Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen! Ich
eröffne die 52. Sitzung, die erste reguläre Arbeitssitzung
des Deutschen Bundestages in Berlin, und heiße Sie
herzlich willkommen.
Ich freue mich, daß auf der Besuchertribüne viele
Frauen Platz genommen haben. Ich begrüße Sie alle sehr
herzlich. Sie sind vom Deutschen Bundestag eingeladen
worden, die heutige Frauendebatte mitzuverfolgen. Wir
fühlen uns Ihnen allen sehr verbunden, die Sie aus der
ganzen Bundesrepublik Deutschland, aus den Kommunalparlamenten und den Frauenverbänden kommen und
die Sie ehemalige Kolleginnen dieses Hauses sind.
Herzlich willkommen! Ich hoffe, daß wir eine gute Debatte zum Thema Frauenpolitik in der Bundesrepublik
führen werden.
({0})
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, teile ich
mit, daß die frühere Kollegin Ingrid Matthäus-Maier
zum 1. Juli 1999 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen
Bundestag verzichtet hat. Ihre Nachfolgerin, die Abgeordnete Ingrid Arndt-Brauer, hat am 1. Juli 1999 die
Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich
begrüße die neue Kollegin sehr herzlich.
({1})
Wir wünschen Ingrid Matthäus-Maier für ihre neue
Aufgabe alles Gute. Wir vermissen sie hier. Sie war eine
gute Kollegin des Bundesparlamentes.
({2})
Sodann möchte ich einer Kollegin und einigen Kollegen, die während der Sommerpause einen runden
Geburtstag gefeiert haben, nachträglich gratulieren. Ihren 60. Geburtstag feierten die Kollegen Hermann
Bachmaier am 5. Juli, Dankward Buwitt am 6. Juli,
Adolf Ostertag am 22. Juli, Bärbel Sothmann am
20. August und Dieter Schloten am 26. August. Den
neugebackenen Sechzigjährigen einen herzlichen
Glückwunsch!
({3})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte entnehmen Sie
bitte der vorliegenden Zusatzpunktliste:
1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Eichhorn,
Hannelore Rönsch ({4}), Wolfgang Dehnel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Bekämpfung
der Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland - Drucksache
14/1549 2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung der Bundesregierung zu den Äußerungen von
Bundesminister Hans Eichel, die künftige Förderung der
neuen Bundesländer mit deren Zustimmung zum „Sparpaket“ der Bundesregierung zu verbinden
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Otto
Solms, Hildebrecht Braun ({5}), Rainer Brüderle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Ordnungspolitisch vernünftige Steuergesetze verabschieden
- Drucksache 14/1546 4. Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Pieper,
Dr. Karlheinz Guttmacher, Joachim Günther, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs
eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes - Drucksache 14/1540 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Türk, Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.: Aufbau Ost muß weitergehen - Drucksache 14/1542 6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Dr.
Karlheinz Guttmacher, Horst Friedrich, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.: Verkehrsprojekte Deutsche Einheit müssen zügig realisiert werden - Drucksache 14/1543 7. Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren ({6})
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lilo Friedrich, Ernst
Bahr, Eckhardt Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Cem Özdemir, Marieluise Beck ({7}), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Migrationsbericht - Drucksache 14/1550 8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger,
Ulrike Flach, Horst Friedrich, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.: Jahr 2000-Problem - Unterstützung
zur Problemlösung - Drucksache 14/1544 Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Die Parlamentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag
Ich eröffne die Debatte. Als erster Rednerin erteile
ich der Kollegin Monika Knoche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! Sehr verehrte Gäste! Die erste reguläre Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im
Reichstag beginnt mit einem zentralen Menschenrechtsthema der Moderne: Bürgerrechte und Menschenrechte als Frauenrechte. Das Besondere an dieser Debatte ist, daß es sie überhaupt gibt.
({0})
Denn bei allen Würdigungen von 50 Jahren Verfassung
und Parlamentarismus in den vergangenen Monaten war
von einem nicht die Rede: von Frauen. Ich weiß, daß das
im allgemeinen immer so ist, und so wäre es auch im
Bundestag gewesen. Der Gedanke, der uns fünf Initiatoren bewogen hat, war nicht nur, das nachzutragen, was
vergessen wurde, um es damit zu komplettieren; nein,
wir werden von Politik im ganzen und von Frauenpolitik
im besonderen reden. Bei all diesen Reden wird sich
Unterschiedlichkeit zeigen. Es wird sich zeigen, daß das
gleiche Geschlecht die Frauen nicht gleichmacht und
uns als Politikerinnen das gleiche auch nicht gleich bewerten läßt. Wir halten politische Differenz und parteienübergreifende Solidarität aber für einen wunderbaren
Ausdruck gelebter Demokratie und staatsbürgerlichen
Selbstverständnisses.
({1})
Damit ist dazu dann auch genug gesagt.
Der Blick zurück auf 1949: Das neuentstehende
Staatswesen gab sich eine neue Verfassung. Es ist der
großen Sozialdemokratin Elisabeth Selbert und den vielen Frauen, die sie unterstützten, zu verdanken, daß es
diesen einen entscheidenden Satz gibt: „Männer und
Frauen sind gleichberechtigt.“ Damit ist das Grundgesetz Gesellschafts- und Geschlechtervertrag zugleich.
Der Weg dorthin war lang - wie in allen demokratischen
Aufbruchzeiten. Schauen wir zurück: Es war 1789,
1848, 1918 und im gewissen Sinn auch 1989/90 so. Immer wenn um Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit gefochten wurde und immer wenn das Verständnis von
Staat sowie das Verhältnis von Bürger im und zum Staat
neu festgelegt wurden, forderten die Frauen die gleichen
Rechte. Ziel und Zweck jedes politischen Zusammenschlusses sei - so nannte es schon vor 200 Jahren Olympe de Gouges - der Schutz der natürlichen und unveräußerlichen Rechte von Mann und Frau. So viel Feminismus gab es schon vor 200 Jahren.
An der Verfassung der Paulskirche kritisierte Luise
Otto, Frauen würden in Zeiten nationaler Identität vergessen. Die Hoffnung auf die Erfüllung der Versprechen
der Weimarer Republik war dann auch nur von kurzer
Dauer. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten
war alle Emanzipation vorbei.
Ich sehe, meine sehr geehrten Herren und Damen, die
Verankerung des Art. 3 nach 1945 im Grundgesetz als
nachholenden Erfolg früherer Frauenbewegungen. Ich
war aber geneigt, etwas zu übersehen: Es waren die
Frauen, die schon vor 1933 für Frauenrechte und Zivilgesellschaft einstanden und die dafür in der Nazizeit einen hohen Preis zahlten, die uns 1945 und 1949 zu diesem Gleichstellungsauftrag verhalfen.
Aber Art. 3 des Grundgesetzes war kein Resultat der
Auseinandersetzung mit der NS-Frauenpolitik. Ich habe darüber nachgedacht: Fügte sich der errungene Konsens in die Reihe mit dem Asylrecht, dem Antimilitarismus, dem Rechts- und Sozialstaatlichkeitsgebot ein?
Gründe dafür gab es genug. Ich betrachte hier nur das
Thema Mutterschaft: Die Überhöhung und zugleich Reduzierung der Frau auf die Rolle als Mutter bedeutete in
der Nazizeit für die einen Gebärpflicht und für die anderen die Zerstörung der Mutterschaft durch Zwangssterilisation und Abtreibung. Es gab sie, die spezifischen
Menschenrechtsverbrechen an Frauen, die dadurch eine
Abwertung bis zur absoluten Wertlosigkeit erlitten. Die
damalige grauenvolle Idee vom gesunden Volkskörper
konnte nicht ohne den Zugriff auf den Frauenkörper
verwirklicht werden.
Einen ungebrochenen Bezug auf die europäische Geschichte der Menschenrechte als Frauenrechte gibt es für
uns Deutsche nicht. Um so vorsichtiger mußte sich die
Verfassung des Themas Männlichkeit und Weiblichkeit
annehmen. Art. 3 des Grundgesetzes verstehe ich als
Ausdruck dafür, daß das, was männlich oder weiblich
ist, offengehalten worden ist. Zuständig dafür, Einschränkungen aufzulösen, sind Männer und Frauen gleichermaßen. Angenommen haben diese Aufgabe jedoch
maßgeblich nur Frauen. Dies führt zur Nachrangigkeit
und zu den bekannten Mühen der sogenannten Frauenpolitik.
Dennoch hat sich nach meiner Auffassung die Frauenbewegung in den letzten 50 Jahren Bundesrepublik
und Parlament zu der erfolgreichsten Bürgerrechtsgeschichte entwickelt. Was im Sozial-, im Zivil- und im
Strafrecht mehr an Recht und Gerechtigkeit erreicht
wurde, bedeutet eine gerechtere Gesellschaft. Ich bin der
Auffassung: Ohne die neue Frauenbewegung und ohne
die grüne Quote wäre das sicherlich so nicht gekommen.
({2})
Doch wer mag heute noch von Feminismus und Patriarchat reden, ohne als hoffnungslos, out of fashion zu
gelten? Ich halte manches dennoch für nicht überholt,
sondern sogar für Kernsätze: Das Private ist politisch.
Wir sind nicht als Frauen geboren, wir werden zu
Frauen gemacht. - Nichts davon hat seine Gültigkeit
verloren. Ich bin tief davon überzeugt: Nur wenn Frauen
im öffentlichen Raum Partei für Frauen ergreifen, für
Frauen, die Opfer und Verliererinnen sind, kann das individuelle Erleben als Unrecht und damit als gesellschaftlich veränderbar erkannt werden. Das gilt für die
eigene Kultur, und das ist in anderen Kulturen nicht anders. Es braucht diese weibliche Perspektive, es braucht
diese Zuspitzung, damit man überhaupt von allgemeingültigem Recht sprechen kann.
Aber wir haben heute auch die Möglichkeit, danach
zu fragen: Was ist denn eigentlich die weibliche Perspektive, was zeichnet sie aus? Heißt Gleichberechtigung, dem Manne gleich sein, der Mann als Muster,
die Frau - ja, als was? Männliche Politik muß bekanntlich nicht von Männern gemacht werden. Das können
Frauen auch. Zweifellos ist der für Männer vorgesehene
Lebensentwurf für viele Frauen sehr attraktiv. Er wird
auch von sehr vielen Frauen immer mehr gelebt.
Jetzt will eine junge Frau vollwertiger Soldat werden.
Sie klagt ihr Recht ein. Dazu zitiere ich aus der „FAZ“:
Es könne dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen,
wenn in der Wehrverfassung die Geschlechterdifferenz zum Ausdruck käme.
Da hat der Autor recht und auch wieder nicht. Warum
denkt man nicht umgekehrt? Wäre es nicht auch eine
Aufgabe, das enge Rollenverständnis vom Mann zu
überwinden? Schließlich ist Gewaltfreiheit kein weibliches Privileg, aber sie ist Ziel einer jeden zivilen Gesellschaft.
({3})
Wenn Frauen an Militär und Krieg gleichermaßen
aktiv teilnehmen, mag das Gleichberechtigung sein,
Emanzipation meint jedoch etwas anderes.
({4})
In bezug auf einen ganz allein weiblichen Bereich
kann ich aus Art. 3 des Grundgesetzes eine unterscheidende Rechtsstellung von Mann und Frau nicht herauslesen. Dennoch: In dem, was die Frau unauflösbar anders sein läßt als den Mann, nämlich ihre Gebärfähigkeit, haben Menschenrechte noch immer ein Geschlecht.
Ich will hier nicht noch einmal auf den § 218 eingehen; ich gehe darüber hinaus. Ich frage: Darf das allgemeine Menschenrecht als natürliches Recht der Frau mit
Verweis auf ihre biologische Natur gegen sie gerichtet
sein?
({5})
Oder anders gefragt: Kann der Mensch Frau Subjekt und
Objekt zweier konkurrierender Grundrechte sein, nämlich ihres eigenen auf körperliche und personale Integrität und des Grundrechts auf Leben, das Leben eines
anderen, das nur in und durch sie ist?
Meine Herren und Damen, ich frage damit auch danach, ob wir mit diesen Vorbedingungen überhaupt die
großen Herausforderungen der Zukunft fassen können.
Denn mit den sich rasch entwickelnden Erkenntnissen
und Eingriffsmöglichkeiten in das vorgeburtliche Werden des Menschen ist eine bislang nie gekannte menschenrechtliche Dimension eröffnet worden.
Einerseits betrifft das die ethischen und rechtlichen
Auswirkungen, die durch pränatale Diagnostik am Fötus
im Mutterleib entstanden sind. Sie verändern die Idee
vom Kind, weil die Frau Wissen über den genetischen
Zustand erhält, noch bevor sie sein Wesen kennt. Die
Entscheidungskonflikte und der Beziehungscharakter
verändern sich, und, wie ich meine, die Gesellschaftlichkeit von Selbstbestimmung der Frau verliert an allgemeiner Bedeutung.
Andererseits machen es reproduktionsmedizinische
Techniken möglich, Embryonen außerhalb des Mutterleibes entstehen zu lassen. Es ist generell möglich geworden, auf gentechnischem Weg festgestellte Merkmale des Menschen zum Bewertungskriterium dafür zu
machen, ob seine Weiterentwicklung gewünscht wird.
Es ist möglich geworden, in ganz frühe Entwicklungsstadien manipulierend einzugreifen. Erst dadurch, glaube ich, ist es zu einem Perspektivwechsel in der heutigen
Zeit gekommen: vom Kinderwunsch zum Wunschkind.
Noch etwas zu diesem Thema: Der Mensch hat heute
Instrumente zur Verfügung, Menschenteile für die Verwendung in der Medizin herauszubilden; man spricht
von „biologischem Material“. Weder die Forschung
noch ihre Anwendung ist in einer Welt der Globalisierung und insbesondere durch die Verbindung von Informations- und Gentechnologie letztlich begrenzbar.
Sie sprengt nationale und kulturelle Grenzen. Ich betrachte diese Entwicklung auch als eine Form der Entsinnlichung, der Entsexualisierung und letztlich der
Entleiblichung der Fruchtbarkeit der Frau.
Wir müssen als Parlament die aufgekommenen Fragen beantworten. Sie stellen sehr hohe grundrechtliche
und ethische Anforderungen. Noch keine Kultur und
keine Gesellschaft vor uns stand davor, daß durch die
Anwendung einer Technik der Begriff vom Menschen
selbst von seiner Auflösung bedroht ist. Das verändert
unser Verständnis vom Menschen, wie wir ihn seit
Menschengedenken kennen. Ab wann ist der Mensch
ein Mensch als Subjekt des Menschenrechts?
Mein Blick richtet sich auf die Frau. Mein Bezug darauf ist unsere Verfassung. Menschenrechte als Frauenrechte - das Projekt der Moderne verlangt von uns als
Parlamentarierinnen hochverantwortliche Entscheidungen für die Zukunft.
Meine sehr geehrten Herren und Damen Mitinitiatorinnen, ich freue mich, daß diese Debatte in diesem
Hause heute stattfindet. Ich bedanke mich insbesondere
bei Herrn Bundestagspräsident Thierse und den Mitautorinnen im Zusammenhang mit diesem Tagesordnungspunkt dafür, daß wir heute Gelegenheit haben, über
Menschenrechte als Frauenrechte in der Vergangenheit,
in der Jetztzeit und als Herausforderung für die Zukunft
zu sprechen. Insgesamt, glaube ich, sind sie eingebettet
in unsere Perspektive einer bürgerrechtlich-demokratischen Zivilgesellschaft. Wie wollen wir sie ausgestalten? Wie formulieren wir in Zukunft Menschenrechte als
Frauenrechte?
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß wir uns in einer parlamentarischen
Debatte befinden. Eine Folge des parlamentarischen Rederechts ist, daß Beifall im Plenum, aber nicht auf den
Besuchertribünen gestattet ist. Diese Regelung gilt im
übrigen auch für die Regierungs- und Bundesratsbank.
Es tut mir sehr leid, aber wir müssen die Spielregeln
einhalten. Wenn ich nicht darauf achte, beschweren sich
bei mir alle Geschäftsführer.
Das Wort hat die Kollegin Ulla Schmidt.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es zeigt sich ja, daß
dann, wenn Frauen einmal die Hauptrolle spielen, nicht
die ganze Welt auseinanderbricht, sondern daß vieles in
den bisherigen Bahnen weitergeht.
Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen und
liebe Frauen oben auf den Besuchertribünen, daß wir
den heutigen Tag miteinander begehen können. Ich bin
dankbar dafür. Ich halte das, was die Parlamentarierinnen der ersten Stunde hier gesagt haben, insgesamt für
eine Bereicherung unserer Parlamentsarbeit und unseres
Umgangs miteinander.
Ich weiß nicht, ob es allen aufgefallen ist, aber ich
betrachte es als ein gutes Zeichen, daß die erste Plenarsitzung des Deutschen Bundestages, nachdem der Deutsche Bundestag seine reguläre Arbeit in Berlin aufgenommen hat, mit der Debatte „Die Parlamentarierinnen
in 50 Jahren Deutscher Bundestag“ beginnt.
({0})
Es wurde heute schon deutlich gemacht, daß es an einem solchen Tag eigentlich naheliegt, daran zu erinnern,
daß nach unserem Grundgesetz Frauen und Männer
gleichberechtigt sind. Über die damit verbundenen
Hoffnungen, Erwartungen und die damit verbundene
parlamentarische Arbeit haben uns heute morgen - stellvertretend für viele andere - die Parlamentarierinnen der
ersten Stunde eindrucksvoll ins Bild gesetzt. Sie gaben
und geben uns allen auch heute noch ein Beispiel. Von
nichts kommt nichts. Nein, gesellschaftliche Gleichstellung der Geschlechter ergibt sich nicht durch den entsprechenden Artikel des Grundgesetzes, aus dem darin
enthaltenen Angebot, sondern daraus, daß wir ihn annehmen und ihn engagiert - wenn auch manchmal mühevoll und sehr langsam - umsetzen. Trotz jahrzehntelanger Bemühungen in diese Richtung fehlt unserer
Demokratie bis heute ein selbstverständliches gleichberechtigtes Mit- und Nebeneinander von Frauen und
Männern.
Wir haben gestern abend festgestellt: Wer die Reden
der Parlamentarierinnen zu Beginn der letzten 50 Jahre
mit denen vergleicht, die wir heute führen, der muß feststellen, daß sich in manchen Bereichen nicht viel geändert hat. Die Forderungen und die Wünsche sind die
gleichen geblieben. Das sollte uns Anlaß sein, dies von
Berlin aus zu verändern. So freuen wir uns einerseits,
daß der Bundestag im Reichstagsgebäude in seiner ersten Sitzung zu Beginn nur Frauen zu Wort kommen
läßt. Andererseits bleiben wir Frauen zu Recht skeptisch
und fragen: Ist es ein gemeinsamer Aufbruch? Oder
handelt es sich bloß um eine Geste?
Den Aufbruch können wir nur gemeinsam gestalten.
Allein ein Blick in das Plenum macht deutlich: Ein Anteil von 30 Prozent Parlamentarierinnen ist nicht genug.
Wenn ich auf die Regierungsbank schaue, dann muß ich
feststellen, daß heute dort zwar viele Frauen vertreten
sind. Aber auch hier könnte der Anteil der Frauen an der
Bevölkerung deutlicher als bisher repräsentiert werden.
Ich hoffe, daß das im Laufe der nächsten Jahre auch der
Fall sein wird.
({1})
Wir alle im Saal wissen: Nach 50 Jahren Grundgesetz
und parlamentarischer Demokratie können wir mit der
Umsetzung des schlichten Satzes „Männer und Frauen
sind gleichberechtigt“ nicht zufrieden sein. Carlo
Schmid hat 1949 frühzeitig und - wie wir heute wissen - leider zu Recht Zweifel an der Wirkung des
Gleichberechtigungsartikels geäußert: Die Gleichstellung der Frau auf allen Gebieten, so sagte er damals, sei
zwar im Grundgesetz proklamiert worden, aber der
„Umsetzung des Artikels in die Realität des individuellen, sozialen und politischen Lebens“ müsse absolute
Priorität eingeräumt werden. Das Ergebnis kennen wir
alle nur zu gut. Es dauerte 50 Jahre - leider sind wir bis
heute immer noch nicht fertig damit -, alle Gesetze und
Verordnungen vom traditionellen Frauenbild zu entrümpeln. Vieles wurde dabei nicht im politischen Meinungsstreit beschlossen; vielmehr mußte es - auch das wurde
schon heute morgen erwähnt - durch die obersten Gerichte erkämpft werden.
Es dauerte wirklich bis 1957, ehe das Bundesarbeitsgericht die sogenannte Zölibatsklausel, nach der einer
Frau nach der Eheschließung gekündigt werden kann,
als verfassungswidrig abschaffte. Erst 20 Jahre später
änderte die sozialliberale Koalition das Ehe- und Familienrecht. Für junge Frauen ist es heute unvorstellbar, daß
bis zu diesem Zeitpunkt eine Ehefrau die Zustimmung
des Ehemannes benötigte, um zum Beispiel erwerbstätig
sein zu dürfen. Wie nahe diese Zeit liegt, sehen wir daran, daß viele von Ihnen, so wie auch ich, zu diesem
Zeitpunkt schon verheiratet waren. Meine Tochter war
damals schon geboren, und heute kann sie sich nicht
mehr vorstellen, daß es so etwas gegeben hat.
In diesem Schneckentempo ging es weiter. Wieder
vergingen viele Jahre, bis Frauen auch nach der Eheschließung ihren Familiennamen behalten durften. Als
das geschah, schrieben wir schon das Jahr 1993. Ich war
damals in meiner ersten Legislaturperiode Mitglied des
Deutschen Bundestages. Ich erinnere mich - so, als wäre
es heute geschehen -, daß diese Debatte um das Namensrecht wirklich zu den heftigsten Beiträgen im alten
Wasserwerk geführt hat. Es war eine der seltenen Debatten, in der die Männer in der Überzahl waren. Das ist
bei Frauendebatten ansonsten nicht der Fall.
Ich konnte damals gar nicht verstehen, was die Herzen der Männer so tief bewegte und was sie so kämpfen
ließ. Sie machten Zwischenrufe und zeigten wirkliches
Engagement. Schließlich sagte eine der Kolleginnen zu
mir - ich sehe sie dort sitzen; ihren Namen will ich nicht
nennen -: Wenn sich Mann und Frau nicht entscheiden
Vizepräsidentin Anke Fuchs
können, ob die Kinder immer den Namen der Mutter
bekommen, dann hat das schon Konsequenzen. - Meine
Schwiegermutter macht mir bis heute Vorwürfe, daß ich
keine Söhne, sondern nur Töchter geboren habe. - Da
wurde mir klar, daß das neue Namensrecht dazu führen
könnte, daß es in Zukunft heißt: Warum hast du nur
einen Jungen geboren? Das neue Namensrecht trug dazu
bei, den jungen Mädchen mehr Chancen zu eröffnen.
Vielleicht lag darin der Widerstand der Herren im Parlament begründet, der sie zu so unmäßigen Debattenbeiträgen geführt hat. Diejenigen, die dabei waren, können sich daran vielleicht noch erinnern.
({2})
Nach der Wiedervereinigung gelang es uns - Ursula
Männle hat es eben schon erwähnt -, Art. 3 Abs. 2 GG
zu ergänzen. Auch wenn es nur ein Kompromiß geworden ist, ist der Staat nunmehr immerhin verpflichtet, auf
die Beseitigung bestehender Nachteile von Frauen hinzuwirken. Dies war einer der Punkte, wo Frauen über
Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg mit den Ministerinnen aus den Ländern zusammengearbeitet haben.
Wir waren uns einig: Wenn wir nicht alle unsere
Ziele erreichen können, dann müssen wir Frauen sehen,
wo wir uns auf einen Level einigen, den wir über Parteigrenzen hinweg vertreten. Ich bin froh, daß wir dies geschafft haben. Wir haben es nur geschafft, weil uns all
diejenigen, die in den entsprechenden Verbänden und
Organisationen - und heute zum Teil auf der Tribüne sitzen, dabei unterstützt haben. Daß dies auch weiterhin
geschieht, wünsche ich mir für die weitere frauenpolitische Arbeit.
({3})
Ich glaube, an diesen Beispielen wird deutlich, daß
zur Demokratie auch Gestaltung gehört. Demokratie
geht von Freiheit und Gleichheit aller aus. Aber das bestehende Geschlechterverhältnis, das Verhältnis der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, wird im Rahmen von Debatten über die Umsetzung von Demokratie
sehr selten thematisiert. Das Ungleichverhältnis wurde
und wird heute leider noch immer als gegeben hingenommen.
Dabei ist für mich eines ganz klar: Wenn ich von
Gleichheit rede, dann darf es kein natürliches Vorrecht
von Menschen eines bestimmten Geschlechtes mehr geben. Manche sagen dann vielleicht, das ist ja übertrieben, weil Demokratie und Gleichheit mehr beinhalten:
So wollen wir keine Benachteiligung von Menschen auf
Grund der Hautfarbe, der Zugehörigkeit zu einer Religion oder auf Grund anderer Merkmale. Aber dort, wo
Abhängigkeiten und Dominanzen vorherrschen - das
gilt immer, wenn ein Geschlecht über das andere
herrscht -, kann es kein freies und gleiches Verhältnis
der Menschen zueinander geben. Deshalb ist einer der
Kernpunkte der demokratischen Entwicklung eines Landes die Lösung der Geschlechterfrage. Wenn wir davon
ausgehend von Berlin aus genau diese Frage lösen, dann
wird dadurch die parlamentarische Demokratie im vereinigten Deutschland für die nächsten 50 Jahre zum
Blühen gebracht werden, wie wir alle es wollen; das haben wir gestern ja auch beschworen.
({4})
Deshalb beginnt mit unserer Arbeit hier in Berlin eine
neue Phase, keine Änderung der demokratischen Politik.
Ich spüre so stark wie nie zuvor, daß der nationalen
Politik Grenzen gesetzt werden, da sich Produktionsbedingungen, Arbeitsabläufe und Erwerbsbiographien mit
rasantem Tempo verändern, und daß all dies nicht ohne
Auswirkungen auf die sozialen Beziehungen von Menschen und Familien bleibt. Daraus ergibt sich, daß der
Kampf für die gleichberechtigte und eigenständige Teilhabe von Frauen an dieser gesellschaftlichen Entwicklung immer wichtiger wird, weil in Zukunft die eigenständige und gleichberechtigte Frau gerade angesichts
der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen ein sehr
starkes Fundament für die familiären Beziehungen der
Menschen untereinander sein wird. Das sollte uns wirklich anspornen und sollte eine der Hauptaufgaben dieses
Parlamentes sein. Es wird sehr viel davon abhängen, wie
wir diese Fragen diskutieren, welche Außenwirkungen
dieses Parlament hat und ob es uns gelingt, diesen Prozeß positiv zu gestalten und für die Frauen mittels der
gesetzlichen Rahmenbedingungen eine positive Entwicklung zu ermöglichen.
Ich bin in dieser Frage nicht pessimistisch, weil die
jungen Frauen wie die Generation meiner Tochter oder
die der Jüngeren sehr selbstbewußt sind und sehr viel
weiter sind, als ich es in diesem Alter war. Sie fordern
ihre Rechte ein, sehen aber das, was wir Altfeministinnen gefordert haben, nicht immer als richtig an; so glauben sie, ohne Quoten auskommen zu können. Ich würde
es ihnen wünschen. Ich erinnere aber nur an die sozialliberale Bildungsreform. Damals dachten wir Frauen, daß
uns dann, wenn wir erst den Zugang zur Bildung haben,
auch alles andere offenstehe. Leider war es nicht so!
Viele der jungen Mädchen sind gut ausgebildet oder
wollen, daß wir ihnen die Chance dazu geben. Sie fordern ihre Rechte ein, wollen einen Beruf und ein eigenes
Einkommen, wollen Kinder haben und einen Mann, der
sich das alles mit ihnen teilt. Die Aufgabe, die dem Parlament hierbei zukommt, ist, die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß die jungen Frauen
im nächsten Jahrhundert ihr Leben so gestalten können,
wie sie es wollen. Ich glaube, daß das ihren Familien
und der Entwicklung ihrer Kinder wirklich zugute
kommen wird.
({5})
Für die jungen Männer bedeutet das, daß von ihnen
mehr als von den Männern meiner Generation partnerschaftliches Verhalten gefordert wird. Das ist aber auch
gut so, denn wir alle wissen, daß sich nur dann etwas
ändern wird, wenn sich auch die Männer verändern und
auf die Frauen zugehen.
Ulla Schmidt ({6})
Mein Kollege Christoph Zöpel hat einmal auf die
Frage, was denn Zukunft sei, geantwortet: Zukunft sind
die Entscheidungen der Gegenwart, genauso wie die
Entscheidungen der Vergangenheit die Gegenwart
bestimmen. Insofern hat das Selbstbewußtsein der jungen Frauen von heute etwas mit der Arbeit der Frauen
und Mütter in diesem Lande zu tun sowie mit dem, was
wir in diesem Parlament und außerhalb der Parlamente
alles erreicht haben.
Wenn ich über die Zukunft dieser jungen Mädchen
nachdenke - Ursula Männle hat es angesprochen -,
wünsche ich mir eine Zukunft, in der Frauen und Männer gleichberechtigt miteinander arbeiten können, in der
es keinen Zweifel mehr gibt, daß Frauen gleichgestellt
sind, und in der niemand mehr erwartet, daß allein die
Frauen für die Erziehung und Betreuung der Kinder zuständig sind, sondern Väter begriffen haben, daß Kindererziehung und Familienarbeit genauso ihre Arbeit ist.
Wenn das so sein soll, dann müssen wir heute Entscheidungen treffen, dann gehört dazu, daß wir in der Arbeitsmarktpolitik Frauen wirklich eine Chance geben,
daß das Programm „Frau und Beruf“ auf den Weg
gebracht wird, daß es endlich ein Elternurlaubsgesetz
statt eines Erziehungsgeldgesetzes gibt, daß eine Steuerreform vorliegt, durch die tatsächlich die individuelle
Leistungsfähigkeit besteuert und die Förderung von
Kindern vor die Förderung eines Trauscheines gesetzt
wird,
({7})
und wir wirklich Perspektiven eröffnen. Da haben wir
eine ganze Menge zu tun.
Heute morgen hat Frau Agnes Hürland überlegt, ob
sie nicht lieber ein Mann geworden wäre. Dabei fiel mir
ein, daß auch ich nicht lieber ein Mann geworden wäre.
Aber vielleicht ist es an der Schwelle zum neuen Jahrhundert Zeit, daß wir neben dem Amt der Frauenministerin das Amt eines Ministers für Männerfragen einrichten, eines Ministers, der eine einzige Aufgabe hat,
nämlich die Emanzipation des Mannes, die zur Emanzipation der Frau gehört, wirklich voranzubringen und auf
sein Geschlecht einzuwirken, weil es nicht einzusehen
ist, daß wir alleine die ganzen Lasten dieser Aufgabe
tragen müssen.
({8})
- Herr Müntefering hat sich schon hingesetzt.
({9})
Es werden sich vielleicht viele bewerben. - Aber das
wäre ein Blick in die Zukunft. Ich bin sicher, der entsprechende Kanzler würde dann als Kanzler der Gleichberechtigung in die Geschichte eingehen.
Danke.
({10})
Ich erteile nun das
Wort der Kollegin Professor Rita Süssmuth.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Frauen und Männer
auf den Tribünen! Ich möchte zunächst sagen: Ich bin
froh, daß wir diesen Akt nach dem gestrigen Tag heute
hier durchführen. Da mögen viele sagen: Das hätten wir
doch auch nachlesen können, was die Frauen der ersten
Stunde uns hier berichtet haben. Gewiß hätten wir das
nachlesen können. Aber es geht hier um die Frage: Wie
kommen Frauen in der Öffentlichkeit vor, ganz besonders an dem zentralsten Ort der Demokratie, dem Parlament? Deswegen kann und sollte das nicht nachgelesen
werden, sondern im Sinne von authentischen Zeitzeugen
hier gehört und in der Republik verbreitet werden.
Warum ist mir das wichtig? Weil ich glaube, daß wir
alle - für mich war das jedenfalls sehr eindrucksvoll nachvollzogen haben, daß diese Frauen seit Beginn dieser Republik 50 Jahre lang - wir sagen: 40 plus zehn
Jahre, die vergangenen zehn Jahre haben wir gemeinsam
verbracht - immer das Ganze im Blick gehabt haben, die
verschiedensten Lebensbereiche. Ihr Ansatzpunkt war
die Demokratie. Deswegen rufe ich hier noch einmal in
Erinnerung: Als dieser Reichstag 1894 eröffnet wurde,
gab es ein Plenum ohne Frauen. Erst 1918 haben Frauen
hier Eingang gefunden. Sie waren sehr widerständig, als
es um die Machtergreifung ging. Sie haben nach 1945
eben nicht, wie viele behaupten, unpolitisch, entpolitisiert die Welt ihrem Schicksal überlassen, sondern am
Anfang dieser Republik stand der Kampf um Bürgerrechte, um Bürgerinnenrechte. Denn das, was sie während des Krieges und nach dem Krieg mitten in Ruinen,
oft als „Trümmerfrauen“ bezeichnet, als Vertriebene, als
Kriegerwitwen geleistet haben, steht dem, was Frauen
heute leisten, in nichts nach. Sie haben genausoweit gedacht, wie wir heute denken. Deswegen ist es wichtig,
das in Erinnerung zu rufen und uns bewußt zu machen.
({0})
In die Zukunft ohne dieses Wissen zu blicken macht nicht
nur vermessen, sondern leugnet auch die Fortschritte.
Heute morgen wurde gesagt, es sei langsam gegangen.
Für mich ist dieses Jahrhundert trotzdem revolutionär: in
bezug darauf, was in der Geschlechterfrage und in der
Frage von Geschlechterbeziehungen - übrigens weltweit
- in diesem Jahrhundert thematisiert worden ist.
Es geht - dies ist ein weiterer Punkt - auch um Menschenrechte. Deswegen müssen wir heute morgen noch
einmal das Bewußtsein für Teilhabe und Ausgrenzung
schärfen. Dabei ist die Ausgrenzung sehr oft latent. Es
wurde auf das Vereinsrecht 1908 hingewiesen. Als ich
in die Politik eintrat, habe ich mich wahnsinnig gestoßen
an den Berichten der Bundesanstalt für Arbeit, in denen
es immer wieder hieß: Besonders benachteiligt sind die
Randgruppen der Gesellschaft: Frauen, Behinderte und
Ausländer.
Auch wenn dieses Reichstagsgebäude die Inschrift
„Dem Deutschen Volke“ trägt, so war dies damals doch
Ulla Schmidt ({1})
sehr ausgrenzend. Wir dagegen sollten wissen: Wir sind
für alle da.
({2})
Auch die sogenannten Randgruppen gehören alle mitten
in diese Gesellschaft hinein.
Wenn es also im Parlamentarischen Rat um Teilhabe
versus Ausgrenzung ging, dann haben diese Frauen
mehr behandelt als eine Petitesse. Bei aller hohen Wertschätzung für Theodor Heuss als Demokraten und Präsidenten sage ich: Diesen Vorgang hat er - das hat Elisabeth Selbert in ihren Interviews mehrfach belegt - wie
eine Petitesse behandelt, mit Schmunzeln quittiert und
gemeint, die Frauen entfachten einen Sturm im Wasserglas. Die Geschlechterfrage sei eigentlich selbstverständlich und doch unwichtig, es gebe in dieser Republik wichtigere Fragen zu behandeln. - Nein, dies ist
eine zentrale Frage: Wie gehen Frauen und Männer miteinander um?
Zu der Frage von Gleichheit und Differenz, die damals ganz intensiv diskutiert worden ist, gehört ein
Weiteres: Wie gehen wir mit Unterschieden um? Der
Begriff der Gleichwertigkeit ist zentral, aber kann teuflisch sein; denn er ist immer wieder mißbraucht worden,
um aus Gleichwertigkeit Unterschiedlichkeit und Nachrangigkeit abzuleiten. So kam es, daß unsere Rechte
lange Zeit nicht selbstverständlich waren, sondern - wie
mehrere Vorrednerinnen betont haben - abgeleitet. Ich
sage: Es waren gewährte Rechte.
In der Tat war es so, daß Gleichberechtigung unter
dem Gesichtspunkt von Selbstbestimmung gegen
Fremdbestimmung betrachtet wurde. Selbstbestimmung
ist uns Frauen oft zum Vorwurf gemacht worden. Mal
hieß es: Das könnt ihr gar nicht verantworten; auch
wenn ihr im familiären Bereich alles verantwortet, in
den zentralen Fragen, wenn es um „Leben und Tod“
geht, geht das nicht. Mal ist gesagt worden: Ihr nutzt die
Selbstbestimmung nur zur Selbstverwirklichung. Ich
möchte heute morgen einmal die Frage stellen, welche
Frauen die Chance zu dieser egoistischen Selbstverwirklichung gehabt haben und ob sie dies in ihrer Mehrheit gewollt haben. Denn jeder sieht, daß dies in die
Isolation führt und daß neben dem Ich das Wir ganz entscheidend ist - aber nicht im Sinne von Unterordnung,
sondern von Gleichrangigkeit und Partnerschaft.
({3})
Von dieser Partnerschaft in der Gesellschaft sind wir
noch weit entfernt. Denn die Tradition ist bestimmt von
Herrschaft und Unterordnung. So hat auch die Weltpolitik ausgesehen: Sie war nicht nur von Ausgrenzung,
sondern von Herrschaft und Unterordnung bestimmt.
Die Ziele der Zukunft müssen heißen: Kooperation,
Partnerschaft, Miteinander. Sonst ist das Desaster in der
Welt vorprogrammiert.
({4})
Ich danke an diesem Morgen auch den Männern, in
meiner Fraktion jenen, die den Mut bewiesen haben,
sich der Frauenfrage anzunehmen. Denn damit konnte
man eigentlich keinen Blumentopf gewinnen.
({5})
Es ist gesagt worden: Wir brauchen die Frauen. Es
darf aber nicht nur heißen: „Wir brauchen sie“, sondern
es ist eine Erfahrung von Erweiterung und Bereicherung, wenn Frauen und Männer gemeinsam an diesem
Thema arbeiten.
Ich sage unserem Fraktionsvorsitzenden: Wir hätten
schon früher eine Generalsekretärin verkraften können;
({6})
wir hätten auch schon früher eine Präsidentschaftskandidatin verkraften können.
({7})
Kompetenzen haben den Frauen, insbesondere im Deutschen Bundestag, nicht gefehlt; es gibt sie reichhaltig.
Und die Frage: „Wo sind denn die Frauen, die sich interessieren?“ ist ein Killerargument, und wir sollten es
nicht länger gelten lassen.
({8})
Ich möchte diesem Parlament aber noch einmal sagen: Frauen haben wie die sie unterstützenden Männer
auch darauf geachtet, Eindimensionalität zu vermeiden.
Gerade gegenüber meiner Partei ist häufig gesagt worden: Ihr habt ein völlig rückständiges Frauenbild, bei
euch bewegt sich nichts. Ich denke, das, was wir miteinander gelernt haben, ist, daß es nicht genügt, nur einen
Bereich, den Erwerbsbereich, für die Frauen als den Ort
der Gleichberechtigung und Emanzipation zu sehen. Unsere Zukunftsaufgabe besteht vielmehr darin, den pluralistischen Lebenskonzepten und Lebensformen Gleichrangigkeit - und, wie ich sage, Gleichwertigkeit - zu
verschaffen.
({9})
Wir können nicht einen Bereich ausbauen und den
anderen vernachlässigen. Die Männer haben sehr früh
begriffen, daß Frauen in den Familien und im Ehrenamt
jenen sozialen Kitt in der Gesellschaft darstellen, dem
wir heute nachspüren und bei dem wir fragen: Wie stellen wir ihn eigentlich her? Denn keine Gesellschaft
kommt ohne das fürsorgliche, ohne das füreinander und
miteinander Eintreten aus.
Deswegen kämpfen wir dafür, daß Frauen in allen
Politikbereichen vertreten sind, aber wir werden weder
Soziales noch Familie, Kultur, Sport, Jugend, noch den
Petitionsausschuß aufgeben. Dabei denke ich an Frauen
wie Lilo Berger und Frau Nickels. Sie haben deutlich
gemacht, daß es wichtig ist, wie Bürgerbelange und
diejenigen, die sich besonders benachteiligt fühlen, in
unserem Parlament behandelt werden.
Zur Globalisierung. Lassen Sie mich noch einmal sagen: Ich wünsche mir sehr viel mehr Frauen in Gremien,
in denen über Globalisierung und Arbeitsplätze gesprochen wird. Ich bitte auch den Bundeskanzler, nein, ich
bitte ihn nicht nur, ich fordere ihn auf: Machen Sie darin
ihre Frauenministerin noch viel sichtbarer!
({10})
Die Frage von Zukunft der Arbeit ist eine Frage von
Frauen und Männern. Wir wissen: Bei der Bekämpfung
von Armut und Verstößen gegen Menschenrechte sowie
in der Familienplanung kommt kein Land ohne die
Frauen aus.
Es gibt zwar Bücher, in denen „Abschied von der
Männergesellschaft“ steht, aber wir sind erst am Anfang.
Wir brauchen wirklich partnerschaftliche Strukturen, in
denen die Leistungen der Frauen sichtbar werden und in
denen auch die Macht geteilt wird. Wir haben zwar unseren Anteil, wenn auch mühsam durch die Quote - die
meisten hätten es sich demokratisch, ohne Quote, gewünscht -, erweitert, aber heute ist es an der Zeit, die
Strukturen zu verändern und uns Frauen wirklich jenen
Gestaltungseinfluß zu geben, den wir brauchen, wenn
wir die Welt verändern wollen.
Wir wären in Fragen wie beispielsweise der Alterssicherung viel weiter, wenn dieses Thema schon früher
ein zentrales im Parlament gewesen wäre. Mit ein, zwei
Frauen in den Ausschüssen verändern wir die Wirklichkeit nicht. Dies setzt einen bestimmten Anteil an Frauen
und eine Priorität für das Thema voraus.
Wir sind jetzt auf dem Weg, aber wie lange sollen die
Frauen noch warten, bis ihre Arbeit zu eigenständiger
Alterssicherung führt? Dabei haben wir wichtige
Schritte in der Bewertung von Erziehungszeiten in der
Rente getan, aber wir können doch nicht bei drei Jahren
stehenbleiben.
({11})
Wie lange hat es gedauert, bis wir das überhaupt durchgesetzt hatten? Das war Mitte der 80er Jahre.
({12})
- Warten Sie ruhig einen Augenblick ab.
Ich habe eben schon gesagt, daß wir für rückständig
gehalten wurden. Heute sagt niemand mehr, daß Erziehungsgeld oder Erziehungsurlaub - beides hat die
CDU/CSU eingeführt - etwas Rückständiges seien;
vielmehr heißt es, das sei nicht genug. Ich erinnere
mich, wie wir dafür bekämpft worden sind. Nun sollten
wir dies gemeinsam weiter ausbauen. Auch müssen die
großen Debatten sowohl zur Bildungsreform als auch
zur Rentenreform hier stattfinden, und zwar am liebsten
ohne Vorliegen eines Gesetzentwurfes, damit wir nicht
polarisieren, sondern gemeinsam Lösungen suchen können, ohne daß jeder seine Vorbedingungen zur Voraussetzung für Zusammenarbeit macht.
Ein Letztes möchte ich sagen. Das große Thema, das
wir Frauen interfraktionell behandelt haben, war Gewalt: individuell, kollektiv, Gewalt als Instrument des
Krieges, Gewalt als Instrument der Beherrschung und
Unterdrückung im höchst privaten Kreis, Gewalt an
Kindern. Unsere Gesellschaft ist nicht weniger gewalttätig. Wir haben zwar ein Tabu gebrochen und das Unrecht in das Strafrecht einbezogen; aber die Zivilgesellschaft ist von Gewaltfreiheit noch weit entfernt. Deswegen glaube ich, daß es ganz wichtig war, das Thema
Gewalt in der Weise, wie wir es getan haben, hier einzubringen. Auch bei diesem Thema sind wir also auf
dem richtigen Wege.
Wenn ich abschließend sage, daß es jetzt um Veränderung der Strukturen geht, dann nenne ich folgende
Beispiele: Einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben wir in den 90er Jahren durchgesetzt. Wir
haben zwar zunächst die Individualrechte gestärkt, aber
nicht gleichzeitig die Strukturen verändert. Das gleiche
gilt für einen weiteren Rechtsanspruch, dessen Fehlen
die Frauen in den meisten Nachbarstaaten nicht begreifen: den Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung bei
Grundschulkindern.
({13})
Dies setzt sich in der Frage fort, wie wir mit den Familien- und Erwerbszeiten umgehen. Hier ist weit mehr
an Flexibilität der Arbeitszeiten möglich, als wir bisher
durchgesetzt haben. Zu den Strukturen gehört auch, daß
es keine Gremien mehr geben darf, die nicht ihren bestimmten Frauenanteil ausweisen. Ebenso genügt es
nicht, daß wir in der Bundesanstalt für Arbeit eine Frauenbeauftragte haben, wenn wir nicht Frauen, die in den
Familien gearbeitet haben, einen Rechtsanspruch auf
Fort- und Weiterbildung geben, der auch Zukunftsberufe
umfaßt; anderenfalls benachteiligen wir diese Frauen,
anstatt ihnen einen Bonus zu geben.
Die jungen Frauen werden erwarten, daß wir alte
Themen aufgeben. Aber die Wirklichkeit zeigt, daß wir
noch mit den alten Themen zu tun haben. Ich wünsche
mir für Frauen weiterhin nicht nur berufliche Qualifikation, Kompetenz und Selbstbewußtsein, sondern ich
denke auch an das, was hier heute morgen eindrucksvoll
gesagt wurde: Es muß ihnen selbstverständlich bewußt
sein, daß es keine Demokratie gibt, ohne daß wir uns in
ihr engagieren und für ihren Erhalt und Ausbau kämpfen. Wer meint, das Politische betreffe die anderen, er
oder sie selbst könne unpolitisch sein, darf sich nicht
wundern, wenn seine oder ihre Rechte verlorengehen
und nicht erweitert werden.
({14})
Liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich möchte darauf hinweisen, daß auch hier wie im alten Bundestag in Bonn - ein Signallämpchen
blinkt, wenn die Redezeit abgelaufen ist. Ich bitte Sie,
das zu beachten.
({0})
Das Wort hat nun die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste, sehr geehrte Damen und Herren auf der
Besuchertribüne! Wie meine Vorrednerinnen als Mitinitiatorinnen dieser heutigen Sonderveranstaltung freue
ich mich, daß Ihre Anwesenheit auf den Tribünen uns
die Möglichkeit gibt, sehr viel breiter und vielschichtiger das nach außen zu transportieren, was wir zur
Frauenpolitik und zu dem zu sagen haben, was Frauen
bewirken können. Denn wir befinden uns zweifellos an
einem Zeitpunkt, der markiert ist durch den Umzug von
Bonn nach Berlin - 50 Jahre nach der Konstituierung
des Deutschen Bundestages -, der eine Zäsur im Parlamentarismus sein wird. Wir bekommen nicht eine neue
Republik. Wir werden aber hoffentlich mit noch sehr
viel mehr Elan, Engagement und so mutig wie die Parlamentarierinnen in den ersten 50 Jahren Forderungen
und berechtigte Ansprüche von Frauen hier in diesem
Parlament artikulieren. Ich glaube, gerade wenn man
liest, was Frauen in den ersten 50 Jahren, in einem ganz
anderen gesellschaftlichen Umfeld, gefordert haben, wie
sie aufgetreten sind, wie sie sich in einer Minderheitenrolle ganz anderer Art als wir heute hier im Bundestag
durchsetzen mußten, wie sie in Wettbewerb um Positionen und wichtige Funktionen getreten sind, erkennt man,
daß das etwas ist, das uns noch heute Vorbild sein kann.
({0})
Dem sollten wir - ohne Rücksicht darauf, was das alles
nach sich ziehen kann - nacheifern.
Der Topos Frauen und Politik ist - das zeigt die
heutige Debatte - nach wie vor ein Politikum. Frauen in
der Politik werden nach wie vor als bemerkenswerte Erscheinung rezipiert. Ihre relative Unterrepräsentanz wird
von manchen als Resultat freier weiblicher Willensbildung, von anderen, zumal von Frauen, zu Recht als ein
Ergebnis einer hinsichtlich der Partizipationschancen
von Frauen verzerrten und deshalb veränderungsbedürftigen gesellschaftlichen Wirklichkeit angesehen. So
nimmt es auch nicht wunder, daß sich das Nachdenken
über das Wirken weiblicher Parlamentarier weniger auf
ihre Leistung bei der Lösung allgemeiner, geschlechtsneutraler politischer Probleme bezieht - wir haben heute
morgen noch einmal die Beweise dafür wahrnehmen
können, daß sie bei der Lösung solcher Probleme viel
gebracht haben -, sondern sehr viel mehr auf ihren Beitrag zur Änderung der zuungunsten der Frauen verzerrten gesellschaftlichen Realität.
Aus diesem frauenpolitischen Blickwinkel kann man
das Wirken unserer Parlamentarierinnen gewiß als Geschichte vieler kleiner, aber auch großer Erfolge nacherzählen. Nicht nur, daß - wie schon mehrfach betont der Anteil der Parlamentarierinnen von 6,8 Prozent im
Jahre 1949 auf jetzt über 30 Prozent gestiegen ist.
Schriebe man diesen etwa in der achten Legislaturperiode - 1976 bis 1980 - einsetzenden steilen Trend linear
fort, so würden wir in der 21. Wahlperiode, also zirka im
Jahr 2030, einen Anteil weiblicher Bundestagsabgeordneter haben, der dem Frauenanteil in der Bevölkerung
entspräche. Das ist noch ein langer Weg. Aber ganz so
schlecht ist das, was in den ersten 50 Jahren auf diesem
Gebiet geleistet wurde, nun auch nicht.
Es sind erhebliche Verbesserungen in der Rechtsstellung der Frau erzielt und versteckt oder offen diskriminierende Vorschriften aus unserem Rechtssystem
entfernt worden, was ohne die ständig gewachsene
weibliche Repräsentanz im Bundestag nicht - oder zumindest nicht derart durchschlagend - geschehen wäre.
Ich muß hier nicht die Bilanz aufmachen: Familienrecht,
ein verschärftes Recht beim sexuellem Mißbrauch, die
Reform des § 218 in über 30 Jahren, eine verbesserte
Rahmensituation für die Erwerbstätigkeit von Frauen
und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr
Ausbildung und mehr Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Vieles ist verbessert worden.
Nicht, daß frauenpolitisch nun nichts mehr zu tun
bliebe. Dennoch befinden wir uns in einem Zustand, der
Frauenpolitikerinnen schon eine gehörige Portion von
Scharfsinn abverlangt, um die bestehenden Lücken und
Unzulänglichkeiten in unserem Recht aufzuspüren, die gewollt oder nicht gewollt - den Frauen und ihren Mitwirkungs- und Entfaltungsmöglichkeiten zum Nachteil
gereichen. Das heißt, wir haben heute eine Situation, in
der die rechtliche Gleichberechtigung doch in weiten
Teilen in unserer Gesellschaft durchgesetzt worden ist,
und das ist eine erfreuliche Bilanz frauenpolitischer Erfolge der letzten 50 Jahre.
Können wir nun diese Konsequenz mit Genugtuung
und Zufriedenheit quittieren? Ich bin der Meinung, so
uneingeschränkt nicht, denn sie steht in einem deutlichen, ja geradezu in einem krassen Gegensatz zur Situation der Frau in unserer zivilgesellschaftlichen Wirklichkeit. Nüchtern müssen wir feststellen, daß sich trotz
der gestiegenen Anzahl von Parlamentarierinnen an der
faktischen Benachteiligung von Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen kaum etwas, vielleicht nur Akzidentielles geändert hat. Nach wie vor ist der gesellschaftliche Einfluß, den Frauen kraft ihrer gesellschaftlichen Position ausüben, marginal. An den Schaltstellen
von Macht und Einfluß, Wirtschaft und Wissenschaft,
aber genauso in Parteien und Verbänden wie in Behörden sind Frauen in den entscheidenden Führungsetagen
hoffnungslos unterrepräsentiert.
Nach wie vor sind es Frauen, denen Unabhängigkeit
stiftende Erwerbstätigkeit durch die ihnen auferlegten
Pflichten in Familie, Haushalt und bei der Kindererziehung unmöglich gemacht oder bis zur Unzumutbarkeit
erschwert wird. Nach wie vor sind es die Frauen, die
von ökonomischen Krisen, von Arbeitslosigkeit überproportional betroffen werden, und nach wie vor sind es
die Frauen, auf die der zynische Begriff der Reservearmee nicht ganz zu Unrecht angewendet werden kann.
Es ist also nicht von der Hand zu weisen, daß sich
hier ein Dilemma der Frauenpolitik andeutet, als sie sich
eben als machtlos erweist, wenn es über die Verbesserung der Rechtsstellung von Frauen hinaus um die reale
Veränderung traditioneller zivilgesellschaftlicher Strukturen und Verhältnisse zugunsten von Frauen geht.
Müssen wir vielleicht damit rechnen, daß trotz aller
Erfolge auf der politischen Ebene faktische Änderungen
zugunsten von Frauen an der Widerständigkeit tradierter
Verhaltensmuster und Rollenerwartungen und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Machtstrukturen
scheitern? Geraten wir in ein Dilemma, dem die zukünftige Frauenpolitik entweder durch einen kompensatorischen Aktionismus oder durch eine die freiheitlichrechtsstaatliche Grundnormen und Prinzipien mißachtende Radikalisierung ihrer Forderungen entgehen können will? Beides wäre schlecht, auf lange Sicht schlecht
für unser gemeinsames Anliegen.
Nicht alles, was vorgeblich und anscheinend den
Frauen zugute kommt, ist auch geeignet, diesem Ziel zu
dienen. Manches dürfte sich geradezu gegenteilig auswirken, und hier sei beispielhaft nur die im politischen
Raum angestellte Überlegung genannt, ein sogenanntes
Erziehungsgehalt für nichtberufstätige Mütter einzuführen. Wem es wirklich - aus welchen Gründen auch immer - um die Stärkung und den Erhalt der Familie, gerade auch der kinderreichen Familie, geht, der wird nach
frauenpolitischen Lösungen suchen müssen, die den gerechtfertigten Anspruch der Frauen auf Unabhängigkeit
und volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wozu
nun gerade die Erwerbstätigkeit gehört, mit einbeziehen,
und der wird nicht Wege beschreiten, die das eher erschweren oder versuchen unmöglich zu machen.
({1})
Versuche, durch Anreizsysteme Frauen auf ihre tradierte Rolle als Hausfrau und Mutter zu fixieren, werden
scheitern und an Unabhängigkeit und Teilhabe interessierte Frauen unwiderruflich in ihrem Drang bremsen,
Kinderreichtum zu bescheren.
Ebenso falsch wäre es allerdings, wenn sich die Frauenpolitik angesichts ihrer noch nicht ausreichenden
Durchschlagskraft radikalisierte und den Staat zum
Oberaufseher, zum Wächter oder Polizisten privater Lebensgestaltungen machte. So verständlich die Enttäuschung über die anscheinend unerschütterliche Rigidität
überkommener zwischengeschlechtlicher Zustände und
Verhältnisse sein mag - die zukünftige Frauenpolitik
wäre schlecht beraten, würde sie unter der Flagge der
Gleichberechtigung in die Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte der Bürgerinnen und Bürger, also der
Frauen und ihrer Lebenspartner, eingreifen. Die jüngst
geäußerte Idee, einen durchsetzbaren Anspruch auf Mitarbeit des Lebenspartners im Haushalt zu gewähren,
geht in diese Richtung. Auch das kann nicht der richtige
Ansatz einer zukünftigen Frauenpolitik sein.
({2})
Natürlich kommen wir auch künftig nicht ohne Frauenförderpolitik aus. Dabei setze ich auf Chancen, die
uns auch Europa bieten wird. Denn in anderen europäischen Ländern - schauen wir gerade einmal in die skandinavischen - gibt es einen ganz anderen Grad des
Selbstverständnisses und des Selbstbewußtseins, was die
gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen angeht. Als Beispiel sei hier das
selbstverständliche, kostengünstige Netz von Betreuungseinrichtungen - ich beziehe mich noch einmal auf
die skandinavischen Länder - genannt. Von daher ist
Europa auch für die Frage einer besseren Durchsetzung
der Gleichberechtigung von Frauen für mich eine Riesenchance. Wir müssen die Integration Europas nutzen,
um in einer Charta der Grundrechte, in einer europäischen Verfassung Frauen die Grundlage dafür zu geben,
daß sie auch unter Ausnutzung des Wettbewerbes der
europäischen Gesellschaften mehr für sich erreichen, als
es bisher der Fall war. Die Anregungen und Vorschläge,
die das Europäische Parlament macht, sind, denke ich,
sehr wohl geeignet, daß wir sehr fruchtvoll und sehr erfolgreich in der Zukunft wirken können.
Wir brauchen neben einer Politik für Frauen aber
auch eine Politik der Frauen.
({3})
Das heißt, daß Frauen sehr viel stärker, als sie es bisher
erfolgreich etwa beim § 218, bei Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes oder in der Frage der Vergewaltigung in der Ehe
getan haben, interfraktionell Meinungen bilden und das
auch auf Themenbereiche ausdehnen können, die nicht
auf den ersten Blick frauenrelevant sind. Dann können sie
versuchen, mit sehr viel mehr Druck und Einfluß den
Prozeß der Meinungsbildung voranzubringen.
Wenn wir uns manche Beratung der letzten Jahre anschauen und uns überlegen, was vielleicht anders entschieden worden wäre, wenn Frauen die Mehrheit im
Bundestag gehabt hätten, dann werden wir einsehen, daß
sehr viel früher eine steuerliche Freistellung des Existenzminimums erreicht worden wäre, daß sehr viel früher gerade die von meiner Kollegin und finanzpolitischen Expertin Gisela Frick ausgearbeiteten Vorschläge
zur Weiterentwicklung des Ehegattensplittings hin zu
einer Ergänzung um eine Familienkomponente in die
Gesetze Eingang gefunden hätten. Darauf hätten sich die
Frauen in der Mehrheit mit Sicherheit verständigt.
({4})
Auch die Verpflichtung des Staates zur Bereitstellung
einer ausreichenden Zahl von Kindergartenplätzen wäre
früher gekommen. Wahrscheinlich hätten wir die Gegenfinanzierung für kostenintensive sozialpolitische
Maßnahmen bei manchen gigantischen Projekten aus
anderen Bereichen gemeinsam gefunden. Die Bekämpfung des internationalen Frauenhandels wäre durch
einen sehr viel umfangreicheren Einsatz von Zeugenschutzprogrammen für die zur Prostitution gezwungenen
Frauen und durch einen flexibleren Umgang mit ausländerrechtlichen Bestimmungen mit Sicherheit früher verbessert worden. Es gäbe mehr Selbständigkeit von Frauen, weil es nicht die unberechtigten Vorbehalte gegenüber der Fähigkeit von Frauen gäbe, eine eigene wirtschaftliche Existenz zu gründen und dafür auch Unterstützung zu bekommen. Denn alle Untersuchungen zeigen: Frauen sind auf alle Fälle die pünktlichen und fristgerechten Rückzahler bei Darlehen, die sie im Rahmen
dieser Programme erhalten haben.
({5})
Wir hätten darüber hinaus schon längst den freiwilligen Dienst von Frauen in der Bundeswehr ermöglicht.
Wir hätten stärker nichtstaatliche politische Verfolgung
als Asylgrund anerkannt, weil das gerade Frauen betrifft,
die in Gesellschaften, in denen Menschenrechte und
Frauenrechte nicht beachtet werden, diskriminiert werden und deren Menschenwürde im Kern verletzt wird.
Ferner hätten wir vielleicht die Selbstmandatierung der
NATO zur Intervention in Krisengebieten und auch die
vorgesehenen Änderungen in der NATO-Strategie kritischer bewertet und hätten gefragt: Welche Konsequenz
hat eine Entscheidung, die man in einer schwierigen
Situation trifft, für die nächsten Jahre? Wenn wir uns
mit Ost-Timor beschäftigen, dann, glaube ich, merken
wir, wie in diesem Fall die Debatte anders geführt wird
als früher.
({6})
Mit dieser Liste nur beiläufig zustande gekommener
subjektiver Einschätzungen möchte ich zum Ausdruck
bringen, daß gerade politikrelevante, frauenspezifische
Haltungen und Wertungen vielschichtig sind und sich
nicht, wie es heute gern getan wird, auf das reichlich
verfängliche Stereotyp einer besonderen sogenannten
sozialen Kompetenz festlegen lassen.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.
Machen wir, meine Damen und Herren, eine Politik der
Frauen - und dann mit Überzeugung gemeinsam mit den
Männern in diesem Parlament, damit das, was wir alle
auf der Agenda haben, am Ende dieser Legislaturperiode
nicht mehr nur eine Vorstellung bleibt, sondern Realität
geworden ist!
Vielen Dank.
({0})
Jetzt erteile ich der
Kollegin Petra Bläss, PDS-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe ehemalige Parlamentarierinnen! Liebe geladene Frauen auf der Zuschauerinnenund Zuschauertribüne! Als vor 50 Jahren die ersten
Frauen im Deutschen Bundestag ihre Arbeit aufnahmen,
waren sie noch eine kleine Minderheit im Parlament. Sie
hatten gegen ein öffentliches Bild anzukämpfen, das
Frauen als Mütter und treusorgende Ehefrauen zeigte
und nicht als politisch und wirtschaftlich eigenständige
Personen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Dabei waren es die Frauen, die den Wiederaufbau nach
Kriegsende vorantrieben, die Trümmer wegräumten und
sozialen Zusammenhalt organisierten. Elisabeth Selbert
brauchte wäschekörbeweise Eingaben von anderen
Frauen, um im Grundgesetz wenigstens die verfassungsrechtliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen
durchzusetzen. Verfassungswirklichkeit wurde sie damit
noch lange nicht. Sie ist es bis heute nicht.
({0})
Das Frauenbild heute ist ein völlig anderes als vor
50 Jahren. Es ist bei weitem nicht einheitlich: Selbstbewußte, selbständige Frauen als Gewinnerinnen auf der
einen Seite stehen aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten,
ökonomisch abhängigen Verliererinnen auf der anderen
Seite gegenüber. Was hart erkämpft wurde und sich als
notwendiges Instrument für die Gleichstellung der Geschlechter erwiesen hat, erscheint vielen heute als alter
Zopf.
Frauenförderung und Quotierung, so höre ich oft,
seien Hilfsmittel für diejenigen, die es nötig hätten. Weit
gefehlt! Wenn wir nach der realen Verteilung von Macht
und Einfluß in der Gesellschaft fragen, zeigt sich, daß
wir seit Jahrzehnten Quoten haben. Die Männerquote
bei den Professuren beträgt über 90 Prozent, bei den
Führungspositionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst über 80 Prozent, in den allerhöchsten Führungspositionen sogar 97 Prozent. Auch die Bundesregierung liegt zu 75 Prozent noch immer in Männerhand.
