Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Für die SPD-Fraktion
erteile ich das Wort dem Kollegen Alfred Hartenbach.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Pofalla, wer um
9.02 Uhr morgens
({0})
das Wort „skandalös“ in den Mund nimmt, der sollte sich
einmal umdrehen und schauen, was wirklich skandalös
ist: erstens, dass Sie Ihre Leute bei Ihrem eigenen Geschäftsordnungsantrag nicht aus dem Bett bekommen,
({1})
und zweitens, dass unsere parlamentarischen Geschäftsführer erst darauf hinweisen müssen, dass Sie einen Geschäftsordnungsantrag gestellt haben; auch Ihre Geschäftsführung schläft hier friedlich vor sich hin.
({2})
Was Sie heute hier wieder produzieren, ist ein weiterer
Beweis Ihrer Inhaltsleere, Ihrer Inhaltslosigkeit, Ihrer
Fantasielosigkeit, ja ich möchte sagen: Ihrer geistigen Armut in der Sachdebatte.
({3})
Wenn Sie nicht die 20-Stunden-Woche pflegen würden,
was Sie offensichtlich tun,
({4})
sondern Ihre Aufgaben als Parlamentarier ernst nehmen
und nicht Ihren Nebenbeschäftigungen nachgehen würden, mit denen Sie das große Geld verdienen,
({5})
dann hätten Sie sich mit dem Gesetzentwurf befassen
können. Am Freitag ist der gesamte Gesetzentwurf über
das Internet bei Ihnen angekommen; das weiß ich definitiv. Sie hätten sich spätestens am Montag - ich will Ihnen
ja das Wochenende gönnen - damit befassen können. Der
Kollege Geis hat selbst gesagt, er hat es am Samstag per
Express zu Hause gehabt.
({6})
- Das Gesetz war vollständig da. Die Begründung kam
nach.
Wenn Sie sich einmal die Mühe gemacht hätten, in dieses Gesetz hineinzuschauen und es auch nur oberflächlich
zu lesen, dann hätten Sie festgestellt, dass sich der jetzige
Gesetzentwurf vom dem, den wir im Sommer hier eingebracht haben, in fast überhaupt nichts unterscheidet.
({7})
Anstatt giftige Bemerkungen in der „Bild“-Zeitung
und anderen Medien zu machen, hätten Sie das besser gelesen. Hätten Sie die Zeit, die Sie gebraucht haben, um
dümmliche Interviews zu geben, verwandt, um das zu lesen, dann wäre dies alles hier nicht nötig.
({8})
Wir haben die Sorgfalt walten lassen, die erforderlich
ist, um auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition
an den Vorbereitungen des Gesetzes zu beteiligen.
({9})
Wir haben, mein lieber Kollege Pofalla, ein Berichterstattergespräch durchgeführt, an das ich mich noch erinnern kann: Da saß Kollege Geis und wandte den Blick
himmelwärts, als ob von dort Hilfe kommen könnte, anstatt einmal in das Gesetz hineinzuschauen und vernünftige Vorschläge zu machen.
({10})
Dann kommt als weiteres Zeichen geistiger Armut,
dass Sie aus einer Sitzung ausziehen. Sie haben nicht einmal die Gelegenheit wahrgenommen, in eine Sachdebatte
einzusteigen, uns zu sagen, wo man etwas anders machen
könnte. Stattdessen ziehen Sie einfach aus. Das ist natürlich die einfachste Art und Weise, sich einer Beratung,
sich der Verantwortung zu entziehen.
({11})
Warum verabschieden wir das Gesetz heute? - Wir haben gestern 10 000 Unterschriften der Schwulen- und
Lesbenverbände erhalten, 10 000 Unterschriften von
Menschen, die darauf warten, dass sie endlich aus dem
Schatten der Diskriminierung herausgeholt werden, die
nicht länger auf Ihre leeren Versprechungen warten wollen.
({12})
Ronald Pofalla
Sie haben 16 Jahre lang gesellschaftspolitisch überhaupt nichts getan, nicht einen Strich, und wir gehen jetzt
eben schwierige Probleme an. Weil diese Menschen darauf warten, dass diese schwierigen Probleme gelöst werden, werden wir sie heute lösen und werden wir den Menschen, die darauf warten, etwas an die Hand geben, damit
sie künftig ganz normal mit uns in einer ganz normalen
Gesellschaft leben können.
({13})
Ich hoffe, Sie haben gestern bei der Demonstration am
Brandenburger Tor sowohl dem Bundespräsidenten als
auch Paul Spiegel aufmerksam zugehört.
({14})
Dann wissen Sie, dass wir als Parlamentarier in die Pflicht
genommen werden, etwas für Minderheiten zu tun. Mehrheiten helfen Minderheiten - schreiben Sie sich das hinter die Ohren und schreiben Sie sich auch hinter die Ohren, dass Sie als Partei, die das hohe C im Namen führt,
aufgerufen sind, in christlicher Verantwortung hier etwas
zu tun!
Wir werden heute jedenfalls darüber beraten.
Vielen Dank.
({15})
Für die F.D.P.-Fraktion erteile ich dem Kollegen van Essen das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz des heftigen Beifalls der Koalitionsfraktionen für den Kollegen Hartenbach
({0})
glaube ich, wenn wir einmal etwas Abstand von der heutigen Debatte haben werden, dann werden wir zu der Erkenntnis kommen, dass unser Umgang miteinander in dieser Geschäftsordnungsdebatte nicht für das Parlament
geworben hat.
({1})
Die Vorwürfe hinsichtlich der Arbeitszeit waren völlig
überflüssig.
({2})
Ich denke, dass das Anliegen, das auch meiner Fraktion
sehr wichtig ist, dadurch nicht gefördert worden ist.
Wir unterscheiden uns von der CDU/CSU-Fraktion
ganz erheblich;
({3})
denn wir als F.D.P. haben ebenfalls einen Gesetzentwurf
eingebracht, der Verantwortungsgemeinschaften stärken
soll.
({4})
Wir gehen da einen anderen Weg als die Koalition; aber
wir sind uns im Ziel einig. Deshalb hätten wir uns gewünscht, dass die Beratungen im Rechtsausschuss in einer Weise, die diesem gemeinsamen Ziel
({5})
- übrigens auch dem Ziel der PDS; ich gucke gerade die
Kollegin Schenk an - gedient hätte, durchgeführt worden
wären.
({6})
Sie als Koalition wissen, dass Sie in vielen Fällen der
Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Von daher hätte
ich mir ein Verfahren gewünscht, das andere einbezieht,
damit man gemeinsam vorankommt.
({7})
Aber genau das ist nicht getan worden.
Deswegen war die heutige Wortmeldung des Kollegen
Hartenbach auch symptomatisch. Genauso ist man miteinander umgegangen. Deshalb werden wir nicht vorankommen. Meine Voraussage ist, dass zum Schluss ein
Rumpfgesetz übrig bleibt, Herr Kollege Hartenbach, das
niemandem dient. Genau das wollen wir als F.D.P. jedoch
nicht. Wir wollen, dass Verantwortungsgemeinschaften in
unserem Land gestärkt werden.
({8})
Es hätte überhaupt nichts dagegen gesprochen, die Verabschiedung um eine Woche zu verschieben,
({9})
denn der Bundesrat muss ja ohnehin erreicht werden. Die
abschließende Beratung in der nächsten Woche hätte
keine Verschiebung hinsichtlich eines möglichen InKraft-Tretens bedeutet.
Nicht weil wir in der Sache mit der CDU/CSU übereinstimmen - wie gesagt, auch wir als F.D.P. wollen eine
Stärkung von Verantwortungsgemeinschaften homosexueller Menschen in diesem Land -, sondern weil wir in der
Kritik am Verfahren übereinstimmen, stimmen wir dem
Antrag zu.
Vielen Dank.
({10})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen erteile ich der Kollegin Steffi
Lemke das Wort.
Werter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße auch die inzwischen Eingetroffenen bei der
CDU/CSU-Fraktion,
({0})
deren Reihen sich jetzt langsam füllen.
Wir werden die Beratungen über das Lebenspartnerschaftsgesetz heute abschließen, weil die Beratungen im
parlamentarischen Verfahren nach der Geschäftsordnung
erfolgt sind. Sie können nicht darauf pochen, dass irgendwelche Ihrer Minderheitenrechte verletzt worden sind,
weil es eine ausführliche Diskussion und eine ausführliche Anhörung im Ausschuss gegeben hat. Sie haben es
vorgezogen, diesen Beratungen im Ausschuss zumindest
teilweise lieber nicht beizuwohnen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Ausschussberatungen vernünftig ablaufen.
({1})
Der Geschäftsordnungsausschuss hat sich bereits am
Mittwoch mit den von Ihnen vorgetragenen Argumenten
auseinander gesetzt. Er hat einstimmig gegen die CDU/
CSU-Fraktion entschieden, dass die Geschäftsordnung
nicht verletzt ist, weshalb ich es schon relativ albern finde,
heute noch einmal eine Geschäftsordnungsdebatte zu
führen, in der genau die gleichen Dinge noch einmal vorgetragen werden.
({2})
Ich denke, dass Ihr Problem darin besteht, dass Sie momentan keine inhaltlichen Alternativen, keine inhaltlichen
Konzepte, weder bei diesem noch bei einem anderen
Thema, vorzuweisen haben und deshalb versuchen,
({3})
den Bundestag permanent mit Geschäftsordnungsdebatten, Sitzungsunterbrechungen und ähnlichen Dingen zu
beschäftigen. Wir wollen hier eine vernünftige Sacharbeit
in den Ausschüssen und im Plenum leisten
({4})
und nicht ständig solche Auseinandersetzungen führen.
Ich habe Ihnen gesagt, wir haben das bereits im Geschäftsordnungsausschuss debattiert.
({5})
Ich rufe Sie von daher auf, zur Sacharbeit zurückzukehren und sich mit den inhaltlichen Dingen des Gesetzentwurfs auseinander zu setzen. Ich bin der Meinung, dass
Sie das Ganze nur inszenieren, weil Ihnen der Gesetzentwurf von seiner inhaltlichen Ausrichtung her einfach
nicht in den Kram passt.
({6})
Ich denke, Sie sollten zu den Sachdebatten zurückkehren, sich da wieder politisch einbringen und aufhören, das
Parlament ständig mit solchen Dingen zu beschäftigen.
Mischen Sie sich da wieder ein! Sie hatten ja mal einen
Fraktionsvorsitzenden, unter dem das sehr gut funktioniert hat, unter dem auch inhaltliche Konzepte entwickelt
worden sind. Kehren Sie zu dieser Arbeit zurück! Ansonsten werden wir es hier noch öfter auf Ihren Antrag hin mit
solchen Geschäftsordnungsdebatten zu tun haben.
Wir werden dafür sorgen, dass das Parlament in all diesen Punkten geschäftsordnungsmäßig entscheidet. Sie
können daran teilhaben oder nicht daran teilhaben. Das
müssen Sie selber wissen. Aber legen Sie Konzepte vor!
Beteiligen Sie sich an den Sachdebatten!
({7})
Für die PDS-Fraktion
erteile ich das Wort der Kollegin Heidi Knake-Werner.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion wird
den Antrag der CDU/CSU ablehnen. Auch uns hat vieles
im Zusammenhang mit der Beratung dieses Gesetzentwurfs nicht gefallen. Das haben wir im Fachausschuss
auch deutlich gemacht. Aber wir sind der Auffassung, die
Geschäftsordnung ist nicht verletzt worden.
Die zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfs
wurden fristgerecht aufgesetzt. Es gab keine entsprechende Einrede. Die Beratung ist im Rechtsausschuss
ordnungsgemäß abgeschlossen worden. Auch das hat der
GO-Ausschuss gestern festgestellt.
({0})
Insofern ist das Verfahren hier zunächst einmal überhaupt
nicht zu bemängeln.
Ich glaube, Sie haben eher inhaltliche Probleme mit
diesem Gesetzentwurf,
({1})
die beispielsweise aus der Aufsplittung resultieren,
({2})
sicherlich auch aus den Änderungsanträgen, aber ganz sicher auch daraus, dass Ihnen die Richtung nicht passt. Das
alles aber ist unserer Auffassung nach kein Grund, hier
eine Geschäftsordnungsdebatte vom Zaun zu brechen.
({3})
Wenn Sie, Herr Pofalla, hier erklären, das sei ein einmaliger Vorgang, der am Mittwoch im Rechtsausschuss
stattgefunden hat, dann muss ich wirklich sagen: Ich mache mir echt Sorgen um Ihr Kurzzeitgedächtnis.
({4})
Das kann ich Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung sagen.
({5})
Was uns im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung teilweise zugemutet worden ist, ist wirklich unglaublich.
({6})
Insofern ist es völlig daneben, von „einmalig“ zu reden.
Sie hätten am Mittwoch wirklich die Chance gehabt,
Ihre Probleme im Rechtsausschuss zu klären. Das haben
Sie nicht getan. Sie haben sofort den GO-Ausschuss angerufen und sind dort ausgezogen.
({7})
Hier bestätigt sich aber die alte Weisheit: Wer raus geht,
muss auch wieder reinkommen. Die Geschäftsordnung ist
in diesem Fall ein ungeeignetes Mittel.
Wenn nach Ihrer Auffassung hier ein Gesetz verabschiedet wird, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf und deshalb keinen Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht haben wird, dann ist auch dies nicht per
Geschäftsordnung zu klären. Das muss dann vielmehr auf
einer anderen Ebene geklärt werden.
Ich erkläre abschließend: Auch uns gefällt das Vorgehen der Mehrheit nicht immer. Aber die Situation ist nun
einmal so. Auch die rechte Opposition muss sich daran
gewöhnen, dass jetzt diese Regierung und die sie tragende
Mehrheit das Heft des Handelns in der Hand hat. Mit Geschäftsordnungsanträgen zum falschen Zeitpunkt und den
falschen Gegenstand betreffend wird sich diese Situation
ganz sicher nicht ändern lassen.
({8})
Wir kommen damit
zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag der
CDU/CSU-Fraktion auf Vertagung des Tagesordnungs-
punktes 18. Wer dem Geschäftsordnungsantrag der
CDU/CSU zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Das Letztere ist die Mehrheit. Da-
mit ist der Geschäftsordnungsantrag der CDU/CSU-Frak-
tion abgelehnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen damit
zu Tagesordnungspunkt 17:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder ({0}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Michael Luther, Dr. Angela
Merkel, Vera Lengsfeld, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Investitionsförderung verstetigen - regionale
Wirtschaftsstrukturen stärken
- Drucksachen 14/2242, 14/4330 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Paul Krüger
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder ({1}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr.-Ing. Rainer Jork, Katherina
Reiche, Günter Nooke, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Lehrstellenmangel Ost mit wirksamen Regelungen angehen
- Drucksachen 14/3185, 14/4177 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Holzhüter
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Mathias Schubert, SPD-Fraktion, das Wort.
({2})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer den Saal verlassen will, den bitte ich, das möglichst schweigend zu tun,
damit der Redner eine Chance hat, Gehör zu finden.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es gehört schon ein gerüttelt
Maß an Chuzpe - das klingt vielleicht freundlicher als
„Dreistigkeit“, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Unionsfraktionen - dazu, dem Parlament einen solchen
Antrag zur Verstetigung von Investitionsförderung und
Stärkung regionaler Wirtschaftsstrukturen zur Abstimmung vorzulegen. Wie sehr das Sein das Bewusstsein bestimmt, wusste schon Altvater Marx. Aber dass Ihr Wechsel auf die Oppositionsbänke auch noch zu einem Anfall
partieller Amnesie geführt hat, lässt sich leider auch an
dem vorliegenden Antrag belegen.
Sie haben schlicht unterschlagen, dass die Regierung
Schröder mit dem Investitionszulagengesetz aus dem
Jahre 1997 ein von Ihnen zu verantwortendes Werk übernommen hat, das in wichtigen Teilen offensichtlich nicht
EU-kompatibel und somit nicht notifizierungsfähig war.
Die alte, CDU/CSU-geführte Bundesregierung hat also
allein zu verantworten, dass ein entsprechender Änderungsbedarf in Bezug auf dieses Gesetz überhaupt notwendig wurde.
Diese notwendigen Änderungen, die Teile der betrieblichen Förderungen betreffen, sind konsequenterweise im
Rahmen des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 umgesetzt
worden, um die Vorgaben der Kommission zu erfüllen.
Die Fördermittel für so genannte Ersatzinvestitionen wurden gesenkt und die Fördersätze für Erstinvestitionen im
Gegenzug erhöht, um das Fördervolumen insgesamt nicht
zu gefährden und auf einem entsprechenden Niveau zu
halten. Das dürfte übrigens schon deshalb gelingen,
weil die Praxis zeigt, dass der Anteil an Erstinvestitionen
deutlich höher liegt, als ursprünglich erwartet. Selbst Sie,
Kollege Krüger, haben während der Ausschussberatungen
eingeräumt, nur über Schätzzahlen zu verfügen. Gleichwohl schwingen Sie in Ihrer Antragsbegründung die
große Keule und unterstellen wieder einmal der Bundesregierung, 1 Milliarde DM auf Kosten des Aufbaus Ost
einsparen zu wollen.
({0})
Dieser inzwischen bekannte, kollektive Aufschrei frei
nach der Parole „Rot-grüner Ausstieg aus dem Aufbau
Ost“ entbehrt jeder Seriosität.
({1})
Warten Sie doch erst einmal ab, was das Ifo-Institut München als Ergebnis des in Auftrag gegebenen Gutachtens
vorlegt. Dann haben wir eine konkrete Argumentationsund - bitte schön - natürlich auch eine streitfähige Datenbasis.
Leider gilt diese kritische Bemerkung auch für Ihre
locker formulierten Forderungen nach Kompensationsmöglichkeiten für den schlicht unterstellten Mittelausfall.
Sie wissen so gut wie ich, dass unmittelbare Förderungen
von Ersatzinvestitionen im Rahmen der von Ihnen angeführten Gemeinschaftsaufgabe gar nicht möglich sind.
GA-Förderung und Investitionszulage folgen anderen Regeln. Sie können also wirklich nicht erwarten, dass wir
dem vorliegenden Unionsantrag unsere Zustimmung geben.
Es gibt lediglich einen Aspekt Ihres Antrags, der das
gemeinsame Nachdenken lohnt - das habe ich bereits
während der Ausschussberatungen deutlich gemacht -,
nämlich den Solidarpakt II. Wir wollen und wir werden
ihn in der laufenden Legislaturperiode vereinbaren. Seine
Kernfrage heißt: Was brauchen wir in den etwa zehn Jahren ab 2005 für die Gestaltung des Projektes „Zukunft
Ost“? Zunächst scheint die Antwort recht einfach zu sein,
weil niemand um die Erkenntnis umhinkommt: Auch ab
2005 werden die ostdeutschen Länder auf erhebliche Finanzhilfen angewiesen sein. Das wissen auch manche Populisten an westdeutschen Stammtischen oder in süddeutschen Staatskanzleien.
Schwieriger ist es schon, die konkrete Frage zu beantworten, wie knappe Mittel möglichst effizient einzusetzen
sind. Selbst Fachleute blicken bei dem Wust von Programmen, Subventionen, Ausgleichszahlungen oder Ergänzungszuweisungen kaum noch durch. Sündhaft teuer,
hochkompliziert und in ihren Wirkungen bisweilen umstritten, so lauten landauf, landab kritische Stimmen aus
der Wirtschaft, den wissenschaftlichen Instituten oder der
Politik. Ich bin daher sicher, als einer der entscheidenden
Faktoren wird sich in den vor uns liegenden Diskussionen
zum Solidarpakt II nicht allein die Frage herauskristallisieren, wie viel Geld für den Osten vorhanden sein wird
- sie ist wichtig -, sondern auch die Frage, wofür es ausgegeben wird.
({2})
Wir erwarten dabei keinen ostdeutschen Bonus, wohl
aber durchaus einen ostdeutschen Fokus, um das Projekt
„Zukunft Ost“ in klar umrissenen Zielen, Zeitabschnitten
und finanziellem Aufwand berechenbar und überprüfbar
zu machen. Die notwendigen Schwerpunkte im Solidarpakt II sind dabei Finanzausgleich, Abbau der Infrastrukturdefizite, aktive Arbeitsmarktpolitik, Fortsetzung der
Gemeinschaftsaufgabe und Investitionen in das viel beschworene Humankapital.
Den Begriff „Stärkung regionaler Wirtschaftsstrukturen“ nehme ich jetzt noch einmal kurz auf. Wir wissen
alle: Die ostdeutschen Länder bilden längst keine homogene Landschaft mehr. Alle herkömmlichen Indikatoren
weisen ein teilweise erhebliches Regionalgefälle aus.
Legt man Einkommen, Arbeitslosenquote, Infrastrukturausstattung, Forschungs- und Entwicklungsstandard und
wirtschaftliche Dynamik zugrunde, haben stärker entwickelte Regionen Ostdeutschlands zumindest Anschluss
an westdeutsche Schlusslichter gefunden und sind zum
Teil sogar dabei, sie zu überholen.
Was eine gezielte regionale Förderung und die wirkungsvolle Unterstützung regionaler Kompetenzzentren
bewirken können, setzt durchaus sehr reale Hoffnungszeichen. Ich nenne Pars pro Toto Jena, Dresden und Rostock als Beispiele dafür, wie ökonomische Kompetenz erhalten, selbsttragende Entwicklungen eingeleitet und
regelrechte Kompetenznetzwerke für Informationstechnologie, Biotechnik, Nanotechnik oder Medizintechnik
entstanden sind. Das heißt, unsere Strukturpolitik muss
sich auf regionale Potenziale konzentrieren und das Gelingen von Projekten hängt von der Nutzung und Vernetzung dieser eigenen Potenziale sowie von Kooperationen
ab. Bei selbstkritischer Analyse unserer bisherigen Leitbilder und Konzepte für den Aufbau Ost kommen wir zu
dem Schluss, dass auf diesem Gebiet die entscheidenden
Akzente für Zukunftsinvestitionen gesetzt werden.
In Ostdeutschland entwickeln sich also mit erheblicher
Dynamik Wirtschaftsregionen, die zunehmend einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung unserer Zukunftsfähigkeit leisten. Um diesen Trend zu unterstützen, setzt
die Bundesregierung seit 1999 auf entsprechende Strategien in ihrer Wirtschaftsförderungs- und Strukturpolitik.
Der Erfolg von Inno-Regio und Inno-Net zum Beispiel
macht Mut, dem einfachen „Weiter so!“ oder der sicher
gut gemeinten Forderung nach permanenter Verstetigung
neue Prioritäten entgegenzusetzen.
Das Schwergewicht der Förderung ist daher konsequent auf Regionen zu verlagern, die sich nicht allein geographisch, sondern durch ihre wirtschaftliche Struktur,
ihre Potenziale und wirtschaftlich-wissenschaftlichen
Kooperationsbeziehungen definieren. Wenn wir auf diese
Weise das Zukunfts- und Modernisierungsprogramm Ost,
Teil II, initiieren und realisieren, kann sich das Projekt
Zukunft Ost bei sich verändernden politischen, wirtschaftlichen und globalen Rahmenbedingungen durchaus
zu einer Erfolgsgeschichte entwickeln. Die Koalitionsfraktionen werden daher selbstverständlich die Bundesregierung bei der Umsetzung der entsprechenden, bereits
begonnenen Strategien nachhaltig unterstützen.
Danke schön.
({3})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rainer Jork, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wird Sie vielleicht verwundern, aber ich will mit Lob und Dank beginnen. Zum einen ist es nämlich sinnvoll und notwendig,
die Lehrstellensituation in den neuen Bundesländern für
sich zu diskutieren. Angaben zu Trends, Tendenzen und
gesamtdeutschen Durchschnitten verkleistern die tatsächlich schlimme Situation und blockieren, wie bewiesen,
notwendige Schlussfolgerungen.
({0})
Zum anderen ist es logisch und notwendig, über die
Lage auf dem Lehrstellenmarkt und die wirtschaftliche
Situation gemeinsam zu beraten. Lehrstellen im dualen
System - vor allem in den kleinen mittelständischen Unternehmen - entstehen nur zusammen mit der Wirtschaft.
({1})
Wenn in den neuen Bundesländern etwa ein Drittel der Jugendlichen außerbetrieblich, also außerhalb von Betrieben,
ausgebildet wird, muss das ein Alarmzeichen für uns sein.
Die beiden Anträge passen also gut zusammen und verdienen unsere Zuwendung.
({2})
Lassen Sie mich zunächst die Aussagen eines sehr ernst
zu nehmenden Begleiters der beruflichen Bildung in
Deutschland zitieren:
Zwei Jahre Ausbildungsplatzpolitik der rot-grünen
Bundesregierung - es ist eine dürftige Bilanz: Die
Ausbildungsgarantie ist … nicht eingelöst worden…
({3})
- Ich werde Ihnen gleich sagen, wer das sagte.
Für den Osten gibt es bislang keine neuen Impulse, …
Weiter heißt es:
In den neuen Bundesländern haben es die jungen
Menschen unverändert schwerer als im Westen, einen
betrieblichen Ausbildungsplatz zu bekommen …, bei
den Ausbildungsplätzen von den Betrieben gab es ein
mageres Plus von einem Prozent. Fast alle zentralen
Kennzahlen des Ausbildungsmarktes Ost sind nunmehr seit Jahren eklatant schlechter als im Westen.
Der Mann hat Recht. Wir müssen darüber reden.
({4})
- Das kommt noch. Ich will die Spannung noch ein bisschen aufrechterhalten, Sie werden sich wundern, Frau
Jäger.
({5})
Allgemein gilt, dass die Arbeitslosenquote und besonders die Quote der jugendlichen Arbeitslosen in den neuen
Bundesländern durchschnittlich doppelt so hoch liegt wie
in den alten Bundesländern. Konkret heißt das: 1999 lag
die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen in den alten Bundesländern bei 9 Prozent, in den neuen Bundesländern bei
15,7 Prozent. Ein anderes Beispiel: In Bayern kamen auf
100 Bewerber 117 betriebliche Lehrstellen, in Sachsen 13.
({6})
In Sachsen ist das Gesamtangebot an Ausbildungsstellen
stärker zurückgegangen als die Anzahl der Bewerber; das
Verhältnis liegt bei 1 : 1,86. Darin stecken betriebliche
und außerbetriebliche Stellen. Erfreulich ist übrigens,
dass die Zuwachsraten in den neuen Berufen erheblich
sind. Bei IT-Berufen liegen sie bei mehr als 50 Prozent,
bei Mechatronikern liegen sie bei fast 100 Prozent. Aber
Prozente sind keine absoluten Zahlen; wir kennen den
Unterschied. Ich darf darauf hinweisen, dass die Kohl-Regierung genau diese Entwicklung schon auf den Weg gebracht hat. Ebenso positiv ist die Entwicklung bei freien
Berufen. Allerdings macht das nur etwa 10 Prozent aus.
Nach dem Beschluss der Bundesregierung werden in
den neuen Bundesländern die außerbetrieblichen Ausbildungsplätze auf maximal 15 Prozent der durch das
Bund-Länder-Programm bereitgestellten begrenzt. Das
bedeutet, dass die früher teilweise abgebaute Bugwelle an
Bewerbern nun erneut im Anwachsen begriffen ist.
Die CDU/CSU-Abgeordneten aus den neuen Bundesländern hatten - darüber habe ich hier bereits berichtet eine Anhörung in Dresden. Die Ergebnisse und die
Schlussfolgerungen habe ich hier vorgetragen. Ich habe
sie dem Staatsminister Schwanitz und der Ministerin
Bulmahn mitgeteilt. Ich darf an folgende Kernaussagen
erinnern: Erstens. Wir brauchen in den neuen Bundesländern besondere Methoden, weil besondere Bedingungen
vorliegen. Zweitens. Das Problem ist nur lösbar, wenn unsere Reaktion über Ressortgrenzen hinausgeht. Drittens.
Neue und unübliche Wege sind erforderlich. - Wir haben
all das in den Schlussfolgerungen zusammengestellt. Aus
Zeitgründen möchte ich das nicht weiter ausführen.
Hauptziel muss es sein, die Fähigkeit und die Bereitschaft der kleineren und mittleren Betriebe, Lehrlinge
auszubilden, zu erhöhen; denn dort werden die besten und
die meisten betrieblichen Lehrstellen bereitgestellt. Qualität, Praxisnähe und auch die Chancen, später einen Arbeitsplatz zu finden, sind dort am höchsten.
({7})
Das Ziel ist nur durch unmittelbar wirkende steuerliche
Begünstigungen und Anreize erreichbar. Sodann bedarf es
der Förderung der Verbundausbildung und der überbetrieblichen Lehrunterweisungen, aber auch der Förderung
im Sinne einer Anschubfinanzierung. In dem Zusammenhang darf ich auf Österreich hinweisen - es ist bereits angesprochen worden -, wo es eine direkte Steuerentlastung für ausbildende Betriebe gibt.
({8})
Ich bin mir bewusst, dass die Bundesregierung helfen
will. Ich vermeide Begriffe, die die frühere Opposition
selbst verwendet hat - zum Beispiel: Katastrophe, Tatenlosigkeit, Skandal -,
({9})
obwohl die angekündigte Trendwende noch nicht erreicht
ist und vieles versprochen, aber nicht gehalten wurde. Die
Bundesregierung gab inzwischen Änderungen im JUMPProgramm bekannt, die ich begrüße. Ich freue mich, dass
unsere Zuarbeit offenbar ernst genommen worden ist.
({10})
Die Mobilitätshilfe muss so gestaltet werden - ich sage
das, weil die Grünen daran heftige Kritik geübt haben -,
dass die Rückkehr an den Heimatort gefordert und gefördert wird. Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass die
Lehrlingswohnheime unterstützt werden.
Ich möchte auf Folgendes hinweisen, weil gerade ein
entsprechender Zwischenruf gemacht wurde: Die SPD
schlägt in der Drucksache 14/3331 vor, über die - ich zitiere - „Standardisierung von Maßnahmen“ nachzudenken. Das geht genau am Ziel vorbei. Wir haben spezielle
Bedingungen. Es gibt nichts zu standardisieren.
({11})
Regionalspezifische Maßnahmen müssen vorgenommen
werden.
Jetzt möchte ich auf Ihre Frage antworten: In der
„Frankfurter Rundschau“ erschien am 26. Oktober 2000
ein Beitrag des Leiters der Abteilung Berufsbildung - ich
rede bewusst langsamer - beim Vorstand der IG Metall in
Frankfurt am Main, Dr. Klaus Heimann, mit dem Untertitel: „Ein genauer Blick in die Lehrstellenbilanz 2000
zeigt schwerwiegende Lücken und Schwächen“. Aus diesem Artikel, in dem Dr. Klaus Heimann die ostdeutschen
Bedingungen beschreibt, stammt das erste Zitat. Da Sie so
interessiert sind, möchte ich mehr von dem zitieren, was
er berichtet:
Das Ziel, jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anzubieten, wurde 1999 und auch in diesem
Jahr deutlich verfehlt. Obwohl sich dieses Jahr erstmals weniger Jugendliche bei den Arbeitsämtern als
Ausbildungsplatz Suchende registrieren ließen, ...
schafften auch diesmal den Sprung in die Ausbildung
nur etwas mehr als die Hälfte von ihnen, ... Die anderen wurden so wie in den Vorjahren auch schon in
mehr oder minder sinnvollen Ersatzmaßnahmen oder
offensichtlich unsinnigen Warteschleifen geparkt.
({12})
Er geht noch auf JUMP ein; aus Zeitgründen möchte ich
das aber nicht vertiefen. Ich empfehle Ihnen sehr, sich das
anzuschauen, was Herr Heimann von der IG Metall dort
mit sehr viel Sachverstand und Basisnähe sagt. Er sagt unter anderem übrigens auch, dass benachteiligte Jugendliche weiterhin schlecht dran sind, dass sich die Lage nicht
verbessert hat. Ich stimme seiner Bilanz zu und fordere
die Bundesregierung mit Blick auf die Situation in den
neuen Bundesländern dringend auf:
Erstens. Passen Sie das Sofortprogramm der Spezifik
Ost an. Nutzen Sie dazu das, was in unserem Antrag steht,
und die Erfahrungen, die wir in unserer Anhörung in Dresden im Juni dieses Jahres gewonnen haben.
({13})
Zweitens. Sorgen Sie - damit wende ich mich direkt an
Herrn Schwanitz - für die interministerielle Gesamtgestaltung des Prozesses. Das ist nicht nur die Sache eines
Ministeriums, es muss interministeriell gearbeitet werden. Für Sie als Staatsminister im Bundeskanzleramt ist
das Ihr Amt. Bitte tun Sie Ihre Pflicht in diesem Amt!
({14})
Drittens. Fördern Sie kleine und mittelständische Unternehmen, direkt und steuerlich.
Viertens. Starten Sie eine mittelstandsfreundliche
Steuerpolitik.
({15})
Fünftens. Beseitigen Sie die zusätzlichen Belastungen
der KMU durch die so genannte Ökosteuer.
({16})
- Wenn Sie Fragen haben, sollten Sie sie stellen. Es gibt
durchaus Antworten auf solche Fragen.
({17})
Tun Sie das aber bitte nicht auf chemisch-kaltem Wege,
um mich möglicherweise zu verwirren oder aus der Fassung zu bringen.
({18})
Sechstens. Führen Sie Maßnahmen durch, die eine
nachhaltige Wirkung sichern. Es geht um eine Strukturarbeit. Es geht nicht um Flickschusterei und auch nicht um
Schaufensterpolitik. Ich würde gerne in einem Jahr an dieser Stelle am Ende meiner Rede mit Lob und Dank für das
Gesamtverhalten im Sinne der jungen Leute in den neuen
Bundesländern schließen.
Danke schön.
({19})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war
ganz freundlich, Herr Kollege Jork, dass Sie am Anfang
die Leistung der Bundesregierung anerkannt haben. Im
Laufe Ihrer Rede bekam ich dann aber den Eindruck, dass
Sie den Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit offensichtlich nicht gelesen oder nicht zur Kenntnis genommen haben; denn das, was Sie fordern, wird vielfach bereits getan und schon im Moment erfüllt. Insofern
beschäftigen wir uns mit zwei völlig überflüssigen und für
meine Begriffe auch dürftigen Anträgen, die Sie hier gestellt haben.
({0})
Diese Anträge stammen noch aus der „Lutherzeit“.
({1})
Das heißt zwar nicht, dass sie aus dem 16. Jahrhundert
stammen, aber immerhin aus der Zeit, als der Kollege
Michael Luther noch für die Ostbelange in Ihrer Fraktion
gesprochen hat. Jetzt ist ja der „Demokratische Aufbruch“ - mit Günter Nooke und Angela Merkel - an die
Spitze gedrungen.
({2})
Es wäre wünschenswert, wenn man das auch in den Anträgen zu spüren bekäme.
({3})
- Ich rede gerade über die Anträge, Günter Nooke.
({4})
Diese wären durchaus bearbeitungswürdig gewesen; denn
dort fehlt jegliche kritische Reflexion Ihrer eigenen Politik.
({5})
- Normalerweise sollten Sie mir zuhören, weil ich Sie im
Grunde genommen anspreche. Dann könnten Sie darauf
mit Zwischenfragen reagieren; ich bin gern bereit, darauf
einzugehen.
Wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben, Sie hätten am
Ende der Regierungszeit von Helmut Kohl erkannt, dass
die Investitionszulage das eigentliche Förderinstrument
für den Aufbau Ost ist, dann muss ich sagen: Das ist leider eine sehr späte Erkenntnis. Inzwischen haben wir kapitale Fehlallokationen im Osten durch die progressionsbedingten Steuerabschreibungen gehabt. Wir haben jede
Menge Fehlinvestitionen gehabt. Darüber sollten Sie einmal reden.
({6})
Es gibt im Osten Investruinen sondergleichen: Bürogebäude, Gewerbegebiete und Einkaufszentren auf der grünen Wiese, Hotelbauten und dergleichen mehr. Sie haben
dazu beigetragen, dass Überkapazitäten in der Bauindustrie geschaffen wurden, die uns heute Probleme bereiten,
weil sie abgebaut werden müssen; denn wir brauchen sie
in diesem Umfang nicht. Wir haben einen schwierigen
Strukturwandel im Transformationsprozess.
Das ist doch das eigentliche Problem, das wir im Osten
momentan bewältigen müssen. Es ist ein massives Problem, das Sie uns hinterlassen haben.
({7})
Noch dazu haben Sie ein Investitionszulagengesetz konstruiert, das noch nicht einmal von der EU-Kommission
notifiziert werden konnte, weil es nicht korrekt war. Also
mussten wir das, was Sie uns kopflastig angeboten haben,
auf die Füße stellen.
Kollege Schulz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jork?
Gern.
Herr Kollege
Schulz, weil Sie mich dazu ermutigt haben, möchte ich
auf die Bemerkungen, die offenbar direkt an mich gerichtet waren, eingehen. Meine erste Frage: Nachdem Sie inzwischen zwei Jahre an der Regierung sind, meinen Sie
nicht, dass Sie vielleicht ein bisschen mehr in die Zukunft
schauen sollten, als die Vergangenheit zu pflegen?
Zweitens. Haben Sie eigentlich die Zahlen, die konkret
das Thema Lehrstellen betreffen, zur Kenntnis genommen, die ich Ihnen genannt habe? Sind Sie der Meinung,
sie sind falsch?
Drittens. Meinen Sie, dass der von mir zitierte Fachmann der IG Metall eine falsche Einschätzung - sowohl
hinsichtlich des Zahlenmaterials als auch dessen Inhalts gegeben hat? Dann sagen Sie das bitte hier!
Kollege Jork, was die Zukunft anbelangt: Wir hatten wirklich erst einmal mit den Altlasten zu tun und damit, diese wegzuräumen.
({0})
Grinsen Sie ruhig! - Sie fordern, die Investitionsförderung zu verstetigen. Wir haben sie verstetigt, und zwar
erst einmal garantiert, und dann in qualitativ neuer Form
fortgesetzt. Dazu gehört nun einmal die Haushaltskonsolidierung, ohne die wir gar keine Mittel für die Investitionsförderung hätten.
({1})
Dazu gehört das Steuerreformkonzept; ohne die Steuerreform hätten wir diese Mittel nicht.
Zum JUMP-Programm muss ich Ihnen sagen: Es ist
ungehörig, wie Sie das diffamieren. JUMP ist ein Sprung
nach vorn. Was Sie hier anbieten, ist die Rolle rückwärts.
({2})
Sicherlich, die Ausbildungsplatzsituation ist noch
nicht zufrieden stellend. Es fehlt uns immer noch an
betrieblichen Ausbildungsplätzen. Das hat aber mit den
Werner Schulz ({3})
wirtschaftlichen Strukturen zu tun, die wir im Osten vorgefunden haben. Davon müssen wir ausgehen. Wir haben
in diesem Bereich eine enorme Intensivierung vorgenommen. Sie können das allein daran sehen, wie sich die Jugendarbeitslosigkeit entwickelt hat, dass dieser Trend gestoppt wurde: Die Jugendarbeitslosigkeit im Osten ist in
den letzten Jahren unter Ihrer Regierung von 120 000 arbeitslosen Jugendlichen im Jahre 1996 auf über 140 000
im Jahre 1998 gestiegen.
({4})
Dass wir die Trendwende geschafft haben und heute vom
Abbau der Arbeitslosigkeit reden können, hat doch eindeutig mit den Maßnahmen dieser Bundesregierung zu
tun.
({5})
Herr Jork möchte
noch eine Frage stellen, wenn Sie gestatten.
Ich freue mich, dass ich Sie am frühen Morgen so
beleben kann.
Kollege Schulz,
vielleicht können Sie uns einmal sagen, warum Sie auf die
Frage nach den Zahlen der Lehrstellen und auf die Frage
nach der Glaubwürdigkeit des Vertreters der IG Metall
nicht eingegangen sind. Aus meiner Sicht sollten wir doch
ein bisschen konkret werden. Sie werden sich erinnern:
„Tendenzaussagen“ und „Prozente der Planerfüllung“
hatten wir früher einmal.
Ich weiß nicht, wo Sie bei der Planerfüllung standen. Ich kenne Sie ja ein bisschen: Das Schießen von Eigentoren überlasse ich Ihnen.
({0})
Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir noch nicht in der
Situation sind, jedem Jugendlichen seinen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen zu können. Das ist nach wie
vor ein Problem. Aber: Wir haben die Diskrepanz eindeutig verringert. Wir haben eine bessere Bilanz - ich habe
den Jahresbericht hier nicht vorliegen, aber ich könnte Ihnen die Zahlen ganz konkret nennen; wir können beide in
den Bericht schauen -: Im Osten herrscht momentan eine
bessere Situation, als das 1998 der Fall war, als wir die
Regierung übernommen haben. Das ist eindeutig.
({1})
Gehen wir in medias res: Die Investitionsförderung hat
sich unter der jetzigen Bundesregierung eindeutig verbessert. Vor allen Dingen haben wir die vielfältigen Förderprogramme, die wir vorgefunden haben, zu ziemlich übersichtlichen Bausteinen zusammengefügt. Wir haben uns
auf Innovationsförderung, Starthilfen für junge Unternehmen und Existenzgründer sowie auf Chancen- und Beteiligungskapital konzentriert. Das alles hat es zu Ihrer Zeit
nicht gegeben, wir haben es eingeführt bzw. ausgeweitet.
In der Wirtschaftsförderung ist eindeutig eine qualitative Verbesserung eingetreten. Es ist absehbar, dass auch
die Arbeitslosigkeit - wenn auch noch nicht in einem
Maße, das uns befriedigen würde - klar zurückgeht. Im
Osten geht die Arbeitslosigkeit tendenziell zurück; junge
Leute finden verstärkt Arbeits- und Ausbildungsplätze.
({2})
Wir haben die Mobilitätshilfe eingeführt und die Kritik,
die von Ihrer Seite kam, aufgenommen. Wir haben in diesem Katalog viele Qualifizierungsmaßnahmen anzubieten, die junge Leute an Ausbildung und Arbeit heranführen. Im Grunde genommen muss man auch das
gesamte Vorfeld betrachten.
Ich finde, Ihre Kritik greift kräftig ins Leere. Ihre Anträge sind von vorgestern, beinhalten keinerlei Selbstkritik und bringen uns nicht weiter. Auch wenn Sie Ihre
Emotionen kaum dämpfen können und ständig Zwischenrufe machen und Zwischenfragen stellen: Die Erfolge, die wir sehen, sind die Erfolge der jetzigen Bundesregierung. Sie hat dafür in den letzten zwei Jahren hart
gearbeitet. Sie können sagen, was Sie wollen: Sie haben
damit nichts zu tun.
({3})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Cornelia Pieper, F.D.P.-Fraktion.
Verehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schulz hat die Anträge der CDU/CSU-Fraktion zur Investitionstätigkeit in
den neuen Bundesländern und zur Jugendarbeitslosigkeit
als überflüssig bezeichnet.
({0})
Ich halte es für skandalös,
({1})
wenn man es für überflüssig hält, über diese Themen, die
die brennendsten Fragen für die neuen Bundesländer beinhalten, zu diskutieren. Ich finde, so kann man das nicht
im Raum stehen lassen.
Herr Schulz, nach den Einschätzungen des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung wird der Bedarf an
Lehrstellen von rund 665 000 in diesem Ausbildungsjahr
Werner Schulz ({2})
bis zum Jahre 2006 um knapp 6 Prozent auf 704 000
steigen. In diesem Jahr haben aber insgesamt nur
400 000 junge Menschen einen Ausbildungsplatz gefunden. Aus dieser Diskrepanz wird deutlich, dass das Problem noch lange nicht gelöst ist. Die Ihnen bekannte Gewerkschaftsjugend sagt konkret zum JUMP-Programm,
dass von dem im letzten Jahr im Bündnis für Arbeit beschlossenen Ausbildungskonsens nur noch ein - ich zitiere - „Ausbildungsnonsens“ übrig sei.
({3})
Wenn Sie uns schon nicht glauben wollen, vielleicht glauben Sie ja wenigstens den jungen Leuten, die in Ihrer Partei oder der Gewerkschaft sind.
Wir haben heute die Gelegenheit, die Erfolge der Bundesregierung beim Aufbau Ost einer Qualitätsprüfung zu
unterziehen. Die vorliegenden Anträge sind eine gute Gelegenheit, die Chefsache Aufbau Ost zu bewerten. Die rotgrüne Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf - er wird
in erster Lesung beraten - eingebracht, der vorsieht, die
vorgesehenen Mittel für Ersatzinvestitionen in kleinen
und mittelständischen Betrieben um die Hälfte zu kürzen
und die Förderung bis zum Jahre 2001 ganz auslaufen zu
lassen.
Sie sind damit Ihren Versprechungen, die Förderung
für den Aufbau Ost bis zum Jahre 2004 nicht anzutasten,
nicht treu geblieben.
({4})
Das wundert uns nicht. Auch wenn Sie im Gegenzug eine
verstärkte Förderung von Erstinvestitionen vorschlagen,
so geben Sie nach Ihrem Haushaltsentwurf statt der bisher
veranschlagten 3,5 Milliarden DM 1 Milliarde DM weniger. Sie betreiben somit nach meiner Meinung eine Konsolidierung des Bundeshaushaltes zulasten des Aufbaus
Ost. Das muss ich so deutlich sagen.
({5})
Dass Sie dies aufregt, verstehe ich, aber: Wahrheit bleibt
Wahrheit.
Die Bundesanstalt für Arbeit hat in ihrem jüngsten Bericht auf die Problematik des ostdeutschen Arbeitsmarktes und der Ausbildungsplatzsituation hingewiesen. Die
Arbeitslosenzahlen im Osten sind noch immer dramatisch hoch. Sie, meine Damen und Herren von der
Regierungskoalition, stellen trotzdem in Frage, ob man
Unternehmen nach erfolgter Subventionierung der Erstinvestitionen überhaupt noch Ersatzinvestitionen finanzieren solle. Wenn man dies infrage stellt, dann kennt man
die Situation von kleinen und mittelständischen Unternehmen im Osten nicht gut. Sie wissen genau, dass die Eigenkapitaldecke der dortigen Unternehmen noch immer
zu dünn ist und dass man ganz gezielt Investitionen
fördern muss und sie nicht streichen darf, wie Sie es vorhaben. Die Mehrheit der kleinen und mittelständischen
Firmen im Osten ist auf Hilfe angewiesen, auch um Ausbildungsplätze zu schaffen. Ich betone: Die beste Ausbildungsplatzpolitik, die man machen kann, ist eine ordentliche Mittelstandspolitik.
({6})
Damit nicht genug: Wenn man sich den Haushalt für
2001 anschaut, dann stellt man fest, dass Sie die Mittel für
die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ um 300 Millionen DM gekürzt haben. Die Mittel für wirtschaftsnahe Infrastrukturmaßnahmen werden insgesamt um 12 Prozent gekürzt. Ich halte
es für gefährlich, wenn gerade dort, wo die Infrastrukturmaßnahmen gefördert werden können, gekürzt wird.
Damit nicht genug: Die Expertenkommission zum
Wohnungsleerstand im Osten, die Minister Klimmt einberufen hat, hat heute mitgeteilt - das sind die neuesten
Nachrichten -: Die Eigenheimzulage im Osten soll halbiert werden. Als Ausgleich sollen die Zulagen für den
Kauf von Wohnungen in der Platte oder im Altbau verdoppelt werden und somit die Wirkung der staatlichen
Wohnraumlenkung verbessert werden. Das muss verhindert werden; das ist ein Skandal! Wir alle wissen, dass die
Vermögensbildung in den neuen Ländern noch nicht den
Stand in den alten Ländern erreicht hat.
({7})
Angesichts dieser Politik hören wir - zu Recht - die
Alarmglocken läuten. Deswegen ist es wichtig, dass wir
über die Fragen der Investitionsförderung erneut debattieren. Ich kann Sie namens meiner Fraktion nur auffordern - mein Kollege Jork hat es schon gesagt -, für mittelstandsfreundliche Gesetze zu sorgen, die insbesondere
dem Osten Deutschlands nutzen. Stellen Sie in der Steuergesetzgebung die Personalgesellschaften den Kapitalgesellschaften endlich gleich.
({8})
Schaffen Sie die Ökosteuer ab. Ermöglichen Sie Investitionen in den neuen Ländern, indem Sie die 1 Milliarde DM in den Bereich Bildung, Forschung und Wissenschaft fließen lassen,
({9})
damit zukunftssichere Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze in den Betrieben geschaffen werden können.
Darauf kommt es an. Ich finde es gut, dass es ein neues
Programm zur Förderung innovativer regionaler Wachstumskerne in den neuen Bundesländern geben soll.
Liebe Kollegin
Pieper, bitte kommen Sie zum Ende.
Sehr gern, Herr Präsident.
Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten.
({0})
- Das darf ich leider nicht bewerten. Ich schaue nur auf
die Uhr.
Deshalb schlage ich vor:
Lassen Sie uns einen Teil der Milliarde, die nach Ihrer Ansicht zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes verwendet werden soll, in das Programm zur Förderung innovativer Wachstumskerne stecken. Damit würden wir mehr
erreichen.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gerhard Jüttemann, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! „Der Arbeitsmarkt in den neuen Ländern kommt nicht voran, eher ist eine anhaltende Verschlechterung festzustellen“, heißt es im jüngsten Monatsbericht der Bundesanstalt für Arbeit. Bei anhaltender
Konjunktur ist dieser Offenbarungseid zuverlässiges Indiz dafür, dass alle Versprechungen und alle Zeitpläne der
wechselnden Bundesregierungen im Hinblick auf den
Aufholprozess der neuen Bundesländer nicht eingehalten
worden sind.
({0})
Im Herbstgutachten der sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute wird dazu festgestellt:
Der Aufholprozess kam somit nicht nur zum Stillstand, sondern gemessen am Pro-Kopf-Einkommen
fiel der Osten sogar zurück. An diesem Befund hat
sich zu Beginn des neuen Jahrzehnts wenig geändert.
Der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in den neuen
Ländern verstärkt sich in diesem Jahr, er bleibt aber
niedriger als in Westdeutschland. So stockt der Aufholprozess das vierte Jahr in Folge, und die Produktion je Einwohner verharrt bei 61 Prozent des Standes in Westdeutschland.
Diese anhaltend hoffnungslose wirtschaftliche Situation verlangt natürlich eine verstärkte Investitionsförderung. Sie alleine bringt aber überhaupt nichts, wenn sie
- wie in der gängigen Praxis - zum größten Teil eine Subventionierung leistungsstarker Großunternehmen darstellt. Demgegenüber müsste das Hauptziel der Förderung
von Wirtschaft die Entwicklung strukturschwacher Regionen bis hin zu deren ökologisch-sozialen Wandel im
Interesse ihrer Bewohner sein.
({1})
Eine solche Förderung müsste sich vor allem an der Hebung von Einkommen und Beschäftigung, an einer grundlegenden Verbesserung der Infrastruktur sowie an der Erhaltung und des Schutzes der Umwelt orientieren.
({2})
Leider ist nicht zu sehen, dass die Regierung beabsichtigt, sich in diese Richtung zu bewegen.
({3})
Das erfordert nämlich für die nächsten Jahre ein Aufstocken der Mittel für den Aufbau Ost. Die Bundesregierung aber kürzt stattdessen: Sie kürzt indirekt, indem sie
Steuermehreinnahmen durch die Änderung des Investitionszulagengesetzes nicht mehr dem Aufbau Ost zur
Verfügung stellt. Sie kürzt direkt, indem zum Beispiel die
Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe im kommenden
Haushaltsjahr um 300 Millionen DM magerer ausfallen
als noch in diesem Jahr.
Für unerträglich halte ich es auch, wenn staatliche Fördermittel dazu missbraucht werden können, dass etablierte Unternehmen aus dem Westen ihre Produktion in
den Osten verlagern, um per saldo Arbeitsplätze abzubauen, sich der Zahlung von Tariflöhnen zu entziehen sowie die in langen Jahren und schweren Auseinandersetzungen errungene Mitbestimmung auszuhebeln. Die
PDS-Fraktion wird demnächst einen Antrag einbringen,
um solchen Missbrauch zu stoppen;
({4})
denn diese Art und Weise von Wirtschaftsförderung trägt
dazu bei, dass die Lebensverhältnisse im Osten nach und
nach auf den Westen übertragen werden. Ursprünglich
war die Angleichung der Lebensverhältnisse in die andere
Richtung angekündigt worden - hauptsächlich von der
ehemaligen Regierung.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Lehrstellensituation in Ostdeutschland sagen. Auch hinsichtlich dieser
Problematik sind die Verhältnisse alles andere als angeglichen. Einige Wochen nach Beginn des neuen Lehrjahres sind Tausende von Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz. 40 Prozent der Jugendlichen im Osten müssen
außerbetrieblich ausgebildet werden.
({5})
Sie kennen die Qualität dieser Art von Ausbildung; Sie
wissen, was die Jugendlichen damit anfangen können.
