Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, auf unserer Zuschauertribüne hat der
schweizerische Bundespräsident und Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, Herr Bundesrat Adolf Ogi, Platz
genommen. Ich begrüße ihn und heiße ihn herzlich willkommen.
({0})
Michael Glos
Nun erteile ich dem Kollegen Peter Struck, Vorsitzender der SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Da ich den Kollegen Adolf Ogi sehe und mich gut
an Fußballspiele erinnere, die wir zusammen gemacht haben, möchte auch ich ihn herzlich willkommen heißen.
Ich bedauere sehr, Herr Kollege Ogi, dass Sie gerade
keine besonders hervorragende Rede in diesem Parlament
miterlebt haben. Das ändert sich vielleicht noch.
({0})
Aber ein Gutes hat Michael Glos. Mittwochmorgen um
neun Uhr ist er in der Lage, innerhalb von fünf Minuten
richtig Stimmung in dieses Haus zu bringen. Dafür bedanke ich mich recht herzlich. Mit Substanz hatte das, was Sie,
Herr Kollege Glos, gesagt haben, aber nicht viel zu tun.
({1})
Eigentlich sind Sie in Ihrer Rede mit uns sehr freundlich umgegangen, wenn ich an den Umgangston denke,
der zurzeit in Ihren Reihen herrscht.
({2})
Herr Schäuble hat Herrn Kohl eine Intrige mit krimineller
Energie vorgeworfen. Herr Kohl hat Herrn Schäuble der
Lüge bezichtigt. Zu dem so genannten Tagebuch unseres
Altbundeskanzlers darf ich mir eine Bemerkung erlauben:
Ich finde das, was sich der Bundeskanzler a. D. erlaubt,
nichts weiter als peinlich, meine sehr verehrten Damen
und Herren.
({3})
Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller hat
beim CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Inkompetenz
festgestellt, wenn es um die Fragen des Asyls geht. CSUGeneralsekretär Goppel hat Herrn Müller deshalb sofort
als Exoten bezeichnet. Der neue CDU-Generalsekretär
Laurenz Meyer hat seinen Vorgänger Polenz einen Missgriff genannt. Richtig unappetitlich wird es, wenn sich der
Kollege Zeitlmann einschaltet und über Frau Süssmuth
unverschämterweise behauptet, sie habe vom Thema Zuwanderung so viel Ahnung wie eine Kuh von einer Nähmaschine. Es ist schon dreist, was sich Ihre Mitglieder erlauben.
({4})
Dann hat der Kollege Glos für das ganze Durcheinander aber eine sehr plausible Erklärung. Am 21. Oktober
2000 hat er die Nachrichtenagenturen morgens um vier
Uhr Folgendes wissen lassen: Dem Merz fehlt es an gewachsener Autorität. - Lieber Herr Glos, Sie haben völlig
Recht, aber das hätte man auch morgens um sieben oder
acht Uhr sagen können. Dafür hätten Sie nicht um vier
Uhr aufstehen müssen.
({5})
Meine Damen und Herren, was sind die Alternativen
der Union? Man kann sie in einem Satz und in Abwandlung eines Filmklassikers so zusammenfassen: Denn sie
wissen nicht, was sie wollen. Ob Zuwanderung, ob Asyl,
ob Volksabstimmung und Volksbegehren, ob Wirtschaftspolitik, ob Rente, ob Betriebsverfassung, ob UMTS-Erlöse, ob NPD-Verbot, ob Umgang mit der PDS, ob Kanzlerkandidat jetzt oder später und wer, bis hin zu der Frage,
wie man mit dem ehemaligen Ehrenvorsitzenden umgeht:
({6})
Es gibt nie eine Meinung der Union, es gibt immer mehrere Meinungen. Es gibt keinen Chor, es gibt nur Solisten,
die sich selbst den Einsatz geben, und dann singt jeder
seine eigene Melodie. Das ist das Bild, das Sie hier vermitteln, meine Damen und Herren.
({7})
Ich finde übrigens den Vorgang sehr seltsam, dass die
Parteivorsitzende der CDU offenbar in dieser Debatte
nicht reden darf.
({8})
Ich finde es auch sehr seltsam, dass sie in dieser Debatte
nur sporadisch teilnimmt.
({9})
Der Bundeshaushalt 2001 ist ein Reformhaushalt.
Nach 16 Jahren sozialem Raubbau und Investitionsstillstand in unserem Land, nach 16 Jahren schlampiger
Haushaltsführung und Schuldentreiberei spürt wirklich
jeder in diesem Land, dass es wieder aufwärts geht, dass
soziale Gerechtigkeit in unserem Land gilt.
({10})
Wir haben in diesem Haushalt - dafür bin ich den Vertretern der Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuss
sehr dankbar - etwas erreicht, was alle Vorgängerregierungen nie erreicht haben: Wir haben die vorgesehene
Nettoneuverschuldung des Bundes noch einmal auf
43,7 Milliarden DM gesenkt. Das ist ein hervorragender
Erfolg der Haushälter.
({11})
Der Geisterzug der Regierungszeit von Kohl und Waigel
in den Schuldenstaat ist gestoppt worden, und es sind bessere Weichen für die Zukunft gestellt.
Wir sind sozial und gerecht, meine Damen und Herren.
Dass ausgerechnet Sie, Herr Kollege Glos, das Thema soziale Gerechtigkeit in den Mund nehmen, heißt ja wohl
Präsident Wolfgang Thierse
angesichts Ihrer vergangenen Politik, den Bock zum Gärtner zu machen.
({12})
440 000 Studenten erhalten in diesem Jahr BAföG, so
viele, wie es in unserem Land noch nie waren. Sie erhalten mehr Geld, und es sind 100 000 mehr BAföG-Empfänger als zu Ihrer Regierungszeit.
({13})
400 000 Haushalte kommen neu in den Genuss von
Wohngeld - auch ein Aufholen der Versäumnisse Ihrer
Bundesregierung.
({14})
Wir, die Koalitionsfraktionen, haben ein Gesetz in diesem Bundestag durchgesetzt, und ich habe keinen Zweifel,
dass es auch in Kraft treten wird, wonach alle einkommensschwachen Haushalte einen einmaligen Heizkostenzuschuss erhalten. Wir wollen damit der Kostentreiberei
der Mineralölkonzerne entgegenwirken. Das ist soziale
und gerechte Politik, Herr Kollege.
({15})
Wir sind sozial und gerecht, weil wir für ein besseres
Erziehungsgeld, das seinen Namen nun wirklich verdient, im nächsten Jahr über 300 Millionen DM ausgeben,
und wir haben den Elternurlaub erweitert.
({16})
- Da müssen Sie gar nicht „O Gott, o Gott!“ rufen. Das
haben Sie während Ihrer Regierungszeit noch nie geschafft.
({17})
Meine Damen und Herren, wir sind sozial und gerecht,
weil wir das erfolgreiche Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit fortsetzen, das über
200 000 Jugendlichen einen Arbeits- und einen Ausbildungsplatz gebracht hat.
({18})
Wir sind innovativ, im Gegensatz zum so genannten
Zukunftsminister Rüttgers, der den Forschungsstandort
Deutschland platt gemacht hat und nicht, wie Sie immer
behauptet haben, Innovationen für die Zukunft gefördert
hat. Wir haben für den Hochschulbau zusätzlich 2,2 Milliarden DM in diesem Haushalt eingesetzt.
({19})
Wir erhöhen die Haushaltsansätze für Forschung und Entwicklung; um über 10 Prozent steigt der Etat von Frau Ministerin Bulmahn.
Innovationen werden auch durch Investitionen herbeigeführt. Über den Bundeshaushalt 2001 werden allein
im nächsten Jahr 58 Milliarden DM für Investitionen bereitgestellt,
({20})
insbesondere bei der Verkehrsinfrastruktur. Wer dann wie
Sie, verehrter Vorredner, davon redet, dass wir im Bereich
der Innovationen und im Bereich der sozialen Gerechtigkeit Versäumnisse haben, der muss sich immer wieder die
Frage stellen lassen: Was haben Sie 16 Jahre lang in diesem Land versäumt?
({21})
Was müssen wir aufräumen, weil Sie nicht ordentlich gearbeitet haben?
({22})
Wir haben in diesem Haushalt deutliche Akzente - darüber hat mein Vorredner bei seinen Ausführungen leider
nicht gesprochen - bei einem 100 000-Dächer-Programm
und beim CO2-Minderungsprogramm gesetzt. Wir fördern eine zukunftsfähige Energieversorgung, wir fördern
die Genomforschung, wir fördern Hoch- und Berufsschulen, wir fördern Investitionen in die Schiene.
Ich erinnere noch einmal daran: Sie waren sich lange
nicht darüber einig, was man mit den Erlösen aus den
UMTS-Milliarden macht. Wir haben gehandelt. Die Bahn
bekommt 2 Milliarden DM für die Schiene, und diese
Mittel sowie die 900 Millionen DM für den Bau von Ortsumgehungsstraßen sind Investitionen in die Zukunft.
({23})
Herr Kollege Glos hat das Thema Zuwanderung angesprochen. Wir wollen einen Konsens auch in dieser
Frage. Jeder in unserem Land muss wissen, dass der, der
Ressentiments gegen Fremde schürt, diesen Konsens und
die Zukunft unseres Landes gefährdet.
({24})
Wir sind auf Zuwanderung angewiesen, wenn wir unseren
Lebensstandard halten oder verbessern wollen, und deshalb müssen wir auch über Zuwanderung reden, aber
nüchtern, sachlich und verantwortungsvoll und nicht populistisch.
Wir haben ein klares Verfahren: Eine Kommission der
Bundesregierung unter der Leitung der Kollegin
Süssmuth wird uns Empfehlungen geben. Wir werden uns
diese Empfehlungen genau anschauen und anschließend
die notwendigen Entscheidungen treffen; wenn möglich,
in einem breiten Konsens. Wir wollen in dieser Frage
Konsens; denn die Regelung der Zuwanderung muss für
lange Zeit - über mehrere Legislaturperioden hinweg halten.
Damit das aber ganz klar ist: Es geht um die Steuerung
der notwendigen Zuwanderung. Es geht nicht um die
Abschaffung des individuellen Grundrechts auf Asyl
und auch nicht um die Vermischung dieser beiden Fragen.
({25})
Die deutsche Volkswirtschaft hat schon in der Vergangenheit von der Zuwanderung sehr stark profitiert. Ausländer entlasten unsere deutschen Sozialsysteme nach
Berechnungen des RWI um jährlich rund 30 Milliarden DM oder 400 DM pro Kopf der Bevölkerung, weil sie
mehr einzahlen, als sie herausbekommen. Ohne den Anteil der ausländischen Mitbürger müssten die Beiträge zur
Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung schon heute
drastisch angehoben werden. Eine Studie der UNO besagt: Ohne Ausländer und ohne weitere Zuwanderung
könnten die Deutschen trotz Beitragserhöhungen in Zukunft erst mit 77 Jahren in Rente gehen.
Das sind Fakten gegen Stimmungsmache. Zuwanderung ist ein ökonomisches Muss. Aber sie wird das Leben
in unserem Land auch farbiger und vielfältiger machen.
({26})
Deshalb gibt es keinen Grund, sich vor der Zuwanderung
zu fürchten.
({27})
Sie haben in dieser Debatte allerdings einen Zusammenhang mit dem sehr verquasten Begriff der deutschen
Leitkultur hergestellt. Was dazu zu sagen ist, hat
Franziska Augstein am 7. November dieses Jahres in der
„FAZ“ geschrieben. Ich zitiere das:
Der Misston, den Friedrich Merz in die deutsche
Liedkultur hineintrug, untermalt den Rechtsruck,
den die Partei in Fragen der Ausländerpolitik gemacht hat: Die CDU schunkelt nur mehr in eine
Richtung. Wenn die Partei so weitermacht, wird sie
bei den nächsten Wahlen rechts von der Bank fallen.
Recht hat sie.
({28})
Das Koordinatensystem hat sich bei der CDU/CSU
eindeutig nach rechts verschoben.
({29})
Maßgebliche Teile der Unionsführung scheinen die politische Mitte inzwischen rechts außen zu vermuten.
({30})
Mit abstrusen Phantomdebatten versuchen insbesondere
Stoiber und mein Kollege als Fraktionsvorsitzender am
rechten Wählerrand auf Stimmenfang zu gehen.
({31})
Das gilt für den Begriff der deutschen Leitkultur genauso
wie für die Forderung nach einer Einschränkung des Asylrechts. Aber auch Angela Merkel scheint in doppeltem
Wortsinn „das rechte Maß für die Mitte“ zu fehlen, wie
der „Tagesspiegel“ konstatiert hat.
Was nützt es, in einer Sondersitzung des Deutschen
Bundestages nach den Attentaten auf Synagogen in
Düsseldorf und Berlin in wohlklingenden Reden den
Antisemitismus zu verdammen, wenn einige Politiker
am nächsten Tag Worte wählen, die missverstanden
werden können? Wenn sie die Zuwanderungsfrage
heute aus taktischen Gründen zum Wahlkampfthema
machen wollen, von so genannten „nützlichen“ und
„unnützen“ Ausländern faseln.
({32})
Was soll das Gerede um die Leitkultur?
({33})
Wer das gesagt hat, war der Vorsitzende des Zentralrats
der Juden, Paul Spiegel, am 9. November 2000 vor dem
Brandenburger Tor. Dass Sie bei dieser Kundgebung nicht
mehr anwesend waren, Herr Kollege Merz, kann ich gut
verstehen; denn diese Worte hätten Ihnen in den Ohren
klingen müssen, weil Paul Spiegel mit seiner Bewertung
Ihrer Äußerungen Recht hatte.
({34})
Zur Parteivorsitzenden der Union möchte ich sagen:
Nicht jeder, der nicht bereit ist, Ihren deutschtümelnden
Leitkultur-Eiferern zu folgen, hat deshalb schon ein gestörtes Verhältnis zur Nation.
({35})
Wir sind dabei, den Karren, den Sie in den Graben gefahren haben, wieder flottzumachen.
({36})
Wir wollen Deutschland mit unserer Politik in eine sichere Zukunft führen. Wir machen Politik für die Menschen in diesem Land, und zwar für alle Menschen, weil
wir wollen, dass auch Ausländern mit Achtung und Anstand begegnet wird.
({37})
Wir wollen nicht, dass das Ansehen unseres Landes in der
Welt beschädigt wird. Das ist unser Verständnis von Nation und Patriotismus. Darin unterscheiden wir uns in
der Tat.
({38})
Man kann nicht gegen Rechtsradikale demonstrieren und
gleichzeitig mit nationalistisch angehauchten Begriffen
irgendwo zwischen Springerstiefeln und Glatze Wählersympathie suchen wollen. Das passt nicht zusammen.
({39})
Ich bedaure sehr, dass Kollege Kohl heute bei dieser
Debatte nicht anwesend ist.
({40})
- Seien Sie einmal ganz ruhig, Herr Kollege. Wir kommen
schon noch zu Ihnen. Die Staatsanwaltschaft hat in den vergangenen Tagen
ein zweites Ermittlungsverfahren gegen Helmut Kohl
wegen Untreue eröffnet.
({41})
Herr Kohl hat das mit den Worten „eine Formalie“ kommentiert. Das muss man sich einmal vorstellen: Gegen
den ehemaligen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland
wird ein zweites Ermittlungsverfahren wegen Untreue
eingeleitet und er hält das nur für eine Formalie. Das ist
ein beredtes Zeugnis von dem Unrechtsbewusstsein, das
dieser Herr hat.
({42})
Er lehnt es weiterhin ab, seine angeblichen Spender zu
benennen. Ich bin davon überzeugt: Herr Kohl kann keine
Spender benennen, weil es keine Spender gibt.
({43})
Was müssen das für Ehrenmänner und Wohltäter sein, die
ihn so im Regen stehen ließen? Das macht überhaupt keinen Sinn.
Wenn es aber keine Spender gibt, was ist dann mit dem
angeblich gegebenen Ehrenwort? Es gab schon einmal
einen CDU-Politiker, der mit seinem Ehrenwort die Öffentlichkeit zu täuschen versuchte. Sein Name war Uwe
Barschel und sein Ehrenwort war nicht viel wert, wie wir
alle wissen. Die Ehrenworte von Herrn Kohl erinnern
mich in fataler Weise an diesen Vorgang.
({44})
Wolfgang Schäuble sieht das genauso. Er hat in seinem
Buch „Mitten im Leben“ Folgendes dazu ausgeführt - Berichterstattung über ein Gespräch zwischen ihm und
Herrn Kohl -:
Die Nennung der Spender lehnte er strikt ab und
fragte mich, was ich mit der Aufforderung zur wahrheitsgemäßen Aussage meine. Ich erläuterte, dass
mir seine im ZDF gemachte Erklärung konstruiert
erscheine.
Mir erscheint sie auch konstruiert.
Vor allem hatte ich noch in böser Erinnerung ein anderes Ehrenwort, das 1987 der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Barschel in der Abhöraffäre
gegen seinen SPD-Konkurrenten Engholm abgegeben hatte.
({45})
- Regen Sie sich doch nicht auf. Ich lese gerade vor, was
Ihr ehemaliger Fraktions- und Parteivorsitzender aufgeschrieben hat.
Die Geschichte endete mehr als tragisch, und seither
war ich gegen Ehrenworte in der CDU einigermaßen
allergisch.
Das ist auf Seite 211 nachzulesen. Das empfehle ich Ihnen und vor allen Dingen dem nicht anwesenden Herrn
Kohl dringend.
({46})
Wo immer man das Denkmal Kohl lüftet, kommt Geld
zum Vorschein - handelt es sich nun um die Spendenaffäre oder um den Panzerdeal mit Saudi-Arabien.
({47})
Niemand kann noch länger bestreiten, dass im Zusammenhang mit dem Verkauf der Spürpanzer Millionen
Schmiergelder geflossen sind. Niemand kann das bestreiten. Nach den Ermittlungen der Fahnder stammt die Millionenspende des Herrn Schreiber an die CDU eindeutig
von einem Schweizer Konto, das ausschließlich aus den
Bestechungsgeldern des Thyssenkonzerns für das Panzergeschäft bestand.
So verwandelt sich Bakschisch in eine Parteispende.
Wäre die CDU keine Partei, sondern eine Ministerialbeamtin, wäre sie damit der Bestechlichkeit überführt.
Das hat die Wochenzeitung „Die Zeit“ dazu geschrieben.
({48})
Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bonitz?
Bitte, natürlich.
Herr Kollege Struck,
wenn Sie sich hier zum moralischen Saubermann machen,
dann möchte ich Sie gerne fragen, wie Sie in diesem Zusammenhang bewerten, dass der ehemalige Bundesverkehrsminister Klimmt den Strafbefehl inzwischen akzeptiert hat bzw. zu akzeptieren gedenkt. Wie bewerten
Sie daneben die Tatsache, dass der Bundeskanzler, gleichzeitig Vorsitzender der SPD, meiner Kenntnis nach bis
heute nicht veranlasst hat, die Spende, die von der Caritas - offensichtlich aus einem Wetteinsatz resultierend an die SPD geflossen ist, an die Caritas zurückzuzahlen?
({0})
Frau Kollegin, meine Position zu dem Verfahren von Reinhard Klimmt habe ich öffentlich deutlich gemacht. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
({0})
Der Strafbefehl gegen Reinhard Klimmt wurde an einem
Montag angekündigt, und am Mittwoch der gleichen Woche ist Herr Klimmt zurückgetreten. Wenn Sie von Anstand reden, frage ich Sie: Wieso sitzt eigentlich Herr
Koch noch immer auf seinem Stuhl in Hessen?
({1})
Ich kenne hinsichtlich des übrigen Vorgangs nur die Presseveröffentlichungen.
({2}): Ha! Ha! Ha!)
Dem Vorgang wird nachgegangen werden müssen. Wir
werden sehen, was am Ende dabei herauskommt.
({3})
Ich habe in meiner vorausgegangenen Rede gesagt, die
Union könne mit Schwarzgeld umgehen - wir haben das
schon öfter betont und ich werde es Ihnen weiter vorhalten -, aber mit Haushaltsmitteln kann sie überhaupt nicht
umgehen.
({4})
Sie haben sowohl im Plenum als auch im Haushaltsausschuss des Bundestages Anträge gestellt, die auf eine
Erhöhung der Ausgaben und eine Senkung der Steuern abzielten. Diese beiden Elemente passen aber nicht zusammen und das hat schon Waigel übersehen; entweder man
muss mehr Steuereinnahmen oder weniger Ausgaben haben. Aber beides zusammen, das heißt mehr ausgeben und
trotzdem Steuern senken, funktioniert nicht. Das haben
die 16 Jahre Ihrer Regierungszeit gezeigt. Sie haben uns
den größten Schuldenberg in der Geschichte unseres Landes hinterlassen.
({5})
Herr Glos hat völlig zu Recht gesagt, wir gingen jetzt in
das dritte Jahr der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder.
Eine völlig korrekte Aussage, Herr Glos, aber leider die
einzige in diesem Zusammenhang. Sie wollten in den letzten zwei Jahren mit Ihren Anträgen insgesamt - Hans
Eichel lässt das in seinem Ministerium immer genau ausrechnen; er ist der beste Finanzminister, den wir je hatten ({6})
75 Milliarden DM mehr ausgeben. Kürzlich haben Sie im
Haushaltsausschuss zusätzlich 8 Milliarden DM verlangt,
und zwar auch ohne Deckung. Das ist keine seriöse Finanzpolitik.
({7})
Sie können eben nicht mit Geld umgehen.
Die Halbzeitbilanz, die Sie gezogen haben, steht übrigens in sehr merkwürdigem Kontrast zu dem, was andere
über unsere Arbeit sagen:
Ich glaube, wir sind gerade dabei, den Begriff Reformstau in Deutschland aus unserem Sprachgebrauch zu verdrängen. Es geht vorwärts! Ich sehe in
der Steuer- und Wirtschaftspolitik sehr positive
Signale.
So Dr. Jürgen Strube, Vorstandsvorsitzender der BASF
Ludwigshafen. Er hat Recht!
({8})
Allerdings bin ich auch der Meinung, dass wir in diesem Land in den vergangenen Jahren keine vorbildliche Wirtschafts- und Finanzpolitik erlebt haben. Da
sind die letzten zwei Jahre eher ein gutes Ergebnis.
So Rolf Breuer, Vorstandssprecher der Deutschen Bank.
Auch er hat Recht!
({9})
Und so urteilen die Gewerkschaften:
Die Wiederherstellung von Kündigungsschutz und
Lohnfortzahlung, Ordnung auf dem Arbeitsmarkt,
die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, eine
Steuerreform, die den Arbeitnehmern und den Familien wieder mehr Geld in der Tasche lässt, und das
Bündnis für Arbeit, dies ist eine andere Politik, als
sie Helmut Kohl gemacht hat. Dies ist die Handschrift, die wir erwartet haben, und das ist eine sozialdemokratische Handschrift.
So Dieter Schulte, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
({10})
Im „Handelsblatt“ vom 6. Oktober konnte man lesen:
Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie hat nach Einschätzung des ... BDI erheblich zugenommen.
Und:
Investoren machen keinen Bogen mehr um Deutschland.
Das sagte der Bundesgeschäftsführer des BDI, von
Wartenberg, der der CDU angehört. Gleichzeitig hat er
der Union empfohlen, endlich ein brauchbares wirtschaftliches Konzept zu entwickeln.
So liegen die Dinge in unserem Land und nicht so, wie
Sie sie darzustellen versuchen.
({11})
Sie haben in der Sache nichts anzubieten, Sie haben
keine wirkliche Alternative zu unserer Politik, zur Politik
der Koalition, dargestellt.
({12})
Deshalb sollten Sie Oscar Wilde bedenken. Er hat gesagt:
Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den
Mund halten.
({13})
Ich erteile dem Kollegen Rainer Brüderle, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich - sicherlich auch
in Ihrem Namen - unserem erkrankten Fraktions- und
Parteivorsitzenden, Wolfgang Gerhardt, von hier aus gute
Besserung wünschen.
({0})
Herr Bundeskanzler, wären Sie Fußballtrainer, Sie hätten ein Problem. Zur Halbzeit sind aus der Anfangself
schon fünf Spieler nicht mehr dabei.
({1})
Einer hat seine Karriere beendet und kommentiert jetzt
aus dem Saarland. Einer wurde zur Organisation der SPD
abkommandiert, ein weiterer wurde ins Ausland transferiert, um hier der roten Karte zu entgehen.
({2})
Einer wurde wegen groben Foulspiels vom Platz gestellt,
ein weiterer hat sich selbst ausgewechselt.
Die spielerische Linie ist verloren gegangen. Der
Schwung ist hin, wenn es ihn je gegeben hat. Die rotgrüne Wirtschafts- und Finanzpolitik ist ungereimt.
({3})
Die rot-grüne Bildungspolitik ist stecken geblieben.
({4})
Die rot-grüne Außenpolitik lebt von Geschichtsvorträgen
des Außenministers, die rot-grüne Umweltpolitik ist unkoordiniert, die rot-grüne Sozial- und Gesundheitspolitik
ist unprofessionell und wirkt reichlich ältlich.
({5})
Tief greifende ökonomische, ökologische und soziale
Veränderungen verlangen aber geradezu nach einem geschlossenen zukunftsorientierten Entwurf. Davor zucken
Sie zurück. Sie ändern hier ein bisschen, da ein bisschen,
dann merken Sie, dass Sie konsequenterweise auch an anderer Stelle noch ein bisschen ändern müssen, vielleicht
auch ein bisschen mehr. Am Ende der ersten Halbzeit ging
vieles durcheinander.
Aber jetzt geht gar nichts mehr - außer der Einrichtung
von Verschiebebahnhöfen. Die Menschen merken das.
Die Umfragewerte sprechen eine klare Sprache. Drei
Viertel der Menschen sind der Meinung, dass Ihre Arbeitsmarktpolitik nicht zu einer Verbesserung der Arbeitsmarktchancen führt.
({6})
Drei Viertel der Bevölkerung erwarten von der so genannten Rentenreform sogar eine Verschlechterung der
eigenen Lebenssituation. Drei Viertel der Bevölkerung
rechnen mit persönlichen Nachteilen durch die Gesundheitsreform. Zwei Drittel der Bevölkerung kritisieren die
immer noch zu hohe Steuerbelastung.
Zwei Drittel der Bevölkerung lehnen die Ökosteuer
weiterhin ab. Sie befinden sich in guter Gesellschaft. Der
Sachverständigenrat hat es Ihnen erneut ins Stammbuch
geschrieben: Die Ökosteuer ist keine Ökosteuer. Sie stellt
nicht wirklich auf Klimaschutz ab. Sie belastet regenerative Energieträger, entlastet die Kohle, belastet den öffentlichen Personennahverkehr, schützt die, die viel in die
Luft jagen, und belastet die, die keine Rentenversicherungsbeiträge zahlen.
({7})
Die erwartete doppelte Dividende stellt sich nicht ein.
Ich zitiere:
Die zusätzliche Belastung ausgewählter Energieträger dient vorwiegend der Einnahmebeschaffung für
die Rentenversicherung.
Darüber sind die ökologischen Zielsetzungen
vernachlässigt worden, wie nicht zuletzt die vielen
Ausnahmeregelungen belegen. Das ist ein wörtliches Zitat aus dem Gutachten der Sachverständigen.
Leider ist der Satz richtig: Rasen für die Rente. - Wer
weniger Sprit verbraucht und deshalb weniger Ökosteuer
zahlt, der ist für Sie quasi ein Volksschädling, weil dadurch das Defizit in der Rentenkasse größer wird.
({8})
Die Grünen reden über viele Dinge, setzen aber nichts
durch. Viele von ihnen werden selbst bei gesündester
Ernährung das Abschalten der Kernkraftwerke in
Deutschland nicht mehr erleben, wohl aber weitere Castor-Transporte nach den Wahlen im Frühjahr 2002.
({9})
Rezzo Schlauch plappert nach, was die Freien Demokraten seit Jahrzehnten erklären. Aber die Grünen stehen
auf dem Schlauch und ziehen seinen Vorschlag wieder
zurück. Wenn Herr Schlauch hier wäre, würde ich ihm sagen: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.
({10})
Der Arbeitsmarkt bleibt weiter stranguliert und verriestert. Die SPD stolpert zurück in den Traditionalismus.
Bei Arbeitsmarkt und Rente wird der Laden wieder dichtgemacht. Die Jungen werden verladen
({11})
und der Gewerkschaftsflügel wird ruhig gestellt.
Die Bundestagsfraktion der F.D.P. trägt den ersten
Schritt der Steuerreform mit, damit es überhaupt weitergeht und die schlimmsten Diskriminierungen des Mittelstandes gemildert werden. Wir sehen diesen Schritt allerdings nicht ({12})
- was jammern Sie denn? Ohne uns hätten Sie doch gar
nichts zustande gebracht; Sie sollten dankbar sein ({13})
als Ende der Steuersenkungen, wie sich das Rot-Grün vorstellt, sondern nur als Steuerreform I, der möglichst bald
eine Steuerreform II folgen muss.
({14})
Vor allen Dingen dürfen weitere Steuersenkungen bis
2005 nicht unterbleiben. Wir müssen die Wartehalle verlassen. Wenn Sie sich nicht weiterbewegen, dann werden
wir Sie weiterbewegen. Die Bundestagswahl 2002 wird
eine klare Mehrheit für frühere Steuersenkungen, für gerechtere Behandlung von unterschiedlichen Einkommen
und vor allem für mehr netto für alle bringen.
({15})
Diese Mehrheit wird dann solche Äußerungen wie die von
Bundesfinanzminister Eichel „Keine weitere Steuerreform in den nächsten sechs Jahren!“ schneller zur Makulatur werden lassen, als sich der Bundesfinanzminister das
vorstellen kann.
({16})
Der Bundeskanzler sitzt jetzt sozusagen in der Halbzeit
beim Pausentee, hat in der ersten Spielhälfte fünf Spieler
ersetzen müssen und sieht - unausweichlich - weitere
Auswechslungen vor sich.
Im Gesundheitswesen werden die Rationierung, die
Budgetierung, die Bevormundung und die Einschränkung
der Therapiefreiheit für die Patienten in Deutschland zu
einer unerträglichen Schikane.
({17})
Statt dafür zu sorgen, dass die Patienten optimal betreut
werden können, werden Ärzte mit Punktwertetabellen
und Planungsunsicherheit konfrontiert, in ein Korsett unterschiedlichster Budgetvorgaben gepresst und wird die
Freiberuflichkeit, ein konstitutives Element unseres Gesundheitswesens, in Mitleidenschaft gezogen.
({18})
Frau Fischer hat die Zweiklassenmedizin in Deutschland wieder eingeführt.
({19})
Bis die Budgets aufgebraucht sind, können alle die gleiche Qualität der medizinischen Versorgung genießen.
Wenn aber die Budgets aufgebraucht sind, bekommen
diejenigen Probleme, die anspruchsvollere Medikamente
benötigen, die sie aber nicht, so wie andere, selbst bezahlen können.
({20})
Frau Fischer muss vom Platz. Die Rationierung von Gesundheitsleistungen muss gestoppt, die Eigenverantwortung der Menschen muss gestärkt und bürokratische
Überreglementierung muss abgeschafft werden.
({21})
- Was heißt „Lobbyist“? Ja, ich bin ein Lobbyist der Menschen, der Patienten. Das ist richtig.
({22})
Sie schaffen doch unter dem Motto „soziale Gerechtigkeit“ die Ungerechtigkeit, die zur Folge hat, dass die,
die ins Ausland gehen und dort die Operation bezahlen
können, dort die optimale Betreuung bekommen, während die anderen die Gefangenen Ihrer Ideologie sind.
({23})
- Es ist klar, dass es Ihnen wehtut, wenn Ihnen der Spiegel vorgehalten wird. Aber das ist das Schöne in einer
Demokratie, Frau Kollegin: dass man hier seine Meinung
sagen darf. Sie müssen sie sich anhören; dass gehört auch
dazu.
({24})
Wir sind noch nicht so weit, dass Sie mit der Monstranz
durch die Landschaft ziehen und alle Ihnen zuzuloben haben: Hosianna! - Die deutsche Einheitsmeinung gibt es Gott sei Dank - nicht.
({25})
- Aber für die falsche Sache!
({26})
- Ihre Politik ist eine Unverschämtheit, Frau Kollegin.
In der Verkehrspolitik besteht die einzige Bewegung
darin, dass es in zwei Jahren jetzt schon drei zuständige
Minister, sechs Parlamentarische und vier beamtete
Staatssekretäre gegeben hat. Das ist Ihre Art von Bewegung in der Verkehrspolitik.
({27})
Alle Beteiligten haben sich bisher erfolglos an der
Frage versucht, wie die Mobilität der Bürger und der
Transportbedarf der Wirtschaft in Zukunft sichergestellt
werden können. Die deutsche Verkehrspolitik verkehrt
verkehrt. Der deutsche Stau hat inzwischen ein ganzes
Volk aufgehalten und hält es noch auf. Mehr und mehr
Bürger wollen die atemberaubende Einschränkung ihrer
Mobilität durch eine völlig verunglückte Verkehrspolitik
nicht mehr ertragen.
({28})
Sie, die Sie so viel dazwischenschreien, frage ich: Wer
gibt Ihnen das Recht - ({29})
- Herr Schmidt, ich meine Ihre Kollegin. Ich verstehe,
dass es Ihnen peinlich ist, wie sie reagiert; aber so ist das
nun einmal. - Wer gibt Ihnen das Recht, den Menschen so
viel Freiheit wegzunehmen?
({30})
Was Sie in Deutschland an Stau produzieren, grenzt doch
an Freiheitsberaubung. Die Arbeitnehmer verbringen täglich Stunden im Stau, weil Sie keine vernünftige Verkehrspolitik machen können. Das ist doch das Thema.
({31})
Das ist auch ein Freiheitsthema. So, wie Sie die Mobilität
einschränken, ist das Freiheitsberaubung.
({32})
- Sie werden Ihre Quittung bekommen, warten Sie nur ab.
Freuen Sie sich nicht zu früh. Der Hochmut kommt immer kurz vor dem Fall.
Es gibt keinen einzigen Hoffnungsschimmer, dass RotGrün den Kollaps wirklich sieht und Konzepte entwickelt,
um ihn zu verhindern. Die Eisenbahnpolitik fährt rückwärts. Sie sind gerade dabei, die Strukturveränderung, die
die Chance bietet, Eisenbahnpolitik in Deutschland wieder modern und erfolgreich zu machen, nämlich die Trennung von Schiene und Betrieb, aufzugeben. Sie wollen
wieder den Staatsmonopolisten einführen.
({33})
Die deutsche Einheitsbahn ist schon fehlgelaufen. Haben
Sie doch den Mut zum Wettbewerb und zur Modernität
und zeigen Sie nicht immer rückwärts gewandte Engstirnigkeit.
({34})
Die Straßenverkehrspolitik steckt im Stau. Die Luftverkehrspolitik ist ins Trudeln gekommen. Die Mehrheit
der Koalition hat Wettbewerb noch nie für ein geeignetes
Mittel gehalten, um Probleme zu lösen, Dienstleistungen
bereitzustellen, Ressourceneinsatz zu bewältigen und
Produktinnovation zu betreiben. Bei allen Privatisierungsvorhaben war die heutige Mehrheit hinderlich, zögerlich, bremsend und dagegen. Es war doch gerade der
große Erfolg der Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte, dass wir heute vergleichbare Telefonkosten
von hier, von Berlin, nach New York wie von New York
nach Berlin haben. Früher war Berlin von New York aus
für 9 Cent pro Minute zu erreichen, von Deutschland nach
New York dagegen zahlte man 6 bis 7 DM. Die Entfernung von Berlin nach New York ist genauso groß wie die
von New York nach Berlin.
({35})
- Das ist so, da können Sie sich einmal an der Uni erkundigen. Aber das übersteigt offenbar Ihren Horizont.
Wir haben das Gleiche bei der Liberalisierung des
Strommarktes erlebt. Die Entlastung der Bürger, des
Mittelstands und der Wirtschaft durch die Liberalisierung
hat eine Größenordnung von 16 bis 17 Milliarden DM
im Jahr. Sie sind gerade dabei, durch die so genannte Pennerprämie, wie Herr Müller es genannt hat, die Förderung
der Kraft-Wärme-Kopplung, der Zwangssubventionierung
regenerativer Energien die Liberalisierung des Strommarktes wieder zurückzunehmen. Wettbewerb war den
Funktionären immer ein Dorn im Auge. Sie würden Strom
am liebsten wieder wie früher durch staatsmonopolistische Betrieben zuteilen lassen, statt ihn zu verkaufen und
kundenorientiert zu handeln.
({36})
Unnötig hohe Preise, eine schlechte Infrastruktur,
mangelnde Dienstleistungen und ein Verlust an Mobilität
sind überall da aufgetreten, wo Monopolisten das Sagen
haben. Mit Staatsmann-Denken löst man keine Verkehrsprobleme, durch Verhinderung des Wettbewerbs löst man
kein Transportproblem und ohne Straßenbau kein einziges Umweltproblem.
Der Gipfel des Versagens deutscher Verkehrspolitik ist,
dass der Bau des Transrapid, einer in Deutschland entwickelten Technologie, die hier bisher keine Chance
hatte, nun in China - vielleicht mit deutschem Geld bezuschusst - durchgeführt wird. Was ist das für eine Modernisierungsstrategie?
({37})
Auch so kann man eine forschungs- und technologiepolitische Aufbruchstimmung erzeugen, nämlich Aufbruch
aus Deutschland und nicht Aufbruch in Deutschland.
({38})
- Das sollte Sie sehr nachdenklich stimmen.
Wenn Sie wirklich etwas für die Arbeitnehmer tun wollen, dann sollten wir entsprechende Vorhaben bei uns umsetzen und wir sollten diese Technik nicht beispielweise
nach China exportieren, weil sie mit der grünen Ideologie
nicht vereinbar ist. Wenn in der Umgebung von Schanghai die Grünen oder drei bestimme deutsche Landesregierungen zusammen mit dem Bundesbahnvorstand die Verantwortung hätten, dann würde der Transrapid dort mit
Sicherheit nicht gebaut werden.
Die Regierung wollte die Ausgaben für Bildung und
Forschung verdoppeln. Sie hat hinterher erklärt, gemeint
sei, eine Verdoppelung beim Kern des Forschungsbereichs. Auch davon ist heute keine Rede mehr. Diese
Pläne sind sang- und klanglos zurückgenommen worden.
Die Haushalte 1999 und 2000 sowie der jetzige Entwurf für 2001 zeigen den Abschied der Bundesregierung
von diesen großen Zielsetzungen. Die Bundesregierung
setzt zu Beginn dieses Jahrtausends keine Akzente für Innovation, im Gegenteil: Sie steigt aus einer Technologie
aus, die aus Gründen weltweiter Verantwortung für das
Klima gerade von hoch entwickelten Ländern weiterhin
genutzt werden müsste. Sie nimmt zusätzliche Emissionen in Kauf. Sie weiß um die Notwendigkeit des Imports
von Energie aus Kernkraftwerken, die viel unsicherer als
die deutschen sind. Sie läuft sehenden Auges in einen
Kompetenzverlust Deutschlands auf einem Feld der
Hochtechnologie hinein. Wir geben eine Technologieoption auf. Das ist nicht klug.
({39})
Die Regierung steigert die CO2-Emissionen und die
Stromkosten, sie wirkt der Ressourcenschonung entgegen, sie entlastet die Strommärkte allein zulasten deutscher Unternehmen. Wahrscheinlich wird es demnächst
eine Green Card für Kernphysiker geben, weil bei uns aufgrund eines Technologiestopps bestimmte Entwicklungen
nicht mehr betrieben werden. Wir könnten eine „Violett
Card“ oder eine „Kariert Card“ erfinden, je nachdem, wo
gerade wieder - wie bei einem Flickenteppich - ein Problem gelöst werden muss, wo ein neues Heftpflaster aufgeklebt werden muss, um Schwierigkeiten temporär zu
unterdrücken.
Mein Kollege Helmut Haussmann hat gestern auf den
deutlich negativen Saldo zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Europapolitik der Bundesregierung hingewiesen. Die Bundesregierung hat am Anfang zu lange gezögert, einen überzeugenden und ehrgeizigen Fahrplan
für die Osterweiterung der Europäischen Union aufzustellen. Die Osterweiterung der Europäischen Union ist
gerade für Deutschland eine Zukunftsinvestition.
({40})
Es geht nicht darum, vorhandene Risiken herunterzuspielen oder in der Bevölkerung vorhandene Strömungen
zu missachten. Es geht vielmehr darum, die Diskussion
auf eine fundierte Basis zu stellen, unsere Interessen herauszuarbeiten und sich auf die Herausforderungen rechtzeitig vorzubereiten.
Mittelosteuropa ist eine Region des wirtschaftlichen
Wachstums mit rund 100 Millionen Verbrauchern. Die
Wirtschaftskraft der Europäischen Union wird durch diesen Zuwachs gestärkt und sie erhält mehr Gewicht auf den
Weltmärkten. Die mittel- und osteuropäischen Reformstaaten bekennen sich zur freien Marktwirtschaft. Sie haben beachtliche Erfolge bei der Transformation ihrer
Volkswirtschaften erreicht. Manchmal sind sie schon weniger staatsorientiert als manche in Deutschland. Sie
wickeln den Hauptteil Ihres Handels mit der Europäischen Union ab und Deutschland ist für sie mit Abstand
der wichtigste Partner. Die mittel- und osteuropäischen
Reformstaaten haben den Weg zur Europäischen Union
eingeschlagen. Sie haben das auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufgebaut und sich auf den Schutz der Menschenrechte verpflichtet. Ihr Demokratisierungsprozess
mit stabilen Institutionen ist der Hinweis auf ihren Anteil
an der europäischen Identität. Nur Zivilgesellschaften
werden Europa die Sicherheit auch für die Zukunft geben,
die es braucht. Nur Zusammenarbeit in einer Europäischen Union wird aus der bisherigen westeuropäischen
Union eine wirkliche europäische Union machen.
({41})
Die erste Beitrittsrunde sollte so bald wie möglich
stattfinden. An ihr sollten die Länder teilnehmen, die am
schnellsten vorangekommen sind. Es wäre sehr zu wünschen, dass Polen dazugehört. Es wäre gut, wenn einige
dieser Staaten so rechtzeitig Mitglieder der Europäischen
Union sein könnten, dass sie mit uns gemeinsam an der
Wahl des Europäischen Parlaments im Jahre 2004 teilnehmen.
In der Halbzeitpause muss der Trainer einer Fußballmannschaft oftmals eine aufmunternde Ansprache an sein
Team halten,
({42})
vor allem, wenn es erfolgreich für die Bundesrepublik
Deutschland spielen will und in der ersten Hälfte erkennbare Schwächen gezeigt hat.
Wir brauchen mehr Beweglichkeit, müsste der Trainer
sagen. Wir müssen angesichts der erkennbaren demographischen Entwicklung hin zu weniger Jüngeren und
mehr Älteren die bestehenden Wachstumsbremsen beim
Alter lockern. Ziel ist nicht mehr die Frühverrentung,
müsste der Trainer sagen, sondern der frühere Eintritt ins
Berufsleben und das spätere Ausscheiden aus dem Erwerbsleben.
({43})
Wir brauchen mehr Frische, müsste der Trainer sagen.
Entscheidend sind kräftige Investitionen in Bildung und
Ausbildung, ein besseres Training in den Einrichtungen,
eine sportliche Haltung, die Wahrnehmung der erzieherischen Aufgabe der Schule und die Erziehung zur Demokratie in der Familie. Die Befähigung zu Verantwortung
und Freiheit ist die Herausforderung.
Es muss mehr in der Spitze gespielt werden, müsste der
Trainer sagen.
({44})
Spitzentechnologien in Deutschland und eine Dimension
ökologischer Verantwortung in technologischer Orientierung statt bürokratischer Gängelung, Bio- und Gentechnologien - ({45})
- Herr Außenminister, Dazwischenquaken ist ein Zeichen
von Schwäche. Wenn Sie ein bisschen Format hätten,
könnten Sie auch zuhören. Aber Sie können es nicht.
({46})
- Flegelhaftigkeit ist kein Stil der Politik.
Bio- und Gentechnologien, neue Materialien und
Werkstoffe, Kommunikationstechnologien, all das muss
zur offensiven Spielkultur der Mannschaft gehören. Hineingrätschen, Blocken und Verhindern reichen nicht aus.
({47})
Wir brauchen mehr Spielerpersönlichkeiten in der
Mannschaft, müsste der Trainer sagen.
({48})
Man muss den Ball fordern. Deutschland braucht Wettbewerbsföderalismus als Chance zur Profilbildung mit unterschiedlichen Facetten.
({49})
Die Deckung muss besser arbeiten, müsste der Trainer
sagen. Im Verteidigungsbereich sind technische Schwächen
unverkennbar. Der Investitionsstau wird nicht abgearbeitet,
die Besoldungsstruktur bei der Armee wird nicht verbessert.
Die Bundeswehr ist der Verlierer des Haushalts.
({50})
Keine Zusage wird eingehalten. Die Modernisierung
bleibt Stückwerk. Die Wehrgerechtigkeit wird in Mitleidenschaft gezogen. Wer es uns nicht glauben will, sollte
zur Kenntnis nehmen, dass der Wehrbeauftragte Willfried
Penner in der „Süddeutschen Zeitung“ wie folgt zitiert
wurde: Wir haben schon jetzt keine allgemeine Wehrpflicht mehr. - Das empfehle ich jedem zur Lektüre:
„Süddeutsche Zeitung“, Willfried Penner, Sozialdemokrat.
({51})
Angesichts des Altersdurchschnitts der Mannschaft
hätte der Trainer schon längst gezielt Neuzugänge aus
dem Ausland verpflichten müssen. Eine gesetzliche
Regelung der Einwanderung in einer internationalisierten Gesellschaft mit dem Ziel, viele gute und kenntnisreiche Menschen aus aller Welt einzuladen, ist überfällig.
({52})
Es liegt in unserem eigenen nationalen Interesse, bestimmen zu können, wie viele und welche Menschen zu uns
kommen sollen. Integrationsangebote zu unterbreiten,
aber auch die Bereitschaft zur Integration zu verlangen ist
ganz wichtig. Viele unterschiedliche Spielerpersönlichkeiten müssen dies noch lernen, wenn sie mit Erfolg spielen wollen.
Herr Bundeskanzler, wir haben in Rheinland-Pfalz gemeinsam mit der SPD ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz entwickelt. Unsere Bundestagsfraktion hat es wortgleich hier in den Bundestag eingebracht. Springen Sie
doch über Ihren Schatten! Was Ihre rheinland-pfälzischen
Genossen für richtig halten, kann doch für Sie nicht so
falsch sein. Hören Sie doch einmal auf die RheinlandPfälzer! Die sind anständiger, als Sie denken, auch in der
SPD.
({53})
Die Fraktion der F.D.P. beschleicht das Gefühl, dass die
rot-grüne Mannschaft nicht weiß, in welcher Liga sie wirklich spielt oder spielen sollte. Da gibt es keine Stammplätze. Man kann schnell in die zweite Bundesliga
absteigen, wenn man nicht den Mut zu richtigen Entscheidungen hat.
Das politische Bodenturnen, der neue einjährige Verschiebebahnhof bei der Rente, das Ende für die Steuerreform, das Verbleiben bei der Gesundheitspolitik, die müde
Innovationspolitik, der Stau im Verkehr, die ewigen europäischen „leftovers“, die Strangulierung des Arbeitsmarktes: Alles das zeigt eine Kleinräumigkeit, eine Kurzfristigkeit des Denkens.
Erfolgreich ist der, der in klaren Linien denkt und handelt. Der Staat muss mehr ordnen, weniger lenken, weniger Misstrauen gegenüber den Menschen haben, mehr
Vertrauen zu Menschen haben. Das ist die Basis für
erfolgreiche Politik.
({54})
Meine Damen und Herren, ich bin neulich in Berlin zufällig hinter dem Auto eines Malermeisters gefahren. Er
warb mit folgendem Spruch: „Tünchen, pinseln, kleistern
- wir werden Sie begeistern.“ Kürzer und treffender lässt
sich das Programm der rot-grünen Koalition nicht beschreiben.
({55})
Das reicht aber nicht aus. Deutschland braucht einen Aufbruch.
Deutschland braucht Freiheit und Chancen für jedermann, zwischen Bildungseinrichtungen zu wählen, sich
aus- und weiterzubilden und in zwölf Jahren das Abitur zu
machen.
Deutschland braucht Freiheit und Chancen des Einzelhändlers, seinen Laden auch nach 18.30 Uhr offen zu halten und selbst zu entscheiden, wann er die Tür auf- und
zumacht. Er darf nicht aus ideologischen Grundsätzen heraus gegängelt werden.
({56})
Deutschland braucht Freiheit und Chancen der Haushalte, ihre Strom- und Telefonanbieter selbst auszuwählen
und ihre Briefe über den Anbieter abzusenden, den sie
wünschen.
Deutschland braucht Freiheit und Chancen der Arbeitnehmer, im eigenen Betrieb über ihre eigenen Angelegenheiten, über Arbeitszeitregelungen und Einkommen innerhalb bestimmter Bandbreiten und im Ernstfall zugunsten
des Erhalts ihres Arbeitsplatzes selbst bestimmen zu können, und weniger Funktionärsfremdbestimmung.
({57})
Deutschland braucht Freiheit und Chancen für die
Sozialversicherungssysteme, um den wirklich Bedürftigen zu helfen und sich nicht in sozialer Bekleidung von
Arbeitslosigkeit zu erschöpfen, sondern auf die größte soziale Sicherheit, den Arbeitsplatz selbst, abzustellen.
Deutschland braucht Freiheit und Chancen für Sozialhilfeempfänger, eine Arbeit anzunehmen, wobei das Geld
nicht gleich wieder voll weggesteuert wird.
Deutschland braucht Freiheit und Chancen der Bürger,
im Gesundheitssystem selbst zu entscheiden, wie man
sich versichert, wie hoch man sich versichert, ob man sich
mit Selbstbehalt versichert, ob man zu Zuzahlungen bereit ist oder ob man weiter Vollkaskoregelungen haben
will.
({58})
Deutschland braucht Freiheit und Chancen aller Menschen in der Altersvorsorge, privates Geld selbst dort anlegen zu können, wo man es möchte, und nicht dort, wo
die Gewerkschaften es gerne hätten.
({59})
Die Menschen in Deutschland wollen Orientierung
statt Gängelung. Rot-Grün fürchtet nichts mehr als unabhängige, souveräne, eigene, selbstständige Entscheidungen von Menschen. Die Freie Demokratische Partei hat
nichts lieber als die freie, selbstständige, souveräne, eigene Entscheidung von Menschen in der Bundesrepublik
Deutschland.
Freiheit ist wählbar. Die Alternative ist klar.
({60})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die politischen Debatten in Deutschland und auch in diesem Hause nehmen, wie ich finde, zeitweise schon recht
merkwürdige Züge an.
({0})
Die CDU hat sich auf ihrem Parteitag in der vergangenen Woche ein neues Motto gegeben: Ehrlichkeit schafft
Gerechtigkeit.
({1})
Ich habe über dieses Motto nachgedacht und komme zu
dem Schluss: Sie haben es offensichtlich nötig. Ich bin gespannt, ob Sie dieses Motto demnächst auch auf den Plakaten von Herrn Koch kleben. Ich versuche, mir das ganze
Trio infernale vorzustellen: Kohl, Kanther, Koch - Ehrlichkeit schafft Gerechtigkeit.
({2})
Liebe Frau Merkel, ich kann Ihnen nur raten, mit dem
Begriff der Ehrlichkeit sehr vorsichtig zu sein; denn ich
habe in den letzten Monaten bei der CDU von Ehrlichkeit
nicht sehr viel sehen können. Beispiel Rentenpolitik:
Monatelang haben wir uns bemüht, mit Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, einen Konsens zur
Rentenreform zu finden, weil ein Konsens für die Menschen wichtig ist und weil sich die Menschen darauf verlassen müssen, dass wir bei der Rente in ein paar Jahren
nicht wieder von vorne anfangen. Aber das interessiert Sie
offensichtlich überhaupt nicht.
Herr Merz, ich komme auf die Rede zu sprechen, die
Sie in der ersten Lesung des Haushaltes 2001 am 13. September gehalten haben. Sie haben fünf Punkte vorgestellt,
die für einen möglichen Rentenkonsens wichtig sind. Ich
will diese Punkte in Erinnerung rufen.
Erstens haben Sie gesagt, in die bestehenden Rentenanwartschaften und Rentenansprüche dürfe nicht eingegriffen werden. Ich stelle fest: Mittlerweile fordern auch
Sie, dass die jetzige Rentnergeneration ihren Beitrag zur
Sicherung der gesetzlichen Rentenversicherung leisten
muss, und zwar von Anfang an.
({3})
Zweitens haben Sie gesagt, kommende Generationen
dürften mit Beiträgen aus dem Umlageverfahren nicht
dauerhaft höher belastet werden. Meine Damen und Herren von CDU/CSU und F.D.P., Sie hatten uns 1998 einen
Rentenbeitrag von 20,3 Prozent hinterlassen. Nach der
blümschen Reform läge er im kommenden Jahr schon bei
21 Prozent - Tendenz steigend. Ich stelle fest: Wir haben
den Rentenbeitrag gesenkt. Im kommenden Jahr liegt er
schon bei 19,1 Prozent. Er wird bis 2020 stabil unter
20 Prozent liegen. Das ist eine wirklich sinnvolle Rentenpolitik.
({4})
Drittens forderten Sie - ich kann Ihnen dies nicht ersparen - die zusätzliche private Altersvorsorge. Ich kann
dazu nur sagen: Wir fordern nicht nur, sondern wir handeln auch. Wir schaffen nämlich mit der massiven staatlichen Förderung der privaten Altersvorsorge die Voraussetzung dafür, dass sich auch Familien mit kleinem
Einkommen endlich die private Vorsorge erlauben können. Menschen mit hohem Einkommen konnten sich dies
schon bisher leisten.
Viertens haben Sie die nachgelagerte Besteuerung für
die Alterssicherung gefordert. Genau die kommt jetzt. Wir
beginnen mit der steuerlichen Freistellung der Beiträge
für die private Vorsorge. Wenn Sie nun fordern, auch die
Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung sofort freizustellen, dann muss ich Sie an die Debatten im Rahmen
der Steuerreform erinnern. Gerade die Länderhaushalte
können dies nicht verkraften. Deshalb ist diese Regelung
im Bundesrat nicht durchsetzbar. Im Übrigen, Herr Merz,
sind auch die CDU-Ministerpräsidenten dagegen. Mit
Ihrem Kamikazekurs sind Sie schon bei der Steuerreform
gescheitert. Wollen Sie, dass sich dieses Desaster bei der
Rentenreform wiederholt? Wir jedenfalls werden da nicht
mitmachen.
({5})
Fünftens haben Sie gefordert, die Alterssicherungssysteme müssten so ausgestaltet sein, dass Altersarmut nicht
entstehen könne. Herr Merz, genau das erreichen wir mit
unserem Gesetzentwurf. Denn erst dann, wenn alte Menschen einen eigenständigen Anspruch auf Sozialhilfe haben, ohne dass auf die Kinder zurückgegriffen wird, werden wir die verschämte Altersarmut wirklich überwinden.
Ich halte also fest: Wir machen längst das, was Sie vor
zwei Monaten in diesem Hause vorgetragen haben.
Das ist aber nicht alles. Schon lange haben wir eine
Kinderkomponente sowohl in der gesetzlichen als auch in
der privaten Rente vorgesehen. Was aber machen Sie? Sie
finden immer wieder neue Ausflüchte, nicht in den Rentenkonsens einzusteigen. Der Grund liegt darin, dass Sie
sich vor der Verantwortung drücken wollen. Sie treiben
ein zynisches Spiel auf dem Rücken der jungen Generation. Sie wollen in Wirklichkeit diesen Rentenkonsens
überhaupt nicht, sondern Sie tragen einen Machtkampf innerhalb der Union aus.
({6})
Frau Merkel will ja eigentlich den Konsens, wie wir
wissen. Herr Stoiber will Fundamentalopposition, wie er
immer wieder deutlich macht. Und Sie, Herr Merz, können sich an diesem Punkt offensichtlich nicht entscheiden, vielleicht weil Sie Angst haben, dann erneut auf der
Seite des Verlierers zu landen. Ich kann nur fragen: Wer
hat bei der Union eigentlich das Zepter in der Hand?
({7})
Wer bestimmt eigentlich die Richtlinien Ihrer Politik: der
CSU-Vorsitzende oder wer? Ich finde, das sollten Sie erst
einmal klären, damit Sie mit Ihrem Chaos nicht weiter
eine Einigung in der Rentenpolitik verhindern; denn wir
brauchen einen Rentenkonsens.
({8})
- Bei uns ist das völlig geklärt, keine Sorge.
Es geht hier nicht um Sie, sondern um die langfristige
Sicherung der Altersvorsorge. Sie machen das, was bei
diesem Thema schon viel zu lange gemacht wird: Sie betreiben eine schamlose Verunsicherung der Bürger, wider
besseres Wissen und gerade auf dem Rücken junger Menschen.
Wir wollen den Generationenvertrag erneuern. Wir
sorgen dafür, dass alle Generationen - das sagen wir ganz
ehrlich - von Anfang an ihren Beitrag leisten. Dabei sind
wir - das wiederhole ich hier - im Interesse der Menschen
nach wie vor zum Konsens bereit. Herr Merz, suchen Sie
nicht weiter nach neuen Ausflüchten. Halten Sie Ihr Versprechen, das Sie in Ihrer Rede am 13. September hier gegeben haben. Stimmen Sie diesem guten Rentenentwurf
endlich zu und beteiligen Sie sich konstruktiv!
({9})
Im Gegensatz zur Opposition hat diese Regierung klare
Konzepte. Wir haben die notwendige Modernisierung
nach den Jahren des Stillstands unter der alten Regierung
begonnen. Die Steuerreform entlastet nachhaltig besonders Familien, Menschen mit kleinen Einkommen und die
mittelständische Wirtschaft. Und, Herr Glos: Weil ja insbesondere die Grünen eine so mittelstandsfeindliche Politik machen, erhält heute Christine Scheel, die Vorsitzende des Finanzausschusses, den Mittelstandspreis,
wozu ich ihr im Namen meiner Fraktion und auch im Namen der SPD ganz herzlich gratulieren möchte.
({10})
Mit der ökologischen Steuerreform haben wir die Arbeitskosten Schritt für Schritt gesenkt. Wir sorgen dafür,
dass die Rentenbeiträge weiter sinken, dass die Beiträge
in der gesetzlichen Krankenkasse stabil bleiben. Wir sind
zuversichtlich, dass wir spätestens 2002 auch die Beiträge
zur Arbeitslosenversicherung senken können. Diese Koalition hält jedenfalls an dem Ziel fest, die Lohnnebenkosten bis 2002 unter 40 Prozent zu senken.
Wir schaffen damit die Voraussetzung für eine dauerhaft bessere Wirtschaftsentwicklung und für den schnellen Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Die aktuellen Daten zeigen ganz klar, dass dieser Kurs zum Erfolg
führt. Wir haben im Schnitt rund 500 000 Arbeitslose weniger als in Ihrem letzten Regierungsjahr, meine Damen
und Herren von der Opposition. Zwei Jahre nach Regierungsantritt, im Oktober dieses Jahres, hatten wir mit
8,9 Prozent die niedrigste Arbeitslosenquote seit November 1994. Darauf kann man sich nicht ausruhen, aber das
ist ein Erfolg!
({11})
Unser strikter Kurs der Haushaltskonsolidierung hat zu
diesem Erfolg beigetragen. Wir machen Schluss mit dem
Wirtschaften auf dem Rücken zukünftiger Generationen
und wir sichern mit dieser Politik langfristig die Handlungsfähigkeit des Staates.
Auch bei der Verwendung der Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen haben wir an diesem Kurs
festgehalten - was die F.D.P. am liebsten nicht getan hätte,
wie Sie in jedem Interview wieder beteuern. Wir haben
diese Gelegenheit genutzt, um die gigantische Verschuldung in Höhe von 1,5 Billionen DM, die Sie uns hinterlassen haben
({12})
Kerstin Müller ({13})
- ich glaube, das bestreitet niemand mehr -,
({14})
um 100 Milliarden DM zu reduzieren. Mit den Zinsersparnissen finanzieren wir in den nächsten drei Jahren
ganz wichtige Zukunftsinvestitionen: Klimaschutz, Energieforschung, Bildung und wichtige Investitionen in die
Infrastruktur; zum Beispiel: Allein 6 Milliarden DM
fließen in die Schiene.
Herr Brüderle, dass Sie sich hier überhaupt trauen, von
der Bahn und der Bahnreform zu reden, ist unfassbar.
Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und F.D.P.,
haben die Bahn über Jahrzehnte verkommen lassen. Wir
sorgen jetzt erstmals für einen Investitionsschub,
({15})
der die Bahn vom Stand der 30er-Jahre ins neue Jahrtausend bringen soll. Dieses Zukunftsprogramm ist - das
kann man wirklich sagen - das größte ökologische Modernisierungsprogramm, das in diesem Bundestag je beschlossen wurde. Darauf sind wir zu Recht stolz.
Diesen Kurs der Konsolidierung und Innovation setzen
wir auch mit diesem Haushalt fort. Schon die im Regierungsentwurf vorgesehene Neuverschuldung lag mit
46,1 Milliarden DM erneut unter der des Vorjahres. Dennoch konnten die Fraktionen sie nochmals absenken auf
jetzt 43,7 Milliarden DM. Die Gesamtausgaben sinken
um 0,4 Prozent, die Investitionsquote dagegen steigt auf
12,2 Prozent.
Das ist seriöse, nachhaltige Finanzpolitik. Ich füge
hinzu: Wir sparen nicht nur, wir gestalten auch. Wir haben
mit diesem Haushalt wichtige zusätzliche Akzente gesetzt: Die Aufstockung des Markteinführungsprogramms
für erneuerbare Energien um 100 Millionen DM war ein
großer Schritt in Richtung ökologische Energieversorgung. Die Deutsche Bahn AG erhält 800 Millionen DM
als Betriebskostenzuschuss statt als Darlehen. Auch hiermit schaffen wir zusätzliche Perspektiven für ein attraktives Bahnangebot. Mit der Aufstockung der Mittel für das
Altbausanierungsprogramm um weitere 800 Millionen
DM ermöglichen wir pro Jahr die Sanierung von insgesamt rund 150 000 Altbauwohnungen. Damit schaffen wir
Arbeitsplätze im Handwerk und in der Bauwirtschaft.
Mit diesem Haushalt geben wir auch ein klares Signal
für eine internationale Politik der Konfliktvermeidung
und für die Verstärkung der Entwicklungszusammenarbeit. Der Entwicklungshilfeetat steigt im Vergleich
zum Regierungsentwurf um 207 Millionen DM und liegt
damit - trotz Sparhaushalt! - 4,6 Prozent über dem des
Vorjahres. Zusätzlich stellen wir 100 Millionen DM für
den Aufbau in Serbien und 40 Millionen DM für die Krisenprävention bereit.
({16})
Meine Damen und Herren, das zeigt: Dieser Haushalt
stärkt die Beschäftigung in Ost- und Westdeutschland,
schafft mehr soziale Gerechtigkeit, unterstützt die ökologische Erneuerung und baut die Handlungsfähigkeit deutscher Außenpolitik weiter aus.
Ich will ganz klar feststellen: Der Haushaltsausschuss
insgesamt, aber ganz besonders die Haushälter der beiden
Regierungsfraktionen haben hier in den letzten Wochen
eine ausgezeichnete Arbeit geleistet. Dafür möchte ich Ihnen an dieser Stelle im Namen meiner Fraktion ganz ausdrücklich danken.
({17})
Die jetzige Regierung schafft die Voraussetzungen für
eine notwendige Modernisierung unseres Landes. Wir geben dieser Modernisierung eine klare soziale und ökologische Richtung. Wir stärken das Solidarprinzip in dieser
Gesellschaft, nachdem Sie jahrelang auf Entsolidarisierung gesetzt haben. Denn, verehrte Damen und Herren
von der Opposition, es ist nicht gerade ein Zeichen besonderer Ehrlichkeit, wenn Frau Merkel hübsche Papiere
zur so genannten Wir-Gesellschaft schreibt, Sie aber
gleichzeitig eine Politik betrieben haben, die auf direktem
Weg in die Ich-Gesellschaft geführt hat. Mittlerweile ist
es doch so: Weder bescheinigen Ihnen die Gewerkschaften irgendeine soziale Kompetenz noch die Arbeitgeber
irgendeine Wirtschaftskompetenz. Sie haben das Erbe
von Ludwig Erhard längst verspielt. Soziale Marktwirtschaft, das ist für Sie mittlerweile ein Fremdwort.
({18})
Wir sind der Meinung, dass wir auch in Zukunft einen
fairen Ausgleich der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern brauchen. Auch wenn wir Grüne nicht immer in allen Punkten mit den Gewerkschaften übereinstimmen, sind wir ganz klar der Meinung: Wir brauchen
für diesen Ausgleich starke Gewerkschaften und starke
Betriebsräte. Deshalb müssen wir das Betriebsverfassungsgesetz reformieren. Wir werden die Wahl von Betriebsräten in kleinen und mittleren Betrieben erleichtern
und damit die demokratische Mitbestimmung stärken.
Mehr Chancengleichheit für Frauen, mehr Mitbestimmung in Umweltfragen und eine bessere Berücksichtigung der Belange von Jugendlichen - all das, so meinen
wir, ist überfällig, all das muss reformiert werden.
Wenn wir von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Flexibilität, mehr Verantwortung und mehr Risikobereitschaft erwarten, gerade dann müssen wir ihnen
auf der anderen Seite auch mehr Sicherheit und mehr
Mitbestimmungsrechte in den Betrieben gewähren. Mehr
Einsatz und mehr Flexibilität, aber weniger Mitbestimmung und weniger Verantwortung, Herr Brüderle, liebe
Kollegen von der F.D.P., das ist meines Erachtens nicht
modern, das ist aus dem vorletzten Jahrhundert. Ich stelle
hier für meine Fraktion klar - das unterscheidet uns fundamental -: Die Modernisierung und Stärkung des Solidarprinzips, das dürfen keine Gegensätze sein, das gehört
für uns zusammen.
({19})
Wir geben der Modernisierung auch eine klare ökologische Richtung. Das Scheitern des Klimagipfels in Den
Kerstin Müller ({20})
Haag ist ein schwerer Rückschlag für alle Menschen, die
sich für den Klimaschutz engagieren. Ich kann nur sagen:
Die Blockade des weltweiten Abkommens zum Schutz
des Klimas vor allem durch die USA, Japan, Kanada und
Australien ist absolut unverantwortlich.
Verehrte Frau Merkel, ich finde, es ist an Dreistigkeit
kaum zu überbieten, ausgerechnet Umweltminister
Jürgen Trittin für diese Blockade verantwortlich zu machen. Sämtliche Umweltverbände, von Greenpeace bis
zum BUND, haben die positive Rolle der deutschen Regierung hervorgehoben - und ich sage: zu Recht.
({21})
Wenn Sie als Sprachrohr der wirklichen Blockierer jetzt
Jürgen Trittin den schwarzen Peter zuschieben wollen,
dann zeigt das doch nur eines: Sie hätten an seiner Stelle
wahrscheinlich jeden faulen Kompromiss auf Kosten des
Klimas und auf Kosten künftiger Generationen mitgemacht.
({22})
Man schützt das Klima nicht mit dem Hinweis auf die
Existenz von Wäldern, wie das die Amerikaner gerne gehabt hätten, sondern nur durch eine echte Reduzierung der
Schadstoffe. Es ist gegen jede Vernunft, den Schutz unserer Lebensgrundlagen kurzfristigen wirtschaftlichen Profitinteressen ausschließlich einzelner Unternehmer zu opfern.
Das vorläufige Scheitern des Weltklimagipfels wird
uns deshalb nicht dazu bringen, die eigenen Anstrengungen zurückzunehmen. Im Gegenteil: Wir werden den Klimaschutz weiter in den Mittelpunkt unserer Politik stellen. Die Regierung hat mit dem bereits beschlossenen
nationalen Klimaschutzprogramm gezeigt: Wir tun alles, um die CO2-Belastung bis 2005, wie in Rio vereinbart, gegenüber 1990 um 25 Prozent zu reduzieren
({23})
durch die Energieeinsparverordnung, durch den Ausbau
der erneuerbaren Energien, indem wir Kraft-WärmeKopplung stärken, durch Investitionen in die Schiene,
durch das Altbausanierungsprogramm und durch die
Ökosteuer, denn die sorgt sowohl bei den Menschen als
auch bei der Automobilindustrie für den Anreiz, Energie
einzusparen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, gerade wegen Ihrer wirklich gnadenlosen Verdummungskampagne zur Ökosteuer kann ich Ihre Krokodilstränen
über den Ausgang der Klimaschutzkonferenz wirklich
nicht ernst nehmen.
({24})
Was haben Sie denn geleistet während Ihrer Regierungszeit? Ich will Ihnen sagen, was Sie gemacht haben: Ihr
Klimaschutzprogramm bestand doch allein aus der
Schließung von Unternehmen in Ostdeutschland nach der
Wiedervereinigung. Ansonsten haben Sie in Sachen
Klimaschutzprogramm nichts geleistet. Wir werden weiter konsequente Klimaschutzpolitik machen, weil wir das
vor allem den nachfolgenden Generationen schuldig sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kurzsichtigkeit
ökologiefeindlicher Politik, die sich nur an vordergründigen Verbandsinteressen orientiert, erweist sich in den letzten Wochen ein weiteres Mal, nämlich in der Diskussion
über BSE. Ich glaube, Andrea Fischer, die Gesundheitsministerin, hat zu Recht gesagt: Wir erleben hier den GAU
der industrialisierten Landwirtschaft.
({25})
Der Vertrauensverlust bei den Verbrauchern ist wirklich
immens.
Ich meine, dass nach den ersten bekannt gewordenen
BSE-Fällen in Deutschland die Regierung konsequent
und auch schnell gehandelt hat. Alle geschlachteten Rinder über 30 Monate werden künftig auf BSE getestet.
Noch in dieser Woche werden wir mit dem ganzen Hause
hier ein umfassendes Tiermehlverbot beschließen - eine
Forderung übrigens, die die Gesundheitsministerin schon
vor Bekanntwerden der BSE-Fälle vertreten hat.
Und dennoch - ich glaube, das ist der Punkt, über den
wir nachdenken müssen -: Wir stehen heute mit diesem
Skandal vor dem Scherbenhaufen einer grundsätzlich
falschen Landwirtschaftspolitik, und zwar über Jahrzehnte hinweg. Niemand von uns kann behaupten, wir
hätten es nicht gewusst. Viele haben immer wieder davor
gewarnt. Seit 14 Jahren ist BSE bekannt. Spätestens seit
1988 gilt Tiermehl als Hauptüberträger von BSE. Trotzdem wurde in der EU erst 1994, also sechs Jahre später,
das Verfüttern von Tiermehl verboten, und bis heute kann
eine Vermischung nicht ausgeschlossen werden. Auch die
Entwicklung der Tests - das muss man hier leider offen
sagen - steht immer noch am Anfang.
Es gab nur sehr wenige verantwortliche Politikerinnen
und Politiker, die konsequent gegen die unselige Allianz
von Teilen der Politik und dem Bauernverband Maßnahmen gegen BSE gefordert und durchgekämpft haben.
({26})
Das möchte ich hier sehr deutlich sagen. Dazu gehört
wohl unbestritten die grüne Umwelt- und Landwirtschaftsministerin aus Nordrhein-Westfalen, Bärbel Höhn.
({27})
Dazu gehört ganz sicher nicht Jochen Borchert. Der hat
noch im März 1998 in Brüssel vehement dafür plädiert,
das Verbot der Verwendung von Risikomaterialien wie
Rückenmark und Nieren zu verschieben, übrigens auf
Druck aus der bayerischen Staatskanzlei, Herr Glos.
({28})
Wie viel Skrupellosigkeit gehört eigentlich dazu, wenn
ausgerechnet der bayerische Ministerpräsident der rotgrünen Bundesregierung Versäumnisse vorwirft?
({29})
Kerstin Müller ({30})
Wenn einer auf der Bremse gestanden hat, dann war das
an allererster Stelle Edmund Stoiber und mit ihm die
Agrarlobby aus Bayern.
({31})
Dass Sie die BSE-Gefahren immer noch verharmlosen,
hat gerade erst der bayerische Landwirtschaftsminister
Josef Miller bewiesen, den wir in der „Süddeutschen Zeitung“ vor zwei Tagen mit den Worten vernehmen konnten: „Bayern ist BSE-frei!“ Wie viel ungeheuerliche Arroganz gehört dazu, jetzt noch solche Behauptungen
aufzustellen? Das ist derselbe Minister, der Gesundheitsministerin Andrea Fischer noch vor Monaten gedrängt
hat, zusätzliche Maßnahmen zur BSE-Bekämpfung in
Brüssel zu blockieren.
Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Wer im
Glashaus sitzt, sollte wirklich besser nicht mit Steinen
schmeißen.
({32})
- In dieser Frage lassen sich die Grünen überhaupt nichts
zuschulden kommen. Wir haben jahre- und jahrzehntelang an dieser Stelle vor den Gefahren gewarnt und immer
wieder die industrialisierte Landwirtschaft kritisiert. Wir
alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen hier umdenken. Und ich bin froh, dass dieses Haus in dieser Woche sehr konsequent und schnell handeln wird mit dem
Tiermehlverbot.
({33})
Die Geschichte der BSE-Skandale hat uns eindringlich
vor Augen geführt, wo die Ursachen liegen. Wir müssen
uns von der industriellen Massentierhaltung verabschieden, wir müssen umkehren zu einer artgerechten Tierhaltung, zum ökologischen Landbau, zur regionalen
Vermarktung und zu einer EU-Politik, die diesen Strukturwandel in der Landwirtschaft unterstützt.
({34})
Ich hoffe, dass Essen und Trinken wieder Genuss und Lebensqualität bedeuten werden und eben nicht ein massives Gesundheitsrisiko.
({35})
Modernisierung heißt für uns auch Stärkung der Demokratie und der Bürgerrechte und das ist gerade im
Kampf gegen den Rechtsextremismus wichtig. Die rotgrüne Regierung hat hier einen großen Schritt nach vorn
gemacht, denn die fundamentale Grundlage unserer Zivilgesellschaft sind gleiche Rechte für alle Minderheiten.
({36})
Das Gesetz zur Schaffung der eingetragenen Partnerschaft für schwule und lesbische Lebensgemeinschaften
ist ein zentraler Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie
und zur Stärkung der „Wir-Gesellschaft“, liebe Frau
Merkel. In Ihrer Regierungszeit wurden die Partner in solchen Lebensgemeinschaften vom Gesetz wie Fremde behandelt, selbst wenn sie seit Jahrzehnten zusammenlebten, selbst wenn sie alles miteinander teilten, füreinander
einstanden und einer für den anderen sorgte.
Indem wir diese massive Diskriminierung, diese Missachtung der Persönlichkeitsrechte jetzt beenden, verhelfen wir nicht nur Lesben und Schwulen zu ihrem Recht,
sondern stärken wir auch den Gedanken der sozialen Verantwortung und der Toleranz gegenüber Minderheiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eben dieses Signal
brauchen wir in Deutschland angesichts der schrecklichen
Gewalttaten gegenüber Minderheiten in unserem Land.
Auch deshalb kam dieser Gesetzentwurf genau zur rechten Zeit.
({37})
Ich möchte Sie von der Union noch einmal auffordern:
Sorgen Sie am 1. Dezember, wenn der Gesetzentwurf zur
Abstimmung im Bundesrat ansteht, dafür, dass Ihre Länder zustimmen. Verweigern Sie sich zumindest nicht den
Verhandlungen im Vermittlungsausschuss. Zeigen Sie
wenigstens hier, dass Sie „mitten im Leben“ stehen, wie
Ihr Slogan heißt, und nicht am rechten Rand.
Herr Brüderle und liebe Kollegen von der F.D.P., ich
bin gespannt, wie viel Ihre Stimme in den Landesregierungen von Hessen, Baden-Württemberg und RheinlandPfalz wert ist, wenn es um diese fundamentalen Freiheitsrechte für Minderheiten in unserer Gesellschaft geht. Wir
müssen den Entwurf im Bundesrat verabschieden und
dafür sind die Stimmen der F.D.P. sehr wichtig.
({38})
Die feigen antisemitischen Anschläge auf die Synagogen in Düsseldorf und Berlin, die Anschläge auf Gedenkstätten und Asylbewerberheime bestätigen eindringlich,
dass Paul Spiegel in seiner Rede am 9. November in Berlin Recht hatte, als er sagte:
Über das Stadium „Wehret den Anfängen!“ sind wir
längst hinaus ... Wir befinden uns bereits mittendrin
im Kampf gegen rechts.
Meine Damen und Herren, so zeigen die Erkenntnisse
von Bund und Ländern: Auch die NPD ist nicht nur eine
widerliche rechtsextreme und antisemitische Partei, sie
nutzt das Parteienprivileg auch zur Anstiftung und Verschleierung rechtsextremer Gewalttaten gegen Einwanderer und Flüchtlinge, gegen Menschen jüdischen Glaubens
und Obdachlose.
Deshalb möchte ich noch einmal eindringlich an die
Abgeordneten des ganzen Hauses appellieren: Wir können dem nicht tatenlos zusehen! Ich meine, diese Partei
muss verboten werden und der Bundestag sollte deshalb
Kerstin Müller ({39})
einen Verbotsantrag mit größtmöglicher Geschlossenheit
unterstützen.
({40})
Ich möchte für meine Fraktion klarmachen: Natürlich
reicht ein NPD-Verbot allein nicht aus. Das allein hindert
keinen rechten Gewalttäter und schützt kein Opfer rechter Gewalt. All das erreichen wir - das möchte ich ebenfalls sehr deutlich sagen - auch nicht mit einer Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit.
Natürlich ist es widerlich, wenn diese grölenden braunen
Gruppen am Brandenburger Tor oder gar am HolocaustMahnmal aufmarschieren; aber sollten wir darauf wirklich mit der Einschränkung dieses wichtigen demokratischen Grundrechts reagieren? Ich meine, das wäre
eher die Kapitulation des Rechtsstaats vor den rechten
Gewalttätern und genau das sollten wir nicht tun.
({41})
Wir müssen gegen die Vergiftung in den Köpfen und
den Herzen der Menschen angehen, wenn wir Rassismus,
Antisemitismus und Rechtsextremismus wirksam und
dauerhaft bekämpfen wollen. Deshalb, meine Damen und
Herren von der CDU, möchte ich noch einmal auf Ihren
hessischen Ministerpräsidenten zurückkommen, der inzwischen immer häufiger als einer Ihrer zahlreichen
nächsten Kanzlerkandidaten gehandelt wird. Was der sich
in der vergangenen Woche geleistet hat, spottet wirklich
jeder Beschreibung. Zum Anstieg der Anzahl rechtsradikaler Straftaten sagte Herr Koch im „Stern“ der vergangenen Woche:
Und das hat nichts mit zunehmendem Radikalismus
zu tun, sondern mit Teilen der Medien.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass dieser
Mann so schnell wie möglich aus der Regierungsverantwortung verschwinden muss, dann ist das dieser gefährliche Unsinn.
({42})
Es sind doch nicht die Medien, die endlich nach Jahren
des allgemeinen Schweigens das immense Problem rechter Gewalt thematisieren, sondern solche Politiker, die immer noch verharmlosen, die immer noch Wahlkampf auf
dem Rücken von Minderheiten führen, die immer noch
weiter zündeln: Sie schaffen den Nährboden, auf dem der
Rechtsradikalismus in Deutschland wachsen und gedeihen kann. Das ist gefährlich und nicht die Tatsache,
dass man über den Anstieg der rechtsradikalen Straftaten
spricht.
({43})
Deshalb - ich meine das wirklich ernst - sollten Sie
sich noch einmal genau anschauen, was der Vorsitzende
des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, am 9. November
gesagt hat.
({44})
Er sagte nämlich:
Überlegen Sie, was Sie sagen, und hören Sie auf, verbal zu zündeln! Schützen Sie die Menschen in unserem Land und schaffen Sie Rahmenbedingungen, damit wir alle gemeinsam leben können.
Ich kann nur sagen, wir haben an dieser Mahnung
nichts zu kritisieren. Wir nehmen diese Mahnung ernst.
Vielleicht sollten Sie noch einmal darüber nachdenken, ob
Sie diese Mahnung nicht auch ernst nehmen, statt gegen
diese sehr nachdenkliche und wichtige Rede des Zentralratsvorsitzenden Sturm zu laufen.
({45})
Wir sind hier aktiv geworden. Wir stellen in diesem
Haushalt 75 Millionen DM zur Bekämpfung des Rechtsextremismus bereit. Was machen Sie? Loben Sie die
Weitsicht oder die Konsequenz der Regierungsfraktionen? - Nein, Sie werfen mit völlig verantwortungslosen
Vorwürfen um sich: Die Regierung habe ein gestörtes Verhältnis zum Vaterland. - Sie, Frau Merkel, lieben es dagegen so inbrünstig wie sonst keine, wie man überall lesen kann.
({46})
Laurenz Meyer, Ihre neue Zauberwaffe, verkündet, er sei
stolz, ein Deutscher zu sein, und Herr Merz tritt bekanntermaßen die unsägliche Debatte um die deutsche Leitkultur los.
Ich kann nur sagen: Halten Sie inne! Machen Sie
Schluss mit dieser miefigen Politik aus der nationalkonservativen Mottenkiste! Wachen Sie doch auf! Wir sind
am Beginn des 21. Jahrhunderts und die Zeit der
Deutschtümelei ist vorbei. Wir können solche Debatten in
Deutschland nicht gebrauchen. Wir brauchen endlich eine
vernünftige Debatte über Einwanderung, nicht aber solche deutschtümelnden Diskussionen, die alle in diesem
Land nur noch nerven.
({47})
Dieser Begriff der deutschen Leitkultur taugt nicht als
Leitlinie für die Integration von Einwanderern. Kultur ist
Vielfalt und nicht Einfalt.
Der Staat ist in erster Linie ein Rechtsinstitut und
kein Erziehungsinstitut. Man muss Menschen als Individuen behandeln und beurteilen, nicht nach ihrer
Religion oder Abstammung. An die Behauptung von
Nationaleigenschaften kann man nicht die Erteilung
oder Verweigerung von Rechten knüpfen. Wer die
gleichen Pflichten zu erfüllen bereit ist, muss die
gleichen Rechte besitzen.
Diese Sätze stammen nicht aus dem grünen Wahlprogramm, das, werter Herr Merz - Sie werden es sicher sofort erkannt haben, da Sie sich vermutlich ausführlich mit
der deutschen Kulturgeschichte befasst haben -, schrieb
Kerstin Müller ({48})
Wilhelm von Humboldt, und zwar bereits 1809, über das
Zusammenleben von Christen und Juden. Ich kann nur
sagen: Das ist auch heute noch hochaktuell für das Zusammenleben in unserer multikulturellen Demokratie.
({49})
Ich bin davon überzeugt: Was wir brauchen, ist wirklich eine sensible und vernünftige Debatte über die Gestaltung der Einwanderung; denn Deutschland braucht
Einwanderung, weil wir in vielen Wirtschaftsbereichen
den Fachkräftebedarf nicht ausschließlich mit eigenen
Kräften decken können, weil wir ohne den internationalen Austausch von Spitzenkräften in Forschung und Technologie bald zurücklägen und wegen der demographischen Entwicklung, also der absehbaren Überalterung
unserer Gesellschaft, und nicht zuletzt - das will ich hier
auch sagen - deshalb, weil wir selbst ein massives Interesse daran haben, unseren humanitären Verpflichtungen
aus der Verfassung und aus völkerrechtlichen Verträgen
nachzukommen.
Deshalb sage ich: Wir brauchen noch in dieser Legislaturperiode ein Einwanderungsgesetz. Das ist jedenfalls
die Debatte, die wir endlich führen müssen. Wie wollen
wir künftig Einwanderung in dieser Gesellschaft gestalten?
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und
der CSU, haben auf ihren Parteitagen leider erneut deutlich gemacht, dass Sie immer noch an den alten Lebenslügen kleben. Wie anders kann ich das verstehen, wenn
Sie verkünden: „Deutschland ist kein Einwanderungsland?“ Für Sie ist die Erde wohl immer noch eine
Scheibe?
Zum Asylrecht schweigen Sie, während Ihre Schwesterpartei CSU von nicht zu überbietender Klarheit ist. Die
CSU will kein Einwanderungsgesetz, sondern sie will ein
Asylbeseitigungsgesetz. Ich will hier sehr deutlich sagen:
Darum wird es nicht gehen. Weder mit den Grünen noch
mit der SPD - das haben uns die Kollegen sehr deutlich
gesagt - wird es eine Verschärfung des Asylrechts geben.
Wir brauchen keine Einschränkung des Asylrechts. Wir
müssen Schutzlücken schließen. Für die Regierungsfraktionen sage ich sehr deutlich: Mit uns wird es keinen Abbau und keine Verschärfung des Asylrechts geben.
({50})
Ich glaube, nicht nur an der Einwanderungsfrage zeigt
sich heute in aller Klarheit: Die Opposition hat keine
Antworten auf die drängenden Fragen der Zukunft. Sie
sucht deshalb ihr Heil in unglaubwürdigen Kampagnen
und völlig haltlosen Angriffen. Wir können aber ganz gelassen sein;
({51})
denn Sie haben keine Chance: Diese Regierung schafft
mehr Solidarität und sorgt für die ökologische Erneuerung. Wir stärken den Verbraucherschutz und bauen Demokratie und Bürgerrechte aus. Ich bin überzeugt: Das ist
der richtige Weg in die Zukunft. Wir werden diesen Weg
unbeirrt gemeinsam fortsetzen.
Danke schön.
({52})
Ich erteile dem Kollegen Roland Claus, Vorsitzender der PDS-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die linke Opposition im Deutschen Bundestag hat es sich auch mit dem Haushalt für
2001 nicht leicht gemacht. Wir haben sehr sorgfältig abgewogen, wo Ausgabenerhöhungen durch Einnahmeerhöhungen ausgeglichen werden können. Wir versuchen
auf diesem Wege, die öffentliche Meinung ein Stück zu
korrigieren, dass die Sozialisten - die Linken in dieser Republik - nur gute Verteilungskünstler sind. Wir wollen
den Nachweis antreten, dass wir auch von Finanz- und
Wirtschaftspolitik etwas verstehen.
({0})
Deshalb sind wir auch nicht mit der Formel angetreten:
Wir sind die Opposition und deshalb dagegen. Wir haben
uns inhaltlich mit dem Haushalt auseinander gesetzt.
Auch haben wir nicht versucht, die gesamte Gesellschaftspolitik auf ein Fußballfeld zu übertragen, wie
wir es heute gehört haben; denn jeder, der ein bisschen davon versteht, weiß: Beim Fußball kann man schnell ins
Abseits geraten. Auch das ist nicht unsere Logik.
({1})
Es gibt durchaus eine ganze Reihe von Haushaltsansätzen, die wir unterstützen. Ich möchte auch darauf
hinweisen, dass es eine ganze Reihe von Vorschlägen gibt,
die von unserer Fraktion eingebracht worden sind und mit
diesem Haushalt verwirklicht werden. Dennoch - das ist
das Ergebnis unserer Analyse - haben wir schwerwiegende Gründe für die Ablehnung dieses Haushaltes. Ich
will versuchen, Ihnen die wichtigsten zu nennen.
Ein erster Punkt: Auch mit dem Haushalt für 2001
transportieren Sie soziale Spannungen in die Zukunft. Das
ist der Preis für Ihren Schuldenabbau. Wir polemisieren
nicht gegen den Schuldenabbau schlechthin. Das wäre in
der Tat töricht. Wir haben nur gesagt: Schuldenabbau darf
nicht zum Selbstzweck werden.
({2})
Wir sehen das Problem darin, dass Sie die sozialen Spannungen, also die Unterschiede zwischen oben und unten
in dieser Gesellschaft, weiter in die Zukunft transportieren. Das ist nicht modern, sondern ein Zukunftsrisiko.
Wir wollen dabei nicht auf Gleichmacherei setzen.
Aber wir wollen eben auch nicht, dass wachsende Unterschiede in dieser Gesellschaft mit dem Haushalt festgeschrieben werden. Es ist eben so, dass der Reichtum
Weniger weiter ansteigt, während bei sehr vielen Menschen in diesem Lande leider eine zunehmende Armut zu
registrieren ist.
Kerstin Müller ({3})
Wenn Sie sich über solche Töne wundern, die Ihnen
vielleicht ein wenig klassisch vorkommen, dann muss ich
Ihnen sagen: Sie alle haben mehr oder weniger ungewollt
etwas dazu getan, dass auch künftig demokratische Sozialistinnen und Sozialisten zu diesem Bundestag
gehören. Sie sollten sich nicht wundern, wenn sich Sozialisten dann auch wie Sozialisten verhalten und solche Forderungen aufstellen.
({4})
Ich will das mit Zahlen untersetzen. Schauen wir uns
einmal an, was die Folgen Ihrer Politik sind. Stellen wir
einmal Folgendes gegenüber: auf der einen Seite einen
Vier-Personen-Haushalt mit einem Jahresbruttoeinkommen von 40 000 DM - das ist zugegebenermaßen relativ
wenig, aber kommt so selten nicht vor -, einer Wohnung
von 80 Quadratmetern und einem Auto; auf der anderen
Seite einen Zwei-Personen-Haushalt mit einem Jahresbruttoeinkommen von 100 000 DM - das ist ja noch nicht
wirklich reich -, einer Wohnung von 70 Quadratmetern
und einem Auto. Ich will an diesem Beispiel klar machen,
dass wir die Probleme nicht nur an den Polen suchen, sondern durchaus in der Lage sind, in der Mitte zu rechnen.
Jetzt haben wir folgende Ergebnisse: Der Vier-Personen-Haushalt mit einem Jahresbruttoeinkommen von
40 000 DM erfährt durch die Steuerreform eine Entlastung von 330 DM, aber er wird durch die Ökosteuer mit
500 DM zusätzlich belastet. Für ihn bleibt ein Minus von
170 DM.
({5})
- Ich komme gleich zu dem, was Sie in diesem Bereich
noch machen. Das weiß ich wohl.
({6})
Der Zwei-Personen-Haushalt dagegen erfährt eine Steuerentlastung von 1 620 DM. Dazu kommt durch die Ökosteuer eine Entlastung von 250 DM. Das ist ein Plus von
1 870 DM. Ich sage ausdrücklich: Wir gönnen diesem
Paar natürlich dieses Geld.
Das Problem, auf das wir aufmerksam machen wollen,
ist, dass Sie nicht in der Lage sind, auch an die sozial
Schwächsten in dieser Gesellschaft zu denken, und dass
Sie diese Verbesserung in den oberen Einkommensgruppen auf Kosten der sozial Schwächsten erreichen wollen.