Selbst hier im Parlament haben wir noch eine Männerquote von knapp 70 Prozent.
Zweifellos haben Mädchen und Frauen im Ausbildungssektor erheblich aufgeholt. Dennoch liegt die
Männerquote in besonders zukunftsträchtigen Studiengängen wie Maschinenbau, Elektronik und Informatik
bei rund 90 Prozent. Das bedeutet Ausgrenzung von
jungen Frauen aus zukunftsträchtigen Berufen. 1997 betrug die Männerquote bei den geringfügig Beschäftigten
25 Prozent und bei den Teilzeitbeschäftigten gerade
einmal 12 Prozent.
Helene Weber forderte in ihrer Rede im Deutschen
Bundestag am 2. Dezember 1949: „Wir verlangen und
erwarten gleichen Lohn für gleiche Leistung.“ Diese
Forderung hat bis heute nichts, aber auch gar nichts von
ihrer Aktualität verloren. Frauen verdienen noch immer
rund ein Viertel weniger als Männer; in einigen Branchen ist der Abstand noch größer. Selbst wenn sie die
gleiche Ausbildung haben, verdienen Frauen weniger als
Männer. Das Risiko von Akademikerinnen, Jobs weit
unterhalb ihrer Qualifikationsstufe annehmen zu müssen, ist doppelt so hoch wie das ihrer männlichen Kollegen.
Selbstverständlich erkenne ich auch die Erfolge an.
Ja, heute gibt es mehr Frauen in den Parlamenten, nicht
nur hier im Bundestag, als je zuvor. Frauen haben es bis
in die höchsten Ebenen geschafft. Zwei ehemalige Bundestagspräsidentinnen haben heute schon zu uns gesprochen. Ihnen und vielen anderen hat geholfen, daß die
neue Frauenbewegung der 70er Jahre die Politik ganz
entscheidend beeinflußt hat.
Meine Damen und Herren, Frauenpolitik ist zu einem
wahlentscheidenden Faktor geworden.
({1})
Ohne Quoten wären wir heute nicht so weit; denn kaum
ein Mann ist bereit, freiwillig auf Macht und Privilegien
zu verzichten. Frauen, die sich durchgesetzt haben, zahSabine Leutheusser-Schnarrenberger
len in der Regel einen hohen Preis. Sie passen sich entweder erbarmungslos dem männlichen Karrieremuster
an, oder sie gelangen nicht an die Spitze der Stufenleiter.
Dort nämlich ist kein Platz für Familie. Kinder gehören
noch immer nicht in die Welt der Karrieren.
Die Ellenbogengesellschaft dominiert. Werte wie Solidarität und ziviles Miteinander, ohne die unsere Demokratie nicht leben kann, bleiben auf der Strecke.
Auch wenn uns die Medien oftmals die zuckersüße Welt
des Lifestyle verkaufen wollen, ist es für mich ein Trugschluß, daß dies das Erstrebenswerte sein soll. Das hat
nichts, aber auch gar nichts mit der Realität hierzulande
zu tun.
({2})
Niemand ist hundertprozentig flexibel, verfügbar und
mobil. Tatsächlich gibt es nur wenige Frauen, die in der
Bundesrepublik trotz kleiner Kinder die Spitze dieser
Leiter erreicht haben. Der Anteil der Männer, die Erziehungsurlaub nehmen, liegt nach wie vor bei 2 Prozent.
Jüngste Untersuchungen zeigen, daß Männer im sogenannten Familienalter gerade ein Fünftel ihrer Zeit für
Familie und Freizeit aufbringen, vier Fünftel für den Beruf. Frauen im gleichen Alter müssen dagegen
60 Prozent ihrer Zeit für die Familie und können nur 40
Prozent für den Beruf verwenden.
Keineswegs kann man in der Arbeitswelt von heute
frauen- und familienfreundliche Rahmenbedingungen
erkennen. Doch die Vereinbarkeit von Berufsarbeit mit
Erziehungs- und Pflegearbeit ist der Dreh- und Angelpunkt des Geschlechterverhältnisses. Wenn Frauen nicht
um ihre Rechte kämpfen und Männer ihr Verhalten nicht
ändern, wird sich an diesem antiquierten Zustand nichts
ändern.
Zukunft ist für mich nicht in erster Linie mehr Gewinn, mehr Macht und mehr Prestige. Zukunft ist für
mich ein solidarisches und friedliches Miteinander. Zukunft ist für mich Chancengleichheit für alle, unabhängig von ihrer Herkunft.
({3})
Doch genau das wirft der derzeit Hochkonjunktur habende Neoliberalismus über den Haufen. Der Neoliberalismus als Idee ist ein in sich geschlossenes, scheinbar
unfehlbares System. Das macht ihn offenbar für viele
Menschen in Politik und Wirtschaft attraktiv und zugleich unangreifbar. Arbeitslosigkeit und Armut entstehen nach dieser Theorie prinzipiell dadurch, daß Reformen nicht konsequent durchgesetzt werden oder daß die
Menschen schlicht selber schuld an ihrem Schicksal
sind. Löhne sind nach dieser Theorie zu hoch, Sozialleistungen zu umfangreich und die Bedingungen für die
Unternehmen am jeweiligen Standort zu ungünstig.
Tatsächlich ist der Neoliberalismus nur eine Ideologie. Er beantwortet eben nicht eine der zwingenden globalen Fragen. Statt dessen sind die Menschen inzwischen weltweit zum Wettbewerb „Jeder gegen jeden“
gezwungen. Länder, die einmal Standortvorteile errungen hatten, versinken nach wenigen Jahren des Wirtschaftsaufschwungs wieder in Armut und Elend. Unternehmen wandern in noch billigere Länder ab.
Die Folgen tragen einmal mehr die Schwächsten.
Häufig sind es junge Frauen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen für sehr, sehr wenig Geld
14 Stunden am Tag - und das 7 Tage in der Woche - in
den Exportfabriken arbeiten müssen. Diese Frauen haben häufig keinerlei Rechte und können sich nur unter
sehr großen Gefahren organisieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Anzeichen
dafür, daß solche Verhältnisse global zur Normalität
werden. Gewerkschaftliche Errungenschaften wie Flächentarife werden in der Bundesrepublik zur Disposition
gestellt. In vielen Gebieten, vor allem in den neuen
Bundesländern, sind die Löhne längst ins Bodenlose gesunken. Stundenlöhne von 5 oder 6 DM sind keine Seltenheit, sondern Normalität. Am unteren Ende sitzen
Frauen, vor allem Frauen ohne deutschen Paß. Neulich
hörte ich von einem Textilbetrieb in Mainz, der portugiesischen Arbeiterinnen sage und schreibe 3,98 DM pro
Stunde zahlte. Für diese Frauen sind die Diskussionen
über die Ausweitung von Niedriglohnsektoren im Rahmen des Bündnisses für Arbeit der reine Hohn.
({4})
Soziale Ungleichheit ist im neoliberal bestimmten
öffentlichen Diskurs kein Problem, sondern soll sogar
für gesellschaftliche Dynamik sorgen. So will es die Logik der Marktkräfte. Doch ich frage mich oft, welche
Konsequenzen ein solches Denken für unsere Kultur
hat. Die kulturelle, soziale und wirtschaftliche Zukunft
unserer Gesellschaft wird entscheidend davon abhängen,
ob die junge Generation genügend Chancen hat, sich zu
bilden und auszubilden, und zwar unabhängig von Geschlecht, sozialer Herkunft und Staatsangehörigkeit. Der
Anteil von Studierenden aus unterprivilegierten sozialen
Verhältnissen ist in den letzten Jahren zurückgegangen.
Es sollte ein Alarmzeichen für alle sein, wenn ein Studium wieder denjenigen vorbehalten bleibt, deren Eltern
es sich finanziell leisten können. Ich bin fest davon
überzeugt, daß es ein Irrglaube ist, zu meinen, Demokratie sei allein nach dem Marktprinzip organisierbar.
Im Gegenteil: Soziale Ungerechtigkeit greift die Basis
unserer Demokratie an.
({5})
Wie zwingend es ist, um unsere Demokratie jeden Tag
aufs Neue zu ringen, haben wir am letzten Wochenende
bei den Landtagswahlen in Brandenburg erlebt: Eine
rechtsradikale Partei ist mit populistischen, menschenverachtenden Sprüchen auf offene Ohren gestoßen. Und alle
demokratischen Parteien haben den Ernst der Lage augenscheinlich zu spät erkannt. Um so mehr verpflichten uns
50 Jahre Grundgesetz, heute stärker denn je über Erhalt
und Weiterentwicklung der Demokratie im nächsten
Jahrhundert zu diskutieren und zu streiten. Dabei muß die
Teilhabe von Frauen zentral sein. „Eine Demokratie, die
Lebenslagen und Interessen von Frauen in der politischen
Praxis permanent ignoriert und die zugleich deren politische Teilhabe auf ein Minimum reduziert, steht auf
tönernen Füßen“, so die Sozialwissenschaftlerin Beate
Hoecker. Ich meine, sie hat recht. Eine demokratische
Gesellschaft muß sich also daran messen lassen, wie sie
soziale Sicherheit organisiert, wie sie Arbeit - und zwar
bezahlte und unbezahlte - verteilt und wie Ansprüche an
das Sozialprodukt entstehen, wenn die traditionellen Formen der bezahlten Arbeit seltener werden. Sie muß die
gesamte Lebensleistung von Frauen und Männern einbeziehen, wenn es um diese Frage geht.
Eine demokratische Gesellschaft muß sich daran
messen lassen, wie sie mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau verfährt. Die Diskussion um den § 218
des Strafgesetzbuches hat vielleicht an Lautstärke abgenommen, aber sie ist aktueller denn je. Denn in diesem Punkt ist das Selbstbestimmungsrecht einer jeden
Frau berührt.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hier im Parlament
sind gefordert, klare Verhältnisse für alle Frauen zu
schaffen und verfassungsfeste Wege zu finden, um diesen unseligen Paragraphen endlich aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.
({7})
Zu einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft gehört, daß Frauen sich frei entscheiden und daß sie über
ihr Leben selbst bestimmen können.
Die Frauenkonferenz des Internationalen Bundes
Freier Gewerkschaften stellte kürzlich in Rio fest, die
Globalisierung bedeute eine Katastrophe für Frauen.
Die jüngsten Wirtschaftskrisen hätten erneut unter Beweis gestellt, daß in erster Linie Frauen vom Arbeitsmarkt verdrängt werden. In Rußland zum Beispiel sind
70 Prozent der Arbeitslosen Frauen. In Brasilien kann
ein Drittel aller beschäftigten Frauen nur noch als Hausangestellte arbeiten - zu Niedriglöhnen und ohne soziale
Absicherung.
Im „Schröder-Blair-Papier“ lese ich: „Teilzeitarbeit
und geringfügige Arbeit sind besser als gar keine Arbeit.“ Vom Anspruch, qualifizierte und gut bezahlte Arbeit zu organisieren, rücken die Regierenden mehr und
mehr ab. Augenscheinlich geht es nicht in erster Linie
um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, sondern
vor allem um die Interessen der Wirtschaft. Ostdeutschland dient dabei hierzulande als arbeitsmarktund wirtschaftspolitisches Experimentierfeld. Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer hat nur noch die Hälfte der
ostdeutschen Frauen bezahlte Arbeit. Wenn es nach dem
Willen der Herren Biedenkopf und Stoiber ginge, könnten noch mehr Frauen zu Hause bleiben und sich um
Heim und Herd kümmern. Denn die Herren haben ausgemacht, daß die „ungebrochene Erwerbsneigung“ ostdeutscher Frauen schuld an der Arbeitsmarktmisere ist.
({8})
In der DDR waren 91 Prozent der Frauen berufstätig.
({9})
Auch wenn sich die meisten von ihnen bewußt für die
Berufstätigkeit entschieden hatten, waren in erster Linie
sie es, die die Haus- und Erziehungsarbeit zu erledigen
hatten. Aber die Frauen hatten eine eigenständige, sozial
abgesicherte Existenz. Davon sind wir heute weit entfernt.
({10})
Nehmen wir einmal die Renten. Noch immer erhalten 87 Prozent aller westdeutschen Rentnerinnen weniger als 1 500 DM aus der gesetzlichen Rentenversicherung, 42 Prozent gar weniger als 600 DM. Ich brauche
Ihnen nicht zu erklären, daß man von 600 DM im Monat
nicht in Würde leben kann. Frauen mit solch niedrigen
Renten sind entweder von ihren Männern oder von
Ämtern abhängig. Sie wissen alle, daß der Gang zum
Sozialamt gerade für ältere Frauen eine erhebliche Hürde darstellt.
Wir brauchen aber eine politische Kultur, in der jeder
und jedem klar ist, daß sie oder er ein Recht auf soziale
Existenzsicherung hat. Dieses Recht muß ein soziales
Bürgerinnen- und Bürgerrecht unabhängig von Geschlecht und Staatsangehörigkeit sein. Das - so scheint
mir - paßt in keine neoliberale Strategie. Wenn diese
Gesellschaft eine Zukunft haben soll, müssen wir eine
andere politische Strategie einschlagen, eine feministische Strategie. Die ist mehr als bloße Gleichstellungspolitik. Sie muß alle Politikfelder durchdringen. Soziale
Gerechtigkeit muß endlich Leitmotiv der Politik werden.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die 5. UNWeltfrauenkonferenz in Peking 1995 wird zu Recht als
Meilenstein im Kampf um die Rechte der Frauen bezeichnet. Auf ihr hat sich auch die Bundesregierung verpflichtet, der Diskriminierung von Frauen auf allen Ebenen ein Ende zu machen. Gertrude Mongella, die Generalsekretärin der 5. UN-Weltfrauenkonferenz, hat seinerzeit deren Beschlüsse als Ausgangspunkt einer sozialen Revolution und kritischen Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit bezeichnet. Ich denke, wir sind
gefordert, das jetzt endlich umzusetzen.
Ich danke Ihnen.
({12})
Nun erteile ich der
Bundesministerin für Frauen - ich nenne dies bewußt
zuerst -, Familie, Senioren und Jugend, Frau Christine
Bergmann, das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste!
Was Frauen in 50 Jahren Deutscher Bundestag bewegt
haben und was sie bei ihrem politischen Engagement
selbst bewegt hat, ist uns heute schon sehr eindrucksvoll
und für mich auch sehr bewegend vor Augen geführt
worden.
Für mich wurde aus dem Gesagten vor allem eines
wieder klar: Frauen ist auf diesem Weg nichts geschenkt
worden. Sie haben um jeden Zentimeter, den sie in unterschiedlichen Lebensbereichen an Boden gewonnen
haben, hart gerungen. Sie haben es für sich getan, sie
haben es für ihre Töchter in dem Bewußtsein getan, daß
eine menschlichere demokratische Gesellschaft die
gleichberechtigte Teilhabe von Frauen erfordert. Für
uns ist wieder klargeworden: Wir stehen immer auch auf
den Schultern unserer Vorgängerinnen. Ich bin sehr
dankbar für die Vorgängerinnen, die wir in dem Bereich
gehabt haben.
({0})
Ich möchte noch ein Stückchen weiter zurückgehen.
Vor gut 80 Jahren, am 19. Februar 1919, sprach erstmals
eine Frau, die Sozialdemokratin und spätere Begründerin der Arbeiterwohlfahrt Marie Juchacz, vor einem
deutschen Parlament. Wenige Wochen vorher konnten
sich die Frauen in Deutschland erstmals an Wahlen beteiligen und ihr für uns heute selbstverständliches
Wahlrecht ausüben.
Marie Juchacz begann ihre Rede mit der Bemerkung:
Ich möchte hier feststellen, daß wir deutschen
Frauen dieser Regierung, die das Frauenwahlrecht
einführte, nicht etwa in dem althergebrachten Sinne
Dank schuldig sind.
Was diese Regierung getan hat, das war eine
Selbstverständlichkeit; sie hat den Frauen gegeben,
was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.
Ich denke, das gilt noch immer für das, was wir haben
wollen und was uns noch immer zu Unrecht vorenthalten wird.
({1})
Inzwischen haben wir gelernt: Allein die rechtliche
Gleichstellung sichert noch nicht die gleichberechtigte
Beteiligung von Frauen an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Intervention - auch staatliche - ist nach
wie vor unverzichtbar, wenn es darum geht, Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern zu verwirklichen.
Ich möchte noch einige Bemerkungen zu etwas machen, das heute noch nicht zur Sprache gekommen ist:
Wenn wir heute den Blick auf 50 Jahre Wirken der Parlamentarierinnen im Deutschen Bundestag richten, dann
ist es für mich als eine Frau, die den ersten bis letzten
Tag der DDR miterlebt hat, wichtig, darauf hinzuweisen, daß wir Frauen in Deutschland uns in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen befunden haben. Das gilt
für die Zeit der Trennung, das gilt aber auch für die Zeit
danach. In einer Diktatur wie der DDR mit Scheinparlament, ohne politischen Wettbewerb von Parteien und
ohne die freie Wahl von Volksvertreterinnen und Volksvertretern stellt sich nämlich die Frage nach der Beteiligung von Frauen und nach ihrer Gestaltungsfähigkeit im
parlamentarischen Raum so nicht. Das Geschlecht derjenigen, die die ZK-Beschlüsse abnickten, war wirklich
nicht von Bedeutung.
In einer Gesellschaft wie der DDR, in der die Übernahme zum Beispiel von Leitungsfunktionen in der Regel nur um den Preis einer verstärkten Anpassung zu erreichen war, wurde der Geschlechterkonflikt durch andere massive Macht- und Unterdrückungskonstellationen überlagert.
({2})
Ein Blick auf die absolute Männerdominanz in den
die Geschicke der DDR bestimmenden Gremien zeigt
den Widerspruch zwischen der verkündeten Durchsetzung der Gleichberechtigung und der Weigerung, im eigenen Machtbereich damit ernst zu machen; ganz zu
schweigen davon, daß die Namen von Frauen der proletarischen Frauenbewegung, wie Clara Zetkin und Rosa
Luxemburg, zwar gern im Mund geführt wurden, es aber
für DDR-Bürger und -Bürgerinnen nicht unbedingt ratsam war, deren Vorstellungen einer menschlicheren Gesellschaft für die DDR zu reklamieren. Ich erinnere daran, wie es Demonstranten und Demonstrantinnen erging,
die Rosa Luxemburgs Wort von der Freiheit der Andersdenkenden auf ihren Transparenten vor sich hertrugen.
Ich glaube, es gehört auch zu dieser Stunde, daß man
daran erinnert, wie wenig Gestaltungsmöglichkeiten
Frauen in der DDR-Geschichte im parlamentarischen
Raum hatten - Männer übrigens auch nicht -; das ist
eben so in einer Diktatur.
({3})
Ich komme jetzt noch zu einem anderen Punkt: Auf
der anderen Seite gab es einen tatsächlichen Gleichstellungsvorsprung von Frauen in bezug auf Erwerbsarbeit; das wurde übrigens auch von allen Soziologen
konstatiert. Bis heute ist die Erwerbsquote von Frauen
in Ostdeutschland höher als die in Westdeutschland,
und im Rahmen des Transformationsprozesses sind
viele Frauen zu Haupternährern der Familie geworden.
Das Einkommen der Frauen macht heute in den neuen
Bundesländern knapp 50 Prozent des Haushaltseinkommens aus; in den Altbundesländern sind es etwa
30 Prozent. Das hat natürlich Einfluß auf die Geschlechterbeziehungen. Denn ökonomische Unabhängigkeit ist nicht nur für den Fall gut, daß eine Partnerschaft scheidet; sie ist auch für die Gestaltung einer
Partnerschaft gut.
({4})
Nicht umsonst weisen wir immer auf die Rolle der Erwerbsarbeit hin. Ich komme nachher noch darauf zu
sprechen.
Bei allen Schwierigkeiten, die ostdeutsche Frauen übrigens auch Männer - auf dem Arbeitsmarkt haben,
gibt es keine Hinwendung zu einem traditionellen Geschlechtermodell. Es spricht für das ungeheure Durchhaltevermögen und den wohlverstandenen Eigensinn der
ostdeutschen Frauen, wenn sie dem gewaltigen Druck,
sie an den Rand des Arbeitsmarktes oder gar hinaus zu
drängen, standhalten.
Was ostdeutsche Frauen nach der Wende erlebt haben, ist, historisch gesehen, nicht neu. Die Akzeptanz
weiblicher Erwerbsarbeit hing immer davon ab, ob
Frauen auf dem Arbeitsmarkt benötigt wurden oder
nicht. Wurden sie benötigt, war nämlich die passende
Ideologie immer da.
Damit sind wir an einem zentralen Punkt der Gleichstellung. Die Ursachen sowohl für politische als auch für
soziale Ungleichheiten, auf die ich hier im einzelnen
nicht eingehen kann, liegen vor allem in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und dem damit
zusammenhängenden Rollenverständnis. Das eine ist
untrennbar mit dem anderen verbunden. Deshalb ist es
so notwendig zu sagen, was wir an dieser Arbeitsteilung
und dem Rollenverständnis verändern müssen. Wir dürfen die Rückwärtsentwicklung nicht zulassen, daß die
Arbeitsteilung, die zu Lasten der Frauen geht, noch stabilisiert wird.
({5})
Noch immer gilt - das ist angesichts hoher Frauenerwerbsbeteiligung um so skandalöser -, daß Erziehungsund Familienarbeit in aller Regel von Frauen geleistet
wird. Während Männer den Rücken für ihre berufliche
Karriere freigehalten bekommen, haben Frauen im Konkurrenzkampf die schlechteren Karten, auch wenn ihnen
formal alle Möglichkeiten offenstehen.
Diskriminierungen abzubauen kann sich deshalb
nicht darin erschöpfen, daß wir den Frauen den Zugang
zum Arbeitsmarkt erleichtern, zum Beispiel durch verbesserte Qualifikationen; das ist natürlich auch wichtig.
Wir müssen endlich ernst machen mit dem so oft angemahnten neuen Geschlechtervertrag, mit der Veränderung tiefsitzender Rollenklischees und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung.
({6})
Da ich heute viel in dieser Richtung gehört habe, sollten
Frauen das nun gemeinsam vorantreiben.
Das ist Voraussetzung dafür, daß Frauen ihre Möglichkeiten auch umsetzen können. Aber wir wissen: Ein
solcher Bewußtseinswandel ist schwieriger durchzusetzen als zum Beispiel ein Existenzgründungsprogramm
für Frauen. Trotzdem werden wir hier nicht lockerlassen.
Wie das von Männern selbst eingeschätzt wird, kann
man von Daniel Goeudevert hören, einem Manager, wie
wir wissen, aus der Autoindustrie. Ich will Ihnen das
Zitat einmal vortragen; es ist nämlich sehr schön. Er
sagte vor einiger Zeit:
Ich halte Frauen inzwischen für sozial kompetenter
und teamfähiger als Männer,
({7})
sie kommen schneller auf den Punkt
- auch das haben wir alle schon erlebt und haben eine deutlich niedrigere Neigung zum
Geschwätz.
({8})
Aber Frauen
- so sagt er weiter kommen nicht durch, solange Männer ihnen den
Weg nach oben freimachen müßten. Und die werden den Teufel tun.
Ökonomisch ist die Benachteiligung von Frauen
kontraproduktiv. Auch das müßte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Warum wir hier nicht schneller
vorankommen, kann mir niemand erklären. Daß ein
hohes Qualifikationsniveau von Frauen und eine steigende Erwerbstätigkeit Katalysatoren für eine dynamische Wirtschaft sind, gilt heute ja nicht nur für die
entwickelten Industrieländer, sondern global. Wir
brauchen also einen Bewußtseinswandel, der dazu
führt, daß die Gleichstellung von Frauen in den Köpfen
der Männer ankommt. In dieser Beziehung haben wir
in Deutschland noch eine Menge zu tun. Deshalb haben
wir einen Schwerpunkt mit unserem Programm „Frau
und Beruf“ gesetzt, über das wir heute noch reden
werden.
Heute nehmen nur knapp 2 Prozent der Väter in der
Bundesrepublik Deutschland Erziehungsurlaub in Anspruch - und dies, obwohl viele Männer verbal durchaus
für mehr Gleichberechtigung bei der Kindererziehung
eintreten. Diese Kluft hat der Soziologe Ulrich Beck als
„verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“ bezeichnet. Wir wissen also, wo wir ansetzen
müssen:
({9})
Wir brauchen neben einer flexibleren Gestaltung des Erziehungsurlaubs, die wir jetzt angehen werden, eine
Kampagne zur stärkeren Einbeziehung der Männer in
die Erziehungsarbeit. Die Voraussetzungen, die Frauen heute mitbringen, sind so gut wie nie zuvor: Noch nie
hatten wir so viele qualifizierte Frauen in so vielen Bereichen. Noch nie hatten wir so viele Frauen, die sich in
die gesellschaftliche Debatte um die zukünftige Ausgestaltung der Arbeitswelt einmischen und die Chancen
der Umgestaltung für sich nutzen wollen.
({10})
Noch nie hatten wir so viele junge Frauen, die ihre
gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft als
selbstverständlich betrachten. Noch nie hatten wir so
viele Frauen, die über alle weltanschaulichen und politischen Grenzen hinweg bei ihrem Weg durch die männlich dominierten Institutionen Erfahrungen gemacht haben, die sie nachfolgenden Frauen vielleicht ersparen
möchten. Lassen Sie uns diese Erfahrungen nutzen, um
national und transnational neue Handlungsebenen in der
Frauenpolitik auszuloten, um den Blick auch auf Spielräume jenseits staatlicher Institutionen zu richten und
um auch neue Bündnisse zu schmieden; denn es gilt
noch immer, was Louise Otto-Peters vor 150 Jahren gesagt hat:
… die Geschichte aller Zeiten hat es gelehrt und die
heutige ganz besonders, daß diejenigen, welche
selbst an ihre Rechte zu denken vergessen, auch
vergessen werden.
Das wollen wir uns doch nicht nachsagen lassen.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Bärbel Sothmann.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Als Olympe de Gouges, die große
Kämpferin für die Rechte der Frauen in der Französischen Revolution, erklärte „Die Frau ist frei geboren“,
war dies für die damalige Zeit sensationell. Heute erscheint uns das selbstverständlich - dank der zahlreichen Vorkämpferinnen, die den Frauen den Weg zu
mehr Gleichberechtigung geebnet haben. Wir können
auf die Leistungen und Erfolge stolz sein, die Frauen in
den letzten Jahrzehnten in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erreicht haben. Unsere Vorreiterinnen in Sachen Emanzipation haben vor 80 Jahren
das Wahlrecht für die deutschen Frauen erstritten. Die
oft vergessenen Mütter des Grundgesetzes - das haben
wir heute schon gehört - setzten vor 50 Jahren gegen
ganz massiven Widerstand die Festschreibung der
Gleichberechtigung in Art. 3 unseres Grundgesetzes
durch.
Ich begrüße es deshalb sehr, daß wir anläßlich des
50jährigen Bestehens des deutschen Parlaments besonders an den Einsatz und auch an den Einfluß der Frauen
im Deutschen Bundestag erinnern. Wir danken den Zeitzeuginnen.
Ich erinnere hier - stellvertretend für viele - nur noch
einmal an einige herausragende Parlamentarierinnen der
vergangenen Jahre. Dr. Marie Elisabeth Lüders war
Alterspräsidentin des zweiten und dritten Deutschen
Bundestages. Sie war übrigens schon damals davon
überzeugt, daß ein gesamtdeutsches Parlament künftig
wieder in Berlin tagen wird - und sie behielt recht! Ich
muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin dankbar, daß ich
heute hier stehen darf.
({0})
Dr. Elisabeth Schwarzhaupt war von 1961 bis 1966
die erste Bundesministerin der Bundesrepublik. Aenne
Brauksiepe war von 1949 bis 1972 Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 1968 bis 1969 war sie Bundesministerin für Familie und Jugend. Dr. Helga Wex
war von 1972 bis 1986 Mitglied des Bundestags. Sie
war in der CDU Vorreiterin für die neue Partnerschaft
von Mann und Frau. All diese Frauen waren in allen
Politikbereichen aktiv. Das war wichtig.
Es ist gut für uns alle, daß der Einfluß von Frauen
in der Gesellschaft stetig wächst. Die „weibliche Sicht
der Dinge“ und das große Wissenspotential der zahlreichen, hervorragend ausgebildeten Frauen sind ein unschätzbares Kapital. Auch die 4. Weltfrauenkonferenz
in Peking zog das Fazit - es wurde schon einmal erwähnt -: Die Zukunft der Menschheit liegt in der Zukunft der Frauen.
Der Übergang in das neue Jahrtausend ist nur mit der
Kreativität von allen Mitgliedern unserer Gesellschaft,
von Männern und von Frauen, erfolgreich zu bewältigen. Nur eine partnerschaftliche Gesellschaft ist zukunftsfähig. Aber auf dem Weg dahin müssen wir noch
viele Defizite abbauen. Das haben wir schon gehört.
Wir müssen die Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt verbessern und sie darin unterstützen, stärker
als bisher auch die technischen Möglichkeiten der Wissens- und Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts
zu nutzen. Die adäquate Aus- und Weiterbildung von
Mädchen und Frauen in den Berufsfeldern des digitalen Zeitalters bleibt daher eines der wichtigsten Ziele
moderner Frauenpolitik.
({1})
Bereits frühzeitig müssen wir Mädchen mit technischen
und naturwissenschaftlichen Themen vertraut machen.
Vor allem im Multimediabereich besteht sonst die Gefahr, daß Frauen den Anschluß an die Zukunft verpassen.
Darüber hinaus gilt es - auch das klang heute immer
wieder an -, die teilweise noch immer beschämend geringe Repräsentanz von Frauen in den Entscheidungsgremien von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft
zu korrigieren und die Karriere von Frauen in diesen Bereichen zu fördern. Nutzen wir also die Chance, bei dem
in den nächsten Jahren anstehenden Generationswechsel
an den Hochschulen den Frauenanteil in den entscheidenden Stellen deutlich zu erhöhen.
Eine wichtige Voraussetzung dafür, daß Frauen ihre
Chancen auf dem Arbeitsmarkt optimal nutzen können,
ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Deshalb brauchen wir bedarfsgerechte Kinderbetreuungseinrichtungen und flexiblere, familiengerechte ArBundesministerin Dr. Christine Bergmann
beitszeiten und Arbeitsformen. Man kann das gar nicht
oft genug erwähnen. Entscheidend ist jedoch vor allem
ein Bewußtseinswandel. Unsere Gesellschaft muß begreifen, daß nur eine partnerschaftliche Arbeitsteilung
zwischen Männern und Frauen zu echter Chancengleichheit führt. Denken Sie daran: Demokratie heißt
auch Miteinander von Männern und Frauen.
Lassen Sie uns nun den Weg ins neue Jahrtausend
wagen, in dankbarer Erinnerung an unsere bekannten
und - auch das möchte ich sagen - an unsere unbekannten Wegbereiterinnen und mit viel Mut und Vertrauen in unsere eigene Kraft!
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat
die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen,
Kerstin Müller.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren!
Bei der Vorbereitung der heutigen Debatte bin ich - wie
so viele - auf ein Zitat gestoßen, das ich Ihnen nicht
vorenthalten möchte:
Als einzelne wirkt die Frau im Parlament wie eine
Blume, aber in der Masse wie ein Unkraut.
({0})
Dieser Satz - man findet wahrscheinlich noch viele solcher Blüten, wenn man die Protokolle durchschaut stammt von Dr. Michael Horlacher, Mitglied des Bundestages in der 1. und 2. Wahlperiode. Er war sicher
nicht der einzige Abgeordnete, der damals so dachte. Ich
bin mir trotz dieser sehr schönen Debatte auch nicht
sicher, ob diese frauenfeindliche Sicht heute tatsächlich
der Vergangenheit angehört.
Daß wir heute diese Debatte führen, zeigt mehr als
deutlich: Die Frauen der Frauenbewegung und auch die
Frauen im Parlament haben dieses Land geprägt und
verändert.
({1})
Ich möchte deshalb an dieser Stelle für meine Fraktion
zunächst allen Initiatorinnen für ihr Engagement danken,
ganz besonders auch meiner Fraktionskollegin Monika
Knoche, die mit anderen den Anstoß für die heutige
Sonderveranstaltung gegeben hat. Vielen Dank ihnen
allen.
({2})
In der ersten Wahlperiode - es wurde heute schon
häufig gesagt - gab es unter 410 Abgeordneten nur
28 Frauen. Heute sind allein 28 grüne Frauen Mitglieder
dieses Hohen Hauses.
({3})
Insgesamt sind wir 207 Frauen in diesem Parlament. Das
zeigt: Wir waren im Kampf um mehr Macht und um mehr
Einfluß erfolgreich. Diese rund 30 Prozent sind ein ganz
gutes Zwischenergebnis und zugleich der höchste Prozentanteil an Parlamentarierinnen seit Gründung der Bundesrepublik. Das zeigt aber auch: Unser Ziel ist noch
nicht erreicht. Wir wollen nach wie vor mindestens die
Hälfte von allem, also auch der Mandate, liebe Frauen.
({4})
Daß wir so weit gekommen sind, daran haben seit
1983 die Grünen einen ganz wesentlichen Anteil. Mit
der ersten Grünen-Fraktion kam nicht nur das erste Feminat, das heißt der erste nur mit Frauen besetzte Fraktionsvorstand, sondern die grünen Frauen haben von Anfang an ein wirklich wirksames Instrument - das wurde
heute schon das ein oder andere Mal angesprochen - zur
paritätischen Besetzung von Gremien und auch von
Parlamentsfraktionen durchgesetzt: die Quotierung.
Was sind wir - ich meine meine Kolleginnen der ersten
Grünen Fraktion - dafür verspottet worden! Heute hat
sich das geändert. Das ist mir auch in dieser Debatte
deutlich geworden. Um noch einmal klarzumachen, um
was es geht: Die Quotierung ist nicht, wie ihre hauptsächlich männlichen Kritiker immer noch behaupten, ein
Mittel der Bevorzugung von Frauen, sondern sie ist das
wirksamste Mittel, um die Benachteiligung von Frauen,
die immer noch vorhanden ist, Schritt für Schritt zu beseitigen.
({5})
Es ist richtig: Wir haben schon viel erreicht. Hier im
Parlament sind zum Beispiel von sechs Präsidiumsmitgliedern drei Frauen, auch in klassischen Männerdomänen finden wir Frauen: als Vorsitzende im Finanzausschuß, als Mitglied in der Wehrstrukturkommission, im
Präsidium des Bundesverfassungsgerichtes und an vielen anderen Stellen. Ich bin aber überzeugt, daß es immer noch ein weiter Weg ist, bis Gleichberechtigung
auch bei der Verteilung von Macht zur Selbstverständlichkeit wird. Das muß unser Ziel bleiben.
Chauvinismus und männliche Arroganz haben
Frauen in diesem Hohen Hause in den vergangenen
Wahlperioden zu spüren bekommen.
({6})
Ich möchte noch einmal über den Fall berichten, den
mein Kollege Rezzo Schlauch gestern schon angesprochen hat: Der Umgang mit der grünen Abgeordneten
Waltraud Schoppe, als sie vor einigen Jahren ein gesellschaftliches Tabu brach, indem sie erstmals in einer öffentlichen Plenardebatte Ehemänner als Verantwortliche
für häusliche Gewalt und eheliche Vergewaltigung anklagte - ich war zu diesem Zeitpunkt nicht im Parlament, aber ich habe mir dieses extra noch einmal in einem Filmausschnitt angeschaut -, war wirklich fürchterlich und ein ganz schlechtes Beispiel für den Parlamentarismus in diesem Hause. Sie wurde von den Kollegen ausgepfiffen, und das Präsidium hatte nicht wenig
Mühe, diese Tumulte wieder in den Griff zu bekommen.
({7})
14 Jahre danach haben wir in diesem Hause die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt. Das ist uns
gelungen, weil wir Frauen fraktionsübergreifend an einem Strang gezogen haben. Das ist, liebe Kolleginnen
und Kollegen, der Weg, der zum Erfolg führt; ihn müssen wir gemeinsam fortsetzen.
({8})
Auch wir jungen Frauen heute können auf diesen Erfolgen aufbauen. Junge Frauen machen die besseren
Schulabschlüsse und die besseren Examina. Sie blicken
ganz selbstbewußt in die Zukunft. Aber dann müssen sie
immer wieder feststellen: Sie verdienen nach wie vor oft
immer noch weniger als ihre männlichen Kollegen.
Wenn sie sich für eine betriebliche Ausbildung entscheiden, dann schrumpft die Auswahl der Ausbildungsberufe auf ganze 13 zusammen. Gerade für die
Frauen im Osten ist es ein schwerer Rückschritt, daß sie
überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Das heißt, Frauen sind nach wie vor benachteiligt, ob es
dabei um den Berufseinstieg, um berufliche Aufstiegschancen oder auch um eine eigene Alterssicherung geht.
Deshalb werden wir weiter für gleiche Rechte, für
gleiche Berufschancen, für eine eigenständige Alterssicherung, für die Gleichstellung lesbischer Paare und
nicht zuletzt für die gleiche Teilhabe an Macht und
Einfluß kämpfen.
({9})
Wir sind da sehr selbstbewußt. Dieses Lebensgefühl
fordert uns heraus und gibt uns Mut, weiter für Veränderungen zu streiten. Wir brauchen veränderte Arbeitsstrukturen. Wir müssen Erwerbsarbeit sowie Haus- und
Betreuungsarbeit neu organisieren, und zwar nicht mehr
so - wie es heute noch immer ist -, daß die Frauen zwei
Drittel der Arbeit machen und die Männer zwei Drittel
des Geldes, des Vermögens bekommen. Das Gleichberechtigungsgesetz, um das wir Frauen schon so lange
ringen, wird ein Meilenstein auf dem Weg dahin sein.
Ich möchte am heutigen Tag aber auch über den
Tellerrand des deutschen Parlaments hinausblicken: Es
sind sehr häufig Frauen, die weltweit das Überleben der
Familien sichern. In Afrika zum Beispiel wird ein Drittel
der Haushalte von alleinerziehenden Frauen geleitet.
Auch der Einsatz von Frauen für die Achtung der
Menschenwürde wird heute nicht hoch genug eingeschätzt.
Ich möchte an einige Frauen erinnern, zum Beispiel
an die Inderin Vandana Shiva, Trägerin des alternativen Nobelpreises. Sie setzt sich international gegen die
Ausbreitung der Biotechnologien in der Landwirtschaft
zur Wehr, weil diese das Überleben der Bäuerinnen und
Bauern in den Ländern des Südens bedrohen.
Ich erinnere an die Pakistanin Nafis Sadik, die 1994
die UNO-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo geleitet
hat. Sie hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, daß die
Begrenzung des Bevölkerungswachstums nicht auf Kosten der Gesundheit und der Entscheidungsfreiheit der
Frauen geht.
Unsere Aufgabe ist es, solche Frauen zu unterstützen.
({10})
Denn Frauenrechte sind Menschenrechte; das müssen
wir immer wieder deutlich machen.
Mit Gro Harlem Brundtland ist jetzt eine Frau Chefin der Weltgesundheitsorganisation geworden. Durch
sie besteht die berechtigte Hoffnung, daß die Lebenssituation von Frauen in den Ländern des Südens verbessert wird.
Außerdem - Sie werden es mir nachsehen, aber ich
möchte natürlich auch dieses Beispiel nennen - wird mit
Michaele Schreyer eine grüne Frau Wächterin des europäischen Haushaltes. Ich bin mir sicher: Wir können
uns darauf verlassen, daß sie den zum Teil äußerst fahrlässigen Umgang mit den Finanzen der Europäischen
Union zukünftig beenden wird.
({11})
Das ist eine Politik, die auch die Rechte der zukünftigen
Generationen im Blick hat.
Genau darum geht es in allen wesentlichen Fragen,
die wir in diesem Hause in den kommenden Wochen,
Monaten und Jahren diskutieren werden: bei der Konsolidierung des Haushaltes, bei der Rentenreform, bei der
ökologischen Erneuerung der Wirtschaft und beim
Gleichberechtigungsgesetz. Es geht immer um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft, die eben auch
entscheidend davon abhängt, welche Chancen Frauen in
dieser Gesellschaft haben werden.
Frauen sind Hoffnungsträgerinnen der Zukunft. Deshalb müssen die Frauen des Südens und wir Frauen des
Nordens die Aufgaben des dritten Jahrtausends gemeinsam in Angriff nehmen. Ich wünsche mir, daß wir Frauen im Deutschen Bundestag - auch über die Fraktionsgrenzen hinweg - dazu gemeinsam unseren Beitrag leisten.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ina Lenke.
Kerstin Müller ({0})
Sehr verehrte Gäste! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ein halbes Jahrhundert Einfluß von engagierten
Politikerinnen hat sich gelohnt. Liselotte Funcke und ihre Kolleginnen haben uns heute ihre Erfahrungen als
Parlamentarierinnen in bewegten Zeiten geschildert.
Mich hat das sehr beeindruckt. Liberale Frauen, zum
Beispiel in der ersten Wahlperiode des Deutschen Bundestages von 1949 bis 1953 Herta Ilk und Margarete
Hütter, haben ihren Beitrag geleistet, Frauenrechte im
Parlament zu erstreiten. Sie haben wie ihre Nachfolgerinnen zum eigenständigen liberalen Profil der Partei der
F.D.P. beigetragen und für das Ziel liberaler Frauenpolitik gestritten. Die wirkliche, vor allem selbstverständliche Teilhabe von Frauen in Politik und Wirtschaft
muß aber noch durchgesetzt werden. Das haben alle
Rednerinnen unterstrichen.
Ich denke, daß die Kluft zwischen Verfassungsanspruch und gesellschaftlicher Realität, die noch existiert,
nur dann überwunden werden kann, wenn mehr Frauen
im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, sich einmischen und damit anderen Frauen ein Vorbild geben, das
heißt Mut und Lust auf gesellschaftliches Engagement
wecken. In den vergangenen Jahren ist für Frauen vieles
erreicht worden. Was gab es nicht alles für Kuriositäten
im deutschen Recht! Kuppelparagraph, Kranzgeld oder
Gehorsam der Ehefrau per Gesetz wären hier zu nennen.
Das alles ist glücklicherweise Vergangenheit.
({0})
Allen Anfeindungen zum Trotz wurde besonders durch
den Einsatz unserer Kollegin Uta Würfel die Reform des
§ 218 in der zentralen Frage des Schwangerschaftsabbruches erreicht - ein Meilenstein in der Politik von
Frauen für Frauen.
Meine Damen und Herren, bei allen meinen politischen Aktivitäten habe ich immer wieder festgestellt,
daß besonders Frauen ermutigt und unterstützt werden
müssen, wenn sie in Politik einsteigen. Frauen scheuen
sich viel zu häufig, das öffentliche Interesse auf sich zu
ziehen und für ihre Überzeugungen auch öffentlich zu
streiten. Gerade wir Parlamentarierinnen im Deutschen
Bundestag wie auch in den Länderparlamenten müssen
eine solche Grundstimmung in der Gesellschaft herbeiführen, um weiteren Frauen den Weg zu bereiten, sich in
Politik einzumischen. Auch wir brauchen nämlich Nachfolgerinnen, und dafür sollten wir selber sorgen.
({1})
Welchen Aufgaben müssen sich Frauen im Parlament
heute stellen? Im Jahr der deutschen Einheit hat sich
vieles verändert. Ich war in den letzten Wochen in den
neuen Bundesländern und habe festgestellt, daß wir auf
zweierlei Ebenen denken müssen: Zum einen müssen
wir Politik für die Frauen in den neuen Bundesländern machen, zum anderen müssen wir Politik für die
Frauen in den alten Bundesländern machen. Manches
kann gemeinsam gemacht werden. Aber bei genauer
Betrachtung sollten wir die Tatsache, daß die Geschichte
die Frauen in den beiden deutschen Staaten unterschiedlich geprägt hat, in unsere Entscheidungen einbeziehen
und manchmal auch unterschiedlich entscheiden.
Vor allem die Frauen in den neuen Bundesländern
mußten ihr Leben neu einrichten. Veränderte Bedingungen in Arbeit - besonders bei Arbeitslosigkeit -, Familie
und Beruf sind seit der Wiedervereinigung für Frauen in
den neuen Bundesländern ein großes Problem. Dabei
ging der Transfer auch diesmal von West nach Ost. Das
kritisieren die Frauen in den neuen Bundesländern zu
Recht: daß wir nicht die guten Kinderbetreuungsmöglichkeiten übernommen haben, sondern unser System
übergestülpt wurde und das vorhandene sehr schnell
weggebrochen ist. Auch deshalb muß die Vollendung
der inneren deutschen Einheit eine ganz besondere Aufgabe von uns Parlamentarierinnen sein. Wir haben zwar
wenig Zeit; das politische Geschäft fordert uns. Aber wir
sollten Schwerpunkte setzen, und das sollte ein gemeinsamer Schwerpunkt von Frauen im Parlament sein.
Ich möchte noch auf eine weitere Sache zu sprechen
kommen: Die bestehende Vielfalt von Lebensgemeinschaften in unserer Gesellschaft, die sich in den letzten
Jahrzehnten entwickelt hat, muß von der Politik nun
endlich aufgenommen und berücksichtigt werden. Unser
Leitbild, das Leitbild der Liberalen, ist jegliche Art von
Verantwortungsgemeinschaft, in der Menschen füreinander einstehen und füreinander Verantwortung übernehmen. Dazu gehören für uns ganz selbstverständlich
auch die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften.
Auch die Frau, die mit ihrer Frau eine Lebensverbindung eingehen will, muß die nötige Unterstützung vom
Gesetzgeber haben. Unser Gesetzentwurf liegt dem
Parlament vor.
({2})
Es sind nicht nur die großen Fragen, die die Menschen, unsere Bürgerinnen und Bürger, bewegen, sondern es ist der ganz normale Lebensalltag, der immer
noch gesellschaftlichen und gesetzlichen Restriktionen
unterliegt. Der heuchlerische Umgang mit sogenannten
Randgruppen wie den Prostituierten, die zwar Pflichten,
aber nur wenige Rechte haben, muß auf den parlamentarischen Prüfstand. Daß auch Frauen das Recht haben
müssen, in der Bundeswehr gleichberechtigt Dienst zu
tun, mag manchem als Randthema erscheinen, für die
Betroffenen aber ist das kein Randthema; denn es handelt sich in Wahrheit um eine Diskriminierung und um
ein geschlechtsspezifisches Berufsverbot, welches der
sofortigen Aufhebung bedarf.
({3})
Ich möchte zum Schluß sagen: Ein wiederkehrendes
Ärgernis für mich - und sicher auch für andere Frauen ist das dauernde Störfeuer gegen § 218 StGB. Konservative Kreise und die katholische Kirche finden immer wieder Ansatzpunkte, den gesellschaftlichen Konsens, der in
§ 218 getroffen wurde, in Frage zu stellen. In dieser Woche werden wir uns wieder mit einer parlamentarischen
Initiative, die mit diesem Thema zu tun hat, befassen.
Dann werden wir sehen, wie die Diskussion abläuft.
Ich möchte noch kurz sagen - 4390
Frau Kollegin,
Ihre Zeit ist schon überschritten. Bitte greifen Sie keinen
neuen Punkt auf.
Dann mache ich Schluß.
Abschließend möchte ich mich bei den männlichen
Politikern bedanken, die Frauen fördern, die vielleicht
ihre künftigen Konkurrentinnen werden könnten.
Meine Herren und Damen, ohne Frauen ist kein Staat
zu machen. Lassen Sie uns weiter gemeinsam daran arbeiten.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Heidi Knake-Werner.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben heute
schon sehr viel über unterschiedliche Phasen gehört, die
Frauen in Parlament und Politik durchlebt haben. Ich
will mich auf eine ganz kurze konzentrieren, die für
mich und, wie ich denke, für meine Frauengeneration
insgesamt von entscheidender Bedeutung war und die
zudem die Gesellschaft insgesamt nachhaltig prägte.
Frau Professor Süssmuth hat vorhin von Revolution gesprochen; ich kann ihr nur zustimmen.
Der gesellschaftliche Aufbruch der 60er Jahre ermutigte viele Frauen nicht nur in linken Parteien, Gewerkschaften oder anderen kritischen Organisationen,
sondern gerade auch außerhalb solcher Institutionen -,
sich gegen Diskriminierung, zementierte Rollenaufteilungen und Gewaltverhältnisse zu wehren. „Ich habe abgetrieben“, „Mein Bauch gehört mir“, „Das Private ist öffentlich“ und „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ waren
nur einige Positionen, mit denen Frauen in der Öffentlichkeit auf Unterdrückung und Beschränkung ihrer eigenen Entwicklungsmöglichkeiten aufmerksam machten.
Sie machten sich gleichzeitig auf, ihre private Isolierung
zu durchbrechen, sich einzumischen und gemeinsam mit
anderen Frauen dem Alleinvertretungsanspruch der Männer eine selbstbestimmte Frauenidentität entgegenzusetzen. Der gleichberechtigte Zugang zu allen gesellschaftlichen Bereichen war ein Ziel, das Frauen - unabhängig
von ideologischen Differenzen - verband.
Aber gestritten haben wir uns natürlich reichlich und
auch nicht immer sehr produktiv. Anlässe für gemeinsames Handeln gab es jedoch mehr. Es waren oft nicht
die großen gesellschaftlichen Konzepte, die Frauen zusammenführten, sondern die alltäglichen Erfahrungen
mit dem Frausein in einer Gesellschaft, die durch und
durch männlich dominiert war. Das betraf die erwerbsarbeitenden Frauen ebenso wie die Frauen in der Familie. Frauen wehrten sich gegen ihre Reduzierung auf
Küche und Kinderzimmer. Sie forderten Chancengleichheit in Bildung und Beruf, traten gegen Doppel- und
Dreifachbelastungen auf und empörten sich darüber, daß
sie zwar nicht darüber entscheiden sollten, ob sie Kinder
haben wollten oder nicht, daß sie aber, wenn sie diese
hatten, allein und privat für ihr Großwerden verantwortlich sein sollten. Mit Frauenhausgruppen und Notrufen
für geschlagene und vergewaltige Frauen entstanden
Hilfekonzepte gegen öffentliche und private Gewalt.
Kulturelle Gruppen durchkreuzten die Ausgrenzung
feministischer Themen ebenso wie Frauenbuchläden,
Frauenverlage und Hunderte von Veröffentlichungen,
die das Frauenleben beschrieben.
Frauen aus der Wissenschaft und den Medien, Juristinnen und andere schlossen sich zusammen, weil sie
die Geschlechtsspezifik ihrer Arbeitssituation als diskriminierend - nicht nur für sich, sondern für viele
Frauen - erkannten. Streitbare Frauen zum Beispiel in
den Gewerkschaften und in der SPD - so ist jedenfalls
meine ganz persönliche Erfahrung - nutzten die relativ
eigenständigen Strukturen ihrer Organisationen zur
Entwicklung emanzipatorischer Gesellschaftskonzepte
und erzeugten damit bei den männlichen Altvorderen
nicht selten mehr Kopfzerbrechen als Veränderungswillen.
Die Stärke der Frauenzusammenschlüsse bestand
darin, daß sie nicht eine Ein-Punkt-Bewegung blieb,
sondern alle gesellschaftlichen Bereiche durchdrang.
Dazu gehörte auch, daß zur Lebensperspektive von
Frauen immer mehr die Berufstätigkeit gehörte. Die
Bildungsoffensive der ersten sozialliberalen Koalition
sowie der damalige Ausbau der sozialen Infrastruktur
beförderten die wachsende Berufsorientierung von
Frauen und trugen maßgeblich dazu bei, daß die Forderung „Wir wollen alles“ zum Selbstverständnis vieler
bewegter Frauen geworden ist. Um so härter - das will
ich auch sagen - traf uns alle, daß wenig später der
frauenfeindliche Roll-back einsetzte und vieles zunichte
machte, was wir damals so hoffnungsvoll begannen.
Wenn wir heute nach 30 Jahren Bilanz ziehen, ist
eines vermutlich unbestritten: Die Frauenbewegung hat
eine andere Perspektive in die politische Landschaft gebracht. Aber es ist auch unübersehbar, daß wirkliche
strukturelle Veränderungen in dieser Gesellschaft noch
nicht stattgefunden haben. Daß wir in diesem Parlament
mehr geworden sind, ist einerseits natürlich unserer
Kompetenz, Zielstrebigkeit und Zähigkeit zu verdanken,
andererseits aber auch der mehr oder weniger freiwilligen Erkenntnis unserer männlichen Kollegen geschuldet, daß ohne Frauen kein Staat mehr zu machen ist.
Daß die Erwerbsquote von Frauen ebenso wie ihr Bildungsniveau stetig angestiegen ist und Frauen auch in
Führungsetagen aufgestiegen sind, ändert leider nichts
an der Tatsache des fortbestehenden geschlechtsspezifisch geteilten Arbeitsmarktes, der Niedriglöhne und
prekäre Beschäftigungsverhältnisse vor allen Dingen
Frauen zuweist, sowie der Tatsache, daß sie nach wie
vor den Löwenanteil an unbezahlter Arbeit zu leisten
haben.
Daß nach 30 Jahren endlich die Vergewaltigung in
der Ehe als Gewaltdelikt strafbar geworden ist, ist ganz
gewiß ein Verdienst der Frauen. Das darf uns allen aber
nicht den Blick dafür verstellen, daß unter anderem mit
dem § 218 noch immer in ein selbstbestimmtes Leben
von Frauen hineinregiert wird.
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, patriarchalische Strukturen wirken fast ungebrochen fort und gefährden in der Tat die Zukunftsfähigkeit dieser Gesellschaft.
Frau Kollegin,
denken Sie bitte an die Zeit.
Ich komme zu
meinem letzten Satz. - Wie sagte sinngemäß schon der
alte Bebel? Der Fortschritt einer Gesellschaft mißt sich
daran, welche Entwicklungsmöglichkeiten den Frauen
geboten werden. Dafür, liebe Kolleginnen, haben wir
gemeinsam noch viel zu tun, auch schon jetzt und heute
als Tagesaufgabe.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christel Hanewinckel.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte, liebe
Frauen und Männer auf der Tribüne! Von den 50 Jahren,
in denen Frauen den Deutschen Bundestag und damit
die Bundesrepublik Deutschland mitgeprägt haben, habe
ich neun Jahre als Abgeordnete aus den sogenannten
neuen Bundesländern, nämlich als Abgeordnete aus
Halle an der Saale, miterlebt. Von Anfang an habe ich in
der Frauenpolitik mitgearbeitet. Das hat bedeutet, daß
ich habe mitgestalten können. Das hieß aber auch zu
kämpfen, Enttäuschungen in Kauf zu nehmen, begeistert
zu sein, selber Hoffnung zu haben und Hoffnung zu
wecken, Ermutigung zu brauchen. Das hieß vor allen
Dingen, zäh und penetrant zu sein.
({0})
Ich denke nur an das Kapitel § 218 und § 219. Mit der
deutschen Einheit galt in Deutschland zweierlei Recht.
Die unterschiedlichen Rechtslagen waren im Einigungsvertrag nicht geregelt worden; fast wäre er an
diesem zentralen frauenpolitischen Thema sogar gescheitert. Fünf Jahre dauerte es, bis wir 1995 den mühsam gefundenen Kompromiß endlich ins Leben bringen
konnten. Mit ihm kann und muß die Mehrheit der
Frauen leben - im Westen besser als im Osten.
Die Geschichte des § 218 ist sehr viel länger. Sie
steht dafür, daß Frauen in ihren Möglichkeiten, in ihren
Fähigkeiten und in ihrer Verantwortlichkeit stets von der
anderen Hälfte der Menschheit dominiert worden sind.
Trotz aller Festschreibungen in den Verfassungen der
beiden deutschen Staaten bis 1989, in denen stand:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, sind wir
von der tatsächlichen Gleichberechtigung und Gleichstellung noch weit entfernt. Beide verfassungsgebenden
Organe haben damals übersehen, wie gern Männer alle
Macht für sich in Anspruch nehmen.
Ein kurzer Exkurs in die Frauenbewegung der
DDR. Diesen muß ich heute hier vornehmen; denn von
der Frauenpolitik in der Volkskammer ist leider weder
etwas zu berichten noch viel davon zu erzählen. In der
DDR gab es eine Frauenorganistation, den DFD. Die
Gründung war ziemlich basisdemokratisch. Doch danach wurden seine Ziele - ein Kampf für die Frauen,
eine geschlechterspezifische Interessenvertretung der
Frauen - dem Einfluß der SED geopfert, bzw. die SED
hat über ihre Funktionärinnen ihren Platz im DFD eingenommen. Leitende Stellen wurden mit ihnen besetzt.
Mit dem Motto „Schöner unsere Städte und Gemeinden“
wurde die Arbeit des DFD mehr und mehr aus den Betrieben hinausgedrängt. Das Privatleben bzw. die Freizeit der Frauen sollte damit organisiert und strukturiert
werden; so wurden Beratungsstellen eingerichtet. Politisch hatte der DFD aber keinerlei Wirkung mehr. In den
80er Jahren war er im Grunde genommen völlig bedeutungslos.
Die magere Bilanz des Frauenbundes nach 40 Jahren
hieß 1987,
daß sich die Mitglieder, Frauen aus allen Klassen
und Schichten, von den Beschlüssen der Partei der
Arbeiterklasse in nie gekannter Weise angespornt
fühlen.
Die Frage ist nur: wozu? - Für Frieden, Freiheit und
Völkerverständigung.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will das nicht
nur karikieren, es war damals für die Frauen, die in der
DDR gelebt und gearbeitet haben, bitterer Ernst. Frauenpolitische Änderungen in der Gesetzgebung wurden
weder diskutiert noch von den Frauen wirklich vorangebracht. Es waren höchstens „Segnungen“ von oben:
Gleichberechtigung war angeordnet -, aber letztlich hielt
sich niemand daran.
In den 80er Jahren wurde der Widerspruch in der
DDR immer stärker. Frauen haben dagegen aufbegehrt,
daß sie plötzlich mit der „Muttipolitik“ beglückt wurden; sie haben dagegen aufbegehrt, daß sie im Verteidigungsfalle eingezogen werden sollten. Vor allem durch
die Gruppen „Frauen für den Frieden“ und den Arbeitskreis „Feministische Theologie“ in der evangelischen
Kirche hat sich in der gesamten DDR mehr und mehr
eine außerparlamentarische Gruppe organisiert.
Heute sitzen Frauen aus Ost und West mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen zusammen in einem deutschen Parlament - unterschiedlich sind sie vor allem in
einem Punkt: In der DDR war die Gleichberechtigung
Teil der Ideologie der SED; aber nie aus frauenpolitischen Interessen, sondern sie wurde da umgesetzt, wo es
für das Staatswesen, für die patriarchale SED sinnvoll
und nützlich war.
In der Bundesrepublik Deutschland hatten Frauenbewegungen Stück für Stück gegen eine vorherrschende
bürgerliche Ideologie gekämpft.
Diese unterschiedlichen Erfahrungen in 40 Jahren
machen es uns heute oft leicht, uns gemeinsam auf das
zu verständigen, was wir wollen, weil diese Erfahrungen
natürlich auch geprägt haben und weil für die Frauen im
Osten der Arbeitsmarkt ein Thema ist, das sie besetzen
wollen und bei dem sie dann auch Mühe haben zu sagen: Wir schaffen das nur, wenn wir uns auf Quotenregelungen und anderes einlassen.
An dieser Stelle haben die Frauen aller Parteien auch
hier im Parlament aus meiner Sicht noch einiges zu tun.
In der Gemeinsamen Verfassungskommission von
Bundestag und Bundesrat in der 12. Legislaturperiode
war die Ergänzung des Art. 3 durch den Zusatz: „Der
Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die
Beseitigung bestehender Nachteile hin“ ein wichtiger
Schritt hin zu einer tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter.
Der Obmann der CDU/CSU-Fraktion, Herr Jahn, hat
damals sehr laut und deutlich gesagt: Wenn ihr wirklich
eine tatsächliche Gleichstellung wollt, wenn das mit diesem Zusatz herauskommen soll, dann werde ich dem nie
und nimmer zustimmen. - Ich bin noch immer der Meinung, daß wir das tatsächlich wollen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine Damen und
Herren, wir sind auf dem Weg zu einer menschlichen
Politik. Die haben wir dann, wenn Männer und Frauen
tatsächlich in allen Bereichen gleichgestellt sind, aber
die tatsächliche Gleichstellung muß sich dann auch in
Zahlen widerspiegeln.
Wenn ich unseren Arbeitsbereich nehme, dann muß
sie sich in der Zahl der Frauen und Männer im Parlament widerspiegeln. Sie muß sich widerspiegeln in der
Anzahl der Ministerinnen und Minister, bei den Ausschußvorsitzenden, im Fahrdienst, bei den Sekretären
und Sekretärinnen, die die Abgeordneten und der Deutsche Bundestag haben. Sie wissen alle, wie dort das Gefälle ist. Die Gleichstellung muß aber auch deutlich
werden an den Ladenkassen, beim Erziehungsurlaub, bei
Lohn und Gehalt und in der Leitungsebene der Privatwirtschaft.
Wenn wir das alles geschafft haben und dort von
einer Gleichstellung reden können, dann können wir die
Frauenministerin abschaffen, dann können wir den frauenpoltiischen Ausschuß abschaffen. Wir werden dann
sehen müssen, ob wir den Männern dafür einen Platz
einräumen müssen, aber ich glaube es nicht, denn wenn
das geschafft ist, dann sind wir endlich so weit, daß
Frauen in allen Politikbereichen, in allen Lebensbereichen und in allen Arbeitsbereichen tatsächlich gleiche
Rechte haben und das mit durchsetzen, was für diese
Gesellschaft notwendig ist.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Gäste! Wir würdigen heute die Arbeit der Parlamentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag. Nicht länger
ist die Zeitspanne, in der ein gewandeltes Rollenbild der
Frau die Lebensplanung der Familie entscheidend verändert hat. Dazu ist heute schon vieles gesagt worden.
Meine Damen und Herren, unsere heutige gesellschaftliche Realität hat als Entwicklung erst im
Deutschland der Nachkriegszeit begonnen. War es früher selbstverständlich, daß Frauen die Hausfrauen- und
Mutterrolle als das wünschenswerte Ziel betrachteten,
haben heute eine qualifizierte Ausbildung und die Erwerbstätigkeit selbstverständlich den gleichen Stellenwert. Vielfach gründen junge Paare erst dann eine Familie, wenn beide Partner im Berufsleben Fuß gefaßt
haben und über ein ausreichendes Einkommen verfügen.
So muß moderne Familienpolitk dafür sorgen, daß
Eltern Beruf und Familienarbeit miteinander kombinieren können. Politik hat nicht die Aufgabe, Lebensmodelle vorzuschreiben, sondern Rahmenbedingungen für
die Wahlfreiheit des einzelnen und der einzelnen zu
schaffen, und so verstehen wir von der CDU/CSU die
Familien- und Frauenpolitik.
