Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Es gibt einen erheblichen
Modernisierungs- und Reformprozess in islamischen
Ländern und Gesellschaften, auch in Bezug auf die Situation der Frauen, gerade auch im Iran. Wir wollen diesen
Modernisierungs- und Reformprozess so umfassend wie
möglich fördern, statt durch pauschale Verurteilungen islamistischen Kräften in die Hände zu spielen und auf
diese Weise den Öffnungsprozess zu behindern.
({0})
In diesem interkulturellen Dialog gilt aber auch - da
müssen wir absolut klar sein -: In der Frage der Menschenrechte und der Rechte der Frauen gibt es einen weltweiten Konsens, der sich in den Menschenrechtskonventionen und in der UN-Charta ausdrückt. Hier kann es
keinerlei Relativierung mit Verweis auf angebliche kulturelle Traditionen geben.
({1})
Die Menschenrechtspakte sind ebenso wie die UN-Charta
Teil einer sich mittlerweile formendenVerfassung derWelt.
Aber nirgendwo steht geschrieben, dass die gesellschaftsund wirtschaftspolitische Entwicklung der Welt nach dem
Muster neoliberaler Globalisierung erfolgen müsse.
({2})
Wir haben in unserem Elften Bericht zur Entwicklungspolitik, der Ihnen vorliegt, deutlich gemacht, wie wir
dieses neue Denken in stärkerer Krisenprävention, in der
Kooperation mit möglichst vielen Akteuren und in der
Nutzung der internationalen Finanzinstitutionen verankert haben. Wir arbeiten eng mit Kirchen und Nichtregierungsorganisationen sowie Unternehmen zusammen.
Mittlerweile nutzen wir die unternehmerische Initiative
von 500 Unternehmen in über 60 Ländern bei Vorhaben,
die die Entwicklung gerade von ärmeren Ländern fördern. Dieses ist eine wichtige Orientierung und Weichenstellung. Wir stärken außerdem den Frauen in den
Entwicklungsländern den Rücken, denn sie sind die wichtigsten Zukunftsträgerinnen der Entwicklung.
({3})
Die Entwicklungspolitik der rot-grünen Bundesregierung in den letzten dreieinhalb Jahren hat in vielen Bereichen wichtige Impulse gegeben und Erfolge erzielt unter
den Leitthemen „Armut bekämpfen“, „Globalisierung gestalten“, „Frieden sichern“. Folgende Beispiele möchte
ich nennen:
Bei den ärmsten Entwicklungsländern konnte eine Entschuldung im Umfang von 70 Milliarden US-Dollar
durchgesetzt werden. Das Programm „Globale Armutsbekämpfung 2015“ sagt unter anderem dem EU-Agrarprotektionismus den Kampf an, fordert eine gerechtere
Beteiligung der Entwicklungsländer an den Regeln des
Welthandels und an der Globalisierung ein und fordert
hierzu auch praktische Vorschläge.
({4})
Deutschland finanziert den Kampf gegen den Killer Nummer eins in den Entwicklungsländern, nämlich Aids, und
trägt zur Finanzierung des globalen Gesundheitsfonds
bei. Deutschland hat das neue Abkommen der EU mit
77 afrikanischen, karibischen und pazifischen Entwicklungsländern ausgehandelt und ratifiziert; dieses stellt
finanzielle Unterstützung im Umfang von rund 13,8 Milliarden Euro für die Jahre 2000 bis 2005 bereit.
Wir haben durch massiven Druck erreicht, dass die
ärmsten Entwicklungsländer freien Zugang zum Markt
der Europäischen Union haben. Würden sich alle Industrieländer an dieser Initiative der EU beteiligen, so könnten die ärmsten Entwicklungsländer zusätzliche Einnahmen von 3 Milliarden US-Dollar erzielen. Sie sollten also
diesem Beispiel folgen.
({5})
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Im Rahmen der Entwicklungspartnerschaft mit der
Wirtschaft sorgen wir dafür, dass die Unternehmen bei ihrer Tätigkeit soziale und ökologische Standards für ihre
Tätigkeit freiwillig einhalten.Allein aus Deutschland haben
übrigens zehn Unternehmen den „global compact“ des UNGeneralsekretärs Kofi Annan unterschrieben. Ich werbe
dafür, dass sich mehr deutsche Unternehmen dieser beispielhaften Initiative anschließen. Damit können die Unternehmen zeigen, dass sie ihrer Verantwortung auch in Bezug
auf die Entwicklungszusammenarbeit gerecht werden.
({6})
Wir unterstützen zusammen mit den G-7-Ländern aktiv die afrikanischen Länder, die sich, wie sie es nennen,
in der neuen Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas
zusammenschließen. Sie setzen sich dabei selbstkritisch
zuallererst mit ihren eigenen Versäumnissen in den eigenen Ländern auseinander. Der Bundeskanzler hat durch
die Bestellung der Parlamentarischen Staatssekretärin im
BMZ, Frau Dr. Eid, zu seiner persönlichen Beauftragten
für dieses G-7- bzw. G-8-Programm deutlich gemacht,
dass wir diese Initiativen unterstützen.
({7})
Der Umgang mit der schweren innenpolitischen, wirtschaftlichen und humanitären Krise in Simbabwe ist auch
ein Prüfstein für die Entschlossenheit dieser neuen afrikanischen Initiative. „Die Wahlen in Simbabwe waren
weder frei noch fair, sondern geprägt von Gewalt und Einschüchterung“, wie es eine parlamentarische Beobachterdelegation der Staaten des Südlichen Afrikas ausdrückte.
Die Bundesregierung wird ihre Position beibehalten: Wir
unterstützen die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen in Simbabwe, werden aber mit der Regierung
Mugabe im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit
in keiner Form zusammenarbeiten
({8})
und werden die EU auffordern, weiteren Druck auszuüben und die Sanktionen aufrechtzuerhalten.
In Afghanistan ist deutlich geworden, dass der deutsche Beitrag zu einer friedlichen Zukunft zu einem der
tragenden Pfeiler des Wiederaufbaus geworden ist. Wir
haben mit 320 Millionen Euro nicht nur den deutlichsten
und größten Beitrag zur Unterstützung innerhalb der EUMitgliedstaaten langfristig angekündigt, sondern auch mit
einem 100-Tage-Programm sehr rasch mit der Durchsetzung von kurzfristigen Maßnahmen begonnen. So helfen
wir zum Beispiel bei der Wiederherstellung von Schulen
und Krankenhäusern und bei der Energie- und Wasserversorgung. Im März haben alle Kinder in Afghanistan,
auch die Mädchen, wieder die Chance, in die Schule zu
gehen. Wir wünschen, dass diese Kinder niemals mehr
Krieg, niemals mehr Bürgerkrieg erleben mögen, sondern
eine gute Zukunft haben, dass sie den Stift nutzen und
nicht die Kalaschnikow.
({9})
Diese Perspektive wünschen wir uns für diese Kinder.
Über Afghanistan hinaus beziehen wir aber auch die gesamte Region ein. So gibt es eine gemeinsame Initiative mit
den Vereinten Nationen in Bezug auf die Region Zentralasien. Außerdem haben wir die Entwicklungszusammenarbeit mit Pakistan bereits im ersten Halbjahr aufgenommen; der Schwerpunkt liegt dabei auf der Stärkung des
öffentlichen Schulwesens. Denn - das ist wichtig mit Blick
auf die Bekämpfung von Fundamentalismus - es ist doch
meist wirtschaftliche Not und nicht unausweichlicher religiöser Fundamentalismus, der Eltern aus ärmeren Schichten ihre Kinder in die Koranschulen, die Madrassas,
schicken lässt, in denen sie fanatisiert und indoktriniert
werden. Das wollen wir verhindern helfen. Das ist Terrorismusprävention und -bekämpfung, für die wir stehen und für
die wir uns engagieren.
({10})
Ich plädiere für einen neuen Pakt zwischen Industrieund Entwicklungsländern. In drei Tagen beginnt in Monterrey, Mexiko, die UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung. Erstmals seit dem 11. September werden
dort alle Beteiligten dieser Welt die Finanzierung der
großen gemeinsamen Aufgaben in ihrer ganzen Bandbreite beraten: Regierungen,Vereinte Nationen,Weltbank,
Internationaler Währungsfonds, Welthandelsorganisation,
Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft. Von Monterrey
muss die Botschaft ausgehen: In einer weltweiten Koalition für Entwicklung übernimmt jeder Verantwortung
dafür, dass die große Verpflichtung des Millenniumgipfels
erfüllt wird, die Industrie- ebenso wie die Entwicklungsländer, der Staat ebenso wie die Zivilgesellschaft und die
private Wirtschaft. Überholtes Kästchendenken muss endlich überwunden werden. Der Entwurf des Abschlussdokuments, der Monterrey-Konsensus, ist Ausdruck dieser
neuen partnerschaftlichen Zusammenarbeit.
Ich weiß, dass es schon im Vorfeld Kritik an diesem
Entwurf eines Abschlussdokuments gegeben hat. Einige
hätten gern manches griffiger, deutlicher, präziser formuliert gesehen, ich auch. Doch ich sage Ihnen: Wenn all das,
was in diesem Entwurf des Abschlussdokuments steht
- Öffnung der Märkte, Handelsförderung für Entwicklungsländer, mehr öffentliche Entwicklungszusammenarbeit -, in den folgenden Monaten Punkt für Punkt umgesetzt wird, dann sind die Entwicklungsländer, dann ist
die internationale Gemeinschaft auf dem Weg zu einer gerechteren, friedlicheren Welt einen Riesenschritt vorangekommen.
({11})
Es ist doch auch die Wahrheit - das habe ich genau so
eingeschätzt -: Ohne die anstehende Konferenz hätte die
EU sich selber und ihre Mitgliedstaaten nicht zur schrittweisen Aufstockung der Entwicklungsmittel verpflichtet.
Wir teilen die Auffassung der Weltbank und der Vereinten Nationen, dass auch die Mittel für die öffentliche
Entwicklungszusammenarbeit substanziell erhöht werden müssen, damit wir die international vereinbarten
Entwicklungsziele erreichen können.
({12})
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Wir haben uns im Rahmen der EU verpflichtet, das
0,7-Prozent-Ziel so rasch wie möglich zu verwirklichen
und dahin gehend noch vor dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung konkrete Fortschritte zu erzielen. Wir
unterstützen nachdrücklich den Vorschlag der EU - und
werden ihn umsetzen -, dass alle Mitgliedstaaten, die das
0,7-Prozent-Ziel noch nicht erreicht haben, bis zum
Jahr 2006 als erstes Zwischenziel den EU-Durchschnitt
des Jahres 2000 von 0,33 Prozent realisieren. Das bedeutet, dass auch Deutschland seine Entwicklungsaufwendungen erhöhen wird, und das ist gut so.
({13})
An die Adresse der Opposition sage ich: Als wir 1998
an die Regierung kamen, war die Quote der offiziellen
Entwicklungszusammenarbeit abgefallen. Am Ende der
Regierungszeit von Helmut Schmidt, 1982, lagen wir bei
0,48 Prozent des Bruttosozialprodukts,
({14})
am Ende der Regierung Kohl bei 0,26 Prozent. In den letzten Jahren haben wir trotz der Notwendigkeit, den Schuldenberg kontinuierlich abzubauen, den Beginn einer
Trendwende in der Entwicklungsfinanzierung geschafft.
({15})
- Wir sind jetzt bei 0,27 Prozent und werden bis zum Jahr
2006 0,33 Prozent erreichen.
({16})
Hätten sich der Kollege Hedrich und andere, die vorher in
diesem Amt waren, für die Erhöhung der Mittel so engagiert, wären wir heute längst bei 0,7 Prozent.
({17})
Insofern hätten Sie das auch in Ihrer Regierungszeit umsetzen können.
Jeder weiß aber auch, dass die Bundesrepublik
Deutschland mit 5,8 Milliarden US-Dollar in absoluten
Zahlen der weltweit drittgrößte Geber von Mitteln für die
Entwicklungszusammenarbeit ist,
({18})
obwohl wir ganz andere Lasten als viele EU-Länder zu
tragen haben. Dies ist auch wichtig und sollte sehr deutlich werden.
({19})
Für die großen Aufgaben brauchen wir neue, innovative Finanzierungsinstrumente. In diesem Zusammenhang müssen wir manche Scheuklappen beiseite legen
und Denkverbote prüfen und überwinden. Dafür hat das
BMZ bei Professor Spahn eine unabhängige wissenschaftliche Machbarkeitsstudie zu einer Devisentransaktionssteuer in Auftrag gegeben. Professor Spahn
kommt zu der Schlussfolgerung, dass sie machbar ist,
wenn sich alle Länder einer Zeitzone, zum Beispiel die
EU-Länder und die Schweiz mit dem Finanzplatz Zürich,
darauf einigen. Die Ergebnisse dieser Studie wollen wir
mit unseren Partnern in Monterrey diskutieren, ebenso die
wertvollen Vorschläge des Wissenschaftlichen Beirats für
globale Umweltfragen zu Nutzungsentgelten für die globalen öffentlichen Güter.
({20})
All dies zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen, was in
Zukunft erforderlich sein wird, wenn wir das erreichen
wollen, wofür wir alle einstehen - ich gehe davon aus, dass
das für alle in diesem Hause gilt -: Kooperation und nicht
das Recht des Stärkeren ist der Schlüssel zur Lösung der
drängenden Probleme. Ferner geht es um Verrechtlichung,
um globale Rechtsstaatlichkeit. Deshalb begrüße ich es,
dass nunmehr 55 Staaten das Statut des Internationalen
Strafgerichtshofes ratifiziert haben. Damit macht die internationale Gemeinschaft klar und deutlich: Völkermord
und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird sie nicht
mehr hinnehmen. Niemand, der solche Verbrechen zu verantworten hat, wird ungestraft davonkommen.
({21})
Wir wollen und müssen das Demokratiedefizit in der
globalen Welt auch dadurch überwinden, dass wir über
neue Institutionen nachdenken, die die Beteiligung der
Entwicklungsländer auf höchster politischer Ebene ermöglichen. Auch muss der Westen allen Vorwürfen entgegenarbeiten, er handele auf der Grundlage doppelter
Standards.
Um Krisen, Terror und Gewalt nachhaltig einzudämmen, gibt es längerfristig nur eine Erfolg versprechende
Strategie: den Kampf gegen Armut, Ungerechtigkeit und
Ausgrenzung in der Welt. Dass Entwicklungspolitik mit
ihren Instrumenten dabei erfolgreich sein kann - das ist
aber ein längerfristiger Prozess und nicht in einem halben
Jahr zu bewirken -, hat sie bewiesen.
Lesen Sie dazu bitte den Bericht der Weltbank, der vor
wenigen Tagen publiziert worden ist. In diesem Bericht
heißt es, dass zwei wichtige Dinge erreicht worden sind:
Die durchschnittliche Lebenserwartung in den Entwicklungsländern hat sich seit 1960 um 20 Jahre erhöht.
Die Zahl der erwachsenen Menschen, die nicht lesen und
schreiben können, ist seit 1970 von 47 Prozent auf heute
25 Prozent gesunken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen und auch liebe Bürgerinnen und Bürger, Entwicklungspolitik verdient also
unser aller Engagement. Wir tun damit nicht nur etwas für
andere, sondern auch etwas für uns selbst, weil unsere
Kinder dadurch eine friedlichere Zukunft haben.
({22})
Denn, was Weltbank-Präsident James Wolfensohn kürzlich gesagt hat - damit will ich schließen -, ist wahr:
Wenn Sie wollen, dass Ihre Kinder in den nächsten
25 Jahren in einer friedlichen Welt leben, dann
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
müssen Sie sich heute um internationale Entwicklung kümmern.
Wir tun das. Lassen Sie es uns gemeinsam tun.
Herzlichen Dank.
({23})
Ich erteile dem Kollegen Klaus-Jürgen Hedrich, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der
„Tagesspiegel“ vom gestrigen Tage zitiert eine Kollegin
der SPD-Fraktion:
Wir sind dabei, Formulierungen zu finden, mit denen
wir uns nicht blamieren.
Frau Ministerin, diese Politik haben Sie auch heute
fortgesetzt.
({0})
Der „Focus“ beschreibt dies mit den Ausdrücken „täuschen, verschleiern, verfälschen“.
({1})
Das ist das Prinzip Ihrer Politik: von Riester über
Scharping bis zur Entwicklungsministerin.
({2})
Der Vorschlag der EU, die nationale Mindestquote
aller EU-Staaten bis zum Jahre 2006 auf 0,33 Prozent des
Bruttosozialprodukts zu erhöhen, wurde durchaus mit der
Entscheidung des EU-Ministerrats im November des letzten Jahres vorbereitet, wo Sie bekräftigt haben, diese
Quote sei auf 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts zu erhöhen. Die Ministerin ist stolz darauf, dass sie diese Entscheidung mit initiiert hat. Der Punkt ist aber: Konkretes
erfolgt nicht.
Glauben Sie allen Ernstes, die Bürger in diesem Lande
oder die internationale Gemeinschaft seien bereit, Ihnen
abzunehmen, dass der Bundeskanzler in der letzten Nacht
seinen Finanzminister angewiesen hat, doch der EU-Entscheidung für eine einheitliche Linie in Monterrey nicht
mehr entgegenzustehen? Schröder hatte auf dem G-7Gipfel in Köln Zusagen gemacht. Drei Tage später kürzte
Eichel den Etat. Schröder hat auf dem Millenniumgipfel
eine Zusage gemacht. Jetzt verpflichten Sie sich in dem
Dokument für Monterrey ebenfalls auf das 0,7-ProzentZiel. Sie haben es hier auch angesprochen. Der Punkt ist
nur, dass eine Implementierung nicht stattfindet.
Auf unsere präzisen Fragen dazu, in welchen Schritten
Sie sich die Erreichung dieses Ziel vorgenommen haben,
bekommen wir im Ausschuss nie eine Antwort. Auch unsere Haushälter im Haushaltsausschuss erfahren nichts.
Wer so vorgeht, gefährdet seine eigene Glaubwürdigkeit.
({3})
Es ist schon ein skandalöser Taschenspielertrick, wenn
Sie nun mit den Zahlen für die letzten Haushaltsjahre in
Höhe von 0,27 Prozent und 0,28 Prozent des Bruttosozialprodukts arbeiten. In diesem Haushaltsjahr haben Sie
den Entwicklungsetat um 8,5 Prozent gekürzt. Das ist die
höchste Kürzung, die ein Entwicklungsetat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland je erfahren hat.
Das ist Ihre Bilanz und nicht unsere.
({4})
Was haben Sie in dem Zusammenhang nicht alles versprochen! Sie hätten durchaus Gelegenheit gehabt, deutlich zu machen, wie Sie dies umsetzen wollen. Ich darf
mich hier wiederholen.
Es gibt aber auch andere Punkte, bei denen Sie mit
großen Ankündigungen gearbeitet haben. Für diejenigen,
die mit der Materie im Einzelnen nicht vertraut sind: Die
Ministerin hat ein so genanntes Konzentrationskonzept
vorgelegt. Danach sollte die Zahl der Länder, mit denen
Deutschland zusammenarbeitet, ursprünglich auf 70 reduziert werden. Inzwischen haben Sie eine neue Liste, auf
der 102 Länder stehen, vorgelegt.
Auf dieser Liste wurden übrigens interessante Kaschierungen vorgenommen. Zum einen taucht dort die
Neuschöpfung eines Entwicklungslandes namens Zentralasien auf, damit Sie nicht fünf Länder einzeln aufführen müssen. Damit wollen Sie verhindern, dass Sie gegen die Grundsätze Ihrer eigenen Liste verstoßen. Zum
anderen erwähnen Sie Länder überhaupt nicht und machen dazu eine Fußnote. All das sind Tricks, mit denen Sie
verschleiern wollen, dass Sie mit dem Konzept der Konzentrationspolitik gescheitert sind.
Es ist auch in sich unstimmig und unschlüssig. So haben Sie sich zum Beispiel jahrelang geweigert, Tadschikistan in die Liste aufzunehmen. Der Außenminister fährt
dann aber dorthin und erklärt, dass Tadschikistan in die
Liste aufgenommen werde. Das geschah übrigens mit
dem Hinweis, das sei notwendig, weil Tadschikistan ein
wichtiger Partner im Kampf gegen den Terrorismus und
zur Befriedung in Zentralasien ist. Das haben wir Ihnen
bereits vor zwei Jahren gesagt. Damals wurden wir mit einer schnöden Handbewegung abgefertigt.
All diese Beispiele zeigen, dass Ihr Konzept in sich
nicht konsistent ist. Sie sind möglicherweise immer dort,
wo „etwas los ist“ und wo man eventuell eine gewisse
Show abziehen kann. Deutschland kündigt zum Beispiel
eine große Zusammenarbeit mit Osttimor an - einem
Land, welches von der internationalen Hilfe völlig überfüttert ist -, statt sich gegebenenfalls auf die Länder zu
konzentrieren, die es notwendig haben.
({5})
Immer wieder spricht die Regierung davon, dass auch die
EU eine größere Rolle übernehmen sollte. Der Europäischen Union sollten von ihren einzelnen MitgliedstaaBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
ten Zuständigkeiten bezüglich der europäischen Entwicklungspolitik übertragen werden und Osttimor, ein Staat
mit 800 000 Einwohnern, sei ein klassisches Beispiel
dafür.
Es gibt aber auch noch andere Ungereimtheiten. Sie
haben das Land Simbabwe selbst genannt. Mit großen
und beredten Worten beziehen Sie sich auf die innenpolitische Diskussion in Simbabwe. Frau Ministerin, Sie haben nicht erwähnt, dass Simbabwe überhaupt nicht auf der
Liste der Partner- und Schwerpunktländer des Ministeriums steht. Die Begründung ist verhältnismäßig einfach:
Sie sagen, dass man mit diesem Land zum gegenwärtigen
Zeitpunkt staatlich nicht zusammenarbeiten könne. Das
ist übrigens richtig. Aus unserer Sicht müsste aber gerade
dieses Land eine besondere Aufmerksamkeit bezogen auf
die bilaterale Zusammenarbeit erhalten. Sie hätten nämlich die Möglichkeit, insbesondere die Kräfte in dem Land
zu stärken, die für Demokratie einstehen, so zum Beispiel
die Opposition, die Kirchen und die Nichtregierungsorganisationen.
Mehrere Kollegen aus dem Ausschuss - ich weiß nicht,
ob der Kollege Reinhold Hemker anwesend ist - fordern
Sie seit Jahr und Tag auf, mehr zur Förderung der Zivilgesellschaft in Simbabwe zu tun. Monatelang haben Sie
sich schwer getan; nichts ist passiert. Heute beklagen wir,
dass ein paranoider Diktator die Chance bekommen hat,
sich wieder an die Macht zu fälschen.
({6})
In der Tat hätten wir dort erheblich mehr tun müssen.
Wir alle kennen diese Mechanismen: Es wird darauf
verwiesen, dass man die Mittel, die für staatliche Zusammenarbeit zur Verfügung gestellt wurden, nicht zur Stärkung von Nichtregierungsorganisationen umschichten
könne.
({7})
- Das war das offizielle Argument der Regierung. - Hier
hätten Sie sich in einer intensiven Diskussion mit dem
Finanzminister darum kümmern können, dass nicht Millionen und Abermillionen Deutsche Mark oder Euro auf
der hohen Kante liegen bleiben, sondern dass diese Mittel
für die Stärkung der demokratischen Kräfte in Simbabwe
eingesetzt werden. Das gilt morgen vielleicht für ein anderes Land. Das ist die Inkonsequenz Ihrer Politik.
({8})
Diese Liste kann man beliebig fortsetzen. Sie haben
mit großem Aufwand - ich gebe zu, dass ich Sie dafür
manchmal bewundere - das „Aktionsprogramm 2015“
zur Reduzierung derArmut auf den Weg gebracht. Es ist
richtig: Man kann wirklich etwas von Ihnen lernen, wie
Sie so etwas öffentlich darstellen.
({9})
Der Punkt ist aber: Als Sie das vor einem Jahr vorstellten,
haben Sie Ihr Aktionsprogramm erläutert, aber zur Umsetzung kaum ein Wort gesagt. Einen Satz haben Sie dazu
gesagt: Sie würden jetzt einen Umsetzungsplan auf den
Weg bringen. Ich habe eine höfliche Frage gestellt - Kollegen in meiner Fraktion werfen mir vor, ich würde Sie zu
gut behandeln und nicht scharf genug formulieren -: Frau
Ministerin, wann wird der Umsetzungsplan vorliegen? Ihre Antwort war: in drei Monaten. Jetzt ist ein Jahr vergangen und der Umsetzungsplan liegt immer noch nicht
vor. Auch hier klaffen Ankündigung und Umsetzung Ihrer
Politik wie immer auseinander.
({10})
Es gibt noch eine Reihe von anderen Ungereimtheiten.
Bevor ich einige nenne, will ich durchaus darauf verweisen, dass wir in unseren Grundanstrengungen nicht
auseinander liegen. Ich teile Ihre Einschätzung, dass es
notwendig ist, alles zu unternehmen, um Entwicklungen
zu begegnen und zu steuern, die neue Gewalt auf dieser
Erde befördern könnten. Es ist in der Tat richtig, dass es
keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Terrorismus und Armut gibt. Aber junge Menschen, die keine
Perspektive für ihre eigene Zukunft haben, sind für die
Anwendung von Gewalt natürlich viel eher ansprechbar
als junge Menschen, die eine Perspektive haben. Insofern
liegen unsere Einschätzungen in diesem Punkt in diesem
Hause nahe beieinander.
Ich füge jedoch hinzu: Es bedarf dann aber auch der
konkreten Umsetzung solcher Maßnahmen. Das treibt
mich schon um; das will ich nicht verhehlen. Wir erleben
die Gewalteskalation im Nahen Osten Tag für Tag, wenn
zum Beispiel ein 14-jähriger Palästinenser in einem
Selbstmordattentäter sein Idol sieht und glaubt, dass demokratische Strukturen nicht wirklich dazu geeignet sind,
seine Lebensqualität zu verbessern. Deshalb ist es wichtig, dass wir in all unseren Anstrengungen darauf achten,
dass weltweit diejenigen Kräfte eine Chance bekommen,
die darauf hinwirken, dass die Prinzipien der Beachtung
von Menschenrechten, einer gewaltfreien Gesellschaft,
einer rechtsstaatlichen Ordnung und der Marktwirtschaft
Anwendung finden.
In dem Dokument von Monterrey - das begrüße ich steht insofern etwas sehr Vernünftiges, als darin die besondere Eigenverantwortung unserer Partnerländer betont wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir
könnten auch die doppelte Summe an Entwicklungshilfe
zur Verfügung stellen: Wenn die Voraussetzungen in unseren Partnerländern nicht gegeben sind, wenn sich die
Verantwortlichen vor Ort keine Mühe geben, ihren Menschen die Mindestperspektiven von Entwicklung zu eröffnen, dann nützt alle Hilfe von außen nichts.
({11})
Wir können die Probleme unserer Partnerländer nicht
lösen. Diese Probleme müssen von den Verantwortlichen
dort selbst angepackt werden, und zwar nicht nur von der
politischen, sondern auch von der wirtschaftlichen, der
kulturellen und der wissenschaftlichen Elite. Was wir tun
können, ist, unsere Hilfe anzubieten und unsere Partner
dort zu unterstützen, wo wir gegebenenfalls mit unseren
Mechanismen eingreifen können. Hier kommt den politischen Stiftungen aller politischen Gruppierungen in
Deutschland in ganz besonderem Maße eine wichtige
Aufgabe zu.
({12})
Es ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung, dass wir uns nicht nur über die klassische EZ Gedanken machen. Ich teile die Auffassung, dass wir uns
auch mit den Konzeptionen marktwirtschaftlicher Systeme beschäftigen müssen. Ich will deshalb betonen - das
wird übrigens manchmal sogar in meiner eigenen Partei
vergessen, von Sozialdemokraten sowieso -, dass die
Christdemokraten keine Konservativen sind. Wir Christdemokraten sind eine Partei der Mitte.
({13})
Wir Christdemokraten in Deutschland stehen nicht für
Marktwirtschaft als solche, sondern für das Konzept der
sozialen Marktwirtschaft.
({14})
Es handelt sich um ein Konzept, das nicht allein ein Wirtschaftskonzept ist. Das ist es am wenigsten. Es ist ein Ordnungskonzept. Wir glauben, dass wir von den Erfahrungen Deutschlands durchaus das eine oder andere unseren
Partnerländern in dieser Welt anbieten können, eben nicht
in der Form von Belehrungen, sondern in einem Angebot.
Wir sind der festen Überzeugung, dass der Maßstab der
sozialen Gerechtigkeit die Voraussetzung für mehr Frieden auf der Welt ist.
Herzlichen Dank.
({15})
Ich erteile dem Kollegen Gernot Erler, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist erst das zweite Mal, dass sich der
Deutsche Bundestag auf der Grundlage einer Regierungserklärung über Entwicklungspolitik unterhält. Das sollte
eigentlich ein Höhepunkt der entwicklungspolitischen
Debatte sein. Ich muss leider feststellen, Herr Kollege
Hedrich, dass Sie diesem Anspruch nicht gerecht geworden sind.
({0})
Die Art und Weise, wie Sie hier kleinkariert, buchhalterisch, ja geradezu provinziell Ihre Rede gestaltet haben,
({1})
führt wirklich dazu, dass ich sagen muss: Ich kann nur
hoffen, dass möglichst wenig Menschen, die Erwartungen
an uns haben, das gehört haben, denn mit einer solchen
personifizierten Lustlosigkeit und dem Missmut, den Sie
hier ausstrahlen, werden Sie in der Politik niemanden und
nichts erreichen.
({2})
Der Zeitpunkt für diese Debatte ist gut gewählt: drei
Tage vor der UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung von Monterrey und sechs Monate nach dem 11. September. Diese sechs Monate kennzeichnen einen Lernprozess, den wir durchmachen mussten. Wir haben gelernt, dass der 11. September kein Einzelereignis ist, sondern eine neue Dimension globaler Herausforderung, die
natürlich eine direkte militärische Anwort erforderte,
auch um eine Wiederholung unmöglich zu machen. In
diesen sechs Monaten haben wir aber auch gelernt, dass
diese Form der Antwort allein in der Zeitperspektive nicht
ausreicht.
({3})
Wir brauchen eine zentrale Antwort in globaler Strukturpolitik. Das heißt nicht weniger, als dass die Erkenntnis nach diesen sechs Monaten ist: Entwicklungspolitik
ist präventive Sicherheits- und Friedenspolitik und
muss auch als solche angelegt werden.
({4})
In den letzten sechs Monaten hat es eine Umwertung dieses politischen Feldes gegeben. Bisher - das müssen wir
doch zugeben - ist Entwicklungspolitik eine Art Nische
gewesen, und zwar eine Nische, in der sich moralischethisch orientierte Politiker ohne große öffentliche Beachtung bewegt haben. Gelegentlich wurde das belächelt
als Politik für Gutmenschen.
Heute müssen wir feststellen: Entwicklungspolitik ist
in den Kernbereich von Sicherheitspolitik gerückt und erfordert deswegen eine völlig andere Beachtung.
({5})
Zum Glück fangen wir hier in Deutschland nicht bei Null
an. Das zeigt schon die Kurzformel, mit der die Ministerin
heute den Elften entwicklungspolitischen Bericht vorgestellt hat. Sie lautet: Armut bekämpfen, Globalisierung
gestalten, Frieden sichern. Das ist, auf die kürzeste Formel gebracht, der Anspruch, Entwicklungspolitik als
präventive Friedenspolitik zu gestalten. Das ist in den
letzten dreieinhalb Jahren der rot-grünen Regierungsarbeit nicht etwa nur Formel oder Anspruch geblieben.
Die Brücke von der Entwicklungspolitik zur Friedenspolitik ist zum Glück schon beschritten worden, und zwar
mit dem Aufbau eines zivilen Friedensdienstes, mit der
Kölner Entschuldungsinitiative, die insgesamt 70 Milliarden Dollar bewegen wird, mit dem Programm der globalen Armutsbekämpfung, das Sie, Herr Kollege, völlig unzureichend angesprochen haben,
({6})
sowie mit der Beteiligung an globalen Gesundheitsfonds
und dem Zentrum der Aidsbekämpfung, nachdem Aids geradezu eine Entvölkerungsseuche in Afrika geworden ist.
Die besagte Brücke ist auch mit den regionalen Ansätzen beschritten worden, sei es für die AKP-Staaten mit
dem Cotonou-Abkommen, in Afrika mit dem G-8-Programm NEPAD, auf dem Balkan mit dem Stabilitätspakt
oder in Afghanistan, wo es nicht nur gelang, sehr kurzfristig humanitäre Hilfe anzubieten und tatsächlich zu
leisten, sondern wo sich die Bundesregierung auch für
die nächsten vier Jahre auf ein Programm in Höhe von
320 Millionen Euro verpflichtet und - das ist noch viel
wichtiger - mit dem 100-Tage-Programm schon konkret
Mittel zur Verfügung gestellt hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass
dies alles auf den Weg gebracht wurde, und zwar größtenteils vor dem 11. September. An dieser Stelle erscheint
mir die Feststellung angebracht, dass dahinter ein enormer Arbeitsaufwand der vielen Beschäftigen im Bundesministerium und der Ministerin selber steht. Dafür möchte
ich an dieser Stelle herzlichen Dank sagen.
({7})
Diese Debatte fällt auch mitten in eine Diskussion über
die notwendige zweite Phase im Antiterrorkampf. Es
gibt Lehren aus dem 11. September. Wir wissen jetzt, dass
es Köpfe voller Hass, Verirrung, Verwirrung und auch
voller zerstörerischer Fantasie gibt. Aber richtig gefährlich werden diese Köpfe erst, wenn die Beine dazukommen, nämlich durch den Zulauf von Menschen, die ebenfalls Aussichtslosigkeit, Demütigung und Hass zum
Motor ihrer Bewegung machen.
Wir können nicht alle Köpfe verlässlich erreichen.
Deshalb besteht die wichtigste Aufgabe darin, den Zulauf
zu verhindern. Das bedeutet nicht weniger als die Herausforderung einer neuen Dimension von Prävention.
Die Europäer und mit ihnen die Deutschen haben in letzter Zeit einen Lernprozess durchgemacht. Wir haben es
nicht vermocht, vier blutige Kriege auf dem Balkan zu
verhindern. Wir haben das auch als ein Versagen der
Prävention angesehen.
Im vergangenen Jahr ist es - so scheint es - am Beispiel
Mazedonien zum ersten Mal gelungen, durch ein gemeinsames, abgestimmtes Auftreten der Europäer eine
weitere Katastrophe - in diesem Fall einen Bürgerkrieg in
Mazedonien - zu verhindern. Das heißt, Europa und wir
haben dazugelernt, was die regionale Prävention angeht.
Das wird vielleicht als erster Fall einer erfolgreichen Anwendung regionaler Prävention in die Zeitgeschichte eingehen.
({8})
Aber dann kam der 11. September und wir haben gemerkt, dass das, was wir an Lektionen für regionale
Prävention gelernt haben, dafür nicht anwendbar war. Dabei handelte es sich um eine neue Dimension der Herausforderung, die auch eine neue Dimension der Antwort
erforderte. Wir stehen vor nichts anderem als einem neuen
Lernprozess hinsichtlich dessen, was strukturelle und
globale Prävention bedeutet. Das fängt jetzt erst an und
es ist völlig klar, dass im Zentrum dieser strukturellen und
globalen Prävention eine globale Steuerungspolitik - das
heißt: Entwicklungspolitik - stehen muss.
Manche Leute meinen, Afghanistan sei ein Modell.
Das stimmt auch. Militärisch war es erfolgreich; insofern
kann man das bejahen. Aber gleichzeitig ist klar: Die serienmäßige Anwendung dieses Modells ist unmöglich
und nicht machbar.
({9})
Kofi Annan hat uns vor wenigen Tagen in diesem
Hause die Botschaft mitgegeben, dass Afghanistan ein
langfristiges Engagement braucht. Er hat uns den Begriff
„sustainable peace“ - nachhaltige Friedenssicherung vorgestellt und wir können hier sicherlich alle feststellen,
dass wir uns dazu bekennen. Wir wissen, wie lange wir
uns dort engagieren müssen und wie viel wir in die Aufgabe der Friedenssicherung in dieser Region investieren
müssen.
Das bedeutet aber auch, dass Afghanistan ein neues
Versorgungsprotektorat darstellt, das uns lange beschäftigen wird. Wir Deutsche sind jedoch bereits in einigen anderen Regionen langfristig engagiert, zum Beispiel in
Bosnien-Herzegowina, im Kosovo und in gewisser Weise
auch in Mazedonien. Es ist völlig klar, dass diese Art von
Schaffung immer neuer Versorgungsprotektorate in der
Weltpolitik keine dauerhafte Stabilisierung bringen kann.
Das kann nicht der Weg sein, mit dem wir eine globale
Umverteilung organisieren können. Es handelt sich nämlich um eine Umverteilung.
({10})
Es ist aber eine erzwungene, eine postinterventionistische Umverteilung. Das geht nicht. Die Herausforderung
ist, eine ganz andere Form der Umverteilung - das ist die
Aufgabe der Entwicklungspolitik - zu finden, nämlich
eine politisch gestaltete, präventive Umverteilung. Um
das zu erreichen, müssen wir in der Tat die Instrumente
anwenden, die im Elften Bericht zur Entwicklungspolitik
der Bundesregierung aufgezählt sind und die von der Entschuldung über die Entwicklungspartnerschaft mit der Industrie, die faire Gestaltung der Terms of Trade und des
Handels, das Bemühen, allen Produkten aus der Dritten
Welt den Marktzugang zu ermöglichen, bis hin zur Erhöhung der offiziellen Entwicklungsfinanzierung reichen.
Deswegen ist es wichtig - dazu liegt ja auch ein Antrag
vor -, dass die in drei Tagen beginnende UN-Konferenz
in Monterrey über die Entwicklungsfinanzierung ein Erfolg wird. Wir wünschen und fordern diesen Erfolg.
({11})
Erfolg kann doch nur heißen - hier muss man der Ministerin zustimmen -, dass sich die Industrieländer auf
dieser Konferenz tatsächlich verbindlich darauf verpflichten, einen höheren Anteil ihrer Bruttoinlandsprodukte für Entwicklungsaufgaben zur Verfügung zu stellen. Dieser Anteil darf nicht auf dem bisherigen Niveau
stagnieren. Es muss wenigstens das vereinbarte
Zwischenziel beschlossen werden, nämlich dass jedes
Industrieland bis 2006 mindestens 0,33 Prozent seines
Bruttoinlandsproduktes für die Entwicklungshilfe zur
Verfügung stellt. Das erwarten wir. Das ist sozusagen das
Gepäck, mit dem unsere Delegation dorthin fährt.
Wir brauchen deswegen auch den Erfolg des zweiten
wichtigen entwicklungspolitischen Ereignisses in diesem
Jahr, nämlich des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung, der Ende August/Anfang September in Johannesburg stattfinden wird. Wir als Abgeordnete verpflichten
uns, diesen Gipfel sorgfältig und kreativ vorzubereiten.
Wir gehen davon aus, dass auch die Bundesregierung
dazu bereit ist.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Ich
habe vorhin gesagt, dass die europäischen Fähigkeiten im
Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
in der letzten Zeit tatsächlich ein Stück vorangekommen
seien, dass es Fortschritte gegeben habe und dass sich
Chancen entwickelten. Aber ein Defizit muss man leider
feststellen: Es gibt bisher keine europäische Dimension
der Entwicklungszusammenarbeit. Diese ist noch nicht
sichtbar. Sie ist aber notwendig. Gerade in der jetzigen
Phase, in der wir über eine zweite Stufe des Antiterrorkampfes diskutieren und auch streiten, ist es notwendig zu
erklären - ich kündige das für meine Fraktion an -: Wir
werden mit jedem, der das will, zusammenarbeiten und
große Anstrengungen unternehmen, dass die neuen Erkenntnisse im Hinblick auf die Bedeutung der Entwicklungspolitik, die wir auf nationaler Ebene gewonnen haben, zu einem europäischen Programm führen werden. Es
reicht nicht, dass wir auf europäischer Ebene nur militärische und politische Fähigkeiten aufbauen. Es muss auch
eine neue Dimension der europäischen Entwicklungspolitik geben.
({12})
Ein solches Signal sollte von dieser Debatte ausgehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Joachim Günther, FDP-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als für den heutigen Tag die Regierungserklärung zum Thema Entwicklungspolitik angesetzt wurde, habe ich genauso wie Sie,
Herr Kollege Erler, für einen kurzen Augenblick die Hoffnung gehabt, dass die Debatte ein Höhepunkt werden wird
und dass wir etwas Neues hören werden, nämlich dass es
im Kabinett einen Umschwung gegeben hat und dass wir
bei der Finanzierung der Entwicklungsarbeit entscheidend vorankommen. Nach der Regierungserklärung muss
ich sagen: Daraus ist nichts geworden.
({0})
Wenn Sie - darauf wurde wiederholt hingewiesen - aus
heutiger Sicht Ihre eigene Koalitionsvereinbarung betrachten, dann werden Sie feststellen, dass so gut wie
nichts von dem, was Sie sich vor über drei Jahren zum
Ziel gesetzt haben, Realität geworden ist. Diese Vereinbarung ist in weiten Teilen nicht mehr das Papier wert, auf
dem sie steht. Ihre Kollegen geben in den Ausschüssen
auch ehrlich zu, dass sie die selbst gesteckten Ziele leider
nicht erreichen konnten.