({7})
Jetzt kommt das Problem, mit dem Sie es zu tun haben:
Nachdem Sie diese Gesetze gemacht haben, stellen Sie
fest, dass Sie solche sozialen Unterschiede nicht wollen.
Dann setzt sozusagen Ihr soziales Langzeitgedächtnis ein
und Sie erfinden Nachbesserungen wie die Entfernungspauschale. Ich will nur daran erinnern: In der ersten Haushaltslesung wurde Ihnen von unserer Fraktion genau diese
Pauschale dreimal vorgeschlagen. Aber da haben Sie immer gesagt: Daraus wird nichts, das machen wir so nicht.
Jetzt haben Sie selber darüber nachgedacht. Das Gleiche
gilt für die Heizkostenpauschale. Wir haben ein Problem
damit, dass das Soziale bei Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, in die Nacharbeit geraten ist. Es ist aus
dem Ansatz herausgenommen und in die Nachbesserung
verlagert worden.
({8})
Man muss leider feststellen: Wer es bei Ihnen nicht bis in
die Mitte schafft, der ist unten durch. Eine solche Politik
wollen wir nicht mitmachen.
({9})
Ein weiterer Punkt. Am Abbau der Arbeitslosigkeit
wollten Sie gemessen werden - mit dem Versprechen,
sich daran messen zu lassen, sind Sie vor den erfolgreichen Wahlen angetreten - und am Abbau der Arbeitslosigkeit müssen Sie jetzt auch gemessen werden.
({10})
Was haben wir gestern erlebt? Bundesminister Eichel
und auch heute der Fraktionsvorsitzende Struck haben
sich weitgehend von den Überlegungen fern gehalten, die
Aussagen am eigenen Wahlprogramm zu messen. Sie haben sich vorwiegend an der Vorgängerregierung Kohl gemessen. Diese ist aber doch nun zu Recht abgewählt worden. Dieser Vergleich macht insofern keinen Sinn.
Sie haben immerhin eins geschafft: Das Thema Arbeitslosigkeit von der Seite eins der Zeitungen auf die
Wirtschaftsseiten zu verlagern, also wieder - wenn man
so will - in die Mitte. Deshalb müssen wir Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie die Arbeitslosigkeit nicht
wirklich abgebaut haben, sondern vorwiegend den demographisch bedingten Rückgang zu Ihrem Erfolg erklärt
haben.
({11})
Langzeitarbeitslose - vor allem langzeitarbeitslose
Frauen - brauchen aber wirkliche Hilfe und nicht nur Erklärungen dieser Regierung. Man muss dazusagen: Die
Menschen wollen Unterstützung und Hilfe im Kampf gegen Arbeitslosigkeit. „Bei Ihnen werden sie aber nicht geholfen, bei Ihnen werden sie erklärt.“
({12})
Deshalb sagen wir, dass mit dem Haushalt die falschen
Signale gesetzt werden. Sie setzen sich für eine drastische
Kürzung der Bundesmittel für die Bundesanstalt für Arbeit ein. Das hat dramatische Folgen für ABM-Projekte.
Sie wissen das und wir fordern Sie deshalb auf, diese drastischen Kürzungen zurückzunehmen.
Sie geben zu wenig wirksame Hilfe für kleine und mittelständische Unternehmen - deshalb auch die Forderung
der PDS-Fraktion, diese Mittel um 330 Millionen DM zu
erhöhen. Das wären in der Tat Investitionen in die Zukunft.
({13})
Wir schlagen Ihnen vor, eine kommunale Investitionspauschale für die neuen Länder und für strukturschwache Regionen in den alten Ländern aus einem
relativ geringen Teil der UMTS-Einnahmen einzusetzen.
Wir haben das durchgerechnet und halten es für möglich.
({14})
Die PDS ist nicht wirtschaftsfeindlich. Wir sagen Ja zu
einer vernünftigen Wirtschaft, die sozial und ökologisch
Sinn macht. Wir fragen aber auch immer eins: Was ist der
gesellschaftliche Zweck von Wirtschaft? Sie kann sich ja
nicht im Selbstzweck erschöpfen.
Wir wollen diese Bewegung mit den Gewerkschaften
und nicht gegen sie. Es ist interessant, dass sich der Kollege Struck - das ist nicht verwunderlich - heute Morgen
eine regierungsfreundliche Äußerung des DGB-Vorsitzenden Schulte herausgegriffen hat. Sie haben aber doch
alle nicht vergessen - es ist erst einige Wochen her -, dass
der gleiche DGB-Vorsitzende Schulte Ihnen den Vorwurf
gemacht hat, unter Rot-Grün würden in diesem Land die
Reichen immer reicher und die Armen immer mehr werden. Sie können doch Ansichten nicht nur selektiv wahrnehmen.
({15})
Beim Thema Tarifverträge steht nicht die Opposition,
sondern die Koalition auf dem Schlauch.
({16})
Ich will diese Debatte zum Anlass nehmen, zur geplanten Bahnreform zu sprechen: Diese Reform geht in
die falsche Richtung. Gerade die Entwicklung der Ölpreise sollte doch den letzten Anstoß dazu geben, zu überlegen, ob wir nicht alternativ auf eine anders ausgestaltete
Bahnreform setzen sollten. Es darf nicht in erster Linie um
die Frage gehen, wie sich jede einzelne Strecke rechnet;
es muss zunächst die Frage gestellt werden: Wie viel Bahn
braucht dieses Land? Wir fordern eine Chancengleichheit
von Bahn und Straße.
({17})
Ich habe heute von meinen Kollegen in der Opposition
gelernt, dass die Regierung auch für jeden Stau auf der
Autobahn verantwortlich sein soll.
({18})
Ich habe das bisher immer selbstkritisch gesehen und auf
eigene Planungsfehler zurückgeführt. Ich möchte meine
Kollegen in der Opposition daran erinnern: Sie kommen
in Schwierigkeiten, wenn Sie die Regierung für jeden
Stau verantwortlich machen. Die Regierung könnte sonst
leicht für sich in Anspruch nehmen, für jede staufreie
Durchfahrt verantwortlich zu sein. Sie müssten dann jede
Woche viele Dankschreiben absenden.
({19})
Ich will auch zur BSE-Problematik sprechen, die
schon längst - und das völlig zu Recht - nicht mehr für
Witze taugt. Ich finde, es ist gut, dass Bundestag und Bundesregierung in dieser Woche handeln. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Äußerungen des Kollegen
Merz von gestern zurückkommen. Er hat uns aufgefordert, mit diesem Thema ernsthaft umzugehen, und dabei
die Regierung kritisiert, dass sie das Thema nicht ernsthaft genug angehe. Ein oder zwei Minuten nach diesen
Äußerungen hat er einen sehr instinktlosen Witz im Zusammenhang mit BSE losgelassen. Das passt nicht zusammen: BSE eignet sich nicht als Kampfinstrument gegen die Bundesregierung.
({20})
Wir verkennen nicht, was die Regierung leistet, möchten aber auf eines hinweisen: Wir beschließen in dieser
Woche den Bundeshaushalt und möchten Ihnen vorschlagen, noch in dieser Woche einvernehmlich einen Hilfsfonds für Landwirtschaftsunternehmen, die von der Seuche betroffen sind, in den Haushalt einzustellen. Wir
denken an einen Bundesfonds, der von den Länderagrarministerien - ergänzt durch entsprechende Landesmittel verwaltet werden könnte und auf diese Weise die Betroffenen eher erreicht und ihnen eine wirksame Hilfe bietet.
({21})
Ich sage das nicht im Sinne von Besserwisserei oder als
Kritik an der Regierung, aber der Haushalt ist nun einmal
die ureigene Sache des Parlaments. Deshalb sollten wir
ein möglichst einvernehmliches Zeichen setzen.
Auch künftig müssen wir weiter über die deutsche
Einheit reden, über die Angleichung der Lebensverhältnisse in allen Bundesländern. Wir beraten heute den ersten Bundeshaushalt nach zehn Jahren deutsche Einheit.
Am 3. Oktober des vergangenen Jahres wurde viel versprochen. Gemessen an diesen Versprechungen ist dieser
Haushalt leider enttäuschend. Ich gehöre nicht zu denen,
die die Sommersafari des Kanzlers in den neuen Bundesländern kritisiert haben. Ich bin der Meinung: Einmal sehen ist besser als siebenmal hören. Wir haben sehr genau
nachgeprüft, ob die Zusagen des Bundeskanzlers eingehalten wurden; sie wurden eingehalten - auch das gehört
zur Wahrheit.
({22})
Man muss aber eines klar feststellen: Es war gewissermaßen ein weiterer Trip des Bundeskanzlers ins Ausland.
Es war eine Reise in Bundesländer, die noch nicht wirklich als Teil des vereinten Deutschlands verstanden werden. Das ist unsere Kritik an dieser Reise.
({23})
Strukturprobleme in Deutschland sind längst kein reines Ostproblem mehr. Wir haben in einer ganzen Reihe
von schwachen Regionen Strukturprobleme. Der Osten
aber hat - das ist in diesem Zusammenhang ganz selten nach zehn Jahren deutsche Einheit dadurch einen Kompetenzvorsprung, dass er eine Reihe von Strukturproblemen erlebt und erfolgreich mit gelöst hat. Deshalb ist der
Weg zum Solidarpakt II längst nicht mehr eine Frage des
Transfers von West nach Ost, sondern ein gesamtdeutsches Problem. Schauen wir uns nur einmal die Arbeitslosenentwicklung in Bremerhaven und in anderen strukturschwachen Regionen an. Deshalb wird es so wichtig
sein, zum Solidarpakt II hin für diese Gesellschaft klarzuRoland Claus
stellen, welchen Weg wir gehen, ob wir den Weg in eine
Solidargemeinschaft gehen wollen oder ob es der Weg in
eine Ellenbogengesellschaft sein wird. Dafür müssen wir
auch mit diesem Haushalt Weichen stellen.
Ich will zwei weitere Vorschläge machen. Die PDS hat
wie andere auf ein Riesenproblem aufmerksam gemacht:
den Wohnungsleerstand im Osten. Das ist inzwischen
ein Bundesproblem geworden, und zwar durch die unselige Privatisierungs- und Altschuldenbelastungspolitik
und auch durch die verkorksten Sonderabschreibungen.
Deshalb schlagen wir Ihnen vor, 3 Milliarden DM aus den
Mobilfunklizenzerlösen für ein Sonderprogramm gegen
diesen Wohnungsleerstand einzusetzen. Wir können Sie
nur auffordern: Trauen Sie sich, einen solchen Schritt zu
tun. Es wäre ein Schritt in den selbsttragenden Aufschwung.
({24})
Es wäre auch ein Schritt nach der Losung: Aus dem Osten
etwas Neues, das für die ganze Republik von Nutzen sein
könnte.
Wir möchten auch darauf aufmerksam machen, dass
noch immer nicht absehbar ist, in welcher Weise eine
Rentenangleichung zwischen Ost und West erfolgen
sollte. Wir wissen, dass das nicht einfach ist; aber die
Schrittfolge wollen wir wissen. Wir wollen nicht, das ein
heute 20-Jähriger noch in 40 Jahren, also mit Eintritt ins
Rentenalter, gewissermaßen als Ossi identifiziert wird.
Sie sind ja ohnehin, wenn wir das richtig sehen, dabei, in
der Rentenreform einiges zu verändern. Ich glaube, man
kann schon jetzt absehen: Das wird nichts mit „Basta“.
Sie versuchen nun, wenn ich das recht verstehe, mit den
Gewerkschaften zu einem Konsens zu kommen, der besagt: Wir bringen den Ausgleichsfaktor wieder ein Stück
von dem weg, wo er jetzt ist. Wir reden über eine weitere
Förderung der betrieblichen Rente. Dafür erwarten wir
von euch einige Zugeständnisse. - Das geht in aller Stille
vor sich. Das ist „gestruckt“ und nicht „geschrödert“, was
wir jetzt erleben.
Es ist Ihnen heute noch einmal deutlich gesagt worden:
Der Versuch, in der Rentenfrage einen Mitte-rechts-Konsens zu erreichen, ist gescheitert. „Basta!“ hat man Ihnen
heute dazu gesagt.
({25})
Deshalb fragen wir Sie noch einmal: Warum in aller Welt
bringen Sie denn jetzt nicht den Mut auf, in der Rentenfrage einen Mitte-links-Konsens mit den Gewerkschaften, mit den Sozialverbänden, mit den Kirchen, auch
mit der PDS auf den Weg zu bringen? Aber das sollten Sie
dann bitte in aller Öffentlichkeit und nicht in aller Stille
tun.
({26})
Meine Damen und Herren, im Kampf gegen den
Rechtsextremismus haben wir wirkliche Fortschritte zu
verzeichnen. Wir haben gesellschaftlich etwas in Bewegung gebracht. Dazu haben der Bundestag und auch die
Bundesregierung einiges geleistet. In dieser Hinsicht enthält auch der Bundeshaushalt Fortschritte, aber, wie wir
meinen, viel zu wenige. Deshalb sollten wir uns dafür einsetzen, dass die positiven Beispiele viel mehr Schule machen.
Ich habe sehr viel Respekt vor dem Agieren des Bundestagspräsidenten, der nachweist, dass präsidiales Verhalten und das Vertreten einer eigenen Meinung zusammenkommen können. Ich wünschte mir aber, dass solche
positiven Beispiele in der Gesellschaft mehr Schule
machten und dass man endlich bei jenen Teilen der Industrie, die bei der Einzahlung in die Zwangsarbeiterentschädigungsfonds noch immer an dem unwürdigen Gezerre festhalten, zum Ziel käme.
({27})
Es besteht nämlich auch die Gefahr, meine Damen und
Herren, dass wir die 200 000 Menschen, die sich am
9. November auf den Weg gemacht haben, enttäuschen.
Deshalb brauchen wir mehr gesellschaftliche Konzepte
gegen rechts. Das Vorhandene reicht längst noch nicht
aus. Geld ist dabei nicht alles, aber Georg Weerth hatte
Recht, als er einst gesagt hat: Wo das Geld ist, da ist der
Teufel, aber wo kein Geld ist, da ist der Teufel gleich
zweimal.
({28})
Ich will hier nur daran erinnern, dass Ihnen die Fraktionsvorsitzenden von F.D.P. und PDS in der ersten Lesung
vorgeschlagen haben, eine große Bildungsoffensive im
Kampf gegen den Rechtsextremismus aufzulegen und
dafür die Zinsersparnisse aufgrund der Einnahmen aus
den Mobilfunklizenzen einzusetzen. Das wäre eine
Größenordnung bis zu 1 Milliarde DM. Sie sind dabei der
Logik nachgegangen: Gegen Nazis in den Köpfen hilft am
meisten Bildung. Gemessen an dem, was jetzt an positiven Ansätzen - die wir durchaus würdigen - herausgekommen ist, müssen wir sagen: Der Dimension dieses
Problems wird der Haushalt nicht gerecht.
Trotzdem werden wir weiter für gemeinsames Handeln
eintreten. Es war richtig und wichtig, dass alle Bundestagsfraktionen zur Teilnahme an den Kundgebungen vom
9. November gemeinsam aufgerufen haben. Wir stehen in
einer spezifischen Verantwortung. Wir Linken wollen
dafür eintreten und darum ringen, dass es in diesem Lande
einen gewinnenden und nicht einen ausgrenzenden Antifaschismus gibt. Aber wir wollen mit Ihnen zusammen
auch noch etwas anderes erreichen: Der Begriff „Antifaschismus“ muss aus dem Verfassungsschutzbericht verschwinden und in der gesellschaftlichen Werteskala aufgewertet werden.
({29})
Letzter Punkt - das ist das dunkelste Haushaltskapitel,
das Sie uns vorgelegt haben -: Wir haben es leider mit einem Einstieg in eine neue Aufrüstungsstrategie zu tun. Sie
haben 10 Milliarden DM in den nächsten Jahren für ein
Großraumflugzeug, einen regelrechten Überflieger, eingestellt, und zwar durch einen beispiellosen Handstreich
im zuständigen Ausschuss. Das wird eine grundsätzliche
Veränderung der Einsatzstrategie der Bundeswehr mit
sich bringen. In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen
eines ganz besonders vorhalten: Während die Diskussion
über die 10 Milliarden DM an einem einzigen Tag im AusRoland Claus
schuss durchgezogen wurde, warten und fordern wir seit
über zehn Jahren, dass der Ostwehrsold endlich an den
Westwehrsold angeglichen wird. Das haben Sie nicht geschafft. Für die Angleichung wären nur 2 Prozent der für
das Großraumflugzeug eingestellten Summe notwendig
gewesen.
({30})
Wir hatten mit unserer Kritik Recht, als wir vermutet haben, dass Ihr Ja zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien und
Ihr Ja zur deutschen Beteiligung nicht die punktuelle Ausnahme, sondern der faktische Einstieg in eine neue Strategie waren. Die Militärausgaben steigen, während die
Entwicklungshilfefonds stagnieren. Das sind wieder
falsche Signale.
({31})
Wir brauchen eine europäische Einigung, die zivil gestaltet und nicht militärisch dominiert ist.
Der Bundeskanzler hat in seiner gestrigen Europarede
gesagt: „Wir müssen Märkte in Osteuropa erobern.“ Ich
betone: erobern. Die Militanz in der Sprache verrät den eigentlichen Ansatz.
({32})
Dieser Ansatz ist falsch. Das ist keine Einladung an Osteuropa.
Herr Kollege Claus, kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine Damen und Herren, zum
Schluss möchte ich Ihnen sagen: Politik, auch Finanz- und
Haushaltspolitik, ist immer Menschenwerk. Sie ist nie
alternativlos.
({0})
Bis 1998 hörte ich Bundeskanzler Kohl immer wieder sagen, seine Politik sei alternativlos. Seitdem erklären mir
das Kanzler Schröder und die Minister Eichel, Riester und
andere. Wir aber wollen Ihnen sagen: Es geht auch immer
anders, wenn man es nur will. Eine solidarische Gesellschaft ist nicht unmöglich. Es lohnt sich weiterhin, um
eine gesellschaftliche Mehrheit für eine Mitte-links-Politik in Deutschland zu werben. Weil Sie es diesmal noch
nicht geschafft haben, das in Ihrem Haushalt zu verankern, können wir ihm auch nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort
hat jetzt der Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Gerhard Schröder, Bundeskanzler ({0}): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich habe durchaus amüsiert vor allem
dem Kollegen Glos zugehört - das tue ich immer gerne -,
genauso wie dem Kollegen Brüderle. Wer zugehört hat,
der wird gemerkt haben, dass die beiden - das war wirklich gelungen - in humorvoller Art und Weise, gelegentlich unterbrochen von rabaukenhaftem Verhalten
({1})
- mich hat das durchaus sympathisch berührt; haben Sie
das nicht gemerkt? das sollten Sie aber -,
({2})
über ein Land geredet haben, das jedenfalls nicht
Deutschland sein kann.
({3})
Die Situation in Deutschland ist anders - um das zu erkennen, muss man sich nur einmal mit der Wirklichkeit in
unserem Land befasst haben -, als Sie sie darzustellen
versucht haben. Durchaus sympathisch in der Art und
Weise, aber schrecklich falsch in der Klassifizierung unseres Landes und damit auch in der Klassifizierung dessen, was die Menschen in unserem Land leisten.
({4})
Wer die Wirklichkeit in Deutschland so verzeichnet wie
Union und F.D.P., der irrt, wenn er glaubt, dass er - das
scheint nur vordergründig so zu sein - damit in erster Linie die Bundesregierung trifft. Nein, Ihr Verhalten ist die
aus parteipolitischen Gründen bewusst vorgenommene
Missachtung der Leistungen von Millionen Menschen in
unserem Land. Das ist das, was Sie falsch machen.
({5})
Die erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung in
Deutschland ist doch das Ergebnis der Arbeit dieser Menschen. Das sollten Sie erfreut zur Kenntnis nehmen und zu
würdigen beginnen. Ihre Art, über Deutschland zu reden,
ist eine Beleidigung der Leistungskraft der Deutschen und
das werden diese spüren und Sie auch spüren lassen.
({6})
Befassen wir uns mit der Wirklichkeit und nehmen uns
erstens das wirtschaftliche Wachstum vor.
({7})
Beim wirtschaftlichen Wachstum in den ersten neun Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr haben wir
ein Plus von 3,2 Prozent, das heißt, dass wir im Jahr 2000
im Vergleich zum Vorjahr ein wirtschaftliches Wachstum
von 3 Prozent erreichen werden.
Der Sachverständigenrat sagt, 3 Prozent - meine Damen und Herren, da haben Sie hier Recht - sei eine
Menge, reiche aber nicht. Dies reicht auch uns nicht. Daher ist es sinnvoll, sich einmal zu fragen - was wir auch
gemacht haben -, woher es kommt, dass zu diesen schon
erfreulichen 3 Prozent - Sie hätten Freudentänze aufgeRoland Claus
führt, wenn Sie zu Ihrer Regierungszeit ein solches
Wachstum gehabt hätten,
({8})
aber wir sind ehrgeiziger - nicht noch ein paar zehntel
Prozentpunkte hinzugekommen sind.
Die Erklärung ist ziemlich einleuchtend und die geben
Sie auch in anderen Zusammenhängen immer mit. Wir haben in der Tat Probleme in der Bauwirtschaft mit einem
Schwerpunkt im Osten unseres Landes. Das ist gar keine
Frage. Es gibt dort Kapazitäten, die nicht ausgelastet sind
und auch nicht ausgelastet werden können. Es gab dort im
letzten und leider auch in diesem Jahr noch immer eine
sinkende Nachfrage nach Bauleistungen. Das ist bedauerlich.
Interessant ist nun, dass wir mit dem, was wir vorgelegt haben, nämlich durch die Zinsersparnisse, die aus der
Verwendung der UMTS-Erlöse resultieren, wirklich Investitionskraft zu schaffen, und mit dem, was sich dort ergeben wird, auch dieses Problems Herr werden. Aber klar
ist: Dadurch ist die wirtschaftliche Entwicklung speziell
im Osten unseres Landes noch immer nicht so gut, wie wir
es gerne hätten. Klar ist auch - das sagen nun wirklich alle
Sachverständigen -, dass die wirklich rasanten Ölpreissteigerungen in diesem Jahr, verantwortet durch die
OPEC, Wachstumsdellen verursacht haben, die das Ergebnis nicht noch besser ausfallen lassen, als es ohnehin
schon ist.
Aber von wirklich allen wirtschaftswissenschaftlichen
Experten werden 3 Prozent in diesem Jahr - das steht fest und 2,75 Prozent im nächsten Jahr trotz Ölpreissteigerungen prognostiziert.
({9})
Das steht so gut wie fest. Das ist ein Ergebnis, das Sie,
meine Damen und Herren, in den letzen Jahren Ihrer Regierungszeit zu keinem einzigen Zeitpunkt zu verzeichnen hatten.
({10})
Gehen Sie in sich und freuen Sie sich mit uns darüber,
dass die deutsche Wirtschaft, gespeist aus der Leistungskraft der Menschen in Deutschland, solche Erfolge zu zeitigen hat. Freuen Sie sich mit darüber und sitzen Sie nicht
miesepetrig herum und machen alles schlecht. Das bringt
doch nichts.
({11})
Ich sage noch einmal: Wenn es stimmt - viele Experten sagen das ja -, dass die Hälfte dessen, was sich in der
Wirtschaft vollzieht, auf Psychologie beruht, dann ist die
Miesepetrigkeit, dann ist das bewusste Schlechtreden aus
parteipolitischen Gründen, was Sie machen, ökonomisch
nachgerade gefährlich. Das dürfen Sie so nicht weitermachen.
({12})
Stellen Sie sich einmal vor, jemand aus dem Ausland hätte
die Rede von Herrn Glos oder von Herrn Brüderle gehört:
Was dächte der wohl über Deutschland?
({13})
Die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, ist zwar nicht
sehr groß; aber gefährlich wäre es schon, wenn Sie so über
Ihr eigenes Land reden.
({14})
Schauen wir uns an, was sich als Folge unserer Politik
auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland wirklich tut. Ich
habe die Zahlen des Jahres 1997, also des Jahres, bevor
wir ins Amt kamen, in etwa im Kopf: Die Zahl der Arbeitslosen lag zwischen 4,6 und 4,7 Millionen. Das können Sie nicht bestreiten. Das war das Ergebnis Ihrer Politik. Da sitzen Sie nun und schweigen mich an.
({15})
- Natürlich bekomme ich die Antwort nachher von Herrn
Merz. Das ist ganz klar. Er wird sich genauso, wie Sie es
eben getan haben, weiter in Schwarzmalerei ergehen. Das
wissen wir doch schon jetzt.
({16})
Das ist nichts Neues und für die Menschen in Deutschland
auch nichts Gutes, weil diese Form der Schwarzmalerei
jenen Optimismus wirklich nicht hervorbringt, den wir
brauchen und auf den wir angesichts der Erfolge der Menschen in Deutschland auch ein Recht haben.
({17})
Schauen wir uns an, was auf dem Arbeitsmarkt von
1997 bis jetzt passiert ist.
({18})
Am Ende dieses Jahres ist die Arbeitslosigkeit um nur etwas weniger als 1 Million niedriger als in der Schlussphase Ihrer Regierungszeit. Nach allen uns bekannten
Prognosen werden wir Ende des nächsten Jahres eine Arbeitslosigkeit von 3,5 Millionen - vielleicht wird sie sogar etwas darunter liegen - erreichen können. Nun höre
ich: Das reicht nicht. - Auch mir reicht das nicht; das ist
gar keine Frage. Aber es ist schon richtig, zu würdigen,
dass in den letzten zwei, zweieinhalb Jahren eine Menge
passiert ist.
({19})
Wenn ich die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland
von Oktober 2000 mit der von Oktober 1999 vergleiche,
Bundeskanzler Gerhard Schröder
dann stelle ich einen Anstieg von mehr als 550 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten fest.
({20})
Ich höre Sie schon reden, das reiche Ihnen nicht. - Auch
mir reicht das nicht; aber Sie haben dergleichen in den
16 Jahren, in denen Sie regiert haben, doch nicht einmal
zuwege gebracht. Was soll denn diese Art der Auseinandersetzung?
({21})
Ich gehöre zu denjenigen, die gesagt haben: Wir wollen, was unsere Regierungstätigkeit angeht, am Abbau der
Arbeitslosigkeit und an der Gesundung bzw. an der Perspektive unserer wirtschaftlichen Entwicklung gemessen
werden. Wir haben gut daran getan, dies - übrigens, man
hätte sowieso nach dieser Elle gemessen - als Maßstab für
die Bewertung des Erfolgs unserer Politik zu benennen.
Ich stelle mit einem gewissen Stolz fest: Nicht zuletzt aufgrund der Politik, die wir eingeleitet haben, sind diese Erfolge durch die Menschen in Deutschland erreicht worden. Wir haben einen vernünftigen Rahmen gesetzt, der
das ermöglicht hat.
({22})
Es ist immer wieder notwendig, darauf hinzuweisen
- gerade in Zeiten aufgeregter Debatten -, was die Ursache für die doch insgesamt positiven Daten - eine Opposition kann das nicht ernsthaft bestreiten - ist, über die wir
uns eigentlich alle freuen müssten. Ich nenne drei Ursachen und ich knüpfe damit an das an, was der Finanzminister gestern mit gutem Recht und mit ein wenig Stolz
- ich finde, den darf man bei guter Arbeit empfinden - im
Hinblick auf seinen Haushalt deutlich gemacht hat: Wir
haben eine Konsolidierungspolitik begonnen und in die
Tat umgesetzt, die diesen Namen wirklich verdient.
({23})
Meine Damen und Herren, diese Konsolidierungspolitik von Hans Eichel und des gesamten Bundeskabinetts,
einmütig unterstützt von der Koalition, ist einer der wichtigsten Gründe für das Positive, das wir in den letzten Jahren erreicht haben; denn der vom Finanzminister verdeutlichte Zusammenhang zwischen der Konsolidierung auf
der einen Seite und den damit freigesetzten Möglichkeiten für Zukunftsinvestitionen auf der anderen Seite ist ja
nicht konstruiert, sondern ihn gibt es wirklich. Wir haben
deshalb - das unterstreiche ich hier noch einmal sehr deutlich; Herr Claus, das geht auch an Sie - Sparen nie als
Selbstzweck begriffen,
({24})
sondern erkannt, dass wir - übrigens auch wegen der Integration Europas; darauf hat der Finanzminister gestern
ebenfalls hingewiesen - die öffentlichen Haushalte in
Ordnung bringen müssen, weil dies ökonomisch notwendig ist, weil nur eine Finanzpolitik, die die Bezeichnung
„nachhaltig“ verdient, unserer Verantwortung für künftige Generationen gerecht wird und weil nur diese eichelsche Finanzpolitik uns die Spielräume für das eröffnet,
was wir zu Recht Zukunftsinvestionen nennen.
({25})
Konsolidierung - Sparpolitik kann man auch dazu sagen - ist also kein Selbstzweck. Ich bitte Sie, das im Auge
zu behalten und weiter zu bedenken. Konsolidierung ist
die Voraussetzung dafür, sich finanzielle Möglichkeiten
zu verschaffen, um die wichtigen Zukunftsaufgaben anzugehen und zu erfüllen.
Die zweite Grundlage dieses Erfolges ist die Steuerreform, die mühsam genug gegen Blockadehaltungen im
Bundesrat durchzusetzen war. Ich bin Ihnen dankbar
dafür, dass Sie hierbei geholfen haben, meine Damen und
Herren von der F.D.P.
({26})
Das war wirklich einmal Einsicht in eine historische Notwendigkeit.
({27})
Hier ist eine Wiederholung durchaus erwünscht, Herr
Brüderle.
({28})
- Sie haben auch etwas dafür bekommen, was wir nicht
wollten. Das ist fairerweise zuzugeben.
({29})
- Wenn man einen Kompromiss mit jemandem schließt,
der anders denkt, dann kann das ja nur ein Geben und
Nehmen sein. So war das auch hier.
({30})
Insoweit hat - anders, als ich es gelegentlich gelesen
habe - niemand den anderen über den Tisch gezogen. Wir
haben vielmehr miteinander geredet und uns auf ein vernünftiges Konzept geeinigt. So einfach kann das sein,
auch wenn es so einfach nicht immer ist.
({31})
Diese Steuerpolitik hat neben der Konsolidierungspolitik die Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland gelegt. Wir haben mit dem
manchmal sehr merkwürdigen Gegeneinanderausspielen
von angebots- und nachfrageorientierter Steuer- und Finanzpolitik aufgehört. Wir haben beides gemacht, meine
Damen und Herren, und eine sinnvolle Balance gefunden.
Es kann gar nicht oft genug betont werden, dass zu Beginn
des nächsten Jahres die größte Steuerentlastung für die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kraft treten
wird, die es jemals in der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat.
({32})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
- Doch, so ist es. Ein verheirateter Arbeitnehmer mit zwei
Kindern, der brutto 75 000 DM verdient, wird nach Abschluss aller Stufen der Steuerreform im Jahre 2005
({33})
- ich komme auch zu den anderen Zahlen; ich habe sie alle
im Kopf - im Vergleich zu 1998 deutlich mehr als
5 000 DM jährlich netto im Portemonnaie haben. Das ist
ein Erfolg, den Sie, meine Damen und Herren, nicht klein
schreiben sollten.
({34})
Herr Glos, da Sie über Gerechtigkeit geredet haben,
sage ich Ihnen, dass das nicht nur ein Gebot praktizierter
Gerechtigkeit, sondern auch ein Gebot ökonomischer
Vernunft ist; denn die positiven Wirtschaftsdaten, die Sie
wirklich würdigen sollten, haben jetzt Gott sei Dank nicht
mehr nur mit der Außenkonjunktur zu tun. Natürlich freue
ich mich darüber, dass wir in diesem Quartal im Vergleich
zum dritten Quartal des Vorjahres immer noch ein Exportwachstum von etwas mehr als 12 Prozent haben. Dieses Wachstum können wir gut gebrauchen; das ist gar
keine Frage.
Wir sehen inzwischen, dass die von uns angekündigten
Reformen, die 2001 in Kraft treten werden, auch auf dem
Binnenmarkt Erfolge zeitigen. Im Vergleich zum Oktober
1999 stiegen die Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland - diese sind ein ganz wichtiger Indikator für das, was
zukünftig in der Wirtschaft passieren wird - um sage und
schreibe fast 9 Prozent; exakt um 8,9 Prozent, wie ich
glaube. Das ist doch ein Erfolg.
({35})
Greifen Sie doch diese Erfolgsstory auf und sagen Sie den
Menschen - ich hoffe, Sie tun das nachher, Herr Merz -:
Das ist ein Erfolg; das ist euer Erfolg; macht weiter so;
auch die CDU kapiert inzwischen, dass das, was momentan geschieht, vernünftig ist. Das wäre doch einmal etwas
Neues und wäre auch nötig.
({36})
Aufgrund der Steuerreform, die wir gemacht haben
und fortführen werden, entwickeln sich im Übrigen nicht
nur die Ausrüstungsinvestitionen positiv, sondern auch
der private Konsum zieht an. Das freut die Einzelhändler
und auch die Konsumenten. In diesem Jahr ist die Nachfrage nach Konsumgütern gegenüber 1999 um 2 Prozent
gestiegen. Nach den vorliegenden Prognosen wird sie im
nächsten Jahr dank unserer Steuerreform um 3 Prozent
steigen. Dieses kann sich doch sehen und hören lassen.
Ich würde mir ein bisschen Freude über diese Entwicklung wünschen, auch wenn es Ihnen schwer fällt; übrigens
kann man gelegentlich auch ein wenig Leidenschaft gebrauchen.
({37})
Ein wenig Leidenschaft angesichts der Leistungen der
Menschen in Deutschland kann nicht so schlecht sein.
Vielleicht kommen Sie damit nachher ja rüber. Ich würde
mich darüber jedenfalls freuen. Ich höre auch genau zu;
das verspreche ich Ihnen.
Nicht alleine die Nachfrageseite haben wir verbessert,
sondern auch die Unternehmensteuern kräftig gesenkt.
Sonst hätten Sie ja nicht geholfen. Es ist eine Mär, dass
wir nur etwas für die großen Kapitalgesellschaften gemacht haben. Diese höre ich immer wieder insbesondere
von Herrn Glos; er hat zu Zeiten, in denen sich die PDS
von Karl Marx abwendet,
({38})
sein antikapitalistisches Herz entdeckt und beginnt von
ihm zu lernen.
({39})
Damit wird eine völlig neue Form der Programmdebatte
in der CDU/CSU kreiert. Ich bin einmal gespannt, inwieweit das in Ihrer Partei Schule macht.
Spaß beiseite. Wir haben, meine Damen und Herren,
keineswegs nur etwas für die Großen gemacht, aber natürlich wegen des verschärften internationalen Wettbewerbs
auch etwas für diese. Denn das ist kein Pappenstiel. Sie
zahlen jetzt 25 Prozent Körperschaftsteuer. Das haben wir
gemacht, damit die deutsche Wirtschaft bei der Eroberung
von Märkten konkurrenzfähig bleibt.
({40})
Das internationale Geschäft, Herr Kollege Claus, ist
nämlich wirklich hart. Wenn Sie sich damit näher beschäftigten, werden Sie merken, dass das nicht so einfach
ist.
({41})
Wir tun das, weil möglichst hohe Marktanteile für Firmen
in Deutschland Arbeitsplätze für unsere Menschen nach
sich ziehen. Dieser Zusammenhang liegt dem zugrunde.
Wir wollen dabei behilflich sein. 25 Prozent sind im internationalen Vergleich eine Menge, die sich wahrlich sehen lassen kann. Hinzu kommen - das ist von Kommune
zu Kommune unterschiedlich und darauf haben wir keinen Einfluss - im Durchschnitt 12 bis 13 Prozent Gewerbeertragsteuer.
Diese 38 Prozent - das muss man endlich einmal in die
Köpfe bekommen - nennt der Finanzminister Definitivbesteuerung. Das heißt, dieses Geld ist abzuliefern. Dagegen gibt es beim Mittelstand eine Einkommensbesteuerung. Sie setzen sich zu Recht für den Mittelstand
ein; das wäre aber gar nicht nötig, weil wir ihn bei unserer Steuerreform berücksichtigt haben.
({42})
Diese Einkommensbesteuerung ist eine Grenzbesteuerung, wie Sie - insbesondere gilt das für Herrn Merz genau wissen. Das bedeutet, dass nicht schon von der
ersten Mark an Steuern zu zahlen sind. Wir haben die
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Steuerreform so konstruiert, dass mit ihr ein Traum des
Mittelstandes in Erfüllung gehen konnte.
({43})
- Natürlich ist das so. Sie haben ja keine Ahnung von dem,
was sich da vollzieht. Das ist Ihr Problem.
({44})
Es ist also ein Traum der mittelständischen Unternehmen in Erfüllung gegangen, dass die faktische Abschaffung der Gewerbeertragsteuer realisiert worden ist.
({45})
Der Unterschied zwischen uns ist: Sie haben Jahrzehnte
darüber geredet, aber wir haben es gemacht.
({46})
Ich bestreite überhaupt nicht, dass es nicht einfach war.
Ich mache jetzt noch eine Bemerkung zur Rente, weil
sie zu dem Paket gehört, das in der Zukunft seine Wirkungen entfalten wird. Ich habe schon deutlich gemacht,
dass wir in dieser Legislaturperiode im Deutschen Bundestag bei der Rente eine zentrale Aufgabe zu erfüllen haben. Sie werden es erleben - da bin ich ganz sicher -, dass
ich fest mit der Koalition rechnen kann.
({47})
Wir müssen die Rente für die Alten so sicher wie möglich
machen und für die Jungen bezahlbar halten.
Angesichts der demographischen Entwicklung und der
veränderten Arbeitsbiographien in unserem Land, die sich
von den Biographien vor 20 Jahren unterscheiden, geht
kein Weg daran vorbei, dass wir die umlagefinanzierte
Rente zwar nicht ersetzen, aber doch ergänzen. Wir müssen also das aufbauen, was man private Vorsorge oder
auch Kapitaldeckung nennt. Das ist der Kern dessen,
was wir wirklich schaffen müssen.
Ich sage an alle, die sich mit den Einzelheiten gelegentlich kritisch beschäftigen und insbesondere an alle
Skeptiker in der Koalition: Der Kern der Rentenreform ist
der Aufbau einer kapitalgedeckten Altersvorsorge. Das
muss uns gelingen. Über die Einzelheiten kann man mit
der Opposition, mit den Verbänden und den gesellschaftlichen Gruppen diskutieren. Man darf aber nicht - mit
welchen Argument auch immer - vor der Einsicht flüchten, dass dieser Kern notwendig ist.
({48})
Wir brauchen diese Reform in Deutschland, wenn wir
über die hinreichende Sicherheit für die Alten und die Bezahlbarkeit für die Jungen nicht nur sprechen, sondern sie
wirklich erreichen wollen. Mir geht es auch und gerade in
dieser Frage um das Machen.
({49})
Wenn man einen Strich zieht, kann man sagen, dass jeder Versuch der Opposition, eine andere Lage als die eben
mit doch nüchternen Zahlen skizzierte zu beschreiben, ein
bisschen beleidigend für unser Land und für die Menschen ist, die diese Leistungen erbracht haben.
({50})
- Es ist beleidigend; so ist es. - Das bedauere ich, weil
eine Opposition, die ihre Verantwortung wahrnimmt,
zwar die Regierung kritisieren sollte, aber doch nicht das
Land permanent schlechtreden darf. Das ist doch nicht in
Ordnung!
({51})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein schwieriges Problem ansprechen, nämlich die Frage, wie wir mit
den BSE-Fällen in Deutschland in Zukunft umgehen
werden. Ich bin dankbar dafür - so sieht es im Moment
aus -, dass alle Fraktionen des Hohen Hauses der Meinung sind: Wir müssen in dieser Woche eine gesetzliche
Grundlage dafür schaffen, dass Tiermehl nicht mehr verfüttert wird. Es soll nicht nur an Wiederkäuer nicht verfüttert werden - das ist schon seit 1994 der Fall - , sondern es soll ganz aus der Nahrungskette herausgenommen
werden. Das ist ein wichtiger Fortschritt.
({52})
Ich erbitte die Unterstützung des ganzen Hauses - ich
sage das ohne Einschränkung; die Opposition ist eingeschlossen, sie gehört ja dazu - für unsere Bemühungen.
Nach dem, was man aus anderen Ländern hört, scheint es
zu gelingen, entsprechende Regelungen europaweit in
Kraft zu setzen. Angesichts der offenen Grenzen können
diese Regelungen nur funktionieren, wenn man sie europaweit durchsetzt.
Wir haben darüber hinaus Maßnahmen eingeleitet - ich
denke, auch darüber besteht in diesem Hause Einigkeit -,
die sicherstellen, dass die Schnelltests, die zur Entdeckung der Krankheit in Deutschland geführt haben,
massiv ausgeweitet werden, sodass wir den Verbrauchern
sagen können, was auf sie zukommt und was nicht.
Ich will an das anknüpfen, was schon heute Morgen
diskutiert worden ist, übrigens auch an das, was Sie, Herr
Glos, gesagt haben. Ich weiß nicht, ob diese Sache in allen Einzelheiten so durchgeführt worden ist. Es gibt zum
Beispiel in Bayern Ketten - solche Ketten gibt es nicht nur
in Bayern, sondern auch in anderen Ländern
({53})
- es gibt sie ebenso in Niedersachsen, aber auch in BadenWürttemberg, das ist ja keine Frage;
({54})
wir sollten da nicht streiten, sondern sich vielleicht eine
sinnvolle Konkurrenz, wer es besser macht, entfalten lassen - einer lückenlosen Verfolgbarkeit des Produkts
Fleisch bis hin zum Erzeuger, und es gibt Formen der
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Vertragslandwirtschaft - der Landwirtschaftsminister hat
darüber gesprochen -, die das sicherstellen.
Wer immer in der Vergangenheit Schuldzuweisungen
machen wollte oder in der Gegenwart welche machen
will, geht nicht richtig auf die Ängste der Verbraucher ein.
Es ist notwendig, dass wir die eben dargestellten Maßnahmen durchführen. Außerdem müssen wir eine Landwirtschaftspolitik einleiten, die auf genau dieser Basis beruht. Wenn wir hier im Deutschen Bundestag klarmachen,
dass das der feste Wille des ganzen deutschen Parlaments
ist, sollte uns das auch gelingen. Wir könnten damit auf
der einen Seite ein Beispiel in und für Europa geben und
auf der anderen Seite wirklich eine Perspektive für unsere
bäuerlichen Unternehmer schaffen und etwas gegen ihre
Existenznot tun. Diese wiederum müssten und könnten
dann eine Form von Produktion und Vermarktung schaffen, die diese Kontrollierbarkeit für die Verbraucher erlaubt. Dann kann der eine seinen Leberkäs und der andere
seine Currywurst wieder ohne Ängste verzehren.
({55})
Aber wenn wir den Fehler machen, es jetzt bei der Aufdeckung und Bekämpfung der aufgetretenen Krankheiten
und Missstände zu belassen, statt daraus eine Perspektive
für eine andere, verbraucherfreundlichere Landwirtschaft
zu entwickeln, also weg von den Agrarfabriken zu kommen, werden wir das nie mehr schaffen.
({56})
Ich bin im Übrigen froh darüber, dass wir nicht nur mit
der Steuer- und Konsolidierungspolitik Maßstäbe haben
setzen können - übrigens stark beachtet in Europa und
über Europa hinaus -, sondern dass wir durch die Art und
Weise, wie wir mit - wie hat Herr Eichel das genannt? dem Zufallsfund der UMTS-Lizenzen umgegangen sind,
in doppelter Hinsicht Verantwortung für künftige Generationen bewiesen haben. Zum einen haben wir die Schulden um 100 Milliarden DM abgebaut. Das ist kein Pappenstiel. Außerdem können wir durch das aus den
reduzierten Zinslasten gewonnene Geld zunächst für drei
Jahre nachhaltig Zukunftsinvestitionen finanzieren. Wir
tun das. Über die Bahn ist schon gesprochen worden:
Wir werden in den nächsten drei Jahren jährlich 2 Milliarden DM zusätzlich - ich unterstreiche „zusätzlich“ - investieren. Ich hoffe, es besteht hier und in dem entsprechenden Ausschuss Einigkeit darüber, dass sie nicht zur
Lösung bestehender betriebswirtschaftlicher Probleme
genutzt werden können, sondern investiert werden müssen. Ich finde, das sollte für uns alle klar sein.
({57})
Zum anderen haben wir das Thema Straße nicht vernachlässigt. Wenn ich es richtig im Kopf habe, investieren
wir in den nächsten Jahren dreimal 900 Millionen DM.
Auch das ist kein Pappenstiel. Diese Investitionen erfolgen zusätzlich zu den Investitionen, die ohnehin im Bundesverkehrswegeplan stehen. Das zeigt ebenfalls, dass
wir Verantwortung für die Infrastruktur, die ja auch zukunftsträchtig ist, wahrnehmen.
({58})
Dann gibt es noch etwas, auf das die Bildungs- und
Forschungsministerin wirklich stolz sein kann. Wir haben nicht nur - so viel zum Punkt Gerechtigkeit; ich weiß,
worüber ich in diesem Zusammenhang spreche - jungen
Leuten aus ärmeren Familien geholfen, studieren zu können, sondern wir haben wirklich massiv mehr Geld gegeben, damit der Anteil derer aus Arbeitnehmerfamilien, die
in materieller Hinsicht nicht die Möglichkeit haben,
Deutschlands hohe und höchste Schulen zu besuchen,
wieder steigt. Das ist wichtig.
({59})
Meine Damen und Herren, wir brauchen das übrigens
nicht nur unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit.
- Auch das! Das wird ewig so bleiben; mir ist das ein Herzensanliegen. - Wir brauchen dies vielmehr auch aus purer ökonomischer Vernunft. Ein hoch entwickeltes Land
wie das unsere, dessen Produktion immer mehr auf Wissen basiert und basieren wird, kann es sich buchstäblich
nicht leisten, eine einzige Begabung in unserem Volk
unausgeschöpft zu lassen. Das gilt übrigens allemal auch
für Frauen; das will ich hier sehr deutlich betonen.
({60})
Wir haben nicht nur das getan, sondern auch massiv in
die Hochschulen und in Forschungsbereiche investiert,
die mit über unsere Zukunftsfähigkeit entscheiden. Ich
meine zum Beispiel das sehr schwierige Gebiet der
Genomforschung. Es ist nicht meine Sache, hierzu einen
Vorschlag zu machen. Aber ich würde mir wünschen, dass
wir hier im Deutschen Bundestag, bevor wir zu Lösungen
kommen, was diese einerseits unter wirtschaftlichen
Gesichtspunkten, aber andererseits auch sehr stark unter
ethischen Gesichtspunkten zu beurteilende Frage angeht,
eine Diskussion führen, die diesem Thema gerecht wird.
Ich habe zum Beispiel in Amerika und England ganz
unterschiedliche Ansätze wahrgenommen. Die Franzosen
haben jetzt angekündigt, sie würden ein neues Gesetz machen. Frau Fischer arbeitet an Eckpunkten. Ich wünsche
mir wirklich, dass das Parlament die Stunde nutzt, über
dieses Thema, das sich sehr stark parteipolitischen Festlegungen entzieht - denn ethische Gesichtspunkte spielen
in diesem Zusammenhang eine große Rolle -, wirklich intensiv zu sprechen.
({61})
Dies würde ich mir deshalb wünschen, weil es wirklich
schwierig ist, auf diesem Gebiet eine feste Position zu haben, die auch einer breiten Diskussion zugänglich ist. Dieser Bereich ist sehr stark zum Ersten mit wirtschaftlichen
Erwartungen, zum Zweiten mit Emotionen, was die
Chance, schwere Krankheiten zu heilen, angeht und zum
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Dritten, wie gesagt, mit prinzipiellen ethischen Fragen belastet. Ich glaube daher, dass diese drei Punkte im Mittelpunkt einer verantwortungsbewussten parlamentarischen
Debatte stehen sollten. Wir werden sicher die Gelegenheit
haben - wir werden sie uns nehmen müssen -, über diese
Fragen hier miteinander zu diskutieren. Dass in diesem
Bereich jetzt die Forschungsaufwendungen dramatisch
erhöht werden, finde ich richtig. Dies muss aber durch die
von mir soeben skizzierte Form der Auseinandersetzung
begleitet werden.
Meine Damen und Herren, ich habe gehört - lassen Sie
mich zu meinen letzten beiden Punkten kommen -, dass
der Oppositionsführer Herr Merz heute Morgen angekündigt hat, er wolle sich besonders mit den Fragen des Arbeitsmarktes auseinander setzen.
({62})
- Das ist schon okay; denn das ist eine wirklich ernsthafte
Geschichte. - Ich will Ihnen die drei Punkte nennen, die
wir gemacht haben und noch machen werden, und ich
möchte, dass wir darüber in unserer Gesellschaft eine
wirkliche Diskussion führen. Worum geht es bei den Fragen, die mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz, mit
der Teilzeitregelung und mit dem Betriebsverfassungsgesetz verbunden sind? Es geht uns dabei um das, was man
einmal aus guten Gründen stolz das „Modell Deutschland“ genannt hat - es war richtig, das so zu nennen -, ein
Modell der Industriegesellschaft also, das auf zwei
Grundpfeilern ruht: zum einen auf der wirtschaftlichen
Leistungskraft und zum anderen auf der Teilhabe aller in
der Gesellschaft, an den Entscheidungen der Gesellschaft,
aber auch an den materiellen Verdiensten der Gesellschaft, also Teilhabe in einem umfassenden Sinne. Philip
Rosenthal, ein großer alter Mann der deutschen Sozialdemokratie, hat einmal gesagt: Worum es geht, ist die Teilhabe der breiten Schichten der arbeitenden Bevölkerung
am Haben und am Sagen in der Gesellschaft.
({63})
Vielleicht unterscheidet uns das ja; vielleicht trennen
sich da unsere Wege. Es wäre ein Stück Klarheit für die
Wahlbevölkerung in Deutschland, wenn das so wäre.
Dieses Prinzip der Teilhabe am Haben und am Sagen
für die arbeitenden Schichten in unserem Volk ist für die
deutsche Sozialdemokratie, Gott sei Dank auch für die
ganze Koalition, unaufgebbar.
({64})
Nun geht es aber nicht darum, einfach festzuhalten am
Überkommenen. Ich denke, wir haben deutlich gemacht,
dass das nicht die Form ist, in der wir mit diesem Prinzip
umgehen. Nein, es geht darum, in der jeweiligen historischen Situation die Veränderungen an der ökonomischen
Basis zur Kenntnis zu nehmen, zu bestimmen, was das in
unserer augenblicklichen Situation denn heißt: Teilhabe
am Haben und am Sagen.
Damit bin ich bei den drei Punkten, die ich Ihnen, Herr
Merz, für die Debatte ganz klar sagen wollte.
Erster Punkt: Beschäftigungsförderungsgesetz. Sie
werden sich erinnern: Sie haben das gemacht, und Sie haben es befristet bis zum 31. Dezember dieses Jahres. Sie
haben es befristet - damals vielleicht auf Druck der Opposition -, um im damaligen Bündnis für Arbeit, das es ja
noch gab, den Gewerkschaften etwas entgegenzukommen. So war das doch wohl.
Sie haben es befristet. Wenn wir nichts gemacht hätten,
wäre das Gesetz sang- und klanglos ausgelaufen. Nun
ging es für uns darum - immer das Stichwort Teilhabe im
Hinterkopf -, dafür zu sorgen, dass die notwendige Flexibilität, die die Unternehmen brauchen bei der Befristung
von Arbeitsverträgen, übereinkommt - Herr Glos, ich
nehme Ihnen ja ab, dass Sie sich wirklich Sorgen machen
um die kleinen Leute; die Kleinen sind ja meistens die
ganz Großen - mit jenem Maß an Sicherheit und an Planbarkeit ihres Lebens und des Lebens ihrer Familien, auf
das die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch angewiesen sind.
Wir werden nicht zulassen, dass die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter dem Stichwort Flexibilität zu einer fungiblen Menge werden. Das lassen wir
nicht zu.
({65})
Deswegen sagen wir: Die Veränderungen in der Arbeitswelt erfordern befristete Einstellungen. Wir haben sogar
- gegen den Rat der Freunde in den Gewerkschaften; Sie
können sich vorstellen, das war nicht so ganz einfach gesagt: Wir machen das unbefristet und wir machen es
viermal sechs Monate. Aber eine Übung, die eingerissen
war, dass man zunächst jemanden mit einem sachlichen
Grund, eine Krankheitsvertretung zum Beispiel, befristet
einstellt und danach das Spiel mit den viermal sechs Monaten beginnen lässt, ist ein Verstoß gegen das notwendige Maß an Sicherheit, das die Beschäftigten nun einmal
brauchen. Das können Sie auch nicht wollen, meine Damen und Herren.
({66})
Ich will nicht pathetisch oder zu leidenschaftlich werden.
({67})
Aber die Würde des Menschen ist eine Kategorie, die
auch in der Arbeitswelt zu gelten hat, damit das völlig klar
ist.
({68})
Zweitens: Teilzeitarbeit. Jeder in diesem Haus, der
sich über Wirtschaftspolitik verbreitet hat, hat schon über
die Notwendigkeit der Ausweitung der Teilzeitarbeit geredet,
({69})
übrigens nicht nur, aber auch und vor allem der Tatsache
wegen, dass insbesondere Frauen dies wollen und darauf
angewiesen sind. Was haben wir gemacht? Wir haben geBundeskanzler Gerhard Schröder
sagt: Wir wollen darüber nicht nur reden, sondern wir
wollen etwas dafür tun. Also geben wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die das wünschen, einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit gegenüber dem Arbeitgeber.
Nun ist klar, dass es Gründe geben kann und häufig
gibt - sonst hätten wir im Vergleich zu den Holländern ja
nicht so wenig Teilzeitarbeit -, wonach das im Betrieb
nicht möglich ist. Das gibt es, das ist doch gar keine Frage.
Was haben wir dann gemacht? Wir haben wieder einen
sinnvollen Ausgleich zwischen den Interessen des einen
und des anderen gefunden, indem wir gesagt haben: Wenn
das nicht geht, dann muss der Arbeitgeber in der Lage
sein, aus betrieblichen Gründen, ohne etwas davor oder
danach, diesen Wunsch zurückzuweisen.
({70})
- Es sind immer unbestimmte Rechtsbegriffe, das lässt
sich nun einmal nicht ändern. Es gibt im Übrigen seit langem eine ausgereifte Kasuistik in der Rechtsprechung.
Damit können Sie sich ja einmal beschäftigen. Das ist ein
sinnvoller Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmerinnen - um die jetzt einmal zu nennen -, Teilzeitarbeit machen zu können, und den Interessen des Betriebes, wenn es nicht geht, auch Nein zu sagen. Ich weiß
nicht, was man dagegen haben kann, meine Damen und
Herren.
({71})
Exakt nach diesem Prinzip - seien Sie sich dessen sicher - werden wir auch beim Betriebsverfassungsgesetz
verfahren. Die Arbeitswelt hat sich in den letzten 25 Jahren verändert. Deshalb macht es Sinn, darauf zu reagieren.
({72})
- Es geht hier nicht um Beruhigung, sondern um vernünftige Regelungen. Es reicht bei Ihnen allerdings nicht
dazu, dass einzusehen.
({73})
Das ist es, was wir im Bereich des Arbeitsmarktes vorhaben; Teile davon haben wir schon umgesetzt. Es geht
um einen sinnvollen Ausgleich zwischen den Interessen
der Wirtschaft an Flexibilität und den Interessen der arbeitenden Menschen an Sicherheit und damit Planbarkeit
für sich selber und ihre Familien. Es kann doch nicht angehen, dass Leute fordern, die Menschen in Deutschland,
die jeden Tag zur Arbeit in die Fabriken, in die Dienstleistungszentren gehen und dort ihre Pflicht tun, einfach dem
Prinzip auszusetzen: heute geheuert, morgen gefeuert.
({74})
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang
will ich noch etwas zum Bündnis für Arbeit sagen. Von
manch einem bin ich über die Art und Weise enttäuscht,
wie er mit diesem Bündnis umgeht.
({75})
Das betrifft alle beteiligten Parteien. Man kann ein Bündnis für Arbeit nicht immer nur dann gut finden, wenn man
gerade die eigenen Interessen realisieren kann. Das Bündnis ist ein Instrument zur Konsensfindung in Situationen
und zwischen Parteien, die nicht von vornherein auf einen
Konsens ausgerichtet sind. Natürlich freuen wir uns zu
Recht darüber - ich habe mich auch gefreut -, dass es
nicht zuletzt durch das Bündnis erreicht werden konnte,
dass wir eine Reihe von wirtschaftspolitischen Maßnahmen mit Zustimmung aus der Gesellschaft haben durchsetzen können, dass es in diesem Jahr Tarifvereinbarungen gegeben hat, die ihre wirtschaftliche Vernunft auf der
Stirn getragen haben. Das hat mit dem Bündnis für Arbeit
zu tun. Dann aber kann man doch vernünftigerweise nicht
sagen: Wenn ihr jetzt einen Ausgleich im Sinne einer Teilhabe auf der anderen Seite schafft - der im Übrigen den
Interessen der Gesamtwirtschaft entspricht -, dann ziehen
wir uns zurück. Das kann nicht sein.
({76})
Durch das Bündnis ist eine Menge erreicht worden;
aber es steht auch noch eine Menge bevor. Ich denke zum
Beispiel an den Ausbildungskonsens. Ich weiß, dass es bei
den jungen Leuten im Osten noch große Schwierigkeiten
gibt. Aber wir haben zum ersten Mal seit sehr langer Zeit
erreicht - das freut mich von ganzem Herzen -, dass die
Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze in ganz
Deutschland - regionale Unterschiede zugestanden - die
Zahl der nachgefragten Ausbildungsplätze wieder deutlich übersteigt. Das ist doch ein Fortschritt.
({77})
Wir alle haben mit bedrückten Mienen hier oder in den
Wahlkreisen gesessen, wenn wir gehört haben, wie die
Ausbildungsnot an den Jugendlichen nagt. Nun haben wir
ein wenig erreicht. Darüber sollten wir uns freuen.
({78})
Abschließend will ich etwas zu einer Diskussion sagen, von der ich nicht weiß, ob ich sie richtig mitbekommen habe. Es handelt sich um die Diskussion über Zuwanderung auf der einen Seite und über angeblich
vaterlandslose Gesellen auf der anderen Seite.
({79})
Worum geht es? Ich will hier keine neue Debatte über den
Begriff der Leitkultur beginnen. Dazu hat Herr Struck
heute Morgen das Notwendige gesagt. Mittlerweile hat
auch jeder bemerkt, dass dieser Begriff missverständlich
war.
({80})
- Herr Merz, ich werfe Ihnen das nicht vor. Es ist ein missverständlicher Begriff. Ich unterstelle Ihnen nicht, dass
Sie ihn haben denunziatorisch gebrauchen wollen. Sie
sollten aber sagen, dass Sie sich vergaloppiert haben. Sagen Sie: Dieser Begriff kann diese Wirkung entfalten.
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Weg damit! - Das wäre eine sinnvolle Art und Weise des
Umgangs.
({81})
Es besteht inzwischen im ganzen Haus Konsens darüber, dass wir eine gesteuerte Zuwanderung brauchen. Unsere Vorstellungen von Selbstachtung gebieten es, dass
wir Flüchtlingen unabhängig davon Zuflucht gewähren.
({82})
Dies hat nach meiner Auffassung gar nichts mit Image zu
tun - vielleicht hilft das -, auch nicht nur mit formalen
Rechten. Dies hat etwas mit der Art und Weise zu tun, wie
man in diesem Land mit sich selbst umgeht, wie ernst wir
jene zivilisatorischen Fortschritte nehmen, die wir alle zusammen seit der Überwindung des Faschismus gemacht
haben. Deswegen sage ich: Asyl hat etwas mit unserer
Selbstachtung zu tun.
({83})
Für diejenigen, die wir wollen und die bei uns leben
und arbeiten, gelten drei ganz einfache Grundsätze.
Erstens. Unsere Verfassung, das Grundgesetz, ist das in
eine juristische Form gegossene Erbe der europäischen
Aufklärung, keineswegs nur der deutschen.
({84})
Die Normen und die Wertvorstellungen, die dem Grundgesetz zugrunde liegen, hat jeder, der bei uns leben will,
zu achten, zu respektieren und einzuhalten - keine Frage.
Das gilt aber für alle, nicht nur für Ausländer, sondern
auch für Deutsche.
({85})
Die nun wirklich erhabenste Norm ist der Art. 1 des
Grundgesetzes. Dort steht:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
({86})
Vor dem Wort „Menschen“ steht kein Eigenschaftswort.
({87})
Ich denke, darüber sind wir uns in diesem Haus einig: Pöbelnde Banden, die Ausländer durch die Straßen treiben,
verstoßen gegen diese Würde des Menschen, und zwar
eindeutig.
({88})
Zweitens. Demokratisch zustande gekommene Gesetze sind einzuhalten. Das gilt für alle, für Deutsche wie
Ausländer, aber natürlich auch für Ausländer, die hier leben und arbeiten wollen.
Drittens. Ich gehöre zu denjenigen, die sagen - das mag
umstritten sein -, die deutsche Sprache sollte gelernt werden.
({89})
Das sage ich, nicht, weil ich jemandem etwas aufdrängen
möchte, weil ich ihm irgendwelche kulturellen Verpflichtungen auferlegen möchte. Das ist nicht mein Argument.
Nein, es ist schlicht ein Erfordernis einer geglückten Integration, dass man die Sprache des Landes, in dem man
lebt, auch beherrscht.
({90})
Wir sollten uns, was das Zusammenleben zwischen
Deutschen und Nichtdeutschen angeht, ganz nüchtern auf
diese drei Begrifflichkeiten und das, was daraus folgt, beschränken. Dann brauchen wir keine Überhöhung dessen,
was ich eben auszudrücken versucht habe;
({91})
denn jede Überhöhung ist missverständlich und ist ja auch
missverstanden worden.
({92})
Ich glaube jüngst mitbekommen zu haben, dass wir
hier eine neue Debatte bekommen sollen - die Vorsitzende der Union hat das gelegentlich von sich gegeben über die Frage, wer nun ein vaterlandsloser Geselle oder
eine vaterlandslose Gesellin ist und wer nicht. Ich kann
Ihnen Folgendes sagen: Ich warne vor dieser Diskussion,
vor dieser denunziatorischen Debatte;
({93})
denn das wird auf Sie zurückfallen, Frau Merkel.
({94})
Ich will Ihnen dazu einmal etwas sagen: Zu einem
Zeitpunkt, als der deutsche Konservativismus
({95})
zuallererst den Verführungen der Nationalisten erlegen
ist, haben Sozialdemokraten gelitten, gekämpft und sind
im Kampf gegen die Faschisten gestorben. Eines muss ich
Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Eine Partei - meine Partei - mit diesen Traditionen verbittet es sich ein für alle
Mal, Belehrungen dieser Art speziell von den deutschen
Konservativen zur Kenntnis zu nehmen.
({96})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Was hier betrieben werden soll -, entweder aus historischer Unkenntnis oder aus politischer Dreistigkeit - ist
die Spaltung unserer Gesellschaft. Dies wird mit Sozialdemokraten nicht zu machen sein.
({97})
- Man merkt Ihr schlechtes Gewissen.
({98})
Oder haben Sie noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen? Es wäre noch schlimmer, wenn Sie noch nicht einmal das hätten.
({99})
Denken Sie noch einmal in Ruhe darüber nach!
Ich sage Ihnen ohne alle Aufregung: Was dieses Land
braucht, sind doch nicht Ihre verquasten Vorstellungen
von Leitkultur oder Ähnlichem. Was dieses Land braucht,
ist ein Mehr an Internationalität und Modernität. Dafür
steht diese Koalition - heute, morgen und mit ganz großer
Sicherheit weit über das Jahr 2000 hinaus.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({100})
Als nächster Redner hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU,
Friedrich Merz, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben es für
richtig gehalten, nach Ihrer ansonsten sehr ruhigen und
sachorientierten Rede zum Schluss eben doch wieder zu
spalten.
({0})
Ihre sehr auf Ausgleich und die Sachpolitik ausgerichtete
Rede haben Sie dazu benutzt, zum Schluss wieder sehr
stark parteipolitisch-emotional zu werden.
({1})
- Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören.
Deswegen will ich zu Beginn, bevor ich auf die einzelnen Themen zu sprechen komme, in aller Ruhe, aber auch
in aller Klarheit und Deutlichkeit auf Folgendes hinweisen: Erstens. In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sitzen
nicht die deutschen Konservativen, sondern die deutschen
Christdemokraten - die Christlich-Demokratische und die
Christlich-Soziale Union - als Parteien der Mitte und
nicht der Rechten.
({2})
Zweitens. Es hat genauso großartige Frauen und Männer der deutschen Sozialdemokraten gegeben wie großartige Frauen und Männer unter den Christdemokraten. Hier
in Berlin ist vor mehr als 50 Jahren die Christlich-Demokratische Union von Frauen und Männern gegründet worden, die zum Teil wenige Tage zuvor aus den Konzentrationslagern der Nazis entlassen worden waren.
({3})
Es hat in den 70er-Jahren einen vergleichbaren Vorfall
gegeben, als der damalige Bundesfinanzminister Alex
Möller im Deutschen Bundestag, damals noch in Bonn,
die Union auch in die geistige Nähe der Nationalsozialisten gerückt hat.
({4})
- Herr Präsident, ich denke, dass der Zwischenruf des
Kollegen Stiegler - den Sie vielleicht nicht gehört haben
und den auch die Fernsehzuschauer nicht hören konnten -, der auf meinen Hinweis, was in den 70er-Jahren mit
Herrn Möller passiert ist, mit den Worten: „Recht hat er!“
geantwortet hat, in ausreichender Weise vom Präsidium
des Deutschen Bundestages gewürdigt werden muss. Das
erwarte ich von Ihnen.
({5})
Dieses Land hätte nicht auf eine erfolgreiche 50-jährige Geschichte in Frieden und Freiheit zurückblicken
können, wenn es nicht Christdemokraten und Sozialdemokraten gewesen wären, die aus den Erfahrungen der
wirklich schrecklichsten Jahre der Geschichte unseres
Landes gelernt und hier eine stabile Demokratie aufgebaut hätten. Sie hätten gut daran getan, dieses nicht, zumindest zwischen den Zeilen, mit Ihren Worten infrage zu
stellen.
({6})
Bevor ich zur Wirtschafts-, Finanz-, Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik komme, will ich vorab zwei Themen aufgreifen, die Sie angesprochen haben und die eine kurze
Erwiderung erfordern.
Sie haben angeboten, in den nächsten Monaten miteinander über die sehr schwierigen Fragen zu sprechen, die
mit der Erforschung des menschlichen Genoms zusammenhängen, und dies zum Gegenstand einer Aussprache
im Deutschen Bundestag zu machen. Ich begrüße das und
hoffe, dass wir Gelegenheit haben, darüber zu sprechen,
bevor die Bundesregierung entsprechende rechtliche Regelungen auf den Weg bringt. Ich würde es auch begrüßen, Herr Bundeskanzler, wenn Sie die Ankündigung,
darüber zu sprechen, nicht nur bei Anwesenheit des Fernsehens machten, sondern auch zu einer Zeit, in der das
Fernsehen vielleicht nicht dabei ist und Sie selbst im
Deutschen Bundestag anwesend sind.
({7})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Sie haben auch ein Problem angesprochen, das die
Menschen in diesem Land in diesen Tagen besonders beschäftigt und bewegt, nämlich die BSE-Krise und die
Konsequenzen für die menschliche Ernährung und die
Gesundheit. Ich gebe Ihnen gerne die Zusage, dass wir in
dieser Woche mit Ihnen zusammen alles tun werden, damit so schnell wie möglich ein größtmögliches Maß an
Verbraucherschutz sichergestellt bzw. dort wieder hergestellt wird, wo es möglicherweise angezweifelt wird. Ich
bitte Sie in diesem Zusammenhang aber auch darum, dass
die Bundesregierung jede Anstrengung zur Erforschung
der Zusammenhänge unternimmt, die mit dieser Erkrankung einhergehen, und dass sie im Bundeshaushalt, den
wir hier zu verabschieden haben, entsprechende Maßnahmen ergreift.
Herr Bundeskanzler, wir erwarten von Ihnen ebenfalls,
dass die Bundesregierung entgegen ihrer bisherigen Gewohnheit auch den Landwirten in der Bundesrepublik
Deutschland eine angemessene Hilfe für die Ausfälle zukommen lässt, die sie in diesen Tagen und Wochen haben.
({8})
Wir dürfen die Landwirte, die zum Teil in einer existenzbedrohenden Lage sind und die gerade in diesen Tagen
und Wochen weiter in Schwierigkeiten geraten, nicht alleine lassen. Sie geraten nicht in Schwierigkeiten, weil sie
die industrielle Produktion gewollt haben, sondern weil
die Politik die Rahmenbedingungen so geschaffen hat,
dass es nicht mehr anders ging.
({9})
Wir sind alle daran beteiligt. Machen Sie hier keine einseitigen Schuldzuweisungen!
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir nicht! Wir sind daran nicht beteiligt,
Herr Merz! - Kerstin Müller ({10})
Wir alle haben es zu verantworten, dass sich die Agrarpolitik in den letzten Jahren und Jahrzehnten in diese Richtung entwickelt hat. Lassen Sie uns darüber reden, wie wir
das korrigieren können! In der aktuellen Lage aber haben
die Landwirte Anspruch darauf, dass wir sie nicht alleine
lassen.
({11})
Ich komme nun zu den eigentlichen Themen, die diese
Debatte bestimmen sollen: dem Bundeshaushalt, der
Wirtschaftspolitik, der Arbeitsmarktpolitik und der Sozialpolitik. Herr Bundeskanzler, damit sich in der öffentlichen Wahrnehmung keine falschen Eindrücke festsetzen:
In diesem Jahr hat die Bundesregierung - ich sage das mit
Leidenschaft und Freude - ein wirtschaftliches Wachstum zu verzeichnen, das genauso hoch ist wie das Wachstum im letzten Jahr der Regierung der alten Koalition. Ich
beglückwünsche Sie dazu, dass Sie im zweiten Jahr Ihrer
Regierungstätigkeit das Wachstum wieder erreicht haben,
das Sie vorgefunden hatten, als Sie 1998 gewählt worden
sind.
({12})
Wir freuen uns mit Ihnen darüber.
Den Wachstumseinbruch in Deutschland hat es nach Ihrer
Regierungsübernahme gegeben.
({13})
Ich habe ein relativ gutes Zahlengedächtnis:
({14})
Wir hatten in Deutschland im Jahre 1999 ein wirtschaftliches Wachstum von 1,4 Prozent. Damit war Deutschland
in Bezug auf das wirtschaftliche Wachstum im ersten Jahr
Ihrer Regierungstätigkeit das Schlusslicht aller elf EuroTeilnehmerstaaten. Bei aller Freude darüber, dass das in
diesem Jahr besser ist, sage ich: Auch im Jahre 2000
gehören wir zum letzten Drittel der elf Euro-Teilnehmerstaaten. Deutschland ist in diesem Bereich also nicht an
die Spitze Europas gerückt, sondern im Geleitzug der
übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union wieder
ein Stück weit nach vorne gekommen.
Herr Bundeskanzler, der Trick funktioniert immer wieder: Kritik an der Bundesregierung ist Kritik am Volk
({15})
und weil man das Volk nicht kritisieren darf, darf man
auch die Bundesregierung nicht kritisieren. Eine solche
Arbeitsteilung machen wir aber nicht mit.
({16})
Unser Land nutzt zurzeit seine Chancen nicht ausreichend, weil es nicht die Bundesregierung hat, die es verdient hat. Darüber muss man reden, aber auch streiten dürfen.
({17})
Deswegen will ich auch darauf hinweisen, dass das gegenwärtige wirtschaftliche Wachstum Deutschlands ganz
überwiegend vom Export getragen wird. Der Export ist in
den letzten Monaten deswegen so gut gelaufen, weil er
weitgehend von der Schwäche des Euro profitiert. Darüber kann sich aber in Deutschland in Wahrheit niemand
freuen,
({18})
da die Schwäche des Euro unsere starke Abhängigkeit
vom Export und gleichzeitig die Schwäche der Binnenkonjunktur aufzeigt. Darüber muss nicht in Europa und
nicht weltweit, sondern in Deutschland gesprochen und
gestritten werden.
({19})
Warum haben wir in Deutschland nicht das Wachstum,
das wir eigentlich haben könnten? Warum liegen wir nicht
innerhalb Europas an der Spitze, so wie es übrigens bei
Helmut Kohl fast in allen Jahren seiner Regierung - in den
furchtbaren 16 Jahren, die Sie ständig beschreiben - gewesen ist? Die Bundesrepublik Deutschland hat in den
16 Jahren der Regierungszeit von Helmut Kohl fast immer an der Spitze gelegen, sie war fast immer die Wachstumslokomotive in Europa. Jetzt ist Deutschland zur
Wachstumsbremse geworden.
({20})
Herr Bundeskanzler, hinsichtlich der Steuerpolitik,
die Sie in rosaroten Farben geschildert haben, gestehe ich
Ihnen zu, dass Sie mit dem, was im Juli verabschiedet
worden ist, einen wichtigen Schritt getan haben. Die Tatsache, dass große Unternehmen, große Kapitalgesellschaften in Deutschland steuerlich entlastet werden müssen, bestreitet bei uns überhaupt niemand. Wir brauchen
in diesem Land große Kapitalgesellschaften. Die Industriegeschichte der Bundesrepublik und der Welt ist von
großen deutschen Unternehmen geschrieben worden.
Wenn große deutsche Unternehmen fortbestehen wollen,
brauchen sie eine steuerliche Entlastung, um im internationalen Bereich wettbewerbsfähig zu sein. Aber warum
werden eigentlich nur die großen Unternehmen entlastet?
Haben nicht auch die kleinen Unternehmen, die nicht im
weltweiten, sondern im lokalen Wettbewerb stehen, Anspruch darauf, so entlastet zu werden, wie es die großen
zum 1. Januar 2001 erfahren?
({21})
Reden Sie doch nicht darum herum! Warum machen
Sie denn eine Steuerreform, die bis zum Jahre 2005
reicht? Warum werden die kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland erst im Jahr 2005 entlastet und die
großen schon im Jahr 2001?
({22})
Das ist der entscheidende Vorwurf, den wir Ihnen machen: Sie fokussieren Ihre Wirtschaftspolitik auf die
großen Einheiten, auf die großen Unternehmen. Wenn Sie
das bestreiten, dann nehmen Sie die Lebenswirklichkeit in
Deutschland tatsächlich nicht mehr wahr.
({23})
Die kleinen und mittleren Unternehmen stehen zum Teil
mit dem Rücken an der Wand. Wenn am 1. Januar 2001
die dritte Stufe der Ökosteuer in Kraft tritt, dann wird dies
- das bezieht sich insbesondere auf die Steuerpolitik, die
Sie in Deutschland betreiben -, für viele Unternehmen gerade im Transportgewerbe das Aus bedeuten.
({24})
Ich will mit einem zweiten Märchen aufräumen. Die
Behauptung, dies sei die größte Steuerreform aller Zeiten,
was sich wie ein roter Faden durch sämtliche Ihrer Reden
hindurchzieht, kann nur jemand aufstellen, der die
jüngste Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in
der Steuerpolitik nicht mehr in Erinnerung hat. In den
80er-Jahren hat der damalige Bundesfinanzminister
Gerhard Stoltenberg noch für die alte Bundesrepublik
Deutschland mit einem Bruttoinlandsprodukt, das nur
etwa zwei Drittel des Bruttoinlandsproduktes betrug, das
wir heute in der wiedervereinigten Bundesrepublik
Deutschland haben, eine Steuerreform gemacht, die in
ihrem Umfang größer gewesen ist als das, was Sie jetzt
auf fünf Jahre verteilt bis zum Jahre 2005 machen.
({25})
Übrigens: Diejenigen, die von Ihnen bis zum Jahr 2005
entlastet werden sollen, werden nur in einem einzigen
Jahr, nämlich im nächsten Jahr, geringfügig entlastet. Ab
dem Jahr 2002 wachsen die kleineren und mittleren Betriebe und die Privathaushalte wieder so weit in die Progression hinein, dass sie diese Steuerreform allesamt selber bezahlen. Das ist die Steuerpolitik dieser rot-grünen
Bundesregierung.
({26})
Noch eine kurze Bemerkung zum Bundeshaushalt.
Selbstverständlich bemühen Sie sich darum zu sparen.
Wer wollte das nicht unterstützen und dort, wo es richtig
und möglich ist, nicht auch lobend und voller Freude erwähnen? Aber glauben Sie nur nicht, dass die Leute ein so
schlechtes Gedächtnis haben, dass keiner mehr weiß, dass
der erste Haushalt, den Sie zu verantworten haben, nämlich der Haushalt, den Oskar Lafontaine eingebracht hat,
gegenüber der Finanzplanung von Theo Waigel um
30 Milliarden DM aufgebläht gewesen ist!
({27})
Sie haben zunächst einmal die große Kelle herausgeholt
und 30 Milliarden DM mehr ausgegeben und anschließend reden Sie in kleinen Schritten über das Sparen. Das
ist keine Sparpolitik, meine Damen und Herren.
({28})
Herr Eichel, Sie verlassen sich bei Ihrem Haushalt nicht
auf eine Neustrukturierung der Ausgaben, sondern Sie
freuen sich über eine wesentlich höhere Einnahmenlage
im öffentlichen Gesamthaushalt, insbesondere durch solche Einnahmen, für die Sie nicht nur nichts können, sondern deren Grundlagen Sie bis zur Regierungsübernahme
massiv bekämpft haben. Das ist die Wahrheit.
({29})
Nun zum Arbeitsmarkt. Auch da haben Sie, Herr
Bundeskranzler, die Lage beschrieben, sich jede Kritik
verbeten und gesagt, darüber, dass es auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland aufwärts geht, könne man wahrlich
nicht mehr streiten.
({30})
Ich freue mich - mit Ihnen - darüber, dass es in einigen Branchen in Deutschland, insbesondere in der
Telekommunikations- und Informationstechnologie, eine
größere Zahl von neuen Arbeitsplätzen gibt.
({31})
Aber die tatsächliche Lage auf dem Arbeitsmarkt ist doch
dadurch unvollständig beschrieben.
Wie sieht denn die Wirklichkeit aus?
({32})
Die statistisch erfasste Arbeitslosigkeit in Deutschland ist
im Jahre 1998 wirklich zurückgegangen. Im Jahr 1998,
vor Ihrer Regierungsübernahme, hat es in Deutschland
eine Reduzierung der Arbeitslosenzahl um ungefähr
400 000 gegeben. Das war die Bilanz des Jahres 1998:
400 000 Arbeitslose weniger, bevor Sie an die Regierung
gekommen sind.
({33})
Seit 1999 verlassen Sie sich nur noch darauf, dass in der
Arbeitslosenstatistik die demographische Entwicklung so
durchschlägt, dass aus immer mehr älteren Arbeitslosen
Rentner werden, statt darauf hinzuwirken, dass aus jüngeren Arbeitslosen Beschäftigte werden. Das ist die tatsächliche Lage auf dem Arbeitsmarkt.
({34})
Wenn Sie dem mit dem Argument widersprechen, man
sehe das an der Tatsache, dass es eine Vielzahl neuer Beschäftigungsverhältnisse gibt - Sie haben in diesem Zusammenhang eben eine Zahl genannt, die sogar zu niedrig
war -, dann möchte ich auf Folgendes hinweisen: Seit
1999 - genau: seit dem Frühjahr 1999 - hat die Zahl der
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland um etwa 1,8 Millionen bis 2 Millionen zugenommen. Was ist der Grund dafür? Das kommt
daher, dass diejenigen, die vorher geringfügig beschäftigt
waren, jetzt sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.
Das ist reine statistische Trickserei von Ihnen. Dies hat mit
der Wirklichkeit nichts zu tun.
({35})
Nun mag es ja so sein, dass Sie das alles als Schwarzmalerei der Opposition abtun, die Ihnen den Erfolg und
dem deutschen Volk den Fortschritt nicht gönnt. Es gibt
allerdings unverdächtige wissenschaftlich tätige Zeitgenossen, die sich, von Ihnen - nicht von uns - berufen mit
der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt auseinander setzen. Im Herbstgutachten des Sachverständigenrates, das
vor wenigen Wochen in Berlin veröffentlicht wurde, heißt
es wörtlich:
Alles in allem ist der Beschäftigungsaufbau im Gefolge des derzeitigen Konjunkturzyklus enttäuschend. Verglichen mit der Entwicklung während der
vorangegangenen Aufschwungphasen in den siebziger,
- jetzt hören Sie genau zu achtziger- und neunziger Jahren
- damals waren bekanntlich wir an der Regierung nimmt die Beschäftigung nur mit großer Verzögerung zu.
({36})
Das ist so klar und überzeugend, dass man dem eigentlich
nichts mehr hinzufügen muss. Trotzdem sage ich zur
Klarstellung: Herr Bundeskanzler, ich bestreite gar nicht,
dass es auf dem Arbeitsmarkt an der einen oder anderen
Stelle substanzielle Verbesserungen gibt. Aber eine wirkliche Beschäftigungsdynamik, so wie sie in vielen anderen europäischen Ländern schon seit längerer Zeit festzustellen ist, gibt es in Deutschland nicht. Über die Gründe,
warum das der Fall ist, müssen wir hier sprechen.
({37})
Ich möchte Ihnen zwei wesentliche Gründe - man kann
sie auch als makroökonomische Ursachen bezeichnen nennen. Die erste Ursache ist: Der Grad der Regulierung
unseres Arbeitsmarktes nimmt wieder zu. Sie haben zu
Beginn Ihrer Regierungstätigkeit eine ganze Reihe von
Maßnahmen, mit denen der Arbeitsmarkt in Gang gebracht
worden ist - darauf ist das gute Ergebnis des Jahres 1998
zurückzuführen -, rückgängig gemacht: Neuregelung der
630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse, Änderung des Kündigungsschutzrechtes, Neuregelung der Lohnfortzahlung
im Krankheitsfall und Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes. Sie haben alle unsere Maßnahmen rückgängig gemacht
({38})
und haben dadurch die in Deutschland einsetzende Beschäftigungsdynamik abrupt gestoppt.
({39})
Eines muss ich Ihnen allerdings zugestehen: Es gibt
eine Ausnahme, für die Sie selbst gesorgt haben und die
seit November letzten Jahres gilt. Diese Ausnahme war
- darauf hat der Kollege Michael Glos schon heute Morgen hingewiesen - der so genannte Haustarifvertrag bei
der Philipp Holzmann AG. Hier wurde in einem großen
Unternehmen - es geht nicht um ein kleines und mittleres
Unternehmen ({40})
mit Ihrer Zustimmung und Billigung der bestehende Tarifvertrag gebrochen. Das war rechtswidrig. Aber als sich
der Kollege Rezzo Schlauch darum bemüht hat, mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt auch im Interesse der kleinen und mittleren Unternehmen durchzusetzen, wurde er
sofort von den eigenen Kollegen und von Ihnen zurückgepfiffen.
({41})
Man kann Arbeitsmarktpolitik nicht so betreiben, dass
man den großen Unternehmen jede Ausnahme durchgehen lässt und den kleinen und mittleren Betrieben in der
schwierigen Lage, in der sie sich befinden, die notwenFriedrich Merz
dige Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt vorenthält. So geht
es nicht.
({42})
Herr Bundeskanzler, Sie sind in Ihrer Rede sehr
ausführlich auf die Teilzeitbeschäftigung eingegangen.
Auch hier stimmen wir Ihnen grundlegend zu: Wir brauchen in Deutschland mehr Teilzeitbeschäftigung. Wer will
das bestreiten? Sie haben im Beschäftigungsförderungsgesetz einen Rechtsanspruch - Herr Metzger weiß schon,
warum er so fröhlich schaut; bleiben Sie ruhig da ({43})
auf Teilzeit verankert. Sie haben das eben auch begründet.
Aber Sie sind sich offensichtlich über die Konsequenzen
dieser Regelung überhaupt nicht im Klaren:
({44})
Denn was ist jetzt geschehen? Es ist jetzt gesetzlich festgeschrieben worden, dass der Arbeitnehmer die Hauptleistungspflicht, die in seinem Arbeitsvertrag geregelt ist,
einseitig zu seinen Gunsten ändern kann. Das Einspruchsrecht des Arbeitgebers beschränkt sich auf dringende betriebliche Gründe.
({45})
- Entschuldigung, Sie haben es korrigiert. Im Entwurf
stand noch „dringende Gründe“; dann haben Sie es korrigiert und durch „betriebliche Gründe“ ersetzt.
Ergebnis ist: Dies ist ein Beschäftigungsförderungsprogramm für die Arbeitsgerichte, aber nicht für die Arbeitnehmer in Deutschland.
({46})
Denn in Zukunft - Herr Bundeskanzler, das werden Sie
nicht bestreiten - wird es jeder Arbeitgeber in diesem
Land vermeiden, neue Mitarbeiter auf solchen Arbeitsplätzen einzustellen, die „teilzeitgefährdet“ sind. So wird
es in der betrieblichen Praxis aussehen.
({47})
Wir haben einen konkreten Vorschlag unterbreitet, wie
man es hätte besser machen können. Wir haben Ihnen gesagt: Lassen Sie uns doch diesen Weg für Väter und Mütter gehen, die in der schwierigen Lage sind, Familie und
Beruf miteinander vereinbaren zu müssen. Wir wollten es
auf der Basis der Freiwilligkeit. Wir hätten es hinbekommen, dass die Arbeitgeber einen Teilzeitarbeitsplatz nicht
willkürlich hätten verweigern dürfen. Das hätte die notwendige Flexibilität in den Betrieben erhalten, das hätte
keine neuen Einstellungsschwellen errichtet und das hätte
vor allen Dingen einen wesentlichen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedeutet. Aber Sie waren
überhaupt nicht bereit, über dieses Thema nachzudenken.
({48})
Sie haben das Betriebsverfassungsgesetz angesprochen. Dazu eine Vorbemerkung: Die betriebliche und
außerbetriebliche Mitbestimmung, die wir in Deutschland
durch das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 und das
Mitbestimmungsgesetz von 1976 haben, gehört zu den
Kernelementen der Sozialpartnerschaft in Deutschland.
Sie hat sich in vollem Umfang bewährt.
({49})
Wir wollen den Kernbestand der Mitbestimmung in
Deutschland aufrechterhalten und dort, wo es nötig und
möglich ist, auch fortentwickeln.
Herr Bundeskanzler, das, was jetzt als Eckpunkte des
Bundesarbeitsministers veröffentlicht worden ist, ist doch
kein Beitrag zur Fortentwicklung der betrieblichen Mitbestimmung, sondern ein Beitrag zur Stärkung der Funktionäre gegen die Interessen der Belegschaften und der
Betriebe. Ich will ihnen dazu ein konkretes Beispiel nennen.
({50})
Bei Ihnen steht nicht die Frage im Vordergrund, ob angesichts der erheblichen Veränderungen in den Betrieben
möglicherweise ein Übergangsmandat des Betriebsrates
festgeschrieben werden soll, wenn sich Betriebe in ihren
Strukturen verändern. Im Vordergrund steht vielmehr
- ich habe das sehr genau gelesen - die Absenkung der
Schwelle für die Betriebsratspflicht. In Zukunft sollen bereits Betriebe mit drei Mitarbeitern betriebsratspflichtig
werden. Im Vordergrund steht auch die Absenkung der
Schwelle für die Freistellung hauptamtlicher Funktionäre
in den Betrieben von 300 auf 200 Mitarbeiter. Außerdem
wollen Sie - jedenfalls nach dem, was Ihr Bundesarbeitsminister plant - die Möglichkeit verbessern, sich von
außen durch Minderheitenbetriebsräte gegen die Mehrheit der Arbeitnehmer durchzusetzen. Das ist die Wahrheit
darüber, was Sie mit der Veränderung des Betriebsverfassungsrechtes planen.
({51})
Deswegen, Herr Bundeskanzler, sage ich noch einmal:
Wir können offen mit Ihnen darüber reden, wie man geltende Regelungen verbessern kann.
({52})
Aber ich habe den Eindruck, dass seit einigen Wochen
- man kann das vielleicht sogar ziemlich genau auf das
Datum fixieren, an dem die Bundesregierung, an dem Sie
ein Gespräch mit dem Vorstand des DGB geführt haben die Rolle rückwärts eingeleitet wird und die Gewerkschaften, insbesondere der DGB, die Gegenleistung für
die 8 Millionen DM haben wollen, die die SPD im Bundestagswahlkampf 1998 bekommen hat.
({53})
Herr Bundeskanzler, wenn Sie uns das nicht glauben
- es kann gut sein, dass die Rollenverteilung so ist, dass
Sie uns das gar nicht glauben können und dürfen -,
möchte ich Ihnen sagen, dass der Kollege Metzger vor einigen Tagen in einem Interview mit dem „Handelsblatt“
eine ganz klare Aussage dazu gemacht hat:
Als „Rückschritt“ kritisierte Metzger den geplanten
Rechtsanspruch auf Teilzeit. Dieser werde Unternehmer von Neueinstellungen abhalten. Der Arbeitsmarkt dürfe nicht „immer weiter reguliert und bürokratisiert“ werden.
Genau das ist der Punkt.
({54})
Wir brauchen für unseren Arbeitsmarkt angesichts der
gewaltigen Veränderungen, vor denen wir stehen, nicht
mehr Bürokratie und damit weniger Flexibilität, sondern
mehr Flexibilität. Damit Sie sehen, dass sich unsere Kritik nicht nur in Ablehnung erschöpft, will ich Ihnen zwei
konkrete Vorschläge machen, von denen wir glauben,
dass ihre Umsetzung einen Beitrag zur Flexibilität auf
dem Arbeitsmarkt leisten könnte:
Erstens. Warum bieten wir Beschäftigten keine flexibleren Modelle der Arbeitslosenversicherung an?
Warum kann sich ein Arbeitnehmer nicht frei für eine Arbeitslosenversicherung vom ersten Tag, von der zweiten
Woche oder vom dritten Monat an mit entsprechend
gestaffelten Beiträgen entscheiden? Warum können wir
da nicht zu mehr Flexibilität kommen, Herr Bundeskanzler? Wir machen Ihnen den Vorschlag, dass wir die Arbeitslosenversicherung an diesem Punkt stärker flexibilisieren.
Zweitens. Warum denken wir hinsichtlich des Kündigungsschutzes nicht darüber nach, wie wir die Einstellungschancen gerade von älteren Arbeitslosen auf dem
Arbeitsmarkt verbessern können? Warum schaffen wir in
unserem Kündigungsschutzrecht nicht eine Möglichkeit,
dass ältere Arbeitslose auf den Anspruch verzichten dürfen, einen Kündigungsschutzprozess zu führen, um dafür
mit dem Arbeitgeber bei der Einstellung im Arbeitsvertrag eine Abfindungsregelung zu treffen? Das wäre ein
Beitrag dazu, dass ältere Arbeitslose über mehr Flexibilität den Weg in den Arbeitsmarkt zurückfinden.