Sehr viele junge Leute wandern deshalb in die alten Bundesländer ab. Das Problem wird uns aber erhalten bleiben;
denn die Gründe dafür fallen in absehbarer Zeit nicht weg:
Da ist zum einen der wirtschaftliche Rückstand im Osten
und zum anderen der allgemeine Trend, dass in besonderem Maße große Unternehmen die Lehrausbildung als
überflüssigen Kostenfaktor ansehen.
Einziger Lichtblick dürfte die demographische Entwicklung sein. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung wird der Bedarf an Ausbildungsplätzen im
Osten nur noch zwei Jahre lang steigen. Danach soll er
wegen rückläufiger Schulabgängerzahlen sinken. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass dann genügend
Lehrstellen vorhanden sind; denn auch deren Zahl sinkt ja
ständig. Das Institut jedenfalls konstatiert in seinem Wochenbericht vom 19. Oktober die Notwendigkeit, das
Lehrstellenangebot in kleineren und mittleren Betrieben
auszuweiten, weil es nicht ausreichend ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang das SPD-Wahlprogramm zitieren. Ich habe es hier schon einmal zitiert;
ich tue das aber gerne noch einmal, weil Sie es ja offensichtlich völlig verdrängt haben.
Herr Kollege
Jüttemann, das ist aber Ihre letzte Bemerkung. Sie liegen
schon deutlich über Ihrer Redezeit.
Im SPD-Wahlprogramm
heißt es also:
Wirtschaft und öffentlicher Dienst müssen in eigener
Verantwortung für ein ausreichendes Lehrstellenangebot sorgen. Anderenfalls wird auf gesetzlicher
Grundlage ein fairer bundesweiter Leistungsausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben notwendig.
({0})
Jetzt ist es nur noch notwendig, dass Sie Ihr Wahlprogramm umsetzen.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich erteile nun der
Kollegin Ingrid Holzhüter, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir am Anfang meiner Rede, dass ich Herrn Jork frage, ob folgendes
Zitat Grundlage unseres Denkens sein soll - er hat ja gesagt, die Vergangenheit solle uns nicht mehr interessieren
und wir sollten nur noch in die Zukunft schauen -: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt.“
Lieber Herr Jüttemann - ich sehe Sie ja sonst nicht ungern -, Jammern aber hat noch nie geholfen. Jeder Arzt
sagt: Positives Denken fördert die Heilung. - Vielleicht
sollten wir diesen Satz auch einmal auf unsere Politik
übertragen und den Menschen in den neuen Ländern dieses Gefühl vermitteln.
({0})
Die Beratung in den Ausschüssen über den Antrag der
Opposition hat keine Gesichtspunkte zutage gefördert,
die uns überzeugt hätten, dass die Argumente, die wir
schon in der ersten Lesung angeführt haben, um die
Sinnlosigkeit dieses Antrages zu belegen, nicht richtig
sind. Es gibt keine andere geeignete Vorgehensweise des
Parlaments, als diesen Antrag abzulehnen. Die Zahlen, die
Sie hier genannt haben, lassen nämlich völlig außer Acht,
dass es neben dem BBiG und der Handwerkskammerordnung auch noch andere Informationen gibt, die in Ihre anscheinend nicht eingeflossen sind.
Die Maßnahmen der Bundesregierung stellen keine
Konkurrenz zu den Aktivitäten der Länder dar. Sie können vielmehr kombiniert werden. Gerade die neuen Länder werden damit in ihren Bemühungen unterstützt. Damit wird man der besonderen Situation, die in den neuen
Ländern durchaus noch besteht, gerecht.
Statt den Vorwurf der Konkurrenz an den Haaren herbeizuziehen, sollten Sie, meine Damen und Herren von
der Opposition, zur Kenntnis nehmen, dass die Ausbildungsförderung besonders für benachteiligte Jugendliche
eine große Bedeutung gewonnen hat. Denn diese jungen
Menschen bedürfen einer besonderen Betreuung und hätten ohne diese Betreuung im Hinblick auf ihre Zukunft
und ihre Qualifikation wenig Chancen.
({1})
Untergraben Sie bitte den vorsichtigen Optimismus dieser
Menschen nicht; denn ohne Optimismus kann man keine
vernünftige Lebensführung garantieren.
Das Sofortprogramm der Bundesregierung leistet einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und reiht sich in die Initiativen ein, mit denen
sich die Bundesregierung diesem Problem widmet. Die
Bekämpfung des Rechtsextremismus ist nicht nur eine
politische und moralische Pflicht aufrechter Demokraten
gegenüber den Menschen, die von Rechtsextremisten bedroht werden. Vielmehr ist sie auch Pflicht denjenigen
gegenüber, die aus emotionaler und ideologischer Orientierungslosigkeit in die Gefahr geraten, Halt und Orientierung bei diesen Gruppen zu suchen. Solche Menschen
gefährden nicht nur andere und die demokratische Grundordnung. Sie zerstören auch ihre eigenen Zukunftschancen.
Wir täten ihnen und uns einen Bärendienst, wenn wir
diese jungen Menschen mit dem Hinweis auf hohe Kosten einfach sich selbst überlassen würden. Wir müssen
alle in diesem Zusammenhang möglichen Anstrengungen
unternehmen; denn nur so können wir gerade den neuen
Ländern helfen, die sich - zugegebenermaßen noch immer - in einer relativ benachteiligten Lage befinden. Wir
haben aber auch die Erfahrung gemacht, dass die Ausbildungskonferenzen auf dem Wege, eine verbesserte Situation zu erreichen, einen wichtigen Beitrag leisten.
({2})
Mit dem Hinweis auf Kosteneffizienz wollen Sie,
meine Damen und Herren von der Opposition, den neuen
Ländern den Boden unter den Füßen wegziehen. Da hätten wir uns die Bemühungen für die neuen Länder schon
immer sparen können. Sie waren noch nie billig. Klar ist
aber doch - von moralischen Gesichtspunkten einmal abgesehen -, dass uns der Aufbau der neuen Länder, wenn
wir dies nicht auf diese Weise getan hätten, viel teurer
gekommen wäre. Wir werden den von Ihnen begonnenen
Aufbau Ost weiterführen, aber ohne die Fehler, die Sie dabei begangen haben.
Zu Ihrer Zeit sind die Themen der speziellen Ausbildungsförderung und des Rechtsextremismus in den neuen
Ländern vernachlässigt oder sogar unter den Teppich
gekehrt worden. Um das zu vertuschen, versuchen Sie
nun mit teilweise wirklich peinlichen Scheinargumenten
die erfolgreichen Maßnahmen der Bundesregierung
zu diskreditieren. Es ist zum Beispiel absurd, angesichts
dessen eine Überprüfung der Maßnahmen auf ihre
Wirksamkeit zu fordern, da diese Überprüfung ständig
vorgenommen und das Sofortprogramm sogar wissenschaftlich begleitet wird.
Ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, welches neue
Zahlenmaterial diese wissenschaftliche Begleitung zusammengestellt hat, nachdem wir die erste Aussprache zu
diesem Thema hatten. So haben im September dieses Jahres 10 998 Jugendliche begonnen, an Maßnahmen des Sofortprogramms teilzunehmen. Das ist die höchste Zugangszahl in diesem Jahr. Seit Jahresbeginn ergeben sich
damit 79 465 Zugänge. Für 25 000 davon - genauer gesagt: für 24 965 - ist damit eine Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt möglich. Die angestrebte Schwerpunktsetzung in Richtung Eingliederung in den ersten
Arbeitsmarkt mit Lohnkostenzuschüssen wurde also erreicht. Sie sehen, meine Damen und Herren von der Opposition, ein beständiges Lernen aus den Programmen
und eine entsprechende kontinuierliche Anpassung müssen gar nicht von Ihnen gefordert werden. Sie sind bei uns
in den besten Händen.
Mit Projekten zur Ausschöpfung und Erhöhung des betrieblichen Lehrstellenangebots konnten bislang über
20 000 zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze gewonnen werden.
({3})
Dies scheint aber die Kollegin Pieper nicht zu interessieren, da sie mir ihr „besseres Teil“ zuwendet.
Seit Jahresbeginn wurden gegen nur 2 671 Jugendliche
wegen unbegründeter Ablehnung oder unbegründeten
Abbruchs von Maßnahmen Sperrzeiten verhängt. Die geringe Zahl der Ablehnungen zeigt, dass die Jugendlichen
diese Ausbildungsangebote durchaus positiv bewerten
und annehmen.
Die neuen Länder werden besonders gefördert.
146 Millionen DM nicht benötigter Ausgabemittel für
Strukturanpassungsmaßnahmen wurden zugunsten des
Sofortprogramms umgeschichtet. Davon kommen
113 Millionen DM den neuen Ländern zugute. Damit entfallen 42,6 Prozent der Mittel auf die neuen Länder.
({4})
Bereits jetzt wird so der Empfehlung des Bündnisses
für Arbeit entsprochen, den Anteil der neuen Länder am
Sofortprogramm zu erhöhen. Im Jahre 2001 werden es
nämlich 50 Prozent sein. Ende September 2000 nahmen
in den neuen Ländern schon 35 687 Jugendliche am Sofortprogramm teil. Dies sind 48,9 Prozent aller Teilnehmer. Das Sofortprogramm hat dazu geführt, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Ost- und in Westdeutschland im
Jahresdurchschnitt 1999 gegenüber dem Jahresdurchschnitt 1998 zurückgegangen ist. Der Schwerpunkt des
Programms ist auf die Integration der Jugendlichen in den
ersten Arbeitsmarkt verlagert worden. Meine Damen
und Herren von der Opposition, Sie können also angesichts dieser Zahlen ruhig schlafen. Die Regierung wird
es schon richten.
Wir reden hier von Erfolgen, wie sie gerade in den
neuen Ländern dringend gebraucht werden. Es sollte nicht
sein, dass Sie ausgerechnet an dieser Stelle versuchen, der
Bundesregierung an den Karren zu fahren. Das ist Kritik
um der Kritik willen und das ist destruktiv.
({5})
Die Bundesregierung hat völlig zu Recht im Juni dieses Jahres beschlossen, dass das Sofortprogramm über das
Jahr 2000 hinaus verlängert wird. Wir sollten sie darin gerade im Namen der Menschen in den neuen Ländern unterstützen.
Einen Schlüsselsatz hat für mich der Arbeitsamtsdirektor von Neustrelitz gesagt - und damit will ich schließen -:
Wir sind nicht froh, dass es Arbeitsmarktprogramme
wie ABM und Co geben muss, aber, meine Damen
und Herren, was würden wir ohne diese Programme
in den neuen Ländern tun? Hier würde der Teufel auf
den Straßen tanzen!
Wer wollte das abstreiten?
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile der Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ohne Zweifel
wichtig, dass wir im Deutschen Bundestag regelmäßig
über die Konzepte für die Förderung der Wirtschaft in den
neuen Ländern debattieren. Es ist ohne Zweifel auch
wichtig, dass sich Wirtschaftswissenschaftler, Unternehmer und Politiker Gedanken über die Effektivität der laufenden Maßnahmen machen.
Es gibt jedoch einen stummen Debattenbeitrag und
eine sehr greifbare Form der Evaluierung: Ich spreche von
der hohen Abwanderungsrate gerade junger Menschen
aus den neuen Ländern. Hierbei handelt es sich um eine
Abstimmung mit den Füßen über die verfehlte Politik der
Bundesregierung.
({0})
Der Aderlass ist immens. 1998 verließen knapp
200 000 Menschen die neuen Länder. 1999 waren es noch
einmal 13 000 Menschen mehr als 1998. Nach einer Prognose werden in den nächsten zehn Jahren 1 Million Menschen die neuen Länder verlassen. Es ist nicht irgendwer,
der die neuen Länder verlässt, es sind die Jungen, die Leistungsträger der Gesellschaft, die die Zukunft bestimmen.
({1})
Wir alle, die wir uns mit Migration beschäftigen, wissen, dass man seine Heimat und sein soziales Umfeld
nicht ohne Grund verlässt. Dahinter steckt gerade bei jungen Menschen häufig Perspektivlosigkeit.
Die Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen gibt jeden
Monat Anlass zu Besorgnis. Die Arbeitslosigkeit in den
neuen Ländern ist mittlerweile zweieinhalb Mal so hoch
wie in den alten Ländern. Das wollte ich zur Realität der
Chefsache Aufbau Ost von Bundeskanzler Schröder sagen.
Vonseiten der Bundesregierung wird auf diese Entwicklung mit einem selbstgerechten Achselzucken reagiert, nach dem Motto: Wir tun doch alles, was wir können. Das mag ja so sein, es ist aber bei weitem nicht
ausreichend und zeugt von Ihrem Selbstverständnis von
verantwortungsvoller Politik. Wir brauchen handfeste Taten statt lockerer Sprüche.
({2})
Nehmen wir zum Beispiel das Sofortprogramm
JUMP. Grundsätzlich begrüßen wir jede Maßnahme, die
dazu dient, die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den neuen
Ländern abzubauen. Die Maßnahmen müssen aber nachhaltig, effizient und bedarfsorientiert sein. Die Bundesregierung preist JUMP vollmundig und offensichtlich voreilig als vollen Erfolg. Aber selbst das Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für
Arbeit sagt zur Bewertung von JUMP - ich zitiere -, „dass
eine kausale Interpretation der Befunde zum derzeitigen
Zeitpunkt noch nicht vorgenommen werden kann“.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat deshalb mit
ihrem Antrag eine Zwischenbilanz von JUMP gezogen.
Mein Kollege Rainer Jork hat bereits auf die offensichtlichen Mängel dieses Programms aufmerksam gemacht.
JUMP bietet nur einem Bruchteil der Teilnehmer eine Perspektive. In Brandenburg sind beispielsweise gerade einmal 2,5 Prozent der Jugendlichen aus einer JUMP-Maßnahme in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen worden.
Weniger als 10 Prozent konnten eine reguläre Ausbildung
beginnen. Auf der anderen Seite sind in Brandenburg
20 Prozent der Jugendlichen vorzeitig aus der jeweiligen
Maßnahme ausgestiegen. Circa 30 Prozent wurden in einer
ABM geparkt und ein weiteres Drittel holte über das
JUMP-Programm seinen Hauptschulabschluss nach.
({3})
Es ist offensichtlich, dass dieses Programm ineffizient
und ineffektiv ist. Es ist umso ärgerlicher, dass die Bundesregierung die Kosten für JUMP - immerhin 2 Milliarden DM - auf die Sozialversicherung abgewälzt hat. Es
gibt keinen Gestaltungsspielraum für Beitragssenkungen,
obwohl diese wirklich zur Belebung des Arbeitsmarktes
beitragen würden.
({4})
Die Kollegen von der SPD haben im Mai ein Loblied
auf die überbetriebliche Ausbildung gesungen, die einen großen Prozentsatz von JUMP ausmacht. Dort würde
man sich viel besser um die jungen Menschen kümmern
als in einem Betrieb, hieß es. Ich glaube, dass dies Ihre
Einstellung zum ersten Arbeitsmarkt ganz deutlich zeigt.
Überbetriebliche Ausbildung darf dagegen munter und
teuer weiter am Bedarf vorbei ausbilden. So kommen zum
Beispiel in den neuen Ländern weiterhin viele junge Maurer auf den Arbeitsmarkt, die in der gebeutelten Baubranche im Osten momentan wirklich nicht gebraucht werden.
Wir sollten uns einig sein, dass der Erfolg von Maßnahmen wie JUMP letztlich daran gemessen werden
muss, wie viele Menschen auf dem ersten Markt eine
Chance erhalten. Wenn jedoch Bundesprogramme - sie
bringen für ein Jahr mehr Geld - den Landesprogrammen
dergestalt Konkurrenz machen, dass die Hälfte der Berufsschulklassen in Brandenburg fluchtartig die Schulen
verlässt,
({5})
um ein Jahr lang mehr Geld zu haben, danach aber ohne
Ausbildung und ohne Arbeitsplatz dasteht, finde ich die
Maßnahmen völlig verfehlt.
({6})
Für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind weniger
die JUMP-Milliarden maßgeblich als eine Wirtschaftspolitik, die die Unternehmenslandschaft in Ostdeutschland stabilisiert und für den Wettbewerb fit macht. Es gibt
Unternehmenslandschaften in Ostdeutschland, die hervorragend funktionieren. Ich nenne den Bereich um Dresden und den Speckgürtel um Berlin. An dieser Entwicklung jedoch hatte die jetzige Bundesregierung wirklich
keinen Anteil. Die Aufgabe der Bundesregierung besteht
darin, die strukturschwachen Regionen zu fördern. Dabei
versagt die Bundesregierung.
Ich möchte vier Beispiele nennen, für mehr reicht leider die Zeit nicht. Erstens. Im Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder haben wir sehr intensiv über die
Investitionsförderung und das Investitionszulagengesetz
diskutiert. Über Sinn und Zweck der unterschiedlichen
Behandlung von Erst- und Ersatzinvestitionen kann man
streiten. Ich möchte aber die Bundesregierung und die
Koalitionsfraktionen, insbesondere Herrn Schulz, darauf
hinweisen, dass wir mit der EU über die Sache gestritten
haben. Wir wollten nämlich, dass Erst- und Ersatzinvestitionen nicht voneinander getrennt werden. Es hätte zur
politischen Fairness gehört, wenn Sie gesagt hätten, dass
Ihr Investitionszulagengesetz noch nicht notifiziert ist.
({7})
Unter dem Strich kommt durch die unterschiedliche Behandlung eine Steuerersparnis von knapp 1 Milliarde DM
heraus; Frau Pieper hat darauf bereits hingewiesen. Diese
könnten Sie getrost in die Gemeinschaftsaufgabe Aufbau
Ost stecken. Sie bezeichnen die Gemeinschaftsaufgabe als
„Herzstück“ Ihrer Wirtschaftspolitik in den neuen Ländern.
Doch das so genannte Herzstück kürzen Sie um 300 Millionen DM. Mit traumwandlerischer Sicherheit kürzen Sie
bei all den Posten - bei der Infrastruktur und den Mitteln
für Forschung und Entwicklung -, die wirklich dazu
beitragen würden, die Wirtschaft in den neuen Ländern zu
stärken.
Zweitens: Ökosteuer. Die Ökosteuer ist Gift für die
Wirtschaft, gerade in den neuen Ländern.
({8})
Die Industrie im Osten wird überproportional belastet.
Nach wie vor sind im Osten gegenüber dem Westen 6 bis
10 Prozent höhere Energiekosten zu verzeichnen. Auch
der Stromverbrauch liegt, bezogen auf den Umsatz in Ostdeutschland, höher als im Westen. Das liegt einerseits an
der relativ geringen Größe der Betriebe, andererseits am
derzeit noch geringeren Wirkungsgrad vieler eingesetzter
Maschinen.
({9})
Die Ökosteuer gehört abgeschafft.
({10})
- Herr Schubert, bitte beruhigen Sie sich doch wieder!
Drittens: Abschreibungstabellen. Es muss endlich
Schluss sein mit dem willkürlichen Geschachere um Abschreibungszeiten, die nicht den betrieblichen Notwendigkeiten entsprechen. Es kann nicht angehen, dass Betriebe in ihrer Investitionstätigkeit durch unsinnige
Verwaltungsregelungen gehindert werden. Zudem müssen die Regelungen über Abschreibungszeiten für die Betriebe verlässlich sein, weil ihre Investitionsplanungen
über Jahre gehen. Gerade für kapitalschwache Unternehmen in Ostdeutschland ist langfristige Planungssicherheit
wichtig. Der ursprüngliche Entwurf der Bundesregierung
sah zum Teil eine Verdoppelung bei den Abschreibungszeiten vor, etwa bei Personalcomputern. Das ist völlig unsinnig.
({11})
Viertens: Betriebsverfassungsgesetz.
Kollegin Reiche, Sie
müssen bitte zum Ende kommen.
Ja, ich komme zum
Ende.
Als Payback für die Wahlkampfhilfe der Gewerkschaften bastelt Minister Riester an einer weit reichenden Ausdehnung der Mitbestimmung der Betriebsräte auf mittlere
und kleinere Inhaberbetriebe. Ganz besonders Inhaberbetriebe sind darauf angewiesen, ein gutes Verhältnis zu
ihren Mitarbeitern zu pflegen. Sie sind auf die Kompetenz
ihres Inhabers und den Teamgeist der Belegschaft angewiesen.
Kollegin Reiche, ich
hatte es ernst gemeint.
Ja, ich komme zum
Schluss.
Wir fordern Sie auf, Minister Riester darin zu bestärken, dieses Gesetz nicht umzusetzen. Ich hoffe, wir wollen alle nicht, dass zwischen Rügen und dem Erzgebirge
irgendwann das Altersheim der Bundesrepublik Deutschland entsteht. Ich bitte Sie, daran mitzuarbeiten, dass das
nicht passiert.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Investitionsförderung verstetigen - regionale Wirtschaftsstrukturen stärken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2242 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der PDS gegen
die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Lehrstellenmangel Ost mit
wirksamen Regelungen angehen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3185 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie soeben angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Margot von Rennesse,
Hanna Wolf ({0}), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Volker Beck ({1}), Marieluise Beck ({2}),
Claudia Roth ({3}), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften
({4})
- Drucksache 14/3751 ({5})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hildebrecht Braun ({6}), Rainer
Brüderle, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse eingetragener Lebenspartnerschaften
({7})
- Drucksache 14/1259 ({8})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Funke, Jörg van Essen, Hildebrecht
Braun ({9}), weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eiKatherina Reiche
nes Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen
Gesetzbuchs ({10})
- Drucksache 14/326 ({11})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Sabine Jünger, Christine
Ostrowski, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übernahme der gemeinsamen Wohnung nach Todesfall der Mieterin/des Mieters
oder der Mitmieterin/des Mitmieters ({12})
- Drucksache 14/308 ({13})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
({14})
- Drucksachen 14/4545, 14/4550 Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Norbert Geis
Volker Beck ({15})
Christina Schenk
Der Rechtsausschuss hat in seine Beschlussempfehlung die von der Fraktion der F.D.P. und von der Fraktion
der PDS eingebrachten Gesetzentwürfe zur Änderung des
Bürgerlichen Gesetzbuch betreffend das Wohnrecht hinterbliebener Haushaltsangehöriger einbezogen, über die
heute ebenfalls abschließend beraten werden soll. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Zum Entwurf des Lebenspartnerschaftsgesetzes liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kollegin
Margot von Renesse, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde in der Zeit,
die mir zur Verfügung steht, zunächst etwas über das Verfahren sagen, dann etwas über die vorliegenden Entwürfe
und zum Schluss über das Klima, in dem das Ganze verhandelt wird, insbesondere auch über die Aktivitäten, die
wir aus Agenturmeldungen auch heute kennen gelernt haben.
Zunächst einmal zum Verfahren. Wir haben heute
Morgen eine Geschäftsordnungsdebatte gehabt. Herr
Pofalla hat in ihr gesprochen und Vorwürfe erhoben, die
mir persönlich gegen die Ehre gehen.
({0})
Ich habe dazu Folgendes zu sagen, und ich möchte,
dass das unbedingt auch von Ihnen, Herr Geis, so gewürdigt wird, wie es das meines Erachtens verdient.
({1})
Wir kennen uns beide lange genug, um zu wissen, dass
wir beide die streitige Auseinandersetzung lieben. Ich
hätte Sie auch mit Ihnen gern geführt. Dazu ist es nicht gekommen, und meines Erachtens lag das weder an der Koalition noch an Herrn Beck noch an mir.
({2})
Zunächst zur CDU/CSU. Wir hatten am Dienstag vergangener Woche ein Berichterstattergespräch,
({3})
in dem nach stattgefundener Anhörung Sie das Wort nur
einmal ergriffen haben, nämlich um zu fragen, warum wir
die Stiefkindadoption nicht zulassen - eine wirklich verblüffende Anregung von Ihnen,
({4})
auf die Herr Beck dann mit der Äußerung reagiert hat, einem Änderungsantrag von Ihnen würden wir mit Interesse entgegensehen. Dem konnte ich mich nur anschließen.
Im Übrigen gab es keinen einzigen sachlichen Einwand,
({5})
und ich weiß auch, warum: Ihnen geht das ganze Anliegen gegen den Strich.
Nur, bei der Anhörung haben Ihre Sachverständigen
bis auf zwei gegen das Anliegen verfassungsrechtliche
Bedenken im Grundsatz nicht geltend gemacht.
({6})
Zwei haben Bedenken geltend gemacht. Einer hat vorgetragen, dass es ein Verstoß gegen die Eheschließungsfreiheit, die nach Art. 6 des Grundgesetzes gewährt werden
muss, sei, wenn jemand, der in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft sei, nicht heiraten dürfe. Das
war ein etwas merkwürdiges Argument. Ich kann Ihnen
sagen, dass wir mit diesem Problem aufgrund der gegebenen Gesetzeslage ohne Schwierigkeiten fertig werden.
({7})
Er hat dieses Argument nicht mehr wiederholt - das wissen Sie auch, denn Sie waren dabei -, weil es von vornherein von der gesamten Zuhörerschaft mit ausgesprochener Verblüffung zur Kenntnis genommen wurde.
Ein zweites, sehr viel ernsteres Argument war das von
Professor Diederichsen, der die Befürchtung zum Ausdruck gebracht hat, dass von der Existenz eines solchen
Instituts, wie wir es vorhaben, eine „Verführung“ zur Homosexualität ausgehen könne. Daraufhin ist ihm entgegnet worden, dass es wohl kaum mit der Verfassung
Präsident Wolfgang Thierse
vereinbar ist, von vornherein die homosexuelle Neigung
eines Menschen als eine Neigung anzusehen, die es von
Verfassungs wegen zurückzudrängen gelte und die möglicherweise eben durch Schlechterstellung zu bekämpfen
sei. Die Verfassung ist insoweit neutral.
Diese Erfahrung im Berichterstattergespräch hat mich
dazu gebracht, davon auszugehen, dass Sie ein Gespräch
blockieren wollten, das ich gern auch gerade mit Ihnen geführt
hätte. Aber auch Herr Röttgen von der CDU hat geschwiegen.
Kein Wort kam von ihm im Berichterstattergespräch, und unser Angebot, ein weiteres Berichterstattergespräch zu führen,
das wir gleich in der ersten Sitzung gemacht haben, ist von Ihnen mit keinem Signal, dass Sie überhaupt eines wollten, beantwortet worden.
({8})
Ich habe gestern eine interessante Erfahrung gemacht,
Herr Geis. Ich war bei einer Tagung der Bundesnotarkammer. Dort kam ich zu einem Vortrag eines Mitarbeiters der Bundesnotarkammer über justament dieses Gesetz. Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses
hatte er sich zwei Stunden vorher aus dem Internet heruntergeladen, und er war angesichts des Umfangs der Änderungen, von denen 90 Prozent darin bestanden, dass da
schlicht und einfach stand: „entfällt“, in der Lage, dazu einen sachlich zutreffenden Vortrag zu halten.
({9})
Es ist eigentümlich, dass die CDU/CSU-Fraktion mit
ihren Mitarbeitern nicht in der Lage ist, zwischen Freitag
vergangener Woche und der Sitzung am Mittwoch im
Rechtsausschuss sich dazu ein ebenso sachlich fundiertes
Urteil zu bilden, wie das ein Mitarbeiter der Notarkammer
binnen zwei Stunden offensichtlich kann.
({10})
Zum Thema F.D.P., die sich ja diesem Geschäftsordnungsantrag angeschlossen hatte. Hierzu muss ich sagen,
dass ich in der Tat bis zur Selbsterniedrigung Ihnen hinterhergelaufen bin, Herr Westerwelle. Sie erinnern sich;
Wir haben dann, nachdem Sie einen Termin absagen
mussten, ein Gespräch geführt, in dem Sie mich im Vorfeld dieser Erörterung - da war der F.D.P.-Antrag schon in
den Bundestag eingebracht - darauf verwiesen hatten, mit
einem Ihrer Mitarbeiter zu sprechen, was ich selbstverständlich getan habe.
Nur, es kam von Herrn van Essen, der als Berichterstatter tätig war, nach der Anhörung nicht ein einziges Signal, das auf Gesprächsbereitschaft schließen ließ.
({11})
Das Interessante war: Wir hatten dieses Gesprächsangebot noch im Berichterstattergespräch gemacht. Herr
Westerwelle, das weiß ich nun positiv. Ich pflege nicht zu
lügen.
({12})
Herr Beck und ich haben das Gesprächsangebot im Berichterstattergespräch am Dienstag der vergangenen Woche gemacht. Noch am Montag saß ich mit Herrn van
Essen zusammen. Kein Wort, auch nicht das geringste
Sterbenswörtchen von ihm mit der Bitte um weitere Gespräche.
Ich hätte zur Tages- und zur Nachtzeit zur Verfügung
gestanden. Für dieses Gesetz, mit dem ich mich seit Jahren beschäftige, hätte ich alles möglich gemacht und jeden Termin, den ich woanders habe, zurückgestellt. Jeder,
der mich kennt, wusste, dass ich das ernst meine.
({13})
Denn ich wiederhole: Ich pflege die streitige Auseinandersetzung mit wahrer Leidenschaft, und gerade zu
diesem Punkt. Das zum Verfahren.
Kollegin von
Renesse, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Westerwelle?
Aber gerne.
Frau Kollegin, da
Sie mich selber angesprochen haben: Sind Sie mit mir - ({0})
- Wie bitte?
({1})
- Was soll das? Verzeihen Sie.
({2})
Frau Kollegin, da Sie mich angesprochen haben,
möchte ich bei dieser Sache noch einmal nachfragen.
Zunächst einmal: Stimmen wir darüber ein, dass, als wir
uns im Sommer unterhalten haben, um zu sondieren, ob
wir zu einer gemeinsamen Lösung kommen, beabsichtigt
gewesen ist, vor allen Dingen auf Mitarbeiterebene
- bezüglich des Justizministeriums und unserer Mitarbeiter - zunächst einmal die einzelnen Fragmente und einzelnen Spezifika abzuchecken?
Das Zweite ist: Stimmen wir darin überein, dass
unser Vertreter im Rechtsausschuss, nämlich Herr van
Essen, den Koalitionsfraktionen nicht nur einmal,
sondern mehrfach angeboten hat, in Richtung einer gemeinsamen Initiative zu gehen?
Wir stimmen insoweit
überein, dass wir uns im Sommer getroffen haben, und
zwar aufgrund meiner Initiative.
Wir stimmen nicht darin überein, dass Sie mir gesagt
hätten, das Justizministerium sei einzuschalten, sondern
Sie haben mir gesagt, ich sollte mich an einen bestimmten Fraktionsmitarbeiter wenden.
Wir stimmen schließlich nicht darin überein - weil ich
das mit Nichtwissen bestreiten muss -, dass sich Herr van
Essen an irgendjemanden in unserer Arbeitsgruppe gewandt haben sollte. Denn an mich als Berichterstatterin
hat er sich nicht gewandt, obgleich wir uns noch am Montag dieser Woche getroffen haben.
({0})
- Ich habe mit Nichtwissen bestritten. Das ist in solchen
Fällen unter Juristen normal.
Eine Nachfrage des
Kollegen Westerwelle?
Gerne. Natürlich, Herr
van Essen. Immer.
({0})
- Herr Westerwelle.
Mit Nichtwissen bestreitet man nur etwas unter ganz bestimmten Umständen
im Prozess. Deshalb möchte ich noch einmal ausdrücklich
nachfragen. Sind Sie bereit nachzulesen, dass Herr van
Essen der Koalition im Rechtsausschuss nicht nur einmal,
sondern mehrfach Gespräche angeboten hat, und ist nicht
der Rechtsausschuss auch der richtige Ort, um Gespräche
anzubieten?
Wie Recht Sie haben!
Umso verblüffender war es, als wir vorgestern nach Auszug der CDU/CSU den verbliebenen Abgeordneten der
Oppositionsfraktionen in der Sache zu diskutieren angeboten haben, dass von Herrn van Essen der Antrag kam,
ohne weitere Debatte über das Gesetz als Ganzes abzustimmen.
({0})
- Das war so. Jeder, der dabei war, ist mein Zeuge.
({1})
Nun weiter. Kommen wir zu den Inhalten. Der Entwurf
der F.D.P. schafft ebenso -
Kollegin von Renesse,
der Kollege Scholz möchte auch noch eine Zwischenfrage
stellen.
Bitte.
({0})
Frau von Renesse, ich
bin, wie Sie wissen, als Ausschussvorsitzender nach dem
wegen der unerträglichen Verhandlungsgrundlagen berechtigten Auszug der Union im Saal geblieben. Deshalb frage
ich Sie, deutlich anknüpfend an das, was Herr Westerwelle
eben gefragt hat. Sie waren dabei und Sie müssten sich sehr
genau daran erinnern, dass Herr van Essen ausdrücklich gesagt hat, man müsste und sollte über beide Dinge reden. Sie
müssten sich erinnern - sonst widersprechen Sie bitte -,
dass Herr van Essen mit Nachdruck darauf hingewiesen
hat, dass er sich mehrfach darum bemüht hat. Er hat es auch
in der Sitzung am Mittwoch getan. Und nicht von Herrn
van Essen, Frau von Renesse, kam die Geschichte, in einem
Zug durchzustimmen.
Die rot-grüne Koalition hat in dieser Frage deutlich gemacht, dass sie in dieser Geschichte entscheiden wolle.
Auf meine Frage als Vorsitzender: „Soll nach Artikeln abgestimmt werden oder soll das ganz in toto abgestimmt
werden?“ - da die Abstimmungslage und die mangelnde
Verhandlungsbereitschaft eindeutig waren - ist es natürlich zu diesem Verfahren gekommen. Das ist die Wahrheit.
({0})
Lieber Herr Scholz, ich
hätte von Ihnen gern, wie die Geschäftsordnung das vorsieht, eine Frage gehört statt einer Feststellung,
({0})
aber es bleibt Ihnen überlassen, die Geschäftsordnung
besser auszulegen, als ich sie bisher kannte.
({1})
- Ich bin von unglaublicher Toleranz, was das angeht, sodass ich dem Präsidenten nicht vorgreifen möchte, und
sage, es wird wohl so stimmen, wenn der Vorsitzende des
Rechtsausschusses die Geschäftsordnung so auslegt. Ich
habe Ihnen da nichts zu erwidern.
Nur, eines ist klar: Von uns kam ausdrücklich der Antrag - Herr Beck hat ihn gestellt -, artikelweise abzustimmen.
({2})
Dann erklärte Herr van Essen, es solle insgesamt das
ganze Gesetz abgestimmt werden.
({3})
Herr van Essen hat in der Tat gesagt, es wäre besser gewesen, wir hätten ausführlicher Zeit, darüber zu
diskutieren. Das ist richtig. Aber das war zu einem Zeitpunkt im Rahmen der Ablehnung der Debatte gestern. Sie
wollten die Debatte verschieben auf ich weiß nicht welchen Termin. Das war Ihre Vorstellung.
({4})
Sie wollten an Ort und Stelle nicht diskutieren, obgleich
wir es Ihnen angeboten hatten. Wir hatten es - ich wiederhole es, Herr Scholz - im Berichterstattergespräch angeboten. Okay, wir waren offensichtlich auf verschiedenen Veranstaltungen.
({5})
Ich pflege dieses im Plenum zu sagen und nicht in Interviews draußen.
({6})
Zur Sache: Auch die F.D.P. schafft ein familienrechtliches Institut, daran beißt keine Maus einen Faden ab. Nur
verschleiert sie dies etwas geschickter, als wir es tun, die
mit offener Stirn das sagen, was wir tun, und das tun, was
wir sagen.
Im Ergebnis ist der Entwurf der F.D.P. auch in der Sache lückenhaft. Herr Braun, wie können Sie einem Gesetzentwurf angesichts der Tatsache zustimmen, dass Sie
hier viele Tränen über die unglücklichen Fälle der binationalen Partnerschaften vergossen haben, bei denen es
aufenthaltsrechtliche Probleme gibt, wenn Ihr Gesetzentwurf nicht ein einziges davon löst?
({7})
Das Aufenthaltsrecht ist Voraussetzung dafür, dass eine
Lebenspartnerschaft eingegangen wird.
({8})
- Ich glaube, dass ich darauf nicht zu antworten brauche.
({9})
Ich pflege zu lesen, worüber ich spreche.
({10})
Im Übrigen hat unser Gesetzentwurf den Vorteil, dass
er in sich logisch ist, was der F.D.P.-Entwurf nicht ist. Er
besteht aus lauter Heuchelei, wenngleich mit dem Segen
der evangelischen Kirche, in dem Sie sich plötzlich sonnen.
({11})
- Ich weiß nicht, Herr Präsident, ob ich darauf reagieren
muss. Könnten Sie vielleicht dafür sorgen, dass ich
während meiner Redezeit in Ruhe sprechen darf?
Liebe Kolleginnen
und Kollegen!
({0})
Herr Geis, Sie geben mir Gelegenheit, an dieser Stelle
zwei Dinge zu sagen. Erstens will ich daran erinnern, dass
von der Regierungsbank keine Zwischenrufe gemacht
werden sollen.
({1})
Zweitens möchte ich Sie, Kollege Geis, bitten, in der
Art Ihrer Zwischenrufe, bezogen auf eine Person, und in
der Qualifizierung von Verhalten etwas zurückhaltender
zu sein.
({2})
- Sie haben vorhin das Verhalten einer Kollegin „ehrlos“
genannt.
({3})
Ich weise dies ausdrücklich zurück; das ist kein parlamentarischer Ausdruck.
({4})
- Wir beide haben es vorhin gehört. Ich wollte nachher darauf eingehen. Aber da Sie sich jetzt so erregen, tue ich es
jetzt.
Ich bitte sehr darum, sich auch bei diesem Thema in der
Art und Weise, in der wir uns auseinander setzen, zu mäßigen. Das gilt für beide Seiten, auch und gerade für die Regierungsbank - das sage ich ausdrücklich -, von der üblicherweise keine Zwischenrufe zu erfolgen haben.
Jetzt zum Klima, in
dem diese Debatte leider stattfinden muss: Zunächst gehe
ich auf die Stimmungen und Meinungen hier im Parlament ein, soweit ich sie erkunden konnte. Es gibt hier eine
Mehrheit - sie besteht nicht nur aus der Koalition - dafür,
dass die Beziehung zwischen zwei Männern bzw. zwei
Frauen endlich die Anerkennung und die rechtliche Stabilisierung erfährt, die sie schon seit langem verdient.
({0})
Es ist eine Frage der Menschenrechte und des Grundgesetzes. Ich sage das in Richtung auf den Dom zu
Köln: Mag sein, dass der Katechismus der katholischen
Kirche homosexuelle Beziehungen aus ontologischen
Gründen oder aus theologischen Gründen als prinzipiell
ablehnungswürdig und - wie sagte der Kardinal? - „unsittlich“ ablehnt. Die Verfassung tut das nicht.
({1})
Sie ist barmherziger als der Christ, der sich auf den Rabbi
von Nazareth beruft und Menschen, die niemandem etwas
zu Leide tun, und deren Eltern und Freunde erbarmungslos verurteilt.
({2})
Gerade die Eltern von Homosexuellen brauchen - das ist
in der Anhörung mit großem Nachdruck gesagt worden genauso wie Eheleute, heterosexuelle Paare und Paare,
die ohne Trauschein zusammenleben, endlich ein gesetzliches Leitbild.
({3})
Seien Sie froh, dass dies in einer Zeit geschieht, in der sich
eine Mehrheit im Bundestag an Werten orientiert und sich
von ihnen leiten lässt.
Was in zehn Jahren sein wird, wenn irgendwann ein
solches Gesetz kommen muss, und welche Möglichkeiten
dann auftreten, alldieweil der große Angriff sowohl auf
die Ehe als auch die Lebenspartnerschaften als bezopfte
und bemooste Institute aus dem 19. Jahrhundert geführt
wird, wissen Sie nicht. Darüber, dass es in der Gesellschaft noch Blockaden gegen den Verfall dessen gibt, was
wir als höchsten Wert zwischen den Menschen ansehen,
nämlich Verantwortung, können Sie sich freuen.
({4})
Wenn Menschen, die als Hirten und als Vorsitzende von
Kirchen eigentlich die Botschaft des Rabbi von Nazareth
zu verkünden hätten, meinen, sie müssten verurteilen, obgleich in der Bergpredigt steht - das ist ein wichtiges Wort
für alle, die überhaupt irgendwo Autorität haben - „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“,
({5})
so sage ich Ihnen, der Sie mich angegriffen haben, Herr
Geis: Es ist mir eine Ehre, aufseiten derer zu stehen, die
darauf warten, dass ihnen endlich Gerechtigkeit widerfährt.
({6})
Ich erteile dem Kollegen van Essen zu einer Kurzintervention das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in der Rede der Kollegin von
Renesse mehrfach namentlich erwähnt worden. Ich denke,
dass der Redebeitrag der Kollegin von Renesse leider genau das Klima gezeigt hat, in dem wir verhandeln mussten.
Wir hatten uns erhofft - ich stimme Ihnen in diesem Punkt
nachdrücklich zu, Frau Kollegin von Renesse -, dass das,
was in diesem Haus eigentlich vorhanden ist, nämlich die
Möglichkeit, mit einer Mehrheit über Fraktionsgrenzen
hinweg - SPD, Grüne, F.D.P. und PDS - zu einer Regelung
zu kommen, die breit trägt, von der Koalition durch die Art
des Verfahrens konterkariert worden ist.
Ihre Rede heute Morgen hat deutlich gemacht, warum
das so ist. Es ist unter anderem deshalb so, weil die Behauptung, die Sie aufgestellt haben, ich hätte den Antrag
gestellt, nicht mehr zu debattieren, völlig falsch ist. Sie
wissen: Wir sind zu der Feststellung gekommen, dass es
offensichtlich bei Ihnen keine Bereitschaft gab, auf irgendwelche Vorstellungen der Opposition einzugehen.
({0})
- Kollegin Schenk von der PDS nickt gerade. Das macht
deutlich, dass das nicht nur die Auffassung meiner Fraktion, sondern offensichtlich auch die der anderen Oppositionsfraktionen ist, die ebenfalls etwas bewirken wollen.
Deshalb war es völlig klar, dass es überhaupt keinen
Sinn mehr machte, über jeden einzelnen Paragraphen abzustimmen; denn das hätte die Bereitschaft vorausgesetzt,
sich darüber zu unterhalten. Diese war nicht vorhanden.
In diesem Fall war es klar, die Linien abzustecken, nämlich über die Gesetzentwürfe, die zur Abstimmung standen, tatsächlich sofort abzustimmen. Das haben wir getan.
Es war völlig klar, wie diese Abstimmung ausfallen
würde: Sie hatten für Ihren Antrag die Mehrheit; wir, die
F.D.P.-Fraktion, haben für einen eigenständigen Weg
gekämpft, nämlich nur das zu regeln, was vom Staat zu regeln ist, und im Übrigen den Beteiligten ihre Freiheit zu
lassen, was eine typisch liberale Lösung ist. Auch die PDS
hat ihre Meinung zu den Gesetzentwürfen vorgetragen.
Von daher ist überhaupt nichts zu beanstanden. Im
Übrigen ist auch nichts bei der ausländerrechtlichen
Regelung zu beanstanden.
({1})
Insbesondere der Kollege Braun, den Sie angesprochen
haben, hat sich dafür eingesetzt, dass wir in unserem Gesetzentwurf hierzu eine vernünftige Regelung finden.
Eine solche haben wir gefunden.
Alle, die sich ein bisschen in Geschichte auskennen,
wissen, dass es gerade die F.D.P. war, die auch schon in
der alten Koalition dafür gesorgt hat, dass eine Regelung
gefunden wurde, die binationalen Paaren in vielen Fällen geholfen hat. Dahinter gehen wir nicht zurück,
sondern - ganz im Gegenteil - wir wollen eine Absicherung auch der binationalen Paare. Diese ist in unserem
Gesetzentwurf vorgesehen.
Sie sehen, wir, die F.D.P., bemühen uns weiter um eine
sachliche Debatte. Ihre Ausführungen, liebe Frau Kollegin von Renesse, haben dazu leider nicht beigetragen.
({2})
Herr Kollege van
Essen, wir hätten darüber gestern im Rechtsausschuss debattieren können. Wir hatten uns auf eine lange Debatte
eingerichtet. Ich hätte es wirklich für gut befunden, wenn
wir das getan hätten. Sie haben sich dem von vornherein
verweigert.
({0})
Ihr Ziel war es, die Abstimmung zu verhindern. Das
war der einzige Grund, der Sie überhaupt noch dazu veranlasste, von einer Möglichkeit, miteinander zu sprechen,
zu reden. Sie wollten keine Abstimmung und stattdessen
in der nächsten, der übernächsten Woche oder irgendwann
reden, aber nicht mit uns an Ort und Stelle darüber sprechen. Das war Ihnen vorgestern im Rechtsausschuss aus
irgendwelchen Gründen nicht wichtig. Ihnen kam es nur
darauf an, die Abstimmung zu verhindern, die wir in der
Tat wollten. Wir hätten mit Ihnen bis tief in die Nacht geredet, wenn Sie es gewollt hätten; selbstverständlich.
Vorher - ich habe es erklärt: Diese Erfahrung habe ich
mit Ihnen gemacht - habe ich alles, was ich konnte, versucht, um mit Ihnen, der F.D.P., ins Gespräch zu kommen.
Das war nicht möglich. Es bestand bei Ihnen offensichtlich kein Wunsch, zu einem Kompromiss zu kommen.
Ich weiß gar nicht, ob Sie wirklich der Meinung sind,
dass ein familienrechtliches Institut kommen sollte.
Vorgestern waren Sie darüber im Zweifel, obwohl in
Ihrem Entwurf eindeutig eines vorgesehen ist, allerdings
ohne die entsprechenden Pflichten, die zu einem familienrechtlichen Institut gehören. Solche ausländerrechtlichen Regelungen würden auch keinen Bestand haben. Sie
können nicht von der Bevölkerung oder vom Staat erwarten, dass er eine ausländerrechtliche Regelung zulasten
Dritter trifft. Wenn keine Unterhaltsverpflichtung ein
Bleiberecht bzw. ein Eintrittsrecht in die Bundesrepublik
Deutschland trägt, benachteiligen Sie heterosexuelle
Paare, die nicht verheiratet sind. Diese müssen sich nämlich mit Haut und Haaren verpflichten und eine Ehe
schließen, die auch dann noch Folgen hat, wenn man sich
nicht mehr liebt.
Das alles machen Sie nicht. Sie trauen offensichtlich
der Verantwortungsbereitschaft von homosexuellen Paaren nicht. Sie wollen vor allem nicht offen sagen, was Sie
vorhaben. Im Grunde genommen wollen Sie ein bisschen
schwanger sein, aber nicht mehr. Wir wehren uns dagegen, dass man auf diesem Gebiet heuchelt.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin seit 1987 im
Rechtsausschuss. Ich habe ein solches Durcheinander und
eine solch konträre und geladene Stimmung noch nicht erlebt. Dabei haben wir schon viel schwierigere Themen zu
bewältigen gehabt.
({0})
Es bestand aufseiten der SPD überhaupt keine Verhandlungsbereitschaft. Das ist Fakt. Das haben wir festgestellt und das hat die F.D.P. genauso festgestellt.
({1})
Ich will Ihnen auch sagen, warum: Sie hatten nämlich die
allergrößten Probleme, diesem Gesetz in Ihren eigenen
Reihen zu einer Akzeptanz zu verhelfen.
({2})
Schauen Sie sich doch nur einmal an, was Ihr Verfassungsminister Ihrem Fraktionsvorsitzenden geschrieben
hat. Das war ja heute zu lesen. Das spricht Bände. Sie können doch nicht behaupten, bei Ihnen hätte es darüber überhaupt keine Diskussionen gegeben. Natürlich hat es bei
Ihnen weit reichende und tief greifende Diskussionen gegeben.
({3})
Es hat ständig zwischen Ihnen und den Grünen Verhandlungen gegeben. Sie kamen doch gar nicht zusammen.
Damit dieses Hin und Her in Ihren eigenen Reihen endlich ein Ende hat, haben Sie im Ausschuss am Mittwoch
dieses Gesetz mit der Brechstange durchgepeitscht und
peitschen es heute durch den Bundestag. Das halte ich für
unparlamentarisch, das halte ich für würdelos und für ehrlos. Ich lasse mir das nicht nehmen: Das ist ein ehrloses
Verhalten.
({4})
Das hat dieses Parlament nicht verdient und das haben die
Wähler nicht verdient, die Sie hier hergeschickt haben. So
kann man mit einem so wichtigen Gesetz nicht umgehen.
Sie sind mit dieser Sache völlig unparlamentarisch umgegangen. Ihr Verhalten war unkollegial und - ich wiederhole es - ehrlos.
({5})
- Sie müssen sich das schon anhören; ich bin ein frei gewählter Abgeordneter. - Ihr Verhalten war ehrlos. So verhält man sich unter frei gewählten Parlamentariern nicht.
({6})
Was haben wir denn beantragt? - Wir haben lediglich
beantragt, dass die Abschlussberatung nicht heute stattfindet; vielmehr sollte sie um eine Woche verschoben
werden. Es ging nur um eine einzige Woche und um sonst
nichts.
({7})
Was wollten wir in dieser Woche?
({8})
Wir wollten klären, ob die Aufteilung in einen zustimmungspflichtigen und einen nicht zustimmungspflichtigen Teil wirklich gelungen ist. Deswegen haben wir ein
Expertengespräch beantragt. Wir waren und sind der Meinung, dass unser Minderheitenrecht insoweit nicht verwirkt war, weil es um einen neuen Sachverhalt ging. DieMargot von Renesse
ser Gedanke ist gar nicht weit hergeholt. Wir haben nicht
den Versuch unternommen zu blockieren.
Es handelt sich doch um eine ernsthafte Frage, ob dieser Torso am Ende nicht doch zustimmungspflichtig ist,
und zwar aus zwei Gründen: Sie verwenden statt des Begriffs „Standesbeamter“ den Begriff „Behörde“. Mit
„Behörden“ sind immer nur Landesbehörden gemeint. Es
gibt eine Auffassung, die besagt: Wenn Landesbehörden
in einem Bundesgesetz genannt werden, sind die Länder
gefragt. Deswegen ist ein solches Gesetz kein reines Bundesgesetz, sondern ein zustimmungspflichtiges Gesetz.
({9})
Wir müssen doch wissen, was für ein Gesetz wir erlassen
wollen. Darüber kann man sich ja noch unterhalten.
Meiner Meinung nach haben Sie einen zweiten gravierenden Fehler gemacht: Sie haben - lesen Sie es nach! bei der Regelung des Namensrechtes durch eine Verweisung den Standesbeamten wieder ins Gesetz geholt. Dadurch haben Sie dieses Gesetz nach meiner Auffassung
zustimmungspflichtig gemacht. Wie Sie richtig gesagt haben, werden sich der Bundesrat und am Schluss das Bundesverfassungsgericht darüber zu unterhalten haben.
({10})
Dieser Punkt wäre wirklich der Überlegung wert gewesen. Man hätte ein paar Experten holen können und wir
hätten diese Frage geklärt.
({11})
Das wollten Sie nicht. Sie haben an diesem Mittwoch
in einer für mich rücksichtslosen Weise Macht demonstriert. Das gehört sich nicht, wenn es um ein Gesetz geht,
das so weit reichende Folgen hat.
({12})
Dieses Verhalten weise ich zurück. Das gilt im Übrigen
nicht nur für mich; es war auch Auffassung der F.D.P. und
der PDS. Wir alle waren der Auffassung, dass Ihr Verhalten im Ausschuss unkorrekt ist und es so nicht geht.
Dieses Gesetz bringt einen tief greifenden Wandel in
das Rechtsbewusstsein unserer Bevölkerung. Damit
müssen wir rechnen. Aber es stellt sich doch die Frage, ob
anhand dieses Gesetzes ein solch tief greifender Wandel
notwendig ist, weil sich beispielsweise die gesellschaftlichen Verhältnisse geändert haben. Man muss sich einmal
die Zahlen vor Augen führen. Es ist doch nicht so, dass es
eine große Zahl von Homosexuellen gibt. Es ist inzwischen unbestritten, dass zwischen 2 und 2,8 Prozent der
männlichen und 1,7 Prozent der weiblichen Bevölkerung
homosexuell sind.
({13})
Ich erinnere an die Aussagen von Professor Kötz in der
Anhörung. Er hat gesagt, dass in Schweden jährlich
14 Paare von dieser Möglichkeit - sie besteht dort seit längerem - Gebrauch machen.
({14})
Man kann also nicht von einer großen gesellschaftlichen
Notwendigkeit reden, um einen solch tief greifenden
Wandel herbeizuführen.
Ich würde selbst das noch akzeptieren, wenn Ihre Behauptung richtig wäre, dass wir es mit einer Diskriminierung zu tun hätten. Es wird immer gesellschaftliche Diskriminierung geben. Diese Art des Zusammenlebens wird
von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden.