({0})
Die Bundesregierung unter Helmut Kohl hat vielfältige Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie auf den Weg gebracht. Ein Meilenstein war das
Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub.
Wir haben auch den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz verwirklicht und mit zahlreichen Initiativen, Modellprojekten und gesetzlichen Maßnahmen die
Rahmenbedingungen für familienfreundlichere Arbeitszeiten geschaffen. Eine entscheidende Voraussetzung
für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist die Anerkennung der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung.
({1})
- Ich denke, das ist wirklich den Beifall wert, weil das
damals bahnbrechende Entscheidungen waren.
1986 wurden die diesbezüglichen Bestimmungen
erstmals eingeführt. Seit 1992 werden drei Erziehungsjahre pro Kind anerkannt.
Moderne Familienpolitik muß natürlich den Erfordernissen unserer Zeit Rechnung tragen. Wir brauchen
noch mehr qualifizierte Teilzeitarbeitsplätze und flexiblere Arbeitszeiten für Mütter und Väter. Die Arbeitswelt muß familienfreundlicher werden. Das kann jedoch
die Politik allein nicht leisten. So fordere ich Arbeitgeber und Gewerkschaften auf, auch ihren Beitrag dazu zu
leisten. Im Blick auf einen Wandel der Arbeitszeit müssen wir die sozialen Sicherungssysteme so weit entwikkeln, daß sie sich den Veränderungen im Arbeitsleben
des einzelnen und vor allem dem Wechsel zwischen Erwerbstätigkeit und Kindererziehung anpassen. Ein weiterer Ausbau der Anerkennung der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung ist notwendig, damit
diejenigen, die Kinder erziehen - das sind überwiegend
Frauen -, eine eigenständige Alterssicherung aufbauen
können.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ohne ein gutes Kinderbetreuungsangebot nicht möglich. Wichtig
ist daher eine Betreuung von Klein- und Schulkindern,
die auf individuelle Arbeitszeiten abgestimmt ist. Die
andere Seite der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist
die Anerkennung der Arbeit in der Familie. Junge Familien wünschen sich einen Wandel der gesellschaftlichen
Einstellung, so daß Familien stärker respektiert und die
Leistungen in der Familie höher geachtet werden, als es
vielfach leider zu beobachten ist. Notwendigerweise gehört dazu die Anerkennung der Familienarbeit der Väter. Viele Väter würden zum Beispiel gerne Erziehungsurlaub nehmen, treffen aber auf Vorbehalte und
Unverständnis und lassen diesen Gedanken dann sehr
schnell wieder fallen. So ist es eine wesentliche Aufgabe
der Familienpolitik, diese Barrieren in den Köpfen abzubauen.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann nicht
länger ein frauenspezifisches Thema sein. Eine wirklich
partnerschaftliche Aufteilung der Aufgaben und der
Verantwortung in Beruf und Familie muß mehr und
mehr Lebenswirklichkeit werden.
({2})
Dazu Anstöße zu geben und die Schaffung geeigneter
Rahmenbedingungen zu erleichtern - das ist unsere
Aufgabe.
Verordnen lassen sich weder ein Wandel in der Einstellung noch Partnerschaft. Glücklicherweise wünschen
sich junge Paare Kinder, und wir wollen, daß sie diesen
Kinderwunsch auch wahrmachen können. Dazu ist aber
Voraussetzung, daß junge Familien frei beschließen
können, ob und wie sie Familien- und Erwerbstätigkeit
partnerschaftlich aufteilen. Wir wollen niemandem etwas vorschreiben, wollen aber die Rahmenbedingungen
für eine bessere Vereinbarkeit weiter ausbauen.
({3})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Verehrte Gäste! Zugegeben, in den letzten
50 Jahren hat sich für Frauen viel verändert. Das haben
wir unter anderem Waschkörben zu verdanken, Waschkörben, sonst Symbol für unbezahlte Frauenarbeit,
diesmal voller Briefe von Bürgerinnen, die 1949 ihre
Rechte einklagten und den Parlamentarischen Rat aufforderten, die Gleichberechtigungsklausel im Grundgesetz zu verankern. Der von Elisabeth Selbert für die Verfassung eingebrachte Satz „Männer und Frauen sind
gleichberechtigt“ ging damals den Männern zu weit.
Erst eine Woge weiblichen Emanzipationswillens erzeugte schließlich den Druck und führte zum Erfolg.
Das war das Fundament für viele frauenpolitische
Initiativen, und dafür danke ich den Frauen der ersten
Stunde.
({0})
1994 waren es wieder die Parlamentarierinnen, die
die Verpflichtung des Staates zur Durchsetzung der
Gleichberechtigung und zur Beseitigung bestehender
Nachteile als Staatsziel erreichten. Trotzdem können
wir uns heute nicht auf diesen Erfolgen ausruhen. Auch
im Deutschen Bundestag sind Frauen noch immer in
der Minderheit. Elisabeth Selbert hatte damals drei
Kolleginnen; das entsprach einem Frauenanteil von
knapp 6 Prozent. 40 Jahre mußten vergehen, bis die
10-Prozent-Hürde im Bundestag überschritten wurde!
In 40 Jahren gab es gerade einmal 4 Prozent mehr
Frauen!
Noch Mitte der 80er Jahre dominierte das „Gruppenbild mit Dame“. Mit dem Einzug der Grünen in den
Bundestag fand sich nicht nur die Frauenbewegung im
Parlament wieder; der Frauenanteil stieg rasant. Und mit
zeitlichem Abstand - der Herr Präsident hat es heute
morgen ein wenig anders gesagt - folgten die anderen
Parteien diesem Beispiel, so daß wir jetzt einen Frauenanteil von 30 Prozent haben. Quote sei Dank!
Der Bundestag ist zwar spürbar weiblicher geworden;
die tatsächlichen Entscheiderinnen sind Frauen jedoch
immer noch nicht. Alle drei Spitzenämter im Staate sind
wie 1949 mit Männern besetzt.
({1})
Ich möchte eine französische Feministin zitieren. Sie
sagt: Eine Demokratie, in der 50 Prozent der Bevölkerung, nämlich die Männer, die Entscheidungen treffen
und die anderen 50 Prozent, die Frauen, diese befolgen
müssen, ist die Karikatur einer Demokratie. - Ich finde,
da hat sie recht.
Dabei sind die Interessen der Frauen für die Politiker
kein Maßstab ihres Handelns - ich habe bewußt von Politikern gesprochen -, so zeigt zumindest eine Umfrage,
die Ende der 80er Jahre im Bundestag durchgeführt
wurde. Kein einziger männlicher Abgeordneter hatte
sich nämlich als Vertreter von Fraueninteressen bezeichnet. Politik nur für die Hälfte der Gesellschaft?,
frage ich da.
Politikerinnen haben in der Regel, auch wenn sie andere Schwerpunkte vertreten haben - das haben wir
heute morgen von den Parlamentarierinnen der ersten
Stunde sehr deutlich gehört -, immer die unterschiedlichen Auswirkungen eines Gesetzes, bestimmter Maßnahmen auf die Geschlechter im Auge gehabt. Politikerinnen haben auch neue Themen ins Parlament eingebracht: das Selbstbestimmungsrecht der Frau, sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder, genitale Verstümmelung, geschlechtsspezifische Verfolgung und
nicht zuletzt das Thema Sexualität.
Parlamentarierinnen haben aber immer auch ethische
Fragen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt, beispielsweise in den Bereichen Gen- und Reproduktionstechnologie, Biomedizin oder Transplantation. Ich erinnere mich sehr gerne an die Bonner Debatte um das
Transplantationsgesetz, wo wir maßgeblich durch unsere Kollegin Monika Knoche vertreten waren. Wie intensiv wurde diese Diskussion geführt!
Frauenpolitische Themen einten Parlamentarierinnen
häufig über Fraktionsgrenzen hinweg. Bei dem Gesetz
zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe wurde
dies am deutlichsten; denn es gab in allen Fraktionen
Männer, die Sonderregelungen für Ehemänner wollten.
Das muß man hier einmal ganz deutlich sagen. Darum
danke ich an dieser Stelle auch den Kolleginnen der
jetzigen Opposition. Sie haben Mut bewiesen, sie haben
dies gegen ihre eigene Regierungsfraktion durchgesetzt.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Frauenpolitik stoßen wir an Grenzen. Noch so gute Gleichberechtigungsgesetze, wie wir sie heute nachmittag besprechen werden, die den Frauen ihren Erwerbsarbeitsplatz sichern, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß
endlich auch eine Veränderung der Männer ansteht. Aus
der Frauenfrage muß eine Gesellschaftsfrage werden.
Deshalb bedarf es auch der Mitwirkung der Parlamentarier.
Liebe Kollegen, wir erwarten von Ihnen, daß Sie sich
zukünftig auch für die Interessen der anderen Hälfte der
Gesellschaft einsetzen, daß Sie es als ein Demokratiedefizit ansehen, wenn Frauen die gleichberechtigte Teilhabe verwehrt wird, oder daß Sie es als Problem der inneren Sicherheit empfinden, wenn der unsicherste Ort für
Frauen die eigenen vier Wände sind, und daraus für Ihre
politische Arbeit auch Konsequenzen ziehen. Denn ohne
eine Geschlechterdemokratie wird es keine wirkliche
Demokratie geben.
Als Zeichen für eine Demokratisierung der Gesellschaft galten vor 50 Jahren die Waschkörbe voller Briefe. Heute möchte ich Ihnen, meine Herren Kollegen,
symbolisch diese Waschkörbe überreichen.
Ich halte die von Ulla Schmidt vorhin vorgebrachte
Idee, das Amt eines Staatssekretärs für Männerfragen
einzurichten, für nicht schlecht. Männer müssen ihre
Kompetenzen und die Tatsache, daß sie Verantwortung
für Haus und Kinder tragen, beweisen können. Hier besteht ein großer Nachholbedarf. Wir sollten gemeinsam
daran arbeiten, dies umzusetzen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Ich erteile jetzt
der Kollegin Irmgard Schwaetzer das Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich begrüße alle
männlichen Kollegen, die sich noch in diesem Raum befinden, ganz besonders herzlich.
({0})
Nach einer Debatte von zwei Stunden fragt man sich
natürlich: Was bringt ein solcher Morgen? Ich finde es
gut, daß am ersten ordentlichen Parlamentstag in Berlin
eine Frauendebatte stattfindet. Aber allein die Tatsache,
daß die allermeisten und vor allen Dingen alle wichtigen
Männer - mit Ausnahme von Michael Glos natürlich ({1})
das Haus inzwischen verlassen haben, läßt mich fragen,
ob diese Debatte richtig angepackt worden ist und was
sie bringen soll.
Das führt natürlich zu der Frage: Warum sind keine
Männer mehr hier? - Liebe Kolleginnen, weil sie ganz
offensichtlich erwarten, daß wir mit dieser Debatte
nichts bewegen, und weil sie sicher sein können, daß sie
uns am Ende wieder in das einbinden, was sie in ihren
Männerklübchen sowieso vorgedacht und vorgestrickt
haben.
Lassen Sie mich den heutigen Rückblick deswegen etwas weiter spannen, als es heute morgen schon getan
worden ist. Es geht ja um die Parlamentarierinnen in den
letzten 50 Jahren. Ich möchte trotzdem ein paar Jahrzehnte weiter zurückgehen, nämlich in die Jahre der
Frauenbewegung. Vor ungefähr 150 Jahren hat Louise
Otto-Peters die Hausgehilfinnen agitiert. Das hat keinem
gefallen; aber sie hat eine Menge erreicht, nämlich daß
sich die Arbeitsbedingungen dieser sehr häufig unter sehr
schlechten Verhältnissen Beschäftigten verbessert haben.
Die Suffragetten sind für die Durchsetzung des
Wahlrechts ins Gefängnis gegangen. Lily Braun, Sozialdemokratin, hat für ihre Überzeugung mit ihrer gesamten Familie gebrochen, und viele andere auch. Helene
Lange und Gertrud Bäumer, die Begründerinnen der
bürgerlichen Frauenbewegung, waren durchaus geachtet, aber nicht geliebt, durchaus angefeindet, aber sehr
mutig und durchsetzungsstark.
Liebe Kolleginnen, alle diese Frauen haben sich das
Wort nicht zuteilen lassen; sie haben es sich für ihre
Überzeugungen genommen.
({2})
Sie sind an die Öffentlichkeit gegangen und haben sich
nicht einbinden lassen.
Ich möchte hier auch an Marie-Elisabeth Lüders erinnern; Liselotte Funcke hat heute schon von ihr gesprochen. Dieses Parlament hat zweimal eine Alterspräsidentin gehabt, nämlich 1953 und 1957, und zwar mit MarieElisabeth Lüders, einer streitbaren Liberalen, die bereits
1919 der Nationalversammlung angehört und von 1920
bis 1930 im Reichstag gesessen hat. Sie hat übrigens
schon damals dafür gefochten, daß das Schuldprinzip im
Ehescheidungsrecht durch das Zerrüttungsprinzip abgelöst wird. Das gefiel den liberalen Männern auch damals
nicht. Sie hat trotzdem weiter dafür gestritten; allerdings
ist dies erst sehr viel später umgesetzt worden.
Natürlich ist die heutige Situation damit nicht mehr
vergleichbar. Wir sollten uns aber bewußt sein, daß wir
bei unserer Arbeit auch auf dem aufbauen können, was
diese mutigen Frauen erreicht haben. Mein Plädoyer ist:
Vielleicht ist es gefährlich, daß es für uns heute etwas
einfacher ist. Wir sagen ja immer wieder, wir dürften
uns auf dem Erreichten nicht ausruhen. Ist das nicht
schon das Signal an alle Männer, daß nichts passiert?
Sicherlich, wir haben viel erreicht. Es gibt eine Menge
Ministerinnen. Die Zahl ist ständig gestiegen.
Es gibt noch mehr Staatssekretärinnen; es sind immer
mehr geworden. Aber jeder weiß: Staatssekretär ist die
Position Nummer zwei. Wir haben also vieles erreicht,
haben aber nicht die wirklichen Machtpositionen. Das
ist das Problem, liebe Kolleginnen, vor dem wir stehen.
Läuten wir eine neue Runde in der Diskussion um
Emanzipation und Gleichberechtigung ein, indem wir
die Machtfrage stellen! Bisher ist das, glaube ich, noch
nicht sehr nachdrücklich geschehen. Es soll auch nicht
in einer Weise geschehen, daß die Macht anschließend
nicht mehr geteilt werden soll. Ich glaube, wir sind klug
genug, daß uns klar ist, daß sie auch geteilt werden muß
- allerdings in anderer Weise, als Männer heute die
Macht mit Frauen teilen. Die Frage ist aber, ob wir das
wollen. Ich plädiere nachdrücklich dafür, jetzt die Kurve
zu kriegen.
({3})
Was brauchen wir dazu? Zunächst einmal brauchen
wir - ich glaube, das ist heute hinreichend deutlich geworden - das Wollen; wir brauchen aber noch etwas anderes, und zwar keine Gesetze, sondern Netzwerke. Wir
brauchen für solche Netzwerke das Vertrauen von
Frauen untereinander und die gegenseitige Förderung.
Ich meine vor allen Dingen ein Vertrauen untereinander
über die Fraktionsgrenzen hinweg.
Früher lautete das Schlagwort „Männerstolz vor Königsthronen“, mit dem Machtverhältnisse beschrieben
worden sind. Heute geht es um „Frauenstolz vor Männerthronen“. Laßt uns, liebe Kolleginnen, deswegen auf
einem solchen Weg aufbrechen! Ich denke, Gleichberechtigung erfordert diese Auseinandersetzungen. Niemand wird sie auf dem Silbertablett servieren. Nur,
wenn wir uns die Macht organisieren, dann werden die
Männer sie auch mit uns teilen.
Danke schön.
({4})
Vielen Dank. Das Wort hat jetzt die Kollegin Christina Schenk.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich begrüße es sehr, daß Vertreterinnen aller Fraktionen dazu beigetragen haben, daß die
heutige Veranstaltung in dieser Form stattfindet. Denn
aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen: Die Debatten, in denen sich Frauen fraktionsübergreifend verständigt haben, gehören zu den Sternstunden des Parlaments. Ich erinnere an das Ringen um die Strafbarkeit
der Vergewaltigung in der Ehe, in dessen Ergebnis ein
substantieller Schritt nach vorn für die Frauen in diesem
Land erreicht werden konnte. Ich wünsche mir einfach,
daß diese Verfahrensweise, dieses Vorgehen und dieses
Umgehen miteinander noch sehr viel selbstverständlicher werden, als es bislang der Fall war.
Allerdings muß man auch sagen: So wertvoll der
heutige Austausch unter uns Frauen auch ist, so mangelt
es in Parlament und Regierung ausgerechnet am wirklichen Interesse derjenigen, die einen immensen Nachholbedarf in bezug auf die heute angesprochenen Themen
haben. Ich verweise - wobei ich meine eigene Fraktion
allerdings ausdrücklich ausnehmen möchte - auf die
weitgehende Abstinenz unserer männlichen Kollegen in
der heutigen Debatte und auch darauf, daß der Bundeskanzler sein Wort vom „Gedöns“ bis heute nicht aus der
Welt geschafft hat. Angesichts dessen verwundert es
nicht, daß weder von der alten noch von der neuen Regierung wirklich entschiedene Schritte hin zu mehr Demokratie zwischen den Geschlechtern initiiert worden
sind.
Die Gesetzgebung ist in vielen Punkten hinter den gesellschaftlichen Entwicklungen zurückgeblieben. Während man sich in diesem Hause noch nicht einmal auf so
kleine Schritte wie beispielsweise die Abschaffung des
Ehegattensplittings verständigen kann, gestalten Frauen
heute ihr Leben längst nach eigenen Vorstellungen und
versuchen, staatliche Normierungsversuche zu umgehen.
Dies findet seine stärkste Widerspiegelung in der wachsenden Vielfalt weiblicher Lebensmuster. Frauen leben
heute zunehmend außerhalb tradierter Lebensformen: als
Single - mit oder ohne Kinder -, verheiratet oder in
nichtehelichen Lebensgemeinschaften, auch in lesbischen Beziehungen. Sie leben zu zweit, zu dritt oder zu
mehreren. Sie können das, weil ihre Teilnahme an der
Erwerbsarbeit ihnen die notwendige ökonomische Unabhängigkeit und das entsprechende Selbstbewußtsein
verschafft.
Der Beitritt der DDR hat dieser Entwicklung noch
einmal einen deutlichen Impuls verpaßt, und zwar in
umgekehrter Richtung, als es die meisten in diesem
Hause erwartet haben. Die Ostfrauen haben sich nicht
von den scheinbaren Verlockungen eines Lebens nur als
Hausfrau und Mutter einfangen lassen, sondern ihre Erfahrungen mit einem ganzheitlichen Leben, in dem beide Lebensbereiche, also Beruf und Kinder, einen Platz
haben, in den Westen eingebracht. Der subversiven Widerständigkeit der Ostfrauen haben wir es auch zu verdanken, daß heute niemand mehr ernsthaft bezweifeln
kann, daß der Osten bezüglich der Geschlechterverhältnisse der modernere Teil dieser Republik ist.
Entscheidend für die Situation von Frauen auf dem
Arbeitsmarkt sind die Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung. Solange sie so
unzureichend sind wie hierzulande, kann von Chancengleichheit von Frauen und Männern keine Rede sein.
Dieses Problem hat zwei Aspekte, von denen der eine
etwas vergessen wird. Zum einen müssen endlich die
Defizite in der außerhäuslichen Kinderbetreuung beseitigt werden, und zum anderen - das ist heute auch schon
mehrmals angeklungen - muß die Männerfrage zum
Thema werden. Kritische Männerforscher konstatieren
seit langem bei Männern in Sachen Familienarbeit eine
verbale Aufgeschlossenheit bei jedoch weitgehender
Verhaltensstarre. Es dürfte auch klar sein, daß man der
übersteigerten Erwerbsneigung der Männer nicht in erster Linie mit Werbekampagnen für ein neues Männerleitbild beikommt. Hier sind schon handfestere MaßDr. Irmgard Schwaetzer
nahmen wie beispielsweise die drastische Einschränkung der Überstunden erforderlich.
Meine Damen und Herren, wir sind als Parlament gefordert, nicht zuzulassen, daß die Kluft zwischen dem,
was notwendig ist, und der jetzigen Gesetzeslage immer
größer wird. Angesichts der Jahrtausendwende bleibt zu
hoffen, daß dieses Parlament endlich ernstzunehmende
Bemühungen unternimmt, damit diese Bundesrepublik
in der Geschlechterfrage den Anschluß an die Moderne
findet.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Angela Merkel.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Werte Gäste! Die Frage,
warum wir eine solche Debatte machen, ist heute schon
an vielen Stellen beantwortet worden. Es ist spannend zu
sehen, wie sich in 50 Jahren Lebensläufe verändern, wie
Dinge für uns heute normal sind, die damals schwierig
waren.
Aber die Debatte geht natürlich auch darum - Frau
Schwaetzer hat dies eben gesagt -, was uns dies alles für
die Zukunft sagt. Ich finde, daß eine nächste Debatte zu
dem Thema Geschlechter in unserer Gesellschaft vielleicht nur von Männern über die Frage geführt werden
sollte, was sich in ihrem Leben dadurch geändert hat,
daß sich bei den Frauen etwas geändert hat. Wahrscheinlich wäre sie kürzer, weil sich die hohe Belastbarkeit von Frauen als einer der wesentlichen Faktoren
auf dem Wege zur Gleichberechtigung vielleicht als
wirksameres Mittel als die Veränderungsbereitschaft der
Männer herausgestellt hat.
({0})
Weil Frauen dadurch, daß sie in die Politik, in die
Erwerbsarbeit, in die Selbständigkeit hineingegangen
sind, heute im Grunde das gesamte Spektrum des gesellschaftlichen Lebens abdecken, glaube ich, daß wir die
Probleme unserer Gesellschaft, die auch politisch zu lösen sind, dann besonders gut kennenlernen, wenn wir
uns mit der Lebenssituation von Frauen beschäftigen.
Die deutsche Einheit ist heute schon an vielen Stellen
angesprochen worden. Eines meiner ersten Erlebnisse
als Frauenministerin war, daß ich, als mir in NordrheinWestfalen vorgehalten wurde, daß nun die Ostfrauen
mehr Rente kriegen als die Westfrauen, im Brustton der
Überzeugung sagte, das sei normal, denn die hätten auch
gearbeitet. Schlagartig gab es ein Getöse im Saale, und
mir wurde klar, daß der Begriff „Arbeit“ in unserer Gesellschaft ein außerordentlich restriktiver ist und daß
durch die deutsche Einheit plötzlich die Frage, was ein
sinnerfülltes gearbeitetes Leben ist und wie diese Art
von Arbeit bewertet wird, wieder offen ist. Wir werden
uns auch seitens der CDU und CSU weiterhin mit diesem Thema beschäftigen. Es ist wichtig, für die Zukunft
zu sagen: Was ist Arbeit in unserer Gesellschaft, und
wie kommen wie in dieser Richtung weiter?
({1})
Wenn wir über die Schlüsselrolle und die Lebenssituation von Frauen sprechen, will ich noch auf einen
zweiten Aspekt der deutschen Einheit hinweisen, der
noch nach zehn Jahren völlig unbearbeitet schlummert
und zu großen geistigen oder emotionalen Eruptionen
führt. Es ist die Frage: Wer erzieht wann wie seine Kinder gut? Das Thema Erziehung und diktatorische
Strukturen, aber auch das Thema Erziehung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Frage, was gute
und schlechte Eltern sind, bewegen die Menschen in
einem hohen Maße und führen zu großen Emotionen.
Auch hier sollten wir den Mut haben, diese politisch anzusprechen, ohne die Leute zu bevormunden.
({2})
Ich will einen dritten, davon stark abweichenden
Punkt hier noch kurz benennen: Wenn wir uns als Frauen mit der gesellschaftlichen Lebenssituation auseinandersetzen wollen, dann müssen wir in Zukunft unseren
Blick auch in Richtung dessen wenden, was wir mit dem
Schlagwort Globalisierung beschreiben. Wir in
Deutschland plagen uns mit der Frage herum: Wie
schaffen wir es, Eltern zu ermutigen, Kinder zu haben,
und Lebensbedingungen mit kinderfreundlichen Gesellschaftsstrukturen herzustellen? Zur gleichen Zeit beschäftigen wir uns jetzt mit der Geburt des sechsmilliardsten Erdenbürgers. Die Schlüsselfragen lauten: Welche Lebenssituationen finden die Frauen in den Entwicklungsländern vor, und wie können wir mit unseren
Erfahrungen des Wohlstandes die richtigen Strukturen
schaffen?
Da Frauen in der Politik genauso streitlustig sind wie
Männer und die Parteipolitik hier nicht endet, muß ich
zumindest mahnend an diesem ansonsten sehr harmonisch verlaufenden Tag sagen: Ob die Streichungen im
Entwicklungshilfeetat gerade im Bereich der Bevölkerungsentwicklung, der Familien- und Geburtenplanung
und ähnlichem besonders gute und zukunftsträchtige
politische Maßnahmen sind, wage ich zu bezweifeln,
aber, um es klar zu sagen: Ich halte das für falsch.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wenn
wir im Sinne von Frau Schwaetzer darangehen, Machtstrukturen neu zu benennen, wird es darauf ankommen,
daß Frauen Themen frühzeitig ansprechen. Ich halte das
Thema Globalisierung im Zusammenhang mit der Frage,
wie wir zu humanen und im übrigen auch ökologisch
verträglichen Lebensbedingungen kommen, für eine
spannende Aufgabe für Frauen über alle Parteigrenzen
hinweg.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Inge Wettig-Danielmeier.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren im Saal und auf den Rängen!
Vor zehn Jahren hätten wir Mühe gehabt, diese Debatte
hier überhaupt zu führen; denn wir hätten, wenn ich das
richtig überblicke, gar nicht so viele Frauen gehabt. Hier
ist deutlich geworden, daß vor 50 Jahren und auch noch
in den Folgejahren Frauen eher in der Größenordnung
von Spurenelementen in den deutschen Parlamenten
vorgekommen sind.
Auch wenn der Übervater der SPD und einer der großen Redner in diesem Hause, August Bebel, proklamiert
hat, es gebe keine Befreiung der Menschen ohne die
Unabhängigkeit und Gleichheit der Geschlechter, so hat
das auch bei der SPD nicht viel genutzt. Sie ist 1949 mit
einem Frauenanteil von 9,5 Prozent in den Bundestag
eingezogen; das war nicht mehr als 1919.
Ich erinnere mich an bestimmte Regelungen, die wir
geschaffen haben. Meine parlamentarische Arbeit startete damit, daß mich die im Bundestag hochgeschätzte
Elinor Hubert 1968 nach 19jähriger Mitgliedschaft im
Bundestag in ihrem Wahlkreis ins Gespräch brachte.
Das stieß auf eisige Ablehnung. In diesem Wahlkreis
war ich nicht fremd: Ich hatte dort 20 Jahre gelebt und
gearbeitet; meine Familie wohnte dort. Es gab auch keinen mehrheitsfähigen Konkurrenten in diesem Wahlkreis. Trotzdem hieß es: Zu jung, als Frau in einem
ländlichen Wahlkreis nicht durchsetzbar. Es wurde ein
Mann von außen geholt.
Als ich drei Jahre später überraschend in den Niedersächsischen Landtag nachrückte, war die einzige Frau
unter 74 Männern hochbeglückt. Zu sagen hatten wir zu
zweit wenig. Frauen waren Dekoration und hatten sich
so zu verhalten. Im übrigen konnten sie Sacharbeit machen. Meine Partei sorgte dafür, daß ich zwei Jahre später einen Wahlkreis bekam - zwar ungewinnbar, aber
immerhin mit einem Anspruch auf eine Listenabsicherung. Später sammelte ich zusätzliche Erfahrungen als
Vorsitzende der SPD-Frauen.
Vor jeder Landtags- und Bundestagswahl wurden
Briefe an die Vorstände geschickt und Gespräche mit
ihnen geführt. Die Antwort war immer die gleiche: Wir
haben keine qualifizierten Frauen. Die Genossin ist gut,
aber nicht vermittelbar. Es gibt schon einen Anspruch
des Fraktionsvorsitzenden.
Viele von Ihnen wissen: Ich war eine engagierte Gegnerin der Quote in der SPD. Das war ziemlich idealistisch und blauäugig; denn ich glaubte wie viele Mitkämpferinnen, in der SPD könnten wir im Vertrauen auf
unsere hehren Programmsätze und auf August Bebel die
Gleichstellung der Frau ohne Quote und ohne sonstige
Regelungen durchsetzen. Den allgemeinen Grundsatz,
daß Frauen in allen Gremien entsprechend ihrem Mitgliederanteil vertreten sein müssen, gab es seit 1908.
Doch obwohl der Mitgliederanteil der Frauen 1949 bei
19 Prozent lag, betrug der Frauenanteil bei der SPD im
Bundestag nur 9,5 Prozent. 1972 lag er schließlich bei
5,4 Prozent. Dieser Anteil wuchs bis Anfang der 80er
Jahre mühselig auf 10 Prozent an. Deswegen haben wir
1985 schließlich die Hälfte der Posten und Mandate gefordert. Satzungsgemäß sollte abgesichert werden, daß
in jedem Gremium der Anteil der Frauen und der Männer bei mindestens 40 Prozent liege. Das wurde 1988
nach mühseliger und hartnäckiger Überzeugungsarbeit sozusagen durch Mund-zu-Mund-Beatmung - auch
durchgesetzt.
Ein Gespenst geht um. Unbedarft und ohne Weitblick kommt es auf Stöckelschuhen daher, lehrt
selbst den mannhaften Bürger das Fürchten: die
Quotenfrau.
So kommentierte die „Stuttgarter Zeitung“. Aber das
Gespenst zeigte umgehend Wirkung: Lag der Frauenanteil zwischen 1919 und 1990 in den deutschen Parlamenten nie höher als bei 10 Prozent, so stieg er schon
1990 im Deutschen Bundestag auf 20 Prozent, und zwar
am meisten in der SPD, aber auch in den anderen Fraktionen. 1994 stieg der Frauenanteil auf gut 25 Prozent,
und inzwischen - wie heute schon erwähnt wurde - liegt
er bei 30 Prozent. Der Beispielwirkung einer großen
Volkspartei konnten sich auch die anderen Parteien nicht
entziehen. Die eine Alibifrau war in der Politik passé.
Danach konnten wir - jedenfalls ich habe es so empfunden - auch über Parteigrenzen hinweg mit mehr Frauen
sehr viel besser zusammenarbeiten, weil die Frauen auch
Unterstützung gegenüber ihren Fraktionsführungen hatten; das ist doch klar. Wir hätten sicherlich den Kompromiß zum § 218, den ich über Jahre zu moderieren
versucht habe, gar nicht zustande gebracht, wenn nicht
so viele Frauen in diesem Parlament vertreten gewesen
wären.
({0})
Dies ist eine ganz wichtige Voraussetzung für die
Durchsetzung von Fraueninteressen.
Natürlich wohnt jedem Erfolg auch die Gefahr des
Rückschlags inne, das um so mehr, als der normal sozialisierte Mann als Macho keineswegs ausgestorben ist.
Bei allen Bemühungen um Gleichheit: In unserer Gesellschaft vereinbaren vor allem die Männer Beruf und
Familie. Verheiratete Frauen werden durch eine eigene
Familie in ihrer Karriere nachhaltig gestört, während
verheiratete Männer um so besser vorankommen und
aufsteigen. Wenn nicht deutlich wird, daß Frauen eine
aktive Gleichstellungspolitik fordern und unterstützen,
dann wird es nichts mit der Gleichstellung unserer
Töchter und Enkelinnen. Wir selber müssen jeden Tag
für die Gleichstellung eintreten. Ich bin wie Frau
Schwaetzer und andere Parlamentarierinnen der Meinung, daß es dann, wenn wir Frauen in der Politik uns
nicht nachhaltig gegenseitig unterstützen, nichts mit der
Teilhabe der Frauen an der Macht wird. Alle Instrumente wie Quoten, Gleichstellungsgesetze und Förderpläne sind hilfreich und notwendig. Aber sie beheben
nicht automatisch die real existierende Frauendiskriminierung. Frauen wollen keine Männer sein.
Unsere Erfahrungen haben uns auch gelehrt, daß bescheidenes Abwarten nicht nur nichts bringt, sondern
uns zurückfallen läßt und deshalb falsch ist. Wer die
menschliche Gesellschaft will, der muß die männliche
überwinden, und das heißt: Frauen, wir müssen an allererster Stelle selber anfassen! Wenn Männer uns helfen,
ist es um so besser.
({1})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Antje Hermenau.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich
weiß, wir alle sitzen schon etwas länger zusammen, als
wir ursprünglich geplant hatten. Ich danke Ihnen, daß
Sie alle noch da sind. Ich finde das toll.
Wenn wir schon einmal dabei sind, uns freundlich
zu unterhalten, dann möchte ich eine Anekdote erzäh-
len. Vor zwei Tagen habe ich meinen Mitarbeiter ge-
beten, sich bei der Pressestelle des Sächsischen Land-
tages zu erkundigen, wie hoch in Sachsen in den zwei
Legislaturperioden seit 1990 der Frauenanteil in den
Fraktionen gewesen ist, welche Frauen Fraktionsvor-
sitzende waren, welche Frauen stellvertretende Parla-
mentspräsidentinnen waren usw. Die Antwort der Pres-
sestelle des Sächsischen Landtages war: Eine solche
Statistik führen wir nicht. Der wissenschaftliche Dienst
dieses Parlamentes, den ich danach bemühte, rechnet
noch handschriftlich aus, wieviel es denn gewesen sein
könnten.
Wenn ich darüber nachdenke, stelle ich fest, wie
kennzeichnend dies ist. Wir könnten zwei Thesen auf-
werfen: Gibt es a) die Möglichkeit, daß wir Ostdeut-
schen die Gleichberechtigung für so selbstverständlich
halten, daß wir nicht einmal eine Statistik darüber füh-
ren, wieviel Frauen im Sächsischen Landtag sind und
was sie da machen, oder - diese These möchte ich hier
anbieten; wir sollten zusammen über sie nachdenken -
liegt es b) vielleicht auch daran, daß wir daran gewöhnt
waren, in der Machtlosigkeit der DDR ganz selbstverständlich gleichberechtigt zu sein - eine Selbstverständlichkeit, die es jetzt nicht mehr gibt? Darüber würde ich
mich heute gerne unterhalten.
Es handelt sich um eine Beobachtung, die auch meine
politischen Schritte der letzten zehn Jahre prägt. Gleichberechtigung ist uns Frauen aus dem Ostteil Deutschlands eher zugeteilt worden - übrigens meistens von
Männern. Wir haben sie angenommen, denn einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul. Aber wir haben nie gefragt, welchen Charakter und welche Qualität
diese Gleichberechtigung hat. Eigentlich haben wir sie
in der Substanz nicht wirklich hinterfragt.
({0})
Wenn jetzt ein größerer Teil der Ostdeutschen sagt,
man sei unzufrieden damit, wie die Gleichberechtigung
umgesetzt werde und es werde noch nicht genug für
die Gleichberechtigung getan, dann stelle ich fest, daß
mehr Ostdeutsche als Westdeutsche unzufrieden sind.
Ich grüble, ob es daran liegen kann, daß es vielleicht
eine gewisse verzerrte DDR-Optik gibt, so daß man
das, was damals gewesen ist, für eine tolle Gleichberechtigung gehalten hat. Das wäre eine mögliche Erklärung. Ich versteige mich nicht dazu zu sagen: Es ist so.
Oder hat diese Ansicht vielleicht etwas damit zu tun,
daß es einfach nicht ganz klar ist, was wir mit Gleichberechtigung eigentlich meinen und was wir eigentlich
wollen?
Ich komme zu einer psychologischen Ebene, die mir
in diesem Parlament aufgefallen ist. Wir haben alle miteinander zu tun. Hier mischen sich ost- und westdeutsche Betrachtungsweisen mehr und mehr. Wir sind viel
näher aneinandergerückt. Dieses Parlament ist ein Ort in
Deutschland, an dem sich Ost- und Westdeutsche nähergekommen sind. Das ist eindeutig. Ich verstehe inzwischen viel besser, was nonverbal bei den Westdeutschen
abläuft, und die Westdeutschen verstehen auch mich
immer besser.
Die meisten ost- und westdeutschen Frauen teilen
diesen engen Grad der Verzahnung in der Arbeit nicht.
Sie sind nicht auf dem Stand der Verständigung, den wir
hier erreicht haben. Ich halte es für wichtig, daß wir uns
über diese Sache unterhalten. Ich nehme wahr, daß viele
ostdeutsche Frauen sehr selbstverständlich nach der
Macht greifen, wenn sie eine Gelegenheit dazu sehen.
Das geschieht aber nicht immer unbedingt mit der Vorstellung, es müsse jetzt ganz dramatisch erkämpft werden.
Gleichzeitig bekomme ich von westdeutsch geprägten
Frauen das Feedback: Mein Gott, wie kann man denn
nur so naiv sein; man muß natürlich immer kämpfen,
weil einem nichts nachgeschmissen wird, wenn es um
die Macht geht. - Auch das ist richtig. Die zehn Jahre
westdeutsche Praxis haben mich gelehrt, daß ich an dieser Stelle noch eine Menge dazulernen muß.
Ich frage mich, ob es möglich ist, die westdeutsch
geprägten Frauen aufzufordern, ein bißchen von der
Selbstverständlichkeit der ostdeutschen Frauen anzunehmen. Es ist schade, daß wir uns selber immer wieder
sagen müssen, wie selbstverständlich das, was wir machen, eigentlich ist. Daß wir so viel darüber reden müssen, ist ein Zeichen dafür, daß Gleichberechtigung nicht
selbstverständlich ist. Das haben wir heute in vielen
Beiträgen gehört. Vielleicht können wir diesen Gedanken vermitteln, ohne dafür als naiv diffamiert zu werden.
Ich wünsche mir, daß mehr ostdeutsche Frauen lernen, welche Mittel man einsetzen muß, wie und wofür
man kämpfen muß, wenn man möchte, daß Frauen in
Deutschland gleichberechtigt sind. Dafür würde ich gerne werben, und dafür würde ich mich gerne stark machen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Hannelore Rönsch.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine
sehr geehrten Damen auf den Tribünen! Wir haben selten die Gelegenheit und selten den breiten Raum, um so
konzentriert über Frauenfragen zu diskutieren. Es ist für
mich eine besondere Freude, heute über 50 Jahre Parlamentarierinnen in der Politik diskutieren zu können. Wir
haben Sie dazu eingeladen. Das eine oder andere mag
Sie an Ihre eigene Biographie erinnert haben, die eine
oder andere Wegbereiterin für uns, die wir jetzt in den
Parlamenten sitzen, mag dabeisein; aber es mag auch
vielen von Ihnen so ergangen sein, daß sie sagen: Wir
möchten jetzt einmal unsere eigenen Erfahrungen in die
Diskussion einbringen. Ich hätte mir schon gewünscht aber das ist bei der Struktur von Plenardebatten nun
einmal nicht möglich -, daß breiterer Raum für die Diskussion zur Verfügung gestanden hätte, denn dann hätten wir auch von Ihnen etwas lernen können.
In unserer Feierstunde heute haben vier Parlamentarierinnen gesprochen, denen ich, als ich 1983 als Neuling in den Bundestag kam, noch begegnet bin. Sie waren diejenigen, die für uns Frauen Wegbereiter und ein
Stück Vorbild waren. Zu dieser Zeit wurde man als Frau
in der Politik - auch im Wahlkreis - noch gefragt: „Sag
doch einmal, wie du das mit Ehe und Familie machst.“
Meinen Sie, diese Frage wäre je an einen männlichen
Kollegen gestellt worden? Wenn man darauf antwortete:
„Nicht anders als auch meine männlichen Kollegen“,
dann galt diese Antwort zumindest in meiner Partei als
relativ salopp. Wir haben uns in unserer Partei, wie ich
denke, durchgesetzt und die Kolleginnen in den anderen
Parteien mit Sicherheit auch.
Gerade in bezug auf die Gleichstellung haben wir
sehr viel zusammen erreichen können; über das eine
oder andere haben wir sehr stark gestritten, aber einer
Feststellung möchte ich doch ein wenig widersprechen:
Wenn von der großen Frauensolidarität und von Netzwerken gesprochen wird, verhalten wir Frauen uns
eigentlich gar nicht anders als unsere männlichen Kollegen,
({0})
obwohl wir teilweise im Parlament noch ein Diasporadasein führen. Hier würde ich mir schon wünschen, daß wir,
wenn es um Interessen und Anliegen von Frauen geht,
parteienübergreifend wesentlich stärker zusammenarbeiten. Sie, meine Damen von der SPD-Fraktion, hätten,
wenn Sie sich stark dafür eingesetzt hätten, mit Sicherheit
eine Bundestagspräsidentin vorschlagen können. Wir haben Ihnen eine Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten mit hoher Reputation präsentiert. Es war Ihnen
aber nicht möglich, hier Gemeinsamkeit zu zeigen.
({1})
Ich will noch ein Weiteres an uns hier unten im Plenum und auch an die Frauen auf den Rängen gerichtet
sagen: Wenn wir Frauen mit Hilfe von Kolleginnen
und sehr oft auch von Kollegen bestimmte Positionen in
der Politik, in gesellschaftlichen Bereichen oder in den
Wohlfahrtsverbänden - wo auch immer in unserer Gesellschaft - erreicht haben, sollten wir sicherstellen, daß auch
Raum für andere Frauen ist. Viele von uns wissen sicher,
wovon ich rede. Wir müssen sicherstellen, daß den nachfolgenden Generationen, den Jüngeren, auch Wege geebnet werden, und dürfen nicht permanent den Minderheitenschutz für uns in Anspruch nehmen und ein Stück
weit als Schutzklausel dafür sehen, daß andere Frauen neben uns keine Chance haben. Lassen Sie uns gemeinsam
daran arbeiten. Wir sollten in unserer Gesellschaft als
Frauen unsere Positionen erkämpfen und verteidigen, aber
nie die besseren Männer werden wollen. Wir brauchen die
Männer auf dem Weg in die Partnerschaft.
({2})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Hanna Wolf.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frauen da oben
auf den Tribünen! Es ist schön, daß Sie noch da sind und
nicht abgeschlafft wie einige hier unten im Plenum.
Liebe Frau Rönsch, mir fiele jetzt natürlich auch etwas ein, was ich zitieren könnte, wo Ihre Stimme nicht
bei den Stimmen war, aber ich lasse das heute.
Weil wir heute unsere Parlamentsarbeit erstmalig im
Gebäude des Reichstages aufnehmen, möchte ich zunächst nicht nur an die 50 Jahre erinnern, in denen Frauen parlamentarisch an der demokratischen Entwicklung
der Bundesrepublik mitgewirkt haben. Auch in der
Weimarer Republik von 1919 bis 1933 gab es gestandene Parlamentarierinnen. Heute morgen wurden schon
einige von ihnen genannt.
Weil ich aus München komme, möchte ich von dieser
Stelle aus der Münchner Lehrerin und SPDReichstagsabgeordneten Toni Pfülf gedenken. Sie war
Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung von
1919 und danach bis 1933 Reichstagsabgeordnete. Sie
hatte ihr Abgeordnetenzimmer im Obergeschoß dieses
Hauses, im Plenum saß sie auf Platz 28. Toni Pfülf
nahm sich am 8. Juni 1933 mit 56 Jahren das Leben. Sie
ertrug die Machtergreifung der Nazis nicht, die sie schon
aus der sogenannten „Hauptstadt der Bewegung“ kannte.
Sie konnte auch den Kompromiß nicht mittragen, den
die durch die Verfolgungen dezimierte SPD-Fraktion
gegenüber Hitler einschlagen wollte.
Toni Pfülf hat sich nicht als sogenannte Frauenrechtlerin verstanden. Ihre Sicht von Frauenpolitik war - jetzt
zitiere ich aus ihrem Redemanuskript für eine Parteiversammlung von 1922 -,
daß es überhaupt keine Frauenfrage gibt, daß alles,
was heute als Frauenfrage deklariert wird, etwas
ganz Selbstverständliches ist. Aber
- das war an die anwesenden Männer gerichtet wenn Sie das nicht sehen wollen, dann müssen allerdings wir Frauen den Teil vertreten, den Sie
nicht sehen oder sehen wollen.
Wie recht hatte sie, und wie recht hat sie noch immer.
Toni Pfülf stritt für die Reform des § 218, die Reform des Ehe- und Familienrechts, die Reform des
Scheidungsrechts, die Gleichberechtigung nicht ehelich
geborener Kinder, die Gleichberechtigung von Beamtinnen gegenüber Beamten. Sie stritt auch vehement für die
Abschaffung der Todesstrafe.
Was ist aus diesen Themen geworden? 14 Jahre
Weimarer Republik haben keine Lösung gebracht. Die
folgende Naziherrschaft hatte bekanntlich andere Ziele.
Erst die letzten 50 Jahre brachten uns weiter, wenn auch
meist nur nach zähem, langwierigem Ringen. Zumindest
die Todesstrafe wurde gleich 1949 durch das Grundgesetz abgeschafft. Beamtinnen sind seit 1953 zur Berufsausübung nicht mehr zum Zölibat verpflichtet. Das
Ehe- und Familienrecht wurde in den 50er Jahren reformiert. Seit 1958 gibt eine Frau durch Heirat nicht mehr
ihre Geschäftsfähigkeit an den Ehemann ab. Die Reform
des Scheidungsrechts wurde von der sozialliberalen Koalition in den 70er Jahren durchgesetzt. Seitdem gilt
nicht mehr das Schuld-, sondern das Zerrüttungsprinzip,
wie es schon Toni Pfülf 1928 in einer Reichstagsrede
gefordert hatte.
Die Reform des § 218 - das wurde heute immer als
eine der größten Debatten erwähnt, die auch ich selber
in diesem Hause mitmachen durfte - war schon in den
70er Jahren als Fristenregelung angedacht und durchgesetzt, wurde aber dann doch vom Bundesverfassungsgericht gestoppt. Erst die deutsche Einheit gab uns in den
90er Jahren die Gelegenheit, eine neue Lösung zu finden. Ein überfraktioneller Antrag führte nach vielen Widerständen erst in der vorigen Wahlperiode zum Erfolg.
Erst seit August 1995 liegt die Letztentscheidung über
eine Abtreibung bei der schwangeren Frau. Wir dachten,
das Thema wäre damit abgeschlossen. Aber nein, die
katholischen Bischöfe wollen diese Lösung gerade wieder in Frage stellen.
Das neue Kindschaftsrecht stellt nichteheliche Kinder endlich mit ehelichen Kindern gleich. Gerade die
Reformen in den 90er Jahren waren nur möglich, weil
immer mehr Frauen ins Parlament kamen und bereit waren, über die Fraktionsgrenzen hinweg Koalitionen zu
schmieden. Diese Themen standen einfach zu lange an.
Auch das war für mich eine große parlamentarische Erfahrung, wie spannend es ist, über die Fraktionsgrenzen
hinaus so etwas durchzusetzen.
Toni Pfülf sprach von der Durchsetzung der Menschenwürde, wenn es um ihre - um unsere - Themen
ging. Heute sprechen wir von Gesellschaftspolitik. Gesellschaftspolitik geht alle an, Frauen wie Männer. Toni
Pfülf argumentierte bei diesen Themen vor allem auch
damit, daß der Gesetzgeber die gesellschaftliche Realität nachzeichnen müsse. Das Gesetz dürfe der Wirklichkeit nicht hinterherhinken.
Wir wissen jedoch, daß Gesetze auch bewußtseinsbildend wirken müssen. Gewalt gegen Frauen und Kinder waren die tabuisierten Bereiche, die zuerst die
Frauenbewegung auf die Tagesordnung bringen mußte.
Wir mußten durch Gesetze dem allgemeinen Unrechtsbewußtsein nachhelfen. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Vergewaltigung in der Ehe, sexueller Mißbrauch von Kindern, Kinderpornographie sind Probleme, für die wir auch im Parlament erst ein Bewußtsein
schaffen mußten. Welch ein Armutszeugnis für ein
Parlament, welch ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft!
Welch ein Armutszeugnis auch, daß diese Gesellschaft ein Programm „Frau und Beruf“ nötig hat. Für
eine demokratische, emanzipierte, daß heißt für mich
erwachsene Gesellschaft sollten die Ziele dieses Programms Selbstverständlichkeit sein. Dann bräuchten wir
nur noch ein paar Gesetze, die Verstöße gegen den allgemeinen Konsens der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ahnden. Das wäre meine Vision.
Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes hätte dann auch
nicht des Zusatzes von 1994 bedurft:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.
Nach meinen parlamentarischen Erfahrungen aus diesen 90er Jahren weiß ich, daß wir auch an der Schwelle
zum nächsten Jahrtausend nicht auf die bewußtseinsbildende Funktion von Gesetzen verzichten können, wenn
es um Frauen geht. Deshalb laßt uns weiter kämpfen, im
Parlament und draußen!
({0})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Claudia Nolte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frauen
auf der Tribüne! Daß wir diese Sonderdebatte heute im
Deutschen Bundestag führen, hat sicher viele Gründe,
doch es ist ein Zeichen dafür, daß wir die Gleichberechtigung nicht erreicht haben. Denn wir gedenken ja nicht
nur der Frauen der ersten Stunde im Parlament - da
hatte man aus geschichtlichen Gründen vielleicht noch
Verständnis dafür, daß sie nicht so oft vorkamen -, sondern wir kommen nicht umhin, festzustellen, daß wir
auch heute von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Männern und Frauen in unserem Parlament
weit entfernt sind.
Ich möchte besonders darauf hinweisen, daß dies keine spezifische Ost-West-Thematik ist. Denn egal ob wir
im Osten oder im Westen gewählt worden sind und egal
ob wir in Frankfurt/Main oder Frankfurt/Oder leben - es
ist für uns ein Ärgernis, daß wir eine derart begrenzte
Zahl stellen. Deswegen möchte ich noch einmal daran
erinnern, daß „50 Jahre Deutscher Bundestag“ nur für
den einen Teil Deutschlands gilt. Ich bin in dem Teil
Deutschlands groß geworden, in dem es 40 Jahre keinen
freien Parlamentarismus gab, sondern eine führende
Partei herrschte, die sich selbst die „Diktatur des Proletariats“ nannte. Klar, in der Schule habe ich gehört,
eines ihrer Ziele sei die Gleichberechtigung der Frau.
Demgegenüber aber waren die Kader, die dann die poliHanna Wolf ({0})
tische Entscheidung gefällt haben, fast ausschließlich
Männer. Vielleicht versuchte dies die damalige, für
Frauenfragen zuständige ZK-Sekretärin Ingeborg Lange
zu rechtfertigen, indem sie sagte: „Die Rolle der Frau im
Produktionsprozeß bestimmt ihre Stellung in der sozialistischen Gesellschaft.“ Und da man es ja schaffte, die
Frauen in das Dreischichtsystem einer Revolverdreherei
fest einzubinden, war die politische Beteiligung nicht
mehr ganz so wichtig.
Mit der friedlichen Revolution gab es für die Frauen
der ehemaligen DDR erstmals die Chance, ihr Parlament
frei zu wählen und selber frei gewählt zu werden. Für
mich beispielsweise wurde dies sehr reell. In der Rückschau bin ich sehr dankbar für diese Möglichkeit der
politischen Gestaltung unseres Landes.
Die Tatsache, daß seit dem 18. März 1990 alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland in Freiheit und Demokratie leben können, daß es freie Wahlen gibt, freie
Meinungsäußerung, halte ich für den größten Erfolg in
50 Jahren Deutscher Bundestag.
({1})
Die Wiedervereinigung hat darüber hinaus aber auch
ganz konkrete Impulse für mehr Gleichberechtigung von
Frauen und Männern gebracht. Ich messe dabei dem Einigungsvertrag so etwas wie eine Katalysatorwirkung
zu; denn er hat ausdrücklich den Auftrag an den gemeinsamen zukünftigen Gesetzgeber enthalten, die Gleichberechtigung voranzubringen, vor allen Dingen im Bereich
der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Es ist im Verlauf der Debatte schon vieles genannt
worden, was seitdem erreicht worden ist, so daß man es
hier nur noch kurz benennen muß: Der Art. 3 des
Grundgesetzes wurde erweitert. Wir haben das Zweite
Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet. Das Arbeitsförderungsgesetz ist um die Frauenförderung erweitert
worden. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz wurde durchgesetzt, der Aufbau einer pluralen
Struktur von Frauenverbänden in den neuen Bundesländern wurde vorangetrieben und vieles andere mehr.
Daß die Beteiligung von Frauen an der politischen
Macht noch weiterreichende Implikationen hat, ist mir
in besonderer Weise bewußt geworden, als ich als damalige Bundesfrauenministerin die Bundesrepublik
Deutschland auf der Vierten Weltfrauenkonferenz in
Peking vertreten durfte. Für mich war es in der Tat beeindruckend, zu erleben, wie Frauen aus allen Teilen der
Welt mit ungeheurem Engagement, mit vielen Ideen und
viel Kraft ihre Rechte einforderten. Es wurde deutlich,
daß unsere Welt anders aussehen könnte, wenn man den
Frauen ihre Rechte auch zubilligen würde: Zugang zur
Bildung und zum Kapital und das Selbstbestimmungsrecht. Ohne Frauen ist eine nachhaltige Entwicklung unseres Globusses nicht denkbar, kann man die globalen
Probleme nicht lösen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir Frauen politische Macht einfordern, hat wenig damit zu tun, daß
wir meinen, eventuell die besseren Politiker oder Menschen zu sein. Es hat vielmehr damit zu tun, daß Frauen
nicht zuletzt auf Grund ihrer Verschiedenheit zum
männlichen Geschlecht unterschiedliche Erfahrungshintergründe, Sicht- und Herangehensweisen haben
als Männer, die aber genauso in die politischen Entscheidungen einfließen müssen, damit Politik der gesamten Bevölkerung gerecht wird.
Außerdem gibt es keinen vernünftigen Grund, warum
Frauen nicht an der Macht beteiligt sein sollten.
({2})
Wir brauchen die Frauen in allen Parlamentsausschüssen
und nicht nur in einigen wenigen, von denen vielleicht
manch ein Kollege heimlich denkt, daß sie eigentlich
überflüssig sind.
Deshalb möchte ich den Themen, die Angela Merkel
genannt hat, noch eines hinzufügen, das aus meiner
Sicht sehr entscheidend ist, nämlich die Frage: Wie können wir dazu beitragen, ethnische Konflikte friedlich zu
lösen und Frieden auf Dauer zu sichern? Manchmal ist
die Aussöhnung zwischen Ethnien durch die Frauen erfolgt, durch informelle Treffen, durch Gespräche.
Frau Kollegin,
denken Sie ein bißchen an die Zeit. Sie müssen sich jetzt
kurzfassen.
Ich denke, gerade wegen unserer Kompetenzen im sozialen Bereich, wegen
unserer Kommunikationsfähigkeit sind wir Frauen gute
Vermittlerinnen und sollten mehr daran beteiligt werden.
Ich wünsche mir für die nächsten 50 Jahre, daß es
überhaupt nichts Besonderes mehr ist, nicht Herr, sondern Frau Abgeordnete zu sein.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Hildegard Wester.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Liebe Gäste! Es ist heute schon so
unglaublich viel über die Fortschritte bei den Bemühungen um die Gleichberechtigung gesagt worden, daß es
sicherlich schwer ist, als eine der letzten Rednerinnen
noch neue Aspekte zu bringen. Es ist viel über Erfolge
geredet worden, es ist aber auch davon geredet worden das möchte ich dick unterstreichen -, daß wir noch lange
nicht am Ende des Weges sind und daß es noch vieler
gemeinsamer Aktivitäten und Initiativen bedarf, um dort
eines Tages hinzugelangen.
Trotzdem gibt es Erfolge - das ist unzweifelhaft -, sie
sind bereits genannt worden. Es gab sie in vielen Bereichen, sowohl in der Gesetzgebung als auch im Rollenverhältnis der Geschlechter zueinander. Sie spiegelten
sich auch in Äußerlichkeiten wider. In diesem ZusamClaudia Nolte
menhang möchte ich einmal an eine Situation erinnern,
die wir uns heute gar nicht mehr so gut vorstellen können: Noch in den 70er Jahren hieß es im Parlament, als
eine Frau es wagte, in Hosen zu erscheinen, daß sie ein
„unanständiges und würdeloses Gebaren“ an den Tag
lege. Wenn wir heute sehen, wie viele von uns in Hosen
erschienen sind, dann ist da ein sehr schöner Fortschritt
zu erkennen, auch wenn es sich hier lediglich um eine
Äußerlichkeit handelt, die wir schmunzelnd zur Kenntnis nehmen sollten.
Auch in der Gesetzgebung wurde einiges getan. Aber,
wie gesagt, wir haben einen weiten Weg vor uns. Von
all den Problemen, die wir noch zu lösen haben, möchte
ich eines hervorheben - dieser Punkt wurde heute vielfach angesprochen; aber gerade dies zeigt, daß es ein
zentraler Punkt ist -: Für mich ist ein entscheidender
Aspekt für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft,
wie wir mit der gerechten Aufteilung von Arbeit und
insbesondere mit der Aufteilung von Erwerbsarbeit
und Familienarbeit zwischen den Geschlechtern umgehen.
Seit 1977 wird gesetzlich auf eine Rollenzuweisung
in der Ehe verzichtet; auch das hörten wir schon. Das
Modell der Hausfrauenehe mit einem Haupt- und Alleinernährer wurde zugunsten einer partnerschaftlichen
Aufgaben- und Rollenverteilung verlassen. Gut 20 Jahre
später sieht die Realität für den Großteil der Familien
allerdings nicht wesentlich anders als vor dieser Rechtsänderung aus. Zwar haben Frauen hinsichtlich ihrer
schulischen Bildung und Berufsabschlüsse gewaltig aufgeholt, und auch ihr Anteil an den Berufstätigen ist
enorm gestiegen. Aber wenn man genau hinsieht, dann
stellt man fest, daß diese Indikatoren für sich alleine betrachtet unzureichende Aussagen über die Beteiligung
von Frauen am Erwerbsleben machen. Angesichts der
Tatsache, daß mittlerweile über 50 Prozent der Abiturienten und ebenfalls mehr als 50 Prozent der Studienanfänger Frauen sind, fragt man sich schon, wo diese
Frauen bleiben, wenn man sich anschaut, auf welche Berufe nachher die Geschlechter verteilt sind.
Von ebenso großer Bedeutung ist die genaue Betrachtung der Zahlen im Hinblick auf Berufstätigkeit.
Festzustellen ist, daß die höhere Zahl von berufstätigen
Frauen nicht etwa durch eine Ausweitung des Beschäftigungsumfangs an sich erfolgte, sondern vielmehr dadurch, daß sich die Zahl der teilzeitbeschäftigten Frauen enorm erhöht hat. Fast siebenmal so viele
Frauen wie Männer arbeiten zwischen 15 und 20 Stunden in der Woche. Vollzeitbeschäftigt sind rund doppelt so viele Männer wie Frauen. Demgegenüber ist die
Bereitschaft von Männern, den Umfang ihrer Arbeit zu
reduzieren, äußerst gering; denn gerade dann, wenn die
Kinder klein sind, leisten sie zusätzliche Arbeit, um
ihrer traditionellen Ernährerrolle gerecht zu werden.
Sie entziehen sich somit weitgehend der Problematik
der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Andersherum
könnte man sagen, sie hätten sie gelöst, denn sie sind
die einzigen, die Familie und Beruf tatsächlich miteinander verbinden können.
Wenn Frau trotz Kind berufstätig sein will, ist sie mit
dieser Problematik in aller Regel auf sich allein gestellt.
So richten sich auch fast alle Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf an Frauen. Schon die Sprache ist in diesem Bereich sehr verräterisch. Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit ist also ein
Frauenproblem. Dieser Entwicklung leisten verschiedene alte Zöpfe in den Gesetzen Vorschub, die wir alle
gemeinsam noch nicht haben abschaffen können; die
Spanne reicht vom Steuerrecht bis zum Sozialrecht.
Als besonders kontraproduktiv nenne ich in diesem
Zusammenhang das Gesetz über die Gewährung von
Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub. Es wurde
heute zwar vielfach lobend erwähnt, und es gibt sich
einen modernen Klang, indem es beide Elternteile anspricht. In Wirklichkeit aber trägt es dazu bei, das Rollenverhalten zwischen den Geschlechtern zu verfestigen.
({0})
Hat Frau nämlich einmal eingewilligt, Erziehungsurlaub zu nehmen - meistens geschieht das, weil der Mann
der Besserverdienende ist -, hat Mann den Rücken frei,
um beruflich voranzukommen, während die Frau im
Laufe des Erziehungsurlaubs hinnehmen muß, daß ihre
beruflichen Qualifikationen an Wert verlieren. Ihr nahtloser Wiedereinstieg in den Beruf ist ebenfalls gesetzlich
geregelt. Aber die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache, wenn man einmal überprüft, wie viele Frauen in
den Beruf zurückgegangen sind.
Frauen und Männer müssen aber möglichst frei von
äußeren Zwängen und Bedingungen ihre Lebensweise
wählen können. Das ist eine Herausforderung an die
Politik des neuen Jahrtausends, der wir uns alle stellen
müssen. Gesellschaftlich können wir es uns nicht leisten,
gut ausgebildeten Frauen mit all ihren Fähigkeiten den
Weg ins Berufsleben zu erschweren. Den Frauen persönlich können wir es nicht zumuten, ihre Ressourcen
nicht voll ausschöpfen zu können, und sie mit der Gefahr alleine zu lassen, durch lückenhafte Erwerbsverläufe oder durch Ehescheidung in Armutssituationen zu
gelangen. Noch so viele richtige und gesetzliche Initiativen im sozialen Bereich wie z. B. die Anrechnung der
Kindererziehungszeiten oder die soziale Grundsicherung, die ich persönlich als sehr große Neuerung empfinde, werden es nicht vermögen, Frauen eine leistungsgerechte Absicherung im Alter oder im Fall des Alleinlebens zu gewähren. Sie müssen den Zugang zur Berufstätigkeit haben.
({1})
Auch das von der CDU/CSU wiederholt ins Spiel gebrachte Erziehungsgehalt gibt genau die falsche und
kontraproduktive Antwort.
({2})
Es geht nicht um eine Rollenfestlegung mit Hilfe
eines Staatsgehaltes, sondern um eine Rollenflexibilisierung, weil das dem Wunsch der Menschen und den Anforderungen einer modernen Gesellschaft entspricht. Fähigkeiten von Männern und Frauen werden in allen gesellschaftlichen Bereichen gebraucht. Diese Einsicht ist
weder schwer noch neu. Die Rahmenbedingungen hierHildegard Wester
für zu schaffen ist allerdings schon wesentlich schwieriger; denn Rollenflexibilisierung hat immer auch etwas
mit Abgeben und Übernehmen zu tun: Frauen, die zusätzliche Aufgaben übernehmen wollen, sind keine Seltenheit; Männer, die Aufgaben und damit verbundene
Privilegien abgeben wollen, schon eher.
