Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, Herr Präsident!
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Beim Zwischenbericht waren wir in unseren Positionen noch beieinander. Da gab es einen Konsens, und zwar darüber,
dass das gegenwärtige Energiesystem nicht nachhaltig ist.
Die Energieversorgung negiert die Umweltkosten, treibt
Raubbau an den knappen Ressourcen, missachtet Risiken
und schließt große Teile unserer Welt aus.
Eine der wichtigsten Botschaften unseres Schlussberichts ist, dass in Deutschland die Potenziale, ob wirtschaftlicher Art, ob technischer Art, riesig sind. Auch die
Zahl der praktischen und politischen Handlungsoptionen
in unserem Land ist sehr groß.
Wir haben in den letzten zweieinhalb Jahren drei Zielszenarien erarbeitet. Bei allen war die Vorgabe, dass wir
bis in 50 Jahren zu einer Minderung der Treibhausgasemissionen um 80 Prozent kommen wollen. Wir kamen
zu dem Ergebnis: Dieses Ziel ist erreichbar. Es ist ohne Kernenergie erreichbar. Wir gehen noch weiter: In
Deutschland ist sogar die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien möglich. Die nachhaltige Energieversorgung mit erneuerbaren Energien und mit Effizienztechnologien ist technisch machbar, wirtschaftlich leistbar
und sogar vorteilhaft für den Industriestandort Deutschland.
({0})
Die Szenarien haben zunächst die externen Kosten nicht
berücksichtigt. Die nachträgliche Integration der externen
Kosten hat gezeigt, dass ein Atomszenario auch unter ökonomischem Gesichtspunkt nicht nachhaltig sein kann.
Angela Merkel verkündete letzte Woche auf dem Parteikongress der Union zur nachhaltigen Energiepolitik
- zur nachhaltigen Energiepolitik! - die weitere Nutzung
und nicht nur die Option der Kernenergie als Position der
Union. Dies kommentierte der Präsident des Umweltbundesamtes, Herr Professor Troge, wie folgt: Die geäußerten
Pläne seien bestenfalls auf dem Stand der frühen
80er-Jahre.
({1})
Troge ist übrigens CDU-Mitglied. Ich halte also fest: Die
Union ist 20 Jahre hinterher; das sehen sogar die eigenen
Leute so.
({2})
Wir haben in der Enquete-Kommission Entwicklungspfade für eine nachhaltige Energieversorgung für das
Jahr 2050 untersucht. Die Union hat leider nichts Neues
entwickelt. Von ihr kommt ein Plädoyer für die Rückkehr
zur Atomenergie, zu Atomkraftwerken, so weit das Auge
reicht. Zunächst wollten Union und FDP rechnen lassen,
wie man mit Atomkraft den Ausstoß von Kohlendioxid
reduzieren kann. Unsere Institute haben festgestellt, dass
man dazu 50 bis 100 neue Atomkraftwerke in Deutschland - nur dort; die Rede ist nicht von der Welt oder von
Europa - braucht. Sie wollen die Atomoption offen halten.
Präsident Wolfgang Thierse
Wenn man Ihnen aber zeigt, was das bedeutet, dann
kneifen Sie. Sagen Sie uns doch, wohin wir die AKWs
stellen sollen!
({3})
Die Menschen in Deutschland haben ein Recht darauf, zu
erfahren, wie weit sie vom nächsten Atomkraftwerk entfernt wohnen. Wenn Ihre Vorstellungen Realität würden,
dann wäre für alle Bürger die Entfernung bis zum nächsten Atomkraftwerk wahrscheinlich nicht größer als die bis
zur nächsten Autobahnausfahrt.
Sagen Sie uns bitte auch, wohin die Zwischenlager und
die Endlager sollen, Herr Hirche, Herr Grill! Wenn es darum geht, Windkraftanlagen zu diskreditieren, dann sind
Sie und auch Ihre Parteifreunde Möllemann und Co. ganz
laut. Wenn es aber um die konkrete Bedeutung Ihrer Option geht, dann sind Sie still und feige obendrein. Egal ob
Sie sich jetzt das von Ihnen angeregte Enquete-Szenario
- eventuell auch nur mit 30 oder 50 Atomkraftwerken zu Eigen machen:
({4})
Mit der Umsetzung Ihres Konzepts wären wir in 50 Jahren
70 Jahre zurück. Aber das ist Ihr Problem. Wichtig ist die
Klarstellung für den Wähler, wohin die Reise in der Energiepolitik geht. Ich sehe bei Ihnen keinen einzigen
Anhaltspunkt für eine wirklich nachhaltige Energiepolitik.
Zukunftsfähig ist Ihr ideologisches Festhalten an der
Atomenergie auch nicht.
({5})
Ihre Begründung für die Nutzung der Atomenergie setzt
immer wieder bei den Kosten an. Das finde ich wiederum
ganz witzig, weil Sie auf diese Weise das Ihren Überlegungen zugrunde liegende Primat der Ökonomie gegenüber all den Risiken, die mit der Kernenergie verbunden
sind, praktisch dokumentieren, obwohl Sie doch selbst
immer wieder auf der Gleichrangigkeit der drei Säulen
Ökonomie, Ökologie und Soziales bestehen. Ein einziger
AKW-Unfall in Deutschland wäre mit Schadenssummen
in einer Größenordnung von 5 bis 6 Billionen Euro - das
entspricht dem Umfang von rund 25 Bundeshaushalten verbunden. Von dem unermesslichen Leid und von den
katastrophalen Folgen, zum Beispiel dass Teile unseres
Landes über Jahrhunderte nicht mehr bewohnbar wären,
will ich gar nicht reden.
Wer kommt im Schadensfall für diese Beträge auf? Wir alle, der Staat und nicht die Unternehmen, die jetzt
mit der Atomenergie Geld verdienen. Keine Versicherung
ist bereit, das atomare Risiko zu versichern. Wenn wir die
Versicherungen per Gesetz dazu zwängen, der Realität in
höherem Maße Rechnung zu tragen und das atomare Risiko zu versichern, dann würden nicht einmal Sie noch
Atomstrom kaufen. Das nenne ich eine antichristliche
Energiepolitik.
({6})
Die Bewahrung der Schöpfung gehört zum Christentum.
Doch selbst Ihr Atomszenario kostet den Verbraucher
in 50 Jahren ungefähr 20 bis 30 Euro im Jahr mehr. Das
entspricht dem, was unser Szenario für erneuerbare Energien und Effizienz vorsieht. Warum soll man also den risikoreichen Weg gehen? Sie suchen sich für Ihre Kostenargumentation ein Szenario heraus, das Sie mithilfe Ihrer
selbst gesetzten Annahmen billigrechnen. Das ist wissenschaftlich unseriös.
({7})
Ähnlich verhält es sich übrigens mit den Kommentaren
in der Zusammenfassung. Ich wundere mich, dass Ihre
Wissenschaftler keine Angst davor haben, an Seriosität
einzubüßen. In der Zusammenfassung finden sich lauter
Dreizeiler.
In der Berechnung der Kosten der Szenarien wurden
die externen Kosten zunächst außen vor gelassen. Die
nachträgliche Integration der externen Kosten zeigt uns,
dass das Atomszenario auch unter ökonomischem Gesichtspunkt nicht nachhaltig ist, weil es teurer als alle anderen ist.
({8})
Ihr Konzept steckt leider voller Widersprüche. Die
FDP hat sich, wie üblich, marktradikal gezeigt und befürwortet letztlich die Abschaffung jeglicher Energiepolitik.
Der Markt ist das goldene Kalb, um das Sie aber ohne uns
tanzen müssen.
Nun zu unserem Konzept. Wir müssen uns nicht verstecken. Wir haben ein klares Ziel und kennen jetzt den
Weg. Wir stehen zu unserem Szenario einer Offensive für
erneuerbare Energien und für Effizienz auf allen Ebenen. Wir sehen zur Antizipation des weltweit anstehenden
ökologischen Strukturwandels keine ökonomische und soziale Alternative. Reines Risikomanagement reicht eben
nicht.
Wir alle sind hier, um Schaden von unserem Land abzuwenden und seiner Wohlfahrt zu dienen.
({9})
Eine verantwortungsvoll gestaltete Politik tut Not. Sie ist
angesichts des Klimawandels und bereits stattfindender
Kriege um Öl und Gas unbedingt erforderlich. Der Prozess zu einem zukunftsfähigen Energiesystem ist ökonomisch umso erfolgreicher und er wird strukturell umso
friktionsloser ablaufen, je früher wir diesen Pfad einschlagen. Wir haben dies gerade einmal vor lumpigen drei
Jahren getan und haben mit der Umsetzung richtig begonnen. Bereits jetzt arbeiten mehr Menschen in der
Wind- und Sonnenenergieerzeugung als im gesamten fossil-nuklearen Energiebereich zusammen. Das EEG und
das KWK-Gesetz haben auch internationale Maßstäbe gesetzt. Man schaut auf uns und man lernt von uns.
({10})
An diesen Beispielen wird besonders deutlich, dass die
Union und die FDP aus lauter ideologischer Verbohrtheit
auf dem besten Wege sind, eine technologie- und industriepolitisch gigantische Chance für die deutsche Wirtschaft zu verschlafen. Auf hoch effiziente Energiesysteme
und Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien
warten gewaltige Weltmärkte. Die Koalition hat in der
Enquete-Kommission Fantasie bewiesen.
({11})
- Aber wir sind keine Fantasten geworden, Herr Hirche.
({12})
Auch wir wissen, dass der Umbau unseres Systems nicht
von heute auf morgen geht, wahrscheinlich noch nicht
einmal in den nächsten 50 Jahren abgeschlossen sein
wird. Technologische Innovation ist die Stärke Deutschlands. Wer, wenn nicht wir, hat eine so hervorragende Forschungslandschaft, so gut ausgebildete Wissenschaftler
und so viele pfiffige Handwerker? Wer, wenn nicht wir,
wäre in der Lage, die gesteckten Ziele zu erreichen?
({13})
Vielleicht doch noch ein Wort zur Arbeitsweise der
Kommission: Die Union und die FDP bewiesen sich geradezu als beratungsunwillig oder sogar dialogunfähig.
({14})
- Hören Sie mal gut zu, im Übrigen auch diejenigen, die
sich nicht für Energie interessieren: Das war vielleicht
gerade deswegen so, weil nur noch Verfahrensfragen diskutiert wurden
({15})
und es nicht mehr um Inhalte ging.
({16})
Auffällig ist ja auch, dass es in den anderen EnqueteKommissionen genauso lief. Da hat die Union eine ähnlich obstruktive Haltung eingenommen.
({17})
- Es mag sein, dass es nicht ganz so schlimm war. Warum war es eigentlich so? Da müssten wir unseren Vorsitzenden, Herrn Grill, an der Nase packen, weil er immer
darauf geachtet hat, dass wir lange genug über Verfahrensfragen diskutieren. Ein guter Vorsitzender ist in meinen Augen ein Moderator; Sie, Herr Grill, zeigten sich als
Agitator.
({18})
Sie legen jetzt ein 200-seitiges Minderheitsvotum
vor, an dem Ihre Leute seit Wochen geschrieben haben
müssen, während Sie uns noch showmastermäßig Ihr
Interesse am Konsens vorgegaukelt haben. Ihr Papier nennen Sie auch noch Konzept; aber es genügt den Ansprüchen von Nachhaltigkeit noch nicht einmal im Ansatz.
Insgesamt lässt das Verhalten der Opposition nur einen
Schluss zu: Union und FDP wollen keine wirklich nachhaltige Energiewirtschaft. Die Qualität Ihrer Sondervoten
zeigt ja gerade, dass auch Ihre Wissenschaftler am unteren
Ende ihrer Möglichkeiten bleiben. Ich frage mich immer
wieder, ob das nicht peinlich für sie ist.
({19})
Da Enquete-Kommissionen nach dem Prinzip funktionieren, dass der kleinste gemeinsame Nenner gesucht wird,
haben Sie dem Parlamentarismus mit Ihrer Taktik leider
einen Bärendienst erwiesen.
Ganz herzlich danken möchte ich den Abgeordneten,
den Kollegen, den Sachverständigen und allen Mitarbeitern des Sekretariats
({20})
sowie ganz besonders meinem Referenten Dieter Uh. Alle
haben nämlich in den letzten Wochen ganz enorme Arbeit
geleistet.
Die Politik der Nachhaltigkeit, auch im Energiesektor,
ist eine ökologische Notwendigkeit und eine ökonomische und soziale Chance für Deutschland. Der Endbericht
macht deutlich, dass die Koalition einen ganz konkreten
und wissenschaftlich untermauerten Entwicklungsweg
geht. Sie haben leider kein Konzept. Sie machen Business
as usual und wollen teilweise sogar zurück. Sie haben insofern angesichts der der Kommission gestellten Aufgabe
versagt.
Am 22. September wird über die Zukunft der deutschen
Energiepolitik entschieden. Wir werden zwischen den Alternativen „zurück ins Atomzeitalter“ oder „vorwärts ins
Effizienz- und Solarzeitalter“ zu entscheiden haben.
({21})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Heute behandeln wir nicht nur
die Ergebnisse der Enquete-Kommission, sondern auch
mehrere Anträge zur europäischen Klimapolitik. Mit dem
Richtlinienvorschlag zum Handeln mit Treibhausgasemissionsberechtigungen stehen die europäische und die
deutsche Klimapolitik vor einer gravierenden Richtungsentscheidung. Die Folgewirkung der Einführung dieses
Handels mit Emissionsrechten auf den Wirtschaftsstandort Deutschland dürfen nicht unterschätzt werden. Wird
nämlich der Richtlinienvorschlag nach diesem Entwurf
umgesetzt, bleibt für nationale Entscheidungen im Interesse der deutschen Wirtschaft kein ausreichender Spielraum.
Am 8. und 9. Juli werden im Europäischen Parlament
die ersten Abstimmungen erfolgen. Es war somit unverantwortlich, dass die rot-grüne Mehrheit die Beratungen
zu diesem Thema im Umweltausschuss seit Wochen verzögert hat, nur weil man sich bei Rot-Grün dazu nicht
einig war. Damit sind wichtige Wochen verloren gegangen, in denen man aus deutscher Sicht hätte Einfluss auf
Brüssel nehmen können.
({0})
Dass Sie sich als Regierungskoalition nicht einigen
konnten, erstaunt auch deshalb sehr, weil nach den Erkenntnissen Ihrer eigenen Regierungsarbeitsgruppe
„Emissionshandel zur Bekämpfung des Treibhausgaseffektes“ der von der Europäischen Union vorgesehene
Emissionshandel mit dem in Deutschland vorhandenen
Energieträgermix und den bestehenden Klimaschutzregelungen, zum Beispiel der Selbstverpflichtungserklärung
der deutschen Wirtschaft, nicht vereinbar ist. Damit, dass
Sie in Ihrem Entschließungsantrag zum Beispiel nicht die
Bedenken dieser Regierungsarbeitsgruppe aufgegriffen
haben, zeigen Sie nur, dass Sie sich von dem Grundsatz
verabschiedet haben,
({1})
dass umweltpolitisch richtige Ziele - das sagen wir ausdrücklich - nur mit wirtschaftspolitisch sinnvollen Instrumenten erreicht werden dürfen.
({2})
Wer diesen Grundsatz nicht befolgt, verstößt auch gegen den Grundsatz der Nachhaltigkeit,
({3})
wonach Kosten und Nutzen immer in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen.
Somit ist es einfach ein Treppenwitz, wenn Sie in
Ihrem Antrag, den Sie ja auch verabschiedet haben,
schreiben - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -:
Der Richtlinienentwurf der Kommission ist der Versuch, zu einer fairen Lastenverteilung zu kommen.
Ich will in diesem Zusammenhang gar nicht den BDI
zitieren; sonst gehen Sie sofort wieder emotional hoch.
Stattdessen zitiere ich aus einer Stellungnahme der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, IG BCE,
zu diesem Richtlinienentwurf:
Die institutionellen Details für einen funktionsfähigen Zertifikatehandel auf Unternehmensebene ...
werfen derart viele Probleme auf, dass dem Klimaschutz nicht gedient wird, stattdessen zusätzliche
bürokratische Kosten entstehen und im Ergebnis
Brennstoffeinsatz und Produktion in den energieintensiven Unternehmen durch die staatlichen Planer
gesteuert werden. Produktionsverlagerungen außerhalb der Europäischen Union werden die Folge sein.
Der vermeintlich marktwirtschaftliche Koordinationsmechanismus „Handel“ erweist sich unter diesen
konkreten Ausgestaltungsbedingungen der EU-Richtlinien als Hemmnis sowohl für Klimaschutz und
Markt.
Das ist die Haltung der IG BCE. Sie als Sozialdemokraten aber sprechen bei diesem Richtlinienentwurf von
einem fairen Lastenausgleich. Sie müssen einem Arbeitnehmer in Deutschland erst einmal erklären, dass Sie es
für umweltgerechter halten, einen Arbeitsplatz in
Deutschland abzubauen und in Osteuropa wieder aufzubauen. Das könnte nämlich die Konsequenz aus Ihrem
Vorschlag sein und das hat mit Umweltpolitik überhaupt
nichts zu tun.
({4})
Kollege Paziorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?
Gerne.
Herr Paziorek,
sowohl in unserem Schlussbericht als auch in Ihrem Sondervotum steht, dass das Instrument des Emissionshandels als solches grundsätzlich begrüßt wird.
({0})
Wo ist denn da der große Unterschied zwischen uns?
Sie geben mir durch
Ihre Frage die Chance, meine Redezeit zu verlängern. Ich
sage ganz klar und deutlich: Der Emissionshandel ist ein
geeignetes Instrument
({0})
und wir als Union haben immer wieder deutlich erklärt,
dass wir nicht auf Ordnungsrecht setzen, sondern auf
Emissionshandel.
({1})
Der entscheidende Ansatz ist: Der Emissionshandel, so
wie er von der Europäischen Union vorgeschlagen wird,
ist kein Emissionshandel im Sinne der deutschen Klimaschutzpolitik und der deutschen Wirtschaft.
({2})
Sie müssen das endlich einmal klar und deutlich sagen. Es
gibt doch keine abgestimmte Meinung der rot-grünen Regierungskoalition zu diesem Thema. Davon wollen Sie
ablenken; aber Sie müssen diese Zielrichtung gegenüber
Brüssel vertreten.
({3})
Noch ein Stichwort zum Lastenausgleich. Europa hat
von Ausnahmen abgesehen seine Klimaschutzhausaufgaben noch immer nicht gemacht. In vielen Ländern stagniert
der Rückgang des CO2-Ausstoßes; in manchen Ländern
nimmt der CO2-Ausstoß sogar wieder zu. Deutschland war
bis 1998 auf einem erfolgreichen Kurs und hat bei den
CO2-Emissionen gegenüber 1990 eine Reduktion um über
15 Prozent erreicht.
Sie haben in den letzten Jahren Resultate erzielt, die im
Vergleich zu den Ergebnissen der Zeit vorher leider nur
als dürftig bezeichnet werden können. Wenn die wirtschaftliche Entwicklung in der letzten Zeit nicht so negativ gewesen wäre, hätten Sie selbst diese Reduktionszahlen nicht erreicht.
Vor diesem Hintergrund eines Stillstandes der Klimaschutzpolitik erscheint die Idee eines Handels mit Emissionsrechten auf den ersten Blick einfach und bestechend.
Aber bei diesem Richtlinienentwurf auf europäischer
Ebene sind viele Fragen hinsichtlich der verträglichen
Realisierbarkeit des Emissionshandels offen geblieben.
({4})
Wir sehen tatsächlich auch Chancen, die mit dem
Emissionshandel verbunden sind.
({5})
Aber wir sagen deutlich: Wir lehnen den Richtlinienentwurf erstens ab, weil er nicht kompatibel mit der Selbstverpflichtungserklärung der deutschen Wirtschaft ist.
({6})
Wir lehnen den Richtlinienentwurf zweitens ab, weil er
Anreiz zu Produktionsverlagerungen gibt. Wir lehnen den
Richtlinienentwurf drittens ab, weil er keine Verbindung
zu anderen flexiblen Instrumenten der Klimaschutzpolitik
wie Clean-Development-Mechanismen und Joint Implementation herstellt, die mithelfen, Klimaschutzpolitik in
Südostasien, in Entwicklungsländern zu leisten. Das sind
drei zentrale Punkte der Kritik an diesem europäischen
Richtlinienentwurf. Deshalb lehnen wir ihn ab.
({7})
Er enthält konzeptionelle Fehler, die man nicht akzeptieren kann.
({8})
Aus unserer Sicht muss ein Richtlinienentwurf zum
Emissionshandel folgende Punkte berücksichtigen:
Erstens. Er muss kompatibel mit den übrigen deutschen Klimaschutzinstrumenten, zum Beispiel der
Selbstverpflichtungserklärung, sein.
({9})
Zweitens. Er muss die Vorleistungen der deutschen
Wirtschaft in der Umweltschutzpolitik seit 1990 honorieren und diese anrechnen.
({10})
- Ich weiß gar nicht, weshalb Sie sich so aufregen. Sie
könnten eigentlich bei jedem Satz klatschen. Ich dachte,
Sie würden Beifall klatschen, als Sie sagten, das stehe alles drin.
({11})
Ich habe doch nur kritisiert, dass Sie gesagt haben: Dieser
Entwurf zum Emissionshandel stellt einen fairen Lastenausgleich in Europa dar. ({12})
Man muss klar und deutlich sagen, dass das nicht gilt.
Kollege Paziorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brinkmann?
Danke schön, nein.
Drittens. Alle flexiblen Instrumente des Kioto-Protokolls müssen einbezogen werden.
Wir sagen aus Sicht der Union noch einmal ganz deutlich: Es liegt uns fern, den Weg für ein neues Klimaschutzinstrument zu blockieren. Aber Europa muss zur
Kenntnis nehmen, dass sich die Ausgangslage Deutschlands in der Klimaschutzpolitik wesentlich von der anderer europäischer Länder unterscheidet, weil wir schon
mehr zum Klimaschutz beigetragen haben als andere europäische Staaten. Deshalb war es falsch, dass diese Bundesregierung in Brüssel bisher gekniffen und nicht deutlich auf diese Vorleistungen der deutschen Wirtschaft
hingewiesen hat. Das läge auch im Interesse der Umweltpolitik, der Klimaschutzpolitik und der Energiepolitik. In
diesem Punkt haben Sie versagt.
Viele Staaten stehen nämlich noch am Anfang einer effektiven Klimaschutzpolitik. Aus diesem Grunde sagen
wir ganz deutlich: Wir müssen den Druck europaweit
durchaus verschärfen, damit alle Staaten Klimaschutz als
ein ernsthaftes Ziel ansehen. Wir sagen genauso deutlich,
dass wir in Deutschland, dem größten Wirtschaftsstaat
mitten in Europa, in Zukunft Vorreiter in der Klimaschutzpolitik bleiben wollen, wie wir es in der Vergangenheit immer gewesen sind.
Wenn diese Töne und Signale aus dem Regierungslager, dass Sie diesen Entwurf unterstützen, weitergehen,
wenn Sie auch an einigen Stellen sagen, Sie hofften oder
Sie gingen davon aus, dass es hier und da noch Verbesserungen geben werde, dann kann ich nur sagen: Wir müssen aufpassen, dass wir keine falschen Akzente setzen und
in völligem Übereifer die wirtschaftliche Basis des hohen
deutschen Umweltniveaus zerstören. Das wäre auch nicht
im Interesse der deutschen Umweltpolitik.
({0})
Die Zeit drängt. Denn schon im Herbst soll nach den
Vorstellungen der amtierenden dänischen Ratspräsidentschaft die Entscheidung fallen. Ich hoffe nicht, dass die
deutsche Wirtschaft eines Tages für das Nichthandeln der
jetzigen Bundesregierung wird zahlen müssen. Der Klimaschutz kann nur gelingen, wenn er bei der Instrumentenwahl flexibel bleibt, auf unterschiedliche Entwicklungsstandards Rücksicht nimmt und Unterschiede in
der Wirtschaftsstruktur akzeptiert. Beim Richtlinienentwurf über den Handel mit Emissionsrechten kommt es darauf an, die Weichen richtig zu stellen.
Der Emissionshandel ist heute noch eine Gleichung
mit vielen Unbekannten. Deshalb ist es wichtig, dass
diese Bundesregierung in Brüssel jetzt Klartext redet.
Nach dem 22. September werden wir es tun.
({1})
Ich erteile das Wort
Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen.
Verehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich
zum Schlussbericht der Enquete-Kommission komme,
möchte ich zwei oder drei Worte zu Herrn Paziorek sagen.
Ich weiß gar nicht, wo Sie leben und warum Sie hier so einen Popanz aufbauen.
({0})
Wenn Sie unseren Antrag gelesen haben, müssen Sie gemerkt haben, dass wir uns inhaltlich anscheinend einig
sind:
Erstens. Wir alle finden - das geht aus dem Schlussbericht und Ihrem Minderheitsvotum hervor - das Instrument Emissionshandel prinzipiell gut, weil es sehr marktnah ist.
Zweitens. Wir alle sagen, die EU-Richtlinie ist noch
nicht das Gelbe vom Ei; wesentliche Dinge müssen verbessert werden, zum Beispiel die Einbeziehung der KiotoInstrumente; auch unsere Vorleistungen müssen berücksichtigt werden.
Wenn Sie hier künstlich polarisieren, dann führe ich
das auf den Wahlkampf zurück.
({1})
Das ist im besten Fall wirkungslos; im schlimmsten Fall
aber verschlechtert es die Möglichkeit, unsere deutsche
Position in Brüssel tatsächlich durchzusetzen.
({2})
Die Bundesregierung, Jürgen Trittin voran, verhandelt
bereits seit langem in diesem Sinne und hat auch schon
- ich weiß nicht, ob Ihnen das vielleicht entgangen ist einiges erreicht. Denn Frau Wallström hat erste Signale
gesetzt, dass wir das, was Sie fordern und was wir schon
lange verhandeln, tatsächlich in Brüssel durchsetzen können. Das ist Fakt.
({3})
Ich möchte an Axel Berg anknüpfen und Dank an alle
Sachverständigen und an das gesamte Sekretariat der Enquete-Kommission aussprechen. Ohne das Sekretariat
und ohne die Sachverständigen wäre dieser Bericht in keiner Weise möglich gewesen. Vielen Dank auch im Namen
meiner Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen!
({4})
Das Ergebnis ist: Die Energieversorgung in unserem
Land ist nicht zukunftsfähig. Der Treibhauseffekt hat
schon begonnen; der Temperaturanstieg ist messbar; der
Meeresspiegel steigt; Wüsten breiten sich aus; Gletscher
brechen ab; Wirbelstürme und Überschwemmungen nehmen an Zahl und an Heftigkeit zu; Infektionskrankheiten
verbreiten sich stärker; die Verfügbarkeit der Süßwasserressourcen nimmt ab; wir haben bereits mehr Flüchtlinge
aus Umweltgründen als aus anderen Gründen.
Wenn wir jetzt das Referenzszenario im Bericht der
Enquete-Kommission sehen, das den Trend beschreibt,
dann merken wir, dass es überhaupt keine Entwarnung
gibt. Selbst wenn man sehr optimistische Annahmen über
die automatische Steigerung der Energieeffizienz durch
den freien Markt trifft, wird das Problem nicht zu lösen
sein. Es gibt in Deutschland beträchtlichen Handlungsbedarf. Beim Zwischenbericht war das noch Konsens; beim
Endbericht war es - anscheinend vor dem Hintergrund des
Wahlkampfes - auf einmal nicht mehr so. Ich aber sage:
Wir haben uns im Kioto-Protokoll international verpflichtet zu handeln. Zumindest wir nehmen diese Verpflichtung ernst und wollen sie auch erfüllen.
({5})
Weil das Trendszenario nicht automatisch mithilfe des
Marktes zum Ergebnis Klimaschutz führt, ist der Ansatz
der FDP von Grund auf falsch. Der Markt allein wird es
nicht richten. Wer das sagt, will keinen Klimaschutz.
({6})
Wenn die FDP behauptet, auch sie hätte das Leitbild nachhaltige Entwicklung, dann ist das schlichtweg falsch. Bei
Ihnen ist von der Gleichberechtigung dieser drei Säulen
- ökologische, soziale und ökonomische Aspekte gleichzeitig zu beachten und zu einer gemeinsamen Entwicklung zu kommen - nichts zu spüren. Sozial und ökologisch sind für Sie doch Fremdwörter. Umweltschutz ist
nur ein Störfaktor für den freien Markt. Sie glauben, dass
sich freies Unternehmertum und Regelungen des Staates
widersprechen.
Wir glauben, dass der Mensch nicht nur freier Unternehmer ist, sondern dass er auch Luft zum Atmen braucht,
Wasser zum Trinken und dass er die Umwelt als Lebensgrundlage braucht, und zwar nicht nur er, sondern auch
seine Kinder und Kindeskinder. Da ist ein aktiver Staat
dringend geboten.
({7})
Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, um die
marktwirtschaftlichen Kräfte zu einer Dynamik zu
führen, die sich zum Wohl der Menschen entfaltet. Das
bedeutet eine engagierte Energiepolitik für den Klimaschutz. In diesem Punkt unterscheiden wir uns von Ihnen.
Ein zweiter Grund für eine aktive Energiepolitik ist die
Begleitung des Liberalisierungsprozesses. Wir brauchen
ein schärferes Kartellrecht, eine stärkere Fusionskontrolle und den fairen Zugang zu den Netzen. Dabei ist eine
Regulierung kein Widerspruch zur Liberalisierung, wie
man an den Ansätzen in Großbritannien, in den USA, aber
auch in Skandinavien sieht. Hier sind die Rahmenbedingungen, die der Staat setzt, damit es eine Vielfalt von Akteuren gibt, die Voraussetzung, um die Wettbewerbsintensität in ehemaligen Monopolmärkten zu erhöhen.
Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht sehr bedauerlich, dass heute die Ministererlaubnis zu der Fusion Eon/Ruhrgas erteilt wird.
({8})
Ich glaube, dass sie ein Nachteil für den Verbraucher und
für die Industrie sein wird, weil es gefangene Kunden geben wird, die nicht mehr die freie Wahl haben und auch
wieder Monopolpreise werden zahlen müssen.
Allerdings werden Auflagen erteilt. Dies führe ich
auch auf die Tätigkeiten der grünen Fraktion und der Verbraucherministerin zurück,
({9})
die sich unter Verbraucherschutzgesichtspunkten selbstverständlich auch in dieses Verfahren eingemischt hat;
({10})
im Gegensatz zur Opposition, die sich anscheinend - trotz
ihrer Wahlkampfspektakel bei vielen Themen - an diesem
Punkt den Mund zugenäht hat.
(({11})
Wir wissen auch, warum. Herr Rexrodt zum Beispiel verdient direkt an der Fusion - er war der erste, der diese Fusion begrüßt hat -,
({12})
weil er Teilhaber einer PR-Agentur ist, die direkt von dieser Fusion profitiert.
({13})
Das also ist der große Liberalisierer Rexrodt!
({14})
In der Enquete-Kommission haben wir drei Szenarien
durchgerechnet. Eine Vorgabe war, dass wir, um tatsächlich Klimaschutz zu betreiben, bis zum Jahre 2050 eine
Reduktion in Höhe von 80 Prozent brauchen. Wir haben
gesehen: Viele Wege führen nach Rom. Wir sagen ganz
klar: Szenario zwei basiert auf einem angestrebten Anteil
an erneuerbaren Energien in Höhe von 50 Prozent bis zum
Jahre 2050, auf Energieeinsparung, auf Energieeffizienz
und auf der Verbesserung der Energieproduktivität um
drei Prozent pro Jahr in den nächsten 30 Jahren. Wir wollen die Kraft-Wärme-Kopplung bis zum Jahre 2050 verdreifachen und eine engagierte Altbausanierungsstrategie
durchführen. Insgesamt wollen wir die CO2-Emissionen
bis zum Jahre 2020 um 40 Prozent reduzieren. Das Szenario zwei ist dasjenige, das die rot-grüne Energiepolitik
am besten beschreibt.
({15})
Deshalb fühlen wir uns von dem Bericht der EnqueteKommission in unserer Politik der vergangenen vier
Jahre 100-prozentig bestätigt. Das gilt sowohl für den
Pfad, den wir eingeschlagen haben, als auch für die Instrumente, die wir in der Energiepolitik gewählt haben.
Sie sagen in dieser Legislaturperiode immer von uns, wir
hätten kein Energiekonzept.
({16})
Jetzt haben wir deutlich etwas vorzuweisen. Die Wissenschaftler haben vier Jahre lang gerechnet. Das Ergebnis ist, dass sie unsere Energiepolitik, die wir pragmatisch durchgeführt haben, 100-prozentig bestätigen.
Das ist auch der Weg, den wir in der Zukunft fortsetzen
wollen.
({17})
Aber ich gebe die Frage einmal an Sie zurück: Haben
Sie denn eigentlich ein Energiekonzept? Unseres liegt
klar auf dem Tisch.
({18})
Sie kritisieren alles, was wir tun. Sie wettern gegen das
KWK-Gesetz. Sie kritisieren die Förderung der erneuerbaren Energien,
({19})
Sie unterstützen uns nicht in der Bereitstellung von Haushaltsmitteln für die Altbausanierung
({20})
und die Ökosteuer ist natürlich des Teufels. Sie verurteilen unseren Weg in Bausch und Bogen.
({21})
Stattdessen wollen Sie - das sagen Sie auch immer
wieder - Klimaschutz durch Atomkraft. Wenn wir aber
einmal durchrechnen, was es heißt, wenn man statt unseres Weges Ihren Weg - Klimaschutz durch Atomkraft beschreiten würde, dann sagen Sie: Nein, 50 bis 70 Atomkraftwerke wollen natürlich auch wir nicht. Das kann ich
sehr gut verstehen. Denn in der letzten Umfrage bezüglich
des Umweltbewusstseins in Deutschland wurde festgestellt: Umweltschutz ist nach wie vor ein wichtiges
Thema. In Westdeutschland liegt es auf Platz drei, in Ostdeutschland leider erst auf Platz vier.
({22})
Das erste Problem, das genannt wird, ist nach wie vor die
Atomkraft. Deswegen kann ich es gut verstehen, dass Sie
von der konkreten Umsetzung der Strategie Klimaschutz
durch Atomkraft nichts mehr wissen wollen. Aber wenn Sie
auch das nicht wollen, dann muss man ganz klar sagen: Sie
haben keine Strategie. Da ist die FDP ja durchaus ehrlicher,
da sie in ihrem Wahlprogramm ganz klar sagt, dass sie das
EEG und das KWK-Gesetz abschaffen will. Diese Aussage
ist eindeutig. Wer also den Einstieg in das Solarzeitalter
fortsetzen will, darf definitiv nicht FDP wählen.
({23})
Wie ist das nun bei der CDU?
({24})
Frau Merkel sagt: „Es ist nicht einsehbar, warum dem
starken Wachstum der regenerativen Energiequellen so
viel Aufmerksamkeit geschenkt wird; wir brauchen keine
einseitige ökologische Orientierung.“
({25})
Konkreter wurde Herr Grill in seinem Energieprogramm aus dem Jahr 2000. Da sagte er: Für die Bundesrepublik Deutschland soll eine bestimmte Summe festgelegt
werden, die für erneuerbare Energien zur Verfügung
steht. Die Summe wird auf die einzelnen Energieträger
aufgeteilt und es soll einen Bieterwettbewerb geben.
({26})
Das steht in Ihrem Energieprogramm von 2000, von KurtDieter Grill geschrieben. Ich hoffe, er steht noch dazu,
denn das würde bedeuten, dass Sie den Wechsel zu einem
Instrument, wie es in Großbritannien eingesetzt wird,
wollen.
({27})
Ich vergleiche einmal: In Deutschland sind über 6 000 Megawatt auf Basis des EEG installiert, in Großbritannien,
ganz bestimmt keine schlechte Windlage, auf der Basis
des von Ihnen favorisierten Instruments genau 406 Megawatt. Was bedeutet das? - Das bedeutet, dass sie genau
wie die konservative Regierung in Dänemark zwar sagen,
dass sie die erneuerbaren Energien fördern wollen, dass
Sie aber mit dem Wechsel zu einem unwirksamen Instrument tatsächlich den Abbruch dieser Entwicklung vorbereiten.
({28})
Allerdings - manchmal weiß man es nicht - wollen Sie
das vielleicht ja doch nicht; denn Ihr Mitglied im Kompetenzteam, Herr Dr. h. c. Lothar Späth,
({29})
investiert zurzeit zum Beispiel in eine Solarzellenfabrik.
({30})
Er sagt: Wir haben den Know-how-Transfer in den vergangenen Jahren konsequent vorangetrieben und sind damit in einer weiteren Industrie präsent, die in den kommenden Jahren stark wachsen und an Bedeutung gewinnen
wird. - Wie ist es denn nun? Wenn Herr Lothar Späth investiert, glaubt er doch an die Zukunft dieser Energie.
({31})
Sie aber sagen: Die Subventionen müssen begrenzt werden. Auf wie viele Jahre? Auf vier Jahre? Auf zehn Jahre?
Wenn Sie sagen, die Subventionen müssen begrenzt werden, dann müssen Sie hier und jetzt deutlich sagen, auf
welchen Zeitraum,
({32})
und dann müssen Sie auch Herrn Dr. Lothar Späth sagen,
dass seine Investitionen für diese Fabrik sich nicht lohnen
werden, wenn Sie an die Regierung kommen. Das ist die
Wahrheit.
({33})
130 000 Menschen in diesem Land erwarten Ihre Antwort
auf die Frage, ob Sie bereit sind, die Strategie weiterzuentwickeln. Diese Menschen wollen vor der Wahl und
nicht erst nach der Wahl wissen, ob ihre Arbeitsplätze eine
Zukunft haben.
({34})
Da Sie in der Frage der technologischen Entwicklung
kein Argument haben - denn der von uns eingeschlagene
Pfad ist der einzige, der sinnvoll erscheint -, kommen Sie
mit dem Kostenargument. Sie bemühen dabei unter anderem die Zahlen des Wirtschaftsministeriums.
({35})
Dazu muss man sagen: Nach den Berechnungen unserer
Wissenschaftler haben diese Zahlen keine wissenschaftliche Grundlage.
({36})
Die Berechnungen der Enquete-Kommission - Herr
Hirche, Sie waren Mitglied dieser Kommission und sollten die Zahlen eigentlich kennen - sagen sehr deutlich:
({37})
Der Pfad, den wir gehen - erneuerbare Energien, Energieeinsparung, Erhöhung der Energieeffizienz -, ist genauso
teuer wie der Pfad Klimaschutz durch Atomkraft. Wenn
wir insgesamt vergleichen, ist der Anteil am Bruttosozialprodukt bei diesem Pfad unter dem Strich nicht höher als
der, den wir heute für unsere Energiepolitik ausgeben.
({38})
Der Pfad, den wir eingeschlagen haben, ist nicht nur technologisch machbar, sondern auch bezahlbar.
({39})
Auch das ist ein Ergebnis der Enquete-Kommission.
({40})
Ihr Kostenargument ist also eine bewusste Lüge, die von
Ihrer Konzeptlosigkeit ablenken soll.
({41})
Wenn man die externen Kosten einberechnet, kommt
man auf noch dramatischere Unterschiede. Im Jahr 2050
wäre die Energieversorgung unter Einbeziehung der Folgekosten nach unserem Pfad 286 Euro billiger im Vergleich zum Atompfad, nach dem die Energieversorgung
pro Kopf der Bevölkerung 1 915 Euro pro Jahr kosten
würde. Auch unter Berücksichtigung der Kosten kann ich
nur sagen: Nur unser Pfad ist zukunftsfähig.
({42})
Ich bedauere, dass wir nicht ein Minimum an Einigung
erzielen konnten. Vor dem Hintergrund, dass in der nächsten Zeit die Hälfte der Kraftwerkskapazitäten ersetzt werden muss, wäre das ein Beitrag zur Investitionssicherheit
gewesen.
Die Alternativen sind jetzt klar: Die Bürger können am
22. September entscheiden, ob sie eine Renaissance der
Atomkraft wollen oder wollen, dass erste Atomkraftwerke abgeschaltet werden.
({43})
Sie können entscheiden, ob es einen Abbruch in der Entwicklung der erneuerbaren Energie gibt oder wir den Weg
ins Solarzeitalter fortsetzen. Sie können entscheiden, ob
wir den Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie
künstlich hochhalten oder beides miteinander versöhnen.
Sie können auch darüber entscheiden, ob wir eine innovative Technologiepolitik im Bereich der Energiewirtschaft betreiben und damit beweisen können, dass es zur
Sicherung des Standorts Deutschland wichtig ist, Vorreiter im Klimaschutz zu sein.
({44})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Hirche, FDP-Fraktion.
({0})
- Aber Wolfgang ist auch ein schöner Name.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Wolfgang, der unserer Fraktion vorsitzt,
hat mich in den 60er-Jahren für die FDP geworben. Deswegen finde ich Ihre Worterteilung durchaus ehrenvoll.
Bedauerlicherweise - in dieser Wertung stimme ich Frau
Hustedt zu - kann die Enquete-Kommission keinen gemeinsamen Bericht vorlegen. Ein vollständiger eigener Minderheitsbericht zweier Fraktionen dürfte ein Novum sein.
({0})
Wegen dieser Situation möchte ich insbesondere den
Mitarbeitern des Sekretariats meinen Dank sagen, denn
sie hatten das zum Teil auszubaden. Ganz besonders
danke ich den Sachverständigen.
Tatsache bleibt, dass die SPD weder ihren Wirtschaftssprecher noch ihren Energiesprecher in die Kommission
geschickt hat.
({1})
Auch heute Morgen ist keiner von beiden in diesem
Raum. Das ist bemerkenswert, weil schon daran zu erkennen ist, worin die Schwierigkeiten bestanden. Wir hatten es nur mit bestimmten Aspekten und Meinungen aus
der SPD-Fraktion und nicht mit der SPD zu tun.
({2})
Volker Jung als energiepolitischer Sprecher hat in der
Diskussion in dieser Woche noch einmal betont, dass
Grundannahmen, die wir gegen das setzen, was die SPDUmweltpolitiker hier vorschlagen, richtig sind. Er geht
wie wir und der Wirtschaftsminister davon aus, dass es einen Gleichklang sozialer, ökologischer und ökonomischer Aspekte geben muss
({3})
und dass es Kostengesichtspunkte gibt, die aus sozialen
Gründen eine Rolle spielen müssen.
Anders ist es in diesem Bericht. Herr Berg hat gerade
zum Primat der Ökologie vorgetragen. Daraus wird abgeMichaele Hustedt
leitet, dass der Staat in besonderer Weise in alles eingreifen müsse.
({4})
Das ist ein Gedankengebäude, das in sich durchaus stimmig ist. Man sagt: Das Vorsorgeprinzip, das wir für nötig
halten, reicht nicht; stattdessen geht man von einer unmittelbaren Gefahrenabwehr aus. Das bedeutet, der Staat
kann und muss in alles eingreifen.
Im europäischen und internationalen Vergleich ist
Deutschland in der Energiepolitik aufgrund seiner Anstrengungen zum Klimaschutz weiter als jedes andere Land,
({5})
und zwar mit den marktwirtschaftlichen Instrumenten,
die den Wohlstand unserer Gesellschaft ausmachen. Sie
wollen genau diesen Erfolg unserer Politik kaputtmachen,
({6})
indem Sie versuchen, an die Stelle des Marktes staatliche
Regeln, festgelegte Instrumente, definierte Techniken mit
gezielter Förderung und garantierte Preise zu setzen. Damit
schaden Sie dem Standort Deutschland und schaffen keine
neuen Arbeitsplätze. Das ist der grundlegende Unterschied.
({7})
Erstens. Für uns bleibt das Vorsorgeprinzip weiterhin
Leitschnur des Handelns.
({8})
Zweitens. Der Gleichklang ökonomischer, ökologischer und sozialer Aspekte muss erhalten bleiben. Wir
halten staatliche Technikvorgaben für falsch.
({9})
- Das machen Sie, Herr Müller. Sie sprechen ein Verbot
für die Kernenergie aus.
({10})
Sie sprechen Gebote aus, indem Sie Marktanteile für bestimmte Branchen reservieren. Sie machen Ge- und Verbote und wenn ich Ihnen das vorhalte, widersprechen Sie.
({11})
Entweder haben Sie selber nicht verstanden, was Sie machen, oder Sie verbreiten öffentlich Unsinn.
({12})
Kollege Hirche, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grehn, PDSFraktion?
Natürlich.
({0})
Danke schön, Herr Kollege
Hirche. - Ich habe Ihre Erfolgsbilanz gerade zur Kenntnis
genommen. Gestatten Sie mir die Frage, wie viel Prozent
der CO2-Einsparungen der Deindustrialisierung der DDR
entstammen?
({0})
Herr Kollege, vielen Dank für
die Frage.
({0})
Sie gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass die
drei Staaten in Europa, die erhebliche Fortschritte bei der
Senkung der Treibhausgasemissionen zu verzeichnen
haben, nämlich Deutschland, Großbritannien und Luxemburg,
({1})
genau die Staaten sind, die ihre Industrie am stärksten modernisiert haben.
({2})
Diese Modernisierung der Industrie ist der eigentliche
Treibsatz für die Senkung der Emission von Treibhausgasen.
({3})
An diesem Zusammenhang müssen wir festhalten.
Alles, was in Ostdeutschland neu aufgebaut worden
ist, hat Investitionen und Produktionen an anderer Stelle
vorausgesetzt. Deswegen schlägt das nicht negativ, sondern positiv zu Buche.
Modernisierung bedeutet immer, dass sich die Industrie weiterentwickelt und immer effizientere Techniken
einsetzt. Auf diesem Wege wollen wir weitermachen,
meine Damen und Herren,
({4})
nicht aber mit staatlich verfügten, nicht wettbewerbsfähigen Energietechniken.
Kollege Hirche, gestatten sie eine zweite Zwischenfrage der Kollegin
Hustedt?
Selbstverständlich.
Sie waren ja auch einmal Mitglied der Enquete-Kommission, Herr Hirche. Ist Ihnen entgangen, dass wir beim
Trendszenario genau Ihren Ansatz gewählt haben, indem
wir sehr optimistische Annahmen über automatische Effizienzsteigerungen durch den Markt zugrunde gelegt haben, und dass das Ergebnis dieses Trendszenarios darin
bestand, dass die notwendigen Klimaschutzziele nicht erreicht werden?
({0})
Frau Kollegin, auch für diese
Frage bedanke ich mich. Man kann an ihr wieder einmal
deutlich machen, wie Sie in bestimmten Fragen gerechnet
haben.
({0})
Wir hatten in den Jahren 1990 bis 2001 eine durchschnittliche Verbesserung der Energieeffizienz um
1,4 Prozent.
({1})
Sie unterstellen für die Zukunft, damit Ihr Modell stimmt,
als Rechengrundlage 3 Prozent Effizienzverbesserung pro
Jahr. Das ist aber eine gegriffene Zahl, deren Zweck darin
besteht, dass das Modell zu einem bestimmten Ergebnis
kommt.
({2})
Das ist auch der Grund, Frau Hustedt - ich antworte Ihnen noch -, warum der Wirtschaftsminister - ({3})
- Darf ich zu Ende antworten, ehe Sie weiter dazwischenreden?
Das ist der Grund, warum Wirtschaftsminister Müller
in seinem Energiebericht festgehalten hat, dass die Maßnahmen, die mit Ihrem Hauptszenario verbunden sind, die
deutsche Volkswirtschaft im Zeitraum bis 2020 zusätzlich
256 Milliarden Euro kosteten. Das muss die Öffentlichkeit wissen. Diese horrenden Kosten sind auch der Grund
dafür, dass der wirtschaftspolitische Sprecher und der
energiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
an dieser Debatte nicht teilnehmen: weil sie diese Kosten
bestätigen müssten, meine Damen und Herren.
({4})
Die Öffentlichkeit muss das zur Kenntnis nehmen. Im laufenden Bundestagswahlkampf werden wir natürlich auf
diese unterschiedlichen Stimmen aus der SPD aufmerksam machen.
Bevor die Zwischenfragen kamen, sprach ich davon,
dass staatliche Technikvorgaben falsch seien. Der Bundeswirtschaftsminister hat sogar darauf hingewiesen, dass
es aus seiner Sicht falsch sei, heute das Ziel einer Senkung
um 40 Prozent bis 2020 zu beschließen, weil es voraussetzte, dass unsere internationalen Konkurrenten im
Gleichklang vorgingen. Wenn das im Rahmen der internationalen Klimapolitik nicht erreicht würde, schlüge es
sich in erhöhter Arbeitslosigkeit in Deutschland nieder.
Dann fielen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze weg.
({5})
Lassen Sie mich Ihnen ein konkretes Beispiel für die
Wirkungen nennen, die derzeit allein durch das von Ihnen
beschlossene EEG entstehen: Es betrifft eine Aluminiumhütte in Essen. Ich weiß, dass Sie, Frau Hustedt, den
Betrieb kennen, denn er hat sich an Sie gewandt. Die
Mehrkosten durch das EEG liegen bei 0,37 Eurocent pro
Kilowattstunde. Dies hört sich nach wenig an, jedoch belaufen sich die Mehrkosten für diesen Betrieb auf über
9 Millionen Euro. Das entspricht 30 Prozent der Personalkosten. Das EEG unterscheidet nicht zwischen Energie
für Produktionszwecke und Energie zum Konsum. Es gibt
auch keine Härteklausel für produzierende Betriebe. Die
durch das EEG entstehenden Belastungen werden deshalb
für einen energieintensiven Produktionsstandort schlicht
und einfach zur Existenzfrage.
({6})
Ich finde, dass Sie sich auf diese Kostenüberlegungen
einlassen müssen, so wie ich mich gern auf die Klimaüberlegungen einlasse. Dies haben wir auch in der Kommission getan und deswegen gesagt: Wir brauchen erstens
eine Effizienzverbesserung, brauchen zweitens Energieeinsparung und sind drittens auch zu einer weiteren Förderung erneuerbarer Energien bereit, aber bitte mit einer
marktnäheren Orientierung der Preise. Viertens möchten
wir gerne, dass die Forschungsförderung nicht mit Verboten und Beschränkungen fortgeführt wird.
Wir brauchen Forschungsförderung in allen Bereichen. Wir brauchen Forschungsförderung erstens im Bereich der erneuerbaren Energien, damit endlich Wirkungsgrade erreicht werden, mit denen man preisgünstig
Energie erzeugen kann. Zweitens brauchen wir die Forschungsförderung im Bereich der Kohletechnologien.
Wir brauchen die sauberen Kohletechnologien, um die
Braunkohle und die Steinkohle weiter einsetzen zu können. Drittens brauchen wir Forschungsförderung im Bereich der Kerntechniken, um das Angebot zu erweitern.
({7})
Viertens - dies sage ich gern dazu, obwohl viele dies als
zum ersten Punkt gehörend ansehen - brauchen wir weitere Forschungsförderung explizit im Bereich der Wasserstofftechnologie, Stichwort Brennstoffzelle und anderes.
({8})
Für neue Techniken brauchen wir - Sie versuchen, hier
einen Popanz aufzubauen - weiterhin Markteinführungsprogramme. Aber Markteinführung, Herr Kollege
Müller, ist dem Wort nach eine Einführung.
({9})
Nach zehn bis 15 Jahren muss sich ein Produkt am Markt
bewährt haben.
({10})
Dann können wir nicht mehr mit den Größenordnungen
arbeiten, die Sie in Ihren Gesetzen fixiert haben. Preisgarantien haben noch nie wirklich die Kräfte am Markt freigesetzt.
({11})
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen: In der
Enquete-Kommission gab es einen Dissens darüber, in
welcher Weise Deutschland eine Vorreiterrolle spielen
sollte oder in welcher Weise Globalisierungseffekte
berücksichtigt werden müssten.
Ich habe vorhin bereits einen Punkt genannt, den auch
der Wirtschaftsminister in die Öffentlichkeit gebracht
hatte, nämlich dass die Wettbewerbsfähigkeit unseres
Staates und unserer Arbeitsplätze ein wichtiger Punkt ist.
Wir müssen schauen, was die Nachbarstaaten machen.
Kein Schwellen- oder Entwicklungsland in der Welt wird
die Technik im Bereich der erneuerbaren Energien bei
dem Wirkungsgrad, den diese heute haben, bezahlen können. Darum geht es eigentlich.
({12})
Wir müssen eine nachhaltige Energiepolitik zusammen
mit den Entwicklungsländern machen. Dieser Aspekt der
Globalisierung wird von Ihnen nicht ausreichend berücksichtigt, genauso wie Sie die Liberalisierung wieder kaputtmachen. Wir hatten mit einer Entlastung für die Bürger in Höhe von 15 Milliarden DM eine soziale Großtat
für die Bevölkerung vollbracht.
({13})
Mit Ihren Gesetzesvorhaben wird diese Entlastung für die
Bürger wieder zunichte gemacht. Sie brauchen sich nicht
darüber zu wundern, dass der Konsum nicht anzieht und
dass an anderer Stelle die Arbeitsplätze verloren gehen. Ich
bedaure, dass Sie nicht zum Dialog hierüber bereit waren.
Ich hoffe sehr, dass die Diskussion über diese Thematik, die weit über diese Legislaturperiode hinausreicht, in
der nächsten Legislaturperiode fortgesetzt wird, vielleicht
dann unter Teilnahme
Kollege Hirche, Sie
müssen bitte zum Ende kommen.
- aller Kollegen, auch der aus
der SPD-Fraktion.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, werter Herr
Präsident, dies war meine letzte Rede in diesem Bundestag. Ich möchte mich bei allen - selbstverständlich auch
bei denen, mit denen ich Sachkontroversen ausgetragen
habe - sehr herzlich für Gespräche und Dialoge bedanken.
Die Tatsache, dass es hier - wie überall im Leben - Kontroversen gibt, sollte nie dazu führen, dass daraus persönliche Animositäten entstehen. Ich möchte das gerade auch
einmal für die Öffentlichkeit sagen, die sich ja oft darüber
wundert, dass sich Kollegen in ihrer Erregung über einen
Sachverhalt hier gegenseitig hart angehen. Ich denke,
dass darunter die persönliche Wertschätzung - das sage
ich bewusst - nicht leiden sollte, was sie bei mir auch
nicht getan hat. Ich möchte mich bei allen entschuldigen,
die ich eventuell durch irgendeine Bemerkung verletzt
habe. Es war der Sache und nicht der Person geschuldet.