({15})
Das werden auch Sie nicht verhindern können. Auch
das beste Gesetz kann das nicht leisten. Wer diese Vorstellung hat, der ist auf dem falschen Pfad.
Eine rechtliche Diskriminierung - darum geht es doch besteht ernsthaft nicht. Man kann sich Gedanken darüber
machen, ob man da oder dort Verbesserungen vornimmt.
Das ist möglich.
({16})
Aber eine wirkliche rechtliche Diskriminierung besteht
nicht. Das schreiben Sie übrigens selbst in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs. Dort steht nämlich, dass solche Partnerschaften den verfassungsrechtlichen Schutz
von Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht haben. Das
steht wörtlich in der Begründung Ihrer Gesetzgebungsvorlage. Daher können Sie doch nicht behaupten, unsere
Rechtsordnung würde solche Partnerschaften diskriminieren. Es fehlt nach meiner Auffassung ein hinreichender Grund für ein solches, in das Bewusstsein unserer Bevölkerung tief hinein greifendes Gesetz. Dieser Grund
fehlt aus gesellschaftlichen Gründen, weil die Zahlen
dafür nicht gegeben sind, und er fehlt, weil keine rechtliche Diskriminierung vorhanden ist. Man kann sich - ich
habe es gesagt - Gedanken darüber machen, ob man in
Einzelfällen Regelungen treffen kann, aber um Himmels
willen nicht für den Besuch im Krankenhaus und auch
nicht - wie das oft, manchmal melodramatisch, genannt
worden ist - für den Besuch im Gefängnis; dafür gibt es
Regelungen.
Es gibt eine ernsthafte Diskussion über eine gesetzliche Änderung im Zeugnisverweigerungsrecht und in der
Mietrechtsnachfolge. Nur, wenn man das regeln will,
dann darf man es natürlich nicht nur für gleichgeschlechtliche Paare regeln, sondern dann muss der Begriff der Nähe eine Rolle spielen. Deswegen kann eine
solche Regelung, wenn man sie treffen will, nicht nur für
gleichgeschlechtliche Paare gelten. Man muss eine generelle Regelung für Personen treffen, die in besonderer
Nähe zueinander leben.
({17})
Das ist die einzige Möglichkeit. Alles andere, meine sehr
verehrten Damen und Herren, würde zugleich ein Problem bezüglich Art. 3 des Grundgesetzes aufwerfen.
Das sagt auch Schily in seinem Brief an Herrn Struck.
Ich meine, darüber muss man einmal reden. Schily - so
eine Meldung in der „Welt“ von heute, in der der Brief zitiert wird -, der Minister, der für die Wahrung der Verfassung dieses Landes zuständig ist, schreibt - offenbar auch
nach einer Vorlage seiner Verfassungsabteilung; davon
gehe ich aus - einen Brief an den Vorsitzenden der SPDFraktion und nennt drei wichtige Punkte - auf die ich
gleich noch eingehen werde - , weshalb er dieses Gesetz
für verfassungsrechtlich in höchstem Maße bedenklich
hält. Er sieht dieses Gesetz in Konflikt mit Art. 3, Art. 6
und Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes. Das legt er in einem Brief an Herrn Struck dar.
Aber was passiert mit dem Brief, der nicht ins Konzept
passt? - Der Brief wird einfach zurückgezogen, weil Herr
Struck - vielleicht auch die Frau Ministerin; ich weiß
nicht, wer ({18})
angerufen und gesagt hat: Das passt uns nicht in den
Kram; diese Diskussion über verfassungsrechtliche Bedenken ist für uns jetzt kontraproduktiv, deswegen müssen Sie diesen Brief zurückziehen. Und der Brief wurde
zurückgezogen, was ich sehr bedaure.
({19})
Wenn man sich schon zu einer solchen Entscheidung aufrafft und einen Brief schreibt, ihn dann aber zurückzieht
und den Brief damit zu einem Non-paper macht, passt das
nicht zur Arbeit eines Verfassungsministers. Das darf
nicht sein, er hätte dabei bleiben müssen.
Aber immerhin - das sei festgestellt - : Er hat ganz klar
auf die wunden Punkte dieses Gesetzes hingewiesen. Ich
sage es noch einmal: Ein solches Gesetz vor allen Dingen
mit Blick auf andere Verantwortungsgemeinschaften
- die es ja auch gibt - als die gleichgeschlechtlichen
Gemeinschaften ist nicht in Ordnung. Diese anderen Gemeinschaften werden in einem solchen Gesetz nicht mit
geregelt; sie bekommen nicht die gleiche gesetzliche
Grundlage. Darin sieht Schily - wie ich und viele andere
auch - einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.
({20})
Man muss Gleiches gleich behandeln. Wenn man es schon
behandeln will - ich bin nicht der Meinung, dass es notwendig ist -, dann muss man das Gleiche auch für viele
andere Verantwortungsgemeinschaften vorsehen, in denen viel mehr Menschen leben als innerhalb von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften; denn 94 Prozent der
gleichgeschlechtlichen Partnerschaften - auch das sei erwähnt - bestehen nach der Meldung einer Zeitschrift
dieser Bewegung nur ein halbes Jahr. Dann gehen die
Partner wieder auseinander. Wer die Unterlagen der Enquete-Kommission „Aids“ liest, die im Deutschen Bundestag 1987 bis 1990 existierte, weiß, dass die Zahl der
Partnerwechsel bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sehr hoch ist.
({21})
Herr Kollege
Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Christina Schenk?
Ich will diesen Satz noch
zu Ende bringen, dann ja. Einen Augenblick, bitte.
Es gibt also - um es noch einmal auszuführen - viele
andere Verantwortungsgemeinschaften, die gleich behandelt werden müssen - wenn man das regeln will - wie eine
gleichgeschlechtliche Gemeinschaft. Sonst entsteht Diskriminierung gegenüber diesen Verantwortungsgemeinschaften, und es besteht die Möglichkeit der Verletzung
von Art. 3 des Grundgesetzes genau so, wie es der Verfassungsminister Schily auch sieht und in seinem Brief an
Herrn Struck dargelegt hat.
Bitte.
Herr Kollege Geis, Sie kritisieren - aus meiner Sicht völlig zu Recht - die nun eintretende Ungleichbehandlung von homosexuellen Paaren
einerseits und heterosexuellen Paaren andererseits, die
unter vergleichbaren Bedingungen zusammenleben. Sie
bemerken auch, dass sich da eine Gerechtigkeitslücke
auftut, wenn es sich generell um Verantwortungsgemeinschaften - egal welcher sexuellen Orientierung und Provenienz - handelt. Die Frage an Sie: Wären Sie bereit, einen entsprechenden Gesetzentwurf mitzutragen, der alle
Formen von Verantwortungsgemeinschaften rechtlich
gleichstellt?
({0})
Ich habe eingangs dargelegt, dass ich kein Regelungsbedürfnis sehe. Dieses muss
man mir erst einmal nachweisen. Liebe Frau Schenk,
ich bin der Auffassung, dass unsere Rechtsordnung ausreichende Grundlage bietet, um all diesen Gemeinschaften gerecht zu werden. Nur, wenn man - da stimme ich
mit Ihnen überein - diese Sache besonders regeln will,
dann kann man sich nicht nur auf eine kleine Gruppe spezialisieren, sondern muss alle mit in den Blick nehmen.
({0})
Das Hauptargument ist die Verletzung des Art. 6 des
Grundgesetzes, was auch Schily in seinem Brief an
Struck ausführt. Das ist das Hauptargument. Warum? Wir
haben in der Verfassung geregelt: Ehe und Familie erhalten einen besonderen Schutz, haben eine exklusive Stellung in unserer Verfassung und damit eine besondere Stellung in unserer gesamten Rechtsordnung. Das kommt in
vielen Einzelregelungen auch so zum Ausdruck.
Warum ist das so? Es mag viele Gründe geben, die vor
allen Dingen auch in unserer Kultur liegen. Es war aber
vor allem ein Grund, der aus der Nachkriegserfahrung der
Väter und Mütter unserer Verfassung resultierte: Als nämlich 1945 unser Land vollständig am Boden und in TrümNorbert Geis
mern lag, als der Staat nicht mehr funktionierte, als die
Einzelnen sich selbst überlassen waren, gab es ein Wunder: Die Familien haben zusammengehalten. Sie haben
dieses Land mit einer Vitalität ohnegleichen wieder aufgebaut. Der schnelle Wiederaufbau, das Wirtschaftswunder wäre ohne die Vitalität der Familien nicht möglich gewesen.
({1})
Deswegen hat der Verfassungsgeber den Schutz der Familie in einer solchen Weise in Art. 6 des Grundgesetzes
herausgestellt. Das wollen wir beibehalten.
Wenn aber nun ein anderes Institut gleichgewichtig danebensteht - wie es in diesem Gesetzentwurf unzweifelhaft der Fall ist -, dann besteht die Gefahr, dass eben diese
Einzigartigkeit verloren geht und dieser einzigartige
Schutz nicht mehr vorhanden ist.
({2})
Ich kann die ganze Thematik nicht noch einmal wiederholen. Nehmen Sie es mir so ab, das ist meine Auffassung.
Wenn ein anderes Institut gleichberechtigt danebengestellt wird, ist diese Einzigartigkeit verloren. Das wollen
wir nicht und das werden wir als CDU/CSU-Fraktion nie
zulassen.
({3})
Im Übrigen sind wir da nicht allein. Ich wiederhole es
noch einmal und zitiere aus dem Brief von Minister
Schily. Er schreibt an Herrn Struck:
Das Gesetzesvorhaben ... stellt die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft weithin der Ehe gleich.
Das halte ich so mit Artikel 6 Abs. 1 GG nicht für
vereinbar. Dieser stellt die Ehe ausdrücklich unter
den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Andere Lebensgemeinschaften dürfen daher ... nicht im
Ergebnis den gleichen Schutz wie eheliche Lebensgemeinschaften erhalten.
Wenn Sie es nicht glauben, lesen Sie es nach. Es steht
heute in der Zeitung. Ich gehe davon aus, dass es seine
Richtigkeit hat.
Sie genehmigen
eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Geis,
Sie haben eben die Gefährdung der Familien durch den
Gesetzesantrag der rot-grünen Regierungskoalition herausgestellt. Teilen Sie mit mir ein anderes Bedenken, das
aus religiöser Anschauung kommt: Können Sie bestätigen, dass in den Offenbarungsschriften aller drei großen
monotheistischen Religionen ein klares Unwerturteil über
Homosexualität als solche ausgesprochen wird?
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns schon anhören, was die
Redner sagen.
Können Sie bestätigen, dass die rot-grüne Gesetzesinitiative daher im
Grundsatz mit der jüdischen, der christlichen und auch der
muslimischen Religion im Widerspruch steht?
({0})
Das kann ich nur bestätigen. Genau so ist es: Der Entwurf steht nicht nur zu unserer Verfassung, sondern auch zu den Prinzipien der drei
großen Religionen im Widerspruch.
({0})
Ich möchte eines noch hinzufügen: Ich bin nicht der
Auffassung - ich habe das schon in meiner ersten Rede
gesagt -, dass der Gesetzentwurf der F.D.P. gegen die Verfassung verstößt. Das möchte ich ausdrücklich betonen.
Ich will um der Wahrheit willen sagen: Es gab bei uns eine
Diskussion, ob man nicht mithilfe eines solchen Gesetzentwurfes die Verabschiedung des vorgelegten Gesetzentwurfes verhindern könnte. Aber diese Möglichkeit bestand nicht; es musste dieser Gesetzentwurf sein.
({1})
Noch ein Wort zu Art. 14 des Grundgesetzes, der
ebenfalls berührt ist: Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes
schützt Eigentum und Erbrecht. Das Erbrecht ist - man
kann das in den Kommentaren zum Grundgesetz nachlesen - ganz klar auf die Familie bezogen, und zwar auf
Ehe und Familie mit Blick auf Kinder. Man wollte sicherstellen, dass das Eigentum der Eltern auf die Kinder
übergehen kann. Das scheint mir bei dem vorliegenden
Gesetzentwurf nicht beachtet worden zu sein. Dieser
Punkt ist von Bundesinnenminister Schily auch erwähnt
worden.
Insgesamt meine ich: Der Gesetzentwurf ist nicht nur
nach unserer Auffassung, sondern auch nach der Auffassung des für die Verfassung zuständigen Bundesministers
Schily verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Deshalb
muss man für den Fall der Verabschiedung natürlich ernsthaft den Gang nach Karlsruhe prüfen. Ich halte diesen Gesetzentwurf für einen Verstoß gegen unsere Kultur und für
den schlimmsten Angriff auf Familie und Gesellschaft.
Ich halte dieses geplante Gesetz für verfassungswidrig,
und deshalb muss es abgelehnt werden.
({2})
Das Wort hat
jetzt die Fraktionsvorsitzende vom Bündnis 90/Die Grünen, Kerstin Müller.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern sind mehr als 200 000 Menschen für Toleranz und gegen Diskriminierung von Minderheiten auf
die Straße gegangen.
({0})
Heute, Herr Geis und meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, haben Sie die Gelegenheit, einer Minderheit,
die von diesem Staat viele Jahre missachtet wurde, endlich zu ihrem Recht zu verhelfen und ihre Diskriminierung abzubauen.
({1})
Man muss sich das einmal vorstellen: In den ersten
Jahrzehnten des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland war Homosexualität noch strafbar und bis vor
15 Jahren galt die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft vor deutschen Gerichten noch als sittenwidrig.
Auch heute noch werden die Partner in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften vom Gesetz wie
Fremde behandelt, selbst wenn sie seit Jahrzehnten zusammenleben, selbst wenn sie alles miteinander teilen
und selbst wenn einer für den anderen sorgt. Sie haben im
Krankenhaus noch kein Auskunftsrecht über die Situation
des Partners, der ausländische Partner bekommt noch kein
Aufenthaltsrecht, und sie haben auch keine Rechte, wenn
der Partner stirbt.
Ich möchte, dass Sie sich einmal in diese Situation hineinversetzen. Tut man das, muss man feststellen, dass die
gegenwärtige Situation eine massive Diskriminierung,
eine Missachtung der Persönlichkeitsrechte - wie es auch
das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat - und insgesamt ein unhaltbarer Missstand ist. Damit machen wir
heute ein für alle Mal Schluss: Die langen Jahre der Diskriminierung sind zu Ende, Lesben und Schwule bekommen heute ihr Recht. Deshalb sollten wir hier eine würdige Debatte führen.
({2})
Mit der amtlichen Eintragung übernehmen Lebenspartner umfassende Pflichten. Sie sind einander gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet. Sie entlasten damit
öffentliche Kassen, etwa bei der Sozialhilfe, der Arbeitslosenhilfe und beim Wohngeld. Sie erhalten im Gegenzug natürlich auch Rechte, beim Steuerrecht, im Erbrecht
und bei der Krankenversicherung. Das ist ein Gebot der
Gerechtigkeit, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU. Sie behaupten immer - das haben Sie auch
heute wieder getan -, die eingetragene Partnerschaft
würde Ehe und Familie schädigen und die gesellschaftliche Werteordnung zerrütten. Aber, bitte schön, was nimmt
die eingetragene Partnerschaft der Ehe eigentlich weg?
Sie nimmt doch niemandem etwas weg. Deshalb stellt sie
die Ehe auch nicht infrage.
({3})
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf?
Ja, bitte schön.
Frau Kollegin Müller, Sie
haben von Gerechtigkeit in der Krankenversicherung gesprochen. Finden Sie es gerecht, wenn Sie zum Bundeskanzler marschieren und die finanzielle Schlechterstellung
von homosexuellen Paaren in der Krankenversicherung beklagen, woraufhin die beitragsfreie Mitversicherung von
Partnern, die eine eingetragene Lebensgemeinschaft eingegangen sind, ins Gesetz geschrieben wird, und wenn zugleich der Parteirat der Grünen beschließt, dass die Möglichkeit der beitragsfreien Mitversicherung für Ehepaare
zumindest eingeschränkt, wenn nicht sogar abgeschafft
werden soll? Ist das in Ihren Augen gerecht, wenn also
schwule oder lesbische Partner beitragsfrei mitversichert
werden, während die beitragsfreie Mitversicherung für
Ehepartner Ihrer Meinung nach abgeschafft werden soll?
({0})
Natürlich ist unser Gesetz gerecht. Die Reformen,
die wir im Gesundheitswesen brauchen, sind das eine.
({0})
- Entschuldigung, Sie haben doch die Reformen, die wir
im Gesundheitswesen durchführen wollten, verhindert.
Aber das ist heute nicht das Thema. Wir sind jetzt bei der
eingetragenen Partnerschaft.
Wir wollen, dass für homosexuelle Lebenspartnerschaften das gleiche Recht wie für heterosexuelle Lebenspartnerschaften gilt. Das wird auch nicht viel mehr kosten. Es ist eine Frage der Demokratie unseres Landes, ob
wir dafür sorgen, dass homosexuelle und heterosexuelle
Partnerschaften in allen Rechtsbereichen gleichgestellt
werden.
({1})
Es geht auch nicht um eine Privilegierung homosexueller Beziehungen, wie es heute wieder von Teilen der katholischen Kirche zu hören war. Gott sei Dank ist das
nicht mehr die Mehrheitsmeinung; es gibt dort auch andere Meinungen. Im Gegenteil: Es geht um den Abbau
von Diskriminierungen. Es geht darum, dass Menschen,
die füreinander einstehen wollen, durch die Möglichkeit,
eine eingetragene Partnerschaft einzugehen, unterstützt
werden.
Außerdem - noch ein weiteres Argument, warum ich
die These absurd finde, dass die Werteordnung durch die
eingetragene Lebenspartnerschaft infrage gestellt wird -:
Schauen Sie sich doch einmal unsere Nachbarstaaten an.
Dänemark, Norwegen, Schweden, Island und die Niederlande haben bereits seit Jahren die eingetragene Partnerschaft eingeführt. Auch in Frankreich werden homosexuelle Lebenspartnerschaften rechtlich anerkannt. In keinem
dieser Länder haben Ehe und Familie irgendeinen Schaden
genommen. In keinem dieser Länder wurden die öffentlichen Kassen belastet. Vor allem - das ist ja Ihre größte
Sorge -: Nirgendwo ist das christliche Abendland untergegangen. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis für
dieses Argument.
({2})
Stattdessen hat die eingetragene Partnerschaft in diesen Ländern den Gedanken der sozialen Verantwortung
und die Toleranz gegenüber Minderheiten gestärkt. Genau
das brauchen wir auch in der Bundesrepublik, und zwar
gerade jetzt. Gerade jetzt - angesichts der schrecklichen
Gewalttaten gegen Minderheiten in den letzten Wochen
und Monaten in unserem Land - müssen wir signalisieren,
dass wir die Diskriminierung von Minderheiten nicht
mehr hinnehmen.
Wir meinen, Verantwortung zählt! Wir wollen soziale
Bindungen da, wo sie vorhanden sind, stärken. Deshalb
macht die Koalition Politik für die Familie, mit einer Steuerreform, durch die Familien mit Kindern entlastet werden, mit Erhöhung des Kinder- und des Erziehungsgeldes
und mit der Reform des Erziehungsurlaubes.
Familie - darüber besteht vielleicht der Dissens - erscheint heute in vielerlei Gestalt. Auch in schwulen und
lesbischen Lebensgemeinschaften wird füreinander eingestanden und werden Werte gelebt, die für diese Gesellschaft wichtig sind. Wir tragen mit der eingetragenen
Lebenspartnerschaft dieser Realität Rechnung. Wir stärken den Familiengedanken und schwächen ihn nicht.
Liebe Kollegen von der F.D.P., deshalb halten wir auch
nichts von Ihrer Miniregelung. Dort wird meines Erachtens Verantwortung klein geschrieben. Ihr Vorschlag ist
zwar gut gemeint, aber er ist meines Erachtens keinesfalls
gut gemacht. Er ist nur eine Schmalspurlösung. Es ist das
falsche Signal, wenn man sagt, Homosexuelle seien nicht
fähig, sich genauso eng zu binden wie Mann und Frau. Ein
solches Signal baut keine Diskriminierung ab. Im Gegenteil: Es schreibt die Diskriminierung fort. Das wollen wir
gerade nicht.
Die heutige Entscheidung des Bundestages ist ein historisches Datum für Schwule und Lesben in Deutschland,
nicht nur für sie allein - Frau von Renesse hat schon darauf hingewiesen -, sondern auch für ihre Eltern, Geschwister und Freunde. Es ist ein historisches Datum für
alle, die mehr Gerechtigkeit in diesem Land wollen.
Ich möchte zum Schluss jemanden zitieren, der mit Sicherheit in Ihr Bild von der deutschen Leitkultur passt,
nämlich Johann Wolfgang von Goethe. Er hat gesagt: Toleranz darf nur eine vorübergehende Gesinnung sein. Sie
muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt letztlich beleidigen. - Darum geht es heute. Toleranz ist im 21. Jahrhundert zu wenig. Wir schaffen mit der eingetragenen
Partnerschaft die Anerkennung schwuler und lesbischer
Lebensgemeinschaften nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch vor dem Gesetz. Ich hoffe, dass unser Gesetz
hier eine breite Zustimmung finden wird.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat der
Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Dr. Wolfgang Gerhardt.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Es hat lange gedauert - das wissen wir alle -, bis unsere aufgeklärte Gesellschaft die Kraft
gehabt hat, mit Menschen klarzukommen, die eine andere
Veranlagung haben. Alle Debatten zeigen - ich erinnere an
die Debatten im Rechtsausschuss und an die Schärfe der
Debatte vorhin -, dass wir anscheinend immer noch nicht
in ausreichendem Maße die notwendige Kraft haben. Die
entscheidende Herausforderung ist, dass die Gesellschaft
die Kraft aufbringt, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass jeder Mensch gemäß unserer freiheitlichen Verfassung seinen individuellen Lebensentwurf verwirklichen kann, und dass wir gegenüber den Menschen mit einer
anderen Veranlagung Respekt entwickeln. Es geht darum,
ein Instrumentarium zu entwickeln, damit auch diese anderen Lebensentwürfe verwirklicht werden können und einen
Verantwortungsrahmen vorfinden, den sie brauchen.
Wir kennen noch alle die Diskussionen, die in Deutschland nötig waren, bis das Sexualstrafrecht geschlechtsneutral formuliert war. Wir kennen die Diskussionen um
die Aufhebung des § 175 des Strafgesetzbuches. Selbst
bei der Verabschiedung des Gesetzes, mit dem Urteile aus
der NS-Zeit aufgehoben wurden, soweit sie homosexuelle
Menschen betrafen, haben wir zu lange Zeit gebraucht.
Dann wurden noch offene Fragen bezüglich Wohngesetzbuch und Mietrechtsnachfolge geregelt. Der Abbau von
Diskriminierung in der Bundeswehr wurde erst behandelt,
nachdem ein entsprechender Antrag vorgelegt wurde.
Dies zeigt, welche Schwierigkeiten noch bewältigt werden mussten.
Heute geht es aber um etwas anderes.
({0})
Ich muss der SPD und den Grünen folgenden Punkt entgegenhalten: Ich bin der Überzeugung, dass ich für einige
Ihrer Kollegen spreche, die so denken wie die Freie Demokratische Partei. Es geht nämlich um die Frage einer
fairen und angemessenen Würdigung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Ich sage Ihnen gleich
zu Beginn: Eine Kopie der Ehe, die die kulturell dichteste
Verantwortungsgemeinschaft ist und deshalb zu Recht
unter dem besonderen Schutz des Staates steht, kann nicht
die Lösung sein.
({1})
Darin liegt der Unterschied zwischen unseren Gesetzentwürfen.
({2})
Die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sind Verantwortungsgemeinschaften mit eigener Souveränität und
Kerstin Müller ({3})
Würde, die wir respektieren müssen. Sie sollten dafür sorgen, dass in Ihren Verbänden diese Gemeinschaften nicht
als eine Kopie der Ehe, sondern als eine eigene Form des
Zusammenlebens angesehen werden. In diesem Sinne
muss jetzt entschieden werden.
({4})
Unser Gesetzentwurf sieht dies in überzeugender Form
vor, der Gesetzentwurf von Rot-Grün aber nicht.
({5})
Sie bieten diesen Lebensgemeinschaften - aus welchen
Beweggründen auch immer - im Grunde eine Kopie der
Ehe inklusive Formen, die einer standesamtlichen Zeremonie ähneln, an. Sie sind gezwungen, in der Gesetzgebung 112 Folgerungen, die sich bis hin zu den Schornsteinfegern, Diätassistenten und Kleingärtnern erstrecken,
anzuschließen. Das ist nicht die gesellschaftliche Frage,
deren qualitative Beantwortung hier ansteht.
({6})
Deshalb bin ich der Überzeugung, dass es besser gewesen wäre, Sie hätten bei Ihrer Gesetzgebung innegehalten
und noch einmal geprüft, ob es für diesen Personenkreis
aus politischen, gesellschaftlichen und parteiübergreifenden Überlegungen nicht sinnvoller gewesen wäre, über die
Grenzen der Koalition hinauszugehen und mit der Bundestagsfraktion der F.D.P. über gesetzgeberische Regelungen zu sprechen, die notwendig sind, damit eingetragene
Partnerschaften nicht nur toleriert und geduldet, sondern
auch wirklich akzeptiert werden und damit ihnen ein fester
Rahmen gegeben wird.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass Ihr Gesetzentwurf vor
Gericht noch scheitern wird.
({7})
Falls das geschehen würde, hätten Sie niemandem ein gesellschaftliches Instrumentarium an die Hand gegeben.
Sie hätten das Gegenteil von dem erreicht, was gut ist. Ich
bin kein Jurist. Daher beziehe ich mich darauf, dass Verfassungsminister Schily in diesem Zusammenhang nach
dem Motto „Wer schreibt, der bleibt“ an Herrn Struck
wahrscheinlich zu Recht einen Brief geschrieben hat.
({8})
Diesen Brief können Sie für zurückgezogen erklären. Sie
können auch sagen: Den hat es nicht gegeben und durch
Willensakt des Verfassungsministers gelten die dort formulierten Bedenken nicht mehr.
Aber die dort angeführten Argumente sind bestechend
stichhaltig. Sie sollten sich die Frage stellen, ob Sie den
Betroffenen, wenn Sie Ihr Vorhaben heute so wie geplant
durchziehen, nicht Steine statt Brot geben und ob ihnen
das vorgesehene Gesetz in wenigen Jahren überhaupt
noch hilft.
({9})
Vorhin wurde kritisiert, dass unser Gesetzentwurf nicht
ausreicht. Ich bin der Überzeugung, dass gerade unser Gesetzentwurf dem Lebensgefühl dieser Menschen entspricht. Sie alle kennen die Studie der Universität Bamberg, die vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegeben worden ist. Zwei Drittel der in diesem Umfeld
Befragten gaben an, sie befürworteten eine gesetzliche
Form, bei der das Paar die Bereiche selbst wählt, für die es
eine rechtliche Absicherung wünscht. Ein Minimum solcher Bereiche ist in unserem Gesetzentwurf vorgesehen,
und zwar die Lebensbereiche, in denen es unumgänglich
ist, für solche Partnerschaften gesetzgeberisch tätig zu
werden. Sie haben weniger Vertrauen in diese Partnerschaften als wir. Wir möchten diesen durch gemeinsame
Entscheidung selbst überlassen, für welche Bereiche sie
eine weitere Absicherung wünschen, was sie dann beim
Notar und bei der Verwaltung hinterlegen können.
({10})
Worauf ich hinaus will, ist, dass Sie eine gesellschaftliche Frage in einer Art und Weise angehen, die die Akzeptanz eher verkleinert, den Betroffenen am Ende weniger hilft, die verfassungsrechtliche Stellung von Ehe und
Familie nicht ausreichend beachtet und damit in Bezug
auf eine solche Regelung eher Gegnerschaft als Zustimmung provoziert. Wenn für einen gesellschaftlichen Bereich, bei dem eine solche Tabuschwelle überwunden
werden muss, eine Lösung gefunden werden soll, dann
kann diese den Betroffenen nur dann nutzen, wenn ihnen
nicht nur ein geschriebenes Gesetz an die Hand gegeben
wird, sondern wenn über dieses Gesetz und über die eigene Partei hinaus eine breite gesellschaftliche Akzeptanz
erreicht wird. Denn im täglichen Leben werden solche
Partnerschaften nicht nur auf das geschriebene Gesetz
vertrauen können. Sie müssen sich vielmehr darauf verlassen können, dass das gesellschaftliche Klima und die
gesellschaftliche Atmosphäre für Respekt gegenüber ihrer
Verantwortungsgemeinschaft sorgen.
Da sind Sie schmalspurig und kleinkariert geworden.
Sie haben nicht mehr die Courage, innezuhalten und einen
Weg zu gehen, der eine breitere politische und gesellschaftliche Grundlage schaffen würde. Das ist Ihr politisch-strategischer Fehler an diesem Vormittag.
({11})
Sie beeinträchtigen den verfassungsrechtlichen Status von Ehe und Familie. Das wissen mehr unter Ihnen
als nur der Bundesinnenminister. Damit erwecken Sie den
Eindruck, als ob die neue Regelung auf Kosten der dichten Verantwortungsgemeinschaft „Ehe“ ginge, was meine
Fraktion nicht akzeptieren würde. Wir sind der Überzeugung, dass es in diesem Land neben der kulturell dichten
Verantwortungsgemeinschaft „Ehe“ ohne Frage neue Formen der Partnerschaft gibt. Aber wir sind der Auffassung,
dass sie ihre eigene Würde haben, dass sie sich nicht an
der Ehe messen lassen müssen, dass sie ihre eigene persönliche Verantwortung herausbilden, dass das Menschen
sind, die wir respektieren, tolerieren, dulden sowie neben
und unter uns akzeptieren und denen wir helfen müssen.
Aber wir sollten uns nicht gemeinschaftlich dazu versteigen, ihnen ein Rechtsinstitut anzubieten, das verfassungsrechtlich gefährdet ist,
({12})
das ihnen in Zukunft, wenn es vor Gericht zum Konflikt
kommt, wenig nutzt. Wir sollten ihnen vielmehr ein
Rechtsinstitut an die Hand geben, das der Würde und der
Souveränität dieser anderen Lebensbeziehungen gerecht
wird. Das ist das Ziel unseres Gesetzentwurfes. Sie kopieren ein anderes Rechtsinstitut. Damit geraten Sie in
Gefahr, dass Sie den Menschen nicht helfen.
Wir streiten hier nicht darüber, ob die Fraktion der
Freien Demokratischen Partei weniger oder mehr Toleranz gegenüber Ungewohntem als die Fraktionen der Sozialdemokratischen Partei und der Grünen aufbringt. Wir
streiten vielmehr darüber, ob wir einen angemessenen
Weg beschreiten. Deshalb verwahre ich mich dagegen,
dass Sie in Ihren Diskussionsbeiträgen den Eindruck erwecken, als hätten Sie allein das Deutungsmonopol für
Toleranz, Gerechtigkeit und ein gesetzliches Angebot für
solche Menschen.
({13})
Wir befinden uns als Fraktion der F.D.P. hier nicht in einer Lehrstunde, in der Sie uns das zu erzählen hätten. Wir
nehmen für uns in Anspruch, einen besseren, klügeren,
gesellschaftlich akzeptableren und moderneren Gesetzentwurf präsentiert zu haben. Dem werden wir zustimmen. Ihren werden wir ablehnen.
({14})
Jetzt hat die Abgeordnete Christina Schenk das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die Mehrheit der Fraktion der PDS
wird dem Gesetzentwurf von Rot-Grün zur eingetragenen
Lebenspartnerschaft nicht zustimmen. Eine Reihe von
Abgeordneten wird ihn ablehnen, darunter meine Kollegin Sabine Jünger und ich, die wir die beiden einzigen offen lesbisch lebenden Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind.
Der Grund für die mehrheitliche Enthaltung meiner
Fraktion besteht darin, dass zum einen immerhin die Tatsache der rechtlichen Diskriminierung von Lesben und
Schwulen endlich in die öffentliche Debatte gekommen
ist und dass zum anderen durch diese Debatte und eventuell auch durch diesen Gesetzentwurf eine Bewegung in
der Sache zu erwarten ist.
Man kann der PDS - das wissen Sie alle hier im
Hause - nicht Konservativismus oder gar Homophobie
unterstellen. Meine Fraktion ist dafür bekannt, dass sie
seit Jahren eine aktive Politik zur Beseitigung jeglicher
Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung betreibt.
({0})
Wir können dem Gesetzentwurf jedoch nicht zustimmen, weil ein schlechtes Verfahren zu einem nicht zu akzeptierenden Ergebnis geführt hat. Die Grünen haben der
lesbisch-schwulen Klientel ein Rechtsinstitut versprochen - Frau Müller hat das heute wiederholt -, das Lesben und Schwulen die gleichen Rechte und Pflichten wie
Eheleuten bringt und die Diskriminierung beseitigt. Einem solchen Rechtsinstitut hätten wir unsere Zustimmung aus Gerechtigkeitsgründen nicht versagen können.
Die Forderung nach gleichen Rechten für Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, schließt die
nach der vollständigen Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare mit ein. Es gibt keinen einzigen Grund, Lesben
und Schwulen die Rechte vorzuenthalten, die heterosexuelle Menschen haben.
({1})
Herausgekommen ist jedoch ein Gesetz, das Homosexuelle zu Paaren zweiter Klasse stempelt. Lesbischen und
schwulen Paaren werden gegenüber Ehenleuten lediglich
reduzierte Rechte zugestanden. Es fehlen wichtige Kindschaftsrechte wie das Recht zur Adoption und zur gemeinsamen Sorge. Der Zugang zur Insemination bleibt Lesben
verwehrt. Die Hinterbliebenenrente ist genauso ausgeklammert wie etliche Regelungen im Beamtenrecht. Damit der
Abstand zur Ehe groß genug bleibt, gibt es statt des Ehegattensplittings eine eigens für lesbische und schwule Paare
kreierte steuerliche Absetzbarkeit von Unterhaltsleistungen.
Die Diskriminierung versteckt sich auch noch in einer
Reihe von Detailregelungen. Ich möchte hier nur eine
herausgreifen: Ich halte es schon für erklärungsbedürftig,
warum beim nachpartnerschaftlichen Unterhalt der
Ex-Lebenspartner dem Ex-Ehegatten nachgestellt wird,
ihm gegenüber also nachrangig behandelt wird. SPD
und Bündnis 90/Die Grünen erklären den Abstand
zur Ehe mit der Wesensverschiedenheit von homosexuellen gegenüber heterosexuellen Partnerschaften. Diese
Wesensverschiedenheit bestünde angeblich darin, dass
homosexuelle Paare biologisch keine gemeinsamen Kinder haben können. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Was tut das zur Sache?
Damit wird negiert, dass es bereits heute mehr als
1 Million homosexuelle Eltern gibt. Es wird negiert, dass
sich immer mehr Lesben ihren gemeinsamen Kinderwunsch auf verschiedene Weise erfüllen, und es wird ignoriert, dass immer mehr Ehen gewollt kinderlos bleiben.
Es wird auch die Tatsache ignoriert, dass immer mehr
Kinder außerhalb von Ehen geboren werden und biologische und soziale Elternschaft auch bei Heterosexuellen
immer öfter auseinander fällt.
({2})
Als Ergebnis präsentieren SPD und Grüne ein Sondergesetz für Homosexuelle, das ihre Diskriminierung eher
festschreibt als beseitigt, und dies umso mehr, wenn nach
der zu erwartenden Ablehnung der zustimmungspflichtigen Teile im Bundesrat ein Torso mit einem extremen
Missverhältnis zwischen Rechten und Pflichten übrig
bleiben wird. Vor einem solchen Rechtsinstitut kann ich
Lesben und Schwule nur warnen.
({3})
Die eingetragene Lebenspartnerschaft ist auch kein
erster Schritt in die richtige Richtung, wie SPD und Grüne
behaupten, sondern einer in die Sackgasse. Denn die übliche Auslegung von Art. 6 GG und die Interpretation der
Ehe als exklusiver Ort für Heterosexuelle verhindert auch
künftig eine vollständige Gleichstellung der eingetragenen Partnerschaft mit der Ehe.
({4})
Wenn man also weiß, dass die Öffnung der Ehe für Homosexuelle aktuell in der Bundesrepublik nicht möglich
ist, dann stellt sich schon die Frage nach dem politisch
sinnvollen Weg.
({5})
Ich werfe Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, vor, jede Diskussion über ein sinnvolles Handeln in der Politik regelrecht unterbunden zu haben. Ich meine vor allem Ihren Umgang mit den
außerparlamentarischen Lesben- und Schwuleninitiativen. Es gab seitens des Bundesjustizministeriums mehrere Gespräche mit homosexuellen Interessenverbänden.
Es sind jedoch nur die Verbände und Gruppen zu den Gesprächen zugelassen worden, von denen kein Widerstand
gegen Ihr Vorhaben zu befürchten war.
Dabei sind Lesben und Schwule selbst die Hauptkritiker und Hauptkritikerinnen der eingetragenen Lebenspartnerschaft; das wissen Sie genau. Lesben und Schwule
wollen eine rechtliche Gleichstellung und keine rechtliche
Sonderstellung, das belegen repräsentative Studien. Ein
Sachgespräch - das ist heute schon mehrfach angeklungen - mit der Opposition in diesem Haus über bessere
Alternativen zu führen ist Ihnen gar nicht erst in den Sinn
gekommen.
Das Vorgehen von SPD und Grünen war und ist nicht
alternativlos. Unser Nachbarland Frankreich hat uns gerade vorgemacht, wie man für homosexuelle Paare die
Möglichkeit der rechtlichen Gestaltung ihrer Beziehung
schafft, ohne sie in der Form zu diskriminieren, wie es
hier mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft getan
wird. Der dortige Zivilpakt steht jeder Zweiergemeinschaft, egal ob homo- oder heterosexuell, offen.
({6})
Auch hierzulande hätte ein solches Rechtsinstitut neben der Ehe die schwerwiegendsten Probleme sowohl für
homo- als auch für heterosexuelle Paare gleichermaßen
lösen können. Es wäre immerhin nicht dem Vorwurf ausgesetzt gewesen, Homosexuelle zu diskriminieren. Zudem - das wäre der unvergleichliche Vorteil gewesen wäre ein solches Rechtsinstitut, das rechtliche Mindeststandards regelt, schrittweise erweiterbar auf alle nur
denkbaren Verantwortungsgemeinschaften gewesen. Bis
dahin ist nicht zuletzt durch das Vorgehen von SPD und
Grünen der Weg in Deutschland länger als je zuvor.
Lesben und Schwule werden infolgedessen auch weiterhin vor die Gerichte ziehen müssen, um so ihre Gleichstellung einzuklagen. Ein solch rechtliches Flickwerk wie
das hier vorgelegte wird die Justiz geradezu herausfordern. Es bleibt de facto der Rechtsprechung überlassen,
den gesellschaftlichen Fortschritt zu befördern. Meine
Damen und Herren von der Regierungskoalition, seien
Sie doch so konsequent und stellen Sie im Bundeshaushalt einen Hilfsfonds ein, um diejenigen zu unterstützen,
die mit ihren privaten Ressourcen die Aufgaben der Politik erledigen müssen!
({7})
Im Übrigen wird unter Lesben und Schwulen schon
lange eine ganz andere Frage diskutiert, nämlich: Wann
kommt eigentlich die grundlegende Reform des Familienrechts? Denn die Vielfalt der Lebensformen, die nicht
nur von Homosexuellen, sondern auch von einer zunehmenden Zahl von Heterosexuellen gelebt wird, wird von
Rot-Grün bisher völlig ignoriert. All diejenigen, die verantwortlich zusammenleben, sich jedoch nicht in das Korsett der Ehe oder der eingetragenen Lebenspartnerschaft
pressen lassen wollen oder können, bleiben weiterhin
rechtlos. Die rechtliche Gleichstellung aller Lebensweisen,
egal, ob hetero- oder homosexuell, ist lange überfällig.
Danke.
({8})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Hanna Wolf.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin wie
Kerstin Müller der Meinung, dass wir heute hier eine
historische Entscheidung treffen. Ich möchte mich in meinem Beitrag mit dem Vorwurf der CDU/CSU auseinander
setzen, den sie gerne ins Feld führt, unser Gesetzentwurf
zur eingetragenen Lebenspartnerschaft gefährde den
grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie. Diesen
Vorwurf halte ich für vorgeschoben. Sie wollen nämlich
die Inhalte nicht und reden sich auf die Verfassung heraus.
({0})
Wenn die Zeitung mit den großen Buchstaben „HomoEhe“ schreibt, dann ist das eine schlagzeilenartige Verkürzung. Erlauben Sie mir einen ironischen, saloppen
Einwand: Genauso wie der Leberkäs kein Käse ist, ist die
so genannte Homo-Ehe keine Ehe im Sinne des Grundgesetzes, sondern eine eingetragene Lebenspartnerschaft.
({1})
In der Titelzeile unseres Gesetzentwurfes steht, worum
es uns geht: um die Beendigung der Diskriminierung
gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften. Nach jahrhundertelanger Diskriminierung ist dies ein längst überfälliger Akt der Wiedergutmachung an lesbischen und schwulen Menschen.
({2})
Sie haben ein Recht auf Selbstverwirklichung innerhalb
des Schutzes und des Regelwerks der Gemeinschaft wie
alle anderen.
Um nicht unsererseits für eine neue Diskriminierung zu
sorgen, mussten wir uns an jenem Institut der Ehe orientieren, das gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften
verwehrt ist. Ich gebe zu, dass die Ehe, wie sie heute noch
verfasst ist, nicht das modernste Modell für eine Partnerschaft darstellt. Sie birgt nach wie vor die Gefahr von
Abhängigkeiten und Rollenfixierung in sich; doch es war
nicht unsere Aufgabe, die Ehegesetzgebung auf dem Umweg der eingetragenen Lebenspartnerschaften zu modernisieren. Das ist auch der Grund, warum sich gerade Feministinnen einen anderen Entwurf hätten vorstellen können.
Aus dem gleichen Grund, warum nicht alle heterosexuellen Paare die Ehe für sich wählen, werden auch nicht alle
homosexuellen Paare diese eingetragene Lebenspartnerschaft in Anspruch nehmen.
Hätten wir dagegen für homosexuelle Paare eine Art
„Ehe light“ vorgesehen, wären wir in erhebliche verfassungsrechtliche Schwierigkeiten geraten.
({3})
Denn wir hätten nicht begründen können, warum wir
diese rechtliche Form heterosexuellen Paaren vorenthalten. Der PACS, wie er in Frankreich existiert, wäre bei uns
verfassungsrechtlich nicht möglich; er würde tatsächlich
die „Ehe pur“, wie wir sie nun einmal haben, infrage stellen.
Unsere Gesetzentwürfe stützen die Familie:
Erstens. Eltern werden darin gestärkt, die Homosexualität eines Kindes nicht als Unglück zu begreifen, sondern
ihr Kind so anzunehmen, wie es ist.
({4})
Es wird ihnen leichter fallen, es gegen Diskriminierung
durch andere zu verteidigen.
Zweitens. Einem Elternteil kann das Sorgerecht für
das leibliche Kind nicht wegen Homosexualität abgesprochen werden und die soziale Elternschaft des schwulen Partners oder der lesbischen Partnerin wird durch das
„kleine Sorgerecht“ anerkannt. Somit können Kinder in
einer Partnerschaft ohne Heimlichkeiten aufwachsen.
Die gemeinsame Adoption von Kindern haben wir
nicht vorgesehen, auch wenn sie gerade in lesbischen
Partnerschaften ein Thema ist. Wir glauben, dass die Gesellschaft hier noch nicht so weit ist, dies auch als dem
Kindeswohl entsprechend anzusehen.
So weit zum Thema der eingetragenen Lebenspartnerschaften und dem grundgesetzlichen Schutz von Ehe und
Familie.
Nun zum Zusammenhang zwischen unseren beiden
Gesetzentwürfen. Sie bilden nach wie vor eine Einheit.
Wir wollen damit ein weiteres Wahlversprechen erfüllen,
diesmal für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften.
Da uns die CDU/CSU daran hindern will - wir haben
heute Morgen sehr eindrucksvoll erlebt, wie sehr sie das
will -, müssen wir den zustimmungspflichtigen Teil abtrennen. Es ginge jedoch nicht an, dass der Staat Bürgerinnen und Bürgern einen rechtlichen Rahmen anbietet
und finanzielle Pflichten damit verbindet, ohne ihnen auf
der anderen Seite finanzielle Rechte zu geben. Dies wäre
zutiefst ungerecht und deshalb auch verfassungswidrig.
({5})
Die CDU/CSU kann nicht einerseits behaupten, die
Zahl der von diesem Gesetz Betroffenen sei so gering,
dass sich ein Gesetz gar nicht lohne - Herr Geis, Sie haben das heute Morgen noch einmal ausführlich so dargestellt -, und andererseits die Kosten für den Staat ins
Astronomische rechnen. Meine Damen und Herren, kommen Sie sich da nicht selbst etwas kleinkariert vor? Von
der Logik einmal ganz zu schweigen!
Herr Kollege Singhammer hatte sich plötzlich so besorgt gezeigt, wohin die Sozialabgaben des Ruhr-Kumpels in Zukunft gehen werden. Ich kann Ihnen versichern:
Der Oma ihr klein Häuschen bleibt unangetastet, aber die
Oma wird sich vielleicht eines Tages eher freuen können,
dass sich ihr schwuler Enkel gerade verliebt hat.
({6})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ilse Falk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir diesen Gesetzentwurf zum
ersten Mal diskutiert haben, habe ich mich in erster Linie
an meine Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU
gewandt und um eine faire, sachgerechte Auseinandersetzung mit einem nicht leichten Thema geworben.
({0})
Heute könnte ich mich in ähnlicher Weise an die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen wenden. Die
Art und Weise, wie hier ein Thema durch die abschließenden Beratungen gejagt wird, entspricht mitnichten meinen
Vorstellungen von einem fairen Umgang und ist schon gar
nicht dazu angetan, vielleicht doch noch Gemeinsamkeiten
zu finden.
({1})
Schade, der Sache haben Sie damit keinen Gefallen getan.
Aber um die Sache haben wir in den zurückliegenden Wochen nun wirklich in den eigenen Reihen gerungen und es
wurde uns manchmal nicht eben leicht gemacht.
So gilt es heute, nicht nur ein Resümee zu ziehen, sondern vielleicht auch einen Blick in die Zukunft zu wagen.
Für mich war es eine wichtige und gute Erfahrung, zu erleben, wie groß die Bereitschaft war, das Thema offen anzugehen, und bei vielen auch zu erleben, mit welcher Erleichterung sie die Dialogbereitschaft angenommen
haben. Natürlich hat es in der Debatte auch scharfe Töne
gegeben, aber eben auch versöhnliche und nachdenkliche,
und beides wird es sicher auch in Zukunft geben.
Als Ergebnis ist festzustellen, dass es zwar bei der Ablehnung einer Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe bleibt, weil sie, wie auch ich
selbst immer wieder betont habe, in der Sache weder logisch noch angemessen ist. Genauso bleibt es aber richtig,
dass es berechtigte Forderungen gibt, denen der Gesetzgeber Rechnung tragen sollte.
Wenn hier die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Entschließungsantrag Prüf- und Berichtsaufträge an die
Hanna Wolf ({2})
Bundesregierung richtet, so mag man einwenden, dass
doch alles längst klar sei. Aber es geht eben nicht darum,
zu klären, was man alles machen könnte, sondern was
man wie machen sollte, um den Anliegen homosexueller
Menschen gerecht zu werden, ohne zugleich zu einer
Verwechselbarkeit mit der Ehe zu kommen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war schon interessant zu erleben, mit welch unterschiedlichen Erkenntnissen und Voraussetzungen Gesprächspartner dieses Tabuthema angehen; ein Tabuthema ist es für viele nach wie
vor. Eine Grundvoraussetzung gibt es allerdings, wenn es
darum geht, notwendiges Handeln anzuerkennen. Es
muss einen Konsens in der Beurteilung der Ursachen von
Homosexualität geben. Man muss bereit sein zu akzeptieren, dass Homosexualität keine Verirrung oder fehlgeschlagene Erziehung oder gar mangelnde Selbstdisziplin
ist, sondern dass es sich, wie viele wissenschaftliche Arbeiten inzwischen belegen, um eine biologische Veranlagung handelt. Wer diesen Schritt nicht mitgehen kann,
weil bis heute noch nicht das dafür verantwortliche Gen
gefunden worden ist, der wird natürlich auch weitere
Schritte nicht nachvollziehen können. Grundlage gemeinsamen Handelns muss also zunächst die Entscheidung darüber sein, welchen Argumenten man glaubt.
Ich gebe gerne zu, dass ich unter dieser Voraussetzung
wohl nicht mehr objektiv bin, sondern dass ich Partei ergreife. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass eigentlich alle, die sich auf die unmittelbare und persönliche Auseinandersetzung mit Schwulen und Lesben
eingelassen haben, bereit waren, Partei zu ergreifen und
sich mit auf den Weg zu begeben, angemessene Antworten auf drängende Fragen zu suchen. Vielleicht ist es nach
diesen Begegnungen auch gelungen, Homosexuelle nicht
nur auf ihre Sexualität zu reduzieren, sondern zu erkennen, dass es sich um komplexe Persönlichkeitsstrukturen
handelt, auf deren Anerkennung schließlich jeder und jede
von uns als Mann oder Frau Anspruch erhebt.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht habe ich
inzwischen selber schon zu viele Gespräche geführt, um
noch die von manchen als notwendig empfundene Distanz bei diesem Thema einzuhalten. Als Politikerin müsse
ich - so wird mir vorgehalten - Angriffe auf die Stabilität
und Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft abwehren.
Aber ist es nicht gerade ein Beitrag zur Stabilisierung,
wenn ich dafür werbe, Vorurteile abzulegen und Menschen, die anders sind, als es unseren Normvorstellungen
entspricht, nicht aus der Gesellschaft auszugrenzen? Müssen wir als Politiker nicht sogar Partei ergreifen?
({5})
Homosexuelle werden in der Regel keinen generativen
Beitrag zur Gesellschaft leisten. Das liegt in der Natur der
Sache.
({6})
Aber lenken nicht gerade diejenigen, die nach verbindlichen Lebensformen suchen bzw. sie einfordern, unseren
Blick mit besonderem Nachdruck auf Werte, die in unserer Gesellschaft viel zu oft vernachlässigt werden, aber
unverzichtbar sind? Gibt es nicht ganz andere Kräfte, die
die Stabilität unserer Gesellschaft wirklich gefährden?
Müssen wir uns nicht selbstkritisch fragen, ob wir nicht
die Auseinandersetzung mit denen suchen müssen, deren
oberste Devise es ist, Spaß zu haben, Unverbindlichkeit
zu leben
({7})
und nichts und niemandem außer sich selbst verpflichtet
zu sein,
({8})
die Kinder allenfalls noch bekommen wollen, wenn wir
Ihnen garantieren, dass Sie sie bei Nichtgefallen - sprich:
bei möglichen Defekten - zurückgeben können?
Soziale Sicherheitssysteme haben dazu geführt, dass
viele Menschen die ihnen vom Staat und unserer pluralistischen Gesellschaft belassene Freiheit der privaten Lebensgestaltung in vielen unterschiedlichen Lebensformen ausdrücken. Aber warum fürchten wir uns eigentlich
ausgerechnet bei der zahlenmäßig relativ kleinen Gruppe
der Homosexuellen, dass sie unsere Gesellschaft in Gefahr bringen?
({9})
Eine gute Ehe zwischen Mann und Frau ist nach meiner Auffassung immer noch die allerbeste Lebensform für
das Aufwachsen von Kindern
({10})
und deshalb ist es gut und richtig, dass die Ehe unter dem
besonderen Schutz unseres Grundgesetzes steht - mit allen rechtlichen Konsequenzen. Aber erwachsen daraus
nicht auch Pflichten für uns als Gesellschaft und gebietet
es nicht gerade unser Verständnis von Solidarität, dass wir
dann auch den Eltern zur Seite stehen, deren Kinder anders, in diesem Fall schwul oder lesbisch, sind?
({11})
Gerade von Eltern habe ich bewegende Briefe bekommen, in denen sie schildern, in welche Konflikte oder persönliche Krisen sie gestürzt sind, nachdem sich ihre Kinder geoutet hatten. Sie müssen nicht nur persönlich
verkraften, dass sie zum Beispiel auf Enkelkinder verzichten müssen, sondern - was viel schlimmer ist - damit
leben, dafür verantwortlich gemacht zu werden, dass sie
offensichtlich nicht in der Lage waren, ihre Kinder vor
dem Schwul- oder Lesbisch-Sein zu bewahren.
Umgekehrt gibt es die Kinder, die sich als ungeliebt
oder lebensunwert empfinden, eben weil sie schwul oder
lesbisch sind. Gerade bei Jugendlichen - das muss uns
sehr zu denken geben -, die bei sich eine von der Norm
abweichende sexuelle Orientierung erkennen, ist die
Selbstmordrate besonders hoch.
