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Es gibt einige Fragen zu diesem Bericht der Frau Bundesministerin. Zunächst gebe ich der Kollegin Fischbach das Wort.
Frau Ministerin, Sie
haben in Ihrem Bericht die sozialen Sicherungssysteme
und in diesem Zusammenhang die Renten der Frauen angesprochen. Hier spielt auch die betriebliche Altersvorsorge eine Rolle. In einer Pressemeldung der „Süddeutschen Zeitung“ von gestern stellt nicht nur die CDU/CSU,
sondern auch die Finanzexpertin der Grünen, Frau Scheel,
fest, dass bei der betrieblichen Altersvorsorge vor allem
die Frauen schlechter gestellt sind und es hier einen dringenden Nachbesserungsbedarf gibt. Sehen auch Sie diesen Nachbesserungsbedarf und, wenn ja, wie wollen Sie
ihm Rechnung tragen? Im Vermittlungsausschuss ist
schon thematisiert worden, dass die Frauen in diesem Bereich schlechter gestellt werden; dennoch ist von Ihren
Kollegen Eichel und Riester abgeblockt worden. Wie sehen Sie dieses Thema und welche Möglichkeiten haben
Sie als Familienministerin, dieser Schlechterstellung entgegenzuwirken?
Frau Abgeordnete
Fischbach, dort, wo wir bei der Rentenreform eigene Akzente setzen konnten, haben wir es zugunsten von Frauen
getan. Im Hinblick auf Teilzeitarbeit haben wir mit der
Rente nach Mindesteinkommen und der Aufstockung von
Beträgen einen gewissen Ausgleich geschaffen. Auch haben wir bei der privaten Säule sehr darauf geachtet, dass
sie den Frauen und insbesondere den Kinder erziehenden
Müttern zugute kommt. Allerdings befinden wir uns hier
zum Teil auch auf dem Gebiet des Tarifvertragsrechts;
dies fällt unter den von mir zuletzt genannten Punkt. Die
Tarifvertragsparteien müssen die Tarifverträge daraufhin
überprüfen, wie sich die Regelungen auswirken und wo
unter Umständen Änderungen erforderlich sind. Ich bin
zuversichtlich, dass es hierfür zumindest von der Gewerkschaftsseite her Unterstützung geben wird.
Frau
Schewe-Gerigk.
Frau Ministerin, zunächst einmal halte ich
fest, dass es sehr positiv ist, dass sich die Einkommenssituation der Frauen in den neuen Ländern sehr viel gerechter als in den alten Bundesländern darstellt. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat vor kurzem berechnet,
dass es noch 86 Jahre dauern wird, bis Frauen das Gleiche
wie Männer verdienen, wenn die Lohnangleichung zwischen Männern und Frauen mit der bisherigen Geschwindigkeit fortschreitet. Ich nehme an, dass Sie mit mir einer
Meinung sind, dass wir so lange nicht warten wollen. Daher frage ich Sie, welche Mittel es gibt, um diesen Prozess
abzukürzen. Bei den Gewerkschaften gibt es zwischenzeitlich zum Beispiel die Möglichkeit, die Arbeit anders
zu bewerten. Was halten Sie von solchen neuen analytischen Verfahren, die dazu führen sollen, dass von Frauen
ausgeübte Tätigkeiten nicht schlechter als überwiegend
von Männern ausgeübte Tätigkeiten bewertet werden?
Frau Abgeordnete
Schewe-Gerigk, ich bin mit Ihnen der Meinung, dass wir
nicht mehr 86 Jahre warten wollen, bis wir auf diesem Gebiet mehr Gerechtigkeit hergestellt haben werden. Die Ursachen dafür, dass sich die Einkommenssituation in den
neuen Ländern gerechter darstellt, sind klar: In der Regel
waren Frauen dort vollzeitbeschäftigt und ohne größere
Unterbrechungen erwerbstätig und auch mehr in den Bereichen zu Hause, die eher von Männern dominiert sind.
Leider ist dies bei den jungen Frauen heute nicht mehr so
ausgeprägt.
Sie haben auch die Tarifvertragsgestaltung angesprochen: Hierzu enthält dieser Bericht sehr interessante und
ausführliche Darstellungen bestimmter Untersuchungen.
Es geht darum, dass wir EU-Recht umzusetzen haben,
nach dem die Gleichwertigkeit von Tätigkeiten zu berücksichtigen ist: Gleiche Tätigkeiten müssen gleich bezahlt
werden. Dies gilt bei uns in aller Regel bereits. Unmittelbare Diskriminierungen sind kaum noch festzustellen, jedoch mittelbare.
Ich nenne ein Beispiel dafür: In der Altenpflege wird
körperliche Arbeit nicht als Bewertungskriterium herangezogen, während sie aber im Metallbereich ein ganz entscheidendes Kriterium für die Einstufung von Tätigkeiten
ist. Daran wird deutlich, worauf wir bei der Bewertung
achten müssen. Das ist ein Thema, das uns in der nächsten Zeit sehr beschäftigen wird, natürlich in erster Linie
dort, wo wir selbst Arbeitgeber sind. Es gibt aber auch
Bemühungen auf europäischer Ebene. Wir werden im
Juni hier in Berlin mit Unterstützung der EU eine Konferenz durchführen, bei der es darum geht, solche Bewertungskriterien der Länder miteinander zu vergleichen und
zu analysieren, wo es Veränderungen geben muss, sowie
darum, die Bewertungskriterien auf den Prüfstand zu stellen, also das Thema einmal richtig in Angriff zu nehmen.
Frau Kollegin Gradistanac.
Frau Ministerin, zunächst
einen zweifachen Dank: zum einen für Ihren mündlichen
Bericht, zum anderen aber vor allem für den schriftlichen
Bericht. Es war schon ein bisschen unzureichend, sich in
der Vergangenheit nur auf die so genannten Leichtlohngruppen zu konzentrieren. Dieser Bericht trifft qualitativ
eine ganz andere Aussage, aus der wir Handlungsempfehlungen ableiten können.
In der letzten Woche hatten wir eine ausführliche
familienpolitische Debatte. Eines war klar: Wenn die
Voraussetzungen für Frauen nicht gegeben sind, Familie
und Erwerbsarbeit zu vereinbaren, wird es in Zukunft
ganz schwierig. Ich frage Sie: Was hat die Bundesregierung getan und was haben Sie noch vor?
Frau Abgeordnete
Gradistanac, Sie haben Recht: Wir können lange über die
Einkommenssituation reden, wenn wir nicht die Voraussetzungen dafür schaffen, dass es für Männer und Frauen
möglich ist, Erwerbsarbeit mit Familienarbeit in Übereinstimmung zu bringen. Ich weise aber noch einmal darauf
hin, dass wir in der Hinsicht in dieser Legislaturperiode
viele Steine aus dem Weg geräumt haben.
Genannt sei das Elternzeitgesetz, nach dem es jetzt
möglich ist, dass beide Elternteile zur gleichen Zeit Elternzeit nehmen und die Reduzierung der Arbeitszeit
nicht immer nur bei den Müttern hängen bleibt. Wir alle
wünschen uns viele Väter, die davon Gebrauch machen,
auch deshalb, weil es für die Familie, für die Kinder und
für das Zusammenleben gut ist. Das Teilzeitgesetz setzt
diese Bemühungen in ganz erheblichem Umfange fort.
Kinderbetreuung muss sehr dringlich und gemeinsam
mit allen Partnern - mit den Kommunen, den Ländern und
dem Bund - ausgebaut werden. Der Bund muss das zwar
nicht tun, weil es verfassungsgemäß nicht seine Aufgabe
ist. Obwohl wir schon gescholten worden sind, wir
mischten uns unzulässig in die Kompetenz der Länder
ein, kenne ich viele, die froh sind, wenn sie ein Stück weit
unterstützt werden. Ich will erst einmal sehen, ob Länder
sagen, sie wollten kein Geld vom Bund.
Gleichzeitig haben hier auch die Unternehmen eine
Verpflichtung. Es gibt bereits Unternehmen, die sich auf
diesem Gebiet engagieren. So bietet zum Beispiel die
Telekom Unterstützung in Form von Kinderbetreuung für
die berühmten Brückentage an. Es ist ja eine Unsitte, dass
es keine Kinderbetreuung gibt, wenn zwischen einem
freien Tag und einem Wochenende nur ein Arbeitstag
liegt. Was macht dann eine alleinerziehende Mutter, wenn
niemand in der Nähe ist, der ihr das Problem der Kinderbetreuung abnehmen kann? Es gibt auch Unternehmen,
die einen Familienservice anbieten oder Kinderbetreuungsmöglichkeiten in der Kommune mitfinanzieren.
Die angesprochenen Unterschiede im Einkommen
zwischen Ost und West zeigen deutlich: Das Vorhandensein von Kinderbetreuung führt dazu, dass Frauen in sehr
viel größerem Umfang erwerbstätig sein können. Dieser
Bericht besagt ebenso wie andere Studien, die auf unserem Tisch liegen: Die meisten Mütter wollen erwerbstätig
sein. Sie wollen zum großen Teil mehr Stunden pro Woche erwerbstätig sein, als es jetzt möglich ist. Das Problem ist: Wenn die Kita mittags schließt, haben die
Mütter eben Pech gehabt, ebenso, wenn es dort kein Mittagessen gibt und sie noch kochen müssen.
Die Verbesserung der Kinderbetreuung ist ein ganz wesentlicher Schritt, der in der Folge zur Verbesserung der
Einkommenssituation beitragen und berufliche Karrieren
ermöglichen wird. Aber wir müssen ebenfalls um die Aufwertung der Familienarbeit bemüht sein sowie darum,
von der vollen Verfügbarkeit als Grundlage für berufliche
Karrieren wegzukommen; auch bei reduzierter Arbeitszeit sollen berufliche Karrieren und Führungspositionen
infrage kommen.
Wir haben mit dem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz einen Anfang für den öffentlichen Dienst gemacht.
Darin ist auch festgelegt, dass es bei Bewerbungen keine
Benachteiligungen geben darf. Auch Männer - manchmal
bewerben sich Väter - kommen in diesen Genuss; die entsprechende Formulierung ist geschlechtsneutral. Bei Bewerbungen dürfen Ausfälle wegen Kinderbetreuung oder
wegen Pflege nicht als Nachteil gewertet werden. Das ist
ein ganz wichtiger Punkt. Da muss sich auch in den Köpfen noch viel verändern.
Mein Vorschlag lautet: kurze Fragen, kurze Antworten. Sonst
schaffen wir unser Pensum nicht.
Frau Kollegin Bläss, bitte.
Frau Ministerin, Sie haben das
Stichwort „Europäische Union“ bereits genannt. Es gibt
klare Vorgaben in Form von Richtlinien, was das Vorgehen gegen unmittelbare und mittelbare Entgeltdiskriminierungen betrifft. Erste Frage: Inwieweit sehen Sie
sich auch als Frauenministerin im Kabinett jetzt gestärkt,
auf diesem Gebiet offensiver vorzugehen, und wie sehen
Sie die nächsten strategischen Schritte, diese EU-Richtlinien konsequent umzusetzen?
Meine nächste Frage betrifft die europäischen Erfahrungen der 90er-Jahre. Insbesondere die Analysen und
Initiativen Norwegens und des Nordischen Rates sind die
weitestgehenden gewesen. Es liegen also entsprechende
Ergebnisse auf dem Tisch. Inwieweit sehen Sie Möglichkeiten, aus diesen Erfahrungen unmittelbar zu schöpfen? Sie haben bereits etwas zu Möglichkeiten und Grenzen,
in der Tarifpolitik Pflöcke zu setzen, gesagt. Ich fand den
Ansatz, „Gender“ als Prüfungskriterium zu verwenden,
sehr interessant. Inwiefern sehen Sie darin eine neue Qualität dafür, dass Politik Rahmenbedingungen für Tarifverhandlungen setzen kann?
Letzte Frage: Sprechen die klaren Ergebnisse, die Sie
in Ihrem Vortrag genannt haben, nicht doch dafür, dass es
auch in der Privatwirtschaft gesetzliche Regelungen zur
Frauenförderung geben muss?
Frau Abgeordnete
Bläss, das waren mehrere Fragen.
Ich will auf den europäischen Aspekt eingehen. Ich
muss klar sagen, dass es kein europäisches Land gibt,
in dem es eine hundertprozentige Einkommensgleichheit
gibt. Auch in den von uns immer wieder hochgelobten
nordischen Ländern, die uns wirklich in vielem eine Nasenlänge voraus sind, gibt es noch ein Stück Ungleichheit
beim Einkommen und eine geschlechtsspezifische Segmentierung des Arbeitsmarktes.
Natürlich sind die Aussagen des Berichts - zusätzlich
zu dem, was es im europäischen Bereich gibt - sehr hilfreich. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass wir im
Juni - alle sind herzlich eingeladen - eine Konferenz veranstalten, auf der die Bewertungskriterien auf dem Gebiet
der Tarifverträge ein Thema sein werden. Auf dieser Konferenz werden wir hören, wie weit die anderen Länder
sind. Auch in Schweden arbeitet man an der Beantwortung der Frage: Wie kann man dort, wo Tarifautonomie
herrscht, politische Zeichen setzen?
Dieser Punkt spielt eine Rolle. Das hat sich auch in
dem Kriterienkatalog, der unsere Vereinbarungen mit den
Spitzenverbänden der Wirtschaft enthält, niedergeschlagen. Bei der Behandlung des Themas Chancengleichheit
geht es auch um Lohngleichheit. In den entsprechenden
Gremien wird man sich zusammensetzen müssen, um zu
klären, wie eine Gender-gemäße Prüfung von Tarifverträgen erfolgen sollte. Eine solche Prüfung wird - wie es
so ist im Leben - an der einen Stelle schneller gehen als
an der anderen.
Wir sollten mit gutem Beispiel vorangehen und erst
einmal den BAT entsprechend überprüfen. Das wäre ganz
wichtig. Wir werden uns die Partner suchen, mit denen
wir schrittweise vorangehen können. Einiges liegt schon
auf dem Tisch. Auch Verdi hat bereits etwas vorgelegt.
Herr Kollege Dehnel, bitte.
Frau Ministerin, Sie
haben gesagt, dass auch Frauen in führenden Positionen
praktisch immer benachteiligt sind; Sie haben eine Prozentzahl genannt. Glauben Sie persönlich daran, dass es
vielfach an den Frauen selbst liegt - ich denke an die Art,
wie sie in den politischen Parteien oder in anderen Institutionen um ihre Rechte kämpfen -, ob sie Führungspositionen bekommen? Sollten Frauen Ihrer Meinung nach
ihre eigenen Interessen nicht viel stärker wahrnehmen?
Ich meine, dass Frauen auch in den Spitzenpositionen des
parlamentarischen Geschehens - ich denke auch an das
Amt des Bundespräsidenten - stärker vertreten sein sollten
und dass sie ihre Rechte dort stärker wahrnehmen sollten.
Ich sage dazu nur:
Kanzlerkandidatin.
({0})
Auch das ist so ein Punkt.
Die Parteien müssen Rahmenbedingungen setzen, und
zwar sehr unterschiedliche. Ich glaube, wir von der Sozialdemokratischen Partei sind da nicht schlecht aufgestellt. Auch im Kabinett gibt es immerhin sechs Ministerinnen; das sind gut 40 Prozent. Das ist nicht so schlecht.
({1})
Wenn wir uns das Verhältnis bei den Mitgliedern des
Bundestages und den Parlamentarischen anschauen, dann
glaube ich feststellen zu können, dass die Probleme nicht
auf unserer Seite liegen, sondern auf der anderen Seite.
Ich würde den schwarzen Peter aber nicht den Frauen in
die Schuhe schieben. Auch Männer sind dafür verantwortlich, dass der Verfassungsgrundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Gesellschaft umgesetzt
wird. Dafür muss man Rahmenbedingungen schaffen;
aber man muss auch Frauen ermutigen, damit diese genau
wissen, dass sie es schaffen können. Das haben wir mit unserer Quotenregelung erreicht. Dass wir jetzt im Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz des Bundes für den öffentlichen Dienst wieder eine einzelfallbezogene Quote haben,
halte ich für sehr wichtig. Vor diesem Hintergrund wissen
Frauen genau, dass sie es schaffen können, wenn sie sich
für einen Job qualifiziert haben; denn die Quote ist ja immer auf gleiche Qualifikation bezogen.
({2})
Frau Kollegin Wolf.
Frau Ministerin, ich
finde es immer spannend, wenn die CDU/CSU-Fraktion
das Thema Quote anspricht und entsprechende Fragen
stellt. Sie hat erstens keine und zweitens hat sie in ihren Reihen weniger Frauen als in der letzten Legislaturperiode.
({0})
Ich habe eine Frage zu Ihrem Bericht: Für mich ist es
nicht überraschend, dass es immer noch Lohnungleichheiten gibt. Das Überraschende für mich ist, dass die besser Qualifizierten eigentlich schlechter wegkommen als
die weniger Qualifizierten. Die Ursachen dafür muss man
natürlich analysieren. Mich würde interessieren, welche
Maßnahmen Sie schon ergriffen haben und welche Maßnahmen Sie vorhaben. Gerade angesichts der Tatsache,
dass die Wirtschaft Hochqualifizierte braucht und wir die
bestqualifizierte Frauengeneration haben, muss es doch
endlich einmal zu einer Gleichbehandlung bei der Bezahlung kommen. Was macht die Bundesregierung in diesem
Bereich und was hat sie in Zukunft vor?
Wir verfolgen vor allen Dingen zwei Strategien.
Die eine ist, junge Frauen zu werben und zu überzeugen,
auch in die gut bezahlten Bereiche hineinzugehen, in denen
Fachkräftemangel herrscht. Denken wir an den Bereich der
Informationstechnologien. Dort sucht man nach wie vor
händeringend Fachkräfte. Wir sagen dabei nicht nur:
„Mädchen, macht das einmal, das ist doch was für euch und
schaut euch das einmal an“, sondern kooperieren wirklich
mit den Unternehmen. Wichtig ist ja, dass auch die Unternehmen sagen: Wir wollen euch und bieten euch Aufstiegsmöglichkeiten; ihr habt bei uns gute Chancen.
Ich weise noch einmal auf den morgigen „Girls’ Day“
hin. Gerade einige Unternehmen aus der D-21-Initiative
werfen sich da richtig ins Zeug, nicht nur, weil sie
Mädchen so furchtbar nett finden, sondern weil sie einfach wissen, dass sie diese jungen Frauen brauchen. Wenn
sie einmal junge Frauen eingestellt haben, wissen sie, dass
diese so gut und so überzeugend sind, dass - das sagen sie
mir dann auch -, wenn sie die nicht hätten, es schlecht bei
ihnen aussähe. Das hat sich zwar noch nicht allgemein
herumgesprochen; aber beispielsweise habe ich gerade
vom Handwerksverband eine Mitteilung bekommen, dass
sich da langsam die Nachwuchsfrage stelle. Man handelt
also nicht, weil man endlich Art. 3 der Verfassung gerecht
werden will, sondern weil man sich fragt, woher man angesichts geburtenschwacher Jahrgänge gute Leute bekommen kann, und wirbt dann noch einmal verstärkt um
Mädchen.
Das heißt zum Beispiel auch, dass man ihnen ordentliche und nicht irgendwelche Positionen anbietet. Denn
wenn man sich die verschiedenen Branchen anschaut,
stellt man fest, dass in einigen relativ gut bezahlt wird
- das sind eher Männer-Branchen - und in anderen
schlecht bzw. im Niedriglohnbereich bezahlt wird; in diesen findet man fast durchgehend Frauen. Man muss jetzt
die Frauen fragen, warum sie sich für diese Branchen entscheiden, und sie auffordern, sich doch einmal zu überlegen, ob es nicht woanders genauso spannend für sie
wäre. Man muss sie auch ermutigen und ihnen sagen, dass
sie das auch können.
Zum anderen setzen wir wie bei der Vereinbarung darauf, dass man die Unternehmen auffordert, sich selber
Gedanken zu machen und es nicht dem Selbstlauf zu
überlassen. Wir fragen, was sie machen wollen, um
Mädchen zu gewinnen, wie für Ausbildungsplätze geworben wird, was gemacht wird, um Frauen in Führungspositionen zu bekommen, und was zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie getan wird. Da sind wir
jetzt dran. 2003 gibt es, wie Sie wissen, eine Bestandsanalyse. Bis dahin werden Daten ermittelt, erfasst und
analysiert, was nicht ganz einfach ist. Wenn anhand der
Bestandsanalyse 2003 festgestellt wird, dass diese Mechanismen nichts bringen, werden - diese klare Aussage
steht im Raum - gesetzliche Maßnahmen gemäß der
zweiten Stufe des Gesetzes ergriffen. Zurzeit greift noch
die erste Stufe des Gesetzes, wo allen überlassen ist, was
sie tun wollen.
({0})
Herr Kollege Koppelin.
Frau Ministerin, Sie haben
auch über die Einkommenssituation von Frauen und Männern gesprochen. Nun haben Sie ja bei einem bestimmten
Klientel, nämlich bei den Alleinerziehenden, ein bestimmtes Image. Sie haben sich gegenüber Minister
Eichel damals nicht durchsetzen können, als im Zusammenhang mit der Kindergelderhöhung auch die Freibeträge bei den Alleinerziehenden gestrichen worden sind.
Können Sie uns sagen, warum Sie sich damals nicht haben durchsetzen können? Wie wollen Sie sich denn bei
dem, was Sie heute hier vortragen, durchsetzen, wenn Sie
sich schon bei solch einfachen Dingen nicht durchsetzen
konnten?
({0})
Herr Koppelin, es
geht hier nicht um durchsetzen oder nicht durchsetzen.
Wir haben Beschlüsse von Karlsruhe; das muss sich doch
langsam in diesem Hause herumgesprochen haben.
({0})
Nach den Karlsruher Beschlüssen ist es nicht zulässig,
den Haushaltsfreibetrag in dieser Form zu gewähren und
die Alleinerziehenden besser zu stellen, obwohl das ja
einmal bewusst getan wurde als Ausgleich für das Splitting bei den Ehepaaren. Diese Beschlüsse mussten wir
umsetzen. Daran war niemand interessiert, das wollten
wir eigentlich gar nicht, aber das mussten wir machen.
Wir haben mit dem Abschmelzen eine Form gewählt,
durch die das einigermaßen verträglich geschah. Gleichzeitig haben wir die Möglichkeit geschaffen, Kinderbetreuungskosten von der Steuer abzusetzen, und wir haben
die Freibeträge erhöht. Dadurch haben wir versucht, einen
Ausgleich zu schaffen.
Sie wissen, dass wir uns auch weiterhin fragen: Was
können wir noch tun? Können wir die Grenzen verbessern? Sind in dem Bereich weitere Verbesserungen möglich? Dazu gibt es noch Beratungen. Wir werden zu einem
vernünftigen Ergebnis kommen, das ist ganz klar.
Bei den Punkten, auf die dieser Bericht hinweist, sind
wir schon wirklich an die Ursachen herangegangen. Ich
nenne hier nur die Themen Berufswahlverhalten, Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder die Bemühungen,
Frauen in Führungspositionen zu bringen. Da haben wir
eine ganze Menge auf den Weg gebracht. Wir können aber
in drei Jahren nicht alles aufarbeiten, was Sie in den 16 Jahren vorher nicht getan haben. Das ist leider nicht möglich.
({1})
Mit dieser Strategie werden wir weitermachen; da sind
wir uns einig. Sie haben die Regierungserklärung des
Kanzlers hier gehört. Wir geben Geld in die Kinderbetreuung, das hat für uns Priorität. Wir setzen auf die guten,
qualifizierten Frauen. Wir wollen die Möglichkeiten
schaffen, damit sich jeder in seiner Familie so einrichten
kann, wie er das gern möchte, und nicht Frauen aufgrund
mangelnder Betreuung gezwungen werden, auf Erwerbstätigkeit zu verzichten.
({2})
Frau Kollegin Griese hat das Wort.
Frau Ministerin, Sie haben
schon auf die positive Entwicklung bei der Ausbildung
von Mädchen und jungen Frauen hingewiesen, die ja
durch die Bank bessere Schulabschlüsse machen. Nichtsdestotrotz gibt es noch Unterschiede im Berufswahlverhalten. Mädchen streben immer noch sehr viel stärker in
bestimmte Ausbildungsberufe, die später schlechter bezahlt werden. Hier muss man an der Wurzel ansetzen.
Deshalb meine Frage: Was tut die Bundesregierung, um
diesen indirekten Einkommensunterschieden schon dadurch vorzubeugen, dass auch Mädchen motiviert werden, in ihrem Berufswahlverhalten stärker auf Berufe zu
setzen, die zumindest gleiche Einkommenschancen bieten wie die, die hauptsächlich von jungen Männern ergriffen werden, sodass dadurch mit dazu beigetragen werden kann, dass dort die Einkommensunterschiede
verringert werden?
Das Thema Berufswahlverhalten liegt mir sehr am Herzen. Ich sehe auf der
einen Seite diese guten, kompetenten jungen Frauen und
auf der anderen Seite sehe ich, dass die meisten
Mädchen in zehn Berufe - darunter ist kein technischer
Beruf, auch die neuen Berufe sind nicht darunter - gehen, obwohl sie anderes durchaus könnten. Nun wollen
wir nicht alle zwingen, in die Informatik zu gehen. Aber
wir wollen vor allen Dingen die Mädchen auch mit den
neuen Berufen vertraut machen und ihnen klar machen:
Ihr könnt das. - Man sollte ihnen zum Beispiel Schnupperkurse anbieten.
Wir haben in den letzten Monaten viele Veranstaltungen unter anderem mit den Industrie- und Handelskammern durchgeführt. In Berlin haben wir ganze Schulklassen und Unternehmen eingeladen. Die Schülerinnen und
Schüler konnten sehen, was in den Unternehmen passiert,
sie konnten am Computer spielen oder haben Termine genannt bekommen, zu denen sie in die Unternehmen gehen
können - das, was wir eben auch morgen mit dem „Girls’
Day“ machen. Die Schülerinnen und Schüler gehen in die
Betriebe, um zu erfahren, was sich hinter diesem oder jenem Beruf, der manchmal wenig anschaulich klingt oder
wenig Anreiz hat, verbirgt.
Wir merken aber auch, dass in dem gesamten Umfeld
der Jugendlichen immer noch traditionelle Rollenbilder
vermittelt werden. In einem Seminar bei Siemens, in dem
es darum ging, Mädchen auch für technische Berufe zu
begeistern, sagte mir eine Schülerin, in der Schule sei ihr
von ihrer Koordinatorin, als sie Physik als Wahlfach nehmen wollte, gesagt worden: Ach, lass das mal. Nach einem halben Jahr kommst du sowieso wieder und es gefällt
dir nicht. - Das wurde der Schülerin gesagt, obwohl sie
Physik studieren wollte. Wenn ich so etwas höre, verzweifle ich.
Wir sagen immer: Auch in den neuen Berufen muss
man nicht unbedingt in Mathematik eine Eins haben. Die
haben die jungen Männer, die in diese Berufe gehen, nämlich auch nicht alle. Wir müssen den Mädchen sagen: Ihr
könnt das. Guckt euch da um. Macht das.
Die Wissenschaftsministerin wirbt für Ingenieurberufe, macht also Gleiches. - Wir haben da wirklich ein
breites Netz geknüpft.
Viel passiert auch vor Ort bei den Regionalstellen, dort,
wo sich die Länder ebenfalls darum kümmern. Wir müssen jetzt sehen, dass das wirkt.
Ich habe von der Bildungsministerin gehört, dass es im
Bereich der Informatik jetzt wieder eine Aufwärtsbewegung gibt. Da bewerben sich wieder mehr junge Frauen.
Ich hoffe, dass die vereinten Bemühungen doch langsam
zum Tragen kommen. Auch die Arbeitsämter haben die
Aufgabe, sich in diesem Bereich kräftig mit um junge
Frauen zu kümmern.
Was die Arbeitsmarktprogramme angeht, so führen wir
gezielt dort Projekte bzw. Modelle durch, wo Mädchen
unterrepräsentiert sind, insbesondere im technischen Bereich. Es gibt viele Möglichkeiten. Aber es müssen auch
viele mitziehen.
({0})
Frau
Blumenthal.
Frau Ministerin, Sie
haben vorhin in einer Ihrer Antworten sowohl auf den Anspruch auf Elternzeit als auch auf das Recht auf Teilzeit
hingewiesen. Welche Entwicklungen gibt es bei dem Anspruch auf Elternzeit? Liegt die Zahl der Väter, die das
Recht in Anspruch nehmen, weiterhin bei unter 2 Prozent?
