungspauschale um. Gleichzeitig wollen wir damit - das liegt voll auf unserer Linie - eine Einladung zum
Umstieg auf andere Verkehrsmittel oder wenigstens zur
Bildung von Fahrgemeinschaften aussprechen. Wer sich
vernünftig verhält, der soll auch einen wirtschaftlichen
Vorteil davon haben.
({18})
Auch Vorschläge, durch vernünftiges Verhalten Geld zu
sparen oder sogar Geld zu verdienen, gehören zum marktwirtschaftlichen Handeln. Anders geht es doch nicht.
Im Übrigen bin ich davon überzeugt, dass unsere Politik bei den Landtagswahlen in zwei Flächenländern honoriert werden wird.
({19})
Wir bleiben nicht stur bei einer Linie, sondern wir werden
weiterhin flexibel auf die Entwicklungen reagieren.
Das Gleiche gilt natürlich auch für die Mieter. Wir können niemandem eine Winterhilfe angedeihen lassen, auch
Ihnen nicht, Herrn Rauen.
({20})
Aber denjenigen, die unter der Heizkostenrechnung
wirklich leiden, werden wir helfen. Dazu zählen Mieter
mit einem geringen Einkommen und Mieter, deren Miete
über die Sozialhilfe gezahlt wird, die einen Wohngeldanspruch haben oder die BAföG beziehen und nicht zu
Hause wohnen.
({21})
Diese Gruppe wäre in ihrer Existenz möglicherweise gefährdet, wenn man die Energiekostenexplosion sozusagen
ungebremst auf sie abwälzen würde.
Hier zu helfen ist unsere politische Verantwortung. Unsere politische Verantwortung ist aber nicht, sämtliche
Preisschwankungen auf den Milch-, Kognak-, Auto- oder
Mineralölmärkten durch die Politik aufzufangen.
({22})
Wir müssen vielmehr beobachten, wo Notlagen entstehen. Dort haben wir flexibel reagiert und werden es weiterhin tun.
Das Gleiche gilt für die Bauern. Wir haben frühzeitig
angekündigt - also bevor die Ölpreise explodiert sind -,
Reinhard Schultz ({23})
dass wir die Mineralölsteuerbelastung der Landwirtschaft
durch die Einführung von Agrardiesel deckeln wollen.
Das war zwar nicht das, was sich die Bauern gewünscht
hatten. Aber sie haben letztendlich akzeptiert, dass auch
die Landwirtschaft einen Konsolidierungsbeitrag leisten
muss und dass es keine Gruppe in der Gesellschaft geben
kann, die sich diesen Konsolidierungszwängen völlig entziehen kann. Die Bauern waren mit dieser Maßnahme zufrieden.
Aber natürlich hat der neue Preisanstieg insbesondere
im Dieselbereich die Belastung erhöht; die Sorgen sind
ganz gewaltig. Falls die Entwicklung so weitergeht, müssen wir uns natürlich Gedanken darüber machen, ob wir
nicht reagieren sollten. Ich glaube nicht, dass wir schon
Entwarnung geben können. Nach den fürchterlichen Ereignissen in Israel und im arabischen Raum können wir in
den nächsten Wochen nicht damit rechnen, dass es zu einem Einbruch bei den Energiepreisen kommt. Wir müssen uns also Gedanken machen, wie wir mit dieser Situation umgehen sollen.
Ich freue mich darüber, dass der Bundesrat mit den
Stimmen vieler Länder beschlossen hat, dass wir hinsichtlich der Besteuerung der Agrarkraftstoffe innerhalb
der EU einen vernünftigen Rahmen festlegen müssen, sodass das heute stattfindende Steuerdumping in Reinkultur
nicht zu dauerhaften Wettbewerbsverzerrungen und damit
zu großen volkswirtschaftlichen Schäden führt. Wenn wir
das schaffen, dann haben wir damit auch den Landwirten
geholfen. Schaffen wir es aber nicht, werden wir möglicherweise kurzfristig über weitere Schritte nachdenken
müssen.
({24})
Der Bundesrat hat die Bundesregierung in diesem Fall
schon dazu aufgefordert. Zum jetzigen Zeitpunkt besteht
dazu aber kein Anlass.
({25})
Das Gleiche gilt auch für andere Betroffene.
Wenn die F.D.P. in ihrem Antrag zum Beispiel fordert,
dass die Kraftfahrzeugsteuer ersatzlos abgeschafft und
mit der Mineralölsteuer verschmolzen werden soll, dann
kann ich Ihnen nur sagen: Viel Vergnügen! Das würde
nämlich bedeuten, dass wir auf die hohen Energiepreise
noch 30 Pfennig aufgrund der Erhöhung der Mineralölsteuer draufsatteln müssten. Das zu vertreten wird ein ungeheures Vergnügen sein. Aber davon abgesehen: Man
kann aus rechtlichen Gründen nicht so vorgehen; denn das
europäische Recht legt fest, dass insbesondere für LKWs
eine gewisse Mindestbesteuerung eingehalten werden
muss.
Darüber hinaus fordert die EU ausdrücklich auch, unter Umweltgesichtspunkten die Kraftfahrzeugsteuer zu
spreizen. Dieses europäische Programm wurde 1999, also
noch zu der Zeit des Verkehrsministers Müntefering, von
allen europäischen Regierungen verabredet. Wir können
also keine Ausnahme bilden. Auch ich kann mich nicht
hinstellen und sagen, für mich persönlich gelte die
Straßenverkehrsordnung nicht, wenn ich mit 100 Stundenkilometer im innerörtlichen Bereich erwischt werde.
Natürlich gilt sie, wie auch das europäische Recht für das
deutsche Parlament gilt. Man kann also sagen, dass Sie
Alternativen anbieten, die es überhaupt nicht gibt.
({26})
Ich glaube, dass wir erstens durch eine ökologisch
orientierte Steuerpolitik, - die man sicherlich weiterentwickeln kann, indem wir auch in anderen Steuerbereichen ökologische Leitgesichtspunkte berücksichtigen
und für eine dauerhafte Ökologisierung des gesamten
Steuersystems sorgen -, zweitens durch ein Programm,
das konsensual darauf angelegt ist, dass Wirtschaft und
Verbraucher Energie sparen, ökonomisch mit Ressourcen
umgehen, und zwar in kürzester Zeit, und das - wenn wir
uns politisch dahinter stellen - dazu beitragen wird, dass
auch neue Technologien, wie zum Beispiel die Brennstoffzelle, viel schneller eine massenhafte Wirkung erreichen, als die Industrie es selber geglaubt hat, und drittens
durch eine flexible, sozialpolitisch motivierte Abfederung
von Energiepreisschwankungen für schwache Gruppen in
der Bevölkerung eine Politik machen, die vertrauenswürdig ist und das Attribut „zukunftsfähig für Deutschland“ verdient.
Vielen Dank.
({27})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Norbert Schindler, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, ich
muss natürlich gleich einiges klarstellen. Sie sprechen
von 6 Pfennig Ökosteuer. Aber in diesem Jahr haben wir
einschließlich der Mehrwertsteuer, die Herr Eichel ja gerne
mitnimmt, eine Belastung von insgesamt 14 Pfennig.
({0})
Zweitens bin ich überrascht über das Lob hinsichtlich
der vernünftigen Verwendung der Zinsen, die durch die
Einnahmen aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen eingespart werden. Ich kann mich noch an den Streit, auch in
diesem Parlament, bei der Postreform erinnern, bei der es
um die Privatisierung der Post ging. Der heutige Finanzminister - Herr Eichel, Sie sind heute Morgen dankenswerterweise anwesend; ich vermisse Ihren Kollegen
Herrn Funke, der eigentlich auch anwesend sein müsste,
da es um den Agrardiesel geht -,
({1})
damals noch Ministerpräsident, hat seinerzeit gegen die
Lizenzverkäufe gestimmt. Ich gönne uns allen diesen Erlös, aber Vater dieser Idee war die alte Koalition. Das
muss ich einmal trocken feststellen.
({2})
Reinhard Schultz ({3})
Wir sprechen heute über die Ökosteuer und in diesem
Zusammenhang auch darüber, was man den Bauern damit
Gutes tut. Dass man die Ökosteuer, wie 1998/99 beschlossen - vorgegeben von Oskar Lafontaine, von Kanzler
Schröder gewollt; die Grünen waren hellauf begeistert -,
({4})
nicht im europäischen Konsens, sondern, ideologisch verrannt, nur in Deutschland eingeführt hat, ist die Ursache
allen Übels.
({5})
Man muss dies noch einmal deutlich sagen, weil unsere
Parteivorsitzende, Frau Merkel, in den letzten Tagen und
Wochen von Ihnen gerne auf die - im wahrsten Sinne des
Wortes - linke Tour genommen wurde. Wir waren immer
der Auffassung, dass die Ressourcen, die nur endlich
vorhanden sind, vernünftig verwendet werden müssen.
Aber wir können das in Deutschland nicht alleine
durchziehen und dadurch Wettbewerbsnachteile in Kauf
nehmen; denn die gesamte Wirtschaft leidet darunter. Was
nun beschlossen und umgesetzt worden ist, bedeutet
großen Ärger, vor allem auch bei den sozial ärmsten und
schwächsten Schichten der Bevölkerung. Das sind eigentlich die großen Verlierer bei der Ökosteuer.
({6})
Jetzt wird Flickschusterei betrieben, wie Peter Rauen
das zu Recht dargestellt hat. Warum haben Sie die Entfernungspauschale und die Heizkostenbeihilfe nicht schon
vor zwei Jahren beschlossen? Wir haben doch in der Opposition deutlich darauf hingewiesen, welche Auswirkungen die Ökosteuer hat.
({7})
Herr Kollege Schultz, zur Klarstellung: Es geht in der
Konzeption Ihrer Entwürfe und Beschlüsse - auf das Jahr
2003 gesehen - nicht um 6 oder 12 Pfennig Belastung,
sondern um 30 Pfennig plus Mehrwertsteuer, also um eine
Belastung von - das kann sich jeder ausrechnen - 35 Pfennig durch die Ökosteuer. 20 bis 38 Milliarden DM der
Einnahmen daraus werden umverteilt, zum großen Teil
auch in die Rentenversicherung.
Der gute Ansatz, dass dadurch etwas für unsere Umwelt getan wird, wird von dem Kollegen von den Grünen
als großer Erfolg verkauft. Aber nur 300 Millionen DM
von den 30 oder 20 Milliarden DM werden lenkungspolitisch in der Umweltpolitik eingesetzt. Es ist ein Armutszeugnis, wenn wir über die sinnvolle Verwendung von
Einnahmen aus der Ökosteuer sprechen und nur läppische
300 Millionen DM dabei herauskommen. Da sind Sie zu
kurz gesprungen, wenn es Ihnen um Umweltschutz geht.
Ich bedaure, dass Bundeskanzler Schröder heute nicht
da ist. Aber die Bauern haben ihn vor 14 Tagen auf einem
SPD-Parteitag besucht. Da gab es eine nette Auseinandersetzung in folgender Form: Was wollt ihr Bauern denn
- das bekommt man ja draußen immer zu hören -, ihr
bekommt ja im Hinblick auf die Ökosteuer eine Entlastung. Dies zu vermischen - Herr Eichel, Sie werden ja darauf eingehen - ist eine Unverschämtheit hoch drei.
({8})
Ich muss Folgendes in Erinnerung rufen: 1999 haben
die deutschen Bauern aufgrund von Beschlüssen der alten Koalition - das war auch damals immer ein
Streitpunkt - als Ausgleich für den Dieselverbrauch auf
ihren Feldern 850 Millionen DM bekommen. Man wollte
damit die in Europa bestehenden Wettbewerbsungleichheiten einigermaßen ausgleichen. Damals gab es bei den
Franzosen bereits eine Besteuerung von 12 bzw. 13 Pfennig pro Liter. Wir lagen bei 23 Pfennig.
Was hat Rot-Grün jetzt angestellt? Sie bieten uns, der
deutschen Landwirtschaft, gnädigerweise einen neuen
Steuersatz von 57 Pfennig an, verkünden dies als große
Wohltat und sagen: Damit seid ihr Bauern im Hinblick auf
die Ökosteuer entlastet.
Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung hat festgestellt: Netto entsteht durch die Ökosteuer allein bei der deutschen Landwirtschaft eine
Belastung von 1,1 Milliarden DM. Wir können keine
Gegenfinanzierung vornehmen, weil für uns ein Ausgleich über die Lohnnebenkosten nicht möglich ist. Nun
kommt es zum Wegfall der bisherigen Gasölbeihilfe und
zur Ökosteuerbelastung. Das macht 1,9 Milliarden DM
aus, wobei ich um 100 Millionen DM im Einzelnen gar
nicht streite. Jetzt bekommen wir gnädigerweise 700 Millionen DM angeboten. Nach Adam Riese bleiben 1,2 Milliarden DM auf der Strecke.
Dafür sollen wir in der deutschen Landwirtschaft noch
dankbar sein? Herr Kollege Schmidt, die Bauern können
damit doch nicht zufrieden sein! Warum waren wir bzw.
die Bauernführer denn so spontan,
({9})
aber dennoch gemäßigt bei unseren Demonstrationen?
- Weil wir eine Gesamtverantwortung haben.
Aber nun nüchtern zu den Zahlen: Innerhalb von zwei
Jahren, Herr Finanzminister Eichel, werden der deutschen
Landwirtschaft 1,2 Milliarden DM weggenommen. Andererseits ist festzustellen, dass wir nicht die Möglichkeit
der Sonderabschreibung bei beweglichen Wirtschaftsgütern und der linearen Abschreibung von 4 Prozent auf
Gebäude eingeräumt bekommen haben, dass man im
Forstbereich gemäß § 34 b des Einkommensteuergesetzes
nicht zu ermäßigten Steuersätzen in Höhe von einem
Achtel bei Kalamitätsnutzungen zurückgekehrt ist, dass
die Umsatzsteuerpauschale nicht bei 10 Prozent geblieben ist und dass im Falle von Umstrukturierungen oder
Veräußerungen keine Gleichstellung mit den Kapitalgesellschaften erfolgt ist. Die Strafe dafür wird in zwei oder
drei Jahren kommen, wenn die Bilanzen und die Steuererklärungen bei den Steuerberatern auflaufen und Wahlen
anstehen. Dass wir mit den Kapitalgesellschaften nicht
gleichgestellt wurden, deren Verkäufe von Anteilen im
Rahmen von betrieblichen Umstrukturierungen steuerfrei
gestellt wurden - das ist ja bei den Einzelpersonengesellschaften nicht möglich -, das ist schon ein starkes
Stück. Das hat nichts mit Steuergerechtigkeit zu tun.
({10})
Auch im Hinblick auf die Grundsteuer ist einiges zu erwarten. Auf Bundesebene wird gesagt: Mit der GrundNorbert Schindler
steuer haben wir nichts am Hut. Vielleicht will man hier
intern eine Änderung herbeiführen; das wissen wir als
Opposition nicht. Bei der Mitfinanzierung der Entfernungspauschale müssen ja die Bundesländer gefragt werden. Herr Waigel
({11})
- ich bevorzuge natürlich die Verantwortung des Mannes
mit dem anderen Namen; das ist aber leider nicht möglich -, also Herr Eichel, ist da vielleicht intern geplant,
den Ländern Speck im Hinblick auf eine Neubewertung
im Bereich des Grundsteuerrechtes anzubieten, damit die
Länder einen Ausgleich für ihre Finanzausfälle erhalten?
Wenn man heute im Zusammenhang mit der Ökosteuer
eine Bilanz zieht, dann ist festzustellen, dass Rot-Grün für
die deutsche Landwirtschaft im Hinblick auf den Umsatz
unterm Strich ein Minus, also Geldverluste von mehr als
5 Milliarden DM pro Jahr erwirtschaftet hat. Angesichts
dessen sollen wir für die Gewährung von 700 Millionen DM Danke schön sagen? Das ist wirklich eine sehr
traurige Bilanz.
({12})
Dass wir mit unserem Antrag, wenigstens die französischen Verhältnisse hier in Deutschland einzuführen,
versuchen, die im Vergleich mit anderen europäischen
Ländern bestehenden Wettbewerbsnachteile der deutschen Landwirtschaft, die sich zwischen Mainz und
Straßburg allein im Energiebereich bei etwa 100 DM pro
Hektar bewegen, auszugleichen, das ist nicht nur legitim,
sondern wäre auch sehr gerecht. Herr Finanzminister, Sie
reden ja selbst gerne davon, dass wir in Europa eine
Steuerangleichung betreiben müssen. Das ist auch unser
Auftrag, wenn wir Europa wirklich wollen. Aber gerade
hier klafft im Steuerrecht eine eklatante Gerechtigkeitslücke.
Die letzten Beschlüsse seitens der französischen
Regierung in diesem Bereich kritisiere ich auch. Der Satz
für Agrardiesel ist in Frankreich - jetzt halten Sie sich
fest, liebe Kolleginnen und Kollegen - von umgerechnet
12 noch einmal auf 6 Pfennig herabgesetzt worden.
({13})
Sie wissen das, Herr Finanzminister. Insofern müssten wir
unseren Antrag eigentlich erweitern. Deswegen ist diese
Bundesregierung in der Verantwortung.
Nächstes Jahr sind in Rheinland-Pfalz - ich komme ja
wie Herr Brüderle von dort - Landtagswahlen.
({14})
Auch ich hätte mir gewünscht, dass man überlegt, ob man
von den 5 Milliarden DM Zinsersparnis im Zusammenhang mit den UMTS-Erlösen nicht einen Teil für ein Sonderprogramm der deutschen Weinwirtschaft einsetzt. Ich
habe mit Überraschung gelesen, dass der Bundeskanzler
gerne französischen Rotwein trinkt. Damit man sich dieser Sache intensiver annimmt, habe ich mir erlaubt, Herr
Finanzminister, Ihnen heute morgen einen Pfälzer Dornfelder mitzubringen; eine weitere habe ich für den Bundeskanzler dabei.
({15})
- Die nächste Flasche bekommen Sie.
({16})
Sie bekommen grünen Veltliner.
Es wird Zeit, dass man in diesem Haus wieder den Stellenwert der deutschen Weine zu schätzen weiß. Wir
müssen im deutschen Parlament auf deutsche Produkte
stolz sein können.
Jetzt bekommen Sie die Flasche.
({17})
Lieber Kollege
Schindler, wir beobachten Ihr Tun alle mit Neid.
Ich erteile das Wort der Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr
geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wein habe ich leider nicht zu verteilen. Aber wenn
ich das nächste Mal welchen mitbringen sollte, wird es
von der Mosel sein. Es geht ja nicht, dass nur pfälzischer
Wein verteilt wird.
({0})
Zur Steuerpolitik empfehle ich dem Kollegen
Schindler die Lektüre des Deutschen Bauernverbandes, in
der dieser erklärt, dass die Steuerreformen der Bundesregierung sehr wohl eine Entlastung für die deutsche
Landwirtschaft bedeuten. Er kritisiert lediglich, dass es
ein wenig langsam gehe. Aber immerhin, es gibt Entlastungen. Das war unter Ihrer Regierung nicht der Fall.
({1})
Also bitte: Diese Entlastung ist besser als gar keine.
Nach der zu beschließenden Einführung eines neuen
Besteuerungssystems für den in der Land- und Forstwirtschaft genutzten Diesel ist die Landwirtschaft in der
Situation, dass sie in diesem Bereich keine weiteren
Steuererhöhungen befürchten muss. Mit dieser Konstante
tragen wir, so ist unsere Auffassung, der Situation Rechnung, dass auf der einen Seite die Landwirtschaft - wie
andere auch - ihren Anteil an den Kosten der Straßenbenutzung zu leisten hat, auf der anderen Seite ein Schlepper aber nun einmal eine Arbeitsmaschine ist, dessen Betrieb mit einem ermäßigten Steuersatz belegt werden
sollte.
({2})
Insofern denken wir, dass die Einführung des Agrardiesels - im Übrigen ein von den Bauern lange gewünschtes
System - sinnvoll war.
Unterhalten müssen wir uns - das ist richtig - über die
Art der Ausführung und die Höhe der Besteuerung. In
diesem Zusammenhang sage ich deutlich: Eine Einfärbung des Agrardiesels wäre richtig gewesen. Verhindert
hat das der Deutsche Bauernverband. Es wäre sinnvoll
gewesen, weil man dann eine Lösung hätte finden können, die die Liquidität der Betriebe verbessert hätte. Man
hat aber auf dem alten Erstattungsverfahren bestanden.
Jetzt schickt der DBV die Bauern zur Demonstration, obwohl er selbst die Einführung eines gefärbten Agrardiesels verhindert hat, mit der die Liquidität verbessert
worden wäre.
({3})
Hieran wird die Scheinheiligkeit deutlich.
Zweitens zur Höhe der Bezugspreise im Dieselbereich:
Aktuell sind 857 Millionen DM an Gasölbeihilfe ausgezahlt worden, 22 Millionen DM mehr als im Haushaltsplan angesetzt. Im nächsten Jahr wird es sowohl die
Zahlung der Gasölbeihilfe wie auch die Einführung des
neuen Agrardiesels geben; faktisch in gleicher Höhe. Dass
die Auszahlungstermine auf Wunsch des Bauernverbandes divergieren, ist etwas anderes. Aber es ist unseriös,
wenn man versucht, all die Gesamtzahlungen an die
Landwirtschaft nicht vernünftig in Rechnung zu stellen.
Der nächste Punkt betrifft die Höhe der Bezugspreise
EU-weit. Sicher haben wir damit Probleme - ich verstehe
auch die Aufgeregtheiten -, wenn Länder wie Frankreich,
Italien oder die Niederlande hier staatliche Subventionen
geben und die Mineralölsteuern senken. Aber man muss
dann, wenn man eine Gleichstellung möchte - darauf
weise ich auch nicht zum ersten Mal hin -, auch ernsthaft
die Art und Weise der Verteilungspolitik in den anderen
europäischen Ländern prüfen. In Italien ist zum Beispiel
nur ein bestimmter Teil der Betriebe bezugsberechtigt.
Dort ist die Beihilfe erst vor kurzer Zeit um 230 Millionen DM gekürzt worden. Ist das die Gleichstellung, die
Sie von uns einfordern? Oder nehmen wir Frankreich:
Auch dort ist das Bezugssystem auf einen engeren Kreis
der Berechtigten begrenzt.
Wenn man bei uns den Verteilungsschlüssel ändern
würde, könnte man auch den wenigen, die dann noch
berechtigt wären, mehr geben. Aber diese Forderung hat
der Bauernverband nicht erhoben; und wir auch nicht.
({4})
Dies finden wir auch nicht richtig. Daher wäre die Forderung nach Gleichstellung in fast allen Punkten der Agrarpolitik auf europäischer Ebene auch ein Schnitt ins eigene
Fleisch.
Nun komme ich zum wichtigsten Punkt, der Wettbewerbssituation bei den nachwachsenden Rohstoffen.
Wir haben eine Steigerung des Anbaus dieser Konkurrenzprodukte zum Erdöl von 50 Prozent erzielen können. Der
Einsatz von Pflanzenölen, von biogenen Treib- und
Schmierstoffen in Land- und Forstwirtschaft sowie im
Gartenbau ist sinnvoll. Dies ist ein umweltsensibler Bereich. Dieses Produkt ist wettbewerbsfähig.
Sie möchten den französischen Bezugspreis von
79 Pfennig erreichen.
({5})
Die Erzeugungskosten beim Pflanzenöl betragen heute
80 Pfennig pro Liter. Das bedeutet, dass hinsichtlich des
Pflanzenöles, das für die Landwirtschaft zur Verfügung
steht, auf jeden Fall die Wettbewerbsfähigkeit und Gleichstellung zu Frankreich besteht. Der Unterschied beträgt
allenfalls einen Pfennig. Insofern kann ich schlecht verstehen, dass man eine Wettbewerbsverzerrung zuungunsten des Produkts der eigenen Landwirtschaft herbeireden
will und sich darauf konzentriert. Hier, in den erneuerbaren Energien, liegt die Zukunft. Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von CDU/CSU und F.D.P., haben es versäumt, hier die technische Innovation rechtzeitig voranzutreiben und die Nutzung so vorzubereiten, dass dieses
Produkt in der Landwirtschaft zu 100 Prozent eingesetzt
werden könnte.
({6})
Die RME-Verwendung ist auch heute möglich. Statt
dies selbst für die Landwirtschaft zu nutzen, gehen Sie hin
und wollen dies den Taxifahrern oder den privaten Autofahrern anbieten. Hier muss man umsteuern und die
Möglichkeiten, die sich für die Landwirtschaft ergeben,
nutzen und die Politik unterstützen, statt die Bauern davon
abzuhalten.
Weiter zur Wettbewerbsfähigkeit: Wir haben im Bereich der Strom- und Wärmeerzeugung - ich erinnere an
das Erneuerbare-Energien-Gesetz -, auch Produkte der
Landwirtschaft, und zwar mit einer um 60 Prozent
besseren Vergütung in Form von Strom und Wärme. Dies
ist also allein bei diesem Beispiel Biomasse eine ganz
enorme Steigerung.
({7})
Das Markteinführungsprogramm - übrigens aus der
Ökosteuer finanziert - führt nicht nur zur Kostenentlastung, sondern ermöglicht auch entsprechende Deckungsbeiträge, die man mit anderen Produkten in der Landwirtschaft nur sehr schwer erzielen kann. Wir fördern
Energieeinsparungen, Motorenumstellungen, BiomasseAnlagen und auch Kooperationen von Betrieben, um hiervon nicht etwa kleine Betriebe auszuschließen. Wir
möchten zusätzlich im Bereich der Altbausanierung durch
Neubauten Energieeinsparungen ermöglichen, so zum
Beispiel im Gartenbau durch Unterstützung des Auswechselns der Gewächshäuser. Darüber wird im Zusammenhang mit der Altbausanierung und den Bemühungen
zur CO2-Einsparung diskutiert. Das wird auch umgesetzt.
Zu den weiteren Möglichkeiten, die wir gerade im Gartenbau sehen, wird gleich Herr Thalheim noch etwas sagen.
Als Letztes möchte ich auf die Erzeugerpreise, die
ständig unter die Erzeugungskosten fallen, zu sprechen
kommen. 60 Prozent des Einkommens der Landwirtschaft
kommen von staatlicher Seite. Es ist nicht so, dass wir
dies gewollt haben, aber es ist so. Hier besteht übrigens
kein Bezug zum Ölpreis. Aber die Landwirtschaft unternimmt kaum Anstrengungen, um aus dieser Kostenfalle
herauszukommen, und zwar angeblich deshalb, weil
keine Marktposition gegenüber dem Handel vorhanden
ist.
Da stellt sich doch tatsächlich auf einer Bauerndemonstration in Bitburg der Vertreter einer Molkerei - der
Milchunion - hin und erklärt, dass man die Milchpreise
leider Gottes nicht erhöhen könne bzw. sie sogar senken
müsse, obwohl die Energiekosten gestiegen seien. Daraufhin klatschen die Bauern. Sie lassen sich von ihren
Verarbeitern erzählen, die Preise müssten gesenkt werden. Dafür gibt es Beifall. Das muss man sich einmal
vorstellen!
({8})
Ich würde den Rat geben, einen Betriebsrat von
Mercedes oder Nestlé an die Spitze des Bauernverbandes
zu setzen. Ich glaube, dann entstünde in einem globalen
Markt eine bessere Position im Bereich der Erzeugerpreise. Dann könnten die Verteilungskosten etwas anders
geregelt werden.
({9})
Mein allerletzter Punkt betrifft den Wettbewerb in der
EU. Die alte Bundesregierung hat die Programme, die Sie
jetzt kritisieren - massive Subventionsprogramme der
Niederländer in Bezug auf den Gaspreis und die Landwirtschaft -, gebilligt und unterstützt. Das müssen die
Bauern jetzt ausbaden. Der Vorwurf, den Sie jetzt erheben, bezieht sich auf genau diese Wettbewerbsverzerrungen. Sie hätten - denn die Situation war vorauszusehen; Erdöl ist endlich und eine Preiserhöhung ist
immer vorhergesagt worden - eine solche Marktverzerrung nie dulden dürfen.
Ich kann dazu nur sagen: Wir werden versuchen, aus
dieser Falle herauszukommen, und auf einer Harmonisierung bestehen. Ich denke, dazu besteht aufgrund der
Wettbewerbsverzerrungen guter Grund. Der Anlass, dass
hier europäische Politik negativ in die Diskussion gerät,
muss auch für die Kommission Grund genug sein, hier
verstärkt über eine Harmonisierung nachzudenken.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Marita Sehn, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Höfken, ganz kurz zum
Wein:
({0})
In der Tat ist es so, dass hier in Berlin vielleicht etwas zu
wenig Moselwein getrunken wird. Das habe ich zum Anlass genommen, vor zwei Wochen ein paar Flaschen in einem Rucksack hierher zu tragen und zu versuchen, ihn auf
die Listen in den verschiedenen Restaurants zu bekommen. Vielleicht können wir ja gemeinsam eine Aktion
starten, um zu versuchen, den Moselwein hier in Berlin
etwas populärer zu machen.
({1})
Die Ökosteuer ist ökologisch kontraproduktiv, ökonomisch unsinnig und sozial ungerecht.
({2})
Diese grundsätzlichen Fehler der Ökosteuer treffen sozial
Schwache und all diejenigen Berufsgruppen sehr hart, die
in besonderer Weise auf Treibstoffe angewiesen sind. Zu
den existenziellen Bedrohungen der Bus-, Speditionsund Taxibranche durch die Ökosteuer ist bereits alles
gesagt worden. Aber genauso hart werden die Land- und
Forstwirte sowie der Gartenbau - hier insbesondere die
Unterglasbetriebe - getroffen.
Die Agrardieselregelung ist - mit Verlaub gesagt eine Mogelpackung.
({3})
Sie bringt keine Entlastung, sondern eine Belastung in
Höhe von mehr als 200 Millionen DM. Damit verschlechtert Rot-Grün nochmals die ohnehin schon bestehenden Wettbewerbsnachteile für die heimischen Landwirte. Während die Franzosen ihren Steuersatz auf Diesel
weiter reduzieren,
({4})
erhöhen SPD und Grüne den Agrardieselsteuersatz von
21 auf 57 Pfennige. Das muss man sich einmal überlegen!
Lieber Herr Staatssekretär Thalheim, das ist das glatte Gegenteil von dem, was Minister Funke immer fordert. Er
fordert nämlich den Abbau von Wettbewerbsverzerrungen in Europa.
Noch dramatischer ist der direkte Vergleich von
deutschen und niederländischen Unterglasbetrieben im
Gartenbau. Von Anfang des Jahres 1999 bis heute sind die
Kosten für die Beheizung von Gewächshäusern um über
200 Prozent gestiegen.
({5})
Heute zahlen deutsche Gartenbaubetriebe im Vergleich zu
ihren niederländischen Konkurrenten für den Liter Heizöl
das Dreifache. Damit drohen unweigerlich Arbeitsplätze
und Marktanteile verloren zu gehen.
Heute vor einer Woche habe ich einen Familienbetrieb
in Ockenfels am Rhein besucht. Dort konnte ich hautnah
erfahren, welches Ausmaß die unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen angenommen haben und in welche
Existenznöte gerade Familienbetriebe dadurch geraten.
Allein in diesem Betrieb sind mehr als 15 Arbeitsplätze
akut bedroht.
Auch früher war die Situation für die deutschen
Gartenbaubetriebe nicht gerade einfach. Aber durch
Motivation und Innovation konnten die Betriebe diese
Unterschiede auffangen. Allerdings gibt es für jede Anpassung Grenzen. Die zusätzliche Verteuerung der Energiekosten ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen
bringt. Die Betriebe fühlen sich in dieser Situation von der
Bundesregierung nicht nur im Stich gelassen, sondern
regelrecht dem Untergang preisgegeben.
Die F.D.P. fordert deshalb in einem Antrag die Bundesregierung auf, kurzfristig im Haushalt 2001 durch Anpassungsbeihilfen in Höhe von 300 Millionen DM die
Existenz von über 5 000 gefährdeten Betrieben mit mehr
als 30 000 Arbeitsplätzen im Gartenbau zu sichern.
({6})
Schließlich sind Taten statt Worte gefragt, damit auf europäischer Ebene diese eklatanten Wettbewerbsverzerrungen im Energiebereich endlich behoben werden. Herr
Minister Funke oder Herr Thalheim, ich fordere Sie auf:
Handeln Sie!
({7})
Ich erteile der Kollegin Kersten Naumann, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Kollegin Eva Bulling-Schröter
hat zur Ökosteuer bereits Grundsätzliches gesagt. Ich
möchte mich deshalb auf drei Probleme konzentrieren,
die die Landwirtschaft betreffen.
Erstens. Die PDS-Fraktion ist grundsätzlich für ein
Agrardieselgesetz; zum einen, weil damit auch weiterhin
der Besonderheit Rechnung getragen wird, dass in der
Landwirtschaft der Diesel vor allem auf dem Feld und
nicht auf der Straße verbraucht wird, zum anderen, weil
mit der Erhöhung des Nettosteuersatzes die Hinwendung
zu alternativen, nicht fossilen Energieträgern ökonomisch
lohnender werden könnte.
