Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Danke, Frau Ministerin.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. - Es liegt die
Wortmeldung des Kollegen Norbert Röttgen vor.
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Frau Ministerin, ich möchte zunächst auf einen Gesichtspunkt zu sprechen kommen, der nicht die inhaltlichen Fragen, sondern das Verfahren betrifft.
Gegen Ihr Vorhaben, eine grundlegende Reform durchzuführen, gibt es massive inhaltliche Bedenken, aber es
gibt insbesondere eine breite Ablehnung des Tempos, in
dem Sie diese grundlegende Reform eines Herzstücks des
deutschen Privatrechts vornehmen wollen.
Sie haben gerade nichts zum In-Kraft-Treten ausgeführt. Darum meine Frage: Bleibt es bei Ihrem Vorhaben,
dass das neue Schuldrecht, so wie Sie es jetzt planen, am
1. Januar 2002 in Kraft treten soll? Wenn dies so ist, so
bitte ich zu bedenken, dass es gegen dieses Vorhaben und
noch mehr gegen diese Vorgehensweise massive Bedenken gibt.
Es gibt den Appell von 150 Zivilrechtslehrern unseres
Landes, die sagen: Dieses Projekt ist wegen seiner Bedeutung und aufgrund der Komplexität der Inhalte in rund
einem halben Jahr nicht angemessen durchzuführen. Das
sagen diejenigen, deren wissenschaftliche Aufgabe, deren
Lebenswerk es ist, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen.
Die Wirtschaftsverbände fordern: Wenn es zu grundlegenden Veränderungen kommt, dann brauchen wir Zeit,
um uns ein- und umzustellen. Damit ist die Gefahr großer
Rechtsunsicherheit verbunden. Wie wollen Sie dem
entgegenwirken, Frau Ministerin, wenn in so kurzer Zeit
beraten werden soll?
Natürlich ist das Thema insgesamt schon lange in der
Diskussion; das ist gar keine Frage. Es wird schon seit
Jahrzehnten diskutiert. Auch ist nicht zu bestreiten, dass
Reformbedarf besteht. Die Arbeiten, auf die Sie
zurückgegriffen haben, sind allerdings nicht aktuell. Der
Abschlussbericht der Schuldrechtskommission stammt
aus dem Jahre 1992 und beinhaltet sozusagen den Erkenntnisstand von Ende der 80er-Jahre. Das heißt, das,
was Sie vorlegen werden, ist schon heute veraltet.
Sie begründen die Notwendigkeit eines schnellen InKraft-Tretens mit den europäischen Rechtsangleichungsrichtlinien.
({0})
- Ich habe die Frage nach dem In-Kraft-Treten gestellt
und das ist die Begründung für die Frage.
({1})
- Dass Ihnen die Argumente nicht gefallen, glaube ich Ihnen gern.
Sie begründen das Datum des In-Kraft-Tretens und die
Umsetzung der großen Lösung insgesamt mit den europäischen Richtlinien. Stimmen Sie mir zu, dass aber nur
eine der drei Richtlinien bis Ende dieses Jahres umzusetzen ist und die beiden anderen Richtlinien darüber hinausgehende Umsetzungsfristen haben? Und stimmen Sie
mir weiterhin zu, dass die Richtlinien natürlich einen jeweils anderen Anwendungsbereich betreffen und dass es
auch weiterhin Rechtsangleichungsvorschriften geben
wird, sodass insoweit, wenn wir heute eine große Reform
durchführen, im nächsten oder übernächsten Jahr wiederum Anpassungsbedarf bestehen wird, weil der Prozess
der europäischen Rechtsangleichung ebenfalls vorangeht? Meine Frage lautet also: Können Sie sich nicht dem
Motto der Opposition anschließen, die Ihnen in dieser
Frage vorschlägt, auf Qualität statt auf Tempo zu setzen?
Danke sehr.
({2})
- Es ist der Vorschlag, auf Qualität statt auf Geschwindigkeit zu setzen.
Das war eine ausführliche Frage. - Frau Ministerin, bitte.
Lieber Herr Kollege Röttgen, es tut mir Leid, aber
ich kann mich dem, was Sie gesagt haben, in keiner Weise
anschließen.
({0})
Ich muss Ihnen eines sagen: Sie kennen den Vorgang
nicht, aber urteilen schon. Deswegen meine Bitte:
Schauen Sie sich doch einmal den ganzen Problembereich
an! Sie werden dann sehen, dass auch Sie davon zu überzeugen sind, kooperativ mitzuwirken.
Ich will mich nicht lange mit Hinweisen auf Zahlenmaterial aufhalten, aber darauf hinweisen, dass der Kommissionsbericht aus dem Jahre 1991 stammt.
Anlass für den Gesetzentwurf ist die Notwendigkeit
der Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und der
beiden anderen genannten Richtlinien der Europäischen
Union. Ich muss den Anwesenden, die mit der Materie
nicht so vertraut sind - Sie kennen die näheren Umstände
und hätten deshalb ohne weiteres darauf hinweisen können -, erläutern, dass die EU für die Umsetzung dieser
Richtlinien zum Teil nur eine Frist von 18 Monaten eingeräumt hat.
Wenn wir über die Möglichkeiten der Umsetzung unvoreingenommen miteinander reden würden, könnten Sie
sehr schnell das entscheidende Problem erkennen: Wenn
wir das Kaufrecht mit den zentralen Punkten Leistungsstörungen, Haftung und Verjährung mit aufnehmen würden, wie Sie es vorschlagen - ich hoffe, dies ist nicht Ihr
letztes Wort, weil ich weiß, dass eine große Zahl von Kollegen, gerade auch der Union, das Problem nicht allein
parteipolitisch, sondern fachlich sieht -, hätten wir letztendlich vier unterschiedliche Kaufrechte. Das kann nicht
sinnvoll sein. Es hilft nicht weiter, in diesem Punkt einfach nur den Kopf zu schütteln. Verführen wir auf diese
Weise, hätten wir ein Kaufrecht für Verbraucher, den Handelskauf, das BGB-Kaufrecht und das UN-Kaufrecht.
Des Weiteren würden alle Rechtsbereiche - ich habe das
vorhin stichpunktartig angedeutet, führe es aber jetzt
gerne weiter aus - durch die unterschiedlichen Modalitäten, mit denen heute eingekauft wird, kompliziert. Man
kauft schließlich nicht nur im Geschäft ein, es finden auch
Fernabsatz und E-Commerce statt. Es kann doch wirklich
keiner wollen, dass jeder Rechtsanwender zunächst einmal klären muss, welche Regelung für ihn anwendbar ist.
Abgesehen davon - ich komme nun zum zweiten
Punkt - würden wir der BGB-Rechtsentwicklung keinen
Gefallen tun, wenn wir in der Tendenz, zentrale Bereiche
außerhalb des BGB zu regeln, fortfahren würden. Ich
brauche Ihnen nicht zu sagen, dass Haftungsfragen im
BGB nicht geregelt werden, sondern weitgehend durch
die Rechtsprechung geklärt worden sind. Dieser Umstand
verkompliziert die Sache weiter.
Ich will Ihnen erläutern, wo meiner Meinung nach Ihre
Einwände, so ernst ich Sie nehme, einfach nicht durchgreifen:
Erstens. Wir haben im August des letzten Jahres einen
Diskussionsentwurf versandt. Von einem halben Jahr
kann also nicht die Rede sein.
Zweitens. Gerade die bedeutenden Zivilrechtslehrer
haben auf mittlerweile zwei Sondertagungen in einer
wirklich ausnahmslosen und geradezu hervorragenden
Kooperationsbereitschaft an der Erarbeitung der juristisch
schwierigen, aber machbaren Teilregelungen mitgewirkt.
Sie haben von den 150 Zivilrechtslehrern gesprochen;
dafür bin ich Ihnen dankbar. Sie hätten aber auch die übrigen 450 Zivilrechtslehrer, die den Appell nicht unterschrieben haben - Sie hätten das zum Beispiel auf den
Internetseiten von Professor Canaris oder des PalandtKommentators Heinrichs nachlesen können -, erwähnen
sollen. Das wäre sinnvoll gewesen. Die wenigen, die Sie
genannt haben - es sind im Übrigen viele dabei, die noch
keine Gelegenheit hatten, sich in den Diskussionsprozess
einzuschalten, die wir aber herzlich dazu einladen -, geben zu, dass es schwierig ist und dass man für den Gesamtvorgang mehr Zeit braucht, als die EU vorgibt. Ich
habe aber leider nicht die Möglichkeit, die Frist für die
Umsetzung der Richtlinie auszudehnen. Ansonsten würde
es uns so ergehen wie bei der Pauschalreiserichtlinie; das
heißt, dass die Bundesrepublik Deutschland haftungsrechtlich belangbar wäre. Das wollen wir nicht.
Sie haben die Zivilrechtslehrer angesprochen. Ich will
Ihnen in diesem Zusammenhang sagen, welche Zivilrechtslehrer - es handelt sich ausschließlich um Persönlichkeiten, die auf dem Gebiet des Zivilrechts einen Namen haben - sich in höchst verdienstvoller Weise
eingeschaltet haben und dieses Vorhaben unterstützen:
Professor Canaris, Professor Medicus und Professor
Heldrich, der Rektor der Universität München, sowie die
Kommentatoren dieses Rechtbereichs wie Professor Heinrichs und Professor Westermann arbeiten wirklich mit.
Ich würde mich sehr freuen, wenn wir die Diskussion,
die wir mit den Ländern und mit der Wissenschaft geführt
haben, in gleicher Weise auch in diesem Haus führen
könnten. Ich lade Sie herzlich dazu ein.
({1})
- Es ist völlig klar, dass es noch Unterschiede bezüglich der
Übergangsfristen gibt. Alle bestehenden Einwände werden
wir nicht nach parteipolitischen oder ideologischen, sondern nach sachlichen Gesichtspunkten bewerten.
Ich möchte noch auf den zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben, eingehen. Gerade die Vertreter der Wirtschaftsverbände, mit denen wir erst gestern im Bundesministerium der Justiz noch einmal diskutiert haben, sind
sehr daran interessiert, dass die EU-Richtlinien umgesetzt
werden. Ich bin sicher, dass auch Sie entsprechende Briefe
erhalten haben. Ich möchte Ihnen nur zwei Stichworte nennen, warum die Wirtschaftsverbände daran interessiert
sind. Sie erhoffen sich von einer zweijährigen Verjährungsfrist eine bessere Berechenbarkeit. Gerade für die
Mittelständler und die Handwerker ist es außerordentlich
wichtig, dass die so genannte Verjährungsfalle zukünftig
wegfallen wird. Der Grund ist völlig klar: Wenn ein Handwerker Teile hinzukaufen muss, um eine Systemleistung
erbringen zu können, dann greifen nach heutigem Recht
unterschiedliche Verjährungsregelungen. Das führt dazu,
dass ein Handwerker unter Umständen länger für zum Beispiel eine kaputte Dichtung haften muss, als er Zeit hat,
seine Haftungsansprüche gegenüber dem Lieferanten zu
realisieren. Dies ist die so genannte Verjährungsfalle, die
große Probleme bereitet. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf lösen wir das. Gerade deshalb ist die Wirtschaft,
aber auch die Richterschaft sehr daran interessiert, dass
wir hier gemeinsam vorankommen.
Die nächste Frage
kommt vom Kollegen Rainer Funke.
Frau Ministerin, wir begrüßen
zunächst einmal, dass das Schuldrecht modernisiert werden soll. Das gehört sicherlich mit auf die Tagesordnung
der Rechtspolitik. Am BGB haben ja von 1890 bis 1896
sehr maßgebliche Professoren mitgewirkt. Darüber ist damals im Reichstag sehr intensiv beraten worden. Mir fällt
es schwer, zu akzeptieren, dass über das, was notwendig
ist, innerhalb von wenigen Wochen im Bundestag beraten
werden soll. Schließlich handelt es sich um grundlegende
Änderungen. Deswegen frage ich: Können Sie sich vorstellen, dass wir über die entsprechenden Teile des
Schuldrechts in Ruhe und zusammen mit der Wirtschaft
ausführlich beraten, allerdings nicht mehr bis zum 31. Dezember dieses Jahres, aber noch in dieser Legislaturperiode, wenn wir Ihnen zusagen, dass wir uns an der zügigen
Umsetzung der drei europäischen Richtlinien beteiligen,
damit nicht noch einmal das geschieht, was zum Beispiel
in den letzten Monaten beim Schuldrecht geschehen ist,
nämlich die schlampige Bearbeitung - ich sage ausdrücklich, dass das nicht nur von Ihrem Haus, sondern auch von
uns Berichterstattern schlampig bearbeitet worden ist,
weil in unzulässiger Weise Druck gemacht worden ist der Frage der Zahlungsmoral? Schon die Umstellung des
Formularwesens, die aufgrund der Änderungen des
Schuldrechts notwendig wird - ich denke, das hat der
Kollege Röttgen gemeint -, dauert einige Zeit. Das sollten wir von den Beratungen abkoppeln. Aber wir sagen Ihnen zu, dass wir gemeinsam mit Ihnen die notwendigen
Änderungen auf den Weg bringen. Das war eigentlich
auch das Ergebnis der Berichterstatter- und der Obleutegespräche. Können Sie sich vorstellen, dass das machbar
ist?
Frau Ministerin, bitte.
Herr Funke, zunächst danke ich Ihnen, dass Sie hier
deutlich unterstrichen haben, dass wir von Anfang an - gerade die Kolleginnen und Kollegen - informiert haben.
Da Sie die Berichterstattergespräche erwähnt haben, ist
Folgendes festzuhalten - ich bin davon ausgegangen, dass
wir kooperativ zusammenarbeiten können -: Wir sind seit
dem vergangenen August auch so vorgegangen; diese sehr
wichtige Vorlage sollte über Fraktionsgrenzen hinaus erarbeitet werden.
Ich kann nicht beliebig darüber verfügen, ob wir etwas
abkoppeln; das ergibt sich vielmehr in der Tat aus der Bedeutung der Regelungen der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Das Problem ist - wir nehmen diese Anregung gerne
an, auch wenn sie von Ihnen kommt -, dass wir sehr genau darauf achten müssen, dass es später bei den Rechtsanwendern keine unterschiedlichen, nebeneinander bestehenden Systeme gibt. Ich könnte mir vorstellen, dass das
nicht in ihrem Sinne ist.
Wenn wir uns das Umstellungsquantum anschauen - es
geht darum, welche Umstellungsprobleme eigentlich zu
bewältigen sein werden -, dann erkennen wir, dass die allermeisten Probleme mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zusammenhängen. Es wird also sowohl auf dem einen
wie auf dem anderen Weg zu Umstellungsproblemen
kommen. Daher sind wir der Meinung, dass wir den Weg
wählen sollten, der für die Bürgerinnen und Bürger, für
die Wirtschaft und für die Rechtsanwender der vernünftigste sein wird. Das sollten wir auch dann tun, wenn es
uns selbst, das heißt das Ministerium und vor allen Dingen die Abgeordneten des Bundestages, ziemlich
schlaucht. Ich weiß, dass das so ist, und deswegen sage
ich das ganz offen.
Leistungsstörungen und andere Regelungen hängen in
einem solchen Maße damit zusammen, dass ich ziemlich
sicher bin, dass nach den Gesprächen, die wir bald beginnen sollten, auf allen Seiten die Überzeugung sehr groß
sein wird, dass es fachlich und sachlich wirklich sinnvoll
ist, die anstehenden Fragen gemeinsam zu regeln.
Ich habe Ihnen vorhin gesagt - das ist gar keine Frage -, dass über die Übergangsfristen noch geredet werden
muss. Gerade was die Umsetzung angeht, sind wir auch
auf die Rechtsanwenderinnen und die Rechtsanwender
sowie auf die Wirtschaft angewiesen - das wollen wir und deswegen sind sie Teil des seit vielen Monaten bestehenden Kooperationsprozesses.
Ich möchte noch etwas zu dem von Ihnen erwähnten
Zeitraum - Sie haben von Wochen gesprochen - sagen.
Ich denke nicht, dass man von Wochen reden sollte. Der
konsolidierte Text baut auf den Änderungen auf, die seit
dem letzten August allen, die sich dafür interessiert haben,
mitgeteilt worden sind. Diese Änderungen sollen besprochen werden. Durch ausführliche Anhörungen haben wir
in den kommenden Monaten selbstverständlich die Möglichkeit, den Meinungsbildungsprozess voranzutreiben.
Ich bitte Sie, die fachliche Diskussion mit uns gemeinsam
zu führen.
Gibt es zu diesem
Themenbereich weitere Fragen? - Herr Kollege Röttgen,
bitte.
Ich möchte vorab
eine kurze Feststellung treffen: Die 150 Professoren haben sich negativ geäußert; es gibt vereinzelt Zustimmung.
Das Schweigen der Übrigen kann nicht als Zustimmung
gewertet werden. Auch die Teilnahme an wissenschaftlichen Kongressen - ich habe ebenfalls an welchen teilgenommen - kann nicht als Zustimmung zu einem solchen
Vorhaben, also zu diesem Gesetzentwurf, gewertet werden.
Mich interessiert Ihre Einschätzung der weiteren europäischen Rechtsentwicklung. Sie sagen, wir müssten nun
aufgrund von EG-Richtlinien - es geht um die Rechtsangleichung - ein neues Schuldrecht schaffen. Dazu habe
ich zwei Fragen.
Erstens. Sind Sie der Auffassung, dass Ihr Vorschlag
für ein neues deutsches Schuldrecht in Übereinstimmung
mit den inzwischen vorhandenen internationalen und europäischen Regelwerken von Unidroit und der Commission on European Contract Law ist oder gibt es diesbezüglich Differenzen?
Zweitens. Wie ist Ihre Einschätzung der weiteren europäischen Zivilrechtsangleichung? Teilen Sie meine
Auffassung, dass es weitere Rechtsharmonisierungen geben wird, sodass sich das nationale Recht auch weiterhin
verändern wird? Macht es nicht mehr Sinn, im Dialog mit
den europäischen Partnern Elemente eines europäischen
Zivilrechts zu entwickeln, anstatt einen nationalen Alleingang durchzuführen?
Als Letztes möchte ich eine Frage von Herrn Funke
aufgreifen. Es hat eine Änderung des § 284 Abs. 3, der
Regelung des Schuldnerverzugs, gegeben. Dabei geht es
um eine überschaubare Problematik, nämlich um die
Bekämpfung der so genannten schlechten Zahlungsmoral. Ziel war, die Gläubigerinteressen zu verbessern, es
dem Gläubiger einfacher zu machen, zu seinem Geld zu
kommen. Dazu hat es eine neue Regelung gegeben. Das
Ergebnis ist heute unbestritten: Es ist genau das Gegenteil
bewirkt worden.
Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass sich dann,
wenn man es nicht nur mit der Reform eines Absatzes eines überschaubaren Paragraphen zu tun hat, sondern das
gesamte Schuldrecht, Kaufrecht, Gewährleistungsrecht
und Verjährungsrecht in einem Wurf neu macht, viele solcher „Paragraph-284-Absatz-3-Effekte“ einstellen werden und dass wir damit große Rechtsunsicherheit und viel
Rechtsprechung haben werden, weil viel Klärungsbedarf,
Interpretationsbedarf und neuer Auslegungsbedarf besteht? Sind das nicht gravierende Nachteile, die man sehr
ernst nehmen muss?
Herr Kollege, ich will jetzt nicht darauf eingehen, wer
damals bei der Regelung der Zahlungsmoral politisch
Druck gemacht hat. Das ist, um mit Fontane zu sprechen,
ein weites Feld. Lassen Sie es mich einmal sehr deutlich
sagen: Daran waren Ihre Kolleginnen und Kollegen - ich
weiß jetzt nicht, ob Sie daran beteiligt waren, abgesehen
davon, beziehe ich mich auch lieber auf die Politik als auf
die Person - sehr beteiligt. Seien Sie also so freundlich,
diesen Bereich dort anzusiedeln, wo er hingehört.
Zu Ihrem zweiten Punkt. Wie man bei der Umsetzung
von europäischem Recht in deutsches Recht zu dem
Zweck, eine bessere Kompatibilität und Harmonisierung
des deutschen Rechts mit europäischem Recht zu erreichen, von nationalem Alleingang reden kann, ist mir
schlichtweg verschlossen. Ich halte diese Vokabel übrigens, auch wenn sie draußen möglicherweise gut klingen
mag, schlichtweg für inhaltlich falsch.
Ich darf nochmals darauf hinweisen, wie der Vorgang
war: Wir wissen seit vielen Jahren - wir befinden uns hier
ja unter Juristinnen und Juristinnen, die dies gelernt haben; Sie sind noch einer der Jüngeren, es gibt etwas Ältere, bei denen das schon etwas länger her ist -, dass das
BGB, an dem wir alle hängen und das wir wie eine Monstranz vor uns her tragen, wesentliche Bereiche des heutigen Wirtschaftslebens nicht regelt. Ich habe einen ganz
zentralen Punkt, nämlich die Haftungsregelungen, angesprochen. Ich könnte Ihnen viele andere Punkte nennen,
die heute allein aufgrund der Rechtsprechung geregelt
werden. Das fängt beim Leasing an und geht weiter über
haftungsrechtliche Regelungen bis zu ganz wichtigen anderen wirtschaftsrechtlichen Fragen.
Das ist nun nicht ganz neu. Deswegen hat man 1978
begonnen, darüber nachzudenken, in zentralen Punkten
eine Schuldrechtsmodernisierung zu betreiben. Diese
Diskussionen haben bis zum Jahre 1991 gedauert und auf
sie können wir zurückgreifen. Sie sind deswegen aktuell
- lassen Sie mich das sehr deutlich sagen -, weil nach der
Vorlage des Abschlussberichts durch meinen Vorgänger
Dr. Kinkel, dem dann doch kein Regierungsentwurf, wie
es beabsichtigt war, gefolgt ist, ja nicht nichts gefolgt ist,
sondern die Erarbeitung der entsprechenden Richtlinien,
das heißt, die Beeinflussung durch Europa. Dies müssen
wir jetzt via europäische Richtlinien in deutsches Recht
umsetzen.
Das heißt, es ist unsere Aufgabe, die europäische Kompatibilität und die Harmonisierung voranzutreiben - übrigens auch unter dem Aspekt, auf den ich heute im Rechtsausschuss schon hingewiesen habe -, sodass wir uns zwar
nicht in den nächsten Jahren - insofern ist Ihre Sorge meiner Ansicht nach wirklich nicht gerechtfertigt -, aber vielleicht, wenn es gut geht, in zehn Jahren an die Ausarbeitung eines europäischen Schuldrechts-, Vertragsrechtsoder Zivilrechtsgesetzbuches machen können.
Wir werden unseren Einfluss nur wahrnehmen können,
wenn wir unser eigenes Schuldrecht modernisieren und in
Bezug auf Europa harmonisieren.
Lassen Sie mich noch auf die Fragen bezüglich Unidroit
eingehen. Selbstverständlich sind Vertreter von Unidroit in
den Kommissionen, über die ich gerade gesprochen habe.
In unsere Überlegungen über andere Kaufrechtssysteme,
die ich angeführt habe, haben wir die Einwände der Kritiker selbstverständlich aufgenommen. Ich wurde gerade
darüber informiert, dass Sie zu Beginn der Zivilrechtslehrertagung in Berlin freundlicherweise anwesend waren.
Sie werden daher diese Überlegungen mitbekommen
haben.
Im Übrigen kann von einer schweigenden Mehrheit
überhaupt keine Rede sein. Ich darf darauf hinweisen,
dass Sie auf den Homepages und in Veröffentlichungen
der Professoren Canaris, Medicus, Westermann, Roth,
Heldrich und Heinrichs den Stand der lebhaften Diskussion, der dort auf sehr seriöse Weise beschrieben wird, abrufen können.
Ich möchte noch einen letzten Punkt anführen. Selbst
wenn wir diesen Weg gehen würden - wir halten ihn für
falsch, weil er zu einer erheblichen Verwirrung bei den
Rechtsanwendern beitragen würde -, wäre der Umsetzungsbedarf bei der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie bezüglich der formalen Auswirkungen in der Substanz nicht
geringer. Das ist die Begründung dafür, dass wir diesen
Weg nicht gehen.
Ich meine es ernst, wenn ich sage, dass ich gerade auch
Sie gerne auf der Seite der Kooperationsbereiten hätte.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir haben nur noch fünf Minuten für die
Regierungsbefragung. Deshalb bitte ich den Kollegen
Hirche und auch die Ministerin im Interesse aller, sich
kurz zu fassen. - Herr Kollege Hirche, bitte.
Frau Ministerin, als Nichtjurist fällt mir auf, dass sich alle darin einig sind, dass in
der Sache Regelungsbedarf besteht. Es fällt mir ferner
auf, dass über Jahre hinweg die gemachten Änderungsvorschläge immer wieder verworfen wurden. Die letzte
Fassung wurde den Kollegen vor gut vier Wochen übermittelt.
Angesichts der Tatsache, dass über Jahre hinweg Änderungsvorschläge immer wieder zurückgezogen wurden
und sich die Regierung in dieser Zeit ein Urteil bilden
konnte, möchte ich fragen: Besteht nicht eine Schieflage
zwischen der Zeit, die die Regierung für die Beratung
benötigt hat und benötigen musste, und der Zeit, die dem
Parlament noch bleibt, um das entsprechende Gesetz zu
beschließen? Ich frage gerade Sie als Verfassungsministerin, ob nicht durch die Art und Weise der Behandlung dieses Gesetzentwurfs die Schieflage dokumentiert wird, die
zwischen der Zeit, die sich die Regierung für die Beratung
genommen hat, und dem Druck, in dem das Parlament beschließen muss, besteht.
({0})
Herr Kollege Hirche, das ist definitiv nicht der
Fall. Ich will Ihnen das ganz kurz erklären.
Diese Bundesregierung ist seit Oktober 1998 im Amt.
Deswegen kann von jahrelangen Überlegungen keine
Rede sein. Es wurden auch keine Regierungsentwürfe hin
und her gewälzt und zurückgezogen. Ausgangspunkt der
Überlegungen war vielmehr das Inkraft-Treten der genannten Richtlinien, von denen zwei erst im Sommer des
Jahres 2000 verabschiedet wurden. Die Umsetzungsfrist
beträgt teilweise nur 18 Monate; sie erstreckt sich bis zum
Ende des Jahres 2001.
Wir haben den entsprechenden Diskussionsentwurf im
August versandt. Sie können dieser Tatsache entnehmen
- lassen Sie mich das sehr deutlich sagen -, dass wir
bereits zwei Monate nach Beginn der Umsetzungsfrist an
die Kolleginnen und Kollegen und an die Fachöffentlichkeit herangetreten sind. Da Sie sagen, dass dieser Entwurf
heute nicht mehr gilt, möchte ich Ihnen antworten, dass
dies in der Tat für einige wichtige Regelungen zutrifft.
Aber es ist doch vernünftig, weil es sich dabei um einen
Diskussionsentwurf handelte, den wir an die Wissenschaft, an die Länder und auch an Sie mit der Bitte versandt haben, bis zum Beginn dieses Jahres uns Ihre Meinung darüber mitzuteilen. Gott sei Dank haben wir bei den
Ländern und auch in der Wissenschaft eine große Resonanz gefunden.
Ich beende nun die
Befragung zu den Themenbereichen der heutigen Kabinettssitzung. Gibt es darüber hinaus noch Fragen an die
Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall. Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/5942 Wir kommen als Erstes zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische
Staatssekretär Siegmar Mosdorf zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Ernst Hinsken
auf:
Bis wann wird der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner Müller, die von ihm und der Beauftragten der
Bundesregierung für den Mittelstand, der Parlamentarischen
Staatssekretärin Margareta Wolf, angekündigten Deregulierungsvorschläge im Wirtschafts- und Mittelstandsbereich dem Parlament vorlegen und teilt die Bundesregierung die Meinung, dass,
falls die Vorschläge nicht vor der Sommerpause dem Parlament
vorliegen, zu befürchten ist, dass sie wegen der zur Verfügung stehenden Zeit in dieser Legislaturperiode nicht mehr ausgiebig beraten und beschlossen werden können?
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Ernst
Hinsken, die Frage des Bürokratieabbaus ist für uns im
Wirtschaftsministerium von großer Bedeutung. Das ist
der Grund, warum wir im Jahre 1999 die Wirtschaft gebeten haben, Vorschläge zu machen und zu sagen, an welcher Stelle man direkte Maßnahmen treffen muss, um
Vereinfachungen zu erreichen. Es liegt inzwischen eine
große Anzahl von Vorschlägen vor. Der Bundesminister
für Wirtschaft und Technologie hat deshalb am 20. März
2001 einen ersten Bericht über den Stand der Initiative
„Abbau bürokratischer Hemmnisse“ vorgelegt. Dieser
Bericht - ich habe ihn noch einmal mitgebracht - zeigt die
wichtigsten Stellen auf, wo es Schwierigkeiten im Umgang zwischen Wirtschaft und staatlicher Administration
gibt.
Der Bericht informiert auch über die eingegangenen
konkreten Anregungen der Unternehmen, die hieraus gewonnenen Informationen einschließlich der daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen und die auf der Grundlage dieser Empfehlungen gestarteten Initiativen zum
Abbau bürokratischer Hemmnisse. In ihm werden die
bereits umgesetzten bzw. sich noch in der Umsetzungsphase befindlichen Maßnahmen aufgezeigt. Soweit in
diesem Bericht Deregulierungsvorschläge enthalten sind,
wurde auch der Stand der jeweiligen Umsetzung mitgeteilt. Deregulierung und Bürokratieabbau bleiben dauerhafte Aufgaben, an denen insbesondere auch die Länder
und Kommunen mitwirken müssen. Es gibt auch gestufte
Verfahren; das kennen wir alle aus unserer alltäglichen
Praxis.
Die im Bericht des Bundesministers für Wirtschaft und
Technologie bereits dargelegten konkreten Maßnahmen
zum Abbau bürokratischer Hemmnisse werden im vorgesehenen Zeitrahmen umgesetzt. Deshalb, lieber Herr Kollege Hinsken, ist Ihre aus der Sache heraus begründete
Sorge, dass wir im Laufe dieser Legislaturperiode keine
Entscheidungen treffen, unberechtigt. Sie wissen, dass
uns 80 Vorschläge für konkrete Maßnahmen vorliegen.
Wir werden sie Schritt für Schritt umsetzen; eine ganze
Reihe von Maßnahmen haben wir bereits erfolgreich umgesetzt. Deshalb glaube ich, dass man sagen kann, dass
wir auf diesem Weg schon gemeinsam ein wenig vorangekommen sind. Ich bitte Sie, auch unsere weiteren
Schritte zu unterstützen.