({55})
Das sind zwei Beispiele für die von Ihnen zitierte Flexibilität.
Herr Bundeskanzler, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir für unseren Arbeitsmarkt auch dann
Zuwanderung brauchen, wenn alle Bemühungen, Arbeitskräfte im Inland zu finden - ich halte sie für unvollständig -, erfolgreich sind. Ich unterstreiche ausdrücklich: Wir brauchen in der Bundesrepublik Deutschland in
den nächsten Jahren sehr viel mehr Beschäftigte, und
zwar in Spitzenpositionen der Wirtschaft und der Wissenschaft genauso wie in vielen Betrieben mit ganz normalen
Tätigkeiten. Diese Menschen müssen wir aus dem Ausland hinzugewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir eine Regelung bzw. eine Steuerung. Dazu müssen zwei Bedingungen erfüllt sein:
Die erste Bedingung ist, dass wir, bevor wir versuchen,
die Beschäftigungsprobleme auf dem deutschen Arbeitsmarkt über Einwanderung zu lösen, die Frage stellen, was
auf dem deutschen Arbeitsmarkt selbst nicht in Ordnung
ist.
({56})
Sie können unsere Probleme nicht durch Zuwanderung zu
lösen versuchen und gleichzeitig 3,8 Millionen Arbeitslose und weitere 1,5 Millionen Menschen in der Arbeitslosenreserve sozusagen stilllegen, indem Sie sagen: Damit hat der deutsche Arbeitsmarkt nichts mehr zu tun.
({57})
Die Probleme müssen erst mit den hier vorhandenen Kräften gelöst werden.
({58})
Die zweite Bedingung lautet: Wenn wir Einwanderung
wollen, dann brauchen wir ein Einwanderungs- und
Integrationskonzept. Ich gehe noch einen Schritt weiter:
Wir brauchen ein Einwanderungs- und Integrationsgesetz. In diesem Gesetz müssen auch Maßstäbe aufgestellt und formuliert werden, die diejenigen einzuhalten
haben, die als Einwanderer in die Bundesrepublik
Deutschland kommen.
Sie haben uns und insbesondere mir persönlich mit Pathos noch einmal die Debatte vorgehalten, die wir in den
letzten Wochen und Monaten geführt haben. Ich will auch
dazu zwei Feststellungen treffen:
Erstens. Wenn wir diese Diskussion nicht geführt hätten, dann hätten Sie im Zweiten Deutschen Fernsehen
nicht zugestanden, dass es noch in dieser Legislaturperiode zu diesem Thema eine Regelung geben muss.
({59})
Sie wollten es nicht und wir haben Sie mit dieser Debatte
dazu veranlasst. Das wissen Sie.
({60})
Zweitens. Es mag sein, dass unsere Aussagen von einigen bewusst oder unbewusst missverstanden werden. Sie
verlieren Ihren Kulturminister jetzt an eine große deutsche Wochenzeitung. Seitdem ich erfahren habe, dass er
dort hingeht, weiß ich, was „Zeit ist Geld“ heißt.
({61})
Sei ‘s drum.
({62})
- Von Neid bin ich an dieser Stelle wirklich völlig frei.
({63})
Ich möchte Ihnen vortragen, was der frühere Herausgeber vor zwei Jahren in dieser Zeitung zu diesem Thema
geschrieben hat:
... Integration bedeutet zwangsläufig ein gutes Stück
Assimilation an die deutsche Leitkultur und deren
Kernwerte.
({64})
Nun ist Theo Sommer schon ein bisschen älter. Aber es
wird neben Ihnen, Herr Naumann, ab dem 1. Januar 2001
einen weiteren Mitherausgeber geben; wenn ich richtig
informiert bin, ist es Josef Joffe. Er schrieb nicht vor zwei
Jahren, sondern vor zwei Wochen in derselben Zeitung:
Im heucheleigetränkten Streit der Deutschen um das
L-Wort geht es in Wahrheit auch nicht um das Prinzip, sondern um das Profil.
An anderer Stelle:
Man kann das L-Wort drehen und wenden, wie man
will: Ohne einen solchen Begriff, ohne Wertekanon,
geht es nicht.
Recht hat der Mann.
({65})
Meine Damen und Herren, es gibt eine zweite wichtige
Ursache für die unbewältigten Probleme unseres Arbeitsmarktes. Das sind die unverändert hohen Arbeitskosten,
Herr Bundeskanzler; auch darüber muss noch ein Wort
verloren werden. Frau Müller hat sich heute Morgen mit
beredten Worten der Tatsache berühmt, dass der Rentenversicherungsbeitrag jetzt auf 19,1 Prozent abgesenkt
wird. In Wahrheit wird er durch die Ökosteuer heruntersubventioniert, ohne dass dadurch ein einziges Problem in
der deutschen Rentenversicherung gelöst würde. Das verschweigen Sie bei jeder Darstellung der Rentenversicherungsbeiträge.
({66})
Die Betriebe und die Beschäftigten in Deutschland haben überhaupt nichts davon, wenn die Sozialversicherungsbeiträge sinken und dafür die tatsächliche Steuerbelastung weiter steigt. In Wahrheit sinken auch die Steuern und Abgaben in Deutschland nicht, sondern sie steigen insbesondere im laufenden Jahr 2000.
({67})
Die Steuerquote und die Abgabenquote sind gestiegen.
Deswegen können Sie es drehen und wenden, wie Sie
wollen: Sie kommen um eine grundlegende Sanierung der
sozialen Sicherungssysteme nicht herum. Dies ist Allgemeingut. Das brauche ich gar nicht besonders zu betonen;
das wollen auch Sie.
Aber damit auch hier nicht falsche Erwartungen und
zugleich falsche Vorwürfe entstehen, sage ich Ihnen noch
einmal ganz klar und deutlich: Wir sind bereit, mit Ihnen
zusammen das große Problem einer Sanierung der Rentenversicherung in Deutschland zu lösen. Wir haben
dazu Gespräche geführt. Es waren übrigens Gespräche,
die von Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber im letzten Jahr ziemlich genau zu dieser Zeit angeboten worden
sind; auf das Angebot sind Sie eingegangen.
Wir haben am 13. Juni auf Ihre Einladung hin bei Ihnen im Kanzleramt - ich war dabei - ein letztes Gespräch
in der Spitzenrunde über die Zukunft der deutschen Rentenversicherung geführt. Gegen Ende dieses Gesprächs
haben Sie einen Zettel aus Ihrem Papierstapel herausgezogen. Das war dieser Zettel, den ich heute mitgebracht
habe. Auf ihm steht oben:
Kombinationsmodell aus Abzug von der Steuerbemessungsgrundlage und Zulage mit Staffelung der
Höchstbeträge nach Kinderzahl.
Gemeint ist die private Vorsorge, die Sie ursprünglich
gar nicht wollten und die wir Ihnen abgerungen haben.
({68})
Geschenkt; es ist in Ordnung, dass Sie sie wollen. Wir
müssen sie wollen und es ist richtig, wenn Sie sagen, dass
die deutsche Rentenversicherung durch eine kapitalgedeckte private und betriebliche Altersversorgung begleitet und unterstützt werden muss.
Nur, Herr Bundeskanzler, wir hatten von Anfang an
verabredet, dass wir das Gespräch so führen: Wenn Sie
neue Vorschläge machen, gehen wir auseinander, beraten
darüber und kommen anschließend wieder zusammen.
Sie aber haben uns den Zettel auf den Tisch gelegt, sind
anschließend hinausgegangen und haben vor der deutschen Presse stolz erklärt,
({69})
Sie hätten uns 19,5 Milliarden DM auf den Tisch gelegt
und wir seien völlig ratlos. Das war am 13. Juni. Vor drei
Wochen haben der Arbeitsminister und der Finanzminister, ohne dass Sie offensichtlich davon wussten, beschlossen, dass die erste Stufe des In-Kraft-Tretens dieser privaten Vorsorge auf das Jahr 2002 verschoben werden soll.
({70})
Da war von 19,5 Milliarden DM nicht mehr die Rede, kein
Ton mehr. Sie wollen die Einführung der privaten Vorsorge auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschieben,
damit die Leute nicht merken, dass die private Vorsorge
völlig unzureichend ist.
({71})
Wir stehen ja erst am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens; deswegen kann das korrigiert werden.
Wir haben Ihnen am 1. Juli dieses Jahres einen Brief
geschrieben. In diesem Brief werden fünf Punkte genannt,
die wir zur Bedingung machen, wenn wir mit Ihnen eine
Reform der Rentenversicherung angehen sollen. Diese
fünf Punkte gelten weiter; da werden keine weiteren Bedingungen draufgesattelt; von diesen fünf Punkten werden wir aber auch nicht abgehen. Wir brauchen die private
Vorsorge. Wir brauchen eine gerechte Verteilung der Lasten aufgrund der demographischen Entwicklung auf die
Schultern aller Generationen in Deutschland und nicht
eine Verlagerung der Lasten ausschließlich auf die Schultern der jungen Generation. Wir müssen uns darüber unterhalten, wie der Beitragssatz zur Rentenversicherung
bei 20 Prozent stabilisiert werden kann.
({72})
Wenn Sie bereit sind, sich auf den von uns vorgeschlagenen Weg einzulassen, Herr Bundeskanzler, können wir
auch zu einem Konsens kommen. Einen faulen Kompromiss, von Ihrer Mehrheit im Bundestag durchgedrückt,
tragen wir allerdings nicht mit.
({73})
Sie brauchen ja nur für die private Vorsorge die Zustimmung des Bundesrates. Diese werden Sie bekommen,
({74})
wenn Sie den Ländern vernünftige Vorschläge machen,
wie das finanziert werden kann. Dann ist die Zustimmung
im Bundesrat kein Thema mehr, da es dabei nur noch um
Finanzpolitik geht. Die eigentliche Rentenreform bedarf
nicht der Zustimmung des Bundesrates. Wenn wir keinen
Konsens finden, weil Sie den Fehler machen, die Lasten
einseitig zu verteilen, dann werden wir vom Tag nach der
Verabschiedung der Rentenreform hier im Bundestag an
dafür kämpfen, dass dieses wieder korrigiert wird. Das
sollen Sie wissen.
({75})
Zum Schluss noch zu einem Thema, das Sie nur ganz
kurz angesprochen haben. Unsere Vermutung ist, dass
hier noch größere Probleme auftreten werden als bei
der Sanierung der Rentenversicherung. Ich meine die Sanierung der gesetzlichen Krankenversicherung in
Deutschland. Herr Bundeskanzler, das Zusammenwirken
von demographischer Entwicklung und medizinischtechnischem Fortschritt birgt für die gesetzliche Krankenversicherung ein sehr hohes Kostenrisiko und kann geradezu zu einer Kostenexplosion führen. Die Unsicherheit
hier ist wesentlich größer als die bezüglich der Rentenversicherung. Deswegen habe ich nur wenig Verständnis dafür, dass Sie erklärt haben, in dieser Legislaturperiode werde die Reform des Gesundheitswesens nicht
angegangen.
Ich habe den Wahlkampf 1998 noch in guter Erinnerung. Dort haben Sie massiv gegen die Union Politik gemacht, weil wir die Selbstbeteiligung erhöht und verschiedene Formen von Eigenverantwortung eingeführt
hatten.
({76})
Wie sieht denn die Wahrheit zwei Jahre später aus? Sie haben das eine oder andere zurückgenommen; so haben Sie
die Medikamentenzuzahlungen um 1 oder 2 DM gekürzt.
Mittlerweile muss im Rahmen der Selbstbeteiligung aber
mehr als ein Viertel der gesetzlich Krankenversicherten in
Deutschland bei Arzneimitteln Zuzahlungen leisten, die
wir ihnen in diesem Umfang nie zugemutet hätten.
({77})
Ein Drittel der Patienten erhält nach Stichprobenuntersuchungen der gesetzlichen Krankenversicherungen nicht
die Leistungen, die sie medizinisch brauchen. Ich sage Ihnen, Herr Bundeskanzler: Die brutalste Form der Selbstbeteiligung ist der Leistungsausschluss, der gegenwärtig
stattfindet.
({78})
Deswegen werden Sie nicht umhinkommen, in den nächsten zwei Jahren, die Sie noch regieren, Vorschläge zu machen, wie das Gesundheitswesen in Deutschland saniert
werden könnte.
Sie selber haben hierzu ja schon einen Beitrag veröffentlicht. Weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit schreibt der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Gerhard Schröder, in der Zeitschrift
„Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“, dass eine
Neuabgrenzung zwischen Eigenverantwortung und kollektiver Absicherung für die Gesundheitspolitik zwingend
erforderlich sei. Herr Bundeskanzler, warum schreiben
Sie, wenn Sie zu dieser Erkenntnis gekommen sind, das
dann nur in irgendwelchen interessanten akademischen
Schriften und sagen es nicht hier im Deutschen Bundestag
und handeln vor allem dementsprechend?
({79})
Sie werden nicht umhinkommen - das ist nicht nur ein
Thema der Gesundheitspolitik, sondern ein Thema, von
dem die Zukunft unseres Arbeitsmarktes substanziell abhängt -, wirkliche Reformen anzugehen und dafür zu sorgen, dass die Ausgaben begrenzt werden. Es reicht nicht
aus, nur neue Einnahmequellen zu erschließen.
Wenn Sie diesen Weg gehen würden, dann hätten Sie
allen Grund zur Fröhlichkeit und könnten dem deutschen
Volk sagen, es werde gut regiert. Aber davon sind wir
noch verdammt weit entfernt. Solange wir nicht an diesem
Punkt angekommen sind, wird die Opposition im Deutschen Bundestag und überall in der Bundesrepublik
Deutschland sagen: Wir sind ein prima Land; aber wir
werden miserabel regiert.
({80})
Bevor ich
den nächsten Redner aufrufe, möchte ich Folgendes mitteilen: Weder die beiden Schriftführerinnen noch ich
konnten vorhin die Zwischenrufe verstehen. Deswegen
habe ich mir den entsprechenden Auszug aus dem Protokoll geben lassen.
Auf die Bemerkungen von Herrn Merz hin, der an die
Äußerung von Alex Möller in den 70er-Jahren erinnert
hat, welcher damals die Union in die geistige Nähe des
Nationalsozialismus gerückt hat, sagte der Kollege
Stiegler: „Recht hat er!“
({0})
Herr Kollege Stiegler, ich muss Ihnen dafür einen Ordnungsruf erteilen. Ich möchte hinzufügen, dass es unzulässig und auch nicht anständig ist, eine Partei in diesem Hause in die Nähe des Nationalsozialismus zu
rücken.
({1})
Herr Stiegler, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, wenn Sie die
Güte haben, möchte ich den damaligen Sachverhalt rekonstruieren.
({0})
Es ging damals in der Debatte um das Thema, wer an
der Inflation Schuld sei. Die Union hat die damalige sozialliberale Koalition in die Nähe derer gerückt, die für die
Inflation der 30er-Jahre verantwortlich waren. Daraufhin
hat Alex Möller zu der Union gesagt: Diejenigen, die damals für die Inflation und für die Entwicklung während
der Weimarer Zeit verantwortlich waren, stehen Ihnen
näher als uns. - Das ist der gesamte Vorgang. Bevor Sie
mir Vorwürfe machen, lassen Sie sich das Protokoll über
die damalige Auseinandersetzung geben.
({1})
Ich empfehle außerdem den Aufsatz von Reinhard
Kühnl in dem Taschenbuch „15 Millionen beleidigte
Deutsche oder woher kommt die CDU?“
({2})
Bevor Sie mir vorwerfen, ich würde der Union die Verantwortung für den Nationalsozialismus zuschreiben,
nehmen Sie zur Kenntnis, was damals wirklich war.
({3})
Herr Kollege Stiegler, über einen Ordnungsruf wird nicht diskutiert. Ich habe gedacht, Sie würden Gelegenheit nehmen,
sich für diese Äußerung zu entschuldigen.
({0})
Da Sie das nicht getan haben, lasse ich den Ordnungsruf
so stehen.
({1})
Als nächster Redner hat der Kollege Matthias
Berninger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erinnere
mich noch gut an die Debatte, als dieser Haushalt von der
Bundesregierung eingebracht wurde. Damals hat der Kollege Merz die alte Bundesregierung in ein gutes Licht
gerückt und die neue kritisiert, sie habe die deutsche Einheit nicht gewollt. Ich will daran einmal anknüpfen, Herr
Kollege Merz, weil Sie in Ihrer Rede einen Punkt angesprochen haben, an dem Sie eine große Verantwortung
dafür tragen, dass wir 4,7 Millionen Arbeitslose von der
alten Bundesregierung übernehmen mussten.
Der Kollege Merz steht nämlich einer Fraktion vor,
die die deutsche Einheit über die Lohnnebenkosten finanziert hat. Von 1990 bis zum Regierungswechsel sind
die Lohnnebenkosten in Deutschland um 6,5 Prozent gestiegen. Um es anders zu formulieren: Pro Monat wurden
den Beschäftigten und denen, die sie beschäftigt haben,
300 DM aus der Tasche gezogen, um die deutsche Einheit zu finanzieren. Von jemandem, der so etwas tut, lassen wir uns keine Ratschläge dazu geben, wie man die
Lohnnebenkosten senkt.
({0})
Ich finde Ihre Ratschläge aus einem zweiten Grund
verlogen. Es vergeht kein Tag, an dem die Union nicht
über die Ökosteuer polemisieren würde. Ich stelle fest:
Ohne die Ökosteuer wären die Lohnnebenkosten in Schwindel erregender Höhe und wir hätten keinen Rückgang der
Arbeitslosigkeit, sondern im Gegenteil eine Verschärfung
des Problems.
({1})
Ich finde, Sie sollten sich einmal überlegen, wie das, was
Sie fordern, bezahlt werden kann. Denn gleichzeitig die
Abgaben zu senken und die Ökosteuer abzuschaffen funktioniert nicht. Dazu hat schon Adam Riese einiges Vernünftiges gesagt.
({2})
Deshalb lassen wir uns von der Union auch hierzu keine
guten Ratschläge erteilen.
Herr Kollege Merz, eine Fraktion, die damals in der
Regierungsverantwortung nichts dagegen hatte, auf der
einen Seite Millionen Spenden zu nehmen und auf der anderen Seite zum Beispiel aus den Eisenbahnerwohnungen ein Schnäppchen zu machen und sie weit unter Wert
verkaufen zu wollen, sollte sich hier nicht hinstellen und
der SPD oder irgendeiner anderen Fraktion vorwerfen, sie
sei käuflich. Das halte ich für eine Unverschämtheit. Sie
brauchen sich nur einmal anzuschauen, was sich noch vor
zwei Jahren allein bei dem kleinen Thema Eisenbahnerwohnungen abgespielt hat.
({3})
Der dritte Punkt. Hier spielen Sie sich auf und sagen,
die gesetzliche Krankenversicherung werde ein großes
Problem. Es war die CDU, die die Gesundheitsreform
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
am Ende im Bundesrat blockiert hat. Warum? Weil sie
zum Beispiel nicht wollte, dass man im Bereich der Krankenhäuser eine vernünftige Strukturpolitik macht, dass
man dort Kosten spart, was die Beiträge gesenkt hätte,
und stattdessen kleinliche und kleinkarierte Strukturpolitik gemacht hat. Auch deshalb lassen wir uns von Ihnen
keine Ratschläge erteilen.
({4})
So leicht lassen wir es Ihnen, lieber Herr Kollege Merz,
nicht durchgehen, dass Sie sich hier hinstellen und der
Bundesregierung wirtschaftspolitisch kluge Ratschläge
erteilen wollen.
Sie müssen sich außerdem mit Ihren Fraktionskollegen
einig werden, von welchen Zahlen Sie ausgehen. Es tut
Ihnen nämlich regelrecht weh, dass wir zunächst ein Beschäftigungswachstum von 1 Prozent, dann von 1,5 Prozent und im nächsten Jahr wiederum von 1,5 Prozent haben. Deshalb redet Herr Merz so schlecht und sagt, die
Zahlen kämen nur zustande, weil 1,8 Millionen geringfügig Beschäftigte in die Statistik hineingerechnet worden
seien. Ihr Kollege Rauen - auch wenn er nicht zuhört - hat
gestern in der Debatte gesagt, es seien 140 000 gewesen.
Ich finde, Sie sollten erst einmal intern klären, von welchen Zahlen Sie ausgehen, statt der Bundesregierung vorzuwerfen, sie würde keine erfolgreiche Politik machen.
({5})
Man kann es am Arbeitsmarkt sehen. Man kann sehen,
dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland, die fast 5 Millionen erreicht hatte, sich nun den 3 Millionen nähert.
Aber auch 3 Millionen Arbeitslose sind uns noch zu viel.
Wir lassen uns unsere Politik in dieser Beziehung von Ihnen nicht kaputtreden.
({6})
Wir wissen, dass die Senkung der Arbeitslosigkeit
nicht von selbst kommt, sondern dass gezielte Reformen
notwendig sind. Es war notwendig, die Staatsverschuldung zurückzuführen. Es war notwendig, eine Steuerreform zu machen, die die Unternehmen und die kleinen
und mittleren Einkommen entlastet, um die Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Es wird auch notwendig
sein, die Lohnnebenkosten weiter zu senken. Deshalb haben sich die Koalitionsfraktionen darauf verständigt, die
Lohnnebenkosten noch in dieser Legislaturperiode auf
unter 40 Beitragspunkte zu senken. Warum wollen wir
das? Weil das dazu führt, dass diejenigen, die nach wie vor
zu hohe Belastungen haben - die sie aber nicht wegen uns
haben, sondern weil wir sie geerbt haben -, mehr Geld in
die Tasche bekommen. Wir wollen erreichen, dass die
kleinen Leute bis zu 1 000, 1 200, 1 300 DM mehr Geld
in der Tasche haben, damit erstens diese Menschen das
Geld verkonsumieren können, wodurch neue Arbeitsplätze entstehen, und zweitens die Unternehmen mehr Bereitschaft zeigen, neue Leute einzustellen, weil Arbeit in
Deutschland wieder bezahlbar wird.
({7})
Das ist das, was diese Regierung will. Sie haben das genaue Gegenteil davon gemacht.
Mich ärgert maßlos, dass Sie hier zwar detaillierte Vorschläge darüber unterbreiten, wie man das Arbeitsrecht an
der einen oder anderen Stelle ändern kann. Bei der Rentenreform aber, mit der wir verhindern wollen, dass die
Lohnnebenkosten explodieren, blockieren Sie. Wie ein
Naseweis stellen Sie an einem Tag die erste Forderung.
Wenn diese erfüllt wird, kommt am nächsten Tag die
zweite und am übernächsten Tag die dritte Forderung. Sie
wollen sich nicht an der Rentenreform beteiligen, weil Sie
daraus parteipolitischen Honig saugen wollen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Die Antwort darauf wird
sein, dass die Koalition ohne Sie eine Rentenreform verabschieden wird, mit der die Beiträge stabil gehalten werden, die jungen Menschen nicht über Gebühr belastet
werden und mit der auch den alten Menschen eine verlässliche Rente präsentiert wird. Das wird unsere Antwort darauf sein, dass Sie mit uns Katz und Maus spielen
wollen; auch das muss man Ihnen einmal deutlich sagen.
({8})
Ich bin der Meinung, dass wir das, was Sie hier veranstalten, wirklich nicht nötig haben. Wenn es Ihnen wirklich Ernst ist mit einer vernünftigen Rentenreform, sollten
Sie an den Verhandlungstisch zurückkehren, den Sie verlassen haben. Denn das ist das Problem. Es ist nicht so,
dass die Bundesregierung keinen Konsens will. Vielmehr
will ihn die Union nicht.
({9})
Sie behaupten jetzt, dass der Vorschlag zu einer privaten Altersvorsorge ursprünglich von Ihnen gekommen
sei. Den Gedanken einer privaten Vorsorge hat es unter
Blüm nie gegeben. Das ist keine Erfindung der alten
Bundesregierung. Herr Blüm hat einen Rentenreformvorschlag gemacht, mit dem diejenigen, die ein geringes Einkommen haben, nicht im Geringsten im Hinblick auf eine
private Vorsorge unterstützt worden wären. Das war nie
Ihre Politik. Also tun Sie jetzt nicht so, als würden wir etwas, was Sie ursprünglich gefordert haben, in schlechterer Form übernehmen. Das Gegenteil ist der Fall: Die jetzige Bundesregierung wird die private Altersvorsorge für
viele Menschen, die über ein kleines oder mittleres Einkommen verfügen, attraktiv machen. Auch das war der
Union so fern wie nur irgendetwas, als sie noch die Regierungsverantwortung trug.
({10})
Wir werden im nächsten Jahr in der aktiven Arbeitsmarktpolitik Spielräume für eine Senkung der Lohnnebenkosten haben. In diesem Jahr ist es mitnichten so,
dass wir für die aktive Arbeitsmarktpolitik weniger ausgeben. Pro Arbeitslosen geben wir im Rahmen der aktiven
Arbeitsmarktpolitik nicht mehr nur 12 000 DM, sondern
sogar 12 500 DM aus, weil wir diese Menschen nicht im
Regen stehen lassen wollen, wie Sie das mit Ihrem Gesetz
getan haben, das den Arbeitsmarkt vor der Wahl ein wenig korrigieren sollte und das nach der Wahl wieder abgeschafft werden sollte.
Das tun wir nicht. Trotz der Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit sinkt, meinen wir, dass die aktive Arbeitsmarktpolitik weiter ein wichtiger Punkt ist. Aber - das muss
man hinzufügen - am Ende wird uns im nächsten Jahr die
sinkende Arbeitslosigkeit Spielräume dafür geben - vor
allem dann, wenn wir die durch die Einmalzahlungen entstandenen Belastungen nicht mehr haben -, den Beitrag
für die Arbeitslosenversicherung auf ein Niveau abzusenken, das sich am Ende in den Taschen der kleinen
Leute bemerkbar macht.
Die Senkung der Lohnnebenkosten hat nichts mit neoliberaler Politik zu tun, wie einige immer meinen. Das ist
vielmehr eine Reform, die den kleinen Leuten zugute
kommt. Von ihr profitieren diejenigen, die Lohnnebenkosten zu zahlen haben, am meisten.
({11})
Davon lassen wir uns nicht abbringen und wir lassen uns
schon gar nicht Ratschläge von denjenigen erteilen, die
die Lohnnebenkosten in die Höhe getrieben haben.
Kollege Brüderle steht hier stellvertretend für 30 Jahre
Regierungsverantwortung.
({12})
Die F.D.P. war immer für Steuer-, Abgaben- und Schuldenerhöhungen. Ihre gesamte Regierungszeit hat zu der
schlechten Bilanz geführt, die wir jetzt wegzuräumen haben, und dafür stehen Sie.
({13})
Insofern ärgere ich mich darüber, dass Sie meinten, sich
heute Morgen - das ist ja schon ein bisschen her - hier
hinstellen und gute Ratschläge erteilen zu müssen.
({14})
Sie bekommen keinen Mittelstandspreis dafür, dass Sie
am Ende im Bundesrat der notwendigen Steuerreform zur
Zustimmung verholfen haben. Den Mittelstandspreis bekommen diejenigen - Christine Scheel bekommt ihn stellvertretend für sie -,
({15})
die eine Steuerreform auf den Weg gebracht haben, die
ihresgleichen sucht. Eine solche Steuerreform hat es vorher nicht gegeben. Darüber sollten Sie einmal nachdenken, anstatt hier eine selbstgefällige Rede zu halten.
({16})
Auf Ihre Äußerung von heute Morgen, wir würden für
regenerative Energien Subventionen verteilen, ist zu
antworten: Sie waren es doch, die der Atomlobby eine
Subvention nach der anderen zugeschoben haben und die
Öffentlichkeit mit dem Müllproblem allein gelassen haben.
({17})
Sie sollten also nicht kritisch über die Subventionspolitik
im Energiebereich sprechen. Sie haben das Gegenteil
gemacht, solange Sie Verantwortung trugen. Wir werden dafür sorgen, dass Sie diese Verantwortung nicht
zurückgewinnen. Wir werden die Energiewirtschaft
umbauen. Auch das sollten Sie sich einmal vergegenwärtigen. Wir lassen uns da von Ihnen nicht im Geringsten beeinflussen.
Zu meinem letzten Punkt, zur Einwanderungspolitik.
Herr Kollege Merz, Sie haben in sehr redlicher Weise gesagt, es habe in der Union einen Kurswechsel gegeben.
Ich bin jetzt seit sechs Jahren Mitglied des Bundestages.
Als ich hierher kam, gab es zwei Leitsätze. Der erste lautete: Die Rente ist sicher. Davon spricht keiner mehr. Der
zweite lautete: Deutschland ist kein Einwanderungsland.
Davon hat sich die Union verabschiedet. Das begrüße
ich sehr. Was mich aber ärgert, ist, dass Sie, um den
Schmerz in Ihren Reihen darüber, dass Sie sich endlich
den Realitäten annähern, zu lindern, permanent Nebelkerzen werfen und hier einen Popanz aufbauen, der auf
die Knochen derjenigen geht, die in Deutschland zum
Beispiel deshalb durch die Straßen gejagt werden, weil sie
eine andere Hautfarbe haben.
({18})
Stellen Sie sich also hier hin und sagen Sie: „Wir haben unsere Position geändert; wir machen jetzt eine vernünftige Politik und sind zu einem Konsens in der Einwanderungspolitik bereit“, ohne das immer wieder mit
irgendwelchen Debatten, vor allem Leitkulturdebatten,
auszuschmücken, die nichts mit hochgeistigen Kulturdebatten zu tun haben, sondern nur dazu dienen, die Unzufriedenheit in Ihren Reihen in den Griff zu bekommen.
({19})
Ich halte das für falsch. Machen Sie das nicht mehr,
und lassen Sie uns zu einem vernünftigen Einwanderungskonsens kommen. Der wird auch dazu beitragen,
dass wir wirtschaftlich am Ende besser dastehen, als wir
dastanden, als wir die Verantwortung von der alten Regierung übernommen haben.
Vielen Dank.
({20})
Ich erteile
das Wort der Kollegin Sabine Kaspereit für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn heute im Zusammenhang
mit dem Kanzleramtshaushalt auch über Probleme in den
neuen Ländern - der Kanzler hat einiges dazu gesagt - gesprochen wird, muss auch über ein anderes sehr ernstes
Thema gesprochen werden, nämlich über Sebnitz.
Zu sehr haben uns die Nachrichten aus dem kleinen Ort
im Süden Sachsens aufgewühlt. Mit welchem Ergebnis
auch immer der Todesfall des kleinen Jungen aufgeklärt
werden wird, selbst wenn es sich um einen tragischen
Badeunfall gehandelt haben sollte, befürchte ich: Der
Name Sebnitz wird ein Politikum bleiben.
Angesichts solch ungeheuerlicher beängstigender Vorwürfe finde ich es durchaus angemessen, dass sich sowohl
der Bundeskanzler als auch der sächsische Ministerpräsident in ihrer jeweiligen Verantwortung des Falles angenommen haben.
Die Vorgänge in Sebnitz gehen jedoch über den tragischen Tod des kleinen Jungen mit seinen noch ungeklärten Umständen weit hinaus. Lassen Sie mich stellvertretend für viele andere Berichte und Kommentare zu diesem
Fall die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom vergangenen Montag zitieren:
Was immer in dem Freibad vor drei Jahren geschehen ist ({0}): das Milieu existiert, in dem auch das
Schlimmste denkbar ist. Schon die letzten Tage haben es bewiesen. Die Existenz dieses Milieus ist auch
die Erklärung für eine eigentlich unbegreifliche Rohheit von Kindern und Jugendlichen, denen nicht einmal mehr der Tod das Herz erweicht. Diese Hasskultur ist nicht unmittelbares Erbe der DDR, an die sich
die jungen Rechtsextremisten kaum erinnern können. Vielmehr hat sie das moralische Klima der
Nachwendezeit hervorgebracht: das Selbstmitleid,
das Opfergehabe, die Ressentiments und der Neid,
die in den neuen Bundesländern gepflegt werden.
Um es gleich vorweg zu sagen: Ich teile diese Analyse
nicht. Das ist nicht meine Wahrnehmung von den Menschen in den neuen Ländern. Das sind nicht meine Erfahrungen im Umgang mit ihnen.
({1})
Selbstmitleid, Opfergehabe, Ressentiments und Neid sind
nicht die Ingredienzen des moralischen Klimas der Nachwendezeit. Ich halte das für falsch. Ich weiß, viele teilen
diese Auffassung des „FAZ“-Kommentars. Sie ist weit
verbreitet - weniger öffentlich als hinter vorgehaltener
Hand, was noch schlimmer ist. Wir sollten uns daran gewöhnen, offen darüber zu reden und auch zu streiten.
Ich muss gestehen, dass ich bei diesem Thema ein
Stück ratlos bin. Ich weiß aber, dass eine solche Wahrnehmung - sei sie berechtigt oder nicht - politische Gefahren für das Zusammenwachsen unseres Landes heraufbeschwört, die wir dringend abwenden müssen.
({2})
Es kann ja sein, dass wir uns - auch in diesem Hohen
Hause - zu einseitig den materiellen und wirtschaftlichen
Problemen des Aufbaus gewidmet und dabei die Frage vergessen haben, wie die Menschen das Tempo der Veränderung überhaupt verarbeiten konnten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn über das
moralische Klima der Nachwendezeit gesprochen wird,
dann kann man über eine der zentralen Klimastörungen
nicht hinwegsehen, und das ist nun einmal die hohe
Arbeitslosigkeit, die von den Menschen in den neuen
Ländern subjektiv als bedrückender angesehen wird als
anderswo.
Während in Westdeutschland die Konjunktur den Arbeitsmarkt voll erfasst hat, bleibt die Lage auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt nach wie vor bedrückend. Ein
Viertel bis ein Drittel der arbeitsfähigen und arbeitswilligen Bevölkerung in den neuen Ländern ist ohne Arbeit.
Der günstigere Verlauf der Arbeitslosenquoten ist vor
allem durch die spürbare Ausweitung der staatlichen Förderung des zweiten Arbeitsmarktes bedingt, wie das Beispiel Brandenburg deutlich zeigt. Bei einem Wirtschaftswachstum von nur 0,6 Prozent ist die Arbeitslosigkeit um
6 Prozent gesunken. Dieser Rückgang korreliert nicht mit
dem Wirtschaftswachstum, und wir sollten uns hier nichts
vormachen. Die wirtschaftliche Entwicklung ist noch weit
von einem Normalzustand entfernt.
In letzter Zeit sind eine Reihe von Modellen zur Förderung von Geringqualifizierten entwickelt worden, um
der so genannten Sozialhilfefalle zu entkommen. Die Erfahrungen sind ermutigend, sodass ich hoffe, dass wir
diese Instrumente bald flächendeckend anwenden können. Deshalb bleibt es richtig, die aktive Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau fortzusetzen, so wie es die
Bundesregierung getan hat. Es ist allemal besser, Arbeit
statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Es ist allemal besser,
Arbeitslose weiterzubilden oder zeitweise in öffentlich
geförderten Beschäftigungsverhältnissen unterzubringen,
als sie einer geregelten Tätigkeit vollständig zu entwöhnen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, welche Handlungsoptionen bleiben Bund, Ländern und Gemeinden? Welcher finanzielle Spielraum existiert für mehr Beschäftigung? Die Verschuldungslage der neuen Länder ist
heute nicht weniger dramatisch als die von Bund und
alten Ländern. Beim Schuldenstand pro Kopf der Bevölkerung liegen die neuen Länder heute bereits im oberen
Drittel. Auch das, meine Damen und Herren von der Opposition, ist eine Erblast Ihrer Regierung.
Die Hälfte des Schuldenbergs haben die neuen Länder
in der Zeit zwischen 1990 und 1994 aufgehäuft. Die damalige Bundesregierung hatte bis zum Jahr 1994 mit den
Dotierungen aus dem Fonds „Deutsche Einheit“ die
ostdeutschen Länder und Gemeinden unterfinanziert. Sie
hat damit die ostdeutschen Länder und Gemeinden in eine
Schuldenfalle getrieben, aus der sie bis heute nicht herausgefunden haben.
Der zwingend erforderliche Konsolidierungskurs seit
Mitte der 90er-Jahre geht - das ist zu bedauern - angesichts des enormen Nachholbedarfs bei kommunalen
Infrastrukturen zulasten der Investitionen. Eine solche
Politik konterkariert die Bemühungen des Bundes, die Infrastrukturlücke zu schließen. Wir müssen heute erkennen, dass sich aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche,
aufgrund des großen Nachholbedarfs und aufgrund der
nach wie vor schweren Belastungen mit all den bekannten Folgewirkungen, die durch die 40-jährige Nachkriegsentwicklung in Ostdeutschland verursacht wurden,
die neuen Länder noch immer in einer Sonderlage befinden, die mit den üblichen Instrumentarien der föderalen
Finanzbeziehungen der alten Bundesrepublik nicht zu
bekämpfen ist.
Dass der Bund mehr als die Hälfte des Finanzvolumens
im Länderfinanzausgleich schultert, dass 67 Prozent der
Zuweisungen in die Flächenländer Ostdeutschlands
fließen und gut 16 Prozent nach Berlin, ist genau dieser
Sonderlage geschuldet.
({3})
Ich kann nur davor warnen, einen ähnlichen Fehler wie
Anfang der 90er-Jahre zu wiederholen. Die neuen Länder
brauchen eine angemessene Finanzausstattung, um die ihnen übertragenen Aufgaben zu erfüllen und den wirtschaftlichen Aufbau fortzusetzen. Wir werden deshalb
auch zehn Jahre nach der Wiedervereinigung eine Reform des Länderfinanzausgleichs hinbekommen müssen, die dieser Sonderlage Rechnung trägt. Es ist geradezu
eine Quadratur des Kreises, die zwingend gebotene Konsolidierungspolitik des Bundes und der Länder mit der
nicht weniger zwingend gebotenen Politik des wirtschaftlichen Aufbaus in den neuen Ländern zu kombinieren.
In diesem Sinne hat die neue Bundesregierung einige
wichtige Anstöße gegeben. Es geht um die Schaffung von
Chancengleichheit, um die Möglichkeit für die Menschen, ihre Chance aktiv ergreifen zu können. Ich denke
zum Beispiel an Inno-Regio. Ich gebe zu, dass wir noch
nicht am Ende einer überfälligen Neuorientierung des
Aufbaukonzeptes für Ostdeutschland stehen. Das gilt
im Übrigen auch für Sie, meine Damen und Herren von
der Union.
Das 20-Punkte-Programm für den Aufbau Ost, das Sie
am 21. Juni dieses Jahres der staunenden Öffentlichkeit
vorgestellt haben, birgt wenig Überraschendes. Das meiste davon ist bereits oder wird von der Bundesregierung im
Haushalt 2001 umgesetzt.
Da heißt es bei Ihnen zum Beispiel bei den kurzfristigen Maßnahmen - ich zitiere -:
... wirtschaftsnahe Infrastrukturmittel im Haushalt
2001 erhöhen: Baukonjunktur stützen, Basis für private Investitionen verbessern.
Ich kann nur sagen, das ist gut und mit Recht gefordert.
Aber wir fordern nicht nur, wir machen es auch. Die Investitionsquote im Bundeshaushalt 2001 beträgt 12,2 Prozent.
Sie liegt damit über den Quoten der Vorjahre.
Wesentlichen Anteil daran hat das Zukunftsinvestitionsprogramm, das wir aus den Zinsersparnissen, die
durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen möglich
wurden, finanzieren. Die Investitionen in Ortsumgehungen, die Modernisierung der Schienenwege und die Gebäudesanierung schaffen und sichern zahlreiche Arbeitsplätze und fördern das Wachstum auch und gerade in den
neuen Ländern.
Ich zitiere weiter aus dem 20-Punkte-Programm:
Marktchancen im Ausland nutzen: Sonderprogramm
zur Exportförderung Ost sofort intensivieren.
Richtig gefordert, kann ich nur sagen. Wir machen das
auch.
Ich zitiere weiter aus dem CDU-Papier:
Wachsenden Wohnungsleerstand bekämpfen: Entlastung von Altschulden.
Gut gefordert! Wir machen das. Wir stellen eine Altschuldenhilfe zur Entlastung von Wohnungsunternehmen bereit, und zwar 60 Millionen DM bar und 640 Millionen DM als Verpflichtungsermächtigung.
Weiter fordert die Union:
Bilanz 10 Jahre Aufbau Ost ziehen: Förderkatalog
Ost überarbeiten...
Lesen Sie den Bericht der Regierung zum Stand der
deutschen Einheit. Hier wird nichts mehr beschönigt, hier
werden Fakten auf den Tisch gebracht, und hier ist auch
der steinige Weg beschrieben, den wir in den neuen Ländern noch vor uns haben.
Weiter fordert die Union:
Planungssicherheit für die Länder herstellen: Solidarpakt II noch in dieser Legislaturperiode beschließen.
Sie kennen die Festlegungen dieser Regierung und der sie
tragenden Fraktionen. Es wird noch in dieser Legislaturperiode zu einem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zum Maßstäbegesetz, zum Finanzausgleichsgesetz
und zur Fortsetzung des Solidarpaktes kommen.
Die Union fordert, die Standortwerbung für Ostdeutschland im Ausland über 2001 hinaus zu verlängern. Sie wissen, dass ich mich dafür auch persönlich eingesetzt habe.
Ich finde, dass das Industrial Investment Council eine
gute Arbeit macht, und ich bin auch davon überzeugt, dass
wir in dieser Frage bald eine positive Perspektive aufzeigen können.
({4})
Lassen Sie mich jedoch noch einen Punkt ansprechen,
der in den Haushaltsberatungen eine wichtige Rolle gespielt hat. Das ist die Erhöhung der Fördermittel für die
Kultur. Zum einen halte ich die Erhöhung des Ansatzes
für die Hauptstadtkultur für sehr gerechtfertigt. Zum anderen konnten aber auch die im Regierungsentwurf vorgesehenen Mittel in Höhe von 30 Millionen DM für das
Aufbauprogramm „Kultur in den neuen Ländern“ auf
60 Millionen DM erhöht werden.
Jeder weiß inzwischen, welches steingewordene und
ideelle Kulturerbe Ostdeutschland von Rügen bis Plauen
zu bieten hat. Das ist ein Schatz, den es noch stärker als
bisher zu hüten und zu aktivieren gilt.
({5})
Ich bin davon überzeugt: Die Entwicklung von Kultur
und Wissenschaft als sanften Standortfaktoren wird in
Zukunft für den Aufbau Ost wichtiger sein als steuerliche
Sonderabschreibungen. Und hier schließt sich wieder der
Kreis zu Sebnitz: Alle Förderung des Bundes und der Länder für Ostdeutschland ist auf Sand gesetzt, wenn die politische Stabilität, wenn Recht und Freiheit der Menschen,
auch und gerade von Minderheiten, in Frage gestellt werden.
({6})
Die Menschen in Ostdeutschland haben in übergroßer
Mehrheit begriffen, was manche dringend noch begreifen
müssen: Jeder politische, jeder rassistisch motivierte, jeder ausländerfeindliche Anschlag ist ein Anschlag auf ihre
eigene Stadt, auf ihre eigene Region, und es ist ein schwerer Rückschlag für Ostdeutschland und damit für uns alle.
Das sollte jedem bewusst sein.
({7})
Ich gebe
dem Kollegen Günter Nooke für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Sehr
verehrte Damen und Herren!
10 Jahre nach der Herstellung der staatlichen Einheit
ist die wirtschaftliche Lage in den neuen Ländern
trotz Fortschritten in einzelnen Bereichen insgesamt
nach wie vor unbefriedigend.
Der Aufholprozess kam ... nicht nur zum Stillstand,
sondern gemessen am Pro-Kopf-Einkommen fiel der
Osten sogar zurück. ... die Produktion je Einwohner
verharrt bei 61 % des Standes in Westdeutschland.
Hinzu kommt, dass die Erwerbstätigenquote im ersten Arbeitsmarkt in Ostdeutschland mit 58 % inzwischen geringer als in Westdeutschland ist. Bezieht
man die gestiegene Ausstattung Ostdeutschlands mit
einem modernen Produktionsapparat auf die Zahl der
Einwohner, die hier ersatzweise als Bezugsgröße für
die Erwerbsfähigen stehen, so liegt die Anlagenintensität noch weiter hinter der Westdeutschlands
zurück. ...
Soll die Produktivitätslücke weiter geschlossen werden, ohne dass dies über weitere Entlassungen erreicht wird, muss der Kapitalstock im Osten für lange
Zeit stärker zunehmen als im Westen. ...
... Die Infrastruktur weist noch immer erhebliche Defizite im Vergleich zum Westen auf.
Ostdeutschland bleibt auch in den kommenden Jahren auf finanzielle Zuschüsse aus Westdeutschland
angewiesen. Die Entwicklung des Wirtschaftspotenzials in Ostdeutschland liegt nicht nur im Interesse
der neuen Länder, sondern auch im Interesse der alten Länder. Ein dauerhaftes Zurückbleiben der ostdeutschen Wirtschaft würde soziale Folgekosten auslösen, die letztlich der Westen tragen müsste. Der
Staat muss dort seine Anstrengungen erhöhen, wo er
unmittelbare Verantwortung zur Verbesserung der
Qualität des Standortes Ostdeutschland trägt, nämlich im Bereich der öffentlichen Infrastruktur.
({0})
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind alles Zitate aus dem Herbstgutachten der Wirtschaftsweisen, im Oktober 2000 aufgeschrieben,
({1})
und ich habe bewusst diese abgewogenen Worte gewählt,
damit man mir nicht unterstellt, ich würde hier irgendwelche Unwahrheiten über Ostdeutschland verbreiten.
Aber wenn die Redner der Koalition, wie gestern Herr
Spiller, gerade dieses Gutachten für die Erfolge der Bundesregierung heranziehen und sich damit offensichtlich
Autorität von unabhängiger Stelle beschaffen wollen, dann
kann ich nur sagen: Sie haben nicht darüber nachgedacht.
Wir als Opposition - von der einige vielleicht meinen,
wir würden keine grundsätzliche Kritik an der Bundesregierung üben - kritisieren die Bundesregierung an diesem
Punkt grundsätzlich. Der Aufbau Ost ist eine total offene
Flanke der Bundesregierung.
({2})
Hier können wir schon als Halbzeitbilanz ganz klar feststellen, dass die Bundesregierung auf der ganzen Linie
versagt hat. Ein Gegensteuern, das dringend notwendig
wäre, ist ausgeblieben. Sie haben gehört, wie die Entwicklung beschrieben wird.
Wie wird eine solche Haushaltsdebatte in den neuen
Bundesländern wahrgenommen? Dazu kann ich Ihnen,
Frau Kaspereit, nur sagen: Das, was Sie hier auch zu Sebnitz gesagt haben, war unzureichend.
({3})
Uns allen geht der Tod eines Menschen zu Herzen. Auch
ist es wichtig, dass so etwas zuerst genannt wird. Aber es
ist nicht angebracht, sich beim Thema Ostdeutschland nur
auf diesen Teil der Debatte zu konzentrieren und die Öffentlichkeit ihren Gefühlen zu überlassen. Emotionen anstelle klaren Verstandes sind als kritikwürdig anzusehen.
Die Debatte über Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern ist etwas, was einer differenzierten Analyse
bedarf. Die Stadt Sebnitz in Sachsen und mit ihr die neuen
Bundesländer sind hier in unverantwortlicher Weise in
Verruf gebracht worden.
({4})
Wie bei dem Fall Joseph, bei dem in keiner Weise belegt ist, ob es sich überhaupt um Mord handelt, wissen einige immer schon vorher, was sich genau abgespielt hat
und was die Motive waren. Ich finde das unglaublich. Es
kommt einem schon der Gedanke, dass Ihnen diese Debatte gar nicht so ungelegen kommt, weil dann alle mit
Ostdeutschland Rechtsextremismus und nicht das Scheitern der Bundesregierung beim Aufbau Ost verbinden.
({5})
Die Menschen im Osten Deutschlands haben über Ihre
Politik übrigens schon längst abgestimmt. Sie haben sich
aus dem Osten verabschiedet. Nie war die Abwanderungsrate der Ostdeutschen, die in den Westen oder sogar ins Ausland gehen, so hoch wie zu dieser Zeit. Sie sollten diese Entwicklung als Warnsignal auffassen und sich
zu Herzen nehmen, was dort tatsächlich über Ihre Politik
gedacht wird. Ohne die Menschen ist nämlich in unserem
Land kein Staat zu machen und ohne die Menschen im
Osten unseres Landes ist auch der Aufbau Ost sinnlos. Ich
will nicht die zynische Frage stellen, ob die Regierung das
vielleicht schon genauso sieht und deshalb nichts mehr
tut.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der mir besonders wichtig ist. Wenn sich die Menschen abwenden,
dann hat das damit zu tun, dass die Kluft zwischen Ost
und West größer wird. Die neuen Länder, einschließlich
Berlin, hatten 1998 ein Wirtschaftswachstum von
0,6 Prozent. In den alten Bundesländern betrug es gleichzeitig immerhin 2,3 Prozent. Dem Wachstum von knapp
1 Prozent in den neuen Bundesländern steht 1999 ein
Wachstum von fast 1,5 Prozent im Westen gegenüber. Wie
immer man es dreht: Wirtschaftsforscher rechnen erst bei
einem Wachstum von mehr als 3 Prozent mit echten Arbeitsplatzeffekten.
Damit ist klar: Wirtschaftspolitisch und arbeitsmarktpolitisch hat die Bundesregierung versagt. Ein Vergleich:
Allein Bayern, Herr Glos, steuert mit knapp 17 Prozent
bereits mehr zum gesamtdeutschen Bruttoinlandsprodukt
bei als alle Ostländer und Berlin zusammen. Das kann uns
bei einer Debatte über die grundsätzliche Politik der Bundesregierung und zum Haushalt des Jahres 2001 nicht kalt
lassen.
({6})
Wenn Sie dann noch eine Broschüre herausbringen, die
„Zehn Jahre vereint - Deutschland 2000“ heißt, und damit
das Geld in Propagandamaßnahmen stecken - eine Direktinvestition wäre besser gewesen, als Geschichtsklitterung
zu betreiben -, dann habe ich schon Mühe, zu erkennen, ob
es Ihnen an dieser Stelle mit den Menschen und dem Aufbau Ost wirklich Ernst ist.
Sie haben im vergangenen und in diesem Jahr jeweils
2,75 Milliarden DM aus dem Haushalt gestrichen. Das ist
wohl so etwas wie rot-grüne Kontinuität. Aus gutem
Grund hat sich das Kanzleramt bis zum heutigen Tage geweigert, eine exakte Gesamtauflistung der Transferzahlungen für die neuen Bundesländer für diesen Haushalt 2001 überhaupt vorzulegen.
300 Millionen DM werden bei der Wirtschaftsförderung gekürzt, 2 Milliarden DM bei der Infrastrukturförderung. Das ist meines Erachtens ein unglaublicher Vorgang, der wirklich von einem totalen Ausfall des
Gesichtsfeldes in Bezug auf den Osten zeugt. Wenn dann
noch der Bundeskanzler vor wenigen Tagen das eingangs
zitierte Wirtschaftsgutachten des Sachverständigenrates
als Bestätigung seiner Politik verkauft hat, dann weiß ich
nicht, wie das in den neuen Bundesländern verstanden
werden soll.
({7})
Ich bin mit den Kürzungen im Haushalt nicht einverstanden. Gerade mit den Zinseinsparungen aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen hätte die Möglichkeit bestanden, ein Zeichen zu setzen. Wir haben einen Antrag
gestellt, die Hälfte der Erlöse aus der Verkaufssteigerung
der Mobilfunklizenzen als Signal für den Aufbau Ost einzusetzen.
({8})
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich zum Aufholprozess
in den neuen Bundesländern hinsichtlich Infrastruktur,
Bildung, Universitäten, Schulen usw. klar äußern würden.
Das ist leider nicht passiert.
({9})
- Wir haben den Antrag gestellt und Sie haben abgelehnt.
Damit haben Sie sich klar dazu geäußert, wie Sie den Aufbau Ost sehen. Herr Schwanitz hat sogar noch vor laufenden Kameras erklärt: Die Gesundung des Haushalts hat
Vorrang. - Nur zur Erinnerung: Herr Schwanitz, Sie sind
nicht Haushaltssanierungsminister, sondern Sie sind vom
Kanzler als Aufbau-Ost-Minister eingesetzt worden.
({10})
Natürlich soll ein solcher Ostbeauftragter nicht einfach nur Geld ausgeben; er soll den effizienten Mitteleinsatz durchaus kontrollieren. Aber seine eigentliche Aufgabe muss es doch sein, politische Akzente für den
Aufbau Ost zu setzen und sich beim Finanzminister
Gehör zu verschaffen und durchzusetzen. Aber davon ist
überhaupt nichts zu merken - leider auch hier totale Fehlanzeige.
Damit Sie sich nicht nur ärgern, will ich als Letztes auf
einen wichtigen Punkt hinweisen: Vielleicht sollten wir
noch einmal grundsätzlich über den Aufbau Ost sprechen
und darüber nachdenken, wie wir das am besten angehen
wollen. Lassen Sie mich dabei fragen, ob die Begriffe
Aufbau Ost und Aufholjagd die wir verwenden, überhaupt
richtig sind. Das Bild der Aufholjagd suggeriert nämlich,
dass die neuen Länder keine andere Chance haben, als den
alten Ländern hinterherzuhecheln und dabei die demotivierende Erfahrung zu machen, dass der Abstand größer
wird.
Ich halte es für sinnvoll - ich beziehe mich dabei auf
eine Überlegung des sächsischen Ministerpräsidenten
Kurt Biedenkopf -, zu fragen, wo Deutschland und damit
auch die neuen Bundesländer im Jahre 2015 stehen sollen.
Eine Antwort darauf hätte den entscheidenden Vorteil,
dass die neuen Bundesländer, ausgehend von ihren Stärken und Schwächen, eigene, vielleicht auch neue Wege zu
diesem Ziel gehen könnten.
({11})
Darüber hinaus wird das auch der immer differenzierteren
Situation in den neuen Bundesländern selbst gerecht, zum
Beispiel zwischen Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin.
Die Politik der Bundesregierung zulasten des Ostens
wird sich rächen. Wer nicht mit Herzblut und vollem Einsatz für die neuen Länder kämpft, verliert.
({12})
Aufbau Ost ist so etwas wie Rudern gegen den Strom.
({13})
- Ja, hören Sie doch einmal zu: Wer nicht energisch rudert, der fällt zurück. Das beobachten wir seit zwei Jahren. Denn der Rest der Welt wartet nicht. Auch das Wirtschaftswachstum in Europa, zum Beispiel in den mittelund osteuropäischen Ländern, geht weiter.
({14})
Das Schlimmste, was passieren kann, ist nämlich, dass die
neuen Länder nicht zum Scharnier und Sprungbrett werden, sondern einfach unter die Räder kommen.
Es geht darum, dass wir in der zukünftigen Entwicklung überhaupt eine Chance haben. Da gibt es viele konkrete Probleme. Ich habe den Staatsminister gebeten, in
Bezug auf die Interreg-III-Förderung in Brüssel einmal
nachzufragen, warum die Gelder erst im Sommer 2001
ausgezahlt werden können. Denn anderthalb Jahre, in denen das Geld zur Verfügung stehen müsste, können so
nicht genutzt werden.
Ich könnte noch viele andere Punkte anführen. Ich
glaube, wir müssen uns klar machen: Die Mittel, die heute
für Investitionen nicht zur Verfügung stehen, werden in
einigen Jahren in doppelter Höhe für Sozialtransfers zur
Verfügung stehen müssen. Insofern muss für den Aufbau
Ost jetzt mehr getan werden. Dafür haben Sie die zweite
Hälfte Ihrer Regierungszeit noch zur Verfügung - mehr sicher nicht.
Danke.
({15})
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Lothar Mark.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit der Verabschiedung des Haushalts 2001 gelingt der Koalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen in der Kulturpolitik ein großer Wurf.
Leitlinien des Kulturhaushalts sind klare Zuordnungen
von Verantwortung, punktuell sinnvolle Mittelerhöhungen und Planungssicherheit für die Zuwendungsempfänger. Sozialdemokraten und Grüne erweisen sich dabei als
eine modernisierende Kraft. Wir tragen Schritt für Schritt
die Erblasten ab und strukturieren nachvollziehbar und
nachhaltig.
({0})
Ich will mich auf drei Schwerpunkte konzentrieren:
Vertriebenenförderung des Bundes, Kulturförderung in
den neuen Ländern und Kulturförderung in Berlin. Die
übrigen Bereiche der Kultur werden weiterhin qualifiziert
gefördert und sind im Bundeshaushalt ohne große Abweichungen gegenüber dem letzten Jahr vertreten.
Zur Vertriebenenförderung: Der Bundesrechnungshof hat die Förderung kultureller Maßnahmen im Rahmen
von § 96 Bundesvertriebenengesetz im Jahre 1998 geprüft. Er stellte fest, dass insbesondere die Förderung der
Erhaltung und Auswertung deutscher Kultur der historischen Siedlungsgebiete mit 18 Einrichtungen stark zersplittert ist. Neun dieser Einrichtungen wurden mit
100 Prozent vom Bund, ohne Beteiligung der Länder gefördert. Der Bundesrechnungshof hat beanstandet, dass
eine Gesamtkonzeption für die Förderung fehlt. Einrichtungen mit ihren angegliederten Museen, Bibliotheken
und Archiven werden ohne erkennbare Prioritätensetzung
zum Teil institutionell, zum Teil durch Projekte oder auf
beide Arten gefördert. Das Fördersystem ist unübersichtlich und nicht nachvollziehbar. Der Bundesrechnungshof
hat den Beauftragten der Bundesregierung aufgefordert,
eine übergreifende Neukonzeption zu erarbeiten.
Seit 1983 sind die Mittel des Bundes für die Vertriebenenkultur - nach dem Gießkannenprinzip verteilt von 8 Millionen DM auf über 50 Millionen DM aufgestockt worden. Die Koalition ist jetzt erfolgreich dabei,
auf diesem Gebiet effiziente, wissenschaftliche und vernetzte Strukturen einzuführen und das mit dem Ziel zu
vereinbaren, den Bundeshaushalt zu konsolidieren.
({1})
Vor dem Hintergrund des genannten Berichts des Bundesrechnungshofs hatte die CDU/CSU-Fraktion noch den
verzweifelten Mut, einen Antrag einzubringen, der vorsah, die Mittel für Kulturprojekte in diesem Bereich erneut um pauschal 12 Millionen DM zu erhöhen.
({2})
In diesem Zusammenhang kommt der Verdacht der
Selbstbedienungsmentalität auf, Herr Kampeter. Populistische Anträge werden von der Bevölkerung als solche erkannt und nicht ernst genommen.
Wir unterstützen im Haushalt 2001 die Reformbestrebungen des Staatsministers hinsichtlich der deutschen
Kultur in Osteuropa konsequent. In dem Bericht des
Rechnungshofes heißt es weiter:
Der Bundesrechnungshof erkennt die geleisteten
Vorarbeiten ... an. Wenn die ... Eckpunkte der Neukonzeption umgesetzt werden, sind die vor über vier
Jahren gegebenen Anregungen aus dem Haushaltsausschuss verwirklicht.
Diese Ausführungen sprechen für sich und bedürfen keiner weiteren Kommentierung.
Zur Kulturförderung in den neuen Ländern: Frau
Kaspereit hat schon darauf hingewiesen, dass die Mittel
für das Aufbauprogramm von 30 Millionen DM auf
60 Millionen DM verdoppelt wurden. Der Bund verpflichtet sich, bis zum Jahr 2004 insgesamt 120 Millionen DM für Investitionen im Kulturbereich zusätzlich
zur Verfügung zu stellen. Das Aufbauprogramm, 1999
von SPD und Grünen in Höhe von 240 Millionen DM bis
zum Jahre 2003 veranschlagt, korrigiert die schwerwiegenden Unterlassungssünden im kulturpolitischen Sektor,
die die Vorgängerregierung begangen hat.
({3})
Zusammen mit den bereits 1999 bewilligten 240 Millionen DM und den Komplementärmitteln der ostdeutschen Bundesländer kommt der Entwicklung der Kulturstätten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR fast eine
dreiviertel Milliarde DM zugute. Die massive Ausweitung des Aufbauprogramms, die wir eingeleitet haben,
wird dadurch verstärkt, dass wir die Mittel des Investitionsförderungsgesetzes auch der Kultur eröffnet haben,
sodass zusätzliche Gelder zur Verfügung stehen.
Im Osten wird ein Thema seit zehn Jahren verschwiegen - ich erwähne dies nur ganz kurz -: Es handelt sich
um Prora auf Rügen. Ich habe mich mit diesem Thema
sehr intensiv beschäftigt und bin der Meinung, dass hier
eine gesamtstaatliche Aufgabe vorliegt, bei der es nicht
angeht, dass der eine dem anderen den Schwarzen Peter
zuschiebt, aber nichts passiert. Prora ist da. Wir müssen
uns damit auseinander setzen und wir müssen eine vernünftige Konzeption finden und umsetzen.
({4})
Die Stiftung Neue Kultur, die sich mit diesem Projekt
beschäftigt, erhält 630 000 Euro. Der Bund muss Komplementärmittel zur Verfügung stellen. Dies wird über den
Haushalt des Staatsministers einmalig geschehen, sodass,
wenn dies erforderlich ist, hier neue Akzente gesetzt werden können.
Ein weiteres Beispiel für die Förderung der Kultur im
Osten ist die Aufstockung der Mittel für die Stiftung für
das sorbische Volk.
({5})
Hierzu will ich sagen, dass es nicht richtig ist, dass wir
seitens des Bundes immer kürzen und dann wieder draufsatteln. Hier müssen klare Verhältnisse geschaffen werden, indem endlich eine Evaluierung erfolgt. Deswegen
haben wir auch in unserem Antrag festgelegt, dass diese
neuerliche Aufstockung um 1 Million DM Modernisierungszwecken und der Veränderung der Personalstruktur
zugute kommt.
Herr Kampeter, in diesem Zusammenhang will ich
aber auch darauf hinweisen, dass es meiner Überzeugung
nach unseriös ist, hinsichtlich der Stiftung für das sorbische Volk Erhöhungsanträge mit einem Volumen von
2 Millionen DM zu stellen, wo doch die alte Koalition mit
den Bundesländern Sachsen und Brandenburg die Absenkung auf 8 Millionen DM vereinbart hatte. Sich so zu verhalten macht keinen Sinn.
({6})
In puncto Hauptstadtkultur will ich darauf hinweisen, dass es wichtig ist, nunmehr für die Kulturförderung
in Berlin Klarheit zu schaffen, dass auch hier Verantwortungen nicht hin und her geschoben werden können. Der
Bund übernimmt einige Einrichtungen zu 100 Prozent.
Somit sind die Verantwortungen klar gegliedert. Wichtig
dabei ist, dass wir neben den sonstigen Mitteln für Berlin
insgesamt über 100 Millionen DM zur Verfügung stellen
und dass im Hauptstadtkulturfonds 20 Millionen DM zur
Verfügung stehen, die um 3,5 Millionen DM - zunächst einmalig erhöht wurden, um die Staatskapelle konkurrenzfähig zu halten und deren Fortbestand zu sichern sowie Berlin die Möglichkeit zu geben, ein vernünftiges
Theaterkonzept umzusetzen.
({7})
Die Bereiche der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten will ich
nicht vertiefen, weil mir die Zeit hierzu fehlt. Ich will nur
den Hinweis geben, dass es uns gelingen wird, die Museumsinsel in den nächsten zehn Jahren zu sanieren, sodass nicht, wie dies ursprünglich konzipiert war, für die
nächsten 20 Jahre eine Dauerbaustelle entsteht.
Zum Holocaust-Mahnmal will ich darauf hinweisen,
dass wir endlich damit begonnen haben, klare Vorgaben
zu machen und dass die Umsetzung erfolgen kann. Ich
denke, dass es ungemein wichtig ist, endlich einen
Schlussstrich zu ziehen, um mit den Baumaßnahmen beginnen zu können.
Zur Sammlung Berggruen will ich mir Erläuterungen
ersparen. Sie war lange und breit in den Medien behandelt
worden.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist abgelaufen. Ich möchte mit einem Wort zum Leitbild und zur
Leitkultur, die Sie angesprochen haben, schließen. Für
uns gilt das Leitbild der politischen Kultur der deutschen
Sozialdemokratie: Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und
Solidarität zwischen allen hier lebenden Menschen. Für
eine solche Kultur werden wir kämpfen, und zwar nicht
nur mit dem Kulturhaushalt 2001.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Dr. Norbert Lammert für die
Fraktion der CDU/CSU.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Kulturetat der Bundesregierung, über den wir jetzt debattieren, ist manches
sicherlich gut gemeint. Aber vieles ist eben nicht gut gelungen.
({0})
Der große Wurf, von dem der Kollege Mark gerade gesprochen hat, ist mir auch bei sorgfältiger Lektüre der einzelnen Haushaltsansätze beim allerbesten Willen nicht
aufgefallen.
Völlig missraten ist die demonstrative Abwesenheit
des zuständigen Staatsministers und Beauftragten der
Bundesregierung für Kultur und Medien,
({1})
der nach seiner Erklärung, zum Jahreswechsel aus diesem
bedeutenden Amt auszuscheiden, offenkundig bei laufenden Bezügen weder die Zeit noch das Interesse an der
Debatte über die Verabschiedung des Etats seines eigenen
Hauses hat.
({2})
Dies setzt, wie ich finde, die deprimierende Serie von
Konterkarierungen der eigenen Ansprüche, die wir in den
letzten Wochen erleben mussten, auf traurige Weise fort.
({3})
Dass ein soeben mit großem Propagandaaufwand etablierter leibhaftiger Staatsminister für Kultur und Medien schon nach einem Jahr der erstaunten Öffentlichkeit
mitteilt, dass er nicht die Absicht habe, sein Amt über einen unzumutbar langen Zeitraum auszuüben, und schon
nach zwei Jahren sein Amt räumt, lässt genau die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit vermissen, die die Kulturpolitik mindestens so sehr wie jedes andere Politikfeld erfordert.
({4})
Mit dem angekündigten Wechsel des Ministers aus
dem Regierungsamt in die Position des Herausgebers einer Wochenzeitung kommt die Kulturpolitik des Bundes
auf sehr abrupte Weise aus den Wolken auf den harten Boden der Realität zurück. Eines geht eben nicht, bei allem
Verständnis für berufliche Veränderungen: Man kann
nicht mit dem Anspruch auftreten, die Kulturpolitik des
Bundes geradezu neu erfunden, mindestens aber neu entdeckt zu haben, kaum ein anderes Thema für vergleichbar
wichtig zu erklären als genau dies, und sich dann bei der
ersten sich bietenden Gelegenheit in die Büsche schlagen,
weil man anderes offenkundig noch wichtiger findet. Man
kann nicht ernsthaft die vielen Funktionsträger, die in
wichtigen kulturpolitischen Ämtern verzweifelt gegen die
Haushaltsvorgaben kämpfen, zum Durchhalten ermutigen, wenn man sich selber genau gegenteilig verhält. Das
ist der nachhaltige Schaden, der möglicherweise über längere Zeit von diesem Wechsel hervorgerufen wird.
({5})
Wir haben im Laufe der Haushaltsberatungen deutlich
gemacht, welche Akzente wir uns bei der Dotierung von
Kultureinrichtungen und -projekten, die sich direkt oder
indirekt in der Zuständigkeit des Bundes befinden, wünschen würden.
Ich möchte die Gelegenheit gerne nutzen, um mich bei
allen Haushältern, insbesondere beim Berichterstatter
meiner Fraktion, Steffen Kampeter, aber auch bei den anderen Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss sehr dafür zu bedanken, dass es offenkundig eine
breite Übereinstimmung hinsichtlich unseres gemeinsamen Anliegens der Sicherung und der Förderung von Kulturaufgaben gibt. Der Haushaltsausschuss kann fachlich
nicht das ausgleichen, was durch eine mangelnde und
schon gar nicht überzeugende Handschrift, die ich an anderer Stelle kritisiert habe, versäumt worden ist. Aber wir
haben, Herr Kollege Mark, glücklicherweise nicht das
Problem, über die notwendige Mindestfinanzausstattung
der Kulturinstitutionen miteinander streiten zu müssen.
Das halte ich für eine wichtige gemeinsame Basis, die ich
auch in Zukunft erhalten möchte.
Wir sind mit dem vorliegenden Etat nicht einverstanden, weil in ihm eine Reihe von Akzenten falsch und andere gar nicht gesetzt worden sind. Wir haben bei verschiedenen Gelegenheiten vorgetragen, dass die massiven
Kürzungen im Bereich der „Deutschen Welle“ und der
Kulturarbeit, die auf der Basis des Bundesvertriebenengesetzes geleistet wird, unserer Überzeugung nach entweder nicht hinreichend sachlich begründet sind oder mit
dem ausdrücklich gesetzlich verankerten Auftrag, den die
Institutionen wahrnehmen müssen, nicht in Übereinstimmung gebracht werden können.
Wir hatten gerade in der vergangenen Woche Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass der jetzt ausgehandelte
Hauptstadtkulturvertrag aus einer Reihe von Gründen
genau den Ansprüchen nicht genügt, die wir an eine klare,
verlässliche und wirklich in die Zukunft weisende Verteilung der Aufgaben zwischen Berlin und dem Bund stellen
müssen.
({6})
Herr Kollege Mark, was dieses scheinbar großzügige
Geschenk mit der Attitüde eines Sonnenkönigs im Wert
von 3,5 Millionen DM für die Staatskapelle angeht: Als
Haushälter müssten Sie sich geradezu vor Empörung
schütteln über einen solchen Vorgang, der nicht nur kein
Problem löst, sondern der ohne jede Verpflichtungsermächtigung für kommende Jahre und auch - entgegen der
Erklärung des Staatsministers hinsichtlich der Verstetigung dieser Maßnahmen - ohne jede Andeutung von Dauerhaftigkeit erfolgt ist und das gleiche Problem im nächsten Jahr beim Berliner Senat wieder ablädt. Nur wird das
Ganze in der Zwischenzeit um genau die 3,5 Millionen DM teuerer, die der Bund nur für das nächste Jahr
jetzt sozusagen über den Tisch gereicht hat. Dass diese
Mittel im Übrigen als eine reine Verlegenheitsgeste - so
verstehe ich das - aparterweise über den Umweg des
Hauptstadtkulturfonds verteilt werden sollen, bedeutet
gleichzeitig, dass man diesem Fonds die Souveränität hinsichtlich der Verwendung der Mittel mit dem gleichen
Vorgang entzieht, mit dem man sie ihm in großer Geste
und rhetorisch eindrucksvoll attestieren will.
({7})
Dies ist eben kein großer Wurf, es ist ein großer Flop.
Deswegen werden wir das mühsame, zähe Bohren harter
Bretter mit veränderter Personalzusammensetzung im
nächsten Jahr fortsetzen müssen. Ich freue mich über alle,
die dann noch dabei sind. Ich sage unseren guten Willen
und unsere Hartnäckigkeit bei der Verfolgung dieses gemeinsamen Ziels gerne zu.
({8})
Bevor ich
dem letzten Redner in dieser Debatte das Wort gebe,
weise ich darauf hin, dass wir anschließend in die von den
Fraktionen verlangte namentliche Abstimmung über den
Etat des Bundeskanzlers eintreten.
Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege
Klaus Hagemann.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Auf die fast fünfstündige
Debatte zurückblickend, möchte ich noch einmal feststellen, dass gerade von den Rednern der Opposition mehrfach mit dem Zeigefinger auf die Regierung und die Koalition gezeigt wurde. Aber Sie sollten bedenken, dass
dabei immer drei Finger auf Sie zurückzeigen.
({0})
Es ist nun einmal historische Wahrheit und Fakt, dass
das Wachstum in den 90er-Jahren wesentlich geringer war
als jetzt, die Arbeitslosigkeit den höchsten Stand erreicht
hatte, den wir je hatten, Steuern und Abgaben am höchsten waren, die Schulden auf dem höchsten Stand waren,
den wir je erlebt haben, und für Bildung, Wissenschaft
und Forschung sowie für das BAföG die geringsten Ausgaben veranschlagt worden sind. Dies ist historischer
Fakt. Das fällt auf Sie zurück.
Wir können erst seit wenigen Monaten bzw. seit einem
Jahr eine Trendwende beobachten. Diese Trendwende
spricht für die Politik, die die Koalition eingeleitet hat.
({1})
Es war schon ein politischer Kraftakt - der Bundesfinanzminister und der Bundeskanzler haben mehrfach darauf hingewiesen -, die Weichen anders und somit richtig
zu stellen. Das gilt zum einen für den Spar- und Zukunftsplan und zum anderen für die Verwendung der Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen. Hier hat
mich, sehr geehrter Herr Kollege Nooke, ein erneuter Vorschlag von Ihnen erstaunt. Ich weiß nicht, ob es der 15.
oder der 16. Vorschlag war.
Dazu sage ich: Nein, es war richtig, die erzielten Erlöse
zur Schuldentilgung einzusetzen. Die Zinsersparnisse
können wir aufwenden für Projekte, die notwendig sind.
Hier ist insbesondere das Zukunftsinvestitionsprogramm
zu nennen. Ich möchte die Verkehrsprojekte herausgreifen. Herr Brüderle, wir als Rheinland-Pfälzer sollten diese
Projekte einmal in den Mittelpunkt stellen.
({2})
Ich bin dankbar, dass wir diese Mittel - das gilt für andere
Bundesländer genauso - für Verkehrsprojekte, die die
Straße und die Bahn betreffen, zur Verfügung stellen können, Projekte, die lange Zeit beredet wurden und über die
verhandelt wurde. Nun endlich werden sie realisiert. Ich
hätte eigentlich erwartet, sehr geehrter Herr Kollege
Brüderle - ich spreche auch die anderen Kolleginnen und
Kollegen aus Rheinland-Pfalz an -, dass Sie dem Verkehrsetat zugestimmt hätten, dass wir hier gemeinsam sagen: Wir stellen diese Mittel zur Verfügung, damit diese
Projekte endlich für die Menschen in Angriff genommen
und beispielsweise die Umgehungen gebaut werden können.
Sehr geehrter Herr Brüderle, Ihr Nachfolger, Herr
Staatsminister Bauckhage, hat mit Recht stolz dabeigesessen, als der Bundesverkehrsminister und Ministerpräsident Beck diese Projekte bekannt gegeben haben. Es
wäre schön, wenn auch Sie dem entsprechenden Einzelplan zustimmten.
({3})
Das Land Rheinland-Pfalz - Herr Brüderle, Sie haben
es angesprochen - hat dazu beigetragen, dass die gute, familiengerechte und unternehmensfreundliche Steuerreform durchgesetzt werden konnte. Auch dafür möchte ich
ein Dankeschön aussprechen. Nur, es stört mich natürlich
sehr, dass sowohl von Ihnen als auch von der Union eine
Doppelstrategie gefahren wird: Hier fordern Sie, dass der
Bevölkerung noch mehr Geld zurückgegeben wird - Sie
haben das in Ihrem Beitrag deutlich zum Ausdruck gebracht -, aber draußen, in den Landes- und in den Kommunalparlamenten, beklagen Ihre politischen Freundinnen und Freunde, dass die Einnahmen in den Kassen der
Länder und der Kommunen geringer sind, sodass man weniger verausgaben kann. Dies ist Doppelstrategie, dies ist
politische Heuchelei. Hier im Bundestag fordern Sie noch
mehr steuerliche Entlastung und in den Ländern und in
den Kommunen behaupten Sie, Rot-Grün sei schuld an
den Mindereinnahmen. Das können wir Ihnen nicht
durchgehen lassen.
({4})
Politische Heuchelei ist auch noch an anderen Stellen
zu beobachten.
({5})
Wir haben eine Wohngeldreform eingeleitet, weil diesbezüglich zehn Jahre lang nichts geschehen ist. Wir haben
eine Erziehungsgeldreform eingeleitet, weil diesbezüglich 14 Jahre lang nichts geschehen ist. Wir haben eine
BAföG-Reform eingeleitet und beschlossen, weil das
BAföG ausgetrocknet worden war. Wir haben etwas zur
Förderung des Ehrenamtes getan. In den vielen Jahren Ihrer Regierungszeit ist auf diesem Gebiet nichts geschehen.
Es geht um
den Etat des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Ich bitte Sie herzlich, auch dem letzten Redner die
notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. Das ist eine Unterstützung.
Ich möchte auf die Reformen hinweisen, die wir im
sozialen Bereich eingeleitet haben. Jahrzehntelang ist
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Ihrerseits nichts geschehen. Bei den Beratungen hieß es
von CDU und F.D.P. - auch heute wurde es durch Zwischenrufe wieder deutlich -: Das, was beschlossen worden ist, reicht alles noch nicht; es muss noch mehr getan
werden. - An Ihrer Ablehnung des Haushalts lässt sich
Ihre politische Heuchelei erkennen. Sie weisen wir
zurück. Das ist keine ehrliche Politik.
({0})
Die Politik der Konsolidierung, wie sie von Finanzminister Eichel eingeleitet worden ist, und die sozialen
Reformen, wie sie von der Mehrheit dieses Hauses beschlossen und von den zuständigen Ministerinnen und
Ministern des Kabinetts umgesetzt worden sind, sind der
richtige Weg. Davon profitieren die Menschen. Das gilt
für die Investitionen im Verkehrsbereich genauso wie für
die in den Sozialbereichen. Mein Appell an Sie alle lautet:
Stimmen Sie diesem Haushaltsgesetz und dem Einzelplan 04, Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, zu, damit
die notwendige Finanzierung gesichert wird.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe
die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04,
Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, in der Ausschussfassung. Die Fraktionen haben namentliche Abstimmung
verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Ich frage zum letzten Mal diese Frage richte ich vor allem an die Schriftführerinnen
und Schriftführer am Ausgang des Plenarsaals -: Haben
alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? - Das
scheint jetzt der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04, Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, auf den Drucksachen 14/4504 und
14/4521 bekannt. Abgegebene Stimmen: 601. Mit Ja haben gestimmt: 330. Mit Nein haben gestimmt: 271. Enthaltungen: keine. Die Beschlussempfehlung über den Etat
des Einzelplans 04 ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 600;
davon
ja: 329
nein: 271
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({2})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({3})
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({5})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({6})
Lilo Friedrich ({7})
Harald Friese
Anke Fuchs ({8})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({9})
Angelika Graf ({10})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack ({11})
Hans-Joachim Hacker
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({12})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({13})
Walter Hoffmann ({14})
Iris Hoffmann ({15})
Frank Hofmann ({16})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({17})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({18})
Christine Lehder
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({19})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({20})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({21})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({22})
Jutta Müller ({23})
Christian Müller ({24})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Birgit Roth ({26})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Gudrun Schaich-Walch
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer ({27})
Ulla Schmidt ({28})
Silvia Schmidt ({29})
Dagmar Schmidt ({30})
Wilhelm Schmidt ({31})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({32})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({33})
Brigitte Schulte ({34})
Reinhard Schultz ({35})
Volkmar Schultz ({36})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({37})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({38})
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({39})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({40})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({41})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({42})
Helmut Wieczorek ({43})
Dieter Wiefelspütz
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({44})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff ({45})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({46})
Marieluise Beck ({47})
Volker Beck ({48})
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({49})
Joseph Fischer ({50})
Katrin Göring-Eckardt
Winfried Hermann
Ulrike Höfken
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller ({51})
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({52})
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({53})
Werner Schulz ({54})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({55})
Margareta Wolf ({56})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({57})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({58})
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({59})
Peter H. Carstensen ({60})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({61})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dr. Gerhard Friedrich ({62})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({63})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({64})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke ({65})
Hansgeorg Hauser ({66})
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers ({67})
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({68})
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold ({69})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann ({70})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski ({71})
Dr. Martin Mayer ({72})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({73})
Elmar Müller ({74})
Claudia Nolte
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({75})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard ({76})
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch ({77})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Adolf Roth ({78})
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({79})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({80})
Andreas Schmidt ({81})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm-Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({82})
Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({83})
Gerald Weiß ({84})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({85})
Hans-Otto Wilhelm ({86})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun ({87})
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({88})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({89})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto ({90})
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Ich rufe nun auf:
III. 15 hier: Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
- Drucksachen 14/4505, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Herbert Frankenhauser
Dr. Werner Hoyer
Dr. Barbara Höll
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Das Haus
ist damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner
dem Kollegen Karl Lamers, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesaußenminister hat
mehrfach - zuletzt am 4. September - von der Notwendigkeit einer, so wörtlich, „strategischen Überprüfung der
nationalen Interessen“ Deutschlands gesprochen. Das ist
ein großes Wort, Herr Minister. Aber der fanfarenartigen
Ankündigung folgte bislang keine Aufführung.
({0})
Die Bühne blieb leer. Stattdessen betonen Sie immer wieder die Kontinuität deutscher Außenpolitik und beschwören - wie der Bundeskanzler - die Normalität. Dass
beides mindestens in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander steht, bedarf keiner Erklärung.
({1})
Ein Begriff ohne Inhalt verrät Unsicherheit und wirft bei
unseren Partnern Fragen auf. Deswegen fordere ich Sie
auf: Lassen Sie der Ankündigung die Aufführung folgen!
Denn auch ich glaube, dass wir eine Grundsatzdebatte
über die deutsche Außenpolitik brauchen.
({2})
Kontinuität alleine reicht nicht, Herr Minister.
({3})
Dabei werden nach meiner Überzeugung die außenpolitischen Interessen als solche sicher nicht zur Debatte stehen, sondern vor allem das Verhältnis zwischen unseren
innen- und außenpolitischen Interessen und ihr jeweiliger
Stellenwert sowie die Reichweite unseres außenpolitischen Handelns. Dass der Stellenwert der Außenpolitik
ausweislich des heute zu debattierenden Haushaltes entschieden zu gering ist, ist gewiss nicht allein die Schuld
des Außenministers.
({4})
Aber wenn dieser für seinen Haushalt nicht kämpft - ich
kann nicht umhin, das zu wiederholen, Herr Fischer -,
({5})
wie sollen dann die Bürger und auch die große Mehrheit
unserer Kollegen, die sich nicht mit der Außenpolitik befasst, davon überzeugt werden, dass unser Land seine Prioritäten - das ist meine absolut sichere Überzeugung falsch setzt? Während der Anteil der Ausgaben für auswärtige Angelegenheiten bei uns in diesem Jahr nur
0,7 Prozent beträgt, liegt er in Großbritannien bei
1,26 Prozent, und zwar - jetzt hören Sie gut zu - ohne die
Ausgaben für auswärtige Kulturpolitik und friedenserhaltende Maßnahmen im Rahmen der UNO.
Die uns am 24. November von Ihrem Haus vorgelegte,
aber mir erst heute zugegangene Antwort auf unsere
Kleine Anfrage in diesem Zusammenhang beleuchtet eindrucksvoll den dramatischen Abwärtstrend bei den
Ausgaben für die Außenpolitik, der unter Ihrer Führung
noch gesteigert worden ist. Ob es Ihnen gelingt, diesen
Trend umzukehren, wird das erste und entscheidende Kriterium für die Bemessung Ihrer Leistung sein, und ob Sie
dieses Interesse verfolgen, ist absolut objektiv nachprüfbar.
({6})
Bislang -, so kann ich nur feststellen, ist Ihre Leistung,
gemessen an diesem Kriterium, unzulänglich!
({7})
Nebenbei gesagt: Der Begriff des nationalen Interesses
ist ein gewisser Modebegriff geworden und wird leider oft
missbraucht. Eigentlich gibt es bei näherem Hinsehen nur
ein einziges, doppeltes nationales Interesse, nämlich die
Sicherheit, die das Wohlergehen der Nation, ihre geistige
und materielle Entfaltung ermöglicht.
Es gibt allerdings für unser Land aufgrund seiner Lage,
seiner demokratischen Verfasstheit, seiner spezifischen
Größe und seiner Geschichte ein doppeltes Mittel, ohne
das dieses einzige nationale Interesse nicht erreichbar ist
und das von daher zu Recht selbst als nationales Interesse
bezeichnet werden kann und muss: Es ist zum einen die
Einigung Europas und zum anderen die Zugehörigkeit
Deutschlands zum Bündnis europäischer Demokratien
mit Amerika. Beides gilt nach dem Ende des Ost-WestKonfliktes und der Überwindung der Teilung unseres
Landes nach meiner festen Überzeugung noch mehr als
vorher. Jede Überprüfung der nationalen deutschen Interessen wird die Richtigkeit dieser Grundannahme bestätigen.
Deshalb gilt - mehr will ich dann zu Europa nicht sagen, weil das bereits gestern ausführlich geschehen ist -:
Wer immer über Europa redet - dazu gehört selbstverständlich auch kritisches Reden -, der sollte sich stets bewusst sein, dass vom Gelingen dieses Werkes, der Einigung Europas, das mit seiner Ausdehnung nach Osten auf
dem Prüfstand steht, abhängt, ob Deutschland wieder in
seine konfliktreiche Mittellage zurückfällt oder zur ruhigen Mitte Europas werden kann.
({8})
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Europa ist in der Tat das überragende deutsche Interesse.
Daher unterstützt meine Fraktion auch die Anstrengungen der Europäischen Union zu einer gemeinsamen
Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Aber diese
wirft nicht nur grundlegende institutionelle Fragen auf,
sondern sie berührt auch das Verhältnis zu Amerika im
Kern; denn Amerikas Rolle in Europa beruht auf seiner
Dominanz in der Sicherheitspolitik. Mir scheint, Herr
Minister, dass die Konsequenzen dieser Entwicklung für
das europäisch-amerikanische - und darin eingeschlossen
das deutsch-amerikanische - Verhältnis bei weitem nicht
genügend bedacht werden. Ausmaß und Tiefe dieses
Problems werden uns nur bewusst, wenn wir uns klarmachen, dass Amerika Teil des europäischen Systems ist, wie
Europa Teil des globalen amerikanischen Systems ist,
dass Amerika offen oder verdeckt an jedem europäischen
Tisch sitzt, wohingegen Europa bei weitem nicht an jedem Tisch sitzt, an dem Amerika sitzt.
Die Zukunft des europäisch-amerikanischen Verhältnisses hängt aber immer weniger von der Sicherheitslage
in Europa und immer mehr davon ab, ob sich beide, Europa und Amerika, gemeinsam der Herausforderung vonseiten der übrigen Welt stellen, der sich der Westen, den
beide bilden, gegenübersieht. Diese Herausforderung verlangt nach meiner Überzeugung dringend nach einem
Mehr an amerikanisch-europäischer Zusammenarbeit,
nach einem Mehr an umfassendem Zusammenwirken.
Welchen Beitrag Europa dazu leisten kann, dieser
Herausforderung angemessen zu begegnen, wie es die
Beiträge Amerikas als unerlässliche Führungsmacht ergänzen, wenn nötig - das sage ich deutlich - auch korrigieren kann, kurz gesagt, wie es als wirklicher Partner, das
heißt immer auch als möglicher Widerpart Amerikas, den
Westen insgesamt stärken kann, das ist die entscheidende
Frage für die Zukunft Amerikas und Europas. Meine tiefe
Überzeugung ist: Entweder hat der Westen eine gemeinsame Zukunft oder er hat gemeinsam keine Zukunft. Das
bei der Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und
Außenpolitik stärker zu bedenken, das, meine ich, ist eine
der entscheidenden Aufgaben der Zukunft.
Die Fähigkeit, im Rahmen Europas einen deutschen
Beitrag zu leisten, setzt einen grundlegenden Bewusstseinswandel in unseren Köpfen voraus. Die Welt außerhalb Europas betrachten wir weitestgehend nur unter dem
Gesichtspunkt deutscher Wirtschaftsinteressen, während
wir die übrigen Felder der Politik den Amerikanern überlassen und sie dabei gern und wohlfeil - sicher oft auch zu
Recht - kritisieren. Aber ohne die Bereitschaft, einen eigenen Beitrag zu leisten, wirkt diese Kritik hohl. Diese
Bereitschaft jedoch muss der wesentliche Gegenstand
und das entscheidende Ziel einer Überprüfung der nationalen deutschen Interessen sein. NMD, das amerikanische Raketenabwehrsystem, wird nun bald ein Test für
unsere Fähigkeit sein, in globalen Kategorien zu denken
und gemeinsam mit unseren europäischen Partnern eine
konstruktive Antwort auf diese - dies sage ich ganz bewusst so - Herausforderung zu geben.
Ob es Ihnen, Herr Minister, gelingt, der deutschen
Außenpolitik einen weiteren, einen wirklich globalen Horizont zu geben, ist das zweite Kriterium für Ihren Erfolg
oder Misserfolg. Leider kann ich auch hier bislang noch
keinen Beitrag Ihrerseits erkennen.
({9})
Der ganz akute Anwendungsfall einer größeren und
nicht nur räumlich weiteren deutschen Außenpolitik ist
der Nahe Osten und hier vor allem - wenn auch keineswegs allein - der Israel-Palästina-Konflikt. Dass dieser
eine Herausforderung ganz spezieller Art für Deutschland
ist, bedarf keiner Erörterung. Der Bundeskanzler hat das
kürzlich anlässlich seiner Reise in diese Region nahezu
physisch spüren können. Er hat auf dieser Reise keinen
Fehler gemacht. Ich meine das keineswegs herablassend;
ich habe das auch öffentlich bestätigt.
Dennoch stellt sich die Frage: Ist das genug? Gebietet
es unsere Geschichte, zu schweigen oder gar zuzustimmen, wenn die Politik Israels nach unserer Überzeugung
sowohl gegen seine eigenen Interessen verstößt als auch
gegen die seiner europäischen Partner, die unentwirrbar
durch Geschichte und Gegenwart mit den seinen verbunden sind?
({10})
Ist unser, von den wesentlichen europäischen Partnern
abweichendes Abstimmungsverhalten in der UNO zwingend, zumal wir damit in entscheidendem Maße dazu beitragen, dass es in dieser Frage keine gemeinsame europäische Position gibt?
({11})
Man kann sich auch fragen, ob wir nicht aufgrund unserer Geschichte zu einer bestimmten Position geradezu
verpflichtet sind, wenn es um die Sicherheit Israels geht.
Wir Europäer haben uns auf dem Europäischen Rat in
Essen - das wurde in wesentlichem Maße von deutscher
Seite betrieben - zu einer privilegierten Partnerschaft mit
Israel verpflichtet. Ich glaube, dass auch das uns verpflichtet, auf europäischer Ebene eine aktive Politik in
diesem Konflikt zu betreiben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
auf einen letzten Punkt eingehen, von dem ich glaube,
dass auch er ein Kriterium für den Erfolg oder Misserfolg
nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen
Außenpolitik ist. Ich meine die Balkanpolitik. Sicher, die
Militärschläge gegen das Milosevic-Regime, der Aufbau
einer internationalen Verwaltung im Kosovo sowie vor allem der Stabilitätspakt haben viel, vielleicht zu viel Kraft
gekostet. Aber damit ist es natürlich nicht getan. Wir müssen jetzt die Antwort für die politische Zukunft der ganzen
Region finden, speziell der Region um das ehemalige und
heutige Jugoslawien.