({0})
Herr Präsident, das darf ich vielleicht auch noch sagen:
Ich bedanke mich bei meiner Fraktion, die mir die Möglichkeit gegeben hat, Aufgaben im Auswärtigen Ausschuss, im Wirtschaftsausschuss und als energiepolitischer Sprecher wahrzunehmen. Ich hoffe, dass diese
Arbeit eine gewisse Resonanz erfahren hat und dass ich
sie mit einer entsprechenden Wirkung durchgeführt habe;
denn Effizienz und etwas für Arbeitsplätze in Deutschland
zu tun, bleibt mir auch in Zukunft eine Verpflichtung. Das
halte ich für das wichtigste Ziel unserer gemeinsamen Arbeit.
Vielen Dank.
({1})
Lieber Kollege
Hirche, ich möchte Ihnen auch im Namen des Hauses
herzlich für Ihre Arbeit danken und Ihnen alles Gute für
Ihr weiteres Leben wünschen. Ich darf mir eine persönliche Bemerkung erlauben: Möglicherweise werden mir
ein paar Zwischenrufe von rechts fehlen.
({0})
Ich erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter,
PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion kann die
beiden Wege zur Energieversorgung, die von der Regierungskoalition bzw. von der CDU/CSU und der FDP beschrieben werden, nicht als nachhaltig bezeichnen.
({0})
Wir haben daher Alternativen formuliert, die wir in unseren Sondervoten beschreiben. In unserer Position werden wir unter anderem durch das für die UN-Konferenz in
Johannesburg von UNEP in dem Bericht Geo 3 vorgelegte
Szenario „Sustainability first“ bestärkt. Nicht nachhaltig
ist danach der Weg der Regierungskoalition, weil sie
Atomkraftwerke noch jahrelang weiter laufen lässt und
die Dringlichkeit einer Verkehrswende zur Reduktion der
Treibhausgase eben nicht erkannt hat.
({1})
Noch weniger nachhaltig ist der Weg der CDU/CSU
und der FDP, die Klimaschutz mit noch mehr und neuen
Atomkraftwerken betreiben möchten und die die wesentlichen Elemente einer nachhaltigen Energieversorgung,
wie Dezentralität und forcierte Nutzung regenerativer Energiequellen, als unnötig erachten. Insgesamt möchte die
große Oppositionsgruppe weniger den Klimawandel
bremsen als vielmehr die Anpassungen an ihn beschleunigen.
Unser Vorschlag beruht auf von uns formulierten
Grundsätzen der Nachhaltigkeit, die wir zur Beendigung der globalisierten Diktatur der Ökonomie und des
Marktes - so hat es auch Viviane Forrester formuliert für notwendig halten. Wir greifen damit Vorstellungen
des Sachverständigenrates für Umweltfragen auf, der
zum Erreichen eines Pfades der Nachhaltigkeit ebenfalls
eine grundsätzliche Transformation unseres Wirtschaftens und unserer Gesellschaft für notwendig hält.
({2})
Mit unserem Vorschlag verknüpfen wir die ökologische und soziale Dimension so stark, wie es angesichts
der fortschreitenden Zerstörung der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen und -bedingungen durch
Globalisierung und Liberalisierung geboten ist. Uns geht
es also nicht allein um einen beschleunigten praktischen
Klimaschutz, sondern wir wollen diesen mit einem Schutz
vor Arbeitslosigkeit verknüpft sehen, indem wir das Recht
auf Arbeit ebenso einfordern wie die Verpflichtung der
Ökonomie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.
({3})
Diese Vorstellungen sind denjenigen der großen Mehrheit der Kommission diametral entgegengesetzt. Die übrigen Fraktionen setzen weiter auf die Kräfte des Marktes
und des Wachstums. Wir wissen: So funktioniert das
nicht.
({4})
Sie verkennen dabei, dass die gegenwärtige Situation der
Welt mit dem schon begonnenen Klimawandel, mit millionenfacher Arbeitslosigkeit, millionenfacher Armut und
millionenfachem Hunger das Ergebnis genau dieser ökonomischen Kräfte ist. Ich verstehe nicht, wie jemand sagen kann, dass das in Ordnung ist.
Im Einzelnen ergeben sich aus unserem so genannten
Grundgesetz der Nachhaltigkeit Maßnahmepakete, die
deutlich über die Forderungen der Regierungskoalition
hinausgehen. Für die PDS muss eine Offensive bei den
regenerativen Energieträgern und bei der Verbesserung
der Effizienz der Energienutzung durch folgende Maßnahmen ergänzt werden: An erster Stelle muss eine baldige Verkehrswende eintreten, und zwar zugunsten des
öffentlichen und nicht motorisierten Verkehrs,
({5})
insbesondere zugunsten des Schienenverkehrs für Personen wie auch für Güter. Immerhin handelt es sich dabei
um den Wirtschaftssektor mit den stärksten Steigerungsraten bei den Emissionen von Treibhausgasen.
Sich wie die Kommission in ihrer Gänze lediglich mit
der Effizienzverbesserung von Kraftfahrzeugen zu beschäftigen übersieht die nötigen Prioritäten. Die von uns
beschriebene Verkehrswende ist selbstverständlich mit
Tempolimits auf den Straßen und der Verlagerung der Kapazitäten des innerdeutschen Flugverkehrs auf die
Schiene verknüpft.
Priorität hat weiterhin eine Öffentlichkeitskampagne
und eine Bildungsoffensive, die für eine Verankerung des
Nachhaltigkeitsgedankens in der breiten Bevölkerung
sorgt. Nur wenn sich Verbrauchsverhalten, Produktionsund Konsumstile grundlegend ändern und die Menschen
tatsächlich die Möglichkeit zu einer Änderung haben
- das ist immerhin eine in der Agenda 21 formulierte Ergänzung -, werden sich ehrgeizige Klimaschutz- und
Nachhaltigkeitsziele wirklich erreichen lassen.
({6})
Schließlich müssen die Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele ordnungspolitisch abgesichert werden. Nach
unseren Vorstellungen muss dies durch ein Klimaschutzgesetz und eine Technische Anleitung Energie erfolgen,
wie dies beim klassischen und sehr erfolgreichen Immissionsschutz vor Jahren geschehen ist. Damit wird vorgeschrieben, bei welchen Produkten, Produktionen, Anlagen und Gebäuden in welchem Zeitraum auf welche
Weise wie viel Energie einzusparen ist.
Flankiert werden muss dieser gesetzliche Ansatz durch
ökonomische Lenkungsmaßnahmen: Abbau sämtlicher
klimaschädlichen Subventionen, Einführung einer Primärenergiesteuer ohne Ausnahmeregelungen anstelle der
Ökosteuer, Einführung von Abgaben auf Flugbenzin.
Auch das EEG muss so reformiert werden, dass kostendeckende Einspeisevergütungen die Nutzung von Solarenergie und Biogas aus landwirtschaftlichen Abfällen beträchtlich voranbringen.
({7})
- Weiter so.
Um den erneuerbaren Energieträgern einen weltweiten
Schub zu verleihen, fordern wir immer wieder eine baldige Anhebung der Entwicklungshilfe auf die international zugesagten 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes und
einen konsequenten Prozess der Entschuldung der ärmsten Entwicklungsländer. Mit den damit zur Verfügung stehenden Mitteln muss eine Energieversorgung auf der Basis erneuerbarer Energieträger, den Ländern angepasster
Technik und der Zunahme von Beschäftigung aufgebaut
werden.
Selbstverständlich kann dieses von uns vorgeschlagene
Politikmodell eben nur dann erfolgreich sein, wenn auch
auf internationaler Ebene grundlegende Veränderungen
stattfinden.
({8})
Vorrangig ist die herrschende Geopolitik zu entmilitarisieren. Die Hegemoniebestrebungen der verbliebenen Supermacht sind durch eine konsequente Demokratisierung
der UNO und ihrer Institutionen, vor allem durch eine
demokratische Balance zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu bremsen.
({9})
Zum Schluss möchte ich mich genauso wie meine Kollegen der anderen Fraktionen beim Sekretariat und den
Sachverständigen für ihre Geduld und ihre Beharrlichkeit
bedanken. Es war sicherlich keine einfache EnqueteKommission.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile dem Kollegen Ulrich Kasparick für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich anfange, möchte
ich eine kurze Bemerkung an Herrn Hirche richten. Er hat
sich darüber beklagt, die SPD würde ausschließlich ökologische Ziele verfolgen. Deswegen eine kurze Aufklärung: Das Wort Ökologie kommt aus dem Griechischen und ist die Lehre vom richtigen Haushalten mit der
Natur. Es geht darum, mit den vorhandenen Ressourcen
so umzugehen, dass auch die jüngeren Generationen - die
heute ebenfalls im Hause vertreten sind - eine gute Zukunft haben werden. Darum geht es bei dem Thema Ökologie.
({0})
Lassen Sie mich eine Äußerung von Al Gore zitieren:
Eine politische Entscheidung ist dann richtig, wenn
sie noch in der siebten Generation Bestand hat.
Am Beispiel der deutschen Energieforschung können wir
feststellen, wie wichtig die Beherzigung dieser Regel in
der Vergangenheit gewesen wäre. Wir haben nämlich in
der Enquete-Kommission übereinstimmend festgestellt,
dass das derzeitige Energiesystem nicht nachhaltig ist.
Das ist das Ergebnis falscher Forschungspolitik in der
Vergangenheit.
Wir haben in der Vergangenheit in der Energieforschungspolitik die falschen Prioritäten gesetzt. Wir haben
zu sehr auf die Fusion, auf die Kohleforschung und auf die
Atomforschung gesetzt. Deswegen haben wir gegenwärtig eine Energieversorgungsstruktur, die nicht nachhaltig
ist. Darüber besteht ein Konsens zwischen uns.
({1})
Mir ist es wichtig, diesen Konsens zu Beginn meines Debattenbeitrags noch einmal festzuhalten. Dass das derzeitige Energiesystem nicht nachhaltig ist, meinen sowohl
die CDU/CSU als auch die SPD. Dieses Energiesystem ist
das Ergebnis einer falschen Forschungspolitik. Die Enquete-Kommission meint deshalb, dass ein Prioritätenwechsel erforderlich ist. Wir müssen in der Forschung
umsteuern. Das bedeutet, dass insbesondere für die Effizienzforschung wie auch für die erneuerbaren Energien
und - das ist besonders in forschungspolitischer Hinsicht
interessant - für die inter- und transdisziplinären Projekte
eine Mittelaufstockung notwendig ist. Denn die Fachwissenschaftler haben uns darauf hingewiesen, dass die Innovationen gerade an den Grenzflächen zwischen den
Disziplinen zu erwarten sind. In dieser Hinsicht sind in
Deutschland Verbesserungen notwendig. Auch das ist ein
Ergebnis der Enquete-Kommission.
Ein wichtiges Beispiel für die Interdisziplinarität ist die
Erforschung neuer Materialien. Die Materialforschung
ist ein zentrales Arbeitsgebiet bei der Reduzierung von
verschiedenen Formen des Energieverbrauchs geworden.
Wer die leichteren Motoren bauen kann, hat einen wirtschaftlichen Vorteil. Wer Maschinen mit einem geringeren Verbrauch bauen kann, gewinnt wirtschaftlich. Wer
durch den Einsatz neuer Technologien erst gar nicht mehr
Energie einsetzen muss, handelt klug. Wir sehen: Wer in
die Effizienz investiert, liegt auch international vorn. Wer
sich anschaut, wie auf internationaler Ebene Energieforschungsmittel eingesetzt werden, erkennt, dass sich
Deutschland in diesem Bereich verbessern muss.
({2})
Die Enquete-Kommission unterstützt deshalb die Forderung des Wissenschaftsrats. Für die Energieforschung ist
eine Aufstockung um mindestens 30 Prozent der Mittel
gegenüber dem Jahr 1990 notwendig.
Wir dürfen nicht übersehen, dass die Energieforschung
in Deutschland mittlerweile ein Hochtechnologiebereich
geworden ist. Die meisten meinen, in der Energieforschung gehe es darum, die Wirkungsgrade von Solarzellen zu verbessern. Weit gefehlt! Es geht vielmehr um einen Bereich, dessen wissenschaftliches wie auch
wirtschaftliches Potenzial gleichwertig neben dem der
Biotechnologie steht. Um diese Industrie geht es. Wir
brauchen ein neues nationales Energieforschungsprogramm mit neuen Prioritäten. Ich verstehe deshalb die
Position der Opposition nicht, weiterhin Forschungsmittel in alte Technologien investieren zu wollen. Das ist ein
falscher Weg, der nicht zukunftsfähig ist.
({3})
- Das werde ich Ihnen gleich genau sagen. Sie fordern
zum Beispiel eine Weiterführung in dieser Größenordnung und sogar noch eine Aufstockung der Fusionsforschungsmittel. Wir haben aber in der Anhörung
zur Fusion gehört, dass die Fusion in energiepolitischer
Hinsicht keine Option darstellt.
({4})
Deswegen wird sie in keinem der von uns durchgerechneten Szenarien berücksichtigt. Sie tauchen auch in Ihren
eigenen Szenarien nicht auf. Dennoch verlangen Sie eine
Aufstockung der Forschungsmittel in diesen Bereichen.
Das ist nicht zu verstehen und völlig unlogisch.
({5})
Gute Energieforschung ist bekanntlich international,
insbesondere europäisch. Wenn wir in diesem Bereich zu
einer Neuausrichtung kommen wollen, müssen wir insbesondere auch über den Euratom-Vertrag sprechen. Wir
haben deshalb im Abschlussbericht mehrheitlich formuliert:
Die Kommission empfiehlt eine Beendigung des
Euratom-Vertrages und eine Überführung der
verbleibenden Regelungstatbestände in den EUVertrag.
({6})
Ich freue mich sehr, dass der Deutsche Bundestag diese
Empfehlung vor kurzer Zeit mit einem mehrheitlichen
Bundestagsbeschluss aufgenommen hat, in dem es heißt:
Der Deutsche Bundestag hält den Euratom-Vertrag
für nicht mehr zeitgemäß.
({7})
Ich darf noch einmal genauer den Abschlussbericht unserer Enquete-Kommission zitieren:
Vor diesem Hintergrund hält die Enquete-Kommission es für unverzichtbar, dass parlamentarische
Kontrolle und Einfluss auch im europäischen Kontext sichergestellt werden. Es kann nicht sein, dass
die großen Euratom-Mittel ohne parlamentarische
Kontrolle weitergegeben werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, ich war
aus gesundheitlichen Gründen nicht bei allen Sitzungen
der Enquete-Kommission anwesend. Glücklicherweise
gibt es E-Mail. Das heißt, man ist angekoppelt an den
Fortschritt der Debatte. Ich habe nie verstanden, weshalb
die Opposition die Enquete-Kommission benutzt hat, die
Atomlobby wieder in Stellung zu bringen. Wir hätten
viele Chancen gehabt, zu neuen Einsichten zu kommen.
({8})
Wir hätten sehr gute Chancen gehabt; diese Chancen sind
leider verpasst worden.
({9})
Es ist ein einmaliger Vorgang, dass wir im Grunde einen
zweiten Bericht der Opposition haben. Das, so finde ich,
ist eine verschenkte Chance.
Wir wissen, dass wir ein neues Energieforschungsprogramm brauchen, weil das alte, das Sie wesentlich zu verantworten haben, nicht zukunftsfähig ist. Wir erkennen
das an dem jetzigen Energiesystem. Wir brauchen eine
stärkere Berücksichtigung der erneuerbaren Energien.
Wir brauchen ein Energieforschungsprogramm, das auch
noch vor der siebten Generation Bestand hat.
Ich danke Ihnen.
({10})
Jetzt hat das Wort der
Kollege Franz Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kasparick, Ihre forschungspolitischen Aussagen können wir weitgehend
mittragen. Den Schluss hätten Sie sich sparen können, zumal Sie in der Kommission gar nicht immer anwesend
waren. Das, was hier von Berg und Hustedt hochgezogen
wird, ist sachlich, fachlich, inhaltlich falsch.
({0})
Es gibt ein Szenario, das als extremes Szenario mit
Kernenergie und fossilen Energieträgern umschrieben ist.
Genauso gibt es auf der anderen Seite ein Szenario mit
Vollversorgung mit erneuerbaren Energien. Innerhalb dieser Bandbreite wird jede vernünftige Volkswirtschaft
ihren energiepolitischen Weg suchen. So ist es methodisch-wissenschaftlich richtig.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte mich zunächst
bei unserem Vorsitzenden Kurt-Dieter Grill bedanken. Er
hat eine glänzende Arbeit geleistet. Kurt-Dieter, du hast
sehr viel Geduld aufbringen müssen. Wenn es jetzt nicht
zu einem gemeinsamen Bericht gekommen ist, so ist das
alles andere als die Schuld des Vorsitzenden, allerdings
auch nicht die Schuld des Sekretariats und der Mitarbeiter in den Fraktionen, denen ich auch ausdrücklich für ihre
Arbeit danken will.
({2})
Es gab von Anfang an fundamentale Unterschiede in
den Ansichten über eine nachhaltige Energieversorgung.
Warum haben wir denn ein Dreivierteljahr gebraucht, um
überhaupt den Einsetzungsbeschluss einvernehmlich zustande zu bringen? Nur deswegen, weil auch hier schon
die fundamentalen Unterschiede erkennbar waren. Dann
haben wir festgestellt, dass wir bei der Definition des
Nachhaltigkeitsbegriffs schon weit auseinander lagen.
Es ist schlicht und einfach nicht wahr, was Herr Berg hier
sagt. Dass wir einen Konsens beim ersten Bericht gehabt
hätten, stimmt eben nicht. Wir hatten beim ersten Bericht
eine Teilung in Dissens- und Konsensteile. Der entscheidende Punkt war damals schon, dass SPD und Grüne das
Primat der Ökologie herausgestellt haben, bei dem wir leider nicht mitmachen können.
Wenn ich die jetzige Debatte verfolge, erkenne ich,
dass sie genau das widerspiegelt. Sie definieren nachhaltige Energieversorgung in erster Linie vom Klimaschutz
her und die beiden anderen wesentlichen Dimensionen,
die ökonomische und die soziale, werden bei Ihnen weitgehend ausgeblendet. Das spielt auch in die Regierungspolitik hinein. Nicht umsonst sind wir die Letzten beim
Wirtschaftswachstum in Europa, aber die Ersten, wenn es
um die Arbeitslosigkeit geht.
({3})
Wirtschaftsminister Müller hat den entscheidenden Punkt
angesprochen, als er gesagt hat, dass er den nationalen
Alleingang beenden möchte, weil er zu teuer sei. 250 Milliarden Euro seien für unsere Volkswirtschaft nicht leistbar. Das hat wohlgemerkt Ihr Wirtschaftsminister gesagt.
Wir haben ihn - das kann ich Ihnen bestätigen - nicht gewählt.
({4})
Ein weiterer wesentlicher Punkt, in dem unsere Positionen weit auseinander gehen, sind die volkswirtschaftlichen Grundansichten. Wir stehen nach wie vor zur
sozialen Marktwirtschaft. Sie dagegen betreiben Staatsinterventionismus in Reinstkultur.
({5})
- Wenn Sie das nicht glauben, dann muss ich vermuten,
dass Sie Ihre eigenen Berichte nicht gelesen haben. - Ich
erkläre Ihnen gerne, was Sie eigentlich wollen. Sie wollen weitere Ökosteuerstufen, Subventionen, Garantiepreise und Lenkungsmaßnahmen. Sie wollen, dass
Deutschland beim Umweltschutz die Vorreiterrolle in der
Welt hat. Sie wollen außerdem den Euratom-Vertrag kündigen, der die Klammer für den hier zur Diskussion stehenden Bereich darstellt. So sieht Ihre Politik aus. Dann
beschweren Sie sich auch noch, dass man Ihnen das vorhält. Das müssen Sie schon aushalten.
({6})
Ich möchte nun auf die ökonomischen Folgen eingehen, über die hier noch niemand gesprochen hat.
({7})
- Darauf komme ich noch zu sprechen -. Der Ursprungstext enthielt eine Passage, aus der eindeutig hervorging,
welche Belastungen Ihr Szenario haben wird, das auf der
Vollversorgung durch erneuerbare Energien basiert.
In dieser Passage war zu lesen: 1 225 Euro je Einwohner
und Jahr. In der letzten Fassung haben Sie diese Passage
gestrichen, weil Sie den Bürgern dies verschweigen wollen. Sie treten also als Täuscher, Trickser und Blender auf,
damit in der Öffentlichkeit nicht über die wirtschaftlichen
Folgen Ihres Energiekonzepts diskutiert wird. Wir bringen das aber an die Öffentlichkeit.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brinkmann?
Selbstverständlich.
Bitte sehr.
Lieber Kollege
Obermeier, da nach dem Handbuch der Volkswirtschaft
Subventionen immer staatliche Transferleistungen sind,
was nach meiner Ansicht nicht auf das EEG zutrifft, Sie
aber das EEG als Subventionsinstrument bezeichnen,
möchte ich Sie fragen: Was war in Ihren Augen eigentlich
das Stromeinspeisungsgesetz der alten Bundesregierung?
Von der Systematik
her war das Stromeinspeisungsgesetz genau das Gleiche
wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Es hatte die gleiche Wirkung. Die jetzige Situation ist insofern anders, als
die volkswirtschaftlichen Auswirkungen Ihres Gesetzes
- das ist ein Hauptbestandteil Ihrer Politik - zur Belastung
für die Familien und die Betriebe werden. Das dürfen wir
uns zumindest in der jetzigen Zeit nicht leisten.
({0})
Sie wollen die Ökosteuer über das Jahr 2003 fortschreiben. Es reicht Ihnen nicht, dass schon jetzt 17 Cent
auf Benzin sowie je 2 Cent auf Heizöl und Strom erhoben
werden. Sie wollen weitere Ökosteuerstufen. Hören Sie
genau hin, was das Volk sagt! Dann werden Sie feststellen, dass die Bürger der Bundesrepublik Deutschland die
Schnauze voll von Ihrer Ökosteuer haben.
({1})
Wir wollen zwar eine Ökosteuer, aber nicht Ihre, da sie
mehr oder weniger willkürlich und ungerecht ist. Nichtsdestotrotz veranstaltet die Bundesregierung einen Teurogipfel. Das ist scheinheilig; denn Sie sind die größten
Preistreiber in der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
Es ist Ihnen völlig egal, wie es den Familien ergeht. Denken Sie nur einmal daran, welche Belastungen eine mehrköpfige Familie heute zu tragen hat. Soziale Aspekte spielen für Rot-Grün überhaupt keine Rolle. Sie interessieren
sich überhaupt nicht für die Belastungen - das hat schon
Herr Hirche ausgeführt -, die durch die hohen Energiepreise für unsere Betriebe entstehen.
Vorhin wurde die Frage gestellt, was wir denn eigentlich wollten. Das kann ich Ihnen genau sagen. Wir haben
eine klare, nachvollziehbare Nachhaltigkeitsstrategie, die
sich an den drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und
Soziales orientiert. Für uns sind die volkswirtschaftlichen
Kosten bei der Durchsetzung der Nachhaltigkeitsziele sowie bei der Auswahl der Maßnahmen und Mittel eine entscheidende Größe. Die Klimaziele sind langfristig zu den
volkswirtschaftlich niedrigsten Kosten zu verwirklichen.
Sie blenden das völlig aus. Eine Abwägung zwischen
Kosten und Nutzen findet bei Ihnen überhaupt nicht statt.
({3})
Der Staat hat nach unserer Überzeugung vier wesentliche Gestaltungsaufgaben:
Er muss einen langfristig orientierten Ordnungsrahmen schaffen und für den Marktmechanismus sorgen.
({4})
Was machen Sie? Sie blenden den Markt aus. In der Rede
von Dr. Berg kamen die beiden Begriffe „Marktwirtschaft“ und „Wettbewerb“ überhaupt nicht vor.
({5})
Wir sind für die Internalisierung externer Effekte,
und zwar europaweit. Kein Wort von Ihnen zu diesem
Steuerungsinstrument, zu dieser forschungspolitischen
Herausforderung, die damit auf uns zukommt, um diese
Probleme zu lösen.
Wir wollen die Hemmnisse abbauen, die den Marktmechanismen entgegenstehen.
({6})
Schließlich sind wir für die Intensivierung der Forschung und Entwicklung in diesen Bereichen.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen.
({7})
Ich danke den Sachverständigen, die weitgehend glänzende Arbeit geleistet haben. Es tut Ihnen weh, wenn Ihnen jemand die Wahrheit sagt. Wir regen an, die energiepolitische Debatte in der nächsten Legislaturperiode
fortzusetzen - unter der Voraussetzung, dass sie dann
nicht unter den Fundamentalisten stattfindet.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Monika Ganseforth für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kollegen und Kolleginnen! Das wird meine letzte Rede.
Ich möchte darin etwas zur Enquete-Kommission sagen.
Ich bin im Laufe meiner politischen Arbeit Mitglied mehrerer Enquete-Kommissionen gewesen. Dies war die dritte.
Alle Enquete-Kommissionen hatten zu wenig Zeit. Sie sind
immer zu spät eingesetzt worden und zum Schluss war es
zeitlich eng. Das war allen gemeinsam. Allen gemeinsam
war auch, dass zwischen Wissenschaftlern verschiedener
Schulen und Politikern ein fruchtbarer Dialog geführt worden ist. Insofern allerdings bildet die letzte Enquete-Kommission eine Ausnahme. Wenn es heißt, das hänge mit dem
Wahlkampf zusammen, muss ich sagen: Das kann nicht
sein; denn auch bei allen anderen Enquete-Kommissionen
fiel das Ende in die Wahlkampfphase, in der die Bereitschaft zum Kompromiss natürlich geringer war.
Gerade in der Energiepolitik wäre es ungeheuer wichtig gewesen, die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu
stellen. Dass wir uns über Atomenergie nicht einigen können, ist klar. Aber damit muss man nicht anfangen. Man
hätte versuchen müssen, die Gemeinsamkeiten auszuloten
und zusammenzuschreiben. Ich bin sicher: Gemeinsamkeiten hätte es gegeben. Das wäre bei einem so wichtigen
Thema wie der Energiepolitik auch der Mühe wert gewesen, nicht zuletzt um Investitionssicherheit zu schaffen.
({0})
Allerdings bedarf das eines Vorsitzes, der zusammenführt und nicht polarisiert, der moderiert und nicht trickst.
({1})
Ich möchte in dem Zusammenhang dem stellvertretenden
Vorsitzenden Hempelmann ausdrücklich Dank sagen, der
das so gemacht hat, wie man sich das wünscht.
({2})
Dem Vorsitzenden ist das - das kann man an vielen Beispielen deutlich machen - leider nicht gelungen. Man
kann es vor allem am Bericht sehen. Wir haben keinen gemeinsamen Bericht. Wir haben keinen Dialog mit den
Wissenschaftlern der anderen Seite führen können.
({3})
Wir haben einen Bericht der Koalition und ein Abschlusskapitel der anderen Seite, das wir erst vor zehn Tagen gesehen haben. Die Einlassungen zu unserer Zusammenfassung haben wir sogar erst am Dienstag gesehen.
({4})
Ich habe gestern eine Mail von einem unserer Wissenschaftler bekommen. Er hat Folgendes geschrieben:
... nach intensiver Lektüre der Sondervoten in der
Zusammenfassung des Enquete-Berichts drängt es
mich noch zu folgenden Anmerkungen:
... Verwundert bin ich über die vielfältigen Voten des
sonst so stillen Kollegen Schindler. Mir erscheint
dies fast wie ein geistiger Amoklauf, denn hier hat jemand zu einer Fülle von Aspekten Stellung genommen, von denen er nun nachweislich überhaupt
nichts versteht
({5})
({6}).
({7})
- Ich zitiere!
... Auch der sonst so moderate Kollege Hake zeigt
sich von einer anderen Seite: Eingriffsstaat, Kaschieren dirigistischer Eingriffe, der Euratom-Vertrag hat
sich außerordentlich bewährt und sollte auf keinen
Fall ({8}) aufgegeben werden etc. sind ein paar Stichworte, die ich so nicht erwartet hatte.
({9})
Sie haben sich auch nicht aus dem Dialog in der Enquete-Kommission ergeben.
({10})
- Genauso ist es.
Zum Schluss des Textes heißt es:
Insgesamt ist diese Sondervoten-Inflation jedoch
meines Erachtens ein geistiges Armutszeugnis der
schwarz-gelben Opposition und sollte von uns auch
als solches in der Öffentlichkeit herausgestellt werden.
({11})
Auch in den Reden, die eben gehalten wurden, haben
wir nicht gehört, was Sie konkret wollen. Sie sind in der
heutigen Debatte in Deckung gegangen, weil Sie nicht
möchten, dass die Konsequenzen Ihrer allgemeinen Vorstellungen zutage treten; stattdessen kritisieren Sie nur
unsere Politikvorschläge. Was Sie wollen, bleibt vage.
Ich sage Ihnen: Die Menschen haben es satt, Sie nur auf
der Seite der Miesmacher zu sehen und nur zu hören, was
Sie nicht wollen. Die Menschen wollen wissen, was sie
von Ihnen zu erwarten haben und was Sie konkret wollen.
({12})
Sie bezeichnen das Erneuerbare-Energien-Gesetz als
Subventionsgesetz, obwohl mit ihm keine Subventionen
verbunden sind, und lehnen es ab. Sie haben eben selbst auf
die Parallelen zum Stromeinspeisungsgesetz verwiesen.
({13})
Ich komme auf die Effizienz zu sprechen. Sie kritisieren,
dass wir die Effizienz erhöhen wollen. Außerdem kritisieren
Sie die Instrumente, mit denen wir das tun wollen, zum Beispiel mit Marktunterstützung, mit Informationskampagnen,
mit einem Energieeffizienzfonds. Sie lehnen das ab.
Was wollen Sie denn?
({14})
Sie lehnen die Stärkung kleiner Energieproduzenten und
Selbstversorger ab. Aber was wollen Sie?
({15})
Sie sind - das hat mich am meisten gewundert - gegen den
Export von Wind- und Photovoltaikanlagen in Entwicklungs- und Schwellenländer. Das steht auf Seite 84 des Berichts. Lesen Sie es nach! Was wollen Sie denn? Sie wollen - das haben wir hier gehört - von der Vorreiterrolle, die
Deutschland im Klimaschutz spielt, Abschied nehmen.
Es ist klar, was Sie wollen: Sie wollen den Markt auf
die Renaissance der Atomenergie vorbereiten.
({16})
Sie wollen, dass bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts
50 bis 100 neue Atomkraftwerke gebaut werden. Rund
10 Prozent dieser Atomkraftwerke sollen mit KraftWärme-Kopplung betrieben werden und die Hälfte soll
zur Erzeugung von Wasserstoff für die Brennstoffzelle
und für die Wasserstofftechnologie dienen. Wohin soll der
Atommüll? Nach Gorleben! Das steht zwar nicht im Bericht; aber Sie haben es an anderer Stelle gesagt. Herr Grill
weiß, wovon ich rede.
Schon aus wirtschaftlichen Gründen wird kein Atomkraftwerk mehr auf dem Markt bestehen können. Sie sagen das allerdings nicht direkt.
({17})
Stattdessen bedienen Sie sich eines Tricks; schließlich siedeln Sie angeblich die Wirtschaftlichkeit, also die ökonomische Effizienz, ganz oben an.
({18})
Sie behaupten, dass Sie die Markthemmnisse abbauen
und die externen Kosten integrieren wollen. Wenn das geschieht, dann wird es der Markt schon richten.
Doch was steht im Schlussbericht der Enquete-Kommission? „Zusätzliche Kosten internalisieren“ heißt nach
Ihren Berechnungen, dass die zusätzlichen Kosten für
Braunkohle 3,7 Cent pro Kilowattstunde, für Steinkohle
2,5 Cent pro Kilowattstunde und für Gas im Rahmen von
GuD 1,1 Cent pro Kilowattstunde betragen. Nach Ihren
Berechnungen ist die Atomenergie nach der Wasserkraft
am zweitgünstigsten, und zwar mit zusätzlichen Kosten
von nur 0,2 Cent pro Kilowattstunde. Wenn man diese
Kosten auf den Markt abwälzt, dann müssen bis zur Mitte
des nächsten Jahrhunderts 50 bis 100 Atomkraftwerke
gebaut werden und das soll dann Nachhaltigkeit sein.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?
Ja.
Bitte sehr.
Frau Kollegin, ist Ihnen bewusst, dass Sie eben die Zahlen der EU-Studie EXTERNe,
die wir in unseren Bericht übernommen haben, zitiert haben?
Ich habe ihn gelesen;
deswegen bin ich mir dessen bewusst.
({0})
Sie legen diese Zahlen Ihren Berechnungen zugrunde. Vor
dem Ergebnis dieser Berechnungen wollen Sie jetzt in
Deckung gehen. Man sieht es an allen Ecken und Enden.
({1})
Es ist ganz wichtig, dass vor der Wahl klar wird, wohin
die Reise geht. Mit Ihnen bekommen wir beides: die Risiken der Klimaänderung und die atomaren Risiken. Es
gibt nur eine Lösung für eine nachhaltige Energiepolitik,
die Ökonomie, Ökologie und Soziales zusammenbringt,
aber auch die von der Natur gesetzten Schranken beachtet, nämlich effiziente Nutzung von Energie, verstärkte
Nutzung erneuerbarer Energien und Energiesparen. Nur
so kann man dem Ziel der Nachhaltigkeit gerecht werden.
({2})
Rot-Grün hat sich auf den Weg dorthin aufgemacht. Es
lohnt sich für alle, den vorliegenden Bericht zu lesen. Es
sind viele hervorragende Vorschläge zum Beispiel zu Materialeffizienz, zu virtuellen Kraftwerken, zu neuen Kraftwerkstechnologien - von der Nutzung erneuerbarer Energien bis hin zum Umgang mit Atomkraftwerken -, zur
Deponierung von CO2 usw. darin enthalten. Blättern Sie
im Bericht, lesen Sie das! Ich hoffe, dass viele der Vorschläge, die auf Nachhaltigkeit abzielen, in der nächsten
Legislaturperiode umgesetzt werden bzw. schon auf den
Weg Gebrachtes weitergeführt wird.
Heute stimmen wir noch über zwei wichtige Anträge
ab, die ich doch noch erwähnen möchte:
Ein Antrag befasst sich mit der Stromkennzeichnung.
Es soll für den Verbraucher deutlich werden, woher sein
Strom kommt; er soll den Anteil von Atomenergie, erneuerbarer Energie, Kohle usw. ablesen können. Damit werden dem mündigen Verbraucher Entscheidungsmöglichkeiten an die Hand gegeben.
Außerdem stimmen wir über den Antrag zur europäischen Richtlinie zum Emissionshandel ab. Das ist ein flexibles Instrument des Kioto-Protokolls. Herr Paziorek hat
dazu heute reine Märchen erzählt.
({3})
Wir wollen diesen Handel, er darf aber der deutschen
Wirtschaft nicht schaden.
({4})
Wir wollen, dass die Vorleistungen - Grandfathering,
Early Actions - berücksichtigt werden. Wir wollen, dass
geprüft wird, wie das mit den bestehenden und bewährten
Instrumenten zusammengeht. Diesen Weg wollen wir gehen.
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Ja, Frau Präsidentin. Ich habe gesagt, dass dies meine letzte Rede im Bundestag ist. Ich möchte sie doch noch dazu nutzen, den Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich über viele Jahre mehr
oder weniger verträglich zusammengearbeitet habe,
manchmal auch gestritten habe - jedenfalls hat man voneinander gelernt -, zu danken. Ich habe sicher den einen
oder anderen geärgert, manchmal mit Absicht - das gestehe ich durchaus zu; es wäre falsch, wenn ich das leugnen würde.
({0})
Denen, die weitermachen, wünsche ich viel Erfolg bei
der Umsetzung einer nachhaltigen Energiepolitik. Denken Sie daran: Sie sind die Vertretung des Souveräns, des
Volkes, Sie haben eine große Verantwortung, vielleicht
eine größere als nach der Einschätzung des Ministerpräsidenten von Bayern. Ich denke, Sie wissen das. Sie sind
nicht nur den Verbänden und Lobbyisten gegenüber verantwortlich, sondern auch unseren Kindern und Kindeskindern bis zur siebten Generation.
({1})
Wir haben eine große Aufgabe vor uns. Wir haben den
Weg dahin eingeschlagen. Ich werde von außen beobachten und hoffe sehr, dass weiterhin das Ziel einer nachhaltigen Energieversorgung, wie es im dicken Schlussbericht
beschrieben steht, verfolgt wird und im Interesse des
Ganzen Erfolge verzeichnet werden.
Schönen Dank.
({2})
Frau Kollegin
Ganseforth, wir alle kennen Ihr Engagement und Ihre
nachhaltigen Bemühungen, manchmal im Streit, manchmal im Konsens. Das ganze Haus dankt Ihnen sehr herzlich für Ihr Engagement und wünscht Ihnen für die Zukunft alles Gute.
({0})
Nun sind wir auf die Ausführungen des Kollegen KurtDieter Grill, CDU/CSU-Fraktion, gespannt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal
als Vorsitzender dieser Enquete-Kommission sehr herzlich bei den Mitarbeitern des Sekretariats und den Sachverständigen und auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen bedanken.
({0})
Ich denke, dass wir uns auch deswegen beim Sekretariat
bedanken können, weil es die Spannungen, die wir im politischen Raum und unter den Sachverständigen hatten, in
einer nicht unerheblichen Weise aushalten musste.
Weil das eigentlich etwas Mitmenschliches ist, was mit
der Frage, ob man dieser oder jener Meinung ist, nichts zu
tun hat, bin ich mehr als enttäuscht, dass die Kollegin
Hustedt Herrn Rexrodt hier in dieser Art und Weise angegriffen hat. Wenn man selber parlamentarische Abende
mit Rechtsanwälten veranstaltet, Kollegin Hustedt, sollte
man mit solchen Vorwürfen vorsichtig sein.
({1})
- Die werden daran verdienen.
Das Zweite. Ich weise mit allem Nachdruck das
zurück, was Frau Ganseforth hier als anonymes Schreiben
eines wissenschaftlichen Sachverständigen der EnqueteKommission gegen einen Kollegen vorgetragen hat. Es ist
unerhört, dass hier im Zusammenhang mit sachlichen
Auseinandersetzungen Wörter wie Amoklauf benutzt
werden.
({2})
Ein Drittes. Von den Rednern insbesondere der Sozialdemokraten, aber auch der Grünen ist der Eindruck erweckt worden, das, was von der Mehrheit als Bericht der
Enquete-Kommission beschlossen wurde, sei die Politik
der nächsten Legislaturperioden. Der energiepolitische
Sprecher der SPD hat am Mittwochabend in einer nicht zu
überbietenden Klarheit gesagt, der Zeitraum von 50 Jahren interessiere ihn nicht, er könne so weit sowieso nicht
schauen, die Vergütung aus dem EEG sei zu hoch und
müsse gekürzt werden. Er hat deutlich gemacht, dass die
SPD diesen Bericht der Enquete-Kommission nicht zum
Maßstab ihrer Energiepolitik für die Zukunft machen
wird. Nur so viel zur Klarstellung durch den energiepolitischen Sprecher der SPD!
({3})
Wir kennen Ihr Verhalten in diesem Zusammenhang ja
langsam. Ich will Ihnen nur in Erinnerung rufen: Den Titel vom „Weltmeister in Sachen Windenergie“ haben Sie
von uns übernommen. Damit Sie das nicht vergessen: Das
war nicht Ihr Werk, sondern Sie haben auf unseren Leistungen in der Klimapolitik und bei den erneuerbaren
Energien aufbauen können.
({4})
Ein weiterer interessanter Punkt. Frau Hustedt hat vorhin hier gesagt, wir seien die Ursache dafür, dass man die
deutschen Interessen bei dem Thema Emissionshandel in
Brüssel nicht durchsetzen könne. Aber Sie verzichten
heute auf eine dezidierte Stellungnahme des Deutschen
Bundestages. Sie schimpfen über unseren Entschließungsantrag, aber Ihren haben wir nur im Ausschuss
gesehen, sodass der Deutsche Bundestag heute keine dezidierte Stellungnahme gegenüber Brüssel abgibt. Sparen
Sie sich die Vorwürfe an die Opposition; denn Sie nehmen
Positionen ein, die Sie in den Ausschüssen beschreiben,
bei denen Sie aber offensichtlich zu feige sind, sie hier im
Deutschen Bundestag zur Abstimmung zu stellen.
({5})
Dann haben Sie gesagt, was wir machen, sei alles
Wahlkampf.
({6})
Die Verleumdungskampagne - wir sind ja mittlerweile
schon bei 100 Kernkraftwerken -, die Sie inszenieren, ist
unglaublich.
({7})
Wenn Sie die Dinge so darstellen, dann sollten Sie auch
die Ursachen beschreiben, die dazu führen. Dann müssen
Sie auch sagen, dass das Wuppertal-Institut insbesondere
die Frage des Einsatzes von Wasserstoff als Treibstoff mit
einbezogen hat.
({8})
Ich sage für die deutsche Öffentlichkeit noch einmal ausdrücklich: Niemand in der CDU/CSU macht sich dieses
Referenzszenario zu Eigen.
({9})
Sie werden, wenn Sie das weiterhin draußen erzählen,
nichts anderes als die Unwahrheit verbreiten.
({10})
In diesen Katalog gehört genauso die Behauptung, wir
wollten das EEG abschaffen. Wir wollen es in Richtung
ökonomische Effizienz umbauen. Wir reden hier nicht
über Staatsgeld, sondern über das Geld von Bürgerinnen
und Bürgern dieses Landes, die mit ihrer Stromrechnung
die Windenergie und die Solarenergie bezahlen. Deshalb
haben sie einen Anspruch darauf, dass das Geld sinnvoll
ausgegeben wird. Es darf nicht jedem, der irgendetwas
machen will, in die Hand gegeben werden.
({11})
Es gibt Wissenschaftler - ich habe Ihnen das schon vorgetragen -, die sagen, mit dem gleichen Geld könne man
das Fünffache schaffen.
({12})
Wenn glaubwürdige Wissenschaftler so etwas sagen,
dann muss ich dem nachgehen.
({13})
Ich habe den Kronzeugen, den Sie gegen Frau Merkel
aufgerufen haben, den Präsidenten des Umweltbundesamtes, gefragt und er hat gesagt, er habe mit der „Berliner
Zeitung“ nie darüber gesprochen. Also können Sie ihn
auch nicht gegen uns in Stellung bringen.
({14})
Ich will noch einmal deutlich machen, warum wir in
der Frage der Nachhaltigkeit bei den zentralen Elementen
nicht zusammenkommen:
Erstens. Wir hatten in der letzten Legislaturperiode einen Konsens über die Definition und die Operationalisierung von Nachhaltigkeit. Den haben Sie aufgegeben,
nicht wir. Wir haben an den Konsens der letzten Legislaturperiode angeknüpft.
Zweitens. Mit einer bestimmten Argumentation aus der
Klimapolitik, mit Naturschranken, rechtfertigen Sie eine
staatsmonopolistische Wirtschaft, die im krassen Gegensatz zu dem steht, was die Bundesregierung zu Wettbewerb, Markt und Subventionsfreiheit im Energiebereich
dargestellt hat.
({15})
Das Denkverbot bezieht sich nicht nur auf die Kernenergie. Wie mühsam haben wir Ihnen Positionierungen
für die Kohle abringen müssen! Sie haben den Vertreter
der IG BCE mit einem klaren Nein abgebürstet, was die
Kohlepolitik angeht.
({16})
Bevor Sie anderen die Schuld zuweisen, sollten Sie sich
einmal überlegen, ob die Ursache für die Tatsache, dass
wir keinen Konsens gefunden haben, nicht darin liegt,
dass Sie erhebliche Mühe hatten, sich zwischen Rot und
Grün zu verständigen.
({17})
- Wie oft haben wir auf Vorlagen gewartet! Wie oft sind
sie geändert worden, weil Sie unter sich keinen Konsens
gefunden haben!
({18})
Lieber Herr Kasparick, es gibt überhaupt keinen Zweifel: Die Zukunft der Energieversorgung wird dezentraler
werden.
({19})
Darüber und auch über manches, was Sie hier zur Forschung gesagt haben, können wir uns verständigen. Ich
frage nur: Warum haben Sie in den letzten vier Jahren
nicht das gemacht, was Sie hier zur Energieforschung
vorgetragen haben?
Auch in Ihrem Haushalt für 2003 steht nach wie vor die
Milliarde für die Kernfusionsforschung. Sie müssen endlich einmal aufhören, in der Öffentlichkeit den Eindruck
zu erwecken, Sie wären an der Kernfusion und an der
Kernenergie nicht mehr dran. Sie forschen weiter. Es war
interessant, dass Herr Catenhusen beim Vortrag in der Enquete-Kommission alles zur Energieforschung vorgetragen hat, aber die Milliarde für die Kernfusion nicht erwähnt hat.
Das ist genauso schön wie die Tatsache, dass Sie zwar
stets die gewaltigen Weltmärkte für Solar-, Wind- und
ähnliche Energien betonen, Ihren Entwicklungshaushalt
2003 dann aber um 80 Millionen Euro kürzen. Das ist die
Wahrheit. Fangen Sie doch einmal an, das Human Capital
und das Geld zur Verfügung zu stellen, damit diejenigen,
die unsere Hightechprodukte kaufen sollen, sie überhaupt
bezahlen und betreiben können! Sie sind in dieser Politik
doch unglaubwürdig.
({20})
Wir haben oft genug erlebt, dass Sie sich darüber beschweren, dass die Energieversorger die Strompreise erhöhen. Was für einen Job machen Sie? Sie erwecken den
Eindruck, es sei schlimm, wenn Eon, RWE oder wer auch
immer die Strompreise um 10 Prozent erhöht, und feiern
sich selbst für weitere Erhöhungen der Ökosteuer. Erklären Sie mir einmal den Unterschied zwischen 5 Cent Erhöhung durch die Ökosteuer und 5 Cent Erhöhung durch
RWE! Das kriegen Sie nicht hin. Am Schluss muss man
immer 5 Cent mehr bezahlen. Deswegen sollten Sie diese
Diffamierungskampagne einstellen.
({21})
Ich komme zum Abschluss. Die Schlussbemerkung
von Frau Hustedt hat mich eigentlich gar nicht überrascht.
Sie hat gesagt: Nur unser Pfad ist zukunftsfähig.
({22})
- Es ist ja schön, dass Sie das glauben. Aber darin liegt die
Arroganz, im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein, die Sie
im Grunde genommen nur in die Irre führen kann.
({23})
Die Wahrheit ist keine Frage der Mehrheit. Der Eindruck,
den Sie draußen erwecken wollen - nur Sie seien zukunftsfähig -, hält einer Prüfung nicht stand. Denn in
Wahrheit wollen Sie einen Staat, der alles reguliert.
({24})
Sie haben die Monopole kritisiert. Jetzt kritisieren Sie die
Liberalisierung und wollen zurück zur Staatsintervention.
Einen solchen Staat können Sie mit uns nicht machen.
Ich wünsche meinem Freund Walter Hirche viel Spaß
nicht nur am 22. September, sondern auch am 2. Februar,
damit wir dann wieder gemeinsam in der Regierung arbeiten können.
({25})
Es gibt Wünsche nach
Kurzinterventionen von den Kollegen Reinhard Loske
und Hermann Scheer. Darauf antwortet dann Herr Grill,
wenn er mag. Das ist es aber dann auch, weil wir weitermachen wollen.
Kollege Loske, bitte.
Schönen Dank, Frau Präsidentin.
Herr Grill, Sie haben gerade darüber geklagt, dass in
der Kommission kein Konsens zustande gekommen ist.
Aber die Art und Weise, in der Sie hier vorgetragen haben,
macht, glaube ich, jedem klar, warum das so ist. Das war
selbstredend.
({0})
Ich möchte einige Punkte herausgreifen, erstens den
Emissionshandel. Herr Kollege Grill, wie war denn das
Verfahren? Die Kommission hat einen Vorschlag gemacht. An diesem Vorschlag gibt es von deutscher Seite
aus Kritik. Diese Kritik ist in Brüssel vorgetragen worden
und die Koalitionsfraktionen haben dazu einen Beschluss
gefasst. Der gewaltige Unterschied zwischen Ihnen und
uns besteht darin, dass wir im Verfahren auf die Ausgestaltung des Emissionshandels Einfluss nehmen wollen
und auf Kooperation statt auf Obstruktion setzen. Ihre Linie wäre ein deutscher Sonderweg in Europa, den wir
nicht wollen. Wir wollen die Vorlage so verändern, dass
sie zielführend ist; das ist der Unterschied.
({1})
Zweiter Punkt. Herr Kollege Obermeier, für Sie sind
die Kraft-Wärme-Kopplung und die erneuerbaren Energien lediglich schreckliche Subventionstatbestände. Wir
alle wissen: Diese Instrumente werden im Umlageverfahren finanziert; es sind keine Subventionstatbestände.
({2})
Abgesehen davon hieß es, diese Dinge könnten wir uns zurzeit nicht leisten. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen:
Tatsache ist, dass durch das KWK-Gesetz und durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz die Strompreise in Deutschland
um 0,24 Pfennig pro Kilowattstunde gestiegen sind. Das ist
die Auskunft des Verbandes der Industriellen Energie- und
Kraftwirtschaft. Bei einem durchschnittlichen Strompreis
von 25 Pfennig ist das weniger als 1 Prozent. Das heißt, der
Union ist Klimaschutz weniger als 1 Prozent der Energiepreise wert. Das ist skandalös.
({3})
Zur Ökosteuer wurde auch schon mehrfach etwas gesagt. Ich möchte gar nicht weiter darüber sprechen, dass
in den 90er-Jahren die andere Seite des Hauses die Mineralölsteuer insgesamt um fast 50 Pfennig erhöht hat und
das in den schwarzen Löchern von Theo Waigel hat untergehen lassen. Auch heute wurde mehrmals moniert,
dass die Ökosteuer ein riesiges Problem darstelle. Wenn
Sie, meine Damen und Herren von der Union, sagen, die
Ökosteuer sei so problematisch, warum schaffen Sie sie
dann nicht ab? Offenbar hat auch Stoiber mittlerweile
eingesehen, dass sie bleiben muss.
({4})
Sie wissen nämlich genau, dass die Rentenversicherungsbeiträge ansonsten von heute 19,1 Prozent auf 21 Prozent
ansteigen würden. Sagen Sie das bitte den Menschen, die
uns hier zuhören: Sie wollen höhere Rentenversicherungsbeiträge oder Sie wollen die Rente kürzen. Das ist
die Wahrheit.
({5})
Ein letzter Punkt, zum Kollegen Hirche. Sie haben einen künstlichen Widerspruch zwischen Zielorientierung
und Technologieorientierung aufgebaut und gesagt: Wir
wollen nur die Ziele festlegen und keine Technologien
fördern. Abgesehen davon, dass das natürlich Quatsch ist
- man braucht beides; in der Vergangenheit sind immer
auch Technologien gefördert worden, das ist gar keine
Frage -, ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns, dass
wir dem Fortschritt eine Richtung geben wollen. Wir wollen in das solare Zeitalter vorstoßen. Das passiert nicht
von selbst, sondern durch politische Rahmensetzungen.
Diese wollen wir. Das ist der Unterschied, den wir im
Wahlkampf klar machen werden.
Danke schön.
({6})
Nun hat zu einer
Kurzintervention das Wort der Kollege Hermann Scheer.
Ich möchte nicht zum
Bericht der Enquete-Kommission Stellung nehmen, weil
ich dort nicht selbst mitgearbeitet habe. Aber ich möchte
einiges zur Debatte sagen. Es ist gespenstisch und provinziell, wenn der Hintergrund dieser Debatte, der die Arbeit der Enquete-Kommission überhaupt erst ausgelöst
hat - ein existenzielles Weltenergieproblem, das aus
Gründen der ökologischen Begrenzung des herkömmlichen Energieverbrauchs und aus Gründen der begrenzten
Verfügbarkeit von fossilen Ressourcen entstanden ist -,
auf eine reine Preiskategorie verengt wird. Damit werden
wir weder der globalen noch der nationalen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Herausforderung auch
nur annähernd gerecht.
({0})
Bestimmte Debattenbeiträge zeigen auch: Der Versuch, eine objektive Wahrheit zu finden - das war gewissermaßen die Idee der Enquete-Kommission -, ist offensichtlich dann zum Scheitern verurteilt, wenn die
Prämissen, die die Beteiligten haben, nicht klar auf dem
Tisch liegen. Es gibt nämlich keine objektive Wahrheit. Es
gibt Prämissen, welche die einen für gegeben ansehen und
die anderen nicht. Es ist wichtig, diese Prämissen auf den
Tisch zu legen.
Die Prämisse, die Herr Hirche offenkundig zugrunde
legt, ist: Markt geht vor Umwelt. Zu Ende gedacht, bedeutet dies im Kern: Wir hätten vielleicht irgendwann die
globale Umwelt retten oder das Energieproblem überwinden können, aber weil das mit den Marktinstrumenten, so
wie man sie sich vorstellt, nicht vereinbar war, war es uns
dann schade um die Welt. - Das wäre die konsequente
Durchsetzung des Marktprinzips in der Energieversorgung. Damit kommen Sie keinen Schritt weiter, vor allem
nicht auf Alternativen bezogen.
({1})
Ich komme nun zu einer zweiten Kontroverse. Niemand kann die Augen davor verschließen, dass sich die
fossilen wie auch die atomaren Energievorräte dem Ende
zuneigen. Es gibt aber eine unerschöpfliche Energiequelle, nämlich die erneuerbaren Energien, wenn man
einmal von der Schimäre der Fusionsenergie absieht. Die
Zukunftsfrage ist also: Solar- oder Atomenergie? Zu denken, dass Euratom oder die Fusionsforschung nicht mit
einer Staatsintervention einhergingen, ist falsch. Das ist
ebenfalls Staatsintervention.
({2})
Das heißt, in Wahrheit wird das Marktprinzip gar nicht
durchgehalten. Es wird aufgegeben, wenn die Prämisse
der Fortsetzung der atomaren Energieversorgung ins Feld
geführt wird. Das ist die eigentliche Kontroverse in der
energiepolitischen Debatte, die die Enquete-Kommission
ganz offensichtlich gelähmt hat.
({3})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Grill, dann dem Kollegen Hirche. Sie
sind sicher einverstanden, wenn wir danach mit dem Redebeitrag des Kollegen Hempelmann fortfahren.
Zunächst Herr Grill. Bitte sehr.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Loske, was Sie
über den Konsens gesagt haben, hake ich ab; denn das
können Sie gar nicht beurteilen.
({0})
- Sie schon gar nicht, Herr Berg. Ich darf Sie daran erinnern, dass niemand von Ihnen an der Klausurtagung teilgenommen hat, kein einziger von zwölf SPD-Abgeordneten. Ich will mich damit aber gar nicht aufhalten; denn
das, was Sie hier tun, ist lächerlich.