Herr Kollege Hinsken
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär Mosdorf, ich habe nicht in erster Linie danach gefragt, ob Sie bereits Vorschläge gesammelt haben, sondern ich habe gezielt gefragt, wann
die Bundesregierung gedenkt, die von uns gesammelten
Vorschläge in den parlamentarischen Entscheidungsprozess zu bringen. Ihre Kollegin, die neue Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, sagte ja bei ihrer Antrittsrede im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages, dass sie in Zukunft ihr Hauptaugenmerk nicht
darauf legen wird, Vorschläge zu sammeln, sondern darauf, konkrete Umsetzungsvorschläge einzubringen, weil
dringender Handlungsbedarf besteht. Sie aber haben mir
auf meine Frage, ob Initiativen zur Umsetzung dieser Vorschläge dieses Jahr noch kommen, geantwortet, das werde
in dieser Legislaturperiode nicht mehr geschehen.
({0})
Ich befürchte nun, dass Sie nicht richtig erkannt haben,
dass die Bürokratie den Mittelstand, also die kleinen und
mittleren Betriebe, besonders belastet.
Herr Kollege
Hinsken, es muss ein Hörfehler vorliegen. Ich habe eben
gesagt, dass wir mit der Umsetzung schon angefangen haben, und nicht, dass wir in dieser Legislaturperiode gar
nicht mehr anfangen wollen. Wir haben schon eine ganze
Reihe von sehr konkreten Maßnahmen ergriffen, die übrigens nicht alle parlamentarische Schritte erfordern. Viele
Verordnungswege kann man vereinfachen. Das muss ich
Ihnen ja nicht sagen. Auch bei der Zusammenarbeit von
Bund, Ländern und Kommunen kann man Bürokratie abbauen und administrative Wege vermeiden. Hinzu kommen noch viele Dinge mehr. Wir befinden uns also mitten
in der Umsetzungsphase. Die in dem Bericht enthaltene
Dokumentation gibt einen ersten Überblick nicht nur über
die eingereichten Vorschläge, sondern auch darüber, wie
wir sie angehen und umsetzen.
Darüber hinaus, verehrter Herr Kollege Hinsken, nehmen wir auch Projekte in Angriff, die zu einer nachhaltigen Effizienzerhöhung der öffentlichen Verwaltung
führen sollen. Denken Sie an Projekte wie Media@com
- ich nehme an, dass Sie es kennen -, das zunächst in drei
Städten, nämlich in Bremen, Nürnberg und Esslingen,
durchgeführt wird; hierbei handelt es sich um ein großes
Projekt, um die Stadtverwaltungen zu modernisieren,
Bürokratie abzubauen und effizienter zu gestalten und
direktere Mitwirkungsmöglichkeiten auch für die Bürger
zu schaffen.
Wir versuchen wirklich in allen Bereichen, die Administration effizienter und bürgernäher zu gestalten; denn
wir wollen nicht, dass der alte Satz von Tucholsky auch in
Zukunft gilt, die Deutschen hätten ein Schicksal und ein
Ideal. Das Schicksal der Deutschen, so hat Tucholsky einmal gesagt, ist es, dass sie immer in langen Schlangen vor
Behördenschaltern stehen, und das Ideal ist, dass sie gern
einmal hinter dem Schalter sitzen wollen. - Wir wollen
die Schalter abschaffen, wir wollen Bürgernähe organisieren
({0})
und haben dazu eine Reihe von konkreten Maßnahmen
vorgenommen. Dabei handelt es sich auch um Maßnahmen, die notwendig waren, um die in Ihrer langen Regierungszeit entstandene Bürokratie zu bereinigen.
Herr Kollege Hinsken
hat noch eine zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, jetzt
habe ich noch keine Antwort auf meine Frage bekommen,
({0})
ob Sie denn heuer, in diesem Jahre, Deregulierungsvorschläge einbringen.
Jetzt kommt meine zweite Frage, Frau Präsidentin: Ist
die jetzige Bundesregierung bereit, sich an der Regierung
Helmut Kohl ein Beispiel zu nehmen?
({1})
Im Jahre 1995 wurden 92 verschiedene Deregulierungsvorschläge eingebracht und im selben Jahr haben
sich 61 oder 62 Gesetzesvorhaben daraus ergeben mit
dem Ergebnis, dass man tatsächlich dereguliert hat, was
die Wirtschaft dringend braucht.
5 000 Gesetze mit 85 000 Verordnungen in der Bundesrepublik Deutschland sind einfach zu viel. Da sind Sie,
Herr Staatssekretär Mosdorf - ich schätze Sie persönlich
sehr, das wissen Sie -, stark gefordert. Ich bitte, endlich
nach den Worten auch ein Zeichen zu setzen und dafür
Sorge zu tragen, dass dereguliert wird.
Lieber Herr Kollege Hinsken, lassen Sie mich noch das eine sagen, damit
nichts unklar bleibt. Man kann ja nicht davon ausgehen,
dass jeder Bürger in Deutschland unser heutiges Protokoll
nachliest. Ich will es also noch einmal deutlich sagen:
Wir sind heuer nicht nur dabei, einen Bericht zu geben,
wir setzen um. Wir tun konkrete Schritte zur Administrationsvereinfachung, um mehr Bürgernähe zu schaffen und
Bürokratie abzubauen.
Ich danke Ihnen sehr dafür, Herr Kollege Hinsken, dass
Sie die Bundesregierung so nachhaltig dabei unterstützen.
Ich möchte Sie auch herzlich einladen, die gleiche Frage
in einem halben Jahr noch einmal zu stellen, weil wir Ihnen dann weitere Fortschrittsberichte geben können. Es
ist gar keine Frage, dass wir natürlich alles tun und versuchen, um das, was es an Überbürokratie gibt - das ist nicht
gut -, abzubauen sowie die Verwaltung bürgernäher und
effizienter zu gestalten, sodass wir natürlich auch Mittel
einsparen.
Also noch einmal auch für Ihren Kollegen gesagt, der
jetzt gleich nachfragen will: Ich gebe Ihnen gern die Dokumentation, die einen ersten Zwischenbericht über die
Maßnahmen gibt, die wir direkt getroffen haben. Aber Sie
werden uns in der Entschlossenheit, das fortzusetzen,
nicht übertreffen; Sie werden uns höchstens begleiten.
Es gibt jetzt weitere
Nachfragen. Zuerst der Kollege Scherhag, bitte.
Herr Staatssekretär, mich interessiert, wo die Schwierigkeiten liegen. Sie
haben jetzt viel erklärt, was Sie alles machen wollen, aber
der Bericht ist noch nicht da. Wir haben natürlich größte
Angst, dass diese Deregulierung nicht vorangeht. Sie wissen, für den Mittelstand ist das sehr vonnöten. Wir haben
ja heute Morgen im Wirtschaftsausschuss wieder ein
Thema angesprochen, wo Deregulierung im Besonderen
notwendig ist. Ich denke an den Baubereich. Wo liegen da
konkret die Schwierigkeiten?
Herr Scherhag,
wir alle wissen: Als wir im Sommer 1999 den Aufruf an
die Wirtschaft gerichtet haben, einmal konkret zu sagen,
an welchen Stellen es klemmt, wo es wirkliche Hemmnisse gibt, da gab es zunächst kaum Reaktionen. Dann haben wir noch einmal nachgehakt und auch mit den Verbänden geredet. Da gab es eine ganze Reihe von
Beispielen. Diese konkreten Beispiele, die ja nicht immer
den Bund, sondern teilweise auch die EU, die Kommunen, die Gemeinden betreffen, werden jetzt systematisch
aufgearbeitet.
Sie kennen - Herr Hinsken weiß es aus dem Tourismusbereich - die Preisauszeichnungsfragen und andere
Dinge; wir haben das im Ausschuss schon mehrfach behandelt. Das sind zwar kleine Schritte, aber wir beide wissen, was das für die Branche bedeutet.
Solche Schritte vollziehen wir gegenwärtig. Deshalb
sage ich noch einmal: Erstens gibt es den Bericht seit
März. Zweitens werden wir das intensiv fortsetzen. Ich
bitte Sie, uns da beim Wort zu nehmen. Drittens brauchen
wir dabei natürlich auch Ihre Unterstützung. Denn es ist
doch völlig klar: Das ist ja keine parteipolitische Frage,
sondern es geht darum, wie man Bürgernähe und Effizienz in der Administration durchsetzen kann, teilweise
auch über mehrere staatliche Ebenen hinweg, wo ganz unterschiedliche politische Formationen regieren. Deshalb
brauchen wir da eine gemeinsame Kraftanstrengung.
Hinsichtlich der globalen Zahl kann ich nur sagen: Wir
sind schon der Auffassung - wir sind auch dabei -, dass
man die Staatsquote insgesamt reduzieren muss, indem
man sagt, dass der, der es besser kann, es auch machen
soll. Wir haben, wie Sie wissen, mit einer Staatsquote von
über 50 Prozent angefangen und sind jetzt dabei, sie langsam zu reduzieren. Wir wollen keine Staatsquote, die auf
einen schwachen Staat hindeutet; wir wollen nicht zurück
zum Nachtwächterstaat. Wir wollen einen leistungsfähigen, modernen, effizienten Staat, der auch noch bürgernah
ist.
Die nächste Nachfrage kommt vom Kollegen Hirche.
Herr Staatssekretär Mosdorf,
Sie haben davon gesprochen, dass Sie schon dabei seien
umzusetzen. Soll ich die Neuregelung bei den 630-MarkVerträgen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der
Krankenkassenabrechnung, als einen Beitrag zum Bürokratieabbau verstehen und kann ich das, was Sie zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes vorgelegt
haben, als einen Beitrag zu Deregulierung und Bürokratieabbau verstehen?
Herr Hirche, Sie
sind dafür bekannt, dass Sie einer der großen Dialektiker
des Parlaments sind.
({0})
- Lieber Ernst Hinsken, er hat ja da eine Vergangenheit.
Wir schauen mal, was er in seiner Regierungsverantwortung alles an Bürokratieabbau geleistet hat. Ich habe mir
sagen lassen, dass auch damals sehr viel Overhead geschaffen worden ist, liberaler Overhead natürlich, das ist
ja klar. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir erkennen,
dass wir gemeinsam vorgehen müssen.
Zu Ihrer Frage, Herr Hirche. Ich glaube, dass die
50-Tage-Regelung, die der Bundesarbeitsminister zusammen mit seinem Staatssekretär Gerd Andres bei den
630-Mark-Regelungen durchgesetzt hat, ein Musterbeispiel dafür ist - das wird auch von der Wirtschaft so gesehen -, wie man entbürokratisiert und Effizienz schafft.
Man kann sagen: Die Wirtschaft hat darauf sehr positiv
reagiert, insbesondere das Hotel- und Gaststättengewerbe. Ich weiß, dass Sie das unterstützen. Das ist nur ein
Beispiel und es gibt viele andere.
Aber, Herr Hirche, da Sie selber jetzt ganz andere Felder betreten und gar nicht die Fragen von meinem Freund
Ernst Hinsken aufgegriffen haben, schicke ich Ihnen die
Dokumentation einmal zu, um Ihnen zu zeigen, welche
konkreten Maßnahmen wir schon ergriffen haben.
Jetzt ist der Kollege
Deß mit seiner Nachfrage an der Reihe.
Herr Staatssekretär, Ihre
Aussage, dass das Protokoll des Deutschen Bundestages
nur von wenigen Leuten gelesen wird, reizte mich zu dieParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
ser Frage: Nennen Sie doch bitte hier in der Öffentlichkeit
für die Leute am Fernseher außer dem Rabattgesetz und
der Zugabeverordnung noch einige konkrete Beispiele für
die Deregulierung.
Herr Deß, ich
bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie mir die Gelegenheit geben, dazu etwas zu sagen. Man ist ja immer so diszipliniert, kurze Antworten zu geben;
({0})
deshalb möchte ich das nicht übertreiben und Ihre Zeit
nicht zu sehr in Anspruch nehmen. Aber Sie haben mit
dem Rabattgesetz und der Zugabeverordnung natürlich
ins Schwarze getroffen. Ich bedanke mich sehr dafür, dass
Sie damit auch andeuten, dass Sie das Projekt unterstützen wollen. Wir sind, wie Sie wissen, dabei, diese Punkte
umzusetzen.
Es gibt aber auch andere Beispiele, die wir nennen können. Ich habe eben ein Beispiel aus dem Tourismusbereich genannt und ich habe das Media@com-Projekt genannt. Es gibt viele Beispiele. Wir sind - übrigens
zusammen mit der bayerischen Finanzverwaltung - dabei, praktische Erfahrungen zu einer Online-Steuererklärung zu sammeln. Sie wissen, dass das Projekt aus Singapur stammt. In Singapur hat man vor fünf Jahren den
Steuerzahlern die Möglichkeit gegeben, ihre Steuererklärung online zu machen, und sogar 5 Prozent Rabatt eingeräumt. Was meinen Sie, was da in Singapur los war!
Wir führen all diese Projekte durch, wobei ich - weil
ich die spezifischen bayerischen Erfahrungen mit den Anfangsproblemen dieses Internetprojekts vor Augen habe eines hinzufüge: Man muss auf diesem Feld auch
experimentieren; denn es gibt keine Patentlösungen. Ich
bin dafür, dass wir experimentieren, und zwar im Sinne
von Bürokratieabbau, von mehr Bürgernähe und von
mehr Delegation von Aufgaben, die andere besser machen
können als der Staat. Deshalb noch einmal, Herr Kollege
Deß: Ich bin Herrn Hinsken sehr dankbar, dass er mir
heute die Gelegenheit gegeben hat, einen kleinen Zwischenbericht dazu zu geben.
Die Fragen aus den
Geschäftsbereichen des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft sowie des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend werden schriftlich beantwortet.
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind zurückgezogen worden.
Deshalb kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Staatssekretär Dr. Gunter Pleuger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 der Abgeordneten Ilse Aigner auf:
Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher getroffen, um die Abschaltung des Senders International
Broadcasting Bureau, IBB, der von den Vereinigten Staaten von
Amerika betrieben wird und sich auf einem von der Bundesregierung verpachteten Gelände in Holzkirchen-Oberlaindern befindet,
zu erreichen, und welche Abteilung des zuständigen Ministeriums
hat gegebenenfalls Gespräche mit Vertretern des amerikanischen
Außenministeriums zu dem mit der Sendeanlage IBB am Standort Holzkirchen-Oberlaindern zusammenhängenden Problemkreis, insbesondere zur Abschaltung der Sendeanlage bzw. zur
Kündigung des Pachtvertrages, geführt?
Frau Präsidentin, Frau Abgeordnete, wären Sie
damit einverstanden, wenn ich die Fragen 8 und 9 zusammen beantworten würde? Denn sie beziehen sich beide
auf die Schließung des Mittelwellensenders in Holzkirchen.
({0})
Dann rufe ich die
Frage 9 der Abgeordneten Ilse Aigner auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung die plötzliche Abschaltung des Mittelwellensenders der Sendeanlage International
Broadcasting Bureau, IBB, am Standort Holzkirchen-Oberlaindern im April 2001 und inwiefern ist diese Abschaltung auf die
Initiative der Bundesregierung zurückzuführen?
Wir sind über diese Schließung sehr froh. Denn sie
beendet hoffentlich den Streit - zumindest einen wesentlichen Teil davon -, der in der Vergangenheit bestanden
hat. Die Bundesregierung hat sich vor dem Hintergrund
der anhängigen Gerichtsverfahren und angesichts der
Sorgen der betroffenen Bürger stets für eine Lösung eingesetzt, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt.
Die Amerikaner haben mit der Schließung dieses Mittelwellenbetriebes einen wesentlichen Wunsch der lokalen Bevölkerung erfüllt; denn der Mittelwellensender
wurde als besonders belastend empfunden. In der
entscheidenden Schlussfolgerung des Gutachtens, das
von den Gemeinden Holzkirchen, Valley und Warngau
1996 in Auftrag gegeben wurde, wurde festgestellt, dass
durch eine völlige Einstellung des Mittelwellenbetriebes
die wesentliche Quelle der elektromagnetischen Umweltbeeinflussung in der Region beseitigt wäre. Das ist jetzt
geschehen.
Die amerikanische Seite, und zwar das International
Broadcasting Bureau, hat erklärt, dass bereits in den vergangenen drei Jahren im Zuge der kontinuierlichen Überprüfung und der Bewertungsverfahren im Zusammenhang mit den operationellen Notwendigkeiten dieses
Senders nach Alternativen gesucht worden ist, wie diejenigen Sendungen, die bisher von Holzkirchen aus insbesondere in den Balkan ausgestrahlt wurden, von anderer
Stelle aus vielleicht wirksamer verbreitet werden könnten. Die Amerikaner haben mitgeteilt, dass jetzt eine geeignete Ersatzanlage in Betrieb genommen worden ist, die
die Mittelwellenausstrahlung von Holzkirchen aus dauerhaft überflüssig macht. Der Sendebetrieb ist deshalb dauerhaft eingestellt worden.
Die Abschaltung des Mittelwellensenders beruht nicht
auf einer Vereinbarung mit der Bundesregierung, sondern
ist eine einseitige Maßnahme des International Broadcasting Bureaus gewesen. Mit dieser Maßnahme hat unserer
Ansicht nach das IBB die wesentlichen Forderungen vor
allen Dingen der lokalen Bevölkerung erfüllt. Wie jetzt
der anhängige Rechtsstreit weitergeht, das entzieht sich
meiner Kenntnis.
Die Kollegin Aigner
hat jetzt die Chance, vier Nachfragen zu stellen, weil ihre
beiden Fragen gemeinsam beantwortet worden sind. Ring frei für Sie!
Herr Staatssekretär, ich
wollte von Ihnen eigentlich konkret wissen, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergriffen hat, um mit Amerika entsprechende Verhandlungen aufzunehmen. Es geht
hier auch um einen Pachtvertrag, dessen Kündigung noch
ansteht. Vielleicht könnten Sie noch etwas genauer ausführen, welche Maßnahmen und konkret welche Gespräche von welchem Mitarbeiter Ihres Ministeriums
bzw. von der politischen Spitze geführt wurden.
Die Gespräche mit den Amerikanern haben auf
verschiedensten Ebenen, auf der Arbeitsebene und auch
auf der politischen Ebene, hier in Berlin, aber auch in
Washington stattgefunden. Ich kann Ihnen im Einzelnen
nicht sagen, wer welches Gespräch geführt hat. Aber ich
kann zumindest von mir selber sagen, dass ich mich gegenüber dem amerikanischen Botschafter mehrfach für
eine einvernehmliche Lösung eingesetzt habe. Wir haben
vom State Department in Washington signalisiert bekommen, dass auch die amerikanische Seite nicht daran
interessiert sei, das Problem Holzkirchen zu einer Belastung der deutsch-amerikanischen Beziehungen werden
zu lassen. Die Tatsache, dass die Amerikaner von sich aus
den Sendebetrieb eingestellt haben, hat das unter Beweis
gestellt.
Frau Kollegin Aigner,
bitte Ihre nächste Frage.
Ich frage vor folgendem
Hintergrund: Ich habe den Bundeskanzler vor zwei Monaten schriftlich gebeten, dieses Problem in Amerika vorzubringen. Ich habe bis heute weder eine Eingangsbestätigung noch irgendeine Antwort auf dieses Schreiben
erhalten. Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn ich
eine schriftliche Stellungnahme darüber, wo entsprechende Gespräche geführt worden sind, erhalten
könnte. - Das nur zur Erklärung.
Könnte ein Grund dafür, dass der Sender in Holzkirchen abgeschaltet worden ist, sein, dass in Zukunft Messungen vonseiten des zuständigen bayerischen Staatsministeriums bei Kostenübernahme durch die Gemeinden
und die Staatsregierung durchgeführt worden wären?
Könnte vielleicht auch dies bei der relativ schnellen und
überraschenden Entwicklung eine Rolle gespielt haben,
die die Bürgerinnen und Bürger dieser Gegend und ich
selbstverständlich sehr begrüßen?
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.
Diese müssten Sie den Amerikanern stellen. Die Begründung, die uns die Amerikaner für die auch für uns überraschend schnell erfolgte Einstellung gegeben haben, war
die, das inzwischen in Ungarn eine neue Sendeanlage als
Ersatz für die in Holzkirchen gefunden und inzwischen
auch in Betrieb genommen worden ist.
Nummer drei, bitte.
Es verbleibt noch der Kurzwellensender. Als nachvollziehbare Begründung sowohl
für den Mittelwellen- als auch für den Kurzwellensender
wurde immer die Informationspolitik für Regionen, die
nicht demokratisch stabil sind und vielleicht auch keine
Informationen bekommen können, angeführt.
In einer Pressemitteilung des Kollegen Büttner wird in
Bezug auf den Kurzwellensender ausgeführt, dass der
Kaukasus für die Amerikaner ein strategisch wichtiges
Gebiet sei, weil dort Erdölreserven vorhanden seien, die
amerikanische Firmen erschließen wollten. Dies hat in der
Bevölkerung für etwas Verwirrung gesorgt, denn wenn
wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen, ist ein
solcher Sendebetrieb nicht mehr unbedingt zu rechtfertigen. Ich gehe davon aus, dass es auch noch andere Gründe
dafür gibt, den Sendebetrieb aufrechtzuerhalten. Aber
diese hätte ich gerne im Detail erfahren, denn ich glaube,
dass es sich bei dieser Mitteilung entweder um eine
Falschinterpretation oder um eine sehr verkürzte Darstellung gehandelt hat. Herr Staatssekretär, vielleicht könnten
sie hier für Aufklärung sorgen.
Ich kann Ihnen insofern Aufklärung verschaffen,
als ich sagen kann: es ist richtig, dass die Kurzwellensendungen weitergehen. Die Kurzwellensendungen sind
seit langem in Richtung Zentralasien ausgerichtet. Ob
dies auch aus wirtschaftlichen Gründen der Fall war, kann
ich nicht beurteilen. Das müssten sie die Amerikaner fragen. Jedenfalls aber sind der Südkaukasus und Zentralasien nicht nur wegen der enormen Konflikte und der
möglichen Konfliktlinien zwischen großen Mächten Regionen, in denen aus westlicher Sicht ein erhöhtes politisches Informationsbedürfnis besteht.
Diese Kurzwellensendungen, die auch in der Vergangenheit ausgestrahlt wurden, sind aber - ich bin kein
Techniker, ich kann nur wiedergeben, was ich von den Experten erfahren habe - für die Bevölkerung weniger belastend, weil der Kurzwellensender senkrecht nach oben abstrahlt und die Kurzwelle in der Ionosphäre über Tausende
von Kilometern zurückgestrahlt wird. Deswegen hat der
Kurzwellensender in der Vergangenheit - soweit mir bekannt ist - eine wesentlich geringere - wenn überhaupt Rolle in dem Streit mit der Bevölkerung und dem Staat
Bayern gespielt.
Sie haben noch eine
letzte Frage.
Die Bevölkerung ist natürlich froh, weil die Hauptbelastung durch die Mittelwelle
erfolgte. Aber auch die Kurzwelle führt nach wie vor zu
starken Belastungen für eine nicht ganz unwesentliche
Zahl von Leuten. Ich frage Sie konkret, ob die Bundesregierung plant, den Pachtvertrag mit den Amerikanern
schon frühzeitig zu lösen. Dies müsste spätestens zum
Jahre 2004 erfolgen, damit er im Jahre 2005 nicht automatisch verlängert wird. Ich glaube, es ist auch im Sinne
der Amerikaner, frühzeitig klare Richtlinien zu schaffen,
damit sie wissen, wie es langfristig weitergeht. Unterstützt die Bundesregierung diese Bestrebungen?
Die Bundesregierung wird rechtzeitig mit den
Amerikanern darüber sprechen. Sie haben völlig Recht:
2005 läuft der Vertrag aus. Spätestens 2004 muss eine
Regelung gefunden sein, wie der Vertrag entweder durch
Kündigung beendet oder durch Vereinbarung verlängert
werden soll. Sie wissen, dass sich der Vertrag dann, wenn
wir nichts tun, automatisch um zehn Jahre verlängert.
Aber auch als sich bezüglich der Mittelwellensendungen eine Lösung wie diese noch nicht abzeichnete, hat das
IBB niemals eine Verlängerung um zehn Jahre, sondern
nur um fünf Jahre verlangt. Ich glaube, dies ist ein Indiz
dafür, dass wir in Verhandlungen mit den Amerikanern zu
gegebener Zeit eine für beide Seiten befriedigende Lösung finden werden. Wir werden diese Verhandlungen
rechtzeitig einleiten.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und
Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der parlamentarische Staatsekretär Gerd Andres zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Jochen-Konrad
Fromme auf:
Warum hat die Bundesregierung bei der Rentenreform keine
Regelung aufgenommen, die den ungeschmälerten Rentenbezug - ohne Abzüge - nach 45 Beitragsjahren ohne Rücksicht auf
das Renteneintrittsalter gewährt, um so anhängige Verfassungsgerichtsverfahren gegenstandslos zu machen?
Frau Präsidentin, sehr
geehrter Herr Kollege Fromme, ich bitte zunächst um Verständnis dafür, dass die Beantwortung der Frage 10 etwas
umfangreicher sein wird, weil es sich um eine etwas kompliziertere Frage handelt.
In die Rentenreform braucht eine von Ihnen skizzierte
Regelung nicht aufgenommen zu werden, jedenfalls nicht
zur Vermeidung von Verfassungsgerichtsverfahren. Solche Verfahren gibt es nach unseren Feststellungen nämlich nicht.
Vorschläge, die darauf hinauslaufen, nach einer bestimmten Beitragszeit bereits eine ungeminderte Rente zu
leisten, widersprechen dem Versicherungsprinzip, weil
sie dazu führen würden, dass langjährig Versicherte nicht
nur eine ihrer Beitragsleistung entsprechend hohe Rente
erhalten würden, sondern diese auch noch zu einem früheren Zeitpunkt als Versicherte mit weniger Beitragszeiten
in voller Höhe beziehen könnten.
({0})
Neben diesen grundsätzlichen Bedenken gibt es weitere Gründe, keine Regelung vorzuschlagen, die einen ungeschmälerten Rentenbezug nach 45 Beitragsjahren ohne
Rücksicht auf das erreichte Alter zulässt:
Erstens. Die von Ihnen vorgeschlagenen 45 Beitragsjahre sind viel schwieriger zu erfüllen als die heute geltenden 35 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten. Einerseits
sind es zehn Jahre mehr. Andererseits zählen Zeiten, in denen jemand zum Beispiel krank oder arbeitslos war oder
noch keine Beiträge gezahlt wurden, nicht mit. Auch die
für Frauen so wichtigen Zeiten der Kindererziehung bis
zum 10. Lebensjahr werden bei der 35-jährigen Wartezeit
angerechnet; bei der 45-jährigen Wartezeit fehlen hingegen neun bzw. sieben Jahre.
Zweitens. Begünstigt wären insbesondere diejenigen,
die auch nach Vollendung des 60. Lebensjahres noch erwerbstätig und die gesundheitlich nicht so beeinträchtigt
sind, dass eine Erwerbsminderung vorliegt.
Drittens. Arbeitslose, Frauen mit kindererziehungsbedingten Lücken in ihrer Erwerbsbiografie und Frühinvaliden dürften aber kein Verständnis dafür haben, wenn
Versicherte, die das „Glück“ hatten, 45 Jahre lang Beiträge zahlen zu können, und deshalb entsprechend hohe
Rentenansprüche haben, wegen fehlender Abschläge
noch einen zusätzlichen „Bonus“ bekämen.
Viertens. Die Forderung nach einer ungeschmälerten,
abschlagsfreien Rente ignoriert auch die Begründung für
die Abschläge und ist deshalb mit dem Versicherungsprinzip unvereinbar: Für die Höhe des Abschlags ist allein
der Rentenbeginn und damit die Rentenlaufzeit ausschlaggebend, denn über die gesamte Rentenlaufzeit soll
das Rentenvolumen so bestimmt werden, dass es unabhängig vom Rentenbeginn gleich bleibt. Die Zahl der Versicherungsjahre und das versicherte Entgelt bestimmen
bereits die sich ohne Abschlag ergebende Rentenhöhe.
Fünftens. Ihr Vorschlag würde dazu führen, dass ein
Durchschnittsversicherter nach 45 Beitragsjahren eine abschlagsfreie Altersrente mit 60 Jahren in Höhe von
2 186,10 DM erhalten würde, Versicherte mit ebenfalls
45 Entgeltpunkten, zum Beispiel als Erwerbsminderungsrentner, langfristig wegen der Abschläge jedoch
236,10 DM und Versicherte ohne Erwerbsminderung
sogar 393,50 DM weniger.
Ich bitte daher um Ihr Verständnis, dass die Bundesregierung eine Regelung „Rente ohne Abschläge bei 45 Beitragsjahren“ nicht vorschlagen wird.
Wir haben jetzt alle einen Augenblick gezögert, weil wir nach Ihrer Ankündigung einen noch längeren Vortrag erwarteten.
Frau Präsidentin, wenn
Sie es wünschen, trage ich noch ein bisschen mehr vor.
So war das nicht gemeint. - Herr Kollege Fromme zu einer ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, in der Vergangenheit hat es doch auch Rentenverläufe mit 45 Beitragsjahren gegeben, bei denen die
Rentenbezieher vorzeitig in den Ruhestand gegangen
sind, ohne dass eine Rentenkürzung stattgefunden hätte.
Die Kürzung ist erst durch eine Systemänderung eingeführt worden. Das bedeutet, dass so etwas mit dem Versicherungsprinzip vereinbar gewesen sein muss.
Herr Abgeordneter
Fromme, ich habe mir natürlich angeschaut, dass Sie
schon der früheren Bundesregierung in diesem Zusammenhang Fragen gestellt haben. Sie haben Recht: Es hat
solche Regelungen gegeben, allerdings im Zusammenhang mit Vertrauensschutzregelungen. Durch rentenrechtliche Änderungen, mit denen das Renteneintrittsalter
angehoben wurde, hat man bestimmten Gruppen, beispielsweise Frauen oder Erwerbslosen oder Menschen,
die einem bestimmten Jahrgang angehörten, einen Vertrauensschutz gewährt, damit sie sich auf diese neue
Regelung einstellen konnten. Das ist aber ein anderer - in diesem Falle berechtigter - Begründungszusammenhang als der, den ich eben vorgetragen habe.
Kollege Fromme, eine
weitere Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, empfinden Sie es als gerecht, dass Menschen, die
45 Jahre gearbeitet und voll eingezahlt haben, dann noch
mit Kürzungen rechnen müssen - es sind ja nur relativ wenige Menschen, die das in ihrer Erwerbsbiografie überhaupt noch schaffen -, während andere über Vorruhestandsregelungen und Ähnliches früher in den Ruhestand
gehen konnten und keine oder geringere Kürzungen
erfahren haben?
({0})
Nein, Herr Fromme. Ich
will noch einmal versuchen, Ihnen unser Rentenversicherungssystem zu erklären.
({0})
- Ich will mich gerade bemühen, die Frage zu beantworten.
Der Herr Staatssekretär antwortet jetzt auf die Frage des Kollegen Fromme.
Wenn Sie schreien, bin
ich nicht in der Lage, die Frage zu beantworten.