({12})
Eltern wollen doch stolz auf ihre Kinder sein, weil sie
liebenswert sind, und sie wollen sie zu lebenstüchtigen
Menschen erziehen und nicht leiden müssen, weil sie
„fehlerhaft“ sind. Kinder wollen nicht, dass ihre Eltern
sich ihretwegen schämen müssen. Ist es da nicht unsere
selbstverständliche Pflicht und Schuldigkeit, ihnen Mut
und Kraft zu geben?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Wort zur Rolle
der Kirchen sei an dieser Stelle erlaubt. In vielen guten
Gesprächen mit Vertretern beider Kirchen bin ich mit meiner Position auf großes Verständnis gestoßen. Allerdings
musste ich auch hinnehmen, dass es Christen gibt, die uns
als Partei bei einer derartigen Argumentation das „C“ im
Parteinamen absprechen wollen und die mir vorwerfen,
Gott für eine „großzügige“ Herangehensweise an die Homosexualität und entsprechende Partnerschaften in Anspruch zu nehmen. Das hat mich sehr betroffen gemacht,
zumal gerne angeführte Bibelzitate mich nun wirklich
nicht überzeugen konnten.
Ich lasse mir im Übrigen - das habe ich auch schon in
der ersten Lesung gesagt - nicht meinen Glauben nehmen,
dass Gott uns gerade so, wie wir in unserer Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit sind, gewollt hat.
({13})
Von Menschen, die zum Beispiel mit missgebildeten Beinen auf die Welt kommen, verlangen wir doch auch nicht,
dass sie bitte schön gehen üben sollen, weil Gott den Menschen als aufrechtes Wesen geschaffen hat. Man muss
doch unterscheiden zwischen Veranlagungen, die eine
Gefahr für die Menschen oder die Gesellschaft darstellen,
und solchen, die allein ein Anderssein ausdrücken. Anderssein zu akzeptieren und vielleicht sogar als Bereicherung zu erfahren, gefährdet das wirklich unsere Gesellschaft?
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bleibe dabei und
viele in meiner Partei mit mir, dass die Rechtsetzung in
den folgenden immer wieder genannten Punkten wichtig
ist: Zeugnisverweigerungsrecht, Regelung der Mietnachfolge bei Tod des Partners, Auskunfts- und Besuchsrechte
bei Ärzten und in Krankenhäusern, eine Modifizierung
des Bestattungsrechts sowie Besuchsmöglichkeiten in
Strafvollzugsanstalten. Wünschenswert wäre die Regelung des Erbrechts sowie von Fragen binationaler Partnerschaften und die Eintragung der Partnerschaft als sichere Basis zur Beanspruchung dieser Rechte.
Sie sehen, dass wir innerhalb der Union mit großen
Spannungen leben. Dennoch betone ich noch einmal: Ich
rede hier nicht der Gleichstellung das Wort; aber verbesserte Rechte, die das Einstehen füreinander erleichtern,
sind notwendig. Hinzu kommt ein wesentlicher Punkt:
Zuerkennung von Rechten bedeutet auch eine selbstverständlichere Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Das ist gerade in einer Zeit verstärkter Übergriffe von Rechtsradikalen auf Minderheiten von ganz besonderer Bedeutung.
({15})
Als gestern Tausende von Menschen auf die Straße gegangen sind, um zu zeigen, dass sie für Menschlichkeit
und Toleranz eintreten, habe ich an meinem Schreibtisch
gesessen und mit mir gekämpft, wie viel ich denen zumuten darf, die eine andere Meinung als ich vertreten. Ich
hoffe sehr, dass ich niemanden in seinen sehr persönlichen
Gefühlen verletzt habe. Aber ich bin in der Politik angetreten, weil ich die freie Meinungsäußerung und die Auseinandersetzung um den richtigen Weg für eines der wichtigsten Güter in unserer Demokratie halte.
Heute wird ein Gesetz von der Mehrheit dieses Hauses
verabschiedet werden, das wir als CDU/CSU in dieser
Fassung nicht gewollt haben, aber als Minderheit nicht
verhindern werden können. Der zustimmungsfreie Teil ist
damit endgültig beschlossen, ein weiterer wichtiger Teil
hat noch die Hürde des Bundesrates vor sich. Die, die für
dieses Gesetz gekämpft haben, werden heute eine große
Erleichterung empfinden, andere werden sich in hohem
Maße provoziert fühlen. Versuchen wir doch alle, Anderssein und Andersdenken in gegenseitigem Respekt zu
ertragen.
({16})
Vielen Dank,
Frau Kollegin. - Das Wort hat jetzt der Abgeordnete
Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich
möchte mich für die nachdenklichen Worte von Frau Falk
bedanken, weil ich glaube, dass wir auch nach diesem Tag
zu einem Dialog in der Sache kommen und darum ringen
müssen, dass es Mehrheiten in beiden Häusern für eine
rechtliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften,
wie wir sie vorgeschlagen haben, geben wird.
Ich habe heute eine gute Botschaft mitgebracht: RotGrün wird dafür sorgen, dass es mehr freudige Ereignisse
in Deutschland gibt: mehr Polterabende, mehr Brautentführungen und mehr Familienfeiern.
({0})
Auch Sie, Herr Geis oder Herr Merz, werden im Sommer
Ihre Heimatzeitung aufschlagen und unter „Bekanntmachungen“ lesen: Ihre Eintragung geben bekannt: Peter
Müller und Klaus Meier oder Petra Grund und Annette
Düwel.
({1})
Sie werden sehen, dass das zum Alltag gehören wird, auch
in Ihrem Familien-, Bekannten- und Freundeskreis. Wir
holen - das wollte ich mit diesem Hinweis zeigen - die
homosexuellen Partnerschaften in die Mitte der Gesellschaft. Sie bleiben nicht mehr eine Randgruppe, sondern
werden Bürgerinnen und Bürger mit gleichen Rechten
und Pflichten. Wir erkennen ihre Lebensverhältnisse an
und das ist ein entscheidender Schritt für unsere Demokratie.
({2})
Der Gesetzentwurf von Rot-Grün gründet sich verfassungsrechtlich, wie es der Kollege Gerhardt verlangt
hat, auf den eigenen Wert der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Wir schaffen für homosexuelle Paare die
Möglichkeit, sich im rechtlichen Sinne umfassend zu einer Gemeinschaft der Verantwortung und des Füreinandereinstehens zu bekennen. Dies soll auch rechtlich
gewürdigt werden, was unter anderem in den familienrechtlichen Unterhaltsverpflichtungen, die wir einführen,
zum Ausdruck kommt. Dies ist eine Ausgestaltung von
Art. 2 des Grundgesetzes hinsichtlich des Persönlichkeitsrechts von homosexuellen Menschen, das entgegen
den Ausführungen von Herrn Hohmann in unserer Verfassung den gleichen Schutz genießt wie das Persönlichkeitsrecht anderer Menschen.
Wir übertragen dieser Partnerschaft Rechte und Pflichten, die in der Unterhaltsverpflichtung oder im Schutz der
Privatsphäre dieser Partnerschaften ihre Begründung haben. Deshalb ist dieses Gesetz kein Angriff auf Ehe und
Familie. Es ist ein eigenständig begründetes Gesetz. Auch
greifen wir kein Rechtsprinzip von Ehe und Familie an.
Im Gegenteil, beim Leitbild stärken wir sogar die Werte,
die mit der Ehe gemeinhin verbunden werden: Verantwortung und Füreinandereinstehen. Wir beeinträchtigen
durch dieses Gesetz auch nicht die Freiheit der Eheschließung. Sie glauben doch wohl nicht, dass sich irgendjemand von der Eheschließung abhalten lässt, weil
sich homosexuelle Paare beim Standesamt eintragen lassen können. Wir respektieren in allen Bereichen das
Rechtsinstitut der Ehe, die durch unser Gesetz keinerlei
Benachteiligungen erfährt. Das unterscheidet unseren Gesetzentwurf vom Gesetzentwurf der Liberalen, die diesen
Punkt nicht berücksichtigen.
({3})
Es geht nicht nur um Verfassungsgerechtigkeit, es geht
auch um das wirkliche Leben. Ich will Ihnen einige Geschichten erzählen, die das Leben schreibt: Carmen aus
Argentinien und Claudia aus Potsdam leben zusammen.
Sie studieren beide an der Universität in München. Nach
drei oder vier Jahren des gemeinsamen Studiums, der gemeinsamen Liebe und des gemeinsamen Lebens macht
Carmen ihre Abschlussprüfung und muss das Land verlassen. Es gibt auf dieser Welt keinen Ort, wo diese Partnerschaft und diese Liebe nach dem gegenwärtigen Ausländerrecht legal fortgesetzt werden darf. Dies ist ein
Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dieser Menschen.
Mit dieser Diskriminierung machen wir heute Schluss.
({4})
Auch wenn Lebenspartner jahrzehntelang füreinander
sorgen, wenn zum Beispiel ein an Aids erkrankter Partner
von dem anderen gepflegt worden ist, behandelt das Recht
diese Lebenspartner wie Fremde: beim Erbrecht, bei der
Totensorge, bei der Erbschaftsteuer und anderen Rechtsgebieten. Auch damit wollen wir heute Schluss machen.
Ich glaube, die Menschen draußen im Lande haben es verstanden: Durch unser Gesetz wird niemandem etwas genommen, aber es beendet wirklich fürchterliche Dramen,
die sich in diesem Zusammenhang abspielen.
Ich fordere hier auch die Mitglieder des Bundesrates
auf: Wenn Sie darüber nicht nach parteipolitischen, sondern nach fachlichen Kriterien entscheiden wollen, dann
werden Sie auch beim zustimmungspflichtigen Teil nicht
darum herumkommen, sich hier zu bewegen. Es macht
keinen Sinn, eine andere Behörde als das Standesamt mit
Personenstandsfragen zu beauftragen. Das sagt auch die
F.D.P., in deren Gesetzentwurf es allerdings heißt, dass
der Standesbeamte den Homosexuellen nicht die Hand
geben soll. Aber auch in Ihrer Vorlage steht, dass der notarielle Vertrag hinterher beim Standesamt abgegeben werden muss. Das ist Augenwischerei und Kosmetik. Dies
zeigt, dass unsere Regelung sachgerecht ist.
({5})
Die finanziellen Regelungen, die wir bei den Pflichten und Rechten treffen, leiten sich alle von der Unterhaltsverpflichtung ab. Auch deswegen muss sich der Bundesrat, wenn er von der Sache her entscheidet, bewegen.
Die Union sagt uns, wir machten zu viel, wir näherten
uns der Ehe zu sehr. Die PDS sagt das glatte Gegenteil,
nämlich wir seien von der Ehe zu weit entfernt und schafften angeblich Diskriminierungen. Beide gemeinsam können nicht Recht haben. Das zeigt einfach: Dieser Gesetzentwurf ist ausgewogen. Er ist ein Kompromiss zwischen
dem Verfassungsrecht und den Notwendigkeiten, für die
Schwulen und Lesben eine angemessene Regelung zu finden. Deshalb verdient er die Zustimmung des Hauses.
({6})
Zum Schluss: Das ist heute ein Tag für das Geschichtsbuch. Es wird im Umgang des Staates mit seinen
homosexuellen Bürgern ein neues Kapitel aufgeschlagen.
Ab heute sind Schwule und Lesben nicht mehr Bürger
zweiter Klasse. Vor zehn Jahren war ich in dieser Debatte
mit einigen Freunden fast allein auf weiter Flur. Von
Bischöfen wurde ich für verrückt erklärt. Heute wird es
Wirklichkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, an diesem
Tag möchte ich Ihnen ein kleines Geheimnis verraten: Ein
bisschen bin ich heute schon glücklich.
({7})
Das Wort hat
jetzt die Frau Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute nicht zum ersten Mal die
Frage, wie wir die Diskriminierung von Menschen mit
gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung abbauen
können. Wir haben vor mehreren Jahren damit begonnen.
Es war sehr gut, dass Sie, Frau Falk, darauf hingewiesen
haben, dass es neben all dem schrecklichen Streit, den wir
gerade erlebt haben und der wohl auch das Verfahren stark
und, wie ich finde, unnötig überlagert hat, auch Annäherungen in der Sache gibt.
Es ist außerordentlich wichtig, festzuhalten, dass heute
viel mehr Menschen als zu Beginn der Diskussion wissen,
dass gleichgeschlechtliche Sexualität eine biologische
Gegebenheit ist und eben kein kriminelles Verhalten, eben
nicht eine Geschmacksverirrung oder etwas Unsittliches
darstellt. Es wäre gut, wenn die Diskussion um diesen
konkreten Gesetzentwurf noch mehr dazu beitragen
könnte, dass darüber in der Bevölkerung absolute Klarheit
herrscht. Wenn die Menschen dieses verstanden haben,
fällt es ihnen nämlich viel leichter, Menschen mit einer
andersartig orientierten Sexualität zu respektieren und,
wie es unser Grundgesetz ja vorschreibt,
({0})
ihre Würde zu achten und nicht etwa infrage zu stellen.
Der Anspruch auf Würde muss jedem zukommen,
gleich welche sexuelle Orientierung er oder sie hat.
Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt eingehen;
hierbei wende ich mich besonders an den Kollegen
Gerhardt. Selbstverständlich kann niemand sagen - so
umstritten eine konkrete Maßnahme auch immer sein
mag -, nur die anderen haben Unrecht und er hat in jedem
einzelnen Punkt Recht. Das gilt aber für jede der betroffenen Seiten, lieber Herr Gerhardt.
({1})
Wir haben in der heutigen Diskussion erlebt, dass noch zu
viel durcheinander geht. Selbstverständlich kann man einzelne Fragen unterschiedlich entscheiden.
Wir haben von Anfang an den Weg eines eigenen familienrechtlichen Instituts gewählt, also einer familienrechtlichen Einrichtung eigener Art. Damit haben wir von
Anfang an klargestellt, dass diese Partnerschaft, die unter
Einbeziehung der sexuellen Orientierung gelebt werden
soll und die in ihrer Andersartigkeit anerkannt werden
soll, weder das Gleiche wie die Ehe ist noch in diese Richtung geht oder ihr in die Quere kommt und erst recht keine
Kopie ist. Sie, Frau Schenk, haben das im Übrigen, wenn
ich auch nicht jeder Ihrer Ausführungen folgen kann, sehr
nachdrücklich dargestellt.
Ich komme auf das zurück, was Sie gesagt haben. Sie
nannten das eigenständige familienrechtliche Institut mit
eigener Souveränität und Würde - genau das schaffen wir.
Ein Institut beinhaltet Rechte und Pflichten. Viele kritisieren in diesem Punkt den Gesetzentwurf der F.D.P. Es
geht eben nicht darum, dass sich eine bestimmte Gruppe
Rechte à la carte wählen kann, sondern es geht um dauerhafte Bindung, um Rechte und Pflichten. Es geht um ein
Institut eigener Art. Wir sind der Meinung, dass eine entsprechende Umsetzung in dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalition gelungen ist.
({2})
Lassen Sie mich noch einmal festhalten, worum es
geht: Es geht erstens um den Abbau von Diskriminierung - dieses Gesetz ist ein wichtiger Schritt dahin -,
zweitens um die Anerkennung anderer Lebensformen unter Einbeziehung der Sexualität und drittens um die Förderung dauerhafter personaler Beziehungen. Dieser letzte
Aspekt ist für uns außerordentlich wichtig.
Ich darf einmal von mir persönlich sprechen. Ich bin
jetzt seit mehr als 31 Jahren verheiratet, und das bin ich
gern. Für mich ist diese dauerhafte persönliche Bindung
eine Lebensform, die ich nicht missen möchte. Wir wissen aber: Es gibt Menschen mit einer andersartigen sexuellen Orientierung, die diese Bindung zwar möchten, aber
nicht heiraten können. Was ist an diesem Wunsch
schlecht. Daran ist überhaupt nichts schlecht! Diese Bindung erfüllt ein Grundbedürfnis der Menschen. Ich halte
es für eine besondere Notwendigkeit, sogar für eine
Pflicht der staatlichen Gemeinschaft, dauerhafte persönliche Beziehungen mit Rechten und Pflichten, in denen der
eine für den anderen einsteht, zu fördern.
({3})
Diese Möglichkeit wollen wir und wir schaffen sie mit einem eigenständigen familienrechtlichen Institut.
Alle Einwände, die von der einen oder anderen Seite
vorgebracht wurden oder werden, das sei mit unserer Verfassung nicht in Einklang zu bringen, laufen ins Leere.
Wir wissen sehr wohl, dass die Ehe das eine - die Regelungen haben wir entsprechend ausgestaltet - und dass
dieses familienrechtliche Institut das andere ist. Ich
glaube und hoffe, dass es in diesem Haus und in der Öffentlichkeit überhaupt keinen Zweifel daran gibt, dass
man ungeachtet der sexuellen Orientierung der Eltern von
Familie - das heißt, Erwachsene mit eigenen oder mit angenommenen Kindern - spricht, der der besondere Schutz
unserer Verfassung zukommt.
({4})
Ich möchte sehr deutlich sagen: Es ist falsch, anzunehmen, es sei unlogisch oder mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht in Einklang zu bringen, wenn man ein besonderes familienrechtliches Institut für Menschen schaffe,
die nicht heiraten können, ohne zugleich auch eine andere
Gruppe einzubeziehen, nämlich die Gruppe derjenigen,
die - aus Gründen, die wir hier nicht nachzuvollziehen haben - heiraten können, aber nicht wollen.
({5})
- Nein, diese Menschen sind im Gesetzentwurf mit Absicht nicht angesprochen.
({6})
Sehr geehrter Herr Geis, stellen Sie sich einmal die
Konsequenzen vor. Wir haben es mit einer klar bestimmbaren Gruppe zu tun, die durch ihre besondere sexuelle
Orientierung definiert ist. Wenn wir die Gruppe derjenigen in eine solche Regelung einbezögen, die zwar heterosexuell sind, aber nicht heiraten möchten, dann käme es
zu einem Ergebnis, das einem „Trauschein zweiter
Klasse“ ungeheuer ähnlich wäre. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das irgendjemand will, der so argumentiert.
Ich will das aus zwei Gründen nicht:
Erstens: Es würde die Ehe in hohem Maße beschädigen, was ich für ganz falsch halte.
Zweitens - es handelt sich um einen ganz pragmatischen Grund -: Wir wissen gar nicht, warum die Menschen, die es zwar könnten, aber nicht wollen, nicht heiraten.
({7})
Wir wissen also gar nicht, ob ein Instrument, wie es die
Franzosen haben, irgendjemandem in irgendeiner Weise
helfen würde.
Weil ich glaube, dass man, soweit möglich, mit ein
bisschen mehr Gemeinsamkeit, deren Mangel man in familienrechtlichen Fragen leider beobachten muss, vorgehen sollte, will ich Folgendes festhalten: Es kann bei
Menschen, die ohne Trauschein lange zusammenleben,
obwohl sie heiraten könnten, Regelungsnotwendigkeiten
geben. In solchen Fällen kann es zum Beispiel bei der
Trennung oder im Erbfall Ungerechtigkeiten geben. Die
damit verbundenen Fragen sollten wir aufgreifen, und
zwar gemeinsam, wenn es geht. Diese Menschen in denselben Topf wie eine ganz andere Gruppe zu werfen, bei
der es darum geht, Diskriminierungen abzubauen, andere
Lebensformen anzuerkennen und dauerhafte persönliche
Bindungen zu fördern, wäre ganz falsch.
({8})
Was die Zustimmungsbedürftigkeit der vorliegenden
Gesetzentwürfe angeht, besteht, soweit sie in der Vorlage
nicht genannt wird, überhaupt kein Zweifel. Derjenige
Teil, der als nicht zustimmungsbedürftig vorgelegt wurde,
ist es auch nicht.
Lassen Sie mich am Schluss dieser jahrelangen Debatte zusammenfassen: Es geht in der Tat darum, Diskriminierungen abzubauen. Es wäre schön, wenn Schritte
wie unsere nicht solche Verwerfungen auslösen würden,
wie wir sie heute hier erlebt haben. Es geht darum, Respekt vor der Würde von anderen und auch vor anderen
Formen des Zusammenlebens nicht nur zu behaupten,
sondern auch praktisch zu dokumentieren. Es geht darum,
auch mit den Mitteln des Staates persönliche, auf Dauer
angelegte Beziehungen, die Rechte und Pflichten einschließen sollen, zu stärken. Das tun wir.
Danke schön.
({9})
Zu einer Kurzintervention erhält Kollege Westerwelle das Wort.
Frau Präsidentin!
Frau Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich will vorab eine Bemerkung machen, die mir persönlich sehr wichtig ist. Ich habe in den früheren Lesungen
dieser Debatte mehrfach zu diesem Thema gesprochen.
Es ist allgemein bekannt, dass - bei allem Respekt vor der
sonstigen Arbeit des Herrn Kollegen Geis - wir in diesem
Fall gegenteilige Auffassungen vertreten. Ich bin unverändert der Auffassung - es ist mir wichtig, das zu sagen -:
Ich kann keinen Werteverlust darin erkennen, wenn Menschen gleichen Geschlechts füreinander Verantwortung in
der Gesellschaft übernehmen. Das ist ein Wertegewinn.
({0})
Deswegen will ich hier ausdrücklich erklären - Sie
werden verstehen, dass ich das tue - , dass ich das Anliegen, eine Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften in unserer Realität, in unserer Gesellschaft, in unserem Recht zu beseitigen, teile. Aber,
Frau Minister, Sie haben mit keinem Ton beispielsweise
auf die großen Komplikationen hingewiesen, die jetzt
durch die Aufspaltung des Gesetzentwurfes entstehen
werden. Wir werden erleben, dass der zustimmungspflichtige Teil dieses Gesetzes im Bundesrat keine Mehrheit bekommt; denn wenn der eigene Verfassungsminister
sagt, das Gesetz sei nicht verfassungsgemäß, dann wird
der Bundesrat natürlich nicht zustimmen. Man wird dann
auch kaum eine Argumentation hören können.
Das bedeutet: Der zustimmungsfreie Teil, der heute beschlossen wird, wird Gesetz. Darin steht zum Beispiel,
dass nach einer Trennung eine gegenseitige Unterhaltsverpflichtung besteht. Der zustimmungspflichtige Teil
wird nicht Gesetz. Darin steht zum Beispiel, dass Aufwendungen zum Unterhalt wie bei jeder heterosexuellen
Beziehung steuerlich abzugsfähig sind und geltend gemacht werden können. Wenn diese Aufspaltung von Ihnen
durchgezogen wird, dann werden Sie neue Pflichten für
gleichgeschlechtliche Partnerschaften begründen. Sie
werden aber nicht gleichzeitig neue Rechte schaffen. Das,
was Sie hier auf den Weg gebracht haben, bedeutet eine
klare Diskriminierung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften.
({1})
Sie haben keinen Ton dazu gesagt, dass hinsichtlich der
Frage, ob das Standesamt für gleichgeschlechtliche Partnerschaften zuständig sein soll, gar nichts beschlossen
werden wird; denn das ist ein zustimmungspflichtiger Teil.
Sie haben keinen Ton dazu gesagt, dass es Rechte im Bereich der Steuern nicht geben wird, Unterhaltsverpflichtungen dagegen schon. Sie haben keinen Ton dazu gesagt,
wie Sie im Bundesrat eine Mehrheit organisieren wollen,
({2})
wenn der eigene Verfassungsminister öffentlich - und
nicht nur heute in der Zeitung, sondern seit Wochen - erklärt, dieser Gesetzentwurf sei verfassungswidrig.
({3})
Deswegen bitte ich um Verständnis dafür, dass ich - so
sehr ich das Anliegen teile, das übrigens insbesondere
von Ihnen, Frau Falk, in einer bemerkenswerten Rede
geäußert worden ist - diesem Gesetzentwurf, den Sie vorlegen, nicht zustimmen werde.
({4})
Sie haben eine große Chance verpasst, hier im Hause einen Konsens über die Parteien hinweg herzustellen.
Herr Kollege
Westerwelle, nur drei Minuten sind bei einer Kurzintervention gestattet.
Letzter Satz, Frau
Präsidentin.
Es wäre möglich gewesen, in diesem Hause einen
Konsens, und zwar über alle Parteien hinweg, zu organisieren. Das haben Sie nicht gewollt, weil einige von Ihnen
einen Erfolg in der Koalition wollten. Ich bedauere das,
weil es zulasten der Sache geht.
({0})
Es gibt noch den
Wunsch nach einer Kurzintervention, und zwar des Kollegen Volker Beck. Sie wissen, dass Sie jetzt nicht einen
internen Dialog mit Herrn Westerwelle anfangen dürfen.
({0})
Das sage ich nur vorbeugend vorweg.
Frau Däubler-Gmelin, Sie können dann auf beide Kurzinterventionen zusammen antworten und bekommen dazu
auch entsprechend Zeit.
Ich bin sehr dankbar, dass die Justizministerin noch einmal so eindeutig und klar festgestellt hat, worin die verfassungsrechtliche Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur eingetragenen Partnerschaft besteht und dass in
der Aufspaltung dieses Gesetzesentwurfes durchaus eine
Logik liegt. Es irren andere, die hier gesprochen haben,
insofern, als alle monetären Aspekte bezüglich der Unterhaltspflicht im zustimmungspflichtigen Teil zu finden
sind; sie beziehen sich dann aber auf Rechte und Pflichten gleichermaßen.
Die Regelungen zur Sozialhilfe und zum Wohngeld,
die den Paaren die Pflichten einer eingetragenen Partnerschaft abverlangen - man muss nämlich für seinen Partner aufkommen, bevor man vom Staat eine Leistung erwarten kann -, sind zustimmungspflichtig. Das erspart
den Ländern und Kommunen Kosten. Die einkommensteuer- und erbschaftsteuerlichen Regelungen, die Rechte
beinhalten, sind ebenfalls zustimmungspflichtig. Wenn
der zustimmungspflichtige Teil nicht Gesetz würde - was
wir nicht glauben, weil wir denken, dass die Länder fachlich und politisch korrekt mit uns diskutieren werden -,
dann wäre der übrige Teil, das zustimmungsfreie Gesetz,
durchaus noch in sich ausgewogen. Er ist allemal substanzvoller als der Gesetzentwurf, den die F.D.P.-Fraktion
dem Bundestag vorgelegt hat.
Wir lösen Probleme bei der Krankenversicherung,
beim Ausländerrecht, beim Erbrecht, beim Mietrecht,
beim Familienrecht und bei einer Fülle von Rechtsgebieten. Lediglich diese monetären Aspekte und die Frage, ob
die zuständige Behörde das Standesamt ist oder die Länder selber Regelungen treffen müssen, sind zustimmungspflichtig. Aufgrund der Sachargumente wird der
Bundesrat mit uns gemeinsam sicher eine vernünftige
Entscheidung aushandeln.
({0})
Frau Ministerin,
Sie dürfen antworten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte auf das eingehen, was Herr Westerwelle sagte. Ich
habe darauf hingewiesen, dass wir seit langem über diese
Frage diskutieren. Dieses ist nicht der erste Gesetzentwurf
zu diesem Thema in diesem Haus, wie Sie wissen. Seit
langen Jahren - übrigens auch zur Zeit Ihrer Regierungstätigkeit - haben wir immer wieder gehört, allgemein
wolle man das, aber konkret ist nie was daraus geworden.
Diese Situation beenden wir.
({0})
Wir möchten Diskriminierung abbauen. Wir möchten,
dass Respekt vor anderen Lebensformen Wirklichkeit
wird. Wir möchten persönliche Beziehungen fördern.
Nun sagen Sie, Sie hätten die Hoffnung, dass man Vereinbarungen über Zustimmungsbedürftiges und nicht Zustimmungsbedürftiges über die Grenzen der Parteien im
Deutschen Bundestag und im Deutschen Bundesrat hinaus gemeinsam treffen könne. Ich würde gern Ihrer Meinung sein. Aber wenn ich nicht ohnehin schon skeptisch
wäre, weil ich den jahrelangen Vorlauf kenne, dann wäre
ich es im Zuge der Behandlung dieses Gesetzentwurfes in
diesem Hause geworden, und zwar deshalb, weil nach
meiner Erfahrung alles dafür spricht, dass derartig heftige
Auseinandersetzungen über Verfahren meistens inhaltliche Auseinandersetzungen verdecken.
({1})
Mir hat sehr gefallen, was einige Kollegen aus verschiedenen Fraktionen heute gesagt haben, weil ich daran
Anerkennung und Annäherung in der Sache ablesen kann.
Wie lange es dauern wird, zu einem Konsens zu kommen,
kann ich nicht beurteilen. Ich glaube, es ist Aufgabe der
Mehrheit dieses Hauses, nicht nur abzuwarten und für
Konsens zu werben - das tun wir auch -, sondern Schritt
für Schritt weiterzukommen. Deshalb werbe ich dafür,
dass wir uns alle daran beteiligen. Wenn auch Sie das tun,
sind wir insgesamt noch stärker.
({2})
Das Wort hat
jetzt Kollege Hartenbach.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Wochenende habe ich mit einer Vereinigung, die sich „Homosexuelle und Kirche“ nennt, eine sehr eingehende Diskussion zu diesem Thema geführt. Ich habe dabei von
einem Repräsentanten der „Lesben und Schwulen in der
Union“, der die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dort vertrat, inoffiziell den Satz gehört: Wir haben uns mit diesem
Thema bisher noch nicht befasst; deswegen ist es bei uns
in der Union schwierig, dieses Thema sachlich und ruhig
zu diskutieren. Heute Morgen hat mir ein von mir sehr geschätztes Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Ähnliches gesagt und darauf hingewiesen, in welchen
Schwierigkeiten und Nöten manche in der Union sind.
Frau Falk, dies habe ich auch Ihrem Redebeitrag entnommen. Ich respektiere Ihren Redebeitrag und Ihre Meinung
in hohem Maße. Wenn Sie das Protokoll der Debatte vom
7. Juli nachlesen, werden Sie sehen, dass ich das auch damals schon gesagt habe.
Deswegen habe ich es sehr bedauert, dass Sie, Frau
Falk, von Ihrer Fraktion nicht stärker in diese Debatte eingebunden wurden,
({0})
um auf diese Weise unter Umständen zu anderen Lösungen beizutragen. Leider waren Sie auch nicht bei dem Gespräch der Berichterstatter dabei.
({1})
Ich möchte diese Feststellung treffen, da ich mir vorstellen kann, dass die Diskussion in mancher Beziehung anders gelaufen wäre, wenn nicht von vornherein durch die
Medien ein deutliches „Wir werden dem so überhaupt
nicht zustimmen“ verbreitet worden wäre, wenn nicht von
vornherein das, was wir mit großem Ernst, großer Gewissenhaftigkeit und unter Einschaltung aller gesellschaftlichen Kräfte unseres Landes gewollt haben, als Teufelswerk, als unsittlich und mit der Gesellschaftsordnung
nicht vereinbar abgetan worden wäre.
Ich möchte hier in einer Weise reden, dass mich die
Menschen draußen, die im Land dieses Gesetz begreifen
sollen, am besten verstehen. Ich frage: Wem nehmen wir
mit diesem Gesetz etwas weg? Nehmen wir den Ehemann
der Ehefrau oder die Ehefrau dem Ehemann weg? - Nein!
Nehmen wir der Ehe die nach Art. 6 des Grundgesetzes
geschützte und durch die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft zuerkannte herausragende Position in der Gesellschaft? - Nein!
({2})
Nehmen wir den Kirchen das Recht, die vor dem Standesamt geschlossene Ehe weiterhin als Sakrament zu betrachten und durch einen Akt in der Kirche noch besonders hervorzuheben? - Nein!
Was aber tun wir? Wir folgen unserem verfassungsmäßigen Auftrag aus Art. 1 des Grundgesetzes: „Die
Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu
schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Wir
helfen Menschen, aus der Zone der Diskriminierung herauszukommen und - Herr Gerhardt hat das eben angesprochen - gleichberechtigt neben anderen zu stehen. Wir
tragen dazu bei, dass Menschen, die füreinander lebenslang Verantwortung übernehmen wollen, dies auch können und dies auch geachtet wird. Wir tragen dazu bei, dass
der eine Partner für den anderen sorgen darf, nein, muss.
Wir tragen auch dazu bei, dass ein Partner - wir empfinden das als gesellschaftlich selbstverständlich - im
Krankenhaus oder in sonstigen Notfällen Auskunft über
die Situation des anderen Partners bekommt. Wir tragen
dazu bei, dass Kinder, die ein Partner aus einer früheren
Beziehung mitbringt, auch zu dem anderen Partner eine
Beziehung aufbauen können, indem wir es gestatten, dass
dieses „kleine Sorgerecht“ ausgeübt wird.
Wir helfen damit in deutlicher Weise, endlich normale
Lebensverhältnisse für Menschen, die genauso wertvolle
und gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft
sind wie alle anderen Menschen auch, zu schaffen.
({3})
Die geplanten Änderungen sind auch nicht - viele meiner
Vorredner haben das bereits gesagt - verfassungswidrig,
im Gegenteil: Wir erfüllen hier ein Gebot aus Art. 3 unserer Verfassung.
Lassen Sie mich, Herr Hohmann - da sich die Zeit dem
Ende zuneigt -, mit zwei Bibelzitaten enden:
Herr, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie andere.
Das ist nicht meine Haltung. Meine Haltung ist:
Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt,
das habt ihr mir getan.
Vielen Dank.
({4})
Wir sind jetzt
am Ende der vereinbarten Debatte. Der Vorsitzende der
Fraktion der CDU/CSU, Friedrich Merz, wünscht, einen
Geschäftsordnungsantrag einzubringen.
Frau Präsidentin! Der
Bundesminister des Innern hat an der heutigen Debatte
nicht teilgenommen. Ich kenne den Grund nicht. Sie wissen, dass jede Fraktion die Möglichkeit hat, nach § 42 unserer Geschäftsordnung jederzeit die Herbeirufung eines
Mitglieds der Bundesregierung zu beantragen. Ich möchte
das angesichts der fortgeschrittenen Zeit ausdrücklich
nicht tun.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, ruhig zu sein; denn ich
muss mitbekommen, welcher Geschäftsordnungsantrag
gestellt wird. Geben Sie mir also eine Chance!
Da heute Morgen aus einem Brief des Bundesinnenministers, den dieser an den
Vorsitzenden der SPD-Fraktion geschrieben haben soll,
zitiert worden ist, möchte ich beantragen, dass wir Gelegenheit bekommen, von der anwesenden Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister des Innern
über zwei Sachverhalte informiert zu werden, bevor wir
in die Abstimmung eintreten.
Ich möchte Sie bitten, Frau Kollegin, dem Deutschen
Bundestag darüber Auskunft zu geben, ob Ihr Minister
tatsächlich einen solchen Brief geschrieben hat und
- wenn ja - ob darin die Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des heute auf der Tagesordnung
stehenden und zu beschließenden Gesetzes seitens des
Verfassungsministers der Bundesrepublik Deutschland
aufrechterhalten werden oder nicht. Ich meine, der Deutsche Bundestag hat einen Anspruch darauf, dies zu erfahren, bevor wir in die Schlussabstimmung eintreten.
({0})
Das ist ein Geschäftsordnungsantrag in Form eines Verfahrensantrags.
Gibt es weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsordnungsantrag? Wird eine Aussprache gewünscht? - Das ist
nicht der Fall. Dann lasse ich über diesen Verfahrensantrag abstimmen. Wer unterstützt den eingebrachten Verfahrensantrag? ({0})
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? ({1})
Der Geschäftsordnungsantrag in Form eines Verfahrensantrags ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS
abgelehnt worden.
({2})
Es folgt jetzt eine Erklärung zur Abstimmung der Abgeordneten Sabine Jünger. Bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde den Entwurf eines Gesetzes
zur Lebenspartnerschaft ablehnen. Ich habe dafür folgende Gründe:
Erstens. Mit dem Gesetzentwurf werden Diskriminierungen fortgeschrieben. Frau Däubler-Gmelin hat selbst
nur von einem Abbau der Diskriminierungen gesprochen.
Ich bin ihr dafür sehr dankbar. Lesbische und schwule
Paare werden qua Gesetz schlechter als heterosexuelle
Paare gestellt.
Zweitens. Die Situation von lesbischen und schwulen
Eltern und Koeltern bessert sich nicht. Frau Falk, ich bin
selbst eines der zahlreichen Beispiele für den - wie Sie es
nannten - regenerativen Beitrag von Lesben und Schwulen. Ich bin Komutter eines Sohnes, der übrigens, Herr
Hartenbach, nicht aus einer vorherigen Beziehung
stammt. Wie das funktioniert, kann ich Ihnen gerne unter
vier Augen erklären, falls Sie sich das nicht vorstellen
können.
({0})
Mein Sohn lebt mit meiner Lebensgefährtin und mir
sehr wohl in einer Verantwortungsgemeinschaft. Ich kann
einem Gesetz nicht zustimmen, das Lesben und Schwulen
bescheinigt, keine Eltern sein zu können, bzw. ihnen verbietet, Eltern zu werden.
Nicht einmal eine Stiefelternadoption ist in Zukunft
möglich.
({1})
- Ich bin eine Komutter. Hören Sie bitte genau zu, Frau
von Renesse! Eine Komutter ist diejenige, die das Kind
nicht geboren hat. - Was ist eigentlich für Sie das Problem, wenn sich zwei Menschen freiwillig und verantwortlich um ein Kind kümmern wollen?
Ein gemeinsames Sorgerecht oder ein gemeinsames
Adoptionsrecht wird es ebenfalls nicht geben. Einem solchen Gesetz kann ich meine Zustimmung nicht geben.
Drittens. Zu dem Punkt Unterhalt und Steuern hat der
Kollege Westerwelle schon alles gesagt. Ich kann seine
Ausführungen nur unterstreichen.
Viertens. Auch wenn sich die Lebenssituation von binationalen Paaren bessert und der Staat erstmals Beziehungen zwischen Schwulen und Lesben anerkennt, so
kann ich doch einem Gesetz mit solch gravierenden
Lücken nicht zustimmen.
({2})
Wir kommen zu
den Abstimmungen, und zwar zunächst zur Abstimmung
über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Lebenspartnerschaftsgesetzes auf Drucksache 14/3751. Der
Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/4545 unter
Buchstabe a, die nicht der Zustimmung des Bundesrates
bedürfenden Teile des Gesetzentwurfs als Lebenspartnerschaftsgesetz in der Fassung der Anlage 1 und die zustimmungsbedürftigen Teile als Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz in der Fassung der Anlage 2 der
Beschlussempfehlung anzunehmen.
Wir stimmen zunächst ab über das Lebenspartnerschaftsgesetz in der Ausschussfassung auf Drucksache
14/4545, Anlage 1. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. und einigen Stimmen aus der PDS
bei mehrheitlicher Enthaltung der PDS und bei einer Enthaltung aus der F.D.P. angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten
Stimmenverhältnis angenommen worden.
({0})
Wir stimmen nun ab über den zweiten vom Rechtsausschuss zur Annahme empfohlenen Gesetzentwurf, das Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz auf Drucksache 14/4545, Anlage 2. Ich bitte diejenigen, die diesem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. und gegen drei Stimmen aus der PDS bei sonstiger Enthaltung der PDS und
einer Enthaltung aus der F.D.P. angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/4551. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen
von CDU/CSU abgelehnt worden.
Abstimmung über den Entwurf eines EingetrageneLebenspartnerschaften-Gesetzes der Fraktion der F.D.P.
auf Drucksache 14/1259. Der Rechtsausschuss empfiehlt
auf Drucksache 14/4545 unter Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen
der F.D.P. bei Enthaltung der Kollegin Falk abgelehnt
worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.
Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der
Fraktion der F.D.P. zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches - das betrifft das Wohnrecht hinterbliebener
Haushaltsangehöriger - auf Drucksache 14/326. Der
Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/4545 unter
Buchstabe c, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
F.D.P. bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS abgelehnt
worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.
Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der
Fraktion der PDS zur Übernahme der gemeinsamen Wohnung nach Todesfall des Mieters oder des Mitmieters auf
Drucksache 14/308. Der Rechtsausschuss empfiehlt auf
Drucksache 14/4545 unter Buchstabe d, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU gegen die Stimmen der PDS bei
Enthaltung der F.D.P. abgelehnt worden. Damit entfällt
die weitere Beratung und wir sind am Ende der Abstimmungen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Ilse
Aigner, Werner Lensing, Dr. Gerhard Friedrich
({1}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes ({2})
- Drucksache 14/4250 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Da es hier größere Personenbewegungen gibt, warte
ich ein bisschen mit der Eröffnung der Debatte. Bitte verlassen Sie den Plenarsaal, wenn Sie etwas zu besprechen
oder zu feiern haben.
({4})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Ilse Aigner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute steht
die erste Lesung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes
- besser bekannt unter Meister-BAföG - auf der Tagesordnung. Diesen hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
erarbeitet und eingebracht, nachdem die Bundesregierung
trotz mehrfacher Ankündigungen bis heute untätig geblieben ist. Im Sinne des Wirtschafts- und Bildungsstandortes Deutschland halten wir dies für ein schwerwiegendes Versäumnis.
({0})
Zur Erinnerung die Historie: Am 1. Januar 1996 trat
das erste Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, das
AFBG, in Kraft.
({1})
Im Herbst 1998 wurde der Haushaltsplanentwurf 1999
- damals noch unter Finanzminister Lafontaine - vorgelegt. Es stellte sich heraus, dass die für das MeisterBAföG vorgesehenen Haushaltsansätze von 167 MilliVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
onen auf 80 Millionen DM gekürzt wurden. Die - wie ich
fast sagen muss - lapidare Begründung der rot-grünen
Bundesregierung und seitens der SPD und der Grünen
war, dass die in den Haushalt eingestellten Mittel nicht abgerufen worden seien. Damals wäre es eine logische Konsequenz gewesen, zu überprüfen, ob die Richtlinien vielleicht verbesserungsbedürftig wären. Aber nein, die
Mittelansätze wurden gekürzt.
Deshalb brachte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
am 16. März 1999 einen Antrag zum Ausbau der Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung auf den Weg,
der von der Regierungsseite natürlich abgelehnt wurde.
Am 11. Juni 1999 veröffentlichte die Bundesregierung einen Bericht über die Umsetzung und Inanspruchnahme
des AFBG, in dem festgestellt wurde, dass deutlicher Reformbedarf besteht. Die Reaktion darauf war, dass im
Herbst 1999 der Ansatz im Haushaltsentwurf für das Jahr
2000 wiederum, von 80 Millionen DM auf 78 Millionen DM, gesenkt wurde.
Am 26. November 1999 legte der Bundesrat eine Stellungnahme zum Bericht der Bundesregierung vor, die
deutliche Verbesserungsvorschläge beinhaltete. Wiederum war die Reaktion darauf in Bezug auf den Haushaltsentwurf für das Jahr 2001 - eingebracht im September 2000 -, dass die Mittel erneut, von 78 Millionen DM
auf 70 Millionen DM, gekürzt wurden. Deshalb haben wir
von der CDU/CSU-Fraktion diesen Gesetzentwurf zur
Novellierung des AFBG am 10. Oktober 2000 beschlossen und neu eingebracht.
Offensichtlich hat die Regierung aufgrund des durch
diesen Gesetzentwurf entstandenen Drucks am 29. Oktober 2000 eine Reform angekündigt. Ich habe dies nur aus
der Presse erfahren und halte dies für ein etwas merkwürdiges Verfahren.
({2})
Es gibt angeblich einen Referentenentwurf, dessen genaue Eckzahlen ich noch nicht kenne. Ich weiß nur, wie in
der Zeitung zu lesen war, dass es zu einer Aufstockung um
10 Millionen DM kommen soll. Dies ist während der
Haushaltsberatungen im Wirtschaftsausschuss wohl auch
so beschlossen worden. Aber ich erinnere daran: Durch
die Aufstockung um 10 Millionen DM wird - nach einer
Kürzung um über die Hälfte beim Haushaltsentwurf für
das Jahr 1999 - gerade das Niveau von 80 Millionen DM
erreicht.
({3})
Aus unserer Sicht ist dies wahrlich kein Sieg, überhaupt
nicht im Sinne der Fortbildungswilligen und in keiner
Weise angemessen.
Die Ziele des AFBG in kurzen Stichworten: Angestrebt
wird die Sicherung des Zukunftsstandortes Deutschland. Das AFBG soll zur Herstellung der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung führen.
({4})
Es ist als Gegenstück zum BAföG im akademischen Bereich anzusehen. Auch die Aufstiegswilligen in der beruflichen Bildung sollen die Möglichkeit erhalten, sich beruflich weiterzuentwickeln, ohne aus finanziellen Gründen
daran gehindert zu sein.
Dem von der früheren Bundesregierung geschaffenen
AFBG kommt eine große Bedeutung zu. Es fördert den
Mittelstand und spielt gerade in diesem Bereich eine entscheidende Rolle. Denn der Mittelstand ist und bleibt Arbeitgeber und Ausbildungsplatzgeber Nummer eins. Eine
Vielzahl selbstständiger beruflicher Existenzen ist die Voraussetzung für den Erhalt und den Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Das AFBG fördert die Herstellung der Gleichwertigkeit von akademischer und
beruflicher Bildung als zentrales bildungspolitisches Ziel.
Last but not least: Im Gegensatz zu der früheren AFBGFörderung ist es ein Leistungsgesetz und kein Kanngesetz.
({5})
Der Reformbedarf hat sich nach den Erfahrungen mit
dem AFBG in den ersten Jahren auch aufgrund von veränderten Rahmenbedingungen ergeben. Es ist nach wie
vor ein Rückgang der Zahl von Betriebsnachfolgerinnen
und -nachfolgern zu erwarten. Das ist ein schwerwiegendes Problem, mit dem wir in Zukunft zu kämpfen haben
dürften.
Ferner gibt es - explizit im Mittelstand - einen stetig
steigenden Bedarf an qualifizierten Fachkräften. Auf
dem Ausbildungsstellenmarkt ist die Lage - insbesondere
in den neuen Ländern - noch immer angespannt. Schließlich wollen wir natürlich auch einen Umbau in der Wirtschaft zu einer Kultur von mehr Selbstständigkeit in
Deutschland. Die Reform der AFBG ist ein wichtiges Zeichen in diese Richtung.
Als weiterer Punkt hat sich herausgestellt, dass die Förderung für diejenigen, die gefördert werden sollen, noch
nicht attraktiv genug ist. Der Zuschussanteil bei der Förderung erscheint vielen als zu gering, die Darlehensrückzahlungspflicht damit als zu hoch und der Existenzgründungsansatz als zu niedrig. Das wollen wir mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf ändern.
Zur Steigerung der Attraktivität der Förderung haben
wir Folgendes vorgeschlagen: eine maßgebliche Erhöhung des Förderbetrags, die Schaffung eines Zuschussanteils beim Unterhalts- und beim Maßnahmebeitrag
({6})
und eine Stärkung der Existenzgründerkomponente, das
heißt, höhere Erlassbeträge und längere Fristen, insbesondere bei der Karenzzeit.
({7})
Ferner soll eine noch immer bestehende Ungleichbehandlung im Vergleich zur BAföG-Förderung korrigiert
werden. Es gibt gerade in der beruflichen Ausbildung in
diesem Bereich zusätzliche Kostenfaktoren, die bei der
akademischen Ausbildung nicht bestehen, nämlich Lehrgangs- und Prüfungsgebühren. Diese wollen wir zumindest zu einem Teil als Zuschuss und zu einem Teil als
Darlehen mitfinanzieren.
({8})
Wir wollen den Zuschussanteil beim Unterhaltsbeitrag
- angeglichen an die entsprechende BAföG-Förderung erhöhen. 50 Prozent sollen als Zuschuss und 50 Prozent
als Darlehen gezahlt werden.
Ferner hat sich ein Nachbesserungsbedarf im Hinblick
auf ein zweites Fortbildungsziel ergeben. Es gibt bestimmte Ausbildungsgänge, die nicht die Möglichkeit zur
Selbstständigkeit und damit zur Schaffung von mehr
Ausbildungsplätzen eröffnen. In diesen soll die Förderung der Erreichung eines zweiten Fortbildungsziels ermöglicht werden.
Ein weiterer Punkt ist die Familienförderung. Insbesondere im Hinblick auf Frauen hat sich herausgestellt,
dass eine Förderung von Teilnehmern in Teilzeitmaßnahmen für diejenigen Frauen, die Kinder erziehen, eine
durchaus sinnvolle Angelegenheit sein könnte. Frauen erhielten so die Gelegenheit, anstatt einen Halbtagsjob zu
ergreifen, sich halbtags fortzubilden, um damit den Wiedereinstieg in den Beruf zu finden. Deshalb haben wir die
Ausdehnung der Zahlung eines Unterhaltsbeitrags auf erziehende Maßnahmeteilnehmer in Teilzeitform und überdies die Erhöhung der Beiträge für den Gatten oder die
Gattin bzw. den Partner oder die Partnerin und die Kinder
sowie eine Erhöhung des Kinderbetreuungszuschusses in
den Reformansatz aufgenommen.
Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt bezieht sich auf die
Frage der Verwaltungsvereinfachung. Wir haben die Einstufigkeit des Antragsverfahrens und die Streichung der
Vermögensanrechnung vorgeschlagen. Es hat sich herausgestellt, dass diejenigen, die man mit der Vermögensanrechnung treffen will, nämlich die Kinder reicher
Eltern, gar nicht belastet werden, weil nicht das Vermögen
der Eltern, sondern das Vermögen des Betreffenden einbezogen wird und dadurch der Kapitalstock, den der Betreffende später zur Existenzgründung gut brauchen
könnte, stark angegriffen wird.
Wir haben mit der Einbringung des Gesetzentwurfs im
Sinne der beruflichen Weiterbildung ein Zeichen gesetzt
und nicht nur vage Ankündigungen gemacht. Ich fordere
Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, auf, im Ausschuss und natürlich auch im
Plenum unserem Gesetzentwurf zuzustimmen und nicht
den eventuell irgendwann in Gesetzentwurfsform gegossenen, angeblich bestehenden Referentenentwurf abzuwarten.
({9})
Das Wort hat
jetzt der Kollege Ernst Dieter Rossmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Opposition träumt von Idealvorstellungen,
weckt in verantwortungsloser Weise völlig unrealistische Erwartungen und erhebt zugleich die höchsten
finanziellen Forderungen an den Bund.
({0})
Da hatte der ehrlich geschätzte Kollege Lensing von der
CDU doch wirklich Recht, als er vor fünf Jahren in der
Debatte zum Meister-BAföG diese Feststellung traf und
sinnigerweise anmerkte, dass für eine Opposition bekanntlich nichts einfacher sei als diese Politik der Verantwortungslosigkeit. Ihr Gesetzesvorschlag bewegt sich
heute auf dieser Linie.
({1})
Zugleich ist für eine Opposition, die vorher 16 Jahre
lang Regierung war, nichts schwerer, als ihrer eigenen Geschichte auszuweichen und nicht mit ihren Fehlern konfrontiert zu werden. Deshalb kann und will ich Ihnen nicht
ersparen, Sie noch einmal an Folgendes zu erinnern: 1993
haben Sie die sehr effektive und zweckmäßige Förderung
nach dem AFG ersatzlos gestrichen. Drei Jahre lang hat
sich gar nichts getan, erst 1995 haben Sie das so genannte
Meister-BAföG durchgesetzt. Jahr für Jahr haben Sie zugesehen, wie die hohen Erwartungen, die durch das Gesetz geweckt worden waren, nicht Wirklichkeit wurden.
90 000 angehende Meister sollten gefördert werden. Am
Ende waren es weniger als die Hälfte. Das MeisterBAföG sollte eine runde Sache werden. Jetzt ist es mit
einer Fülle von Feststellungen evaluiert worden, die lauteten, dass es bürokratisch, wirklichkeitsfremd und unzureichend ist.
Sie haben in Ihren Haushaltsplänen immer hohe fiktive
Zahlen eingesetzt, die die Leute aber nicht erreicht haben.
Wir haben es auch nur als Ausdruck Ihres schlechten Gewissens werten können, dass Sie schon im März 1999, gerade fünf Monate nach dem Regierungswechsel, mit
einem Vorschlag vorgeprescht sind, mit dem Sie 400 Millionen DM für Verbesserungen einbringen wollten. Auch
jetzt noch, im November 2000, präsentieren Sie Pläne, die
eine Steigerung des Finanzvolumens um mindestens
200 Prozent vorsehen. Obwohl Ihr Gesetz gerade dazu
führte, dass 60 Millionen DM abfließen, möchten Sie der
neuen Regierung mal eben ein Finanzierungsvolumen
von über 120 Millionen DM zusätzlich abverlangen.
Das halten wir für einen unseriösen Weg, den wir nicht
mitgehen wollen.
({2})
Wir wollen uns an vier Eckpunkten orientieren:
Erstens. Wir wollen eine Reform des Gesetzes vorlegen, die wir auch wirklich finanzieren können.