Deshalb ist es so wichtig, daß Frauen überall an der
Durchsetzung ihrer Interessen arbeiten und dafür sorgen,
daß sie oder andere Frauen an Entscheidungen beteiligt
sind. Konsequent werden sie dafür eintreten müssen, daß
das Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes Realität werden kann. Das, meine Herren, ist nicht nur eine
Herausforderung für uns Frauen, sondern auch und gerade für Sie. Die Männer müssen ihre Rolle stärker hinterfragen. Ebenso wie es die Frauen getan haben, sollten
auch die Männer dafür kämpfen, aus ihren traditionellen Rollenmustern ausbrechen zu können.
Doch leider erntet man für solche Forderungen auch
heute noch von seiten der Männer und von manchen
Frauen Gelächter. Ich kann nur hoffen, daß dieses Lachen in 20 oder 30 Jahren genauso weltfremd wirkt wie
die Bemerkungen einiger Männer über den vermeintlichen Untergang des Abendlandes durch die schlichte
Aufnahme des Satzes „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in das Grundgesetz vor 50 Jahren.
Vorrangige Ziele unserer Arbeit, die sich aus dem
Gesagten ergeben, sind für mich: Konsequente Durchforstung der Gesetzgebung auf immanente Geschlechtsdiskriminierung; das Gesetz über die Gewährung von
Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub muß dringend
reformiert werden; Männern und Frauen soll die Möglichkeit zur Erziehungs- und Erwerbsarbeit mit möglichst geringen Erwerbsunterbrechungen ermöglicht
werden;
({3})
Bundesländer und Kommunen müssen noch größere
Kraftanstrengungen machen, um Betreuungsmöglichkeiten für Kinder jeder Altersgruppe mit möglichst flexiblen Zeiten anbieten zu können.
({4})
Frau Kollegin,
denken Sie daran, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Auch die Wirtschaft ist
dringend aufgefordert, statt über maschinenlauffreundliche Arbeitszeiten jetzt auch endlich über familienfreundliche Arbeitszeiten nachzudenken und dabei
beim Wort „Familie“ auch an den Mann zu denken und
ihm, genau wie der Frau, qualifizierte Teilzeitbeschäftigung anzubieten.
Ein letzter Wunsch, den ich hier formulieren möchte:
Wenn wir es schaffen würden, nicht nur in Fragen der
Gewalt gegen Frauen, sondern auch bei den Fragen der
gerechten Verteilung von Arbeit zwischen Männern und
Frauen ein Bündnis in diesem Haus herzustellen, dann
würde ich mich darüber sehr freuen. Ich lade alle Frauen
ein, das mit uns gemeinsam zu tun.
Ich danke Ihnen.
({0})
Jetzt hat das
Wort die Abgeordnete Irmgard Karwatzki.
Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Frau Präsidentin!
Ich möchte mich zuerst bei Ihnen, liebe Frauen aus den
Parteien und aus den Verbänden, für Ihre ehrenamtliche
und hauptberufliche Arbeit für Frauen bedanken und rufe
Ihnen herzlich gerne zu: Wir sitzen bei der Durchsetzung
der Forderungen von Frauen alle in einem Boot.
({0})
Daß Sie, sehr geehrte Damen, Geduld, Ausdauer und
Durchhaltevermögen kennen, sieht man daran, daß Sie fast
alle noch anwesend sind. Auch dafür herzlichen Dank.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Agnes Hürland hat heute morgen bereits einen Einblick in die Bundeswehr gegeben. Schwerpunkt meiner Ausführungen
ist das Thema „Frauen in die Bundeswehr“. Nun werden einige von Ihnen staunen, insbesondere auch die
Kolleginnen der SPD, wenn ich heute für eine Öffnung
der Bundeswehr für Frauen plädiere.
({2})
Vor einigen Jahren lag für mich persönlich der Einsatz
von Frauen in der Bundeswehr noch in weiter Ferne.
({3})
- Das stimmt, aber ich möchte jetzt nicht das wiederholen, was die sehr geehrten Vorrednerinnen hervorragend
ausgeführt haben.
({4})
Damit war ich einig, bei allen Parteien, mit Ausnahme
von ganz links. Darum bin ich der Meinung, daß man
eine solche Gelegenheit nutzen muß, etwas Neues anzustoßen, eine neue Debatte über Fragestellungen zu führen, die die jungen Frauen interessieren, doch nicht uns
Etablierte.
({5})
Darum meine ich auch, daß man diese Gelegenheit
beim Schopfe fassen muß, um etwas für die junge Frauengeneration und ihre beruflichen Chancen bei der Bundeswehr zu tun.
({6})
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“; so heißt es
in unserer Verfassung. Das stimmt nicht ganz, denn
auch das steht im Grundgesetz: Die Frauen „dürfen auf
keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten.“ Die Wehrpflicht trifft nur Männer. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren - das wird Sie nicht wundern -, muß
auch so bleiben.
Seit Jahren gibt es zu diesen Themen große und inhaltsreiche Debatten. Die Forderung, auch Frauen zum
Dienst an der Waffe zuzulassen, ist nicht neu: schon
Mitte der 60er Jahre, Ende der 70er Jahre und dann zum
Schluß Anfang der 80er Jahre. Da wurde es dann zuviel.
Damals setzte Verteidigungsminister Hans Apel eine
Kommission ein, die sich mit der Frage beschäftigte,
wie man dem Personalbedarf in der Bundeswehr besser
entsprechen könnte. Die Kommission empfahl neben
anderen Maßnahmen auch die Einführung des freiwilligen waffenlosen Dienstes von Frauen in den Streitkräften.
Ein anderer Aspekt, der bei der Beurteilung dieses
Themas wichtig ist: 1956 hat der Rechtsausschuß des
Deutschen Bundestages die Frage, ob Frauen Waffen
tragen und einsetzen dürfen, mit einem Nein beantwortet. Die Begründung lautete: Frauen sollen keine Waffen
tragen, weil dies ihrer Natur und ihrer Bestimmung zuwiderlaufe. Einen Widerspruch zum Gleichberechtigungsgebot sah man damals nicht.
Namhafte Verfassungsrechtler, meine sehr geehrten
Damen und Herren, vertreten heute die Meinung, daß
gegen eine Öffnung von weiteren Laufbahnen für weibliche Soldaten nichts einzuwenden sei.
({7})
Einzige verfassungsrechtliche Grenze sei der Kriegsdienst mit der Waffe und der Einsatz von weiblichen
Soldaten als Kombattanten. Aber, liebe Kolleginnen, das
haben wir heute morgen zu anderen Themen ausgeführt:
Es ist eine Frage des politischen Willens und des politisch Machbaren, natürlich auch - das muß berücksichtigt werden - des militärischen Bedarfs, ob wir Frauen
mehr Chancen bei der Bundeswehr geben oder nicht.
Die im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus und des
Zweiten Weltkrieges verlieren zunehmend an Legitimationskraft. Irgendwann verlangt die Wirklichkeit ihr
Recht.
Das Bild von den Polizistinnen und Bundesgrenzschutzbeamtinnen, die Waffen tragen und sie auch benutzen, ist für uns zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Es gibt in der Bundeswehr gute Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsplatzchancen mit einer guten
sozialen Absicherung. Davon dürfen wir Frauen nicht
mehr ausschließen.
({8})
Da das Licht hier leuchtet, lasse ich jetzt ganz viel
weg - schade.
Eines möchte ich nachdrücklich sagen: Eine Wehrpflicht für Frauen darf es nicht geben, wohl aber die
Möglichkeit des freiwilligen Dienstes. Frauen haben
keinen Nachholbedarf in Sachen Dienst an der Gemeinschaft. Sie leisten ihre Arbeit in der Familie, bei der
Kindererziehung, der Organisation des Haushalts, in den
ehrenamtlichen Bereichen. Dieses sind nur wenige
Aspekte.
Es gibt heute keine überzeugende Begründung mehr
dafür, Frauen den Dienst an der Waffe zu verweigern.
Es kommt schließlich heute bei unseren vielen hochtechnisierten Arbeitsplätzen nicht auf die physische
Stärke an.
Welche Einsatzbereiche in der Bundeswehr kommen
für Frauen grundsätzlich in Frage? Frauen können neben
dem Sanitätsbereich und dem Militärmusikdienst beispielsweise auch in der Logistik, im technischen Dienst,
den Fernmeldetrupps, in den Stäben und bei militärgeographischen Ämtern arbeiten.
Ich halte es gerade jetzt für richtig, über die Öffnung
der Bundeswehr für Frauen auf freiwilliger Basis zu diskutieren, da kein äußerer Druck dazu besteht. Der personelle Bedarf der Bundeswehr ist gesichert. Die Bundeswehr sollte auf die großen Fähigkeiten der Frauen
nicht verzichten.
Meine Damen und Herren, ein Tag, an dem man auf
50 Jahre Arbeit zurückblickt, sollte meines Erachtens
auch einen Akzent setzen, der eine neue Debatte anstößt.
Dazu - zu nichts mehr - wollte ich beitragen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Nina Hauer.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Mich haben die Frauen der ersten
Stunden dieses Parlaments, die heute morgen gesprochen haben, sehr beeindruckt. Nicht weniger beeindruckt haben mich die Ausführungen meiner Kolleginnen, die jetzt hier als Abgeordnete mit uns zusammenarbeiten. Sie haben für sich, für die Frauen ihrer Generation und nicht zuletzt für Frauen wie mich, die jetzt neu
im Parlament sind, einen Platz erobert, von dem aus politische Entscheidungen getroffen werden und Gesellschaft gestaltet wird. Ich glaube, wir sollten ihnen dafür
dankbar sein.
({0})
Sie haben sichtbar gemacht, daß es Frauen in politischer Verantwortung gibt, und uns damit immer wieder
die Forderung eingeprägt, daß Frauen überall dort, wo
Entscheidungen getroffen werden, auch beteiligt werden
sollten. Das gilt auch für Frauen, die sich an anderen
Orten, an solchen außerhalb des Parlaments, in Wirtschaft und Gesellschaft, ihren Platz und ihre Position
eroberten. Ich glaube, daß sie sich in vielen Punkten an
den Politikerinnen orientiert haben, und ich hoffe, daß
auch ich dazu beitragen kann, ein Beispiel für diejenigen
zu geben, die das in meiner Generation und den zukünftigen Generationen versuchen.
Wir haben uns einen Platz in der politischen Kultur
gesichert, und wir haben uns die Beteiligung an gesellschaftlichen Entscheidungen erobert. Ich glaube, daß es
die Aufgabe meiner Generation von Frauen sein wird,
sich die vollständige und eigenständige ökonomische
Teilhabe zu erobern. Ich brauche nicht zu wiederholen,
was hier an vielen Stellen gesagt wurde: Diese Teilhabe
ist nicht überall und in allen Bereichen der Gesellschaft
erreicht. Es gibt das Problem der unterschiedlichen
Entlohnung; die Chancen im Erwerbsleben sind unterschiedlich; die Chancen an den Universitäten sind unterschiedlich.
Wir sollten aber den jüngeren Frauen draußen und
denen, die nach uns kommen, Mut machen und ihnen
sagen, was wir erreicht haben. Es saßen noch nie so
viele Frauen in einem deutschen Parlament wie in diesem, und wir haben es erreicht, daß viel mehr Frauen,
die sich selbständig machen und Existenzen gründen,
erfolgreich sind. Wir haben es mit einer Generation von
Frauen zu tun, die so gut qualifiziert ist wie noch keine
Generation vorher. Ich denke, man sollte den jüngeren
Frauen sagen, was erreicht wurde, woran sie teilhaben
und worauf wir alle stolz sein können.
({1})
Bei der ökonomischen Teilhabe geht es aber an das
Eingemachte. Ich habe den Eindruck, daß das der Punkt
ist, warum in vielen Reden und Beiträgen der Eindruck
vermittelt wird, die Frauenbewegung sei an ihrem Ende
angelangt. Der gesetzlich verankerte Anspruch auf Erziehungsurlaub ist ein Erfolg,
({2})
weil damit anerkannt wird, daß Frauen einer eigenständigen Erwerbstätigkeit nachgehen wollen. Ein weiterer
Erfolg wäre es, wenn wir erreichen könnten, daß Kinder
kein Hindernis für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
sind und daß es auch möglich ist, die Erwerbstätigkeit
zu unterbrechen. Kinder sollten keinen Karriereknick
darstellen, und es sollte auch kein Problem sein, wenn
die Frau den Erziehungsurlaub nicht für sich in Anspruch nehmen will. Ich denke, daß das Ziel einer Politik, die die Gleichstellung auch in der Gesellschaft
befördern will, darin liegen muß, eine gleichberechtigte
Teilhabe an der Erwerbsarbeit zu gewährleisten und
sicherzustellen, auch über die Regelungen des Erziehungsurlaubs hinaus. Das wird dazu führen, daß wir uns
politische Macht erobern.
Ich habe mich schon heute morgen gewundert, aber
eben wurde dieses Thema noch einmal angesprochen:
Ich finde es mutig, Frau Abgeordnete Karwatzki, daß
Sie hier das Thema „Frauen in die Bundeswehr“ angesprochen haben. Ich glaube, dies ist ein Beispiel für
einen Bereich, in dem wir etwas in unseren Köpfen und
in unserer Politik ändern müssen. Es gibt einen guten
Grund zu sagen: Wir wollen nicht mitmachen bei etwas,
was sich die Männer über Jahrzehnte hinweg aufgebaut
haben. Dies geschieht aus der politischen Überlegung
heraus, daß wir Alternativen zu der Organisation Bundeswehr schaffen müssen. Wir kommen aber nicht umhin festzustellen, daß wir diese Organisation brauchen.
Ich glaube, daß wir uns in diesem Punkt nicht darauf
verlassen können, daß uns alle glauben, wenn wir sagen,
wir als Frauen lehnen diese Organisation auf Grund
einer anderen Sozialisation ab. Ich gebe zu: Mein persönliches Verhältnis dazu ist auch etwas gespalten. Ich
glaube, wir sollten uns überlegen: Was ist das für eine
Organisation? Können wir es ablehnen, daran beteiligt
zu sein? Das Militär ist, wie viele andere Bereiche auch,
ein Bereich, wo gesellschaftlicher Einfluß ausgeübt wird
und wo sich gesellschaftliche Macht konzentriert. Ich
glaube, wir Frauen sollten es uns nicht entgehen lassen,
darauf in Zukunft Einfluß zu haben.
({3})
Das gilt auch für viele andere Bereiche, zum Beispiel
für die Beteiligung in der privaten Wirtschaft, für die
Beteiligung an der Gründung eigener Existenzen, für die
Beteiligung an politischen Auseinandersetzungen, wo es
um Macht geht. Ich glaube, wenn wir dies mitnehmen
und den jungen Frauen das Signal geben; wir Frauen haben in vielen Jahrzehnten dieses Parlaments, in vielen
Jahrzehnten dieser Republik gemeinsam etwas erreicht,
dann haben sie den Mut und das Vertrauen, daß ihr
eigenes Engagement in der Politik dazu führen wird, daß
ihre Gleichstellung demnächst wieder einen Sprung um
20 Jahre macht.
Vielen Dank.
({4})
Als letzte
Rednerin in dieser Debatte erteile ich jetzt der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz das Wort.
Meine lieben Kolleginnen und lieben Kollegen! Liebe Gäste! Frau
Präsidentin! Die Debatte dieses Tages zeigt ganz deutlich: So kämpferisch frauenbewegt, wie die Zeiten der
ersten Parlamentarierinnen im Deutschen Bundestag waren, sind sie heute leider nicht mehr. Der Zeitgeist flirtet
mittlerweile mit einem pflegeleichten Klischee moderner Weiblichkeit. Der Anspruch auf Gleichberechtigung
spielt in der Wirklichkeit nur eine vordergründige Rolle.
Die Frau von heute ist angeblich schon voll gleichberechtigt. Sie ist imstande, Beruf, Kinder und Ehe erfolgreich und glücklich unter einen Hut zu bringen: immer
gut drauf, das „Superweib“ schlechthin. Dieses fröhliche, allzu fröhliche Bild ist aber höchst problematisch.
Es ist eine Suggestion, die uns über viele Zeiten hinweg
sicherlich stark motiviert hat. Es ist aber gleichzeitig
eine Art Selbsttäuschung von uns Frauen.
Was meine ich damit? Der alltägliche Blick in die
Medien zeigt doch: Das Bild, das diese Gesellschaft
zeichnet, ist das Produkt aus Feminismus und KonsumNina Hauer
gesellschaft; es ist ein gestyltes Bild. Es greift zwar die
zahlreichen Lebensentwürfe, die junge Frauen heute haben, auf, entspricht aber nicht ihren Lebensrealitäten.
Hier verbergen sich alte Klischees in neuer Verpackung.
Sie kaschieren die nach wie vor bestehenden realen Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern: höhere Arbeitslosigkeit, niedrigere Löhne und Gehälter, schlechtere Jobs, niedrigere Renten, häufigeres Abrutschen in die
Sozialhilfe.
Welche Perspektiven bieten sich in dieser Gesellschaft für eine junge Frau, 30 Jahre alt, alleinerziehend,
zwei Kinder? Das Hinübertasten aus einer Bindung, die
nicht mehr trägt, endet zumeist in sozialer Unsicherheit,
in ständiger Geld- und Zeitnot, zwischen Halbtagsjobs,
dem Haushalt und den Kindern. In 30 oder 35 Jahren
wird dann der Rentenbescheid diesem Menschen sagen,
daß sie das Leben einer Frau gelebt hat und daher nur
die halbe oder zumindest eine geringere Rente beziehen
kann.
Das Bild vom Superweib hält den Spannungen nicht
stand, die sich aus den berechtigten Ansprüchen junger
Frauen und den gegensätzlichen Beanspruchungen ergeben. Die Wirklichkeit der meisten Frauen in Deutschland ist eine andere - auch nach 50 tatkräftigen und erfolgreichen Jahren für Frauen, derer wir heute hier im
Parlament gedenken.
In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, sozialpolitischer und
wirtschaftlicher Stagnation, in Zeiten, in denen sich
Werte wandeln, Bindungen auflösen und Erziehungsfähigkeiten nachlassen, tendiert immer noch jede Gesellschaft dazu, die Probleme zunächst über die Frauenbiographien zu lösen. Da wird das Superweib auch ganz
gerne in die 50er Jahre „zurückgebeamt“. Das, meine
Damen und Herren, wird meine Generation nicht mit
sich machen lassen.
({0})
Unsere Politik muß sich daran messen lassen, ob die
eigenständige, vom Einkommen des Ehemannes unabhängige soziale Sicherheit der Frau verbessert wird, ob
Familienarbeit in bezug auf die Renten gewürdigt wird,
ob die Arbeitswelt entsprechend den sich verändernden
Lebens- und Erwerbsverläufen von Frauen und Männern
umstrukturiert wird. Das, was uns Walter Riester in den
letzten Wochen und Monaten hierzu präsentiert hat, ist
keine Antwort auf die Forderung nach einer eigenständigen sozialen Sicherung, sondern nur ein Hin- und Herschieben. Da haben wir noch einiges vor uns.
({1})
Die Zukunft ist eine Schwester der Gleichberechtigung. Die Frauen haben für uns in den letzten 50 Jahren
in allen gesellschaftlichen Bereichen mehr Beteiligung
und mehr Akzeptanz erkämpft. Jetzt heißt es für meine
Generation, die Strukturen zu verändern. Frauenpolitik
ist Querschnittspolitik. Sie muß aber Gesellschaftspolitik werden. Es wird nicht reichen, wenn Frauen mit
Frauen über Frauen diskutieren. Wir laufen sonst wie in
einem Hamsterrad immer schneller auf der Stelle; aber
wir kommen im Grunde nicht vom Fleck.
Um substantiell weiterzukommen, dürfen wir nicht
nur Selbstgespräche führen. Wir müssen vielmehr zu
einer Modernisierung der Frauenpolitik kommen. Dies
kann nur eine Frauenpolitik sein, die auch die Männer
stärker herausfordert, vielleicht sogar so stark, daß, wie
in anderen Debatten üblich, auch Zurufe gemacht bzw.
Zwischenfragen gestellt werden. Das würde die Debatten sicherlich beleben. Ich glaube, das ist der richtige
Dialog, den wir führen müssen.
Nicht ausschließlich wir Frauen müssen uns den Bedürfnissen neuer gesellschaftlicher Fragestellungen anpassen, sondern die Fragen müssen sich auch unseren
Bedürfnissen stellen. Dies wird die Welt der Männer berühren und zwangsläufig ändern. Genau diese Auseinandersetzung findet in meiner Generation immer häufiger in den Partnerschaften, aber auch hier im Parlament,
in der jungen Gruppe meiner Fraktion statt, wo mittlerweile einem Kollegen immer auch eine Kollegin gegenübersitzt. Eine gleichberechtigte, also 50prozentige Teilhabe in der jungen Generation, dies ist der „point of no
return“, den wir mittlerweile erreicht haben.
Es wird höchste Zeit, daß uns mehr Männer - wie
zum Beispiel Heiner Geißler - hier im Plenum konkret
sagen und mit uns darüber diskutieren, wie sie mit uns
und mit Kindern leben und arbeiten wollen. Das wird
eine wirklich spannende Debatte.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe damit die Debatte
über dieses besondere Thema. Das möchte ich in diesem
Fall nicht tun, ohne noch einmal den Initiatorinnen zu
danken. Diese Debatte war nicht nur eine gute Idee,
sondern es war auch durchaus viel Arbeit damit verbunden, sie am heutigen Tag umzusetzen. Ich möchte ebenso allen Rednerinnen für ihre Debattenbeiträge sehr
herzlich danken.
Jetzt sind Sie im Namen des Präsidiums zu einem
Empfang eingeladen. Ich möchte Ihnen mitteilen, daß er
nicht, wie ursprünglich vorgesehen, auf der Präsidialebene, sondern auf der Fraktionsebene, das heißt im
3. Stock des Reichstagsgebäudes, stattfindet. Diese Einladung gilt selbstverständlich auch für Sie auf der Besuchertribüne, die Sie uns so geduldig zugehört haben.
Die Sitzung wird um 15 Uhr weitergeführt. Auch
dann geht es um das Thema Frauen.
Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet - leider, weil wir oben beim
Empfang in so schöne Gespräche vertieft waren. Aber
Pflicht ist nun einmal Pflicht. Zwar finde ich es unfair,
daß nun nicht alle wieder zurückkommen, sondern wir
hier arbeiten müssen, während die anderen feiern dürfen
- das ist nicht die feine englische Art -, aber so ist es
nun einmal.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und b sowie
Zusatzpunkt 1 auf:
2.a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel
Humme, Dr. Hans-Peter Bartels, Anni BrandtElsweier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Marieluise
Beck ({0}), Ekin Deligöz, Kristin Heyne,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neue Initiativen zur Frauenbeschäftigung
- Drucksache 14/1195 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra
Bläss, Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Gleichstellung von Frauen und Männern im
Erwerbsleben
- Drucksache 14/1529 ZP1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria
Eichhorn, Hannelore Rönsch ({2}), Wolfgang Dehnel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Bekämpfung der Frauenarbeitslosigkeit in
Deutschland
- Drucksache 14/1549 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Tourismus
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
denke, daß Sie damit einverstanden sind. Ich eröffne die
Aussprache und gebe unserer Ministerin Christine
Bergmann das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, in
den nächsten Minuten werden noch sehr viele Frauen zu
uns stoßen. Ein bißchen Pause mußte eben zwischendurch auch einmal sein. Wir setzen jetzt die Debatte von
heute vormittag fort. Ich kann an viele Punkte anknüpfen, die wir bereits heute vormittag besprochen haben.
Wenn wir uns die Voraussetzungen anschauen, die
Frauen für den Arbeitsmarkt mitbringen, stellen wir fest:
Wir hatten noch nie so viele qualifizierte Frauen in so
vielen Bereichen wie heute. Die Zahl der qualifizierten
Frauen steigt ständig. Wir haben 55 Prozent weibliche
Abiturienten. 52 Prozent der Studienanfänger an Universitäten sind Frauen. Inzwischen verfügen mehr erwerbstätige Frauen als Männer über den Abschluß einer
Lehre oder einer Berufsfachschule. Frauen bringen also
- wie man feststellen kann - allerbeste Voraussetzungen
für den Arbeitsmarkt mit, der in Zukunft noch mehr als
heute auf qualifizierte Fachkräfte angewiesen sein wird.
Aber wenn wir uns die reale Situation auf dem Arbeitsmarkt ansehen, finden wir kein besonders schönes
Bild vor. Zwar sind 42 Prozent der Erwerbstätigen Frauen, aber von den Führungsetagen wissen wir, wie duster
es dort aussieht. In den Führungspositionen der deutschen Wirtschaft findet man im oberen Management gerade 6 Prozent Frauen. Wir wissen, daß die Wissenschaft ein besonders schwieriger Bereich ist. Dies kann
ich aussparen; das macht nachher meine Kollegin. Aber
auch in den Bundesbehörden steht es durchaus nicht
zum besten. Nur 10 Prozent der Referatsleiterpositionen
sind von Frauen besetzt. Bei den Abteilungsleitungen
sind es gerade einmal 1,3 Prozent.
Ganz wesentlich ist auch die Höhe des Durchschnittsverdienstes von Frauen. Wenn man sich die
Zahlen für 1999 ansieht, stellt man fest, daß in den Altbundesländern Frauen im Schnitt 23 Prozent weniger
verdienen als ihre männlichen Kollegen. In den neuen
Bundesländern sieht es etwas besser aus. Dort sind es
nur 10 Prozent weniger. Dies hat etwas mit den Arbeitsmarktsektoren zu tun, in denen Frauen tätig sind.
Das heißt also, daß der gleiche Lohn für die gleichwertige Arbeit längst noch nicht Realität ist. Wir müssen uns
also neben der Frage, wie Frauen in Führungspositionen
kommen können, auch darum kümmern, daß die Frauenberufe anders bewertet werden.
({0})
Das macht sehr deutlich, was wir heute früh gemeinsam festgestellt haben: Wir haben noch keine Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt. Dies
hat auch etwas - das möchte ich jetzt nicht wiederholen
- mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, also
damit zu tun, wer eigentlich die undankbare Arbeit in
der Familie, wer die Erziehungsarbeit macht, die mit den
Benachteiligungen im Beruf verbunden ist.
Nun kann man dies nicht dem Selbstlauf überlassen,
auch wenn wir uns heute vormittag in vielen Punkten einig waren, auch einig darin, wieviel schon erreicht wurde. Das heißt, daß wir jetzt sehr genau schauen müssen,
was eigentlich in der nächsten Zeit dran ist. Das gilt für
die nationale Ebene genauso wie für die europäische.
Ich möchte einige Worte zu der europäischen Ebene
sagen. Wir haben mit dem Amsterdamer Vertrag, der am
1. Mai dieses Jahres in Kraft getreten ist, eine gute
Grundlage auch für die Gleichstellungspolitik im Bereich der Erwerbsarbeit. Der Vertrag enthält ein umfassendes Diskriminierungsverbot. Wir haben in Europa
mit dem Konzept des „mainstreaming“ einen Ansatz,
der auch in den beschäftigungspolitischen Leitlinien
1999 der Europäischen Union eine zentrale Rolle
spielt. „Mainstreaming“ bedeutet mehr, als irgendwo ein
kleines Programm zu machen, mit dem man wieder eine
bestimmte Gruppe von Frauen ein bißchen weiter bringt.
„Mainstreaming“ heißt, daß die Interessen und Bedürfnisse von Frauen in allen Politikfeldern berücksichtigt
werden müssen. Das ist also noch mehr als Querschnittspolitik; es ist wirklich Gesellschaftspolitik.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Die beschäftigungspolitischen Leitlinien fordern die
Mitgliedsstaaten dazu auf, klare, konkrete und überprüfbare Ziele zu setzen, sei es bei Maßnahmen zum Abbau
der geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Entlohnung - ich hatte das gerade schon angeführt -, sei es
bei der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit
oder bei der Rückkehr von Frauen ins Erwerbsleben, um
nur einige Beispiele zu nennen. Das ist ein ganz wichtiger gleichstellungspolitischer Fortschritt; das ist eine
Chance für Frauen.
Wir müssen dazu aber immer ganz klar sagen: Das ist
auch eine Chance für den Arbeitsmarkt in Europa.
({1})
Es geht nämlich nicht nur darum, zu sagen: Frauen müssen ihre Chance bekommen. Vielmehr muß auch gefragt
werden: Was ist in diesem Land und in Europa eigentlich ökonomisch vernünftig? Mich ärgert immer, wenn
nicht einmal das, was ökonomisch vernünftig ist, nämlich die gut qualifizierten Frauen ordentlich einzubeziehen und auf diese Ressourcen zuzugehen, angegangen
wird.
Wir haben als Bundesregierung diese Leitlinien - das
sind wirklich gleichstellungspolitische Steilvorlagen aufgegriffen. Die Maßnahmen der Bundesregierung
werden im Programm „Frau und Beruf“ gebündelt,
das wir im Juni im Kabinett beschlossen haben. Ich denke, wir werden uns noch manches Mal über das Programm unterhalten; denn es ist ein Arbeitsprogramm. Es
wird fortgeschrieben und laufend überprüft. Es wird also
nicht nur gesagt: Hier haben wir eine Million DM. Was
machen wir mit der Million? Prima, jetzt haben wir den
Plan erfüllt - oder auch übererfüllt; das kennen wir ja in
einigen Teilen Deutschlands. Vielmehr wird wirklich
auch gefragt: Was brauchen wir rechtlich? Was können
wir in den unterschiedlichen Bereichen tun? Was hat
sich bewährt? Wie kommen wir mit dem „mainstreaming“ weiter?
Eine interministerielle Arbeitsgruppe wird sich also
mit dem Thema „mainstreaming“ beschäftigen müssen.
Alle Ministerien müssen sich nun damit befassen: Welche Kriterien haben wir, um zu erkennen, ob wir in der
Gleichstellungspolitik weitergekommen sind? Wofür
wird das Geld in diesem Lande eigentlich ausgegeben?
Was kommt davon Frauen zugute, was kommt Familien
zugute? Das geht also wirklich in die Tiefe, und das
wird natürlich Zeit kosten; davon bin ich überzeugt.
Aber ich denke, das ist der richtige Weg.
Daneben müssen wir ganz konkrete Maßnahmen umsetzen. Wir können natürlich nicht sagen: Wir machen
jetzt „mainstreaming“ und gucken einmal, was dabei herauskommt; in der Zwischenzeit stoppen wir unsere speziellen Programme.
Wir haben in dem Programm „Frau und Beruf“ gezielt ganz bestimmte Bereiche aufgenommen; einiges
wurde bereits umgesetzt, oder wir sind noch dabei. Denken wir nur an das Sofortprogramm zur Bekämpfung
von Jugendarbeitslosigkeit. Natürlich enthält dieses
Programm schon die Quotierung, daß also Mädchen entsprechend berücksichtigt werden müssen. Aber es geht
nicht nur um Quantitäten. Vielmehr geht es auch darum,
das Programm so zu nutzen, daß Mädchen im gewerblich-technischen Bereich entsprechend vorkommen.
Man kann gezielt bestimmte Frauenprojekte fördern,
insbesondere in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind.
Wir haben auf dem Arbeitsmarkt mit den vorhandenen Veränderungen schon wichtige Forderungen erfüllt.
Der Arbeitsminister hat eine veränderte Regelung zur
Altersteilzeit vorgelegt, die vom Kabinett bereits beschlossen ist. Liebe Frauen, wir haben das die ganze Zeit
gefordert! Wir wollen den Zugang von Teilzeitkräften in
die Altersteilzeitregelungen. Das betrifft nämlich die
Frauen. Diese Regierung hat das nun vorgelegt; das ist
sehr wichtig.
Das Vorschaltgesetz enthält eine Regelung, daß
55jährige Arbeitslose an Fünfjahresmaßnahmen teilnehmen können. Als ich in dieser Stadt noch als Arbeitssenatorin tätig war, habe ich davon immer geträumt.
Wir haben das immer gefordert. Zu der alten Bundesregierung hat es in dieser Hinsicht nie einen Zugang gegeben. Jetzt haben wir das. Ich will damit zeigen, daß wir
nicht lange gewartet, sondern gleich „geklotzt“ haben.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen
natürlich an den Bereich der Wirtschaft heran; das wissen wir; das ist ein Teil des Programmes. Wir müssen
fragen: Wie können wir die Chancen der Frauen in
der Wirtschaft verbessern? Wir debattieren darüber
schon. Es gibt eine Expertengruppe mit Vertretern aus
Gewerkschaften, aus der Wirtschaft, aus der Wissenschaft, aus der Politik.
Wir gehen dabei von den bereits existierenden guten
Beispielen aus; glücklicherweise ist bei dem einen oder
anderen Unternehmen der Groschen schon gefallen. Sie
haben erkannt: Es arbeitet sich gut mit Frauen; man
kommt gut voran. Es ist ein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen, wenn sie Frauen entsprechend einbeziehen.
Es geht jetzt darum, zu sagen, welche Maßnahmen
geeignet sind, die Gleichstellung in den Unternehmen
umzusetzen und Frauen bessere Chancen zu geben. Ich
sage ganz klar: Es geht auch um gesetzliche Regelungen. Wir unterhalten uns nicht nur einfach nett miteinander und fragen nicht nur: Was ist ganz schön, und was
kann man empfehlen? Am Ende geht es auch darum, zu
sagen, welche gesetzlichen Regelungen das Ziel erfüllen
und gleichzeitig geeignet sind, bei der Unterschiedlichkeit der Unternehmen vernünftig umgesetzt zu werden.
Für den öffentlichen Dienst werden wir in den nächsten Wochen ein Gleichstellungsgesetz auf den Weg
bringen, zumindest in die Ressortabstimmung. Hier
kann einiges einfacher geregelt werden, wie wir wissen.
Wir müssen hier auch deshalb etwas tun, weil das alte
Gesetz nicht genügend gegriffen hat. Das sage ich ganz
vorsichtig.
({3})
Die Frauenbeauftragten benötigen mehr Kompetenzen. Es müssen verbindliche Vorgaben geschaffen werden, die gewährleisten, daß tatsächlich mehr Frauen in
Führungspositionen gelangen. Hier muß es weitere
Maßnahmen geben.
Ich möchte auch noch etwas zu dem Thema „Mann
und Familie“ sagen. Wir haben heute darüber ausgiebig
diskutiert und waren uns darin einig, daß bei der Einstellung der Männer und bei der Regelung des Erziehungsurlaubs etwas passieren muß. Ich weise nicht zum
erstenmal daraufhin: Wir werden demnächst das Erziehungsgeldgesetz ändern. Wir werden den Erziehungsurlaub in einen Elternurlaub umwandeln. Beide Elternteile, also Väter und Mütter, sollen zur gleichen Zeit
Erziehungsurlaub nehmen können. Eine solche Regelung ist durch Teilzeitarbeit möglich. Wir hoffen, daß
dadurch die verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre der Männer - darüber haben wir ja
schon gesprochen; das gilt natürlich nicht für alle Männer - in tatsächliche Verhaltensänderungen umgesetzt
werden kann.
({4})
Für uns ist das ein wichtiger Punkt. Wir hoffen, durch
eine solche Regelung den Familien besser gerecht zu
werden und ihnen bessere Möglichkeiten zu bieten, Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich miteinander
zu teilen. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt.
({5})
Meine Redezeit läuft allmählich ab. Ich möchte noch
deutlich machen, daß wir in den Bereichen der zukunftsträchtigen Arbeitsplätze bereits versuchen,
Wirkungen zu erzielen. Wir haben schon Gespräche mit
den Verantwortlichen in den großen Informationsunternehmen geführt, um zu sehen, welche Projekte gemeinsam auf den Weg gebracht werden können, damit Frauen in diese zukunftsträchtigen Bereiche hineinkommen,
in denen im Moment schon Arbeitskräftemangel
herrscht und in denen ein Arbeitsmarkt vorhanden ist,
der für Frauen unbedingt erschlossen werden muß.
Aber vor allem ist der berühmte Bewußtseinswandel, über den wir heute vormittag lange diskutiert haben,
in den Köpfen der Männer notwendig. Es muß einfach
akzeptiert werden, daß Frauen das gleiche Recht auf
Erwerbsarbeit wie Männer haben. Wir wollen niemanden in die Erwerbsarbeit zwingen. Aber die Möglichkeiten müssen vorhanden sein. Zudem dürfen Erziehungs- und Familienarbeit nicht als Frauenprobleme und
Frauenthemen abgehandelt werden.
Ich denke, unser Programm kann sich sehen lassen. Ich
hoffe, daß es viele Anregungen geben wird. Schon in der
heutigen Debatte gab es viele Vorschläge für ein gemeinsames Handeln. Bitte, liebe Frauen, liebe Männer, macht
also mit, damit wir ein Stück weiter vorankommen.
Danke.
({6})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Renate Diemers.
Frau Präsidentin!
Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute hier im Plenum reden zu dürfen ist für
mich etwas Besonderes; denn nach der Feierstunde „Die
Parlamentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag“
und zugleich in der ersten Plenarsitzung im Reichstagsgebäude zu sprechen ist nicht alltäglich. Sehr alltäglich ist
es mittlerweile allerdings geworden, von Anträgen der
rotgrünen Regierungskoalition immer wieder enttäuscht
zu werden. In Anbetracht des heutigen Rahmens der Sonderveranstaltung und der Ergebnisse auf dem Gebiet der
Frauenförderung in den letzten Jahrzehnten ist es mehr als
peinlich, einen Antrag einzubringen, der im Jahr 1949
- zugegebenermaßen - Aufsehen erregt hätte.
Wir alle kennen den Bericht des Europäischen Parlaments über die besonderen Auswirkungen der Frauenarbeitslosigkeit, auf dem Sie sich in Ihrem Antrag beziehen. Er ist allgemein gehalten, um alle Mitgliedstaaten
unter einen Hut zu bringen. Aber warum werden Sie mit
Ihren Forderungen an die Bundesregierung nicht konkreter? Wir sind doch über die ursprüngliche Debatte
der bloßen Festlegung der Ziele schon hinaus. Oder etwa
nicht?
({0})
Was soll denn noch Ihre Forderung, die Gleichstellung von Frau und Mann als Querschnittsaufgabe zu betrachten und - nachlesbar im Programm „Frau und Beruf“ - eine interministerielle Arbeitsgruppe einzusetzen?
Die notwendigen Gesetze sind doch schon vorhanden.
Wir brauchen keine neuen Regelungen, sondern Impulse, daß die bestehenden Regelungen konsequent angewendet werden, zum Beispiel das Gleichstellungsgesetz,
das Betriebsverfassungs- und das Bundespersonalvertretungsgesetz, das Arbeitsförderungsrecht mit den Eingliederungshilfen nach Kinderbetreuungszeiten, das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgesetz und viele andere Regelungen.
Außerdem: Wenn es Ihnen mit der Gleichstellung
von Frauen in allen Politikfeldern ernst wäre - Frau
Rönsch hat schon heute morgen darauf hingewiesen -,
dann hätten Sie ohne weiteres Frau Schipanski Ihre
Stimme geben können; denn sie war eine erstklassige,
eine kompetente und eine hervorragend geeignete Kandidatin für das Bundespräsidentenamt.
({1})
Wir brauchen also keine neuen Gesetze auf geduldigem Papier, sondern Zivilcourage bei uns selbst,
({2})
einen Stimmungswechsel - Frau Ministerin, Sie haben
recht - und eine Einstellungsänderung in unserer Gesellschaft und in der Wirtschaft mit der Folge, daß sich die
Situation auf dem Arbeitsmarkt und in den von Ihnen
angesprochenen Politikfeldern auch für die Frauen bessern wird.
Wir sind uns einig: Die Arbeit und das berufliche
Engagement von Frauen, auch von Frauen mit Kindern, muß von der Gesellschaft und besonders von den
Unternehmen stärker akzeptiert und im wahrsten Sinne
des Wortes besser honoriert werden. Das neue Frauenbild wird sich in unseren Köpfen um so leichter als Leitbild durchsetzen, je mehr Frauen verantwortungsbewußtere Positionen einnehmen, das gleiche Gehalt wie
ihre männlichen Kollegen erhalten und - als Krönung
des Ganzen - auch noch die eventuell notwendige Kinderbetreuung organisiert bekommen.
Realistisch ist: Die Familien- und Erziehungsarbeit
wird zunächst weiterhin an den Frauen hängenbleiben,
auch wenn die Zahl der Väter, die den Erziehungsurlaub
in Anspruch nehmen und sich freiwillig engagieren,
steigen wird - vom täglichen Überlebenstraining der alleinerziehenden Frauen ganz zu schweigen. Sie fordern
mit Recht die Verbesserung der Vereinbarkeit von
Familie und Erwerbsarbeit. Dazu gehört unabdingbar
die Weiterentwicklung der Anerkennung von Kindererziehungszeiten bei der Rente. Aber auch diese Notwendigkeit lassen Sie in Ihrem Antrag dezent unter den
Tisch fallen.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ausdrücklich nicht das individuelle Problem erwerbstätiger
Frauen. Je eher die Männer, die Unternehmen und die
Gesellschaft insgesamt das erkennen, desto besser. Das
erreichen wir Frauen aber nicht, wenn wir die Doppelbelastung immer wieder wie ein Schild negativ vor uns
hertragen. Ich zitiere noch einmal Frau Schipanski, die
auf die doppelte Freude, nämlich Kinder zu haben und
einen Beruf und eine Karriere erfolgreich zu meistern,
mehrfach hingewiesen hat.
({3})
Bei allen Schwierigkeiten, dies unter einen Hut zu bekommen, sollten wir diesen speziellen Aspekt nicht ganz
aus den Augen verlieren. Dieses Umdenken wäre ein
Schritt dahin, daß auch Väter den Erziehungsurlaub
attraktiver finden.
({4})
Wichtig ist für Väter und Mütter, nach dem Erziehungsurlaub wieder einen adäquaten Posten mit Aufstiegschancen, Weiterbildungsmöglichkeiten und entsprechender Bezahlung zu haben. Das bedeutet zunächst
einmal, daß wir in Deutschland die Arbeitslosigkeit in
den Griff bekommen. Davon sind Sie mit Ihrer Politik
ein ganzes Stück weiter entfernt als wir vor Ihrer Regierungsübernahme.
({5})
Wir waren mit unseren Reformen nachweisbar auf dem
richtigen Weg. Auch Sie erkennen das heute.
({6})
Meine Kolleginnen von der SPD, Sie fordern zu
Recht den Ausbau von Angeboten für Kinderbetreuungseinrichtungen. Aber meinen Sie ernsthaft, daß 30
DM mehr Kindergeld im Monat abzüglich der Belastungen durch Ökosteuer usw. - ich will jetzt nicht alles aufführen - für eine Ganztags- oder Halbtagsbetreuung ausreichen?
({7})
Ich will damit sagen: Sie fordern Maßnahmen und höhlen das Ziel dieser Maßnahmen durch eine unsoziale
Steuerpolitik von vornherein aus.
({8})
Positiv kann man die im Programm „Frau und Beruf“
angedeuteten Pläne bewerten, die frauenpolitischen Wege der alten Bundesregierung im Hinblick auf die Hochschulförderung, die Förderung von Frauen in Führungspositionen und bei der Auszeichnung familienfreundlicher Betriebe und Existenzgründungen fortzusetzen.
({9})
Dies ist eine Bestätigung unserer Politik, und wir werden Sie bei der Fortführung dieser Politik unterstützen.
Voraussetzung ist selbstverständlich, daß Sie das im
Hinblick auf Existenzgründungen gänzlich kontraproduktive Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit zurücknehmen.
({10})
Frauen als Existenzgründer brauchen eine gute Ausbildung, um auf einem hart umkämpften Markt bestehen
zu können. Dazu gehören heutzutage Kenntnisse der
neuen Technologien. Die Bedienung von Computern
und eine bestmögliche Ausnutzung der zum Teil sehr
speziell zugeschnittenen Software ist nahezu selbstverständlich geworden. Die CDU/CSU fordert daher konkret, daß Frauen und Mädchen sehr früh, schon in den
Schulen und vor der Berufswahl, über den Informationsund Medienbereich beraten werden und die neuen Technologien der Informations- und Kommunikationswelt in
besonderen frauenspezifischen Weiterbildungen erlernen. Diesem Bereich gehört die Zukunft; dort liegt auch
die große Chance für Frauen. Dazu gehört auch die allgemeine Ausweitung der Telearbeit und insbesondere
der Teleheimarbeit. Mir ist im übrigen sehr unangenehm
aufgefallen, daß all diese Begriffe in Ihrem Antrag nicht
auftauchen.
Die Entwicklung der Teleheimarbeit besitzt eine
Schlüsselfunktion. Wir müssen für diese Arbeitsform
der Zukunft mehr werben und sie als Abgeordnete mutig
den Unternehmen vorleben. Die CDU/CSU hat einen
entsprechenden Antrag zu alternierenden Telearbeitsplätzen eingebracht, der unseren eigenen, derzeit von
Umzugsschwierigkeiten geplagten Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern zugute kommen kann. Dies wird vorbildhaft auf viele Unternehmen wirken. Mit einer Zustimmung zu diesem Konzept können auch Sie von der Regierungskoalition Farbe bekennen.
In unserem Antrag „Bekämpfung der Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland“ sind die notwendigen Initiativen und Richtungswechsel aufgeführt, die in Ihrem Antrag fehlen. Meine Kollegen gehen darauf noch ein. Mit
Ihrem Antrag werden unsere - ich darf sicher sagen,
gemeinsamen - Anliegen nicht erreicht. Daher können
wir ihm nicht zustimmen und bitten statt dessen um
Unterstützung unseres Antrages.
({11})
Ich will noch kurz auf einen bestimmten Bereich des
Arbeitsmarktes hinweisen, der meistens zu kurz kommt:
die Freizeit- und Tourismusbranche. Diese Branche
ist aus verschiedenen Gründen für Frauen interessant.
Der Schaffung von Arbeitsplätzen in Eigenregie und
damit auch von modernen Ausbildungsplätzen in diesem
Bereich sollten wir mehr Beachtung schenken.
In ländlichen Räumen beweisen Frauen, daß sie
nicht nur ihren Beitrag zum Familieneinkommen leisten, sondern gänzlich neue Wege gehen. Ich nenne nur
die Bauerncafés, die Selbstvermarktung oder auch die
Angebote „Ferien auf dem Bauernhof“. Es handelt sich
hierbei um kleine Unternehmen zur Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes, die meistens von Frauen gemanagt werden und den Effekt haben, daß weitere zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, gerade auch für
Frauen. Ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit:
Diesen Frauen legen Sie durch Ihre Politik große Steine in den Weg.
({12})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Frau Diemers, ich habe ja viel Verständnis dafür, wenn Sie sagen, daß Ihnen der Antrag nicht
weit genug geht und Sie die Bundesregierung auffordern, noch viel mehr zu tun. Auch ich habe vier Jahre
lang für die Opposition gesprochen. Deshalb gehe ich
davon aus, daß es sich dabei um einen bestimmten Reflex handelt.
Ich kann aber nicht verstehen, daß die CDU seit Monaten wie eine Monstranz vor sich herträgt, daß die
Frauen der Regierungsfraktionen schuld daran seien, daß
wir keine Bundespräsidentin hätten.
({0})
- Das ist nicht so.
({1})
Sie selbst haben gesagt, daß Sie dann, wenn Sie noch an
der Regierung wären und die Mehrheit gehabt hätten,
Frau Schipanski nicht vorgeschlagen hätten.
({2})
Ich halte es für unglaublich und für ein Verheizen von
Frauen, immer dann Frauen vorzuschlagen, wenn man
weiß, daß ihre Kandidatur aussichtslos ist.
({3})
Bei diesem Verheizen von Frauen machen wir nicht mit.
({4})
Jetzt zum Thema: Schon vor den Wahlen hat sich
Rotgrün dazu bekannt, daß eines der wichtigsten Reformprojekte der Aufbruch in der Frauenpolitik ist. Ich
gestehe gerne ein, daß es auch mir manchmal zu langsam geht, aber die Häme der Opposition kann ich überhaupt nicht verstehen. Sie ist in dieser Weise nicht angebracht, weil Sie uns einen Riesenreformstau hinterlassen haben.
({5})
Sie waren es auch, die das Wort Reform zu einem
Unwort gemacht haben. Menschen hatten doch Angst
vor diesem Wort, weil Reform immer Schlechterstellung
und Abbau von Leistungen bedeutete. Deshalb haben
wir doch jetzt die Probleme, daß die Menschen, wenn
wir etwas Neues wollen oder etwas reformieren wollen,
Angst haben und sagen: Um Gottes willen, was kommt
da auf mich zu; es kann nur alles schlechter werden.
({6})
Wir halten daran fest. Die Gleichstellung der Geschlechter ist für uns d a s Reformprojekt. Dieser Reformwille wird durch das Programm „Frau und Beruf“
deutlich - Frau Bergmann hat gerade darauf hingewiesen -, das im Juni im Kabinett beschlossen wurde.
Rückenwind haben wir jetzt über das Europäische Parlament bekommen. In der Entschließung, die Ihnen hier
vorliegt, sind vielfache Maßnahmen zum Abbau der Benachteiligung vorgesehen, an denen wir uns auch orientieren. Das ist notwendig, weil die Lage auch hier bei
uns in Deutschland desolat ist. Von Chancengleichheit wir haben heute morgen viel darüber gesprochen - kann
in der Bundesrepublik nach wie vor nicht die Rede sein.
Frauen sind häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen,
ganz besonders im Osten. Sie verdienen im Westen in
der Regel ein Viertel weniger als die Männer, im Osten
bekommen sie 90 Prozent der Löhne, die die Männer erhalten. Die Tendenz geht allerdings nach unten; die
Ostlöhne der Frauen werden Stück für Stück auf das Niveau der Westlöhne der Frauen heruntergefahren. Und wen wundert es? -:In den Chefetagen sitzen 3,5 Prozent
Frauen. Die Kindererziehung bringt dann allerdings
endgültig den Karriereknick, und Teilzeitarbeit beschert
den Frauen die schlechten Plätze.
({7})
Im Erwerbssystem werden sie benachteiligt. Wie dann
die entsprechende Rente aussieht, können Sie sich vorstellen. Sie hatten als alte Bundesregierung den Frauen
außer salbungsvollen Reden nicht viel zu bieten. Sie haben sie aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt. Sie haben
es nicht verhindert, daß die bezahlte Arbeit den Männern, die unbezahlte den Frauen gelassen wird.
Die Erwerbsquote von Frauen stagniert bei uns seit
Jahren. Bei den Frauen zwischen 15 und 65 Jahren liegt
sie bei knapp über 60 Prozent, in den skandinavischen
Staaten liegt sie bei über 90 Prozent. Ich denke, hier haben wir viel Nachholbedarf. Die Erwerbslosigkeit der
Frauen im Osten beträgt 22 Prozent mehr als im Westen,
und das ist schon sehr viel weniger, als es noch vor zwei
Jahren war, denn es gibt eine hohe Dunkelziffer. Die
Frauen im Osten haben inzwischen, ähnlich wie die
Frauen im Westen, resigniert und sagen: Wir melden uns
gar nicht mehr erwerbslos, weil es für uns sowieso keine
Chance gibt. Das heißt, diese Zahlen sind vielleicht
doppelt so hoch. Es wird höchste Zeit, daß wir da etwas
tun und daß wir dieses Demokratiedefizit endlich beseitigen. Ich finde, es ist mehr als fehlende Demokratie,
wenn der Hälfte der Gesellschaft die gleichberechtigte
Teilhabe vorenthalten wird und wenn es für Frauen die
berühmte gläserne Decke gibt, wenn der Weg nach oben
abgeschnitten ist und sie einfach nicht mehr weiterkommen.
Dieses Demokratiedefizit ist vorprogrammiert. Sie
haben von dem Gleichberechtigungsgesetz gesprochen,
das 1994 für den öffentlichen Dienst für 1 Prozent aller
erwerbstätigen Frauen ohne verbindliche Vorgaben erlassen wurde. Da wundert es auch nicht besonders, daß
dieses Gesetz wirkungslos war. Wir haben von der Ministerin schon Zahlen gehört, wie es im öffentlichen
Dienst der Bundesbehörden aussieht.
Ich frage Sie: Wie ist es denn eigentlich zu rechtfertigen, daß es bisher keinerlei gesetzliche Frauenförderung
für die gesamte private Wirtschaft gibt? Wir haben 1994
doch nicht rein zufällig die Grundgesetzänderung mit
aufgenommen. Der Staat ist in der Pflicht, etwas zu tun.
Wir haben jetzt 1999. Bisher wurde noch nichts unternommen. Ich denke, die Vergabe von öffentlichen Aufträgen muß endlich an frauenfördernde Maßnahmen gebunden werden. Das ist der richtige Weg.
Was ist so schwierig an dem Gedanken, daß Frauenförderung auch für Unternehmen lukrativ ist? Es hapert
bei Ihrem Gleichberechtigungsgesetz. Wir werden es
ändern. Die Ministerin hat vorhin schon erwähnt, daß
die ersten Entwürfe für den öffentlichen Dienst bereits
vorliegen. Dieses von Ihnen vorgelegte Gesetz hatte
keine Erfolge. Und wenn immer gesagt wird, die Frauen
hätten noch so viel nachzuholen, muß ich sagen: Sie
stellen 54 Prozent der Abiturienten, 52 Prozent der Studenten, und ihr Anteil im höheren Dienst der Bundesbehörden liegt bei mageren 9 Prozent. Bei den Abteilungsleitern ist es ungefähr 1 Prozent. Ich denke, daß wir
hier Handlungsbedarf haben, darf von den Damen und
Herren des gesamten Hauses nicht bestritten werden.
Wen wundert es, daß Frauen häufig bei der Stellenvergabe oder auch bei der Beförderung benachteiligt
werden, wenn die Diskriminierung für die Arbeitgeber
so preiswert ist, wie es jetzt der Fall ist? Wir haben im
Bürgerlichen Gesetzbuch das Diskriminierungsverbot.
Es ist nicht effektiv ausgestaltet. Der Europäische Gerichtshof hat uns seit Jahren ermahnt und gesagt: Hier
muß eine Änderung herbeigeführt werden; es darf nicht
so billig sein, Frauen zu diskriminieren. Wir haben Vorschläge gemacht, wie bei Diskriminierung zusätzliche
Maßnahmen, Schadenersatzansprüche oder auch ein
Einstellungsanspruch für die bestqualifizierte Person
umgesetzt werden können. Wir brauchen diese wirkungsvollen Maßnahmen; sonst wird man in 50 Jahren
tatsächlich feststellen müssen: Wir sind kein Stück weitergekommen.
An dieser Stelle werden wir mit unseren Reformen
ansetzen. Wir werden ein Gesetz für die Privatwirtschaft vorsehen. Dabei werden wir - das ist doch überhaupt keine Frage - natürlich auf die unterschiedlichen
Betriebsgrößen der verschiedenen Einrichtungen Rücksicht nehmen. Aber: Frauenförderung ist notwendig. Wir
müssen die Situation der Frauen in den Betrieben stärken, auch durch verbindliche Gleichstellungspläne in
großen Unternehmen - ob ab 50 oder ab 100 Beschäftigten, darüber müssen wir uns noch verständigen. Wenn
eine Zuwiderhandlung ohne Sanktionen bleibt, dann
wird sich kein Mensch daran halten. Sie wissen, wie es
beim Gesetz für den öffentlichen Dienst in den Bundesbehörden war: Bis vor kurzem gab es noch zwei oder
drei Ministerien, die noch überhaupt keine Gleichstellungspläne erstellt hatten. Die Vorgaben blieben ohne
Folgen. Ob etwas getan wurde oder nicht, spielte keine
Rolle.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat durch das JUMP-Programm inzwischen
150 000 Stellen für junge Menschen geschaffen. Aber
wir müssen der Wirtschaft weitere Anreize bieten, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Dafür gibt es
viele Möglichkeiten, unter anderem das marktwirtschaftliche Instrument, die Auftragsvergabe an die Ausbildung von Lehrlingen zu koppeln. Aber es gibt auch
andere Wege, um den jungen Menschen den Einstieg in
das Erwerbsleben zu ermöglichen.
Das deutsche Recht hinkt in vielem dem europäischen Recht hinterher. Hier haben wir noch eine Menge
anzupassen. Dabei gibt es für uns gute Vorbilder, zum
Beispiel die Schweiz, wo es hinsichtlich der Sanktionen
das Recht einer Verbandsklage für Frauenverbände, für
Gewerkschaften gibt. Der Kreativität sind also keine
Grenzen gesetzt.
Letztendlich müssen wir bei der Lohndiskriminierung ansetzen. Wir können nicht hinnehmen, daß die
gut ausgebildeten Frauen 25 bis 30 Prozent weniger als
die entsprechend qualifizierten Männer verdienen. Wir
haben einen ersten Schritt gemacht, indem wir beschlossen haben, daß über die Lohndiskriminierung und deren
Ursachen - das ist ja nicht gottgegeben - ein ausführlicher Bericht erstellt wird. Nach diesem Bericht werden
wir vorsehen müssen, Diskriminierungen auch für kollektive Arbeitsverträge zu verhindern.
Aber es geht nicht nur um die gerechte Verteilung der
Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern, sondern
auch um die Umverteilung von bezahlter und unbezahlIrmingard Schewe-Gerigk
ter Arbeit, das heißt die Aufteilung der Familienarbeit
zwischen Müttern und Vätern. Da gibt es schon einige
positive Beispiele. Wir wollen, daß den jungen Vätern,
die bei der Geburt des Kindes häufig noch „mitatmen“,
nicht so schnell die Luft ausgeht und sie ihrer Aufgabe
gerecht werden können. Darum möchten wir Bündnisgrünen dem Programm „Frau und Beruf“ ein Programm
„Mann und Familie“ zur Seite stellen. Ich denke, das
ist der richtige Weg, um den vielen motivierten Männern
- diese gibt es ja; sie können die guten Vorschläge nur
nicht umsetzen - Hilfestellung zu leisten, damit sie das
leben können, was sie leben möchten.
Es gibt bisher kein Gesetz zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das die gleichberechtigte Erziehungsarbeit tatsächlich ermöglichen würde. Auch das haben wir
vorgefunden: daß die alte Regierung Kindererziehung
ausschließlich als Frauensache verstanden hat. Zwei
Prozent der Väter nehmen Erziehungsurlaub. - An dieser Stelle möchte ich einmal sagen: Wir müssen, wenn
wir ein neues Gesetz erarbeiten, endlich von den alten
Begriffen Abschied nehmen. Ich habe zweimal „Erziehungsurlaub“ genommen und kann Ihnen sagen: Das ist
alles andere als Urlaub; es ist eine ziemlich anstrengende Angelegenheit. Ich schlage vor, wir nennen das einfach „Erziehungsarbeitsgesetz“.
({8})
Wir brauchen - auch die Ministerin hat dies ausgeführt - bessere Betreuungsmöglichkeiten. Sie haben
mit Stolz darauf verwiesen, daß Sie den Rechtsanspruch
auf einen Kindergartenplatz umgesetzt haben. Daß für
Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren die Plätze eingerichtet wurden, hatte doch aber zur Folge, daß es
überhaupt keine Chance mehr gab, Kinder unter drei und
über sechs Jahren unterzubringen, weil diese Plätze abgebaut wurden. Kinderbetreuung, Ganztagsschulen - das
wird eine wichtige Sache sein, damit Väter und Mütter
der Erwerbstätigkeit nachgehen können.
Heute nehmen etwa 400 000 Frauen jährlich Erziehungsurlaub. Sehen sie sich die Statistiken an: Nur jede
zweite Frau kehrt wieder an ihren Arbeitsplatz zurück und das nicht, weil sie gerne zu Hause bleiben möchte,
sondern weil es keine familiengerechten Arbeitszeiten
gibt, weil es keine Gesetze gibt, die dies unterstützen.
Darum haben wir einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit während des Erziehungsurlaubs mit dem Rückkehrrecht auf Vollarbeitszeit vorgesehen.
Ich glaube, das ist eine wirksame Maßnahme, durch
die es auch den Vätern ermöglicht werden kann, während des Erziehungsurlaubs ihre Familienarbeit mit einer
Teilzeitbeschäftigung zu vereinbaren. Wir wollen, daß
die Anzahl der Stunden, die jetzt während des Erziehungsurlaubs gearbeitet werden dürfen, von 19 auf 30
Stunden erhöht werden kann; denn diejenigen, die Teilzeitarbeit nachfragen, fragen nicht ungesicherte 19
Stunden nach, sondern sie wollen zwischen 25 und 30
Stunden arbeiten. Das würde dazu beitragen, daß das
Geld innerhalb der Familie ausreicht; denn mit einem
Einkommen aus 19 Stunden Erwerbstätigkeit plus
600 DM Erziehungsgeld sind die Möglichkeiten sehr
schnell versperrt.
Wir haben ebenso vor, den Erziehungsurlaub in ein
flexibles Zeitkonto umzuwandeln. Auch dazu hat es
schon in der letzten Legislaturperiode eine Anhörung
gegeben. Es spricht überhaupt nichts dagegen, nach den
ersten zwei Jahren Erziehungsurlaub ein flexibles Jahr
bis zum 8. Lebensjahr des Kindes einzurichten. Der starre Erziehungsurlaub während der ersten drei Lebensjahre müßte endlich der Vergangenheit angehören, er hat
nämlich dafür gesorgt, daß viele Frauen nicht mehr zurückgekommen sind und Väter ihre Verantwortung nicht
übernehmen konnten.
Ich möchte zum Schluß einen Punkt ansprechen, den
ich für zentral halte und über den wir diskutieren müssen. Das sind die Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld. Seit 1986 haben Sie die Einkommensgrenzen nicht erhöht, was zur Folge hatte, daß nur noch 40
Prozent der Eltern das geschmälerte Erziehungsgeld bekommen haben. Wir denken, es ist an der Zeit, das etwas
zu erhöhen. Ich weiß, daß die finanzielle Situation
schwierig ist, aber wir müssen sehen, wie wir die Familien besser ausstatten können.
Es ist schon ein Problem: Wenn das erste Kind in eine
Familie hineingeboren wird, wird aus den zwei Einkommen für vormals zwei Personen ein Einkommen für drei
Personen. Wenn man dann die 600 DM Erziehungsgeld
reduziert, wird die Situation für die Familien wirklich
schwierig. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, über
den wir in den nächsten Monaten diskutieren sollten; und
wir müssen sehen, wie wir das finanzieren können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine gerechte Gesellschaft - darüber haben wir heute morgen gesprochen
- ist eine Gesellschaft, die die Rechte der Frauen und die
Demokratie zwischen den Geschlechtern nicht hintanstellt. Wir hatten heute morgen eine große Übereinstimmung. Wenn wir Ihnen jetzt unsere konkreten Forderungen vorstellen, hoffen wir, daß wir auch darin
Übereinstimmung finden und gemeinsam für die Sache
der Frauen ein Stück vorankommen.