Unser Rentensystem funktioniert so, dass sich die
Höhe der Rente aus der Dauer der Beitragszahlungen und
aus der Höhe der gezahlten Beiträge ergibt. Dies bedeutet
- ich übertrage das jetzt einmal; das kam auch in meiner
Antwort vor -, dass diejenigen, die das relative „Glück“
hatten, über lange Zeiten Beiträge zahlen zu können, dadurch auch eine relativ höhere Rente bekommen.
Die spannende Frage, ob jemand, der früher in Rente
geht, eine abschlagsfreie Rente bekommen muss, stellt
sich aufgrund eines ganz anderen Problems. Die Rentenhöhe ergibt sich aus dem Zeitpunkt, zu dem jemand in
Rente geht, und daraus, wie lange eine Rentenleistung
bezogen wird. Es ergäbe eine doppelte Privilegierung,
wenn jemand, der zum Beispiel mit 15 Jahren zu arbeiten
begonnen hat, mit 60 Jahren in Rente geht und damit die
45 Beitragsjahre voll hat, aufgrund dessen eine relativ
hohe Rente erhielte, und jemand anderer, der über die
gleiche Zeit Beiträge gezahlt hat, aber bis zum Alter von
65 Jahren arbeiten muss, erst danach eine Rente beziehen
könnte und diese Rente über eine kürzere Laufdauer bezöge.
Von daher ist die Frage der Gerechtigkeit in einem anderen Zusammenhang zu sehen. Die Gerechtigkeit stellt
sich über die Rentenbezugsdauer her. Da hier sozusagen
heftige Fragen gestellt wurden - Sie haben schon der alten Bundesregierung ganz ähnliche Fragen gestellt -,
stelle ich Folgendes klar: Die alte Bundesregierung hat
die Abschläge bei frühzeitigem In-Rente-Gehen eingeführt; die neue Bundesregierung sieht keine Veranlassung, das zu verändern. Ich sage dies, damit wir wissen,
worüber wir reden.
Es gibt hierzu eine
weitere Nachfrage des Kollegen Peter Dreßen.
Herr Staatssekretär, trifft es zu,
dass das Renteneintrittsalter seit Einführung der Rente
1959 bei Männern bei 65 Jahren liegt und dass unabhängig von den Versicherungszeiten erst ab einem Alter von
65 Jahren Rente bezogen werden kann? Bei Frauen lag
dieses Renteneintrittsalter bei 60 Jahren. Es ist von der alten Bundesregierung sukzessive erhöht worden.
({0})
Finden Sie nicht, dass die Frage des Kollegen Fromme
daher sehr populistisch ist? Natürlich würde auch ich gern
mit 45 Versicherungsjahren in Rente gehen. Haben Sie
eine Ahnung, wie viel Milliarden D-Mark Mehreinnahmen getätigt werden müssten, um eine solche Forderung zu erfüllen?
({1})
Herr Abgeordneter
Dreßen, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Es steht mir
nicht zu, die Frage des Abgeordneten Fromme in ihrer Art
und Weise zu werten. An mich stellt sich die Anforderung,
nach bestem Wissen und Gewissen zu antworten. Darum
bemühe ich mich.
Ich gebe eine zweite Antwort. Wir haben bisher in unserem Rentenrecht keine Versicherungsleistung nach Versicherungsdauer, sondern die Rentenleistung ergibt sich
nach dem Renteneintrittsalter. Dieses Eintrittsalter ist
schon immer definiert. Es hat dahin gehend Veränderungen gegeben, dass man frühere Renteneintrittsalter ermöglicht hat. Diese Möglichkeit schaffte die CDU/F.D.P.Regierung ab, indem sie festlegte, dass das allgemeine
und generelle Renteneintrittsalter in Zukunft unterschiedslos für Männer und Frauen 65 Jahre betragen wird.
Wer früher in Rente geht, hat mit Abschlägen zu rechnen.
Dies entspricht der Philosophie, die ich eben zu erklären versucht habe, nämlich dadurch Gerechtigkeit herzustellen, dass man das auf die Rentenlaufdauer und nicht
auf die Zeit, für die man Beiträge bezahlt oder während
der man gearbeitet hat, abstellen muss, denn diese Zeit
führt dazu, dass man wegen längerer Beitragszahlung ohnehin eine höhere Rentenleistung erhält.
Im Hinblick auf die Kosten kann ich Ihnen nur sagen,
dass beispielsweise die Übergangsregelung der alten Bundesregierung, nach der von Herrn Fromme auch gefragt
worden war, nach einer Aussage des Parlamentarischen
Staatssekretärs Kraus vom 28. September 1997 zu Mehrbelastungen in der Rentenversicherung von 1,6 Milliarden DM geführt hat. Dabei ging es nur um die Vertrauensschutzregelungen für Frauen, für Arbeitslose und für
diejenigen, die Jahrgang 1942 und früher waren und
45 Versicherungsjahre voll hatten. Allein diese Regelung
hat die Rentenversicherung 1,6 Milliarden DM gekostet.
Wenn man sich die Zahl derer anschaut, die unter eine
solche Regelung fallen würden, dann kann ich der Aussage von Herrn Fromme, dass es verschwindend wenige
seien, nicht zustimmen. Es sind relativ viele und relativ
umfangreiche Gruppen, sodass es für die Rentenversicherung ganz erhebliche Finanzlasten bedeuten würde, wenn
man eine solche Regelung einführte.
Der nächste nachfragende Kollege ist der Abgeordnete Hirche.
Herr Staatssekretär, ist es
nicht so, dass ein Teil unserer Probleme mit der Rentenversicherung daraus resultiert, dass es den so genannten
Eckrentner mit 45 Beitragsjahren heute kaum mehr gibt?
({0})
Die meisten haben doch weniger Rentenjahre. Kann man
deswegen unter Gesichtspunkten von Solidarität und Gerechtigkeit nicht durchaus darüber reden, ob man demjenigen, der mit 45 Versicherungsjahren seinen Beitrag
mehr als andere erbracht hat - schließlich haben wir das
Umlageverfahren -, einen kleinen Vorteil gibt, der im
Übrigen weniger ausmachte als all das, was im Zusammenhang mit dem Vorruhestand gemacht worden ist?
Herr Abgeordneter
Hirche, da Sie zum zweiten Mal den Vorruhestand
bemühen, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass Sie hier
Äpfel mit Birnen vergleichen. Auch ich finde, dass man
darüber nachdenken kann. Man kann über alles nachdenken; das ist überhaupt kein Problem. Ich frage mich nur,
warum Sie nicht in den Zeiten, in denen Sie Regierungsverantwortung hatten, intensiver darüber nachgedacht
haben.
({0})
Sie haben das Rentenzugangsalter erhöht. Sie haben
das wegen der Finanzprobleme und wegen der demographischen Entwicklung für notwendig gehalten. Auch wir
sehen diese Notwendigkeit. Wir nehmen die Erhöhung
des Rentenzugangsalters nicht zurück. Ich erkläre Ihnen
noch einmal: Unser Rentensystem funktioniert nach anderen Zusammenhängen. Die Rentenhöhe ergibt sich aus
Beitragszeiten und Beitragshöhe. Die Bundesregierung
will an dem einheitlichen Rentenzugangsalter, das wir haben, nicht rütteln.
Herr Kollege Niebel,
bitte Ihre Nachfrage.
Herr Kollege Andres, es gibt ja
bei der Rentenversicherung drei Variablen: zum Ersten
den Beitragssatz, zum Zweiten das Rentenniveau und
zum Dritten die Lebensarbeitszeit. Wenn ich mich recht
entsinne, haben Sie in Ihrem Konzept sowohl den Beitragssatz als auch das Rentenniveau festgelegt. Die letzte
Variable ist also die Lebensarbeitszeit. Haben Sie denn
vor, diese zu erhöhen? Offenkundig wollen Sie sie nicht
besser ausschöpfen. Die Lebensarbeitszeit ist die letzte
Stellschraube, die Sie haben, um die generationenungerechte Rentenregelung, die Sie diesem Hause vorlegen
wollen, umzusetzen.
Herr Abgeordneter, ich
bitte um Verständnis: In Ihrer Frage waren so viele Behauptungen und Unterstellungen, dass ich nicht in der
Lage bin, darauf einzugehen, ohne umfangreich zu antworten. Ich stelle nur fest, dass sich dieses Haus gerade
mit einer umfassenden Rentenreform befasst und dass
diese Regierung immer mitgeteilt hat: Eine Erhöhung des
Rentenzugangsalters kommt unter gegenwärtigen Bedingungen für uns nicht in Frage.
Ich kann mich auch nicht erinnern, dass Frau Schwaetzer
oder andere in diesem Zusammenhang - und sei es nur in
Parteiengesprächen - konkret den Antrag erhoben hätten,
diese Grenze auf 66, 67, 68 oder mehr Jahre anzuheben.
({0})
- Meine Haltung habe ich gerade zum Ausdruck gebracht:
Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, das Rentenzugangsalter gegenwärtig auf mehr als 65 Jahre zu erhöhen.
({1})
Was im Jahre 2012, 2015 oder 2025 ist, weiß ich nicht, das
werden wir dann sehen. Das bleibt abzuwarten.
Jetzt rufe ich die
Frage 11 der Kollegin Birgit Schnieber-Jastram auf:
Auf welcher offiziellen Statistik oder Berechnungsgrundlage beruht die in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung vom
6. April 2001 geäußerte Angabe des Bundeskanzlers Gerhard
Schröder, im letzten Jahr der Regierung Kohl habe es in Deutschland 4,8 Millionen Arbeitslose gegeben?
Frau Präsidentin, mich
hat im Vorfeld der Beantwortung dieser Frage die Botschaft erreicht, wegen meiner zu erwartenden unzureichenden Beantwortung dieser Frage werde eine Aktuelle
Stunde beantragt. Ich weiß nicht, ob das zutreffend ist.
({0})
Ich will hier nur noch einmal versichern, dass ich nach
bestem Wissen und Gewissen antworten möchte.
({1})
Auch ich möchte betonen, dass zunächst einmal jedem Staatssekretär und jeder Staatssekretärin die Chance gegeben werden muss,
ausreichend zu antworten. Dem Präsidium liegt - aber das
ist auch so üblich - bisher kein entsprechender Antrag vor.
In der Runde davor,
Frau Präsidentin, war ja von den Plenarprotokollen des
Deutschen Bundestages die Rede sowie davon, wer in der
Bevölkerung sie liest und wer nicht. Deswegen war mir
diese Vorbemerkung wichtig.
Wenn wir so weitermachen, werden unsere Protokolle wirklich bald gelesen;
das wäre vielleicht auch nicht so schlecht.
({0})
Das erscheint alles relativ wichtig. So muss das sein.
Frau Schnieber-Jastram, die Antwort auf Ihre Frage
lautet: Diese Aussage basiert auf den offiziellen Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit. Danach lag die Zahl der
Arbeitslosen im Januar 1998 bei rund 4,823 Millionen
und im Februar 1998 bei rund 4,819 Millionen Menschen.
({0})
- Soll ich die Frage noch einmal vorlesen, damit Sie wissen,
worauf ich geantwortet habe, Herr Niebel? Kann er lesen?
Die erste Nachfrage
von Frau Schnieber-Jastram.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen wie mir bekannt, dass der Jahresdurchschnitt bei 4,2 Millionen Arbeitslosen lag?
Ich will es noch einmal
sagen, Frau Schnieber-Jastram: Sie haben gefragt, auf
welcher offiziellen Statistik oder Berechnungsgrundlage
die Angabe von 4,8 Millionen Arbeitslosen beruht. Dazu
will ich festhalten: Diese beruht darauf, dass wir im letzten Jahr der Regierung Kohl im Januar und im Februar mit
über 4,8 Millionen gemeldeten Arbeitslosen den absoluten Höchststand der 90er-Jahre und damit - bis in die
50er-Jahre zurück - das absolute Rekordergebnis an Arbeitslosigkeit in diesem Land hatten. Darauf habe ich
mich bezogen.
({0})
Frau SchnieberJastram.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich finde es schon ziemlich
erstaunlich, dass für den Jahresdurchschnitt nur zwei Monate genommen wurden. In dem Artikel der „Bild“-Zeitung ist der Kanzler von dem Jahreswert ausgegangen.
Man kann schwerlich einen Jahreswert von 4,8 Millionen
Menschen nennen, wenn dieser tatsächlich bei 4,2 Millionen lag.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Kann es sein,
dass der jetzige Bundeskanzler auch deswegen ein bisschen durcheinander war, weil in dem Land Niedersachsen, in dem er damals die Verantwortung trug, fast die
höchste Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik geherrscht hat, nämlich 12,3 Prozent?
Frau Kollegin, zur Beantwortung muss ich Ihnen noch einmal Ihre Frage vorlesen.
({0})
Sie haben gefragt:
Auf welcher offiziellen Statistik oder Berechnungsgrundlage
beruht die in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung vom
6. April 2001 geäußerte Angabe des Bundeskanzlers Gerhard
Schröder, im letzten Jahr der Regierung Kohl habe es in Deutschland 4,8 Millionen Arbeitslose gegeben?
Daraufhin habe ich Ihnen geantwortet, dass es im Januar und Februar des Jahres 1998 4,8 Millionen Arbeitslose gegeben hat. Sie haben nach der offiziellen Statistik
oder Berechnungsgrundlage gefragt.
({1})
- Gut.
Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Meckelburg und des Kollegen Niebel.
({0})
Herr Staatssekretär, Sie haben vor Beginn Ihres - so will ich es einmal
nennen - Beantwortungsversuchs gesagt, Sie wollten alles klarlegen, damit es hierzu keine Aktuelle Stunde gibt.
Ich möchte noch einmal Gerhard Schröder aus der „Bild“Zeitung zitieren: Im letzten Jahr der Regierung Kohl habe
es in Deutschland 4,8 Millionen Arbeitslose gegeben. Sie haben richtigerweise festgestellt: Dies war im Januar
so.
Und im Februar, damit
wir korrekt sind.
Und im Februar.
Würden Sie uns bitte die Arbeitslosenzahlen der darauf
folgenden zehn Monate des Jahres 1998 nennen, damit
wir zu einer wirklichen Aufklärung kommen?
Im Januar waren es
4,823 Millionen Arbeitslose - das ist die Statistik, auf die
ich mich bezogen habe -, im Februar 4,819 Millionen, im
März 4,623 Millionen, im April 4,421 Millionen
({0})
- nicht weniger als heute, gnädige Frau, darauf kommen
wir gleich -, im Mai 4,197 Millionen, im Juni 4,075 Millionen, im Juli 4,135 Millionen, im August 4,095 Millionen, im September 3,965 Millionen, im Oktober
3,892 Millionen, im November 3,946 Millionen und im
Dezember 4,197 Millionen Arbeitslose.
({1})
- Das ist die korrekte Beantwortung der Frage des Kollegen Meckelburg. Er hat genau nach diesen Daten gefragt.
({2})
Nächster Nachfragender ist der Kollege Dirk Niebel.
Herr Staatssekretär, Sie haben
gerade richtigerweise vorgelesen, dass im September
1998 3,965 Millionen Menschen bei uns arbeitslos gemeldet waren. Wie ist das denn vor dem Hintergrund der
heutigen Arbeitslosigkeit zu sehen? Heute verlassen pro
Jahr 250 000 Menschen mehr den Arbeitsmarkt, als hinzukommen. Worin besteht denn Ihrer Ansicht nach der
tatsächliche Rückgang der Arbeitslosigkeit?
Zunächst einmal will
ich festhalten - bei der nächsten Frage der Kollegin
Schnieber-Jastram werde ich noch einmal darauf zurückkommen -, dass es im Jahresdurchschnitt 1998 - es ist ja
gefragt worden: „Auf welcher Statistik oder Berechnungsgrundlage ...“ - 4,279 Millionen Arbeitslose gab.
Der Kanzler hat gesagt: Im Jahr gab es 4,8 Millionen. Das
stimmt.
Im Jahresdurchschnitt 1999 gab es 4,099 Millionen Arbeitslose. Das bedeutet einen Rückgang von 180 000 im
Jahresdurchschnitt. Im Jahresdurchschnitt 2000 gab es
3,889 Millionen Arbeitslose, war also nochmals ein Rückgang von über 200 000 zu verzeichnen. Wir gehen davon
aus - darauf weisen die Daten, auch die April-Daten,
hin -, dass wir im Jahresdurchschnitt rund 200 000 Arbeitslose weniger haben werden als im Vorjahr, was
faktisch bedeutet, dass im Jahresdurchschnitt der letzten
beiden Jahre die Arbeitslosigkeit um rund 400 000 zurückgegangen ist und am Ende dieses Jahres wahrscheinlich
um 600 000 zurückgegangen sein wird.
({0})
- Auf die Aktuelle Stunde bereiten wir uns schon alle vor.
Wir freuen uns schon richtig darauf.
Jetzt fragt aber erst
einmal der Kollege Singhammer nach.
Herr Staatssekretär, könnte es sein, dass sich der Bundeskanzler erneut
versprochen hat und dass Sie in Ihrer Antwort bewusst auf
den Jahresbeginn, nicht aber auf den September Bezug
nehmen, als die Regierung gewechselt hat? Der Bundeskanzler hat schon im Januar dieses Jahres zunächst gesagt,
sein Ziel sei es, eine Million Arbeitslose abzubauen, um
dann mitzuteilen, dies sei ein Versprecher gewesen, und
darauf hinzuweisen, dass auch älteren Pferden gelegentlich so etwas passiere. Könnte dieses Sich-ständig-Versprechen auch hier vorliegen?
Nein. Ich habe darauf
hingewiesen, dass sich der Bundeskanzler mit seiner
Äußerung auf den Höchststand unter der alten Regierung
Kohl bezogen hat, der im Frühjahr des Jahres 1998
4,8 Millionen und mehr betragen hat.
Wenn ich noch ein paar Erklärungen über den Arbeitsmarktverlauf im Jahre 1998 hinzufügen darf, will ich
darauf hinweisen - ich wäre dankbar, wenn Sie mich danach fragten; denn dann würde ich Ihnen die konkreten
Zahlen vorlesen -, dass Sie damals über WahlkampfABM und das kurzfristige Zurverfügungstellen von
5 Milliarden DM die Anzahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in der Zeit von Anfang des Jahres bis zum
Ende des Jahres auf nahezu das Zweieinhalbfache erhöht
haben.
Es gibt also eine Reihe von Erklärungen, über die wir
gerne diskutieren können. Das werden wir in der Aktuellen Stunde auch tun. Darauf werden wir zurückkommen.
Ich will heute nur sagen: Der Bundeskanzler hat sich nicht
versprochen.
({0})
Er hat vielmehr von dem Höchststand der Arbeitslosigkeit
gesprochen. Die Arbeitslosenzahlen liegen heute deutlich
darunter. Wenn Sie sich die Zahlen dieses Monats ansehen, so werden Sie feststellen, dass die Reduzierung um
eine Million gegenüber dem Höchststand längst erreicht
ist.
({1})
Bevor ich dem nächsten Nachfragenden das Wort erteile, möchte ich dem Kollegen Johannes Singhammer im Namen aller Kolleginnen
und Kollegen herzlich zum Geburtstag gratulieren. Immerhin kann nicht jeder an seinem Geburtstag eine Frage
an die Bundesregierung stellen.
({0})
Jetzt ist der Kollege Peter Dreßen mit einer Nachfrage
an der Reihe.
Herr Staatssekretär, ich wollte
Sie jetzt sowieso fragen: Ist Ihnen bekannt, wie viele Milliarden und wie viele Arbeitsverhältnisse es ausgemacht
hat, dass im Jahre 1998 gezielt so genannte Wahl-ABM
von der Regierung initiiert worden sind? Können Sie sagen, inwieweit dies den Arbeitsmarkt beeinflusst hat, und
vor allen Dingen, wie lange diese AB-Maßnahmen gedauert haben? Meines Wissens haben sie alle im Oktober
wieder geendet.
Herr Dreßen, ich bin Ihnen für diese Frage außerordentlich dankbar.
({0})
Ich war auf diese Frage präpariert, weil sie natürlich auch
etwas über den Arbeitsmarktverlauf des Jahres 1998 aussagt.
Anfang des Jahres 1998 war die Zahl der ABM-Stellen
auf unter 140 000 gefallen. Sie können sich sicherlich daran erinnern, dass es mit der alten Bundesregierung harte
Auseinandersetzungen über diesen ständigen Stop-andgo-Kurs - aktive Maßnahmen hoch und wieder runter fahren - gab. Es wurden zunächst Kürzungen vorgenommen
und dann im Frühjahr des Jahres 1998 bei der Bundesanstalt für Arbeit kurzfristig 5 Milliarden DM mobilisiert,
die dann im Januar zu 131 500, im Februar zu 129 100, im
März zu 135 900, im April zu 152 700, im Mai zu 176 000,
im Juni zu 209 900, im Juli zu 241 200, im August zu
262 400 und im September zu 281 000 ABM-Stellen geführt haben. Im Oktober waren es - man erinnere sich an
den Wahltermin - 297 300; also von rund 130 000 um
knapp 170 000 hochgefahren. Im November gab es
302 100 ABM-Stellen und im Dezember sank die Zahl auf
284 300.
Wer sich die weiteren Verläufe ansieht, muss dabei bedenken, dass auf der einen Seite ABM-Stellen kurzfristig
geschaffen werden können - es wurde auch öffentlich aufgefordert, irgendjemand für ein halbes oder ein Vierteljahr
zu beschäftigen -, aber auf der anderen Seite die Mehrzahl der Maßnahmen eine einjährige Bindung zur Folge
hat, sodass die eingeleitete Bugwelle bis ins Jahr 1999
Wirkung entfaltet hat.
Nächster Nachfragender ist der Kollege Laumann.
Herr Kollege
Andres, noch einmal zurück zu dem Umfang der ABMStellen: Können Sie uns vortragen, wie sich im Jahre
1999, nach dem Regierungswechsel, unter Ihrer Regierung die ABM-Stellen entwickelt haben?
Wollen Sie die komplette Zeitreihe haben?
({0})
Wir waren im Dezember 1998 mit 284 300 Stellen gestartet. Im Januar 1999 betrug die Zahl der ABM-Stellen
255 000, im Februar 253 000, im März 257 000, im April
261 000, im Mai 253 000, im Juni 239 000, im Juli
226 000, im August 216 000, im September 206 000, im
Oktober 204 000, im November 204 000 und im Dezember 195 000.
({1})
Ich will in diesem Zusammenhang wiederholen, was
ich in meiner Antwort auf die vorige Frage bereits gesagt
habe: Wer über Wirkungsweisen von ABM Bescheid weiß,
muss feststellen, dass im Sommer des Jahres 1998 die Ursachen für die hohe Bugwelle gelegt wurden. Man muss
weiter wissen, dass man die eingeleiteten Wirkungen abbrechen kann. Da aber die neue Bundesregierung ausdrücklich der Meinung war, dass die Arbeitsmarktprozesse
verstetigt werden sollten, und das System von ABM nicht
zusammenbrechen lassen wollte, hat sie die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verstetigt, um sie, wie ich meine,
in vernünftiger Weise langsam nach unten zu entwickeln.
Wie Sie auch wissen, haben wir es im Übrigen durch
bestimmte gesetzliche Änderungen den Arbeitsämtern
vor Ort überlassen, welche Instrumente sie einsetzen; das
heißt, ob sie eher Qualifizierung, SAM oder ABM machen wollen. Dadurch sind die Maßnahmen in vernünftiger Weise stabilisiert worden.
({2})
Das war eine weitere nette Frage. Ich bin richtig begeistert.
Jetzt hat Kollege
Wiese das Wort.
Herr Staatssekretär, ich möchte auf den Kern der Frage unserer Kollegin Schnieber-Jastram zurückkommen: Halten Sie es für
denkbar, dass der Bundeskanzler bei der Arbeitslosigkeit
im Jahre 1998 statt der Durchschnittsgröße von 4,2 Millionen Menschen bewusst dem Höchststand von 4,8 Millionen im Januar bzw. Februar genannt hat, um auf diese
Weise zu versuchen, seine bisher wenig erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik in ein besseres Licht zu rücken? Geschah dies vielleicht vor dem Hintergrund seiner Aussage,
wir hätten demnächst in Deutschland eine Arbeitslosigkeit von nur noch 3 Millionen zu verzeichnen, die er einen Tag später auf 3,5 Millionen Menschen korrigierte?
Nein, ich halte das nicht
für denkbar.
({0})
- Der Abgeordnete hat gefragt, ob ich das für denkbar
halte. Meine Antwort lautet schlicht Nein.
Der nächste Fragesteller ist der Kollege Dr. Klaus Grehn.
Herr Staatssekretär, in den
elf Jahren, in denen ich in der Arbeitslosenbewegung tätig
war, wurden viele Zahlen genannt und wurde oft davon
gesprochen, dass nun Licht am Ende des Tunnels erkennbar und die Talsohle durchschritten sei. Können Sie mir
im Namen der Bundesregierung bitte sagen, was die betroffenen Arbeitslosen von der heutigen Zahlenrechnerei
und Diskussion halten sollen und was sie davon haben,
insbesondere jene Arbeitslosen, die langzeitarbeitslos
sind und bereits damals zu den 4,8 Millionen Arbeitslosen
zählten und sich auch noch heute unter den 3,8 Millionen
Arbeitslosen befinden? Erwarten diese nicht vielmehr,
dass sich der Bundestag mit der Schaffung von Arbeitsplätzen anstatt mit der Interpretation von Zahlen befasst?
({0})
Ich denke, dass Sie mit
dem zweiten Teil Ihrer Frage völlig Recht haben. Deswegen haben wir in diesem Hause schon mehrfach - zuletzt,
wenn ich das richtig in Erinnerung habe, am 5. April - in
Aktuellen Stunden über den richtigen Weg in der Arbeitsmarktpolitik gestritten und diskutiert. Wir haben auch
eine ganze Reihe von gesetzgeberischen Maßnahmen auf
den Weg gebracht. Herr Abgeordneter Grehn, Sie wissen,
dass wir beabsichtigen, die Änderung des SGB III hinsichtlich der arbeitsmarktpolitischen Instrumente für den
Vermittlungsprozess und ein paar anderer Fragen noch in
diesem Jahr anzugehen. Das werden wir auch tun.
Ich bin der Meinung - das habe ich schon dargelegt -,
dass 4,8 Millionen Arbeitslose im Frühjahr 1998 der absolute Höchststand waren. Im selben Jahr war auch die
Steuer- und Abgabenquote am höchsten. Hinzu kam die
höchste Staatsverschuldung. Dass das alles die Bevölkerung nicht besonders erfreut, war klar. Das hat sich auch
im Wahlergebnis ausgedrückt. Wir tun jetzt alles, um die
Arbeitslosigkeit Jahr für Jahr Stück für Stück zu senken.
Der Kollege Fromme
stellt die nächste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, es geht um die tatsächliche Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt. Man kann ja auch durch Ändern der statistischen Kriterien und entsprechende Einschätzung der
demographischen Entwicklung etwas „bewirken“. Können Sie einmal sagen, wie sich die Zahlen der geleisteten
Arbeitsstunden entwickelt haben? Das ist ein wesentlich
besserer Indikator.
Herr Abgeordneter, es
tut mir Leid, diese Zahlen liegen mir gegenwärtig nicht
vor. Ich kann Ihre Frage aus dem Stegreif nicht beantworten. Ich bitte um Verständnis. Aber ich kann Ihnen die
Zahl nachreichen.
({0})
Herr Kollege Schauerte,
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich möchte die Zahl der AB-Maßnahmen sozusagen
vor die Klammer stellen. Man kann wohl davon ausgehen,
dass diese Zahl im Januar 1998 bei etwa 200 000 lag und
damit genauso hoch war wie heute.
Nein, im Januar 1998
gab es rund 131 000 AB-Maßnahmen. Ich sage das nur,
damit wir nicht mit falschen Zahlen operieren.
Das verbessert eigentlich meine Ausgangsposition. Aber ich möchte, wie
gesagt, die Zahl der AB-Maßnahmen vor die Klammer
stellen, um meine Frage einfach zu halten.
Im Januar 1998 - diese Zahl ist wohl richtig - gab es
4,8 Millionen Arbeitslose.
Es gab mehr Arbeitslose. Die Zahl lag ein bisschen höher.
Im Dezember 1999
gab es 3,9 Millionen Arbeitslose. Auch heute gibt es
3,9 Millionen
({0})
- in Ordnung, 3,8 Millionen - Arbeitslose. Worin besteht
eigentlich der Unterschied zwischen damals und heute,
wenn es am Ende des letzten Regierungsjahres der alten
Koalition 3,9 Millionen Arbeitslose gab und es jetzt
3,8 Millionen Arbeitslose gibt? Wo sind der Fortschritt
und der Abbau der Arbeitslosigkeit geblieben? Können
Sie mir erklären, wie der Bundeskanzler in dem denkwürdigen Interview mit der „Bild“-Zeitung, in dem er gesagt hat, dass es kein Recht auf Faulheit gebe, behaupten
konnte, dass es 1 Million Arbeitslose weniger gebe, seit er
regiere? Diese Zahl möchte ich von Ihnen gerne einmal
verifiziert haben.
Herr Abgeordneter
Schauerte, eigentlich bin ich nicht bereit, irgendetwas sozusagen vor die Klammer zu stellen. Was den Arbeitsmarkt angeht, muss man schauen, wie die Berechnungen
der Zahl der Arbeitslosen zustande kommen. Es geht zum
Beispiel darum, ob Menschen in bestimmten Maßnahmen
tätig sind oder nicht. Sie wissen so gut wie ich, dass es
über die Berechnung der Zahl der Arbeitslosen 1998 eine
wichtige Auseinandersetzung gab. Gestern hat ein Kollege aus Ihrer Fraktion öffentlich gefordert - er sprach sozusagen für die neuen Bundesländer -, es dürfe auf keinen Fall so etwas wie Wahlkampf-ABM geben. Ich finde
das besonders pikant, wenn ich bedenke, wer 1998, und
zwar ganz massiv - nach dem Motto „Koste es, was es
wolle“ -, sozusagen Wahlkampf-ABM gemacht hat. Das
will ich Ihnen zu diesem Punkt sagen.
Damit wir nur das vergleichen, was vergleichbar ist,
nenne ich Ihnen die Arbeitslosenzahlen des Monats April
der vergangenen Jahre: Im April des Jahres 1998 lag die
Zahl der Arbeitslosen bei 4,421 Millionen; im April des
Jahres 1999 lag die Zahl der Arbeitslosen bei 4,145 Millionen. Im April 1999 war die Arbeitslosenzahl im Vergleich zum April 1998 also um etwas weniger als 300 000
gesunken. Im April des Jahres 2000 lag die Zahl der Arbeitslosen bei 3,986 Millionen. Im Vergleich zum April
1999 war die Zahl der Arbeitslosen also erneut gesunken,
diesmal um knapp 160 000. Im April dieses Jahres - das
sind die aktuellsten Zahlen zu diesem Bereich, über die
wir verfügen - liegt die Zahl der Arbeitslosen bei
3,868 Millionen. Pi mal Daumen gerechnet, ist die Zahl
der Arbeitslosen zwischen April 1998 und April 2001 um
über 550 000 gesunken.