Das funktioniert jedoch nur, wenn dafür auch die materiellen und technischen Bedingungen zügig geschaffen
werden. Das eigentliche Problem sehe ich aber darin, dass
die von der Bundesregierung konkret vorgelegte Lösung
sowohl wirtschaftlich wie sozial kaum vertretbar ist.
({0})
Wieder trifft es die Bäuerinnen und Bauern. Ihre Steuerbelastung ist im Verhältnis zu den Landwirten in anderen
EU-Ländern wesentlich größer. Wenn der Nettosteuersatz je Liter Diesel von 21 Pfennigen Anfang 1999 auf
57 Pfennige ab dem nächsten Jahr ansteigt, so ist das fast
eine Verdreifachung. Das einstimmige Votum der Agrarministerkonferenz für 47 Pfennige ist daher das Mindeste,
was in diesem Gesetzentwurf Aufnahme finden sollte.
({1})
Werte Kollegen von der CDU/CSU, anscheinend hat
sich der Bundesfachausschuss der CDU mit den Agrarministern der von Ihnen regierten Länder nicht abgestimmt; denn auch sie haben der Forderung nach 47 Pfennigen und nicht nach 12 Pfennigen zugestimmt.
Zweitens. Ich komme zum Antrag der PDS: „Betriebliche Obergrenze von 3 000 DM Gasölbeihilfe zurücknehmen“. Er steht heute zur Abstimmung. In der ersten
Lesung am 24. Februar 2000 hielt es keiner der Redner
der anderen Fraktionen und auch nicht Minister Funke für
notwendig, darauf einzugehen. Die Landwirte in Ostdeutschland haben das wieder einmal mit Enttäuschung
registriert.
Es ist mehr als eine politische Peinlichkeit, dass im
zehnten Jahr der deutschen Einheit vor allem ostdeutsche
Landwirtschaftsbetriebe bei der Gasölbeihilfe massiv benachteiligt werden.
({2})
Es handelt sich hier um einen an Schizophrenie grenzenden Akt politischer Unaufrichtigkeit. Die gleichen Leute,
die die 3 000-DM-Obergrenze geschaffen haben, verkaufen den mit dem Agrardieselgesetz verbundenen künftigen Wegfall dieser offensichtlichen Diskriminierung als
Beleg einer auf Chancengleichheit ausgerichteten Agrarpolitik.
Worin besteht die Diskriminierung? Eine Agrargenossenschaft von 1 500 Hektar hat Einbußen von mehr
als 50 000 DM jährlich. Je größer der Betrieb, desto
größer die Einbußen. Doch benachteiligt werden auch
Wieder- und Neueinrichter. So bekommen die von
der Obergrenze betroffenen Haupterwerbsbetriebe auf
35 Prozent der Fläche keine Verbilligung.
Meine Damen und Herren von der Koalition, die Landwirte erwarten von Ihnen, dass Sie für das Jahr 2000
Chancengleichheit schaffen,
({3})
zumal diese in den Vorjahren - zumindest auf diesem
Feld - gegeben war und ab dem Jahr 2001 auch wieder
gelten soll. Es ist dafür noch nicht zu spät, da die Gasölbeihilfe für das Jahr 2000 erst im Jahr 2001 zur Auszahlung kommt.
Zum dritten Problem. Die Situation der Unterglasbetriebe im Zierpflanzen- und Gemüseanbau ist dramatisch. Die betroffenen Gärtner dürfen mit den Folgen der
Explosion der Heizölpreise als besonders stark Betroffene
nicht allein gelassen werden.
({4})
Über die verheerenden Folgen sind sich hoffentlich alle
hier im Haus klar, zumal eine Abwälzung der seit Anfang
1999 auf fast das Dreifache gestiegenen Heizölkosten auf
die Kunden ein aussichtsloses Unterfangen wäre. Unter
den Bedingungen des EU-Binnenmarktes mit leider noch
nicht harmonisierten Energiesteuern hätten hochsubventionierte Konkurrenten ein leichtes Spiel, weitere Anteile
auf dem deutschen Markt zu erobern. Das wäre das wirtschaftliche Aus für viele Betriebe. Damit verbunden vergrößerte sich das Heer der Arbeitslosen in den ländlichen
Regionen und unökologische Ferntransporte würden unsere Umwelt noch mehr belasten. Wollen Sie das, meine
Damen und Herren von der Koalition? Wenn nicht, muss
die Politik regulierend eingreifen.
({5})
Zierpflanzen und Gemüse sollten trotz Globalisierung
vor Ort produziert und regionale Wirtschaftskreisläufe erhalten werden. Unser Antrag fordert deshalb einen BundLänder-Nothilfefonds, um den akut existenzbedrohten
Unternehmen schnell zu helfen. Gleiches verfolgen die
Anträge der CDU/CSU und der F.D.P. Der Unterschied
zu unserem Antrag besteht allerdings darin, dass wir nicht
nur fordern, sondern vorschlagen, woher das Geld kommen soll, nämlich aus den nicht geplanten Steuermehreinnahmen. Wir haben das in der schriftlichen Antragsbegründung am Beispiel der Umsatzsteuer deutlich
gemacht. Da hauptsächlich der Bund und die Länder vom
ruinösen Preisanstieg profitieren, ist es keine unlautere
Forderung, diese unerwarteten Mehreinnahmen von mindestens 100 Millionen DM zur Unterstützung der genannten Betriebe einzusetzen.
({6})
Abschließend begrüße ich ausdrücklich die Ankündigung des Bundesministers Funke, ein Energiesparprogramm Unterglasgartenbau aufzulegen. Reserven liegen
auf der Hand, so zum Beispiel das große Energieeinsparpotenzial, das gerade in Ostdeutschland bei der Modernisierung oder beim Ersatz veralteter Gewächshäuser vorhanden ist. Das ist ein Gebot der Vernunft und ein
wirklicher Beitrag zur Verhinderung der Klimakatastrophe.
({7})
Werte Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie den Anträgen der PDS zu und lassen Sie den heutigen Tag,
Freitag, den 13., zum Glückstag der Bäuerinnen und Bauern werden!
({8})
Ich gebe nunmehr
dem Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zunächst möchte ich mich bei Ihnen, Herr Kollege
Schindler - er ist im Moment leider nicht da; dann werde
ich es noch persönlich nachholen -, für den Dornfelder
herzlich bedanken.
({0})
- Am frühen Vormittag Rotwein zu trinken, davor muss
ich warnen. - Das muss ich den pfälzischen Winzern lassen: Aus dem Dornfelder haben sie einen richtig guten
Wein gemacht.
({1})
Früher hat man den nur verwendet - 15 Prozent Verschnitt
durfte ja sein -, um den Spätburgunder dunkel zu machen;
heute kann man ihn als eigenständige Rebsorte trinken.
({2})
Das ist wirklich gut gelungen. Eine herzliche Gratulation
dazu, was sie aus dem Dornfelder gemacht haben.
({3})
- Ja, ich komme aus Kassel und bin geborener Biertrinker. Wenn man aber acht Jahre in Wiesbaden gelebt hat,
dann ist man gelernter Weintrinker. Wein zu trinken ist ein
Genuss und ich bin auch für deutschen Wein.
({4})
Das erste Thema heute ist die Ökosteuer. Sie von der
F.D.P. wollen sie weg haben. Wenn es Ihnen damit aber
wirklich Ernst gewesen wäre, hätten Sie den Antrag zum
Beispiel um den 1. Januar oder den 1. April vergangenen
Jahres gestellt.
({5})
- Vorsicht! Ich komme gleich auf Sie zu sprechen. - Aber
nein, Sie stellen den Antrag in dem Augenblick, in dem
die Heizöl-, Benzin- und Dieselpreise ordentlich steigen,
und wollen damit suggerieren, das habe etwas mit der
Ökosteuer zu tun.
({6})
- Ehe Sie sich aufregen, will ich Ihnen eine Grafik zeigen,
in der ich alles habe einzeichnen lassen: Die unterste
Kurve, die am wenigsten steigt, stellt die Belastung durch
die Ökosteuer dar, die Kurve darüber, die vergleichsweise
immer noch wenig steigt, die Belastung durch den Euro.
Die Kurve darüber bezieht sich auf den Rohölpreis. Sehen
Sie das?
({7})
An dieser Entwicklung sind übrigens weniger die OPECStaaten als vielmehr die Mineralölkonzerne beteiligt, die
ihre Gewinne von einem Jahr auf das andere um 150 Prozent gesteigert haben und die ihren Sitz in den Vereinigten Staaten haben. Wenn Sie sich jetzt über die steigenden
Preise - das empört mich zum Teil auch - beschweren,
dann gehen Sie nicht die deutsche Bundesregierung an,
sondern endlich die Konzerne, anstatt für diese Propaganda zu machen.
({8})
Von wem sind Sie eigentlich gewählt? Sie müssen sich
nur unsere Aufstellung anschauen; die sagt bereits alles.
Wir werden sie auch schön publizieren, damit jeder im
Lande sieht, wer hier die Preise hochtreibt.
({9})
Des Weiteren: Es ist, meine Damen und Herren von der
F.D.P. - bei der CDU ist es nicht anders -, offenbar ein
Riesenunterschied, ob man in der Opposition ist - wenn
auch nicht so lange - oder in der Regierung. An den
1,10 DM Steuern, die wir in Form von Mineralölsteuer
auf Benzin erheben, - die Ökosteuer ist insofern damit
vergleichbar -, sind Sie durch Maßnahmen während Ihrer
Regierungszeit mit 95 Pfennig beteiligt.
({10})
Das werden wir natürlich auch in den Landtagswahlkämpfen deutlich machen: 95 Pfennig von 1,10 DM Mineralölsteuer sind mit Ihrer Beteiligung von der damaligen Regierung beschlossen worden.
({11})
Der Unterschied ist der: Sind Sie in der Regierung, erhöhen Sie die Mineralölsteuer, sind Sie in der Opposition,
dann sind Sie dagegen. Da Sie fast die ganze Zeit in der
Regierung waren, haben Sie alle Erhöhungen mitgemacht. Übrigens haben Sie, CDU und F.D.P., in Ihrer Regierungszeit im Schnitt - das könnte ich Ihnen auch noch
vorrechnen - pro Jahr eine höhere Belastung durch die
Mineralölsteuer hingekriegt als wir mit der Ökosteuer.
Das wollen wir alles richtig festhalten.
Nur: Was machen wir mit der Ökosteuer? Damit kommen wir zu den entscheidenden Unterschieden. Die Frage
ist nicht, ob man das Mineralöl stark oder weniger stark
besteuert; das haben Sie stärker gemacht als wir.
({12})
Die entscheidende Frage ist, was wir damit machen, und
die Antwort darauf ist sehr einfach: Wir haben zum ersten
Mal damit begonnen, das Geld, das wir dadurch zusätzlich bekommen - die Ökosteuer hat uns bisher 17 Milliarden DM eingebracht - dafür zu verwenden, um die
Rentenversicherungsbeiträge zu senken. Der Rentenversicherungsbeitrag ist bei uns nämlich in derselben Zeit
von 20,3 Prozent auf 19,3 Prozent gesunken und ein Beitragspunkt bedeutet 16 Milliarden DM. Wir haben es also
wie geplant umgesetzt: Was wir mit der Erhöhung einnehmen, setzen wir zur Senkung der Lohnnebenkosten
ein.
({13})
Jetzt mache ich Ihnen Ihre Bilanz für die Regierungszeit Kohl auf: Sie haben damals die Mineralölsteuer um
51 Pfennig erhöht, in der gleichen Zeit sind die Lohnnebenkosten aber von 34,9 Prozent auf 42,3 Prozent gestiegen.
({14})
Das heißt: Sie haben beides heraufgesetzt. Sie haben die
Mineralölsteuer stärker erhöht, als wir es tun, und gleichzeitig die Lohnnebenkosten dramatisch hochgetrieben
und damit zum Arbeitsplatzabbau beigetragen. Damit
sind Sie den kleinen und mittelständischen Betrieben
richtig an die Gurgel gegangen.
({15})
Nicht ohne Grund war ja in Ihrer Regierungszeit die Zahl
der Insolvenzen sehr viel höher als bei uns.
Es ist übrigens sehr schön, heute das „Handelsblatt“
aufzuschlagen. Da steht: „Steuern und Abgaben steigen
rasant“. Die Überschrift ist allerdings ein bisschen falsch,
da in dem Artikel die Jahre 1993 und 1998 verglichen
werden; er nimmt also auf Ihre Regierungszeit Bezug. Die
Überschrift hätte also heißen müssen: „Steuern und Abgaben stiegen rasant“. Die nächste Bilanz wird ganz anders aussehen. Bei Ihnen stiegen in den fünf Jahren die
Einkommensteuerbelastung um 13 Prozent, die Lohnnebenkostenbelastung, die Pflichtbeiträge zu den Sozialversicherungen, um 28 Prozent und die Einkommen der Arbeitnehmer um ein Prozent.
({16})
Das ist die Bilanz Ihrer Regierung.
({17})
- Sie können so viele Begründungen nachschieben, wie
Sie wollen.
Ich halte also fest: Der Unterschied in der Politik besteht nicht darin, ob man die Mineralölsteuer erhöht oder
nicht - Sie haben sie stärker erhöht als wir -, der Unterschied besteht darin, ob man gleichzeitig die Lohnnebenkosten ordentlich senkt, die Arbeitnehmer entlastet,
Chancen für Arbeitsplätze schafft und kleine und mittlere
Betriebe, die arbeitsintensiv sind, entlastet oder nicht. Das
ist der erste bemerkenswerte Unterschied.
Der zweite bemerkenswerte Unterschied: Sie haben
die Diskussion nicht in der Zeit um den 1. Januar herum
gesucht, sondern Sie haben es jetzt getan. Sie werden das
immer dann zu wiederholen versuchen, wenn gerade die
Preise steigen.
Übrigens gab es heute Morgen einen besonders interessanten Fall: Auf den Weltrohölmärkten hat sich nichts
geändert, aber im Nahen Osten sind schlimme Dinge passiert und fast über Nacht ist der Rohölpreis um 10 Dollar
je Barrel gestiegen. Das sollten Sie den Menschen einmal
erklären und Sie sollten nicht so tun, als seien die 6 Pfennig Ökosteuer Ursache für den Preisanstieg.
({18})
Was eigentlich halten Sie von Demokratie? Was halten
Sie von mündigen Bürgern und was halten Sie von einer
ehrlichen Diskussion mit den Menschen?
({19})
Eine ehrliche Diskussion mit den Menschen zu führen
heißt - das ist Unterschied Nummer drei -, den Menschen
zu sagen: Wir müssen lernen, mit weniger Energieverbrauch auszukommen. - Erster Satz.
({20})
Zweiter Satz: Wir müssen es lernen, mit anderen Energieträgern auszukommen. Die fossilen sind endlich und sie
zu verbrennen ist umweltgefährdend.
({21})
Jetzt komme ich wieder zur F.D.P. Es hängt offenbar
doch am größeren Koalitionspartner, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. Als wir in den 70er-Jahren zusammen in der Regierung waren, haben wir die Mineralölsteuer erhöht - nicht so stark, aber wir haben es
getan. Wir hatten zwei Ölpreiskrisen. Was haben wir gemacht? Wir haben eine konsequente Politik zur Energieeinsparung und zur Energieeffizienz betrieben und zum
Beispiel das KWK-Ausbauprogramm - Zukunftsinvestitionsprogramm hieß das damals - und das Fernwärmeausbauprogramm aufgelegt. Kaum waren Sie in den 80erJahren mit der CDU/CSU in der Koalition, ist das alles
beendet worden. Hätten Sie doch wenigstens das, was Sie
damals mit uns gemeinsam zur Verbesserung der Energieeinsparung und der Energieeffizienz gemacht haben, in
die nächste Koalition hinübergerettet!
Sie hatten übrigens einmal Politiker, die einen hohen
ökologischen Anspruch hatten - sie waren auch wirklich
gut -: zum Beispiel Werner Maihofer und Gerhart Baum,
auch Peter Menke-Glückert, der mein Denken, was ökologische Fragen angeht, in den frühen 70er-Jahren nicht
unmaßgeblich beeinflusst hat. Das war alles vergessen,
als Sie die Koalition gewechselt haben.
({22})
Wenn wir diese Politik in den 80er- und 90er-Jahren, als
Sie zusammen mit der CDU/CSU in der Regierungsverantwortung waren, nur fortgesetzt hätten - ich will gar
nicht darüber reden, was gewesen wäre, wenn Sie das
konsequent weiterentwickelt hätten -, dann wären wir
heute weniger vom Öl abhängig und dann würden sich die
Preisschwankungen an den Rohölmärkten bei uns weniger stark auswirken.
({23})
Deswegen ist die Antwort drittens: Wir müssen eine
Politik machen, die zu mehr Energieeffizienz und dazu
führt, dass wir weg vom Öl kommen. Genau das tun wir
mit dem 100 000-Dächer-Programm, das zur Energieeinsparung in Gebäuden führt
({24})
- da wird man auch bei Unterglasbetrieben etwas machen können -, und vielen anderen Dingen.
Darüber hinaus führen wir - diese Debatte wird
schön - die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale ein. Sie steht übrigens in allen Wahlprogrammen: bei der CDU, bei der CSU, bei der F.D.P., bei der
SPD und auch bei der PDS.
({25})
Ich hoffe also, wir bekommen einen einstimmigen Beschluss zur Einführung der Entfernungspauschale zustande.
({26})
Jetzt müssen Sie allerdings aufpassen, meine Damen
und Herren. Der Witz an der Veranstaltung ist der: Sie
wollen nur 50 Pfennig; das stand in Ihrem Steuerkonzept.
({27})
Wir wollen die ursprünglich vorgesehenen 70 Pfennig auf
80 Pfennig aufstocken, weil uns die Pendler ein bisschen
Leid tun. Auch das wird noch eine spannende Debatte.
Wenn übrigens der bayerische oder der baden-württembergische Ministerpräsident - ein besonderer Automann - Schwierigkeiten bei der Entlastung der Autofahrer haben sollte, so muss er nur die 2,5 Milliarden DM, die
die Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer im nächsten Jahr
bringt, zurückgeben. Mehr muss er gar nicht tun. Das
wäre schon eine richtig schöne Leistung. Ich will das gar
nicht vertiefen, weil ich weiß, dass auch die sozialdemokratisch geführten Länder damit Probleme haben. Aber
man sollte nicht immer nur Einsparvorschläge zulasten
anderer machen.
({28})
Wenn also der bayerische oder der baden-württembergische Ministerpräsident meint, er müsse etwas für die Autofahrer tun, dann hat er ein wunderbares Instrument: Er
muss nur auf die Mehreinnahmen aus der Kraftfahrzeugsteuer verzichten - mehr muss er gar nicht tun - und wir
machen unsere eigenen Aufgaben.
({29})
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dr. Ilja Seifert?
Ich
glaube, ich habe keine Zeit mehr.
Ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen. Wir
haben - das sage ich wieder an die Adresse der Vertreter
der F.D.P. - heute wie damals, nur in einer anderen Koalition, die Probleme sozial abgefedert. Der Heizkostenzuschuss ist keine Erfindung dieser Bundesregierung.
Das haben wir in den 70er-Jahren schon einmal gemacht,
weil wir auch damals davon ausgegangen sind, dass es
Menschen gibt, die die gestiegenen Heizkosten finanziell
nicht verkraften können. Übrigens ist das der Bereich, in
dem die Ökosteuer überhaupt keine Rolle spielt.
({0})
Wenn Sie die Heizkosten in der Heizperiode 1999/2000
mit denen der Heizperiode 2000/2001 vergleichen, dann
werden Sie feststellen, dass die Steuern zuletzt am
1. April 1999, also vor Beginn der damaligen Heizperiode, erhöht worden sind, und zwar um 4 Pfennig. Obwohl die Ökosteuer überhaupt keine Auswirkung auf den
Preis des Heizöls hat, sind gerade beim Heizöl die höchsten Preissteigerungsraten zu verzeichnen. Der Vergleich
der beiden Heizperioden belegt, dass der Heizölpreis von
40 bis 60 Pfennig pro Liter - je nachdem, wann man damals Heizöl eingekauft hat - auf 1,10 DM pro Liter gestiegen ist, obwohl die Steuern überhaupt nicht erhöht
wurden. So sieht die Situation aus!
Fazit: Was müssen wir tun? Erstens. Wir müssen eine
Politik machen, die konsequent zu mehr Energieeinsparungen führt. Wir müssen weg von den fossilen Energieträgern, insbesondere vom Öl.
({1})
Zweitens. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen, die durch die Energiepreissteigerungen besonders
betroffen sind - wir sind für diese nicht verantwortlich -,
mit besonderer sozialer Sensibilität behandelt werden.
Die Länderregierungen profitieren übrigens auch von
der momentanen Entwicklung. Die Länderhaushalte sehen besser aus als der Bundeshaushalt. Ich habe vor zwei
Tagen vorgetragen, dass der Gesamtstaat bereits 2004
kein Defizit mehr haben wird - der Bund wird noch ein
Defizit haben -, weil die Länder und Gemeinden nach ihrer eigenen Planung Überschüsse aufweisen werden.
Wenn wir sozial anständig sein wollen, müssen wir
auch alle unsere Verpflichtungen erfüllen. Nichts, was wir
in diesem Bereich vorschlagen, ist neu. An die Adresse
der Kollegen von der F.D.P. sage ich: Das haben wir
gemeinsam schon anlässlich der Erdölpreissteigerungen
in den 70er-Jahren gemacht. Wenn Sie sich daran erinnern, dann wird sich die Debatte, die Sie bisher geführt
haben, entspannen.
Dass wir mit unserer Politik auf dem richtigen Weg
sind
({2})
und dass die Ökosteuer mitnichten die Leistungskraft der
Wirtschaft beeinträchtigt, sehen Sie schon an Folgendem:
Als wir die Regierungsverantwortung von Ihnen übernommen haben, hat Deutschland hinsichtlich des Wirtschaftswachstums den zweitletzten Platz in der Eurozone
belegt. In der heutigen Ausgabe des „Handelsblattes“ Eurostat hat seine neuesten Zahlen veröffentlicht - können Sie nachlesen: Deutschland ist mit seinem Wirtschaftswachstum unter den großen Volkswirtschaften
Spitzenreiter in der Europäischen Union. Von wegen
zweitletzter Platz! Das ist das Ergebnis unserer Politik.
({3})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ernst Hinsken für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Eichel, Sie haben versucht, Verschiedenes schönzureden. Der Versuch,
so meine ich, ist total misslungen.
({0})
In Oberlehrermanier haben Sie hier gesagt, man müsse
den Menschen lehren, mit Energie sparsamer umzugehen.
Sie haben mit der Knüppel-aus-dem-Sack-Methode gedroht. Die Menschen sind nicht so dumm, wie Sie meinen;
denn sie wissen selbst, was gemacht werden muss. Sie
werden nicht von Ihnen lernen; vielmehr werden sie Ihnen bei den nächsten Wahlen etwas lehren. Das prophezeie ich Ihnen.
({1})
Herr Minister Eichel, Sie haben scheinbar nicht mitbekommen, warum die Mineralölsteuer während der Zeit
der alten Regierung erhöht worden ist. Ist die deutsche
Einheit eigentlich an Ihnen vorbeigegangen? Haben Sie
gemeint, das Geld regne wie Manna vom Himmel?
({2})
Sind Sie bereit, endlich anzuerkennen, dass es dringend
erforderlich war, zusätzliche Mittel zu beschaffen, die
speziell den neuen Bundesländern zur Verfügung gestellt
werden mussten? Wir haben ein anderes Verhältnis zu den
neuen Bundesländern, als Sie auch heute wieder zum Ausdruck gebracht haben. Sie haben Ihre Rede unter dem
Motto „Haltet den Dieb!“ gehalten.
({3})
Herr Trittin - er ist momentan nicht da -, ich habe vor
drei Tagen eine schöne Karikatur in der „Landshuter Zeitung“/„Straubinger Tagblatt“ gesehen. Darin hat jemand
ein Schild in der Hand, auf dem steht: „Weg mit der Ökosteuer.“ In einem Auto, das sich vor dieser Person befindet, sitzt Herr Trittin und schreit: „Wenn Du Dein Auto
schiebst, Michel, kostet der Sprit überhaupt nichts.“ So
einfach ist es. Das kann jemand sagen, der den Dienstwagen benutzt, der keinen Führerschein hat, deshalb
nicht Autofahren darf und überhaupt nicht weiß, was der
Sprit kostet und welche Belastung dies für den Bürger
darstellt.
({4})
Meine Damen und Herren, nichts bewegt derzeit die
Menschen mehr als die hohen Mineralölpreise. An meinen Unterschriftenständen stehen die Leute Schlange.
Man braucht niemanden anzusprechen. Jeder fragt, ob er
sich in die Liste eintragen darf. Es kann nicht verschwiegen werden, dass dieses Thema bei Meinungsumfragen
das Thema Nummer eins ist und damit sogar das Thema
der Sorge um den Arbeitsplatz verdrängt.
Jeder ist betroffen: der kleine Mann bis zum Selbstständigen, der Student bis zum Rentner, der Sozialhilfeempfänger bis zum Beamten, der Bauer genauso wie der
Transportunternehmer, der Taxi- oder Omnibusunternehmer. Von allen wird gefordert, dass die Ökosteuer - ich
meine, dass sie nicht Ökosteuer, sondern „ÖkosozialisBundesminister Hans Eichel
tensteuer“ heißen sollte - möglichst schnell abgeschafft
wird, und dies zu Recht.
({5})
Die Ökosteuer ist ökonomisch blanker Unsinn, ökologisch nutzlos, sozial zutiefst ungerecht und schafft zudem
Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Europas.
Schon der Begriff Ökosteuer ist irreführend. Bei dieser
Gelegenheit möchte ich darauf verweisen, dass sich die
Belastung für die Bundesbürger, die das bezahlen müssen,
bis zum Jahre 2003 auf insgesamt 127 Milliarden DM
beläuft. So viel wird ihnen aus der Tasche genommen.
({6})
- Erstens stimmt die Zahl und zweitens können wir rechnen. Ich bin gerne bereit, Ihnen meine Unterlagen zu geben. Dann können Sie dies nachrechnen.
Nach der zweiten Ökosteuerrunde beträgt der Steueranteil 70 Prozent. Das - dies muss heute gesagt werden ist der dritthöchste Anteil in ganz Westeuropa bzw. der
Europäischen Union.
Herr Kollege
Hinsken, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Selbstverständlich.
Lieber Kollege
Hinsken, könnten Sie noch einmal erklären, warum sich
der umweltpolitische Sprecher der Landtagsfraktion der
CSU in Bayern nicht an der Aktion der CDU/CSU beteiligt hat und sogar explizit für eine Ökosteuer eintritt? Er
ist der Umweltexperte der CSU und - wie man in Bayern
sagen würde - nicht auf der „Brennsuppn dahergschwomma“. Auf Hochdeutsch heißt das: Er ist kein
Dummer. Er muss doch Gründe dafür haben.
Kollege Göppel ist der
Vorsitzende des Arbeitskreises Umweltschutz in der CSU
und kann als Vorsitzender dieses Arbeitskreises seine
Meinung immer äußern. Ich lege aber ausdrücklich Wert
darauf, dass er in diesem Zusammenhang nicht für die gesamte CSU spricht. Hier haben andere das Sagen und
nicht Herr Göppel. Bitte setzen Sie sich.
({0})
Meine Damen und Herren, das, was wir hier zu verzeichnen haben, ist eine pure Mineralölsteuererhöhung.
Sie erhöht nicht nur die Preise für Benzin, Diesel und
Heizöl, sondern paradoxerweise auch für Busse, Bahnen
und die regenerativen Energien. Diese Steuer trifft die Bevölkerung und die Wirtschaft mit voller Wucht und wirft
ihr Knüppel zwischen die Beine. Sie bremst den Aufschwung und gefährdet Arbeitsplätze. So weit aber haben
Sie wahrscheinlich nicht gedacht.
Herr Eichel, es muss doch auch Ihnen zu denken geben,
wenn die Inflationsrate innerhalb der Jahresfrist von
0,9 Prozent auf 1,7 Prozent angestiegen ist. Das ist fast
das Doppelte. Es ist Augenauswischerei, wenn die Herren
Schröder, Eichel und Trittin das, was dem Bürger über die
Steuerreform in die Tasche geschoben wird, wieder herausziehen.
({1})
Meine Damen und Herren, gerade die Menschen im
ländlichen Raum sind hier besonders betroffen. Sie sind
auf das Auto angewiesen, sie können auf das Auto nicht
verzichten. Für sie ist es auch ein Stück Lebensqualität.
Aber Sie haben sich schon so weit von den Menschen entfernt, dass Sie nicht mehr in der Lage sind, das zu erkennen.
Das Transportgewerbe ist ein Bestandteil unseres
Versorgungssystems und kann als Lebensnerv des ländlichen Raumes bezeichnet werden. Es wird von der Ökosteuer ganz hart betroffen. Ich habe deshalb auch Verständnis dafür, wenn sich Fuhrunternehmer und LKWFahrer auf die Straße begeben, demonstrieren und bei
Ihnen Vernunft einfordern. Sie wollen doch nichts anderes als solche Bedingungen, wie sie in Frankreich,
Italien, Belgien und den Niederlanden gegeben sind. Die
dortigen Regierungen haben für die Sorgen der Menschen
Verständnis. Das vermissen wir leider Gottes bei Ihnen.
({2})
Dann wird immer davon geredet, mehr Transporte auf
die Schiene zu verlagern. Ist Ihnen denn überhaupt bekannt, dass 80 Prozent aller Gütertransporte mit dem
LKW auf Strecken unter 100 Kilometern stattfinden? Da
rentiert es sich doch gar nicht, die Güter auf die Bahn zu
geben. Herr Schmidt von den Grünen, Sie stellen hier
ständig die Forderung auf, dass die Bahn mehr Menschen
befördern soll. Ich bin nicht im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG; da sitzen Sie. Sie waren früher immer einer derjenigen, die laut getönt haben, dass der Bahn nicht
mehr weiter Mittel entzogen werden dürften, weil die
Bahn ansonsten ihren Aufgaben nicht nachkommen
könne. Was macht die Bahn heute? Wie sollen in Zukunft
mehr Menschen befördert werden, wenn die Bahn eine
Ausdünnung ohnegleichen vornimmt? Sie wird dazu
führen, dass die Menschen überhaupt nicht mehr mit der
Bahn fahren können.
({3})
Viele Transportunternehmer stehen vor dem Ruin. Sie
werden seit 1998 mit sage und schreibe 14 200 DM höher
belastet. Auch viele Busunternehmer wissen nicht mehr,
wie sie über die Runden kommen sollen. Herr Eichel, ist
es Ihre vielgerühmte Politik für den Mittelstand, dass Sie
für diese mittelständischen Unternehmen überhaupt
nichts übrig haben?
({4})
Auch die Bauern werden durch die Entwicklung, die
wir zu verzeichnen haben, benachteiligt. Kollege
Schindler ist bereits darauf eingegangen; auch Kollege
Deß mahnt immer wieder Verbesserungen für die Bauern
an. Auch hier müssen wir von einer verfehlten Politik der
Bundesregierung sprechen, die momentan in Amt und
Würden ist.
Meine Damen und Herren, wenn dann Herr Verkehrsminister Klimmt erklärt, er sei um eine europaweite Lösung bemüht, dann kann ich dazu nur sagen, dass die Betroffenen davon nicht leben können. Sie werden praktisch
auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet. So etwas bezeichnet man bei uns im Volksmund schlicht und einfach
als ein Begräbnis erster Klasse.
({5})
Hier lassen Sie die Interessen unserer Mitbürger nicht so
einfließen, wie es sich gehörte, wenn man auf europäischer Ebene erfolgreich sein will.
Ist es nicht paradox, meine Damen und Herren, wenn
beim Heizöl zunächst die Preisspirale in Gang gesetzt
wird, dann aber zur Kostensenkung wieder ein Zuschuss
aus Steuermitteln gegeben wird? Es ist doch geradezu widersinnig, Steuererhöhungen mit Steuermitteln auszugleichen.
({6})
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf eines verweisen, meine Damen und Herren: Ich bin ja auch Tourismuspolitiker. Jüngst hat die Bundesregierung das Jahr
2001 zum Jahr des Tourismus in Deutschland ausgerufen.
Besteht vielleicht der Beitrag der Bundesregierung darin,
dass das Urlaub-Machen in Deutschland teurer wird, dass
ein Durchschnittsbetrieb in der Gastronomie mit ungefähr
10 000 DM zusätzlich belastet wird und dass der Spritpreis in die Höhe schnellt, sodass die Fahrt zum Urlaubsort auch noch teurer wird?
Das passt alles nicht zusammen. Deshalb meine ich, dass
Ihre Politik in diesem Fall vom Ansatz her falsch ist.