Sie verfügen jetzt über einen Erfahrungszeitraum von
mehr als einem Jahr.
Welche Entwicklungen haben Sie bei dem Recht auf
Teilzeit festgestellt, zumal die Wirtschaft sagt, dass damit
beschäftigungshemmende Effekte verbunden sind?
Was die Frage nach
der Elternzeit angeht, so haben wir noch keine neuen statistischen Daten. Das Gesetz gibt es erst seit einem Jahr.
Ich weiß nicht genau, wann wir die erste Statistik bekommen. Das kann am Ende des Jahres oder erst im nächsten
Jahr der Fall sein.
Grundsätzlich muss man Folgendes sagen: Wir haben
noch nicht alle Väter, die das könnten, dazu gebracht, dies
in Anspruch zu nehmen. Wir wissen, dass es sich um einen Prozess der Überzeugung handelt, bei dem wir auch
viel Unterstützung durch die Unternehmen brauchen.
Ich war im Zusammenhang mit der Väterkampagne in
vielen kleinen und großen Unternehmen. Ich habe festgestellt, dass es dort, wo die Unternehmensleitung das mit
unterstützt, wo sie es zu ihrer Aufgabe macht und es nicht
nur bei der Gleichstellungsbeauftragten ablädt und sagt:
„Sie soll sich einmal darum kümmern“, wo auch die Betriebsräte mitmachen und sagen: „Wie kriegen wir das
jetzt hin? Wie kriegen wir familienfreundliche Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen? Wie bringen wir das
Thema den Vätern nahe? Wie signalisieren wir, dass
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die davon Gebrauch
machen, nicht als solche betrachtet werden, die an beruflicher Karriere nicht interessiert sind?“, positive
Erfahrungen gibt. Auch in diesen Unternehmen sind es
noch nicht 50 Prozent der Väter, die das in Anspruch nehmen. Aber es gibt dort Väter, die sagen: Ja, ich mache das.
VW zum Beispiel veranstaltet Elternseminare, in denen Väter und Mütter gemeinsam über die vorhandenen
Möglichkeiten beraten werden. Ich bin schon optimistisch, dass sich da einiges tun wird; denn wir wissen, dass
20 Prozent der Väter das gerne möchten. Sie möchten
mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Sie möchten
nicht nur am Rande der Familie wahrgenommen werden.
Diese wollen wir natürlich zuerst erreichen.
Zu dem Teilzeitgesetz gibt es noch keine statistischen
Daten.
Eines muss man auch sagen - Sie haben das angesprochen -: Es wird immer so getan, als sei das furchtbar für
Unternehmen. Die Unternehmen, die sich auf Elternzeit,
Teilzeit, familienfreundliche Arbeitzeiten, Telearbeit
- was auch immer - einlassen, sagen, dass es sich für sie
lohnt. Es macht mehr Arbeit und ist mit mehr Organisation verbunden. Aber sie haben motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und sie halten ihre qualifizierten Beschäftigten. Das wird immer mehr ein Faktor, der im
betrieblichen Wettbewerb eine Rolle spielen wird, und
zwar ein positiver; davon bin ich überzeugt. Wer sich da
schneller auf den Weg macht, hat einen Vorteil.
({0})
Frau Kollegin Rupprecht, darf ich Ihr Gespräch für die von Ihnen angemeldete Frage einmal kurz unterbrechen?
Das ist eine Kollegin, die
man sonst nicht sieht; Entschuldigung.
({0})
- Nein, wir sehen uns so selten, weil unsere Räumlichkeiten so weit voneinander entfernt sind. Aber darum ging
es in meiner Frage nicht.
Frau Ministerin, es gibt mehrere Untersuchungen zur
Entlohnung und Bezahlung von Frauen in der freien Wirtschaft. Unter anderem gibt es eine Untersuchung der Universität Hohenheim, die zu dem Ergebnis kommt, dass die
Bereitschaft der Unternehmen, junge Frauen, die Führungspositionen anstreben, genauso zu behandeln wie
junge Männer in derselben Situation, die die gleiche Qualifikation und die gleichen Voraussetzungen haben, schon
bei der Einstellung nicht vorhanden ist. Es wurde errechnet, dass Frauen, die sich bei gleicher Qualifikation und
gleichem Können beruflich gleich entwickeln, im Laufe
ihres Erwerbslebens etwa 350 000 DM - bzw. die Hälfte
in Euro - weniger als Männer bekommen. Wenn sie sich
entscheiden, Mutter zu werden, haben sie ungefähr
800 000 bis 850 000 DM Einkommenseinbußen, nur aufgrund des Geschlechts. Das ist das so genannte Gender
Gap. Was können die Arbeitgeber da tatsächlich tun und
wie können wir die Arbeitgeber motivieren, dass sie sich
im Bereich der Führungskräfte bei gleicher Qualifikation
den Frauen gegenüber anders verhalten? Solche Unterschiede darf es nicht geben, wenn wir unsere Rolle darin
sehen, auch in der Wirtschaft Anreize für Gleichstellung
zu schaffen.
Frau Abgeordnete
Rupprecht, der Bericht bringt zum Ausdruck, dass die Unterschiede zu Beginn des Berufslebens - allerdings ist das
die Gruppe der 20- bis 24-Jährigen, da ist man in der Regel noch nicht in der obersten Führungsetage angekommen - relativ gering sind, im Osten noch geringer als im
Westen - das kann ich mir gar nicht erklären -, dass sie
aber im Laufe des Berufslebens, je weiter jemand im Betrieb aufsteigt, immer größer werden. Ich erwähnte bereits, dass Männer mit zunehmendem Alter eher in
Führungspositionen gelangen als Frauen. Wenn man nach
der Familienphase wieder einsteigt, fängt man meistens
wieder ganz unten an.
Da gibt es natürlich auch für die Arbeitgeber einen
großen Handlungsbedarf. Dabei geht es unter anderem
um das Thema Vereinbarkeit. Es geht darum, die Zeiten
außerhalb der Erwerbsarbeit relativ gering zu halten. Es
ist wichtig, auch während der Elternzeit im Betrieb weiter qualifiziert zu werden, mitzulaufen, um den Wissensverlust einzugrenzen. Hier ist viel Handlungsspielraum;
dafür gibt es das eine oder andere gute Beispiel.
Ich will Ihnen aber noch eine erschütternde Zahl nennen: Wenn man sich bei den über 60-Jährigen anschaut,
wie sich die Einkommensverluste im Laufe eines Berufslebens auswirken, stellt man fest, dass Frauen ein kumuliertes Erwerbseinkommen haben, das im Durchschnitt
nur 42 Prozent des Männereinkommens beträgt.
Frau Kollegin Lehder.
Danke schön, Herr Präsident, dass Sie mir diese Frage trotz der zeitlichen Enge
noch gestatten. - Frau Ministerin, der vorliegende Bericht
zeigt, dass die Einkommensunterschiede zwischen
Frauen und Männern in Ost und West sehr verschieden
sind. In Ostdeutschland ist die Differenz zwischen den
Einkommen von Frauen und Männern weitaus geringer
als in Westdeutschland. Wodurch lassen sich diese Unterschiede Ihrer Meinung nach begründen?
Frau Abgeordnete
Lehder, das hängt zum einen mit der kontinuierlichen Erwerbsarbeit zusammen. Die Erwerbsbiografien in Ost und
West sind unterschiedlich. Es handelt sich hierbei ja um
Längsschnittstudien. Verdienstvoll an dem Bericht ist,
dass Daten über 22 Jahre ausgewertet werden. Man kann
feststellen, dass die unterschiedlichen Zahlen mit der anderen Akzeptanz der Erwerbsarbeit in den neuen Bundesländern zusammenhängen, die traditionellerweise besteht
und entsprechend gelebt wird. Das führt dazu, dass
Frauen im Osten weniger Unterbrechungen haben und
weniger Teilzeit arbeiten. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass für die Kinderbetreuung gesorgt wird. Sonst
wäre das nicht möglich.
Der zweite Faktor ist, dass die Frauen im Osten, jedenfalls in unserer Generation, sehr viel stärker in den
Männerbranchen vertreten sind. Es gibt sehr viel mehr Ingenieurinnen, zum Beispiel Bauingenieurinnen, als in den
alten Bundesländern. Hinzu kommt, dass die Erwerbsarbeit von Frauen immer auf Eigenständigkeit ausgerichtet
war und es auch jetzt noch ist. Sie werden nicht als Zuverdienerinnen gesehen. Was eine Zuverdienerin ist, habe
ich erst nach 1990 gelernt; ich weiß nicht, wie es Ihnen
geht. Der Bericht sagt ganz klar, dass das ostdeutsche Modell gleichberechtigte erwerbstätige Partner vorzieht,
während es in den alten Bundesländern eher das Modell
der Hauptverdiener und Zuverdiener gibt. Aber das ändert
sich jetzt. Die jungen Frauen wollen das so nicht mehr.
Die letzte
Frage zum Bericht aus der Kabinettssitzung hat die Kollegin Fischbach.
Frau Ministerin, ich
möchte nachfragen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat festgestellt, dass der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit eher
beschäftigungshemmend ist und dass dem Bedürfnis der
Eltern nach Teilzeit dadurch nicht Rechnung getragen
wird. Ich frage Sie daher, ob Sie diese Einschätzung teilen. Wenn diese Einschätzung des Sachverständigenrates
zutrifft: Welche Maßnahmen müssten Sie in Angriff nehmen, um dafür zu sorgen, dass der Anspruch auf Teilzeitarbeit nicht beschäftigungshemmend ist und dass mehr
Teilzeitarbeitsplätze angeboten werden? Wäre es nicht
sinnvoll, diesen Rechtsanspruch zurückzunehmen?
Ich höre immer wieder die gerade von Ihnen vertretene Meinung. Ich kann sie
nach meinem Kenntnisstand nicht teilen. Wir sollten uns
einmal die Situation in den Nachbarländern anschauen,
die uns ansonsten als Vorbild dienen. Ich nenne zum Beispiel die Niederlande, die sowohl bei Männern als auch
bei Frauen einen hohen Anteil von Teilzeitbeschäftigten
haben. Es ist ja nicht so, dass die Niederlande wirtschaftlich sehr schlecht dastehen würden.
Sie wissen auch, wie dieser Teilzeitanspruch ausgestattet ist. Es besteht die Möglichkeit, dass dieser Anspruch - wie übrigens auch beim Elternzeitgesetz - aus
betrieblichen Gründen nicht erfüllt werden muss. Nach
meinen Erfahrungen ist es aber so, dass eher darüber geklagt wird, dass versucht wird, den Beschäftigten diesen
Anspruch nicht zu erfüllen, obwohl keine betrieblichen
Gründe dagegen sprechen.
Nicht alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen nur noch 50, 60 oder 70 Prozent arbeiten. Wenn keine
betrieblichen Gründe dagegen sprechen, ist Teilzeitarbeit
aus meiner Sicht leistbar.
Ich danke
Ihnen, Frau Bundesministerin.
Es liegt noch eine so genannte sonstige Frage an die
Bundesregierung vor. Bitte, Herr Kollege Koppelin.
Nach der Wahl in SachsenAnhalt, bei der die Koalitionsparteien zusammen nur
23 Prozent erhalten haben, hat der Bundeskanzler erklärt,
die Koalition müsse nun dichter zusammenrücken. Ich
habe immer gedacht, diese Parteien seien schon ganz
dicht zusammen und die Grünen seien fast erdrückt durch
das bisherige Zusammenrücken. Hat der Bundeskanzler
im Kabinett diese Aussage wiederholt? Hat er auch erklärt, was er mit dem dichteren Zusammenrücken der Koalitionsparteien meint?
({0})
Der Staatsminister im Kanzleramt, Herr Kollege Bury, wird darauf
antworten.
Es bestand kein Anlass, diese Aussage im Kabinett zu
wiederholen, da die Bundesregierung eng, vertrauensvoll,
gut und erfolgreich zusammenarbeitet.
({0})
Es gibt also
wenigsten einen, der sich an meinen Vorschlag „kurze
Frage, kurze Antwort“ hält.
({0})
- Ja.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/8828 Ich weise vorweg darauf hin, dass die Fragen aus den
Geschäftsbereichen des Bundesministeriums des Innern,
der Verteidigung, für Gesundheit und für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung schriftlich beantwortet
werden. Es handelt sich um die Frage 1 des Kollegen
Erwin Marschewski, um die Fragen 5 und 6 des Kollegen
Werner Siemann, um die Fragen 7 und 8 des Kollegen
Wolfgang Zöller und um die Frage 9 des Kollegen Dirk
Niebel.1
Somit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks zur Verfügung.
1 Die Antwort zu Frage 9 lag bei Redaktionsschluss nicht vor und wird
zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Andreas Storm auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten vor, die die EU-Kommission
ihrer Schätzung zugrunde gelegt hat, nach der für das Jahr 2002
ein gesamtstaatliches Defizit der Bundesrepublik Deutschland in
Höhe von 2,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwartet wird?
Herr Kollege Storm, die
EU-Kommission stellt heute ihre Frühjahrsprognose der
Öffentlichkeit vor. Sie schätzt das gesamtwirtschaftliche
Wachstum in Deutschland für 2002 auf 0,8 Prozent. Dies
entspricht der Jahresprojektion der Bundesregierung. Die
Kommission geht wie nahezu alle Prognostiker - und
auch wie die Bundesregierung - von einer Überwindung
der weltwirtschaftlichen Schwäche zu Beginn dieses Jahres aus. Zudem trägt sie mit ihrer Prognose den günstigen
Konjunkturindikatoren in Deutschland Rechnung, wie
zum Beispiel dem günstigen Ifo-Geschäftsklimaindex,
den steigenden Auftragseingängen sowie den kräftig zunehmenden Produktionsplänen.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
treffen nach Ihrem Kenntnisstand die heutigen Presseberichte zu, wonach die EU-Kommission ihre Defizitschätzung für die Bundesrepublik Deutschland auf 2,8 Prozent
nach oben revidiert hat?
Ich habe die heutigen Presseberichte noch nicht zur Kenntnis nehmen können, weil
ich den ganzen Morgen im Parlament war. Es ist aber
denkbar, dass die EU-Kommission die Defizitschätzung
auf 2,8 Prozent angehoben hat. Die Bundesregierung ist
jedoch weiterhin der Auffassung, dass ihre Schätzung von
2,5 Prozent des BIP zutreffend ist.
Ich rufe die
Frage 3 des Kollegen Andreas Storm auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor,
wie hoch die EU-Kommission bei der Schätzung des gesamtstaatlichen Defizits der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr
2002 das anteilige Defizit des Sektors „Sozialversicherungen“ angesetzt hat?
Die Europäische Kommission nimmt keine Einzelbetrachtung von Teilsektoren vor,
sondern schätzt die Entwicklung der relevanten Einnahmen- und Ausgabenkomponenten lediglich für den Sektor
Staat insgesamt. Insofern ist keine Aussage über die Annahmen zur Entwicklung der Sozialversicherungsfinanzen in der Kommissionsprojektion möglich.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
beim Vergleich der Defizitentwicklung, die nach Meinung
der EU-Kommission eintreten wird, mit der Defizitschätzung der Bundesregierung ist von besonderem Interesse,
inwieweit sich die Steuerausfälle im ersten Quartal auf die
Defizitentwicklung auswirken. Beabsichtigt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund, in den nächsten Wochen ihre Defizitschätzung zu verändern und, wenn ja, in
welcher Größenordnung?
Die Bundesregierung hat
schon im Stabilitätsprogramm 2001 deutlich gemacht,
dass sich das Defizit in Deutschland bei einem Wachstum
von dreiviertel Prozent etwa auf dem Niveau des Vorjahres bewegen wird. In dieser Projektion sind konjunkturbedingte Steuerausfälle gegenüber der letzten Finanzplanung
bereits berücksichtigt. Für genaue Daten müssen allerdings die Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Projektion Ende April - wir werden sie in einer Woche vorlegen - und der Steuerschätzung im Mai abgewartet werden.
Unter Berücksichtigung aller derzeit verfügbaren Informationen gehen wir für 2002 allerdings weiterhin von
einem Staatsdefizit von 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Hans Michelbach.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir die Veröffentlichungen bestätigen,
wonach die Steuereinnahmen, die für das gesamtstaatliche Defizit eine große Rolle spielen, gegenüber der Prognose für das Jahr 2002 um etwa 10 Prozent zurückgegangen sind? Wie wollen Sie in diesem Zusammenhang
einen ausgeglichen Haushalt erreichen, wenn Sie dem
Parlament keinen Nachtragshaushalt vorlegen bzw. keine
wesentlichen Sparmaßnahmen für den Haushalt 2003
vorschlagen wollen?
Herr Kollege Michelbach,
die Fragen des Herrn Kollegen Storm richteten sich auf
die Defizitquote des Jahres 2002.
Wir haben die Steuern, die bis zum Ende des Monats
März zu entrichten waren, eingenommen. Auf diese wirkten sich Sondereinflüsse aus, sodass keine endgültigen
Voraussagen bis zum Jahresende gemacht werden können. Wir sind zuversichtlich, dass sich die Steuereinnahmen im Jahresverlauf erholen werden. Ich kann Ihre Annahme, dass die Steuereinnahmen im Vergleich zu den
Schätzungen um 10 Prozent zurückgegangen sind, nicht
bestätigen. Allerdings sind sie bis jetzt - bis zum ersten
Quartal - unbefriedigend.
Wir sind aber weiterhin zuversichtlich - ich sagte es
gerade schon -, dass die Defizitquote des Gesamtstaates
weiterhin - bis zum Jahresende - 2,5 Prozent des BIP betragen wird. Wir gehen nicht davon aus, dass die Notwendigkeit besteht, einen Nachtragshaushalt vorzulegen
oder weitere besondere Sparanstrengungen vorzunehmen; denn dieser Bundeshaushalt beruht auf den schon
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
seit 1999 mit aller Anstrengung durch die rot-grüne Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien
vorgenommenen Konsolidierungsanstrengungen, die
selbstverständlich auch in dieses Jahr hinein fortwirken.
Ich danke
Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Ich rufe die
Frage 4 des Kollegen Michelbach, die durch die Parlamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf beantwortet
wird, auf:
Was gedenkt die Bundesregierung an Fördermaßnahmen zur
Wettbewerbsgleichheit vor dem Hintergrund der neuesten Studie
des Deutschen Industrie- und Handelskammertages für Firmenstandorte in Deutschland, die hohe Defizite für die strukturschwächeren Räume zeigt, zu veranlassen?
Herzlichen
Dank, Herr Präsident. - Herr Michelbach, Sie wissen,
dass zugunsten von strukturschwachen Regionen bereits
ein breites regionalpolitisches Förderinstrumentarium
von Bund und Ländern, aber auch der EU zur Verfügung
steht. Die Bundesregierung unterstützt die wirtschaftliche
Entwicklung in strukturschwachen Gebieten insbesondere mit der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Die Förderung von Investitionen der gewerblichen Wirtschaft zielt darauf ab,
Standortnachteile von Betrieben in den Fördergebieten
abzubauen und so die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu verbessern.
Der Schwerpunkt der Förderung - das werden Sie wissen - liegt weiterhin in den neuen Ländern, damit dort der
wirtschaftliche Aufholprozess fortgesetzt und eine moderne wettbewerbsfähige Wirtschaftsstruktur geschaffen
werden können. Wir sind sehr erfreut, dass fünf Institute
festgestellt haben, dass dieser Aufholprozess langsam an
Fahrt gewinnt.
Kleine und mittlere Unternehmen erhalten deutliche
Förderpräferenzen. Darüber hinaus können kleine und
mittlere Unternehmen das ergänzende GA-Förderangebot
für nicht investive Unternehmensaktivitäten zur Stärkung
der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft in Anspruch nehmen. Dabei handelt es sich um die Förderung
von Beratungs- und Schulungsmaßnahmen, aber auch
von Humankapitalbildung und angewandter Forschung
und Entwicklung.
Wie Sie wissen, werden diese Instrumente in regelmäßigen Abständen, in der Regel in einem Rhythmus von
drei bis vier Jahren, überprüft und den strukturellen Veränderungen angepasst. Folgende Indikatoren der einzelnen Arbeitsmarktregionen werden verglichen: Das ist
zum Ersten die durchschnittliche Arbeitslosen- respektive
Unterbeschäftigungsquote; das ist zum Zweiten das Einkommen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
pro Kopf und zum Dritten eine Erwerbstätigenprognose
sowie eine Infrastrukturprognose.
Herr Kollege Michelbach, wenn ich vielleicht noch einen Zusatz machen darf: In dem Gutachten, das Herr
Wansleben am 12. April 2002 vorgestellt hat, spielt die
Forderung an die Kommunen seitens der beteiligten
20 000 Unternehmen eine zentrale Rolle. Hier wird gesagt, man müsse von den hohen Abgaben und Gebühren
herunter, die Verwaltung müsse schlanker werden und die
Behörden müssten schneller entscheiden.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf das
Gutachten der Institute, das heute vorgelegt worden ist,
kommen: Ich bin ausgesprochen erfreut - das entspricht
dem Statement von Herrn Wansleben -, dass die Institute
empfehlen, dass die Abgabenerhöhungen der Städte und
Gemeinden sowie der Länder auf 1 Prozent zu begrenzen
sind. Ich bin des Weiteren darüber erfreut, dass es mit dem
Landkreistag und dem Deutschen Städtetag vonseiten
meines Hauses regelmäßige Treffen zu dem Thema gibt,
dass nicht nur 80 Prozent der Kommunen im Netz präsent
sind, sondern dass sie auch ihre Verwaltungsanforderungen über das Netz abwickeln. Ich kann Ihnen mitteilen,
dass wir in diesem Zusammenhang einen Wettbewerb
durchführen. Er heißt „Media@com“ und hat das Ziel,
bürokratische Anforderungen der Verwaltungen der Kommunen zu reduzieren. Ich freue mich insbesondere, dass
das Land Bayern bereit ist, den Modellversuch „Einheitliche Unternehmensnummer“ zusammen mit uns zu realisieren.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ich freue mich, dass Sie über meine Frage erfreut sind.
Aber ich bin mit Ihren Antworten nicht sehr einverstanden. Sie sind sehr global.
Deswegen eine Zusatzfrage: Sehen Sie nicht, dass es
spezielle Förderinstrumente geben muss und dass die
diesbezüglich vorhandenen Förderinstrumente im Moment nicht ausreichen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass von 69 in der genannten DIHK-Umfrage erfolgten Bewertungen zum Beispiel der oberfränkische
Firmenstandort Coburg auf Platz 55 und Bayreuth auf
Platz 62 liegen, das heißt am Schluss zu finden sind, und
es nur noch in den neuen Bundesländern schlechtere
Standorte gibt? Ist hier nicht dringend ein zielgenaues
Maßnahmenbündel notwendig, damit die Attraktivität des
Wirtschaftsstandortes der Region Oberfranken verbessert
werden kann?
Sehr geehrter
Herr Kollege Michelbach, ich weiß nicht, ob es die Aufgabe der Bundesregierung ist, den Wettbewerb zwischen
den IHK-Bezirken tatsächlich auch monetär zu fördern.
Ich bin Herrn Wansleben allerdings ausgesprochen dankbar dafür, dass er sagt, es gebe einen Lichtblick, nämlich
eine Stärkung des Wettbewerbs zwischen den IHK-Bezirken. Gerade auch deshalb hat der DHIK in der vorgelegten Studie ein Ranking eingeführt. Dort ist zum Beispiel
ausgewiesen, dass Frankfurt auf Platz eins und Aschaffenburg - das ja bekanntlich in Bayern liegt - auf Platz
zwei kam. Vielleicht sollten Sie Ihrerseits in Gesprächen
gegenüber den dortigen IHK-Bezirken tätig werden. Ich
werde das auch machen. Vielleicht müssen sich diese dort
auch mehr als Dienstleister verstehen, um die Attraktivität
der Standorte zu fördern.
Sie können in diesem Kontext darauf aufmerksam machen, dass wir mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe auch
Maßnahmen wie die Erschließung von Industrie- und Gewerbegelände fördern, dass wir den Ausbau und die Anbindung von Verkehrsnetzen fördern, dass wir die Errichtung von Abwasser- und Abfallanlagen fördern, dass wir
zur Verbesserung der Infrastruktur für Tourismus beitragen
und dass wir durchaus bereit sind, bei der Errichtung von
Zentren der beruflichen Bildung und von Gründungszentren unterstützend unter die Arme zu greifen.
Ich danke
Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzleramts
auf. Herr Staatsminister Hans Martin Bury beantwortet
die Fragen 10 und 11 des Kollegen Eckart von Klaeden:
Hat Bundeskanzler Gerhard Schröder mit SPD-Generalsekretär Franz Müntefering dessen Verhalten gegenüber dem 1. Untersuchungsausschuss besprochen bzw. war das Verhalten von
SPD-Generalsekretär Franz Müntefering gegenüber dem 1. Untersuchungsausschuss mit Bundeskanzler Gerhard Schröder sogar
abgestimmt?
Hat Bundeskanzler Gerhard Schröder mit SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier deren Verhalten gegenüber dem
1. Untersuchungsausschuss besprochen bzw. war das Verhalten
von SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier gegenüber
dem 1. Untersuchungsausschuss mit Bundeskanzler Gerhard
Schröder sogar abgestimmt?
Herr Kollege von Klaeden, Ihre Fragen beziehen sich
nicht auf Bereiche, für die die Bundesregierung mittelbar
oder unmittelbar verantwortlich ist. Deshalb erübrigt sich
an sich die Antwort in der Sache.
Nun kann ich grundsätzlich nicht ausschließen, dass
der Zweck einer Frage nicht darin besteht, eine Antwort
zu erhalten. Um hier nicht Raum für Spekulationen zu lassen, füge ich deshalb hinzu: Der Bundeskanzler hat weder
mit dem Generalsekretär noch mit der Schatzmeisterin
der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands deren Verhalten im 1. Untersuchungsausschuss abgestimmt.
Eine Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Herr Staatsminister, billigt denn der Bundeskanzler das Verhalten zum Beispiel des Generalsekretärs Müntefering am 21. März bei
seiner Vernehmung, angeblich eine Liste von Spendern
nicht gekannt zu haben, die dem Willy-Brandt-Haus bereits am 14. März per Einschreiben mit Rückschein zugegangen ist?
Herr Kollege von Klaeden, ich darf Sie noch einmal
darauf hinweisen, dass Voraussetzung für die Zulässigkeit
von Fragen ist, dass diese sich auf Bereiche beziehen, für
die die Bundesregierung unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist. Das ist beim vorliegenden Sachverhalt erkennbar nicht der Fall.
Allenfalls könnte sich bei Bundesminister a. D. Franz
Müntefering durch seine ehemalige Zugehörigkeit zur
Bundesregierung ein Bezug zur Verantwortlichkeit der
Bundesregierung ergeben. Bei der von Ihnen angesprochenen Aussage des Kollegen Müntefering vor dem
1. Untersuchungsausschuss liegt ein solcher Bezug jedoch nicht vor. Aus diesem Grunde war das Bundeskabinett auch nicht mit der Frage einer Aussagegenehmigung
für Herrn Bundesminister a. D. Müntefering befasst.
Die Abgeordnete Wettig-Danielmeier hingegen hat der
Bundesregierung niemals angehört. Ein Bezug zur Verantwortlichkeit der Bundesregierung ist auch hier in keiner Weise ersichtlich.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Ist es denn richtig,
Herr Staatsminister, dass der Bundeskanzler im Zusammenhang mit der Kölner SPD-Spendenaffäre angekündigt
hat, alles zu unternehmen, um für eine rasche und gründliche Aufklärung zu sorgen?
({0})
Richtig ist, dass der Parteivorsitzende der SPD angekündigt hat, dass die Vorgänge in Köln konsequent aufgeklärt und die Konsequenzen gezogen werden. Aber
auch dies liegt nicht in der mittelbaren oder unmittelbaren
Verantwortung der Bundesregierung und ist somit nicht
Gegenstand dessen, worauf sich Fragen in der Fragestunde des Bundestages beziehen können.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.
Herr Staatsminister, hat es
mit dem Bundeskanzler zusammen im Bundeskanzleramt
Gespräche mit Herrn Müntefering oder anderen Personen
der SPD über die Spendenaffäre in Köln gegeben?
Herr Kollege Koppelin, ich verweise auf die bereits gegebene Antwort auf die Frage des Kollegen von Klaeden.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Carstensen.