({0})
Sie fragen: Wo hat sich etwas verändert? Die Änderung
besteht offensichtlich darin, dass wir in den letzten drei
Jahren die Zahl der Arbeitslosen jeweils um rund 200 000
reduziert haben. Es ist erst einmal ganz wichtig, das festzuhalten; denn es ist ein Erfolg dieser Regierung.
({1})
- Wir können von vorne anfangen und ich lese Ihnen die
Antwort vor, die ich Ihrer Kollegin schon gegeben habe.
Es wurde danach gefragt, worauf sich der Kanzler bezogen hat. Ich habe gesagt: Der Kanzler hat sich auf den
Höchststand der registrierten Arbeitslosigkeit in der
Nachkriegszeit bezogen. Dieser Höchststand lag - Ihre
Partei regierte damals - bei mehr als 4,8 Millionen Menschen. Von diesem Wert haben wir uns - das kann ich Ihnen sagen - deutlich entfernt.
({2})
- Nein, das muss ich nicht.
Warten Sie doch einfach einmal die Antwort auf die
zweite Frage von Frau Schnieber-Jastram ab. Im Anschluss daran können Sie nachfragen und wir können weiter darüber sprechen.
Herr Kollege
Siemann, Ihre Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär,
können Sie uns vor dem Hintergrund Ihrer teilweise unzureichenden Antworten einmal Aufklärung darüber geben, was das JUMP-Programm der Regierung im Hinblick auf die Arbeitslosenzahlen bewirkt hat?
Frau Präsidentin, teilen
Sie mir bitte mit, wie umfangreich ich diese Frage beantworten darf. Ich weise darauf hin, dass der Abgeordnete
Hinsken eine ausführliche Frage zum JUMP-Programm
gestellt hat, für deren Beantwortung ich ganz viele Materialien habe. Ich weiß jetzt nicht, wie wir verfahren sollen.
Es handelt sich um die
Frage 14 des Kollegen Hinsken. Es macht durchaus Sinn,
wenn Sie die Zusatzfrage des Abgeordneten Siemann zusammen mit der Frage 14 des Kollegen Hinsken beantworten.
Ich rufe Frage 12 der Kollegin Birgit SchnieberJastram auf:
Wie ist vor dem Hintergrund, dass die offizielle Erwerbslosenstatistik für den September 1998 eine Erwerbslosenzahl von
3 965 328 verzeichnet, bei dem derzeitigen Stand der Arbeitslosigkeit die Angabe des Bundeskanzlers Gerhard Schröder in demselben Interview zu verstehen, seit seiner Regierungszeit habe die
Arbeitslosenzahl um 1 Million abgenommen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Arbeitsmarktsituation in Deutschland hat sich aufgrund der Reformpolitik
der Bundesregierung 1999 und 2000 gegenüber den Vorjahren verbessert. Im Vergleich zu den oben genannten
Zahlen für Januar und Februar 1998, die den Höchststand
der Arbeitslosigkeit in Deutschland kennzeichneten, lag
die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 2000 bei
3,889 Millionen. Gleichzeitig hat sich seit Amtsantritt der
Bundesregierung die Zahl der Erwerbstätigen um rund
1 Million erhöht.
Frau SchnieberJastram, die erste Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Einschätzung, das Ergebnis Ihrer
Arbeitsmarktpolitik sei, dass die Arbeitslosenzahlen Ihrer
Regierungszeit weit hinter den Erwartungen des Bundeskanzlers zurückgeblieben sind?
Nein. Die Frage, ob ich
die Einschätzung teile, kann ich schlicht mit Nein beantworten; denn ich teile diese Einschätzung nicht.
Ich gehe davon aus,
dass Frau Schnieber-Jastram eine zweite Nachfrage stellen möchte. Bitte.
Herr Staatssekretär, ich möchte gerne wissen, ob nach Kenntnis der
Bundesregierung der Bundeskanzler bereits bei seinen
Ausführungen in dem Interview mit der „Bild“-Zeitung
vom 6. April die neuesten Wachstumsprognosen von circa
2 Prozent berücksichtigt hat oder ging er zu diesem Zeitpunkt noch von einem Wachstum von etwa 3 Prozent aus?
Ich sage jetzt, was ich
glaube. Da es zu dieser Zeit noch keine veränderten Daten für die Bundesregierung gab - die sind, glaube ich,
später mitgeteilt worden -, galten noch die Daten, die wir
im Herbst vergangenen Jahres als die ökonomischen Eckdaten für alle Planungen wie Haushalt und anderes zugrunde gelegt haben.
Herr Kollege
Schauerte, Ihre Frage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade gesagt, dass wir statistisch 1 Million
mehr Erwerbstätige haben. Können Sie mir Aufklärung
darüber geben, wie viele in etwa von diesen zusätzlichen
Erwerbstätigen ehemalige 630-DM-Beschäftigte oder gering verdienende Beschäftigte waren?
({0})
Herr Schauerte, dass
kann ich aus dem Stand nicht tun.
({0})
- Quatsch! - Ich bin aber gerne bereit, Ihnen das nachzuliefern.
Sie müssen wissen, dass auch in den alten Erwerbstätigenzahlen aufgrund unterschiedlicher Verfahren - Mikrozensus und Ähnliches - natürlich eine bestimmte Quote
von geringfügig Beschäftigten unterstellt war. Nun haben
wir mit unserer gesetzlichen Neuregelung über die Beschäftigung von Menschen unterhalb der 630-MarkGrenze deutlichere und genauere Daten bekommen.
Diese Daten werden nach Erhebung Stück für Stück in die
statistischen Grundlagen des Statistischen Bundesamtes
einbezogen und die Zahlen, die ja immer auf Schätzungen
beruhten, werden rückwirkend interpoliert. Das ist ein
ganz kompliziertes Verfahren.
Ich bin jetzt nicht in der Lage, Ihnen die konkrete Zahl
zu nennen. Ich bin aber gerne bereit, das nachzuliefern.
Herr Dr. Grehn, Ihre
Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, obwohl
ich mich nicht an Zahlendiskussionen beteiligen wollte
- Zahlen benennt man, und dann sagt man, was man tut -,
will ich Sie trotzdem fragen: Sie haben auf die Nachfrage
nach der 1 Million Arbeitslosen, die es weniger sind, mit
der Januar-Zahl und mit einer Durchschnittszahl geantwortet. Ist es nicht richtiger, die Januar-Zahl mit der Januar-Zahl zu vergleichen? 4,8 Millionen aus Januar 1998
vergleichen Sie dann von mir aus mit Januar 2000, dort
hatten Sie 4,2 Millionen Arbeitslose. Oder ist es nicht
auch richtig, Jahresdurchschnitt mit Jahresdurchschnitt zu
vergleichen und dann zu sagen, wohin man gekommen ist,
um sich nicht Täuschungen hinzugeben?
({0})
Herr Abgeordneter
Grehn, ich darf Sie auf die Frage der Abgeordneten
Schnieber-Jastram hinweisen. Sie hat gefragt, auf welche
statistischen Größen oder Größenordnungen man sich beziehe. Dazu will ich noch einmal festhalten - ich beantworte jetzt Ihre Frage -: Im Jahre 1998 gab es den absoluten Höchststand an registrierter Arbeitslosigkeit in der
Nachkriegsgeschichte dieses Landes mit mehr als
4,8 Millionen Arbeitslosen. Auf diese Größenordnung haben wir uns bezogen und das habe ich hier mehrfach gesagt.
Ich will übrigens darauf hinweisen, dass Frau
Schnieber-Jastram in ihrer zweiten Frage sich auch nicht
auf den Jahresdurchschnitt bezogen hat, sondern auf die
Arbeitslosenzahl im September von 3,965 Millionen.
Schauen Sie sich einmal die Frage an. Das hat sie natürlich bewusst getan, weil da die Zahl unter 4 Millionen lag.
Selbstverständlich ist es im politischen Verfahren klar,
dass wir unter uns Jahresdurchschnittszahlen oder Spitzenwerte miteinander vergleichen.
({0})
Immer, wenn ich hier gefragt worden bin, habe ich die entsprechenden Zahlen miteinander verglichen.
({1})
Jetzt ist der Kollege
Meckelburg mit seiner Nachfrage dran.
Zumindest ist
bisher klar geworden, dass Sie den Versuch machen, sogar mithilfe des Bundeskanzlers, hier Zahlen miteinander
zu vergleichen, die wirklich nur der Irreführung dienen
können. Deshalb habe ich die Frage, ob Sie noch einmal
bestätigen können, dass der Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Situation der Bundesregierung in seinen Ausführungen deutlich gesagt hat,
dass es bei den Arbeitsplätzen eigentlich keinen Aufwuchs gibt, wenn man einmal vergleicht, wie sich das Arbeitszeitvolumen verändert hat. Der Sachverständigenrat
stellt nämlich fest, dass diesbezüglich auf dem Arbeitsmarkt eigentlich nichts passiert ist. Können Sie das
bestätigen?
Herr Meckelburg, ich
will kurz sagen, worauf ich mich bezogen habe, und
komme dann zu Ihrer Frage nach meiner Bestätigung.
Wenn Sie sich die Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen anschauen, dann werden Sie feststellen - daran ändern auch Sie nichts -, dass im Jahresdurchschnitt 1998
37 540 000 Erwerbstätige gemeldet waren. Im Jahresdurchschnitt 1999 waren es 37 940 000 Erwerbstätige,
also 400 000 Erwerbstätige mehr. Ich halte diesen Fakt
fest, damit klar ist, worüber wir reden.
({0})
Im Jahresdurchschnitt 2000 gab es 38 530 000 Erwerbstätige, also noch einmal knapp 600 000 Erwerbstätige
mehr.
({1})
Die gleiche Entwicklung können Sie auch für dieses
Jahr feststellen. Wir haben nach Aussagen des Statistischen Bundesamtes wachsende Beschäftigungszahlen.
Ich habe zwar eben gesagt, dass ich die konkreten Zahlen
nicht nennen kann - ich werde sie nachliefern -, aber ich
kann schon jetzt sagen, Herr Schauerte, dass es ein Irrtum
ist, wenn man davon spricht, dass diese Entwicklung auf
den 630-Mark-Arbeitsverhältnissen beruht. Ich kann das
auch belegen; ich kann jetzt nur nicht die konkreten Zahlen nennen.
Wir haben einen deutlichen Aufwuchs an Beschäftigung in diesem Land. Dem steht auf der anderen Seite
aber nicht ein entsprechender Abbau der Arbeitslosigkeit
gegenüber. Dafür gibt es eine Reihe von Erklärungen, die
man sich anschauen muss.
Eine Erklärung ist - es macht keinen Sinn, darüber hinwegzusehen - der demographische Effekt. Ältere werden
nämlich nicht mehr durch die Erwerbsstatistik erfasst. Es
gibt aber noch eine zweite Erklärung, die außerordentlich
spannend ist. Wir haben eine deutliche Zunahme der Beschäftigung aus der „stillen Reserve“. Es gibt nämlich
eine deutliche Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit;
außerdem wurden andere Erwerbstätigkeiten neu in die
Arbeitsmarktstatistik aufgenommen. Das ist ein ganz
wichtiger Aspekt, den man beachten muss. So lässt sich
die außerordentlich positive Entwicklung bei den Beschäftigtenzahlen erklären.
({2})
Sie haben leider keine
Möglichkeit, eine weitere Nachfrage zu stellen.
({0})
- Sie haben auch nicht die Möglichkeit, einen Kommentar abzugeben.
Jetzt eine Zusatzfrage des Kollegen Singhammer.
Herr Staatssekretär, ich stelle bewusst eine einfache Frage.
({0})
Als Geburtstagskind
dürfen Sie das.
Herr Staatssekretär, zur Gedächtnisauffrischung möchte ich fragen:
Wie hoch war die Zahl der Arbeitslosen zum Zeitpunkt
der Regierungsübernahme im September 1998? Wie hoch
ist die Zahl der Arbeitslosen zum Stichtag 1. Mai 2001?
Wie sind Sie mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit vorangekommen?
({0})
Die Beantwortung Ihrer
Frage macht mir kein Problem: Im September 1998 betrug die Zahl 3,965 Millionen. Die Zahl für den Mai dieses Jahres liegt noch nicht vor. Ich kann Ihnen aber die
Zahl für den April sagen.
({0})
Sie betrug 3,868 Millionen.
Ich möchte noch eine kleine Korrektur anführen: Die
Regierungsübernahme war nicht im September, sondern
im Oktober.
Ich rufe die Frage 13
des Kollegen Dr. Norbert Lammert auf:
Nach welchen Kriterien entscheidet die Bundesregierung über
den Sitz der geplanten zentralen Zahlstelle des Bundes für das Zulageverfahren im Rahmen der ergänzenden Altersvorsorge, und
wann ist mit einer verbindlichen Entscheidung zu rechnen?
Über den Sitz der geplanten Zahlstelle des Bundes für das Zulageverfahren im
Rahmen der ergänzenden Altersvorsorge hat letztlich der
Gesetzgeber zu entscheiden. Dieser wird voraussichtlich
diese Woche seine Beratung abschließen. Das Ergebnis
muss abgewartet werden. Für uns gelten unter anderem
Kriterien bezüglich Praktikabilität und Fähigkeit, entsprechende Daten bereitzustellen und mit ihnen umzugehen. Im Übrigen verweise ich auf den Antrag, der schon
angekündigt war.
({0})
- Die Beantwortung der Frage spielt doch keine Rolle. Ihr
Antrag war doch schon angekündigt. Sie wollen meine
Antwort nur für das Protokoll festgehalten haben.
Herr Kollege Lammert,
Ihre Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist mein Eindruck völlig falsch, dass der Antworttext,
den Sie gerade vorgelesen haben, unter der Voraussetzung
eines noch nicht abgeschlossenen Vermittlungsverfahrens
verfasst wurde, aber dass das, was Sie in Ihrer Antwort als
anscheinend offene Frage darstellen, durch den Abschluss
des Vermittlungsverfahrens längst entschieden ist? Inwieweit entspricht die offensichtlich getroffene Entscheidung, diese zentrale Stelle bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin anzusiedeln, eigentlich
den sachlichen Kriterien, die sowohl vonseiten des Arbeits- und Sozialministeriums als auch insbesondere vonseiten des Finanzministeriums bezüglich dieser Frage in
den letzten Wochen vorgetragen worden sind?
Sie haben Recht. Es hat
gestern - dies wurde auch in allen Papieren so angekündigt - eine Entscheidung darüber gegeben, diese Aufgabe
der BfA, unabhängig davon, wo sie verortet ist, zuzuordnen. Wir gehen davon aus, dass die BfA in Bezug auf den
Umgang mit Daten und Ähnlichem aufgrund ihrer Möglichkeiten diesen Kriterien entspricht.
Eine zweite Nachfrage, bitte, Herr Kollege Lammert.
Herr Staatssekretär, in der Antwort Ihrer Kollegin Barbara Hendricks aus
dem Finanzministerium auf eine entsprechende Nachfrage von mir wurde zu einem Zeitpunkt, als diese Frage
anscheinend wirklich noch nicht entschieden war, darauf
hingewiesen, dass keine neue Behörde geschaffen, sondern auf eine existierende Bundesbehörde zurückgegriffen werden solle, die einen Bezug zu den vorgesehenen
Aufgaben der zentralen Stelle hat und die aufgrund veränderter Aufgabenstellung derzeit über einen Personalüberhang verfügt.
Das erste dieser angedeuteten Kriterien trifft sicherlich
sowohl auf die Bundesversicherungsanstalt als auch auf
die Bundesknappschaft zu. Das zweite trifft ganz offensichtlich eher auf die Bundesknappschaft als auf die Bundesversicherungsanstalt zu. Unter Berücksichtigung der
sich aus offensichtlichen Gründen kontinuierlich und in
Zukunft dramatisch verringernden Versichertenbestände
der Bundesknappschaft hätte unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten alles für eine Entscheidung zugunsten der Bundesknappschaft gesprochen.
Teilen Sie die Einschätzung Ihres Fraktionskollegen
Hasenfratz, der zu dieser Frage erklärt hat, dass eine Vergabe der neuen Behörde an Berlin ein fatales Signal für
ganz Deutschland sei?
Nein.
({0})
- Wieso? Ich habe doch seine Frage völlig korrekt beantwortet. Er hat gefragt, ob ich die Einschätzung teile. Ich
habe gesagt: Nein. Ich teile sie nicht.
Herr Kollege Fromme,
Sie haben eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie die Vergabe einer neuen
Behörde an das Zentrum Berlin unter dem Gesichtspunkt,
dass nach Raumordnungskriterien neue Behördenarbeitsplätze eigentlich in strukturschwachen Gebieten in der
Fläche entstehen sollen?
({0})
Herr Abgeordneter
Fromme, mit der Entscheidung für die BfA ist ja keine
Entscheidung für Berlin gefallen. Die BfA hat - ich bitte
Sie, sich dieses anzuschauen - eine ganze Reihe von
Standorten, die sich nicht in Berlin befinden. Im Zuge des
Prozesses der deutschen Einheit gibt es übrigens auch die
Verpflichtung, Behörden in bestimmten Regionen unterzubringen, sodass schon die Grundannahme Ihrer Frage
nicht zutreffend ist. Es bleibt offen, welcher Standort endgültig gewählt wird. Wir glauben, dass die BfA nach Abschätzung der Kriterien dazu in der Lage ist. Deswegen
hat es diese Entscheidung gegeben.
Kollege Laumann,
auch Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade gesagt, dass Sie es im Grundsatz
auch so sehen, dass Arbeitsplätze von großen Behörden in
der Fläche geschaffen werden sollten. Schließen Sie mit
Ihrer vorhergehenden Aussage aus, dass diese neuen
Arbeitsplätze, die im Zusammenhang mit dem Aufbau der
Zertifizierungsbehörde entstehen, hier in Berlin, wo es die
meisten öffentlichen Arbeitsplätze gibt, angesiedelt werden?
Herr Abgeordneter
Laumann, ich bitte Sie um Entschuldigung. Ich habe es
vorhin in meiner Antwort schon gesagt: Es gab die Entscheidung, sie der BfA, unabhängig von einer Standortentscheidung, zuzuordnen. Deswegen möchte ich jetzt
weder etwas aus- noch einschließen, weil das eine Frage
ist, die erst in Zukunft entschieden wird. Darüber möchte
ich nicht spekulieren.
Herr Kollege
Meckelburg, Sie haben wiederum eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie können jetzt auch mit Ja oder Nein antworten:
Ist es nach Auffassung der Bundesregierung zumindest
denkbar, dass diese Arbeitsplätze nicht in Berlin geschaffen werden?
Ich habe ja in der vorhergehenden Antwort schon gesagt, dass ich nichts ausoder einschließen werde, dass nichts denkbar oder
undenkbar ist. Es gibt die Entscheidung, das Ganze der
BfA zuzuordnen. Alles Andere ist Spekulation, an der ich
mich hier nicht beteilige.
Die Frage 14 des Kollegen Ernst Hinsken wird schriftlich beantwortet.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung beendet. Ich bedanke
mich beim Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres
für den Antwortmarathon.
({0})
Die Fraktion der CDU/CSU hat - wie wir bereits geahnt haben - die Antwort der Bundesregierung auf die
Fragen 11 und 12 als nicht ausreichend empfunden und
deshalb eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht
Nummer 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Wie
üblich wird unmittelbar nach Abschluss der Fragestunde
die Aktuelle Stunde aufgerufen.
Jetzt aber kommen wir erst einmal zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Brigitte Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Hartmut
Koschyk auf:
Wie begründet die Bundesregierung die von der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesministerium der Verteidigung,
Brigitte Schulte, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages
am 28. März 2001 hinsichtlich des Bundeswehrstandortes Bayreuth geäußerte Auffassung, dass es ein „Fehler“ war, „eine mit
zwei Bataillonen besetzte, viel zu große Kasernenanlage anschließend mit einem Luftwaffenausbildungsregiment zu besetzen“ - vgl. Plenarprotokoll 14/160, S. 15609 B -, vor dem Hintergrund, dass zum Zeitpunkt der Nutzung dieser Kasernenanlage
durch das 1. Panzergrenadierbataillon 102 und das Panzerartilleriebataillon 125 die Belegungsstärke 1 325 betrug, die derzeitige
Belegungsstärke gemäß Stärke- und Ausrüstungsnachweisung,
STAN, 984 Personen beträgt?
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen und hoffe, dass wir unsere Antworten ausreichend geben können.
Lieber Herr Kollege Koschyk, die Entscheidung zur
Verlegung des 2. Bataillons des Luftwaffenausbildungsregiments III von Roth nach Bayreuth wurde mit der Fortschreibung des Ressortkonzepts zur Stationierung der
Bundeswehr vom 30. März 1993 unter dem Bundesminister Volker Rühe getroffen. Als Begründung für die Verlegung gab die damalige Bundesregierung den Erhalt des
Standortes Bayreuth an. Die Luftwaffe selbst hatte diese
Verlegung nicht vorgeschlagen.
Das 2. Luftwaffenausbildungsbataillon hat eine Stärke
von 824 Dienstposten. Zusammen mit weiteren, kleinen
Dienststellen, wie zum Beispiel dem Verteidigungsbezirkskommando 67, beträgt die Belegungsstärke der
Markgrafenkaserne in Bayreuth 951 Dienstposten.
Die Kaserne ist aber, weil sie früher eine Heereskaserne war, und zwar für gepanzerte Verbände, mit dieser
Belegung bei weitem nicht ausgelastet. Insbesondere
bleibt der umfangreiche technische Bereich, der ehemals
zur Wartung und Pflege der gepanzerten Fahrzeuge der
dort stationierten Panzergrenadierbataillone diente, weitgehend ungenutzt.
Herr Kollege Koschyk,
bitte die erste Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, einzuräumen, dass ein Rückgang der
Belegung der Markgrafenkaserne in Bayreuth auch auf
folgenden Grund zurückzuführen ist: Die Wehrbereichsverwaltung VI hat mit Schreiben vom 31. Mai 1994 alle
Standortverwaltungen in ihrem Bereich darauf hingewiesen, dass nach Untersuchung der Landesgewerbeanstalt
Nürnberg die Sicherheit von Bundeswehrbettgestellen,
die dreifach aufgebaut worden sind, nicht mehr gewährleistet ist. Deshalb wurde angewiesen, dass nur noch Bettgestelle mit zweifacher Überbauung verwendet werden
durften. Musste dies nicht auch zu einem Rückgang der
Kapazitäten in der Markgrafenkaserne führen?
Nein, Herr Kollege, dazu bin
ich überhaupt nicht bereit. Es war zwar hinreißend, was
Sie eben vorgelesen haben, aber es hatte überhaupt nichts
mit der Sache zu tun. Es ging um eine Heereskaserne; das
habe ich schon das letzte Mal erklärt. Auch Ihnen, Herr
Kollege Koschyk, ist bewusst, wie ein Ausbildungsregiment der Luftwaffe aussieht und wie gepanzerte Verbände
aussehen. Die Kaserne war, weil die Verbände damals zu
Recht aufgelöst wurden, eigentlich eine derjenigen, die
man bedauerlicherweise nicht mehr gebraucht hätte. Erfreulich war das für die politische Sicherheit. Man hat
dann vergebens versucht - deswegen sage ich Ihnen: die
Luftwaffe war nicht der Meinung, dass dorthin Teile verlegt werden müssen -, diese Kaserne noch zu nutzen. Es
gab eigentlich keinen Grund, sie zu diesem Zeitpunkt
weiterzuführen, außer dem einen, dass man sich in Bayreuth - wie auch bei vielen anderen Standorten - von der
Bundeswehr nicht gern trennen wollte. Wer hat nicht lieber ein Luftwaffenausbildungsregiment als gepanzerte
Verbände? Diese jungen Männer machen keinen Krach.
Das von Ihnen angeführte Argument ist also nicht der
Grund für die Entscheidung gewesen, sondern es ist die
Korrektur einer meines Erachtens falschen Entscheidung
der Vergangenheit gewesen, so viel Verständnis ich dabei
für Bayreuth habe.
Es gibt eine zweite
Frage des Kollegen Koschyk, bitte.
Wie kommt es dann,
Frau Staatssekretärin, wenn es angeblich eine falsche Entscheidung der damaligen Bundesregierung gewesen ist,
dass sowohl Herr Bundesminister Scharping gegenüber
dem Oberbürgermeister der Stadt Bayreuth in einem persönlichen Gespräch als auch Ihr Kollege Kolbow bei zwei
Besuchen in Bayreuth Standortgarantien abgegeben - in
der Öffentlichkeit nachweislich mit Presseberichterstattungen - und darauf hingewiesen haben, dass dies ein
hervorragender Standort sei, dass dieser Standort sicher
sei und dass man an diesem Standort festhalten wolle?
Wie ist es zu erklären, dass solche Standortgarantien gegeben wurden, wenn es 1994 ein Fehler gewesen sein soll,
die Luftwaffe von Roth nach Bayreuth zu verlegen?
({0})
Herr Koschyk, ich muss Ihnen
glauben, dass die beiden Herren das so gesagt haben; denn
ich habe darüber keine Unterlagen.
Der Oberbürgermeister von Bayreuth war auch bei mir.
Mich haben Sie dabei nämlich vergessen. Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass ich natürlich viel Verständnis
für den Wunsch einer Kommune habe, einen Bundeswehrstandort zu behalten, dass es aber nicht sinnvoll
war, damals diese Aufteilung vorzunehmen. Das ist die
Situation, in der wir uns befinden. Leider ist der Kollege
Friedrich nicht mehr da, sonst hätte ich seine Antworten
zu Bayreuth hier noch gegeben; so werden Sie sie schriftlich bekommen.
Ich finde, wir sollten uns da nichts in die Tasche lügen.
Es ist wünschenswert, dass die Bundeswehr möglichst in
der Fläche bleibt; aber es muss auch in einem gewissen
Kostenrahmen und Aufgabenrahmen bleiben. Das hat
dazu geführt, dass die Luftwaffe bei der Überlegung, wo
sie ihre Ausbildungsbataillone ansiedeln soll, zu dem
Schluss gekommen ist, den Standort wieder aufzugeben.
Ich finde, hier muss sich der Bundesminister der Verteidigung oder müssen auch wir uns wenigstens diesen Argumenten gegenüber offen zeigen.
Wir kommen dann zur Frage 16 des Kollegen Koschyk:
Auf welche Ursache führt die Bundesregierung die Reduzierung der Nutzungskapazität der Markgrafenkaserne in
Bayreuth zwischen 1993 und 2001 zurück?
Die Nutzung der Markgrafenkaserne in Bayreuth ist durch die Auflösung der beiden
Heeresverbände nie voll erfolgt. Die von den Luftwaffenausbildungsbataillonen nicht benötigten Liegenschaften
wurden, wie Sie wissen, zum Teil stillgelegt. Die Luftwaffe kann die Ausbildung ihrer Grundwehrdienstleistenden an den verbleibenden Standorten, nämlich - ich nenne
sie noch einmal, Herr Koschyk - Roth, Germersheim, Hohentengen, Goslar, Heideck, Budel und Heide, durchführen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Koschyk? - Bitte schön.
Wenn Sie, Frau
Staatssekretärin, also nach wie vor von einer nicht optimalen Nutzung ausgehen, ist dann auch geprüft worden, zum
Beispiel noch in Bayreuth befindliche Bundeswehreinrichtungen in die Markgrafenkaserne hinaus zu verlegen
- ich denke beispielsweise an die Außenstelle der Standortverwaltung oder auch an das Kreiswehrersatzamt -,
um dann an diesem Standort eine optimale Auslastung zu
erreichen?
Auch der Kollege Friedrich hat
mich danach gefragt. Deswegen kann ich Ihnen sagen,
dass untersucht wird, ob das Kreiswehrersatzamt Bayreuth dorthin verlegt wird. Die Verlegung der Außenstelle
der Standortverwaltung erübrigt sich deshalb, weil der
Standort als Bundeswehrstandort aufgegeben wird, also
die Präsenz der Bundeswehr nicht bestehen bleibt, was
das Militär betrifft. Das verbleibende Verteidigungskommando und das Kreiswehrersatzamt werden die Kaserne
auf keinen Fall auslasten. Deswegen kann man darüber
nachdenken, ob das Verteidigungskommando nicht in das
ehemalige Gebäude der Standortverwaltung in Bayreuth
ziehen und auch das Verteidigungskommando anders untergebracht werden kann, sodass die Markgrafenkaserne
völlig aufgegeben und damit für die Pläne der Kommune
und von privaten Interessenten genutzt werden kann.
Zweite
Zusatzfrage, Herr Kollege Koschyk.
Frau Staatssekretärin, Sie zäumen das Pferd jetzt falsch herum auf. Ich habe
nicht gefragt, wie Sie jetzt optimieren, sondern ich habe
die Frage gestellt, ob nicht dann, wenn Sie die Auflösung
des Bataillons mit mangelnder Auslastung der Kaserne
begründen, im Vorfeld der Entscheidung - auch aus Gründen einer gewissen Fairness gegenüber der Region, aus
Treue zur Bundeswehr dort, denn seitdem Streitkräfte aufgestellt worden sind, ist Bayreuth Garnisonsstandort der
Bundeswehr, und aus Verantwortung gegenüber dem
Standort - auch die Alternative hätte geprüft werden müssen - und ist sie geprüft worden -, die Einrichtung, die ich
genannt habe, in den Bereich der Markgrafenkaserne zu
verlegen, die dann frei werdenden Liegenschaften zu veräußern und so in der Markgrafenkaserne eine hinreichende Auslastung zu bekommen.
Ich sage Ihnen noch einmal:
Die Markgrafenkaserne war von vornherein zu groß.
Außerdem handelte es sich um andere Truppenteile.
Sie in Bayreuth sind nicht allein betroffen. Auch bei
mir im Wahlkreis wird ein sehr guter Standort geschlossen. Es handelt sich um die York-von-Wartenburg-Kaserne in Stadtoldendorf, in der sich die Soldaten ebenso
wohl fühlen. Auch von dort werden wir gefragt: Warum
nutzt ihr die Kaserne nicht weiter?
Die positive Situation, Herr Kollege, ist, dass eine andere sicherheitspolitische Perspektive besteht, dass wir
die dort stationierten Panzerbataillone nicht mehr brauchen und dass auch die Luftwaffe in der Zukunft weniger
Wehrpflichtige haben wird. Auf diese Weise versuchen
wir zu optimieren. Man könnte noch das eine oder andere
zusätzlich tun. Wenn wir allein den Erfordernissen der
Truppe gefolgt wären, hätte das bedeutet, dass wir noch
mehr Standorte aufgegeben hätten.