Zweitens. Wir werden ein Gesetz machen, bei dem die
eingeplanten Mittel auch wirklich bei den Menschen ankommen.
Drittens. Wir wollen mit unserer Reform dafür sorgen,
dass die Förderung der beruflichen Fortbildung auf mehr
Berufsfelder ausgedehnt wird und sich nicht nur auf die
klassische Meisterausbildung bezieht. Sie soll modernisiert und entbürokratisiert werden.
Schließlich ist uns viertens klar, dass wir mit unserer
Gesetzesinitiative eine neue Richtung einschlagen müssen, um dann Schritt für Schritt weitere Verbesserungen
hierauf aufbauen zu können.
Die Einbringung eines solchen Gesetzentwurfs erwarten wir von der Regierung in der Form, dass die Reform
im Jahr 2001, wie versprochen, wirksam wird.
Wir freuen uns in der Tat und es ist gut, dass wir bei der
Verabschiedung eines solchen Gesetzes in etlichen Punkten große Übereinstimmung in diesem Haus erleben werden. Dafür spricht immerhin, dass die jetzige Opposition
frühere Fehler korrigieren möchte,
({3})
zum Beispiel in Bezug auf das Antragsverfahren nach dem
AFBG, das wir durch die Reduzierung der Zahl der Anträge und ein erleichtertes Darlehensverfahren vereinfachen wollen. Ein Fehler war auch, dass sich die Förderung
bisher nur auf die erste Fortbildung bezog. Wir wollen sie
auf eine sinnvolle Zweitfortbildung ausweiten. Auch den
Fehler, dass Familien, Frauen und Alleinerziehende in
Ihrem Gesetz ungenügend berücksichtigt worden sind,
wollen wir beheben, indem wir die Kinderzuschläge und
die Kinderbetreuungszuschüsse für Alleinerziehende erhöhen wollen. Schließlich wollen wir, nachdem der Ausländeranteil in der Aufstiegsfortbildung in Ihrem Gesetz
nicht zum Tragen kommen konnte,
({4})
dafür sorgen, dass in Deutschland lebende ausländische
Fachkräfte und Handwerker bereits nach drei Jahren Berufstätigkeit gefördert werden können.
({5})
- Sie sagen, wir hätten es nicht gelesen. Aber hören Sie
doch bitte zu! Wir werden das jetzt gemeinsam korrigieren. Sie wollen es korrigieren, wir wollen es korrigieren;
aber wir müssen doch Ihr Gesetz und nicht unser Gesetz
korrigieren. Das ist die kleine Differenz. Wir freuen uns,
dass Sie alle dabei mitmachen wollen.
({6})
Auf der anderen Seite gibt es deutliche Unterschiede,
auch in der Ausrichtung des Reformbedarfs. Wir können
uns dabei des Eindrucks nicht erwehren, dass die Opposition unter Verstoß gegen eigene Grundsätze zu falschen
Vorschlägen kommt und radikal über das Ziel hinausschießt.
({7})
Wo nach dem alten Gesetz noch eine Vermögensheranziehung oberhalb der BAföG-Freibeträge für erforderlich
gehalten wurde, will die CDU/CSU diese Vermögensanrechnung jetzt vollkommen streichen. Die Freigrenzen
müssen sicherlich aus guten Gründen angehoben werden;
aber man muss doch fragen dürfen, ob es wirklich unzumutbar ist, dass dann, wenn ein hohes Vermögen beim
jeweiligen Meister und Existenzgründer, aus welchen
Gründen auch immer, vorhanden ist, dieses berücksichtigt
werden soll, wenn es um Fortbildung und Existenzsicherung geht. Ist die Anrechnung nicht eine zwingende Konsequenz aus wohlverstandener Subsidiarität?
Vielleicht wird der Unterschied an einer anderen Stelle
noch klarer. Wir wundern uns, dass Sie die staatlich anerkannten Fortbildungen im Gesundheits- und Pflegebereich und an staatlichen anerkannten Ergänzungsschulen
nicht mit einbeziehen wollen. Wir können das nicht verstehen und es nur bedauern, dass die CDU/CSU diese Erweiterung des Fortbildungsanspruches in ihrem Gesetzentwurf nicht vorschlägt. Denn es ist doch ein Erfordernis
der Zukunft, dass Aufstiegsqualifizierungen in Gesundheits- und Pflegeberufen, in Wirtschaftsberufen und auch
in anderen Bereichen, zum Beispiel dem Kommunikationsbereich, mit einbezogen werden. Wir wären ignorant,
wenn wir dies aus der Förderung ausklammern würden.
Neben viel Übereinstimmung und solchen grundsätzlichen Differenzen wird es sicherlich so sein, dass wir in der
Wirklichkeit kleinere Schritte gehen müssen, als die Opposition jetzt leichthin machen möchte. Ich nenne hier als
Beispiel, dass das alte Gesetz von CDU/CSU und F.D.P.
bisher keinerlei Zuschüsse zum Maßnahmebeitrag,
sprich: den Lehrgangskosten, den Prüfungskosten und anderen Aufwendungen, vorsah, die CDU/CSU dafür jetzt
aber 50 Prozent dieser Aufwendungen erstatten möchte.
Das macht ja Ihrer Einschätzung nach auch nur die Kleinigkeit von 60 Millionen DM aus. Für die Betroffenen
wird gelten, dass wir schon viel erreicht haben, wenn wir
den Einstieg in eine 20-prozentige Bezuschussung des
Maßnahmebeitrages realisieren können, und zwar nicht
nur für die bislang privilegierte Vollzeitfortbildung, sondern auch für die Teilzeitfortbildung, was ein echter
Durchbruch für alle wird.
Ein zweites Beispiel. Während die CDU/CSU/F.D.P.Regierung noch einen Darlehenserlass für die Existenzgründung in Höhe von 50 Prozent des Maßnahmedarlehens als ausreichend ansah, wollen Sie diesen jetzt glatt
verdoppeln. Auch hier können wir nur sagen: Wenn wir
ihn auf 75 Prozent anheben können, haben wir für die betreffenden Menschen viel erreicht.
Ein drittes Beispiel. Während es bisher keinerlei Darlehen oder Zuschüsse zum teilweise aufwendigen Meisterstück gibt - was Sie auch schon hätten ändern können -,
werden wir erstmals eine substanzielle Hilfe in das Gesetz
einbringen. Das wird eine echte Unterstützung für die Betroffenen sein.
({8})
Die Opposition sieht uns deshalb in großer Gelassenheit; denn wir wissen: Am Ende sind wir, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, es, die wirkliche Verbesserungen auf
den Weg bringen.
({9})
Am Ende sind wir, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, es,
die dafür sorgen, dass wir in Deutschland berufliche
Fortbildung wieder voranbringen können, dass die qualifizierten Arbeitnehmer in vielen Berufsfeldern zusätzlich
motiviert werden und dass es auch neue Chancen für Existenzgründungen gibt.
Wir sind wirklich gelassen; wir freuen uns auf das Gesetz, das eingebracht werden wird, und darauf, dass wir
dann mit großer Mehrheit in diesem Parlament etwas verabschieden können, was ein Baustein mehr ist nach dem
Muster: Versprochen, Reform gemacht und am Ende Wort
gehalten.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat
jetzt Kollegin Cornelia Pieper.
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich sollten wir
uns über den vorliegenden Gesetzentwurf der Unionsfraktionen, über den jetzt hier im Haus beraten wird,
freuen. Es liegt ein Gesetzentwurf vor, wir haben eine
Diskussion im Ausschuss vor uns und das ist doch etwas
ganz Wesentliches; denn von Ihnen liegt ja im Moment
noch nichts vor, trotz vieler Ankündigungen.
({0})
Herr Kollege Rossmann, ich will einmal Ihre Worte
dazu zitieren, was das Meister-BAföG kostet. Wir alle hier
im Haus wollen, dass die allgemeine und die berufliche
Bildung gleichgestellt werden. Wir wollen Gleichrangigkeit. Der Bund bezahlt - im Haushaltsentwurf ist es so enthalten - 1,57 Milliarden DM BAföG an Studierende, und
im Haushaltsentwurf 2001 sind jetzt 70 Millionen DM für
das Meister-BAföG vorgesehen.
Die Mehrkosten bei Annahme des Gesetzentwurfs der
Unionsfraktionen würden für den Bund rund 115 bis
120 Millionen DM betragen. Ich glaube, bei Verwendung
der Zinsersparnisse, die aus der Schuldentilgung mithilfe
der UMTS-Erlöse resultieren und die ja immerhin 5 Milliarden DM betragen, hätte man auch diese Finanzierung
leicht auf den Weg bringen und durchsetzen können.
({1})
Seit unserer Debatte am 25. März 1999 ließen Sie,
meine Damen und Herren von der Koalition, und auch
diese Bundesregierung keine Chance ungenutzt, um eine
umfassende Reform des Meister-BAföG anzukündigen.
Die Öffentlichkeit glaubte, es ist alles auf gutem Weg.
({2})
In Wahrheit ist aber nichts geschehen.
({3})
Nun gut, man kann sagen, das Meister-BAföG in seiner heutigen Form hat einen gewissen Bezug zum Bundesausbildungsförderungsgesetz und solange dieses
nicht neu strukturiert ist, wie es die F.D.P.-Bundestagsfraktion gefordert hat, bzw. bevor es nicht weiter repariert
ist, wie es die SPD nun letztendlich vorhat, ist es verfrüht,
dieses Thema zu diskutieren.
Doch wenn das so ist, dann kann ich der Bundesministerin einen Vorwurf nicht ersparen: Sie haben wider besseres Wissen die Leute landauf, landab an der Nase herumgeführt.
({4})
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Pressekonferenz und die Presseinformation vom 29. Oktober 1999
unter der Überschrift „Bundesregierung nimmt Reform
des Meister-BAföG in Angriff“, worin Staatssekretär
Catenhusen, der heute auch anwesend ist, bessere Chancen für Existenzgründungen und Fortbildung versprach.
In der Debatte erklärte er uns, wie die rot-grüne Koalition
mit einem erneuerten Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz die Gleichwertigkeit von beruflicher und Allgemeinbildung stärken will und dabei die berufliche Aufstiegsförderung einen Schritt voranbringen möchte.
So schön, so gut. Herr Catenhusen äußerte sich damals
so zu den Initiativen der Union: Ihrer Anstrengungen, mithilfe dieses Gesetzentwurfs eine Diskussion loszutreten,
bedarf es nicht.
Zwischen den Zeilen ließ er damals schon die Katze aus
dem Sack. Er sagte: Nach gründlicher Erörterung des Erfahrungsberichts über die Umsetzung und Inanspruchnahme des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes im
Kabinett werden wir dem Parlament Veränderungen des
Aufstiegsfortbildungsrechts im sachlichen und zeitlichen
Zusammenhang mit der Reform des BAföG und in genauerer Kenntnis des Finanzbedarfs vorschlagen.
({5})
Ich bin kritisiert worden, weil ich damals schon sagte:
Veränderungen beim BAföG, zu dem dem Parlament im
Übrigen bis heute kein Gesetzentwurf vorliegt, werden
auf die lange Bank geschoben.
({6})
Obwohl Frau Bulmahn Anfang des Jahres 1999 schon
wusste, dass die von ihr vorgeschlagene große Strukturreform des BAföG in einer weiteren Reparaturnovelle enden wird, verkündeten Sie weiterhin vollmundig, Sie wollen mehr Meister-BAföG verteilen. Meine Damen und
Herren, vor diesem Hintergrund scheint der Gesetzentwurf der Unionsfraktion tatsächlich eine Erleichterung zu
werden.
({7}) - Zu-
ruf von der CDU/CSU: Eine objektive Darstel-
lung!)
Es bedarf wahrscheinlich einmal mehr eines Versuchs
der Opposition, die Diskussion über das am 1. März 1996
auch auf Antrag der F.D.P. vom Deutschen Bundestag
beschlossene Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz den
Erfordernissen der Zeit anzupassen.
Nun, die Unterrichtung durch die Bundesregierung
im Bericht über die Umsetzung und Inanspruchnahme
des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes vom 11. Juni 1996 kennen wir. Wir haben ausführlich darüber diskutiert. Die Knackpunkte - Sie erinnern sich - waren die
Forderung nach einer Verwaltungsvereinfachung des Antragsverfahrens, die Prüfungs- und Lehrgangsgebühren
den Meisterschülern im Rahmen des Darlehens zu erlassen, die Karenzzeit bis zur Existenzgründung zu verlängern, die Existenzgründung auch während der Meisterausbildung zu berücksichtigen, die Bedingung zur
Einstellung von mindestens zwei Mitarbeitern auf zwei
Jahre zu verlängern und vieles andere mehr.
({8})
Union und F.D.P. haben mit dem AFBG damals Neuland betreten, indem wir Grundforderungen aufstellten,
die Gleichwertigkeit zwischen der beruflichen und allgemeinen Bildung zu fördern und den Einzelnen bei der
beruflichen Aufstiegsfortbildung seinen Neigungen, Begabungen und Fähigkeiten entsprechend zu unterstützen.
Vor dem Hintergrund sich abzeichnender Betriebsübernahmen in mittelständischen Bereichen in den nächsten
Jahren haben wir bewusst die Existenzgründungskomponente berücksichtigt. Aber gut, wir haben dieses Gesetz
auch an das Bundesausbildungsförderungsgesetz gekoppelt. Sie kennen unseren Vorschlag. Das ist in der Umsetzung mit Ihnen in der Tat sehr kompliziert.
Herr Catenhusen sagte uns damals, die Bundesregierung möchte mit der Novellierung des AFBG ebenfalls
die Gleichwertigkeit herstellen, die Familienkomponente
prüfen, mehr Chancen auf eine Aufstiegsfortbildung
schaffen und damit insgesamt eine bessere Förderung erreichen. Auch den Verfahrens- und Verwaltungsaufwand
wollte die SPD reduzieren. Bisher ist nichts passiert.
Genau das setzt der Gesetzentwurf der Union heute
um. Daher glaube ich, dass wir alle unter den gegenwärtig obwaltenden Umständen diesem Antrag auf Überweisung zustimmen, ihn fleißig diskutieren und ihn natürlich
auch verabschieden werden.
({9})
- Wenn es nach Ihnen ginge, würden Sie wahrscheinlich
am liebsten auch der Überweisung nicht zustimmen. Aber
Sie kommen ja leider nicht darum herum.
({10})
Das schreibt ja zum Glück unsere Geschäftsordnung in
diesem Hohen Haus vor.
Also, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, leisten Sie Ihren Beitrag und diskutieren Sie
eifrig mit! Dann verabschieden wir einen ordentlichen
Gesetzentwurf. Ich denke, damit ist auch denjenigen geholfen, die in der beruflichen Bildung weiterkommen
wollen.
({11})
Ich gebe das
Wort der Kollegin Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr
Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU, ich wäre mit
dem Klatschen nicht gar so voreilig. Meine Vorrednerin
hat nämlich nur davon gesprochen, dass sie der Überweisung zustimmt. Sie hat nicht so richtig davon gesprochen,
dass sie Ihrem Gesetzentwurf zustimmt.
({0})
Das sind zweierlei Dinge. So wie wir die F.D.P. kennen,
kommt vielleicht noch ein Änderungsantrag. Ich an Ihrer
Stelle wäre also nicht voreilig.
Heute reden wir über das Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung, das so genannte MeisterBAföG, über das wir in dieser Wahlperiode schon debattiert haben. Sie haben dieses Gesetz wieder hervorgeholt.
Das hat einen Grund. Wir haben damals gesagt, wir möchten das Ganze noch einmal wissenschaftlich überprüfen.
Das Ergebnis liegt jetzt vor.
Sie haben bestimmte Punkte des Gesetzes aufgegriffen - inhaltlich ändert sich letztlich nicht viel -, deren
Richtigkeit wir schon damals bejaht haben und denen wir
auch heute in dieser Form zustimmen.
In der Tat hat das Gesetz zur Förderung der beruflichen
Aufstiegsfortbildung, das Sie hier in der vergangenen Wahlperiode verabschiedet haben, nicht die Quote an Existenzgründungen in Deutschland erbracht, die Sie sich erhofft haben. Ihr Gesetz war lange nicht so erfolgreich, wie Sie es
sich gewünscht hatten. Es gab Mängel in der Ausführung.
Es war zu bürokratisch. Allein das Antragsformular ist
25 Seiten lang. Das ganze Verfahren ist sehr langwierig.
Wir haben in Deutschland in der Tat gewisse Probleme.
Wir haben, verglichen mit dem europäischen Ausland,
eine geringere Quote an Selbstständigen und Existenzgründern. Ein Aufstieg in Deutschland zum Meister kostet Geld. Viele können es sich nicht leisten, vor allem Personen, die eine Familie haben. Für sie handelt es sich bei
dem ganzen Aufwand um ein bedeutendes finanzielles
Volumen. Sie verzichten oft zugunsten ihrer Familie auf
den Aufstieg, auf den Meistertitel.
Wir haben in Deutschland in diesem Zusammenhang
noch ein drängendes Problem, über das wir reden müssen.
Das ist die Tatsache, dass der Generationenwechsel in den
Betrieben, der uns jetzt bevorsteht, sehr schleppend vor
sich geht.
({1})
- Das liegt nicht an der Steuerreform, Herr Kollege.
({2})
Das liegt vor allem daran - die Steuerreform würde das
Ganze eher noch unterstützen -, dass der Erwerb des
Titels „Meister“ Voraussetzung dafür ist, Betriebe zu
übernehmen.
({3})
Allein aufgrund dieser Vorschrift finden sehr viele kleine
und mittlere Betriebe keine Nachfolger. Es fehlt häufig
schlichtweg an diesen Formalqualifikationen. Ich sage
betont: Formalqualifikation - es ist nicht die Qualifikation an sich, sondern die Erbringung dieses Titels. Oft ist
aber auch das notwendige Kapital für die Ablösung nicht
vorhanden, sodass aufgrund dessen eine Übernahme nicht
stattfindet. Die Bundesanstalt für Arbeit ist gerade dabei, das Problem intensiv anzugehen und darüber zu beraten, was wir diesbezüglich unternehmen können. Bei
der Lösung der Probleme, die ich hier vorgetragen habe,
ist das Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung nicht alles, sondern nur ein Segment des
Ganzen und soll auch als solches behandelt werden.
Aber Sie bringen ein wichtiges Anliegen vor, das wir
auch teilen. Allerdings müssen wir eines hier schon feststellen: Das, was Sie heute hier präsentierten, ist gut gemeint; gut gemacht ist es aber nicht.
({4})
Die auf der Grundlage Ihres alten Gesetzes eingestellten Mittel wurden nur zu einem Bruchteil abgerufen.
Heute drehen Sie das Ganze um und werfen uns vor, dass
nur so wenig abgerufen wurde, weil wir die Mittel gekürzt
hätten. Richtig ist aber nun einmal, dass wenig abgerufen
wurde, weil das Gesetz zu bürokratisch ist. Es war - so
wurde es auch vom Mittelstand dargestellt - ein Flop.
({5})
- Es hat zumindest nicht die Wirkung gehabt, die Sie sich
vor allem im Wahlkampf versprochen haben. Sie sind ja
mit diesem Gesetz auch in den Wahlkampf gegangen.
Ein Punkt in Ihrem Gesetzentwurf ist aber sehr wichtig: Sie plädieren dafür, dass bei einer erfolgreichen Existenzgründung 50 Prozent des Darlehens erlassen werden. Auch wir reden über Bonussysteme, auch wir reden
über Startvorteile vor allem für erfolgreiche Existenzgründer. Wir gehen aber viel weiter als Sie und sagen:
Wenn es tatsächlich erfolgreich sein soll, dann muss es einen 100-prozentigen Darlehenserlass geben. Wir wollen
auch den Förderungszeitraum generell strecken. Nicht
wollen wir aber, dass der Förderungszeitraum bis zur
Prüfung gestreckt wird. Denn man kann das Prüfungsdatum ja von der Ausbildung abkoppeln. Wir wollen des
Weiteren nicht, dass der Antrag nur einmal eingereicht
werden kann, weil dann eine Grundlage für Mitnahmeeffekte geschaffen wird. Es heißt ja nicht, dass sich zwischenzeitlich an der finanziellen Lage der Antragsteller
nichts ändern könnte. Natürlich wollen wir zwischendurch Überprüfungsmöglichkeiten haben, wie es
auch beim BAföG der Fall ist.
Dann haben Sie wieder die Familienförderung
hineingebracht. Dabei vergessen Sie aber die Familie an
sich: Was ist beispielsweise, wenn eine Ausbildung in
Teilzeitmaßnahmen möglich wäre? Warum heißt es bei
der Familienförderung, dass grundsätzlich nur Vollzeitmaßnahmen gefördert werden können? Was ist mit den allein erziehenden Frauen und Männern - meistens sind es
ja Frauen -, die auch solche Titel anstreben und deswegen
an einer Meisterfortbildung teilnehmen wollen?
({6})
Die Alleinerziehenden lassen Sie bei Ihrer Definition von
Familie leider hinten runterfallen. Auch das wollen wir
nicht.
Ich komme nun zu den Kosten der Prüfungsstücke.
Sie können in der Tat teuer werden; das wollen wir
berücksichtigen.
Zurzeit liegt der Zuschussanteil beim Meister-BAföG
bei 27 Prozent, während es beim studentischen BAföG
50 Prozent sind. Wir sollten hier über eine Änderung reden. Das gilt auch für eine völlige Zinsfreiheit über den
jetzigen Zweijahresrahmen hinaus. Das alles sind vorstellbare Fördermöglichkeiten. Die wissenschaftlichen
Auswertungen darüber liegen uns vor. Wir wollen an diesem Baustein des Meister-BAföG, wie ich es zu Beginn
erörtert habe, weiter arbeiten. Das darf aber nicht das Einzige bleiben.
Wir müssen uns einmal grundlegend darüber unterhalten, was der Meisterbrief in Anbetracht der Tatsache bedeutet, dass wir die Europäische Union weiter öffnen und
voranbringen wollen: Was hat das hinsichtlich der europäischen Harmonisierung für Auswirkungen? Was sind
zum Beispiel die Zugangsvoraussetzungen für den Meisterbrief? Darüber müssen wir debattieren. Das alles sind
noch ungeklärte Fragen.
Das ganze Gesetz ist reformbedürftig. Das haben wir
hier alle bestätigt. Was in diesem Bereich auf keinen Fall
herauskommen darf, ist Flickschusterei. Nichts anderes
schlagen Sie hier vor. Wir brauchen eine grundlegende
Reform.
Eines möchte ich noch zum Schluss zu Ihnen, Frau
Pieper, sagen. Sie haben gesagt - das ist mein letzter Satz,
Herr Präsident -, dass wir die Mittel „verteilen“. Wir verteilen die Mittel nicht, sondern wir verwenden die Mittel,
um zu gestalten. Gestalten ist etwas grundlegend anderes
als Verteilen.
Was die UMTS-Lizenzen angeht, so glaube ich Ihnen
gerne, dass Sie das Geld auch hierfür genutzt hätten.
({7})
- Ja, die Zinsersparnisse.
Wenn man sich die Anträge Ihrer Fraktion anschaut,
dann stellt man fest, dass Sie die 5 Milliarden DM nicht
nur einmal oder zweimal, sondern vielfach ausgeben.
({8})
Deswegen haben Sie sich in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit darüber gewundert, wie es zu irgendwelchen
Haushaltslöchern kam. Wie sollen bei Ihrer Art des Herangehens keine Haushaltslöcher entstehen?
({9})
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Maritta Böttcher.
Herr Präsident! Sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen! Trotz knapp bemessener Redezeit drängt es mich gerade bei dem heutigen Gegenstand der Debatte und seiner Geschichte - einiges ist
schon gesagt worden -, Folgendes voranzustellen: Mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf präsentiert die
CDU/CSU-Fraktion heute Positionen, die sie bei Einführung des AFBG unter ihrer Ägide strikt abgelehnt hat.
({0})
Die heutigen Regierungsparteien verhalten sich bei der
Umsetzung ihrer damaligen Kritik als Opposition mehr
als zögerlich. In Wechselspielen zwischen Regierungspartei und Opposition solcher Art sehe ich ein nicht
gerade seltenes Ritual, das meiner Meinung nach der Effizienz und der Akzeptanz unserer Tätigkeit in der Bevölkerung keineswegs zuträglich ist.
Nun aber zur Sache: Meines Erachtens muss die dringend notwendige Reform des AFBG viel stärker in den
Kontext des lebenslangen Lernens und damit in die Entwicklung der Weiterbildung als eines gleichwertigen Bestandteils des gesamten Bildungssystems eingeordnet
werden.
({1})
Die PDS unterstützt, nicht zuletzt auch aus arbeitsmarktpolitischen Gründen, durchaus die Intention des AFBG
hinsichtlich besserer Rahmenbedingungen für Existenzgründer. Aber für noch entscheidender halte ich den Ausbau der Ansätze im Gesetz, die es Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern, unabhängig von einer späteren Existenzgründung und ohne erst arbeitslos zu werden, ermöglichen, ihre berufliche Qualifikation deutlich zu erhöhen,
sich so besser auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten und damit insgesamt an Lebensqualität zu gewinnen.
({2})
Ein Ausbau des Gesetzes in diese Richtung muss meiner Meinung nach auf zwei Grundsätzen basieren:
Erstens. Alle noch verbliebenen Einschränkungen,
mit denen bestimmte Gruppen vom Förderanspruch ausgeschlossen werden - sei es etwa durch einen nicht akzeptierten Berufsabschluss, sei es durch das Erfordernis
einer öffentlich-rechtlich geregelten Prüfung -, sollten
aufgehoben werden.
Zweitens. Die tatsächliche Wahrnehmung der Fördermöglichkeiten darf nicht daran scheitern, dass die Förderungswilligen sie einesteils für die Sicherung ihrer Lebensverhältnisse als nicht ausreichend und anderenteils
als ein nicht verantwortbares Risiko für sich und ihre Familie ansehen.
({3})
Über die konkreten Veränderungen, die zur Durchsetzung dieser Grundsätze am Gesetz notwendig sind, wird
noch gründlicher nachzudenken sein. Zwei Forderungen
halte ich allerdings im Moment für unabdingbar: Die Unterhaltsbeiträge müssen sich wieder dem Niveau nähern,
das dem Arbeitslosengeld entsprechen würde. Und das
dafür aufzunehmende Darlehen darf maximal die Hälfte
des erforderlichen Betrages ausmachen und muss als zinsloses staatliches Darlehen gewährt werden.
Im Übrigen enthält der Gesetzentwurf der CDU/CSUFraktion eine ganze Reihe von Vorschlägen, die ich für
richtig halte. Das betrifft vor allem die erweiterten Möglichkeiten für Ausländerinnen und Ausländer sowie
Frauen, an den Fördermaßnahmen teilzunehmen, sowie
die Verbesserung der Bedingungen für Teilzeitformen bei
der Fortbildung.
Da unsere heutige Debatte zur beruflichen Aufstiegsfortbildung im Grunde parallel zur Debatte über die Rahmenbedingungen des Hochschulstudiums verläuft, liegt
mir auch daran, Folgendes klarzustellen: Die Bemühungen um die Durchsetzung und den Ausbau der Fortbildungsförderung standen von Anfang an unter dem Motto
„Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung“. Mit der Anbindung der beruflichen Fortbildungsförderung an das studentische BAföG sollte diesem Motto Rechnung getragen werden.
Diese Anpassung an die Förderung im Hochschulbereich ist jedoch äußerst einseitig erfolgt: Übernommen
wurde im Wesentlichen die bedenkliche Seite, nämlich
die Festsetzung des Unterhaltsbedarfs, die in keiner Weise
die im Vergleich zu den meisten Studierenden gänzlich
anderen Lebensumstände der Teilnehmer an Fortbildungsmaßnahmen berücksichtigt. Dort, wo eine Angleichung im Sinne der Fortbildungswilligen läge, hat man
das nicht aufgegriffen. Denn konsequente Gleichstellung
der Förderung von beruflicher Fortbildung mit der des
Hochschulstudiums hieße doch: gebührenfreie Teilnahme
an den Maßnahmen der beruflichen Fortbildung und eine
Unterhaltsregelung, die zur Hälfte aus Zuschuss und zur
anderen Hälfte aus einem zinslosen staatlichen Darlehen
besteht. Von einer solchen Regelung sind jedoch sowohl
das geltende Gesetz als auch der vorliegende Reformvorschlag der CDU/CSU weit entfernt. Offenbar soll die
Gleichwertigkeit in der Förderung von akademischer und
beruflicher Bildung sich auf dem niedrigeren Niveau öffentlicher Verantwortung bewegen, wie sie im Bereich der
beruflichen Fortbildung gegeben ist.
Die PDS wird sich für den entgegengesetzten Weg einsetzen: Sicherung und Verbesserung der sozialen Rahmenbedingungen des Hochschulstudiums und Heranführung der beruflichen Fortbildung an die dort geltenden
bzw. auszubauenden Standards.
({4})
Der Kollege
Christian Lange spricht nunmehr für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für das Jahr
2001 haben wir 70 Millionen DM für das Meister-BAföG
bereitgestellt. Weitere 10 Millionen DM haben wir im
Rahmen der Novellierung des AFBG vorgesehen. Mit
diesen 80 Millionen DM haben wir die Voraussetzungen
für die Neuordnung des Meister-BAföG geschaffen, das
damit auch dem novellierten Studenten-BAföG gleichgestellt wird. Unser Ziel ist es, beide Novellen gleichzeitig
in Kraft treten zu lassen. Das ist ein wichtiger Punkt. Das
ist praktisch geübte soziale Gerechtigkeit, die an diesem
Beispiel zwischen gewerblichem Nachwuchs auf der einen Seite und akademischem auf der anderen Seite deutlich wird. Das ist ein Grund zur Freude.
({0})
Meine Damen und Herren, wir werden das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz mit diesen zusätzlichen
Mitteln zügig novellieren können. Das ist auch dringend
nötig, da sich die hohen Erwartungen - wir haben es jetzt
mehrfach von allen Seiten des Hauses gehört - bisher in
keinster Weise erfüllt haben: Weder bei der Gefördertenzahl - statt avisierten 90 000 Anträgen pro Jahr waren es
nur knapp 43 000 - noch bei den Existenzgründungen
ging es aufwärts. Das heißt, die Erwartungen sind nicht
erfüllt worden. Die geringe Akzeptanz des MeisterBAföG wird durch gravierende Konstruktionsfehler hervorgerufen, die die damalige Regierung Kohl in ihrem
Gesetzentwurf begangen hat. Mit diesem Teil der Wahrheit, meine Damen und Herren von der Opposition, setzen
Sie sich äußerst ungerne auseinander.
({1})
Stattdessen wird jetzt nach dem Motto „Wünsch dir was!“
ein neuer Gesetzentwurf zur Änderung des AFBG eingebracht.
Schon in der Vergangenheit - hier handelt es sich ja
zum Teil um eine historische Debatte - haben Sie sich
nicht mit Ruhm bekleckert, wenn man die Akzeptanz des
Meister-BAföG zum Maßstab nimmt. Das AFBG trat in
der Tat, Frau Kollegin Schriftführerin Aigner, am 1. Januar 1996 in Kraft, nachdem die CDU/CSU und die F.D.P.
Anfang der 90er-Jahre
Keine Diskussionen mit dem Präsidium.
({0})
- bei fliegendem
Wechsel sei es mir gestattet - das Meister-BAföG sogar
aus dem AFG gestrichen hatten. Daran lässt sich die
tatsächliche Wertschätzung, die Sie für den Nachwuchs
im Handwerk hegen, am besten messen.
Ich wiederhole: Gut drei Jahre hat die Regierung Kohl
die Meisteranwärter im Regen stehen lassen. Auch das ist
eine Wahrheit.
({0})
Erst auf Druck auch des Bundesrates, insbesondere der
Länder Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg,
kam die Sache dann ins Rollen.
({1})
- Nein, angeführt vom Bundesland Niedersachsen. Ich erinnere mich ganz genau. Ich hatte nämlich damals die
Ehre, das Land Baden-Württemberg in der Sache zu vertreten. An der Spitze stand Ministerpräsident Schröder.
({2})
Obwohl die geringe Inanspruchnahme auch den Abgeordneten der CDU/CSU bekannt war, haben Sie während
Ihrer Regierungszeit keine gezielten Maßnahmen zur Verbesserung des AFBG vorgenommen. Vergleicht man den
Jahresbeginn mit dem Oktober des Jahres 2000, stellt man
fest, dass es einen Abfluss von ungefähr 66,5 Prozent gab.
Einen derart geringen Abfluss gab es bereits in den vergangenen Jahren. Sie hätten also durchaus tätig werden
können.
An dieser Stelle knüpft Ihr Gesetzentwurf an - allerdings, wie gesagt, nach dem Motto „Wünsch dir was!“.
Ihr Gesetzentwurf sieht zum Beispiel einen Unterhaltsbeitrag auch für Teilnehmer in Teilzeitform sowie einen
generellen Zuschuss von 50 Prozent vor. Der Maßnahmebeitrag, der bisher als Darlehen vergeben wurde, soll nach
Ihren Vorstellungen ebenfalls zu 50 Prozent als Zuschuss
geleistet werden. Allein diese Maßnahme würde nach unseren Schätzungen zwischen 80 und 140 Millionen DM
Mehrbedarf erfordern.
Herr Kollege Lensing, was haben Sie zu solchen Forderungen vor drei oder vier Jahren gesagt? Der Kollege
Dr. Rossmann hat Sie bereits zitiert. Ich will sein Zitat
wiederholen:
Bekanntlich ist für eine Opposition nichts einfacher
als dies: Sie träumt von Idealvorstellungen, weckt in
verantwortungsloser Weise völlig unrealistische Erwartungen, erhebt zugleich die höchsten finanziellen
Forderungen an den Bund.
So weit, so wahr.
In Ihrer damaligen Rede haben Sie noch etwas anderes
gesagt - erinnern Sie sich? -:
Gleichzeitig beweist die Opposition ihre finanzwirtschaftliche und finanzpolitische Inkompetenz.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
({3})
Durch die zusätzlich zur Verfügung gestellten 10 Millionen DM können wir diese wichtige Reform nun in
Gang setzen. Wir werden damit die Akzeptanz des Meister-BAföG gezielt und pragmatisch verbessern. Neben
Verfahrensvereinfachungen sowie einer verbesserten Förderung für Familien, Frauen, Alleinerziehende und ausländische Fachkräfte ist insbesondere die Verbesserung
der Existenzgründungskomponente bzw. der Mittelstandkomponente wichtig. Dafür werden wir uns einsetzen.
Zur Verbesserung der Mittelstandskomponente streben wir eine Verlängerung der Fristen zur Unternehmensgründung und zur Einstellung von zwei Beschäftigten
beim Darlehenserlass an, damit Existenzgründer mehr
Christian Lange ({4})
Zeit für die Gründung haben. Vor Ablegung der Prüfung
erfolgte Existenzgründungen wollen wir besonders berücksichtigen. Des Weiteren streben wir - ich möchte an dieser Stelle nur einige wenige Beispiele nennen - eine
Erhöhung des Vermögensfreibetrags sowie die Einbeziehung der Kosten des Meisterstücks an. Wir wollen damit
Mut machen, sich im Handwerk selbstständig zu machen.
Die notwendigen Novellierungen werden wir zügig
umsetzen. Durch die Verbesserung der Förderbedingungen für das Meister-BAföG wird gerade für Existenzgründer ein wichtiges Zeichen gesetzt. Das brauchen wir
angesichts von 300 000 Betrieben, die zur Übernahme anstehen - davon allein 200 000 im Handwerk -, dringend.
Deshalb werden wir das AFBG novellieren: realistisch,
pragmatisch und praxisorientiert.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort
hat nunmehr der Kollege Werner Lensing für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Ich sollte an sich die
alte Rede halten, weil die vorgetragenen Zitate für ihre
Qualität sprechen; schließlich werden sie nach Jahren von
der anderen Seite aufgegriffen.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen!
Meine Kollegen! Bei all den hier vorgetragenen Bewertungen - ich meine nicht zuletzt diejenigen, die seitens der
SPD und der Grünen geäußert wurden - wird eines völlig
übersehen: die sensationelle Leistung, die darin bestand,
dass wir unter der Kohl-Regierung erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzgebung in Gang gesetzt haben.
({1})
Die SPD hat sich damit unglaublich schwer getan. Vorhin
ist Niedersachsen angesprochen worden. Ich glaube noch
genau in Erinnerung zu haben, dass der damalige Ministerpräsident Schröder kein Förderer dieser Idee war.
Außerdem ist es nach meinem Verständnis sehr wichtig, Herr Dr. Rossmann, auf Folgendes hinzuweisen: Es ist
nicht in Ordnung, von Fehlern zu sprechen. Das, was wir
neu geschaffen haben, war sensationell.
({2})
- Unruhe ist überhaupt kein Zeichen von Souveränität. Sie haben diesen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht,
ohne in diesem Bereich über einen Erfahrungshorizont zu
verfügen. Beispielsweise hatten Sie keinerlei Rückmeldung seitens der Handwerkerschaft. Daher ist es selbstverständlich, dass es neue Anregungen gibt. Wir haben
prompt gehandelt. Wie Sie wissen, haben wir schon ganz
früh, nämlich kurz nachdem Sie die Regierung - aus
Gründen, die für mich nicht ganz durchschaubar sind übernommen haben,
({3})
Änderungen vorgenommen, die nicht auf der Erkenntnis
von Fehlern, sondern auf der Erkenntnis von Erfahrungen beruhen. Deswegen sage ich Ihnen: Die Opposition
von damals, der mein Zitat galt, und die Opposition von
heute unterscheiden sich eindeutig in den Ansprüchen,
die wir an uns selbst stellen, im Hinblick auf Qualität und
Niveau.
({4})
Das eigentliche Ärgernis möchte und muss ich leider
auch ansprechen. Wir hatten damals die Idee gehabt. Wir
haben gemerkt: Nicht alles war von vornherein richtig.
Wir haben gelernt, Erfahrungen zu berücksichtigen, und
haben sehr früh detaillierte Verbesserungen eingebracht.
Man hätte erwarten können, dass die Bundesregierung die
wohl gemeinten und vernünftigen Empfehlungen, die sie
selbst in ihrem Bericht über die Umsetzung und Inanspruchnahme des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes eingebracht hat, jetzt auch umsetzen würde. Die traurige Wirklichkeit besteht darin, dass in diesem Bereich
seit 17 Monaten nichts - wirklich gar nichts - getan
wurde. Seit immerhin 17 Monaten warten wir auf Initiativen der Regierung, seit 17 Monaten! Ich muss das leider
sagen. Es tut mir für Sie Leid, zumindest ein bisschen:
kein Vorschlag, keine Initiative, keine Novelle! Von einer
Neuregelung also auf der ganzen Linie keine Spur.
({5})
Heute legt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wiederum eine ganz konkrete Neuregelung vor, die erneut
alle relevanten Vorschläge aus dem Bericht der Bundesregierung - der Bundesregierung! - aufgreift. Ich finde,
es zeugt von geistiger und moralischer Reife der Opposition,
({6})
dass sie den Bundesratsbeschluss vom vergangenen
Herbst berücksichtigt und darüber hinaus die Anregungen von verschiedenen regionalen Handwerkskammern,
der BDA und des DIHT aufgreift.
Über die Jahre hinweg hat sich gezeigt, dass viele Erwartungen schon erfüllt wurden. Es ist verständlich, dass
das Handwerk hier und da überrascht war, weil man noch
gar nicht wusste, in welchem Ausmaß die damalige Regierung die Bestrebungen zum Meister-BAföG und zur
Anerkennung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und
beruflicher Bildung nach vorne treiben würde. Ich muss
aber noch einmal deutlich sagen: All das, was Herr
Dr. Rossmann eben in - wenn ich das einmal so sagen
darf - vorauseilendem Gehorsam hier angeführt hat, war
inhaltlich mit unseren Vorschlägen konform: Ich will
nicht sagen, Sie hätten von dem abgekupfert, was wir
schon im Mai eingebracht haben,
({7})
Christian Lange ({8})
aber unsere Vorschläge haben bei Ihnen in der Tat Nachdenklichkeit erregt. Deswegen freue ich mich, dass Sie sie
wahrscheinlich auch in Ihrer Gesetzgebung berücksichtigen wollen.
Warum das alles bisher gescheitert ist, ist an sich traurig: Das liegt nämlich an den Verteilungs- und Grabenkämpfen innerhalb des Ministeriums, das im Moment
von Herrn Staatsekretär Catenhusen repräsentiert wird.
Schließlich blieb - nachdem man im Vorfeld gesagt hatte,
dass man das alles erhöhen bzw. geradezu verdoppeln
wolle - der finanzielle Nachschlag für den Bildungs- und
Forschungsbereich aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen
in der erhofften Höhe bisher aus.
Ich muss allerdings mit der mir schon immer eigenen
objektiven Betrachtungsweise auch sagen, dass meine
Kritik in gleichem Maße dem Bundesminister für Wirtschaft gilt. Abgesehen davon, dass aufgrund der zu Recht
immer wieder betonten Gleichwertigkeit von allgemeiner
und beruflicher Bildung und der dadurch naturgemäß gegebenen Parallelität des Meister-BAföG zum StudentenBAföG die finanzielle Zuständigkeit für die Aufstiegsfortbildungsförderung ausschließlich im Bereich des
Bildungsministeriums liegen sollte - was leider nicht der
Fall ist -, fehlt es Minister Müller auch am notwendigen
politischen Willen zur unabdingbaren Novellierung des
AFBG. Ich könnte das an mehreren Beispielen kundtun,
muss jedoch an dieser Stelle nur sagen: Die logische
Folge dieses Streits zwischen den beiden Ministerien ist
das Scheitern der Absprachen zwischen beiden Ministern,
um gemeinsam die Eckwerte zu einer Reform des
Meister-BAföG festzulegen.
({9})
In der Summe ergibt sich: Beide verantwortlichen
Minister lassen die der Novellierung des Meister-BAföG
angemessene Bedeutung vermissen. Eine Neuregelung
schien somit lange - ich habe es ja schon sagen müssen:
17 Monate lang - nicht in Sicht.
Doch siehe da - man könnte auch sagen: potztausend -,
am vorletzten Wochenende geschah etwas völlig Überraschendes: Laut Deutscher Presse-Agentur existiert im Bildungsministerium doch tatsächlich nach eineinhalb Jahren
ein Referentenentwurf zur Neuregelung der Aufstiegsfortbildungsförderung. Darin hat die Bundesregierung in fast
wortwörtlicher Übereinstimmung mit dem, was wir seinerzeit vorgetragen haben, Eckpunkte zusammengetragen.
({10})
- Das ist unsere Informationsmöglichkeit, die wir sehen. Allerdings bleibt dieser Erkenntnisgewinn auf halbem
Wege stehen; denn es finden sich tatsächlich einige
abenteuerlich anmutende Änderungsvorschläge in diesem
Entwurf. Jetzt seien Sie nicht erschüttert, Herr
Catenhusen, aber ich muss sie einfach benennen und auch
bewerten. Die Festlegung der neuen Höchstgrenzen der
Maßnahmebeiträge auf 17 Prozent ist absolut beliebig.
Das Limit bei der Vergabe von Darlehen für die Kosten eines Meisterstücks bis zu 3 000 DM erscheint gänzlich
willkürlich. Die Nichtgewährung eines Unterhaltsbeitrages bei Teilzeitmaßnahmen ist in jeder Beziehung familienfeindlich. Schließlich: Der Verzicht auf die Streichung
der Vermögensanrechnung im Bewilligungsverfahren
verhindert eine dringend erforderliche und von uns schon
immer gewünschte Verfahrensvereinfachung.
Man merkt dem Referentenentwurf also sogleich die
politischen Vorgaben, die lediglich den Kostenfaktor im
Blick haben, deutlich an. Es ist allgemein bekannt, dass
einzig und allein finanzielle Erwägungen für die Verzögerungstaktik verantwortlich sind.
Ich fasse zusammen:
Erstens. Eine Novellierung der Aufstiegsfortbildung
im Sinne unseres Antrages und eine damit verbundene
Bereitstellung zusätzlicher Mittel wären der entscheidende und wichtige Schritt auf dem Weg zur bereits lange
geforderten und dringend benötigten Existenzgründertätigkeit.
Zweitens. Nehmen Sie die Äußerung Ihres Kollegen
Christian Lange - es tut mir Leid, dass ich sie erwähnen
muss - ernst, der noch am 29. Oktober in einem dpa-Gespräch angekündigt hatte, die SPD wolle das MeisterBAföG gleichzeitig mit dem Studenten-BAföG reformieren. Ich bitte Sie - auch aufgrund Ihrer eigenen
Ausführungen und Appelle - um Zusammenarbeit. Verweigern Sie sich nicht unserem Antrag. Wenn Sie das tun,
werden Sie sich später zu Recht fragen lassen müssen,
warum Sie weitere kostbare Zeit verschwendet haben, eine
dringende Reform zügig und angemessen umzusetzen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue
mich, nun Frau Aigner im Präsidium ablösen zu dürfen.
({11})
Herr Kollege
Lensing, ich habe Ihre Redezeit etwas verlängert. Ich
dachte, die Koalitionsfraktionen seien damit einverstanden.
({0})
Ich gebe jetzt dem Parlamentarischen Staatssekretär im
Bundesministerium für Bildung und Forschung, WolfMichael Catenhusen, das Wort.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte hat,
denke ich, zwei Dinge gezeigt.
Erstens. Es gibt ein hohes Maß an Übereinstimmung
zwischen der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen sowie zwischen den Wirtschafts- und den Bildungspolitikern in dieser Koalition darüber, was aus
bildungs- und aus wirtschaftspolitischer Sicht der Reformbedarf beim Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz
ist. Ich bedanke mich für die Bekundung dieser Übereinstimmung. Denn damit ist klar, dass die Bundesregierung
das, was sie im letzten Jahr in der Debatte schon angekündigt hat, einlösen wird.
Zweitens. 2001 ist das Jahr, in dem die Reform des
BAföG von diesem Haus beschlossen werden wird, und
das Jahr, in dem die Reform des Meister-BAföG, des
AFBG, von diesem Parlament beschlossen werden wird.
Das waren meine Ankündigungen und das werden wir
einlösen. Wir lassen uns in unseren Vorhaben und Planungen auch nicht von den Fingerübungen der Opposition
beirren. Denn, lieber Kollege Lensing, bei allen Versuchen, jetzt wieder neue Mythologien über die Wundertaten der Regierung Kohl aufzubauen - dahinter steckt nur
eines: Sie versuchen, schrittweise nachzubessern und der
Öffentlichkeit, die in den letzten 16 Jahren über die Entwicklung in diesem Bereich abgrundtief enttäuscht war,
Ihre Lernfähigkeit zu demonstrieren.
({0})
Zur Kollegin Pieper nur einen Satz: Frau Kollegin
Pieper, ich habe in finanzpolitischen Fragen noch nichts
Unsolideres gehört als den Vorschlag der F.D.P., Leistungsgesetze über UMTS-Erlöse finanzieren zu wollen.
Gehen Sie ein bisschen in sich und fragen Sie sich, ob ein
Finanzpolitiker Ihrer Fraktion, wenn er neben Ihnen säße,
Ihnen dies durchgehen lassen würde. Ich denke, dieses
Wolkenschieben und diese Showeffekte sollten Sie für die
Zukunft Herrn Möllemann überlassen. Ansonsten müsste
ich annehmen, dass Frau Pieper sozusagen in einen Showwettbewerb mit Herrn Möllemann eingetreten ist.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Pieper?
({0})
Bitte
schön.
Ich sehe, Sie haben Freude
daran, dass ich eine Frage stelle. Ich mache es aber kurz.
Können Sie sich entsinnen, dass die Frau Ministerin zu
Beginn der Legislaturperiode gesagt hat, sie wolle die Zukunftsinvestitionen verdoppeln, und sie sich dabei auf die
Ausbildungsförderung und demnach auch auf das
Meister-BAföG bezogen hat? Von einer Verdoppelung der
Ansätze im Haushalt Ihres Hauses kann man aber nichts
feststellen. Deshalb möchte ich Sie fragen: Warum verfolgen Sie dieses Ziel bei der Ausbildungsförderung nicht
intensiver?
Angesichts einer Etatsteigerung in Höhe von 1,2 Milliarden DM im nächsten Jahr für unser Haus nehme ich diese
Diskussion mit Ihnen gelassen auf. Die Zahlen sprechen
für unsere Erfolge.
({0})
Meine Damen und Herren, es gibt sechs Bausteine dieser BAföG-Reform, über die sich die Regierung mit den
Koalitionsfraktionen einig ist:
Erstens. Der Kreis der förderfähigen Fortbildungen ist
zu eng und muss erweitert werden. Dies gilt vor allem für
den Bereich der Gesundheits- und Pflegeberufe, für staatlich anerkannte Ergänzungsschulen sowie andere Bereiche. Wir brauchen hier eine Öffnung des Gesetzes.
Zweitens. Wir müssen die Förderung für Fortbildungsteilnehmer mit Familie sowie für Frauen und Alleinerziehende verbessern.
Drittens. Die Existenzgründungskomponente des Gesetzes - der Darlehenserlass - muss realistischer und attraktiver ausgestaltet werden.
Viertens. Wir müssen eine günstigere und umfassendere Förderung der Fortbildungsmaßnahmen im Gesetz
verankern.
Fünftens. Die Begrenzung der Förderung auf eine erste
Fortbildung muss im Hinblick auf eine Öffnung auch für
sinnvolle und weiterführende Zweitfortbildungen überprüft werden.
Sechstens. Der viel zu geringe Anteil von Ausländern
an der Gesamtzahl der Geförderten muss durch erleichterte Fördervoraussetzungen gesteigert werden.
Ich denke, dass vor dem Hintergrund der im Kabinett
am 27. September 2000 verabschiedeten BAföG-Reform
- entgegen ihren eigenen Aussagen kennt Frau Pieper den
Gesetzentwurf - unter dem Gesichtspunkt der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung auch über
weitere Änderungen, wie etwa eine Modifizierung der
Darlehensbedingungen, eine stärkere Berücksichtigung
der Zeiten der Kindererziehung, eine Einbeziehung von in
Deutschland lebenden ausländischen Ehegatten deutscher
Staatsangehöriger sowie eine verbesserte Förderung von
Fortbildungen im Ausland nachgedacht werden muss.
Sie wissen, dass durch die Entscheidung des Wirtschaftsausschusses, für das Jahr 2001 eine erste Rate in
Höhe von 9 Millionen DM politisch zu befürworten,
haushaltsmäßig eine Basis dafür geschaffen ist, um im
laufenden Haushaltsjahr 2001 einen Einstieg in die Novellierung zu finden. Es ist uns allen klar, dass wir für die
nächsten drei Jahre über andere finanzielle Größenordnungen reden müssen. Darüber wird die Regierung mit
den Koalitionsfraktionen in den nächsten Wochen reden.
Der Gesetzgeber wird bei seinen Entscheidungen selbstverständlich die finanziellen Spielräume im Auge haben
müssen.
Zu diesem Punkt möchte ich ein paar Bemerkungen
zum Gesetzentwurf der CDU/CSU machen:
Erstens. Ihr Gesetzentwurf ist nicht seriös berechnet.
Unsere Schätzungen belaufen sich auf Mehrkosten von
150 bis 190 Millionen DM. Ich sage Ihnen ganz deutlich:
Wer versucht, die Fehler der Vergangenheit dadurch zu
kompensieren, dass er jetzt finanziell überzogene Forderungen stellt, diskreditiert seine Glaubwürdigkeit auch bei
denjenigen, die die Lernfortschritte der Opposition durchaus konstatieren und zur Kenntnis nehmen.
({1})
Zweitens. Ich glaube, dass Sie mit einer Reihe von Vorschlägen nicht dem Ziel dienen, eine Verwaltungsvereinfachung zu realisieren, da nach Ihren Vorstellungen in
allen Fällen von Teilzeit eine Prüfung der Einkommensverhältnisse des Teilnehmers einer Maßnahme sowie seines Ehegatten erforderlich würde. Ob das ein Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung ist, wissen wir nicht.
Wir müssen daran festhalten, dass mit dem AFBG ein
erfolgreicher Abschluss der Fortbildung bezweckt wird.
Die Vergünstigungen des Darlehenserlasses können deshalb nur bei bestandener Abschlussprüfung und nicht wie
in Ihrem Entwurf vorgesehen - vielleicht ist das unbeabsichtigt geschehen - allein bei einer Existenzgründung
gewährt werden. Beide Kriterien müssen erfüllt werden.
Orientieren Sie sich doch bitte an einem zukunftsweisenden Bild des Arbeitsmarktes und geben Sie Ihre ausschließliche Orientierung an potenziellen Existenzgründern aus dem Handwerksbereich auf; denn das AFBG
zielt auch auf Aufstiegsfortbildung von Technikern und
Betriebswirten ab.