Sie haben den Emissionshandel angesprochen. Da
muss ich Sie aber schon fragen: Warum liegt Ihr Antrag
aus dem Ausschuss hier nicht vor? Ich lasse mir doch
nicht von Frau Hustedt vorwerfen, wir würden Sie hindern, in Brüssel etwas Vernünftiges zu tun, wenn wir anschließend feststellen müssen, dass sich das deutsche Parlament in Sachen Zertifikatehandel gar nicht positioniert,
weil Sie Ihren Antrag nicht vorlegen.
({1})
- Der Antrag aus dem Ausschuss liegt hier nicht vor.
({2})
- Nein.
({3})
Ich möchte noch einige Bemerkungen zur Ökosteuer
machen. Ihr Bundeskanzler wird in der Zeitschrift des
ADAC mit einer Aussage abgedruckt so nach dem Motto,
mit dem Quatsch Ökosteuer sei ab 2003 Schluss. Sie aber
vertreten die Position, dass die Ökosteuer kontinuierlich
erhöht werden muss. Als Opposition werden Sie uns deshalb schon die Frage erlauben müssen, was denn nun gilt:
Gilt Gerhard Schröders Aussage in dieser Zeitschrift gegenüber 2 Millionen Mitgliedern des ADAC, die alle Auto
fahren und genau wissen, worum es geht? Oder gilt das,
was Sie heute verkünden, nämlich die ständige Erhöhung
der Ökosteuer?
({4})
Diese Frage müssen Sie sich schon gefallen lassen.
Nun zu dem, was der Kollege Scheer gerade gesagt hat.
Herr Kollege Scheer, die Position „Markt vor Umwelt“
vertritt hier niemand. Es war immer die Politik der Union,
den Markt für die Umwelt zu mobilisieren.
({5})
Wir können die Marktwirtschaft im Bereich der Ökologie
einsetzen.
Sie müssen sich nur einmal die Situation aller Staatswirtschaften und Marktwirtschaften vor Augen führen, als
1990 die Mauer gefallen ist. Dann haben Sie überhaupt
keine Veranlassung zu behaupten, dass der Markt keine
ökologische Wirkung habe. Auch in dieser Hinsicht ist die
Marktwirtschaft besser als alle Planwirtschaften, die wir
auf dieser Welt erlebt haben.
({6})
Ich bitte Sie herzlich,
jetzt zum Schluss zu kommen, Herr Kollege. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich möchte nur noch
einen Satz sagen, Frau Präsidentin. - Herr Scheer, die Alternative ist nicht: Solar oder Atom. Ich kann die beiden
Sachen - das unterscheidet uns - durchaus miteinander
verbinden. Viele Probleme entstehen nur deshalb, weil Sie
immer glauben, Sie müssten uns auf die Kernenergie festnageln.
({0})
Herr Hirche, bitte.
Frau Präsidentin! Da ich den
Kollegen Hermann Scheer schon aus meiner Heidelberger
Studentenzeit kenne, weiß ich, dass er wortgewaltig ist
und manchmal auch einen Popanz aufbaut, indem er sich
Sachverhalte so zurecht legt, dass man nachher umso besser draufschlagen kann.
Wenn du meine Rede wirklich verfolgt hättest, hättest
du gehört, dass ich dafür plädiere, die Marktinstrumente
für die Umwelt einzusetzen. Nicht Markt vor Umwelt,
sondern Markt für Umwelt.
({0})
Das ist ein gewisser Unterschied, auch wenn sich das entscheidende Wort nur durch zwei Buchstaben unterscheidet.
Ich bleibe auch angesichts dieser Kontroverse dabei,
dass wir in Deutschland mit Marktinstrumenten am
erfolgreichsten waren. Das bestreiten weder der Wirtschaftsminister noch, wenn ich es richtig sehe, der Kollege Michael Müller. Deshalb sollten wir die Marktinstrumente auch in Zukunft einsetzen - auch wenn die Ziele
möglicherweise unterschiedlich definiert werden.
({1})
Zumindest aber sollten wir nicht, wie das Hermann
Scheer eben getan hat
({2})
- Sie sind doch gar nicht angesprochen -, künstlich polarisieren, um anschließend polemisieren zu können. Lieber
Hermann Scheer, ich kenne dich gut genug, um zu wissen:
Das ist nicht etwa Selbsttäuschung, sondern der Versuch
- das finde ich schade -, eine andere Position polemisch
zu diffamieren.
Ich würde es begrüßen, wenn wir trotz gegensätzlicher
Positionen, zum Beispiel beim Thema Kernenergie, vernünftig miteinander reden könnten. Das gilt - weil ich neben dir gerade den Kollegen Werner Labsch sitzen sehe auch für das Thema Kohle: neue Kohletechnologien als
Alternative zu erneuerbaren Energien.
({3})
Ich bleibe dabei: Es ist nicht entscheidend, welche
Techniken dazu führen, dass wir die Treibhausgase senken. Wenn wir uns in dem Ziel einig sind, dass wir die Klimaschädlichkeit des heutigen Energiesystems verringern
wollen, dann können wir doch über den Prozess reden.
Der Unterschied zwischen uns ist - das sage ich jetzt sehr
dezidiert -, dass du als Interessenvertreter einer Branche
natürlich deine Interessen einbringst, während ich
möchte, dass wir hier offen miteinander diskutieren, und
zwar marktoffen und technikoffen, damit wir die Ziele,
die wir gemeinsam vor uns haben, realisieren können.
({4})
Herr Kollege Scheer,
ich habe vorhin gesagt, dass wir keine weiteren Wortmeldungen zulassen.
({0})
- Es ist richtig, es ist der Vorwurf der Interessenvertretung
erhoben worden. Insofern sollte der Kollege Scheer dazu
das Wort bekommen und sollte Herr Hirche darauf auch
noch einmal antworten dürfen.
({1})
Das ist richtig: Solche Vorwürfe sollten wir nicht stehen
lassen. Deswegen bitte ich um Verständnis, wenn ich eine
weitere Intervention des Kollegen Scheer zulasse, auf die
der Kollege Hirche dann kurz antworten darf.
Schönen Dank, Frau
Präsidentin. - Ich bin an der Stelle sehr akkurat, weil ich
einen solchen Vorwurf prinzipiell nicht auf mir sitzen lassen will, egal woher er kommt. Er ist auch schon aus der
eigenen Partei gekommen.
Ich bin ehrenamtlicher Präsident einer gemeinnützigen
Vereinigung für erneuerbare Energien und nicht Präsident
eines Interessenverbandes. Ich habe jede Verbindung zu
einem wirtschaftlichen Interesse bisher strikt abgelehnt.
Ich nehme Aufsichtsratsmandate und dergleichen nicht
an. Ich lege höchsten Wert darauf, dieses festzustellen,
weil ich es für eine ungute Erscheinung halte, wenn Abgeordnete zum Beispiel in Aufsichtsräten sitzen.
({0})
Das ist für mich ein prinzipieller Standpunkt, der etwas
mit meiner parlamentarisch-politischen Ethik zu tun hat.
Deswegen bitte ich Walter Hirche, seinen Vorwurf
zurückzunehmen.
({1})
Jetzt hat der Kollege
Hirche das Wort.
Frau Präsidentin, ich möchte
mich dafür bedanken, dass Sie dem Kollegen Hermann
Scheer die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben.
Ich sage ausdrücklich - bitte nehmen Sie mir das ab -: Ich
habe das Wort „Interessenvertreter“ nicht im Sinne wirtschaftlicher Interessenvertretung gemeint. Wenn du das so
verstanden hast, Hermann, nehme ich das zurück.
Ich bleibe dabei - das ist auch nicht ehrenrührig -, dass
du ein Interessenvertreter bist und bleibst; denn du vertrittst die Idee, die Solarenergie zur wichtigsten Energiequelle zu machen. Dafür bist du angetreten. Das werde ich
doch wohl öffentlich feststellen können.
({0})
Ich möchte, dass wir in Deutschland eine Diskussion
über solche Differenzierungen führen. Es wäre vielleicht
für alle hilfreich, wenn das Wort „Interessenvertreter“
nicht mehr automatisch von vielen - deswegen nehme ich
das Wort auch zurück - mit wirtschaftlichen Interessen
verknüpft würde.
Ich bleibe dabei: Du nimmst mit aller Rigorosität die
Interessen eines Sektors der Energiewirtschaft wahr. Das
ist nichts Ehrenrühriges, sondern das ist offen. Wenn darin
jemand eine Unterstellung sieht, dann möchte ich sie zurückweisen. Ich möchte ausdrücklich sagen: Ich schätze
die Trennung, die Hermann Scheer im Unterschied zu
manch anderem macht, sehr.
({1})
Das Wort hat nun der
Kollege Rolf Hempelmann für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Zweieinhalb Jahre hat die EnqueteKommission Energieversorgung getagt. Es war nicht immer einfach, es war auch in der Rolle des stellvertretenden
Vorsitzenden nicht immer einfach. Ich will dennoch den
Versuch machen, heute zum Abschluss dieser Debatte vor
dem Hohen Hause, das vielleicht nicht alle so wertschätzen, wie wir das tun, zur Versachlichung der Debatte beizutragen, weil ich aus meiner Rolle auch nicht raus kann.
({0})
Einige Behauptungen sind hier aufgestellt worden, beispielsweise die, unser Antrag zum Emissionshandel liege
nicht vor. Er liegt vor und ist Teil der Berichterstattung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wenn man sich diese Unterlage vornimmt, weiß
man, was in unserem Antrag steht. Man weiß auch, dass
hier ein Popanz aufgebaut worden ist; denn unser Antrag
unterscheidet sich in den wesentlichen Punkten nicht von
dem, was hier der Kollege Paziorek gefordert hat. Ich
bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.
({1})
Polarisierungen haben in der Politik gelegentlich einen
Sinn, aber sie müssen in der Tat sachliche Unterschiede
betreffen. Dass diese hier nicht vorhanden sind, sollten
wir festhalten.
({2})
Mein zweiter Punkt bezieht sich auf die Fusionsforschung. Wir, insbesondere unser Fachpolitiker in diesem
Bereich, Ulrich Kasparick, haben - ich denke, zu Recht deutlich gemacht, dass wir der Auffassung sind, dass die
Gelder, die in diesen Bereich fließen, fehlalloziert sind
und wir in Zukunft umdenken müssen. Es wird uns zum
Vorwurf gemacht, dass im nächsten Haushalt für diesen
Bereich Mittel eingesetzt sind. Es bleibt festzuhalten, dass
wir Verträge erfüllen, Verträge, die zu Ihrer Regierungszeit abgeschlossen worden sind. Ich denke, das Einhalten
von Verträgen ist eine gute Tugend, nicht nur in diesem
Bereich, sondern auch in anderen.
({3})
Wir haben anderthalb Jahre für einen ersten Bericht gebraucht. Dabei haben wir uns sehr viel Mühe gegeben, einen Konsens zu erzielen. Natürlich haben wir ihn nicht in
allen Punkten erreicht, aber wir haben einen gemeinsamen
Bericht abgegeben, in dem gezielt in einzelnen Punkten
auf unterschiedliche Auffassungen hingewiesen wurde.
Das war der Abschluss eines Dialogs. Dieser Dialog ist leider zum Ende der Kommissionsarbeit auf der Strecke geblieben und wir haben keinen gemeinsamen Bericht zustande gebracht.
Ich sage ausdrücklich, dass ich mir für die nächste Legislaturperiode wünsche, dass wir, wenn auch nicht in einer
Enquete-Kommission, sondern hier im Deutschen Bundestag und in den Ausschüssen, diesen Dialog fortsetzen und
beharrlich an dem Ziel, einen breiten Konsens in Sachen
Energiepolitik zu erreichen, festhalten. Wir brauchen ihn
zur Planungssicherheit für die Energiewirtschaft, aber auch
für sichere Perspektiven unserer gesamten Gesellschaft.
({4})
Im Vergleich von Votum und Minderheitsvotum dieses
Berichts wird fundamental deutlich, wo - jedenfalls bisher - die Unterschiede liegen. Union und FDP können
sich nicht herausreden: Sie bevorzugen ein Szenario, in
dem die Kernkraft eine zentrale Bedeutung hat und nach
dem ein umfangreicher Zubau von Atomkraftwerken erfolgen soll. In den einzelnen Minderheitsvoten in der Zusammenfassung wird deutlich, was abgelehnt wird; in ihnen wird aber wenig klar, was von Ihnen als Alternative
vorgeschlagen wird.
({5})
- Ich gehöre zu denen, die alles gelesen haben.
Rot-Grün bevorzugt dagegen ein Szenario, das auf die
Steigerung von Energieeffizienz und auf den Ausbau erneuerbarer Energien setzt. Unter Berücksichtigung aller
Kosten, auch der vermiedenen Kosten, ist dies das billigste aller Szenarien. Es berücksichtigt also, Walter Hirche,
die volkswirtschaftlichen Kosten; auch hier wird ein Popanz aufgebaut. Dieses Szenario, das auf Effizienz und
auf erneuerbare Energien setzt, ist auf Dauer - wir hatten
einen sehr langen Zeitraum zu betrachten - das kostengünstigste.
({6})
Ich sage auch etwas zur Kohle; dieses Stichwort hat
Walter Hirche eben genannt. Wir halten hier eine ganz
klare Linie ein. Bei uns gibt es keinen Wechselkurs zwischen den Spitzenkandidaten Stoiber und Westerwelle,
die fordern, aus den Subventionen vollständig herauszugehen, und den Fraktionen von CDU/CSU und FDP, die
zum Beispiel fordern, die Förderung der Kohletechnologien ins Visier zu nehmen.
Wir haben in unserem Bericht deutlich gemacht, dass
die Kohle auch in einem Szenario, das auf die Senkung
von Treibhausgasen und CO2 setzt, eine Rolle spielen
kann, allerdings nur dann, wenn sichergestellt wird, dass
die Kohlekraftwerkstechnologie noch effizienter wird.
Hier hat es zwar Fortschritte gegeben, hier muss es aber
in den nächsten Jahren noch weitere Fortschritte geben.
Insbesondere muss eine entsprechende Forschung und
Entwicklung stattfinden, um zu CO2-freien Kraftwerken
zu kommen. In diesem Zusammenhang gibt es noch eine
Menge Unsicherheiten: beispielsweise über die Kosten
der CO2-Abtrennung und die Einlagerungspotenziale.
Wenn diese Fragen beantwortet sein werden, wird die
Kohle - auch die heimische Kohle - für die Zukunft
durchaus eine Chance haben. Das ist auch richtig so, weil
wir selbstverständlich wissen, dass der Einsatz von Kohle
insbesondere in der Verstromung weltweit zunimmt.
({7})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, was wir in
der nächsten Legislaturperiode nicht tun sollten, ist, unterschiedliche Schwerpunktsetzungen der Bundesregierung und einer Enquete-Kommission gegeneinander auszuspielen. Wir haben grundsätzlich unterschiedliche
Aufträge.
({8})
Wir hatten einen sehr langen Zeitraum von 50 Jahren zu
betrachten. So wie Sie hier Volker Jung zitiert haben, mit
dem Sie am Mittwochabend zusammen waren - er hat mir
am nächsten Tag davon erzählt -, haben Sie ihn schlicht
verzerrt zitiert.
({9})
Er hatte sich mit Tagespolitik auseinander zu setzen,
während unser Betrachtungszeitraum 50 Jahre betrug.
Im Hinblick auf diesen langen Betrachtungszeitraum
haben wir zum Ausdruck gebracht, dass es zwar eine theoretische Gleichrangigkeit der drei Dimensionen Soziales,
Ökonomie und Ökologie gibt, dass wir aber darauf achten müssen - hier ist es mir egal, ob wir von Naturschranken oder Leitplanken sprechen -, dass unsere Umwelt
keine irreparablen Schäden nimmt. Dieser Leitgedanke
sorgt in der langfristigen Betrachtung gelegentlich auch
einmal für ein Primat der Ökologie.
({10})
In der kurzfristigen Betrachtung haben wir gezeigt,
dass wir durchaus in der Lage sind, Prioritäten anders
zu setzen und die Gleichrangigkeit aufzugeben. Wenn
wir beispielsweise bei der KWK energieintensive Branchen von Belastungen ausnehmen, geben wir der Wettbewerbssicherheit der Betriebe und damit der Ökonomie und zugleich der sozialen Komponente den
Vorrang, weil wir hiermit auch Arbeitsplätze sichern
wollen.
Walter Hirche, herzlichen Dank für die Vorlage in Sachen Aluminium Essen. Es ist bekannt - ich habe dies
heute auch farblich dokumentiert -, dass Essen meine
Heimatstadt ist. Mir ist das genannte Problem natürlich
bekannt.
({11})
Auch ich habe Bemühungen und Anstrengungen unternommen, um hier hilfreich zu sein.
({12})
Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass das
Bundeswirtschaftsministerium einen Bericht zur Überprüfung der Wirksamkeit des EEG, das wir vor anderthalb
Jahren implementiert haben, in Auftrag gegeben hat, der
gerade vorgelegt worden ist. Es ist gute Sitte, einen solchen Bericht abzuwarten, bevor man Schlüsse zieht und
handelt. Ich bin ganz zuversichtlich - und die Signale aus
dem Bundeswirtschaftsministerium sind entsprechend -,
dass wir hier zügig zu einer vernünftigen Lösung kommen,
Herr Kollege, Sie
müssen jetzt zügig zum Schluss kommen, weil Sie Ihre
Redezeit überschritten haben.
- die einen Ausgleich zwischen den ökologischen Interessen einerseits und den
ökonomischen Interessen andererseits schafft.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich am
Schluss ganz herzlich bei Ihnen allen, bei den Kolleginnen und Kollegen der Enquete-Kommission, bei den Wissenschaftlern und natürlich auch beim Sekretariat bedanken. Es war eine nicht immer einfache Arbeit, aber viele
von uns haben in dieser Zeit manches gelernt.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Ich gehe davon aus, dass Sie den Schlussbericht der
Enquete-Kommission auf Drucksache 14/9400 mit dem
Titel „Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedin-
gungen der Globalisierung und der Liberalisierung“ zur
Kenntnis genommen haben.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5554 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe keinen Wi-
derspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/9658. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung,
in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung
über einen Richtlinienvorschlag über ein System für den
Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen und zur
Änderung einer EG-Richtlinie eine Entschließung anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU-, FDP- und
PDS-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/8852 mit dem Titel „Kein
Emissionszertifikatehandel zum Nachteil des Wirt-
schaftsstandortes Deutschland“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/7073 mit dem Titel „Kiotome-
chanismen für die internationale Klimapolitik Deutsch-
lands nutzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch diese
Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der FDP auf
Drucksache 14/7156 mit dem Titel „Kiotomechanismen für
die nationale Klimapolitik Deutschlands nutzen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! -
Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit unter Nr. 5 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/9658 die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/8495
mit dem Titel „Vereinbarkeit der Selbstverpflichtung der
deutschen Wirtschaft zur Klimavorsorge mit den flexiblen
Instrumenten des Kioto-Protokolls sicherstellen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! -
Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit
den Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7082 an die in der Tagesordnung aufgeführ-
ten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch hier sehe ich keinen
Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen mit dem Titel „Strom kennzeichnen - Umwelt- und
Verbraucherschutz im Strommarkt stärken“. Wer stimmt
für den Antrag auf Drucksache 14/9670? - Gegenprobe -
Enthaltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Schließlich kommen wir zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 14/9368 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit
dem Titel „Marktwirtschaftliche Orientierung statt staat-
licher Preislenkung im Stromsektor“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8279 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen
und der PDS gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und
bei einigen Gegenstimmen sowie Enthaltungen aus der
CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Als Letztes rufe ich jetzt die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 14/9724 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit
dem Titel „Stromrechnungen transparent gestalten“ auf.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/5465 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU,
der FDP und der PDS angenommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 d auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Jürgen Koppelin, Ina Albowitz, Rainer Brüderle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
„Wir sind bereit“: Versprechen der Bundesre-
gierung - Anspruch und Wirklichkeit
- Drucksachen 14/7435, 14/9186 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Paul K. Friedhoff, Dirk Niebel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verantwortung für Wirtschaftspoltik beim Bundesministerium für Wirtschaft konzentrieren
- Drucksachen 14/8142 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Rauen, Matthias Wissmann, Wolfgang Börnsen
({1}), weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Versprechungen der Bundesregierung einlösen -
Deutschland wieder nach vorne bringen
- Drucksache 14/9103 -
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({2}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Christel
Humme, Hildegard Wester, Ingrid Arndt-Brauer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Imingard ScheweGerigk, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
zu der Abgabe einer Regierungserklärung
durch den Bundeskanzler
Familie ist, wo Kinder sind - Politik für ein familien- und kinderfreundliches Deutschland
-Drucksachen 14/8790 Berichterstattung:
Abgeordnete Christel Humme
Maria Eichhorn
Ina Lenke
Monika Balt
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP
zu ihrer Großen Anfrage vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Grün-Rot hatte ein zentrales Wahlversprechen. An einer einzigen Zahl wollte sich der Kanzler
messen lassen, und zwar jederzeit und nicht erst am Wahltag - ich zitiere -: Wenn wir die Arbeitslosigkeit nicht signifikant senken, haben wir es nicht verdient, wiedergewählt zu werden. Wir werden auch nicht wiedergewählt.
({0})
Die Messlatte lag erst bei 3 Millionen und dann bei
3,5 Millionen Menschen ohne Arbeit. Selbst das wenig
mutige Minimalziel wurde nicht erreicht. Grün-Rot hat
versagt, weil die Richtung nicht stimmt.
({1})
Zwei Jahre hintereinander gab es quasi ein Nullwachstum, es gibt über 4 Millionen Arbeitslose, einen Pleiterekord, steigende Sozialbeiträge, steigende Steuern,
steigende Schulden und ein Explodieren der Gesundheitskosten.
({2})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Das ist die grün-rote Regierungsbilanz. Sie liegt in der
Verantwortung von Grün-Rot.
Jeder weiß, dass die deutsche Krankheit am Arbeitsmarkt anfängt.
({3})
Was macht Grün-Rot? Sie haben den Arbeitsmarkt verregelt und verriestert. Herr Poß, dass Sie schreien, ist begründet. Sie schreien nämlich vor Verzweiflung.
({4})
Als die Arbeitsmarktkatastrophe nicht mehr zu verbergen war, haben Sie Heftpflaster und Placebos ausgepackt.
({5})
Kurz vor Ende der Legislaturperiode spricht die Regierung jetzt von Hartz; gemacht hat sie vier Jahre lang
Riester: siehe Mitbestimmung, siehe Zwangsteilzeit,
siehe Scheinselbstständigkeit, siehe 630-Mark-Jobs. Die
Hartz-Kommission hat nichts anderes als die Selbstauflösungsurkunde des Bündnisses für Arbeit ausgestellt;
denn gebracht hat es nichts.
({6})
Durch Guido Westerwelle haben wir gestern hier im
Plenum ausdrücklich angeboten, jederzeit zu Sondersitzungen - 24 Stunden an jedem Tag - zusammenzukommen, um diese Beschlüsse umzusetzen.
({7})
Herr Müller, Sie wollen sie aber gar nicht umsetzen, sonst
hätten Sie ja nicht vier Jahre lang gewartet.
({8})
Es ist wirklich faszinierend: Sie machen vier Jahre lang
alles falsch und kurz vor Ende kommen Sie mit der Wundertüte, die von dem niedersächsischen VW-Konzern gefüllt wurde. Wer etwas Arges denkt, ist sicherlich überrascht.
({9})
- So ist es leider.
Heute sitzt der Bundeskanzler mit den Gewerkschaftsspitzen - von Genosse zu Genosse - zusammen.
({10})
Dort wird gesagt: Haltet still, wir betreiben mit Hartz ein
wenig Wahlkampf. Nach der Wahl verschwindet das Papier wieder in der Schublade. So sieht das Modell aus.
({11})
Der Regierung fehlt der ernsthafte Wille und auch das
Können zu einem richtigen Politikwechsel. Es zeigt sich
hier: null Ahnung, null Wachstum, null Arbeitsplätze. So
ist das Resultat.
({12})
Sie fahren Ihre Verdrängungsstrategie, nach der das an den
Sonderfällen in der Bauwirtschaft und in den neuen Bundesländern liegt. Wenn man die Bauwirtschaft und die
neuen Bundesländer herausrechnet, sieht die Statistik
schon viel besser aus. Sie brauchen nur noch die Arbeitslosen herauszurechnen, dann haben Sie Vollbeschäftigung,
Herr Müller. Aber das ist keine Lösung der Probleme.
({13})
Ich finde es besonders zynisch, dass die Regierung auf
Amerika hofft, aber gleichzeitig der Bundeskanzler und
andere Regierungen vor amerikanischen Verhältnissen in
Deutschland warnen. Sie verurteilen in Sonntagsreden
das amerikanische Wirtschaftsmodell. Gleichzeitig
verknüpfen Sie das Schicksal der deutschen Volkswirtschaft mit genau diesem Wirtschaftsmodell. Das ist Zynismus pur.
({14})
Die amerikanische Strategie aus flexiblen Gütern, flexiblen Arbeitsmärkten und niedrigen Steuern ist erfolgreicher als grün-rote Betonierungspolitik.
Grün-Rot hat Deutschland zum Hochsteuerland gemacht.
({15})
Sie haben die Steuerquote von 22,6 Prozent zu Beginn Ihrer Regierung auf 23 Prozent erhöht.
({16})
Das heißt in absoluten Zahlen, dass das Steuervolumen
eine Zunahme von 10 Milliarden Euro erreicht hat. Ihre
Bilanz ist eine höhere Steuerbelastung.
({17})
Dem steht aufgrund der besonderen Lage bei den stillen
Reserven ein Körperschaftsteueraufkommen von fast
Null entgegen.
Das kann nur eines bedeuten: Das bisschen, das Sie den
Menschen bei der Einkommensteuer gegeben haben, haben Sie Ihnen durch die Ökosteuer, die Versicherungsteuer
und die Tabaksteuer gnadenlos genommen.
({18})
Eigentlich müssten Sozialdemokraten einen roten Kopf
bekommen; denn die Erhöhung der indirekten Steuern
trifft die Bezieher unterster Einkommen überproportional.
Die großen Kapitalgesellschaften werden vorrangig entlastet. Dafür werden Tausende von Mitarbeitern entlassen.
Das ist Ihre Politik.
Dafür bekommen Ihre Hausmarken Zusatzprivilegien:
die Stromriesen einen Energiesockel, die Post Umsatzsteuererleichterungen und Monopolzusagen, VW ein
keimfreies Übernahmeverhinderungsgesetz, die Telekom
einen Schutz bei der letzten Meile. Der Mittelstand und
die privaten Haushalte müssen dafür mit Wettbewerbsnachteilen, höheren Steuern und höheren Preisen zahlen.
Das Schlimmste daran ist: Der Wirtschaftsminister, der
eigentlich ordnungspolitisches Gewissen einer Regierung
sein sollte, steht an der Spitze dieser interventionistischen
Industriepolitik.
({19})
Herr Müller wird als Schutzpatron der Monopole in die
Geschichte eingehen. Als letzte Amtshandlung wird noch
schnell die Fusion von Eon und Ruhrgas durchgepaukt.
Die Begründung dafür lautet, dass die Versorgungssicherheit nun national, nicht europäisch gesehen wird. Das alles sind kurz vor der Wahl sehr merkwürdige Vorgehensweisen. Aber so ist das, wenn man monopolistisch
vorgeht.
Eines kann ich Ihnen versprechen: Die FDP wird in der
nächsten Legislaturperiode dafür sorgen, dass das Wirtschaftsministerium wieder ordnungspolitisches Gewissen der Regierung wird und wieder Substanz bekommt.
Es darf nicht nur ein Handelsministerium sein.
({20})
Sie können Qualität verzögern, aber nicht aufhalten. Wir
kommen und mit uns die bessere Lösung.
({21})
Was wäre der Mittelstand in Deutschland froh gewesen, Grün-Rot hätte sich einmal so intensiv um den Mittelstand wie um Holzmann, die Ruhrkohle, Telekom, VW
oder Eon gekümmert! Den kleinen Handwerker, der sich
streckt, damit er seinen Gesellen in Arbeit halten kann,
den kleinen Einzelhändler, der nachts nicht schlafen kann,
weil er nicht weiß, ob er seinen Lehrling behalten kann,
die Leistungsträger, die stillen Stars in Deutschland, gängeln und schröpfen Sie. Für sie tun Sie nichts.
({22})
Diese bekommen ein Mikrodarlehen und zudem die
Last der Mitbestimmungsteuer von 2 Milliarden Euro zu
spüren. Das ist eine grün-rote AB-Maßnahme für Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre wie Sie.
({23})
Die Kleinen und Schwachen müssen die Kosten der Ökosteuer tragen. Und da kommen Sie mit dem Argument:
Dafür senken wir die Sozialbeiträge. - Sie tun so, als ob
die Einnahmen von 15 Milliarden Euro aus der Ökosteuer vom Himmel fallen würden. Nein, viele Menschen
zahlen dafür und haben nichts von einer Senkung der sozialen Nebenkosten. Darunter fallen die Rentner, die Arbeitnehmer und auch viele kleine Betriebe. Die Dienstwagenbesitzer von Grün-Rot merken das nicht. Aber nicht
umsonst klagen kinderreiche Familien vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Ökosteuer.
Wir fordern als einzige Partei die Abschaffung der Ökosteuer, weil sie vom Konzept her falsch ist.
({24})
Es hilft nichts, an der Ökosteuer geringe Korrekturen vorzunehmen. Sie muss insgesamt weg, weil sie ein Etikettenschwindel ist, Herr Poß. Die Kosten der Ökosteuer
müssten sich bei ökologischem Verhalten aufheben. Sie
müsste zielorientiert sein. Wenn aber jemand weniger
Auto fährt, vergrößert sich, wie Sie wissen, das Loch in
der Rentenkasse noch weiter.
({25})
Deshalb ist es geradezu eine patriotische Pflicht, nicht weniger Auto zu fahren. Daher ist dieser Ansatz falsch.
Ähnlich sieht es bei der Rente aus. Auch hier haben Sie
einen falschen Ansatz gewählt. Das ist keine Politik der
ruhigen Hand; Sie haben vielmehr eingeschlafene Füße.
({26})
Aber wir rufen den Menschen im Lande zu: Haltet noch
durch! Am 22. September ist Freiheitstag; dann darf gewählt werden und wir können Grün-Rot abwählen und zu
einer neuen Mehrheit kommen.
Vielen Dank.
({27})
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner
Müller.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, dass ich mit zwei kurzen Vorbemerkungen beginne.
Erstens. Mir ist das Parlament wichtig.
({1})
- Ich war gestern nicht da, Herr Westerwelle, weil ich erst
vor drei oder vier Stunden von meiner Reise nach Japan
und China zurückgekehrt bin, wo ich auf Einladung der
dortigen Regierungen die gemeinsamen Wirtschaftskommissionen der Bundesrepublik und dieser Ländern
geleitet habe.
({2})
Zweitens. Ich erachte es ehrlich gesagt als eine Zumutung, dass Sie 253 Fragen über teilweise lächerliche
Sachverhalte an die Bundesregierung stellen.
({3})
Diese Fragen konnten zwar abgearbeitet werden - das ist
auch auf 162 Seiten geschehen -,
({4})
aber es bleibt festzuhalten: Das ist genau der Stil, mit dem
Sie die Verwaltung schon seit 30 Jahren aufgebläht haben.
({5})
Ich verstehe nicht, mit welcher Berechtigung sich gerade die FDP in diesem Bundestag aufplustert und die
Leistungen dieser Bundesregierung in den vergangenen
vier Jahre in irgendeiner Weise schlecht reden will.
({6})
Die FDP hat 26 Jahre lang in diesem Land den Wirtschaftsminister gestellt, und zwar von Ende 1972 bis Ende
1998. In diesen 26 Jahren liberaler Wirtschaftspolitik der
FDP ist die Verschuldung des Bundeshaushalts von
32 Milliarden Euro auf 740 Milliarden Euro verfünfundzwanzigfacht worden.
({7})
26 Jahre FDP-Wirtschaftspolitik bedeuten, dass der Anteil
der Bundesschuld am Bruttoinlandsprodukt von 7 auf
39 Prozent angestiegen ist. 26 Jahre liberale Wirtschaftspolitik bedeuten, dass die Sozialversicherungsbeiträge
von Ende 1972 bis Ende 1998 von 28 auf 42 Prozent gestiegen sind. 26 Jahre liberale Wirtschaftspolitik bedeuten, dass die Subventionen von Ende 1972 bis Ende 1998
von 17 Milliarden auf mehr als 60 Milliarden Euro gesteigert wurden.
Ich will Ihnen deutlich machen - damit Sie wissen, womit wir Ende 1998 angefangen haben -, dass die FDP
26 Jahre lang Garant für einen schleichenden Sozialismus, für den Weg in die Staatswirtschaft
({8})
und für den Weg in einen Schuldenstaat war. Das waren
26 Jahre liberale Wirtschaftspolitik! Ende 1998 haben wir
bei all diesen Eckpunkten einen Kurswechsel eingeleitet.
({9})
Sie regen sich gelegentlich auf und behaupten, wir hätten zwei Jahre lang ein Nullwachstum gehabt. Das ist statistisch gesehen gelogen. Wir haben in jedem Jahr ein
Wachstum gehabt, zwar nicht immer in der gewünschten
Höhe, aber es gab jedes Jahr ein positives Wirtschaftswachstum.
({10})
Sie können sich darüber aufregen, dass es vielleicht einmal ein Quartal mit einem Minuswachstum gab. Dabei
weise ich aber darauf hin, dass Sie in Ihren 26 Regierungsjahren 37 Quartale mit Minuswachstum hatten. Das
haben wir in diesem Ausmaß bei weitem nicht zu bieten.
({11})
Alles in allem ist festzuhalten: Sie müssen sich nicht
aufblasen und sollten den Gebrauch Ihrer Stimmbänder
etwas mäßigen.
({12})
Ich will nicht bestreiten, dass das Wachstum in den vergangenen vier Jahren nicht das Niveau erreicht hat, das
wir uns Ende 1998 vorgestellt hatten. Aber Sie haben in
den 26 Jahren Ihrer liberalen Wirtschaftspolitik die
Wachstumsraten in diesem Land kontinuierlich gegen
null gedrückt, mit dem Ergebnis, dass wir von 1992 bis
1998 noch durchschnittlich 1,3 Prozent Wirtschaftswachstum hatten und mit diesem geringen Durchschnitt
in diesem Zeitraum am unteren Ende aller EU-Staaten angekommen sind. Ende 1998 haben wir zu regieren begonnen, und wir haben Ende 1998 mit Wachstumspolitik begonnen. Wir haben in den ersten vier Jahren der
Regierung Schröder ein Durchschnittswachstum von
1,6 Prozent erzielt. Das ist nicht sehr viel mehr als das,
was Sie in den 90er-Jahren erreicht haben, aber es ist
schon einmal mehr, und das trotz der Krise an den Börsen,
trotz der permanenten Baukrise, trotz des Subventionsabbaus und trotz der Konsolidierungspolitik im Bundeshaushalt.
({13})
Das heißt, wir haben wirklich das Steuer umgelegt, und
wir werden im nächsten Jahr bis zu 3 Prozent Wirtschaftswachstum haben.
({14})
Wenn Sie gelegentlich so viel mit Wirtschaftsdelegationen über die Erde reisen würden, wie ich das tue, würden
Sie wissen, dass das Ausland Deutschland wesentlich besser einschätzt, als Sie das hier im Bundestag tun wollen.
({15})
Sie müssen schlicht zur Kenntnis nehmen: Die Wachstumspositionen, die wir im Inland haben, resultieren vorwiegend aus zwei Ergebnissen. Erstens hat das Ausland
nach der Reformpolitik dieser Bundesregierung wieder
Vertrauen in den Standort Deutschland.
({16})
Allein im letzten Jahr hat das Ausland in Deutschland
etwa 45 Milliarden Euro investiert. In einem Jahr! Sie
müssen erkennen, dass das mehr war als in den vier Jahren von 1995 bis 1998 zusammen; da waren es gerade einmal 30 Milliarden Euro.
({17})
Das Ausland hat in den ersten drei Jahren der Regierung
Schröder in Deutschland über 320 Milliarden Euro investiert. Das ist weit mehr als das Zehnfache der letzten vier
Jahre der alten Regierung. Ich frage mich: Wieso investiert das Ausland in Deutschland dermaßen viel, wo angeblich der Standort so schlecht ist. Entweder ist das Ausland verrückt oder... Das können Sie sich selber
überlegen.
({18})
Zweitens. In den 90er-Jahren ist der Anteil der deutschen Exporte am Welthandel permanent gesunken. Eigenartigerweise haben wir ein so schlappes und schwaches Land, dass unsere Produkte auf den Weltmärkten
plötzlich stark nachgefragt werden. Unser Anteil am
Welthandel ist permanent gestiegen, und keineswegs nur
eurobedingt; denn nur 15 Prozent der Exporte werden
nach Auskunft des DIHK in Dollar fakturiert.
Wenn der Welthandel um 12 Prozent gestiegen ist, ist
der deutsche Export um 17 Prozent gestiegen. Wenn wie
im letzten Jahr der Welthandel stagnierte, ist der deutsche
Export um 6 Prozent gestiegen. Gucken Sie sich die Auftragseingänge seit Anfang dieses Jahres an! Das Ausland
hat im Mai 2002 10 Prozent mehr bestellt als im Mai des
vergangenen Jahres.
({19})
Ich erlebe, wenn ich mit den deutschen Unternehmern
Reisen ins Ausland mache, dass sie überall mit ihrer Investitionstätigkeit willkommen sind, dass überall ihre
Produkte nachgefragt sind. Sie müssen es nur irgendwann
einmal zur Kenntnis nehmen. Die Zeiten haben sich geändert. Sie leben mit der Meinung, die Deutschen seien nicht
wettbewerbsfähig. Warum sind sie wettbewerbsfähig?
Warum investiert das Ausland so viel hier im Inland?
Dazu will ich Ihnen deutlich sagen: weil wir die Rahmendaten im Inland geändert haben. Natürlich investiert
das Ausland wieder in Deutschland, weil wir inzwischen
wieder eines der international attraktivsten Systeme der
Unternehmensbesteuerung haben.
Sie haben in Ihren 26 Jahren liberaler Wirtschaftspolitik Ihr Heil darin gesehen, den Unternehmern durch permanente Steuererhöhung das Leben schmackhaft zu machen.
({20})
Sie haben zum Schluss sogar den Eingangssteuersatz
noch auf 26 Prozent hochgesetzt; denn Ihre Hauptklientel
ist der Mittelstand, wie Sie immer sagen, und der Mittelstand, wenn er bei der FDP gut untergebracht werden soll,
braucht besonders hohe Eingangssteuersätze. Das war
Ihre Politik.
Wir haben heute ein international wettbewerbsfähiges
Steuersystem; denn wir haben Ecksätze, die im Durchschnitt liegen. Wir haben weiterhin große Freiheitsmöglichkeiten für die Unternehmen. Denken Sie nur an die periodenübergreifende Verlustverrechnung. Wir haben die
Liberalisierung der Telekommunikations-, teilweise der
Postmärkte, jedenfalls des Strom- und des Gasmarkts vorangetrieben.
({21})
Wir haben dadurch der deutschen Gesellschaft insgesamt
weit über 50 Milliarden DM an Kosten erspart. Das Volumen der Kostensenkung durch die Liberalisierung in diesen Märkten ist erheblich größer als beispielsweise das
der Steuerreform bisher. Aber beides zusammengenommen entlastet die Wirtschaft um Kosten in der Größenordnung von 70 Milliarden Euro. Das ist ein Ergebnis von
vier Jahren rot-grüner Politik.
({22})
Wir stellen fest, dass das Ausland wieder Vertrauen in
Deutschland setzt. Schauen Sie sich doch einmal alle Ihre
Reden an, die Sie gehalten haben, als der Außenwert des
Euro im Verhältnis zum Dollar von 1,05 Euro auf
0,86 Euro gesunken war. Damals haben Sie einen Abgesang auf Deutschland gehalten. Wo bleibt Ihre Umkehr?
Wo bleibt Ihr Lob für die deutsche Wirtschaftspolitik, deren Erfolg am Wertanstieg des Euro deutlich abzulesen ist?
({23})
Der Wertanstieg des Euro bedeutet nichts anderes, als
dass die Perspektiven der europäischen Wirtschaft nun
besser eingeschätzt werden. Diese Einschätzung wird
maßgeblich dadurch bedingt, dass die größte Volkswirtschaft in Europa wieder auf einem guten Kurs ist.
({24})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen, wenn
ich sage, dass wir auf einem guten Kurs sind. Sie erinnern
mich an Herrn Rogowski, der mit Ihnen zusammenarbeitet.
({25})
Rogowski warnt die Unternehmer in diesem Land ja immer vor Optimismus.
({26})
Ich halte es letztendlich für völlig unverantwortlich,
dass Sie sich beim Schlechtreden des Standortes Deutschland permanent hervortun.
({27})
Sie haben den Standort zu loben; denn er ist gut und verdient nicht - um das in aller Deutlichkeit zu sagen - Ihre
permanente Nörgelei.
({28})
- Ich kann Ihnen dazu viel sagen. Ich weiß, dass wir in
diesem Land noch einiges zu tun haben; denn die momentanen Wachstumsraten sind nicht so, wie wir es uns
gewünscht haben.
({29})
Ich weiß auch, dass die Zahl der Insolvenzen in diesem
Land gestiegen ist. Ich möchte Ihnen aber Folgendes sagen: Ohne Bayern ist die Zahl der Insolvenzen in
Deutschland durchschnittlich um 10 Prozent angestiegen.
In Bayern dagegen ist die Zahl der Insolvenzen um
30 Prozent gestiegen. Bayern weist heute die zweitgrößte
Zahl der Insolvenzen auf. Dort ist ein Anstieg bei den Insolvenzen von 3 079 auf 4 000 zu verzeichnen. Diese Zahlen weist das Statistische Bundesamt aus. Sie müssen sich
die Rahmendaten der bayerischen Wirtschaftspolitik
({30})
einmal genauer anschauen.
({31})
Tun Sie mir einmal einen Gefallen. Rufen Sie nicht immer dazwischen: Das stimmt nicht! Wenn Sie eine faire
Fraktion wären, dann würden Sie solche Zurufe unterlassen. Als ich meine letzte Parlamentsrede nachgelesen
habe, habe ich festgestellt, dass Sie bei jeder Zahl, die ich
genannt habe, dazwischengerufen haben: Das stimmt
nicht!
({32})
Ich habe Ihrem Fraktionsvorsitzenden daraufhin vor vier
Wochen einen Brief geschrieben, in dem ich anhand der
Angaben des Statistischen Bundesamtes nachgewiesen
habe, dass jeder Ihrer Zwischenrufe falsch war und dass
sämtliche von mir genannten Zahlen stimmen. Deshalb
bitte ich Sie, bevor Sie das nächste Mal dazwischenrufen:
„Das stimmt nicht!“,
({33})
zu bedenken, dass der Wirtschaftsminister die Zahlen so
darstellt, wie sie tatsächlich sind, und dass er keine Zahlen türkt, wie Sie das immer machen.
({34})
Wir haben auch in den einzelnen Bereichen des Wirtschaftslebens große Fortschritte erzielt. Trotz Konsolidierungskurs haben wir die Aufwendungen dort deutlich erhöht, wo es uns wichtig war. Wir haben beispielsweise die
Aufwendungen für die Forschung, für den Energiebereich und für die Familien deutlich erhöht, und das alles
trotz eines Konsolidierungshaushaltes. Wir haben auch
die Gelder für den Mittelstand erhöht. Wir haben übrigens in schwieriger finanzpolitischer Lage die Rahmendaten für den Aufbau Ost durch den Solidarpakt bis zum
Jahr 2019 festgeschrieben, und zwar in der Sorge, dass Sie
bis dahin wieder regieren könnten. Das wollen wir aber
verhindern.
({35})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?
Herr Schauerte, ich bin gerade in Fahrt.
Lassen Sie mal.
({0})
- Wenn Herr Schauerte das Wasser nicht halten kann,
dann soll er seine Zwischenfrage stellen. - Will er jetzt
oder will er nicht, Frau Präsidentin?
Herr Kollege
Schauerte, Sie dürfen doch eine Zwischenfrage stellen.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin, wenn ein Minister, der diesem Haus nicht angehört, auf den Wunsch eines Abgeordneten hin, eine
Zwischenfrage zu stellen, sagt, wenn der das Wasser nicht
halten könne, dann solle er eine stellen, dann finde ich das
unanständig.
({0})
Offensichtlich ist der Wirtschaftsminister in der Tat sehr
in Fahrt.
Nun meine Frage: Im Jahr 2001 hat es pro 10 000 Unternehmen - nur diese Bezugsgröße ist vernünftig und
nachvollziehbar - in Bayern 79, in Nordrhein-Westfalen
106 und in Niedersachsen 117 Insolvenzen gegeben. Erwecken Sie mit Ihren Behauptungen hier bitte keinen
falschen Eindruck!
({1})
Herr Schauerte, zwei Dinge:
Erstens. Ich nehme meine Eingangsbemerkung mit
dem Ausdruck des Bedauerns zurück.
Zweitens. Ich habe das überhaupt nicht kommentiert.
Ich habe gesagt: Der Anstieg der Zahl der Insolvenzen ist
in Bayern dreimal schneller als im Bund ohne Bayern.
({0})
Noch können Sie sagen, dass je 1 000 Unternehmen die
Zahl der Insolvenzen in Bayern schwach darunter liegt.
Wenn Sie in Bayern noch ein solches Jahr erleben, sind
Sie in Bayern an der Spitze der Insolvenzstatistik, auch
bei der Zahl der Insolvenzen je 1 000 Unternehmen.
Zurück zum eigentlichen Thema. - Wir haben die
Energiesituation deutlich verbessert. Sie gehen so leicht
darüber hinweg, dass wir eine erhebliche gesellschaftspolitische Kontroverse in Sachen Kernenergie gehabt
haben. Diese Kontroverse ist befriedet, und zwar zwischen den wesentlichen gesellschaftlichen Gruppen einerseits und der Industrie andererseits. Auch wenn es Ihnen völlig undenkbar erscheint, werden Sie erleben:
Dieser Streit führt nicht mehr zu großer öffentlicher Aufmerksamkeit.
Wir haben die Zukunft der Kohle gesichert. Ich weiß,
dass viele zur Kohle eine andere Position haben als diese
Bundesregierung. Es geht aber nicht an, Verträge mit dem
Bergbau zu schließen, in den Haushalt jedoch kein Geld
einzustellen und sich in keiner Weise darum zu kümmern,
wie in Brüssel die von Ihrer Bundesregierung mit dem
Bergbau geschlossenen Verträge abgesichert werden. All
diese Aufgaben haben wir gelöst.
({1})
Wir haben die regenerativen Energien ausgebaut. Wir
installieren in Deutschland heute so viele Windenergieanlagen, wie im Rest der Welt zusammen installiert werden. Das sind Leistungen, die beispielsweise 150 000
Arbeitsplätze im Mittelstand gesichert haben - allein
durch diese einzelne Maßnahme der Förderung der regenerativen Energien.
({2})
Ich sagte schon: Wir haben den Wettbewerb geregelt.
Wir haben überhaupt etwas für den Wettbewerb getan.
Damit komme ich mal wieder zur FDP.
({3})
26 Jahre lang haben Sie hier den Wirtschaftsminister gestellt. 26 Jahre lang ist es Ihnen nicht gelungen, das Rabattgesetz abzuschaffen. Es ist stets an Ihrem persönlichen Widerstand gescheitert. Ich weiß das aus den Akten
des BMWi. Herr Brüderle hat in diesem Punkt permanent
die Initiierung von Wettbewerb irgendwie verhindert.
({4})
Wir werden das Leben im Alltag wesentlich lebendiger
gestalten. Wenn ich feststelle, dass einzelne Häuser bei
Rabattaktionen noch durch irgendwelche Relikte des
Wettbewerbsrechts behindert werden, dann werden wir
diese Relikte beseitigen. Ich möchte, dass der deutsche
Einzelhandel mit Rabattaktionen und Zugaben einen wesentlich blumigeren Wettbewerb veranstalten kann.
Herr Minister, jetzt
gibt es einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage,
und zwar des Kollegen Hinsken.
({0})
Herr Minister, weil Sie
auf das Schaffen von neuen Arbeitsplätzen verwiesen haben, möchte ich nur fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass allein durch die Einführung des Rechtsanspruchs auf Teilzeitarbeit 250 000 Arbeitsplätze in mittelständischen
Betrieben nicht geschaffen wurden, dass insoweit vermehrt Zurückhaltung geübt und dringend darauf gewartet
wird, dass dieses Gesetz wieder geändert wird.
({0})
Herr Hinsken, hier kann ich Ihnen nicht
folgen. Die ersten Analysen der Wirkungen des Teilzeitgesetzes zeigen, dass es etwas genützt hat - die Zahl der
Teilzeitarbeitsplätze ist gestiegen - und dass die Befürchtung, dieses Gesetz werde zu vielen Prozessen vor
Arbeitsgerichten führen, nicht eingetreten ist. In der
nächsten Legislaturperiode werden wir seitens der Bundesregierung einen genaueren Bericht vorlegen. Alles,
was Sie gesagt haben, wird durch die bisherige Erfahrung
nicht bestätigt.
({0})
Weil Sie das Thema Arbeitslosigkeit ansprechen: Wir
haben die Arbeitslosigkeit nicht so abgebaut wie angenommen. Wir haben das Thema Arbeitslosigkeit nicht so
erfolgreich gestalten können wie vorgesehen, aber immerhin - nehmen Sie das bitte zur Kenntnis -: Gegenüber
dem Jahresdurchschnitt 1998 sind es im Durchschnitt
über 400 000 Arbeitslose weniger. Wir werden das Wachstum weiter steigern müssen, um die Arbeitslosigkeit stärker abzubauen. In den Jahren 2003 folgende werden wir
das Wachstum auf über 2 Prozent im Durchschnitt steigern und der ostdeutsche Durchschnitt muss noch etwas
darüber liegen.
Eines will ich abschließend in aller Deutlichkeit sagen
- ich könnte noch lange Reden darüber halten, was in
26 Jahren FDP-Wirtschaftspolitik in diesem Land alles
den Bach runtergegangen ist -: Ein Zurück zu einer
FDP-Wirtschaftspolitik wäre ein riesiger Rückschritt in
diesem Lande; wir wollen aber Fortschritt.
({1})
Warum wäre das ein riesiger Rückschritt? Weil die
FDP-Wirtschaftspolitik, insbesondere die unter einer konservativen Führung, der sie unterlegen ist, bisher von
nichts anderem lebte, als die Chancen der Zukunft im Jetzt
zu verbraten. Das ist keine Basis für Wirtschaftspolitik.
({2})
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Wir stehen heute,
was alle Eckzahlen dieser Volkswirtschaft angeht, um
Längen besser als Ende 1998 da. Die Bürgerinnen und
Bürger werden das am 22. September bestätigen. Sie werden sich wundern.
({3})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Guido Westerwelle
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin!
Herr Minister Müller, ich will nichts zu Ihren sachlichen
Ausführungen sagen. Das hat Herr Brüderle bereits getan
und das wird auch Herr Friedhoff tun. Ich will hier nur die
am Anfang Ihrer Rede vorgetragene Bewertung unserer
Großen Anfrage so nicht stehen lassen.
Ich sage Ihnen in großer Klarheit: Herr Minister
Müller, Sie werden vom Steuerzahler bezahlt.
({0})
Das Volk, also auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, hat uns als Abgeordnete gewählt, damit wir Sie kritisieren, damit wir Sie kontrollieren, damit wir unserem
Mandat nachgehen.
({1})
Es ist nicht Ihre Aufgabe, das parlamentarische Recht der
Abgeordneten zu bestreiten. Ich kann es in keiner Weise
akzeptieren, dass Sie als Minister ohne Bundestagsmandat - Sie sind ernannt worden, wie es der Verfassung entspricht; aber Sie haben kein Mandat vom Volk bekommen - Abgeordnete dafür kritisieren - Sie haben hier von
einer Zumutung gesprochen -, dass sie ihr Fragerecht
nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
wahrnehmen. So etwas ist selbstverständlich; das ist unser Auftrag.
({2})
Auch als ausscheidender Minister müssen Sie die Form
mindestens insoweit wahren, als Sie dem Parlament gegenüber Ihren Respekt zum Ausdruck bringen. Gestern
haben die Sozialdemokraten Herrn Stoiber für eine Bemerkung, die ich ebenfalls nicht akzeptabel finde, heftig
kritisiert. Einen Tag später äußern Sie sich als Minister
ohne Bundestagsmandat,
({3})
der hier, im Parlament, reden kann und dem wir zuhören,
zu Zwischenrufen, indem Sie entgegnen, die Beschäftigung mit der Großen Anfrage sei Ihnen zu arbeitsintensiv
gewesen. Wir haben festgestellt, womit Sie sich beschäftigt haben, nämlich mit der Kontrolle und mit der Nachbearbeitung von Zwischenrufen von Parlamentariern.
Kein Wunder, was aus Ihrem Ministerium wird, wenn Sie
sich damit beschäftigen.
({4})
Zur Erwiderung Herr
Bundesminister Müller, bitte.
Sehr geehrter Herr Westerwelle, ich bestreite doch nicht das Recht des Parlaments, hier der Bundesregierung Fragen zu stellen. Dass es das darf, habe ich
schon gelernt, als ich die Grundschule besucht habe.
Erstens. Ich werde doch wohl meine Meinung dazu
äußern dürfen, von welchem Standpunkt aus ich diese
ganze Aktion betrachte.
({0})
Meine persönliche Meinung werden Sie mir nicht nehmen
können. Ich kann sie auch in diesem Hause äußern. Es ist
ganz einfach: Zeigen Sie der deutschen Öffentlichkeit
doch einmal die 253 Fragen, damit sie weiß, wie Sie Ihr
Recht ausnutzen und welche Kapazitäten Sie binden.
({1})
- Ja, natürlich sind die Antworten interessant.
Zweitens. Ich könnte den Spieß umdrehen und sagen:
Durch die Beantwortung von 253 Fragen geben Sie uns
durchaus die Gelegenheit, bis ins Detail nachzuweisen,
({2})
dass die Regierungserklärung dieses Bundeskanzlers in den
allermeisten Fällen erfüllt, wenn nicht übertroffen wurde.
({3})
Auf den 162 Seiten der Antwort der Bundesregierung auf
Ihre Große Anfrage wird dies dargestellt.