Wir kommen dann zur Frage 17 des Kollegen Lensing:
In welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung, die im
jüngsten Jahresbericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Dr. Willfried Penner, festgestellten Defizite in der überarbeiteten Zentralen Dienstvorschrift 12/1 „Politische Bildung in
der Bundeswehr“ zu beheben, damit die für die politische Bildung
verantwortlichen Disziplinarvorgesetzten Gelegenheit erhalten,
genügend „Zeit und Sorgfalt“ in die Vorbereitung und Durchführung der politischen Bildung zu investieren?
Herr Kollege Lensing, die Anforderungen und Belastungen der Vorgesetzten in der
Truppe sind hoch. Vielfach erschweren auch Zusatzaufträge und die Vorbereitung auf Einsätze im Rahmen der
erweiterten Aufgaben die planvolle Ausbildungsgestaltung. Hiervon ist natürlich auch die politische Bildung betroffen, die in der Regel vorausschauender Planung und
sorgfältiger Vorbereitung bedarf. Die auch im Zusammenhang mit der politischen Bildung spürbare Schere
zwischen Auftrag und Mitteln zur Auftragserfüllung kann
durch eine aufgabengerechte Struktur der Streitkräfte und
durch eine angemessene Personalausstattung gelöst werden.
Soeben waren ja Soldaten aus dem Wahlkreis des Kollegen Siemann auf der Besuchertribüne. Wenn die Fragen
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung zu der Zeit, als die Soldaten hier anwesend waren, beantwortet worden wären, hätte ich eingehender darauf hingewiesen, dass wir uns alle gemeinsam darum
bemühen, dass in der Bundeswehr genügend für die politische Bildung getan wird. Ich bin der Überzeugung, dass
seit 1997/1998, der Zeit, in der es in der Bundeswehr zu
rechtsextremen Vorfällen kam, noch mehr Sorgfalt bei der
Durchführung von Maßnahmen der politischen Bildung
verwandt wird.
Zusatzfrage, Herr Kollege Lensing? - Bitte schön.
Frau Staatssekretärin,
es ist natürlich richtig, wenn Sie erklären, dass wir uns um
die politische Bildung bemühen. Dies setzt aber voraus,
festzustellen, dass es dringend notwendig ist, in dieser
Angelegenheit etwas zu tun. Dies alles garantiert jedoch
noch keinen Erfolg.
Von daher habe ich folgende Zusatzfrage: Uns beiden
ist ja bekannt, dass die Dienstvorschrift 12/1 „Politische
Bildung in der Bundeswehr“ überarbeitet worden ist. In
der neuen Fassung steht, dass der Disziplinarvorgesetzte
eines jeden Soldaten, der an einer Bildungsmaßnahme
teilnimmt, und erst recht der eines Soldaten, der diese Bildungsmaßnahme durchzuführen hat, währenddessen immer anwesend sein soll. Halten Sie so etwas für denkbar?
Ist hier also nicht nur eine Traumvorstellung schriftlich fixiert worden, sondern entspricht dies gerade vor dem Hintergrund Ihrer ersten Einlassung wirklich der Realität und
ist dies überhaupt durchführbar?
Genau das betrifft natürlich die
Struktur der Bundeswehr. Das ist ein Problem; das will ich
gar nicht bestreiten. Das hat auch nichts damit zu tun, aus
welchen Parteien die Regierung zusammengesetzt ist. Wir
werden bei der Feinausplanung der Bundeswehr und bei
der personellen Ausstattung der Bataillone und Kompanien genau auf solche Dinge zu achten haben. Das muss
wirklich ernst genommen werden.
Wir beide kennen Beispiele, wo das hervorragend
klappt, wo ein Kommandeur, ein Kompaniechef oder ein
Kompaniefeldwebel solche Aufgaben selbstverständlich
ernsthaft wahrnimmt. Es sind ja - Gott sei Dank - nur wenige negative Fälle, über die wir heute Morgen im Innenausschuss gesprochen haben.
Wir legen aber auch Wert darauf, dass die betroffenen
Soldaten Maßnahmen der politischen Bildung in Anspruch nehmen. Da hat meiner Meinung nach ein Umdenken stattgefunden. Auch durch die Einsätze der Teilstreitkräfte hat sich in erheblicher Weise das Bewusstsein,
dass man nicht in einem politikfreien Raum lebt, entwickelt.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Lensing.
Frau Staatssekretärin,
wir haben uns wiederholt auch im Verteidigungsausschuss über den Beutelsbacher Konsens unterhalten.
Darin steht unter anderem, wie wichtig die politische Bildung ist. Gleichzeitig ist dort vermerkt, dass eine Maßnahme der politischen Bildung nur sinnvoll durchgeführt
werden kann, wenn auch die Rahmenbedingungen stimmen.
Vor diesem Hintergrund stelle ich die Frage: Glauben
Sie, dass die Defizite, die wir, ganz objektiv betrachtet,
heute nach wie vor in der politischen Bildung zu beklagen
haben, auch damit zusammenhängen, dass die Rahmenbedingungen zum einen aufgrund der personellen wie
zeitlichen Belastungen derjenigen, die diese Maßnahmen
durchführen sollen, und zum anderen durch die beträchtlichen Reduzierungen innerhalb des Verteidigungsetats,
die - so fürchte ich - in Zukunft noch zunehmen werden,
nicht stimmen?
Das kann es nun wirklich nicht
sein! Eben hat Ihr Kollege darüber geklagt, dass wir Verbände und Standorte auflösen. Wir wollen das qualifizierte, erfahrene und von der Dienstzeit her ältere Personal, das wir noch haben, und hier vor allen Dingen bei den
Berufssoldaten, für solche Zwecke nutzen. Dies ist nicht
in erster Linie eine materielle, sondern eine organisatorische Frage. Dies hängt auch davon ab, welche Bedeutung
diesen Aufgaben - vom Generalinspekteur angefangen zugewiesen wird. Herr von Kirchbach hat als Generalinspekteur diese Aufgabe - das muss man wirklich sagen sehr ernst genommen. Er ist einer derjenigen, der dies für
das 4. Korps entwickelt hat. Der jetzige Generalinspekteur ist der gleichen Meinung, dass hier ein Schwerpunkt
liegen muss.
Wir haben Glück gehabt - ich sage nicht, dass dies nur
das Verdienst der jeweiligen Regierung ist -, dass es in der
Bundeswehr zurzeit keine spektakulären Vorfälle gibt.
Bei den Vorkommnissen handelt es sich zu 90 Prozent um
antisemitische oder ausländerfeindliche Übergriffe von
Wehrpflichtigen. Auf diese, lieber Herr Kollege Lensing
- das werden Sie mir bestätigen -, haben wir relativ wenig Einfluss.
Wir müssen uns gemeinsam Gedanken darüber machen, wie viele Leute überhaupt daran interessiert sind,
sich mit Politik zu beschäftigen. Wir brauchen uns nur anzuschauen, wie viele junge Männer zwischen 18 und 21
Jahren zur Wahl gehen und was sie wählen. Das Augenmerk des gesamten Parlaments muss darauf liegen.
Vorhin hat mir mein Kollege Fritz Körper gesagt, dass
bei der Auswertung der Wahlergebnisse in RheinlandPfalz mit Erstaunen festgestellt worden ist, wie gering die
Wahlbeteiligung der jungen Frauen und Männern dort
war. Ich hatte ihn danach gefragt, weil ich mir darüber
große Sorgen mache. Sie erinnern sich sicher auch daran,
dass wir über Sachsen-Anhalt gesprochen haben, wo über
50 Prozent der jungen Männer, die zur Wahl gegangen
sind, die DVU oder die PDS gewählt haben. Darüber sollten wir uns Gedanken machen. Dies können wir als Bundeswehr allein nicht leisten. Wir können es für unsere
Zeit- und Berufssoldaten leisten und machen dies auch.
Wir leisten es auch für die jungen Wehrpflichtigen in der
Zeit, in der sie bei uns sind. Aber über das, was vorher
passiert, werden wir uns wohl alle Gedanken machen
müssen.
({0})
Wir kommen jetzt zur Frage 18 des Kollegen Lensing:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung, die im jüngsten Jahresbericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages,
Dr. Willfried Penner, festgestellten Defizite im Bereich des Informationsangebots zur politischen Bildung - insbesondere nach der
Einstellung wichtiger Printmedien - zu verbessern?
Herr Lensing, der Wehrbeauftragte hat in seinem jüngsten Jahresbericht keine Defizite
im Bereich des Informationsangebots zur politischen Bildung festgestellt. Durch die Aufgabe einiger Zeitschriften
ist es nicht zu einer reduzierten Informationsvorsorge gekommen. Im Gegenteil: Die Anbindung der Dienststellen
der Bundeswehr an das Intranet wird durch die Sparte
„Aktuell“ weiter verbessert. Darüber hinaus wird das Angebot an bereitgestellten Informationen ständig erweitert.
Anstelle der bisherigen Printmedien, die auch ein bisschen in die Jahre gekommen waren, erscheint seit April
2001 „Y.“, ein monatlich erscheinendes Magazin der Bundeswehr. Es ist ein Printmedium, das sich an alle Angehörigen der Bundeswehr wendet. Ich zeige es Ihnen,
obwohl es viele von Ihnen wahrscheinlich schon in der
Post gehabt - jeder Abgeordnete bekommt es -, aber
wahrscheinlich noch nicht gelesen haben. Herr Lensing,
Sie haben es selbstverständlich gelesen.
({0})
Zusatzfrage, Kollege Lensing, bitte.
Ich möchte jetzt keine
unfaire Frage stellen. Sonst würde ich Sie fragen, ob Sie
Angaben darüber machen können, wie viele Soldaten pro
Einheit tatsächlich Zugang zum Internet und dergleichen
haben.
Ich habe aber noch eine andere Frage: Bietet die Bundeswehr aus Ihrer Sicht hinreichend Schulungen für den
Umgang mit den neuen Medien an, damit auch Wehrpflichtige, die über keine Computerkenntnisse verfügen,
dieses Informationsangebot nutzen können?
Dazu kann ich Ihnen nur sagen:
Besuche in den Kasernen erfreuen mich zunehmend, weil
dort Internetcafés eingerichtet werden und die jungen
Wehrpflichtigen sehr daran interessiert sind. Nun kommt
es darauf an, dass sich unter diesen jungen Leuten welche
finden, die bereit sind, diejenigen, die noch nicht so gut
geschult sind, in der Freizeit einzuführen.
Während der Dienstzeit wird der junge Wehrpflichtige
dann damit vertraut gemacht, wenn er eine Aufgabe wahrnehmen muss, bei der er sich der Informations- und Kommunikationstechniken bedienen muss.
Ich gehe davon aus, dass wir uns in solchen Aufgabenbereichen überwiegend derer bedienen, die schon Vorkenntnisse haben. Aber die Internetcafés, die wir anbieten, werden wirklich gut angenommen.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin. Die Fragen 19 bis 23 sollen
schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Achim Großmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Gerd
Müller auf:
In welchem Zeitraum ist die Bundesregierung bereit, für den
dringend notwendigen Weiterbau der Bundesstraße 19 als einzige
Zufahrtsstraße nach Oberstdorf und vor dem Hintergrund der Nordischen Skiweltmeisterschaften 2005 Finanzmittel bereitzustellen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen
Dank, Herr Präsident. - Lieber Herr Kollege Müller, angesichts des engen Zusammenhangs möchte ich beide
Fragen gemeinsam beantworten.
Ich rufe
dann auch die Frage 25 auf:
Zu welchem Zeitpunkt ist die Bundesregierung bereit, den
Weiterbau der B 19 und in welcher Höhe zu finanzieren vor dem
Hintergrund, dass 4 200 Bürger neben Mandatsträgern und der
örtlichen Wirtschaft auf den dringlichen Weiterbau der B 19 erneut aufmerksam gemacht haben?
Zunächst
bestätige ich Ihnen noch einmal grundsätzlich die Antwort des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs
Bodewig auf Ihre Frage vom November 2000, in der er auf
eine Finanzierungsmöglichkeit des Baus der Ortsumgehung Waltenhofen im Anschluss an das Investitionsprogramm 1999/2002 hingewiesen hat. Darüber hinaus wird
die Bundesregierung prüfen, ob zusätzlich zu den bereits
laufenden Arbeiten zur Bahnüberführung bei Kuhnen
Möglichkeiten zur Finanzierung des gesamten dritten
Bauabschnittes der B 19 zwischen Lanzen und Herzmanns
einschließlich der Ortsumgehung Waltenhofen bestehen.
Zusatzfrage, Kollege Müller.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie mir zu dieser unbefriedigenden Antwort die
Frage, welche Gründe maßgeblich waren, die Bundesstraße 19, Bauabschnitt Nord, mit der dringend notwendigen Ortsumfahrung in Waltenhofen nicht in das ZIP und
nicht in das Anti-Stau-Programm aufzunehmen, obwohl
Baurecht besteht, eine Baumaßnahme mitten in diesem
Bauabschnitt, nämlich in Kuhnen, bereits läuft und die gesamte Baumaßnahme als vordringlicher Bedarf eingestuft
ist. Können Sie mir das erklären?
Herr
Kollege Müller, Sie wissen, dass Fragen, wie Sie sie mir
jetzt stellen, fast jede und jeder Abgeordnete aus ihrem
bzw. seinem Wahlkreis stellen könnte. Wir haben von der
alten Regierung ein relativ schlecht finanziertes Ausbauprogramm für den vordringlichen Bedarf übernommen;
Sie wissen, dass es eine riesige Schleppe gibt. Deshalb ist
in Zusammenarbeit mit den Ländern das IP aufgestellt
worden. Dabei ist Gott sei Dank ein Teilstück der B 19 finanziert worden.
Jetzt werden wir prüfen, ob darüber hinaus die Möglichkeit besteht, weitere Maßnahmen an der B 19 zu finanzieren. Sie wissen, dass wir drei Bauabschnitte haben,
dass der Bauabschnitt III baureif ist und dass wir dort mit
den Arbeiten begonnen haben, während bei den Abschnitten I und II, die wir nach dem Hochwasser Pfingsten 1999 abtrennen mussten, erhebliche Schwierigkeiten
mit der Planfeststellung bestehen. Die Planfeststellung ist
ja nicht nur unsere Aufgabe. Wir tun, was wir können,
wenngleich ich auch verstehen kann, dass Sie als Abgeordneter wenig zufrieden sind. Ich kann auch die Menschen in Waltenhofen verstehen, die auf die Ortsumgehung dringend warten.
Weitere
Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, die
laufende Baumaßnahme war vor Ihrer Zeit auf der Grundlage des Eisenbahnkreuzungsgesetzes anfinanziert. Sie
haben nicht beantwortet, welche Begründung es dafür
gibt, diese Maßnahme nicht in das Anti-Stau-Programm
und das Ortsumfahrungsprogramm aufzunehmen.
Ich frage Sie deshalb nach der Perspektive Ihrer Prüfung: Ist die Bundesregierung bereit, bei der Finanzierung
dieser Bundesstraße von Waltenhofen bis Oberstdorf zu
berücksichtigen, dass im Jahre 2005 in Oberstdorf die
Nordische Skiweltmeisterschaft stattfindet, wodurch eine
besondere Dringlichkeit gegeben ist, und dass bereits mit
dem Bau begonnen werden kann, weil Baurecht besteht?
Sie müssen nichts mehr planen und können sich auch
nicht auf Äußerungen zurückziehen, dass erst noch eine
Planfeststellung erforderlich sei. Dies trifft für den südlichen, nicht aber für den nördlichen Bauabschnitt zu.
Welche konkrete Perspektive der Finanzierung sehen Sie?
Die AusParl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
sage, die ich für die B 19 machen kann, trifft auch auf alle
anderen Straßenbaumaßnahmen zu. Sie wissen, es gibt ein
Investitionsprogramm 1999/2002 und ein Zukunftsinvestitionsprogramm. Es gibt somit feste Straßenbauprogramme, die auch finanziert sind.
Es hängt von folgenden beiden Faktoren ab, ob wir darüber hinaus Möglichkeiten haben werden:
Erstens. Schaffen wir es, zusätzliches Investitionsvolumen zu erzielen? Es handelt sich um Maßnahmen, die
auch der Gesetzgeber, also das Parlament, bei den Haushaltsberatungen und bei der mittelfristigen Finanzplanung
beeinflussen kann.
Zweitens. Gibt es Möglichkeiten, im Rahmen der jetzigen Finanzierung zu anderen Finanzierungsstrukturen
zu kommen, weil Maßnahmen kostengünstiger als vorgesehen abgeschlossen werden können oder weil Maßnahmen später begonnen werden? Hierbei ist auch der Freistaat Bayern gefordert.
Die Bundesregierung kennt die besondere Dringlichkeit wegen der Weltmeisterschaften, die Sie gerade angeführt haben.
Ich habe bereits in meiner ersten Antwort namens der
Bundesregierung zugesagt, dies zu prüfen, wenn wir die
Rahmenbedingungen, die ich gerade genannt habe, abgleichen. Das bezieht sich auf das Investitionsvolumen
und den Fortgang der in den Programmen enthaltenen anderen Straßenbaumaßnahmen; denn wir sind an das gebunden, was in den Programmen festgelegt wurde und
derzeit finanziert ist. Wir müssen Abweichungen davon
finden, die es uns ermöglichen, mit der einen oder anderen Straßenbaumaßnahme früher zu beginnen.
Es gibt
eine weitere Frage der Kollegin Skarpelis-Sperk.
Herr Staatssekretär, ich kann die Frage des Kollegen Dr. Müller aus dem
Allgäu dahin gehend ergänzen, dass die Dringlichkeit dieser Maßnahme über den Bundestagswahlkreis Allgäu hinaus von der gesamten Bevölkerung in der Region erkannt wird, weil die Nordischen Skiweltmeisterschafen
für den Tourismus der Gesamtregion ein wichtiges Ereignis sind. Deswegen gibt es natürlich ein großes Interesse,
dass mit dieser Maßnahme schnell begonnen wird.
Erstens. Ist die Bundesregierung - Sie haben das vorsichtig angedeutet - bereit, nach der Verabschiedung
des Bundeshaushaltsplanes im Kabinett und bei den
anschließenden Beratungen im Parlament eine gründliche
Prüfung dieser Maßnahme vorzunehmen, falls es zu Erhöhungen der zur Verfügung stehenden Investitionsmittel
kommen sollte?
Zweitens. Ist die Bundesregierung bereit, einen
Wunsch des Freistaates Bayern, diese Maßnahme im
Rahmen des bayerischen Kontingents zu finanzieren,
wohlwollend aufzunehmen, falls sich im Gespräch mit
dem Freistaat Bayern solche von Ihnen angedeuteten Flexibilitäten abzeichnen?
Genau
das habe ich in der zweiten Antwort angedeutet. Wir haben ein Finanzierungsvolumen und ein Finanzierungsprogramm. Damit haben wir Planungs- und Realisierungssicherheit für viele Baumaßnahmen geschaffen, die wir
jetzt nicht mehr infrage stellen können und wollen. Es
wird also darauf ankommen, ob bei den Haushaltsberatungen zusätzliches Investitionsvolumen generierbar ist.
Weiter wird es darauf ankommen, ob es bei anderen
Straßenbaumaßnahmen im Rahmen des Straßenausbauprogramms zu Verzögerungen oder zu kostengünstigeren
Realisierungen kommt.
Ich wiederhole noch einmal: Gerade im Hinblick auf
die Dringlichkeit, die wir im Zusammenhang mit den bevorstehenden Weltmeisterschaften im Jahre 2005 ebenfalls sehen, wird die Bundesregierung im Laufe des Jahres sehr wohl prüfen, ob aus den von mir genannten
Variablen herzuleiten ist, dass wir die Maßnahmen an der
B 19 forcieren können.
Damit
kommen wir zur Frage 25 des Kollegen Dr. Müller.
Herr
Präsident, ich hatte die Frage im Sachzusammenhang mit
der vorhergehenden Frage bereits beantwortet, bin aber
gern bereit, weitere Zusatzfragen zu beantworten.
Dann haben Sie noch Gelegenheit, zwei weitere Zusatzfragen zu
stellen, Herr Müller.
Herr Staatssekretär, Sie
suchen nach Milliarden oder Millionen zusätzlicher Mittel. Das ist keine befriedigende Antwort.
Sind Sie bereit, die ländlichen Regionen, die wie die
genannte Region durch die Erhöhung der Mineralölsteuer
- 1 Prozentpunkt bedeutet Mehreinnahmen von 700 Millionen DM für den Bund -, zusätzlich belastet werden,
zweckbezogen bei der Verbesserung der Infrastruktur,
hier beispielsweise bei dieser in Rede stehenden Bundesstraße, entsprechend zu berücksichtigen? Nennen Sie mir
jetzt ein Zieldatum der Anfinanzierung der weiteren Bauabschnitte.
Herr
Kollege Müller, ich weise Sie noch einmal darauf hin,
dass wir alle aus unseren Wahlkreisen mit ähnlichen Problemen nach Berlin kommen.
Wir haben ein festes Ausbauprogramm für die Straßen,
das finanziert ist. Deshalb habe ich zwar Verständnis für
zusätzliche Forderungen; aber diese zusätzlichen Forderungen müssen finanziert werden. Dafür habe ich Ihnen
gerade zwei Wege aufgezeigt. Das kann entweder durch
eine nochmalige Erhöhung des Investitionsvolumens, das
über das Zukunftsinvestitionsprogramm bereits deutlich
erhöht worden ist - wir geben deutlich mehr Geld als die
alte Regierung für den Straßenbau aus -, geschehen oder
dadurch, dass es im bestehenden Straßenausbauprogramm zu Verschiebungen bei der Fertigstellung und bei
der Anfinanzierung, also zu einem preiswerteren Bau von
Straßen, kommt. Diese beiden Variablen werden wir zusammen mit dem Freistaat Bayern, der ist hier gefordert,
sehr wohlwollend prüfen, um zu sehen, ob es andere Finanzierungsmöglichkeiten gibt, die es uns erlauben, mit
dem Bauabschnitt III zwischen Lanzen und Herzmanns
früher zu beginnen.
Der Kollege Müller hat eine weitere Zusatzfrage.
Eine kurze Zusatzfrage: Bis wann werden Sie Ihre Planungen und Überprüfungen abgeschlossen haben? Der Zeitpunkt 2005
lässt sich nicht verschieben. Die Planungen müssen
jetzt starten, um den Bauabschnitt überhaupt fertig stellen zu können. Wenn Sie zwei weitere Jahre planen,
können wir auf 2006 oder 2010 verschieben. Wir hoffen, dass es bis dahin einen Regierungswechsel gegeben
hat. Dies ist dann die einzige Hoffnung der Menschen
in der Region.
Na
ja, Herr Müller, wollen wir es nicht übertreiben! Jede andere Regierung müsste ein Investitionsvolumen in dieser Höhe, wie wir es jetzt bereitstellen, erst einmal
schaffen.
Ich sage Ihnen noch einmal: Wir sind dabei, dies zu
prüfen. Es ist völlig klar, dass eine Straßenbaumaßnahme
einen Vorlauf hat. Das Vorhaben muss ja ausgeschrieben
werden. Von daher hoffen wir, dass wir im Verlaufe dieses Jahres die Frage beantworten können, ob und wie wir
diese Maßnahme finanzieren können. Aber dies ist eben
nicht nur vom Willen der Bundesregierung abhängig - der
sehr wohl vorhanden ist -, sondern auch von den Variablen, die ich Ihnen eben genannt habe.
Frau
Skarpelis-Sperk.
Herr Staatssekretär,
Sie haben sich ja bereit erklärt, dies zusammen mit der
Bayerischen Staatsregierung wohlwollend zu prüfen. Ich
gehe davon aus - es sei denn, Sie widersprechen mir jetzt -,
dass diese Prüfung im Laufe des Sommers, auf jeden Fall
aber im Zuge der Haushaltsberatungen stattfinden wird.
Hat denn die Bayerische Staatsregierung bei Ihren bisherigen Gesprächen über die Umsetzung des Haushaltes
2001 nicht nur den Wunsch vorgebracht, dass dieser Bauabschnitt finanziert werden soll, sondern sich auch bereit
erklärt, sich flexibel zu zeigen und andere Projekte - und
sei es auch nur teilweise und kurzfristig - zurückzustellen? Welche Bemühungen hat also die Bayerische Staatsregierung gegenüber der Bundesregierung in diesem
Punkt sichtbar werden lassen?
({0})
Frau
Kollegin, Sie sprechen einen richtigen Aspekt an: Wenn
man Straßenbaumaßnahmen innerhalb feststehender Programme vorzieht, dann muss dies zulasten anderer
Straßen gehen. Von daher ist es immer schwierig für eine
Länderregierung, sich dazu zu äußern. Wir sind mit dem
Freistaat Bayern im Gespräch und hoffen, dass wir eventuell bestehende Vorbehalte aufnehmen können.
Uns ist daran gelegen, dass wir in diesem Jahr zu einer
Entscheidung kommen. Diese Entscheidung kann natürlich nur im Einvernehmen mit dem Freistaat Bayern erfolgen. Wenn dieser sagt, man wolle Gelder, die möglicherweise dadurch frei werden, dass andere Straßen nicht
oder später gebaut werden, lieber für eine andere Straßenbaumaßnahme ausgeben, dann müssen wir versuchen,
diesen Konflikt zu lösen. Wir haben großes Interesse daran, hier zu einer Entscheidung zu kommen, damit wir
zumindest Sicherheit haben, ob die Maßnahme finanzierbar ist oder nicht.
Sie haben noch nach dem Datum gefragt: Ich möchte
eine Festlegung auf den Sommer eigentlich nicht gerne
vornehmen. Der Herbst beginnt am 21. September und die
Haushaltsberatungen reichen darüber hinaus. Also: Gehen Sie davon aus, dass wir im Laufe des Jahres zu einer
Entscheidung kommen, ob und wie eine vorzeitige Finanzierung des Baus möglich ist.
Die
Frage 26 soll schriftlich beantwortet werden. Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung. Ich weise bereits an dieser Stelle darauf hin, dass
die Fragen 29 und 30 schriftlich beantwortet werden sollen. Für die beiden Fragen der Kollegin Renate Blank haben wir deshalb noch genau sechs Minuten Zeit.
Zunächst rufe ich also die Frage 27 auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der katastrophalen Logistik, die, trotz entsprechender Vorlaufzeit, beim
Polizeieinsatz zum Schutz des Castortransports in Niedersachsen
vom 23. bis 29. März 2001, an dem unter anderem auch 1 300 junge
Männer und Frauen der bayerischen Bereitschaftspolizei eingesetzt waren, dazu geführt hat, dass jeder Beamtin bzw. jedem Beamten nur 1,5 Quadratmeter Platz ohne Rückzugsmöglichkeit zur
Verfügung hatte, während jedem Straftäter mindestens 3,5 Quadratmeter zustehen, und durch die unhygienischen Verhältnisse vor
Ort zahlreiche Beamte erkrankt sind?
Frau Kollegin, wegen des sachlichen Zusammenhangs möchte ich die beiden Fragen zusammen beantworten.
Dann rufe
ich auch noch die Frage 28 auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass im Rahmen
ihrer Zuständigkeit und Fürsorgepflicht bei der Vorbereitung von
künftigen Großeinsätzen Unterbringung, Ausbildung und Ausrüstung der Einsatzkräfte gleichwertig gut sind, alle geltenden Arbeitsschutzbestimmungen beachtet und die Beschwerden eingesetzter Beamtinnen/Beamter genauso korrekt bearbeitet werden
wie Beschwerden aus der Bevölkerung?
Die Versorgung und die Unterbringung der beim Castortransport eingesetzten Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten aus den Ländern und
des Bundesgrenzschutzes lagen und liegen in der Verantwortung der niedersächsischen Landesregierung. Die Beamten waren dem Land Niedersachsen unterstellt, das die
Gesamteinsatzleitung der Polizei hatte. Das Land Niedersachsen hat eine Arbeitsgruppe zur Überprüfung der angemessenen Unterbringung geschlossener Einheiten bei
länderübergreifenden Einsätzen auf der Grundlage der Erfahrungen und der Erfahrungsberichte der beim jüngsten
Castortransport verwendeten Einheiten eingesetzt. Dies
hat der Arbeitskreis 2 der Ständigen Konferenz der Innenminister und Innensenatoren der Länder auf seiner Sitzung am 3. und 4. April dieses Jahres ausdrücklich
begrüßt. Er bittet Niedersachsen, den Mitgliedern des
Arbeitskreises 2 das Ergebnis der Überprüfung über die
Unterausschüsse „Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung“ sowie „Recht und Verwaltung“ unverzüglich vorzulegen.
Die Bundesregierung begrüßt diese Vorgehensweise
ebenfalls. Zielsetzung sollte aus hiesiger Sicht vor allem
sein, die Inhalte der Orientierungshilfe zu überprüfen und
gegebenenfalls verbindlicher zu gestalten.
Auf Initiative des Bundesministeriums des Innern
wurde bereits mit Beschluss des Unterausschusses
„Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung“ vom
30. September 1999 eine Projektgruppe mit der Erarbeitung einer „Orientierungshilfe für angemessene Unterbringung und Verpflegung geschlossener Einheiten“ bei
länderübergreifenden Einsätzen beauftragt. Der Arbeitskreis 2 hat die von der Projektgruppe des Unterausschusses „Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung“ erarbeitete „Orientierungshilfe“ zur Kenntnis genommen.
Darüber hinaus ist der Unterausschuss „Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung“ der Auffassung, dass
eine angemessene Unterbringung und Verpflegung sichergestellt sein muss. Die Länder wurden infolgedessen
gebeten, dies im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten
zu gewährleisten. Das für den Bundesgrenzschutz federführende Grenzschutzpräsidium Nord hat diese Anregungen in die Einsatzvorbereitungen des Transportes im
März 2001 nach Gorleben vorrangig einbezogen.
Beschwerden über die Unterbringung von Einsatzkräften des Bundesgrenzschutzes sind dem Ministerium bisher nicht bekannt geworden. Gleiches gilt für die dem
Land Niedersachsen gemäß § 11 des Bundesgrenzschutzgesetzes unterstellten BGS-Beamten.
({0})
Eine Zusatzfrage der Kollegin Blank.
Ich bitte darum, die Fragen kurz zu beantworten, weil
die Zeit knapp wird.
Ich gebe mir Mühe.
Herr Staatssekretär, drängt
sich der Bundesregierung nicht die Vermutung auf, dass auf
dem Rücken der Polizistinnen und Polizisten eine politische Entscheidung ausgetragen wurde? Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft hat gesagt,
dass in einer vor acht Jahren stillgelegten Kaserne, die für
die Unterbringung von 800 Personen ausgelegt war, mehr
als die doppelte Zahl an Polizisten untergebracht wurde.
Dies führte dazu, dass zu wenig Toiletten vorhanden und
diese oft verstopft waren. Es gab kein warmes Wasser, die
Duschen waren defekt und zeitweise war kein Strom da.
Zudem standen zu wenige Stühle und Tische zur Verfügung. Ist Ihnen bekannt, dass der stellvertretende Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft dies kritisiert hat?