Sie sind - nicht nur von uns, sondern auch von vielen
Millionen Mitbürgern im Lande, die sich zu artikulieren
versuchen - aufgerufen, diese Ökosteuer möglichst
schnell in den Papierkorb wandern zu lassen. Die Ökosteuer - die „Ökosozialistensteuer“, wie ich sie nenne - ist
nicht zeitgemäß und muss abgeschafft werden. Dafür
wollen wir eintreten und dafür werden wir kämpfen. Ich
prophezeie Ihnen: Sie werden noch mehr Widerstand als
bisher überwinden müssen, weil die Bürger nicht mehr
bereit sind, das hinzunehmen, was Sie ihnen aufoktroyieren.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat nunmehr der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten,
Dr. Gerald Thalheim.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Am Ende der Debatte werden wir über einige Anträge abzustimmen haben, die zumindest hinsichtlich ihrer finanziellen Auswirkungen bemerkenswert sind. Die von der
CDU/CSU und der F.D.P. geforderte Einführung von
Heizöl als Kraftstoff in der Land- und Forstwirtschaft
würde bezogen auf das Jahr 2000 eine Steuermindereinnahme von insgesamt 1,6 Milliarden DM bedeuten. Eine
Absenkung des Sondersteuersatzes um weitere 10 Pfennig je Liter hätte eine zusätzliche Steuermindereinnahme
von 200 Millionen DM zur Folge.
Diesen Forderungen auf Steuerverzicht stehen umgekehrt erhebliche Forderungen in den aktuellen Haushaltsberatungen nach Mehrausgaben gegenüber. Die
CDU/CSU fordert, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ um
100 Millionen DM aufzustocken.
({0})
- Kollege Hornung, nicht gestrichen. Es handelt sich um
das gleiche Ausgabenvolumen wie 1998. Das war das
letzte Jahr, das Sie zu verantworten haben. Dass Sie vorher gestrichen haben, ist nicht unser Problem.
({1})
- Das endgültig letzte Jahr. Vielen Dank für den Hinweis.
Die CDU/CSU fordert, im Agrarhaushalt 2001 die Mittel für die Alterssicherung der Landwirte um 450 Millionen DM zu erhöhen. Bei der Unfallversicherung fordert sie ein Mehr von 200 Millionen DM und eine
Vorruhestandsregelung soll im Umfang von 150 Millionen DM neu aufgenommen werden. Die Antisubventionspartei F.D.P. fordert Anpassungshilfen für den Unterglasgartenbau in Höhe von 300 Millionen DM.
({2})
Die Union hat angekündigt, dass sie diesen Antrag unterstützen wird. Außerdem fordert die F.D.P. 150 Millionen DM mehr für die landwirtschaftliche Unfallversicherung. Die Forderungen summieren sich auf fast
3 Milliarden DM.
Dem steht keine Mark für die Gegenfinanzierung gegenüber. Bliebe ich bei der Wortwahl der Vorredner von
der CDU/CSU oder von der F.D.P., müsste ich das
„dreist“ oder „unverschämt“ nennen. Ich nenne es: unseriös, heuchlerisch und gefährlich.
({3})
Es ist unseriös, weil es die Fortsetzung der Politik des
Schuldenmachens in der Opposition bedeutet. Diese Politik hat schon bei der damaligen Regierung in die Katastrophe geführt. Kollege Hinsken, da hilft auch der Hinweis auf die deutsche Einheit nicht. Gerade Sie aus
Bayern sollten da sehr vorsichtig sein.
({4})
Ich nenne als Stichwort das „Schloß-Karee“ in Chemnitz
und die Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft.
Herr Kollege
Thalheim, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn der Gedanke zu Ende geführt ist, sofort.
Beim „Schloß-Karree“ in Chemnitz hat eine bayerische Städtebaugesellschaft zugegebenermaßen erhebliche Millionen versenkt. Das Finanzproblem der deutschen Einheit ist die unseriöse Finanzierung. Über die
letzten zehn Jahre musste vieles korrigiert werden. Gerade im landwirtschaftlichen Bereich werden wir das weiterhin tun müssen, Stichwort „LPG-Altschulden“.
({0})
Diese Abschreibungsruinen, Stichwort „Schloß-Karree“,
müssen von den Steuerzahlern am Ende mitfinanziert
werden. Diese schlimme Fehlleitung von Mitteln hat zu
diesen hohen Belastungen geführt.
({1})
Herr Präsident, jetzt bin ich für Zwischenfragen bereit.
Herr Kollege
Hollerith hat zunächst die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. Wenn Sie gestatten, fragt danach
der Kollege Hinsken.
Sehr gerne.
Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, zum Stichwort „Seriosität der Gegenfinanzierung“: Ist Ihnen bekannt, dass die höheren Energiepreise zu Milliarden Mehreinnahmen bei der Mehrwertsteuer führen, die eine seriöse Gegenfinanzierung
möglich machen?
Herr Kollege, angesichts eines Bundeshaushalts, in dem
die Zinsausgaben 82 Milliarden DM betragen, ist es unseriös, von einer Gegenfinanzierung über höhere Steuereinnahmen zu reden.
({0})
Selbst bei einem Bundeshaushalt, bei dem die Neuverschuldung immerhin noch 46 Milliarden DM beträgt, ist
es aus demselben Grunde unseriös, davon zu reden, dass
höhere Steuereinnahmen eine Gegenfinanzierung bedeuten würden.
({1})
- Na, Siegfried!
Herr Kollege
Hinsken.
Herr Staatssekretär
Thalheim, Sie haben hier die Bauruine in Chemnitz angesprochen. Ich gebe zu, das ist ein Makel. Könnten Sie aber
in diesem Zusammenhang nicht doch anerkennen und so
wie wir froh und glücklich darüber sein, dass viele Wessis bereit waren, dem Osten Aufbaubeihilfen zur Verfügung zu stellen und dort Gelder zu investieren? Oder sind
Sie vielmehr der Meinung, das hätte es nicht gebraucht,
man hätte das auch aus eigener Kraft geschaffen?
Ein zweiter Aspekt: Man bräuchte den Bundesbürgern
ja nur zu raten, nicht nur in die neuen Bundesländer zu
fahren, sondern, wenn irgendwie möglich, auch noch
nach Tschechien. Das wäre Anschauungsunterricht. Man
könnte sehen, wie es früher, also vor zehn Jahren, war und
wie es sich in der Zwischenzeit entwickelt hat. Sind Sie
bereit, auch diese Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen
und mit mir in der Öffentlichkeit zu vertreten?
Herr Kollege Hinsken, ich kritisiere nicht die Unterstützung und das Engagement. Ich kritisiere vielmehr, dass
falsche Instrumente verwendet wurden, insbesondere die
Abschreibungsvergünstigungen.
({0})
Mit diesen Abschreibungsvergünstigungen sind die falschen Objekte gebaut worden. Das gilt nicht nur für das
„Schloß-Karree“. Jedes Mal, wenn ich vom Flugplatz
Leipzig nach Hause fahre, fahre ich an Glasgebäuden vorbei, an denen seit zehn Jahren groß zu lesen steht: „zu vermieten“. Wenn man durch die neuen Länder fährt, findet
man so etwas häufig. Das heißt, die falschen Leute haben
das Geld für falsche Objekte bekommen. Zuschüsse an
die vor Ort Ansässigen wären ein richtiges Instrument gewesen. Aber das wäre bei der Klientel, die Sie zu vertreten haben, nicht angekommen. Das ist zu diesem Thema
zu sagen, Herr Kollege Hinsken.
({1})
- Mit gutem Grund. Das werde ich Ihnen gleich beweisen.
Die Vorschläge, die ich als unseriös eingestuft habe,
sind auch heuchlerisch. Allein in der Zeit, in der ich dem
Hohen Hause angehöre, also seit 1990, ist die Mineralölsteuer - das ist heute mehrfach gebracht worden - auch
auf Diesel um 18 Pfennig angehoben worden. In dieser
Zeit ist die Gasölbeihilfe nicht gesenkt worden. Das heißt,
auch in der Zeit von 1990 bis 1998 mussten die Bauern die
volle Last dieser Erhöhung tragen.
({2})
Mit dem gleichen Argument, Kollege Schindler, mit dem
Sie das damals begründet haben, nämlich dem Transfer in
die Sozialkassen, sind die Mineralölsteuererhöhungen zu
begründen, die seit 1998 vorgenommen wurden.
({3})
Diese Argumentation ist auch gefährlich, weil bei den Betroffenen der Eindruck entsteht, man könnte per Beschluss die höheren Kosten für Benzin und Diesel einfach
rückgängig machen. Das stimmt nicht. Die Ursache sind
die Preiserhöhungen. Deshalb ist es wichtig, dass sich die
Betroffenen, auch die Landwirtschaft, darauf einstellen.
Wir haben in diesem Bereich einiges getan und werden
Weiteres tun. Ich komme darauf zurück.
Weiterhin ist richtig - das ist auch deutlich gemacht
worden -, dass die Be- und Entlastungen aus der Ökosteuer im landwirtschaftlichen Bereich weit auseinander
fallen und aus diesem Grunde die Agrarpolitiker der SPD,
unterstützt von einer breiten Mehrheit von Politikern aus
dem Bündnis 90/Die Grünen und auch aus unserer Partei,
gesagt haben, wir müssen hier zu einer Sonderregelung
kommen. Der Kollege Schultz hat sie begründet. Ich freue
mich, dass wir heute die erste Lesung des Agrardieselgesetzes haben. Für die Zukunft legt es eindeutig einen
Steuersatz von 57 Pfennig je Liter fest. Damit wird die
Landwirtschaft von weiteren Steuererhöhungen ausgenommen. Das ist das, was finanzpolitisch zu verantworten ist.
Auf diese Weise können wir jedoch nicht die Wettbewerbsverzerrungen in den Griff bekommen, die es innerhalb Europas gibt. Aber auch hier möchte ich dezent darauf hinweisen, dass sie nicht in den letzten zwei Jahren
entstanden sind, sondern die Ursachen dafür weit zurückliegen. Gerade die Agrarpolitiker hier im Raum wissen,
wie schwer es ist, alte Gleise zu verlassen. Wir werden uns
um eine Lösung bemühen; denn es geht nicht an, dass wir
in einem gemeinsamen Binnenmarkt eine unterschiedliche Energiebesteuerung haben.
({4})
Die Restrukturierungsrichtlinie, die 1997 schon einmal
auf dem Tisch lag, muss wieder hervorgeholt werden.
Bundesminister Funke wird das Anliegen auf dem nächsten Agrarrat am 18./19. Oktober vortragen.
Aber auch bei der Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit des Agrarstandorts Deutschland mahne ich etwas zur Vorsicht. In der „Top Agrar“ von diesem Monat
ist zu lesen, wie katastrophal die Situation der Milchviehhalter in Großbritannien ist. Dort gibt es einen Ertragseinbruch von 40 Prozent. Die niederländischen Betriebsleiter beschweren sich über ein rigides Düngergesetz und
versuchen, in Deutschland Betriebe zu kaufen oder zu
pachten. Diese Unternehmen kommen doch nicht nach
Deutschland, um Verluste zu machen. Sie wollen Geld
verdienen, eingedenk der Agrarpolitik, die diese Bundesregierung macht. Wir tun vieles; Frau Kollegin Höfken
hat schon darauf hingewiesen.
Wir haben eine ähnliche Situation wie 1973. Die Umorientierung auf Energieeinsparung ist wichtig. Ferner ist
es wichtig, dass biogene Energieträger wettbewerbsfähig
werden, wie Sie dies immer gefordert haben, und dass es
bei der Zusage für die Biodieselregelung bleibt. Wir fordern, dass die Einnahmen aufgrund der höheren Preise an
die Landwirtschaft weitergegeben werden. Wir fordern
die Bauern auf, die Möglichkeiten des Stromeinspeisungsgesetzes und des Programms „Bioenergie“ zu nutzen. Ich denke, das sind die Maßnahmen, die in die Zukunft weisen. Dazu gehören aber nicht Forderungen, die
schon aus Finanzierungsgründen nicht zu erfüllen sind.
Vielen Dank.
({5})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Carl-Ludwig Thiele.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei der
Einführung der Ökosteuer war abzusehen, dass wir uns
mit der Ökosteuer im Bundestag erneut beschäftigen müssen. Die F.D.P. hat seinerzeit die Ökosteuer abgelehnt;
denn Ihr Konzept der Ökosteuer weist mehrere gravierende Mängel auf.
Erstens: der nationale Alleingang. Es ist naiv zu glauben, Umweltschutz höre an der Grenze auf.
({0})
Umweltschutz muss vielmehr grenzüberschreitend betrieben werden. Genau das haben Sie nicht gemacht und genau das holt Sie an dieser Stelle ein.
({1})
Die Folgen für die Arbeitsplätze und die Verbraucher in
Deutschland sind verheerend. Lastwagenfahrer verlieren
ihre Arbeit, weil die Leistungen der Spediteure im steuerlichen Wettbewerb mit anderen Ländern nicht mehr konkurrenzfähig sind.
({2})
Ein weiteres Beispiel ist der Gartenbaubereich. Die
Unterglasbetriebe - auch für diese gibt es Kostensteigerungen, die schon dargestellt wurden - stehen im Wettbewerb mit Konkurrenten aus der EU
({3})
und können diese Kosten nicht auf die Preise abwälzen.
Das würde nämlich zu Problemen führen.
Die Mietnebenkosten explodieren. Die Auswirkungen
werden aber erst später spürbar sein, weil die Abrechnungen noch erstellt werden. Die Gaspreise werden im Vergleich zu den Ölpreisen später erhöht werden. Aber spätestens zu Beginn des nächsten Jahres werden die Bürger
die Auswirkungen spüren.
Zweitens. Ein zentraler Vorwurf ist, dass mit der Ökosteuer der Reformbedarf in der Rentenversicherung sozusagen überdeckt wurde; er wurde von Ihnen geleugnet.
Den Reformbedarf der Alterssicherung kann man nicht
kaschieren, indem man die Steuer auf Umwelt erhöht und
die Arbeit billiger macht, aber gleichzeitig die demographische Komponente herausnimmt. Das kann nicht funktionieren. Sie haben der Öffentlichkeit Sand in die Augen
gestreut. Diese Probleme werden Sie wieder einholen.
({4})
Drittens. Wo bleibt bei der Ökosteuer eigentlich der
Umweltschutz? Gas wird besteuert, aber Kohle wird
nicht besteuert, obwohl das Verbrennen von Kohle für
Heizzwecke und zur Stromerzeugung mindestens doppelt
so viel zur Umweltbelastung beiträgt wie das Verbrennen
von Gas. Ist das „öko“ oder ist das „logisch“?
({5})
Das Ganze ist eine einzige Mogelpackung. Diese willkürliche Ungleichbehandlung widerspricht dem Umweltschutzgedanken.
({6}) [SPD]: Was re-
det der denn?)
Die Diskussion um Energie und Umweltschutz erinnert mich an die Demonstration der Bergleute in Bonn in
der letzten Legislaturperiode, die mehr Subventionen für
die Kohle forderten. Wer war natürlich wieder als Erster
auf den Barrikaden für die Subventionen für die Kohle? Ihr damaliger Fraktionsvorsitzender Joschka Fischer.
({7})
Er sah eine Barrikade - schwupp, war er drauf, Umweltschutz hin oder her, immer auf der Höhe des Zeitgeistes.
Aber so kann Umweltschutz nicht wirklich betrieben werden.
({8})
Jetzt komme ich zum vierten Punkt; das ist ein zentraler Punkt des Vorwurfes. Die Behauptung, dass die Einnahmen aus der Ökosteuer nur zur Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten verwandt werden, ist falsch.
Hier führen Sie die Öffentlichkeit bewusst hinter die
Fichte.
({9})
Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen wollen Sie die
Bürger unseres Landes glauben machen, dass jede Mark
aus der Ökosteuer zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge genutzt wird.
({10})
Dies ist falsch. Das belege ich im Detail.
Allein aufgrund des Haushaltssanierungsgesetzes vom
Herbst 1999 werden aus dem Etat Riester fast 6 Milliarden DM zweckgebunden nicht mehr der Rentenversicherung zugeführt, Sie zahlen 4 Milliarden DM weniger für
die Arbeitslosenhilfebezieher an Beiträgen in die Rentenversicherung, Sie zahlen 500 Millionen DM weniger für
Wehrpflichtige und Zivildienstleistende in die Rentenversicherung und Sie kürzen den gezielten Zuschuss um
mehr als 1 Milliarde DM pro Jahr und geben das alles als
Sparmaßnahme aus. Aber jeder Rentner hat weiterhin seinen ungeschmälerten Anspruch gegenüber der Rentenkasse. Wenn diese Ansprüche jedoch mit den 6 Milliarden DM nicht erfüllt werden können, weil Herr Eichel
damit seinen Haushalt sanieren will, dann können Sie das
Aufkommen aus der Ökosteuer nur nutzen, um die
Haushaltslöcher zu schließen. Darüber kann man ja diskutieren. Aber wenn Sie das wollen, dann sagen Sie das
doch bitte und verkaufen Sie die Leute nicht für dumm,
indem Sie sagen: Wir erhöhen die Ökosteuer und senken
die Rentenversicherungsbeiträge.
({11})
Ich zeige Ihnen hier auf einer Grafik einmal, wie das
läuft: Die Ökosteuer steigt von 17,4 Milliarden DM im
Jahr 2000 auf 33,5 Milliarden DM im Jahr 2003. Wenn Sie
jede Mark verwenden würden, um die Rentenversicherungsbeiträge zu senken, dann müssten diese von 19,3 auf
18,2 Prozent sinken. Das findet nicht statt. Sie bleiben
kontinuierlich über 19 Prozent. Diesen Vorwurf müssen
Sie sich gefallen lassen.
({12})
Wenn Sie sagen, Sie erhöhen die Umweltkosten, um die
Rentenversicherungsbeiträge zu senken, senken Sie diese
doch entsprechend! Kommen Sie jetzt nicht mit einer
neuen Sprachregelung: Es kommt doch alles in die Rentenkasse; wir stabilisieren jetzt die Rentenversicherungsbeiträge.
({13})
- Nein! Sie sind mit dem Versprechen angetreten, jede
Mark zur Senkung der Lohnnebenkosten zu nutzen. Das
tun Sie nicht.
Diesen Punkt werden wir weiterhin kritisieren; denn
das ist eine bewusste doppelte Täuschung und Irreführung
der Öffentlichkeit: Sie erhöhen die Steuern, senken aber
die Rentenversicherungsbeiträge nicht. Das ist unglaubwürdige Politik. Deshalb werden wir das weiterhin kritisieren und das werden Sie sich auch gefallen lassen müssen.
({14})
Wir haben in dieser
Debatte noch zwei Redner, dann kommen wir zu den
Abstimmungen. Zunächst spricht der Kollege Horst
Kubatschka für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Umweltschützer will ich nicht hinter die Fichte, sondern höchstens in den Laubwald, weil der stabiler ist als der
Fichtenwald.
({0})
Herr Thiele, was Sie gesagt haben, stimmt nicht, auch
wenn Sie es noch so oft wiederholen; es entspricht nicht
den Tatsachen.
({1})
Sie sagen ganz locker: Wir streichen die Ökosteuer.
Aber es geht im Jahr 2001 um 20 Milliarden DM und Sie
haben hier nie eine Antwort darauf gegeben, woher das
Geld kommen soll. Sie würden wahrscheinlich - das war
Ihre Politik - Schuldenpolitik machen. Aber wir führen
diese Schuldenpolitik aus Ihrer Regierungszeit nicht weiter. Wir machen solide Finanzpolitik.
({2})
Herr Kollege Schindler, weil Sie vorhin Schwierigkeiten mit Waigel und unserem Finanzminister Eichel hatten:
Da gibt es einen ganz einfachen Unterschied. Herr Waigel
hat die Bundesrepublik, unseren Staat, finanziell in den
Dreck gefahren
({3})
und Herr Eichel zieht den Karren wieder aus dem Dreck.
({4})
Die von der Opposition vorgebrachten Argumente - ich
habe mir eine Menge aufgeschrieben - halte ich nicht nur
für nicht sehr erwähnenswert, sondern auch für falsch.
Ich möchte diese Debatte jetzt einmal unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftssystems führen und den Aspekt der Ökologie, der mir oft viel
zu kurz kommt und der für mich entscheidend ist, in die
Diskussion einführen.
Seit Beginn der Industrialisierung leben wir auf Kosten der Zukunft. Die Industrialisierung war nur möglich,
weil wir nicht erneuerbare Energien eingesetzt haben.
Je weiter die Industrialisierung fortschritt, umso höher
wurde der Ressourcenverbrauch und umso weniger wurde die Entwicklung zukunftsfähig.
Wir sind weiterhin auf Crashkurs. Es wird Zeit, dass
wir eine Wende herbeiführen. Wir müssen unsere Volkswirtschaft ökologisch modernisieren. Für den Energiesektor bedeutet das: Wir müssen von den nicht erneuerbaren Energien wegkommen und auf erneuerbare Energien umstellen.
({5})
- Herr Kollege, mir braucht man nichts aufzuschreiben.
Denn ich kann das selber formulieren; ich stecke in der
Materie. Sie dürfen nicht von sich auf andere schließen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am ehesten absehbar
ist, dass das Erdölzeitalter zu Ende geht. Es ist an der
Zeit, dass wir das wahrnehmen. Eine Vogel-Strauß-Politik hilft uns nicht weiter. Die Konzernherren oder Herr
Hinsken beruhigen in diesem Zusammenhang zwar immer wieder, indem sie sagen: So schlimm wird es schon
nicht werden; so schnell wird dies nicht erfolgen. Wir
werden dafür sicher technische Lösungen finden; denn
bisher haben wir immer Lösungen gefunden.
Ich muss aber sagen: Das ist das Prinzip Hoffnung. Ich
verlasse mich lieber auf die Aussagen der Geologen und
der Lagerstättenfachleute, auf die Aussagen derjenigen
also, die vor Ort arbeiten und ihre Prognosen nicht am
grünen Schreibtisch erstellen. Ich weise darauf hin, dass
ich über das konventionelle Erdöl spreche - davon lebt
unsere Wirtschaft -, das 40 Prozent des Weltenergiebedarfes abdeckt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang einige Zahlen
sprechen lassen: Die jährliche Erdölfördermenge beträgt
zurzeit weltweit 3,5 Milliarden Tonnen. Dieses Erdöl wird
aus 920 000 Bohrlöchern gewonnen. Dabei muss der Hinweis erfolgen, dass die Qualität der Erdölförderanlagen
ganz verschieden ist. Durch die Billigpreispolitik der
OPEC-Länder wurden Investitionen an den Bohrlöchern
versäumt. Manche Anlagen sind veraltet und sehr störanfällig. Bei vielen Anlagen ist kein Wert mehr auf den Lagerstättendruck gelegt worden. In manchen Bereichen
lässt sich zurzeit die Förderung nicht erhöhen.
Es wird sicher den Einwand geben, dass wir laufend
neue Erdölreserven entdeckt haben. Das stimmt. Nur, die
Wahrheit lautet: Die jährlich neu entdeckte Erdölreserve
entspricht nur 25 Prozent der jährlichen Fördermenge.
Die Reserven werden also Jahr für Jahr weniger; sie nehmen ab. Wir in Deutschland sind vom Erdöl nach wie vor
abhängig.
({7})
Nach den USA, Japan und China sind wir der viertgrößte
Verbraucher. Wir haben im Jahre 1999 etwa 123 Millionen Tonnen verbraucht. Davon sind etwa 50 Prozent im
Straßen- und Luftverkehr verbraucht worden. Circa
24 Prozent haben wir im wahrsten Sinne des Wortes verheizt. Als Rohstoff in der Petrochemie benötigen wir noch
20 Prozent. Eigentlich ist das Erdöl für unsere Zukunft
viel zu wertvoll, als dass wir es so verbrauchen.
({8})
Die konventionellen Erdölreserven, die gesichert in der
Erdkruste lagern, belaufen sich noch auf 150 Milliarden Tonnen. Bei einem jährlichen Verbrauch von 3,5 Milliarden Tonnen - vorausgesetzt, der Verbrauch steigt
nicht - können wir davon ausgehen, dass die konventionellen Erdölvorräte in 40 Jahren verbraucht sind.
Manche werden jetzt einwenden: Wir haben ja noch
40 Jahre Zeit. Aber 40 Jahre sind schnell vergangen. Die
Rechnung werden unsere Kinder und vor allem unsere
Enkel zahlen. Ich halte das für ein sehr ernstes Argument.
Ich möchte nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass
es nach wie vor Reserven in Ölsanden, Teersanden und
bei Schwerstölen gibt. Diese Ölreserven erfordern aber
eine andere Technologie und werden zu enormen Umweltbelastungen führen. Auch die Kosten werden gewaltig ansteigen. Deshalb können wir mittelfristig davon ausgehen, dass die Erdölpreise auf hohem Niveau bleiben
und weiter steigen werden.
({9})
- An Ihrem Einwand sieht man, Herr Kollege, dass Sie
überhaupt nicht kapieren, worum es geht. Es geht in unserem Konzept darum, Ressourcen zu verteuern und Arbeit zu verbilligen. Nur so können wir die Zukunft gewinnen.
({10})
Es wird Zeit, dass wir eine Energiewende einleiten,
und zwar über die marktwirtschaftliche Lösung. Deswegen werden wir an der Ökosteuer festhalten. Denn wir
müssen handeln. Wir haben die Ökosteuer nicht aus Jux
und Tollerei eingeführt, sondern um die Zukunftsfähigkeit
unseres Wirtschaftssystems zu erhalten. Sie von der Opposition dagegen betreiben eine populistische Politik, die
nicht der Zukunft verpflichtet ist.
Zurzeit sind wir alle erbost über die Politik der Konzerne. Sie nutzen die Gunst der Stunde und versuchen,
das Maximale herauszuholen, was der Markt hergibt. Im
Schatten der CDU/CSU-Ökosteuer-Kampagne können
sie leicht Kasse machen; denn man lenkt von den wahren
Argumenten ab. Das Handeln der Konzerne hat auch
nichts mit den Realitäten am Markt zu tun. Ich möchte
dies mit einem Beispiel aus Berlin belegen: Hier sind die
Preise an den Tankstellen in den letzten Tagen, quasi über
Nacht, um bis zu 15 Pfennig pro Liter angestiegen, obwohl es gar keine Ökosteuererhöhung gab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Treibstoffpreise
sind ein Ärgernis, auch für mich. Aber ein noch viel
größeres Ärgernis ist die Entwicklung bei den Heizölpreisen. Die Ökosteuer in Höhe von 4 Pfennig wurde am
1. April 1999 eingeführt. Damals lag der Preis für einen
Liter Heizöl bei 49,5 Pfennig. Bis zum Juni 1999 sank dieser Preis noch einmal auf 47,8 Pfennig. Das nennen Sie
also „Preistreiberei“, Herr Hinsken. Und dann begann der
rasante Anstieg. Im August dieses Jahres betrug der Heizölpreis - bei einer Abnahme von 3 000 Litern - 78,1 Pfennig. Die Preise sind also um 30,3 Pfennig angestiegen,
ohne dass ein Pfennig Ökosteuer verlangt wurde. Jetzt liegen die Preise bekanntlich noch höher. Damit ist bewiesen, dass die Konzerne nur testen, wie weit sie gehen können, was sie dem Verbraucher zumuten können. Und die
CDU/CSU leistet Schützenhilfe bei dieser Preistreiberei.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten die
Chance dieser Preisexplosion nutzen, um die richtigen
Antworten zu finden. Die Chancen der ersten und zweiten
Ölkrise der 70er-Jahre wurden unter der Regierung
Helmut Schmidt voll genutzt. Wir erreichten seitdem ein
Einsparpotenzial von circa 40 Prozent. Leider wurde
diese entschlossene Politik durch die Regierung Kohl
nicht fortgesetzt.
Die Aufgabe der Zukunft heißt: Energiewende. Was
wir nicht an Öl verbrauchen, müssen wir auch nicht bezahlen. Die rot-grüne Koalition hat bereits die richtigen
Schritte eingeleitet: Wir haben das Erneuerbare-EnergienGesetz beschlossen, gegen die Stimmen von CDU/CSU.
Wir haben das Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz verabschiedet, gegen die CDU/CSU. Wir haben ein 100 000Dächer-Programm für Photovoltaik auf den Weg gebracht. Vom Ausmaß des Erfolges dieses Programms sind
wir selbst überrascht worden. Die Bürger haben die Chancen genutzt. Es kommt also darauf an, die richtigen Antworten auf die Ölkrise zu finden, um unser Wirtschaftssystem zukunftsfähig zu machen. Dazu müssen wir die
Innovationen vorantreiben. Wir sind auf dem richtigen
Weg.
Ich danke Ihnen.
({12})
Nun spricht der Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr für die CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will
zu Beginn auf das eingehen, was Herr Thalheim hier ausgeführt hat. Die Bundesregierung und die sie tragenden
Fraktionen tun in der Öffentlichkeit immer so, als verbillige die jetzt vorgelegte Agrardiesellösung den Spriteinsatz in der Landwirtschaft. Das Gegenteil ist der Fall. Bisher betrug die steuerliche Belastung für den in der
Landwirtschaft eingesetzten Diesel 21 Pfennig pro Liter.
Jetzt sollen 57 Pfennig pro Liter durchgesetzt werden. Das
ist eine Erhöhung um 36 Pfennig. Diese Erhöhung ist
übrigens doppelt so hoch wie die durch die Ökosteuer ab
dem 1. Januar.
({0})
Das heißt, hier wird die Landwirtschaft schon wieder einseitig belastet,
({1})
schon wieder einseitig benachteiligt. Das kritisieren wir.
({2})
Herr Thalheim - auch wenn Sie nicht darauf eingehen
sollten -, wenn man es schon ablehnt, Diesel für die deutsche Landwirtschaft wie Heizöl zu besteuern, dann wäre
es doch zumindest richtig und wichtig, in dieser Situation,
in der die Preise auf den Energiemärkten ständig steigen,
die steuerliche Belastung bei Diesel nicht auch noch um
36 Pfennig pro Liter zu erhöhen.
({3})
Herr Funke hat sich im Ausschuss zu Recht darüber beklagt, dass die Franzosen bei Diesel, den sie in der Landwirtschaft einsetzen, einen Preisvorteil von 46 Pfennig
hätten. Aber 36 dieser 46 Pfennig ergeben sich aufgrund
des Agrardieselgesetzes, das Sie beschließen wollen.
Wenn wir schon auf diese Wettbewerbsverzerrung gegenüber Frankreich thematisieren, dann sehen Sie doch von
dieser Erhöhung ab, die auch noch doppelt so hoch ausfällt wie die durch die Ökosteuer.
Die Landwirtschaft wird auch noch anderweitig belastet, so zum Beispiel durch höhere Düngemittelpreise. Sie
muss ständig zu höheren Preisen einkaufen. Schon zu Beginn der Legislaturperiode wurden bei der Vorsteuerpauschale diese höheren Preise nicht berücksichtigt und man
hat die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft auch
noch um 1 Prozent gesenkt, somit also das Umsatzvolumen in der Landwirtschaft um 1 Prozent gekürzt,
({4})
obwohl man vor der Bundestagswahl mit uns gemeinsam
eine politische Lösung angestrebt hatte. Dies ist ein Problem. Hier bleibt die Bundesregierung hinter dem zurück,
was sie selber angekündigt hat. Sie redet ständig davon,
dass sich die deutsche Landwirtschaft gefälligst im Wettbewerb zu bewähren hat. Sie schafft aber nicht die Voraussetzungen für diesen Wettbewerb, sondern sie konterkariert ihn.
({5})
Ich habe eben den Bundeslandwirtschaftsminister erwähnt. Ich finde es schon eigenartig: Jetzt führen wir hier
eine ganz wichtige Debatte über Argardiesel, auf die wir
alle schon sehr lange warten, und der Bundeslandwirtschaftsminister ist nicht einmal da.
({6})
Ich finde schon, dass in einen solchen Debatte auch der
Bundeslandwirtschaftsminister reden sollte. Ich habe ohnehin den Eindruck: Wenn es um Agrarpolitik geht, ist
Herr Funke überall, ist er U-Boot, er ist nur nicht auf
dem Lande, um mit Vertretern der deutschen Landwirtschaft und des ländlichen Raumes ihre Probleme zu diskutieren.
({7})
Das wäre aber seine eigentliche Aufgabe.
({8})
Diese Debatte war schon länger angekündigt, sodass es eigentlich hätte möglich sein müssen, dass nicht nur der
Staatssekretär, sondern auch der Landwirtschaftsminister
anwesend ist.
({9})
Zu dem anderen Thema, das hier auch bereits angesprochen wurde, haben wir von der CDU/CSU- Bundestagsfraktion noch einmal einen Antrag eingereicht. Der
Staatssekretär ist zwar auf diesen Antrag eingegangen, im
Grunde hat er das Finanzvolumen kritisiert, sich aber ansonsten zu dem Antrag praktisch nicht geäußert.
({10})
Es geht um die Unterglasgartenbaubetriebe. Diese Betriebe sind im Wettbewerb in eine verheerende Position
geraten,
({11})
weil die Preise für die Energie, die man im Gartenbau einsetzt, in Holland nicht steigen, sich aber in Deutschland
die Energiekosten für den Unterglasgartenanbau explosionsartig erhöht haben.