Der EU-Balkangipfel in Zagreb in der letzten Woche
gehört sicher zu den erfolgreichen Gipfeltreffen. Ich frage
mich jedoch, ob die Perspektive für die Balkanstaaten,
von nun an als - wie es dort hieß - „potenzielle
Beitrittskandidaten“ zu gelten, ausreicht, um diese fundamentalen Probleme zu lösen.
({12})
Präsident Kostunica hat vor dem Europäischen Parlament in Straßburg einen - wörtlich - „Balkan-Integrationsprozess“ nach dem Modell der Europäischen Union
vorgeschlagen. Ich glaube, das liegt absolut in der Logik
des Stabilitätspaktes. Ich darf daran erinnern, dass ich von
diesem Pult aus vor wenigen Wochen eine Institutionalisierung des Stabilitätspaktes vorgeschlagen habe. Ich
freue mich, dass der griechische Außenminister Anfang
November vom Stabilitätspakt als einer „Vorstufe eines
neuen Vertrags für die Balkanstaaten“ gesprochen hat,
sein Vorschlag also in exakt dieselbe Richtung geht.
Eine Institutionalisierung des Stabilitätspaktes könnte
die Bildung einer Südost-Europäischen Union nach dem
Modell der Europäischen Union und zugleich als Teil der
Europäischen Union zum Ziel haben. Sie würde eine Art
Dachstruktur für die Region sein, die Bedeutung der
Grenzen relativieren und für den Fall einer nicht auszuschließenden weiteren Fragmentierung in der Region dieser die Dramatik nehmen.
Zusammen mit umfassenden sicherheitspolitischen
Arrangements, die über Abrüstung und Rüstungskontrolle
hinausgehen müssen, und der Präsenz internationaler
Streitkräfte, wo und wie lange nötig, wäre diese SüdostEuropäische Union Garant einer friedlichen Entwicklung
in der Region. Sie könnte auch helfen, das MontenegroProblem zu lösen und wäre nach meiner Überzeugung der
Schlüssel zur Lösung der Statusfrage des Kosovo. Ich
habe gestern durch reinen Zufall erfahren, dass der
frühere Botschafter unseres Landes in Belgrad schon
1993 einen Vorschlag dieser Art gemacht hat, auch bezogen auf den Kosovo.
Sie könnte aber auch den Rahmen für eine konkrete
Ausfüllung der im Daytoner Vertrag vorgesehenen - wie
es dort heißt - „besonderen parallelen Beziehungen“ zwischen der bosnischen Republik Srpska und der Bundesrepublik Jugoslawien einerseits sowie den bosnischen
Kroaten und Kroatien andererseits bilden. Nicht zuletzt
würde eine solche Dachstruktur es der internationalen Gemeinschaft erleichtern, die Diskussion über eine selbsttragende politische Ordnung auf dem Balkan zu führen,
die sie vor dem Risiko eines jahrzehntelangen militärischen Engagements auf dem Balkan bewahren würde.
Ich habe bei meinem Besuch in Belgrad kürzlich festgestellt, dass die neue Führung in Belgrad für eine solche
Diskussion sehr offen ist. Ich finde, wir sollten die Chance
nutzen. Wir wissen noch nicht, ob die neuen politischen
Kräfte in Belgrad sich endgültig durchsetzen werden. Die
Chancen sind aber umso größer, je nachdrücklicher wir
nicht nur helfen - was wir tun; darin sind wir auch alle einig: Wir müssen konkret helfen, gerade in diesen Wochen
vor den Wahlen am 23. Dezember -, sondern auch eine
politische Perspektive eröffnen, die es der neuen Führung
in Belgrad erlaubt, die noch außerordentlich starken nationalistischen Kräfte in ihrem Lande von der Notwendigkeit auch schmerzhafter Entscheidungen zu überzeugen.
({13})
Das, Herr Minister, wird ohne jeden Zweifel der konkreteste, aktuellste und schwierigste Prüfstein für die europäische und für die deutsche Außenpolitik sein. Ich fordere Sie auf: Haben Sie etwas mehr Mut! Haben Sie auch
etwas mehr Visionen für die Lösung eines Problems
({14})
- ja! -, das sich ohne einen solchen Mut mit Sicherheit
nicht lösen lässt!
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Für die
SPD-Fraktion spricht die Kollegin Uta Titze-Stecher.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lamers, Ihre Darstellung
außenpolitischer Probleme hebt sich positiv von dem ab,
was der Kollege Rühe an Forderungen in einem Katalog,
der sich materiell auf rund 120 Milliarden DM beziffert,
erhoben hat. Insofern danke ich Ihnen.
({0})
Allerdings muss ich sagen, dass der Haushaltsentwurf,
den wir in dieser Woche verabschieden werden, für das
Auswärtige Amt eine Trendwende bedeutet, und zwar in
politischer und materieller Hinsicht. Das von Ihnen angemahnte Kraftfutter wird vonseiten des Haushaltes zur Verfügung gestellt. Ich weise darauf hin, dass in der Kleinen
Anfrage, die Sie von der CDU/CSU zugestellt haben,
nachzulesen ist, dass sich der Anteil der Ausgaben für das
Auswärtige Amt am Gesamthaushalt bereits seit Mitte der
90er-Jahre im Abwärtstrend befand. Den tiefsten Stand erreichte er im Jahre 1994 mit 1,71 Prozent. 1989 lag der
Anteil bei 2,44 Prozent. Wenn wir den Schuldenberg von
Ihnen nicht als Erblast übernommen hätten, dann wären
wir in der Lage, ganz andere Haushalte, speziell für das
Auswärtige Amt, vorzulegen. Das zu tun, ist uns nicht
möglich. Deswegen haben wir im Jahr 2000 einen bitteren Schnitt vorgenommen, der zur Schließung von 14 Auslandsvertretungen geführt hat. Dieses wollen wir in Zukunft vermeiden.
({1})
Deshalb hat der Minister - Herr Lamers, Sie haben es
schon erwähnt - auf der Konferenz der Leiter und Leiterinnen der Auslandsvertretungen in Berlin im September
dieses Jahres ausdrücklich eine Reform des öffentlichen
Dienstes in Aussicht gestellt. In zwei Jahren liegt das Ergebnis vor. Dann werden wir sehen, wieweit wir das haushalterisch flankieren können.
Ich komme zum Haushalt des Auswärtigen Amtes
für das nächste Jahr. Er beläuft sich auf ein Volumen von
insgesamt 4,1 Milliarden DM. Diese Summe verteilt sich
auf vier große Bereiche. Das Ministerium selbst wird mit
440 Millionen DM bedacht. Auf das Kapitel „Allgemeine
Bewilligungen“ - das ist der Bereich, der die politischen
Ausgaben zusammenfasst, im Allgemeinen der umstrittene Bereich - entfallen 1,4 Milliarden DM. Auf die Auslandsvertretungen, vulgo Botschaften usw., und die auswärtige Kulturpolitik entfallen je 1,1 Milliarden DM.
Dabei sollten wir nicht das Kleinod des Auswärtigen Amtes, das Deutsche Archäologische Institut
({2})
- „Wohl wahr!“, da spricht der Kenner -, mit 42 Millionen DM vergessen. Herr Minister, wir als Haushälter haben die vorgesehene Kürzung etwas abgefedert. Gegenüber dem Etat des laufenden Jahres - das können Sie
sicher erkennen - erhöht sich damit der Haushalt des Auswärtigen Amtes um satte 672 Millionen DM. Herr
Lamers, Ihre Behauptung, dass dieses Haus gefleddert
und gerupft worden ist, ist für den Haushalt im nächsten
Jahr nicht mehr zutreffend.
({3})
Dieser Aufwuchs hört sich in Zeiten von Sparpaket,
Haushaltskonsolidierung, Sanierungsnotwendigkeit, Forderungen nach schlankem bis dürrem Staat etwas sonderlich an. Ich kann Ihnen aber die Gründe für diesen Aufwuchs erklären; Sie können das auch nachvollziehen.
Zum einen hat uns der gestiegene Dollarkurs arg in Bredouille gebracht. Allein in diesem Jahr haben wir durch
zwei überplanmäßige Ausgaben Pflichtbeiträge an internationale Organisationen in Höhe von 355 Millionen DM
nachschießen müssen. Hier möchte ich dem Finanzministerium besonders danken. Finanzminister Eichel hat im
Gegensatz zu seinem Vorgänger Waigel bei der Veranschlagung des Haushaltsansatzes eine realitätsnahe Dollarbewertung vorgenommen,
({4})
sodass wir in Zukunft von überplanmäßigen Ausgabenanforderungen wahrscheinlich verschont bleiben werden.
Der eine Grund für den Aufwuchs des Haushaltes war
also, dass der Dollarkurs unsere Pflichtbeiträge an internationale Organisationen exorbitant hat steigen lassen.
Der zweite Grund sind neue Friedensmissionen mit
Mehrbedarf, beispielsweise im Kongo und in Äthiopien/Eritrea. Insgesamt steigen die Pflichtbeiträge - diese
Zahl muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - von
336 Millionen DM in diesem Jahr auf über 1 Milliarde DM im nächsten Jahr. Ich betone, es handelt sich hier
nicht um freiwillige Leistungen der Bundesrepublik
Deutschland. Es sind Pflichtbeiträge. Sie betragen allein
bei den Vereinten Nationen 900 Millionen DM.
Deutschland muss nach Ansicht der rot-grünen Koalition seinen Einfluss allerdings verstärkt geltend machen,
damit die Vereinten Nationen auch in Zukunft ihren Aufgaben angemessen nachkommen können. Dazu gehört
nicht nur eine verbesserte Repräsentanz der Bundesrepublik in der Weltorganisation, sondern die Erweiterung der
VN um eine parlamentarische Dimension, die Einbeziehung nicht staatlicher Organisationen in die Willensbildung der deutschen UN-Politik sowie eine Reform der
Beitragserhebung.
({5})
Deswegen plädieren die Regierungsfraktionen in
ihrem detaillierten Antrag „Die Vereinten Nationen an der
Schwelle zum neuen Jahrtausend“ ausdrücklich dafür,
globale Kooperationsformen zu entwickeln, um die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam zu bestehen.
Jede Verbesserung der Handlungsfähigkeiten der VN
ist ein Beitrag zur friedlichen Lösung globaler Probleme.
({6})
Frieden aber hat - wer weiß das besser als wir Haushälter - seinen Preis, besonders, wenn er erst geschaffen werden muss. Somalia, Bosnien, Ruanda stehen für tödliche
Fehlschläge des UN-Peacekeeping. Daher ist das Fazit
der von Kofi Annan benannten Kommission im
Brahimi-Report kurz und bündig und brutal: Die Vereinten Nationen verfügen über zu wenig Geld, zu wenig
Truppen, zu wenig Führung, zum Teil über einen unklaren Auftrag. Im Klartext: Friedenseinsätze brauchen eine
verbesserte materielle und personelle Ausstattung.
({7})
Sie werden gleich sehen, dass wir dieser Notwendigkeit
aus Haushaltssicht nachgekommen sind.
Die Bundesregierung orientiert die Maßnahmen der
Krisenprävention, der Konfliktbeilegung und der Konsolidierung in der Nachkonfliktphase an einem erweiterten Sicherheitsbegriff, der politische, ökonomische, ökologische und soziale Stabilität umfasst. Grundlage dafür
sind die Achtung der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit, partizipatorische Entscheidungsfindung, Bewahrung natürlicher Ressourcen und - natürlich für diese Regierung ein Schwerpunkt - die Nutzung
friedlicher Konfliktlösungsmechanismen.
Folgerichtig haben wir im Haushalt im parlamentarischen Verfahren den Ansatz für die Unterstützung von internationalen Maßnahmen auf den Gebieten Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung
von 8,6 Millionen DM auf 28,6 Millionen DM erhöht.
({8})
Das nenne ich nahtlose Übereinstimmung von politischer
Entscheidung und Haushaltsentscheidung.
Die Bundesregierung hat ein politisches Rahmenkonzept für Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung
mit einer zentralen Rolle des Auswärtigen Amtes verabschiedet. Durch Schulungen, Datenbanken und eine interministerielle Projektgruppe des Auswärtigen Amtes ist
nun eine Personalreserve für zivile Kriseneinsätze auf der
Basis von völkerrechtlichen Mandaten der UNO und der
OSZE institutionalisiert worden. Von 260 Absolventen
der Trainingskurse sind bereits 60 in Langzeitmissionen
und 100 in Kurzzeiteinsätzen von OSZE und UNO tätig.
Das hat aber auch Spuren hinterlassen. Der OSZE-Gipfel von Lissabon im November letzten Jahres hat mit seinem React-Programm dieses Projekt zur internationalen
Aufgabe erklärt - ein schöner Erfolg, Herr Minister!
Die Europäische Union hat diesen Ansatz auf unsere
Initiative hin zu einem wichtigen Pfeiler der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erklärt, und inzwischen ist das Thema Krisenprävention auch ein Thema im
Dialog mit asiatischen und afrikanischen Partnern.
Fazit: Deutschland hat sich in diesem Bereich internationales Ansehen erworben und unterstützt auf diese
Weise ganz sichtbar die Bemühungen des UNO-Generalsekretärs Kofi Annan um eine „Kultur der Prävention“.
({9})
Von wegen, Herr Lamers, wir hätten keine Konzepte und
keine Visionen!
Die Ausstattungshilfe der Bundesregierung für ausländische Streitkräfte ist neben Demokratisierungs- und
Parlamentshilfe sowie Maßnahmen des humanitären Minenräumens ein außerordentlich bewährtes außenpolitisches Instrument
({10})
- das habe ich nie anders gesehen - zur Unterstützung von
Staaten der Dritten Welt, insbesondere in Afrika, auf
ihrem Weg zu Demokratie, Frieden und Stabilität.
Die bisherige Aufgabenverteilung ist gewahrt. Das
heißt, die politische Verantwortung liegt beim Auswärtigen Amt und die Durchführungsverantwortung beim Verteidigungsministerium. Die Ausstattungshilfe selbst ist
mit 60 Millionen DM in der mittelfristigen Finanzplanung
abgesichert.
Stichwort Afrika. Für die Bundesregierung und die
Koalitionsfraktionen ist Afrika keineswegs der verlorene
Kontinent, wie die Opposition manchmal behauptet, im
Gegenteil.
Erstens. Am 6. Juli dieses Jahres wurde hier im Hohen
Haus eine Bundestagsdebatte über deutsche Afrikapolitik
geführt. Dabei haben wir klar ausgedrückt, dass es im
wohl verstandenen Eigeninteresse Deutschlands ist, sich
für Frieden, stabile demokratische Strukturen und nachhaltige Entwicklung in Afrika einzusetzen.
({11})
- Jetzt hören Sie zu; ich habe das schon bemerkt.
Zweitens. Erinnert sei an das Engagement der Bundesregierung bei der Kölner Entschuldungsinitiative. Auch
hier wird speziell Afrika geholfen.
({12})
Drittens. Im Mai dieses Jahres besuchte der Bundeskanzler den EU-Afrika-Gipfel in Kairo.
Letzter Punkt - das ist schon erwähnt worden -:
Außenminister Fischer war dieses Jahr bereits zweimal in
Afrika: im März in Ländern mit positiven Ansätzen in ihrer Entwicklung - Nigeria, Mosambik und Südafrika und ganz aktuell im November in drei afrikanischen Krisenländern - Angola, Burundi und Ruanda - mit dem Ziel,
auszuloten, wie Deutschlands Beitrag bei der Konfliktbewältigung aussehen könnte.
Fazit: Diese Besuche und die Diskussion in diesem
Parlament in diesem Jahr stehen für die Kontinuität deutscher Außenpolitik, allerdings mit etwas anderen Akzenten.
({13})
Diese neue Akzentuierung gilt auch für den Bereich humanitäre Hilfe außerhalb der Entwicklungshilfe. Auch
hier hat die Koalition zum ersten Mal seit Jahren die Mittel drastisch erhöht, und zwar um 19 Millionen DM: von
60 Millionen auf 79,1 Millionen DM. Sie reagiert damit
aus unserer Sicht angemessen auf die weltweit wachsende
Zahl von humanitären Brennpunkten.
Ich will Sie mit den Statistiken der Versicherungswirtschaft verschonen. Es ist bekannt, dass sich die Zahl der
Schadensfälle in den letzten 50 Jahren vervierfacht und
sich die dadurch verursachten Schäden vervierzehnfacht
haben. Das gilt sowohl für Naturkatastrophen als auch für
politische Konflikte. Insofern ist die Anhebung des Ansatzes gerechtfertigt.
Ein Wort soll mir zur Verbesserung der Organisation
der humanitären Hilfe sowie der Not- und Flüchtlingshilfe der Bundesregierung im Ausland gestattet sein.
Diese Hilfe ist - das muss man selbstkritisch sehen durch Zersplitterung der Zuständigkeiten und eine unübersichtliche Vielfalt der Akteure gekennzeichnet. Die
humanitäre Hilfe selbst ist beim Auswärtigen Amt
angesiedelt, während die Mittel für die Not- und Flüchtlingshilfe ohne klare Abgrenzung zur humanitären Hilfe
beim BMZ veranschlagt sind. Man höre und staune: Sogar beim Verteidigungsministerium gibt es einen Titel für
humanitäre Hilfe und andere Einsätze, deckungsfähig mit
dem gesamten Einzelplan.
({14})
Die logische Folge: Unzureichende Abstimmung und
Koordination sowie Durchführungsvielfalt der privaten
und staatlichen Hilfsorganisationen müssen dazu führen,
dass der Einsatz der Ressourcen zulasten des Steuerzahlers verschenkt wird.
({15})
Die Bundesregierung wäre gut beraten, beim Auswärtigen
Amt unter Nutzung bzw. Ergänzung bestehender Strukturen einen operativen Koordinierungsstab der beteiligten
Ministerien und staatlichen Stellen für diese Hilfe
einzurichten.
({16})
Der Beitrag an den Europarat ist von der Koalition um
900 000 DM aufgestockt worden, und zwar ganz gezielt
für die Arbeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.
({17})
Wir haben das mit einem Haushaltsvermerk versehen. Ich
muss mich bei der Fachgruppe bedanken, die uns darauf
aufmerksam gemacht hat, dass wir durch einen eigenen
Haushaltsvermerk gesichert haben, dass dieses Geld
wirklich dem EuGH zugute kommt. Angesichts der wachsenden Zahl von Verfahren - allein von 1998 auf 1999 gab
es einen Anstieg um 77 Prozent - wage ich gar nicht daran zu denken, was auf diesen armen Gerichtshof zukommt, wenn die Serben vor der Tür stehen; also ist diese
Mittelaufstockung mehr als notwendig.
({18})
- Das habe ich bewusst gesagt.
Deutschland ist das erste der großen Beitragsländer,
das seinen Anteil an den dringend zusätzlich benötigten
3,5 Millionen Euro nach Jahren des Nullwachstums geleistet hat. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Beispiel bei
unseren Nachbarn Schule macht.
Über die Fraktionsgrenzen hinweg ist es gelungen,
sich auf die Konzeption eines deutschen unabhängigen
Institutes für Menschenrechte zu einigen. Es soll die Situation des Menschenrechtsschutzes dokumentiert allgemein zugänglich darüber informieren und schließlich Bildungs-, Beratungs- und Forschungsarbeit leisten. Von den
dafür vorgesehenen Mitteln, die in drei Ressorts etatisiert
sind, trägt das Auswärtige Amt einen Anteil von 30 Prozent. Das entspricht 300 000 DM.
({19})
Zum Thema Menschenrechte gehören auch die Lageberichte des Auswärtigen Amtes. Ich muss sagen, Herr
Bundesaußenminister, wir sind dankbar dafür, dass Sie im
September dieses Jahres eine Neukonzeption vorgelegt
haben, nach der die Botschaften nunmehr verpflichtet
sind, alle - aber auch wirklich sämtliche - vor Ort zur Verfügung stehenden Erkenntnisse auszuwerten,
({20})
also auch diejenigen von lokalen Menschenrechtsgruppen, NGOs, internationalen Organisationen, Anwälten,
Oppositionskreisen und Botschaften der Partnerstaaten.
Kleiner Wermutstropfen: Lassen Sie den Lagebericht
über die asyl- und abschieberelevante Lage im Sudan vom
Sommer dieses Jahres überarbeiten. Aufgrund seiner Mängel und Widersprüche ist er als Grundlage für asylrelevante Entscheidungen absolut ungeeignet.
Ich komme zu weiteren positiven Punkten. Bei den
parlamentarischen Beratungen konnten die vorgesehenen
Kürzungen beim Stabilitätspakt für Südosteuropa und
bei der Unterstützung der mittelosteuropäischen Länder rückgängig gemacht werden. Das heißt, konkret stehen im nächsten Jahr, ebenso wie in diesem Jahr, 300 Millionen DM zur Verfügung. Ich denke, dadurch ist die
Bundesrepublik in der Lage, ihre Zusagen einzuhalten.
Die Entscheidungen tragen aber natürlich auch dazu bei,
dass die Glaubwürdigkeit und die Kontinuität der Außenpolitik dieser Koalition unterstrichen werden.
({21})
Angesichts der aktuellen Entwicklung in der Bundesrepublik Jugoslawien und mit Blick auf die dort anstehenden Wahlen im Dezember 2000 ist dieses Signal auch
besonders wichtig. Für Soforthilfe stehen 50 Millionen DM für Medikamente, Energie und Nahrungsmittel
zur Verfügung. Nach vielen Jahren der politischen Isolierung muss Jugoslawien geholfen werden, seinen Platz in
der Staatenfamilie wieder zu gewinnen. Allerdings erwarten wir im Gegenzug von Kostunica, die bestehenden
Konflikte im Rahmen der OSZE-Regeln, das heißt friedlich, zu lösen.
Das Kapitel Vertretungen des Bundes im Ausland
bedarf aus haushälterischer Sicht einer besonderen Erwähnung. - Herzlichen Dank, Herr Hoyer, Sie haben zwei
Jahre lang mit Erfolg, wie Sie sehen, versucht, mich für
dieses Problem zu sensibilisieren. - Der Haushaltsausschuss hat sich einstimmig dafür entschlossen, das
Rechts- und Konsularwesen des Auswärtigen Amtes und
seiner Auslandsvertretungen von der 1,5-prozentigen linearen Personalkürzung auszunehmen. Das ist angesichts
des exorbitant gestiegenen Visaaufkommens unabdingbar.
Einige Beispiele zur Verdeutlichung. Die Visastelle in
Moskau nimmt täglich 1 400 Anträge entgegen. Bei Einhaltung der Dienstzeit - die wird natürlich nicht eingehalten: die kloppen Überstunden - würden pro Antrag
zwei Minuten zur Verfügung stehen. In Ankara ist das Visaaufkommen in diesem Jahr um 29 Prozent gestiegen, in
Bukarest um 38 Prozent und in Neu Delhi um 41 Prozent.
Das ist natürlich auf Dauer nicht mehr haltbar und unverträglich mit Personalverkürzungen in diesem Bereich, der
unserer Meinung nach so zu behandeln ist wie der Bereich
der inneren Sicherheit. Schließlich ist die Visabehörde
unsere Visitenkarte im Ausland.
({22})
In dem Kapitel Pflege kultureller Beziehungen zum
Ausland haben die Haushälter einvernehmlich die Mittel
für den Betrieb des Goethe-Instituts in Höhe von 20 Prozent - das ist sehr viel, es entspricht 45 Millionen DM qualifiziert gesperrt. Das bedeutet, dass die Mittel erst
dann fließen werden, wenn das Goethe-Institut den Empfehlungen des Bundesrechnungshofes folgt, sie zügig umsetzt und dies in zwei Berichten im Frühjahr und Herbst
nächsten Jahres nachweist.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass aufgrund einer Initiative aller Fraktionsvorsitzenden des Deutschen
Bundestages der German Marshall Fund of the United
States in den nächsten zehn Jahren eine jährliche Zustiftung von 1,5 Millionen DM erfährt. Diese unabhängige
Stiftung mit Sitz in Washington, initiiert von Willy Brandt
als Dank des deutschen Volkes für den Marshall-Plan
nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges, organisiert
europäisch-amerikanische Austauschkontakte der verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen. Wir bedanken
uns an dieser Stelle ausdrücklich für die Arbeit dieser Stiftung.
({23})
Die Koalition hat im Bereich der Stipendien ein Sonderprogramm aufgelegt. Auch dieses unterstreicht und
unterstützt nachdrücklich die Bemühungen der Bundesbildungsministerin zur internationalen Öffnung unserer
Hochschulen.
Der auswärtige Dienst - damit möchte ich schließen sieht sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts neuen Aufgaben
gegenüber. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hat
sich bekanntlich die globale Statik verändert. Im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung um zusätzliche Beitrittsländer sind neben den finanziellen Problemen Integrations- und Institutionenprobleme zu lösen. Das aber
bedeutet, dass sich Arbeitsweise und Amtsverständnis des
Auswärtigen Dienstes ändern müssen, weil sich die internationale Politik geändert hat. Gefragt ist laut des Berichts
des Spitzendiplomaten Karl Theodor Paschke über die
Sonderinspektion der 14 deutschen Botschaften in den
Ländern der EU Public Diplomacy, also öffentlichkeitswirksame Erklärung und Vertretung deutscher Interessen
und - folgt man dem Bundesaußenminister und seinen
Ausführungen vom September dieses Jahres - Einmischung, aber nicht mehr in erster Linie vornehme Diplomatie.
Ich wünsche Ihnen, Herr Bundesaußenminister, für
diese Koordinatenverschiebung, zu der ich Ihnen gratuliere, den notwendigen Erfolg. Wir werden dieses Reformvorhaben aus Haushaltssicht wohlwollend begleiten.
Ich danke zum Schluss meinen Kolleginnen und Kollegen
Berichterstattern, schicke einen besonders lieben Gruß an
unseren erkrankten Kollegen Frankenhauser und bedanke
mich bei unseren Mitarbeitern, besonders beim Sekretariat des Haushaltsausschusses. Ich bitte die Opposition
um Zustimmung zu diesem Einzelplan; denn er setzt die
richtigen Signale.
({24})
Ich erteile
dem Kollegen Dr. Werner Hoyer für die F.D.P.-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
kurz an das anknüpfen, was die Kollegin Titze-Stecher im
Hinblick auf Koordinationsprobleme dieser Regierung in
dem wesentlichen Bereich der internationalen humanitären Hilfe gesagt hat: Die logische Konsequenz aus
diesen Erkenntnissen wäre ein anderer organisatorischer
Zuschnitt der Bundesregierung, der die Integration des
BMZ in das Auswärtige Amt beinhalten müsste. In diesem
Zusammenhang kann man auch Staatsminister Volmer
verstehen, der sich letzte Woche als Privatmann in einer
entsprechenden Weise geäußert hat. Wir sollten ihn nachhaltig unterstützen.
({0})
Eine derartige Leidenschaftslosigkeit und Lustlosigkeit, mit der der Herr Bundeskanzler gestern seine Regierungserklärung zur Europapolitik vorgetragen hat, ist dem
Bundesaußenminister Joschka Fischer nicht vorzuwerfen.
({1})
Leidenschaftslosigkeit und mangelnde Lust - das trifft auf
den Hedonisten Joseph Fischer sicher nicht zu. Das Etikett, mit dem ich seine Außenpolitik belegen würde, sitzt
tiefer: Fischers Außenpolitik ist seelenlos.
({2})
Was ist eigentlich in den letzten zwei Jahren passiert?
Im Herbst 1998 erschien es vielen, als übernähme eine
Lichtgestalt das Auswärtige Amt, die die Herzen der Mitarbeiter ebenso wie die Fantasie der publizistischen Begleiter im Fluge erobert. Man sprach von dem „Neuen“,
der zuhört, der über die Abteilungen des Hauses führt, den
Sachverstand des Amtes mobilisiert, einen intelligenten
politischen Diskurs führt und die kurzen Soundbytes für
CNN ebenso souverän wie seine als Privatmann vorgetragene Rede zur Europapolitik - deren Bedeutung weiß
Gott nicht auf ihrem Inhalt, sondern auf der Tatsache beruht, dass sie überhaupt gehalten worden ist ({3})
abliefert. Er referiert kenntnisreich über die Brennpunkte
der Weltpolitik und läuft zu großer Form auf, wenn er mit
sorgenzerfurchter Stirn seinen jeweiligen Zuhörern im
Presseklub, im Auswärtigen Ausschuss, auf der Personalversammlung oder bei der Botschafterkonferenz den Lauf
der Geschichte erklärt. Welch ein Start!
Zwei Jahre später ist das Blendwerk durchschaut, die
Fassade bröckelt, der Lack ist ab und hinter der Fassade
wird die Außenpolitik eines Mannes sichtbar, der das in
der Politik nun einmal erforderliche beharrliche Bohren
dicker Bretter nicht zu seiner Sache macht.
({4})
Er setzt hier und da einen Akzent, brennt ein Feuerwerk
ab, aber das mühevolle Umsetzen, das beharrliche Werben um Verbündete, die schwierige konstruktive Auseinandersetzung mit Partnern und die konsequente Arbeit
am Werkstück bleiben aus. Gerade in der Europapolitik
zeigt sich, dass es auf die Kombination von Leidenschaft
in der Sache, Kreativität bei der Formulierung von Zielen
und Optionen und schließlich auf die Beharrlichkeit in der
Verfolgung dieser Ziele ankommt. Davon ist bei dieser
Bundesregierung wenig zu spüren.
({5})
Mittlerweile merken es plötzlich alle, die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Jetzt wird nicht mehr über das
Haus und über die Abteilungen geführt, jetzt wird der
Sachverstand des Amtes hinter das innenpolitische Kalkül
des Küchenkabinetts gestellt und die Menschen - weder
diejenigen, die im Auswärtigen Dienst arbeiten noch diejenigen, die große Hoffnungen auf die Rolle der Deutschen setzen und enttäuscht werden, wie zum Beispiel die
Ärmsten der Armen in Afrika - sie spielen keine Rolle
mehr. Es ist bedenklich, wenn bei dem nun endlich erfolgten zweiten Besuch des Außenministers in Afrika der
Abstand zu den Menschen so unendlich groß bleibt. Das
ist seelenlose Politik.
({6})
Der Haushaltsausschuss hat den Regierungsentwurf an
ein paar wichtigen Stellen nachgebessert. Ich danke den
Kolleginnen und Kollegen unter der sehr kooperativen
Führung unserer Hauptberichterstatterin Uta Titze-Stecher
für diesen Erfolg.
({7})
Das betrifft zum Beispiel die Korrekturen an der von
Ihnen vorgesehenen Kürzung für humanitäre Hilfe. Was
hatten Sie sich dabei eigentlich gedacht?
({8})
Das betrifft auch einen wichtigen Webfehler im Personalbereich. Ich freue mich - Frau Titze-Stecher hat dies angesprochen -, dass es gelungen ist, diesen nunmehr zu beseitigen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den
Rechts- und Konsularabteilungen der Auslandsvertretungen endlich von den pauschalen Stellenkürzungen
auszunehmen.
Herr Minister, im Sommer haben Sie mir einen Brandbrief geschrieben, mit der Bitte, sich dafür einzusetzen.
Wie kommt es eigentlich, dass Sie zu den Haushalten für
1999 und für 2000 zwei genau in diese Richtung gehenden Anträgen der F.D.P.-Fraktion im Deutschen Bundestag nicht zugestimmt, ja sie sogar mit Ihrer eigenen
Stimme als Abgeordneter abgelehnt haben?
({9})
Und wie kommt es, dass dies in Ihrem Regierungsentwurf zum Haushaltsgesetz nicht enthalten ist? Sie mussten das Parlament mobilisieren. Aber dies ist auch erfolgt.
Ich danke den Kolleginnen und Kollegen dafür, dass daraus etwas geworden ist. Das ist ja wirklich wichtig.
Man kann sich als Außenpolitiker Federn an den Hut
stecken beispielsweise wegen der schönen auswärtigen
Kulturpolitik oder wegen Erfolgen in der Außenwirtschaftspolitik. - Das ist allerdings bei dieser Regierung
auch eher theoretisch, weil sich weder der Außenminister
noch der Wirtschaftsminister für Außenwirtschaftspolitik
interessiert. - Aber bei den Rechts- und Konsularangelegenheiten, dort, wo die eigentliche Knochenarbeit der
Auslandsvertretungen zu leisten ist, kann man relativ wenig Glanz gewinnen. Deswegen ist es wichtig, dass man
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Bereiche
nunmehr eine Perspektive verschafft.
Übrigens wird als nächster Schritt auf diesem Gebiet
die noch fehlende elektronische Vernetzung von etwa
100 Auslandsvertretungen geschaffen werden müssen.
Das wird uns 70 Millionen DM kosten. Das ist gut angelegtes Geld. Sie sollten so schnell wie möglich handeln.
Frau Kollegin Titze-Stecher hat über einige weitere
strukturelle Veränderungen im Personalbereich gesprochen. Insbesondere wissen wir alle, dass wir mit der Umsetzung des Gesetzes über den auswärtigen Dienst noch
längst nicht zu Ende gekommen sind. Das Thema der Personalreserve - falscher Begriff, aber richtiger Inhalt wird uns weiter beschäftigen. Sie können auf unsere Unterstützung zählen, wenn es darum geht, Fortschritte zu
erzielen.
Aber ich halte es für dringend geboten, eine grundsätzlichere Debatte über den auswärtigen Dienst zu führen,
und zwar auf einer breiteren Grundlage. Es wird nicht
mehr reichen, hier und da eine Verbesserung vorzunehmen; denn dabei wird meistens nur ein Loch gestopft, indem ein anderes aufgerissen wird. Wir müssen - diese Bereitschaft haben Sie eigentlich auch erklärt - die
Funktionen des auswärtigen Dienstes in einer dramatisch
veränderten Welt neu definieren. Ich bin allerdings davon
überzeugt, dass wir über eine hausinterne Betrachtung
dieses Problems hinausgehen müssen, dass wir etwas
brauchen, wie es die Bundeswehr mit der WeizsäckerKommission gehabt haben. Die Engländer würden sagen:
Wir brauchten eine Royal Commission für den auswärtigen Dienst. Diese sollte mit viel Sachverstand - auch von
außen und auch aus dem Ausland - dafür sorgen, dass wir
uns eine einvernehmlich getragene Vorstellung davon machen, was die Funktionen und die Funktionsnotwendigkeiten des auswärtigen Dienstes in der Zukunft sind.
Ich warne im Übrigen davor, schon jetzt den Abgesang
auf die klassische Diplomatie anzustimmen. Gerade die
aktuelle innenpolitische Diskussion in Deutschland zeigt,
wie wichtig es ist, auch nach draußen darzustellen, was
hier bei uns geschieht. Dazu werden wir auch in Zukunft
- auch in der Europäischen Union - Auslandsvertretungen brauchen.
Gerade die Abhängigkeit der Bundesrepublik von den
Weltmärkten zeigt, wie wichtig es ist, unsere außenwirtschaftspolitischen Aktivitäten zu intensivieren und zu
bündeln. Sie zeigt auch, wie absurd die etwas naiv vorgetragene Vorstellung einiger Kolleginnen und Kollegen ist,
man könnte das alles Gemeinschaftsvertretungen der EUMitgliedstaaten übertragen. Ich sehe den französischen
Botschafter schon vor mir, wie er irgendwo in der Welt die
Außenwirtschaftsinteressen der deutschen Unternehmen
vertritt. Hier werden wir also zu anderen Formen der
Zusammenarbeit kommen müssen. Da ist sehr viel Musik
drin. Da ist sehr viel Kreativität gefragt. Hier werden wir
einiges entwickeln können.
({10})
Man wird sich zum Beispiel fragen müssen, wie wir
künftig in einem einheitlichen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, wie der Amsterdamer Vertrag die
EU definiert, die Interessenwahrnehmung in den Partnerstaaten der Union auf dem Gebiet des konsularischen
Schutzes gewährleisten können. Hier sind Veränderungen
ganz wichtig und möglich und können zu erheblichen
Ressourceneinsparungen führen.
Sie haben eine Reformdebatte im eigenen Hause angestoßen, Herr Minister. Das begrüße ich sehr. Wir sind uns
sicherlich auch darüber im Klaren, dass das jetzt diskutierte Personalentwicklungskonzept nicht das letzte
Wort sein kann, nicht zuletzt deshalb, weil Ihnen kein Unternehmensberater attestieren wird, dass dieses Personalentwicklungskonzept seinen Namen verdient.
({11})
Ein Personalentwicklungskonzept, das nach wie vor an
Planstellen ansetzt und nicht an Menschen und ihren
Entwicklungsoptionen, geht daneben. Ein Personalentwicklungskonzept, das, nebenbei bemerkt, nicht als erstes
die Personalverwaltung in ihrer bisherigen Form selber
infrage stellt, wird auch nicht den Durchbruch bringen.
Deshalb möchte ich Sie ermutigen, neben der hausinternen Debatte auch dafür zu sorgen, dass die Idee einer
„Weizsäcker-Kommission für den auswärtigen Dienst“
weiterverfolgt wird.
Zum Schluss ganz kurz ein Wort zur Europapolitik,
die hier gestern hinreichend abgehandelt worden ist. Auch
hier kommt es immer wieder auf die Kombination von
Engagement, Kreativität bei der Definition von Zielen
und Wegen, wie man diese Ziele erreichen kann, und auf
das beharrliche Umsetzen im ständigen Dialog mit den
Partnern an. Das ist das Problem, das Sie innerhalb weniger Tage, bis zum Gipfel in Nizza, lösen müssen. Sie übersehen dabei, welche Vorlage Ihnen mit dem Vertrag von
Amsterdam gegeben worden ist.
({12})
Eines geht nicht: Es ist eine Verzerrung der Geschichte
der europäischen Integration, wenn nur das gesehen wird,
was in Amsterdam nicht gemacht worden ist, nämlich die
institutionellen Fragen zu lösen. Der Vertrag von Amsterdam hat dem entscheidenden Durchbruch bei der Stärkung des Europäischen Parlaments gebracht. Darauf müssen Sie jetzt aufbauen. Der Vertrag von Amsterdam hat die
Integration der WEU in die EU auf den Weg gebracht. Daran müssen Sie weiterarbeiten. Der Vertrag von Amsterdam hat es ermöglicht, dass sich die Europäische Union
mit Fragen der Innen- und Rechtspolitik beschäftigt. Auch
darauf können Sie jetzt aufbauen.
Bereits im Vertrag von Amsterdam ist das Instrument
der verstärkten Zusammenarbeit begründet worden, also
die Möglichkeit, dass eine Gruppe von Staaten, die voranschreiten möchten, auch wenn einige andere Staaten
noch nicht oder überhaupt nicht mitmachen wollen, das
auch tun können. Sie müssen das weiterentwickeln, indem festgeschrieben wird, dass man diesen Weg auch
beschreiten kann, wenn keine Einstimmigkeit über ein
solches Vorgehen besteht. Das sind riesige Herausforderungen. Das wissen wir. Es gab ja schließlich Gründe,
warum das damals in Amsterdam nicht gelungen ist. Nur,
Sie können auf etwas Großartigem aufbauen.
Ich habe allerdings das Gefühl, dass das Handwerkliche bei der Vorbereitung auf die bevorstehende Regierungskonferenz gerade angesichts der schwierigen Situation, in der sich der französische Partner befindet, nicht
gelungen ist.
({13})
Aber das lag vor allen Dingen auch daran, dass man eine
große Stärke der deutschen Außen- und Europapolitik in
Gefahr gebracht hat, nämlich die Fähigkeit, stets die kleinen Mitgliedstaaten in der Europäischen Union in den
gleichberechtigten Dialog, sozusagen auf Augenhöhe,
einzubeziehen.
Herzlichen Dank.
({14})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Rita Grießhaber, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich
möchte an die gestrige Debatte über den bevorstehenden
EU-Gipfel in Nizza anknüpfen; denn alle Fragen nach der
Rolle Deutschlands in der Welt verweisen letztlich auf
Fragen, die vordringlich im Rahmen der Europäischen
Union zu klären sind: Welches ist der politische Ort der
EU in einer globalisierten Welt? Oder genauer: Wie kann
die dauerhafte und entwicklungsfähige Form einer Union
aussehen, die sich als weltpolitischer Akteur versteht?
Hinsichtlich des deutsch-amerikanischen Verhältnisses
stellen Sie, Herr Kollege Lamers, etwas infrage, was für
uns überhaupt nicht infrage steht.
({0})
Daher muss man das hier nicht extra thematisieren.
Der Kollege Merz hat zwar gestern verbal mehr Leidenschaft für Europa gefordert. Aber er hat selber eher im
Kleinen geharkt und konnte deshalb kein Feuer der Leidenschaft entfachen. Daran knüpft der Kollege Hoyer an,
wenn er sagt, dass ihm im Amt die Seele Fischers zu fehlen scheint. Ich glaube, er hat die Zeit von Kinkel schwer
verdrängt.
({1})
Mit Beschwörungsformeln kommen wir nicht weiter.
Wir müssen auch realisieren, dass die Bürgerinnen und
Bürger die EU zuerst und sehr lange nur als Marktbürger
erfahren haben. Als Citoyens waren sie nicht gefragt. Die
Debatte um die Grundrechte-Charta ist ein wichtiger
Schritt weg von der technokratischen Gebrauchsanweisung für den Markt. Die Vertiefung und die Erweiterung
werden mit den alten Methoden nicht mehr funktionieren.
Deshalb wollen und brauchen wir den vollen Erfolg von
Nizza.
({2})
Zurück zum Haushalt: An dieser Stelle möchte ich die
Verhandlungserfolge der Haushälter würdigen. Im Vergleich zum laufenden Haushaltsjahr konnten die Ausgaben für den Einzelplan 05 sogar um 19 Prozent gesteigert
werden. Damit ist der Etat des Auswärtigen Amtes derjenige mit dem prozentual größten Zuwachs.
({3})
Schon im Regierungsentwurf war trotz der Sparpolitik
für das nächste Jahr eine Erhöhung derAusgaben für die
Außenpolitik vorgesehen, ermöglicht durch die durch den
Verkauf der UMTS-Lizenzen erzielten Erlöse und die erreichten Zinsersparnisse. Das Parlament hat jetzt noch etwas dazugegeben. Wie sehr der Sparzwang an die Substanz des Hauses gegangen ist, wissen wir alle. Umso
erfreulicher ist es, dass vor allem in den Auslandsvertretungen die Einsparungen begrenzt werden konnten. Die
Kollegin Titze-Stecher hat schon darauf hingewiesen:
15 Stellen werden im Rechts- und Konsularbereich neu
geschaffen. Angesichts der schwierigen und überaus belasteten Arbeitssituation im auswärtigen Dienst möchte
ich mich von dieser Stelle aus für die hervorragende Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort ganz
herzlich bedanken.
({4})
Diese engagierte Arbeit vor Ort wird noch durch eine
Modernisierung des auswärtigen Dienstes begleitet. Wir
machen uns keine Illusionen: Auch weiterhin werden
Sparvorgaben an einzelnen Stellen dazu zwingen, mit weniger Mitteln größere Aufgaben effektiver zu lösen. Dass
das auch geht, zeigt ein Beispiel aus dem Bereich der auswärtigen Kulturpolitik: die Schulliegenschaften. Dort, wo
die Schulen selber die Verantwortung für die Bauinstandhaltung tragen, kann ohne die kosten- und zeitaufwendige
Einschaltung des Bundesamtes für Bauwesen und
Raumordnung wesentlich schneller und günstiger gebaut
werden. Die neue deutsche Schule in Budapest war im
Entwurf der Bundesbaudirektion noch mit 36 Millionen DM veranschlagt. Der Entwurf des dortigen Schulvereins enthielt noch die Summe von 25 Millionen DM
und die endgültige Rechnung wird voraussichtlich
20 Millionen DM nicht überschreiten.
({5})
Aber auch in anderen Bereichen der auswärtigen Kulturpolitik hat sich vieles getan. Die Fusion Goethe-Inter
Nationes ist unter Dach und Fach. Gerade wegen der
enormen Schwierigkeiten möchte ich an dieser Stelle an
die Herren Hoffmann und Sötje stellvertretend für alle beteiligten Akteure einen herzlichen Dank richten.
({6})
Auch Umschichtungen sind möglich. Das zeigt sich
daran, dass Goethe-Inter Nationes - mit aller Bescheidenheit und Vorsicht - ohne weitere Institutsschließungen
in der Lage sein wird, wieder nach Teheran zu gehen und
auch in Algier, Schanghai und Havanna den Dialog zu
eröffnen, alles Orte, bei denen uns sehr viel daran liegt,
dass der Dialog dort beginnt.
Lassen Sie mich zu einem der wichtigsten Anliegen
kommen, dem Stabilitätspakt Südosteuropa. 100 Millionen DM sind im Einzelplan 60 weiterhin als kontinuierlicher Anteil des Auswärtigen Amtes und 200 Millionen DM beim BMZ für den Stabilitätspakt Südosteuropa
eingestellt. Wir haben für diese 100 Millionen DM
gekämpft und werden das, wenn nötig, jedes Haushaltsjahr wieder tun, bis diese Region endlich zu dauerhaftem
Frieden, Stabilität und Wirtschaftswachstum findet.
({7})
Warum liegt uns dieser Stabilitätspakt so am Herzen?
Weil er exemplarisch für das steht, was für uns Bündnisgrüne Priorität hat. Wir brauchen die Perspektive einer gesamteuropäischen Friedensordnung, die nur dann möglich ist, wenn Südosteuropa einbezogen ist. Den Weg
dorthin ebnet der Stabilitätspakt.
Aber alle beteiligten Partner, sowohl Nehmer- wie
auch Geberländer, müssen sich auf Zusagen verlassen
können. Die Mittel müssen berechenbar, zuverlässig und
kontinuierlich fließen. Wir werden unsere international
gemachten Zusagen genauso einhalten, wie wir seit langem versuchen, die demokratischen Kräfte im ehemaligen Jugoslawien zu unterstützen. Dass Belgrad heute mit
dabei ist, hat mit genau dieser Politik zu tun.
({8})
Die Institutionalisierung des Stabilitätspaktes, die Sie,
Kollege Lamers, hier gefordert haben, wirft im Moment
sehr viel mehr Fragen auf, als dass sie Antworten gibt. Wo
sind bei Ihnen beispielsweise die Kroaten, die so etwas
überhaupt nicht wollen? Ist das angesichts der dort aus
vielen Gründen vorhandenen Kluft überhaupt möglich?
Ist das die richtige Forderung zum richtigen Zeitpunkt?
Hier müssen Sie mehr Fragen stellen, als Sie im Moment
Antworten haben.
Eine Politik der Krisenprävention, die Gewalt als politisches Mittel zu verhindern hilft, diese Art von Politik
ist das Markenzeichen dieser Regierung. Der Stabilitätspakt ist von seinem ganzen Ansatz her das Präventionsprogramm.
Noch mussten wir seitens des Parlaments dafür sorgen,
dass die Mittel für Krisenprävention und für zivile Konfliktbearbeitung wieder eingestellt werden. Aber was
zählt, ist: Sie sind drin, ebenso wie die Mittel für die Stelle
des Leiters des Ausbildungsprogramms für ziviles Friedenspersonal. Das ist jedoch nicht genug. Wir wollen,
dass diese Summen im nächsten Haushalt etatisiert, also
verstetigt werden.
({9})
Auch was diese Titel angeht, braucht es Kontinuität. Fehlt
der Haushaltsansatz, kann nicht längerfristig geplant werRita Grießhaber
den, das heißt, es können keine langfristigen Projekte in
Angriff genommen werden und wir vergeben die Chance
der langfristigen Wirkung.
Gerade die Kriege und Krisen im ehemaligen Jugoslawien haben gezeigt, dass Sicherheit nicht mehr nur militärisch gedacht werden kann. Nur ein erweiterter Sicherheitsbegriff, der politische, ökonomische,
ökologische und soziale Stabilität umfasst, taugt als
Grundlage für die von Kofi Annan geforderte Kultur der
Prävention.
Zugegeben: Unser Anspruch an unsere Politik ist hoch.
Es ist auch nicht einfach, verhinderte Krisen der Öffentlichkeit vor Augen zu führen. Die Opposition, allen voran
der Schattenaußenminister Rühe, scheint allerdings auf
dem krisenpräventiven Auge blind zu sein,
({10})
wenn sie dem militärischen Aspekt der Sicherheitspolitik
noch immer den Vorrang gibt. Bei Herrn Rühe scheint das
chinesische Sprichwort zuzutreffen: Es ist leichter, Geld
für den Sarg einzusammeln als für die Medizin.
({11})
Die Vorgaben des Sparhaushaltes im vorigen Jahr
zwangen uns dazu, mehr oder weniger mit der Rasenmähermethode einen Etat zu beschneiden, der noch von
der konservativen Regierung Kohl/Waigel vorstrukturiert
war. Allmählich gelingt es immer eindeutiger, weitere
Weichenstellungen für eine anders strukturierte Außen-,
Sicherheits- und Entwicklungspolitik vorzunehmen.
({12})
Es handelt sich um Weichenstellungen in Richtung ziviler
Konflikt- und Krisenprävention.
Mit guter Kondition, mit langem Atem und mit unserer
vollen Unterstützung wird es dem Außenminister, einem
erprobten Langstreckenläufer, sicherlich gelingen, die
deutsche Außenpolitik in diesem Sinne voranzutreiben.
Vielen Dank.
({13})
Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, PDS-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mit Blick auf die Regierungsbank: liebe Grundwehrdienstleistende! Diese Anrede drängte sich mir förmlich auf, nachdem ich gelesen
hatte, dass Staatsminister Naumann seine Zeit in der Regierung als „Grundwehrdienst“ bezeichnet hat. Er ließ allerdings offen, wer in der Regierung die Generale und wer
die Feldwebel sind.
({0})
Da kann jeder seiner Fantasie freien Lauf lassen. Notfalls
werden wir das aus der „Zeit“ erfahren.
Nach meinem Geschmack war die bisherige Haushaltsdebatte - die Diskussion über Außenpolitik beziehe
ich in diese Aussage extra nicht ein - gerade vonseiten der
CDU mit einem Übermaß an Folklore und mit wenigen
Alternativen versehen. Der Bundeskanzler hat das
Gerücht aufgebracht, dass sich der Kollege Glos dem
Marxismus zuwende. Wenn Herr Glos Marxist wird, dann
- das möchte ich festhalten - falle ich vom Glauben ab.
({1})
- Und umgekehrt. - Ich habe überhaupt keine Sorgen:
Beim Kollegen Glos kommt immer eher Karl May als
Karl Marx heraus.
Sehr viel ernsthafter war das, was der Kollege Lamers
hier vorgetragen hat.
({2})
Ich höre ihm ja immer gerne zu. Man muss dazu anmerken: Kollege Lamers hat eine Begabung, aus meiner Sicht
richtige und kluge Fragen zu stellen. Zugleich hat er allerdings die Begabung, sich einer Antwort darauf zu verweigern. So ist es der Fantasie jedes Einzelnen überlassen, in welche Richtung man die Fragen von Herrn
Lamers weiterführt. Auf Dauer aber, Herr Lamers, werden
Sie nicht damit durchkommen, nur richtige und kluge
Fragen zu stellen, weil dies nur der erste Schritt ist. Irgendwann werden auch Sie diese Fragen hier vor dem
Plenum beantworten müssen.
Ich habe darüber nachgedacht, warum die CDU hier
trotz lauter Worte und viel Folklore im Kern einen so
kraftlosen Eindruck macht. Die eigentliche Ursache dafür
ist, dass die CDU, wenn sie heute an der Regierung wäre,
im Wesentlichen nichts anderes machen würde als das,
was Rot-Grün heute macht.
({3})
Das ist zugleich eine Kritik an der CDU und an der jetzigen Regierung.
Deswegen möchte ich die Haushaltsberatungen nutzen, über alternative Strategien zu sprechen. Für mich hat
die Perspektive einer gesamteuropäischen Konzeption
Priorität in der deutschen Außenpolitik. Wir, die PDS,
wollen ein Europa vom Atlantik bis zum Ural und nicht
nur - ich betone das „nur“ - ein Europa von Paris bis Warschau. Vom Atlantik bis zum Ural, das steht für den Helsinki-Prozess. Die offizielle deutsche Außenpolitik hat
mit dem Fall der Mauer den Helsinki-Prozess zu Grabe
getragen, fast nach dem Motto: „Der Mohr hat seine
Schuldigkeit getan; der Mohr kann gehen.“ Dabei war der
Helsinki-Prozess moderner und zukunftsfähiger als alles,
was wir seitdem in Europa an neuen Blockbildungen,
Konflikten und Kriegen erlebt haben.
({4})
Unsere Alternative zur Politik der Bundesregierung
folgt der Architektur des Helsinki-Prozesses. Unsere Philosophie ist ein Europa der Stabilität, der wirtschaftlichen
Zusammenarbeit, des sozialen Ausgleichs, der Menschenrechte, ein Europa wachsender Freizügigkeit über
den EU-Raum hinaus, ein Europa endlich, das sich als Teil
einer multipolaren Welt versteht.
Auch in dieser Konzeption bleibt die Europäische
Union ein wichtiger politischer und wirtschaftlicher Faktor, allerdings kein militärischer. Dies kritisieren wir immer, denn der militärische Weg ist ein Irrweg.
({5})
Eine Militarisierung der Europäischen Union ist auch
nicht nötig, wenn man, wie wir es vorschlagen, den Helsinki-Prozess weiterführt. Das heißt zuallererst: Die
OSZE wird aufgewertet, gleiche Sicherheit in einem gemeinsamen Raum muss für alle garantiert werden.
In der Linie der Bundesregierung bleibt Russland
draußen vor der Tür Europas. Die Ukraine, Belarus, Bulgarien und die stabilisierte Balkanregion werden zu Pufferstaaten zwischen der erweiterten Europäischen Union
und Russland gemacht. Dies bringt neue Unsicherheit.
({6})
Wir denken weiter. Wir setzen auf das gemeinsame
Haus Europa, das alle Staaten und alle europäischen Institutionen - Europarat, EU und OSZE - gemeinsam gestalten. Ein solches Europa könnte Krisen dämpfen. Es
könnte aber auch bereits heute vermittelnd im Nahen
Osten - das hat Herr Lamers nicht ausgesprochen - und
im kaspischen Raum wirken.
In unserer Alternative kann deutsche Außenpolitik
dazu beitragen, die negativen Folgen der Globalisierung
zu überwinden. Hier kritisieren wir die Bundesregierung
dafür, dass viele ihrer Initiativen in die falsche Richtung
gehen. Die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas
haben wirklich nicht darauf gewartet, dass noch ein europäisches Land einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der
UNO bekommt. Wenn die Bundesregierung schon so auf
einen ständigen Sitz erpicht ist, dann sollte sie zuerst das
Gewaltmonopol der UNO ohne Ausnahmen anerkennen
und sich selbst daran halten. Bereits daran ist sie aber gescheitert.
({7})
Für die UNO ist es wichtig, wenn die Länder Asiens,
Afrikas und Lateinamerikas mehr zu sagen haben. Die
UNO muss stärker werden. Nur sie birgt die Chance, weltweit Recht gegen Willkür durchzusetzen.
In der Welt von heute erscheinen Regierungen machtlos gegenüber den Entscheidungen großer Konzerne. Spekulationen bringen die Weltwirtschaft ins Schwanken.
Deswegen müssen die internationalen Finanzmärkte
kontrolliert werden. Die UNO braucht dringend bessere
und wirksamer auf sozialen Ausgleich gerichtete ökonomische Instrumente. Der Klimagipfel ist ein Beweis
dafür, wie Gewinnsucht die Zukunft der Menschheit gefährdet.
Ein letzter Gedanke zu unserer Strategie: Unser Ziel
und Weg zugleich ist Abrüstung. Die Politik der Bundesregierung hat Aufrüstung durch Umrüstung mit sich
gebracht. In der Logik der Politik der Bundesregierung
liegt die Gefahr eines neuen Wettrüstens. Das wäre das
Allerletzte, was wir weltweit oder in Europa brauchten.
({8})
Nach dem Ende der Konfrontation der Blöcke ist der
Krieg auf unseren Kontinent zurückgekehrt. Dafür trägt
auch die Bundesregierung Verantwortung. Die alte Bundesregierung hatte die Wege angelegt, auf denen dann getrampelt werden konnte. Die qualitativen Brüche aber hat
Rot-Grün vollzogen. Rot-Grün hat dem neuen strategischen Konzept der NATO zugestimmt, das nun auch
offiziell aus dem Verteidigungsbündnis einen Zusammenschluss mit der Möglichkeit zur weltweiten Intervention macht. Rot-Grün hat eine dementsprechende Bundeswehrkonzeption auf den Weg gebracht, durch die es
möglich wird, die deutsche Armee international einzubinden. Ich erspare es Ihnen nicht, daran zu erinnern, dass unter Rot-Grün der völkerrechtswidrige Krieg gegen die
Bundesrepublik Jugoslawien geführt worden ist.
Wenn jetzt der ABM-Vertrag nicht gegen die Pläne
der USA zum Bau eines Raketenabwehrsystems gesichert, wenn jetzt nicht endlich nukleare Abrüstung eingeleitet wird, dann beginnt ein neues Wettrüsten. Wir kennen die fatalen Folgen.
({9})
Die transatlantische Partnerschaft ist ein stehender
Begriff. Ich persönlich will ihn auch nicht aus der Außenpolitik einer linken Partei verbannen. Nur, transatlantische Partnerschaft kann doch nicht alles sein. Die Welt ist
größer. Meine strategische Alternative enthält eine gesamteuropäische Konzeption und fordert neben der transatlantischen sozusagen eine trans-euro-asiatische Partnerschaft. Dabei könnten Russland und die GUS eine Brücke
nach Asien und auch nach China bilden. Ohne eine weitere Verbesserung des Verhältnisses zu China wird man
auch diese trans-euro-asiatische Partnerschaft nicht entwickeln können.
({10})
Unsere strategische Alternative hat einen festen Grund
und beruht auf einer sicheren Erkenntnis: Krisen können
nicht militärisch gelöst werden. Das gilt für den Balkan
ebenso wie für Tschetschenien oder den Nahen Osten.
Schlussendlich - um das zusammenzufassen - darf
man einer Regierung kein Geld bewilligen, wenn man zu
der Auffassung gekommen ist, dass sie einen falschen
Weg eingeschlagen hat, und muss die Zustimmung zum
Haushalt verweigern. Deswegen werden wir dem Haushalt nicht zustimmen.
({11})
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister des Auswärtigen, Herrn Joseph
Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass die
PDS dem Haushalt nicht zustimmt, ist konsequent. Ich
möchte jetzt auch nicht mehr auf die gestern geführte Debatte eingehen; aber eines, Herr Gehrcke, kann ich so
nicht stehen lassen. Nicht wir haben es zu verantworten,
dass der Krieg auf diesen Kontinent zurückgekehrt ist.
Eine solche Aussage würde implizieren, dass Sie die Beschießung von Sarajevo über drei Jahre hinweg zu einem
Akt des Friedens erklären. Das wäre zynisch.
({0})
Das würde bedeuten, dass Sie den barbarischen Krieg in
Bosnien, dass Sie die Zerstörung von Vukovar, dass Sie
all die Gräueltaten und Kriegsverbrechen, die demnächst
in Den Haag aufgearbeitet werden, zu Akten des Friedens
erklären. Das möchte ich Ihnen nicht unterstellen.
Der Krieg ist zurückgekehrt, weil mit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens - das habe ich damals bedauert
und bedauere es heute, aber das ist Geschichte - ein vorhandener Nationalismus von Milosevic auf zynische Art
und Weise für eine mörderische Politik instrumentalisiert
wurde, von der wir glaubten, dass sie nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges in Europa keine Chance mehr gehabt
hätte.
Es ist sicher richtig: Man kann Krisen nicht militärisch
lösen. Aber leider gibt es manchmal die Notwendigkeit,
sie militärisch einzudämmen. Gerade der Kosovo hat dies
klar gemacht. Wir hätten heute auf dem Balkan nicht eine
solche Situation, wie wir sie heute Gott sei Dank vorfinden. Die Zagreb-Konferenz hat gezeigt, dass eine dauerhafte, nachhaltige und auf Europa orientierte Friedensordnung für diesen Teil Europas niemals hätte umgesetzt
werden können, wenn wir damals gegen Ihren erbitterten
Widerstand nicht eingegriffen hätten.
({1})
Kollege Lamers, Sie haben eine merkwürdige Vorstellung von Kampf. Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut. Sie
meinen, Kampf hieße, mit Horrido und krachendem Gebrüll gegen die Wand zu laufen. Ich sage auch dem Kollegen Hoyer: Wenn die Haushalte immer so aussehen Schimpf und Schande auf diesen Minister -, dann lasse
ich mich gerne von Ihnen am Ende kritisieren. Sie waren
ja selber lange genug in der Regierung. Sie wären damals
heilfroh gewesen, wenn Sie solche Haushälterinnen und
Haushälter gehabt hätten, die Ihnen am Ende eine solch
runde Sache geboten hätten.
({2})
Schmähen Sie also ruhig den Minister!
Kollege Lamers, ich dachte, Sie wüssten um den Wert
von stillem Kampf.
({3})
Sie wissen doch um den Wert von richtigen Bündnispartnern, damit man zu Ergebnissen kommt.
({4})
Ich kann mich bei Frau Titze-Stecher, aber auch bei allen anderen Haushältern der Koalition und der Opposition
nur mit allem Nachdruck für ihre Arbeit bedanken. Das
Ergebnis ist so gut - Sie haben es ja dargestellt: Schimpf
und Schande für den Minister, Lob dem Haushalt -, dass
Sie dem Haushalt, im Gegensatz zur PDS, eigentlich zustimmen müssten, wenn Sie folgerichtig handeln würden.
({5})
Angesichts der knappen Redezeit möchte ich mich
nicht mehr zu den Details des Haushaltes äußern - Frau
Titze-Stecher und andere haben das schon hervorragend
getan -, weil ich gerne zu dem kommen würde, was Kollege Lamers und andere zu politischen Aspekten der Neuorientierung gesagt haben.
Lassen Sie mich aber noch diesen Punkt anfügen: Wir
dürfen jetzt nicht eine neue Royal Commission einsetzen.
Lassen Sie uns die Situation vielmehr sehr sorgfältig bewerten. Wir wollen die Reformen anpacken und sie Anfang des Jahres im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten auf den Weg bringen. Wenn das noch nicht reicht,
müssen wir über die nächsten Schritte diskutieren. Es
wird vermutlich sehr schwer werden, diese Schritte noch
in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Wir haben jetzt
noch ein Jahr Zeit. Dann schließt sich das Wahljahr an, in
dem traditionellerweise nicht mehr allzu viel passieren
wird.
Aber ich registriere hier einen großen Konsens bezüglich eines effizienten, leistungsstarken und hochmotivierten auswärtigen Dienstes. Wenn die Reformmöglichkeiten, die wir haben, nicht ausreichen, dann sollten wir
weitere Schritte überlegen. Wichtig ist aber, dass wir jetzt
die gegebenen Möglichkeiten nutzen, um die Vision von
einem leistungsfähigen und hochmotivierten auswärtigen
Dienst - geprägt von Realismus - umzusetzen.
({6})
Ich sage nochmals allen, die dieses ermöglicht haben,
meinen herzlichen Dank.
Ich würde mir wünschen, dass wir jetzt eine Trendwende hinbekommen. Ich möchte nicht mehr zurückblicken. Es wäre jetzt einfach zu sagen: Was habt ihr alles
abgebaut! Herr Hoyer, Sie wären doch als Staatsminister
damals froh gewesen, wenn Sie das durchgesetzt bekommen hätten, was wir durchgesetzt haben.
({7})
Ich füge aber hinzu, dass ich Kritik als konstruktiven
Beitrag verstehe.
({8})
Manchmal muss man dicke Bretter bohren. Mir liegt eine
polemische Bemerkung auf der Zunge: Angesichts dessen, was man hört, könnte man daran glauben, dass man
im Falle dicker Bretter nur bohren muss. Ob das Bohren
aber die gewünschte Wirkung zeigt, ist eine andere Frage.
Aber ich will diese Bemerkung nicht weiter vertiefen.
Die eingeleiteten Schritte reichen in der Tat noch nicht;
denn die Herausforderungen an das wiedervereinigte
Deutschland mit seinen multilateralen Einbindungen werden in den kommenden Jahren zunehmen, ob uns das gefällt oder nicht. Darauf werden wir uns vorbereiten und
entsprechende Maßnahmen umsetzen müssen. Wenn wir
die Probleme nicht im Rahmen unserer Möglichkeiten angehen, dann werden die Probleme zu uns kommen, was
wir nach Möglichkeit vermeiden sollten.
({9})
- Ich meine nicht die Menschen, sondern die Konflikte,
die dann zu uns kommen.
({10})
- Ich erläutere es Ihnen gleich, Herr Gehrcke.
Kollege Lamers, Sie haben die Frage nach den nationalen Interessen gestellt. Ich finde es immer rührend
- ich weiß, das ist ein hartes Geschäft -, wenn man die Regierung kritisiert, die man doch eigentlich in der Außenund Europapolitik unterstützen müsste. Ich betrachte Ihre
Prüfsteine als eine nur notdürftig kaschierte Zustimmung
zu unserer Politik.
({11})
Herr Kollege Lamers, erst kritisieren Sie uns und dann tragen Sie im Wesentlichen das vor, was wir an Politik gemacht haben. Ich stimme Ihnen völlig zu: Wenn wir über
nationale Interessen reden, dann steht für das wiedervereinigte Deutschland die Schaffung eines vereinten Europas an erster Stelle - nicht nur wegen unserer Mittellage
und der objektiven Bedingungen, die Deutschland sofort
den Nöten aussetzen würde, die eine Koalitionsbildung
gegen uns mit sich bringen würden, und nicht nur wegen
der Zwänge, die sich daraus ergeben, wenn wir in das
alte europäische Staatensystem mit seiner Konkurrenzsituation zurückfallen. Im Rahmen der Europäischen
Union erleben wir, dass dieses System zum Teil noch vorhanden ist. Es ist ja nicht verschwunden. Wir Deutschen
und auch die anderen Europäer haben sich in der Substanz
nicht wirklich verändert. Es ist aufgrund einer historischen und wirklich visionären Entscheidung gelungen,
das System zu ändern und so wegzukommen vom Gleichgewicht der Mächte und dem Konkurrenzkampf der
Mächte mit der hegemonialen Verführung hin zum Europa der Integration.
Die Vollendung dieses Schrittes ist - das gehört dazu,
wenn wir über Leitkultur reden - die Konsequenz unserer
Nationalgeschichte,
({12})
des misslungenen Versuchs des Baus eines Nationalstaates auf Gewalt, des Scheiterns im Verbrechen und schließlich des großen Glücks der Schaffung einer deutschen Demokratie, der Akzeptanz durch die Nachbarn und der Wiedervereinigung. Dem müssen wir jetzt durch die europäische Vereinigung gerecht werden.
Ich weiß, dass es in diesem Haus einen großen Konsens
darüber gibt. Aber wir müssen umgekehrt sehen, dass dieser Prozess auch Verpflichtungen mit sich bringt. Es wird
ihn nicht zum Nulltarif geben. Auf der anderen Seite werden wir am Ende die großen Gewinner sein. Insofern ist
diese ganze Debatte, in der es immer heißt: „Ich bin für
die Osterweiterung, aber ...“, in der immer die Ängste der
Menschen beschworen werden, falsch. Je nachdem, wie
man die Ängste der Menschen aufnimmt, kann man sie
entkräften oder verstärken. Da sehe ich einen wichtigen
Unterschied.
({13})
Wir werden allerdings, Kollege Lamers, nicht darum
herumkommen, uns mit einer gewissen Parallelität auseinander zu setzen. Erst dann, wenn die politische Integration auch die Felder der Außenpolitik umfasst - wann das
sein wird, weiß ich nicht -, wird diese Parallelität aufgebrochen und in einen wirklichen Integrationsprozess verwandelt, wobei dieses heute mit der ESVP teilweise schon
möglich ist. Zumindest in der Zeit, seit ich Verantwortung
trage, konnte ich eine Verdichtung der Interessenabstimmung - nicht der formellen Integration, wobei auch dies
bereits in Ansätzen der Fall ist - im europäischen Rahmen
feststellen. Das ist ein sehr konstruktiver, richtiger Prozess. Auf der anderen Seite werden wir in dem Rahmen
auf nicht absehbare Zeit eine gewisse Parallelität fahren
müssen: europäisch, soweit es nur geht, und national dort,
wo die europäischen Alternativen noch nicht vorhanden
sind.
Mir fällt auf, Herr Kollege Lamers, dass Sie einen
Punkt ausgelassen haben, der zum Verständnis unserer
Außenpolitik sehr wichtig ist, nämlich die Verpflichtung
Deutschlands auf den Multilateralismus. Diese ist nicht
nur eine Sekundärtugend, ein instrumenteller Ansatz. Die
Verpflichtung auf den Multilateralismus ergibt sich aus
unserer Geschichte, aber auch aus unserer aktuellen Interessenlage.
Weiterhin ergibt sich aus unserer Tradition und auch
aus den negativen Seiten unserer Geschichte die Konsequenz der Verpflichtung zum Frieden. Unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts nach dem Ende des Kalten Krieges heißt das für uns, dass wir eine präventive
Friedenspolitik betreiben müssen. In dieser Hinsicht sehe
ich im transatlantischen Bereich in der Tat ein Spannungsverhältnis, da die Europäer eher präventiv denken,
während andere als globale Macht aufgrund ganz anderer
Herausforderungen eher repressiv denken. Wir haben ein
Interesse daran, dass die USA ihre Rolle erfüllen kann.
Aber wir sollten uns diesem Spannungsverhältnis konstruktiv und in solidarischem Geist als Partner stellen. Ich
habe vorhin gesagt, es gibt unabweisbare Situationen, in
denen man zur Erhaltung des internationalen oder regionalen Friedens als Ultima Ratio repressiv tätig werden
muss. Aber umso wichtiger ist es, vorher alles zu tun, um
präventiv zu wirken.
({14})
Auf solche Grundsätze sollten wir uns einigen, Herr Kollege Lamers.
Das Thema NMD möchte ich nur ganz kurz ansprechen. Wenn Sie meinen, wir könnten daraus eine Diskussion à la Nachrüstung machen, dann täuschen Sie sich.
Unsere Haltung ist da viel nüchterner. Ich befürchte nur,
dass wir dann in Zukunft von den präventiven Dimensionen - übrigens genauso, was die Konsequenzen für den
Militärhaushalt betrifft -, auch bei Dingen, bei denen wir
vermutlich gemeinsam der Meinung sind, dass sie gemacht werden müssen, abgelenkt werden.
Diese Debatte sollten wir in Ruhe führen, auch auf der
Grundlage unserer Interessen. Für mich ist von ganz entscheidender Bedeutung, dass wir vorankommen. Sie fragen, wie die Einbindungsstrategien in Zukunft aussehen
werden und behaupten, es mangele uns an Visionen. Diese
Bundesregierung versucht im Rahmen der europäischen
Politik, die Russlandpolitik zu einer strategischen Partnerschaft, zu einer politischen Strategie, aber nicht verengt auf den Begriff der Militärstrategie, auszubauen.
Nicht umsonst hat die Europäische Union die Russlandstrategie und die Ukrainestrategie als die erste gemeinsame Strategie nach dem Amsterdamer Vertrag formuliert. Dies ist alles andere als einfach. Denn wir
befinden uns hier in einer Situation, die sowohl von unseren langfristigen und umfassenden Interessen in Bezug
auf Demokratie, Wirtschaftsreformen, Frieden und Stabilität in Russland - nichts wäre so albtraumhaft wie etwa
ein auch nur regionales Vakuum, das dort entstehen
könnte; das ist übrigens unsere große Sorge im Kaukasus - als auch von den menschenrechtlichen Zielsetzungen geprägt ist.
Wir haben ein großes Interesse daran, die Asienpolitik
voranzubringen. Auf Ihre Frage nach meinen Sorgen antworte ich Ihnen, dass diese vor allen Dingen durch Asien
definiert sind.
Aber über das, Herr Kollege Lamers, was Sie zum Nahen Osten gesagt haben, bitte ich Sie noch einmal nachzudenken. Sie stellen Fragen; aber in diesen Fragen insinuieren Sie.
({15})
Das besondere Verhältnis zu Israel sollten wir nicht als
Last empfinden; davor kann ich nur warnen.
({16})
- Es ging um das Abstimmungsverhalten; ich habe sehr
sorgfältig zugehört. - Herr Kollege Lamers, ich sage Ihnen: Die USA spielen in dieser Region nicht nur kraft ihres Militärpotenzials, ihrer globalen Supermachtrolle und
ihres ökonomischen Potenzials, sondern auch deswegen,
weil Israel den USA vertraut, die entscheidende Rolle. Es
nützt nichts, nur von einer Seite akzeptiert zu werden.
Wenn Sie dort wirklich eine Rolle spielen wollen, müssen
Sie von beiden Seiten akzeptiert werden. Herr Kollege
Lamers, wir haben von der Vorgängerregierung, von der
Regierung Kohl, und diese hat von ihren Vorgängerregierungen, von der Regierung Schmidt und Brandt bis hin zu
Adenauer, ein besonderes Verhältnis zu Israel übernommen, das wir in der Tat pfleglich fortentwickeln sollten.
({17})
Wir werden auf beiden Seiten gehört. Ich kann nur davor warnen, das ändern zu wollen, und zwar nicht nur aus
historischen und moralischen Gründen - das wäre schon
Grund genug -, sondern auch aus ganz handfesten, aktuellen, interessenorientierten Gründen. Wir können unsere
Möglichkeiten nutzen und das tun wir; aber wir sollten
uns nicht überschätzen.
Herr Minister, Sie
dürfen zwar so lange sprechen, wie Sie möchten. Aber ich
möchte darauf hinweisen, dass Sie schon vier Minuten
länger sprechen, als wir alle das möchten.
({0})
Frau Präsidentin, ich nehme diesen Hinweis auf und
werde innerhalb der nächsten Minuten zum Schluss kommen. Aber da dieses Thema nun einmal von meinen Vorrednern angesprochen wurde, muss ich die Gelegenheit
nutzen, dazu Ausführungen zu machen, damit mir nicht
wieder Seelenlosigkeit oder eine mangelnde Sicht der
Dinge im Hinblick auf eine visionäre Perspektive vorgeworfen wird.
({0})
- Nein, das mit der Seele hat nicht getroffen. Sie hätten
mich getroffen, wenn Sie mir Geistlosigkeit oder Hirnlosigkeit vorgeworfen hätten. Sie haben eine so beseelte
Rede gehalten, dass ich einfach nicht mithalten kann; das
muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen.
Herr Kollege Rühe, ich war doch über die Debatte neulich nicht deshalb enttäuscht, weil wir diese Debatte geführt haben. Ich war über die Form dieser Debatte enttäuscht. Ich stimme allen zu - Kollege Klose hat gestern
dazu eine bewundernswerte Rede gehalten, wozu ich ihm
gratulieren möchte -,
({1})
die eine Debatte - und nicht nur eine innerhalb von zehn
Minuten - über die zukünftige deutsche Außenpolitik,
über unser Verhältnis zu Interessen und über die Definition unserer Interessen führen wollen. Wer in diesem Zusammenhang die historische Dimension ausblendet, der
wird sich sehr schnell in den Finger schneiden.
Auch in der Europapolitik gibt es Fragen, die wir nicht
ausdiskutiert haben. Es gibt immer noch Fragezeichen,
was die Rolle des vereinigten Deutschlands in Europa betrifft. Das wissen Sie so gut wie ich. Das weiß jeder von
den Außenpolitikerinnen und Außenpolitikern. Wie gehen
wir mit Russland um? Wie verfahren wir bei der sehr
schwer zu beantwortenden Frage des transatlantischen
Verhältnisses? Wie gehen wir in Bezug auf Afrika vor?
Zu Afrika möchte ich noch diesen einen Satz sagen:
Ich halte die Entwicklung in Subsahara-Afrika für viel zu
bedeutend und, wenn sie schief geht, auch für unsere Sicherheit für viel zu gefährlich, als dass wir es uns leisten
könnten, uns nicht intensiver darum zu kümmern. Genau
das habe ich getan und will ich auch in Zukunft tun.
({2})
Herr Kollege Lamers, zu dem, was Sie zum Thema
Balkan gesagt haben - ich kann darauf nicht vertieft eingehen; ich möchte Sie jedoch vor einem weiteren Irrtum
warnen -, kann ich Ihnen nur so viel sagen: Wir sollten
nicht den Eindruck erwecken, als wenn wir von Berlin aus
sozusagen im Stil des Berliner Kongresses des späten
19. Jahrhunderts Balkanlösungen produzieren. Mir geht
es vielmehr darum, dass wir das gemeinsam mit unseren
Partnern in einem langen Atem tun. Der Stabilitätspakt
bietet dafür eine gute Voraussetzung. Eine Weiterentwicklung des Stabilitätspaktes setzt erst einmal voraus,
dass die erste Stufe funktioniert. Die jetzige Strategie der
Heranführung an die Europäische Union, wie sie in Zagreb verabschiedet wurde, ist eine zweite gute Plattform.
Wenn dies in der Zukunft in eine vertiefte institutionelle
Bindung zusammengeführt würde, wird das gut sein. Wir
sind die Letzten, die die nötigen Ideen dafür nicht erarbeiten werden. Aber ich warne davor, den jetzt eingeschlagenen Weg vorausgreifend infrage zu stellen. Es
setzt lange Verpflichtungen voraus, auch militärisch.
Die USA begannen 1946 im Kongress die Diskussion
über die Exit-Strategie in Europa. Bis heute sind die USA
wichtiger zentraler Partner der europäischen Sicherheit,
auch durch Truppen auf unserem Kontinent, und sie werden es auch in Zukunft sein. Das heißt nicht, dass wir auf
dem Balkan eine ähnlich lange Perspektive brauchen.
Aber es zeigt, wie wichtig es manchmal ist, in historischer
Perspektive die notwendige Kraft zu haben, sich langfristig zu engagieren. Gerade der Balkan macht klar: Unsere
Generation hat jetzt die Gelegenheit, dort eine dauerhafte,
nach Europa orientierte Friedensordnung zu erreichen.
Ich möchte mich bei allen nochmals recht herzlich bedanken, auch im Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes sowie der Botschaften und Generalkonsulate. Ich würde mich freuen, wenn der eine oder andere
aus der Opposition, der gerne zustimmen würde, sein
Herz über die Hürde wirft und zustimmt.
Danke.
({3})
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! „Halb voll und auch halb
leer“ - so wenig optimistisch überschrieb die „Frankfurter Rundschau“ gestern ihren Kommentar zur Kompromissfindung der EU-Finanzminister bei der Zinsbesteuerung. Denn was die Minister ausgehandelt haben, steht
zunächst nur auf dem Papier. Die Vereinbarung ist abhängig davon, ob sich Drittländer wie die Schweiz, Liechtenstein oder die USA zu gleichwertigen Steuermaßnahmen
überreden lassen. Wie realistisch es ist, das tatsächlich zu
erreichen, können wir uns selbst ausrechnen, nämlich so
gut wie gar nicht.
Halb voll und auch halb leer - diese Überschrift könnte
derzeit leider über fast allen wichtigen Projekten der Europäischen Union stehen, leider auch über einem Projekt
Europas, das uns allen hier ganz besonders am Herzen
liegt; Michael Glos hat es heute Morgen schon angesprochen. Es geht um unsere gemeinsame Währung, den
Euro.
({0})
Mit einem starken Kurs von 1,17 US-Dollar startete
der Euro am 1. Januar 1999. Das war noch das Ergebnis
der Wirtschafts- und Finanzpolitik und der Europapolitik
der CDU.
({1})
Zwei Monate Rot-Grün haben nicht ausgereicht, um die
Währung schwach zu machen. Aber zwei Jahre Rot-Grün
haben zu einer Talfahrt unserer europäischen Währung
geführt. Gestern lag der Schlusskurs bei 85 Cent.
({2})
Eines ist doch klar: Die Stabilität der europäischen
Währung hängt nicht von der luxemburgischen Volkswirtschaft ab, sondern immerhin mindestens zu einem
Drittel von der Entwicklung in Deutschland. Mittlerweile
ist auch die innere Stabilität des Euro bedroht.
({3})
Hohe Rohstoffpreise und preistreibende neue Steuern wie
die Ökosteuer haben die Inflation ansteigen lassen. Eurostat meldet - das finde ich besonders beunruhigend -,
dass Deutschland zu den Ländern mit dem relativ größten
Anstieg der Inflationsrate zählt: Sie hat sich nämlich von
0,9 Prozent im September 1999 auf 2,4 Prozent im September 2000 erhöht. Die Verbraucher zahlen die Zeche für
den schwachen Euro.
({4})
Wir haben uns die Inflation ins Land geholt und der Bundeskanzler und Sie, Herr Außenminister, wollen uns weismachen, dass dies gut für unsere Wirtschaft ist. Ich sage
Ihnen: Das ist völliger Unsinn.
Was ein schwächerer Euro bedeutet, haben Sie jetzt an
Ihrem eigenen Haushalt erlebt. Wir haben uns vorhin
schon darüber unterhalten, dass durch die Wertstellung in
Dollar die Pflichtbeiträge gestiegen sind. Sie müssen also
auch bei Ihrem Haushalt den Preis zahlen für den
schwächeren Euro.
Die Regierungen in der Europäischen Union sind aber
mit Schuldzuweisungen recht schnell bei der Hand - man
ist es ja nie selber - und schon wurde der EZP-Präsident
Wim Duisenberg als Schuldiger ins Visier genommen. Ich
kann Ihnen eines sagen: Er ist für die Entwicklung des
Euro in den zurückliegenden Monaten genauso wenig
verantwortlich wie beispielsweise der Chef von VW für
den Zustand der Straßen, für Schlaglöcher und Ähnliches.
Die Ursachen liegen doch ganz woanders.
Da gibt es zum Beispiel den Reformstau in den Volkswirtschaften der Europäischen Union. So sagt der Bundesverband der Deutschen Industrie in seiner wirtschaftspolitischen Zwischenbilanz zum Thema zwei Jahre
rot-grüne Bundesregierung - ich kann Ihnen nur empfehlen, diese zu lesen - Folgendes:
Die andauernde Euro-Schwäche spiegelt ... nicht zuletzt den weiterhin enormen Reformbedarf in
Deutschland und anderen wichtigen Ländern der EU
wider.
({5})
Die linken Regierungen Europas versagen vor der historischen Aufgabe, Europa fit zu machen für das 21. Jahrhundert.
({6})
- Hören Sie mir zu! - Nicht von ungefähr liegen Deutschland und Frankreich unter dem EU-Wachstumsdurchschnitt im Jahr 2000, die christdemokratisch geführten
Länder Spanien und Österreich unter den Regierungen
von Aznar und Schüssel dagegen darüber.
({7})
Die Ursachen dafür liegen ganz klar in der Wirtschaftsund Finanzpolitik dieser Länder.
({8})
Noch eine andere Ursache spiegelt sich in der EuroSchwäche wider: Die Investoren haben wenig Vertrauen
in die politische Handlungsfähigkeit der Europäischen
Union. Das ist für mich persönlich das Enttäuschende.
Gleich welches Projekt in den vergangenen zwei Jahren
von der Europäischen Union angegangen worden ist
- hier kann ich die Agenda 2000 oder die Vorbereitungen
zur Osterweiterung nennen und beim Gipfel von Nizza
steht das Gleiche zu befürchten -, jedes Mal ist nichts
Halbes und nichts Ganzes herausgekommen. Es ist auf jeden Fall nichts herausgekommen, was das Vertrauen in
die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union und damit in den Euro stärken würde. Daran, Herr Außenminister, tragen Sie erhebliche Schuld.
({9})
Ich möchte noch ein weiteres Beispiel für die nicht sehr
ausgeprägte Handlungsfähigkeit der Europäischen Union
nennen. Das ist die Verwirklichung des Binnenmarktes.
Noch unter CDU-Verantwortung wurden die Energie- und
Telekommunikationsmärkte liberalisiert, und zwar mit
positiven Auswirkungen für die Verbraucher. Davon profitieren Sie nun ja auch sehr stark.
Meinem Kollegen Christian Schwarz-Schilling verdanke ich den Hinweis, dass die Liberalisierung des
Briefverkehrs nun ins Stocken geraten ist. Sie wollen in
Brüssel klammheimlich - unter Ausschluss der Öffentlichkeit - die Festigung des Briefmonopols für weitere
sieben Jahre durchsetzen. Auch das muss hier thematisiert
werden.
({10})
Deutschland war immer Schrittmacher in der Europäischen Union, was Reformen, Liberalisierung und Privatisierung anging, und jetzt blockieren wir die Entwicklung
zu weiterer Liberalisierung.
({11})
Die fehlende Bereitschaft, Vertrauen zu schaffen und
Veränderungen herbeizuführen, gibt es noch woanders:
Jahr für Jahr beklagen wir den erheblichen Missbrauch
von EU-Geldern. Jahr für Jahr veröffentlicht der Europäische Rechnungshof seine Berichte und Jahr für Jahr
stellen wir fest, dass in 80 Prozent der Missbrauchsfälle
die Mitgliedstaaten selbst verantwortlich sind, weil beispielsweise die Zölle nicht ordentlich einbehalten wurden, weil Flächen und Tierzahlen manipuliert wurden
usw.
Nun gibt es gute Vorschläge - Sie kennen sie - des Europäischen Parlaments, wie der Verschwendung von EUGeldern besser begegnet werden kann. Wir müssten - mit
18,5 Milliarden DM sind wir schließlich der größte Nettozahler in der EU ({12})
ein hohes Interesse daran haben, diese Missstände abzuschaffen. Dazu müsste der Europäische Rechnungshof
größere Möglichkeiten zur Ermittlung bekommen. Aber
was passiert? Das Desinteresse des Kanzleramts und das
Desinteresse Ihres Hauses, Herr Außenminister, haben
verhindert, dass wirksame neue Instrumente geschaffen
werden konnten. Deshalb sind Sie dafür mitverantwortlich, dass die Verschwendung von Geldern innerhalb der
Europäischen Union nicht aufhört.
({13})
Nach zwei Jahren Rot-Grün hat die Politik „Nichts
Halbes und nichts Ganzes“ jetzt leider auch die Bevölkerung erreicht. Besonders erschreckend ist dabei die
Einstellung der jungen Menschen zu Europa. Die ShellUrsula Heinen
Jugendstudie, die vor einigen Monaten veröffentlicht
worden ist, kommt zu dem Ergebnis:
Europa lässt die Jugend kalt.
({14})
- Ich würde darüber nicht so lachen, weil es ein sehr ernstes Thema ist, wenn junge Menschen gegenüber Europa
skeptisch sind.
In der Shell-Jugendstudie heißt es weiter:
Der Trend zu einer negativen Bewertung Europas,
auch bei der jungen Generation, nimmt zu.
Dieses Ergebnis, meine ich, müsste Sie nun wirklich aufrütteln.
({15})
Ich kann mir im Interesse unserer europäischen Zukunft nur wünschen: Nehmen Sie die Menschen mit, nehmen Sie vor allem die jungen Menschen mit! Machen Sie
eine vernünftige, eine klare Politik in Europa! Und sehen
Sie zu, dass wir zu wirklichen Ergebnissen kommen! Dabei unterstützen wir Sie selbstverständlich.
({16})
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Marion Caspers-Merk, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin
Heinen, nichts Halbes und nichts Ganzes - das ist die passende Überschrift für Ihre Rede, Frau Kollegin;
({0})
denn ich habe Sie als europabewegte Parlamentarierin
kennen gelernt, aber die europäische Wirklichkeit haben
Sie in Ihrer Rede nicht abgebildet.
({1})
Ich finde es schon eigenartig. Sie sind, wenn ich mir
die Situation in Ihrer Fraktion so ansehe, was die europapolitische Einschätzung vieler einzelner Projekte und Gesetze, aber auch die Europapolitik generell anbetrifft, weder Fisch noch Fleisch. Sie haben es doch noch nicht
einmal in Ihrer eigenen Fraktion durchsetzen können,
dass es zu dem entscheidenden Projekt einer Grundrechte-Charta einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen dieses Hauses gibt. Es ist schon schlimm, dass im
Prinzip in München Stopp gesagt wird und sich daraufhin
eine ganze Fraktion bei einem so wichtigen Projekt mit
den anderen Fraktionen nicht auf einen gemeinsamen
Text einigen kann.
({2})
Sie haben hier den Reformstau beklagt, Frau Kollegin
Heinen. Wer hat denn den Reformstau aufgelöst? Was
haben wir denn vorgefunden?
Sie haben hier auch unsere Nettozahlerrolle kritisiert,
aber Sie vergaßen zu erwähnen - vielleicht hat man Ihnen
auch nicht gesagt, wie die Situation war, bevor Sie in das
Parlament gekommen sind - dass unsere Nettozahlungen
von dieser Bundesregierung deutlich abgesenkt wurden,
nämlich von 23 Milliarden DM auf 18 Milliarden DM.
({3})
Das muss auch einmal gesagt werden; denn sonst entsteht
hier ein völlig falsches Bild.
Sie haben das Thema der Liberalisierung der Stromund Telekommunikationsmärkte angesprochen. Richtig
ist, beide Marktbereiche wurden liberalisiert. Richtig ist
auch, dass beides für den Kunden attraktiver und billiger
geworden ist.
({4})
Aber was haben wir zu beklagen? Wir haben zu beklagen, dass während Ihrer Regierungszeit der Wirtschaftsminister - damals hieß er noch Rexrodt; vielleicht erinnert
sich der eine oder andere an den Herrn
({5})
nicht durchgesetzt hat, dass gleichzeitig die Energiemärkte in Frankreich liberalisiert werden. Diesen Zustand haben wir vorgefunden.
({6})
Das heißt, es ist nicht gelungen, das umzusetzen, was uns
allen eigentlich ein Anliegen sein müsste, nämlich zum
Beispiel dass grüner Strom eine europaweite Kennzeichnung hat. Es ist nicht gelungen, hier in einem Konsens
weiterzukommen.
Wenn Sie sagen, eine Liberalisierung sei positiv zu bewerten, dann verstehe ich die Bayerische Staatsregierung
in Bezug darauf, wie sie sich zum Thema Kommissionsmitteilung, Wettbewerb und Daseinsvorsorge verhält,
nicht.
({7})
Diese Bundesregierung hat erreicht, dass es eine neue
Kommissionsmitteilung gibt. Mit dieser Kommissionsmitteilung wird etwas umgesetzt, was wir schon immer
gefordert haben: Das Thema Daseinsvorsorge wird als
Kernbereich des europäischen Gesellschaftsmodells anerkannt.
({8})
Dies brauchen wir, damit unsere Kommunen, unsere Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker wissen, dass
es Rechtssicherheit, dass es Verhandlungssicherheit gibt.