Mir ist bekannt, dass der stellvertretende Vorsitzende der Polizeigewerkschaft dies getan
hat. Auch ist mir bekannt, dass es einen Prüfungsauftrag
gibt, der sich mit diesen Dingen beschäftigt. Ich habe Ihnen
das eben geschildert. Die Frage der Unterbringung ist nicht
einfach, zumal auch im näheren Umfeld einige Liegenschaften und Einsatzstandorte nicht mehr so zur Verfügung
stehen, wie dies der Fall sein sollte. Dies steht außer Frage.
({0})
Frau Kollegin Blank, wir haben überhaupt kein Problem, mit diesen Fragen umzugehen. Sie haben in einem
Punkt völlig Recht: Dies kann nicht auf dem Rücken der
Beamtinnen und Beamten ausgetragen werden. Deswegen
wird sich das Bundesministerium des Innern im Rahmen
seiner Möglichkeiten und Kompetenzen - das sage ich
ganz deutlich - dieser Fragen entsprechend annehmen.
Die Fragen 29 und 30 werden schriftlich beantwortet. Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Gemäß I 1 b der Richtlinien für Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse hat die
CDU/CSU-Fraktion im Zusammenhang mit den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 11 und 12 eine
Aktuelle Stunde beantragt. Diese ist unmittelbar nach der
Fragestunde durchzuführen.
Ich rufe daher auf:
Aktuelle Stunde
Arbeitsmarktsituation
Als erster Redner für die Fraktion der CDU/CSU hat
die Kollegin Birgit Schnieber-Jastram das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat
zwar im Bereich der Arbeitsmarktpolitik keine Ideen,
dennoch beweist sie eine Menge Fantasie im Ersinnen immer neuer Märchen.
({0})
Drei Beispiele aus der letzten Zeit: etwa die Münchhausen-Geschichte vom angeblich so erfolgreichen
JUMP-Programm, für das sage und schreibe 4 Milliarden DM ausgegeben werden und mit dem die Jugendarbeitslosigkeit gerade einmal um 20 000 gesenkt worden
ist. Kosten pro Kopf: 200 000 DM. Das muss man sich zu
Gemüte führen!
({1})
Dann das Märchen von des Riesters neuen Kleidern,
der angeblich so umfassenden Reform des Arbeitsförderungsrechtes, bei dem der Arbeitsminister am Ende mit
ein paar kosmetischen Korrekturen und ansonsten vermutlich nackt dastehen wird.
Jetzt folgt eine ganz neue Qualität, nämlich die des historischen Märchens, der Geschichtsklitterung.
({2})
Jeder hier weiß, dass ein viel beschäftigter Mann wie der
Bundeskanzler Fehler machen kann. Der Bundeskanzler
macht sie ja auch.
({3})
So hat er nach dem letzten Treffen des so genannten
Bündnisses für Arbeit seinem Wunschgedanken Ausdruck
verliehen, die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr unter
3 Millionen zu sehen. Ich halte das für vertretbar. Auch ein
Bundeskanzler darf träumen. Fünf Stunden später allerdings hatte ihn die Realität eingeholt.
({4})
Seine Prognose hat er um eine halbe Million nach oben
korrigiert.
Dass die Erreichbarkeit des Ziels auch unter dieser
Voraussage in immer weitere Ferne rückt, steht auf einem
anderen Blatt. Darauf möchte ich später noch eingehen.
Zunächst möchte ich darauf eingehen, was der Bundeskanzler in seinem berüchtigten „Faulenzer“-Interview
in der „Bild“-Zeitung verkündet hat. Der Bundeskanzler
hat gesagt, im letzten Jahr der Regierung Kohl habe es
4,8 Millionen Erwerbslose gegeben. Das ist nicht wahr.
({5})
Der Jahresdurchschnitt 1998 lag bei 4,2 Millionen. Ich
bitte Sie im Interesse einer anständigen Diskussion, bei
solchen Erörterungen fair zu bleiben.
({6})
Der Bundeskanzler hat gesagt, während seiner Regierungszeit habe die Arbeitslosenzahl um 1 Million abgenommen. Das ist nicht wahr. Im September 1998 lag die
Erwerbslosenzahl bei 3,965 Millionen, nach den gestrigen Zahlen lag sie im April 2001 bei 3,867 Millionen.
({7})
Ich gestehe Ihnen gerne zu, dass Arbeitslosenzahlen im
September anders aussehen als im April. Aber nicht einmal 100 000 Arbeitslose weniger seit dem Regierungsantritt der rot-grünen Koalition! Das ist nach den starken
Sprüchen dieser Regierung eine sehr schwache Vorstellung.
({8})
Und das unter der Vorgabe, dass schon allein der demographische Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials
jährlich 200 000 Personen ausmacht.
({9})
Das können Sie sich nun wirklich nicht guten Gewissens
an Ihre Fahnen heften. Denn dafür haben Sie wirklich
nichts getan. Sie haben vielmehr Däumchen gedreht, anstatt wirklich etwas zu bewegen.
({10})
Fakt ist: Der Bundeskanzler hat in dem besagten Interview falsche Zahlen genannt. Ich bin sicher, er hat dies
nicht in unlauterer Absicht getan, denn er ist ja ein ehrenwerter Mann. Man hat ihn vermutlich schlichtweg falsch
informiert - und die Grünen, Frau Dr. Dückert, offensichtlich gleich dazu; denn sie hat in der Debatte die gleiche Zahl genannt.
Ich bin mir sicher, der Bundeskanzler wird dies in seinem nächsten Interview zum Arbeitsmarkt wieder richtig
stellen.
({11})
Nun möchte ich noch kurz auf die seit gestern vorliegenden Zahlen für den April 2001 eingehen. Die Fußballfreunde unter Ihnen wissen sicherlich, dass der FC Bayern heute Abend in der Europäischen Champions League
um den Einzug ins Finale kämpft. Die Bayern wissen das
ganz besonders gut. Die Bundesregierung hat sich - dies
zeigen die gestrigen Zahlen - auf den Feldern Konjunktur
und Arbeitsmarkt bereits in die zweite europäische Liga
verabschiedet, und dies kampflos, wenn man von großspurigen Ankündigungen absieht.
({12})
Rot-Grün steht in Europa für die niedrigsten Wachstumsraten, für einen der hintersten Plätze beim Abbau der
Erwerbslosigkeit und für das schlechte Mittelfeld bei den
Erwerbslosenzahlen.
({13})
Daran gibt es nichts zu deuteln, und das sollten Sie auch
wahrnehmen.
Die Arbeitslosenquote stagniert mit 9,5 Prozent weiter
auf einem hohen Niveau. Saisonbereinigt hat die Arbeitslosigkeit bereits im vierten Monat in Folge nicht abgenommen.
({14})
Nach Aussage der Bundesanstalt für Arbeit verebbt bei
den Jobvermittlern der Zugang neuer Stellen.
Die rot-grüne Mannschaft um Kanzler Schröder hat
keinen Biss, sie hat keine Ideen und keine Technik. Eine
ähnlich eingestellte Truppe hat Deutschland letztes Jahr
bei der Fußballeuropameisterschaft unendlich blamiert.
({15})
Deutschlands Nationalmannschaft ist inzwischen besser
geworden. Die neuesten Arbeitsmarktzahlen beweisen,
dass die Bundesregierung im europäischen Vergleich immer schlechter wird.
({16})
Deswegen ist es höchste Zeit, diese Mannschaft im nächsten Jahr auszuwechseln.
Lassen Sie sich an Ihren eigenen Aussagen messen und
treten Sie freiwillig ab!
({17})
Erinnern Sie sich an Ihre Regierungserklärung, in der Sie
versprochen haben, Sie wollten sich an der Entwicklung
des Arbeitsmarktes messen lassen. Stattdessen Versagen
auf der ganzen Linie!
({18})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Klaus Brandner von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, wir
haben gerade wieder erlebt, wie mit Rhetorik und Sprechblasen eine erfolgreiche Politik kleingeredet werden soll.
Ich glaube, dass die Bürger in diesem Land ein solches
Vorgehen erkennen.
({0})
Wenn es eine Deutsche Meisterschaft im Kleinreden geben würde, wären Sie, Frau Schnieber-Jastram, die erste
Titelaspirantin.
({1})
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Schaffung neuer Arbeitsplätze ist und bleibt für die Bundesregierung natürlich das politische Ziel Nummer eins. Die
Tatsache, dass dieses Thema in einer Aktuellen Stunde behandelt wird, ist für uns Ansporn, mit unserem erfolgreichen Kurs fortzufahren.
({2})
Darin sind wir uns im Übrigen auch mit der großen Mehrheit der Bevölkerung einig.
Wichtig ist: Die Arbeitsmarktlage hat sich im Vergleich
zur Regierungszeit der alten Bundesregierung deutlich
verbessert; Sie wollen das vielleicht nicht hören. Im letzten Jahr gab es 590 000 mehr Arbeitsplätze als 1999.
({3})
Gegenüber 1998 beträgt die Zunahme sogar fast 1 Million. Gleichzeitig ist die Zahl der Arbeitslosen in diesen
zwei Jahren um 390 000 zurückgegangen. Die Behauptung der Opposition, der Rückgang der Arbeitslosigkeit
sei vor allem demographisch bedingt, ist damit meines
Erachtens eindeutig widerlegt.
Die Verbesserung betrifft nahezu alle Gruppen. Die
Jugendarbeitslosigkeit ist um 9 Prozent gesunken - dahinter steht ein erfolgreiches JUMP-Programm -, die Arbeitslosigkeit bei den Älteren ist um 12 Prozent zurückgegangen und die Langzeitarbeitslosigkeit nahm um
10 Prozent ab. Sie erkennen: Das ist ein konkreter Rückgang, der durch Zahlen belegbar ist; das sind keine
Sprechblasen.
Auch in diesem Jahr setzt sich der Aufschwung fort.
({4})
- Herr Michelbach, Sie mögen darüber schmunzeln.
Wenn ich an Ihre Daten zum Aufschwung denke, muss ich
feststellen: Sie sollten sich schämen und sollten den positiven Aufschwung jetzt nicht kleinreden. Das Tempo lässt
etwas nach, aber im Kern gibt es keinen Anlass zum Pessimismus.
({5})
An diesem Punkt - das will ich ganz deutlich sagen setzt meine Kritik an der Opposition an: Miesmachen ist
zwar Ihr Recht, aber Miesmachen ist nicht gut für
Deutschland, ist nicht gut für die Menschen in diesem
Land. Wir brauchen eine Vorwärtsstrategie. Wir haben
gute Rahmenbedingungen geschaffen.
({6})
Mit Ihrer Miesmachpolitik und Strategie des Kleinredens
haben Sie in diesem Land noch keinem Arbeitslosen geholfen.
({7})
Die Entlastung bei der Einkommensteuer greift, im
Gegensatz zu früher sinken die Beiträge zur Sozialversicherung.
({8})
- Sie haben anscheinend ein kurzes Gedächtnis; heute
haben die Menschen mehr im Portemonnaie und nicht
weniger. ({9})
Ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von über
2 Prozent ist immer noch erheblich mehr als die durchschnittlichen 1,5 Prozent, die Sie in den 90er-Jahren
erreicht haben.
Wichtiger noch: Die positive Entwicklung setzt sich
fort. Im Februar 2001 hatten wir gegenüber dem Vorjahr
noch einmal 366 000 zusätzliche Arbeitsplätze zu verzeichnen. Nach der Frühjahrsprognose der Wirtschaftsforschungsinstitute ist in diesem und im nächsten Jahr mit
insgesamt 640 000 neuen Arbeitsplätzen zu rechnen.
Realistisch ist auch unser Ziel, im Jahre 2002 die
Marke von 3,5 Millionen Arbeitslosen zu unterschreiten.
Das ist keine Schönfärberei der Bundesregierung, sondern eher eine vorsichtige Prognose der Fachleute, die
überall bestätigt wird.
Die Werte können sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen. Nach der Berechnungsmethode der
EU - Sie wissen, dass diese etwas von unserer nationalen
abweicht - liegt Deutschland zurzeit mit 7,7 Prozent unter dem Durchschnitt der EU von 8 Prozent, erst recht unter dem Durchschnitt der Eurozone von 8,7 Prozent. Auch
das müssen Sie einmal ganz wertfrei zur Kenntnis nehmen.
Das allein ist allerdings kein Grund, sich zufrieden
zurückzulehnen, auch nicht die Tatsache, dass eine deutliche Mehrheit der Deutschen die SPD auf diesem Feld für
die kompetenteste Partei hält. 43 Prozent trauen ihr am
ehesten zu, bestehende Arbeitsplätze zu sichern und neue
zu schaffen. Die CDU/CSU kommt bei der zentralen
Frage nach der Kompetenz auf diesem Feld nur auf
28 Prozent und liegt damit klar zurück, und das bei fallender Tendenz.
({10})
Die Menschen in diesem Land merken, dass Sie nicht so
kompetent wie wir sind. Deshalb ärgern Sie sich.
({11})
Wir wollen aber noch besser werden. Das gilt vor allen
Dingen für die neuen Länder. Wir werden alle Anstrengungen darauf konzentrieren, dass der Osten aufholt. Wir
werden noch vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf
vorlegen, der sich am Konzept des Förderns und Forderns
orientiert. In den Vordergrund stellen wir dabei die Vermittlung und die Unterstützung des einzelnen Arbeitslosen. Eine Koalitionsarbeitsgruppe hat bereits Vorarbeiten für ein Job-aktiv-Gesetz geleistet und Vorschläge
gemacht. Wie Sie wissen, sind im Bundestag Anträge zur
Jobrotation und zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung
aufgrund der gemeinsamen Initiative von Rot-Grün schon
verabschiedet worden.
Dies alles geht auf einen recht breiten Konsens über die
Weiterentwicklung der aktiven Arbeitsmarktpolitik im
Bündnis für Arbeit zurück. Wir wollen an diesem Konsens
festhalten. Wir setzen dabei auf die Mitwirkung der
Tarifvertragsparteien und auch auf einen breiten Konsens
in der Bevölkerung. Falsch und nicht im Bündnis verabredet sind Leistungskürzungen, etwa eine Bestrafung von
älteren Arbeitslosen durch eine Verkürzung der Dauer des
Arbeitslosengeldbezugs; denn die Höchstdauer von
32 Monaten kann ohnehin erst mit 57 Jahren und nach
langjähriger Beitragszahlung in Anspruch genommen
werden.
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Ich möchte deutlich sagen:
Wir wiederholen nicht die Fehler der Vergangenheit. Wir
setzen vielmehr auf aktive Instrumente, auf eine aktive
Arbeitsmarktpolitik und auf eine Modernisierung des Sozialstaats und nicht auf Demagogie, wie Sie es heute getan haben.
Danke sehr.
({0})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dirk Niebel von
der F.D.P.-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegin SchnieberJastram hat mit ihrem Vergleich zum Fußball ein gut verständliches und einleuchtendes Bild gefunden. Sie hat
allerdings eine ganz wichtige Information nicht genannt:
In der Bundesliga spielen 18 Vereine und Schalke 04 wird
wahrscheinlich Meister.
({0})
Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung sieht
nicht ganz so vorteilhaft aus. Es muss klar festgestellt
werden, dass die saisonbereinigte Arbeitslosenquote seit
vier Monaten wieder steigt, dass die Erwerbstätigenzahl
stagniert und dass das Arbeitszeitvolumen rückläufig ist.
Sie haben also trotz einer hervorragenden Ausgangssituation, die darin besteht, dass die Konjunktur seit fast zwei
Jahren brummt und dass aufgrund der demographischen
Entwicklung 250 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer pro Jahr mehr aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden als
hinzukommen, nichts erreicht außer einer ganz kleinen
- ich möchte nicht sagen „kläglich“, weil dahinter Einzelschicksale stehen - Verbesserung in der Arbeitslosenstatistik. Das ist mit Sicherheit nicht der Erfolg, den Sie
sich gewünscht haben. Ich persönlich finde das schade;
denn ich hätte Ihnen und vor allem den Betroffenen den
Erfolg gegönnt.
({1})
Die „Wirtschaftswoche“ hat am 19. April eine Studie
des Fraser-Institutes veröffentlicht, in der die Effektivität
der Arbeitsmarktpolitiken von 58 Staaten verglichen worden ist. Bei diesem internationalen Vergleich erreicht die
Bundesrepublik Deutschland Platz 58, also den letzten
Platz.
({2})
Das haben Sie, Herr Andres, Ihr Minister und Ihr Bundeskanzler zu verantworten, der sich nach eigenem Bekunden jederzeit am versprochenen Abbau der Arbeitslosigkeit messen lassen will.
({3})
Sie haben die Weichen in der Arbeitsmarktpolitik von
Anfang an kontinuierlich falsch gestellt. Es begann damit,
dass Sie den Schwellenwert beim Kündigungsschutz von
zehn auf fünf Arbeitnehmer verringert haben. Das hat
dazu geführt, dass ab dem fünften Arbeitnehmer niemand
mehr eingestellt worden ist.
Der nächste Schritt war die Neuregelung der so genannten 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse. Sie haben diese Neuregelung ausgenutzt, um die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in die Höhe zu
treiben. Dadurch wurde Ihre Statistik zwar eine Zeit lang
etwas verschönert; aber im Endeffekt hat es dazu geführt,
dass Arbeitsplätze weggefallen sind, dass Menschen, die
sich aus eigenem Antrieb durch Arbeit zusätzlich etwas
Geld verdienen wollten, demotiviert worden sind, die Erwerbstätigkeit in diesem Bereich verlassen haben, und
dass das Wirtschaftswachstum beschädigt wurde.
Danach haben Sie die so genannte Scheinselbstständigkeit zu bekämpfen versucht. Als Beispiel des klassischen
Scheinselbstständigen zur damaligen Zeit - es war die Zeit
der Euro-Einführung - nenne ich den Informatiker, der in
einer Bank oder in einer Sparkasse dafür gesorgt hat, dass
die EDV auf den Euro umgestellt wird. Ein solcher Informatiker war nur bei einer Bank beschäftigt, und das auch
nur, während sie geöffnet war. Seiner Tätigkeit ist er ganz
alleine nachgegangen und weil sein Vertrag für mindestens
ein halbes Jahr bestand, hat er in dieser Zeit auf dem Arbeitsmarkt nicht aktiv um andere Auftraggeber geworben.
Dann kamen Sie - und schwups war er scheinselbstständig
und musste Beiträge an die Sozialversicherungen abführen. Durch Ihre Politik sind massenhaft Branchen verunsichert worden und Arbeitsplätze wurden verspätet oder
gar nicht geschaffen. Das ist Ihr „Verdienst“.
({4})
Der nächste Schritt: das Teilzeitpflichtgesetz. Heutzutage wissen die Menschen noch gar nicht, was auf sie zukommt. Wenn jemand in einem Betrieb plötzlich in einem
ganz bestimmten Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung
nachgehen möchte, während der Arbeitgeber einen Ganztagsarbeitsplatz besetzen möchte, dann fehlt es womöglich an einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitszeitvorstellungen mit der Situation in diesem Betrieb zu vereinbaren
sind. Es gibt in vielen Bereichen nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern auch - trotz 3,8 Millionen Arbeitslosen - einen Arbeitskräftemangel. An diesem Punkt
müssten Sie ansetzen.
Ihr Ansatz bringt mit sich, dass wir im Ausschuss für
Arbeit und Sozialordnung heute über eine Verschärfung
des Betriebsverfassungsgesetzes beraten, die dazu führt,
dass die Kommunikation gerade in kleineren und mittleren Betrieben,
({5})
die 80 Prozent der Arbeitsplätze und 70 Prozent aller Ausbildungsplätze stellen, von Kollektiven übernommen
wird und nicht mehr direkt stattfindet. Das ist mit Sicherheit der falsche Weg, wenn man bedenkt, dass 50 Prozent
all dessen, was in der Arbeitsmarktpolitik passiert, Psychologie ist.
({6})
Sie haben die Psychologie, die nötig ist, damit Arbeitsplätze geschaffen werden, kaputtgemacht. Die Menschen
in diesem Land sind nicht mehr bereit zu investieren. Herr
Brandner, das ist kein Schlechtreden, sondern ein Ausfluss
dessen, was Sie entschieden haben, also ein Ergebnis der
Politik, die Sie vor zweieinhalb Jahren eingeleitet haben.
({7})
Der Kanzler hat nichts Besseres zu tun, als sich hinzustellen und zu sagen, die Arbeitslosen seien alle selber
schuld. Das ist nicht in Ordnung! Die Arbeitslosen sind
nicht schuld. Zwar gibt es vieles, was man regeln muss;
aber in erster Linie fehlen Arbeitsplätze. Sie werden nicht
geschaffen, weil die Konjunktur lahmt. Was im Hinblick
auf die Beseitigung der Arbeitslosigkeit gemacht werden
muss, habe ich Ihnen schon in mehreren Debatten gesagt.
Wir werden morgen der Öffentlichkeit einige Vorschläge
vorstellen, mit denen gezeigt wird, wie die Motivation
bzw. der Anreiz, einen schlechter bezahlten Arbeitsplatz
anzunehmen, erhöht werden kann.
Ihre bisherigen Modellversuche haben sich als Flop
erwiesen. Der Gewerkschaftsflügel der SPD, Herr
Brandner, sorgt dafür, dass Sie einfach nicht bereit sind,
neue Wege in der Tarifpolitik zu gehen.
({8})
Sie haben unsere Anträge zu einer modernen Tarifrechtsgestaltung abgelehnt, statt die Möglichkeiten zu nutzen,
Arbeitsplätze zu schaffen und gerade gering Qualifizierten - es geht um Menschen, die heute außen vor gelassen
werden - Chancen zu eröffnen. Ihre Politik begünstigt bestenfalls diejenigen, die einen Arbeitsplatz besitzen, und
geht zulasten derjenigen, die sozusagen draußen vor der
Tür stehen und nicht hereinkommen können. Das ist nicht
wegweisend und wir werden es Ihnen, Herrn Andres, und
auch dem Kanzler immer wieder vorhalten.
Vielen Dank.
({9})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Thea Dückert vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Schnieber-Jastram, Sie können beliebige Vergleiche zwischen den Zahlen ziehen. Nach jedem Vergleich stellt sich
sehr deutlich dar - das kann nicht geleugnet werden -,
dass der Trend der Entwicklung des Arbeitsmarktes in den
letzten zwei Jahren
({0})
positiv war.
Im Januar bzw. im Februar 1998 gab es zum Beispiel
4,8 Millionen Arbeitslose; im April 2001 waren es
3,8 Millionen Arbeitslose.
({1})
Der Jahresdurchschnitt 1998 - Sie zitieren diesen Jahresdurchschnitt immer gern - lag bei 4,3 Millionen, während
der Jahresdurchschnitt 2000 bei 3,8 Millionen Arbeitslosen lag. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich in den
letzten zwei Jahren verbessert. Wenn Sie sich die Zahl der
Erwerbstätigen anschauen, dann werden Sie feststellen,
dass sich die Zahl der Erwerbstätigen in den letzten zwei
Jahren um 1 Million erhöht hat.
Es ist richtig: Die Zahl der 630-Mark-Jobs hat zugenommen. Auch richtig ist aber, dass die Steigerung der Erwerbstätigkeit größer ist als der Rückgang der Arbeitslosenzahlen. Richtig ist auch, dass wir in den letzten zwei
Jahren mit der Wirtschafts-, Konjunktur- und Arbeitsmarktpolitik ein Klima haben herstellen können, das dazu
beigetragen hat, dass die stille Reserve geringer geworden
ist, dass endlich wieder mehr Frauen in den Erwerbsarbeitsmarkt drängen. Das ist ein positiver Effekt, der sich
in Statistiken gar nicht messen lässt.
({2})
Nehmen wir diese Effekte Arbeitslosigkeit und Erwerbstätigkeitsentwicklung zusammen, dann ist allerdings festzustellen - das ist richtig und ich denke, darüber
müssen wir uns unterhalten -, dass sich die positive Entwicklung in den letzten Monaten abgeschwächt hat, dass
sich diese positive Entwicklung vor allen Dingen auf die
westlichen Bundesländer konzentriert und dass wir eine
Stagnation in den ostdeutschen Bundesländern haben.
Darüber müssen wir reden.
Vor diesem Hintergrund ist es auch richtig festzustellen, dass das Ziel, die Arbeitslosigkeit unter 3,5 Millionen
zu senken, ein sehr ehrgeiziges Ziel ist.
({3})
Das wird kein Sonntagsspaziergang. Aber es markiert
auch, dass für uns die Arbeits- und Beschäftigungspolitik,
der Abbau von Arbeitslosigkeit ganz oben auf der politischen Agenda steht.
Dazu gehört unter anderem ein gesamtpolitischer Rahmen. Der Rahmen wird gesetzt durch die Finanz-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Wir haben viel dazu beigetragen, dass die Steuer- und Abgabenbelastung gesenkt wurde.
({4})
Wir haben viel dazu beigetragen, dass der Mittelstand entlastet wird, was Sie jetzt immer wieder falsch zitieren. Die
Entlastung für den Mittelstand liegt 2001 effektiv bei
23 Milliarden DM. Wenn man alles zusammen nimmt
- ich erwähne die Steuerreform -, liegt sie bei 30 Milliarden DM. Ich will das nur sagen, weil das auch ein wichtiger Ansatzpunkt ist,
({5})
weil das ein Wirtschaftsbereich ist, in dem es sehr viele
Arbeitsplätze gibt, in dem viele Arbeitsplätze geschaffen
werden und in dem sehr viel Ausbildung angeboten wird.
Aber das ist nur ein Effekt, das ist nur ein Stein, auf dem
wir uns nicht ausruhen können.
({6})
Es ist eine riesengroße Illusion, zu glauben, wenn die
Wirtschaft nur brummt, brauche man keine aktive Arbeitsmarktpolitik zu machen. Wir haben Verwerfungen am Arbeitsmarkt, wir haben strukturelle Probleme, vor allen Dingen im Osten. Wir haben ein „mismatch“ zwischen
Qualifikationsangeboten. Deswegen wollen wir Ihnen noch
vor der Sommerpause eine vernünftige Reform des SGB III
vorstellen, die den Kern der Arbeitsmarktpolitik, die aktiven
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen beinhalten wird.
({7})
Lassen Sie mich eines sagen: Das wird eine engagierte
Reform sein, die sich sehr von dem unterscheiden wird,
was Sie beispielsweise im Wahljahr präsentiert haben. Im
Jahre 1998 haben Sie als reines Wahlkampfgeschenk die
AB-Maßnahmen - wir haben das vorhin gerade gehört um ungefähr 170 000 heraufgefahren.
({8})
Das war keine Antwort auf die strukturellen Probleme des
Arbeitsmarktes.
Wir wollen in diesem Jahr eine Reform vorlegen, durch
die sich die Arbeitsmarktpolitik in ihrer Ausrichtung verändert. Wir werden eine präventive Arbeitsmarktpolitik
machen mit dem ersten Ziel, die Langzeitarbeitslosigkeit
herunterzufahren
({9})
durch eine vernünftige Politik der Vermittlung, durch eine
veränderte Politik, beispielsweise auch durch die Bereitstellung von Eingliederungsplänen.
({10})
Wir werden die Arbeitsmarktpolitik zielgenauer ausrichten und die Unübersichtlichkeit der sehr unterschiedlichen Formen der Lohnsubventionierung durch eine Zusammenführung und Vereinfachung beseitigen. Wir
werden eine ganze Reihe von Maßnahmen ergreifen - einiges haben wir schon vorgeschlagen - zur Jobrotation.
({11})
Die kurze Redezeit in einer Aktuellen Stunde reicht
nicht aus, um über dieses engagierte Konzept hier zu diskutieren. Wir werden dafür gemeinsam noch Zeit haben.
Ich bin gespannt, wie Sie sich da aus der Verantwortung
stehlen werden. Ich glaube, dass wir die Herausforderung,
die sich gerade in der Arbeitsmarktentwicklung heute
stellt, als Koalition sehr umfassend und sehr konstruktiv
annehmen.
Danke schön.
({12})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Klaus
Grehn von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Das Problem Arbeitslosigkeit
bleibt. Ob 0,1 Prozent mehr oder 0,1 Prozent weniger: Die
unerträgliche Massenarbeitslosigkeit in diesem Land
bleibt. Da hilft weder Schönreden auf der einen Seite noch
Schwarzmalen auf der anderen Seite. Die Realität ist so,
wie sie ist.
Darum ist es richtig und wichtig, dass sich der Deutsche Bundestag wiederholt und sehr häufig mit diesem
Problem befasst. Es hilft allerdings nicht, die Schuldigen
unter den Arbeitslosen zu suchen. Vielmehr müssen sich
dieses Hohe Haus und die Bundesregierung fragen, wie
groß ihr Anteil an dieser Entwicklung ist. Seit der Diskussion um die „soziale Hängematte“ im „Freizeitpark
Deutschland“ ist mir nicht mehr so etwas Unerträgliches
vorgekommen
({0})
- Ja, unerträglich, Frau Kollegin - wie die Aussage des
Regierungschefs über das Faulenzertum unter den Arbeitslosen.
Sie müssen nicht weit schauen, um festzustellen, wie
die reale Situation der Arbeitslosen ist. Vor fast 100 Jahren hat der Schweizer Moralist Hilty in seiner Trilogie
über das Glück einmal geschrieben, dass die Arbeitslosen
die wahren Unglücklichen sind. Es ist unanständig, wenn
man jemanden, der unglücklich ist und erniedrigt am Boden liegt, dann auch noch tritt.
Es gibt schlicht und einfach nicht „den Arbeitslosen“.
Namens der 3,8 Millionen offiziell Betroffenen und namens der zusätzlich knapp 2 Millionen Betroffenen, die es
nach der Dunkelziffer gibt, verlange ich vom Bundeskanzler, dass er sich für diese unzulässige Verallgemeinerung entschuldigt
({1})
und es nicht dabei belässt, sich bei den ostdeutschen Arbeitslosen zu entschuldigen und damit den schwarzen
Peter den Arbeitslosen in den alten Bundesländern zuzuschieben.
Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Vermeintliche oder
tatsächliche Arbeitsunwilligkeit Einzelner ist keine gesellschaftliche Massenerscheinung. Wenn man sich anschaut, dass in Mecklenburg-Vorpommern von 180 000 Arbeitslosen nur 0,7 Prozent mit einer Sperrfrist belegt worden sind, weil sie arbeitsunwillig waren, dann erkennt
man, wie gering das Ausmaß der Arbeitsunwilligkeit ist.
Ich verlange vom Bundeskanzler, dass er sich mit den
99,3 Prozent Arbeitswilligen mehr beschäftigt als mit
den 0,7 Prozent Arbeitsunwilligen.
Was mit einer solchen Diskussion bewirkt wird, ist
nichts anderes, als dass Stammtischparolen und Vorurteile
gegen Arbeitslose bedient werden, die auf diese Weise
instrumentalisiert werden. Zu welchem Ergebnis das
führt, zeigen Umfragen, in denen 65 Prozent der Befragten sagen, es sei richtig, dass nur diejenigen Geld erhalten
sollen, die arbeiten. Was aber wären die Folgen für die Arbeitnehmer, wenn man für ein Arbeitslosengeld von
60 Prozent des ursprünglichen Nettolohnes arbeiten
muss?