Vielen Dank.
({9})
Jetzt hat das Wort
die Kollegin Ina Lenke, F.D.P.-Fraktion.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Initiativen zur Frauenbeschäftigung: gut. Neue Initiativen zur Frauenbeschäftigung: noch besser. Meine Damen und Herren, vor uns
liegt ein Antrag, in dem meines Erachtens sehr viel
Lyrik und wenig Initiative zu finden ist. Man muß einmal
den Begriff „Initiative“ betrachten. Was meinen Sie mit
„Initiative“? Meinen Sie das Aufschreiben der Wünsche,
oder haben Sie ganz konkrete Vorstellungen? Wenn Sie
konkrete Vorstellungen haben, dann muß in diesem Antrag auch eine konkrete Vorstellung zu sehen sein, dann
müssen wir ganz genau wissen, was Sie wollen.
({0})
Sie kündigen Initiativen an, nennen aber nicht den
Inhalt, und die Opposition kann dazu nur sagen: Hier ist
viel heiße Luft enthalten. Der gesamte Antrag verliert
sich meines Erachtens im Allgemeinen und wird nur
wenig konkret. Frau hat geradezu Glück, wenn Ziele beschrieben werden und der Antrag über das Niveau des
gefälligen Allgemeinen und einer puren Zustandsbeschreibung hinausgeht.
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich
möchte wirklich wissen, wo die Initiativen sind. Ich
möchte auch gern, daß Sie das halten, was Sie im Wahlkampf versprochen haben. Wo sind denn die Wege? Wo
ist in diesem Antrag die Beschreibung des Wann und
Wie? Wo ist die Beschreibung der Kosten? Was ist mit
der Finanzierung? Sie sagen, Sie wollen mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten haben. Dabei wissen Sie
ganz genau, daß wir als Bundestagsabgeordnete Kinderbetreuungsmöglichkeiten in den Kommunen gar nicht
initiieren können. Das müssen die Kommunalpolitiker
tun. Sie wissen ebenfalls ganz genau, daß die Länder
den Kommunalpolitikern immer mehr Geld abziehen.
Was soll das also eigentlich? Sie versprechen, was Sie
selber im Bundestag nicht halten können.
({1})
Sie haben in Ihrem Bundestagswahlprogramm ganz
konkrete Maßnahmen angekündigt, auch was das Aktionsprogramm „Frau und Beruf“ anbelangt. Im Januar
1999 - ich habe die Broschüre hier - gab es ein Arbeitsprogramm der Bundesregierung, und als drittes gibt es
eine schöne Broschüre mit dem Titel „Aufbruch in der
Gleichstellungspolitik“. Der Reformstau soll beseitigt
werden. Wir sind Frauenpolitikerinnen und haben heute
morgen gesagt, daß wir sehr viel für Frauen tun wollen.
Dafür bin ich auch. Aber ich bin nicht für Ankündigungen, weil die Bürgerinnen und Bürger, die wirklich einmal in die Papiere schauen und uns fragen, was wir eigentlich machen, dann nur heiße Luft finden. Dafür
stelle ich mich jedenfalls nicht zur Verfügung.
({2})
Ich nenne in diesem Zusammenhang als ganz konkretes Beispiel die Existenzgründerinnen. Von 1990
bis 1994 war ich im Landtag. Von daher weiß ich, daß
wir auf Landkreisebene den Existenzgründerinnen helfen. Auf Bundesebene gibt es Existenzgründerinnenprogramme. Jetzt sagen Sie, Sie wollten den Existenzgründerinnen helfen, und tun so, als sei das etwas ganz Neues. Wissen Sie, was Sie für die Existenzgründerinnen
getan haben? Sie haben im letzten Dreivierteljahr den
Frauen, die eine Existenz gründen wollten, durch Ihr
Scheinselbständigkeitsgesetz Steine in den Weg gelegt.
Ein Weiteres: Ich bin dafür, daß Frauen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Wenn Frauen aber nur
zwei oder drei Stunden in der Woche arbeiten können,
dann sollten sie es auch im Rahmen eines 630-DMVertrages tun können. Sie wissen ganz genau, daß da
sehr viele Arbeitsplätze weggefallen sind. Ich rede hier
von Arbeitsplätzen, weil es keine Schwarzarbeit ist; das
sind ordentlich angemeldete Arbeitsplätze, bei denen
auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts kein
Schindluder mehr getrieben werden kann. Wir waren
uns ja auch alle einig, daß solche Regelungen kommen.
({3})
Sie haben versprochen, die Vergabe öffentlicher
Aufträge an familienfördernde Maßnahmen zu binden.
Ich habe im Aktionsprogramm wenig dazu gefunden. Es
würde mich aber wirklich freuen - das meine ich jetzt
ernsthaft -, wenn die nachfolgenden Rednerinnen von
SPD und Grünen dazu noch etwas sagen könnten.
Frau Ministerin Bergmann wurde am 9. Dezember
1998 - das genaue Datum wissen Sie vielleicht nicht
mehr; aber ich habe mir diesen Artikel aufgehoben - im
„Expreß“ mit der Ankündigung zitiert, daß die Privatwirtschaft ab einer bestimmten Betriebsgröße zu Frauenförderplänen verpflichtet werden solle. In Bonn haben wir, Frau Ministerin Bergmann, zusammen mit einer
Vertreterin der Grünen, die heute nicht anwesend ist, vor
200 bis 300 Frauen „gefightet“. Sie haben bei dieser
Diskussion natürlich ein zwingendes Gleichstellungsgesetz angekündigt. Als Vertreterin der F.D.P. sah ich
ziemlich alt aus, weil wir den Betrieben Anreize geben
wollen und an „total e-quality“ - Prädikatspreise denken. Mit solchen Aussagen sieht man immer älter aus als
diejenigen, die behaupten, wenn sie an die Regierung
kämen, gäbe es gleich ein Gesetz. Die Vertreterin der
Grünen hat bei dieser Podiumsdiskussion auf die Frage,
was passieren werde, wenn eine Firma das Gleichberechtigungsprogramm nicht durchsetzt, sogar von Sanktionen gesprochen.
Von diesen beiden Punkten - öffentliche Auftragsvergabe und ein Gleichberechtigungsgesetz, das für Betriebe ab 80 bis 100 Mitarbeiter zwingend sein soll - ist
in diesem Aktionsprogramm nichts enthalten. Ich fühle
mich als Bürgerin also ziemlich veralbert, wenn ich dieses Programm lese. So geht es meines Erachtens nicht.
({4})
Wir sind jetzt in der Opposition. Aber so kann es nicht
sein: Man kann nicht vor der Bundestagswahl den Frauen schöne Berge versprechen, wenn es hinterher nur
Täler werden.
({5})
In Ihrem Aktionsprogramm steht, daß Sie einen Dialog mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften wollen.
Das finde ich toll; da „dialogen“ wir mit. Ansonsten fordere ich Sie auf, bei Ihrem Leisten zu bleiben. Als Politikerinnen können wir lediglich in den Behörden solche
Pläne konkretisieren. Wir haben ja schon Frauenförderpläne und Gleichstellungsvorschriften in den Behörden.
Das können wir für die Bundestagsverwaltung machen.
Wir haben im Frauenausschuß den Entwurf zu dem
Bundesgremienbesetzungsgesetz besprochen. Ich hatte
mir seinerzeit damit viel Mühe gemacht. Einvernehmlich sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß ein solches Gesetz nichts bringt.
({6})
- Frau Schewe-Gerigk, wissen Sie, an welchem Punkt
Sie das ändern können? An dem Punkt, wenn die Bundesregierung selbst Gremien besetzt.
({7})
Sie wissen ganz genau - wenn Sie das noch im Auge
und im Ohr haben -: Es gibt andere Gremien, bei denen
Sie wenig Einfluß auf die Besetzung haben. Es war auch
dem Bundesgremienbesetzungsgesetz zu entnehmen,
daß die Bundesregierung wenig Einfluß auf die Besetzung von Gremien hat. Frau Nolte hatte dazu ganz entschuldigend gesagt: Das ist eine tolle Sache, es sind
zwei bis drei Prozent mehr geworden; aber wir haben ja
keinen Einfluß. Wir wollen einmal sehen, ob Sie auf die
Besetzung von Gremien, über die es jetzt zu entscheiden
gilt, mehr Einfluß haben werden.
({8})
- Es ist aber die Frage, ob Sie zum Beispiel bei einem
Gremium, das entsendet und das von der Wirtschaft und
vielleicht auch aus Steuerkassen gespeist wird, überhaupt die Möglichkeit haben, gesetzlich einzugreifen.
({9})
- Wir können darüber gerne im Ausschuß streiten. Soweit ich mich daran erinnern kann - das kann ich sehr
gut -, ist es aber so. Ich meine sowieso, daß mit diesen
Gesetzen wenig zu machen ist und daß wir es lieber anders versuchen sollten. Darüber können wir dann im
Ausschuß reden.
Die Frauenerwerbstätigkeit steht im Brennpunkt
des öffentlichen Interesses. Ich finde es schon recht witzig, daß auf der ersten Seite Ihres Antrages ganz deutlich steht - in Prozentzahlen -, wie hoch die Männerarbeitslosigkeit ist, wie hoch die Frauenarbeitslosigkeit ist
und wie hoch sie im Osten ist. Die Frauenarbeitslosigkeit im Osten ist wirklich erschreckend hoch; das wissen
wir alle. Aber in Ihrem Aktionsprogramm gehen Sie auf
die speziellen Ost-Probleme nicht ein. Ich habe jedenfalls nichts davon gesehen. Ich weiß nicht, wo in Ihrem
Programm irgendein Punkt dazu zu finden ist. Ich komme aus den alten Bundesländern. Ich bin sehr dafür, daß
in den neuen Bundesländern dort, wo eine überproportional hohe Frauenarbeitslosigkeit herrscht, mehr gemacht wird. Das muß ich ganz deutlich sagen.
({10})
Geld steht nur begrenzt zur Verfügung. Ich finde aber, in
diesem Punkt müssen die Frauen im Osten wirklich gefördert werden. Ob das geschieht, ist eine Frage, die ich
gerne noch beantwortet bekommen würde; denn in Ihrem Programm steht dazu nichts.
Ich habe außerdem noch drei Fragen. Dazu habe ich
mir das Bundestagswahlprogramm der SPD mit dem
Titel „Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit“ vorgenommen. Sie haben in dem Antrag, über den wir jetzt
reden, zum Ausdruck gebracht: Die Kinderbetreuungsmöglichkeiten sollen verbessert werden. Ich bin
total dafür - ich nenne dazu einmal die volle Halbtagsgrundschule. Bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes
müssen wir eine Betreuung ermöglichen. Danach - ich
habe das als Mutter mitgemacht - kann man ein Kind
schon einmal zwei Stunden alleine zu Hause lassen. Das
Kind kann sich dann auch schon selber Spaghetti mit
Ketchup kochen - das geht. Im SPD-Programm steht eine Lösung: „Zur besseren Vereinbarkeit von Familie
und Beruf sind mehr Kinderbetreuungseinrichtungen
notwendig. Dazu werden wir die Finanzkraft der Länder
und Gemeinden stärken.“
({11})
Sagen Sie mir einmal, wo Sie die stärken wollen! Es gibt
ja immer weniger Finanzmittel für die Länder und
Kommunen. Die Länder bekommen von Ihnen weniger:
Sie werden am Unterhaltskostenvorschußgesetz beteiligt. Sie sollen auch am Arbeitslosengeld und an allem
möglichen beteiligt werden. Das sind Millionenbeträge.
Nichtsdestotrotz machen Sie hier Versprechungen. Gehen Sie mit dem Programm doch einmal zu Herrn Eichel, und sagen Sie ihm, er solle die Lösungsvorschläge
bringen.
({12})
Sie haben das ganz bewußt nicht in Ihren Antrag geschrieben, weil Sie das einfach nicht durchführen können und weil das eine Farce ist.
Als zweites würde ich gerne etwas zu folgendem wissen, das auch auf der ersten Seite steht: Gleichberechtigung in Bildung und Ausbildung. Die Mädchen und die
jungen Frauen sollen grundsätzlich die Hälfte aller Ausbildungsplätze erhalten. Das ist eine totale Quotierung
von Ausbildungsplätzen. Frau Bergmann, Sie haben ich habe sehr genau zugehört - von Quotierung gesprochen. Sie haben aber von einer weichen Quotierung gesprochen, nicht von einer harten 50 : 50-Quotierung.
Davon steht gar nichts in Ihrem Programm. Ich will jetzt
hier im Parlament erfahren, ob Sie eine 50 : 50Quotierung bei den Ausbildungsplätzen wollen oder ob
Sie eine weiche Quotierung - zum Beispiel 30 : 70 oder
20 : 80 - wollen. Da müssen wir einmal Tacheles reden.
Da müssen Sie mir jetzt bitte einmal die Auskunft geben, was Sie wollen: Das, was Sie gesagt haben, oder
das, was an wenigem in Ihrem Programm steht.
Denken Sie bitte an
Ihre Redezeit.
Ich bin jetzt fertig.
Meine dritte Frage betrifft das zwingende Gleichberechtigungsgesetz: Kommt es jetzt oder kommt es
nicht? Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn wir
andere Regelungen für die Wirtschaft fänden; denn diese
Gesetze vernichten Arbeitsplätze, sie vernichten auch
Frauenarbeitsplätze.
Ich freue mich auf die intensive Diskussion im Ausschuß. Dort wollen wir ja sehr fachspezifisch und inhaltlich diskutieren. Vielleicht ergeben sich dann noch
die einen oder anderen Problemlösungsmöglichkeiten,
die Sie heute in Ihrem Programm nicht vorgetragen haben. Ich würde mich freuen, wenn etwas für die Frauen
erreicht wird. Sie sind die Regierung, Sie machen das
alles. Wir wollen einmal schauen, wie das letztlich endet.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Petra Bläss, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es bedarf dringend verbindlicher politischer Entscheidungen, die die Chancengleichheit von Frauen und Männern im Beruf und in der Familie mit Nachdruck voranbringen - so der Anspruch
des vorgelegten Aktionsprogramms.
Die Bundesregierung beschreibt die Mißstände trefflich, die Frauen in allen Bereichen des Erwerbslebens
benachteiligen und ihnen die unbezahlte Arbeit überproportional aufhalsen. Sie kritisiert, daß Frauen zu wenig
in höheren beruflichen Positionen und besser bezahlten
Tätigkeiten vorkommen, und sie sagt zu Recht, das sei
weder gerecht noch ökonomisch klug; Staat und Gesellschaft könnten sich dies auf Dauer nicht leisten.
Frau Kollegin Diemers, sosehr ich mich freue, jetzt
aus den Reihen der abgewählten Bundesregierung verschiedene Akzente und Töne neu zu vernehmen,
({0})
so muß ich doch sagen: Ich kann mich nur wundern, wie
Sie, die den Frauen eine solche Misere hinterlassen haben,
({1})
jetzt hier solche Töne anschlagen können.
({2})
16 Jahre Kohl-Regierung haben dafür gesorgt, daß der
Arbeitsmarkt dermaßen geschlechtshierarchisch strukturiert ist, daß die Bundesregierung jetzt wirklich einen
ziemlichen Berg zu bearbeiten hat.
({3})
- Ich habe auch noch genug an der Bundesregierung zu
kritisieren, aber man sollte in dieser Frage die Kirche im
Dorf lassen.
({4})
Die Unterbeschäftigung von Frauen ist volkswirtschaftlich gesehen eine riesige Verschwendung. Sie aber
zur unbezahlten Arbeit zu zwingen und den größten Teil
der Arbeit erledigen zu lassen, die für das Weiterleben
der Gesellschaft unerläßlich ist, ist zutiefst ungerecht.
Aber, meine Damen und Herren, es gibt jede Menge
Profiteure der patriarchalen Arbeitsteilung, übrigens
nicht nur in der Wirtschaft. Selbst der Staat gehört dazu,
wenn er Kosten für öffentliche Aufgaben auf die Schultern von Frauen verlegt wie bei der Kinderbetreuung.
Das andauernde geschlechtshierarchische Gefälle auf
dem Arbeitsmarkt beweist: Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen im Erwerbsleben läßt sich nicht durch
Appelle und gutes Zureden erreichen, schon gar nicht in
die Privatwirtschaft. Es wird zu gar nichts führen, an die
privaten Betriebe zu appellieren und sie zu Maßnahmen
gegen Frauendiskriminierung aufzufordern. Das haben
bekanntlich alle Frauenministerinnen in den vergangenen Legislaturperioden versucht, und sie sind alle damit
gescheitert.
Wo haben sich die Unternehmer für gleichen Lohn
bei gleichwertiger Arbeit eingesetzt, obwohl die Gesetze
dies fordern? Wo bleibt der unternehmerische Einsatz
für die Umsetzung des Art. 3 des Grundgesetzes, in dem
es heißt, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind?
Die Entwicklung in den neuen Ländern zeigt die
Ausmaße auf erschreckende Weise. Hunderttausendfach
wurden im Osten die Entscheidung, ob ein Arbeitsplatz
an einen Mann oder an eine Frau geht, zugunsten des
Mannes getroffen. Diskriminierung von Frauen ist in
ganz Deutschland in der Privatwirtschaft ein ganz normaler Vorgang, und dennoch, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Regierungskoalition, setzen Sie nun
ausgerechnet auf Freiwilligkeit bei den Unternehmen.
Viele Frauen haben gehofft, daß mit Rotgrün endlich
ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft
kommt. Das hatten Sie den Frauen auch versprochen
und in die Koalitionsvereinbarung geschrieben. Dort
steht übrigens auch, daß Sie die Vergabe öffentlicher
Aufträge an frauenfördernde Maßnahmen binden wollen. Davon ist keine Rede mehr. Nun soll erst einmal
geprüft werden, ob bei Vergabe öffentlicher Aufträge
auch soziale Kriterien berücksichtigt werden können.
Das ist für die Frauen der blanke Hohn, denn da gibt es
genauso wenig zu prüfen wie bei der Frage, ob ein
Rechtsanspruch auf Teilzeit bei Elternschaft sinnvoll ist
oder nicht. Frauenpolitik, meine Damen und Herren,
darf nicht zur Prüfaufgabe verkommen.
({5})
In weiten Teilen liest sich das Programm wie ein
Katalog zur Besänftigung der Unternehmer und Wirtschaftsbosse. Für die Frauen bleiben Absichtserklärungen, und über die, die auf dem Arbeitsmarkt doppelt
diskriminiert sind, wird erst gar kein Wort verloren. Das
sind Frauen ohne deutschen Paß, und das sind Frauen
mit Behinderungen.
Ich begrüße es, daß Sie im Frauenfördergesetz des
Bundes mehr Verbindlichkeit durchsetzen wollen, daß
Sie dort eine Ergebnisquote einführen wollen und Frauen bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt werden
sollen, bis sie nicht länger unterrepräsentiert sind. Aber
genau die gleichen Regelungen brauchen wir auch für
die Privatwirtschaft. Diskriminierung von Frauen ist
keine Privatangelegenheit der Wirtschaft.
({6})
Wir unterstützen ausdrücklich das Vorhaben, Frauen
in Lehre und Forschung weiter zu fördern. Im übrigen
ist für mich das Engagement der Bildungs- und Forschungsministerin Bulmahn ein Zeichen für den Politikwechsel, den ich mir auf anderen Politikfeldern bei
der Bundesregierung immer wünsche, denn Sie machen
deutlich, daß Gleichstellungspolitik keine ausschließliche Aufgabe für das Ressort von Frau Bergmann, sondern tatsächlich Aufgabe des gesamten Kabinetts ist.
({7})
Ich hoffe, daß Ihre Ministerkolleginnen und -kollegen
Ihnen bei diesem Engagement folgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur mit Quotenregelungen läßt sich heute an der Benachteiligung von
Frauen wirksam etwas ändern. Weil Frauen als Gruppe
diskriminiert werden, brauchen wir gruppenbezogene
Instrumente dagegen. Deswegen warten wir auch auf
eine Entscheidung für Quotenregelungen in der Arbeitsförderung.
In diesem Zusammenhang eine kurze Bemerkung
zum Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit. Es ist
meines Erachtens bisher kein frauenpolitischer Erfolg.
Denn wenn wir uns die Zahlen genau anschauen, stellen
wir folgendes fest: Von den 107 489 Teilnehmenden
sind nur 45 583 Frauen; das sind 42 %. Nun hat Frau
Bergmann zu Recht gesagt, wir sollten hier nicht immer
nur über Quantitäten diskutieren. Ich habe mich deshalb
genau darüber informiert, wie die Beteiligung von Mädchen und jungen Frauen an den wirklich attraktiven ich nenne sie einmal so - Fördermaßnahmen - das heißt,
den Lohnkostenzuschüssen und Qualifizierungs-ABM aussieht. Das Bild ist noch nicht so - das wissen Sie,
Frau Bergmann -, wie wir es gerne hätten: Ihr Anteil
liegt nur bei 32 bzw. 34 Prozent. Hier besteht konkreter
Handlungsbedarf. Das Programm ist damit auch ein
Beleg dafür, daß gute Absichten allein nicht ausreichen.
({8})
Wir fordern Gleichstellungsbeauftragte in privaten
Betrieben, die von den weiblichen Beschäftigten gewählt werden. Wir fordern selbstverständlich auch heute, daß nicht nur die Vergabe öffentlicher Aufträge an
Antidiskriminierungsmaßnahmen der Betriebe gebunden
wird, sondern daß dies zukünftig auch für öffentliche
Subventionen und Fördermittel gilt. Keine staatlichen
Mittel mehr für Frauendiskriminierung - das muß in
Zukunft klar sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit Frauen in der
Privatwirtschaft von mehr Rechten profitieren können,
müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Hierzu brauchen wir endlich eine Novellierung des Arbeitszeitgesetzes, die eine wöchentliche Höchstarbeitszeit
von 40 Stunden und eine regelmäßige tägliche Arbeitszeit von 7 Stunden vorsehen sollte. Schließlich brauchen
wir Freistellungsmöglichkeiten bei Elternschaft, die
nicht zu einem faktischen Ausschluß vom Arbeitsmarkt
führen. Eltern sollen zwischen voller Erwerbstätigkeit,
einer zeitweisen Freistellung oder einer vorübergehenden Arbeitszeitverkürzung wählen können. Darüber hinaus müssen öffentliche Angebote für Kinderbetreuung
unbedingt Priorität bekommen.
Vom angekündigten Aufbruch zu einer neuen Frauenpolitik ist das Programm „Frau und Beruf“ meines Erachtens noch ein ganzes Stück entfernt. Damit es einer
wird - ich glaube, das wünschen wir alle -, muß die
Frauenministerin - und hoffentlich nicht nur sie im Kabinett - den Bossen tatsächlich Paroli bieten. Dabei unterstützen wir sie gerne.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat nun
die Kollegin Christel Humme.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Frau
Lenke, an dem heutigen Tag hätten sich eigentlich alle
Fraktionen auf einen Text zu einem gemeinsamen frauenpolitischen Antrag einigen können. Leider waren Sie
und auch die CDU/CSU nicht in der Lage, mit uns zusammen einen Text zu erarbeiten.
({0})
Ich glaube, Sie haben sich keine Gedanken darüber gemacht, wie Sie in der Zukunft eine bessere Gleichstellungspolitik betreiben könnten als in den vergangenen
Jahren.
({1})
Jetzt wieder zur Sache. Lassen Sie mich mit einer
kleinen Rückschau beginnen. Vor 24 Jahren erklärte die
UNO das Jahr 1975 zum Jahr der Frau. Die anschließenden Jahre bis 1985 erklärte sie zur Dekade der Frau.
Viele Frauen, so auch ich, waren damals von diesem
symbolischen Akt eher negativ berührt, kannten wir diese Art von Hervorhebungen doch nur für Pflanzen und
Tiere, die vom Aussterben bedroht waren. Diesen Eindruck habe ich manchmal heute noch.
Meine Herren und Damen, Frauen brauchen keine
Sonderbehandlung, damals nicht und auch heute nicht.
Sie wollen nicht geschont und nicht protegiert werden.
Was sie aber wollen, ist, daß ihre Fähigkeiten und
Potentiale anerkannt und auch genutzt werden, und zwar
in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Kultur, Medien und
Gesellschaft. Das ist ihr gutes Recht, de jure garantiert
in Art. 3 des Grundgesetzes.
Darüber hinaus können wir es uns schon aus ökonomischen Gründen gar nicht leisten, Frauen außen vor zu
lassen; denn keine Gesellschaft kann es sich erlauben,
Frauen erst gut auszubilden, um sie dann aus dem Erwerbsleben auszugrenzen. Das gilt erst recht für die
Bundesrepublik Deutschland, deren wichtigster Standortfaktor gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind.
({2})
Meine Herren und Damen, die Frauen, die vor
24 Jahren skeptisch waren, fühlen sich heute bestätigt.
Allein ein Jahr oder ein Jahrzehnt der Frau auszurufen
hat noch keine Gleichstellung gebracht. Die Politik war
und ist gefordert. Aber Sie, meine Herren und Damen
von der CDU/CSU und der F.D.P., haben die 16 Jahre
Ihrer Regierungszeit ungenutzt verstreichen lassen.
({3})
Sie haben keine moderne Frauen- und Familienpolitik
betrieben und damit die Gleichstellung nicht vorangebracht.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Nein.
Das ist der Grund, warum unser Antrag „Neue Initiativen zur Frauenbeschäftigung“ auf der Tagesordnung
steht. Dieser Antrag greift die Kritikpunkte des Europäischen Parlaments auf. Das Europäische Parlament hat in
seinem Bericht und in der dazugehörigen Entschließung
die zu hohe Arbeitslosigkeit der Frauen in Europa kritisiert und von seinen Mitgliedstaaten entsprechende
Maßnahmen gefordert. Die dort beschriebenen Versäumnisse gehen auf Ihr Konto, meine Herren und Damen der Opposition.
({0})
Ich weiß, daß bei Ihnen ein Antrag diskutiert wird,
der sich „Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland“ nennt.
Aber auch dieser kleine Antrag, auf den ich gleich noch
einmal eingehe, kann über Ihre Verantwortung nicht
hinweg täuschen. Die Folge Ihrer Untätigkeit ist der
heutige Zustand. Was wir tatsächlich haben, ist Gleichberechtigung ohne Gleichstellung.
So verzeichnet die Bundesrepublik noch immer eine
Frauenerwerbsquote, die niedriger ist als die in vielen
anderen hochentwickelten Industriestaaten. Die Löhne
und Gehälter der Frauen - Frau Ministerin hat dies gerade schon erwähnt - sind um ein Drittel niedriger als die
der Männer. Dementsprechend und auf Grund der meist
familienbedingt lückenhaften Erwerbsbiographien sind
auch die Renten der Frauen niedriger als die der Männer. Allgemein gilt: Frauen sind häufiger von Armut betroffen. - In den neuen Bundesländern, in denen die Arbeitslosigkeit ohnehin ein trauriges Niveau aufweist,
sind es wiederum Frauen, die stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind als ihre männlichen Kollegen. Das ist
das Ergebnis Ihrer Politik in den letzten Jahren.
({1})
Ich möchte jetzt nicht noch auf die Defizite beim
Thema „Frauen in Führungspositionen“ eingehen. Ministerin Christine Bergmann hat dies bereits erwähnt. Ich
möchte nur aufnehmen, daß wir heute die Situation haben, daß Frauen wesentlich besser qualifiziert sind, als
es früher der Fall war - sogar besser als die Männer.
Meine Herren und Damen, Sie sehen, es liegt nicht an
den Frauen, wenn sie im Berufsleben den kürzeren ziehen, sondern an den Hürden, die vor ihnen aufgebaut
werden.
Hürde Nummer eins: Viele Unternehmen ziehen noch
immer die männlichen Konkurrenten ihren weiblichen
Konkurrentinnen vor. Und warum? Die Leistungsfähigkeit und die Qualifikationen der Frauen können, wie wir
hier gerade festgestellt haben, nicht der Grund sein.
Nach wie vor aber gilt, daß viele Unternehmer gerade
bei jungen Frauen annehmen, daß sie nach der Realisierung des Kinderwunsches ganz oder zumindest teilweise aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Mit anderen
Worten: Für den Unternehmer lohnt es sich offensichtlich nicht, in seine Arbeitnehmerinnen, in ihr spezifisches Humankapital, zu investieren.
Hürde Nummer zwei: Die Frauen entscheiden sich
nicht so häufig für zukunftsträchtige, technisch orientierte Berufsausbildungen wie Männer. Aber warum?
Ein Grund ist, daß es Frauen hier einfach an Vorbildern
fehlt. Es gibt eben kaum Ingenieurinnen, Nachrichtentechnikerinnen, Informatikerinnen usw. Das Eindringen
in von Männern dominierte Berufsfelder ist deshalb
schwierig. Und es wird den Frauen darüber hinaus vielfach unnötig erschwert: Professoren ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge, die die Studierenden mit
„meine Herren“ begrüßen, die Studentinnen wohlweislich übersehend, sind nur ein kleines Beispiel für die
Schwierigkeiten, mit denen Frauen konfrontiert werden.
Hürde Nummer drei: Auf Grund der meist niedrigeren Löhne und Gehälter der Frauen ist es dann tatsächlich ökonomischer, wenn nach der Geburt eines Kindes
die Frau ihre Erwerbstätigkeit unterbricht und nicht der
Mann. Was aber wird dadurch ausgelöst? Die Annahmen des Arbeitgebers haben sich bestätigt. Die Betriebszugehörigkeit der Frau ist tatsächlich kürzer, Investitionen sind damit weniger lohnend. Und zu Hause?
Zu Hause zementiert sich derweil die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Ein Teufelskreis entsteht, ein Teufelskreis, den wir durchbrechen werden.
({2})
Die zuvor genannten Hürden abzubauen, das ist unser
Ziel, und zwar durch entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen einerseits und einen gesamtgesellschaftlichen Reformprozeß andererseits. Genau hier
setzt die Bundesregierung mit ihrem Programm „Frau
und Beruf“ an. Meine Herren und Damen, mit diesem
Programm machen wir einen großen Sprung in die richtige Richtung. Wir möchten aber die Männer hierbei
mitnehmen und auch ihnen auf die Sprünge helfen,
({3})
ihre tradierten Rollenbilder zu überdenken, aufzulösen
und zu modernisieren.
An dieser Stelle greift der Antrag, den Sie von der
CDU/CSU-Fraktion vorgelegt haben, zu kurz. Denn Sie
- das hat man in Ihren vorherigen Reden gehört - fordern Veränderungen nur bei den Frauen. Wiederum ist
es nur das Problem der Frauen, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren.
({4})
Sie lassen die Männer völlig unberücksichtigt und die
Frauen mit ihrer Doppel- und Dreifachbelastung allein.
({5})
- Von Freude, Frau Diemers, kann hierbei keine Rede
sein.
({6})
Denn solange sich bei den Männern nichts ändert, kann
sich bei den Frauen trotz Quote, Frauenförderung und
Frauenbeauftragter wenig bewegen.
Das im Rahmen des Programms „Frau und Beruf“
geplante Gleichstellungsgesetz bezüglich der privaten
Wirtschaft wird natürlich nur dann greifen, wenn gleichzeitig Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familienund Erwerbsarbeit gefördert und Männer in die Familienarbeit einbezogen werden. Das steht den Interessen
der Männer keineswegs entgegen. Denn auch viele
Männer wollen nicht einseitig auf ihre Rolle im Erwerbsleben festgelegt werden. Auch sie wollen Zeit für
Partnerschaft und Kindererziehung haben. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die geplante Kampagne für ein
neues Männerbild und ebenso die Weiterbildung männlicher Führungskräfte. So bietet bereits ein EU-Projekt
Väterförderung - dies ist also möglich - im Rahmen
einer Managerschulung an.
Wir möchten auch, daß Teilzeitarbeit in Führungspositionen anerkannt und akzeptiert wird, wie in
Dänemark, wo es Betriebe gibt, in denen Spitzenpositionen mit zwei Teilzeitkräften, einer männlichen und
einer weiblichen, besetzt werden. Auch bei uns gibt es
bereits Unternehmen, die die Vorteile der Beschäftigung von Frauen erkannt haben. Diese Unternehmen
versuchen, ihre Arbeitnehmerinnen mit gezielten Programmen, an sich zu binden. Denn sie wissen um die
spezifischen Fähigkeiten ihrer Mitarbeiterinnen wie
soziale Kompetenz, Teamfähigkeit, Kreativität, Belastbarkeit und Organisationstalent. Dies alles sind Fähigkeiten, die heute - und noch mehr morgen - in einer
vernetzten und globalisierten Welt dringend gefragt
sind. Wir möchten die Unternehmen ermuntern, diese
Wege fortzusetzen.
Meine Herren und Damen, mit den an dieser Stelle
genannten Maßnahmen, die nur einen kleinen Ausschnitt
aus dem Programm „Frau und Beruf“ darstellen, hat die
Bundesregierung die richtigen Antworten auf unseren
Antrag gefunden. Wir überwinden damit die Hürde
Nummer eins und erreichen, daß Frauen gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt eingeräumt werden. Das Programm „Frau und Beruf“ fördert Frauen unter anderem
in technischen Berufen und räumt damit die Hürde
Nummer zwei ebenfalls aus.
Das Sofortprogramm wurde von Ministerin Christine
Bergmann bereits erwähnt. Man sollte noch darauf hinweisen, daß eine berufliche Förderung von Frauen in
den Schwerpunkten Informatik und Technologie durchgeführt wird. Darüber hinaus werden Frauen gefördert
und unterstützt, die eine Ausbildung im Handwerk anstreben.
({7})
Darlehens- und Beratungsprogramme unterstützen
Existenzgründerinnen und ermuntern Frauen, eine
eventuelle Firmennachfolge anzutreten.
Die Reform des Arbeitsförderungsrechts 2000 enthält
die Überprüfung dieser Regelungen auf ihre frauenpolitische Wirkung. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge
wird geprüft, inwieweit soziale Kriterien berücksichtigt
werden können.
Meine Herren und Damen, sind die entscheidenden
Hürden erst überwunden, sind die Voraussetzungen geschaffen, den von mir zuvor beschriebenen Teufelskreis
zu durchbrechen. „Frau und Beruf“ heißt dann auch
„Mann und Familie“. Mit dem Programm „Frau und Beruf“ schaffen wir einen neuen Aufbruch in der Gleichstellungspolitik und setzen wir die Forderungen des Europäischen Parlaments nach einer nachhaltigen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und nach einer Verbesserung
der Stellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt um.
Meine Herren und Damen, ein UNO-Jahr des Mannes
hat es nie gegeben. Ich setze darauf, daß das Programm
„Frau und Beruf“ dazu beiträgt, daß auch zukünftig
niemand mehr auf den Gedanken kommen wird, ein Jahr
der Frau auszurufen, und zwar deshalb, weil gleich gute
Lebens- und Erwerbsbedingungen für Frauen und Männer zur Selbstverständlichkeit geworden sind.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Frau Kollegin
Humme, das war Ihre erste Rede in Berlin, im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen im Namen des
ganzen Hauses
({0})
und freue mich, daß Sie Ihre Redezeit sogar unterschritten haben. Das ist ja eine unglaubliche Disziplin. Herzlichen Glückwunsch!
Das Wort hat nun die Kollegin Dorothea Störr-Ritter.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Demokratie setzt die Verwirklichung einer echten
Partnerschaft zwischen Männern und Frauen bei
der Führung der Angelegenheiten der Gesellschaft
voraus. Wenn wir einen demokratischen Staat erreichen
- ich möchte sagen: praktizieren wollen, müssen Männer und Frauen gleichberechtigt und sich gegenseitig ergänzend daran arbeiten
und ihre Unterschiede zu einer Bereicherung für
beide Seiten werden lassen.
So sagte es gestern an dieser Stelle Frau Professorin
Heptulla.
Es ist wichtig, solche Aussagen immer wieder zu zitieren. Zu schnell geraten solche - wie manche vielleicht
meinen - Selbstverständlichkeiten im Alltagsgeschehen
in Vergessenheit. Vor allem ist diese Erkenntnis dem
Alltagsgeschehen an vielen Stellen weit voraus. Im Idealfall sollen Männer und Frauen also bei der Führung
aller Angelegenheiten der Gesellschaft, das heißt im politischen, im beruflichen und im privaten Bereich, sich
gegenseitig ergänzend arbeiten. Unsere heutige Debatte
zeigt, daß wir alle, meine sehr verehrten Kollegen und
Kolleginnen, Interesse daran haben, vor allem auch bei
den beruflichen Angelegenheiten ein Defizit zu beseitigen, das heißt, Frauen Chancen zu geben, gleichberechtigt am Erwerbsleben teilzunehmen.
Wir haben in den letzten Jahren bereits Positives erreicht. Auch daran sollten wir in einer ehrlichen Debatte
erinnern und nicht alles nur schlechtreden.
({0})
Laut einer aktuellen Studie zum Thema „Männer und
Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft“ steigen
in Deutschland immer mehr Frauen in Führungspositionen in Unternehmen auf. Auch das kann man positiv sehen, Frau Ministerin. Der Wunsch nach Kindern und
Familie stellt dabei offenbar kein Hindernis dar. Angestellte Frauen in den alten Bundesländern holen im Verdienst gegenüber ihren weiterhin besser gestellten
männlichen Kollegen auf. Im Januar 1999 erhielten
Frauen im Durchschnitt rund 70 Prozent des Gehaltes
von Männern. Das ist deshalb interessant, weil es - so
das Statistische Bundesamt - im Jahr 1960 erst 55 Prozent waren. Ich meine, auch das ist ein Schritt auf dem
Weg in die richtige Richtung.
Wirkliche Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt herzustellen und Frauenarbeitslosigkeit zu beseitigen ist unser gemeinsames Ziel. Während Sie, meine
sehr verehrten Herren und Damen der Koalition, jedoch
glauben, mit Ihrem Antrag den großen Coup zu landen,
aber nichts anders als die altbekannten Phrasen liefern das wurde von meinen Vorrednerinnen schon gut herausgearbeitet -, sind wir mit unserem Antrag ein Stück
konkreter. Viel schwerwiegender ist jedoch, daß Sie in
Ihrem ersten Regierungsjahr am laufenden Band Gesetze produzierten, die in Lebenswirklichkeiten, wo Frauen
tatsächlich Arbeit haben, wo Frauen anderen Frauen Arbeit bieten, die Zukunftschancen dieser Frauen aufs
Gröbste beschnitten, wenn nicht gar unmöglich machten.
({1})
Sie haben in bestehende Erwerbsbiographien eingegriffen und Frauenarbeitspläne verhindert, so daß Sie vor
Scham eigentlich noch röter werden müßten, wenn Sie
nun eine neue Initiative zur Frauenbeschäftigung verlangen.
Ich will Ihnen deutlich machen, daß Sie offensichtlich
keine Ahnung davon haben, daß sich viele Frauen längst
von der Gesellschaft emanzipierten, ohne großes Geschrei einer Arbeit nachgehen, die Existenz einer Familie stützen, Beruf und Familie ohne große staatliche Hilfe verbinden und anderen Frauen dabei frauenfreundliche Arbeitsplätze bieten. Ich spreche von den mitarbeitenden Ehefrauen in mittelständischen Betrieben und
von den vielen Frauen, die als Unternehmerinnen - oft
Kleinstunternehmerinnen - sich selbst und anderen
Frauen Arbeitsplätze bieten. Mitarbeitenden Ehefrauen
im Handwerk, die im übrigen von Mitarbeitern und Geschäftspartnern längst als Chefinnen anerkannt werden
und heute durch Eigeninitiative sowie durch die Unterstützung von Kammern und Verbänden seit langem über
eine ausgezeichnete Professionalität verfügen, muß es
wie glatter Hohn vorkommen, wenn Sie nun die Förderung von Frauen im Handwerk fordern, während Sie
diese Familienbetriebe weiterhin durch zu hohe Steuerbelastungen, zum Beispiel durch die Ökosteuer,
({2})
durch die Wiedereinführung der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall, durch Änderung des Kündigungsschutzgesetzes und durch die chaotische Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung so belasten, daß viele vor
dem Ruin stehen und keine Nachfolgerinnen finden.
({3})
Das liegt keineswegs an der Managementunfähigkeit
dieser Unternehmerinnen, sondern an der Tatsache, daß
nicht jede Frau, die ein Geschäft hat, auch unendlich geschröpft werden kann. - Das hören Sie nicht gern, aber
ich habe so viele Gespräche geführt, die mich in der Absicht bestärkt haben, dies hier noch einmal ganz deutlich
zu machen. ({4})
Dasselbe gilt im übrigen für den Bereich der Gastronomie, des Fremdenverkehrs und der Landwirtschaft.
({5})
Wenn Sie nun ein Gesetz zur Entlastung von Kapitalgesellschaften planen, so liegen Sie wieder voll
daneben, weil von zirka 3 Millionen Unternehmen in der
Bundesrepublik nur rund 400 000 GmbHs sind, nur rund
2 500 Aktiengesellschaften, aber über 2 Millionen Einzelunternehmen. Der Rest sind Kommanditgesellschaften und OHGs, sprich: ebenfalls mit dem Privatvermögen haftende Unternehmen; von den 600 000 Selbständigen in freien Berufen ganz zu schweigen.
Die den Betrieben auferlegten Belastungen in ihrer
Gesamtheit führen häufig dazu, daß Mann und Frau
partnerschaftlich als Unternehmer arbeiten, für humane
Arbeitsplätze verantwortlich zeichnen und am Ende des
Monats so viel für ihre Familien übrig haben wie ein
mittlerer Angestellter. Was muten Sie diesen Frauen zu,
meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen?
({6})
- Ich lasse mich nicht unterbrechen.
({7})
- Das soll er auch. Ich vertrete die mittelständischen
Unternehmen und da insbesondere Frauen.
({8})
Ist es nicht zumindest auch lächerlich, wenn Sie verbesserte Chancen für Existenzgründerinnen fordern und ihnen gleichzeitig, sofern sie den Gründungsmut hatten,
nichts als Belastungen auferlegen?
({9})
- Sie könnten mir freundlicherweise zuhören.
Die Beschaffung von Start- und Fremdkapital
sollten Sie nicht auch noch unterstützen, wenn Sie diesen Frauen bei florierendem Geschäft keinen Gewinn
übrig lassen wollen. Wer selbständig tätig ist und haftet,
braucht wenigstens Vermögen, um überhaupt haften zu
können. Wenn Sie nun daran denken, die Vermögensteuer oder eine Vermögensabgabe einzuführen, bestrafen Sie alle Frauen, die bereits etwas erwirtschaftet haben oder durch ihrer Eltern Arbeit etwas erbten und diese Vermögen für einen eigenen Betrieb einsetzen wollen.
({10})
Vielleicht sind Sie auch noch gar nicht auf die Idee
gekommen, daß viele qualifizierte junge Frauen den
vollen Ertrag aus einer Lebensversicherung der Eltern
brauchen könnten und ihn nutzen würden, um sich und
anderen damit eine Existenz aufzubauen.
({11})
- Habe ich nicht vergessen. Aber man muß schließlich
die Gesamtzusammenhänge sehen. Vielleicht sollten Sie
wirklich einmal mit den 25 Prozent weiblichen Unternehmerinnen sprechen, die wir in Deutschland zum
Glück schon haben. Das ist noch zuwenig, aber so viele
haben wir. Dann würden Sie auch erkennen, daß gerade
diese große Bereitschaft zeigen, andere Frauen einzustellen, und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
fördern. Dazu brauchen diese Frauen keinen Staat, sondern die Möglichkeit, flexibel zu handeln und vor allem
Geld zu verdienen.
Apropos Förderung von Frauen im Dienstleistungsbereich: Gerade dort gehen Frauen bewußt gern
den Weg der Selbständigkeit. Ihr Gesetz zur Regelung
der Scheinselbständigkeit hat diesen Weg für viele Frauen unmöglich gemacht.
({12})
Zumindest haben Sie viele Frauen entmutigt und verängstigt, einen solchen Weg einzuschlagen. Sie beklagen mangelhaften Zugang zu Start- und Fremdkapital
für Frauen. Sie selbst aber werfen diesen Frauen die
dicksten Knüppel zwischen die Beine.
Mir scheint, Sie haben auch nie darüber nachgedacht,
daß Frauen für den Umsatz in ihren Betrieben und für
ihre Mitarbeiterinnen auch Kunden brauchen, also
Nachfrage nach Produkten und Leistung. Die
Schneidermeisterin lebt nun einmal von den Kunden, die
das Geld haben, sich etwas nähen zu lassen. - Dazu gehören übrigens auch die Rentner. - Die Raumausstatterin lebt von Kunden, die sich neue Vorhänge in größerem Stil leisten können. Die Architektin lebt von Menschen, die sich ein Haus bauen können. Die Wirtin lebt
von Gästen, die es sich leisten können, essen zu gehen.
Die Bäuerin lebt von Kunden, die teure Ökoprodukte
kaufen können. Wenn Sie nicht schnellstens dafür sorgen, daß auch die Spitzensteuersätze bei der privaten
Einkommensteuer gesenkt werden und die Mitte unserer Gesellschaftspyramide,
({13})
die das wirtschaftliche Fundament darstellt, am Monatsende von ihren Einkünften genügend übrig hat, werden
die willigsten und engagiertesten Frauen in ihren Geschäften immer weniger Umsatz machen.
({14})
Solange Sie nicht begreifen, daß Sie mit Ihren völlig
falschen Ansätzen - wir sind auf dem besten Weg in
eine Staatswirtschaft; das haben wir vorhin zur Genüge
hören können ({15})
in der Wirtschafts- und Steuerpolitik ständig Arbeitsplätze und Existenzen von Frauen gefährden oder vernichten und damit für andere Frauen Chancen auf einen
Arbeitsplatz verhindern, sollten Sie Ihre Forderungen
wieder einstampfen.
({16})
Sie sind nichts als scheinheilig und vor dem aufgezeigten Hintergrund, den Sie offensichtlich nicht zu ändern
gewillt sind, alles andere als ein erfolgversprechender
Schritt.
Danke.
({17})
Das Wort hat jetzt
die Ministerin für Bildung und Forschung, Edelgard
Bulmahn.
Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Wir stehen vor der Wende zum nächsten Jahrtausend.
Ich werde in den letzten Wochen als Forschungsministerin immer wieder gefragt, wie unsere Zukunft im
21. Jahrhundert aussehen wird. Ich sage Ihnen eines,
meine Herren und Damen: Unsere Zukunft ist vor allem
weiblich.
({0})
Die Frauen- und Emanzipationsbewegung der 70er
Jahre war wichtig und wertvoll. Sie hat der Gleichstellung den nötigen Schwung gebracht und dem Bewußtseinswandel einen gehörigen Schub gegeben. Eine Erkenntnis hat sich längst durchgesetzt: Überall, ob in den
Chefetagen der Wirtschaft, in den Universitäten und in
der Forschung, sind die Kompetenzen von Frauen gefragt. Junge Frauen verstecken sich nicht mehr. Sie sind
selbstbewußt. Sie wissen, was sie können und was sie
wollen. Sie stellen sich nicht mehr die Frage: Familie
oder Beruf? Sie wollen beides, und das ist selbstverständlich für sie.
({1})
Eine Menge von dem, was Frauen in diesem Jahrhundert
wollten und wofür sie gekämpft haben, ist erreicht.
Wir haben in den letzten 30 Jahren große Fortschritte
erreicht, vor allem im Bildungsbereich. Die Bildungsreform, der Bildungsaufbruch der sozialliberalen Koalition, hatte vor allem ein Ergebnis: Nicht mehr die Frage,
ob Junge oder Mädchen ist entscheidend für die Bildungschancen von Menschen, sondern das Können, die
Fähigkeiten und der Wille des Menschen.
({2})
Das Ergebnis, meine Herren und Damen, läßt sich sehen: Der Anteil der Abiturientinnen lag bei über 50 Prozent - ganz genau sind es 54,9 Prozent - im Jahre 1997.
Der Anteil der Universitätsabsolventinnen, nicht nur der
weiblichen Studierenden, lag im gleichen Jahr knapp
unter 50 Prozent - eine Steigerung über 50 Prozent
werden wir auch hier in den nächsten Jahren noch erreichen -, und das nicht nur in den sogenannten frauentypischen Studiengängen. Die Betriebswirtschaftsstudentinnen zum Beispiel sind in vielen Hörsälen inzwischen die
Mehrheit der Studierenden.
Ich finde, wir können darauf stolz sein. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, zu glauben, jetzt sei alles
erreicht, der Fortschritt werde nun automatisch weitergehen, Frauen und Männer hätten jetzt automatisch
überall die gleichen Chancen. Es liegt noch ein ziemlich
weiter Weg vor uns.
Der Frauenanteil an Professuren zum Beispiel ist
zwar in den letzten Jahren gestiegen, aber liegt noch
immer deutlich unter 10 Prozent. Das ist zuwenig. In
den Chefetagen der Wirtschaft finden wir nur 6 Prozent
Frauen, wenn wir die mittlere Ebene hinzunehmen.
Auch das ist noch viel zuwenig. Bei den Führungspositionen der großen Forschungseinrichtungen - da hat der
Bund eine ganze Menge zu sagen - macht der Anteil sogar nur 4 Prozent aus! Bei der Helmholtz-Gesellschaft,
wo der Bund 90prozentiger Finanzier ist, gibt es sogar
nur 2 Prozent Frauen. Das muß man einfach einmal sagen. Da ist viel zuwenig geschehen, gerade dort, wo die
Bundesregierung, wo der Bund unmittelbar einwirken
kann.
({3})
Ich finde, das ist wirklich beschämend; das zwingt uns
auch, zu handeln.
Die Wählerinnen haben uns im letzten Jahr deutlich
gesagt: Jetzt ist Schluß mit den Lippenbekenntnissen,
wir wollen Taten sehen. Und sie haben uns den Auftrag
dafür gegeben.
Die Bundesrepublik braucht die Fähigkeiten und
Kompetenzen von Frauen für den Fortschritt in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft insgesamt.
({4})
Wir sind ein rohstoffarmes Land. Wir leben von den
Fähigkeiten und vom Wissen der Menschen. Das heißt.
wir leben von den hochqualifizierten Frauen und Männern. Es ist schlicht dumm, meine Herren und Damen,
wenn wir darauf verzichten, das Potential der Hälfte der
Menschen in diesem Land zur vollen Entfaltung zu
bringen.
({5})
Es muß auf die Intelligenz, auf das Können, auf das Wissen und auf die Fähigkeiten aller Menschen ankommen.
Wir müssen dafür sorgen, daß die Professorinnen nicht
nur als Raritäten an den Hochschulen vorkommen; vielmehr müssen sie das Bild der Hochschulen genauso prägen wie die Professoren. In anderen Ländern geht es doch
auch, und zwar nicht nur in Dänemark, sondern auch in
Spanien. Wir müssen unsere Chance der Zukunftsgestaltung jetzt ergreifen. Bildung und Forschung spielen dabei
eine Schlüsselrolle. Es geht jetzt darum, nicht die alten
Verhältnisse zu zementieren, sondern den Generationenwechsel in Wissenschaft und Wirtschaft zu nutzen.
Wir haben damit bereits angefangen. Die Bundesregierung hat gleich zu Beginn ihrer Arbeit das Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gestartet. Wir haben hierbei unser besonderes Augenmerk auf die Gleichstellung von jungen Frauen und
Mädchen gerichtet. Wir haben vorgeschlagen - die Vorschläge sind auch umgesetzt worden; Erfolge sind erkennbar -, daß junge Frauen entsprechend ihrem Anteil
an der Bevölkerung berücksichtigt werden und daß zum
Beispiel die regionalen Projekte, durch die ausdrücklich
junge Frauen in zukunftsträchtige Berufe vermittelt
werden sollen, besonderen Vorrang erhalten. Genau das
ist der richtige Ansatz. Damit sind die Weichen gestellt.
Aber das ist nur ein kleines Segment aus dem, was wir
schon getan haben.
Ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit bestand in der
Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Das ist eine der
entscheidenden und wichtigsten Aufgaben der Bundesregierung.
({6})
Ich appelliere an dieser Stelle an die jungen Frauen:
Gehen Sie nicht nur in die klassischen Berufe! Frauen
können beides. Sie können sowohl die typischen und
klassischen Frauenberufe gut ausfüllen, aber auch eine
Menge in den sogenannten Nichtfrauenberufen leisten.
Nutzen Sie die Chancen der neuen Berufe in den Informations- und Kommunikationstechnologien! Gerade
in diesen Bereichen sind neue Ausbildungsberufe für
Frauen entwickelt worden. Gerade in diesen Bereichen
gibt es für junge Frauen exzellente Beschäftigungschancen. Nutzen Sie die Möglichkeiten, die Ihnen geboten
werden! Zum Beispiel gibt es die Mediengestalterin für
Digital- und Printmedien, die Kauffrau für audiovisuelle
Medien, die Fachangestellte für Medien- und Informationsberufe und - ganz neu - die Informationselektronikerin. Das sind alles wichtige, zukunftsträchtige Berufe.
Im „Bündnis für Arbeit“ haben wir uns in der Arbeitsgruppe „Aus- und Weiterbildung“ darauf verständigt, bis Oktober dieses Jahres neue Ausbildungsberufe
zu schaffen, und zwar in den Bereichen Freizeit, Verkehr, Gesundheit, Kultur, Tourismus, Logistik und Umwelt. Das sind Dienstleistungsbereiche mit außerordentlich guten Beschäftigungschancen für Frauen. Ich bin sicher, daß die neuen Ausbildungsberufe in diesen Bereichen gerade bei Frauen gut ankommen werden.
Damit aber nicht genug. Wir motivieren, fördern und
unterstützen Frauen zum Beispiel auch bei der Ablegung
der Meisterinnenprüfung. Mir reicht es - ganz offen gesagt - nicht, wenn eine Frau im Unternehmen nur mitarbeitet. Das finde ich zwar richtig, aber ich möchte auch,
daß sie selber die entsprechende Qualifikation hat, um
ein Unternehmen zu leiten.
({7})
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Wir haben
es durch unsere politischen Entscheidungen den kleinen
und mittleren Unternehmen nicht schwerer gemacht, im
Gegenteil: Wir haben zum erstenmal seit 16 Jahren die
Sozialversicherungsabgaben gesenkt. Das hilft gerade
den kleinen und mittleren Unternehmen.
({8})
- Wenn Sie schon davon sprechen, dann heißt es
„Milchbübchenrechnung“. Aber auch das ist es nicht.
Meine Herren und Damen, an den Hochschulen unseres Landes findet zur Zeit ein umfassender Generationenwechsel statt. Diese Chance müssen wir nutzen, um
gerade den Anteil der Frauen an den Professorenstellen
zu erhöhen. Wir brauchen mehr Professorinnen. Wir
wollen das nicht über Quoten, sondern über Strukturveränderungen erreichen. Das ist ein ganz wichtiger Grund
für mich, warum ich das Dienstrecht ändern möchte. Ich
möchte mit der Einführung von Assistenzprofessorinnen
und Assistenzprofessoren gerade jüngeren Frauen eine
bessere Chance für das Erreichen einer Professorstellen
geben. Ich möchte, daß unser wissenschaftlicher Nachwuchs unabhängig von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen sehr früh - deutlich früher als bisher - wirklich selbständig lehren und forschen kann. Alle Erkenntnisse zeigen eines deutlich: Es motiviert und hilft gerade
Frauen, wenn sie selbständig arbeiten können. Deshalb
ist diese Strukturveränderung auch eine ganz klare Frauenfördermaßnahme.
Die Herstellung von Chancengleichheit für Frauen an
Hochschulen und Forschungseinrichtungen, meine Herren und Damen, ist keine Sonderaufgabe, auch wenn
Aufgaben dieser Art in der Vergangenheit immer als
Sonderprogramm formuliert wurden. Es ist - sicherlich
noch für die nächsten 20 Jahre - eine Daueraufgabe. Ich
habe mit den großen Forschungseinrichtungen in
Deutschland vereinbart, daß sie entsprechende Personalentwicklungspläne zur Chancengleichheit mit konkreten Zielvorgaben vorlegen. Das gab es bisher nicht.
({9})
Der Rückenwind für die Frauen in den großen Forschungseinrichtungen ist spürbar. Das sagen mir die
Frauen selbst.
Mit den Ländern verhandle ich über Frauenförderungen für die Hochschulen. Mit dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft und mit den Ländern habe ich das Emmy-Noether-Programm auf den Weg
gebracht. Es handelt sich um ein Programm für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, das die Selbständigkeit der Forschung ausdrücklich in den Vordergrund stellt und deshalb gerade
von Wissenschaftlerinnen sehr gut angenommen wird.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Das mache ich immer sehr gerne.
Frau Bulmahn, ich habe eine
ernsthafte Frage. Wenn Sie Frauen an den verschiedenen
Stellen in den Hochschulen fördern wollen, dann wollen
Sie auch junge Frauen fördern. Frauen sind in ihrer
Ausbildung oftmals bis zum 30. Lebensjahr an den
Hochschulen. Das gilt auch für Assistenzprofessorinnen.
Was tun Sie, um mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten
zu schaffen, damit die Frauen neben ihrem Studium und
neben ihrem Beruf Kinderbetreuungsplätze an Hochschulen vorfinden können und in Ruhe Kinder bekommen können? Wir wissen, daß die kommunalen Kindergärten ganz andere Öffnungszeiten haben, als die Studentinnen und Beschäftigte an den Hochschulen brauchen.
Bei den Großforschungseinrichtungen,
für die ich unmittelbare Verantwortung trage, war das
eine derjenigen Angelegenheiten, die ich sehr schnell
umgesetzt habe. Ich habe mit den Großforschungseinrichtungen vereinbart - inzwischen ist es geschehen -,
daß in den Großforschungseinrichtungen Kindergärten
eingerichtet werden. Im übrigen, ist das von der alten
Bundesregierung blockiert worden.
({0})
Ich habe in der ersten Senatssitzung der Max-PlanckGesellschaft, an der ich teilgenommen habe, gemeinsam
mit dem Präsidenten und der Geschäftsführerin im Senat
durchgesetzt, daß Kinderbetreuung zu einer Aufgabe der
Max-Planck-Gesellschaft wird und auch finanziert werden kann. Das war bis dahin nicht möglich.
({1})
Ich habe darüber hinaus gezielt für Forscherinnen in
den Großforschungseinrichtungen 100 Stellen zur
Verfügung gestellt. Es handelt sich um eine Vereinbarung mit der Helmholtz-Gemeinschaft. Ich werde als
Ministerin dafür sorgen, daß die weibliche wissenschaftliche Elite in Deutschland immer größer wird.
({2})
Ich kann nicht alles aufzählen, was ich noch gemacht
habe. Ich bin aber erst ein Jahr im Amt, und meine Bemühungen werden sich fortsetzen.
Ich versichere zum Schluß, daß die Frauen in diesem
Land in der Bundesregierung und erst recht in ihren Ministerinnen verläßliche Partnerinnen haben, auf die sie
bauen können.
({3})
Nächster Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Gerald Weiß, CDU/CSUFraktion.
Frau Vizepräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich ergreife als erster Mann in dieser Debatte das Wort.
({0})
Ich wollte mich in geziemender Weise einsichtig und
moderat verhalten. Aber so manchem, was in dieser Debatte zutage gefördert wurde, zum Beispiel von Frau
Bergmann und auch von Frau Schewe-Gerigk, muß
energisch widersprochen werden. Wenn ich diese Mixtur einer - ich greife das Wort von Frau Lenk auf „Ankündigungslyrik virtueller Familienpolitik“ von
Frau Bergmann und Frau Schewe-Gerigk nehme und
zugleich zu einem angekündigten Gruselkabinett staatlicher Interventionen Stellung nehmen soll, dann sage ich:
Mit dieser Politik verlieren Sie noch mehr Akzeptanz
bei den Wählerinnen und Wählern.
({1})
Die Zukunft kann auch im Zusammenhang mit diesem Thema nicht mit staatlichem Zwang gemeistert
werden, sondern der Staat muß die Kräfte der Selbstverwaltung auf der Basis der Freiwilligkeit stärken und
unterstützen.
({2})
Frau Schewe-Gerigk sagte zum Beispiel - dabei hat sie
sich selber glatt widersprochen -, daß Frauenförderung
für die Unternehmen lukrativ ist. Ja, das ist so. Deshalb
können wir doch diese Selbstheilungskräfte der Wirtschaft ermuntern, initiieren und anstoßen, statt den Betrieben mit dem großen Knüppel der Staatsintervention
zu drohen.
({3})
Wir können doch ein wenig auf diesen Mechanismus
vertrauen. Die Politikvorstellungen, die Sie hier vortragen, sind in keiner Weise konsistent.
Übertroffen wurde alles von der Bemerkung von Frau
Bläss - ich greife jetzt nicht die Vizepräsidentin, sondern die Abgeordnete an -, als sie von der Hinterlassenschaft von CDU/CSU und F.D.P. sprach. Sie als Vertreterin der Nachfolgepartei der SED wagen das zu sagen, Frau Abgeordnete Bläss, nachdem Sie ein Land
ruiniert, ein Volk deprimiert und in eine Revolution getrieben haben? Was Sie uns hier in der Debatte zugemutet haben, ist schon eine Ungeheuerlichkeit.
({4})
Ich komme jetzt darauf, was in Verantwortung von
CDU/CSU und F.D.P. auf familienpolitischem Gebiet
geleistet wurde. In bezug auf das Problem Chancengerechtigkeit von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und im
Erwerbsleben existiert, wenn ich die Aussagen dieses
Tages resümiere, eine beachtliche Schnittmenge. Viel
geringer ist diese, wie ich eben schon deutlich machte,
in der Frage, welche Folgerungen daraus gezogen werden sollen. Das Problem ist natürlich nicht gelöst: Trotz
hoher Motivation, stark gestiegener Qualifikation und
einer über lange Jahre gestiegenen Erwerbsneigung von
Frauen ist - da würde ich nicht die sozialliberale Bildungspolitik als Vorbild heranziehen, da der von der
CSU regierte Freistaat Bayern viel bessere Qualifikationsmerkmale in der Bildungspolitik erfüllt - auf dem
Arbeitsmarkt noch keine Chancengerechtigkeit für Frauen eingetreten.
Wir stimmen in der Analyse einiger Punkte mit Ihnen
durchaus überein, beispielsweise darin, daß zuwenig
Frauen fachspezifische Ausbildungen und Berufe in der
Informations-, Medien- und Kommunikationstechnologie wählen. Wir müssen hier gezielte Frauenförderung
hinsichtlich zukunftsträchtiger Berufe betreiben. Diese
muß in der Schule anfangen und nicht erst bei der Berufsberatung. Wir müssen Mädchen und junge Frauen
ganz gezielt auf diese Berufe hinlenken und ihr Interesse
dafür wecken.