Gerade die von Ihrer Partei regierten Bundesländer haben
immer gefordert, es solle eine Kommissionsmitteilung zu
diesem Themenbereich geben.
Was macht nun - zwei Tage, nachdem die Kommissionsmitteilung am 20. September vorgelegt worden ist die Bayerische Staatsregierung? Sie weiß schon wieder,
dass diese Kommissionsmitteilung nicht weit genug geht.
Sie spricht sich also gegen eine weitere Liberalisierung
aus und fordert von uns eine Vertragsänderung. Das nenne
ich eine sehr unehrliche Politik: Das, was hier gelungen
ist, nämlich in einer Kommissionsmitteilung der Daseinsvorsorge einen entscheidenden Stellenwert zu geben und
die Rechtssicherheit zu verankern, wird überhaupt nicht
anerkannt. Stattdessen wird eine Vertragsänderung verlangt.
Das heißt: Sie sind sich in der Europapolitik nicht einig. Sie haben keine Richtung. Sie wissen noch nicht, wie
die Diskussion in Ihrer Fraktion ausgehen wird, ob sich
diejenigen durchsetzen, die mit uns die gemeinsame
Grundlage der Europapolitik gelegt haben, oder ob die
Hardliner aus München gewinnen, die Europa im Prinzip
zum Abschuss freigeben.
({9})
Besonders in einem Wahlkreis mit Außengrenzen zu
Europa - zur Schweiz und zu Frankreich - gilt, was die
Kollegin Heinen sagte, dass das Thema Europa und vor
allem die Ernüchterung von Europa für die Bürgerinnen
und Bürger eine Rolle spielt. Sehen wir uns die Lokalpresse von heute an! Sie ist voll von europakritischen
Überschriften, die alle mit dem BSE-Skandal zu tun haben. Drei Dinge werden als Vorwurf geäußert: Erstens.
Keine Transparenz in den Entscheidungen. Zweitens. Es
werde zu unflexibel, zu bürokratisch und damit zu langwierig gehandelt. Drittens. Es gebe keine Ausrichtung an
einer effizienten Verbraucherpolitik, einer Politik für den
Menschen.
Führen wir uns die Skandale und ihre Geschichte einmal vor Augen: Es ist richtig, dass in Europa zu spät auf
BSE reagiert wurde. Wenn man sich überlegt, dass es 1988
die ersten Fälle gab und erst 1994 die ersten Reaktionen
darauf einsetzten, sieht man, dass das deutlich zu lange ist.
Auch sind die Verordnungen uneinheitlich umgesetzt worden. Bei uns ist die Verordnung zur Rindfleischetikettierung teilweise umgesetzt worden, in anderen europäischen Ländern gar nicht. - Die Bürgerinnen und
Bürger haben kein Verständnis dafür, dass der Verbraucherschutz deutlich geringere Aufmerksamkeit findet als
die Landwirtschaft. Ich glaube, wenn wir Zustimmung zu
Europa erreichen wollen, dann muss die Verbraucherpolitik einen deutlich höheren Stellenwert als in der Vergangenheit erhalten.
({10})
Nachdem wir nun reagiert haben, indem wir - das
wurde heute Morgen schon erläutert - auf nationaler
Ebene einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, brauchen
wir eine weiter gehende Initiative auf europäischer Ebene.
Wir brauchen ein gemeinschaftsweites Verfütterungsverbot von Tiermehl. Dies muss im Dezember im Agrarrat
eingebracht und durchgesetzt werden.
({11})
Ich würde mich freuen, wenn Sie unsere Politik unterstützen und es nicht wieder hinten herum kritische Stimmen aus Bayern gibt, dass die Regelungen zu weit gingen
und wir dies im Interesse der Landwirtschaft nicht
bräuchten. Seien Sie hier geradlinig und nachvollziehbar!
Sorgen Sie dafür, dass die Interessen des Verbraucherschutzes höher gehängt werden!
({12})
An dem Beispiel BSE sieht man, warum die drei Kernbereiche des Nizza-Prozesses für uns so wichtig sind.
Worum geht es bei diesen institutionellen Reformen?
Erstens. Wir wollen, dass das Einstimmigkeitsprinzip in
der Regel in Mehrheitsentscheidungen umgewandelt
wird. Zweitens. Wir wollen eine verstärkte Zusammenarbeit innerhalb Europas. Drittens. Wir wollen eine handlungsfähige Kommission.
An allen drei Punkten kann man durch den BSE-Skandal deutlich machen, dass es wichtig ist, diese Reformen
in Nizza umzusetzen:
Erstens. Wir brauchen beim Verbraucherschutz eine
deutliche Änderung Richtung Mehrheitsentscheidungen.
Es kann nicht sein, dass der Letzte im Geleitzug bestimmt,
wie die Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa geschützt werden.
({13})
Zweitens. Wir brauchen für die Länder in der Gemeinschaft, die beim Verbraucher- und Umweltschutz deutlich
mehr als andere tun wollen, eine verstärkte Zusammenarbeit. Das ist ein wichtiger Punkt, der zu einer höheren Akzeptanz bei der Bevölkerung führt.
Drittens. Eine handlungsfähige Kommission bedeutet
für uns eine Kommission, in der es keine Scheinzuständigkeiten gibt. Sie muss durchsetzungsfähig sein. Ich
halte es für ein Unglück, dass im Prinzip immer noch
Verbraucherinteressen als Querschnittsaufgabe im Prinzip immer noch zu kurz kommen. Wenn Sie sich einmal
die Gewichtung in der Kommission ansehen, dann werden Sie feststellen, dass die Wirtschafts- oder die Landwirtschaftspolitik einen ganz anderen Stellenwert hat.
Hier muss es zu einer deutlichen Stärkung der Verbraucherinteressen kommen.
Insgesamt müssen wir alle die Europapolitik als Herausforderung begreifen, um Umweltstandards und Verbraucherschutz in Zukunft ein stärkeres Gewicht zu geben.
Ich glaube, diese Bundesregierung hat dafür gesorgt,
dass gerade diese Themen bei der Außen- und Europapolitik nicht zu kurz kommen. Unsere Politik ist richtungssicher. Deswegen fordere ich Sie auf: Sorgen Sie in Ihren
Reihen für einen klaren Kurs! Sorgen Sie dafür, dass sich
der Europaskeptizismus aus München nicht durchsetzt!
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat der Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Die Geschäftsordnung kennt er, der Herr Außenminister:
Zehn Minuten Redezeit hatte er, 19 Minuten hat er geredet. Noch eine Minute länger und ich hätte für unsere
Fraktion das eine oder andere von seinen Überlegungen
- es sollte wohl eine Grundsatzrede sein - ausführlicher
kommentieren können. Ich muss das jetzt in der knappen
Zeit, die mir zur Verfügung steht, versuchen.
Aber vorneweg etwas zur Kollegin Caspers-Merk: Es
ist ja nett, wenn Sie - wie die bayerische SPD seit Jahrzehnten - versuchen, sich an der CSU abzuarbeiten. Aber
so wenig wie die SPD in Bayern damit Erfolg hat, so wenig hatten Sie jetzt Erfolg. Gerade die Punkte, die Sie ansprachen, Frau Kollegin - das wissen Sie ja -, zeugen
doch nicht von Euroskeptizismus. Sie sind vielmehr der
Nachweis dafür, dass Dinge durch kritische Begleitung
nach vorne gebracht werden.
Wenn Sie bei der Grundrechte-Charta von einer
Blockade sprechen, kann ich Sie nicht verstehen. Sie haben unseren Antrag nicht gelesen. Wir haben doch zu dieser Frage Stellung bezogen, natürlich auch dazu, welche
Rechtswirkungen die Grundrechte-Charta erzeugt, wenn
sie nur als feierliche Erklärung oder aber als Vertragsbestandteil verabschiedet werden würde. Wir haben das
klargestellt; dazu musste etwas gesagt werden.
Zum Thema Daseinsvorsorge: Ich weiß nicht, ob die
Bundesregierung von sich aus den Eifer entwickelt hätte,
diese Problematik europaweit zu diskutieren und von der
Kommission Reaktionen erhalten hätte, wenn nicht vorneweg der Freistaat Bayern und die Bundesländer insgesamt die Sorge geäußert hätten, dass wir hier auf europäischer Ebene überziehen.
Ich erinnere nur an die Frage der kommunalen Wasserversorgung und an die Bereiche, die enorme Schwierigkeiten gerade aus ökologischer Sicht und aus Sicht des
Verbraucherschutzes mit sich bringen. Wenn Sie Mehrheitsentscheidungen im Bereich des Verbraucherschutzes
einfordern, dann, so glaube ich, können und müssen wir
selbstverständlich darüber reden.
Zur Frage der Finanzierung der europäischen Haushalte und zur Frage der Nettozahlerrolle: In der Agenda
2000 ist unserer Meinung nach eine Riesenchance vertan
worden. Die Frage der komplementären Finanzierung ist
immer noch offen. Sie ist, wie Sie wissen, von unserer
Seite aus Rücksicht auf Frankreich überhaupt nicht angesprochen worden. Aber hier war die Rücksichtnahme
falsch.
Zur Kompetenzabgrenzung: Es ist jetzt allgemein anerkannt, dass man eine Kompetenzabgrenzung braucht.
Aber ich kann mich noch erinnern, wie Edmund Stoiber
vor zwei Jahren beschimpft worden ist, als er diese gefordert hat. So schlecht kann das also nicht gewesen sein,
Herr Kollege; denn ihr seid ja zwischenzeitlich auch
dafür. Das, was ihr tut, ist richtig: Ihr vollzieht nach, was
die CSU vordenkt. Wenn ihr auf diesem Weg bleibt,
kommt ihr voran.
({0})
Der Herr Außenminister hat genau hingehört. Bei der
Nacharbeit unserer Debatte von vor zwei Wochen habe
ich festgestellt, dass er nichts anderes gesagt hat. Herr
Minister, Sie haben gesagt: Eigentlich bin ich ja mit vielem in Ihrem Antrag einverstanden; wir liegen gar nicht so
weit auseinander.
({1})
- Das haben Sie nicht gesagt? Habe ich das hineininterpretiert? Ich habe Sie für vernünftiger gehalten, als Sie es
offensichtlich in Ihrer Rede waren.
Worauf kommt es denn an bei der Frage, wie Außenpolitik gestaltet werden soll? Es kommt natürlich auf die
großen, langfristigen Linien an. Diese sind in der Tat vorgegeben, weil sie oft einer sich nicht ändernden Interessenlage entsprechen.
Ich will durchaus zugeben, dass das, was Sie zum
Thema Naher Osten und Israel gesagt haben, von mir
geteilt wird. Hier ist Kontinuität gefragt. Auch das, was
Sie gestern zur Frage der Osterweiterung der Europäischen Union in Bezug auf die Vorarbeiten der Regierung
Kohl gesagt haben, kann ich nur unterstreichen.
Bei Ihrer Außenpolitik wird es aber immer dann problematisch, wenn die Ideologie mit ins Spiel kommt,
wenn Sie den Pfad einer langfristigen Orientierung verlassen, wenn Zucker an die grünen Parteitage verteilt werden muss und wenn die Kompromisse der Koalitionsvereinbarungen - wider besseres Wissen und besseren Rat
aus dem Auswärtigen Amt bzw. von neutralen, nicht der
Partei zugehörigen Beobachtern der Szenerie - umgesetzt
werden sollen. Ich nenne als Beispiele das völlig aus der
Luft gegriffene Problem eines nuklearen Ersteinsatzes,
das bei den Alliierten eine große Verunsicherung erzeugt
hat, sowie die Frage der Durchsetzung von Menschenrechten in der Außenpolitik, wie wir es in Tschetschenien,
Nordkorea und nicht zuletzt in Afrika erleben können.
Wenn ich über die Afrikareise lese, dass man mit Herrn
Kagame, dem ruandischen Präsidenten, der politisch
nicht gerade friedlich gesonnen ist - um es vorsichtig zu
formulieren - zur Guerilla-Beobachtung geht, dann halte
ich solche Zugeständnisse angesichts von Spielräumen,
die man nur vorgibt zu haben, die man aber in Wirklichkeit nicht hat oder nicht in Anspruch nehmen will, für problematisch.
In der Außenpolitik besteht ein Problem fehlender
Konvergenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen den langfristigen Vorgaben, denen die Regierung
durchaus in gewisser Hinsicht folgt, und „Ausreißern“,
bei denen man fragen muss: Ist das jetzt wieder der alte
Fischer, der eigentlich dasitzen müsste und gelegentlich
Zwischenrufe macht? Das ist ein Problem, über das wir
reden müssen.
({2})
Vorhin ist über die Seele gesprochen worden. Irgendwann wird der Außenminister seine Memoiren schreiben,
beginnend mit dem November 2002, unter der Überschrift: „Amt essen Seele auf.“
({3})
- Auch Fassbinder gehört - ebenso wie Sergeant Pepper
und Entenhausen im kulturpolitischen Szenario von
Joschka Fischer vorkommen - zur deutschen Kultur.
Christian Schmidt ({4})
Wenn die Frage nach der Zukunft der Außenpolitik gestellt wird, geht es auch um das Problem, was diejenigen
machen, die auf diesem Feld arbeiten. Damit meine ich
nicht diejenigen, die bei Gelegenheit zu ihrer Ideologie
gekommen sind, wie zum Beispiel Herr Schmierer, ein
früheres KBW-Mitglied aus alten Frankfurter Tagen, und
einige andere Genossen, deren Bonität sehr zweifelhaft
ist. Es geht um einen soliden auswärtigen Dienst, der
sich darauf verlassen kann, dass er, Frau Titze-Stecher,
vom Bundestag nicht im Stich gelassen wird. Ich will das
durchaus anerkennend sagen, auch im Namen des Kollegen Frankenhauser, dem Sie freundlicherweise Grüße
übermittelt haben. Wir können uns dem nur anschließen.
Er ist schwer gestürzt und muss zwar noch einige Zeit liegen, ist aber auf dem Weg der Besserung und wird bald
wieder unter uns sein.
({5})
Wir müssen im Sinne des auswärtigen Dienstes, den
wir nicht verhungern lassen wollen, da und dort Akzente
setzen. Nun sind die Akzente aber nicht ganz so positiv
ausgefallen. Das ist in erster Linie eine Folge des Haushaltskorsetts. Der nominale Anstieg des Haushaltsansatzes resultiert nur aus den höheren Mitgliedsbeiträgen an
die Vereinten Nationen durch den schwachen, heruntergeredeten Euro, da die Beiträge auf Dollarbasis abgerechnet
werden. Wenn Frau Albright der Meinung ist, wir sollten
über die Höhe unseres Beitrags an die Vereinten Nationen
nachdenken, erlaube ich mir, zu sagen, dass wir darüber
- unabhängig von der Regierung, der Administration in
Washington - erst dann reden können, wenn alle amerikanischen Beiträge an internationale Organisationen ordentlich bezahlt worden sind.
({6})
- Ja, eine Erhöhung kommt überhaupt nicht in Frage.
Wir brauchen eine konstruktive Begleitung der Reform
des auswärtigen Dienstes. Ich habe aber Angst, dass daraus nicht sehr viel werden wird. Wenn Sie sagen: „Wir
werden das bis Januar mit Bordmitteln machen und dann
wird in dieser Legislaturperiode nichts mehr laufen“,
empfinde ich das als zu kurz gesprungen.
Sie haben ein verklausuliertes Angebot des Haushaltsausschusses erhalten, diese Maßnahmen zu begleiten. Sie
brauchen vermutlich eine Änderung des Gesetzes über
den auswärtigen Dienst. Sie brauchen eine neue Leitbildbestimmung,
({7})
die den Kommunikationswegen des 21. Jahrhunderts
und dem, wie man heutzutage Kommunikation betreibt,
adäquat ist. Ich stimme zu, dass der klassische diplomatische Dienst darunter nicht leiden darf. Er wird Zusatzaufgaben und zum Teil veränderte Aufgaben bekommen. Das
muss sich auch in der Rekrutierung niederschlagen. Wir
müssen über die Frage reden, inwieweit es Seiteneinsteiger geben kann. Ich meine jetzt nicht diejenigen, die von
der Friedrich-Ebert-Stiftung hineinkommen, sondern ich
meine die, die von außen kommen und qualifiziert und
unabhängig sind; denn wir brauchen für diesen und jenen
Bereich Sachverstand, wir brauchen Leute im auswärtigen Dienst, die unser Land über den klassischen Bereich
hinaus vertreten können; hierfür reichen die bisherigen
Instrumentarien nicht aus. Wir reichen unsere Hand für
eine gemeinsame Arbeit an dieser Frage. Aber das Konzept, das bisher vorliegt, reicht hierzu nicht aus.
Wie war das mit dem Wasserglas? Halb voll oder halb
leer? Momentan hat es den Anschein, dass es, ideologisch
gesehen, ganz leer ist und dass es, strukturell gesehen,
halb voll ist, so wie die gestrige Regierungserklärung des
Bundeskanzlers: halb vorgelesen, halb frei gehalten,
nichts Falsches, nichts Richtiges, eine Pflichtübung.
({8})
Ich ermuntere uns, dass wir die Außenpolitik mehr in
den Mittelpunkt stellen. Sie hat es verdient. Sie ist wichtig. Ein Land, das nicht mehr so groß wie Frankreich und
England ist, sondern das 20 Millionen Einwohner mehr
hat, muss von sich aus dafür Sorge tragen, dass europäischer Multilateralismus verhindert wird, dass sich all die
schrecklichen Dinge, die im 20. Jahrhundert vorgekommen sind, niemals wiederholen. Es ist keineswegs so, dass
diese Gefahren völlig ausgeschlossen wären.
Frau Kollegin Titze-Stecher, Sie haben einem einzigen
Antrag der Opposition zugestimmt. Das ist uns zu wenig.
Deswegen werden wir den Haushalt insgesamt ablehnen.
Das Thema Kriegsgräberfürsorge ist in der Tat ein
wichtiger Punkt.
({9})
Versöhnung über den Gräbern, wissen und erkennen, wohin Politik führt, die die Bindungen an Demokratie, Vernunft und Menschlichkeit vergisst - das ist der Weg, den
auch der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge beschreitet. Dies ist uns Mahnung genug, vernünftige
Außenpolitik zu betreiben. Sorgen Sie für ausreichend
Geld und für eine gute Umsetzung! Lassen Sie die Ideologie beiseite! Dann können wir über alles Weitere reden.
Herzlichen Dank.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich habe unterstellt, dass das Haus damit
einverstanden ist, wenn ich dem Redner der CDU/CSU
ein wenig Luft lasse, weil der Herr Minister ein bisschen
länger geredet hat. Dass es nun gleich drei Minuten wurden, Herr Kollege, war nicht beabsichtigt. Aber damit haben wir, denke ich, einen Ausgleich geschaffen.
Ich erteile nun dem Kollegen Volkmar Schultz, SPDFraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man der
Debatte aufmerksam zugehört hat, muss man feststellen:
Die Opposition ist eigentlich den Beweis schuldig geblieChristian Schmidt ({0})
ben, dass sie eine Alternative zur Außenpolitik der Bundesregierung hat.
({1})
Ich habe bei keinem Ihrer Redner etwas anderes verspüren können. Vielleicht ist ja auch etwas Gutes daran.
Ich möchte jetzt nicht mehr auf den Haushalt eingehen.
Frau Titze-Stecher, Frau Grießhaber und andere haben
ausführlich über die einzelnen Positionen im Haushalt
und deren politische Bedeutung gesprochen. Aber ich
möchte eine Bemerkung von Herrn Lamers aufnehmen,
die er zu Beginn der Debatte über den Einzelplan 05 gemacht hat. Er hat gesagt, wir müssten intensiv auch über
die Zukunft der transatlantischen Beziehungen nachdenken. Das ist richtig. Herr Kollege Lamers, ich will Ihnen nur sagen: In dieser Frage gibt es keinen grundsätzlichen Dissens zwischen den Christdemokraten und den
Sozialdemokraten.
({2})
Wenn wir aber die Zukunft der transatlantischen Beziehungen ernsthaft diskutieren, müssen wir es anders machen als Herr Rühe mit seinen Kassandra-Rufen vor 14 Tagen, nach dem Motto: Ihr ruiniert die transatlantischen
Beziehungen.
({3})
Denn das stimmt nun wirklich nicht und wird auch durch
nichts belegt.
Ich glaube, eines der Probleme in den transatlantischen
Beziehungen lässt sich an der Frage verdeutlichen, wie
sich die Europäer verhalten, nicht so sehr an der Frage,
wie sich die Amerikaner verhalten. Deren Haltung kennt
man. Die erste Frage in diesem Zusammenhang lautet
immer: Sprechen die Europäer wirklich mit einer
Stimme? - Die Amerikaner mögen selbstbewusste Partner. Deshalb sollten die Europäer selbstbewusst auftreten;
denn dann wissen die Amerikaner, mit wem sie es zu tun
haben. Wenn wir uns allerdings, wie manchmal geschehen, den Luxus erlauben, mit zehn oder 15 verschiedenen Stimmen zu sprechen, dann werden wir ein bisschen an die Wand gedrückt. Die USA müssen lernen, dass
sie es mit einem selbstbewussten Partner zu tun haben.
Wer sich einmal die Fakten anschaut, der weiß, dass
wir durchaus das Potenzial haben, ein selbstbewusster
und auch gleichwertiger Partner zu sein, mit einer Ausnahme: Das ist die globale Militärmacht.
Wenn man das Bruttoinlandsprodukt der USA, das bei
etwa 7,8 Billionen US-Dollar liegt, mit dem der Europäischen Union, das bei 7,3 Billionen US-Dollar liegt, vergleicht, dann wird man feststellen, dass beide fast das
gleiche wirtschaftliche Gewicht haben. Wer glaubt, dass
nur die Europäer ein Interesse an guten transatlantischen
Beziehungen haben, der irrt. Die Amerikaner brauchen
Europa genauso wie wir sie.
(Beifall bei der SPD und des Abg. Winfried
Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]
Die USA müssen und werden begreifen, dass sie alleine zu klein sind, um die Welt in Ordnung zu halten. Die
Europäer müssen versuchen - das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir stehen; das ist das Gleiche, was
Herr Hoyer vorhin angemahnt hat, als er davon sprach,
dass die kleinen und die großen Staaten innerhalb der Europäischen Union sozusagen auf gleiche Augenhöhe gebracht werden müssen -, auf gleiche Augenhöhe - auch
psychologisch - mit den Amerikanern zu kommen. Wir,
die Europäer, sind nicht mehr der kleine Junge, den der
große amerikanische Bruder früher an die Hand genommen hat. Wir sind inzwischen erwachsen geworden. Daraus resultiert ein leicht verändertes Verhältnis, an das
sich beide Partner gewöhnen müssen.
({4})
Das Ende des Kalten Krieges hat auch die Psyche der
Menschen verändert. Aus dem Denken in Freund-FeindKategorien ist ein Denken in den Kategorien des globalen Wettbewerbs geworden. Wir alle sind globale
Wettbewerber, und zwar teilweise vor dem Hintergrund
gemeinsamer Traditionen und einer Wertegemeinschaft.
Aber wir stellen auch fest: Wenn die unmittelbare militärische Bedrohung beendet ist, dann entdeckt man am
Partner andere Seiten, die einen zur Kritik ermuntern bzw.
verführen. Ich glaube, sowohl die Amerikaner als auch die
Europäer müssen die Fähigkeit lernen, Kritik zu üben und
auch Kritik anzunehmen. Das ist außerordentlich wichtig
für das transatlantische Verhältnis.
Wenn man sich alle politischen Ereignisse des letzten
Jahres bis hin zur Klimakonferenz, die vor wenigen Tagen
zu Ende gegangen ist, anschaut, dann wird man feststellen, dass Amerikaner und Europäer nicht genug voneinander lernen. Deshalb wird die Zukunft des transatlantischen Verhältnisses davon abhängen, ob wir eine
Lerngemeinschaft zusammen mit den Amerikanern bilden können, in die beide Seiten das, was sie wirklich können, voll einbringen. Nur so können wir zu Lösungen in
der transatlantischen Welt kommen, deren Bedeutung
möglicherweise weit über Europa hinausreichen wird.
Damit meine ich - das sage ich ausdrücklich - nicht militärische Lösungen.
({5})
Weil die Lerngemeinschaft so wichtig ist, begrüße ich
es außerordentlich, dass alle Fraktionen des Deutschen
Bundestags unserem Vorschlag, eine Zusatzstiftung zum
Marshall-Fund zu machen, unterstützt haben.
({6})
Ich bin ganz sicher: Wir werden davon in hohem Maße
profitieren, ganz abgesehen davon, dass es dem MarshallFund durch diese Stiftung möglich ist, seine Position im
Bereich der „public charity“ aufrechtzuerhalten. Diese
Form der Gemeinnützigkeit ist außerordentlich wichtig.
Viele Auguren haben in den letzten Jahren immer wieder vom Auseinanderdriften der beiden Seiten des Atlantiks gesprochen. Zuerst wurde behauptet, die USA entfernten sich von Europa; dann wurde behauptet, Europa
drifte von den USA weg. Ich sage Ihnen: Das Beständigste an diesem Auseinanderdriften ist die Kontinentaldrift.
Die findet in der Tat statt; aber darauf hat der deutsche
Außenminister keinen Einfluss.
({7})
Volkmar Schultz ({8})
Ein letztes Wort, das ich nur zum Nachdenken mitgeben möchte: Wenn wir über transatlantische Verhältnisse
sprechen, dann vergessen wir bitte Kanada nicht. Kanada
ist ein Land, das uns in vielen politischen und gesellschaftlichen Dingen sehr nahe steht. Ich sage dies nicht
nur, weil dort gerade wieder Wahlen stattgefunden haben
({9})
und dies das Interesse weckt. Wir neigen dazu, monistisch
gesehen den Blick nur auf Washington und nicht auch gelegentlich auf Ottawa und das zu werfen, was sich dort tut.
Kanada ist ein außerordentlich wertvoller Verbündeter
und Freund und wir sollten dieses Land auch etwas stärker in unsere außenpolitischen Perzeptionen einbauen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Ich schließe die Aussprache. Wir stimmen über den Einzelplan 05 in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 05 ist
angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
- Drucksachen 14/4513, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Bartholomäus Kalb
Oswald Metzger
Dr. Uwe-Jens Rössel
Ich bitte um Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und
Kollegen. Zum Einzelplan 14 liegen ein Änderungsantrag
der Fraktion der CDU/CSU, ein Änderungsantrag der
Fraktion der F.D.P. und drei Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor. Über zwei Änderungsanträge der Fraktion der PDS und den Einzelplan 14 in der Ausschussfassung werden wir später namentlich abstimmen.
Weiterhin liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und ein Entschließungsantrag der
Fraktion der F.D.P. vor, über die wir am Freitag nach der
Schlussabstimmung abstimmen werden. - Die Geschäftsführer wissen das.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Dietrich Austermann für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer zurzeit in die Truppe
hineinhört, hört nichts Gutes.
({0})
Gestern war eine Abordnung von Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren aus meinem Wahlkreis hier. Sie haben
natürlich die Frage gestellt - die Vertreter der Luftwaffe,
die dort oben auf der Tribüne sitzen und die ich sehr herzlich begrüße, würden wahrscheinlich das Gleiche fragen -: Was wird aus unserem Standort? Wie geht es mit
der Bundeswehr und dem Bundeswehrhaushalt weiter?
Ich habe den Fragen entnommen - ein Urteil, das ich auch
schon an vielen anderen Standorten bestätigt bekommen
habe -,
({1})
dass das Vertrauen weg ist, dass die Leute weniger motiviert sind, dass sie eigentlich jederzeit damit rechnen, bis
zum Ende des Jahres zu hören, dass sie, ihr Standort, ihre
Waffengattung und alles, was dazu gehört, künftig nicht
mehr gebraucht werden. Dies ist die Situation, in der sich
die Bundeswehr heute befindet. Dazu gehört auch das
Thema Wehrpflicht, an dem jetzt sogar der Wehrbeauftragte, den wir bestellt haben, knabbert.
Die Situation der Bundeswehr lässt sich mit wenigen
Stichworten zusammenfassen: Die Bundeswehr leidet unter sinkenden Finanzmitteln, vor allem sinkenden Beschaffungsmitteln. Sie, Herr Scharping, haben selbst vor
einiger Zeit davon gesprochen, dass der Etat für Beschaffungsmittel in den nächsten fünf Jahren eine Lücke in
Höhe von 15 Milliarden DM aufweist, die bisher nicht geschlossen ist. Der Haushalt und ständig neu vorgetragene
Konzepte stimmen nicht überein. Pausenlos werden neue
Versprechungen gemacht; eingehalten wurde bisher keine
einzige.
({2})
Die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft funktioniert
nicht. Wer erinnert sich nicht daran, dass im Dezember
vorigen Jahres unter großem Medienrummel ein Vertrag
abgeschlossen wurde, der sicherstellen sollte, dass die
Wirtschaft direkt, gewissermaßen ohne Ausschreibungen,
zusätzliche Aufträge bekommen sollte? Bisher - ein Jahr
ist vergangen - ist kein einziger neuer Auftrag - wenn
man davon absieht, dass mittlerweile anderes, was bereits
früher vorbereitet worden war, in die Tat umgesetzt worden ist - erteilt worden.
Personalplanung und Konzepte stimmen ebenfalls
nicht überein. Wir sind weiter denn je von Wehrgerechtigkeit entfernt. Viele angekündigte Projekte sind nicht
finanziert. Der Export läuft nicht mehr, es sei denn durch
die Hintertür. Ich erinnere an das offensichtlich vorgesehene Geschäft mit Haubitzen, die an die Türkei verkauft
werden sollen.
Ohne zusätzliche Mittel ist die angestrebte Reform
der Bundeswehr nicht zu machen. Unsere Fraktion wird
Volkmar Schultz ({3})
deshalb beantragen, 2,2 Milliarden DM mehr für den
Haushalt des kommenden Jahres bereitzustellen, um dann
für den eigentlichen Verteidigungsetat auf eine Größenordnung von 47 Milliarden DM zu kommen. Das ist die
Größenordnung des Jahres 1998.
Ihre Vorbehalte - ich kenne sie genau - lauten: Ihr habt
den Haushalt damals aber von Jahr zu Jahr gekürzt. Ich
sage noch einmal: Im Jahre 1998 lag der Haushalt des
Bundesministeriums der Verteidigung bei 47 Milliarden DM. Wir gingen damals von einer Steigerung aus.
Dass im Jahr 1999 der Etat etwas höher war, hing damit
zusammen, dass zusätzliche Verpflichtungen aufgrund
des neunmonatigen Einsatzes des letzten Jahres im Kosovo bzw. in Bosnien hinzugerechnet werden mussten.
({4})
Jetzt sinkt der Verteidigungsetat. Während der Haushalt des Jahres 2000 noch ein Volumen von 45,3 Milliarden DM statt, wie gesagt, 47 Milliarden DM hatte, zuzüglich 2 Milliarden DM für den Balkan, stehen im
kommenden Jahr nur noch 46,8 Milliarden DM, einschließlich der 2 Milliarden DM für den Balkan, zur Verfügung. Damit sinkt der Verteidigungsetat gegenüber dem
des laufenden Jahres in einer Größenordnung von rund einer halben Milliarde DM. Der Anteil der Investitionen
sinkt von 24,5 Prozent auf 23,9 Prozent. Wir sind weiter
denn je von dem Ziel entfernt, eine Investitionsquote von
30 Prozent zu erreichen.
({5})
Die Mittel für Verteidigung, gleichgültig, ob für Landesverteidigung, für Bündnisverteidigung oder für internationale Einsätze, sinken in der Summe nominal und
real. Die Investitionen gehen zurück. Daten und Fakten
belegen: Herr Verteidigungsminister Scharping, Sie sind
an der Haushaltspolitik der Bundesregierung gescheitert.
Der Kollege Wagner hat dies gestern mit den Worten ausgedrückt, Sie seien in einer bedauernswerten Situation.
Der von Ihnen als „Übergangshaushalt“ bezeichnete
Haushalt 2000 hat nicht die Wende zum Besseren gebracht, sondern eine Abwärtsbewegung eingeleitet. Es
geht abwärts mit der Erhaltung einer modernen und leistungsstarken Bundeswehr - vom Erreichen des Ziels einer modernisierten Armee, deren Ausrüstungslücken gefüllt sind, ganz zu schweigen.
Die Angehörigen der Bundeswehr haben dies erkannt
und ihre Motivation schwindet. Ausstehende Entscheidungen zur Stationierung und zur Privatisierung verunsichern nicht nur die Angehörigen der Bundeswehr, sondern
natürlich auch die betroffenen Länder und die Gemeinden. Ängste um Kaufkraftvolumina sind in erheblichem
Ausmaß vorhanden.
Herr Scharping, zu Beginn des Jahres haben Sie noch
gesagt: Es geht ohne Standortschließungen. Später hieß
es: Nun gut, bei Kleinststandorten wird man wohl etwas
tun müssen. Inzwischen schließen Sie selbst Standortschließungen nicht mehr aus. Ich prophezeie, dass ungefähr 50 Standorte, über die Bundesrepublik verteilt,
geschlossen werden müssen, wenn das Konzept aufgehen
soll. Jeder weiß, was das bedeutet. In diesem Konzept
sind die vorgesehenen Schließungen der Wehrbereichsverwaltungen, der Standortverwaltungen und der Kreiswehrersatzämter, ebenfalls über die gesamte Fläche der
Bundesrepublik verteilt, enthalten.
Sie, Herr Verteidigungsminister, der Sie der Bundeswehrreform nur zugestimmt haben, weil Sie glaubten,
damit den Angriffen der Grünen auf die Wehrpflicht entgegenstehen zu können, versuchen noch immer, durch ein
Konzept der Verschleierung von der tatsächlichen Entwicklung abzulenken. Ich will nicht bestreiten, dass Ihnen
das in den Medien gelingt. Es gibt fast jede Woche einen
neuen Ballon, ein neues Versprechen. In der einen Woche
heißt es: Wir schaffen eine neue Feldwebellaufbahn. In
der darauf folgenden Woche heißt es: Wir sorgen für eine
bessere Besoldung der Kommandeure. Dann heißt es: Wir
schaffen den Beförderungsstau ab. Im Anschluss daran
wird eine Vorruhestandsregelung für ausscheidende Soldaten in Aussicht gestellt. Später werden neue Beschaffungsprojekte angekündigt.
Wer aber den vorliegenden Haushaltsentwurf für das
kommende Jahr liest, der wird für keines der von mir genannten Projekte an irgendeiner Stelle einen einzigen
Pfennig finden. Diese Versprechungen finden im Haushalt keinerlei Niederschlag.
({6})
Für keines dieser Projekte ist ein Pfennig da.
({7})
- Nein, das ist die Beschreibung der Situation. Sie können
sie negieren; aber dann wird die Realität Sie einholen.
Spätestens im Januar, wenn, wie ich annehme, die Standortschließungen auf die Bundeswehr zukommen, werden
Sie das erkennen.
Ein anderes Beispiel: Wir bekommen jetzt eine Reihe
von Zuleitungen für Beschaffungen, die möglicherweise
in der nächsten Woche beschlossen werden sollen. Die
ganze Misere zeigt sich, wenn man sieht, dass einzelne
Beschaffungsmaßnahmen zerstückelt werden. Nehmen
wir das Wehrforschungsschiff: Es wird von uns seit langem gefordert. Nun wird in diesem Jahr ein Vertrag für ein
Teilschiff mit Kosten von 40 Millionen DM vorgelegt, im
nächsten Jahr ein Vertrag für ein Restschiff, dessen Beschaffung sich über mehrere Jahre verteilt. So etwas habe
ich noch nie erlebt.
({8})
Das gibt es auch bei anderen Beschaffungsmaßnahmen,
bei denen Sie einen Teil beschließen, dabei aber Ausgaben
angeben, die im Haushalt nicht abgedeckt sind. So, Herr
Kollege Kröning, kann es für solche Vorhaben von uns
keine Zustimmung geben. Das muss im Haushalt abgebildet sein!
({9})
- Frau Beer, hören Sie doch endlich auf, sich als Verteidigerin der Bundeswehr aufzuspielen. Ich erinnere an das
Jahr 1995; das tue ich bei jeder Rede, bei der Sie freche
Zwischenrufe machen.
({10})
Bei der letzten Bundeswehrreform im Jahre 1995 haben
Sie gesagt, Sie freuten sich darauf, dass Schleswig-Holstein ein bundeswehrfreies Land werde. Vielleicht nehmen Sie einmal öffentlich zurück, was Sie damals gesagt
haben.
({11})
Aber Sie können hier doch nicht den Eindruck vermitteln,
Sie hätten das Recht, für die Anliegen der Bundeswehr
einzutreten.
({12})
Meine Damen und Herren, die Instandsetzungsfirmen
klagen über fehlende Aufträge; Kündigungen müssen
ausgesprochen werden. Letztlich beschränkt sich das Projekt Privatisierung auf die Bitte, dem klammen Verteidigungshaushalt - möglichst ohne zusätzliche Kosten durch Vorfinanzierung unter die Arme zu greifen.
Investitionen in die Zukunft sollen durch Effizienzgewinne bei Betrieb und Verwertung von Material und Liegenschaften ermöglicht werden. Aber auch hier Fehlanzeige! Bislang steigen die Betriebsausgaben. Wo ist das
Verwertungskonzept, das die kurzfristige Realisierbarkeit
von Verwertungen in der notwenigen Größenordnung abbildet? Dem Vernehmen nach ist das Konzept der in diesem Zusammenhang immer wieder genannten Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb,
GEBB, einer Einrichtung zur Versorgung oder Entsorgung nicht mehr benötigter Genossen, noch nicht einmal
auf eine ordentliche vertragliche Basis gestellt worden.
Was soll sie dürfen, wo ist der Rechtsrahmen?
Meine Damen und Herren, die angeführten Zahlen und
Daten belegen, dass im Verteidigungshaushalt 500 Millionen DM fehlen, um nur auf die Ansätze des laufenden
Haushalts zu kommen. Woher das Investitionsvolumen
für notwendige Neuvorhaben kommen soll - als Beispiel
nenne ich die neue Korvette -, werden wir in den vorzulegenden Quartalsberichten des kommenden Jahres wohl
kaum finden.
Das gilt natürlich auch für das Vorhaben FTA. Nachdem wir gesagt haben, dass es ohne eine Verpflichtungsermächtigung im Haushalt und ohne die Schaffung
zusätzlicher Möglichkeiten nicht geht, was vom Verteidigungsminister im Berichterstattergespräch bestritten
wurde, hieß es dann, man brauche 12 Milliarden DM. Das
war exakt der Betrag, den wir vorgeschlagen haben. Daraufhin wollten die Grünen bei 8 Milliarden DM zustimmen. Nach der anschließenden aufgeregten Diskussion in
der Koalition, die mitten in der Bereinigungssitzung für
den Haushalt stattfand, wurden 10 Milliarden DM daraus,
allerdings nicht zusätzlich, sondern aus dem Haushalt herausgeschnitten. Das bedeutet: Wenn das Flugzeug
kommt, verdrängt es andere Projekte. Das heißt vor allen
Dingen: Wenn das Investitionsvolumen ausreichen soll,
können Sie allenfalls die Hälfte dieser Transportflugzeuge beschaffen.
({13})
- Das wird wahrscheinlich der Grund sein. Er hat im Ausschuss gesagt, innerlich habe er mit diesem Vorhaben
nichts zu tun. Da zeigt sich wieder der alte Fundamentalismus: Das ist genau die Position, Frau Kollegin, die Sie
in Bezug auf den Verteidigungsetat einnehmen.
({14})
Man darf gespannt sein, wie der Bundeswehrplan 2002
diesen Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit darstellen will und was dann aus diesem Projekt wird.
Dieser Haushalt lebt von Mitteln, die er gar nicht hat.
Wäre dies eine von Wirtschaftsprüfern zu prüfende Geschäftsbilanz, müssten sich Vorstand und Aufsichtsrat
warm anziehen. Er spiegelt in keinem seiner Ansätze die
angebliche Regierungspolitik von effizienterem Betrieb
und Investitionen wider. Er ist als erster Haushalt nach
dem Haushalt des Übergangs ein Haushalt des Abstiegs.
Sie werden verstehen, dass wir angesichts dieser realistischen Situationsbeschreibung dem Haushalt nicht zustimmen können.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat nun der
Kollege Volker Kröning, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren im ganzen Hause! Als ich vor
einem Jahr an dieser Stelle zu Ihnen sprach, habe ich einen Brückenhaushalt zwischen alter und neuer, damals
noch ungewisser Struktur vorgestellt. Mit dem Haushalt
2001 verabschieden wir den ersten Reformhaushalt der
Bundeswehr.
({0})
Der andere Brückenkopf steht. Die Koalition beginnt mit
der Umsetzung der Bundeswehrreform.
({1})
- Das haben Sie unüberbietbar schön getan, Herr Kollege.
Die Entscheidungen der Regierung zur Bundeswehrreform und zu ihren finanziellen Rahmenbedingungen
sind am 14. und 21. Juni 2000 gefallen. Der Haushaltsentwurf basierte noch auf der alten Struktur. Auf Vorschlag des Bundesministers der Verteidigung wurde der
Verteidigungshaushalt dann mittels der so genannten
Plus-Minus-Liste angepasst. Mit einigen weiteren Beschlüssen des Haushaltsausschusses liegt Ihnen nun ein
Haushalt vor, der der durchaus viel versprechenden Bundeswehrreform Rechnung trägt. Insbesondere sinken die
Verteidigungsausgaben nicht, Herr Austermann, sondern
sie werden verstetigt. Sie können bei entsprechenden Eigenanstrengungen des Ressorts sogar noch steigen.
({2})
Man mag das Verfahren kritisieren, wie die Bundeswehrreform zustande gekommen ist. Man mag darüber räsonieren, welche Variante sich mehr durchgesetzt hat; die
Bandbreite geht von der Beibehaltung des Status quo bis
über die grundsätzlichen Alternativen von Bündnis 90/
Die Grünen und F.D.P., von Auffassungen der Herren von
Kirchbach und von Weizsäcker bis zu anderen. Nur, eines
müssen wir festhalten: Das Parlament hat in den letzten
zwei Jahren keinen gangbaren mehrheitsfähigen Weg aufgezeigt. Die Regierung - das muss man ihr zugestehen hat gehandelt.
({3})
Mit der Verbindung von Strukturentscheidungen und
Finanzrahmen ist ein hohes Maß von Planungssicherheit
geschaffen worden, das niemand zerreden sollte.
({4})
Mit dem Maßnahmenkatalog zur Attraktivitätssteigerung
wird darüber hinaus eine sichere Perspektive für das Personal begründet. Meine Fraktion hat vor den Beschlüssen
der Bundesregierung die Spanne für den Personalumfang definiert, der aus ihrer Sicht empfehlenswert ist,
nämlich 260 000 bis 280 000 Soldaten, davon 70 000 bis
80 000 Wehrpflichtige, und circa 80 000 Zivilbeschäftigte. In diesem Rahmen sollte sich die Feinausplanung
bewegen, die der Minister zur Jahreswende 2000/01 angekündigt hat. Dass dies notwendig und möglich ist, wird
schon an der Grobausplanung erkennbar, die viele, aber
zugegebenermaßen noch nicht alle Fragen beantwortet.
Aus der Natur der Sache heraus ist das auch noch gar nicht
möglich gewesen. Ziel der Feinausplanung muss vor allem ein neues PSM, so will ich einmal das Wort Personalmodell abkürzen, sein, das auf der Basis der Finanzplanung in eine Bundeswehrplanung mündet, die nicht
alle vier Jahre umgeworfen werden muss.
Wir wollen eine dauerhafte Bundeswehrreform. Das
möchte ich vonseiten der SPD-Fraktion allen anderen
Fraktionen deutlich sagen. Das gilt auch und nicht zuletzt
für die Modernisierung der Ausrüstung und Bewaffnung.
Das Material der Bundeswehr ist nicht so schlecht - das
hat sich gerade in Bosnien und im Kosovo erwiesen -, wie
es oft gemacht wird.
({5})
- Die Pointe kommt noch, Frau Kollegin. - Richtig ist,
dass unser Gerät nicht voll tauglich ist, um im europäischen Rahmen für Interventionen, die über die reine Verteidigung hinaus Krisen verhindern und Konflikte beenden sollen, eingesetzt zu werden.
Was bringt nun der vom Haushaltsausschuss verabschiedete Entwurf? Dem Bekenntnis zum Verfassungsauftrag, dass sich die zahlenmäßige Stärke der Streitkräfte und die Grundzüge ihrer Organisation aus dem
Haushaltsplan ergeben müssen, folgen das Vorwort zum
Einzelplan 14 und die Vorbemerkungen zu den Kapiteln
14 03 und analog 14 04, auf die der Haushaltsausschuss
Wert gelegt hat.
({6})
Vor allem dort wird auf die Vereinbarungen zwischen dem
Ministerium für Verteidigung und dem für Finanzen vom
14. Juni und vom 27. September 2000 Bezug genommen,
nach denen neben der Verkleinerung und Umstrukturierung der Bundeswehr die Strategien zur Stärkung der Investitionen das zweite Herzstück der Reform bilden. Jede
Armeereform, die nicht aus dem Überfluss wirtschaftet,
verfährt so, sogar die in den USA.
Diese Rationalisierungsstrategie wird von der Koalition mit Nachdruck unterstützt. Das gilt nicht zuletzt für
die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, mit der Industrie und mit den Banken. Dafür interessiert sich das
Parlament mit Blick auf die allgemeine Fragestellung der
Modernisierung von Haushalt und Verwaltung durchaus.
Die operative Behandlung dieses Themas kommt allerdings der Regierung und dem Verteidigungsausschuss zu.
Der Haushaltsausschuss hat in dem Vorwort festgehalten, dass er sich mit den Fortschritten dieser Strategie regelmäßig beschäftigen wird. Der Leitgedanke lässt sich
nüchtern so kennzeichnen: Mehreinnahmen aus Veräußerungen von Grundstücken und Gerät, die von der Reform
freigesetzt werden, und weniger Ausgaben durch Effizienzsteigerung des Betriebs für mehr Investitionen.
({7})
- Sie reden doch noch später. Dann können Sie Ihre dummen Sprüche vom Rednerpult aus loswerden.
({8})
In den Vorbemerkungen wird darüber hinaus der Stand
der Grobausplanung, was Stärke und Organisation angeht, per 2001 festgehalten. Die Planungen gehen bewusst nicht darüber hinaus, weil die Feinausplanung
noch folgt.
Über weitere Änderungen wird der Haushaltsausschuss genauso wie der Verteidigungsausschuss unverVolker Kröning
züglich informiert werden. Im Haushalt 2002 sind dann
hoffentlich endgültige Festlegungen - möglichst auf mittlere und längere Frist - zu treffen. Ich wiederhole: Es geht
um eine Bundeswehrreform von Dauer.
Schließlich wird klargestellt, dass die neue Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb - das
Kürzel bürgert sich ja langsam ein, man sollte es auch einmal lesen und nicht nur hören: GEBB - ein Teil des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung
bleibt und dass jedenfalls aus diesem Grund keine Änderung des Art. 87 b des Grundgesetzes nötig ist. Ich halte
diese Zuordnung der GEBB mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen für verfassungskonform.
Zweiter Punkt des Umsetzungskonzeptes: Der Kabinettsbeschluss zielt neben der Stärkung der Investitionen
auf eine Steigerung der Attraktivität des Dienstes. Damit sollen die Streitkräfte über die Rekrutierungschance
hinaus, die Wehrpflicht und Wehrdienst bedeuten, am Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig erhalten werden. Dieses
Programm läuft 2001 an und wird 2002 fortgesetzt werden.
Die ersten Schritte orientieren sich an den Beschlüssen
des Verteidigungsausschusses und den Forderungen des
Bundeswehr-Verbandes und des Verbandes der Beamten
der Bundeswehr, soweit sie schon rechtlich und finanziell
zu realisieren waren. Die Verbesserungen setzen bei den
unteren Dienstgraden an, also gerade bei denen, die die
Hauptlast der Reform zu tragen haben. Das gilt für Soldaten wie für Beamte.
Unsere einstimmigen Beschlüsse - Herr Austermann,
wir müssen diese Tatsache festhalten - ermöglichen noch
die Umsetzung im Vollzug des Haushaltes 2001, wenn
und soweit die Bundesregierung und der Bundestag die
erforderlichen besoldungsrechtlichen Verbesserungen
beizeiten beschließen.
Ich schätze das Volumen der Verbesserungen auf mindestens 30 Millionen DM. Das Ministerium rechnet sogar
zuversichtlich mit 60 Millionen DM.
({9})
Konkret bedeutet dies: Im Bereich der Zivilbeschäftigten
betreffen die Verbesserungen die Laufbahnen des einfachen und des mittleren Dienstes. Im gehobenen Dienst
sind es die Controller in den Standortverwaltungen; denn
sie werden für die Reform besonders benötigt. Bei den
Soldaten erhalten die Unteroffiziere verbesserte Beförderungsmöglichkeiten. Ein neuer Haushaltsvermerk ermöglicht weitere Maßnahmen aus dem Kabinettsbeschluss:
zum Beispiel die Anhebung der Eingangsbesoldung nach
A 3, die Einführung der Feldwebel- bzw. der Fachunteroffizierlaufbahn und die Besoldung der Kompaniechefs
nach A 12 schon in 2001.
({10})
Ich freue mich, dass sich die Vorsitzenden der Verbände, Herr Oberst Gertz und Herr Schulte, dafür bei mir
bedankt haben.
({11})
Über diese Tatsache sind wir alle froh.
({12})
Man muss einmal festhalten, dass sich nach einigen Missverständnissen im Vorfeld die Haushälter und die Mitglieder des Verteidigungsausschusses für diese Verbesserungen gemeinschaftlich im Parlament eingesetzt haben.
({13})
Da jedoch wesentlich mehr nötig ist, wie auch die
Grobausplanung einräumt, konnte der Haushaltsausschuss nicht umhin, durch einen Vermerk im Vorwort des
Einzelplanes klarzustellen, dass strukturelle Verbesserungen im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr aus
dem Soll der Personalausgaben zu finanzieren sind. Ich
erwarte, dass die Feinausplanung und das neue PSM darauf Rücksicht nehmen, damit die Reform mit den Soldaten und mit den Zivilbeschäftigten und nicht gegen oder
ohne sie realisiert wird.
Künftig gilt, dass die strukturellen Probleme des Personals im Personalbudget zu lösen sind, so, wie die Probleme im Sachhaushalt im Sachhaushalt zu lösen sind.
Damit hört auch das latente, oft auch - wir sind sozusagen
die Klagemauer - das offene gegenseitige Ausspielen von
Personalhaushalt und Sachhaushalt auf, von dem die Beschäftigung in der Industrie abhängt.
Damit zum dritten Punkt, nämlich dem Sachhaushalt.
Zunächst zu den Betriebsausgaben: Ihr Anteil beträgt
- neben fast 51 Prozent für Personal - rund 24 Prozent,
dabei rund 10 Prozent für Materialerhaltung. Wir haben
rund 9 Millionen DM, die der Rechnungshof bei der Anschaffung von Omnibussen beanstandet hatte - um nur
ein Beispiel für viele Tropfen auf den heißen Stein zu nennen -, in den Titel für die Erhaltung von Kampffahrzeugen des Heeres umgeschichtet. Ich erwarte, dass im Haushaltsvollzug auf diesem Gebiet noch deutlich mehr
geschieht, wie auch das Heer intern angemeldet hat. Der
Rechnungshof hat zum Beispiel im Berichterstattergespräch zur Materialerhaltung bei Luftfahrzeugen Hinweise gegeben, denen das Ministerium noch nachgehen
wird.
Nun zur GEBB, die ich schon erwähnt habe. Mit ihren
kurz- und mittelfristigen Aufgabenfeldern hat sich der
Haushaltsausschuss, der erst am Vorabend seiner Abschlussberatung schriftlich darüber informiert worden ist,
noch nicht beschäftigen können. Das gilt nicht zuletzt für
die Verteilung und Abgrenzung der Controllingaufgaben
im Verhältnis zum Ministerium. Dennoch hat die Koalition eine Starthilfe von 30 Millionen DM bereitgestellt,
davon die Hälfte sofort. Da der Rechnungshof nicht mehr
im alten Jahr zur GEBB Stellung nehmen konnte, sondern
dies erst im neuen Jahr tun wird, können die weiteren
15 Millionen DM freigegeben werden, wenn sich der
Haushaltsausschuss mit der Stellungnahme beschäftigt
hat.
Zwischen den beiden Ministerien und dem Haushaltsausschuss herrscht jedoch Einigkeit, dass die qualifizierte
Sperre für Beschaffungen über 50 Millionen DM, die wir
seit eh und je haben, auch für die mithilfe der GEBB zu
finanzierenden Vorhaben gilt, zum Beispiel im Bereich
des Flottenmanagements oder des Gebäudemanagements.
Der Haushaltsausschuss hat auch die Forderung des Bundesrechnungshofes aufgegriffen, diese Gesellschaft genauso wie andere juristische Personen des privaten Rechts
nach den §§ 104 Nr. 3 und 92 Abs. 1 der Bundeshaushaltsordnung zu prüfen. Wohlgemerkt: Dies ist kein Misstrauen, sondern soll die Rationalisierungsstrategie absichern. Da wir mit dem Verteidigungshaushalt neue Wege
gehen, ist diese Transparenz außerhaushaltsmäßiger Finanzierungen unumgänglich. Wenn man bei den Investitionen das Ist pro Jahr möglichst höher als das Soll
ausfallen lassen will, dann darf man nicht zulassen, dass
das Budgetrecht ausgehöhlt wird.
Die Arbeit der GEBB wird ein Schlüssel zur gesamten
Bundeswehrreform sein. In diesem Bereich ist der Spielraum zu finden, der als Anschubfinanzierung für die Reform benötigt wird. Ich darf in vornehmer Bescheidenheit
zur Weizsäcker-Kommission gewandt sagen: Mit diesem
Aspekt der Mobilisierung innerer Ressourcen und der Finanzierung eines Anschubs für die Modernisierung der
Bundeswehr hat sich die Kommission kaum beschäftigt.
Das ist eine Leistung des Ministeriums; der Minister
nimmt sich dieser Aufgabe besonders engagiert an.
({14})
Wir wollen, um das klar zu sagen, den Erfolg der
GEBB. Daher müssen wir uns - das gilt selbstverständlich für alle Beteiligten, ob Parlament, Verwaltung oder
GEBB selber - sehr gründlich mit dem Aufbau und der
Tätigkeit dieser Gesellschaft befassen. Ich appelliere an
alle, sachlich zu bleiben, und warne davor, die GEBB zu
zerreden.
({15})
Viertens und letztens zu den Investitionen: Die verteidigungsinvestiven Ausgaben, also die Investitionen in
Forschung, Entwicklung und Erprobung, in Beschaffungen, Anlagen und Sonstiges, steigen von 2000 zu 2001
von 11,27 auf 12,21 Milliarden DM, das heißt, von 24,85
auf 25,55 Prozent des Plafonds. Das sind die Tatsachen,
Herr Austermann. Darin sind bereits die Mittel enthalten,
die vom Einzelplan 60 in den Einzelplan 14 verlagert worden sind, und zwar unabhängig von der Höhe der direkten
Kosten, die durch den Balkaneinsatz entstehen. Das war
eine generöse Vereinbarung zwischen Finanz- und Verteidigungsministerium.
({16})
Sie sind, wie gesagt, durch die Plus-Minus-Liste haushaltsstellengerecht, wie es im Haushaltschinesisch so
schön heißt, umgesetzt worden.
Dazu kommen 1 Milliarde DM aus angenommenen Erlösen. Auch wenn das ein ehrgeiziges Ziel ist, verbinden
wir damit die Hoffnung, dass diese Zahl in den nächsten
Jahren gesteigert werden kann und für einige Jahre gesichert ist. Dieses Bestreben verdient alle Unterstützung,
auch in den nächsten Jahren. Hier zählt nicht Feigheit vor
dem Feind, nach dem Motto: „Das haben wir schon immer so gemacht“ oder nach dem Motto: „Wo kämen wir
denn da hin?“
({17})
Analysiert man den Sachhaushalt auch in Verbindung
mit den Geheimen Erläuterungen, so steht das Bild unter
dem Vorbehalt der Feinausplanung und einer abschließenden Prioritätensetzung, die der Minister völlig zu
Recht noch mit der Industrie bespricht, bevor er die entsprechenden Ergebnisse veröffentlicht.
Doch schon jetzt zeichnen sich Prioritäten ab, die sich
aus den Konsequenzen des Kosovo-Krieges und der gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ergeben. Dies geschieht bereits bei der IuK-Technik und dies wird in Kürze bei der Satellitenaufklärung
und beim Transport geschehen. Dafür werden im Haushalt 2001 und in der weiteren Planung die Weichen gestellt, auch wenn noch Prüfungen des Bedarfs, der Wirtschaftlichkeit und der europapolitischen Voraussetzungen
und Folgen nötig sind.
Ich nenne als Beispiel das Transportflugzeug, das hier
besonders die Gemüter erhitzt. Die Verbindung dieser Beschaffung mit dem Aufbau eines europäischen Transportkommandos ist allen Ehrgeizes wert. Es wäre bedauerlich,
wenn in diesem wichtigen Punkt der europäischen Integration die Verteidigungsplanung hinter der Rüstungsplanung hinterherhinken würde.
({18})
Festgehalten werden darf schon jetzt: Der Haushaltsausschuss hat mit seiner - übrigens von der ganzen Koalition
und letzten Endes auch von der CDU/CSU mitgetragenen - Entscheidung ein deutliches Signal gesetzt. Die Entscheidung des Parlaments ist eine solide Basis für Vertragsverhandlungen mit der Industrie im In- und Ausland
und stärkt der Regierung den Rücken. Ich erwarte für die
Arbeitsplätze in Deutschland einen deutlichen Effekt, und
zwar sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht.
({19})
Ich erwähne allerdings auch die vom Bundesrechnungshof angestoßene Debatte über die Preisbildung und
Preisanpassung bei Großprojekten. Beim Eurofighter und
beim Eurodass, auf die sich die jüngsten Monita des Bundesrechnungshofes beziehen, arbeiten wir eine Altlast der
Vorgängerregierung ab. Aus Gründen der Verschleierung
der tatsächlichen Kosten wurde aus dem Eurofighter eine
„lame duck“ gemacht.
({20})
Nun müssen wir unter Inkaufnahme zeitlicher Verzögerung und zusätzlicher Kosten Komponenten wie den
Selbstschutz nachholen. Wir werden das in der nächsten
Zeit unter strikter Beachtung und Lösung der Kostenproblematik lösen.
({21})
- Nein, ich war nicht gegen den Eurofighter. Das wissen
Sie doch.
({22})
Viele haben das missverstanden und haben sich vor einem
neuen Großprojekt gescheut.
({23})
Viele dieser Bedenken erweisen sich jetzt als richtig.
Rückblickend betrachtet, ist es durchaus nicht falsch gewesen, über eine Alternative nachzudenken. Das sollte
eine Selbstverständlichkeit bei der parlamentarischen Beschäftigung mit Rüstungsvorhaben sein.
({24})
Lassen Sie mich Folgendes klarstellen: Die Verpflichtungsermächtigung für das FTA ist kein Freibrief. Sie ist
qualifiziert gesperrt; ihre Freigabe setzt eine sorgfältige
Beschaffungsdiskussion zum Beispiel über die Vorteile
des Commercial Approach, den das Ministerium anstrebt,
oder auch über die Frage voraus, wie hoch die Preise für
öffentliche Kunden der Luftfahrtindustrie im Vergleich zu
denen für private Kunden sein dürfen. - Frau Präsidentin,
ich komme sofort zum Schluss.
Das hoffe ich, Herr
Kollege.
Was die mittel- und langfristigen Finanzen der Bundeswehr angeht, so sollte der Wille
der Koalition nicht verkannt werden, die Sanierung der
Staatsfinanzen durchzusetzen. Sie ist die Voraussetzung
für die Handlungs- und Leistungsfähigkeit, auch zum
Nutzen unserer Streitkräfte.
Unter diesen Umständen ist es wichtig, festzuhalten,
dass, wer dieses Ziel erreichen will, zurzeit keine Versprechungen bezüglich der Höhe des Verteidigungshaushaltes in der zweiten Hälfte der Dekade machen kann. Deshalb ist es völlig müßig, Herr Austermann,
darüber zu diskutieren, ob das FTA, dessen Mittel im Einzelplan 14 veranschlagt werden, die tatsächlichen Verteidigungsausgaben drücken oder den Plafond anheben
wird. Über den Verteidigungshaushalt entscheiden wir
von Jahr zu Jahr. Als Nächstes erwartet uns die Finanzplanung 2005 und dann die für 2006.
({0})
- Natürlich kennen Sie das zur Genüge. Wir machen es
aber anders als Sie, Herr Nolting.
({1})
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist überschritten.
Darf ich zu abschließenden
Bemerkungen kommen?
Sie hatten schon gesagt, Sie kämen zum Schluss. Ich dachte, das sei Ihr
Schluss. Jetzt kommt also wirklich der letzte Satz. - Bitte
sehr.
Meine Damen und Herren,
zur Fortentwicklung des Systems unseres Wehr- und Zivildienstes möchte ich nur noch eine Bemerkung machen: Dieses Thema wird nach unserer Überzeugung im
nächsten Jahr und im übernächsten Jahr in den Mittelpunkt der Debatte um die Zukunft der Bundeswehr
rücken. Ich möchte empfehlen, daraus nicht nur eine Rechenoperation zu machen, sondern die Frage grundsätzlich zu diskutieren.
Die Legitimation dieser Dienstform, das sage ich als
Sprecher unserer Fraktion zu der Debatte, die heute sicherlich auch noch weitergeführt wird, einer Dienstform,
die sich nach wie vor einer Mehrheit im Hause und in der
Bevölkerung erfreut, hängt von der geforderten und unter
Beweis gestellten Qualität der Arbeit unserer Soldaten ab.
Herr Kollege, ich
muss Ihnen jetzt das Wort entziehen. Es tut mir furchtbar
Leid. Sie müssen Ihren letzten Satz sagen.
Diese Qualität der Arbeit ist
uns von den Inspekteuren der Teilstreitkräfte und der gesamten Bundeswehr erst vor kurzem bestätigt worden.
Der erste anspruchsvolle Einsatz der Bundeswehr in
Bosnien und im Kosovo zeigt das. Der Anteil der Längerdienenden im Kosovo ist beträchtlich. Das ist das beste
praktische Plädoyer für die Beibehaltung der Wehrpflicht.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich habe die Sätze
durch einige Kommata getrennt; deshalb war es dann nur
ein Satz.
({0})
Es tut mir Leid, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber
ein bisschen müssen wir auf die Redezeit achten.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Günther
Nolting für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Verteidigungshaushalt ist, lässt man die beschönigende Vernebelungsarithmetik beiseite, rund 530 Millionen DM niedriger als
im Vorjahr
({0})
und er soll bis 2003 um weitere 1,2 Milliarden DM sinken. Hinzu kommt, dass die Rationalisierungsgewinne
und Verkaufserlöse bislang nur Hoffnung sind, die jährlichen Lohn- und Gehaltssteigerungen, die diese Gewinne
aufzehren können, aber Realität.
Der dringend notwendige Anstieg des Investitionsanteils ist mit den heutigen Haushaltsansätzen nicht zu machen. Die Modernisierung der Bundeswehr bleibt
Stückwerk.
({1})
Die Bundeswehr wird damit bis auf weiteres nur mit
ihrem nach wie vor erstklassigen Personal und mit solider
Ausbildung wuchern können, aber den Anschluss an die
„revolution in military affairs“ wird sie nicht schaffen.
Wer das aber nicht kann, der wird in der atlantischen Allianz und in der EU zunehmend an Einfluss und Gewicht
verlieren. Das ist die eigentliche Dramatik der unzureichenden Reformfinanzierung.
Meine Damen und Herren, das war nicht Originalton
F.D.P., das war ein wörtliches Zitat des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr und späteren Vorsitzenden
des Militärausschusses der NATO, General a. D. Klaus
Naumann.
Ich sage für die F.D.P.: Er hat mit seiner Analyse und
mit den daraus gezogenen Folgerungen zweifellos in allen Punkten Recht. Es ist eine schallende Ohrfeige für den
amtierenden Verteidigungsminister.
({2})
Herr Kollege Kröning, Sie sprechen hier von einer Reform von Dauer. Das, was Sie vorhaben, hat wahrlich den
Namen Reform nicht verdient. Das ist eine Beleidigung
für die Bezeichnung Reform.
({3})
Ihre Bemerkungen waren auch nicht gerade von Souveränität geprägt.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Entwurf für
den Einzelplan 14 ist ein Lückenhaushalt. Er führt die
Bundeswehr nicht, wie von Ihnen, Herr Minister, immer
wieder beschworen, in eine gesicherte, international verlässliche Zukunft. Mit diesem Schrumpfhaushalt werden
Sie die Reform der Streitkräfte nicht realisieren können.
({4})
Sie haben weder die Mittel für die dringend notwendige, von der Weizsäcker-Kommission als unverzichtbar
geforderte Anschubfinanzierung, noch haben Sie das
Geld für ein unverzichtbares Attraktivitätsprogramm für
die Soldaten, und die längst überfällige Modernisierung
der Ausrüstung und Bewaffnung können Sie auch nicht
bezahlen.
({5})
Sie haben in der letzten Aussprache hier angekündigt,
dass Sie sich intelligenter Finanzierungssysteme bemächtigen wollen. Diese Finanzierungssysteme werden Sie
hier noch einmal aufzeigen müssen.
Nein, meine Damen und Herren, Deutschland kann mit
diesem Haushaltsansatz seiner gestiegenen internationalen Verantwortung nicht gerecht werden. Es ist unverantwortlich, Herr Minister Scharping, bei UNO, NATO und
EU vollmundige Versprechungen zu machen und überall
die Mittel und Fähigkeiten deutscher Streitkräfte anzupreisen. Diese gibt es aber nicht zum Nulltarif. Sie kosten
Geld, und das genau haben Sie in Ihrem Haushalt nicht.
Aber Sie sagen ja, Sie hätten intelligente Finanzierungssysteme.
Herr Minister, mit einer derart phrasenreichen Ankündigungspolitik ist es nicht getan. Nicht Absichten sind gefragt, sondern Fähigkeiten. Wir brauchen keinen Ankündigungsminister.
({6})
Ich nenne ein weiteres Stichwort: Attraktivität des
Dienstes. Die Weizsäcker-Kommission empfiehlt - ich
zitiere -,
ein an den neuen Umfängen der Streitkräfte ausgerichtetes Personalstärke- und Strukturanpassungsgesetz
zu erlassen. Die F.D.P. unterstützt diese Forderung ausdrücklich. Wir haben die Forderung nach schneller Auflösung des unsäglichen Beförderungsstaus bereits 1998
erhoben. Ein entsprechender Haushaltsantrag der F.D.P.
wurde von SPD und Grünen jedoch ebenfalls kaltherzig
abgeschmettert,
({7})
genau wie unser Vorschlag, in der Bundeswehr die Besoldungsdifferenz zwischen Ost- und Westdeutschland bis
2003 schrittweise abzubauen. Auch hier empfiehlt die
Weizsäcker-Kommission - ich zitiere wieder -:
Ein weiterer Attraktivitätsgewinn wäre durch die
Besoldungsanhebung Ost auf 100 Prozent des Westniveaus zu erzielen.
Die Kommission hat Recht.
({8})
Herr Minister, um reines Wunschdenken handelt es
sich ebenso bei Ihrer Ankündigung, den investiven Anteil
des Verteidigungshaushaltes auf 30 Prozent hochzufahren.
Ein Beispiel: Noch im Mai dieses Jahres haben Sie angekündigt, im kommenden Jahr ein Einsparvolumen von
1 Milliarde DM zu erzielen, das Sie in Investitionen umwandeln wollten. Mitte September, also bei der ersten Lesung dieses Haushaltes, sprachen Sie - deutlich kleinlauter - nur noch von 200 bis 300 Millionen DM.
Wo im Haushalt 2000 sind eigentlich die Vorkehrungen
für den inflationsbedingten Kostenanstieg bei Investitionen und Betrieb getroffen? Aber Sie haben ja, Herr Minister, ein intelligentes Finanzierungssystem angekündigt.
Meine Damen und Herren, einem Stück aus dem Tollhaus gleicht auch die nicht enden wollende Geschichte
um die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und
Betrieb, kurz: GEBB. Kollege Kröning ist auf diese GeGünther Friedrich Nolting
sellschaft schon eingegangen. Zunächst wurde sie von Ihnen, Herr Minister, hoch gelobt. Nun müssen Sie mehr
und mehr einräumen, dass Ihr ehedem liebstes Kind so
langsam zum ministeriellen Schmuddelkind mutiert.
Es ist nicht erkennbar, dass diese Gesellschaft bis jetzt
auch nur eine müde Mark erwirtschaftet hätte. Stattdessen
regen sich Zweifel, ob die beabsichtigten Beschaffungsverfahren - vorbei an den Experten Ihres Hauses, Herr
Minister, und an denen des Bundesamtes für Wehrtechnik
und Beschaffung - überhaupt den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Nicht nur bei der F.D.P. regen sich
diesbezüglich Zweifel, sondern selbst im Wirtschaftsministerium, also in Ihrer eigenen Regierung, wie der „Wirtschaftswoche“ zu entnehmen war.
Herr Minister, mit durch nichts zu überbietender Arroganz haben Sie die von der F.D.P. zu Recht forcierte
Diskussion um Wehrungerechtigkeit und Aussetzung
der Wehrpflicht als - ich zitiere Sie - intellektuellen
Schwachsinn bezeichnet. In logischer Konsequenz sind
für Sie somit die Diskutanten intellektuell Schwachsinnige. Ich muss Ihnen ehrlich gestehen, dass mich diese
schnoddrige und eines Ministers unwürdige Ausdrucksweise
({9})
nicht sonderlich beeindruckt hat, aber jetzt empfinde ich
es nahezu als Ehre, zum Klub der - wie Sie sagen - intellektuell Schwachsinnigen zu gehören, sind doch der Herr
Wehrbeauftragte und selbst der Herr Bundespräsident
kürzlich diesem Klub beigetreten. Auch sie stellen die
Wehrpflicht infrage.
({10})
Herr Minister, Sie können Wehrgerechtigkeit nicht sicherstellen. Da hilft auch nicht die Verteilung noch so umfangreicher Papiere. Sie rechnen die Zahlen schön; Sie
werden dies auch heute wieder tun. Fakt aber ist, dass
nach dem Modell, das Sie vorschlagen, nur noch circa
20 Prozent der jungen Männer Grundwehrdienst leisten
werden und insgesamt nur circa 55 Prozent irgendeiner
Dienstpflicht nachkommen müssen.
({11})
Da die allgemeine Wehrpflicht aber die einzige verfassungsmäßige Begründung für den Pflichtdienst junger
Männer ist, alle anderen Tätigkeiten lediglich Ersatzdienste sind, wird dieser Zustand untragbar. Der Ersatzdienst, das heißt der Sekundärdienst, kann und darf die
Wehrpflicht nicht legitimieren.
({12})
Meine Damen und Herren, hier spreche ich das gesamte Haus an: Lassen Sie uns in dieser Frage möglichst
bald eine politische Entscheidung treffen, bevor uns wieder Gerichte dazu zwingen.
Herr Minister, ersparen Sie uns damit eine weitere
Strukturreform schon in diesem Jahrzehnt.
({13})
In diesem Zusammenhang ist die Doppelzüngigkeit
der Grünen nicht zu überbieten. Nach außen posaunen die
Grünen überall hinaus, dass sie gegen die Wehrpflicht
sind und sie abschaffen wollen. In der Regierung - auch
hier im Parlament - stimmen sie dann doch brav der neuen
Bundeswehrstruktur des Verteidigungsministers zu. Sie
nicken ab.
Die F.D.P. hat einen Antrag auf Aussetzung der Wehrpflicht gestellt. Die Grünen können dem F.D.P.-Antrag in
der nächsten Woche im Verteidigungsausschuss also gern
zustimmen.
Ein zweites Beispiel für grünen Realitätsverlust will
ich auch nennen. Vor zwei Wochen stimmten die Vertreter genau dieser grünen Partei im Haushaltsausschuss
einer Erhöhung der Verpflichtungsermächtigung für die
Beschaffung des Großraumflugzeuges von 8 Milliarden DM auf 10 Milliarden DM zu.
Ich sage für die F.D.P. ausdrücklich dazu: Wir wollen
die Beschaffung eines Großraumflugzeuges. Die Bundeswehr benötigt dringend einen Ersatz für die Transall, aber
wir verlangen von der Bundesregierung, Herr Kollege
Kröning, schon eine klare Beschaffungsvorlage.
({14})
Wir verlangen eine Erklärung, wieso innerhalb von
wenigen Minuten die Verpflichtungsermächtigung um
2 Milliarden DM erhöht wurde,
({15})
und uns interessiert brennend, woher das Geld kommen
soll, Herr Minister.
({16})
Diese Angaben liegen nicht vor. Deshalb werden wir hier
heute einen entsprechenden Änderungsantrag stellen.
Sie, meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die
Grünen, haben dann die einmalige Chance zur Korrektur
Ihres Abstimmungsverhaltens im Haushaltsausschuss.
Oder vertrauen auch Sie auf die intelligenten Finanzierungssysteme dieses Ministers?
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluss
noch einmal General Naumann zitieren. Er sagt:
Die Reform der Bundeswehr kann wegen unzureichender Finanzierung bestenfalls halbherzig verwirklicht werden.
Der ehemalige Generalinspekteur hat Recht, auch wenn
ich dies mit Blick auf die betroffenen Soldaten und zivilen Mitarbeiter zutiefst bedauere. Sie haben dies nicht verdient.
Ich will mich an der Standortdiskussion hier nicht beteiligen. Ich denke, wir brauchen lebensfähige Standorte,
und wir werden uns dafür einsetzen, dass es sie gibt. Aber
ich will eines dazu sagen:
Die Planung der Streitkräfte darf nicht zulasten der
Menschen in der Bundeswehr vorgenommen werden. Die Soldaten/Soldatinnen und die zivilen Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter müssen daran frühzeitig
beteiligt werden. Vergleichbares gilt für die betroffenen Standortgemeinden. Die Entscheidungen müssen für alle nachvollziehbar sein.
({17})
Wo der Kollege Kolbow Recht hat, hat er Recht, denn
ich habe ihn als sicherheitspolitischen Sprecher der SPDFraktion im Verteidigungsausschuss zitiert. Der jetzige
Staatssekretär hat dies bereits 1995 gesagt
({18})
und ich hoffe, Herr Staatssekretär, dass sich diese Regierung auch an diesen Aussagen wird messen lassen können. Wir werden Sie daran erinnern, wenn wir in diese
Diskussion eintreten.
Sie werden Verständnis dafür haben, dass wir diesen
Haushalt ablehnen und ihm nicht zustimmen können.
Vielen Dank.
({19})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die nächste Rednerin aufrufe,
komme ich einer Bitte der Verwaltung nach, indem ich an
Sie alle einen Hinweis der Verwaltung weitergebe, den
Sie hoffentlich auch als hilfreich und menschenfreundlich
verstehen.
Sie können hier draußen an einem Hörtest teilnehmen.
({0})
Es ist auch für die Arbeit im Parlament eine notwendige
Voraussetzung, dass man gut hören kann. Sie sind zu diesem Test herzlich eingeladen, zumal jetzt auch Plätze frei
sind.
Nun rufe ich die nächste Rednerin auf. Das ist die Abgeordnete Angelika Beer.
({1})
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht
ist es manchmal auch ganz vorteilhaft, wenn man nicht so
richtig hören und sich so die eine oder andere polemische
Redensart der Wendehälse der F.D.P. ersparen kann, aber
das war leider in diesem Fall nicht möglich.
({0})
Ich will die Frage noch einmal aufgreifen, worüber wir
heute hier eigentlich debattieren.
({1})
Wir debattieren heute nicht nur über den Einzelplan 14,
sondern über die zukünftige Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik Deutschland sowie auch
über die Mitsprache Deutschlands im Bündnis und in
Europa und damit auch über die europäische Sicherheitsund Verteidigungspolitik. Sie bewegt sich zwischen den
Punkten: notwendige Reformen und Modernisierung sowie Finanzierbarkeit. Dieser Spannungsrahmen sollte
auch in dieser Debatte deutlich werden.
Diese Debatte wird nicht nur bei uns geführt, sondern
bei allen europäischen Partnern, wie Paul Helminger in
seinem Bericht an das NATO-Parlament aufgezeigt hat. In
seinem Bericht zu „Trends und Entwicklungen der
Verteidigungsausgaben im Bündnis“ führt er in Bezug auf
die deutschen Streitkräfte aus - ich zitiere -:
Und auf grundsätzlichere Art und Weise sind zahlreiche Analytiker der Auffassung, dass ein Aufrechterhalten des großen und verhältnismäßig unbeweglichen Militärapparats Deutschlands im Herzen von
Europa angesichts der heutigen strategischen Wirklichkeiten weder sehr angemessen noch dass es sehr
kostengünstig ist.
Der Kollege meint damit vor allem die Strukturen aus den
Zeiten des Ost-West-Konfliktes, die der Verteidigung des
eigenen Territoriums dienten. Es ist kein Geheimnis, dass
es in dieser Frage zu unserem Koalitionspartner graduelle
Meinungsunterschiede gibt.
Der Bericht der Weizsäcker-Kommission gibt uns
Recht: Sicherheitspolitisch ist eine aufwuchsfähige Massenarmee im Herzen Europas obsolet geworden.
({2})
Wir haben eine gemeinsame Einschätzung der Sicherheit.
({3})
Für den - zum Glück - ziemlich unwahrscheinlichen
Fall, dass sich eine umfassende militärische Invasionsbedrohung gegen Europa und damit auch gegen uns in
Deutschland abzeichnen sollte,
({4})
verfügen die europäischen Staaten und unsere amerikanischen Partner über ausreichende wirtschaftliche Kraft und
Fähigkeiten, um notfalls massive militärische Mittel zur
Verteidigung des NATO-Territoriums aufzubauen. Darüber hinaus werden solche Kräfte in 10, 20 oder mehr Jahren im Falle ihrer notwendigen Rekonstruktion aufgrund
der technologischen Entwicklungen völlig anders als die
heutigen aussehen müssen.
({5})
Es gibt heute - das sage ich insbesondere zur CDU/
CSU - keine Gründe, für eine Vorsorge, wie Sie sie einfordern, Geld zu verschwenden. Dabei muss ich die F.D.P.
einbeziehen: Sie haben doch diese Schritte zu einer Reform in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung versäumt.
({6})
Wir stehen in der Verantwortung, nicht nur Ihre Schulden
zu begleichen, sondern auch die Bundeswehr als BeGünther Friedrich Nolting
standteil in einem europäischen Bündnis und zur Sicherstellung der Aufgaben in diesem Bündnis zu reformieren.
Das ist Ziel unserer Regierung.
Daher hat die Bundesregierung mit unserer Unterstützung den Einstieg in die grundlegende Reform hin zu einer kleineren, moderneren und den friedenspolitischen
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angemessenen
Bundeswehr beschlossen. Die Reform werden wir weiter
vorantreiben; denn sie ist auch für Europa wichtig. Es ist
vorbei mit national gesteuerten Interessen und der auf
nationale Bedürfnisse zugeschnittenen Armee. Wir werden gemeinsam mit den europäischen Freunden die Reform nach vorne bringen.
Ich möchte noch einmal den Kollegen Helminger zitieren. Er sagt:
Diese Reformen sind jedoch in Deutschland umstritten, wobei die CDU für die traditionelle WehrpflichtArmee eintritt, während die Grünen als Koalitionspartner der SPD eher für eine kleinere und
vollständig professionalisierte Armee sind. Wenn
Deutschland sich zur Durchführung dieser Reform
als fähig erweisen sollte, dann wird das Land nachgewiesen haben, dass Europa schnell auf die neuen
Zwänge und Imperative in Sachen Sicherheit zu reagieren vermag.
Soweit die Sachdebatte innerhalb des NATO-Parlaments.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU-Opposition, man bescheinigt Ihnen mit diesem Bericht und in den Debatten, die wir auf internationaler
Ebene führen, mittlerweile auch bei unseren europäischen
Partnern, dass Sie der notwendigen Entwicklung und Reform der Bundeswehr für die Sicherheit Deutschlands und
Europas nicht nur im Wege stehen, sondern dieser Reform
europaweit schaden, weil Sie sie zu blockieren versuchen.
({7})
Für eine solche, Reformen verweigernde Politik fordern
Sie angesichts einer enormen Schuldenlast, die ich vorhin
schon erwähnt habe, zusätzlich 2,2 Milliarden DM. Ansonsten herrscht bei Ihnen Stillstand. Sie sollten sich nicht
wundern, wenn wir Ihre Anträge einheitlich ablehnen.
Ich will mich aber nicht vor folgender Frage drücken.
Sie sagen immer: Wir brauchen mehr Geld. - Ich zitiere
zu dieser Frage den amerikanischen Verteidigungsminister, der in Toronto im September 1999 genauso wie
schon vorher der Generalsekretär der NATO darauf hingewiesen hat,
({8})
dass die europäischen Staaten nicht zu wenig Geld, sondern das vorhandene Geld ineffizient ausgeben. Beide haben festgestellt: Die Europäer wenden etwa 60 Prozent
der amerikanischen Gesamtausgaben für die Verteidigung
auf und erhalten dafür nur knapp 10 Prozent der US-Mittel und -Fähigkeiten. Das ist eine grobe Schätzung, aber
ich will das hier so stehen lassen. Beispiele können das
verdeutlichen: Die USA unterhalten 1,3 Millionen Soldaten, die sie weltweit einsetzen können und wollen. Wir
Europäer unterhalten circa 2,5 Millionen Soldaten. Trotzdem bereitet es uns Schwierigkeiten, über einen längeren
Zeitraum hinweg qualifizierte Soldaten für den Balkaneinsatz zu stellen.
Ich möchte hier nicht die Frage diskutieren, wofür Europa 2,5 Millionen Soldaten braucht; das ist sicherlich
noch eine Diskussion der Zukunft. Alle klagen, dass die
steigenden Personalkosten die Investitionen aufsaugen.
Da muss man doch einmal die Frage stellen, warum wir
nicht endlich auf die Idee kommen, die personellen und
materiellen Überkapazitäten abzubauen, um die frei werdenden Mittel in die notwendige Modernisierung der
Streitkräfte und in die Verbesserung der Fähigkeit zur
Prävention zu investieren.
({9})
Genau das sind die Schritte, die wir uns vorgenommen
haben. Damit hat unsere Regierung angefangen und das
ist unser Verdienst.
Die Steigerung der Effizienz der Streitkräfte ist die Voraussetzung für eine quantitative Reduzierung und qualitative Veränderungen. Ich sage noch einmal: Die Veränderung auf europäischer Ebene ist maßgebend. Von einer
nationalstaatlichen, isoliert durchgeführten Reform sind
wir weit entfernt.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Ja,
natürlich.
Frau Kollegin Beer, da Sie
von einer Modernisierung gesprochen haben, möchte ich
Sie, weil wir ja in der Haushaltsdebatte sind, fragen - ich
fürchte, vor lauter Lyrik kommen Sie nicht mehr darauf zu
sprechen -: Werden Bündnis 90/Die Grünen den 2,9 Milliarden DM für das System Eurodass zustimmen, also einem System zur Kampfwertsteigerung des Eurofighters,
der noch gar nicht fliegt? Es gibt dazu ja eine Vorlage des
Verteidigungsministers und es interessiert mich sehr, ob
die Grünen dieser zustimmen werden. Es handelt sich
wohlgemerkt um 2,9 Milliarden DM.
Ich möchte Sie weiterhin fragen: Wie konnte es möglich sein, dass Bündnis 90/Die Grünen der Erhöhung der
Verpflichtungsermächtigung für ein Transportflugzeug
von 8 Milliarden DM auf 10 Milliarden DM innerhalb von
30 Minuten zustimmten?
Guten Morgen, Herr Kollege. Wir hatten eine Debatte im
Verteidigungsausschuss, und zwar genau zu den Fragen,
die Sie gestellt haben. Wir haben dieser Vorlage zugestimmt, weil wir ein neues Flugzeug brauchen und bei der
Analyse der Leistungen der Vorgängerregierung im Hinblick auf die Finanzierung des Eurofighters mit größtem
Bedauern feststellen mussten, dass Sie dieses nicht flugfähig ausstatten wollten.
({0})
Das heißt, die Grünen hatten längst die Debatte im Fachausschuss geführt. Wir werden dafür Sorge tragen, dass
der Eurofighter nicht nur steht, sondern dass er auch fliegen kann und einsatzfähig ist.
({1})
Zur Ihrer zweiten Frage, Herr Kollege Koppelin. Sie
beziehen sich dabei auf die Diskussion im Haushaltsausschuss. Wir haben den 10 Milliarden DM für das FTA, für
das Transportflugzeug, zugestimmt, und das aus einem
sehr guten Grunde. Wir wissen doch alle, dass die letztliche Investitionssumme zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht
abschließend festgelegt werden kann. Wir brauchten eine
Verpflichtungsermächtigung, um die Verträge mit den
Partnern jetzt überhaupt abschließen zu können.
({2})
Wir haben - das ist Bestandteil der Konsolidierungspolitik unserer Koalition - durchgesetzt, dass die Mittel langfristig aus dem Einzelplan 14 erwirtschaftet werden.
({3})
Insofern sind wir mit dieser Beschlusslage ausgesprochen
einverstanden.
Bezogen auf Deutschland kann man natürlich streiten,
ob die Reformschritte, die wir diskutieren, weit genug gehen oder nicht. Ich nenne noch einmal die Problemfelder:
Umfang und Aufwuchsfähigkeit, Wehrpflicht und Standortfrage.
Zu Umfang und Aufwuchsfähigkeit habe ich genügend
ausgeführt. Unsere Position ist klar. Wenn wir keine Massenarmeen mehr benötigen - ich glaube, das ist Konsens -, spielt Aufwuchsfähigkeit keine Rolle mehr. Es
wird die Debatte zu führen sein - der Bundespräsident
und der Wehrbeauftragte haben sie noch einmal sehr sachlich geführt -, wann die sicherheitspolitische Legitimation für die Wehrpflicht nicht mehr gegeben ist. Wir sehen
dieser Diskussion mit Freude entgegen. Wir werden uns
an der sachlichen Auseinandersetzung beteiligen.
({4})
Was die Standorte betrifft, ist die Angstkampagne, die
hier immer wieder durchgeführt wird - ich meine insbesondere den Kollegen Austermann -, vollkommen fehl
am Platz. Die Zahl der Standorte der Bundeswehr ist abhängig vom Umfang, den militärischen Notwendigkeiten
und der Wirtschaftlichkeit der Standorte - um die wichtigsten Kriterien zu nennen. Dass eine große Anzahl von
Standorten notwendig sei, um die Integration der Soldaten in die Gesellschaft zu gewährleisten, halte ich mit Verlaub für einen der Mythen, die die Debatte bestimmen. Ich
meine die Debatte über die Legitimierung der Wehrpflicht.
Ich bin davon überzeugt, dass eine große Zahl von
Standorten für die Soldaten - insbesondere für Offiziere häufige Versetzungen zur Folge hat. Das bedeutet eben
nicht Integration von Soldaten. Wir müssen dafür Sorge
tragen, eine klare Standortentscheidung für die Zukunft
vorzunehmen, die die Flickschusterei von Rühe beendet
und den Soldaten Sicherheit gibt. Ich bin weiter davon
überzeugt, dass die Integration der Soldaten in die Gesellschaft von solchen klaren Entscheidungen nicht berührt wird.
Ich habe diese Beispiele genannt, weil sie zeigen, dass
noch genügend Potenzial zur Rationalisierung und Effizienzsteigerung in der Bundeswehr steckt.
({5})
Dieses Potenzial auszuschöpfen muss - anstatt immer nur
nach mehr Geld zu rufen - vorrangige Aufgabe unserer
Regierung sein. In diesem Sinne begrüßen wir die Bereitschaft des Bundesministers Scharping, die Neuausrichtung der Bundeswehr im Rahmen der Haushaltskonsolidierung so vorzunehmen und umzusetzen, wie es im
Parlament konzeptionell dargelegt worden ist.
Ich will den Kollegen Helminger hier nicht noch einmal ausführlich zitieren, will aber erwähnen, dass er deutlich gemacht hat, dass die europäische Diskussion ein
Stück weiter ist als manche durch Parteiüberlegungen beeinflusste Diskussionen in der F.D.P. oder der CDU/CSU.
Ich glaube, das gilt nicht nur im nationalen Rahmen. Es ist
im Interesse der Soldaten - übrigens auch der Soldaten im
Einsatz -, der Europäischen Gemeinschaft sowie der
Partner in der NATO, dass sich die Opposition - CDU,
CSU, aber auch die F.D.P. - endlich auf den Weg in die
Gegenwart der multinationalen Diskussion und Strukturveränderung macht,
({6})
damit sie die Zukunft mitgestalten kann, anstatt immer
nur den Reformbremser zu spielen. Diese Rolle haben Sie
16 Jahre lang gespielt. Jetzt ist Schluss damit.
({7})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Heidi Lippmann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der heutigen Haushaltsdebatte steht
nicht nur der Haushaltsentwurf zur Diskussion, sondern
auch die Politik der rot-grünen Bundesregierung in den
vergangenen zwei Jahren. Sieht man sich die Bilanz für
den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik an
({0})
- Herr Erler, Sie haben etwas vorgelegt -, müssten CDU
und F.D.P., im Gegensatz zu uns, der neuen Regierung
neidlos Lob zollen.
({1})
Rot-Grün ist es nicht nur gelungen, die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Kontinuität in der Tradition von
Ex-Verteidigungsminister Rühe in die Praxis umzusetzen,
sondern auch einen - wenn auch völkerrechts- und grundgesetzwidrigen - Krieg zu führen und so den Weg für die
Rolle der Bundesrepublik Deutschland als Interventionsmacht zu ebnen. Unterschiede zur Verteidigungspolitik von CDU/CSU sind doch nur marginal,
({2})
auch wenn Sie heute, um Ihrer Rolle als Opposition wenigstens ein bisschen gerecht zu werden, 2,2 Millionen DM auf den Rüstungsetat aufsatteln wollen.
Ich verstehe natürlich den Missmut der Kollegen der
früheren Bundesregierung, wenn die Grünen ihnen immer
wieder vorwerfen, ihre frühere Politik hätte die Bundeswehr in einen maroden Zustand versetzt, wobei Frau Beer
keine Gelegenheit auslässt, die Truppe, die sie vor nicht
allzu langer Zeit noch abschaffen wollte, bei jeder Gelegenheit zu belobigen.
({3})
Herr Austermann und Herr Nolting, Sie müssen doch
endlich anerkennen, dass heute die meisten Bündnisgrünen überaus lernfähig sind und in ergebener Treue zu ihrer Regierung stehen.