Ich will Ihnen noch Folgendes sagen: Es ist richtig,
dass ich gestern nicht hier war; denn ich war in Asien und
habe die 9. Tagung der Asien-Pazifik-Konferenz der
Deutschen Wirtschaft geleitet.
({4})
Außerdem war ich bei meinem japanischen Kollegen.
Deswegen konnte ich erst heute Morgen hier ankommen.
Ich mache solche Reisen alle naselang. Sie wissen das. Ich
habe dieses den Fraktionsvorsitzenden auch mitgeteilt.
({5})
Wenn diese Entschuldigung, die ich, wenn ich mich richtig erinnere, etwa zwei Wochen vorher rundgesandt habe,
nicht akzeptiert worden wäre, hätte ich meine Reiseplanung geändert. Hernach aber solche Dinge zu sagen ist
schlicht hinterfotzig.
({6})
Wir fahren in der
Debatte fort. Es spricht jetzt der Kollege Dietrich
Austermann für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass die Art
und Weise, wie Herr Müller zuletzt gesprochen hat, geradezu kongenial zum Inhalt seiner Abschiedsrede war. Es
war einfach unbrauchbar, was Sie hier abgeliefert haben.
Unbrauchbar, um die Öffentlichkeit zu informieren. Überlegen Sie sich einmal, dass er sich hier hingestellt hat und
das kommentiert hat, was in den 26 Jahren der Regierungsbeteiligung der FDP passiert bzw. nicht passiert sein
soll.
({0})
An sich ist diese Debatte ja in der Absicht aufgesetzt worden, damit Sie, Herr Müller, darstellen, was Sie in den vier
Jahren erreicht haben.
({1})
Wenn Sie eine Bilanz ziehen, müssen Sie sicherlich die
Reaktionen der Bevölkerung, wie auf sie Ihre Beschreibung dessen wirkt, was Sie in Deutschland gemacht haben, zur Kenntnis nehmen.
({2})
Da ist es ganz eindeutig so, dass 72 Prozent der Menschen
in Deutschland meinen, sie werden schlecht regiert. Auch
34 Prozent der sozialdemokratischen Wählerschaft haben
die gleiche Auffassung. Sie haben daran einen wesentlichen Anteil, dass schlecht regiert wird. Sie haben nämlich
Ihre Aufgabe nicht wahrgenommen, wie ich gleich im Detail deutlich machen werde.
Herr Müller, Sie tragen die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik in Deutschland. Wenn man einen Schlussstrich unter die vier Jahre zieht, nach denen Sie sich gewissermaßen verabschieden, dann stellt man fest, dass die
Daten heute in wesentlichen Bereichen schlechter sind.
Wahrscheinlich haben Sie in Ihren Vergleich auch die Zeit
einbezogen, wo die FDP an der Regierung unter Helmut
Schmidt beteiligt war. Wenn Sie damals schon politisch
interessiert waren, werden Sie sich vielleicht daran erinnern, warum dieses Bündnis gescheitert ist. Denken Sie
nur an die damaligen Bedingungen der Liberalen und an
das, was Helmut Schmidt über seine eigene Partei gesagt
hat.
Nun wollen wir uns daran erinnern und bewerten, was
1998 wirklich war und wo wir heute stehen. Sie können
das Wirtschaftswachstum nehmen: Von 1990 bis 1998
ist das Wirtschaftswachstum in Deutschland stärker als im
EU-Durchschnitt gewesen, von 1999 bis 2002 ist das
Wirtschaftswachstum in Deutschland schwächer als im
EU-Durchschnitt gewesen. Sie müssten uns bitte erklären, woher dieser Unterschied kommt. Sie geben zu allen
möglichen Zeitpunkten Prognosen von sich, in denen Sie
sagen, dass Sie davon ausgingen, dass das Ganze im
nächsten Jahr so oder so aussehe. Es hat noch nie gestimmt, was Prognosen-Müller gesagt hat. Keine einzige
Prognose war bisher zutreffend.
({3})
Eine Arbeitslosenzahl von 3,5 Millionen sollte in diesem Jahr erreicht werden. Wollen wir doch einmal den Arbeitsmarkt von 1998 zum Vergleich heranziehen und Ihre
Zielvorstellungen auseinander nehmen. Der höchste Beschäftigungsstand herrscht üblicherweise im Juni. Alle,
die in etwa die Daten kennen, die in der nächsten Woche
bekannt gegeben werden, wissen, dass die Zahl heute
deutlich höher liegt als zu dem Zeitpunkt, zu dem wir die
Regierung abgeben mussten.
({4})
Die Situation für die Menschen, die Arbeit suchen, hat
sich also während Ihrer Regierungszeit verschlechtert.
({5})
Sie können das Wirtschaftswachstum, den Arbeitsmarkt,
aber auch andere Dinge nehmen. Man könnte jeden dieser Bereiche im Detail sezieren und käme dabei zu entsprechenden Ergebnissen.
Sie haben gesagt, Sie hätten viel für Windenergie getan. Für Windenergie haben wir uns schon eingesetzt, als
Sie noch Lobbyarbeit für Kernkraftwerke gemacht haben.
Ich will Ihnen auch dazu anhand der Daten sagen, wie das
bei der Aufstellung des Haushalts 2003 abgelaufen ist. Sie
haben zunächst die Fördergelder für die Windenergie um
70 Millionen heruntergesetzt. Dann sind diese im Kabinett um 100 Millionen aufgestockt worden, gewissermaßen als Morgengabe für die Grünen, damit die Erfolge vermelden können. Diesen Betrag von zusätzlich
100 Millionen haben Sie als höhere globale Minderausgabe ausgewiesen. Das heißt, der Mittelstand bezahlt jetzt
die angeblich stärkere Förderung für erneuerbare Energien. Dann haben Sie hier behauptet, der Mittelstand
werde stärker gefördert, da Sie die Fördergelder für den
Mittelstand erhöht hätten.
Es zog sich wie ein roter Faden durch das, was Sie neben Ihrer Kritik an der FDP noch gesagt haben, dass wirklich keine einzige Zahl stimmte.
Wenn wir Vergleiche ziehen hinsichtlich der Forschungsförderung Ost, der Förderung des Mittelstandes
ganz allgemein, der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ Ost und West gemeinsam, stellen wir fest, dass Sie die Förderung des
Mittelstandes in den vier Jahren praktisch halbiert haben.
Ich fordere Sie auf, Ihre falsche Behauptung zurückzunehmen, solange Sie hier im Parlament noch als Minister
berechtigt sind zu reden. Der Mittelstand leidet unter Ihrer falschen Politik und vor allen Dingen unter Ihren
falschen und ständig irreführenden Prognosen.
({6})
Ich habe Ihnen zu dem Thema wirtschaftliches Wachstum die Zahlen dargestellt. Sie können sie gerne auch
schriftlich haben. Da Sie in der Darstellung der Realität so
viel Unfug verzapft haben, war es wohl nötig, das eine
oder andere etwas abweichend von dem, was ursprünglich
gesagt werden sollte, zu korrigieren.
Ich komme zum Thema steigende Arbeitslosigkeit.
Was ist aus dem Versprechen, die Arbeitslosigkeit zu senken, geworden? Das Jahr 1998 sah so aus: 3 Prozent wirtschaftliches Wachstum, Rückgang der Arbeitslosigkeit
um 400 000 innerhalb eines Jahres.
({7})
Wie sieht die Situation zurzeit aus? Steigerung der Arbeitslosigkeit zwischen 200 000 und 250 000 im Vergleich
zum Vorjahr. Das ist der Unterschied: im Jahre 1998 Arbeitslosigkeit runter, Beschäftigung rauf.
Sie haben es noch nicht wiederholt, aber ich nehme an,
Herr Müntefering wird das nachher wieder tun, deswegen
sage ich gleich, dass die Zahl der Beschäftigten, wie Sie
sie darstellen, falsch ist. Es wird immer gesagt - auch der
Kanzler tut das -, 1 bis 1,2 Millionen - das variiert bei den
Wahlkämpfern - zusätzliche Arbeitsplätze in den letzten
vier Jahren. Wenn wir die geleisteten Arbeitsstunden vergleichen - wir hatten 1998 wie 2002 die 35-Stunden-Woche -, dann stellen wir fest, dass die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in diesem Jahr niedriger ist als 1998. Wenn wir
jetzt tatsächlich 1,2 Millionen Beschäftigte hinzuaddieren
sollten, würde das bedeuten, dass alle weniger arbeiten als
im Jahr 1998. Auf jeden Fall ist die Produktivität, sind die
geleisteten Arbeitsstunden nicht mehr geworden.
Wenn das so ist, kann man doch wohl unterstellen, dass
sich die Zahl der zusätzlichen Beschäftigten nur aus einem Taschenspielertrick in der Statistik ergibt, weil Sie
bisherige Minijobinhaber als tatsächlich Beschäftigte hinzugerechnet haben und damit den Eindruck vermitteln
wollen, mehr Leute hätten Arbeit. Nein, diese Beschäftigten haben vorher gearbeitet und arbeiten auch jetzt. Wenn
Sie weiter regieren würden, würden es wahrscheinlich
ständig weniger, aber das wollen wir konkret verhindern.
Die Zahl der Beschäftigten ist nicht gestiegen, die Zahl
der Arbeitslosen ist angestiegen. Aus heutiger Sicht sieht
es so aus, dass wir eine Regierung haben, die keine Perspektive hat, die ohne Perspektive gearbeitet hat und die
Situation in Deutschland verschlechtert hat.
Nun sagt der eine oder andere von Ihnen, in der Union
gebe es unterschiedliche Meinungen zu dem Hartz-Papier. Ich will nur eines erwähnen, was der staunenden Öffentlichkeit bisher entgangen ist, was aber die Kollegen
aus dem Haushaltsausschuss bestätigen können. Das so
genannte Hartz-Papier enthält verschiedene Komponenten. Eine Komponente lautet: Einführung eines so genannten Sozialgeldes. Herr Eichel hat letzten Mittwoch im
Haushaltsausschuss gesagt, die Einführung des Sozialgeldes - ein wesentlicher Bestandteil dieses Papiers - sei mit
ihm nicht zu machen, weil dadurch die Gemeinden entlastet und der Bund belastet würde. Dass Sie die Situation der
Gemeinden in den letzten vier Jahren dramatisch verschlechtert haben, dass damit Investitionskraft zusammengebrochen ist, dass sich dadurch konkret die Situation der
Bürger in den Gemeinden verschlechtert hat, weil die Vereinsbeiträge und die Abgaben steigen, das alles wird damit
offensichtlich ignoriert. Wenn Sie sich zu den Vorschlägen
der Hartz-Kommission tatsächlich räuspern, sage ich Ihnen: Ordnen Sie erst einmal Ihre eigenen Truppen.
Ich nenne ein weiteres Beispiel: die Jugendarbeitslosigkeit. Dieses Thema wird immer wieder angesprochen; es ist viel Geld dafür ausgegeben worden, heute
muss man sagen: verplempert worden. Die Jugendarbeitslosigkeit war im Mai 2002 um 7 Prozent höher als
im Mai 1998. Seit mehr als einem Jahr ist der Anstieg der
Jugendarbeitslosigkeit dramatisch. Im Mai 2002 gab es
fast 16 Prozent mehr arbeitslose Jugendliche als im
Mai 2001. Ich weiß nicht, wie angesichts dessen jemand
den Eindruck zu vermitteln versuchen kann, die Situation
habe sich verbessert.
Herr Müller, in Ihrer Zeit und durch Ihr Unterlassen,
vor allen Dingen durch das Unterlassen, ist die Situation
vielmehr schlechter geworden. Ich könnte das an einem
Beispiel deutlich machen. Sie haben das Thema Ökosteuer angesprochen, allerdings nur am Rande. Die Steuern werden nächstes Jahr weiter erhöht, wenn wir das
nicht ändern sollten, aber wir werden das ändern. Das
Aufkommen der Ökosteuer ist genau dreimal so hoch wie
der Etat des Wirtschaftsministers. Man könnte sagen, das
sei ganz gut, weil die Subventionen in dieser Zeit vielleicht zurückgegangen seien. Aber wenn man eine Bilanz
für den Zeitraum von 1998 bis 2002 zieht, dann muss
man feststellen, dass die Finanz- und Steuersubventionen
in Ihrer Regierungszeit ebenfalls gestiegen sind. Ordnungspolitisch können Sie der FDP und jeder anderen
Fraktion im Hause rechts von den Grünen keinen Vorwurf machen.
Die Privatisierungspolitik ist gescheitert. Schauen Sie
sich die Privatisierungen bei der Telekom und der Bundesdruckerei an. In dem Bestreben, durch Verkäufe die
schnelle Mark zu machen, haben Sie die Unternehmen
fast an den Rand des Ruins gebracht.
({8})
- Sie sollten sich einmal mit den Fakten befassen.
({9})
Ich fasse zusammen: Die rot-grüne Politik hat eine
Glaubwürdigkeitslücke hinterlassen. Statt Wachstum haDietrich Austermann
ben wir Stagnation, statt Senkung der Arbeitslosigkeit haben wir eine steigende Arbeitslosigkeit, statt Senkung der
Abgabenbelastung haben wir höhere Abgaben, statt
Schuldenabbau haben wir Schuldenaufbau und statt einer
wachstumsstimulierenden Steuerreform haben wir eine
verkorkste Steuerreform. Wahrscheinlich war das der
Grund, warum bis vor einer Woche die Formulare für die
Körperschaftsteuer 2001 noch nicht gedruckt waren.
Trotzdem wurden die Unternehmen gemahnt, eine Steuererklärung abzugeben, obwohl jeder weiß, dass unter den
Sozialdemokraten Körperschaften in Deutschland keine
Steuern mehr zahlen.
Mitten in der Rezession wurden die Steuern erhöht:
Ökosteuer, Tabaksteuer und Versicherungsteuer. Das soll
zum 1. Januar weitergehen. Bei einer Fortsetzung von
Rot-Grün würden die Steuerzahler durch weitere massive
Steuererhöhungen zur Kasse gebeten. Sie haben - das gilt
speziell für den Wirtschaftsminister - vier Jahre lang versagt. Der Wähler wird Ihnen keinen Tag länger gewähren.
Man kann auch gut regieren; Sie werden es sehen. Es ist
Zeit für den Wechsel und Zeit für Taten.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat die Kollegin
Andrea Fischer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten in letzter Zeit einigen Grund, über die
FDP zu spotten. Aber man kann immer noch einen neuen
Grund finden. Manchmal ist es schon absurd: Der Kollege
Koppelin hat sich vor wenigen Tagen - er hat auch die
Große Anfrage der FDP zu verantworten - in das kleine
Drama um die Enten des Jakob-Kaiser-Hauses eingemischt. Er hat ein großes grünes Plastikkrokodil mit einer
Ente im Maul in das Bassin gelassen. Zunächst einmal
muss man feststellen, dass die Aktion stilistische Mängel
hat; denn das Krokodil ist nicht an einem Fallschirm hängend ins Bassin geschwebt und es hat auch nicht die Zahl
18 unter dem Bauch gehabt.
({0})
Während sich alle Entenfreunde im Hause mit spitzen
Instrumenten bereit machten, die Enten notfalls gegen das
Krokodil zu verteidigen, stellte sich heraus, dass das Krokodil gar nicht aggressiv war. Seitdem es in diesem Bassin ist, liegt es in einer Ecke - meistens in der rechten und dreht sich um sich selbst.
({1})
Die Große Anfrage ist sicherlich ein Teil der Strategie
der FDP. Ich teile die Meinung des Wirtschaftsministers
völlig, dass wir es bei dieser Anfrage nicht mit einem starken Angriff, sondern mit einem echten Eigentor zu tun haben. Die FDP hat Fragen, wir haben Antworten. Ich weiß
nicht, ob Sie das Stellen von 253 Fragen für schlanke Opposition halten. Aber ich weiß, dass Sie eine schlanke Verwaltung auf diese Weise nicht hinbekommen werden.
({2})
Wir fragen uns natürlich schon, warum Sie eigentlich die
Antworten auf die Fragen - es handelt sich um Beschlusslagen - nicht selber zusammentragen wollten.
({3})
Fakt ist aber auch, dass Sie uns damit eine Art Kompendium für die Regierungspolitik geliefert haben. Am
Ende einer Legislaturperiode fragt man sich selbstkritisch, ob man gut genug gewesen sei. Seitdem ich die Antwort der Bundesregierung gelesen habe, kann ich nur sagen: Ja, wir waren gut genug.
({4})
In diesem Sinne vielen Dank, dass Sie uns eine Motivation für den Wahlkampf geliefert haben.
Da der Wirtschaftsminister meines Erachtens schon alles Richtige und Notwendige zur Wirtschaftspolitik gesagt hat, will ich mich jetzt der Fragestellung zuwenden,
was Sie fragen bzw. was Sie nicht fragen und was uns das
sagt.
Bei Ihren Fragen ist auffällig, dass Sie einen großen
Schwerpunkt auf das Feld der Außenpolitik gelegt haben. Das ist deswegen ein bisschen verwunderlich, weil es
sich hier um ein traditionell eher fraktionsübergreifendes
Politikfeld handelt, in dem gegenseitig gut informiert
wird. Man wundert sich daher schon, wie groß der Fragebedarf diesbezüglich ist.
Man wundert sich auch vor dem Hintergrund, dass die
Bundesregierung im Bereich der Außenpolitik in den letzten vier Jahren die veränderte Rolle Deutschlands angenommen und sowohl visionär als auch umsichtig ausgefüllt
hat. Sie hat unglaublich schwierige Entscheidungen vorbereiten und treffen und der Bevölkerung vermitteln müssen.
Sie hat Deutschlands Ansehen in der Welt gemehrt. Wir haben diese gewandelte Rolle angenommen, angefangen bei
Militäreinsätzen - das fiel uns besonders schwer - bis hin
zu der wegweisenden Initiative zur Entschuldigung der
ärmsten Staaten. Deutschland hat in der Europäischen
Union eine aktive, vorantreibende Rolle gespielt.
Auch wenn man als Parlamentarierin weiß, dass die
Opposition kritisieren muss, fragt man sich, warum Sie
angesichts des hohen Ansehens, das die Bundesregierung
in den letzten Jahren für Deutschland erwerben konnte,
ausgerechnet in diesem Punkt so kritisch sind. Ich persönlich meine, dass Sie Grund zur Selbstkritik haben.
Wenn jemand in den letzten Jahren dem Ansehen
Deutschlands in der Welt geschadet hat, dann war es der
Amoklauf von Jürgen W. Möllemann.
({5})
Im Ausland hat man sich gefragt, ob die deutsche Bevölkerung wirklich so verirrt sein kann, eine Partei an der Regierung zu beteiligen, deren führende Vertreter den Unterschied zwischen der konkreten Kritik an einer Person
und der Diffamierung einer ganzen Personengruppe nicht
verstehen
({6})
und die nicht erkannt haben, dass wir das Existenzrecht Israels jeden Tag verteidigen müssen und wir auf dieser
Grundlage die Berechtigung und sogar die Pflicht zur Kritik an der Regierungspolitik Israels haben.
Die deutschen Wähler sind, was diese Frage anbelangt,
offensichtlich klüger. Ich entnehme einer Umfrage, dass
selbst 53 Prozent der FDP-Anhänger den selbst ernannten
Kanzlerkandidaten der FDP nicht als Außenminister akzeptieren, sondern den amtierenden Außenminister auch
nach dem 22. September im Amt sehen wollen.
({7})
Schauen wir uns an, wonach Sie in Ihrer Großen Anfrage nicht gefragt haben. Nicht nur, dass sich Conny
Pieper angesichts der Aufgabe des Aufbaus Ost so erschrocken hat, dass sie sofort wieder flüchten will, Ihnen
ist der Aufbau Ost von 253 Fragen genau zwei wert.
({8})
Herzlichen Glückwunsch zu diesem starken gesamtdeutschen Engagement!
Es gibt ein anderes Feld, bei dem man sich wirklich
wundert. Die beiden Bereiche der Haushaltskonsolidierung und der Steuerpolitik finden keinen Niederschlag.
({9})
Warum wohl? Angesichts dessen, dass immerhin mehrere
Fragen nach einem Gesetz zur Abschöpfung von Vermögensvorteilen bei Straftaten gestellt werden oder auch die
Frage nach den Trassenpreisen der Bahn große Beachtung
findet, möchten Sie offenkundig nicht nach dem erfolgreichsten politischen Projekt der Bundesregierung fragen.
({10})
Wir haben in den letzten vier Jahren damit angefangen,
eine Hypothek abzutragen, die uns - das hat der Wirtschaftsminister deutlich ausgeführt - von Ihnen überlassen worden ist.
({11})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
({0})
Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen.
Wir haben den Schuldenanstieg verlangsamt. Wir haben das Verhältnis von Steuereinnahmen und Ausgaben
deutlich verbessert. Wir haben die Nettokreditaufnahme
zurückgeführt und dabei die Investitionen konstant gehalten. Wir haben die Bürger und die Unternehmen bei den
Steuern um 62 Milliarden Euro entlastet.
Auch ich wäre kleinlaut, wenn ich, wie es die „Financial Times Deutschland“ festgestellt hat, das teuerste
Wahlprogramm Deutschlands hätte.
({0})
Sie versprechen zwar, die Bürger bei den Steuern um
72 Milliarden Euro zu entlasten; aber nur im Hinblick auf
20 Milliarden Euro sagen Sie, wie Sie das umsetzen wollen. Die Wählerinnen und Wähler wissen nicht, welche
Katze im Sack sie kaufen. Sie fragen sich, wer am Ende
die Entlastung der Besserverdienenden bezahlen muss.
({1})
Ein Thema, das Sie auch nicht interessiert - gestatten
Sie mir, das aus meiner persönlichen Sicht darzustellen -,
ist die Behindertenpolitik.
({2})
Ich vermute, dass Sie dieses Thema nicht interessiert, weil
es ein besonders erfolgreicher Bereich unserer Politik war.
({3})
- Zu meinem eigenen Leidwesen habe ich die 253 Fragen
wirklich gelesen.
({4})
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund dessen, was ich in
der Opposition in den vier Jahren vor unserer Regierungszeit erlebt habe, finde ich das Wort Stolz fast unangemessen für das, was wir in der Behindertenpolitik erreicht haben. Wir haben in den letzten vier Jahren
deutliche Verbesserungen, was den Zugang zum Arbeitsmarkt anbelangt, erreicht. Wir haben die Bedingungen der
Rehabilitation deutlich verbessert und wir haben das
Gleichstellungsgesetz verabschiedet. Das hat für Millionen von Menschen mit Behinderungen und deren Familien eine große Bedeutung. Das kann man nicht hoch genug einschätzen.
({5})
Andrea Fischer ({6})
Es bedeutet darüber hinaus, dass wir Schluss mit der
bisherigen paternalistischen Behindertenpolitik und damit gemacht haben, dass Nichtbehinderte meinen, sie
wüssten es besser als die Behinderten. Wir haben endlich
anerkannt, dass wir es hier mit Expertinnen und Experten
in eigener Sache zu tun haben und wir ihnen entsprechende Rahmenbedingungen vorgeben müssen, damit sie
ihren Anspruch auf Selbstbestimmung auch tatsächlich
durchsetzen können.
({7})
Ich gestatte mir in dieser Debatte, nicht nur einfach darüber zu sprechen, welche Erfolge die Bundesregierung
erzielt hat; das werden sicherlich noch viele andere tun.
Ich möchte abschließend im Hinblick auf meine Zeit hier
im Bundestag einige grundsätzliche Anmerkungen zur
Sozialpolitik machen.
({8})
Als ich vor acht Jahren in den Bundestag kam, traf ich
auf die Gralshüter des Sozialstaates, die meinten, dass
man, wenn man behaupte, Rentenpolitik sei auch ein
Thema für junge Leute, die Rentenpolitik wohl nicht verstanden habe. Ich habe damals gelernt, dass es unglaublich lange braucht, bis gesellschaftliche Veränderungen
bei der Politik ankommen, und dass es ein unglaublich
großes Beharrungsvermögen gibt, das auch gut organisiert ist. Wir haben allerdings in den letzten Jahren in der
Rentenpolitik gezeigt, dass Veränderung möglich ist.
Auch dieses dicke Brett konnte also gebohrt werden.
Sozialpolitiker sind zu Recht immer vorsichtig mit
Veränderungen; denn sie wissen, dass sich jede noch so
kleine Gesetzesänderung am Ende auf den Alltag, die Lebensumstände der Menschen auswirkt. Deswegen kommt
es in der Sozialpolitik nicht zur Revolution. Ich glaube
aber, dass vieles, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, nicht aufgrund kluger Vorsicht geschehen ist. Wir haben es vielmehr mit Besitzstandswahrung, Unbeweglichkeit und Egoismus zu tun.
({9})
Oft verbirgt sich hinter dem Vorwurf, etwas sei unsozial, im Grunde nur der Versuch, die eigenen Interessen zu
wahren. Ist es wirklich unsozial, den Generationenvertrag
in ein neues Gleichgewicht zu bringen, bevor er durch die
demographische Entwicklung gebrochen wird? Ist es
wirklich unsozial, das solidarische Gesundheitssystem
davor zu bewahren, durch Intransparenz, schlechte Qualität und das Selbstbestimmungsrecht der Selbstverwaltungsorgane zerstört zu werden? Ist es wirklich unsozial,
gegebenenfalls auch Leistungseinschränkungen vorzunehmen, obwohl diese dazu beitragen, ein Solidarsystem
zukunftsfest zu machen?
Nach diesen acht Jahren habe ich noch immer meinen
Traum von Sozialpolitik. Ich möchte, dass wir uns den
Veränderungen stellen und Mut zu Neuem haben und dass
es hier Politiker mit Mut zur Führung gibt. Ich möchte,
dass wir die lebendige Seite des Sozialstaats wahrnehmen
und den Menschen helfen, in ihrem Alltag Großzügigkeit
und Solidaritätsbereitschaft zu leben. Ich möchte, dass
wir die Mythen des Sozialstaats entschleiern und nachfragen, wo unsere Solidarität gefordert ist und wo sie heute
vielleicht nicht mehr gebraucht wird.
({10})
Ich möchte, dass sich die Sozialpolitik vom Bild des
mündigen Menschen leiten lässt, der Eigeninitiative hat
und von dem wir erwarten können, dass er Eigenverantwortung praktiziert. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, wo die Eigeninitiative nicht weiterhilft und wir Unterstützung leisten müssen. Ich wünsche mir vor allem,
dass dies nicht nur in warmen Abschiedsreden oder Sonntagsreden eine Rolle spielt und dass die Debatten hierzu
nicht so ritualisiert ablaufen, dass alle Seiten nur Gründe
suchen, sich der Veränderung zu verweigern, dann aber
über die schlechte Lage klagen.
({11})
Ich habe noch einen Wunsch, nämlich den Wunsch
nach Aufmerksamkeit für das, was man in Politik und Medien gerne die weichen Themen nennt. Diese Themen haben in der Regel am meisten mit dem Alltag der Menschen
zu tun. Ich habe es eben schon gesagt: Es ist bemerkenswert, dass die Behindertenpolitik, ein Thema, das Millionen Menschen in unserem Land sehr berührt, in der Öffentlichkeit so wenig Aufmerksamkeit findet. Das halte
ich für einen schweren Fehler.
({12})
Ich möchte dies noch an einem anderen Punkt festmachen, nämlich an der Pflege. Die Pflege ist klassischerweise ein Thema für die Fachleute der Sozialpolitik.
Aber das ist mir zu wenig. Es ist eine Herausforderung,
der sich jeden Tag Millionen von Menschen stellen. Die
Gesellschaft muss sich in Zukunft anders organisieren,
wenn sie diese Herausforderung unter den veränderten
Bedingungen bewältigen will. Sie wird darüber nachdenken müssen, wie den Menschen sowohl die Erwerbstätigkeit als auch die Pflege der Angehörigen ermöglicht
wird. Es wird sich vieles ändern müssen. Wir werden neue
Netze und mehr Unterstützung brauchen. Wir werden
auch im Arbeitsleben ein anderes Denken verfolgen
müssen. Wir müssen die Menschen vor der Überforderung schützen, indem wir alle gemeinsam gegen die
Gleichgültigkeit streiten. Deswegen geht dieses Thema
uns alle an.
({13})
Ich habe als Parlamentarierin in relativ kurzer Zeit alle
Höhen und Tiefen erlebt, die man als Politikerin erleben
kann. Trotzdem möchte ich keinen Tag missen. Politik ist
ein schöner Beruf, der von uns viel verlangt, der uns viel
ermöglicht und in dem wir viel lernen können.
Was ich nicht vermissen werde, sind langweilige, uninspirierte, abgelesene Reden und ritualisierte Debatten in
diesem Haus. Was ich vermissen werde, sind der Adrenalinstoß vor einer Rede und die leidenschaftliche DeAndrea Fischer ({14})
batte. Was ich nicht vermissen werde, sind Neid, Häme
und Intrigen, die mit jeder Stufe der Karriereleiter stärker
werden. Was ich vermissen werde, sind Loyalität und
Freundschaft; denn die gibt es auch in der Politik. Ich
danke all denen in meiner Fraktion, die wissen, dass sie
gemeint sind.
({15})
Was ich nicht vermissen werde, ist der mangelnde Sinn
für Ironie und Humor in Politik und Öffentlichkeit. Was
ich vermissen werde, sind die nächtlichen Debatten im
Plenum, am liebsten damals in Bonn und am liebsten mit
dem Rechtsausschuss, wo Sachkunde, persönliche Beziehungen und manchmal unfreiwillige Komik eine unheimliche Mischung eingingen.
({16})
Was ich nicht vermissen werde, ist der ständige Kampf
mit populistischen Vorurteilen gegen Politiker. Was ich
vermissen werde, ist die Gelegenheit zur Zusammenarbeit
mit großartigen Menschen, auch jenseits des eigenen Lagers, wo ich insbesondere natürlich Frau von Renesse,
Frau Böhmer, Karl-Josef Laumann und Gisela Babel nennen möchte.
({17})
Was ich nicht vermissen werde, ist die Goldwaage, auf die
die Worte einer Politikerin gelegt werden. Was ich sehr
vermissen werde, sind die klugen und wunderbaren Mitarbeiter, die mir in diesen acht Jahren geholfen haben.
Entgegen landläufiger Meinung bin ich nicht der Meinung, Politiker seien Menschen, die einer Sucht anheim
gefallen sind. Vielmehr sind es Menschen, die einen Beruf ausüben, der ihnen aus gutem Grund auch viel Freude
macht, weil er ihnen unter anderem die Möglichkeit zur
Gestaltung bietet. Deshalb ist es auch nicht leicht, diesen
Beruf zu verlassen, aber es ist möglich. Ich tue das mit einem freundlichen Blick zurück und einem neugierigen
nach vorne.
Ich danke Ihnen.
({18})
Frau Kollegin Fischer,
Sie haben den Beifall aller Kolleginnen und Kollegen im
Hohen Hause entgegengenommen. Nehmen Sie ihn als
ein symbolisches Dankeschön für Ihr engagiertes Wirken
in den letzten acht Jahren, in diesen zwei Legislaturperioden. Wir alle wissen, dass Sie in entscheidendem Maße
die sozialpolitischen Debatten hier im Parlament mitbestimmt haben.
Ich sage ganz bewusst: Es war Ihre vorerst letzte Rede
im Deutschen Bundestag. Ich denke, in unserer Generation sollte man gar nichts ausschließen, auch nicht, dass
man zu späterer Zeit vielleicht noch einmal wiederkommt. Wir wünschen Ihnen auf jeden Fall - sicher alle
gerührt durch Ihren Rückblick, der für uns alle ein produktiver Rückblick war - alles Gute für die kommenden
Jahre. Ich denke schon, dass man sich wiedersieht.
({0})
Jetzt erteile ich das Wort zu einer Kurzintervention
dem Kollegen Jürgen Koppelin.
({1})
Verehrte Kollegin Fischer,
vor allem der letzte Teil Ihrer Rede hat mir natürlich sehr
gut gefallen und ich will ausdrücklich sagen, dass ich Ihnen persönlich für den weiteren Werdegang wirklich alles
Gute wünsche. Das wissen Sie auch aus persönlichen Gesprächen.
Ich habe mich zum ersten Teil Ihrer Rede gemeldet.
Was Sie da gesagt haben, kann so nicht stehen bleiben.
Das werden Sie verstehen.
({0})
- Nicht das Krokodil. Dieses Krokodil heißt übrigens
Joseph und wird Joschka gerufen. Und wenn es da so still
in der Ecke liegt und dann noch in der rechten Ecke, wie
die Kollegin eben berichtet hat, möge sie das selber kommentieren. Im Übrigen können Sie gar nicht sehen, ob bei
der Ente irgendwo die 18 aufgemalt ist, weil das Krokodil diese Ente bereits fast gefressen hat. Im Augenblick
fehlt übrigens eine Ihrer drei Enten. Vielleicht gucken Sie
noch einmal nach. Aber das regeln wir später.
Ich habe mich aus folgendem Grund gemeldet, Kollegin Fischer: Sie können unsere Anfrage nicht in der Form
kritisieren, wie Sie es hier getan haben. Warum hat denn
zum Beispiel in sieben Ministerien ein Wechsel stattgefunden? So erfolgreich kann diese Regierung insgesamt ja
nicht gewesen sein. Ich will hier nicht nur an Ihren Rücktritt erinnern, der - so war jedenfalls mein Eindruck - ja
auch in Ihrer eigenen Partei betrieben worden ist. Da sind
Dinge zurückgeblieben. Da können Sie doch nicht von
erfolgreicher Politik reden. Sie haben zurücktreten müssen. Wegen erfolgreicher Politik? Oder warum haben Sie
zurücktreten müssen?
({1})
Nun komme ich zu Ihrem Namensvetter Joseph
Fischer. Die Kollegin hat ihn gelobt; das ist natürlich ihre
Pflicht als Fraktionsmitglied. Damit Sie aber sehen, wie
erfolgreich seine Politik auch bei den Grünen gesehen
wird, zitiere ich die „Lübecker Nachrichten“ von gestern.
Danach hat der Kreisverband der Grünen in Lübeck ein
Stadtverbot für Joschka Fischer, den Außenminister, beschlossen. Man will ihn im Wahlkampf innerhalb Lübecks
nicht sehen und begründet das wie folgt: „Wir haben uns
und unsere Glaubwürdigkeit anzubieten“, sagen die Grünen. Deshalb darf er nicht kommen. „Eine Glaubwürdigkeit, die Außenminister Fischer nicht verkörpere“, Ich zitiere die „Lübecker Nachrichten“; dort heißt es weiter:
„Wir brauchen die Reklamesprüche ... nicht.“ ... Seit
Fischer in der Bundesregierung sei, hätten die Grünen
Andrea Fischer ({2})
bei jeder Landtagswahl Stimmen verloren. Für die
Partei komme bei den Auftritten der Spitzenkräfte
nichts heraus. ... „Wenn 1 000 Leute bei Fischer Beifall klatschen, wählen trotzdem nur zehn von denen
die Grünen.“
Anschließend wird vom Kreisverband in Lübeck zur
Außenpolitik von Joschka Fischer Stellung genommen.
Sie werden also verstehen, dass das Lob für Ihren Spitzenmann nicht ganz so einheitlich ist. Ich könnte Ihnen
auch andere grüne Kreisverbände in Schleswig-Holstein
nennen, die sich entweder aufgelöst haben oder das genauso kritisieren. Sie wissen, dass Sie dieses Problem haben und die Außenpolitik Ihres Außenministers nicht so
anerkannt wird, wie Sie es sich mit Blick auf die Bundestagswahl vielleicht wünschen.
Rot-Grün hat so viele Auslandseinsätze befürwortet,
wie ich es mir nie habe träumen lassen. Es ist eine Veränderung innerhalb der Außenpolitik, die durchaus kritisch
zu würdigen ist. Dazu haben Sie nicht Stellung genommen.
({3})
Was mich aber am meisten stört - das sage ich als überzeugter Parlamentarier -, ist, dass Sie unsere Anfrage
- das war eine Fleißarbeit, für die wir die Regierungserklärung und die Koalitionsvereinbarung herangezogen
und dazu Fragen formuliert haben - in dieser Form kritisieren. Ich finde es bedauerlich, wenn Sie das so kritisieren; denn es ist das Recht des Parlamentariers, nach diesen Dingen zu fragen. Ihr Minister Müller hat das vorhin
in wesentlich arroganterer Art getan; Sie haben es noch
nett und freundlich gemacht. Ich finde das nicht in Ordnung. Wenn wir unsere Pflicht tun, sollten Sie das anerkennen.
Herr Kollege
Koppelin, Sie hatten zwei Sätze angekündigt. Jetzt haben
Sie ein wenig länger gesprochen.
Eine Erwiderung gibt es nicht. Ich denke, die Krokodil- und Entenfrage können wir in der parlamentarischen
Sommerpause klären.
Wir fahren jetzt in der Debatte fort. Ich erteile das Wort
dem Fraktionsvorsitzenden der PDS Roland Claus.
Frau Präsidentin! Ich möchte
mich zunächst Ihrer Würdigung für Frau Fischer sehr gern
anschließen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich hatte gestern Gelegenheit zur Kritik an der Arbeit der Bundesregierung. Dafür gab es reichlich Anlass. Ich will heute die
Gelegenheit nutzen, eine kritische Analyse der Anträge
und Vorlagen der konservativen und liberalen Opposition
vorzunehmen, um anschließend zu erklären, warum ich
diese Alternative nicht für eine wirkliche halte.
Da ich nicht an einen FDP-Kanzler glaube, beschäftige
ich mich vorrangig mit den Unionsanträgen. Um nicht
missverstanden zu werden: An einen Unionskanzler
glaube ich natürlich auch nicht.
({0})
Die FDP hat uns schon einiges vorgeführt. Das Einzige, was ich noch an Steigerung erwarte, ist der Versuch,
sich vor Gericht in das Kanzleramt einzuklagen. Die Anträge und Vorschläge der Union erinnern mich an eine
Liedzeile, die die Rocklady Nummer eins in der DDR,
Tamara Danz, einst so schön gesungen hat: Wo wir sind,
ist vorn; wenn wir hinten sind, ist hinten vorn.
({1})
- Das ist nicht platt. Das ist ein schönes Lied.
({2})
Das Unionsprogramm bedeutet soziale Kälte und
Ellenbogengesellschaft, wirtschaftspolitische Rückständigkeit,
({3})
finanzpolitisches Wunschdenken, kulturelles Roll-back
und europapolitisches Versagen. Ich verstehe Ihr Begehren zu einer späten Rache an den 68ern, meine Damen und
Herren von der Union, aber ein Zukunftsprojekt entsteht
daraus noch lange nicht.
({4})
Ich will Ihre Vorschläge an drei Beispielen untersuchen: Erstens. Sie wollen die Staatsquote in vier Jahren
unter 40 Prozent senken.
({5})
- Das ist Ihr Vorschlag; das können Sie jetzt nicht abstreiten. - Das bedeutet umgerechnet einen ganzen Bundeshaushalt weniger. Diese Umrechnung habe ich nicht
allein vorgenommen. 80 Milliarden Euro pro Jahr weniger bringen Sie, meine Damen und Herren von der Union,
mit der Logik von Ludwig Erhard nicht in Einklang. Das
ginge nur mit der Logik von Wladimir Iljitsch Lenin und
das wären nicht zwei Schritte vorwärts, sondern deutlich
ein Schritt zurück.
({6})
Sie hatten ein K-Problem in der Kanzlerfrage, jetzt haben
Sie ein K-Problem in der Kompetenzfrage.
Zweitens. Sie wollen Lebensrisiken weiter privatisieren: bei der Rente und der Arbeitslosigkeit. Ein Lieblingsspruch aus dem Sprüchebeutel Ihres Fraktionsvorsitzenden lautet: Wir haben es jetzt mit einer Kombination
von Sozialhilfe und Schwarzarbeit zu tun; deshalb muss
man den Sozialhilfeempfängern auf die Finger klopfen.
Wir sagen Ihnen dazu ganz deutlich: Es gibt keinen
Schwarzarbeiter, ohne dass es vorher einen Schwarzarbeitgeber gegeben hätte. Die Arbeitslosigkeit als die
größte Unfreiheit der Neuzeit dadurch bekämpfen zu wollen, dass man diese Unfreien, die Arbeit Suchenden und
Arbeitslosen, beschimpft und verhöhnt - eine solche Politik machen wir nicht mit.
({7})
Deutschland braucht eine Reform der Arbeitswelt und
nicht der Arbeitslosenwelt. Das bleibt auch angesichts
neuer Vorschläge gültig.
Um soziale Projekte zu finanzieren, brauchen wir in
Deutschland eine wirkliche Vermögensbesteuerung und
nicht nur eine Vermögensvergrößerungsbesteuerung. Das
Fehlen einer solchen Besteuerung ist der eigentliche
Grund dafür, dass sich die Reichen hierzulande im Hinblick auf die Steuer immer wieder arm rechnen können.
Noch nie aber konnten sich Arme reich rechnen.
({8})
Ein dritter Punkt: Die Union entdeckt den Osten.
Lothar Späth schwärmt von einem kommunalen Investitionsprogramm. Man muss fragen: Warum haben Sie Anträgen nicht zugestimmt, die wir in diesem Hause eingebracht haben? Aber Sie befinden sich ja auf dem Weg der
Besserung, da Sie in der vorigen Woche zum ersten Mal
einem PDS-Antrag zur Pflege zugestimmt haben. Der
Kanzlerkandidat Stoiber war in meinem Wohnort Halle
und hat dort herausgefunden, dass Hallorenkugeln essbar
sind. Was uns aber an dieser Politik nervt, ist, dass Sie sich
den neuen Bundesländern immer nur dann zuwenden,
wenn Wahlen vor der Tür stehen.
({9})
Wir hielten viel davon - einer solchen Erwartung begegnen wir wie auch Sie immer wieder in Gesprächen in
unseren Wahlkreisen -, wenn die Abgeordneten aus den
neuen Bundesländern es schafften, einmal gemeinsam die
Ärmel aufzukrempeln, anstatt sich immer nur darüber zu
streiten, wer die meiste Schuld hat. Einen solchen Anspruch halte ich nach wie vor für richtig; wir sollten ihn
umsetzen. Er ist aber unglaubwürdig, wenn die Kanzlerkandidaten immer nur kurz vor der Wahl auftauchen.
Mein Fazit: Ich kann viele Bayern gut verstehen, wenn
sie Ministerpräsident Stoiber loswerden wollen. Aber ich
bitte die Bayerinnen und Bayern: nicht nach Berlin.
({10})
Jedem, der das so sieht wie ich, kann ich nur sagen:
Ganz sicher wählen Sie Stoiber nur dann nicht, wenn Sie
die PDS wählen.
Vielen Dank.
({11})
Als Nächster spricht
der Kollege Joachim Poß für die Fraktion der SPD.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Im Gegensatz zu mancher Kritik, die hier
geäußert wurde, halte ich die Anfrage der FDP wirklich
für verdienstvoll, bietet sie den Regierungsfraktionen
doch eine hervorragende Grundlage, in den nächsten Wochen und Monaten zu argumentieren.
({0})
Ich hoffe, Herr Brüderle, dass Sie sich jetzt entgegen
Ihren sonstigen Gewohnheiten einmal dazu bequemen,
die Inhalte zur Kenntnis zu nehmen, die aufgrund Ihrer
Fragen in dieser eindrucksvollen Bilanz ausgebreitet sind.
Dazu zählen auch die Frage, wie wir hier miteinander
umgehen, sowie die Tatsache, dass Fakten und Zahlen ausgeblendet werden. Herr Claus - ich will jetzt nicht nur die
CDU/CSU und die FDP ansprechen - hat eben ein Beispiel
dafür geliefert. Seit dem Regierungswechsel zahlen Einkommensmillionäre in der Bundesrepublik Deutschland
wieder Einkommensteuer. Das war vorher nicht der Fall.
Sagen Sie das einmal Ihrer Klientel auf Ihren Parteiveranstaltungen,
({1})
anstatt immer nur ein Zerrbild von der Wirklichkeit zu
malen. Wir, die Grünen und die Sozialdemokraten, haben
gemeinsam mehr Steuergerechtigkeit hergestellt.
({2})
Herr Claus, das gehört auch zu den Fakten, die verschwiegen werden.
({3})
- Wissen Sie, meine Kollegen von der Union, zu Ihrer Regierungszeit wurden Einkommensmillionären noch Steuern erstattet. Lesen Sie den Bericht des Landesrechnungshofes Baden-Württemberg oder andere ideologisch
unverdächtige Quellen, die ich Ihnen nennen könnte, und
setzen Sie sich einmal mit der Wirklichkeit auseinander.
Dass Sie das nicht machen, ist Ihre Schwäche. Der Regierungswechsel hat sich nämlich für die Lebenswirklichkeit von Millionen von Menschen gelohnt: für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Familien mit Kindern
und auch für den Mittelstand.
({4})
Dann sagten Sie, Herr Claus, die Kanzlerkandidaten kämen nur kurz vor der Wahl nach Ostdeutschland und kümmerten sich ansonsten nicht um die neuen Länder. Das ist
schlicht die Unwahrheit. Wer hat denn dafür gesorgt, dass
wir im Juni letzten Jahres den Solidarpakt mit einem Volumen von 156 Milliarden Euro gestemmt haben? Wer hat
das denn gemacht? Hat das nicht diese Bundesregierung
und hat das nicht diese Mehrheit im Bundestag betrieben?
Herr Claus, das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis
nehmen und können dies nicht so ohne weiteres ignorieren.
({5})
Zur politischen Auseinandersetzung gehört auch, dass
sich Herr Stoiber vergegenwärtigen muss, wie denn Mitglieder seines Inkompetenzteams - oder wie man dies
auch immer nennen soll - oder auch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unsere Politik beurteilen. Es ist interessant, wie sie beurteilt wird. Danach sind wir gar nicht das
Armenhaus Europas. Herr Späth - ein Kollege von mir,
Herr Wend, hat ihn gestern schon zitiert - hat dem Bundeskanzler noch im letzten Jahr attestiert, dass er einen
hervorragenden Job macht.
Noch am letzten Wochenende hat Herr Schäuble die
von Rudolf Scharping konzipierte und durchgesetzte
Bundeswehrreform als in die richtige Richtung gehend
begrüßt. Wir alle hier im Bundestag wissen, dass der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, wenn es nach
ihm gegangen wäre, unserem Zuwanderungsgesetz aus
vollster Überzeugung zugestimmt hätte. Schließlich finden sich in ihm viele seiner Überzeugungen und Vorstellungen wieder. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat
unserer BAföG-Reform, unserer Wohngeldreform und
anderen wichtigen gesellschaftspolitischen Schritten hier
im Deutschen Bundestag zugestimmt.
({6})
Was wir bei der CDU/CSU antreffen, ist ein offenkundiges geistiges Durcheinander. Ein besonders krasser Fall
in dem Durcheinander, das die Union immer stärker bietet, ist der Berater von Herrn Stoiber, der vor elf Jahren
vom Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten zurücktreten musste.
({7})
Herr Späth hat nicht nur unsere Steuerreform begrüßt, er
war auch sehr angetan von den Überlegungen und Vorschlägen der Hartz-Kommission. Dies allerdings war
seine Meinung, bevor er vom Kanzlerkandidaten Stoiber
zurückgepfiffen worden ist. Der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg muss sich bei seiner Selbstdarstellungslust und Eitelkeit offensichtlich erst noch
daran gewöhnen, dass nicht gilt, was er in irgendeiner
Talkshow sagt, sondern nur gilt, was sein Chef meint.
Dies ist für ihn so eine Art Déjà-vu-Erlebnis: Er erinnert
sich an Kohl zurück. Dies liegt allerdings schon etwas
mehr als ein Jahrzehnt zurück.
({8})
Wir können aber auch andere Themen nehmen, so beispielsweise die Widersprüchlichkeit und das Durcheinander beim Thema Gemeindefinanzen. Unbeeindruckt von
der endgültigen Fassung seines eigenen Programms und
von der eindeutigen Position der kommunalen Spitzenverbände hat Herr Merz - Herr Merz ist ja die Nachhut in
Stoibers Kompetenzteam, dies ist der Mann, der dafür bekannt ist, dass er flüssig im Reden ist, allerdings mit Zahlen und Fakten besonders große Schwierigkeiten hat;
({9})
gestern hat er wieder ein Beispiel dafür abgelegt - kürzlich vor einem kommunalen Spitzenverband noch immer
die Forderung des BDI nach der Abschaffung der Gewerbesteuer und deren Ersatz durch Zuschläge zum örtlichen
Einkommen- und Körperschaftsteueraufkommen vertreten. Dies sollte überall in der kommunalen Familie verbreitet werden, so etwa bei den Kommunalpolitikerinnen
und -politikern der CDU, die diese Regierung so sehr angreifen. Denen ist noch gar nicht bekannt, was Herr Merz
da vertritt.
({10})
Wie den Kommunen auf diesem Wege ein verlässliches Steueraufkommen in der bisherigen Größenordnung der Gewerbesteuer von jährlich rund 25 Milliarden
Euro gesichert werden soll, ist aber ein komplettes Rätsel.
Hier wird es konkret und hier taucht die Union weg.
Worum geht es konkret? Nach der Mai-Steuerschätzung beläuft sich das Aufkommen von Lohn- und Einkommensteuer sowie der Körperschaftsteuer in diesem
Jahr auf rund 150 Milliarden Euro. Auf dieses Steueraufkommen müsste der Ausfall der gesamten Gewerbesteuer
aufgeschlagen werden. Demnach würden 25 Milliarden Euro zusätzlich eine sofortige Steigerung des Aufkommens an Lohnsteuer, Einkommensteuer und Körperschaftsteuer um über 15 Prozent erfordern. Es geht
also keineswegs bloß um Zuschläge der Kommunen von
2,3 oder 5 Prozent auf ihren jeweiligen Steueranteil.
Wie aber passt eine solche Erhöhung der Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer mit der angekündigten
weiteren Absenkung zumindest des Spitzensteuersatzes
der Einkommensteuer zusammen? Auf Ihrem Parteitag
haben Sie von der CDU beschlossen, den Spitzensteuersatz auf 35 Prozent zu senken. Herr Koch hat dieses Vorhaben kürzlich wiederholt. Herr Koch hat im Übrigen
vorgeschlagen, allen Pensionären die 13. Pension zu streichen. Diese Forderung ist in den letzten Wochen auch untergegangen.
({11})
Mit Ihrer Forderung nach Senkung des Spitzensteuersatzes auf 35 Prozent - nicht nur auf unter 40 Prozent werden die Finanzierungsschwierigkeiten offenkundig
immer größer. Wer genau soll diese Steuererhöhungen
denn bezahlen, etwa die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer?
So könnte man fortfahren, wenn man sich in der Tat
einmal konkret anschaut, was Sie auf Ihrem Parteitag beschlossen haben und wie Ihr jetziges Wahlprogramm aussieht. Herr Austermann, was gilt denn nun in der Steuerund Finanzpolitik der Union?
({12})
Ich kann es Ihnen sagen: Es gilt das Chaos, und zwar das
gleiche Chaos, das bereits am Anfang dieses Jahres bei Ihnen herrschte. Sie sind in der Steuer- und Finanzpolitik
zutiefst zerstritten. Ihre unvereinbaren Positionen konnten Sie von Februar bis heute durch Sprachregelungen
mühsam übertünchen. Jetzt ist es wieder so weit: Chaos
und keine klare Linie - und das nicht nur in der Steuerund Finanzpolitik.
({13})
Der deutlichste Beleg dafür sind Ihre Überlegungen,
die Staatsquote radikal auf unter 40 Prozent abzubauen.
Dieser Abbau wäre nur realisierbar - das weiß jede kundige Politikerin und jeder kundige Politiker; von der FDP,
die 35 Prozent anstrebt, will ich gar nicht sprechen -,
wenn in der kommenden Legislaturperiode nicht nur die
Ausgaben des Bundes, sondern auch die aller Länder,
Kommunen und Sozialversicherungen massiv, und zwar
um insgesamt mehr als 170 Milliarden Euro, zusammenJoachim Poß
gestrichen würden. Das würde massive Kürzungen bei
Rentnern und Arbeitslosen sowie vermutlich auch massive Einschnitte bei den öffentlichen Infrastrukturinvestitionen zur Folge haben.
Im Kern ist das, was Stoiber und noch stärker die FDP
wollen, nichts anderes als die Aufkündigung des sozialen
Zusammenhalts hier in der Bundesrepublik Deutschland.
Das ist bei uns in der Bundesrepublik Deutschland nicht
mehrheitsfähig: weder bei den Gewerkschaften noch meines Erachtens bei den Arbeitgebern, auch nicht bei den
Kirchen; das wissen Sie auch.
({14})
Ein sozial gespaltenes Deutschland kann kein wirtschaftlich erfolgreiches Deutschland sein. Insofern führt
die von Ihnen angestrebte radikale Verzichts- und Abbaupolitik nicht nur sozial- und gesellschaftspolitisch, sondern auch ökonomisch ins Abseits.
Meine Damen und Herren, Sie spüren es ja: Je mehr
sich die Stimmung zugunsten der SPD verändert, desto
stärker werden die Auflösungstendenzen bei Ihnen, die
wir, wenn wir die Medien aufmerksam verfolgen, Tag für
Tag beobachten können. Immer deutlicher tritt hervor,
wie schwer es den Amts- und Würdenträgern der CDU
fällt, sich vor den Karren des Vorsitzenden der kleineren
Schwesterpartei spannen zu lassen. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger werden in den nächsten Wochen zu
dem Ergebnis kommen, dass die rückwärts gewandte Politik der Union - von der FDP rede ich gar nicht, das ist
wirklich eine Gagapartei; ihr Vorsitzender Westerwelle
hat heute Morgen bewiesen, dass er zu Recht deren Vorsitzender ist ({15})
keine Zukunft haben darf und wird. Die Kanzlerkandidaten Stoiber und Westerwelle sind nun wirklich keine Alternativen zu Gerhard Schröder.
({16})
Jetzt spricht der Kollege Dr. Peter Ramsauer für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, dass die Kollegin Andrea
Fischer schon gehen musste; denn ich wollte ihr sagen
- Frau Schewe-Gerigk und Frau Göring-Eckardt, vielleicht können Sie ihr dies mitteilen -, dass sie mir heute
in einigen Punkten wider Erwarten voll aus dem Herzen
gesprochen hat. Vielleicht lag das ja auch an unserer gemeinsamen Vergangenheit. Wir waren nämlich in der vorletzten Legislaturperiode im Arbeits- und Sozialausschuss
des Deutschen Bundestages.