Ich möchte zwei Abschlussbemerkungen machen. Die
erste richte ich vor allem an die Adresse der Kollegin von
der PDS. Wir sollten nie vergessen: Das AFBG ist ein Leistungsgesetz, das sich an bildungspolitischen Zielen und
auch an der Förderung von Existenzgründern orientiert. Es
ist primär kein Gesetz, mit dem die Unterhaltsleistungen
für Familien verbessert werden sollen. Wir müssen bei unseren Reformmaßnahmen die Balance wahren. Diese Regierung tut schon auf anderen Feldern viel für Familien mit
Kindern. Das muss hier berücksichtigt werden.
Zweitens. Kollege Lensing, Sie sollten sich genau
überlegen, wie Sie uns kritisieren wollen. Auf der einen
Seite behaupten Sie, die Regierung folge Ihren Vorschlägen. Auf der anderen Seite streichen Sie heraus, dass Sie
sich auf unsere Positionen, die auf dem Erfahrungsbericht
der Bundesregierung und den von mir im letzten Jahr vorgetragenen Eckpunkten basieren, zubewegen. Ich bin zuversichtlich, dass Sie uns dann, wenn die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf im kommenden Frühjahr
einbringt und hier zur Diskussion stellt, neidlos zugestehen müssen, dass unser Gesetzentwurf ein rundum gelungener Reformentwurf ist.
Danke schön.
({2})
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
entwurfes auf Drucksache 14/4250 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. -
Anderweitige Vorschläge liegen nicht vor. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf:
20 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Ergänzung des Steuersenkungsgesetzes Steuer-
senkungsergänzungsgesetz - StSenkErgG)
- Drucksachen 14/4217, 14/4293 ({0})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 14/4547 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Nicolette Kressl
Gerhard Schüßler
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/4562 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({3}) zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Mittelstand entlasten - Steuersenkungsgesetz
nachbessern
- Drucksachen 14/4285, 14/4547 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Nicolette Kressl
Gerhard Schüßler
c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung
der Bemessungsgrundlage für Zuschlagsteuern
- Drucksache 14/3762 ({4})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({5})
- Drucksache 14/4546 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Grasedieck
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Abgeordnete Dr. Barbara Höll
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/4563 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Abgeordnete Hans Georg Wagner
Abgeordnete Oswald Metzger
Abgeordnete Dr. Günter Rexrodt
Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Rössel
Die Fraktionen haben sich auf eine Redezeit von
75 Minuten verständigt. - Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin
Nicolette Kressl das Wort für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch zusätzliche Steuersenkungen
in Höhe von 6,8 Milliarden DM werden wir heute die im
Juli beschlossenen Vereinbarungen, die im Zusammenspiel von Bund und Ländern ermöglicht haben, dass die
Steuerreform Gesetz wird, in konkrete Gesetzesform umsetzen. Damit steigt die Höhe der gesamten Steuerentlastungen allein durch das Steuersenkungsgesetz und die
heutige Ergänzung auf 62,5 Milliarden DM an.
Der Spitzensatz der Einkommensteuer sinkt auf
42 Prozent. Unternehmer werden - das ist nur einmal im
Leben möglich - lediglich mit dem halben durchschnittlichen Steuersatz belastet, wenn sie ab dem Alter
von 55 Jahren oder bei Berufsunfähigkeit ihre Betriebe
veräußern.
Nicht nur diese zusätzlichen Entlastungen, sondern das
gesamte Paket der Steuersenkungen ist von zwei wichtigen Leitlinien geprägt, die wir einhalten wollen:
Zum einen verbinden wir seriöse Haushaltspolitik und
Steuerentlastungen miteinander. Diese beiden Ziele
gleichzeitig zu erreichen ist keine leichte Aufgabe. Das
zeigt sich schon daran, dass der CDU/CSU-F.D.P.-Regierung genau dies nie gelungen ist.
({0})
Darauf, dass wir das trotzdem geschafft haben, können
wir zu Recht stolz sein.
Zum anderen entlasten wir die verschiedenen Gruppen
von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gleichmäßig.
Wir halten das nicht nur für sozial gerecht, sondern auch
für wirtschaftlich sinnvoll. Durch die starke Entlastung
der Arbeitnehmer, der Familien und der kleinen Personenunternehmen, die besonders durch die starke Senkung
des Eingangssteuersatzes und die Erhöhung des Grundfreibetrags erreicht wird, sorgen wir dafür, dass zukünftig aufgrund der höheren Nettoeinkommen mehr ausgegeben werden kann und die Binnennachfrage gestärkt
wird.
In diesem Zusammenhang lässt sich durch diese Debatte vielleicht der Irrtum aufklären, dem die CDU/CSU
immer wieder unterliegt. Es wird nämlich behauptet, Arbeitnehmer und mittelständische Unternehmer würden
benachteiligt.
({1})
Herr Michelbach mit seinen Äußerungen im Finanzausschuss und Herr Lensing mit seinen Äußerungen zur
BAföG-Förderung scheinen sich dem Kreis der Märchenerzähler angeschlossen zu haben.
({2})
Zunächst wird die Ausbildungsförderung von der alten
Regierung gestrichen. Dann sprechen Sie von einer neuen
Regelung, wenn Sie sie wieder einführen wollen. Ähnliches erleben wir auch beim Thema Steuerreform. Es
könnte aber sein, dass diese Behauptungen, die wir immer
wieder hören, nicht auf einem Irrtum beruhen, sondern
dass wider besseres Wissen eine Legende aufgebaut werden soll.
({3})
Wir entlasten nicht nur im Bereich der mittelständischen Unternehmen, sondern in allen Bereichen werden
die Entlastungen im nächsten Jahr deutlich zu spüren sein.
Diese Aussage stellen wir nicht einfach nur in den Raum,
sondern sie ist auch überprüft worden. So hat die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Arthur
Andersen aus genauen Beispielrechnungen folgenden
Schluss gezogen - ich zitiere -:
Alle Unternehmen werden unabhängig von ihrer
Rechtsform durch das Steuersenkungsgesetz und
seiner Ergänzung deutlich entlastet.
Wenn Sie schon unseren Zahlen und denen des Finanzministeriums nicht glauben, dann sollten Sie aber wenigstens diese Rechnungen nachvollziehen.
({4})
Für eine Steuerreform ist auch die Tatsache entscheidend, dass Steuerentlastungen nur dann auf einer soliden
Basis stehen, wenn sie nicht durch unsolide Planungen auf
wacklige Füße gestellt werden. Wenn sie nämlich über
neue Schulden finanziert werden, dann würde das sehr
schnell zu neuen Belastungen - beispielsweise über Gebühren und Abgaben oder aufgrund der belasteten Länderhaushalte - führen.
Mit dieser Steuerreform, jetzt sozusagen abgerundet
durch das heutige Gesetz,
({5})
erreichen wir alle Steuerzahler; denn sie baut auf drei tragenden Säulen auf. Erste Säule: Mit der Senkung der Körperschaftsteuer auf 25 Prozent entlasten wir Kapitalgesellschaften. Zweite Säule: Mit der pauschalierten
Anrechnung der Gewerbesteuer entlasten wir die Personenunternehmen, die gewerbesteuerpflichtig sind. Dritte
Säule: Für die Personenunternehmen, die keine Gewerbesteuer zahlen, weil ihr Gewinn zu niedrig ist, und für die
Arbeitnehmer führen wir die Entlastung bei der Einkommensteuer ein. Mit diesen drei Säulen ist es uns gelungen,
auf die verschiedenen Bedürfnisse der Steuerzahler einzugehen und so Entlastungen für alle zu erreichen.
({6})
Ich kann ja nachvollziehen, meine Damen und Herren
von der Opposition, dass es Ihnen nicht leicht fällt, diese
Leistung anzuerkennen; denn im Gegensatz zu Ihnen ist
es uns gelungen, diese Steuerentlastungen nicht nur ohne
Erhöhung der Nettoneuverschuldung, sondern auch ohne
Gegenfinanzierung durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, wie sie in Ihrem Konzept vorgesehen war, zu erreichen.
({7})
Indem wir die Steuerbelastung der Bürger verringern,
verbessern wir deren eigene Gestaltungsmöglichkeiten.
Gleichzeitig geben wir mit dem konsolidierten Haushalt
denjenigen Gestaltungsspielräume, die in der nächsten
Generation politisch verantwortlich sind. Es gibt also
Spielräume für den Einzelnen, aber auch für die Politik,
die die Gesellschaft gestalten will.
Wenn Sie so weiter gewirtschaftet hätten, hätten Sie
den Bürgern aufgrund der jährlichen Zinslasten in zweistelliger Milliardenhöhe den Gestaltungsspielraum genommen. Man muss in diesem Zusammenhang schon die
Frage stellen dürfen, ob die jährliche Zinsbelastung nicht
bald in den dreistelligen Milliardenbereich gerückt wäre,
wenn die alte Regierung so weiter gemacht hätte.
({8})
Auch während der Beratungen zu diesem Gesetzentwurf haben wir nicht erkennen können, dass Sie diese
doppelte Aufgabenstellung überhaupt verstanden haben.
Wie leicht war es doch für Sie, einen Antrag nach dem anderen zu stellen, ohne sich um die Finanzierbarkeit zu
kümmern! Schon während der Beratungen zum Steuersenkungsgesetz schien Ihr Lieblingssport gewesen zu
sein, Steuerschlupflöcher wieder zu öffnen.
({9})
Auch in diesem Gesetzgebungsverfahren ging es Ihnen
offensichtlich nicht darum, die Aspekte seriöser Haushaltspolitik zu berücksichtigen. Selbst die von Ihnen befragten Sachverständigen bzw. Verbandsvertreter haben
in der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf oft vorsichtig
argumentiert.
({10})
Ich habe einmal das Protokoll dieser Anhörung nachgelesen, Herr Rauen. Ich zitiere einen der von Ihnen befragten
Sachverständigen:
({11})
Es stellt sich die Frage, ob die Absenkung des Tarifs
nicht ein bisschen spät ist.
Es ist doch klar, dass Verbandsvertreter Forderungen
über das hinausgehend stellen müssen, was auf dem Tisch
liegt. Diese Forderungen wurden sehr vorsichtig formuliert. Sie können nur deren Interessen wiederholen. Ich
halte es aber für entscheidend notwendig, dass wir, die wir
Politik machen, die Aufgabe wahrnehmen, die verschiedenen Interessen abzuwägen und eine Balance zu finden.
Das haben Sie offensichtlich völlig vergessen.
({12})
Diese Art des Handelns halten wir für wichtig. Diese Haltung habe ich bei Ihnen während der Gesetzesberatungen
nicht erkennen können.
Wir sind sicher, dass wir uns bei dieser Steuerreform
im Hinblick auf die Balance richtig bewegen, was nicht
bedeutet, dass es nicht Themen gibt, die wir noch aufgreifen werden. Wir haben deutlich gemacht, dass wir auf
die Frage der Alterssicherung beispielsweise von Handelsvertretern oder auch auf die Frage der Abfindung von
Arbeitnehmern, so es dabei um die Alterssicherung geht,
eingehen und Antworten finden werden.
({13})
Dieses Thema wird im Rahmen der Alterssicherung
berücksichtigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU - die F.D.P. wird unserem Gesetzentwurf ja zustimmen; das freut mich -, es wäre ein gutes Signal gewesen,
wenn auch Sie zugestimmt hätten. Denn wir haben uns ja
bei dem Gesetz, mit dem es den Kirchen ermöglicht wird,
Steuerausfälle, die aufgrund der Gewerbesteueranrechnung und des Halbeinkünfteverfahrens entstehen, zu vermeiden, auf eine gemeinsame Lösung verständigen können. Ihre Zustimmung auch zum Steuerergänzungsgesetz
wäre gut gewesen.
Obwohl also ein gemeinsames Vorgehen nicht möglich
war, sind wir unabhängig von der Ablehnung der
CDU/CSU sicher, dass von diesem Steuerreformpaket die
notwendigen Impulse für die konjunkturelle Entwicklung
ausgehen werden. In jedem Fall gehen wir mit der heutigen Entscheidung einen weiteren Schritt im Rahmen unserer solide finanzierten Reformpolitik. Auch dieser
Schritt wird der Weiterentwicklung in Deutschland gut
tun.
Vielen Dank.
({14})
Ich gebe für
die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Hans Michelbach
das Wort.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
rot-grüne Steuerpolitik hat eine Teilung der Wirtschaft
vollzogen.
({0})
Es ist eine Gerechtigkeitslücke entstanden.
({1})
Die Rechtsform der Unternehmen wird für eine steuerpolitische Ideologie missbraucht.
({2})
Es wird zwischen Unternehmen und Unternehmer unterschieden. Das ist ein falsches System.
({3})
Das ist ein Anschlag auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung.
({4})
Eigentlich ist es Aufgabe der Steuerpolitik, Steuerzahlern kein Unrecht zuzufügen. Bei Ihrer Steuerreform müssen Sie etwas verwechselt haben. Fakt ist doch, dass im
Unternehmensteuersenkungsgesetz die Kapitalgesellschaften im Vergleich zu den Personengesellschaften
massiv begünstigt werden.
({5})
Der heute vorliegende Entwurf eines Steuersenkungsergänzungsgesetzes soll diese Ungleichbehandlung ausgleichen. Warum bringen Sie überhaupt einen solchen
Gesetzentwurf ein? Sie wollen damit versuchen, die Ungleichbehandlung, die Sie erkannt haben, wenigstens
zum Teil zu korrigieren.
({6})
Diesem Ziel wird dieses Ergänzungs- und Korrekturgesetz jedoch überhaupt nicht gerecht.
({7})
Die Chancengleichheit des Mittelstandes wird nicht
erreicht. Im Gegenteil: Es werden weitere Komplizierungen in das Steuerrecht getragen und weitere Wettbewerbsverzerrungen erzielt.
({8})
Die Anwendung des halben durchschnittlichen Steuersatzes bei Betriebsveräußerungen und -aufgaben ist an
viel zu viele Voraussetzungen und Einschränkungen geknüpft.
({9})
Die Mindestbesteuerung mit dem Eingangssteuersatz
trifft - das ist besonders schlimm - gerade die kleinen und
mittelständischen Unternehmen.
({10})
Durch diese Vorgabe wird nämlich bei einem Verheirateten in einer Personengesellschaft ein Veräußerungsgewinn bis 444 000 DM gar nicht unter die Begünstigung
des halben durchschnittlichen Steuersatzes fallen. Die Betroffenen meinen, dass sie jetzt den halben durchschnittlichen Steuersatz zu zahlen haben. Dann heißt es: Nein, das
ist falsch. Es besteht eine Mindestbesteuerung.
({11})
Das heißt, sie haben diesen halben durchschnittlichen
Steuersatz nicht. Sie haben Ihr Versprechen nicht gehalten.
({12})
Es handelt sich um eine extrem mittelstandsfeindliche
Vorschrift,
({13})
die man nicht unterstützen kann.
Dieser halbe durchschnittliche Steuersatz soll auch nur
einmal im Leben Anwendung finden. Meine Damen und
Herren, was aber ist, wenn ein Unternehmer in den verdienten Ruhestand gehen möchte, sein unternehmerisches
Engagement aber auf verschiedene Unternehmen verteilt
hat? Dann wird auf nur ein Veräußerungsgeschäft der
halbe durchschnittliche Steuersatz angewandt werden.
Auch das haben Sie nicht gesagt.
({14})
Das Fazit ist: Die Generationenbrücke funktioniert nicht.
Herr von Larcher, in Bezug auf Ihren Zuruf „Diese
arme Sau!“ möchte ich Ihnen nur sagen, dass es sich um
Leute handelt, die Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt,
investiert und volkswirtschaftlich eine Leistung erbracht
haben. Diese Menschen können Sie so nicht bezeichnen.
({15})
Ebenso verhält es sich, wenn ein Einzelunternehmer
zwar nur ein Unternehmen besitzt, dieses jedoch an mehrere Erwerber veräußern möchte. In diesem Fall ist es besonders schlimm. Er möchte seinen Betrieb veräußern, damit dieser weitergeführt wird und damit die Arbeitsplätze
erhalten werden. Wenn er aber einen Erwerber findet, der
dies nur mit anderen zusammen leisten kann, dann unterliegt er mit lediglich einer Veräußerung an einen Erwerber
dem halben durchschnittlichen Steuersatz. Das heißt, auch
hier funktioniert das Ganze nicht. Die anderen Veräußerungsgeschäfte unterliegen der Fünftelungsregelung. Das
heißt, es kommt bei dem Verkauf eines mittelständischen
Unternehmens zu einer Teilung. Das ist Irrsinn! Solch eine
Besteuerung bzw. Steuerpolitik ist Willkür. Hier ist weder
System noch sonst etwas vorhanden.
({16})
Die Besteuerung darf nicht von der Zahl der Erwerber
abhängen. Auch darf sie nicht davon abhängig sein, in wie
vielen Betrieben der Unternehmer sein unternehmerisches Engagement verfolgt. Mit solchen Regelungen werden ja nur missbräuchliche steuerliche Gestaltungen angeregt, die Sie dann wahrscheinlich wieder durch neue
- wahrscheinlich sogar unverhältnismäßige - Gesetze
eindämmen müssen. Durch solche aberwitzigen Gesetze
wird unser Steuersystem immer komplizierter und bürokratischer. Das heißt, es wird - sowohl für die Finanzverwaltung als auch für die Steuerpflichtigen - kostenintensiver. Das Fazit ist: Der Steuerdschungel in Deutschland
wird durch Ihre Steuerpolitik immer undurchsichtiger.
({17})
Auch die Umstrukturierungen bei den mittelständischen Unternehmen, zum Beispiel wenn Personengesellschaften Anteile an Kapitalgesellschaften veräußern, werden durch das Steuersenkungsergänzungsgesetz nicht
verbessert. Während die Kapitalgesellschaften ihre Anteilsveräußerungsgewinne ab 2002 grundsätzlich völlig
steuerfrei vereinnahmen dürfen, müssen die mittelständischen Unternehmen diese Gewinne nach dem Halbeinkünfteverfahren versteuern. Das Fazit ist: Chancenungleichheit und Wettbewerbsverzerrungen zulasten der
Mittelstandsbetriebe werden in der deutschen Wirtschaft
immer größer.
({18})
Die rot-grüne Bundesregierung hat bis heute keinen
objektiven Grund für diese Bevorteilung der Kapitalgesellschaften angeführt. Steuerexperten haben immer wieder bestätigt, dass eine Anteilsveräußerung keine Vollausschüttung darstellt und sich die Steuerfreiheit somit nicht
aus dem System selbst erklärt. Die von der rot-grünen
Bundesregierung immer wieder genannte Begründung,
die thesaurierten Gewinne bei den Kapitalgesellschaften
würden geradezu zu Investitionen und Arbeitsplätzen im
Inland führen,
({19})
sind wohl eher ideologischer Natur, als dass sie auf verlässlichen und nachvollziehbaren Daten beruhen. So hat
der Bundesfinanzhof in seinen vielen Entscheidungen
ausgeführt, dass jegliche Annahmen über zukünftige Investitionen immer nur spekulativ sind. Das ist ein Vorgeschmack darauf, wie die Gerichte Ihre völlig unsinnige
These auch in der Zukunft beurteilen werden.
Auch namhafte Verfassungsrechtler wie zum Beispiel
Professor Kirchhof haben die Bevorzugung der Kapitalgesellschaften bei den Anteilsveräußerungsgewinnen immer wieder als stark verfassungsfragwürdig angesehen.
({20})
Die CDU/CSU-Fraktion fordert die rot-grüne Bundesregierung deshalb auf, eine Gleichstellung der mittelständischen Unternehmen mit den Kapitalgesellschaften zu
erreichen und im eigenen Interesse einer Verfassungsklage vorzubeugen. Dies entspricht auch den Anträgen
der CDU/CSU, die wir zu diesem Gesetz eingebracht haben. Die mittelständische Wirtschaft wird die Diskriminierung und Ungleichbehandlung nicht klaglos hinnehmen und sicher Verfassungsbeschwerden einreichen.
Weitere Benachteiligungen der mittelständischen Unternehmen bei den Umstrukturierungen bestehen in folgenden Punkten:
Erstens. Keine vollständige Anwendung des Mitunternehmererlasses.
Zweitens. Die Senkung der Grenze für wesentliche
Beteiligungen im Rahmen des § 17 des Einkommensteuergesetzes auf 1 Prozent macht es insbesondere den kleinen Kapitalgesellschaften und den Start-ups schwer, neue
Kapitalgeber zu finden.
Das Steuersenkungsergänzungsgesetz schafft nicht nur
im Rahmen der Umstrukturierungen keine Gleichheit mit
den Kapitalgesellschaften, sondern auch hinsichtlich des
Steuersatzes sind die Personengesellschaften und Einzelunternehmen weiterhin wesentlich benachteiligt. Die
Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer auf 42 Prozent im Jahre 2005 kommt für viele
Steuerzahler viel zu spät.
({21})
Ich möchte die rot-grüne Bundesregierung in diesem
Zusammenhang nochmals daran erinnern: Die Personengesellschaften müssen die Gegenfinanzierung ab dem
Jahr 2001 voll mittragen, während die Kapitalgesellschaften ab 2001 mit dem Körperschaftsteuersatz von
25 v. H. einen Vorteil haben. Auch hier entstehen Wettbewerbsverzerrung und Ungleichbehandlungen. Ich glaube
auch, dass diese in den Betrieben Arbeitsplätze kosten
werden.
({22})
Wir fordern die rot-grüne Bundesregierung auf, diese
Ungerechtigkeiten zu beseitigen und die mittelständischen Unternehmen schon früher zu entlasten. Eine stärkere Steuerentlastung nicht nur der mittelständischen
Unternehmer, sondern aller Steuerzahler ist dringend geboten.
Es ist die Wahrheit: In Ihrer Regierungszeit ist die
Steuerquote von 22 Prozent auf jetzt 22,6 Prozent gestiegen.
({23})
Wer die neueste Steuerschätzung ansieht - sie stammt
von heute -, muss dies ganz deutlich machen.
({24})
Wir haben in den Jahren 2000 und 2001 14,8 Milliarden DM mehr eingenommen,
({25})
als die Steuerschätzung im Mai dieses Jahres vorausgesagt hat. Das ist eine Überraschung, über die vielleicht
Herr Eichel glücklich und zufrieden sein kann, es ist aber
eine Leistung der Steuerzahler. Damit nehmen Sie im
Jahre 2000 über 40 Milliarden DM mehr ein als im Vorjahr. Dazu sagen Sie, Sie könnten dem Steuerzahler keine
weitere Steuerentlastung geben. Ich sage Ihnen: Das
glaubt Ihnen niemand mehr in diesem Land.
({26})
Sie haben den Weg in den Steuer- und Abgabenstaat
eingeschlagen.
({27})
Das ist die Wirklichkeit in Deutschland.
({28})
Zu den Steuermehrbelastungen muss ich Ihnen sagen:
Wenn Sie die Steuerquote auf 22,6 Prozent erhöhen, dann
ist Ihre Steuerreform die langsamste und zögerlichste aller
Zeiten. Für den Steuerzahler ist sie nichts anderes als eine
Mogelpackung. Das muss man ganz deutlich aussprechen.
({29})
Die Einkommensbelastungsquote im Jahre 2005
- also nach der Tarifsenkung bei der Einkommensteuer wird immer noch 55 Prozent betragen. Damit würde die
Belastung der Steuerpflichtigen mit Steuern und Abgaben
gegenüber dem Jahr 1999, in dem sie 56,8 Prozent betrug,
kaum sinken. Angesichts dieser Zahlen wirken die Aussagen der rot-grünen Bundesregierung zur umfassendsten
Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik
({30})
geradezu wie blanker Hohn.
Ihr Zynismus gegenüber dem Steuerzahler wirkt wie
eine Selbstbeschädigung. Der Steuerzahler in Deutschland bleibt durch Ihre Steuerpolitik die Melkkuh der Nation.
({31})
Ich habe gestern die Leitplanken von Herrn Bundesfinanzminister Eichel zur Kenntnis genommen. Daran
kann man erkennen, dass er bis zum Jahre 2009 keinerlei
weitere Steuerentlastungen einräumen will, obwohl das
Bruttoinlandsprodukt bis zu diesem Zeitpunkt um 40 Prozent gestiegen ist. Das ist der Weg in den Steuer- und Abgabenstaat, nichts anderes. Das gibt eine Staatsquote von
50 Prozent, und das ist der falsche Weg. Sie müssen endlich umkehren und den Weg in die richtige Richtung gehen.
Die rot-grüne Unternehmensteuerreform ist angesichts
dieser Steuermehrbelastung
({32})
nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Das ist
die Situation.
Sie sollten zumindest den Mut haben, sofort auf eine
Verschlechterung der AfA-Tabellen zu verzichten und
den Firmen endlich Planungssicherheit für Investitionen
zu geben. Das wäre bei den Steuermehreinnahmen, die
Sie nach der heutigen Steuerschätzung haben, ein Signal
für die investierende Wirtschaft und die investierenden
Bürger, dass hier nicht nur abkassiert, sondern auch Freiraum für mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze gestaltet wird. Ich darf Sie herzlich bitten: Gehen Sie nicht
den Weg, den Sie hier eingeschlagen haben!
({33})
Damit der Mittelstand überhaupt die Chance der Waffengleichheit erhält, hat die CDU/CSU-Fraktion Anträge
in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Ich darf Sie
bitten, diesen Anträgen zur Entlastung der Steuerzahler
vor dem Jahr 2005, nämlich im Jahr 2003, zuzustimmen.
({34})
Es müssen Änderungen beim halben durchschnittlichen
Steuersatz zugunsten des Steuerpflichtigen erfolgen. Zur
Schaffung der Chancengleichheit des Mittelstandes mit
den Kapitalgesellschaften wäre es der richtige Weg, eine
steuerfreie Rücklage zu 100 Prozent für die Anteilsveräußerungsgewinne der Personengesellschaften und Einzelunternehmen einzuführen.
({35})
Ich darf Sie herzlich bitten, zur Steuervereinfachung,
Steuergerechtigkeit und Steuerentlastung einen neuen Anlauf zu nehmen, der ein korrektes, gerechtes Steuersystem
in Deutschland zum Ziel hat. Was wir jetzt haben, ist eine
Steuerbelastung für die Steuerzahler
({36})
und nicht eine Steuerentlastung, also nicht der Weg, den
wir in Deutschland brauchen.
Vielen Dank.
({37})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Manchmal
könnte man den Eindruck haben, Herr Michelbach, als ob
Sie sich in einer Selbstbeschwörungstruppe befänden.
({0})
Man muss leider auch den Eindruck haben, dass die Diskussion, die in den letzten Monaten in der Fachwelt stattgefunden hat, an der CDU/CSU gnadenlos vorbeigegangen ist.
({1})
Frau Kressl hat es angesprochen: Wir haben ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Arthur Andersen. Ich sage noch einmal - denn
anscheinend muss man es öfter sagen, bis es bei Ihnen angekommen ist - :
({2})
Wir haben dieses Gutachten von Arthur Andersen, in dem
unmissverständlich festgestellt wird, dass es bei der laufenden Besteuerung von Personengesellschaften keine
Nachteile gegenüber der Besteuerung von Kapitalgesellschaften gibt.
({3})
Zweitens. Wenn die CDU/CSU meint, wir würden
nicht für Steuervereinfachung sorgen, dann muss man
an dieser Stelle einmal ganz klar sagen, dass der Punkt
Körperschaftsbesteuerung in der Zukunft eine - ich sage
es einmal positiv - hervorragende Vereinfachung des
Steuersystems bedeutet. Sie brauchen dann ganze Bewertungsbände nicht mehr. Die USA sagen: Ihr habt ein
klasse System auf den Weg gebracht. Die OECD sagt: Ihr
habt eine super Leistung vollbracht. Ich glaube, dass die
Wahrnehmung von außen realistischer ist als die innerhalb der CDU/CSU.
({4})
Punkt drei zu Ihren Ausführungen. Die CDU/CSU
macht Vorschläge. Danach wollen Sie auf der einen Seite
die Steuersätze noch weiter absenken - was man Ihnen
zugestehen sollte. Das würden auch wir gerne, wenn wir
es finanzpolitisch für verkraftbar hielten, was wir aber
nicht tun. Auf der anderen Seite - das ist das Abstruse an
dieser Diskussion - sind Sie aber nicht bereit, eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zuzulassen. Im
Gegenteil, Sie wollen niedrige Steuersätze und gleichzeitig alle Steuervergünstigungen wieder einführen.
({5})
Das ist eine vollkommen falsche Politik, die zu Ergebnissen führt, die wir finanzpolitisch und haushaltspolitisch so
niemals verantworten können.
Es ist leider so - das muss man einfach sagen; ich bedaure es -: Sie haben auf der einen Seite in den letzten
Jahren nichts zustande gebracht, und jetzt nörgeln Sie
herum, ohne einen Hauch von Seriosität, und halten uns
noch vor, wir sollten auf die Entwicklung bei den AfA-Tabellen verzichten. Ja, wer hat denn das damals, 1997/98,
versaubeutelt? Das war doch die alte Regierung, die genau diese Kriterien festgelegt hat, die wir heute aus juristischen Gründen erst einmal umsetzen müssen.
({6})
Und dann nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis, dass
die Summe, die wir veranschlagt haben, maximal für das
Entstehungsjahr mit der Summe identisch ist, die übrigens
auch im Gesetzentwurf der CDU/CSU zu finden ist.
Hier bitte ich um etwas mehr Ehrlichkeit statt einer so
scheinheiligen Diskussion, wie Sie sie wieder angezettelt
haben.
({7})
Wir setzen mit dem Gesetzentwurf etwas um, wovon
wir sagen können: Wir haben unseren Willen zur Entlastung aller Steuerzahler und Steuerzahlerinnen bewiesen,
({8})
und wir haben dies auch gegen sehr, sehr viele Widerstände durchgesetzt. Darüber sind wir sehr froh, denn dies
hat letztendlich auch dazu geführt, dass wir durch diesen
Reformschritt eine Entlastung für die breite Masse der
Steuerzahler und Steuerzahlerinnen bekommen.
({9})
Es ist sozial ausgewogen, Frau Dr. Höll, es ist finanzpolitisch vernünftig,
({10})
es ist fiskalpolitisch auch sinnvoll.
({11})
Auch wenn Sie es nicht glauben wollen: Wir haben
eine Entlastung, weil wir jetzt durch die Bundesratsentscheidung, durch die Senkung des oberen Grenzsteuersatzes von 43 auf 42 Prozent, ja nicht nur den oberen Grenzsteuersatz noch einmal um 1 Prozentpunkt gesenkt haben,
sondern wir haben den gesamten Tarif in der Breite gesenkt, sodass ab 25 000 DM zu versteuerndem Einkommen die Entlastung greift, die in einer Größenordnung
von über 5 Milliarden DM an die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen zurückgegeben wird.
Wir, das heißt Bund, Länder und Gemeinden, verzichten - das muss man bitte auch immer wieder beachten durch die Steuerreform 2000 auf insgesamt 62,5 Milliarden DM.
Natürlich ist es so, dass uns die konjunkturelle Entwicklung dabei hilft, den Ausfall überhaupt zu verkraften.
Die Steuerreform selbst wird durch die gewisse Eigendynamik, die in ihr steckt, auch dazu beitragen. Ich bin sehr
froh, wenn ich lesen kann, dass uns der IWF mit einer
Wachstumsprognose von 3,1 Prozent für das Jahr 2001
gerade jetzt erst bestätigt hat, dass wir mit unserer Steuerund Finanzpolitik erfolgreich Wachstumsimpulse setzen.
({12})
Das ist genau der Punkt, weswegen man eine solche Politik macht.
Der Bundesfinanzminister hat gestern in der Humboldt-Universität ganz klar gemacht, dass Rot-Grün den
Konsolidierungskurs weiter verfolgen wird.
({13})
Wir werden 2004 auf gesamtstaatlicher Ebene keine
neuen Schulden mehr aufnehmen. Wir werden 2006 auch
für den Bund keine Neuverschuldung mehr haben. Das
ist ein Riesenerfolg dieser Regierung.
({14})
Danach - es geht ja noch weiter - geht es erst an den
Abbau des Schuldenberges. Wir haben immer noch die
1,5 Billionen DM Schulden, die letztendlich wir zu verantworten haben. Das ist Ihre Hinterlassenschaft.
({15})
Wir müssen jetzt einiges ausbaden, was diese alte Regierung an falscher Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik gemacht hat.
({16})
Das ist doch der Punkt; da müssen auch die Fakten auf den
Tisch.
({17})
Die Schuldenquote soll 2012 nur noch 38 Prozent betragen; jetzt liegt sie bei 60 Prozent. Ich denke, auch das
ist der Anerkennung wert. - Sie nicken ein bisschen vonseiten der F.D.P.; ich glaube, an diesem Punkt sind wir uns
einig.
({18})
Erst dieser strikte Konsolidierungskurs hat doch überhaupt erst die Grundlage für die Senkung der Steuern und
Abgaben geschaffen. Wir werden ihn beibehalten, um auf
lange Sicht eine solide Finanzpolitik für die Bürger und
Bürgerinnen zu machen. Das heißt, dass die Steuer- und
Abgabenbelastung der Bürger und Bürgerinnen und die
Ausgaben des Staates im Gleichschritt zurückgeführt
werden, sodass die Abgabenquote bis 2012 auf 38 Prozent sinken - das hat der Finanzminister gesagt - und die
Staatsquote von derzeit rund 47 Prozent auf 40 Prozent
verringert werden kann.
Das ist das Ziel, und es wäre klasse, wenn Sie zugestehen würden, dass das auch in Ihrem Sinne ist und dass das
einfach ein Riesenerfolg dieser Regierung ist.
({19})
Ich will an dieser Stelle keine weiteren Ausführungen
zum CDU/CSU-Antrag machen. Ich kann nur sagen,
dass die Tatsache, dass der halbe durchschnittliche
Steuersatz - auch mit den Einschränkungen, die wir
vorgenommen haben - wieder eingeführt wird - was
wir heute beschließen wollen -, die im Unternehmen betriebene Altersvorsorge um rund 2 Milliarden DM
zusätzlich zu dem, was wir ursprünglich vorgesehen haben, entlastet.
({20})
Der Bundesrat selbst - daran darf ich Sie erinnern - hat
beantragt, die Begünstigung von Veräußerungsgewinnen
nur einmal im Leben zu gewähren. Das heißt, es kommt
den Unternehmern und Unternehmerinnen zugute, die
ihren Betrieb verkaufen und sich zur Ruhe setzen wollen.
Die Verknüpfung des halben Steuersatzes mit der Altersvorsorge hat noch einen weiteren ganz entscheidenden
Vorteil. Das frühere Steuersparmodell - halber Steuersatz - wird so nicht wieder aufgemacht. Bei seiner Abschaffung hatten wir 6,5 Milliarden DM, die wir jetzt
praktisch als Steuermehreinnahmen verbuchen können, in
die Senkung der Steuersätze gesteckt. Davon haben alle
Steuerzahler profitiert und nicht nur diejenigen, die die
Steuersparmodelle genutzt haben.
Wir sind angetreten, die Steuersätze nachhaltig zu senken. Wir sind angetreten, gleichzeitig Steuervergünstigungen abzubauen. Beides haben wir erfolgreich umgesetzt, sodass wir bei der Steuergesetzgebung, ausgehend
von der Übernahme der Regierungsverantwortung bis
zum Ende der Finanzplanung - wir haben die Umsetzung
der einzelnen Stufen der Steuerreform vorgelegt -, insgesamt 93,5 Milliarden DM jährlich an Steuerentlastung an
die Bürger und Bürgerinnen zurückgeben.
({21})
Davon profitieren die privaten Haushalte mit 65,5 Milliarden DM, die mittelständischen Unternehmen mit rund
30 Milliarden DM
({22})
und die Großindustrie - das muss ich in diesem Zusammenhang auch erwähnen - wird aufgrund der Veränderungen bei den Abschreibungsbedingungen minimal belastet.
Ich finde, das ist eine sehr ausgewogene und wunderbar faire und gute Politik, die eine Entlastung von unten
nach oben durchgibt, sodass man sagen kann: Das ist einfach klasse gelungen.
Kollegin Scheel,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dautzenberg? ({0})
Bitte schön.
Habe ich das richtig
verstanden, Frau Kollegin Scheel, dass Sie ausgeführt haben, der Steuerzahler wird jährlich um 93 Milliarden DM
entlastet? Oder haben Sie sich da vertan, weil es der Endpunkt 2005 ist, an dem diese Entlastung ansteht?
Ich habe gesagt: Wenn die letzte Stufe umgesetzt ist, hat
sich das Jahr für Jahr aufgebaut
({0})
und greift ab 2005 in dieser Größenordnung, in diesem
Volumen, das über die Folgejahre logischerweise entsprechend weitergeführt wird.
({1})
Im Zusammenhang mit der Altersvorsorge haben wir
eine Diskussion. Wir meinen, was für Unternehmer gilt,
sollte aus Gerechtigkeitsgründen auch Arbeitnehmern
und Handelsvertretern nicht vorenthalten bleiben.
({2})
Auch ältere Arbeitnehmer oder Handelsvertreter überbrücken mit ihren Abfindungen bzw. ihren Ausgleichsansprüchen die Zeit bis zur Rente. Auch sie erhalten
diese Zahlungen dafür, dass sie ihre wichtigste Erwerbsquelle aufgeben.
({3})
Auch sie gehörten längere Zeit einem Unternehmen an.
Daher meinen wir, dass wir im Zusammenhang mit der
Reform der Altersvorsorge auch die Abfindungen der Arbeitnehmer entlasten sollten. Darüber sind wir uns einig.
Wir werden das in den nächsten Wochen zu diskutieren
haben und dazu einen vernünftigen Vorschlag im Zusammenhang mit der Altersvorsorge vorlegen. Das gilt, wie
gesagt, genauso für die Handelsvertreter. Bei den Handelsvertretern steht es auch in der Beschlussempfehlung
zu dem Gesetzentwurf. Da ist es zugesagt; Sie können es
nachlesen. Das ist sicherlich auch der richtige Weg.
({4})
Wir haben auch einen Erfolg vorzuweisen, was die gesellschaftlichen Leistungen der Kirchen anbetrifft. Ich
bin froh - das sage ich Ihnen ganz ehrlich -, dass von allen anderen Fraktionen dieses Hauses die Überlegung
mitgetragen worden ist, den Kirchen wegen der Systemumstellungen in der Unternehmensteuerreform keine
Ausfälle zuzumuten,
({5})
und dass wir gemeinsam die Bemessungsgrundlagen für
die Kirchensteuer so geregelt haben, dass die finanzielle
Basis der Kirchen für ihre gesellschaftlichen Aufgaben
auch in Zukunft nicht geschmälert wird.
({6})
Lassen Sie mich noch kurz etwas zur Steuerschätzung
sagen, weil Herr Michelbach es angesprochen hat.
Man kann doch ganz klar feststellen: Die erfreulichen
Ergebnisse der Steuerschätzung bestätigen unseren Reformkurs.
({7})
Man kann auch ganz klar feststellen, dass die Konsolidierungsmaßnahmen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stärken und damit zu höheren Einnahmen der öffentlichen Haushalte führen. Das ist auch gut so. Man
kann ferner feststellen, dass wir bereits im nächsten Jahr
eine Entlastung in Höhe von 45 Milliarden DM und bis
einschließlich 2006 - das beinhalten die Unterlagen zur
Steuerschätzung auch - von insgesamt 250 Milliarden DM haben werden. Damit legen wir den Grundstein
für Wachstum und Beschäftigung.
({8})
Die konjunkturbedingten Steuermehreinnahmen dürfen uns aber nicht - das muss ich Ihnen und vor allen Dingen wieder einmal dem bayerischen Ministerpräsidenten
vorwerfen - von unserem schlüssigen und nachhaltigen
finanzpolitischen Kurs abbringen. Sobald Sie sehen, dass
irgendwo Mehreinnahmen zu verbuchen sind, kommt sofort ein Strauß von Vorstellungen, wie man sie wieder ausgeben könnte. Das ist genau die falsche Politik, die Sie
jahrelang betrieben haben.
({9})
Jetzt wird diese Politik im Zusammenhang mit der Steuerschätzung wieder aufgelegt. Sie wollen die Steuermehreinnahmen verschleudern, anstatt sie in den Haushalt einzuspeisen, damit beispielsweise die Haushaltsansätze für
Privatisierungen reduziert werden können und damit die
Nettoneuverschuldung im Jahre 2001 - das haben wir vor bei konstantem Ausgabevolumen auf unter 45 Milliarden DM festgesetzt werden kann.
Im Gegensatz zu unserer ausgewogenen Politik der
Steuersenkungen und des Abbaus der Staatsverschuldung
betreiben Sie nach wie vor einen gnadenlosen Populismus. Sie würden den Schuldenberg für zukünftige Generationen wieder vergrößern. Deswegen bin ich froh, dass
wir und nicht Sie regieren.
({10})
Ich erteile dem Kollegen Hermann-Otto Solms, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte
noch einmal daran erinnern, dass wir hier ja gar nicht über
die Steuerreform zu debattieren haben, sondern über ein
Gesetz, das das Ergebnis eines Kompromissbeschlusses
des Bundesrates ist.
({0})
- Die Steuerreform als solche ist ja verabschiedet. Worum ging es bei diesem Beschluss? Es ging darum, die
Blockade aufzulösen, die zwischen Regierung und Opposition und den jeweiligen Parteien im Hinblick auf die
zukünftige Steuergesetzgebung entstanden war.
({1})
Wie Sie wissen, gab es viele Gründe für die Kritik an
dem Steuerreformkonzept der Koalition. Aber ein ganz
wesentlicher Grund lag darin, dass es mit der Reform eine
deutliche Diskriminierung mittelständischer Unternehmen und Einzelkaufleute gegenüber großen Kapitalgesellschaften gegeben hat.
({2})
Die Steuersenkung, die die Regierung beabsichtigt
hatte, wurde auch von uns begrüßt. Aber die Diskriminierung wollten wir - jedenfalls in diesem Maße - nicht zulassen. Deswegen haben wir, beteiligt über das Bundesland Rheinland-Pfalz, uns bemüht, diese Diskriminierung
abzubauen. Das ist nun in einem spürbaren Maße gelunChristine Scheel
gen; denn durch den Kompromiss sind zusätzliche Steuerentlastungen in Höhe von 7 Milliarden DM freigegeben
worden.
({3})
Die Schlechterstellungen gerade bei den Veräußerungsgewinnen bei kleineren Personengesellschaften sind
durch die Wiedereinführung des halben durchschnittlichen Steuersatzes deutlich reduziert worden.
({4})
Deswegen bedanke ich mich ausdrücklich bei HansArtur Bauckhage, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten, und bei Rainer Brüderle, die auf unserer Seite die
Verhandlungen geführt haben, genauso wie bei Kurt
Beck, dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz. Ich
bedanke mich auch deshalb so sehr bei ihnen, weil sie sich
nicht wie die drei Länder mit großen Koalitionen, die an
dem Kompromiss ebenfalls mitgewirkt haben, nämlich
Berlin, Brandenburg und Bremen, nur um eine Verbesserung ihrer Haushaltsposition bemüht haben. Vielmehr hat
dieses Bundesland dafür gesorgt, dass die Verbesserungen
ganz eindeutig den mittelständischen und kleinen Unternehmen in der ganzen Bundesrepublik dienen.
({5})
- Lassen Sie diese Spitzfindigkeiten. Damit kommen Sie
nicht weiter.
({6})
Es geht um die mittelständischen Unternehmen insgesamt. Es geht gerade um die kleinen Unternehmer, die aus
dem Berufsleben ausscheiden, ihr Unternehmen veräußern oder aufgeben und damit einen Erlös erzielen, der
dann auch der Altersversorgung dient. Die Berücksichtigung dieser Tatsache ist ein ganz wesentlicher Anspruch,
dem zum Durchbruch verholfen worden ist.
({7})
Weil wir an diesem Kompromiss beteiligt waren - die
F.D.P.-Fraktion hat ihm unverzüglich zugestimmt -, werden wir auch hier diesem Gesetzentwurf zustimmen. Das
ist nur konsequent. Wir werden uns beim Antrag der Unionsfraktion enthalten. Wir sind bei den Punkten inhaltlich
der gleichen Meinung wie die Union, aber die Positionen
gehen deutlich über diesen Kompromiss hinaus. Es wäre
einfach unfair, nun diesen Kompromiss wieder aufzuweichen.
Ich will einen zweiten Punkt nennen. Die Entschließung des Bundesrates hat eine ganz einfache Formulierung: Sie fordert die Wiedereinführung des halben Steuersatzes bei den Veräußerungsgewinnen. Ich hätte es für fair
und souverän gehalten, Frau Staatssekretärin - ich möchte
Sie bitten, dass Sie dies dem Herrn Bundesminister übermitteln -, wenn es dann genau so umgesetzt worden wäre,
wie es alle, die an dem Kompromiss beteiligt waren, nur
verstehen konnten. Das ist leider nicht geschehen. Die
selbstständigen Handelsvertreter sind von dieser Regelung ausgenommen worden; sie waren bei der vorherigen
Regelung einbezogen. Der Betrag ist von 15 Millionen
auf 10 Millionen DM reduziert worden. Zudem ist eine
Mindestbesteuerung beim Eingangsteuersatz eingeführt
worden. Das ist im Bundesrat nie zur Sprache gekommen.
Solche Tricksereien sind nicht in Ordnung; denn dann
kann man sich nicht mehr aufeinander verlassen.
({8})
Das sage ich auch für die Zukunft. Es kann immer wieder zu einer solchen Situation kommen. Wenn man sich
auf Absprachen nicht verlassen kann, dann muss man im
Bundesrat bereits die Gesetzgebungstexte verabschieden.
Das würde die Verfahren enorm erschweren. Ich bitte darum, dass solche Tricksereien in Zukunft nicht wieder
vorkommen. Das Gleiche gilt für die nur teilweise Wiedereinführung des Mitunternehmererlasses, der im
Bundesrat schon bei der vorherigen Sitzung beschlossen
worden war. Er ist aber nicht komplett umgesetzt worden.
Das sind nicht die gewichtigen Punkte, aber es geht um
die Fairness im Verfahren und um die Verlässlichkeit solcher Verabredungen.
({9})
Deswegen sage ich noch einmal: Dieser Kompromiss
ist ein Schritt nach vorne. Die Steuerreform führt zu dringend notwendigen Entlastungen. Die Diskriminierung
des Mittelstandes ist reduziert, aber sie bleibt in einem
ganz wesentlichen Punkt für einige Jahre erhalten: Die
Körperschaftsteuer wird ab dem 1. Januar 2001 auf
25 Prozent gesenkt, aber die entsprechenden Steuersenkungen bei der Einkommensteuer auf 42 Prozent werden
erst ab dem Jahre 2005 komplett vollzogen. Das ist für
viele Unternehmen eine lange Zeit, in der sie, wenn sie
mit Kapitalgesellschaften im Wettbewerb stehen, eindeutig benachteiligt sind.
Nun haben wir die neue Steuerschätzung gehört. Ich
freue mich: Die Sanierung der Haushalte - das ist gut kommt voran. Aber wir sollten dann die Gelegenheit nutzen - das kann ich Ihnen, die Sie die Mehrheit haben, nur
empfehlen -, die zeitliche Spreizung - es steht jetzt mehr
Finanzmasse zur Verfügung - zu verkürzen, damit diese
Diskriminierung nicht so lange bestehen bleibt, die manches kleine Unternehmen in Schwierigkeiten bringen
kann. Es wäre gut, wenn Sie das täten. Da Sie aller Voraussicht nach vor den Wahlen 2002 noch einiges tun
werden, um die Stimmung im Lande zu verbessern,
({10})
kann ich Ihnen nur empfehlen, diese Maßnahme in dieses
Paket einzubauen. Das kann Ihnen nutzen; das kann auch
den Mittelständlern nutzen. Dieser Maßnahme würden
wir nicht widersprechen. Das kann ich Ihnen heute schon
zusagen.
Lassen Sie mich abschließend noch eine Bemerkung
zu der Grundsatzrede, die der Bundesfinanzminister gestern an der Humboldt-Universität gehalten hat, machen.
Er hat sich dafür ausgesprochen, die Steuer- und Abgabenlast zu senken, die Staatstätigkeit zu begrenzen,
Freiräume für private und unternehmerische Initiativen
zu schaffen, das Steuerrecht zu vereinfachen, Subventionen abzubauen und Privatisierungspotenziale auszuschöpfen.
({11})
Das alles sind Positionen, denen wir gerne zustimmen.
({12})
Es klingt so, als wäre es aus dem Grundsatzprogramm der
F.D.P., den Wiesbadener Beschlüssen, abgeschrieben.
({13})
Die Botschaft hör’ ich wohl, allein, mir fehlt der
Glaube; denn wenige Tage zuvor hat der Bundesfinanzminister erklärt, bis zum Jahre 2006 kämen weitere Steuersenkungen nicht infrage. Das ist einerseits schon vermessen, weil er gar nicht weiß, ob er 2006 noch im Amt
ist. Im Jahre 2002 hat ja der Wähler das Wort. Andererseits widerspricht das auch seinen grundsätzlichen Überzeugungen.
({14})
Ich frage mich: Meint er es nun wirklich so? Dann muss
er natürlich den Weg einer weiteren steuerlichen Entlastung gehen, aber auch die Sozialpolitiker dabei unterstützen, Rentenreform, Gesundheitsreform, Reform der
Pflegeversicherung und andere Dinge so voran zu bringen, dass die Beiträge gesenkt werden können und damit
der Staatsanteil, so wie er es ja vorsieht, sinkt. Ich erkenne
noch nicht, dass Rot-Grün die hierfür notwendigen Maßnahmen ergriffen hätte. Da bleiben Sie einiges schuldig.
Deswegen kann ich Sie alle nur auffordern: Lesen Sie sich
noch einmal diese Grundsatzrede durch und entwickeln
Sie entsprechende Programme, aus denen hervorgeht,
dass diese Ziele wirklich verfolgt werden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({15})
Ich erteile jetzt das
Wort der Kollegin Barbara Höll, PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die zweite und
dritte Lesung des Steuersenkungsergänzungsgesetzes
wurde von Frau Kressl und Frau Scheel weidlich ausgenutzt, um die eigene Steuerpolitik zu loben.
({0})
Mein Sohn würde sagen: Es tropfte mächtig von der
Decke.
({1})
In der „Frankfurter Rundschau“ fand ich in einem
Kommentar zur Grundsatzrede des Finanzministers sehr
treffend das Problem aufgezeigt, welches Sie eben mit
Ihren Reden zu verschleiern suchten:
Zweifellos wird die Steuerreform, die unter Eichels
Federführung zustande kam, auch die nicht so klotzig Verdienenden entlasten.
Richtig.
Doch eine gerechtere Verteilung ist damit nicht
verbunden, weil Steuerzahler mit hohen Einkommen
überdurchschnittlich profitieren.
({2})
Auch wenn Sie die Steuern für alle senken, haben Sie das
Verteilungsproblem noch nicht angepackt, sondern vielmehr noch verschärft.
Wer sich nun einbildet, mit dem Steuersenkungsergänzungsgesetz würde dem Einhalt geboten, der sieht sich
leider bitter enttäuscht, denn das wichtigste Anliegen des
Gesetzes ist ja die weitere Absenkung des Spitzensteuersatzes von 43 auf 42 Prozent. Die weiteren Maßnahmen
werden den Bund und die Länder noch einmal 7 Milliarden DM kosten. Davon entfallen 3 Milliarden DM auf die
Länder, das heißt, sie werden hier zusätzlich wieder belastet.
Dass mit Ihrer Steuersenkungspolitik die Länder an die
Grenze ihrer Belastbarkeit kommen, wird sich in einer aktuellen Diskussion in der nächsten Woche zeigen, in der
es darum geht, wie sich die Länder daran beteiligen werden, die andere Seite Ihrer Finanzpolitik wieder sozial abzufedern, und zwar durch die Kompensation Ihrer Steuererhöhungspolitik in Form der Ökosteuer über die
Heizkostenpauschale und durch die Ausweitung und Erhöhung der Entfernungspauschale.
({3})
Das sollen ja die Länder wieder tragen. Mit Ihrer Politik,
einem Mix aus sozial ungerechter Steuersenkung und einer teilweisen Steuererhöhung, beschränken Sie natürlich
den finanziellen Spielraum, den Bund, Länder und Kommunen für wirklich wichtige Reformen benötigen.
Ich möchte hier in der allgemeinen Diskussion insbesondere auf die Rente hinweisen. Das Argument, dass die
Finanzbasis der Rentenkassen nicht mehr ausreicht und es
notwendig ist, das Rentenniveau abzusenken, ist ja für Sie
offenbar eine unumstößliche Wahrheit. Andererseits verzichten Sie als Regierungskoalition auf weitere Steuereinnahmen. Dann den Bürgerinnen und Bürgern die
private Vorsorge, mit der Sie die Absenkung des Leistungsniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung auffangen wollen, mit 20 Milliarden DM in Form von steuerlicher Förderung großzügig schmackhaft zu machen, ist
Dummenfang und wird auch bei der Bevölkerung nicht
klappen. Es wird ganz interessant sein, zu sehen, wie Sie
im nächsten Jahr die Nettolohnanpassung der Renten vornehmen werden. Wir sind gespannt, ob die steuerliche Familienentlastung dann auch bei Rentnerinnen und Rentnern ankommt.