Wir stehen vor dem Winter. Im Winter muss bei den
Unterglasgartenbaubetrieben eine erhebliche Menge
Energie eingesetzt werden. Wenn wir jetzt nicht helfen,
dann kommen die Gartenbaubetriebe, die schon immer
- das will ich offen ansprechen - eine Energiepreisdifferenz zwischen Deutschland und Holland hinnehmen
mussten, angesichts der jetzigen Energiepreisdifferenz
einfach nicht zurecht. Deshalb sollte die Bundesregierung
die Anträge aufgreifen, die von verschiedenen Fraktionen
gestellt worden sind, um den Gartenbaubetrieben über
den Winter zu helfen.
Wenn man Holzmann helfen kann,
({12})
was ich gar nicht kritisieren will, dann kann man doch
auch den Gartenbaubetrieben helfen.
({13})
Holzmann ist nicht durch die Fehler der Arbeitnehmer,
sondern durch Managementfehler in eine Krise geraten.
({14})
Aber die Gartenbaubetriebe sind nicht durch Managementfehler in eine Krise geraten.
({15})
Sie geraten durch Veränderungen der Wettbewerbsbedingungen in eine Krise.
({16})
Deshalb ist doch hier viel eher Hilfe angesagt als vielleicht bei anderen Branchen.
Ich halte es für ungemein wichtig, dass wir hier zu einer Lösung kommen. Ich hoffe, dass sich die Koalitionsfraktionen in dieser Frage noch bewegen. Auch sollten sie
sich hinsichtlich der Agrardiesellösung bewegen. Herr
Schultz, Sie haben dazu eine Ankündigung gemacht.
Dann realisieren wir es bitte auch! Wir sollten zu einer
Agrardiesellösung kommen, die die deutschen Landwirte
im Wettbewerb den anderen Europäern gleichstellt.
({17})
Greifen Sie unseren Antrag auf! Wenn Sie ihm zustimmen,
({18})
dann signalisieren Sie den deutschen Landwirten, dass Sie
sie im Wettbewerb gleichstellen wollen.
({19})
Das werden wir immer wieder anstreben, weil wir an der
Seite des Gartenbaus und der deutschen Landwirtschaft
stehen.
Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.
({20})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 14 a: Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/4242 zu
überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an
den Finanzausschuss, zur Mitberatung an den Ausschuss
für Arbeit- und Sozialordnung sowie an den Ausschuss für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und gemäß § 96 der
Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuss. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 14 b: Die Vorlagen auf Drucksachen 14/4218 und 14/4294 sollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Das Haus ist damit einverstanden. Auch diese Überweisung ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 14 c: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu
dem Protokoll zur Änderung des Übereinkommens über
die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen, Drucksachen
14/3651 und 14/4052. Der Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/4273,
den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P.
angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit der gleichen Mehrheit wie bei der zweiten Beratung angenommen.
Tagesordnungspunkt 14 d: Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P.
„Ökosteuer zurücknehmen“ auf Drucksache 14/4276.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3519 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 14 e: Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses auf Drucksache 14/3724. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/2766 mit
dem Titel „Wettbewerbsposition für die deutsche Landwirtschaft verbessern und nachhaltige Entwicklung der
Landwirtschaft und der ländlichen Räume sichern“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/2690 mit dem
Titel „Heizöl als Kraftstoff für die deutsche Land- und
Forstwirtschaft“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU,
F.D.P. und PDS angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2384 mit dem Titel
„Agrodiesel tanken - Gasölbetriebsbeihilfe abschaffen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen.
({0})
- Hat sich die CDU/CSU der Stimme enthalten?
({1})
- Ich war jetzt etwas überrascht.
({2})
Dann sage ich noch einmal: Diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen von F.D.P. und PDS bei
Stimmenthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/2795 mit dem
Titel „Betriebliche Obergrenze von 3 000 DM Gasölbeihilfe zurücknehmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS mit
den Stimmen der anderen Fraktionen bei zwei Enthaltungen aus der Fraktion der CDU/CSU angenommen.
Tagesordnungspunkt 14 f und Zusatzpunkte 11 bis 13
und 15: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/3105, 14/4243, 14/4257,
14/4254 und 14/4291 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. - Ich danke Ihnen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Reform der EU-Entwicklungszusammenarbeit
ist bislang Stückwerk und muss konsequent
vorangetrieben werden
- Drucksache 14/3771 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Das
Haus ist einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Ich gebe für die
CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Dr. Ralf Brauksiepe
das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die europäische Entwicklungszusammenarbeit und ihr Reformbedarf sind ein
Dauerthema, mit dem wir Entwicklungspolitiker uns in
diesem Parlament schon des Öfteren beschäftigt haben.
Der Anlass für die heutige Debatte ist ein Antrag der
CDU/CSU-Fraktion zu diesem Thema. Was diese Debatte
von ihren Vorgängern schon vom äußeren Rahmen her unterscheidet, ist, dass sie ausnahmsweise einmal nicht zu
nachtschlafender Zeit, sondern noch bei Tageslicht stattfindet.
({0})
Wenn die Entwicklungspolitik auf diese Weise einmal
wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerät,
ist allein das schon ein Erfolg unseres Antrages, selbst
wenn er - überraschenderweise - am Ende der Beratungen doch nicht die Mehrheit dieses Hauses finden sollte.
„Überraschenderweise“ sage ich deswegen, weil wir uns
früher hier im Hause, auch schon in früheren Legislaturperioden, über die europäische Entwicklungszusammenarbeit im Grundsatz einig gewesen sind und auch im Vorfeld des neuen Lomé-Abkommens, das in diesem Jahr
unterzeichnet worden ist, gemeinsame Positionen und
Ansprüche an dieses Abkommen formuliert haben.
Unser heutiger Antrag steht ganz in der Tradition dieser gemeinsamen Beschlüsse. Ich denke, dass es von daher nur konsequent ist, das neue Lomé-Abkommen und
die heutige EU-Entwicklungszusammenarbeit an diesen gemeinsam formulierten Zielen zu messen und auch
an den Ankündigungen, die die rot-grüne Bundesregierung in diesem Zusammenhang in der Vergangenheit gemacht hat.
Wir sagen nicht: Zu unserer Regierungszeit war alles
gut und jetzt, wo wir in der Opposition sind, macht die
neue Regierung nur Schlechtes.
({1})
Wir begrüßen ausdrücklich die Teilerfolge, die mit dem
neuen Lomé-Abkommen auch in unserem Sinne erzielt
worden sind. Es war in der Vergangenheit ein gemeinsames Anliegen, zu einer Effizienzverbesserung der europäischen EZ zu kommen - unter anderem durch eine
Neuordnung von Zuständigkeiten in Brüssel, weg von einer Vielzahl zuständiger Kommissare und Generaldirektionen. Das ist zumindest vordergründig jetzt ein Stück
weit erreicht. Wir wissen noch nicht, wie das Ganze am
Ende ausgehen wird. Uns ist jedenfalls wichtig, dass der
Posten des für die Entwicklungshilfe zuständigen Kommissars am Ende nicht abgeschafft wird. Es ist unsere Erwartung, dass die Bundesregierung darauf ein Auge hat.
Wir begrüßen auch, dass sich die künftige Strategie der
EU-Kommission prioritär auf Armutsbekämpfung und
die schrittweise harmonische Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft richten soll. Gleichzeitig sollen Anreize für eine verstärkte regionale Integration
der Entwicklungsländer untereinander geboten werden.
Das alles sind Reformschritte, die im Grundsatz richtig sind und die wir begrüßen. Sie bleiben aber noch hinter dem zurück, was wir im Deutschen Bundestag in der
Vergangenheit gemeinsam beschlossen haben. Ich bin
ganz sicher, dass die Bundesregierung zu Recht für sich in
Anspruch nimmt, zu den Teilerfolgen einen wesentlichen
Beitrag geleistet zu haben. Das tut sie schon deshalb zu
Recht, weil die Bundesrepublik natürlich ein großes Gewicht in der Europäischen Union hat. Daraus folgt dann
aber, dass sich die Bundesregierung die weiterhin bestehenden Defizite in der europäischen Entwicklungszusammenarbeit ein Stück weit anrechnen lassen muss.
Es ist unser Wunsch - den wir mit diesem Antrag zum
Ausdruck bringen -, auf die Bundesregierung dahin gehend Druck zu machen, ihr Gewicht im Sinne einer weiter verbesserten europäischen Entwicklungszusammenarbeit auf europäischer Ebene einzubringen.
Ich will ein paar Punkte ansprechen, die uns in dem Zusammenhang wichtig sind. Schon seit langem wird viel
über die verbesserte Koordinierung der Entwicklungszusammenarbeit gesprochen. Leider sieht die entwicklungspolitische Praxis heute immer noch anders aus. Davon mussten wir uns, Frau Ministerin, in diesen Tagen bei
einer Reise nach Vietnam und Kambodscha wieder einmal persönlich überzeugen lassen. Wenn man vor Ort mit
Vertretern der EU und den Botschaftern der Mitgliedstaaten über Entwicklungspolitik spricht und sie fragt: „Gibt
es eigentlich ein gemeinsames entwicklungspolitisches
Profil der EU und ihrer Mitgliedstaaten? Wird die EU,
werden ihre Mitgliedstaaten entwicklungspolitisch als
eine Einheit wahrgenommen, die mit einer Stimme sprechen?“ dann ernten wir schon für solche Fragen oft nur ein
mildes Lächeln. Tatsache ist, dass es eine solche gemeinsame, für unsere Partnerländer erkennbare entwicklungspolitische Strategie der EU nicht gibt. Es sollte unsere geVizepräsident Rudolf Seiters
meinsame Aufgabe bleiben, dahin gehend Druck zu machen, dass es eine solche gemeinsame Strategie gibt.
({2})
Ein weiteres Thema, das uns wichtig ist, ist die
Kohärenz der EU-Entwicklungspolitik mit anderen Politikressorts. Das ist immer ein beliebtes Thema für Anhörungen: Kohärenz zwischen Entwicklungspolitik und
Agrarpolitik und vieles andere. Es gibt Resolutionen des
Europäischen Parlaments und andere Beschlüsse, aber im
Ergebnis sind wir noch nicht viel weitergekommen.
Ich will ein weiteres Feld ansprechen, auf dem die Reform der EU-Entwicklungszusammenarbeit bisher leider
Stückwerk geblieben ist. Es ist die Zusammenführung der
verschiedenen Abkommen der europäischen Entwicklungszusammenarbeit, das heißt der Abkommen mit den
AKP-Staaten, mit den Entwicklungsländern in Asien und
Lateinamerika sowie mit den Mittelmeeranrainerstaaten.
Das bleibt für uns weiterhin ein wichtiges Anliegen; denn
die koloniale Vergangenheit eines Entwicklungslandes
darf doch heute kein Kriterium mehr dafür sein, in welchem Ausmaß und mit welchen Instrumenten wir einem
Land Hilfe gewähren. Die Möglichkeit, von europäischer
Entwicklungszusammenarbeit zu profitieren, sollte jedem
Land - unter Berücksichtigung seiner eigenen Anstrengungen - in gleichem Maße gegeben werden. Das ist jedenfalls unser Anspruch.
({3})
Dabei bedeutet Entwicklungszusammenarbeit für unsere Fraktion und sicherlich auch für andere in diesem
Hause mehr als nur wirtschaftliche Effizienz. Es geht
auch um politische Kriterien und deshalb komme ich auf
das Stichwort Teilerfolge zurück. Daher begrüßen wir es
im Grundsatz, dass das Prinzip des „good governance“
im neuen Vertragstext von Lomé fixiert worden ist. Wir
müssen aber gleichzeitig kritisieren, dass nur für den Sonderfall extremer Korruption Möglichkeiten der Sanktionsverhängung vorgesehen sind. Nach unserer Überzeugung müssen aber auch andere Verstöße gegen das Prinzip
des „good governance“ mit Sanktionen belegt werden
können. In diesem Zusammenhang ist uns wichtig, Sanktionsmöglichkeiten auch dann konsequent zu nutzen,
wenn wesentliche Bestandteile des Abkommens wie die
Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit
verletzt sind.
Die Bundesministerin hat sich zu Beginn ihrer Amtszeit mit ihrer britischen Kollegin und ihrem französischen
Kollegen genau in dieser Richtung geäußert. Ich darf aus
einem Artikel aus der „FAZ“ vom 1. März des letzten Jahres zitieren:
Die globalen Probleme können nur dann gelöst werden, wenn bei unseren Partnern die Menschenrechte
geachtet werden, die Beteiligung der Bevölkerung an
politischen Prozessen sichergestellt ist und Rechtsstaat sowie verantwortungsvolle Staatsführung einen
geeigneten Entwicklungsrahmen bieten.
Soweit die Worte der Ministerin.
Angesichts dieser Worte nehmen Sie die staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba auf und werten dieses kommunistische Unterdrückungssystem politisch auf.
Das passt eben nicht zusammen und Sie wissen selbst genau, dass das nicht zusammengeht.
({4})
Es geht uns dabei auch gar nicht darum, die Schlachten
der Vergangenheit noch einmal zu schlagen, denn diese
haben wir schon gewonnen. Ob Sie sich da zu den Siegern
zählen können, müssen Sie selbst entscheiden. Es geht
uns vielmehr darum, dass in Kuba auch heute noch täglich
Menschenrechte mit Füßen getreten werden und deshalb
erwarten wir von der Bundesregierung eine andere Antwort als die, ein solches Regime noch politisch aufzuwerten. Der Kern der Auseinandersetzung ist: Sie werden
Ihren eigenen Ansprüchen - Beachtung der Menschenrechte als wesentliches Kriterium der Entwicklungszusammenarbeit - nicht gerecht.
Aber auch ein anderes Zitat aus dem genannten Artikel,
Frau Ministerin, kann uns mit einem Abstand von anderthalb Jahren nur in Erstaunen versetzen. Sie schrieben
seinerzeit:
Es liegt somit im Interesse aller, systematisch nach
Mitteln und Wegen zu suchen, die Effizienz der Zusammenarbeit zu steigern. Dies ist auch die Voraussetzung dafür, dass der Anteil der öffentlichen Entwicklungsmittel der EU wieder steigt.
Also, Steigerung der öffentlichen Entwicklungsmittel
ist das formulierte Ziel. Politisch tun Sie aber im eigenen
Land genau das Gegenteil.
Wir als CDU und CSU bekennen uns durchaus - darüber war hier nie Streit - zur supranationalen und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Das ist ein
wichtiges Element - aber eben nur ein wichtiges Element - unserer Entwicklungspolitik immer gewesen.
Aber das Lob für die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit darf eben nicht als Vorwand für Kürzungen bei
der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit dienen.
Beides ist wichtig und wir dürfen uns nicht hinter noch so
richtigen Argumenten für die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit verstecken. Ich denke dabei an unsere Beiträge an den Europäischen Entwicklungsfonds,
der sicherlich auch hinsichtlich seiner Transparenz und
Kontrollmöglichkeiten reformbedürftig ist. Wir müssen
auch bei der bilateralen Zusammenarbeit unserer Verantwortung gerecht werden. Das tun Sie von der Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen nicht dadurch,
dass Sie seit Ihrem Regierungsantritt den Entwicklungshilfeetat um fast 1 Milliarde DM gekürzt haben. Damit
werden Sie Ihrer Verantwortung nicht gerecht. Sie tragen
die Verantwortung auch als Regierung eines wichtigen
Landes in der Europäischen Union. Deswegen, Frau Ministerin und Ihre Fraktionen: Erledigen Sie auch auf diesem Gebiet Ihre Hausaufgaben, dann sind Sie ein gutes
Vorbild für die weitere Reform der europäischen Entwicklungszusammenarbeit, die unser Anliegen ist.
Vielen Dank.
({5})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Werner Schuster.
Herr Präsident, von
dieser Stelle nochmals herzlichen Glückwunsch zu Ihrem
Geburtstag.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe bemitleidenswerte Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU-Fraktion, lieber Herr Hedrich!
({1})
Welchen internen Zustand müsst ihr haben, wenn ihr
ausgerechnet einen Antrag zur europäischen Entwicklungspolitik wahlkampfmäßig formuliert? Als ich Ihr Papier gelesen habe - nur das ist öffentlich zugänglich -,
hatte ich das Gefühl: Mich tritt ein Pferd.
Ich bin seit zehn Jahren Mitglied in dem Ausschuss.
Acht Jahre lang hat sich in Brüssel ganz wenig bewegt.
Lomé V stand vor dem Scheitern. Nun haben wir seit zwei
Jahren eine persönlich engagierte Ministerin, einen roten
Wirbelwind. Sie schließt sich mit drei anderen Ministerinnen zu dieser berühmten „gang of four“ zusammen,
nutzt das Glück, dass wir die Ratspräsidentschaft innehatten, und schon ist die Kuh vom Eis. Hätten Sie 1998
gedacht, dass wir Lomé V und Cotonou in der Form erreichen, wie es jetzt geschehen ist? Sicherlich nicht.
({2})
Auch die EU-Kommission hat auf unseren Druck hin
im April 2000 ein Konzept vorgelegt, das nicht einmal Sie
ernsthaft kritisieren. Aber dann muss ich in Ihrem Antrag
lesen:
Die Bundesregierung hat es durch eine zu nachgiebige Verhandlungsführung während der Verhandlungen zum Lomé-Nachfolgeabkommen und durch eine
unzureichende Mitarbeit an der Ausarbeitung der
neuen entwicklungspolitischen Konzeption der EU
versäumt, eine Fixierung der für eine durchgreifende
Verbesserung der EU-Entwicklungszusammenarbeit
notwendigen Akzente durchzusetzen.
Es tut mir Leid, meine Damen und Herren, feststellen zu
müssen: Hier haben Sie die Wahrheit auf den Kopf gestellt.
({3})
Sie bestimmen die Spielregeln. Den meisten Ihrer Forderungen werden wir - wie Sie wissen - zustimmen. Sie
könnten glatt aus unserem Antrag vom März 1999 abgeschrieben sein. Ich empfehle Ihnen, den Antrag noch einmal nachzulesen, damit Sie merken, an welchen Punkten
wir übereinstimmen. Ich denke, das würde die Beratungen im Ausschuss erleichtern, um zu einem - der Sache
wegen - gemeinsamen Beschluss zu kommen.
Noch ein Hinweis, Herr Brauksiepe: Wir machen unsere Hausaufgaben. Der Haushalt, den Sie uns permanent
um die Ohren schlagen, befindet sich in einem noch nicht
abgeschlossenen Prozess.
Jetzt komme ich zum Inhalt. Wir haben nach meinem
Verständnis auf europäischer Ebene keine Defizite in der
Strategie, sondern wir haben Umsetzungsdefizite.
({4})
Das ist der zentrale Punkt. Die Forderungen der Bundestagsfraktionen, reduziert auf den Kern, sind, rational betrachtet, weitgehend identisch. Das Kommissionspapier
vom April 2000 enthält richtige Vorschläge und richtige
Ziele. Nur das Wie bleibt zu vage. Deswegen werden
Fortschritte auf EU-Ebene nur im Schneckentempo erreicht. Ich möchte die Defizite anhand von einigen Punkten exemplarisch deutlich machen.
Wir alle wollten eine Reform innerhalb der EU statt der
vier Kommissare und der drei Generaldirektionen jeweils
nur einen bzw. eine. Heute haben wir einen Kommissar,
Herrn Nielson - leider ist die Stelle des Generaldirektors
immer noch nicht besetzt -, aber die Konkurrenz zwischen Herrn Nielson und Herrn Patten ist vorprogrammiert
({5})
- ich darf Sie an unseren Besuch in Brüssel erinnern -,
was ganz sicher nicht die Motivation der oft gescholtenen
Mitarbeiter in Brüssel erhöht. Ich denke, hier müssen der
Rat und auch der Ministerrat ihre Hausaufgaben als
Quasi-Legislative stärker in Angriff nehmen.
({6})
Es darf aber nicht passieren, dass europäische Entwicklungszusammenarbeit zu einem Anhängsel europäischer Außenpolitik degeneriert.
({7})
Genauso wenig darf es passieren, dass europäische
Entwicklungszusammenarbeit mit liberalisierter Außenhandelspolitik gleichgesetzt wird. Damit werden wir den
Anforderungen an einen Nord-Süd-Ausgleich nicht gerecht.
({8})
Ich finde es übrigens positiv, dass die EU auch ECHO
mit integriert hat. Man hat jetzt im Sudan die Aktion „Humanitarian Plus“ eingeführt. Ich habe nicht verstanden,
warum man das Modell nicht auf andere Länder überträgt,
um so die Nothilfe zu einer Entwicklungszusammenarbeit
zu erweitern.
Zweitens. Wir erwarten zwar zu Recht mehr Effizienz
von Brüssel. Aber jeder von uns Insidern weiß, dass Brüssel chronisch unterbesetzt ist. Die personelle Konsequenz
ist: Jeder versucht sich abzusichern. Wer kennt das nicht
aus der Praxis? Da müssten wir etwas tun. Wir müssten
genauso etwas tun, um mehr deutsche Beamte für einen
Job in Brüssel zu interessieren.
({9})
Es stimmt mich nachdenklich, dass wir Politiker im
Rahmen der Diskussion über das Ehrenamt zwar sagen:
„Wer ehrenamtlich tätig ist, soll in Zukunft von der
Wirtschaft bevorzugt eingestellt werden“, dass wir aber
den Beamten, die nach Brüssel oder zur UNO gehen,
keine entsprechenden Vorteile gewähren, obwohl dies in
unsere Zuständigkeit fällt. Auch hier ist die eigene Nase
gefragt.
Der dritte Punkt betrifft die Zusammenarbeit mit den
Nichtregierungsorganisationen. Auf dem Papier klingt
das wunderbar: Stärkung der Partnerschaft. Aber wenn
ich mir das zu Gemüte führe, was im September auf dem
Kongress von VENRO formuliert worden ist, dann muss
ich feststellen, dass das Ganze zu einem Lotteriespiel zu
degenerieren droht. Kommt das Geld rechtzeitig oder
nicht oder verzichte ich lieber, weil mir das Risiko zu groß
ist? Auf diesem Kongress war die Rede von Abbruch statt
Aufbruch und von kafkaesken Verhältnissen. Der administrative Schwanz wackelt mit dem politischen Hund,
hieß es. Wer wirklich ernsthaft die Beteiligung der Zivilgesellschaft im Norden wie im Süden durchsetzen
möchte, der muss sie ernsthaft fördern und darf sie nicht
behindern.
({10})
Wer aber, Herr Hedrich, ist der politische Hund? Nach
meinem Verständnis sind das die EU-Kommission und
der Europäische Rat,
({11})
solange das Europäische Parlament nicht die Funktionen
hat, die nach unserem Verständnis einem Parlament zustehen sollten. Also auch hier sind wir wieder gefordert.
Der vierte Punkt betrifft die kohärente Entwicklungspolitik. 55 Prozent der Mittel für die weltweit
geleistete Entwicklungszusammenarbeit stammen aus
Europa. 10 Prozent kommen direkt von der EU und
45 Prozent aus unseren bilateralen Töpfen. Das wäre - um
mit den Worten der Neuen Ökonomie zu reden - Marktmacht, wenn wir sie nutzen würden. Was tun wir aber
de facto? Nach wie vor gibt es eine Geberkonkurrenz zwischen den europäischen Ländern. Die nationalen Parlamente müssen diese Konkurrenz beenden. Ich denke, sie
sollten sich verstärkt der Aufgabe der Kontrolle zuwenden.
Aber dafür sind drei Voraussetzungen notwendig: Erstens. Wir müssen, Frau Ministerin, rechtzeitig vor strategischen Entscheidungen in Brüssel informiert werden.
Dabei sind wir ein bisschen auf die Kooperation mit
Ihrem Haus angewiesen.
Zweitens. Wenn wir eine Zweiwegekommunikation
haben wollen - ich kann momentan Herrn Kraus, unseren
Ausschussvorsitzenden, nicht sehen -, sollten wir endlich
Beschlüsse des Bundestages, die einschlägig sind, ins
Englische übersetzen lassen und die Parlamentarier in den
anderen nationalen Parlamenten über diese Beschlüsse informieren, damit sie wissen, was wir denken.
Drittens. Wir müssen uns ernsthaft fragen, welche
Möglichkeiten es gibt, die Abstimmung zwischen den nationalen Parlamenten und den Entwicklungspolitikern zu
verbessern. Auch hier wären wir gefordert.
Der vierte Punkt betrifft, wie gesagt, die kohärente EUPolitik. Jeder von Ihnen weiß, dass Handel besser ist als
Hilfe, wenn wir den Entwicklungsländern faire Handelschancen einräumen. Ich begrüße in diesem Zusammenhang den Beschluss der EU-Kommission, die europäischen Märkte für die ärmsten Länder zu öffnen. Nur, von
einem Beschluss bis hin zu Taten ist es leider ein langer
Weg.
({12})
Eine wissenschaftliche Studie, die Herr Spranger dankenswerterweise in Auftrag gegeben hat, besagt: 1 DM,
die im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben wird, hat einen volkswirtschaftlichen Nutzen von
2,80 DM. Ich denke, das ist auch auf die Industrieländer
übertragbar. Das Ergebnis ist zwar eine schöne Legitimation für uns Entwicklungspolitiker. Aber eigentlich ist es
auch ein Indiz für eine verkehrte Welt, nämlich für die einseitige Ausbeutung des Südens durch den Norden.
({13})
Solange das so ist, wird der Graben zwischen Nord und
Süd größer oder - anders formuliert - der moderne Limes
höher. Das darf nicht sein. Wenn wir das nicht ändern, beschränken wir unsere Verantwortung für die Welt auf
Sonntagsreden.
Letzter Satz, Herr Präsident. Weil Europa weltweit eine
solch dominante Rolle spielt, sollten wir als Entwicklungspolitiker gemeinsam nach Wegen suchen, wie wir
die Umsetzungsdefizite beheben können. Wenn die heutige Debatte dazu führt, dann hat sie sich gelohnt.
Recht schönen Dank.
({14})
Herr Kollege, ich
möchte nur sagen, dass Herr Seiters heute Geburtstag hat.
Deshalb haben wir den Präsidentenwechsel zu einer untypischen Zeit vorgenommen.
({0})
Jetzt hat der Kollege Joachim Günther von der F.D.P.Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach jahrelanger Kritik an der konzeptionslosen und schwerfälligen
Entwicklungszusammenarbeit der EU, die aus vielen Bereichen gekommen ist, hat die Kommission nunmehr ihre
Vorschläge für eine umfassende Neuordnung der europäischen Entwicklungspolitik vorgelegt.
Bedauerlicherweise, Herr Kollege Schuster - hier bin
ich anderer Meinung als Sie -, sind die entscheidenden
Impulse hierfür nicht von der Bundesregierung ausgegangen. Diese hätten im vergangenen Jahr während der
deutschen zum Teil Präsidentschaft in einem viel größeren Umfang durchgesetzt werden können.
Als entscheidender Nachteil war bislang empfunden
worden, dass die Ziele der EU-Entwicklungspolitik zu
zahlreich, zu vage und zu beliebig waren. Es fehlte eine
übergeordnete Strategie und es mangelte zugleich an der
notwendigen Kohärenz in den verschiedenen Politikbereichen der EU.
Das nunmehr vorliegende Grundsatzpapier, das im
November als Gesamtstrategie vom Entwicklungsministerrat offiziell verabschiedet werden soll, enthält durchaus
vernünftige Ansätze, die mit langjährigen Forderungen
der F.D.P.-Bundestagsfraktion übereinstimmen.
Unter Aufgabe des Gießkannenprinzips wird eine Konzentration auf Bereiche vorgeschlagen, in denen die europäische Zusammenarbeit deutliche Vorteile aufweist. Die
sechs Schwerpunkte Handel, regionale Integration,
agrarökonomische Beratung, Verkehr, ländliche Entwicklung und „good governance“ decken sich im Prinzip mit
unseren Vorstellungen. Auch die geforderte bessere Arbeitsteilung und Abstimmung zwischen der Union und
den Mitgliedstaaten zwecks Nutzung von Synergiepotenzialen entspricht einer alten F.D.P.-Forderung.
Besonders lobenswert erscheint mir in diesem Zusammenhang die just vor wenigen Tagen, am 9. Oktober, veröffentlichte Ankündigung von Handelskommissar Lamy,
dass die Kommission den 48 ärmsten Entwicklungsländern für alle Waren, mit Ausnahme von Waffen, den freien
Zugang zu den europäischen Märkten einräumen will.
Dies soll sogar für solch sensible Dinge wie Bananen vorgesehen sein. Hier gibt es allerdings eine Übergangsfrist.
Das sind hervorragende Nachrichten für die ärmsten
unter den Entwicklungsländern. Deren Entwicklung ist
weit mehr vom Abbau der Schranken für ihre Produkte
abhängig als von entwicklungspolitischen Transferleistungen im Allgemeinen.
Die von der Kommission zur Verbesserung der Effizienz vorgeschlagene Einrichtung einer weiteren europäischen Durchführungsbehörde mit dem schillernden
Namen „Europe Aid“ sehen wir allerdings kritisch. Eine
bessere Effizienz der Arbeit sollte durch Straffung der
Strukturen und nicht durch eine weitere kräftige Aufstockung des eigenen Personals erreicht werden.
({0})
Der Fairness halber muss man hinzufügen, dass die
Kommission für die Verteilung von 8,6 Milliarden Dollar
2 500 Mitarbeiter beschäftigt, wohingegen in Deutschland für die Verwaltung von nur etwa der Hälfte dieses
Betrages fast doppelt so viele Mitarbeiter benötigt werden.
Trotz aller berechtigter Kritik ist die EU-Entwicklungszusammenarbeit insgesamt eine Erfolgsstory und
gilt in vielen Regionen der Welt als vorbildliche Form der
multilateralen Zusammenarbeit.
Lobenswert an dem neuen Konzept ist aus unserer
Sicht, dass die konkreten Projekte zukünftig nicht im
Wesentlichen von der Brüsseler Zentrale, sondern von
den EU-Delegationen vor Ort selbst verwaltet und betreut werden können. Aus unserer Sicht, Herr Kollege
Dr. Schuster, ist es ebenso begrüßenswert, dass man versucht, eine Außen- und Entwicklungspolitik aus einem
Guss zu machen, indem man die Verantwortung auf den
Kommissar Chris Patten gelegt hat. Eine Zusammenlegung und Konzentration auf diesem Gebiet entspricht
auch unseren Forderungen in der Bundesrepublik
Deutschland.
Wir fordern deshalb nach wie vor die Bundesregierung
auf, endlich die Zusammenlegung von BMZ und AA,
wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, in Angriff zu nehmen.
({1})
Der heute vorliegende Antrag der Unionsfraktion deckt
sich weitgehend mit den in unserem Antrag „Eigenverantwortlichkeit der AKP-Staaten fördern“ aufgestellten
Forderungen. Unterstreichen möchte ich insbesondere die
Aufforderung, die im Lomé-Nachfolgeabkommen vorgesehenen Konsultations- und Sanktionsmöglichkeiten konsequent zu nutzen. Bedauerlicherweise ist dies bislang
weder im Falle von Simbabwe noch in denen von Äthiopien oder Eritrea im erforderlichen Umfange geschehen.
Wenn der Begriff „partnerschaftliche Zusammenarbeit“
nicht nur ein Schlagwort sein soll, dann kann diese Partnerschaft nur so lange aufrechterhalten bleiben, wie sich
beide Seiten an diese Regeln halten.
Deshalb möchte ich alle, die in diesem Bereich tätig
sind, noch einmal auffordern, Folgendes zu beherzigen:
Wer Völkerrecht und Menschenrechte massiv verletzt,
darf in Zukunft nicht mehr mit unserer Unterstützung
rechnen.
Herzlichen Dank.
({2})
Jetzt hat die Kollegin
Dr. Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich könnte dem Antrag der CDU/CSU sofort
zustimmen
({0})
- „ich könnte“, habe ich gesagt -, wenn er lauten würde:
Die Reform der EU-Entwicklungszusammenarbeit ist ein
gutes Stück vorangekommen und muss weiterhin konsequent vorangetrieben werden.
Besonders die rot-grüne Bundesregierung hat sich erfolgreich dafür stark gemacht, dass dieser Prozess voranschreitet. Unter deutscher Präsidentschaft wurde eine
Mitteilung zur gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik
erarbeitet und dem Rat zur weiteren Befassung vorgelegt.
Zentraler Inhalt des Kommissionsvorschlags ist die Ausrichtung der gemeinschaftlichen EZ auf das Oberziel Armutsbekämpfung.
Die Bemühungen der Europäischen Kommission, erstmals eine Gesamtstrategie zur Entwicklungspolitik auszuarbeiten, sind ausdrücklich zu begrüßen. Die Schwerpunktsetzungen unter dem Titel „Vorrangige Aktionsfelder
für die Entwicklungshilfe der Gemeinschaft“ sind sinnvoll und geben jetzt endlich einen Rahmen vor, der konstruktiv ausgefüllt werden kann.