Herr
Staatsminister, ich weiß nicht, ob ich richtig zugehört
habe, aber ich kann nicht erkennen, dass Sie die Frage des
Kollegen Koppelin im Nachgang zu der Frage des Kollegen von Klaeden beantwortet haben. Hier wurde gefragt,
ob es Gespräche im Bundeskanzleramt gegeben hat. Können Sie dies mit Ja oder Nein beantworten?
Herr Kollege, ich habe in der Antwort auf die Frage
des Kollegen von Klaeden bereits klargestellt, dass es
keine Abstimmung des Verhaltens des Generalsekretärs
oder der Schatzmeisterin im 1. Untersuchungsausschuss
mit dem Bundeskanzler gegeben hat. Sie können mich
auch fragen, wie die Bundesregierung die programmatischen Kontroversen innerhalb der Union oder die innerparteiliche Kritik am CSU/CDU-Kandidaten bewertet.
({0})
Auch das sind allerdings Fragen, die nicht Gegenstand der
Befragung der Bundesregierung oder der Fragestunde des
Deutschen Bundestages sind bzw. dort nicht von der Bundesregierung zu kommentieren sind.
Es gibt
keine weiteren Fragen. Herr Staatsminister, ich danke
Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes
auf. Zur Beantwortung steht Staatsminister Dr. Christoph
Zöpel zur Verfügung.
({0})
- Ich habe beide Fragen gemeinsam aufgerufen und sie
sind auch gemeinsam beantwortet worden. Es ist kein Widerspruch erfolgt. Es tut mir Leid. Ich habe beide Fragen
aufgerufen. Der Staatsminister hat beide Fragen gemeinsam beantwortet.
Wir sind also im Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Die Frage 12 der Abgeordneten Sylvia Bonitz
kann nicht beantwortet werden, weil die Kollegin nicht
anwesend ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Hartmut
Koschyk auf:
Wie hat sich der Anteil deutscher Schüler an den deutschen
Auslandsschulen in den letzten Jahren entwickelt und wie bewertet die Bundesregierung Presseberichte - „Frankfurter Rundschau“ vom 11. April 2002 -, wonach die aufgrund der Mittelkürzungen gestiegenen Schulgebühren für den Besuch einer
deutschen Schule im Ausland zu einem Rückgang bei den deutschen Schülerzahlen geführt haben?
Herr Präsident! Herr Kollege, im Rahmen der
auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik fördert das
Auswärtige Amt 117 Auslandsschulen. Davon sind
44 deutschsprachige Schulen, 48 Begegnungsschulen und
25 landessprachliche Schulen mit verstärktem Deutschunterricht. Die Gesamtschülerzahl ist in den vergangenen
zehn Jahren mit rund 70 000 konstant geblieben. Gleiches
gilt für den Anteil deutscher Schülerinnen und Schüler bei
einer Schwankungsbreite zwischen circa 16 500 und
17 500 Schülern. Die Größe einzelner Schulen bzw. ihre
Schülerzahl variiert lokal sehr stark.
So stieg die Anzahl der Schüler an der deutschen
Schule in Peking von 113 Schülern 1995/96 auf
230 Schüler 2001/02 und an der deutschen Schule in
Schanghai in dem gleichen Jahresvergleich von elf auf
140 Schülern stark an. Aufgrund wirtschaftlicher und politischer Probleme sind die Zahlen für den Vergleichszeitraum beispielsweise in Lagos rückläufig. Dort ging die
Anzahl der Schüler von 152 auf 77 zurück.
An Standorten mit schwierigeren Lebensumständen ist
tendenziell erkennbar, dass die Exportwirtschaft zunehmend weniger Mitarbeiter aus Deutschland oder ihre Mitarbeiter nur vorübergehend bzw. ohne Familie entsendet,
was sich unmittelbar auf die Schülerzahl auswirkt.
Die Auslandsschulen bleiben von der Haushaltskonsolidierung nicht ausgenommen. Interne Umstrukturierungen sichern gleichzeitig Qualität und Leistungsvermögen
der Schulen. Auf ergänzende Finanzierungsmöglichkeiten, beispielsweise erhöhte Schulgelder oder Sponsoring,
sind die Schulen gleichwohl verstärkt angewiesen. Ein
Zusammenhang zwischen Schulgelderhöhungen und dem
Rückgang von Schülerzahlen ist allerdings nicht nachweisbar.
Für viele Eltern sind andere internationale Schulen
keine Alternative, da sie an einer an deutschen Normen
orientierten Ausbildung interessiert sind. Hinzu kommt,
dass die deutschen Auslandsschulen im Vergleich zu britischen oder amerikanischen Schulen weiterhin vergleichsweise günstige Schulgelder erheben.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister,
die Frage bezieht sich auf einen Pressebericht in der
„Frankfurter Rundschau“ vom 11. April 2002. In diesem
Pressebericht wird über den ersten Weltkongress der deutschen Auslandsschulen in Mexiko City berichtet und
Klage über die erheblichen Mittelkürzungen im Etat des
Auswärtigen Amtes für die deutschen Auslandsschulen
geführt. Das Auswärtige Amt war auf diesem Kongress
vertreten. Konnte die Bundesregierung den Vertretern der
deutschen Auslandsschulen in Aussicht stellen, dass im
Haushalt des nächsten Jahres eventuell eine Erhöhung der
Fördermittel für die deutschen Auslandsschulen vorgesehen wird? Denn der Rückgang hat ja inzwischen zu qualitativen Einbußen - bis hin zur Frage hinsichtlich der an
deutschen Auslandsschulen tätigen Lehrkräfte - geführt.
Herr Kollege, das Auswärtige Amt hat so etwas mit guten Gründen - nicht in Aussicht gestellt. Es gibt gar
keinen Zweifel daran, dass die Konsolidierungspolitik
fortgeführt werden muss, schon allein, um im Einklang
mit den entsprechenden Rahmenbedingungen der Europäischen Union zu bleiben. Das ist allgemein bekannt.
Davon kann kein Ressort ausgenommen werden.
Ich wiederhole einen Hinweis, den ich für wesentlich
halte und der eine Grundlage des deutschen Systems in
diesem Zusammenhang ist: Amerikanische und britische
Schulen erheben vergleichsweise höhere Schulgelder. Ich
glaube, dies ist eine der notwendigen und auch gewollten
Folgen der Reduzierung von Transferzahlungen in Haushalten hoch entwickelter Staaten.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister,
folglich scheinen Angehörige deutscher Unternehmen im
Ausland andere Erfahrungen zu haben, als sie die Bundesregierung für sich in Anspruch nimmt. In dem zitierten
Presseartikel heißt es wörtlich:
Eine wachsende Zahl von Eltern, die aus beruflichen
Gründen ins Ausland geschickt wurden, kann sich den
Besuch einer deutschen Schule nicht mehr leisten.
Dies geht zurück auf Aussagen, die bei dem Kongress der
deutschen Auslandsschulen getätigt worden sind.
Ich frage erneut, ob sich das Auswärtige Amt nicht
doch noch einmal überlegt, die Förderung der deutschen
Auslandsschulen zu verstärken. Denn auch die deutsche
Wirtschaft - es gibt eine entsprechende Entschließung der
Konferenz der Wirtschaftsminister des Bundes und der
Länder - beklagt einen Substanzverlust bei den deutschen
Schulen im Ausland und fürchtet, dass der Anreiz für
junge Familien mit Kindern, für deutsche Unternehmen
ins Ausland zu gehen und somit den Wirtschaftsstandort
Deutschland im Ausland zu stärken, Schaden nimmt,
wenn hier nicht ein Kurswechsel erfolgt.
Herr Kollege, das Auswärtige Amt trägt die notwendige Konsolidierungspolitik voll mit. Ich glaube, gerade in
den von Ihnen wiedergegebenen Berichten wird die
grundsätzliche gesellschaftliche Problematik der notwendigen Haushaltskonsolidierung und der damit verbundenen steuerlichen Entlastung von Unternehmen deutlich.
Für den größten Teil der infrage kommenden Fälle
- soziale Härten kann man nie ausschließen; mit denen
sollte man sich individuell beschäftigen - wird die Frage,
wie von Unternehmen ins Ausland entsandte Mitarbeiter
ihre Kinder beschulen, Vertragsbestandteil zwischen diesen Mitarbeitern und den Unternehmen sein. Dies entspricht auch der gesellschaftspolitischen Philosophie,
welche der entsprechenden Haushaltskonsolidierung und
Steuerentlastung zugrunde liegt.
Herr Staatsminister, wir sind schon bei Frage 13. Es liegt an Ihnen,
ob Sie bereit sind - die Kollegin Bonitz ist gerade eingetroffen -, die Frage 12 jetzt noch zu beantworten.
Ich bin immer bereit, alles das zu tun, was dem Parlamentarismus angemessen ist.
Können Sie
uns das schriftlich geben?
Das gebe ich Ihnen gerne schriftlich. Das ist eine
meiner ethischen Überzeugungen.
Dann rufe
ich die Frage 12 auf:
Ist die in der „Wirtschaftswoche“ vom 21. März 2002 zitierte
Äußerung des Bundesministers des Auswärtigen, Joseph Fischer,
„Wissen Sie, ich kann Interviews geben, wem ich will - Sie müssen sich dafür immer erniedrigen“ gegenüber der ARD-Korrespondentin Hanni Hüsch korrekt wiedergegeben worden, und falls
ja, was versteht der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph
Fischer, ganz konkret unter der zitierten „Erniedrigung“?
Frau Kollegin, Herr Bundesaußenminister Fischer
pflegt einen engen und vertrauensvollen Umgang mit den
Medien. Dies können Sie auch daran feststellen, dass viel
über ihn geschrieben wird. Auf Ihre Frage kann ich Ihnen
nur eine grundsätzliche und alternativlose Antwort geben:
Die Bundesregierung sieht grundsätzlich keine Veranlassung, nicht öffentliche vermeintliche oder tatsächliche
Äußerungen von Bundesministern zu kommentieren.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister,
zunächst ganz herzlichen Dank, dass Sie die Frage noch
beantworten. Es geht hier aber nicht darum, dass Sie die
Äußerung kommentieren, sondern darum, dass Sie sagen,
ob dieser Ausspruch von Herrn Fischer gegenüber einer
ARD-Korrespondentin überhaupt zutreffend wiedergegeben ist. Ich nenne das Zitat noch einmal: „Wissen Sie, ich
kann Interviews geben, wem ich will - Sie müssen sich
dafür immer erniedrigen.“
Frau Kollegin, die Bundesregierung - Sie fragen die
Bundesregierung - untersucht grundsätzlich nicht die unendliche Vielfalt von angeblichen, tatsächlichen, richtig,
modifiziert dargestellten Äußerungen von Bundesministern. Ich glaube, wenn sie es tun würde, würde das Parlament die Bundesregierung zu Recht kritisieren, weil es
wichtigere Aufgaben gibt als diese.
Eine weitere
Zusatzfrage.
Es ist schon bemerkenswert, dass man als Parlamentarier keine Auskunft darüber
erhält, ob eine angebliche Aussage eines Ministers stimmt
oder nicht. Sieht die Bundesregierung denn einen Zusammenhang zu einer früheren Äußerung von Herrn Fischer,
die so auch bestätigt worden ist, als er Journalisten als
- ich zitiere - „Fünf-Mark-Huren“ bezeichnet hat? Dies
passt in den Zusammenhang.
Frau Kollegin, Sie werden mir nicht verübeln, dass ich die Frage zwingend genauso wie die davor beantworte. Es gibt keine Stelle in der
Bundesregierung, die die unübersehbare Fülle von Bundesministern zugeschriebenen Äußerungen - das findet
täglich statt - daraufhin überprüft, ob es sie gibt und ob
sie richtig sind. Ich füge hinzu: Es ist sehr vernünftig, dass
es eine solche Stelle nicht gibt.
Damit sind
wir am Ende Ihres Geschäftsbereichs. Herr Staatsminister, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Justiz auf. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär, Professor Dr. Eckhart Pick.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Dr. Norbert Röttgen
auf:
Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung für
oder gegen eine Novellierung der Bundesgebührenordnung für
Rechtsanwälte, BRAGO, und in welchem Zeitraum müsste eine
solche Novellierung aus Sicht der Bundesregierung erfolgen?
Herr Präsident! Herr Kollege
Dr. Röttgen, das neue Vergütungsrecht der Rechtsanwälte
soll transparenter, anwenderfreundlicher und aufwandsorientierter werden sowie den veränderten Strukturen der
Anwaltskanzlei Rechnung tragen. Im Hinblick darauf,
dass die Gebührensätze der Rechtsanwälte bekanntlich
seit 1994 nicht mehr angepasst worden sind, soll im Zuge
der Strukturreform eine Angleichung der Einkommen der
Anwaltschaft an die Einkommensentwicklung in anderen
Bereichen erfolgen. Daran arbeitet die Bundesregierung
mit Nachdruck.
Zusatzfrage.
Sehr geehrter Herr
Staatssekretär Professor Pick, allen Interessierten stellt
sich die Frage, zu welchem Ergebnis dieser Nachdruck
führt. Im letzten Sommer hat die Expertenkommission
das Gutachten vorgelegt. Die Verbände haben dazu Stellung bezogen. Sie haben die Bedeutung dieses Vorhabens
gerade unterstrichen und betont, dass es Anlass gibt.
Die Legislaturperiode ist in fünf Monaten zu Ende. Ich
möchte Sie fragen: Wollen Sie noch in dieser Legislaturperiode zu einem Ergebnis kommen? Anders gefragt: Was
sind die Gründe für die Schneckenhaftigkeit der Gesetzgebungsarbeit, die in diesem Bereich betrieben wird?
Herr Kollege Röttgen, ich weise den
Ausdruck „Schneckenhaftigkeit“ - natürlich mit der gebührenden Empörung - zurück. Sie können aus der Tatsache, dass die Strukturkommission am 12.April dieses Jahres
erneut getagt und sich mit der Fortschreibung des Berichtes
und der Vorschläge beschäftigt hat, ersehen, dass wir mitten
in den Beratungen sind. Insofern hoffen wir, dass wir dieses
Unternehmen möglichst bald abschließen können.
Eine weitere
Zusatzfrage.
Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Wird es noch in dieser Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf der
Bundesregierung geben?
Herr Kollege, die Bundesregierung
unternimmt alle Anstrengungen, um noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen.
Ich rufe die
Frage 15 des Abgeordneten Röttgen auf:
Mit welchen anderen rechtspolitischen Projekten wie zum
Beispiel der Novellierung des Gerichtskostengesetzes, GKG, beabsichtigt die Bundesregierung eine etwaige Novellierung der
BRAGO gegebenenfalls zu verknüpfen und warum?
Herr Kollege Dr. Röttgen, mit den
Ländern und den Repräsentanten der Anwaltschaft ist sich
die Bundesregierung darin einig, dass die Reform des anwaltschaftlichen Gebührenrechts aus Gründen struktureller Abhängigkeiten und finanzieller Auswirkungen auf
die Länderjustizhaushalte in die Gesamtreform des Gerichtskostenrechts eingebettet sein muss.
Zusatzfrage.
Ist sich die Bundesregierung bewusst, dass durch die Verklammerung
beider Bereiche, anwaltliches Gebührenrecht und Gerichtskostengesetz, eine enorme Verzögerung im gesamten Vorhaben bewirkt wird, was eine inhaltliche Bremse
bedeutet, ohne dass ein zwingender sachlicher Zusammenhang zwischen beiden Bereichen besteht? Nimmt die
Bundesregierung damit nicht in Kauf, dass aus dem Projekt nichts wird, sondern in die Rubrik Ankündigungsprojekt einzugruppieren ist?
Herr Dr. Röttgen, es gibt keinen
Zweifel - darin war sich die Kommission, die die Bundesministerin der Justiz eingesetzt hat, einig -, dass es einen strukturellen Zusammenhang zwischen der Änderung
der Struktur der Gebührenordnung für Anwälte und dem
Gerichtskostenrecht gibt. Es war von Anfang an ein Ziel
dieser Kommission, zum Beispiel die Frage der Vergütung von Sachverständigen, Zeugen sowie ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern in diesem Zusammenhang mit einzubringen. Das ist die Vorbemerkung.
Sie werden verstehen, dass insbesondere die Länder
mit Argusaugen darauf achten, dass sie bei dieser Reform
aus ihrer Sicht nicht unter die Räder kommen. Insofern
muss es natürlich einen einigermaßen austarierten Ausgleich zwischen den Belangen der Anwälte, die wir alle
unterstützen - darin bin ich mit Ihnen einer Meinung -,
und den Interessen der Länder geben. Darüber hinaus gibt
es noch andere Beteiligte bei diesem Vorhaben, nämlich
die so genannten Konsumenten, diejenigen, die diese
Kosten letztlich tragen müssen. Dazu gehören sicherlich
auch Teile der Versicherungswirtschaft.
Die Struktur dieses Vorhabens ist also grundsätzlich
gerechtfertigt. Die Frage, ob es möglich ist, die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte aus dem Konzept
herauszulösen, ist noch nicht geklärt. Wir überlegen noch.
Nur so viel ist klar: Insgesamt muss jedes Konzept mit der
Struktur des Gerichtskostenrechts abgestimmt sein und
geklärt sein, was das bringt. Wir brauchen dazu keine ausformulierte Gebührenordnung. Wir arbeiten an diesem
Thema. Ich hoffe, dass es uns bald gelingt, einen Referentenentwurf in die Gremien einzubringen.
Die Fragen 16 und 17 des Kollegen Dr. Jürgen Gehb werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Volker Kauder auf:
Wird die Bundesregierung die von der Arbeitsgruppe Gebührenrecht der Bundesrechtsanwaltskammer, BRAK, erarbeiteten Anregungen im Hinblick auf den von der Expertenkommission BRAGO-Strukturreform vorgelegten Entwurf eines RVG-E
aufgreifen und wenn nein, warum nicht?
Herr Kollege Kauder, die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer wird wie auch
die Stellungnahmen der anderen Verbände - dazu gehört
auch die des Deutschen Anwalt-Vereins - im Bundesministerium der Justiz geprüft und bewertet.
Herr Parlamentarischer
Staatssekretär, können Sie uns mitteilen, wie viel Zeit
diese Prüfung noch in Anspruch nehmen wird? Die Fakten liegen ja schon eine Zeit lang auf dem Tisch.
Wir sind auch mit der von Ihnen angesprochenen Bundesrechtsanwaltskammer im Gespräch. Das letzte Gespräch hat am 27. März dieses Jahres
in unserem Haus stattgefunden. Wir haben die Bundesrechtsanwaltskammer gebeten, sich noch einmal mit der
Versicherungswirtschaft in Verbindung zu setzen, weil es
offensichtlich unterschiedliche Einschätzungen gibt. Wir
haben gebeten, uns über das Ergebnis der Gespräche
- auch wir haben bereits mit der Versicherungswirtschaft
Gespräche geführt - in Kenntnis zu setzen. Das ist bisher
noch nicht erfolgt.
Im Übrigen habe ich bei der Beantwortung der Fragen
des Kollegen Dr. Röttgen schon darauf hingewiesen, dass
wir im Moment im Lichte der Stellungnahmen und mithilfe der Kommission den Entwurf überarbeiten. Sobald
er einen gewissen Stand erreicht hat, wird er als Referentenentwurf eingebracht werden.
Herr Parlamentarischer
Staatssekretär, vielleicht kann ich Sie doch noch dazu
bringen, eine genauere Aussage im Namen der Bundesregierung zu machen: Teilen Sie die Auffassung des rechtspolitischen Sprechers der Grünen, der die Novellierung
noch in dieser Legislaturperiode gefordert hat?
Es gibt keinen Zweifel, dass die Anhebung der Gebühren wichtig ist. Aus unserer Sicht ist die
Strukturreform der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte genauso wichtig. Das ist eine vordringliche Aufgabe; denn wir sehen hier Nachholbedarf. Das Bundesministerium der Justiz ist bemüht. Sie erkennen auch an
den Terminen, die es in der letzten Zeit gegeben hat, dass
diese Reform von uns nach wie vor als ein wichtiges Vorhaben angesehen wird.
Ich rufe die
Frage 19 des Kollegen Volker Kauder auf:
Entspricht der Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 24. März 2002, nach dem Bundeskanzler
Gerhard Schröder das Vorhaben der Bundesministerin der Justiz,
Dr. Herta Däubler-Gmelin, zur besseren Vergütung von Rechtsanwälten im Kabinett gestoppt haben soll, den Tatsachen und wenn
ja, wie wirkt sich dies auf den Zeitplan für eine Novellierung der
BRAGO aus?
Herr Kollege Kauder, aus meinen
bisherigen Antworten dürfte sich bereits ergeben haben,
dass der Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ nicht den Tatsachen entsprechen kann; denn das
Bundesministerium der Justiz arbeitet nach wie vor mit
Nachdruck an dem Entwurf.
Herr Parlamentarischer
Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob aus Ihrem Hause ein
entsprechender Vermerk an das Bundeskanzleramt gegeben wurde, aus dem hervorgeht, wie sich der Bundeskanzler vielleicht in den nächsten Tagen bei der einen oder
anderen Veranstaltung äußern will?
Das Bundesministerium der Justiz
hat keinen Anlass, dem Herrn Bundeskanzler irgendwelche Vorgaben zu machen.
Haben Sie solche Vorgaben denn gemacht?
Wir haben keine solchen Vorgaben
gemacht.
Ich rufe die
Frage 20 des Kollegen Peter Weiß ({0}) auf:
Trifft es zu, dass die Bundesregierung beabsichtigt, den von
der Bundesministerin der Justiz, Dr. Herta Däubler-Gmelin, erarbeiteten Entwurf eines Gesetzes zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht nicht mehr in dieser Legislaturperiode in
den Deutschen Bundestag einzubringen?
Herr Kollege Weiß, der in Ihrer
Frage unterstellte Sachverhalt trifft nicht zu. Vielmehr
wird angestrebt, Regelungen zur Verhinderungen von
Diskriminierungen im Zivilrecht noch in dieser Legislaturperiode zu verwirklichen.
Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass Berichte zum
Beispiel im „Focus“, dass der Bundeskanzler der Bundesjustizministerin mitgeteilt habe, dass er diesen Entwurf
auf keinen Fall als Regierungsentwurf einbringen wolle,
und Meldungen wie die im „Tagesspiegel“ von heute, wonach feststehe, dass es zu keinem Regierungsentwurf
kommen, sondern allenfalls einen Entwurf der beiden Koalitionsfraktionen geben werde und dass der rechtspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen festgestellt
habe, es gebe „bei der SPD ... starke Absetzbewegungen“,
den Gesetzentwurf als Entwurf der Koalitionsfraktionen
einzubringen, zutreffen? Wird es also zu keinem Regierungsentwurf mehr kommen und wird damit die Bundesregierung ihr Versprechen brechen, das sie anlässlich der
Beratungen des Gleichstellungsgesetzes insbesondere
den Behindertenverbänden gegeben hat?
Der letzte Teil Ihrer Ausführungen
war wohl keine Frage, sondern schon eine vorweggenommene Bewertung. Ich kann nur sagen, dass die Bundesregierung nach wie vor an dem Entwurf arbeitet. Wir
befinden uns in der Abstimmung mit den Ressorts. Insofern handelt es sich hier um einen ganz normalen Vorgang.
Wir sind auch weiterhin bemüht - das habe ich bereits in
der letzten Woche auf entsprechende Fragen von Herrn
Dr. Seifert gesagt -, diesen Entwurf, in welcher Form
auch immer, noch in die Gremien zu bringen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär, da mir das Thema Gleichstellung Behinderter besonders am Herzen liegt, frage ich Sie, ob es
nicht klüger gewesen wäre, die Bundesregierung hätte daran festgehalten - das war ursprünglich geplant gewesen -, im Gleichstellungsgesetz auch die Fragen der zivilrechtlichen Gleichstellung von Behinderten zu regeln,
statt diesen Teil herauszunehmen und jetzt in einen offensichtlich eher dilettantisch zusammengestrickten und in
der Bundesregierung höchst umstrittenen Entwurf eines
Antidiskriminierungsgesetzes aufzunehmen? Im Übrigen
erinnere ich daran, dass das Bundesjustizministerium den
Referentenentwurf erst herausgerückt hat, nachdem die
Behindertenverbände angekündigt hatten, am 3. Dezember vergangenen Jahres hier in Berlin zu demonstrieren.
Das Konzept der Bundesregierung
beinhaltet, dass es zu einem zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetz kommt. Insofern handelt es sich hier
um eine klare Entscheidung. Wie Sie vielleicht wissen,
haben wir auch schon zivilrechtliche Regelungen dort, wo
es sinnvoll war, aufgenommen, beispielsweise in das neue
Mietrecht. Dort ist im Einvernehmen mit den Verbänden
zum ersten Mal die Barrierefreiheit aufgenommen worden. Wir haben uns also auch schon bei unseren bisherigen Projekten bemüht, entsprechende Regelungen einzubringen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Herr Staatssekretär, wird das Antidiskriminierungsgesetz zustimmungsbedürftig sein und können Sie mir den Zeitplan erläutern,
nach dem dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode
verwirklicht werden soll?
Herr von Klaeden, ob das Gesetz zustimmungsbedürftig ist, hängt von der Regelungsmaterie
ab, wie Sie als besonderer Kenner des Rechts natürlich
wissen.
({0})
Den zweiten Teil Ihrer Frage beanworte ich wie folgt:
Sie sind auch erfahren genug, um zu wissen, dass es unterschiedlichste Möglichkeiten gibt, um ein Projekt noch
vor Ende der Legislaturperiode durch die Gremien zu
bringen.
({1})
Eine Zusatzfrage der Kollegin Claudia Nolte.
Herr Staatssekretär, da
Zeitungsmeldungen doch relativ selten ganz und gar unwahr sind und ohne jeglichen Anlass erscheinen, frage ich
ausdrücklich nach: Sind die Berichte darüber, dass die
Bundesregierung nicht mehr beabsichtige, den Entwurf
eines Antidiskriminierungsgesetzes einzubringen, wahr
oder falsch?
Diese Berichte sind falsch.
Ich danke
Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär, Dr. Gerald Thalheim, zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Peter Dreßen
auf:
Welche Gründe gibt es dafür, dass das Pflanzenschutzmittel
Lebaycid in Frankreich bis zehn Tage vor der Ernte gespritzt werden darf, in Deutschland jedoch verboten ist, und wird dadurch
nach Ansicht der Bundesregierung nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz in der Europäischen Union verstoßen?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Kollege Dreßen! Das Pflanzenschutzmittel Lebaycid,
Wirkstoff Fenthion, wurde in Deutschland letztmals im
Jahre 1993 zugelassen. Schon aufgrund der damals nachzuweisenden Zulassungsvoraussetzungen konnte das
Pflanzenschutzmittel wegen seiner möglichen Auswirkungen auf den Naturhaushalt nur nach einer Vertretbarkeitsabwägung zugelassen werden, und zwar befristet auf
fünf Jahre. Mit dem nachfolgenden Antrag auf erneute
Zulassung konnten die schon früher bestehenden Bedenken nicht ausgeräumt werden.
Der Wirkstoff Fenthion wurde in der ersten Stufe der
europäischen Überprüfung von Altwirkstoffen geprüft.
Bis heute konnte noch keine Entscheidung über die
Aufnahme dieses Wirkstoffes in Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG getroffen werden. Es steht jedoch fest,
dass man nach heutigem Stand der Bewertung höchstens
gewillt ist, einer Köderanwendung zuzustimmen. Eine
Flächenanwendung mit deutlich höherem Mittelaufwand
wie beim Einsatz zur Kirschfruchtfliegenbekämpfung ist
jedoch abzulehnen.
Deutschland konnte aufgrund der Datenlage keine
sichere, durch Daten belegte Anwendung identifizieren
und spricht sich demzufolge gegen eine Aufnahme des
Wirkstoffes in Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG aus.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe
eigentlich danach gefragt, warum dieses Mittel in
Frankreich zugelassen ist.
({0})
Mein Wahlkreis liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zur
französischen Grenze. Das heißt also, fünf Kilometer
westlich meines Wahlkreises darf Lebaycid verspritzt
werden, die Kirschen dürfen geerntet und anschließend
nach Deutschland eingeführt werden. Sehen Sie darin
nicht eine Ungerechtigkeit gegenüber den deutschen
Kirschbauern? Diese Landwirte haben jetzt tatsächlich
Existenzängste und Existenznöte, weil sie befürchten,
dass ihre Kirschen von Maden befallen sind, wenn sie dieses Mittel nicht mehr spritzen können.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: In der Tat, Lebaycid ist ein Präparat, das
in Frankreich noch zugelassen ist. Die Zulassung in
Frankreich geht auf frühere Entscheidungen zurück.