Die Ungerechtigkeit Ihres Steuersenkungsgesetzes
setzt sich leider auch im Ergänzungsgesetz fort. Dies
betrifft nicht nur die weitere Absenkung des Spitzensteuersatzes um einen Prozentpunkt, sondern auch die nachträgliche Anerkennung dessen, dass man auch für Personenunternehmen - genau wie für Kapitalgesellschaften etwas tun muss.
Dass Sie mit der Absenkung des Körperschaftssteuersatzes auf 25 Prozent als Definitivbesteuerung insgesamt
eine Systemumstellung vornehmen, kostet die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bis zum Jahre 2004 60 Milliarden DM. Unser Vorschlag lautete: Die Definitivbesteuerung
ist zwar möglich, aber wenn sie eingeführt wird, sollte sie
mit einem progressiven Körperschaftssteuersatz verbunden
werden, damit zumindest in diesem Fall eine Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit erfolgt. Das wäre gerecht.
Um diese Regelung, die kleine und mittelständische Betriebe, die Personenunternehmen tendenziell schlechter
stellt, im Nachhinein zu rechtfertigen, haben Sie dem
Druck nachgegeben und sagen jetzt mit Hinweis auf das
Argument der Altersvorsorge, dass Sie bei der Steuerfreiheit von Gewinnen aus Veräußerungen von Kapitalgesellschaften nachbessern wollen, indem Sie für Personenunternehmen den halben Durchschnittssteuersatz in Bezug auf
Gewinne aus Betriebsveräußerungen und Betriebsaufgaben einführen wollen.
Selbst diese Regelung, die letztendlich eine nachträgliche Rechtfertigung für die Steuerfreiheit bei Kapitalgesellschaften ist, ist sozial ungerecht; denn der halbe
Durchschnittssteuersatz wird dann die Bezieher von
besonders hohen Gewinnen aus solchen Veräußerungen
überproportional entlasten. Deshalb halten wir diesen
Ansatz für das falsche Instrument. Es wäre notwendig
gewesen, weiter darüber nachzudenken, ob die bisherige
Form der Freibeträge und der Fünftelungsregelung weiter
auszubauen ist.
Eine alternative Lösung für eine tatsächliche Altersvorsorge auch von Unternehmerinnen und Unternehmern
wäre natürlich gegeben, wenn wir von neuem über eine
Rentenversicherungspflicht für alle diskutierten. Das ist
ein Feld, das wir auf alle Fälle noch beackern müssen.
({4})
Zum Abschluss möchte ich folgenden Gedanken beisteuern: Zwar ist die Zielstellung der Gleichbesteuerung
von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen Ihr
ausdrückliches Anliegen; allerdings haben Sie damit die
große Gerechtigkeitslücke immer noch nicht geschlossen,
die im Vergleich zu den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besteht, die steuerlich wesentlich höher belastet
werden, wenn sie Abfindungen erhalten, insbesondere in
höherem Lebensalter. Für diese Menschen sind solche
Abfindungen auch eine Altersvorsorge.
({5})
An dieser Stelle sollten Sie nicht warten, sondern ebenfalls zum 1. Januar 2001 aktiv werden.
({6})
Nehmen Sie Ihre Steuerpolitik und dieses Gesetzvorhaben doch noch einmal im Hinblick auf eine sozial gerechte Verteilung, die in der heutigen Zeit eine absolute
Notwendigkeit ist, unter die Lupe.
Ich danke Ihnen.
({7})
Ich erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Barbara Hendricks das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider ist Herr Michelbach nicht mehr
da, aber im Hinblick darauf, dass der Kollege
Dautzenberg nach mir sprechen wird, möchte ich zuvor
folgende Bemerkung machen: Diejenigen, die noch immer - trotz all unserer Maßnahmen, inklusive des
Steuersenkungsergänzungsgesetzes - in diesem Hohen
Hause, in der Öffentlichkeit oder wo auch immer behaupten, die Steuerreform 2000 benachteilige den Mittelstand, müssen sich irgendwie entschieden haben, nicht
schlauer werden zu wollen, als sie von Geburt aus sind.
({0})
Das ist für diese Menschen eigentlich schade; denn man
kann auf sie weder politisch noch pädagogisch einwirken.
({1})
Gleichwohl will ich diesen Versuch auch heute nicht aufgeben, politisch und, falls nötig, auch pädagogisch einzuwirken.
({2})
Die Zahlen sind eben objektiv so, und das kann man Ihnen auch ganz leicht vorrechnen.
Durch die Steuerpolitik der Koalition von SPD und
Grünen hat sich die Wahrnehmung Deutschlands in der
internationalen Öffentlichkeit sehr zum Positiven gewendet. „Der kranke Mann in Europa“ - so wurde Deutschland aufgrund des früheren Reformstillstands genannt hat sich vom Krankenbett erhoben. Deutschland ist auf
dem Weg der Genesung - Gott sei Dank. Wir tragen dafür
die Verantwortung.
({3})
Wir haben dem Patienten die Medizin verabreicht, die er
dringend brauchte: eine solide finanzierte, auf nachhaltige
Entlastung aller Steuerzahler gerichtete Steuerreform.
Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung hat seinerzeit den Reformstau lediglich noch verwaltet. Dagegen
wird schon nach der ersten Halbzeit dieser LegislaturpeDr. Barbara Höll
riode deutlich: Rot-grün ist die Reformschmiede
Deutschlands.
({4}) - Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Mit
„Reformstau“ wäre ich lieber ruhig, nach dem,
was ihr in der letzten Legislaturperiode geboten
habt!)
Mit unseren Reformen geht es in Deutschland endlich
voran. Unsere Steuerreform 2000 erfährt weltweit von
Praxis, Politik und Wissenschaft Lob und Anerkennung.
({5})
Die Kolleginnen Kressl und Scheel haben schon auf Arthur
Andersen hingewiesen. Ich kann auch auf den Deutschland-Bericht des IWF oder auf den Monatsbericht der
Deutschen Bundesbank, also auf unabhängige Expertenurteile hinweisen, die uns hohe Anerkennung zollen.
({6})
Heute soll dieses Reformwerk mit dem Steuersenkungsergänzungsgesetz einen Schlussstein mit einer weiteren mittelstandspolitischen Prägung erhalten. Deutschland hat sein schlechtes internationales Image, reformunfähig zu sein, übrigens überraschend schnell verloren.
Im internationalen Standortwettbewerb ist das vielleicht wichtiger, als den niedrigsten Steuersatz weltweit
aufbieten zu können, aber auch da sind wir fast Spitze,
wenn nicht sogar ganz; ich werde darauf noch zurückkommen.
({7})
In den vergangenen Jahren haben eine ganze Reihe
von europäischen Ländern Steuerreformen durchgeführt.
Nicht zuletzt dadurch stieg der Handlungsdruck auf
Deutschland weiter an. Grundausrichtung der Reformen
in Europa war und ist die Absenkung der Steuersätze bei
einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Prinzipiell sind wir uns da ja einig. Frau Kollegin Scheel hat
aber zu Recht darauf hingewiesen: Sie wollen immer nur
die eine Seite sehen. Sie wollen die Absenkung der Steuersätze; alle Maßnahmen aber, die wir - auch schon im
vergangenen Jahr - zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage ergriffen haben, wollen Sie rückgängig machen. Sie müssen sich dazu auch einmal bekennen.
({8})
Man kann nicht sozusagen das Ei essen und das Huhn zugleich braten. Man muss sich schon entscheiden, wie man
vorgehen will.
({9})
Wir haben uns der europäischen Linie angeschlossen.
Gleichzeitig haben wir das deutsche Steuersystem internationalen Anforderungen angepasst. Das international
unübliche Vollanrechnungsverfahren wird 2002 durch das
mit anderen Steuersystemen kompatible Halbeinkünfteverfahren ersetzt. Ich glaube, inzwischen hat sogar Herr
Kollege Merz verstanden, dass das nötig war. In den
90er-Jahren hat Deutschland den internationalen Steuerwettbewerb einfach nicht zur Kenntnis genommen. Das
deutsche Steuersystem geriet im internationalen Vergleich
immer weiter in Rückstand. Die Steuerreform 2000 hat
dies grundlegend verändert. Ab 2001 sinkt in Deutschland
die Steuerbelastung in einem großen, erheblichen Schritt.
Ich darf wegen Ihres Einwurfs, Herr Kollege
Heinrich - Sie haben gerade die Ungleichzeitigkeit bemängelt -, noch einmal sagen: Wir haben mit der Senkung
der Einkommensteuer schon im vergangen Jahr begonnen
und führen sie in diesem Jahr fort; im nächsten Jahr
kommt schon der dritte Schritt. Mit der Körperschaftsteuer fangen wir erst im nächsten Jahr an.
({10})
Diese Absenkung der Steuerlast erreichen wir in erster
Linie durch deutlich reduzierte Steuersätze.
Frau Kollegin
Hendricks, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
Ja. Bitte, Herr Kollege
Heinrich.
Sie haben mich provoziert,
Frau Staatssekretärin. Ich habe eine ganz besondere Branche im Auge, und zwar die Landwirtschaft. Bei der
Landwirtschaft haben Sie die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bereits vorgenommen; sie wirkt bereits
ab dem nächsten Jahr. Die Entlastungswirkung setzt aber
erst in vier bis fünf Jahren ein.
({0})
Wir haben hier also den Verzögerungseffekt, dass in den
nächsten Jahren etwa 100 Millionen DM jährlich zusätzliche Belastung entsteht - keine Entlastung. Der Ausgleich bzw. die Entlastung tritt erst im Jahre 2006 ein. Wie
bringen Sie das mit dem in Einklang, was Sie gerade gesagt haben?
Herr Kollege Heinrich, die
ganz große Zahl der landwirtschaftlichen Unternehmen in
der Bundesrepublik Deutschland ist eben als Personengesellschaft bzw. als Einzelunternehmen organisiert. Diese
profitieren schon seit dem vergangenen Jahr von der Absenkung des Eingangssteuersatzes und in diesem Jahr von
einer weiteren Absenkung des Eingangssteuersatzes und
von der Erhöhung des Grundfreibetrages. Sie profitieren
auch in diesem Jahr schon von einer Absenkung des Spitzensteuersatzes. Alle Steuerzahler, die einkommensteuerpflichtig sind - zu denen gehört die überwiegende Zahl
der Landwirte -, profitieren also schon seit dem vergangenen Jahr. Sollten landwirtschaftliche Unternehmen sich
als GmbHs organisiert haben, so werden sie erstmals im
nächsten Jahr profitieren.
({0}) - Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Un-
ter dem Strich bleiben 100 Millionen DM Be-
lastung! - Gegenruf des Abg. Detlev von
Larcher [SPD]: Das ist bestreitbar!)
Mit dem Steuersenkungsänderungsgesetz wollen wir
die Entschließung des Bundesrates vom 14. Juli 2000 umsetzen; Herr Kollege Solms hat darauf hingewiesen. Dazu
gehört die Absenkung des Spitzensteuersatzes bei der
Einkommensteuer in 2005 auf 42 Prozent.
Es gibt übrigens - ich bitte die Kolleginnen und Kollegen von der Union, besonders aufmerksam zu sein - nur
noch zwei Länder, die dann niedrigere Höchststeuersätze
als Deutschland haben werden, nämlich das Vereinigte
Königreich und Portugal. Auch die Vereinigten Staaten,
Japan oder andere Industriestaaten, die außerhalb Europas
mit uns in Konkurrenz stehen mögen, haben nicht niedrigere, sondern höhere Steuersätze. Die beiden genannten
Staaten - also Großbritannien und Portugal - haben einen
oberen Grenzsteuersatz von jeweils 40 Prozent. Er greift
aber wesentlich früher: in Portugal bei einem Einkommen
von 60 000 DM und in Großbritannien bei einem Einkommen von 66 000 DM. Bei dieser Größenordnung von
60 000 DM beträgt der obere Grenzsteuersatz bei uns in
der Bundesrepublik Deutschland 32,2 Prozent, nicht
40 Prozent. Bei einem Einkommen von 66 000 DM beträgt er 33,6 Prozent, nicht 40 Prozent. Bei uns greift
der obere Grenzsteuersatz von 42 Prozent erst bei
102 000 DM. Insgesamt gesehen haben wir damit auch
die niedrigste Spitzenbelastung in ganz Europa. Nehmen
Sie das bitte zur Kenntnis!
({1})
Aufgrund eines außerordentlich hohen steuerfreien
Existenzminimums von am Ende 15 000 DM - im Übrigen dem höchsten in ganz Europa - belassen wir den Bürgerinnen und Bürgern den im europäischen Vergleich
größten Anteil ihres Verdienstes zunächst unversteuert.
Hinzu kommt der sehr niedrige Eingangssteuersatz von
15 Prozent. Wir haben damit europaweit nicht nur die
günstigsten Bedingungen im unteren Einkommensbereich, wir sind auch im oberen Bereich das Land mit der
niedrigsten Steuerbelastung. Das müssen Sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen.
({2})
Die zweite Erwartung, die der Bundesrat an sein zustimmendes Votum zur Steuerreform 2000 geknüpft hatte,
war eine zusätzliche Mittelstandskomponente: die Einführung des halben Steuersatzes bei Betriebsveräußerungen und Betriebsaufgaben für aus dem Berufsleben
ausscheidende Unternehmer ab 2001.
Um daraus nicht erneut lukrative Steuersparmodelle
entstehen zu lassen - Frau Kollegin Scheel hat darauf hingewiesen -, kann diese Regelung einmal pro Unternehmer, und zwar ab dem 55. Lebensjahr, in Anspruch genommen werden. Das ist ein guter Kompromiss zwischen
den Wünschen des Mittelstandes, mit dem Betrieb eine
Altersvorsorge aufbauen zu können, und der Notwendigkeit, Steuerschlupflöcher zu schließen.
Ich darf kurz auf das eingehen, was Kollege Michelbach,
der leider nicht mehr da ist, dazu gesagt hat.
({3})
- Verständlich, das kann jedem von uns passieren.
({4})
Aber vielleicht können Sie es ihm ausrichten, damit er es
in Zukunft nicht wieder falsch behauptet.
Zum einen ist es so, dass 80 Prozent aller Veräußerungserlöse in der Bundesrepublik Deutschland bei weniger als 100 000 DM liegen. Die sind in Zukunft vollständig steuerfrei. Bisher waren bis 60 000 DM etwa
70 Prozent aller Veräußerungserlöse steuerfrei. Bei
100 000 DM steuerlichem Freibetrag sind etwa 80 Prozent aller Veräußerungserlöse vollständig steuerfrei.
({5})
Danach setzt dann der halbe durchschnittliche Steuersatz
ein, den wir allerdings tatsächlich - wem soll man das verübeln? - so angelegt haben, dass der Mindeststeuersatz
bei der Einkommensteuer gezahlt werden muss. Es ist
also keine neue Mindeststeuer eingeführt worden; vielmehr sollen auch bei Veräußerungsgewinnen mindestens
15 Prozent Steuern gezahlt werden,
({6})
so wie jeder Arbeitnehmer mit jeder ersten Mark, die er
über den Grundfreibetrag hinaus verdient, 15 Prozent
Steuern zahlen muss. Was soll daran falsch sein?
({7})
Zu dem Beispiel, das Kollege Michelbach gewählt hat:
Ein verheirateter Unternehmer mit 440 000 DM Veräußerungsgewinn würde nicht vollständig vom halben durchschnittlichen Steuersatz profitieren, weil er 15 Prozent
Einkommensteuer zahlen muss. Richtig! Wenn Sie jetzt
davon ausgehen, dass ein Veräußerungsgewinn immer nur
etwa die Hälfte des Veräußerungserlöses ausmacht - das
andere stand ja sozusagen schon in den Büchern -, dann
können Sie davon ausgehen, dass ein verheirateter Unternehmer mit 440 000 DM Veräußerungsgewinn im Schnitt
einen Erlös von rund 1 Million DM erzielt. Darauf muss
er dann rund 63 000 DM Steuern zahlen. Ist das unzumutbar? Er bekommt 1 Million DM und muss rund
63 000 DM bezahlen, weil wir ihm 15 Prozent von
440 000 DM abknöpfen. Ist das unzulässig? Nehmen Sie
doch die Zahlen einfach zur Kenntnis und hören Sie auf,
gegen den Mittelstand in der Bundesrepublik Deutschland Stimmung zu machen.
({8})
Wir sind uns der Bedeutung des Mittelstandes für unser Land bewusst. Wir haben genau in der Weise gearbeitet, wie der Mittelstand als Motor unserer Wirtschaft
sowie als Motor für Beschäftigung und Ausbildung es
verdient. Der Mittelstand hat es aber nicht verdient, von
Ihnen noch länger mit falschen Behauptungen übers Ohr
gehauen zu werden.
({9})
Wir stärken mit der Steuerreform die Binnennachfrage; alle Steuerzahler werden in der Zukunft mehr Geld
in der Tasche haben. Frau Kollegin Höll, die Steuerzahler
mit niedrigeren Einkommen werden relativ am stärksten
entlastet, natürlich nicht in absoluten Zahlen. Das ist die
Wirkung eines progressiven Steuertarifs. Aber der Anteil
ihres Einkommens, der zukünftig von Steuern freigestellt
wird, ist bedeutend höher als der entsprechende Anteil des
Einkommens Höherverdienender. Nur darum kann es gehen.
({10})
Das müsste auch Frau Kollegin Höll von der PDS erkennen; ich nehme auch an, dass sie es eigentlich weiß, sie hat
es hier nur nicht gesagt.
Wir haben also ein Steuergesetz beschlossen, von dem
alle profitieren. Es wird für alle Bevölkerungskreise eine
Entlastung geben und es ist die höchste Steuerentlastung
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Die Steuerschätzung weist für das nächste Jahr einen
Steuerzuwachs von 5,3 Milliarden DM auf und Finanzminister Eichel hat dazu gesagt: Trotz umfassender
Steuerentlastung ist die Finanzierung der wichtigen
Staatsausgaben nicht gefährdet. Daran sollten wir alle interessiert sein. Zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von
5,3 Milliarden DM im nächsten Jahr für Bund, Länder und
Gemeinden können aber keinen nennenswerten Spielraum für weitere Steuersenkungen eröffnen. Das müsste
jedem Kundigen klar sein.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Leo Dautzenberg von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Schmidt, Sie
können ja zuhören.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der
Vorlage des Steuersenkungsergänzungsgesetzes löst die
rot-grüne Bundesregierung nur teilweise ihre Zusagen aus
dem unechten Vermittlungsergebnis im Bundesrat vom
14. Juli dieses Jahres ein. Das nunmehr verabschiedete
Gesetz kann deshalb zu Recht als ein unzureichendes
Reparaturgesetz zur Unternehmensteuerreform und zur
Einkommensteuerreform bezeichnet werden.
Was jetzt repariert wird, war bereits im Mai bei der Verabschiedung im Bundestag bekannt. Wir von der
CDU/CSU-Fraktion hatten damals den besseren und
sachgerechteren Alternativvorschlag unterbreitet:
({1})
Gleichbehandlung aller Einkunftsarten mit deutlich
niedrigeren Steuersätzen, und zwar sowohl in der Eingangsbesteuerung mit 15 Prozent als auch in der Höchstbesteuerung mit 35 Prozent, und dies eben viel früher - nämlich bereits für das Jahr 2003 - als im Vorschlag von SPD
und Grünen, der dies erst zum 1. Januar 2005 vorsieht.
({2})
Frau Kollegin Scheel, wenn ich höre, dass Ihre Vorschläge damals damit begründet wurden, das Finanzvolumen reiche nicht aus, diese Schritte zu vollziehen, muss
ich feststellen, dass durch das Herauskaufen mancher
Vorstellungen im Bundesrat tatsächlich das Volumen von
65 Milliarden DM erreicht wurde, das auch Grundlage unserer Pläne zur Entlastung war.
Wir haben jetzt eine weitere Ungleichbehandlung zulasten der Arbeitnehmer und der mittelständischen
Unternehmen. Frau Staatssekretärin, Sie können noch
hundertmal behaupten, dass das nicht so ist,
({3})
aber ich muss klar feststellen: Wir haben diese Unterschiede, wir haben diese Spreizung und haben durch die
Zeitverzögerungen bei der In-Kraft-Setzung mancher Entlastungsmaßnahmen im Einkommensteuerbereich eine weitere Mitfinanzierung der mittelständischen Wirtschaft und
vor allen Dingen auch der Arbeitnehmer für die Maßnahmen, die Sie im Körperschaftsteuerbereich mit Ihrer Definitivbesteuerung im Umfang von 25 Prozent vollziehen.
Herr Kollege von Larcher, Sie wären der Anführer einer Revolution gewesen, wenn unter Helmut Kohl und
Theo Waigel beschlossen worden wäre, dass Kapitalgesellschaften ihre Beteiligungen im Grunde steuerfrei veräußern können, während der Handwerksmeister, der seinen Betrieb aufgibt, bei der Einkommensteuer weiterhin
mit seinem individuellen Steuersatz bis hin zum
Höchststeuersatz veranlagt wird.
Frau Kollegin Scheel, Ihre Äußerungen waren typisch
für Sie. Ich nehme an, dass Sie im Finanzausschuss
Stimmrecht haben.
({4})
Das, was Sie eben angekündigt haben, hätten Sie bereits
am Mittwoch, im Zusammenhang mit den von uns vorgetragenen Vorstellungen, beschließen können. Sie hätten
auch heute noch die Möglichkeit, das zu verabschieden,
was Sie angekündigt haben.
Wenn etwas - das ist typisch für Sie - im Ausschuss beraten und im Plenum verabschiedet worden ist, führen Sie
hinterher all diejenigen Ergänzungen des Steuerrechts
auf, die nach Ihrer Meinung auf jeden Fall noch vorgenommen werden müssten und für die Sie schon immer
eingetreten seien. Nehmen Sie Ihr Herz doch in beide
Hände und stimmen Sie einfach zu, wenn die Entscheidung ansteht, und versuchen Sie nicht immer wieder,
nachher darauf hinzuweisen, was noch alles hätte besser
gemacht werden können.
({5})
Mit Ihren Regelungen zur Bemessungsgrundlage für
Zuschlagsteuern haben Sie im Grunde Ihr eigenes Unvermögen, eine vernünftige Steuerreform durchzuführen,
eingeräumt, weil Sie mit der Verbreiterung der kirchensteuerlichen Bemessungsgrundlage versuchen, genau das
rückgängig zu machen, was Sie im Rahmen eines steuersystematisch falschen Ansatzes selber verursacht haben.
Dazu werden wir eine Erklärung zur Abstimmung über
den von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurf
abgeben.
Wesentliche Regelungen des Steuersenkungsgesetzes
sind - das gesteht dieser Entwurf ein - steuersystematisch
verfehlt und mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unvereinbar. Die
Korrektur der Fehler, die bei der Festlegung der kirchensteuerlichen Bemessungsgrundlage gemacht worden
sind, ist nur unter Inkaufnahme zusätzlicher Belastungen
für die durch das Steuersenkungsgesetz bereits jetzt benachteiligten Personengruppen möglich.
Die Rückgängigmachung der Gewerbesteueranrechnung verschärft die ohnehin zu große Spreizung zwischen Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen
und hat bis zum Jahre 2004 eine Erhöhung der kirchensteuerlichen Grenzbelastung gewerblicher Einkünfte zur
Folge.
Die Rückgängigmachung des Halbeinkünfteverfahrens stellt eine besondere Härte für die schon durch
den körperschaftsteuerrechtlichen Systemwechsel benachteiligten Kleinaktionäre dar.
Die CDU/CSU-Fraktion kann dem Gesetzentwurf deshalb nur unter Zurückstellung schwerwiegender steuerpolitischer Bedenken zustimmen. Ausschlaggebend für unsere Zustimmung ist allerdings der Wunsch, die Finanzbasis der Kirchen zu sichern und ihnen die Erfüllung ihres gesellschaftspolitisch unverzichtbaren Auftrages auch
in Zukunft zu ermöglichen.
({6})
Die Kirchen dürfen nicht zu den Leidtragenden einer bereits im Ansatz verfehlten Steuerpolitik werden.
Das war die Erklärung zu unserem Abstimmungsverhalten, die ich Ihnen, Herr Präsident, überreichen darf.
So viel zur Regelung der Bemessensgrundlage für Zuschlagsteuern.
({7})
Ich möchte jetzt - inhaltlich und formal - auf das Beratungsverfahren zum so genannten Reparaturgesetz eingehen.
Ich weiß nicht, was die Vertreter der Regierungsfraktionen in der im Finanzausschuss durchgeführten Anhörung wahrgenommen haben.
({8})
Nach meiner Wahrnehmung haben alle Sachverständigen
und Anzuhörenden, bis auf einen, nämlich den Vertreter
des DGB, Herrn Wehner, alles, was Sie vorgeschlagen haben, in Bausch und Bogen zurückgewiesen und für verfehlt erklärt.
({9})
Wenn ich mir das Verhalten gerade der SPD-Kollegen
und der Grünen-Kollegen im Fachausschuss vor Augen
führe, dann muss ich feststellen: Ich habe selten erlebt,
dass sich ein Ausschuss frei gewählter Palamentarier zum
Abnickgremium entwickelt hat, wie es der Finanzausschuss getan hat.
({10})
All die Korrekturen, die Sie jetzt vornehmen, hatten
wir schon sowohl in der Anhörung als auch im Rahmen
des Gesetzgebungsverfahrens im Mai eingebracht. Sie haben im Grunde permanent gegen besseres Wissen beschlossen und müssen jetzt wieder reparieren. Das ist der
Tatbestand, um den es heute geht.
({11}) -
Detlev von Larcher [SPD]: Ist doch al-
bern!)
Wir konnten uns darauf verständigen - dafür haben
wir gesorgt; das ist vielleicht das einzig positive Ergebnis der Beratungen -, dass der Aktien- und Aktienderivatehandel, den Sie zuerst im Zuschlagsteuergesetz regeln wollten - aus steuersystematischer Perspektive
wäre es wesentlich besser gewesen, wenn das im Steuersenkungsergänzungsgesetz geregelt worden wäre -,
um keine anderen steuerrechtlichen Änderungen vornehmen zu müssen - Sie haben es ja im Vermittlungsausschuss Mitte dieses Jahres verschlimmbessert -, jetzt
im Investitionszulagengesetz geregelt wird. Damit wird
dem Wunsch der Kreditinstitute entsprochen, weiterhin
Verluste aus Aktiengeschäften verrechnen zu können,
und damit wird der Finanzplatz Deutschland in diesem
Bereich gesichert.
Den großen Wirtschaftsverbänden müssen wir deutlich
machen: Es kann nicht angehen, dass sie auf der einen
Seite der Definitivbesteuerung von 25 Prozent im Rahmen der Körperschaftsteuer zustimmen,
({12})
- nein, das tut nicht weh -, dass sie aber auf der anderen
Seite sagen, die Opposition sei dafür zuständig, die Nachteile auszugleichen, die mit diesem System verbunden
sind. Die Verbände müssen akzeptieren, dass wir manche
Positionen, die die großen Wirtschaftsverbände in der Anhörung vertreten haben, nicht übernehmen können, die
sich auf die andere Seite der Medaille, des Systemwechsels, beziehen.
({13})
Dass die Steuerreform eine permanente Aufgabe sein
wird, sieht man daran, dass im „Handelsblatt“ vom 8. November zu lesen war, dass Teile der Steuerreform gegen
das Grundgesetz verstoßen, dass das Halbeinkünfteverfahren das verfassungsrechtliche Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verletze. Warten wir einmal die Entscheidungen des Verfassungsgerichts in Bezug
auf diese spannenden Fragen ab!
Die jetzigen Korrekturen sind halbherzig und unzureichend. Wir haben die zukunftsweisenden Alternativen
vorgelegt und werden sie immer wieder neu vorlegen.
Dazu zählen die raschere und deutlichere steuerliche Entlastung aller Einkommensteuerzahler und die Wiedereinführung des halben durchschnittlichen Steuersatzes
entsprechend den Regierungsplänen, jedoch unter Einbeziehung der Arbeitnehmerabfindungen und der Ausgleichszahlungen für die selbstständigen Handelsvertreter. Dies darf nicht erst zum 1. Januar 2001 erfolgen,
sondern dies müsste - um den Vertrauensschutz zu wahren - rückwirkend ab dem 1. Januar 1999 gelten;
({14})
denn zu diesem Zeitpunkt haben Sie mit Ihrem so genannten Steuerentlastungsgesetz diese Schwierigkeiten
verursacht.
Dass wir weitere Erleichterungen für Umstrukturierungen von Personenunternehmen mithilfe einer besseren
Realteilung und des Mitunternehmererlasses brauchen,
möchte ich hier nur der Vollständigkeit halber erwähnen.
Was wir weiterhin brauchen, ist die Wiederheraufsetzung der so genannten Beteiligungsgrenze nach § 17 des
Einkommensteuergesetzes. Sie wurde ja durch Ihr Steuerentlastungsgesetz auf 1 Prozent gesenkt. Wie wollen Sie
der New Economy verpflichtet sein, wie wollen Sie erreichen, dass sich junge Leute und die so genannten Business Angels an diesen Unternehmen beteiligen, wenn Sie
gleichzeitig für den privaten Bereich die Beteiligungsgrenze auf 1 Prozent herabsetzen? Das ist ein kontraproduktiver Ansatz zu der von uns allen gewollten besseren
Grundlage für Existenzgründungen.
Eine Bemerkung zur kalten Progression. Frau Scheel,
Sie hatten behauptet, es gebe eine jährliche Entlastung
von 95 Milliarden DM. Diese Entlastung wirkt aber erst
ab 2005. Es liegen Berechnungen vor - der Kollege Rauen
hat in einer anderen Debatte zur Steuerreform schon darauf hingewiesen -, die belegen, dass es im Jahr 2005 für
die Einkommensteuerzahler trotz der Senkung der Steuersätze in den entsprechenden Schritten im Vergleich zur
heutigen Belastung zu einer Mehrbelastung von 0,5 Prozent kommt. Das ist die Wirkung der kalten Progression.
Es muss also in Form eines so genannten Tarifs auf Rollen oder einer jährlichen Anpassung sowohl der unteren
als auch der oberen Proportionalzone eine Dynamisierung
erfolgen, damit die Bürger bei der Einkommensteuer
tatsächlich entlastet werden. Wenn das geschieht, kann
man sich im Rahmen von Steuerreformdiskussionen
tatsächlich auf eine Tarifreform konzentrieren.
Da die rot-grüne Regierung unseren Vorstellungen von
Steuerpolitik nicht gefolgt ist, wird es zwangsläufig weitere Reparaturen geben müssen. Wir werden weiterhin für
eine moderne und zukunftsfähige Steuerreform eintreten
({15})
mit deutlicher Nettoentlastung für alle, Gleichbehandlung
aller Einkunftsarten, rechtsformgerechter Besteuerung und
Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Die
Diskussion zur Steuerreform wird auch zukünftig auf der
politischen Agenda stehen.
({16})
Ich erteile nun das
Wort dem Kollegen Detlev von Larcher, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein schöner
Tag für die Sozialdemokraten, für die rot-grüne Koalition
und für die Bundesregierung:
({0})
Wir setzen heute den Schlusspunkt unter die größte Steuerreform in der Geschichte der Bundesrepublik, indem
wir die Entschließung des Bundesrates, die er am 14. Juli
dieses Jahres aus Anlass der Zustimmung zu unserem
Steuergesetz gefasst hat, in ein Gesetz umwandeln. Dieser 14. Juli war ein Freudentag für die Republik, für die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Familien,
für Klein- und Großunternehmer sowie für den Mittelstand.
({1})
Alle haben sich gefreut - bis auf die CDU/CSU. Ich
kann mich noch sehr gut an die blassen Gesichter der Mitglieder der CDU/CSU an jenem Freitagnachmittag erinnern, als wir anlässlich einer Delegationsreise unterwegs
waren.
({2})
Sie waren über die erste peinliche Blamage ihres Fraktionsvorsitzenden Merz und ihrer Parteivorsitzenden, Frau
Merkel, betrübt.
Es ist mir allerdings bis heute unverständlich, wieso
Herr Merz, Frau Merkel und mit ihnen die ganze
CDU/CSU-Fraktion nach der während der 16 Jahre ihrer
Regierung mit den Bundesländern gemachten Erfahrung
glaubten, die Länder würden nicht aufgrund ihrer eigenen
Interessen entscheiden. War alles vergessen? Litten Sie,
meine Damen und Herren der CDU/CSU, unter kollektiver Verdrängung? Wissen Sie nicht, dass die Ministerpräsidenten in einem Eid geschworen haben, das Wohl ihres
Landes im Auge zu haben, und dass sie auf das Wohl der
CDU/CSU nicht eidlich verpflichtet sind? In den Tagen
danach kam es in Ihrer Partei zu einer sehr merkwürdigen
Debatte über die so genannten Abtrünnigen. Dies war ein
Sturm im Wasserglas, wie sich schnell herausstellte. Teilweise haben Sie sich wie Kinder benommen.
Herr Dautzenberg, Sie haben offensichtlich auch vergessen, welchen Einfluss Sie als Parlamentarier und Mitglied der entsprechenden Arbeitsgruppe während Ihrer
Regierungszeit hatten. Ich sehe Sie noch im Ausschuss
sitzen. Da wussten Sie nicht, was Sie dürfen, bevor Ihnen
das Ihre Regierung nicht gesagt hatte. Jetzt sagen Sie, wir
in der Fraktion hätten keinen Einfluss. Wir haben auf diesen Gesetzgebungsprozess viel mehr Einfluss gehabt, als
Sie jemals während Ihrer Regierungszeit hatten.
({3})
Insgesamt ist der Standort Deutschland heute attraktiver als vor zwei Jahren beim
- rot-grünen Regierungsantritt. Die Investitionsbedingungen haben sich deutlich verbessert. Das hat nicht nur zu
mehr Investitionen durch einheimische Unternehmen geführt, sondern vor allen Dingen auch dazu,
dass sich ausländische Unternehmen verstärkt in
Deutschland ansiedeln.
Wer hat dies gesagt? Der Präsident des DIHT, Hans Peter
Stihl, in der „Welt“ vom 24. Oktober 2000.
({4})
Auf die Frage nach dem Grund für diese Entwicklung
fügte Herr Stihl hinzu:
Die Steuerreform ist dafür verantwortlich, dass sich
die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft deutlich
gebessert haben.
So weit dieses Zitat.
({5})
- Warten Sie doch einmal ab!
Unbestritten ist es der Regierung Schröder in den vergangenen zwei Jahren gelungen, verkrustete Strukturen aufzubrechen und mit der Verabschiedung der
Steuerreform eine zentrale Weichenstellung für die
Zukunftsfähigkeit Deutschlands vorzunehmen. Diese
Reform bringt mit der Verwirklichung der Unternehmensbesteuerung und deutlichen Entlastungen für
den Bürger durch die Senkung der Einkommensteuer
positive Wirkungen für Wachstum und Beschäftigung. Damit ist ein erster großer Reformschritt zur
Modernisierung des Wirtschaftsstandortes Deutschland erfolgt.
So der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, Manfred Weber.
({6})
Ich glaube, diese paar Sätze sprechen für sich. Geben
Sie endlich Ihre kleinkarierte und nur noch parteipolitisch
begründete Kritik an unserer Steuerreform auf!
({7})
Freuen Sie sich mit uns über diese gelungene Reform!
Freuen Sie sich mit uns, dass wir endlich wieder ein kräftiges und stabiles Wirtschaftswachstum erreicht haben!
({8})
Freuen Sie sich mit uns, dass endlich wieder neue Arbeitsplätze geschaffen werden und die Arbeitslosigkeit kontinuierlich zurückgeht!
Heute setzen wir, wie gesagt, mit der abschließenden
Beratung des Entwurfes eines Steuersenkungsergänzungsgesetzes den Schlusspunkt unter die größte Steuerreform in der Geschichte der Bundesrepublik.
({9})
Bereits im nächsten Jahr werden die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen um rund 45 Milliarden DM
entlastet und mit der letzten Stufe der Tarifsenkungen im
Jahr 2005 wird das Entlastungsvolumen auf circa 80 Milliarden DM steigen.
Wie der Name schon sagt, handelt es sich hier um ein
Gesetz, das ein andere ergänzt. Deswegen möchte ich
kurz die wichtigsten Punkte des Steuersenkungsgesetzes,
um die es letztlich geht, nennen:
({10})
Die Körperschaftsteuer wird drastisch gesenkt und
die Privilegierung ausgeschütteter Gewinne wird beendet. Damit erhält Deutschland endlich ein modernes Unternehmensteuerrecht, das den Anforderungen der europäischen Integration und der Globalisierung gerecht
wird.
Für Personengesellschaften und Einzelunternehmer,
die nicht in den Genuss der Körperschaftsteuersenkung
kommen, sinkt nicht nur der allgemeine Einkommensteuertarif deutlich, sondern bei ihnen wird zusätzlich die Belastung durch die Gewerbesteuer pauschal mit der Einkommensteuer verrechnet. Damit werden auch für diese
kleinen und mittelständischen Unternehmen hervorragende steuerliche Rahmenbedingungen geschaffen.
Schließlich kommen alle Einkommensteuerzahler in
den Genuss weiterer Tarifsenkungen, mit denen wir den
Weg des Steuerentlastungsgesetzes konsequent weitergehen. Ganz besonders wichtig ist für mich, dass das steuerfreie Existenzminimum schrittweise auf 15 000 DM angehoben wird und der Eingangssteuersatz auf 15 Prozent
sinkt; er wird somit gegenüber dem Jahr 1998 fast halbiert. Der Spitzensteuersatz sollte schon ohne das Steuersenkungsergänzungsgesetz auf 43 Prozent sinken.
Eine solche Senkung der Steuersätze haben Sie, meine
Damen und Herren von CDU/CSU und F.D.P., zwar
immer angekündigt, aber nie in einem ernst gemeinten
Gesetzentwurf auf den Weg gebracht.
({11})
Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Sie haben viel geredet, wir handeln.
({12})
Ein durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer, der
verheiratet ist und zwei Kinder hat, wird im kommenden
Jahr 2 930 DM weniger
({13})
und im Jahr 2005 sogar 4 056 DM weniger an Steuern
zahlen als im Jahre 1998, Ihrem letzten Regierungsjahr.
Da freuen sich die Eltern von Peggy und die Mutter von
Alex.
({14})
Peggy und Alex werden sich ebenso freuen, wenn sie ihr
Studium beendet haben und zur großen Gemeinde der ehrlichen Steuerzahler gehören. Mit ihnen freuen sich Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
({15})
- Schreien Sie doch nicht immer dazwischen. Ich werde
Ihnen gleich noch etwas sagen. Dann werden Sie hoffentlich stumm.
({16})
So, wie es dem Bundesrat vorgelegt wurde, war das
Steuersenkungsgesetz für alle Steuerzahler, auch und gerade für kleine und mittelständische Unternehmer, ein
großer Gewinn.
({17})
Daran ändert auch nichts, dass das Handwerk und andere
mittelständische Unternehmen mit ihren Verbänden noch
nicht genug hatten.
({18})
Herr Michelbach hat ja immer noch nicht genug. Er ist ja
wirklich der Lobbyist in eigener Sache. - Es ist ja nicht
ungewöhnlich und auch völlig legitim, dass gesellschaftliche Gruppen versuchen, noch mehr für sich herauszuholen.
Mit dem Steuersenkungsergänzungsgesetz, das wir
heute beschließen werden, kommen wir diesen Wünschen
weit entgegen. Der Spitzensteuersatz sinkt im Jahr 2005
auf 42 Prozent und damit wie der Eingangssteuersatz um
insgesamt 11 Prozentpunkte gegenüber 1998. Mit der
Neuregelung der Besteuerung von außerordentlichen Einkünften stellen wir sicher, dass diejenigen Unternehmer,
die für ihre Altersversorgung auf den Verkauf ihres Betriebes gesetzt haben, steuerlich nicht über Gebühr belastet werden.
Dabei will ich auf zweierlei hinweisen: Erstens. Die
mit dem Steuerentlastungsgesetz geschaffene Fünftelungsregelung wird für viele Unternehmer auch zukünftig weitaus attraktiver sein als die Besteuerung mit dem
halben Steuersatz.
({19})
Zweitens. Mit der Beschränkung auf eine einmalige
Inanspruchnahme des Halbsteuersatzes und der Altersgrenze stellen wir sicher, dass diese Regelung auch
tatsächlich nur ihrem Zweck entsprechend eingesetzt
wird. Das Scheunentor für professionelle Steuersparer,
das der alte § 34 ESAG war, bleibt geschlossen. Das können Sie Herrn Solms, der leider weg musste, erzählen; er
hatte nämlich danach gefragt.
({20})
- Ich habe doch gesagt, er musste weg.
Nunmehr kann der Mittelstand nicht nur zufrieden
sein, nunmehr kann der Mittelstand jubeln. Und dies tut er
auch - anders, als Sie uns glauben machen wollen. In den
letzten Wochen habe ich in meinem Wahlkreis einige mittelständische Unternehmen besucht und auch intensive
Gespräche mit Vertretern des Handwerks geführt.
({21})
Sie alle schwanken zwischen Zufriedenheit und Begeisterung darüber, dass wir den Reformstau endlich auflösen.
Sie alle haben sich sehr zufrieden über unsere Steuerreform geäußert.
({22})
Der Geschäftsführer meiner Kreishandwerkerschaft
hat mir erklärt, er kenne keinen Unternehmer in unserem
Landkreis, der mit unserem Reformpaket nicht einverstanden sei.
({23})
Der jahrelange Stillstand in der Regierungszeit der Vorgängerregierung sei endlich überwunden. - Sie können
gerne nachfragen.
({24})
Für die Menschen in unserem Land hat diese Koalition
in nur zwei Jahren mehr geschafft als Sie, meine Damen
und Herren von der Opposition, in 16 Regierungsjahren.
Darum sage ich noch einmal: Heute ist ein guter Tag für
die rot-grüne Koalition und - was viel wichtiger ist - ein
guter Tag für unser Land und seine Menschen.
({25})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir stimmen über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Ergänzung des Steuersen-
kungsgesetzes, Drucksachen 14/4217, 14/4293 und
14/4547, Nr. 1, ab. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und PDS in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU und PDS angenommen.
Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses zum Antrag der CDU/CSU mit dem Titel
„Mittelstand entlasten - Steuersenkungsgesetz nachbes-
sern“, Drucksache 14/4547. Der Ausschuss empfiehlt un-
ter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf
Drucksache 14/4285 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU und PDS bei Stimmenthaltung der
F.D.P. angenommen.
Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Regelung der Bemessungsgrundlage für
Zuschlagsteuern, Drucksachen 14/3762 und 14/4546. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung angenommen.
Es gibt einige Erklärungen zur Abstimmung, die uns
schriftlich vorliegen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 22 a bis d auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine
Ostrowski, Carsten Hübner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Für eine sozial, finanziell und ökologisch nachhaltige Bundesverkehrswegeplanung
- Drucksachen 14/2262, 14/3904 Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich ({1})
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Gerhard Jüttemann, Rolf
Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Realisierung einer direkten Fernbahnverbindung zwischen den Bahnhöfen Berlin-Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg beim Ausbau des
Eisenbahnknotens Berlin
- Drucksache 14/3783 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3}) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Überzählige Diesellokomotiven der DB AG
nicht verschrotten, sondern weiterverwenden
- Drucksachen 14/1930, 14/2788 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Hasenfratz
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({4}) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski,
Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Beibehaltung der Reisezug-Verbindungen zwi-
schen Polen und Berlin
- Drucksachen 14/3191, 14/4121 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Wieland Sorge
Zu diesem Tagesordnungspunkt sind alle Reden bis
auf die Rede des Kollegen von der PDS zu Protokoll ge-
geben.1)
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Winfried Wolf.
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dies
ist ein schlechter Tag für die Bahn, für die rot-grüne Re-
gierung wie auch für Herrn Klimmt und Herrn Mehdorn.
Wir haben die aktuellen Schreckensmeldungen über die
Bahn gehört: Bis letzte Woche hieß es, die Bahn würde in
den nächsten Jahren Gewinne machen. Seit dieser Woche
wissen wir, dass die Bahn in die Verlustzone fährt. Bis zur
letzten Woche hieß es, dass die Bahn für Schienen-
strecken zusätzliche Mittel aus UMTS-Erlösen erhalten
sollte. Jetzt wissen wir, dass eine Finanzierungslücke von
17 Milliarden DM existieren soll. Und jetzt sagen alle, sie
seien überrascht, dass Herr Mehdorn externen Sachver-
stand des Beratungsunternehmens McKinsey in sein Un-
ternehmen holten musste.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
1) Anlage 21
In dieser Situation macht ein Blick ins Aktiengesetz
Sinn; dies gilt vor allen Dingen für die Parteien, die auf
diesem Gebiet versierter sind, nämlich für CDU/CSU und
F.D.P. Dort legen die §§ 93 und 116 fest, dass die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft
dazu verpflichtet seien, „bei ihrer Geschäftsführung die
Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden“.
Ich behaupte, es ist nicht sorgfältig und nicht gewissenhaft, wenn hier Milliardenbeträge über Jahre hinweg
nicht in der Bilanz auftauchen. Ich glaube nicht, dass man
sich mit dem Hinweis entschuldigen kann, dass man das
erst jetzt erfahren hätte.
({0})
Ich behaupte, dass die Bilanzen der Deutschen
Bahn AG seit der Gründung des Unternehmens auf tönernen Füßen stehen. Im Jahr 1993 belief sich das Anlagevermögen von Reichsbahn und Bundesbahn noch auf
106 Milliarden DM. Im folgenden Jahr wurde das Anlagevermögen der Deutschen Bahn AG schlagartig nur
noch auf 27,2 Milliarden DM taxiert. Der Vater der Bahnreform, Professor Aberle, hat darauf hingewiesen, dass
damit zunächst einmal Luft für einige Jahre Gewinnausweise geschaffen werde, dass dann aber die neuen Anlagen mit neuen Abschreibungen kommen würden und man
entsprechend in die Verlustzone fahren würde.
Mir liegt noch der Bericht des Bundesrechnungshofes
aus dem Jahr 1997, datiert auf den 21. Januar, vor. Darin
heißt es, dass
die von dem Unternehmen
- Deutsche Bahn AG dargestellten Erfolge im Wesentlichen ... auf erhöhten Leistungen des Bundes oder auf Ausweisveränderungen der DB AG beruhen. Das Betriebsergebnis
zeigt eine deutliche Verschlechterung gegenüber
dem letzten Jahr vor der Bahnreform.
Was war die Folge? Man hat dem Bundesrechnungshof
verboten, die Bahnbilanzen in Zukunft weiter zu taxieren.
Er durfte nicht mehr eingeschaltet werden. Man hat all
diese Ergebnisse nicht zur Kenntnis genommen.
Wenn jetzt Mehdorn und Klimmt mit „neuen“ Vorschlägen kommen, sage ich: Das sind die alten Vorschläge; das heißt, hier wird neuer Wein in alte Schläuche
gegossen. Wenn jetzt wieder gesagt wird, der Verkehr
solle stärker „konzentriert“ werden und die Belegschaft
müsse weiter reduziert werden, während man die eigenen
Gehälter verdreifacht, stelle ich fest: Das ist genau der
falsche Weg, der Weg, der in die jetzige Misere geführt
hat.
Ich weise darauf hin, dass es, wenn die mittlere Transportweite im Güterverkehr der Bahn bei 200 Kilometern
liegt, absurd ist, primär auf Züge über 400 Kilometer Entfernung über ganz Deutschland hinweg zu setzen. Ich
weise darauf hin, dass es, wenn 90 Prozent des Personenverkehrsaufkommen im Nahverkehr registriert wird und
bezogen auf die insgesamt zugelegten Kilometer immer
noch 50 Prozent auf den Bereich unter 50 Kilometern entfallen, völlig falsch ist, sich auf Korridore und Knoten zu
konzentrieren und damit das Hauptgeschäft der Bahn abzuschreiben.
({1})
Unser zentraler Antrag, der hier zur Debatte steht, fordert das Gegenteil. Wir setzen nicht auf Konzentration,
sondern wollen die Bahn als Flächenbahn erhalten und
weiter ausbauen. Wir sagen, dass keine Politik betrieben
werden darf, bei der jeweils am 31. Dezember des Jahres
festgestellt wird, dass die Straßenlänge in unserem Land
um 1 000 Kilometer erhöht wurde, während die Schienenlänge um 500 Kilometer reduziert wurde; außerdem
sollen noch ein halbes Dutzend Flugbahnen hinzukommen. Dazu sagt der Sachverstand der Verkehrsinitiativen,
dass, wer Straßen sät, Straßenverkehr ernten, und wer
Flugbahnen baut, Flugverkehr ernten wird.
Ich meine, dass die Strafe von 27 000 DM, zu der Herr
Klimmt voraussichtlich wegen Beihilfe zur Untreue verurteilt werden wird, Peanuts sind vor dem Hintergrund
der Bimbes-Affäre. Ich meine aber auch, dass die
Milliardensummen Verluste bei der Bahn, für die dieser
Verkehrsminister mit verantwortlich zeichnet, eine einzige Bankrotterklärung für die Deutsche Bahn AG und die
Verkehrspolitik des Bundes sind.
({2})
Nicht dem Aufsichtsratsvorsitzenden des FC Saarbrücken
Klimmt ist die rote Karte zu zeigen, sondern dem Verantwortlichen für diese verantwortungslose Verkehrspolitik
und Vertreter des Bundes als Eigentümer der Deutschen
Bahn AG.
Danke schön.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag
der Fraktion der PDS „Für eine sozial, finanziell und ökologisch nachhaltige Bundesverkehrswegeplanung“, Drucksache 14/3904. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/2262 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Gegenstimmen der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3783 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel „Überzählige Diesellokomotiven der DB AG nicht
verschrotten, sondern weiterverwenden“, Drucksache
14/2788. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1930 abzulehnen. Wer ist für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Die BeschlussempDr. Winfried Wolf
fehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag
der Fraktion der PDS zur Beibehaltung der Reisezug-Verbindungen zwischen Polen und Berlin, Drucksache
14/4121. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3191 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ist die Beschlussempfehlung angenommen worden.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 23 auf.
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines
Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung
des Abgeordnetengesetzes
- Drucksache 14/4241 ({0})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1})
- Drucksache 14/4560 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Uwe Küster
Eckart von Klaeden
Jörg van Essen
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/4564 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Jürgen Koppelin
Dr. Christa Luft
Hans Georg Wagner
Antje Hermenau
Hierzu sind die Reden zu Protokoll gegeben worden.1)
Wir kommen daher zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes auf Drucksache 14/4241. Der Ausschuss
für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt auf Drucksache 14/4560, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? Gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion der F.D.P.-Fraktion und von Teilen der
CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung eines Teils der
CDU/CSU ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf
ist bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen
angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes
und anderer Vorschriften ({3})
- Drucksachen 14/4062, 14/4368 ({4})
Beschlussempfehlung und Bericht des
Verteidigungsausschusses ({5})
- Drucksache 14/4548 Berichterstattung:
Abgeordnete Verena Wohlleben
Thomas Kossendey
Irmgard Karwatzki
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Damit sind
Sie einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Zuerst gebe ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Walter Kolbow das Wort.
Walter Kolbow, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung ({6}):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bedanke mich für den freundlichen Empfang am Freitag
Nachmittag, ich weiß ihn zu würdigen.
Der heute zu behandelnde Gesetzentwurf zur Änderung des Soldatengesetzes und anderer Vorschriften ist integraler Bestandteil der im Sommer dieses Jahres von der
Bundesregierung erfolgreich eingeleiteten Erneuerung
der Bundeswehr. Lassen Sie mich einige Neuerungen, die
mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verbunden sind,
hervorheben.
Die erste wegweisende Neuerung ist die Öffnung aller
Bereiche der Streitkräfte für Frauen. Die Bundesregierung verfolgt mit dem vorgelegten Gesetzentwurf das
Ziel, bis zum 1. Januar 2001 die gesetzlichen Regelungen
zu schaffen, die eine völlige Gleichbehandlung der
Frauen im täglichen Dienst sowie eine Einstellung und
Verwendung der Frauen allein nach den Kriterien der Eignung, Befähigung und Leistung sicherstellen.
Wesentliches Anliegen des Gesetzentwurfes ist es, alle
Vorschriften aufzuheben, die bisher die Verwendung von
Frauen in den Streitkräften beschränkt haben.