Ich kann nur sagen: Das, was sie zum Beispiel bezüglich der grundsätzlichen Austarierung zwischen Solidarität auf der einen Seite und Eigenverantwortung auf der
anderen Seite gesagt hat, wäre durchaus eine Grundlage,
auf der man sich auf wichtige Positionen einigen könnte.
Leider Gottes steht dies im Gegensatz zu der konkreten
Sozial- und Arbeitspolitik dieser Bundesregierung in der
laufenden Legislaturperiode.
({0})
Im Übrigen: Von dem, was Andrea Fischer im letzten
Teil ihrer Rede zu den Grundsätzen für unsere parlamentarische Arbeit gesagt hat, kann man sich wirklich manches - ({1})
- Wieso wir uns? Wir können vielleicht alle miteinander
etwas davon lernen. Wir als Parlamentarier und Politiker
brauchen uns nämlich nicht darüber zu wundern, dass die
Öffentlichkeit uns nicht mehr Respekt entgegenbringt.
Die Öffentlichkeit wird uns nicht mehr Respekt entgegenbringen, als wir untereinander bereit sind, uns gegenseitig an Respekt entgegenzubringen.
({2})
- Lieber Herr Kollege Poß, ein nicht gerade gutes Beispiel
dafür war Ihr Umspringen mit der Opposition gerade
eben.
({3})
Geben Sie das weiter. Ich finde es schade, dass eine so
couragierte Frau wie Andrea Fischer das Parlament verlässt. Sagen Sie ihr, sie soll das Kompliment eines CSUMannes nicht als Beleidigung auffassen; es ist ehrlich gemeint.
({4})
- Es soll ihr nicht schaden.
Wir haben heute die 120 Seiten umfassende Antwort
auf die Große Anfrage der FDP zu debattieren.
({5})
Es trifft sich gut, dass ausgerechnet heute, am letzten regulären Sitzungstag dieser Legislaturperiode, eine Art
Schlussbilanz rot-grüner Politik gezogen werden kann.
Zusammengefasst kann man sagen: Die Ergebnisse und
Leistungen dieser Bundesregierung stehen im umgekehrten Verhältnis zu all den Ankündigungen, die am Anfang
dieser Legislaturperiode von dieser Regierung gemacht
worden sind.
In diesem Zusammenhang rate ich Ihnen, lieber Herr
Kollege Poß: Lesen Sie sich einmal - Sie haben programmatische Aussagen des Kanzlerkandidaten Edmund
Stoiber angesprochen - unser Regierungsprogramm
durch. Es lohnt sich, es zu lesen. Sie werden dabei festJoachim Poß
stellen, dass die darin gemachten Vorschläge eine vernünftige und umsetzbare Grundlage für die nächste Bundesregierung sind. Sie unterscheiden sich in dem Punkt
von Ihrem Regierungsprogramm von vor vier Jahren. Von
Ihren Ergebnissen will ich dabei gar nicht reden.
Schauen Sie sich an, was von Ihnen im Einzelnen alles
versprochen worden ist.
({6})
Mehr soziale Gerechtigkeit hat es geheißen. Ein Blick in
die soziale Realität genügt, um festzustellen, dass beispielsweise die Rentner mit stagnierenden Einkommen
auskommen müssen, während die Vorstandsbezüge bei
staatlich kontrollierten Unternehmen regelrecht explodiert sind. Was ist aus dem Schröder-Aufschwung geworden? - Lausige 0,6 Prozent Wirtschaftswachstum. Das ist
praktisch Stagnation.
Oder der Arbeitsmarkt: Offiziell sind 4 Millionen Arbeitslose gemeldet. Dazu kommen noch die 1 Million Arbeitslose in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. 5,2 oder
5,3 Millionen Arbeitslose sind eine verheerende Bilanz.
Durch die Herausnahme von Arbeitslosen, die 58 Jahre
und älter sind, aus der Statistik und durch statistische Manipulationen betreiben Sie Kosmetik. Bei den Hartz-Vorschlägen, nach denen bereits Leute ab 55 Jahren aus der
Statistik herausgenommen und sozusagen dem alten Eisen zugeordnet werden sollen, verstehe ich eines nicht:
Ein Zweck Ihres Zuwanderungsgesetzes besteht doch
darin, Arbeitskräfte aus Drittländern ins Land zu holen.
Auch diese werden eines Tages 55 Jahre und älter sein. Es
passt nicht zusammen, bei uns gute Leute ab 55 Jahren
auszusortieren und durch importierte Arbeitskräfte aus
Drittländern zu ersetzen.
({7})
Oder die Altersversorgung: Die blümsche Rentenreform haben Sie zurückgenommen. Sie haben aber
schnell erkannt, dass dies ein gravierender Fehler war.
Herr Riester selbst kam nicht umhin, massivste Einschnitte ins Rentenniveau vorzunehmen.
Oder Gesundheit: Versprochen war eine Rundumversorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen zu
stabilen Beiträgen. Herausgekommen ist eine Zwei-Klassen-Medizin.
Vom Ziel sinkender Lohnnebenkosten und einer Senkung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages sind wir
am Ende dieser Legislaturperiode trotz Einführung der
Ökosteuer weiter denn je entfernt.
Überhaupt die Ökosteuer: Anspruch und Wirklichkeit
der Ökosteuer klaffen weit auseinander. Der Anspruch
der Ökosteuer war, eine Lenkungswirkung in Richtung
weniger Energieverbrauch zu erzeugen. Damit sollten die
gesetzlichen Lohnnebenkosten gesenkt werden. Beides
ist in die Hose gegangen. Eine Lenkungswirkung ist nicht
erzielt worden. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag
konnte nicht gesenkt werden. Der Treibsatz ist bereits
enthalten. Die Beiträge werden weiter steigen.
({8})
Was wäre passiert, wenn eine Lenkungswirkung entfaltet worden wäre? Im schlimmsten Fall hätte es passieren können - das sage ich an die Adresse des Wirtschaftsministers und auch an die von Herrn Riester -, dass der
Energieverbrauch stark zurückgegangen wäre, dass dadurch auch die Einnahmen aus der Ökosteuer entsprechend gesunken wären und damit die Zuflüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung geringer geworden wären.
Herr Riester hat aber von vornherein nicht mit einer Lenkungswirkung gerechnet, sondern er hat damit kalkuliert,
dass die Einnahmen aus der Ökosteuer dauerhaft sprudeln
und in die Sozialversicherung fließen. Diese Regierung
setzt hinsichtlich der dauerhaften Finanzierbarkeit der gesetzlichen Renten darauf, dass sich die Bevölkerung in
Deutschland dauerhaft ökologisch falsch verhält: Nur,
wenn sich die Menschen in Deutschland dauerhaft ökologisch falsch verhalten, also möglichst viel Energie verbrauchen, sind die Renten gesichert. Allein darin kommt
der komplette Widersinn der Ökosteuer zum Ausdruck.
({9})
Am Ende dieser Legislaturperiode kann man daraus
nur eine Lehre ziehen: Man kann sich nicht um grundlegende Reformen bei den Sozialversicherungen herummogeln, indem man immer wieder frisches Geld in die Sozialkassen pumpt. Sie haben es versucht und sind damit
gescheitert. Daraus sollten Sie die Lehre ziehen, dass die
Ökosteuer untauglich ist.
Die Ökosteuer hat ein Weiteres bewirkt. Sie geben bis
heute nicht zu, dass die Erhöhung der Benzinpreise
selbstverständlich auch mit der Ökosteuer zu tun hat:
Wenn eine Regierung jahraus, jahrein verkündet, dass das
Heil der Welt in möglichst hohen Energie- und Spritpreisen liegt, dann ist es doch völlig klar, dass sich die Mineralölwirtschaft an dieser guten Tat beteiligen will. Das ist
doch selbstverständlich.
({10})
Sie lässt es sich nicht nehmen, die Ökosteuer in dieser Beziehung als Aufforderung zum Tanz zu begreifen und
kräftig mit abzusahnen.
Die Regierung Schröder ist, ab heute gerechnet, noch
79 Tage im Amt.
({11})
Die Regierung Schröder ist am Ende. Wichtige Projekte
- das Bündnis für Arbeit, um nur ein Stichwort zu nennen sind gescheitert. Das Resümee ist: Außer Spesen nichts
gewesen. Es gab überflüssige Streiks. Projekte, die zur
Chefsache erklärt wurden, wie die Greencard-Aktion oder
der Aufbau Ost, sind den Bach hinuntergegangen.
Dieses Land hat eine andere Regierung verdient.
Deutschland hat Rot-Grün nicht verdient.
({12})
Die Zeit für eine politische Wende ist reif. Diese Wende
werden die Wählerinnen und Wähler heute in 79 Tagen
herbeiführen.
({13})
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Ramsauer, die Menschen haben kein so
schlechtes Gedächtnis, wie Sie glauben. Sie werden diese
Regierung nicht abwählen. Sie wissen nämlich, was sie
während der 16 Jahre Ihrer Regierungszeit durchgemacht
haben.
({0})
Ich werde an dieser Stelle nicht die Große Anfrage der
FDP - Herr Koppelin ist leider nicht da - kritisieren. Es
handelte sich dabei um eine Fleißarbeit Ihrer Fraktion und
ein Beschäftigungsprogramm für die Bundesregierung. In
meinen Augen ist das eine wunderbare Wahlkampfargumentation, die mir zeigt, was wir in den letzten vier Jahren erreicht haben.
({1})
Ich beziehe mich auf die Familienpolitik, über die wir
bisher überhaupt noch nicht diskutiert haben. Ich kann sagen: Das ist eine Erfolgsbilanz. Die rot-grüne Koalition
hat die Situation der Familien nachhaltig verbessert.
({2})
- Hören Sie einmal zu! - Innerhalb der letzten vier Jahre
haben wir 13 Milliarden Euro mehr für Familien ausgegeben; das lässt sich durchaus sehen. Eine durchschnittliche Familie mit einem Jahreseinkommen von 30 000 Euro
und zwei Kindern wird um 1 500 Euro entlastet. Herr
Ramsauer, Sie erwähnten in Ihrer Rede die Ökosteuer.
Wir haben die Ökosteuer bei dieser Rechnung bereits abgezogen: Den Familien bleiben diese 1 500 Euro. Das
Kindergeld haben wir dreimal erhöht, insgesamt um
80 DM. Die Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld
und beim Wohngeld haben wir angehoben. Wir haben das
BAföG, das den Familien zugute kommt, erhöht. Frau
Kollegin Lenke, wir haben das Kinderunterhaltsrecht neu
geregelt, damit das Existenzminimum eines jeden Kindes
sichergestellt wird. Wir haben außerdem den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, aber auch auf Elternzeit festgeschrieben. Jetzt können endlich auch die Väter mit Fug
und Recht sagen:
({3})
Ich nehme mir mehr Zeit für mein Kind und kann die Arbeitszeit reduzieren.
All das kann sich sehen lassen, im Gegensatz zu der Bilanz, die Sie uns nach 16 Jahren hinterlassen haben. Das
Resultat Ihrer Familienpolitik war ein Verfassungsbruch.
Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von
1998 musste Ihre Politik korrigiert werden.
Wenn Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, jetzt so tun, als hätten Sie mit dieser konservativen
Familienpolitik nichts zu tun gehabt, und stattdessen jetzt
auf „Protestpartei“ machen, dann kann ich wirklich nur lachen. Sie sind mit dafür verantwortlich, dass die Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld 13 Jahre lang nicht
angehoben und das Wohngeld nicht erhöht wurde. Das alles haben wir jetzt erledigt und das ist auch gut so.
({4})
Ich frage mich: Was hat denn die FDP gegen die rückwärts gewandte Familienpolitik der CDU/CSU getan? Sie können es gleich einmal sagen. Sie haben die Mütter
vor die Wahl gestellt, sich für den Beruf oder für die Familie zu entscheiden. Wir werden künftig als eines der
vorrangigsten Ziele Väter, Mütter und Kinder intensiv unterstützen.
Und noch eine Sache würde ich gern mit Ihnen, Frau
Kollegin Lenke, besprechen. Gebührenfreie Kindergärten, keine Steuern für Familien mit 30 000 Euro Einkommen - das alles haben Sie vor der Sachsen-Anhalt-Wahl
versprochen. Heute sagen Sie dazu nichts mehr.
Die CDU fordert 600 Euro Familiengeld für alle, ob
sie es brauchen oder nicht. Wozu brauchen beispielsweise
Bundestagsabgeordnete 600 Euro Familiengeld? Diese
Frage möchte ich von Ihnen einmal beantwortet haben.
Finanzieren sollen das, wie uns Herr Merz in der letzten
Debatte gesagt hat, die Arbeitslosen. Dafür sollen die
Mütter zu Hause bleiben.
({5})
Denn in Ihrem Vorzeigebundesland Bayern gibt es für
1 000 Kinder unter drei Jahren gerade einmal vier KitaPlätze. Das ist wirklich ein Armutszeugnis!
({6})
Wie wenig Sie in der neuen Zeit angekommen sind, die
Sie ja gern für sich reklamieren, zeigt auch die unsägliche
Diskussion um die Kollegin Reiche im Stoiber-Team. Als
forsche Genpolitikerin hat sie sich einen Namen gemacht.
Zur Familienministerin soll es offensichtlich ausreichen,
wenn frau Kinder hat. Können Sie sich eigentlich eine
Justizministerin vorstellen, die nicht Juristin ist? - So viel
zum Stellenwert der Familienpolitik, den Sie hier deutlich
machen.
({7})
Dass Frau Reiche dank enormen Drucks nun für die Familie zuständig sein darf, ist sicherlich der Kollegin
Angela Merkel zu verdanken. Die konnte nämlich bei dieser Gelegenheit gleich alte Rechnungen begleichen; denn
als Merkel ohne Trauschein Ministerin werden wollte, hat
man ihr das Familienressort entzogen. Frau Nolte hat es
dann bekommen, weil sie zumindest zu dieser Zeit verheiratet war.
Frau Reiche sagt, sie stehe für eine moderne Familienpolitik. Im nächsten Satz sagt sie, das Ideal der bürgerlichen
Familie stehe für sie außer Frage. Das klingt so ungefähr
wie: Die Union steht mitten im Leben - im Leben Anfang
des letzten Jahrhunderts. Das kann man wirklich sagen.
Dagegen steht Rot-Grün. Wir haben eine Menge erreicht - das haben Sie in der Anfrage gelesen -, aber wir
haben in der Familienpolitik noch viel vor. Wir wollen,
dass alle erwerbsbedingten Betreuungskosten künftig ab
dem ersten Euro von der Steuer absetzbar sind.
({8})
Wir sorgen mit dem Projekt Kindergrundsicherung
dafür, dass Eltern, wenn sie ein Kind bekommen, nicht mehr
in die Sozialhilfe fallen. Davon profitieren im Übrigen
4 Millionen Kinder. Finanzieren werden wir das über eine
Reform des Ehegattensplittings. Wir werden nicht länger
den Trauschein fördern, sondern das Leben mit Kindern.
Frau Kollegin
Schewe-Gerigk, es gibt noch eine Frage der Kollegin
Lenke und ich frage, ob Sie diese zulassen.
Mit der Kollegin habe ich vier Jahre lang im
Ausschuss diese Themen diskutiert. Ich glaube, das lassen
wir, Frau Kollegin.
({0})
- Wer zu spät kommt, hat natürlich Fragen.
Die Bekämpfung der Kinderarmut und die Schaffung
ausreichender Ganztagsbetreuung sind die beiden familienpolitischen Projekte, die wir in der nächsten Legislaturperiode in diesem Bereich umsetzen werden.
Ich danke Ihnen.
({1})
Nächster Redner ist
der Kollege Paul Friedhoff für die Fraktion der FDP.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich erlebe das immer wieder, jeden Tag;
Sie haben das auch ganz toll gemacht, als Sie Bilanz gezogen haben. Die Bilanz der Regierung ist völlig klar. Sie
haben mehr Ausgaben, Sie haben überall draufgelegt, Sie
nehmen weniger Steuern ein und selbstverständlich bauen
Sie die Schulden rapide ab. Das hört sich ganz toll an.
({0})
- Ihre Steuerreform führt doch zu weniger Steuereinnahmen. Aber Sie werfen der Union oder der FDP vor, dass
sie diesbezüglich keine vernünftigen Vorschläge machen.
({1})
Sie schreiben in der Vorbemerkung zu der Antwort auf
unserer Große Anfrage:
Die Bundesregierung hat bei ihrer Amtsübernahme
im Oktober 1998 eine desolate ... Lage vorgefunden
... Die vorherige Bundesregierung hatte die Schulden
des Bundes in unverantwortliche Höhen getrieben.
Die Arbeitslosigkeit war dramatisch gestiegen ...
({2})
So einfach ist das also. Deswegen ist völlig klar: Es
konnte mit Ihrer Politik nur aufwärts gehen. Denn wenn
die Situation tatsächlich so desolat gewesen wäre, dann
hätte es ja gar nicht mehr schlechter werden können. Damit machen Sie sich Mut.
Wie sah aber die Wirklichkeit tatsächlich aus, als Sie
1998 die Regierung übernommen haben? Die Vorgängerregierung meisterte die deutsche Einheit. Sie änderte die
sozialistische Kommandowirtschaft in eine soziale
Marktwirtschaft um. Die Produktivität erhöhte sich dadurch von 28 auf 68 Prozent. Hier liegen die Ursachen für
die hohe Arbeitslosigkeit, für die hohen Schulden sowie
für die hohen Steuern und Abgaben, die Sie vorgefunden
haben.
({3})
An diesen Tatsachen können Sie sich nicht vorbeimogeln.
Sie mögen glauben, dass dies unverantwortlich war. Wir
stehen dazu.
Zwölf Jahre nach der deutschen Einheit sind zwar nicht
alle Aufgaben gelöst. Aber die Hauptaufgaben sind erledigt. Trotz geringerer Transferleistungen in die neuen
Länder senken Sie die Steuern nicht und Sie sparen auch
keineswegs, wie Sie eben wieder behauptet haben. Sie finanzieren lediglich um. Sie senken die direkten Steuern
und erhöhen dafür die indirekten Steuern. Was das mit
Steuersenkung zu tun hat, bleibt Ihr Geheimnis.
({4})
Sie schaffen es nicht, die Lohnnebenkosten, wie angekündigt, auf unter 40 Prozent zu senken, weil Sie die
Kosten nicht dämpfen. Diese haben Sie überhaupt nicht
im Auge. Sie erhöhen die Ausgaben des Bundeshaushalts. Sie senken sie also nicht, wie Sie den Menschen
weismachen wollen. Damit machen Sie deutlich, dass Sie
die Staatsfinanzen nicht durch eine Verringerung der Ausgaben senken, sondern auf hohem Niveau durch hohe
Steuern und Abgaben halten wollen. Sie machen weiter
hohe Schulden und lassen sich auch durch das Androhen
blauer Briefe nicht beeindrucken.
({5})
Sie werfen der Union und uns vor, dass wir die Staatsquote senken wollen, weil Sie sich überhaupt nicht vorstellen können, dass ein Staat nicht so aktiv in das Geschehen eingreift, wie das bei Ihnen der Fall ist. Sie
zementieren damit eine Position, die dazu führt, dass die
Wirtschaft stranguliert wird und Arbeit so verteuert wird,
dass keine ausreichende Beschäftigung entstehen kann.
Zusätzlich lassen Sie Ihrer Regulierungswut freien
Lauf. Die 630-Mark-Jobs haben Sie weitgehend wegbürokratisiert und in die Schwarzarbeit verdrängt. Selbstständigkeit ist vielfach nur durch kreative Umgehung der
Paragraphen des Gesetzes zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit erreichbar. Das neue Betriebsverfassungsgesetz mit seinen bürokratischen und teuren Regelungen bedeutet mehr Fremdbestimmung und weniger
Mitbestimmung in den Betrieben.
({6})
Das Kündigungsschutzgesetz haben Sie verschärft.
Dieses Gesetz hat noch keinen Arbeitsplatz geschaffen.
Möglicherweise hat es Arbeitsplätze im öffentlichen
Dienst gesichert.
({7})
Diese müssen aber wiederum von anderen Arbeitsplätzen
mit finanziert werden. Lernen wir doch von den Dänen,
die ein ähnliches Gesetz abgeschafft haben und die sich
nun der Vollbeschäftigung nähern. Warum schließen Sie
Betriebsräte von der Lohnfindung aus? Deutschland ist
das letzte industrialisierte Land mit einem so zentralen
Lohnfindungssystem.
Arbeitsplätze entstehen durch Aufträge. Diese erhält
man nur, wenn man Produkte liefern kann, bei denen Preis
und Leistung stimmen.
({8})
Wenn in Produkten viel menschliche Arbeitskraft enthalten ist, dann spielen Personalkosten die entscheidende
Rolle. Unsere bürokratischen Arbeitsmarktgesetze, unsere extensiven Arbeitnehmerschutzgesetze, verbunden
mit hohen Löhnen, die nicht frei zwischen den direkt Betroffenen ausgehandelt werden dürfen, und unsere hohen
Lohnnebenkosten sind das explosive Gemisch gegen
Arbeitsplätze in Deutschland.
({9})
Schaut man sich die Wettbewerbsposition der deutschen Unternehmen an, dann stellt man fest: Je weniger
Mitarbeiter ein Unternehmen hat, desto wettbewerbsfähiger ist es.
({10})
Diese Gleichung ist vielleicht noch für Großbetriebe erträglich; denn dort werden nur Blaupausen hergestellt.
Die personalintensive Fertigung der Komponenten erfolgt im Ausland, wo das billig ist. Günstigstenfalls montieren Roboter die Komponenten zu hochwertigen Systemen. Das ist das Modell Schröder, Riester oder Müller.
Das verstehen Sie unter Wirtschaft. Das ist das Modell,
wie es auch von den Funktionären in Ihren Reihen verstanden wird. Damit sind höchstens Arbeitsplätze im Ausland, aber nicht bei uns geschaffen worden.
({11})
Der Mittelstand ist personalintensiv. Nur er kann das
Arbeitsmarktproblem lösen.
Doch dieser Mittelstand ist die Zielscheibe rot-grüner Politik. Ihre bürokratischen Gesetze, Ihre Unternehmensteuerreform zum Vorteil der Großunternehmen und die Aufrechterhaltung der hohen Lohnnebenkosten haben den
Mittelstand entscheidend benachteiligt und ihn an der
empfindlichsten Stelle getroffen.
({12})
Bei Handwerkern und Dienstleistern ist Personal meist
nicht durch Maschinen ersetzbar - deswegen die vielen
Pleiten bei personalintensiven Unternehmen, die ihre
Wettbewerbsfähigkeit verloren haben, deswegen die vielen Pleiten bei regional tätigen personalintensiven Unternehmen, die wegen der hohen Personalkosten ihre Produkte zu so hohen Preisen anbieten müssen, dass sie nicht
mehr nachgefragt werden.
Die nächste Regierung wird sich den Reformen des Arbeitsmarktes, die Sie trotz aller Versprechen nicht eingeleitet haben, widmen müssen. Weshalb haben Sie denn die
Hartz-Kommission berufen, wenn Sie doch, wie wir immer hören, den Reformstau aufgelöst haben?
({13})
Am Ende der Legislaturperiode kommen die Vorschläge
für die nächste Legislaturperiode und Sie verkünden - das
steht in Ihren Papieren -: Reformstau aufgelöst.
({14})
Dabei wird man nicht daran vorbeikommen, auch bei
der Beschäftigungspolitik wesentlich mehr auf das
Marktprinzip zu setzen. Unser Arbeitsmarkt hat wenig mit
Markt, aber sehr viel mit bürokratischer Regulierung bis
hin zur Preisvorgabe durch ein Monopol für die Ware Arbeit zu tun.
Bei 4 Millionen Arbeitslosen kann und muss man mehr
tun, als am Ende der vier Regierungsjahre eine Kommission zu bitten, Reformen für die Zeit nach der Wahl vorzuschlagen. Wir Liberalen setzen darauf, dass die nächsten vier Jahre nicht wieder so verlorene Jahre für die
Beschäftigung in Deutschland werden.
({15})
Lassen Sie mich zum Abschluss meiner letzten Rede
im Deutschen Bundestag allen Kollegen danken, die kollegial mit mir zusammengearbeitet haben und mit denen
ich kollegial zusammenarbeiten durfte. Für mich waren
diese Jahre eine Bereicherung. Ich habe sehr viel gelernt.
Ich glaube auch, dass ich gelegentlich etwas dazu beitragen konnte, dass in diesem Parlament Meinungen gebildet wurden, die das Wohl des Volkes, das Wohl unser Bürger und Bürgerinnen, gemehrt haben.
Ich möchte eine Bitte äußern, die nicht so ganz weit
von dem entfernt ist, was Frau Fischer vorhin gesagt hat.
Es ist dringend notwendig - das ist zumindest mein Resümee nach zwölf Jahren im Deutschen Bundestag -, dass
sich das Parlament etwas mehr auf seine Aufgaben
zurückbesinnt. Die Koalition ist kein Kanzlerwahlverein.
({16})
Die Opposition ist auch keine Ablehnungsmaschine, die
automatisch immer die Vorschläge der Koalition bekämpft.
({17})
Ich glaube, dass wir dringend offenere Diskussionen im
Parlament und in den Ausschüssen benötigen.
({18})
Vielleicht brauchen wir dann auch nicht so viele teure
Kommissionen, die uns Vorschläge machen, die wir alle
schon gehört haben, auf die wir uns dann möglicherweise
unverdächtig zurückziehen können, damit das Ritual in
diesem Haus weitergehen kann. Das ist teuer. Das ist uneffizient.
({19})
Ich glaube, dass wir das in diesem Parlament ändern müssen. Ich hoffe, dass das in Zukunft gelingt.
({20})
Weniger Kommissionen und mehr Arbeit hier, Herr
Ströbele, das ist, glaube ich, wichtig.
({21})
Damit möchte ich schließen. Ich bedanke mich noch
einmal.
({22})
Lieber Herr
Kollege Friedhoff, ich möchte Ihnen auch im Namen des
Hauses für Ihre Arbeit danken. Wir können sagen, dass
Sie eine Bereicherung für das Parlament gewesen sind.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute nicht um ein Sach- oder
Fachproblem. Es geht auch nicht um ein Projekt oder um
ein Gesetz. Es geht heute eigentlich nur um eines: Die Opposition zur Rechten möchte Rot-Grün so oft wie möglich
vorwerfen: „Erst versprochen, dann gebrochen“.
({0})
Die Koalition in der Mitte versucht natürlich, das ebenso
heftig als puren Wahlkampf zurückzuweisen. Es fehlt nur
noch, dass die Geschäftsführer den Beifall aus den eigenen Reihen mit der Stoppuhr messen und zu Protokoll geben.
Das mit dem gebrochenen Versprechen ist so eine Sache. Vor der Bundestagswahl 1998 hatte Rot-Grün zum
Beispiel mehr Demokratie versprochen, gerade auf Bundesebene. Die PDS hat dazu Anträge gestellt. Wir sind damit auch an Rot-Grün gescheitert. Das Dumme ist nur:
Die Opposition zur Rechten kann ihren Wählerinnen und
Wählern ehrlichen Herzens versprechen: Wir haben in
dieser Legislatur mehr Mitbestimmung verhindert und
wir werden das auch in der nächsten Legislatur tun.
Vor der Wahl hat Rot-Grün darüber hinaus versprochen: Das große Kapital muss wieder in die soziale Verantwortung. Wir haben die Wiedereinführung der Vermögensteuer gefordert und wir haben auch beantragt, das
spekulierende Kapital zu besteuern.
({1})
Unsere Mühe war vergebens.
Aber Sie, meine Damen und Herren zur Rechten,
einschließlich der FDP, denken nicht einmal im Traum daran, den gesellschaftlichen Reichtum gerechter zu verteilen. Sie wollen doch Steuerflucht noch weitreichender legalisieren und den Sozialstaat noch mehr schröpfen. Um
das Credo der FDP zu bemühen: Privat geht vor Katastrophe! Auf solche Versprechen können wir gern verzichten.
Rot-Grün hat des Weiteren versprochen, die Arbeitslosenzahl radikal zu senken. Das Ergebnis ist nicht nur mager, sondern für Millionen in diesem Land hoffnungslos.
Wir haben Vorschläge unterbreitet, deren Umsetzung
1,3 Millionen Arbeitsuchende in Lohn und Brot bringen
würde. Die Opposition zur Rechten aber nimmt davon
nicht einmal Notiz. Sie bekämpft weiterhin die Statistik
und nicht etwa das Problem.
({2})
Nun noch eine Bemerkung zum Lieblingswort von
CDU/CSU: Kompetenz. Ich habe mir in dieser Woche die
Pressekonferenz angesehen, auf der Frau Reiche als kompetent in Sachen Frauen und Familie präsentiert wurde.
Ich muss sagen: Es war erhellend. Kanzlerkandidat
Stoiber drängte die Medien:
Sollte es Fragen zum neuen Familienbild der
CDU/CSU geben, dann wenden Sie sich nicht an
Frau Reiche, sondern gleich an mich.
Ein solches neues, altes Frauen-, Familien- und Paschabild, das Herr Stoiber damit demonstrierte, würde ich mir
in meiner Partei kräftig verbitten.
({3})
Ein letztes Wort. Zur Beurteilung der Wirtschafts- und
Finanzkompetenz der CDU empfehle ich Ihnen einen
schlichten Blick nach Berlin. Dort hat eine große Koalition unter Führung der CDU den größten Schuldenberg
und den teuersten Bankenskandal in der Geschichte der
Bundesrepublik hinterlassen. Versprochen war das zwar
nicht; aber es ist leider wahr.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Alfred Hartenbach.
Verehrte Frau Präsidentin!
Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen
Was als Generalangriff auf die Regierung in dieser hochmittäglichen Stunde geplant war, ist als Rohrkrepierer
kläglich geendet. Offensichtlich hat noch nicht einmal die
FDP an ihren Sieg bei diesem Generalangriff geglaubt.
Ich habe einmal nachgezählt: Mehr als zehn ihrer Abgeordneten waren hier nie zur gleichen Zeit anwesend. Sie
haben heute noch nicht einmal 18 Sitze füllen können.
Wie wollen Sie da 18 Prozent erreichen?
({0})
Was Sie heute veranstalten, das erinnert mich ein bisschen an „Die Geschichte von dem wilden Jäger“ aus dem
„Struwelpeter“. Es geht dort um einen bösen Jäger und um
einen klugen Hasen. Genauso haben Sie sich aufgeführt:
Der böse Jäger schläft ein; der kluge Hase holt sich das
Gewehr und schickt den bösen Jäger in den Brunnen. Plumps, da liegen Ihre 18 Prozent!
Im Gegensatz zu den Vorrednern von Rot-Grün bin ich
über diese Große Anfrage richtig erfreut. Ich habe gar
nicht gewusst, was für eine tolle Public Relations die FDP
({1})
für die SPD macht. Als Dankeschön dafür habe ich heute
Morgen extra blaugelb geflaggt.
Wir haben heute über vieles geredet, aber noch nicht
über die Justizpolitik. Das möchte ich jetzt machen. Ich
glaube nämlich, wir haben gerade in der Justizpolitik, wie
ja aus den Antworten auf Ihre Fragen hervorgeht, eine
ganze Menge sehr guter und positiver Ergebnisse vorzuweisen. Wir haben uns in den vier Jahren immer nach vier
Maximen gerichtet: erstens Hilfe für die Schwächeren,
zweitens moderne Justiz, drittens wirksames Strafrecht
und viertens ein Handels- und Wirtschaftsrecht, das unsere Unternehmen für den europäischen Wettbewerb fit
macht.
Im Zusammenhang mit Hilfen für Schwächere haben
wir insbesondere die Rechte der Kinder gestärkt. Wir haben mit dem Yokohama-Abkommen - das hat nichts mit
Fußball zu tun - auf internationaler Ebene die Rechte der
Kinder gestärkt und dafür gesorgt, dass sie vor sexueller
Ausbeutung geschützt werden.
({2})
Wir haben durch Gewaltverbote in der Erziehung und Gewaltverbote in Bezug auf Frauen dafür gesorgt, dass Kinder und Frauen in gewaltfreier Atmosphäre leben können
und der Schläger das Haus verlassen muss.
({3})
Wir haben mit weiteren guten Gesetzen wie zum Beispiel dem Urhebervertragsrecht den Schwächeren geholfen und dafür gesorgt, dass Kreative, Künstler und Schaffende gegenüber den Verlegern Rechte bekommen, die sie
bis dahin nicht hatten. Leider haben Sie Ihre Zustimmung
dazu verweigert. Wir haben mit vielen Maßnahmen dafür
gesorgt, dass die Schwächeren zu ihren Rechten kommen,
unter anderem auch mit dem letzten Gesetz, das wir hier
eingebracht haben, durch das die Rechte von behinderten
Menschen im Zivilrecht deutlich gestärkt werden.
Wir haben im Zusammenhang mit unserer Maxime
„moderne Justiz“ dafür gesorgt, dass die außergerichtliche Streitschlichtung in einem sehr viel stärkeren Maße in
den Vordergrund rückt. Mit unserer Zivilprozessreform
haben wir dafür gesorgt, dass die Menschen schneller zu
ihrem Recht kommen. Letztlich gehört dazu auch unser
Gesetz zum Schadensersatzrecht, durch das wir die
Rechte der Kinder gestärkt haben: Kinder im Straßenverkehr werden erst ab zehn Jahren, nicht wie bisher ab
sieben Jahren, für deliktisches Verhalten haftbar gemacht.
Wir haben im Arzneimittelrecht auch dafür gesorgt,
dass nicht mehr der geschädigte Patient die Beweislast
hat, sondern die Unternehmen der Pharmaindustrie die
Verpflichtung haben, nachzuweisen, dass das Präparat für
einen eingetretenen Schaden nicht verantwortlich ist.
Wir haben festgestellt, dass unsere Juristenausbildung
internationalen Vergleichen nicht standhält. Wir haben
- jetzt mag die Opposition einmal zuhören - dann gemeinsam mit CDU/CSU, PDS und Grünen ein Gesetz zur
verbesserten Ausbildung der Juristinnen und Juristen geschaffen, um sie an europäische Standards heranzuführen.
Leider hat sich die Partei, die die Große Anfrage gestellt
hat und jetzt nur noch mit drei Personen und keinem
Justizpolitiker vertreten ist, daran überhaupt nicht beteiligt.
Wir haben, um zum dritten Punkt zu kommen, ein
wirksames Strafrecht geschaffen. Ich will dabei sagen,
dass das Strafrecht für uns kein Allheilmittel zur Bewältigung gesellschaftlicher Konflikte darstellt, wie das insbesondere bei der CDU/CSU mit ihrer Knüppel-aus-demSack-Politik der Fall ist, sondern allenfalls als Ultima
Ratio anzusehen ist.
({4})
Wir haben zugleich begleitende Maßnahmen ergriffen.
Wir haben uns auch sehr deutlich positioniert, als es darum ging, Antiterrorgesetze zu schaffen. Dabei haben wir
insbesondere auch die Frage beantwortet, was mit denen
geschieht, die als so genannte Schläfer in der Bundesrepublik tätig sind. Auf die hat man ja 16 Jahre kein
Auge geworfen.
({5})
- Sie verstehen es doch sowieso nicht.
Wir haben uns als erste und einzige Partei zusammen
mit den Grünen mit dem Thema „vorbehaltene Sicherungsverwahrung“ befasst. In diesem Bereich war bisher
überhaupt nichts geregelt. Wir haben als Einzige hierfür
rechtsstaatliche Möglichkeiten geschaffen.
Mit unserem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz
haben wir auch ein europaweit anerkanntes neues Schuldrecht geschaffen. Da waren wir bisher nämlich hoffnungslos im Hintertreffen. Wir haben mit dem Fernabsatzgesetz und dem Signaturgesetz Gesetze geschaffen,
die den internationalen Handel und die Wirtschaftsbeziehungen erleichtern.
Das alles sind Punkte, an denen sich die FDP so gut wie
überhaupt nicht beteiligt hat, die CDU/CSU wenigstens
hin und wieder einmal.
Wir gehen nach dieser Zwischenbilanz - nicht Schlussbilanz, wie Herr Ramsauer gemeint hat - gestärkt und mutig in die vor uns liegende Zeit der Auseinandersetzung,
die wir mit Ihnen schon vier Jahre führen. Wir sind davon
überzeugt, dass die Bürger sehr genau wissen, dass wir
gerade in der Justizpolitik noch nicht am Ende sind, dass
wir noch weitere Vorhaben durchführen müssen, zu denen
Sie nie fähig waren und auch nie fähig sein werden.
({6})
Wir müssen das zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz in vollem Umfang in das Gesetzgebungsverfahren
bringen und die Rechte der Behinderten stärken. Wir wollen mit einem modernen Sanktionensystem den Herausforderungen im Strafrecht begegnen.
({7})
Wir wollen weiterhin die Modernisierung der Justiz auch
im Strafprozess und vor allen Dingen auf dem Gebiet der
freiwilligen Gerichtsbarkeit. Wir wollen letztlich auch,
dass unsere Wirtschaft durch vernünftige gesetzliche Regelungen auf dem Gebiet des Gesellschafts- und Handelsrechts international wettbewerbsfähig bleibt.
Sie sind gerne dazu eingeladen, in den nächsten vier
Jahren daran mitzuwirken. Aber ich habe nach der heutigen Debatte einen anderen Eindruck. Übrigens nochmals
herzlichen Dank; ich habe allen meinen Kolleginnen und
Kollegen empfohlen, Ihr Papier mit zur Podiumsdiskussion zu nehmen, weil sie dann mit den hervorragenden
Antworten der Bundesregierung glänzend bestehen können.
({8})
Aber die heutige Debatte hat doch gezeigt, dass Ihr
Motto für die nächsten vier Jahre ist: Wir sind bereit für
weitere vier Jahre Opposition.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Karl-Heinz Scherhag.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zur Beurteilung der derzeitigen Lage in der Wirtschaftspolitik ein
Bild aus meiner Arbeitswelt wählen. Wie einige von Ihnen wissen, führe ich einen Automobilbetrieb. Daher ist
mir der Umgang mit Autos bestens vertraut.
Die jetzige Bundesregierung hat, bildlich gesprochen,
vor vier Jahren eine robuste Limousine übernommen, die
gar nicht so schlecht in Schuss war.
({0})
Sicherlich waren Inspektionen erforderlich; aber der Wagen war ein Markenwagen der Oberklasse, ein Wagen, der
auf der Autobahn auf der Überholspur fuhr und nicht, wie
jetzt, auf dem Standstreifen stand.
({1})
Doch wie sieht die Lage heute aus? Trotz zahlreicher
Reparatürchen und Reförmchen ist der Wagen alles andere als in Schuss; er ist sozusagen TÜV-reif.
Dies gilt insbesondere für die Wirtschaft. Heute bildet
die deutsche Wirtschaft mit Blick auf das Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosenzahlen und den Abbau der
Staatsverschuldung das Schlusslicht in Europa. Deutschland wurde ausgebremst, und dies trotz der damals durchaus guten wirtschaftlichen Impulse, die in den letzten Jahren aufgrund der eingeleiteten Maßnahmen der
Kohl-Regierung und der Sonderkonjunktur durch die
Euroumstellung gegeben waren. Davon haben zahlreiche
Branchen profitiert. Die Umstellung brachte Milliardenumsätze.
Der Motor unserer Wirtschaft ist der Mittelstand. Die
rund 3,3 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen in
Handwerk, industriellem Gewerbe, Handel und Dienstleistung stellen rund 70 Prozent der Arbeitsplätze und 80 Prozent der Ausbildungsplätze in Deutschland. Die mittelständischen Unternehmen bilden mehr als 564 000
Lehrlinge aus und beschäftigen 15 Prozent aller Erwerbstätigen und 34 Prozent aller Lehrlinge.
({2})
Sie sichern in hohem Maße den Nachwuchs an qualifizierten Arbeitskräften. Per saldo hat der Mittelstand im
Durchschnitt 2 Millionen neue Jobs geschaffen. Jede
Existenzgründung schafft durchschnittlich zweieinhalb
neue Arbeitsplätze. Je mehr mittelständische Unternehmen existieren, desto entspannter ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt.
Genau dieser Mittelstand ist von den gesetzlichen Änderungen der Bundesregierung besonders stark betroffen.
Er zahlt die Rechnungen für Reparaturen, die er so gar
nicht wollte und die von Bundeskanzler Schröder anders
zugesagt waren.
Die Steuer- und Finanzpolitik der rot-grünen Regierung ist eine Bremse für die wirtschaftliche Entwicklung
in Deutschland.
({3})
Die Auswirkungen der einzelnen Gesetze auf die Wirtschaft sind zum Teil erst mit erheblicher Zeitverzögerung
negativ spürbar geworden. Ich erinnere nur an die Ökosteuer, das 325-Euro-Gesetz, das Gesetz zur Scheinselbstständigkeit, das Gesetz zur Teilzeitarbeit oder das
Betriebsverfassungsgesetz. Die vielen kleinen Gesetzesänderungen schaffen ein hemmendes Geflecht an Bürokratie.
({4})
Sie treffen besonders den größten Steuerzahler, nämlich
die mittelständische Wirtschaft, die nicht ins Ausland ausweichen kann.
Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung erinnert mich an das Manövrieren eines
Fahranfängers beim Einparken in eine zu kleine Parklücke. Es funktioniert nicht und der Wagen bekommt immer mehr Beulen und Kratzer. Da die Bundesregierung
die derzeitige Talfahrt nicht stoppen kann, muss sie jetzt
mit Kommissionsvorschlägen, siehe Hartz-Papier, für
gute Stimmung sorgen.
Eines ist klar: Der Motor unserer Wirtschaft stottert.
Seit Januar 2001 steigen die Arbeitslosenzahlen. Für die
kommenden Monate ist mit einer Besserung nicht zu
rechnen. Allein in diesem Jahr werden über 40 000 Unternehmensinsolvenzen erwartet, dazu 20 000 Personeninsolvenzen. Das sind 20 000 Einzelschicksale. Voraussichtlich über 550 000 Beschäftigte werden ihren
Arbeitsplatz verlieren. Gut die Hälfte der Insolvenzen betrifft Betriebe mit weniger als 500 Beschäftigten. Fast
20 Prozent der mittelständischen Unternehmen wollen die
Personaldecke verkleinern oder müssen sie verkleinern.
Auch das Handwerk ist mehr und mehr betroffen. Im
Jahr 2001 lag die Zahl der Insolvenzen bei circa 4 000. Für
dieses Jahr wird eine Steigerung auf etwa 4 500 erwartet.
Das heißt, täglich gibt es mehr als 100 Insolvenzen und täglich verlieren circa 1 000 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz.
({5})
Daher kann von einem leistungsstarken Mittelstand und
Handwerk nicht mehr die Rede sein.
Wenn aber die Leistungsfähigkeit des Mittelstandes so
eingeschränkt ist, belastet das auch automatisch unsere
Spielräume bei der Lehrlingsausbildung. Wer sich mit
Bürokratie und ständig steigenden Kosten konfrontiert
sieht, wird weniger Lehrlinge ausbilden.
({6})
Damit sinken die Chancen auf eine Verringerung der
Jugendarbeitslosigkeit.
({7})
Zur Behebung unseres Fachkräftemangels, der trotz der
Arbeitslosigkeit besteht, brauchen wir aber genau die Investitionen in die Zukunft.
In jedem guten und sicheren Wagen erwartet man heute
serienmäßig einen Airbag. In kritischen Momenten soll er
Sicherheit bieten, soll die Insassen auffangen. Doch er
hilft nur dann wirklich, wenn noch ausreichend Luft vorhanden ist. Der Bundesregierung aber ist die Luft ausgegangen.
({8})
Um den Motor wieder zu starten, braucht Deutschland einen Fahrerwechsel.
({9})
Die Union wird Deutschland wieder nach vorne bringen.
Ein „Weiter so!“ wie im Regierungsprogramm der SPD
wird es mit uns nicht geben.
({10})
Wir brauchen flexible Lösungen, um die Wirtschaft
wieder flottzumachen; wir brauchen - um im Bild zu bleiben - eine Servolenkung. Deshalb wird es zunächst eine
weitere Stufe der Ökosteuer nicht geben. Die angekündigte Senkung der Sozialabgaben wurde nicht erreicht. Es
wird im Gegenteil eine Steigerung nicht ausgeschlossen.
Darüber hinaus wird es darauf ankommen, den Mittelstand, die Länder und die Kommunen massiv zu entlasten.
Gleichzeitig wird die Ungleichbehandlung von Kapitalgesellschaften im Vergleich zu Personenunternehmen
rückgängig gemacht.
Politik für den Mittelstand ist Politik für die Zukunft
unseres Landes.
({11})
Insbesondere für junge, innovative Unternehmer müssen
sich Investitionen wieder lohnen. Gerade auf diesem Sektor ist es wichtig, bürokratische Hemmnisse abzubauen, damit Ausbildungsplätze geschaffen werden können. Junge,
gut ausgebildete Fachkräfte müssen solide unterstützt und
dürfen nicht durch ein Antragschaos entmutigt werden.
Lassen Sie mich nochmals das Bild des Automobils
bemühen:
({12})
Ist der Wagen erst gegen die Wand gefahren worden, kann
man ihn meist nur verschrotten.
({13})
Die rot-grüne Regierungszeit ist eine Zeit von Pleiten,
Pech und Pannen
({14})
und kann nur unter dem Motto „Versprochen - gebrochen!“ stehen. Um den Wagen wieder flottzumachen, stehen wir in der Union zu unserer Verantwortung für die Zukunft unseres Landes.
Meine Damen und Herren, da dies meine letzte Rede
im Deutschen Bundestag ist, möchte ich im Interesse der
Entstehung neuer Arbeitsplätze an Sie appellieren: Stärken Sie den Mittelstand! Helfen Sie den kleinen und mittleren Betrieben! Dies ist unser stärkstes Kapital.
({15})
Erhalten Sie das duale Ausbildungssystem und den
Großen Befähigungsnachweis! Dies ist unsere Zukunft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich am
Schluss bei allen, mit denen ich gut und fair zusammengearbeitet habe, und bei meiner Fraktion bedanken. Ich
wünsche uns Gottes Segen.
({16})
Lieber Herr
Kollege Scherhag, auch wir möchten uns bei Ihnen bedanken und wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Hildegard Wester.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Auch ich möchte mich bei der FDPFraktion dafür bedanken, dass sie uns mit ihrer Großen
Anfrage die Möglichkeit zu einer ausführlichen Antwort
gegeben hat. Wir können hier eine positive Bilanz ziehen.
Auf zwei Bereiche dieser positiven Bilanz möchte ich
mich konzentrieren: auf den Bereich der Familienpolitik
und auf den Bereich der Gesundheitspolitik.
Ich glaube, dass es uns als rot-grüner Koalition gelungen ist, deutlich zu machen, dass wir gerade in der Familienpolitik einen Paradigmenwechsel herbeigeführt haben. Wir haben nämlich Schluss damit gemacht, dass
Familien nur in Sonntagsreden vorkamen und nur dann
bemüht wurden, wenn es darum ging, in der Gesellschaft
aufzudecken, welche Verpflichtungen und Verantwortungen zum Beispiel im Hinblick auf die Jugend wahrzunehmen sind. Dabei entstehende Probleme wurden mehr oder
weniger bei den Familien abgeladen. Letzten Endes sind
sie bei der Erfüllung dieser Aufgabe allein geblieben.
Wir haben bewiesen - und dies ohne Aufforderung des
Bundesverfassungsgerichtes, sondern bereits in unseren
Aussagen vor der letzten Wahl -, dass wir die finanziell
ungerechte Behandlung von Familien beseitigen wollen.
Dazu hat Frau Schewe-Gerigk bereits ausführlich Stellung genommen; deswegen möchte ich diesen finanziellen Aspekt etwas vernachlässigen, obwohl er eigentlich
nicht häufig genug betont werden kann.
Wir haben auch deutlich gemacht, dass Familienpolitik
nicht nur die finanzielle Seite, sondern weitere Bereiche
zu berücksichtigen hat. Wir haben die schwere Aufgabe
zu schultern, aus Deutschland wieder eine Gesellschaft zu
machen, die sich dem Kind und der Familie zuwendet, die
also gegenüber Familien nicht strukturell rücksichtslos
ist. Dazu haben wir eine Reihe von Reformen auf den Weg
gebracht und durchgeführt.
Wir haben - das wurde bereits kurz erwähnt - das
Recht auf gewaltfreie Erziehung in das BGB aufgenommen. Ich halte das für einen gravierenden und wesentlichen Fortschritt in unserer Gesellschaft. Denn hier
wird endlich einmal deutlich, dass die Wesen, die in unserer Gesellschaft am schutzwürdigsten sind, weil sie in
ihrer Entwicklung und Entfaltung auf die Erwachsenen
angewiesen sind, mit dem besonderen Respekt der Erziehenden und auch der Gesellschaft rechnen können und ihnen dieser Respekt auch garantiert wird.
({0})
Wir haben ferner bewiesen, dass bei Problemen der
häuslichen Gewalt, die leider wieder häufig Kinder - aber
auch Frauen - trifft, nicht diejenigen, die dieser Gewalt
ausgesetzt sind, das Feld, also die Wohnung, räumen müssen, sondern dass das die Täter tun müssen. Die Geschädigten werden also aus diesem Konflikt herausgehalten.
Sie können in Ruhe ihre Situation analysieren und über
weitere Schritte nachdenken.
Das alles sind wesentliche Maßnahmen. Es reicht eben
nicht aus, die finanzielle bzw. materielle Situation der Familien zu verbessern. Es muss auch ein anderes Klima in
der Gesellschaft herrschen.
Wir müssen aber auch andere Strukturen verbessern,
und zwar dahin gehend, dass es den Familien ermöglicht
wird, so zu leben, wie sie es wünschen. Die Menschen
wissen selber am besten, was sie wollen. Sie lassen sich
nicht durch eine 600-Euro-Prämie oder eine Küchenprämie - wie immer man das nennen mag - vorschreiben,
wie sie zu leben haben.
({1})
Sie möchten nicht, von welcher Instanz auch immer, gesagt bekommen, dass die klassische Rollenverteilung für
sie und ihre Kinder die beste Lösung ist. Sie wollen vielmehr, dass sie ihre Potenziale, Wünsche und Vorstellungen realisieren können und dass der Rahmen entsprechend gesteckt wird.
({2})
Männer und Frauen müssen die Möglichkeit haben,
Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Dazu haben wir wesentliche Weichenstellungen vorgenommen.
Wir haben, wie Sie wissen, im Rahmen der Reform des
Erziehungsgeld- und -urlaubsgesetzes, das unter Ihrer Regierung 13 Jahre lang ein kümmerliches Dasein gefristet
hatte, die Elternzeit eingeführt. Wir haben nicht nur für
eine bessere finanzielle Ausstattung gesorgt, sondern
auch strukturelle Veränderungen vorgenommen. Jetzt besteht tatsächlich eine Wahlfreiheit. Zudem ist es möglich,
dass Männer und Frauen gleichzeitig ihre beiden wesentlichen gesellschaftlichen Aufgaben erfüllen können,
wenn sie es denn wollen. Das Prinzip der Freiwilligkeit
haben wir groß geschrieben.
({3})
Wir wissen, dass es nicht ausreicht, Gesetze zu flexibilisieren und die Möglichkeiten der Eltern so theoretisch zu
verbessern; denn dies stößt an eine Grenze, wenn nicht
genügend Betreuungseinrichtungen vorhanden sind, die
flankierend zur Verfügung stehen müssen. Deswegen wird
hier in der nächsten Wahlperiode einer unserer Schwerpunkte liegen. Wir werden Geld in die Hand nehmen und
die Versorgung mit Betreuungseinrichtungen verbessern,
sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Form.
Die Verbesserung der Versorgung allein wird den Anforderungen eines jeden Menschen, eines jeden Kindes,
aber auch einer modernen Gesellschaft nicht gerecht.
Deshalb betreiben wir mit 1 Milliarde Euro pro Jahr eine
Qualitäts- und Betreuungsoffensive und eine Bildungsoffensive. Damit werden wir zukunftsweisend für unsere
Gesellschaft tätig.
({4})
Es reicht in diesen Bereichen nicht, wie es zum Beispiel die FDP vorhat, darauf zu hoffen, dass der Markt es
schon richten werde. Dem liegt der Gedanke zugrunde,
dass die Nachfrage, die aufgrund einer erhöhten Erwerbstätigkeit von Eltern entstehen könnte, zu einem entsprechenden Angebot an Betreuungseinrichtungen führen
wird. Es bedarf aber eines gezielten, strukturierten Angebots für Eltern und Kinder, das die Merkmale der Qualität,
der Betreuung und der Flexibilität in sich vereint. Dafür
werden wir stehen.
Ich möchte mich nun dem zweiten Bereich, der Gesundheitspolitik, zuwenden und zunächst einen Blick
zurück werfen. Bevor wir die Regierungsverantwortung
übernommen haben, mussten die Patientinnen und Patienten insgesamt 2,8 Milliarden Euro an Zuzahlungen leisten. Insgesamt ist die Summe der Zuzahlungen von 1991
bis 1998, also unter Ihrer Regierungsverantwortung, von
0,6 Milliarden Euro auf 2,8 Milliarden Euro gestiegen.
({5})
Wir haben diese Belastungen um circa 1 Milliarde Euro
zurückgefahren und damit unser Versprechen gehalten.
({6})
Wir haben dafür gesorgt, dass die Leistungen, die die
Union und die FDP aus dem Leistungskatalog gestrichen
haben, wieder allen zur Verfügung stehen. Ich erinnere daran, dass wir die Erstattung für Zahnersatz bei Jugendlichen wieder eingeführt haben.
({7})
Wir haben dadurch den Menschen die Verunsicherung,
die Sie bei Patientinnen und Patienten zugelassen und hervorgerufen haben, wieder genommen. An diese Verunsicherung scheinen Sie sich nicht mehr erinnern zu können.
Gerade so, als wäre nichts gewesen, kommen Sie wieder
mit Ihrem Allheilmittel gegen Beitragssteigerungen, mit
Selbstbeteiligung, Selbstbehalten und Tarifen für verschiedene Optionen. Das bedeutet schlicht und ergreifend, dass Sie wieder auf Kosten der Patienten sparen
wollen. Sie können sich nicht vorstellen, ein Gesundheitssystem zu sanieren und zu reformieren, ohne die Patienten, für die das System eigentlich da sein sollte, selber
zur Kasse zu bitten.
({8})
Solche simplen Vorschläge sind nicht zukunftstauglich.
Sie wollen weiter das Sachleistungssystem durch das
Kostenerstattungssystem ersetzen. Sie wollen letzten Endes - das ist das Fazit - die Schwächung des Solidarsystems. Das wird mit der SPD nicht zu machen sein.