Das Ziel der Bundesregierung ist eine Harmonisierung
im Pflanzenschutzrecht; es wurde auch in der von mir zitierten Richtlinie 91/414/EWG festgelegt. Die von mir
ebenfalls angesprochene Aufnahme in Anhang I der genannten Richtlinie entspricht praktisch einer gemeinschaftlichen europäischen Zulassung. Solange die Entscheidung über die einzelnen Präparate in diesem Bereich
nicht erfolgt ist, gelten nach wie vor die alten Zulassungen und damit die unterschiedliche Bewertung in den einzelnen Mitgliedsländern.
Entscheidend für die Ablehnung in Deutschland war
die Umwelttoxikologie und in Übereinstimmung damit
das 1986 im Deutschen Bundestag erlassene Gesetz, das
dem Vorsorgegedanken sowohl im Umweltbereich als
auch im Bereich des Verbraucherschutzes Vorrang vor allen anderen wirtschaftlichen Überlegungen einräumt.
Herr Staatssekretär, das, was Sie
jetzt sagen, hilft den Landwirten natürlich sehr wenig. Sie
waren schon einmal so weit zu sagen, dass im Falle einer
Gefahr im Verzuge nach einer Lösung gesucht werden
muss.
Ich kann Ihnen versichern: Die Existenz einiger Betriebe steht auf dem Spiel. Sie sehen natürlich nicht ein,
dass fünf Kilometer weiter die Kirschen mit dem Mittel
gespritzt, nach Deutschland eingeführt und hier verkauft
werden dürfen, während unsere Kirschen nicht damit behandelt werden dürfen. Das ist unverständlich. Können
Sie mir deutlich machen, warum die Lage so ist? Wird in
den nächsten Tagen nicht doch noch einmal versucht werden, eine Lösung herbeizuführen?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: In der Tat habe ich vor einigen Wochen
hier in der Fragestunde die im Pflanzenschutzgesetz vorhandene Möglichkeit angesprochen, Präparate mit dem
Hinweis „Gefahr im Verzug“ zuzulassen. Die Erwartungen, die damit verbunden waren, hatten eine reale Grundlage, nämlich ein Gespräch mit dem Umweltbundesamt.
In diesem Gespräch ist seitens des Umweltbundesamtes
angedeutet worden, das einer Ausnahmegenehmigung
nichts entgegenstehe.
Die Biologische Bundesanstalt - sie ist bei Zulassungen nach § 11 des Pflanzenschutzgesetzes einzig entscheidend - ist zu einem anderen Ergebnis gekommen,
weil mit dem Wirkstoff Dimethoat eine Alternative zur
Verfügung steht. Ich möchte es folgendermaßen auf den
Punkt bringen: Wir haben keine beste Lösung, sondern
zwei zweitbeste Lösungen: Die eine ist die Anwendung
von Dimethoat - seine Zulassung besteht nur für begrenzte
Zeit -, die andere ist die Anwendung von Fenthion, mit
dem umwelttoxikologische Probleme einhergehen.
Wir geben dem Dimethoat den Vorzug; zumal sich in
der Zeit, die seit meiner Antwort im Deutschen Bundestag
vergangen ist, die Bewertung des Wirkstoffs Dimethoat in
der Europäischen Union geändert hat. Das heißt, der
Wirkstoff wird nach heutiger Kenntnis für die nächsten
drei Jahre zur Verfügung stehen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Koschyk.
Herr Staatssekretär,
es überrascht mich jetzt doch, dass Sie heute auf einmal
auf den anderen Wirkstoff - Sie können seinen schönen
Namen besser als ich aussprechen - verweisen. Sie haben
nämlich in der Fragestunde am 13. März 2000 auf meine
Nachfrage hin gesagt:
Gefahr im Verzuge besteht insofern, als wir außer
diesem einen Präparat Lebaycid über keine anwendbaren Alternativen verfügen.
Sie haben damals darauf hingewiesen, dass bei Gefahr im
Verzuge, eine Ausnahmegenehmigung für den Einsatz
von Lebaycid gewährt werden kann und dass keine Alternative besteht. Jetzt verweisen Sie auf eine angebliche
Alternative, die vor allem die Praktiker in den Kirschanbaugebieten ablehnen.
Ich wäre dafür dankbar, wenn sich die Bundesregierung nicht hinter der Alleinzuständigkeit einer Behörde
verschanzen, sondern im Interesse der Existenz von vielen Kirschanbaubetrieben - es gibt zahlreiche Kirschanbauregionen in Deutschland - nach einer praktikablen
Lösung suchen würde; zumal - der Kollege Dreßen hat
darauf hingewiesen - eine Ungleichbehandlung gegenüber den französischen Kirschanbauern besteht. Herr
Staatssekretär, nach meiner Kenntnis bestehen gegenwärtig vonseiten der EU keine rechtlichen Hürden für eine
weitere Ausnahmeregelung in Deutschland.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft: Herr Kollege Koschyk, die Bundesregierung ist nicht die für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständige Behörde. Die Pflanzenschutzmittelzulassung geschieht auf der Basis des Pflanzenschutzgesetzes. Ich habe in meiner Antwort auf die
vorangegangene Frage schon deutlich gemacht: Die
Pflanzenschutzmittelzulassung beruht auf einer Gesetzesregelung aus dem Jahre 1986. Damals wurde in diesem
Gesetz dem Vorsorgegedanken sowohl im Hinblick auf
die menschliche Gesundheit als auch auf die Umwelt absoluter Vorrang eingeräumt. Aufgrund dieser Regelung
musste die Biologische Bundesanstalt eine Abwägung
treffen. Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Anwendung von Dimethoat letztendlich der bessere Weg ist.
Der Grund für den Widerspruch zu meiner Antwort vor
einigen Wochen, den Sie angemerkt haben, liegt darin,
dass auf europäischer Ebene mittlerweile eine andere Bewertung von Dimethoat vorliegt. Auch in Deutschland hat
es in der Vergangenheit Versuche gegeben, die Kirschfruchtfliege mit Dimethoat zu bekämpfen. Diese Versuche sind zwar nicht optimal verlaufen, hatten aber zumindest ein praktikables Ergebnis - auch in Bayern. Insofern
sehen wir in der Anwendung von Dimethoat zur Kirschfruchtfliegenbekämpfung eine durchaus machbare Lösung für die Betriebe.
Herr Kollege Urbaniak, bitte.
Herr Staatssekretär, es ist für mich völlig unbefriedigend, dass die Existenz
der deutschen Bauern im Grenzbereich gefährdet ist,
während auf der anderen Seite der Grenze kräftig produziert werden kann, die Waren von dort auf den Märkten,
die bisher die in ihrer Existenz gefährdeten Bauern bedienten, abgesetzt werden und damit eine Ungleichbehandlung innerhalb der EU stattfindet. Wir haben das
auch in anderen Bereichen: So fordern wir andere Staaten
auf, in der Energiepolitik gleiche Regelungen wie bei uns
anzuwenden. Ist denn vonseiten der Bundesergierung
beabsichtigt, Initiativen zu unternehmen, um diesen unhaltbaren Zustand im Südwesten der Republik zu beenden?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Es ist das Ziel der Bundesregierung, eine
Harmonisierung in diesem wichtigen Bereich zu erreichen. Ich durfte hier schon vortragen, dass ein Kernpunkt
der Harmonisierung eine europaweite Zulassung durch
Aufnahme in den so genannten Anhang I ist. Auf diesem
Gebiet sind wir in den letzten Jahren deutlich vorangekommen, aber noch nicht so weit, wie wir uns das wünschen.
Fenthion ist einer der Wirkstoffe, der in Frankreich
noch aufgrund einer früheren Zulassung angewandt werden darf; diese Zulassung wird aber auch dort im nächsten Jahr auslaufen. Wir sind auf dem Weg der Harmonisierung, mit all den Problemen, die aus der Vergangenheit
herrühren. Allerdings sehen wir eine existenzbedrohende
Situation für die deutschen Kirschanbauer nicht, weil hier,
wie von mir dargestellt, mit dem Wirkstoff Dimethoat
eine Lösung, wenn auch keine optimale, zur Verfügung
steht.
Herr Kollege Weiß, Emmendingen.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Thalheim, ist dem Bundesverbraucherministerium ein wenig die deutsche Wetterkarte bekannt? Können Sie vielleicht zugestehen, dass
der Wirkstoff Adimethoat, der nur mit einer Wartezeit von
21 Tagen verwandt werden darf, für den Kirschanbau in
Süddeutschland, insbesondere im Kaiserstuhl, vollkommen unbrauchbar ist, weil die Kirschen bei uns bei einer
Wartezeit von 21 Tagen nicht nur reif, sondern überreif
sind
({0})
und sich folglich für die Ernte, für den Verkauf und für das
Inverkehrbringen nicht mehr eignen? Von daher sind die
Feststellungen der Biologischen Bundesanstalt falsch.
Deswegen müsste es die von Ihnen aus § 11 des Pflanzenschutzgesetzes zitierte Regelung von Gefahr im Verzuge
in der Tat nahe legen, endlich grünes Licht dafür zu geben, dass in diesem Jahr ausnahmsweise noch einmal
Lebaycid angewandt werden kann.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Die Biologische Bundesanstalt als zuständige Zulassungsbehörde ist unter Abwägung der Gesichtspunkte zu dem Ergebnis gekommen, dass Fenthion
nicht zugelassen werden kann. In der Tat müssen Dimethoat-Präparate zu einem sehr frühen Zeitpunkt angewandt werden. Trotzdem sind wir der Auffassung, dass
die Wartezeit von 21 Tagen eingehalten werden kann. Ein
anderes Vorgehen der Bundesregierung - auch Sie sprachen vom Verbraucherschutz - würde Sie möglicherweise
in einigen Wochen zu Fragen danach provozieren, warum
die Bundesregierung ihre hochgesteckten Ziele im Verbraucherschutz nicht erfüllt. Insofern sind wir unter
Abwägung der Widersprüche, die ich eben beschrieben
habe, der Meinung: Mit Dimethoat ist die Bekämpfung
von Kirschfruchtfliegen in Deutschland möglich, ohne
den Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit und des Verbraucherschutzes zu widersprechen.
({1})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Schockenhoff.
Herr
Staatssekretär, nachdem Sie dem Kollegen Koschyk geantwortet haben, die Bundesregierung sei nicht die Zulassungsbehörde für Pflanzenschutzmittel, möchte ich Sie
fragen: Wem untersteht die Biologische Bundesanstalt?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Die Biologische Bundesanstalt untersteht
der Bundesministerin Frau Künast.
({0})
- Sie können ruhig murmeln. - Die Pflanzenschutzmittelzulassung ist zum Glück keine politische Entscheidung.
Ich kann mich während der Zeit meiner Zugehörigkeit
zum Bundestag auch an politisch begründete Anträge erinnern, nach denen Pflanzenschutzmittel verboten werden
sollten. Wir haben hier deshalb klare gesetzliche Regelungen, nach denen die Zulassung erfolgt. Das sind im
Übrigen Gesetze, die dieses Hohe Haus erlassen hat.
Wenn es zu anderen Regeln kommen soll, dann muss der
Gesetzgeber tätig werden. Das ist die ganz klare Argumentation der Biologischen Bundesanstalt.
Ich darf noch einmal darauf verweisen: Der absolute
Vorrang des Vorsorgegedankens in Bezug auf Umwelt
und Verbraucher ist 1986 in das Pflanzenschutzgesetz geschrieben worden.
Wir bleiben
beim Thema. Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Dreßen
auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass durch das
Verbot des Pflanzenschutzmittels Lebaycid und das Versprühen
des Ersatzmittels Dimethoat bis maximal 21 Tage vor der Ernte
viele Kirschenanbauer in ihrer Existenz gefährdet sind, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Existenz der
Kirschenanbauer zu erhalten?
Herr Kollege Dreßen, die Biologische
Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft hat im November 2001 ein Expertenkolloquium unter Beteiligung
des Berufsstandes zur Frage der Kirschfruchtfliegenbekämpfung durchgeführt. Die Experten kamen zu dem
Ergebnis, dass Dimethoat für die Kirschfruchtfliegenbekämpfung geeignet ist. Die Bestimmung des Einsatztermines ist wegen der Wartezeit von 21 Tagen jedoch nicht
ganz einfach, aufgrund der Erfahrungen in der Schweiz, in
Österreich und insbesondere in der DDR aber durchaus
möglich.
Die Pflanzenschutzberatung der Länder hat dies aufgegriffen. Um den Süßkirschenanbau in Deutschland mittelund langfristig zu sichern, muss jedoch nach weiteren
Wirkstoffen und Verfahren gesucht werden. Für die hierzu
notwendige Forschung führt das Bundesministerium für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft regelmäßig Abstimmungsgespräche mit den Ländern durch.
Herr Staatssekretär, der Kollege
Weiß hat gerade sehr aufgeregt auf eine Problematik hingewiesen, die natürlich ihre Berechtigung hat. Ich möchte
Ihnen das Problem in aller Ruhe noch einmal darlegen.
Bei uns beträgt die Reifezeit höchstens 14 Tage. Wenn Dimethoat 21 Tage vor der Ernte gespritzt werden muss,
dann reicht es eben nicht. Zu diesem Zeitpunkt ist die Kirsche noch sehr grün. Ein paar Tage später kommt dann
eben diese Fliege und setzt die Maden. Deswegen sagen
die Landwirte und die Kirschbauern mit Recht, dass Dimethoat bei uns eben nicht die Wirkung haben kann.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass der Kaiserstuhl
die wärmste Region in Deutschland ist. Deshalb ist hier
die Reifezeit auch am kürzesten. Das mag in der Lüneburger Heide etwas anders sein, aber am Kaiserstuhl ist
das Problem so, wie ich versucht habe, es Ihnen zu beschreiben. Wenn die Kirsche noch gelb ist und gerade
anfängt, sich rot zu färben, dann muss das Mittel gespritzt werden. Aber dann dauert es höchstens noch zehn
Tage bis zur Reife. Wenn Sie früher spritzen, ist alles
hinfällig, wenn nur ein Regenwetter kommt. Sie wissen,
dass die Kirschen, die mit Maden versehen sind, weder
in den Handel gebracht noch sonst verwendet werden
dürfen.
Die Biologische Bundesanstalt sagt selbst, dass es in
manchen Regionen problematisch ist. Sie haben es vorgelesen:
Die Bestimmung des Einsatztermines ist wegen der
Wartezeit von 21 Tagen jedoch nicht ganz einfach.
Am Kaiserstuhl ist es sehr gefährlich und sehr schwierig.
Deswegen stellt sich die Frage, ob man hier nicht zumindest regional eine Ausnahmegenehmigung dafür erhalten
kann, das alte Mittel noch einmal zu verwenden. Oder was
muss getan werden, um die Not der Kirschbauern in irgendeiner Form zu lindern?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Ich habe in der Beantwortung der vorangegangenen Fragen deutlich gemacht: Dimethoat ist die
zweitbeste Lösung, insbesondere weil es zu einem sehr
frühen Zeitpunkt angewandt werden muss. Aber die Erfahrungen - aus der Schweiz und aus Österreich, in denen
es vor allem um den Bodenseeraum mit klimatisch nicht
so sehr anderen Verhältnissen geht - haben gezeigt, dass
dieser Wirkstoff eingesetzt werden kann. Ich gehe davon
aus, dass die Biologische Bundesanstalt bei der Bewertung dieses Antrags für eine Zulassung auf der Basis von
§ 11 des Pflanzenschutzgesetzes auch die Argumente geprüft und gewürdigt hat, die Sie eben vorgetragen haben.
Herr Staatssekretär, eine letzte
Frage: Ist die Regierung vielleicht bereit, den Schaden in
irgendeiner Form auszugleichen, der dadurch entsteht,
dass 21 Tage vor der Ernte mit Dimethoat gespritzt wird
und es dann eben keinen Wert mehr haben wird?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Eine gesetzliche Grundlage, auf der ein
Schadensersatzausgleich erfolgen könnte, existiert nicht.
Herr Kollege Koschyk.
Herr Staatssekretär,
ist denn die Bundesregierung bereit, mit der Biologischen
Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in dieser Angelegenheit noch einmal zu sprechen? Mir liegt ein
Schreiben der Landesanstalt für Pflanzenbau und Pflanzenschutz des Landes Rheinland-Pfalz vor, also einer
Landesbehörde, die den Antrag des Herstellers auf Ausnahmegenehmigung für Lebaycid durch eine Stellungnahme unterstützt. Die Landesanstalt für Pflanzenbau und
Pflanzenschutz des Landes Rheinland-Pfalz kommt in
dieser Stellungnahme vom 4. April 2002 zu dem Ergebnis, dass Dimethoat eben nicht eine wirksame Alternative
ist, und befürwortet den Antrag des Herstellers auf Ausnahmegenehmigung für Lebaycid ganz ausdrücklich.
Wenn es eine Landesbehörde gibt, die in dieser Frage
zu einem völlig anderen Ergebnis kommt als die Bundesanstalt, dann muss die Bundesregierung doch bereit sein,
ein Fachgespräch zwischen der Landesbehörde und der
Bundesbehörde zu moderieren. Sich einfach dahinter zu
verstecken, Herr Staatssekretär, dass eine Bundesbehörde
das alleinige Zulassungsrecht hat, ist angesichts der existenziell schwierigen Situation der Kirschanbaubetriebe
nach meiner Überzeugung nicht gerechtfertigt.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Herr Kollege Koschyk, ich bin gern bereit, ein solches Gespräch zu moderieren. Interpretieren
Sie aber bitte meine Antworten in der Fragestunde vom
13. März als Nachweis der Bemühungen der Bundesregierung im Hinblick auf die Entscheidung der Biologischen Bundesanstalt, hier wirklich alle Gesichtspunkte zu
prüfen. Ich wiederhole jedoch: Die Biologische Bundesanstalt lässt bei der Zulassung nach § 11 des Pflanzenschutzgesetzes Pflanzenschutzmittel auf der Basis des
geltenden Pflanzenschutzgesetzes zu. Ich sage noch einmal: Der Vorsorgegesichtspunkt ist dort der maßgebliche.
Er ist 1986 mit gutem Grund in das Gesetz geschrieben
worden.
Kollege
Weiß.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Thalheim, wenn die Bundesregierung aufgrund der Stellungnahme der Biologischen Bundesanstalt unbedingt daran festhalten will, dass
Lebaycid keinesfalls mehr zum Einsatz kommen darf,
frage ich Sie: Warum wird dann nicht für den Einsatz von
Adimethoat in den Gebieten, in denen das von den klimatischen Bedingungen her geboten erscheint, wegen Gefahr im Verzuge, also unter Anwendung von § 11 des
Pflanzenschutzgesetzes, eine verkürzte Wartezeit von
zum Beispiel zehn, zwölf oder vierzehn Tagen gestattet,
damit für den Kirschanbau tatsächlich ein sinnvoller
Pflanzenschutz möglich ist?
Wenn Sie dies in Ihrer Anwort ebenfalls ausschließen
wollen, dann frage ich Sie: Wird die Bundesregierung andererseits den Import von Kirschen aus Frankreich, den
Niederlanden und anderen Staaten, in denen Adimethoat
mit einer kürzeren Wartezeit als 21 Tage eingesetzt werden kann oder in denen Lebaycid angewendet werden
kann, verbieten und, falls Sie dieses Verbot nicht aussprechen, welche inhaltliche Konzeption haben der
Verbraucherschutz und der Gesundheitsschutz dieser
Bundesregierung, wenn ich in Deutschland ohne jede Einschränkung in diesem Jahr Kirschen zum Beispiel aus
Frankreich kaufen kann, die mit Lebaycid oder Adimethoat mit einer Wartezeit von zehn Tagen behandelt worden sind, die deutschen Kirschen aber nicht in Verkehr gebracht werden dürfen?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Herr Kollege, egal, aus welchem Land
und aus welcher Produktion Kirschen nach Deutschland
importiert werden oder hier angeboten werden, sie müssen alle - ich betone: ausnahmslos alle - die gleichen
Rückstandswerte einhalten. Bei Dimethoat sind das
1 mg/kg, wobei zu dem Dimethoat der Wirkstoff Omethoat, ein Anabolit des Dimethoats, dazuzurechnen ist.
Dieses Abbauprodukt hat eine zehnmal so hohe Toxizität
als der ursprüngliche Wirkstoff. - Sie lächeln. Wir sind
genau bei diesem Punkt. - Auch Kirschen, die aus Frankreich importiert werden, müssen diesem Rückstandshöchstwert entsprechen. Das Problem ist - hier kommen
wir wieder zu dem Vorsorgegedanken -, dass es natürlich
leichter ist, diesen Rückstandshöchstwert bei einer Wartezeit von 21 Tagen einzuhalten - so ist die zustande gekommen -, im Vergleich zu Frankreich mit den sieben Tagen. Die Frage des Rückstandshöchstwerts hat nichts mit
der Entscheidung nach § 11 des Pflanzenschutzgesetzes,
der Zulassung, zu tun, sondern sie ist bundesrechtlich in
der Rückstandshöchstmengenverordnung geregelt. Das
heißt, diese Entscheidung ist nicht zu korrigieren.
Herr Kollege Tappe.
Herr Staatssekretär, ich
komme aus einer Gegend, wo zurzeit etwa 160 000 Kirschbäume in voller Blüte stehen. Dort gibt es viele, über 2 000,
Kirschenanbauer, die unter der Not des Befalls durch die
Kirschfruchtfliege leiden. Nun haben Sie eben gesagt, dass
die Bundesregierung nicht regresspflichtig ist für Ausfälle,
die sich durch das nicht so wirksame Mittel Dimethoat ergeben. Ist es dann eventuell die Zulassungsstelle, nämlich
in diesem Fall die Biologische Bundesanstalt, die für Schadensersatzleistungen in Anspruch genommen werden
könnte?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Herr Kollege Tappe, in Hessen, speziell
in Nordhessen, in dem Bundesland, aus dem Sie kommen,
dürften die Argumente, die insbesondere gegen Dimethoat vorgetragen wurden, vor allem die 21 Tage Karenzzeit, nicht in dem Maße zutreffen wie in den wärmsten
Gebieten, also am Kaiserstuhl. Das heißt, gerade in Hessen dürfte, wie auch die Erfahrungen aus Franken belegen, mit dem Wirkstoff Dimethoat eine erfolgreiche
Bekämpfung der Kirschfruchtfliege möglich sein.
Ich rufe die
Frage 23 des Kollegen Hartmut Koschyk auf:
Warum hat die Biologische Bundesanstalt für Land- und
Forstwirtschaft, BBA, auf den Antrag des Herstellers auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für das Pflanzenschutzmittel
Lebaycid vom 10. April 2002 hin bereits zu erkennen gegeben,
den Antrag ablehnen zu wollen, nachdem der Parlamentarische
Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft, Dr. Gerald Thalheim, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 13. März 2002 die Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung für möglich gehalten hat, und ist seitens der BBA sichergestellt, dass der einzige
weitere zur Bekämpfung der Kirschfruchtfliege zugelassene
Wirkstoff Dimethoat bezüglich seiner Umwelteigenschaften demselben hohen Standard genügt, an dem derzeit Lebaycid gemessen
wird?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Herr Kollege Koschyk, vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen habe ich die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, die als
zuständige Behörde die Entscheidungen über Zulassungen oder Genehmigungen für Pflanzenschutzmittel zu
treffen hat, nochmals persönlich um erneute Prüfung der
Angelegenheit gebeten. Sie hat daraufhin mitgeteilt, dass
das bisher angewandte Pflanzenschutzmittel Lebaycid
mit dem Wirkstoff Fenthion in Deutschland seit 1998 wegen der gemeinsam von Biologischer Bundesanstalt für
Land- und Forstwirtschaft und Umweltbundesamt als unvertretbar bewerteten Auswirkungen auf den Naturhaushalt nicht mehr zugelassen ist. Eine Möglichkeit zur Erteilung einer Genehmigung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
des Pflanzenschutzgesetzes - Gefahr im Verzuge - sieht
sie daher auch nach erneuter Prüfung nicht.
Herr Staatssekretär,
Sie haben uns vorhin freundlicherweise gesagt, dass das
Umweltbundesamt, das nach Ihrer Aussage für eine solche Entscheidung mit herangezogen worden ist, zu einem
anderen Ergebnis kommt als die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft. Ich habe gerade die
Stellungnahme der Landesanstalt für Pflanzenbau und
Pflanzenschutz des Landes Rheinland-Pfalz zitiert. Ich
bitte Sie wirklich noch einmal eindringlich, Folgendes zu
beachten: Niemand in Deutschland versteht, dass sich die
Bundesregierung hinter der alleinigen Zuständigkeit einer
Behörde verschanzt, wenn eine andere im Benehmen mit
zu hörende Behörde wie das Umweltbundesamt hier eine
Ausnahmeregelung weiter für möglich hält und eine Landesbehörde - ich bin sicher, es gibt auch andere Landesbehörden, die das so sehen; ich habe jetzt aber nur die
Stellungnahme von Rheinland-Pfalz - ebenfalls fachlich
zu einer anderen Auffassung kommt. Da kann sich doch
die Bundesregierung nicht zurücklehnen und sich auf eine
Behörde mit alleinigem Zulassungsrecht stützen. Ich wäre
Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie dem Haus hier heute
zusichern könnten, dass die Bundesregierung in dieser Sache noch einmal entsprechende Aktivitäten unternimmt.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Die Antwort in der Fragestunde vom
13. März basierte auf den Bemühungen, die ich seinerzeit
unternommen hatte. Meine Antwort hat heute das Ergebnis der speziell auch von mir persönlich initiierten Prüfungen der Biologischen Bundesanstalt dargelegt. Ich
habe darüber hinaus keinerlei Spielraum, auf die Biologische Bundesanstalt einzuwirken, da es, wie gesagt, nicht
in die politische Entscheidung gestellt ist, welche Pflanzenschutzmittel in Deutschland zugelassen werden.
Zu der Frage nach den Auskünften des Umweltbundesamtes, die Sie gestellt haben. Es handelte sich hier um
ein informelles Gespräch mit dem zuständigen Referatsleiter, nicht um eine offizielle Stellungnahme. Aber das informelle Gespräch hat mich motiviert, noch einmal auf
die Biologische Bundesanstalt zuzugehen. Das Ergebnis
ist bekannt.
Herr Staatssekretär,
liegt die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Ihrem Zuständigkeitsbereich?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Ja, die Biologische Bundesanstalt für
Land- und Forstwirtschaft ist eine Anstalt unseres Hauses.
Sehen Sie wirklich
keine Möglichkeit mehr, dass Ihr Haus noch einmal auf
die Biologische Bundesanstalt einwirkt?
({0})
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Die Biologische Bundesanstalt muss Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln nach dem Pflanzenschutzgesetz vornehmen. Dort ist im Detail geregelt, nach
welchen Verfahren und unter welchen Abwägungsgesichtspunkten eine Zulassung zu erfolgen hat. Insbesondere muss sich die Biologische Bundesanstalt bei
Zulassungen an den mehrmals von mir erwähnten Vorsorgegedanken nach § 11 des Pflanzenschutzgesetzes halten.
Jetzt hat
sich der Kollege Schockenhoff zu einer Zusatzfrage gemeldet.
Herr Staatssekretär, warum hat die Biologische Bundesanstalt den Einsatz des Pflanzenschutzmittels Plantomycin in der vergangenen Woche nur für Versuchszwecke genehmigt und
damit den Anträgen der Pflanzenschutzämter der akut von
Feuerbrand bedrohten Regionen nur sehr eingeschränkt
entsprochen, nachdem doch der Bundeskanzler in einem
Schriftwechsel mit dem Oberbürgermeister von Friedrichshafen mitgeteilt hatte, im Falle eines akuten Feuerbrandrisikos werde die zurzeit ruhende Zulassung von Plantomycin für alle betroffenen Obstbauern modifiziert?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Die Zulassungen von Plantomycin und
Lebaycid sind in keiner Weise zu vergleichen. Bei der Zulassung von Lebaycid hat der Gesichtspunkt der Umwelttoxikologie, also der Auswirkungen auf den Naturhaushalt, zur Ablehnung geführt. Im Falle von Plantomycin
waren Gesichtspunkte der Humantoxikologie maßgeblich, also der Auswirkungen auf den Menschen, insbesondere der Auswirkungen aufgrund von Rückständen im
Honig.