Beim letzten Außenministertreffen in Brüssel hat sich
Minister Fischer zwar wieder grundsätzlich für die Entwicklungshilfe ausgesprochen. Gleichzeitig hat er gesagt,
er müsse aber erst Hans Eichel fragen.
({1})
Leider ist zu diesem wichtigen Thema heute wieder niemand vom Finanzministerium auf der Regierungsbank.
({2})
Bei Entwicklungshilfe geht es um Geld. Wenn es um Geld
geht, sollte das Finanzressort zumindest mit dabei sein.
({3})
Am Montag - darüber wurde bereits gesprochen - fährt
ein Riesenaufgebot von uns nach Monterrey.
({4})
- Ich fahre nicht mit, nein.
({5})
Die Frage ist: Was haben wir im Gepäck? - Insgesamt einen Koffer voll heißer Luft und eine so genannte Machbarkeitsstudie zur Tobinsteuer.
({6})
Sie, Frau Ministerin, der Bundeskanzler und auch der
Außenminister reisen mit Versprechungen durch die Welt,
als ob wir in Deutschland die Wunderwaffe im Kampf gegen die Armut hätten. Leider - ich sage bewusst: leider ist im Moment das Gegenteil der Fall. Wenn wir auf das
Diagramm der Ausgaben für die Dritte Welt schauen - das
war erst gestern wieder in der Presse -, dann stellen wir
fest, dass wir am Ende stehen, und das ist nicht gut. Davon - den gemeinsamen Ansatz haben wir doch - müssen
wir wegkommen.
({7})
Am 16. November wurde hier im Bundestag wieder
einmal erklärt, schrittweise das 0,7-Prozent-Ziel und ein
Bündnis für die globale Gerechtigkeit erreichen zu wollen. Heute wissen wir, dass das im damaligen Zusammenhang mit dem Bundeswehreinsatz eine Art Beruhigungspille für die Koalition gewesen ist. Außer dieser
Ankündigung ist bis heute wieder nichts geschehen.
Erstaunlich ist dagegen, mit welcher Kreativität Sie,
Frau Ministerin, alternative Finanzquellen anzapfen und
erschließen wollen. So kommt die seit Jahren eingemottete Tobinsteuer wieder auf den Tisch. Weil Steuern im
Inland im Moment nicht populär sind, wollen Sie sie europaweit einführen. Eine Studie, die nicht ganz billig war,
kommt zu dem tollen Ergebnis, die Tobinsteuer auf interGernot Erler
nationale Devisengeschäfte sei technisch machbar, wenn
man sie auf Europa beschränke.
({8})
Dabei wird in der Studie selbst darauf hingewiesen, dass
sogar eine global verbindliche Tobinsteuer die Welt nicht
vor Finanzkrisen schützen könnte.
({9})
Es geht also nicht um die Stabilisierung der internationalen Finanzmärkte, sondern ganz einfach um die Erschließung von Finanzquellen.
({10})
Abgesehen davon hätte eine Beschränkung der Tobinsteuer auf Europa - das wissen Sie wahrscheinlich auch,
Herr Kollege - lediglich ein Ausweichen auf andere Finanzplätze zur Folge
({11})
und das würde zur Schwächung des Euro beitragen.
({12})
So würden Sie ganz eindeutig nicht die Banker und Devisenhändler treffen, die Sie ja treffen wollen, sondern der
weltweite Handel käme in Probleme. Das ist das Problem
bei der Tobinsteuer!
({13})
Die Integration der Entwicklungsländer in den Welthandel und die Öffnung der Weltmärkte haben - darüber waren wir uns doch schon einmal einig - einen bedeutend höheren entwicklungspolitischen Nutzen als die
gesamte Entwicklungshilfe. Deshalb ist die Öffnung der
Märkte eine der Prioritäten, die Sie setzen müssen.
Auch bei der Umsetzung der von Deutschland beim
Millenniumgipfel übernommenen Verpflichtungen ist die
Bundesregierung um einiges hinter den Ankündigungen
von damals zurückgeblieben. Wir alle wissen: Absolute
Armut und extremes Bevölkerungswachstum bedrohen
bis 2015 Frieden und Sicherheit. Sie verursachen sehr
große Flüchtlingsströme auf dieser Welt und sie haben
Umweltzerstörung zur Folge. Deshalb müssen wir konsequent handeln, und deshalb haben die 146 Staats- und Regierungschefs im September 2000 in New York erklärt,
dass die Halbierung des Anteils der extrem Armen bis
2015 erfolgen soll.
In der Folge dieses Gipfels wurde das von Ihnen zitierte
Aktionsprogramm 2015 beschlossen. In diesem Programm verpflichtet sich die Bundesregierung - da sind wir
wieder bei diesem Stichwort -, mehr Mittel für die Armutsbekämpfung zur Verfügung zu stellen, die Finanzsysteme in den Entwicklungsländern zu unterstützen und verstärkt Mittel in solchen Ländern einzusetzen - das ist unseres Erachtens sehr sinnvoll -, die, wie im Moment unter
anderem Mosambik, Jemen und Vietnam, besondere Anstrengungen zur Armutsminderung unternehmen. Das sind
konkrete Ansätze, aber sie müssen mit Zahlen unterlegt
werden. Das Aktionsprogramm allein ist eben noch kein
Umsetzungsplan. Der Umsetzungsplan - das hat Kollege
Hedrich vorhin dargelegt - ist bis jetzt nicht in Aktion.
Eine zukunftsweisende entwicklungspolitische Strategie muss unserer Meinung nach multinationale Netzwerke, vor allem im Rahmen der Europäischen Union und
der Vereinten Nationen, in den Vordergrund stellen. Entwicklungspolitik darf nicht zu einer Art Weltsozialhilfe
verkommen.
({14})
Nur die Mobilisierung eigener Kräfte in den Entwicklungsländern bringt den angestrebten gesellschaftlichen
Fortschritt in den Regionen mit sich. Das haben auch Sie
angesprochen.
Präventive Entwicklungshilfe muss wieder die notwendige Priorität erhalten. Entwicklungspolitik muss sich
strategisch erneuern. Das betrifft neben dem finanziellen
Rahmen, über den wir hier oft sprechen, auch eine Zusammenführung der politischen Verantwortung. Meiner Meinung nach kann es nicht sein, dass jeder, der gerade einmal Lust hat, sich zu entwicklungspolitischen Themen in
der Welt äußert und irgendwelche Ankündigungen macht,
die im Endeffekt, gesamtwirtschaftlich gesehen, nicht
realisierbar sind. Deshalb muss man über die Bündelung
der politischen Verantwortung im Rahmen der Entwicklungspolitik neu nachdenken. Wir als FDP haben
dazu bereits Vorschläge unterbreitet.
Gerade nach dem 11. September 2001 ist die Bewältigung der globalen Herausforderungen wie Terrorismus,
Armutsbekämpfung, Umweltschutz und Flüchtlingselend
die zentrale Aufgabe der Entwicklungspolitik. Für diesen
Bereich wollen wir vorbeugende regionale und multilaterale Konzepte auf den Weg bringen. Sie liegen im Interesse Europas und damit nicht zuletzt im Interesse
Deutschlands. Aus diesem Grund haben wir für die heutige Debatte auch einen Antrag zur politischen Stabilisierung der zentralasiatischen Krisenregion vorgelegt.
Die Mitverantwortung Deutschlands im Kampf gegen
den Terrorismus und für die Gestaltung des friedlichen
Umfeldes um Afghanistan herum darf sich eben nicht auf
Entsendebeschlüsse, auf deren Verlängerung oder Erweiterungen beschränken. Vielmehr muss sie eine Gesamtstrategie umfassen. Sie muss die gesamte zentralasiatische Krisenregion, die um Afghanistan herum liegt,
einschließen.
In diesem Zusammenhang müssen wir klar erkennen:
Die Herausforderung, welche die Krisenregion Afghanistan darstellt, erfordert multilaterale Anstrengungen. Hier
brauchen wir ein euroatlantisches Bündnis, in dessen
Rahmen eine ausgewogene Arbeitsteilung stattfindet.
Deutschland allein wird so etwas nicht schultern können.
({15})
Joachim Günther ({16})
Überdies sollten die Voraussetzungen in der Europäischen Gemeinschaft verstärkt werden. Die politische
Instabilität der zentralasiatischen Transformationsstaaten
stellt ein Konfliktpotenzial dar. Sie erfordert unweigerlich
ein verstärktes europäisches Engagement. Europa ist bereits jetzt mit den südlichen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion über die OSZE, über EU-Partnerschaftsabkommen und über vieles andere verbunden.
Man muss aber sagen: Die anderen Staaten in dieser Region sind nicht integriert. Nur ein Gesamtbündnis kann
aber Stabilität in dieser Region bringen. Deshalb ist die
Verabschiedung eines Partnerschaftsabkommens mit
Pakistan ein erster, richtiger Schritt in diese Richtung.
({17})
Die zentralasiatischen Staaten müssen dringend zum
regionalen Schwerpunkt deutscher Entwicklungszusammenarbeit werden. Es wurde bereits angeführt, dass wir
den Katalog von Staaten jetzt mit der allgemeinen Formulierung „Region“ erweitert haben. Ich finde es wichtig,
dass wir in der Kategorisierung dieser Länder in Zentralasien keine Unterschiede mehr machen, sondern zusammen mit den europäischen Staaten eine Strategie für
alle auf den Weg bringen.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat bereits Anfang Oktober vergangenen Jahres einen Zwölfpunkteplan zur politischen Stabilisierung Afghanistans vorgelegt, in dessen
Mittelpunkt die Forderung nach einem europäischen Stabilitätspakt für die gesamte Krisenregion steht. Ich finde
es erfreulich, dass die Bundesregierung inzwischen die
Ausarbeitung von Plänen für einen Stabilitätspakt angekündigt hat. Jetzt müssen wir von der Formulierungsphase zur Umsetzungsphase kommen, und das so schnell
wie möglich. Das ist ein wichtiges Anliegen.
Wir sollten dieses Anliegen in diesem Hohen Haus
gemeinsam angehen. Deshalb würde ich mich sehr
freuen, wenn Sie unseren Antrag, der dieses Thema konkret betrifft, unterstützen würden.
Herzlichen Dank.
({18})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich und wir haben auch gute Gründe, heute über Entwicklungspolitik zu diskutieren. Erfreulich ist, dass sich
die Bundesregierung darüber verständigt hat, den Entwicklungshilfeetat im Rahmen der EU in den nächsten
Jahren aufzustocken. Das wird ja heute und am Wochenende in Barcelona besprochen und entschieden. Ich
glaube, wir alle sollten uns darüber freuen, dass wir uns
über dieses wichtige Ziel verständigt haben. Wir werden
es in den kommenden Jahren auch realisieren.
({0})
Ein guter Grund ist die oft angesprochene Konferenz
in Monterrey, weil es bei dieser Konferenz um die Fragen geht, die für die ganze Welt von Bedeutung sind, und
zwar für die Menschen im Süden und im Norden. Ich
glaube, gerade bei den Menschen im Norden, bei den Industrienationen, müssen das Bewusstsein und die Erkenntnis, dass ohne eine aktive Entwicklungspolitik eine
friedliche Welt nicht zu schaffen ist, immer noch sehr viel
stärker wachsen, als uns dies, auch nach dem 11. September, bewusst ist.
({1})
Über allem steht das zentrale Thema dieses 21. Jahrhunderts: Wie finden wir eine Antwort auf die globalen,
sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer
Zeit? Welche Perspektive können wir 1,2 Milliarden Menschen aufzeigen, die heute immer noch von weniger als
von 1 Dollar pro Tag leben müssen? Schaffen wir es, die
globalen Umweltfragen in den Griff zu bekommen?
Schaffen wir es, das Klima zu stabilisieren, den Tropenwald zu schützen und - ganz wichtig - den Zugang zu sauberem Wasser zu sichern?
Auf der Konferenz wird vor allem über den Finanzbedarf zur Lösung globaler Umwelt- und Entwicklungsprobleme zu reden und auch zu entscheiden sein. Dabei
geht es um die wirksame Mobilisierung öffentlicher, aber
in Zukunft auch viel mehr privater Finanzmittel für die Erreichung der international vereinbarten Entwicklungsziele.
Die internationale Staatengemeinschaft hat sich auf
dem Millenniumgipfel im September 2000 ein anspruchsvolles Programm bis zum Jahre 2015 gegeben. Es
sieht vor: die Halbierung des Hungers in der Welt, die Reduzierung des Anteils der absolut Armen um die Hälfte,
die Senkung der Mütter- und Kindersterblichkeit, die Erhöhung der Einschulungsquote von Kindern in Entwicklungsländern und dabei besonders die Verbesserung der
Bildungschancen von Mädchen. Der Generalsekretär der
UN hat immer wieder deutlich gemacht, dass es ohne die
Verwirklichung dieser Entwicklungsziele keine Realisierung der Menschenrechte in der Welt gibt.
({2})
Erst die Menschenrechte ermöglichen ein Leben in
Würde, frei von Hunger, frei von existenzieller Not und
mit Zukunftsperspektiven - ein Leben in Würde, das
heute noch Millionen von Menschen in vielen Teilen der
Welt vorenthalten wird.
({3})
Um nicht missverstanden zu werden: Ein Leben in
Würde ist nicht allein eine Frage des Geldes. Ohne eine
verantwortungsvolle Regierungsführung - oder neudeutsch: „good governance“ - im Norden und im Süden
wird es keine ausreichenden Fortschritte bei der Bekämpfung des Hungers, der Armut und der Krankheiten in der
Welt geben.
Joachim Günther ({4})
Herr Kollege Hedrich und Herr Kollege Günther, Sie
haben so getan, als ob es hier tief greifende Unterschiede
zwischen Regierung und Opposition gäbe. Das ist alles
- es sei natürlich gestattet - Wahlkampfgetöse. Wahr ist,
dass es in der Zielsetzung überhaupt keine Unterschiede
gibt. Wahr ist auch, dass der Weg dahin ein steiniger Weg
ist. Aber, meine Herren Kollegen, jemand, der dafür verantwortlich ist, dass die Aufwendungen im Bereich der
Entwicklungshilfe in Relation zum Bruttosozialprodukt
in seiner Regierungszeit um 2,2 Prozent gesenkt worden
sind, ist nicht geeignet, der Regierung, die die Trendwende eingeleitet hat, glaubwürdig Vorhaltungen machen
zu können.
({5})
Der Bedarf zur Finanzierung der Entwicklungsziele ist
doppelt so hoch wie die derzeitigen internationalen Entwicklungshilfeleistungen. Das heißt, dass weitere rund
53 Milliarden US-Dollar zu mobilisieren sind. Die internationale Gemeinschaft und auch wir in Deutschland
müssen alle Anstrengungen unternehmen - damit haben
wir bereits begonnen -, um diese notwendigen Mittel bereitzustellen.
Ich bin davon überzeugt, dass es in unserer Gesellschaft eine breite politische Übereinstimmung darüber
gibt, dass die Entwicklungszusammenarbeit einen wichtigen Part der Arbeit für den Frieden in der Welt darstellt.
({6})
Die Zahl der Menschen, die sich, sei es in Verbänden oder
Organisationen, in Deutschland seit Jahren ehrenamtlich,
also in ihrer Freizeit, für die Menschen in den Entwicklungsländern einsetzen - vom Eine-Welt-Laden bis hin
zur Schuldenerlasskampagne -, ist beeindruckend groß.
Wir danken ihnen. Sie sollten uns Ansporn sein, dieses
Politikfeld stärker in den Vordergrund zu rücken.
({7})
Aber es geht nicht allein um finanzielle Transfers. Es
muss zunehmend auch über Strukturreformen diskutiert
werden.
Es wurde bereits gesagt - wir unterstreichen dies -,
dass die Einkommenssituation der Entwicklungsländer
auch durch eine gerechtere Handelspolitik unterstützt
werden kann. Wir müssen die Handelsbarrieren beseitigen. So müssen wir die Zölle auf verarbeitete Produkte
aufheben, damit die Entwicklungsländer nicht nur von
ihren Rohstofflieferungen abhängig sind.
({8})
Eine Marktöffnung allein reicht aber nicht aus. Wir
müssen auch die internationalen Institutionen reformieren, damit die Entwicklungsländer in den internationalen
Organisationen, im IWF und in der Weltbank, auf gleicher
Augenhöhe mit den Industrieländern diskutieren, verhandeln und auch entscheiden können, und zwar zum Wohle
der Entwicklungsländer.
Ich glaube, dass wir noch viele Anstrengungen unternehmen müssen, um die Reformprozesse auf der internationalen Ebene in Gang zu setzen. Aber dieser Tag ist ein
guter Tag für die Entwicklungspolitik: Die Regierung hat
sich auf die Aufstockung des Entwicklungshilfeetats geeinigt und die Reformen werden wir in den nächsten Jahren in Angriff nehmen.
Danke.
({9})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Carsten Hübner, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es gleich
vorweg: Ich habe bei den Debatten zu diesem Thema immer ein Problem. Ich achte sehr wohl die Anstrengungen
der Ministerin, weiß aber, dass in weiten Teilen der Regierung die Verweigerungshaltung, nämlich die Weigerung, der Ministerin den Weg für ihre Forderungen zu bereiten, genauso intensiv ist. Daher ist es für mich nicht
immer leicht, den richtigen Adressaten meiner Kritik zu
finden.
({0})
Ich komme nun zum Thema dieser Debatte und möchte
hier einen doch etwas anderen Tenor einschlagen. Nachdem die NGOs für ihr Engagement so gelobt worden sind,
möchte ich sie gleich zu Anfang einmal zu Wort kommen
lassen, Kollege Schlauch.
Der EED, der Evangelische Entwicklungsdienst, hat
bereits vor Wochen einen Bericht von Peter Lanzet in das
Internet gestellt. Lanzet hatte im Januar als Fachreferent
des EED an der Monterrey-Vorbereitungskonferenz in
New York teilgenommen. Bekanntlich wurde dort bereits
das Abschlussdokument der kommenden Konferenz, der
so genannte Monterrey-Konsens, verhandelt und verabschiedet.
Was Lanzet zu berichten weiß, unterscheidet sich von
den positiven Beurteilungen, die wir hier vonseiten der
Regierung und auch von Ihnen zu hören bekamen, doch
erheblich. Bereits die Überschrift seines Berichts verweist
in eine völlig andere Richtung. Zitat:
An einen Meilenstein glauben nur noch unverbesserliche Optimisten.
Denn schon, so Lanzet im Text weiter, „bei der Zielsetzung der Konferenz“ endeten „die Gemeinsamkeiten“
zwischen den Entwicklungsländern und den Staaten des
Nordens. Darüber hinaus sei der Verhandlungsverlauf
durch eine zunehmend verhärtete Haltung der reichen
Länder in zentralen Fragen geprägt gewesen.
Er nennt dafür einige Fixpunkte: erstens die Tendenz
der reichen Länder, sämtliche Probleme der Entwicklungsfinanzierung in den Entwicklungsländern als deren
eigene, also nationale Probleme zu behandeln; zweitens
die Zurückweisung jeder Mitverantwortung der Industrieländer und der von ihnen kontrollierten internationalen
Finanzorganisationen sowie der WTO an Überschuldung,
wirtschaftlicher Instabilität und wenig entwickelten
Märkten in den Entwicklungsländern; drittens das Bestreiten jeder Notwendigkeit für substanziellen, institutionellen und strukturellen Reformbedarf durch die
Industrienationen; viertens die Zurückweisung jeder Verpflichtung, zusätzliche Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit oder die Entschuldung bereitzustellen,
und stattdessen das Pochen auf den Schutz von Privatinvestitionen, Privatisierung, Deregulierung, Währungsstabilität und die Liberalisierung des Handels.
({1})
- Sie brauchen nicht zuzuhören. Offenbar haben Sie diesen Text vorher nicht gelesen.
({2})
So treffe das vorläufige Abschlussdokument nur in völlig unverbindlicher Weise Aussagen über Kernfragen
zukünftiger Entwicklungsfinanzierung, etwa zu den
Verhandlungszielen der in Doha vereinbarten neuen
Welthandelsrunde, zu privaten Direktinvestitionen, zum
Schuldenmanagement, zur Kontrolle und zur Reform der
internationalen Finanzinstitutionen, zur Erhöhung der
Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit, zur Notwendigkeit globaler Steuern wie der Tobin Tax oder zum
Follow-up der UNO-Konferenz selbst. Letztlich wiederhole der vorläufige Abschlusstext nur das, was in anderen
Dokumenten bereits enthalten sei. Von dem verkündeten
Aufbruch - auch Sie haben ihn hier beschworen -, von einem neuen Konsens sei nichts zu spüren. - So weit sinngemäß Peter Lanzet. Ich verweise darauf, dass der Evangelische Entwicklungsdienst nicht unbedingt eine kleine
oder irgendwie radikal geartete NGO ist.
Peter Lanzet steht mit seinen Bewertungen nicht allein
da. „Ein Minimalkonsens“, der weit hinter den Möglichkeiten zurückbleibe, so nannte Jens Martens von der entwicklungspolitischen Organisation WEED das Papier.
Statt verbindliche Schritte für einen internationalen Entwicklungspakt festzulegen, drohe die Konferenz nun, in
ein „globales Dilemma“ zu führen, sagt zum Beispiel
Peter Eisenblätter von terre des hommes Deutschland.
Erwartungsgemäß gab es übrigens die größten Auseinandersetzungen über den Punkt „öffentliche Entwicklungshilfe“. Am Ende wurden alle strittigen Passagen in
dem Papier einfach getilgt, um überhaupt zu einer Einigung zu kommen. Insbesondere die USA haben in dieser
Frage jede konkrete Zusage konsequent verweigert. Auf
den Widerstand Washingtons stieß etwa die Forderung
nach einer umgehenden Verdoppelung der globalen Entwicklungshilfe um 50 Milliarden Dollar. Selbst diese
Summe liegt bekanntlich noch deutlich unter den vereinbarten 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung
gestellt werden sollen. Aber warum in dieser Frage auf die
USA zeigen, wenn der eigene Finanzminister und der eigene Schrumpfhaushalt so nahe sind und auch hier Mal
für Mal schöne Worte konkrete Taten ersetzen sollen?
({3})
Frau Ministerin, lieber Kollege Schlauch, den Anteil
des Bruttoinlandsprodukts, der für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt werden soll,
bis 2006 auf 0,33 Prozent zu erhöhen bedeutet - ich habe
das ausgerechnet - eine Steigerung von 0,015 Prozent pro
Jahr. Bis Sie das Ziel von 0,7 Prozent erreichen, vergeht
eine Zeitspanne von 30 Jahren. Das ist wirklich eine
Glanzleistung.
({4})
Wie soll das Ziel des Millenniumgipfels vom September 2000 vor diesem Hintergrund umgesetzt werden? Wie
soll die Armut bis 2015 halbiert werden, wie soll sauberes
Trinkwasser Zigmillionen Menschen zur Verfügung gestellt werden, wie sollen Schulbildung und eine Zukunftschance für alle Kinder auf der Welt erreicht werden, wenn
sich die reichen Staaten der Erde beharrlich weigern, Unterentwicklung tatsächlich als ein globales Problem konsequent anzugehen? Das zu tun, heißt konkret, endlich
vom Kuchen abzugeben. Es heißt noch mehr: die ganze
Bäckerei miteinander zu teilen.
Die Herausforderungen sind jedenfalls überwältigend.
Fast 1 Milliarde Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Mehr als 850 Millionen Menschen können
nicht lesen und schreiben. Rund 826 Millionen Menschen
leiden an Hunger, Unter- und Mangelernährung. Fast
325 Millionen Kinder besuchen keine Schule - und wir
streiten uns hier um Peanuts!
Ich erwarte von der Bundesregierung konkrete Schritte
in Monterrey, aber insbesondere in dem, was danach folgt.
Ich nenne ein paar Aspekte, die das konkret verdeutlichen:
Zunächst einmal fordern wir die Bundesregierung auf, in
Monterrey eine Vorreiterrolle zu spielen, um das Abschlussdokument, das bereits erarbeitet worden ist, für
weiterführende Schritte zur Entwicklungsfinanzierung
zu öffnen, konkrete Festlegungen und Fristensetzungen
zu unterstützen und eigene Initiativvorschläge für einen
gesicherten Follow-up-, also Nachfolgeprozess, einzubringen. Darüber hinaus fordern wir sie auch auf, bei der
Gestaltung des Follow-up-Prozesses folgende Forderungen mit Nachdruck zu unterstützen, voranzutreiben und
bei deren Umsetzung ebenfalls eine Vorreiterrolle einzunehmen - inhaltlich gibt es zumindest in Bezug auf die
Aussagen der Ministerin keine Probleme; aber in Bezug
auf die Umsetzung umso mehr -:
Erstens. Die Implementierung des Ziels, 0,7 Prozent
des Bruttosozialprodukts für öffentliche Entwicklungshilfeleistungen bereitzustellen, sollte bitte nicht erst in
30 Jahren stattfinden; denn vor 30 Jahren wurde dieses
Ziel verkündet. Das ist nicht die Geschwindigkeit, die wir
in diesem Bereich anstreben sollten.
({5})
Zweitens. Ein verbindlicher Stufenplan zur Erhöhung
der ODA, also der öffentlichen Entwicklungshilfe, der in
einem ersten Schritt eine Verdoppelung der ODA-Leistung
anstrebt und dadurch eine Aufstockung um circa 50 Milliarden US-Dollar zur Einhaltung der Millenniumsziele ermöglicht, ist im Rahmen der OECD aufzustellen.
Drittens. Die bestehenden finanziellen Abhängigkeiten
zwischen Nord und Süd sind durch neue Formen einer
vertraglichen Nord-Süd-Kooperation im Sinne eines Global Deals von Grund auf zu ändern. Das sind genau die
Hoffnungen, die mit der Konferenz in Monterrey eigentlichen verbunden waren.
Viertens. Die Einführung einer Devisenumsatzsteuer
ist massiv zu befördern. Auch auf diesem Gebiet haben
wir in der Ministerin hinsichtlich der Inhalte hoffentlich
eine Partnerin.
Fünftens. Die HIPC-Entschuldungsinitiative ist auf
hoch verschuldete Entwicklungsländer mittleren Einkommens auszudehnen.
Sechstens. Eine vollständige Entschuldung der am wenigsten entwickelten Länder ist durchzusetzen.
Siebtens. Ein internationales Schuldenmanagement ist
zu entwickeln und zu implementieren.
Es gibt noch weitere Punkte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist weit mehr, als
alle Ihre Anträge bieten und als das, was in den Reden angedeutet worden ist. Aber es ist erst ein Anfang von dem,
was bitter nötig wäre.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile Kollegin
Adelheid Tröscher, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
freue mich, dass es heute zur zweiten Regierungserklärung zur Entwicklungspolitik in der Geschichte der
Bundesrepublik gekommen ist.
Das, was es unter einer unionsgeführten Regierung nie
gegeben hat, hat die jetzige SPD-geführte Bundesregierung zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren erreicht.
({0})
Dies ist ein schöner Erfolg für die Ministerin und für uns.
Es ist zugleich ein Ausdruck dafür, dass wir der Entwicklungszusammenarbeit einen höheren Stellenwert gegeben
haben.
({1})
Dazu bedarf es natürlich mancherlei Überzeugungsarbeit. Es ist doch klar, dass es innerhalb der Fraktionen
Diskussionen gibt, wo wer wie viel Geld bekommt. Aber
unsere Überzeugungsarbeit innerhalb der Fraktionen hat
für ein anderes Politikverständnis gesorgt. Der Erfolg, der
nun beim Treffen des Europäischen Rates in Barcelona
deutlich wird, gibt uns dabei Recht. Wir müssen bei anderen Mitgliedern der Bundesregierung und vor allen
Dingen auch innerhalb der Fraktionen sehr viel für unser
Verständnis von Entwicklungspolitik werben, darüber debattieren und andere davon überzeugen. Denn dann haben
wir bessere Ausgangspositionen.
({2})
Diese Debatte bietet daher eine gute Gelegenheit,
über Bilanz und Perspektive der deutschen Entwicklungspolitik zu reden. Das Ende des Ost-West-Konfliktes, die in den letzten Jahren beschleunigt voranschreitende Globalisierung und nicht zuletzt der 11. September
2001 haben die Rahmenbedingungen für Entwicklungspolitik entscheidend verändert. Daher muss Entwicklungspolitik für das 21. Jahrhundert als Teil globaler
Struktur- und Friedenspolitik verstanden und in enger
Zusammenarbeit mit Gesellschaft und Wirtschaft gestaltet werden. Wir haben dies seit 1998 konsequent umgesetzt und können nun zu Recht behaupten, dass
sich unsere Politik an den Zielsetzungen von sozialer Gerechtigkeit, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit,
politischer Stabilität und ökologischem Gleichgewicht
orientiert.
({3})
Dass wir in den letzten dreieinhalb Jahren ein gutes
Stück vorangekommen sind, zeigen eine Vielzahl neuer
Initiativen:
Wir haben ein nationales Aktionsprogramm zur Halbierung der weltweiten Armut aufgelegt. Der Bundeskanzler steht dahinter und wird uns hoffentlich weiter so
wie bisher unterstützen. Wir haben es erarbeitet und
beschlossen. Darin wurde festgelegt, dass die gesamte
Politik der Bundesregierung der Armutsbekämpfung verpflichtet ist, nicht nur die Politik des Ressorts Entwicklungspolitik, sondern die aller Ressorts.
Wir haben auf dem Kölner Gipfel 1999 eine Entschuldungsinitiative angestoßen, auf deren Basis erweiterte, an
das Ziel der Armutsbekämpfung gekoppelte Entschuldungsmöglichkeiten für die ärmsten und höchstverschuldeten Entwicklungsländer gefunden wurden und
eine armutsorientierte Kooperationspolitik von IWF und
Weltbank durchgesetzt werden konnte. Eine Anhörung
unseres Ausschusses zusammen mit dem Finanzausschuss und dem Auswärtigen Ausschuss, bei der Vertreter
von IWF und Weltbank, genauer gesagt: Wolfensohn und
Köhler, anwesend waren, hat es vorher überhaupt noch
nicht gegeben. Der Stellenwert von Entwicklungspolitik
ist also ganz enorm gestiegen.
Wir haben unser Engagement bei der internationalen
Bekämpfung von Aids verstärkt und Mittel dafür mobilisiert, dies nicht nur unter dem Dach der Vereinten Nationen, sondern auch in Zusammenarbeit mit anderen Partner- und Geberländern sowie in Kooperation mit der
privaten Wirtschaft. Das ist, wie ich finde, ein sehr gutes
Zeichen.
Wir haben ein Gesamtkonzept erarbeitet, in dem Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung im Kontext eines erweiterten Sicherheitsbegriffs verstanden werden. Dabei kommt der
Entwicklungspolitik mit ihrem Beitrag zu politischer,
ökonomischer, ökologischer und sozialer Stabilität eine
tragende Rolle zu.
Wir haben uns für eine gerechtere, sozialere und
ökologisch orientierte Welthandelsordnung, die auch
die Interessen der Entwicklungsländer berücksichtigt,
eingesetzt. Wir alle wissen, dass wir hier noch einen weiten Weg vor uns haben. Doch die Anfangssignale sind positiv und wir können daran weiterarbeiten.
({4})
Wir haben den zivilen Friedensdienst als friedenspolitisches Instrument gestärkt, das den gewaltfreien Umgang
mit Konflikten unterstützt.
Wir haben uns besonders für einen erfolgreichen Abschluss des Cotonou-Abkommens eingesetzt. Das gibt
den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten,
den AKP-Staaten, wiederum sehr viel mehr Sicherheit für
die nächsten Jahre und hilft auch der Krisenprävention.
Wir haben eine neue Initiative für Klimaschutz, zur
Bekämpfung der Wüstenbildung, für biologische Sicherheit sowie zur Entschärfung von Konflikten um Wasserressourcen auf den Weg gebracht.
Über all diese Punkte hinaus haben wir zahlreiche
Maßnahmen ergriffen, die zum Ziel haben, Frauenrechte
zu stärken, Menschenrechte zu achten und die zunehmende Spaltung der Welt in Arm und Reich zu verhindern.
({5})
Von all diesen Dingen, die in den letzten dreieinhalb
Jahren auf den Weg gebracht worden sind, scheint allerdings die CDU/CSU-Fraktion bisher noch nichts gehört
zu haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere
Entwicklungspolitik der letzten dreieinhalb Jahre weist,
wie ich meine, eine exzellente Bilanz auf. Dabei steht für
uns zuvörderst die Erkenntnis, dass die meisten Probleme
der Entwicklungsländer zugleich globale Herausforderungen darstellen. Die zunehmende Armut, das immer
noch anhaltende Bevölkerungswachstum, die Ausbreitung von Aids sowie der Klimawandel und die Verknappung von Wasservorräten müssen als Bedrohung für uns
alle begriffen werden. Sie sind wesentliche Ursachen für
gesellschaftliche Spannungen, gewaltsame Konflikte,
Flucht und Vertreibung. Diese Probleme entfalten eine
globale Dynamik, die letztlich Frieden und Stabilität weltweit gefährden können.
({6})
Unser entwicklungspolitischer Ansatz ist vom Bewusstsein und der Notwendigkeit der sozialen und ökologischen Gestaltung geprägt. Ziel unserer Politik ist es, zur
Schaffung menschenwürdiger Lebensverhältnisse aller
Menschen beizutragen. Das bedeutet für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten: Wir treten für soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Frieden
und Menschenrechte sowie den Erhalt natürlicher Ressourcen ein.
({7})
Die Armutsbekämpfung selbst bleibt überwölbendes Ziel
unserer Politik.
Doch die Bewältigung dieser schwierigen Aufgabe
kann nicht allein vom Staat geleistet werden. Sie erfordert
die Mobilisierung aller gesellschaftlichen Kräfte. Deshalb
müssen wir auf allen Ebenen die Zusammenarbeit mit der
Zivilgesellschaft und der privaten Wirtschaft intensivieren. Ich kann nur sagen: Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft haben wir im Haushalt großzügig bedacht.
Wir werden unser Auge darauf haben, dass dies auch weiterhin geschieht. Die Zusammenarbeit mit der privaten
Wirtschaft - Sie haben es von der Ministerin gehört - hat
sich positiv gestaltet. Sie wird sich weiter ausdehnen und
einen guten Beitrag leisten.
Bilanz zu ziehen heißt aber gleichzeitig, Perspektiven
unserer Politik aufzuzeigen. Wir werden mit unserer Politik der globalen Verantwortung auch in den nächsten
Jahren fortfahren. Dies bedeutet, wir werden Armut
bekämpfen, Frieden sichern und die Globalisierung sozial
gerecht und ökonomisch gestalten.
Die Mitgestaltung internationaler Regelwerke, die Unterstützung von Strukturveränderungen in den Partnerländern, aber auch die Reform entwicklungspolitischer
Strukturen bei uns in Deutschland, die Zusammenführung
von Institutionen in Bonn beispielsweise, sind für uns
zentrale Ansatzpunkte.
Es wird dabei auf Folgendes ankommen:
Erstens müssen wir unsere Armutsbekämpfung weiter intensivieren und bis zum Jahr 2015 den Anteil der
Menschen, die in extremer Armut leben, halbieren.
({8})
Zweitens. Weltumspannende internationale Strukturen
bestimmen zunehmend die Möglichkeit, nachhaltige Entwicklung zu verwirklichen. Dies wird besonders bei den
Diskussionen über Verschuldung, Welthandelsordnung,
internationale Sozialstandards und internationale Umweltnormen deutlich. Wenn wir letztlich einen langfristig
tragbaren Interessenausgleich haben wollen, dann müssen
auch die Entwicklungs- und Transformationsländer ihre
Interessen berücksichtigt sehen, indem sie diese Regelwerke und ihre Institutionen selbst bestimmen und mitgestalten. Dies bedeutet, wir müssen uns um mehr Kohärenz bemühen, insbesondere in der Handels-, Wirtschaftsund Agrarpolitik. Wir dürfen dabei die Frage der Reform
der internationalen Finanzmärkte und Finanzinstitutionen
nicht vergessen.
Auch Monterrey ist hier ein wichtiges Signal. Natürlich wollten wir mehr, natürlich üben wir Kritik an dem
Abschlussdokument. Aber wir haben hier einen Anfang
gesetzt und das ist wichtig.
({9})
Wir gehen also gut vorbereitet nach Monterrey in Mexiko - für die, die noch nicht wissen, wo es liegt.
Drittens. Ich denke bei diesem Punkt insbesondere an
meinen Freund Werner Schuster. Wir dürfen Afrika nicht
zu einem vergessenen Kontinent werden lassen. Afrika
bleibt daher im Mittelpunkt unserer Bemühungen um
Armutsbekämpfung, die Stärkung von Demokratie und
Menschenrechten und den Abbau krasser sozialer Ungleichheiten.
({10})
Viertens. Wir brauchen weltweit eine Verbesserung
und Verbreiterung der Finanzierungsbasis für nachhaltige Entwicklung und für globale öffentliche Güter. Nur
so können wir unsere Politik auf Dauer effizienter, wirksamer gestalten; denn ohne eine verlässliche Entwicklungsfinanzierung ist eine Politik der globalen Verantwortung und deren Umsetzung nicht erreichbar. Wir sind
damit auf einem guten Weg.
Ich danke Ihnen.
({11})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Zu Beginn Ihres Elften Berichts zur Entwicklungspolitik schreibt die Bundesregierung richtigerweise:
Niemals zuvor waren deshalb die Voraussetzungen
günstiger, die in vielen Teilen der Welt noch immer
bedrückende Armut zu überwinden, die natürlichen
Ressourcen zu bewahren und die Grundlagen für
eine friedlichere Welt zu schaffen.
Doch heute müssen wir feststellen, dass diese entwicklungspolitische Gunst der Stunde bisher nicht genutzt
werden konnte. Trotz aller Erfolge in Teilgebieten gehen
die Tendenzen der wichtigsten Parameter nämlich genau
in die falsche Richtung:
({0})
Die absolute Armut wächst, die Ungleichheiten zwischen
Nord und Süd und innerhalb der Entwicklungsländer
wachsen, die Anzahl der Krisenherde nimmt keinesfalls
ab und die Umweltzerstörung geht dramatisch weiter.
({1})
Meine Damen und Herren, in der Tat stammen die Terroristen vom 11. September nicht aus den Slums. Aber jedem, auch dem Mann auf der Straße, ist klar geworden,
dass wir unseren Wohlstand und Frieden auf Dauer nur
bewahren können, wenn Hunderte von Millionen Menschen in den Entwicklungsländern für sich und ihre Kinder mehr Perspektiven als bisher sehen.
({2})
Die Entwicklungspolitik muss sich nach dem 11. September einer breiteren Diskussion stellen. Deswegen ist es
gut, dass wir uns im Bundestag erneut kritisch mit der
Entwicklungspolitik auseinander setzen.
Herr Schlauch, wären Sie nicht bei den Grünen, hätte
ich bei Ihrer Rede sicherlich öfter klatschen können;
({3})
denn wir sind uns in der Zielsetzung einig. Aber auch hier
steckt der Teufel im Detail und es gibt eine große Diskrepanz zwischen Papier und Realität.
({4})
Herr Erler, auch durch die unübersehbare Arroganz am
Anfang Ihrer Rede lassen wir uns nicht beeindrucken. Wir
werden natürlich die offensichtlichen Schwächen der Regierungsarbeit kritisieren. Diese Kritik beginnt mit dem
Umfang der Entwicklungszusammenarbeit. Ich bin immer wieder verblüfft, was verschiedene Menschen aus ein
und demselben Zahlenmaterial machen können.
Frau Ministerin, Sie sind wirklich eine Meisterin im
Werfen von Nebelkerzen.
({5})
Sie haben den Wahlkampf 1998 gemeinsam mit dem damaligen Kanzlerkandidaten Schröder ganz unbestreitbar
mit dem Versprechen geführt, die Entwicklungsmittel zu
erhöhen. Im Wahljahr 2002 müssen wir feststellen, dass
diese Mittel um 7 Prozent geringer als im Jahr 1999 sind.
Das ist die Wahrheit, die Sie aushalten müssen.
({6})
Ich bin sicher, dass auch unsere Kritik sowie die Kritik der
Kirchen und der Nichtregierungsorganisationen dafür gesorgt haben, dass Ihr Haushalt nicht noch mehr zum Steinbruch wurde. Deswegen werden wir auch weiterhin den
Finger in diese Wunde legen.
({7})
Wir von der CDU/CSU haben unsere Hausaufgaben als
Opposition gemacht.
({8})
Wir haben in unserer Fraktion einen Antrag verabschiedet, der uns bindet, in zehn Jahren schrittweise das
0,7-Prozent-Ziel zu erreichen. Sie dagegen haben Fachleute und Öffentlichkeit in den letzten Jahren mit immer
neuen Programmen zum Narren gehalten, die zwar vollmundige Überschriften trugen, aber mit der finanziellen
Wirklichkeit in keiner Weise etwas zu tun hatten. Selbst
Ihre Entschuldungsinitiative ist mittlerweile stecken geblieben.