({9})
Sie wollen die Verantwortung für die Krankenversorgung
in private Hände legen. Sie haben kein Zukunftskonzept,
das den Menschen verspricht, dass Sie mehr in Prävention
investieren wollen, sondern Sie wollen selbst diese Zukunftsvorsorge durch Eigenleistungen der Patientinnen
und Patienten bezahlen lassen. Sie wollen, dass letzten
Endes jeder sich selbst der Nächste ist. Sie wollen die Solidarität in diesem Lande, jedenfalls im Gesundheitssystem, aufheben. Das werden wir nicht zulassen, und das
werden die Wähler Ihnen am 22. September auch nicht
honorieren.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Dehnel.
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Wester, Sie
wissen, dass ich Sie als Kollegin sehr schätze. Aber dass
Sie zum Thema Ihres Antrags, „Familie ist, wo Kinder
sind“, gar nichts gesagt und Ihren eigenen Antrag hier
überhaupt nicht erwähnt haben, enttäuscht mich doch
sehr.
({0})
Im Januar dieses Jahres veröffentlichte das Institut für
Demoskopie Allensbach eine Studie, aus deren Analysen
man entnehmen konnte, dass die Familie für die Deutschen kein Auslaufmodell ist, sondern in den Aussagen der
Befragten wieder an erster Stelle steht. Erstaunlich ist dabei für mich, dass weder Beruf noch Freunde oder Hobbys
einen ähnlichen Stellenwert einnehmen. Das stimmt mich
als Vater von zwei Kindern, der selber in einer Familie mit
sechs Kindern aufgewachsen ist, ziemlich zuversichtlich.
Aber gleichzeitig müssen wir feststellen, dass mit zunehmendem Wohlstand in Deutschland, aber auch in Europa, die Geburtenzahlen stark zurück gehen. Allein in
Berlin sind 80 Prozent der Haushalte ohne Kinder. Da
frage ich mich schon: Wäre es nicht schön, wenn statt einer Love-Parade oder eines Christopher Street Day ein
Familientag oder eine Family-Parade stattfinden würde?
Das wäre doch eine tolle Sache!
({1})
- Ich habe ja bald Zeit dazu.
({2})
Ja, das ist so. - Die Geburtenzahlen müssten sich verdoppeln, wenn die Bevölkerung in Deutschland nicht bis zum
Jahr 2050 um 17 Millionen Menschen abnehmen soll. Das
ist ungefähr die Zahl der Bürger in der ehemaligen DDR;
das muss man sich einmal vorstellen. Dann würde ein Drittel der Bürger über 60 Jahre alt sein. Ergänzend zu dieser
dramatischen Entwicklung wird noch von jährlich circa
200 000 Ehescheidungen und von circa 130 000 Schwangerschaftsabbrüchen gesprochen. Deshalb müssen wir in
unseren politischen Überlegungen, Anstrengungen und
Planungen danach fragen, wie wir dieser verhängnisvollen
Entwicklung entgegenwirken können. Dabei ist die finanzielle Absicherung von Familien mit Kindern nur eine
Rahmenbedingung unter anderen.
({3})
Die Regierung Schröder, kaum im Amt, hat auf
schnellstem Wege
({4})
Aufwand und Energie verschwendet, um gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften eine eheähnliche
Rechtsbeziehung einzuräumen, statt einen nachhaltigen
Beitrag für die Familienförderung zu leisten. Ich frage
mich: Sieht so eine zukunftsweisende Familienpolitik aus?
({5})
Auch die Planungen des Bundeskanzlers, einen Zuschuss für Kinderbetreuungseinrichtungen zu geben und
dafür das Kindergeld geringer zu erhöhen, geht eindeutig
in die falsche Richtung. Sie richten sich gegen die Länderkompetenz und vor allem gegen den Osten. Dort sind
Kindergartenplätze bekanntlich in ausreichender Anzahl
vorhanden und wir haben viele Millionen DM bzw. Euro
investiert, sodass die Kinder dort heute sehr gut aufgehoben sind, viel besser als jemals zu DDR-Zeiten.
({6})
- Ja, Sachsen und Thüringen sind geradezu vorbildlich.
Ich glaube, das ist ein großer Vorteil der neuen Bundesländer. ({7})
Daran kann man erkennen: So sehen die Chefsachen des
Kanzlers aus.
Auch das ist eine Mogelpackung: Familien finanzieren
Familien. Bei Eltern mit größeren Kindern wird zugunsten von Eltern mit kleineren Kindern gespart. So kann
man nicht mit den Familien spielen. Die CDU/CSU hat in
ihrer Regierungszeit von 1982 bis 1998 das Kindergeld ({8})
- was schwätzen Sie da, Herr Tauss? Wo waren Sie denn?
Reden Sie nicht so daher! - von 70 auf 220 DM erhöht,
also verdreifacht.
({9})
Wir haben das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub eingeführt sowie die Anerkennung der Kindererziehungszeiten in der Rentenberechnung und den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz durchgesetzt.
({10})
Das alles will die rot-grüne Koalition einfach negieren
und sich selbst als die große Reformerin darstellen. Das
geht einfach zu weit.
So ist auch der uns vorliegende Entschließungsantrag
der rot-grünen Koalition „Familie ist, wo Kinder sind ...“
eine Mogelpackung. Aus der Sicht vieler ostdeutscher Familien haben der Bundeskanzler und seine Genossen jämmerlich versagt. Leider ist keiner mehr vertreten, nicht
mal der „Ostminister“ Schwanitz ist noch zu sehen, denn
die interessiert das Thema anscheinend überhaupt nicht.
Diese Regierung wollte „nicht alles anders, aber vieles
besser machen“. Was ist daraus geworden? Tatsache ist,
dass die Familien vom Erzgebirge bis zur Ostsee und vom
Harz bis zur Oder in die Kohl-Regierung und den Aufschwung Ost entschieden mehr Vertrauen hatten als gegenwärtig in die Schröder-Regierung.
({11})
Dafür gibt es einen ganz eindeutigen Seismographen:
die Abwanderung von Familien aus dem Osten Deutschlands. Von 1991 bis 1998 nahm die Abwanderung von
rund 90 000 Menschen auf 10 000 Menschen jährlich ab.
Seit 1998 ist sie schon wieder Jahr für Jahr auf jetzt über
60 000 Menschen jährlich gestiegen. So viele enttäuschte
Bürger, vor allem jüngere, gibt es, die den neuen Bundesländern wegen des Abschwungs Ost den Rücken kehren.
({12})
Das ist auch kein Wunder: Die Arbeitslosigkeit sollte
halbiert werden, aber im Osten stagniert sie nicht nur, sie
ist heute sogar höher als 1998. Solche Wahrheiten müssen
Sie sich schon anhören. Aber diese Tatsachen verschweigen Sie von der Koalition; denn es sind niederschmetternde Urteile für vier Jahre rot-grüner Politik, und zwar
auf allen politischen Feldern.
Eine florierende Wirtschaft und deren Wachstum - das
ist ganz wichtig - sind nun mal die wichtigsten Rahmenbedingungen, damit sich Familien und deren Umfeld familienfreundlich entwickeln können. Ich sage Ihnen,
dafür wird ab dem 22. September unser Kanzlerkandidat
Helmut, nein Edmund Stoiber mit seiner Mannschaft sorgen.
({13})
- Helmut kommt gleich noch.
Von diesem Kapitän und seiner Mannschaft wird das angeschlagene Schiff Deutschland wieder flott gemacht
werden; dessen bin ich mir ganz sicher.
({14})
Meine Damen und Herren, es wird Zeit, dass der Osten
wieder mit Herz und nicht mit der winkenden ruhigen
Hand angepackt wird. Letzeres haben wir nämlich leider
schon 40 Jahre lang im Osten erleben müssen. Der Jubel
durch und für die Genossen war verordnet, bis die MenWolfgang Dehnel
schen mit Füßen, brennenden Kerzen und Gebeten abgestimmt haben.
({15})
- Den müssen Sie sich aber von mir schon anhören, weil
ich nämlich seit der ersten Demo dabei war.
({16})
Meine Damen und Herren, ich möchte dies heute bei
meiner letzten Rede im Deutschen Bundestag in die Erinnerung zurückholen.
({17})
Ich bin sehr glücklich und gleichzeitig sehr dankbar, erlebt zu haben, wie ein fester Glaube Mut macht und Mauern zerbricht, sodass Familien wieder zusammengeführt
wurden und heute in Freiheit, Frieden und Demokratie leben können. Vor über 50 Jahren hatten sich die Väter und
Mütter des Grundgesetzes dieses Ziel gestellt. Viele Bürger haben sich haupt- oder ehrenamtlich immer wieder in
den Dienst dieses Landes gestellt.
Dass dieses Land nun schon fast 12 Jahre lang ein geeintes Vaterland ist, finde ich ganz toll. Besonders danke
ich heute noch einmal Altkanzler Dr. Helmut Kohl dafür,
({18})
dass er den Ruf der Menschen „Wir sind ein Volk“ zu den
Siegermächten getragen und diesen Auftrag gegen viele
Widerstände innerhalb und außerhalb des Landes umgesetzt hat.
({19})
Ich danke aber auch Dr. Wolfgang Schäuble für seine
beharrliche Vertretung ostdeutscher Interessen bei den
Verhandlungen zum Einigungsvertrag, an denen ich als
frei gewählter Volkskammerabgeordneter eine Woche lang
teilnehmen konnte. Ich habe noch im Ohr, wie die Staatssekretäre aus den SPD-geführten Ländern damals gegen
die Finanzierung der deutschen Einheit gestimmt haben.
({20})
Ich danke auch Frau Dr. Angela Merkel und Herrn
Friedrich Merz dafür, dass sie das CDU-Schiff aus einer
schwierigen Lage wieder auf Kurs „40 plus x“ gebracht
haben.
({21})
Ich danke allen Kollegen in der Fraktion, in der Landesgruppe und in der Arbeitsgruppe, besonders den vielen
Frauen, die mich hier so treu unterstützen.
({22})
Ich danke ferner den Kollegen auf der linken Seite des
Hauses, die mir Achtung und Respekt entgegengebracht
haben, wie auch ich es in diesem Hause ihnen gegenüber
immer getan habe. Ich danke dem gesamten Hohen Haus,
der freundlichen Bundestagsverwaltung sowie den zuvorkommenden Saaldienern. Ich danke auch denen, die in
Bonn geblieben und nicht in den großen Kessel Berlin
mitgekommen sind. Auch danke ich den Bürgern und
Wählern in meinem Wahlkreis, die mir jahrelang ihr Vertrauen ausgesprochen haben.
Ich danke meinen Eltern und meiner Familie. Mein Vater wird in diesem Jahr 90 Jahre alt. Er hat im Ersten Weltkrieg seinen Vater verloren und nahm am Zweiten Weltkrieg selbst teil und kam in Gefangenschaft. Jetzt konnte
er die deutsche Einheit erleben, die auch für die ältere Generation ein großes Glück ist. Meiner Frau und meinen
Kindern danke ich für ihr Verständnis, wenn ich so oft
nicht zu Hause war.
Ich hoffe, dass ich meine erzgebirgisch-vogtländische
Heimat und das Sachsenland hier in diesem Hohen Hause
würdig vertreten habe. Abschließend wünsche ich, dass
auch in der kommenden Legislaturperiode für das Glück
von Familien und deren Wohlstand in Frieden und Freiheit
parteienübergreifend gestritten, aber auch wieder Konsens
gesucht und gefunden werden wird, wo es nötig ist.
Vielen Dank.
({23})
Lieber Herr
Kollege Dehnel, ich danke Ihnen auch im Namen des
Hauses für Ihre Arbeit. Sie waren vier Legislaturperioden
Mitglied dieses Hauses und haben in Ihrer Rede selbst gesagt, welch eine wichtige Zeit das für die deutsche Demokratie war. Ich bin sicher, dass Sie dorthin gehen, wo
Sie sich wirklich wohlfühlen, nämlich nach Hause.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Franz Müntefering.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe drei Abgeordnete von der FDP, ich begrüße Sie
hier ganz herzlich.
({0})
Gerhard Schröder hat durchaus signifikante Reformen
wie die Haushaltskonsolidierung, zwei Steuerreformen,
die Rentenreform und die Reform des Staatsbürgerrechts
bis hin zum umstrittenen Zuwanderungsgesetz umgesetzt.
Seine Regierung hat in vier Jahren mehr Reformen durchgeführt als Helmut Kohl in seinen letzten acht Jahren.
({1})
Dies ist ein Zitat von Roland Berger aus dem „Handelsblatt“ vom 3. Juni dieses Jahres.
({2})
Vielleicht lesen Sie es noch einmal ein bisschen gründlicher durch.
Heute Morgen ist viel darüber philosophiert worden,
was eine solche Anfrage der FDP bringt. Ich sage: Respekt, dass Sie bei den wenigen Aktiven, die Sie haben,
253 Fragen zusammenbekommen haben.
({3})
Dank und Respekt auch an die Bundesregierung für die
sorgfältige Antwort. Ich habe allerdings den Eindruck,
dass es sich nicht gelohnt hat.
({4})
Denn das, was Sie hier heute vorgetragen haben, hätten Sie auch ohne die Antwort der Bundesregierung vortragen können. Sie haben sich nämlich offensichtlich
durch nichts beirren lassen,
({5})
sondern haben das, was Sie sich vorher aufgeschrieben
haben, heute vorgetragen.
Die gockelhafte Aufregung, mit der Herr Westerwelle
hier heute Morgen aufgetreten ist, hat noch einmal gezeigt, dass es ihm vor allen Dingen um eines geht: großen
Effekt haben, Show machen. Aber - das wird in diesen
Wochen immer klarer erkennbar - die Menschen in
Deutschland wissen: Schuhgröße 18 ist für einen Kanzlerkandidaten doch zu wenig.
({6})
Herr Kollege
Müntefering, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?
Ich möchte meine Aussagen zur FDP zu Ende bringen. Vielleicht kann er dann
noch mehr anmerken.
({0})
Wenn man sich das Programm der FDP anschaut,
sieht man, dass dieses Land nicht in die Hände der FDP
geraten sollte.
({1})
Denn wenn Sie das, was Sie aufgeschrieben haben, ernsthaft machen, bedeutet das, dass der Staat handlungsunfähig wird und der Sozialstaat am Ende ist. Eine Staatsquote und einen Spitzensteuersatz von unter 35 Prozent
können Sie nur finanzieren, wenn Sie massiv in die Handlungsfähigkeit des Staates einschneiden. Dies kann man
nur, wenn man an die Rentner geht oder den Solidarpakt II
oder die Investitionen massiv zusammenstreicht.
Der Staat ist die frei vereinbarte Form der gesellschaftlichen Ordnung, in der wir leben. Wir wollen und
brauchen für die Menschen in diesem Land einen handlungsfähigen Staat.
({2})
Wir Sozialdemokraten sorgen dafür, dass es diesen auch
in Zukunft gibt.
({3})
Sie werden sich als FDP zu entscheiden haben, ob sie
als Bewegung, die demagogisch-populistisch versucht
nachzuholen, was in anderen europäischen Ländern stattfindet, agieren will oder ob sie sich an die alte FDP erinnert, die durchaus Respekt verdient hat. Wenn man sich
die FDP heute anschaut - der Vorsitzende im Schwitzkasten von Herrn Möllemann -, weiß man: Das ist nicht
mehr das, was wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten als FDP gekannt haben.
({4})
Die FDP hat ihren Platz im Haus der Geschichte. Für das
Regieren taugt sie im Augenblick ganz sicher nicht.
({5})
Ich will etwas zur Schnittmenge zwischen CDU/CSU
und FDP sagen. Was sich dort andeutet, ist das Tandem
Stoiber-Möllemann: innenpolitisch ein Graus, außenpolitisch ein Risiko.
({6})
Das werden die Menschen auch so einschätzen und die
entsprechende Konsequenz daraus ziehen.
Dass Stoiber kein Mutiger ist, dass er feige ist, wenn es
darum geht, sich der Debatte zu stellen, haben wir schon
länger gewusst.
({7})
Dass er das gestern mit der Feststellung verbunden hat,
der Bundestag sei überbewertet, ist von besonderer Delikatesse.
({8})
Stellen Sie dies in den Zeitungen offiziell richtig. Falsch
ist die Aussage, der Bundestag sei überbewertet. Richtig
ist die Aussage: Stoiber ist überflüssig. Das kann man
schreiben.
({9})
Er ist gewogen und für zu leicht befunden. Dies will ich
anhand eines Punktes noch etwas näher beschreiben, weil
sich der Kollege, der unmittelbar vor mir gesprochen hat,
ganz besonders auf die Situation in Ostdeutschland bezogen hat.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Stoiber hat im letzten Jahr versucht, den ostdeutschen Ländern durch das Beklagen des
Länderfinanzausgleichs Geld wegzunehmen. Er ist Gott
sei Dank vor Gericht gescheitert. Während er jetzt durchs
Land geht und Hände schüttelt, klagt er gegen den Risikostrukturausgleich. Er ist einer, der das Land gespalten
hat und der in sehr separatistischer, egoistischer Manier
mit den Interessen der Länder umgeht, denen es zurzeit
nicht so gut geht wie Bayern.
Wenn man meine Altersklasse hat und erfahren hat, wie
die Situation in den vergangenen 30 oder 40 Jahren in
Deutschland gewesen ist, weiß man, dass Bayern in der
Zeit nach 1950 ein sehr schönes Urlaubsland war. Alle
Länder im Westen der Bundesrepublik, denen es gut
ging - den Länderfinanzausgleich gibt es ja nicht erst seit
jetzt -, hatten sich zusammengetan; Nordrhein-Westfalen,
Hamburg und Hessen waren dabei. Nach dem Prinzip der
kommunizierenden Röhren haben diese Länder Geld an
Bayern abgegeben. Über 30 Jahre lang hat Bayern zu
Recht Geld aus der gemeinsamen Kasse der Länder und
des Bundes erhalten. Ein Land, das über so viele Jahre unterstützt worden ist, damit es seine eigene Politik betreiben und seine Industrien aufbauen konnte, muss heute
aber auch bereit sein, Geld an die Länder zu geben, die
heute darauf angewiesen sind, dass ihnen geholfen wird.
Das gilt in besonderer Weise für Ostdeutschland.
({11})
Herr Stoiber soll seine Klage gegen den Risikostrukturausgleich bitte zurücknehmen. Dann kann man vielleicht
darüber sprechen.
({12})
Ein letztes Wort zu der Sache mit Helmut Kohl: Richtig ist, dass Helmut Kohl Kanzler war, als die deutsche
Einheit möglich wurde. Das bestreiten wir ihm nicht und
das wird immer sein Verdienst bleiben. Das hat aber zwei
Vorgeschichten. Die erste Vorgeschichte lautet: Nicht
Helmut Kohl hat die Mauer vom Westen her eingerissen,
sondern tapfere Frauen und Männer, die im Osten auf die
Straße gegangen sind, haben die Mauer vom Osten her
umgeschmissen; so ist das gewesen.
({13})
Neben der Vorgeschichte im Osten hat es eine weitere
Vorgeschichte im Westen der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Denken Sie an 1969 und 1972; Sie werden
sich noch gut daran erinnern. Damals wurde die Koalition
zwischen Brandt und Scheel möglich. Wir haben den Warschauer und den Moskauer Vertrag gegen Ihre ausdrückliche Intervention durchgesetzt.
({14})
Willy Brandt ist nach Warschau gefahren und hat dort gekniet. Sie haben ihn verspottet und über ihn geredet, als
sei er ein Vaterlandsverräter. Deshalb sage ich Ihnen hier
noch einmal: Richtig ist, dass Kohl Kanzler war, als es
möglich wurde; aber die Menschen im Osten, in der damaligen DDR, haben die Mauer von dort aus umgeschmissen,
({15})
und wenn es die Carlo Schmids, Fritz Erlers, Willy
Brandts und Helmut Schmidts nicht gegeben hätte, wären
der Niedergang des Kommunismus und die deutsche Einheit so nicht möglich gewesen.
({16})
In diesen vier Jahren haben wir eine Menge in Bewegung gesetzt. Die jetzige Regierung - das muss man anerkennen - hat Themen angepackt, die vorher nicht umgesetzt werden konnten oder liegen geblieben sind. Die
Steuerreform hat uns nach vorne gebracht und die Rentenreform hat zumindest die Tür in die richtige Richtung
geöffnet.
({17})
Das sagte Herr Schulte-Noelle, der Vorstandsvorsitzende
der Allianz AG. Vielleicht lesen Sie seine Ausführungen
noch einmal genau, er kann Ihnen nämlich auch noch einen guten Ratschlag geben.
({18})
Das wird auch in den nächsten vier Jahren weiterhin so sein.
({19})
Sie werden sehen - das haben wir in den letzten Wochen in diesem Land erlebt -: Die Stimmung dreht sich.
Die Menschen wissen: Stoiber wurde gewogen und für zu
leicht befunden. Sie können ihn als Kanzlerkandidaten
noch 79 Tage hochhalten. Das ist der Höhepunkt im politischen Leben von Edmund Stoiber. Nach diesen 79 Tagen
ist Schluss mit der ganzen Sache.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({20})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Friedhelm Ost.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach diesen Ausführungen von Herrn Müntefering kann ich meine Rede
nicht zu Protokoll geben.
({0})
- Sie sagen, sie war erfrischend, aber in letzter Zeit hat er
häufiger Lücken in seiner Erinnerung. Er muss sich vielleicht einmal selbst eine Frischzellenkur verordnen.
({1})
Lieber Herr Müntefering, was Sie bezüglich der deutschen Einheit hier geboten haben, war wirklich eine
Falschheit.
({2})
Es war eine Unwahrheit und Geschichtsklitterung sondergleichen.
({3})
Sie wissen ganz genau, wie sich Willy Brandt in den letzten Tagen seines Lebens über Lafontaine und viele andere
Sozialdemokraten geäußert hat. Wenn Sie es nicht mehr
wissen, fragen Sie bitte Frau Seebacher-Brandt. Sie können sich die Welt doch nicht so machen, wie Sie wollen;
das tun Sie aber. Dass Sie den Beifall hier genießen, ist
natürlich klar. Wenn Sie nach Köln-Nippes, Köln-Ehrenfeld oder Wuppertal fahren, dann bekommen Sie keinen
Beifall mehr.
({4})
Treten Sie weiter so auf wie bisher. Sie sind die beste Werbenummer für Edmund Stoiber und die CDU/CSU; das
sage ich Ihnen.
({5})
Diese unterschwellige Diffamierung von Ihnen ist unglaublich. Helmut Kohl ist der Kanzler der deutschen Einheit.
({6})
Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wären die Menschen
in der DDR als zweitklassig verkauft worden. Das haben
Sie doch vorgehabt. Die Abkommen über die zweite
Staatsbürgerschaft waren doch schon fertig. Das ist die
Wahrheit.
({7})
Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn jemand aus der
asiatischen Region zurückkommt, dann erwarte ich, dass
er gelassener ist. Sie hingegen sind fürchterlich aufgeregt,
was ich gut verstehe.
({8})
Sie machen doch immer einen wunderbaren Jahreswirtschaftsbericht. Aber dies ist sozusagen eine Sekundärausgabe, die offiziell gar nicht zur Kenntnis genommen wird,
noch nicht einmal von Ihren Genossen, von Ihren Freunden. Ich verstehe deshalb auch, warum Sie nicht in die
SPD eintreten wollen; das ist völlig klar.
In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht steht nämlich vieles,
was wir durchaus begrüßen und wo wir gemeinsame Linien entwickelt haben, was aber nie umgesetzt worden ist.
Sie sind dabei auf der klaren Linie der sozialen Marktwirtschaft. Dabei sind sie immer von dem Ehrgeiz beseelt,
der Ludwig Erhard dieses neuen Jahrhunderts zu werden.
({9})
Aber ich sage Ihnen: Das reicht nicht. Sie werden nie das
Maß und Format von Ludwig Erhard bekommen.
({10})
Mit dem, was Sie heute geboten haben, werden Sie noch
nicht einmal Heinz Erhardt einholen, auch wenn Sie weiterhin so herumtoben.
({11})
Die Fragen in unserer Anfrage scheinen Sie ein wenig
überfordert zu haben. Ich weiß nicht, ob es zu viele Fragen waren. Aber nach dem, was der Bundeswirtschaftsminister gesagt hat, scheint das der Fall gewesen zu sein.
Schauen Sie sich einmal die Zahlen an. Lieber Herr
Müntefering, betrachten Sie einmal die investiven Ausgaben im Bundeshaushalt. 1998 lagen sie noch bei
12,5 Prozent. Heute liegen sie bei 10,1 Prozent. Die Steuerquote liegt bei 23,1 Prozent. Wo sind denn die Riesenfortschritte?
Verdummen Sie doch bitte die Menschen nicht! Sie
können nur statische Rechnungen anstellen. Eine Wirtschaft entwickelt sich jedoch dynamisch. Wenn das Bruttoinlandsprodukt durch kräftiges Wachstum, das Sie immer ausgebremst haben, größer wird, dann können Sie die
Staatsquote zurückfahren. Das haben wir Ihnen doch vorgemacht. Das haben Ihnen auch die Amerikaner und die
Engländer vorgemacht. Alle haben Ihnen das vorgemacht:
Wenn das Bruttoinlandsprodukt, das heißt der Kuchen
größer wird, können Sie größere Stücke verteilen. Die
Staatsquote kann dabei allmählich zurückgeführt werden.
Hören Sie mit diesem dummen Unsinn auf, Sie müssten den Rentnern oder wem auch immer 170 Milliarden Euro wegnehmen! Das wäre das Ergebnis Ihrer statischen und rückwärts gewandten Politik. Wir hingegen
werden das mit einer wachstumsorientierten und dynamischen Politik anders machen.
({12})
Mein Kollege Scherhag hat Ihnen bereits das Beispiel
vom Auto genannt. Sie berufen alle möglichen Kommissionen, runden Tische und Bündnisse für Arbeit ein und
erklären manches zur Chefsache, weil der Reifendruck
bei Ihrem Auto nicht in Ordnung war. Dies mag alles richtig sein. Schaffen Sie so viele Gremien, wie Sie wollen.
Das bringt aber die Volkswirtschaft, das Wachstum und
die Beschäftigung nicht nach vorne.
Sie können jetzt mit der Hartz-Kommission noch so
viele Dinge ändern. Mich wundert, dass Sie so viele Vorschläge begrüßen und von der Hartz-Kommission sozusagen Wunderwerke erwarten. Sie selber haben aber doch
die Scheinselbstständigkeit im Gesetz bekämpft und verboten. Jetzt auf einmal jubeln Sie über die Idee der
Ich-AG. Wie soll denn die Ich-AG aussehen? Das müssen
Sie den Menschen einmal erklären. Sie haben vorher immer alles reguliert. Jetzt sagt Herr Hartz ganz klug: Das
muss alles dereguliert werden. - Sie betreiben eine schizophrene Politik. Sie treten auf die Bremse, geben gleichzeitig Gas und erklären dann: Das Getriebe ist kaputt. Das
liegt vermutlich an der Hartz-Kommission, weil der Vorsitzende von einem großen Automobilhersteller kommt.
Was uns alle gemeinsam umtreiben sollte, sind Deregulierung, Abbau von Bürokratie und vieles mehr. Darüber können wir streiten. Das Wichtigste für die Zukunft
aber wird sein, dass wir dafür sorgen, dass unsere Volkswirtschaft wieder kräftig wächst.
({13})
1 Prozent mehr Wachstum bedeuten ein um 20 Milliarden Euro höheres Bruttoinlandsprodukt
({14})
- vielleicht können Sie ja nicht rechnen - und 10 Milliarden Euro mehr für die öffentlichen Kassen und für die Sozialversicherungskassen.
Sie haben immer die Grenzen des Wachstums beschworen, waren auf der Seite der Krisen- und Schlangenbeschwörer. Wir brauchen aber über einen langen
Zeitraum einen Wachstumszyklus, wie es uns die Amerikaner vorgemacht haben. Ihr großer Kanzler geht zum
DGB-Kongress und sagt, dass er keine amerikanischen
Verhältnisse wolle. Warum wollen wir denn keine Wachstumsraten von 4 oder 5 Prozent über zehn Jahre? Nur
Voodoo-Ökonomen sagen: Nein, das wollen wir nicht;
wir wollen lieber bei einem Nullwachstum bleiben.
Jetzt wird plötzlich von einem kräftigen Aufschwung
gesprochen: Im ersten Quartal lag das Wachstum bei minus 0,2 Prozent; das ist doch kein Wachstum und kein gefestigter Aufschwung. Selbst wenn Sie sich die Auftragseingänge, die der Kanzler hier gestern beschworen
hat, anschauen, stellen Sie fest, dass wir zwar Gott sei
Dank einige schöne Großaufträge aus dem Ausland zu
verzeichnen haben, dass es bei den Auftragseingängen aus
dem Inland aber ein deutliches Minus gibt. Das können
Sie nachlesen. Bei der Industrie insgesamt lag das Minus
bei 3,2 Prozent; bei den Investitionsgüterbestellungen lag
das Minus sogar bei 5,8 Prozent.
Die Investitionen von heute sind die Arbeitsplätze von
morgen und die Einkommen von übermorgen. Wenn auf
diesem Gebiet ein Minus von 5,8 Prozent zu registrieren
ist, wird es kein Wachstum und keine neuen Arbeitsplätze
geben.
({15})
Herr Kollege
Ost, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich will zum Schluss
kommen.
({0})
Sie haben sich ehrgeizige Ziele gesteckt. Lieber Herr
Müntefering, Sie haben sogar entsprechende Karten
drucken lassen. Warum haben Sie sie eigentlich einstampfen lassen? Der Preis für Altpapier ist zurzeit doch
gar nicht so hoch. Sie haben keinen der neun Punkte, die
Sie auf diesen Karten nennen, erfüllt. Ihre Garantie ist
nichts wert, ist ein Muster ohne Wert. Das hätten Sie sich
sparen können. Das ist aber nicht schlimm; man kann
Fehler auch einmal eingestehen.
Ich glaube, Deutschland steht an einer Wegscheide:
Entweder marschieren wir gemeinsam voran und schaffen
mithilfe der Leistungen von Arbeitern und Unternehmern
mehr Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand und eine
Zukunftsperspektive oder wir verharren weiter in rot-grüner Erstarrung mit einem Wachstum, das nahe null liegt,
immer höherer Arbeitslosigkeit, steigender Umverteilung
und ohne Zukunftsperspektive.
Ich hätte mich von Ihnen gern mit freundlicheren Perspektiven für uns alle, unser Land und die Menschen verabschiedet. Ich habe meinen Wahlkreis Paderborn im
Deutschen Bundestag zwölf Jahre lang gerne vertreten.
Ich gebe auch zu, dass ich mit sehr vielen Kolleginnen
und Kollegen aus allen Fraktionen gut zusammengearbeitet habe. Vor allem in den acht Jahren, in denen ich Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses war, entstanden
auch über Parteigrenzen hinweg viele Freundschaften,
von denen ich sicher bin, dass sie über die Zeit im Bundestag hinweg halten werden.
Ich möchte einen Wunsch äußern: Ich glaube, das Parlament sollte in Zukunft der Ort sein, an dem wir streiten
sollten. Über viele Ziele sind wir uns einig, vor allem in
den großen Volksparteien. Über die Wege, Mittel und Instrumente sollte man hier ruhig streiten. Das wäre besser
als immer wieder neue Kommissionen, Gremien oder Zirkel einzuberufen. Die Parlamentarier - das gilt für alle
Seiten - verfügen über einen hohen Sachverstand und
viele Kenntnisse aus der Praxis. Ich glaube, so könnten
auch in Zukunft gute Lösungen für die Menschen und für
unser Land gefunden werden.
({1})
Walther Rathenau hat vor mehr als 100 Jahren hier in
Berlin einmal gesagt: „Die Wirtschaft ist unser Schicksal.“
({2})
- Nein, er hat „die Wirtschaft“ gesagt. Sie sollten nicht
immer so tun, als ob Sie alles besser wüssten.
({3})
Sie wollen doch eine neue Bildungspolitik machen: In der
Schule antwortet man auch nur, wenn man gefragt wird.
({4})
Walther Rathenau hat wörtlich gesagt: „Die Wirtschaft
ist unser Schicksal.“
({5})
- Ich kann Walther Rathenau nur richtig zitieren, selbst
wenn Herr Stiegler meint, Walther Rathenau posthum
korrigieren zu müssen.
({6})
Dieser Spruch ist nach wie vor gültig. Schicksalhafte Herausforderungen für unser Volk und unser Land müssen
wir gemeinsam annehmen, damit es zu einer Steigerung
von Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand kommt.
Dazu wünsche ich allen Kolleginnen und Kollegen, die
Mitglied des nächsten Bundestages sein werden, eine
glückliche Hand und Gottes Segen.
Herzlichen Dank.
({7})
Lieber Herr
Kollege Ost, ich möchte auch Ihnen im Namen des Hauses für Ihre Arbeit danken, besonders im Wirtschaftsausschuss. Eine Rede mit Walter Rathenau zu beenden, ist
immer gut. Ihnen und auch Ihrer Familie wünsche ich persönlich für die Zukunft alles Gute.
({0})
Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/9723 zu ihrer Großen Anfrage. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die
Stimmen der FDP abgelehnt worden.
Tagesordnungspunkt 21 b: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/8142 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Versprechungen der Bundesregierung einlösen - Deutschland wieder nach vorne bringen“. Wer stimmt für diesen Antrag auf Drucksache
14/9103? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Koalitionsfraktionen und der PDS gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf
Drucksache 14/9657 zu dem Entschließungsantrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler mit dem Titel „Familie ist, wo Kinder sind Politik für ein familien- und kinderfreundliches Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen
- Drucksache 14/9356 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Aussschusses für Wirtschaft und Technologie ({2})
- Drucksache 14/9710 Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Weiermann
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor. Für die Aussprache ist eine halbe Stunde
vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Parlamentarische Staatssekretär Ditmar Staffelt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute haben wir die Gelegenheit, ein vor vielen Jahren gestartetes
Projekt umzusetzen, nämlich in unserem Lande ein Korruptionsregister einzurichten.
In der Vergangenheit galt, dass der Wunsch nach Einrichtung eines solchen Registers parteiübergreifend und
- ich darf das anmerken - auch länderübergreifend bestand, weil es für unser Land natürlich von besonderer Bedeutung ist, dass Unternehmen, die als unzuverlässig gelten, keine öffentlichen Aufträge erhalten können. Die
Innenministerkonferenz hat uns ausdrücklich aufgefordert, als Deutscher Bundestag zu handeln.
Sie wissen sehr wohl, dass in manchen unserer Bundesländer solche Korruptionsregister bereits heute bestehen. Sie haben, wie wir wissen, gute Erfahrungen damit
gemacht. Dieses Register hat sich als ein effizientes Instrument der Korruptionsbekämpfung herausgestellt.
Deshalb wollen wir es jetzt auch für die gesamte Bundesrepublik Deutschland wirksam werden lassen und einrichten.
({0})
Wir werden deshalb die §§ 126 a und 127 des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen ändern, damit die
Bundesregierung ermächtigt wird, mit Zustimmung des
Bundesrates eine Rechtsverordnung zu erlassen, die ein
solches Register dann Realität werden lässt.
Das Register selbst ist ein reines Informationsregister
über jene Unternehmen, die als unzuverlässig gelten. Es
geht darum, dass solche unzuverlässigen Unternehmen
nicht nur in einem Bundesland oder in einem regionalen
Zusammenhang von Aufträgen ausgeschlossen werden,
sondern dass alle öffentlichen Auftraggeber in Deutschland - Kommunen, Länder und auch der Bund - von der
Unzuverlässigkeit Kenntnis erhalten und damit selbst entscheiden können, ob sie ein solches Unternehmen überhaupt mit einem Auftrag versehen können.
Wenn wir über Unzuverlässigkeit und Korruption sprechen, dann meinen wir Bestechung, Betrug und Untreue. Ich
glaube, dass wir uns selbst einen guten Dienst erweisen,
wenn wir neben den bekannten gesetzlichen Bestimmungen
wie dem GWB und den Verdingungsverordnungen mit dem
gerade von mir beschriebenen Informationsaustausch sozusagen einen Background für all diejenigen schaffen, die öffentliche Aufträge erteilen, und damit helfen, dass wieder
Anständigkeit in bestimmten Bereichen unseres Landes
einkehren kann. Ich glaube, dass eine zentrale Listung unzuverlässiger Unternehmen beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in Eschborn der richtige Weg
ist, dass die Anfrage für öffentliche Auftraggeber ein Muss
sein muss und dass daran niemand vorbeikommen darf.
Gleichwohl muss aber festgehalten werden, dass jeder eigenverantwortlich entscheiden kann, ob er die in Eschborn
registrierten Unternehmen beauftragt oder nicht. Die öffentlichen Auftraggeber haben also selber die Verantwortung.
Es gibt keine Vorbestimmung durch Eintrag in das Register.
Es ist darüber hinaus wichtig, festzuhalten, dass jeder,
der öffentliche Aufträge vergibt, eine sorgfältige Prüfung
vorzunehmen hat, dass aber auch jedes registrierte Unternehmen die Chance hat, seinen Eintrag im Korruptionsregister zu löschen, wenn es nachweisen kann, dass die Beanstandung, die zur Einschätzung der Unzuverlässigkeit
geführt hat, nicht stimmt. Das ist ein faires Angebot an
alle Beteiligten. Wir meinen, dass gerade diese Flexibilität einen gewissen Schutz für die Unternehmen selbst
sowie für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darstellt; denn mit der Möglichkeit, Änderungen im Unternehmen vorzunehmen und sich zu bewähren, wird jedem
Unternehmen, das einmal gegen Recht und Gesetz verstoßen hat, die Chance zur Rehabilitierung gegeben. Das
halte ich für wichtig und in Ordnung. Wenn kein entsprechender Nachweis erbracht werden kann, wird die Listung drei Jahre dauern.
Nun haben einige erbitterten Widerstand gegen das
Korruptionsregister geleistet. Die Sorge war groß, es
werde nach Einführung eines solchen Registers in bestimmten Branchen, speziell in der Bauwirtschaft, im Einzelfall keine öffentlichen Aufträge mehr geben. Ich kann
nur sagen: Das ist richtig. Das ist übrigens der Sinn des
Korruptionsregisters. Wir wollen doch eines festhalten:
Deutschland hat sich im Vergleich zu anderen Ländern
viele Jahre als korruptionsunanfällig dargestellt. Inzwischen wissen wir aufgrund der vielen durchgeführten
Kontrollen - egal ob es um Schwarzarbeit, um das Unterlaufen von Tarifen oder um Bestechung geht -, dass sich
die Situation in Deutschland in den letzten Jahren leider
Gottes ganz erheblich verändert hat. Jeder Marktwirtschaftler wird sagen: Gerade Korruption ist der Feind
des Marktes und des Wettbewerbs sowie auch aus der
Sicht ausländischer Investoren ein schwerer Nachteil für
einen Wirtschaftsstandort.
({1})
Deshalb wollen wir mit dem Korruptionsregister auch einen Beitrag dazu leisten, dass der ehrbare Kaufmann und
der ehrbare Handwerksmeister in unserem Land nicht von
denjenigen vom Markt verdrängt werden, die sich nicht
mehr an Recht und Gesetz halten wollen. Das ist die Aufgabe des Gesetzgebers und der Bundesregierung.
({2})
Dieses Gesetz, verbunden mit der Verordnung, ist ein
wirklich angemessenes Mittel. Die Expertenanhörung hat
das bestätigt. Die Meinung der Bundesländer hierzu war,
jedenfalls noch bis vor kurzem, sehr positiv. Sowohl die
A- als auch die B-Länder sollten die Einigkeit nicht aufgeben. Meine Bitte an Sie alle ist, ein solch wichtiges Gesetz nicht wegen der bevorstehenden Bundestagswahl
und wegen möglicherweise vorhandenen parteipolitischen Wahlkalküls zu blockieren. Ich hoffe das auch im
Hinblick auf den Bundesrat, dessen Zustimmung zur Verordnung ja notwendig ist. Wir alle sollten uns in den
Dienst der Korruptionsbekämpfung stellen. Damit tun wir
der Wirtschaft in unserem Land einen guten Dienst.
({3})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hartmut Schauerte.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist
eigentlich schade, dass Herr Müntefering nicht noch die
paar Minuten gehabt habt, um an dieser Debatte teilzunehmen. Wir führen die Debatte über dieses schwerwiegende und notwendige Vorhaben zu diesem Zeitpunkt, in
dieser Hektik letztlich wegen der Entwicklung in Köln
und Solingen, die uns alle erschreckt hat.
({0})
Er war dort Landesvorsitzender und hätte gut zuhören sollen, um zu erfahren, welche Probleme das alles bereitet
und wie wir nun damit umgehen wollen.
({1})
Die Korruption ist kein Kavaliersdelikt. Sie ist ein unerträgliches Übel. Sie muss wirksam bekämpft werden.
({2})
Wir haben das auch international getan, als klar war - das
war immer die Linie der CDU -, dass wir es international
durchsetzen können. Ich darf noch einmal daran erinnern:
Wir waren seinerzeit etwas reserviert. In einer Zeit, in der
alle Welt um uns herum korrumpiert und Aufträge über
Bestechung geholt hat - das war das Problem -, konnten
wir im Interesse von Arbeitsplätzen in Deutschland nicht
allein in die Welt treten und sagen: Mit uns unter keinen
Umständen mehr! - Als durch Transparency International
der Durchbruch kam, haben wir einvernehmlich gesagt:
Jetzt können wir endlich weltweit die Korruption
bekämpfen.
({3})
Nun müssen wir im Inland sehen, was zusätzlich getan
werden kann und getan werden muss, um die Korruption
zu bekämpfen. Sie ist ein permanenter latenter, nicht zu
akzeptierender Verstoß gegen die Regeln der sozialen
Marktwirtschaft. Sie bestraft rechtschaffene Unternehmen. Sie bestraft alle die, die sich an Gesetz und Ordnung
halten. In dieser Beurteilung und in der Suche nach passenden, zielführenden und wirkungsvollen Antworten lassen wir uns von niemandem überholen. Damit ist es uns
ganz Ernst.
Doch was machen wir hier? - Wir machen in ganz
großer Geschwindigkeit,
({4})
ohne Anhörung von Sachverständigen, nicht ein Antikorruptionsregister, wie es ursprünglich hieß, sondern ein
Register über unzuverlässige Unternehmen. Dazwischen
können Welten liegen. Das eine ist wirklich konzentriert
die massive Bekämpfung von Korruption ohne jede
Scheu. In Ihrer Vorlage aber steht sinngemäß „Unzuverlässige Unternehmen sind insbesondere ... “. Der Katalog, in dem schon jetzt zehn bis zwölf Straftatbestände
aufgelistet sind, ist beliebig erweiterbar. Am Ende dieser
Aufzählung steht sinngemäß, dass im Einzelfall auch
noch andere Verhaltensweisen zur Eintragung in die Liste
führen. Das heißt, Sie setzen die Unternehmen in
Deutschland im Prinzip der Gefährdung aus, in dieses Register aufgenommen zu werden. Das ist breit gestreut,
nicht mehr zu bremsen und weit weg von Korruptionstatbeständen.
({5})
- Herr Ströbele, als Jurist wissen Sie aber doch, dass die
Begründung bei der Interpretation eines Gesetzes nicht
unwichtig ist. Streichen Sie es heraus!
Das war auch genau der Ansatz der B-Länder im Bundesrat. Sie haben gesagt: Wir möchten es auf das Korruptionsregister konzentriert haben und wir möchten auch die
Begründung des Gesetzentwurfs auf Korruption konzentriert haben. - Sie lehnen das ab. Ich verstehe das nicht. Da
Sie das ablehnen, besteht die Gefahr, dass dieser Gesetzentwurf so nicht verabschiedet wird. Die B-Länder werden
ihre Linie konsequent verfolgen. Wir können die Unternehmer in Deutschland nicht unter einen Generalverdacht
stellen, indem sie kollektiv der Gefahr ausgesetzt sind, in
einem Register über unzuverlässige Unternehmen zu stehen.
({6})
Mit einem solchen Register wären nicht nur Gefährdungen für betroffene Unternehmer oder Geschäftsführer
verbunden; wir operieren vielmehr an einem zentralen
Punkt der deutschen Volkswirtschaft. Herr Wiesehügel,
durch das von Ihnen geplante Vorgehen werden Tausende
von Arbeitgebern in Kollektivhaft genommen. Denn Unternehmen, die in hohem Maße auf die Vergabe öffentlicher
Aufträge angewiesen sind, werden vom Markt verdrängt.
Ein solcher Ausschluss wirkt - so soll es wohl sein - wie
ein Fallbeil.
Wenn beispielsweise bei Trienekens plötzlich
4 000 Arbeitsplätze in Gefahr wären, dann würde die Landesregierung beschließen, das Unternehmen durch eine
Landesbürgschaft zu retten. So geht es doch nicht. Was
machen Sie mit Unternehmen wie Siemens? Wen wollen
Sie da ins Register stellen? Immer nur die Unterabteilung? Oder den Konzern? Was machen Sie mit Unternehmen wie VW?
({7})
Es geht nicht nur um Korruption. Nehmen wir den Tatbestand „Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht“. VW ist
von der Europäischen Kommission wegen Verstoßes gegen das Kartellgesetz zweimal zu vielen Hundert Millionen DM Strafe rechtswirksam verurteilt worden. Was
machen Sie mit so einem Unternehmen? Lassen Sie die
Großen laufen und hängen Sie die Kleinen? Wie soll das
ablaufen? Was machen Sie mit der Telekom? Das Kartellamt führt gerade wieder ein Verfahren durch. All das haben Sie in Ihrem übereilten, nicht konzentrierten und verfassungsrechtlich nicht durchhaltbaren Gesetzentwurf
nicht beachtet.
({8})
Wir können Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Wir müssen in dieser Situation nämlich die betroffenen
Arbeitsplätze schützen. Gehen Sie zielgenau und wirkungsgerecht vor, aber bitte nicht mit der Schrotflinte!
Man darf es nicht in das Benehmen irgendeines Beamten
stellen, wer in dieses Register kommt und wer nicht.
Ein solches Register wirkt auf Gewerbefreiheit und
Arbeitsplätze einschneidender als manches Strafgesetz;
denn falsches Vorgehen kann Existenzen vernichten.
Ohne die Garantie eines rechtlich einwandfreien Verfahrens kann man die Verantwortung für ein solches Gesetz nicht übernehmen.
({9})
Es reicht nicht, ein Generalgesetz zu verabschieden, das
sozusagen in jede Himmelsrichtung geöffnet ist: in Richtung gesamtes Strafrecht, in Richtung gesamtes Wettbewerbsrecht und in Richtung gesamtes Ordnungsrecht. In
Ihrem Gesetz ist keine vernünftige Grenze vorgesehen.
Ich warne Neugierige.
Ich kann nur wiederholen: Passen Sie auf! Nehmen Sie
eine Konzentration vor! Nehmen Sie unsere Ansätze
ernst! Vielleicht besteht die Möglichkeit, über den Bundesrat Änderungen vorzunehmen. Versuchen Sie in der
nächsten Runde, sich darauf zu konzentrieren, wirklich
die Korruption zu bekämpfen! Wenn Sie das tun, dann
können wir noch vor der Wahl etwas machen. Sollten Sie
nicht den von mir beschriebenen Weg gehen, dann werden
wir nach der Wahl ein vernünftiges, rechtlich einwandfreies Gesetz verabschieden.
Ich möchte dem staunenden Publikum hier beschreiben, in welcher Hektik dieser Gesetzentwurf zustande gekommen ist. Am letzten Freitagmorgen um halb zwei
habe ich hier als Einziger - alle anderen hielten es nicht
mehr für wichtig - zu diesem Thema eine einsame Rede
gehalten.
({10})
- Ja, Herr Staffelt, Sie waren wirklich dabei. Das war auch
eine Freude. - Am nächsten Morgen, also am Freitagmorgen desselben Tages, haben wir im Ausschuss um neun
Uhr beschlossen, eine Anhörung zu diesem Thema
durchzuführen. Um elf Uhr mussten wir die Namen derer,
die wir anhören wollten, nennen. Am Montagmittag um
zwölf Uhr mussten die Gutachter, aus der ganzen Bundesrepublik und aus Europa eingeladen, angereist sein,
um uns zu sagen, was sie von einem Gesetz halten, das sie
bis dahin nicht kannten. Das nennen wir seriöse Rechtsberatung in schwierigstem Gelände.
({11})
Was dort geschehen ist, ist unverantwortlich.
Ich kann der Koalition nur bescheinigen: Dies war das
schnellste Anhörungsverfahren in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland und natürlich auch das ergebnisloseste. Es gab Sachverständige, die gar nicht
wussten, worum es ging. Sie mussten ihre Nachbarn um
die Vorlage bitten, um Fragen beantworten zu können. Es
war wirklich unerträglich. Man konnte sich bei den Sachverständigen für diese Art des Verfahrens nur entschuldigen. Man musste ihnen herzlich danken, dass sie diese
Mühe auf sich genommen hatten.
Das, was bei dieser Anhörung herauskam, war verheerend. Professor Battis von der Humboldt-Universität, ein
wirklich anerkannter Staats- und Verfassungsrechtler, hat
in einer Eindeutigkeit, wie ich es in meinen mittlerweile
22 Jahren Parlamentserfahrung in Düsseldorf und in Bonn
noch nicht erlebt habe, erklärt: Er müsse das gar nicht begründen; das sei schlicht und ergreifend offen verfassungswidrig.
({12})
Sie wollen die Leute zum Beispiel ohne rechtskräftige
Verurteilung in einem Register aufführen. Sie machen
überhaupt keinen Vorschlag dazu, wer denn entscheiden
soll, ab wann jemand in das Register kommt.
Es ist natürlich auch eine sehr spitzfindige Geschichte,
wenn Sie hingehen und sagen, die Aufnahme in das Register sei keine Bestrafung. Das ist sicher altes, klassisches, römisch-rechtliches juristisches Denken. Aber die
Wirkung der Maßnahme bei den Menschen ist ja viel umfassender - ich habe es vorhin gesagt - als eine Strafe.
Deswegen können wir uns nicht formal zurückziehen und
sagen, dass überhaupt nichts passiert. Nein, es werden
Existenzen vernichtet; es werden eine Vielzahl von Arbeitsplätzen von Unschuldigen betroffen sein; Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die daran nichts ändern
konnten, werden in Kollektivhaftung genommen werden.
Das ist in der Wirkung schlimmer und heftiger als jedes
Bußgeld einer Kartellbehörde. All diese Fragen sind nicht
sorgfältig gelöst. So geht das nicht.
({13})
- Ja, gut, es ist immer die Frage, wer denn korrupt sein
muss, damit das ganze Unternehmen in ein solches Register aufgenommen wird.
Ich darf noch einmal einen kurzen Hinweis auf Hessen
geben. Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie feststellen, dass in der hessischen Regelung die ausufernden
Klauseln wie „insbesondere“ und „weiteres“ nicht enthalten sind. Die hessische Regelung ist sehr präzise. Sie ist
deswegen nicht völlig in Ordnung. Wir müssen darüber
reden, ob das in Hessen so bleiben kann. Wir werden
gründliche Beratungen durchführen, bevor ein Korruptionsregister aufgestellt wird, das dann auch bundesweite
Auswirkungen hat. Die Idee für das Gesetz in Hessen, auf
das Sie sich berufen
({14})
- natürlich, Runderlass -, stammt aus dem Jahre 1995 und
die entsprechende Regelung wurde 1997 von der rot-grünen Landesregierung in Hessen festgeschrieben. Das
muss kein leuchtendes Vorbild für uns sein.
Ich fordere Sie auf: Werden Sie vernünftig, beschränken Sie die Sache auf das Wesentliche, konzentrieren Sie
sich auf Korruptionsbekämpfung! Dann können wir das
noch vor der Wahl umsetzen. Wenn Sie das nicht machen,
werden Sie hier vielleicht eine Mehrheit, aber im Bundesrat ganz bestimmt keine Mehrheit erhalten. Wir werden dann nach der Wahl mit der nötigen Ruhe und Sachlichkeit dieses Gesetz auf den Weg bringen, um
Korruption dauerhaft, wirksam und mit breiter Akzeptanz
bekämpfen zu können.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat der
Abgeordnete Hans-Christian Ströbele.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Alle sind sich einig: Wir müssen etwas gegen die
Korruption in diesem Lande tun. Wir verlangen das von
anderen Ländern, so in Afrika, in Lateinamerika und in
Asien. Dann müssen wir auch etwas bei uns dagegen tun.
Wir können Korruption wirksam bekämpfen, wenn wir
endlich bundesweit ein Antikorruptionsregister einführen. Das ist richtig und notwendig. Das muss so
schnell wie möglich geschehen. Wir haben gar keine Zeit
mehr und müssen da jetzt handeln. So weit, so gut.
Wir machen jetzt ein Gesetz. Das Ziel des Gesetzes ist
gut; das wird, wie ich glaube, von allen anerkannt. Ich
gebe Ihnen Recht: Leider ist das Gesetz nicht ganz so gut.
Trotzdem bin ich dafür, dass wir dieses Gesetz heute verabschieden, denn das Gesetz hat einen höheren Stellenwert als die Runderlasse, die es in Baden-Württemberg, in
Bayern, in Hessen und in Nordrhein-Westfalen gibt und
für die überhaupt keine gesetzliche Grundlage besteht.
Wir schaffen hier eine gesetzliche Grundlage, damit die
Bundesregierung eine entsprechende Verordnung über ein
in der ganzen Bundesrepublik geltendes Antikorruptionsregister erlassen kann.
Ich sehe, dass es da eine ganze Reihe von rechtlichen
Problemen gibt. Da muss man in Zukunft, vielleicht in der
nächsten Wahlperiode, nachbessern. Man muss das aber
jetzt angehen. Ich sehe vor allen Dingen das Problem
- das hat auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz kritisiert -, dass man in das Recht auf informelle Selbstbestimmung eingreifende Regeln nicht auf dem Verordnungsweg erlassen kann, sondern hierfür eine
gesetzliche Grundlage nötig ist. Wir müssen das also noch
etwas detaillierter ins Gesetz hineinschreiben. Aber auf
dieser gesetzlichen Grundlage könnte schon einmal eine
entsprechende Verordnung erlassen werden.
Herr Schauerte, die Bedenken, die Sie vorgebracht haben, ziehen gar nicht. Herr Battis hat tatsächlich gesagt,
dass das verfassungswidrig ist, denn er will überhaupt
kein Antikorruptionsregister haben, jedenfalls keines, das
bereits ohne eine rechtskräftige Verurteilung wirkt.