Der Kanzler hat folgende Tatsache nicht bedacht: Die
Sperrfristen sowie das Setzen auf die finanzielle und die
Qualifikationsrutsche sind schon längst geregelt. Wir haben doch im SGB III und im BSHG bereits eine Fülle von
Regelungen, die Sanktionen gegen arbeitsunwillige Arbeitslose ermöglichen. Über eine Frage wird aber nicht
diskutiert: Wo bleibt denn die Existenzsicherung der Arbeitslosen? Wenn sie nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit jede Arbeit - unabhängig von der freien Berufswahl und von dem Berufsschutz - annehmen müssen,
wobei der Lohn in der Höhe des Arbeitslosengeldes von
60 Prozent liegt, erwerben sie einen neuen Anspruch auf
Arbeitslosengeld, das dann bei nur 60 Prozent von diesen
60 Prozent liegt. Es ist doch erklärlich, dass nicht alle Arbeitslosen dies mitmachen wollen und dass auf diese
Weise nicht mehr entsprechend der Qualifikation vermittelt werden kann, obwohl in diesem Land qualifizierte Arbeitskräfte gesucht werden.
Ich sage deswegen: Verlassen wir den Weg des
Bekämpfens der Arbeitslosen und der Schuldzuweisung
an die Arbeitslosen! Schlagen wir vielmehr den Weg ein,
den Menschen, die ausgegrenzt und ohnehin genug bestraft sind, zu helfen und sie in die Gesellschaft zu integrieren. Das ist für die Menschen, für dieses Land und
auch für die Politik gut.
({2})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Wolfgang
Grotthaus von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte den Vergleich von der Kollegin Schnieber-Jastram aufgreifen; sie
hat die Politik mit dem Sport verglichen. Ich glaube, dieser Vergleich ist realistisch, insbesondere dann, wenn man
den Zeitraum von 1996 bis 1998 betrachtet, den sie wohl
auch meinte.
({0})
Zu dieser Zeit gab es zwei Versager: Der eine war in der
Politik tätig und wurde 1998 abgewählt, denn er hatte die
Zeichen der Zeit nicht erkannt. Der andere war Bundestrainer und ist von selbst gegangen, weil der öffentliche
Druck so groß wurde.
({1})
Von daher kann ich den Vergleich nur als richtig bezeichnen.
Bei solchen Vergleichen sollten Sie sich natürlich immer
wieder vor Augen halten, von welcher Zeit Sie sprechen.
Ich möchte noch einen Vergleich mit dem Sport ziehen:
Mir scheint es, dass sich die CDU bemüht, Weltmeister im
bewussten Verdrängen der Arbeitslosigkeit, die sie erzeugt hat, zu werden.
({2})
Ich kann mich daran erinnern, dass wir, als ich als junger
Abgeordneter im Jahre 1998 in den Bundestag gekommen
bin, eine Arbeitslosigkeit von über 4 Millionen hatten.
({3})
Zwei Monate später hieß es: Das sind eure Arbeitslosen,
ihr müsst euch mehr um die Arbeitslosen kümmern und
ihr von der Regierung habt Programme aufzulegen, die
diese Arbeitslosigkeit ad hoc beseitigen.
({4})
- Ich freue mich immer, wenn Sie so prima reagieren. Bei
uns im Ruhrgebiet sagt man: Wer so reagiert, hat meistens
Unrecht. Das sollten Sie sich auch einmal auf die Hutschnur schreiben.
({5})
Sie haben verdrängt, dass Sie sich nach Ihrer Regierungsübernahme im Jahre 1982 dadurch „ausgezeichnet“ haben,
dass die Arbeitslosenzahlen stetig gestiegen sind. Wir
konnten keine gravierenden Reduzierungen feststellen.
Diese Politik hat dazu geführt, dass bis zu 4,8 Millionen
Menschen arbeitslos waren. Dass Sie dies verdrängen wollen, kann man ja verstehen, denn wer lässt sich schon gern
die Schicksale von 4,8 Millionen Menschen vorhalten.
Dass wir dagegen heute nur noch 3,867 Millionen Arbeitslose haben, sollten Sie nicht verdrängen; Sie tun das
auch nicht. Sie klagen es aber an. Ich sage Ihnen: Dies ist
der verkehrte Weg. Sie sollten sich mit uns freuen, dass wir
mehr als einer Million Menschen zu Arbeit verholfen haben. Sie sollten sich mit uns freuen, dass wir mehr als eine
Million neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Sie haben in
dieser Zeit - das sagte ich schon - immer nur Arbeitsplätze
abgebaut. Ihre Regierungszeit war das Gegenteil dessen,
was wir in zweieinhalb Jahren gemacht haben.
({6})
Sie sollten sich mit uns freuen und somit auch für die
Menschen, die in den letzten zwei Jahren einen Arbeitsplatz erhalten haben. Diesen Menschen wurde eine neue
Zukunft gegeben. Diese Menschen können wieder Licht
am Ende des Tunnels sehen, den Sie in den letzten Jahren
gebaut haben.
Ich muss aber feststellen: Freude kommt bei Ihnen
nicht auf. Das Gegenteil ist der Fall. Sie scheinen immer
noch nach Ihrer Sonthofen-Strategie zu verfahren: miesmachen, verunsichern, kaputtreden. Lassen Sie sich
sagen: Das kommt nicht an! Die Menschen, die Arbeitsplätze erhalten haben, und zwar - dies gilt es festzuhalten -, weil die Industrie und der Mittelstand sie geschaffen
haben, aber auch weil die Regierung die notwendigen
Rahmenbedingungen gesetzt hat, lassen sich durch Ihre
Miesmacherei nicht verunsichern.
({7})
Auf den Zugewinn an Arbeitsplätzen in den Jahren
1999 und 2000 hat der Kollege Brandner hingewiesen.
Wenn Sie diese beiden Zahlen addieren - ich hoffe, dass
Sie das können -, werden Sie einen Zugewinn an Arbeitsplätzen von circa 1 Million feststellen.
({8})
Diese Zahlen ignorieren Sie und reden wider besseres
Wissen. Ich sage Ihnen: Wir lassen uns dadurch nicht beirren. - Herr Michelbach, Sie haben sich auch im Finanzausschuss schon immer dadurch ausgezeichnet, dass Sie
hervorragende Zwischenrufe machen, die aber keinen
Sinn und Verstand haben.
({9})
Ich sage Ihnen, wir sind auf dem richtigen Weg. Wir
wissen, dass die Konjunktur zurzeit eine kleine Delle aufweist; dies haben die Wirtschaftsweisen bestätigt, dies hat
die Regierung auch noch einmal gesagt.
({10})
Aber wir sagen Ihnen auch, die Programme, die wir in den
letzten Monaten, in den letzten zwei Jahren aufgelegt haben, nämlich das Programm zur Förderung arbeitsloser
Jugendlicher, die Förderung älterer Arbeitsloser durch
Jobrotation, die Bekämpfung illegaler Beschäftigung und
der Rechtsanspruch auf einen Teilzeitarbeitsplatz, sind
Maßnahmen, die sich innovativ auf den Arbeitsmarkt auswirken werden. Wir werden auch weiterhin eine Reduzierung der Arbeitslosenzahlen bekommen.
Ich meine, Sie hätten sich in den letzten zwei Jahren eigentlich damit hervortun müssen, zusätzliche, ergänzende
Vorschläge zu machen, wie wir mehr Arbeitslose wieder
in Arbeit bringen. Das vermisse ich bei Ihnen.
({11})
Dazu waren Sie anscheinend auch nicht in der Lage, denn
ich stelle fest, Sie haben seit anderthalb Jahren Ihre ungeordneten Finanzverhältnisse zu ordnen versucht. Dies ist
draußen bei den Menschen angekommen, aber es ist Ihnen bis heute auch noch nicht gelungen.
({12})
Vielleicht können wir das morgen noch vertiefen. Aber
wir werden auf dem von uns aufgezeigten Weg zum
Wohle der arbeitslosen Menschen weitergehen. Wir werden uns durch Sie nicht beirren lassen.
({13})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dagmar Wöhrl von der CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die gestrigen Arbeitsmarktzahlen reihen sich in eine ganze Serie schlechter Nachrichten
ein. Minister Eichel musste vor zwölf Tagen seine Wachstumsprognose von 2 ¾ auf 2 Prozent korrigieren. Der IWF
spricht sogar von 1,9 Prozent. Das ist schon bedenklich,
vor allem wenn man daran denkt, dass Beschäftigung erst
ab 2 Prozent Wachstum wieder greifen soll.
Zeitgleich hat das Bundesamt für Statistik die Inflationsrate für April festgelegt: 2,8 Prozent, meine lieben
Damen und Herren.
({0})
2,8 Prozent! Als Sie an die Regierung gekommen sind,
gab es eine Inflationsrate von 0,7 Prozent! Gestern erfuhren wir, dass am Arbeitsmarkt totale Stagnation herrscht.
Dass das Arbeitsvolumen in Stunden gerechnet seit 1999
stagniert, wissen wir ja inzwischen, aber dass inzwischen
auch kein Arbeitslosigkeitsabbau mehr stattfindet, ist neu.
Wenn man sieht, dass es im April saisonbereinigt sogar einen leichten Zuwachs von 6 000 Arbeitslosen gibt, wissen
wir leider, wohin der Zug mit Ihnen geht.
Aber was sagt die Regierung dazu? Das sei überhaupt
kein Grund zur Beunruhigung. Ich glaube aber, Sie sollten
schon ein bisschen beunruhigt sein, vor allem, wenn Sie
auch Ihr Ziel erreichen wollen, auf unter 3,5 Millionen Arbeitslose zu kommen. Denn Ihre Tricks vom April 1999, die
Statistik mit den 630-Mark-Jobbern zu verändern, können
Sie nicht beliebig wiederholen. Das wissen Sie ja auch.
({1})
Aber Sie denken sich natürlich, Gott sei Dank, was soll
das, wir haben ja noch die Demographie. Sicher haben Sie
Recht, Sie haben die Demographie. Die wird Ihnen auch
helfen. Das IAB Nürnberg hat festgestellt, dass allein
1999/2000 nur aufgrund der Demographie die Zahl der Arbeitslosen um 436 000 geringer geworden ist. Sie werden
sich auch sagen: Ach Gott, was soll’s, Gott sei Dank haben
wir auch noch die AB-Maßnahmen. Dann werden wir sehen, was Sie vor der Wahl in diesem Zusammenhang machen. Das wird auch nicht beliebig zu erhöhen sein.
({2})
1,7 Millionen Menschen sind momentan in Deutschland
in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen aller Art. 45 Milliarden DM lassen Sie sich das momentan pro Jahr kosten.
Wir wissen, dass das leider ein ineffizientes Mittel ist, ein
ineffizientes Mittel!
({3})
Nur 15 Prozent werden vermittelt, und ein Viertel bricht
ab. Von den Folgekosten, weil sie jetzt einen Anspruch auf
Arbeitslosengeld haben, und von den Auswirkungen auf
den Mittelstand will ich in diesem Zusammenhang gar
nicht werden.
Sie machen es sich hier natürlich sehr leicht. Sie sagen:
Ja, wir sind überhaupt nicht schuld. Schuld ist, was das
Wirtschaftswachstum angeht, das Ausland, sind außenwirtschaftliche Einflüsse: Amerikas Wirtschaftsschwäche,
Japans Wirtschaftsschwäche. Sicher stimmt das in einem
gewissen Rahmen. Aber das erklärt nicht, warum wir immer Schlusslicht sein müssen. Letztes Jahr waren wir
trotz unseres guten Wirtschaftswachstums von 3 Prozent
Schlusslicht in Europa. Es waren nur noch Portugal und
Italien schlechter. In diesem Jahr aber sind wir wirklich
der „Champion“: Wir bilden mit unserem Wirtschaftswachstum in Europa nämlich das Schlusslicht. Das ist
eine Schande, denn so etwas hat es bis jetzt überhaupt
noch nicht gegeben. Wir werden dieses Jahr das erste Mal
die rote Laterne von Europa bekommen.
({4})
Da nützt es Ihnen nichts, wenn Sie sich hinter außenwirtschaftlichen Einflüssen verstecken. Die britische Ökonomie zum Beispiel ist von den USA genauso abhängig
wie wir, aber dort wurden Gegenmaßnahmen ergriffen.
({5})
Diese fehlen bei Ihnen. Sie machen eine verfehlte Wirtschaftspolitik, eine verfehlte Steuerpolitik und eine verfehlte
Arbeitsmarktpolitik - keine Korrekturen, keine Reformen,
wie sie unsere Nachbarn auf den Weg gebracht haben.
Deregulierung wäre notwendig. Was machen Sie? Regulierung: bei den 630-Mark-Jobs, beim Rechtsanspruch auf Teilzeit, beim Betriebsverfassungsgesetz, um
hier nur einige Beispiele zu nennen.
({6})
Diese Gesetze, die Sie in letzter Zeit auf den Weg gebracht
haben, werden nicht dazu beitragen, die Wirtschaft und
den Arbeitsmarkt wieder nach vorne zu bringen.
({7})
Eine Steuerreform, die dem Mittelstand schadet, dem
Wachstumsmotor, der Arbeitsplätze schaffen soll; eine
Ökosteuer, die die Binnenkonjunktur abwürgt; Sie schaffen es nicht, die Sozialversicherungsbeiträge unter
40 Prozent zu bringen, was Sie versprochen haben;
({8})
eine Investitionsquote auf dem Tiefstand von 12 Prozent,
das sind Ihre Zahlen, und zwar die richtigen Zahlen.
({9})
Ihr allergrößter Schwachpunkt ist Ihre Arbeitsmarktpolitik. Da tut sich nämlich überhaupt nichts; da ist nur
Stagnation. Wir haben einen „mismatch“, wie es ihn bis
jetzt noch nie gab: auf der einen Seite Arbeitslose, auf der
anderen Seite Firmen, die Leute suchen. Wie Sie diesen
Missstand zukünftig beseitigen wollen, müssen Sie erst
einmal erklären.
Wir haben einen deutschen Arbeitsmarkt, der hoffnungslos überreguliert ist.
({10})
- Sie sind inzwischen drei Jahre an der Regierung, lieber
Herr Kollege.
({11})
Gehen Sie endlich die strukturellen Reformen am Arbeitsmarkt an; denn sonst werden Sie es nicht schaffen,
mehr Beschäftigung zu erreichen, vor allem nicht, wenn
sich die Konjunktur nach unten entwickelt.
Vielen Dank.
({12})
Für die
Bundesregierung hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres das Wort.
Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Diese Debatten scheinen in jeder Sitzungswoche mehr dadurch ausgezeichnet zu sein, dass
man sich hier einen Schaukampf liefert und sich auf die
Argumente der anderen eigentlich überhaupt nicht mehr
einlässt. Frau Wöhrl, ich weiß nicht, woran es liegt. Mein
Kollege Brandner hat Ihnen eben die aktuellen Zahlen
von Eurostat genannt.
({0})
- Da kommt der Zwischenruf „selbst gefälscht“. Wissen
Sie was, mein Herr? Diese Debatte hat ein Niveau angenommen, dass einem ganz übel werden kann!
({1})
Ich lese die Zahlen noch einmal ganz langsam, zum
Mitschreiben, vor, Frau Wöhrl - Sie können sie glauben,
Sie können es auch sein lassen -:
({2})
In der Euro-Zone beträgt die durchschnittliche Arbeitslosigkeit 8,4 Prozent, in der EU der 15 liegt sie bei 7,8 Prozent und, nach den gleichen Quoten gerechnet, in
Deutschland bei 7,7 Prozent. Vielleicht können Sie das
Protokoll ja noch korrigieren. Schlechter als wir liegen
Frankreich, Finnland und Spanien. Selbst die Fakten, die
Sie vorgetragen haben, stimmen also nicht.
({3})
Der zweite Punkt. Ich finde es unglaublich, wie hier inzwischen über bestimmte Instrumente geredet wird. Da
nenne ich einmal Frau Schnieber-Jastram. Was sie hier
über das Jugendsofortprogramm vorgetragen hat, ist
schlicht eine Bodenlosigkeit.
({4})
Es ist eine Bodenlosigkeit, zu sagen, diese Programme
hätten nur einen Rückgang der Zahl der jugendlichen Arbeitslosen um 20 000 gebracht.
({5})
- Hören Sie doch auf zu schreien, hören Sie einfach mal
zu.
Ich nenne Ihnen zwei Zahlen. Wer so etwas behauptet,
muss einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass wir gegenwärtig 29251 junge Menschen in Eingliederungsmaßnahmen im ersten Arbeitsmarkt mit Lohnkostenzuschüssen haben. Er muss zur Kenntnis nehmen, dass wir
gegenwärtig 18 291 junge Menschen in Maßnahmen der
außerbetrieblichen Ausbildung haben. Sie sollten sich
einmal die Frage stellen, wo eigentlich, wenn wir dieses
Programm nicht gemacht hätten, gegenwärtig diese beiden Gruppen von jungen Menschen wären. Eine solche
Verfahrensweise wie die Ihre nenne ich zynisch!
({6})
Sie können hier erzählen, was Sie wollen. Sie können
auch in jeder Sitzungswoche eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragen. Es macht große Freude, sich mit
Ihnen auseinander zu setzen. Frau Wöhrl, ich würde Ihnen
übrigens empfehlen, das Protokoll der Fragestunde nachzulesen. Sie waren ja nicht anwesend.
({7})
Da bekommen Sie viele praktische Hinweise.
An einem Punkt kommen Sie nicht vorbei: Im letzten
Jahr Ihrer Regierungsverantwortung war die Arbeitslosigkeit in Deutschland mit mehr als 4,8 Millionen arbeitslos
gemeldeten Menschen auf dem historischen Höchststand.
({8})
Seitdem wir regieren, gibt es eine Trendwende. Wir können Ihnen Folgendes nachweisen - Sie können das glauben; Sie können es auch sein lassen; das ist egal -: Die
Zahl der Beschäftigten hat um mehr als 1 Million zugenommen
({9})
und in den letzten beiden Jahren ist die Arbeitslosigkeit
Schritt für Schritt gesunken. Im Jahre 1999 reduzierte sie
sich im Jahresdurchschnitt um 180 000 und im Jahre 2000
um 210 000. In diesem Jahr werden es im Jahresdurchschnitt auch wieder um die 180 000 oder mehr Arbeitslose
weniger sein. Daran können Sie überhaupt nichts ändern,
und draußen wird das auch so wahrgenommen; das sollten Sie wissen.
Bei Ihnen bestand ein negativer Trend: Von 1991 an ist
die Arbeitslosigkeit Monat für Monat und Jahr für Jahr um
mehr als 1,3 Millionen angestiegen. Die neue Regierung,
die rotgrün geführte Bundesregierung, hat eine Trendwende eingeleitet. Darauf sind wir stolz und das ist auch
vernünftig.
({10})
Nun zu einem weiteren Punkt: Ich würde es für sinnvoll halten, in einen Wettbewerb darüber einzutreten, wie
die besten Wege und die besten Möglichkeiten, die Arbeitslosigkeit zu senken, aussehen. Denn eines ist klar
- daran kann keiner vorbeireden -: Die Politik kann nicht
mit einem Knopfdruck 1 Million, 2 Millionen oder 3 Millionen Arbeitsplätze schaffen. Wer das behauptet, redet
dummes Zeug.
({11})
Die Politik kann nur eines: Sie kann dafür sorgen, dass die
Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass wir einen
möglichst raschen Aufbau von Beschäftigung hinbekommen und einen möglichst raschen Abbau der Arbeitslosigkeit erreichen.
({12})
Eines, was hier behauptet worden ist, will ich ansprechen, damit das nicht weiter im Raum steht: Der derzeitige Rückgang der Arbeitslosigkeit ist nicht auf die Demographie zurückzuführen, Frau Wöhrl.
({13})
- Es wäre doch Quatsch, das zu leugnen.
({14})
Selbstverständlich ist der Rückgang zum Teil auf die
Demographie zurückzuführen. Aber auf der anderen Seite
hat das Erwerbstätigenpotenzial zugenommen. Frauen,
die vorher nicht arbeitslos gemeldet waren, haben vermehrt Beschäftigung gesucht und sind zusätzlich Teil des
Arbeitsmarktes geworden.
({15})
Wir erleben die Situation, dass die Zuführung aus dieser
so genannten stillen Reserve deutlich über dem liegt, was
der demographische Faktor in diesem Bereich ausmacht.
Darauf sind wir stolz.
Jetzt haben wir ein Problem, über das man offen sprechen kann: Trotz wachsender Beschäftigung besteht eine
sich verstetigende Langzeitarbeitslosigkeit - da müssen
wir etwas tun - und trotz wachsender Beschäftigung geht
uns der Rückgang der Arbeitslosigkeit nicht schnell genug, wobei ich hoffe, dass er uns allen nicht schnell genug
geht. Möglichkeiten zu finden, wie man die Arbeitslosigkeit deutlicher reduzieren und für mehr Beschäftigung
sorgen kann, das sind spannende Fragen in der Politik.
Damit komme ich zu einer PDS-Position, über die wir
schon einmal am 5. April dieses Jahres diskutiert haben:
Erstens hat der Bundeskanzler nicht alle Arbeitslosen zu
Faulenzern erklärt. Wer das hier an diesem Pult behauptet, sagt die Unwahrheit. Ich bitte Sie ausdrücklich, Herr
Grehn, sich noch einmal über die genauen Worte des
Bundeskanzlers zu informieren. Zweitens muss man wissen, dass jede Politik in diesem Bereich damit beginnt, zu
sagen, was ist. Jede Wahrheit muss auf den Tisch. Darüber müssen wir reden und wir müssen darüber streiten,
welche Wege und welche Möglichkeiten es gibt, die bestehende Situation zu ändern.
({16})
- Sie können darüber streiten, wie Sie wollen. Ich bitte Sie
herzlich um eine sachlich vernünftige Form.
Wir haben ein paar Probleme, die man offen benennen
kann: Bis zum Jahre 2006 wird in den neuen Bundesländern die Zahl der jungen Menschen, die aus den Schulsystemen entlassen werden, steigen. Trotz kräftiger Anstrengungen, die Jugendarbeitslosigkeit dort zu bekämpfen
und Maßnahmen auf den Weg zu bringen, müssen wir uns
darum kümmern, dass die jungen Leute eine Ausbildung
bekommen. Da hat als Erstes die Wirtschaft eine Verpflichtung, weil die Wirtschaft aus denjenigen besteht, die
auf dem dualen Markt Ausbildungsplätze zur Verfügung
zu stellen haben.
({17})
Als Zweites ist der Staat gefordert. Wir tun viel über
Programme des Bundes, zum Beispiel über unser Jugendsofortprogramm, und zusammen mit den Ländern. Das ist
auch richtig so.
Wir müssen uns über eine zweite Position unterhalten:
Wie können wir die Vermittlung von Arbeitsplätzen passgenauer machen? Die auch als „mismatch“ bezeichnete
Situation ist festzustellen. Das wissen auch alle Fachleute.
Wir müssen Reformen auf den Weg bringen. Wir müssen
dafür sorgen, dass bestimmte Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik so eingesetzt werden können, dass sie
das Entstehen von Langzeitarbeitslosigkeit verhindern.
Alles auf die Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt
ausrichten, das ist der erste Grundsatz. Der zweite Grundsatz heißt: alles tun, um Qualifikation bei den Menschen
zu erhalten, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind,
({18})
und alles tun, um die Rahmenbedingungen für mehr
Wachstum zu setzen. Dies kann aber die Arbeitsmarktpolitik nicht allein. Wir müssen über weitere Stufen der
Steuerreform, wirtschaftliches Wachstum, Maßnahmen
der Wirtschaftspolitik sowie Maßnahmen der Infrastruktur- und Strukturpolitik dafür sorgen, das Problem der
Massenarbeitslosigkeit, das wir für ein Kernproblem halten, in den Griff zu bekommen. Wir wollen die Massenarbeitslosigkeit senken. Daran hält diese Regierung fest.
Auf diesem Kurs machen wir unbeirrbar weiter.
Schönen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({19})
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Rauen von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich stimme Herrn
Staatssekretär Andres ausdrücklich darin zu,
({0})
dass wir beim Thema Arbeitsmarkt, wo es um Beschäftigung, um Arbeitsplätze, um Arbeitslosigkeit geht, sehr
ernsthaft miteinander reden. Aber wir müssen dabei auch
die Wahrheit darüber sagen, was wirklich los ist:
Als Schröder im Frühjahr 1998 Kanzlerkandidat wurde,
hat er in einem Anflug von Größenwahn den damaligen
Aufschwung als seinen Aufschwung bezeichnet. Das war
natürlich Unfug. Der Arbeitsmarkt ist so etwas wie ein
schwerer Tanker, der nur zeitversetzt dreht. Ich glaube aber,
wir sind uns darüber einig, dass sich dieser Kanzler, der mit
seinen Erfolgen am Arbeitsmarkt gemessen werden wollte,
all das vorhalten lassen muss, was ab Januar 1999 in diesem Bereich vor sich gegangen ist. Deshalb müssen wir mit
dem Märchen aufräumen, dass diese Regierung auf dem
Arbeitsmarkt in Deutschland erfolgreich ist.
Ich habe Ihnen eine Grafik mitgebracht. Sie zeigt deutlich, dass die Zahl der Arbeitslosen in der Zeit von 1999
bis 2001 um 390 000 zurückging.
({1})
Im gleichen Zeitraum ging die Zahl des Erwerbspersonenpotenzials um 435 000 zurück, und zwar deshalb, weil
mehr alte Menschen in den Ruhestand gegangen als junge
Menschen in das Erwerbsleben eingetreten sind. Ohne
den Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials hätten wir
beim Abbau der Arbeitslosigkeit überhaupt keine Erfolge
zu verzeichnen.
({2})
Das gehört schlicht und einfach zur Wahrheit dazu.
Aus meiner Sicht ist eines noch viel gravierender: Ich
frage mich oft, wie in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen konnte, dass diese Regierung auf dem Arbeitsmarkt Erfolg hätte. Ich weiß mittlerweile, warum
({3})
- Herr Brandner, hören Sie auf zu stören; Sie können die
Wahrheit nicht vertragen; hören Sie jetzt einfach einmal zu,
({4})
ich habe Ihnen auch zugehört - , nämlich durch die Umstellung der Zählweisen sowohl bei den Beschäftigten als
auch bei den Arbeitslosen. Das hat von April 1999 bis zum
Januar dieses Jahres gedauert. Die Zählweisen wurden
umgestellt. Heute werden bei der Ermittlung der Zahl der
Beschäftigten die 630-Mark-Jobs mitgezählt, was früher
nicht der Fall war.
({5})
Es werden auch die Teilzeitbeschäftigten mitgezählt, was
früher nicht der Fall war. Es werden auch die Teil-Teilzeitbeschäftigten mitgezählt, also etwa Studentenjobs
während der großen Ferien, die früher nicht mitgezählt
wurden.
({6})
Dadurch ist die Zahl der Beschäftigten größer, das ist
wahr. Dagegen werden die über 58-Jährigen, die arbeitslos sind, nicht mehr zu den Arbeitslosen hinzugezählt,
was früher selbstverständlich der Fall gewesen ist.
Die Quintessenz daraus ist - das wissen wir seit langer
Zeit, es wird nur noch nicht von der Öffentlichkeit wahrgenommen, was sich aber angesichts der Presse der letzten
14 Tage ändern wird, da bin ich mir sicher -, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland zum Erliegen gekommen ist.
({7})
- Sehen Sie, jetzt stöhnen Sie.
Ich habe eine zweite Grafik mitgebracht, auf der Sie
die für die Konjunktur entscheidende Zahl der geleisteten
Arbeitsstunden erkennen können. Von ihnen werden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. In Erwerbstätigenstunden gerechnet hatten wir 1997 und 1998 einen
Aufschwung, während der Arbeitsmarkt, wiederum in Erwerbstätigenstunden gerechnet, seit 1999 zum Erliegen
gekommen ist.
({8})
- An diesen Fakten kommen Sie nicht vorbei.
Ich sage Ihnen voraus, dass das von Schröder prognostizierte Ziel von Ihnen nicht erreicht werden wird.
({9})
Wir sind in Europa im Hinblick auf Wachstum die Fußkranken; davon hat Frau Wöhrl gesprochen. Wir sind die
Fußkranken im Hinblick auf die Zunahme von Beschäftigung.
({10})
Wir sind die Fußkranken im Hinblick auf die Abnahme
der Arbeitslosigkeit in Europa. Wir haben das geringste
Wachstum.
Das wundert mich nicht, aber ich sage Ihnen voraus,
dass es noch schlimmer werden wird. Wir hatten im letzten Jahr ein Phänomen, das noch gar nicht genug beachtet wird: Zum ersten Mal seit vielen Jahren war das reale
Wachstum höher als das nominale Wachstum. Das gab es
zuletzt 1953 nach der Koreakrise, davor 1930 nach der
Weltwirtschaftskrise.
Ich habe die Regierung angeschrieben und gefragt, wie
sie sich dazu stellt. In der Antwort wird klar festgestellt,
dass es der Wahrheit entspricht, dass die Firmen in
Deutschland, die nicht am Export hängen und nicht über
Grenzen hinweg operieren können, sondern auf den Binnenmarkt angewiesen sind, im letzten Jahr keine Chance
hatten, die Mehrkosten aufgrund der Energiepreisverteuerung in eigenen Preisen weiterzugeben. Das hat natürlich
verheerende Wirkungen auf die Gewinnsituation dieser
Firmen. Das hat mir Ihre Regierung bestätigt.
Meine Damen und Herren, ich rede hier nicht wie ein
Blinder von der Farbe. Ich bin seit 35 Jahren Unternehmer. Ich habe noch niemals eine so desolate Situation in
der Bauwirtschaft wie gegenwärtig erlebt. Das Schlimme
ist, dass man kein Licht am Ende des Tunnels sieht. Glauben Sie mir eines: Die wirtschaftswissenschaftlichen
Institute, deren Wachstumsprognosen ohnehin schon
schlecht genug sind, haben keinen Einblick in die Herzen
und Denkweisen von 3 Millionen Selbstständigen.
Herr Kollege Rauen, kommen Sie bitte zum Schluss.
Die Lage des Mittelstandes in Deutschland ist wesentlich schlechter als die Stimmung, die diesbezüglich regierungsamtlich verkündet
wird. Ich sage Ihnen voraus: An dem großen Ziel, auf
dem Arbeitsmarkt Erfolge zu haben, wird Schröder
scheitern; denn wer eine Steuer- und Regulierungspolitik
gegen den Mittelstand und gegen Arbeitnehmer macht,
kann arbeitsmarktpolitisch nichts gewinnen. Darüber
werden wir uns an dieser Stelle noch einige Male in diesem Jahr sprechen.
Danke schön.