Weiterhin sehen wir erfreut, daß in der Unternehmenswirklichkeit - das bestätigen ja die Aussagen von
Frau Schewe-Gerigk - zunehmend Frauenbeauftragte
bestellt werden und Frauenförderung praktiziert wird.
Beides ist zu einem integralen Bestandteil des Unternehmensalltags geworden. Es haben aber immer noch
viel zuwenig Frauen Führungspositionen erreicht. Die
Ursachen dafür sind ja hier beschrieben worden. Man
kann natürlich jetzt sagen, das Glas sei halbvoll oder
halbleer. Meine Kollegin Störr-Ritter hat ja zu Recht
festgehalten, daß wir bei der Beteiligung von Frauen an
Führungspositionen erhebliche Fortschritte erzielt haben. Es gilt also, diesen Trend zu verstärken und weiter
in diese Richtung zu wirken.
({5})
Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Wenn es
ein Leitmotiv der heutigen Debatte gab, war es bestimmt
dieses Thema. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
ist hauptsächlich das Problem von Frauen. Die meisten
jungen Frauen wollen heute nicht nur Beruf oder Familie; sie wollen Beruf und Familie in Einklang bringen.
Die Kollegin Eichhorn hat heute vormittag von den Barrieren im Kopf gesprochen. Ja, wir müssen neue Einstellungen gewinnen. Wenn ich „wir“ sage, meine ich
die Männer und auch mich selber.
({6})
Wir müssen neue Grundeinstellungen gewinnen. Die
Frauen von heute sind nicht mehr die Frauen von gestern. Deshalb brauchen wir Männer und Väter von
heute mit einem partnerschaftlichen Rollenverständnis und mit der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
({7})
Sie sehen: Ich zeige mich angesichts der erdrückenden
Mehrheit der Frauen in diesem Saal einsichtig, und nicht
nur deshalb. - Wir brauchen neue Männer und neue
Väter mit einem neuen Rollenverständnis.
({8})
Ich glaube, das ist wichtig für die Zukunft. Wenn wir die
Pflichten im Arbeits- und Erwerbsleben teilen, dann
müssen wir, um den Frauen in diesem Prozeß Chancengerechtigkeit zuteil werden zu lassen, auch die Pflichten
in der Erziehung und im Hausmanagement zwischen
Männern und Frauen fair teilen.
({9})
Andernfalls behindern wir Frauen im Wettbewerb auf
dem Arbeitsmarkt.
Das Hauptthema im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist das Thema Kinderbetreuung. Da sind wir ebenfalls ein ganzes Stück weitergekommen. Der Rechtsanspruch auf den Kindergartenplatz, geschaffen und statuiert in der Regierungsära
Kohl, hat doch einen Entwicklungsschub bei der Dekkung mit Kindergartenplätzen in Deutschland gebracht.
({10})
Wir sind noch nicht am Ende des Prozesses. Wir brauchen jobgerechte, noch viel flexiblere, qualitativ hochwertige und zugleich bezahlbare Angebote der Kinderbetreuung. Das ist eine gemeinsame Aufgabe für die
Zukunft, übrigens natürlich vor allem eine Aufgabe für
die Kommunen und für die Länder. Aber auch der Bund
hat, wie Sie wissen, ein Stück gesetzgeberische Verantwortung, die er in der Zeit der CDU/CSU-F.D.P.Regierung sehr positiv genutzt hat, indem er auch die
Kräfte der Kommunen zum Wohl der Kinder fördernd
eingebunden hat.
Ich will im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von
Beruf und Familie - ich fürchte, daß mir die Zeit davonläuft - von einer perversen Korrelation sprechen, die
eine Untersuchung des Verbandes der Rentenversicherungsträger zutage gefördert hat. Sie liegt darin, daß
eindeutig ein Zusammenhang zwischen Kinderlosigkeit
und relativ hohem Alterseinkommen sowie zwischen
Kinderreichtum und relativ niedrigem Alterseinkommen
besteht. Das heißt, diejenigen, die den Generationenvertrag physisch fortsetzen, sind in der Absicherung die
Benachteiligten.
({11})
Ja, was wurde getan? Mit der Anerkennung der Erziehungszeit und deren Erweiterung 1992 wurde ein Riesenschritt getan, ein Riesensignal zur Gleichsetzung von
Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit gegeben.
({12})
Wir sind nur noch nicht am Ende des Weges. Eine Folgerung - ich hoffe, wir ziehen sie gemeinsam - muß
sein, daß wir die Anerkennung von Erziehungsarbeit in
der Rente weiter ausbauen.
({13})
Wir müssen die Kräfte der Selbstverantwortung stärken und auch im „Bündnis für Arbeit“ dafür werben,
daß die Tarifpartner eine verbesserte Frauenförderung
realisieren, was Führungspositionen und die Schaffung
von Teilzeitarbeit, auch für weibliche Führungskräfte
nach ihrer familiären Bedarfslage, mit einschließt.
Allerdings muß ich eines festhalten: Oft haben wir in
Tarifverträgen bereits Voraussetzungen für familiengerechte Flexibilisierungen der Arbeitszeit geschaffen.
Zum Teil werden sie in den Unternehmen nicht genutzt.
Wir müssen auch darauf hinarbeiten, daß Tarifverträge,
die das möglich machen, umgesetzt und angewandt
werden.
Gerald Weiß ({14})
Zu der Förderung von Existenzgründungen durch
Frauen hat meine Kollegin Störr-Ritter etwas gesagt, mit
dem berechtigten positiven Touch.
Ich will noch etwas zu den Frauen sagen, die Sozialhilfe beziehen. Frauen, die - oft nach einer Ehescheidung - alleinerziehend mit einem oder zwei Kindern leben, fallen, wie Sie wissen, oft in die Sozialhilfe. Faktisch bedeutet dies vielfach, daß ihnen die Rückkehr in
den Arbeitsmarkt versperrt ist.
Kollege Weiß, denken Sie bitte an die Redezeit!
Ja. - Die
Koordination der Arbeits- und Sozialämter muß verbessert werden, um tragfähige Brücken zum Ausbildungsund Arbeitsmarkt zu eröffnen. Wir wollen - auch das ist
eine unserer Forderungen -, daß Arbeits- und Sozialämter in der Dienstleistungsaufgabe Vermittlung kundenorientiert zusammenarbeiten und in ihrer Funktion
zusammenwachsen.
Frau Präsidentin, ich will noch ein Schlußwort sagen.
Sie sind weit über Ihre Redezeit. Ich bitte Sie, das ganz kurz zu machen.
Ein Satz. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Diskussion dieses Themas darf man eines nicht vergessen:
Die Frauenarbeitslosigkeit ist Teil der Gesamtarbeitslosigkeit. Wir tun sehr viel für die Behebung der Frauenarbeitslosigkeit, wenn wir die Gesamtarbeitslosigkeit
bekämpfen. Was Sie von Rotgrün mit Ihrer Gesetzgebung angerichtet haben - in den Dienstleistungszweigen,
der Touristik, der Gastronomie und wo auch immer -, ist
verheerend.
({0})
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluß!
Und was
Sie mit Ihrer allgemeinen Wirtschafts- und Finanzpolitik
angerichtet haben, ist eine Katastrophe. Deshalb sagen
wir: Kehren Sie zu einer konsequenten und konsistenten
Wirtschafts- und Finanzpolitik zurück, dann werden die
Zukunftschancen gewahrt und die Arbeitsplätze entstehen, die wir für alle, ganz besonders auch für Frauen,
brauchen.
({0})
Herr Kollege, ich
muß Ihnen den Saft abdrehen. Es tut mir leid.
Letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Renate Gradistanac, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern, anläßlich
der Feier zum 50. Geburtstag des Deutschen Bundestages, hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse herausgestellt: Demokratie muß gerechte Chancen bieten,
({0})
gerechte Chancen selbstverständlich auch für Frauen in
ihrem privaten, gesellschaftlichen und - das ist heute
unser Thema - beruflichen Leben.
Die Erwerbstätigkeit nimmt im Leben der Menschen
einen zentralen Platz ein, da sie nicht nur der Sicherung
des Lebensunterhaltes dient, sondern auch Einfluß auf
die Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit hat.
Die eigenständige Existenzsicherung jeder Frau, unabhängig von ihrem Familienstand, ist eines unserer wichtigsten frauenpolitischen Ziele.
({1})
Frauen bilden mit 52 Prozent die Mehrheit der Bevölkerung, Frauen haben den Ausgang der Bundestagswahl entschieden. Sie wollen, daß die Gleichstellung
von Frauen und Männern wieder zu einem großen gesellschaftlichen Reformprojekt in der Bundesrepublik
Deutschland wird. Dieser Aufgaben werden wir - allerdings Schritt für Schritt - gerecht werden. Es gibt gute
Gründe, jetzt offensiv zu werden. Ich greife zwei Punkte
heraus: Erstens. Die Arbeitslosigkeit von Frauen ist
höher als die der Männer. Zweitens. Die Lohndiskriminierung von Frauen ist ein Skandal.
({2})
Nach wie vor besteht ein enormer Abstand zwischen
den durchschnittlichen Arbeitseinkommen von Frauen
und Männern. Frauen erhalten - das ist heute schon
mehrfach gesagt worden - im Durchschnitt ein Drittel
weniger Lohn und Gehalt als Männer. Für die Frauen in
Ostdeutschland hat sich die Situation seit der Wende
gravierend verändert. Lagen die durchschnittlichen
Fraueneinkommen vor der Wende bei zirka 80 Prozent
der Einkommen von Männern, so hat sich das Mißverhältnis mit der Übernahme der westdeutschen Tarifstrukturen noch verstärkt. Wir haben schon einen entsprechenden Antrag vorgelegt.
Was - das ist sicher spannend - hatte nun die alte
CDU/CSU-F.D.P.-Bundesregierung in ihrem Koalitionsprogramm 1994 festgeschrieben? Ich habe selbst
zwischen den mageren Zeilen vergeblich nach Maßnahmen gesucht, die die Hoffnung auf eine gleichberechtigte Teilhabe in dieser Gesellschaft erfüllen könnten.
Es war nicht die Rede davon, die überproportionale
Arbeitslosigkeit von Frauen durch gezielte Programme
und Qualifizierungsmaßnahmen zu beseitigen oder über
eine Beschäftigungs- und Strukturpolitik zukunftssichere Arbeitsplätze für Frauen zu schaffen. Es war auch
Gerald Weiß ({3})
nicht die Rede davon, ein Gleichstellungsgesetz für die
Privatwirtschaft vorzulegen
({4})
oder - damit will ich die Vergangenheit auf sich beruhen
lassen - die sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse zu begrenzen.
({5})
Die SPD-geführte Bundesregierung hat in ihrem Programm „Frau und Beruf“, von dem heute die Rede war,
umfassende Vorschläge ausgearbeitet. Damit werden
wir Versäumtes nachholen und die Weichen für eine
zukunftsorientierte Frauenpolitik stellen.
Zum aktuellen CDU/CSU-Oppositionsantrag möchte
ich nur eine persönliche Bemerkung machen. Sie schreiben in Punkt 4 - ich zitiere -:
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt
weiterhin große Anforderungen an die Frauen, insbesondere in Hinsicht auf Kinderbetreuung …
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
haben vergessen, die Männer mit einzubeziehen. Auch
wenn Sie, Herr Weiß, sehr wortgewaltig darüber gesprochen haben, werde ich das noch ein wenig überprüfen.
({6})
Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit für Mütter und Väter verbessern und somit
die partnerschaftliche Teilhabe von Männern an Erziehungs- und Familienarbeit stärken. Das bedeutet unter
anderem, daß wir die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs sowohl für Mütter als auch für Väter attraktiv
gestalten wollen und daß wir an der Sicherung und dem
Ausbau eines preiswerten, bedarfsdeckenden und differenzierten Angebots von Betreuungseinrichtungen für
Kinder mitwirken wollen. So steht es in unserem Antrag.
Nicht nur in diesem Punkt sind wir Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, mit unseren Vorstellungen eine Nasenlänge voraus, sondern wir sind es
auch, wenn es darum geht, ein Gleichstellungsgesetz
vorzustellen, das verbindliche Regelungen zur Frauenförderung nicht nur für den öffentlichen Bereich, sondern auch für die Privatwirtschaft fordert.
({7})
- Daß Sie, Frau Lenke, davon nichts wissen wollen,
wissen wir. Wir wissen aber auch alle ganz genau, daß die überwiegende Mehrheit der Frauen nicht im öffentlichen
Dienst arbeitet.
Ich wünsche mir - damit haben wir mit unserem
JUMP-Programm begonnen -, daß junge Frauen und
Männer eine gute Ausbildung erhalten und einen Beruf
erlernen, der ihren Fähigkeiten und Kompetenzen angemessen ist, und daß sie Berufe mit Zukunfts- und Aufstiegschancen wählen, die in den Bereichen Informations- und Kommunikationssysteme, in der Pflege, Bildung und im Tourismus, kurz: im Dienstleistungsbereich, liegen.
Meine Damen und Herren, ich gratuliere meiner
Ministerin Christine Bergmann zu ihrem umfassenden,
intelligenten und ehrgeizigen Programm „Frau und
Beruf“.
({8})
Damit kommen wir der Forderung von Wolfgang Thierse, Demokratie muß gerechte Chancen bieten, umgehend nach.
({9})
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/1195, 14/1529 und
14/1549 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/1528 Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß wir höchstwahrscheinlich nicht zwei Stunden brauchen. Es wird
ungefähr eine Stunde dauern. Sie wissen, daß wir ein
bißchen flexibel sein müssen. Ich sage das deshalb, weil
wir unmittelbar im Anschluß an die Fragestunde mit der
Aktuellen Stunde beginnen werden.
Ich rufe zunächst den Bereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Frage 1
des Kollegen Neumann wird schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich das Ressort des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Dirk Niebel,
F.D.P., auf:
Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, in wie vielen Fällen Sprachkurse für jugendliche Aussiedler und Ausländer abgebrochen werden mußten, um an gegenüber der Sozialhilfe vorrangigen Maßnahmen im Rahmen des Programms der Bundesregierung zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit teilzunehmen?
Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Kollege Niebel, das Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert aus dem
sogenannten Garantiefonds unter anderem DeutschSprachkurse für junge, nicht mehr schulpflichtige Spätaussiedler, Kontingentflüchtlinge und Asylberechtigte.
Im Garantiefonds stehen 1999 insgesamt 166 Millionen DM zur Verfügung. Die Mittel für die Maßnahmen
aus dem Garantiefonds werden den Bundesländern jährlich zugewiesen, die über die Bewilligungsstellen vor
Ort den Sprachkursträgern die Kurskosten zuwenden.
Neben Intensivsprachkursen von zehnmonatiger Dauer werden Integrationssprachkurse mit berufsorientierten
Bestandteilen bzw. mit dem Ziel des qualifizierten
Hauptschulabschlusses von jeweils zwölfmonatiger
Dauer angeboten. Bundesweit stehen rund 5 800 Sprachkursplätze zur Verfügung, auf denen 1998 12 366 Jugendliche gefördert wurden.
Um sich in Förderfragen eng mit den Bundesländern
abzustimmen, lädt unser Haus, das Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dreimal im
Jahr zu Bund-Länder-Besprechungen zum Garantiefonds ein. Bei der letzten Bund-Länder-Besprechung am
20. April 1999 wurde von Einzelfällen aus SachsenAnhalt und Berlin berichtet, in denen Jugendliche die
Garantiefondskurse abgebrochen hätten, um am Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit teilzunehmen. Das Sofortprogramm ist eine zusätzliche Soforthilfe zum nachhaltigen Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Leistungen nach diesem Programm sind gegenüber vergleichbaren Leistungen Dritter nachrangig. Fälle, in denen die Sozialämter die Jugendlichen zum Kursabbruch veranlaßt hätten, sind uns nicht bekannt geworden.
Weitere Erkenntnisse liegen der Bundesregierung
nicht vor.
Kollege Niebel, bitte
Ihre Zusatzfrage.
Dirk Niebel ({0}): Frau Staatssekretärin, wenn ich
Ihnen - nicht jetzt von dieser Stelle aus, sondern vielleicht später unter vier Augen - konkrete Fälle benennen
würde, in denen nachgewiesen werden kann, daß Sozialämter unter der Androhung des Wegfalls der Leistungen
zum Lebensunterhalt Jugendliche aus ihren Sprachkursen herausgelöst haben, um sie in Betriebspraktika nach
dem Jugendarbeitslosigkeitsprogramm zu zwingen,
würden Sie dann eine solche Praxis gutheißen?
Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend: Herr Kollege Niebel, das ist für mich eine
hypothetische Frage, weil aus den Gesprächen im BundLänder-Kreis nicht ersichtlich ist, daß irgendein Sozialamt so tätig geworden ist, wie Sie es hier vermuten. Insofern kann ich Ihre hypothetische Frage nicht beantworten.
({1})
Eine zweite Zusatzfrage, Kollege Niebel.
Dirk Niebel ({0}): Frau Staatssekretärin, dann
möchte ich Ihnen die konkrete Frage stellen, ob es im
Sinne des Jugendarbeitslosigkeitsprogrammes ist, Betriebspraktika durchzuführen, wenn bei den Jugendlichen noch keine Sprachkenntnisse vorhanden sind. Ich
werde Ihnen mehrere ganz konkrete Fälle belegen, in
denen Jugendliche gezwungen wurden, den Sprachkurs
abzubrechen, um ohne jedwede Sprachkenntnisse in
Betriebspraktika zu gehen, nur damit die Quoten für die
Öffentlichkeit erfüllt werden.
Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Kollege Niebel, das Letzte ist nun wirklich
eine Unterstellung, die ich zurückweise. Ich habe bereits
gesagt, daß die Maßnahmen des Sofortprogramms nachrangig sind. Insofern ist all das, was Sie mir hier berichten, was wo auch immer geschehen sein soll, nicht
im Sinne des Programmes und des Gesetzes.
({1})
Ich rufe nunmehr den
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Christa Nickels zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Hans-Joachim Otto,
F.D.P., auf:
Wie konkret sind Pläne des Bundesministeriums für Gesundheit, die Werbung für alkoholische Getränke drastisch zu
beschränken, und werden diese Überlegungen vom Kabinett getragen?
Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Sehr geehrter Herr Kollege Otto, ich beantworte Ihre Frage 3 wie folgt: Wissenschaftlich ist erwiesen, daß eine Vielzahl von Erkrankungen bei Männern und Frauen durch Alkohol mitverursacht werden und daß es einen engen Zusammenhang
zwischen Alkohol und Gesundheitsschäden in der Bevölkerung gibt. Auswirkungen auf die Gesamtsterblichkeit, auf spezielle Todesursachen, Zirrhosesterblichkeit,
Verkehrsunfälle, Suizide, Gewaltverbrechen usw. werden in Studien und Abhandlungen beschrieben.
Die Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren geht
davon aus - das ist durch Prävalenzstudien und andere
Studien nachgewiesen -, daß in der Bundesrepublik bis
zu 40 000 Todesfälle im Jahr durch Alkoholmißbrauch
bedingt sind und daß auf Grund von Alkoholeinfluß in
Deutschland rund 33 000 Verkehrsunfälle passieren. Bei
Gewaltausübungen aller Art spielt Alkohol eine erhebliche Rolle. Bei über der Hälfte der Fälle von Widerstand
gegen die Staatsgewalt, bei jedem vierten Gewaltdelikt,
bei jedem dritten Raubmord, bei jeder dritten Vergewaltigung - ganz zu schweigen von der alltäglichen Gewalt
in den Familien - spielt Alkohol leider eine erhebliche
Rolle.
Wissenschaftlich erwiesen ist auch, daß die kommerzielle Alkoholwerbung Auswirkungen auf die Konsummenge haben kann, wobei mehrere Effekte auftreten
können: So kann die Alkoholwerbung den Alkoholkonsum von bereits trinkenden Personen steigern oder diese
davon abhalten, ihren Konsum zu reduzieren oder ganz
Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis
einzustellen, wenn das unter Umständen gesundheitlich
geboten ist.
Von besonderer Bedeutung sind diese Erkenntnisse
natürlich im Hinblick auf Jugendliche. Auch am Beispiel Tabakwerbung wurde das schon wissenschaftlich
belegt. Wenn Sie hier nach Expertisen fragen, will ich
eine nennen, die 1998 für das Bundesministerium für
Gesundheit erstellt worden ist, und zwar von Reiner Hanewinkel und Johannes Pohl: „Werbung und Tabakkonsum“. Es ist eindeutig festgestellt worden, daß Jugendliche durch Werbeaussagen in besonderer Weise ansprechbar sind und vor den Gefahren des riskanten Konsums von Alkohol somit auch in besonderer Weise geschützt werden müssen.
Zu einer Zusatzfrage
Kollege Otto, bitte.
Hans-Joachim Otto ({0}) ({1}): Es ist gar
keine Zusatzfrage. Frau Staatssekretärin, ich wiederhole
meine Frage wörtlich: Wie konkret sind Pläne des Bundesministeriums für Gesundheit, die Werbung für alkoholische Getränke drastisch zu beschränken?
Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Die Frau Präsidentin hat
die Frage 3 aufgerufen. Die habe ich Ihnen beantwortet.
Hans-Joachim Otto ({2}) ({3}): Es ist mir
verschlossen geblieben, in welche Richtungen die
Überlegungen gehen. Vielleicht haben Sie die Frage 3
und die Frage 4 verwechselt, Frau Staatssekretärin.
Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Nein, ich habe die Fragen
3 und 4 nicht verwechselt. Ich lese die Frage 3 , die Sie
mir gestellt haben und die mir vom Kabinettsreferat
übermittelt worden ist, vor. Ihre Frage 3 lautet - auch
nach der entsprechenden Fragestundenauflistung -: Verfügt das Bundesministerium für Gesundheit über wissenschaftliche Grundlagen - Hans-Joachim Otto ({4}) ({5}): Entschuldigung, das ist die Frage 4.
Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Das ist bei mir die Frage
3. Die habe ich Ihnen beantwortet.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich glaube, hier liegt ein Mißverständnis vor. Frage 3 ist, wie konkret die Pläne sind.
Frage 4, die ich jetzt aufrufe, lautet: Verfügt das Bundesministerium für Gesundheit über wissenschaftliche
Grundlagen, die den durch ein möglichses Verbot von
Alkoholwerbung drohenden Eingriff in die Freiheiten
der Unternehmen, der Bürger sowie in die Freiheit der
Erwerbsmöglichkeit der Medien rechtfertigen?
Hans-Joachim Otto ({0}) ({1}): Ich stelle
jetzt meine erste Zusatzfrage zu Frage 4: Liebe Frau
Staatssekretärin, ist dem Bundesgesundheitsministerium
bekannt, daß in den letzten zehn Jahren die Ausgaben
für Werbung für alkoholische Getränke gestiegen sind,
demgegenüber aber der Konsum alkoholischer Getränke
gesunken ist, so daß doch der Schluß sehr nahe liegt,
daß es einen wissenschaftlich belegbaren Zusammenhang zwischen der Werbung für alkoholische Getränke
und dem tatsächlichen Alkoholgenuß überhaupt nicht
gibt?
Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Der Bundesregierung ist
bekannt, daß der Alkoholkonsum auch durch die vielfältigen Bemühungen im Bereich der Prävention bei
Kindern und Erwachsenen in einigen Bereichen tatsächlich zurückgegangen ist. Andererseits - ich habe dazu
eben schon zitiert; ich denke, das ist auch noch im Raum
- liegen Studien vor - unter anderem eben auch von unserem Haus aus dem letzten Jahr -, die belegen, daß besonders bei Kindern und Jugendlichen zweifelsfrei eine
Beeinflussung durch Werbung gegeben ist und daß zum
anderen bei bestimmten Konsummustern und bestimmten Gruppen, die gerade unter gesundheitlichen Gesichtspunkten Risikogruppen sind, ein Gefahrenpotential
besteht. Das ist nachgewiesenermaßen so. Das ist auch
der Grund für den Aktionsplan Alkohol, der 1997 von
der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, und zwar
einstimmig von allen Bundesländern, beschlossen worden ist. Er ist jetzt noch einmal überarbeitet worden. Das
Land Sachsen hat auch eigene Studien gemacht, die bestätigen, daß dieser einstimmig beschlossene Maßnahmenkatalog sinnvoll ist, der auch noch einmal novelliert
worden ist. Das ist der Hintergrund, vor dem unser Haus
sagt: Wir knüpfen an die Bemühungen an - die übrigens
schon Herr Seehofer in Angriff genommen hat -, sich in
Gesprächen mit der Alkoholindustrie zu bemühen, im
Rahmen der freiwilligen Selbstbeschränkung weitere
Verbesserungen mit den genannten Zielen zu erreichen.
Der Hintergrund ist zweifelsfrei wissenschaftlich abgesichert.
Herr Kollege Otto,
eine zweite Zusatzfrage zu dieser Frage.
Hans-Joachim Otto ({0}) ({1}): Frau
Staatssekretärin, teilen Sie meine Einschätzung, daß ein
so schwerwiegender Eingriff wie eine Werbebeschränkung jedenfalls nur dann erfolgen darf, wenn der von
Ihnen vermutete Zusammenhang zwischen Werbung
und gesteigertem Alkoholkonsum zweifelsfrei belegt
werden kann?
Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Herr Kollege Otto, ich
habe Ihnen eben dargelegt, in welchen speziellen Fällen
besonders im Bereich von Gesundheitsschutz, im Bereich von Risikogruppen und von Jugendlichen der Zusammenhang belegt ist.
Natürlich sind die Werbefreiheit und die Freiheit der
Gewerbetreibenden sehr hoch einzuschätzen. Allerdings
sind diese Freiheitsrechte auch im Kontext mit dem
Grundgesetz zu sehen. Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit und der Jugendschutz spielen eine große
Rolle. Vor diesem Hintergrund, in diesem Spannungsfeld bewegen sich die Maßnahmen, die die Gesundheitsministerkonferenz, und zwar alle Bundesländer, zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium mit der
Industrie noch einmal erörtern will.
Da wir die Nummern
vertauscht hatten, kommen wir jetzt tatsächlich zur Frage 3 des Abgeordneten Hans-Joachim Otto.
({0})
Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Ja.
({1})
- Ja, ich denke, das haben wir jetzt.
Ein Stück weit habe ich die Frage in Beantwortung
der Zusatzfragen schon beantwortet. Es ist so, daß wir
von seiten des Gesundheitsministeriums den Aktionsplan Alkohol, der 1997 beschlossen, aber nicht umgesetzt worden ist - es hat unter der alten Regierung erste
Sondierungsgespräche gegeben -, aufgegriffen haben.
Wir haben zusammen mit der Gesundheitsministerkonferenz, mit den Ländern, mit den Fachbereichen diesen
Aktionsplan Alkohol auf den neuesten Stand gebracht.
Das ist, wie gesagt, im engen Austausch mit den Ländern passiert.
Auf der Gesundheitsministerkonferenz im Juni hat
Ministerin Fischer das nochmals besprochen. Es hat jetzt
auch noch einmal Gespräche mit einigen Ländern gegeben. Vertreter der Gesundheitsministerkonferenz werden
zusammen mit Frau Ministerin Fischer in absehbarer
Zeit einen Termin mit der Alkoholwirtschaft vereinbaren, um auszuloten und zu sondieren, was im Wege der
freiwilligen Werbebeschränkung auf dem Boden dieses
gemeinsamen Aktionsplans noch zu machen ist, denn
die Unternehmen - das wissen Sie auch - agieren nicht
im luftleeren Raum. Uns ist vor allen Dingen auch der
Kinder- und Jugendschutz wichtig.
Kollege Otto, bitte
Ihre Zusatzfrage.
Hans-Joachim Otto ({0}) ({1}): Wir sind
jetzt bei der Frage 3. Deswegen möchte ich Sie fragen:
Können Sie bestätigen, daß ganz konkrete Pläne Ihrer
Ministerin bestehen, die darauf zielen, die komplette
Ausschaltung der TV- und Hörfunkwerbung einschließlich Sponsoring für alle alkoholhaltigen Produkte zwischen 6 Uhr und 22 Uhr vorzusehen?
Können Sie mir bestätigen, daß Ihre Ministerin ein
Verbot jeglicher Marktkommunikation dieses Sektors im
Sportbereich plant?
Christa Nickels, Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Ich kann noch einmal bestätigen, daß wir hier auf der Grundlage des Aktionsplans
Alkohol arbeiten. Ich kann hier drei große Komplexe
nennen: Jugendliche sollen analog der Selbstbeschränkung bei der Tabakwerbung nicht Zielgruppe und Medium von Alkoholwerbung sein. Der Bereich des Sports
soll von Alkoholwerbung ausgenommen werden. Es soll
nicht mit vermeintlich positiven Folgen des Alkoholkonsums geworben werden.
Das sind Übertragungen der Vorgaben der EGFernsehrichtlinie auf alle Werbungen, was unter anderem auch im Aktionsplan Alkohol im Einvernehmen mit
den Ländern niedergelegt ist. Auf dieser Grundlage wird
unser Haus, unsere Ministerin zusammen mit Vertretern
der GMK in absehbarer Zeit, sobald wie möglich, Gespräche mit der Alkoholindustrie aufnehmen.
Zum zweiten kann ich Ihnen noch sagen, daß Gesundheitsministerin Frau Fischer im Rahmen des zweiten europäischen Aktionsplans Alkohol der WHO, der
von 2000 bis 2005 gilt, auch Warnhinweise auf alkoholischen Getränken vogeschlagen hat. Es ist im Rahmen
dieser WHO-Kampagne geplant, daß Frau Ministerin Fischer sich mit einem Schreiben an die Europäische
Kommission wenden und darum bitten wird, dem Rat
und dem Europäischen Parlament den Vorschlag einer
Richtlinie über Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen
bei Getränken mit hohem Alkoholgehalt vorzulegen.
Das war ja auch Gegenstand von Presseberichten. Ich
nehme an, darauf beziehen Sie sich. Das ist im Augenblick in der Planung.
Gesetzliche Maßnahmen sind nicht geplant und damit
auch keine Verbote, sondern wir planen zusammen mit
der GMK, im Rahmen von Gesprächen zu sondieren,
inwieweit die Industrie bereit ist, im Rahmen von freiwilligen Vereinbarungen im Interesse von Kinder- und
Jugendschutz und Gesundheit entsprechend auch etwas
umzusetzen.
Eine letzte Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege Otto.
Hans-Joachim Otto ({0}) ({1}): Frau
Staatssekretärin, nachdem es nunmehr in rascher Folge
geradezu eine Kaskade von Werbebeschränkungen gibt,
angefangen bei der Werbung für Tabakerzeugnisse, deren Verbot im übrigen durchaus mit einem Gesetz
durchgesetzt worden ist, bis zum nunmehr geplanten
Verbot der Werbung für alkoholische Getränke, frage
ich Sie allen Ernstes: Wohin soll das eigentlich noch
führen?
({2})
Wird zukünftig auch noch ein Werbeverbot für Süßigkeiten ausgesprochen? Wo wollen Sie denn eigentlich
hin in Ihrem Beglückungswahn?
Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Ich glaube, daß weder
ich noch unser Haus einem Beglückungswahn erlegen
sind. Vielmehr setzen wir schlicht und ergreifend das
um, was schon im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation beschlossen worden ist. Wir tun das in enger
Absprache mit sämtlichen Bundesländern; alle Bundesländer haben an dem Aktionsplan Alkohol mitgearbeitet und unterstützen ihn. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Vorgängerregierung die Grundlage
hierzu im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation
gelegt hat.
Das setzen wir um, und zwar nicht im Sinne eines
Beglückungswahns und auch nicht im Sinne des Mottos
„Knüppel aus dem Sack“. Vielmehr rechnen wir hier mit
der Vernunft der Unternehmer, die genau wie wir in dieser Gesellschaft leben, die Kinder haben, die an Jugendschutz interessiert sind. Wir versuchen, auf dem Wege
der Freiwilligkeit solche Maßnahmen voranzutreiben.
Das hat in der Vergangenheit in vielen Bereichen funktioniert.
Das will die Bundesregierung in der von mir dargestellten Art und Weise tun. Zu all dem anderen, was Sie
mutmaßen, etwa hinsichtlich der Süßigkeiten, sage ich:
Dem Abgeordneten ist freigestellt, sich alles mögliche
vorzustellen. Das ist aber nicht Gegenstand der Arbeit
bei uns im Haus.
({3})
Damit rufe ich den
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gila
Altmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Paul Laufs
auf:
Wann wird die Bundesregierung das Transportverbot für abgebrannte Brennelemente aus deutschen Kernkraftwerken aufheben?
Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Dr. Laufs, in der Hoffnung, daß ich
die richtige Frage habe, damit Sie also die richtige Antwort bekommen,
({0})
gebe ich Ihnen folgende Antwort: Transporte können
erst dann zugelassen werden, wenn die erforderlichen
Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Genehmigungsvoraussetzungen sind erst dann erfüllt, wenn
Kontaminationsüberschreitungen während der gesamten
Transportdauer mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können und die Behälter selbst die erforderliche Sicherheit gewährleisten.
Diese Voraussetzungen sind zur Zeit nicht erfüllt.
Den Prüfungen des Eisenbahn-Bundesamtes, zuständig
für die Kontamination, und der Bundesanstalt für Materialprüfung - das betrifft die Behälterfragen - kann nicht
vorgegriffen werden.
Eine Zusatzfrage,
bitte, Herr Kollege Laufs.
Dr. Paul Laufs ({0}): Frau Staatssekretärin,
habe ich Ihre Antwort dahin gehend richtig verstanden,
daß Sie der Antwort des Staatssekretärs Rainer Baake
widersprechen, der am 13. August auf die Frage des Abgeordneten Gunnar Uldall, ob alle Auflagen und gutachterlichen Empfehlungen durch das nun vorliegende
Gesamtsystem erfüllt sind, mit einem klaren Ja geantwortet hat?
Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich kann dem, was ich gerade geantwortet habe,
bezogen auf die drei Transporttypen, die zur Zeit untersucht werden, folgendes zur Verdeutlichung hinzufügen:
Es handelt sich dabei zum einen um die innerdeutschen
Transporte zu den Zwischenlagern. Das Gutachten über
diese Frage ist Ende Mai fertiggestellt worden. Es liegen
zirka 60 Empfehlungen für die Betreiber vor. Die Gutachter müssen anschließend bestätigen, daß diese Empfehlungen umgesetzt worden sind.
Zum zweiten geht es um den Transport der Glaskokillen aus dem Ausland, das heißt aus Sellafield und La
Hague. Das Gutachten dazu ist Ende Juni fertig geworden. Dazu gibt es zirka 30 gutachterliche Empfehlungen.
Die Gutachter müssen hinterher ebenfalls bestätigen,
daß sie umgesetzt worden sind.
Zum dritten geht es um die Transporte ins Ausland
zur Wiederaufarbeitung, also nach England und Frankreich. Dazu sind die Unterlagen im letzten Juli angekommen. Das heißt, in dieser Frage befinden wir uns
noch in der Prüfung.
Eine weitere Zusatzfrage.
Dr. Paul Laufs ({0}): Frau Staatssekretärin,
wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß die
Atomtransporte in der Schweiz und in Frankreich, die
mit den gleichen Behältern durchgeführt werden, schon
längst wiederaufgenommen worden sind, nachdem dort
die gleichen Sicherheitsfragen sehr sorgfältig abgearbeitet worden waren?
Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege, ich habe keine konkreten Einblicke,
wie sich die Lage in der Schweiz gestaltet, zum BeiHans-Joachim Otto ({1})
spiel wieviel Zeit für das Herbeischaffen der Unterlagen für die Transportgenehmigung benötigt wurde.
Ich kann als Vertreterin der Bundesregierung nur sagen, daß wir hier sehr sorgfältig nach Recht und Gesetz
zu prüfen haben. Wir sollten sehr vorsichtig sein, eine
politische Einflußnahme auch nur anzudeuten, von
welcher Seite auch immer. Insbesondere durch die
Vorkommnisse im April letzten Jahres, die zu einem
Transportstopp durch Ministerin Merkel geführt haben,
sind wir gehalten, nach Recht und Gesetz zu entscheiden. Dafür sind noch nicht alle Voraussetzungen gegeben. Das ist belegbar.
Ich kann Ihnen aber mitteilen, daß Ihnen als Mitglied
des Umweltausschusses in den nächsten Tagen ein entsprechender Bericht zugehen wird.
Damit sind wir bei
der Frage 6 des Abgeordneten Dr. Laufs:
Wann kann die Genehmigung der von der Energiewirtschaft
beantragten Atomtransporte durch das Bundesamt für Strahlenschutz erwartet werden?
Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Zu dieser Frage kann ich eigentlich nur auf das
verweisen, was ich bereits zu Ihrer vorhergehenden
Frage ausgeführt habe. Ich möchte Ihnen aber noch einige Hintergrundinformationen geben, die vielleicht Ihre
Zweifel, was die zeitlichen Unterschiede zwischen der
Schweiz und Deutschland angeht, ausräumen.
Die Prüfung der eingereichten Unterlagen im Bundesamt für Strahlenschutz erfolgt auf der Grundlage des
§ 4 Atomgesetz. Dementsprechend ist die Erteilung einer Beförderungsgenehmigung durch das Bundesamt für
Strahlenschutz erst dann möglich, wenn die Erfüllung
der in § 4 Abs. 2 Atomgesetz genannten Genehmigungsvoraussetzungen durch den Antragsteller - das ist
in diesem Fall die Firma Nuclear Cargo Service, eine
Tochter der DB AG - nachgewiesen und die erforderliche Einbeziehung anderer zu beteiligender Behörden
abgeschlossen worden ist.
Hiervon ausgehend läßt sich gegenwärtig folgender
Stand zu den genannten Genehmigungsverfahren zusammenfassen:
Das Gutachten zu den Transporten bestrahlter Brennelemente zur Wiederaufarbeitung in Frankreich und
Großbritannien steht noch aus.
Die Anerkennungsverfahren für die Zulassung der
englischen und französischen Transportbehälter sind
noch nicht abgeschlossen. Fehlende Unterlagen zu den
französischen Behältern sind bis Ende September 1999
von Transnuclear-Paris angekündigt. Zu den englischen
und französischen Behältern ist eine Stellungnahme der
Bundesanstalt für Materialprüfung zur Dekontaminierbarkeit ausstehend.
Die Gutachten zu Transporten bestrahlter Brennelemente in die Zwischenlager Ahaus und Gorleben sowie
verglaster hochradioaktiver Abfälle nach Gorleben liegen vor. Die Industrie hat Unterlagen zu den Empfehlungen und Hinweisen der Gutachter vorgelegt; sie werden zur Zeit von diesen geprüft.
Bei den vorgesehenen Castor-Behältern haben sich
technische Fragestellungen im Zusammenhang mit dem
verwendeten Moderatormaterial - dabei handelt es sich
um die Abschirmung der Neutronenstrahlung - ergeben,
die zur Zeit noch von der Industrie bearbeitet werden
und anschließend von den Behörden zu bewerten sind.
In allen vorliegenden Genehmigungsverfahren sind
die zu beteiligenden Innenbehörden der Länder zur Gewährleistung der Sicherungsmaßnahmen einbezogen.
Die Abarbeitung dieser Schwerpunkte bestimmt im
wesentlichen die Fortführung und den Abschluß der einzelnen Genehmigungsverfahren. Nach Vorlage der genannten noch fehlenden Unterlagen werden für den Abschluß der Genehmigungsverfahren noch maximal vier
Wochen gebraucht.
Herr Kollege Dr.
Laufs, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Dr. Paul Laufs ({0}): Frau Staatssekretärin,
ist sich der Bundesumweltminister der wiederholt öffentlich vorgetragenen Äußerung des Bundeskanzlers
bewußt, daß keine Verstopfungssituation eintreten werde, und was tut der Bundesumweltminister, um diese
demnächst drohende Situation abzuwenden?
Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Laufs, wenn ich das Wort „Verstopfung“ höre, habe ich eine Assoziation, die ein ganz anderes Ressort betrifft. Ich kann Ihnen aber trotzdem sagen, daß es darum natürlich nicht geht, sondern darum,
nach Recht und Gesetz zu entscheiden und auf Grund
der Vorkommnisse, die ich beschrieben habe, keine
politische Einflußnahme zu betreiben.
Ansonsten ist es so, daß die Zuständigkeiten genau
geregelt sind. Das heißt, das Bundesamt für Strahlenschutz genehmigt gemäß dem Atomgesetz - das habe
ich Ihnen bereits vorgetragen - die Transporte. Voraussetzung ist, daß die Behälter zugelassen sind. Im Moment ist es so, daß es, da die Genehmigungen abgelaufen sind, keine zugelassenen Behälter gibt. Es liegt nur
die Genehmigung für den eventuellen Transport eines
Behälters nach Gorleben vor. Diese Genehmigung läuft
aber am 31. Oktober dieses Jahres ab.
Weitere Zuständigkeiten liegen beim Bundesamt für
Materialprüfung, beim Eisenbahn-Bundesamt und bei
den Aufsichtsbehörden der Länder. Wenn diese die Bereiche, für die sie zuständig sind, nach Recht und Gesetz
geprüft haben und wenn alle Unterlagen vorliegen - das
habe ich Ihnen bereits vorgetragen -, dann können die
Genehmigungen innerhalb von vier Wochen erteilt werden.
Eine letzte Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Parl. Staatssekretärin Gila Altmann
Dr. Paul Laufs ({0}): Frau Staatssekretärin,
da alle technisch komplizierten Vorgänge beliebig lange
problematisiert werden können, ist zu fragen: Erkennt
die Bundesregierung, daß es zu einer systematisch verzögerten und ständig problematisierten Bearbeitung von
Genehmigungsanträgen kommt, was zu einer Rechtsverweigerung führt und damit Schadensersatzforderungen zur Folge hat?
Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Laufs, die Bundesregierung erkennt
vor allem ihre jetzige Verantwortung an, die sie besonders auf Grund der Vorkommnisse im letzten Jahr bzw.
in den Jahren davor hat. Das, was Sie gerade ausgeführt
haben, sind Unterstellungen. Ich bin auf diese Problematik bereits in einer vorherigen Antwort eingegangen.
Ich habe Ihnen darüber hinaus schon zu Beginn der
Beantwortung Ihrer Fragen gesagt, daß Ihnen im Umweltausschuß ein Bericht vorgelegt wird, den Sie dann
auf Herz und Nieren prüfen können. Die Bundesregierung hat nicht nur den Anspruch, sondern auch die
Pflicht, daß, bevor Transporte genehmigt werden, alle
Fragen ausgeräumt und alle Unterlagen beigebracht
worden sind, damit die Bevölkerung sicher sein kann,
daß dieses Mal wirklich das stimmt, was in den vergangenen Jahren auch immer behauptet worden ist, nämlich
daß die Transporte sicher sind.
Insofern sollten wir bei diesem Thema Polemik und
Politik vermeiden.
Wir kommen damit
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Finanzen. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung.
Die Fragen 7, 8 und 10 werden schriftlich beantwortet.
Deshalb rufe ich sofort die Frage 9 des Abgeordneten
Hans Michelbach auf:
Plant die Bundesregierung eine erhöhte Besteuerung des
Vermögens im Rahmen einer der derzeit nicht mehr erhobenen
Vermögensteuer ähnlichen Vermögensabgabe, und, wenn ja,
welche Beweggründe veanlassen sie hierzu?
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Nein.
({0})
Was für ein Wunder,
es gibt eine Zusatzfrage des Kollegen Michelbach.
Hans Michelbach ({0}): Frau Staatssekretärin,
ich weiß nicht, wie klar und deutlich Ihre Neins sind.
({1})
Fragen werden ja letzten Endes in Form eines Zickzackkurses oft mit Jein beantwortet.
Meine Zusatzfrage zielt darauf ab, daß eine Vermögensabgabe natürlich auch dann vorliegt, wenn eine Erhöhung der Erbschaftsteuer stattfindet. Schließt Ihr Nein
in bezug auf eine Vermögensabgabe auch die Erhöhung
der Erbschaftsteuer aus?
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Michelbach,
die Bundesregierung verfolgt konsequent das Ziel der
Steuersenkung und der Haushaltskonsolidierung. Dieser
doppelten Herausforderung müssen wir uns stellen, da
Sie uns im Rahmen Ihrer Bundesregierung einen Scherbenhaufen hinterlassen haben.
({2})
Wir beabsichtigen nicht, unser Programm von Steuersenkungen und Haushaltskonsolidierung mit Steuererhöhungen zu verbinden.
({3})
Es gibt eine zweite
Zusatzfrage des Kollegen Michelbach. Bitte.
Hans Michelbach ({0}): Frau Staatssekretärin, wie verstehen Sie denn die einzelnen Hiobsbotschaften Ihrer Fraktionskolleginnen und -kollegen, insbesondere die von Frau Fraktionsvorsitzende Gleicke,
die in jedem Fall die Forderung nach einer Vermögensabgabe oder nach einer Erbschaftsteuererhöhung durchsetzen will? Wie sehen Sie denn in dieser Verbindung
die Verunsicherung der Wirtschaft auf Grund dieser
Aussagen, die von den Kolleginnen und Kollegen aus
Ihrer Fraktion immer wieder in die Runde geworfen
werden? Ist es nicht so, daß diese Verunsicherung Arbeitsplatzverluste in erheblicher Zahl gerade in der mittelständischen Wirtschaft durch Attentismus und durch
Verlagerung von Investitionen hervorruft?
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Michelbach,
Sie können mich in dieser Fragestunde lediglich nach
den Absichten der Bundesregierung fragen. Darüber
hinaus kann ich keine Auskunft geben. Ich darf Ihnen
noch einmal sagen: Die Bundesregierung beabsichtigt
nicht, die Erbschaftsteuer zu erhöhen.
Ich möchte aber die in Ihrer Frage enthaltene Bewertung zurückweisen. Es ist schlechterdings kaum vorstellbar, daß Investitionsentscheidungen wegen einer
wie auch immer geänderten Erbschaftseuer zurückgestellt werden. Dazu kann es nun in der Tat keinen inhaltlichen Sachzusammenhang geben. Investitionsentscheidungen werden nach Marktanalysen und in der Erwartung getroffen, daß man mit der Investition, die man
tätigt, einen Gewinn macht und weitere Marktchancen
erschließt. Das hat mit einem Erbschaftsvorgang überhaupt nichts zu tun.
({1})
- Sie hatten aber nicht die Generationsbrücke angesprochen, sondern von Investitionsattentismus geredet.
({2})
Herr Kollege Hollerith,
Sie hatten ebenfalls eine Zusatzfrage.
Josef Hollerith ({0}): Frau Staatssekretärin,
Sie hatten in einer Ihrer Antworten wieder den allseits
gebetsmühlenhaft wiederholten Vorwurf der Erblast in
die Debatte eingebracht.
({1})
Ich spreche von der Erblastenlüge und frage Sie: Teilen
Sie die Einschätzung, daß von den 1 500 Milliarden DM
Schulden etwa 350 Milliarden DM aus der Zeit der
Kanzlerschaft Willy Brandts und Helmut Schmidts bis
zum Ende des Jahres 1982 stammen, daß etwa 450 Milliarden DM aus der Hereinnahme des Erblastentilgungsfonds und der Treuhandaltschulden herrühren und daß
etwa 600 Milliarden DM aus dem Nettotransfer in die
neuen Bundesländer stammen und deshalb Kosten, Lasten bzw. Schulden aus der wiedergewonnenen Einheit
Deutschlands sind und in Wirklichkeit aus der Zeit des
Kommunismus herrühren?
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Hollerith,
ich bin Ihnen dankbar, daß Sie das Wort Erblast in diese
Debatte eingeführt haben. Ich hatte es nicht getan, darf
aber im übrigen darauf hinweisen, daß der Schuldenstand am Ende des Jahres 1982 rund 300 Milliarden
DM betrug. Allerdings bezog sich diese Zahl auf die
Entwicklung von 1949 bis 1982, also auf einen Zeitraum
von 33 Jahren und nicht nur auf die Zeit der sozialliberalen Koalition. Ich darf Sie des weiteren darauf aufmerksam machen, daß dieser Schuldenstand in der Zeit
bis 1989 - also in den ersten acht Jahren der Kanzlerschaft Kohl und damit vor der deutschen Einheit ziemlich genau verdoppelt worden ist und daß seit der
deutschen Einheit in der Tat rund 900 Milliarden DM
zusätzliche Schulden aufgelaufen sind. Es waren also
600 Milliarden DM bis 1989, davon die eine Hälfte von
1983 bis 1989, die andere Hälfte in den 33 Jahren davor;
und es waren 900 Milliarden DM seit der deutschen
Einheit. Es ist überhaupt nicht von der Hand zu weisen,
daß die Kosten der deutschen Einheit darin ihren Niederschlag gefunden haben müssen.
({2})
- Das hat doch niemals jemand bestritten. - Selbstverständlich wissen wir, daß die deutsche Einheit nicht zum
Nulltarif zu haben war. Das haben wir sogar schon vor
Ihnen erkannt und deshalb andere Finanzierungsvorschläge vorgelegt, die von der alten Bundesregierung
abgelehnt worden sind. Zum Beispiel ist das Stichwort
Lastenausgleich von Ihnen niemals aufgegriffen worden,
obwohl im Zusammenhang mit der deutschen Einheit in
der Tat eine Opferbereitschaft in der deutschen Bevölkerung bestand. Die ist von Ihnen nicht angenommen worden, weil Sie über eine gewisse Zeit davon ausgegangen
sind, diese große Aufgabe würde sozusagen aus der
Portokasse gezahlt werden können. Dies war schlechterdings nicht möglich. Sie wissen - bei Ihnen ging es ja
noch hin und her mit Soli einführen, Soli abschaffen,
Soli doch wieder einführen -, daß es ohne eine Sonderfinanzierung nicht gehen würde.
Wir freuen uns jedenfalls alle über die deutsche Einheit. Wir wissen, daß sie viel Geld kostet. Wir müssen
jetzt natürlich die Vergangenheit abarbeiten. Aber dies
kann nicht unsere einzige Aufgabe sein. Wir müssen
auch die Zukunft zurückgewinnen. Deswegen müssen
wir ein striktes Konsolidierungsprogramm fahren.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.
Jürgen Koppelin ({0}): Frau Staatssekretärin, da
Sie die Frage nach einer Neueinführung der Vermögenssteuer mit Nein beantwortet haben: Darf ich Sie fragen,
ob der Bundesfinanzminister beabsichtigt, mit der
schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis zu sprechen, die die Wiedereinführung fordert,
um sie von der Haltung der Bundesregierung zu überzeugen? Darf ich Sie weiter fragen, ob der Bundesfinanzminister auch mit den Mitgliedern der SPDFraktion sprechen wird, die täglich durch die Medien
geistern, indem auch sie die Wiedereinführung der Vermögensteuer fordern?
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Koppelin,
bitte seien Sie sicher, daß es sogar in der Sozialdemokratie so ist, daß nicht nur extern, sondern auch intern
kommuniziert wird.
({1})
Selbstverständlich.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage der Kollegin Dr. Barbara Höll.
Dr. Barbara Höll ({0}): Frau Staatssekretärin, muß ich
Ihre Antwort so verstehen, daß Sie sich damit auch aus der
Verpflichtung verabschieden, die im Koalitionsvertrag
steht, nämlich daß Sie zumindest prüfen wollten, wie eine
Neuerhebung der Vermögensteuer aussehen könnte - so
noch nachzulesen im Vertrag vom vergangenen Jahr?
({1})
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Der Koalitionsvertrag hat
die Möglichkeit einer Vermögensbesteuerung zur Prüfung gestellt. Es sind in der Tat Vorarbeiten auf technischer Ebene insbesondere bezogen auf die Bewertung
des Grundvermögens geleistet worden. Diese Vorarbeiten werden von einer Beamtenkommission aus Vertretern von Bund und Ländern geleistet. Demnächst, wahrscheinlich im Frühjahr, wird es einen Bericht geben.
Gleichwohl wird politisch zu entscheiden sein, wie man
damit umgeht. Die Bewertung des Grundvermögens ist
aber so oder so eine Frage, die ansteht, nämlich für die
Grundsteuererhebung und natürlich auch für die VonFall-zu-Fall-Bewertung bei der Erbschaftsteuer.
({2})
Wir kommen damit
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Verteidigung. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfügung.
Ich rufe zunächst Frage 11 des Abgeordneten Werner
Lensing, CDU/CSU, auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den faktischen Ausschluß
lokaler Stromversorgungsunternehmen an der Beteiligung der
Ausschreibung von Stromlosen im Bereich der Bundeswehr
durch die Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung, nur noch „große“ Lose auszuschreiben, obgleich die direkte Zusammenarbeit zwischen Stromversorgern und Bundeswehrliegenschaften vor Ort erhebliche Synergieeffekte Kostenvorteile mit sich bringt?
Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Lensing, Sie
haben gefragt, ob die Bundeswehr bei der Entscheidung
über die Auftragsvergabe nicht mehr Rücksicht auf lokale Stromversorgungsunternehmen nehmen könne. Nun
muß ich Ihnen nicht sagen, daß sich gerade die Bundeswehr an die Vorgaben der Bundeshaushaltsordnung
halten muß. Sie trägt damit den zu Beginn des Jahres
1998 in Kraft getretenen Zielsetzungen des Energiewirtschaftsgesetzes Rechnung.
Die Bundeswehr unterliegt außerdem Sparzwängen,
die Sie auch kennen. Sie versucht - natürlich zu Recht
-, ihre Betriebskosten zu senken. Der Kostenvorteil für
die Bundeswehr als Großabnehmer im Wettbewerb auf
dem Strommarkt ist daher durch die Bündelung der
Abnahmestellen und die Bildung großer Lose wahrzunehmen. Wir beide, die wir kommunalpolitische Erfahrung haben, wissen, daß das natürlich entsprechende
Auswirkungen auf Stadtwerke und regionale Unternehmen hat.
Das Ergebnis der durch diese Gesetzgebung geforderten EU-weiten Ausschreibung hat im Wehrbereich
VI für eine jährliche Kostenreduzierung um 36 Prozent
gesorgt. Dies entspricht einer Einsparung von etwa
18 Millionen DM. Der Weg scheint richtig zu sein.
Auf Standortebene verbleibt nur die Möglichkeit, die
Systemdienstleistungen der örtlichen Netzbetreiber
wahrzunehmen. Sie wissen, das Gesetz hat die Aufgaben
in drei Bereiche aufgeteilt. Eine der Folgen der EUweiten Ausschreibung und der großen Lose ist natürlich,
daß wir dadurch die kleinen und mittleren Energieunternehmen sicherlich nicht in Vorteil bringen.
Herr Kollege Lensing,
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Ich kann nahtlos an das
anknüpfen, was Sie zum Schluß gesagt haben, Frau
Staatssekretärin. Es hat sich in der Tat in der Vergangenheit herausgestellt, daß sich die Zusammenarbeit der
lokalen Dienststellen der Bundeswehr unter anderem mit
den Stadtwerken durchaus bewährt hatte.
Mir ist natürlich diese gesetzliche Vorgabe bekannt.
Aber könnten wir darin übereinstimmen, daß ein Urprinzip auch von politischer Gestaltung, nämlich die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips, durch diese zentrale
Ausschreibung jetzt außer acht gelassen wird?
({0})
Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung: Wir stehen in der schwierigen Situation, daß ich in meiner früheren Funktion als
Vorsitzende des Gesprächskreises Kommunalpolitik
entschieden gegen dieses Energiewirtschaftsgesetz war,
weil ich wußte, welche Folgen es für die Regionen haben würde.
({1})
- Nein, ich würde nicht so sprechen; das ist ein europäischer Bereich. Wir haben über Parteigrenzen hinweg
gemeinsam versucht, bei den Stromversorgungsunternehmen die Geschäftsfelder Erzeugung, Übertragung
und Verteilung zu trennen, um für die regionalen Unternehmen wenigstens etwas zu retten.
Herr Kollege Lensing, ich teile Ihre Sorge. Ich sage
Ihnen nur voraus: Das wird sich noch stärker bemerkbar
machen, weil bei den Energieeinsparungsmöglichkeiten,
die wir in der Zukunft haben werden, und durch die
technischen Veränderungen zum Beispiel regionale
Heizkraftwerke und ähnliche Dinge wahrscheinlich
nicht mehr notwendig sein werden.
Die Folgen für die Stadtwerke kann die Bundeswehr
nicht auffangen. Dafür ist sie übrigens auch zu unbedeutend. Die Bundeswehr selbst hat beim Verbrauch
von nationaler Energie nur einen Marktanteil in Höhe
von 0,2 Prozent.
Werner Lensing ({2}): Nun hat sich auch Ihre Fraktion dafür ausgesprochen, zunächst einmal Verfassungsbeschwerde zu erheben. Kann ich auf Grund
Ihrer Ausführungen davon ausgehen, daß Sie diese Beschwerde zurückziehen werden?
Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung: Ich vermute, daß sich die4436
se Verfassungsbeschwerde, die natürlich auch im Interesse der regionalen Energieunternehmen war, sehr
schnell durch die Notwendigkeit der EU-Gesetzgebung
erübrigen wird. Ich weiß aber nicht, wie das Verfassungsgericht entscheiden wird. Es ist wohl auch nicht
unsere Aufgabe zu entscheiden. Vielmehr sind die
Richter unabhängig.
Werner Lensing ({3}): Mit Verlaub, ich hatte
nicht gefragt, wie es entscheidet -
Herr Kollege Lensing, Sie haben leider nur die Möglichkeit zu zwei Zusatzfragen.
({0})
Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung: Was ich gut verstehen
kann, Herr Kollege.
Aber Sie haben immerhin noch eine Chance im Zusammenhang mit Ihrer
Frage 12.
Aber zunächst hat der Kollege Hauser noch eine Zusatzfrage.
Norbert Hauser ({0}) ({1}): Frau Staatssekretärin, ich möchte die Frage des Kollegen aufnehmen:
Beabsichtigen Sie im Hinblick auf Ihre Antwort, die
Verfassungsbeschwerde zurückzunehmen - was man
durchaus machen kann -, so daß es gar erst nicht zu
einer Entscheidung kommt, und war Ihre Antwort so zu
verstehen, daß durch die europäische Entscheidung
möglicherweise eine nationale Entscheidung hinfällig
werden könnte?
Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Hauser,
wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie im Kommunalparlament in Bonn gesessen.
({2})
- Dann wissen Sie sehr genau, mit welchem gespaltenen
Herzen auch die christdemokratischen Kommunalpolitiker dieses Energiewirtschaftsgesetz, das von der EU
kam, begleitet haben. Wir wissen auch, welche hervorragende Infrastruktur wir im Vergleich zu anderen Ländern der Europäischen Union in diesem ganzen Bereich
erarbeitet haben.
Inzwischen stellen wir fest, daß dieses über nationale
Grenzen hinweg zu einer Konzentration auf dem Energiemarkt führt. Meine persönliche Meinung ist - sicherlich ist es auch die des Kollegen Hauser -: Es ist bedauerlich, was wir alles zerschlagen werden, wieviel Arbeitsplätze dadurch regional verlorengehen werden.
Aber ich vermute einmal, die Richter sind unabhängig.
Sie werden sich allerdings an die europäische Gesetzgebung zu halten haben.
Jetzt rufe ich die
Frage 12 des Abgeordneten Werner Lensing auf.
In welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung, die im
jüngsten Jahresbericht der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages festgestellten und in der Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung zu diesem Bericht zugegebenen Defizite im
Bereich der politischen Bildung aufgrund der „objektiv vorhandenen Belastungen der Truppe“ durch Auslandseinsätze - vor dem
Hintergrund noch weiter steigender Anforderungen durch den erhöhten personellen Ansatz einer Beteiligung der Bundeswehr an
der Kosovo-Friedenstruppe - zu verbessern?
Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung: Sehr geehrter Herr Kollege Lensing, Minister Scharping hat bereits mehrfach öffentlich dargestellt, daß die Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht nur für diejenigen Truppenteile, die sich
derzeit im Ausland befinden, belastend sind. Auch die
anderen Truppenteile, die sich in der Einsatzvorbereitung oder -nachbereitung befinden oder zur Auffüllung
von wichtigem Personal für die Krisenreaktionskräfte
dienen, haben ein großes Problem: Sie werden außerordentlich belastet. Das führt dazu, daß in dem einen oder
anderen Fall die Notwendigkeit der politischen Bildung
nicht genügend beachtet wird.
Dies hat die Wehrbeauftragte in ihrem letzten Bericht
ja auch kritisch angemerkt. Sie wissen, daß dieser Bericht der Wehrbeauftragten die Beurteilung des Jahres
1997/98 betrifft, also einen Zeitraum, für den noch die
vorangegangene Bundesregierung verantwortlich war.
Aber ich wäre unfair, wenn ich nicht zugeben würde,
daß wir im Rahmen der normalen Friedensausbildung
natürlich mehr Mittel für die politische Bildung vorgesehen hatten. Aber jetzt müssen die Streitkräfte zuerst
für den Einsatz ausgebildet werden. Dennoch sind wir
uns völlig bewußt darüber, daß gerade weil die Soldaten
in den Einsatz gehen müssen oder sich schon in einem
solchen befinden, die politische Bildung für sie besonders wichtig ist. Nach meiner Kenntnis ist die Bundeswehr die einzige Armee, die versucht, ihre Soldaten
nicht nur während des Friedensdienstes sorgfältig, sondern auch noch im Einsatz politisch auszubilden. Denken Sie nur an die Unterrichtsfahrten nach Mostar.
Der Generalinspekteur, Herr von Kirchbach, der sich
genauso wie seine Vorgänger ganz besonders um das
Thema der politischen Bildung gekümmert hat, hat ausdrückliche Weisung gegeben. Ich möchte nur daran erinnern, daß sich die Vorgesetzten in der Truppe um die
politische Bildung durch Beraterteams der Großverbände und durch das Zentrum „Innere Führung“ bemüht haben, keine Defizite entstehen zu lassen. Ganz besonders
wichtig ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung
eines Seminars über den Nationalsozialismus. Wenn Sie
Gelegenheit dazu haben, sollten Sie sich dieses Modell
wirklich einmal ansehen. Das alles ist vorbildlich. Aber
es bleibt natürlich Tatsache, daß trotz allen Bemühens
unsererseits die politische Bildung in dem einen oder
anderen Fall zu kurz kommt. Ich kann Sie als Wahlkreisabgeordneten nur ermutigen, darauf zu achten, daß
das nicht geschieht.
|Werner Lensing ({0}): Vielen Dank, das
werden wir mit Sicherheit tun. Aber wird sich die
schwierige Situation, die Sie gerade anschaulich beschrieben haben, nicht sehr wahrscheinlich noch weiter
durch die Reduzierung des Verteidigungsetats verschärfen, obwohl im Rahmen des sogenannten „Beutelsbacher Konsens“ Klarheit darüber gewonnen wurde, wie
wichtig politische Bildung ist? Wird trotz der Rückführung der Mittel für die politische Bildung in der Truppe
wenigstens der Ausbildungsbetrieb aufrechterhalten
werden können?