Die Sonderzulassung, die jetzt zu Versuchszwecken erfolgt ist und die beinhaltet, dass jedes Bundesland die notwendigen Mengen an Plantomycin mit den entsprechenden Landesbehörden vereinbaren kann, hat das Ziel, den
Obstbauern die Bekämpfung der Schädlinge zu ermöglichen. Auf der anderen Seite soll aber sichergestellt sein,
dass der enge Grenzwert für Rückstandswerte im Honig
von 0,02 Milligramm pro Kilogramm eingehalten wird.
Das heißt, wir bewegen uns bei der Sonderzulassung des
Plantomycin eindeutig im Rechtsrahmen des Pflanzenschutzgesetzes. Bei der Zulassung von Lebaycid würden
wir diesen verlassen.
Jetzt hat
der Kollege Dreßen das Fragerecht.
Herr Staatssekretär, die Tatsache, dass es in dieser Frage eine große Koalition in diesem Hause gibt - ich weise auf die Frage des Kollegen
Koschyk hin -, müsste Ihnen zeigen, dass hier ein ernstes
Problem vorliegt. Deswegen frage ich Sie: Besteht die
Möglichkeit, dass Sie mit dem Präsidenten der Biologischen Bundesanstalt in den nächsten Tagen noch einmal
ein Gespräch führen, um zu einer befriedigenden Lösung
zu kommen?
Die jetzige Lösung ist nach Auffassung der Kirschbauern nicht ausreichend. Sie haben die große Sorge, dass sie
die ganze Ernte vernichten müssen. Sollte daher in den
nächsten Tagen nicht ein Gespräch angestoßen werden, in
dem man noch einmal über die Probleme spricht? Ich
würde mich bereit erklären, daran teilzunehmen. Ich bin
mir sicher, dass auch andere Kollegen dazu bereit wären.
Denn das Ganze ist ja nicht nur ein Problem meines Wahlkreises. Drei oder vier Nachbarwahlkreise haben dasselbe
Problem.
Halten Sie ein Gespräch in den nächsten Tagen nicht
für dringend notwendig? Ich halte es für wichtig, dass
man ein solches Gespräch führt und dass man den Versuch
unternimmt, eine Ausnahmeregelung zu finden, die die
Kirschbauern in geeigneter Weise zufrieden stellt.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Herr Kollege Dreßen, meine Antwort auf
die Frage des Kollegen Koschyk hat eine solche Zusage
enthalten. Ich kann mir aber - das ist meine ganz persönliche Bewertung - die Erörterung dieser Frage lediglich
für Gebiete wie dem Kaiserstuhl vorstellen, wo eine besondere klimatische Situation vorliegt. In den anderen
Kirschanbaugebieten Deutschlands - das betrifft insbesondere Franken, Hessen und Ostdeutschland - ist mit
Präparaten auf der Wirkstoffbasis Dimethoat eine erfolgreiche Kirschfruchtfliegenbekämpfung - das haben Erfahrungen in der Vergangenheit gezeigt - möglich. Die Zusage für ein Gespräch kann ich von dieser Stelle aus geben.
Die
nächste Frage hat der Kollege Kauder.
Herr Parlamentarischer
Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Position der Biologischen Bundesanstalt in Bezug auf den
Einsatz von Plantomycin vor dem Hintergrund der Aussagen Ihres Hauses, dass außer Plantomycin derzeit kein
vergleichbarer wirksamer Stoff zur Bekämpfung des Feuerbrandes zur Verfügung steht? Wie will die Bundesregierung angesichts der für das kommende Wochenende
ausgesprochenen Feuerbrandwarnung der für den deutschen Erwerbsobstbau nachteiligen Wettbewerbssituation
im Hinblick auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln
begegnen?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Herr Kollege, wenn Sie meine bisherigen
Antworten verfolgt hätten, wäre Ihnen deutlich geworden, dass eine Genehmigung, also eine Zulassung, für die
Feuerbrandbekämpfung mit Plantomycin ausgesprochen
worden ist. Mit den jeweiligen Landesbehörden wurden
sogar Wirkstoffmengen vereinbart. In diesen Bundesländern ist die Feuerbrandbekämpfung geregelt. Es kann also
nicht die Rede davon sein, dass die Obstbauern in Gefahr
seien.
Kollege
Weiß hat eine Frage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Thalheim, können Sie uns
Abgeordneten des Deutschen Bundestages und den Obstbauern in Deutschland erklären, wie sich diese bezüglich
ihrer Erzeugnisse in diesem Jahr konkret verhalten sollen,
da erstens nach der Ausnahmeregelung, die Sie jetzt erlassen haben, der Einsatz von Plantomycin auf höchstens
einem Achtel der Anbaufläche möglich ist - im weit überwiegenden Teil des Erwerbsobstbaus ist dies also nicht
der Fall ({0})
und zweitens, wie soeben erörtert, für die Bekämpfung
der Kirschfruchtfliege sowohl der Einsatz von Lebaycid
als auch der Einsatz von Adimethoat - mit einer dem Reifungsprozess der Kirschen angemessenen Wartezeit - von
der Bundesregierung nicht ermöglicht werden soll? Sie
haben vorhin erwähnt, dass Sie bei der Anwendung von
Pflanzenschutzmitteln die Höchstrückstandsmengen
- diese gelten natürlich auch für importierte Waren - begrenzen wollen. Da Sie etwas für den Verbraucherschutz
tun wollen, möchte ich Sie konkret fragen: Durch wen
wird jede einzelne nach Deutschland importierte Kirsche
auf eventuelle Rückstände geprüft?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Herr Kollege, ich beginne mit der letzten
Frage. Die Untersuchung der Rückstände von Pflanzenschutzmitteln erfolgt durch die zuständigen Landesbehörden. Diese entscheiden auch darüber, wie hoch die Kontrolldichte ist. Wir können konstatieren - Herr Weiß, Sie
brauchen nicht zu lachen -, dass die Kontrollen in den
letzten Jahren intensiviert worden sind. In weniger als
1 Prozent der Proben wurden Pflanzenschutzmittel nachgewiesen. Soweit zu dem Teil der Frage, mit dem Sie danach gefragt haben, was die Bundesregierung ganz konkret macht.
Es ist nicht zutreffend, dass die Mengen an Plantomycin nur für ein Achtel der Obstflächen reichen würden.
Verwendet man Plantomycin, ist unter Umständen eine
zweifache Behandlung notwendig. Insofern ist das der
eingrenzende Faktor. Aufgrund der Witterung in den letzten Wochen muss in den stark befallenen Gebieten nicht
die gesamte Fläche behandelt werden. Das heißt, es wird
nur eine punktuelle Behandlung notwendig sein. Dafür
steht ausreichend Plantomycin zur Verfügung, wobei die
Bundesländer mit der Biologischen Bundesanstalt vereinbart haben, dass diese Mengen gegebenenfalls noch erhöht werden.
Bezüglich der Einhaltung der Rückstandswerte geht es
in dem ganz konkreten Fall um den Honig. Die Landesbehörden, allen voran diejenige von Baden-Württemberg,
haben gemeinsam mit den Imkern und Obstbauern vereinbart, dass der Honig auf Rückstände untersucht wird.
Sollten die Grenzwerte überschritten werden, wird der
Honig nicht für den Verzehr durch Menschen freigegeben,
sondern vernichtet.
Ich denke, dies ist eine vernünftige Regelung. Es
wurde Vorsorge dafür getroffen, dass auf der einen Seite
den Erfordernissen des Obstbaus Rechnung getragen wird
und auf der anderen Seite keine Gefährdung der Verbraucher eintritt.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind am Ende der Befragung zu Ihrem Geschäftsbereich.
Ich komme jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike
Mascher zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Wolfgang
Dehnel auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass von den erheblichen Mittelkürzungen im Bereich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, ABM, insbesondere die neuen Bundesländer betroffen sind und die Kürzungen dort teilweise dramatische
Auswirkungen haben?
Herr Kollege
Dehnel, die Bundesregierung teilt nicht Ihre Auffassung,
dass von den erheblichen Mittelkürzungen im Bereich der
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen insbesondere die neuen
Bundesländer betroffen sind. Der von der Bundesregierung genehmigte Haushaltsplan der Bundesanstalt für
Arbeit für das laufende Haushaltsjahr 2002 weist den Arbeitsämtern im Eingliederungstitel bundesweit 14,2 Milliarden Euro zu. Das sind rund 200 Millionen Euro mehr,
als 2001 verausgabt wurden. Den Arbeitsämtern in den
neuen Bundesländern wurden für das laufende Haushaltsjahr im Eingliederungstitel rund 6,9 Milliarden Euro und
damit 200 Millionen Euro mehr zugewiesen, als 2001 verausgabt wurden. Die Bundesregierung teilt daher nicht die
Einschätzung, dass insbesondere die neuen Bundesländer
von erheblichen Mittelkürzungen betroffen sind.
Für die Bewilligung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind die Arbeitsämter vor Ort zuständig. Diese erhalten in einem so genannten Eingliederungstitel Mittel, die
sie für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und andere Ermessensleistungen der aktiven Arbeitsförderung einsetzen. Spezielle Arbeitsbeschaffungsmaßnahmenmittel
wurden den Arbeitsämtern letztmals im Haushaltsjahr
1997 zugewiesen. Bei der Zuweisung der Mittel im Rahmen des Eingliederungstitels sind insbesondere die regionale Entwicklung der Beschäftigung, die Nachfrage nach
Arbeitskräften, Art und Umfang der Arbeitslosigkeit sowie die jeweilige Ausgabenentwicklung im abgelaufenen
Haushaltsjahr zu berücksichtigen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Dehnel.
Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich dann, dass in den letzten zwei
Monaten allein mir circa 20 Eingaben bzw. Briefe zugegangen sind, in denen sich Verbände und Vereine, aber
auch Landratsämter und indirekt Arbeitsämter - denn in
den Anfragen der Vereine waren Arbeitsämter genannt darüber beklagen, dass entsprechende Mittel gekürzt und
Maßnahmen, die bisher gang und gäbe gewesen sind, zum
Beispiel Unterstützung von Sportverbänden sowie anderen Verbänden und Vereinen, nicht mehr gefördert
werden?
Herr Abgeordneter Dehnel, ich habe schon darauf hingewiesen, dass wir
im Rahmen des Eingliederungstitels keinen Rückgang bei
den Mittelzuweisungen zu verzeichnen haben und dass
die Arbeitsämter vor Ort entscheiden, wie sie die vorhandenen Mittel des Eingliederungstitels auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder auf andere Maßnahmen verteilen.
Daher ist die Frage zu stellen: Welche Entscheidungen haben die einzelnen Arbeitsämter bzw. die Verwaltungsausschüsse, in denen die Tarifvertragsparteien, die Gewerkschaften und die Arbeitgeber, sowie die jeweilige
Kommune vertreten sind, getroffen?
Eine weitere Zusatzfrage.
Einige Kolleginnen
von Ihnen aus der SPD-Fraktion haben mir berichtet, dass
sie ähnlich viele Schreiben über die Situation vor Ort bekommen haben. Hat auch die Bundesregierung solche
Schreiben bekommen? Ich kann mir das gut vorstellen,
weil teilweise erwähnt worden ist, dass Duplikate dieser
Briefe an die Bundesregierung geschickt worden sind.
Können Sie dem zustimmen?
Auch wir haben
solche Briefe bekommen. Nur, meine Antwort bleibt
gleich: Die Entscheidung liegt nicht bei der Bundesregierung und auch nicht bei der Bundesanstalt für Arbeit. Vielmehr bekommen die örtlichen Arbeitsämter nach dem von
mir dargestellten Schlüssel - ich habe versucht, Ihnen an
einigen Punkten deutlich zu machen, woran sich dieser
Schlüssel bemisst - Mittel des Eingliederungstitels. Die
Arbeitsämter vor Ort entscheiden zusammen mit den Verwaltungsausschüssen, wie diese Mittel auf die unterschiedlichen Maßnahmen verteilt werden.
Dann
kommen wir zur Frage 25 des Kollegen Dehnel:
Wie steht die Bundesregierung zu den Forderungen aus den
Kommunen, Landkreisen und Verbänden bzw. Vereinen, die
ABM-Mittel wieder zu erhöhen bzw. nicht weiter zu kürzen?
Ich habe versucht,
Ihnen deutlich zu machen, dass der Umfang des Einsatzes
von Mitteln für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht
von der Bundesregierung, sondern von den örtlichen Arbeitsämtern und Verwaltungsausschüssen festgelegt wird.
In den Verwaltungsausschüssen entscheiden neben den
Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern auch die Kommunen darüber, wie hoch der Mitteleinsatz für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im jeweiligen Haushaltsjahr sein
soll.
Darüber hinaus muss man auch immer sehen: Die Förderung im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
ist ein zeitlich befristetes Instrument der individuellen
Förderung von Arbeitslosen. Damit werden also nicht Institutionen oder Projekte gefördert, sondern es wird der
Arbeitslose X, also Meier, Müller, Schulze, gefördert. Das
bitte ich dabei immer zu berücksichtigen.
Zusatzfrage, Kollege Dehnel.
Aber sind Sie mit mir
einer Meinung, dass diese ABM große Unterstützung gerade im Bereich des Sports und im sozialen Bereich in den
neuen, aber auch in den alten Bundesländern geleistet haben? Es sind insbesondere Maßnahmen unterstützt worden, um Jugendliche und Kinder von der Straße wegzuholen.
Herr Dehnel, ich
sehe es ganz genauso, dass die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in der Tat wichtige Maßnahmen sind, wobei in
der Vergangenheit insbesondere in den neuen Bundesländern viele Einrichtungen der sozialen Infrastruktur
zunächst über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finanziert
worden sind und es den Kommunen offensichtlich noch
nicht in ausreichendem Maße gelingt, solche Einrichtungen ausschließlich aus eigenen Mitteln zu finanzieren.
Aber das ist nicht der eigentliche Sinn von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Der eigentliche Sinn von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ist vielmehr, Menschen
eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt zu bauen. Ich
möchte jedoch nicht irgendwelche Grundsätze hochhalten, da ich weiß, welche Bedeutung Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern haben. Deswegen haben wir auch keine Kürzung dieser Mittel
vorgenommen. Sie müssten also jeweils im Einzelfall bei
den Arbeitsämtern bzw. bei den Verwaltungsausschüssen
nachfragen, warum hier Mittel nicht mehr für Arbeitsmaßnahmen, sondern für Lohnkostenzuschüsse ausgegeben werden.
Eine weitere Frage des Kollegen Urbaniak.
Frau Staatssekretärin, es ist sehr erfreulich, dass Sie feststellen, dass die
Mittel nicht gekürzt worden sind. Wir haben immer Wert
darauf gelegt, dass genügend - ich formuliere es einmal
volkstümlich - Pulver in den Arbeitsämtern vorhanden
ist.
Welche Erfahrungen liegen der Bundesregierung vor,
dass dies, nachdem jetzt die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vor Ort unmittelbar vergeben werden, also sozusagen
basisorientiert, weitaus besser funktioniert, als das in
früheren Zeiten der Fall war?
Ich meine, dass
die Politik der Bundesregierung, die Mittel für Eingliederungsmaßnahmen zu verstetigen, wichtig gewesen ist.
Wir sind gegen hektische Ausschläge: Zunächst Dürrejahre und dann im Jahr vor einer Bundestagswahl steigen
die Mittel erheblich an.
({0})
Aber in der Tat stellen wir im Moment fest, dass in den
neuen Bundesländern im Jahr 2002 nur noch 1,7 Milliarden Euro für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen eingesetzt werden, während es im Jahr 2001 2,1 Milliarden
Euro waren. Aber ich bitte, hier nicht mit dem Finger
auf die Bundesregierung zu zeigen. Die Entscheidung
liegt bei den Arbeitsämtern vor Ort, bei den Verwaltungsausschüssen - die Kommunen sind in den Verwaltungsausschüssen -, wie viel Geld für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und wie viel Geld für andere Eingliederungsmaßnahmen ausgegeben wird.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin. Die Fragen der Kollegen
Austermann und Singhammer werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Stephan Hilsberg zur Verfügung.
Die Frage 29 des Kollegen Michelbach soll schriftlich
beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Grund auf:
Wann ist mit dem Baubeginn des Autobahnteilstücks
Leinefelde-Heiligenstadt im Zuge der Bundesautobahn A 38 von
Göttingen nach Halle zu rechnen, nachdem der vorgesehene Termin schon um ein halbes Jahr überschritten wurde, und wie will
die Bundesregierung sicherstellen, dass es zu keinen weiteren Verzögerungen kommt?
Sehr
geehrter Herr Präsident, für die Bundesautobahn A 38
Göttingen-Halle zwischen den Anschlussstellen Heilbad
Heiligenstadt und Leinefelde wird derzeit das Planfeststellungsverfahren durchgeführt. Auf der Basis von Plangenehmigungen wurde auf dem genannten Streckenabschnitt mit dem Bau der Steinbachtalbrücke am 4. Mai
2000 und mit dem Bau der Etzelsbachtalbrücke am
28. September 2000 begonnen.
Die Überfahrbarkeit der Etzelsbachtalbrücke ist Voraussetzung für den Baubeginn des Streckenloses. Die
Bedingung für diesen Baubeginn ist jedoch ein rechtskräftiger Planfeststellungsbeschluss. Nach derzeitigem
Stand des Planfeststellungsverfahrens - der Erörterungstermin wurde ja bereits durchgeführt - ist mit dem Erdund Deckenbau nicht vor dem ersten Quartal des Jahres 2003 auszugehen.
Zusatzfrage, Kollege Grund.
Herr Staatssekretär, wir
sind ja in zeitlichem Verzug. Der Bau dieses Streckenabschnittes hätte schon vor einem halben Jahr beginnen sollen. Wenn jetzt in diesem Bereich zum ersten Quartal 2003 mit dem Baubeginn zu rechnen ist, wie wird denn
gewährleistet, dass das Ende der Baumaßnahmen, also die
durchgängige Befahrbarkeit der A 38, so wie seit Jahren
geplant, im Jahre 2005 realisiert werden kann?
Herr
Grund, diese Frage steht nicht in Zusammenhang mit dem
Verlauf, mit dem wir es gegenwärtig zu tun haben. Wie Sie
wissen, muss das Planfeststellungsverfahren ordentlich abgearbeitet werden. Wir haben, wie das nach den rechtlichen
Rahmenbedingungen richtigerweise der Fall ist, keinen
Einfluss hierauf. Die Durchführung des Planfeststellungsverfahrens obliegt der Verwaltung des Freistaats Thüringen. Diese muss das nach Recht und Gesetz abwickeln und
ist Herrin des Verfahrens. Der sachliche Zusammenhang,
wie er sich darstellt und wie ich ihn geschildert habe, führt
dazu, dass mit dem Bau erst im Jahre 2003 begonnen wird.
Das liegt nicht etwa an mangelndem Willen, das liegt auch
nicht an den Finanzen. So die Bauarbeiten zügig abgewickelt werden können, kann mit einem rechtzeitigen Fertigstellen der A 38 gerechnet werden.
Nachfrage, Kollege Grund.
Beim Bauabschnitt
Breitenworbis-Leinefelde haben es die Ausschreibungsunterlagen ermöglicht, dass ortsansässige mittelständische Unternehmer, die sich in einer Bietergemeinschaft
zusammengeschlossen haben, bei der Bauausführung haben zum Zuge kommen können, was sehr wichtig ist, auch
angesichts der regionalen Arbeitsmarktlage. Würde das
Ministerium Einfluss nehmen, dass auch die Ausschreibungsunterlagen für den Abschnitt Leinefelde-Heiligenstadt so ausgestellt werden, dass wiederum eine ortsansässige Bietergemeinschaft zum Zuge kommen bzw.
sich bewerben könnte?
Dies,
Herr Grund, ist eine Frage, die einen völlig neuen Themenbereich aufmacht. Ich kann Ihnen an dieser Stelle nur
zusichern: An uns wird es nicht liegen. Wir sind gerne
bereit, die hierfür erforderlichen unterstützenden Maßnahmen zu ergreifen. Im Übrigen gehört es sowieso zu
den Rahmenbedingungen der Auftragsverwaltung, so
weit wie möglich ortsansässige Firmen an den Aufträgen
zu beteiligen.
Nun kommen wir zur Frage 31 des Kollegen Grund:
Was spricht dagegen, bereits jetzt mit dem Trassenbau und
dem Bau weiterer Brückenbauwerke zu beginnen, auch wenn
letzte Entscheidungen zur Fahrbahnentwässerung noch zu treffen
sind?
Sehr geehrter Herr Grund, mit dem Trassenbau kann derzeit aufgrund des noch laufenden Planfeststellungsverfahrens, in
dem von der Planfeststellungsbehörde auch eine Entscheidung zur Entwässerungsproblematik getroffen wird,
nicht begonnen werden. Mit dem Bau weiterer Brücken
im oben genannten Streckenabschnitt kann, wenn im
Planfeststellungsverfahren keine Einwände gegen die
Trassenführung der Bundesautobahn A 38 erhoben werden, mittels Plangenehmigung, sofern diese von der Planfeststellungsbehörde erteilt wird, vor Baurechtschaffung
für den Streckenbau begonnen werden.
Zusatzfrage, Kollege Grund.
Die Fahrbahnentwässerung kollidiert ja mit den Trinkwasserschutzzonen 1
und 2, durch die die Trasse der A 38 führt. Zurzeit werden
Bohrungen durchgeführt, um die Trinkwasserschutzzonen so zu verändern, dass Brunnen, die in diesem Bereich liegen, vielleicht entbehrlich werden. Die Sorge vor
Ort, insbesondere des zuständigen Trinkwasserverbandes,
ist, dass sich ein Teil des Problems auf den Trinkwasserverband verlagert, indem Quellen angeboten werden, die
vielleicht von der Qualität und von der Quantität her nicht
in der Lage sind, das jetzige Dargebot zu ersetzen. Ich
bitte Sie, mit dafür Sorge zu getragen, dass die vorhandenen Befürchtungen und Ängste zerstreut werden und
dass nicht ein Teil des Problems auf die Trinkwasserverbände verlagert wird.
Sehr geehrter Herr Grund, das war keine Frage, sondern eine
Bitte. Wie Sie wissen, ist das ein komplexes Problem, das
schon einige Jahre besteht. In vielen umfangreichen Gesprächen, an denen unter anderen Sie selbst beteiligt waren, ist dies zu einer Lösung gebracht worden. Dies steht
kurz vor dem Abschluss. Ich bin sicher, dass auch die beteiligten Trinkwasserverbände in das Lösungsverfahren
mit einbezogen sind und dass keine Entscheidung erfolgt,
die eine unzumutbare Belastung des Trinkwasserhaushaltes in der dortigen Gegend nach sich zöge.
Die Frage 32 der Kollegin Gerda Hasselfeldt soll schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zur Frage 33 des Kollegen
Dr. Michael Luther:
Auf welcher Finanzierungsbasis ermittelte die Bundesregierung die Gesamthöhe der Investitionen des im Investitionsbericht
Infrastruktur angekündigten langfristigen 90-Milliarden-Euro-Investitionsprogramms für die Modernisierung, den Ausbau und die
bessere Vernetzung der Verkehrswege, und wie ist es beabsichtigt,
in den neuen Bundesländern einen Investitionsschwerpunkt zu
setzen?
Sehr geehrter Herr Luther, die Bundesregierung hat trotz der notwendigen und unstrittigen Haushaltskonsolidierung den
Infrastrukturinvestitionen Vorrang eingeräumt. Der Investitionsanteil des Bau- und Verkehrshaushaltes konnte deshalb von 45 Prozent im Jahre 1998 auf über 51 Prozent in
diesem Jahr erhöht werden. Dabei sind die Investitionen
der Bundesregierung in den neuen Ländern gemessen an
Bevölkerung und Fläche überproportional hoch.
Die Bundesregierung wird die bisherige Finanzierungslinie fortsetzen. Bestandteile sind die Nutzung der
Spielräume, die sich aus der Konsolidierung des Bundeshaushalts ergeben, die Mobilisierung privaten Kapitals
zum Beispiel mit privaten Betreibermodellen im Autobahnausbau sowie die Reinvestition der Einnahmen aus
der LKW-Maut in die Verkehrsinfrastruktur. Mit dieser
Finanzierungslinie wird die Bundesregierung auf Basis
des neuen Bundesverkehrswegeplans ein 90-MilliardenEuro-Investitionsprogramm erarbeiten.
Mit dem Investitionsbericht vom 6. März dieses Jahres
hat die Bundesregierung zugleich festgelegt, dass einer
der Schwerpunkte des Zukunftsprogramms Mobilität die
weitere Stärkung der Verkehrsinfrastruktur in den neuen
Ländern ist.
Zusatzfrage, Kollege Luther.
Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, ich habe eine Frage: Der Investitionsbericht spricht von 90 Milliarden Euro. Für welchen Zeitraum sind diese vorgesehen?
In erster
Linie umreißt der Investitionsbericht mit dem Zukunftsprogramm Mobilität den Inhalt der Zukunftsaufgaben. Ich
kann Ihnen darüber hinaus aber sagen, dass es sich um
Maßnahmen handelt, die noch im Laufe dieses Jahrzehnts
abgearbeitet werden sollen.
Zusatzfrage des Kollegen Dehnel.
Herr Staatssekretär,
Sie haben gerade den Bundesverkehrswegeplan erwähnt.
Wie kommt es, dass Ihnen die Erstellung Ihres Bundesverkehrswegeplans bis Ende des Jahres 2002 nicht gelingt, während die Bundesregierung unter Helmut Kohl
einen Bundesverkehrswegeplan innerhalb von zwei Jahren - also in sehr viel kürzerer Zeit und unter sehr viel
schwierigeren Problemen - vorgelegt hat, und zwar den
von 1991/1992? Wieso dauert die Ausarbeitung des Bundesverkehrswegeplans bei Ihnen so lange?
Sehr geehrter Herr Dehnel, Ihre Frage hat mit der Fragestellung
von Herrn Luther in keiner Weise etwas zu tun. Ich bin
dennoch gerne bereit, Sie darauf hinzuweisen, dass der
Bundesverkehrswegeplan 1991/1992 seinerzeit unter
ganz anderen Rahmenbedingungen und unter einem ganz
anderen Zeitdruck erstellt wurde und es darin in erster
Linie um die Verknüpfung der ost- und westdeutschen
Infrastruktur ging.
Heute haben wir umfangreiche Modernisierungsaufgaben zu erfüllen und müssen verkehrsträgerübergreifende
Verkehrskonzepte verwirklichen. Wir sind eng am Zeitplan und werden diesen neuen Bundesverkehrswegeplan
zu Beginn der neuen Legislaturperiode im Jahre 2003 verabschieden können.
Vielen
Dank.
Wir kommen nun zur Frage 34 des Kollegen Luther:
Nach welchen konkreten Gesichtspunkten wählte die Bundesregierung die Einzelprojekte für den „beschleunigten Bau von
etwa 300 Ortsumgehungen“ aus und wie viele dieser Ortsumgehungen befinden sich jeweils in den einzelnen Bundesländern?
Sehr geehrter Herr Luther, das Zukunftsprogramm Mobilität wird
2003 auf der Grundlage eines neuen Bundesverkehrswegeplans erarbeitet. Darin wird auch die Konkretisierung
des beschleunigten Baues von etwa 300 Ortsumgehungen
erfolgen.
Nachfrage, Kollege Luther.
300 Ortsumgehungen sind eine ganze Menge. Über die Wahrnehmung als
Wahlkampfthema hinaus interessiert die Menschen vor
Ort natürlich, welche 300 Ortsumgehungen dies sein sollen. Gibt es konkrete Überlegungen, welche 300 Ortsumgehungen gemeint sind?
Sehr geehrter Herr Luther, mit dem Zukunftsprogramm Mobilität
haben wir unsere verkehrspolitische Strategie für die
nächsten Jahre festgelegt, wie dies unsere Pflicht ist. Dies
wurde aufgrund der neu geschaffenen Finanzierungsspielräume ermöglicht, die bereits jetzt ihre segensreiche
Wirkung für die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen entfaltet haben. Man muss Planungssicherheit schaffen. Das
bedeutet aber nicht, dass alle konkreten Projekte bereits
jetzt in einem solchen Stadium sind, dass eine Entscheidung bekannt gegeben werden kann. Es gibt gegenwärtig
auch noch keine Möglichkeit, eine solche Entscheidung
zu treffen, weil die Untersuchungsergebnisse in Vorbereitung des Bundesverkehrswegeplans noch nicht in Gänze
vorliegen.
Weitere
Zusatzfrage, Kollege Luther, bitte.