({4})
Pflicht und Gehorsam gegenüber dem Vaterland und die
Verteidigung seiner wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen stehen nicht allein bei Ihnen hoch im
Kurs.
({5})
- Seien Sie also nachsichtig, Herr Breuer, es ist ja bald
Weihnachten. Freuen Sie sich doch einfach darüber, dass
der Haushaltsausschuss mit Zustimmung der Grünen in
der vergangenen Woche bei Nacht und Nebel eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 10 Milliarden DM
für das neue FTA gebilligt hat. Freuen Sie sich doch darüber, dass Frau Beer das „Wahnsinnsprojekt“ Eurofighter nicht mehr länger bekämpft, sondern die 2,9 Milliarden DM für das Eurodass-Programm mitgetragen hat.
({6})
Ihre Ankündigung, dass der Eurofighter nicht nur stehen, sondern auch fliegen soll, höre ich allerdings mit
Schrecken. Denn ich befürchte, sie wollte damit gerade
den nächsten Kriegsangriff erklären.
({7})
Doch sind das nicht alles wahrlich treffliche Geschenke für Herrn Scharping und seine Truppen, so kurz
vor Weihnachten, frage ich Sie? Nicht jeder in diesem
Lande wird so üppig beschenkt. Aber was sind schon die
Begehrlichkeiten von knapp 4 Millionen arbeitslosen
Menschen, 1 Million von Sozialhilfe lebender Kinder und
Zigtausender Obdachloser in diesem Land gegenüber
dem so nötigen Ausbau der Interventionsfähigkeit?
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie ernsthaft:
Wissen Sie, wie viele Menschen man vor dem Hungertod
bewahren könnte, wenn nur ein Eurofighter weniger gebaut würde? Pro Tag einen Menschen vor dem Verhungern zu retten erfordert 1 Dollar oder 2 DM. Ein Eurofighter kostet rund 130 Millionen DM. Würde nur ein
Kampfbomber weniger angeschafft, könnte man 20 Jahre
lang 9 000 Menschen ernähren, 18 000 Menschen zehn
Jahre lang oder ein Jahr lang 180 000 Menschen.
({9})
Rechnet man die geplanten Beschaffungsprogramme
auf der Wunschliste von Herrn Scharping für neue Waffensysteme, Transportflugzeuge, U-Boote und vieles andere mehr bis zum Jahr 2015 zusammen, kommt man auf
stolze 212 Milliarden DM im investiven Rüstungsbereich.
({10})
Das bedeutet im Klartext: pro Jahr 14 Milliarden DM
nur für Beschaffungsprogramme. Oder anders ausgedrückt: für die nächsten 15 Jahre knapp 40 Millionen DM
pro Tag. Das ist angesichts des Hungers und des Elends in
der Welt nicht nur in höchstem Maße unverantwortlich,
sondern zutiefst unmoralisch.
({11})
Die katholischen Bischöfe haben am 27. September
dieses Jahres erklärt:
Wer eine friedlichere Welt will, muss die tief liegenden Ursachen des Krieges bekämpfen. Unter den
veränderten weltpolitischen Bedingungen erweist
sich die Suche nach Gewalt vermeidender und vermindernder Konfliktverarbeitung als vorrangige
Verpflichtung.
Unter allen Umständen gilt der Grundsatz: Vorbeugende Politik ist besser als nachträgliche Schadensbegrenzung. Ein Mehr an Streitkräften ist immer von
Übel, auch ein gewohnheitsmäßiges Beharren auf
der Unterhaltung mächtiger Militärapparate als Attribut nationaler Souveränität. Es ist ... dringend vor
einer unsachgemäßen Ausweitung des militärischen
Zuständigkeitsbereiches zu warnen.
Die PDS-Fraktion kann diese Erklärung voll und ganz
unterstützen, und nicht nur weil bald Advent ist.
({12})
Eine Ausweitung militärischer Kompetenzen, der Ausbau der Interventionsfähigkeit der Bundeswehr, der Aufbau der europäischen Eingreiftruppe, Rüstungsexporte - all dies wird nicht dazu beitragen, dass die Welt auch
nur ein Stückchen friedlicher wird, sondern das Gegenteil
bewirken.
({13})
Statt einer schlagkräftigen europäischen Eingreiftruppe brauchen wir eine europäische Außenpolitik, die
zivil und nicht militärisch gestaltet ist. Krisenprävention
und -bewältigung müssen mit politischen Mitteln gestaltet werden. Statt den von Ihnen entwickelten Bedrohungsszenarien mit militärischem Säbelrasseln zu begegnen, fordern wir Sie auf, mindestens genauso viel Energie,
Eifer und auch Geld in die zivile Krisenprävention zu investieren.
({14})
Exemplarisch für den von der PDS abgelehnten Rüstungsetat haben wir zwei unserer 41 Änderungsanträge
und den gesamten Einzelplan 14 heute zur namentlichen
Abstimmung beantragt.
({15})
Mit unserem Antrag auf gleiche Besoldung in Ost und
West wollen wir erreichen, dass Soldaten künftig unabhängig von dem Ort ihrer ersten Stationierung den gleichen Wehrsold erhalten. Kein vernünftig denkender
Mensch in diesem Land kann verstehen, weshalb ein junger Mann aus dem Ruhrpott, der nach Strausberg einberufen wird, nur 86,5 Prozent der Bezüge erhält, während
sein Strausberger Kollege, der zuerst in Unna/Westfalen
stationiert ist, 100 Prozent bekommt.
({16})
Machen Sie, Herr Minister, zehn Jahre nach der deutschen
Einheit endlich Schluss mit dieser ungleichen und ungerechten Sondergesetzgebung.
Unser zweiter Antrag, über den namentlich abgestimmt
werden soll, bezieht sich auf die Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 10 Milliarden DM, die der Haushaltsausschuss für die Beschaffung 73 neuer Großraumtransportflugzeuge vom Typ A 400 M verabschiedet hat. Diese
10 Milliarden DM sind der Einstieg in das qualitativ
größte Aufrüstungsprogramm der deutschen Nachkriegsgeschichte. Denn sie dienen ausschließlich dem Ausbau
der militärischen Interventionsfähigkeit, Frau Beer, und
nicht der Stärkung der Prävention.
({17})
Mit der namentlichen Abstimmung geben wir jeder
und jedem in diesem Haus die Chance, Nein zu dieser Beschaffung und vor allem Nein zum Ausbau der strukturellen Angriffsfähigkeit zu sagen.
Ich danke Ihnen.
({18})
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister der Verteidigung, Rudolf
Scharping.
({0})
- Eine kleine Änderung, Herr Breuer.
({1})
- Herr Breuer, ein Vertreter der Bundesregierung kann jederzeit sprechen. Sie haben die große Chance, dem Minister zu antworten. Ich erteile Ihnen gleich, nachdem der
Minister gesprochen hat, das Wort.
Bitte, Herr Minister Scharping, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Breuer, Sie werden sich der intellektuellen Herausforderung gewachsen zeigen und sicherlich
spontan und sachlich, wie es Ihre Art ist, auf meine Ausführungen antworten.
Die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die deutschen Streitkräfte haben sich genauso wenig geändert wie
ihr Auftrag und die Grundlagen für den - wenn ich das so
nennen darf - inneren Geist der Bundeswehr. Verändert
hat sich das sicherheitspolitische Umfeld. Deshalb bedarf
die Bundeswehr neuer Fähigkeiten. Die Neuausrichtung
der Bundeswehr ist eine Investition in die sichere Zukunft unseres Landes. Sie ist auch eine Investition in die
zivilen und militärischen Mitarbeiter und ein Beitrag zur
Modernisierung eines Teils der öffentlichen Verwaltung.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Mitgliedern des
Verteidigungsausschusses wie auch des Haushaltsausschusses für sachgerechte Beratungen und für die Erarbeitung einer guten Grundlage, um diese Neuausrichtung
der Streitkräfte auf den Weg zu bringen.
Zum ersten Mal haben wir ein Reformprojekt auf den
Weg gebracht, das die gesamte Bundeswehr, die Streitkräfte genauso wie die Wehrverwaltung, den militärischen genauso wie den zivilen Bereich, umfasst. Mit dieser Reform wird zum ersten Mal nicht wie in den
90er-Jahren eine quantitative Reduzierung, sondern eine
qualitative Verbesserung angestrebt.
({0})
In diesem Sinne führt der Ansatz, die Bundeswehr von
Grund auf zu erneuern, zu leistungsfähigen und zukunftsfähigen Streitkräften. Die Reform der Bundeswehr ist
zum einen und in erster Linie die Konsequenz aus einer
grundlegend veränderten sicherheitspolitischen Situation
in Europa, eine Konsequenz, die innerhalb der NATO wie
auch in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gemeinschaftlich gezogen wird. Die Reform
der Bundeswehr ist zum anderen die Konsequenz aus
grundlegend veränderten Anforderungen an eine der
größten Verwaltungen und an einen der wichtigsten Arbeitgeber in Deutschland.
Diese Reform gründet auf drei Pfeilern: Es geht zum
Ersten um Investitionen in die Menschen und ihre Fähigkeiten. Es geht zum Zweiten um neue Fähigkeiten und leistungsfähige Strukturen in der Bundeswehr. Es geht zum
Dritten - in dem Falle erstmalig - um eine grundlegende
Reform der Wehrverwaltung, um eine weit gehende
Umgestaltung von Beschaffungs-, Verwaltungs- und
Betriebsprozessen und um eine völlig neue Kooperation
mit der Wirtschaft in Deutschland.
Herr Kollege Breuer, es wird Ihnen schwer fallen, zu
antworten, wenn Sie während meiner Rede Gespräche
führen, falls ich mir diesen fürsorglichen Hinweis gestatten darf.
({1})
Wenn man sich die drei Pfeiler dieser Bundeswehrreform, also die Menschen, die Ausrüstung und die Wirtschaftlichkeit, anschaut, dann wird man feststellen, dass
der Plafond des Verteidigungshaushalts mit 46,86 Milliarden DM angemessen festgesetzt ist. Es liegt damit um
rund 60 Millionen DM höher, als es ursprünglich im Regierungsentwurf vorgesehen war.
Die dauerhafte Einbeziehung jener 2 Milliarden DM,
die bisher im Einzelplan 60 veranschlagt waren, korrigieren den Einzelplan 14 nach oben und schaffen vor allen
Dingen Planungssicherheit und ein höheres Maß an Gestaltungsfreiheit.
({2})
Die in den 90er-Jahren ständig geübte Praxis, den Plafond
des Verteidigungshaushaltes in jedem Jahr je nach Kassenlage immer neu zur Disposition zu stellen, ist beendet.
({3})
- Verehrter Herr Kollege Rossmanith, sagen Sie das doch
bitte dem Herrn Kollegen Breuer weiter, dann kann er
vielleicht gleich darauf eingehen.
Ich will Ihnen jetzt doch ein paar Zahlen zumuten: Im
Jahre 1994 wurde gegenüber dem beschlossenen Haushalt während des laufenden Haushaltsjahres eine Einsparung von 1,34 Milliarden DM vorgenommen. Im Jahre
1995 wurde während des laufenden Haushalts eine Einsparung von 350 Millionen DM vorgenommen. Im Jahre
1996 wurde im laufenden Haushalt eine Einsparung von
1,172 Milliarden DM vorgenommen.
({4})
- Ich muss das dauernd wiederholen, Herr Kollege
Rossmanith, weil in Ihrem Fall der Beweis angetreten ist,
dass mehrfache Wiederholung allenfalls die Chance hat,
Mutter der Studien zu sein.
({5})
Herr Minister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Aber herzlich gerne.
Herr Minister, ist es nicht
auch richtig, dass Ihre Fraktion - Sie waren ja damals Oppositionsführer - noch zusätzliche Anträge gestellt hat,
um beim Verteidigungsetat zu streichen, was sogar dazu
führte, dass Sie einmal so viele Streichanträge gestellt haben, dass Ihre Verteidigungspolitiker allesamt nicht bereit
waren, in der Debatte zu reden?
({0})
Im Jahre 1996 betrugen die Einsparungen, Herr Kollege
Koppelin, 1,172 Milliarden DM.
({0})
- Ich komme gleich zu der Frage; denn das gehört in diesen Zusammenhang, Herr Kollege Nolting. Sie verlängern mit Ihren Zwischenfragen dankenswerterweise
meine Redezeit, wofür ich mich ausdrücklich erkenntlich
zeigen möchte.
({1})
Die Summe der zwischen 1994 und 1998 in den laufenden Haushaltsjahren vorgenommenen Kürzungen von
3,119 Milliarden DM übersteigt bei weitem alles, was die
SPD-Bundestagsfraktion jemals an Kürzungsanträgen gestellt hatte.
({2})
- Ich habe dem Kollegen Koppelin, der sich jetzt leider
schon gesetzt hat, gesagt, dass die Summe der in den Änderungsanträgen der SPD-Bundestagsfraktion aus der
Zeit, über die ich jetzt geredet habe, vorgeschlagenen
Kürzungen weit unter der Summe dessen liegt, was Sie in
den laufenden Haushaltsjahren innerhalb des Einzelplans 14 gekürzt haben.
Wichtiger aber, Herr Kollege Koppelin, ist mir der
Hinweis darauf, dass 1999 entgegen der von Ihnen gepflegten und politisch seinerzeit verantworteten Praxis
zum ersten Mal nicht in einen laufenden Haushalt eingegriffen wurde. Vielmehr war der Abschluss des Haushalts
1999 gegenüber dem Haushaltssoll um 1,019 Milliarden DM besser.
({3})
Das ist eine beachtliche Umkehr. Damit wurde auch
Schluss mit der Unterfinanzierung als Hauptursache für
mangelnde Ausrüstung gemacht.
Nun muss ich etwas zu den Bemerkungen der Opposition sagen. Wissen Sie, wir kooperieren mit über 650 Firmen.
({4})
Wir kooperieren mit allen Industrie- und Handelskammern. Wir kooperieren mit allen Handwerkskammern.
Wir kooperieren mit der gesamten wehrtechnischen
Industrie, die kürzlich beim Bundeskanzler mit mir zusammen eine gemeinsame Strategie zur europäischen Restrukturierung der Heerestechnik und der Marinetechnik verabredet hat. Wenn Sie als CDU/CSU unbedingt
Opposition betreiben wollen, gegen die gesamte wehrtechnische Industrie, gegen die Mehrzahl der Industrieund Handelskammern, gegen die Mehrzahl der Handwerkskammern und im Übrigen auch noch gegen die
überwältigende Mehrheit der Angehörigen der Bundeswehr,
({5})
kann ich nur sagen: Machen Sie ruhig so weiter. Sie sind
total isoliert: in Deutschland isoliert, in Europa isoliert,
innerhalb der NATO isoliert.
({6})
Sie wissen doch auch, dass die Erneuerung der Bundeswehr von Grund auf nicht nur von der Regierung in
Deutschland und der sie tragenden Koalition für richtig
gehalten wird, sondern dass sie auch innerhalb der Europäischen Union und innerhalb der NATO ausdrücklich begrüßt wird.
({7})
Ich will Ihnen zu diesen Pfeilern noch etwas im Einzelnen sagen.
Erster Pfeiler: Investitionen in Menschen. Wir werden die Attraktivität des Dienstes erhöhen. Die Voraussetzungen im Haushalt sind dafür geschaffen; also werden
wir den Weg, den wir schon begonnen haben, konsequent
fortsetzen.
({8})
Neben der akademischen Ausbildung der Offiziere an den
Universitäten der Bundeswehr werden wir künftig auch in
allen anderen Laufbahnen jedem länger dienenden Soldaten die Möglichkeit eröffnen, seine mitgebrachte zivile
Qualifikation zu verbessern. Deshalb gibt es die enge Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Handwerk, deshalb gibt
es die Qualifizierungsoffensive, deshalb war es wichtig,
im Haushalt 2001 die finanziellen Grundlagen dafür zu
schaffen.
Diese Qualifizierungs- und Bildungsoffensive nimmt
bei der Reform der Streitkräfte eine Schlüsselrolle ein.
Wir sind mit der Bundeswehr vorbildlich, gegenüber Unternehmen wie auch gegenüber anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung. Wir reservieren 22 000 Dienstposten, 8 Prozent der Belegschaft, für laufende zivile wie
berufliche Fortbildung und Qualifikation. Damit stehen
wir an der Spitze aller Unternehmen und aller öffentlichen
Verwaltungen. Das ist eine großartige Leistung der Bundeswehr und für die Bundeswehr.
({9})
Auf der Grundlage der Rahmenvereinbarung mit der
Wirtschaft vom 8. Juli haben wir bereits mit 20 Industrieund Handelskammern und mit 26 Handwerkskammern
Kooperationsvereinbarungen abgeschlossen.
({10})
Bis Ende des Jahres 2000 werden weitere 35 Abschlüsse
folgen. Mit 300 Unternehmen bestehen Kooperationsvereinbarungen auf dem Gebiet der Ausbildung, der Fortund der Weiterbildung.
Wir werden dank der Haushaltsbeschlüsse die strukturellen Personalüberhänge abbauen können. Wie zugesagt,
werden wir in den Jahren 2001 und 2002 den Stau in
Beförderung und Verwendung auflösen und im Übrigen
Verwerfungen beseitigen - Verwerfungen in der Besoldungsstruktur und hinsichtlich des strukturellen Personalüberhangs, die Sie zu verantworten haben. Dazu legen
wir dem Deutschen Bundestag im Frühjahr 2001 einen
entsprechenden Gesetzentwurf vor.
({11})
Ich bin sicher: Dazu werden sich im Deutschen Bundestag entsprechende Mehrheiten finden.
Wir hatten schon im Haushalt 2000 Stellenhebungen
durchgeführt. Wir hatten dafür gesorgt, dass die besondere Vergütung für Wehrsoldempfänger angehoben worden ist, und wir werden jetzt dafür sorgen, dass nach der
Streichung der Eingangsbesoldung A 1 und A 2 in der
Mannschaftslaufbahn entsprechende Verbesserungen bei
den Unteroffizieren und bei den Feldwebeln sowie bei den
Einheitsführern folgen.
Wenn die innere Situation der Bundeswehr Sie wirklich interessiert und wenn Tatsachen noch eine Rolle spielen, dann akzeptieren Sie die Feststellung: Wir haben innerhalb von zwei Jahren alle Voraussetzungen dafür
geschaffen, dass der strukturelle Personalüberhang und
die Verwerfungen in Besoldung und Laufbahn mit Beginn
des Jahres 2001 wirksam abgebaut werden können.
({12})
Das ist ein großer Fortschritt für die Bundeswehr, der dort
übrigens vollständig akzeptiert wird.
Sie gestatten mir in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zur Wehrpflicht. Ich bin sehr erstaunt, wie Sie
manchmal argumentieren.
({13})
- In dem Falle den Kollegen Nolting, der seine Gespräche
jetzt wieder unterbrochen hat.
({14})
Vom Geburtsjahrgang 1965 haben 87,9 Prozent einen
Dienst im Rahmen der Wehrpflicht und der gleichgestellten Dienste geleistet, vom Geburtsjahrgang 1966 waren es
83,7 Prozent und vom Geburtsjahrgang 1967 waren es
85,7 Prozent. Ich bin sehr erstaunt, dass diejenigen, die in
der Zeit der Einberufung dieser Geburtsjahrgänge zwischen 1983 und 1992 politische Verantwortung getragen
haben, heute einen Mangel an Wehrgerechtigkeit beklagen können,
({15})
obwohl die Realität heute ganz anders aussieht und in Ihrer Verantwortung 15, 16 oder manchmal 17 Prozent eines Jahrgangs überhaupt keinen Dienst geleistet haben.
So eine heuchlerische Argumentation!
({16})
Vom Geburtsjahrgang 1973 haben 98 Prozent, vom
Geburtsjahrgang 1974 97,6 Prozent und vom Geburtsjahrgang 1975, der noch nicht vollständig herangezogen
ist, bisher 97,1 Prozent einen entsprechenden Dienst geleistet. Mindestens der Kollege Breuer, der ja nach diesen
Zahlen gefragt hat, ist darüber informiert. Wir werden sicherstellen, dass so wie mit den Geburtsjahrgängen 1973,
1974 und 1975 auch in Zukunft immer zwischen 96 und
98 Prozent eines Jahrgangs einen Dienst für die Allgemeinheit leisten. An der Wehrgerechtigkeit wird nicht
gerüttelt.
Im Übrigen haben Sie, verehrter Herr Kollege
Austermann, hier eine Flut haltloser Behauptungen aufgestellt
({17})
und für nicht eine den Beleg vorgetragen. Zu dieser Flut
von Behauptungen gehörte auch die Behauptung, es würden 50 - der Nächste wird vielleicht von 47, der Dritte von
45 sprechen - Standorte geschlossen. Es bleibt exakt bei
dem, was wir dem Parlament, dem Verteidigungsausschuss, der Öffentlichkeit und den Angehörigen der Bundeswehr gesagt haben: Das Ziel ist die Überprüfung der
166 Kleinststandorte auf ihre militärische Notwendigkeit.
Ist sie nicht gegeben, wie es zum Beispiel bei einer Radarstation oder Vergleichbarem der Fall ist, werden diese
Kleinstandorte mit weniger als 50 Leuten geschlossen. Es
wird nur wenige von ihnen treffen. Die übrigen 439 Standorte werden daraufhin untersucht, ob und wie man sie optimal, auch wirtschaftlich effizienter, führen kann. Darin
wird einbezogen, wie das Umfeld dieser Standorte ist: der
Arbeitsmarkt, die wirtschaftliche Lage, die Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr, die Ausbildungslage, der
Wert und der Zustand der Liegenschaften usw. Alles andere wäre schwer vertretbar.
Ich wäre dankbar, wenn die Opposition nicht fortwährend und gebetsmühlenartig haltlose Behauptungen
nach dem Motto in den Raum stellte, der Verteidigungsminister oder die Koalition könnten sie ja widerlegen. Sie
haben selbstverständlich das Recht, zu kritisieren. Aber
dann müssen Sie bitte schön auch die Belege für ihre Behauptungen nennen, anstatt hier immer wieder haltloses,
dummes Zeug in die Landschaft zu setzen.
({18})
Damit machen Sie nämlich nichts anderes als den Versuch, Menschen zu verunsichern. Sie lassen sich aber von
Ihnen nicht mehr verunsichern.
Herr Minister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Austermann?
Herr Kollege Austermann, wollen Sie einen Beleg für das
nennen, was Sie beispielsweise hinsichtlich der 50 Standorte behauptet haben?
({0})
- Bitte schön.
Herr Minister,
sind Sie bereit, zu bestätigen, dass Sie, als wir, die Kollegen Berichterstatter aus dem Haushaltsausschuss, mit Ihnen in der Julius-Leber-Kaserne zusammengesessen
haben, gesagt haben, Sie würden in der ersten Januarwoche - dabei haben Sie sich noch auf die Schulter geklopft
und erklärt: ohne Rücksicht darauf, dass in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Wahlen stattfänden - die
Standorte bekannt geben, die geschlossen werden? Wollen
Sie bestreiten, dass dieses Gespräch so stattgefunden hat?
Das ist zwar kein Beleg für Ihre Behauptung, dass
50 Standorte geschlossen würden. Ich hatte eben die leise
Hoffnung, dass Sie das tun würden.
({0})
- Doch, natürlich. Sie haben vorhin in Ihrer Rede gesagt,
50 Standorte würden geschlossen. Lesen Sie es nach!
Wenn es falsch war, dann korrigieren Sie es bitte.
({1})
- Entschuldigung, der Kollege Austermann hat von dieser
Stelle aus gesagt, es würden 50 Standorte geschlossen. Ich
frage, wo der Beleg für diese Behauptung ist.
({2})
Jetzt zu Ihrer Frage: Ich habe Ihnen im Berichterstattergespräch das gesagt, was ich hier im Parlament bei der
ersten Lesung des Haushalts gesagt habe:
({3})
Die Feinausplanung wird bis Ende Dezember abgeschlossen. Ich werde sie mir in den ersten Januartagen anschauen. Dann werde ich wissen, wie die Diskussion mit
dem Parlament, mit dem Verteidigungsausschuss und mit
den Landesregierungen zu führen ist. Ich habe Ihnen damals schon hier im Parlament gesagt: Wenn Sie eine Lage
erzeugen, in der der Fürsorgepflicht gegenüber den Bediensteten der Streitkräfte ein höherer Rang als den Erörterungsbedürfnissen von Landesregierungen eingeräumt
werden muss, dann werde ich längs der Fürsorgepflichten
und unter Vernachlässigung der Erörterungsbedürfnisse
entscheiden. Dabei bleibt es.
({4})
Nun möchte ich etwas zu dem zweiten Schwerpunkt
sagen, den Investitionen in Fähigkeiten. Da müssen Sie
sich ja auch mit den Ergebnissen Ihrer Politik auseinander
setzen.
Die Abgeordneten Austermann und Koppelin wollen weitere Zwischenfragen stellen, Herr Minister.
Noch mehr Zwischenfragen? - Bitte sehr, ich bin sehr gespannt. Vielleicht kommt jetzt der Beleg für die Behauptung, dass 50 Standorte geschlossen werden sollen.
Jetzt zunächst
Herr Austermann.
Herr Minister
Scharping, können Sie nachvollziehen, dass sich bei einer
Reduktion der Personalstärke der Bundeswehr um
50 000 Mann und durchschnittlich zwischen 500 und
1 000 Mann pro Standort automatisch eine entsprechende
Zahl ergibt, wenn man die Reduktion vernünftig macht?
Oder können Sie das nicht nachvollziehen?
Das kann ich nicht nachvollziehen. In Ihrer Rechnung haben Sie beispielsweise nicht bedacht, dass sich Einheitsstärken verändern, dass man Teile von Liegenschaften anders nutzen kann, dass es große Standorte mit einer
Vielzahl von Einrichtungen gibt, die eine bescheidene Reduzierung leichter verkraften können als solche Standorte, an denen es nur eine Kaserne gibt, usw. Sie sind doch
ein wenig intelligenter, als Sie hier tun.
({0})
Ich verstehe gar nicht, Herr Kollege Austermann, warum
Sie so verzweifelt den Eindruck zu erwecken versuchen,
Sie seien weniger gut informiert und weniger intelligent,
als Sie tatsächlich sind. Glauben Sie, dass das wirklich gut
ist?
({1})
Herr Kollege
Austermann, bitte treten Sie jetzt nicht in eine Privatdebatte ein. Jetzt ist der Kollege Koppelin an der Reihe. Lassen Sie danach auch noch eine Zwischenfrage des Kollegen Rauber zu, Herr Minister?
Das wird ein bisschen viel, ich möchte noch schwerpunktmäßig auf zwei weitere Themen eingehen. Aber
bitte!
Ich stoppe ja die
Zeit. Vielleicht ist es den Kollegen möglich, sich kurz zu
fassen. - Bitte schön, Herr Koppelin.
Herr Minister, nachdem
der Kollege Austermann schon über das Berichterstattergespräch in der Julius-Leber-Kaserne berichtet hat,
möchte auch ich Sie fragen, ob Sie sich daran erinnern
können, dass Sie dabei gesagt haben, es müssten Standorte geschlossen werden, Sie aber noch nicht wüssten,
welche es sein werden. Ich habe entgegnet, das widerspräche dem, was Sie bisher verkündet hätten, dass nämlich kein Standort geschlossen würde.
({0})
- Sie waren doch gar nicht dabei! Warum schütteln Sie
den Kopf? - Als Sie daraufhin abgestritten haben, das je
gesagt zu haben, habe ich geantwortet, dass ich gern bereit sei - Sie haben mich dazu aufgefordert; vielleicht erinnern Sie sich -, Ihnen den Beleg zu bringen, dass Sie so
etwas gesagt hätten. Ich bin darauf bis heute bewusst nicht
eingegangen. Ich habe Ihnen aber nun den Beleg mitgebracht; in der „Welt“ vom 6. August 1999 heißt es:
„Scharping: Trotz Sparzwang wird kein Standort geschlossen“. Ich bin gerne bereit, Ihnen diesen Beleg zu
geben. Ich habe übrigens noch weitere Äußerungen von
Ihnen, mit denen ich belegen könnte, dass Sie gesagt haben, es werde kein Standort geschlossen. Sind Sie bereit,
das zur Kenntnis zu nehmen und meine Darstellung zu bestätigen?
Ich bin bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, kann aber Ihre
Darstellung nicht bestätigen. Ich nehme im Übrigen auch
zur Kenntnis, wie selektiv Sie aus Gesprächen, die man
miteinander führt, zitieren.
({0})
Das wird dazu führen, dass ich mich bei späteren Gesprächen klüger verhalten werde. Vielen Dank für Ihre
aufschlussreichen Ausführungen.
({1})
Im Übrigen bleibe ich ganz genau bei dem, was ich im
Deutschen Bundestag und im Verteidigungsausschuss gesagt habe.
Bevor wir jetzt
zur dritten Zwischenfrage kommen, bitte ich die Kolleginnen und Kollegen - Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidigung:
Entschuldigung, Frau Präsidentin, erlauben Sie mir noch
einen Hinweis. - Ich habe schon einmal mit Ihnen entsprechende Erfahrungen gemacht. Ich habe einmal den
Versuch gemacht, Sie intern über Entwicklungen in der
Bundeswehr zu informieren. Zwei Tage später fand ich
über dieses Gespräch in einer ganzen Reihe von Zeitungen Meldungen, die allesamt falsch waren. Wenn Sie Wert
darauf legen, dass man einzelne Fragen, die durchaus sensibel sind
({0})
- ich rede nicht von Ihnen persönlich, sondern von Ihrer
Fraktion -,
({1})
miteinander erörtert, dann dürfen Sie sich, meine Damen
und Herren insbesondere von der CDU/CSU, nicht die
Freiheit nehmen, aus solchen Gesprächen tendenziös, die
Sachlage verfälschend und damit den vertraulichen Charakter zerstörend in der Öffentlichkeit zu berichten. Ansonsten dürfen Sie nicht mehr damit rechnen, dass man
mit ihnen einen Sachverhalt intern erörtert, abklärt und
versucht, zu einer gemeinsamen Auffassung zu kommen.
({2})
Dieses war ein höchst erstaunlicher Vorgang. Ich nehme
ihn zur Kenntnis und werde meine Schlüsse daraus ziehen.
({3})
Jetzt die dritte
Zwischenfrage, bitte schön.
Herr Minister
Scharping, trifft es zu, dass Sie gesagt haben - wie in einem Artikel des „Spiegel“ vom 9. Oktober dieses Jahres
zu lesen, in dem Sie wörtlich zitiert werden -, dass unter
wirtschaftlichen Gesichtspunkten eigentlich 350 Standorte geschlossen werden müssten? Ist es dann noch verwunderlich, dass andere, nachdem Sie eine solche Zahl in
die Welt gesetzt haben, ebenfalls spekulieren? Ich sage für
meine Person, dass ich das bisher nicht getan habe. Sie
brauchen sich aber nicht zu wundern, dass andere Ihnen
die Daumenschrauben anlegen.
Zutreffend ist, dass das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ unter Bezugnahme auf eine Zahl, die Sie im Bericht
der Weizsäcker-Kommission nachlesen können, versucht
hat, mich zu zitieren. Wenn Sie mich vollständig zitieren
würden - wir sind immerhin im Deutschen Bundestag -,
dann wüssten alle, dass ich immer wieder darauf hingewiesen habe, dass ich eine rein betriebswirtschaftliche
Betrachtung bei der Entscheidung über die Standorte der
Bundeswehr aus mehreren Gründen, die ich hier schon
mehrfach genannt habe, schlicht ablehne.
({0})
Insofern erkenne ich aus Ihren Bemühungen, Herr Kollege Rauber, leider auch den Versuch, sich einzelne
Punkte aus einem durchaus komplizierten Zusammenhang herauszupicken und für eine bestimmte parteipolitische Absicht zurechtzuschnitzen. Dafür stehe ich nicht
zur Verfügung. Ich werde mich genau an den Zeitplan halten, den ich Ihnen genannt habe.
({1})
Ich möchte jetzt noch einige Bemerkungen zu dem
zweiten Schwerpunkt, den Investitionen, sagen. Die Investitionen sind in den 90er-Jahren kontinuierlich gesunken. Herr Kollege Breuer, Sie können sich mit diesen Zahlen auch noch auseinander setzen: Die Investitionen für
militärische Beschaffungen betrugen 1994 5,5 Milliarden DM, 1995 5,5 Milliarden DM, 1996 5,6 Milliarden DM, 1997 5,3 Milliarden DM, 1998 6,5 Milliarden DM. Im Jahr 1999 - also im ersten Jahr, in dem wir
die Investitionen zu verantworten hatten - wurden rund
730 Millionen DM mehr für Investitionen ausgegeben.
Sie werden doch nicht hier im Parlament gegenüber der
Bundeswehr und der Öffentlichkeit allen Ernstes behaupten wollen, dass die Feststellungen der wehrtechnischen
Industrie in Deutschland über ihre Auslastung und über
die kontinuierliche Verbesserung der Investitionen allesamt falsch gewesen sind. Wir haben doch gravierende
Mängel in der Ausrüstung vorgefunden. Das hat mit dem
sehr niedrigen, zum Teil ständig reduzierten Niveau bei
den militärischen Beschaffungen zu tun.
Mit dem jetzt zu verabschiedenden Haushalt können
alle wichtigen Programme begonnen und auch durchfinanziert werden.
({2})
Das betrifft die strategische Aufklärung: Wir beschaffen
den Radaraufklärungssatelliten mit der SAR-Lupe und
gewährleisten die Einsatzfähigkeit dieses Systems im
Jahre 2004. Damit leisten wir einen Beitrag zu dem den
europäischen Aufklärungsverbund. Wir haben entschieden, in den Führungssystemen auf standardisierte Anwendungssoftware zurückzugreifen. Ich habe den abenteuerlichen Zustand vorgefunden, dass es in der
Bundeswehr 360 informationstechnische Inseln gibt, zum
Teil auf einem Stand der Software des Jahres 1970. Es ist
unglaublich, was Sie dort an Versäumnissen aufgehäuft
haben. Wir werden diese Programme wie auch andere
kontinuierlich fortsetzen.
({3})
- Dazu könnte ich Ihnen auch noch etwas erzählen. Aber
dafür reicht die Zeit nicht.
Wir haben mit dem Finanzminister eine Vereinbarung
getroffen, die Sie ebenfalls nie zustande gebracht haben.
Die eingesparten Mittel aufgrund besserer Wirtschaftlichkeit werden zu 100 Prozent in Investitionen gesteckt.
Neue Finanzierungsformen wie Leasing oder Betreibermodelle verhindern nicht nur eine unnötige Bindung von
Investitionsmitteln, sondern erlauben auch, handelsübliches Gerät handelsüblich zu beschaffen und wirtschaftsüblich zu finanzieren. Die Einnahmen aus Vermietung,
Verpachtung oder Verkauf von Grundstücken und Liegenschaften verbleiben zu 80 Prozent im Haushalt des
Verteidigungsministers.
Kollege Nolting hat einige Bemerkungen gemacht, die
mir Gelegenheit geben, in aller Kürze auf den dritten
Schwerpunkt einzugehen, nämlich auf die Investition in
die Wirtschaftlichkeit. Die Vereinbarungen mit dem
Bundesfinanzminister, der Rahmenvertrag mit der Wirtschaft, die darauf gründende strategische Partnerschaft
und die Vereinbarung mit mittlerweile fast 450 Firmen
stellen eine neue, sinnvolle Form der Kooperation dar.
Da Sie sagen, in diesem Bereich gebe es keine Entscheidungen, möchte ich Sie auf folgende Punkte aufmerksam machen: Im Mai 2000 wurde der Vertrag zur Bewirtschaftung des Materials in den bundeseigenen Lagern
und Sonderverwahranlagen und im Juni wurde der Vertrag zur Herstellung der KRK-Interoperabilität der im
Einsatz befindlichen Fernmeldesysteme aller Teilstreitkräfte unterschrieben. Im Juni diesen Jahres wurde die
Vereinbarung zur Errichtung des Kompetenzzentrums
„Informationstechnologie“ in Koblenz unterschrieben.
Zurzeit wird der Vertrag für ein entsprechendes
informationstechnisches Zentrum in Dresden vorbereitet.
Im Juli 2000 wurde der Betrieb des Gefechtsübungszentrums in der Colbitz-Letzlinger Heide vereinbart. Im
Übrigen sieht der Vertrag die Bildung der Gesellschaft
vor, die hier angesprochen worden ist. Sie soll ihre Tätigkeit und ihre Wirkung im Jahre 2001, nicht etwa im Jahre
2000 entfalten.
Deshalb ist es richtig, jetzt die Aufgabenfelder zu definieren. Das ist geschehen. Dazu gehören Liegenschaften,
Liegenschaftenmanagement, Optimierung von Betrieb,
Entwicklung und Vermarktung, Bekleidungswirtschaft,
Flottenmanagement, IT-Betrieb innerhalb der Bundeswehr und manches andere, was im Betrieb eine Rolle
spielt.
Nun wird Ihnen nach der Debatte während der ersten
Lesung dieses Haushaltes vielleicht noch im Gedächtnis sein, wie sich die 1 Milliarde DM zusammensetzt, die
wir zur Verstärkung von Investitionen einsetzen und erwirtschaften wollen. Sie setzt sich zusammen aus circa
200 Millionen DM - das kann am Anfang eines Jahres nie
jemand ganz präzise abschätzen -, die durch sinkende
Betriebskosten frei werden, aus einem identifizierten,
im Haushalt veranschlagten Beschaffungsvolumen von
370 Millionen DM, das auf handelsübliches Gerät zielt
und jetzt einer anderen Finanzierung geöffnet ist, und aus
ungefähr 350 Millionen DM durch frei gewordene Liegenschaften, die schon während Ihrer Regierungstätigkeit
aus dem Betrieb der Bundeswehr herausgenommen worden sind.
Ich schaue einmal in Ihre Reihen, ob der Kollege
Singhammer da ist, und komme damit auch zum Schluss,
Frau Präsidentin.
({4})
Wenn beispielsweise in München über mehrere Jahre hinweg, seit 1993/94, ein über 40 Hektar großes Gelände
nicht seinem beabsichtigten Zweck zugeführt werden
konnte, wenn in demselben Zeitraum in Gießen ein freigeräumtes Bundeswehrkrankenhaus nicht seinem neuen
Verwendungszweck zugeführt werden konnte usw. usf.,
dann muss sich doch jeder Verantwortliche die Frage stellen, ob die bisherigen Verfahren zufriedenstellend sind.
Erkennbar ist das nicht. Deshalb gibt es die Vereinbarung
mit den Vorständen deutscher Großbanken, um auch die
private Kapitalbeteiligung an solchen Bundeswehrliegenschaften zu ermöglichen, die nicht ausschließlich militärisch genutzt, sondern auch für zivile Aufgaben zur
Verfügung gestellt werden.
Das nenne ich einen echten Durchbruch. Ich frage
mich, wie Sie den Mut aufbringen, die Erwirtschaftung
von 1 Milliarde DM für ein völlig unrealistisches Ziel zu
erklären, trotz mancher Debatte und manchen Argumentes hier, wenn mittlerweile die Deutsche Bank, die
Dresdner Bank, die Commerzbank, die deutschen Genossenschaftsbanken und zwei große private Bankhäuser
sagen: Wir halten 1 Milliarde DM für ein ganz realistisches unternehmerisches Ziel. Das heißt, Sie werden in
Zukunft nicht nur Opposition gegen alle Kammern, die
wehrtechnische Industrie und mehrere Hundert Firmen,
sondern auch gegen den Sachverstand der deutschen
Banken betreiben müssen. Das finde ich außerordentlich
interessant. Ich glaube nicht, dass Sie damit Erfolg haben
werden.
({5})
Ich will deswegen zum Schluss sagen: Der Zustand, in
dem wir die Bundeswehr vorgefunden haben, war von
zwei Dingen gekennzeichnet: von hoch motivierten, leistungsfähigen Menschen, denen allerdings schlechte Beförderungs- und Besoldungsmöglichkeiten und mancher
strukturelle Überhang gegenüberstanden. Dieser Missstand wird beseitigt.
Der Zustand, in dem wir die Bundeswehr vorgefunden
haben, war mit Blick auf die zukünftigen Fähigkeiten, die
von deutschen Streitkräften im Verbund der NATO und
der Europäischen Union - zu Recht - verlangt werden,
von schweren Ausrüstungsmängeln gekennzeichnet. Dieser Zustand wird beseitigt. Die ersten Schritte dazu sind
eingeleitet und werden konsequent fortgesetzt.
Der Zustand, in dem wir die Bundeswehr vorgefunden
haben, war von extrem bürokratischen, kostenintensiven,
wenig wirtschaftlichen Verfahren geprägt. Auch dieser
Zustand wird konsequent beseitigt.
Ich bin einmal gespannt, ob Sie die Souveränität aufbringen werden, am Ende des Haushaltsjahres 2000 und
des Haushaltsjahres 2001 an das Pult des Deutschen Bundestages zu treten und zu sagen: Wir müssen uns ja nicht
unbedingt entschuldigen, aber unsere Befürchtungen sind
nicht eingetreten.
Tatsächlich sind die Entwicklungen für die Bundeswehr sinnvoll und gut. So sehen es die Angehörigen der
Streitkräfte, so sehen es unsere Partner in der NATO und
der Europäischen Union. Die Einzigen, die das aus
parteipolitischen Erwägungen so nicht sehen dürfen, sind
die Mitglieder der Opposition. Sie bleiben alleine; sie sind
isoliert. Ob sie sich dabei wohl fühlen, mögen sie selbst
entscheiden.
({6})
Eine Kurzintervention des Kollegen Koppelin.
Wir, der Kollege
Austermann und ich, haben soeben während der Rede des
Bundesministers der Verteidigung versucht, bezüglich der
Frage, was mit den Standorten wird, Licht in das Dunkle
zu bringen. Natürlich verstehe ich, dass ein Verteidigungsminister - das haben wir auch früher erlebt - nicht
alles auf den Tisch legen kann. Aber es ist natürlich unser
Recht - das ist doch wohl klar -, Fragen zu stellen.
Wogegen ich mich allerdings wehren muss, Herr
Minister, ist, dass Sie unsere Fragen so kommentieren, als
hätten wir im Rahmen des Berichterstattergespräches
zum Einzelplan 14, zu Ihrem Etat, an einem vertraulichen
Gespräch teilgenommen. Bei diesem Gespräch waren alle
Fraktionen mit ihren Berichterstattern vertreten. Zusätzlich waren seitens Ihres Hauses mindestens - ich schätze
die Zahl jetzt einmal; Sie können mich gegebenenfalls
korrigieren - 150 Personen anwesend. Angesichts dessen
können Sie doch ein solches Gespräch nicht als vertraulich erklären. Das wäre ja etwas völlig Außergewöhnliches.
({0})
Herr Minister, ich und, wie ich denke, auch andere sind
bereit, weiter fair mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Wenn
es vertrauliche Gespräche gibt, dann - darauf können Sie
sich verlassen - bleiben sie auch vertraulich; da gibt es
überhaupt nichts zu beanstanden. Aber eine solch große
Versammlung können Sie nicht als vertraulich erklären.
Herr Minister, ich habe einen Wunsch - dies ist mir
schon im Haushaltsausschuss anlässlich der Beratungen
zu Ihrem Etat aufgefallen -: Seien Sie nicht so dünnhäutig und reden Sie vernünftig mit uns!
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Breuer.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wenn man über den Verteidigungsetat berät, dann steht man immer in der Gefahr, sich nur
an Zahlen, Kapazitäten und Standorten zu orientieren und
nur darüber zu diskutieren. Wir sollten uns, wenn wir über
den Verteidigungsetat sprechen, vergegenwärtigen, dass
es um die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr geht. Ich möchte diesen zunächst einmal herzlich
für ihre Arbeit danken.
({0})
Ich darf die militärische Führung bitten, diesen Dank zu
übermitteln.
Was den Dank an den Minister insbesondere für seinen
Beitrag in dieser Debatte angeht, so kann ich den in keiner Weise aussprechen.
({1})
Herr Bundesminister Scharping, die Tonart, die Art und
Weise,
({2})
wie Sie - das war nicht nur heute der Fall - mit dem Parlament umgehen, zeigt, in welcher Defensive Sie sich persönlich im Bereich der Verteidigungspolitik befinden.
({3})
Herr Kollege Scharping, Sie haben betont, Kooperation sei auf dem wichtigen und existenziellen Feld der
Verteidigung notwendig. Da möchte ich Ihnen grundsätzlich folgen. Nur, für diese Kooperation sind bestimmte
Voraussetzungen notwendig. Dies sind Vertraulichkeit
und Informationen. In den fast 20 Jahren, in denen ich
mich in der Verteidigungspolitik engagiere, habe ich noch
keinen Minister erlebt, der das Parlament so schlecht informiert hat, wie Sie das tun, Herr Scharping.
({4})
Ich weiß, dass dieses Urteil nicht nur von den Kollegen
der Opposition geteilt wird,
({5})
sondern auch von Kollegen, die in den Bänken der Regierungsfraktionen sitzen.
({6})
Der Verteidigungshaushalt für das Jahr 2001 ist ein
ganz besonderer. Dies ist ein Haushalt - Herr Minister
Scharping, ich weiß, Sie hören das nicht gerne; aber es ist
notwendig, dies festzustellen -, der von Ihnen unter ganz
besonderen Voraussetzungen gesehen worden ist.
Ich kann mich daran erinnern, dass Sie, als Sie ins Amt
kamen - Sie gingen damals ja nicht freiwillig auf die
Hardthöhe; man hatte eher den Eindruck, dass Sie mit den
Feldjägern dahin gezerrt werden mussten, Sie wollten ja
nicht dahin -, gesagt haben, Sie hätten für diese Legislaturperiode bis 2002, bezogen auf den Verteidigungsetat,
Garantien. Das seien bessere Garantien, als sie jeder Verteidigungsminister vorher gehabt hat.
Ich stelle heute fest: Der Verteidigungshaushalt 2001
ist der historisch schlechteste Haushalt, den die Bundeswehr seit ihrem Bestehen gesehen hat. Wo sind die Garantien?
({7})
Sie wissen sehr genau, dass das stimmt. Ich habe es Ihnen
schon einmal gesagt und wiederhole es heute: Dass Sie
denjenigen, die Ihnen die Garantien gegeben haben, insbesondere Herrn Schröder, überhaupt auch nur in einer
Millisekunde vertrauen konnten, dass Sie glauben konnten, dass er Versprechen einlöst, kann ich gar nicht begreifen; denn Ihr Erinnerungsvermögen, insbesondere
was Mannheim betrifft, müsste ja noch erhalten sein. Ich
kann es nicht verstehen.
({8})
Sie haben lauthals landauf, landab verkündet - und Sie
hatten Recht -, die Bundeswehr brauche mehr Geld. Sie
haben davon geredet, es sei ein Investitionsstau in der
Größenordnung von 20 bis 40 Milliarden DM vorhanden.
({9})
Und Sie hatten Recht.
({10})
Sie haben den Haushalt 2001, den wir heute beraten, in
der Debatte im letzten Jahr insbesondere unter dem Vorbehalt der Entscheidungen der Wehrstrukturkommission gesehen. Sie haben vom Kommissionsvorbehalt geredet und darauf gehofft, dass nach den Beratungen dieser
Wehrstrukturkommission der Verteidigungshaushalt erhöht werden könnte.
Die Wehrstrukturkommission, die Weizsäcker-Kommission, hat gesagt: Der Verteidigungshaushalt benötigt
mehr Geld.
({11})
Aber die rot-grüne Regierungskoalition senkt den Verteidigungsetat, nicht nur in 2001, sondern auch in den Folgejahren bis 2003, im Verhältnis zur letzten mittelfristigen
Finanzplanung um 20 Milliarden DM. Das ist die Realität,
Herr Minister Scharping.
({12})
Nach zwei Jahren Amtszeit Scharping - dies ist der
dritte Haushalt, der in Ihrer Verantwortung verabschiedet
werden soll - schlage ich vor - Günther Nolting hat eben
etwas Ähnliches gesagt -: Sie sollten sich darum bemühen, den Bundesminister der Verteidigung in „Bundesminister der Ankündigungen und der Versprechungen“
umzubenennen.
({13})
Bisher haben Sie nur Versprechungen und Ankündigungen gemacht.
({14})
Herr Kollege, das wissen Sie doch sehr genau: Es gibt
andere Ressortminister - deshalb ist hier die Frage nach
dem Stellenwert der Verteidigung zu stellen -, die sich
beispielsweise im Zusammenhang mit den UMTS-Erlösen durchgesetzt haben.
({15})
Was Herr Scharping brauchte, was der Verteidigungshaushalt brauchte - im Übrigen sagt das auch die Wehrstrukturkommission -, ist völlig klar:
({16})
Es ist eine Anschubfinanzierung zur Modernisierung der
Bundeswehr. Wenn beispielsweise der Verkehrsminister
({17})
aus den UMTS-Erlösen Geld bekommt, warum haben Sie
sich denn überhaupt nicht mehr darum bemüht, etwas zu
bekommen?
({18})
Sie brauchen eine Anschubfinanzierung für die Rationalisierung und für die Modernisierung in der Bundeswehr.
({19})
Herr Kollege Scharping, ich bitte Sie, wirklich einmal
zuzuhören. Wenn Sie die Frage der Ergebnisse der Verteidigungshaushalte aus den 90er-Jahren hier heranziehen,
({20})
dann möchte ich Ihnen eines sagen, was ich Ihnen schon
einmal gesagt habe: Die 90er-Jahre waren eine völlig andere geschichtliche Situation. Nicht nur Sie, auch Ihr
Bundeskanzler und der Finanzminister versuchen, das
deutsche Volk vergessen zu machen, dass es in dieser Zeit
insbesondere darum ging, in der Folge der Wiedervereinigung die Trümmer des Sozialismus in der deutschen
Landschaft zu beseitigen.
({21})
Sie können die heutige Situation doch nicht mit den 90erJahren vergleichen.
Wenn Sie in dem Zeitraum bis 2003, wie ich eben
sagte, nahezu 20 Milliarden DM in der mittelfristigen Finanzplanung verlieren, dann sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass nach offiziellen Angaben die Steuereinnahmen der Bundesrepublik Deutschland seit dem Jahr 1993
enorm gestiegen sind und bis 2003 weiter steigen werden.
Die Steuereinnahmen werden in den kommenden
Jahren - unter Berücksichtigung der Auswirkungen der
Steuerreform - laut offiziell belegten Zahlen um 60 MilPaul Breuer
liarden DM steigen. In der gleichen Zeit wird Ihnen im
Verteidigungsetat ein Betrag von 20 Milliarden DM abgenommen. Das ist die geschichtliche Situation, die wir
darstellen müssen.
({22})
Neue europäische Verteidigungsziele, neue Ziele der
NATO, die vernünftig sind, die die sicherheitspolitischen
Herausforderungen für unser Land beschreiben und die
eine Modernisierung der Bundeswehr verlangen - Frau
Beer, ich gehe noch einmal deutlich darauf ein -, sind von
der Bundesrepublik Deutschland richtigerweise unterzeichnet worden.
({23})
Sie tragen die Unterschrift des Bundeskanzlers und des
Verteidigungsministers.
({24})
Überall, sowohl in der NATO als auch innerhalb der Europäischen Union, geht man davon aus, dass Deutschland
seine Anstrengungen im Bereich der Verteidigung deutlich erhöht. Ich stelle fest: Sie tun das genaue Gegenteil.
Es gibt auch Stimmen aus Ihrer Fraktion, meine Damen
und Herren Kollegen von der SPD, die dies betonen. In
der gestrigen Europadebatte hat der Kollege Klose, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses unseres Parlaments, Folgendes gesagt - ich zitiere ihn wörtlich -:
Die Europäer - auch wir Deutsche - werden mittelfristig nicht darum herumkommen, die Mittel für
Verteidigung und Sicherheit in ihren jährlichen
Haushalten zu erhöhen und deren Einsatz zugleich
effektiver zu gestalten.
({25})
Sinngemäß fuhr der Kollege Klose fort, dass man den europäischen und deutschen Steuerzahlern erklären müsse,
dass es auch in einer Zeit veränderter sicherheitspolitischer Lage notwendig sei, mehr Geld in die Hand zu nehmen.
Herr Scharping, ich habe mittlerweile den Eindruck,
Sie kämpfen gar nicht mehr; Sie beschönigen die Situation. Wo leisten Sie einen Beitrag dafür, dem deutschen
Steuerzahler zu erklären, dass es notwendig ist, mehr Geld
für die Verteidigung auszugeben, wie der Kollege Klose
gestern richtigerweise hier von diesem Platz im Deutschen Bundestag aus festgestellt hat? Nirgendwo, Herr
Kollege Scharping.
({26})
Als Bundeskanzler Schröder Sie 1998 gegen Ihren
Willen auf den Stuhl des Verteidigungsministers gesetzt
hat, hat er dies doch vor allen Dingen deshalb getan - das
wissen Sie ganz genau -, um Sie politisch abzuhalftern.
Ich stelle heute fest: Es ist ihm gelungen - allerdings mit
einem erheblichen Schaden für die Bundeswehr und für
die deutsche Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.
({27})
In der Bundeswehr, Herr Minister Scharping, traut man
Ihnen nicht mehr viel zu. Ich muss nach dem, was Sie
heute gesagt haben, feststellen: Sie sind von den Menschen in der Bundeswehr verdammt weit entfernt. Es
keimt in der Bundeswehr mittlerweile ein ganzes Stück
Misstrauen. Das ist nicht in Ordnung.
Der Wehrbeauftragte und der Bundespräsident mahnen
die Debatte über die Wehrpflicht an. Es rächt sich jetzt,
Herr Kollege Scharping - Sie wissen, dass wir als
CDU/CSU und auch ich ganz persönlich die Wehrpflicht
unterstützen und auch Sie dabei unterstützen - , dass Sie
im Sommer im Hinblick auf Ihre Entscheidungen eine
Möglichkeit zur öffentlichen Debatte überhaupt nicht gegeben haben. Sie haben versucht, die öffentliche Debatte
zu unterbinden. Heute rächt sich das - ich hoffe, nicht zulasten der allgemeinen Wehrpflicht.
Meine Damen und Herren, ich meine, dass wir die allgemeine Wehrpflicht primär von ihrem Wert her sehen
müssen, von ihrem Wert als Bürgerpflicht. Mittlerweile
haben sich viele in Deutschland angewöhnt, die allgemeine Wehrpflicht insbesondere abhängig von der sicherheitspolitischen Lage, von der Bedrohung zu diskutieren.
Es gibt andere Länder in Europa, meine Damen und
Herren, insbesondere die skandinavischen Länder oder
auch die Schweiz, die zu allen Zeiten den hohen Wert der
Wehrpflicht zur Verteidigung des Landes aus der Kraft der
Bürger heraus völlig bedrohungsunabhängig gesehen haben,
({28})
die in schwierigsten Zeiten mit der allgemeinen Wehrpflicht die Sicherheit für ihr Land gewährleisten konnten
und die nicht im Traum daran dachten, wegen der historischen Veränderungen dieser Zeiten etwas daran zu ändern.
({29})
Warum diskutieren wir die allgemeine Wehrpflicht
nicht primär unter dem Aspekt ihres Wertes als Bürgerpflicht, nicht primär von ihrem Sinngehalt her?
({30})
Warum diskutieren wir - meine Damen und Herren, da
haben wir viele Gemeinsamkeiten
Herr Kollege
Breuer, ich möchte Sie auf die Ihre Redezeit hinweisen.
({0})
- vielen Dank, Frau Präsidentin - die allgemeine Wehrpflicht nicht so, wie das in
anderen Ländern geschieht?
Ich behaupte, wir haben eine Möglichkeit, den Sinngehalt der allgemeinen Wehrpflicht auch auf die zukünftige
Bundeswehr zu übertragen.
({0})
Diese Möglichkeit haben wir. Wir müssen sie nur ausgestalten, wir müssen die Debatte führen. Wir dürfen die Debatte nicht so ignorant führen, wie Sie, Herr Kollege
Scharping, das tun.
Ich möchte zum Abschluss feststellen, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren: Der Verteidigungsetat
2001 ist kein Reformetat. Wenn man das an diesem Etat
festmacht, dann droht der Bundeswehr eine Reformruine, dann wird der Beitrag Deutschlands zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik innerhalb
der NATO kein vertrauenswürdiger Beitrag sein.
({1})
Ich bin fest davon überzeugt: Herr Scharping weiß dies
auch selbst.
Deswegen werden wir den vorgelegten Verteidigungsetat ablehnen. Wir legen einen Antrag vor, in dem wir eine
Verstärkung der Mittel um 2,2 Milliarden DM fordern.
Das ist notwendig,
({2})
um der unterfinanzierten Bundeswehr eine Zukunft zu sichern.
Ich bedanke mich.
({3})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Winfried
Nachtwei das Wort.
Angesichts des zeitweiligen Verlaufes der verteidigungspolitischen Debatte gestatten Sie bitte eine Anmerkung.
Heute ist mehrfach Bundespräsident Rau mit seiner
Rede vor der Kommandeurstagung der Bundeswehr zitiert worden. In dieser Rede hat er eine breite und offene
sicherheitspolitische Debatte eingefordert, und er hat
bemängelt, dass es an dieser Debatte fehle. Wir haben nun
wieder gesehen, dass es eine solche Debatte im politischen Alltag sehr schwer hat. Sie wird nämlich sehr
schnell zwischen dem hohen Entscheidungs- und Handlungsdruck auf der einen Seite und dem Primat parteipolitischer Interessen auf der anderen Seite zerrieben.
Ich glaube, es wäre ganz sinnvoll, dass wir, statt
schnelle und fertige Antworten zu geben, auch einmal einige genauere Fragen stellen würden, um damit die notwendige Debatte über die Aufgaben und den Auftrag der
Bundeswehr zu befördern. Sie sind einerseits klar: durch
die Vorgaben der NATO, der Europäischen Union, des
Grundgesetzes usw. Andererseits ergäben sich bei genauerem Hinsehen sehr wohl noch sehr wichtige Fragen;
denn wir schaffen mit der Bundeswehrreform mehr Interventionsfähigkeit. Zugleich sind wir uns einig: Wir wollen keinen Interventionismus.
Deshalb ist es sehr wichtig, die Frage genau zu beantworten, was die Voraussetzungen für militärische Kriseneinsätze sind, was ihre leitenden Werte, was ihre Interessen, was ihre völkerrechtlichen Voraussetzungen. Es
ist folgende Frage genauer zu beantworten: Was kann die
Bundeswehr sinnvoll zur militärischen Krisenbewältigung beitragen? Wo sollten, wo müssten die Grenzen liegen?
({0})
Mit dem Kabinettsbeschluss zu den Eckpfeilern der
Bundeswehrreform ist klargemacht, dass die Wehrpflicht
weiter gilt. Aber auch dazu müssen wir bestimmte Fragen
genauer klären, nämlich: Wie konkret muss die sicherheitspolitische Notwendigkeit der Wehrpflicht nachgewiesen werden? Sicherlich reicht nicht die unbestreitbare
Annahme, dass das Restrisiko einer großen Bedrohung
nicht für alle Zeiten auszuschließen ist.
({1})
Markenzeichen der Bundeswehr ist die innere Führung. Inwieweit - das sind Fragen, denen wir genauer
nachzugehen haben - ist die innere Führung unverzichtbar an die Wehrpflicht gebunden oder inwieweit ist die
Wehrpflicht unverzichtbar für die innere Führung?
({2})
Ich könnte noch weitere Fragen stellen, aber das reicht
als Andeutung. Ich habe Beispiele für Fragen genannt, bei
denen es nicht nur Erklärungsbedarf, sondern auch Klärungsbedarf gibt. Diese Klärung ist notwendig, damit wir
wirklich zu einem breiten, überzeugten und überzeugenden Konsens in der Sicherheits- und Friedenspolitik kommen.
({3})
Eine weitere
Kurzintervention des Kollegen Rauber.
Lieber Kollege
Nachtwei, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben
von allen Rednern der Koalition nicht einen einzigen Satz
zur Lebenssituation derer gehört, die als Zivilbedienstete
der Bundeswehr seit Jahren ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen.
({0})
Sie, Herr Minister, haben sehr viel von Kooperation
und Privatisierung gesprochen, aber nicht ein einziges
Wort zu den Sorgen und Nöten gesagt,
({1})
die die Menschen haben - zu unserer Zeit waren es immerhin 143 000 -, die als Zivilbedienstete bei der Bundeswehr arbeiten bzw. gearbeitet haben.
({2})
Es gibt niemanden im Hause, der sich gegen eine sinnvolle Privatisierung ausspricht,
({3})
wenn sie verteidigungspolitisch vertretbar und finanzpolitisch geboten ist. Das heißt, es geht nicht um Dumpingpreise, sondern darum, dass langfristig Kosten gesenkt
werden.
({4})
Wir haben unter Volker Rühe das Instrument des Leistungsvergleichs der Bundeswehr mit der Wirtschaft eingeführt. Wir erwarten, dass nach diesem Market-TestingVerfahren weiter so verfahren wird, dass diejenigen, die
sich am Markt durchsetzen, auch die Chance auf Zukunftssicherung haben. Von daher gesehen geht es nicht
um ein Entweder-oder - auf der einen Seite die Industrie
und auf der anderen Seite die Bundeswehreinrichtungen -, sondern vor dem Hintergrund der vorhandenen
Nachfrage geht es um ein Sowohl-als-auch.
Sie, Herr Minister Scharping, ziehen durch die Lande
und erklären: Es wird keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Unterhalten Sie sich mit den Personalräten, die
in extremer Sorge sind. Diese erklären mir nicht nur in
Einzelfällen: Wenn nicht durch einen Tarifvertrag oder
durch gesetzliche Absicherungen etwas geschieht, dann
wird der Einzelne, wenn es zur Privatisierung kommt, gerade ein Jahr Anspruch auf einen sicheren Arbeitsplatz haben.
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie zu diesen Sorgen und
Nöten Stellung nehmen. Dies ist leider nicht geschehen.
({5})
Jetzt hat als letzter Redner in der Debatte der Kollege Rossmanith das
Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich,
dass die Debatte über den Einzelplan des Verteidigungsministeriums eine so große Resonanz findet und das Plenum fast bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Ich sehe, dass
das Interesse für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in unserem Land noch gegeben ist.
Wir haben nicht nur ein Tableau über einen Haushalt
vorgelegt bekommen, der genauso verschleiert ist wie
das, was der Bundesminister der Verteidigung in den letzten Monaten von sich gegeben hat. Vielmehr ist er ein
Spiegelbild, das zeigt, dass ihm gar nichts an einem
konstruktiven Dialog und an Information des Parlaments
und der Bürgerinnen und Bürgern vor Ort liegt.
Sie haben uns im Verteidigungsausschuss die so genannte Grobausplanung, die für mich nur eine grobe Ausplanung für die Bundeswehr bedeutet hat, vorgelegt. Wir
haben mehrere Stunden lang im Ausschuss diskutiert. Wir
haben keinerlei Unterlagen erhalten. Die Journalisten haben diese Unterlagen jedoch anschließend erhalten und
wir mussten bei ihnen nachfragen, ob wir denn die Informationen auch bekommen, um wenigstens auf dem Stand
der Journalisten zu sein.
Das ist die derzeitige Informationspolitik des Bundesministers der Verteidigung. Nicht einmal die beiden
Ausschüsse, der Haushaltsausschuss und der Verteidigungsausschuss, die ja Ihr unmittelbarer Dialogpartner
sind, erhalten von Ihnen Informationen. Vielmehr werden
von Ihrer Seite aus Nebelkerzen geworfen. Es gibt Ankündigungen, aber konkret erfolgt nichts.
({0})
- Nein. Wir reden heute über den Haushalt 2001
({1})
und in manchen Bereichen, zum Beispiel, was die Verpflichtungsermächtigung anbelangt, auch über die Jahre
darüber hinaus. Was haben wir erfahren? Gar nichts.
({2})
Selbst im wichtigen Rüstungsbereich herrscht ein Planungschaos, das Sie, Herr Minister, zu verantworten haben.
({3})
Sie, Herr Bundesminister Scharping, hatten angekündigt: Mitte August soll die Planung vorliegen. Dann haben
Sie gesagt: Das Konzept kommt im November. Nun
musste der Vorsitzende des neu geschaffenen Rüstungsrates, der Generalinspekteur, vor wenigen Tagen einräumen, dass die Rüstungsplanung frühestens im Frühjahr
des nächsten Jahres vorliegen wird. Wir haben doch eine
Verantwortung für unsere Sicherheit und die Verteidigungsbereitschaft unseres Landes; nicht nur was die rein
militärische und die unterstützende zivile Seite anbelangt.
Wir haben auch eine Verantwortung für die Industrie. Wir
müssen dafür sorgen, dass die Strukturen der wehrtechnischen Industrie erhalten bleiben.
({4})
Hier darf nicht ein Abbruch nach dem anderen erfolgen.
({5})
Wenn die Zeit gegeben wäre, könnte ich eine Vielzahl
von Beispielen nennen, bei denen noch nichts entschieden
ist,
({6})
bei denen wir keine Vorlage haben.
({7})
- Sie können noch so viel schreien. Kollege Kahrs, ich
wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einmal zu Ihrem Minister
gehen und ihm sagen würden:
({8})
Lieber Kollege Scharping, ich möchte jetzt einmal eine
Vorlage haben.
({9})
Wie sieht es denn in dem einen oder anderen Bereich
aus, zum Beispiel mit der Munition, der Aufklärung oder
den Flugzeugen? In diesen Bereichen passiert überhaupt
nichts. Bringen Sie doch Ihre Energie da ein. Schonen Sie
jetzt Ihre Stimme. Es schadet nur Ihren Stimmbändern,
wenn Sie jetzt hier so schreien. Klären Sie das direkt mit
Ihrem Kollegen Scharping. Er soll Sie entsprechend informieren.
({10})
Ich zumindest bin draußen bei der Truppe. Ich weiß,
worum es geht. Nur, von der Hardthöhe höre ich in vielen
Bereichen nichts. Das Gleiche gilt auch für die so genannte Verstärkung des Materialkapitals, die Effizienzgewinne oder die Veräußerungserlöse. Da handelt es
sich doch nicht einmal mehr um Luftnummern; Sie sprechen doch von reiner Magie.
({11})
Herr Bundesminister Scharping, ich unterstelle Ihnen zumindest, dass Sie selbst nicht glauben, was Sie hier verkünden.
({12})
Wahrscheinlich sagen Sie sich: Ich sage das nur, damit ich
wieder ein paar Tage Zeit gewinne.
Mein Freund, der Heidelberger Kollege Dr. Karl A.
Lamers, hat mir gesagt, dass das Gespräch in der letzten
Woche mit unseren europäischen Partnern, was METEOR
anbelangt, sehr erfolgreich war. Ich hoffe, dass dem auch
so ist. Denn der Eurofighter, liebe Frau Kollegin Beer, ist
ja kein Spielzeug, das einfach für Spazierflüge genutzt
werden sollte.
({13})
Damit ist vielmehr ein sicherheitspolitischer Auftrag verbunden. Insofern benötige ich natürlich auch die entsprechenden Mittel für dieses Fluggerät.
({14})
Frau Kollegin Beer, es freut mich natürlich, dass Sie
plötzlich zu einer glühenden Verfechterin des Eurofighters geworden sind. Ich nehme das dankbar zur Kenntnis.
({15})
Herr Kollege
Rossmanith, denken Sie bitte daran, dass Sie zum Schluss
kommen müssen.
Ich habe nur fünf
Minuten gesprochen, Frau Präsidentin.
Wir haben die
Redezeit sehr sorgfältig abgecheckt.
Mir waren zehn
Minuten zugesagt worden.
Ihre Kollegen
haben aber die anderen fünf Minuten verbraucht.
Jetzt sollen mir
plötzlich nur noch fünf Minuten zustehen. Das kann nicht
sein.
({0})
Unsere Fraktion hat in dieser Debatte am wenigsten
gesprochen.
Herr Kollege
Rossmanith, ich bitte Sie jetzt ernsthaft, zum Schluss zu
kommen.
So kann es schlicht
und einfach nicht gehen. Vertreter der Regierungsfraktionen haben gesprochen und die Opposition soll mundtot
gemacht werden. So geht es nicht!
({0})
- Frau Präsidentin, ich füge mich.
({1})
Wer so oft wie ich im Bierzelt gesprochen hat, kann das
auch ohne Mikrofon.
({2})
Auf jeden Fall: Wir können diesem Haushalt nicht zustimmen.
({3})
Sie haben gemerkt, dass ich die Aussprache geschlossen habe.
({0})
Zwei Abgeordnete, nämlich die Kolleginnen Annelie
Buntenbach und Monika Knoche, haben schriftliche Er-
klärungen zur Abstimmung über den gesamten Einzelplan
abgegeben, die wir zu Protokoll nehmen.1)
Wir kommen nun zu den Abstimmungen, und zwar
zunächst über die Änderungsanträge.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4787: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt da-
gegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen
die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt wor-
den.
Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa-
che 14/4711: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses gegen die Stimmen der F.D.P., die zu-
gestimmt hat, abgelehnt worden.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/4717. Die Fraktion der PDS verlangt namentliche
Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle
Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.2) -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Der Kollege, der eben die
falsche Karte hatte: alles klar? - Dann schließe ich hier-
mit die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir fahren fort mit der Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/4719. Auch hier verlangt die Fraktion der PDS na-
mentliche Abstimmung. Im Zusammenhang mit diesem
Einzelplan ist dies die zweite namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be-
setzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.3) Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte in dieser zweiten namentlichen Abstimmung
noch nicht abgegeben hat? - Das ist offenbar der Fall.
Dann warte ich noch einen Moment, bevor ich die
Abstimmung schließe.
Ich frage noch einmal: Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat?
- Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich jetzt die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der
zweiten namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Ich werde nun über den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS, Drucksache 14/4718, abstimmen lassen. Es handelt sich um eine einfache Abstimmung. Wer stimmt für
diesen Änderungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist, soweit ich das sehen
konnte, mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die
Stimmen der PDS abgelehnt worden.
Ich unterbreche die Sitzung, bis die Ergebnisse der namentlichen Abstimmung vorliegen.
({1})
Erfreuliche Mitteilung: Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen zunächst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der PDS
auf Drucksache 14/4717 bekannt. Abgegebene Stimmen
587. Mit Ja haben gestimmt 30. Mit Nein haben gestimmt
557. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 586;
davon
ja: 30
nein: 556
Ja
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({2})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({3})
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
1) Anlagen 2 und 3
2) Ergebnis Seite 13293 D 3) Ergebnis Seite 13296 A
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({6})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({7})
Lilo Friedrich ({8})
Harald Friese
Anke Fuchs ({9})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({10})
Angelika Graf ({11})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack ({12})
Hans-Joachim Hacker
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({13})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({14})
Walter Hoffmann ({15})
Iris Hoffmann ({16})
Frank Hofmann ({17})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({18})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({19})
Christine Lehder
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({20})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({21})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({22})
Jutta Müller ({23})
Christian Müller ({24})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Birgit Roth ({26})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer ({27})
Ulla Schmidt ({28})
Silvia Schmidt ({29})
Dagmar Schmidt ({30})
Wilhelm Schmidt ({31})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({32})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({33})
Brigitte Schulte ({34})
Reinhard Schultz ({35})
Volkmar Schultz ({36})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({37})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({38})
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({39})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({40})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({41})
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({42})
Helmut Wieczorek ({43})
Dieter Wiefelspütz
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({44})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({45})
Waltraud Wolff ({46})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({47})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({48})
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({49})
Peter H. Carstensen ({50})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({51})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dr. Gerhard Friedrich ({52})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({53})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({54})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke ({55})
Hansgeorg Hauser ({56})
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers ({57})
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({58})
Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann ({59})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski ({60})
Dr. Martin Mayer ({61})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Bernward Müller ({62})
Elmar Müller ({63})
Bernd Neumann ({64})
Claudia Nolte
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({65})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Christa Reichard ({66})
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Adolf Roth ({67})
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({68})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({69})
Andreas Schmidt ({70})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({71})
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({72})
Gerald Weiß ({73})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({74})
Hans-Otto Wilhelm ({75})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({76})
Marieluise Beck ({77})
Volker Beck ({78})
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({79})
Katrin Göring-Eckardt
Winfried Hermann
Ulrike Höfken
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({80})
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({81})
Werner Schulz ({82})
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({83})
Margareta Wolf ({84})
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun ({85})
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({86})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({87})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto ({88})
Dr. Günter Rexrodt
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Guido Westerwelle
Nun das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 14/4719.
Abgegebene Stimmen 583. Mit Ja haben gestimmt 31.
Mit Nein haben gestimmt 552. Auch dieser Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 582;
davon
ja: 30
nein: 552
Ja
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Eckhardt Barthel ({89})
Klaus Barthel ({90})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({91})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({92})
Bernhard Brinkmann
({93})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({94})
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({95})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({96})
Lilo Friedrich ({97})
Harald Friese
Anke Fuchs ({98})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({99})
Angelika Graf ({100})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack ({101})
Hans-Joachim Hacker
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({102})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({103})
Walter Hoffmann ({104})
Iris Hoffmann ({105})
Frank Hofmann ({106})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({107})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({108})
Christine Lehder
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({109})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({110})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({111})
Jutta Müller ({112})
Christian Müller ({113})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({114})
Birgit Roth ({115})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer ({116})
Ulla Schmidt ({117})
Silvia Schmidt ({118})
Dagmar Schmidt ({119})
Wilhelm Schmidt ({120})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({121})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({122})
Brigitte Schulte ({123})
Reinhard Schultz ({124})
Volkmar Schultz ({125})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({126})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({127})
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({128})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({129})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({130})
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({131})
Helmut Wieczorek ({132})
Dieter Wiefelspütz
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({133})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({134})
Waltraud Wolff ({135})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({136})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({137})
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({138})
Peter H. Carstensen ({139})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({140})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dr. Gerhard Friedrich ({141})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({142})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({143})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke ({144})
Hansgeorg Hauser ({145})
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers ({146})
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({147})
Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski ({148})
Dr. Martin Mayer ({149})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({150})
Elmar Müller ({151})
Bernd Neumann ({152})
Claudia Nolte
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({153})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Christa Reichard ({154})
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Adolf Roth ({155})
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({156})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({157})
Andreas Schmidt ({158})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({159})
Edeltraut Töpfer
Wir kommen nun zum Einzelplan 14 in der Ausschuss-
fassung. Ich will Ihnen noch einmal mitteilen: Es geht um
die Abstimmung über diesen gesamten Einzelplan. Die
Fraktion der PDS verlangt namentliche Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? -
Das scheint der Fall zu sein.
Ich eröffne damit die Abstimmung.1) Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist jetzt die dritte namentliche Abstimmung im Zusammenhang mit dem Einzelplan 14. Haben alle abgestimmt? - Das scheint der Fall
zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.
Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe jetzt auf:
III. 18 Einzelplan 09
Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie
- Drucksache 14/4509, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Hampel
Antje Hermenau
Dr. Christa Luft
Zum Einzelplan 09 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion der CDU/CSU und ein Änderungsantrag der
Fraktion der PDS vor. Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor, über den wir am
Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Ich weise darauf hin, dass heute keine namentlichen Abstimmungen mehr stattfinden werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Dankward Buwitt.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Vor einem Jahr haben wir an der
gleichen Stelle über die Insolvenz der Firma Holzmann
gesprochen. Der Kanzler hatte am Abend zuvor medienwirksam Hilfe zugesagt und Darlehen vom Bund versprochen. Wir haben uns damals natürlich mit den Mitarbeitern gefreut. Aber wir haben gleichzeitig die Frage
gestellt: Was ist eigentlich mit den anderen 20 000 Firmen, die ebenfalls in wirtschaftlichen und finanziellen
Problemen sind?
({0})
Heute fragen sich nicht nur die Arbeitnehmer von
Holzmann und die Mitarbeiter der mehr als 20 000 anderen Firmen, die in finanziellen Schwierigkeiten waren und
sind, sondern auch wir, was aus den medienwirksam versprochenen Hilfen des Bundeskanzlers denn geworden
ist.
({1})
Außer einer Tarifregelung, die am bestehenden Gesetz eigentlich vorbeigeht, war es wohl wieder einmal ein Versprechen, das nicht eingelöst worden ist.
({2})
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dr. Hans-Peter Uhl
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({3})
Gerald Weiß ({4})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({5})
Hans-Otto Wilhelm ({6})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({7})
Marieluise Beck ({8})
Volker Beck ({9})
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({10})
Joseph Fischer ({11})
Katrin Göring-Eckardt
Winfried Hermann
Ulrike Höfken
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller ({12})
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({13})
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({14})
Werner Schulz ({15})
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({16})
Margareta Wolf ({17})
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun ({18})
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({19})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({20})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto ({21})
Dr. Günter Rexrodt
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Guido Westerwelle
1) Ergebnis Seite 13301 C
Vor zwei Jahren, ebenfalls im November, hat
Wir sehen eine starke wettbewerbsfähige Wirtschaft
als Grundlage für die Arbeitsplätze. ... Im Mittelpunkt unserer Wirtschaftspolitik steht die Entlastung
der Beschäftigten und der kleinen und mittelständischen Unternehmer. ... Wir eröffnen den Menschen
die Perspektive zur Selbstständigkeit. Wer eine Existenz gründen will, dem werden wir nach Kräften helfen. ... Wir wollen uns jederzeit - nicht erst in vier
Jahren - daran messen lassen, in welchem Maße wir
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen.
Dies waren unter anderem die Versprechungen des Bundeskanzlers bei seiner Regierungsübernahme und selbstverständlich vorher im Wahlkampf.
Lassen Sie uns jetzt bei der Beratung des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie einmal genauer hinsehen. Lassen Sie uns messen,
was die Bundesregierung für die Schaffung von Arbeitsplätzen in den letzten zwei Jahren getan hat.
({0})
Als zentrale Aussage fallen mir zunächst die Worte des
Bundeskanzlers zur Lage des Euro ein: „Ein schwacher
Euro ist gut für die deutsche Wirtschaft.“ Kann es denn
richtig sein, dass ein deutscher Bundeskanzler auf eine
schwache Währung statt auf eine starke, aus sich selbst
heraus wettbewerbsfähige Wirtschaft setzt? Nein, richtig
kann das sicher nicht sein; aber es ist wohl eine Tatsache.
Medienwirksame Auftritte, Lippenbekenntnisse und
Versprechungen, die nicht eingehalten werden - in der
deutschen Wirtschaft wächst zunehmend der Unmut über
die riesige Lücke, die zwischen Reden und Handeln gerade bei der Förderung des Mittelstandes klafft.
({1})
Die kleinen und mittelständischen Unternehmen sind
Rückgrat und Lokomotive unserer Wirtschaft. Sie tätigen
fast die Hälfte aller Investitionen. Vier von fünf Arbeitnehmern finden hier ihren Arbeitsplatz. 80 Prozent der
Auszubildenden und Lehrlinge werden von Handwerk
und Mittelstand ausgebildet.
({2})
Doch von der „größten Steuerreform aller Zeiten“ profitieren in erster Linie, wenn überhaupt, die großen Kapitalgesellschaften.
({3})
Das Hin und Her bei den 630-Mark-Jobs hat vielen das
Vertrauen in die Politik und den kleinen und mittleren Unternehmen die notwendige Flexibilität beim Personaleinsatz genommen. Die Diskussion über die Scheinselbstständigkeit hat die unternehmerisch denkenden und zum
Handeln bereiten Menschen diskreditiert. Das so genannte Scheinselbstständigkeitsgesetz mit immer neuen
Korrekturen hat eine einzigartige Bürokratie geschaffen,
die viele Menschen den Arbeitsplatz gekostet hat. Die
Neuregelungen beim Kündigungsschutz lassen kleine
Unternehmen noch stärker zögern, neue Mitarbeiter überhaupt einzustellen. Sie, Herr Minister Müller, haben verkündet, dass Sie die Wirtschaft zur Frauenförderung
zwingen werden.
({4})
Dies belastet die Wirtschaft ebenso wie das Recht auf
Teilzeitarbeit. Sie setzen auf staatlichen Dirigismus anstatt auf Flexibilität und gezielte Unterstützung.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, hatten versprochen, gerade die kleinen und mittelständischen
Unternehmen zu entlasten.
({5})
Dass das dringend notwendig ist, sehen wir an der Zahl
der Insolvenzen in diesem Bereich. Wenn dann einmal ein
vernünftiger wirtschaftspolitischer Vorschlag aus Ihren
Reihen gemacht wird - Herr Schlauch ist leider nicht anwesend -, dann wird er unter Druck sofort zurückgezogen. Ich würde mir das an seiner Stelle nicht bieten lassen.
({6})
Durch den gesamten Einzelplan zieht sich wie ein roter Faden eine Kürzung oder nicht sachgerechte Ausstattung der Titel, was Ihren Pseudoanspruch Lügen straft,
dass nur eine starke Wirtschaft Arbeitsplätze schafft. Entweder hat sich also nach Ihrem wirtschaftspolitischen
Desaster der 70er-Jahre die richtige Erkenntnis durchgesetzt, dass nur eine starke Wirtschaftspolitik auch eine
gute Sozialpolitik mit sich bringen kann - dann allerdings
handeln Sie sträflich gegen besseres Wissen -, oder aber
Sie bauen immer noch auf die alte Maxime der staatlichen
Nachfragepolitik als Heilerin aller Wunden.
Schon bei der Beratung Ihres ersten Haushalts, Herr
Minister Müller, habe ich im Frühjahr 1999 die Befürchtung geäußert, dass Sie eher ein Energie- als ein Wirtschaftsminister sein werden. Dies hat sich leider in eklatanter Weise bewahrheitet. Der gesamte Haushalt Ihres
Bereiches zeichnet sich durch eine evidente Kopflastigkeit zugunsten erneuerbarer Energien aus. Die wirtschaftspolitische Grundsatzabteilung haben Sie sich vom
ehemaligen Finanzminister Lafontaine abnehmen lassen
und dann auch von Minister Eichel nicht zurückbekommen. Sie selbst empfinden sich augenscheinlich auch gar
nicht als Wirtschaftsminister. Wie sonst könnte man es erklären, dass bei der Beratung des Jahreswirtschaftsberichtes nicht nur die Vorlage vom Finanzminister eingebracht worden ist, sondern der Wirtschaftsminister noch
nicht einmal der Beratung beigewohnt, geschweige denn
zu diesem Bericht vor dem deutschen Parlament Stellung
bezogen hat?
Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, haben im
Bundestagswahlkampf den Mittelstand und auch die politische Mitte mit großen Versprechungen geködert.
({7})
Diese neue Mitte fühlt sich nun zu Recht „verschrödert“.
Weder für das Meister-BAföG noch für Beratung, Information und Schulung, noch für Berufsausbildungsstätten
und die gerade für die mittelständische Industrie wichtige
Auslandsmesseförderung stellen Sie Mittel in ausreichender Größenordnung bereit.
Das Aktionsprogramm „Mittelstand“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie hebt die Förderung der Berufsbildungsstätten hervor. Die Weiterentwicklung der Berufsbildungsstätten im Handwerk zu
notwendigen Kompetenzzentren ist von der Bundesregierung immer wieder als Förderschwerpunkt betont worden. Sie ist mit einem hohen konzeptionellen und investiven Aufwand verbunden. Die geplante Kürzung um
20 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr widerspricht
eklatant diesen Notwendigkeiten.
Um auch künftig Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie
den Technologietransfer im Handwerk vor allem in den
westlichen Ländern auf dem aktuellen Stand der Entwicklung durchführen zu können, ist die Anhebung des
Haushalts mindestens auf den Ansatz dieses Jahres dringend geboten.
({8})
Die Förderung von Informations- und Schulungsveranstaltungen sowie der Unternehmerschulung soll zum
31. Dezember dieses Jahres auslaufen. Diese Streichung
konterkariert die Bemühungen um die Ausbildung einer
modernen Unternehmerschaft, die Bereitschaft zu Existenzgründungen und Generationenwechseln sowie den
Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft. Ihre Aussage lautete: Wir eröffnen den Menschen Perspektiven für den Weg
in die Selbstständigkeit und werden denjenigen, die diesen
Schritt wagen, nach Kräften helfen. Wenn sich Existenzgründer auf diese Zusage verlassen, dann sind sie verraten und verkauft. Wir wissen, dass Existenzgründer einen
erheblichen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
leisten. Durchschnittlich werden im Rahmen jeder erfolgreichen Existenzgründung sechs neue Arbeitsplätze geschaffen. Es melden jedoch bis zu zwei Drittel der Gründer innerhalb der ersten fünf Jahre Konkurs an. Auch hier
zeigt die Bundesregierung kein Engagement, um bessere
Rahmenbedingungen für diese Existenzgründer zu schaffen.
Weder die Bundesregierung noch die Koalitionsfraktionen waren bereit, die Auslandsmesseförderung so
auszugestalten, dass die Konsugerma im Jahre 2002 in Japan finanziert werden kann. Es droht eine Absage der
Messe oder aber, durch Ihre unverantwortliche Haltung
erzwungen, die Finanzierung der Messe durch die vielen
kleinen Unternehmen, die sich an ihr beteiligen wollen.
Eine Teilnahme an der Messe ist insbesondere für den
Mittelstand wichtig. Es ist vor dem Hintergrund der Globalisierung der Märkte notwendig, dass deutsche Produkte vorgestellt und präsentiert werden, um die Käufer
im Ausland von der Qualität und dem Know-how zu überzeugen. Sie aber - ich hätte das beinahe vergessen - setzen lieber auf einen schwachen Euro.
Meine Damen und Herren, auch nach Abschluss der
Beratungen im Haushaltsausschuss gibt es im Einzelplan 09 eine globale Minderausgabe in Höhe von
90 Millionen DM. Sie wollen 90 Millionen DM einsparen, zeigen aber nicht auf, bei welchen Titeln Sie sie
einsparen wollen. Damit enthalten Sie der Öffentlichkeit
und uns vor, wie Sie diese Einsparung erbringen wollen.
Auch im letzten Jahr arbeiteten Sie mit solchen Haushaltstricks statt mit klaren und verlässlichen Vorgaben.
Sie verschieben die Belastungen auf später in der Hoffnung, dass es dann keiner mehr merkt. Sie haben die Titelgruppen 02 und 03 - dabei handelt es sich um die Förderung innovativer Energien - von der Erbringung der
globalen Minderausgabe ausgenommen.
Schon im letzten Jahr haben Sie 250 Millionen DM
Minderausgaben aus Steinkohle-Titeln gedeckt, die Sie
im Januar dieses Jahres zurückzahlen wollten, die Sie aber
bis zum Ende dieses Jahres immer noch nicht erwirtschaftet haben. Auch in diesem Haushalt wiederholen Sie
diesen Trick. Wieder erfüllen Sie nicht Ihre Verpflichtungen, sondern verschieben sie wie schon im Jahre 2000
jetzt auch im Jahre 2001 auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
Lassen Sie mich an dieser Stelle eine Frage an den
Bundeskanzler richten: Bezüglich der Übernahme des
Defizits der EXPO gibt es zwei Aussagen. Herr Gabriel
sagt, es gebe eine Vereinbarung mit Herrn Schröder, dass
Niedersachsen ein Drittel und der Bund zwei Drittel trage.
Herr Schröder sagt: Vertrag ist Vertrag - die eine Hälfte
zahlt Niedersachsen, die andere Hälfte der Bund. Nur einer kann ja die Wahrheit sagen.
Nach Abzug der rechtlichen Verpflichtungen bleibt für
notwendige Einsparungen im laufenden Haushalt des
Wirtschaftsministeriums nur der Bereich der Forschungsund Mittelstandsförderung, der für die Erbringung der
globalen Minderausgabe in Höhe von 90 Millionen DM
noch zur Verfügung steht. Hier wird nicht nur mangelnde
Planungssicherheit für alle Fördermittelempfänger in
Kauf genommen, sondern sogar eine noch größere Belastung. Es ist schon nach den Erfahrungen der letzten zwei
Jahre abzusehen, welche Folgen das haben wird.
Herr Kollege
Buwitt, denken Sie bitte an die Zeit.
Warum sagen Sie
den Menschen nicht, dass Ihnen eine starke Wirtschaft als
Garant der Arbeitsplätze nicht mehr viel wert ist? Aber Sie
brauchen sich keine Sorge zu machen, die Menschen werden dieses schon von alleine merken.
({0})
- Die Frage habe ich gestellt, bloß Sie haben sie wahrscheinlich nicht verstanden.
Geradezu dramatisch ist die Situation in Ostdeutschland. Hier ist die Zahl der Erwerbstätigen 1999 um fast
50 000 zurückgegangen. Im Jahre 2000 werden noch einmal 75 000 Arbeitsplätze verloren gehen. Bei den 18- bis
25-Jährigen haben wir eine Arbeitslosenquote von 20 Prozent zu verzeichnen. Der Kanzler hat zwar den Aufbau
Ost zur Chefsache erklärt und in der Sommerpause meDankward Buwitt
dienwirksame Inszenierungen in den neuen Bundesländern vorgenommen. Aber auch in diesem Jahr kürzen Sie
die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur Ost um sage und
schreibe 300 Millionen DM.
Eine starke Wirtschaft ist der Garant für Arbeitsplätze;
das stimmt. Aber mit Ihrer strikten Kürzung der Mittel für
die Förderung der Wirtschaftsstruktur Ost nehmen Sie billigend in Kauf, dass sich die Rahmenbedingungen für die
Schaffung von mehr Arbeitsplätzen in der Wirtschaft verschlechtern.
Ob alte oder neue Bundesländer: Sie von der Koalition
haben dazu aufgefordert, dass man Sie jederzeit daran
misst, was Sie für mehr Arbeitsplätze tun. Es ist traurig für
Deutschland und seine Menschen, wie niedrig Sie dabei
die Messlatte gelegt haben.
({1})
Herr Kollege
Buwitt, Sie liegen schon erheblich über Ihrer Redezeit.
Ich muss Ihnen sagen, dass dies Ihren Kollegen abgezogen wird.
Ich sage zum
Schluss: Die steuerliche und wirtschaftliche Weichenstellung ist nicht dazu angetan, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dafür werden wir uns aber in Zukunft stark machen.
Herzlichen Dank.
({0})
Wir kehren kurz
zum Einzelplan 14 zurück. Ich gebe Ihnen das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den gesamten
Einzelplan 14 bekannt: Abgegebene Stimmen 589. Mit Ja
haben gestimmt 320. Mit Nein haben gestimmt 269. Die
Beschlussempfehlung ist damit angenommen worden.