Herr Kollege, ich wußte,
daß solche Fragen gestellt werden. Ich habe Verständnis
dafür, daß Sie in der neuen Rolle der Opposition solche
Fragen stellen. Trotzdem muß ich Ihnen antworten: Das
Herunterfahren der Kosten für die politische Bildung hat
im Jahr 1991 begonnen. Dies hat dazu geführt, daß 1991
noch 8,1 Millionen DM und 1997 nur noch 6,2 Millionen DM für die politische Bildung ausgegeben wurden. Dann hat die Zahl rechtsextremer Vorfälle dramatisch zugenommen. Schon Volker Rühe und seine Crew
haben versucht, hier Korrekturen vorzunehmen. 1998
und 1999 standen für die politische Bildung wesentlich
mehr Mittel zur Verfügung.
Ich kann Ihnen versichern, daß wir an dieser Stelle
bestimmt nicht sparen werden, zumal wir für die internationalen Einsätze - auch mit Hilfe der Kollegen aus
dem Haushaltsausschuß - im Einzelplan 60 entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt haben, die auch für
die Ausbildung genutzt werden. Bei der Ausbildung
geht es nicht nur um die militärisch-technische, sondern
auch um die politische Ausbildung.
Es gibt eine Zusatzfrage. Bitte, Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin,
sind die Angaben in einer Zeitung für Wehrpflichtige
richtig, denen zufolge die Mittel für das vom Bundeskanzler und anderen Regierungsmitgliedern gelobte
Programm zur Schaffung von 100 000 Arbeitsplätzen
für Jugendliche im Rahmen des Bundeswehretats zurückgenommen worden sind? Ist es richtig, daß statt der
5 000 jungen Soldaten, die ursprünglich ausgebildet
werden sollten, maximal nur noch 1 900 in die Ausbildungsmaßnahmen hineinkommen? Ist es richtig, daß dadurch eine Menge junger Wehrdienstleistender, darunter
auch Soldaten, die freiwillig länger Wehrdienst leisten,
in die Arbeitslosigkeit entlassen werden?
Liebe Frau Kollegin, ich
kann den Zusammenhang mit der politischen Bildung,
über die wir im Moment reden, nicht erkennen. Hier
ging es um die berufliche Qualifikation der jungen Leute. Ich will ausdrücklich sagen, daß wir dies prüfen.
Wenn es keine anderen finanziellen Möglichkeiten gibt,
dies zum Beispiel als Ausbildungsbereich in einen anderen Einzelplan hineinzulegen, dann werden wir in der
Tat überprüfen, wie viele Fälle wir im Jahre 1999 hatten.
Wenn es ein entsprechendes Interesse gibt, dann werden
wir nicht gerade an dieser Stelle sparen.
Die Fragen 13 und
14 werden schriftlich beantwortet.
Ich komme damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Alle Fragen dieses Geschäftsbereichs, das heißt die
Fragen 15, 16 und 17, werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts
auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Dr. Ludger Volmer bereit. Die Frage 18 wird
schriftlich beantwortet. Ich rufe jetzt die Frage 19 des
Abgeordneten Wolfgang Börnsen auf:
Inwiefern will die Bundesregierung nach der geplanten
Schließung der Generalkonsulate Apenrade und Oppeln für die
deutschen Minderheiten im Königreich Dänemark und der Republik Polen sowie nach der geplanten Haushaltskürzung für die
sorbische Minorität in Deutschland von 16 auf 14 Millionen DM
eine effiziente wie nachhaltige Minderheiten- und damit Konfliktpräventionspolitik in Zukunft betreiben, und sind weitere
Kürzungsschritte zu Lasten der deutschen Minderheiten im Inund Ausland in den kommenden Jahren vorgesehen?
Herr Börnsen, Ihre Frage beantworte ich wie folgt:
Die Kürzungen sind Bestandteil des allgemeinen Sparprogramms der Bundesregierung. Der Grund hierfür ist
die bekannte dramatische Finanzlage des Bundes. Die
Bundesregierung mißt dem Minderheitenschutz für die
Erhaltung des Friedens in der Völkergemeinschaft und
das gedeihliche Zusammenleben innerhalb der Staaten
große Bedeutung bei und wird dies auch künftig tun. Die
Kürzungen sind deshalb lediglich in einem Umfang getroffen worden, der eine effiziente und nachhaltige Minderheiten- und damit Konfliktpräventionspolitik insgesamt nicht in Frage stellt. Der Status der deutschen Minderheiten in Dänemark und Polen steht auf rechtlich abgesicherter Grundlage. Konkrete Aussagen über das Jahr
2000 hinaus können zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht
getroffen werden.
Kollege Börnsen, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr
Staatsminister, ich höre mit großem Wohlgefallen Ihren
Hinweis darauf, daß die Bundesregierung Minderheitenpolitik ernst nimmt. Sie wissen so gut wie ich, daß die
Konflikte der letzten Jahrzehnte durchweg Minderheitenkonflikte gewesen sind und daß Minderheitenpolitik
auch Friedenspolitik bedeutet. Können Sie mir erklären,
warum es gerade zu einer Häufung von Kürzungen und
Streichungen bei Minderheiten kommt?
Sie schließen das Generalkonsulat in Apenrade, in
einem Kerngebiet deutscher Minderheit mit 20 000 Einwohnern. Sie schließen die Generalkonsulate in Oppeln
und Stettin. Überall dort, wo Minderheiten den Eckpfeiler deutscher Repräsentanz brauchen, schließen Sie
|die Generalkonsulate, und gleichzeitig kürzen Sie. Der
Kollege, der eben bei Ihnen war, kürzt bei den Sorben
von 16 Millionen DM auf 14 Millionen DM. Bei der
deutschen Minderheit in Nordschleswig kürzen Sie um
1,3 Millionen DM. Stimmt vor diesem Hintergrund Ihre
Behauptung, Minderheitenpolitik ernst zu nehmen, noch
mit dem überein, was Sie in der Praxis vorleben?
Herr Börnsen, Sie haben mit Ihrer These recht, daß
die Konflikte der letzten Jahre im wesentlichen Minderheitenkonflikte waren. Das heißt aber umgekehrt nicht,
daß jede Minderheitensituation zu einem Konflikt führen muß. Gerade die deutsche Minderheit in Dänemark
oder die dänische Minderheit in Deutschland sind so in
beste bilaterale Beziehungen und in eine funktionierende
Europäische Union integriert, daß Konflikte dieser Art
überhaupt nicht zu erwarten sind. Ähnliches kann man
über die deutsche Minderheit in Polen sagen.
Im übrigen wird die Betreuung der jeweiligen Gruppen nicht eingestellt, sondern von den entsprechenden
Botschaften übernommen. So sind zum Beispiel der
Deutschen Botschaft in Kopenhagen zusätzliche Mittel
an die Hand gegeben worden, um Reisen von Minderheitenvertretern nach Kopenhagen zu ermöglichen und,
falls es dazu kommt, Probleme immer bearbeiten zu
können.
Herr
Staatsminister, Sie kennen sich in der deutsch-dänischen
Region aus. Sie wissen, daß die Generalkonsulate auf
dänischer Seite in Apenrade und auf deutscher Seite in
Flensburg dazu beitragen, daß das dort praktizierte ausgezeichnete Modell inzwischen den Charakter eines
Beispiels für ganz Europa bekommen hat. Wenn Sie
jetzt das eine Generalkonsulat streichen, dann bringen
Sie damit auch das Modell zum Einsturz. Es gab Einwendungen von seiten der schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten, von seiten der Ministerpräsidenten und
der IHK, und auch viele andere haben sich an Sie gewandt; aber alle werden mit dem Hinweis auf die fiskalische Situation kurz abgefertigt.
Herr Börnsen, wir tun so etwas bestimmt nicht
gerne, da das in der Tat gut funktioniert hat. Wenn wir
aber Dinge tun, die uns selber keine Freude machen,
dann deshalb, weil es triftige Gründe dafür gibt. Der
Hinweis auf die fiskalische Situation ist eben kein unwichtiger Hinweis, sondern ein entscheidender Hinweis
auf das Hauptproblem, mit dem sich die Bundesregierung im Moment beschäftigen muß, nämlich das Haushaltsdefizit, das von den Vorgängerregierungen systematisch aufgebaut wurde. Die Deckungslücke in Höhe
von 30 Milliarden DM im Haushalt hat doch nicht die
jetzige Regierung verschuldet, sondern es ist eine Erbschaft, die uns von den Vorgängerregierungen, die ja
auch von Ihnen politisch unterstützt wurden, hinterlassen wurde.
({0})
Wir haben nun die sehr undankbare Aufgabe, entweder
weiterhin eine Verschuldungspolitik zu betreiben - das
wollen wir nicht - oder aber nach Einsparmöglichkeiten
zu suchen. Dabei muß man viele Dinge tun, die ziemlich
bitter sind.
Ich rufe jetzt die
Frage 20 des Kollegen Börnsen auf:
Hat sich in den vergangenen zwei Wochen, insbesondere
nach einem Gespräch zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Heide
Simonis, eine Änderung der Position der Bundesregierung bezüglich der Schließung des deutschen Generalkonsulats in Apenrade, wie sie im diesbezüglichen Antwortschreiben des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Günter Verheugen, vom 19. August 1999 dargestellt wird, dahin gehend ergeben, daß der Bundeskanzler in den Haushaltsetat des Bundesministers des Auswärtigen, Joseph Fischer, eingegriffen und die Entscheidung zur
Schließung des Generalkonsulats zum 1. Januar 2000 durch ein
„Machtwort“ zurückgenommen hat?
Diese Frage berührt das gleiche Thema. Herr
Börnsen, seit dem 19. August hat sich keine Änderung
der Position der Bundesregierung zur Schließung des
Generalkonsulats in Apenrade ergeben.
Erste Zusatzfrage.
Das
heißt, Herr Staatsminister, daß die Intervention aller, die
sich für Apenrade eingesetzt haben, keinen Zweck hatten, daß die Gespräche der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin mit dem Bundeskanzler zu keinem Erfolg geführt haben und daß alle anderen, die Einwände
erhoben hatten, auch dänische Institutionen bis hin zum
Amtsbürgermeister Kristen Philippsen, gegen eine
Wand gelaufen sind?
Herr Börnsen, das Auswärtige Amt sieht sich in
der unbequemen Situation, zirka 20 Auslandsvertretungen schließen zu müssen. So wie es durchaus triftige Einwände gegen die Schließung von Apenrade
gibt, gibt es ebenfalls ähnlich triftige Einwände gegen
die Schließung fast aller anderen Auslandsvertretungen. Dennoch kommt das Auswärtige Amt, das seinen
Sparbeitrag leisten muß, nicht darum herum, auch Einsparungen in strukturellen Bereichen vorzunehmen, da
politische Programmittel und disponible Mittel, die
man vielleicht ohne strukturelle Auswirkungen kürzen
könnte, dem Auswärtigen Amt kaum zur Verfügung
stehen. Das ist seit Jahren ein Strukturproblem des
Bundeshaushaltes.
Bitte, eine zweite
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr
Staatsminister, haben Sie Verständnis dafür, daß ich
noch einmal wegen Apenrade nachfrage. Sie sagten, daß
fiskalische Gründe ausschlaggebend seien, und haben
Wolfgang Börnsen ({0})
|darauf hingewiesen, daß es um 30 Milliarden DM ginge, die es abzutragen gilt. Sie wissen ja genausogut wie
ich, daß die Erhöhung des Haushaltsansatzes 1999 um 6
Prozent ungefähr diese 30 Milliarden DM ausmacht, die
jetzt wieder abgebaut werden müssen.
({1})
Jetzt argumentieren Sie im Grunde genommen mit den
selbstgemachten Schulden, und kleine Auslandsvertretungen müssen darunter leiden.
Ich frage Sie in diesem Zusammenhang, ob es wirklich notwendig ist, bei den kleinen Auslandsvertretungen
wie dem Generalkonsulat in Apenrade, das jährlich
19 000 Visa ausstellt und 7000 Pässe ausgeben muß,
Anlaufstelle und Konzentrationsstelle für 20 000 Deutsche in Nordschleswig ist, zu streichen. Warum müssen
wir einen Botschafter bei der EU oder bei der NATO
haben, wo wir doch selber Mitglied sind? Wo liegt da
eigentlich die Logik?
Herr Börnsen, das Auswärtige Amt muß im
Rahmen des Haushalts 2000 etwa 270 Millionen DM
einsparen. Da die meisten Mittel des Amtes entweder
für Auslandsvertretungen oder Personal oder Leistungen, die wir völkerrechtlich verpflichtend zugesagt haben, gebunden sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als
dort unseren Sparbeitrag zu leisten, wo wir die politische Entscheidungsfreiheit besitzen. Dabei trifft es leider auch solche Institutionen, die man, wenn es nur um
die Funktionalität ginge, sicherlich nicht schließen
würde.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf.
Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Klaus Hofbauer von der CDU/CSU auf:
Bis wann wird das Abkommen zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tschechischen Republik über die Zusammenarbeit der Polizeibehörden
und der Grenzschutzbehörden in den Grenzgebieten unterzeichnet?
Herr Kollege Hofbauer, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Anläßlich des Treffens
von Herrn Bundesinnenminister Otto Schily am 3. Juni
1999 in Prag mit seinem Amtskollegen wurde vereinbart, die Vertragsverhandlungen baldmöglichst wiederaufzunehmen. Der tschechischen Seite liegt ein von
deutscher Seite überarbeiteter Entwurf des deutschtschechischen Abkommens über die polizeiliche Zusammenarbeit in den Grenzgebieten vor. Die tschechische Seite hat zugesagt, nach eingehender Prüfung zu
einer Verhandlungsrunde einzuladen.
({0})
Herr Staatssekretär,
trifft es dann nicht zu, daß der Vertragsentwurf schon
wieder zurückgesandt worden ist und bei Ihnen in Ihrem
Hause liegt?
Das trifft nicht zu.
Zweite Frage: Was
werden Sie zur Beschleunigung dieses Verfahrens machen? Denn ich habe schon den Eindruck, daß dieser
Vertrag in dem praktischen Bemühen, die Kriminalität
zwischen dem ostbayrischen und dem tschechischen
Raum zu beschränken, von ganz entscheidender Bedeutung ist.
Herr Kollege, daß dieser Vertrag
notwendig ist, ist völlig richtig; da stimmen wir überein.
Allerdings muß man auch wissen, daß einige der Verzögerungen unsererseits produziert worden sind. Sie müssen wissen, daß wir als neue Bundesregierung beispielsweise etliche Verträge und Übereinkommen übernommen haben, die an bestimmten Stellen scheiterten,
was die Frage Datenschutzregelungen anbelangt. Da gab
es in der Vergangenheit immer heftige Kontroversen
zwischen Bundesjustizministerium und Bundesinnenministerium. Das haben wir geregelt und gelöst.
Sie müssen allerdings wissen, daß der überarbeitete
Entwurf - den Sie übrigens gerne einmal einsehen können, wenn Sie das wollen; ich habe ihn auch dabei - von
der tschechischen Seite geprüft werden muß. Man hat
gesagt, daß das eine gewisse Zeit dauert. Aber die Überarbeitung unsererseits hat natürlich auch für die tschechische Seite einige Neuheiten gebracht, über die dort
intern abgestimmt werden muß.
Gibt es
weitere Fragen? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir nun zur Frage 22 des Kollegen
Hofbauer:
Welche Verbesserungen sind durch dieses Abkommen für
die Arbeit der Polizei beider Staaten zu erwarten, insbesondere
im Hinblick auf die grenzüberschreitende Kriminalität in den
Grenzgebieten sowie bei der Verhütung und Bekämpfung von
Straftaten?
Mit dem vorgesehenen Abkommen, Herr Kollege, sollen der Informationsaustausch
verbessert und die gegenseitige Kommunikation intensiviert werden, insbesondere durch die Zusammenarbeit
bei Maßnahmen der Aus- und Fortbildung sowie bei der
Durchführung gemeinsamer Arbeitstagungen und von
Programmen zur Kriminalprävention. Die Koordination
und Durchführung polizeilicher Einsätze soll durch Erstellung polizeilicher und grenzpolizeilicher Lagebilder
und Einsatzpläne sowie durch neue Formen operativer
Zusammenarbeit verstärkt werden.
Wolfgang Börnsen ({0})
|
Eine
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
nur eine Zusatzfrage: Haben Sie einen Fahrplan, bis
wann dieser Vertrag abgeschlossen werden kann?
Da wir leider nicht Herr des
Verfahrens sind - wir sind natürlich auch auf den Vertragspartner angewiesen -, kann ich Ihnen jetzt kein genaues Datum nennen. Aber Sie können versichert sein,
daß die Bundesregierung ein großes Interesse daran hat,
den Abschluß dieses Vertrages auch auf Grund der Ihnen und mir bekannten Probleme in diesem Bereich zu
forcieren und zu versuchen, ihn in ähnlicher Form wie
mit Polen hinzubekommen. Denn da ist eine sehr positive Entwicklung zu verzeichnen, und das ist eigentlich
ein Stück Vorbild für diesen Bereich.
Frage 23
soll schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe jetzt Frage 24 des Kollegen Norbert Hauser
auf:
Besteht die Absicht, die Aufgaben des Bundesamtes für Zivilschutz mit dem heutigen Personalbestand an das Bundesverwaltungsamt zu überführen oder drückt der Artikel 33 Absatz 1
i.V.m. Artikel 33 Absatz 7 des Entwurfs der Bundesregierung
zum Haushaltssanierungsgesetz ({0}) mit
seinen unterschiedlichen Zeitpunkten des Inkrafttretens von Artikel 2 ({1}) und Artikel 3 ({2}) aus, daß die Bundesregierung die Aufgabenübertragung mit wesentlich reduziertem Personalbestand vornehmen will, so daß mindestens ein Jahr eine
Behörde mit Personal aber ohne Aufgaben fortbesteht?
Herr Präsident, wenn Sie mir gestatten, möchte ich gerne die Fragen 24 und 25 vom
Kollegen Hauser gemeinsam beantworten.
Bitte,
Herr Körper, das ist sicher möglich. - Dann rufe ich
auch die Frage 25 auf:
Welche organisatorische und personelle Konzeption besteht
für die neu zugewiesenen Zivilschutzaufgaben, und wie viele
Planstellen sollen im Bundesverwaltungsamt hierfür zusätzlich
eingerichtet werden?
Über die im Zusammenhang mit
der Schließung des Bundesamtes für Zivilschutz und der
Übertragung der Aufgaben gemäß § 4 des Zivilschutzgesetzes auf das Bundesverwaltungsamt anstehenden
organisatorischen und personalwirtschaftlichen Fragen
wird im Zuge der Umsetzung entschieden. Hierzu wird
derzeit eine Aufgabenevaluierung durchgeführt. Abschließende Ergebnisse liegen noch nicht vor.
Da eine Übertragung der Verwaltungszuständigkeit
des Bundes vom Bundesamt für Zivilschutz auf das
Bundesverwaltungsamt zu dem Zeitpunkt erforderlich
ist, an dem das Bundesamt für Zivilschutz aufgelöst
wird, sollen auch Art. 2 und 3 des Haushaltssanierungsgesetzes am 1. Januar 2001 in Kraft treten. Eine entsprechende Anpassung des Regierungsentwurfs ist vorgesehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hauser, bitte schön.
Selbst wenn
Sie, Herr Staatssekretär, heute noch nicht abschließend
sagen können, wie diese neue Organisationsstruktur aussehen soll: Gibt es zumindest erste Vorstellungen darüber, wie viele Abteilungen und Referate im Bundesverwaltungsamt, das jetzt diese Aufgaben übernehmen
soll, neu eingerichtet werden und wieviel Personal durch
die Auflösung und die Eingliederung in das Bundesverwaltungsamt betroffen ist?
Zu den Personalzahlen kann
derzeit nichts Konkretes gesagt werden, weil wir voll in
der Planungsphase sind. Aber, Herr Kollege Hauser, Sie
werden mit Sicherheit mit mir darin übereinstimmen,
daß bei einem solchen Vorgang zunächst einmal Aufgabenkritik notwendig ist, das heißt: Welche Aufgaben
sollen auch zukünftig weiter bearbeitet werden, und
welche Organisationseinheiten braucht man dafür? Derzeit beschäftigt sich eine Gruppe mit der Aufgabenkritik
dieses Bereiches, und auf Grund dieser Ergebnisse werden die entsprechenden organisatorischen und personellen Entscheidungen getroffen. Wir gehen davon aus, daß
sie eine Eingliederung in das Bundesverwaltungsamt
bringen werden.
Eine
weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Können wir
davon ausgehen, daß im Zusammenhang mit diesen
Überlegungen bereits die notwendigen Voraussetzungen
für eine Qualifizierung dieser dann mit sachfremden
Aufgaben betrauten Mitarbeiter im Bundesverwaltungsamt geschaffen wurden bzw. die entsprechenden Vorbereitungen getroffen werden, damit das Fachwissen, das
in der aufzulösenden Behörde vorhanden ist, rechtzeitig
im Bundesverwaltungsamt anzutreffen ist?
Wir werden uns mit Sicherheit
des Fachwissens der betroffenen Beschäftigten bedienen. Ich gehe davon aus, daß dem dort Rechnung getragen wird, wo Fort- und Ausbildung zur Übernahme
einer neuen Aufgabe im Zuge der Umorganisation notwendig sind.
Herr Staatssekretär, ist das Bundesverwaltungsamt mit dem Tag der
|Übernahme der Zivilschutzaufgaben - weil Sie eben
von Art. 33 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 des Haushaltssanierungsgesetzes sprachen, gehe ich davon aus,
daß es sich jetzt nicht mehr um das Jahr 2000 mit den
unterschiedlichen Terminen, sondern insgesamt um
2001 handelt - auf die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr vorbereitet? Ich beziehe mich insbesondere auf
die Aspekte der Sicherheit und dort vor allen Dingen auf
die bis dato gesetzlich unterschiedlich geregelten Geheimhaltungsfragen. Die Bundeswehr unterhält an drei
NATO-Befehlsständen Verbindungsstellen, deren Mitarbeiter hinsichtlich dieser Geheimhaltungsvoraussetzungen gemäß der heutigen gesetzlichen Regelungen
keine Entsprechung im Bundesverwaltungsamt hätten.
Daß heißt, den Sicherheitsaspekten könnte nach den
heutigen gesetzlichen Regelungen im Bundesverwaltungsamt nicht Rechnung getragen werden. Damit würden die Informationen, die den Mitarbeitern bei der
NATO bisher zur Verfügung stehen, entfallen.
Ich gehe davon aus, daß dies
dann, wenn sich noch gesetzlicher Änderungsbedarf ergeben würde - ich formuliere jetzt bewußt im Konjunktiv -, erfolgt. Das zeigt das Beispiel, das Sie eben genannt haben.
Nun
kommen wir zu der Frage 26 des Kollegen Norbert
Röttgen:
Welche Behörden sollen die übrigen Aufgaben des Bundesamtes für Zivilschutz übernehmen ({0}), wenn das Bundesamt für Zivilschutz - wie von der
Bundesregierung geplant - aufgelöst und die Aufgaben nach
dem Zivilschutzgesetz dem Bundesverwaltungsamt zugewiesen
werden?
Nach einer Organisationsüberprüfung im Rahmen der Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen wird eine eigenständige Bundesbehörde für die
Wahrnehmung der dem Bund obliegenden Zivilschutzaufgaben nicht mehr für erforderlich gehalten. Nach
derzeitigem Planungsstand werden die Aufgaben des
Bundesamtes für Zivilschutz gemäß § 4 des Zivilschutzgesetzes dem Bundesverwaltungsamt zugewiesen. Eine
entsprechende Gesetzesänderung steht im Rahmen des
Haushaltssanierungsgesetzes an.
Derzeit wird eine umfassende Evaluation aller Aufgaben des BZS und eine Neuorganisation der Aufgabenwahrnehmung vorgenommen. Danach soll ein Gesamtkonzept erstellt werden, das mit den Ländern - das
ist wichtig - und den Hilfsorganisationen erörtert werden soll. Da zum jetzigen Zeitpunkt alle Umsetzungsmaßnahmen im Prüfungsstadium sind, können keine
konkreteren Ausführungen gemacht werden.
Eine Zusatzfrage.
Die Tatsache, daß
Sie die Behörde auflösen wollen, steht fest. Jetzt kündigen Sie an, wie Sie das machen wollen. Welche Aufgaben wahrgenommen werden sollen, überlegen Sie
sich anschließend. Vielleicht wäre die umgekehrte
Reihenfolge sinnvoller, daß man zunächst die Konzeption macht und dann zu den Ergebnissen kommt. Sie
haben sich aber für den umgekehrten Weg entschieden
und mit der Ankündigung der Auflösung der Behörde
große Verunsicherung ausgelöst. Insofern ist es sicherlich für die betroffene Region und für die betroffenen
Arbeitnehmer - es sind einige hundert - von Interesse,
zu erfahren, wann sie mit dieser Konzeption rechnen
können.
Ich habe gesagt, daß wir derzeit
bei diesen Überlegungen sind. Ich glaube, daß dieser
Vorgang kein Vorgang ist, der irgendwelche Unruhe
verursacht; denn die betroffenen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter brauchen nichts zu befürchten. Wie Sie wissen, gehen die Planungen davon aus, daß die Arbeitsplätze in der Region bleiben.
Wir
kommen zur Frage 27 des Abgeordneten Röttgen, die
gleichzeitig die letzte Frage der Fragestunde ist:
Welche Wirtschaftlichkeitserwägungen liegen der geplanten
Auflösung des Bundesamtes für den Zivilschutz unter Berücksichtigung des Umstandes zugrunde, daß alle Aufgaben auch
weiterhin erfüllt und nur auf unterschiedliche Behörden verteilt
werden sollen?
Herr Kollege Röttgen,
durch die Übertragung der Kompetenzen des BZS auf
das Bundesverwaltungsamt können nach unserer Meinung Rationalisierungs- und Synergieeffekte erzielt
werden.
Eine Zusatzfrage.
Ich will nur eine kurze Bemerkung machen. Die Frage stellt sich so dar: Sie
wissen gar nicht, welche Aufgaben in Zukunft wahrgenommen werden sollen. Das haben Sie gerade ausgeführt. Sie wissen auch nicht, durch welche Behörde, in
welcher Form, welche Bereiche wegfallen, welche zentralisiert werden sollen, aber Sie kennen schon das Ergebnis, daß nämlich dadurch Rationalisierungs- und
Synergieeffekte eintreten werden. Ich glaube, das paßt
nicht zusammen. Sie nennen bereits alle positiven Effekte, wissen aber noch nicht - das haben Sie hier auch
erklärt -, wie es verwirklicht werden soll, daß diese eintreten.
Ich glaube, der Sachverhalt ist folgender: Sie wollen
die Behörde auflösen, und alles andere ist im ungewissen.
Norbert Hauser ({0})
|Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister des Innern: Wir gehen von der Aufgabenkritik aus. Ich habe Ihnen gesagt, daß die Überlegungen darüber, welche Aufgaben zukünftig noch erledigt werden müssen und welche mehr oder weniger obsolet sind, derzeit im Gange sind. Ich gehe davon aus,
daß durch die Veränderung in der Organisation auch
Synergieeffekte eintreten. Es gibt in jeder Behörde einen
bestimmten zentralen Bereich, in dem Sie diese Effekte
durch Umorganisation erzielen können. Insofern ist es
schlüssig und gut, was wir an dieser Stelle tun.
Gibt es
eine weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende
der Fragestunde.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu den Äußerungen
von Bundesminister Hans Eichel, die künftige
Förderung der neuen Bundesländer mit deren Zustimmung zum „Sparpaket“ der Bundesregierung
zu verbinden
Die Aktuelle Stunde wurde von der Fraktion der PDS
beantragt.
Als erster Redner ist der Kollege Gerhard Jüttemann,
PDS, gemeldet.
Herr Präsident! Sehr
verehrte Damen und Herren! Bundesfinanzminister
Hans Eichel hat in einem Zeitungsinterview die Fortführung des Solidarpaktes zur Ostförderung über das Jahr
2004 hinaus von der Zustimmung zum sogenannten
Sparpaket im Bundesrat abhängig gemacht. Solche Erpressungsversuche sind nicht neu. Vor der letzten Bundestagswahl hatte der Berliner CDU-Fraktionsvorsitzende Landowsky hinsichtlich der hohen Stimmenanteile der PDS im Ostteil der Stadt davor gewarnt, die
materielle Solidarität der Westdeutschen überzustrapazieren. Anfang dieses Jahres forderte der bayerische
CSU-Staatsminister Huber, Aufbau-Ost-Gelder wegen
partieller Zusammenarbeit von SPD und PDS zu sperren.
Neu an derlei grundgesetzwidrigem Geschwätz ist,
daß es nun direkt aus höchsten Regierungskreisen
kommt. Vor einem Jahr klang alles noch anders. Die
Vollendung der inneren Einheit Deutschlands habe für
die SPD höchste Priorität,
({0})
tönte es im Wahlprogramm der vergangenen Bundestagswahl. Von einem Sparprogramm auf dem Rücken
der Schwächsten der Gesellschaft, das die gleichnamigen Streichorgien der Kohl-Regierung weit in den
Schatten stellen wird, war dort allerdings nichts zu lesen.
Wäre das Ganze nur dilettantische Parteipolitik,
könnte man zur Tagesordnung übergehen. Schließlich ist
es Sache der SPD, wenn sie sich, wie die Wahlergebnisse des vergangenen Sonntags zeigen, sozusagen selber
abschafft. Aber es ist eben mehr als Parteipolitik, es ist
Regierungspolitik. Deswegen muß das, was die SPD mit
ihrer als Sparpaket deklarierten Katastrophenpolitik betreibt, klar als das benannt werden, was es ist, nämlich
Wahlbetrug. Die SPD hat die Bundestagswahl mit Lafontaines Vision von mehr Gerechtigkeit gewonnen.
Was aber die kleinen Leute jetzt bekommen, ist noch
mehr Ungerechtigkeit.
Das SPD-Sparpaket soll angeblich die Staatsfinanzen
konsolidieren. Die Höhe der Staatsschulden liegt derzeit
bei 2 500 Milliarden DM. Eingespart werden sollen jetzt
30 Milliarden DM. 30 von 2 500 Milliarden DM - mit
Konsolidierung - das sieht jedes Schulkind - kann das
schon wegen der lächerlichen Höhe des Sparvolumens
im Vergleich zu den ohnehin nicht mehr zurückzahlbaren Gesamtschulden nichts zu tun haben.
In seiner Wirkung ist das Sparpaket allerdings leider
überhaupt nicht mehr lächerlich, besonders für jene
nicht, die es zu bezahlen haben. Das sind fast zur Hälfte
Arbeitslose und Rentner. Das ist der größte sozialpolitische Skandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Ein
Zeitungskommentator hatte zum erwarteten Sieg der
SPD bei der Bundestagswahl 1998 geschrieben, mit
Kohl und Blüm ende die sozialdemokratische Ära in
Deutschland.
({1})
Diese Idee scheint die SPD so begeistert zu haben, daß
sie unentwegt darüber nachdenkt, wie sie sie am schnellsten umsetzen kann.
Das führt zu der Frage, was diese Regierung eigentlich wirklich mit dem Sparpaket finanzieren will. Den
teuren Krieg, den sie sich gegen Jugoslawien geleistet
hat? Die deutsche Vereinigung? Die Fortsetzung der gigantischen gesellschaftlichen Umverteilung von unten
nach oben? Die Fragen sind die Antworten, wobei in
diesem Zusammenhang ebenfalls auf den Tisch muß,
daß die Transferzahlungen für Ostdeutschland zu einem
beträchtlichen Teil Profitsubventionen für Unternehmer
sind.
Die Wachstumsraten verlangsamen sich dagegen und
fallen wieder hinter die westdeutschen Werte zurück.
Die Kapitalausstattung in ostdeutschen Betrieben stagniert, die Mittel für Forschung und Entwicklung sind
viel zu niedrig, die Löhne stagnieren bei 70 bis 80 Prozent, die Arbeitslosenquote liegt bei verheerenden 17,6
Prozent, Tendenz steigend. Dennoch kürzen Sie in
Ihrem Sparpaket auch noch diverse Zuschüsse für Ostdeutschland, ganz davon zu schweigen, daß ostdeutsche
Rentner und Arbeitslose doppelt belastet werden, weil
ihre nach dem Willen der Regierung sinkenden Einkünfte ohnehin schon deutlich unter denen der Westdeutschen liegen.
Würde der Erpressungsversuch des Bundesfinanzministers umgesetzt, hätte das katastrophale Folgen nicht
nur für Ostdeutschland, das für sehr lange Zeit von der
|Entwicklung in Westdeutschland abgekoppelt würde.
Um das zu verhindern, sind erstens eine spürbare Erhöhung der Transfers - versehen mit einer solchen Lenkungswirkung, daß im Osten selbsttragende Wirtschaftsstrukturen entstehen - und zweitens die unbedingte Ablehnung des Sparpaketes erforderlich, das diesem Ziel
direkt zuwiderläuft.
Ich danke vielmals für die Aufmerksamkeit.
({2})
Als
nächster Redner hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Solide Staatsfinanzen sind eine unverzichtbare Grundlage für Wachstum, Beschäftigung und
Stabilität. Die Staatsverschuldung, die diese Koalition
von der alten Regierung Kohl übernommen hat, ist unglaublich.
({0})
Fast ein Viertel der Steuereinnahmen des Bundes müssen wir ausgeben, nur um Zinsen für Schulden zu bezahlen, die in ihrer Regierungszeit entstanden sind.
({1})
1982 und übrigens auch 1990 genügte noch jede achte
Mark, die der Bund von den Steuerzahlern bekommen
hat, zum Bezahlen von Zinsen.
Mit dem Zukunftsprogramm 2000 leiten wir die
grundlegende Sanierung des Bundeshaushaltes ein. Die
Sparmaßnahmen sind notwendig, um mit der unsoliden
und unsozialen Schuldenpolitik der Vorgängerregierung
zu brechen,
({2})
aber auch, um den finanziellen Spielraum zu gewinnen,
um für Familien, für Arbeitnehmer und für die Unternehmen die Steuern senken zu können. Wir haben unser Sparziel von 30 Milliarden DM im Bundeshaushalt
2000 und von 50 Milliarden DM für das Jahr 2003 erreicht.
({3})
Um die Zukunftsprobleme unseres Landes zu lösen,
belassen wir es aber nicht beim Sparen. Trotz des strikten Sparkurses haben wir die notwendigen strukturellen
Reformen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt
eingeleitet. Nicht das Sparpaket ist unsozial, sondern die
von CDU/CSU und FDP zu verantwortende extrem hohe
Verschuldung des Bundes.
({4})
Sie führte zu einer unsozialen Umverteilung von unten
nach oben.
({5})
Deshalb ist die Rückführung der Verschuldung auch ein
Gebot der sozialen Gerechtigkeit.
({6})
Trotz dieses Sparkurses gilt: Der Aufbau Ost hat für
uns höchste Priorität,
({7})
ja mit unserem Zukunftsprogramm schaffen wir erst die
Voraussetzungen dafür, den Aufbau Ost auf hohem
Niveau fortführen zu können. Deshalb gilt: Die Bundesregierung steht zum Solidarpakt für die neuen Bundesländer.
({8})
Die im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms beschlossene überproportionale Finanzausstattung der neuen Länder bleibt vom Sparpaket unberührt.
Wir führen die Bundessonderergänzungszuweisungen an
die neuen Länder in Höhe von 14 000 Millionen jährlich
unverändert fort.
({9})
Wir leisten die Hilfen im Rahmen des Investitionsförderungsgesetzes Aufbau Ost von 6 600 Millionen DM pro
Jahr unverändert weiter.
Einsparungen bei ostspezifischen Programmen setzen, soweit sie nicht nur eine Anpassung an den bisherigen Mittelabfluß darstellen, im wesentlichen dort an, wo
es entweder gelungen ist, zukünftig verstärkt Rückflüsse
der Europäischen Union zu sichern, oder wo Effizienzsteigerungen zurückgehende Ansätze ermöglichen. Beispielhaft nenne ich die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben: Sie kann ihre Aufgaben in
den nächsten Jahren wie geplant fortführen.
({10})
Wie in den letzten Jahren auch benötigt die BvS im Jahre 2000 keine Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt.
Bei der Sanierung der ostdeutschen Braunkohlegebiete
können trotz Einsparungen die vorgesehenen Sanierungsarbeiten auf Grund von Kostensenkungen wie vereinbart - ich unterstreiche: wie vereinbart - durchgeführt werden.
Im übrigen werden auch die Haushalte der neuen
Bundesländer durch das Sparpaket entlastet. Zwar profitieren die neuen Länder wegen ihres geringen Beamtenanteils bei den Personalkosten weniger als die alten
Länder von der Begrenzung des Besoldungs- und Pensionszuwachses, den wir beabsichtigen. Sie werden jedoch entsprechend stärker entlastet durch den vorGerhard Jüttemann
ge|sehenen Rückgang bei den Beiträgen zur Rentenversicherung für ihre Angestellten und Arbeiter. Bei den
notwendigen Anpassungen im Sozialbereich werden die
Bürgerinnen und Bürger in Ost und West gleich behandelt. Die Abschichtungen dürften die neuen Länder und
Gemeinden sogar weniger berühren als die alten Länder,
da beispielsweise die Ausgaben für pauschaliertes
Wohngeld in den neuen Ländern einen geringeren finanziellen Umfang haben.
Für die neuen Länder ist die von dieser Bundesregierung betriebene Verstetigung der Arbeitsmarktpolitik
von besonderer Bedeutung. Dies gilt auch für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Von den 2 000
Millionen DM, die wir in diesem und im nächsten Jahr
für dieses Sonderprogramm ausgeben wollen, kommt
fast die Hälfte den neuen Bundesländern zugute. Damit
wird die Sozialhilfe in den neuen Ländern spürbar entlastet.
({11})
Der Erfolg des Zukunftsprogramms liegt also im Interesse der Länder und Gemeinden Ostdeutschlands;
({12})
denn die Konsolidierung des Bundeshaushaltes ist die
Voraussetzung dafür, daß der Bund wieder den notwendigen finanziellen Spielraum gewinnt, um seinen Aufgaben auch künftig nachzukommen.
Die Bundesregierung steht voll zum Solidarpakt und
bekennt sich zur bundesstaatlichen Solidarität. Wir werden dies bei der Anschlußregelung für den Solidarpakt
unter Beweis stellen.
Ich bedanke mich.
({13})
Als
nächster Redner hat der Kollege Manfred Grund von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Anlaß dieser Aktuellen Stunde sind Äußerungen
des Bundesfinanzministers Eichel und nicht des Staatssekretärs Diller. Insofern wäre zu erwarten gewesen, daß sich
der Bundesfinanzminister heute dem Parlament stellt und
Auskunft gibt.
({0})
Herr Kollege Diller, Sie haben auch nicht gesagt, wo
der Bundesfinanzminister heute ist. Ich halte es ein bißchen für Feigheit, sich dem Parlament nicht zu stellen.
({1})
Es geht darum, daß der Minister Eichel es von der
Zustimmung der neuen Bundesländer zum sogenannten
Sparpaket abhängig gemacht hat, ob der Bund bereit ist,
den Solidarpakt mit den neuen Bundesländern über das
Jahr 2004 hinaus zu verlängern. Die Reaktionen in den
neuen Bundesländern reichten von „ziemlich schrecklich“ über „unglückliche Äußerung“ bis hin zu „räuberische Erpressung“. Als ehemaliger Ministerpräsident
müßte Bundesfinanzminister Eichel eigentlich wissen,
daß ein Ministerpräsident auf die Interessen seines Freistaates oder seines Bundeslandes vereidigt ist und diese
Interessen zur Not auch gegen den Bund durchzusetzen
hat.
({2})
Der Bundesfinanzminister erwartet von den neuen
Bundesländern Zustimmung zu folgenden Einsparungen
des Sparpaketes: Kürzung von 915 Millionen DM bei
der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben - selbst Ministerpräsident Stolpe hat die größten
Probleme mit diesen Kürzungen -, 800 Millionen DM
weniger für Strukturanpassungsmaßnahmen Ost, 500
Millionen DM weniger für sonstige Förderprogramme
wie das Eigenkapitalhilfeprogramm, 300 Millionen DM
weniger für Verkehrsinfrastruktur und unter anderem
109 Millionen DM weniger für Investitionen in Pflegeeinrichtungen der neuen Bundesländer, die nach Art. 52
des Pflege-Versicherungsgesetzes festgeschrieben sind.
({3})
Diese Zustimmung kann man ernsthaft von einem Ministerpräsidenten, auch nicht von einem Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer, erwarten.
Für den Freistaat Thüringen würde das folgendes bedeuten. Ministerpräsident Dr. Vogel müßte darauf verzichten, daß die ICE-Strecke von Nürnberg nach Erfurt
weitergebaut würde. Das bedeutete, Thüringen würde
nicht zu einer internationalen und einer nationalen Verkehrsdrehscheibe. 1 Milliarde DM Investitionen wären
in den Sand gesetzt, und 8 Milliarden DM Bauinvestitionen würden in Thüringen in Zukunft nicht mehr getätigt.
Ich wollte den Bundesfinanzminister fragen, was er
dagegen hat, daß die Landeshauptstadt von Thüringen,
Erfurt, zu einer Verkehrsdrehscheibe aufgewertet wird,
so wie es seine Heimatstadt Kassel bereits ist. Ich wollte
ihn fragen - Kollege Diller, vielleicht richten Sie ihm
diese Frage aus -, warum ausgerechnet bei den Verkehrsprojekten in den neuen Bundesländern gespart
wird.
({4})
Es ist nicht bekannt, daß der Bau der ICE-Trasse zwischen Frankfurt und Köln verschoben wird oder die
Mittel dafür gekürzt oder eingespart werden sollen.
({5})
Des weiteren wird das Sparpaket, da es ja als ein
Entwurf in den Bundesrat eingebracht wird, mit den
Kürzungen, mit den willkürlichen Eingriffen in die
Rentenversicherung verknüpft.
({6})
|Das bedeutet, daß in den nächsten beiden Jahren 2000
und 2001 die Rentensteigerungen nur entsprechend dem
Inflationsausgleich gewährt werden.
({7})
Das heißt, ab dem Jahr 2001 fehlen jedem Rentner in
den neuen Bundesländern monatlich 95 DM. Das ist
über das Jahr gerechnet eine Monatsrente, die fehlt, und
bei einer Rentenlaufzeit von 15 Jahren sind es knapp
15 000 DM.
({8})
- Herr Kollege Weißgerber, ich sage gleich noch etwas
zu Ihnen.
So haben wir uns den Aufbau Ost und die Angleichung der Lebensbedingungen Ost an West nicht vorgestellt.
({9})
Die Nettolöhne in den neuen Bundesländern werden
sich den Nettolöhnen in den alten Bundesländern angleichen. Die aktuelle Rentnergeneration in den neuen Bundesländern wird nie die Westrente erhalten. Sie schaffen
damit Rentner erster und zweiter Klasse.
({10})
Dem kann guten Gewissens kein Ministerpräsident in
den neuen Bundesländern zustimmen, auch nicht Dr.
Vogel aus dem Freistaat Thüringen.
Ich gehe davon aus, daß im Bundesrat das Paket auseinandergeschnürt werden wird, daß sehr differenziert
über die einzelnen Bestandteile gesprochen werden
wird. Ich gehe weiter davon aus, daß die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer, insbesondere diejenigen
der CDU-geführten Regierungen, Garant sein werden,
daß diese Kürzungsorgien in den neuen Bundesländern
nicht durchschlagen.
Ich muß davon ausgehen, weil ich nicht der Annahme
bin, daß die Kolleginnen und Kollegen der SPD aus den
neuen Bundesländern dies tun werden, obwohl sie sich
in einer Ausgabe der „Leipziger Volkszeitung“ selbst
zur „Einsatzgruppe für den Osten“ erklärt haben. Herr
Kollege Weißgerber, ich halte schon diese Bezeichnung
für eine geschichtliche Unsensibilität. Sie haben gesagt,
Sie wollten Ihre Muskeln spielen lassen, wenn es um
Ostanliegen geht. Es geht hier um Ostanliegen. Wir sind
gespannt, wie Sie Ihre Muskeln spielen lassen werden.
Herzlichen Dank.
({11})
Als
nächster Redner hat der Kollege Werner Schulz vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Wenn wir hier über das Sparen sprechen, hätte ich
eigentlich die größte Lust, darüber zu reden, daß wir uns
eigentlich diese Aktuelle Stunde hätten sparen können.
({0})
Sie ist gar nicht aktuell. Morgen haben wir das Thema
auf der Tagesordnung; dann können wir ausgiebig über
die Probleme reden, die hier nur verzerrt werden, zum
Teil durch falsche Behauptungen.
({1})
Sie ist auch deswegen nicht mehr aktuell, weil der Bundesfinanzminister sofort jegliche Zweifel hinsichtlich
der Bedeutung seiner - durchaus unglücklichen - Äußerung ausgeräumt hat.
({2})
In der Sache hat er doch vollkommen recht.
Kollege Grund, ich habe bei Ihnen überhaupt keine
Gründe gehört, die gegen das Sparen sprechen würden.
Ich habe aber nicht gehört, wie Sie sparen wollen.
({3})
Denn wir sind ja in einer außerordentlich bedrückenden
Situation, die nicht durch diesen Bundesfinanzminister
ausgelöst worden ist.
({4})
- Günter Nooke, nicht der Bundesfinanzminister schafft
hier eine Druck- oder Erpressungssituation. Vielmehr
besteht ein Sachzwang, der mit acht Jahren Regierung
der christlich-liberalen Koalition zu tun hat, mit einer
deutschen Einheit, die auf Pump, durch Schulden finanziert worden ist. Wir haben einen gigantischen Schuldenberg abzutragen.
({5})
Normalerweise hätte der Bund in die Schuldnerberatung
gemußt!
Was würde die Finanzlage des Bundes für eine Familie bedeuten? Führen wir uns das einmal vor Augen: Bei
45 000 DM Jahreseinkommen und 150 000 DM Verschuldung - das sind die Proportionen wie beim Bund hätte sie pro Jahr 9 000 DM für Schuldendienst zu zahlen. Bei 23 000 DM Fixkosten, die für Miete, Energie
und dergleichen draufgehen, bleiben 12 000 DM für den
Lebensunterhalt übrig, obwohl vielleicht 16 000 DM
gebraucht werden. Also muß man wieder 4 000 DM
Schulden machen und kommt aus diesem Kreislauf nie
heraus. Ein Finanzminister, der aus diesem Schuldenkreislauf ausbrechen will, der Spielräume für den Aufbau Ost eröffnen will, wird von Ihnen angegriffen, als
wäre daran etwas ganz besonders Aktuelles oder Brisantes.
({6})
|Ich stelle hier fest, daß Sie uns in diese Situation gebracht haben.
({7})
Es ist ausgesprochen billig, hier eine von der PDS verlangte Aktuelle Stunde auf diese Weise zu nutzen. Dabei
ist die PDS im Grunde genommen die zweite Hauptursache für diese Misere.
({8})
An dieser Stelle können Sie ruhig einmal applaudieren.
({9})
- Das ist nicht immer nur mit Fröhlichkeit verbunden.
Das ist eine ziemlich harte Angelegenheit; das ist eine
ziemlich unbequeme Sache, die wir jetzt vorhaben. Aber
wir lassen uns davon nicht abbringen.
Sie wollen ja keine Blockadepolitik machen, wie ich
gehört habe.
({10})
Wenn Sie wesentlich bessere Vorschläge haben, können
Sie diese im Bundesrat einbringen.
({11})
Sie geben sich die größte Mühe, dort Verantwortung mit
zu übernehmen - zwar spät, aber immerhin. Ich freue
mich darauf und bin auf Ihre Vorschläge echt gespannt.
- Sie winken ab. So haben Sie es früher schon gemacht.
Aber damit ist es nicht getan.
Der Bundesfinanzminister gibt sich die größte Mühe,
mit diesem Konsolidierungsprogramm, mit diesem Zukunftsprogramm,
({12})
finanzielle Spielräume zu erkämpfen, die wir für den
Aufbau Ost brauchen. Das hat er deutlich gemacht: Es
liegt im Interesse der neuen Bundesländer, diesem Sparpaket zuzustimmen.
Wer Vorschläge hat, wie man besser und mehr einsparen kann, der möge sie auf den Tisch legen. Die PDS
hat wunderbare Vorschläge.
({13})
- Herr Jüttemann, Sie applaudieren. Aber ich kenne
auch das Papier aus dem Liebknecht-Haus, in dem man
feststellt, daß diese Vorschläge völlig unrealistisch und
überhaupt nicht bezahlbar sind. Sie schlafen immer noch
im siebten sozialistischen Himmel, glaube ich.
Nein, so kommen wir nicht weiter. Wie gesagt: In
dieser Aktuellen Stunde gibt es vielleicht einen ganz interessanten Schlagabtausch, aber keine Lösung. Ich
freue mich auf die morgige Diskussion. Ich freue mich
auf Ihre Vorschläge; ich bin sehr gespannt.
({14})
Als
nächster Redner hat der Kollege Jürgen Türk von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Um es klar zu sagen: Die F.D.P. ist auch in der Opposition nicht gegen
das Sparen. Das ist und bleibt vielmehr das Gebot der
Stunde, damit die öffentliche Hand nicht durch Tilgungen und Zinsen aufgefressen wird. Da sind wir uns einig.
Richtig ist zweifellos, daß durch die hohe Schuldenlast die Grundlagen für den Aufbau Ost in Mitleidenschaft gezogen werden. So aber, wie sich der Bundesfinanzminister das Sparen vorstellt, geht es natürlich
nicht.
({0})
- Das sage ich Ihnen.
Erstens muß klargestellt werden, daß im Vergleich
zum Haushalt 1999 nicht 30 Milliarden DM eingespart
werden, sondern lediglich 7,5 Milliarden DM. Hier ist
wieder einmal getürkt worden.
({1})
Genauso ist es übrigens beim Aufbau Ost. Dort sollte
angeblich um fast 10 Milliarden DM aufgesattelt werden; unterm Strich sind aber letztlich minus 3 Milliarden
DM herausgekommen.
({2})
Auch daß zum Beispiel die ICE-Strecke zwischen Nürnberg und Erfurt nicht gebaut wird, ist einfach kontraproduktiv.
({3})
Dies ist ebenso unverständlich wie die Planung, die
Verkehrsinfrastrukturprojekte an der strukturschwachen
östlichen EU-Außengrenze zu stoppen. So kommen wir
ins Hängen.
Zweitens ist es nicht seriös, wenn nicht wirklich gespart wird. Etwas anderes bringt uns gar nicht vorwärts.
Das aber passiert: Derzeit ist der Bund dabei, seinen eigenen Rucksack leichter zu machen und die Lasten den
Ländern und Gemeinden aufzubürden. Die Spargerechtigkeit bleibt hier auf der Strecke.
({4})
Werner Schulz ({5})
Drittens ist es schlichtweg Erpressung - man muß dies
immer wieder sagen, weil es wahr ist -, die Ostförderung nach 2004 von der Zustimmung der ostdeutschen
Länder zum Sparpaket abhängig zu machen.
({6})
Dies hat er nun einmal gesagt. Deswegen muß er das
aushalten.
({7})
Die Alternative ist nicht, blind zu streichen und die Lasten von einer Ebene auf die andere Ebene zu verschieben. Die Alternative ist vielmehr, substantiell zu sparen.
Das machen Sie nicht.
({8})
- Wir haben das in Ansätzen gemacht, Sie aber machen
es nicht. - Das müßte aus meiner Sicht vor allem bedeuten, am Verschwendungspotential in Ost und West
zu sparen.
({9})
Ohne Frage gibt es in Deutschland Verschwendungen.
Das machen alle Jahre wieder der Bund der Steuerzahler
und der Bundesrechnungshof klar. Leider wurden bislang noch keine Konsequenzen gezogen. Es nützt doch
nichts, wenn dies immer wieder festgestellt wird, aber
keine Konsequenzen gezogen werden. Sie wollen doch
immer Beispiele hören: Zum Beispiel muß die Prognose
über den Havel-Ausbau, das deutsche Verkehrsprojekt
Nr. 17, noch einmal überprüft werden. Können wir an
diesem Projekt einsparen? Und sollten diese eingesparten Mittel nicht gestrichen, sondern für ein sinnvolles
Verkehrsprojekt genutzt werden? Das verstehe ich unter
effizientem Mitteleinsatz.
({10})
Die Alternative zum jetzigen Aktionismus ist ein nationaler Sparpakt; das jedenfalls ist unser Vorschlag.
Dies könnte gleichzeitig ein Einstieg in die bereits überfällige Reform des Bund-Länder-Ausgleichs und der
kommunalen Finanzverfassung sein. Es muß endlich
aufhören, daß sich eine Ebene hinter der anderen Ebene
verstecken kann. Das ist die jetzige Praxis. Dies wurde
nicht von Ihnen allein geschaffen - das ist schon lange
so -, aber so kann es nicht weitergehen. Das wäre wirklich Sparen.
Zu dem nationalen Sparpakt sollte der Bundesfinanzminister die Länder, den Städte- und Gemeindetag, den
Bund der Steuerzahler und den Bundesrechnungshof
einladen; denn diese haben wirklich Erfahrung. Von
ihnen kann man tatsächlich Sparvorschläge bekommen.
Ziele sind die Konsolidierung der öffentliche Haushalte
und Vorschläge zu wirklichen Einsparungen. Dies bleibt
die Pflicht der Verantwortlichen auf allen Ebenen.
Die EU-Staaten haben es uns vorgemacht. Dort gab es
einen Stabilitätspakt, und die Haushalte wurden konsolidiert. Dies ist wirklich ein Vorbild. Ich glaube, daß man
dies auch endlich auf nationaler Ebene umsetzen muß,
und zwar auf der Grundlage klarer Vorgaben. Weitere
Sparvorschläge können Sie von uns noch bekommen;
wir haben eine ganze Liste. Wenn dies eingefordert
wird, können Sie auch einige von den Bürgern bekommen.
Der Punkt, glaube ich, ist, daß man die Bürger hier
einbezieht. Warum schreiben Sie nicht einfach einen
Wettbewerb nach dem Motto „Wer hat die besten Sparvorschläge?“ aus?
({11})
- Ich bin ganz sicher, daß die Bürger Ihnen aufschreiben
würden, an welchen Stellen verschwendet wird. Sie lachen darüber. Das ist ein ganz ernst gemeinter Vorschlag. Die Bürger zeigen uns die Stellen auf, an denen
- fast hätte ich gesagt: Volkseigentum - eingespart werden kann.
({12})
Auf diese Art und Weise können Sie die Akzeptanz
der Bürger für das Sparen erhöhen. Ich glaube, es ist
notwendig, daß das so gemacht wird. Aber wir können
auch weiterhin unter uns abgehoben diskutieren. Dann
wird es mit dem Sparen wieder nichts. Dann bekommen
wir diesen ganzen Laden nie in den Griff. Aber: keine
Erpressung, sondern ein nationaler Sparpakt!
Herr
Kollege Türk, kommen Sie bitte zum Schluß.
Damit bin ich am Schluß.
Vielen Dank.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Gunter Weißgerber von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Türk, den Wettbewerb
um die besten Einsparmöglichkeiten gibt es hier im
Parlament. Sie alle sind aufgerufen, Ihre Vorschläge mit
einzubringen.
({0})
Die Formulierung des Themas der von der PDS beantragten Aktuellen Stunde ist, wie meistens von jener
Seite, ein gehöriges Stück realitätsfern.
({1})
Richtiger wäre es doch wohl - wenn überhaupt - gewesen, nach der Haltung der Bundesregierung bezüglich
der veröffentlichten Verkürzung von Eichels Aussage zu
fragen. Denn zwischen dem, was der Finanzminister gesagt hat, und dem, was die berichtende Zunft vermurkste, klafft ein gewichtiger Unterschied.
Und Sie wissen das.
({2})
Hans Eichel hat die ostdeutschen Länder keinesfalls unter Druck gesetzt. Er hat lediglich eine Binsenweisheit
verkündet. Es muß doch uns allen klar sein: Bekommen
wir die Sanierung des Bundeshaushalts nicht hin, dann
wird irgendwann das Geld für alle verbraucht sein, und
das nicht nur für den Osten. Außer den Zinszahlungen
für Kohls Billionenschulden, für Mietzahlungen und für
Personalvergütungen wird der Bundeshaushalt dann
nichts mehr hergeben können. Das kann doch hier im
Hause niemand ernstlich wollen. Eichels Sanierung von
Waigels Schuldenhaushalt ist also auch im Interesse
Ostdeutschlands.
({3})
Die ostdeutschen Länder müssen im Interesse Gesamtdeutschlands noch sehr lange gefördert werden. Dazu stehen wir; das erwarten wir. Doch dies erfordert
einen langen Atem. Kohls Hinterlassenschaft sind die
derzeitigen Atembeschwerden. Unsere Aufgabe ist es,
für Genesung zu sorgen. Deshalb brauchen wir das Zukunftsprogramm 2000 als Grundlage für die wirksame
Fortsetzung des Aufbaus Ost.
({4})
Bestandteile des Zukunftsprogramms sind die ungekürzte Fortführung der Hilfen für den Aufbau Ost,
({5})
die unveränderte Fortführung des Solidarpaktes und die
bleibende Jahresmarge in Höhe von 6,6 Milliarden DM
im Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost. Auch wenn
Sie das schon einmal gehört haben: Wiederholungen
sind immer gut; dann merkt man sich das besser.
({6})
Zu den angeblichen Kürzungen sei folgendes gesagt:
Die noch von Waigel veranschlagten Zuschüsse in Höhe
von 915 Millionen DM für die BvS werden nicht benötigt. Seit 1995 kommt die BvS ohne Zuschuß aus.
({7})
Das ist auch Ihnen bekannt. Die Sanierung im Braunkohlebereich wird weiterhin unverändert mit 600 Millionen DM sichergestellt. Auf Grund von Kostensenkungen ist es jedoch möglich, die Ansätze für 2001 und
2002 um jeweils 50 Millionen DM unter Beibehaltung
der vereinbarten 12 000 Arbeitsplätze zu senken. Für die
nach 2002 notwendigen Maßnahmen wird die Bundesregierung die Anschlußfinanzierung sicherstellen.
Die von Waigel vorgesehenen Zinszuschüsse für
ERP-Kredite in Höhe von 400 Millionen DM sind nicht
erforderlich. Dieser Bereich kommt wie in diesem Jahr
ohne Zuschüsse aus.
Der Aufbau Ost hat für uns höchste Priorität. Die von
der PDS beantragte Aktuelle Stunde ist eine der üblichen Nebelkerzen, und der Rest der Opposition fällt darauf herein.
Danke schön.
({8})
Als
nächster Redner hat der Kollege Dietrich Austermann
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die Äußerung des Bundesfinanzministers zu dem Thema „Sparpaket und neue Bundesländer“ war in doppelter Hinsicht unanständig.
({0})
Sie war unanständig, weil sie das Thema „Sparen und
Konsolidieren“ zu einem Ost-West-Thema gemacht hat.
({1})
Kein Mensch kommt auf die Idee, zu sagen: Wenn
dies und das nicht der Fall ist, dann werden wir im
Kohlebereich kürzen. Kein Mensch kommt auf die Idee,
zu sagen: Wir werden an anderer Stelle in anderen Bundesländern Maßnahmen treffen, wenn das Wohlverhalten der jeweiligen Landesregierung nicht vorhanden ist.
Wie wollen Sie denn darauf reagieren, daß Herr Clement
heute gesagt hat, er stimme in einem bestimmten Punkt
nicht zu? Heißt das künftig: Wenn dieses oder jenes
nicht hilft, werden wir die Kohlehilfe reduzieren? - Sie
können jedes andere Thema nehmen, bei dem Subventionen Platz greifen.
Zudem war die Aussage Eichels deshalb unanständig,
weil Sie über den Druck, der erzeugt werden soll, ein
Wohlverhalten bestimmter Länder herbeiführen, ja erzwingen wollen.
({2})
Dafür gäbe es möglicherweise einen anderen Ausdruck.
Ein Jurastudent hört im zweiten Semester in seiner
Strafrechtsvorlesung, daß man unter bestimmten Voraussetzungen jemanden erpressen darf, nämlich dann,
wenn der Zweck rechtmäßig und das Ergebnis positiv
ist.
({3})
Herr Kollege Diller, das, was Sie hier machen, ist aber
nicht geeignet, das Problem zu lösen, nämlich die Situation der Staatsfinanzen zu verbessern. Sie machen genau
das Gegenteil.
Ich greife einmal einen Punkt heraus. Das Ganze läuft
unter der Überschrift „Sparprogramm“. Wir sagen mit
Recht: sogenanntes Sparprogramm. Die Schulden des
Bundes wachsen in den nächsten vier Jahren um 220
Milliarden DM. Sie sagen, Sie entlasten die Betriebe bei
den Steuern. Die Steuern des Bundes steigen in den
nächsten vier Jahren um 50 Milliarden DM. Ähnliches
gilt für jedes Datum - welches auch immer Sie wollen aus dem sogenannten Sparpaket. „Sparpaket“ ist ja
überhaupt ein hübsches Bild. Nach den letzten Wahlen
kann man sagen: Adressat verweigert die Annahme.
({4})
Bei der Wahl in Brandenburg und bei den Wahlen in
anderen Bundesländern haben die Leute nämlich gesagt,
daß sie das nicht haben wollen, und zwar deshalb, weil
es offensichtlich nicht zu dem Ziel führt, das beabsichtigt ist.
Wir haben über Jahre hinweg Konsolidierungspolitik
gemacht - auch gegen den Willen des Bundeslandes
Hessen. Wir wurden mit dem Hinweis attackiert, wir
würden das Land „kaputtsparen“. Jetzt wollen Sie so
tun, als hätten wir in Saus und Braus gelebt. Da schaue
ich doch einmal auf den Kollegen Schulz. Ich bewundere ja Ihre Biegsamkeit in der Argumentation: Vor einem
Jahr haben Sie sich noch hergestellt und festgestellt, wo
der Bund überall - auch in den neuen Bundesländern zuwenig tut. Jetzt sagen Sie, das, was wir getan haben,
wäre viel zu viel gewesen, und wollen sich gewissermaßen von der Gesamtschuldenlast des Staates abkoppeln.
Dazu sage ich einmal etwas: Ich werde bei jeder Debatte, die dazu geeignet ist, feststellen, wo die Schulden
dieses Landes eigentlich herkommen und wer dazu welchen Beitrag geleistet hat.
({5})
- Der Overhaus? Na, lassen wir das lieber.
Wir haben 350 Milliarden Schulden im Jahre 1982
übernommen. Ich betrachte diesen Betrag im folgenden
einmal unverzinst. Wir haben mit steigenden Beträgen
in den letzten Jahren Geld in die neuen Bundesländer
geschafft. Zuletzt waren das netto 90 Milliarden DM im
Jahr. Sie fahren das zurück; die Leistungen in die neuen
Bundesländer gehen im nächsten Jahr - der Kollege
Kolbe wird dazu gleich etwas sagen - deutlich zurück.