({9})
Ich warne auch davor, die Diskussion um die Tobinsteuer als Ablenkungsmanöver zu benutzen. Wir beteiligen uns gerne - das sage ich ehrlich und offen - an einer
ergebnisoffenen Diskussion über neue Finanzierungsquellen; auch wir wollen mehr Geld für die Entwicklungspolitik. Aber es muss eine seriöse Diskussion
sein. Solange die meisten Industrieländer in Wirklichkeit gar nicht daran denken, Herr Bindig, bei solchen
globalen Steuern mitzumachen, ist diese Diskussion unseriös.
Kollege Ruck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Larcher?
Ja.
({0})
Herr Kollege, da Sie wie
vorher unser Kollege von der FDP auf die Tobin Tax zu
sprechen gekommen sind, frage ich Sie, ob Sie mir zustimmen, dass das Gutachten, von dem die Ministerin gesprochen hat, nachweist, dass die Tobin Tax erstens geeignet ist, die größten Ausschläge auf den Finanzmärkten
zu glätten - es ist natürlich kein Instrument, das ganz allein Ordnung auf den Finanzmärkten schaffen könnte -,
dass es zweitens sehr wohl möglich ist, in einer Zeitzone
wie zum Beispiel in Europa die Tobin Tax einzuführen,
und dass drittens die Finanzmärkte London, Frankfurt und
Zürich nach Einführung dieser Steuer keineswegs auswandern würden.
Ich wiederhole,
dass wir über neue Finanzierungsmechanismen weltweit
nachdenken müssen.
Ich habe mich auch mit dem Gutachten beschäftigt.
Die KfW hat dazu eine Veranstaltung durchgeführt, bei
der ich zugegen war. Dabei kamen auch die möglichen
Gefahren zur Sprache. Ich muss nicht unbedingt die Auffassung der Gutachter teilen. Ich gebe ihnen aber insoweit
Recht, als es theoretisch möglich wäre, diese extremen
Schwankungen zu dämpfen.
({0})
Aber bei dieser Diskussion ist auch deutlich geworden,
dass erhebliche Risiken bestehen, wenn zu viele wichtige
Länder nicht mitmachen. Ich kenne bisher nur zwei europäische Länder, die sagen würden: Wenn alle mitmachen,
machen wir auch mit. Genau das ist der Punkt: Das ist zu
wenig.
({1})
Ich bin der Überzeugung, dass der Deutsche Bundestag und auch die Bundesregierung nicht um die Arbeit
herumkommen, in den Haushalten der nächsten Jahre
mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, weil wir an der
Schwelle zur Handlungsunfähigkeit stehen.
({2})
Auch wenn die Bundesregierung gerade noch die
Kurve zu der Erklärung zur nationalen Mindestquote von
0,33 Prozent des Bruttosozialprodukts bis zum Jahre 2006
gekriegt hat, so ist dies erstens nur der Anfang und zweitens steht dies nur auf dem Papier, wie so vieles, was uns
die Bundesregierung vorgelegt hat.
({3})
Aber bei einer seriösen Diskussion geht es nicht nur um
Masse, sondern auch um Klasse, also um die Frage nach
konzeptionellen und qualitativen Fortschritten in der
Entwicklungspolitik. Auch dies sehen wir kritisch. Die
Idee einer regionalen und sektoralen Schwerpunktsetzung
ist zwar richtig, aber die rot-grüne Variante ist ein Schuss
nach hinten. Ausgerechnet unter Rot-Grün gerät unsere
Zusammenarbeit beim Umwelt- und Ressourcenschutz in
immer mehr Ländern trotz der zum Teil existenziellen
Umweltprobleme in Bedrängnis.
({4})
Ausgerechnet ein Kernbereich der Hilfe zur Selbsthilfe
und der langfristigen Armutsbekämpfung, nämlich der
Sektor Bildung und Ausbildung, hat die meisten Regierungsverhandlungen der jüngsten Vergangenheit nicht
überlebt.
({5})
Ein elementarer Punkt bei der Aufbereitung des
11. September 2001 ist für mich die gezielte Unterstützung von Entwicklungsländern beim Einklinken in den
Globalisierungsprozess. Es wurde von den Handlungsbarrieren berichtet, die zu beseitigen sind. Das halte ich auch
für richtig. Aber wenn ich in den Entwicklungsländern auf
extrem schwache Institutionen, auf einen völlig unzureichenden Bankensektor, auf ein nicht vorhandenes Rechtswesen, auf ein korruptes Zollsystem, auf ein kaputtes
Polizeiwesen sowie auf ein nicht vorhandenes Schulwesen stoße, kann ich die Barrieren noch so weit beseitigen: Diese Entwicklungsländer haben davon gar nichts.
({6})
Wir haben in dieser Hinsicht viele Vorschläge gemacht.
Sie sind leider kaum darauf eingegangen. Das halten wir
für einen strategischen Fehler.
Auch auf die Frage, Frau Ministerin, wie die Entwicklungspolitik gegenüber islamisch geprägten Ländern
- zum Teil auch mit zweifelhafter Regierungsführung nach dem 11. September 2001 besser greifen kann, ist Ihnen in meinen Augen nichts Substanzielles eingefallen.
Die Sprachlosigkeit der Kulturen muss auch in der konkreten Entwicklungspolitik überwunden werden. Dabei
stehen wir erst am Anfang, wobei dies noch positiv ausgedrückt ist.
Ein Stichwort - das haben wir auch schon öfter in die
Debatte eingebracht - ist, dass unser Instrumentarium zu
schwerfällig ist. Es muss flexibilisiert werden, vor allem in
Umbruchzeiten. Der jugoslawische Minderheitenminister
hat erst in dieser Woche noch einmal erklärt, sein Land
brauche keine neuen runden Tische, keine Konferenzen,
sondern konkrete und schnelle Hilfe. Diese müssen wir
auch anbieten. Wir brauchen schnellere und konkretere
Hilfe für demokratische Wackelkandidaten zum Beispiel
in Form der Ausweitung der Stiftungsarbeit.
Ein weiterer struktureller Schwachpunkt rot-grüner
Entwicklungspolitik ist ihr Hang zum Multilateralismus.
Dies ist für mich derzeit ein immer größer werdendes
Steuergeldergrab, das Unsummen verschlingt, aber große
Effizienzschwächen aufweist, und zwar deshalb, weil
Deutschland zu wenig Einfluss auf das Geschehen nimmt.
Es genügt nicht, mit Herrn Wolfensohn ein Paket zu Aids
und Gesundheit zu schnüren, wenn es eklatante Umsetzungsschwierigkeiten gibt, weil das Paket zu kompliziert
ist. Das gilt leider auch für die globale Umweltfazilität.
({7})
Unsere Forderung an Rot-Grün lautet deshalb: Geben
Sie wieder mehr Geld in die eigene bilaterale Zusammenarbeit und sorgen Sie gleichzeitig dafür, dass mit der Vergabe von Mitteln an internationale Organisationen auch
der entsprechende deutsche Einfluss auf die Politik einhergeht.
({8})
Damit komme ich zum dritten Problembereich, nämlich der Kohärenz und Koordination. Auch dies sind
schwierige Aufgaben. An diesen Problemen können all
die gut gemeinten Projekte der Entwicklungspolitik, gerade auch bei der Armutsbekämpfung, scheitern. Simbabwe ist ein klassischer Fall. Ein blühendes Land, das sich
wirtschaftlich absolut auf dem Höhenflug befindet, wird
durch „bad governance“ und nicht durch fehlende ländliche Entwicklungsprojekte ruiniert. Mugabe konnte dies
tun, weil der Westen nicht geschlossen war und politisch
nichts riskierte. Die deutsche Außenpolitik ließ die deutsche Entwicklungspolitik im Regen stehen. Das geschah
bezüglich vieler Orte, und zwar gerade auch in Afrika,
nämlich im Sudan, an den Großen Seen und anderswo.
Das Gleiche gilt für die Themen, die Herr Schlauch
vorhin angesprochen hat, nämlich den Umwelt- und Ressourcenschutz und den Tropenwald. Ausgerechnet die
grüne Spitze der Außenpolitik hat dort keinen Finger
krumm gemacht, um die Entwicklungspolitiker zu unterstützen. Eine Entwicklungspolitik ohne Unterstützung
von Kanzleramt und Außenministerium läuft ins Leere.
Mein Fazit ist daher: Frau Ministerin, Sie hüpfen zwar
medienwirksam von Ast zu Ast,
({9})
wer aber hinter die Kulissen sieht, erkennt, dass Sie bewährte Rezepte verwässert und schlüssige Konzepte für
neue Herausforderungen nicht durchgesetzt haben. Unter
Rot-Grün hat die deutsche Entwicklungspolitik
({10})
national wie international an Gewicht verloren.
({11})
Wir fahren mit leeren Händen nach Monterrey
({12})
und müssen alles tun, damit wir wenigstens zur Konferenz
Rio + 10 in Johannesburg konzeptionell und finanziell einigermaßen vorbereitet anreisen können.
({13})
Ich erteile der Kollegin Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss dem Kollegen Christian Ruck wegen der
Kritik an Joschka Fischer energisch widersprechen; denn
der Minister hat natürlich ein sehr gutes Wahrnehmungsvermögen für die Probleme, die Sie angesprochen haben.
Ich muss auch die Ministerin in Schutz nehmen. In den
letzten drei Jahren haben wir in der Öffentlichkeit einen
sehr viel größeren Wahrnehmungspegel für die Entwicklungspolitik erreicht
({0})
als in all den Jahren zuvor.
({1})
Angesichts der äußerst schwierigen Lage in vielen Entwicklungsländern vergessen wir aber häufig - auch in diesem Fall -, dass wir bereits eine ganze Menge erreicht haben. Darauf wurde auch schon eingegangen. In den
letzten Jahrzehnten konnten wir - auch aufgrund entwicklungspolitischer Kampagnen - die allgemeine Lebenserwartung weltweit insgesamt steigern und die Kindersterblichkeit senken. Selbst die absolute Zahl der
Hungernden ging zurück.
Vor dem Elend, das es in der Welt noch reichlich gibt,
dürfen wir nicht erstarren. Wir müssen selbstbewusst handeln und konkrete Beiträge zur Verhinderung internationaler Krisen leisten. Hilfe kann dabei - das haben wir gelernt - immer nur Hilfe zur Selbsthilfe sein. Wir werden
uns diese so verstandene Hilfe mehr kosten lassen müssen
als bisher, weil nur so unsere Zukunft gesichert werden
kann.
({2})
Die Bundesrepublik wird bis 2006 mindestens
0,33 Prozent des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit ausgeben. Das ist auch ein Erfolg
der Bemühungen, die wir von der entwicklungspolitischen Seite her im Rahmen des Regierungshandelns und
der parlamentarischen Arbeit unternommen haben, und
zwar nicht erst seit gestern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Konferenz in
Monterrey bietet eine gute Gelegenheit, eine grundsätzliche Weichenstellung für die Armutsbekämpfung, die
nachhaltige Entwicklung und die Krisenprävention vorzunehmen; denn zum ersten Mal steht die Gesamtheit der
wirtschaftlichen Nord-Süd-Beziehungen auf der Tagesordnung. An einer wichtigen Stelle taucht im Entwurf des
Monterrey-Konsenses die Mobilisierung der heimischen
Finanzmittel und die Erhöhung der privaten Direktinvestitionen auf. Gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, funktionierende Steuer- und Budgetsysteme, also
auch die Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer,
werden in den Mittelpunkt gerückt. Sie sind die Grundlage für eine zukunftsfähige Entwicklung.
Dies kann aber nicht bedeuten, dass wir den schwarzen
Peter nur an die Betroffenen weiterreichen und die Verantwortung für Fehlentwicklungen des Globalisierungsprozesses im Norden von uns weisen. Entwicklung bedarf
vielfältiger Anstrengungen. Geld aus dem Norden, Strukturreformen im internationalen Finanzsystem, Handel
und Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer müssen
Hand in Hand gehen; denn Entwicklung ist ein dynamischer Prozess.
({3})
Entwicklungszusammenarbeit muss sich vorrangig
auf gute Regierungsführung, die Ausbildung effizienter
Steuer- und Finanzsysteme und die Korruptionsbekämpfung stützen. Hierbei gilt es zu beachten, dass es sich auch
in den Entwicklungsländern um politische Systeme mit
einer Menge von ganz unterschiedlichen Akteuren handelt. Durch externe Rahmenbedingungen, die wir setzen,
und besonders auch durch die Politik des Internationalen Währungsfonds wurden bisher nur bestimmte politische Gruppen in den Entwicklungsländern einseitig begünstigt.
Ich nenne zwei Beispiele. Eines ist Argentinien, wo
sich Carlos Menem, der frühere Chef des Landes, so lange
an der Macht halten konnte, weil er sich auf ein von außen
inspiriertes und mitgetragenes Währungssystem der Dollarparität stützte, das sich jetzt allerdings als Fiasko erweist. Der brasilianische Präsident Fernando Henrique
Cardosa hat zweimal hintereinander die Wahlen in seinem
Land gewonnen, weil es den so genannten Plan Real gab,
ein Währungsregime, das stärker als jedes andere zuvor
von internationalen Kapitalflüssen abhängig ist. Argentinien löst sich nun im Finanzchaos auf. Irgendjemand
muss die Rechnungen bezahlen. Für die Deckung der Hermes-Bürgschaften in Argentinien werden das wohl die
deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sein. Aber
die Hauptlast der Verschuldung hat die argentinische Bevölkerung zu tragen.
Ich bin froh, dass in die internationale Debatte auch
hier endlich Bewegung gekommen ist; denn eine stärkere
Einbeziehung des Privatsektors bei der Lastenübernahme
von Entschuldung muss umgesetzt werden.
({4})
An einem fairen und transparenten Entschuldungsverfahren, dem so genannten internationalen Insolvenzrecht,
wird nun auch im IWF gearbeitet. Auch der Internationale
Währungsfonds beschäftigt sich endlich damit. Wir als
Fraktion und als Partei haben uns schon seit langer Zeit
dafür stark gemacht.
Lassen Sie mich im Hinblick auf die Monterrey-Konferenz einen letzten Punkt nennen: innovative Finanzinstrumente zur Steuerung von Globalisierungsprozessen und zur Erschließung zusätzlicher Finanzquellen. Die
Globalisierungsprozesse haben dazu geführt, dass viele
nationale Politikinstrumente stumpf geworden sind. Den
neuen Herausforderungen wie der stärkeren Betonung
von Krisenprävention und sozialer Gerechtigkeit können
sie nicht mehr Rechnung tragen. Deshalb fordern wir ein
Gegensteuern durch die international koordinierte Erhebung von Entgelten, von Steuern und Abgaben zum
Schutz und zur Finanzierung globaler öffentlicher Güter
wie Umwelt, Gesundheit und Stabilität des internationalen Finanzsystems.
Die Studie von Herrn Professor Spahn, die im Auftrag
des BMZ erstellt wurde, wurde schon angesprochen. Den
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der
FDP biete ich die Internetadresse an, unter der sie das
Gutachten herunterladen können, damit sie nicht wie die
Berliner Drehorgelspieler immer wieder die gleichen Argumente gegen eine Tobinsteuer herunterleiern müssen.
({5})
James Tobin, ein großer Ökonom, der bedauerlicherweise in dieser Woche verstorben ist, wird dieses Laienspiel ohnehin nicht gerecht. Tobin wusste selbst, dass die
Entwicklung freier Märkte auch staatlicher Lenkungsinstrumente bedarf - nicht mehr und nicht weniger. Wer gesehen hat, dass Währungsspekulationen in zweistelliger
Milliardenhöhe an einem Tag Entwicklungschancen für
Jahrzehnte zunichte machen können, weiß effiziente Mittel zu schätzen, durch die einer Kasinowirtschaft zugunsten von Handel und Investitionen Grenzen gesetzt werden.
({6})
Wie sagte Michel Camdessus, der Sonderbeauftragte
des UN-Generalsekretärs für die Konferenz in Monterrey,
neulich bei uns im Ausschuss so schön? „Die Vorschläge
zu innovativen Finanzinstrumenten waren für manche
Teilnehmer zu kreativ und fanden deshalb keinen Eingang
ins Schlussdokument.“ Gleichzeitig geht aber auch Herr
Camdessus davon aus, dass in Monterrey über weiter reichende Vorschläge gesprochen wird.
Wir werden jedenfalls als Koalition auch in Zukunft
mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen. Wir werden die internationale Debatte zur
Entwicklungsfinanzierung mit weiteren innovativen Vorschlägen vorantreiben. Wir sind auf einem guten Weg.
Danke.
({7})
Nun hat Kollege Peter
Weiß, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer entwicklungsDr. Angelika Köster-Loßack
politischen Debatte ist es richtig, zunächst einmal das
Gute festzustellen.
({0})
Zwischen Regierung und Opposition gibt es - übrigens
nicht erst seit 1998, sondern auch davor - weitgehende
Einigkeit über die Zielsetzungen, den präventiven Charakter und die friedenstiftende Wirkung der Entwicklungszusammenarbeit.
({1})
Was aber viele Menschen, die sich für die Entwicklungszusammenarbeit und die Bekämpfung von Hunger
und Armut in der Welt engagieren, mittlerweile schier zur
Verzweiflung treibt, ist die riesige Diskrepanz zwischen
dem, was an Programmen und Regierungserklärungen
vorgetragen wird, und der Realität, die sie in dieser Welt
vorfinden.
({2})
Wenn man die Realitäten betrachtet, muss sich in einer
entwicklungspolitischen Debatte wie heute mancher, der
hört, was die Vertreter der Regierungskoalition vortragen,
vorkommen wie in einer Märchenstunde.
({3})
Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist
unter Rot-Grün noch größer geworden, als sie vorher ohnehin schon war.
({4})
Herr Kollege Erler, man kann das auch nicht mit dem
Hinweis wegstecken, es sei buchhalterisch und klein kariert, wenn man nach Zahlen fragt. Nein, Politik wird dann
konkret, wenn man in den Haushalt sieht. Den Worten
müssen Taten folgen. Die Taten zeigen sich in den Zahlen
des Haushaltes.
({5})
Die Frau Bundesministerin kann es drehen und wenden
und aus der sinkenden Entwicklungshilfe noch eine höhere
ODA-Quote herausrechnen, Fakt ist: Der Anteil des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung am Bundeshaushalt ist von 1,68 Prozent im
Jahre 1998 auf 1,49 Prozent im Jahr 2002 gesunken. Das
ist das Gegenteil von dem, was Rot-Grün zu Beginn ihrer
Amtszeit angekündigt hat.
({6})
Verehrte Frau Ministerin, Ihnen ist im Laufe ihrer politischen Karriere einmal die Bezeichnung „die rote
Heidi“ verliehen worden. Ich finde, diese Bezeichnung
müsste Ihnen heute neu verliehen werden für die Schamesröte, die Ihnen angesichts des Desasters der rot-grünen Entwicklungspolitik, das Sie zu verantworten haben,
ins Gesicht steigen müsste.
({7})
Ständig kommen von Ihnen neue Papiere, neue Konzepte,
neue Programme und neue Projekte - Sie haben sie auch
vorgetragen und vorgelesen -, aber die inhaltliche Konsistenz der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist eher
verloren gegangen, als dass sie an Profil gewonnen hätte.
({8})
Erwähnt worden ist schon die so genannte Schwerpunktsetzung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. So wurde das Aktionsprogramm 2015 zur Halbierung der weltweiten Armut genannt. Was ist daraus
geworden? Kaum sind die Konzepte veröffentlicht, sind
sie schon zerfleddert. Ihre Länderliste wird ständig korrigiert. Die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen sind reine
Zufälligkeiten. Kollege Ruck hat schon vorgetragen, was
unter dem Gesichtspunkt der Armutsbekämpfung, den wir
als wichtigste Zielsetzung ansehen, alles unter die Räder
gerät. Ich nenne den Schwerpunkt Bildung, der bei den
37 Schwerpunkt-Partnerländern, mit denen wir mittlerweile Verträge haben, gerade noch viermal und bei den
33 Partnerländern gerade noch einmal vorkommt.
({9})
Zielgerichtete Armutsbekämpfung erreicht man nicht
mit Zufälligkeiten, sondern nur mit einer klaren entwicklungspolitischen Strategie.
({10})
Sie haben sich für das Aktionsprogramm 2015 heute erneut belobigt. Ich will daran erinnern: Vor einem Jahr haben Sie das Programm vorgestellt und angekündigt, es
gebe einen Umsetzungsplan und einen Finanzierungsplan. Bis zum heutigen Tag liegen kein Umsetzungsplan
und kein Finanzierungsplan vor. Das Aktionsprogramm
ist Schall und Rauch.
({11})
Nun komme ich zu dem Ziel, die Entwicklungshilfe
auf 0,7 Prozent zu erhöhen. Die Europäische Union will
wenigstens 0,33 Prozent vorschreiben. Es ist schon erbärmlich, dass es die Deutschen waren, die sich bis zum
Schluss dagegen gewehrt haben. Jetzt hat der Kanzler angeblich eingelenkt, aber natürlich alles versehen mit einer
Protokollnotiz des Bundesfinanzministers: unter Vorbehalt des Haushalts.
({12})
Wenn Sie sich jetzt für die bescheidenen 0,33 Prozent belobigen, meine Damen und Herren von Rot-Grün - was
schon erbärmlich genug ist -, muss ich Sie daran erinnern,
dass Sie beim Weltwirtschaftsgipfel die Steigerung der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit angekündigt haben. Drei Tage später hieß es: Im Haushalt werden die
Mittel reduziert. Wer soll dem Kanzler noch glauben,
wenn er auf internationalen Konferenzen Erklärungen unterschreibt und später genau das Gegenteil macht? Wir
Peter Weiß ({13})
glauben es Ihnen auch in diesem Fall nicht, wenn Sie keinen entsprechenden Haushalt vorlegen.
({14})
Im Übrigen könnten Sie heute Farbe bekennen, meine
verehrten Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün. Wir
stimmen nachher über einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion ab, in dem der Deutsche Bundestag ein verbindliches
Gesetz - keine unverbindlichen Erklärungen - fordert, in
dem das 0,7-Prozent-Ziel für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit festgeschrieben wird. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Dann glauben wir Ihnen Ihre Erklärungen.
({15})
Nachhaltige Entwicklung bedarf aktiver Zivilgesellschaften in den Ländern des Südens. Der Entwicklungsprozess kommt nur voran, wenn mehr Menschen dort ihr
Schicksal selber in die Hand nehmen. Zivilgesellschaftliche Gruppen fördert man am ehesten, indem man ihre
Partnerorganisationen unterstützt. Aber Sie haben für die
entwicklungspolitische Arbeit der deutschen Kirchen,
Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen bis heute
rund 50 Millionen Euro gestrichen, indem Sie - raffiniert
gemacht - die Mittel im normalen Haushalt auf dem gleichen Stand gelassen, aber die Mittel für die Arbeit in Ostund Südosteuropa reduziert haben. Denn Sie wollen ja
nach dem Jahr 2003 die Regionaltitel für Südosteuropa
und Mittel- und Osteuropa gänzlich entfallen lassen. Auch
hierbei gilt: Sie loben erst die Nichtregierungsorganisationen mit schönen Worten und lassen sie anschließend
am Seil herab.
({16})
Entwicklungszusammenarbeit muss das Ziel verfolgen, das Wohlstandsgefälle zu verringern. Die Menschen
in den weniger entwickelten Ländern müssen neue Zukunftsperspektiven erhalten. Es liegt offenkundig in unserem Interesse, gerade die Diskrepanz zu unseren unmittelbaren Nachbarn in Ost- und Südosteuropa zu
verringern. Doch was macht Rot-Grün? Die Mittel zur
Unterstützung der Transformationsprozesse in den Ländern Osteuropas und Südosteuropas sind zu einem großen
Steinbruch geworden. Allein in einem Jahr ist eine Absenkung um 15 Prozent erfolgt. Ab 2003 soll es gar nichts
mehr geben.
({17})
Meine Damen und Herren, da wir tagtäglich das zunehmende Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und
Wirklichkeit erleben, meine ich, dass Deutschland in der
Tat einen neuen Push für die Entwicklungszusammenarbeit braucht.
({18})
Dazu gehören im Wesentlichen verlässliche finanzielle
Rahmenbedingungen für langfristig wirkende Projekte
statt Katastrophen-Hopping von einem Ende der Welt
zum anderen,
({19})
ein klares Bekenntnis zur Priorität selbsthilfeorientierter
Armutsbekämpfung, die Stärkung der Zivilgesellschaften
sowie demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen
und die Integration der Entwicklungsländer in eine internationale soziale Marktwirtschaft. Um das zu erreichen,
braucht es aber Politiker, die ihren Worten Taten folgen
lassen. Dazu braucht es offensichtlich eine neue Bundesregierung.
Vielen Dank.
({20})
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Detlef Dzembritzki.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Herr Weiß, Sie freuen sich offenbar noch
über die Zustimmung Ihrer Kollegen. Ich muss Ihnen aber
sagen: Es ist immer wieder verwunderlich, wenn man
sieht, wie die Opposition in solchen Diskussionen wie der
heutigen ihre Regierungsvergangenheit verdrängt. Natürlich haben Sie Recht, dass es bedauerlich ist, dass das
0,7-Prozent-Ziel nicht erreicht worden ist. Ich möchte
aber darauf hinweisen, dass wir das, was in 16 Jahren zu
tun versäumt worden ist, nicht in dreieinhalb Jahren aufholen können.
({0})
- Man muss das ständig wiederholen, weil ihr das offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmt. Das ist doch das Problem. Wenn ihr daran arbeiten und vernünftige Alternativen auf den Tisch legen würdet, dann könnten wir darüber
diskutieren.
({1})
- Herr Präsident, der Kollege Schauerte möchte offensichtlich eine Zwischenfrage stellen.
Ich entnehme Ihrer Bemerkung, dass Sie Ihre Redezeit verlängern wollen.
Eigentlich habe ich noch
nicht einmal richtig angefangen. Aber schaden kann es
nicht.
Peter Weiß ({0})
Herr Kollege Schauerte, bitte schön.
Herr Kollege,
Sie haben gerade gesagt, man könnte das, was in 16 Jahren zu tun versäumt worden ist, nicht in vier Jahren aufholen.
Dreieinhalb!
Stimmen Sie mir
aber zu, dass man auf jeden Fall die Fehlentwicklungen in
den letzten dreieinhalb Jahren nicht hätte größer werden
lassen dürfen?
({0})
1998 war der Anteil der Mittel, die für die Entwicklungshilfe zur Verfügung standen, höher als 2002. Sie müssen
doch zugeben, dass Sie sich von dem 0,7-Prozent-Ziel
noch viel weiter entfernt haben als wir damals.
({1})
Herr Kollege, ich bin Ihnen für Ihre Frage ausgesprochen dankbar, und zwar nicht
nur, weil Sie meine Redezeit damit verlängern, sondern
auch, weil Sie mir die Chance geben, deutlich zu machen,
dass dieses Zahlenspiel nicht vollkommen der Wahrheit
entspricht. Richtig ist, dass wir wegen des enormen
Schuldenbergs, den Sie uns hinterlassen haben, einen
Konsolidierungskurs einschlagen mussten, der auch dazu
geführt hat, dass der Etat des Einzelplans 23 - Entwicklungszusammenarbeit - von 1998 bis heute um 1 Prozent
reduziert worden ist.
({0})
Herr Kollege, wenn Sie sich aber die ODA-Rate anschauen, werden Sie feststellen, dass es von 1998 bis heute
eine Steigerung um 9 Prozent gegeben hat. Insgesamt haben wir also unsere Verantwortung wahrgenommen.
({1})
- Herr Kollege, Sie werden doch zugeben müssen, dass
ich in elf Minuten Redezeit nicht auf alles eingehen kann.
Ich werde mit Ihnen darüber im Ausschuss diskutieren.
({2})
Ich finde es interessant, wie nervös Sie werden, wenn wir
über diese Punkte diskutieren.
({3})
Die Oppositionsparteien - Sie selbst haben das eben
angesprochen, als Sie auf Ihre Anträge verwiesen - scheinen die Lösung des Problems darin zu sehen, dass per Gesetz die 0,7-Prozent-Quote verordnet wird. Sie haben aber
keine Deckungsvorschläge gemacht. Eine solche Haltung
können sich die Regierungsparteien nicht leisten; denn
das wäre eine verantwortungslose Politik.
In meiner Antwort auf die Zwischenfrage habe ich bereits darauf hingewiesen, dass wir trotz der finanziellen
Engpässe beharrlich an der Verbesserung der finanziellen
Ausstattung der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet haben. Angesichts des immer wieder angestellten Vergleichs mit anderen Ländern möchte ich fragen: Welche
Länder erreichen denn tatsächlich das 0,7-Prozent-Ziel
oder können wie Schweden, das in vorbildlicher Weise
0,86 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellt, sogar
mehr aufwenden? Das sind ausnahmslos solche Länder,
die es geschafft haben, ihre öffentlichen Finanzen in Ordnung zu bringen, die also einen ausgeglichenen Haushalt
vorweisen können
({4})
und deshalb die Möglichkeit haben, ihre Solidarität mit
dem Süden in noch stärkerem Maße zum Ausdruck zu
bringen. Herr Kollege Hedrich - ich wiederhole das; ich
bitte Sie trotzdem, mir noch einen Augenblick Ihrer Aufmerksamkeit zu schenken -, Sie haben uns eine Schuldenlast hinterlassen, für die im Jahr Zinsen gezahlt werden müssen, die zehnmal höher sind als das, was wir im
Entwicklungsetat zur Verfügung haben.
({5})
Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen,
was wir alles machen könnten, wenn wir diese Zinsbelastung nicht hätten.
({6})
Nun zur bevorstehenden Konferenz in Monterrey, die
bereits angesprochen worden ist: Herr Günther, ich weiß
nicht, inwieweit Sie die entsprechenden Unterlagen zur
Kenntnis genommen haben. Aber die Frau Ministerin hat
in ihrer Rede sehr deutlich gemacht, welche Schwerpunkte auf der Konferenz in Monterrey zu setzen sein
werden und welche Chancen bestehen.
Zu Ihnen, lieber Herr Kollege Hübner, möchte ich sagen - schade, dass die Zeit nicht reicht, um darauf näher
einzugehen -: Es ist in der heutigen Diskussion der Eindruck vermittelt worden, als ob es auf der bevorstehenden
Konferenz in Monterrey, an der fast alle Mitgliedstaaten
der UN teilnehmen, so zugehen würde wie in unserem
Parlament. Wir müssen wissen - wir wissen es ja auch -,
dass in der internationalen Zusammenarbeit dicke Bretter
gebohrt werden müssen. Wir haben bisher kein Instrument von Global Governance. Mit dem, was bisher erreicht worden ist und was durch unsere Politik international ergänzt und erweitert wird - ich denke da an die EU
und die AKP-Staaten -, sind doch Fortschritte erzielt
worden, wie wir sie vor drei, vor fünf oder vor sechs Jahren nicht hatten.
({7})
Von daher ist der internationale Weg mit der multilateralen Zusammenarbeit, die wir betrieben haben, ein erfolgreicher Weg, der für die Länder des Südens auch Verbesserungschancen bringt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung
wird an ihrem Konsolidierungskurs festhalten. Wir sind
auf einem guten Weg, die gewaltige Verschuldung, die Sie
uns hinterlassen haben, zurückzufahren.
({8})
Ich bin sicher, dass dadurch finanzielle Spielräume frei
werden, die es uns erlauben, die Entwicklungsausgaben
zu erhöhen, ohne dadurch nachfolgende Generationen zu
belasten. Alles andere wäre auch verantwortungslos.
Trotz dieser Situation, die Sie uns hinterlassen haben,
({9})
ist die Bilanz der rot-grünen Koalition in der Entwicklungszusammenarbeit durchaus beeindruckend. Wenn
Sie, lieber Kollege Hedrich, hier am Pult sprechen, habe
ich manchmal den Eindruck, dass Sie im Grunde Ihren
Versäumnissen der letzten 16 Jahre hinterherlaufen
({10})
und im Grunde bedauern, dass Sie die Chancen nicht
wahrgenommen haben, dass es Ihnen nicht gelungen ist,
das Politikfeld Entwicklungspolitik zu einer Querschnittsaufgabe zu machen, die alle Ressorts bindet und
uns bei jedem Gesetzgebungsvorhaben in die Pflicht
nimmt, die Interessen des Südens zu bedenken und zu
berücksichtigen.
({11})
Unser Ansatz in der Entwicklungszusammenarbeit
unterscheidet sich grundlegend von dem vergangener
Jahre. Herr Weiß, Sie können hier am Pult noch so laut
werden: Wir haben mit den Partnerländern des Südens
eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe entwickelt. Wir
unterstützen die Bereitschaft zu Reform und Entwicklung. Die Empfängerländer werden bei der Planung von
Hilfsprogrammen von Anfang an beteiligt; sie sind in ein
Gesamtkonzept einbezogen. Wir fordern eine Selbstverpflichtung unserer Partner zu guter Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und Achtung von Menschenrechten; das war die klare Vorstellung und die
Konzeption unserer Koalition.
Herr Kollege Ruck, Sie wissen sehr wohl, dass wir bei
diesem ganzheitlichen Ansatz das Potenzial der Zivilgesellschaft mit einbinden, selbstverständlich auch den
Schutz der natürlichen Ressourcen im Auge haben und
gerade Wert darauf legen, dass auch die Länder, die mit
uns zusammenarbeiten - wir waren zusammen in Vietnam
und in anderen Ländern -,
({12})
diesen Ansatz beachten.
({13})
Meine Damen und Herren, schauen Sie sich als Beispiel für diese Politik die Entschuldungsinitiative an! Gerade bei der Armutsbekämpfung wird das Potenzial der
Zivilgesellschaft mit eingebunden. Gerade hierbei wird
Wert auf Gesundheitspolitik und auf Bildungspolitik gelegt, um Defizite abzubauen.
Eine vor kurzem veröffentlichte Studie der Weltbank
zeigt - das ist interessant -, dass wir mit dieser Politik bei
gleichem Mitteleinsatz fast dreimal so viele Menschen
aus der schlimmsten Armut befreien können, wie das noch
vor zehn Jahren möglich gewesen wäre. Hieran wird deutlich, dass Strukturveränderungen mindestens genauso
wichtig sind wie die Frage nach mehr Geld oder weniger
Geld, wenn nicht sogar wichtiger.
({14})
Es ist, finde ich, wirklich nicht kollegial, nicht parlamentarisch, lieber Kollege Hedrich, wenn Sie von täuschen, verschleiern und verfälschen sprechen, wenn Sie
im Zusammenhang mit Osttimor von Showeffekten sprechen. Es ist schade, dass der Kollege Blüm nicht hier ist.
Wir waren gemeinsam in Osttimor. Ich habe nicht den
Eindruck, dass wir dort im Verhältnis zu viel Mittel einsetzen. Wir können hier sehr wohl darüber diskutieren, ob
der massierte personelle Einsatz der UN in der jetzigen
Art und Weise sinnvoll ist, aber dass hier der Eindruck erweckt wird, wir würden uns um Menschenrechte kümmern und wir würden auch kleinen Ländern helfen, nur
um Showeffekte zu erzielen, finde ich erbärmlich. Das
gehört nicht in eine solche Diskussion.
({15})
Für unsere Neuausrichtung steht auch der Stabilitätspakt Südosteuropa. Wir haben hier im Rahmen der Europäischen Union - einige Kollegen haben schon darauf
hingewiesen - einen subregionalen politischen Prozess
angestoßen. Das heißt, dass die betroffenen Länder Südosteuropas zu einer selbsttragenden Zusammenarbeit
zurückfinden und sich die Ziele des Stabilitätspaktes zu
Eigen machen.
Einige Kolleginnen und Kollegen haben davon gesprochen, dass die Einrichtung von runden Tischen nicht
notwendig sei. Wichtig sei nur, dass schnell Gelder
fließen würden. Zumindest die Aussage, dass die Einrichtung von runden Tischen nicht notwendig ist, ist fatal. Wir
brauchen doch im Bereich der Sicherheitspolitik, das
heißt der inneren und äußeren Sicherheit, eine überregionale Zusammenarbeit. Wir brauchen eine Zusammenarbeit, um Infrastrukturmaßnahmen nicht nur einem,
sondern allen Ländern nutzbar zu machen. Deswegen plädiere ich dafür, dass die Instrumente, die man auf dem GeDetlef Dzembritzki
biet der überstaatlichen Zusammenarbeit der Regionen
entwickelt hat, weiter gefördert werden. Ich plädiere aber
auch dafür, dass immer wieder geprüft wird, ob Bürokratie reduziert werden kann, um vor Ort schneller wirksame
Hilfe zu ermöglichen. Die EU hat diesen Prozess auf multilateraler Ebene politisch und materiell beachtlich unterstützt. Die EU und die Bundesrepublik werden sich aus
diesem Bereich nicht zurückziehen.
Das Ziel unserer Maßnahmen ist, den Ländern eine
Perspektive auf Teilhabe an unserer Werte- und Wachstumsgemeinschaft zu geben und ihre Bemühungen auf
dem Weg dorthin zu flankieren.
In Mazedonien - man kann das nicht oft genug unterstreichen - ist es uns durch eine vernünftige Präventionspolitik gelungen, eine aggressive Auseinandersetzung
bzw. einen Bürgerkrieg zu verhindern. Natürlich kostet
auch das Geld. Aber es kostet sehr viel weniger Geld, als
wenn wir dort mit Militärapparaten eine Hilfe leisten würden, die im Grunde zu spät kommt und der friedlichen
Entwicklung nicht dienlich ist.
({16})
Diese Erfahrungen aus der überregionalen und multilateralen Zusammenarbeit sollten wir auf die zentralasiatischen Staaten übertragen. Hier können wir eine Menge
einbringen. Diesen Ländern ist die Zusammenarbeit
wichtig und nicht die Abschottung.
Der Besuch des Ministerpräsidenten Karzai gibt mir
die Gelegenheit, daran zu appellieren - ich glaube, das ist
ein Aufruf an uns alle -, nicht nur auf die Stadt Kabul zu
schauen. Der afghanische Infrastrukturminister hat heute
im Auswärtigen Ausschuss deutlich gemacht, dass auch in
den Regionen, in die die Flüchtlinge zurückkehren wollen, eine Entwicklung stattfinden muss. Sie müssen dort
eine Infrastruktur vorfinden. Lassen Sie uns also auch hier
schauen, wie wir weiterhelfen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz aller Fortschritte bei Kohärenz und Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit ist es mir in den verbleibenden Sekunden
meiner Redezeit ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass
wir im Norden unser Bewusstsein hinsichtlich der Wahrnehmung des Südens verändern müssen. Ein Beispiel
dafür ist Afrika. In den Schulbüchern - die KonradAdenauer-Stiftung hat hierzu eine interessante Studie vorgelegt - kommt Afrika als Kolonialkörper vor. Die Begrifflichkeit in den Schulbüchern entspricht überhaupt
nicht unserer Zeit. Tierfilme und Katastrophen, das ist das
Bild, das von Afrika vermittelt wird. Wer sich an deutschen Universitäten mit Afrika beschäftigen will, muss
lange nach einem Angebot suchen. Fündig wird er am
ehesten im Bereich der Ethnologie. In der Politikwissenschaft kommt Afrika kaum vor. Aber aus diesem Bereich
brauchen wir Fachkräfte, die später in der Politik, in der
Verwaltung und in internationalen Gremien an der Ausgestaltung der deutschen Politik teilhaben und sich in der
globalisierten Welt zurechtfinden können.
Im Klartext heißt das, dass wir heute einen ganzen
Kontinent, also 54 Staaten, aus dem Blick von Politik
und Gesellschaft ausblenden. Wir müssen dafür Sorge
tragen, dass sich unsere Universitäten und Schulen
mitverantwortlich dafür fühlen, einen Bewusstseinsprozess zu initiieren und zu beeinflussen, und zwar in dem
Sinne, dass Prävention und das Wissen übereinander
notwendig sind und Verstehen die Voraussetzung dafür
ist, in dieser einen Welt friedlich und zukunftsorientiert
zusammenzuleben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Ich schließe
die Aussprache.
Tagesordnungspunkte 13 b und 13 c: Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen
14/6496 und 14/6269 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf Drucksache 14/8493 soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 14/6496
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 13 d: Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Entwicklungsfinanzierung international stärken - VN-Konferenz
„Financing for Development“. Wer stimmt für den Antrag
auf Drucksache 14/8487? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkte 13 e bis 13 g: Die Vorlagen auf
den Drucksachen 14/8109, 14/8338 und 14/8057 sollen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann
ist so beschlossen.
Zusatzpunkt 12: Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Mit
der Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung den Abwärtstrend der Finanzmittel für nachhaltige Entwicklung umkehren“. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/8482? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Zusatzpunkt 18: Interfraktionell wird vorgeschlagen,
die Vorlage auf Drucksache 14/5578 zur federführenden
Beratung an den Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung und zur Mitberatung
an den Auswärtigen Ausschuss zu überweisen. - Anderweitige Vorschläge liegen nicht vor. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 sowie die Zusatzpunkte 13 bis 15 auf:
14. Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hansjürgen Doss, Friedhelm Ost,
Peter Rauen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Offensive für die Bauwirtschaft
- Drucksachen 14/6315, 14/8504 Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Kutzmutz
ZP 13 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Wiesehügel, Dieter Maaß ({2}),
Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Zukunft der deutschen Bauwirtschaft
- Drucksachen 14/7297, 14/8506 Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Wiesehügel
ZP 14 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Hans-Michael Goldmann,
Horst Friedrich ({4}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Mehr Chancen für die Bauwirtschaft durch weniger Regulierung
- Drucksachen 14/7458, 14/8507 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hansjürgen Doss
ZP 15 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Uwe Hiksch, Christine Ostrowski, Rolf Kutzmutz
und der Fraktion der PDS
Zukunft der Bauwirtschaft
- Drucksachen 14/7135, 14/8498 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner
dem Kollegen Hartmut Schauerte für die CDU/CSUFraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns mit einer ganz dramatischen Entwicklung in einer
aufgrund der schwierigen Verhältnisse ausgesprochen gebeutelten Branche. Ich darf am Anfang sagen: Wenn man
sich in der Volkswirtschaft umschaut, dann muss man
feststellen, dass es keiner Branche so schlecht geht wie
der deutschen Bauwirtschaft.