Als nächster Redner in der Debatte über den Einzelplan 09 hat nun der Abgeordnete Manfred Hampel das
Wort.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 585;
davon
ja: 318
nein: 267
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({2})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({3})
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({6})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({7})
Lilo Friedrich ({8})
Harald Friese
Anke Fuchs ({9})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({10})
Angelika Graf ({11})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack ({12})
Hans-Joachim Hacker
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({13})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({14})
Walter Hoffmann ({15})
Iris Hoffmann ({16})
Frank Hofmann ({17})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({18})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({19})
Christine Lehder
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({20})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({21})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({22})
Jutta Müller ({23})
Christian Müller ({24})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Birgit Roth ({26})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer ({27})
Ulla Schmidt ({28})
Silvia Schmidt ({29})
Dagmar Schmidt ({30})
Wilhelm Schmidt ({31})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({32})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({33})
Brigitte Schulte ({34})
Reinhard Schultz ({35})
Volkmar Schultz ({36})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({37})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({38})
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({39})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({40})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({41})
Helmut Wieczorek ({42})
Dieter Wiefelspütz
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({43})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({44})
Waltraud Wolff ({45})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({46})
Marieluise Beck ({47})
Volker Beck ({48})
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({49})
Joseph Fischer ({50})
Katrin Göring-Eckardt
Winfried Hermann
Ulrike Höfken
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller ({51})
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({52})
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({53})
Werner Schulz ({54})
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Helmut Wilhelm ({55})
Margareta Wolf ({56})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({57})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({58})
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({59})
Peter H. Carstensen ({60})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({61})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dr. Gerhard Friedrich ({62})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({63})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({64})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke ({65})
Hansgeorg Hauser ({66})
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Bei der Rede des Kollegen Buwitt
hatte ich den Eindruck, dass er nicht immer anwesend
war, als wir die Haushaltsberatungen durchgeführt haben.
({0})
Sonst hätte er sicher das eine oder andere, was er dargestellt hat, besser wissen müssen.
({1})
Der Haushalt des Jahres 2001 ist ein Sparhaushalt und
ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem Haushalt ohne
Nettoneuverschuldung im Jahre 2006. Dass gewisse Abstriche notwendig und erforderlich sind, steht außer
Frage. Wir haben in den Beratungen über den Haushalt die
Nettokreditaufnahme nochmals um 2,4 Milliarden auf
43,7 Milliarden DM gesenkt. Das ist ein positives Ergebnis dieser Haushaltsberatungen gewesen.
({2})
Es war nicht einfach, dieses Ergebnis zu erzielen, weil
meistens nach dem Sankt-Florians-Prinzip gespart werden soll: Sparen ja, aber bitte nicht bei mir. Ich sage das
gar nicht vorwurfsvoll; denn auch ich bin von solchen
Anflügen nicht völlig frei. Auch ich möchte das eine oder
andere gern einbauen. Sie von der Opposition haben heute
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers ({3})
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({4})
Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann ({5})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski ({6})
Dr. Martin Mayer ({7})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({8})
Elmar Müller ({9})
Bernd Neumann ({10})
Claudia Nolte
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({11})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Christa Reichard ({12})
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Adolf Roth ({13})
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({14})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({15})
Andreas Schmidt ({16})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({17})
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({18})
Gerald Weiß ({19})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({20})
Hans-Otto Wilhelm ({21})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Monika Knoche
Sylvia Voß
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun ({22})
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({23})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({24})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto ({25})
Dr. Günter Rexrodt
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
und auch gestern immer gesagt, es müsse gespart werden.
Andererseits stellen Sie nur Erhöhungsanträge.
({26})
Auch die weiteren Schritte werden sicher nicht einfach
sein. Immerhin müssen wir in den nächsten fünf Jahre die
Neuverschuldung Jahr für Jahr um rund 9 Milliarden DM
verringern, um im Jahre 2006 einen ausgeglichenen Haushalt - ohne Nettoneuverschuldung - zu haben. Das ist ein
schwieriges Vorhaben. Aber ich bin ganz sicher, dass wir
es schaffen werden. Wer denn sonst, wenn nicht wir?
({27})
Obwohl der Haushalt im Gesamtvolumen sinkt, konnten in einigen Ressorts durch den Einsatz von Zinsersparnissen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen Verbesserungen in den Bereichen Infrastruktur, Straße und
Schiene, Forschung und Bildung, Energieforschung, Altbausanierung und CO2-Minderung erreicht werden. Auch
für die Jahre 2002 und 2003 ist die Finanzierung dieser
Vorhaben bereits festgeschrieben.
Dies ist ein wichtiger Beitrag, um deutlich zu machen,
dass Sparen nicht Selbstzweck ist.
({28})
Mit der Rückführung und dem Abbau von Schulden sollen vielmehr finanzielle Spielräume geschaffen werden,
die uns überhaupt erst wieder Handlungsoptionen und
Gestaltungsmöglichkeiten im Haushalt eröffnen.
({29})
Für das Ressort des Bundeswirtschaftsministers wurden in den parlamentarischen Beratungen Verbesserungen
im Baransatz von rund 406 Millionen DM erreicht. Ich
denke, das ist ein positives Ergebnis. Die globale Minderausgabe, die im Haushaltsentwurf immerhin 250 Millionen DM ausmachte, konnten wir auf 90 Millionen DM
senken.
({30})
- Kollege Buwitt, Sie haben dies zwar dargestellt, aber
Sie haben es nicht korrekt dargestellt.
({31})
Wir haben dies durch eine Absenkung der Zuschüsse an
den Steinkohlebergbau erreicht. Sie werfen uns immer
wieder vor, wir würden uns genauso verhalten wie Sie damals, als Sie in der Regierungsverantwortung waren.
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]:
Schlimmer!
Das ist völlig unsinnig, Kollege Buwitt.
({32})
- Ich komme noch darauf zu sprechen. Hören Sie bitte zu!
Dann wissen Sie nachher, wenn ich mit diesem Punkt am
Ende bin, wenigstens, wovon ich gesprochen habe.
Ich denke schon, dass es einen wesentlichen Unterschied ausmacht, ob man Kürzungen einfach über den
Kopf der Betroffenen hinweg durchführt, wie Sie dies, als
Sie noch in der Regierungsverantwortung waren, getan
haben,
({33})
oder ob es eine Vereinbarung gibt, die mit allen Beteiligten getroffen wird.
({34})
In Abstimmung und in völliger Übereinstimmung mit
der Ruhrkohle AG, der Industriegewerkschaft Bergbau,
Energie und Chemie und dem Land Nordrhein-Westfalen
haben wir einen Kompromiss erzielt, der weder den
Kohlekompromiss von 1997 noch die Anschlussregelung ab 2006 berührt. Nach dieser Vereinbarung werden
die in den Jahren 2000 bis 2002 nicht ausgezahlten Mittel
- die 600 Millionen DM, die diese Vereinbarung
umfasst - ab dem Jahr 2003 in voller Höhe zur Verfügung
gestellt. Das war aus den Haushaltsunterlagen ersichtlich,
Kollege Buwitt. Sie hätten sie nur lesen müssen.
({35})
Hiermit wird die Gesamtsumme nicht infrage gestellt.
Für die offenen Mittel wird ein konkreter Auszahlungszeitraum benannt und dieses Vorgehen wird im Bundeshaushalt durch eine verbindliche Erläuterung festgeschrieben. Was will man mehr? Einen Bruch bestehender
Vereinbarungen kann man uns somit mit absoluter Sicherheit nicht vorwerfen.
({36})
- Kollege Buwitt, wir sind schon so spät in der Zeit. Bitte
gestatten Sie mir, meine Rede zu Ende zu bringen. Ich
glaube, die Kolleginnen und Kollegen werden dankbar
sein, wenn ich keine Zwischenfragen zulasse.
({37})
Einige Veränderungen, die wir im Laufe der parlamentarischen Beratungen beschlossen haben, möchte ich im
Folgenden noch kurz darstellen: Bei der Förderung des
Absatzes ostdeutscher Produkte haben wir eine
Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 20 Millionen DM eingestellt. Ich denke, damit kann die Förderung
des Absatzes ostdeutscher Produkte in den zukünftigen
Jahren gesichert werden. Das ist notwendig, da es bei diesen Produkten und Dienstleistungen hinsichtlich ihres
Anteils am gesamtdeutschen Absatz immer noch einen
erheblichen Nachholebedarf gibt.
({38})
- Kollege Buwitt, ich hatte gesagt, dass ich meine Ausführungen fortsetzen möchte.
({39})
- Also, bitte sehr. - Frau Präsidentin, fragen Sie mich.
Dann sage ich Nein.
Herr Kollege
Buwitt, man kann es natürlich kompliziert machen, aber
es geht auch ganz einfach. Wenn der Redner sagt, dass er
keine Zwischenfrage zulässt, dann lässt er keine zu. Das
gehört zu seinen Rechten.
({0})
Eben. - Ich denke, dass es
beim Absatz ostdeutscher Produkte und Dienstleistungen
noch einen erheblichen Nachholebedarf gibt. Traditionelle Instrumente der Messeförderung versagen hier, weil
sie nur für Auslandsmessen benutzt werden dürfen. Deswegen ist es notwendig, diese Förderung noch einige
Jahre fortzuführen.
Ich möchte auf einen Antrag der PDS eingehen, der in
der Bereinigungssitzung gestellt worden ist. Sie von der
PDS hatten darin gefordert, das Anpassungsgeld für Arbeitnehmer des Steinkohlebergbaus auf Arbeitnehmer des
Untertagebergbaus in den neuen Ländern im Bereich
Kali, Flussspat und der Wismut auszudehnen. Dies ist ein
Anliegen, für das ich persönlich durchaus Sympathie
habe. Jedoch musste dieser Antrag von uns in diesem
Haushalt abgelehnt werden:
({0})
Einerseits sind die Kosten für die Umsetzung nicht
klar. Die Zahlen schwanken - je nach Anzahl der Betroffenen - zwischen 10 Millionen und 80 Millionen DM;
aber dies war für mich nicht der Punkt, warum ich diesen
Antrag als nicht etatreif angesehen habe. Andererseits
sind noch keine Gespräche mit den Ländern geführt worden. Sie müssten mit Thüringen, Sachsen-Anhalt und
eventuell auch Sachsen Gespräche führen.
({1})
Diese Länder müssen verbindlich erklären, ob sie gedenken, ihrer Verpflichtung zur Kofinanzierung nachzukommen. Denn die Länder müssen zu einem Drittel mitfinanzieren. Sobald das geregelt ist, kann man die
erforderlichen Mittel in den Bundeshaushalt einstellen.
Ich fordere daher die Bundesregierung von dieser Stelle
aus auf, zu prüfen, ob in den neuen Ländern ein Bedarf für
eine solche Anpassungsgeldregelung besteht, und gegebenenfalls im Haushalt 2002 einen entsprechenden Titel
vorzusehen.
Aus den Zinsersparnissen, die sich aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen ergeben, haben wir für 2001 für
die Forschung und Entwicklung umweltschonender Energieformen im Bereich der nicht nuklearen Energieforschung Barmittel in Höhe von 80 Millionen DM und Verpflichtungsermächtigungen der folgenden zwei Jahre in
Höhe von 160 Millionen DM bereitgestellt.
({2})
Damit soll überwiegend die Brennstoffzellentechnik gefördert werden. Aber auch Antriebstechnologien mit
neuen regenerativ erzeugten Brennstoffen, geothermische
Anlagen, die Errichtung eines Offshorewindparks und die
energetische Optimierung von Altbauten werden gefördert.
Im Bereich der elektronischen Medien haben wir die
Barmittel um 20 Millionen DM erhöht: 5 Millionen DM
haben wir für innovative Dienstleistungen im Multimediabereich und 15 Millionen DM für die Aktion „Internet
für alle“ vorgesehen. Durch diese Aktion sollen alle gesellschaftlichen Gruppen bürgernah und umfassend über
die neuen Informations- und Kommunikationstechniken,
insbesondere über den Umgang mit dem Internet, informiert werden.
({3})
Wir halten eine solche Maßnahme für notwendig, um eine
digitale Spaltung der Gesellschaft in User und Nicht-User
zu verhindern.
Die Mittel für die Forschungsförderung haben wir
ebenfalls um 20 Millionen DM erhöht: davon 5 Millionen
DM für die industrielle Gemeinschaftsforschung und
15 Millionen DM für die Forschung und Entwicklung in
den neuen Bundesländern. Damit wird die Forschungsförderung insbesondere in den neuen Ländern auf einem
hohen Niveau fortgesetzt.
Die Beratung sowie die Information und Schulung im
Rahmen von Existenzgründungen - auch Kollege
Buwitt hat das angeschnitten - werden in Höhe von
60 Millionen DM, also mit zusätzlich 8 Millionen DM,
gefördert. Dadurch ist es sicher auch künftig möglich, neben den individuellen Existenzgründungsberatungen
Schulungen mit Seminarcharakter durchzuführen. Ich
bitte das Wirtschaftsministerium, zu prüfen, ob im kommenden Jahr auch Existenzgründungsseminare zu fördern
sind, und gegebenenfalls eine Überarbeitung der Bewilligungsrichtlinien vorzunehmen, falls ein unabweisbarer
Bedarf besteht.
Bei der Verbraucherberatung haben wir bereits im
Berichterstattergespräch bzw. anlässlich der Beratung des
Einzelplanes 09 im Haushaltsausschuss eine Erhöhung
der Zuwendungen für die Stiftung Warentest um 3 Millionen DM vorgenommen.
({4})
Ich halte dies für notwendig, um der Stiftung auch im
kommenden Jahr eine qualitativ hochwertige, objektive
und unabhängige Verbraucherberatung zu ermöglichen,
ohne zum Beispiel durch Werbung in ihrer Zeitschrift
„Stiftung Warentest“ in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis zur Industrie zu geraten. Sicher ist dies nur eine
„kleine Lösung“. Wünschenswert wäre es, die Stiftung
mit so ausreichendem Stiftungskapital auszustatten, dass
in künftigen Jahren ein öffentlicher Zuschuss völlig überflüssig und sie auf Dauer anbieterunabhängig wird.
({5})
- Ich habe das im Berichterstattergespräch gefordert.
Ich bin mir schon darüber im Klaren, dass dies in Zeiten knapper Kassen ein schwieriges Vorhaben ist. Trotzdem habe ich im Berichterstattergespräch diesen Prüfauftrag erteilt und für Frühjahr kommenden Jahres die
Vorlage eines Berichts gefordert. Dann werden wir uns erneut mit diesem Thema auseinander setzen.
({6})
In der Bereinigungssitzung haben wir für die Verbraucherorganisationen Zuwendungen in Höhe von 2 Millionen DM mehr zur Verfügung gestellt.
({7})
- Diese Mittel wurden ungefähr auf der gleichen Höhe
wie im Jahre 2000 fortgeschrieben. Das können Sie feststellen, wenn Sie sich den Haushalt 2001 ansehen. - Wir
wollen damit die durchgreifenden Reformen und den
Zusammenschluss der Verbraucherorganisationen zu einer Verbraucherzentrale Bundesverband unterstützen.
Gutachterlich wurde festgestellt, dass durch den Zusammenschluss ein kurzfristiger Mehrbedarf entsteht. In
der jetzigen Konsolidierungsphase, in der Strukturen gestrafft und neue Ansätze der Eigenfinanzierung durch Entgelte für Beratungsdienstleistungen, Publikationen und
anderes entwickelt werden, durfte dieser Prozess nicht
durch drastische Mittelkürzungen gefährdet werden.
Für die Förderung des Großraumflugzeugs A3XX ist
nun endlich eine für alle Beteiligten befriedigende Lösung gefunden worden. Der Bund wird dieses Projekt mit
einem verzinslichen, verkaufsstückzahlabhängigen und
rückzahlbaren Darlehen von bis zu 1,97 Milliarden DM
fördern. Dafür wurden in den Einzelplan des Bundeswirtschaftsministers 150 Millionen DM Barmittel für das Jahr
2001 und eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von
1,82 Milliarden DM eingestellt. Mit dieser Darlehensgewährung werden zum einen die Vorgaben internationaler
Vereinbarungen gewahrt, zum anderen erhält das deutsche Airbus-Unternehmen angemessene und vergleichbare Bedingungen wie seine Partnerunternehmen.
Wir erwarten, dass von diesem Programm eine direkte
nachhaltige Beschäftigungswirkung von 15 000 bis
16 000 Mitarbeitern bei der EADS und den circa 600 Zulieferfirmen ausgeht. Wir erwarten aber auch von der
EADS, dass sie den Anteil der Zulieferungen aus den
Standorten außerhalb Hamburgs, insbesondere aus den in
den neuen Bundesländern, weiter erhöht. Baransatz und
Verpflichtungsermächtigung sind qualifiziert gesperrt,
damit weiterhin parlamentarische Einflussnahme gesichert ist und wir über die weiteren Verhandlungen mit der
Industrie auf dem Laufenden gehalten werden.
Die Unterstützung des Hightech-Standortes Deutschland spiegelt sich aber nicht nur in der Unterstützung der
Flugzeugindustrie wider. Die Bundesregierung hat kurzfristig für die Jahre 2001 bis 2003 weitere 80 Millionen DM an Verpflichtungsermächtigung als Wettbewerbshilfe für deutsche Schiffswerften eingestellt.
({8})
Diese Entscheidung halten wir für richtig. Als notwendige
Folgerung haben wir den Baransatz für das Jahr 2001 um
30 Millionen DM auf 170 Millionen DM erhöht.
({9})
Die restlichen 50 Millionen DM werden in den kommenden zwei Jahren in gleichen Teilen bereitgestellt.
Damit wird die Schiffbauindustrie in die Lage versetzt,
die bis zum Auslaufen der EU-Beihilferichtlinie am
31. Dezember dieses Jahres verhandelten Verträge fest abzuschließen. Sie kann somit die trotz aller bestehenden
und bekannten Schwierigkeiten erfreuliche Entwicklung
auf dem Weltmarkt ausnutzen und gut gerüstet der Zeit
nach dem Auslaufen der Wettbewerbsbeihilfe entgegensehen. Ich hoffe sehr, dass bis dahin zwischen den
Schiffbaunationen endlich ein fairer Wettbewerb stattfinden wird.
({10})
Meine Damen und Herren, für die Anträge der Oppositionsfraktionen empfehle ich Ablehnung,
({11})
ohne im Einzelnen darauf einzugehen, da sie zum größten
Teil bereits während der Beratungen zum Haushalt gestellt und von uns abgelehnt wurden. Die Anträge sind
praktisch ein zweiter Aufguss.
Ich denke, auch ohne diese Anträge der Opposition
können wir mit dem Haushalt des Bundeswirtschaftsministers recht zufrieden sein.
({12})
Er leistet einen wichtigen Beitrag, um die bestehenden
guten Konjunkturaussichten zu stabilisieren und positiv
zu beeinflussen. In diesem Sinne werbe ich für Zustimmung.
Schönen Dank.
({13})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rainer Brüderle, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich beginne mit drei Aussagen.
Erstens:
Der deutsche Arbeitsmarkt gehört weltweit zu den
reglementiertesten.
Zweitens:
Man muss darüber nachdenken, ob der Anreiz, in
Deutschland Arbeit aufzunehmen, nicht zu gering
ist.
({0})
Drittens:
Bei der Diskussion über Löhne unter Tarif für existenzbedrohte Betriebe hoffe ich, dass der gedanklich
richtige Ansatz nicht völlig tot ist.
Dies sind keine Aussagen von mir, sondern vom Bundeswirtschaftsminister in der „Süddeutschen Zeitung“ vom
vergangenen Samstag.
({1})
Sie sehen: Ich registriere immer mit größtem Interesse,
was Sie, Herr Müller, von sich geben. Meine Damen und
Herren, ich gratuliere dem Bundeswirtschaftsminister zu
seinen Einsichten.
({2})
Doch anscheinend leben Sie, Herr Müller, in einem politischen Paralleluniversum; denn Ihr Haushalt drückt genau das Gegenteil von dem aus, was Sie uns in Ihren
Sonntagsreden verbal zu vermitteln versuchen.
({3})
Ihr Etat ist rückwärts gewandt und reformfeindlich. Es
bleibt dabei: Der Bundeswirtschaftsminister hält an überkommenen Wirtschaftsstrukturen fest und behindert den
notwendigen Strukturwandel.
({4})
Einem Wirtschaftsminister hätte es gut zu Gesicht gestanden, wenn er dem armen Rezzo Schlauch etwas lautstärker beigestanden hätte.
({5})
Er hat ja mittlerweile dermaßen Prügel von den grünen
Reformverweigerern bezogen, dass er sich erst gar nicht
in die Wirtschaftsdebatte traut.
({6})
Dabei hat Herr Schlauch nichts anderes als einen Schritt
in Richtung Realität getan. Er hat erkannt, dass unser
starres Tarifsystem Arbeitslosigkeit produziert. Er hat
erkannt, dass Beschäftigte und Betriebe flexibel auf unterschiedliche wirtschaftliche Situationen reagieren können müssen. Er hat erkannt, dass wir weniger Macht
der Verbände, dafür eine Stärkung der individuellen
Verantwortung brauchen.
({7})
Herr Müller, es würde einem Wirtschaftsminister gut
zu Gesicht stehen, wenn er sich nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch in aktuellen politischen Debatten für
eine überfällige Reform unserer Arbeitsmarktordnung
einsetzen würde.
({8})
Ihre Aufgabe ist es nicht, sich fein zurückzuhalten und
sich in Selbstmitleid über Ihre schwache Position innerhalb des Kabinetts zu ergehen.
Ihre Politik erinnert manchmal an „Das Schweigen der
Lämmer“,
({9})
hat aber wenig mit der Funktion eines Bundeswirtschaftsministers zu tun. Ihre Aufgabe ist es, sich kraftvoll und mit
Nachdruck für die Wirtschaft einzusetzen. Es kann ja sein,
dass Sie in solchen Momenten bei sich auch ein Glaubwürdigkeitsproblem sehen. Es kann aber auch sein, dass
Sie gar nicht öffentlich für mehr Flexibilität, mehr Wettbewerb und mehr Arbeitsplätze und damit für die Interessen der deutschen Volkswirtschaft streiten wollen.
Stattdessen streiten Sie lieber für ehemalige Staatsunternehmen wie Post oder Telekom. Sie streiten für ein
Zurückdrehen der Liberalisierung des deutschen Strommarktes. Sie wollen einen deutschen Energiesockel und
das Importverbot für billigen Auslandsstrom durchsetzen.
Sie ziehen gegen Wettbewerb und sinkende Preise auf den
Energiemärkten zu Felde. Sie kämpfen nicht für mehr
wettbewerbsfähige Strukturen im deutschen Bergbau.
Sie setzen sich gegenüber Brüssel für die Weiterzahlung
der Steinkohlesubventionen ein und verpassen wieder
einmal eine Chance, Subventionen zu kürzen.
({10})
Auch beim Sparen arbeiten Sie mit Tricks. Da werden
Steinkohlebeihilfen in Höhe von 190 Millionen DM für
das kommende Jahr gekürzt, um sie gleichzeitig der Ruhrkohle AG für das Jahr 2003 zuzusagen.
({11})
Ich frage mich: Muss der Staat wegen seines Sparkurses
jetzt schon Darlehen bei der Kohleindustrie aufnehmen?
({12})
Herr Müller, das ist Verschieben und nicht Sparen.
({13})
Wenn Sie dann tatsächlich einmal den Rotstift ansetzen, dann trifft es natürlich den Mittelstand. Der kann sich
auch nicht wehren; er hat bei Ihnen sowieso keine Lobby.
Der Etat für die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen ist innerhalb von drei Jahren von 1,3 Milliarden DM auf 0,5 Milliarden DM zusammengestrichen worden. Die Existenzgründungsberatung, die Forschungs- und Innovationsförderung für kleine und mittlere Unternehmen oder der Technologietransfer sind Beispiele dafür, wo Sie die Mittel zulasten des deutschen
Mittelstandes zusammengestrichen haben.
Sie lassen auch die ostdeutschen Bürger und Unternehmen im Regen stehen. Denen müssen Sie schon erklären, warum Sie die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe
zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftstruktur Ost
um 300 Millionen DM kürzen, gleichzeitig aber nach
Brüssel rennen, um auch weiterhin die deutsche Steinkohle mit rund 8 Milliarden DM alimentieren zu können.
({14})
Das versteht niemand.
Für die New Economy, die Sie im letzten „MüllerComic“ - auch Wirtschaftsbericht genannt - noch groß
feierten, haben Sie nur warme Worte, aber offensichtlich
kein Geld. Die Bundesregierung erweist sich hier auf vielen Feldern als Bremser, sei es bei der Urheberrechtsabgabe auf Computer, sei es bei der Besteuerung von Stock
Opinions für Mitarbeiter in den Start-ups.
({15})
- Hören Sie mal zu, Herr Staffelt. Das tut Ihnen auch gut.
Längst haben alle Gründer von Start-ups eine Tapferkeitsmedaille verdient, denn es gehört schon viel Mut
dazu, unter Grün-Rot ein Unternehmen zu gründen.
({16})
Die New Economy zeigt eines ganz deutlich: Die Wirtschaft wird durch Internet und E-Commerce immer globaler, immer transparenter. Der Wettbewerbsdruck auf
den einzelnen Betrieb, auf die ganze Volkswirtschaft
nimmt zu. Die Wirtschaft nähert sich dank der neuen
Technologien immer schneller einer grenzenlosen Weltwirtschaft. Die F.D.P. ist nicht umsonst die Partei der „Generation @“, der Start-ups, der jungen Unternehmen, derjenigen, die in unserem Land endlich etwas bewegen
wollen, denn wir kämpfen wie sie gegen bürokratische
Gängelung, für weniger Staat, weniger Verwaltung, weniger Bevormundung und weniger Reglementierung.
Herr Müller, wenn Sie es mit der Internet-Ökonomie
ernst meinen, dann gehen Sie von der Bremse. Beziehen
Sie Stellung, setzen Sie sich für die Interessen derjenigen
ein, die hoch produktive und zukunftsträchtige Arbeitsplätze für hochqualifizierte Mitarbeiter schaffen. Wenn
Sie das nicht tun, dann hören Sie wenigstens auf, Lippenbekenntnisse abzugeben,
({17})
denn, Herr Müller, New Economy ist kein neues Sitzplatzangebot der Lufthansa. New Economy ist Realität
und Zukunft.
({18})
Meine Damen und Herren, es ist bezeichnend, dass wir
uns in einer Haushaltswoche in den Abendstunden über
den Wirtschaftsetat unterhalten müssen. Das führe ich
nicht in erster Linie darauf zurück, Herr Müller, dass Sie
Ihren Etat 2001 gern vor der Öffentlichkeit verstecken
wollen. Grund dafür hätten Sie. Das hängt vielmehr und
in erster Linie damit zusammen, dass die Bedeutung des
Wirtschaftsministeriums in dieser Regierung geschrumpft ist.
({19})
Die Wirtschaftspolitik hat keine klare Linie mehr, und
wird zusehends vom Bundeskanzler mit bestritten.
({20})
Wirtschaftspolitik wird vom Wirtschaftsminister nur noch
als Randerscheinung verkauft, und das in einem Land, das
die soziale Marktwirtschaft zum Exportschlager gemacht
hat, das dem Staat aufgrund historischer Erfahrung die
Schiedsrichter- und nicht die Mitspielerrolle zugewiesen
hat, das auf ordnungspolitische Zusammenhänge gebaut
hat. Hier spielt inzwischen das ordnungspolitische Gewissen, das Wirtschaftsministerium, keine Rolle mehr.
Das Denken in Zusammenhängen, in Ordnungen ist
längst einem einzelfallbezogenen, widersprüchlichen und
interventionistischen Aktionismus gewichen.
Symbol für den Verfall ordnungspolitischen Denkens
in Deutschland ist die Amputation der Grundsatzabteilung des Wirtschaftsministeriums. Deutlicher kann das
ordnungspolitische Vakuum dieser Bundesregierung
nicht sein.
({21})
Angesichts dieser Entwicklungen verwundert es wenig, dass Ihr Zahlenwerk, Herr Minister Müller, für das
Jahr 2001 weder Visionen noch politisches Gewicht erkennen lässt. Vielleicht ist das schon ein Vorbote für Ihren
baldigen Abschied aus dem Bundeskabinett. Sie haben ja
schon angedeutet, dass neue Aufgaben in der Wirtschaft
Sie reizen würden.
Der Bundeskanzler scheint insgesamt wenig Glück mit
seinen Quereinsteigern zu haben.
({22})
Sie jedenfalls, Herr Müller, haben sich längst als
wirtschaftspolitischer Einwechselspieler erwiesen, der
sich bis heute keinen echten Stammplatz erkämpfen
konnte. Angesichts Ihrer saft- und kraftlosen Politik verwundert das wenig.
Der Standort Deutschland verdient mehr als bunte
Wirtschaftsberichte und einen uninspirierenden Etat.
Deutschland kommt nur nach vorne, wenn wir mit Phantasie und Gestaltungswillen vorwärts gehen. Das ist bei
diesem Wirtschaftsminister leider nicht zu erwarten.
Vielen Dank.
({23})
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich will einmal ein paar Sachen klarstellen. Herr Brüderle, Sie haben
wahrscheinlich in den letzten Jahren im Herbst zu oft irgendwelche pfälzischen Weinköniginnen zu Boden geknutscht,
({0})
sonst hätten Sie mitbekommen, dass die ganze verhängnisvolle Malaise mit der Steinkohle auf Ihrem und dem
Mist der CDU gewachsen ist. Sie sollten wissen, dass es
1997 einen Kompromiss gegeben hat, der auf einer Regelung beruht, die früher einmal der F.D.P.-Wirtschaftsminister Lambsdorff getroffen hat. Das ist mein Kenntnisstand zu diesen Dingen.
Weil wir gerade dabei sind: Es mag sein, dass die
sächsische Zunge ab und zu dazu neigt, ein hartes t und
ein weiches d miteinander zu verwechseln. Aber ich glaube, das macht aus dem „Tankwart“ Buwitt noch lange keinen Ökosteuerexperten. Ihre Bemerkungen haben jedenfalls nichts davon erkennen lassen.
Kommen wir zurück zum Etat. Der Etat ist im Laufe
der Haushaltsberatungen immerhin um 400 Millionen DM gestiegen. Trotzdem haben wir es geschafft, die
Nettoneuverschuldung um insgesamt 2 Milliarden DM zu
reduzieren. Diese Haushaltsführung nenne ich sehr inspirierend und sehr kreativ.
Wenn Sie sich die Schwerpunkte anschauen, dann
werden Sie diese sehr schnell erkennen: erneuerbare
Energien, Mittelstand, Forschung, Verbraucherschutz und
Meister-BAföG. Das sind übrigens alles ganz wichtige
Punkte. Nachdem Sie das Meister-BAföG erfunden hatten, haben Sie es einfach weiterlaufen lassen. Nun hat es
sich entwickelt. Wir müssen eine Novelle machen, weil
wir festgestellt haben, dass Mittel außerordentlich
schlecht abgeflossen sind. Sie haben in der Summe noch
nicht einmal die Hälfte des Ansatzes erreicht. Wir haben
mit diesem Haushalt die Weichen für eine Novelle des
Meister-BAföG gestellt.
({1})
Ich weiß überhaupt nicht, wie Sie auf die Idee kommen, der Mittelstand würde unter einer rot-grünen Regierung zu leiden haben. Ich kann dafür keinen Anlass sehen.
Kommen wir einmal auf die erneuerbaren Energien
zu sprechen, die Sie als einen Schwerpunkt der Etatberatungen gegeißelt haben, Herr Buwitt. Ich stehe mit Leidenschaft dahinter. Das ist der Punkt: Es ist die Leidenschaft für eine Idee, die sich hier zeigt. Ich weiß nicht, wie
es früher gewesen ist. Aber wahrscheinlich war es damals
im Bundestag nicht anders, als irgendwann einmal die
Atomgesetzgebung auf den Weg gebracht worden ist.
Auch damals standen hier sicherlich Leute mit großer Leidenschaft und einem Funkeln in den Augen und meinten,
dass dies die bahnbrechende Idee für die Energieerzeugung in Deutschland sei.
Nun kann es zwar sein, dass es mit den erneuerbaren
Energien nicht so klappt, wie wir uns das wünschen. Aber
ich glaube, Herr Buwitt, es wird klappen, und zwar deutlich besser als bei der Atomenergiegewinnung, bei der es
erhebliche Probleme gab. Wir ebnen den erneuerbaren
Energien den Weg.
({2})
Wir beschließen deswegen aber nicht extra ein Gesetz,
das diese Energiegewinnung sozusagen wie den Letzten
seiner Art schützt. Vielmehr machen wir es ganz geschickt, indem wir eine Subvention über ein paar Jahre
laufen lassen, die damit zeitlich begrenzt und überschaubar ist. Zudem hat sie einen vernünftigen Kurvenverlauf;
denn sie erreicht in der Mitte ihres Verlaufs ihren höchsten
Punkt. Das halte ich für eine vernünftige und strukturierte
Vorgehensweise. Ich kann überhaupt nicht erkennen, was
das mit dem Gemauschel, aus dem der Haushalt des Wirtschaftsministeriums nach vielen Jahren besteht, zu tun
hat.
Wir haben bei der Subventionspolitik neue Kriterien
eingeführt. Das erkennt man an den Subventionen für die
erneuerbaren Energien. Wir setzen auf zeitlich befristete
Abläufe, auf absehbare Kurven- und Ausgabenverläufe.
Das halte ich für richtungsweisend.
({3})
Ich glaube, dass wir von dem, wofür wir das Geld ausgeben, in nächster Zeit erkennbar profitieren werden. Es
geht zum Beispiel darum, im Bereich der Brennstoffzellen neue Antriebsformen zu erforschen. Es geht allgemein
um neue Antriebstechnologien auf regenerativer Basis.
Wenn wir in der Forschung zu neuen Ergebnissen kommen, werden wir die wirklichen Probleme unserer Zeit lösen.
Es wurden vorhin Zweifel daran geäußert - was Herr
Brüderle hier vorgetragen hat, klang wie eine Grabesrede -,
dass die Konjunktur in Schwung kommt. Daher nenne ich
lieber unverdächtige Quellen, zum Beispiel den Bundesverband deutscher Banken, der darauf hinweist, dass
es zwar ein etwas verlangsamtes Wirtschaftswachstum
gibt. Dies sei aber eine vorübergehende Wachstumsschwäche auf hohem Niveau und keine Konjunkturwende. Die konjunkturelle Grundtendenz sei im Allgemeinen - unter anderem auch wegen der rot-grünen Geldund Finanzpolitik - robust.
({4})
Wenn Sie noch mehr Aussagen von Unverdächtigen
brauchen, dann nenne ich das Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute vom Oktober dieses Jahres. Dort wird ein
Wachstum von rund 3 Prozent - auch für das nächste
Jahr - als stabil angesehen. Wenn ich mich recht erinnere,
ist das das höchste Wachstum seit 1993.
({5})
Aber das damalige war meines Erachtens geborgt, es war
Ergebnis der deutschen Einheit. Es resultierte aus dem
Konsumverhalten der Ostdeutschen. Es handelte sich
nicht um eine wirkliche Konjunktur, wenn Sie mich fragen. Die jetzige hingegen hat durchaus mehr Substanz.
Sie können sich ja einmal die harten Fakten anschauen,
zum Beispiel den Geschäftsklimaindex, die Auftragseingänge und die Industrieproduktion. Dann werden Sie erkennen, dass sogar in Ostdeutschland trotz der schweren
Bedingungen inzwischen 58 Prozent der Betriebe steigende Auftragseingänge verzeichnen können. Vor dem
Hintergrund kann ich die Grabesreden, die Sie hier anstimmen, nicht verstehen.
({6})
Ich rede gerne noch einmal über den Aufbau Ost insgesamt. Sie haben das hier angemahnt, indem Sie auf den
Änderungsantrag zur Gemeinschaftsaufgabe Infrastrukturinvestitionen hingewiesen haben. Es gab eine allgemeine Vereinbarung, wie mit dieser Gemeinschaftsaufgabe in den nächsten Jahren umzugehen ist. Sie wissen
genau, dass man dies mit den betreffenden Ländern diskutieren muss. Es gab eine Vereinbarung, wie sich die Finanzierung zu entwickeln habe. Dagegen haben die ostdeutschen Länder keinen Einspruch erhoben. Es ist
natürlich wohlfeil, wenn Sie jetzt meinen, Sie müssten
sich zum Anwalt der ostdeutschen Länder machen.
({7})
Wenn die ostdeutschen Länder selber kein Handeln einfordern, dann sehe ich keinen Grund, vonseiten des Bundes etwas zu ändern. Das ist das Erste.
Das Zweite ist: Es gibt natürlich eine Reihe von
Bemühungen - auch wenn Sie das als einen Tropfen auf
den heißen Stein ansehen -, den kleinen und mittelständischen Unternehmen in den fünf neuen Ländern - große
gibt es dort fast gar nicht - auf die Beine zu helfen. Ich
denke daran, dass wir den Absatz der ostdeutschen Produkte verstetigt haben. Es wird nicht nur bei der Sanierung der Schienenwege und Straßen eine Reihe öffentlicher Investitionen geben, sondern zum Beispiel auch bei
den Stadien in Leipzig und in Berlin oder beim Sportstättenbau Ost insgesamt. Es gibt Förderprogramme, die vor
allen Dingen die gemeinsame Forschung von Unternehmen mit wissenschaftlichen Einrichtungen fördern werden, wie zum Beispiel das Förderprogramm PRO INNO.
Ostdeutsche Unternehmen liegen dabei mit fast 60 Prozent weit über dem Abfragenniveau der westdeutschen
Länder. Für mich gibt es erkennbar eine Reihe von strukturellen Bemühungen, um dem ostdeutschen Mittelstand
auf die Beine zu helfen. Ich finde überhaupt nicht, dass
man behaupten könne, dem wäre nicht so.
Jetzt kommen wir noch einmal zur Tagespolitik, zur
EXPO. Das Thema hat hier ja einige erregt, deswegen
muss auch jeder etwas dazu sagen. Reden wir einmal darüber.
({8})
- Wenn ihr schweigt, fange ich an zu reden. Es ist erstaunlich, dass das Land Niedersachsen eine Pleite anmeldet, wo es doch gerade erst bei den Werften nach der
Kofinanzierung geschrieen hat - aber das lasse ich einmal
als lästerliche Vorbemerkung so stehen.
Ich glaube nicht, dass der Haushaltausschuss des Deutschen Bundestages - da werden mir die Kollegen aus dem
Haushaltsausschuss alle Recht geben und so habe ich
auch die bisherigen Redebeiträge verstanden - bereit ist,
solche Entscheidungen ohne Kenntnis der Zahlen und Abrechnungen zu treffen. Davon müssen wir ausgehen. Sie
wissen selbst, dass wir im Haushaltsausschuss lange über
dieses Thema gesprochen haben. Wir waren uns darüber
einig, erst die Zahlen zu prüfen, bevor wir diese Dinge abschließend klären.
Es gibt den Wunsch des Bundeskanzlers. Den nehmen
wir ernst. Aber es gibt natürlich auch geordnete Beratungsverfahren im Haushaltsausschuss. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.
({9})
- Der Herr Bundeskanzler wird für sich selber sprechen.
Ich komme noch zum letzten Punkt - er hat, jedenfalls
nach meiner Auffassung, in den letzten Tagen eine gewisse Brisanz erreicht -,
({10})
und zwar zur Frage des Verbraucherschutzes. Ich weiß,
dass es in den letzten Jahren ständig Diskussionen darüber
gab, ob man Verbraucherschutz überhaupt braucht oder
nicht. In den letzten Tagen und Wochen ist aber klar
geworden, wie wichtig die Verbraucherunterrichtung
ist - zum Beispiel ganz aktuell für das Konsumverhalten
bezüglich Rindfleisch. Ich bin der Auffassung, dass es uns
gelungen ist, trotz der Sparbemühungen eine gute Finanzierung für den Bereich des Verbraucherschutzes zu gewährleisten. Das betrifft sowohl die Verbraucherunterrichtung als auch die Stiftung Warentest. Ich glaube, dass
wir uns mit dem Ergebnis sehen lassen können.
Es ist wichtig, dass die Konsumenten die Möglichkeit
haben, sich über alle möglichen Varianten des Konsums
gut zu informieren. Sie müssen die Möglichkeit haben,
Kaufentscheidungen auf Informationen basierend zu treffen. Ich halte das für einen wichtigen Punkt und bin dankbar, dass es uns gelungen ist, auch da wieder die Mittel zu
erhöhen, um den Verbraucherschutz zu stärken.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat jetzt die Kollegin Dr. Christa Luft.
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Zwei Vorbemerkungen zu
Debattenbeiträgen:
Meine erste Bemerkung bezieht sich auf die EXPO:
Seit heute Nachmittag wissen wir, dass sich die Fraktionsspitzen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen darauf
geeinigt haben, eine Neuaufteilung des Defizits vorzunehmen. Frau Kollegin Hermenau, mir ist kein Fall bekannt, bei dem die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuss irgendetwas gemacht hätten,
was den Fraktionsspitzen nicht genehm gewesen wäre. Insofern muss ich davon ausgehen, dass der Titel 682 01, in
den 150 Millionen DM eingestellt sind und zu dem erläuAntje Hermenau
tert wird, dass der Bund und das Land Niedersachsen je
die Hälfte dieses Defizits tragen, geändert werden muss.
({0})
Zwischen einer hälftigen Übernahme des Defizits und einer Aufteilung von zwei Dritteln zulasten des Bundes
liegt kein Pappenstiel.
({1})
Es wäre daher notwendig, den Haushaltsausschuss darüber zu informieren, auf welche Weise die Koalition eine
notwendige Haushaltsumschichtung vornehmen will. So
hätte ich mir das jedenfalls vorgestellt.
({2})
Ich muss prinzipiell sagen, dass die Informationspolitik
gegenüber dem Haushaltsausschuss in Sachen EXPO geradezu skandalös war und ein solches Vorgehen scheint
sich nun fortzusetzen.
Mit meiner zweiten Bemerkung beziehe ich mich auf
die Aussagen des Kollegen Hampel bezüglich des Anpassungsgeldes für Untertage-Bergleute aus den neuen
Bundesländern. Ich habe diesen Antrag, Herr Kollege
Hampel, nicht in der Bereinigungssitzung das erste Mal
gestellt, sondern schon bei der Beratung des Einzelplanes
und außerdem schon vorher im Berichterstattergespräch.
Außerdem hat bereits 1996 unsere Gruppe - die PDS war
damals noch eine Gruppe - im Deutschen Bundestag einen Antrag mit dem Ziel gestellt, dieses Problem zu lösen.
Wir haben diesen Antrag abermals 1999 gestellt. Ich halte
es allmählich für unerträglich, dass ein berechtigtes soziales Anliegen über Jahre hinweg verschleppt wird und
man sich heute hinstellt und sagt, man wisse nicht, um wie
viele Leute es sich handle oder wie die Länder reagierten.
Ich muss Ihnen sagen: Das Land, das am stärksten betroffen ist, ist Thüringen. Mit dem Land Thüringen sind
wir im Gespräch. Die damalige Wirtschaftsministerin
- ich glaube, es war im Jahre 1997 oder 1998 - hat gesagt,
sie werde sich nicht sträuben, wenn der Bund eine Lösungsmöglichkeit sehe.
({3})
Es geht auch nicht um Hunderte von Menschen, sondern
um eine überschaubare Zahl. Dieses Problem muss endlich gelöst werden und wir dürfen es nicht über weitere
Jahre vor uns herschieben, denn das verdienen die Menschen nicht.
({4})
Zum Etat des Bundeswirtschaftsministers muss ich bemerken, dass es sich dabei um einen Etatposten handelt,
der ein bisschen von dem Füllhorn, das sich aufgetan hat,
profitieren konnte. Aufgestockt worden ist jedenfalls
- das finden wir in Ordnung - die Förderung einer ökologischen Wende im Energieverbrauch und in der Energieerzeugung. Allerdings ist die zusätzliche Summe von
180 Millionen DM für das nächste Jahr für die Markteinführung erneuerbarer Energien und zur Weiterentwicklung nichtnuklearer Energietechnologien in ihrer Wirkung letztlich ein Tropfen auf den heißen Stein.
Das gilt jedenfalls dann, wenn man einen Vergleich
- uns ist keine andere Information zugegangen - mit dem
Verzicht auf die Festlegung eines Ordnungsrahmens für
den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung zieht. Diesen
Aspekt hat hoffentlich auch der Kanzler bei dem Gespräch mit den Chefs der Energiekonzerne bedacht.
({5})
Ich hoffe nicht, dass er bei den Gesprächen einfach wieder „Basta“ sagt, denn dann würde der Umsetzung des nationalen Klimaschutzprogramms ein Bärendienst erwiesen.
({6})
Gerade durch die Kraft-Wärme-Kopplung können Emissionen kurzfristig gesenkt und im Übrigen Arbeitsplätze
gesichert und geschaffen werden.
Soweit ich mich erinnern kann, ist seit dem Einzug der
PDS in den Deutschen Bundestag noch nie eine Regierungskoalition - weder in den Beratungen des Wirtschaftsausschusses noch des Haushaltsausschusses - bereit gewesen, Forderungen der linken Opposition in
größerem Umfang entgegenzukommen. Ich hielte ein solches Entgegenkommen auch für keine besondere Geste,
sondern für einen normalen Vorgang, weil ja auch die Opposition nicht den Regenschirm aufgespannt hatte, als der
liebe Gott den Verstand verteilt hat. Ich denke, auch wir
haben oft - vielleicht sogar immer - vernünftige Vorschläge.
({7})
Zur Förderung des Absatzes ostdeutscher Produkte, zur
Forschung und Entwicklung in den neuen Ländern, zum
Verbraucherschutz und zu den Wettbewerbshilfen für den
deutschen Schiffbau haben wir Anträge eingebracht. Sie
waren in der Finanzsumme sogar ein wenig bescheidener
als das, was die Koalition dann gemacht hat und was uns
freut. Wir haben leider nicht den Zugriff auf den Geldsack. Den haben Sie. Dass Sie noch ein bisschen stärker
zugegriffen haben, freut uns. Das finden wir in Ordnung.
Zum ersten Mal hat der Haushaltsausschuss sogar einen Antrag meiner Fraktion direkt angenommen. Dieser
betrifft den mit 5 Millionen DM dotierten Hilfsfonds des
Bundeswirtschaftsministeriums für schuldlos in Existenznot geratene Handwerker und Kleinunternehmer. Ich
muss allerdings hinterherschicken: Man kann sich nicht
darauf zurückziehen, dass etwa mit diesem Hilfsfonds die
großen Probleme gerade dieser Klientel gelöst sind. Jeder
Kontakt mit Kleinunternehmern, mit Selbstständigen, den
wir wohl alle haben, macht deutlich, dass ein solcher
Fonds im Höchstfall Nothilfe leisten kann.
Wie wir das schon zu Jahresbeginn befürchtet haben,
hat das beschlossene Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen weder diese Zahlungen beschleunigt noch
die Zahlungsmoral generell verbessert. Von daher muss
im Hinblick auf diese Achillesferse schlechte Zahlungsmoral schleunigst etwas geschehen, nicht im Haushalt,
sondern im Schuldrecht, im Insolvenzrecht, im Vergaberecht und auch bei den Gerichten. Ein Wirtschaftsminister, der Mittelstandspolitik ernst nimmt, darf sich auch
hier nicht hinter der Justizministerin verstecken. Er muss
vielmehr endlich die vielen Initiativen in diesem Hause
unterstützen - auch wir haben dazu beigetragen -, die es
zur effektiven Bekämpfung dieser Missstände, die Hunderttausende von Existenzen und Millionen von Arbeitsplätzen bedrohen, gibt.
({8})
Zu kritisieren ist auch die Streichung des Handwerks
aus dem Kreis der Begünstigten für die Investitionszulage
in den neuen Bundesländern. Ich lese gerade etwas, das
wohl morgen veröffentlicht werden wird. Der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks,
Hans-Eberhard Schleyer, sagt, das Handwerk stehe wegen der Öffnung der Außengrenzen unter einem erheblichen Anpassungsdruck. Er verwies darauf, dass im Osten
49 Prozent der Handwerksbetriebe ihre Investitionen
zurückfahren wollen, wenn es so kommt, wie sich dies zur
Stunde abzeichnet.
Zu den Anträgen der CDU/CSU, die hier vorgelegt
worden sind, muss ich noch etwas sagen. Es stimmt leider
nicht, dass der Bundeshaushalt von einer abnehmenden
Inanspruchnahme der Eigenkapitalhilfe profitiert. Der
insgesamt wohl nur notdürftig zusammengeschusterte
Feststellungsteil Ihres Antrages beinhaltet schlicht falsche
Aussagen. Wir werden diesem Entschließungsantrag dennoch zustimmen, weil man sich schlechterdings nicht verweigern kann, wenn eine stärkere Mittelstandsförderung
gefordert wird.
Zu Ihren übrigen Änderungsanträgen, über die nun
nicht mehr namentlich abgestimmt werden sollen, will ich
sagen: Erstens scheint, was die Aufstockung der Mittel für
die Gemeinschaftsaufgabe anbetrifft - das ist eine äußerst
üppige Aufstockung, die man sich wünschen kann -, die
neue Fraktionsführung noch keine Kommunikationsstränge zu den Ministerpräsidenten in Erfurt und Dresden
und zum Regierenden Bürgermeister von Berlin zu haben.
Sonst wüssten Sie, was diese an dieser Stelle kofinanzieren können und was nicht. Zweitens ist dies vielleicht
auch ein Indiz dafür, dass Sie nicht davon ausgehen, dies
dann auf bundespolitischer Ebene umsetzen zu müssen.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat jetzt der
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Dr. Werner Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Lassen Sie mich mit einem herzlichen Dank an
die Berichterstatter meines Haushaltes beginnen. Namentlich möchte ich Frau Hermenau, Herrn Hampel und
Herrn Wagner nennen. Ich muss sagen, dass ich mich über
die Unterstützung der SPD-Fraktion, was Fragen meines
Haushaltes anbelangt, sehr gefreut habe. Herzlichen Dank
dafür.
({0})
Herr Brüderle, als Weiteres will ich kurz anmerken:
Dass der Haushalt heute Abend und nicht, wie planmäßig
vorgesehen, Donnerstag früh um 9 Uhr gelesen wird, liegt
daran, dass der Bundestag zu diesem Zeitpunkt Ihres verstorbenen Kollegen Ertl gedenkt.
({1})
Lassen Sie mich nun auf die Themen im Einzelnen eingehen.
Zurzeit freut sich der Wirtschaftsminister, wenn er über
die wirtschaftliche Lage referieren kann; denn wir schreiben rundum gute Zahlen. Besonders wichtig ist: Die Arbeitslosigkeit sinkt, wenn auch vielleicht noch nicht in
dem Maße, wie wir es uns wünschen. Das liegt daran, dass
die Erwerbstätigkeit zunimmt. Im Vergleich zum Vorjahr
gibt es in diesem Land immerhin 600 000 Beschäftigungsverhältnisse zusätzlich.
({2})
Auch das nächste Jahr wird gut. Das Wirtschaftswachstum liegt in diesem Jahr bei 3 Prozent. Im nächsten Jahr wird es vielleicht etwas weniger sein und bei etwa
2,8 Prozent liegen.
({3})
Wenn Sie sich freundlicherweise an die Zahlen der letzten
Jahre erinnern, dann werden Sie feststellen: Das diesjährige Wirtschaftswachstum um 3 Prozent ist das höchste seit 1991.
({4})
Sie konnten nur 1991 ein gutes Wirtschaftswachstum vorweisen, der Grund dafür war der so genannte Wiedervereinigungsboom. Aber seit Ende 1998 gibt es einen Wiederbelebungsboom.
({5})
Die Wirtschaft atmet jetzt auf, nachdem sie jahrelang
durch immer höhere Steuern und Abgaben zunehmend
zum Erlahmen gebracht wurde. Herr Brüderle, Sie scheinen völlig vergessen zu haben, dass die F.D.P. 30 Jahre
lang in diesem Land den Wirtschaftsminister gestellt hat.
({6})
Ich möchte darauf hinweisen, dass das Volumen des
Haushalts des Bundeswirtschaftsministers um rund 5 Prozent unter dem des Vorjahres liegt. Damit ist der Haushalt
des Wirtschaftsministers neben dem des Finanzministers
der einzige Haushalt, der weiterhin nennenswerte Einsparraten ausweist. Das heißt konkret: Subventionsabbau.
Dieser ist notwendig, wenn die Wirtschaft in diesem Land
wieder aus sich heraus, also selbstständig, wachsen soll.
In diesem Land ist ein immenser Subventionsberg aufgebaut worden. Das ist das Ergebnis von 30 Jahren F.D.P.Wirtschaftspolitik. Vor diesem Hintergrund sage ich IhDr. Christa Luft
nen: Es geht nicht um irgendwelche Müller-Comics, wie
Sie das nennen, sondern darum, eine wohlverstandene
Renaissance der sozialen Marktwirtschaft - das fordern
Sie zwar jetzt; aber das haben Sie 30 Jahre lang nicht geschafft - einzuleiten.
({7})
Obwohl der Haushalt insgesamt um 5 Prozent geringere Ausgaben als der Haushalt des Jahres 2000 ausweist,
gibt es Positionen, die Zuwächse aufweisen. Deutliche
Zuwächse gibt es einerseits bei den Ausgaben zur Förderung der IuK-Technologien und des Internets und andererseits bei den Ausgaben zur Förderung der Energieforschung und zur Unterstützung der Einführung neuer
Energietechniken in den Markt.
({8})
Ich möchte zuerst auf das Thema IuK-Technologien
eingehen. Wir sind dabei, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Wir haben das Signaturgesetz auf
den Weg gebracht und wir werden die E-CommerceRichtlinie umsetzen. Ich gehe davon aus, dass die Liberalisierung auf den neuen Technologiemärkten weitergehen
wird. Wir werden die Zugabeverordnung und das Rabattgesetz abschaffen. Das haben Sie, Herr Brüderle, vor einigen Jahren expressis verbis abgelehnt. Heute fordern
Sie es, obwohl es damals an Ihrem persönlichen Widerstand gescheitert ist.
({9})
Wir werden - das will ich hinzufügen -bei der wettbewerblichen Behandlung der Post- und Telekommunikationsmärkte den Weg weitergehen, den wir schon bislang
gegangen sind. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass
der Präsident der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post zu meinem Bedauern ein materiell außerordentlich attraktives Angebot aus der Wirtschaft annehmen will.
({10})
- Ich weiß nicht, warum Sie erwarten, dass jemand, der in
der Wirtschaft ein Vielfaches seines jetzigen Gehaltes verdienen kann, Ihnen zuliebe seinen Beamtenjob weitermachen soll.
Zu den Dingen, die wir im Bereich der Informationsund Kommunikationstechnologien zukunftsorientiert entwickeln müssen, gehört natürlich auch ein vernünftiges
Urheberschutzrecht. Dass Sie, Herr Brüderle, bei Ihren
Reden keine Angst haben, dass sie jemand kopiert, ist mir
klar.
({11})
Aber wir müssen angesichts der ungeheuren Vielzahl an
neuen Vervielfältigungs- und Speichermöglichkeiten
grundsätzlich darauf achten, dass die Rechte der Urheber
gewahrt bleiben.
Lassen Sie mich damit zum Thema Mittelstand übergehen. Wir machen auch eine aktive Mittelstandspolitik.
Es ist barer Unsinn, zu sagen, dass beim Mittelstand irgendetwas gekürzt werde. Wir werden beispielsweise im
nächsten Jahr Kredite in der Größenordnung von knapp
30 Milliarden DM an Gründer und an Firmen des Mittelstandes geben können. Wir werden die Mittelstandsförderung insgesamt neu strukturieren, etwa durch die Zusammenlegung der DtA und der KfW zu der Mittelstandsbank
des Bundes. Wir haben darüber hinaus mit den Vertretern
der Kreditwirtschaft vereinbart, dass die Finanzierung des
Mittelstandes wieder zu einer in allen Bereichen der Kreditwirtschaft bevorzugten Aufgabe wird; denn Sie wissen,
dass die Finanzierung des Mittelstandes ein durchaus
ernstes Problem darstellt. Wir werden Instrumentarien
entwickeln, die es den Geschäftsbanken, insbesondere
den Genossenschaften und Sparkassen, ermöglichen, die
ausgelegten Kredite in ihren Risiken an den Mittelstand
weiterzugeben, sodass sie im Neugeschäft der Kreditvermittlung nicht übermäßig behindert sind, etwa durch Vorschriften der Eigenkapitalunterlegung.
Wir haben beispielsweise 930 Millionen DM allein zur
Vernetzung von mittelständischen Unternehmen mit
öffentlichen Forschungseinrichtungen vorgesehen;
denn es ist eine der zentralen Aufgaben, dass wir das Wissen, das in öffentlichen Forschungseinrichtungen gewonnen wird, möglichst auch auf den Mittelstand übertragen,
sodass der Mittelstand dann mithilfe dieses Wissens
marktorientierte Produkte entwickeln kann. Von diesen
930 Millionen DM fließt übrigens weit mehr als die Hälfte
in die neuen Länder. Das ist ein Zuwachs von deutlich
über 10 Prozent. Auch das spricht gegen die Zahlen, die
hier vorhin bezüglich angeblicher Kürzungen der Hilfen
für den Aufbau Ost genannt wurden.
({12})
Stichwort Aufbau Ost: Insgesamt schreiben wir in
Ostdeutschland statistisch gesehen durchaus erfreuliche
Zahlen. Sie wissen, wir haben beispielsweise beim Export
gute Zuwachsraten und auch die Investitionsquoten sind
gut. In Ostdeutschland sind die entsprechenden Zahlen
durchweg günstiger als in Westdeutschland; zugegebenermaßen allerdings auf niedrigem Niveau. Die Tatsache,
dass wir dort bessere Zahlen schreiben, zeigt aber, dass
der Aufholprozess in Gang gekommen ist. Damit haben
wir gegenüber früheren Jahren eine Trendwende erreicht,
sodass ich sagen kann: Der Aufschwung Ost ist jetzt wirklich messbar.
({13})
Ich sage auch: Es wird noch Jahre dauern.
Zu den Dingen, von denen insbesondere Ostdeutschland profitieren wird, gehört beispielsweise, dass wir nun
den A3XX fördern wollen. Das war immer mein Ziel.
Durch die Vereinbarungen, die wir mit der Wirtschaft getroffen haben, werden einige - ich sage einmal: nicht ganz
zukunftssichere - Stellen in Ostdeutschland gesichert,
beispielsweise bei den Flugzeugwerken Dresden. Außerdem entstehen in Ostdeutschland durch den A3XX noch
etwa 2 000 neue Arbeitsplätze in diesem Hightechbereich.
Zum Thema Werften. Wir haben geregelt, dass die
deutsche Werftindustrie - dazu gehört insbesondere die
Ostdeutschlands - in den restlichen Wochen dieses Jahres
noch bis zu 14 Milliarden DM an Aufträgen annehmen
kann, sodass wir die ungewisse Situation, was die Fortsetzung der EU-Werftenhilfe anbelangt, in jedem Falle bis
in das Jahr 2003 überbrücken können.
({14})
Außerdem haben wir - das ist gesagt worden - die Absatzförderung Ost deutlich hochgeschraubt und können
so bedarfsgerecht fördern.
Wir werden - davon profitiert vor allem Ostdeutschland - im nächsten Jahr eine Initiative ergreifen, zu deren
geistigen Müttern und Vätern insbesondere Frau Irber und
auch Herr Hinsken gehören: Wir haben im nächsten Jahr
das Jahr des Tourismus in Deutschland.
({15})
- Nein, so ist es nicht. - Wir haben bei den Übernachtungen in Ostdeutschland Zuwachsraten im zweistelligen
Bereich.
({16})
Ich möchte, dass wir Deutschland insgesamt wieder attraktiver machen; denn wir wissen: Die Deutschen geben
im Ausland 90 Milliarden DM aus, ausländische Touristen bringen aber nur 30 Milliarden DM ins Land. Unser
Land ist so schön, dass wir dieses Defizit nicht einfach tatenlos hinnehmen sollten. Vielmehr müssen wir daran arbeiten.
({17})
Wir führen die Messeförderung tatkräftig fort. Ich
will übrigens einmal sagen: Es kommt mir schon etwas
komisch vor, wenn ich hier seitens einzelner Abgeordneter aufgefordert werde, der deutschen Wirtschaft zusätzliche Subventionen zu geben. Richtig ist, dass die deutsche
Wirtschaft eine große Industrieausstellung in Japan plant,
genannt Konsumgerma. Die Kosten sollen 100 Millionen DM betragen. Ich habe mich mit dem BDI-Präsidenten Henkel schriftlich darauf verständigt, dass aus
meinem Haushalt - was schwer genug fällt - ein Zuschuss
in Höhe von 15 Millionen DM gegeben wird. Das ist sozusagen Staatsknete für dieses Vorhaben der deutschen
Wirtschaft. Vor dem Hintergrund, dass insbesondere der
BDI anmahnt, dass viel zu wenig gespart werde, finde ich
es merkwürdig, dass er gerade Sie ausguckt, hier zu sagen: Die deutsche Wirtschaft braucht viel mehr Messeförderung. Das müssen Sie einmal irgendwie verständlich
machen.
({18})
Das provoziert nun
eine Zwischenfrage des Kollegen Buwitt. Gestatten Sie
das, Herr Minister?
Aber nicht so lange; ich muss um halb
neun beim Kanzler sein.
Bitte sehr.
Herr Minister
Müller, Sie sagen, die entsprechenden Kürzungen seien
nicht vorgenommen worden. Können Sie Folgendes bestätigen: Forschung und Entwicklung in den neuen Bundesländern - minus 30 Millionen DM; Existenzgründung
und allgemeine Beratung - minus 12,5 Millionen DM;
Förderung der Einrichtung, Modernisierung und Ausstattung von überbetrieblichen Fortbildungseinrichtungen minus 20 Millionen DM? Die 15 Millionen DM, die Sie
für die Messebeteiligung zugesagt haben, gehen zulasten
der kleinen Betriebe, die sich daher an den anderen Messen nicht beteiligen können.
({0})
- Ich habe gefragt, ob er das bestätigen kann. Reicht Ihnen das nicht aus? Er wird mir bestätigen, dass 15 Millionen DM, auf die die Wirtschaft eigentlich angewiesen
ist, von der Messeförderung abgezogen und nicht von
Ihrem Haushalt extra bereitgestellt werden.
({1})
Wenn Sie stehen bleiben, Herr Kollege, dann bekommen Sie auch eine Antwort. - Bitte sehr, Herr Minister.
Ich weiß nicht, was ich beantworten
soll.
({0})
Aber ich kann Ihnen eines sagen: Getreu Ihrer Logik
müsste ich die von der Wirtschaft geforderten 30 Millionen DM zur Finanzierung einer Messe in Japan aus meinem Haushalt herausschneiden und die anderen Messen
würden noch weniger gefördert. Deswegen geht das nicht
anders.
({1})
Ansonsten können Sie aus jedem Haushalt irgendwelche Minuspositionen herausnehmen. Sie hätten freundlicherweise erwähnen müssen, um wie viel die Ansätze für
„Forschung und Entwicklung“ und „Neue Energien“ auch
für Ostdeutschland erhöht werden. Ich habe schon einmal
gesagt: Für die Vernetzung von KMUs und Wissenschaft
gibt es einen Ansatz, der um 10 Prozent auf 930 MilliBundesminister Dr. Werner Müller
onen DM angewachsen ist. Es handelt sich insofern nicht
um ein Nullsummenspiel. In meinem Haushalt ist sowohl
für Ostdeutschland als auch für Forschung und Technologie insgesamt ein Plus zu verzeichnen. Gemessen an den
Herausforderungen der Zukunft ist das auch notwendig.
({2})
Lassen Sie mich zum Thema Energie kommen. Ich
will darauf hinweisen: Es war nicht einfach, die Förderung der deutschen Steinkohle in Brüssel abzusichern.
Herr Brüderle, wenn es nicht gerade Sie wären, dann hätte
ich vielleicht gedacht, dort habe jemand mit Einfluss interveniert.
({3})
- Nein, Sie haben mich nicht getroffen. Ich finde das nur
ganz nett. Wir können ruhig einmal das eine oder andere
persönliche Wort hier austauschen. Es ist doch nicht so,
dass ich Ihnen nur zuhören soll und nicht reden darf.
Zurück zum Thema. Ich habe gestern ein Schreiben der
EU-Kommissarin bekommen. Danach kann ich nun sagen, dass die Sicherung der Steinkohleförderung bis
Mitte 2002 geregelt ist, sodass wir etliche Jahre in dieser
Angelegenheit mit Brüssel keinen Ärger mehr haben werden.
({4})
Ich will des Weiteren sagen: Ich teile nicht die Argumentation der Stromwirtschaft, dass wir die Kostensenkungen durch Liberalisierung auf dem Strommarkt
und durch staatliche Regularien völlig auffangen. Der
Strompreis ist in einer Größenordnung von 20 Milliarden DM gefallen. Wir werden allerdings von diesen
20 Milliarden DM vielleicht nächstes oder übernächstes
Jahr 5 Milliarden DM abzweigen, weil irgendeine Zukunftsvorsorge getroffen werden muss.
({5})
Ich sage allen Anhängern des völlig liberalen Wettbewerbs: Der Wettbewerb regelt vieles; er richtet nicht alles
und er richtet die Zukunft unter Umständen zugrunde. Vor
diesem Hintergrund muss man sich einmal klarmachen,
was Energiepolitik heißt: Energiepolitik heißt ex definitione eine Politik gegen die autonomen Marktkräfte.
({6})
Ich kann Ihnen die autonomen Marktkräfte beschreiben. Zu Ihrer Regierungszeit haben wir fossile
Kraftwerke auf den höchsten Umweltstandard in der Welt
gebracht. Das ist nicht zu kritisieren. Allerdings kostet das
im Vergleich zu Kraftwerken, die diesen Umweltstandard
nicht haben, 3 Pfennig mehr. Jetzt frage ich Sie: Welchen
Sinn macht ein reiner Preiswettbewerb, wenn er dazu
führt, dass die für die Umwelt schlechten Kraftwerke die
für die Umwelt guten Kraftwerke in diesem Land verdrängen? Das macht an sich schon keinen Sinn. Darüber
hinaus habe ich Sorge, dass wir in den nächsten Jahren nur
noch Strom importieren und im Inland so viele Kraftwerke stilllegen, dass wir den inländischen Strombedarf
nicht mehr aus inländischer Erzeugung decken können.
Das wäre dann ein sehr kritischer Fall; so weit darf es
nicht kommen.
({7})
Vor diesem Hintergrund werden wir einen Teil der Preisgewinne - 20 Milliarden DM - abschöpfen. Das ist die
Versicherungsprämie für die Zukunft, die der Markt von
sich aus nicht hergibt.
({8})
Wir werden auch die Kraft-Wärme-Kopplung fördern. Ich stimme in diesem Zusammenhang vollkommen
dem zu, was beispielsweise gestern die grüne Partei in
Nordrhein-Westfalen gesagt hat. Es gab in der dortigen
Koalition wohl eine Diskussion über Kraft-Wärme-Kopplung und die grüne Partei hat erklärt, dass Kraft-WärmeKopplungsanlagen einen primärenergetischen Wirkungsgrad von 80 Prozent haben. Das heißt - ich stimme hier
der grünen Partei Nordrhein-Westfalens zu -, eine KraftWärme-Kopplungsanlage nutzt, aufs Jahr gerechnet, die
eingesetzte Primärenergie zu 80 Prozent aus. Solche Anlagen wird diese Bundesregierung fördern.
({9})
Wir werden sie in einer der Marktwirtschaft möglichst gerechten Art und Weise fördern.
Allerdings werden wir - darauf werde ich als Wirtschaftsminister achten - keine Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen fördern, die diesen Namen nicht verdienen. Es
geht nicht an, dass man neben ein Kraftwerk ein Gewächshaus baut, ein bisschen Wärme hineinschiebt und
dann meint, es gebe Staatsknete, wenn man das Ding
Kraft-Wärme-Kopplungsanlage nennt. Dies verdient
keine Förderung; Förderung verdienen aber sehr wohl die
hoch effizienten Anlagen.
({10})
Lassen Sie mich ein Letztes sagen: Wichtig in dem Portefeuille, das der Wirtschaftsminister zu erledigen hat, ist,
dass wir im Bereich der Außenwirtschaft zu neuen Rahmendaten für unsere Unternehmen kommen. Ich erlebe
immer wieder und immer häufiger, dass Aufträge aus
großen Ausschreibungen auf dem Globus - das sind immer Infrastrukturprojekte: Telekommunikation, Stromversorgung, Gasversorgung, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Müll - an den deutschen Unternehmen
vorbeigehen.
({11})
Wenn diese Prestigeobjekte an deutschen Unternehmen
vorbeigehen, dann gehen auch weitere Aufträge verloren.
Wenn also beispielsweise die Wasserversorgung einer
südamerikanischen Großstadt an ein französisches Unternehmen geht, dann werden dort auf lange Sicht kein deutscher Wasserhahn und keine deutsche Pumpentechnik
verkauft. Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Prestigeobjekte gewinnen.
Wir müssen daher erstens die deutsche Wirtschaft,
wenn sie denn will, so begleiten, wie es auch ausländische
Staaten mit ihren Unternehmen machen.
({12})
Zweitens müssen wir sehen, dass der Mittelstand zunehmend in die Lage gerät, an der Globalisierung teilzuhaben.
Das provoziert eine
Zwischenfrage von Herrn Hinsken. Lassen Sie sie zu,
Herr Minister?
Ja.
Bitte sehr.
Verehrter Herr Minister,
ich habe Ihre Rede aufmerksam verfolgt und darauf gewartet, dass Sie auch etwas zur EXPO sagen. Nachdem
Frau Kollegin Hermenau vorhin darauf verwiesen hat,
dass der Wunsch des Kanzlers erfüllt werden soll,
({0})
möchte ich von Ihnen wissen, in welcher finanziellen Kategorie sich die Wünsche des Kanzlers bewegen, was die
Aufteilung des Defizits der EXPO anbelangt.
Ich kann Ihnen das Defizit der EXPO im
Moment nicht beziffern, weil es mittelfristig zu berechnen
ist.
({0})
Es gibt sehr viele offene Forderungen der EXPO, zum Teil
auch an Ausstellungsteilnehmer, die EXPO hat ihrerseits
wegen Streitigkeiten noch Zahlungen zurückgehalten etc.
Das alles muss erst geklärt werden, ehe wir einen Strich
unter das Ganze ziehen können. Was die Aufteilung anbelangt, habe ich nicht den letzten Stand; ich habe heute
Nachmittag am Schreibtisch gesessen. Aber ich darf Ihnen eines sagen: Mein Haushalt verkraftet das nicht.
({1})
- Sicherlich gibt es Verträge. Aber wenn wir mit diesen
Verträgen so umgehen, wie Herr Brüderle mit dem Kohlevertrag - - ich lasse den Rest einmal weg.
({2})
Wir werden den Mittelstand stärker in das Auslandsgeschäft integrieren müssen. Das erfordert das Erarbeiten
neuer Instrumentarien. Ein Mittelständler kann sich
vielleicht einmal an einem Wettbewerb in China beteiligen. Wenn er dabei nicht zum Zuge kommt, dann beutelt
ihn das so stark, dass er dies ein zweites Mal kaum machen kann. Andere Länder geben dem Mittelstand dafür
gewisse Hilfen und erzielen dadurch Erfolge. Auch hier
müssen wir dem deutschen Mittelstand mehr Anreize geben.
Alles in allem darf ich Ihnen sagen: Seien Sie zuversichtlich, was das wirtschaftliche Wachstum anbelangt.
Die Zahlen sind gut. Wenn Sie mit Vertretern aus den Betrieben vor Ort reden, dann bekommen Sie auch die richtige Stimmungslage mit. Die Stimmung wird von dem einen oder anderen Verbandsfunktionär nicht immer richtig
beschrieben. Das ficht uns aber nicht an und wird uns
auch nicht anfechten, wenn wir die Reformen umsetzen,
die durchgeführt werden müssen.
In diesem Zusammenhang müssen wir uns beispielsweise einmal überlegen, warum wir derartig viel über die
Erhöhung des Arbeitskräftepotenzials durch Einwanderung reden, obwohl wir im Inland eine Vielzahl von nicht
berufstätigen Frauen haben, die zu der im historischen
Vergleich bisher am besten ausgebildeten Generation
gehören.
({3})
Kein Mensch in der Wirtschaft hat ernsthaft mit mir darüber diskutiert, ob Frauenförderpläne einen Nutzen für
den eigenen Betrieb bringen.
({4})
Wenn ich von der BDA die Zusicherung bekäme, dass in
zwei Jahren in jedem Mitgliedsunternehmen der BDA ein
Frauenförderplan vorliegt, dann bräuchte man in der Tat
nicht darüber zu reden, eine bessere Förderung von
Frauen eher zwangsweise herbeizuführen.
Dieses Land hat eine große Zukunft. Irgendwann werden auch Sie das einsehen. Dann werden Ihre Reden wieder etwas optimistischer klingen und Sie können das
Stimmungsbild der Fraktion auf der anderen Seite nachvollziehen.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gunnar Uldall für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen! Meine Herren!
Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende. Eure
königliche Hoheit ...
So beginnt Schiller sein Schauspiel „Don Carlos“. Ein
Schauspiel über die schrödersche Wirtschaftspolitik
könnte folgendermaßen beginnen: Die schönen Tage in
der Wirtschaftspolitik sind zu Ende, Herr Bundeskanzler.
({0})
Die schönen Tage in der Wirtschaftspolitik sind inzwischen zu Ende gegangen.
({1})
Die Reden von Bundeskanzler Schröder und von
Minister Müller, in denen sie die Lage beschrieben, stimmen überhaupt nicht mit den Realitäten überein, die wir
verzeichnen müssen.
({2})
Hier wird begeistert von Wachstumsraten geschwärmt,
die man erreicht hat. Das war sowohl heute Mittag wie
auch eben noch einmal so. Die Realität sieht aber anders
aus - da sollten wir uns alle überhaupt nichts vormachen -:
Die Wachstumsrate betrug im ersten Quartal dieses Jahres
3,6 Prozent, im zweiten Quartal 3,3 Prozent, im dritten
Quartal nur noch 2,8 Prozent und im vierten Quartal wird
sie voraussichtlich bei 2,3 Prozent liegen. Das ist die Realität. Die Regierung sollte dies entsprechend zur Kenntnis
nehmen und sich nicht selber auf die Schulter klopfen.
({3})
Alle Frühindikatoren der Konjunkturentwicklung verschlechtern sich zusehends. Alle Prognosen, die die Wirtschaftsforschungsinstitute für das nächste Jahr abgegeben
haben, werden zurückgenommen. Die Ziele, die Sie sich
hinsichtlich des Arbeitsmarktes gesteckt haben, werden
nicht erreicht. Herr Minister, Ihre Geschichte über die
wunderbare Vermehrung der Arbeitsplätze zieht nicht
mehr. Inzwischen hat jeder die Eingriffe in die Statistik
längst durchschaut. In den Betrieben entstehen nämlich
keine neuen Arbeitsplätze durch Neueinstellungen, sondern sie entstehen nur statistisch durch Neuabgrenzungen.
Das ist der entscheidende Punkt. Nach wie vor gilt deshalb das Wort von Churchill: Ich glaube nur an die Statistik, die ich selbst gefälscht habe.
({4})
Meine Damen und Herren, das Bündnis für Arbeit,
das Vorschläge erarbeiten und der Wirtschaft einen völlig
neuen Schwung geben sollte, ist faktisch gescheitert. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob in den letzten Wochen dieses Jahres noch eine weitere Sitzung dieser Runde zustande kommt oder das nächste Treffen erst im nächsten
Frühjahr stattfindet. Dieses Bündnis für Arbeit ist gescheitert.
Deswegen gilt: Die zarte Frühlingsstimmung zwischen
den Wirtschaftsverbänden und Bundeskanzler Schröder
ist verhaucht. Ernüchterung macht sich in der Wirtschaft
breit. Ich kann in Anlehnung an „Don Carlos“ nur sagen:
({5})
Die schönen Tage in Berlin sind nun zu Ende. Man muss
leider hinzufügen: ohne dass die Zeit von der Regierung
für eine dauerhafte Strukturverbesserung unserer Wirtschaft genutzt wurde.
({6})
Eine schrödersche Ordnungspolitik kann man auch in
der zweiten Hälfte der Legislaturperiode beim besten Willen nicht erkennen. Allenfalls ist ein roter Faden zu erkennen.
({7})
Dieser rote Faden bedeutet: Immer dann, wenn es um die
Entscheidung mehr Markt oder mehr Regulierung ging,
hat sich die Regierung für die Alternative mehr Regulierung und weniger Markt entschieden.
({8})
Ich kann keine einzige wirtschaftspolitische Entscheidung der letzten Zeit anführen, bei der sich die Regierung
einmal für mehr Marktwirtschaft entschieden hätte.
({9})
Aber ich kann eine Fülle von Beispielen bringen, bei denen sich die Regierung gegen den Markt entschieden hat.
Ich fange einmal mit der Energiepolitik an. Durch die
Energiegesetze erfolgte ein Einstieg in neue Dauersubventionen, die uns alle in den nächsten Jahren noch sehr
zu schaffen machen werden. Herr Minister, Sie redeten
vorhin über den Abbau der Kohlesubvention. Was hier
aber an neuen Subventionen aufgebaut wird, wird in drei,
vier Jahren das Volumen der Kohlesubvention überschritten haben. Deswegen kann ich nur sagen: Bemühen Sie
sich darum, zu verhindern, dass neue Dauersubventionen
geschaffen werden! Dauersubventionen können kein Beitrag sein, um die Energieprobleme bei uns in Deutschland
zu lösen.
({10})
Das so erfolgreiche Knacken der Strommonopole,
womit wir den Stromverbrauchern gewaltige Einsparungen verschafft haben, wird von Ihnen jetzt zum großen
Teil wieder zurückgenommen. Mit einem Importverbot
- auch das ist eine Anti-Markt-Entscheidung - für den so
genannten schmutzigen Strom versuchen Sie jetzt, Herr
Minister, die von Ihnen verursachte Fehlentwicklung
beim Ausstieg aus der Kernenergie wieder auszugleichen.
Wohin man schaut: Es sind immer Entscheidungen gegen
den Markt.
({11})
Das Gleiche gilt für die Steuerreform. Auch die Steuerreform hat kein Mehr an Markt, sondern ein Mehr an
Regulierung zur Folge. Durch die unterschiedlich hohen
Einkommens- und Körperschaftssteuersätze werden
erfolgreiche Personengesellschaften so benachteiligt,
dass der Staat die Unternehmen faktisch zwingt, sich in
eine Kapitalgesellschaft umzuwandeln. Das ist staatliche
Lenkung, die wir uns nicht wünschen können.
Das Ausschüttungs- und damit das Investitionsverhalten der Betriebe wird staatlich so beeinflusst, dass sie ihre
althergebrachten Investitionen weiter verstärken; denn
der Weg in die New Economy außerhalb der bisherigen
Geschäftsfelder der Unternehmen wird steuerlich bestraft. Deshalb ist auch dieses ein erster Schritt zur Investitionslenkung in Deutschland nach dem Motto: weg
vom Markt, hin zur Regulierung.
Ein weiteres Beispiel für Ihre marktfeindliche Politik
ist schließlich das verfehlte Scheinselbstständigengesetz,
mit dem Sie die Menschen davon abhalten, sich selbstständig zu machen, weil Sie neue Regulierungen einführen.
Ich habe noch eine ganze Reihe von Beispielen, die ich
Interessierten gerne zur Verfügung stelle, die ich aber angesichts meiner Redezeit nicht im Einzelnen vortragen
kann.
({12})
Ich möchte aber noch ein Beispiel aus den letzten Tagen nennen,
({13})
nämlich die Begrenzung der Mietanhebung auf 20 Prozent anstelle der Anhebung auf 30 Prozent innerhalb einer
bestimmten Frist. Dieses Beispiel zeigt nicht einfach nur
den Hang zu mehr Regulierung, sondern auch den Hang
zu mehr Regulierung in einer Zeit, in der sich der Mietermarkt völlig gewandelt hat. Wir haben heute ein Überangebot an Mietwohnungen. Deswegen wäre ein solcher
Eingriff überhaupt nicht erforderlich. Er ist nur mit Ihrem
Wunsch nach mehr Regulierung zu erklären.
Das Ergebnis einer solchen Politik ist dann ein Rückfall der deutschen Volkswirtschaft im Vergleich zu unseren Nachbarn. Das gilt nicht nur für die Wachstumsrate
- Deutschland ist, zusammen mit Italien, Schlusslicht in
Bezug auf das Wirtschaftswachstum -,
({14})
sondern das gilt auch für die Staatsquote, den besten
Maßstab dafür, wie viel der Staat versucht zu lenken.
({15})
Die deutsche Staatsquote ist immer niedriger gewesen
als der Durchschnitt der Staatsquoten der 15 Staaten der
EU. Es hat nur zwei Jahre schröderscher Wirtschaftspolitik bedurft, um Deutschlands Position hinsichtlich der
Staatsquote so zu verschlechtern, dass wir jetzt schlechter
sind als der EU-Durchschnitt.
({16})
Das wird uns alle in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands noch teuer zu stehen kommen.
({17})
Dabei sind die Chancen für unsere Volkswirtschaft gar
nicht so schlecht. Die Union wird in der zweiten Hälfte
dieser Legislaturperiode alles daran setzen, um die Regierung zu mehr marktwirtschaftlicher Politik zu treiben.
({18})
Nur dann werden wir die Chancen für mehr Arbeit und
mehr Wachstum in Deutschland wahrnehmen können.
({19})
Dabei sind folgende Felder am wichtigsten: Der Arbeitsmarkt muss zu einem echten Markt werden. Zu
Recht sagen die Sachverständigen in ihrem jüngsten Gutachten, die desolate Lage des Arbeitsmarktes verlange ein
offensives Vorgehen und eine konsistente Konzeption.
Herr Minister, eine solche Konzeption wird also nicht nur
von uns vermisst, sondern auch von den Sachverständigen. Der von Ihnen beschlossene gesetzliche Anspruch auf Teilzeitarbeit - er ist hier mehrfach behandelt
worden - wird Tausende Arbeitsplätze in Deutschland
vernichten, aber er wird keine neuen Arbeitsplätze schaffen. Deswegen sollten Sie mit großer Intensität versuchen, diesen Unsinn zu verhindern.
({20})
Wir, die Union, werden dafür sorgen, dass die Liberalisierung in weiteren Wirtschaftsbereichen fortgesetzt
wird. Besonders besorgt sind wir, dass die Liberalisierung
auf dem Postmarkt
({21})
nicht mehr mit der gleichen Intensität vorangetrieben
werden soll wie bisher. Das Herausdrängen des Präsidenten der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und
Post, Herrn Scheurle, ist eine erste Vorwarnung. Herrn
Scheurle möchte ich für sein mutiges Handeln bei der Öffnung des Marktes für Telekommunikation und Post danken.
({22})
Herr Scheurle ist ein echter Marktwirtschaftler. Ich kann
nur hoffen, dass die Regierung einen Mann gleicher Qualifikation als Nachfolger einsetzen wird.
({23})
Schließlich noch ein Wort zum Betriebsverfassungsgesetz. Bei meinen vielen Besuchen in Unternehmen habe
ich nicht einen einzigen Arbeitnehmer getroffen, der mich
angesprochen und gesagt hätte: Herr Uldall, sorgen Sie
bitte dafür, dass das Mitbestimmungsrecht in den Betrieben ausgeweitet wird. Diesen Arbeitnehmer gibt es in
Deutschland nicht. Aber es gibt viele Gewerkschaftsfunktionäre, die ihre Position oder den Einfluss ihrer Gewerkschaft auf diese Art und Weise sichern wollen.
({24}) - Wolfgang Weiermann [SPD]: Jetzt
sind Sie bei Grimms Märchen!)
Herr Minister Müller, deswegen habe ich mit Freude in
der „Welt“ gelesen - ich möchte Sie ja auch einmal loben -:
({25})
Müller und Rogowski gegen Riesters Pläne.
({26})
Herr Minister, ich kann wirklich nur sagen: Hoffentlich ist
dies keine hohle Ankündigung am Tage der Wahl des
neuen BDI-Präsidenten. Im Übrigen wünsche ich Herrn
Rogowski in seinem neuen Amt viel Erfolg. Eine gute Tat,
bei der Sie zusammenwirken könnten, wäre, zu verhindern, dass dieses Gesetz in Deutschland Realität wird.
({27})
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Frau Präsidentin, noch
einen Satz.
Die Union will eine Wirtschaftspolitik mit mehr Markt.
Die Regierungskoalition will die Marktkräfte eingrenzen.
({0})
Wir werden dafür sorgen, dass sich die marktwirtschaftliche Politik durchsetzt. Das ist das Beste für die Wirtschaft, für alle Beschäftigten und für unser ganzes Land.
Darauf werden wir setzen.
({1})
Ich erteile jetzt der
Kollegin Michaele Hustedt für das Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Davon kommt doch jetzt mehr.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Brüderle hat die verwegene These aufgestellt, dass sich
Rezzo Schlauch nicht traut, an dieser Debatte teilzunehmen. Ich kann Ihnen sagen, wo er ist: Er ist bei der Verleihung des Mittelstandspreises an unsere Kollegin
Christine Scheel. Damit ist gleichzeitig Ihre These, der
Mittelstand habe im Parlament keine Lobby, widerlegt.
Der Mittelstand selbst sieht das anscheinend völlig anders.
({0})
Ich möchte Christine Scheel an dieser Stelle zur Überreichung des Mittelstandspreises - dies ist eine Ehre - ganz
herzlich gratulieren.
({1})
Ein Schwerpunkt des Haushaltes - dies wurde schon
genannt; darauf sind wir stolz; deshalb möchte ich das
noch einmal betonen - ist die Aufstockung der Mittel für
die Förderung von neuen Energietechnologien, für die
Brennstoffzelle, für regenerative Energien. Damit bauen
wir eine Brücke in das Solarzeitalter. Damit bieten wir die
Chance, dass unsere Kinder in Zukunft mit solarbetriebenen Kraftfahrzeugen fahren können. Damit können wir
vor Ort optimieren und virtuelle Kraftwerke der Zukunft
aufbauen.
Herr Uldall, wenn Sie hier gegen die regenerativen
Energien wettern, ist das nichts Neues. Dagegen waren
Sie schon immer.
({2})
Nur, da sind Sie selbst in Ihrer Fraktion isoliert, wie man
in der letzten Legislaturperiode gesehen hat.
({3})
Wie isoliert Sie sind, erkennt man erst recht, wenn man
die Stimmung im Land und die Zustimmung zu unserem
Kurs bei den erneuerbaren Energien betrachtet. Gerade
heute hat die EU-Kommission ein Grünbuch über Energieversorgungssicherheit verabschiedet, mit dem der
deutliche Ausbau und auch die finanzielle Förderung der
erneuerbaren Energien voll und ganz unterstützt werden.
({4})
Dadurch fühlen wir uns bestärkt. Ich kann Ihnen nur sagen: Mit Ihrer Position sind Sie vollständig isoliert.
Wenn wir über Zukunftswege bei der Energieversorgung sprechen, muss man auch über die Kraft-WärmeKopplung diskutieren. Herr Brüderle, wenn wir in diesem Zusammenhang ein modernes Instrument, nämlich
den Zertifikatshandel, anwenden, dann bedeutet das in
keiner Weise, dass wir den Wettbewerb aussetzen. Der in
einer Anlage zur Kraft-Wärme-Kopplung produzierte
Strom muss sich auf dem Strommarkt bewähren und diese
Anlage muss mit anderen solchen - ob Atomanlagen oder
Anlagen, die fossile oder erneuerbaren Energien verwenden - konkurrieren. Die Kraft-Wärme-Kopplung bekommt in der Tat einen Bonus durch den Zertifikatshandel. Aber auch hier herrscht ein strikter Wettbewerb. Es
gibt keine Abnahme- und Preisgarantie. Das volkswirtschaftliche Ziel ist, diese hoch effiziente Technologie aufzubauen.
Gerade Frau Wöhrl müsste darüber begeistert sein, anstatt blind die Argumente der Stromkonzerne zu übernehmen.
({5})
Hat Herr Stoiber nicht gemerkt, was das Wort der Stromkonzerne wert ist? Die Unterschrift unter dem Fusionsvertrag war noch nicht einmal trocken, da hat die Stromwirtschaft die Zusagen, die sie Herrn Stoiber in Bezug auf
den Erhalt der Arbeitsplätze in Bayern gemacht hat, schon
gebrochen. Herr Stoiber - das wissen wir alle - hat ziemlich getobt. Warum sollen denn wir uns auf die Worte der
Stromkonzerne, in Zukunft nicht auf Importstrom zu setzen, verlassen?
({6})
In den nächsten zehn Jahren werden allein durch den
Atomausstieg 8 000 Megawatt vom Netz genommen werden. Die Verdopplung der Leistung der Kraft-WärmeKopplung bedeutet gerade einmal eine Zunahme von
5 000 Megawatt. Das heißt, wenn wir auf in Deutschland
produzierten Strom setzen wollen, dann ist ein moderner
Zertifikatshandel, eine Quote für die Kraft-Wärme-Kopplung, genau der richtige Weg, um Wettbewerb und Umweltschutz miteinander zu verknüpfen.
Dazu noch eines - das sage ich auch den Kollegen der
SPD-Fraktion; denn da werden ja immer ganz verschiedene Argumente gebracht; man muss schon genau hinsehen -: Die Kohle wird trotz Einführung einer Quote für die
Kraft-Wärme-Kopplung eine Chance haben. Manche
Kohleanlagen, die 20 Jahre alt und älter sind, werden die
notwendigen Effienzstandards, die erforderlich sind, damit sie am Zertifikatshandel teilnehmen könen, nicht erreichen. Aber moderne Kohleanlagen, die in dem Maße, in
dem die Gaspreise steigen, zunehmend die Chance bekommen, im Wettbewerb mitzuhalten, erreichen gute Effizienzstandards. Ob man die Cottbuser Braunkohlewirbelschichttechnologie oder auch die Steinkohletechnologie
anwendet: Sie können durchaus in dem Zertifikatshandel
mit der Krat-Wärme-Kopplung mithalten.
In diesem Zusammenhang noch zu einem Punkt, der
immer wieder falsch dargestellt wird - teilweise kommt
dies von der Opposition; ursprünglich kommt es aber von
den Stromkonzernen -: Auch die Brennstoffzelle, eine
wirkliche Zukunftstechnologie, ist natürlich Teil der
Kraft-Wärme-Kopplung. Wir haben neulich eine Anhörung zum Thema Mikropower durchgeführt, also dazu,
wie man die Wasserstofftechnologie und die Brennstofftechnologie in Deutschland voranbringen kann. Da
haben uns die Hersteller gesagt: Wenn ihr zur Förderung
der Kraft-Wärme-Kopplung einen Zertifikatshandel einführt, dann sehen wir das als Chance, in Deutschland noch
früher mit diesen Technologien marktfähig zu sein.
Ich sage Ihnen: Das ist ein Zukunftsmarkt. Hier spielt
die Musik. In den USA hat die Regierung hier einen Innovationsschwerpunkt gesetzt. Ich möchte nicht, dass wir
diesen Zug verpassen. Ich möchte, dass Deutschland mitzieht und in moderne Technologien investiert.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit.