Ich möchte hier besonders den Punkt Aufbau institutioneller Kapazitäten, „good governance“, also verantwortungsvolle Regierungsführung, und Rechtsstaatlichkeit hervorheben. Ich halte diesen Punkt gerade hinsichtlich des spezifischen entwicklungspolitischen Profils für
ganz zentral. Im Vergleich etwa mit der Außenwirtschaftspolitik und der Außenpolitik der EU kommt an dieser Stelle die besondere Qualität von Entwicklungspolitik
zum Ausdruck.
Mit der Aufnahme dieses Punktes in das Lomé-Nachfolgeabkommen, das im Juni 2000 in Cotonou in Benin
unterzeichnet wurde, konnte trotz enormer Vorbehalte der
AKP-Staaten ein wichtiges Ziel der Bundesregierung verankert werden. Gravierende Fälle wie Korruption können
bei Verletzung sanktioniert werden.
Für andere Bestandteile des Abkommens wie die Beachtung der Menschenrechte, die Einhaltung demokratischer Grundsätze und Rechtsstaatlichkeit gilt es, die strikte Einhaltung zu überwachen und die vorgesehenen
Konsultations- und Sanktionsmöglichkeiten konsequent
zu nutzen. So wurden zum Beispiel Ende Juli 2000 Konsultationsverfahren im Rahmen der Nichterfüllungsklausel mit den Fidschi-Inseln, wo im Mai ein Militärputsch stattgefunden hatte, und mit Haiti, wo es
Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen gegeben hatte, eingeleitet.
Die Formulierung solcher Konditionalitäten ist eminent wichtig, wenn die EU weniger Projekt- und mehr
Programmhilfe oder gar direkte Budgethilfen leisten will.
Das ist nämlich nur sinnvoll, wenn das Empfängerland sicherstellen kann, dass die Mittel vorrangig zur Armutsbekämpfung genutzt werden.
({1})
Gleichzeitig darf Konditionalität aber auch nicht überstrapaziert werden, um alle Probleme einseitig auf die
Empfänger zu verlagern. Zur Armutsbekämpfung sollte
es konkrete gegenseitige Selbstverpflichtungen von EU
und Empfängerländern geben. Im Cotonou-Abkommen
ist das ja schon angelegt.
Wesentlich für jede Zusammenarbeit - auch dies ist im
Abkommen enthalten - ist die Partizipationskomponente. Es sollen unter Beteiligung der Zivilgesellschaft in
Zukunft Länderstrategiepapiere von den Regierungen der
Empfängerländer analog zur gemeinsamen Strategie zur
Armutsbekämpfung von Weltbank und IWF, also den so
genannten Poverty Reduction Strategy Papers, erarbeitet
werden. Von zentraler Bedeutung ist dann aber die reale
Beteiligung der Bevölkerung; denn ohne eine qualifizierte Beteiligung der Bevölkerung gibt es keine Identifikation und ohne Identifikation ist das Scheitern selbst der
besten Hilfsprojekte vorprogrammiert.
({2})
Lassen Sie mich auf einen zweiten zentralen Punkt eingehen: Handel und Entwicklung. Hierbei steht die Herstellung von Kohärenz im Mittelpunkt. Wir haben die Bedeutung dieses Themas schon immer hervorgehoben. Von
Handel und Entwicklung reden zwar viele; aber nicht wenige denken dabei an einen Automatismus, der - jedenfalls bisher - nie empirisch nachgewiesen werden konnte,
vor allem nicht für die ärmsten Entwicklungsländer.
({3})
Die Armutsreduzierung wird sich nämlich nicht, auch
nicht langfristig, als Nebeneffekt einer weiteren Liberalisierung des Handels im Wege eines Trickle-down-Effekts von selber einstellen.
Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass die EU-Handelspolitik nicht den Zielen ihrer Entwicklungspolitik widerspricht. Nicht die außen- und handelspolitischen Interessen der EU dürfen die Maßstäbe für Kohärenz setzen; die
Ziele der Entwicklungspolitik, insbesondere die Armutsbekämpfung, sollen vor allem für die ärmsten AKP-Länder den Maßstab liefern.
({4})
Wenn sich die EU auf den Schwerpunktbereich Handel
und Entwicklung konzentrieren will, dann muss dies auch
auf eine Veränderung der bestehenden WTO-Regeln abzielen.
({5})
Dies schließt sowohl die Zielsetzungen der nachhaltigen
Entwicklung ein als auch eine stärkere Beteiligung der
Entwicklungsländer am WTO-Aushandlungsprozess. Wir
haben das in unserem Antrag zur Kohärenz von
EU-Agrarpolitik und EU-Entwicklungspolitik im Rahmen der WTO besonders hervorgehoben.
Die EU-Kommission hat - das haben schon andere
Kollegen angesprochen -, was die Öffnung der EU-Märkte
angeht, vor einigen Wochen einen Aufsehen erregenden
Vorschlag unterbreitet: Die Einfuhrzölle für Produkte aus
den am wenigsten entwickelten Ländern sollen vollständig abgeschafft werden. Von den Zoll- und Quotenbefreiungen sollen die 48 ärmsten Staaten der Erde profitieren, für die die EU bereits heute Ziel von mehr als
55 Prozent ihres Gesamtexports ist. In der vorgeschlagenen EU-Richtlinie sind auch so sensible Produkte wie
Zucker, Reis und Bananen enthalten. Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass dieser Vorschlag umgesetzt wird.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Punkt hervorheben, bei dem ebenfalls wichtige Ansätze schon vorhanden sind, bei dem aber noch mehr geleistet werden
muss: bei der Koordinierung und der Komplementarität.
Es gibt eine eigene Mitteilung der Kommission zur Koordinierung. Aber eine wirkliche Gesamtstrategie der
EU-Entwicklungspolitik muss die bessere Arbeitsteilung
noch viel stärker ins Blickfeld nehmen und hierzu wegweisende, umsetzbare Vorschläge machen.
Der deutsche Ratsvorsitz hat immerhin erreicht, dass
in einer Entschließung der Entwicklungsminister und
-ministerinnen im Mai 1999 eine Vielzahl praktischer
Möglichkeiten von Abstimmungsprozessen aufgezeigt
wurde. Durch die verstärkte Kooperation bei der Erstellung von Länderstrategiepapieren sollte eine wichtige
Voraussetzung für eine bessere Koordination geschaffen
werden.
Die Schwerpunktsetzung der Europäischen Kommission ist vor allem dann sinnvoll, wenn auch die Mitgliedsregierungen eigene Schwerpunkte setzen und so
sicherstellen, dass keine Region, kein Land und kein Sektor bei der künftigen europäischen Entwicklungszusammenarbeit ganz unter den Tisch fallen wird. Ich möchte
noch einmal betonen: Wir sind mit der EU-Entwicklungspolitik, was die Kohärenz angeht, auf einem guten Weg,
der jetzt konsequent verfolgt werden muss, nicht nur auf
der europäischen Ebene, sondern auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Für die PDS-Fraktion
erteile ich dem Kollegen Carsten Hübner das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, gestatten Sie mir
zwei Vorbemerkungen, die mit dem Antrag zwar nicht
direkt zu tun haben, die mir aber wichtig sind.
Zum einen bin ich von den Entwicklungen, die wir derzeit in Israel bzw. in Palästina zu verzeichnen haben,
schwer betroffen. Der Friedensprozess, der von vielen
erhofft wurde und der längst notwendig ist, ist nicht nur
ins Stocken geraten, sondern arg zurückgeworfen worden.
Es ist überhaupt nicht klar, worauf die Entwicklung hinauslaufen wird. Eines ist jedenfalls sicher: Auch daraus
sollten wir Konsequenzen ziehen. Wir sollten überlegen,
in welcher Form wir sowohl für den jetzt stattfindenden
als auch für den danach erforderlichen Prozess Verantwortung übernehmen können. Entwicklungspolitiker stehen immer vor der Aufgabe, Konflikte nicht nur rechtzeitig zu begreifen, sondern auch schon dann, wenn sie noch
toben, darüber nachzudenken, was man tun kann
({0})
und welche Konsequenzen man ziehen muss, damit so etwas, was sich im Moment dort abzeichnet, nicht noch
einmal passieren kann.
Das zweite Beispiel ist ein sehr positives Beispiel:
Wir haben vor kurzem über Kolumbien und den „Plan
Colombia“ gesprochen. Ich habe jetzt aus den Medien erfahren, dass sich die Europäische Union dagegen ausgesprochen hat, sich im Rahmen des „Plans Colombia“ mit
erheblichen Millionenbeträgen in Kolumbien zu engagieren. Ich halte das für eine sehr gute Entscheidung. Der
„Plan Colombia“ ist fast vom ganzen Haus als ein Plan zur
Militarisierung der Auseinandersetzung in Kolumbien
charakterisiert worden. Wir sollten jetzt aber die Konsequenzen ziehen und nicht nur kein Geld für den Plan
geben, sondern auch überlegen, wie Europa und die Bundesrepublik dort eine eigenständige entwicklungspolitische
Konzeption vertreten können, gerade mit Blick auf alternative Ökonomie und Konfliktbewältigung.
({1})
Zum Antrag selber will ich sagen, dass vieles von dem,
was im CDU-Antrag aufgeführt wird, Probleme sind, die
seit langer Zeit diskutiert werden, aber nicht in der erforderlichen Art und Weise angepackt worden sind. Die EU
agiert weiterhin sehr schwerfällig. Oft weiß eine Hand
nicht, was die andere tut. In Bezug auf die Koordinationswege ist doch erhebliche Kritik berechtigt. Auch bei
der Verteilung der vom Europäischen Entwicklungsfond
bereitgestellten Mittel stellt die Struktur der Bürokratie
ein ganz erhebliches Hindernis dar.
Neben diesen strukturellen Problemen, mit denen die
europäische Entwicklungspolitik zu kämpfen hat, gibt es
natürlich auch Strategieprobleme, die hier, wie ich denke,
ebenfalls benannt werden sollten. Ganz wichtig ist dabei
- das ist vorhin kurz angesprochen worden -, dass die
Entwicklungspolitik als eigenständiger Faktor und als
Querschnittsaufgabe in der gemeinsamen europäischen
Außenpolitik vorkommen muss und nicht, wie es vorhin
angesprochen worden ist, als Anhängsel einer Außen-,
Handels- oder gar Militärpolitik. Wenn man sich die
Papiere anschaut, die seit Amsterdam entstanden sind,
muss man den Eindruck bekommen, dass in diese Richtung gedacht wird. Das muss man hier auch sagen und das
müssen wir als Entwicklungspolitiker rechtzeitig kritisieren und versuchen, es in eine andere Richtung zu lenken.
Es wurde die Kohärenz angesprochen: Immer dann,
wenn es um Geld, zum Beispiel um die Interessen der
Agrarwirtschaft oder um Außenhandelsinteressen, geht,
wird seit Jahren Kohärenz eingefordert. Mit der Kohärenz
ist aber immer an dem Punkt Schluss für die Entwicklungspolitiker, wo sich die entsprechenden Interessen anderer Politikfelder artikulieren. Auch das muss man so
konstatieren.
({2})
Ich will nur noch ein paar Bemerkungen zu dem AKPKooperationsabkommen machen, weil meine Zeit abläuft: Eine grundsätzliche Strukturreform von Lomé ist
mit dem Vertrag von Cotonou natürlich ausgeblieben.
Auch das müssen wir konstatieren. Die Reform, wie sie
von den Entwicklungsländern, von den NGOs und den
Kirchen eingefordert worden ist, ist nicht umgesetzt worden, sondern im Grunde genommen haben wir an vielen
Punkten einen völlig offenen Bereich, der erst in den
nächsten Jahren gefüllt wird, als Vertragswerk konzipiert.
Ich hege keine allzu großen Hoffnungen, dass dieser BeDr. Angelika Köster-Loßack
reich in einem für uns alle befriedigenden Sinne gefüllt
wird.
Nur noch zwei Sätze hierzu, weil mir das sehr wichtig
ist: Ganz deutliche Zielgröße der EU-Entwicklungspolitik muss in den nächsten Jahren der Geist von Lomé bleiben. Er darf nicht zurück in die Flasche gedrängt werden,
sondern es muss in diesem Geiste weitergemacht und mit
der Liberalisierungsdoktrin Schluss gemacht werden, die
besagt, dass dann, wenn der Handel erst einmal völlig frei
ist und eine Entgrenzung der Märkte entstanden ist, dies
eine Verringerung der Armut mit sich bringen wird. Ich
habe hier eine Auswertung aus der „Frankfurter Rundschau“. Dort stehen auf einer Seite zwei Aussagen, die für
uns ganz wichtig ist: „Hilfswerke rügen Regierung wegen
der Kürzungen im Entwicklungshilfe-Etat“. Dieser ist,
wie ich denke, eine ganz entscheidende Größenordnung.
Die zweite Aussage lautet: „Globalisierung bringt den
ärmsten Ländern nichts“. Wenn man dieses mit den bisherigen Kernelementen des Lomé-Vertrages kombiniert,
sollten damit doch genügend Hinweise gegeben worden
sein, die uns aufzeigen, in welche Richtung sich die EUEntwicklungspolitik in den nächsten Jahren entwickeln
sollte.
Danke.
({3})
Es ist doch erstaunlich, wie lang zwei Sätze sein können.
Nun hat das Wort Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Vertreterinnen und Vertreter der Regierungskoalition tragen in
dieser Debatte in etwa vor, in der EU-Entwicklungszusammenarbeit sei doch alles auf einem guten Weg,
({0})
alles werde gut, die Dokumente und Beschlüsse stimmten, eigentlich sei der Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion völlig unnötig.
({1})
- Lieber Herr Schuster, das war Ihr Obersatz. Ich komme
auf die Details, die Sie angesprochen haben, noch zu sprechen.
Wenn es so wäre, dass in der Europäischen Union im
Prinzip alles auf einem guten Weg ist, dann wäre der Antrag unnötig. Der Punkt ist aber: Die Sonntagsreden, die
Überschriften und die Dokumente stimmen, aber die Realität in Bezug auf die Umsetzung stimmt nicht mit dem
überein, was groß angekündigt wird. Das ist die Ursache
für die großen Probleme.
({2})
Ich will einige Punkte ansprechen.
Erstens. Die Änderungen innerhalb der EU-Kommission und die derzeit geplanten Veränderungen in den Zuständigkeiten, vor allem aber die Gründung des neuen Superamtes „Europe Aid“ mit über 1 200 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern, führten tendenziell nicht zu einer Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit, sondern zu einer
Schwächung. Während in Deutschland Herr Außenamtsstaatssekretär Pleuger auf Botschafterkonferenzen darüber spekulieren darf, ob es nicht sinnvoll wäre, das
Entwicklungshilfeministerium in das Auswärtige Amt
einzugliedern, wird in Europa genau diese Politik bereits
praktiziert. Die Entwicklungszusammenarbeit droht gegenüber dem Alleinvertretungsanspruch des Kommissars
für Außenbeziehungen unterzugehen.
({3})
Damit ist das Ende einer eigenständigen Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union bereits vorgezeichnet. Diejenigen, die sich zu Recht für eine Reform
der EU-Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt hatten,
haben sich fürwahr etwas anderes vorgestellt.
Zweitens. Ich zitiere:
Die Auslandshilfeprogramme der Europäischen
Union sind bekannt für ihre schleppende und unflexible Durchführung, für schlechte Qualität und übermäßig zentral gesteuerte und starre Verfahren.
Dieser Satz steht in einem Dokument der EU-Kommission. Es ist gut, dass es diese Selbsterkenntnis gibt.
Nachdem die Kommission dies festgestellt hatte, war
die Hoffnung groß, dass die Reform der EU-Entwicklungspolitik zu einem verbesserten Verfahren bei der Genehmigung von Anträgen führen würde. Aber genau das
Gegenteil ist der Fall: Von mehr als 900 Projektanträgen
deutscher Nichtregierungsorganisationen auf Kofinanzierung durch die Europäische Union sind jetzt, im Oktober
2000, nur ein paar wenige tatsächlich bewilligt. Die meisten Nichtregierungsorganisationen warten bis zum heutigen Tag auf Geld aus Brüssel.
Als Quintessenz aus einer kürzlich in Bonn durchgeführten Tagung, die der Kollege Schuster schon erwähnt
hat, kommt der Bonner „General-Anzeiger“ zu dem
Schluss: „Das Verhältnis zwischen den Nichtregierungsorganisationen und der Kommission ist auf einem Tiefpunkt.“ Brot für die Welt, ein großes kirchliches Hilfswerk, stellt fest: „Aufwand und Ertrag stehen in keinem
vernünftigen Verhältnis mehr.“ Man überlegt sich dort, ob
man bei der EU überhaupt noch einen Antrag stellen soll.
Ich finde, das ist ein Skandal.
({4})
Drittens. Zu den Fortschritten auf dem Papier - auch
das ist schon erwähnt worden - gehört zweifelsohne das
neue Abkommen zwischen der Europäischen Union und
den AKP-Staaten. Dieses beinhaltet vor allem, dass der
Beteiligung der Zivilgesellschaft endlich ein gebührender Rang eingeräumt wird. Aber auch hinsichtlich der Erfüllung dieser Zusage warten wir auf konkrete Schritte.
Ich befürchte - auch dieser Punkt ist schon angesprochen worden -, dass die Zivilgesellschaft und die Nichtregierungsorganisationen erst recht unter die Räder kommen, wenn die verstärkten Budgethilfen der Europäischen
Union für die AKP-Staaten Platz greifen. Budgethilfen
darf und kann es meines Erachtens nur geben, wenn
gleichzeitig eine starke Kontrolle und Mitwirkung der
Zivilgesellschaft in den jeweiligen Ländern gewährleistet
ist, wenn die Bevölkerung den Regierenden wirklich auf
die Finger schauen kann und wenn bei der Durchführung
von Projekten der Armutsbekämpfung auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen an den staatlichen Mitteln und Instrumenten partizipieren können.
Kooperation mit der Zivilgesellschaft darf aber nicht
dazu führen, dass die Europäische Union, wie sie es leider bis zum heutigen Tag tut, einzelne Nichtregierungsorganisationen, die ihren Interessen nützen, wie Rosinen
aus dem Kuchen pickt und andere benachteiligt. Deshalb
brauchen wir entsprechende Programme zur Unterstützung der Nichtregierungsorganisationen in ihrer Zusammenarbeit mit der EU.
Der Antrag, den wir als CDU/CSU-Fraktion heute stellen, soll die Bundesregierung zum Handeln auffordern
und wachrütteln, damit die Weichenstellungen in Brüssel
korrigiert werden, die derzeit falsch vorgenommen werden.
({5})
Verehrte Frau Bundesministerin Wieczorek-Zeul, Sie
werden anschließend sprechen. Wir erwarten von Ihnen
konkrete Aussagen zu folgenden Fragen: Erstens. Was
werden Sie in der nächsten Sitzung des EU-Entwicklungsrates am 10. November dieses Jahres unternehmen,
damit die EU-Entwicklungszusammenarbeit eine selbstständige Aufgabe mit einem eigenen Kommissar bleibt
und nicht zu einer nachgeordneten Angelegenheit des
Kommissars für Außenbeziehungen wird?
({6})
Zweitens. Was werden Sie im EU-Ministerrat konkret
unternehmen, damit die administrativen Mängel beseitigt
und die Gelder für das Jahr 2000 sofort ausbezahlt werden?
Es ist schon erwähnt worden, dass bei der Tagung der
Nichtregierungsorganisationen der Satz fiel: „In der
Kommission wackelt der administrative Schwanz mit
dem politischen Hund.“ Frau Ministerin, sorgen Sie dafür,
dass in Brüssel endlich die Politik der Administration
sagt, wo es langzugehen hat, und nicht umgekehrt.
Vielen Dank.
({7})
Jetzt erteile ich das
Wort der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Frau Heidemarie
Wieczorek-Zeul.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
die Diskussion sehr genau verfolgt. Wenn man einmal
einen Teil der verbalen Zuspitzungen beiseite lässt, wird
ersichtlich, dass es in der Frage der weiteren notwendigen
Reform der Europäischen Union in diesem Hause eine
breite gemeinsame Überzeugung gibt. Diese sollte nicht
durch allzu viele verbale Überspitzungen verdeckt werden.
({0})
Es wird auch deutlich, dass, seitdem die Bundesregierung
die europäische Politik mit beeinflussen und gestalten
kann, wichtige Schritte gegangen worden sind.
Der Grund, warum ich in dieser Frage zur Gemeinsamkeit aufrufe, ist folgender: 55 Prozent der gesamten
Entwicklungszusammenarbeit - Werner Schuster hat es
vorhin erwähnt - werden von der EU-Kommission und
ihren Mitgliedstaaten finanziert. Wenn wir unser Gewicht
bei der weiteren Reform und dem Festhalten an dem, was
erreicht worden ist, gemeinsam in die Waagschale werfen,
dann erreichen wir auch mehr, und zwar im Interesse der
Entwicklungsländer. Es geht ja nicht darum, dass wir untereinander irgendwelche Schlachten schlagen, sondern
wir müssen alles dafür tun, dass die EU-Entwicklungspolitik effektiver wird, damit die Menschen in den Partnerländern davon einen Vorteil haben. Das ist doch das
Ziel der ganzen Angelegenheit.
({1})
Eine zweite Gemeinsamkeit konstatiere ich. Es gibt
eine breite Unterstützung - das begrüße ich ausdrücklich - hinsichtlich der Vorschläge der EU-Kommission,
die der französische Kommissar Lamy eingebracht hat,
dass zukünftig den ärmsten Entwicklungsländern der
freie Zugang zu den Märkten der europäischen Mitgliedstaaten eröffnet werden soll. Das ist ein ganz wichtiger Schritt der Hilfe für diese Länder, damit sie ihre
eigene Wirtschaft entwickeln können. Deshalb sollten wir
uns gemeinsam dafür engagieren, dass durch die Zustimmung der anderen EU-Mitgliedstaaten aus diesen Vorschlägen Wirklichkeit wird. Ich sage jedenfalls für die
Bundesregierung, dass wir dieses Vorhaben unterstützen.
({2})
Wir haben - das ist die Wahrheit und das war auch gut
so - in der EU-Ratspräsidentschaft sofort die wichtigsten
Weichenstellungen vornehmen können, sowohl in Bezug
auf die bessere Abstimmung zwischen Kommission und
Mitgliedstaaten als auch in Bezug auf das Abkommen
von Cotonou. Ich will an dieser Stelle noch einmal sagen:
Das ist ein Beispiel einer umfassenden Partnerschaft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern und es ist das
Maximum dessen, was unter entwicklungspolitischen
Gesichtspunkten hat erreicht werden können. Ich bin stolz
darauf, dass wir das erreicht haben. Wir sollten das gemeinsam würdigen.
({3})
Ich will darauf hinweisen, an welchen Punkten es gute
Fortschritte im Interesse dieser Länder gegeben hat:
Peter Weiß ({4})
Erster Punkt. Es können zukünftig in den politischen
Dialog alle Fragen eingebracht werden - bis hin zur Frage
der Reduzierung und Verhinderung des Transfers von
Kleinwaffen; das ist ein ganz wichtiger Punkt, der darin
enthalten ist.
Zweiter Punkt. Entwicklung und Handel sind sinnvoll
miteinander verzahnt worden. Was ich erreicht habe - wir,
die Bundesregierung bzw. mein Ministerium, waren in
diesem Bereich die Verhandlungsführer -, ist, dass nicht
nur bis zum Jahre 2008 Freihandelsabkommen geschlossen werden - die entsprechenden Beschlüsse dazu
sind gefasst worden -, sondern dass die Entwicklungsländer auch Zeit haben - notfalls zehn oder zwölf Jahre, also
bis zum Jahre 2020 -, ihre eigenen Märkte zu schützen
und sich auf diesen Freihandel vorzubereiten. Das halte
ich für einen ganz großen Fortschritt, der in dieser Situation von vielen nicht erwartet worden ist. Wir haben das
verankern können.
Der dritte Punkt, der meiner Meinung nach außerordentlich positiv ist, ist, dass das Abkommen von Cotonou
effektiver als all seine Vorgängerabkommen sein wird.
Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass Herr Hedrich heute
so still ist. All das, was Sie in Ihrem Antrag verlangen, hätten Sie doch in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit tun
können.
({5})
Ich habe in dem halben Jahr der deutschen Ratspräsidentschaft mehr Reformen in der EU-Entwicklungspolitik in
Gang gebracht als Sie während der vielen Jahre Ihrer Regierungszeit. Das ist die Wahrheit.
({6})
Lassen Sie uns das einfach einmal anschauen: Das
Abkommen von Cotonou wird also effektiver als all seine
Vorgängerabkommen. Es führt zu einer Entbürokratisierung und zu Erleichterungen. Stabex und Sysmin, die sich
in den entsprechenden Ländern strukturkonservierend
ausgewirkt haben, sind beseitigt worden. Im Falle kurzfristiger Schwankungen bei Ausfuhrerlösen kann auch
zukünftig Unterstützung gewährt werden. Das ist ein entwicklungspolitisch sinnvoller Ansatz und ein gutes Ergebnis.
Vierter Punkt. Wir haben das Prinzip „Good Governance“ verankert. Zukünftig wird es möglich sein - das
haben Sie von der Opposition zu Ihrer Regierungszeit nie
geschafft -, in Fällen schwerer Korruption die Zusammenarbeit mit dem betroffenen Staat auszusetzen. Das ist
wichtig. Denn Korruption bedeutet, das Geld der Armen
zu stehlen. Deshalb müssen wir im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit alles dafür tun, dass Korruption in den Partnerländern unterbleibt. Das ist unsere Aufgabe.
({7})
Zukünftig kann in solchen Fällen die finanzielle Unterstützung ausgesetzt werden.
Ich möchte aber auch nicht verhehlen - das richte ich
jetzt an die Adresse all derjenigen, die immer Good Governance für andere anmahnen -, welche sarkastischen
Kommentare ich im Zuge der Diskussion mit den Partnerländern über diese Frage gehört habe. Sie haben gesagt: Kehrt doch erst einmal vor der eigenen Tür, vor einer ganz besonders. Auch darauf will ich an dieser Stelle
einmal hinweisen.
({8})
Wer also mit dem Finger auf andere zeigt, muss wissen:
Die Regeln des AKP-Abkommens mit der EU binden
nicht nur die eine Seite, sondern alle Seiten. Auch das ist
ein wichtiges Kriterium.
Ich möchte dann darauf hinweisen, dass wir - das wird
uns auf dem nächsten Ministerrat beschäftigen; danach
wurde ja gefragt - in einer gemeinsamen Erklärung von
Rat und Kommission eine übergreifende Konzeption für
die gemeinschaftliche Entwicklungspolitik verabschieden werden. Ich denke, dass das Europäische Parlament
daran entsprechend beteiligt sein muss. Wir begrüßen die
Konzeption, die die EU-Kommission zu den neuen Zielsetzungen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit
vorgelegt hat; ich brauche die einzelnen Details hier nicht
anzusprechen.
Aber ich will für die Bundesregierung feststellen: Wir
möchten, dass die Erklärung zur gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik der EU für alle Entwicklungsländer gelten soll, dass damit also ein Stück Kohärenz gegenüber
anderen erreicht wird. Umwelt- und Ressourcenschutz,
die Frage der Gleichstellung von Frauen, die Einhaltung
der Menschenrechte, die Demokratieförderung und die
Krisenprävention müssen Querschnittsthemen sein, wenn
diese Neupositionierung der Europäischen Union erfolgt.
Das Hauptziel muss doch sein, dass die Europäische
Union ihre Rolle, die sie selbst im Sinne regionaler Zusammenarbeit spielt, so einbringt, dass auch andere regionale Strukturen auf der Welt unterstützt werden. Das,
was die EU ausmacht, nämlich Frieden durch Zusammenarbeit zu sichern, Frieden durch wirtschaftliche Verflechtungen zu sichern, muss sie auch in anderen Regionen der Welt voranbringen. Dieser Punkt ist uns bei der
gemeinsamen Erklärung wichtig.
({9})
Ich möchte zum Schluss noch ein paar praktische
Punkte ansprechen. Wir begrüßen es, dass die EU-Kommission zukünftig ihre Verfahren vereinfachen will, dass
sie die Umsetzung ab der Programmierungsphase in einer
Hand zusammenfassen will. Aber ich sage ausdrücklich
dazu: Ich halte wenig davon, dass die EU-Kommission
jetzt versucht, sich eigene Durchführungsorganisationen
zuzulegen.
({10})
Es gibt bereits entsprechende nationale Durchführungsorganisationen, die jederzeit dafür in Anspruch genommen werden können. Wir kommen unter Effizienzgesichtspunkten ein gutes Stück voran, wenn sich die
Kommission auf ihre Kernaufgaben wie Politikformulierung, Programmierung und Bewertung konzentriert und
die Durchführung weitgehend den nationalen Organisationen überlässt.
({11})
Diese Position vertrete ich auch. Ich weise aber darauf
hin, dass es Mitgliedstaaten gibt - das wissen Sie -, die
diese nationalen Durchführungsorganisationen nicht haben. Deren Unterstützung in dieser Frage ist vielleicht
nicht ganz so stark, wie das zum Beispiel bei Großbritannien der Fall ist.
Zum Schluss zu den Nichtregierungsorganisationen.
Ich finde es wirklich schwer erträglich, was die EU-Kommission in diesem Bereich praktiziert.
({12})
Wir waren übrigens die Ersten - ich bitte, das anzuerkennen -, die in Europa Regierungen und Nichtregierungsorganisationen an einen Tisch gebracht haben: Die Bundesregierung hat während ihrer Ratspräsidentschaft hier
in Berlin zu einem gemeinsamen Seminar geladen. Die
EU-Kommission hat damals zugesichert, das werde
zukünftig alles einfacher. Das ist nicht eingetreten. Ich
werde nächste Woche auf einer Reise, bei der ich auch in
Brüssel sein werde, ein Gespräch mit dem EU-Kommissar Poul Nielson führen und dabei eindrücklich darauf
hinweisen, dass sowohl der Zugang von Nichtregierungsorganisationen als auch deren Antragsrechte schnell verbessert werden müssen.
({13})
- Ja, das wollte ich gerade sagen: In der Zwischenzeit beraten wir als Bundesregierung die Nichtregierungsorganisationen - was in unserem Bereich eigentlich gar nicht
notwendig wäre -, damit sie es im Umgang mit der Kommission in Brüssel einfacher haben.
Fazit: Lassen Sie uns die Kräfte bündeln, damit die
EU-Politik in der Entwicklungszusammenarbeit gestärkt
wird. An die Adresse all derjenigen, die Sorge haben, der
Außenpolitik könnte auf EU-Ebene künftig mehr Gewicht zukommen als der Entwicklungszusammenarbeit,
sage ich: Je entschlossener wir in diesen Fragen auf die
Partnerländer einwirken, die in diesem Bereich keine eigenen Strukturen haben und infolgedessen unseres nachdrücklichen Engagements bedürfen - dies ist vielleicht
ein dezenter Hinweis an Herrn Günther -, umso eher werden wir es schaffen, das Gewicht der Entwicklungszusammenarbeit auf europäischer Ebene zu erhöhen.
Ich bedanke mich sehr herzlich für die Aufmerksamkeit.
({14})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3771 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes
zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
- Drucksache 14/3764 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 14/4265 Berichterstattung:
Abgeordnete Harald Friese
Erwin Marschewski ({2})
Dr. Max Stadler
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Harald Friese, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten und beschließen heute abschließend das Fünfzehnte Gesetz zur
Änderung des Bundeswahlgesetzes und wissen, dass damit keine grundsätzliche Revision des Bundeswahlgesetzes verbunden ist. Dafür gibt es auch keine Notwendigkeit, denn das Bundeswahlgesetz hat sich bewährt. Aber
es gibt natürlich immer wieder neue Erkenntnisse der
Rechtsprechung, veränderte Bedürfnisse der kommunalen Praxis und natürlich auch Wünsche zur Vereinfachung
des Wahlrechts. Deshalb halten wir eine Novellierung für
notwendig.
Wir wissen zum Beispiel, dass die Städte und Gemeinden immer größere Schwierigkeiten haben, Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zu finden. Auch die Parteien machen immer weniger Vorschläge für Wahlhelfer, die an
einem Sonntag zur Verfügung stehen. Dies wundert uns,
weil die Parteien eigentlich ein ureigenes Interesse daran
haben, mit einem Mitglied in den Wahlvorständen vertreten zu sein, um so den Wahlvorgang und die Stimmauszählung mit kontrollieren zu können.
Auf den ersten Blick erscheint unser Novellierungsvorschlag kontraproduktiv, denn wir wollen die Zahl der
Mitglieder der Wahlvorstände auf sieben erhöhen. Wir
versprechen uns davon, dass die Tätigkeit als Wahlhelfer
dadurch attraktiver wird, denn so ermöglichen wir
Schichtarbeit, um es einmal so auszudrücken. Wenn der
Wahlhelfer weiß, dass er nicht mehr den ganzen Sonntag
im Wahllokal sein muss, wird er vielleicht eher zur Mitarbeit bereit sein. Wir hoffen also, dadurch zusätzliche
Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zu gewinnen. Wir überlassen es aber den Gemeinden, ob sie von dieser MögBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
lichkeit, die Wahlvorstände zu erweitern, Gebrauch machen. Sie ist fakultativ.