Ich habe noch eine
weitere Zusatzfrage. Einen Teil der zweiten Frage haben
Sie nicht beantwortet. Deswegen will ich noch einmal
konkret nachfragen. Sie haben von einem Investitionsschwerpunkt für die neuen Bundesländer gesprochen.
Welcher Anteil von diesen 90 Milliarden Euro bzw. von
diesen 300 Ortsumgehungen kann in den neuen Bundesländern in etwa erwartet werden? Wie viel entfällt - das
war die Frage - auf die einzelnen Bundesländer? Mich interessiert hier konkret der Freistaat Sachsen.
Herr Luther, die Frage ist zwar verständlich. Ich weise
aber darauf hin, dass allein mit den drei Projekten, für
die bereits eine Entscheidung getroffen wurde, für Ostdeutschland milliardenschwere Investitionen festgelegt
wurden. Als Beispiele nenne ich den Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke von Leipzig über Erfurt nach
Nürnberg, für die allein 10 Milliarden DM zu investieren sind, den Bau der A 14 zwischen Magdeburg, Lüneburg und Ludwigslust und den Bau der A 72, der einzig
und allein Ihrem hoch verehrten Bundesland Sachsen
zugute kommen wird.
Eine weitere Frage des Kollegen Dehnel.
Herr Staatssekretär,
Sie sprachen gerade von der segensreichen Wirkung des
Investitionsplans. Stimmen Sie mir zu, dass der Bundesverkehrswegeplan noch unter der Kohl-Regierung ausgearbeitet wurde und die gesamten Maßnahmen bereits beinhaltete, die Sie in Ihren Investitionsplan eingearbeitet
haben und nun umsetzen, sodass dieser Segen also von
uns vorbereitet worden ist?
Ich
stimme Ihnen dahin gehend zu, dass die Planung für die
von Ihnen genannten Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ - ich nehme an, dass Sie davon sprechen - selbstverständlich in den 90er-Jahren erfolgt ist. Ich darf aber
gleichzeitig darauf hinweisen, dass sich die zur Verfügung
gestellten Mittel in der Zeit unserer Regierungsverantwortung zum Teil verdoppelt haben. Das führte dazu, dass
wir im Haushalt beispielsweise für den Straßenbau im
Jahr 2001 einen Investitionsanteil von fast 60 Prozent hatten, der einzig und allein in die neuen Bundesländer geflossen ist. Das war unter der alten Regierung nicht zu beobachten.
({0})
- Das stimmt exakt.
Eine weitere Frage des Kollegen Urbaniak.
Herr Staatssekretär, in der Frage 34 wird im Zusammenhang mit Ortsumgehungen die Zahl 300 genannt. Kann man davon ausgehen, dass sowohl der finanzielle Rahmen als auch jener
der Planfeststellungen so übereinstimmen, dass man die
Maßnahmen koordinieren und durchführen kann?
Erfahrungsgemäß ist es immer so: Hast du eine Planfeststellung, hast du kein Geld. Hast du Geld, hast du
keine Planfeststellung. Wie sieht das bei diesem Projekt
aus? Beides muss in Übereinstimmung gebracht werden.
Sehr geehrter Herr Urbaniak, ich bin Ihnen für diese Frage dankbar. Das war einer der Gründe dafür, dass wir mit der
Erarbeitung eines neuen Bundesverkehrswegeplans vorfristig begonnen haben; denn der alte Bundesverkehrswegeplan hat in keiner Weise mehr Planungssicherheit
ermöglicht. Die Umsetzung der dort enthaltenen Maßnahmen hätte angesichts des damals vorhandenen Finanzierungsspielraums zehn Jahre länger gedauert, als ursprünglich gedacht war. Wir tragen dafür Sorge, dass die
bestehende Planungssicherheit, wie sie im Investitionsprogramm geschaffen wurde, auch im neuen Bundesverkehrswegeplan die Grundlage unserer Verkehrsinfrastrukturpolitik sein wird.
Eine weitere Frage des Kollegen Schemken.
Herr Staatssekretär,
ich möchte die Frage von Herrn Urbaniak vertiefen. Sie
haben darauf nur eine halbe Antwort gegeben. Nach Ihrer
Aussage haben Sie die Prioritäten verändert oder zumindest stärker auf die Finanzen abgestellt. Aber Herr
Urbaniak hat zu Recht gesagt: Wenn du Geld hast, hast du
keine Planung; wenn die Planung da ist, ist kein Geld da.
Wenn der vordringliche Plan im Vorhinein sehr eng abgesteckt wird, dann gibt es kaum die Möglichkeit, mit einer vorhandenen Planfeststellung und dem dafür nötigen
Geld vor Ort zum Zuge zu kommen und anderen Maßnahmen, die nicht im Planfeststellungsverfahren enthalten sind, Rechnung zu tragen. Sehen Sie darin nicht ein
Problem?
Sehr
geehrter Herr Schemken, ich möchte zuerst darauf hinweisen, dass wir den Finanzierungsspielraum für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen im letzten Jahr im Zusammenhang mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm um
3 Milliarden DM verbessert haben. Das heißt, pro Jahr
stehen 3 Milliarden DM mehr zur Verfügung, als dies zu
Ihrer Regierungszeit der Fall gewesen ist.
Auch vor diesem Hintergrund ist die Lösung eines solchen Problems, wie es Herr Urbaniak angesprochen hat
und wie es leider vorgekommen ist, heutzutage lange
nicht mehr so dringlich, wie das noch vor einigen Jahren
der Fall gewesen ist. Im Zusammenhang damit möchte ich
Ihnen Folgendes deutlich machen: Das Investitionsprogramm, das für den Zeitraum von 1999 bis 2002 gilt, enthält keine einzige Maßnahme, die an den notwendigen Finanzierungsspielräumen gescheitert ist. Wir können und
konnten die geplanten Maßnahmen fast zu 100 Prozent
realisieren. Wir sind bei der Realisierung der Bedarfsplanvorhaben im Plan.
Wir wollen uns gerne daran messen lassen, ob wir alles, was wir in einem Programm festgelegt haben, auch
realisiert haben. Das ist die Qualitätsrichtschnur für unsere Politik auch in den kommenden Jahren.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir sind am Ende der Fragestunde. Ich schließe diese.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zu aktuellen Vorschlägen, in der GKV die Lohnfortzahlung zu
kürzen und die Vorleistungspflicht der Krankenversicherten einzuführen.
Das Wort zur Begründung hat als erste Rednerin die
Kollegin Hildegard Wester von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! CDU und CSU verfügen nach wie vor
über kein schlüssiges Konzept zur Weiterentwicklung des
Gesundheitswesens. Diese Konzeptlosigkeit hat sich in
den jüngsten Äußerungen verschiedener Spitzenpolitiker
der CDU/CSU gezeigt. Das gibt Anlass, heute darüber zu
diskutieren, wie die Gesundheitspolitik aussehen wird,
wenn Sie Gelegenheit haben sollten - das werden wir zu
verhindern wissen -, Politik zu gestalten.
Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz
hat davon gesprochen, dass die Patientinnen und Patienten eine Vollkaskomentalität hätten, die es abzuschaffen
gelte.
({0})
Offensichtlich hat Herr Merz nicht verstanden, dass ein
großer Teil der Behandlungskosten in der Krankenversicherung bei der Behandlung von chronisch Kranken sowie älteren Bürgerinnen und Bürgern entsteht. Deswegen
müssen wir fragen: Wo stellen Sie bei diesen Menschen
eigentlich eine Vollkaskomentalität fest? Wo wollen Sie
diesen Kranken,
({1})
die in hohem Maße Kosten verursachen, eine Teilkaskoversicherung anbieten? Welche Bereiche der medizinisch
notwendigen Versorgung wollen Sie denn diesen Menschen wegnehmen? Wie sollen chronisch Kranke die in
Ihrem Teilkaskomodell ausgeschlossene medizinische
Versorgung bezahlen? Oder unterstellen Sie etwa dem
Großteil der Kranken, sie gingen ohne Grund zum Arzt,
sie nähmen also ohne Not Leistungen in Anspruch, die die
Gemeinschaft der Versicherten erbringt?
Wer den Patientinnen und Patienten unterstellt, sie nähmen wegen jedes Zipperleins die Krankenversicherung in
Anspruch, ignoriert die Sorgen und Nöte der Menschen.
Das muss hier ganz klar herausgestellt werden.
({2})
Das hat nichts, aber auch gar nichts mit der von Ihnen viel
gepriesenen Mündigkeit der Patientinnen und Patienten
zu tun. Ihnen geht es nicht darum, den mühsamen und
konfliktreichen Weg der Verbesserung der Qualität und
der medizinischen Behandlungsabläufe zu gehen. Ihre
Reformvorstellungen bezüglich des Gesundheitswesens
sind die gleichen wie schon am Ende der letzten Legislaturperiode, in der Sie die Verantwortung getragen haben.
({3})
Es geht Ihnen vor allem darum, Patientinnen und Patienten stärker zu belasten, Teile der Gesundheitsversorgung
zu privatisieren und Lasten zuungunsten der Kranken zu
verschieben.
({4})
So sollen Kranke und nicht etwa Gesunde demnächst
500 Euro jährlich mehr zahlen,
({5})
wohlgemerkt für die gleiche medizinische Versorgung,
wie sie sie jetzt haben.
All dies geschieht unter dem Deckmantel der Stärkung
der Eigenverantwortung der Versicherten. Eigenverantwortung wollen die Menschen gerne übernehmen. Das
haben wir in den letzten Jahren erfahren. Aber wer Eigenverantwortung so definiert wie Sie, der wird auch
zukünftig weitere Lasten zuungunsten der Kranken verschieben, der wird Leistungen aus der Krankenversicherung ausgliedern wollen, die medizinisch notwendig sind.
({6})
Zusätzlich wollen Sie von der Union die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wieder begrenzen.
({7})
- Es gab einige entsprechende Stimmen, auch wenn das
Hauptzitat zugegebenermaßen von Rexrodt stammt. Aber
es gab auch aus Ihren Reihen Stimmen, dass man die Entgeltfortzahlung überprüfen müsse.
({8})
- Es sind keine Spitzenpolitiker. Die Namen kann ich Ihnen
gleich noch nennen. Sie wissen das genauso gut wie ich.
({9})
- Sie kennen bei uns auch nicht jeden Politiker und jede
Politikerin, der bzw. die irgendwann einmal ein Interview
gegeben hat.
Deutlich wird damit auf jeden Fall, dass Sie in Ihrer
Konzeptionslosigkeit sogar zu den Mitteln zurückgreifen,
die Ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit - ich will nicht
sagen: mit Sicherheit - eingehandelt haben, dass Sie 1998
von der Regierung abgewählt worden sind:
({10})
die einseitige Abkassiererei bei den Erwerbstätigen und
Beitragszahlern.
({11})
Wir haben diesen unsozialen Einschnitt der Kürzung
der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gleich zu Beginn
unserer Regierungsverantwortung zurückgenommen. Wir
haben auch die Zuzahlungen der Patientinnen und Patienten zurückgeführt
({12})
und Leistungsausgrenzungen wieder rückgängig gemacht.
({13})
Wenn jetzt Ihr Kanzlerkandidat Stoiber eine Absage an
die „Jahrzehnte gewachsene Versicherungs- und Versorgungsmentalität“ fordert, ist dies ein weiteres klares Bekenntnis dazu, dass er sich aus der Solidarität in der Krankenversicherung verabschieden will. Mit der Klage
Bayerns und anderer unionsregierter Länder gegen den
Risikostrukturausgleich hat Stoiber auch deutlich gemacht,
({14})
dass er das Eigeninteresse vor das Gemeininteresse setzt.
Frau Kollegin Wester, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme sofort zum
Schluss. - Es gäbe zu diesem Punkt noch vieles zu sagen.
Gott sei Dank reden noch Rednerinnen und Redner der
Koalition nach mir.
Eines muss deutlich werden: Wir werden uns nicht auf
diesen Weg begeben.
({0})
Wir werden all unsere Kräfte, die wir aufgrund des
Wählervotums mobilisieren können, nutzen, um zu verHildegard Wester
hindern, dass ein Weg beschritten wird, der aus der Solidarität und Parität hinausführt.
({1})
Wir werden unser Gesundheitssystem stabilisieren.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Annette Widmann-Mauz von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen, liebe Kollegen! Frau
Wester, was Sie und die SPD heute hier wieder zu inszenieren versuchen, ist so einfältig und durchsichtig, dass es
Ihnen die Menschen wirklich nicht mehr abnehmen. Sie
haben den Menschen so viel versprochen und dann haben
Sie alle Versprechen gebrochen.
({0})
Jetzt bekommen Sie kalte Füße und meinen, Sie könnten
uns ein bisschen Feuer machen. Das passt doch nicht zusammen.
({1})
Wenn es überhaupt einen Grund gibt, warum wir heute
Nachmittag in einer Aktuellen Stunde über die Gesundheitspolitik diskutieren müssen, dann ist es doch wohl der,
dass diese Bundesregierung in der Sozialpolitik auf der
ganzen Linie versagt hat und nichts tut, dass wir aber ganz
dringend Reformen gerade in der Gesundheitspolitik
brauchen. Wie sieht denn Ihre Bilanz nach drei Jahren
aus? - Katastrophal! Die Lage der Krankenversicherung
ist desolat, die Versorgung der Patienten und Pflegebedürftigen verliert immer mehr an Qualität, die Ärzte und
das Pflegepersonal sind vielfach überlastet und die Krankenversicherungsbeiträge steigen landauf, landab.
({2})
Noch nie mussten die Menschen durch eine verfehlte
Gesundheitspolitik so viele Hiobsbotschaften gleichzeitig
schlucken. Die gesetzliche Krankenversicherung ist aus
den Fugen geraten. Wenn Sie es mir nicht glauben, dann
glauben Sie es doch einfach einmal dem Vorsitzenden der
Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten,
Herrn Bahlo.
({3})
Er hat erklärt, die Versorgungssituation in der gesetzlichen
Krankenversicherung werde von Ihnen schöngeredet. Er
sagt, Eigenlob habe die notwendige kritische Analyse ersetzt. Recht hat er! Sie würden kein Wort über die schweren Missstände in der Versorgung kranker Menschen, kein
Wort über die zum Teil verheerenden Zustände in der
Pflege und kein Wort über die längst praktizierte Zweiklassenmedizin verlieren. Recht hat Herr Bahlo! Hören Sie
endlich auf die Menschen; sie sagen es Ihnen.
({4})
Hinzu kommen die Entwicklung der Altersstruktur und
all die in der Medizin vorhandenen Fortschritte. Mit dem
„Weiter so“, das Sie heute Nachmittag wieder propagiert
haben, werden die Beitragssätze mittelfristig auf 20 Prozent steigen. Sie tun überhaupt nichts dagegen. Ich frage
Sie: Wie lange wollen Sie das den Menschen in unserem
Land eigentlich noch zumuten?
Ich will Ihnen eines sagen: Eine Politik ist dann unsozial, wenn die Menschen immer mehr bezahlen müssen
und immer weniger dafür bekommen.
({5})
Angesichts Ihrer Politik ist es kein Wunder, wenn die
Menschen Sie - wie am vergangenen Sonntag in SachsenAnhalt - aus der Regierungsverantwortung jagen.
({6})
Sie wissen doch überhaupt nicht mehr, was es für die
Menschen bedeutet, Monat für Monat weniger in der Tasche zu haben, weil die Krankenversicherungsbeiträge
immer höher werden.
({7})
Wenn Sie schon keinen Kontakt mehr zu den Menschen in unserem Land haben, vielleicht hören Sie dann
noch auf die Demoskopen. Auch sie sagen Ihnen: Nur
4 Prozent der Bevölkerung haben den Eindruck, dass sich
die Gesundheitsversorgung unter Rot-Grün verbessert
hat. 37 Prozent sehen für die letzten drei Jahre eine Verschlechterung. 70 Prozent sehen Deutschland auf dem
Weg in die Zweiklassenmedizin.
Je mehr persönliche Erfahrungen die Menschen mit
dem Gesundheitswesen unter Rot-Grün haben, desto kritischer fällt ihre Bilanz aus. Nur noch 37 Prozent der
ernsthaft kranken Menschen halten das System für gut.
Gesunde wie Kranke sind gleichermaßen davon überzeugt, dass die Versorgung weiter reduziert werden wird.
50 Prozent der Bevölkerung machen sich bereits Sorgen,
nicht ausreichend versorgt zu werden.
({8})
43 Prozent der Patienten haben in den letzten zwei Jahren
aufgrund der von Ihnen veränderten gesetzlichen Vorschriften auf Leistungen verzichten müssen. Das alles
wollen Sie nicht wahrhaben.
({9})
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Sie haben ein gesundes System mit Überschüssen und mit Rücklagen übernommen.
({10})
- Mit milliardenschweren Rücklagen. Darüber haben wir
hier vor Wochen diskutiert. Lesen Sie es nach; in den Protokollen finden Sie es schwarz auf weiß. Davon ist nichts
übrig geblieben.
({11})
Das, was wir Ihnen übergeben haben, war das Ergebnis einer erfolgreichen Politik. Sie hat einen Namen, nämlich
Horst Seehofer.
({12})
Was Andrea Fischer angerichtet hat, ist hinlänglich bekannt: Rationierung, Budgetierung, Zweiklassenmedizin.
Auch das, was Sie abgeliefert haben, Frau Schmidt, ist
nicht besser. Sie haben es mit Beruhigungspillen versucht.
({13})
Ich finde, die „Frankfurter Rundschau“ hat absolut Recht,
wenn sie schreibt, dass bei den Beratungen am runden
Tisch, mit dem Sie zwei Dutzend Verbände und das halbe
Gesundheitsministerium über Wochen lahm gelegt haben,
ein Papier herausgekommen ist, das „die Grenze zur Satire streift“. Das Ganze sei „eine Beschäftigungstherapie
für die Lobbyisten des Gesundheitswesens“. - Ich zitiere
weiter:
Der runde Tisch taugt nicht einmal mehr als Placebo.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ihre Gesundheitspolitik geht immer mehr in Richtung
Bürokratie statt menschlicher Zuwendung, immer häufiger in Richtung Gängelung der Patienten statt freier Arztwahl, in Richtung Staats- und Listenmedizin statt Therapiefreiheit. Statt den Wettbewerb auszubauen, werden die
Weichen in Richtung Einheitsversicherung gestellt. Das
Wahlprogramm der SPD verheißt hierzu nichts Gutes.
Besserung ist nicht in Sicht.
Was wollen denn die Menschen in unserem Land? Sie
wollen mehr Wahlfreiheit, mehr Transparenz und mehr
Information.
({14})
Das werden wir den Menschen anbieten.
({15})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Widmann-Mauz, Sie können so viele Statistiken vorlesen, wie Sie wollen: Wir werden die Probleme,
die das deutsche Gesundheitswesen hat, nicht wegdiskutieren, auch nicht anhand von Statistiken, sondern wir
werden sie lösen.
({0})
- In dieser Hinsicht können Sie ganz beruhigt sein,
({1})
weil wir auf einem guten Weg sind, weil wir viele wichtige und unverzichtbare Dinge angepackt haben. Wir
mussten im Sinne der Versicherten und Patienten eine
Reihe von Regelungen dringend zurücknehmen, die Sie in
Ihrer Regierungszeit auf den Weg gebracht hatten. Wir
mussten sie zurücknehmen, weil das System, das Sie hinterlassen haben, vor allen Dingen eines war: unsozial.
({2})
Sie haben jetzt aber die Katze aus dem Sack gelassen.
({3})
Frau Widmann-Mauz, Sie haben gerade gesagt, Sie wollten den Patientinnen und Patienten, den Versicherten
Wahlfreiheit, Transparenz und Information bieten. Ich
sage Ihnen: Die Versicherten würden in Ihrem System
zwischen schlechter und ganz schlechter Versorgung
wählen können.
({4})
Sie würden in Ihrem System wissen, wie schlecht die Versorgung ist. Die Beiträge würden weiter steigen. Sie wollen keine wirkliche Reform des Systems.
({5})
Ihnen geht es nicht um Gesundheit und auch nicht um
eine Reform des Systems, sondern ganz klar um die Abschaffung der Gerechtigkeit. Sie haben sich wieder einmal von der zentralen Frage der Gerechtigkeit im Gesundheitssystem verabschiedet.
({6})
Ich will Ihnen auch sagen, woran man das erkennt: Das
erkennt man unter anderem an der Tonlage, mit der Ihr
Fraktionsvorsitzender die Versicherten und Patienten behandelt. Wenn man sagt: „Wir wollen keine Vollkaskoversicherung mehr für jedes Zipperlein vorschreiben“,
dann ist man nicht in der Realität der Patienten, der Patientinnen und der Versicherten in diesem Land; dann ist
man vielmehr in der Realität von Leuten, denen es gut
geht, die nicht krank sind und die genug Geld haben, für
Gesundheit zu bezahlen.
({7})
Jedes Zipperlein wird in dieser Republik schon lange
nicht mehr versichert. Wenn man von „jedes Zipperlein“
redet, dann weiß man nicht, wovon man redet. Jedenfalls
redet man nicht von chronisch Kranken und von Leuten,
die dringend eine qualitativ gute Versorgung brauchen.
Zurzeit bekommen sie sie tatsächlich. Wir lehnen Ihre
Pläne ab, weil sie ungerecht sind. Ihre Pläne machen sehr
deutlich, wohin Sie eigentlich wollen. Sie wollen die
Abkehr von der sozialen Gerechtigkeit.
({8})
Sie wollen eine Kostenerstattung. Dies soll ungefähr
folgendermaßen funktionieren: Man geht als AOK-Versicherter, dessen Portemonnaie möglicherweise nicht so
voll wie das des Herrn Merz ist, zum Arzt und anschließend bekommt man eine Rechnung - man kennt
deren Höhe vorher nicht -,
({9})
die man bezahlen muss, ohne zu wissen, wie. Geht man
angesichts dieser so genannten Wahlfreiheit wirklich zum
Arzt?
Insbesondere die FDP will die Reduzierung auf das
medizinisch unbedingt Notwendige. Was ist medizinisch
unbedingt notwendig? Ist es das, wodurch man gesund
wird, oder ist es vielleicht das, wodurch man gerade einmal überleben kann? Ich befürchte „medizinisch unbedingt notwendig“ heißt eher das Letztere.
Sie haben die Idee der Selbstbeteiligung aufgenommen. Die Selbstbeteiligung soll 500 Euro im Jahr betragen. Man kann sich dann überlegen, ob man es sich leisten kann, krank zu werden oder nicht. Ich sage Ihnen:
Menschen sind keine Autos.
({10})
Insbesondere kranke Menschen sind keine Autos. Wir lehnen diese Idee ab, weil sie nichts mit der Realität der
Kranken, weil sie nichts mit der Realität der Menschen in
diesem Land zu tun hat.
({11})
Ich komme auf das Thema Lohnfortzahlung zu
sprechen. Herr Laumann, Sie haben dazu am 22. April
eine Presseerklärung veröffentlicht, wofür es irgendeinen
Grund gegeben haben muss. Sie haben in dieser
Presseerklärung festgestellt, dass Sie die Lohnfortzahlung
im Krankheitsfall, so wie sie ist, beibehalten wollen. Sie
haben gesagt: Forderungen nach Einschränkungen
machen wenig Sinn. Ich kenne weder bei der SPD noch
bei den Grünen jemanden, der gefordert hat, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einzuschränken. Vielmehr
taten dies die Herren Wadephul und Eckhoff. Beide sind
in der Union.
({12})
- Wer das ist, müssen Sie besser wissen; denn es sind Mitglieder Ihrer Partei.
({13})
Es sind auch nicht irgendwelche Mitglieder. Der eine ist
Fraktionschef in Bremen und der andere ist ein Kollege
aus Schleswig-Holstein. Ihre Frage: „Wer ist das?“ dürfte
damit beantwortet sein, Herr Lohmann. Außerdem sind
die Aussagen dieser Politiker der Grund für Ihre Pressemitteilung, Herr Laumann.
Ich sage Ihnen zum Schluss: Sie stellen die
Gerechtigkeitsfrage neu. Sie wollen Gerechtigkeit auf
Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und
zwar dadurch, dass Sie einerseits zwar den Arbeitgeberanteil festschreiben, andererseits aber den Arbeitnehmeranteil zur Disposition stellen, dadurch, dass die Arbeitslosen die Familienleistungen bezahlen sollen, dadurch,
dass die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht mehr
ganz so wichtig sein soll und dadurch, dass - nach dem
Motto: Patienten sind wie Autos - der Selbstbehalt erhöht
werden soll.
({14})
Ich kann Ihnen sagen: Weder die Menschen in diesem
Land noch Rot und Grün in diesem Parlament werden Ihnen Ihre Behandlung der Gerechtigkeitsfrage so durchgehen lassen.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDPFraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wie tief muss der Schreck
von Sachsen-Anhalt in Ihre Glieder gefahren sein, dass
Sie heute mit einem derart durchsichtigem Manöver, wie
dieser Aktuellen Stunde, einen Entlastungsangriff versuchen!
({0})
Der Öffentlichkeit soll vorgegaukelt werden, bei einem
Regierungswechsel im September drohe eine arbeitnehmerfeindliche Politik.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das verfängt nicht mehr.
Sie sollten wirklich zur Kenntnis genommen haben, dass
am letzten Wochenende in Sachsen-Anhalt ebenso viele
Arbeitnehmer und Arbeitslose FDP wie SPD gewählt
haben.
({2})
- Da standen Arbeitsplätze zur Debatte, Frau Fuchs. Darüber reden wir hier. ({3})
Das heißt: Die Menschen in unserem Lande haben mittlerweile sehr klare Vorstellungen davon, welche Konzepte
und welcher Politikansatz im Ergebnis zu mehr Arbeitsplätzen führen wird.
({4})
Rot-Grün hat in den letzten drei Jahren auch und gerade in den Bereichen Arbeitsrechts-, Arbeitsmarkt- und
Gesundheitspolitik nichts, aber auch absolut nichts
dazugelernt.
({5})
Deswegen glauben Sie auch, hier weiter die Schlachten
der Vergangenheit führen zu müssen, und diskutieren über
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Gängelung von
Patienten. Wir von der FDP hingegen haben die Zeit genutzt und neue Konzepte entwickelt, die für die Menschen
in unserem Lande, gerade auch die Arbeitslosen, neue
Chancen eröffnen.
({6})
Die Positionen der FDP zu den vordringlichen Fragen
der Arbeitsrechts-, Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik
sind ganz klar.
({7})
Wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, in den Entwurf
unseres Wahlprogramms zu sehen, bräuchten wir diese
Debatte hier heute eigentlich gar nicht zu führen.
Schon am 11. April hat die Generalsekretärin der FDP,
meine Kollegin Cornelia Pieper, der deutschen Öffentlichkeit das Wahlprogramm der FDP vorgestellt. Wir
haben damit als erste Partei auf Bundesebene klar und
deutlich und detailliert auf 82 Seiten - anders etwa als das
SPD-Programm - gesagt, was wir ab dem 22. September
in Deutschland verändern wollen.
({8})
Schon ab Seite 4 listen wir unter der Überschrift „Arbeitsplätze schaffen statt Arbeitslosigkeit verwalten“ und auf
Seite 9 unter der Überschrift „Für eine Leistungsfähige
und bezahlbare Gesundheitsversorgung“ auf, wie wir den
Arbeitsmarkt aufbrechen und wieder mehr Menschen in
Arbeit und Brot bringen wollen. Ich nenne hier nur die
wichtigsten Punkte:
Wir wollen, dass betriebliche Bündnisse für Arbeit
auch ohne Zustimmung der Tarifverbände möglich werden, weil die Menschen in den Betrieben - Arbeitnehmer
und Arbeitgeber gleichermaßen - am besten wissen, was
noch geht und wo die Grenze der Leistungsfähigkeit überschritten wird.
({9})
Wir vertrauen hier eher den Menschen im Betrieb und
misstrauen den Funktionären. Deswegen muss das Tarifvertragsrecht ebenso geändert werden wie das Günstigkeitsprinzip.
({10})
Wir wollen eine Beseitigung der Restriktion bei der
Befristung von Arbeitsverhältnissen. Das neue Befristungsrecht hat beschäftigungshemmende Wirkung. Das
sagt auch Ihr Sachverständigenrat.
Wir wollen die Erleichterung und Entbürokratisierung
von Zeitarbeit. Lernen wir von unseren Nachbarn und
stärken wir diese Brücke in den ersten Arbeitsmarkt.