({7})
Vizepräsidentin Anke Fuchs
1) Anlage 22
Es soll künftig keinen Bereich der Streitkräfte mehr geben, der freiwillig Dienst leistenden Soldatinnen verschlossen bleibt.
({8})
Ich bedanke mich beim Parlament für die konstruktive
und doch in den meisten Punkten übereinstimmende Debatte zu diesem wichtigen Thema der Öffnung unserer
Bundeswehr für Frauen.
({9})
Ich möchte einen zweiten Baustein erwähnen, und
zwar die klare Regelung für Soldatinnen und Soldaten, die
ein kommunales Mandat ausüben. Darüber ist im Vorfeld
intensiv diskutiert worden und dafür besteht auch Verständnis. Aber die Bundesregierung hat sich bei dieser
Neuerung davon leiten lassen, dass auch die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte Verfassungsrang besitzt. Darauf
mussten wir besonders hinweisen, nachdem wir den Wandel von der Verteidigungsarmee in der bipolaren Welt zur
Einsatzarmee zu vollziehen hatten. Es ändert sich auch
in Bezug auf die Gesellschaft manches, wenn nicht sogar
vieles.
Die Neuerung trägt damit den gewandelten Aufgaben
der Bundeswehr Rechnung. Diese Neuregelung wird
allein im Bereich der Streitkräfte Anwendung finden und
nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zum Tragen
kommen. Die in den Gesetzentwurf aufgenommene Formulierung stellt dies auch unmissverständlich klar. Sie
schafft die rechtliche Voraussetzung, um eben in wenigen
Ausnahmefällen und lediglich, wenn ein geeigneter Ersatz nicht zur Verfügung steht, Mandatsträgerinnen und
Mandatsträger im Soldatenstatus auch dann einsetzen
zu können, wenn sie sich auf eine kommunale Mandatstätigkeit berufen. Darüber hinaus entscheidet dies allein
das Bundesministerium der Verteidigung.
({10})
Das Demokratieprinzip und das passive Wahlrecht der
Soldatinnen und Soldaten
({11})
werden hierdurch keinesfalls beeinträchtigt.
({12})
Durch den absoluten Ausnahmecharakter wird es für
die derzeit rund 1130 kommunalen Mandatsträger, die
sich im Status eines Soldaten befinden, keine durchgreifende Änderung der bisher geltenden Praxis geben. Die
Bundesregierung hat auch weiterhin größtes Interesse daran, dass Soldatinnen und Soldaten durch Ausübung eines
kommunalen Mandates das politische Geschehen unmittelbar mitgestalten und so die Integration der Bundeswehr
in das gesellschaftliche Gefüge unter Beweis stellen.
({13})
Herr Kolbow, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmanith? Bitte sehr, Herr Kollege.
({0})
Herr Staatssekretär, sind Sie tatsächlich der Meinung,
({0})
dass in einer Armee mit rund 320 000 Soldaten und
140 000 zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein
einziger Fall, der hier bisher zutage getreten ist, sofort
eine Gesetzesänderung erforderlich macht?
({1})
Herr Kollege Rossmanith, diese
Frage hat ja in der Debatte nicht nur in den Ausschüssen,
sondern auch in der Öffentlichkeit eine Rolle gespielt.
({0})
Wir haben uns selbstverständlich auch mit diesem Argument auseinander gesetzt und sind zu der Schlussfolgerung gekommen, dass wir, eben weil - das konstatiere
ich - 1995 nur ein Fall aufgetaucht ist und zu dem Beschluss eines Verwaltungsgerichtes geführt hat, diesen
Fall zum Anlass nehmen sollten, um für die Zukunft eine
Regelung zu treffen. Bei 8 000 Soldatinnen und Soldaten
im Einsatz können wir nie ausschließen, dass sich so etwas wiederholt.
({1})
Sie lassen hier Folgendes anklingen. Ich als ehemaliger
Kommunalpolitiker kann das Argument von Kommunalpolitikern und Verbänden gut verstehen, wonach das kommunale Ehrenamt dadurch beschnitten werden solle.
({2})
Das ist eben nicht der Fall. Es soll eher gestärkt denn geschwächt werden
({3})
durch diese Regelung, weil Rechtsklarheit hergestellt ist.
({4})
Gestatten Sie mir eine Anmerkung eines ehemaligen
Stadtrates aus einer kleineren Großstadt: Es ist eben nicht
unbedingt so, dass in größeren Städten, gerade in Ballungszentren, ein Ehrenamt ein reines Ehrenamt ist.
({5})
Denn in großen Städten gehen die Anforderungen, die ein
Mandat mit sich bringt, schon in Richtung Hauptamtlichkeit. Dies wird im Übrigen auch durch Aufwandsentschädigungen und Sitzungsgelder belegt.
({6})
Ich meine, dass Regelungen in Bezug auf die Problematik der Urlaubsversorgung für kommunale Mandatsträger keinen Eingriff - ich darf das noch einmal unterstreichen, weil uns wichtig ist, das deutlich zu machen in die kommunale Selbstverwaltung sind, wie es verschiedentlich dargestellt worden ist. Hierzu - auch das
muss herausgestellt werden - kann sich die Bundesregierung auch auf die Stellungnahme des Bundesrates zu dem
Gesetzentwurf der Bundesregierung berufen.
({7})
Der Bundesrat verteidigt zweifellos die kommunalen Interessen mit aller Entschiedenheit. Als bayerischer Bundestagsabgeordneter weiß ich das doch auch von der in
diesem Fall zustimmenden Staatsregierung, Herr Kollege
Rossmanith, die
({8})
in der Entschiedenheit der Verteidigung auch diese vorgesehene Regelung mitträgt.
({9})
Herr Kollege Rossmanith, im Ausschuss ist ja auch darüber gesprochen worden, wie die Versagung einer
Tätigkeit nach Beendigung eines Dienstverhältnisses im
Zusammenhang mit § 20 a Soldatengesetz zu sehen ist.
Wir haben darauf hingewiesen, dass diese Regelung mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf für Soldaten auf Zeit
bereits gelockert wird und dass es auch bisher schon
äußerst wenige Fälle gegeben hat, in denen ein Verbot
überhaupt ausgesprochen worden ist. Abgesehen davon
hat das Bundesverwaltungsgericht selbst die bisherige
stringentere Fassung des § 20 a Soldatengesetz als verfassungsrechtlich unbedenklich bezeichnet. Gleichwohl
- das haben wir in den Ausschussberatungen zu diesem
Problembereich ebenfalls deutlich gemacht - werden wir
uns einem Dialog über die Auswirkungen dieser Vorschrift insbesondere auf Soldaten auf Zeit nicht verschließen. Hierauf haben wir uns - ich wiederhole es, damit wir das auch wieder aufnehmen können - in der
Sitzung des Verteidigungsausschusses am 8. November 2000 verständigt. Diese Problematik ist allerdings für
die Soldaten nur im Kontext des gesamten öffentlichen
Dienstes zu betrachten.
Als letztes bedeutsames Element des Gesetzentwurfes
erwähne ich die Neuregelungen, die zur Flexibilisierung
des Dienst- und Statusrechts der Soldatinnen und Soldaten beitragen sollen. Hierbei ist die Bundesregierung
von der Überlegung ausgegangen, dass angesichts der
notwendig werdenden Verschlankung der Streitkräfte
auch das Regelwerk zur Personalführung unserer Soldatinnen und Soldaten effizienter gestaltet werden muss.
So sollen die Vorschriften über die Zurruhesetzung der
Berufssoldaten dahin gehend geändert werden, dass auch
diese wie schon jetzt die Beamten nicht mehr lediglich zu
zwei bestimmten Terminen im Jahr, sondern monatlich in
den Ruhestand versetzt werden können. Auch sollen Berufssoldaten, deren militärische Ausbildung mit einem
Studium oder einer Fachausbildung verbunden war, künftig ihre Entlassung in bestimmten Fällen erst nach Ableistung einer erhöhten Mindestdienstzeit, die studien- oder
ausbildungsbedingten Besonderheiten Rechnung trägt,
verlangen können. Schließlich sind neue Vorschriften vorgesehen, mit denen Berufssoldaten grundsätzlich zur Erstattung ausbildungsbedingter Kosten verpflichtet werden. Von dieser Verpflichtung werden lediglich die
Berufssoldaten ausgenommen, die aus gesundheitlichen
Gründen entlassen werden müssen.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes und anderer Vorschriften ist, wie ausgeführt, sachgerecht und
notwendig. Er unterstützt die auf den Weg gebrachte Reform der Bundeswehr. Die beabsichtigten Neuerungen
belegen die Anpassung an wichtige gesellschaftliche Entwicklungen ebenso wie das Bestreben nach mehr Flexibilität und Effizienz. Die Bundesregierung stellt damit ihre
Bemühungen um fest in der Gesellschaft verankerte sowie zukunftsfähige Streitkräfte unter Beweis. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung zu dem Gesetzentwurf.
Danke schön.
({10})
Nun hat der Kollege
Paul Breuer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Mit der heutigen Beratung des Soldatengesetzes setzen wir einen vorläufigen Schlusspunkt
in der jahrelangen Diskussion um Frauen und Bundeswehr.
({0})
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben der Änderung von
Art. 12 a des Grundgesetzes zugestimmt und damit deutlich gemacht, dass auch wir die Öffnung der Bundeswehr
für Frauen auf freiwilliger Basis sowie unter der Voraussetzung von Leistung, Eignung und Befähigung wollen.
Frauen werden in der Bundeswehr in Zukunft gleichberechtigt mit den Männern Dienst tun können. Ab dem
neuen Jahr heißt das, dass den Frauen in der Bundeswehr
die gleichen Aufstiegschancen wie den Männern eröffnet
werden müssen. Um in einem altbekannten Bild zu bleiben: Ab dem neuen Jahr werden auch die Frauen bei der
Bundeswehr den Marschallstab im Tornister haben.
({1})
Ich will darauf verweisen, dass wir ehrlicherweise den
Frauen und allen anderen sagen müssen, dass es in Zukunft nicht nur Chancen, sondern auch Risiken geben
wird. Wir haben darauf zu verweisen, dass auch in den
Streitkräften unserer Partnerländer - in Armeen von Demokratien - Risiken für Frauen bestehen. Ich will nicht
verhehlen, dass bei uns in der Fraktion einige Kollegen
insbesondere hinsichtlich einer möglichen Verwicklung
von Frauen in Kampfeinsätze Bedenken haben.
Wenn man sich hierzu die großen Diskussionen, beispielsweise in unserem Partnerland Amerika anschaut,
dann wird man feststellen, dass es noch andere gesellschaftspolitische Risiken gibt, die auf die Frauen zukommen. Ich will deutlich sagen: Wir müssen das alles im
Auge behalten. Wir sollten vermeiden, die Fehler, die andere gemacht haben, in der Bundeswehr im Hinblick auf
den freiwilligen Einsatz von Frauen zu wiederholen.
Ein weiterer Bereich, der in diesem Entwurf zur Änderung des Soldatengesetzes angesprochen worden ist, ist
der Umgang mit Soldaten, die kommunale Mandatsträger sind. Das ist eine sehr sensible Frage. Jedem von uns
muss klar sein - Herr Kollege Kolbow, ich meine, bei Ihnen ist das nicht deutlich geworden -, dass ein wesentliches Element des Staatsbürgers in Uniform - das ist das
Leitbild, das wir von unseren Soldaten in der Bundeswehr
haben - nicht nur das aktive, sondern auch das uneingeschränkte passive Wahlrecht ist.
({2})
Ich will nicht - das würde zu weit führen - die deutsche Geschichte bemühen, die zu betrachten gerade in
diesem Haus sehr wichtig wäre. Soldaten haben das
aktive wie das passive Wahlrecht. Es kommt nicht von ungefähr, dass auch sozialdemokratische Kolleginnen und
Kollegen im Innenausschuss darauf verwiesen haben, mit
dieser Änderung bestehe die große Gefahr, das passive
Wahlrecht könne für Soldaten in Bezug auf kommunale
Parlamente eingeschränkt werden.
({3})
Dies wäre eine Attacke auf das Leitbild des Staatsbürgers
in Uniform.
({4})
- Wenn Sie sagen, das sei Unsinn,
({5})
dann will ich darauf verweisen, dass der Wehrbeauftragte
des Deutschen Bundestages, Ihr ehemaliger SPD-Kollege
Dr. Willfried Penner, von einer verfassungsrechtlichen
Bedenklichkeit gesprochen hat.
({6})
Ich sage Ihnen noch etwas dazu: Wir sollten einen
zweiten Gesichtspunkt betrachten, nämlich den, dass die
Bundeswehr eine Einsatzarmee ist. Die Frage der gesellschaftlichen Einbindung unter dem Gesichtspunkt, dass
die Bundeswehr jetzt eine Einsatzarmee ist, ist noch wichtiger als früher. Wenn Soldaten über lange Zeit hinweg
- vielleicht über Monate - in der Ferne Dienst tun müssen, dann ist das Problem der gesellschaftlichen Einbindung zu Hause - die Ausübung eines kommunalen Mandats gehört dazu - umso sensibler zu behandeln. Wenn Sie
unseren deutschen Soldaten, die heute auf dem Balkan
Dienst tun, das Signal geben, dass sie als Träger eines
kommunalen Mandats nicht mehr so wie früher erwünscht sind, dann ist dies hinsichtlich der Einbindung in
die Gesellschaft ein schlechtes Signal.
({7})
Noch absurder ist, dass Sie Ihren Gesetzentwurf dahin
gehend geändert haben, die gleiche Regelung für Beamte
nicht vornehmen zu wollen. Es war zunächst im Gesetzentwurf vorgesehen, dass dies auch für Beamte gelten
soll. Die Beamten sind ausgenommen. Wollen Sie jetzt
auch noch zu zweierlei Gesetzesgrundlagen für den öffentlichen Dienst kommen? Beamte als kommunale
Mandatsträger erster Klasse und Soldaten als kommunale
Mandatsträger zweiter Klasse? Das ist absurd, meine Damen und Herren.
({8})
Das kommende Jahr 2001 soll ja das Jahr des Ehrenamtes sein. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie einmal fragen, wie sie mit einem solchen Signal junge Soldaten, die ja Menschen wie alle anderen sind und voller
und gleichberechtigter Bestandteil dieser Gesellschaft
sein sollen, für derartige Ehrenämter gewinnen wollen.
Ich finde, dass hier ein großer Fehler gemacht wird.
Eine letzte Feststellung zu diesem Punkt: Die Neuregelung, dass nicht die Dienstvorgesetzten über die Ausübung eines kommunalen Mandates, wenn Konflikte
beispielsweise aufgrund eines Einsatzes im Ausland auftreten oder die Urlaubsgewährung gefährdet ist, entscheiden, sondern der Bundesverteidigungsminister,
({9})
ändert doch grundsätzlich überhaupt nichts daran, dass
über ein kommunales Mandat, das von den Bürgern verliehen wurde, von niemand anderem als vom Mandatsinhaber verfügt werden darf. Es darf keinen Fremden geben,
der dieses Mandat in welcher Weise auch immer einschränkt.
Ein weiterer Komplex, der im Soldatengesetz geregelt
wird, ist der Übergang ausgeschiedener Soldaten in zivile
Berufe, die in irgendeinem Zusammenhang mit der vorherigen Dienstausübung als Soldat stehen. Es ist
grundsätzlich wichtig, sich mit dieser Frage im Hinblick
auf die Gefahr des Missbrauchs von Wissen und der Korruption zu beschäftigen. Ich nehme die Anregung auf, die
der Kollege Kolbow hier gemacht hat - das war ja auch
Bestandteil der Beratungen im Verteidigungsausschuss -,
hier, obwohl wir nicht bei der alten Regelung bleiben können, heute noch keinen Beschluss zu fassen. Andererseits
weist das aber auch darauf hin, dass der hier zu beratende
Gesetzentwurf nicht außerordentlich gut vorbereitet worden ist.
Im Zusammenhang mit der Bundeswehrreform, die ja,
wie Sie ständig sagen, die größte Reform in der Geschichte der Bundeswehr sein soll,
({10})
- das werden wir noch sehen, Herr Kollege Kahrs; ich bezweifele das, ich befürchte eher, es wird eine Reformruine
sein ({11})
wird von Ihrem Minister Scharping immer darauf hingewiesen, dass eine stärkere Zusammenarbeit von Bundeswehr und Wirtschaft erfolgen solle.
({12})
Zu einer stärkeren Zusammenarbeit von Bundeswehr
und Wirtschaft gehört natürlich auch, dass Soldaten und
Menschen in der Wirtschaft stärker zusammenarbeiten.
Wenn man eine solche Konzeption propagiert, dann
müsste man beim Vorlegen von Gesetzentwürfen - das
merke ich kritisch an - doch vorher wissen, was man eigentlich will. Wenn man nicht dazu in der Lage ist, in den
im Gesetzesvorschlag vorgesehenen Vorschriften darauf
Rücksicht zu nehmen, dann zeugt das nicht von konzeptioneller Planung, sondern im Gegensatz von ziemlichem
Chaos.
Ich kritisiere nicht, dass Sie jetzt einsehen, dass etwas
getan werden muss - da stimmen wir mit Ihnen überein und dass man Soldaten helfen muss, im Anschluss an ihre
soldatische Verwendung Möglichkeiten und Perspektiven
im zivilen Bereich zu finden.
({13})
Meine Kritik lautet, dass Sie im Hinblick auf die Gesamtkonzeption offenbar außerordentlich überhastet gehandelt
haben. Das lässt sich im Soldatengesetz auch an anderen
Dingen belegen.
Sie haben im Zusammenhang mit dem Soldatengesetz
dem Bundesrat falsche Gesetzentwürfe zugeleitet. Es sind
dadurch auch bei den Beratungen im Deutschen Bundestag Verzögerungen eingetreten. In der Frage des freiwilligen Einsatzes von Frauen in der Bundeswehr ist es sogar
dazu gekommen, dass Bewerberinnen ihre Bewerbung
deshalb zurückgezogen haben, weil es für sie sechs Wochen vor geplantem Dienstantritt noch keine gesetzlichen
Grundlagen und keine Rechtssicherheit gab.
({14})
Zusammenfassend möchte ich sagen: Das Chaos bei
der Vorbereitung von Gesetzentwürfen und die daraus folgende Hast auch in der parlamentarischen Beratung sind
vermeidbar und müssen in Zukunft dringend vermieden
werden.
Ich bedanke mich.
({15})
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine
Fraktion begrüßt den Gesetzentwurf zur Änderung
des Soldatengesetzes, die wir heute zu verabschieden haben, ganz ausdrücklich. Diese Änderung schafft die
gesetzlichen Voraussetzungen für Frauen - Staatssekretär
Kolbow hat das ausgeführt -, nach Eignung, Leistung und
Befähigung zu allen Diensten in der Bundeswehr herangezogen zu werden oder sich freiwillig dafür zu entscheiden.
({0})
Diese Entscheidung wurde uns zwar vom Europäischen Gerichtshof nahe gelegt; trotzdem wurde von militärischen Planern anfangs versucht, die eine oder andere
Ausgrenzung von Frauen zu manifestieren. Wir haben das
im parlamentarischen Verfahren kritisiert. Das Ergebnis
ist genau das, was wir brauchen, um eine Diskriminierung
von vornherein auszuschließen. Frauen, die sich freiwillig für die Streitkräfte entscheiden, haben dort alle Rechte.
Das ist gut. Wir wollten es. Mit der Grundgesetzänderung
vor zwei Wochen haben wir es bestätigt.
In Zukunft haben Frauen, die sich für den Dienst in der
Bundeswehr entscheiden, die Verantwortung für einen
Einsatz in Krisen- oder sogar Kriegsgebieten zu tragen.
Die Diskussion darüber muss weitergeführt werden. Wir
stehen am Anfang und noch nicht am Ende, wie Sie eben
sagten, Herr Kollege Breuer. Wer sich dafür entscheidet,
Soldat zu werden, wird das auch verantworten. Wenn er
entschieden hat, dann wird er von seiner Entscheidung
nicht einfach zurücktreten.
Ich möchte unterstreichen, was die positiven Aspekte
dieser Entwicklung sind - ich weiß, dass gerade aus Ihrer
Fraktion einige darüber eher die Nase rümpfen -: Der
zukünftige Generalinspekteur kann eine Frau sein.
({1})
Ich fürchte, das wird etwas länger dauern und nicht der
nächste, sondern erst der übernächste Generalinspekteur
wird weiblich sein. Mit meiner Bemerkung will ich klarmachen, dass es Frauen gibt, die sich entschieden haben,
ihr Recht in Anspruch zu nehmen und ihre Laufbahn innerhalb der Streitkräfte durchzusetzen.
({2})
Für meine Fraktion will ich klar sagen: Wir sehen in der
Öffnung der Bundeswehr für die Frauen nicht die Gleichstellung der Frauen in der Gesellschaft per se. Es gibt nach
wie vor Diskriminierung, gerade im Erwerbsleben, insbesondere wenn es um höher dotierte Beschäftigungen geht.
Dort werden die Frauen weiter kämpfen. Dieses Gesetz ist
ein Schritt hin zur Normalität, der von vielen jungen
Frauen längst erwartet worden ist.
Wir Grünen haben das Prinzip der Freiwilligkeit
- trotz früherer Bedenken - in den Vordergrund gestellt.
Das Prinzip der Freiwilligkeit, das für die Frauen jetzt gilt,
wird aus unserer Sicht über kurz oder lang - wir hoffen:
kurz - genauso für Männer gelten müssen; denn keiner
kann überzeugend erklären, warum Frauen ihren Dienst
an dem Auftrag, den wir als Parlament erteilen, freiwillig
leisten können, während Männer dazu nach wie vor gezwungen werden.
({3})
Ich möchte noch etwas zu § 25 des Soldatengesetzes
sagen. Herr Kollege Breuer, ich glaube, dass hier etwas
unsauber argumentiert wird.
({4})
Faktisch ist es doch so, dass nach Weisungslage in der
Praxis der Disziplinarvorgesetzte das Recht hat, die kommunalpolitische Betätigung zu verweigern, weil er einen Anspruch für die Einsätze definieren kann.
Mit der Änderung des Soldatengesetzes sorgen wir
dafür, dass nicht mehr nur noch der Disziplinarvorgesetzte nach Gutdünken entscheidet. Wenn ein Disziplinarvorgesetzter meint, er brauche einen bestimmten Mann
oder eine bestimmte Frau im Rahmen der Streitkräfteeinsatzplanung, dann muss das Bundesministerium der
Verteidigung entscheiden. Die Hürde dafür, dass kommunalpolitische Betätigung versagt wird, legen wir weiter
nach oben. Das heißt, wir stärken das kommunalpolitische Engagement der Soldaten und Soldatinnen. Genau
das brauchen wir für die Stärkung der Idee des Staatsbürgers in Uniform.
({5})
- Nein, Sie sind nicht richtig informiert. Die gängige Praxis ist, dass die kommunalpolitische Betätigung versagt
wird, ohne dass wir davon wirklich etwas mitbekommen
haben.
({6})
Ich gehe davon aus, Herr Staatssekretär Kolbow, dass
nach der heutigen Verabschiedung des Gesetzentwurfs
auch die einschlägigen Weisungen geändert werden. Entsprechende Erlasse müssen der heutigen Debatte und der
heutigen Änderung des Soldatengesetzes folgen. Ich
glaube, dass sowohl die Soldaten, die sich kommunalpolitisch engagieren, als auch diejenigen, die daran noch
kein Interesse gefunden haben, durch diese Diskussion
verstärkt motiviert werden, kommunalpolitische Verantwortung wahrzunehmen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Jetzt hat der Kollege
Dirk Niebel, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
({0})
Das sehen die Kollegen in meinem Hauptausschuss ein bisschen anders. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
Änderung des Soldatengesetzes bildet den Abschluss und
ist die endgültige Umsetzung dessen, was die F.D.P. seit
vielen Jahrzehnten gefordert hat.
({0})
- Auch Sie haben sich damals gesträubt, Herr Kollege. Es geht darum, dass Frauen freien Zugang zu allen Laufbahnen in der Bundeswehr bekommen. Ich finde es doch
sehr befremdlich und geradezu heuchlerisch,
({1})
wenn ausgerechnet die Kollegin Beer hier so tut, als habe
sie das schon immer gewollt. Nach dem Magdeburger
Wahlprogramm sind Sie immer noch für die Abschaffung
der Bundeswehr.
({2})
Ungeachtet dieses Umstandes ist es dennoch gut, dass wir
mit der Umsetzung im Soldatengesetz die laufbahnrechtlichen Beschränkungen aufheben, sodass das
letzte geschlechtsspezifische Berufsverbot in der Bundesrepublik tatsächlich fällt. Die sprachlichen Anpassungen
sollten wir allerdings aufgrund der Erfahrungen mit anderen, ähnlich revolutionären Ereignissen zumindest redaktionell begleiten. Ich kann mir vorstellen, dass noch das
eine oder andere Problem in der Umsetzung auf uns zukommt.
Die Frage, inwieweit das passive Wahlrecht von Soldatinnen und Soldaten beschränkt werden kann, ist eine
ganz zentrale Frage in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Bundeswehr als Parlamentsarmee lebt unter anderem
von der Verankerung in der Gesellschaft. Der Soldat als
Staatsbürger in Uniform ist Ausdruck des demokratischen
Selbstverständnisses der Streitkräfte. Aus diesem Grunde
wäre der vorgelegte Gesetzentwurf für uns eigentlich
nicht zustimmungsfähig gewesen, hätte nicht der Verteidigungsausschuss den von uns eingebrachten Änderungsantrag übernommen.
({3})
Die Verantwortung für den politischen Abwägungsprozess, ob der Einsatz Vorrang vor der Ausübung des
Mandates haben muss, soll vom Einheitsführer auf den
Bundesminister der Verteidigung verlagert werden. Der
Kollege Günther Nolting hat den Antrag gestellt, § 25
Abs. 3 Soldatengesetz entsprechend zu verändern. Das
macht auch Sinn, denn der Einheitsführer kann bei der
Entscheidung über die Frage, ob der Einsatz gefährdet
werden könnte, wenn eine bestimmte Person nicht dabei
wäre, selbstverständlich nicht völlig objektiv handeln. Er
muss ja immer das Gefühl im Hinterkopf haben, dass der
geschlossene Einsatz der Einheit womöglich gefährdet
werden könnte. Die Verlagerung auf den obersten
Dienstherren wird bei insgesamt 1 125 Betroffenen auch
nicht zu einer Überlastung des Bundesverteidigungsministeriums führen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beer?
Nein, bei Frau Kollegin Beer mache ich das nicht.
({0})
Dies wird dazu führen, dass ein politischer Abwägungsprozess stattfinden kann. Das ist fundamental
wichtig. Man muss - das kann der Einheitsführer im
Zweifelsfall nicht - schon unterscheiden, um welche
Mandatsträger es sich handelt; denn es ist ein Unterschied, ob ein Stadtrat einer derzeit vielleicht noch etwas
größeren Fraktion in den Auslandseinsatz gehen muss
oder ob der Stadtrat einer derzeit kleineren Fraktion, die
vielleicht nur ein Mandat hat, in den Auslandseinsatz gehen muss. Letzteres hätte nämlich zur Folge, dass die Partei, wenn sie im kommunalen Bereich weiterhin politisch
in Erscheinung treten wollte, auf dieses Mandat hätte verzichten müssen. Ich traue dem Bundesministerium der
Verteidigung ohne weiteres zu, diesen Abwägungsprozess
durchzuführen. Deswegen war die Änderung, die wir
durchgesetzt haben, wichtig.
({1})
Es ist ein guter Tag für die Frauen in diesem Land. Es ist
ein Tag der Verantwortung für die Soldatinnen und Soldaten, die sich in unserem Gemeinwesen engagieren. Wir
werden diesem Gesetzentwurf zustimmen.
({2})
Vielen Dank.
({3})
Jetzt hat der Kollege
Johannes Kahrs, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit ihrem
Beschluss vom 14. Juni die grundlegende Neuausrichtung
der Bundeswehr eingeleitet. Mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit haben wir daraufhin in der vergangenen
Plenarwoche Art. 12 a Grundgesetz geändert. Es wurde
auch, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, insbesondere Herr Breuer, Ihren Wünschen
nach einer rechtlichen Klarstellung entsprochen. Eine
Wehrpflicht für Frauen ist mit der gefundenen Formulierung ausdrücklich ausgeschlossen.
Die Änderung des Soldatengesetzes und anderer Vorschriften ist notwendig, damit die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, Frauen zum 1. Januar 2001
Zugang zu allen Teilstreitkräften der Bundeswehr zu ermöglichen. Heute nun sind die gesetzlichen Voraussetzungen in der Folgegesetzgebung abschließend in zweiter
und dritter Lesung zu beraten und es ist darüber zu entscheiden. Im Zusammenhang damit werden auch offene
Sachverhalte bereinigt, die eben dieser notwendigen Einsatzfähigkeit der Bundeswehr entgegenstünden.
Lassen Sie mich aufgrund meiner knappen Redezeit
({0})
nur zwei Punkte des gelungenen Gesetzentwurfes unserer
Bundesregierung herausstellen: Erstens. Frauen wird der
ungehinderte Zugang in alle Bereiche der Streitkräfte gewährt. Die dafür vorgesehenen Änderungen im Soldatengesetz sind gelungen und entsprechen den Notwendigkeiten voll und ganz.
({1})
Frauen müssen die gleichen Einstellungsvoraussetzungen
wie Männer erfüllen. Einzig Eignung, Leistung und Befähigung entscheiden über das Einsatzspektrum der
Bewerberinnen; und nichts anderes.
({2})
Bislang haben sich 1 200 Frauen für den freiwilligen
Dienst in der Bundeswehr gemeldet. Das ist ein guter Ansatz und bestätigt unseren Reformkurs. Um die Zahl zu erhöhen, müssen wir weiter aktiv Werbung betreiben und
die Attraktivität der Bundeswehr für Frauen - auch außerhalb des Sanitätsdienstes - deutlicher in den Vordergrund
stellen.
Wir alle wissen auch, dass mit diesem Gesetz nicht alle
Probleme gelöst sind. Es wird natürlich eine Zeit dauern,
wir werden Probleme haben und gemeinsam daran arbeiten, aber am Ende wird sich alles regeln. Wichtig ist, dass
wir hier einen Anfang gemacht haben; es ist ein klarer, genauer und überfälliger Ansatz. Das möchte ich auch dem
Kollegen von der F.D.P. sagen.
({3})
Zweitens. Eine weitere, ganz wichtige Klarstellung betrifft § 25 Soldatengesetz. Meine Damen und Herren von
der CDU/CSU-Fraktion, die Änderung des § 25 Abs. 3
Soldatengesetz stellt für den betreffenden Soldaten bzw.
die betreffende Soldatin keine Gefährdung hinsichtlich
der Ausübung ihrer kommunalen Mandate dar.
({4})
Das wollen wir auch gar nicht. Vielmehr begrüßen wir die
Übernahme kommunaler Mandate durch Soldaten und
Soldatinnen. Als Kommunalpolitiker kann ich das nur unterstützen.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmanith?
In Anbetracht der kurzen
Redezeit verzichte ich darauf. Danke.
({0})
Die Übernahme kommunaler Mandate durch Soldatinnen und Soldaten ist Ausdruck der gewollten Einbindung
der Streitkräfte in den Staat und die Gesellschaft. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen keineswegs; das hat
auch der Rechtsausschuss unzweideutig klargestellt. Jeder, der die Stellungnahme gelesen und sie verstanden hat,
kann dies nachvollziehen.
Unser Entwurf führt daher mitnichten zu einer Aushöhlung des Demokratieprinzips oder des passiven Wahlrechts; denn Urlaub zur Ausübung eines kommunalen
Mandates kann nach unserem Entwurf nur versagt werden,
wenn nach einer eingehenden Abwägung den Interessen
des Dienstherrn gegenüber denjenigen der kommunalen
Selbstverwaltung ausnahmsweise der Vorrang einzuräumen ist.
({1})
Die hohe Bedeutung des Mandates der kommunalen
Selbstverwaltung wird somit besonders herausgestellt.
Durch die Formulierung „nur“, Herr Breuer, wird die Abwägung verschärft und präzisiert.
Der Änderungsantrag der Regierungskoalition - ({2})
- Ich sagte: der Regierungskoalition, Frau Kollegin Beer;
dazu zählt nicht die F.D.P.
({3})
- Dass die F.D.P. vieles nachahmt, ist in Ordnung; sie ist
ja im Gegensatz zur CDU lernfähig.
Der Änderungsantrag der Regierungskoalition kodifiziert eindeutig, dass die Höherbewertung des dienstlichen
Interesses nur die Ultima Ratio sein kann. Nur wenn der
Bundesminister der Verteidigung, unser Rudolf Scharping,
({4})
keinen geeigneten Ersatz stellen kann, wird der Urlaub
versagt werden können. Hierdurch kann auch denjenigen
entgegengetreten werden, die befürchten, dass der einzelne Disziplinarvorgesetzte vor Ort diese Interessenabwägung vornimmt. Der Bundesminister der Verteidigung
gewährleistet hier im Einzelfall die qualifizierte Entscheidung.
Meine Damen und Herren von der Opposition, um es
für Sie nochmals ganz deutlich zu machen: Unser Entwurf
bedeutet eine klare Verbesserung der bisherigen Rechtslage. Die Ausübung des kommunalen Mandates wird gestärkt.
({5})
In der Vergangenheit konnte der zuständige Disziplinarvorgesetzte selber aufgrund der damals geltenden Erlasslage des Bundesministers - Ihrer Erlasslage - den Urlaub
versagen.
({6})
Jetzt kann er nur noch genehmigen oder ist gezwungen,
die Entscheidung dem Bundesverteidigungsminister vorzulegen.
Meine Damen und Herren, als Sie an der Regierung waren, haben Sie es ganz anders gehalten. Herr Dr. Wichert
hat doch an Herrn Bohl geschrieben, dass - im Auftrag
des Herrn Bundeskanzlers aus der Kabinettssitzung vom
18. Dezember 1995 - nach Möglichkeiten gesucht werden
soll, zu verhindern, dass sich Berufs- und Zeitsoldaten unter Berufung auf ein kommunalpolitisches Mandat einem
Auslandseinsatz der Bundeswehr entziehen. Was Sie hier
veranstalten, ist doch heuchlerisch.
({7})
Wir haben dafür gesorgt, zu einer vernünftigen Regelung
zu kommen, die das kommunalpolitische Mandat stärkt.
Damit verfolgen wir ein anderes Ziel als das, welches die
Damen und Herren von der CDU/CSU, als sie mit an der
Regierung waren, beabsichtigt haben. Mit unserer Regelung wird das kommunalpolitische Mandat gestärkt.
Vielen Dank.
({8})
Herr Kollege Breuer,
Sie wollten eine Zwischenfrage stellen, jetzt haben Sie
das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Machen Sie sich keine Sorgen, dass ich zu lange Ausführungen mache, aber ich
möchte die letzten Ausführungen von Herrn Kahrs zum
Anlass nehmen, auf eine Verantwortung hinzuweisen, die
Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von den Fraktionen
von SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen, in besonderer
Weise haben, nämlich nicht der Regierung bei jeder Frage
willenlos hinterher zu laufen. Notwendig ist, dass Sie Ihre
Verantwortung wahrnehmen und aktiv gestalten.
({0})
Nehmen Sie sie doch wahr!
Herr Kollege Kahrs, ich bin fest davon überzeugt - ich
will in diesem Punkt auch meine Kollegen, auch die Kommunalpolitiker, mit in Anspruch nehmen -, dass es in der
CDU/CSU-Fraktion, wenn sie an Ihrer Stelle gewesen
wäre, keine Mehrheit für einen solchen Entwurf der Regierung gegeben hätte, weil wir eine Partei sind, die kommunale Selbstverwaltung sehr hoch hält.
Ich halte es außerdem für problematisch, dass Sie hier
aus internen Vorgängen der alten Regierung zitieren. Dies
hat in keiner Zeitung gestanden; aber das ist eine andere
Frage. Wenn es so gewesen sein sollte, wie Sie es schildern, bin ich davon überzeugt: Bei einer Regierungsmehrheit von CDU/CSU im Deutschen Bundestag wäre dies in
Wahrnehmung der Verantwortung des Parlamentes nicht
beschlossen worden.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich neige dazu, es dabei bewenden zu lassen und die Debatte über diesen Punkt hier abzuschließen,
da wir uns bemühen, den parlamentarischen Ablauf zu beschleunigen. Es ist unfair, wenn wir einige ermuntern,
ihre Rede zu Protokoll zu geben, und die Debatte dann
ungebührlich ausdehnen.
({0})
Deswegen lasse ich das hier so stehen und erteile der Kollegin Heidi Lippmann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion wird ebenso
wie die CDU/CSU-Fraktion den vorliegenden Entwurf
zur Änderung des Soldatengesetzes ablehnen.
({0})
Ginge es ausschließlich um die Anpassung einiger Paragraphen angesichts der Gleichstellung von Frauen in der
Bundeswehr, würden wir uns - ebenso wie bei der Grundgesetzänderung - mehrheitlich enthalten, da es sich hierbei weder um einen Sieg der Gleichberechtigung noch um
den Wegfall des letzten Berufsverbots handelt.
({1})
Ob sich Frauen künftig an Kampfeinsätzen oder an Bombardierungen von Zielen, wie zum Beispiel in Jugoslawien, beteiligen wollen, kann jede Einzelne freiwillig für
sich entscheiden; im Unterschied zu ihren männlichen
Kollegen, die sich entscheiden müssen. Das Festhalten an
den Zwangsdiensten für Männer bei gleichzeitiger Freiwilligkeit für Frauen hat weder mit Gleichberechtigung
noch mit Gleichstellung zu tun,
({2})
sondern dient lediglich - das wissen wir ja - der Verbreiterung der Rekrutierungsbasis. Schaffen Sie die Wehrpflicht ab, dann werden Sie wenigstens in Ihrer formalen
Argumentation glaubwürdiger.
Ausschlaggebend für unsere Ablehnung ist insbesondere die geplante Änderung des § 25 Soldatengesetz, die
eben für so viel Aufruhr gesorgt hat. Es mutet schon
äußerst eigenartig an, dass eine Regelung, die den Gedanken des „Staatsbürgers in Uniform“ und seine Integration in die Gesellschaft besser verkörpert als kaum eine
andere, gerade von einer rot-grünen Regierung in Friedenszeiten derart beschränkt werden soll. Das dienstliche
Interesse der Bundeswehr - wenn auch nur ausnahmsweise - höher zu bewerten als die freie Mandatsausübung
ist ein massiver Eingriff in ein Grundrecht, der weder in
Art. 17 a des Grundgesetzes noch in Art. 20 des Grundgesetzes vorgesehen ist. Ganz im Gegenteil: Er widerspricht dem Grundsatz, wonach die Exekutive die Legislative nicht einschränken darf.
Nicht nur die Enquete-Kommission zum bürgerschaftlichen Engagement sieht dies ähnlich, auch der Rechtsausschuss hat uns aufgefordert, das Verhältnis zwischen
der Einsatzbereitschaft von Soldaten und der Beurlaubung zur Ausübung eines kommunalen Mandates unter
dem Aspekt einer - ich betone das - präziseren Güterabwägung zu überprüfen.
({3})
Auch der Bundeswehrverband und der Städte- und Gemeindetag, Herr Zumkley, lehnen die Gesetzesänderung
ab, da sie nicht nur eine Beschränkung bei der Mandatsausübung, sondern auch bei der Wählbarkeit von Soldaten befürchten.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungskoalitionen, die Einzigen, die daran glauben, dass es sich
bei dieser Ausnahmeregelung nicht um eine Beschränkung handelt, sind Sie, einschließlich der Regierungsvertreter. Kein Soldat nimmt an, die Änderung würde eine
Stärkung des kommunalen Mandats bewirken. Ganz im
Gegenteil.
Hinzu kommt, Kollege Kahrs, dass künftig auch Länder
und Gemeinden dem Beispiel des Verteidigungsministeriums folgen können und nach Art. 137 Grundgesetz die
Wählbarkeit ihrer Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes beschränken können. Dies gilt es ebenso zu
verhindern wie eine weitere Militarisierung der Gesellschaft
durch die Schaffung von Sondergesetzen für Soldaten, die
den Gedanken des Staatsbürgers in Uniform verletzen.
Danke schön.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir stimmen über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes und anderer Vorschriften ab, Drucksachen 14/4062, 14/4368 und 14/4548. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Der
Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und
PDS in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - GegenPaul Breuer
probe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist gegen die
Stimmen von PDS und CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ({0})
- Drucksachen 14/4061, 14/4450 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 14/4549 Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Dr. Susanne Tiemann
Helmut Wilhelm ({3})
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler
Ich eröffne die Aussprache. Die Reden sind alle zu Pro-
tokoll gegeben.1) Deshalb schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze, Drucksachen 14/4061, 14/4450 und 14/4549. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen von PDS, F.D.P. und
CDU/CSU in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
dritter Beratung angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung einer Dienstleistungsstatistik und
zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften
- Drucksache 14/4049 ({4})
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({5})
- Drucksache 14/4459 Berichterstattung:
Abgeordnete Detlev von Larcher
Hansgeorg Hauser ({6})
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.
Ich eröffne die Aussprache. Die Reden sind alle zu Pro-
tokoll gegeben.2) Deswegen schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Einführung einer Dienstleistungsstatistik und zur Ände-
rung statistischer Rechtsvorschriften, Drucksache 14/4049.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 14/4552 vor, über den wir zuerst ab-
stimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Gesetzentwurfs
in der Ausschussfassung, Drucksache 14/4459. Wer
stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung?
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenom-
men.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist gegen
die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. in dritter Bera-
tung angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschließung.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 5 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung
des Bundeswahlgesetzes
- Drucksache 14/4497 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ich eröffne die Aussprache. Die Kollegen Harald
Friese und Dr. Max Stadler wollen reden. Die übrigen
Redner geben ihre Reden zu Protokoll.3) Dann gebe ich
jetzt dem Kollegen Friese das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich danke zunächst den
Kolleginnen und Kollegen, die an diesem späten Freitagnachmittag noch anwesend sind. Das ist ein gutes Zeichen.
({0})
Lassen Sie mich zu dieser Debatte eine Bemerkung
machen. Wir waren der Auffassung, dass im Rahmen der
ersten Lesung keine Debatte erforderlich sei. Die
CDU/CSU hat aber auf einer Debatte bestanden. Dann hat
sie erklärt, dass sie ihre Reden zu Protokoll gibt. Das ist
wirklich eine Pervertierung des Parlamentarismus. Parla-
Vizepräsidentin Anke Fuchs
1) Anlage 23
2) Anlage 24 3) Anlage 25
mentarismus bedingt nämlich Debatten und nicht den
Austausch von Reden, die zu Protokoll gegeben werden.
({1})
Aber damit muss man leben; wir können dies.
Lassen Sie mich kurz auf das Jahr 1998 zurückkommen. Der Deutsche Bundestag hat am 13. Februar 1998
eine komplette Wahlkreisreform beschlossen, die erforderlich wurde, weil der Bundestag in der nächsten
Legislaturperiode verkleinert wird. Niemand rechnete vor
zweieinhalb Jahren damit, dass wir heute wieder über eine
Wahlkreisreform reden. Wir tun dies nicht aus Freude an
der Sache, sondern weil wir handeln müssen. Die Bevölkerungsverteilung in Deutschland hat sich nämlich so
entwickelt, dass die gesetzliche Notwendigkeit besteht,
die Wahlkreise neu zuzuschneiden.
Erster Punkt. Wir haben eine Bevölkerungswanderung von den neuen in die alten Bundesländer, die dazu
führt, dass die neuen Bundesländer weitere zwei Wahlkreise verlieren. Die Zahl der Wahlkreise geht für das
Bundesland Sachsen von 21 bei der Bundestagswahl 1998
auf 17 zurück, für das Bundesland Sachsen-Anhalt ergibt
sich ein Rückgang von 13 auf 10 Wahlkreise. Zwei der
Wahlkreise, die jetzt zusätzlich verloren gehen, wachsen
Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg zu.
({2})
Das heißt, es bestand die Notwendigkeit, die Wahlkreise
in diesen vier Bundesländern neu zuzuschneiden.
Wir ziehen die Konsequenzen aus der Bevölkerungswanderung deshalb, weil wir ein hohes verfassungsrechtliches Risiko im Rahmen eines Wahlprüfungsverfahrens
eingehen würden, wenn wir dies nicht machen würden.
Denn das Bundeswahlgesetz ist im Jahr 1998 derart verschärft worden, dass die Zahl der Wahlkreise nach Möglichkeit dem Bevölkerungsanteil der Bundesländer entsprechen muss und nicht soll, wie es früher war. Es
handelt sich also um eine Muss-Vorschrift. Die Folge daraus ist, dass die Zahl der Überhangmandate, die vom
Bundesverfassungsgericht nur geduldet werden, damit
zwangsläufig zurückgehen muss.
Die Folgen für die Arbeit der Abgeordneten aus den
neuen Bundesländern sind allerdings schwerwiegend. Es
wird sehr große Wahlkreise geben. Diesen Punkt werden
wir in der zweiten und dritten Beratung noch vertiefen
müssen. Die Wanderungsbewegung macht eines deutlich:
Wenn sie anhält, dann werden die neuen Bundesländer
noch sehr große strukturelle Probleme bekommen. Es verlassen nämlich gerade die dynamischen und die jungen
Menschen die neuen Bundesländer, während die alten und
die sozial schwachen Menschen bleiben. Durch diese
Wahlkreisreform wird also ein gravierendes Problem für
den Aufbau Ost entstehen. Ich glaube, wir sind uns des
Problems in dieser Deutlichkeit noch gar nicht bewusst.
Zweiter Punkt. Es gibt eine Wanderungsbewegung
zwischen den Großstädten und Verdichtungsräumen und
dem Umland, also dem so genannten Speckgürtel. Auch
an dieser Stelle mussten wir Korrekturen vornehmen, weil
wir ansonsten in den Wahlkreisen eine Überschreitung der
gesetzlich zulässigen Abweichung von 25 Prozent gehabt
hätten. Man muss also die Konsequenzen in Form der Änderung des Bundeswahlgesetzes ziehen.
Wir wollen keine umfassende Reform. Wir beschränken uns in diesem Gesetzentwurf auf das, was wir tun
müssen, wobei wir die Wahlkreiskontinuität und die Einhaltung der Grenzen kommunaler Gebietskörperschaften
besonders berücksichtigt haben. Dieses war unsere Richtschnur.
({3})
Im Falle von Mannheim muss ich Ihnen sagen, Herr
Kollege Niebel: Wenn wir den Zuschnitt der Wahlkreise
in Baden-Württemberg so gelassen hätten, dann hätte der
alte Wahlkreis Mannheim eine Unterdeckung von
30,8 Prozent gehabt. Das ist vom Gesetz her schlicht und
einfach nicht zulässig.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt anführen. Die
SPD-Fraktion hat am 13. Februar 1998 angekündigt, dass
sie die teilweise willkürlichen Wahlkreisentscheidungen,
die damals von der Mehrheit in diesem Hause getroffen
wurden, rückgängig machen wird, wenn sie in der nächsten Legislaturperiode die Möglichkeit dazu hat. Die Möglichkeit dazu haben wir nun. Deshalb wird mit diesem Gesetzentwurf die Rücknahme der von uns als willkürlich
zugeschnitten angesehenen Wahlkreise vorgenommen.
Ich nenne beispielsweise die Zuschnitte der Wahlkreise
München-Mitte, Mannheim, Köln, Essen-Mülheim und
Coesfeld-Steinfurt. Diese Regelung werden wir rückgängig machen und auf Grundlage der Anträge, die wir 1998
gestellt haben, ändern.
Meine Damen und Herren, wir bieten der Opposition
offene und faire Gespräche an. Wir wollen an der alten
und guten Tradition dieses Hauses anknüpfen, Fragen des
Wahlrechts und des Wahlkreiszuschnittes einvernehmlich
zu regeln. Es wäre ein gutes Zeichen für den Deutschen
Bundestag, wenn die einstimmige Zustimmung Ausdruck
dieses Miteinander im Gesetzgebungsverfahren würde.
Vielen Dank.
({4})
Nun bitte ich um Aufmerksamkeit für den Kollegen Dr. Max Stadler, F.D.P.Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen
und Herren! Auf den eigentlichen Grund, warum ich
mich am Ende dieser Plenarsitzung noch zu Wort melde,
werde ich am Schluss meiner kurzen Ausführungen zu
sprechen kommen. Zunächst einmal bleibt festzustellen,
dass wir vor vier Wochen schon einmal über das Wahlrecht gesprochen haben und dass bei dieser Gelegenheit
von unserer Seite leider kritisiert werden musste, dass
die Regierungsfraktionen das, was die Bevölkerung im
Zusammenhang mit dem Wahlrecht eigentlich interessiert,
überhaupt nicht aufgreifen, nämlich die Frage, wie angesichts des Vertrauensverlustes in Bezug auf die Parteien
mehr direkte Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger
verwirklicht werden könnte, zum Beispiel durch Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide auch auf
Bundesebene und durch die Einführung halboffener Listen.
({0})
Diese Kritik bleibt aufrechterhalten. Aber ich füge
hinzu: Es ist berechtigt, dass Sie in dem heute vorliegenden Gesetzentwurf nur ein Thema aufgreifen, nämlich die
Neugliederung der Wahlkreise. Denn dieses Thema ist so
schwierig, dass es in einem eigenen Entwurf abgehandelt
und nicht mit anderen Themen belastet werden sollte. Zudem werden wir nächste Woche auf Antrag der PDS sowieso schon wieder über die strukturellen Fragen des
Wahlrechts sprechen.
Was die Neugliederung der Wahlkreise anbelangt, so
weiß jeder, dass es hier auch um Machtfragen geht. Da
wird danach geschielt, was für die einzelnen Parteien
günstig ist. Das betrifft natürlich insbesondere die großen
Parteien. Dennoch stelle ich für unsere Fraktion fest, dass
wir im Großen und Ganzen mit den gemachten Vorschlägen einverstanden sein können.
Aber es gibt auch ernst zu nehmende Kritik. Der Kollege Dirk Niebel hat mich zum Beispiel darauf aufmerksam gemacht - das scheint mir überzeugend -,
({1})
dass es in Bezug auf den Wahlkreis Heidelberg nicht hingenommen werden kann, dass 11 von 13 Gemeinden aus
dem bisherigen Wahlkreis herausgelöst werden sollen.
Das beträfe die Hälfte der Bevölkerung dieses Wahlkreises. Hier erscheint uns der Vorschlag der Landesregierung
Baden-Württemberg überzeugender, nämlich einen neuen
Wahlkreis im Bereich Enz-Kreis und Rastatt einzuführen.
({2})
Ähnliches gilt für Krefeld. Dort ist die noch von der alten Regierungsmehrheit vorgenommene Neueinteilung
von der Bevölkerung nicht akzeptiert worden. Es läuft
eine Verfassungsbeschwerde. Ich finde, jetzt ist Gelegenheit, dieses Problem aufzugreifen. Denn es kann nicht
sein, dass eine Großstadt wie Krefeld keine eigene Vertretung im Bundestag hat. Wir sind für einen Wahlkreis
Krefeld; das sollten wir korrigieren.
({3})
Nun aber zu dem Grund, warum ich mich zu später
Nachmittagsstunde überhaupt noch zu Wort gemeldet
habe.
({4})
- Herr Kollege Schmidt, warten Sie ab. Ich will doch gerade etwas Freundliches über die SPD sagen. Seien Sie
nicht so voreilig! - Es hat vonseiten der CDU/CSU im
Laufe des Verfahrens erhebliche Kritik an der Vorbereitung dieses Gesetzgebungsvorhabens gegeben. Für die
F.D.P. möchte ich ausdrücklich feststellen, dass wir keinen Anlass haben, uns über das Verfahren, das Kollege
Friese im Vorfeld der Beratungen durchgeführt hat, zu beklagen.
({5})
Wir sind vom Kollegen Friese zu jedem Zeitpunkt über
die geplanten Änderungen ausreichend informiert worden. Es hat sich Gelegenheit ergeben, bei ihm im Vorfeld
kritische Anmerkungen anzubringen. Zum Beispiel sollten
ausgerechnet aus meinem Wahlkreis Passau vier Gemeinden völlig systemwidrig in den Wahlkreis Deggendorf
umgegliedert werden. Meinen überzeugenden Gegenargumenten ist Kollege Friese gefolgt.
Man sieht, er ist zur Zusammenarbeit fähig. Ich hoffe,
dass sich das in den Ausschussberatungen fortsetzt, damit
wir auch bei anderen strittigen Punkten, von denen ich
hier zwei zur Diskussion gestellt habe, also Krefeld und
Heidelberg, in der Sache zu einer vernünftigen Lösung
kommen.
({6})
Damit schließe ich
die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes
auf Drucksache 14/4497 an den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich danke denjenigen, die hier geblieben sind, und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf
Mittwoch, den 15. November 2000, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen allen ein schönes, terminarmes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.