Ich sage Ihnen: Wenn wir auf die rechtskräftige Verurteilung warten, dann müssen wir in Kauf nehmen, dass
ein solches Unternehmen unter Umständen nicht nur weitere Monate, sondern viele weitere Jahre am Markt ist,
ohne dass es in ein solches Register aufgenommen wird,
denn das kann sehr lange dauern. Es ist doch überhaupt
nicht einzusehen, warum man ein Unternehmen, bei dem
beispielsweise der Geschäftsführer oder eine andere handelnde Person offen oder gegenüber der Staatsanwaltschaft zugegeben hat, dass man bestochen hat, dass man
strafbare Vorteile gewährt und Geld zugewendet hat, weiterhin auf dem Markt lässt, es mit öffentlichen Aufträgen
füttert und am Leben erhält. Das kann doch nicht richtig
sein. Es muss auch schon jetzt, wenn keine vernünftigen
Zweifel an einer solchen Verfehlung bestehen, möglich
sein, ein solches Unternehmen in ein Antikorruptionsregister aufzunehmen. Alles andere würden der Bürger und
die Bürgerin im Lande nicht verstehen.
Das wird auch schon praktiziert. Die Formulierungen
sind wörtlich aus den Runderlassen übernommen, die in
Kraft sind. Auch dort ist eine entsprechende Regelung
enthalten. Das wird in Hessen - wir haben uns darüber
informieren lassen - sehr vorsichtig praktiziert. Die Firmen, die in Betracht kommen, werden angehört, bevor sie
in ein solches Register kommen, und haben darüber hinaus die Möglichkeit, eine solche Eintragung zu umgehen, indem sie Konsequenzen ziehen, indem sie die Geschäftsführung, die solche Korruption praktiziert hat,
oder andere entsprechend Handelnde aus dem Verkehr
ziehen, aus dem Unternehmen entlassen. Sie können in einem solchen Verfahren eine ganze Reihe von Möglichkeiten nutzen, um zu vermeiden, dass sie in ein solches
Register aufgenommen werden.
So, wie das in Hessen, Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern praktiziert wird, soll das jetzt auch auf
Bundesebene angegangen werden. Voraussetzung dafür
ist, dass wir dieses Gesetz verabschieden. Das Gesetz ist
in seiner Sprache sehr dürftig, es ist sehr kurz gefasst; aber
das Entscheidende wird in der Rechtsverordnung stehen,
die die Bundesregierung auf dieser Grundlage erlässt.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie diesem Gesetz hier
widersprechen und versuchen, im Bundesrat entgegen der
Praxis der Länder zu stimmen - wenn also beispielsweise
Hessen dagegen stimmt, obwohl dort täglich eine solche
Regelung praktiziert wird -, dann setzen Sie sich dem
dringenden Verdacht aus, dass Sie Korruption in der Bundesrepublik Deutschland im Grunde genommen gar nicht
bekämpfen wollen, sondern die Unternehmen, die Korruption praktizieren, so weitermachen lassen wollen.
Dann bleiben Sie die Partei, die den Geruch der Korruption weiter an ihren Hacken haben wird.
({0})
Deshalb geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie
hier zu und sagen das auch den Ländern, in denen Sie in
der Regierung sind!
({1})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Gudrun Kopp.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte
Herren und Damen! Auch die FDP ist wild entschlossen,
gegen Korruption vorzugehen. Das ist überhaupt keine
Frage.
({0})
In dem Ziel sind wir uns alle einig. Aber Sie muten uns
hier einen Gesetzentwurf zu, dem wir nicht zustimmen
können. Herr Ströbele, Sie haben völlig Recht: Dieses Gesetz ist mehr als dürftig.
({1})
Es öffnet Willkür Tür und Tor, es ist eine Willkürgesetzgebung,
({2})
die auch noch als Schnellschuss auf den Weg gebracht
wird.
Sie überlassen dem weiteren Verfahren die Verabschiedung einer Verordnung - was allerlei Missbrauch Tür und
Tor öffnet. Dieses schwammige, ungenaue Gesetz ist sogar geeignet, unser Rechtsstaatssystem ins Schwanken zu
bringen, wenn - wie Sie das wollen - zum Beispiel ein
Vergabebeamter vor Ort in der Kommune darüber entscheiden kann, ob ein Unternehmen ohne rechtskräftige
Verurteilung in ein solches Register gelangt oder nicht.
Das ist ein Bruch mit unserem Rechtssystem.
({3})
In Deutschland gilt nämlich immer noch die Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils. Dieses Prinzip kehren Sie um, was ich für höchst problematisch halte.
({4})
Herr Ströbele, wissen Sie, was hinter der im Gesetz
enthaltenen Rechtsverordnung steckt? Die Verwendung
der mithilfe dieser Verordnung gewonnenen Informationen ist die schärfste Waffe, die die Kommunen gegen die
Wirtschaft richten können.
({5})
Dieses Gesetz und diese Verordnung sind geeignet, Firmen und Einzelpersonen auf bloßen Verdacht hin zu diffamieren. Ich gebe heute zu Protokoll, dass das mehr als
schlimm ist.
({6})
Dieses Gesetz, das - wie Herr Schauerte eben ganz
richtig bemerkte - auf den letzten Metern quasi im
Schweinsgalopp durch das Parlament gebracht wird, hat
in der Anhörung eine eindeutige Abfuhr erfahren.
({7})
Keiner meiner Vorredner hat erwähnt, dass es für wegen
Korruption rechtskräftig verurteilte Firmen und Personen
schon jetzt ein Bundeszentralregister und ein Gewerbezentralregister gibt. Der Korruption überführte Firmen und
Unternehmer werden bereits heute in diese Register eingetragen. Es sollte üblich sein - und ist es auch -, dass die
öffentliche Hand vor der Auftragsvergabe in diese Register
hineinschaut und sich informiert. Es mag ja sein, dass man
die bestehenden Register ergänzen kann. Aber mit diesem
neuen Gesetz wird ein völlig anderer Rechtsbegriff auf den
Weg gebracht. Das ist wirklich katastrophal.
({8})
Da Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD
und den Grünen, mir nicht glauben, möchte ich einmal
den Kollegen Dr. Uwe Jens von der SPD zitieren,
({9})
den ich menschlich und aufgrund seines Sachverstandes
sehr schätze.
({10})
Der Kollege Jens hat davon gesprochen, dass in Zukunft
neben der Macht der Konzerne auch die Macht der öffentlichen Hand offenbar werden wird, weil sie zukünftig bestimmen kann, über wen ein Urteil gesprochen wird.
Wir von der FDP sind der Ansicht, dass allein die Macht
des Rechts ausschlaggebend sein darf. Wir sind dafür,
dass rechtsstaatliche Mindeststandards eingehalten werden müssen.
({11})
Das muss der Maßstab bei der Korruptionsbekämpfung
sein.
Wir werden gerne bei der Verbesserung der Korruptionsbekämpfung helfen. Aber ein solches Gesetz zu verabschieden, von dem Sie, Herr Ströbele, eben noch sagten, es müsse nachgebessert werden,
({12})
ist unsinnig. Wir haben in dieser Legislaturperiode schon
öfter die Erfahrung gemacht, dass sich Gesetz für Gesetz
als untauglich erwiesen hat. Sie sollten nicht auf den letzten Metern ein Gesetz auf den Weg bringen, von dem wir
schon heute wissen, dass es mehr Schaden als Nutzen
bringen wird.
({13})
Daher werden wir als FDP einem solchen Vorhaben natürlich nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rolf Kutzmutz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Teil der Aufregung ist nur
schwer zu verstehen. Herr Schauerte, Sie haben mit aller
Intensität geschildert, wie Sie ganz allein mit dem Herrn
Staatssekretär nachts diskutiert haben. Sie haben aber vergessen, mitzuteilen - das sollen die Menschen auch erfahren -, dass wir uns einen Teil dieser Aufregung hätten
ersparen können, wenn Sie im Bundesrat nicht gegen das
Tariftreuegesetz gestimmt hätten.
({0})
Worüber wir heute diskutieren, ist ein Teil des Tariftreuegesetzes. Man muss schon feststellen, dass wir weiter sein
könnten.
({1})
Ich will es wiederholen: Es geht hier um eine Rechtsgrundlage für ein Informationsinstrument über Unzuverlässigkeit von Unternehmen. Es geht noch nicht um ein
Sanktionsinstrument; denn die Entscheidung, ob ein Unternehmen für einen konkreten Auftrag als unzuverlässig
anzusehen ist, bleibt weiter beim Auftraggeber.
Wer könnte eigentlich etwas dagegen haben, dass agierende Unternehmen, die unzuverlässig sind, durch eine entsprechende Information von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden? Ich sage es immer wieder: Es geht um
öffentliche Aufträge. Ich verstehe nicht, warum die öffentliche Hand Aufträge an jemanden vergeben soll, von dem
sie betrogen worden ist. Das ist schwer nachvollziehbar.
Wenn man das im privaten Bereich tut, ist das eine andere
Sache. Aber die öffentliche Hand sollte anders vorgehen.
({2})
Eine Zuverlässigkeitsprüfung liegt im Interesse der
Steuerzahler. Denn für sie wird Kriminalität letztlich teuer.
Auch liegt sie im Interesse der ehrlichen Unternehmen;
denn sie würden so leichter an Aufträge herankommen.
Wenn man sich mit Unternehmern unterhält, dann stellt
man manchmal fest - auch bei Ihnen, Herr Schauerte,
hatte ich ein bisschen diesen Eindruck; ich unterstelle Ihnen das aber nicht, sondern will darauf hinweisen, wie
dies bei Außenstehenden ankommt -: Offenbar gibt es nur
noch zwei Kategorien von Unternehmen, dumme und
kriminelle. Damit die ehrlichen nicht weiter die dummen
sind, brauchen wir ein Register über unzuverlässige Unternehmen.
({3})
Wenn in diesem Zusammenhang Nachbesserungen erforderlich sein sollten, dann müssen wir sie durchführen.
Richtig ist auch: Der Eintrag in ein solches Register ist
ein schwerwiegender Eingriff in die Gewerbebetriebe.
Darauf haben Sie von der CDU/CSU hingewiesen; auch
ich sehe das so. Aber die weitere Duldung von Korruption
wäre unverantwortlich. Für uns ist dieses Gesetz ein erster bescheidener präventiver Schritt zur Bekämpfung von
Korruption und anderen Delikten rund um öffentliche
Aufträge.
Seine präventive Wirkung - um sie geht es zuallererst, nicht um die unmittelbare Sanktion - hängt aber
letztlich - da stimme ich Ihnen wieder zu - von der konkreten Ausgestaltung ab. Wir appellieren deshalb an die
Bundesregierung und den Bundesrat, in der Verordnung
folgende Aspekte zu berücksichtigen:
Erstens. Für die Betroffenen, soweit sie nicht rechtskräftig verurteilt worden sind, muss ein Rechtsweg zur
Überprüfung der Aufnahme in ein solches Register vorhanden sein.
Zweitens. Es muss die Möglichkeit zur Streichung aus
dem Register gegeben sein, sobald das Unternehmen die
Abstellung seiner Unzuverlässigkeit - aber wirklich erst
dann! - nachgewiesen hat. Die jetzt erwogene Dreijahresfrist nach Aufnahme in das Register ist rechtsstaatlich
zumindest bedenklich. Zudem ist die Präventivwirkung
fragwürdig. Wenn man ohnehin eine bestimmte Zeit im
Register bleibt, warum sollte man dann sein Verhalten
schnell oder überhaupt ändern? Nach drei Jahren wird
man sowieso aus dem Register gestrichen.
Drittens. Um Missbrauchsmöglichkeiten unter Konkurrenten auszuschließen, sollte die wieder erlangte Zuverlässigkeit von einer unabhängigen Stelle nachgewiesen und nicht nur in das Ermessen des ursprünglichen
ausschließenden Auftraggebers gestellt werden.
Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland Erfahrungen damit, wie man auf diesem Gebiet vorgehen kann.
Hessen ist in diesem Zusammenhang mehrfach angesprochen worden. Ich meine, es ist wichtig, diese Erfahrungen
zu nutzen und etwas Gutes zu gestalten.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Wiesehügel.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Was mich mitunter
stört, ist die beschränkte Wahrnehmungsfähigkeit.
({0})
Wenn Ihnen, Herr Schauerte, bei Fragen der Korruption
Köln und Solingen einfallen, dann frage ich mich: Was
war denn in Solingen? In Köln ist die Situation klar.
Da haben ehemalige Parteimitglieder der SPD, Norbert
Rüther und andere, korrupte Handlungen betrieben. Dafür
sitzen sie zu Recht im Knast.
Darauf weisen Sie immer gerne hin. Aber dass Reiner
Schreiber, der Fraktionsvorsitzende der CDU nebenan, in
Bonn, wegen dergleichen Vorwürfe im Knast sitzt, das
unterschlagen Sie hier im Hause jedes Mal.
({1})
Das nenne ich beschränkte Wahrnehmungsfähigkeit. Für
mich ist das ein unlauterer Umgang mit solchen Angelegenheiten.
({2})
Es ist schon ein starkes Stück, dass Herr Schauerte darüber jammert, dass der vorliegende Gesetzentwurf in
kurzer Zeit durchgepeitscht werden soll, und er diesem
Hohen Hause dabei nicht sagt, dass wir über den gleichen
Tatbestand schon einmal in erster, zweiter und dritter Lesung beschlossen hatten. Dass das Tariftreuegesetz nicht
angenommen wurde, das ist, Herr Schauerte, ein starkes
Stück gewesen. Hier scheint es Parallelen zu anderen Vorgängen zu geben. Ich vermute, auch in der Diskussion
über den jetzigen Gesetzentwurf wird es mit dem Hinweis
darauf, dass man dessen Verabschiedung im Bundesrat
blockieren wird, diese Parallelen geben.
Was beim Tariftreuegesetz, das die Überschrift für die
Einführung eines Korruptionsregisters war, passiert ist,
dazu sollte man schon einmal zwei Takte sagen, um die
Situation zu verdeutlichen. Nachdem Sie, obwohl einige
der Bundesländer, in denen Sie regieren, zum Beispiel
Bayern, Ähnliches beschlossen haben, dieses Gesetz zu
Fall gebracht haben, bin ich - denn Herr Stoiber hat gesagt, vielleicht finde sich ja noch eine Lösung; das größte
Problem schien wohl die Bindung der ostdeutschen Bauunternehmer an den Tarifvertrag zu sein - in die Bayerische Staatskanzlei gefahren, obwohl mich viele meiner
Kolleginnen und Kollegen aus der SPD davor gewarnt haben: Mach Stoiber bloß nicht öffentlich doch noch zum
Retter des Tariftreuegesetzes! Mir ging es aber um die Sache und deshalb bin ich dort hingefahren.
({3})
- Hören Sie doch einmal weiter zu, bevor Sie sich hier wie
ein Pfau aufspielen!
({4})
Wissen Sie, was mir dort gesagt worden ist? - Es hieß,
wir könnten einmal sehen, ob wir im Vermittlungsausschuss einen Kompromiss finden. Wir haben also im Vermittlungsausschuss einen Kompromiss gesucht, aber
nachdem einer drohte - ich war ja sehr wohl kompromissbereit und hatte mittlerweile viele andere dazu bewegt, einen Kompromiss zu suchen -, hieß es plötzlich: Wir müssen den ÖPNV herausnehmen; er hat in diesem Gesetz
nichts zu suchen. Das ist für uns ausschlaggebend für einen Kompromiss. - Es gab eine völlige Umkehr in der
Diskussion, nur um nicht zustimmen zu müssen und
auf der Argumentationslinie zu bleiben. Vonseiten des
Saarlands habe ich mir anhören müssen, man könne dies
auf Bundesebene regeln, aber nicht auf Landesebene. Das
alles diente dem Ziel, sich hinter der eigenen Gesetzgebung zu verstecken.
Weiter im Text: In derselben Sitzung des Vermittlungsausschusses stand das Gesetz gegen Illegalität und
Schwarzarbeit auf der Tagesordnung. Wir haben lange
darüber diskutiert. Ich habe versucht, dieses Gesetz
durchzubringen. Auf allen Veranstaltungen erklären Ihre
Mitglieder aus dem Bereich des Handwerks - Herr
Scherhag ist nicht mehr da -, aber auch die Mitglieder
Ihrer Fraktion: Wir sind gegen Schwarzarbeit. - Natürlich
sind Sie gegen Schwarzarbeit, aber Sie sind nur dann für
die Verfolgung und Bestrafung dieses Vergehens, wenn
ein kleiner Malermeister am Samstag dabei erwischt wird,
wie er bei seinem Nachbarn die Wohnung tapeziert.
({5})
Aber immer dann, wenn es um Unternehmen geht, schützen Sie Ihre Klientel.
({6})
Genauso ist es bei der Gesetzgebung in diesem Bereich. In dem Gesetzentwurf stand: Der Unternehmer, der
Schwarzarbeit und Illegalität zulässt, haftet für die Sozialversicherungsbeiträge. Diese Haftung hat Sie dazu bewogen, das Gesetz gegen Schwarzarbeit nicht den Bundesrat passieren zu lassen. Seien Sie doch einmal ehrlich:
Sie schützen Ihre Klientel unentwegt, auch bei diesem
Gesetz.
({7})
Herr Schauerte, ich finde es immer herrlich, wie Sie
sich hier hinstellen und - das haben Sie auch im Ausschuss so gemacht - die Arbeitnehmer immer dann aus
der Kiste holen, wenn es Ihnen passt. Dann heißt es: Wenn
die Unternehmen im Korruptionsregister stehen, sind
doch unter Umständen Tausende Arbeitsplätze in Gefahr.
Das habe ich zeit meiner politischen Tätigkeit erlebt, bei
Ihnen ebenso wie bei vielen Ihrer Kolleginnen und Kollegen.
Immer wenn die Unternehmen belastet werden, zum
Beispiel mit Umweltauflagen, holt man schnell die Arbeitnehmer und deren Gewerkschaften und sagt: Ihr
müsst uns helfen! Die Arbeitsplätze sind in Gefahr. Reingerissen hat sie aber einzig und allein die Unternehmensleitung. Ich erlebe es wirklich oft - auch dieser
Tage -: Wenn die Überschuldung eingetreten ist, fragt
niemand, welches Management versagt hat. Nein, man
ruft nach den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften
und sagt: Es geht um eure Arbeitsplätze. Ihr müsst mit
dafür sorgen, dass die Arbeitsplätze gesichert werden. Sie reagieren immer nur, wenn es um Belastungen der Unternehmer geht, so auch in Bezug auf das Korruptionsregister. Und dann greifen Sie auf die Arbeitnehmer
zurück.
({8})
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Das Märchen, dass
ein Unternehmer ein Unternehmen gründet, nur weil er
Arbeitsplätze schaffen will, können Sie wer weiß wem erzählen, aber nicht mir. Ein Unternehmer schafft Arbeitsplätze, weil er eine Idee, eine Vision verwirklichen
möchte und eine Menge Geld verdienen will. Zufällig
braucht er dafür Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Die Schaffung von Arbeitsplätzen nimmt im Denken des
Unternehmers keine besonders große Rolle ein. Das wissen Sie selber; die meisten geben es auch zu. Sie müssen
dieses Märchen also nicht länger erzählen.
({9})
Wenn Sie es wirklich Ernst meinen mit den Arbeitnehmern, dann müssten Sie bereit sein, zum Beispiel dem Ökoaudit zuzustimmen. Beim Betriebsverfassungsgesetz, als es
um die Ausdehnung der Mitbestimmungsrechte ging, also
darum, mit zu bestimmen, was produziert wird und wie
man sich auf dem Markt präsentiert, haben Sie laut Nein gerufen. Das ist doch das eigentliche Problem: Immer dann,
wenn es um Korruption oder allgemein um Belastungen für
Unternehmen geht, führen Sie die Arbeitsplätze ins Feld
und sagen: Das könnt ihr doch nicht machen.
Ich will Ihnen etwas sagen: Wer in diesem Land korrupt
ist, der soll bestraft werden und er soll in ein Register hinein.
({10})
Das müssen wir jetzt festlegen. Dieses Gesetz ist eindeutig und sagt klar: Derjenige, der korrupt handelt und durch
Bestechung und andere Maßnahmen öffentliche Aufträge
an sich zieht, muss zukünftig ausgeschlossen werden.
Ich hoffe, dass Sie wenigstens bei diesem Gesetz mitziehen und nicht wieder zu sehr an Ihre Klientel denken.
({11})
Ich schließe die
Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Es liegt eine
schriftliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung
des Abgeordneten Jens vor, die wir mit Ihrer Zustimmung
zu Protokoll nehmen.1)
Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Einrichtung eines Registers über unzu-
verlässige Unternehmen. Der Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 14/9710, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte Sie um das
Handzeichen, wenn Sie dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen. - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen worden mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit
in dritter Lesung angenommen worden mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der CDU/CSU, Drucksache 14/9721. Wer stimmt für
den Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthal-
tungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt worden
mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen
der CDU/CSU.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Johannes Singhammer, Horst Seehofer,
Karl-Josef Laumann, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit
- Drucksache 14/3778 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1})
- Drucksache 14/9108 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2}) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Johannes Singhammer, Horst Seehofer, Max
Straubinger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Neue Belastungen für ehrenamtlich Tätige zu-
rücknehmen
- Drucksachen 14/2989, 14/9108 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-
sprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Zunächst möchte ich Sie fragen, ob Sie damit einver-
standen sind, dass wir die Reden der Kollegin Kumpf und
des Abgeordneten Grehn zu Protokoll nehmen.2) - Das ist
der Fall; dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Brigitte Baumeister.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Es gibt nichts Gutes
außer - man tut es.“ Das könnte von Jürgen Koppelin sein,
aber die Weisheit ist von Erich Kästner und ihr folgen
22 Millionen Menschen in unserem Lande, die ein Ehrenamt ausüben. Das machen sie freiwillig, uneigennützig
und unentgeltlich.
({0})
Sie tun damit Dienst an der Gemeinschaft. Sie tun das,
weil sie es wollen und weil es notwendig ist.
Sie tun das aber nicht nur mit Lust, sondern zunehmend
mit Frust. Die gesetzgeberischen Maßnahmen von Rot-
Grün in den zurückliegenden vier Jahren, etwa im April
1999 die Neuregelung der 630-Mark-Jobs und der Schein-
selbstständigkeit, aber auch die ständige Erhöhung der
Verbrauchsteuern, haben gemeinnützige Organisationen,
1) Anlage 4 2) Anlage 6
Vereine und Verbände wirtschaftlich geschwächt und ehrenamtlich Engagierte sehr belastet.
({1})
Klar ist: Die Bürgerinnen und Bürger in unserem
Lande wollen sich engagieren. Das wissen wir alle. Das
bürgerliche Engagement ist auch notwendig. Wir als Gesetzgeber müssen aber alles tun, um die Bedingungen für
die ehrenamtlich Tätigen zu verbessern. Wir sind gefordert, ja, aufgerufen, die Bürger bei ihrem freiwilligen Engagement zu unterstützen. Das erwarten diese Menschen
von ihrem Staat.
Sie erwarten aber auch, dass ihre Arbeit erleichtert, gewürdigt und respektiert wird und dass mögliche Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Wir, die
CDU/CSU-Fraktion, sind der Meinung, dass der Staat die
ehrenamtliche Tätigkeit nicht behindern sollte. Im Ehrenamt werden viele gesellschaftliche Aufgaben wahrgenommen, die der Staat selbst nicht wahrnehmen kann
und nach unserem Gesellschaftsverständnis auch nicht
wahrnehmen soll. Der Staat soll vielmehr den Rahmen geben, in dem sich das Engagement frei entfalten kann.
Die effektivste Möglichkeit dafür - das wissen wir alle
ganz genau - ist die Entbürokratisierung.
({2})
Aus vielen Gesprächen mit ehrenamtlich Tätigen weiß
ich, dass manchmal mehr Zeit für Formulare und Anträge
benötigt wird als für die ehrenamtliche Arbeit selbst. Das
bringt wie die Regelung bei den 325-Euro-Jobs Verdruss.
({3})
Es kann zum Beispiel nicht sein, dass Aufwandsentschädigungen für freiwillige Feuerwehrleute der Lohnsteuerpflicht unterliegen und insofern ein Arbeitsentgelt
im Sinne der Sozialversicherung darstellen. Diese sozialversicherungsrechtliche Behandlung von Aufwandsentschädigungen für ehrenamtlich Tätige beschädigt nach
meinem Verständnis die ehrenamtliche Kultur in unserem
Land.
({4})
Sozialversicherungsbeiträge für Aufwandsentschädigungen setzen das Ehrenamt mit einer Tätigkeit gleich,
die auf die Erzielung eines Einkommens ausgerichtet ist.
Gerade dies widerspricht dem Sinn und Zweck einer ehrenamtlichen Tätigkeit.
({5})
Ehrenämter werden ihrem Wesen nach - das spricht für
sich selbst - freiwillig und unentgeltlich ausgeübt. Pauschale Aufwandsentschädigungen stellen eben kein
Beschäftigungsentgelt im sozialversicherungsrechtlichen
Sinne dar.
SPD und Grüne tun so, als ob viele ehrenamtlich Tätige
ihre Tätigkeit ausüben, um in den Genuss der Aufwandsentschädigung zu kommen. Ich denke, das ist eine Aussage, die wir so nicht unterstützen können.
({6})
Ein Ehrenamt ist kein Beschäftigungsverhältnis und kann
in keiner Weise mit einem solchen gleichgesetzt werden.
Die Aufwandsentschädigung ist vielmehr ein Ersatz
für den entstandenen Aufwand und bestenfalls und hoffentlich Anerkennung für die geopferte Freizeit und das
persönlich eingebrachte Engagement.
({7})
Die Behauptung, dass die Sozialversicherungspflicht
der Steuerpflicht folgt, ist in diesem Zusammenhang meiner Meinung nach völlig irreführend. Das Steuerrecht besteuert Einnahmen unter gewisser Anrechnung der hierfür
notwendigen finanziellen Aufwendungen. Ob die Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit, aus abhängiger Beschäftigung oder als sonstige Einkünfte zufließen, ist dabei völlig unbedeutend. Steuerfreistellungen werden aus
unterschiedlichen Gründen, auch nach gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten, gewährt.
Bei der Steuerfreistellung von Einnahmen aus ehrenamtlicher Tätigkeit wird dagegen darauf abgestellt, inwieweit tatsächlich materielle Aufwendungen anzurechnen sind. Deshalb ist steuerrechtlich konsequenterweise
nur der Teil der Aufwandsentschädigung nicht steuerfrei,
der für den Zeitverlust und das ehrenamtliche Tätigsein
gewährt wird.
Bei der so genannten Übungsleiterpauschale werden
1 840 Euro im Jahr steuerfrei gestellt. Steuerrechtlich
wird damit der fiktive materielle Aufwand einer gesellschaftspolitisch wünschenswerten Tätigkeit pauschal
- ohne Nachweispflicht - steuerfrei gestellt. Höhere Ausgaben dagegen sind nicht als Ausgaben anzusehen, sondern als Einnahmen für den Zeitverlust und das Tätigsein
und sind damit steuerpflichtig.
Sozialversicherungsrechtlich betrachtet liegt deshalb
bei der ehrenamtlichen Tätigkeit keine Beschäftigung vor.
Die Aufwandsentschädigung stellt somit kein Arbeitsentgelt dar. Daher sollte der Gesetzgeber klarstellen, dass
pauschale Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche
Tätigkeiten von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt
werden.
({8})
Diese Freistellung ist grundsätzlich notwendig, um Schaden von der ausgeprägten ehrenamtlichen Kultur in unserem Land, von der wir leben, abzuwenden.
„Es gibt nichts Gutes außer - man tut es“, diese Worte
Erich Kästners sollten sich Grüne und SPD zu Herzen
nehmen. Tun Sie den ehrenamtlich Tätigen in unserem
Land etwas Gutes: Stellen Sie die pauschalen Aufwandsentschädigungen von den Sozialversicherungsbeiträgen
frei.
Darüber hinaus plädiere ich: Finden Sie eine Regelung
für die 325-Euro-Jobs und die Scheinselbstständigkeit.
Nehmen Sie sie so vor, dass unsere Vereine und Verbände
von den wirtschaftlichen und bürokratischen Benachteiligungen tatsächlich befreit werden.
({9})
Wenn uns dies entsprechend unserem Antrag in dieser Legislaturperiode nicht mehr gelingen wird, so hoffe ich darauf, auch wenn ich nicht wiederkomme, dass wir dies in
der nächsten Legislaturperiode schaffen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich an
dieser Stelle ganz herzlich bedanken: für neun tolle und
drei weniger gute Jahre. Mein Dank gilt denjenigen in
meiner Fraktion, die mich unterstützt haben. Darüber hinaus möchte ich mich für die Kollegialität und Toleranz,
die ich aus der Regierungskoalition und aus der FDP erfahren habe, bedanken. Ihnen allen wünsche ich eine gute
Zukunft.
({10})
Frau Kollegin
Baumeister, das war, wie Sie bereits gesagt haben, Ihre
letzte Rede im Plenum des Deutschen Bundestages. Im
Namen aller Kolleginnen und Kollegen sage ich Ihnen ein
großes Dankeschön für Ihr engagiertes Wirken in den
letzten drei Legislaturperioden und wünsche Ihnen für
den kommenden Lebens- und Arbeitsweg alles Gute.
({0})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe
ich bekannt, dass ich soeben nach § 8 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages die Kollegin
Gudrun Kopp als stellvertretende Schriftführerin berufen
habe.
({1})
Jetzt spricht der Kollege Gerald Häfner für die Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Unionsfraktion, der uns heute vorliegt, soll das
Ehrenamt stärken. Wir - das gilt für mich, für meine Fraktion und auch für die gesamte Koalition - teilen dieses Ansinnen ausdrücklich; auch Ihre Sicht des im Antrag angesprochenen sozialversicherungsrechtlichen Problems
teile ich. Ich teile aber nicht das, was Sie zur Lösung vorschlagen: nicht deswegen, weil ich es als grundfalsch
empfände, sondern deswegen, weil es nicht zu Ende gedacht ist. Es wäre zu kurz gesprungen, wenn wir Ihrem
Antrag folgen würden.
Da ich nur wenig Redezeit habe, kann ich nur ganz generell darauf hinweisen, dass wir alle Fragen, die mit der
steuerrechtlichen und sozialrechtlichen Behandlung ehrenamtlicher Tätigkeiten zusammenhängen, neu erörtern
müssen. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zum bürgerschaftlichen Engagement hat sich mit
diesen Fragen sehr ausgiebig und gründlich befasst. Die
CDU/CSU-Fraktion hat ihren Antrag allerdings vorher
eingebracht. Mir schiene es sinnvoll zu sein, das Thema im
Lichte dessen, was die Enquete-Kommission mit großer
Sachkompetenz und großem Aufwand hierzu erarbeitet
hat, in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam von
Grund auf und vor allem auch in dem Geist anzugehen, mit
dem - so wurde mir das jedenfalls berichtet - auch in der
Kommission überwiegend gearbeitet wurde: an der Sache
orientiert und über die Fraktionsgrenzen hinweg.
Mir scheint in diesem Zusammenhang vieles reformbedürftig zu sein, zum Beispiel das Gemeinnützigkeitsrecht. Manches, was heute in Vereinsform und gemeinnützig organisiert ist, ist - zum Beispiel in den
großen Sportvereinen - längst auf Gewinnerzielung orientiert. Dagegen ist manches, was in der Form eines Unternehmens - als GmbH oder HG - organisiert ist, im
Grunde gemeinnützig. Nicht das äußere Gewand ist maßgeblich, sondern der Charakter der Sache. Wir haben es
noch nicht geschafft, das steuer- und sozialrechtlich immer richtig zu behandeln. Deshalb lauten meine Bitte und
mein Wunsch an Sie, auf einen Schnellschuss zum Ende
der Legislaturperiode zu verzichten - die Munition dieses
Schnellschusses wäre ohnehin längst veraltet -, sondern
dieses Problem in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam anzugehen.
({0})
Mir scheint im Übrigen Handlungsbedarf weit über
den von Ihnen angesprochenen Aspekt hinaus zu bestehen. Da in den Debatten dieses Hauses vieles über das Ehrenamt schon gesagt wurde, möchte ich heute bewusst
zwei Punkte ansprechen, die bislang weniger zur Sprache
gekommen sind: Ehrenamtliche Tätigkeit ist mehr als nur
das Salz in der Suppe der Demokratie. Das Wichtigste im
Leben ist immer Geschenk und wird nicht bezahlt. Ohne
freiwilliges Engagement von Bürgern ist jede Gesellschaft auf Dauer lebensunfähig. Das, was wir heute ehrenamtliche Tätigkeit zu nennen uns angewöhnt haben, ist
im Grunde nichts anderes als die selbstverständliche Bereitschaft von Bürgerinnen und Bürgern, füreinander einzustehen, einander zu helfen, Gutes zu tun, die Umwelt,
die Menschen in der Umgebung, die Menschen in ärmeren Ländern der Welt, die Kranken und Sterbenden nicht
zu vergessen, sondern ihnen zu helfen.
Allerdings wird in einer Welt, die schon ihren Heranwachsenden - das meine ich jetzt nicht so sehr im Hinblick
auf das, was abstrakt an Zielen vermittelt wird, sondern
mehr im Hinblick auf die Art, wie wir miteinander umzugehen uns angewöhnt haben und wie heute vielfach auch
schon mit den Schülern bzw. Jugendlichen umgegangen
wird - ständig demonstriert, man solle sich nicht für andere, sondern nur für sich einsetzen, in einer Gesellschaft,
die den Menschen ständig einflüstert, nur das eigene Fortkommen, der eigene Erfolg und das egoistische Interesse
seien von Belang und das Interesse für andere halte dabei
eher auf, in einer Welt, die von allem den Preis und von fast
nichts mehr den Wert kennt, diese Selbstverständlichkeit
zum zunehmend seltener werdenden Luxus. Wenn wir
über ehrenamtliche Tätigkeit und bürgerschaftliches Engagement reden, müssen wir auch über solche Zusammenhänge sprechen, sonst wird sich wenig ändern.
Sie alle kennen die Formel von Adam Smith, die ja die
Grundlage unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems
bildet, wonach der Wohlstand einer Nation oder Gruppe
von Menschen umso größer sei, je mehr jeder Einzelne
darin nur seinen Eigennutzen verfolgt. Ich halte dies für
einen Irrtum, der durch die Entwicklungen weltweit mehr
und mehr widerlegt wird. Das heißt nicht, dass ich nicht
für freie Initiative, für freies Unternehmertum wäre. Im
Gegenteil! Vieles an Freiheit werden wir in Zukunft noch
erweitern oder überhaupt erst erkämpfen müssen.
Ich glaube aber, dass das Wohl einer Gesamtheit von zusammenlebenden Menschen gerade umgekehrt letzten Endes umso größer ist, je mehr jeder Einzelne nicht nur an sich
denkt bzw. für sich sorgt, sondern je mehr er für andere
Menschen tätig ist und einsteht und je mehr umgekehrt der
Einzelne von dem Hervorbringen dessen lebt, was andere
Menschen tun. Dies hat sinngemäß übrigens Rudolf Steiner
gesagt, ein Mensch, der in diesem Hause vergleichsweise
selten zitiert wird, dies aber nicht nur in diesem Zusammenhang mehr als verdient. Wenn man das, was ich gerade
auszudrücken versucht habe, wirklich ernst nimmt, so hat
das unmittelbare Konsequenzen für unser Denken und
Handeln in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht.
Ich will noch einen zweiten Aspekt kurz ansprechen:
Wenn wir bürgerschaftliches Engagement stärken und
fördern wollen, müssen wir auch so weit gehen, mit den
Bürgern auf gleicher Augenhöhe zu sprechen. Dann müssen wir endlich auch bereit sein, den Bürgern dort, wo sie
sich ins Gemeinwesen einbringen wollen, diese Möglichkeit wirklich und wirkungsvoll zu geben, und zwar nicht
nur dort, wo sie Nischen besetzen oder Inseln schaffen
und bebauen könnten, sondern auch und gerade dort, wo
sie als Souverän, wie es unser Grundgesetz sagt, in
den zentralen Fragen des Zusammenlebens, des Gemeinwesens handeln, mitreden und mitentscheiden wollen.
Dies fängt auf kommunaler Ebene zum Beispiel mit
Bürgeranträgen, Bürgerforen und Bürgerversammlungen
an, geht weiter zum Beispiel über Planungszellen, über
tatsächliche Beteiligung an Planungsverfahren, über Mediationsverfahren und vieles mehr und endet bei der Beteiligung in Form von Bürgerbegehren, Bürgerentscheid,
Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid.
Sie haben diesen Zusammenhang im Bericht Ihrer Enquete-Kommission, wie ich finde, ganz hervorragend herausgearbeitet. Ihnen fehlt aber bei der Umsetzung dieses
Berichts der Enquete-Kommission offenbar gänzlich der
Mut, daraus auch Konsequenzen zu ziehen.
Deshalb lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wenn wir
diesen Mut nicht endlich haben, den Bürgern deutlich zu
machen: tua res agitur, es geht um euch, um euer Leben,
um eure Res publica, um das Gemeinwesen, für das wir
Politiker nur auf Zeit Verantwortung tragen, und das letztlich in euer aller Hände gelegt ist - wenn wir diesen Mut
nicht endlich aufbringen, habe ich Sorge, dass das „bürgerschaftliche Engagement“ letztlich nur Lückenfüller
bleibt in einer Gesellschaft, in der es eigentlich der Humus sein muss, aus dem alles andere hervorgeht.
Ich selbst werde mit dieser Rede und mit dem Ablauf
dieser Legislaturperiode aus dem Parlament ausscheiden.
Ich bin immer außerordentlich gerne Volksvertreter gewesen. Ich sage dies bewusst in dieser Formulierung,
denn ich habe es beständig so empfunden, dass ich hier
nicht für mich tätig war, sondern für die Menschen meines großartigen Landes, denen ich mich verpflichtet fühle
und die mich - wie Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen auch - gewählt haben.
Deshalb möchte ich in meinen abschließenden Dank
nicht nur meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die
Großartiges geleistet haben, und die Mitarbeiter dieses
Hauses, die alle ständig für uns da sind, nicht nur die Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen, sondern bewusst auch diejenigen Menschen einbeziehen, die mir
dieses eminente Vertrauen auf Zeit gegeben haben.
Ich werde mich nun anderen Tätigkeiten zuwenden,
dabei aber ganz bestimmt nicht das Anliegen, für das ich
in diesem Haus über zweieinhalb Legislaturperioden vor
allem gewirkt habe, nämlich das Anliegen, unsere eigene
Macht - so schwer uns das fällt - teilweise zu begrenzen
und die Macht und die Möglichkeiten der Bürgerinnen
und Bürger unseres Landes zu mehren und zu stärken, aus
der Hand lassen, sondern ich werde weiter mit aller Kraft
daran arbeiten. Ich würde mich freuen, wenn ich in diesem Zusammenhang mit Ihnen allen auch weiterhin in
Verbindung bleiben könnte. Es ist mir ein Anliegen, dass
das, was ich hier mit großer Intensität begonnen habe, in
guter Weise zu Ende gebracht wird.
Ich danke Ihnen ganz herzlich.
({1})
Herr Kollege Häfner,
Sie hören den Beifall der Kolleginnen und Kollegen des
gesamten Hauses. Nehmen Sie ihn als symbolischen
Dank für Ihr engagiertes Wirken hier im Parlament. Wir
wünschen Ihnen alles Gute für Ihren kommenden Lebensund Arbeitsabschnitt.
({0})
Die nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Serowiecki von der FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, dass mein Name
schwierig ist. Es ist nicht so einfach, Serowiecki auszusprechen, weshalb ich es auch niemandem übel nehme,
wenn er ihn falsch ausspricht.
Schon Wilhelm Busch schrieb:
Willst du froh und glücklich leben, lass kein Ehrenamt dir geben, willst du nicht zu früh ins Grab, lehne
jedes Amt gleich ab.
Diese Zeilen machen deutlich, wie viel persönlicher
Einsatz hinter jedem Ehrenamt steckt. Was wäre unsere
Gesellschaft ohne die Vielfalt des persönlichen Engagements! Ich denke beispielsweise an die zahlreichen Vereine, Verbände, Kirchen, Selbsthilfegruppen, Nachbarschaftshilfen und an vieles mehr.
({0})
Diese Bürgerinnen und Bürger leisten täglich Hervorragendes. Sie sind das Bindeglied in unserer Gesellschaft.
({1})
Von dieser Stelle aus möchte ich allen ehrenamtlich Tätigen in Deutschland für ihr Engagement Dank sagen.
({2})
Es ist für mich unverständlich, dass die rot-grüne Regierung am Beginn dieser Legislaturperiode eine Änderung des 325-Euro-Gesetzes beschlossen hat; denn dies
hat dem Ehrenamt geschadet.
({3})
Eines hat die Bundesregierung mit diesem Gesetz allerdings erreicht: Mit den geringfügig Beschäftigten und den
Hunderttausenden ehrenamtlich Engagierten, die aufgrund der Aufwandsentschädigung plötzlich als Beschäftigte angesehen wurden, hat sie die Beschäftigungsstatistik künstlich aufgebläht. Diese arbeitsmarktpolitische
Trickserei hatte zur Folge, dass zahlreiche Vereine zusätzliche Aufgaben, wie zum Beispiel die Führung eines
Lohnbüros, wahrnehmen mussten. Sie waren gar nicht in
der Lage, diese Aufgaben zu erfüllen.
Die FDP unterstützt den durchaus richtigen Ansatz der
CDU/CSU zur Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeit.
Darüber hinaus fordert die FDP aber nachdrücklich die
grundlegende Reform der Gemeinnützigkeit.
({4})
Sehr geehrte Damen und Herren, die Zukunft des bürgerlichen Engagements liegt in den Händen der jungen
Generation. Sie ist auch bereit, sich zu engagieren. Ich
sehe das am Beispiel meines 15-jährigen Sohnes, der mit
seinen Freunden sehr engagiert und leidenschaftlich in
der Jugendfeuerwehr tätig ist. Diesen jungen Leuten muss
Anerkennung zukommen.
({5})
Die Schule trägt hierbei eine große Verantwortung. Zukunftsgerichtete Politik muss in der Schule ansetzen. Ich
denke, die FDP fordert hier zu Recht, dass sich die Schulen stärker für das ehrenamtliche Engagement von
Schülern öffnen.
Lieber Kollege Häfner, ich begrüße es, dass Sie an dieser Stelle der Meinung sind, dass Veränderungen im Interesse der Engagierten und ihrer Verbände notwendig sind.
Es wäre deswegen sehr begrüßenswert, wenn Rot-Grün
dem vorliegenden Gesetzentwurf heute zustimmen
würde.
Ich hoffe von ganzem Herzen, dass der neue Bundestag die Kraft hat, bürgerliches Engagement aus dem
steuer- und sozialrechtlichen Regelungsdickicht zu befreien und auf der Grundlage der Leitlinien der EnqueteKommission tatsächlich eine zukunftsgerichtete Politik
zu gestalten.
Danke schön.
({6})
Herr Kollege
Dr. Klaus Grehn hat seine Rede zu Protokoll gegeben. -
Ich sehe keinen Widerspruch. Damit schließe ich die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-
tion der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurf auf
Drucksache 14/3778 zur Förderung ehrenamtlicher Tätig-
keit. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/9108, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
FDP-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So-
zialordnung auf Drucksache 14/9108 zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Neue Belastungen
für ehrenamtlich Tätige zurücknehmen“. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den
Antrag auf Drucksache 14/2989 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal-
tungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion
angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes
- Drucksachen 14/9194, 14/9237 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Aussschusses für Wirtschaft und Technologie ({1})
- Drucksache 14/9711 Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Barthel ({2})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Barthel ({4}), Thomas Sauer,
Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Michaele
Hustedt, Grietje Bettin, Andrea Fischer ({5}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wettbewerb und Regulierung im Telekommunikationssektor
- Drucksachen 14/5693, 14/7628 Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Barthel ({6})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner für die
SPD-Fraktion ist der Kollege Klaus Barthel.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im internationalen
Vergleich der Telekommunikationsmärkte hat Deutschland eine Spitzenposition erreicht. Das Telefonnetz in
Deutschland zählt zu den modernsten der Welt. Die
Durchdringung des Marktes im Bereich von ISDN bei uns
ist weltweit einzigartig. Fast 40 Prozent der Telefonkanäle
sind digital.
Die Preise für das Telefonieren sind nach einer turbulenten Phase während der neuen Wettbewerbssituation inzwischen stabil. Sie haben sich auf einem für die Verbraucher sehr günstigen Niveau stabilisiert. Auch hier ist
es so, dass Deutschland im internationalen Vergleich entgegen manchem Gerede im Kommunikationsbereich zu
den günstigsten Ländern gehört. Die Preise für diese
Dienstleistungen sind in der Zeit von 1998 bis heute um
durchschnittlich 30 Prozent gesunken, der Preis für die
Telefondienstleistungen im Fernbereich um über 80 Prozent. Der Durchschnittspreis für ein dreiminütiges Gespräch ist in Deutschland europaweit mit am günstigsten.
Ähnliches gilt für ein zehnminütiges Ferngespräch.
Auch beim Internet - das ist uns besonders wichtig hat Deutschland im internationalen Vergleich eine Spitzenposition erreicht. Die Deutschen surfen sehr billig und
deshalb auch länger. Mit acht Stunden pro Monat liegen
sie in Europa an der Spitze. Bei den Preisen ist es genauso.
Der Durchschnittspreis für die Internetnutzung in
Deutschland ist der niedrigste in Europa.
Es passt ins Bild, dass Deutschland auch bei den DSLAnschlüssen im Spitzenfeld liegt. Wir haben zehn Anschlüsse pro 1 000 Einwohner, was eine zehnmal so hohe
Nutzung gegenüber dem Musterland Großbritannien ist.
Alles in allem ist der Telekommunikationssektor ein
Markt mit einem überdurchschnittlichen Wachstum. Seit
1999 ist der Umsatz im Durchschnitt jährlich um mehr als
10 Prozent gestiegen. In den vier Jahren, auf die wir jetzt
zurückzublicken haben, hat sich die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich um 20 000 erhöht.
({0})
Es ist schon richtig: Bei den Ortsnetzen besteht Handlungsbedarf. Hier sind die Preise für die Kunden weitgehend auf dem alten Niveau geblieben, liegen aber trotzdem im europäischen Mittelfeld. Hier hat die Deutsche
Telekom noch quasi ein Monopol. Die Frage ist also nicht,
ob an diesem Bottleneck etwas geschehen muss, sondern
wann und was in diesem Bereich geschehen muss.
Deswegen will ich Folgendes besonders herausstellen:
Die heute zu beschließende Neuregelung im Telekommunikationsgesetz ist für uns nicht die optimale Antwort auf
die Frage, was im Ortsnetz geschehen muss, sondern die
Umsetzung dessen, was die Regierung von Union und
FDP in Brüssel seinerzeit vereinbart hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die Kritik der
Sachverständigen, die Sie sich in Ihrer Argumentation offensichtlich zu Eigen machen, geht insbesondere auf das
Konto der FDP, Herr Funke. Die FDP hat seinerzeit den
Wirtschaftsminister gestellt.
({1})
Weil wir heute milde gestimmt sind, werfen wir Ihnen
das aber nur begrenzt vor. Viele Entwicklungen waren im
Zuge einer totalen Umkrempelung in dieser Branche von
staatlicher Dienstleistung im Monopol hin zu völliger
Liberalisierung nicht absehbar. Weder der enorme Boom
noch die jetzige Katerstimmung noch die Details der
Marktentwicklung waren berechenbar. Deswegen gewähren wir Ihnen mildernde Umstände.
Die auf Dauer durchaus zwiespältigen Auswirkungen
des Call-by-Call bei Fern- und Auslandsgesprächen werden jetzt nach und nach erkennbar. Inzwischen werden auf
diesem Gebiet Nachsteuerungen erforderlich. Besser
wäre eine Übertragung der Strukturen auf den Ortsbereich.
Es ist richtig - dies wurde auch öffentlich -, dass wir
mit dem vorliegenden Gesetz nicht restlos glücklich sind.
Wir verbinden damit die Sorge, dass getätigte Investitionen entwertet werden, dass bei falscher Anwendung Anreize für den Infrastrukturwettbewerb entfallen könnten
und dass es zu einer Tarifstruktur kommt, nach der - zum
Nachteil des Endverbrauchers - günstige Minutenpreise
für Ortsgespräche durch hohe Grundgebühren aufgefangen werden. Auf dem Strommarkt haben wir beispielsweise gesehen, wie sich solche Angebote und Strukturen
entwickeln können. Die Zeche für diese Entwicklung zahlen die privaten Kleinkunden, während große Geschäftskunden tendenziell entlastet werden.
Zu fürchten ist auch, dass es für die Anbieter nicht
mehr rentabel ist, die Nutzer in ländlichen Regionen mit
Telekommunikationsdienstleistungen zu versorgen, und
diese Menschen langfristig von technologischen Entwicklungen abgekoppelt werden.
Eine weitere Sorge bei der Umsetzung der Brüsseler
Richtlinie ist, dass bisherige Netzbetreiber günstig gemietete Fernstrecken für die Schaltung einzelner Ortsgespräche nutzen, teilweise um noch nicht vorhandene
Zusammenschaltungspunkte zu umgehen, teilweise um
die gemieteten Leitungen auszunutzen. Diese ineffizienten Verkehre im Telekommunikationsnetz müssen wir
verhindern.
({2})
Wir mussten in der jetzigen Situation eine Abwägung
vornehmen. Die befürchteten Nachteile, die ich gerade
angesprochen habe, greifen wir in unserem Antrag auf,
der durch seine heutige Annahme durch den Bundestag
Teil der Gesetzesbegründung wird und der Rechtsanwendung damit klare Vorgaben macht.
({3})
Wir tun das an zwei zentralen Punkten: Wir beziehen die
getätigten Investitionen in die regulatorische Umsetzung
ein, beispielsweise bei den Entgelten, und wir definieren
die so genannte ortsnahe Zuführung unter Nennung der lokalen Einzugsbereiche. Mit Blick auf das jeweilige Interconnection-Regime weiß jeder, was gemeint ist. Damit setzen wir ein ganz klares Signal für den Markt: Wir bleiben
bei der Grundposition unserer Telekommunikationspolitik,
nämlich dass Investitionen in den Ausbau und die Modernisierung von Infrastruktur ein zentrales Ziel unseres Regulierungsregimes sind.
Die Bundesregierung hat dargelegt - darauf können
und müssen wir vertrauen -, dass eine Klage aus Brüssel,
daraus folgende Zahlungen und eine Staatshaftung unmittelbar bevorstehen. Alle Länder in der EU mit Ausnahme
von Griechenland und der Bundesrepublik Deutschland
hätten die Richtlinie umgesetzt. Unabhängig davon, wer
letzten Endes in Europa vor dem EuGH Recht bekäme,
wäre es ein gefundenes Fressen für die jetzige Opposition
- sie wird auch die zukünftige Opposition sein -, wenn die
Bundesregierung auf diesem Gebiet am Pranger stünde,
sei es durch eine strafbewehrte Klage oder durch Staatshaftung, die auf Kosten der Steuerzahler geht. Uns würde
es nichts nützen, wenn wir in zwei Jahren Recht bekämen.
Durch eine solche Klage und die dadurch ausgelöste
Intervention Brüssels würde nochmals eine Verunsicherung auf den Märkten, die momentan ohnehin mehr als
nervös sind, entstehen. Das würde den Unternehmen
mehr schaden als nützen. Deswegen sind wir uns im Klaren darüber, dass wir möglichst bald nach den Wahlen die
große Novelle des Telekommunikationsgesetzes in Angriff nehmen müssen.
({4})
Wir sehen - den Ausblick haben wir in unserem heute
vorliegenden Antrag festgehalten - folgende Schwerpunkte für die Erneuerung des Telekommunikationsrahmens:
Erstens: Überprüfung der Regulierung hinsichtlich der
Möglichkeit der Reduzierung von Regulierungsmaßnahmen, insbesondere eine neue Auslegung des Marktbeherrschungsbegriffs.
Zweitens: Erarbeitung eines tragfähigen Teilmarktkonzepts. Dazu liegen Eckpunkte der Regulierungsbehörde
vor, die wir in einem Gesetz klarstellen müssen.
Drittens: Mehr wirtschaftliche Kompetenz für die Regulierungsbehörde. Eine Behörde, die Märkte beobachten, analysieren und regulieren soll, muss auf der Basis eigener Daten und deren Bewertung arbeiten können und
darf nicht darauf angewiesen sein, Daten von den betroffenen Wettbewerbern abfragen zu müssen.
Viertens: Voraussschauende Regulierungspolitik, um
die Berechenbarkeit für die Unternehmen zu verbessern.
Fünftens: Sicherstellung eines flächendeckenden breitbandigen Angebots, das für alle zugänglich und bezahlbar
ist.
({5})
Derzeit besteht noch die Tendenz aus dem Markt selbst
heraus, aber der Universaldienstbegriff gibt uns die
Möglichkeit, das auch rechtlich abzusichern, ohne dass
vielleicht zunächst ein Eingriff nötig ist. Aber gleichzeitig müssen wir den Universaldienstbegriff auch den technischen Entwicklungen, den Entwicklungen auf dem
Markt anpassen, um die Möglichkeit des Nachsteuerns,
der Sicherstellung von Modernisierung, von Qualität und
Umfang des Universaldienstes zu erhalten. Stichwort ist
hier noch einmal das Gebot - das jetzt schon im Telekommunikationsgesetz enthalten ist - der Förderung von
Telekommunikationsdiensten bei öffentlichen Einrichtungen.
Sechstens: Die von uns angesprochene und von den Experten immer wieder betonte Konvergenz der Telekommunikations- und Medienmärkte zwingt dazu und muss
uns dazu bringen, einen kohärenten Regulierungsrahmen
für diese zusammenwachsenden Bereiche zu schaffen, das
heißt also für die Medien, für den Telekommunikationsund für den Telekommunikationsdienstebereich.
Siebtens - das ist jetzt wieder ganz aktuell -: Wir brauchen eine Harmonisierung der europäischen Telekommunikationsmärkte. Wir sehen gerade jetzt wieder, dass es
durchaus gefährlich ist, wenn die europäische Ebene übereilt in nationale Märkte eingreift, vor allen Dingen dann,
wenn dem keine Analyse der tatsächlichen Marktbedingungen zugrunde liegt. Die Debatte über Call-by-Call im
Ortsnetz hat erneut gezeigt, dass die technische, ökonomische und regulatorische Telekommunikationslandschaft in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche
Bedingungen aufweist, für die keine europäische Regulierung nach Schema F greifen kann. Nur die Tatsache
zum Beispiel, dass in den anderen Mitgliedstaaten praktisch kein Ortsnetzwettbewerb auf der Basis von alternativen Infrastrukturen besteht, also wie bei uns mit den Regionalcarriern, kann den Eifer der Kommission bei dieser
Betreibervorauswahl im Ortsnetz erklären. Das heißt also,
Ziel europäischer Telekommunikationspolitik muss zuallererst die Zugrundelegung und Angleichung der tatsächlichen Wettbewerbsbedingungen im Rahmen eines europäischen Modernisierungsmodells sein.