({11})
Wir wollen keinen Rechtsanspruch auf Teilzeit, sondern stattdessen die Förderung der Teilzeitarbeit auf freiwilliger Basis.
Wir wollen eine Reform des Kündigungsschutzes, und
zwar ein Optionsmodell, welches Arbeitgebern und Arbeitnehmern erlaubt, auszuhandeln, ob der gesetzliche
Kündigungsschutz oder eine Abfindung oder eine Qualifizierungsverpflichtung des Arbeitgebers gelten soll.
Wir wollen eine mittelstandsfreundliche Reform der
betrieblichen Mitbestimmung, die die kleinen Betriebe
von Kosten und Bürokratie entlastet, ohne die Arbeitnehmer in ihren Rechten einzuschränken.
({12})
Das sind Eckpunkte unserer modernen, zukunftsfähigen Arbeitsmarktpolitik.
({13})
Das sind Reformkonzepte für mehr Arbeitsplätze und
Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland.
Eine Kürzung der Lohnfortzahlung nach dem Vorbild der
Reform von 1996 findet sich in unserem Programm nicht;
das will ich hier sehr deutlich sagen. Ich sage Ihnen auch
warum: Eine Veränderung der Lohnfortzahlung würde erstens kurz- und mittelfristig gar keine Entlastung der Unternehmen bringen; zweitens würde ein solcher Vorschlag
eine Win-loose-Situation schaffen. Das heißt, es wird dem
einen genommen, um dem anderen zu geben. Das ist aber ein
Konzept von gestern. Wir wollen mit unserem neuen strukturellen Reformen am Arbeitsmarkt Win-win-Situationen
schaffen. Es sind Veränderungen möglich, von denen alle
profitieren, Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen.
({14})
Das zeichnet eine moderne Arbeitsmarktpolitik aus.
Wir Liberale haben als einzige politische Kraft in
Deutschland bisher wirkliche Reformkonzepte auf den
Tisch gelegt,
({15})
die nicht auf Einschränkung von Leistungen setzen, sondern auf neue, innovative und standortstärkende Elemente
zum Wohle der Unternehmen und Betriebe und auch der
Arbeitnehmer. Die Menschen beginnen, das zu honorieren, siehe Sachsen-Anhalt. Das war, glaube ich, deutlich.
({16})
Immer mehr Menschen verstehen: Ein Arbeitsplatz im
Rahmen eines Zeitarbeitsvertrages oder ein befristeter Arbeitsvertrag ist eben besser als kein Arbeitsplatz. Immer
mehr in Arbeit stehende Menschen verstehen, dass es besser ist, im Rahmen eines betrieblichen Bündnisses für Arbeit einen sicheren Arbeitsplatz zu behalten, als die Pleite
des Arbeitgebers sehendes Auges herbeizuführen.
({17})
Immer mehr Menschen verstehen, dass nur die FDP für
eine Politik eintritt, die hierfür die Rahmenbedingungen
schafft.
({18})
Deswegen sehen wir mit Interesse den nächsten Monaten
und auch dem September dieses Jahres entgegen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({19})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Ruth Fuchs von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Wie Kollegin Wester ausgeführt hat, sind Anlass der Aktuellen Stunde ein Interview von Herrn Merz
in der „Bild am Sonntag“ sowie ein Vorschlag von CDUund FDP-Politikern - Herr Rexrodt müsste Ihnen bekannt
sein -, die die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder
abschaffen wollen, falls Sie nach dem 22. September an
die Regierung kommen.
({0})
Liebe Kollegin Widmann-Mauz, Herr Merz ist kein Nobody.
({1})
Er ist Ihr Fraktionsvorsitzender. Herr Merz und Sie müssen wissen: Wenn er etwas sagt, wird das gleichgesetzt
mit den Zukunftsvorstellungen der CDU/CSU in der Gesundheitspolitik,
({2})
ob das nun in einem Konzept aufgeschrieben ist oder
nicht. Das ist einfach so.
({3})
Trotzdem oder gerade deshalb, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, frage ich mich nach den Ankündigungen Ihres Fraktionsvorsitzenden wirklich: Wo leben
Sie? Und vor allem: Wo sind Sie und Ihr Herr Fraktionsvorsitzender eigentlich krankenversichert? Ganz sicher
nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung; denn nach
meinen Erfahrungen - ich bin nämlich noch gesetzlich
krankenversichert - gibt es schon seit langer Zeit in der
gesetzlichen Krankenversicherung keine Vollkaskoversicherung mehr. Eigenbeteiligung und Zuzahlung, vor allem durch Ihre Politik in die gesetzliche Krankenversicherung hereingebracht, sind doch schon lange gang und
gäbe.
({4})
Abgesehen davon, lieber Kollege Lohmann, dass Ihr
Fraktionsvorsitzender und auch Sie den Menschen wirklich erst einmal erklären müssen, welche Krankheit Sie
dem Begriff Zipperlein zuordnen, sage ich Ihnen: Sie wollen ganz etwas anderes:
({5})
Es geht Ihnen um die Wiedereinführung von Elementen
der privaten Krankenversicherung in die gesetzliche Krankenversicherung, so wie es Herr Seehofer schon einmal
versucht hat. Sie wollen die Probleme im Gesundheitswesen, die niemand leugnet, auf Kosten der Versicherten lösen, weil Sie zu feige sind, Reformen durchzuführen, um
die tatsächlichen Ursachen anzugehen.
({6})
- Ja, wie wir. ({7})
Sie wollen durch Abwahl bzw. Zuwahl von Leistungen,
durch Selbstbehalte und Kostenerstattungen in der gesetzlichen Krankenversicherung diese Probleme lösen, und
zwar nach dem Motto: Der Versicherte ist das schwächste
Glied in der Kette; er ist am besten zu verführen.
Durch Kostenerstattung sollen den Versicherten Regelund Wahlleistungen schmackhaft gemacht werden. Genau
das ist Ihr Ziel. Das Ganze verkaufen Sie den Versicherten unter dem verführerischen Deckmantel der höchstpersönlichen freien Entscheidung,
({8})
das heißt, ohne Druck des Gesetzgebers allein über die
Höhe ihres Beitrages zu entscheiden. Aber vorher bitte
schön erst einmal ein Obulus von 500 Euro auf den Tisch,
damit bis zu dem Betrag die Beteiligung an den eigenen
Krankheitskosten selbst getragen wird. Das ist natürlich
ein verführerisches Angebot. Aber für wen denn? Doch
nur für junge und gesunde Versicherte. Die sparen Geld,
das ist wahr. Aber verheerend ist es für Kranke und
chronisch Kranke, die ständig auf medizinische Versorgung angewiesen sind.
Verheerend ist es vor allem für eine solidarische Krankenversicherung, deren Sinn damit völlig auf den Kopf
gestellt wird. Wenn das Ihre Absicht ist - es hat ja keiner
etwas dagegen -, dann sagen Sie das den Menschen auch.
({9})
Haben Sie den Mut zu sagen, dass der Wert Solidarität für
Sie out ist, dass Entsolidarisierung, weiterer Verlust an
Menschlichkeit in der Medizin und zunehmende Diskriminierung sozial schwacher, älterer und behinderter Menschen Ihr Gesundheitskonzept für die Zukunft sind.
Es gibt ein fantastisches Buch mit dem Titel „Zeit, das
Visier zu öffnen“. Es wurde 1998 nach Ihrer Wahlniederlage geschrieben. Der Autor heißt Heiner Geißler; den kennen Sie alle sehr gut. Was ist in dem Buch unter anderem
zu lesen? Den folgenden Satz sollten Sie sich wirklich hinter die Ohren schreiben: „Mit einer Gesundheitsreform
kann man zwar keine Wahl gewinnen, aber verlieren.“
Bitte denken Sie darüber noch einmal intensiv nach.
({10})
Die Menschen in der ganzen Bundesrepublik sind nicht so
dumm, dass sie nicht begreifen, dass Solidarität ein ganz
wichtiger Wert ist. Sie wollen diese Solidarität nicht aufgeben.
({11})
Lieber Kollege Kolb, der Vorschlag von CDU/CSU
und FDP, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder
aufzuheben, ist doch nur ein weiteres Beispiel dafür, dass
Solidarität für Sie out ist.
({12})
Er ist zudem realitätsfern. Der Krankenstand in Deutschland ist - das konnten wir erst vor wenigen Wochen lesen noch nie so niedrig gewesen wie jetzt: bei den Betriebskrankenkassen gut 3 Prozent. Anfang der 90er-Jahre war
er doppelt so hoch.
Was ich Ihnen jetzt sage, sind keine Erkenntnisse aus
staatlicher Gesundheitsvorsorge: Sozialpolitiker und Arbeitsmarktpolitiker sagen, dass nach arbeitsmedizinischen Erfahrungswerten ein Krankenstand von unter
4 Prozent aus gesundheitlicher Sicht eher Anlass zur
Sorge bietet. Das bedeutet nämlich, dass eine zunehmende Anzahl von Beschäftigten am Arbeitsplatz ist, die
eigentlich - ({13})
- Gehen Sie doch einmal in die Betriebe! Gehen Sie doch
einmal in die Praxen in den neuen Bundesländern! Unterhalten Sie sich doch einmal mit den Patienten!
({14})
- Hören Sie auf, Mensch! Sie sind jetzt schon zwölf Jahre
an der Regierung.
({15})
Frau Kollegin Fuchs, kommen Sie bitte zum Schluss.
Mit einer so primitiven Argumentation gewinnen Sie keine Wahl. Hören Sie doch auf!
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident: Wenn Sie
glauben, dass Sie mit solchen Methoden die Leute hinters
Licht führen können, dann irren Sie sich. So dumm sind
sie nicht - trotz PISA-Studie.
({0})
Für die
Bundesregierung spricht jetzt die Bundesministerin Ulla
Schmidt.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, ich glaube
schon, dass das, was am Wochenende erneut von führenden Vertretern der CDU, der CSU und auch der FDP in Interviews im Hinblick auf die Reformen in der gesetzlichen Krankenversicherung geäußert wurde, diese
Aktuelle Stunde rechtfertigt.
({0})
Denn wir müssen uns darüber unterhalten, ob auch in Zukunft das gilt, was in Deutschland in der Sozialversicherung gewachsen ist: dass jeder und jede ohne Ansehen der
Person und des Einkommens die medizinische Leistung
erhält, die er oder sie braucht, um gesund zu werden,
({1})
um die Schmerzen zu lindern oder um - manchmal, am
Ende des Lebens - noch ein Stück Lebensqualität zu erhalten.
({2})
Ich gehöre nicht zu denen, denen man unterstellen
könnte, dass sie in all den Jahren im Bundestag reformunfreudig gewesen seien. Ich weiß aber den Wert dieser
gesetzlichen Krankenversicherung zu schätzen.
({3})
Die gesetzliche Krankenversicherung ist in meinen Augen das Herzstück des Sozialstaates.
({4})
Denn inwieweit der einzelne Mensch in der Lage ist, am
gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, eine Familie zu
gründen, Kinder aufzuziehen, ältere Menschen zu pflegen
oder auch durch eigene Erwerbsarbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist davon abhängig, inwieweit er gesundheitlich dazu in der Lage ist.
({5})
- Ich werde noch auf einzelne Dinge eingehen.
Das Sozialgesetzbuch V ist eindeutig: Jeder Versicherte hat Anspruch auf eine angemessene und notwendige Leistung, die wirtschaftlich zu erbringen ist.
({6})
Die Kunst der Reform besteht darin, dafür zu sorgen, dass
jeder einzelne Euro, der von Versicherten in die gesetzliche Krankenversicherung eingezahlt wird, optimal eingesetzt wird,
({7})
und Über-, Unter- und Fehlversorgungen zu beseitigen.
Wir müssen dafür sorgen, dass aufhört, was heute im
Gesundheitswesen passiert: dass der eine Arzt oft gar
nicht weiß, was die andere Ärztin macht, und dass das zulasten der Patientinnen und Patienten und deren Gesundheit geht.
({8})
Wir müssen die integrierte Versorgung weiter auf den Weg
bringen. Wir tun dies, Herr Kollege. Wir sind derzeit dabei, die Programme für eine bessere Versorgung chronisch
kranker Menschen auf den Weg zu bringen; denn die chronisch kranken Menschen werden in diesem Lande nicht
optimal behandelt. Das liegt aber nicht, Kollegin Mauz,
({9})
an der Politik, sondern daran, dass zu wenig zusammengearbeitet wird, weil es zu wenig Abstimmung gibt. Das
hat etwas mit den Strukturen in unserer Selbstverwaltung
zu tun.
Deshalb folgende Frage. Wenn Sie sagen, Kollegin
Mauz, dass Leistungen nicht erbracht werden, dann passt
das doch nicht mit der Aussage vom Kollegen Merz zusammen, dass jedes Zimperlein bezahlt wird. Wenn Sie
behaupten, die Menschen bekommen ihre Medikamente
nicht mehr, dann erklären Sie mir doch einmal den hohen
Anstieg der Kosten für Medikamente. Das passt doch alles nicht zusammen.
Im Gesundheitswesen fehlt es häufig an Abstimmung;
das beeinträchtigt die Qualität. Dadurch werden die hohen
Kosten verursacht. Deshalb müssen wir da ansetzen: die
Qualität der Versorgung verbessern
({10})
und Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen. Aber wir
müssen auch dafür sorgen, dass dies nicht zulasten von
kranken Menschen geschieht.
({11})
Jetzt komme ich zu Ihren Vorschlägen. Zu den Grundund Wahlleistungen sagen Sie gar nichts mehr,
({12})
weil niemand von Ihnen, weder von der FDP noch von der
CDU/CSU, mir sagen kann, welche Leistung er nicht erhalten möchte, wenn er krank ist.
({13})
- Welche Leistung? Sagen Sie es,
({14})
schriftlich! Aber die CDU/CSU ist da schon vorsichtiger.
Deshalb sage ich: Wer anfängt, Leistungen auszugrenzen,
({15})
der macht Schluss damit, dass, wie es heute der Fall ist,
die Erbringung von Leistungen allein vom medizinisch
Notwendigen her definiert wird. Das ist der Unterschied.
({16})
Grund- und Wahlleistungen oder die Schaffung von,
wie es jetzt so schön heißt, kleinen Paketchen,
({17})
bei denen jeder etwas abwählen kann, wodurch er Beiträge
sparen kann, funktionieren vielleicht in der privaten
Versicherung; da hat jeder eine individuelle Versicherung.
Aber was passiert mit Ihren Paketen, wenn der Ernährer
der Familie - seltener ist es die Ernährerin - sagt: Ich bin
jung, brauche keine Rehabilitation, keine Hospize und
auch für bestimmte andere Dinge keine Versicherung. Er
oder sie weiß ja nicht, was vielleicht in der nächsten Minute passiert. Aber was ist mit den Kindern? Ein Kind kann
schon krank sein, ehe es das Licht der Welt erblickt hat.
Die gesetzliche Krankenkasse, wie sie heute ist, mit ihrem
umfassenden Anspruch auf das medizinisch Notwendige
für alle, hat auch dafür gesorgt, dass jedes Kind in diesem
Lande eine Versorgung erhält. Andere Länder wären froh,
wenn sie eine solche Versorgung hätten.
({18})
Ich kann nicht zulassen, dass jemand aus dieser Solidargemeinschaft, bei der das Familieneinkommen die
Grundlage für die Krankenversorgung der gesamten Familie ist, etwas abwählt, wodurch auch die Versorgung für
die Kinder eingeschränkt wird.
({19})
Sie können doch nicht ernsthaft vorschlagen, dass die
Kinder davon ausgenommen werden. Das kann nicht sein.
({20})
- Sie haben vorgeschlagen, dass man Leistungen abwählen kann. Gilt das nur für den, der bezahlt? Gilt das
nicht für alle, die versichert sind? Wie funktioniert denn
unser System?
Zweitens. Wer wählt denn zum Beispiel die 500 Euro
Eigenbeteiligung?
({21})
Wählen das die älteren Menschen? - Nein. Wählen das
die kranken Menschen? - Nein. Wählen das Menschen
mit Behinderungen? - Nein. Wer wählt sie denn? Das sind
die jungen, gut verdienenden Männer! Den Kranken in
diesem Versicherungssystem fehlt hierdurch das Geld für
die Versorgung, die sie brauchen.
({22})
Das ist unsolidarisch. So funktioniert die Versicherung
nicht.
({23})
Unter Ihrer Ägide sind die Krankenkassenbeiträge in
sechs Jahren um 1,2 Prozent gestiegen.
({24})
- Doch, ich kann es Ihnen nachweisen; ich kenne die maßgeblichen Statistiken. - Unter Rot-Grün sind sie in vier
Jahren im Schnitt nur um 0,35 Prozent gestiegen.
Dritter Punkt. Wenn Sie den Weg der Kostenerstattung,
wie sie in der privaten Krankenversicherung zu finden ist,
einschlagen, dann nehmen Sie der gesetzlichen Krankenkasse das Instrument, das sie braucht, um eine Qualitätskontrolle und eine Ausgabensteuerung durchführen zu
können.
({25})
So kann man nicht vorgehen.
Wir werden an diesem solidarischen, paritätisch finanzierten System festhalten, weil es das einzige System ist,
das den Menschen von der Geburt bis zu seinem Tode
davor schützt, im Krankheitsfalle alleine gelassen zu
werden.
Vielen Dank.
({26})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Ulf Fink von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es waren die Christlich Demokratische und die Christlich-Soziale Union, die das
System der Gesundheitsversorgung in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen haben.
({0})
Sie haben dafür gesorgt - das sagen alle internationalen
Studien -, dass in unserem Land die Menschen, unabhängig von ihrem Einkommen, ihrem Alter und ihrer Stellung, in den Genuss der notwendigen medizinischen Leistungen kommen. Wir waren es, die dieses System
geschaffen haben, und zwar gegen zum Teil erhebliche
Widerstände der Sozialdemokraten.
({1})
Deshalb ist für uns die Tatsache von allergrößter Bedeutung - sie erschreckt uns sehr -, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Versicherten in der gesetzlichen
Krankenversicherung nach über drei Jahren rot-grüner
Regierungskoalition zu über 50 Prozent befürchten, nicht
mehr in den Genuss der notwendigen Leistungen zu kommen.
({2})
Nach Untersuchungen von Allensbach sagen 24 Prozent
der Bevölkerung, dass sie bereits die Folgen der Budgetierung dadurch zu spüren bekommen haben, dass ein Arzt ein
bestimmtes Medikament oder eine Behandlung verweigern
musste, da das ihm zugebilligte Budget ausgeschöpft war.
Über dieses Thema müssen wir uns unterhalten.
Angesichts der Tatsache, dass Zuckerkranke nicht
mehr die zur Blutzuckerkontrolle notwendigen Teststreifen, dass Krebskranke nicht mehr die notwendige Lymphdrainage und dass Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind, von der gesetzlichen Krankenversicherung
nicht mehr die modernen Neuroleptika bekommen, muss
ich sagen: Das ist für jeden vernünftig Denkenden ein Menetekel in der Gesundheitspolitik.
({3})
Deshalb sage ich Ihnen, Frau Ministerin Schmidt:
({4})
Sie haben für meine Begriffe richtig gehandelt - damit
stehen Sie im Gegensatz zu Ihrer Vorgängerin -, als Sie
dafür gesorgt haben, das Arzneimittelbudget abzuschaffen. Sie haben erkannt, dass das von der rot-grünen Koalition beschlossene Arzeimittelbudget falsch war.
Es gibt aber noch weitere Budgets. Beispielsweise gibt
es das Budget für die Ärzte. Die Konsequenz ist, dass es
in Ostdeutschland mittlerweile eine Situation gibt, in der
die ambulante ärztliche Versorgung mit Hausärzten nicht
mehr sichergestellt ist.
({5})
Über 500 Hausarztstellen in Ostdeutschland können nämlich nicht mehr besetzt werden: 150 Stellen in Brandenburg, 120 Stellen in Sachsen-Anhalt, 107 Stellen in Mecklenburg-Vorpommern, 80 Stellen in Sachsen und über
100 Stellen in Thüringen. Das liegt doch nicht zuletzt daran, dass es ein Budget gibt.
({6})
Die Ärzte in Ostdeutschland haben nicht einmal
75 Prozent des Verdienstes ihrer westdeutschen Kollegen.
Auf der anderen Seite müssen sie aber mehr tun, weil die
Menschen in Ostdeutschland kränker als die Menschen in
Westdeutschland sind. Das ist die Wahrheit.
({7})
Ich sage Ihnen zur Budgetierung in aller Klarheit:
({8})
Sie sagen - ich habe allerdings in Ihrem Regierungsprogramm vergeblich ein Wort zur Budgetierung gesucht -,
dass Sie die Budgetierung nicht abschaffen wollen. Daraus
kann ich nur entnehmen, dass Sie mit der Budgetierung
erst einmal fortfahren wollen. Dann muss ich Ihnen aber
sagen: Budgetierung ist die brutalste Form der Selbstbeteiligung, die man sich überhaupt vorstellen kann.
({9})
Leistungen werden den Menschen vorenthalten und es
gibt keine Härtefall- und Überforderungsklauseln. Das ist
eine wahre soziale Ungerechtigkeit.
({10})
Deshalb sage ich Ihnen: Ich bin der Auffassung, dass
man den Menschen auch im System der gesetzlichen
Krankenversicherung mehr Entscheidungsfreiheit und
Selbstbestimmung geben muss. Die Transparenz muss erhöht werden.
({11})
Es ist doch vernünftig, dass der Fraktionsvorsitzende
Friedrich Merz gesagt hat, dass jemandem, der nicht das
volle Leistungspaket, sondern beispielsweise etwas weniger erhalten will,
({12})
die Ersparnis daraus - es geht nicht nur um den Arbeitnehmeranteil, sondern auch um den Anteil des Arbeitgebers - ausgezahlt werden soll.
({13})
Es wäre doch gut, wenn die volle Ersparnis einer geminderten und sparsameren Inanspruchnahme des Leistungskatalogs nicht dem Arbeitgeber, sondern dem Versicherten zugute kommen würde.
({14})
Das eine sage ich Ihnen zum Schluss: Die notwendige
Solidarität muss künftig mehr und mehr mit einer größeren Wahlfreiheit verbunden werden. Sie werden am
22. September Ihr Desaster erleben, weil Sie den Bürger
bevormunden; Sie bürokratisieren. Das wollen die Menschen nicht.
({15})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Monika Knoche vom Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Fink, ich habe oftmals
das Vergnügen, nach Ihnen zu sprechen. Sind Sie ernsthaft
der Auffassung, dass Sie die Probleme, die Sie geschildert
haben, damit lösen können, dass Sie eine historische Zäsur machen und aus der paritätischen Finanzierung aussteigen?
({0})
Nichts würde die Finanzierungsprobleme der Krankenkasse tiefer treffen als ein Ausstieg aus der paritätischen
Finanzierung und die Festschreibung des Arbeitgeberanteils.
({1})
Kommen wir zum Kern der Sache. Was hat Herrn Merz
eigentlich veranlasst, diese Bemerkungen zu machen?
({2})
Wollte er damit signalisieren, dass er sich mit den vor
kurzem von der Arbeitgeberseite wieder vorgebrachten
Forderungen konform fühlt, oder wollte er das, was die
Fachdebatten im Gesundheitsbereich im Parlament prägt,
nämlich die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen
Krankenkassen, unterstreichen? Wenn er einen konstruktiven Beitrag zur Stärkung der Finanzkraft der gesetzlichen Krankenkassen leisten will, muss er allerdings die
Finger davon lassen, bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Kürzungen vorzunehmen.
({3})
Ich weiß, es ist nicht die ganz feine Art, aber ich habe
es mir trotzdem nicht verkneifen können: Ich habe mir
eine Rede, die ich am 10. Oktober 1996 gehalten habe,
herausgesucht. Herr Seehofer hatte damals dargelegt, genau dieses in Gesetzesform gießen zu wollen.
({4})
Eine meiner Bemerkungen war damals, dass es eine Pervertierung des Spargedankens ist, durch die Kürzung der
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eine Beitragssatzstabilität erreichen zu wollen. Im Gegenteil: Nach dem
heutigen Stand würde die Umsetzung bei den gesetzlichen
Krankenkassen zu Mindereinnahmen in Höhe von
500 Millionen Euro führen.
({5})
Erzählen Sie mir bitte, wie Sie die angesprochenen Probleme in den neuen Bundesländern gerechter lösen wollen. Wie wollen Sie das finanzieren?
({6})
Abgesehen davon sage ich ohne jede Polemik, dass ich
in dem System, das Herr Merz proklamiert hat, nicht alt
werden möchte. Das würde ich auch meinen Kindern und
der gesamten Bevölkerung nicht wünschen.
({7})
Warum nicht? - Sie haben Forderungen aufgestellt, die
den Sockel der Finanzierung und die Parität auflösen.
({8})
Das heißt, wenn Sie den Arbeitgeberanteil festschreiben,
haben Sie eine frei floatende Zuzahlung aufseiten derer,
die nicht ausreichend versichert sind, aber Patientinnen
und Patient werden.
({9})
Woher sollen sie das Geld nehmen? - Das ist die erste
Sache.
Die zweite Sache ist: Sie sagen, Personen, die sich
jung und gesund fühlen - sie können natürlich nichts von
ihrer Zukunft wissen -, können sich in geringerem Umfang versichern und werden dafür durch geringere Beitragssätze belohnt. Was heißt denn das? Auch das entzieht den gesetzlichen Krankenkassen Beiträge in
Milliardenhöhe,
({10})
die sie brauchen, um eine qualitätsgesicherte Versorgung
sicherstellen zu können.
({11})
Wenn Sie dann darüber hinaus auch noch auf die Idee
kommen, eine Kostenerstattung einzuführen - die Patientinnen und Patienten sollen die entsprechenden Belege in
der Arztpraxis abholen -, dann machen Sie die Krankenkassen zu nichts anderem als zu einer Zahlstelle, aber
nicht zu einem Player im System, der die Interessen der
Versicherten vertritt und in der Vertragsausgestaltung für
eine auf Evidenz basierende Medizin sorgt. Das sind
grundlegende Dinge.
Ich rate Ihnen in Ihrem Interesse - eigentlich möchte
ich ja keine Wahlkampfhelferin der CDU/CSU sein -,
({12})
dass Herr Merz einige basale und grundlegende Informationen über die gesetzliche Krankenversicherung zur
Kenntnis nimmt, bevor er eine öffentliche Auseinandersetzung beginnt.
({13})
Da er nicht weiß, dass es schon lange eine weit verbreitete
Mär ist, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung
Zipperlein bezahlt werden, muss ich sagen: Er ist nicht up
to date.
({14})
Er kennt sich nicht aus und weiß nicht, was Sache ist,
und auch nicht, dass es schon immer im eigenen Benehmen der Krankenversicherungen und der niedergelassenen Ärzteschaft lag, das in den Leistungskatalog
aufzunehmen, was für eine qualitätsgesicherte Gesundheitsversorgung notwendig ist. Zipperlein hatten darin
noch nie einen Platz.
({15})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Horst Schmidbauer von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wahlleistungen sind
Zahlleistungen. Wer für das CDU/CSU-Wahlsystem optiert, dem muss klar sein, dass auf der anderen Seite ein
Zahlsystem für Patienten entsteht. Die Abwahlfreiheit ist
die Doppelzahlkarte für chronisch Kranke in unserem
Lande.
({0})
Wir müssen sehen, dass derjenige, der für ein Wahlsystem
ist, zur Spaltung unserer Gesellschaft im Gesundheitswesen beiträgt.
({1})
Für den Fall, dass der Appell an die ethische Verantwortung nicht ausreicht, darf ich an Adam Riese erinnern.
Die Leistungen, die die Gesunden abwählen, müssen die
Kranken bei gleichen Kostenbelastungen für die Gesundheit in unserer Gesellschaft mit mehr Leistungen bezahlen.
({2})
Es ist also völlig klar: Wenn abgewählt wird und gleiche
Ausgabenblöcke bestehen bleiben, muss der Kreis der
Kranken und vor allem jener der chronisch Kranken mehr
zahlen.
({3})
Wenn die Gesunden, rein mathematisch betrachtet,
ihren Gesamtbeitrag zur Krankenkasse um 4 Prozent reduzieren würden, hätte das zur Folge, dass der GKV-Beitrag der Kranken, in Euro betrachtet, um 20 Prozent erhöht werden müsste.
({4})
Das hängt damit zusammen - das haben die Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU noch nicht begriffen -,
({5})
dass 20 Prozent der Versicherten 80 Prozent der Kosten
bewirken. Wer das nicht nachvollziehen kann, der sollte
noch einmal die Schulbank drücken.