Die Änderung des § 9 Abs. 3 des Bundeswahlgesetzes
entspricht einer seit langem erhobenen Forderung der
Städte und Gemeinden. Gerade weil es immer schwieriger wird, Wahlhelfer zu gewinnen, müssen die Gemeinden verstärkt auf kommunale Bedienstete zurückgreifen,
um die Wahlvorstände überhaupt noch ausreichend besetzen zu können. Die Sicherstellung der Durchführung einer Wahl kann aber nicht auf dem Rücken der kommunalen Bediensteten ausgetragen werden. Deshalb wollen wir
alle öffentlich-rechtlichen Institutionen verpflichten, auf
Ersuchen der Gemeinden Wahlhelfer zur Verfügung zu
stellen.
Uns erstaunt, dass diese Novellierung öffentlich kritisiert worden ist. So hat die stellvertretende Vorsitzende
der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“, unsere Kollegin Marie-Luise Dött
von der CDU/CSU-Fraktion, dies heftig kritisiert. Sie
hat festgestellt, der Wahlzettel sei kein Antrag, den man
einem Behördenvertreter zur Abwicklung übergebe.
Zwangsverpflichtung von Beamten sei der falsche Weg,
beseelt von dem Irrglauben, der Staat könne von oben das
Miteinander der Bürgerinnen und Bürger regeln und regulieren.
Dass man durch eine solche Regelung schon fast die
Demokratie in Gefahr sieht, wundert mich. Ich muss hier
wirklich die Frage stellen, ob unsere Kollegin Dött überhaupt weiß, wovon sie redet.
({0})
Sie macht etwas sehr geschickt: Sie mobilisiert alle Vorbehalte gegen Beamte und Behördenvertreter.
({1})
Dazu sage ich: Das machen wir nicht mit, denn wir sind
nicht bereit, zu akzeptieren, dass Beamte und Angehörige
des öffentlichen Dienstes, die teilweise seit Jahrzehnten
Wahlhelfer sind, in der Öffentlichkeit so diskreditiert werden. Im Gegenteil, wir sagen ihnen herzlichen Dank.
({2})
Ich wiederhole: Dieser Gesetzentwurf trägt dazu bei,
die Gewinnung von Wahlhelfern zu erleichtern. Alle Bürger sind aufgerufen, sich als Wahlhelfer zur Verfügung zu
stellen. Auch die Parteien sind aufgefordert, Vorschläge
zu machen. Wenn es aber zu wenig Wahlhelfer gibt und
deshalb die Wahldurchführung unmöglich wird, muss es
die Ultima Ratio sein, Menschen zu verpflichten. Die
Durchführung einer Bundestagswahl hat Vorrang vor der
Freiwilligkeit bei der Verpflichtung eines Wahlhelfers.
Wir entsprechen mit dem Gesetzentwurf einem weiteren Wunsch der Gemeinden, nämlich dem Wunsch nach
der Errichtung einer Wahlhelferdatei. Hierzu gibt es
keine datenschutzrechtlichen Bedenken, weil jemand, der
Wahlhelfer ist und in die Datei aufgenommen wird, über
sein Widerspruchsrecht informiert wird. Für den Deutschen Städtetag sage ich ausdrücklich: Die Verwendung
des Plurals bei „Telefonnummern“ bedeutet, dass auch die
Telefonnummer des Arbeitgebers oder Dienstherrn gespeichert werden kann.
Weiterhin nehmen wir eine Anpassung des Wahlrechts an das Melderecht vor. Im Melderecht werden an
eine erweiterte Melderegisterauskunft relativ hohe Anforderungen gestellt. Das Wählerverzeichnis enthält ebenso
sensible Daten wie das Melderegister. Es liegt öffentlich
aus und jedermann kann Einsicht nehmen. Das ist mit
dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Bürgers nicht vereinbar.
({3})
Das heißt, in Zukunft werden wir eine Einsicht in das
Wählerverzeichnis nur zulassen, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit des Wählerverzeichnisses
genannt werden können.
Ich möchte noch zwei Punkte erwähnen, die das Verfahren der Kandidatenaufstellung betreffen. Bisher
konnten Delegierte von einer Delegiertenversammlung
23 Monate nach der Bundestagswahl gewählt werden. Die
Kandidatenaufstellung konnte erst 32 Monate danach erfolgen. Daraus ergab sich ein Abstand von neun Monaten.
Die Delegierten konnten zwei Jahre vor der nächsten
Wahl gewählt werden. Hier sehen wir die Gefahr, dass
Delegierte gewählt werden, die zum Zeitpunkt der Aufstellung der Kandidaten nicht mehr die politische Meinung der Parteibasis bzw. der Mitglieder widerspiegeln.
({4})
Deshalb verlängern wir diese Frist - vom Wahltermin aus
gerechnet verkürzen wir sie - auf 29 Monate, sodass Delegiertenwahl und Kandidatennominierung nur noch drei
Monate auseinanderliegen und insgesamt nur noch eineinhalb Jahre vor der nächsten Wahl stattfinden.
Zu dem Bereich der innerparteilichen Demokratie
- das, was ich gerade genannt habe, gehört auch zu dem
Komplex der innerparteilichen Demokratie -, der sich als
Verfassungsauftrag unmittelbar aus Art. 21 des Grundgesetzes ableiten lässt, gehört auch die neue Vorschrift des
§ 21 Abs. 3 des Bundeswahlgesetzes. Danach hat jeder
Teilnehmer an einer Nominierungskonferenz das Recht,
einen Kandidaten bzw. eine Kandidatin vorzuschlagen.
Der Kandidat - das bekommt er gesetzlich garantiert - hat
das Recht, sich in angemessener Zeit persönlich vorstellen und sein Programm darlegen zu können.
Meine Damen und Herren, es wäre reizvoll, der Frage
nachzugehen, ob man dies im Parteiengesetz als Frage der
inneren Ordnung der Parteien oder im Wahlrecht als Ausfluss des Wahlrechtes regeln müsste. Aber das Bundesverfassungsgericht hat es in einer unnachahmlichen Formulierung in seiner Entscheidung vom 20. Oktober 1993
wie folgt entschieden:
Die Aufstellung der Wahlkandidaten bildet die Nahtstelle zwischen den von den Parteien autonom zu gestaltenden Angelegenheiten ihrer inneren Ordnung
und dem auf die Wahlbürger bezogenen Wahlrecht.
Das Bundesverfassungsgericht stellt weiter fest, dass
die Wahl eines Kandidaten
die Einhaltung eines Kernbestandes an Verfahrensgrundsätzen verlangt, ohne den ein Kandidatenvorschlag schlechterdings nicht Grundlage eines demokratischen Wahlvorganges sein kann. Halten also die
Parteien diese elementaren Regeln nicht ein, so begründet dies die Gefahr der Verfälschung des demokratischen Charakters der Wahl bereits in ihren
Grundlagen.
Meine Damen und Herren, es ist kein Ruhmesblatt für
die Parteien, dass wir gesetzlich regeln müssen, dass Delegierte oder Mitglieder einer Partei einen Kandidaten
vorschlagen können und dass dem Kandidaten das Recht
gegeben wird, sich und sein Programm in einer ausreichenden und angemessenen Zeit vorstellen zu können.
Aber Sie kennen ja die Vorfälle aus den Jahren 1990 und
1991 in Hamburg. Ich glaube, es ist notwendig und richtig, dass wir manchmal auch solche Selbstverständlichkeiten regeln.
({5})
Die Neuregelung der Wahlkostenerstattung blieb
bis zum Schluss kontrovers. In unserem Gesetzentwurf
sind die Abschaffung der Gemeindegrößenklassen, die
Spitzabrechnung von Kosten, die man exakt erfassen
kann, und eine pauschalierte Zuweisung an die Länder zur
Weitergabe an die Gemeinden vorgesehen.
Die CDU-Fraktion wollte eine generelle Spitzabrechnung. Herr Marschewski, wir stimmen dem nicht zu, weil
dies einen riesigen Verwaltungsaufwand bedeuten würde.
Außerdem sind die entsprechenden Kosten nicht bis auf
den letzten Pfennig spitz abzurechnen. Der Deutsche
Städtetag tritt für eine Beibehaltung der Gemeindegrößenklassen ein. Darüber hätte man zwar sprechen können, aber wir wissen, dass der Bundesrat einer solchen
Regelung nicht zugestimmt hätte. Daran wollten wir diese
Novellierung nicht scheitern lassen. Das heißt, das jetzige
Kombinationsmodell entspricht den Bedürfnissen der
kommunalen Praxis.
Wir wissen auch, dass die Wahlkosten in Großstädten
höher sind als in kleinen Gemeinden. Die Länder haben
aber die Möglichkeit, im Rahmen der Verteilung der ihnen pauschal für die Gemeinden zugewiesenen Gelder einen Schlüssel aufzustellen, der diejenigen Städte und Gemeinden, die höhere Wahlkosten aufweisen, entsprechend
berücksichtigt. Damit ist auch das Petitum des Deutschen
Städtetages erfüllt.
Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Vielen Dank.
({6})
Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Erwin Marschewski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eigentlich guter Brauch in diesem Hause, Fragen des Wahlrechts gemeinsam zu regeln. Deswegen bin
ich, meine Kolleginnen und Kollegen aus der Regierungskoalition, ein wenig darüber enttäuscht, dass Sie von
dieser eigentlich selbstverständlichen und guten Tradition
abgewichen sind.
Was hat Sie gehindert, in eine ergebnisoffene Beratung
mit uns einzutreten? Dabei haben Sie schon selbst fast den
Überblick über Ihren eigenen Gesetzentwurf verloren. Sie
mussten ihn mit einem eigenen Antrag ein wenig nachbessern. Daher wiederum die herzliche Bitte an Sie: Kehren Sie bei den wichtigen Fragen des Wahlrechts zum
Konsens zurück. Sie haben die Chance, dies bei der Neuordnung der Wahlkreise zu tun. Ich hoffe, dass wir im
Sinne aller Kolleginnen und Kollegen gemeinsam zu einer vernünftigen Gesamtlösung kommen werden.
Doch nun, Herr Kollege, komme ich zu den einzelnen
Punkten. Der Wahlzettel ist für uns kein Antrag, den
man einem Behördenvertreter zur Abwicklung übergibt.
Meine Kollegin Marie-Luise Dött hat völlig Recht, wenn
sie dies so formuliert. Man übergibt das nicht einfach dem
Staat.
Richtig ist, dass wir immer mehr Schwierigkeiten haben, Wahlhelfer zu gewinnen. Für eine Bundestagswahl - auch das sollte man einmal hier erwähnen braucht man sage und schreibe rund 600 000 Wahlhelfer.
Ich nehme gern die Gelegenheit wahr, den Damen und
Herren, die die langen Stunden in den Wahllokalen verbringen, hierfür ein ganz herzliches Dankeschön zu sagen.
({0})
Es wäre natürlich sinnvoll, dieses Wahlhilfeengagement durch Förderung des Ehrenamtes zu unterstützen.
Sie tun dies aber bedauerlicherweise nicht. Statt Bürger zu
motivieren, Herr Friese, wollen Sie Beamte rekrutieren.
Ein Kollege hat vorhin zu mir gesagt: Warum nehmen wir
dann nicht gleich die Bundeswehr? Nein, das wollen wir
nicht. Wahlen sind Angelegenheiten des gesamten Volkes.
Die Wahlhelfertätigkeit gehört nicht nur in den Bereich
des öffentlichen Dienstes.
Ein Weiteres: Auch bei der Regelung der Kostenerstattung meine ich, dass Sie nicht ganz konsequent sind.
Ich begrüße es, dass Sie auf der einen Seite eine spitze Abrechnung durchführen. Das ist richtig. Auf der anderen
Seite pauschalieren Sie jedoch wieder und machen zwischen den großen und den kleinen Gemeinden keinen Unterschied, obwohl das Bundesverfassungsgericht gerade
dies ausdrücklich gefordert hat.
Wenn Sie sagen, die Länder haben jetzt die Möglichkeit, den Kommunen Erstattungsgelder zu gewähren,
dann antworte ich Ihnen darauf: Ich kenne mein Land
Nordrhein-Westfalen. Ich warte darauf, dass der MinisHarald Friese
terpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr
Clement, meiner Gemeinde, der Stadt Recklinghausen,
entsprechende Auslagen ersetzen wird. Ich glaube nicht,
dass dies geschehen wird. Das bedeutet doch wiederum:
Bundespolitik geht letzten Endes - auch Sie wissen das zulasten der Gemeinden.
Ansonsten regelt Ihr Gesetzentwurf Selbstverständlichkeiten. Ich teile voll und ganz Ihre Auffassung, dass
die Vertreterversammlungen näher an die Bundestagswahl heranrücken sollten. Wir brauchen selbstverständlich aktuelle Kandidaten. Wir brauchen eine aktuelle Diskussion des Programms. Es ist gut, dass dies so geregelt
wird, wie wir es durch einen Gesetzentwurf schon vor vier
Jahren geregelt haben.
Auch die Erhöhung der Zahl der Beisitzer auf sieben ist
eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie die Idee, dadurch
den Schichtbetrieb zu ermöglichen. Auch der Vorschlag
- das steht ebenfalls im Gesetz -, die Wahlumschläge bei
der Urnenwahl abzuschaffen, ist grandios. Sie sehen, das
ist wirklich ein weltbewegender Vorschlag dieser Regierungskoalition. Aber auch das muss geregelt werden. Das
ist wahr.
Ich stimme Ihnen bei dem Vorschlag zu, das Recht,
dass Mitglieder in der Vertreterversammlung Wahlvorschläge machen können, ausdrücklich aufzunehmen. Das
stand bisher nicht im Gesetz. Es sollte ebenfalls klar sein,
dass sie sich und ihr Programm vorstellen können.
Ich habe bereits zu Beginn und auch im Innenausschuss das Verfahren ein wenig kritisiert. Wir haben - das
haben Sie erwähnt, Herr Friese - durch zwei Anträge versucht, diese, so meinen wir, Fehler Ihres Entwurfs zu
korrigieren. Noch lieber hätten wir über diese Dinge
vorab im Konsens diskutiert. Wir hätten dann zum Beispiel vorgeschlagen, die Wahlteilnahme von über 500 000
im Ausland lebenden Deutschen zu erleichtern. Es gehen
sehr wenig Deutsche, die im Ausland wohnen, zur Wahl.
({1})
Das liegt zum einen daran, dass Botschaften nicht immer
hilfreich sind. Wir wissen dies durch Auslandsbesuche.
Das ist so. Zum anderen ist auch das Verfahren außergewöhnlich kompliziert. Ich glaube, darüber sollten wir uns
einmal unter fachkundigen Kollegen unterhalten.
Auch einen zweiten Punkt hätten wir gerne vorgeschlagen. Ich meine, dass es nun endlich Zeit ist, die Bundestagswahlperiode auf fünf Jahre zu verlängern.
Es ist doch die Praxis: Kaum sind wir gewählt, bereiten
wir uns schon wieder auf den nächsten Bundestagswahlkampf vor. Wir haben zu wenig Zeit - aufgrund von
Wahlkreisänderungen und was weiß ich nicht alles -, uns
auf effektive und sachorientierte Arbeit zu stürzen; dafür
bleibt zu wenig Zeit.
({2})
Wie gesagt: Das alles macht nur Sinn, wenn wir es
nicht im Alleingang, sondern im Gespräch behandeln.
Hierzu bieten wir selbstverständlich unsere Mitarbeit an.
Meine Damen und Herren der SPD, wir kritisieren zwar
die Form und müssen auch zwei Ihrer Vorschläge ablehnen, aber wir machen ein Angebot zur Zusammenarbeit:
Wir stimmen diesem Gesetzentwurf insgesamt zu.
Herzlichen Dank.
({3})
Für das Bündnis 90/Die
Grünen erteile ich dem Kollegen Cem Özdemir das Wort.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema eignet sich wahrlich nicht zum Streit der Parteien und der
Fraktionen. Ich begrüße es, dass die Union dem Entwurf
der Bundesregierung zustimmen möchte. Ich will die Anregung, die Kollege Marschewski auch im Innenausschuss gegeben hat, über dieses Thema künftig gemeinsam mit den Fraktionen zu sprechen, gerne aufgreifen und
Ihnen zusagen, dass wir das machen. Das sollte man wirklich tun.
Ich will aber eines noch einmal sagen - Herr
Marschewski, Sie haben die Wahlkreisneueinteilungen
angesprochen -: Ich erinnere mich noch sehr präzise daran, dass die Wahlkreisneueinteilungen mit Mehrheit von
der alten Koalition gegen die Opposition verabschiedet
wurden. Es gibt einige Willkürentscheidungen - Sie wissen das -, mit denen wir uns demnächst beschäftigen werden. Sie sollten also den Anspruch, den Sie an uns gerichtet haben, auch selber erfüllen, damit Sie glaubwürdig
sind.
Was die Frage der Verlängerung der Legislaturperiode angeht: - Auch darüber kann man sicherlich reden.
Ich weiß, dass es dazu in Ihrer Fraktion unterschiedliche
Positionen gibt. Ich finde den Vorschlag dann erwägenswert, wenn man ihn mit der Stärkung von Elementen der
direkten Demokratie verbindet. Denn wir dürfen auf der
einen Seite den Abstand zu den Wahlen nicht noch mehr
vergrößern und geben den Bürgerinnen und Bürgern auf
der anderen Seite nicht die Möglichkeit, auch zwischen
den Wahlen mitzuentscheiden. Deshalb sagen wir Ja zu
fünf Jahren Legislaturperiode, wenn wir auf der anderen
Seite in unsere Gesellschaft Elemente der direkten Demokratie einführen.
({0})
Ich möchte zum Gesetz kommen. Das Gesetz - das hat
Kollege Friese beschrieben - regelt die Harmonisierung
des Wahlrechts mit dem Melderecht und andere wichtige praktische Probleme bei der Durchführung von Bundestags- und Europawahlen. Bedeutsam ist - darauf
wurde bereits hingewiesen - die Abschaffung der öffentlichen Auslegung von Wählerverzeichnissen, § 17 des
Bundeswahlgesetzes. Das ist auch für alle Datenschützer
in unserem Land ein wichtiger Fortschritt.
Die Einsicht in die Akten soll künftig nur noch unter
bestimmten Voraussetzungen erfolgen. Ich finde das notwendig, weil bisher sogar das Geburtsdatum von jedem
Mann und jeder Frau einsehbar war; es war praktisch
gleichbedeutend mit einem Auszug aus dem Melderegister.
Erwin Marschewski ({1})
Die bisherige Rechtslage hat dazu geführt, dass die Daten gefährdeter Personen offen lagen. Die bisher bestehende Regelung, im Melderecht für gefährdete Personen
einen Sperrvermerk vorzusehen, lief bisher ins Leere. Die
notwendige Schutzwirkung wurde durch die offen gelegten Wählerverzeichnisse unterlaufen.
Einen weiteren wichtigen Punkt regelt der neue § 21
Bundeswahlgesetz. Jeder stimmberechtigte Teilnehmer
einer Parteivertreterversammlung kann bei der Kandidatenaufstellung Wahlvorschläge unterbreiten. Das gab es
bisher nicht; Sie haben alle darauf hingewiesen. Für uns
demokratische Parteien ist das eine Selbstverständlichkeit, aber leider, wie wir auch erfahren haben, nicht für
alle Parteien.
Genauso neu ist der Anspruch jedes Kandidaten, sich
und sein Programm der Versammlung vorzustellen. Als
ich das im Gesetzentwurf gelesen habe, musste ich erst
einmal schmunzeln, um mir erklären zu lassen, dass auch
dieses - eigentlich eine verfassungsmäßig selbstverständliche Angelegenheit - nicht für alle selbstverständlich
war. Bei Bündnis 90/ Die Grünen, in meiner Partei, und
sicherlich auch in den anderen Parteien ist dieses selbstverständlich. Es ist gut, dass es jetzt vorgeschrieben wird.
Die Gemeindebehörden sind künftig berechtigt, personenbezogene Daten zum Zwecke der Gewinnung von
Wahlvorständen zu erheben. Als eine Partei, die sich
dem Datenschutz verpflichtet weiß, haben wir auch dieses mit den Datenschützern sorgfältig geprüft. Wir sind zu
dem Ergebnis gekommen, dass man mit dieser Regelung
nicht nur gut leben kann, sondern dass sie auch sinnvoll
ist. Es hat keinen Zweck, Gesetze zu machen, die vor Ort
schlicht nicht praktikabel sind. Die Speicherung von Anschriften und Telefonnummern der Wahlvorstände entspricht einer dringenden Bitte des Deutschen Städtetages.
Dieser Bitte sind wir selbstverständlich nachgekommen;
denn die Kommunen haben Schwierigkeiten, die Wahlvorstände kurzfristig aufzutreiben.
Ich möchte zum Schluss den Appell, den Kollege
Marschewski und auch Kollege Friese bereits gemacht
haben, auch noch einmal von meiner Fraktion aus wiederholen: Wir sollten den Bürgerinnen und Bürgern, die in
die Wahlvorstände gehen, herzlich dafür danken, dass sie
dieses machen. Sie machen das ohne viel Aufhebens seit
Jahr und Tag. Wir kennen alle die vertrauten Gesichter,
wenn wir in die Wahllokale gehen; meistens sehen wir
dort dieselben Menschen wieder, die mit einem freundlichen Lächeln ihrer demokratischen Pflicht nachgehen. All
diesen Bürgerinnen und Bürgern gebührt unser herzlicher
Dank. Im möchte bei dieser Gelegenheit aber auch an andere appellieren, sich zu dieser Aufgabe bereit zu erklären. - Das macht es auch für die Kommunen einfacher,
Wahlen zu organisieren.
Ich empfehle daher namens meiner Fraktion die Annahme dieses Gesetzentwurfes.
({2})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Dr. Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem Schock, den
der CDU-Spendenskandal ausgelöst hat, hat im Frühjahr
dieses Jahres eine Diskussion über die Krise des Parteienstaates eingesetzt, und nahezu alle Parteien haben
versucht, neue Antworten auf die Frage, wie denn die
Mitbestimmungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten
der Bürgerinnen und Bürger in unserer Demokratie entscheidend verbessert werden können, zu formulieren.
Wenn man vor dem Hintergrund dieser öffentlichen
Debatte heute jemanden, der politisch interessiert ist, aber
den Inhalt dieses Gesetzentwurfs nicht zur Kenntnis genommen hat, fragen würde, worüber denn der Deutsche
Bundestag vermutlich diskutieren würde, wenn eine Änderung des Wahlrechts anstünde, käme wohl niemand auf
die Idee zu antworten, es gehe um die Abschaffung des
Umschlags für den Wahlschein, Auslegungsfristen, das
Recht eines Kandidaten, sich mit seinem Programm seinen Parteifreunden vorstellen zu können, und Ähnliches.
Ich muss schon sagen: Das, was Sie hier vorlegen, ist
reine Technik. Dagegen ist ja nichts zu sagen, die meisten
Vorschläge sind durchaus sinnvoll, lohnen aber keine
nähere Auseinandersetzung hier im Plenum. Trotz all der
Mühe und Akribie, die die verehrten Vorredner aufgewandt haben, gelingt es einfach nicht, diesem Gesetz irgendeine Bedeutungsschwere zu verleihen.
Die eigentlichen Probleme des Wahlrechts gehen Sie
nämlich nicht an. Als ein solches sehe ich zum Beispiel
die Frage, wie wir auf die Erkenntnisse der jüngsten
Shell-Studie, die einen drastischen Rückgang des Interesses junger Menschen an der Politik dokumentiert, wie wir
auf die Erkenntnisse einer Emnid-Umfrage, wonach nur
noch 30 Prozent der Bevölkerung großes Vertrauen in die
Demokratie haben, und wie wir auf den Umstand antworten sollten, dass das, was an Vertrauensverlust besteht,
eben nicht nur in einem Untersuchungsausschuss über
Parteispenden aufgearbeitet werden kann, sondern auch
Antworten erfordert, die mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger vorsehen.
Das beginnt mit halboffenen Listen, bei denen - ähnlich dem Wahlrecht für manche Landtage - es möglich ist,
nicht nur eine Partei, sondern auch eine Person direkt zu
wählen und somit mehr Einfluss auf die personelle Besetzung zum Beispiel des Bundestages zu nehmen. Eine
solche Regelung gibt es im Bundeswahlrecht nicht. Das
bedeutet, dass man über die Einführung von Elementen
direkter Demokratie, über die Ausdehnung von Bürgerbefragungen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheidungen,
nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Bundesebene
nicht nur diskutieren dürfte, sondern auch Entscheidungen fällen müsste, so wie das die F.D.P. auf ihrem Nürnberger Parteitag im Mai beschlossen hat.
({0})
Zu all dem hören wir von der Koalition nichts und das
ist auch verständlich. Sie legen uns ein Bürokratengesetz
zur Abstimmung vor, da Sie sich in der Koalition leider
wieder einmal nicht einig sind.
({1})
Die Grünen haben sich als Ankündigungsspezialisten erwiesen, die es immerhin geschafft haben, in die Koalitionsvereinbarung folgenden Satz hineinzubringen:
Wir wollen die demokratischen Beteiligungsrechte
der Bürgerinnen und Bürger stärken. Dazu wollen
wir auch auf Bundesebene Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid durch Änderung des
Grundgesetzes einführen.
Das Ergebnis ist gleich null.
Lieber Kollege Özdemir, nur meine ablaufende Redezeit hindert mich daran, aus meinem Archiv vorzulesen,
was von Ihnen zu diesem Thema noch alles gefordert worden ist, aber nicht verwirklicht wird.
({2})
Stattdessen muss ich die letzten Sekunden meiner Rede
auf die Union verwenden, denn auch dort stellen wir Uneinigkeit fest. Während neuerdings Erwin Huber, Staatsminister in München und Leiter der Staatskanzlei, sehr
wohl für den Volksentscheid auf Bundesebene eintritt, ist
die CDU noch lange nicht so weit, obwohl doch gerade
die CDU durch ihr Verhalten dazu beigetragen hat, dass
diese Diskussion ausgelöst worden ist und diese Antworten bezüglich mehr Bürgerbeteiligung jetzt gegeben werden müssten. Daher wäre es wünschenswert, wenn in der
CDU ein Umdenken stattfände. Wir brauchen für eine
Verfassungsänderung nämlich eine Zweidrittelmehrheit.
Dem, was Sie heute vorgelegt haben, stimmen wir zu.
Es nützt zwar nicht viel. Es verdirbt aber auch nichts. Allerdings bleiben Sie die Antwort auf die wirklichen Fragen noch schuldig.
({3})
Jetzt spricht die Kollegin Petra Pau für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine wahrhaft historische
Stunde: Wir schaffen den Wahlumschlag ab. Das ist ein
ökologisches Reformprojekt, aber auch ein gesundheitspolitisches. Denken wir nur an die arbeitsschutzrelevanten Aspekte sowohl für Wählerinnen und Wähler als auch
für diejenigen, die diese Umschläge öffnen und die Wahlzettel unversehrt herausholen müssen.
({0})
Dann ist da auch noch die demokratische Selbstverständlichkeit - die Kollegen haben schon darauf hingewiesen -, dass Kandidatinnen und Kandidaten, bevor sie
es denn werden, möglichst noch sagen, wer sie sind und
wie sie ihr Mandat nutzen wollen.
Aber im Ernst. Ich hatte, nachdem sich die Koalition
für dieses Gesetz so viel Zeit genommen hat, wirklich gehofft, dass sie ihre Ankündigung vom 9. September 1999,
als sie über die Vorschläge der PDS zum Wahlgesetz mit
uns debattiert und abgestimmt hat, wahr macht und sich
nochmals mit der Herabsetzung des Wahlalters beschäftigt, dass wir in diesem Zusammenhang vielleicht auch
über die längst fällige Reform des Wahlrechts für Ausländer und Ausländerinnen reden, dass wir Elemente der
Volksgesetzgebung ernsthaft debattieren und in das Gesetz aufnehmen oder aber die Beispiele, die der Kollege
Stadler eben genannt hat, mit den halboffenen Listen, also
die Möglichkeit, zu panaschieren und zu kumulieren,
ernsthaft prüfen und in das Wahlgesetz aufnehmen.
Nichts von alledem ist passiert. Sie haben versucht, den
Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Nun kann man
sich - wie die Kollegen vor mir schon betonten - all diesen Dingen nicht verschließen. Ich möchte dem Staatssekretär mitteilen, dass ich, seinem Hinweis aus der Ausschusssitzung folgend, noch einmal die Fristen zur Einberufung der Versammlung der Vertreter und Vertreterinnen und zur Bestimmung der Delegierten geprüft habe. Es
ist richtig; Sie haben dieses geheilt. Ich werde meiner
Fraktion deshalb empfehlen, diesen Gesetzentwurf nicht
abzulehnen, sondern sich der Stimme zu enthalten
({1})
eine neue Variante, Herr Kollege Marschewski -; denn
das Problem ist zwar in diesem Gesetz geheilt. Aber ich
sage voraus: Spätestens dann, wenn wir uns mit dem
Wahlkreisgesetz beschäftigen, werden wir wieder vor
dieser Frage stehen. Mir ist noch unklar, wie dieses Problem für die Wahl des 15. Deutschen Bundestages gelöst
werden soll, ohne in die Rechte von Mitgliedern der Parteien, aber auch in die Rechte von Kandidatinnen und
Kandidaten einzugreifen. Da Sie das nicht aufklären
konnten, machen wir auf diese Art und Weise darauf aufmerksam, dass hier noch ein Widerspruch besteht.
Danke schön.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeswahlgesetzes, Drucksachen 14/3764 und 14/4265. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS und
Zustimmung der übrigen Fraktionen des Deutschen Bundestages ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung der
PDS und Zustimmung der übrigen Fraktionen ist der Gesetzentwurf angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula
Lötzer, Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Gesetzliche Mitspracherechte bei Unternehmensübernahmen
- Drucksache 14/3394 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat die Kollegin
Ulla Lötzer, PDS-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur sieben Monate nach der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone haben sich
die schlimmsten Befürchtungen, die IG Metall, Beschäftigte und auch wir damals geäußert haben, bewahrheitet.
In Rekordzeit wird der Konzern mit 131 000 Beschäftigten zerschlagen. Alles wird verkauft. Schließlich muss das
Geld für die Übernahme - das war eine Riesensumme irgendwie zusammengebracht werden.
Keines der Versprechen, die Chris Gent damals gegenüber den Beschäftigten und der Gewerkschaft gemacht
hatte, ist bisher eingehalten worden. Diese Erfahrungen
machen deutlich, was es wert ist, wenn das Recht von
Beschäftigten in solchen Prozessen darauf beschränkt ist,
Versprechen zu glauben. In verschiedenen Debatten wurde uns vorgeworfen, Ängste vor Fusionen zu schüren. Erfahrungen wie diese im Zusammenhang mit Mannesmann/Vodafone schüren Ängste.
Die Ängste der Menschen sind real, weil viele ihre Zukunftsperspektive verlieren. Wir gehen mit unserem Antrag gegen diese Ängste an. Um zukünftig keine Ängste
mehr haben zu müssen, brauchen Beschäftigte Rechte, die
ihnen helfen, solche Prozesse zu gestalten und ihre Zukunftsperspektiven aktiv zu sichern, und die dazu beitragen, dass sie - das vertritt auch die Bundesregierung ständig - in solchen Prozessen nicht untergehen. Das steht im
Mittelpunkt unseres Antrags, nicht etwa das Schlagen von
alten Schlachten oder Strukturkonservatismus. Im Gegenteil: In unserem Antrag entwickeln wir eine Vorwärtsstrategie, mit der sich die soziale Demokratie, die sich im
Strukturwandel befindet, erneuern lässt. Wenn Sie das als
Schlagen von alten Schlachten verstehen, dann erklären
Sie die Auseinandersetzung um die Erneuerung der sozialen Demokratie zu einer alten Schlacht und damit auch soziale Demokratie selbst zu einem Auslaufmodell. Der
Meinung sind wir allerdings nicht.
Auch die Bundesregierung hat sich mehrfach in Reden
und mit der Bildung einer Kommission, die ein Übernahmegesetz erarbeiten soll, zur Verbesserung der Mitbestimmung von Beschäftigten bekannt. Im Entwurf des
Finanzministeriums ist davon leider nicht viel übrig geblieben. Mehr als eine Pflicht zur Unterrichtung über die
Folgen einer Übernahme und ihre Auswirkungen ist nicht
vorgesehen. Ich frage Sie daher: Welche Rechte haben die
Beschäftigten denn, wenn sie unterrichtet sind? Chris
Gent hat die Beschäftigten unterrichtet, zum Beispiel darüber, dass Atec an die Börse geht. Keine drei Monate später waren die Atec-Maschinenbau- und Atec-Autozuliefertöchter verkauft.
Mitbestimmung bedeutet Mitentscheidung. Sie kann
nicht bei Unterrichtung stehen bleiben, wie Sie das in
Ihrem Entwurf tun. Deshalb fordern wir Sie auf, Ihren
Entwurf eines Übernahmegesetzes um die Verpflichtung
zu einem Fusionstarifvertrag und ein Vetorecht von Beschäftigten, Gewerkschaftsvertretern und Betriebsräten
zu ergänzen.