Schließlich und endlich - das Stichwort habe ich genannt - Regulierung, Öffnung des Ortsnetzes; dazu ist
in letzter Zeit viel gesagt und diskutiert worden.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal darauf hinweisen, was für Widersprüche es in der Argumentation der Opposition gibt. Marktprozesse, wie wir sie
hier zum Teil beobachten, werden beliebig interpretiert
und politisch instrumentalisiert. In der Zeit des Booms
waren es die Unternehmen, da waren es die Manager von
Sommer bis Schmid, da war es die alte Bundesregierung,
die das alles geleistet haben. Jetzt, im Börsencrash, ist
Sommer plötzlich Schröders Mann und die Mobilcoms
und Kwests sind rot-grüne Pleiten. Da passt irgendetwas
nicht zusammen. Leider reden Union und FDP alles noch
schlechter als in ihrer Zeit. Sie beschädigen damit das internationale Ansehen der deutschen Unternehmen und des
deutschen Standorts.
({6})
Wir sind darüber im Klaren: Die internationalen
Marktmechanismen dominieren das Geschehen längst.
Das heißt leider nicht, dass es dabei immer rational zugeht. Aber Politik hat gerade eben nicht Hysterien und
Unsicherheiten zu schüren, was fast immer funktioniert.
Herr Kollege Barthel,
ich will hier keine Hysterie schüren, aber ich möchte Sie
an die Zeit erinnern.
Klaus Barthel ({0})
Sie haben Recht. Politik hat vielmehr Stabilität und Verlässlichkeit zu gewährleisten. Deshalb haben wir die besondere Motivation, gleich nach den Wahlen die TKG-Novelle anzugehen.
Ich will zum Schluss noch sagen: Wir haben in dieser
Legislaturperiode im Unterausschuss für Telekommunikation und Post bei allen Meinungsunterschieden in der
Sache sehr konstruktiv zusammengearbeitet.
({0})
Deswegen ist mir auch für die Zukunft nicht bange.
({1})
Großen Anteil daran hat auch mein Stellvertreter und
Sprecher seiner Fraktion Elmar Müller, der, wenn ich es
richtig sehe, heute seine letzte Rede halten wird.
({2})
Da es auch ein Leben nach dem Bundestag und außerhalb
des Bundestages geben soll, möchte ich heute nicht von
diesem Pult gehen, ohne ihm meinen Dank und meine Anerkennung auszusprechen und ihm alles Gute für die Zukunft zu wünschen.
({3})
Das Wort hat nun der
Kollege Elmar Müller für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Barthel, vielen Dank für Ihre guten
Wünsche. Ich bitte allerdings, von Nachrufen abzusehen.
({0})
Nach 47-jähriger beruflicher Tätigkeit habe ich mir vorgenommen, für fünf Jahre in die Wirtschaft zurückzukehren. Insofern ist mein Ausscheiden aus dem Bundestag
noch nicht das Ende meiner beruflichen Laufbahn. Vielen
Dank.
Eine zur Betreibervorauswahl ergangene EU-Richtlinie aus dem Jahr 1998 legt fest, dass Telefonkunden bei
jedem Gespräch und damit also auch bei Ortsgesprächen
durch Call-by-Call die Angebote anderer Netzbetreiber
und Wettbewerbsunternehmen nutzen dürfen. Diese
Richtlinie hätte seit dem 31. Dezember 1998, also seit
über dreieinhalb Jahren, in nationales Recht umgesetzt
werden müssen. Aufgrund der Nichtumsetzung ist nun ein
Verfahren gegen die Bundesrepublik wegen Vertragsverletzung anhängig.
Die Öffnung der Ortsnetze und die Anpassung an die in
den europäischen Gremien verabschiedeten Richtlinien
wurden von uns immer wieder gefordert. Insofern begrüßen wir jeden Schritt, der dem Verbraucher mehr Auswahl bietet und vor allem den Wettbewerb fördert. Die
Umsetzung der europäischen Vorgabe, dass es jedem Nutzer möglich sein soll, bei jedem getätigten Anruf eine Betreiberauswahl zu treffen, das heißt, den Zugriff auf den
bis jetzt verschlossenen Bereich des Ortsnetzes zu ermöglichen, ist längst überfällig. Bis dato hat die Deutsche
Telekom trotz der vierjährigen Regulierung noch immer
einen Marktanteil im Ortsnetz von über 97 Prozent. Allein
die Tatsache, dass es alternative Anbieter auch auf Ortsnetzebene gibt, hatte nicht zur Folge, dass ein tatsächlicher Wettbewerb in diesem Bereich begonnen hat. Von
Wettbewerb im Ortsnetz kann daher im Gegensatz zum
Fernverbindungsmarkt keine Rede sein. Zudem mutet es
schier grotesk an, dass Ortsverbindungen von der Deutschen Telekom teurer abgerechnet werden als Fernverbindungen.
Damit nicht der bislang instabile Wettbewerb weiter
geschwächt wird und der aktuelle Insolvenztrend nicht
noch zusätzlich durch eine unzureichende Gesetzesformulierung verstärkt wird, haben wir es für dringend
notwendig erachtet, dass eine Öffnung zum jetzigen Zeitpunkt im Rahmen einer ordnungspolitischen Systematik
erfolgen muss, die nur im Zusammenhang mit der vorhin
vom Kollegen Barthel angesprochenen geplanten großen
Reform des Telekommunikationsgesetzes erreicht werden kann. Deshalb ist es unverzichtbar, dass in das Gesetz
eine Regelung aufgenommen wird, die die getätigten Investitionen der Wettbewerber in die Netzinfrastruktur
ausreichend berücksichtigt und die auch hilft, zu verhindern, dass der Markt von einem zweiten Mobilcom-Syndrom erschüttert wird. Angesichts der schon hinreichend
instabilen Marktsituation würde eine Duplizierung der
vergangenen Erfahrung einer ökonomischen Katastrophe
gleichkommen. Immerhin soll noch der Begriff „ortsnahe
Zuführung“ durch den vorliegenden Antrag etwas präzisiert werden. Das ist zwar nur ein geringer Beitrag, der
aber begrüßt werden darf.
Vor dem Hintergrund eines Wahlkampfes mit steigenden Arbeitslosenzahlen sind nach Aussage der Verbände
von den 60 000 Arbeitsplätzen, die private TK-Investoren
unmittelbar im deutschen Telekommunikationsmarkt geschaffen haben, etwa 40 000 durch das vorhandene Gesetz
bedroht, wenn nicht relativ schnell das große TKG auf den
Weg gebracht wird. Ich hoffe, dass wir das schaffen werden. Die gesamte Branche befindet sich schließlich in einer sich zuspitzenden Krise, die für eine wachsende Zahl
von Unternehmen existenzbedrohend ist. Nicht umsonst hat
gestern früh mein Fraktionsvorsitzender zum Thema Deutsche Telekom zwei kritische Fragen an den Bundeskanzler
gerichtet. Wir hoffen, dass wir noch rechtzeitig Auskunft
erhalten werden.
Aus der schnellen, mutigen Liberalisierung der Anfangsphase - wir haben sie in unserer Regierungszeit eingeleitet, Herr Kollege Funke - ist eine Investitionsfalle
geworden. Das inzwischen festzustellende Zurückdrehen
des Wettbewerbs hat dafür gesorgt, dass in Deutschland
bereits Milliarden Euro ausländischer Investoren verloren
gegangen sind. Es werden durch die nun anstehende Entscheidung voraussichtlich noch weitere Investitionen
verloren gehen.
Die so gelobte Liberalisierung des Marktes sieht in
Wirklichkeit wie folgt aus: Im Ortsnetz verfügt die Deutsche Telekom über 97 Prozent Marktanteil. Bei der neuen
DSL-Technik hat die Deutsche Telekom ihren Marktanteil bis heute auf 96 Prozent ausbauen können - mit
steigender Tendenz. Der alte Monopolist ist also der neue.
Er verteidigt seine Macht, die er durch die Verfügungsgewalt über das Festnetz besitzt, mit allen Mitteln.
Die zuständige Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post ist bisher außerstande, den Wettbewerbern einen ungehinderten und fairen Zugang zum Netz
und damit zum Kunden zu schaffen. Seit 1998 warten die
privaten Wettbewerber nicht selten weit über ein Jahr auf
die notwendigen und vom Gesetz vorgesehenen Infrastrukturen, die von der Deutschen Telekom AG zur Verfügung gestellt werden müssen und ohne die sie ihr Angebot wiederum nicht auf den Markt bringen könnten.
Inzwischen hat sich das durch Druck der Reg TP in einigen Punkten verbessert, aber noch nicht ausreichend.
Mehrfach hat die Deutsche Telekom mit Endkundenpreisen unter ihren eigenen Kosten wirtschaftlich sinnvolle Angebote der Wettbewerber von vornherein unmöglich gemacht. Gegen die zum Teil sogar von der
Regulierungsbehörde als zu niedrig festgestellten Preise
ging die Behörde allerdings nicht vor. Das bedauern wir
sehr. Die Begründung der Reg TP lautete, eine Verdrängungswirkung sei nicht erwiesen. Erst fast ein Jahr später
hat die Reg TP Maßnahmen ergriffen, die in einigen Bereichen zu geringen Preiskorrekturen durch die Deutsche
Telekom AG geführt haben.
Heute macht die Telekom AG mit Kampfpreisen wie
aus dem Lehrbuch der Monopolisten die Geschäftspläne
ihrer Wettbewerber in Deutschland zur Makulatur. Dafür
nimmt sie zum Teil auch gewaltige Verluste in Kauf. Ich
erinnere nur an den DSL-Preis. Da hat die Telekom nach
unseren Berechnungen auf jährliche Einnahmen in Höhe
von über 2 Milliarden DM verzichtet - und das in einer
Situation, in der sie dieses Geld eigentlich dringend
bräuchte.
Andererseits steigen die Preise genau in den Bereichen
wieder an, in denen die Wettbewerbsintensität gering ist,
beispielsweise im Ortsnetz. Auch bei DSL müssen wir uns
auf weiter steigende Preise bis auf ein kostendeckendes
Niveau gefasst machen. Die Strategie der DT AG dürfte
dann aufgehen: keine Billigpreise mehr für die Bürger,
aber dank Dumpingpreisen auch kein Wettbewerber in
diesem Zukunftsmarkt. „Marktanteil über alles und sei es
auf Kosten möglicher Gewinne“, das kann kein erfolgreiches Zukunftskonzept sein. Deshalb auch die Fragen, die
mein Fraktionsvorsitzender, wie ich vorhin schon gesagt
habe, gestern gestellt hat.
Am Montag dieser Woche hatten wir zu diesem Gesetzentwurf eine Anhörung mit 14 Sachverständigen.
Selten gab es wohl eine Anhörung, in der die Ablehnung
eines Gesetzentwurfs so einhellig war. Kritikpunkte waren die Folgenden:
Es gab Befürchtungen, dass Investitionen, die in die
Netzinfrastruktur getätigt worden sind, mit einem Federstrich vernichtet würden. Diese Befürchtungen richten
sich vor allem auf die Reaktionen am Kapitalmarkt als
Folge dieser Kapitalvernichtung. Durch Monopolverlängerung - das ist ein anderer Vergleich - bekommt in einigen Bereichen der Paketpost schon heute kein Unternehmen mehr Kredite. Wir befürchten, dass durch diese
Entscheidung im Telekommunikationsmarkt eine ähnliche Entwicklung mit ähnlichen Folgen eintritt. Im Postbereich - ich habe es an dieser Stelle kürzlich schon gesagt - gab es allein in den letzten vier Monaten mehr als
50 Unternehmensaufgaben.
In der Anhörung wurde davor gewarnt, dass die
Flächenländer in Zukunft benachteiligt werden, dass es
also zu unterschiedlichen Preisen für Land und Stadt
kommt.
Ein Konzept zur Entgeltregulierung ist ebenfalls nicht
in Sicht. Das wäre aber die Voraussetzung, um dieses Gesetz zeitnah umzusetzen. Die Citynetzbetreiber warnen
vor Vernichtung bestehender Arbeitsplätze - und das wohl
zu Recht.
Vor allem wurde immer wieder darauf verwiesen, dass
die Hauptursache für fehlenden Wettbewerb nicht die
Netzbetreibervorauswahl ist, sondern es sind die hohen
Tarife für Miete und Entgelt für die Teilnehmeranschlussleitung, die so genannte TAL. Wir wissen, dass
der heutige Wirtschaftsminister schon im Jahr 1998, wenige Wochen nach seinem Amtsantritt, ein besseres und
verbraucherfreundlicheres Tarifgefüge verhindert hat.
Aus all diesen Gründen waren sich die Abgeordneten
meiner Fraktion, der FDP, der SPD, der Grünen und auch
der PDS über Wochen hinweg einig, dass wir das Gesetz
in dieser Form in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschieden wollen; vielmehr wollten wir es gemeinsam
mit der großen Novelle des TKG verabschieden. Auch
Befürchtungen im Hinblick auf das Bußgeldverfahren der
EU wurden von den Experten deutlich zurückgewiesen.
Sie sagten: Wenn wir in wenigen Wochen das große TKG
hätten, dann wäre damit keine Gefahr verbunden.
Die SPD hat am Dienstag dieser Woche - sie war bis
dahin unserer Meinung - eine Trendwende vollzogen. Da
von Partei und Regierung Druck ausgeübt wurde, hat sich
die SPD-Fraktion mittlerweile entschlossen, dieses Gesetz kurzfristig zu verabschieden. Ich muss sagen: Diese
Entwicklung ist bedauerlich. Die Folgen dieser Entscheidung wollen wir nicht mittragen. Das haben die SPD und
die Grünen allein auszubaden. Wir sind auch nicht bereit,
in Mithaftung genommen zu werden, wenn das Bußgeldverfahren einsetzt.
({1})
Wir werden diesem Gesetz also nicht zustimmen.
Ich komme zum Schluss. Lieber Kollege Klaus Barthel,
ich bedanke mich für deine freundlichen Worte. Trotz all
des Streits, den wir hatten, darf ich gleichfalls sagen: Der
Streit zwischen uns war immer angenehm und wir sind
letztendlich immer versöhnlich auseinander gegangen.
Vielen Dank.
({2})
Herr Kollege Müller,
ich wurde ausdrücklich gebeten, nicht zu erwähnen, dass
Elmar Müller ({0})
dies Ihre letzte Rede war. Nun hat aber der Kollege Barthel
selbiges verraten. Deshalb an dieser Stelle: Vielen Dank für
Ihr großes Engagement in diesem Hohen Hause und alles
Gute für den kommenden Lebens- und Arbeitsabschnitt!
({1})
Da die Kollegin Michaele Hustedt und der Kollege
Gerhard Jüttemann ihre Reden zu Protokoll gegeben ha-
ben1), ist der letzte Redner in dieser Debatte der Kollege
Rainer Funke für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Barthel hat natürlich völlig
Recht: Was von der Politik verlangt wird, sind Stabilität
und Verlässlichkeit, auch bei der Gesetzgebung. Ich bin
als rechtspolitischer Sprecher meiner Fraktion in dieser
Legislaturperiode von der Bundesjustizministerin einiges
gewohnt, was das Durchpeitschen von Gesetzen angeht.
Aber der Bundeswirtschaftsminister hat es getoppt. Herzlichen Glückwunsch!
Das bisher praktizierte Verfahren - Herr Müller hat es
hier angesprochen - ist schon sehr merkwürdig. Die europäische Richtlinie aus dem Jahre 1998 hat offensichtlich lange Zeit niemanden im Bundeswirtschaftsministerium interessiert. Wir haben darüber nur bruchstückhaft
Informationen bekommen. Über das Vertragsverletzungsverfahren haben wir überhaupt keine Informationen bekommen. Nach einer langen Zeit des Wartens - fast
drei Jahre - hat die Bundesregierung am 3. Juni 2002 den
Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes vorgelegt, Herr Kollege
Staffelt. Dann sollte dieses Gesetz im Eilverfahren durch
das Parlament gepeitscht werden.
Im Zuge der dann einsetzenden Beratungen hat am
1. Juli 2002, also am Montag dieser Woche - Herr Müller
hat es erwähnt -, eine Sachverständigenanhörung stattgefunden. Die 14 geladenen Sachverständigen haben
unisono gesagt: Lasst den Unsinn mit der kleinen TKGNovelle, macht eine große TKG-Novelle! Die Professoren unter den Sachverständigen haben gesagt: Daraus
kann kein Nachteil entstehen. Die Kollegen der SPD und
der Grünen haben in der Anhörung gesagt: Gott sei Dank,
wir brauchen in dieser Legislaturperiode im Grunde genommen keinen entsprechenden Gesetzentwurf mehr in
das Gesetzgebungsverfahren einzubringen.
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ist auf die armen Kollegen von den Koalitionsfraktionen so viel Druck
ausgeübt worden,
({0})
dass sie sich zu einer abgespeckten Form der kleinen
TKG-Novelle durchgerungen haben.
({1})
- Ja, ich habe es da. Die Tränen habe ich schon beim Diktieren meiner Rede vergossen; deswegen fällt mir das jetzt
nicht so schwer.
Am Mittwoch haben wir um 8.05 Uhr eine Tischvorlage mit einer abgespeckten TKG-Novelle bekommen.
Nun könnte man sagen: Das ist eine kleine TKG-Novelle;
man kann darüber reden, das kann man vielleicht einmal
hinnehmen. Aber es geht hier um Milliarden. Das wissen
auch Sie, Herr Kollege Barthel. Hier müssen Investitionen durchdacht sein und geschützt werden, die den Wettbewerb herstellen sollen.
({2})
All das können wir doch nicht in der Zeit von 8.05 Uhr bis
8.10 Uhr, als Sie endlich verspätet eingetroffen sind,
durcharbeiten. Das geht nicht. So kann man doch kein Gesetzgebungsverfahren betreiben.
({3})
Das ist wirklich in einem hohen Maß unseriös und parlamentarisch nicht zu vertreten.
({4})
Herr Kollege Wieczorek, Sie als guter alter, gestandener Sozialdemokrat achten den Parlamentarismus doch
ganz besonders. Sie können nicht damit einverstanden
sein, dass mit dem Parlament so umgegangen wird.
({5})
Es ist vom Bundeswirtschaftsministerium absichtlich
verzögert worden, um dann das Parlament in dieser Weise
vorzuführen. Das geht doch so nicht! Das ist der eigentliche Skandal.
({6})
Wir sind nicht bereit, solche Dinge mitzumachen. Deswegen lehnen wir dieses Gesetz ab.
Ich möchte aber meine letzte Rede in dieser Legislaturperiode nicht beenden, ohne meinem Kollegen Elmar
Müller sehr herzlich zu danken - nicht nur für die Arbeit
in dieser Legislaturperiode; schließlich haben wir gemeinsam an der Postreform II und im Übrigen auch an
diesem TKG mitgewirkt, das nämlich nicht so schlecht
ist, wie es jetzt von einigen interessierten Leuten gemacht
wird. Für diese Zusammenarbeit bedanke ich mich ganz
besonders. Ich wünsche Ihnen alles Gute, auch für Ihren
weiteren wirtschaftlichen Weg.
({7})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Telekommunikationsgesetzes, Drucksa-
chen 14/9194 und 14/9237. Ich verweise darauf, dass der
Kollege Ulrich Kelber eine schriftliche persönliche Er-
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 7
klärung zur Abstimmung gemäß § 31 unserer Geschäfts-
ordnung abgegeben hat.1)
({0})
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Ziffer I seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9711, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen von FDP und PDS
bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen von FDP und PDS
bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.
Unter Ziffer II seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9711 empfiehlt der Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie, eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU
angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 14/7628 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem
Titel „Wettbewerb und Regulierung im Telekommunikationssektor“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/5693 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Martina Krogmann, Dr. Martin Mayer
({1}), Matthias Wissmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Chancen und Perspektiven der digitalen Wirtschaft ({2}) in Deutschland
- Drucksache 14/8935 -
Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Martina Krogmann,
Hubertus Heil, Gudrun Kopp, Wolfgang Bierstedt sowie
die Parlamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf ha-
ben ihre Reden sämtlich zu Protokoll gegeben.2) - Ich
höre keinen Widerspruch.
Dann kann ich sofort den Tagesordnungspunkt 26 aufrufen:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck,
Dr. Peter Paziorek, Dr. Klaus W. Lippold ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Weißbuch der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften: Strategie für eine zukünftige
Chemikalienpolitik
- Drucksachen 14/8029, 14/9516 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Carola Reimann
Dr. Christian Ruck
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Carola Reimann,
Marie-Luise Dött, Winfried Hermann, Birgit Homburger
sowie Eva Bulling-Schröter haben ihre Reden ebenfalls
zu Protokoll gegeben.3) - Ich sehe Begeisterung im
ganzen Saale.
({5})
Wir kommen deshalb zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/9516 zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Strategie für eine zukünftige Chemikalienpolitik“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8029 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28, der zugleich unser letzter ist, auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
In der internationalen Krisenprävention und
Konfliktbewältigung andere Prioritäten setzen
- Drucksache 14/9150 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({6})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll.- Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
PDS-Fraktion ist die Kollegin Heidi Lippmann.
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 5
2) Anlage 8 3) Anlage 9
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über
40-mal habe ich in den vergangenen vier Jahren in diesem
Haus über Militär, Abrüstung, Rüstungskontrolle, Krieg
und Frieden geredet
({0})
und von Ihnen, wie wohl auch heute, viel Widerspruch geerntet. Oft kam der Vorwurf, die von mir im Namen der
PDS-Fraktion vorgetragenen Positionen seien einseitig
und rückwärts gewandt. Doch man kann die Probleme der
Gegenwart nicht bewältigen, indem man die Geschichte
ausblendet,
({1})
und man kann die Zukunft nicht gestalten, ohne Visionen
zu haben.
In der jüngsten Geschichte waren die Hoffnungen auf
eine Friedensdividende, auf ein Ende bewaffneter Konflikte, auf eine starke Rolle der Vereinten Nationen nach
dem Ende des Kalten Krieges groß. Während einige den
weltweiten Siegeszug des Kapitalismus als Ende der Geschichte interpretierten, war es für andere nur eine Frage
der Zeit, wann der bis dato visionäre Zustand weltweiter
Demokratie und Marktwirtschaft und damit die globale Harmonie erreicht sei. Heute wissen wir: Die Visionen haben sich nicht erfüllt.
({2})
Die Welt ist seitdem nicht friedlicher geworden, ganz im
Gegenteil; viele blutige Kriege sind hinzugekommen.
({3})
Versäumt wurde, darüber nachzudenken, inwieweit die
Gewalteskalation in der Welt bis hin zum Terrorismus
mit dem rapiden Vormarsch der neoliberalen Globalisierung zusammenhängt. Versäumt wurde darüber nachzudenken, welche Verbindungen es zwischen der egoistischen Politik der großen Machtkartelle der Welt und der
Zunahme von Armut und gesellschaftlicher Zerrüttung
gibt, die wiederum den Nährboden für Gewalt abgeben.
({4})
Versäumt wurde auch, darüber nachzudenken, wie die
Kumpanei der großen Demokratien mit korrupten bis despotischen Regimen von Riad bis Manila zu dieser Problemlage beiträgt.
({5})
Statt hierüber nachzudenken,
({6})
wird die Welt wieder in gut und böse, in modern und vormodern, in zivilisiert und unzivilisiert geteilt. Wieder einmal sind es die anderen, die das Schlimme in der Welt hervorrufen. Gegen diese anderen, als „Schurkenstaaten“, als
„Achse des Bösen“ usw. deklarierten Länder, führt die Allianz der selbst ernannten „Achse der Guten“ ihre Kriege.
Statt über neue Antworten und Wege nachzudenken, greift
man auf die überkommenen Mittel der Menschheitsgeschichte zurück. Krieg ist wieder legitim, Krieg ist wieder Mittel der Politik geworden.
({7})
Zu dieser engstirnigen Rückwärtsgewandtheit sagt die
PDS Nein.
({8})
Wir wollen nicht mehr und nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der internationalen Politik.
({9})
Konfliktursachen müssen endlich angegangen werden,
statt militärisch genutzte Nach- oder Verschlimmbesserung zu betreiben. Das Völkerrecht und die Vereinten Nationen müssen gestärkt werden
({10})
statt der globalen Weltpolizeianmaßung durch die USA,
die NATO oder wen auch immer.
Die Beziehungen der Völker und Staaten in der Welt
müssen auf verlässliche, rechtsverbindliche und gleichberechtigtere Grundlagen gestellt werden statt der Willkürherrschaft der Mächtigen. Rüstungskontrolle und radikale Abrüstung müssen ganz oben auf die Tagesordnung,
statt Ressourcen fressende und vergeudende neue Aufrüstungsprogramme zu finanzieren.
Für die Konflikte in der Welt - auf dem Balkan, im
Nahen Osten, in Afrika, am Golf oder in Südasien müssen unter dem Dach der UNO durch konzentrierte
diplomatische Anstrengungen gerechte Lösungen gefunden werden, statt immer wieder Machtinteressen,
auf Rohstoffe bezogene oder bornierte Interessen zu bedienen.
({11})
Die PDS unterbreitet in ihrem Antrag viele konkrete
Vorschläge, wie diese Politik ziviler Krisenvorbeugung
endlich umgesetzt werden könnte. Eine Bundesregierung,
die sich einer solchen Politik verschriebe, könnte international hohes Ansehen erwerben.
({12})
Sie würde der internationalen Verantwortung, wie es einem so einflussreichen Lande wie der Bundesrepublik
entspräche, entschieden gerechter werden, wenn sie
nicht immer nur neue militärische Auslandseinsätze beschließen würde und wenn sie den Rüstungshaushalt
zulasten umfassender Entwicklungszusammenarbeit
nicht weiter nach oben treiben würde.
({13})
Ich weiß, dass es auch unter Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, nicht wenige gibt, die so denken. Doch was
uns unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie sich kollektiv,
partei- und fraktionsübergreifend, den Strukturen und
Mechanismen der vermeintlichen Macht unterwerfen und
sich selbst Denkverbote auferlegen bzw. auferlegen lassen.
({14})
Visionär, wie ich bin,
({15})
wünsche ich mir, dass der nächste Bundestag die Konflikte um den Irak oder um andere Staaten diplomatisch
oder durch so genannte präemptive Kriegsaktionen lösen
wird, wenn er wieder vor entsprechenden Entscheidungen
steht.
Ich wünsche mir, dass Sie sich für zivilisiertes Handeln
entscheiden werden und dass nicht allein die PDS zu weiteren Kriegen und zur Aufrüstung Nein sagen wird.
({16})
Krieg ist kein legitimes Mittel der Politik und Frieden ist
nicht nur ein Wort.
({17})
Kollegin Lippmann,
da ich gehört habe, dass Sie Ihre letzte Rede gehalten haben, möchte ich Ihnen alles Gute wünschen. Sie haben die
Möglichkeit, Ihre interessante Kleidung an anderer Stelle
vorzuführen, aber nicht mehr in diesem Hause.
({0})
Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Uta Zapf von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe mich eigentlich nur deshalb entschlossen, meinen Redebeitrag nicht zu Protokoll zu geben, weil ich die Kollegin Heidi Lippmann als Mitglied
meines Unterausschusses menschlich schätzen gelernt
habe. Ihre Rede lässt mich aber zweifeln, ob das ein richtiger Entschluss war. Ich glaube nämlich, dass Ihre Rede
nicht vollkommen Ihrer tieferen Überzeugung entspricht.
Das sage ich, obwohl wir sehr häufig unterschiedlicher
Auffassung waren.
Ich freue mich immer, wenn im Deutschen Bundestag
über das wichtige Thema Krisenprävention diskutiert
wird. Leider ist die Beteiligung häufig nicht sehr hoch.
Deshalb kann man nicht oft genug darüber debattieren.
Es ist schade, dass wir diese Debatte auf Grundlage eines Antrages führen müssen, der die Realitäten völlig verkennt. In diesem Antrag werden Fakten einfach nicht zur
Kenntnis genommen; er ist wirr und unlogisch. Daher
muss man sagen, dass er keine gute Diskussionsgrundlage
bietet.
In Ihrem Beitrag, liebe Frau Lippmann, haben Sie so
getan, als wenn es die letzten Jahre in der politischen Entwicklung überhaupt nicht gegeben hätte.
({0})
Sie stellen Forderungen auf, die längst erfüllt sind. Sie
stellen Behauptungen auf, die in keiner Weise der Realität
entsprechen. Es sieht so aus, als hätten Sie überhaupt nicht
wahrgenommen, über welche Politik wir in diesem Hause
diskutiert und entschieden haben. Das ist ziemlich schade.
Sie haben offensichtlich auch den Gang der Geschichte
seit 1989 nicht mehr vollständig mitbekommen. Die Krönung ist die Forderung unter Punkt 6 in Ihrem Antrag:
Die Bundesregierung setzt sich aktiv für die Überwindung von Militärblöcken ein.
Da muss ich mir erstaunt die Augen reiben und fragen:
Wo finden Sie heute noch Militärblöcke? Es gibt die
NATO, die sich wandelt und öffnet und die eine einzigartige Kooperation mit dem Nicht-NATO-Mitglied Russland eingegangen ist. Diese Entwicklung hat Vorläufer,
die weiß Gott nicht auf Blockkonfrontation, sondern auf
Kooperation ausgerichtet waren.
Auf dem NATO-Gipfel in Prag wird höchstwahrscheinlich ein großer Teil der ehemaligen WarschauerPakt-Mitglieder in die NATO aufgenommen.
({1})
Das heißt doch, dass wir damit einen einzigartigen Sicherheitsraum in Europa schaffen, einen Sicherheitsraum,
der auf Kooperation beruht und nicht auf Konfrontation.
Vielleicht können wir also in Zukunft von dieser Basis aus
weitere Diskussionen führen.
Ihnen geht es nicht - das wissen wir aus früheren Anträgen Ihrer Fraktion - um eine Verbesserung der Instrumente der Krisenprävention, sondern um die Ablehnung
der NATO und - auch das haben Sie zum Ausdruck gebracht - um die Ablehnung von Auslandseinsätzen deutscher Soldaten.
({2})
Allerdings frage ich mich, warum Sie in Ihrem Antrag den
Einsatz von Blauhelmen gemäß Kap. VI des UN-Vertrages fordern. Denn auch hier werden Soldaten zu militärischen Aktionen geschickt. Oder sollen wir uns hier fein
heraushalten? Sie wollen die Taskforce Fox in Mazedonien, die KFOR im Kosovo und die SFOR in BosnienHerzegowina abziehen. Diese Missionen sind ausdrücklich friedenserhaltend.
({3})
Dort würde es in dem Moment eine Gewalteskalation geben, in dem wir diese Soldaten abziehen. Ein solcher AbHeidi Lippmann
zug würde keine Befriedung bringen. Derzeit sind die Soldaten, die wir und andere Nationen in diese Regionen geschickt haben, diejenigen, die den dortigen Friedensprozess
absichern. Das sollten wir einmal zur Kenntnis nehmen.
({4})
Es ist ein Jammer, mit welcher Blindheit in dem vorliegenden Antrag ignoriert wird, wie viele zivile Strukturen wir seit dem Zeitpunkt, seit dem diese Regierung im
Amt ist, aufgebaut haben. Die Koalition hat in kurzer Zeit
ein funktionierendes nationales ziviles Instrumentarium
aufgebaut. Dies ist nachzulesen in dem „Konzept zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenslösung“ von 1999. Sie hat ihre Entwicklungspolitik nach
neuen Grundsätzen ausgerichtet. Das, was Sie fordern,
wird getan: Strukturelle Konfliktursachen sollen abgebaut
und eine gewaltfreie Konfliktbearbeitung soll gefördert
werden. Genau dafür haben wir den zivilen Friedensdienst, der früher leider immer abgelehnt worden ist, aufgebaut. Mittlerweile sind mehr als 100 ausgebildete Friedensfachkräfte in verschiedenen Krisenregionen tätig.
({5})
Zudem, liebe Frau Lippmann, ist die Kooperation mit den
NGOs noch nie so gut gewesen wie derzeit. Sie wird ständig ausgebaut. Hier haben wir keinen Nachholbedarf. Wir
haben das so weit institutionalisiert, dass man dies nicht
kritisieren kann.
({6})
Das Evaluationsgutachten, das jetzt im Hinblick auf
den Aufbau des zivilen Friedensdienstes erstellt worden
ist - es ist eine erste Auswertung -, besagt ausdrücklich,
dass die durchgeführten Maßnahmen durch ihre partnerbezogene Projektarbeit erste Ansätze für eine längerfristige Wirkung einer stärker friedenspolitisch ausgerichteten Entwicklungszusammenarbeit erkennen lassen. Was
kann man sich mehr wünschen, als dass eine Regierung so
etwas aufbaut? 9,9 Millionen Euro haben wir im laufenden Haushaltsjahr nur für die Finanzierung des Friedensdienstes vorgesehen.
Darüber hinaus gibt es weitere Maßnahmen, zum Beispiel, beim Auswärtigen Amt angesiedelt, Kurse für diejenigen, die in Konflikten auf zivile Art und Weise vermitteln sollen. 468 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind
ausgebildet worden. Mittlerweile gibt es eine Personalreserve von circa 700 Experten, die für solche Einsätze vorgehalten werden. Ich denke, das ist eine enorme Leistung,
die wir auch einmal loben sollten.
({7})
Es geht noch weiter: Vor ein paar Wochen, am
25. April, haben wir ein neues Institut, das Zentrum für internationale Friedenseinsätze, eingeweiht, in dem in Zukunft ausgebildet und eine weitere Vernetzung mit den
NGOs vorgenommen wird sowie nach dem Motto „Lessons learned“ Analysen und Auswertungen von Einsätzen
gemacht werden, um eine ständige Verbesserung dieser
friedenspolitischen Arbeit zu gewährleisten und einen
Pool von einsetzbaren Leuten aufzubauen.
Wir haben in der OSZE dafür gesorgt, dass mit den React- und mit den Polizeikräften, die dort tätig sind, ebensolche Strukturen aufgebaut worden sind. 540 deutsche
Polizisten sind in internationalen Einsätzen tätig, davon
allein 510 auf dem Balkan. Die Polizei ist eine zivile Organisation. Also sagen Sie doch nicht, dass wir nichts gemacht hätten!
({8})
Im Rahmen der ESVP haben wir ein Kontingent von
910 Polizisten zur Verfügung gestellt. Ich finde, dies ist
eine hervorragende Leistung.
Darüber hinaus - leider scheint das niemand so richtig
zur Kenntnis zu nehmen - haben wir im europäischen
Rahmen beim Aufbau der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und bei der gemeinsamen Verteidigungspolitik dafür gesorgt, dass es neben der militärischen
Komponente eine gleichberechtigte zivile Komponente
gibt. Ja, wir bauen europäische Krisenreaktionskräfte in
einer Stärke von 60 000 Mann auf. Gleichzeitig gibt es
neben dem Militärkomitee aber das zivile Komitee, das
sich ausdrücklich der zivilen Krisenprävention und der
Konfliktbearbeitung widmet, das ähnliche Strukturen der
Polizei aufbaut und im Bereich der Demokratisierungsarbeit sowie im Bereich des Rechtstaatsaufbaus tätig ist.
Ich glaube, all die Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag - der recht lang ist - aufgelistet haben, sind entweder
bereits völlig erfüllt oder sind in manchen Bereichen gar
nicht erfüllbar.
Ich will noch auf eine Sache hinweisen: Wir haben
nach den Kriegen auf dem Balkan eine deutsche Initiative
gestartet, die ich für die größte Friedensinitiative halte,
die es jemals gegeben hat, nämlich den Stabilitätspakt
für Südosteuropa. Dies war eine deutsche Initiative. Sie
wird immer wieder verlängert und wird von allen Geberländern mit Geld unterstützt. Der ganze Bereich der Europäischen Union hat sich da engagiert, aber auch über die
Europäische Union hinaus gab es Engagement. Gerade in
diesem Rahmen werden Grundsätze, die für uns sehr
wichtig sind und die Sie als Forderungen angeführt haben,
nämlich regionale Zusammenarbeit und regionale Abrüstung, mit als wichtigste Komponenten durchgeführt.
Kollegin Lippmann, Sie haben mit Recht gesagt,
Abrüstung sei ein wichtiger Bestandteil. Nur, gerade Sie
als Mitglied in dem Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung wissen, dass Abrüstung in der Regel keine einseitige Angelegenheit ist - dann
würde sie nämlich gar nicht funktionieren -, sondern dass
das ein langer, schwieriger Verhandlungsprozess in internationalen Organisationen ist und dass die Bundesregierung in der Tat einen großen Beitrag geleistet hat, zum
Beispiel im Bereich Kleinwaffen bzw. „small arms“. Gerade letztens ist hier in diesem Hause ein Fortschritt in der
Frage der Landminen beschlossen worden. Ich denke, wir
brauchen uns nicht zu verstecken.
Zur Entwicklungspolitik könnte man dasselbe sagen;
denn nicht nur im nationalen Rahmen ist die Frage der Demokratisierung, die Frage von „good governance“, die
Frage von geringen Rüstungsetats gebunden an die Frage
der Projektdurchführung von deutscher Seite. Vielmehr
ist dies mittlerweile auch im europäischen Rahmen der
Fall. Das ist in den Dokumenten so niedergelegt. Das
heißt, wir haben in den letzten Jahren tatsächlich einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik, aber auch
im Bereich der Sicherheitspolitik gehabt, da die zivilen
Instrumente in einem Maße ausgebaut worden sind, das
ich mir nicht hätte träumen lassen, als ich in diesem Bundestag angefangen habe.
Seit 1990 habe ich versucht, hier im Bundestag auf dieses Thema aufmerksam zu machen und Fortschritte auf
diesem Gebiet zu erreichen. Wir haben es jetzt, nach dem
Regierungswechsel, in der Tat in Strukturen gegossen. Ich
bin froh, dass ich noch dazusagen kann, Kollegin
Lippmann, dass das Haus im Prinzip diesem Weg folgt,
weil wir erkannt haben, dass dies ein richtiger und ein
wichtiger Weg ist.
({9})
- Darauf gehe ich jetzt nicht mehr ein. Ich habe noch
30 Sekunden und habe Ihrem Kollegen versprochen, nicht
alle Zeit auszuschöpfen, weil er gerne nach Hause will.
Trotzdem wünsche ich Ihnen ganz herzlich viel Glück
auf Ihrem zukünftigen Berufs- und Lebensweg.
Danke schön.
({10})
Der Kollege
Schockenhoff hat seine Rede zu Protokoll gegeben. 1)
Deswegen erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen
Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
PDS-Antrag wird die Notwendigkeit betont, der internationalen Krisenprävention höhere Priorität einzuräumen.
Wie wahr!
({0})
Die PDS wirft Rot-Grün vor, Anspruch und Wirklichkeit
würden weit auseinander klaffen. Um das zu „belegen“,
arbeiten Sie allerdings nicht mit scharfer Kritik, sondern
mit Unterstellungen und Feindbildpropaganda - so muss
man das deutlich benennen ({1})
und mit Auslassungen. Sie ignorieren völlig die bisherigen Anstrengungen dieser Regierung - de facto auch von
der Breite des Hauses mitgetragen - auf dem Feld der Krisenprävention in der tatsächlichen Politik der Gewalt- und
Kriegseindämmung und -verhütung, vor allem auf dem
Balkan, in Mazedonien.
Ohne das Vorgehen der Bundesrepublik, der EU und
der NATO hätten wir auf dem Balkan seit einem Jahr wieder Krieg.
({2})
Ist es denn nichts, das mit verhindert zu haben? Sie ignorieren völlig das - die Kollegin Uta Zapf hat es gerade
angeführt -, was wir dazu beigetragen haben und was wir
im Koalitionsvertrag versprochen haben: Aufbau einer
Infrastruktur für die zivile Konfliktbearbeitung, Wiederaufnahme der Bundesförderung der Friedens- und Konfliktforschung, eine ganz andere Verankerung der Krisenprävention in der Entwicklungszusammenarbeit - nicht
nur im zivilen Friedensdienst, sondern auch in der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, die da inzwischen sehr viel macht.
Unsere Hilfen sind überall auch in die Ausbildung eingeflossen. Zum Zentrum Internationale Friedenseinsätze
sage ich gleich noch etwas. Sie ignorieren die Unterstützung von verschiedensten Nichtregierungsorganisationen
mit Verständigungsprojekten, die es vorher so nicht gegeben hat, und die Stärkung von Polizeimissionen. Hier
werden tatsächlich neue Fähigkeiten der multilateralen
Friedensförderung entwickelt. Die sind noch nicht zureichend, aber vergleichen Sie das bitte einmal mit den internationalen Anstrengungen. Dann werden Sie feststellen: Im Polizeibereich und in anderen Bereichen ist die
Bundesrepublik mit im Spitzenfeld.
({3})
Die Forderungen der PDS strotzen von Widersprüchlichkeiten und Leerstellen. Die Widersprüchlichkeiten hat
Kollegin Zapf schon angesprochen. Ich nenne jetzt nur
noch die Leerstellen, gerade im Bereich der operativen
kurzfristigen Krisenprävention. Hierzu sagen Sie in Ihrem
Antrag, der es ja eigentlich im Titel verspricht, rein gar
nichts. Der Antrag bleibt völlig auf der plakativen Ebene.
Offenkundig hat die PDS die Diskussion und die reale
Praxis der letzten vier Jahre auf nationaler Ebene und auf
internationaler Ebene völlig verschlafen - nein, sie hat es
nicht verschlafen, sondern mutwillig nicht zur Kenntnis genommen, weil es eben einfach nicht in ihr Feindbild passt.
({4})
Anspruch und Wirklichkeit: Der vorliegende Antrag
beweist, wie gerade bei der PDS Anspruch und Wirklichkeit krass auseinander klaffen.
({5})
Ihr Anspruch ist der der alleinigen Friedenspartei. Sie
sind stark im Bekenntnis gegen Krieg. Im Bekenntnis sind
1) Anlage 10
Sie stark, aber in der Wirklichkeit, wenn es konkret um Instrumente und Fähigkeiten geht, die notwendig sind, um
realen Kriegen und Gewaltbedrohungen entgegenzuwirken, sind Sie - das zeigt die heutige Debatte, das zeigen
andere Debatten, das zeigt Ihr Antrag - so inkompetent
wie nichts. Da sind Sie von keiner Fraktion im Bundestag
zu übertreffen. Da sind Sie wirklich Spitze.
({6})
Es bestätigt sich das Ergebnis einer Umfrage, die Anfang
des Jahres von der PDS selbst in Auftrag gegeben wurde.
Auf die Frage, welcher Partei die größte Friedenskompetenz zugesprochen werde, erhielten die Grünen 35 Prozent
und die PDS als letzte aller Parteien ganze 15 Prozent.
({7})
Die Bundestagsdebatten der letzten Wochen haben gezeigt, dass die PDS auf dem Feld der Friedens- und Sicherheitspolitik unbestreitbar nur über eine Kernkompetenz
verfügt, nämlich bei der Vertretung der Belange ehemaliger
NVA-Angehöriger. Das hat sich auch am letzten Freitag in
dem von Ihnen vorgelegten Antrag gezeigt. Ich konstatiere
das ausdrücklich nicht mit Häme, sondern mit Bedauern;
denn deutsche Außenpolitik, die Friedenspolitik sein soll,
braucht Friedenskompetenz in allen Parteien
({8})
und produktive Kontroverse und nicht bloße Bekenntnisse, Feindbildwahrnehmung und Lernunfähigkeit, wie
sie von der PDS vorgeführt werden.
({9})
Kollege Nachtwei,
Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Liebe Heidi Lippmann, ich wünsche dir und deiner Familie nach deiner Zeit im Bundestag alles Gute und zugleich
in der Befreiung von Fraktions- und Parteizwängen mehr
politische Offenheit.
Danke schön.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hildebrecht Braun, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Internationale Krisenprävention und Konfliktbewältigung sind ein wahrhaft
geeignetes Thema für den letzten Tagesordnungspunkt
vor der Sommerpause. Es hätte ein Highlight werden können, aber mit diesem Antrag ist das schlechterdings nicht
möglich.
({0})
Dieser Antrag wird dem Thema nicht gerecht. Er ist genau das, was mein Kollege Nachtwei immer wieder gesagt hat: ein von Feindbildern strotzendes Konglomerat
von Gedanken, die am Thema voll vorbeigehen. Ich bedauere dies von Herzen.
Es handelt sich um einen Antrag von immerhin sechs
Seiten Länge. Hätten Sie doch wenigstens den Antrag der
FDP vom November letzten Jahres - zum Nachlesen:
Drucksache 14/7445 - durchgelesen und meinetwegen
auch abgeschrieben. Hätten Sie unsere Ideen geklaut,
wäre die Sache wenigstens richtig behandelt worden.
Jetzt haben Sie aber tatsächlich ein Produkt geliefert,
das an Propaganda aus schlechtester DDR-Zeit erinnert.
Es ist unglaublich, wie man die Entwicklungen der letzten Jahre überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen kann. Es
ist unglaublich, dass Sie heute noch auftreten und glauben
machen können, dass sich die Situation auf dem Balkan
durch den Einsatz der internationalen Gemeinschaft verschlechtert hätte. Sie behaupten, es sei Militarisierung
entstanden. Stattdessen wurde dieser Region durch den
Einsatz der Soldaten der internationalen Gemeinschaft
eine Friedensperspektive gegeben.
Lassen Sie uns über Afghanistan reden. Dort waren
wir erst vor wenigen Wochen. Dass dort Mädchen wieder
in die Schule gehen und Frauen wieder ihrer Arbeit nachgehen können, sind Erfolge, über die wir reden müssen;
denn sie wurden von außen erzwungen.
({1})
Dort gäbe es doch noch die Situation von vor einem Jahr,
wenn diese Aktion nicht stattgefunden hätte und nicht
auch Soldaten - ich betone: auch Soldaten - nach der eigentlichen Militäraktion die friedliche Entwicklung abgesichert hätten.
Der gesamte Balkan ist von der Angst vor dem serbischen Nationalismus befreit worden. In allen Staaten und
Regionen entwickeln sich demokratische Mehrparteienstrukturen. Die Menschen kehren freiwillig in ihre Heimat
zurück, weil sie nicht mehr in Angst leben müssen. Es
wird dort eine friedliche Gesellschaft nicht nur mit der
Hilfe der Soldaten, sondern auch und gerade durch viele
Organisationen außerhalb des Regierungsbereichs, aber
auch durch die EU, die OSZE usw. aufgebaut. Das sind
doch Bemühungen, die wir hier ansprechen müssen. Sie
sind die Realität. Diesen Bemühungen verdanken Millionen Menschen in dieser Region eine friedliche Zukunft.
({2})
Stattdessen legen Sie einen Antrag vor, der uns glauben
machen soll, es gehe um Weltmarktanteile. Weltmarktanteile in Afghanistan?
({3})
So eine Dummheit! Sie schreiben, es gehe um politische
Einflusszonen im Kosovo oder in Mazedonien. Können
Sie mir erläutern, wo da die Relevanz für strategische
Ausrichtungen und Weltpolitik ist? Nein, es geht um die
Menschen und die Hilfe für die Menschen, die in ihrer
Heimat zukünftig ohne Angst leben wollen.
Das aber hat die PDS alles nicht gemerkt. Sie ist in unserer Zeit einfach noch nicht angekommen. Jetzt ist es wirklich an der Zeit: Nutzen Sie die Sommerpause, um einmal
nachzulesen, wie die Realität in diesen Ländern ist! Vielleicht können Sie dann zu Beginn der nächsten Legislaturperiode, wenn Sie wieder dabei sein sollten, vernünftig mit
uns über Konzepte sprechen, mit denen wir in Zukunft die
Krisen- und Konfliktprävention verbessern können.
Sie hätten so viele Dinge ansprechen können, bei denen in der Tat noch Defizite bestehen. Beispielsweise
hätte man die Tatsache ansprechen können, dass bei der
Stiftung „Wissenschaft und Politik“ das internationale
Krisenpräventionszentrum von der Europäischen Union
abgezogen und an ihrer Stelle kein neues Zentrum errichtet oder das bestehende wiedererrichtet worden ist. Aber
nichts von alledem wurde thematisiert; es gab nur Propaganda am laufenden Meter. Einen solchen Antrag habe ich
in der gesamten Zeit meiner Parlamentszugehörigkeit
noch nicht gelesen. Das war eine Schande für die PDS.
Das sage ich auch in meiner letzten Rede dieser Legislaturperiode in aller Deutlichkeit.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile dem Staatsminister Ludger Volmer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Bundeswehreinsätze ja oder nein, auf diese Frage
war in den 90er-Jahren weithin - nicht nur von der Politik, sondern auch in der Öffentlichkeit - die Suche nach
der neuen Rolle Deutschlands in der Welt verengt worden.
Rot-Grün dagegen verpflichtete sich im Koalitionsvertrag, „sich mit aller Kraft um die Entwicklung und Anwendung von wirksamen Strategien und Instrumenten der
Krisenprävention und der friedlichen Konfliktregelung“
zu „bemühen.“ Dieses Versprechen wurde erfüllt.
({0})
Auch wenn Krisenprävention in der medialen Eindruckskonkurrenz und einer auf das Militärische konditionierten Öffentlichkeit aus Mangel an Action-Bildern militärischen Auftritten immer noch nicht den Rang ablaufen
kann, ist sie in Wirklichkeit zum weltweit geachteten Gütezeichen der rot-grün akzentuierten deutschen Außenpolitik geworden. Bei aller Kritik im Einzelnen bestätigt dies
auch die Friedensforschung in ihrem Jahresbericht.
Die Bundesregierung verankerte unter Federführung
des Auswärtigen Amtes Prävention als Neuansatz moderner Sicherheitspolitik im April 2000 in einem eigenen
Rahmenkonzept und machte dies auch zum Leitthema
des G-8-Außenministertreffens im Dezember 2000. Der
Europäische Rat hatte 1999 auf deutsche Initiative hin einen entsprechenden Aktionsplan beschlossen, ähnlich der
OSZE-Gipfel im selben Jahr.
Die praktischen Erfolge dieser Außenpolitik sind beeindruckend. Beispiel Balkan: Der deutsche Friedensplan machte der völkermörderischen Politik Milosevics
und dem umstrittenen NATO-Luftkrieg zugleich ein
Ende. Auf dieser Basis entstand, auch als Ergebnis einer
rot-grünen Initiative, der Stabilitätspakt - ein Musterbeispiel für integratives und auf Versöhnung ausgerichtetes
Post-Conflict-Peacebuilding.
Noch vor wenigen Monaten drohte in Mazedonien ein
weiterer grausamer Bürgerkrieg. Die Deeskalation ging
auch hier von der deutschen Außenpolitik aus und wurde
von der EU aufgenommen und umgesetzt. Zum ersten
Mal wurde ein drohender Bürgerkrieg auf dem Balkan abgewendet. Während die PDS das deutsche Engagement
als weiteren Beleg für eine rot-grüne Kriegslüsternheit
geißelte, feiert alle Welt diesen Einsatz als Paradebeispiel
für eine gelungene Kriegsverhinderungspolitik.
({1})
Beispiel Kampf gegen den Terror: Prävention begann
schon bei der Definition des Konflikts. Gegen die anfangs
dominante Meinung, der 11. September sei das Fanal für
den ersten Krieg der Kulturen, konnte eine präzise Definition des Problems, eine eingrenzbare Terrororganisation,
durchgesetzt werden. Das ist ein dramatischer Unterschied;
denn unsere Deutung beförderte nicht den Kampf der Kulturen, sondern einen Dialog der Kulturen, wie er bereits im
rot-grünen Koalitionsvertrag programmiert worden war.
Die intensive Diplomatie und die Kapazitätsausweitung im
Auswärtigen Amt zur Verstärkung des Dialogs mit der islamischen Welt folgen diesem Postulat. Als Anerkennung ihrer Leistung betraute die UNO die Bundesregierung mit der
Durchführung der Afghanistan-Konferenz.
Ohnehin wurden unter grüner Führung die Beziehungen zur Dritten Welt im Auswärtigen Amt neu definiert.
An die Stelle der zehn Jahre alten, viel zu allgemeinen und
wirtschaftslastigen Kontinentalkonzepte für Afrika, Asien
und Lateinamerika setzte das Auswärtige Amt nun spezifische Regionalkonzepte. Diese rücken auf regionaler und
subregionaler Ebene den politischen und kulturellen Dialog sowie die Entwicklungszusammenarbeit im Sinne eines erweiterten Sicherheitsbegriffs gezielt in den Vordergrund. Integration als präventive Sicherheitspolitik
schlägt sich den Staaten gegenüber nieder, die von anderen als Schurken oder gar als Achse des Bösen ausgegrenzt werden. Die Resonanz in den Regionen ist einhellig positiv.
Auch die eigene Infrastruktur für krisenpräventive
Politik wurde entscheidend verbessert. Das BMZ hat die
zivilen Friedenskräfte gegründet. Das Auswärtige Amt
hat nun einen eigenen Topf zur Kofinanzierung von friedenspolitischen Aktivitäten nicht nur der UNO, sondern
auch von Nichtregierungsorganisationen. Das „Zentrum
für internationale Friedenseinsätze“ ist nun in der Lage,
einen Personalpool aufzubauen und zu pflegen, den wir
für internationale Friedensmissionen brauchen.
Diese Politik der rot-grünen Bundesregierung gilt
weltweit in vielen Punkten als beispielgebend. Ich denke,
dass diese Regierung die Chance verdient hat, ihre Erfolge vier weitere Jahre lang zu konsolidieren.
Hildebrecht Braun ({2})
Ich danke Ihnen.
({3})
Dies war der letzte
Redner in dieser Debatte und damit auch der letzte Redner vor der Sommerpause.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/9150 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung und damit am Schluss der ordentlichen Sitzungen
dieser Legislaturperiode.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 12. September 2002, 10 Uhr,
ein: Dann steht die erste Beratung des Haushalts für das
Jahr 2003 auf der Tagesordnung.
Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Sommer und
- so der Wähler will - dass wir uns in freundlicher Atmosphäre und heiter wiedersehen. Alles Gute für Sie!
({0})
Die Sitzung ist geschlossen.