({6})
Aber ich möchte hier nicht für Wahlsysteme eintreten, die
in unserem Land letztendlich den Einstieg in eine Zweiklassenmedizin bedeuten.
Wir werden dafür sorgen, dass der Bevölkerung klar
wird, was Sie vorhaben: Dies ist eine neue Form der Abzockerei. Die alte Form der Abzockerei, bei der Sie ganz
plump den Versicherten - besser gesagt: den Kranken - in
die Tasche gelangt haben, hat dazu geführt, dass die Ihnen
1998 ganz kräftig auf die Finger geklopft haben.
({7})
Wenn Sie nicht davon ablassen, den Versicherten in die
Brieftasche zu langen, werden Ihnen die Versicherten am
22. September genauso kräftig auf die Finger klopfen.
({8})
Wir müssen es ganz klar sehen: Hier wird eine versteckte Form der Abkassiererei kreiert. Sie wollten gewissermaßen die Dunkelkammer nutzen, um den Patienten in die Tasche zu greifen. Aber wir werden dafür
sorgen, dass Ihre Vorstellungen durchschaubar, transparent werden, damit die Menschen nachvollziehen können,
was Sie mit ihnen vorhaben.
({9})
Wir haben in unserer Regierungszeit dafür gesorgt,
dass fast 1 Milliarde Euro, also fast 2 Milliarden DM, an
die Versicherten zurückgegeben worden sind, die Sie vorher durch Zuzahlungen abgezockt haben.
({10})
Sie werden doch nicht glauben, dass wir zuschauen, wie
Sie das Geld, das wir den Versicherten zurückgegeben haben, wieder abkassieren. Da machen wir nicht mit!
({11})
Viel schlimmer ist, glaube ich, dass in dieser Situation
- ich habe gedacht, ich bin auf der falschen Veranstaltung das, was Generationen von Menschen in diesem Lande
aufgebaut haben, nämlich Solidarität und ein solidarisches
System, von Ihnen derart madig gemacht und untergraben
wird. Ich habe den Eindruck, dass man selbst einem Kollegen wie Herrn Fink, den ich als Sozialpolitiker sehr geschätzt habe, allmählich beibringen muss, wie Solidarität
buchstabiert wird, damit wir wenigstens sagen können:
Solidarität wird in unserem Lande groß geschrieben.
({12})
Schauen Sie sich in der nächsten Zeit einmal an, was
wir Sozialdemokraten zum Thema Solidarität in unser
Wahlprogramm geschrieben haben. Wir werden es zum
22. September auf den Punkt bringen und Sie werden
dann große Augen machen.
({13})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Karl-Josef Laumann von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mir
gut vorstellen, wie am Montag oder am Dienstagmorgen
in den Fraktionsgremien der SPD die Idee geboren worden ist, diese Aktuelle Stunde zu beantragen:
({0})
Man steht nach dem Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt vor
dem Abgrund.
({1})
Man wertet alle Presseberichterstattungen des Wochenendes aus und sucht irgendetwas, mit dem man die
CDU/CSU und die FDP vorführen kann. Am Sonntagabend habe ich Ihren Generalsekretär gehört, der davon
sprach, dass Sie den Stahlhelm jetzt etwas strammer aufsetzen wollten.
({2})
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn diese Aktuelle Stunde der
neue Stahlhelm sein soll, haben Sie zurzeit noch einen
Strohhut auf.
({3})
Viel mehr hat diese Aktuelle Stunde nicht an Bedeutung.
Bei dem, was heute von Lafontaine in der Zeitung zu
lesen ist, fasst man sich an den Kopf. Lafontaine sagt,
50 Prozent des Wahlergebnisses in Sachsen-Anhalt gingen auf das Konto der Bundes-SPD, die einen Kurswechsel zu verantworten habe, bei dem Milliardengeschenke
an die Unternehmen gemacht und Renten gekürzt würden.
Lafontaine sagt, Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe und
Milliardengeschenke an die Unternehmen seien unmöglich; sogar Stoiber wolle die Erlöse aus Verkäufen von Beteiligungen an Banken, Versicherungen und Großbetrieben wieder besteuern. Angesichts dessen müssen Sie hier
im Bundestag nicht einen solchen Popanz aufbauen,
({4})
wenn sich Mitglieder der CDU/CSU, die nicht dem Bundestag angehören, sondern nur eine regionale Bedeutung
in der Partei haben, zur Frage der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall äußern. Ich kann Ihnen sagen, dass die
CDU/CSU-Fraktion - Sie werden es am Montag in den
Zeitungen nachlesen können, wenn unser Regierungsbzw. Wahlprogramm veröffentlicht wird ({5})
nicht vorhat, hinsichtlich der Lohnfortzahlung etwas zu
verändern.
({6})
Sehen wir uns einmal die tatsächliche Lage an: Wenn
man die Krankheitstage von einem bis drei Tagen zusammenzählt, so kommt man zu dem Ergebnis, dass der dadurch bedingte Arbeitsausfall, verglichen mit den mehr
als 2 Milliarden Arbeitsstunden, die in Deutschland insgesamt wegen Krankheit ausfallen, lediglich 0,1 Milliarden Arbeitsstunden ausmacht.
({7})
Dagegen beträgt der Anteil derer, die länger als sechs Wochen krank sind, alleine 0,8 Milliarden Arbeitsstunden.
Das ist im Übrigens auch das Ergebnis einer IAB-Studie
und das IAB ist ja, zumindest unter Sozialpolitikern,
durchaus als objektiv anerkannt.
({8})
Das macht deutlich, dass es in diesem Bereich überhaupt
keinen Missbrauch gibt. Zudem ist - sicherlich auch aufgrund der schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt psychologisch bedingt - in den letzten Jahren ein Rückgang bei der
Zahl der Krankheitstage zu verzeichnen gewesen. Nach den
Statistiken aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war es immer so: Ist die Arbeitsmarktlage schwierig,
sinkt die Zahl der Krankheitstage. Ist die Arbeitsmarktlage
nicht so schwierig, steigt die Zahl ein wenig.
Ich kann für die CDU/CSU-Fraktion eindeutig sagen
- Sie werden es am Montag auch in dem gemeinsamen
Regierungsprogramm lesen -, dass solche Überlegungen
von uns nicht verfolgt werden
({9})
und wir dies auch nicht machen.
({10})
Ich sage Ihnen noch etwas: Die Veränderung bei der
Lohnfortzahlung 1996 war im Nachhinein aus mehreren
Gründen ein Fehler. Dass es mir sehr schwer gefallen ist,
zuzustimmen, wissen alle, die mich kennen. Wenn aber
die Arbeitgeber anschließend bei den ersten Tarifverhandlungen all diese Fragen wieder aufnehmen, dann
sollte mir zumindest aus der Wirtschaft niemand mehr mit
solchen Vorschlägen kommen. Ich sage ganz klar: Diese
Frage haben die Unternehmer und die Unternehmensleitungen selber verbraucht.
({11})
Wir sind in den letzen drei bis vier Jahren in der Sozialpolitik weitergegangen. Ich glaube, wir brauchen einfach intelligentere Modelle, die auf der einen Seite eine
bestimmte Flexibilität, eine bestimmte Zukunftsorientierung der sozialen Sicherungssysteme möglich machen
und auf der anderen Seite für die Menschen Sicherheit bedeuten. Wie wir uns das vorstellen, werden Sie am Montag im Regierungsprogramm von CDU und CSU im Einzelnen nachlesen können.
Schönen Dank.
({12})
Das Wort
hat die Kollegin Dr. Margrit Spielmann von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Laumann, so gestalten sich die Sonntagabende ganz anders: Als ich am
Sonntag die „Bild“-Zeitung las, habe ich gedacht: Gut,
dass von den angekündigten Plänen zu lesen war. Ich bin
auch für diese Diskussion dankbar; denn es wird wieder
einmal offensichtlich: Sie wollen die Kranken bestrafen.
({0})
Sie kündigen in meinen Augen und in den Augen vieler
Menschen die Solidarität mit den Schwachen und mit den
Kranken in unserer Gesellschaft. Anders sind Ihre angekündigten Pläne zur Kürzung der Fortzahlung im
Krankheitsfall - Rexrodt, Wadephul, Eckhoff und andere
haben sie benannt - nicht zu interpretieren. Sie haben offenbar nicht verstanden, dass gerade die Kranken und
Schwachen in unserer Gesellschaft unsere Unterstützung
und unseren Rückhalt benötigen.
({1})
Wer sich so etwas ausdenkt, Herr Fink, der kennt die
Situation in den ostdeutschen Ländern nicht und scheint
sich auch nicht besonders dafür zu interessieren. Ich lebe
dort und weiß, wovon ich rede. Sie wissen alle: Wenn
diese Regelung käme, wären die ostdeutschen Länder besonders hart betroffen. Bei der angespannten wirtschaftlichen Situation der Haushalte wäre es eine Katastrophe,
würde der Hauptverdiener krank oder ausfallen. Ich
denke, Sie haben schon des Öfteren zur Kenntnis nehmen
müssen, dass die Löhne und Gehälter im Osten in vielen
Bereichen eben noch nicht auf das Westniveau gestiegen
sind.
Sie stellen damit noch einmal die Solidarität mit den
ostdeutschen Ländern infrage. Wer Kranken die Entgeltfortzahlung um 20 Prozent kürzen will, setzt einseitig auf
die Belastung der Menschen.
({2})
Übrigens passt auch die Absage des Kanzlerkandidaten
Stoiber an die über Jahrezehnte gewachsene Versicherungs- und Versorgungsmentalität in dieses Bild.
({3})
Das ist ein weiteres Bekenntnis, dass man sich von dem
Solidaritätsprinzip in der Krankenversicherung verabschieden will.
Ich denke, auch mit der Verfassungsklage gegen den
Risikostrukturausgleich haben Sie nichts anderes im Sinn.
Wenn der gesamte Risikostrukturausgleich zu Fall gebracht würde,
({4})
bedeutete dies allein bei der AOK Ost eine Beitragssatzerhöhung um 7,5 Prozent. Dann hätten wir im Osten einen
Beitragssatz von 21,6 Prozent.
({5})
Der Risikostrukturausgleich ist dazu da, die Lastenverteilung innerhalb der GKV auszugleichen und eine
möglichst gerechte Beitragsverteilung für die Versicherten zu erreichen. Er ist ein Instrument des Solidaritätsprinzips. Wer hierbei den Osten aussparen möchte,
({6})
dem geht es nicht darum - wie Stoiber immerzu sagt -,
Brücken zu bauen und Unterstützung für Ostdeutschland
zu leisten, sondern der möchte den gegenwärtigen Zustand festschreiben und Ungleichheiten beibehalten.
({7})
Als ostdeutsche Abgeordnete, die lange Zeit Gesundheitspolitik im Osten gemacht hat, sage ich Ihnen: Ihre angekündigten Pläne sind eine Strafaktion.
({8})
Sie bedeuten eine Entsolidarisierung mit den Menschen
im Osten, insbesondere wenn sie krank sind.
Herr Lohmann, ich bin zutiefst enttäuscht, dass die angekündigten Maßnahmen - das muss ich an dieser Stelle
einmal sagen - Ihrem und auch meinem christlichen Menschenbild, welches sich klar zur Solidarität bekennt, in
keiner Weise entsprechen.
({9})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Aribert Wolf von der CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! In einer modernen
Zivilgesellschaft geht es „um mehr Eigenverantwortung,
die zu Gemeinwohl führt“ und „ein Gesundheitswesen
ohne finanzielle, geistige und ... buchstäblich körperliche
Selbstbeteiligung der Versicherten“ ist „nicht mehr vorstellbar“.
({0})
Dieser Satz stammt nicht von einem Unionspolitiker, wie
Sie jetzt vermuten, sondern von Gerhard Schröder höchstpersönlich,
({1})
geschrieben im April 2000 in der Zeitschrift „Die Neue
Gesellschaft/Frankfurter Hefte“.
({2})
Dies zeigt, wie verlogen die Debatte derzeit von der SPD
geführt wird und wie wenig ehrlich Sie es mit Ihren
Konzepten und damit mit den Bürgern draußen im Land
meinen.
({3})
Sie befinden sich in einer solch verzweifelten Situation
und in einem solchen Abwärtsstrudel, dass Sie, statt Ihre
Politik zu überprüfen und zu fragen, warum Sie nicht die
Richtung ändern, um Ihre miserable Leistungsbilanz in
der Gesundheitspolitik zu verbessern, versuchen, die
Lage schöner zu reden und unhaltbare Versprechen abzugeben. Zugleich versuchen Sie, Konzepte der Union zu
verdrehen und Unionspolitiker zu verleumden.
Ihr Bundeskanzler hat heute Nachmittag sein neues
Wahlprogramm vorgestellt.
({4})
Es lohnt sich wirklich, darin manches nachzulesen. Zum
Gesundheitswesen steht dort zum Beispiel in der Einleitung folgender bemerkenswerter Satz:
Wer im Gesundheitswesen die Solidarität erhalten
und die Qualität stärken will, muss zu mutigen Reformen bereit sein.
({5})
Rot-Grün ist seit dreieinhalb Jahren in der politischen
Verantwortung. Was haben Sie denn in den letzten dreieinhalb Jahren an mutigen Reformen vorangebracht,
meine Damen und Herren?
({6})
- Nichts. Ich will nur ein einziges Beispiel nennen: Ihre
Arzneimittelpolitik.
({7})
Zu Beginn führten Sie die Budgetierung ein. Diese führte
dazu, dass ein erheblicher Teil der Versicherten nicht mehr
ordentlich versorgt wurde, dass Medikamente nur noch
dann verabreicht wurden, wenn der Versicherte sie selbst
bezahlte, dass die Kosten dennoch in die Höhe schnellten.
Nach einiger Zeit merkten Sie dann, dass Sie einen Fehler gemacht haben. Dann haben Sie die Budgetierung abgeschafft und etwas Neues eingeführt, aber nichts, um die
Kosten zu steuern. Plötzlich stellen Sie fest, dass die Arzneimittelkosten explodieren. Alle Kosten steigen, alles
wird teurer. Sie sagen: Schnell, schnell, wir müssen etwas
Neues machen. Ihre Lösung ist: Budgetierung weg, jetzt
machen wir ein Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz. Dazu stellen Sie einige Überlegungen an. Dann marschiert die Pharmaindustrie zum Bundeskanzler und erklärt: Lieber Bundeskanzler, in dem Gesetz stehen einige
Bestimmungen, die uns nicht passen. Diese sollen weg.
Dafür legen wir 400 Millionen auf den Tisch. - Brav machen das SPD und Grüne.
({8})
Jetzt frage ich Sie: Ist das Gerechtigkeit? Ist das die
mutige Reformpolitik, von der Sie in Ihrem Wahlprogramm schreiben? - Das ist das Gegenteil davon!
({9})
Ich frage Sie weiter: Ist es die Gerechtigkeit, von der
Sie hier so gerne reden, wenn Sozialhilfeempfänger in
Arztpraxen besser als der Großteil der gesetzlich Versicherten versorgt werden?
({10})
Diejenigen, die Sozialabgaben zahlen und damit die Sozialhilfeempfänger finanzieren, bekommen eine schlechtere medizinische Versorgung, weil sie anders als die Sozialhilfeempfänger von den Budgetierungszwängen
betroffen sind.
Ist es vielleicht rot-grüne Gerechtigkeit, wenn die Bundesbürger im Durchschnitt einen Krankenversicherungsbeitrag von 14 Prozent bezahlen müssen? Noch nie zuvor
wurde in Deutschland so viel für die Krankenversicherung ausgegeben.
({11})
Das ist der rot-grüne Griff in die Taschen der Bürger. Das
ist doch nicht die Gerechtigkeit, von der Sie hier immer
reden.
({12})
Schauen wir uns einmal die Arbeitsbedingungen im
Krankenhaus an! Wissen Sie, unter welchen Bedingungen
Pflegekräfte heute zu arbeiten haben? Sehen wir nach Bayern; das machen Sie doch so gerne. Die AOK Bayern ist
aufgrund Ihrer schlechten Gesundheitspolitik gezwungen,
für die Mutter-Kind-Kuren - das betrifft die Ärmsten in
unserer Gesellschaft, die dringend Erholung brauchen die Zuschüsse zu streichen. Das alles sind Folgen Ihrer
Politik.
({13})
Ist das vielleicht Gerechtigkeit, was Rot-Grün damit auf
den Weg gebracht hat? Sind das vielleicht mutige Reformen? - Nein, das ist das Gegenteil. Aber Sie können hier
nur andere verleumden und einen Popanz aufbauen, weil
Sie eine miserable Leistungsbilanz aufzuweisen haben.
Schauen wir uns die Herausforderungen an, vor denen
wir jetzt stehen! Die Alterspyramide in Deutschland entwickelt sich leider so, dass immer mehr Menschen Leistungen nachfragen, aber immer weniger Menschen die
Beiträge für diese Leistungen bezahlen. Jetzt frage ich:
Wie will die SPD eigentlich die Versprechen halten, die
sie im Wahlprogramm gemacht hat? Dort steht, dass der
Leistungskatalog nicht angetastet, gleichzeitig auch auf
der Einnahmenseite nichts verändert werden soll.
({14})
Mich erinnert das fatal an etwas, was Sie gemacht haben. 1998 haben Sie vor der Bundestagswahl bei der
Rente genau das gemacht, was Sie jetzt in der Gesundheitspolitik versuchen. Sie wollten alles so lassen, wie es
ist. Kaum waren Sie in der Regierungsverantwortung, haben Sie den Menschen eine Rentenreform beschert,
({15})
die das glatte Gegenteil von dem war, was Sie vor der
Wahl immer versprochen haben, und unter der viele Menschen zu leiden haben.
({16})
Deswegen sage ich: Die rot-grüne Koalition hatte die
Chance, in der Gesundheitspolitik zu zeigen, was sie
kann. Sie hat die Chance nicht genutzt. Sie hat auf eine
Politik der ruhigen Hand gesetzt. Es ist Zeit, dass die Verantwortung wieder in andere politische Hände gelegt
wird, dass die Krankenversicherung zukunftsfähig gemacht wird und die Menschen die Wahrheit darüber erfahren, was die Politiker vorhaben, die in die Regierungsverantwortung gewählt werden. Es darf nicht das Blaue
vom Himmel versprochen werden, was ohnehin nicht gehalten werden kann. Das wünsche ich mir. Ich bin überzeugt davon, dass die Bürger eine solche Politik mehr honorieren als das, was Sie an den Tag legen.
Ich bedanke mich.
({17})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Walter Hoffmann von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Kollege Laumann, es war am
Sonntag in der Tat eine bittere Niederlage für uns.
({0})
Daran führt kein Weg vorbei. Es ist auch nichts schönzureden. Sie können gewiss sein, dass wir daraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen werden und sie bereits
ziehen.
Eine Konsequenz wird sein, dass wir den Menschen in
diesem Land klarer und deutlicher als bisher sagen werden, was die anderen wollen,
({1})
was Sie in der Gesundheitspolitik vorschlagen und welche unmittelbaren Auswirkungen das für die Menschen
haben wird.
({2})
Es ist doch kein Zufall, wenn in mehreren Interviews an
diesem Wochenende praktisch zeitgleich von Politikern
der CDU aus der zweiten Reihe sowie maßgeblichen Repräsentanten - wohlgemerkt vor allen Dingen der FDP eine alte Kamelle ausgegraben wird, nämlich die Diskussion um die Einschränkung der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall.
({3})
Das ist kein Zufall, sondern dahinter steckt System. Man
schickt zuerst einmal die zweite Reihe vor, die den Boden
ein wenig vorbereitet, damit dann die anderen den Vollzug
durchführen können.
({4})
Ich möchte daran erinnern, dass die Rücknahme der
Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
eine der ersten Maßnahmen unserer Regierung in dieser
Wahlperiode war.
({5})
Für diese Entscheidung hat es gewichtige Gründe gegeben.
({6})
Die Entscheidung, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
einzuschränken, war ein Produkt sozialer Kälte und des
Misstrauens auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land, Herr Kolb. Sie hat vor allen Dingen
Menschen getroffen, die schon durch ihre Krankheit stark
belastet waren. Daran möchte ich, wie gesagt, deutlich erinnern. Diese Entscheidung machte Krankheit wieder zu
einem finanziellen und individuellen Risiko. Sie war ein
Rückschritt in alte, verstaubte und ideologisch verblendete Positionen, die die Bedürfnisse der Menschen in diesem Land zugunsten von Anreizen ignorierte, die angeblich notwendig sind, um Menschen wieder zum Arbeiten
zu bringen.
Der Krankenstand ist - die Fakten sind ja schon von
meinen Vorrednern dargestellt worden - auf dem niedrigsten Stand seit 1970, wohlgemerkt seit dem Jahr, in dem die
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch eine von uns gestellte Regierung gesetzgeberisch eingeführt wurde.
({7})
Der Krankenstand war im Jahresdurchschnitt im Zeitraum von 1991 bis 1998 wesentlich höher als jetzt, da es
die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder gibt.
Ich möchte auch daran erinnern, dass die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall - darauf ist heute noch nicht hingewiesen worden - eine der großen historischen Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung war.
14 Wochen wurde dafür in Schleswig-Holstein gestreikt.
Politisch betrachtet, haben wir die Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall der Union und der FDP im wahrsten Sinne
des Wortes abgetrotzt.
({8})
Deswegen sage ich: Wir Sozialdemokraten werden nicht
zulassen, dass Sie die Uhren auf das 19. Jahrhundert
zurückstellen. Darauf können Sie sich und - das ist noch
viel wichtiger - die Menschen in unserem Land auch in
Zukunft fest verlassen.
({9})
Es ist gut, dass Sie gerade jetzt mit dieser Debatte beginnen. Von der FDP habe ich persönlich nichts Besseres
erwartet. Aber auch die Union entlarvt durch die Äußerungen aus der zweiten Reihe endlich, was im Grunde realisiert werden soll: Sie wollen durch eine Vielzahl von
Maßnahmen im Endeffekt die soziale Sicherung in dieser
Republik aushöhlen und die Rechte der Arbeitnehmer
einschränken, wo immer Sie nur können.
({10})
Sie wollen die Entlastung der Arbeitgeber auf Kosten der
Arbeitnehmer. Sie wollen die Stärkung des Kapitals auf
Kosten der Beschäftigten.
({11})
Gute Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
muss die Interessen beider Seiten, der Arbeitgeber und der
Arbeitnehmer, berücksichtigen und ausgleichen. Wir haben das durch eine Fülle von Maßnahmen in der Tat gemacht.
({12})
Wir haben die Arbeitgeber durch die Steuerreform, die
Senkung des Rentenversicherungsbeitrags und die Verbesserung vieler anderer Rahmenbedingungen für die Unternehmen spürbar entlastet, ohne die Arbeitnehmer weiter zu belasten.
({13})
Wir haben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in
unserem Land wieder mehr soziale und finanzielle Sicherheit gegeben und wieder für eine ausgeglichene Lastenverteilung gesorgt.
({14})
Die Erfolge liegen klar auf der Hand: Wir haben über
1 Million neue Arbeitsplätze entstehen lassen und die Arbeitslosigkeit spürbar gesenkt. Sie wird - davon bin ich
felsenfest überzeugt - weiter sinken.
({15})
Wir haben jungen Menschen, Langzeitarbeitslosen, Studierenden aus ärmeren Elternhäusern und Existenzgründern neue Perspektiven und Chancen gegeben.
({16})
Wir haben die Bürgerinnen und Bürger massiv von Steuern und Abgaben entlastet. Wir haben dafür gesorgt, dass
Spitzenverdiener ihren angemessenen Anteil an den Lasten unseres Gemeinwesens tragen müssen. Wir haben den
Menschen durch unsere Rentenreform wieder Sicherheit
im Alter gegeben und unangemessene Härten Ihrer Reform rückgängig gemacht.
({17})
Wir haben Familien durch höheres Kindergeld und höheres Wohngeld, durch die Modernisierung des Erziehungsurlaubs hin zur Elternzeit und durch das Recht auf Teilzeitarbeit erheblich gefördert. Wir haben für Recht und
Ordnung auf dem Arbeitsmarkt gesorgt sowie endlich
wirksame Maßnahmen gegen Schwarzarbeit und illegale
Beschäftigung ergriffen.
Herr Kollege Hoffmann, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich denke, dass
sich diese Politik für die Arbeitnehmer sehen lassen kann.
Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir werden die Arbeitslosigkeit weiter abbauen. Der Aufschwung hat begonnen.
Ich bin sicher, dass die Menschen in unserem Land dies
am 22. September auch honorieren werden.
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Das Wort
hat jetzt der Kollege Hans Urbaniak von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier zwei Meldungen vorliegen. Die Erste ist aus der „Westfälischen
Rundschau“ vom 22. April dieses Jahres. Dort steht:
„Union will 500 Euro Selbstbeteiligung“. Das ist von Ihnen hier nicht dementiert worden. Ich habe eine Meldung aus der „Berliner Morgenpost“, die wohl heute veröffentlicht worden ist und aus der hervorgeht, was
Friedrich Merz - das ist hier schon angesprochen worden - zum „Zipperlein“ gesagt hat. Er wird das sicherlich selber noch begründen, aber von dem Wort kommt
er nicht mehr los.
({0})
Was er in Bezug auf das Gesundheitswesen damit meint,
wird man ihm ständig vorwerfen müssen. Das ist eine
Diskriminierung. Wir dürfen die sozialen Grundlagen der
Krankenversicherung nicht aufgeben. Es muss so gemacht werden, wie es Ulla Schmidt hier gesagt hat.
({1})
Walter Hoffmann ({2})
- Herr Kolb, Sie brauchen mir doch nichts zur Lohnfortzahlung zu erzählen. Was sind Sie gegen Rexrodt? Das ist
doch ein Kaliber.
({3})
Hier steht, was er sagte: Wir müssen daran gehen; dies
muss geändert werden. Darauf haben Sie doch gar keinen
Einfluss mehr, da werden Sie doch heruntergefahren.
Wir haben in den Jahren 1955/56 in der IG Metall um
die Einführung der Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten bei der Lohnfortzahlung gekämpft. Das war der
erste Schritt.
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Wir haben dann in der großen Koalition das entsprechende Gesetz verabschiedet.
({5})
- Heinz Schemken, Du darfst es jetzt nicht nach unten reformieren. Du musst Kurs halten. Das wäre eine vernünftige Position. Aber so etwas geht aus den Meldungen nicht
hervor.
Wenn ich hier lese, was Ihr sehr verehrter Kollege
Stoiber so sagt, dann kommt mir das Grauen. Er will das
ja ändern. Ferner haben sich ein CDU-Landesvorsitzender und ein CDU-Fraktionsvorsitzender - der eine
kommt aus Schleswig-Holstein, der andere aus Bremen dahin gehend geäußert, die Lohnfortzahlung müsse angepackt und reformiert werden. Auch das ist eine
schlimme Sache.
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- Kollege Lohmann ({7}) - ({8})
- Es sind doch mehrere Lohmänner im Bundestag. Haben
Sie das in den vier Jahren noch nicht begriffen?
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Ich habe den Eindruck, dass Sie einen Wahltarif einführen wollen. Er würde in der Arztpraxis folgendermaßen funktionieren: Da kommt ein Arbeitnehmer zum
Arzt und sagt: Herr Doktor, ich habe Schmaltarif, nur abtasten!
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Alles andere ist nicht abgedeckt und Geld habe ich auch
keines, um zusätzliche Leistungen zu bezahlen. Dann
kommt ein Zweiter mit einem gehobenen Tarif. Bei dem
ist es schon ein bisschen besser. Er sagt: Ich habe den gehobenen Tarif, da müssen Sie ein bisschen mehr machen.
Der Dritte hat den höchsten Tarif und hat Anspruch auf
eine Vollversorgung.
({11})
Das ist menschenverachtend. Die Solidargemeinschaft
muss so bleiben, wie sie jetzt ist. Davon weichen wir nicht
ab; das sage ich in aller Deutlichkeit.
({12})
Ich werde mir erlauben, den Kollegen Merz als „Mister
Zipperlein“ zu bezeichnen. Die Grundlagen der Sozialpolitik, insbesondere die der Krankenversicherung,
({13})
sind bei den Sozialdemokraten gut aufgehoben. Wir werden uns in der Sozialpolitik nicht überholen lassen und
wir warnen die Bevölkerung vor einem verkehrten
Schritt; denn dann würde die Demontage der Sozialpolitik von Ihnen vollzogen.
({14})
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 25.April 2002, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.