Im neuesten Weltinvestitionsbericht stellt die
UNCTAD fest: Die Erfahrungen, die bei der Übernahme
von Mannesmann durch Vodafone gemacht worden sind,
sind kein Einzelfall. Fusionen und Übernahmen sind in
der Regel mit Beschäftigungsverlusten verbunden. Sie
machen inzwischen 83 Prozent der Direktinvestitionen
aus. Die UNCTAD setzt sich im Gegensatz zur Bundesregierung sehr kritisch mit diesem Strukturwandel auseinander, und zwar kritisch in Bezug auf die zunehmende
Konzentration und Macht der Global Player, kritisch auch
deshalb, weil die Entwicklungsländer dadurch noch stärker zurückfallen. Ihr Anteil an den Direktinvestitionen ist
von 38 Prozent auf 24 Prozent gesunken. Selbst in den
Entwicklungsländern überwiegt inzwischen die Anzahl
der Übernahmen, durch die keine neuen Fertigungskapazitäten und Arbeitsplätze entstehen. Der Generalsekretär
der UNCTAD fordert internationale Regeln. Wir können
uns dem nur nachdrücklich anschließen. Wir fordern Sie
deshalb in unserem Antrag - das ist ein erster Schritt auch auf, Vorschläge für eine internationale Fusionskontrolle vorzulegen.
Vielen Dank.
({0})
Nun hat das Wort die
Kollegin Nina Hauer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich das Verdienst Ihres
Antrages, dass er zwei Anliegen anspricht, die die Öffentlichkeit bewegen, wenn es um die Diskussion der Regelung für Übernahmen und Fusionen in Deutschland geht.
Das Erste sind die Interessen der Beschäftigten, und das
Zweite ist die Idee, Übernahmen und Fusionen gesetzlich
zu regeln. Ich finde, dass ihr Antrag zu sehr auf der Ebene
der Vorurteile agiert und widersprüchlich verfasst ist.
Mein Eindruck ist, dass Sie den Leuten ideologisch motiviert eher Angst machen wollen, als dass Sie einen konstruktiven Beitrag zur derzeitigen Debatte über die Regelung der Übernahmerichtlinie in Deutschland leisten.
({0})
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Die SPD-Fraktion unterstützt den von der Bundesregierung eingeschlagenen Weg, um mit der europäischen
Richtlinie eine Gesetzgebung auf den Weg zu bringen, die
verbindlich regelt, was bei Übernahmen zu geschehen
hat.
Dass es unumgänglich ist, dass Unternehmen miteinander fusionieren und dass börsennotierte Unternehmen
übernommen werden, können Sie nicht mehr in Abrede
stellen. Für ein tragfähiges Gesetz brauchen wir allerdings
eine breitere Debatte. Wir lehnen Ihren Antrag heute ab,
weil wir glauben, dass wir in Deutschland Zeit für diese
Debatte benötigen. Wir müssen diese Diskussion nicht
nur auf politischer Ebene im Bundestag führen, wir müssen diese Diskussion mit Experten führen und wir müssen
die Diskussion mit denjenigen führen, die Erfahrungen im
Bereich der Übernahme haben.
({1})
Uns liegt besonders daran, dass bei der neuen Richtlinie vor allem die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt werden. Deshalb begrüßen wir, dass dieser Ansatz
im Entwurf vorliegt. Hier ist vorgesehen, dass es eine Informationspflicht gegenüber den Arbeitnehmern gibt und
dass es eine Pflicht zur Veröffentlichung der Angebotsunterlage gibt, die nicht nur allgemein verständlich, sondern
in deutscher Sprache den Arbeitnehmern, aber auch den
Anlegern zugänglich sein soll. Das Zielunternehmen
muss in seiner eigenen Stellungnahme auch den Standpunkt der Arbeitnehmervertretung darlegen. Im Übernahmerat, der für die Übernahmerichtlinie zuständig sein
wird, sollen auch die Arbeitnehmer und die Kleinanleger
vertreten sein.
({2})
Wir denken, dass das nicht das Einzige ist, was die Beschäftigteninteressen sichert. Mich ärgert es, dass Sie so
tun, als ob Übernahmen immer zwangsläufig zum Nachteil für die Beschäftigten sind. Sie vergessen, dass es Unternehmen gibt, die von Übernahmen betroffen sind, weil
sie hinter ihren Möglichkeiten wirtschaften. Sie arbeiten
zum Nachteil ihrer Arbeitnehmer, aber auch zum Nachteil
der Beschäftigungsentwicklung in diesen Unternehmen
und der gesamten Branche insgesamt. Übernahmen enden
nicht damit, dass Unternehmen, die übernommen werden,
also die ehemaligen Konkurrenten, zerschlagen werden.
Übernahmen verhindern oft das Sterben eines Konkurrenten oder verhindern, dass der Konkurrent auch aus anderen Gründen am Wettbewerb nicht mehr teilnehmen
kann. All das kostet Arbeitsplätze.
({3})
In den USA gab es in den 80er-Jahren eine Welle der
Umstrukturierung. Diese Welle ist langsam abgeebbt.
Jetzt gibt es wesentlich weniger Übernahmen innerhalb
der Vereinigten Staaten. In Europa hat diese Welle Anfang
der 90er-Jahre begonnen. Mit Mannesmann/Vodafone
gab es Ende der 90er-Jahre den spektakulärsten Fall und
den ersten Fall, der in der Öffentlichkeit breit diskutiert
wurde.
In Ihrem Antrag nennen Sie bestimmte Branchen, die
für Unternehmensübernahmen besonders anfällig sind.
Bei der Aufzählung dieser Branchen gebe ich Ihnen völlig Recht. Ich will Ihnen an zwei Beispielen demonstrieren, dass es sich bei Übernahmen oft um Umstrukturierungsprozesse handelt, die für Unternehmen dringend
notwendig sind, um konkurrenzfähig zu bleiben und um
entstehende Märkte auszuschöpfen.
Das erste Beispiel stammt aus der Luft- und Raumfahrttechnik. Dies ist ein Bereich, in dem die Entwicklungszeiten besonders lang und die Entwicklungskosten
besonders hoch sind. Hier ist es sinnvoll, dass Nationalstaaten die Entwicklung nicht mit einem kleinen Budget
bestreiten. Es ist sinnvoll, international zu kooperieren.
Das ist für den Transfer des technischen Know-how unumgänglich. Die internationale Kooperation steigert auch
die Zahl der Übernahmen in dieser Branche.
Das zweite Beispiel stammt aus dem Bereich Telekommunikation und Energie. Wir diskutieren hier - in
der Vergangenheit ist schon vieles entschieden worden die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes und
des Energiemarktes. Die Verbraucher finden die sinkenden Preise positiv. Es hat viele neue Arbeitsplätze in diesem Bereich gegeben, weil sich große Monopolmarktbeherrscher mit vielen Konkurrenten auseinander setzen
müssen.
Fusionen sind eine Reaktion auf diese Marktliberalisierung und auf wachsenden Konkurrenzdruck. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Fusionen stattfinden können
und auch nach bestimmten Regeln stattfinden. Wir dürfen
sie nicht verhindern, denn dann würden wir positive Entwicklungen im liberalisierten Markt behindern und damit
letztendlich auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze gefährden.
Natürlich sind Übernahmen auch darauf gerichtet, eine
Marktdominanz zu erreichen und den Markt zu beherrschen. Das steht außer Frage. Die Europäische Union
führt eine strenge Kartellkontrolle durch, die viele Übernahmekandidaten, übrigens auch die Mannesmann AG,
dazu zwingt, sich nach einer Fusion von bestimmten Bereichen zu trennen, und zwar nicht nur deswegen, weil sie
ökonomisch nicht mehr zum Kerngeschäft gehören, sondern auch deshalb, weil es kartellrechtlich nicht zu verantworten wäre, wenn sie in der Hand eines einzigen Unternehmens verblieben. Auch das führt dazu, dass sich
neue Bereiche entwickeln und dass Arbeitsplätze geschaffen werden. Es führt übrigens auch dazu, dass der
Markt nicht einseitig dominiert werden kann. Ich gebe Ihnen völlig Recht, dass es da Probleme gibt. Das ist ja auch
der Grund, warum die nationalen Kartellbehörden und die
Kartellaufsicht der Europäischen Union immens wichtig
sind.
Dass es für Unternehmen nötig und wichtig ist, sich
von Bereichen zu trennen, hat natürlich auch steuerliche
Gründe. Das von uns im Rahmen der Steuerreform eingeführte, von Ihnen aber angegriffene Halbeinkünfteverfahren verfolgt auch den Zweck, es den Unternehmen zu
ermöglichen, sich von Beteiligungen zu trennen und
Rückstellungen aufzudecken, sodass diese kleinen Unternehmungen, um die es sich ja in der Regel handelt, nicht
sterben müssen. Dies ist gerade für die Beschäftigten
wichtig. Wenn es sich für ein Unternehmen nicht mehr
lohnt, einen kleinen Unternehmensteil zu behalten, kann
es ihn wegdrücken. Die Beschäftigten aber verlieren ihre
Arbeitsplätze. Wenn Konzerne sich leichter von kleinen
Beteiligungen trennen können, dann besteht auch die
Möglichkeit, dass diese Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Nicht nur in meinem Wahlkreis gibt es dafür eine Reihe
ganz beeindruckender Beispiele.
Sie beklagen diese mögliche Marktbeherrschung, verweigern sich allerdings jedem Ausweg. Mich erstaunt ehrlich gesagt schon ein bisschen, dass ausgerechnet die PDS
hier antritt, um die Eigentumsstruktur der alten „Deutschland AG“ aufrechtzuerhalten. Eine Untersuchung besagt,
dass von den 20 größten börsennotierten Unternehmen
der USA 3,2 Prozent Querverflechtungen und Querbesitz
haben, während es in Deutschland 20 Prozent sind. Um
genau diesem Tatbestand entgegenzutreten, brauchen wir
nicht nur eine geregelte Aufsicht über Übernahmen, sondern auch die Ergebnisse, die die Steuerreform in diesem
Bereich zeitigen wird.
Sie wollen - das ist auch Teil Ihres Antrags - das Barangebot mit aller Gewalt in die Übernahmerichtlinie hineinbringen. Wenn für jede Übernahme automatisch ein
Barangebot gemacht werden muss, dann wird die Old
Economy, die alten großen Industrien, an den Übernahmen beteiligt sein; die New Economy, die kleinen, wendigen Unternehmen, die neu am Markt antreten, wird hingegen keine Chance haben. Diese Unternehmen werden
nicht nur das Vermögen nicht aufbringen können, um ein
Barangebot zu leisten, sie werden realistischerweise
dafür auch kaum bei irgendeiner Bank einen Kredit bekommen.
Übrigens sind auch die Beschäftigten immer häufiger
Aktionäre, und zwar nicht nur als Fondssparer, wie es bei
vielen Familien in Deutschland mittlerweile der Fall ist,
sondern auch als private Kleinanleger oder sogar als Aktionäre des Unternehmens, in dem sie arbeiten. Amerikanische Pensionsfonds haben Klaus Esser bei der Diskussion um Vodafone und Mannesmann Tipps gegeben. Sie
kontrollieren Fondsvermögen, in denen sie für ihre Gewerkschaftsmitglieder Altersvorsorgemittel angelegt haben, und sitzen heute schon mit mehreren Prozent Beteiligung bei den Unternehmensübernahmen am Tisch.
Wir müssen in Deutschland die Voraussetzungen für
eine Aktienkultur schaffen, die auch den Gewerkschaften an die Hand gegeben werden kann - vielfach müssen
sie sich diese nur nehmen -, und zwar in der Weise, dass
die Mitbestimmung auch in diesem Bereich deutlich ausgebaut wird. Das hat für Übernahmekandidaten, aber
auch für Übernahmen, die dann zu regeln sind, eine große
Bedeutung.
Wenn ich über die Gewerkschaften und ihre Möglichkeiten des Aktienbesitzes rede, dann denke ich natürlich
immer auch an kleinere Anleger. An die ist im Diskussionsentwurf der Bundesregierung für die Übernahmerichtlinie ebenfalls gedacht worden. Anleger benötigen
nicht nur Information und Transparenz, sondern auch das
Recht, die Kursentwicklungen zunächst zu beobachten.
Innerhalb einer bestimmten Frist müssen auch sie widerrufen bzw. korrigieren dürfen. Spätestens seit der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone wissen wir,
dass kurzfristiges Handeln gewährleistet sein muss, weil
sich in kurzer Zeit eine Menge ändern kann.
Wir befinden uns in Deutschland am Beginn einer
neuen Aktienkultur, aber auch am Beginn eines Umstrukturierungsprozesses in unserer Wirtschaft. Wir wollen
diese Strukturveränderungen aktiv begleiten und gestalten, weil wir es für eine Aufgabe der Politik halten, unserer Wirtschaft dabei zur Seite zu stehen, weil es für uns
Sozialdemokraten aber auch eine wichtige Aufgabe ist,
den Beschäftigten in diesem Prozess beizustehen.
Unser Richtlinienentwurf enthält daher folgende
Punkte, auf die es uns besonders ankommt: Eine Übernahmerichtlinie muss gesetzlich verankert werden. Ein
freiwilliger Kodex mag für viele eine psychologische
Wirkung haben. Eine gesetzliche Regelung ist dadurch
nicht zu ersetzen. Wir wollen, dass bei 30 Prozent Inbesitznahme ein Pflichtangebot ausgelöst wird; 50 Prozent
wäre zu viel. Auf Hauptversammlungen anwesende Aktionäre, die 30 Prozent der Aktien halten, haben dort in der
Regel die Stimmenmehrheit.
Wir wollen Informationspflicht und Transparenz für
Beschäftigte und Aktionäre. Wir wollen ein klares, geordnetes und gesetzlich festgeschriebenes Verfahren, an dem
sich alle Beteiligten orientieren können. Wir wollen eine
wirksame Aufsicht im Übernahmerat durch Experten aus
der Wirtschaft und der Politik, aber natürlich auch durch
Vertreter der Arbeitnehmer und der Anleger. Außerdem
wollen wir für dieses Gesetz Sanktionsmöglichkeiten;
sonst macht eine gesetzliche Regelung keinen Sinn.
Wir sind optimistisch, dass wir eine gute Regelung finden werden. Wir sind auf diesen Prozess gespannt, der mit
dem Diskussionsentwurf der Bundesregierung jetzt losgetreten wird. Die SPD-Fraktion begleitet und gestaltet
diesen Prozess aktiv. Wir fordern alle anderen Parteien
auf, daran konstruktiv teilzunehmen.
Vielen Dank.
({4})
Der Kollege Dr. Kolb
gibt seine Rede zu Protokoll. Dasselbe gilt für die Kolle-
gin Margareta Wolf.1) Deswegen hat als Letzter in dieser
Debatte der Kollege Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Technik und Po-
litik verändern die Welt. Die Märkte wachsen zusammen
und die Unternehmen müssen darauf reagieren. Sie tun es
zum Teil durch eigenes Wachstum und durch Investitio-
nen in neue Märkte, zum Teil durch Übernahmen und Fu-
sionen. In einer sich so grundsätzlich verändernden Welt
finden diese Übernahmen und Fusionen immer häufiger
statt. Das alles ist ganz normal.
1) Anlage 3
Es ist auch nichts Besonderes, dass sich die Politik in
dieser Situation Gedanken darüber macht, wie sie den
Prozess von Fusionen und Übernahmen vernünftig begleiten kann und wie sie für diesen Prozess ein Regelwerk
schaffen kann, das Überbürokratisierung vermeidet, aber
gleichzeitig zielsicher ist und die Vorgänge planbar, nachvollziehbar und transparent macht. Deswegen begrüßen
wir ein Übernahmegesetz ausdrücklich. Das, was von den
Experten im Kanzleramt bisher erarbeitet worden ist, enthält eine Menge akzeptabler Punkte. Ich glaube, dass die
Debatte über dieses Gesetz ziemlich ideologiefrei ablaufen kann - bis auf den Antrag, den wir gerade beraten. Auf
ihn will ich aber gar nicht so intensiv eingehen.
Unsere Auffassungen liegen in dieser Angelegenheit
sehr nahe beieinander. Man könnte einmal einen Wettbewerb über die Frage veranstalten, wie wir zielgenauer das
erreichen, was wir gemeinsam wollen. Frau Kollegin, ich
habe in Ihrer Rede eigentlich keine grundsätzlichen Unterschiede erkennen können. Es gibt Nuancen, über die
man noch einmal sprechen kann. Man muss über die Fristen nachdenken.
Für uns ist zum Beispiel die Frage, ob sich das Unternehmen noch wehren können soll, die so genannte Neutralitätspflicht, sehr wichtig. Ich weiß, dass Vertreter
einer strengen Ordnungspolitik sagen, man dürfe ohne
Hauptversammlung überhaupt nichts tun. Ich halte das
nicht für sehr intelligent. Ich bin der Meinung, wir müssten den Unternehmen die Möglichkeit einräumen, dass
ihre Eigentümer durch Verankerung in der Satzung oder
in Form von Grundsatzbeschlüssen festlegen können: „Im
Falle einer feindlichen Übernahme sollen Vorstand und
Aufsichtsrat Folgendes tun dürfen: …“ Das wäre vielleicht praktikabler, als jedes Mal eine Hauptversammlung
abhalten zu müssen, die dann in kürzester Zeit mit viel
Theater, mit Möglichkeiten zur Manipulation und allem
Drum und Dran zusammengerufen werden muss. Vielleicht wäre das ein praktischerer Weg. Ich fände es gut,
wenn wir über solche Fragen miteinander reden würden,
eher im Stile eines Sachverständigengesprächs als eines
politischen Streitgesprächs.
Unseren Antrag zur heutigen Debatte haben wir deswegen zurückgezogen, weil der Termin, wie ich meine,
im Moment noch nicht günstig ist und es deshalb nicht
nötig ist, darüber zu diskutieren. In diesem Zusammenhang ist nämlich die Frage ganz wichtig, was Europa
macht. Wir haben klare Hinweise, dass die Europäer nun
endlich eine Übernahmerichtlinie veröffentlichen wollen. Deswegen ist es klug - Minister Eichel ist ja mittlerweile auch darauf eingegangen -, die Beratung des
Gesetzes in der Hoffnung zurückzustellen, dass der europäische Entwurf nun schnell kommt. Ich gehe einmal davon aus, dass er spätestens im ersten Quartal des neuen
Jahres vorliegt.
Wir sind klug beraten, unser Übernahmerecht in größtmöglicher Übereinstimmung mit dem europäischen
Übernahmerecht zu gestalten. Dieses Thema eignet sich
nur sehr begrenzt für nationale Alleingänge. Der PDS-Antrag verfolgt auf seiner ganzen Linie eigentlich nichts anderes als einen nationalen Alleingang. Schon deswegen ist
er untauglich. Übernahmen laufen wie kaum eine andere
wirtschaftliche Entwicklung auf internationaler Ebene ab,
in den wenigsten Fällen auf nationaler. Wir würden deswegen, wenn wir diesen Ansatz weiterverfolgen und permanent nationale Besonderheiten einbringen, einen fatalen Effekt hervorrufen: Damit würden wir erreichen, dass
Unternehmen, die so etwas vorhaben, Deutschland meiden und, wenn sie in Deutschland sind, Deutschland verlassen würden. Auf diese Weise würde eine Konzernvertreibungsstrategie verfolgt. Unternehmen, die wir in
Deutschland gerne als Kapitalinvestoren sähen, würden
unter diesen Bedingungen deutsche Unternehmen nicht
übernehmen, sondern auf anderen Wegen versuchen, den
deutschen Markt aufzurollen. Sie müssen nicht unbedingt
deutsche Unternehmen übernehmen, wenn sie den deutschen Markt aufrollen wollen.
Das wäre also eine insgesamt schädliche Entwicklung.
Ich kann der PDS nur dringend raten, solche Regeln,
wenn sie wirklich Arbeitsplätze schützen will, nicht zu
fordern. Ich glaube, mit einer solchen Politik würde man
in Deutschland Arbeitsplätze gefährden, zerstören oder
die Unternehmen zur Abwanderung bewegen. Davon unterscheidet sich das vernünftige Regelwerk, an dem wir
im Moment gemeinsam arbeiten.
Ich möchte noch ein paar Forderungen der CDU/CSU
nennen, mit denen wir ein vernünftiges Abwehrpotenzial
des Zielunternehmens sicherstellen wollen. Wir wollen
die Pflicht zu Bargeboten deutlich reduzieren. Vielleicht
müssen wir gerade über das Thema Bargebote, Frau Kollegin, noch einmal nachdenken. Ich habe den Sinn, der
darin liegen soll, eine frühe Schwelle für Barpflichtgebote
einzubauen, noch nicht erkannt. Es gibt nur einen wirklich
guten Grund, das zu tun, nämlich dann, wenn die Aktien
eines Unternehmens illiquide sind, weil es praktisch kaum
welche gibt. Hier ist die Gefahr der Manipulation des Aktienkurses und damit des Übernahmepreises riesengroß.
Wenn man sich darauf verständigen könnte, nur an dieser
Stelle Bargebote zur Pflicht zu machen und diese dann
über den Durchschnittspreis der letzten Zeit vernünftig zu
ermitteln - auch darüber kann man sich mit Sachverstand
unterhalten -, sind wir einverstanden. Andere Argumente
haben mich bisher nicht überzeugt.
Wir wollen auch - das ist ein Thema, über das wir mit
Ihnen im Steuerbereich noch einmal reden müssen -, dass
bei Übernahmen Privatanleger und Belegschaftsaktionäre gleich behandelt werden. Den Belegschaftsaktionären wird eine Übernahme nicht als ein Verkauf angerechnet, für den sie Steuern zahlen müssten, den
Aktionären aber wird sie angerechnet. In dem einen Fall
gibt es eine einjährige Spekulationsfrist, im anderen Fall
ist es eine achtjährige Spekulationsfrist. Ich möchte, dass
Aktionäre gleich behandelt werden, auch in dem von Ihnen vorgetragenen Sinn. Aktionäre sind ja nicht nur reiche
Leute, sondern auch Mitarbeiter und Arbeitnehmer. Mittlerweile gibt es 15 Millionen Aktionäre in Deutschland.
Da kann man nicht mehr von kleinen Eliten sprechen.
Wir müssen eine Überregulierung vermeiden, wir müssen die Frage der Aufsichtsbehörde eindeutig regeln. Für
mich ist ganz wichtig, dass bei Rechtsstreitigkeiten der
Sitz der Zielgesellschaft ausschlaggebend sein müsste.
Wenn man schon in Form einer feindlichen Übernahme
angegriffen wird, dann sollte man sich wenigstens in
einem Rechtsumfeld wehren können, in dem man sich
auskennt. Der Angreifer kann sich ja vorbereiten, der Angegriffene nicht. Deshalb ist es unter Fairnessgesichtspunkten richtig, dass der Sitz des Zielunternehmens die
Rechtslage bestimmt. Damit steigen ganz eindeutig die
Chancen, sich gegen unfreundliche oder feindliche Übernahmen intelligent zu wehren.
Wir brauchen praktikable und klar definierte Arbeitnehmerunterrichtungspflichten, aber keine Vetomöglichkeiten, die im PDS-Antrag überall durchschimmern. Dieser Ansatz ist eindeutig verfassungswidrig. Es handelt
sich nämlich um einen Eingriff in das Eigentum, der durch
nichts zu rechtfertigen wäre. Wir sind gut beraten, wenn
wir die europäische Richtlinie abwarten und unsere Gesetze ganz schnell - bis auf kleine Facetten - dementsprechend anpassen.
Ich will eine weitere Bemerkung machen. Die Gefahr
bei einer Überregulierung in diesem Komplex, wie sie im
Antrag der PDS durchschimmert, besteht darin, dass sich
die Unternehmen nicht rechtzeitig auf neue Strukturen
einstellen können. Wenn wir der Meinung sind, dass angesichts der Größe der Unternehmen Kartell- und Wettbewerbsfragen im Mittelpunkt stehen, dann müssen wir
die Probleme mithilfe des Kartellrechts und nicht mithilfe
des Übernahmerechts lösen.
Eine abschließende Bemerkung zum Kartellrecht. Ich
bin der festen Überzeugung, dass wir eine intensivere Beobachtung unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten brauchen, als wir sie in der Vergangenheit für notwendig gehalten haben, und dass wir die kartellrechtlichen
Instrumente - national, europäisch und möglicherweise
darüber hinaus - verbessern und verschärfen müssen. Wir
diskutieren ja auch in der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft - Herausforderungen und Antworten“ über diese Fragen sehr intensiv. Das Kartellrecht
wird eine große Renaissance haben, weil es in einer globalisierten Welt wichtiger wird als in den kleinen, überschaubaren Märkten, an die wir uns gewöhnt haben.
Ich habe zwei Minuten meiner Redezeit nicht ausgenutzt, die Sie jetzt mehr für diesen Freitagnachmittag zur
Verfügung haben.
Alles Gute!
({0})
Wir danken Ihnen,
Herr Kollege.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3394 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der
§§ 1360, 1360 a BGB
- Drucksache 14/1518 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ich eröffne die Aussprache. Die Reden der Kollegen
Anni Brandt-Elsweier, Margot von Renesse, Ronald
Pofalla, Irmingard Schewe-Gerigk, Rainer Funke und
Christina Schenk sind zu Protokoll gegeben worden.1) Ich
schließe die Aussprache.
({1})
- Frau Renesse, ich hätte Sie gerne zu diesem spannenden
Thema gehört.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/1518 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Maritta
Böttcher, Dr. Heinrich Fink und der Fraktion der
PDS
Personalstruktur- und Dienstrechtsreform an
Hochschulen und Forschungseinrichtungen
- Drucksache 14/3900 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll. Sind Sie damit einverstanden?
- Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Maritta Böttcher, PDS-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich hätte Ihnen mehr Zeit am Freitagnachmittag gegönnt. Aber kann
es etwas Schöneres am Freitagnachmittag geben als eine
Diskussion über dieses zukunftsträchtige Thema?
Die gute Nachricht zuerst. Erstens. Ich begrüße es, dass
Frau Ministerin Bulmahn endlich ein Konzept zur Reform
des Hochschuldienstrechts vorgelegt hat,
({0})
obwohl damit nicht alle Blütenträume aus der Koalitions-
vereinbarung erfüllt werden. Daher bin ich auch stolz
darauf, dass die PDS zur immer wieder aufgeschobenen
Reform des Hochschuldienstrechts als erste und lange vor
der Koalition einen Antrag vorgelegt hat, der die jahre-
lange Debatte um die Defizite der Personalstruktur der
1) Anlage 4
Hochschulen endlich zum Gegenstand einer Bundestagsdebatte macht.
Zweitens. Ich erkenne die positiven Ansätze im Konzept an, das sich in mancher Hinsicht wohltuend von den
Empfehlungen der Expertenkommission abhebt und sich
dem konsequenteren Reformvorschlag der PDS annähert.
Ich möchte dies am Beispiel der Habilitation deutlich machen.
Die Habilitation ist ein anachronistischer Befähigungsnachweis für die Ausübung des Professorenberufs.
Sie ist einseitig auf eine isolierte Forschungsleistung bezogen und wird den modernen Anforderungen an den
Hochschullehrerberuf nicht gerecht. Seit langem wird die
Habilitation als patriarchales Ritual kritisiert, das insbesondere Wissenschaftlerinnen den Zugang zu Leitungsfunktionen an Hochschulen erschwert. Anders als die Expertenkommission wirft das Ministerium zu Recht über
den Wegfall der Habilitation als Berufsvoraussetzung hinaus die Frage nach der Abschaffung des Habilitationsrechts auf. Nur eine Abschaffung der Habilitation als Institution kann gewährleisten, dass die Neuordnung der
Hochschullehrerlaufbahn durch Schaffung von Juniorprofessuren das alte System der Abhängigkeiten und
Hierarchien wirklich verdrängt. Deshalb begrüße ich die
klare Aussage des Ministeriums zur Abschaffung der Habilitation.
In vielen Punkten ist das Konzept des Ministeriums
unzureichend und bleibt weit hinter dem konsequenteren
Reformvorschlag der PDS zurück. Nach der PDS bekennt
sich zwar nun auch die Ministerin zur von Gewerkschaften und Hochschullehrerbund geforderten einheitlichen
Vergütung für Universitäts- und Fachhochschulprofessorinnen und -professoren. Gleichwohl hält sie an
der Unterscheidung zweier Professorenämter, W 2 und
W 3, mit unterschiedlichen Grundvergütungen fest. Die
Fachhochschulen haben also allen Grund zu der Befürchtung, dass sie am Ende wieder den Kürzeren ziehen werden.
Eine wirklich leistungsgerechte Vergütung ist nach
meiner Überzeugung aber nur bei einer einheitlichen
Grundvergütung für alle Professorinnen und Professoren
möglich.
({1})
Notwendige Gehaltsdifferenzierungen dürfen sich allein
aus individuellen Leistungen und Belastungen ergeben.
Frau Bulmahns Konzept bleibt vor allem Stückwerk,
weil es den Beamtenstatus für Hochschullehrerinnen
und Hochschullehrer im Ergebnis unangetastet lässt. Gerade in dieser Frage aber ist der Bundesgesetzgeber gefordert. Die PDS wird weiter auf ihre Forderung nach
einem Auslaufen des Beamtenstatus und einer tarifvertraglichen Regelung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des gesamten Personals der Hochschulen
und Forschungseinrichtungen pochen. Das Mindeste, was
von der Bundesregierung zu erwarten gewesen wäre, ist
eine Aufhebung oder wenigstens Lockerung des Hochschulfristvertragsgesetzes von 1985, das noch immer die
grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie substanziell
beschränkt.
Es ist doch geradezu absurd: In allen Branchen ist es
selbstverständlich, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften
gemeinsam die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
vereinbaren. Und ausgerechnet an den Hochschulen und
Forschungseinrichtungen soll weiterhin der Staat einseitig die Bedingungen oktroyieren? Die logische Konsequenz aus Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie wäre doch, dass der Staat auch in der Personalpolitik
mit dem einseitigen Regulieren und Diktieren aufhört und
Prinzipien wie kollektiver Vereinbarung und Selbststeuerung Geltung verschafft.
Lassen Sie mich noch auf einen weißen Fleck im Konzept aufmerksam machen. Es ist geradezu beschämend,
dass Frau Bulmahn so gut wie nichts zum ungelösten Problem der Gleichstellung von Frauen und Männern zu
sagen hat. Noch immer liegt der Frauenanteil bei Professuren unter 10 Prozent. Wenn die Juniorprofessur zur Öffnung von Führungspositionen für Frauen an den Hochschulen beitragen soll, müssen wir zwingend auf rigide
Altersgrenzen verzichten, die Frauen und Männer, die
einen Teil ihres Lebens der Kindererziehung widmen,
systematisch vom Hochschullehrerberuf ausschließen.
Die Hälfte aller Juniorprofessuren muss mit Frauen besetzt werden, damit die Erneuerung der Hochschulpersonalstruktur nicht auf eine Erneuerung männlicher Dominanz in der Alma Mater hinausläuft.
Die Reform der Personalstruktur und des Dienstrechts
an Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist mehr
als überfällig. Lassen Sie uns also keine Zeit verlieren und
dringend an der Lösung dieser Probleme, die ich genannt
habe, arbeiten, um sie gewissermaßen im Vorwärtsschreiten gemeinsam zu lösen.
({2})
Das Wort hat der Kollege Peter Eckardt, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin, es ist
ein bisschen kühn, zu behaupten, dass sich die Bundesregierung und Edelgard Bulmahn den Vorschlägen der PDS
angenähert hätten. Aber ich denke, Sie überlegen sich das
noch einmal.
Hochschulpolitik ist - ich weiß, dass Gäste aus Helmstedt hier sind - früher ganz anders gemacht worden: Napoleon ist durchs Land gezogen und hat 1806 die Hochschule dichtgemacht. Sie leiden noch heute darunter, dass
es so etwas nicht mehr gibt.
Aber im Ernst: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion kann sich dem Anliegen des PDS-Antrages natürlich nicht anschließen.
({0})
Dieses Votum wird Sie, hoffe ich, nicht überraschen.
Richtig ist, dass sich die deutschen Hochschulen modernisieren müssen, dass sie sich den durch Innovation und
Leistungsfähigkeit wandelnden gesellschaftlichen und
technologischen Prozessen anpassen müssen. Das ist unstrittig. Aber allein für diesen politischen Hinweis wäre
der Antrag der PDS nicht notwendig gewesen.
Unstrittig ist allerdings auch, dass der Modernisierungsprozess der deutschen Hochschulen noch längst
nicht die Dynamik entwickelt hat, die notwendig wäre,
um allen Anforderungen, die die Gesellschaft des
21. Jahrhunderts stellt, gerecht zu werden. Eine grundsätzliche Hochschulreform ist deshalb seit vielen Jahren
von der politischen Ebene und auch von den Hochschulen
selbst verschleppt worden; das muss man bekennen. Ich
habe bisher nur wenige überzeugende Vorschläge von den
Hochschulen selbst zur eigenen Reform gehört. HRKPräsident Klaus Landfried muss man sicher zustimmen,
wenn er sagt, es dauere noch länger als bei Politikern, bis
in den Köpfen der Professoren Reformideen reifen würden.