({0})
Man kann an den entsprechenden Zahlen erkennen, dass
sie noch nie eine derart dramatische Verschlechterung
ihrer Rahmenbedingungen hat hinnehmen müssen wie
zurzeit.
Es geht den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
sowie den Unternehmen schlecht. Es gibt Arbeitsplatzverluste in einer Größenordnung, die wir uns in anderen
Branchen gar nicht vorstellen können. Im Jahr 1998
- Herr Wiesehügel, in diesem Jahr wurden Sie, der Vorsitzende der IG BAU, in den Deutschen Bundestag
gewählt - gab es 1 156 000 Beschäftigte. Nach Ihrem
engagierten Einsatz in den letzten dreieinhalb Jahren
im Deutschen Bundestag gibt es 250 000 Bauarbeiter weniger.
({1})
Das sind zweieinhalbmal so viel, wie es insgesamt noch
Beschäftigte im deutschen Steinkohlebergbau gibt.
({2})
- Nein, aber trotz. In ihn setzte die Bauwirtschaft damals
große Hoffnungen. Aber in den fast vier Jahren, in denen
er im Parlament mitgearbeitet hat - in dieser Zeit wechselten oft die Bauminister -, ist diese Branche sozusagen
an die Wand gefahren worden.
({3})
Ich möchte auf die Zahlen bezüglich der Arbeitsplätze
zurückkommen. Wir werden in diesem Jahr in der Baubranche weitere 50 000 bis 60 000 Arbeitsplätze verlieren.
Damit landen wir bei 900 000 Arbeitsplätzen.
Ich möchte auch auf die Zahl der Konkurse in der deutschen Bauwirtschaft eingehen: Im Jahr 2001 hatten wir
9 026 Konkurse. Eine so hohe Zahl hat es noch nie gegeben. Es geht um 9 026 Existenzen und damit um viele,
viele Arbeitsplätze. Zudem muss man bedenken, dass mit
der Erhöhung der Zahl der Bauarbeitnehmer um einen
Arbeitnehmer eine Arbeitsplatzwirkung für die deutsche
Volkswirtschaft in Höhe von 0,9 Arbeitnehmern verbunden ist. Damit sind allein durch die Veränderungen in dieser Branche circa 500 000 Arbeitsplätze weggefallen. Das
ist die bittere Bilanz nach dreieinhalb Jahren sozialdemokratischer Verantwortung für die Bauwirtschaft.
({4})
Die Bauwirtschaft hat von allen Wirtschaftszweigen
unserer Volkswirtschaft die mit Abstand höchste Konkursrate zu verzeichnen: Auf 10 000 Betriebe kommen
280 Pleiten. Damit ist die Konkursrate um 2,8 Prozent
höher als die durchschnittliche Konkursrate in der deutschen Wirtschaft und der deutschen Industrie. In dieser Situation haben wir Mitte letzten Jahres einen Antrag eingebracht; er wird heute beraten. Es brennt lichterloh. Die
Situation hat sich eher noch verschlechtert. Aber die Regierung hat keine Konzepte, keine Programme. Sie kuriert
nur am Symptom herum.
Die Bauwirtschaft leidet wie kein anderer Wirtschaftszweig unter den Fehlentwicklungen in der Gesamtwirtschaft; denn sie ist der empfindlichste Teil. Der Umstand,
dass wir in der Bundesrepublik Deutschland kein WirtVizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
schaftswachstum haben, schlägt sich daher überproportional in der Bauwirtschaft nieder. Deswegen sage ich für
die CDU ganz sachlich und ruhig und in allem Ernst:
({5})
Ohne Wirtschaftswachstum werden wir diese Probleme
auch durch noch so viele Programme nicht in den Griff
bekommen. Vom Wachstum aber verstehen Sie nun wirklich nichts. Davon verstehen wir von der CDU/CSU eindeutig mehr.
({6})
Der berühmte Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Herr Clement, hat im letzten Jahr ein Wirtschaftswachstum von 0,1 Prozent hingelegt. Im Gegensatz dazu
hatten die Baden-Württemberger ein Wachstum in Höhe
von 1,3 Prozent. Die Bayern haben ein Wachstum von
0,9 Prozent erreicht. So gering es auch ist: Es ist immerhin
neunmal höher als das in Nordrhein-Westfalen. Wir können diesen Vergleich für alle Länder der Bundesrepublik
anstellen, Herr Wiesehügel, das Ergebnis wird nicht anders
aussehen. Ich weiß, es tut weh, aber es ist wahr: Je länger
Rot-Grün regiert, desto schlechter sind die Wachstumsraten, desto höher sind die Arbeitslosenraten und desto größer ist die Anzahl der Pleiten.
({7})
Das ist nun einmal die bittere Wahrheit. Daran werden Sie
im kommenden Wahlkampf gemessen werden.
Der Grund für die Situation in der Bauwirtschaft ist
also zuallererst das fehlende Wirtschaftswachstum. Es
liegt aber auch an der zunehmenden Bürokratie. Hier
muss ich einmal die Grünen ansprechen. Vonseiten der
Grünen gibt es viele Bedenkenträger; bei nahezu allen
Planungen, Anträgen und Genehmigungen in der Bundesrepublik Deutschland, sowohl in den Gemeinden als auch
in den Ländern, sind viele Behörden davon betroffen. Sie
können jede Sitzung als Beispiel nehmen; denn es ist immer so: Es werden viele Fachleute gehört, aber in 95 Prozent der Fälle, bei denen es um Genehmigungen geht, sind
es die Grünen - ein oder zwei Grüne sind stets dabei -, die
Bedenken vortragen. Mit einer solchen Bremspolitik können Sie der Bauwirtschaft in Deutschland nicht auf die
Beine helfen.
({8})
Sie haben durch die Anlegung Ihrer Steuerreform und
den bei einer Vielzahl von Gesetzen praktizierten Verschiebebahnhof die finanzielle Basis der Kommunen zerstört. Die Kommunen sind allerdings der wichtigste
Investor in der Bauwirtschaft. Mehr als zwei Drittel aller
öffentlichen Investitionen sollten seitens der Kommunen
stattfinden. Aber Herr Eichel, dieser tüchtige Finanzminister, hat den Bund bei der Nettoneuverschuldung
schöngerechnet und die Neuverschuldung der Gemeinden und der Länder um ein Mehrfaches steigen lassen.
Die Gemeinden müssen sich heute dreimal so hoch verschulden wie 1998. Das nimmt ihnen die Kraft, in die
Bauwirtschaft zu investieren, und daher brechen die
Arbeitsplätze weg.
Auch das Mietrecht haben Sie aus ideologischen
Gründen immer wieder verschlechtert.
({9})
- Sie haben es eindeutig verschlechtert, und zwar zulasten
der Investitionen. Man müsste einmal - aus der Sicht des
Steuerzahlers halte ich das für akzeptabel - jedem Minister des Bundeskabinetts fünf oder sechs Wohnungen übertragen, zum Beispiel indem man sie ihnen schenkt. Sie
glauben gar nicht, zu was für Erkenntnissen sie anschließend kommen würden. Sie würden von da an über die
Notwendigkeit von Reformen im Mietrecht ganz anders
denken. Die Minister des Bundeskabinetts müssten einmal selbst die Praxis in diesem Bereich erleben. Das wäre
wirklich ein hochinteressanter Vorgang.
({10})
Ich komme auf private Finanzierungen zu sprechen.
Herr Wiesehügel, ich würde mich an Ihrer Stelle wirklich
zurückhalten. Sie reden ja gleich. Versuchen Sie doch einmal, eine Bilanz Ihrer Politik in den vergangenen dreieinhalb Jahren in Bezug auf dieses - Ihnen auf den Leib geschnittene - Thema zu ziehen! Wenn Sie eine ehrliche
Bilanz ziehen, dann können Sie doch nicht mehr ruhig
schlafen.
({11})
Also: Was private Finanzierungen in die Infrastruktur angeht, sind Sie keinen Schritt weitergekommen. Nichts
läuft da. Investitionshaushalte in Bund, Ländern und Gemeinden sind zusammengestrichen worden. So wird die
Baukonjunktur zerstört.
Wir brauchen eine Infrastrukturoffensive und eine
Stärkung der investiven Haushaltsansätze. Legale Arbeit
muss wieder bezahlbar sein. Betriebsverfassungsrechtliche Probleme müssen so gelöst werden, dass Flexibilität
auf dem Bau möglich ist.
({12})
Arbeit auf dem Bau ist erschwert worden, sie ist bürokratisiert worden und sie ist verrechtlicht worden.
Zur Vergabepraxis: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement will die öffentliche Hand seines
Landes jetzt von der VOB befreien. Das sind Ihre Beiträge
zur Verbesserung der Lage der Bauwirtschaft. Kümmern
Sie sich einmal darum! Reden Sie einmal mit ihm! Nordrhein-Westfalen ist immerhin kein kleines Land.
Die Vergabe von Aufträgen an Mittelständler muss verbessert werden. Erbrachte Leistungen müssen zeitgerecht
bezahlt werden. Gehen Sie an die Lösung dieses Problems
heran und greifen Sie das in Sachsen praktizierte Modell
auf, über das wir diskutieren! Machen Sie etwas! Schieben Sie die Dinge nicht vor sich her! Was die Zahlungsmoral in Bezug auf in Deutschland erbrachte Bauleistungen angeht, sind mittlerweile unerträgliche Zustände
eingetreten.
Sie haben die Einkommensgrenze für die Gewährung
der Eigenheimzulage genau bei denjenigen, die bauen
könnten, um etwa ein Drittel gekürzt.
({13})
Das heißt, Sie haben den Kreis der Anspruchsberechtigten, die unsere Bauwirtschaft in Gang bringen könnten,
verkleinert.
({14})
All das ist unerträglich.
({15})
Ich bin der Auffassung, dass wir einen wirklichen Neuanfang brauchen. Man muss sich den Problemen der Bauwirtschaft wirklich zuwenden. Ihre bürokratischen Ansätze und die Art und Weise, wie Sie gängeln und
Investitionen verhindern, machen einen solchen Neuanfang unmöglich. Sie sind nicht in der Lage, die Rahmenbedingungen für Wachstum zu schaffen, und ohne
Wachstum ist der deutschen Bauindustrie nicht mehr zu
helfen.
({16})
Wir brauchen eine Regierung, die Wachstum organisieren kann. Deswegen werden wir diese Fragen zu einem
zentralen Wahlkampfthema machen. Wir werden mit den
Bauarbeitern darüber reden,
({17})
wer für die schlechte Lage der Bauwirtschaft seit dreieinhalb Jahren verantwortlich ist. Das sind nämlich diejenigen, die sich permanent dazu berufen fühlen, als Herolde
der Interessen der Bauarbeiter aufzutreten. In Wahrheit
sind sie das Gegenteil. Ihre Bilanz ist niederschmetternd
und enttäuschend.
({18})
Ich erteile
dem Kollegen Klaus Wiesehügel für die Fraktion der SPD
das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Situation der deutschen
Bauwirtschaft ist tatsächlich schwierig. In einigen Anträgen wird das beschrieben. Diese Anträge waren in den
letzten Monaten häufig Gegenstand der Debatte. Herr
Schauerte, Sie haben hier ein paar Zahlen genannt. Ich
will mich mit diesen Zahlen gerne beschäftigen. Nur, man
muss natürlich schon sehen, dass der jeweilige Ansatz interessengeleitet ist: Man wählt ihn so, dass er einem in den
Kram passt.
Ich möchte Folgendes deutlich machen: Wir können an
den Zahlen auch erkennen, wo die Ursachen gegebenenfalls liegen. Sie haben justament das Jahr 1998 gewählt.
({0})
Die Krise der Bauwirtschaft hat aber nicht 1998, sondern
1995 begonnen. Seit diesem Jahr sind die Zahlen rückläufig. 1995 waren nicht wir an der Regierung. Wenn Sie
das behaupten, Herr Schauerte, dann zeigen Sie, dass Sie
ein sehr schlechtes Gedächtnis haben.
Ich will Ihnen die entsprechenden Zahlen ein bisschen
genauer nennen. Am 31. Dezember 1995 gab es im Westen 664 807 im Baugewerbe beschäftigte Arbeitnehmer.
Das sind die Zahlen der Urlaubskasse des Baugewerbes.
Das sind die verlässlichsten Zahlen, die man heranziehen
kann; sie sind sehr realitätsnah. Am 31. Dezember des
Jahres 2001 - das ist das letzte Jahr, für das wir vollständige Statistiken vorweisen können - waren 424 663 Arbeitnehmer im Baugewerbe beschäftigt. Der Rückgang
beträgt also etwa ein Drittel. Das ist in der Tat sehr beachtlich und sehr traurig. Im gleichen Zeitraum, also vom
31. Dezember 1995 bis zum 31. Dezember 2001, haben
wir im Osten einen Rückgang von 309 726 Beschäftigten
auf 141 749 Beschäftigte zu verzeichnen. Das ist eine Halbierung der Zahl der Arbeitsplätze.
Herr Schauerte, dieser Rückgang der Zahl der Arbeitsplätze besonders im Osten, wo wir die Hälfte der Arbeitsplätze verloren haben, hat seine größte Ursache in Ihrer
fehlgeleiteten Politik der Steuersubventionen in den
neuen Bundesländern. Da können Sie immer wieder sagen, das sei nicht wahr - es ist wahr.
({1})
Jeder, der mit dem Baugewerbe zu tun hat, wird Ihnen bestätigen, dass diese Branche die Sonderabschreibungen,
die damals vorgenommen worden sind, heute als Last zu
verkraften hat. Deswegen ist die Zahl der Arbeitsplätze,
die abgebaut worden sind, in den neuen Bundesländern
wesentlich höher als im Westen.
Jetzt möchte ich einige Zahlen nennen, die Sie vielleicht nicht so genau kennen. Sie haben eben das Thema
der Konkurse angesprochen und haben gesagt, welch ein
Skandal die hohe Zahl der Konkurse sei. Nun vernehmen
Sie einmal die Zahlen, die die Entwicklung der Zahl der
Betriebe seit 1995 widerspiegeln: In den alten Bundesländern ging in dem Zeitraum, den ich eben genannt habe
und in dem rund ein Drittel der Arbeitsplätze verloren gingen, die Zahl der Betriebe von 56 801 im Jahr 1995 auf
53 542 im Jahr 2001 zurück. Das ist ein Rückgang von ungefähr 3 000 Betrieben oder von ungefähr fünf Prozent.
Im Osten ist die Zahl der Betriebe von 18 368 Betrieben
im Jahr 1995 auf 18 432 Betriebe im Jahr 2001 gestiegen.
Das ist ein Plus von 64 Betrieben. Konkurs ist das eine,
Neu- und Wiedereröffnung von Betrieben ist das andere.
Wir haben - das kann ich beweisen - eine Zunahme der
Bauunternehmungen in den neuen Bundesländern zu verHartmut Schauerte
zeichnen; diese Unternehmungen befinden sich aber jeweils auf wesentlich niedrigerem Niveau.
Das zeigt: Die Krise der deutschen Bauwirtschaft wird
vor allen Dingen auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen. Die Ursachen des Rückgangs der Beschäftigung
in diesem Zeitraum gehen nicht auf das Konto der jetzigen Bundesregierung, sondern eindeutig auf das Konto
der alten Bundesregierung. Wir haben es angesichts der
Krise, die die Bauwirtschaft durchmacht, und der Voraussetzungen, die wir übernehmen mussten, ungeheuer
schwer, die Dinge zurückzudrehen.
({2})
Herr Schauerte, das Problem waren nicht nur die Sonderabschreibungen im Osten. Die Bauwirtschaft selbst
war keine sich selbst tragende Branche; Sie haben vielmehr mit Ihrer fehlgeleiteten Steuerpolitik künstliche Kapazitäten aufrechterhalten, die dem Bedarf dieser Volkswirtschaft nicht entsprachen. Diese Überkapazitäten
verschwinden nur sehr mühsam vom Markt. Mir tut es um
jeden Leid, der arbeitslos wird. Aber daran sieht man, wie
tief die Dinge auch in unserem System verwurzelt sind.
Zuerst gehen die Arbeitsplätze verloren. Die von Ihnen so
bedauerten Arbeitgeber sind noch nicht einmal weg vom
Markt; deren Zahl erhöht sich vielmehr. Da müssen Sie
die Krokodilstränen etwas zurückhalten; zumindest
würde ich das Ihnen empfehlen.
({3})
Wir alle wissen - darin sind wir uns einig -: Das größte
Problem der Baubranche ist neben dem Nachfragerückgang, den wir zu verzeichnen haben, und der eklatanten
Fehlsteuerung, über die ich gerade ausreichend gesprochen habe, der Verfall der Baupreise durch illegale Beschäftigung, durch Schwarzarbeit und durch Lohndumping. Diese Missstände sind nun wahrhaftig nicht in den
letzten drei Jahren entstanden. Doch die Opposition, die
dieses Thema jahrelang nicht angegangen ist, wird nicht
müde, die falschen Ursachen, die falschen Schuldzuweisungen hier vorzutragen. Es hilft nichts - wie Sie das immer machen - bei jedem Lösungsvorschlag auf die möglichen Baupreissteigerungen hinzuweisen. Das ärgert
mich.
Sie wissen ganz genau - Sie sind ja Ökonom und verhalten sich wie ein solcher -: Für eine Branche, der es seit
1993 nicht gelungen ist, Preissteigerungen durchzusetzen, während der übrigen produktiven Wirtschaft
durchaus 5 Prozent Preissteigerung zugestanden wurden,
ist es sehr schwer, Eigenkapital zu bilden, etwas für die
Qualifikation der Arbeitnehmer zu tun und Innovationen
im Produktionsprozess umzusetzen, um sich besser am
Markt aufzustellen. Es ist ein riesiges Problem, dass
schon seit neun Jahren keine Preissteigerungen durchgesetzt werden konnten.
Jeder Vorschlag, den wir machen, wird von Ihnen und
allen liberalen Kräften, seien sie an Universitäten oder
sonst wo, unisono bekämpft, weil dadurch zwangsläufig
die Baupreise stiegen. Das Problem ist, dass immer dann,
wenn wir Verbesserungen vorschlagen - sei es die
Bekämpfung von illegaler Beschäftigung, Schwarzarbeit
oder Verbesserungen bei der Vergabe -, sofort gebrüllt
wird: Ja, aber dann steigen auch die Baupreise. Die Bauwirtschaft hat keine Chance, wenn Sie ihr nicht auf politischer Ebene ermöglichen, mit ihren Produkten auf den
Markt zumindest eine ähnliche Rendite wie andere Branchen zu erzielen. Wir haben hierfür konkrete politische
Maßnahmen vorgeschlagen.
Wer ist wie immer, wenn irgendetwas der Opposition
nicht gefällt - man muss nur einmal in Ihren Antrag hineinschauen -, schuld? Die Ökosteuer. Das ist hier genauso. Auch in Ihrem jetzigen Antrag steht wieder: Die
deutsche Bauwirtschaft krankt und darbt wegen der Ökosteuer. Aber gerade in der Bauwirtschaft, die eine arbeitsintensive Branche ist, haben die Entlastungen bei den
Lohnnebenkosten doch Wirkung gezeigt. Die Verteuerung von Energie ist hier mehr als kompensiert worden.
({4})
Vielmehr erwartet das DIW, dass durch die Ökosteuer bis
2003 zusätzliche Arbeitsplätze in und um die Bauwirtschaft herum entstehen, sodass die Bauwirtschaft davon
zumindest ein Stück weit profitieren kann.
({5})
Ebenso falsch und geradezu dreist ist es zu behaupten,
die Einschränkung befristeter Arbeitsverträge habe dazu
geführt, dass es weniger Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft gebe. Genauso dreist ist es zu sagen, der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit - all das steht in Ihrem Antrag - habe zu Problemen geführt. So etwas zu behaupten
ist weltfremd und zeigt wenig Kenntnis der Branche. Das
wird Ihnen wohl durchgegangen sein, als Sie irgendeinen
Mitarbeiter beauftragt haben, diesen Antrag zusammenzuschreiben. Auch die Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung wird immer wieder gerne als Argument
benutzt, um die Lage zu erklären, hat aber damit nichts
zu tun.
Jetzt haben Sie sich gerade hier hingestellt und auf das
Mietrecht verwiesen. Es gibt überhaupt keinen Zusammenhang zwischen den Zahlen, die ich hier gerade vorgetragen habe - deswegen habe ich ja bewusst auch das Jahr
1995 herausgegriffen -, und der von uns durchgesetzten
Verbesserung des Mietrechts.
({6})
Das ist Ideologie und an den Haaren herbeigezogen, hat
aber mit sauberer ökonomischer Betrachtungsweise
nichts zu tun.
({7})
Es wird Ihnen auch nicht gelingen - obwohl Sie es ja
angekündigt haben -, die politische Verantwortung, die
Sie tragen, anderen zuzuschieben.
({8})
Sie können darüber gerne mit den Beschäftigten am Bau
reden; da werden Sie sich einiges anzuhören haben. Das
kann ich Ihnen jetzt schon sagen. Unsere Maßnahmen
werden langfristig - das dauert eine Weile - Wirkungen
zeigen.
({9})
Hinzu kommt, dass wir Gesetze in der Pipeline haben wie
das Gesetz zur Bekämpfung von Illegalität und Schwarzarbeit und ein besseres Vergabegesetz. Diese werden aber
im Wesentlichen von Ihnen in der Öffentlichkeit immer
wieder angeprangert, während Baubranche, Arbeitgeber
und ZDH sagen, dass sie dringend gebraucht werden.
({10})
Es wird darauf gedrungen, dass wir endlich zu Potte
kommen. Aber es gibt viele, die dagegen sind. Am lautesten schreit die Opposition. Sie sagt hier, die Zukunft der
Bauwirtschaft müsse gesichert werden, aber alle Vorschläge werden von Ihnen torpediert. Sie machen nur öffentlich Druck und räumen im Grunde genommen der
Bauwirtschaft überhaupt keine Chance ein. Sie machen
billige Oppositionspolitik auf dem Rücken der vielen
Menschen, die arbeitslos geworden sind. Das wird Ihnen
nicht gelingen. Das ist zu durchsichtig.
({11})
- Ich weiß ja, dass die Opposition jetzt reden wird. Deshalb warte ich nicht ab, sondern setze mich hin und bin darauf gespannt, was Sie jetzt sagen.
({12})
Für die
FDP-Fraktion spricht die Kollegin Gudrun Kopp.
Herr Präsident! Sehr geehrte
Herren und Damen! Lieber Herr Kollege Wiesehügel, die
Opposition hat Schuld und eigentlich ist an der katastrophalen Situation des Baugewerbes auf die Schnelle nichts
zu ändern. - Da machen Sie es sich wirklich viel zu leicht.
({0})
Ich möchte zu Beginn meiner Rede eine Branche nennen, die boomt: Einen Zuwachs von 6,5 Prozent hat die
Schattenwirtschaft zu verzeichnen.
({1})
Die Rentenversicherungsbeiträge werden von 19,1 auf
19,3 Prozent steigen, und zwar trotz Ökosteuerzufuhr,
ebenso die Krankenversicherungsbeiträge auf 14 Prozent,
Tendenz steigend.
Nicht genannt wurde bisher die Regulierungswut in
Deutschland, die nach wie vor anhält und ein Riesenproblem darstellt, und zwar insbesondere für die kleinen und
mittelgroßen Firmen in der Baubranche, die immerhin
90 Prozent ausmachen. Sie tragen die Hauptlast.
({2})
Herr Schauerte hat die Insolvenzzahlen genannt. In
2002 haben wir im Bauhauptgewerbe - leider - eine Rekordzahl zu erwarten. Im Jahr 2000 war ein Mehr an Firmenzusammenbrüchen um 4,9 Prozent zu verzeichnen,
im ersten Halbjahr 2001 war es ein Anstieg um sage und
schreibe 14 Prozent.
({3})
Da sagen Sie, Herr Wiesehügel, so schnell könnten Sie
keine Gegenmaßnahmen ergreifen. Das nützt den Arbeitslosen wirklich wenig.
({4})
- Sie haben bis zum heutigen Tag über dreieinhalb Jahre
versäumt, die schlechte Lage zu verbessern.
({5})
Ich möchte Ihnen noch einmal sagen: In Ostdeutschland sieht die Lage ganz besonders schwierig aus. Sie haben keinerlei Rezepte, sie zu ändern.
({6})
Der Abschwung in der Bauwirtschaft ist insbesondere in
den neuen Ländern nicht gestoppt. Wir wissen: Es gibt seit
vielen Jahren eine strukturelle Veränderung im Baugewerbe. Das ist richtig. Aber Sie haben es versäumt, bei einer Belebung der Gesamtwirtschaft anzusetzen. Ich nenne
Ihnen dazu einige Beispiele.
Es gibt weiterhin einen Abwärtstrend im Bereich des
Wohnungsbaus. Wir haben Überangebote, Leerstände
und eine Verschärfung des Mietrechts. Ich möchte Ihnen
noch einmal erklären: Ein Vermieter, der eine Wohnung
vermieten möchte, überlegt sich mehrmals, ob sich dies
finanziell rentiert oder ob es Probleme rechtlicher Art
gibt. Außerdem sinken weiterhin die Ausgaben für den sozialen Wohnungsbau. Das sind alles andere als positive
Zeichen.
({7})
Nach Überzeugung meiner Fraktion, der FDP-Bundestagsfraktion, ist die negative Lage im Bauhauptgewerbe
nur durch wirklich einschneidende Veränderungen an den
ökonomischen Wurzeln zu beheben, die Sie versäumt haben. Ich nenne Ihnen drei Beispiele: Sie haben es bis heute
versäumt, eine umfassende und durchgreifende Steuerreform auf den Weg zu bringen.
({8})
Sie haben zweitens versäumt, die Steuer- und Abgabenlasten zu senken, insbesondere - ich sage es noch einmal für die mittelständische Wirtschaft. Drittens haben Sie
eine strukturelle Reform der sozialen Sicherungssysteme
versäumt. Nichts dergleichen ist bis heute geschehen.
({9})
Natürlich müssen neben solchen einschneidenden Reformen des Staates auch bei den Tarifparteien und den
Verbänden flankierende Maßnahmen greifen, um die
Schwarzarbeit zu reduzieren. In der jetzigen Situation
kann man nur Lohnzurückhaltung empfehlen. Auch das
ist ein Beitrag, die Situation zu entschärfen.
({10})
Stärkere Lohndifferenzierung ist hier ebenfalls zu nennen.
({11})
Herr Kollege Wiesehügel, von dem, was Sie vorhin an
neuen Initiativen herausgehoben haben, greife ich die
Bauabzugsteuer heraus. Wir sollten uns darüber einig
sein, dass die Bauabzugsteuer in der jetzigen Form unerträglich ist. Wir dürfen sie nicht länger aufrechterhalten.
({12})
Als Nächstes erinnere ich Sie an das Tariftreuegesetz,
das wir Tarifzwanggesetz nennen.
({13})
Wir waren ja gemeinsam mit dem Kollegen Schauerte bei
der Anhörung zu diesem Thema. Was haben wir da
gehört?
({14})
Wettbewerb werde in weiten Teilen ausgeschlossen, die
öffentlichen Bauaufträge hätten im Durchschnitt 5-prozentige Kostensteigerungen zu verzeichnen und Spielräume für Preissenkungen und für Innovationen im öffentlichen Nahverkehr würden leichtfertig verschenkt.
({15})
Sie haben zwar Ihren Gesetzentwurf derzeit auf Eis gelegt - wahrscheinlich deswegen, weil Sie nicht noch mehr
negative Zeichen setzen wollten -, aber ich kann Ihnen
heute von diesem Platz auch im Namen meiner Fraktion
nur noch einmal sagen: Lassen Sie den Unsinn, noch mehr
regulieren zu wollen.
({16})
Auch dieses Gesetzeswerk, das Sie auf den Weg gebracht
haben, würde bestehende Regulierungen noch verschärfen.
({17})
Wenn die rot-grüne Regierung nicht schnellstens begreift, was sie seit vielen Jahren falsch gemacht hat und
sich nicht wenigstens ansatzweise eines Besseren besinnt
und zur Einsicht kommt, dann können wir Liberalen im
Interesse der Bauwirtschaft und der in ihr Beschäftigten
nur hoffen, dass die Zeit bis zum 22. September schnell
vergeht. Dieses Theater darf so nicht weitergehen.
Danke.
({18})
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin
Franziska Eichstädt-Bohlig.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte die Diskussion für sehr unbefriedigend,
({0})
weil ich den Eindruck habe, dass wir mit einem Schlagabtausch der besseren Rezepte den Problemen nicht entsprechen. Wir befinden uns nämlich historisch gesehen in
einer Phase - das hat gar nichts mit Rot-Grün versus alte
Koalition zu tun -, in der die Nachfrage eindeutig zurückgeht. Die Phase nach dem Kriege, in der ein immer weiterer Ausbau der Infrastruktur und immer mehr Wohnungs-, Büro- und Gewerbebau erfolgten, ist zu Ende.
Heute ist das Wachstum nicht mehr beliebig auszuweiten.
Im Osten ist dieser Prozess sozusagen im Hauruckverfahren - Herr Kollege Wiesehügel sprach eben von einer
künstlich überhöhten Form - abgelaufen, sodass die Bauaufträge im Moment sturzgeburtartig zurückgehen.
({1})
Von daher bitte ich, zur Kenntnis zu nehmen, dass die
Nachfrage langfristig nicht mehr so wie in den vergangenen Jahrzehnten sein wird. Das gilt heute schon für den
Osten und wird zunehmend auch für den Westen gelten.
Die Bauwirtschaft muss sich dieser realen Situation
schrittweise anpassen.
Das Problem wird uns auch deswegen in Zukunft noch
mehr beschäftigen, weil wir einen realen Bevölkerungsrückgang zu erwarten haben, während gegenwärtig die
Bevölkerung noch stagniert. Hier greife ich als Beispiel
den Mietwohnungsbau auf, weil mir die Argumentation in
diesem Bereich allmählich über die Hutschnur geht. Inzwischen leben in unseren Land schon weniger als zwei
Personen in einer Mietwohnung. Machen Sie am Mietrecht, was immer Sie wollen, Sie können die Leute nicht
zwingen, zwei oder drei Wohnungen gleichzeitig zu bewohnen.
({2})
Das können reiche Zweit- und Drittwohnungsinhaber,
normale Bürger aber nicht. Das wird auch in Zukunft
nicht anders werden. Die Nachfrage ist an einer Sättigungsgrenze angekommen, wenn man einmal von Räumen wie München, Stuttgart und Frankfurt absieht.
Ich bitte Sie inständig, dem Westen nicht durch irgendwelche Förderinstrumente - sei es auch im sozialen Wohnungsbau, für den wir in einem solchen Umfang keinen
Neubau brauchen - das aufs Auge zu drücken, was im
Osten in Sachen Leerstand unschöne Realität ist. Wir
müssen auch bereits in einigen Orten im Westen Leerstand und Rückbau organisieren. Reden Sie der Bauwirtschaft also nicht ein, man könne durch Rechtsinstrumente
eine künstliche Nachfrage stimulieren, wenn wir diese
nicht brauchen.
({3})
Darüber hinaus - auch dies müssen wir sehr ernst nehmen - befindet sich die Bauwirtschaft bei stagnierender
oder teilweise rückläufiger Nachfrage in der Situation,
dass die Konkurrenz in den letzten Jahren durch Deregulierungsinstrumente, durch Liberalisierung und teilweise
durch Lohn- und Kostendumping extrem gestärkt worden
ist. Wer weitere Preissenkungen in der Bauwirtschaft fordert, hat wirklich nicht verstanden, wie die reale Situation
aussieht.
Das Problem ist, dass es inzwischen teilweise eine Verdrängungskonkurrenz auf sehr niedrigem Niveau gibt.
Dies ist nicht nur ein Problem der Löhne, sondern auch
der Sozialversicherungsbeiträge und der Kosten.
({4})
- Doch, natürlich besteht eine Lohnkonkurrenz mit dramatischen Auswirkungen. Ziel einer Wettbewerbsgesellschaft kann es doch nicht sein, sich durch Konkurrenz
praktisch gegenseitig kaputtzumachen. Statt Verdrängungs- und Vernichtungskompetenz zu propagieren müssen wir vielmehr sagen: Was die Bauwirtschaft wirklich
braucht, ist eine echte Nachfrage sowie sinnvolle und
sinnvoll finanzierte Aufträge. Daher brauchen wir auf beiden Seiten einen Anpassungsprozess, insbesondere im
Osten.
Die Bauwirtschaft muss sich auf der einen Seite der
realen Nachfrage anpassen. Auf der anderen Seite können
wir nicht so viel Wettbewerb und Liberalisierung fordern,
wie Sie, Frau Kopp, das eben gemacht haben. Wir müssen
schon regelnde Instrumente einführen, die so etwas wie
eine Bauwirtschaftskultur wieder entstehen lassen. Denn
das derzeitige, mit mafiösen Strukturen vergleichbare
System des Niederkonkurrierens mit dem Subunternehmertum kann so nicht bestehen bleiben.
Die Versuche, die die Koalition mit der Bauabzugsteuer und mit Maßnahmen gegen illegale Beschäftigung
macht, sind dringend notwendig, um in diesem Sektor
überhaupt wieder klare Wirtschaftsstrukturen einzuführen. Ich hoffe, dass Sie sie auch anerkennen.
({5})
Es kann sein, dass dies noch nicht das Gelbe vom Ei ist.
Wir müssen erst schrittweise Instrumente entwickeln, mit
denen wir wieder eine klare Struktur für die Bauwirtschaft
schaffen können, ohne zu viel Bürokratie aufzubauen.
Aber einfach zu sagen, macht eine weitere Deregulierung,
dann werden sie sich gegenseitig die Köpfe einhauen und
um die letzten Aufträge konkurrieren, kann nicht das Leitbild für die Bauwirtschaft der Zukunft sein. Es tut mir
Leid, aber das kann und darf es nicht sein. Insofern sollten Sie die Bemühungen um klare bauwirtschaftskulturelle Strukturen auch im Lohnbereich ernst nehmen. Ich
hoffe, wir finden einen Weg, der beiden gerecht wird, der
Unternehmerseite ebenso wie der Arbeitnehmerseite.
({6})
Ich möchte noch etwas zur Ökosteuer sagen - der Kollege Wiesehügel hat vorhin darauf hingewiesen -: Wenn
ein Bereich von der Ökosteuer sowie unseren energiepolitischen Maßnahmen und der Energiewende profitiert,
dann ist es die Bauwirtschaft. Hier ist nicht nur die Ökosteuer indirektes Instrument, sondern gleichzeitig fängt
unsere Wirtschaft insgesamt an, energiebewusster zu werden. Dies haben wir deutlich nach vorn gebracht. Dadurch
lösen wir momentan die wesentlichen Investitionen aus,
die in der Bauwirtschaft gebraucht werden.
Es ist nämlich nicht so - ich habe das vorhin geschildert -, dass wir vor der Alternative dauernde Erweiterungsinvestitionen oder keine Investitionen stehen.
Vielmehr gibt es einen Bereich, in dem echter Investitionsbedarf besteht und den Rot-Grün nach vorn gebracht
hat, nämlich das gesamte Spektrum der Bestandserneuerung in der Infrastruktur, im Verkehrssektor, im Wohnungssektor sowie im sonstigen Bausektor. Das sind Erneuerungsinvestitionen in generelle Modernisierung
sowie gezielt in den Bereichen Energieeinsparung und
energetische Innovationen. Hier besteht überall im Land
Bedarf.
In Zusammenarbeit mit dem Bündnis für Arbeit und
Umwelt haben wir es geschafft, dass das Energiesparen
im Rahmen des Altbausanierungsprogramms mit 2 Milliarden DM gefördert wird. Hier werden Arbeitsplätze geschaffen, und zwar dezentral über das gesamte Land verteilt. In jeder Region, in jeder Stadt schaffen wir also mit
diesen kleinteiligen Investitionen, die der regionalen Bauwirtschaft und dem Mittelstand vor Ort nützen, vielfältige
und arbeitsintensive Arbeitsplätze. Diesen Prozess werden wir weiter vorantreiben.
({7})
Von daher weiß ich überhaupt nicht, wie Sie auf die Idee
kommen, in diesem Zusammenhang die Ökosteuer anzugreifen.
Der nächste Punkt betrifft die Infrastrukturoffensive.
Insbesondere im Verkehrsbereich haben wir die Infrastrukturinvestitionen schrittweise wieder nach vorne
gebracht und stabilisiert. In der Städtebauförderung haben
wir das mit den Programmen Soziale Stadt, Stadtumbau
Ost, CO2-Minderung und Altbausanierung erreicht.
Auch im Verkehrssektor haben wir die Zahlen wieder
eindeutig erhöht. Dabei setzen wir nachweisbar nicht nur
auf die Straße, sondern auch auf die Schiene, und damit
auf einen Bauwirtschaftsbereich, der sehr viel arbeitsintensiver ist. Denn die Arbeiten im gesamten Schienenund Eisenbahnbereich - auch im Tiefbaubereich - sind
sehr viel differenzierter und berühren sehr viel mehr Branchen. Es ist wichtig, zu erkennen, dass es nicht nur bestimmte Quadrat- oder Kubikmeterzahlen Asphalt oder
Beton bringt, und man nicht lediglich den laufenden Meter berücksichtigt. Erforderlich ist vielmehr ein Umstrukturieren im Verkehrsbereich, das auf ökologische Ziele
gerichtet ist. Damit nutzen wir der Bauwirtschaft und den
dort vorhandenen Arbeitsplätzen. Ich würde mir wünschen, dass Sie das positiv sehen, statt einfach nur zu sagen, dass das der falsche Weg sei.
Last, not least sollten wir nicht so tun, als ob wir der
Bauwirtschaft riesige weitere Wachstumssprünge versprechen können. Auf zwei Punkte lege ich Wert:
Erstens. Wir müssen die Wirtschaftsstrukturen stabilisieren, und zwar sowohl auf der Unternehmens- als auch
vor allem auf der Arbeitsplatzseite. Außerdem muss angemessen entlohnt werden; das Lohndumping muss eingedämmt werden. Ich weiß, dass wir Schwierigkeiten haben, die richtigen Instrumente dafür zu finden. Trotzdem
ist es ein wichtiges Ziel. Ich hoffe, dass auch die Opposition das so sieht. Von daher: Stabilisierung in dem
gesamten Bereich, aber keine falschen Wachstumserwartungen wecken, wenn wir sie nicht erfüllen können;
Sie können das übrigens genauso wenig.
Zweitens. Wir dürfen nicht mit falschen Erwartungen,
sondern wir müssen mit klaren Zielen an die Aufgaben
herangehen. Wir müssen der Bauwirtschaft sagen, dass
sie ihren Beitrag zur Bauwirtschaftskultur selbst erbringen muss; denn es kann nicht sein, dass sich die einzelnen
Unternehmen bei dieser Kostenkonkurrenz gegenseitig
kaputtmachen. Sie selbst muss ein Stück weit darauf achten, dass Maßnahmen für die Wirtschaftskultur nicht nur
von der Politik, sondern auch von den Wirtschaftsakteuren selbst durchgeführt werden; auch diese müssen sich
einbringen.
({8})
Ich gebe
dem Kollegen Rolf Kutzmutz für die PDS-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Es sind nicht weniger als vier Anträge, die innerhalb einer Stunde behandelt werden sollen. Die Redezeit reicht dafür bei weitem nicht aus.
Deshalb möchte ich voranstellen: Es kommt nicht sehr
häufig vor, dass man auf Fragen überwiegend fundierte
Antworten erhält. Ich möchte der Bundesregierung für die
Antwort auf unsere Große Anfrage ausdrücklich danken,
weil sie eine Menge Fakten enthält, die, wie ich meine,
uns bei der künftigen Arbeit durchaus voranbringen können.
Wer die Fakten ernsthaft zur Kenntnis nimmt, würde
sich viel von der ideologisch gefärbten heißen Luft verkneifen, die auch in dieser Debatte wieder eine Rolle gespielt hat.
({0})
Er würde nämlich erkennen, dass die von Schwarz-Gelb
propagierten alten Rezepte den meisten Bauunternehmen
und all ihren Beschäftigten nicht einen Millimeter weiterhelfen. Ich will hier deutlich sagen: Wir kennen die Argumente und werfen sie uns gegenseitig an den Kopf. Neue
Lösungsvorschläge jedoch, die das Tor öffnen, damit die,
die auf dem Bau arbeiten, wieder eine Chance sehen, haben bisher gefehlt. Frau Eichstädt-Bohlig hat sehr viel
Kritisches gesagt, was ich unterstütze. Ein einfaches
„Weiter so!“ wird es nicht geben.