Mein letzter Satz: Nicht nur im Energiebereich, sondern
insgesamt ist der Haushalt des Wirtschaftsministeriums
eine gelungene Mischung, weil wir auf der einen Seite
sparen, aber gleichzeitig auch Schwerpunkte in Zukunftsinvestitionen setzen.
({0})
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion.
(von Abgeordneten
der CDU/CSU mit Beifall begrüßt: Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Bei der Einbringung des Bundeshaushalts im September und auch heute haben Sie,
Herr Bundeswirtschaftsminister, auf die positive wirtschaftliche Entwicklung verwiesen. Wir freuen uns
grundsätzlich natürlich über positive Entwicklungen. Jedoch muss man auch feststellen - das hat das meiner Meinung nach unverdächtige Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung heute dargelegt -, dass sich die
gesamtwirtschaftliche Entwicklung abkühlt.
({0})
Das muss uns zu denken geben, weil auch der Ifo-Indikator der wirtschaftlichen Erwartungen mittlerweile zum
fünften Mal rückläufig ist.
Deshalb ist es wichtig, dass eine andere Wirtschaftspolitik, eine Wirtschaftspolitik, die unserem Land Dynamik
verleiht, gestaltet wird und die Wirtschaft von Überregulierungen und Belastungen befreit wird.
({1})
Dies, Herr Wirtschaftsminister, wird leider Gottes mit
dem vorliegenden Einzelplan 09 nicht erreicht.
Wir müssen feststellen, dass gegenüber dem eingebrachten Regierungsentwurf Verbesserungen im Einzelplan durchgesetzt wurden, natürlich auch aufgrund der
Anträge der Opposition. Weil die Arbeitsgruppen für
Wirtschaft von SPD und Grünen in den Ausschüssen
keine Anträge gestellt haben, müssen wir diese Verbesserungen mit auf unsere Arbeit zurückführen. Das ist in einzelnen Bereichen gut gelungen.
Aber man muss leider Gottes noch etwas anderes feststellen. Es wird allgemein immer gesagt, dass es sich um
einen Sparhaushalt handelt. Die Zahlen beweisen aber,
dass das Haushaltsvolumen von 456 Milliarden DM im
Jahr 1998 auf 477 Milliarden DM im Jahr 2001 gestiegen
ist. Das ist die neue Sparrechnung der Bundesregierung.
Im Einzelplan 09 - Wirtschaftsministerium - wurden
im Jahr 1998 noch 14,94 Milliarden DM bewegt und damit wurden wirtschaftliche Impulse gesetzt.
({2})
Im Jahr 2001 sind es nur noch 14,29 Milliarden DM.
({3})
Man sieht also sehr deutlich, dass die Sparpolitik besonders in der Wirtschaftspolitik des Bundes zum Tragen
kommt. Zu den Leidtragenden gehört vor allen Dingen
der Mittelstand; hier sind die Sparansätze am stärksten.
({4})
Es ist sehr bemerkenswert, dass vor allen Dingen bei
der Gemeinschaftsaufgabe Ost, mit der mittelständische
Strukturen in den neuen Bundesländern ausgebaut werden
sollen, mit über 300 Millionen DM gekürzt wird. Ich habe
den Eindruck, diese Kürzung wurde im vorbildlichen Gehorsam gegenüber den SPD- und PDS-regierten Bundesländern Sachsen-Anhalt bzw. Mecklenburg-Vorpommern
vorgenommen. Sachsen-Anhalt konnte die Mittel gar
nicht abrufen, weil es sie nicht gegenfinanzieren kann.
({5})
Ein wichtiger Aspekt ist sicherlich auch der Tourismus. Ernst Hinsken und der Kollege Brähmig können für
sich in Anspruch nehmen, viel für den für Tourismus getan zu haben. Gerade Ernst Hinsken ist ein eifriger Kämpfer für die Förderung und Stärkung des Fremdenverkehrs.
({6})
Aber leider Gottes, lieber Kollege Ernst Hinsken und
lieber Klaus Brähmig, haben die entsprechenden Anträge
keine Früchte getragen. Sie wurden von den Haushältern
von SPD und Grünen nicht erhört.
({7})
Es ist darauf hinzuweisen, dass sich - wie ja festgestellt
wurde - die Rahmenbedingungen verschlechtert haben,
wie sie durch Rot-Grün gesetzt wurden. Wir können auch
auf praktische Beispiele verweisen.
Eines der Grundübel verfehlter Wirtschaftspolitik,
Herr Bundeswirtschaftsminister, ist die Ökosteuer. Die
maßlose Verteuerung von Strom, Heizöl, Benzin und Diesel - sie sollen auch in Zukunft kontinuierlich verteuert
werden - ist eine besondere Belastung für die mittelständische Wirtschaft, für unsere Handwerksbetriebe und insbesondere für das Transportgewerbe.
({8})
Ich habe viel Verständnis dafür, dass vor allem das
Transportgewerbe Forderungen an die Bundesregierung
richtet. Ich glaube zwar nicht, dass das Transportgewerbe
gut beraten ist, wenn es zukünftig eine besondere Unterstützung vom Bundeskanzler erwartet und dies zur Chefsache gemacht werden soll, wie es in einer Verlautbarung
heißt. Denn wir wissen ja, was es bedeutet, wenn etwas
zur Chefsache gemacht wird.
({9})
Wir brauchen nur an den Aufbau Ost oder Holzmann zu
denken.
({10})
Es ist natürlich sehr wichtig, darüber nachzudenken,
was es für das Transportgewerbe bedeutet, wenn es einseitige Belastungen zu tragen hat und damit im Wettbewerb natürlich nicht mehr bestehen kann, insbesondere
weil andere europäische Länder ihr Transportgewerbe unterstützen.
({11})
Ich glaube, dass die Rechnungen des Transportgewerbes von der Regierungskoalition aufmerksam gelesen
werden sollten. Ein deutscher 40-Tonnen-Lastzug, der
heute mit 40 592 DM im Jahr belastet wird, wird ab 1. Januar 2001 mit 43 427 DM belastet werden. Ein gleichartiger niederländischer Lastzug wird derzeit noch mit
34 644 DM und ab 1. Januar 2001 mit 28 974 DM belastet.
({12})
Diesen Unterschied müssen wir feststellen. Dasselbe gilt
für französische und auch für belgische Trucker; auch sie
werden besonders entlastet. Dies zeigt sehr deutlich, dass
die dortigen Regierungen eine verantwortungsbewusste
Politik für die mittelständischen Transportunternehmen
machen.
({13})
Es wird immer wieder angeführt, dass die Steuerreform einen Ausgleich für die Belastungen des Mittelstands durch Ökosteuer und die Verteuerungen von Öl,
Benzin usw. bringen wird.
Wenn die Bundesregierung heute immer darauf verweist, dass es im Jahr 2005 Entlastungen gebe, sage ich,
dass bereits 1997 die Bürgerinnen und Bürger und die mittelständischen Unternehmer die erforderlichen Entlastungen hätten haben können, wenn Eichel und Gerhard
Schröder seinerzeit ihre Zustimmung zu einer ausgewogenen Steuerreform gegeben hätten.
({14})
Ich glaube, es ist schon wichtig, darauf hinzuweisen,
dass die mittelständischen Betriebe - das sind schließlich
90 Prozent der Betriebe im ganzen Land - zum 1. Januar 2001 die Belastungen durch geänderte AfA-Tabellen
und durch schlechtere Abschreibungsbedingungen zu tragen haben und nur die Großkonzerne eine steuerliche Entlastung erfahren. Dies empfinden wir als äußerst ungerecht, aber vor allen Dingen als kontraproduktiv für die
Unternehmen.
({15})
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich fordere Sie auf,
Ihren Einfluss geltend zu machen, soweit Sie einen haben,
damit die Regelung über die AfA-Tabellen den Mittelstand nicht belastet.
Wenn man dabei in die Betrachtung einbezieht, dass
zukünftig Drehbänke nicht mehr in zehn Jahren abgeschrieben werden sollen, sondern in 16 Jahren, dann fühle
ich mich direkt in die ehemalige DDR versetzt.
({16})
- Ja, es ist so.
Wenn die Abschreibungsfrist für PKWs von fünf auf
sechs Jahre und
({17})
und für Drucker und Scanner von vier auf sechs Jahre verlängert wird, sie aber für Personalcomputer von vier auf
drei Jahre verkürzt wird, dann ist das irgendwie nicht
mehr ganz logisch. Darüber hinaus muss man auch feststellen, dass die Abschreibungsfrist für LKWs und Busse
ebenfalls eine Verlängerung auf neun Jahre erfahren wird.
Dies wird bedeuten, dass Innovation in die Betriebe
nicht einziehen wird und neue Techniken zur Stärkung der
Wettbewerbsfähigkeit nicht in die Betriebe gelangen werden. Ich bin der Meinung, dass wir ein gemeinsames Interesse daran haben, die Betriebe zu stärken. Deshalb
müssen die Abschreibungstabellen, wie sie derzeit in der
Diskussion sind, weg.
({18})
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.
Ein letzter Satz noch,
Frau Präsidentin. Dieser mittlerweile zu verzeichnende
Rückgang der Investitionstätigkeit wird auch durch die
Informationen bestätigt, die Herr Kollege Scherhag heute
gab.
Deshalb bin ich der Meinung, es wäre das Beste für unser Land, wenn die Abschreibung der Bundesregierung
nur noch eineinhalb Jahre dauerte.
In diesem Sinne, verehrte Damen und Herren, bedanke
ich mich für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar
zunächst zu den Abstimmungen über die Änderungsanträge.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/4780. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Einige reagieren gar nicht; auch in Ordnung. - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4781.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? Der Änderungsantrag ist bei Enthaltungen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/4716. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Einzelplan 09 in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 09 ist angenommen.
Ich rufe auf:
III. 17 hier: Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusamenarbeit und Entwicklung
- Drucksachen 14/4517, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Hermenau
Michael von Schmude
Dr. Barbara Höll
Zum Einzelplan 23 liegen zwei Änderungsanträge der
PDS vor. Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion der F.D.P. vor, über den wir am Freitag nach der
Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Damit sind Sie einverstanden. Wir müssen auch über diesen Etat nachher
noch abstimmen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Kollege
Dr. Christian Ruck, CDU/CSU- Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute vorliegende Haushaltsentwurf des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung trägt
für mich die Überschrift: Der Karren steckt fest, aber er
ist noch einmal schön herausgeputzt.
Frau Ministerin, Sie brüsten sich seit Tagen mit der angeblichen Steigerung des Etats um 4,6 Prozent. Dies ist
Schönfärberei.
({0})
In Wirklichkeit hat die Entwicklungshilfe kaum eine
müde Mark mehr bekommen. Der für das BMZ tatsächlich verfügbare Gesamtetat 2001, also die dem BMZ aus
den Einzelplänen 23 und 60 zur Verfügung stehenden Mittel, sind nur um 16 Millionen DM höher als der tatsächlich verfügbare Gesamtetat 2000: 7,528 Milliarden DM in
2001 stehen 7,512 Milliarden DM in 2000 gegenüber. Ich
habe das noch wohlwollend berechnet, Frau Ministerin,
und Ihnen noch die 100 Millionen DM aus dem EP 60 aus
der Bereinigungssitzung hinzugerechnet. Dies steht im
Gegensatz zu Ihren eigenen Berechnungen.
Aber Sie haben in einem wirklich grandiosen Verwirrspiel die Mittel für Osteuropa, das Stabilitäts- und Transformprogramm im Einzelplan 60, über die Sie offiziell bereits in 2000 verfügten, unter Hinnahme erheblicher
Verluste in 2001 zu sich transferiert. Sie haben auch noch
die jeweiligen Zahlen aufgebläht, aber tatsächlich hat das
Außenministerium auf einen Teil der Gelder Anspruch erhoben. Das ist natürlich keine Erhöhung der Entwicklungshilfe, sondern eine reine Umbuchung.
Ihr erster Haushaltsentwurf vom Juli enthielt bezüglich
der entwicklungspolitischen Kernaufgaben noch ein offizielles Minus von 2,1 Prozent und konnte nur über die Bereinigungssitzung und nach zahlreichen Erhöhungsanträgen der CDU/CSU-Fraktion einigermaßen gerettet
werden.
({1})
Übrig bleibt trotzdem eine bescheidene nominelle Erhöhung. Aber ein weiterer Blick hinter die Kulissen zeigt,
dass die Entwicklungshilfe real zurückgeht; denn ein
Großteil der dankenswerterweise durchgesetzten Korrekturen - das möchte ich an dieser Stelle sagen - muss den
ungünstigen Dollarwechselkurs auffangen und führt zu
keiner zusätzlichen entwicklungspolitischen Aktivität.
Ich denke nur an die Erhöhungen der Ansätze von über
68 Millionen DM für die internationalen Organisationen.
Wir sind zwar froh, dass dies gelungen ist. Aber es ist
keine reale Erhöhung. Die Erhöhung der Mittel für die
technische Zusammenarbeit um 22 Millionen DM oder
die bei der finanziellen Zusammenarbeit um 70 Millionen DM kann weder die Euroschwäche auffangen noch
das in Ansätzen ausgleichen, was Sie gerade bei diesen
Haushaltsposten in den letzten Jahren angerichtet haben.
So läuft es auch bei den Kirchen und Stiftungen nach dem
Motto: Drei Schritte zurück und einen Schritt vor.
({2})
Es kommt noch etwas hinzu: Sie haben bereits Teile
des zu erwartenden Verkaufserlöses der DEG eingestellt.
Das halten wir für einen groben Schnitzer. Man kann sicherlich sachlich darüber diskutieren, ob es die Synergieeffekte eines Zusammengehens mit der KfW rechtfertigen, eine eigene Entwicklungsorganisation aus der Hand
zu geben. Aber diese Diskussion fand zumindest im Parlament nicht statt. Falsch ist auf jeden Fall, mit dem Verkauf eines wichtigen Infrastrukturbereichs Haushaltslöcher zu stopfen.
({3})
Dass die Verkaufserlöse der DEG vor allem in die Taschen
des Finanzministers und nicht in die Entwicklungspolitik
fließen, ist ein handfester Skandal.
({4})
Aus diesem Grunde ist der BMZ-Haushalt für 2001 ein
Haushalt der Stagnation und des erneuten Rückschritts,
den wir nicht mittragen. Der Haushalt 2001 ist ein erneuter Beleg für den Wortbruch von Kanzler Schröder und
Ministerin Wieczorek-Zeul gegenüber den Entwicklungsländern, aber auch gegenüber deutschen Entwicklungspolitikern und den deutschen Nichtregierungsorganisationen.
Wenn es nach Ihrer mittelfristigen Finanzplanung geht,
werden die Mittel des Haushalts der deutschen Entwicklungshilfe weiter reduziert, sodass der Haushalt innerhalb
kürzester Zeit ein Niveau erreichen wird, das um mehr als
1 Milliarde DM unter dem Niveau des letzten Jahres der
Regierung Kohl liegt. Der Entwicklungshaushalt wird immer mehr zu einem Steinbruch. Wenn Kanzler Schröder
nicht aufhört, den Euro schwach und den Dollar stark zu
reden, wird dies unter Umständen tragische Folgen für
den tatsächlichen Umfang des Entwicklungshilfehaushalts haben.
Es ist aber nicht nur die mangelnde Quantität, sondern
auch die abnehmende Qualität der Entwicklungspolitik,
die uns Sorgen macht. Politikshow und Propaganda sind
wichtig, können aber überzeugende Strategien und sorgfältig ausgearbeitete Konzeptionen nicht ersetzen. Die
langjährige erfolgreiche sektorale Schwerpunktsetzung,
Armutsbekämpfung, Bildung, Ausbildung, Umweltschutz, und der aufgestellte Kriterienkatalog werden immer mehr verwässert.
Die Linie der deutschen Entwicklungspolitik droht unterzugehen.
({5})
Dafür einige Beispiele.
„Armutsbekämpfung ist für die Ministerin ein Schlagwort“, so klagt zumindest die Welthungerhilfe. Während
sie und der Kanzler, vor allem im Ausland, von der Halbierung der Armut bis 2015 sprechen, sinkt der Anteil der
Mittel für Armutsbekämpfung.
Die von uns mitgetragene Entschuldungsinitiative
kommt zwar bei einigen Ländern langsam in die Gänge,
aber die Beispiele zeigen: Entgegen Ihrer Zusicherung ist
nicht sichergestellt, dass die frei werdenden Mittel etwa
für Armutsbekämpfung und im Geist von „good governance“ eingesetzt werden. Auch die Deutsche Welthungerhilfe und andere NGOs bestätigen, was wir immer
festgestellt haben: Die jährliche Entschuldungslast der
Bundesrepublik Deutschland, die entgegen Ihren Versprechen, Frau Ministerin, doch im BMZ angesiedelt
wird - soweit es den deutschen Beitrag zum multilateralen HIPC-Fonds betrifft -, ist nur ein Bruchteil dessen,
was der Entwicklungshilfe auf der anderen Seite durch
massive Haushaltskürzungen weggenommen wird.
Auch beim Umwelt- und Ressourcenschutz droht die
Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit rot-grüner Politik größer zu werden. Wenn man Ihre Besuchsprogramme, Reden und Presseerklärungen verfolgt, Frau Ministerin, kommt niemand auf die Idee, dass Ihnen das ein
großes Anliegen ist. Die ursprünglichen Kürzungen der
bilateralen FZ- und TZ-Maßnahmen in diesem Sektor beliefen sich auf über 65 Millionen DM.
({6})
- Ich komme gleich zu einer guten Stelle.
({7})
- Das war sie. - Ich freue mich immer, wenn es im Haus
lustig zugeht, aber ausgerechnet bei dem Thema bitte ich
doch um etwas mehr Ernst.
({8})
Es geht also um den Umwelt- und Ressourcenschutz.
Gerade bei Wald, Wasser und Wüste wird die Situation
immer bedrohlicher und der Bedarf immer größer. Der gescheiterte Klimagipfel in Den Haag hat deutlich gemacht, dass die Entwicklungshilfe gerade hier in Zukunft
noch stärker gefordert werden wird. Vor diesem Hintergrund droht der regionalen und sektoralen Schwerpunktsetzung mit Ihrem neuen Konzept der nächste Fehlschlag.
VENRO hat Ihnen zu Recht vorgeworfen, dass gerade
die Berücksichtigung der Ärmsten der Armen in diesem
Konzept fehlt. Von den 48 am wenigsten entwickelten
Ländern werden 26 nicht in den zukünftigen Kreis der
bisher geförderten aufgenommen. Da fragt man sich
natürlich: Wie verträgt sich das mit Ihrer Zusage, die Armut halbieren zu wollen?
Auch die sektorale Schwerpunktsetzung könnte
schlimm enden. Eine Beschränkung auf drei Schwerpunkte klingt gut, wird aber in der Tendenz dem bisherigen Grundanliegen unserer Entwicklungspolitik nicht gerecht. Denn viele Partnerregierungen werden versucht
sein, aus der Zahl ihrer möglichen Schwerpunkte die auszuwählen, die für sie am bequemsten sind.
In Indonesien zum Beispiel fielen dadurch die Bereiche Demokratisierungshilfe und Politikberatung ebenso
durch den Rost wie der gesamte Forstsektor; Bereiche
also, die wir auch im AWZ über alle Parteigrenzen hinweg
für Schlüsselbereiche halten. Das ist eine gefährliche
Falle, die wir unbedingt vermeiden müssen.
({9})
Auch eine weitere kostenintensive Idee von Rot-Grün
halten wir für falsch, nämlich den Aufbau des zivilen
Friedensdienstes. Selbstverständlich kann Entwicklungspolitik mit sinnvollen Projekten im Bereich der Krisenprävention hierzu einen wertvollen Beitrag leisten.
Aber die Probleme, die uns im Sicherheitsbereich der Entwicklungshilfe bedrücken, nämlich die Kriege und Bürgerkriege zum Beispiel in Afrika, die jahre- und jahrzehntelange Entwicklungshilfe zunichte machen, sind
natürlich nicht durch den zivilen Friedensdienst zu lösen,
sondern nur durch eine entschlossene deutsche und internationale Außen- und Sicherheitspolitik.
Davon sind wir weit entfernt. Die deutsche Außenpolitik bietet für Afrika kein Konzept - sie zeigt noch nicht
einmal großes Engagement -, das mit dem BMZ abgestimmt wäre und dessen Arbeit unterstützt. Im Gegenteil:
Von führender Stelle des Außenministeriums kommen sowohl von Rot als auch von Grün ständig Sticheleien gegen die Arbeit des Entwicklungsministeriums. Das ist sogar noch wesentlich schlimmer als der Auflösungsantrag
der F.D.P., den wir natürlich schärfstens zurückweisen.
({10})
Wir stehen ohne Wenn und Aber zu einem eigenständigen
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung.
({11})
Wir stehen zu den vielen staatlichen und freiwilligen Entwicklungshelfern - auch im ureigenen deutschen Interesse -, die sich im besten Sinne für eine bessere Welt einsetzen. Wir kämpfen um den Haushalt des BMZ und
wehren uns nicht gegen eine Diskussion um neue Akzente.
({12})
Wir brauchen zum Beispiel im Bereich der Energiepolitik neue Ansätze, eine Diskussion über einen flexibleren und stärkeren Einsatz bei der Politikberatung sowie die Diskussion über internationale Organisationen.
So sollten Schwächen, zum Beispiel unser mangelnder
Einfluss bei der Besetzung von Schlüsselpositionen in der
EZ, angesprochen werden.
({13})
Die Entwicklungspolitik eignet sich aber nicht für kurzatmige Experimente. Der Erfolg hängt von der Berechenbarkeit, der durchdachten Konzeption sowie von nationaler und internationaler Durchsetzbarkeit ab. Der
vorliegende Haushalt und die Politik seit dem Regierungswechsel erfüllen diese Anforderungen nicht. Deswegen lehnen wir diesen Haushalt ab.
({14})
Das Wort hat nun der
Kollege Emil Schnell, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Ruck,
geben Sie sich doch einfach mal einen Ruck und freuen
Sie sich mit uns darüber, dass wir bei diesem Einzelplan
etwas erreicht haben.
({0})
Wir haben ordentlich etwas draufgelegt. Ich sehe Ihren
großen Augen und den offenstehenden Mund an, dass Sie
das noch gar nicht realisiert haben bzw. noch immer darüber staunen, dass wir das so hinbekommen haben.
({1})
- Ich habe eine neue Brille.
Insofern: Freuen Sie sich doch einfach mit uns! Ich
werde widerlegen, was Sie dargestellt haben. In vielen
Bereichen gibt es nämlich Erhöhungen, die Sie geleugnet
haben. Wir aber haben die Ansätze nicht nur herausgeputzt, sondern in elementaren Bereichen etwas getan. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen.
Vorweg zur Frage der DEG, die Sie angesprochen haben: Der Auftrag der DEG - Entwicklungspolitik mit
dem Mittelstand in den Partnerländern zu verknüpfen bleibt erhalten; auch unter der KfW wird das so bleiben.
Insofern greift Ihre Kritik ins Leere.
({2})
Konsolidieren und gestalten - das haben Sie in den
letzten zwei Tagen des Öfteren gehört. Auch anhand dieses Einzelplans kann man deutlich herausarbeiten, was
wir unter „gestalten“ verstehen.
Im Vorfeld der Haushaltsberatungen wurde an dem
Entwurf aus der ersten Lesung Kritik geübt, von der Opposition, von VENRO, auch von den NGOs. Soweit sie
konstruktiv war, hat sie uns dazu gebracht , bestimmte
Dinge zu verbessern. Ich nenne nur folgende Fragen:
Ausgleich für die Wechselkurse, Umfang der Mittel für
den Stabi-Pakt, für die NGOs, zur Höhe des Gesamtplafonds. All das haben wir in hervorragender und befriedigender Art und Weise beantwortet. Ich werde später konkret darauf eingehen.
Es gibt zum Glück im Deutschen Bundestag ein großes
Einvernehmen darüber, dass wir in diesem Etat, dass wir
in der Entwicklungspolitik etwas tun wollen. Wir haben
den Etat immerhin - zusätzlich zu dem, was die Regierung bereits beschlossen hatte - um 2,8 Prozent aufgestockt. Darauf können wir stolz sein.
({3})
Die Mittel im Einzelplan 23 sind Investitionen - Investitionen in die Zukunft der Partnerländer und bei uns
im Land. Sie werden sogar bei der Investitionsquote angerechnet. Auch das ist ein Punkt, der nicht außer Acht gelassen werden darf. Im Gegensatz dazu steht der Antrag
der F.D.P. zur Auflösung des BMZ; dieser Populismus,
bei dem es nur um eine schnelle Pressemitteilung geht,
bringt uns nicht weiter.
({4})
Ich möchte hier ganz klar sagen, dass wir diesen Antrag
strikt ablehnen. Wir wollen vielmehr das Ressort und damit diesen Politikbereich stärken.
({5})
Das haben wir in den Haushaltsplanberatungen auch gezeigt.
({6})
- Lieber Kollege Hedrich, im Vergleich zum Haushalt
2000 steigt der Plafond um 325 Millionen DM auf
7,427 Milliarden DM. Dies ist ein Plus von 4,6 Prozent.
Das hätten Sie wohl kaum erwartet. Es hat Sie in der Tat
überrascht. Das hat man bei Ihrer ersten Rede gemerkt.
Ich denke, lieber Kollege Hedrich, das werden Sie nachher in der Schlussrunde vielleicht richtig stellen. Im Prinzip gibt es auch überhaupt keinen Grund für Sie, diesen
Einzelplan abzulehnen, da wir eigentlich alle gestellten
Forderungen, zum Beispiel auch die Anträge, die Sie im
AWZ gestellt haben - ich komme auf sie noch zu sprechen -, mit Leben erfüllt haben. Wir haben das so ausgestaltet, dass Sie eigentlich mit jeder Entscheidung zufrieden sein können. Ich erwarte von Ihnen ganz einfach, dass
Sie dem Einzelplan nachher zustimmen.
({7})
Von der F.D.P. kann ich das nicht erwarten, aber von Ihnen darf ich das eigentlich erwarten.
Wir haben in den Haushaltsberatungen 203 Millionen DM zugelegt. Die Verpflichtungsermächtigungen
haben wir - man höre und schreibe - sogar um 20 Prozent
erhöht. Das gab es bei Ihnen seinerzeit nie. Durch die Plafonderhöhung steigt der Anteil des Einzelplans 23, bezogen auf den Gesamthaushalt, von 1,5 Prozent auf 1,6 Prozent. Ich denke, auch das ist ein Erfolg, auf den wir stolz
sein können.
({8})
Zur Gegenfinanzierung wurden in der Tat 100 Millionen DM aus dem DEG-Verkauf eingesetzt. Das soll auch
im nächsten Jahr noch einmal geschehen. Ich denke, das
ist legitim und auch vernünftig, da wir bei solider Haushaltsführung immer eine Gegenfinanzierung brauchen.
Damit sind Sie in den Haushaltsplanberatungen 2001 leider überhaupt nicht zurechtgekommen.
({9})
Gegenfinanzierung war für Sie ein Fremdwort in jeder
Hinsicht, nicht nur bei diesem Einzelplan, sondern auch
bei anderen Einzelplänen. Insofern bitte ich auch hier um
etwas mehr Solidität und Seriosität.
({10})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?
Wenn sie einigermaßen vernünftig und intelligent ist, ja.
Das können wir aber
erst im Nachhinein beurteilen. - Herr Kollege, bitte sehr.
Herr Kollege Dr. Schnell, da Sie soeben selbst herausgearbeitet haben, dass die Deckung der Erhöhung im Wesentlichen daraus resultiert, dass dem Staat einmalige Einnahmen
dadurch zufließen, dass das Staatsunternehmen KfW das
Staatsunternehmen DEG erwirbt, möchte ich Sie fragen:
Was passiert eigentlich ab 2003, also ab dem Zeitpunkt,
da die Mittel - jeweils 100 Millionen DM in den Jahren
2001 und 2002 - aus diesem Verkauf vollständig in den
BMZ-Haushalt eingeflossen sind? Darauf möchten wir
gerne eine Antwort haben. Ist das eine nachhaltige Erhöhung des BMZ-Etats oder ist das eine Scheinerhöhung
über zwei Jahre, nach der der Absturz umso gravierender
ist?
({0})
Über zwei Jahre findet eine
wirkliche Erhöhung statt. Die mittelfristige Finanzplanung ist nicht Sache des Haushaltsausschusses. Das wissen Sie vielleicht auch. Aber ich gehe fest davon aus, dass
wir nach diesen zwei Jahren nicht den Abbruch organisieren werden, sondern dass wir mindestens auf dieser Höhe
weiterarbeiten werden.
({0})
Reicht das aus, um Ihre Zustimmung zu erhalten?
({1})
Im Einzelplan 60 haben wir 100 Millionen DM für den
Stabilitätspakt Südosteuropa etatisiert. Das war in der Tat
ein Kompromiss. Es gab Diskussionen. Wir wollten das anders organisieren. Aber richtig ist: Das Auswärtige Amt und
das BMZ wie auch andere Etats müssen Zugriff auf diesen
wichtigen Titel haben. Die Probleme in dieser Region in
Serbien, aber nicht nur dort - sind dringlich. Deshalb muss
man - das will ich hier noch einmal betonen - aus diesen
Mitteln auch Fragen der Flüchtlingsrückkehr, des Wiederaufbaus, der humanitären Hilfe und Versorgung finanzieren. Nach Kroatien wollen 35 000 Menschen, nach Bosnien etwa 30 000 zurückkehren. Ich gehe davon aus, dass
wir aus diesen Mitteln auch die Lösung dieses Problems
finanziell mit unterstützen können.
Ich möchte ganz gerne noch auf die Änderungsanträge eingehen, die im Zuge der Beratungen im AWZ eingebracht worden sind, und zwar überwiegend auf die rotgrünen Vorschläge. Ich habe festgestellt, dass die
Vorschläge der CDU/CSU, zum Teil auch der F.D.P. und
der PDS in die gleiche Richtung gehen. Es wurde zum
Beispiel der Antrag gestellt, den Ansatz für entwicklungspolitische Bildung um 1,2 Millionen DM gegenüber dem Regierungsentwurf zu erhöhen. Das wurde
im Haushaltsausschuss so beschlossen. Weiter wurde vorgeschlagen, die Mittel für die privaten deutschen Träger,
also in erster Linie für unsere NGOs, um 1,5 Millionen DM anzuheben. Wir haben gesagt: Die Arbeit, die
diese Organisationen leisten, ist sehr wichtig. Wir wollen
da noch mehr tun. Deshalb haben wir 3 Millionen DM zusätzlich bewilligt, also das Doppelte von dem, was unsere
rot-grünen AWZler gefordert haben.
({2})
Er wurde des Weiteren gefordert, den Titel „Integrierte
Fachkräfte/Reintegration“ um 4,5 Millionen DM anzuheben. Das ist so beschlossen worden. Für die berufliche
Aus- und Fortbildung wurden 5 Millionen DM mehr gefordert. Dies ist fast so bewilligt worden. Der Ansatz für
Ernährungssicherung sollte um 3 Millionen DM angehoben werden. Auch das ist so beschlossen worden. Der Ansatz für die politischen Stiftungen, die in Osteuropa und
in dem Gebiet der ehemaligen GUS tätig sind, sollte um
30 Millionen DM erhöht werden. Tatsächlich ist eine Erhöhung um 35 Millionen DM bewilligt worden, weil wir
wissen, dass die dort tätigen Stiftungen Probleme bekommen werden, wenn nichts passiert. Deshalb haben wir
gesagt: Die Stiftungen müssen auch mit Mitteln aus diesem Ansatz finanziert werden. Sie haben nun aufgrund der
Erhöhung um 35 Millionen DM die Möglichkeit, Defizite
auszugleichen, die in anderen Bereichen entstanden sind.
An den EEF-Titel sind wir nicht herangegangen - auch
das wurde vorgeschlagen -, weil das keinen Sinn macht;
denn wir wollen die Mittel für die finanzielle Zusammenarbeit deutlich erhöhen. Aufgrund des Deckungsverbundes in dem Bereich macht es keinen Sinn, den EEF-Titel
zu kürzen.
Im Bereich der Verpflichtungsermächtigungen gab
es viele Vorschläge. Diese sind fast 1:1 umgesetzt worden.
Ich als Haushälter muss insofern meinen Kollegen vom
Fachausschuss - das ist durchaus unüblich - ein Kompliment für die sehr konstruktive Zusammenarbeit und für
ihre realistischen Vorschläge machen, die fast alle umgesetzt werden konnten. Das war früher nicht immer der
Fall. Das ist der richtige Weg. Ich bedanke mich für diese
Zusammenarbeit.
({3})
Es gab auch noch ein paar andere Bereiche, in denen
mehr draufgelegt worden ist, als im Fachausschuss gefordert wurde. So ist zum Beispiel der Ansatz für die finanzielle Zusammenarbeit - Bekämpfung von Aids, Förderung der regenerativen Energien und Schutz des
Tropenwaldes - um 70 Millionen DM angehoben worden.
Auch bei der TZ haben wir uns deutlich bewegt: bar plus
22 Millionen DM und sage und schreibe plus 170 Millionen DM bei der VE. Die Verpflichtungsermächtigungen
für FZ und TZ sind gegenüber dem Entwurf um 300 Millionen DM erhöht worden. Damit ist sichergestellt, dass
die Aufgaben auch zukünftig finanziert werden können.
Noch ein Hinweis: Im Haushaltsgesetz wurde der
Gewährleistungsrahmen für die Verbundfinanzierung, die
uns eigentlich immer sehr am Herzen liegt, um 250 Millionen DM auf 3,15 Milliarden DM angehoben. Das zeigt
ganz klar, dass wir die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft ausweiten wollen. Das belegt auch die Steigerung
des Ansatzes für die FZ. Die Projekte im PPP-Bereich,
zum Beispiel auch im Bereich der Aids-Bekämpfung,
werden von uns gefördert. Das ist vernünftig. Die Ministerin hat ja dankenswerterweise in der letzten Zeit gerade
die Einbindung der Wirtschaft in die Entwicklungspolitik stark vorangetrieben. Man hört, dass bis zu 600 Vorschläge für Projekte auf dem Tisch liegen. Sicherlich sind
nicht alle Projekte realistisch. Wir verteilen keine Subventionen und sind auch nicht auf kurzfristige Effekte aus.
Aber es ist ein guter Ansatz, gemeinsam mit der WirtPeter Weiß ({4})
schaft neue Potenziale zu erschließen und dadurch die
Entwicklungshilfe letztendlich zu stärken.
({5})
Ich möchte noch auf eine Sache eingehen, die - hoffentlich wird das hier anerkannt - wirklich großartig
ist, und zwar nicht deshalb, weil Sie von der CDU/CSU
das vorgeschlagen haben. Bereits im August hatte das
Bundesfinanzministerium dankenswerterweise einen
Vorschlag für einen echten Wechselkursausgleich unterbreitet. Das wird zur Verstetigung der internationalen Verpflichtungen führen und die Verlässlichkeit erhöhen. Das
heißt allerdings im Umkehrschluss, dass bei Minderbedarf die entsprechenden Mittel zum Finanzministerium
zurückfließen werden. Aber der angestrebte Ausgleichsmechanismus ist durchaus vernünftig. Wir waren froh,
dass der Vorschlag auch schon vonseiten des BMF in die
Beratung gekommen ist. Das ist ein Grund mehr für Sie,
dem Ganzen zuzustimmen.
({6})
Es gibt noch eine ganze Reihe von Punkten, die man
ansprechen müsste. Meine restliche Redezeit wird mir
hier mit 56 Sekunden angezeigt, jetzt noch mit 53 Sekunden.
({7})
Ich versuche, die Punkte in dieser Zeit kurz zusammenzufassen.
Mit dem, was wir beschlossen haben, hat sich der entwicklungspolitische Gestaltungsrahmen auf jeden Fall
deutlich ausgeweitet. Wir können mit den Verpflichtungsermächtigungen, die ich angesprochen habe, eine ganze
Menge erreichen, vor allem in den Bereichen Mittelosteuropa, Zivilgesellschaft, FZ, TZ, Agrarforschung, Ernährungssicherung, integrierte Fachkräfte etc. Die Plafonderhöhungen gestatten neue Akzentsetzungen, zum
Beispiel bei der Aids-Bekämpfung, die gerade meiner
Fraktion sehr am Herzen liegt, bei der Armutsbekämpfung, bei der Förderung erneuerbarer Energien und beim
Tropenwaldschutz. Letzterer ist von den Grünen stark akzentuiert worden.
Insofern: Vielen Dank für diese Anregungen! Es ist
schade, dass der Kollege von Schmude heute nicht hier
sein kann; er hätte vielleicht einen anderen Auftaktvortrag
gehalten als den, den wir eben gehört hatten. Ich möchte
ihm von hier aus ganz herzliche Genesungswünsche übermitteln - ich denke, im Namen des ganzen Hauses.
({8})
Ich hoffe, dass er bald wieder bei uns sein kann.
Ich danke natürlich insbesondere dem BMF, dem BMZ
sowie den Kolleginnen und Kollegen aus dem Fachausschuss und aus meiner Arbeitsgruppe. Ich möchte ganz
einfach darum bitten: Stimmen Sie dem stark verbesserten Einzelplan 23 zu!
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Jürgen Koppelin, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Erst mal herzlichen Dank,
dass Sie noch zu dieser späten Stunde hier im Plenarsaal
sind. Wir haben ja immer das Problem, dass dieser Etat zu
später Stunde beraten wird. Ich denke, das sollten wir allgemein bedauern.
Die Erwartungen an die Entwicklungspolitik der rotgrünen Koalition waren sehr hoch. Das lag sicherlich
nicht nur daran, dass Sie in der Oppositionszeit viel versprochen haben, sondern auch daran, dass Sie im Koalitionsvertrag einiges versprochen haben. Daran müssen Sie
sich messen lassen. Sie wollten doch - so steht es auch im
Koalitionsvertrag - die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse in den Entwicklungsländern verbessern. Aber nicht nur das: Die Koalition versprach auch noch, die Entwicklungspolitik
weiterzuentwickeln. Ich sehe und höre davon in diesem
Haushalt nichts.
({0})
Vielleicht wollte die Ministerin tatsächlich neue Akzente setzen. Vielleicht wollte die Ministerin in den Entwicklungsländern wirklich mehr für die Stärkung der
Wirtschaft, für die Gesundheit und vor allen Dingen für
die Frauen erreichen. Nur, wie soll das mit diesem Haushalt überhaupt gehen? Vor allem fragt man sich natürlich:
Wie will sie diese Zielvorstellungen erfüllen angesichts
eines Finanzministers, mit dem sie in herzlicher hessischer Parteifreundschaft verbunden ist? Jeder weiß, was
das bedeutet: Er wird ihr keine zusätzlichen Mittel zur
Verfügung stellen.
({1})
Versprochen wurde, dass dieses Ministerium unter dieser Koalition eine große Blüte erleben würde. Die Bilanz
ist heute, dass das Bundesministerium fast politikunfähig
geworden ist.
({2})
Eigentlich zeichnete sich dieses Ministerium in der Öffentlichkeit in den letzten Monaten doch nur durch zweierlei aus: Zum einen ist da der Streit um die Personalpolitik der Ministerin, der die Schlagzeilen bestimmt hat.
({3})
- Emil, ich habe doch alles dabei. Darauf kannst du natürlich nicht eingehen. Aber dann muss ich das eben tun.
Zum anderen waren da noch die Schlagzeilen, dass
Frau Ministerin hoffe, ihr Ministerium werde in zukünftigen Zeiten finanziell besser ausgestattet.
({4})
Das bedeutet doch, dass sie mit diesem Etat auf keinen
Fall zufrieden ist. Frau Ministerin, Sie sollten uns also erklären, was Sie in den nächsten Jahren erwarten. Damit
können Sie sich dann in diesem Jahr trösten.
Peter Weiß ({5})
Lieber Emil, nach dem zu urteilen, was du hier zum
Haushalt vorgetragen hast, brauchst du - wie ich schon in
einem Zuruf zum Ausdruck gebracht habe - wirklich eine
neue Brille. Oder ich muss einen falschen Haushaltsplan
bekommen haben. Irgendetwas ist da jedenfalls nicht in
Ordnung; wir sollten einmal unsere Haushaltspläne vergleichen. Dieser Haushaltsplan zeichnet sich nämlich in
erster Linie durch Buchungstricks aus. Das ist vorhin
schon erwähnt worden, ich komme gleich noch darauf
zurück.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Recht auf Bildung ist ein Bestandteil der allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte. Bildung und Ausbildung müssen deshalb im Mittelpunkt unserer Entwicklungsbemühungen
stehen. Nur, so stellt man fest: Das, was man im Haushaltsgesetz lesen kann, ist nicht einmal der berühmte
Tropfen auf dem heißen Stein. Die Ächtung der Gewalt
gegen Frauen sowie die gezielte Förderung von Bildungsund Ausbildungsmaßnahmen für Frauen und Mädchen in
den Entwicklungsländern müssen eine Kernforderung der
Entwicklungspolitik sein. Ich glaube sehr wohl, Frau Ministerin, dass Sie sich dafür einsetzen wollen. Ich frage
mich nur: Wie wollen Sie das mit diesem Haushalt tun?
Mit guten Worten sind diese Ziele in keiner Weise zu erreichen.
({7})
Ich weiß sehr wohl: Der Staat allein kann nicht alles
ausrichten. Aus liberaler Sicht wird deswegen eine erfolgreiche Entwicklungspolitik künftig davon abhängig sein,
wie das Engagement der einzelnen Bürger aussieht, wie
sich Privatunternehmen engagieren und wie Nichtregierungsorganisationen von uns unterstützt werden. Gerade die Nichtregierungsorganisationen haben schlanke
Verwaltungsstrukturen und sie könnten viel erreichen;
aber wir lassen sie irgendwie im Regen stehen, weil wir
ihnen nicht genug Mittel geben - jedenfalls nicht mit diesem Etat. Dieser Etat der Ministerin Wieczorek-Zeul, der
Einzelplan 23, ist, wie wir bedauerlicherweise feststellen
müssen, eine traurige Bilanz der entwicklungspolitischen
Arbeit dieser Regierung - nicht mehr und nicht weniger.
({8})
Wer sich diesen Einzelplan anschaut, der muss einfach
feststellen - wir müssen Sie immer wieder an Ihre Versprechungen aus Oppositionszeiten und aus dem Regierungsprogramm erinnern -: Die Entwicklungspolitik ist
inzwischen ein Stiefkind dieser Regierung.
({9})
Wenn Sie uns nicht glauben, dann schauen Sie sich
doch einmal an, was andere erklärt haben. Ich nenne die
Deutsche Welthungerhilfe, terre des hommes usw. Sie alle
erklären nach zwei Jahren Amtszeit dieser Ministerin:
traurige Bilanz! Es handelt sich bei diesen Organisationen
nicht gerade um unsere Freunde; schließlich haben sie in
der Vergangenheit auch uns kritisiert. Frau Ministerin, die
Sonntagsreden nützen nichts: Sie können mit diesem Etat
sehr wenig anfangen.
Die Zusammenführung von DEG und KfW mag ein
vernünftiger Vorgang sein. Lieber Emil Schnell, ich habe
zur Vorbereitung auf den heutigen Tag Reden von dir
nachgelesen. Ich stelle fest, dass du früher etwas ganz anderes erzählt hast.
({10})
Ich darf einmal zitieren:
Wir sind der Ansicht, dass nur wegen kurzfristiger
und geringer Privatisierungserlöse eine unbedachte
und schnelle Privatisierung nicht angezeigt ist.
({11})
Das Protokoll vermerkt interessanterweise: „Beifall bei
der SPD und der F.D.P.“ Daran kann man sehen, wie
schnell sich Auffassungen ändern, wenn man an der Regierung ist.
Gestatten Sie mir eine Bemerkung, die mir im Rahmen
der heutigen Debatte wichtig ist. Ich möchte den politischen Stiftungen und den Nichtregierungsorganisationen
danken. Beide leisten Hervorragendes für das deutsche
Ansehen in der Welt. Ich ärgere mich schon das eine oder
andere Mal heftig darüber, dass gerade unsere politischen
Stiftungen durch die Medien in den Topf der Parteienfinanzierung geworfen werden. Jeder, der die politischen
Stiftungen kritisiert, sollte sich einmal anschauen, was die
politischen Stiftungen draußen in der Welt machen.
({12})
Ich hoffe, dass es den politischen Stiftungen gelingt, auch
in Mittel- und Osteuropa wichtige Beiträge zur Demokratisierung zu leisten.
Ich komme nun darauf zu sprechen - Sie wollen das
natürlich hören -, warum wir den Antrag gestellt haben,
dieses Ministerium aufzulösen.
({13})
- Sie haben keine Geduld.
({14})
- Sie sind doch nur unruhig, weil Sie eigentlich mit dieser Ministerin unzufrieden sind und nicht mit meiner
Rede. Das ist doch das Problem.
({15})
Der Kollege Joachim Günther hat bei früherer Gelegenheit schon einmal darauf hingewiesen: Wie ist es möglich, dass der Außenminister diplomatische Vertretungen,
zum Beispiel Botschaften in Afrika, auflöst, ohne mit der
Ministerin je ein Gespräch darüber geführt zu haben? Das
wäre doch nötig gewesen; stattdessen ignoriert er sie und
hat keinerlei Interesse an einem solchen Gespräch. Kollege Ruck, Sie haben unseren Antrag zwar ein bisschen
kritisiert, aber ich verspreche Ihnen: Wenn wir das Ministerium auflösen, dann bleibt der Fachausschuss bestehen,
Sie können Ihren Sitz dort behalten und brauchen nicht in
den Auswärtigen Ausschuss zu gehen.
({16})
Ich gebe zu, dass wir als F.D.P. bezüglich unserer Forderung einer Eingliederung des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in das
Auswärtige Amt etwas nachdenklich wurden, weil in der
„Leipziger Volkszeitung“ Folgendes steht - der Kollege
Günther hat mir das gegeben -: „Fischer verspricht: Ich
tue alles für die Abschaffung des Außenministers“. Das
hat bei uns natürlich Zweifel hervorgerufen. - Wir meinen
schon, dass das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung aufgelöst und in das
Auswärtige Amt eingegliedert werden muss.
Lassen Sie mich Ihnen, Frau Ministerin, zum Schluss
Folgendes sagen: Ihre Politik erinnert mich an Ihre Südseefahrt. Als Sie losfuhren, war alles unkoordiniert. Sie
waren und blieben weit weg vom Ziel, hatten keinen Kontakt zur Außenwelt mehr, dann fiel auch noch der Motor
aus und Sie selber brauchten Hilfe. Das ist die Politik Ihres Ministeriums. Ihre Politik sieht genauso aus wie das,
was Sie damals in der Südsee erlebt haben.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({17})
Jetzt hat die Kollegin
Antje Hermenau für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines muss
man dem Kollegen Koppelin konzedieren: Seine Rede
war unterhaltsam.
Ich beginne meine Rede zum Einzelplan 23 mit einem
Dank an die Kollegen, die sich mit viel Mühe für den Etat
eingesetzt haben. Ich verrate hier kein Geheimnis, wenn
ich sage, dass es nicht immer leicht ist, im Haushaltsausschuss die entsprechenden Mehrheiten für die Belange
der Entwicklungszusammenarbeit zu finden. Wir haben
es geschafft und wir alle - von allen fünf Fraktionen können ruhig einmal diesen Erfolg genießen.
({0})
Jetzt schauen wir uns doch einmal an, was wir geschafft haben. Es geht nicht nur um irgendwelche Pflätserchen auf irgendwelchen kleinen Wunden. Wir haben
langfristige und strukturelle Probleme angefasst und zum
Teil sogar gelöst.
Seit Jahren gibt es das Problem der Wechselkursanpassung; in diesem Jahr ist es uns richtig auf die Füße gefallen. Der Stichtag für den Dollar-Umtauschkurs ist im
Frühjahr, sodass man den Kurs nicht zeitnah genug für das
nächste Jahr einschätzen kann. Wenn danach der Dollar
ansteigt, geht die Umrechnung zulasten zum Beispiel der
Projektfinanzierung. Wir haben jetzt den Stichtag auf Oktober gelegt und sind damit zeitnäher am folgenden Haushaltsjahr. Das wird sich im Haushalt 2001 positiv, wie ich
annehme, auswirken; denn im Oktober dieses Jahres war
der Wechselkurs für den Dollar so hoch, dass er kaum
noch überboten werden wird. Das heißt, dieses Problem
haben wir gelöst.
({1})
Das nächste Problem waren die Verpflichtungsermächtigungen; es ist auch ein strukturelles und längerfristiges Problem. Wir haben es zumindest angepackt. Ich
will noch nicht so kühn sein, zu behaupten, wir hätten es
gelöst; aber wir haben es energisch angepackt. Eine Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen, also der Ausgabeabsichten in den Folgejahren, um 20 Prozent halte ich
für einen Erfolg für diesen Einzelplan.
({2})
- Sie können ruhig klatschen, das ist völlig in Ordnung.
({3})
Des Weiteren ist die Beißlust des Finanzministers hinsichtlich der Verbundfinanzierung ein bisschen gebremst worden. Es gab ja immer große Bedenken aus dem
Bundesfinanzministerium. Diesmal war es schon im Vorfeld kein großes Problem, den Gewährleistungsrahmen
für die Verbundfinanzierung anzuheben. Auch das halte
ich für einen Erfolg. Das heißt, die Kommunikation der
letzten Jahre hat dazu geführt, dass sich der BMF, wenn
auch gemessenen Schrittes, in diese Richtung bewegt.
Außerdem ist es uns zum ersten Mal seit Jahren gelungen, dass die lineare Stellenkürzung im Einzelplan 23
nicht mehr durchschlägt.
({4})
Ich komme noch zu ein paar grünen Erfolgen, die ich
natürlich auch nennen muss, wenn ich für meine Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hier in die Bütt gehe. Ich bin sehr
froh darüber, dass es Impulsfinanzierungen für die Einführung der regenerativen Energien in den Entwicklungsländern geben wird.
({5})
Ich bin froh, dass die Mittel für den Tropenwaldschutz stabilisiert worden sind.
({6})
Und ich finde es gut, dass wir es geschafft haben, auch die
institutionellen Beratungen im Umweltschutzbereich zu
verstärken.
All diese Fragen kommen beim internationalen Klimaschutz, einer wirklich globalen Aufgabe, zusammen.
Dazu gehört noch die Mobilitätsförderung, zum Beispiel
die Förderung umweltfreundlicher Massenverkehrsmittel. - Jetzt warte ich auf einen Zwischenruf zum Thema
Transrapid. Will niemand? - Dann nehme ich den Punkt
selbst auf.
({7})
Als Haushaltspolitikerin bin ich froh darüber, dass es in
einer Gegend gelungen ist, in der der Transrapid dem ICE
bzw. einem geschichtlich gewachsenen Schienensystem
wie in Deutschland keine Konkurrenz macht, Abnehmer
für den Transrapid zu finden. Das finde ich in Ordnung,
weil die Forschungs- und Entwicklungskosten nicht verloren sind.
({8})
- Ja, das sind ganz neue Töne.
Nun komme ich auf das Verhältnis von multi- und bilateraler Entwicklungszusammenarbeit zu sprechen.
Es gibt hausintern die Vorgabe, nicht mehr als ein Drittel
der Mittel für diesen Bereich aufzuwenden. Das halte ich
für eine vernünftige Zielmarge, die aber nicht erreicht
worden ist. Das hat zum Teil mit der Haushaltskonsolidierung und mit völkerrechtlichen Verpflichtungen zu
tun. Ich möchte unbedingt dazu ermutigen, dass wir darauf achten, in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit nicht zu kürzen und einzuschränken, nur um unsere
Ansprüche an die multilaterale und die EU-Zusammenarbeit zu stabilisieren. Das kann nicht der richtige Weg sein.
({9})
Ich bin schon seit Jahren der festen Überzeugung - das ist
nichts Neues; das wissen alle, die mit mir in diesem Bereich zusammengearbeitet haben -, dass im Bereich der
bilateralen Entwicklungszusammenarbeit noch ein großer
Nachholebedarf besteht. Wir müssen hier auch den Bezug
zur deutschen Wirtschaft stärker herstellen. Das sage ich
wie schon so oft ganz offen und unumwunden.
({10})
Ich glaube nicht, dass es genügt, wenn wir die Wirtschaftspartnerschaft nur auf die Bereiche Förderung erneuerbarer Energien, Überwindung der digitalen Kluft
und Bekämpfung von Aids konzentrieren, auch wenn die
Förderung erneuerbarer Energien viele Möglichkeiten
bietet. Wir werden diese auf weitere Bereiche ausdehnen
müssen. Die KfW hat dazu interessante Vorschläge gemacht, zum Beispiel Zinsverbilligungen. Das reicht mir
eigentlich noch nicht. Darauf komme ich aber noch zu
sprechen.
Wir haben die Kriterien der Entwicklungszusammenarbeit in den letzten Jahren und Jahrzehnten gemeinsam
intensiv genug diskutiert und auch entsprechende Förderrichtlinien festgelegt und Kriterienkataloge aufgestellt. Ich bin deshalb der Auffassung, dass dieser Bereich
so belastbar ist, dass man hier weiter voranschreiten kann.
So habe ich auch die Haltung des BMF interpretiert, das
uns beim Gewährleistungsrahmen der Verbundfinanzierung ein Stückchen entgegengekommen ist. Ich weiß
natürlich, dass dieses Konkurrenz- oder gar Angstgefühle
bei den Leuten in den Ministerien auslöst, die für die Hermes-Bürgschaften zuständig sind. Ich glaube aber, dass
die Nehmer- bzw. Partnerländer nicht mehr als eine einheitliche Masse behandelt werden können, weil zwischen
ihnen die Unterschiede zu groß geworden sind. Angesichts einer so ausdifferenzierten Landschaft brauchen
wir hier auch ein ausdifferenzierteres Instrumentarium.
Darum kommen wir nicht herum. Die Zusammenarbeit
mit der Wirtschaft bietet natürlich neue Instrumente oder
Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung von bereits bestehenden Instrumenten. Dafür stehe ich auch ein; das
halte ich für richtig.
({11})
Ich komme jetzt zum Verkauf der DEG, der ja alle hier
beschäftigt. Sie fragten, wo das Geld bleibt, wo es verbucht wurde, ob das ein Trick sei usw. Ich versuche es einmal einfach darzustellen: Die Gelder aus dem Verkauf
fließen natürlich nicht direkt in den BMZ-Haushalt. Das
wäre ja albern. Sie müssen es sich so vorstellen, dass der
Staat der KfW im Prinzip einen Teil des Kaufpreises erlässt und sie dieses Geld im Rahmen der operativen Mittel für finanzielle Zusammenarbeit verwenden kann. So
funktioniert das Ganze. Ich halte es für ziemlich unproblematisch, das so zu machen. Die DEG bleibt so als
GmbH erhalten, nur ist die KfW als Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten in diese eingetreten. Ich sehe
überhaupt kein Problem darin, das so zu machen.
Ich komme jetzt noch auf ein paar Punkte zu sprechen,
die mir persönlich wichtig sind. Es geht hier insbesondere
um die Frage, wie wir das Finanzvolumen der Entwicklungszusammenarbeit vergrößern können. Ich glaube,
dass wir das Gesamtvolumen deutlich vergrößern müssen. Wir werden dieses aufgrund der Anstrengungen, die
Nettoneuverschuldung in Deutschland herunterzufahren,
nicht allein durch mehr öffentliche Mittel erreichen. Das
heißt, wir müssen uns überlegen, wo wir noch weitere
Gelder herbekommen können. Ich habe gerade eine Möglichkeit erwähnt, als ich auf die Partnerschaft mit der deutschen Wirtschaft unter entwicklungspolitischen Kriterien
eingegangen bin. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit,
solchen Maßnahmeträgern wie der KfW weitere Möglichkeiten an die Hand zu geben. Einiges haben wir auch
schon realisiert.
Die Zinsverbilligung alleine wird es nicht bringen;
diese reicht noch nicht. Wir wollen ja eigentlich auch
noch, dass bei der Verbundfinanzierung einheitliche Laufzeiten zu gleichen Zinssätzen gelten. Das heißt, dass die
Laufzeiten kürzer werden, die Gelder schneller zurückfließen und wir sie dann auch schneller wieder in der Entwicklungszusammenarbeit, zum Teil jedenfalls, verwenden können. Ich halte das auch deshalb für wichtig, weil
hierdurch die Zusammenarbeit mit der deutschen Wirtschaft gestärkt wird. Ein günstiger Punkt ist auch, wenn
das Geld immer im Fluss ist.
Im BMF werden noch Diskussionen über die Rolle der
Hermes-Bürgschaften geführt werden müssen, weil hier
eine Konkurrenz befürchtet wird, die ich nicht sehe. Auf
jeden Fall ist die Zinsverbilligung ein gutes Instrument.
Wir haben hier die Weichen richtig gestellt, indem wir die
Titelerläuterung angepasst haben. Hier wird zwar keine
Geldsumme genannt, trotzdem ist das ein ganz wichtiger
Punkt. Die zur Verfügung stehenden Finanzmittel bei der
KfW und in der finanziellen Zusammenarbeit, wo wir mit
solchen Zuschüssen arbeiten, können wir nämlich verdoppeln, indem wir die pro Kredit aufzuwendenden Mittel halbieren. Damit steht im Prinzip mehr Geld zur Verfügung. Es geht eigentlich nur noch darum, die für
Zinsverbilligungen gegebenen Zuschüsse an die marktüblichen Laufzeiten anzupassen. Ich halte das für einen ganz
vernünftigen Weg, mit dem Geld, das einem zur Verfügung steht, ein größeres Volumen im selben Zeitraum zu
finanzieren.
({12})
Die Differenzen zwischen den einzelnen Entwicklungs- und Schwellenländern sind, wie ich schon sagte,
sehr groß. Hier geht es nicht nur um völlig mittellose und
ganz arme Empfängerländer. Es gibt hier sehr große
Differenzen. Von daher ist ein solches Instrument auf einige dieser Länder anwendbar und sollte auch angewandt
werden; denn umso mehr öffentliche Gelder bleiben dann
zum Beispiel für die Armutsbekämpfung in anderen Ländern übrig. Ich halte dieses Vorgehen für sinnvoll und
werbe um Unterstützung aus dem ganzen Hause hierfür.
Ich bedanke mich.
({13})
Für die PDS-Fraktion
hat jetzt der Kollege Carsten Hübner das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin! Zum ersten Mal seit vielen Jahren liegt der Haushaltsansatz des
BMZ dank des engagierten Einsatzes von NGOs,
Entwicklungspolitikern und nicht zuletzt dank des Einsatzes unserer Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss über dem des Vorjahres, wenn auch nur geringfügig. Ich weiß, dass auch das BMZ und die Kollegin
Wieczorek-Zeul dazu ein Übriges beigetragen haben. Das
gilt es gerade mit Blick auf die erste Haushaltsberatung,
als noch eine Absenkung zu befürchten stand, hervorzuheben und zu begrüßen. Ich will das hier ausdrücklich tun,
({0})
selbst wenn ich weiß, dass ein Teil dieses Zuwachses dem
hohen Dollarkurs geschuldet ist, der im Haushaltsentwurf
zunächst nicht entsprechend berücksichtigt war.
Es geht allerdings aus meiner Sicht zu weit, bereits
jetzt eine Trendwende zu verkünden; denn das geben das
Volumen und die Struktur der Zuwächse bzw. des Haushaltsplanes nun auch wieder nicht her. Grundsätzliche
Kritik ist leider weiterhin notwendig, zumal ich mich mit
dem größten Teil meiner Kritik problemlos auf die Koalitionsvereinbarung berufen kann. In Stichworten:
Erstens. Das international vereinbarte Ziel von einem
Anteil von 0,7 Prozent der öffentlichen Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt liegt weiterhin in weiter
Ferne. Vor dem Hintergrund, dass es bereits europäische
Länder gibt - etwa Dänemark, Norwegen, die Niederlande oder Schweden -, die diese Vereinbarung umgesetzt
haben, halte ich es für dringend erforderlich, dass die
Bundesregierung endlich eine glaubhafte Planung vorlegt, wie diese Vorgabe - zumindest mittelfristig - umgesetzt werden kann.
({1})
Denn immer mehr Länder liegen weit vor uns, beispielsweise Frankreich, Großbritannien oder auch Japan. Es sei
denn, es ist nicht mehr gewollt. Dann müsste aber wenigstens das öffentlich eingestanden werden.
Zweitens. Das von der Bundesregierung propagierte
Sparen bzw. die Haushaltszurückhaltung nach dem Rasenmäherprinzip ist aus meiner Sicht für den Haushalt des
BMZ in jeder Hinsicht inakzeptabel. Seit geraumer Zeit
bereits erheblichen Einsparungen unterworfen, agiert das
BMZ in einem äußerst empfindlichen und für eine gerechte und solidarische Entwicklung der Welt maßgeblichen Politikfeld.
Mit Blick auf Hunger, Elend, Unterentwicklung, Bürgerkriege, Aids usw. ist es politisch unangemessen und
moralisch zweifelhaft, hier dieselbe Haushaltslogik an den
Tag zu legen wie in anderen Haushaltstiteln. Der Bundesfinanzminister sollte deshalb sein Herangehen korrigieren
und endlich einer verantwortlichen politischen Prioritätensetzung finanzielle Spielräume verschaffen. Wenn ich
daran denke, dass vor wenigen Minuten 10 Milliarden DM
für ein militärisches Großraumtransportflugzeug eingestellt wurden, dann graut es mir sehr vor der bisherigen Prioritätensetzung.
({2})
Drittens. Noch immer fließen große Teile der Gelder
des BMZ nicht etwa direkt in die Partnerländer des Südens, sondern verbleiben - direkt oder mittelbar - in der
Bundesrepublik. Das ist manchmal, aber längst nicht immer sinnvoll. Fatal aber wäre es, wenn Entwicklungspartnerschaft mehr und mehr zu einer Subventionsform für
bundesdeutsche Unternehmen werden würde. Dies ist
eine Tendenz, die gegenwärtig nicht zu übersehen ist und
die mit der unkritischen Popularisierung der Public Private Partnership eine neue Dynamik zu bekommen
droht.
({3})
Ich erwarte da einen kritischen Blick auch im Haushalt.
Ebenso erwarte ich einen kritischen Blick etwa in der
Frage des Tropenwaldschutzes, der hier schon mehrfach
besonders hervorgehoben wurde. Denn so ökologisch
sinnvoll das ist - ich unterstütze das ausdrücklich -, so
deutlich muss auch gesagt werden, dass wir den Erhalt des
Tropenwaldes vor allem deshalb entwicklungspolitisch so
unterstützen, damit wir hier im Norden auf absehbare Zeit
weiter so verantwortungslos CO2 in die Luft pusten können, ohne an unseren eigenen Abgasen ersticken zu müssen. Die gescheiterten Verhandlungen von Den Haag haben das ja eindrucksvoll unterstrichen.
({4})
- Das ist richtig, sie sind in diesem Fall an den USA gescheitert. Letztendlich ist es aber das Verhältnis Nord/Süd,
das sich darin widerspiegelt.
Von diesen unzweifelhaft auch eigennützigen Motiven
hört man in den entwicklungspolitischen Reden natürlich
nur selten etwas. Stattdessen wird Selbstlosigkeit gemimt
und so getan, als dienten die Mittel zum Tropenwaldschutz allein den Entwicklungsländern. Ich denke fast,
man müsste Teile dieser Mittel eher freisetzen und stattdessen beim Verkehrs- oder Umweltministerium veranschlagen.
Viertens. Auch die direkte Armutsbekämpfung bleibt
im BMZ-Haushalt ein echtes Sorgenkind. Von den Vorgaben der 20 : 20-Initiative entfernt sich der Etat weiter und
weiter. Statt bei 20 Prozent liegen wir gegenwärtig gerade
einmal knapp über 13 Prozent.
Der Trend seit 1997, als die Mittel für diesen Bereich
noch bei sage und schreibe 27 Prozent lagen, ist ungebrochen negativ. Dabei ist es eine entwicklungspolitische
Binsenweisheit, dass eine selbsttragende und nachhaltige
Entwicklung ohne Grundbildung, Basisgesundheitsdienste, ausreichende Ernährung und Trinkwasserversorgung
und natürlich ohne eine rudimentäre Infrastruktur nicht in
Gang gebracht werden kann.
Hier müsste dringend und massiv aufgestockt werden.
Denn jährlich fehlen 80 Milliarden US-Dollar, um zunächst
die schlimmsten Formen von Armut auf der Welt zu beseitigen. Die 20 Prozent der öffentlichen EZ der Geberländer
und die 20 Prozent des Budgets der Entwicklungsländer
würden reichen, um diese Summe aufzubringen.
Die Änderungsanträge meiner Fraktion bewegen sich
im Wesentlichen in diesem Bereich. Sie fordern eine dezidierte Antwort auf die Problematik Aids und sie fordern
eine dezidierte, auch im Haushalt erkennbare Antwort auf
die Fragen, die mit der Rolle der Frau in den Entwicklungsländern verbunden sind sowie auf die Entwicklungspotenziale, die dort brach liegen bzw. aus unserer
Sicht nicht in dem notwendigen Maße gefördert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss noch
einen Satz - die Rede ist wieder zu lang -:
({5})
Ich möchte die Ministerin bitten, den Finanzminister im
nächsten Jahr einmal in die Elendsregionen dieser Welt
einzuladen.
({6})
Ich möchte ihn bitten, sich anzusehen, wo die Projekte des
BMZ durchgeführt werden und wo die NGOs arbeiten,
und zu überdenken, ob die Logik des Rasenmähers - ob
es um Konsolidierung, Stagnation oder das Sparen geht auch in unserem Haushalt angemessen ist. Ich denke,
nein.
Danke.
({7})
Jetzt hat die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
Heidemarie Wieczorek-Zeul, das Wort.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
dem Kollegen von Schmude von dieser Stelle aus erst einmal, was ich auch schon persönlich getan habe, die besten
Grüße und Genesungswünsche übermitteln. Ich denke, wir
alle wissen, dass er längere Zeit im Krankenhaus sein
muss. Das wollte ich von dieser Stelle aus ausdrücklich
sagen.
({0})
Ich möchte zwei Punkte, die in der Diskussion angesprochen worden sind, noch einmal deutlich machen. Der
eine ist der geplante DEG-Verkauf, der angesprochen
worden ist. Vielleicht haben die einen oder anderen, die in
diesem Bereich tätig waren, in Erinnerung, dass diese Kooperation und die entsprechende Zuordnung eine Anregung ist, die der Bundesrechnungshof in den letzten Jahren in die Diskussion gebracht hat. Aber die konservative
Seite dieses Hauses hatte offensichtlich niemals die Kraft,
entsprechende Pläne zu verwirklichen.
({1})
Zur Frage des DEG-Verkaufes muss ich sagen: Das ist
ein entwicklungspolitisch sinnvoller Ansatz,
({2})
weil die Synergieeffekte damit so erhöht werden, dass sie
in letzter Konsequenz bessere Zugangsmöglichkeiten der
DEG zu den Kapitalmärkten sowie zu Krediten ermöglichen. Das liegt im Interesse der Entwicklungsländer. Das
sollte an dieser Stelle sehr deutlich werden.
({3})
Der zweite Punkt, den ich anmerken möchte, ist, dass
jedenfalls in diesem Haushalt keine Mittel zur Finanzierung des Transrapid veranschlagt sind. Das ist eine Klarstellung, die absolut notwendig ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun komme ich zu
den Hauptpunkten. Wir haben bis zur Hälfte dieser Legislaturperiode im entwicklungspolitischen Bereich ErgebCarsten Hübner
nisse erzielt, die Sie in den 16 Jahren Ihrer Arbeit nicht
vorzuweisen gehabt haben:
({4})
die Entschuldungsinitiative, die Nutzung und Reform der
internationalen Finanzinstitutionen und die Neuausrichtung der europäischen Entwicklungspolitik.
An dieser Stelle möchte ich einmal sagen: Wer zu verantworten bzw. mit zu verantworten hat - die alte Bundesregierung hat dies -, dass eine EU-Entwicklungspolitik betrieben worden ist, bei der zweistellige Milliardenbeträge
an die entsprechenden Entwicklungsländer nicht abgeflossen sind,
({5})
der sollte in Bezug auf die Kritik an dieser Bundesregierung schweigen. Wir haben nämlich die notwendigen Reformen in Gang gesetzt, sodass die entsprechenden Mittel
den Entwicklungsländern auch zugute kommen und zur
Verfügung stehen.
({6})
Die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft und die
Reform der Entwicklungszusammenarbeits-Organisationen gehören mit zu diesen Ergebnissen. All dies sind
strukturelle Erfolge im Interesse der Menschen in den
Partnerländern.
Jetzt ist es gelungen - ich erwarte, dass man sich darüber freut -, neben diesen strukturellen Veränderungen der
Entwicklungszusammenarbeit eine Verbesserung der finanziellen Situation zu ermöglichen. Das ist gut so. Ich
freue mich, dass Herr Weiß in seiner Zwischenfrage deutlich gemacht hat, dass er davon ausgeht, dass es im Jahre
2002 wieder eine Bundesregierung aus SPD und Grünen
gibt.
({7})
Ich kann Ihnen versichern: Diese entwicklungspolitische
Aufgabe werden wir in dem Sinne, wie wir es heute in den
diesbezüglichen Haushaltsansätzen festgelegt haben, verwirklichen.
({8})
Wir haben jetzt einen zusätzlichen Gestaltungsspielraum
erhalten, den wir nutzen, um unsere internationalen Aufgaben wahrnehmen zu können. Das möchte ich an dieser
Stelle deutlich machen.
Erstens. Wir wollen mit dazu beizutragen, dass die
Zahl der Armen in der Welt bis zum Jahre 2015 halbiert
werden kann.
({9})
Dazu haben wir einen Aktionsplan vorbereitet, über den
wir gemeinsam mit Ihnen diskutieren werden. In ihm
wird, Herr Kollege Hübner, die Armutsbekämpfung als
ein übergeordnetes Ziel und nicht nur in einer 20 : 20-Perspektive betrachtet. Wir sind in der Diskussion längst weiter. Dieser Aktionsplan wird auch die Kohärenz umfassen.
Sie alle von der Opposition sollten sich einmal fragen,
was früher getan worden ist.
Durch Handelsbarrieren der Industrieländer verlieren
die Entwicklungsländer fast so viele Einnahmen, wie sie
durch die Entwicklungszusammenarbeit erhalten. Deshalb sage ich an dieser Stelle: Die Bundesregierung unterstützt ausdrücklich den Vorschlag des EU-Kommissars
Lamy, für alle Produkte, auch für die Agrarprodukte, der
Entwicklungsländer, auch für die der ärmsten, einen
freien Zugang auf die EU-Märkte zu ermöglichen.
({10})
Wir fordern unsere EU-Partner ausdrücklich auf, diesem
Plan zuzustimmen. Das ist nämlich ein zentraler Beitrag
dazu, dass diese Länder weniger von Hilfe abhängig sind
und sie in ihrem eigenen Land die Armut bekämpfen und
verringern können.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Detlev von
Larcher?
Wenn
dies nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, dann ja.
({0})
Nein. Ihre Redezeit
wird angehalten.
Frau Ministerin, wenn
Sie davon sprechen, dass durch den Welthandel ein großer
Teil dessen verloren geht, was im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit in die Entwicklungsländer fließt,
müsste es dann nicht so sein, dass in den WTO-Verhandlungen die Interessen der Entwicklungsländer viel stärker
Berücksichtigung finden?
Herr
Abgeordneter von Larcher, wir bemühen uns zusammen
mit anderen, dazu beizutragen - dies gilt übrigens auch für
unseren Etat -, dass die Entwicklungsländer bessere
Chancen haben, ihre Interessen in der WTO überhaupt
durchzusetzen, und dass sie in diesem Bereich die erforderlichen Kenntnisse erwerben. Wir wollen, dass die Entwicklungsländer an den Chancen, die die Globalisierung
bietet, teilnehmen können. Das setzt voraus, dass sie die
Spielregeln der entsprechenden Handelsorganisationen
kennen und sich ihrer bedienen.
({0})
Jetzt zu meinem zweiten Punkt, zum Kampf gegen die
Aidsepidemie. Sie wissen - gestern sind von UNAIDS
neue Zahlen genannt worden -, dass 36 Millionen Menschen infiziert sind. Wir haben in dem vorliegenden Haushalt, der durch entsprechende Ergänzungen des Haushaltsausschusses aufgestockt worden ist, 140 Millionen
DM für die Aidsbekämpfung vorgesehen. Uns geht es dabei um die Prävention und um funktionsfähige Gesundheitssysteme in den Partnerländern. Wer hat das vor uns
in Gang gesetzt?
Das Pharma-Unternehmen Boehringer Ingelheim hat
angekündigt, dass es bereit ist, kostenlos Medikamente,
die die Übertragung der Krankheit von der infizierten
Mutter auf das neugeborene Kind verhindern können, zur
Verfügung zu stellen. Wir werden mit Boehringer Ingelheim zusammenarbeiten, indem wir in Tansania, Kenia
und Uganda den dafür notwendigen Gesundheitsbereich
entwickeln und dafür sorgen, dass diese Medikamente
auch tatsächlich der Bevölkerung vor Ort zugute kommen.
({1})
Das ist eine praktische Form, den betroffenen Menschen zu helfen, indem verhindert wird, dass Kinder sterben, und indem die Gesundheit der Mutter im Rahmen des
Möglichen erhalten wird. Das sind Schwerpunkte, die wir
uns vorgenommen haben und die wir entsprechend verwirklichen und umsetzen wollen.
({2})
- I wo, da hat ja die Phantasie bei manchen gefehlt.
Der dritte Punkt: Klimaschutz und regenerative
Energien. Es geht uns darum, dem Klimawandel entgegenzuwirken und unsere Mittel einzusetzen. Wir werden
im nächsten Jahr über 500 Millionen DM bereitstellen,
um diesen Zwecken Rechnung zu tragen.
Es geht darum, den Partnerländern beim Aufbau einer
klimafreundlichen Produktionsstruktur und klimafreundlicher Energieversorgungssysteme zu helfen und sie zu
unterstützen. Ich finde, es ist von Vorteil, - das sehe ich
anders als Sie, Herr Kollege Hübner -, wenn die Industrieländer im Rahmen festgelegter Regelungen durch Investitionen in diese Bereiche in den Entwicklungsländern
dazu beitragen können, die Treibhausgasemissionen zu
reduzieren und erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu fördern. Das ist ein für alle Beteiligten sinnvoller Ansatz, den wir unterstützen und voranbringen wollen.
({3})
Der vierte Punkt: Wir haben eine deutliche Steigerung
der Finanzmittel für Nichtregierungsorganisationen, für
Kirchen, für den zivilen Friedensdienst und für politische
Stiftungen vorgesehen.
({4})
Diese Einrichtungen und Menschen leisten eine ganz
wichtige Arbeit. Sie bringen zivilgesellschaftliches Engagement.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, all diesen Menschen, die sich engagieren, damit es anderen Menschen
besser geht, ein herzliches Dankeschön zu sagen. Sie leisten praktische Solidarität. Mit diesem Haushalt wollen
wir ihnen den Rücken stärken und ihnen sagen, wie wichtig ihre Arbeit ist.
({5})
Wir brauchen alle Beteiligten. Das ist doch das Neue, aber
das hat mancher immer noch nicht verstanden. In der Entwicklungszusammenarbeit, wo die Probleme so groß sind,
brauchen wir den Staat, die private Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Lassen Sie uns doch über die Frage diskutieren, wie wir das zusammenbinden und wie wir dazu
beitragen können, dass daraus Vorteile für die Entwicklungsländer entstehen.
Fünftens. Wir haben mehr finanzielle Ausstattung und
ein Mehr an damit verbundenen Aufgaben durch die
Übernahme des Stabilitätspaktes für Südosteuropa und
der überwiegenden Mittel des TRANSFORM-Programms.
Wir wollen vor allen Dingen durch die Mittel, die im Einzelplan 60 für Serbien vorgesehen sind, dazu beitragen,
dass die Hilfe schnell geleistet wird, dass im Umfang von
50 Millionen DM Soforthilfe gegenüber Serbien geleistet
wird, damit die Menschen wieder aufbauen können und
damit vor allen Dingen der Demokratieprozess unterstützt
wird. Menschen werden sich Vorteile davon versprechen,
wenn sie merken, dass es ihnen wirtschaftlich besser geht
und dass es ihrem Land insgesamt besser geht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Einzelplan 23
sind im Übrigen bereits die Mittel enthalten, die für den
Bereich des Stabilitätspaktes insgesamt vorgesehen waren. Wir werden bereits in der ersten Hälfte, also in den
ersten zwei Jahren, insgesamt 1,2 Milliarden DM zur Verfügung stellen. Das ist mehr, als viele andere Länder im
Rahmen ihrer internationalen Verpflichtungen bisher eingelöst haben. Wir stehen da an der Spitze, und das ist gut
so.
({6})
Ich möchte an dieser Stelle auch der KfW, übrigens einer Entwicklungsbank mit großer Erfahrung in diesem
Bereich, und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit sehr herzlich danken. Sie verspüren durch die Akzentsetzung des Parlaments zu Recht eine Anerkennung
für ihre effektive und nachhaltige Entwicklungsarbeit, die
ich an dieser Stelle auch einmal loben möchte.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich
ausdrücklich beim Finanzminister - er ist nicht zu sehen,
aber ich werde es ihm noch einmal selbst sagen - dafür,
({8})
dass es möglich war, eine plafonderhöhende Wechselkursanpassung zu verwirklichen. Das war zum ersten
Mal überhaupt möglich. Sie haben es immer eingefordert,
aber soweit ich weiß, hat in der Geschichte nur ein einziges Mal jemand das erreicht, was jetzt der Haushaltsausschuss und wir gemeinsam erreicht haben. Es war die Kollegin Hermenau, die in einer Situation, in der die früheren
Regierungsparteien einmal nicht aufgepasst haben, dazu
beigetragen hat, dass das verwirklicht worden ist. Das ist
damals sozusagen gegen Ihren Willen passiert.
({9})
Das ist einmalig in der Geschichte. Diesmal ist es erreicht
worden. Sagen Sie doch auch einmal, dass da etwas Gutes
erreicht worden ist,
({10})
machen Sie nicht einfach klein-klein und versuchen Sie
nicht, hier mit kleiner Münze zu handeln.
Ich möchte mich beim Haushaltsausschuss und vor allen Dingen bei den Kolleginnen und Kollegen Hans
Georg Wagner, Emil Schnell, Frau Hermenau und
Metzger dafür bedanken, dass die Beschlüsse zum Personalhaushalt des BMZ in dieser Form gefasst worden
sind. Dies wird uns helfen, die zusätzlichen Aufgaben zu
erfüllen. Für die Arbeit eines solches Ressorts, das im
Übrigen Bonn und Berlin als ersten und zweiten Dienstsitz hat, ist die entsprechende personelle Ausstattung einfach notwendig.
Sie haben den Präsidenten der Weltbank, James
Wolfensohn, am Montag hier in Berlin erlebt. Er hat auf
dem Weltbankforum ausdrücklich die neue Rolle der
deutschen Regierung im internationalen und im multilateralen Bereich gelobt und deutlich gemacht, dass unsere
Bedeutung gewachsen ist. Wir nehmen unsere Rolle in der
internationalen Politik aktiv wahr. Dieses Lob möchte ich
gern an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitergeben. Ich freue mich, dass es uns mit der heutigen parlamentarischen Entscheidung ermöglicht wird, ein weiteres
positives Signal im Interesse der Entwicklungsländer und
ihrer Menschen zu setzen, und bedanke mich für die Diskussion.
({11})
Als Letzter hat der
Kollege Klaus-Jürgen Hedrich das Wort. Bitte sehr.
Frau Präsidentin, ich wollte mich zuerst bei Ihnen persönlich bedanken,
dass Sie hier sind, weil damit zum Ausdruck kommt, dass
an dieser Veranstaltung nicht nur Entwicklungspolitiker
teilnehmen. Aber da unser Fraktionsvorsitzender gerade
gekommen ist, ziehe ich diese Bemerkung zurück.
({0})
Seien Sie froh, dass
zwei da sind; das ist doch besser.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst ganz herzlich bei Antje
Hermenau für einen sachlich sehr ausgewogenen Beitrag
bedanken,
({0})
mir dann allerdings auch erlauben zu bemerken: Als wir
in der letzten Legislaturperiode das Element der Verbundfinanzierung sehr intensiv forciert haben, ist es von
der F.D.P. ({1})
Entschuldigung, von der SPD scharf bekämpft worden.
({2})
Die damalige entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen im Fachausschuss konnte diesem Element ebenfalls
nichts abgewinnen. Hinzu kommt, dass das, was wir mit
Public Private Partnership bezeichnen, von den Sprechern
der damaligen Opposition, von Rot-Grün, im Fachausschuss ebenfalls definitiv abgelehnt worden ist.
({3})
- Natürlich ist das so gewesen.
({4})
Das wollte ich nun einmal deutlich machen.
({5})
Die Regierung muss sich übrigens für eines entscheiden. Sie haben uns monatelang vorgetragen, dass die Mittel für den Stabilitätspakt mit dem Entwicklungshaushalt
nichts zu tun hätten und dies eine Sonderleistung sei.
Wenn es sich hierbei aber um eine Sonderleistung handelt,
dann schauen Sie sich die Zahlen von 2000 und 2001 an.
Sie werden nur eine minimale Steigerung feststellen.
Dass Sie aufgrund des öffentlichen und des parlamentarischen Drucks eine Reihe von Korrekturen vorgenommen haben, wird von uns ausdrücklich begrüßt.
({6})
Man soll jemandem, wenn er einsichtig wird, dies nicht
vorwerfen. Insofern wird das von uns ausdrücklich begrüßt.
({7})
Aber ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es mich nicht wundert - deshalb wundert
mich auch der Antrag der F.D.P. nicht -, dass die Ministerin nichts über die Einbettung der Entwicklungspolitik in
den Gesamtrahmen der Außenbeziehungen Deutschlands
gesagt hat.
({8})
Selten war die Außenpolitik einer Bundesregierung so
provinziell wie die der jetzigen.
({9})
Ich will versuchen, Ihnen das an wenigen Beispielen deutlich zu machen.
({10})
Wir haben uns hier in den letzten Monaten intensiv
über die Frage von Zuwanderung, Integration und dergleichen unterhalten. Dazu gehört erst einmal die Grunderkenntnis, die sich allmählich allgemein durchsetzt
- übrigens auch in meiner Fraktion -, dass Deutschland
daran interessiert sein muss, dass es die Besten der Welt
für attraktiv halten, nach Deutschland zu kommen, um
hier zu studieren und zu arbeiten.
Aber in diesen Zusammenhang gehört auch, dass ich
Deutschland dementsprechend repräsentiere.
({11})
Wenn Sie sich einmal die Mühe gemacht haben - liebe
Freunde, jetzt wird es ernst -, die Berichterstattung von
CNN und BBC in den letzten Monaten zu verfolgen, so
mussten Sie leider feststellen, dass Sie darin ein sehr verzerrtes Bild von Deutschland finden. Über jeden rechtsextremistischen Vorgang wird in CNN berichtet.
({12})
Sie werden in CNN nichts davon hören, dass ein Neonazi - die Typen da drüben in Amerika sind zum Teil ekliger als die bei uns ({13})
einen Schwarzen auf dem Marktplatz von St. Louis verprügelt. Davon werden Sie nichts hören. Diese beiden
Sender zeichnen ein verzerrtes Bild unseres Landes, und
sie haben sogar ein Interesse daran,
({14})
dass das internationale Image Deutschlands gegenwärtig
angeknackst ist.
({15})
Was machen wir? Statt gegenzuhalten, kürzt diese Bundesregierung, kürzt dieser Haushaltsausschuss mit seiner
Mehrheit die Mittel zum Beispiel für die Deutsche Welle.
Das ist kontraproduktiv.
({16})
- Nein, das gehört in diesen Zusammenhang. Das seht ihr
eben nicht. Da zeigt sich eben eure Unfähigkeit, die Dinge
im Zusammenhang zu sehen.
({17})
Da redet der Bundeskanzler heute morgen zu Recht
von der Notwendigkeit der Förderung der deutschen
Sprache. Gleichzeitig kürzen wir die Mittel für die deutschen Auslandsschulen, die dem Zweck dienen, den
Deutschunterricht weltweit zu fördern.
({18})
- Natürlich kürzen wir diese Mittel. Das ist schon angesprochen worden.
Gleichzeitig versagen wir es den diplomatischen Vertretungen, indem wir eine Botschaft nach der anderen
schließen, eine entsprechende Repräsentanz Deutschlands im Ausland sicherzustellen.
({19})
Das ist kontraproduktiv. Es gab in der Tat - es wurde hier
noch einmal darauf hingewiesen - nicht die geringste Absprache zwischen Auswärtigem Amt und BMZ.
({20})
Die zuständige Parlamentarische Staatssekretärin musste
im Ausschuss bestätigen, dass das BMZ überhaupt nicht
befragt worden war.
Es geht noch ein Stück weiter. Da wird - die Ministerin hat es hier gerade wieder zum Ausdruck gebracht - der
große Erfolg der HIPC-Initiative beschworen. Gleichzeitig aber legt die Bundesregierung ein Konzept mit
Kooperationspartnern vor - die HIPC-Initiative konzentriert sich besonders auf Afrika -, in dem 18 Staaten
Afrikas als Kooperationspartner gar nicht mehr genannt
werden. Das ist also wiederum ein Widerspruch in sich.
Es gibt aber auch einen Punkt, in dem wir die Bundesregierung auch unterstützen. Das ist mir seit dem Besuch
von James Wolfensohn besonders deutlich geworden. Wir
müssen heute feststellen, dass die HIPC-Initiative die in
sie gesetzten Erwartungen zumindest bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erfüllt hat.
({21})
- Ihr nehmt doch immer für euch in Anspruch, ihr hättet
das alles eingeleitet, was ja nicht der Fall ist.
James Wolfensohn hat noch einmal ausdrücklich auf
eine Frage in einem internen Gespräch, das aber verwendet werden kann, bestätigt, dass die Weltbank keine Mechanismen vorsehe, um sicherzustellen, dass die Vereinbarungen mit den Ländern, die an dieser Initiative
teilnehmen, auch eingehalten werden. Er hat darauf hingewiesen, dass zum Beispiel in einem Land wie Kamerun
schlicht und ergreifend 12 Millionen Dollar verschwunKlaus-Jürgen Hedrich
den seien und dass die Weltbank sich jetzt krampfhaft
bemühe, das Geld wiederzubekommen. Sie hätten unter
anderem festgestellt, dass 1 Million Dollar für Autoanschaffungen und mehrere Millionen für Waffen draufgegangen seien.
Jetzt wird es für uns Entwicklungspolitiker kritisch.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich fragen die
Bürger - nicht nur in meinem Wahlkreis -, wie es sich
damit eigentlich verhält.
Uganda ist ein besonders positiver Fall. Aber Herr
Museveni kauft trotzdem für 35 Millionen Dollar ein
neues Flugzeug für private Zwecke. Man kann darauf verweisen, dass er seine Militärausgaben nicht auf dem jetzigen Level festschreiben muss. Die Weltgemeinschaft
unternimmt in dieser Frage nichts, weil Herr Museveni
seine Militärausgaben gegenwärtig aus der Plünderung
des Ostkongo finanziert. Auch Herr Kagame tut dies.
Außenminister Fischer war in seinen Anmerkungen,
was das Engagement von Ruanda im Kongo betrifft,
zurückhaltend. Ich will das vorsichtig ausdrücken.
({22})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eid?
Aber selbstverständlich.
Bitte sehr, Frau Kollegin.
Bitte, Frau Eid.
Aber die Präsidentin muss die Uhr anhalten.
Das habe ich schon
gemacht.
Herr
Abgeordneter Hedrich, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass erst dann entschuldet wird, wenn die entsprechenden Länder, die sich für die HIPC-Initiative
qualifizieren, eine Armutsbekämpfungsstrategie vorgelegt haben, die in einer sehr breiten gesellschaftlichen Debatte ausgearbeitet worden ist und die dann von der Weltbank und dem IWF akzeptiert werden muss?
({0})
Zum einen
kann ich nur noch einmal darauf verweisen: Ich halte die
Position der Ministerin für richtig, dass wir uns bei diesen
ganzen Fragen mehr Zeit nehmen müssen. Es kommt auf
das Ergebnis und nicht auf das Tempo an. Diese Position
wird von uns unterstützt.
({0})
Zum anderen ist es so, dass gerade die Anhörung von
VENRO, Misereor und den anderen Organisationen ergeben hat, dass die Beteiligung der Zivilgesellschaft in den
meisten der betroffenen Länder sehr zu wünschen übrig
lässt. Man könnte es auch anders formulieren.
Nun läuft die Uhr für
Ihre Redezeit wieder.
Zum Schluss
noch zu der Problematik, zu der die Ministerin überhaupt
nichts gesagt hat, nämlich zu den ständigen Attacken und
Sticheleien aus dem Auswärtigen Amt gegen die Selbstständigkeit des BMZ.
({0})
Ich habe vor wenigen Wochen darauf hingewiesen: Die
Ministerin und ihr beamteter Staatssekretär haben nichts
zu dessen Kollegen, Herrn Pleuger, gesagt. Es hieß: Das
ist der beamtete Staatssekretär; als ob der beamtete Staatssekretär im Auswärtigen Amt überhaupt nichts zu sagen
hätte.
({1})
- Er hat eine ganze Menge zu sagen.
({2})
Das war der erste Punkt.
Nun wurde aber nachgelegt. Jetzt hat Herr Volmer festgestellt,
({3})
dass er zwei Außenministerien - so seine Formulierung für überflüssig halte. Dazu sagt die Ministerin kein Wort.
Was können Sie von der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit erwarten, was das Ansehen Ihres Hauses betrifft, wenn sich die zuständige Ministerin zu dieser
Frage überhaupt nicht äußert und die Attacken des Auswärtigen Amtes einfach hinnimmt?
({4})
Ich frage mich: Wie funktioniert das Ganze eigentlich?
Was bringt diese Querbesetzung? Reden Sie auch einmal
mit Herrn Zöpel im Auswärtigen Amt, Frau Ministerin?
Redet die Parlamentarische Staatssekretärin von den Grünen auch mit ihrem Kollegen, dem Staatsminister im
Auswärtigen Amt, über diese Fragen?
({5})
Wir können also feststellen: Es ist kein in sich geschlossenes Konzept vorhanden. Deshalb erwarten wir,
dass die Ministerin unmissverständlich deutlich macht:
Sie steht für die Eigenständigkeit ihres Ministeriums.
({6})
Ansonsten entsteht der Eindruck, man hat sich schon freiwillig auf den Rückzug begeben.
Herzlichen Dank.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? - Nein. Ich sehe, Ihre
Rede ist zu Ende.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu den Änderungsanträgen. Änderungsantrag der
Fraktion der PDS auf der Drucksache 14/4714. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf der Drucksache 14/4715. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen?
- Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23
in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Der Einzelplan 23 ist angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf
morgen, Donnerstag, den 30. November 2000, 12 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen allen einen fröhlichen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.