Die Geschichte der deutschen Universitäten und Fachhochschulen zeigt aber auch, dass die deutschen Hochschulen immer dann - wenn auch mit Zeitverzögerung reformiert haben, wenn es gesellschaftlich notwendig war
und der Druck von außen wuchs. Meist sind die Anstöße
für diese Reform von der gesellschaftlichen Realität und
oft auch von studentischen Protesten ausgelöst worden.
Reformuniversitäten haben sich aber auch dann neu gegründet, wenn der politische Druck in Bezug auf Wissenschaftsfreiheit und Liberalität zu groß wurde.
Die hochschulpolitischen Initiativen der Bundesregierung schaffen für die weitere Entwicklung der deutschen
Universitäten und Fachhochschulen gute Grundlagen.
Wenn nun Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker - wie in diesem Antrag - glauben, durch ein umfassendes Regelwerk in die Hochschulen hineinregieren zu
können, so kann ich davor nur warnen. Nicht nur die Wissenschaftsfreiheit unserer Verfassung spräche gegen umfassende staatliche Eingriffe, auch Effizienz und Leistungsfähigkeit der Hochschulen wären dann gefährdet.
Eine umfassende Regelungsdichte, enge Finanzkorsetts,
undemokratische Strukturen und mittelalterliche Hierarchien behindern natürlich die internationale Mobilität sowie eine engere Kooperation mit dem Wirtschafts- und
Beschäftigungssystem.
({1})
Eine Internationalisierung unserer Hochschulen und der
Studienangebote wäre notwendig. Natürlich müsste mehr
getan werden, als nur das eigene Gewissen zu beruhigen.
Auch die Länder würden auf ihre garantierten Rechte
im Hochschulbereich pochen, wenn der Bund zu intensiv
und ohne Legitimation ein einheitliches bundesgesteuertes Hochschulsystem einrichten würde. Die Pluralität
deutscher Hochschulen in den einzelnen Ländern und die
Anerkennung einheitlicher Standards, wie zum Beispiel
Gebührenfreiheit, ausreichende BAföG-Regelungen und
überwiegend staatliche Hochschulen, sollten weiterhin
unsere Wissenschaftslandschaft prägen. Diese Struktur
hat sich bewährt und sollte nicht aufgegeben werden. Die
Regelung der Zeiten der Anwesenheit von Hochschullehrern an ihrem Arbeitsplatz, die Ausstattung von Büros
und Labors, die Anerkennung ausländischer Diplome und
Studienanteile sowie die institutionelle Stärkung der
Frauenbeauftragten - dies alles ist in der Tat ein Problem - sollten den Ländern überlassen bleiben und nicht
durch Bundesregierung und Bundestag, wie im Antrag der
PDS gefordert, einheitlich normiert werden.
Fast nicht zu vermeiden war ja, dass sich die PDS in
ihrem Antrag natürlich auch mit den Hochschulen und
Forschungseinrichtungen in den neuen Ländern beschäftigt. Ich widerspreche ausdrücklich der in diesem
Antrag aufgestellten Behauptung, den DDR-Hochschulen
sei trotz einer Hochschulkrise in Westdeutschland im
Jahre 1990 das bundesdeutsche Hochschulsystem übergestülpt worden
({2})
- ich habe es erwartet -, ohne dass die Erfahrungen und
Leistungen des DDR-Hochschulsystems jemals ausgewertet worden seien. Dies war objektiv und historisch
nachweisbar so nicht der Fall.
({3})
Der Wissenschaftsrat hat jede Hochschule und jede
Forschungseinrichtung der DDR in umfangreichen Studien evaluiert und Vorschläge zum Erhalt und auch zur
Umstrukturierung gemacht. Es kann nicht im Ernst behauptet werden, dass das Hochschul- und außeruniversitäre Wissenschaftssystem der DDR bis 1990 ein Modell
für irgendetwas gewesen ist, was in die Zukunft weist
oder als insgesamt erhaltenswert angesehen werden
könnte.
({4})
Die Leistungsfähigkeit der Kolleginnen und Kollegen in
diesen Instituten vor und nach der Wende wird natürlich
nicht bezweifelt.
({5})
- Weil es bestimmte Bereiche gab, die zu erhalten sicher
nicht legitim gewesen wäre, zum Beispiel die Hochschule
in Potsdam-Hoheneiche, die Clara-Zetkin-Hochschule,
die der Volkspolizei, des Innenministeriums und der
Grenztruppen.
({6})
Westprofessoren sind in die Bereiche hineinkommen, in
denen es Defizite gegeben hat.
({7})
- Dass die DDR nicht genügend Theologen gehabt hat,
wollen Sie doch nicht ernsthaft bestreiten. Das wissen Sie
doch auch.
({8})
Das Ende einiger formaler Strukturen des Hochschulund Wissenschaftssystems der ehemaligen DDR hat geholfen, das wissenschaftliche Ansehen einiger Standorte
der neuen Länder wieder zu verfestigen. Ich habe gelesen,
dass die Universität Leipzig - was mich sehr freut - im
Jahre 2000 gerade durch diese Umstrukturierung den
Andrang westdeutscher Studierender fast nicht mehr bewältigen kann. Das hat sicher auch Qualitätsgründe, die
sich seit 1990 ergeben haben.
Ich denke, dass die Evaluierung der ostdeutschen
Hochschulen nötig und auch fair war. Es ist allerdings
auch richtig, dass sich die Regierungen einiger Länder
nicht an die Empfehlungen des Wissenschaftsrates gehalten, sondern Einrichtungen erhalten oder zusätzliche geschaffen haben, obwohl der Wissenschaftsrat es anders
empfohlen hatte.
Es ist nicht notwendig, die Bundesregierung daran zu
erinnern, durch Anhebung des Anteils der Forschungsförderung des Bundes für die neuen Ländern endlich
gleichgewichtige Verhältnisse zu schaffen. Mit Recht
wird in der Wissenschafts- und Forschungsförderung der
neuen Länder ein wissenschaftspolitischer Schwerpunkt
der Bundesregierung gesehen. Arbeitsmarkt- und Regionalpolitik sind aber nicht primär Aufgabe der Forschungsförderung, wie in dem Antrag intendiert wird. Hier müssen allein - ob Nord oder Süd, ob Ost oder West Leistung und Qualität zählen, unabhängig vom Standort
der Forschungseinrichtung.
Der Antrag der PDS wirft aber auch einige Fragen von
Interesse auf, auf die schon in den Eckpunkten eines
Reformgesetzes zum Hochschuldienstrecht der Bundesregierung Antwort gegeben wurde. Ich verstehe, dass Sie
im Sommer 2000 die Gelegenheit nutzen wollten, sofort
nach Vorlage des Berichts der Expertenkommission Ihre
hochschulpolitischen Vorstellungen an die Öffentlichkeit
zu bringen. Aber die Unterstellung, die Expertenkommission sei einseitig zusammengesetzt gewesen und habe das
gewünschte Ergebnis gebracht, unterschätzt die Denkund Diskussionsfähigkeit der Mitglieder dieses unabhängigen Gremiums. Wie Sie an den Eckpunkten der Dienstrechtsreform der Bundesregierung sehen, sind die Vorschläge auch nicht ungeprüft übernommen worden.
({9})
Wir sind uns der Bedeutung der Fachhochschulen für
unsere Gesellschaft seit 30 Jahren wohl bewusst und sind
uns auch bewusst, welche Bedeutung gleiche Gehaltshöhen für das Ansehen und die Chance, qualifiziertes Personal einzuwerben, für die Fachhochschulen haben. Ich
denke, da gibt es unter uns keinen Streit.
Die Befristung von Arbeitsverhältnissen an Hochschulen wird flexibel gestaltet werden müssen. Allerdings
ist auf sie im Wissenschaftsbetrieb nicht zu verzichten
- wie Sie es wollen -, um Kooperationen und einen Personalwechsel zwischen Hochschulen und Wirtschaft nicht
zu gefährden.
Der Vorwurf, die Expertenkommission habe nur über
Teilaspekte einer Hochschulreform diskutiert, ist deshalb
nicht richtig, weil genau dies ihre Aufgabe war. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird ein erster Schritt
zu einer umfassenden Hochschulreform sein. Er wird die
wichtigsten Teilbereiche - Dienstrecht, Besoldung, Qualifizierungswege, Leistungsmotivation und Frauenförderung - umfassen.
Einige Punkte des Antrages möchte ich zum Schluss
zurückweisen.
Es ist nicht sinnvoll, an Fachhochschulen Juniorprofessuren einzurichten, wie Sie meinen. Es muss bei dem
bisherigen Weg der Qualifikation über berufliche Tätigkeiten in Betrieben bleiben.
Es ist auch nicht sinnvoll, an Fachhochschulen Doktorandenstellen zu schaffen. Es muss dabei bleiben, über
eine selbstständige Forschungstätigkeit an einer Universität in Kooperation mit einer Fachhochschule promovieren zu können, wie es bisher schon möglich ist.
Nicht der Antrag der PDS, die den Expertenbericht als
Steinbruch ihrer Argumente benutzt und dabei natürlich
auch Selbstverständliches und Richtiges wiederholt, sondern der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Hochschuldienstrecht, der bald diesem Hohen Hause vorgelegt
wird
({10})
- jetzt werden wir wohl diskutieren, was „bald“ heißt -,
wird die Diskussionsgrundlage sein.
Schönen Dank.
({11})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Als Erstes möchte ich gern
meinem Vorredner, dem Kollegen Eckardt, zu seinem
heutigen 60. Geburtstag gratulieren. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Die christlich-liberale Bundesregierung hat in der vergangenen Legislaturperiode das neue Hochschulrahmengesetz auf den Weg und damit mehr Leistungsorientierung und Wettbewerb an die Hochschulen gebracht. Die
staatlichen Mittel sollen auf die Hochschulen, aber auch
innerhalb der Hochschulen nach Leistungskriterien verteilt werden.
Von Anfang an war vorgesehen, dass auch für Professoren zusätzliche Leistungsanreize geschaffen werden,
die sich auf die Besoldung auswirken. Dies wollen wir
jetzt bei der Dienstrechtsreform umsetzen. Wir müssen
dies auch tun, denn durch den nun stattfindenden Generationswechsel an den Hochschulen besteht eine große
Chance für die anstehenden Veränderungen.
Heute haben nur die C4-Professoren die Möglichkeit,
ihr Gehalt durch Zulagen anlässlich von Berufungen zu
erhöhen. Das reicht nicht aus. Alle Professoren an Universitäten und Fachhochschulen sollen spüren, dass Leistungen in Forschung und Lehre wahrgenommen und auch
finanziell honoriert werden. Deshalb wollen wir als Unionsfraktion mit der Reform eine stärker leistungsorientierte Besoldung durchsetzen.
({1})
In Zukunft soll sich das Gehalt der Hochschullehrer nicht
mehr allein durch das Älterwerden, sondern durch ihren
persönlichen Einsatz erhöhen.
({2})
Wir wollen das durch den Wegfall der Dienstaltersstufen
eingesparte Geld für die neu zu schaffenden Zulagen nutzen. In drei Fällen sollen Zulagen gewährt werden: im
Falle einer Berufung, als Funktionszulage, wenn ein Professor nichthauptamtliche Funktionen in der Hochschulverwaltung oder die Leitung eines Sonderforschungsbereichs wahrnimmt, und als Leistungszulage, also als
Zulage für die persönlichen Leistungen in Forschung und
Lehre. Ich kann mir auch vorstellen, dass derjenige eine
Leistungszulage erhält, der bereit ist, ein höheres Lehrdeputat zu übernehmen; denn es muss uns darum gehen,
die Lehrtätigkeit an unseren Hochschulen zu stärken.
({3})
Die Fachhochschulen haben in der Vergangenheit
eine sehr gute Arbeit geleistet. Wir wollen ihre Kapazitäten ausbauen. Wir wollen mehr hoch qualifizierte Praktiker für das Professorenamt gewinnen. Dafür müssen wir
das Besoldungsniveau anheben. Deshalb sollte die bisherige C2-Besoldung für Fachhochschulprofessoren entfallen und durch eine an Fachhochschulen und Universitäten
einheitliche C3-Besoldung ersetzt werden.
An den Universitäten und gleichgestellten Hochschulen wiederum sollte zusätzlich ein höherwertiges Professorenamt, das C4-Amt, beibehalten werden, denn die Professoren an den Unis haben zusätzliche Aufgaben zu
erfüllen. Ich nenne hier nur die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses - Stichwort Promotionen und die Grundlagenforschung. Ein gestuftes Besoldungssystem innerhalb der Universitäten ist auch sinnvoll, um
der unterschiedlichen Bedeutung von Lehrstühlen und Instituten, aber auch der besonderen Verantwortung von
Klinikleitern Rechnung tragen zu können.
({4})
Nicht zustimmen können wir allerdings den von Bildungsministerin Bulmahn vorgeschlagenen Besoldungsstufen W 2 mit einem Grundbetrag in Höhe von nur
7 000 DM und W 3 mit einem Grundbetrag in Höhe von
8 500 DM. Diese Mindestbeträge sind für Professoren
definitiv zu niedrig.
({5})
Sie entsprechen dem Gehalt eines Oberregierungsrates
bzw. Regierungsdirektors und schrecken den qualifizierten Nachwuchs, den wir für eine Hochschullaufbahn gewinnen wollen, ab. Wir können es uns nicht länger leisten,
dass die besten Köpfe ins Ausland abwandern, weil sie
dort bessere Bedingungen vorfinden. Dies müssen wir ändern.
({6})
Wir werden deshalb die von Frau Bulmahn vorgeschlagenen Grundgehälter ablehnen. Die Höhe dieser
Mindestbesoldung entspricht nicht der in Art. 33 Abs. 5
Grundgesetz garantierten amtsangemessenen Besoldung;
die Grundgehälter müssen erhöht werden. Die Vorschläge
von Bildungsministerin Bulmahn laufen für einen bedeutenden Teil der Professoren in Deutschland auf eine Gehaltskürzung hinaus. Das lehnen wir ab.
({7})
Ich sage auch ganz offen: Eine solche Reform darf
nicht kostenneutral sein.
({8})
Wir müssen uns endlich dazu bekennen, dass wir in
Deutschland Eliten brauchen. Und Eliten an den Hochschulen sind nicht zum Nulltarif zu bekommen.
({9})
Schauen wir uns die Realität an: Ein Informatikstudent
bekommt schon heute von der Wirtschaft ein höheres Gehalt angeboten, als er als Professor an einer Hochschule
überhaupt bekommen könnte. Dies zeigt, dass es nicht
ausreicht - wie dies Bildungsministerin Bulmahn sagt -,
wenn in Einzelfällen die Überschreitung der bisherigen
Obergrenze für eine individuelle Besoldung von Professoren zugelassen werden soll. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion spricht sich dafür aus, dass künftig alle Obergrenzen entfallen, um eine individuelle Besoldung von
Professoren zu ermöglichen. Nur so können wir sowohl
im Wettbewerb um die besten Köpfe mit der Wirtschaft
als auch im Wettbewerb mit den Universitäten und den
Forschungseinrichtungen im Ausland bestehen. Denn wir
brauchen für die Studierenden, die wir hier ausbilden wollen, die besten Professoren.
({10})
Die Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses
an den Hochschulen bis hin zum Professor dauert leider
zu lange. Dies ist ein ernst zu nehmendes Problem. Habilitierte sind in Deutschland oft über 40 Jahre alt. Wer nicht
direkt nach seiner Habilitation eine Berufung als Hochschullehrer bekommt, gerät in eine Art Altersfalle. Eine
berufliche Neuorientierung zu Beginn des fünften Lebensjahrzehnts ist dann nur noch mit Schwierigkeiten
möglich.
Ein weiteres Alarmzeichen ist, dass in bestimmten
Fachbereichen zwei Drittel der deutschen Postdoktoranden nach einem Auslandsaufenthalt nicht nach Deutschland zurückkommen. Das Ziel muss deshalb sein, dass die
Erstberufung auf eine Professorenstelle mit Mitte 30 der
Normalfall wird. Daher halten wir die von Ihnen vorgeschlagene Juniorprofessur für sinnvoll. Es muss möglich
sein, selbstständig zu forschen und zu lehren sowie über
eine drittmittelfähige Grundausstattung zu verfügen. Es
ist allerdings ein Fehler, wenn Rot-Grün die Habilitation
nun generell abschaffen will.
({11})
Ich stimme Ihnen insoweit zu, dass der Nachweis einer
zusätzlichen wissenschaftlichen Leistung in Form der Habilitation in manchen Fächern, zum Beispiel in den Ingenieurwissenschaften, heute de facto keine Rolle mehr
spielt.
({12})
Hier bietet die so genannte Juniorprofessur den richtigen
Qualifikationsweg. In anderen Fächern allerdings kann
man seine wissenschaftliche Kompetenz nur mit der Habilitation beweisen. Der Philosoph zum Beispiel muss
eine Habilitationsschrift einreichen. Bei Ingenieuren und
Naturwissenschaftlern geht dies auch anders. Anstatt nun
mit dem Vorschlaghammer die bewährte Habilitation
vollständig kaputtzuschlagen, sollte man den unterschiedlichen Fächerkulturen in Deutschland Rechnung tragen.
Neben der Juniorprofessur sollte es deshalb auch weiterhin die Habilitation geben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: Die Leistungsorientierung darf vor der Besoldung der Professoren nicht Halt machen. Deshalb
unterstützen wir, die Unionsfraktion, eine stärker leistungsorientierte Besoldung der Professoren mit Zulagen
für ihre persönliche Leistung im Bereich Forschung und
Lehre. Wir sind allerdings eindeutig dagegen, dass der
Staat bei der anstehenden Dienstrechtsreform auf dem
Rücken der Professoren spart. Deshalb lehnen wir die von
der rot-grünen Regierung vorgesehenen niedrigeren
Grundgehälter für Professoren ab.
({13})
Wir begrüßen die Einführung der Juniorprofessur, weil
sie sich gerade für die Ingenieur- und Naturwissenschaften als geeigneter und schneller Qualifizierungsweg erweisen wird. Aber die ideologisch motivierte Abschaffung der Habilitation lehnen wir ab. Denn die Habilitation
hat gerade im Bereich der Geisteswissenschaften erheblich zum Qualitätsniveau der deutschen Hochschulen beigetragen.
Es ist kein Wunder, dass sowohl aus den Reihen der
Hochschulrektorenkonferenz als auch von Professoren
deutliche Kritik an dem rot-grünen Konzept geübt wird.
SPD und Grüne wollen wieder einmal Veränderungen
über die Köpfe der Betroffenen hinweg durchsetzen. Diesen Stil der Politik lehnen wir ab.
({14})
Es ist schade, dass Rot-Grün auf diese Weise ein gemeinsames Vorgehen mit der Professorenschaft gefährdet. Denn Sie versuchen leider nicht, die Betroffenen für
die vernünftigen Veränderungen zu gewinnen. Die Union
wird sich dafür einsetzen, dass eine Reform mit den Professorinnen und Professoren und nicht gegen sie durchgeführt wird.
({15})
Das ist unser Verständnis von einer Reformpolitik, die
langfristig tragfähig ist.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Als
nächster Redner hat der Kollege Matthias Berninger vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es herrscht
ziemlich viel Einigkeit darüber, dass wir den Generationenwechsel an den Hochschulen für eine tief greifende
Reform des Dienstrechts und der Personalstruktur an den
Hochschulen nutzen sollten. In den nächsten acht Jahren
wird die Hälfte aller Professoren in Deutschland in den
Ruhestand gehen. Das bietet uns die einmalige Chance,
hier tief greifende Änderungen vorzunehmen.
Um gleich mit einem Vorurteil aufzuräumen: Es geht
hier überhaupt nicht darum, irgendeinem Professor oder
irgendeiner Professorin etwas durch die Dienstrechtsreform wegzunehmen. Selbst wenn wir das wollten, könnten wir das gar nicht, weil es sich eben um durch das
Beamtenrecht abgesicherte Besitzstände handelt, die niemand antasten darf. Wenn so viele Professorinnen, aber
vor allem auch so viele Professoren wie jetzt in den Ruhestand gehen, ist die Chance für eine wirklich tief greifende Reform groß, weil die Besitzstände nicht mehr ein
so großes Reformhindernis darstellen, wie sie es sonst
nach dem aktuellen Beamtenrecht sind.
Infolgedessen hat die Bundesregierung gesagt: Wir
wollen eine Dienstrechtsreform auf den Weg bringen. Ein
kleiner Rückblick: Der ehemalige Bildungs- und Forschungsminister, Herr Rüttgers, hatte eine solche Reform
ebenfalls auf seiner Agenda. Auch er wollte eine solche
Reform durchführen. Die F.D.P. hat ihn damals zwar nach
Kräften unterstützt, aber das Ergebnis war Zero. Er hat es
nämlich nicht geschafft, weil er sich gegen das Innenministerium nicht durchsetzen konnte und weil die verkrusteten Strukturen des Beamtenrechts heiliger und
wichtiger zu sein schienen als die Chance, eine Reform
des Dienstrechts durchzuführen. Auch das muss einmal
gesagt werden, wenn man hier die Vorschläge der Bildungsministerin bewertet.
Ich halte es deshalb für einen großen Erfolg, dass die
Expertenkommission nicht das gemacht hat, was Expertenkommissionen manchmal machen, nämlich sehr viel
Papier zu produzieren, mit dem man dann sehr wenig
anfangen kann. Vielmehr hat sie sehr praktische Vorschläge gemacht. Ich glaube, dass diese Vorschläge, die
die Bildungsministerin aufgegriffen hat, in die richtige
Richtung weisen.
Hierüber gehen die Meinungen auch nicht allzu sehr
auseinander. Die Grundwerte - das haben wir in der letzten Legislaturperiode diskutiert -, die die Expertenkommission vorgelegt hat, und das, was die Ministerin jetzt
vorgelegt hat, entsprechen genau dem, was die Oppositionsfraktionen in den vergangenen vier Jahren gefordert
haben, was sie aber nicht durchsetzen konnten.
Ich komme nun auf die Details zu sprechen. Im Detail
steckt bekanntermaßen - in der Regel - immer der Teufel.
Wie wird der Übergang von promovierten Wissenschaftlern in den Professorenberuf organisiert? Ich habe mich
sehr darüber gefreut, Kollege Rachel, dass auch die CDUFraktion den Weg der Juniorprofessur für vernünftig
hält, nämlich jungen Leute die Chance zu geben, eigenständig zu forschen, und ihnen dies als Qualifikation anerkennen zu lassen, anstatt sie bergeweise Papier produzieren zu lassen. Darüber sind wir uns völlig einig.
Aber bei der Habilitation geht es nicht um eine ideologische Auseinandersetzung, sondern um etwas anderes.
Es geht darum, ob es uns gelingt, eine ausreichende Zahl
von Stellen für Juniorprofessuren zu schaffen. Es ist doch
völlig klar, dass diejenigen, die heute an den Unis Professoren sind und über eine Habilitation ihre Qualifikation
erreicht haben, diese für den besseren Weg halten. Das ist
menschlich verständlich. Wir geben dem wissenschaftlichen Nachwuchs keine Chance, wenn wir so tun, als stünden die Juniorprofessur und die Habilitation auf einer
Stufe. Wenn dies das Ergebnis der Reform wäre, dann
würden wir in fünf oder sechs Jahren feststellen, dass wir
zwar viel über die Juniorprofessur geredet hätten, aber
dass die meisten Professoren weiterhin über die Habilitation in ihr Amt gekommen sein werden.
Ich sage bewusst: Professoren; denn ohne eine tief
greifende Reform wird der Anteil der Professorinnen sehr
gering bleiben. Deutschland hat im Vergleich zu allen anderen Ländern viel zu wenig Professorinnen. Die Mehrheit aller Studienanfänger sind Frauen. Frauen machen im
Schnitt das bessere Abitur. Doch je weiter es auf der wissenschaftlichen Qualifikationsleiter hochgeht, desto geringer ist der Anteil der Frauen. Das liegt nicht an den
Frauen, sondern am System. Auch deshalb ist die Dienstrechtsreform wichtig. Die alten Herren gehen in Rente,
aber sie werden nicht nur durch junge Herren ersetzt - für
mich ist dies das wichtigste Ziel dieser Reform.
({0})
Deshalb wird man über die Habilitation am Ende sagen
müssen, Herr Kollege Rachel, dass es sie in Ausnahmefällen, in bestimmten begründeten Fällen, noch geben
wird. Aber sie steht mit der Juniorprofessur nicht auf einer Stufe. Ich glaube, dass dies eine gute Grundlage für einen Kompromiss mit den Ländern sein könnte.
Es geht dann um den berühmt-berüchtigten Punkt, dass
diese Dienstrechtsreform insgesamt kostenneutral gestaltet werden soll. Ich denke, diese Diskussion wird man
in ein paar Jahren so nicht mehr führen, weil die Länder
wie die Bundesregierung erkennen werden, dass in Bildung und Wissenschaft investiert werden muss, auch
wenn sonst überall gespart werden muss. Der Generationenwechsel wird zu einem Wettbewerb um junge, leistungsfähige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
führen. Ich hoffe auch, dass man einen ausländischen Professor dazu bewegen kann, an einer deutschen Universität
zu lehren. Dabei hilft die Dienstrechtsreform, weil mit ihr
für eine international kompatible Personalstruktur gesorgt
und mit ihr der deutsche Sonderweg beendet wird. Man
wird sehen, ob sich das kostenneutral gestalten lässt oder
ob es mehr Geld kosten wird.
Wichtig ist mir aber, dass die Ministerin durchgesetzt
hat, dass dort, wo Professoren besser bezahlt werden müssen, der Deckel, den es bisher gab, aufgeschraubt wird. In
Abstimmung mit den Länderministern, so der Vorschlag
der Koalition, sollen Hochschulen ihre Professoren, wenn
es der Wettbewerb notwendig macht, besser bezahlen
können. Das halte ich für sehr vernünftig.
Ein letzter Punkt. Es ist völlig falsch, immer nur von
den angeblich so niedrigen Grundgehältern zu reden. Ich
freue mich, dass diese Grundgehälter nicht mehr nach
Hochschulformen differenziert werden, sondern für alle
Hochschulformen in gleicher Weise gültig sind. Darüber
freue ich mich zumindest bei der Stufe B 2. Dass es bei
den Unis noch eine höhere Stufe gibt, versteht sich von
selbst und das kritisiert auch niemand.
Aber, nur diese 7 000 DM bzw. 8 500 DM ins Feld zu
führen, ist natürlich eine Milchmädchenrechnung. Die
Leistungskomponente wird hinzukommen, sodass Professoren, die etwas leisten, in Zukunft auch mehr verdienen. Diese Reform funktioniert nur, wenn die Grundgehälter niedrig sind und die Mittel, die wir für Leistungszulagen zur Verfügung haben, entsprechend hoch.
Vor diesem Hintergrund sollten Sie nicht kleinkariert die
niedrigen Grundgehälter kritisieren, sondern mit uns
dafür kämpfen, dass genug Geld übrig bleibt, die Professoren nach Leistung vernünftig zu bezahlen.
Ich glaube, dass die Reform auf einem guten Weg ist,
und freue mich, dass im gesamten Parlament die Grundrichtung und die Grundwerte der Reform akzeptiert werden.
Vielen Dank.
({1})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Flach von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Bevor ich den etwas schwierigen Versuch
mache, in dreieinhalb Minuten eine ganze Reform zu
erklären, möchte ich auch namens der F.D.P. und als
Vorsitzende im Namen des ganzen Ausschusses Herrn
Dr. Eckardt ganz herzlich gratulieren. Ich hoffe, Sie haben
weiter viel Spaß mit uns allen.
({0})
Wir sind hier eine verhältnismäßig billige Runde; wir treffen uns gleich noch.
Der Antrag der PDS enthält einen wichtigen Satz:
1989/1990 wäre eine Chance gewesen, eine Reform der
Personalstruktur und der Personalverfassung an Hochschulen in Ost- und Westdeutschland umzusetzen. Ich
gebe ganz offen zu: Diese Chance wurde vertan, Frau
Böttcher. In den nächsten Monaten wird sich entscheiden,
ob wir zehn Jahre später wieder die Chance vertun, unser
anachronistisches Dienstrecht an die Notwendigkeiten eines internationalen Bildungswettbewerbes anzupassen.
Der PDS-Antrag romantisiert das alte DDR-Hochschulsystem und kombiniert damit einige bedenkenswerte
Gedanken. Für mehr Leistungsorientierung und Wettbewerb ist Ihr Antrag nach unserer Ansicht jedoch kaum geeignet.
({1})
Ähnliches gilt übrigens für die uns bisher bekannten
Vorschläge von Frau Ministerin Bulmahn. Eine Dienstrechtsreform macht man nicht alle Tage, Herr
Catenhusen; sie greift in die Lebensplanung von Hochschullehrern und Studierenden ein. Wenn man das Thema
jetzt endlich angeht, muss eine Reform wirklich zu mehr
Effizienz, Leistungsorientierung und Wettbewerb führen.
({2})
Entstaatlichung, Deregulierung, Autonomie und Umwandlung der Hochschulen in Stiftungen des öffentlichen
Rechts - das ist Reform, meine Damen und Herren. Ich
empfehle Ihnen, Frau Bulmahn auszurichten, sich vielleicht einmal mit Herrn Oppermann auszutauschen; so
weit sind die Wege innerhalb Hannovers ja nicht.
({3})
Wir Liberalen wollen ein Hochschulrecht mit folgenden Kernpunkten: völlige Personal-, Tarif- und Organisationshoheit für die Hochschulen. Nicht der Staat soll
entscheiden, welche Studiengänge die Hochschulen anbieten, wen sie beschäftigen und was sie zahlen, sondern
die Universitäten und Fachhochschulen selbst.
({4})
Wenn wir Spitzenforschung und Profilbildung in Kompetenzzentren wollen, dann müssen wir Spitzenwissenschaftlern auch international wettbewerbsfähige Gehälter
zahlen; ich glaube, da sind wir uns alle einig.
({5})
Diese Gehälter müssen sich an der Leistung orientieren.
Um Leistung zu messen, brauchen wir regelmäßig in- und
externe Bewertungen; Evaluierung durch Studierende
kann dabei nur ein Kriterium unter vielen sein.
Eine umfassende Deregulierung und Umstrukturierung kann nicht kostenneutral sein. Daran können wir
nicht vorbeireden, Herr Berninger. Wir wollen weg von
der kameralistisch engen Kostenneutralität, die wegen der
damit verbundenen Bemessungsgrundlage für die Hochschullehrer auch eine klare Benachteiligung der Fachhochschullehrer darstellt. Hochschullehrer an Fachhochschulen und Universitäten sind nicht gleich, aber
gleichwertig - da haben Sie den Deckel nicht geöffnet,
wie Sie eben dargestellt haben -; sie müssen auch bei der
Besoldung gleichgestellt werden.
Die noch existierenden Unterschiede zwischen Hochschullehrerbesoldung in Ost und in West müssen aufgehoben werden. Die neuen Länder brauchen auch für die
nächsten fünf bis sieben Jahre eine Anschubfinanzierung.
Um den Länderhaushalten Spielräume für die Umsetzung
der Reform zu geben, muss der Bund in diesem Zeitraum
seinen Anteil am Hochschulbau erhöhen. Das wollen wir
im Etat wiederfinden.
Die F.D.P. hält die von der Expertenkommission vorgeschlagenen Juniorprofessuren für eine sinnvolle Ergänzung. Eine generelle Abschaffung der Habilitation,
wie sie auch die PDS fordert, lehnen wir ab.
({6})
Vor allem in den Geisteswissenschaften sind auch in Zukunft differenzierte Wege zum Professorenberuf notwendig.
Lassen Sie mich, Frau Böttcher, zum Schluss eine Übereinstimmung mit dem PDS-Antrag hervorheben: Wir
wollen das Beamtentum an den Universitäten auslaufen
lassen. Das gilt sowohl für Professoren als auch für alle
anderen Mitarbeitergruppen. Die gegenwärtig an den
Hochschulen tätigen Beamten sollen eine Wahlmöglichkeit zwischen heutigem Beamten- und zukünftigem Angestelltenstatus erhalten.
So weit in der Kürze der Zeit die Eckpunkte dieser Reform. Wir werden einen eigenen Antrag mit dem schönen
Titel „Radikale Dienstrechtsreform“ vorlegen. Ich freue
mich auf die Diskussion und wünsche Ihnen noch ein
schönes Wochenende.
({7})
Ich schließe die
Aussprache.
Bevor wir auseinander gehen, möchte auch ich von
diesem Platz aus in unser aller Namen Herrn Eckardt zu
seinem 60. Geburtstag gratulieren. Wir wünschen Ihnen
auch für die nächsten Jahre viel Erfolg und Wohlergehen.
({0})
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3900 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 25. Oktober 2000, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.