({1})
Herr Rauen wird anschließend noch sprechen. Ich habe
heute früh in die Tickermeldungen geschaut. Das, was er
vorgeschlagen hat, war für mich sehr interessant: Sie fordern, dass die öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur in Zeiten wie jetzt dringend hochgefahren werden
müssen. - Darüber haben wir viel diskutiert. Zugleich sagen Sie aber, dass wir verstärkt auf private Gelder setzen
sollen. Und dann: Aber der langfristige Sparwillen muss
trotzdem erhalten bleiben.
({2})
Das Geld muss doch aber von irgendwo herkommen.
({3})
Ich unterstelle Ihnen nicht - dazu werden Sie sich sicherlich gleich äußern -, dass Sie die Einnahmen aus der Vermögensteuer, die wir gerne einführen würden, dazu nutzen wollen, um das Baugewerbe voranzubringen.
({4})
- Nur, wenn man sie einmal ausgibt, kann man sie nicht
mehr als Argument benutzen. Das haben Sie auch beim
Jäger 90 nicht gemacht.
Eine zweite Sache. Frau Kopp, Sie haben über die
Schwarzarbeit gesprochen. Was mir dabei auffällt, ist,
dass wir zwar fast alle Steigerungsraten bei der Schwarzarbeit deklarieren können. Das Problem, das wir haben,
aber ist, die Schwarzarbeit zu erkennen und sie einzuschränken. Das haben wir bisher nicht gelöst.
({5})
Das Problem ist doch aber nicht, dass Sie mich vielleicht bitten, bei Ihnen Fliesen zu verlegen. Das Problem
ist vielmehr, dass eine Menge von Betrieben, die sich über
Schwarzarbeit erregen, sie selbst organisieren, sonst
würde es auf Baustellen nicht dazu kommen.
({6})
- Ich kann das machen, Frau Kopp. Ich habe es öffentlich
angeboten. Das ist kein Problem.
Ich komme zu einem anderen Punkt, bei dem das
Gedächtnis ebenfalls relativ kurz ist. Wenn man von öffentlichen Investitionen redet, muss man auch über die
Finanzausstattung der Kommunen sprechen. Es gehört
zur Wahrheit, zu sagen, dass den Kommunen in Deutschland von 1980 bis 1997 insgesamt etwa 86 Milliarden DM
durch die unterschiedlichen Steuerfestlegungen entzogen
worden sind. Wenn man heute über die Bedingungen redet, muss man auch die Bedingungen von damals hinzunehmen. Das Schlimme daran ist, dass diese Politik
fortgesetzt worden ist.
({7})
Ihnen von Rot-Grün werfe ich vor, dass sich die Finanzausstattung der Kommunen unter Ihrer Regierung nicht
verbessert hat, sondern dass auch Sie mit den Steuergeschenken an die Wirtschaft auf das Prinzip Hoffnung gesetzt haben. Es sind keine neuen Arbeitsplätze entstanden.
Es ist kein Ruck durch Deutschland gegangen. Aber die
Kommunen leiden unter der Finanzknappheit.
Der Grund für die knappen Haushalte - das will ich
ausdrücklich sagen - ist nicht die Ökosteuer. Das ist nicht
der entscheidende Punkt, obwohl ich dazu eine andere
Meinung als die Grünen habe. Die Gewerbesteuer- und
die Körperschaftsteuereinnahmen fehlen. Ohne diese gibt
es kein Wachstum bei öffentlichen Investitionen. Diese
wiederum sind wichtig für das Gemeinwohl und die Bauwirtschaft, weil daraus Aufträge entstehen.
({8})
Die Antwort der Bundesregierung belegt beispielsweise: Die Pro-Kopf-Investitionen der ostdeutschen
Kommunen befinden sich seit ihrem Höhepunkt 1992
praktisch im freien Fall. Berücksichtigt man den noch immer bestehenden Nachholbedarf, gerade auch im Sinne
eines ökologischen und sozialen Umbaus, und die geringere Bevölkerungsdichte, dann klafft die Investitionsschere zwischen Ost und West wieder weiter auseinander.
Das hat langfristig verheerende Konsequenzen. Abwanderung ist nur eine davon, aber sicherlich eine ganz dramatische.
({9})
Die rot-grüne Steuer- und Haushaltspolitik trägt auch
an dieser Entwicklung in der Bauwirtschaft einen erheblichen Anteil. Es gibt dazu viel zu sagen. Ich will nur anführen: Manches von dem, was Sie in Angriff nehmen,
zum Beispiel die vernünftige Verankerung der Tariftreue
beim Vergaberecht, wird konterkariert, wenn man nicht
dafür sorgt, dass Geld in die Kassen der Kommunen fließt
und damit öffentliche Aufträge vergeben werden können.
Das Gesetz zum Vergaberecht kann eine Vorbildwirkung erfüllen. Das will ich ausdrücklich sagen und auch
nicht weiter vertiefen. Aber all denen, die über Deregulierung sprechen, will ich Folgendes entgegenhalten: Ein
Mannheimer Baustatiker hat vor kurzem in einer Fachzeitschrift geschrieben: „Deregulierung fördert den
Pfusch.“ Ich glaube, diesen Punkt müssen wir unbedingt
aufnehmen.
({10})
Mein letzter Satz, Herr Präsident: Die Maßstäbe für das
Bauen müssen aus meiner Sicht vom Kopf auf die Füße
gestellt werden. Ökologisch, sozial und auch betriebswirtschaftlich müssen Fehlentwicklungen vermieden
werden. Bei Großprojekten wie das für den Großflughafen Schönefeld, aber auch bei vielen Autobahnen und
manchen Fernbahntrassen sollten wir das Credo beherzigen: Wir bauen, um besser zu leben. Aber wir leben nicht
unbedingt besser, weil wir bauen.
Danke schön.
({11})
Ich gebe
dem Parlamentarischen Staatssekretär, dem Kollegen
Dr. Ditmar Staffelt, das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schauerte,
lassen Sie mich mit Ihrer Anmerkung zum Thema Wachstum beginnen. Sie werden sich daran erinnern, dass Bundesminister Müller in diesem Hause erst vor wenigen Wochen darauf aufmerksam gemacht hat, dass auch die
Opposition sehr vorsichtig sein sollte, mit Wachstumszahlen zu jonglieren.
Ich wiederhole: Zwischen 1992 und 1997 lag die
durchschnittliche Wachstumsrate der deutschen Volkswirtschaft bei 1,2 Prozent. Dieses Wachstum haben Sie
zudem mit einem Volumen von rund 50 Milliarden DM
über Sonderabschreibungstatbestände für Investitionen in
Ostdeutschland angeheizt und unterbaut. Zwischen 1998
und 2001 lag die durchschnittliche Wachstumsrate bei
1,6 Prozent. Ich bitte daher darum, sich bei all den Diskussionen, die Sie führen, einigermaßen an objektive
Maßstäbe zu halten. Sie scheinen bei Ihrer Rede gänzlich
den Überblick über die Dimensionen verloren zu haben.
({0})
Ich will an dieser Stelle noch eines zu den Begründungen sagen, die hier angeführt werden. So heißt es unter
anderem, die Novellierung des Mietrechts sei eine ganz
große Katastrophe. Ich will gar nicht über den Inhalt streiten. Allein die Tatsache, dass das neue Mietrecht am
1. September des letzten Jahres in Kraft getreten ist, muss
dafür herhalten, eine Rückwärtsbetrachtung über die letzten Jahre zu begründen. Das ist doch geradezu lächerlich,
meine Damen und Herren von der Opposition, und greift
in keiner Weise.
({1})
Dasselbe gilt für die Bauabzugsteuer. Wir haben die
Bauabzugsteuer eingeführt, weil neben den Gewerkschaften insbesondere die Unternehmerschaft dieses Gesetz wollte. Es sollte ein Beitrag dafür sein, wieder ein
Stückchen Ordnung in den Bereich der Bauwirtschaft einzuführen. Im Übrigen: Ich habe mich selbst davon überzeugt und bei Finanzämtern angerufen - man weiß ja nie,
wie das mit Behörden ist - und nachgefragt, was ich denn
tun müsse. Es ist völlig unbürokratisch und unproblematisch gelaufen: formloser Antrag und schon geht es los!
Niemand, der ordentlich versteuert, kommt in irgendeine
Form der Verdrückung, wenn er auf der Grundlage dieses
Gesetzes handelt.
({2})
Noch ein Wort zur Tariftreue: Sicherlich kann man
sehr viel über die Methodik streiten und unterschiedliche
Wege beschreiten. Ohne jede Frage sind es nicht nur die
Gewerkschaften, die das anmahnen. Auch der Bauindustrieverband
({3})
- der Bauindustrieverband, Herr Schauerte, natürlich! -,
der Zentralverband des Deutschen Handwerks und weitere verschiedenste Vertreter der Gewerke mahnen Tariftreue an. Sie alle wollen endlich, dass die redlichen Handwerker in diesem Lande wieder eine Chance am Markt
haben und nicht jene bevorzugt werden, die sich nicht an
die Spielregeln halten.
({4})
Ich füge noch eines hinzu: Es gibt Beispiele in den Vereinigten Staaten von Amerika. Einige Staaten haben ein so
genanntes Tariftreuegesetz eingeführt, andere haben es
nicht. Es hat sich eines gezeigt - ich kann Ihnen gerne einmal bei Gelegenheit die entsprechende wissenschaftliche
Auswertung überreichen -: Dort, wo Tariftreuegesetze
existieren, ist die Qualifizierung der Arbeitnehmerschaft
weitaus besser, ist die Qualität am Bau weitaus besser, ist
der Stand der Technisierung - mit Auswirkungen auf die
Struktur der Bauwirtschaft - sehr viel höher. Schließlich
hat es - über einen längeren Zeitraum gesehen - auch
keine nennenswerten Preissteigerungen in diesen Staaten
gegeben.
Schauen Sie doch einmal objektiv auf die Tatbestände
und klotzen Sie nicht nur. Das wird Ihnen in der Sache
nicht weiterhelfen. Die Wählerinnen und Wähler, die Sie
vermeintlich anzuwerben glauben, werden Ihnen in einer
solch unsachlichen Weise nicht folgen können.
({5})
Wir haben zahlreiche andere Maßnahmen eingeführt,
um - ich wiederhole es - ein Stück mehr Ordnung auf dem
Arbeitsmarkt herbeizuführen. Sie wissen das; ich brauche
das hier nicht zu wiederholen. Wir haben das Gesetz zur
Beschleunigung fälliger Zahlungen verabschiedet. Wir
werden auch die neuen Vorschläge, die es vonseiten des
Bundesrates gibt, prüfen; das steht völlig außer Frage. Sie
haben in Ihrem Antrag die EU-Osterweiterung angeführt
und zählen auf, was wir alles tun müssten. Längst aber
sind durch diese Bundesregierung Übergangsfristen hinsichtlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit geschaffen worden.
Ich sage Ihnen noch eines: Werben Sie doch mit uns gemeinsam bei den Unternehmerinnen und Unternehmern
gerade in den grenznahen Gebieten in unserem Lande
dafür, sich stärker für die neuen Märkte zu interessieren
und stärker mit den Polen und Tschechen zu kooperieren,
damit aus dieser Veranstaltung eine Erfolgsstory für die
kleinen und mittleren deutschen Unternehmen werden
kann. Die Bundesregierung wird alles tun, um diesen Prozess zu unterstützen.
({6})
Lassen Sie mich noch etwas zur Steuerreform anmerken, die letztlich für alles herhalten muss. Ich möchte in
Erinnerung rufen, dass alles, was wir unternommen haben, mit den Verbänden abgesichert war und dass die
Steuerreform, die - das haben Sie völlig beiseite geschoben - mit Ihrer Zustimmung, übrigens auch mit der der
FDP, im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss zustande gekommen ist, eine gute Grundlage für die Entwicklung unserer Volkswirtschaft bildet.
({7})
Es ist klar - der Sachverständigenrat hat das noch einmal
ausdrücklich unterstrichen -, dass ein Vorziehen der Steuerreform nichts bringt. Deswegen machen wir das auch
nicht.
({8})
Auch Konjunkturprogramme, wie sie von Ihnen angemahnt worden sind und Herr Stoiber sie erwähnt hat,
bringen nichts, sondern stellen allerhöchstens eine kurzfristige Blase dar, die letztlich platzt. Strukturell hätten
wir nichts erreicht, einzig vom Konsolidierungskurs würden wir abkommen und gegen europäische Verpflichtungen verstoßen. Das kann doch keine seriöse Politik sein,
Herr Schauerte.
({9})
Und schließlich: Es gibt zahllose Maßnahmen zur Verstetigung der Baunachfrage in unserem Land. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
hat viele der Maßnahmen, die ohnehin in der Pipeline
waren, umstrukturiert und vorgezogen. Das betrifft den
Straßenbau, den Ausbau der Schienenwege und den Wohnungsbau.
({10})
Dabei handelt es sich um Milliardenbeträge. Nehmen Sie
nur die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur: 37 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode plus 6,5 Milliarden
Euro zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den
Gemeinden. Oder denken Sie daran, dass wir im Vergleich
zum Vorjahr die Mittel für die Straßenbauleistungen noch
einmal um 10 Prozent aufgestockt haben. Das Antistauprogramm wird ebenso seine Wirkung zeigen. Außerdem
haben wir die Initiative „Bauen jetzt - Investitionen beschleunigen“ gestartet und versuchen, insbesondere in
den strukturell benachteiligten Bereichen, wirksam zu
werden.
Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Lassen Sie
die Kirche im Dorf, wenn Sie an dieser Stelle argumentieren. Die Strukturen sind - das ist bereits ausgeführt
worden - durch das Gebietsfördergesetz und die 50-prozentige Sonderabschreibung für Neubauten in den ersten
Jahren nach der Wiedervereinigung von Ihnen versaut
worden. Das bewirkte ein Aufblähen der Baukonjunktur,
das durch nichts gerechtfertigt war. An dieser Stelle sollte
Ihr kritisches Nachdenken beginnen.
({11})
Ich möchte noch auf eines zu sprechen kommen, das
mir auch sehr wichtig ist. Wir versuchen, auch etwas
für die Qualität und die Strukturen zu tun. So haben
die Energieeinsparverordnung oder das KfW-CO2-Gebäudesanierungsprogramm ein Volumen von ungefähr
25000 Arbeitsplätzen gesichert oder neu geschaffen. In
diesen Bereichen führen wir das Bauen in eine neue qualitative Stufe. Daran sollten Sie sich orientieren. Es geht
nämlich nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität
und Strukturwandel in der Bauwirtschaft. Das ist unser
großes Anliegen. Vor diesem Hintergrund haben wir kein
Problem, jedermann mit großem Selbstbewusstsein zu
sagen, was wir auf dem Felde der Unterstützung der Bauwirtschaft in schwieriger Lage getan haben.
Danke schön.
({12})
Der Kollege
Peter Rauen spricht für die Fraktion von CDU und CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als jemand, der aus der Branche
kommt, bin ich dankbar dafür, dass heute Morgen von allen Parteien unterstrichen worden ist, dass die Lage in der
Bauwirtschaft verheerend ist.
({0})
Da unser Antrag schon seit einem halben Jahr vorliegt,
wäre ich auch dankbar gewesen, wenn heute Morgen Bauminister Bodewig und Wirtschaftsminister Müller anwesend wären.
Die Bauindustrie war und ist eine Schlüsselindustrie.
In der Vergangenheit war sie eine Konjunkturlokomotive,
wenn es nach einer Rezession wieder aufwärts gegangen
ist. Auch das ist wohl heute noch genauso. Aber der Wandel, den wir in der Bauwirtschaft erlebt haben, ist schon
gravierend. Herr Wiesehügel hat zu Recht festgestellt,
dass die Baupreise 2001 nominal niedriger waren als vor
etlichen Jahren: Trotz Lohnerhöhungen und eines Kostenschubs bei den Energiekosten sind die Baupreise 2001
nominal niedriger gewesen als 1995!
Seit 1995 ist die Zahl der in der Baubranche Beschäftigten um 500 000 - das ist mehr als ein Drittel - zurückgegangen. Das gab es in keiner anderen Branche. Im letzten
Jahr waren in der Bauwirtschaft insgesamt 265 400 Menschen arbeitslos. Das sind fast 28 Prozent. Die Situation
in den alten Bundesländern ist sicherlich schon dramatisch genug. Aber in den neuen Bundesländern ist sie noch
schlimmer. Dazu kann ich nur sagen: Die Insolvenzzahlen
wiesen schon Mitte der 90er-Jahre eine stark steigende
Tendenz auf. Diese hat sich aber noch verstärkt. Laut Statistischem Bundesamt gab es 1995 5 539 Insolvenzen und
2001 9 026. Holzmann ist nicht dabei.
Es hat keinen Sinn, zu glauben, für die Krise in der
Bauwirtschaft gebe es Tausende von Ursachen. Ich mache mir seit mindestens 15 Jahren - ich bin seit 36 Jahren
selbstständig - Gedanken darüber, wohin die Entwicklung in der Baubranche geht. Ich habe im Wesentlichen
zwei Ursachen für den Verfall der Bauwirtschaft ausgemacht. Erstens. Die Bauwirtschaft ist wie kein anderer Wirtschaftszweig durch die permanent zunehmende
Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft belastet. Zweitens.
Die Baubranche ist durch illegale Beschäftigung leider
kriminalisiert.
Wir müssen feststellen, wo die Ursachen dafür liegen.
Die Ursachen sind für mich, liebe Freunde, völlig klar: In
keiner anderen Branche ist der Unterschied zwischen
dem, was der Arbeitnehmer netto verdient, und dem, was
er brutto kostet, so groß wie in der Bauwirtschaft. Heute
muss ein Facharbeiter fünf bis sechs Stunden arbeiten, um
seine legale Arbeitsstunde zurückkaufen zu können. Das
ist die Wurzel des Übels, der Schattenwirtschaft in
Deutschland.
({1})
Das ist einer der Gründe, warum sich in der Bauwirtschaft
die illegalen Beschäftigungsformen so ausgeweitet haben. Die große Spanne zwischen dem, was die Arbeitnehmer nach deutschem Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht
netto bekommen, und dem, was die Arbeitnehmer brutto
kosten, ist die Spielwiese für diejenigen, die gegen das
geltende Recht verstoßen.
({2})
- Herr Wiesehügel, lassen Sie solche Zwischenrufe bitte
sein! Das Thema ist viel zu ernst. Ich bin der Meinung,
dass wir darüber qualifiziert reden müssen. Ich möchte ja
einen Mann wie Sie, Herr Wiesehügel, der als Vertreter
der Arbeitnehmer bei der Bekämpfung der illegalen
Beschäftigung mithelfen kann, gerne überzeugen.
Ich habe gestern einmal nachgerechnet, was es bedeuten würde, wenn die jetzt gestellte Lohnforderung in Höhe
von 4,5 Prozent tatsächlich durchkäme - ich wünsche es
meinen Leuten; denn ich bin der Meinung, dass sie netto
zu wenig verdienen -: Ein Spezialbaufacharbeiter, der
vorher 13,98 Euro pro Stunde verdient hat, bekäme dann
14,61 Euro. Was bleibt ihm netto übrig? Ihm bleiben netto
1 449 Euro übrig. Das sind im Vergleich zu dem, was er
vor der Lohnerhöhung verdient hat, leider nur 44,19 Euro
mehr. Was kostet eine solche Lohnerhöhung den Unternehmer? Eine solche Lohnerhöhung kostet den Unternehmer 158,29 Euro mehr. Das heißt also, damit die Mitarbeiter netto lächerliche 44,19 Euro mehr bekommen,
muss der Unternehmer 158,29 Euro mehr aufwenden.
Es verschwinden also gut 114 Euro in den öffentlichen
Kassen.
Lassen Sie uns doch einmal darüber nachdenken! Es
kann doch nicht wahr sein, dass bei einer Lohnerhöhung
um 1 DM nur vier Groschen beim Arbeitnehmer ankommen, dem Betrieb aber Mehrkosten in Höhe von 1,50 DM
entstehen! Sie müssen doch begreifen, dass dann, wenn
wir die Ursache für dieses Übel nicht beheben, nur der
Zwang der Menschen, sich ökonomisch zu verhalten, also
in die Schwarzarbeit zu gehen, verstärkt wird und dass
noch mehr Kräfte wirken werden, illegale Strukturen aufzubauen.
Entgegen allen Versprechungen Ihrer Regierung ist es
leider nicht gelungen - es ist auch uns seinerzeit nicht gelungen -, die Lohnzusatzkosten zu senken. Wir sind mit
den Sozialversicherungsbeiträgen im Jahr 2002 wieder
auf genau dem Niveau angelangt, auf dem wir 1998 waren. Das ist Fakt. Dennoch müssen die Betriebe mit der
Ökosteuer und anderem enorme Kostenschübe verkraften, ohne dass sie das über die Preise weitergeben können.
({3})
Die Rechnung, die Sie einmal aufgestellt haben, nämlich
die Ökosteuer einzuführen, um die Rentenversicherungsbeiträge zu reduzieren, stimmt nicht mehr. Das ist aufgefressen worden.
Den Menschen, der seine Lohnabrechnung bekommt,
interessiert nicht, ob das Geld an die Krankenkasse, ans
Finanzamt oder in die Pflegeversicherung geht; er stellt
nur fest, dass ihm von dem, was er verdient, netto immer
weniger übrig bleibt.
Wenn wir keine Umkehr schaffen, dann werden wir
dem nicht gerecht werden, was mit Europa auf uns zukommt. Wir haben gesagt: Europa, das ist der freie Verkehr von Menschen, Waren und Dienstleistungen. Die
Menschen verhalten sich jetzt so, wie wir Politiker es
wollten. Ich finde es auch völlig normal, dass Menschen
aus anderen Ländern bei uns arbeiten.
Über eines war ich aber schon erstaunt: Ich war vor einiger Zeit in Portugal, wo es einen riesigen Bauboom gibt.
Ich habe geguckt, wer dort arbeitet, weil ja die Portugiesen in Deutschland, in Frankreich und in Luxemburg
arbeiten. Dort in Portugal arbeiten die Marokkaner. Wenn
man guckt, wer in Tschechien oder in Polen auf dem Bau
schafft, dann stellt man fest, dass es die Ukrainer, die
Letten und die Weißrussen sind. Diese Migration findet
also statt. Wenn wir in Deutschland glauben, wir könnten
in unserem Sozialstaat zulassen, dass eine solch große
Spanne besteht zwischen dem, was Menschen verdienen,
und dem, was sie letztlich ausgeben können, und dem,
was brutto an Arbeitskosten produziert wird, dann werden
wir die Herausforderungen der Zukunft nicht bestehen.
Ich komme zum letzten Punkt. Es ist evident, dass das
mit dem Thema zu tun hat, und darauf ist auch der Herr
Staatssekretär eingegangen. Es findet leider ein Rückgang
der öffentlichen Investitionen statt. Fakt ist, dass der
Bund im Jahr 2002 - er geht da mit schlechtem Beispiel
voran - 5 Milliarden Euro weniger investiert als 1998.
Das ist keine Fantasie von mir, sondern das ist Fakt; das
kann man im Bundeshaushalt 2002 nachlesen. Die Bauinvestitionen des Bundes sind im Jahr 2001 gegenüber
dem Jahr 2000 um 6,6 Prozent zurückgegangen. Sie gehen nach den Planungen nun wiederum um 6,2 Prozent
zurück. Das heißt, der gepriesene Finanzminister Eichel
hat seinen Haushalt über die Investitionen konsolidiert.
Das ist genau der falsche Weg. Er hätte über die Ausgaben
konsolidieren müssen. Das hat er aber nicht geschafft. Er
hat die Kraft dazu nicht gehabt.
({4})
Nun kann man sagen: Für die Bauwirtschaft spielt der
Bund nicht die große Rolle; die Investitionen der Gemeinden sind für die Bauwirtschaft am wichtigsten, und
zwar flächendeckend. Es ist aber leider die Wahrheit, dass
mit der Steuerreform die Finanzen der Gemeinden ruiniert
worden sind.
({5})
Sie haben weit mehr Steuerausfälle zu verkraften, als dass
sie ihre Investitionsvorhaben noch auf den Weg bringen
könnten.
({6})
Hier sind ja viele, die kommunal tätig sind, vielleicht
sogar bei der Zuhörerschaft. Wer auch nur drei Jahre in einem Gemeinderat war, der weiß: Wenn bei den Einnahmen auch nur ein Stückchen wegbricht, dann trifft das die
Spitze der frei verfügbaren Finanzen und damit vor allem
die Investitionen. Wir haben also die verheerende Situation eines sich selbst beschleunigenden Abschwungs in
der Bauwirtschaft. Da steht uns noch etwas bevor und von
dieser Regierung wird nicht gegengesteuert!
({7})
Herr Kutzmutz, lassen Sie mich ganz kurz noch auf eines eingehen. Wenn schon keine Haushaltsmittel verfügbar sind, mit denen etwas finanziert werden kann, dann
muss ein Stückchen Fantasie entwickelt werden. Wir wissen, was es auch in den neuen Bundesländern an planfestgestellten Maßnahmen gibt. Die müssen morgen finanziert werden. Wenn der Staat schon keine
Finanzierungen mehr übernehmen kann - denn er hat sich
verrannt -, dann muss er zumindest privates Geld mobilisieren, damit die entstandene Infrastrukturlücke und auch
die in den neuen Bundesländern bestehende hohe Produktivitätslücke endlich geschlossen werden und es zu einem selbst tragenden Aufschwung kommt.
Zur Konzessionsabgabe sagen die Grünen: Das ist ein
Griff auf zukünftige Haushalte. - Das stimmt; Sie haben
Recht. Aber die Alternativen sind folgende: entweder die
Volkswirtschaft noch weiter in den Keller zu fahren oder
privates Kapital zu mobilisieren,
({8})
damit Investitionen zu ermöglichen und dann mit einer
klaren Ausgabenkonsolidierung zukünftig Spielräume zu
schaffen, damit wir anstehende Baumaßnahmen finanzieren können.
({9})
Ich komme aus der Branche und habe keine Freude an
der derzeitigen Entwicklung. Nur, wie untätig und desinteressiert die derzeitige Regierung in diesem Bereich ist,
das ist wirklich schlimm.
({10})
- Herr Staffelt hat gesagt, was getan wird. Zum Kollegen
Schauerte habe ich daraufhin gesagt: Das Schlimmste ist,
dass er glaubt, was er sagt, nämlich dass die Maßnahmen
der Regierung ausreichen. Sie reichen nicht aus. Ich bin
nicht böswillig; aber ich möchte auf Folgendes hinweisen: Es muss Entscheidendes geschehen, wenn wir in
Deutschland das Problem der Arbeitslosigkeit insbesondere im Baubereich lösen wollen.
Schönen Dank.
({11})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dieter Maaß ({0}).
Er spricht für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Wieder einmal beschäftigt sich der
Deutsche Bundestag mit der Lage in der Bauwirtschaft.
Seit 1995 ist der Auftragseingang in der Branche rückläufig. Die Zahl der Beschäftigten geht zurück. Dieser Trend
scheint - zumindest im Westen - gestoppt, allerdings auf
niedrigem Niveau.
Ich möchte heute die Gelegenheit nutzen, die Maßnahmen darzustellen, die die Bundesregierung und die sie tragende Koalition seit 1998 ergriffen haben, um die Rahmenbedingungen für alle im Baubereich Tätigen zu
verbessern.
({0})
Was fanden wir bei der Regierungsübernahme vor?
Die von CDU/CSU und FDP gewährte 50-prozentige
steuerliche Sonderabschreibung in den neuen Bundesländern hat zu erheblichen Überkapazitäten am Bau geführt. Wie keine andere Branche leidet die Bauwirtschaft
unter den Problemen der Schwarzarbeit und der illegalen
Beschäftigung, die von der Regierung Kohl nicht bekämpft worden sind.
({1})
Unsere höchste Belastung ist die hohe Staatsverschuldung: 1 500 Milliarden DM allein beim Bund. Dafür tragen Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und
der FDP - ich kann es Ihnen nicht ersparen -, die Verantwortung. Wir haben mit dem Schuldenabbau begonnen
und halten trotz geringen Wirtschaftswachstums daran
fest.
Darüber hinaus haben wir eine Steuerreform durchgesetzt, durch die die Unternehmen entlastet worden sind.
Dies gilt auch für mittelständische Unternehmen, obwohl
von Interessengruppen oft anderes behauptet wird.
({2})
Um die Lohnnebenkosten, die Kosten der Arbeit, zu senken und den Verbrauch von Ressourcen zu lenken, haben
wir die Ökosteuer eingeführt. Dazu stehen wir, auch im
Wahljahr.
({3})
Wir haben das Arbeitnehmer-Entsendegesetz verbessert,
um die legale Beschäftigung zu sichern.
Zu unseren haushaltspolitischen Maßnahmen im Hinblick auf die Bauwirtschaft: Insgesamt stellen wir 2002
allein für die Bereiche Wohnungswesen und Städtebau Investitionen in Höhe von rund 2 Milliarden Euro zur Verfügung.
({4})
Zusätzliche Finanzmittel für Investitionen aus der Zinseinsparung durch den Verkauf der UMTS-Lizenzen
fließen in die Infrastruktur. In einem Zeitraum von zwei
Jahren macht dies für die Instandhaltung und den Neubau
bei Schiene und Straße fast 4,5 Milliarden Euro aus.
Für das Anti-Stau-Programm werden bis 2007 rund
3,8 Milliarden Euro bereitgestellt. Wir haben die Mittel
für die Städtebauförderung letztes Jahr auf 434 Millionen
Euro erhöht. Für den Stadtumbau sind es bis 2005 jährlich
153 Millionen Euro.
({5})
Das Wohngeld - wir bezeichnen es als indirekte Investition - ist um 3,75 Millionen Euro jährlich gesteigert
worden.
Mit unseren Reformen des Wohnbaurechtes fördern
wir gezielt im Wohnungsbestand und haben dabei auch
dem genossenschaftlichen Wohnungsbau eine höhere Bedeutung zugemessen. Wir helfen mit diesem Gesetz den
Beziehern niedriger Einkommen, zu Wohneigentum zu
kommen.
({6})
- Das würde ich nicht sagen. - Sie, meine Damen und
Herren von CDU/CSU und FDP, sind währenddessen nur
um die Bezieher von Jahreseinkommen über 123000 Euro
besorgt.
Das KfW-Programm zur Wärmedämmung schafft
Arbeitsplätze in Klein- und Mittelbetrieben.
({7})
Angesichts der immensen Verschuldung, die uns die Regierung Kohl hinterlassen hat, sind diese Investitionen das
Maximum des Möglichen, um Arbeitsplätze am Bau zu sichern.
Bevor Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, weitere Ausgaben fordern, sollten Sie erst einmal erklären, wie Sie diese Forderungen mit dem Ziel des
Schuldenabbaus in Einklang bringen wollen. Weiter gehende Investitionsprogramme sind nur möglich, wenn wir
in eine höhere Staatsverschuldung gehen. Das will aber
niemand: weder die Koalition noch die Regierung und
auch nicht die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land.
({8})
Die Forderung der FDP nach Deregulierung
({9})
kommt für uns Sozialdemokraten nicht infrage. Wir wollen keine Liberalisierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und keine Flexibilisierung des Tarifrechts durch
die Einführung von gesetzlichen Öffnungsklauseln. § 77
Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes lassen wir unverändert: Betriebsräte können nicht Tarifvertragspartei sein.
({10})
In einigen Monaten endet die 14. Legislaturperiode des
Deutschen Bundestages.
({11})
Wir Sozialdemokraten und unser Koalitionspartner haben
aber noch zwei Gesetzentwürfe in den Beratungen der
Ausschüsse, die die Rahmenbedingungen der Bauindustrie verbessern sollen. Da ist zum einen das Gesetz zur
Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit und zum anderen das Gesetz zur Tariftreue im
Vergaberecht. In einer der nächsten Sitzungen stehen sie
hier zur Entscheidung an. Wir wollen mit diesen Gesetzen
die Arbeitnehmer, die Unternehmen, aber auch unsere Sozialsysteme vor Sozialdumping schützen.
Ich bitte Sie hier und heute: Helfen Sie uns dabei und
geben Sie diesen Gesetzen Ihre Zustimmung!
Danke schön.
({12})
Ich schließe
die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 14: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 14/8504 zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Offensive für die Bauwirtschaft“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6315 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung
der FDP angenommen.
Zusatzpunkt 13: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
auf Drucksache 14/8506 zu dem Antrag der Fraktionen
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Zukunft der deutschen Bauwirtschaft“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7297 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei
Enthaltung der PDS angenommen.
Zusatzpunkt 14: Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 14/8507
zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Mehr
Chancen für die Bauwirtschaft durch weniger Regulierung“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7458 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen der
FDP bei unterschiedlichem Abstimmungsverhalten der
CDU/CSU - teils Ablehnung, teils Enthaltung - angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Vereinfachung der Wahl derArbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat
- Drucksache 14/8214 ({0})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1})
- Drucksachen 14/8529, 14/8546 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Karl-Josef Laumann
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/8530 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner
Oswald Metzger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilnehmen möchten, sich in die Lobby zu begeben.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres das Wort.
({3})
Dieter Maaß ({4})
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in
zweiter und dritter Lesung einen außerordentlich wichtigen Gesetzentwurf, der sich in zwei unterschiedliche
Teile gliedert.
Die Forderungen nach Regulierung und Modernisierung gesetzlicher, insbesondere arbeitsrechtlicher Regelungen sind weit verbreitet. Sie sind häufig überzogen,
manchmal aber auch sehr berechtigt. Wenn wir erkennen,
dass bestehende Strukturen zu kompliziert und schwerfällig sind, müssen wir sie durch neue, zielführende Organisationseinheiten und Arbeitsabläufe ersetzen. Dies geschieht durch den vorliegenden Gesetzentwurf.
Mit der Vereinfachung des Verfahrens zur Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat durch Art. 1 und
Art. 2 dieses Gesetzentwurfes greifen wir gezielt die Bedürfnisse der Praxis auf. Diese kritisiert das bisherige
Wahlverfahren seit vielen Jahren als zu kompliziert, kostenträchtig und langwierig. Das Gesetz zur Vereinfachung
der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat
setzt an diesen Kritikpunkten an und bildet die rechtliche
Grundlage für die notwendige Anpassung der Wahlordnung: Wir reduzieren die Zahl der Delegierten und erreichen so Kostenersparnisse und organisatorische Erleichterungen bei der Durchführung der Wahlen. Bei der
Ermittlung der Kandidaten der leitenden Angestellten
wird es künftig nur noch eine Abstimmung geben; dies gestaltet das Wahlverfahren einfacher und es wird zeitlich
gestrafft. Den Bedürfnissen der Unternehmen nach mehr
Flexibilität bei der Durchführung des Wahlverfahrens tragen wir dadurch Rechnung, dass Vorbereitung und Ablauf
der Wahlen künftig auch unter Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnik möglich sind.
In vielen Unternehmen sind in diesem und im nächsten
Jahr die Aufsichtsratswahlen durchzuführen. Mit dem Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat ermöglichen wir diesen Unternehmen ein modernes, zeitlich gestrafftes und nicht zuletzt
auch kostengünstigeres Wahlverfahren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Art. 3
dieses Gesetzes reagieren die Bundesregierung und die
sie tragenden Koalitionsfraktionen, bestehend aus SPD
und Bündnis 90/Die Grünen, auf die Krise der Bundesanstalt für Arbeit um ihre Vermittlungstätigkeit. Ich erkläre hier, dass die Bundesregierung mit diesem Gesetzesteil schnell, angemessen und entschieden Strukturen
verändert, die zu kompliziert und schwerfällig geworden
sind, und Innovationen durchsetzt, die auf dem Arbeitsmarkt zu neuen Chancen und Möglichkeiten führen.
({0})
Erinnern wir uns: Am 16. Januar erreichte das Bundesarbeitsministerium ein Bericht des Bundesrechnungshofes; das ist knapp acht Wochen her. Wir wurden dadurch
mit Praktiken der Arbeitsvermittlung konfrontiert, die wir
bis dahin nicht für möglich gehalten hatten.
({1})
Der Bundesarbeitsminister hat schnell und entschieden
gehandelt; wir haben zur Aufklärung der Tatbestände beigetragen. Die Bundesanstalt für Arbeit hat selbst Untersuchungen in Gang gesetzt. Diese Entwicklungen haben
dazu geführt, dass der Bundeskanzler und der Bundesarbeitsminister am 22. Februar ein zweistufiges Konzept
öffentlich vorgestellt haben, mit dem wir kunden- und
wettbewerbsorientierte Dienstleistungen auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen und erhebliche Veränderungen in der
Arbeitsmarktpolitik und in der Arbeitsverwaltung umsetzen. Mit Art. 3 dieses Gesetzentwurfs tun wir das. Ich
weise darauf hin, dass seit der Vorstellung dieses Konzepts auf der Bundespressekonferenz am 22. Februar gerade drei Wochen vergangen sind.
Nun möchte ich ein paar Bemerkungen zu den Kernpunkten dieses Konzepts machen. Die Leitung der Bundesanstalt für Arbeit wird völlig umstrukturiert: Sie wird
sich in der Zukunft nicht mehr von den Spitzen privater
Unternehmen unterscheiden. Sie erhält einen dreiköpfigen Vorstand, der nur auf vertraglicher Basis und auf Zeit
in der Verantwortung bleibt. Effektivität und Wettbewerb
werden, wie in der Wirtschaft, die Leitlinie sein. Wie Sie
wissen, wird Florian Gerster, der jetzige Sozialminister
des Landes Rheinland-Pfalz, der neue Vorsitzende des
Vorstands der Bundesanstalt für Arbeit.
({2})
Außerdem werden wir den bisherigen Vorstand und
den bisherigen Verwaltungsrat zusammenführen und
deutlich verschlanken. Der Verwaltungsrat wird künftig
nur noch aus 21 Personen bestehen. Seine Wirkungsweise
und seine Kompetenz werden dem Aufsichtsrat nach dem
Aktienrecht weitgehend angeglichen. Der Verwaltungsrat
erhält deutlich mehr Kompetenzen und Zuständigkeiten.
Er hat die Aufgabe, den Vorstand zu kontrollieren.
({3})
Damit schaffen wir moderne Dienstleistungsstrukturen an
der Spitze der Bundesanstalt für Arbeit. Wir werden diesen Strukturprozesss in der nächsten Legislaturperiode
fortsetzen.
({4})
Ich komme auf den Kern dieser Reform, die wir zügig
fortsetzen, zu sprechen. Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung orientiert sich am Grundsatz „fördern und
fordern“. Dies erfordert ein intensives Eingehen auf die
individuellen Potenziale und Probleme der Arbeitssuchenden und die konkreten Bedürfnisse der Unternehmen. Bereits das Job-AQTIV-Gesetz zielt deshalb auf
eine Neuausrichtung der Arbeitsvermittlung ab. Die hinter uns liegende Krise der Bundesanstalt für Arbeit hat die
Chance geboten, grundlegende Änderungen durchzuführen und aus starren Behördenstrukturen und institutionell bedingten Fehlsteuerungen die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Genau das machen wir mit dem
heutigen Gesetzentwurf.
({5})
Dazu gehört, dass wir die Kernkompetenz der Bundesanstalt stärken. Das heißt vor allen Dingen: Wir müssen
alles tun, um das günstigste, schnellstwirksame Instrument der Arbeitsmarktpolitik, nämlich die Vermittlung, zu
verstärken und zu verbessern. Die notwendigen Änderungen müssen in der Bundesanstalt für Arbeit selbst vorgenommen werden. Diesbezüglich hat der neue Vorstand in
den nächsten Monaten ganz entscheidende Aufgaben
wahrzunehmen. Außerdem müssen wir die Bundesanstalt
für Arbeit in den entsprechenden Segmenten dem Wettbewerb aussetzen.
Wir haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die
Bedingungen für private Vermittlung deutlich verbessert.
Wir haben alle bürokratischen Hemmnisse für die Zulassung zur privaten Vermittlung aufgehoben. Es gibt keine
Erlaubnisvorbehalte mehr. Wir werden durchsetzen, dass
es zu einer Verbandszertifizierung und zu einem Gütesiegel für private Vermittler kommt.
Wir eröffnen die Möglichkeit, dass private Vermittler
künftig auch von Arbeitnehmern Honorare nehmen. Gegenwärtig können sie das nur von Arbeitgebern. Ich will
ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Chance auf zusätzliche Vermittlungen damit deutlich erhöht wird. Künftig ist es nicht nur möglich und selbstverständlich, die
Vermittlungsangebote der Bundesanstalt für Arbeit wahrzunehmen, sondern auch, Private in Anspruch zu nehmen,
die Honorare sowohl von Arbeitgebern als auch von Arbeitnehmern erhalten können.
Wir führen als zusätzliches Instrument Vermittlungsgutscheine ein. Sie sind mit folgender Staffelung verbunden: Im ersten halben Jahr der Arbeitslosigkeit belaufen
sie sich auf 1 500 Euro, vom sechsten bis zum neunten
Monat auf 2 000 Euro und ab dem neunten Monat auf
2 500 Euro.
Wir eröffnen zusätzlich die Möglichkeit der privaten
Arbeitsvermittlung aus dem Ausland.