({0})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Werner Schulz vom Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
gut, Kollege Rauen, dass Sie wieder ein bisschen Sachlichkeit in die Debatte gebracht haben. Ich war mir nicht
ganz sicher, ob Ihre Kollegin Schnieber-Jastram hier mehr
über Fußball reden wollte. Dass sie nach ihrem Anpfiff
der Bundesregierung und ihrem kurzen Einwurf gleich
wieder in der Kabine verschwunden ist, ist, ehrlich gesagt,
etwas befremdlich.
({0})
Gerade eine Oppositionsvertreterin, die immer Wert darauf legt, dass die Regierungsvertreter anwesend sind,
sollte nicht unmittelbar nach ihrem Redebeitrag den Saal
verlassen. Aber ich will mich an diesem Punkt nicht festbeißen.
({1})
- Trotzdem hat das ein „Gschmäckle“.
Lassen Sie mich auf das eigentliche Thema zu sprechen kommen. Herr Kollege Rauen, in Ihrer Grafik fehlt
eigentlich eine Kurve, ohne die man die Sache nicht nüchtern und sachlich diskutieren kann: der Anstieg der Erwerbstätigen, den Sie hier als unrealistische Zählweise
abgetan haben.
({2})
- Fakt ist, dass viele dieser 630-Mark-Jobs in reguläre Beschäftigung umgewandelt worden sind.
({3})
- Doch, aus jeweils zwei oder drei dieser Jobs sind reguläre Beschäftigungsverhältnisse entstanden.
({4})
Dieser Effekt hat durchaus damit zu tun, dass wir seit der
Regierungsübernahme im Herbst 1998 eine andere Politik eingeleitet haben.
({5})
Im Januar 1998 waren Sie bei 4,8 Millionen Arbeitslosen angelangt. Das heißt, Sie waren näher an der Fünfmillionengrenze als an der Viermillionengrenze. Die Halbierung der Arbeitslosigkeit, von der Helmut Kohl
gesprochen hat, hätten wir beinahe wie folgt erreicht:
2 Millionen im Osten, 2 Millionen im Westen.
({6})
- Nein, ich greife nur einmal die Schlagworte aus dieser
Zeit auf. Eines dieser Schlagworte war beispielsweise die
private Arbeitsvermittlung. Damit komme ich auf die geniale, grandiose Arbeitsmarktpolitik der F.D.P. Sie hatten
in den 90er-Jahren das Arbeitsvermittlungsproblem entdeckt; daran kann ich mich bestens erinnern. Plötzlich
wurde die Arbeitsvermittlung privatisiert,
({7})
weil die verkrusteten Arbeitsämter angeblich nicht mehr
in der Lage waren, die vielen, vielen Arbeitsplätze zu vermitteln.
Was war denn der Erfolg Ihrer großartigen Vermittlungspolitik? - 4,8 Millionen Arbeitslose im Januar 1998!
Das muss man festhalten.
({8})
- Da können Sie reden, was Sie wollen.
({9})
In der Regierung Kohl wurde mehr Energie für das
Sammeln von Spenden als für den Abbau der Arbeitslosigkeit aufgebracht.
({10})
Das konnte man in gewissem Umfang miterleben.
Wir können uns natürlich relativ schnell darüber einig
werden, dass die Arbeitslosigkeit dennoch zu hoch ist.
Das erfreut hier niemanden. Wir können uns möglicherweise auch sehr schnell einig darüber werden, dass die
wirtschaftliche Lage und die Weltkonjunkturentwicklung
darauf Einfluss haben.
({11})
- Ich freue mich, dass ich so belebend auf Sie wirke. Ihre
Seite war ja schon fast am Einschlafen.
({12})
- Herr Niebel, können Sie mal damit aufhören? Kriegen
Sie sich wieder ein?
({13})
- Sie hätten beantragen sollen, noch einmal fünf Minuten
Redezeit zu bekommen.
Wir haben eine Wirtschaftslage, die im Vergleich zu
der in den USA und in Japan und im Vergleich zum Welthandel, der sich in diesem Jahr von 12 Prozent auf 7 Prozent verringert hat, die im Vergleich mit dem Weltsozialprodukt, das von 4,8 Prozent auf 3 Prozent zurückging,
nicht schlecht ist. Aus weltwirtschaftlicher Sicht ist
insgesamt eine Abschwächung der Konjunktur zu verzeichnen.
2 Prozent Wirtschaftswachstum in Deutschland sind
für ein entwickeltes Industrieland gar nicht so schlecht.
Sie hatten in den 90er-Jahren eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von 1,4 Prozent, und das mit einem riesigen Konjunkturprogramm, das in Ostdeutschland viele
Fehlallokationen von Kapital hinterlassen hat.
({14})
Die Probleme, die wir heute in der Bauwirtschaft haben
- beispielsweise die Überkapazitäten, die Arbeitslosigkeit, die dadurch in Ostdeutschland entstanden ist -, haben viel mit den hochrentierlichen Staatsanleihen zu tun,
mit denen der Bauboom ausgelöst worden ist. Das muss
man doch im Hinblick auf diese 1,4 Prozent deutlich machen. Darüber sollten wir streiten, wenn es darum geht,
über den Abbau von Arbeitslosigkeit zu reden. - Sie wissen übrigens, dass unterhalb von 3 Prozent Wirtschaftswachstum die Effekte auf den Arbeitsmarkt ohnehin nicht
so großartig ausfallen.
Wir sollten darüber sprechen, was die Regierung gerade im Bereich der Tarifvereinbarungen getan hat: Wir
haben moderate Tarifvereinbarungen erreicht. Das Klima
auf dem Arbeitsmarkt hat sich dadurch entspannt. Die Arbeitszeit hat sich um 1,4 Prozent verringert. Das alles hat
zu dieser schrittweisen Abnahme der Arbeitslosigkeit geführt. Das Ziel, die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen zu senken, ist sicherlich ehrgeizig und anspruchsvoll,
({15})
aber auch realistisch. Es ist nicht, wie Sie, Herr Rauen, behaupten, nur auf dem Wege demographischer Schönrechnerei zu erreichen.
({16})
Nein, viele Menschen in diesem Land haben es erlebt:
Es hat neue Arbeitsplätze gegeben, es gibt eine verbesserte Stimmung in diesem Lande. Dies hat sich in der Statistik für den Westen der Bundesrepublik ausgedrückt.
Die Statistik für den Osten Deutschlands ist komplizierter; ich müsste mehr Zeit haben, um das genauer zu analysieren. Aber auch dort sind in einer gewissen Weise positive Effekte feststellbar.
Insgesamt sind wir auf dem richtigen Weg, auch wenn
unsere Hoffnungen noch höher gesteckt waren.
({17})
Als
nächster Redner hat der Kollege Johannes Singhammer
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Ich höre, dass Sie heute Geburtstag haben, Herr
Singhammer. Ich gratuliere Ihnen herzlich.
({0})
Werner Schulz ({1})
Danke. - Es
geht mir heute gut. Es fällt mir direkt schwer, jetzt den
richtigen kritischen Ton zu finden.
({0})
Ich werde mich aber überwinden.
Nach diesen rechthaberischen Vorträgen von Ihnen,
Herr Staatssekretär und Herr Kollege Schulz, formuliere
ich bewusst einfach und verletzend: Diese Bundesregierung hat ihr Minimalziel, die Arbeitslosigkeit in zweieinhalb Jahren um 500 000 zu senken, nicht erreicht.
({1})
Ohne die Konjunkturlokomotiven Bayern, Baden-Württemberg,
({2})
Hessen, Sachsen und Thüringen gäbe es auf dem Arbeitsmarkt eine Katastrophenbilanz.
({3})
Sie hatten von Anfang an nicht einmal eine Vision. Sie
haben sich nicht einmal ein ehrgeiziges Ziel gesteckt. Sie
haben lediglich gesagt, Sie wollten 500 000 Arbeitslose
weniger. Ich sage Ihnen: Selbst ohne irgendetwas zu tun,
selbst wenn Sie alle in die Toskana fahren und dort Urlaub
machen, wird die Zahl der Arbeitslosen innerhalb dieser
Legislaturperiode um 500 000 sinken - eben aufgrund der
demographischen Entwicklung.
({4})
Weil diese Bilanz so schlecht ist, weil der Arbeitsmarkt
zum Stillstand gekommen ist, ist es eine besondere Schändlichkeit, jetzt Nebelkerzen zu zünden, von den Problemen
abzulenken und plötzlich das Verhalten der Arbeitslosen
unter einen Pauschalverdacht zu stellen. Das ist schäbig.
({5})
Natürlich gibt es unter den Arbeitslosen jene, die zu Unrecht
Leistungen beziehen. Für diese haben auch wir keinerlei Verständnis; sie müssen dem Arbeitsmarkt zugeführt werden
oder mit Leistungskürzungen rechnen. Aber einen Pauschalverdacht auszusprechen und auf diese Weise eine „Faulenzer“-Diskussion zu beginnen, das nenne ich ungerecht.
Wo soll denn zum Beispiel der 55-Jährige, der ausgegliedert worden ist
({6})
und der sich seit Jahren bemüht, wieder eingegliedert zu
werden, einen Arbeitsplatz finden? Das ist in bestimmten
Branchen einfach nicht möglich. Und wie wollen Sie einer jungen, allein erziehenden Mutter, die keine Unterbringungsmöglichkeit für ihr Kind findet,
({7})
gerechterweise vorhalten, sie müsse sich mehr um einen
Arbeitsplatz bemühen?
({8})
Wenn Sie uns als Opposition nicht glauben, dann hören
Sie wenigstens auf das, was die EU-Kommission und der
Europäische Rat - auf Empfehlung der Kommission - vor
wenigen Tagen festgestellt haben. Der Rat hat in seinem
Jahreszeugnis, das den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union für ihre Beschäftigungspolitik erteilt wird, in Bezug
auf Deutschland konstatiert: Die Quote der Langzeitarbeitslosen ist unverändert hoch, die Gesamtbelastung der
Arbeit ist weiterhin eine der höchsten in der Europäischen
Union und der Anteil der Erwerbstätigen in der Altersgruppe zwischen 50 und 64 Jahren ist gering. Die Kommission und der Rat empfehlen dieser Bundesregierung
nach umfangreichen Konsultationen eine weitere Verringerung der Steuer- und Abgabenbelastung sowie das
Schließen von Qualifikationslücken auf dem Arbeitsmarkt.
({9})
Das sollten Sie tun. Diese Empfehlung der Kommission
und des Rates ist eine Bankrotterklärung für Ihre Wirtschaftspolitik. Die aufgezählten Punkte sind auch die Ursache dafür, dass sich die Arbeitslosenzahlen nicht in der
Weise entwickeln, wie wir es uns wünschen.
Deutschland hat im Konjunkturzug der EU mittlerweile die rote Laterne übernommen. Für dieses Jahr wird
als Wirtschaftswachstum prognostiziert: Niederlande
3,4 Prozent, Spanien 3,2 Prozent, Belgien 3 Prozent,
Frankreich 3,9 Prozent, Italien 2,5 Prozent - und Deutschland nur noch 2,1 Prozent, mit fallender Tendenz. Das
lässt nichts Gutes erwarten. Deshalb sind statt dummer
Sprüche mehr Konjunkturdampf und echte Reformen gefragt.
({10})
- Wie war denn das mit dem Bundeskanzler noch im Januar dieses Jahres? Da hat er plötzlich davon gesprochen,
er wolle die Zahl der Arbeitslosen um 1 Million abbauen.
Eine halbe Stunde später hat ihn der Regierungssprecher
korrigiert und gesagt: Mit dem, was der Bundeskanzler
gesagt hat, war eine halbe Million gemeint. - Das meine
ich mit „dummen Sprüchen“.
({11})
Was für den Arbeitsmarkt nötig ist, sind eine echte
Wirtschaftsreform, eine echte Steuerreform und ein echtes Ankurbeln der Konjunktur.
({12})
Dann wird die Zahl der Arbeitslosen abnehmen, mit Ihrer
Politik nicht.
({13})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Andrea Nahles von der
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CDU, lirum, larum, Löffelstiel:
({0})
Ehe man sich versieht, wird auf einmal aus der besten Arbeitslosenzahl im April seit 1995 eine Riesenkatastrophe
auf dem Arbeitsmarkt.
({1})
Aber mit dieser Zahlenmeierei können Sie in Wirklichkeit
nicht überzeugen.
({2})
Sie schaffen weder Klarheit noch nennen Sie Lösungsansätze, wie wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen können.
({3})
Sie, Herr Grehn,
({4})
haben heute außer der Dramatisierung einer, wie auch ich
finde, bedrückenden Situation keine konstruktiven Vorschläge gemacht.
({5})
Insoweit kann ich nur sagen, dass wir mit unserer Bilanz
trotz der Konjunkturdelle sehr gut dastehen. Wir haben im
Westen die niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit 1993. Das
ist ein Fakt. Wir haben - damit kommen wir dem Problem
ein Stück näher - Gleiches in Ostdeutschland bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht erreichen können. Es gibt keine Verschlechterung, aber eine Stagnation. Deswegen ist es erforderlich, dass wir mit unseren Anstrengungen nicht
nachlassen.
Wahr ist, Herr Grehn: Kein Recht auf Faulheit gibt es
nur bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dies gilt
aber für alle. Dies gilt für diejenigen, die Arbeit suchen.
In ihrem eigenen Interesse müssen wir dafür sorgen, dass
sie ihre Chancen nutzen und bei der Arbeitssuche aktiv
bleiben.
Das gilt aber auch für die Unternehmen. Auch sie haben kein Recht, sich auszuruhen. Wir müssen klarmachen,
dass auch von ihrer Seite weitere Anstrengungen erforderlich sind. Gleiches gilt natürlich auch für die Länder
und die Bundesregierung.
Wir haben eine Verstetigung der Mittel der Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau erreicht. Wir haben das
JUMP-Programm aufgelegt. Wir haben durch die Senkung der Lohnnebenkosten 15 Milliarden DM an Entlastung für den Mittelstand erreicht. Dies kommt den Unternehmen zugute. Damit haben wir sie befähigt, Arbeitsplätze zu schaffen.
({6})
Hier wird die Mittelstandspolitik kritisiert. Unsere
De-facto-Abschaffung der Gewerbesteuer bringt den kleinen und mittleren Betrieben in diesem Jahr 13,7 Milliarden DM an Entlastung, verehrte Damen und Herren von
der Opposition.
({7})
Wir ruhen uns auf diesen Lorbeeren nicht aus. Wir wollen die SGB-III-Reform auf den Weg bringen. Wir werden
die Qualifizierung in den Vordergrund stellen. Wir wollen
nicht höhnisch über Kosten und Rechenschieberei reden,
wie Sie, Frau Wöhrl, das getan haben. Sie als Unternehmerin sind doch auf qualifiziertes Personal angewiesen.
Deswegen wundere ich mich, dass Sie für die Qualifizierung nichts tun wollen. Qualifizierung bedeutet eben nicht
nur eine Finanzierung durch den Bund, sondern auch
durch die Unternehmer. Sie sollten es im Gegenteil begrüßen, dass wir endlich in die Gänge kommen und das
schaffen, was Ihnen nicht gelungen ist.
({8})
Wir werden im Rahmen der SGB-III-Reform berücksichtigen müssen, dass es Regionen gibt, die aufgrund der
Arbeitslosenzahlen keine Unterstützung mehr brauchen,
sondern wo es an fähigen Leuten fehlt. Das ist die eine
Seite. Auf der anderen Seite gibt es Regionen, in denen es
auf absehbare Zeit - da können wir uns auf den Kopf stellen - eine öffentliche Förderung geben muss und eine gute
Arbeitsmarktpolitik vonnöten sein wird. Das ist leider
vielfach im Osten der Fall.
Deswegen werden wir keine Wahlkampf-ABM schaffen. Wir werden vielmehr durch eine Infrastrukturpolitik,
durch eine gezielte Arbeitsmarktpolitik, die sich den Regionen, die wirklich Unterstützung brauchen, auch anpasst, versuchen zu verstetigen, auszubauen und präzise
Arbeitsmarkthilfen zu leisten.
({9})
Lassen Sie mich als Letztes noch Folgendes sagen. Ich
wundere mich immer darüber: Sie haben die höchste Jugendarbeitslosigkeit hinterlassen, die es in der Bundesrepublik Deutschland jemals gab, und Sie haben gegen
diese Jugendarbeitslosigkeit nichts unternommen. Wir
hingegen haben ein Sonderprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt und damit
300 000 jungen Leuten eine neue Perspektive gegeben.
({10})
Deswegen sage ich: Sie haben keinen Anlass, uns dafür zu
kritisieren. Sie sollten uns vielmehr darin unterstützen,
auch weiterhin für die Ausbildung und für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit alles Mögliche zu tun. Ich
fordere Sie auf: Seien Sie konstruktiv, wenn es um die
Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit geht! Nehmen
Sie sich lieber an uns ein gutes Beispiel und vergessen Sie
das, was Sie unterlassen haben.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Christa Reichard von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei den monatlichen Arbeitsmarktzahlen kommt bei mir weder Freude
noch Schadenfreude auf. Der Bundeskanzler will sich an
den Arbeitslosenzahlen messen lassen. Man wird ihn daran
messen, und dies besonders in den neuen Ländern.
({0})
Aber man kann ihn nicht nur an gesamtdeutschen Durchschnittszahlen messen. Nehmen Sie doch endlich zur
Kenntnis, dass die deutsche Teilung auf dem Arbeitsmarkt
noch lange nicht überwunden ist, und vernebeln Sie nicht
mit diesen unredlichen Durchschnittszahlen die Augen
der Öffentlichkeit!
Herr Kollege Schulz, ich habe den Eindruck, auch Sie
haben den Osten schon langsam abgeschrieben. Wo bleibt
die engagierte Verteidigung, die ich aus Ihren Oppositionszeiten gewohnt bin?
Der Abstand zwischen Ost und West vergrößert sich
wieder. Reden Sie dies doch nicht mit Zweckoptimismus
herunter. Krempeln Sie lieber die Ärmel hoch und kümmern Sie sich um den Osten!
({1})
Tun Sie dies nicht mit Trostpflästerchen und einem Wirrwarr undurchsichtiger Programme oder deren Ankündigung. Wir brauchen einen soliden Solidarpakt II, der
wirkliche Perspektiven für den weiteren Aufbau Ost gibt
und damit Arbeitsplätze sichert.
Wenn wir beim Thema Arbeitsmarkt im Osten zuerst
an Arbeitsamt und ABM denken, halte ich das für grundverkehrt. Was wir am dringendsten brauchen, ist die Unterstützung des Mittelstandes hinsichtlich des gewaltigen
Strukturanpassungsprozesses, in dem wir uns nach wie
vor noch befinden. Nur eine gesunde wachsende Wirtschaft schafft auch neue Arbeitsplätze und kann bestehende erhalten. Der Mittelstand braucht Luft zum Atmen.
Eine Umfrage der Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft hat ergeben, dass die Unternehmen trotz hoher Arbeitslosenquote zunehmend Probleme bei der Suche nach
neuen Mitarbeitern haben. Der Kampf um die Köpfe hat
auch bei uns begonnen.
Was haben Sie denn für das Rückgrat der Wirtschaft,
nämlich für den Mittelstand, in den vergangenen zwei
Jahren im Osten wirklich getan? Die Politik kann und soll
keine Arbeitsplätze schaffen. Die Wirtschaft findet in der
Wirtschaft statt. Dann lassen wir doch die Unternehmen
sich endlich entwickeln!
({2})
Und knebeln Sie sie nicht mit wachstumsfeindlichen
Überregulierungen! Die Überregulierung des Arbeitsmarktes ist in den neuen Ländern neben der mangelnden
Zahlungsmoral wesentliche Ursache für die hohen Arbeitslosenzahlen.
({3})
Die Anzahl der Unternehmen in Sachsen entspricht,
auf die Einwohnerzahl bezogen, in etwa der Anzahl der
Unternehmen in den alten Ländern. Aber die Unternehmen sind viel zu klein und der Strukturanpassungsprozess
ist noch nicht abgeschlossen. Statt nun günstige Rahmenbedingungen für Wachstum zu schaffen, haben Sie den
Kündigungsschutz verschärft und wollen nun mit der Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes eine weitere
Wachstumsbremse beschließen.
({4})
Auch wir halten die Mitbestimmung für wichtig, aber was
Sie einführen wollen, ist das Diktat der Großgewerkschaften gegen den Willen der Unternehmer und der Arbeitnehmer,
({5})
die diesen Großgewerkschaften im Osten weitgehend davongelaufen sind, und das aus guten Gründen.
Was dabei besonders verwerflich ist: Mit all diesen
Maßnahmen verfestigen Sie das Bild vom bösen Unternehmer. Das wurde uns in der DDR 40 Jahre lang eingebläut. Sie sollten stattdessen mit uns gemeinsam alles daran setzen, diese Erblast des Sozialismus aus den Köpfen
zu bringen.
({6})
Wir brauchen Unternehmer und wir brauchen Mitbestimmung, auch im Osten, aber auf Unternehmensebene
und mit Beteiligung an Erfolg und Risiko. Mit Ihrem Gesetzesvorhaben vergiften Sie das Klima und bremsen Sie
das Wachstum der Wirtschaft und damit das Entstehen zusätzlicher Arbeitsplätze.
({7})
Die ostdeutsche Wirtschaft sagt Ihnen sehr deutlich, was
sie braucht: nicht vor allem Fördermittel und Sonderprogramme, sondern verlässliche Rahmenbedingungen,
({8})
die Wachstum zulassen.
Wachstum entsteht vor allem durch Investitionen in
Maschinen und Anlagen und durch Innovationen. Sie reden viel darüber. Aber was geschieht denn? Die gut gestarteten Inno-Regio-Projekte erstarren mittlerweile in
Bürokratie und es fließt kein Geld.
({9})
Kümmern Sie sich und missbrauchen Sie nicht den
Enthusiasmus der beteiligten Menschen! Diese Projekte
müssen ein Erfolg werden, um Innovation und Vernetzung gerade in den neuen Ländern voranzubringen.
Die ostdeutsche Wirtschaft braucht in Vorbereitung der
EU-Osterweiterung dringend den Ausbau der Infrastruktur. Das gilt nicht nur, weil die ostdeutschen Länder die
neuen Länder sind, sondern auch, weil sie an der EUAußengrenze liegen. Den guten Willen hat die Regierung
häufig geäußert. Was fehlt, sind wirkliche Planungen.
Bitte legen Sie sie auf den Tisch! Gute Worte allein schaffen keine Perspektive.
Ich kann die Arbeitslosen, die mich um Hilfe bitten,
nicht damit trösten, dass sich das Problem in einigen Jahren von selbst erledigt: durch Abwanderung in den Westen und die demographische Entwicklung. Sehen Sie bitte
nicht nur die Durchschnittszahlen in der Statistik! Das
Ausbleiben des Aufschwungs in den neuen Ländern belastet vor allem Frauen, junge Leute und ältere Arbeitnehmer. Die Bundesregierung bemüht sich zwar - das erkenne ich an -,
({10})
aber sie tut das Falsche. Das JUMP-Programm für Jugendliche beispielsweise ist viel zu teuer. Der Einsatz ist wesentlich zu hoch für den Erfolg, den Sie damit erreicht haben.
Frau Kollegin Reichard, kommen Sie bitte zum Schluss.
Vor allem
Frauen werden zunehmend in Billigjobs abgedrängt. Ältere Arbeitnehmer haben kaum eine Chance. Diese Menschen sind nicht faul. Sie suchen Arbeit. Manche finden
sie auch, aber in der Schattenwirtschaft, der stärksten
Boombranche.
Sie müssen die Arbeitsplätze im Osten nicht zur Chefsache machen. Das machen die ostdeutschen Unternehmer selber. Sie müssen sich nicht um alles kümmern. Deregulieren Sie den Arbeitsmarkt! Ziehen Sie die nächste
Stufe der Steuerreform vor! Geben Sie den Menschen in
den neuen Ländern die richtigen Rahmenbedingungen!
Dann werden Sie sich über die Tatkraft und die Fantasie
der Ostdeutschen wundern, die Erfahrung darin haben,
auch aus wenig etwas zu machen.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Franz Thönnes von der
SPD-Fraktion das Wort.
Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Es ist schon erstaunlich, dass Sie sich hier zweieinhalb Jahre nach dem
Regierungswechsel so aufbauschen und Erwartungen
formulieren, die Sie gerne eingelöst hätten,
({0})
die aber vor dem Hintergrund Ihrer Hinterlassenschaft
von 1,5 Billionen DM Staatsschulden, 150 000 DM Zinsen jede Minute und 4,3 Millionen Arbeitslosen im
Durchschnitt des Jahres 1998 nicht so schnell erfüllbar
sind, wie Sie es gerne hätten und wie wir es gerne tun würden. Das muss man an dieser Stelle einmal deutlich sagen.
({1})
Sie haben in 16-jähriger Regierungszeit Mauern und Hürden aufgebaut, die unheimlich erschweren, was die Arbeitsmarktsituation und die Situation in der Republik eigentlich erfordern: Flexibilität, Mobilität und die
Bereitstellung der erforderlichen Finanzmittel.
({2})
Wir sind angetreten, um Brücken für die jungen Menschen zu bauen, die jetzt aus der Schule in die Berufswelt
wollen. 1998 suchten 12 000 junge Menschen vergeblich
einen Ausbildungsplatz. Das ist die Minusbilanz, die Sie
hinterlassen haben. Im Jahr 2000 war es umgekehrt. Wir
hatten 2 000 Ausbildungsplätze mehr, als junge Menschen
nachgefragt haben. Das ist ein Erfolg aus der gemeinsamen Politik im Bündnis für Arbeit.
({3})
Das ist ein Erfolg von Gewerkschaften und Arbeitgebern.
Das haben Handwerker und Handwerkerinnen und der
Mittelstand geleistet. Das ist nach Ihrer Regierungszeit
und nicht in Ihrer Regierungszeit entstanden. Auch dies
sei deutlich gesagt.
({4})
Durch den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit verschaffen wir jungen Menschen eine neue Perspektive. Zerreden
Sie das JUMP-Programm nicht. Schauen Sie nicht nur auf
die gesunkene Zahl der jugendlichen Arbeitslosen!
Berücksichtigen Sie auch diejenigen, die gar nicht gemeldet waren, weil sie vorher Sozialhilfe bekommen haben
und nun endlich aus der Sozialhilfe herausgeholt worden
sind.
({5})
Wir haben Brücken von der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung gebaut. Von April 1998 bis April 2001 hat
sich die Zahl der Arbeitslosen um 560 000 reduziert. Das
ist ein Erfolg, den wir uns hier nicht zerreden lassen, genauso wenig wie den Erfolg, dass 1 Million neuer Jobs geschaffen worden sind. Wenn Sie sagen, das liege an der
demographischen Entwicklung, antworte ich Ihnen: Das
stimmt. - Natürlich ist darin auch die Zahl der 630-MarkJobs enthalten. Aber Sie müssen sich auch an Ihre Argumentation erinnern, als wir diese Arbeitsverhältnisse
Christa Reichard ({6})
sozialversicherungspflichtig machen wollten. Damals
sind Sie durch das Land gezogen und haben gesagt: Dadurch werden Arbeit und Arbeitsplätze vernichtet. - Wenn
wir also jetzt die Zahl der 630-Mark-Jobs in die Gesamtzahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze einbeziehen,
dann ist das nur gerecht; denn schließlich sind das
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze.
({7})
Wissen Sie, was Ihnen die Menschen am Brandenburger
Tor antworten würden, wenn Sie sie fragen würden, was
sie davon halten, wenn jemand erst so und nachher anders
argumentiert und dies hinterher nicht mehr wahrhaben
möchte? - Sie würden Ihnen antworten: So jemand hat
schlichtweg einen an der Waffel.
({8})
Wir lassen uns auch nicht die Erfolge zerreden, die wir
bei der Eingliederung von Menschen in den Arbeitsmarkt
erzielt haben, die erhebliche Schwierigkeiten haben. Die
Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten ist im Vergleich
zum April des letzten Jahres um 12 500 zurückgegangen.
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist um 106 000 zurückgegangen. Die Zahl der arbeitslosen ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist um 24 600 zurückgegangen. Für diese Personengruppen hat sich auf dem
Arbeitsmarkt sukzessiv etwas getan, weil man ganz gezielt auf sie eingegangen ist.
Ich möchte auch noch etwas zu dem Thema „Drückeberger“ sagen, das Sie angeschnitten haben. Es geht darum, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist und dass
man von denjenigen, die Hilfe bekommen, erwarten kann,
dass sie die angebotene Hilfe auch annehmen. Dazu sind
sie verpflichtet.
({9})
Aber Angebote müssen vorhanden sein. Wir versuchen,
solche Angebote zu organisieren, indem wir die Arbeitsmarktpolitik passgenauer und flexibler im Bereich der
Arbeitsvermittlung gestalten, zum Beispiel über Eingliederungsverträge Qualifizierungs- und Trainingsmaßnahmen anbieten. Bei der Maxime „Fördern und fordern“
kommt es auf den Gleichklang an. Zu dem Thema
„Drückeberger“ möchte ich Ihnen sagen: Die Wirtschaft
darf sich nicht länger davor drücken, die 1,9 Milliarden
Überstunden abzubauen und sie in Beschäftigung und
Teilzeitarbeit umzuwandeln. Das ist die Herausforderung.
({10})
Zu Ihren schönen Vergleichen mit dem Fußballfeld und
der Lokomotive möchte ich Ihnen eines sagen: Die Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit während Ihrer Regierungszeit immer gestiegen ist, hat den Menschen den Eindruck
vermittelt, als ob sie in einen Tunnel hineinschauen würden, an dessen Ende kein Licht, sondern ein Zug, der ihnen entgegenkam, zu sehen war. Deswegen werden wir
die von Ihnen eingeleitete Politik nicht fortsetzen.
Frau Reichard, Ihre arbeitsmarktpolitischen Vorstellungen kennen wir ja. Sie geben vor einem Wahlkampf
Anzeigen auf, in denen Sie die Unternehmer bitten, Arbeitslose einzustellen, sei es auch nur kurzfristig, damit
CDU gewählt wird. Wenn Sie uns jetzt einreden wollen,
man könne mit Lohndumping bzw. mit niedrigen Löhnen
versuchen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, dann kann ich
Ihnen darauf nur sagen: Wenn das Erfolg versprechend
wäre, dann müsste der Großteil des Ostens angesichts des
vorhandenen Lohngefälles blühen. - Es kommt vielmehr
auf eine abgestimmte Finanz-, Steuer-, Wirtschafts- und
Arbeitsmarktpolitik an. Wir haben die Arbeitsmarktpolitik so ausgerichtet, dass das eine Zähnchen in das andere
hineingreift. Deswegen sage ich Ihnen: Die Arbeitsmarktpolitik ist bei dieser Regierung in guten Händen, auch in
schwierigen Zeiten, also auch jetzt, wenn es eine Konjunkturdelle gibt.
({11})
Wir sind
damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 10. Mai 2001,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.