Die Bundesregierung hat mit diesem Gesetzentwurf
viele Innovationen auf den Weg gebracht und zügig und
schnell gehandelt. Sie kann sich daher relativ sicher sein,
dass die von ihr ergriffenen Maßnahmen - auch im Vergleich zu dem, was die Opposition diskutiert hat - konkurrenzlos sind.
Ich habe einmal eine Reihe von Papieren durchgelesen,
die Sie verabschiedet haben, und muss Ihnen sagen - Herr
Laumann verzieht jetzt das Gesicht -, dass Sie sich bei der
Beratung des Ausschusses zu Art. 3 des Gesetzentwurfes
ausdrücklich anders ausgesprochen haben. Sie haben
große Probleme, öffentlich zu vermitteln, was schlecht an
dem ist, was die Regierung auf den Weg gebracht hat. Sie
haben deshalb diese Schwierigkeiten, weil daran nichts
Schlechtes zu finden ist.
Wir haben entschieden und schnell gehandelt. Die
Bundesregierung nimmt ihre Verantwortung wahr, und
zwar auch mit dem jetzigen Gesetzespaket, das am
1. April in Kraft tritt. Es wird seine Wirksamkeit entfalten. Zusätzlich haben wir eine Kommission unter der
Leitung von Dr. Peter Hartz eingesetzt, die weitere Vorschläge unterbreiten soll. Die Kommission wird ihre Vorschläge zum 15. August vorlegen. Wir werden mit diesen
Vorschlägen in den Wahlkampf gehen, weil wir ein Interesse daran haben, dass die Bürgerinnen und Bürger erfahren, welche weiteren Strukturreformen wir bezüglich
des Arbeitsmarktes und der Bundesanstalt für Arbeit in
der nächsten Legislaturperiode durchsetzen werden. Für
diese Reformen werden wir öffentlich werben. Sie können Ihre Vorschläge unterbreiten. Ich bin mir aber relativ
sicher, dass wir dieses Reformwerk nach dem 22. September fortsetzen werden.
Schönen Dank.
({6})
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht der Kollege Karl-Josef
Laumann.
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die
CDU/CSU-Fraktion wird - das haben wir auch im Ausschuss deutlich gemacht - dem Teil des Gesetzes, der sich
mit der Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmer in die
Aufsichtsräte beschäftigt, zustimmen. Sie haben sich
aber dafür entschieden, dieses Gesetz politisch mit einem
ganz anderen Thema zu besetzen. Dazu möchte ich heute
reden.
Erstens. Wir haben erlebt, dass die Regierung das
Gesetzgebungsverfahren, das die Dinge regelt, von denen
der Staatssekretär hier gesprochen hat, in ganzen drei Arbeitstagen im Deutschen Bundestag durchgesetzt hat; die
Beratungen im Ausschuss waren am Mittwochmittag
abgeschlossen. Dazu kann ich nur sagen: Dass die Regierung, die über zwei Wochen braucht, um das Gesetz aufzuschreiben, dem Fachausschuss nur drei Tage zur Beratung lässt oder eine Anhörung durchführt, zu der einige
Sachverständige deswegen nicht kommen konnten, weil
sie zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal die Einladung hatten, macht deutlich, dass das Parlament für diese Bundesregierung anscheinend nur noch eine Staffage ist.
({0})
Die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen - dazu zähle
ich insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von
Bündnis 90/Die Grünen, die ich einmal als Basisdemokraten erlebt habe - lassen sich durch eine solche Vorgehensweise zu Erfüllungsgehilfen machen.
({1})
Zweitens. Sie haben bei der Erarbeitung dieses Gesetzes hinsichtlich der Neuordnung der BA auf der obersten
Ebene, auf der Ebene in Nürnberg, die große Chance vertan, die Tätigkeit der Bundesanstalt für Arbeit auf die
Versicherungsleistungen, auf die Arbeitslosenversicherung, zu konzentrieren. Wir hätten es gerne gesehen, wenn
die Drittelparität aufgegeben worden wäre, sodass die
Beitragszahler, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, für den
Versicherungsteil allein verantwortlich hätten entscheiden können. Die zusätzlichen, allgemeinen staatlichen
Aufgaben, die heute über die Arbeitsämter abwickelt werden werden, unterfielen dann der Entscheidung der Politik, ohne dass andere, die damit nichts zu tun haben, hier
hineinreden könnten. Diese Chance haben Sie vertan.
({2})
Ein weiterer Punkt. Sie haben in diesem Gesetzgebungsverfahren nichts, aber auch gar nichts getan, um die
staatliche Arbeitsvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit zu verbessern. Sie haben in das Gesetz hineingeschrieben, dass der neue Vorstand unter Berücksichtigung
der jetzt geltenden öffentlichen Dienstrechts- und Tarifstrukturen zusehen solle, wie er Verbesserungen zustande
bekommt. Ich sage Ihnen voraus: Mit öffentlichen
Tarifstrukturen wird eine erfolgsabhängige Prämienbezahlung der staatlichen Arbeitsvermittler nicht funktionieren. Nie und nimmer!
({3})
Warum sind Sie nicht dem Vorschlag gefolgt, dass auch die
staatliche Arbeitsvermittlung als ein Eigenbetrieb innerhalb der Bundesanstalt für Arbeit geführt wird? Dann hätte
zwischen den staatlichen und den privaten Arbeitsvermittlern zum 1.April Gleichheit hergestellt werden können.
Am 1. April werden in diesem Land 2,6 Millionen
Menschen, die länger als drei Monate arbeitslos sind, einen Anspruch auf einen Vermittlungsgutschein haben.
Herr Staatssekretär, wenn wir einmal davon ausgehen,
dass sie im Schnitt einen Gutschein in Höhe von
2 000 Euro bekommen, dann ergibt sich daraus auf einen
Schlag eine Summe von 5,2 Milliarden Euro, die Sie aufbringen müssen. Dann geht Ihr Haus hin
({4})
und schreibt allen Ernstes in einer Vorlage für den Haushaltsausschuss, dass das durch eingespartes Arbeitslosengeld kompensiert werde und man im Übrigen dafür im
Haushalt der BA einen Leertitel vorsehen werde. Das ist
schon ein tolles Stück.
Viel schlimmer ist, dass für die private Arbeitsvermittlung 5,3 Milliarden auf dem freien Markt ausgegeben
werden sollen, aber im Gesetz nicht eine einzige Voraussetzung genannt wird, die ein privater Arbeitsvermittler
erfüllen muss. Indem Sie für diesen sensiblen Bereich
keinerlei Vorgaben machen, befinden Sie sich auf dem
Holzweg; denn somit sind die Vorgaben für jemanden, der
in Deutschland eine Bulette verkaufen will, höher als für
jemanden, der Menschen vermittelt.
({5})
- Dann können wir auch beim Bulettenverkauf die Vorgaben erfolgsabhängig gestalten. - Sie haben nicht einmal
vorgeschrieben, dass Vermittler eine Berufsausbildung
haben müssen oder wie ein Büro aussehen muss. In den
entsprechenden Gesetzen für Anwälte steht wenigstens
noch drin, dass ein solches Büro öffentlich zugänglich
sein muss.
({6})
Wissen Sie, was aufgrund dieses Gesetzes passieren
wird? - Sie sorgen dafür, dass sich in diesem Bereich Seelenverkäufer selbstständig machen und durch diese Leute
die gute Idee der privaten Arbeitsvermittlung diskreditiert
wird.
({7})
Wenn man innerhalb von drei Tagen ein Gesetz durchpeitscht, kann man das natürlich nicht ordentlich regeln.
Seien Sie nicht auch noch stolz darauf! Auch die Stellungnahmen des Bundesverbandes Personalvermittlung,
die uns in den letzten Tagen erreicht haben, kritisieren,
dass Sie in diesem Punkt nichts geregelt haben.
({8})
Hier handelt es sich einfach um eine schlampige Gesetzgebungsarbeit.
({9})
In Deutschland muss aus gutem Grund derjenige, der
Fahrräder repariert, zumindest einen Meisterbrief haben.
Vor diesem Hintergrund ist aber das Gesetz, das Sie, Herr
Riester, auf den Weg gebracht haben und nach dem private Arbeitsvermittler in diesem Land überhaupt keine
Voraussetzungen mitbringen müssen,
({10})
unverantwortlich. Ihrem Hinweis auf § 35 Gewerbeordnung in diesem Zusammenhang entgegne ich, dass es sich
hierbei nicht um eine Präventivregelung handelt. Es muss
erst einmal im Einzelfall bewiesen werden, dass die Leute
nicht vertrauenswürdig gearbeitet haben. In einem so sensiblen Bereich so zu handeln ist unverantwortlich.
Ich habe jetzt gerade gehört, ich sei der Oberregulierer.
({11})
Herr Brandner, dazu kann ich nur sagen, dass Sie uns doch
fünf Minuten vor der Abstimmung im Ausschuss einen
Entschließungsantrag auf den Tisch gelegt haben, in dem
Ihre und die grüne Fraktion die Bundesregierung auffordern, dieses Problem zu regeln.
({12})
Wenn Sie es aber erst dann regeln, wenn sich die Leute
schon selbstständig gemacht haben, dann bekommen Sie
es nicht mehr in den Griff.
({13})
Es werden lange Übergangsfristen notwendig für diejenigen, die der Zertifizierung, die Sie sich später einfallen
lassen, nicht entsprechen. Das, was Sie uns und dem deutschen Volk letzten Endes zumuten, zeugt von unseriöser
Arbeit. Mit einem solchen Gesellenstück, Herr Riester,
hätten Sie nicht einmal eine Gesellenprüfung bestanden.
Das ist ganz sicher.
({14})
Nehmen wir einen weiteren Punkt, damit die Leute in
Deutschland einmal erkennen, wie die Bundesregierung
denkt. Der Vorschlag des Ministeriums lautete ja nun allen Ernstes, dass die arbeitslosen Menschen die private
Arbeitsvermittlung zu großen Teilen selber zahlen sollten.
Sie, Herr Riester, haben ein entsprechendes Gesetz eingebracht, das die Koalitionsfraktionen unter Ihrem Namen
übernommen haben. Das macht das Ganze eigentlich
noch viel schlimmer. In dem Gesetz stand, dass der Arbeitsvermittler einem Maurer, der eine mit 2 000 Euro bezahlte Arbeit aufnimmt, 5 000 Euro abnehmen kann, von
denen er im Endeffekt 3 500 Euro selber tragen muss. Da
Sie, Herr Riester, das so eingebracht haben, wissen wir
auch, wie Sie denken. Dass das Gesetz dann von den Koalitionsfraktionen abgelehnt wurde, ist ein anderes
Thema. Daran erkennen wir, wie die jetzige politische
Führung des Arbeitsministeriums denkt: sozialpolitisch
unverantwortlich.
({15})
Auch dieses müssen wir heute feststellen.
({16})
Nun wuchs der politische Druck. Ich habe ja schon bei
der Ausschusssitzung am Freitag gemerkt, wie nervös die
Kollegen der SPD wurden, als wir diesen Punkt thematisierten.
({17})
Also wurde das Gesetz geändert und hereingeschrieben,
dass die Leute einen Vermittlungsgutschein im Wert von
1 500 Euro bekommen sollen. Sie erreichen damit aber
nur, dass die private Arbeitsvermittlung den Problemgruppen verschlossen bleibt. Denn wenn die Arbeitgeber
eigentlich Eingliederungszuschüsse bräuchten, um überhaupt Leute einzustellen, werden sie niemals bereit sein,
an den privaten Arbeitsvermittler etwas zu zahlen, der ihnen den Mann oder die Frau vermittelt hat. Deswegen ist
Ihr Kriterium mit den 1 500 Euro für die Problemgruppen
auf dem Arbeitsmarkt unintelligent und der Betrag auch
nicht hoch genug.
({18})
Jetzt nenne ich einen letzten Punkt. Sie haben die Frage
des Vermittlungsgutscheins allein an die Dauer der
Arbeitslosigkeit gekoppelt. Das heißt, die langsamen
Vermittler bekommen die besten Gutscheine. Wenn ich
Arbeitsvermittler wäre und jemand zu mir käme, der fünfeinhalb Monate arbeitslos wäre, würde ich den Fall erst
einmal 14 Tage liegen lassen.
({19})
Die 500 Euro, die ich dann bekäme, würde ich mir erst
einmal in die Tasche stecken.
({20})
Aber das ist gar nicht der entscheidende Punkt. Wenn
Sie beim Job-AQTIV-Gesetz durchsetzen, dass wir für
jeden Arbeitslosen ein Profiling machen, dann hätten Sie
unter dem Gesichtspunkt des sparsamen und wirtschaftlichen Einsatzes der Mittel der Sozialversicherung der
Arbeitsverwaltung die Möglichkeit einräumen müssen,
an diesem Profiling entlang eine Entscheidung zu treffen.
Denn Ihr Zeitkriterium ist zumindest fantasielos, um nicht
zu sagen unintelligent.
({21})
Wir haben also viele Gründe, dieses Gesetz abzulehnen.
({22})
Schönen Dank.
({23})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Thea Dückert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Laumann war eben ein lebendiges Beispiel dafür, wie viel
Schwierigkeiten die Opposition hat,
({0})
auch nur ein Sachargument gegen das Gesetz vorzutragen, das wir heute hier verabschieden wollen.
({1})
Auf Sie trifft zu: Denn sie wissen nicht, was sie wollen.
({2})
Ich will Ihnen das an drei Punkten in Bezug auf das, was
Sie eben vorgetragen haben, deutlich machen.
Sie reden über etwas, was wir hier überhaupt nicht zur
Abstimmung stellen, Herr Laumann. Sie haben gesagt,
dass die Arbeitslose oder der Arbeitslose, die oder der zu
einem privaten Vermittler geht, etwas draufzahlen muss.
Sie haben das beklagt. Aber das war früher in der Diskussion. Wir haben das verändert. Wir haben als neues Verfahren ein Gutscheinsystem eingeführt, sodass der Arbeitslose, der zum Vermittler geht, nichts draufzahlen
muss. Ich weiß nicht, worüber Sie reden; über das, was
wir hier verabschieden wollen, jedenfalls nicht.
({3})
Zweiter Punkt. Sie beklagen hier, dass das Ganze zu
schnell gehe. Es ging wirklich schnell. Wir haben sehr
schnell reagiert.
({4})
Gleichzeitig beklagen Sie aber, dass wir zum 1. April
nicht ein neues Anreizsystem in den Arbeitsämtern einführen.
({5})
Bitte entscheiden Sie sich, was Sie wollen. Sie wissen offenbar nicht, was Sie wollen.
({6})
Dritter Punkt. Sie spielen sich hier - das finde ich wirklich höchst amüsant, das muss ich Ihnen sagen, Herr
Laumann - zum Gralshüter des Bürokratismus auf.
({7})
Ich weiß nicht, was Sie hier einführen wollen. Sollen sich
die Dritten wieder in eine Handwerksrolle eintragen?
({8})
Wollten Sie uns gerade sagen, dass sozusagen im überholten Zunftwesen die Modernität der Zukunft liegt? Wir
wollen hier einführen, dass sich die Dritten der Gewerbeaufsicht stellen müssen. Wir bringen heute mit einem
Entschließungsantrag hier ein, dass ein Berufsbild entwickelt werden muss. Dass dann von den zuständigen Berufsverbänden ein Qualitätssiegel entwickelt werden
muss, das ist doch völlig klar. Herr Laumann, Sie wissen
also auch an dieser Stelle nicht, worüber Sie reden.
({9})
Sicher, wir haben eine ungewöhnliche Situation und
eine solche bedarf auch einer ungewöhnlichen Reaktion.
Was an dem, was wir machen, ungewöhnlich ist, ist die
Schnelligkeit. Das hätten Sie in Ihrer Regierungszeit nicht
zustande gebracht.
({10})
Warum machen wir das? Weil wir in der Situation sind,
dass wir bei einer hohen Arbeitslosigkeit im Moment in
der Bundesanstalt für Arbeit eine Arbeitsverwaltung haben, die nicht arbeitsfähig ist,
({11})
die wir in den Stand setzen müssen, einen Neuanfang zu
machen und arbeitsfähig zu werden. Dafür schlagen wir
heute die ersten Pflöcke ein, drei an der Zahl.
Erstens. Der Vorstand kann eingesetzt werden. Ich
bin sehr froh, dass er zum 1. April seine Arbeit aufnehmen kann. Ebenfalls ist sehr wichtig, dass die HartzKommission, die ihre Arbeit schon aufgenommen hat,
dann mit dem Vorstand zusammenarbeiten kann. Wir haben nämlich ein großes Reformprojekt vor uns, bei dem
die Eckpunkte noch entwickelt werden müssen.
Der zweite Punkt: Der Verwaltungsrat wird institutionalisiert. Er ist verkleinert worden und wird dadurch effektiver. Auch ist er zu Recht drittelparitätisch besetzt,
weil die Länder und die öffentliche Hand über ihre eigenen Programme sehr viel mit der Arbeitsmarktpolitik zu
tun haben und sich in dieses Gremium einbringen müssen.
({12})
Der dritte und in diesem Zusammenhang zentrale
Punkt: Wir wollen, dass die unverzügliche Vermittlung
für jeden, der gerade arbeitslos wird - das ist das Herzstück des Job-AQTIV-Gesetzes -, in den nächsten Monaten gewährleistet wird.
({13})
Deswegen müssen wir hier so schnell handeln, wenn es
darum geht, die Möglichkeit einer Vermittlung durch
Dritte einzuführen.
({14})
Wir werden uns hier auch nicht von Ihnen aufhalten lassen, weil es im Interesse der Arbeitslosen in diesem Lande
ist, dass es nahtlos mit der Vermittlung weitergeht.
({15})
- Ich weiß nicht, ob ich Sie störe, wenn ich hier weiterrede.
({16})
Aber ich würde meine Rede doch gerne zu Ende bringen.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass wir hier Neuland betreten. Zum einen schaffen wir jetzt einen freien
Marktzugang für Dritte. Das ist ein erheblicher Fortschritt. Ich wünsche mir, dass wir eine lebendige Vermittlungskultur in diesem Lande bekommen,
({17})
die dadurch gekennzeichnet ist, dass es eine Konkurrenz
zwischen privater und öffentlicher Arbeitsvermittlung
gibt, sich aber auch eine Kooperation zwischen Arbeitsämtern und Dritten weiterentwickelt.
Zum anderen haben wir die Vermittlungsgutscheine
eingeführt. Im Moment diskutiert man in der Öffentlichkeit in der Tat darüber, ob die Honorierung richtig bemessen ist. Es geht in der Tat darum, ob diese Vermittlungsgutscheine als Anreiz zur direkten Vermittlung durch
einen Dritten wirksam genug sind. Das wird sich in der
Praxis erweisen. Von der FDP wird wahrscheinlich gleich
der Hinweis darauf kommen, dass derAnreiz zu gering ist.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Luft?
Wenn ich meinen Gedanken zunächst zu Ende führen
darf, ja.
Es wird also gleich das Argument kommen: Möglicherweise ist der Wert der Vermittlungsgutscheine zu gering. Dazu gibt es - hier paddeln alle ein wenig im Nebel natürlich noch keine Erfahrungen, auch nicht im Ausland.
Anhand der zukünftigen Erfahrungen wird dieses Instrument aber so ausgestaltet werden können, dass es praktikabel ist.
Frau Kollegin Luft, jetzt können Sie Ihre Frage stellen.
Frau Kollegin Dückert, können Sie meinen Eindruck entkräften, dass dies heute eine
ziemlich schwarze Stunde des Parlamentarismus ist? Eine
so gravierende Veränderung, wie sie bei der Bundesanstalt für Arbeit vorgenommen werden soll, wird heute an
ein artfremdes Gesetz angehängt.
({0})
Eine zweite und dritte Lesung wird dazu nicht stattfinden.
Die haushaltsmäßigen Bedenken von allen Oppositionsfraktionen wurden nicht ausgeräumt. In der Vorlage
heißt es immer noch, es werde keine haushaltsmäßigen
Auswirkungen geben. Es werden aber in jedem Falle Vermittlungsgebühren anfallen; ob Arbeitslosengeld in dieser
Höhe tatsächlich eingespart werden kann, weiß man nicht.
Wie kann man einen Leertitel für Vorstandsmitgliederbezüge einstellen? Man muss doch wissen, was sie bekommen sollen; dafür braucht man doch keinen Leertitel einzustellen. Es ließe sich noch mehr sagen. Alles läuft darauf
hinaus, dass das Gesetz heute hier durchgepeitscht wird.
DerHinweisdarauf,dassmangarnichtgewussthabe,wie
sehr die Vermittlung bei der Bundesanstalt fürArbeit bisher
schief gelaufen sei, irritiert mich natürlich sehr. Sie haben
doch kürzlich das SGB III reformiert und das Job-AQTIVGesetz inderHoffnungeingeführt,dassdieVermittlungverbessert werden würde. Aber all das, was wir heute beschließen sollen, wäre gar nicht eingebracht worden, wenn
der Statistikskandal nicht aufgedeckt worden wäre.
({1})
Liebe Kollegin Luft, ich halte dies für eine gute Stunde
der Politik.
({0})
Wir zeigen, dass wir an den Stellen, an denen es Handlungsbedarf im Hinblick auf die Arbeitsvermittlung gibt,
in der Lage sind, die wenigen Weichenstellungen, die
zunächst notwendig sind, sehr schnell vorzunehmen. Ich
hätte es für eine schwarze Stunde der Politik gehalten,
wenn es der Opposition gelungen wäre, diese notwendigen Handlungen zu blockieren.
({1})
Wir wollen, dass die Bundesanstalt neu anfangen kann.
({2})
Wir wollen, dass die Hartz-Kommission jetzt die notwendigen Konzepte entwickeln kann. Wir wollen, dass die Arbeitslosen vor Ort eine größere Wahlfreiheit und eine
größere Chance auf eine schnelle und effektive Vermittlung haben. Deswegen haben wir auch die Vermittlungsgutscheine eingeführt.
Ich glaube, dass ein Großteil der Kritik, der von der
Opposition angebracht wird, zum Beispiel von Herrn
Laumann, ins Leere läuft. Herr Laumann, Sie haben einiges heute schon gar nicht mehr vorgeschlagen. Sie wissen
ganz genau, dass es ab dem dritten Monat, den jemand arbeitslos ist, Vermittlungsgutscheine geben wird. Es wird
aber auch so sein, dass Menschen, bei denen man dann,
wenn sie arbeitslos werden, bereits absehen kann, dass sie
besondere Schwierigkeiten haben werden, wieder in den
Arbeitsmarkt einzutreten, nach § 37 a des Job-AQTIVGesetzes, das weiterhin gelten wird, von Anfang an über
Dritte vermittelt werden können. Das Arbeitsamt kann
sich dafür stark und dies möglich machen.
Ich glaube, dass wir am Anfang eines sehr umfangreichen Reformprozesses stehen. Dies gilt zunächst für die
Bundesanstalt für Arbeit. Hier sind bisher nur kleine, aber
notwendige Weichenstellungen erfolgt. Der Rest wird in
der nächsten Zeit entwickelt werden. Es kann Jahre dauern, bis dieser Prozess abgeschlossen ist.
Wir stehen aber auch am Anfang einer neuen Reformdiskussion bezüglich der Arbeitsmarktpolitik. Ich
möchte Ihnen an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen,
dass ich glaube, dass der designierte neue Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster,
Recht daran tut, dass er sich sehr offensiv in eine Zukunftsdebatte über die Arbeitsmarktpolitik einmischt. Ich
glaube, dass in dem jetzt aufgedeckten Desaster bei der
Bundesanstalt für Arbeit auch die Chance verborgen ist,
({3})
neue offensive Diskussionen über Reformen am Arbeitsmarkt aufzunehmen.
Schönen Dank.
({4})
Das Wort hat der
Abgeordnete Niebel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz, das uns die Bundesregierung heute vorlegt, ist ein schlimmer Rückfall in
die Frühphase ihrer Regierungszeit.
({0})
Sie haben es mit handwerklichen Fehlern gespickt, die
dazu führen, dass das Kanzlerwort mal wieder nicht mehr
als ein Lippenbekenntnis ist und am Ende kein wirklicher
Effekt erzielt werden kann.
Ich möchte Ihnen auch begründen, wieso wir zu diesem Schluss kommen: Unabhängig vom Verfahren, zu
dem der Kollege Laumann schon genug gesagt hat, verstehen wir vonseiten der FDP-Bundestagsfraktion durchaus, dass Sie die neue Führungsstruktur der Bundesanstalt für Arbeit möglichst schnell einführen wollen.
Wir hätten andere Wege gewählt, weil wir der Ansicht
sind, dass die Selbstverwaltung abgeschafft gehört.
({1})
Ein guter Grund, warum wir das meinen, ist im gestrigen
„Stern“ nachzulesen, und zwar in einem Artikel mit der
Überschrift: „Deutschlands teuerstes Spielzeug“. Dies
sollte Ihnen doch ein wenig zu denken geben.
Sie sind zu anderen Schlüssen gekommen und haben
gesagt, die Selbstverwaltungsstrukturen sollen bestehen
bleiben. Das ist Ihr Recht, weil Sie die Mehrheit haben.
Dennoch ist es inhaltlich falsch und wird Deutschland
schaden.
Nichtsdestotrotz hätten Sie die Frage der Führungsstruktur nicht mit der inhaltlichen Frage der Ausgestaltung neuer Vermittlungsmöglichkeiten verquicken sollen. Diese haben Sie so schlecht gemacht, dass sie leider
nicht werden funktionieren können. Sie haben zwar richtigerweise den Vorschlag der Liberalen aufgegriffen,
Vermittlungsgutscheine einzuführen und dadurch vom
Grundsatz her Wettbewerbsmöglichkeiten zu schaffen; allerdings werden Sie aufgrund der Ausgestaltung hinterher
erkennen müssen - wenn man böswillig wäre, könnte man
fast sagen: Vielleicht wollen Sie das auch -, dass dieses
Instrument nicht greifen wird.
Lassen Sie uns Revue passieren, was passiert ist: Der
Kanzler tritt mit dem Arbeitsminister vor die Presse und
erklärt, es werde eine Nachfragemacht aufseiten der Arbeitsuchenden geben. Er erklärt, es werde eine Stärkung
der privaten Arbeitsvermittlung geben. Der Arbeitsminister nickt das ab und bestätigt es; übrigens eine Urform des
pathologischen Lernens: Lernen durch Leiden. Denn
noch eine knappe Woche vorher wäre weder beim Arbeitsministerium
({2})
noch bei der SPD-Bundestagsfraktion auch nur der Hauch
einer Mehrheit für diese Position zu finden gewesen.
({3})
Dann ging das ganze Theater los. Es folgte ein Sperrfeuer vonseiten der Gewerkschaften und vonseiten der
SPD-Bundestagsfraktion. Es ist völlig klar, dass Sie die
Einführung von Vermittlungsgutscheinen auf die Schnelle
in dieses Gesetz hineinbringen mussten. Hätten Sie nämlich gewartet, bis die Hartz-Kommission im August damit
gekommen wäre, hätten Sie in Ihrer eigenen Fraktion
nicht einmal den Hauch einer Mehrheit für dieses Instrument gefunden.
({4})
In der ersten Vorlage bezüglich der Konstruktion der
Vermittlungsgutscheine haben Sie richtigerweise festgestellt, dass Arbeitsuchende die Möglichkeit erhalten
müssen, private Vermittler zu beauftragen. Wenn man
sich in freier Entscheidung für einen anderen Arbeitsplatz
interessiert, macht es doch nur Sinn, dass man die Möglichkeit eines zusätzlichen Suchweges erhält und für
diesen, wenn man den Auftrag vergibt, dann natürlich
auch bezahlen muss. Dass Sie in diesem Segment auf
1 500 Euro deckeln, ist der erste große Fehler Ihrer Nachbesserung im Rahmen dieses Verfahrens. In der ersten
Vorlage haben Sie noch festgestellt, dass ein Betrag von
bis zu zweieinhalb Bruttomonatseinkommen ein marktüblicher Wert für diese Dienstleistung sei; das ist auch
richtig. In Segmenten, in denen hoch qualifizierte Menschen tätig sind, sollte er sogar bis zu einem Drittel des
Bruttojahresarbeitsgehaltes betragen. Sie aber deckeln
auf 1 500 Euro. Ich kann mir annähernd vorstellen, wie
viele private Arbeitsvermittler ein hohes wirtschaftliches
Interesse an diesem Vermittlungsgeschäft haben werden.
Bei den Gutscheinen haben Sie drei Kardinalfehler eingebaut:
Der erste ist die Höhe des Gutscheines. In der ersten
Vorlage war die Eigenbeteiligung für die Arbeitsuchenden
eindeutig zu hoch, sodass viele Arbeitsuchende dieses
Gutscheininstrument aus sozialen Gründen nicht hätten
nutzen können. Statt diese Gutscheine mit marktüblichen
Preisen auszustatten und somit auch einen wirtschaftlichen Anreiz für private Vermittler zu schaffen, dieses Instrument anzunehmen, haben Sie nun wiederum eine
Deckelung eingeführt. Diese wird in der Konsequenz
dazu führen, dass ein Großteil der privaten Vermittlungsbetriebe, die sich noch entwickeln werden, an diesem Instrument kein großes Interesse haben wird.
Der zweite Kardinalfehler, der hier schon angesprochen worden ist - Frau Dückert wollte, dass ich Ihnen das
erkläre, sie hat es sozusagen vorab angekündigt; vielen
Dank für diesen Werbeblock -, besteht darin, dass Sie bei
der Vergabe und der Ausgestaltung bzw. Höhe der Gutscheine einzig und allein auf die Dauer der Arbeitslosigkeit
({5})
und nicht auf das Alter, die Qualifikation oder den Gesundheitszustand abstellen.
({6})
Es nützt überhaupt nichts, dass die Bundesanstalt im Rahmen der Profilerhebung eventuell einen Dritten beauftragen kann. Dadurch hat der Arbeitsuchende immer noch
keine Nachfragemacht, sondern er wird von der Bundesanstalt gesteuert. Im Job-AQTIV-Gesetz haben Sie dieses
obrigkeitsstaatliche Denken festgeschrieben. Sie haben
nämlich hineingeschrieben, dass die Bundesanstalt bei
der Beauftragung Dritter Herr des Verfahrens bleibt.
({7})
Der dritte und letzte Kardinalfehler ist, wie ich finde,
der gravierendste. Der Kanzler hat versprochen, dass es
Wettbewerb geben wird. Es bleibt bei Lippenbekenntnissen, weil sich die Betonkopffraktion in der SPD durchgesetzt hat.
({8})
Wettbewerb würde es nur dann geben, wenn Sie den Arbeitsuchenden mit ihren Gutscheinen in der Hand eine
Nachfragemacht geben könnten. Der Arbeitsuchende
ginge dann zum Arbeitsvermittler seines Vertrauens. Das
kann der private sein, muss es aber nicht. Es kann nämlich
auch der staatliche sein.
({9})
Wenn Sie diesen Wettbewerb hätten haben wollen,
dann hätten Sie die Geldmittel dahin fließen lassen müssen, wo die Gutscheine im Erfolgsfall eingelöst werden.
Das heißt, entweder hätten Sie die Bundesanstalt mit ihrer Arbeitsvermittlung durch die Einnahme von Gutscheinen finanzieren müssen oder Sie hätten wenigstens die
erfolgsabhängigen Lohnkomponenten der staatlichen Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittler an die Einnahme von Gutscheinen koppeln müssen.
Das hätte dazu geführt, dass diese Vermittler im Innenverhältnis der Bundesanstalt dafür gesorgt hätten, dass sie
in die Lage versetzt werden, überhaupt wettbewerbsfähig
zu sein, sodass sie als wirkliche Mitkonkurrenten zu den
privaten Anbietern im Vermittlungsgeschäft hätten tätig
sein können.
({10})
Insgesamt bleibt folgende Quintessenz: Trotz des
grundsätzlich positiven Instruments des Vermittlungsgutscheines haben Sie es leider wieder einmal vermurkst. Es
wundert mich überhaupt nicht, dass der Kanzler sagt
- man hat es ihm, ich glaube, im „Focus“ zugeschrieben -,
dass überall dort, wo Riester gesessen hat, eine kleine Zementschicht bleibt. Das passt zu den Betonköpfen in der
SPD-Fraktion,
({11})
die eindeutig nicht reformfähig sind und deshalb am
22. September abgelöst werden müssen.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Grehn.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens. Zu dem Vorgang, der hier
über die Bühne gehen soll, kann man nur ein Wort finden:
skandalös!
({0})
Es ist skandalös, in welcher Art und Weise ein notwendiges Moment, das die Ärmsten der Armen betrifft, abgehandelt wird. Ich empfinde das als unwürdig.
Zweitens. Herr Staatssekretär Andres, Sie haben hier
erklärt, es sei eine angemessene Reaktion, die Sie gezeigt
haben. Ihre Reaktion war aber so wenig angemessen, wie
Ihre Rede, die Sie zu diesem Problem gehalten haben, angemessen war.
({1})
- Es ist nun einmal so, dass sein Verhalten unangemessen
gewesen ist. Er hätte das Gesetz verbessern können, aber
dazu ist nichts gekommen.
Es ist an dieser Stelle über die Finanzierung gesprochen worden. Es ist beschämend, wenn die Finanzierung
über die Zuschüsse zu den Rentenversicherungsbeiträgen
der in Werkstätten beschäftigten Behinderten erfolgen
soll. Es ist ein Skandal, so etwas zu machen.
({2})
Herr Minister, die „FAZ“ hat heute getitelt: „Ich gehe
an die Grenze dessen, was das Parlament mittragen kann“.
Herr Riester, für uns haben Sie die Grenze überschritten.
({3})
Sie haben Lösungen vorgelegt, die Sie überhaupt nicht
weiterbringen werden. Ihre Lösungen sind in ihrer Durchführung nicht klar und eindeutig. Es ist über die Qualifizierung und über die Kontrolle gesprochen worden. Sie
geben die Steuerungsfunktion völlig ohne Not aus der
Hand, indem Sie das Zusammenspiel von privaten Vermittlern und Bundesanstalt für Arbeit überhaupt nicht regeln. Sie führen eine Selektion unter den Arbeitslosen
durch, auch wenn Sie das Schlimmste herausgenommen
haben, nämlich dieses Honorar in Höhe des Zweieinhalbfachen eines Monatsgehalts.
Im Februar hatten wir 1,6 Millionen Erwerbslose, die
keine Leistungen bezogen. Genau diese Menschen - das
sind unter den Arbeitslosen die Ärmsten, die Sozialhilfeempfänger und die allein erziehenden Frauen müssen jetzt zahlen, und zwar bis zu 2 500 Euro.
({4})
- Vielleicht kennen Sie Ihr eigenes Gesetz nicht.
({5})
Ich beziehe mich auf den § 296 des Gesetzentwurfs.
({6})
In dessen Begründung heißt es: „Auch für Arbeitsuchende, die keinen Anspruch auf einen Vermittlungsgutschein haben“ - das sind diejenigen, die keine Leistung beziehen -,
({7})
„sieht die Vorschrift eine Begrenzung des Honorars vor,
um sie vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme zu schützen“. Dafür sind die 2 500 Euro festgelegt. Insofern wird
es zwei Gruppen geben: diejenigen, die gutscheinberechtigt berechtigt sind, und diejenigen, die es nicht sind.
Es gibt ein weiteres Problem - der Kollege Laumann
hat darauf hingewiesen -: Sie haben als Kriterium die
Dauer der Erwerbslosigkeit gewählt.
({8})
Bisher war es immer so, dass Schwervermittelbarkeit an
ganz anderen Kriterien gemessen wurde. Wir meinten mit
den Problemgruppen, die schwer vermittelbar sind, die
Älteren, die Alleinerziehenden, die Sozialhilfeempfänger
und die wenig Qualifizierten. Wenn Sie das als Kriterium
einführen, könnte man auch darüber reden, ob man eine
Staffelung nach der Dauer der Arbeitslosigkeit gestaltet.
So ist es zwar sehr einfach, aber nicht hilfreich.
Ich komme zu einer weiteren ungelösten Problematik.
Wenn Sie die privaten Vermittler einschalten: Was wird
dann aus den Funktionen der Bundesanstalt für Arbeit? Es
gab das Kriterium der Zumutbarkeit der Arbeit. Die
Nichtannahme einer zumutbaren Arbeit heißt, dass man
mit Sperrfristen belegt wird. Wer stellt nun die Nichtzumutbarkeit fest? Wer verhängt die Strafen? Das ist in diesem Gesetz in keiner Weise geregelt.
Herr Kollege
Grehn, bitte denken Sie daran, dass Sie Ihre Redezeit bereits überschritten haben.
Lassen Sie mich nur noch sagen: So, wie das Gesetz gestrickt ist, haben Sie sich keine
Freunde geschaffen. Die Tatsache, dass Sie Weiteres
ankündigen, lässt Schlimmes befürchten, wenn man die
Worte des designierten Chefs der Bundesanstalt für Arbeit
ernst nimmt.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Abgeordneten Andres
das Wort.
({0})
- Nein, Kurzinterventionen sind ein Abgeordnetenrecht.
({1})
Herr Abgeordneter Grehn, ich
möchte nur eine Sache richtigstellen, weil ich mich in dem
Punkt angesprochen fühle und das, was Sie gesagt haben,
nicht stimmt.
Sie haben erklärt, es sei ein Skandal, dass die Mittel für
die Kommission aus Haushaltsmitteln zur Rentenleistung
für Behinderte genommen werden.
({0})
Ich will Sie nur ganz kurz aufklären, damit keine falschen
Gerüchte in der Öffentlichkeit verbreitet werden. Die
Kommission ist eingesetzt worden, als der Haushalt schon
verabschiedet war. Damit muss man eine außerplanmäßige
Ausgabe im Haushalt etatisieren, wenn man die Kommission vernünftig finanzieren will. Wir haben 1 Million Euro
zur Verfügung gestellt. Dieser Betrag ist nicht für die
Kommissionsmitglieder bestimmt. Diese machen ihre Arbeit ehrenamtlich; sie können nur Reisekosten abrechnen,
können aber Sachverständigenanhörungen und Ähnliches
organisieren. Dafür braucht man die Mittel. Damit man
eine Deckung aus dem Haushalt des Bundesarbeitsministers hat, wurden dafür Mittel aus dem Titel „Rentenzahlungen für Behinderte in Werkstätten“ genommen.
({1})
- Langsam. Sie müssen gar nicht schreien, es geht nur um
eine technische Angelegenheit.
Die Ansprüche, die die Behinderten haben, sind
Rechtsansprüche, die auf alle Fälle erfüllt werden müssen. Wir glauben, dass wir das aus diesem Titel decken
können - es ist ein Schätztitel in Höhe von 800 Millionen
Euro -, weil der Zuwachs von Beschäftigten in Werkstätten für Behinderte nicht so ist, wie es vermutet wurde. Das
hängt mit einer besseren Versorgung von Schwerbehinderten und Ähnlichem zusammen.
Ich sage nochmal: Durch die Einsetzung der Kommission wird keinem einzigen Schwerbehinderten ein Rentenanspruch oder sonst irgendetwas weggenommen. Das
wollte ich nur richtigstellen.
({2})
Herr Staatssekretär, Sie können davon ausgehen, dass ich mich kundig gemacht habe,
bevor ich so etwas sage. Ich verweise Sie auf die Drucksache 14/8530 des Deutschen Bundestages. Es handelt
sich um den Bericht des Haushaltsausschusses, der unter
anderem diesen Vorgang, der zwischen uns beiden gerade
ausgehandelt wird, einbezieht. Die Oppositionsfraktionen
haben bei der Behandlung des Problems geschlossen
nicht teilgenommen, weil es genau darum ging.
Mir ist es im Prinzip völlig egal, wofür Sie die Mittel
verwenden. Mir ist es aber nicht egal, dass diese Mittel
aus dem Bereich der Behinderten kommen.
({0})
- Frau Präsidentin, habe ich das Wort? Es gibt ein Sprichwort, wonach diejenigen, die geschlagen werden, bellen.
Liebe Kollegen von der Regierungskoalition, ich versuche Ihnen sachlich meinen Standpunkt zu beschreiben
und Ihnen zu sagen, welcher Hintergrund besteht. Es sind
Fachleute, die sich mit dem Problem beschäftigt haben.
Wenn Sie es dann immer noch nicht glauben, lesen Sie
doch den Nachsatz, wonach der Einsatz der Mittel in der
Finanzplanung für die Folgejahre fortgeschrieben wird.
Sie wissen doch noch gar nicht, was Sie in den Folgejahren verausgaben.
Selbst wenn es so sein sollte: In eine solche Maßnahme
die Behinderten einzubeziehen, deren Situation Sie eigentlich mit einem Sonderprogramm verbessern wollten,
das bis zum Oktober 50 000 Arbeitsplätze für diese
Gruppe schaffen soll, also mit dieser Regelung ein solches
negatives Signal auszusenden, das sollten Sie sich wirklich noch einmal ganz genau überlegen. Ich weiß nicht, ob
das Parlament das so machen sollte.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Franz Thönnes.
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Grehn, ich
will gar nicht großartig darauf eingehen, sondern Sie nur
darauf hinweisen, dass die Kommission Mitte August ihre
Arbeit beendet haben wird, während Sie mit Folgejahren
argumentieren. Nur damit darüber Klarheit herrscht!
({0})
Ich spreche das nur an, damit Klarheit darüber herrscht.
({1})
Bei diesem Gesetzentwurf wird sehr deutlich, dass die
Bundesregierung genauso zügig, wie sie nach dem Bericht des Bundesrechnungshofs gehandelt hat, einen
wichtigen Reformprozess für die Spitze der BA und für
den Bereich der Vermittlung angestoßen hat. Dieser Prozess bringt erstens mehr Rechte und Verantwortung, zweitens mehr Freiheit und mehr Wettbewerb und drittens
mehr Chancen und Perspektiven. Das bedeutet auch weniger Verwaltung und Bürokratie. Ich bin fest davon überzeugt, dass es letztlich auch weniger Arbeitslose und mehr
Beschäftigung in Deutschland bedeuten wird.
({2})
Wir halten an dem Grundsatz unserer Arbeitsmarktpolitik fest: Fördern und fordern. Derzeit steht der größte
Umbauprozess bei einer Behörde in der deutschen Geschichte an. Er muss nach einem vernünftigen Leitbild erfolgen. Dienstleistung im Wettbewerb, Konzentration
auf die Kernaufgaben - nämlich die Stärkung der Vermittlung -, ein modernes Management und eine hohe
Leistungsfähigkeit, wenn es darum geht, Menschen wieder in Arbeit zu bringen, stehen dabei im Vordergrund.
An die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der
Arbeitsverwaltung gewandt, sage ich ausdrücklich: Wir
wollen diesen Prozess mit den engagierten, innovativen
Beschäftigten gemeinsam gestalten, ihre Erfahrungen in
die Arbeit einbeziehen, und zwar so, dass deutlich wird:
Reformprozesse macht man mit den Menschen und nicht
gegen sie.
({3})
Die Arbeitslosen erhalten - das ist bereits angesprochen worden - in der ersten Stufe, nach drei Monaten, einen Gutschein. Er ermöglicht eine freie Auswahl bei den
privaten Vermittlern und bei den Arbeitsämtern. Die
Betroffenen können sich entscheiden, an wen sie sich
wenden. Die eigene Aktivität wird gefördert und gestärkt.
Es bleibt dabei: Wenn man nach sechs Monaten noch
nicht vermittelt worden ist, besteht ein Rechtsanspruch
darauf, dass die Arbeitsverwaltung einen Dritten mit der
Vermittlung beauftragt. Das bedeutet mehr Rechte und Eigenverantwortung im System.
Wir bieten den Privaten eine neue Chance hinsichtlich
ihrer Möglichkeiten am Markt. Das Monopol für die Arbeitsvermittlung und die Anwerbung im Ausland wird
aufgehoben. Dritte und Weiterbildner werden bei der Vermittlung stärker mit einbezogen. Es gibt einen freien
Markt für die Vermittler. Wenn wir das Gesetz heute beschließen, bedeutet das einen Erfolg für mehr Freiheit und
für mehr Wettbewerb im System.
({4})
Jetzt wird es auf das Zusammenwirken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Arbeitsamt mit den Privaten
ankommen. In 181 Arbeitsämtern sind mit dem JobAQTIV-Gesetz zusätzlich 3 000 Vermittler hinzugekommen. Im Bereich der privaten Arbeitsvermittlung sind
6 000 Unternehmen angemeldet und genehmigt.
Was die von Ihnen geforderten Vorschriften angeht,
wundert mich Ihre Regulierungswut in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Laumann.
({5})
Ich gehe nach der von uns beabsichtigten Regelung davon
aus, dass die Verbände gemeinsam mit der Bundesregierung in nächster Zeit zur Förderung eines qualitätsorientierten Wettbewerbs über Qualitätsstandards sprechen
und Zertifizierungsregelungen treffen werden.
({6})
Das bedeutet: Wenn die 9 000 zusätzlichen Vermittler
auf dem Markt zur Vermittlung von Arbeitslosen tätig
werden, können die 1,4 Millionen freien Stellen schnell
mit den Arbeitslosen bzw. den Arbeitsuchenden zusammengebracht werden. Arbeitslose haben also mehr Chancen, eine neue Beschäftigung zu bekommen.
Die Kommission wird die Aufgabe haben, in einer
zweiten Stufe sehr intensiv den Reorganisierungsprozess
der Bundesanstalt für Arbeit vorzubereiten. Konzentration auf die Kernbereiche bedeutet: Arbeits- und Ausbildungsstellenvermittlung, Berechnung und Auszahlung
der Lohnersatzleistungen und aktive Arbeitsmarktpolitik.
Dieser Prozess kann in der Tat nicht schnell erfolgen, sondern dafür soll der Sachverstand der 15 Personen, die
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik repräsentieren, aktiv
genutzt werden.
({7})
Im Zentrum werden Vermittlung und Beratung stehen. Dezentralisierung und Vor-Ort-Entscheidungen werden einen wichtigen Gradmesser darstellen. Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe soll so
erfolgen, dass die Organisationsstrukturen erheblich reformiert werden mit dem Ziel, Arbeitslosenhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose möglichst schnell in Beschäftigung zu bringen und Information und Beratung aus
einer Hand anzubieten. Das wird weniger Verwaltung und
Bürokratie bedeuten. Das wird auch ein Erfolg dieses Gesetzes sein.
({8})
Noch eine abschließende Bemerkung: Es ist gesagt
worden, dass 1,6 Millionen Menschen kein Recht auf
Vermittlungsgutscheine hätten.
({9})
Das stimmt zwar. Aber das heißt doch nicht, Herr Grehn,
dass sich niemand um die Vermittlung dieser Menschen
kümmern wird. Das heißt vielmehr, dass die Arbeitsämter
in Zusammenarbeit mit den Sozialhilfeträgern auch in
Zukunft genauso aktiv wie in der Vergangenheit daran arbeiten werden, dass diese Menschen schnell in neue Beschäftigungsverhältnisse kommen. Wofür haben wir denn
das Projekt MoZArT aufgelegt? Welche Chancen und
Möglichkeiten haben denn die Städte und die Kommunen
nach dem Bundessozialhilfegesetz, Menschen zu beschäftigen? Niemand muss zuzahlen! Lügen Sie die Menschen nicht an! Bei den Grenzen für das Vermittlungshonorar, die wir gesetzt haben, handelt es sich um
Schutzgrenzen, damit nicht mehr gefordert werden kann.
Sagen Sie den Menschen die Wahrheit!
({10})
Im Klartext: Die finanziellen Obergrenzen bedeuten Sicherheit im Wandel. Dies wird dadurch erreicht, dass für
die unteren Bereiche eine Obergrenze von 1 500 Euro und
für die oberen Bereiche eine Obergrenze von 2 500 Euro
gesetzt wird. Wir verhindern damit Rosinenpickerei und
sichern mit der Zertifizierung der Angebote die Qualitätsstandards.
({11})
Warum kritisieren Sie auf einmal das Tempo, das wir
hier vorlegen? Vor zwei, drei Wochen haben Sie noch behauptet, es fänden keine Reformen mehr statt. Statt Zögern und Zaudern, statt Kappen und Kürzen wird nun mit
hohem Tempo ein vernünftiges Reformwerk in den Bundestag eingebracht. Wir werden uns dabei von Ihnen nicht
ausbremsen lassen. Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis!
({12})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Meckelburg.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf - das, um was es eigentlich geht, ist
ein bisschen versteckt worden; wer erwartet denn schon
hinter dem Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung
der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat
einen solchen Anhang; vielleicht erklärt das auch, warum
manche gar nicht gemerkt haben, was dort versteckt worden ist
({0})
- ist ein Dokument des Scheiterns von Rot-Grün bei der
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Sie gaukeln nur
Handlungsfähigkeit vor. In Wahrheit ist das, was Sie heute
verabschieden, ein hektisch zusammengezimmertes Notprogramm für das Wahljahr 2002, wofür das Wort „Programm“ eigentlich noch zu gut ist.
({1})
Herr Staatssekretär Andres, besonders Sie sind in Aktionismus verfallen. Denken Sie daran: Sie sind der letzte
Schutzschild, den der Arbeitsminister noch hat. Denn sein
Verbindungsmann zur Bundesanstalt für Arbeit, der
entweder nicht aufgepasst hat, als es um die Vermittlung
ging, oder der etwas nicht weiter vermittelt hat oder der
nur so getan hat, als ob er nicht wüsste, was ihm weiter
vermittelt worden ist, ist ja geschasst worden. Sie sind
also der Letzte, der mit Inbrunst Verteidigungsreden hält.
Sie selber sollten einmal darüber nachdenken, in welcher
Position Sie sich eigentlich befinden. Bisher kann ich nur
Aktionismus erkennen.
({2})
Ich möchte nun das bewerten, was Sie in dieser Legislaturperiode gemacht haben. Hinsichtlich der Reform der
Arbeitsförderung haben Sie 1999 ein kleines Vorschaltgesetz verabschiedet, mit dem Sie Dinge gemacht haben, die
wir schon vorbereitet hatten. Dabei haben Sie auch zwei
oder drei falsche Maßnahmen getroffen. Für 2000 hatten
Sie eine große SGB-III-Reform angekündigt. Passiert ist
allerdings nichts. 2001 legte die Koalition endlich etwas
auf den Tisch, nämlich das Job-AQTIV-Gesetz. Der
Name klingt zwar großartig. Aber der Inhalt ist es nicht;
denn Sie machen eigentlich nichts anderes, als die Arbeitsförderung auf das reine Vermitteln zu reduzieren.
Damit komme ich auf einen Kernpunkt zu sprechen,
der mich sehr stutzig macht: Mir ist angesichts der Tatsache, dass Sie monatelang über das Thema Vermittlung im
Zusammenhang mit dem Job-AQTIV-Gesetz diskutiert
haben, völlig schleierhaft, warum erst durch die Prüfung
des Bundesrechnungshofes die Fehler bei der Erhebung
der Vermittlungsstatistik bekannt geworden sind. Entweder haben Sie - theoretisch - schludrig gearbeitet oder Sie
haben bestimmte Dinge nicht zur Kenntnis genommen.
Ich ärgere mich jedenfalls fürchterlich, dass Sie im Januar
und Februar dieses Jahres so getan haben, als hätten Sie
den Stein der Weisen gefunden. Man muss klar und deutlich sagen: Das, was Sie hier machen, ist relativ kurzfristig gedacht und nur auf das Wahljahr ausgerichtet. Es handelt sich um keine langfristige Strategie, sondern nur um
Hektik und Aktionismus.
({3})
Sie haben bei all den Reformschritten wichtige Punkte
außer Acht gelassen. Rot-Grün hat sich bis zu diesem
Januar nicht um die schon lange anstehende Strukturreform der Bundesanstalt für Arbeit gekümmert. RotGrün hat sich bisher nicht um die Stärkung der privaten
Vermittlung gekümmert. Sie haben sich nicht um mehr
Wettbewerb und Effektivität in der Arbeitsmarktpolitik
gekümmert. Ihr großes Gesetz hat all das gar nicht hergegeben.
({4})
Sie machen im Moment etwas, was Sie ursprünglich
gar nicht vorhatten. Das ist das Notprogramm, das ich gerade beschrieben habe. Sie haben auch keine Antwort auf
die Frage, wie die gesamte Arbeitsmarktpolitik stärker auf
die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet
werden kann, keine Antwort darauf, wie der Niedriglohnsektor aktiviert werden kann, keine Antwort darauf, wie
die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe wirklich aussehen soll. Bei alldem hat Ihnen der Mut
gefehlt. Sie haben keine Konzepte dazu.
({5})
Deswegen ist es umso verwerflicher, dass Sie hier jetzt
den Eindruck erwecken, als hätten Sie den Stein der Weisen und wollten etwas tun.
({6})
- Regen Sie sich nicht auf, Herr Thönnes! Sie haben doch
schon geredet. Keine zweite Rede zwischendurch!
({7})
Das Verfahren, das Sie gewählt haben, ist für alle Beteiligten, für Parlamentarier und Experten, die wir eingeladen haben, eine wirkliche Zumutung gewesen. Sie haben erst den Arbeitsminister Riester monatelang durch
den Schutzschild Jagoda abgeschirmt. Dann haben Sie
Jagoda in die Wüste geschickt und Tegtmeier hinterher.
Daraufhin hat der Bundeskanzler persönlich gesagt: Wir
machen eine große Reform. - Bundespressekonferenz
22. Februar.
({8})
- Nein, das war nicht ärgerlich. Das war höchstens für Sie
ärgerlich, weil Sie am Mittwoch der darauf folgenden Sitzungswoche nicht in der Lage waren, etwas Konkretes zur
Verabschiedung auf den Tisch zu legen. Sie wären sogar
bereit gewesen, zu einer Anhörung zu etwas einzuladen,
das es noch gar nicht gab.
Was hat stattgefunden? Es ist leider so - Frau Vorsitzende, Sie wissen es -: Sie haben zwei Wochen gebraucht.
Am letzten Freitag haben Sie etwas auf den Tisch gelegt.
An diesem Tag haben wir Experten von außerhalb für diesen Dienstag eingeladen. Dann haben Sie das, was Sie als
Koalitionsfraktionen am Freitag auf den Tisch gelegt hatten, am Mittwochmorgen in einer Sondersitzung der Fraktion um 8 Uhr noch einmal verändert, haben uns das im
Ausschuss - ich sage es einmal so deutlich - auf den Tisch
geknallt, die Beratung durchgezogen und das Gesetz im
Ausschuss verabschiedet.
({9})
Heute, zwei Tage später, findet die Schlussabstimmung
statt. - Das ist eine Zumutung! Dabei kann nur Murks herauskommen! Das ist das Ergebnis Ihrer Politik!
({10})
Dieses Verfahren ist blamabel. Es war zu wenig Zeit.
Es ist auch kein Wunder, dass die Ergebnisse, die heute zu
verabschieden sind, unbefriedigend bleiben.
({11})
Ich nenne nur drei Punkte:
Erster Punkt. Der Wert der Vermittlungsgutscheine
berechnet sich nach Ihren Vorstellungen lediglich nach
der Dauer der Arbeitslosigkeit.
({12})
Das heißt konkret: Je langsamer die Vermittlung ist, umso
höher werden die Kosten.
({13})
Zweiter Punkt. In den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit besteht selbst dann, wenn die Einschaltung eines
Privatvermittlers die Einstellung des Arbeitslosen befördern würde, kein gesetzlicher Anspruch auf einen
Vermittlungsgutschein.
Letzter Punkt. Sie gehen bei der organisatorischen Änderung der Bundesanstalt für Arbeit nicht weit genug. Der
Aufsichtsrat - Karl-Josef Laumann hat darauf hingewiesen - sollte aus unserer Sicht nur noch aus Gewerkschaftsund Arbeitgebervertretern bestehen, damit die das regeln
können, was die Arbeitslosenversicherung betrifft. Nach
dem Motto „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bilde ich
einen Arbeitskreis“
({14})
schiebt Rot-Grün die Klärung der eigentlichen Strukturreform der Bundesanstalt einer Kommission zu. Also hier
im Parlament Aktionismus, Hektik, schnelles Durchpeitschen
({15})
und die wirklichen Reformen finden in einer Kommission
statt!
Dann haben Sie noch beschlossen,
Herr Kollege,
Sie können das jetzt nicht mehr ausführen.
- dass diese
Kommission am 15. August die Ergebnisse vortragen soll.
Das ist zu durchschaubar. Das ist vier Wochen vor der
Bundestagswahl!
({0})
Bisher haben Sie für den Arbeitsmarkt eigentlich nichts
getan und dann wollen Sie ankündigen, was Sie danach
machen wollen. Sie haben vier Jahre zu wenig getan und
die Antwort werden Sie vom Wähler bekommen.
({1})
Eine Kurzintervention des Abgeordneten Grehn.
({0})
Liebe Kollegen, ich hätte
gern darauf verzichtet, wenn nicht vom Herrn Kollegen
Thönnes die Äußerung gefallen wäre, ich würde die Menschen belügen.
Herr Thönnes, ich beziehe mich auf den Entwurf in der
vom Ausschuss beschlossenen Fassung, und zwar auf
Art. 3 - Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch § 421 g Abs. 1, in dem der Anspruch auf einen Vermittlungsgutschein geregelt wird. Dies steht in Verbindung
mit dem, was in der Ausschussdrucksache 14/2201 zu
§ 296 Abs. 3 SGB III und in der dazu vorliegenden Erläuterung zu Nr. 3 nachgereicht worden ist. Ich zitiere das
gerne noch einmal:
Auch für Arbeitsuchende, die keinen Anspruch auf
einen Vermittlungsgutschein haben,
- das ist, wie schon gesagt, in § 421 g Abs. 1 geregelt sieht die Vorschrift eine Begrenzung des Honorars
vor, um sie vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme
zu schützen.
Laut Gesetzestext beläuft sich die Honorarbegrenzung auf
2 500 Euro.
Dies wollte ich Ihnen noch sagen; darauf habe ich mich
bezogen. Nach dieser Regelung gibt es Arbeitslose, die
einen Gutschein erhalten und damit bezahlen, und andere,
die die private Vermittlung in Anspruch nehmen dürfen,
aber dafür ein Honorar - das ist Ihr eigener Terminus - zu
zahlen haben, dessen Höhe Sie festgelegt haben.
({0})
Herr Kollege Grehn, jetzt haben Sie der Öffentlichkeit noch einmal sehr schön dargestellt, dass Sie nicht in der Lage sind, das gesamte Verfahren bzw. den Text des Gesetzes zu verstehen.
({0})
In der noch geltenden Gesetzeslage - das wird sich
voraussichtlich in den nächsten zehn Minuten ändern dürfen von Arbeitnehmern keine Honorare verlangt werden. Mit dem jetzigen Gesetzesvorhaben ändern wir dies.
Wir fügen eine Obergrenze, also eine Begrenzung, ein,
damit nicht ungerechtfertigt Honorarforderungen erhoben
werden können.
Damit wird nicht zum Ausdruck gebracht, dass man
zahlen muss; damit das einmal klar ist. Vielmehr ist es die
freie Entscheidung des Einzelnen,
({1})
ob er, basierend auf dem Versicherungsanspruch, den er
aufgrund seiner Ansprüche an die Arbeitsverwaltung hat,
die Hilfen und Unterstützungen der Arbeitsverwaltung in
Anspruch nimmt oder ob er sich einen privaten Vermittler
sucht.
Die Behörden, die Sozialhilfeträger sind, haben nach
dem Bundessozialhilfegesetz die Aufgabe, alles dafür zu
tun, dass die Menschen Arbeit und Beschäftigung bekommen. Das ist ein Gesetzesauftrag. Machen Sie hier in
der Öffentlichkeit den Menschen nichts anderes vor! Definieren Sie am Ende nicht noch Begrenzungen und
Schutzvorschriften als eine Regelung, bei der Menschen
etwas zahlen müssen! Das stimmt nicht!
({2})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Brandner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich
zum Ersten ein Wort an Herrn Meckelburg richten. Herr
Meckelburg hat gesagt, wir würden etwas verstecken.
Herr Meckelburg, ich sage Ihnen: Wir verstecken nichts.
Wir haben etwas zum Vorzeigen.
({0})
Zum Zweiten wurden heute mehrfach Hinweise auf die
PISA-Studie gemacht. Nun wissen wir, mit welcher Debatte wir es zu tun haben: Sie bringen die geistigen Qualifikationen in diesem Land in Zusammenhang mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf. Ich sage Ihnen: Dadurch,
dass Sie diesen Gesetzentwurf mit dem Hinweis auf die
PISA-Studie kritisieren, zeigen Sie, dass Sie angesichts
der Geschwindigkeit, in der wir Gesetzentwürfe erarbeiten und damit die Situation der Menschen in diesem
Lande verbessern, nicht in der Lage sind, mit uns mitzuhalten. Sorgen Sie dafür, dass durch Ihre Reaktionen auf
die Ergebnisse der PISA-Studie auch in Ihren eigenen
Reihen die Argumentationsfähigkeit aufgebaut wird, die
nötig ist, um unserer Geschwindigkeit Folge leisten zu
können.
({1})
Die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat ist zwar, wie wir alle wissen, kein in der Öffentlichkeit intensiv diskutiertes Thema, aber gleichwohl
für die Wirtschaft von erheblicher Bedeutung. Mit diesem
Gesetz leisten wir das, was Sie an anderer Stelle einfordern, nämlich eine Entbürokratisierung. Wir vereinfachen
und beschleunigen und bewirken damit einen deutlichen
Fortschritt in diesem Land bei der Durchführung von Aufsichtsratswahlen.
Weit über die Koalition hinaus ist Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf deutlich geworden. Wirtschaft und
Gewerkschaften sind sich einig. Durch die Vereinfachung
des Wahlverfahrens und die Verringerung der Zahl der
Vertreter in Delegiertenversammlungen im Rahmen von
Aufsichtsratswahlen werden in einem erheblichen Umfang Kosten eingespart.
Der zweite Teil unseres Gesetzes berücksichtigt die
Reform der Arbeitsvermittlung. Dabei bleibt festzuhalten, dass es dagegen keine inhaltlichen Einwände gibt,
wie es auch heute Morgen in der Debatte deutlich geworden ist. Union und FDP haben nur aus formalen Gründen
dagegen gestimmt.
({2})
- Das ist nicht überzeugend.
({3})
Natürlich haben wir die Verfahrensmöglichkeiten voll
ausgeschöpft. Das war jedoch nicht gegen die Opposition
gerichtet, sondern es ist im Interesse der Sache notwendig
gewesen. Für die konstruktiven Beiträge, die Sie innerhalb des parlamentarischen Verfahrens geleistet haben,
möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken.
Die kurzfristigen Änderungsanträge sind im Übrigen
eine Folge der Anhörung. Sie sind ein Beleg dafür, dass
wir eine konkrete Beteiligung der Opposition an dem Gesetzgebungsverfahren ermöglicht haben. Sie haben sich
im Interesse der Sache an diesem Verfahren beteiligt. Ich
kann Sie heute nur auffordern, im Interesse der Beschäftigten in den Arbeitsämtern dafür zu sorgen, dass die Reform der Arbeitsverwaltung gemeinsam vorangetrieben
wird. Deshalb bitte ich Sie: Beharren Sie nicht weiter auf
Prinzipien, sondern senden Sie das Signal aus, dass die
dringend notwendigen Reformen der Arbeitsverwaltung
durch ein gemeinsames Votum dieses Hauses nach vorne
gebracht werden.
({4})
In diesem Zusammenhang habe ich wenig Verständnis
dafür, dass die CDU/CSU-Fraktion quasi ein Amt für die
Zulassung privater Vermittler beantragt. Von der PDS
hätte ich einen solchen Antrag, der eine Überbürokratisierung beinhaltet, erwartet, von Ihnen aber nicht.
({5})
Es war uns wichtig, dass dieses Gesetz voll auf der Linie von Job-AQTIV liegt.
({6})
Schon heute haben über 2 Millionen Arbeitslose einen
Rechtsanspruch auf private Arbeitsvermittlung. Schon
heute ist im Gesetz die Evaluierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente festgeschrieben. Mancher
wird sich noch über die Ergebnisse wundern. Die aktive
Arbeitsmarktpolitik ist auf einem guten Weg.
Das wichtigste Instrument ist und bleibt die Arbeitsvermittlung. Hier korrigieren wir nicht die Reform; aber
wir beschleunigen sie. Arbeitsminister Walter Riester hat
auf die entsprechenden Berichte des Bundesrechnungshofs schnell, energisch und sorgfältig reagiert. Das zeichnet ihn aus. Hier lassen wir uns von der Opposition nicht
ausbremsen - das ist ein durchsichtiges Manöver -, sondern wir beschleunigen einen notwendigen Prozess im Interesse der Arbeitslosen in unserem Land.
({7})
Mit dem neuen Vorstand wird hoffentlich ein Ruck - so
hat es der Altbundespräsident Roman Herzog einmal bezeichnet - durch die Arbeitsämter gehen.
({8})
Er ist auch notwendig. Schon im Job-AQTIV-Gesetz
ist das Leitmotiv „nicht privat oder öffentlich, sondern
privat und öffentlich“, also zum einen basierend auf
Kooperation und zum anderen basierend auf Wettbewerb,
verankert. Wir erleichtern die Arbeit der privaten
Arbeitsvermittlungen und stärken gleichzeitig die
öffentliche Arbeitsvermittlung. Ziel ist schließlich eine
schnelle Vermittlung, egal durch wen.
Ein Musterbeispiel für die sinnvolle Zusammenarbeit
ist die Arbeitsvermittlung durch die Bildungsträger. Das
ist ein wichtiger Baustein des Job-AQTIV-Gesetzes. Die
Bildungsträger kennen den Markt für bestimmte Qualifikationen und auch die Bewerber sehr gut. Die aus NRW
stammenden Beispiele - man konnte sie heute in den Tageszeitungen nachlesen - belegen,
({9})
dass diese Art von Arbeitsvermittlung, nämlich Qualifizierung in Verbindung mit Vermittlung, ein erfolgreicher
Weg ist. Immerhin können noch 1,2 Millionen offene
Stellen in diesem Lande besetzt werden. Den Arbeitsmarkt mehr in Bewegung zu bringen ist das Ziel dieses
Gesetzes, das wir erfolgreich erreichen werden.
Es gibt keinen Grund zur Resignation. Im kommenden
Aufschwung wird die Arbeitsvermittlung erst recht wichtige Beiträge für die Besetzung freier Arbeitsplätze liefern.
({10})
PrivateArbeitsvermittlungen können vor allen Dingen dort
helfen, wo Spezialkenntnisse erforderlich sind und wofür
bei der breit angelegten öffentlichen Vermittlung nicht sofort die Voraussetzungen geschaffen werden können.
Ich will dazu als Beispiel den überschuldeten Arbeitslosen nennen. Verschuldungsprobleme sind, wie wir wissen, ein gravierendes Vermittlungshemmnis. Alle Vermittler darauf zu schulen wäre - ohne Frage - nicht
effizient. Hier ist nur in Kooperation mit der Schuldnerberatung etwas zu erreichen. Die Einbeziehung Dritter ist
wirkungsvoller, als die Arbeitsvermittler des Arbeitsamtes entsprechend zu schulen.
Hierfür haben wir mit dem Job-AQTIV-Gesetz bereits
wichtige Voraussetzungen geschaffen; denn der Rechtsanspruch auf Vermittlung durch Dritte, also Externe,
besteht in diesen Fällen bereits ab dem ersten Tag der
Arbeitslosigkeit. Dies zeigt, dass wir eine schnelle
Arbeitsvermittlung wollen und dass wir das Profiling systematisch einsetzen. Dies zeigt aber auch, dass die
Beiträge seitens der PDS, die in diesem Land den Eindruck erwecken will, als sei Arbeitsvermittlung zukünftig
nur noch gegen Bezahlung möglich, völliger Quatsch
sind. Hören Sie auf mit dieser Verunsicherung! Arbeitslose müssen nicht zahlen; sie haben einen Rechtsanspruch
auf die Bestellung Dritter ab dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit, wenn dies notwendig ist. Genau das sieht das
Job-AQTIV-Gesetz vor.
({11})
Das wäre ein
schöner Schlussatz, Herr Kollege; denn Sie haben Ihre
Redezeit überschritten.
Mit diesem Gesetzentwurf
stärken wir die Vermittlungsaktivitäten in diesem Land
und sorgen wir dafür, dass die Arbeitsvermittlung im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten der Bundesanstalt für
Arbeit in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt wird.
Das wird ein erfolgreicher Prozess sein und ich hoffe, dass
er durch uns alle in diesem Haus unterstützt wird.
({0})
Ich schließe da-
mit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ver-
einfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den
Aufsichtsrat. Der Abgeordnete Seifert hat eine schrift-
liche Erklärung zur Abstimmung abgegeben, die wir zu
Protokoll nehmen.1)
Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt
unter Buchstabe a) seiner Beschlussempfehlung, den Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Die
Fraktion der CDU/CSU verlangt getrennte Abstimmung.
Ich rufe also zunächst Art. 1 und Art. 2 sowie Einlei-
tung und Überschrift in der Ausschussfassung auf. Ich
bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1
und Art. 2 sowie Einleitung und Überschrift sind mit den
Stimmen des ganzen Hauses bei Enthaltung der FDP an-
genommen worden.
Nun rufe ich Art. 3 bis Art. 21 in der Ausschussfassung
auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Art. 3 bis Art. 21 sind mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition
angenommen worden. Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zustim-
men wollen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltun-
gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der gesamten Opposition angenommen worden.
Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt
unter Buchstabe b) seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/8529, eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS bei Ent-
haltung von CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther
Friedrich Nolting, Hildebrecht Braun ({0}),
1) Anlage 2
Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Einsatzdauer von Soldaten bei Friedensmissionen verkürzen - Rahmenbedingungen verbessern
- Drucksache 14/7159 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({1})
Auswärtiger Ausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Günther
Friedrich Nolting, Hildebrecht Braun ({3}),
Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Begrenzung der Einsatzdauer von Soldaten bei
Friedensmissionen
- Drucksachen 14/1307, 14/2841 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Zumkley
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Günther
Friedrich Nolting, Jörg van Essen, Dirk Niebel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Einsatzdauer von Soldaten bei Friedensmissionen verkürzen - Rahmenbedingungen verbessern
- Drucksachen 14/4536, 14/6684 Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Zumkley
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sieben Minuten erhalten soll. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Günther Nolting.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die Stehzeit von sechs Monaten im Einsatz findet weiterhin nur geringe Akzeptanz.
({0})
Das ist nicht nur die Meinung der FDP-Bundestagsfraktion, das ist der Originalton des Beauftragten für Erziehung und Ausbildung beim Generalinspekteur der Bundeswehr in seinem Jahresbericht 2001. General Löchel
hat Recht.
({1})
Diese Erkenntnis ist keineswegs neu. Dennoch wurde
die Dauer der Einsätze nicht auf vier Monate zurückgeführt. Die Meinung der Soldaten, also der Betroffenen, ist
dem Verteidigungsminister offenkundig gleichgültig.
Minister Scharping ist beratungsresistent.
Brigadegeneral Löchel bemängelt in seinem Bericht
wiederholt die abnehmende Attraktivität des Soldatenberufes. Dies wird festgemacht an abnehmender Sinnhaftigkeit des Dienens, unzureichender Berufsperspektive, fehlender Planungssicherheit, mangelhafter
Information und eben der Aussicht, in regelmäßigen Abständen für sechs Monate in den Einsatz gehen zu müssen.
Bei allen Einsätzen der Bundeswehr, wie komplex und
lang andauernd sie auch sein mögen, muss das Wohl der
Soldaten und deren Familien im Mittelpunkt stehen.
({2})
Der Mensch muss absoluten Vorrang haben. Die Gesundheit und das Wohl der Soldaten und ihrer Familien sind ein
hohes Gut, das nicht eingeschränkt oder gar aufgegeben
werden darf.
({3})
Die Angehörigen der Bundeswehr befinden sich in einem absoluten Stimmungstief, angefangen bei den Rekruten bis hin zur Generalität, die zivilen Mitarbeiter eingeschlossen. Das ist nicht nur mein Eindruck, gewonnen
aus einer Vielzahl von Truppenbesuchen und unzähligen
Gesprächen; vielmehr gibt dies auch der Bericht von General Löchel wieder. Wie anders soll man folgende Feststellung verstehen:
Eine allgemeine Ernüchterung, vor allem wegen der
nicht eingehaltenen Versprechungen zur Steigerung
der Attraktivität des Soldatenberufes, war überall
deutlich zu spüren.
({4})
General Löchel schreibt weiter:
Der politischen Leitung wird mit starken Vorbehalten
begegnet.
({5})
Dies ist die höfliche Umschreibung der totalen Frustration
der Bundeswehrangehörigen und es ist eine schallende
Ohrfeige für Bundesminister Scharping.
({6})
Das Urteil der Soldaten ist logisch und richtig. Die zunehmend nicht nachvollziehbaren Handlungen und Entscheidungen dieses Verteidigungsministers lassen keinen
anderen Schluss zu.
({7})
Ist denn die Kritik des Vorsitzenden des Deutschen
Bundeswehr-Verbandes eigentlich unberechtigt?
({8})
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Hat Oberst Gertz nicht Recht? Minister Scharping ist
nicht in der Lage, die Bundeswehr zu führen.
({9})
Er ist ohne Durchsetzungskraft. Dazu wird er vom Finanzminister, vom Kanzler und von seiner eigenen Partei
allein gelassen.
({10})
1999 hat Minister Scharping vollmundige Versprechungen gemacht und Hoffnungen bei den Soldaten der
Bundeswehr geweckt. Was wollte er nicht alles verbessern?! 2000 war dann das Jahr der Ernüchterung, 2001 das
Jahr der Enttäuschung und mittlerweile hat das Jahr der
Abstrafung begonnen.
({11})
Da der Verteidigungsminister offenkundig nicht die Courage besitzt zurückzutreten und der Bundeskanzler nicht
die Kraft zu seiner Entlassung hat, bleibt die Abstrafung.
Die Wähler werden am 22. September die Quittung für
vier Jahre Stümperei und Unfähigkeit ausstellen.
({12})
Die sechsmonatige Einsatzdauer ist nur ein Beleg - es
ist nicht der einzige, aber der entscheidende - für die zunehmende Berufsunzufriedenheit bei den Soldaten; die
geplante Kürzung des Auslandsverwendungszuschlages
für im Kosovo und in Mazedonien eingesetzte Soldaten
ist ein weiterer.
({13})
Vorgestern schrieb mir ein Bundeswehrkommandeur,
dass die Soldaten seines Verbandes diese Absicht des Ministers mit Betroffenheit und Unverständnis zur Kenntnis
genommen haben. Der Kommandeur schrieb:
Dies stellt einen nicht zu unterschätzenden Beitrag
zum zunehmenden Vertrauensverlust in die Politik
und deren Glaubwürdigkeit dar! Derartig einseitige
Maßnahmen werden ... nicht ohne Auswirkungen auf
die Motivation und Haltung gegenüber der obersten
politischen Führung bleiben.
({14})
Damit nicht genug: Es gibt eine Unzahl ähnlicher
Punkte. Hier nur eine kleine Auswahl: Besoldungsunterschied Ost/West - nichts passiert; zunehmender Beförderungsstau; mangelnde Flexibilität in Personal-,
({15})
Versetzungs- und Fürsorgefragen; desolate Materiallage
und mangelhafter Einsatz von Grundwehrdienstleistenden. Kann das Urteil Wehrpflichtiger etwa blamabler
sein, als dass sie ihren Wehrdienst als „Leerlauf“, als ein
mit „Beschäftigungstherapien“ angereichertes „Rumdümpeln“ bezeichnen? Auch dies können Sie im Bericht
von General Löchel nachlesen.
({16})
Frust entdeckt man überall in der Bundeswehr, wohin
man schaut. Das ist berechtigt und verständlich. Nur der
zuständige Minister will den Zustand nicht wahrnehmen.
Er redet unverändert schön.
({17})
Der Verteidigungsminister attestiert dem schwer kranken Patienten Bundeswehr beste Gesundheit, obwohl sein
Beauftragter für Erziehung und Ausbildung feststellt, dass
in der Truppe die Entwicklung der Streitkräfte allgemein
mit großer Sorge betrachtet wird.
Wir haben also absoluten Stillstand in der Bundeswehr.
Nichts geht mehr, nicht einmal die gebotene Verkürzung
der sechsmonatigen Einsatzdauer. Dieser Minister wird
von den ihm unterstellten Angehörigen der Bundeswehr
nicht mehr ernst genommen. Das ist ein unzumutbarer Zustand.
({18})
Der Bundeskanzler muss zum Wohl der Bundeswehr handeln. Auch die deutsche Reputation im Ausland steht auf
dem Spiel. Sie, meine Damen und Herren, können hier
heute Abhilfe schaffen: Stimmen Sie den Anträgen der
FDP zu!
Vielen Dank.
({19})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Johannes Kahrs.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Sozialdemokrat
möchte ich für meine Partei vorweg bekräftigen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten im Ausland einen hervorragenden Dienst verrichten.
({0})
Sie tun dies unter außergewöhnlich hohen Belastungen;
die tragischen Ereignisse in Afghanistan, aber auch in der
Ostsee und gerade gestern in Hamburg, im so genannten
Friedensbetrieb, haben uns das schmerzhaft vor Augen
geführt. Sie tun dies auch unter Einsatz ihres Lebens.
Als Sozialdemokrat und Major der Reserve ist es mir
eine Verpflichtung, von hier aus ein Wort an meine Kameraden, an die zivilen Angestellten und insbesondere an
die Angehörigen und Freunde zu richten. Ihnen allen gebührt unser Respekt und unsere Hochachtung, den vom
Unglück betroffenen Angehörigen unser tiefes Mitgefühl.
Wir alle wissen um ihre hervorragenden Leistungen und
den überragenden Beitrag, den die Soldatinnen und SolGünther Friedrich Nolting
daten auf diesem Weg für unser Land leisten. Hierfür meinen aufrichtigen und herzlichen Dank.
({1})
Ich komme nun zu dem Antrag der FDP-Fraktion. Wir
kennen die Stimmung in der Truppe. Wir kennen und verstehen die Probleme der Soldaten und können sie nachvollziehen. Wir Sozialdemokraten bieten ehrliche Lösungen und versprechen nicht das Unmögliche. Wir wissen:
Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass
man sie ignoriert, Herr Nolting.
({2})
Bei der FDP vermisse ich konstruktive Kritik und weiterführende Vorschläge. Polemik und billiger Populismus ersetzen kein fehlendes Konzept. Die FDP zeigt keine weiterführenden Wege auf. Sie versperrt sich den Fakten. Es
sind aber diese Fakten, die den Großteil der Soldaten von
der Notwendigkeit eines sechsmonatigen Einsatzes überzeugt haben.
({3})
Ich weise Sie in diesem Zusammenhang auf den Bericht
des Wehrbeauftragten - Sie sollten ihn einmal lesen - hin,
in dem steht: „Kritik wird weniger im Hinblick auf die militärische Notwendigkeit geäußert“, es werden eher mehr
Flexibilität und mehr Freiräume eingefordert. Genau dem
kommen wir nach;
({4})
denn im Zweifel, Herr Nolting, entscheidet immer die
Wirklichkeit.
Um Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, ein
Verständnis für die Fakten zu ermöglichen, werde ich Ihnen diese im Rahmen einer kleinen Weiterbildung gerne
noch einmal vortragen. Auslöser für unsere Entscheidung,
die Einsatzdauer ab dem Jahr 2000 auf sechs Monate zu
verlängern, war das verstärkte Engagement der Bundesrepublik Deutschland auf dem Balkan. Das von uns eingeführte Kontingentsystem garantiert dem Soldaten in
der Zielstruktur grundsätzlich eine Stehzeit von zwei Jahren in Deutschland.
Da das Heer die Hauptlast der Einsätze zu tragen hat, beziehen sich die heutige Debatte und die Zahlen auch in erster Linie auf diese Teilstreitkraft. Herr Nolting, man sollte
hier in der Sache diskutieren und nicht über alle anderen
Punkte, die einem bei der Bundeswehr sonst noch auffallen. Das geht selbst an Ihrem Antrag vorbei. Zwei Drittel
Ihrer Redezeit hatten mit Ihrem Antrag nichts zu tun.
({5})
- Herr Breuer, Sie wissen doch: Je größer und hohler die
Glocke, um so lauter ihr Klang.
Das Kontingentsystem überträgt jeweils einer der fünf
Divisionen die Verantwortung für Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung jeweils eines Einsatzes. Bei
fünf Divisionen ergibt sich somit ein sechsmonatiger Einsatz und ein Dienst von zwei Jahren in Deutschland. Wenn
Sie entsprechend nachrechnen, dann ergibt fünfmal ein
halbes Jahr zweieinhalb Jahre. Bis in das Jahr 2004 weiß
schon jetzt jede Einheit, wann sie für einen Einsatz vorgesehen ist, was allen Beteiligten eine erhebliche Planungssicherheit gibt und auch im Sinne der Soldaten ist.
Zurzeit gibt es jährlich zwei Kontingente mit jeweils
circa 8 400 Soldaten des Heeres im Einsatz: 7 200 Soldaten auf dem Balkan, 350 Soldaten im Rahmen von „Enduring Freedom“ und 850 Soldaten in Afghanistan. Weitere
18 000 sind durch Vor- und Nachbereitung gebunden. In
der Summe bindet unser Konzept jeweils circa 26 000 Soldaten pro Halbjahr bzw. Einsatz.
So, meine Damen und Herren von der FDP, das sind
erst einmal die reinen Fakten. Nun nehmen wir vor diesem Hintergrund noch einmal Ihren Antrag in die Hand
und unterziehen ihn mit diesem Wissen einer erneuten
Prüfung: Was würde passieren, wenn wir Ihren Vorschlag
aufgreifen? Bei Umsetzung Ihres Modells benötigten wir
pro Jahr drei Kontingente. Das hieße aber auch, dass künftig drei statt derzeit zwei Divisionen pro Jahr im Einsatz
wären. Um dann auch noch die von Ihnen geforderte Stehzeit von mindestens 20 Monaten in Deutschland zu realisieren, müsste man eine weitere Division aufstellen. Eine
Verkürzung der Stehzeit liegt, wie ich glaube, weder in
Ihrem Sinne, Herr Nolting, noch in dem der Soldaten. Da
die Aufstellung neuer Divisionen entfällt, ergibt sich bei
Ihrem Konzept ein Aufenthalt der Soldaten in Deutschland je nach Truppengattung von nur noch einem Jahr bis
maximal 16 Monaten zwischen den Einsätzen. Erklären
Sie einmal den Soldaten im Ausland, dass es nach einem
oder eineinviertel Jahr wieder ins Ausland geht! Das ist
unverantwortlich.
({6})
Sie, Herr Nolting, überschreiben Ihren Antrag mit den
Worten „Rahmenbedingungen verbessern“. Dem stimmen
wir zu.
({7})
Verbessern Sie die Rahmenbedingungen für die Soldaten
und unterlassen Sie solche Anträge! Dumm und unsinnig
in der Sache.
Würde man Ihrem Konzept folgen, dann müssten die
gesamten Planungen bis in das Jahr 2004 - jetzt steht
schon die Ausbildungsorganisation fest, jetzt sind schon
die Einheiten informiert - über den Haufen werfen. Keine
Planungssicherheit für niemanden - nicht finanzierbar
und verantwortungslos. Das ist das Konzept der FDP. Wir
Sozialdemokraten hingegen orientieren uns an den Bedürfnissen der Soldaten und an den Fakten. Das sollten
auch Sie beizeiten einmal tun.
({8})
Wir bieten realistische Kompromisse an: in der Regel
sechs Monate, aber so viele Ausnahmen wie nötig und
machbar.
({9})
Davon ist bei Ihnen nichts zu spüren. Wir hingegen sind
flexibel.
({10})
Die Spezialisten, die vorzeitig erneut in einen Einsatz
gehen müssen, weil sie unverzichtbar sind, können ihre
Einsätze splitten. Die Regelung sieht einen Einsatzzeitraum von drei Monaten vor. Im dritten Einsatzkontingent SFOR haben über 30 Prozent der infrage kommenden Zeit- und Berufssoldaten hiervon Gebrauch
gemacht. Den Kommandeuren vor Ort wurde ein größerer Handlungsspielraum für die Einteilung ihrer Kräfte
gegeben. Dies entspricht dem Grundsatz der inneren
Führung. So flexibel muss man sein, um vor Ort reagieren zu können.
({11})
Aber auch andere Möglichkeiten sind denkbar und
praktizierbar. So kann bei einigen Dienstposten mit Zustimmung der Soldaten die Versetzung für ein Jahr oder
mehr durchaus sinnstiftend gestaltet werden, das heißt
kürzer oder auch länger, je nachdem, was sinnvoll ist.
Hier muss man flexibel und offen für die Wünsche der
Soldaten sein.
Meine Damen und Herren von der FDP, Sie können
nun erneut die Sinnhaftigkeit Ihres Antrages überdenken.
Unser Modell wurde im Hinblick auf die Interessen der
Soldaten entwickelt; damit können sie sich zwei Jahre in
Deutschland aufhalten.
({12})
Wenn die neue Struktur im Jahre 2005 erreicht ist, dann
werden wir auch dies einer entsprechenden Prüfung unterziehen. Bis dahin, Herr Nolting, geben wir Ihnen die
Gelegenheit, Ihren Antrag noch einmal zu überdenken.
Deshalb lehnen wir ihn jetzt ab.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ursula Lietz.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Aufgabenspektrum der Bundeswehr hat
sich in den Jahren seit der deutschen Wiedervereinigung
stark geändert und fundamental gewandelt.
({0})
Seit Mitte der 90er-Jahre bestreiten deutsche Soldaten in
zunehmendem Maße zusammen mit ihren Verbündeten
Auslandseinsätze, inzwischen auf vier verschiedenen
Kontinenten.
Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus
wird auch in Zukunft enorme Ressourcen beanspruchen.
Diese Einsätze sind politisch gewollt, militärisch notwendig und inzwischen auch weitestgehend gesellschaftlich
akzeptiert.
({1})
Unsere Soldaten leisten dabei in einem schwierigen Umfeld einen hervorragenden Dienst zur Sicherung von Frieden und Freiheit. Dafür sind wir ihnen und ihren Familien
alle zu tiefstem Dank verpflichtet.
({2})
Wir wissen aber - ganz aktuell sehr gewiss -, dass dieser Dienst ein schwerer ist, dass er mit großen Risiken und
Gefahren verbunden ist. Das hat uns der Raketenunfall in
Kabul sehr deutlich gezeigt. Ich denke, man muss wissen,
wofür man verantwortlich ist, wenn man solche Entscheidungen trifft.
Wir haben eben schon gehört, wie viele Bundeswehrsoldaten im Moment in den verschiedensten Einsätzen sind: über 9 500 insgesamt, 7 000 auf dem Balkan,
weitere 1 000 in Afghanistan, 1 500 im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“ in Afrika, im Nahen Osten, in
Zentralasien und in Nordamerika.
Dieser größeren Mitverantwortung Deutschlands in
der Welt aber ist die politische Führung der Bundeswehr
in keiner Weise gerecht geworden.
({3})
Der außen- und der sicherheitspolitische Anspruch
Deutschlands als bevölkerungsstärkstem Land Europas
steht in krassem Widerspruch zu dem Zustand, in dem die
Bundeswehr im Moment ist. Die Stimmung in der Bundeswehr ist nicht gut, ja, sie ist schlecht, wie wir alle dem
Bericht des Wehrbeauftragten - der einmal Ihrer Fraktion
angehört hat, Herr Zumkley - entnehmen können.
Gleiches sagt der Bericht des General Löchel, der erst
einmal in den Schubladen des Generalinspekteurs verschwand, als er diesem überreicht wurde.
({4})
Gleiches sagt auch der ehemalige Befehlshaber der
NATO-Truppen im Kosovo, General Klaus Reinhardt. Er
spricht von einer tiefen Verunsicherung.
Ähnliches - auch Sie hören das, liebe Kollegen von der
SPD - wird Ihnen immer berichtet, wenn Sie Truppenbesuche machen.
({5})
Mittlerweile sind wir so weit, dass selbst höhere Dienstgrade im Beisein ihrer Soldaten Bemerkungen über den
Verteidigungsminister machen, die vor einigen Jahren
noch nicht möglich gewesen wären.
({6})
Schuld daran - das muss sich diese Regierung sogar
von Verteidigungsministern anderer Länder anhören - ist
in erster Linie die mangelnde Finanzausstattung der
Bundeswehr, die uns gegenüber unseren europäischen
Verbündeten, von den Amerikanern ganz zu schweigen,
immer weiter zurückfallen lässt. Inzwischen muss man
glauben, dass dieses geradezu Methode hat. Ich bin fest
davon überzeugt, dass die Reduzierung der Fähigkeiten
der Bundeswehr Teilen dieser Koalition gefällt und sie
diese als den richtigen Weg sehen.
({7})
Ein entscheidender Punkt der Unzufriedenheit, der von
Soldaten immer wieder genannt wird, ist unter anderem
die Kontingentdauer von sechs Monaten im Auslandseinsatz. Wir diskutieren dieses Thema bereits seit mehreren Jahren.
({8})
Bereits im Dezember 1999 haben wir an dieser Stelle dieselbe Debatte geführt. Damals hat - ich denke, das wird
heute ähnlich sein - die rot-grüne Koalition mit ihrer Mehrheit den Antrag der Kollegen von der FDP abgebügelt.
Im Juni 2000 haben wir zu diesem Thema eine Anhörung im Verteidigungsausschuss gehabt, bei der Sie,
Herr Kahrs, nach Ihren Worten zu urteilen, nicht anwesend gewesen sein können.
({9})
Ich will von der tendenziösen Vorbereitung dieser Anhörung gar nicht sprechen. Aber ich sage Ihnen: Dort
wurde klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass gerade die unteren Dienstgrade fast alle für eine kürzere
Kontingentdauer oder eine Flexibilisierung plädieren,
({10})
ebenfalls ohne Erfolg, denn passiert ist bis heute überhaupt nichts.
Im Verteidigungsausschuss haben wir dieses Thema
immer wieder auf der Tagesordnung. Aber auch hier haben sich SPD und Grüne nicht in Richtung unserer Soldaten bewegt.
Unsere Pflicht muss es sein, für unsere Soldaten die optimalen vorstellbaren Rahmenbedingungen im Einsatz zu
schaffen. Dass das bei der Kontingentdauer zum jetzigen
Zeitpunkt nicht der Fall ist, haben wir immer wieder feststellen müssen. Die Kontingentdauer und die Möglichkeiten der Betreuung vor Ort sowie der Angehörigen im
Heimatland in der Kombination sind ein wichtiger Komplex. Stattdessen sorgt die Bundesregierung mit ihrem
Verteidigungsminister dafür, dass die Stimmung in der
Truppe nicht zuletzt aufgrund fehlender durchdachter
Konzepte für Auslandseinsätze immer schlechter wird.
({11})
Die jetzige Regelung einer sechsmonatigen Einsatzdauer mit einem vierzehntägigen Heimaturlaub als
Option wurde einzig und allein aus Kostengründen installiert, nicht mit Rücksicht auf die Menschen, sondern gegen sie. Herr Kahrs, das wissen Sie.
({12})
Damals garantierte man den Soldaten, dass sie mindestens
zwei Jahre nicht mehr zu einem Auslandseinsatz müssen,
wenn sie von einem Einsatz zurückkommen.
({13})
- Lieber Herr Kahrs, ich bin überzeugt, Sie täten den Soldaten und auch den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses einen großen Gefallen, wenn Sie sich im Bundestag eine schöne neue Aufgabe suchen würden.
({14})
Mittlerweile müssen nicht nur Spezialisten häufiger in
den Einsatz, sondern auch der „normale“ Soldat. Das Resultat ist, dass - das wissen Sie alle - das Versprechen einer zweijährigen Pause nicht eingehalten worden ist. Ein
Vertrauensverlust in der Bundeswehr ist wegen dieses
nicht eingelösten Versprechens deutlich spürbar.
({15})
Die Einsatzdauer von sechs Monaten hat deswegen
eine geringe Akzeptanz, weil sie mit Vorübungen und
Nachbereitungen dazu führt, dass der Soldat fast ein Jahr
seiner Familie und seinem Standort fern bleibt.
({16})
- Die haben wir Ihnen so oft aufgezeigt, Herr Kollege
Kahrs. Sie müssen sie ja nicht verstehen.
({17})
Herr Kollege
Kahrs, bitte lassen Sie die Kollegin Lietz einmal ausreden.
Tatsache ist, dass bei einer
sechsmonatigen Einsatzzeit und einem Urlaub, der erst ab
dem dritten Monat, aber nicht mehr in den letzten fünf
Wochen der Kontingentdauer genommen werden darf, die
Einsatzstärke in der Urlaubszeit meist nur 75 Prozent beträgt. Darüber sollte man einmal nachdenken. Ich hoffe,
dass Sie, Herr Kahrs, wenigstens den Bericht des Sozialwissenschaftlichen Instituts gelesen haben; wenn nicht,
sollten Sie sich ihn zu Gemüte führen.
({0})
- Kann er lesen? Das freut mich.
Zwei Drittel der Soldaten bevorzugen eine Standzeit
von vier Monaten ohne Urlaub oder flexiblere Einsatzzeiten.
({1})
Wenn Sie sich einmal das Alter der meisten Soldaten
im Einsatz vor Augen halten, dann werden Sie feststellen,
dass sie entweder im Aufbau einer Familie begriffen sind
oder sehr kleine Kinder haben. Die damit verbundenen
Probleme müssen die Soldaten und ihre Angehörigen alleine und getrennt verarbeiten.
({2})
- Ich glaube nicht, dass Sie bei dem Thema Familie und
kleine Kinder so ganz mitreden können, Herr Kahrs. Vielleicht können Sie sich nicht in diese Situation hineinversetzen.
({3})
Die Aussicht, in regelmäßigen Abständen für sechs
Monate in den Einsatz zu müssen, wirkt auf die Soldaten
abschreckend, lässt die Bewerberzahlen sinken und die
Abgängerzahlen steigen.
({4})
Das lässt auch die Wehrpflicht, für deren unbedingte Beibehaltung ich aus vielen Gründen plädiere, langsam, aber
sicher auf die schiefe Bahn geraten.
({5})
Um die Bedürfnisse der einzelnen Soldaten besser
berücksichtigen zu können, muss die Einsatzzeit flexibilisiert werden. Beispielsweise müssen Splittingregelungen durch Mehrfachbesetzung von Dienstposten geschaffen werden. Der Verteidigungsminister und der damalige
Inspekteur des Heers haben in der Sitzung des Verteidigungsausschusses am 4. Juli 2001 zugesagt, nach dem
Abschluss der Strukturveränderungen der Bundeswehr
Verkürzungen für die Einsatzzeit zu bedenken. Das ist im
Protokoll der Sitzung nachzuweisen.
({6})
Da die Bundeswehrreform in ihrer angedachten Form nie
vollendet werden wird, Herr Kollege Zumkley,
({7})
werden wir uns bald über neue Strukturen unterhalten
müssen. Fangen Sie bitte endlich an, dafür Konzepte zu
entwickeln!
({8})
- Sie sind an der Regierung, Herr Kahrs. Ich weiß nicht,
ob Sie das schon gemerkt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sehr schwer, eine Rede zu halten,
wenn man wirklich nach jedem Satz unterbrochen wird.
Dosieren Sie Ihre Zwischenrufe also besser.
({0})
- Ich dachte, im Verteidigungausschuss säßen Gentlemen.
({1})
Ich danke Ihnen sehr für
Ihr Verständnis und freue mich darüber. Aber wir kennen
Herrn Kahrs aus dem Verteidigungsausschuss und sind insoweit wirklich schmerzerprobt.
({0})
Lassen Sie mich ein paar Worte zum Familienbetreuungskonzept sagen, weil dieses Thema zu den Einsätzen
gehört. Für mich ist Familienbetreuung Bestandteil des
Einsatzes. Wir brauchen ein anderes, deutlich verbessertes Familienbetreuungskonzept für die Soldaten und ihre
Angehörigen. Nicht zuletzt durch die immer weiter um
sich greifende Finanzmisere und die gescheiterte Bundeswehrreform ist die Moral in der Bundeswehr seit einiger
Zeit drastisch gesunken; darauf habe ich eben schon hingewiesen. Immer weniger gute Zeitsoldaten wollen Berufssoldaten werden und immer weniger Wehrpflichtige
tragen sich mit dem Gedanken, Zeit- oder Berufssoldat zu
werden. Die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber
ist unter anderem wegen der ineffektiven Einsatzdauer,
wegen mangelnder Technik, wegen des Materialnotstandes und vieler anderer Dinge gesunken, aber auch wegen
des Nichtvorhandenseins einer gut funktionierenden Familienbetreuung.
Eines kann ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren:
Wir werden uns in Zukunft alle damit beschäftigen müssen, wie es ist, wenn Soldaten im Einsatz ihre Familien
nicht mehr hinter sich wissen. Ich sage Ihnen voraus, dass
die Motivation für den Einsatz bei diesen Soldaten drastisch sinken wird. In diesem Moment wird jeder Einsatz
zu einem noch größerem Risiko, als er es zum jetzigen
Zeitpunkt schon ist.
Um eine vollständige Abdeckung aller Soldaten und
deren Familien einschließlich einer 24-stündigen telefonischen Erreichbarkeit und Ansprechbarkeit zu gewährleisten, ist eine flächendeckende Einrichtung von 32 Familienbetreuungszentren notwendig. Dazu gehört eine
Aufstockung des Personalbestandes der Familienbetreuungszentren. Die auf der konzeptionellen Grundlage des
Bundesministeriums der Verteidigung geplante Einrichtung von zehn Betreuungsstellen mit hauptamtlichem
Personal, Frau Staatssekretärin Schulte, ist dafür keinesfalls ausreichend.
({1})
Die - wie Sie mir auf eine Anfrage geantwortet haben vom Ministerium vorgesehene zweijährige Erprobungsphase ist entschieden zu lang. Unsere Jungs sind jetzt im
Einsatz und brauchen jetzt unsere Hilfe.
({2})
Frau Kollegin,
jetzt muss ich Sie daran erinnern, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich komme zum Schluss,
Frau Präsidentin.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt dem Ansinnen und den Anträgen der FDP zu.
({0})
Wir freuen uns, dass dieses Thema hier noch einmal besprochen worden ist. Ich kann Ihnen versichern, dass wir
weiterhin dranbleiben werden.
({1})
Man lernt, dicke Bretter zu bohren. Eines Tages werden
die Soldaten andere Einsatzkonditionen vorfinden, wahrscheinlich schon nach dem 22. September dieses Jahres.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Angelika Beer.
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihnen fällt es
natürlich leicht, hier Vorschläge zu machen, die nicht umsetzbar sind, aber engagiert klingen. Das passt zum Wahlkampf,
({0})
erfüllt aber keineswegs die Bedürfnisse einer Bundeswehr im Einsatz und eines Parlaments, das offen ist für
Probleme, aber auch versucht, konstruktive Antworten zu
finden.
({1})
Wir halten grundsätzlich an der Einsatzdauer von sechs
Monaten fest, nicht nur, aber auch, weil alle anderen Nationen, mit denen wir uns zusammen an einer Konflikt- und
Friedensprävention beteiligen, die gleiche Stehzeit haben.
({2})
Gleichwohl ist es notwendig - ich teile diese Ansicht -,
die Dauer der Einsätze immer wieder zu überprüfen und
zu diskutieren. Die Zusage des Verteidigungsministers
steht, allerdings nicht für den Prozess der Reform selbst,
sondern für das Ende der Reform.
({3})
Dann werden wir erneut die Überprüfung vornehmen.
({4})
Ich denke, dass man die Frage der sechsmonatigen
Einsatzdauer nicht zum Dogma verkommen lassen darf,
gerade weil wir sehen, wie wichtig die Motivation der
Soldaten im Einsatz ist. Diese Motivation ist die Voraussetzung und entscheidende Grundlage dafür, dass der
politische Auftrag, den wir in der Regel im Konsens formulieren, auch umgesetzt werden kann.
({5})
Wir wissen, dass derzeit die Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht ist. Ich will Ihnen aber sagen, dass ich
mich während der Truppenbesuche auf dem Balkan, die
ich wie viele andere auch mache, immer wieder davon
überzeugen konnte, dass unsere Soldaten im Einsatz erstens hoch motiviert sind, zweitens gute Arbeit leisten und
drittens oft ihren Auftrag übererfüllen.
({6})
Gleichwohl weiß ich auch, dass die sechsmonatige Abwesenheit von zu Hause gerade für junge Familien und
Beziehungen eine hohe Belastung ist.
({7})
Dies gilt vor allem dann, wenn die Zusage, danach zwei
Jahre im Heimatland sein zu können, im Moment - insbesondere bei speziellen Einheiten - nicht eingehalten
werden kann.
({8})
Ich möchte vor diesem Hintergrund deutlich machen,
dass es nicht darum geht, an der Zahl der Monate herumzufeilschen. Vielmehr ist die Politik gefordert - dies ist in
den letzten zehn Jahren meines Erachtens nicht ausreichend erfolgt -, politisch zu entscheiden, wann und mit
wie vielen Bundeswehrsoldaten wir uns an welchen
Einsätzen beteiligen.
Wir wissen, dass bei der Truppe die Grenze der Belastbarkeit im Moment erreicht ist. Dies ist ein wesentlicher
Grund dafür, warum wir trotz vieler guter Argumente
auch sagen mussten, dass wir derzeit die Rolle der Lead
Nation in Afghanistan nicht übernehmen können. Das ist
auch richtig so. Wir leisten politisch in anderen Bereichen
sehr viel mehr und Notwendiges. Wer den Einsatz dort nur
auf das Militärische reduziert, übersieht, dass wir die
wichtige Stabilisierung in Afghanistan zum Beispiel
durch den Aufbau der Polizei oder durch die Beteiligung
an ISAF ganz in den Vordergrund stellen und auch so zur
Entlastung unserer Bundeswehr beitragen.
Ich denke, dass diese politische Diskussion notwendig
ist, gerade auch weil wir wissen, dass zum Beispiel durch
das Engagement der Bundeswehr in Mazedonien das Aufflammen eines Bürgerkrieges bislang erfolgreich verhindert werden konnte.
Diese politischen Rahmenbedingungen werden wir
weiter beobachten müssen.
Zum Schluss möchte ich ganz klar sagen, dass wir Flexibilität nicht für ein Zauberwort halten. Wir und auch
das Verteidigungsministerium sind gefordert, ein Höchstmaß an Flexibilität im Rahmen der sechs Monate zu prüfen und durchzusetzen. Ich persönlich bin der Überzeugung, dass dazu auch die Urlaubsregelung gehören muss.
Aufgrund vieler Gespräche, aber auch aufgrund der
Tatsache, dass man oft mit leeren Flugzeugen hin- und
herfliegt, bin ich der Überzeugung, dass eine dritte Urlaubswoche gewährt werden kann, ohne weitere Kosten
zu verursachen, wenn man die vorhandenen Transportkapazitäten ausnutzen würde. Ich plädiere dafür, dies zu
überprüfen und den Soldaten während der sechsmonatigen Stehzeit diese dritte Urlaubswoche zu gewähren.
Wenn wir diese Punkte weiter anpacken und nicht versuchen, die Bundeswehr wieder einmal mit Wahlkampfscheuklappen zu instrumentalisieren,
({9})
wie Herr Nolting oder auch die CDU/CSU das machen,
wenn wir kritische Berichte kritisch hinterfragen und wesentliche Elemente in die Politik einfließen lassen - ich
meine die Berichte des Wehrbeauftragten und des Brigadegenerals Löchel -, dann können wir der Bundeswehr,
uns und unserer Außenpolitik einen größeren Gefallen tun
als durch das, was Sie sich hier gerade geleistet haben.
({10})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Heidi Lippmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fasse den Sachverhalt kurz zusammen: Es geht hier um zweiAspekte, nämlich zum einen um
den sozialen Aspekt - die Stehzeiten für die Soldaten und
ihre Familien sollen so kurz wie möglich gehalten werden
- und zum anderen um den politischenAspekt - dabei geht
es um den Sinn von Auslandseinsätzen überhaupt.
Wie Sie wissen, steht die PDS in sozialen Fragen aufseiten der Soldaten. Von daher müssten wir dem FDPAntrag zustimmen; denn es liegt insbesondere auch im
Interesse der Soldaten und ihrer Angehörigen, die
Trennungszeiten so kurz wie möglich zu halten. Nun
könnte man natürlich argumentieren - so war es vorhin
aus Ihren Reihen auch zu hören -, dass es die Hauptaufgabe von Soldaten sei, in den Krieg zu ziehen, zu kämpfen und persönliche Belange dementsprechend dahinter
zurückzustellen.
({0})
Diese Argumentation greift aber zu kurz, weil sie den
menschlichen Aspekt ausklammert.
({1})
Dass wir dem FDP-Antrag nicht zustimmen, sondern
uns enthalten werden, liegt in dem politischen Aspekt begründet; denn die PDS lehnt Auslandseinsätze ab.
({2})
Wie wir nicht erst seit gestern wissen, sind es keine so genannten „humanitären“ oder „Friedensmissionen“, wie es
im FDP-Antrag beschönigend heißt,
({3})
sondern es sind Militäreinsätze, die ein breites Aufgabenspektrum abdecken und zum großen Teil völkerrechtsund verfassungswidrig sind.
({4})
In Afghanistan sind deutsche Soldaten an Kampfeinsätzen beteiligt, die unter Anwendung völkerrechtlicher
Konventionen als Kriegsverbrechen geahndet werden
müssten.
({5})
Herr Karzai hat sich heute Morgen im Auswärtigen
Ausschuss für das erfolgreiche Agieren der deutschen
Truppen bei der Zerstörung der großen al-Qaida-Basis vor
zwei Tagen in Ostafghanistan ausdrücklich bedankt.
({6})
Meinen Hinweis, dass man über so etwas in Deutschland
eigentlich nicht redet, nahm er mit Verwunderung zur
Kenntnis, weil wir doch - sinngemäß - stolz darauf sein
müssten, wenn deutsche Soldaten gemeinsam mit afghanischen, australischen und US-amerikanischen Soldaten
Erfolge erzielten.
({7})
Ich erwähne das hier, weil Herr Karzai ein zentrales
Thema aufgegriffen hat, nämlich die Frage der Akzeptanz
deutscher Kampfeinsätze. Meine Damen und Herren, Sie
stehen doch mit einer großen Mehrheit hinter den Kampfeinsätzen. Deshalb frage ich Sie: Warum überlassen Sie es
Herrn Karzai, den Einsatz deutscher Soldaten bei den
Kampfeinsätzen zu belobigen? Warum überlassen Sie es
amerikanischen Politikern und Militärs, die deutsche
Öffentlichkeit über diese Einsätze aufzuklären? Ich frage
Sie des Weiteren: Wie muss sich ein Mitglied der in
Afghanistan stationierten Bundeswehr, insbesondere der
KSK, wohl fühlen, wenn seine Arbeit von seinen Auftraggebern, nämlich diesen vier Fraktionen hier im Haus
und der Regierung, negiert wird?
({8})
Wer A sagt, muss auch B sagen. Es reicht nicht aus, die sozialen Belange der Soldaten an der Dauer von Auslandseinsätzen festzumachen.
Herr Kollege Kahrs, die Alternative ist, auf eine Beteiligung an Auslandseinsätzen zu verzichten und sich auf
die seinerzeit im Grundgesetz formulierte Aufgabe der
Landesverteidigung zurückzuziehen.
({9})
Wir werden uns bei der Abstimmung über den FDPAntrag enthalten; denn wir sind der Meinung, dass man
Terrorismus nicht mit Thermobomben oder sogar einem
eventuellen Einsatz von Nuklearwaffen, sondern ausschließlich durch eine sozial gerecht gestaltete Wirtschaftspolitik, eine Politik des Ausgleichs mit sozialen
und zivilen Mitteln bekämpfen kann.
({10})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ursula Mogg.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der jüngste Bericht des Wehrbeauftragten hat gezeigt, dass wir in unserem Bemühen, die
Situation der Soldaten und Soldatinnen zu verbessern,
nicht nachlassen dürfen. Wir sind weit davon entfernt,
eine zufriedene Bilanz zu ziehen oder gar selbstgerecht zu
sein. Vielmehr stellen wir fest, dass die Verhältnisse, unter denen der Dienst in der Bundeswehr vielerorts geleistet wird, vor allem aber während der Auslandseinsätze,
Anlass zum Nachdenken geben.
Dies ist eine harte, herausfordernde und auch gefährliche Arbeit, wie wir dies zurzeit insbesondere in Afghanistan zur Kenntnis nehmen müssen. Dies ist allerdings auch
eine Arbeit, deren Sinnhaftigkeit von den Soldaten nicht
infrage gestellt wird und die ihnen in unserer Gesellschaft
und vor allen Dingen dort, wo sie geleistet wird, hohes
Ansehen und viel Respekt einbringt.
({0})
Ich hoffe, wir können uns darauf verständigen, dass es
unser gemeinsames Anliegen ist, alles Mögliche zu tun,
um die Arbeit und Einsatzbedingungen unserer Soldaten
so akzeptabel wie möglich zu gestalten, wissend, dass uns
dies nie ganz gelingen kann.
({1})
Bei der Ausgestaltung dieser Bedingungen sind wir allerdings darauf angewiesen, uns an den Fakten zu orientieren; denn die Entwicklung der internationalen Sicherheitslage nimmt auf viele vernünftige und gut gemeinte
Überlegungen keine Rücksicht, wie wir am 11. September 2001 besonders schmerzhaft erfahren mussten.
Die FDP beantragt zum wiederholten Male die Verkürzung der Einsatzdauer bei Friedensmissionen, ohne uns
allerdings Lösungsvorschläge für die vermeintliche Alternative anzubieten.
({2})
Natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, Herr Nolting,
dass ein halbes Jahr Auslandseinsatz eine lange Zeit ist.
Trotzdem müssen wir uns den Realitäten stellen und die
Grundrechenarten beachten. Das hat der Kollege Kahrs
zutreffend herausgearbeitet.
Ausgangspunkt aller Überlegungen war schließlich
nicht die Festlegung der Verweildauer im Einsatz, sondern
die Festlegung der Verweildauer von zwei Jahren im Inland. Daraus folgt zwingend, dass ein kürzerer Auslandseinsatz eine kürzere Verweildauer im Inland nach sich zieht.
({3})
Es bedeutet geringere Planungssicherheit, keinen Urlaub
und kürzere Regenerationsphasen.
({4})
Ich bezweifle daher sehr, dass kürzere, dafür aber häufigere Einsätze für die Lebens- und Familienplanung unserer Soldaten wirklich besser sind als das, was wir im
Moment haben.
({5})
In die Planung würde vermutlich eher eine größere Hektik hineingetragen. Der Soldat oder die Soldatin würde
sich in permanenter Vorbereitung auf den nächsten Einsatz befinden.
Der Hinweis auf die überwiegende Praxis unserer Verbündeten ist zudem ein Argument, das in Bezug auf die
Abstimmung der Arbeit vor Ort mehr als tragfähig ist. Das
Heer trägt bekanntermaßen die Hauptlast der Auslandseinsätze. Trotz aller Schwierigkeiten mit Vergleichen - das räume ich ein - ist es doch sicherlich legitim,
darauf hinzuweisen, dass die Soldaten der Marine häufig
die Hälfte und mehr eines jeden Jahres unterwegs und entsprechend nur ein halbes Jahr oder auch kürzer bei ihren
Familien sind.
({6})
Ich bin mir sicher, dass die Bundeswehr bzw. die betroffenen Soldaten um diese Abwägungsprozesse wissen
und dass es mit Blick auf ihre privaten und dienstlichen
Belastungen nie eine optimale Lösung geben kann. Richtig ist auch, dass es bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr noch unbefriedigende Situationen und Engpässe
gibt. Zur Akzeptanz der Realität und der Fakten gehört dabei auch, dass die Bundeswehr eine Armee im Einsatz
und im Umbau ist. Diese Tatsache macht uns alle sehr ungeduldig - zugegeben. Auch darum kann nicht immer so
flexibel vonseiten des Dienstherrn Bundeswehr agiert
werden, wie wir dies wünschen. Ich möchte hinzufügen:
noch nicht, denn die Bundesregierung ist durchaus auf
einem richtigen Weg, dies künftig zu gewährleisten, und
zwar allen öffentlichen Mäkeleien zum Trotz.
({7})
Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir halten den vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion für unehrlich und
eher taktisch motiviert, weil die angestrebten Veränderungen im Moment wirklich nichts bringen, möglicherweise sogar eher als Nachteile wahrgenommen werden
könnten. Das im Antrag beschworene wichtige Ziel der
Rücksicht auf die Soldaten sehe ich jedenfalls mit ein paar
Wochen Einsatzverkürzung nicht gewährleistet.
({8})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7159 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache
14/2841 zum Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel:
„Begrenzung der Einsatzdauer von Soldaten bei Friedensmissionen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 14/6684 zu dem
Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Einsatzdauer
von Soldaten bei Friedensmissionen verkürzen - Rahmenbedingungen verbessern“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/4536 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Erfahrungsbericht der Bundesregierung zu
den Wirkungen der Wohnungsüberwachung
durch Einsatz technischer Mittel ({0})
- Drucksache 14/8155 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Es ist darum gebeten worden, alle Reden zu Protokoll
geben zu können. Es handelt sich um die Reden der Ab-
geordneten Meyer, Pofalla, Özdemir, van Essen, Jelpke
und Pick.1) Sind Sie damit einverstanden? - Dann verfah-
ren wir so.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8155 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage
federführend im Rechtsausschuss beraten werden soll. -
Auch damit sind Sie einverstanden. Dann verfahren wir
so. Die Überweisung ist so beschlossen worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, Dr. Christa
Luft, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Beseitigung der steuerlichen Diskriminierung
Alleinerziehender
- Drucksache 14/8274 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, Dr. Christa
Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Gerechtigkeit im Familienlastenausgleich herstellen
- Drucksache 14/8273 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Hier wird gebeten, die Reden der Abgeordneten Kressl,
Wülfing, Scheel und Lenke zu Protokoll zu nehmen.2) Sie
sind einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Zu diesem Tagesordnungspunkt wird einzig die Abgeordnete Barbara Höll reden.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin enttäuscht und finde es
feige und ignorant, dass sich die Vertreterinnen der Regierungskoalition nicht der Debatte stellen.
({0})
Ich möchte ausdrücklich begrüßen, dass Frau Staatssekretärin Hendricks an der Debatte teilnimmt.
({1})
1) Anlage 3
2) Anlage 4
Frau Kollegin,
ich möchte Sie unterbrechen. Wenn vereinbart wird, dass
Reden zu Protokoll gegeben werden, Ihre Fraktion dem
zustimmt und Sie als Einzige reden, geht es nicht, dass Sie
das auf Kosten der anderen tun. Das ist schon das letzte
Mal so gewesen. Damit verschaffen Sie Ihrer Fraktion einen unstatthaften Vorteil.
({0})
Ansonsten müssen wir in Zukunft in dieser Sache anders verfahren; dann ist das nicht mehr möglich. Denn das
Interesse, die Debatte irgendwann zu beenden - zumal,
wenn Parteitage stattfinden -, ist gerade von Ihrer Fraktion vorgetragen worden. Darüber müssen wir uns in Zukunft einigen. Aber jetzt haben Sie das Wort. Ich bitte Sie
nur, in Zukunft auf diese Sache zu achten.
({1})
- Ich stoppe die Uhr.
Die Uhr ist aber die ganze
Zeit weitergelaufen, als Sie geredet haben.
({0})
Frau Präsidentin, ich habe nichts dagegen, wenn sich
Kolleginnen und Kollegen dafür entscheiden, ihre Reden
zu Protokoll zu geben.
({1})
Ich habe aber trotzdem das Recht auf eine moralische
Wertung, das ich mir auch nicht nehmen lassen möchte.
({2})
Es bleibt Ihnen natürlich unbenommen, darüber weiter zu
diskutieren.
Gerade die Familienpolitik ist das Feld, über das Herr
Eichel in der Öffentlichkeit immer noch sagt: Prima, wir
haben so viel geschafft; es ist alles toll. In der Tat haben
Sie in dieser Legislaturperiode das Kindergeld um 80 DM
angehoben - das ist auch gut so -, allerdings nur für das
erste und zweite Kind. Aber die 1 Million Kinder und Jugendliche, die von Sozialhilfe leben müssen, bekommen
von diesen 80 DM monatlich nur 10 DM. Doch ansonsten
schien alles prima Klima zu sein. Aber auf einmal haben
am 18. Februar dieses Jahres mehr als 100 allein stehende
Väter und Mütter beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde eingereicht. Daraufhin gab es ein anscheinend großes Erschrecken und die Erklärung, dass die
Lage von Alleinerziehenden tatsächlich schlechter ist,
dass man das aber nicht gewusst habe und dass die gegenwärtige Lage Ergebnis des Bundesverfassungsgerichtsurteils sei.
Dazu möchte ich klipp und klar sagen: Mit diesem Argument gehen Sie in der Öffentlichkeit auf Dummenfang.
Dem ist nicht so.
({3})
Das Bundesverfassungsgericht hat nicht vorgeschrieben, dass Sie Alleinerziehende schlechter stellen müssen.
Das haben sowohl Professor Kirchhof in der letzten Zeit
des Öfteren als auch am Dienstag dieser Woche Frau
Professorin Limbach betont.
Das Bundesverfassungsgericht hat ausgehend vom
Gleichbehandlungsgebot angemahnt, dass die alleinige
Gewährung des Haushaltsfreibetrags an Alleinerziehende
nicht verfassungskonform ist. Soweit ist das richtig. Aber
gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht in seinem
Urteil ein Diskriminierungsverbot von Eltern gegenüber
Kinderlosen ausgesprochen. Dieses Verbot haben Sie
gröblichst verletzt.
({4})
Sie haben sich für die - relativ einfache und für den
Finanzminister billigste - Variante entschieden, in zwei
verschiedenen Schritten vorzugehen. Der erste Schritt ist
die stufenweise Abschaffung des Haushaltsfreibetrags
vom 1. Januar dieses Jahres bis 2005 für die so genannten Altfälle, das heißt für die Kinder, die bis zum Dezember vergangenen Jahres geboren wurden. Dass dies
zumutbar sei, wurde damit begründet, dass schließlich
das Kindergeld zum 1. Januar dieses Jahres um 30 DM
erhöht worden sei. Die Zahlen sprechen leider eine andere Sprache.
Erstens ist Ihnen bekannt, dass Alleinerziehende in
der Regel nur einen Anspruch auf das halbe Kindergeld
haben, weil die andere Hälfte dem hoffentlich Unterhaltszahlenden - meistens sind das die Väter - zusteht.
Das heißt, von der Erhöhung um rund 15 Euro kommen
bei den 1,7 Millionen allein erziehenden Müttern und
300 000 allein erziehenden Vätern in der Bundesrepublik
in der Regel 7 Euro an.
Durch die Abschmelzung in der ersten Stufe des Haushaltsfreibetrags auf 2 340 Euro bezahlt eine Alleinerziehende mit einem mittleren Einkommen und einem Steuersatz von 35 Prozent seit Januar monatlich 15 Euro mehr.
Das heißt, sie bekommt 7 Euro, zahlt aber 15 Euro mehr
Steuern. Das ist eine monatliche Mehrbelastung von
7 Euro. Verdient sie etwas mehr und unterliegt sie einem
Steuersatz von 40 Prozent, dann zahlt sie sogar 18 Euro
mehr Steuern. Das heißt, Sie stellen Alleinerziehende seit
Beginn dieses Jahres massiv schlechter.
({5})
Sie werden nicht entlastet, sondern sogar stärker belastet.
Das gilt für eine Bevölkerungsgruppe, die nun einmal in
der Realität im Durchschnitt leider das geringste Einkommen hat und am stärksten von Armut bedroht ist. Alleinerziehende mit einem Kind erreichen gerade 52 Prozent
und Alleinerziehende mit zwei Kindern nur noch 46 Prozent des Einkommens kinderloser Ehepaare.
Der zweite Schritt, den Sie beschlossen haben, ist, dass
ab 1. Januar dieses Jahres Einelternfamilien, die nach diesem Datum entstehen, gar kein Haushaltsfreibetrag mehr
gewährt wird. Davon sind also sowohl die Familien, die
erst in den nächsten drei Jahren Kinder haben werden, als
auch die Familien betroffen, die zwar schon Kinder haben, aber deren Lebensverhältnisse sich verändert haben,
sei es durch Scheidung der Eltern, sei es durch Verwitwung oder sei es dadurch, dass sich ein Kind in den Fällen, in denen die Eltern getrennt leben, entschieden hat,
von einem Elternteil zum anderen zu ziehen. Sie behandeln diesen Teil der Alleinerziehenden schon seit Januar
dieses Jahres wie Singles.
({6})
Sie verstoßen damit massiv gegen das Diskriminierungsverbot. Ich muss sagen: Der öffentliche Protest, der sich
genau dagegen richtet, ist berechtigt. Ich weiß nicht, wo
Sie leben. Aber mich hat kürzlich die Mutter eines
Klassenkameraden meines Sohnes, die leider Witwe ist,
angerufen und hat mir mitgeteilt, dass sie monatlich nun
fast 70 Euro mehr zahlen müsse. Sie bestrafen diese Mutter durch Ihre Gesetzgebung zusätzlich.
Wir sind uns bewusst, dass unser Gesetzentwurf nur
die allergrößten Ungerechtigkeiten heilt; denn er sieht
vor, dass wenigstens die Alleinerziehenden, die zu der von
mir beschriebenen zweiten Fallgruppe gehören, sofort in
den Genuss des Haushaltsfreibetrages kommen, auch
wenn dieser abgeschmolzen wird. Aber wir würden so
wenigstens sofort helfen können und Zeit für eine ordentliche Beratung der Familienförderung gewinnen.
Unter Ihrer Regierungskoalition ist die Schere zwischen armen und reichen Familien weiter auseinander gegangen. Auch der Abstand zwischen den Einkommen derjenigen, die Kinder haben, und den derjenigen, die
kinderlos sind, ist größer geworden. Hauptursache dafür
ist, dass Sie das Existenzminimum von Kindern seit Jahren viel zu niedrig ansetzen. In der Konsequenz verstoßen
Sie auch hier gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts;
({7})
denn Sie besteuern existenznotwendige Ausgaben der Eltern für ihre Kinder. Es gibt hier einen großen Handlungsdruck. Aber bisher weigern Sie sich zu handeln. Hier
nützt kein Kopfschütteln und kein Lächeln.
Frau Kollegin,
denken Sie bitte an die Zeit.
Frau Präsidentin, ich komme
zum Schluss.
Wir haben deshalb in unserem Antrag die Forderungen
aufgelistet, die notwendigerweise umgesetzt werden
müssen: nachhaltige Erhöhung des Kindergeldes auf
mindestens 220 Euro für jedes Kind, das einkommensabhängig zu steigern ist; eine einheitliche Entlastung der
Eltern von den Kosten der Kinderbetreuung; Umwandlung des Ehegattensplittings, um nicht den Trauschein,
sondern das Leben mit Kindern zu fördern, und zwar unabhängig von der Form, in der Eltern mit ihren Kindern
zusammenleben.
Ich konnte Mitte Februar der Presse entnehmen,
Frau Kollegin,
machen Sie jetzt bitte Schluss. Sie haben Ihre Redezeit bereits um zweieinhalb Minuten überschritten.
- dass Sie unserem Gesetzentwurf eigentlich zustimmen wollten.
({0})
Bitte tun Sie es! Die Menschen warten darauf.
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Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/8274 und 14/8273 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 20. März 2002, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.