Wenn ich die Beträge für die zehn Jahre nach der Wiedervereinigung - Reparatur der Sozialismusschäden aufsummiere, so kommen 600 Milliarden DM zusammen. Wollen Sie von dieser Belastung und von der
Pflicht, diese Belastung gemeinsam zu tragen, nichts
wahrhaben und nichts übernehmen? Ist das eine Belastung von der CDU/CSU? Das ist doch eine Gesamtlast!
Dafür haben wir unseren Beitrag geleistet: im Bundeshaushalt 600 Milliarden DM. Wie gesagt, 350 Milliarden DM sind die Altlast von Helmut Schmidt, wobei ich
die Zinsen noch weglasse. Dann kommt das, was wir als
Aufbau geleistet haben. Und schließlich kommt das
Thema Fonds Deutsche Einheit, an dem die Bundesländer doch irgendwo beteiligt waren, und das Thema Erblastentilgungsfonds.
Wir haben dazu gesagt, innerhalb einer Generation
sollen bestimmte Dinge abgetragen werden. Wir haben
Geld bereitgestellt, um sogar etwas zurückzuführen.
Aber was haben Sie gemacht? Sie haben einen Teil des
Geldes genutzt, um den Haushalt 1999 zu finanzieren,
weil Sie diesen vorher aufgebläht haben. Schauen Sie
sich doch einmal die Situation an! Vergleichen Sie die
mittelfristige Finanzplanung für die nächsten Jahre nach
den Entwürfen von Waigel mit dem, was Sie vorlegen.
Ich kann da nur sagen: Jeder, der sich weigert, das zu
unterstützen, der tut eine im Staatssinne gute Arbeit,
weil hier nicht gespart wird, sondern Schulden aufgebläht werden und den neuen Bundesländern geschadet
wird.
({6})
Herr
Austermann, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich kann das an
einer Fülle von Beispielen deutlich machen. Auf der einen Seite wird - damit will ich schließen - allgemein,
auch von Eichel, unterstrichen, daß die Gemeinschaftsaufgabe der Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur eine wichtige Aufgabe ist und daß das Anreize für
neue Arbeitsplätze gibt. Wenn das denn so ist, dann verstehe ich nicht, warum Sie die entsprechenden Mittel für
die neuen Bundesländer - und zwar nur dort - kürzen.
Das ist unsolidarisch, und deswegen - ich wiederhole
mich - war die Äußerung Eichels unanständig.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Oswald Metzger vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten habe
ich in Debatten um Zahlen so unredliche Argumentationen gehört wie jetzt gerade von Ihnen, Herr Kollege
Austermann.
({0})
Erster Gesichtspunkt: Gleich anschließend kommen
wir zu einem Tagesordnungspunkt betreffend die Jahresrechnung 1997. Soll ich Ihnen sagen, was damals im
Jahre 1997 Ihre Regierung unter Waigel schuldenfinanziert hat? - Nachtragshaushalt, Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, 78 Milliarden DM NettoNeuverschuldung. Das lag deutlich über der Höhe der
Investitionsquote. Dies war verfassungswidrig und wurde von der Wissenschaft kritisiert. Das alles behandeln
wir beim nächsten Tagesordnungspunkt. Sie stellen sich
nun hier hin und machen einer Regierung Vorwürfe, die
selbst im 99er Haushalt weniger Schulden macht, als in
der alten Finanzplanung von Theo Waigel für dieses
Jahr enthalten waren. Ich würde mich schämen. Die
Unredlichkeit der Debatte geht mir über die Hutschnur.
Bleiben Sie bitte bei den Fakten!
({1})
Zweiter Gesichtspunkt: Trotz Ihrer Wiederholung
stimmt es nicht: Die Integration des Erblastentilgungsfonds in den Bundeshaushalt 1999 hat diesen Haushalt
nicht entlastet. Wissen Sie warum? Weil Sie noch im
letzten Jahr für die Entwurfsplanung des Jahres 1999
die Zuführung an den Erblastentilgungsfonds aus dem
Bundeshaushalt so reduziert hatten, daß nicht einmal die
nötigen Zinsaufwendungen gedeckt waren.
({2})
Deshalb hat der Bundeshaushalt im Jahre 1999 davon
nicht profitiert. Ich habe das bereits dem Kollegen Merz
in der Debatte um das Konsolidierungsprogramm im Juni entgegnet. Die Aussage stimmt nicht.
({3})
Ein weiterer Gesichtspunkt: Es wurde hier schon wiederholt festgestellt, daß es natürlich eine Binsenwahrheit
ist, daß ein Bundeshaushalt konsolidiert werden muß,
der sich dermaßen in einer Notlagensituation befindet,
der, was die Zins-Ausgaben-Quote und die Zins-SteuerQuote anbelangt, mit Bremen und dem Saarland vergleichbar ist, Notlagenländern, die auf Grund einer Bundesverfassungsgerichtsentscheidung Bundesergänzungszuweisungen bekommen. Wir machen mit dieser Konsolidierung ernst.
Sehen Sie sich eines an: Die gleichen Leute, die früher den demographischen Faktor verteidigen mußten,
stellen sich jetzt auf die Marktplätze - schwarze Bewerberinnen und Bewerber, Ihre Leute - und attackieren
eine Regierung, die in der Rentenpolitik eine notwendige Maßnahme angeht, um tatsächlich einen Konsolidierungsbeitrag dieser Altersgruppe herbeizuführen.
({4})
Wir sind so redlich, obwohl die Wahlen jetzt am
Sonntag natürlich auch Quittungen dafür darstellen, daß
Sparen in einer Gesellschaft polarisiert. Wir sind so konsequent zu sagen: Das ist jetzt notwendig. Wir erklären
es den Menschen, auch wenn es schwierig genug ist.
({5})
- Lafontaine hat im Bundeshaushalt dieses Jahres die
Netto-Neuverschuldung auch reduziert. Die Mär, daß
nur 7,5 Milliarden DM gespart werden, kann ich genauso wenig hören. Allein die Tatsache, daß Sie früher eine
große Ausgabenposition im Postbereich, nämlich die
Pensionen für die früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, als Schattenhaushalt geführt haben, wir aber diese
Position in den Bundeshaushalt integriert haben, hat das
Volumen dieses Jahres im Interesse von Haushaltsklarheit und -wahrheit um rund 8 Milliarden DM aufgebläht.
Allein bei der Vergleichsrechnung 1998/99 hat die von
Ihnen herbeigeführte Mehrwertsteuererhöhung zum 1.
April letzten Jahres, die im letzten Jahr nur für ein Dreivierteljahr als Einnahme berechnet wurde, den Haushalt
um rund 6 Milliarden DM für ein weiteres Vierteljahr
aufgebläht. Das verschweigen Sie. Sie machen praktisch
eine Verdummung der Bevölkerung, wenn Sie einfach
Zahlen nebeneinanderstellen und nicht akzeptieren, daß
Haushalte nicht nur in den Nominalzahlen, sondern auch
in ihrer Struktur verglichen werden müssen.
({6})
Deshalb ist die Aussage falsch, daß diese Regierung
unter dem alten Finanzminister in diesem Jahr expansive
Fiskalpolitik betrieben hat.
Ich darf hier einmal den damaligen Finanzminister
Lafontaine von einer Seite zitieren, die hier im Haus
vielleicht selten gesehen wird. Er hat damals erklärt: Der
Haushalt 1999 dieser Regierung ist ein Übergangshaushalt. Wir müssen konsolidieren, von der Verschuldung
herunter. Er hat die Zahlen, die Zins-Ausgaben-Quote
und die Zins-Steuer-Quote, im März in der Parlamentsdebatte offengelegt.
Jetzt machen wir mit der Finanzplanung, die diese
Regierung vorlegt, mit dem Ausstieg aus dem Verschuldungsstaat ernst. Kollege Austermann, in den letzten
vier Jahren lag die Durchschnittsneuverschuldung unter
CSU-Finanzminister Theo Waigel bei über 60 Milliarden DM pro Jahr. Wir schaffen in diesem Jahr 53,5 Milliarden DM, im nächsten Jahr 49 Milliarden DM, im
übernächsten Jahr annähernd 40 Milliarden DM, und im
letzten Jahr der Finanzplanung liegt das Ziel bei
30 Milliarden DM. Wir leiten einen Sinkflug ein, damit
der Marsch in den Verschuldungsstaat aufhört.
({7})
Wir als Parlament haben eine Verantwortung, auch vor
den nächsten Generationen. Fremdfinanzierung heute
heißt nichts anderes als Steuererhöhungen morgen.
({8})
Gerade Parteien, die in der Vergangenheit in der Steuerpolitik immer von Nettoentlastungen gefaselt haben,
sollten jetzt zugeben, daß an einer Zurückführung der
Verschuldung ökonomisch überhaupt kein Weg vorbeiführt.
Herr
Kollege Metzger, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich komme zum Schluß mit einem Hinweis, der in dieser Parlamentsdebatte über das Sparen immer zu kurz
kommt: 1994 haben die Länder einen Anteil am gesamten Steueraufkommen in einer Größenordnung von 34
bis 35 Prozent gehabt. Der Bund hatte damals noch einen Anteil von etwa 45 Prozent.
({0})
Seit Inkrafttreten des Föderalen Konsolidierungsprogramms haben die Länder auf über 40 Prozent beim
Anteil an der gesamtstaatlichen Steuerquote zugelegt.
Der Bund ist auf deutlich unter 40 Prozent abgestürzt.
Wenn es um eine gerechte Lastenverteilung im Staat
geht, muß man der Tatsache Rechnung tragen, daß die
Länder in den letzten Jahren strukturell profitiert haben
und der Bund gelitten hat.
({1})
Auch das bitte ich zu berücksichtigen, wenn es um die
Gerechtigkeit zwischen den staatlichen Ebenen bei der
Diskussion über das Sparpaket geht.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({2})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Barbara Höll von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schulz hatte sicher recht:
ein Erbe der CDU/CSU-F.D.P.-Koalition,
({0})
ein Riesenschuldenberg. Aber Sie von der SPD und den
Grünen haben nun etwas wirklich Fragliches erreicht.
Die alte Koalition hat den Begriff „Reformen“ völlig
umdefiniert. Sie definieren den Begriff „Sparen“ um.
Bei mir zu Hause läuft das anders: Wenn ich 20 DM
spare, bringe ich sie auf das Sparbuch. Dann habe ich
etwas; dann habe ich ein Vermögen. Wenn jemand etwas einsparen will - das weiß selbst mein Kind -, dann
muß er entweder seine Ausgaben kürzen, oder er braucht
eine Taschengelderhöhung, oder er muß seine Einnahmen auf irgendeine andere Art und Weise erhöhen.
({1})
Sie definieren hier Sparen ohne Vermögensbildung
als Selbstzweck, ohne eine Diskussion darüber zu führen, was dahintersteht. Sie sind völlig blind auf dem Auge der Einnahmenerhöhung.
Wenn in der Vergangenheit Riesenschulden aufgehäuft
wurden, so hat doch irgend jemand an diesen Schulden
auch partizipiert. Schulden zu machen ist natürlich eine
Riesenumverteilungsmaschine von Vermögen und Einkommen von unten nach oben. Das müssen Sie stoppen.
({2})
Dann diskutieren wir bitte über die Vermögensbesteuerung oder über eine Vermögensabgabe oder/und über die
Erbschaftsbesteuerung.
Vorhin kam wieder einmal so lässig-pauschal, die
PDS hätte keine Vorschläge vorzubringen. Hier sind unsere Alternativen; die können Sie sich ansehen.
({3})
Da ist das aufgelistet. Sie wissen auch, daß wir dazu
parlamentarische Initiativen ergriffen hatten.
In der bisherigen Debatte wurde auch sehr viel über
die Äußerungen des Finanzministers gesprochen.
Eigentlich ist das ein Stilbruch gewesen. Es entspricht
ihm nicht ganz. Ich denke, das hat auch damit zu tun,
daß die ostdeutschen Länder unabhängig davon, ob sie
von CDU und SPD oder von SPD und PDS regiert werden, verstanden haben, daß sie aus ureigenstem Interesse
und nicht aus Parteitaktik gegen dieses Sparpaket ankämpfen müssen.
Ich will mich jetzt nicht auf den Zahlensalat einlassen; das können die anderen hier, zum Beispiel das
Publikum, eh nicht nachvollziehen. Ich möchte nur die
Dinge heranziehen, die die Bürgerinnen und Bürger in
Ost- wie in Westdeutschland scheinbar gleichermaßen
betreffen. Aber das ist nicht so.
Betrachten Sie doch einmal das, was nicht ein richtiges Sparen, sondern nur ein Verschiebebahnhof auf die
Kommunen ist: die Frage der Unterhaltsvorschußleistungen, die Frage des pauschalisierten Wohngeldes und
die Frage der Umwandlung der originären Arbeitslosenhilfe.
Wenn man damit eine ostdeutsche Kommune belastet,
hat das einen ganz anderen Wert, weil die ostdeutschen
Kommunen - das wissen Sie alle in diesem Haus - dem
grundgesetzlich verankerten Gebot der kommunalen
Selbstverwaltung wesentlich weniger nachkommen
können als der Großteil der westdeutschen Kommunen,
weil sie eine viel geringere eigene Finanzkraft haben.
Auf jemanden, der eh schon schwächer ist, wirkt natürlich eine scheinbar gleiche Belastung stärker als auf eine
westdeutsche Kommune.
Das verhält sich natürlich auch in anderen Bereichen
so, zum Beispiel bei den Belastungen durch die Ökosteuer. Die Löhne im Osten sind nicht so hoch wie die
im Westen. Das wissen alle. Wenn ein Arbeitnehmer im
Osten bei gleicher Qualifikation nur 67 bis 80 Prozent
des Lohnes eines in den alten Bundesländern Beschäftigten erhält, dann ist er durch die Erhöhung der Preise
für Benzin und Heizöl, die scheinbar für alle gleich hoch
ist, wesentlich stärker betroffen als der im Westen, weil
er von seinem kleineren Kuchen nun einmal weniger
abgeben kann als die Bürgerinnen und Bürger in den alten Bundesländern. Das heißt, es gibt eine ganz spezifische Belastung in den neuen Bundesländern. Ein Rentenwertpunkt Ost bedeutet noch immer rund 10 DM weniger als ein Rentenwertpunkt West. Dazu kommt, daß
die Rente im Osten bei fast allen Rentnerinnen und
Rentnern den einzigen Altersbezug darstellt. Die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West wird
sich durch das jetzt vorgelegte Sparpaket auf Jahre hinaus verzögern. Diesen Zustand können und sollen die
ostdeutschen Kommunen und Länder nicht in Kauf
nehmen. Er widerspricht dem Grundgesetz.
({4})
Im Grundgesetz ist verankert, daß annähernd gleiche
Lebensbedingungen für alle Bürgerinnen und Bürger in
diesem Lande geschaffen werden müssen. Ich muß
Ihnen sagen: Wir in den neuen Bundesländern sind
vielleicht auch ein bißchen feinfühliger. Früher hatten
wir einen großen Bruder. Damals hieß es immer: Wenn
ihr nicht artig seid, wird euch der Hahn der Erdölpipeline zugedreht. Heute gibt es einen großen Solidaritätspakt. Wir hören immer, wie toll er ist. Ich bin froh, daß
der Finanzminister mit aller Klarheit deutlich gemacht
hat, welchen Stellenwert die Menschen in den neuen
Bundesländern haben. In dieser Beziehung hat sich zwischen der alten und der neuen Regierungskoalition leider
nicht so viel verändert. Sie müssen hier wirklich ruhig
sein! Mein Kollege Herr Jüttemann hat vorhin genügend
entsprechende Äußerungen vorgebracht.
Frau
Kollegin Höll, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ja, ich möchte zum Abschluß darauf hinweisen: Die PDS hat hier ihre alternativen Vorschläge eingebracht. Wir werden die Benachteiligung der neuen Bundesländer auf keinen Fall so
durchgehen lassen; vielmehr werden wir unseren Widerstand auch organisieren.
Ich danke Ihnen.
({0})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Manfred
Hampel von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Stunde ist
von den Rednern der Oppositionsfraktionen ständig verfehlt worden. Wir sprechen heute nicht über das
Zukunftsprogramm. Wir können morgen darüber reden.
Nächste Woche gehen wir in die erste Lesung des Haushalts. Ende November dieses Jahres gibt es die zweite
und dritte Lesung des Haushalts. Jetzt in Details zu gehen ist völliger Blödsinn.
Wir sollten jetzt über die Äußerungen von Eichel reden, die er - damit komme ich auf den Kernpunkt zurück - in einem Interview mit der „Leipziger Volkszeitung“ gemacht haben soll. Ich möchte die entsprechende
Stelle aus dieser Zeitung, die ich mir besorgt habe, zitieren, um Ihnen zu zeigen, auf welche Grundlage Sie Ihre
Vorwürfe stellen. Der Journalist fragt in diesem Interview:
Konkret nachgefragt: Ehe es einen ordentlichen
neuen Solidarpakt mit dem Bund gibt, erwarten Sie
vorab eine Zustimmung der neuen Länder zu Ihrem
Konsolidierungskurs für die Bundesfinanzen als
Voraussetzung?
Die Antwort von Eichel lautete:
Ja, sicher. Ich habe mich immer dazu bekannt, dass
das, was für den weiteren Aufbau Ost notwendig
ist, auch gemacht werden muss. Das gilt auch für
die Anschlussregelung nach 2004.
Noch am 31. August wurde in den Überschriften der
Gazetten von Drohung, Erpressung und Nötigung gesprochen. Schon am 1. und 2. September lauteten die
Überschriften ganz anders. Plötzlich konnte man lesen,
daß Eichel recht habe. Es war von Eichels Binsenweisheit die Rede.
({0})
Es ist doch klar, daß der Bund nur dann Finanzhilfen leisten kann, wenn er selber dazu in der Lage ist, also über
die notwendige Finanzkraft dafür verfügt.
({1})
Das ist eine Binsenweisheit, die Eichel zum Ausdruck
gebracht hat. Ihn hierfür zu schelten ist - Entschuldigung, daß ich Ihnen von der PDS das so sagen muß - ein
billiges Nachkarten, das zu nichts führt.
({2})
Ich möchte noch auf einen anderen Punkt eingehen,
nämlich auf das Thema BvS. Ich habe mich mit diesem
Thema lange beschäftigt. Es ist auch von einem Vorredner angesprochen worden. Der Kollege Kolbe hat
vorhin dazwischengerufen: Weil sie nix gemacht hat!
Ich war damals in der Opposition und muß jetzt die
BvS in Schutz nehmen. Sie waren damals durchaus in
der Lage, zu veranlassen, daß noch mehr Mittel in die
BvS hineingesteckt werden. Seit 1995 sind rund 5,5
Milliarden DM im Jahr eingestellt worden. In den Folgejahren senkte sich der Betrag auf 2,7 Milliarden DM,
1,8 Milliarden DM usw. ab. Aber niemals ist eine müde Mark geflossen. Das Geld kam immer aus der Sparkasse des Bundesfinanzministeriums. Das wird jetzt
bereinigt.
Herr Kollege Kolbe, Sie wissen ganz genau - ich muß
die damalige Regierungskoalition ein bißchen in Schutz
nehmen -, daß es in den vergangenen Jahren nicht an
den Mitteln gelegen hat; denn genügend Mittel standen
zur Verfügung. Das Problem waren und sind noch heute
die EU-Genehmigungen. Problematisch war nämlich,
Zweit- und Drittprivatisierungen genehmigt zu bekommen. Ich kenne eine Vielzahl von Fällen, die hiervon
betroffen sind. Die Bereitstellung der Mittel scheitert
daran, daß die EU nicht zustimmt. Das ist die Crux. Es
wäre notwendig gewesen, daß Sie sich schon damals
intensiver eingesetzt hätten.
({3})
Wir brauchen das Thema nicht weiter auszudehnen.
Vieles ist schon gesagt worden. Jetzt auf Details einzugehen will ich mir ersparen. Wie gesagt, wir haben morgen und auch in den nächsten Wochen ausreichend Gelegenheit dazu.
Ich danke Ihnen.
({4})
Als
nächster Redner hat der Kollege Manfred Kolbe von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Hampel, wir alle haben
die „LVZ“ gelesen, einige früher und andere später. Ich
kann nur noch einmal vorlesen:
Konkret nachgefragt: Ehe es einen ordentlichen
neuen Solidarpakt mit dem Bund gibt, erwarten Sie
vorab eine Zustimmung der neuen Länder…?
Antwort:
Ja, sicher.
Es ist doch ganz klar, was damit gemeint ist.
Der Kollege Austermann hat zu Recht gesagt: Das ist
unanständig. Denn dasselbe ist eben bei anderen Ländern
nicht passiert. Ich habe nicht gehört, daß Herr Eichel nach
Düsseldorf gefahren ist und Herrn Clement gesagt hat:
Also, ohne Zustimmung zum Sparpaket gibt es keine
weiteren Steinkohlesubventionen. Ich habe auch nicht gehört, daß Herr Eichel nach Saarbrücken gefahren ist und
Herrn Klimmt etwas Entsprechendes vorgeschlagen hat.
({0})
Das Unanständige besteht darin, daß Sie sich gegenüber dem Osten trauen, etwas Derartiges zu sagen, weil
Sie meinen, die seien vermeintlich schwach, während
Sie es sich gegenüber dem Westen nicht trauen. Das
sollte auch Sie, Herr Hampel, ärgern. Wahrscheinlich tut
es das auch, nur können Sie es hier nicht sagen.
Natürlich wollen wir alle sparen; aber Sie sparen ja
gar nicht. Der Bundeshaushalt 2000 geht gegenüber dem
Bundeshaushalt 1999 in der Tat um 7,5 Milliarden DM
zurück. Aber das geschieht doch bloß, weil Lafontaine
zwischenzeitlich 28 Milliarden DM auf den Haushalt
draufgelegt hatte. Gegenüber dem letzten WaigelHaushalt 1998 steigt der Eichel-Haushalt 2000 um 21
Milliarden DM, Herr Diller. Wenn Hans Eichel der
eiserne Sparkommissar ist, was ist denn dann Theo
Waigel? Sie müßten Loblieder auf den Sparkommissar
Theo Waigel singen.
({1})
Wir haben bis 1998 gespart, und der arme Hans Eichel
kehrt jetzt ein Viertel der Mehrausgaben wieder zusammen, die Oskar Lafontaine 1999 verursacht hat.
Herr Metzger, Sie sprachen von einer redlichen
Debatte und davon, daß wir einen Schuldenberg von 1,5
Billionen DM von Helmut Kohl geerbt hätten. Landauf,
landab hört man, das Zukunftsprogramm fange angeblich mit dem Abbau dieses Schuldenberges an. Die
Wahrheit aber ist, daß zum Jahresende 1998 die Bundesschuld 954 Milliarden DM betrug. Aus der Altbundesrepublik kamen noch zwei Schattenhaushalte dazu. Es
handelte sich um weitere rund 100 Milliarden DM. Das
ist gut 1 Billion DM. Das ist zuviel. Darin sind wir uns
einig. Aber es sind nicht 1,5 Billionen DM. Es ist doch
wirklich unredlich, die 400 Milliarden DM, die aus der
Wiedervereinigung dazugekommen sind - Treuhand,
Altlastschulden usw. -, in einen Topf mit der allgemeinen Bundesschuld zu werfen.
({2})
Natürlich sind beide Schulden des ganzen Landes; aber
der Entstehungsgrund ist doch ein ganz anderer. Das
können Sie doch nicht allein Helmut Kohl in die Schuhe
schieben.
({3})
Lieber Kollege Metzger, das ist unredlich, und das wissen Sie auch.
Sie wissen auch, daß wir die Erblastschulden der DDR
bis 1998 getilgt haben. Wir haben ungefähr 50 Milliarden
DM dieser Schulden getilgt, Herr Metzger. Das war die
einzige Tilgung, die wir in diesem Jahrzehnt überhaupt
hatten. Es ist das einzige Mal gewesen, daß Schulden
überhaupt getilgt worden sind. Diese Tilgung haben Sie
beseitigt, um sich zusätzlichen Ausgabespielraum zu beschaffen. Das ist intellektuell unredlich.
({4})
Worin liegt nun unsere Hauptkritik an Eichels Sparpaket? Das sollten sich die Kollegen der SPD zu Herzen
nehmen. Wir kritisieren die überproportionalen Einsparungen im Osten, Herr Hampel.
({5})
Wir sind zu gesamtdeutschen Einsparungen bereit.
Natürlich muß dazu jeder Landesteil seinen Beitrag leisten. Wir lehnen aber überproportionale Einsparungen
ab. Von den 7,5 Milliarden DM, um die der Haushaltsansatz zurückgenommen wird, entfallen 3 Milliarden
DM auf den Aufbau Ost: 900 Millionen DM bei der
Treuhand - darüber können wir, Herr Hampel, lange
Gespräche führen -, 285 Millionen DM bei der Gemeinschaftsaufgabe, 500 Millionen DM bei sonstigen Förderprogrammen und 300 Millionen DM bei den Verkehrswegen - eines der Verkehrsprojekte „Deutsche
Einheit“ haben Sie komplett gestrichen -, 800 Millionen
DM bei den Lohnkostenzuschüssen und 109 Millionen
DM bei den Pflegeeinrichtungen. Im Osten sparen Sie
überproportional. Das kritisieren wir und nicht den gesamtdeutschen Sparbeitrag.
Sie können auch die Renten nehmen: Wir alle wissen,
daß auf Grund der demographischen Entwicklung bei
den Renten etwas passieren muß. Auch die Union hatte
hier ja angesetzt. Wir wollten eine berechenbare
Grundlage gesetzlich verankern, nämlich den demographischen Faktor. Mit der von Ihnen jetzt vorgenommenen Anpassung an die Inflationsrate bringen Sie die Angleichung der Renten in Ost und West zum Stillstand.
Das ist der eigentliche Kritikpunkt, den wir im Osten
haben. Ich bin gespannt, ob diese Anpassung irgendwann einmal wieder einsetzt.
({6})
Lassen Sie mich abschließend sagen: Sie begannen
mit der angeblichen Chefsache Aufbau Ost und einem
Staatsminister im Kanzleramt, der wieder einmal nicht
hier im Saal ist; herausgekommen ist unter Schröder,
Eichel und Schwanitz, daß der Aufbau Ost von der
Chefsache zur Nebensache verkümmerte. Das werden
wir nicht hinnehmen.
({7})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Simone Violka von
der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts einer
Staatsverschuldung von 1,5 Billionen DM und einer Gesamtverschuldung von 2,341 Billionen DM, wenn man
die Verschuldung von Ländern und Kommunen noch
dazurechnet, ist es schon fast paradox, von Erpressung
oder dem Herstellen von Abhängigkeiten zu reden. Wer
Minister Eichels Aussage als solche mißinterpretiert, hat
entweder den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt
oder will sich in der Öffentlichkeit profilieren.
({0})
Wir alle - auch Hans Eichel - kennen und akzeptieren
die Notwendigkeit eines weiteren Aufbaus in den neuen
Ländern. Aber angesichts dieser Staatsverschuldung, die
fast ein Viertel aller Steuereinnahmen in Form von Zinsen
verschlingt, muß man auch von allen Länderchefs
Deutschlands erwarten können, daß sie die Notwendigkeit
von Sparen einsehen, ganz gleich, aus welchem Territorium sie stammen oder welche Farbe ihr Parteibuch hat.
({1})
Wenn wir von diesem Schuldenberg, der in den letzten
Jahren immer höher gewachsen ist, nicht herunterkommen,
werden immer mehr Steuergelder für die Zinstilgung zum
Einsatz kommen müssen. Dadurch steht in absehbarer Zeit
immer weniger oder überhaupt kein Geld mehr für die
Weiterführung des Aufbaus Ost zur Verfügung,
({2})
ganz zu schweigen von anderen sozialen und wirtschaftlichen Projekten in ganz Deutschland. Das hat nichts mit
politischem Willen, sondern mit Tatsachen zu tun. Diesen Tatsachen muß man sich stellen, wenn man eine zukunftsfähige und zukunftssichernde Politik machen will.
Wer diese Fakten verschweigt oder beschönt, führt die
Bevölkerung absichtlich hinters Licht. Ehrlichkeit ist
aber etwas, was ich mir auf meine politische Fahne geschrieben habe. Dies können die Menschen auch zu
Recht erwarten.
Wenn man den Menschen in Ost und West zur Wendezeit nicht vorgegaukelt hätte, daß die deutsche Einheit
aus der Portokasse zu bezahlen wäre,
({3})
würde es heute nicht so viel Unzufriedenheit und Unverständnis auf beiden Seiten geben.
({4})
Die jetzige Regierung ist nicht bereit, die gleichen Fehler wie die damalige Koalitionsregierung zu machen,
({5})
nämlich mit Seitenblick auf Wählerstimmen die Wirklichkeit zu ignorieren.
Ich finde es ungeheuerlich, wie viele Politikerinnen und Politiker der Opposition nach Finanzminister
Eichels Aussage das große Wort geschwungen haben.
Da war von einem unglaublichen Skandal zu lesen, von
Kasernenhofton gegenüber den neuen Ländern und gar
von räuberischer Erpressung, um nur einiges zu nennen.
Nicht eine dieser Kolleginnen bzw. einer dieser Kollegen hat sich nach meiner Erinnerung einmal ähnlich geäußert, wenn Bayern, Hessen oder Baden-Württemberg
den Länderfinanzausgleich in Frage stellten, auf den
derzeit einige alte und alle neuen Länder angewiesen
sind.
({6})
Das, sehr geehrte Damen und Herren, halte ich für einen
großen Skandal.
An die Adresse der Opposition auf der linken Seite
dieses Hauses, der Sie zu verdanken haben, daß ich hier
rede, will ich nur eines sagen: Wenn man ständig nur
etwas finanziert, was man politisch will, ohne danach zu
schauen, was man real überhaupt kann, geht man ganz
schnell finanziell zugrunde. Da brauchen wir uns nur die
alte DDR anzuschauen; das wissen, glaube ich, alle
noch. Weil wir das aber nicht wollen und den richtigen
Weg erkannt haben, wie man in Zukunft wieder mehr
Steuergelder zur Verfügung hat, gibt es vom Bundesfinanzminister Hans Eichel ein Zukunftsprogramm, das
die Verantwortung für ein zukunftsfähiges Gemeinwesen bezeichnet. Mit diesem Zukunftsprogramm übernimmt die Bundesregierung die Verantwortung für die
Zukunft.
Wir sparen doch nicht um des Sparens willen. Aber
wenn man auch in der Zukunft noch ein funktionierendes demokratisches Gemeinwesen haben will, muß man
dafür sorgen, daß wieder genügend Steuergelder für die
Umsetzung der politischen Ziele vorhanden sind und
diese dem Gemeinwohl zugeführt werden können. Das
geht aber nicht, wenn die Zinsbelastung immer weiter
steigt. Sparen ist derzeit die einzige Möglichkeit, langfristig wieder genügende finanzielle Spielräume für einen aktiven und handlungsfähigen Staat zu schaffen.
Frau
Kollegin Violka, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer ersten
wirklich gehaltenen Rede im Bundestag, denn die eigentliche erste Rede ist damals zu Protokoll gegeben
worden. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Susanne Jaffke von der CDU/CSU-Fraktion.
Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen!
({0})
Wir wollen uns doch wieder einmal an dem orientieren,
was der Ausgang der ganzen Geschichte ist. Da hat es
eine Äußerung eines Ministers gegeben, bei dem man
eigentlich sagen muß: Er ist ein Profi. Das ist er doch,
euer Minister?
({1})
Denn er ist ja nicht nur Profi als Minister, sondern er
war lange Zeit auch Profi als Ministerpräsident. So ein
Lapsus hätte ihm eigentlich nicht unterlaufen dürfen.
({2})
- Na gut, soweit, so schön; es ist ja auch alles in Ordnung, das kann ja mal passieren. - Ich könnte eigentlich
auch sagen: Es ist wunderschön, daß das gerade in dem
Moment passiert, in dem die Koalitionshaushälter im
wunderschönen Lande Mecklenburg-Vorpommern, in
Wismar, unterwegs sind. Ich glaube, es war sehr, sehr
schön. Sie müssen mir doch zustimmen: Es ist ein wunderschönes Land. Da können auch einmal so kleine Versprecher vorkommen.
({3})
- Wenn Sie mir sagen, daß das kein Versprecher war um so schlimmer.
({4})
Denn eines muß ich Ihnen dazu auch sagen: Das Lebensgefühl, Wohlergehen für Wohlverhalten, hatten wir bis
1990. Daran möchte ich mich nicht so gerne erinnern,
({5})
und ich möchte mich auch nicht gerne wieder da hineinversetzt wissen.
Ich glaube schon, daß es ganz wichtig ist - wenn Sie
schon die vielen Presseechos zitieren, die auf diese Äußerung des Ministers im Blätterwald erfolgt sind -, auch
einmal die wunderschönen Zeitungsmeldungen aus dem
Lande Mecklenburg-Vorpommern zu zitieren, in denen
es heißt: Herr Minister Eichel hat bei Ministerpräsident
Ringstorff seinen Antrittsbesuch gemacht. Justament hat
dieser Ministerpräsident Ringstorff in vorauseilendem
Gehorsam gesagt: Selbstverständlich unterstütze ich dieses Paket, welches auch immer da kommt. Er mußte den
Journalisten sogar sagen, er kenne es nicht. Die Frau
Finanzministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern
hat dies dann bestätigt. Außerdem hat sie zu Protokoll
gegeben und in der Öffentlichkeit gesagt, sie zweifle
diese Zahlen an. Da kommen wir wieder in eine lustige
Veranstaltung. Worüber reden wir hier jetzt eigentlich?
Wir wollen alle unendlich viel zur Konsolidierung der
Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland beitragen.
Das tun wir aber nicht, indem wir den Bürgern über
Ökosteuer, Benzin, Strom und alles mögliche erst das
Geld aus der Tasche ziehen, dieses dann wieder irgendwo verteilen und bei dieser Verteilung die neuen Bundesländer ein Stück außen vorlassen. Das ist leider Gottes so.
Ich denke, wir sollten uns in den Detailverhandlungen, die wir im Haushaltsausschuß nachher noch führen
werden und hoffentlich führen müssen, darauf verständigen, daß es in dieser Richtung bedeutende Korrekturen
gibt.
({6})
Denn ich kann nicht erst Geld ausgeben, das ich eigentlich nicht habe, es mir hinterher einfordern und dann
über eine, ich sage einmal: recht zweifelhafte Diskussion in der Öffentlichkeit verlangen, daß nur eine bestimmte Region in der Bundesrepublik Deutschland für
dieses Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen und
vielleicht auch zur Kasse gebeten wird.
Deshalb kann ich uns allen nur raten, von diesem
Kurs abzulassen, in vernünftige Verhandlungen einzutreten und alle diese Anstrengungen, die eigentlich dazu
führen sollen, unsere Haushaltsfinanzen zu konsolidieren, ernsthaft zu unternehmen.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zur BvS, weil ich als
Berichterstatterin schon eine Weile in diesem Metier tätig bin. Ich glaube, die Crux in der Debatte um Steuererhöhungen ist, daß die SPD den Sündenfall begeht, Steuern und Sozialabgaben ein wenig miteinander zu vermischen,
({7})
sowohl bei der Rente als auch bei der Gesundheit. Sie
haben den Haushalt um 30 Milliarden DM aufgebläht,
durch Steuererhöhungen durchlaufende Posten geschaffen und diese in die Sozialversicherungssysteme verlagert. Dabei bewegen Sie sich auf einem gefährlichen
Pfad, nämlich weg von der Generationenverantwortung
({8})
und hin zu einer - wenn auch vielleicht staatsgenehmen
- steuerfinanzierten Versorgung. Das führt zu nichts.
Daran ist 1990 auch die DDR pleite gegangen.
Herzlichen Dank.
({9})
Als
letztem Redner in der Aktuellen Stunde gebe ich das
Wort dem Kollegen Rainer Fornahl von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht unanständig, was FiVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
nanzminister Eichel im Zusammenhang mit Sparpaket,
Zukunftsprogramm und Solidarpakt für die Zeit nach
2004 gesagt hat.
({0})
Vielmehr ist es ausgesprochen unanständig, wenn man,
wie man hier mehrfach hören konnte, Zitate aus dem
Zusammenhang reißt und nur zur Hälfte, nur zu einem
Drittel oder nur zu einem Viertel anführt. Herr Hampel
hat hier schon eines der beiden Zitate gebracht. Ich will
das hier wiederholen, vor allem für Herrn Austermann
und Herrn Kolbe:
Konkret nachgefragt: Ehe es einen ordentlichen
neuen Solidarpakt mit dem Bund gibt, erwarten Sie
vorab eine Zustimmung der neuen Länder zu Ihrem
Konsolidierungskurs für die Bundesfinanzen als
Voraussetzung?
Ja, sicher. Ich habe mich immer dazu bekannt, dass
das, was für den weiteren Aufbau Ost notwendig
ist, auch gemacht werden muss. Das gilt auch für
die Anschlussregelung nach 2004. Wenn der Bund
sich da solidarisch gegenüber den Ländern verhält,
muss er sich auch auf die Solidarität der Länder
ihm gegenüber verlassen können. Das ist immer in
beiderseitigem Interesse.
Ich glaube, an der Richtigkeit dieser Äußerung kann
keiner einen Zweifel haben.
({1})
Für Herrn Austermann, der hier einen Ost-WestKonflikt herbeireden wollte, will ich aus diesem Interview noch folgendes zitieren:
Im Unterschied beispielsweise zu Bayern meine
ich, fundamental für den Föderalismus ist auch die
Solidarität zwischen den Ländern und die Solidarität zwischen Bund und den Ländern. Das war schon
immer meine Position. In diesem Sinne erwarte ich
auch von den neuen Ländern, dass sie begreifen,
und ich habe da bisher sehr viel Zustimmung gefunden, dass die Konsolidierung des Bundeshaushaltes jetzt die Voraussetzung dafür ist, dass der
Bund auch in Zukunft weiter seinen Verpflichtungen für den Aufbau Ost nachkommen kann und
dass damit die ostdeutschen an die westdeutschen
Länder herangeführt werden können.
({2})
Damit könnte man diese ganze Scheindebatte der
Aktuellen Stunde abbrechen. Sie war und ist verlogen
von seiten derer, die sie initiiert haben, und von seiten
derer, die auf diesen Zug aufgesprungen sind.
({3})
Ich will aber noch zusammenfassen, was ich hier
heute in der Debatte erleben mußte: Kürzlich hat sich sogar unabgesprochen - eine illustre Allianz gefunden.
Eine Allianz für den Aufbau Ost - Fragezeichen oder
Ausrufezeichen? Zumindest haben diejenigen, die so
vollmundig getönt haben, schon den Totengräber des
Aufbaus Ost dingfest gemacht. Wer sind denn überhaupt
die Aufrechten? Einige Zitate von heute brauche ich
nicht zu wiederholen; sie sprechen für sich und disqualifizieren diejenigen, von denen sie stammen. Aber einige
der brilliantesten will ich hier wiederholen. Ein Herr
Rehberg - in Klammern: CDU -: einmaliger Vorgang
räuberischer Erpressung. Das ist im Sinne des § 255
StGB ein Angriff auf Leib und Leben der Ostdeutschen.
Das muß man sich einmal vorstellen.
({4})
So blöd kann man doch nicht sein, und das ist ein verantwortlicher Landespolitiker. Nein, pfui Deibel, kann
ich dazu nur sagen.
Herr Dr. Luther - auch in Klammern: CDU -: Kohle
gegen Kadavergehorsam, Frau Gramkow von der PDS:
Meine Partei wird sich nicht erpressen lassen, Eichel
handelt illegitim.
({5})
Mein sächsischer Landsmann Herr Dr. Herle spricht
auch vom Erpressungsversuch. Das Wort „unanständig“
haben fast alle erwähnt, das will ich gar nicht noch einmal ausbreiten.
({6})
Wer wird mit solchen Vorwürfen konfrontiert und
diskreditiert? Der Bundesfinanzminister Eichel, stellvertretend für die Regierung und die Koalition. Warum? Das
ist der Kern der ganzen Geschichte: In einigen Bundesländern wurde und wird gewählt, und dann kommt jedes
Mittel recht - egal, wie anrüchig es auch sein mag -, um
den politischen Zielen Unterstützung zu geben. Das ist
der Punkt, über den wir heute zu reden haben.
({7})
Die Allianz wird noch erweitert durch Vertreter des
Freistaats Bayern. So hebt beispielsweise Herr Faltlhauser
den Zeigefinger und sagt: „An der Notwendigkeit der
Fortführung des Solidarpakts nach 2004 besteht überhaupt kein Zweifel.“ - und das ausgerechnet von
einem Repräsentanten der CSU, die nicht nur in Bierzelten die Solidarität der Menschen in den neuen Bundesländern über Jahre hinweg schon in Zweifel gezogen hat
({8})
und den Solidarpakt plus Länderfinanzausgleich nach
bayerischem Gusto so schnell wie möglich canceln
wollte und will. Das, meine Damen und Herren, ist die
unheilige und verlogene Allianz aus CDU/CSU, F.D.P.
und PDS, die wahrlich wider besseres Wissen - bei der
PDS kann man das nicht unterstellen - handeln. Herr
Schulz von Bündnis 90/Die Grünen hat klar und deutlich
gesagt, wo Sie stehen, wenn Sie über Wirtschaftspolitik
und die Entwicklung der neuen Länder reden.
Herr
Fornahl, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ja, ich komme zum Schluß
und will sagen: Aus meiner Sicht ist eine Konsolidierung des Bundeshaushalts bei solidarischer und gerechter Beteiligung der Länder und Kommunen die einzige
Chance für die Erreichung des Ziels der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Vollendung der
Einheit Deutschlands über die staatliche und politische
Vollendung hinaus. Darüber werden wir morgen sicherlich noch ausführlich reden.
Zum Schluß möchte ich noch ein Zitat aus einer großen deutschen Tageszeitung -
Nein,
Herr Kollege. Sie haben Ihre Zeit lange genug überschritten. Kein Zitat mehr.
O. k. Dann gebe ich es zu
Protokoll.
({0})
Vielen Dank, meine Damen und Herren. Ich glaube,
trotzdem ist klargeworden, was ich für unsere Koalition
sagen wollte. Wir stehen zum Sparpaket.
({1})
Die
Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0})
- zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 1997 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des
Bundes ({1}) - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
1998 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung ({2})
- Drucksachen 13/10378, 14/29, 14/153 Nr. 1,
14/1257 Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Antje-Marie Steen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, begrüße ich auf
der Tribüne die Präsidentin des Bundesrechnungshofes,
Frau Dr. Hedda von Wedel, sehr herzlich.
({3})
Ich freue mich, daß Sie zur ersten Debatte im Deutschen Reichstag zu uns gekommen sind. Vielen Dank.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Josef Hollerith von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich muß Ihnen sagen, daß ich mich außerordentlich freue, heute abend zum erstenmal am
Rednerpult im neuen Reichstag sprechen zu dürfen.
({0})
Ich empfinde diesen Raum als Symbol dafür, daß die
Demokratie in Deutschland eine positive Entwicklung
genommen hat: in den ersten Kämpfen um mehr Rechte
in der Kaiserzeit, die Weimarer Republik; dann kam der
unselige 30. Januar vor den Märzwahlen 1933, als die
Nazis dieses Gebäude angezündet hatten; dann das
Nachkriegsdeutschland, als der Reichstag noch als Ruine als Symbol der Freiheit an der Nahtstelle der Grenze
zwischen Ost und West stand.
Wir haben den Kolleginnen und Kollegen zu danken,
die in den 50er Jahren der Versuchung - die es vielfach
gegeben hat -, dieses Gebäude abzubrechen, widerstanden und den Mut hatten, nach einer ersten Renovierung
diesen Reichstag wieder als Plenargebäude für Debatten
im Rahmen unserer demokratischen Verfassung zu nutzen.
({1})
Ich freue mich, daß die vibrierende Stadt Berlin uns fordert und uns auch viel stärker mit der Wirklichkeit konfrontiert, als dies im eher beschaulichen Bonn der Fall
war.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute
über 87 Prüfungsbemerkungen zu debattieren und zu
entscheiden, die im Rechnungsprüfungsausschuß gründlich und qualifiziert behandelt worden sind. Ich erspare
mir deshalb, auf diese 87 Bemerkungen im Detail einzugehen.
({3})
Nicht erspare ich mir, zu würdigen, daß die Arbeit im
Rechnungsprüfungsausschuß sachlich erfolgt und das
Klima menschlich ist. Dafür möchte ich den Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich danken; namentlich
danke ich der Vorsitzenden, der Kollegin Uta TitzeStecher, für ihre menschlich geprägte Führung dieses
Ausschusses. Es ist nicht von ungefähr, daß allein im
Rechnungsprüfungsausschuß im Unterschied zu allen
anderen Ausschüssen nur ein Berichterstatter für den gesamten Ausschuß zu einem Tagesordnungspunkt eingesetzt ist. Ich betone ausdrücklich, daß in diesem Ausschuß die Frage, wer auf der Oppositions- und wer auf
der Regierungsbank sitzt, die geringste Rolle spielt und
im Vordergrund die sachliche und qualifizierte Arbeit
steht, fernab jeder Polemik. Ich empfinde es auch als
angenehm, daß sich dies im Wechsel von Regierung und
Opposition nicht verändert hat. Dafür herzlichen Dank
an die Kolleginnen und Kollegen!
({4})
Allein von der Zeit her wären die Abgeordneten nicht
in der Lage, die qualifizierte Arbeit des Controlling zu
leisten, wenn uns nicht ein hervorragender Apparat mit
Argumenten, mit qualifizierten Analysen und mit Sachverstand dabei unterstützte. Dies würdige ich in besonderer Weise und verbinde die Würdigung mit einem
ausdrücklichen Dank an Sie, Frau Präsidentin Dr. Hedda
von Wedel. Wir schätzen Ihre Arbeit, und ich bitte Sie
herzlich, unseren Dank, unsere Würdigung und unsere
Anerkennung auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu übermitteln.
({5})
Ich empfehle, der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 14/1257 zu folgen und
der Bundesregierung die Entlastung für das Haushaltsjahr 1997 mit den Maßgaben zu erteilen, daß den Feststellungen des Haushaltsausschusses und den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zu folgen ist, daß die
Steigerung der Wirtschaftlichkeit nachhaltig zu betreiben ist, daß die Berichtspflichten fristgerecht zu erfüllen
sind
({6})
- natürlich auch vom BMF - und daß die Verhandlungen über einen innerstaatlichen Stabilitätspakt zügig
voranzutreiben sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
gibt der Blick auf den Haushalt 1997 und auf die aktuelle Debatte über Mogelpackungen, über sogenannte
oder vermeintliche Sparpakete auch Anlaß, in den Zeitreihen einmal zu vergleichen, was denn tatsächlich passiert ist. In diesem Zusammenhang stelle ich fest, daß
sich die Höhe des Haushaltes 1997, verglichen mit der
Höhe des Haushaltes 1994, um 30 Milliarden DM verringert hat. Obwohl 30 Milliarden DM weniger für den
Bundeshaushalt 1997 angesetzt wurden, ist die Investitionsquote von 12,8 Prozent im Jahre 1997, verglichen
mit der Investitionsquote von 13 Prozent im Jahre 1994,
nahezu unverändert geblieben.
Ich stelle fest, daß wir als Ergebnis dieser berechenbaren Politik in dieser Zeit ein reales Wachstum
zwischen 2 und 3 Prozent hatten. Dies führte im weiteren Verlauf dazu, daß im Jahre 1998 die Zahl der
Arbeitsplätze in Deutschland um 300 000 zugenommen hat.
Es ist natürlich redlich, in der heutigen Debatte diese
Ergebnisse mit den Ergebnissen zu vergleichen, die die
neue Bundesregierung nach einem Jahr erzielt hat. In
diesem Zusammenhang müssen wir feststellen, daß die
Zahl für das Realwachstum eine Null vor dem Komma
hat. Wir müssen ferner feststellen, daß die Zahl der Arbeitsplätze um 360 000 abgenommen und nicht um
300 000 zugenommen hat. Wenn wir auf die Haushaltszahlen und auf die Finanzplanung blicken - ich denke
dabei an die Vorlage des BMF -, müssen wir außerdem
feststellen, daß das Soll des Jahres 1999 in Höhe von
485,7 Milliarden DM nach der Finanzplanung im Jahre
2003 auf 503,8 Milliarden DM steigen soll.
({7})
Dies ist eine Aufblähung um einen zweistelligen
Milliardenbetrag. Das Bemerkenswerte in diesem Zusammenhang ist - das ist ein Zeichen für eine bemerkenswert falsche Politik -, daß die Investitionsquote
des Bundeshaltes im Jahre 1999 von 12 Prozent nach der
Finanzplanung auf 10,6 Prozent sinken wird. Die Ausgaben, die Arbeitsplätze schaffen und sichern, sollen also dramatisch sinken.
Wenn wir der Redlichkeit halber die Finanzplanung
von Theo Waigel mit der Finanzplanung des Jahres
1999 von Eichel vergleichen, dann können wir feststellen, daß wir am Ende des Finanzplanungszeitraums im
Jahre 2002 eine Erhöhung von 45,3 Milliarden DM haben werden. Die Investitionen im Bereich der Bundesfernstraßen weisen im gleichen Finanzplanungszeitraum
ein Minus von 1,3 Milliarden DM auf, obwohl bekannt
ist, daß überall dort, wo Autobahnen entstanden sind,
sich Wirtschaft angesiedelt hat, neue Arbeitsplätze entstanden sind und Wohlstand gewachsen ist. Das beste
Beispiel ist die Autobahn Deggendorf in Niederbayern.
({8})
Die Politik der neuen Bundesregierung ist eben keine
Politik, die dazu führt, daß Arbeitsplätze in Deutschland
entstehen und Wohlstand und Staatseinkommen steigen
können.
Wenn man auf die Finanzplanung schaut, dann müssen wir ferner feststellen: Entgegen anderslautenden Behauptungen wird die Höhe der Eigenmittelabführung des
Bundes an den EU-Haushalt von 42,9 Milliarden DM im
Jahre 1998 im Finanzplanungszeitraum bis zum Jahre
2003 auf 49,6 Milliarden DM steigen.
Ich komme nun zu der Höhe der Schulden. Wir sind
nicht dagegen, daß gespart wird - ganz im Gegenteil.
Wir haben den Menschen vor der Wahl ehrlich gesagt,
daß gehandelt werden muß.
({9})
Wir haben vor der Wahl die Einführung des Demographiefaktors beschlossen, um die Rente zu stabilisieren und
um die Auswirkungen auf Grund der höheren Lebenserwartung nicht allein auf die Beitragszahler abzuwälzen.
Wir wollten, daß die steigenden Belastungen von den länger lebenden alten Menschen mitgetragen werden.
({10})
Wir haben dies vor der Wahl beschlossen, weil wir den
Handlungsbedarf erkannt haben und weil wir in der Politik ehrlich bleiben wollen.
({11})
Wir wenden uns aber gegen das Täuschungsmanöver
und gegen die Rentenlüge von Schröder. Er hat nämlich
gesagt, er werde den Rentnern nicht in die Tasche langen. Diese Aussage hat unter anderem zu dem Erfolg
der Wahl am 27. September 1998 geführt. Wir wenden
uns gegen diese Lügen.
({12})
- So ist es. - Ebenso wenden wir uns gegen die Schuldenlüge, die jetzt neu entwickelt wird, um von der eigenen Sprache abzulenken, ein ehrliches Sparpaket auf den
Weg zu bringen, wie es unter Theo Waigel erfolgreich
geleistet worden ist.
({13})
Es ist übrigens bemerkenswert: Wenn man - wie vorhin in der Fragestunde - nachfragt, polemisiert Frau
Staatssekretärin Hendricks erst einmal wie auf der Straße.
Wenn man dann weiter nachfragt, wie das mit der Altlastenbeseitigung des Kommunismus war, dann gibt sie zu:
Das sind schon Schulden, zu denen wir uns bekennen.
Herr
Kollege Hollerith, kommen Sie bitte zum Schluß.
Meine Damen und Herren, ich fordere von dieser Bundesregierung mehr Ehrlichkeit ein, mehr Ehrlichkeit und Anstand in der Politik.
Herzlichen Dank.
({0})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Uta TitzeStecher von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hollerith, bei
allem Respekt vor Ihrer motivierten Mitarbeit im Ausschuß und Ihren kollegialen Verhalten, Ihrem Umgangsstil. Was Sie eben gemacht haben, das war nicht die Arbeit eines Berichterstatters zum aufgerufenen Thema,
sondern das war eine veritable Haushaltsrede mit Bewertung des Haushalts 1999 und 2000 sowie der mittelfristigen Finanzplanung.
({0})
- Sie nicken, Sie geben mir auch noch recht. Das heißt,
als Lehrerin würde ich sagen, eine glatte Themenverfehlung.
({1})
Lassen Sie mich, ehe ich zu dem hier wirklich anstehenden Thema, nämlich der Bewertung der Haushaltsund Wirtschaftsführung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 1997 auf der Grundlage der Bemerkungen
des Bundesrechnungshofes, komme, eine kurze, aber aus
meiner Sicht doch notwendige Vorbemerkung machen.
Natürlich entscheidet das Parlament, also Sie alle, die
lieben Kolleginnen und Kollegen, über die Entlastung
der Bundesregierung für ein bestimmtes Haushaltsjahr.
Sie dürfen auch dann ausgehen, daß die Ausschüsse, die
sich mit diesem Thema befaßt haben, insbesondere der
Rechnungsprüfungs- und der Haushaltsausschuß, die
vorliegende Beschlußempfehlung auf Grund sorgfältiger
Beratung verantworten können.
Aber - auch das hat der Berichterstatter vor mir zu
Recht betont und sich auch dafür bedankt - ohne die
ständige Mitarbeit und Zuarbeit, ohne die unbestechliche, beharrliche, sachverständige Prüfung des Bundesrechnungshofs wäre eine Finanzkontrolle, die diesen
Namen verdient, nicht möglich. Deshalb bedanke ich
mich bei der anwesenden Präsidentin - bitte geben Sie
diesen Dank an Ihr Haus weiter - ganz besonders im
Namen des Rechnungsprüfungsausschusses, denn wir
wären ohne ihre Arbeit schlicht verloren; wir könnten
sie nicht leisten.
Diese Arbeit ist allerdings nicht leichter geworden in
Zeiten zunehmender Privatisierung von ehemals staatlichen Unternehmen, drückender Haushaltssorgen, steigender Zinsbelastungen, angesichts unakzeptabler hoher
Staatsschulden und - auch das muß hier gesagt werden sinkenden Bewußtseins in der Gesellschaft dafür, was
des Staates ist, damit er die Aufgaben noch vollziehen
kann, deren Erfüllung wir von ihm erwarten.
In der beschriebenen Situation besteht die reale Gefahr, Prüfungsfeststellungen und Beanstandungen des
Bundesrechnungshofes zu bagatellisieren, wegzudrükken, und sie - ja, auch das kommt vor - von seiten der
Kolleginnen und Kollegen als unangemessen abzuqualifizieren. Der Grund ist leicht nachvollziehbar, denn die
Prüfbemerkungen des Bundesrechnungshofes legen den
Finger in die Wunden, die nicht er, der Rechnungshof,
verursacht hat, sondern eben jene geprüften und beanstandeten Institutionen. Diese begreifen die Feststellungen leider häufig als Majestätsbeleidigung und übersehen dabei, daß jede Prüfungsfeststellung immer auch
Beratungselemente enthält und konkrete Maßnahmen
empfiehlt, also eigentlich und dem Grunde nach als Hilfestellung anzusehen und auch so geplant ist.
Ich habe den Eindruck, daß der Spielraum für die angemessene und unabhängige Arbeit des BRH in den Jahren seit der Einheit ab und an in Gefahr war, beschnitten
und verengt zu werden. Wir alle können daran kein Interesse haben. Wir müssen daran interessiert sein, den
Spannungsbogen zwischen dem, was für eine unabhängige Prüfung erforderlich ist, und dem, was dann die
parlamentarische Prüfung ergibt und für politisch gerechtfertigt hält, auszuhalten.
Rüde Attacken wie die des seinerzeitigen Bundesverteidigungsministers Rühe an die Adresse der Rechnungsprüfer im Zusammenhang mit dem 4. Bericht des
BRH zum Eurofighter - ich erinnere mich noch daran,
als wäre es heute gewesen - sind die Ausnahme.
({2})
- Ja, Herr Austermann, da hören Sie auf zu reden; das ist
klar, Sie sind im Wahlkampf. - Angesichts dieser seriösen Arbeit erlaubte sich der damalige Bundesverteidigungsminister die Attacke, der Rechnungshof verstehe
nichts von der Materie. Solche direkten Ausfälle kommen allerdings zum Glück sehr selten vor.
({3})
Sie schwächen nämlich das Instrument der Kontrolle
zum Schaden von uns allen. Deswegen mein Appell an
die Kollegen: Stärken wir unseren Partner Bundesrechnungshof zum Nutzen von uns allen. Meine Bitte an den
Bundesrechnungshof: Zu Resignation besteht kein Anlaß; bleiben Sie ein loyaler, unabhängiger und hartnäkkiger Berater. Dann wird es uns gemeinsam gelingen,
zum Beispiel die notwendigen Strukturreformen in der
öffentlichen Verwaltung und anderen Bereichen durchzusetzen.
({4})
Ich komme nun zum Thema, der Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1997 und den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes dazu. Mir ist
vollkommen klar, warum mein Vorredner über die Bemerkungen elegant mit dem Satz hinwegwischte, es seien so viele - nämlich 87 -, daß wir sie nicht alle ausbreiten könnten; sonst müßten wir bis morgen früh reden. Herr Hollerith, ich verstehe das; denn diese Bemerkungen beleuchten ein veritables Sündenregister. - Da
lachen Sie nur; das sagt mir genug.
Der Bundesrechnungshof hat bei seiner Prüfung der
Jahresrechnung 1997 hinsichtlich des kassenmäßigen
Ergebnisses keine für die Entlastung der Bundesregierung relevanten Abweichungen festgestellt. Dieser Bewertung haben sich die zuständigen Ausschüsse einstimmig angeschlossen.
Aber es wurde einzelnes beanstandet, zum Beispiel
das ewige Ärgernis unvollständiger und unzutreffender
Angaben insbesondere bei der Ausweisung überplanmäßiger Ausgaben. Das Thema hat uns zu Recht sehr
häufig beschäftigt. Ich erwarte und hoffe - in Anwesenheit des zuständigen Staatssekretärs -, daß die sorgfältige Anwendung der bestehenden haushaltsrechtlichen
Bestimmungen durch die jetzige Bundesregierung solche Beanstandungen in Zukunft überflüssig macht.
Auch die Entwicklung der Ausgabereste gibt Anlaß
zur Kritik. Seit 1992 sind die Ausgabenreste Jahr für
Jahr gestiegen. Das ist zum Teil eine Folge der Flexibilisierung des Haushaltsrechts, der wir alle zugestimmt haben. Aber um die Tendenz, Haushaltsrisiken in Folgejahre zu verlagern, zu stoppen, müssen wir diese Entwicklung sorgfältig beobachten, um unter Umständen
zusammen mit dem Bundesrechnungshof die geeigneten
Instrumente zu entwickeln, um das parlamentarische
Budgetrecht sicherzustellen.
Ein echtes Ärgernis ist für uns das Thema globale
Minderausgaben. Die im Nachtragshaushalt 1997 ausgebrachte globale Minderausgabe von 5,1 Milliarden
DM wurde zwar voll erbracht. Es wurde aber nicht dargestellt, bei welchen Haushaltsstellen eingespart wurde.
Die Begründung für diese Unterlassung ist mehr als fadenscheinig: Der Haushaltsgesetzgeber habe den genau
untergliederten Ausweis in der Jahresrechnung nicht
vorgegeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der jetzigen
Opposition, damals verantwortlich für diese Misere, da
kann ich nur laut lachen. Die damalige Opposition hat
vernehmlich - aber angesichts der Mehrheitsverhältnisse
leider vergeblich - gegen diese Praxis protestiert, die der
Bundesrechnungshof jetzt kritisiert.
({5})
Sie führt dazu, daß der Haushaltsgesetzgeber, nämlich
das Parlament, nicht vollständig über den Haushaltsvollzug unterrichtet wird. Sie werden diese Art des Umgangs mit dem Budgetrecht, die sogenannte haushaltsmäßige Selbstkastrierung, bei uns nicht erleben.
({6})
- „Haushaltsmäßig“ habe ich vor das Wort „Kastrierung“ gesetzt.
Die Nettokreditaufnahme lag im Haushaltsvollzug
1997 um 7,325 Milliarden DM höher als die Summe der
Ausgaben für Investitionen. Kenner wissen, was das
heißt - da klingeln einem die Ohren -: Dann ist ein
Bundeshaushalt schlicht verfassungswidrig. Das haben
Sie sich nicht nur 1996, sondern noch einmal 1997 geleistet. Dem Vorwurf, einen verfassungswidrigen Haushalt zu fahren, sind Sie nur dadurch knapp entgangen,
daß Sie bei der Aufstellung des Nachtragshaushaltsgesetzes 1997 die Überschreitung der verfassungsrechtlichen Kreditobergrenze - Art. 115 des Grundgesetzes mit einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts begründet haben. Ich habe dafür sogar Verständnis: Die Lage auf dem Arbeitsmarkt und der Rückgang
der Beschäftigung mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Staatskassen waren der Grund. Aber das war
voraussehbar. Sie haben bei der Aufstellung des Haushaltsplans schlicht gemogelt. Ich stelle aber fest, daß im Gegensatz zum Haushaltsjahr 1996 - mit der Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers, einen Nachtragshaushalt vorzulegen, die Verfassungsmäßigkeit des
Bundeshaushalts hergestellt war. Daran ist also nicht zu
rütteln.
Kritisch sehen wir auch die Kreditermächtigungen
für das Haushaltsjahr 1998; dabei handelt es sich um
einen Brocken von 10 Milliarden DM. Wir denken, ein
Rückgriff darauf sollte erst dann erfolgen, wenn die im
Haushaltsplan veranschlagte Ermächtigung zur Nettokreditaufnahme bis zum Anschlag verbraucht ist. Sonst
ist der Vorwurf der Trickserei angebracht.
Ich kann mich Ihrer Bewertung, Herr Hollerith, einfach nicht anschließen, daß bei Waigel alles okay war
und Sie uns einen geordneten Haushalt übergeben haben. Wovon reden wir eigentlich?
({7})
Wir reden sicher nicht von derselben Sache. Was mich
in meiner Kritik bestärkt, ist, daß ich mich auf Zahlen
und Fakten des Bundesrechnungshofes, nun wirklich ein
unparteiischer Berater und Prüfer, beschränke.
Die Höhe der Finanzschulden des Bundes ist bekannt; darauf bräuchte ich nicht einzugehen. Ich komme
Ihnen aber trotzdem einmal mit der alten Leier, damit es
auch die hören, die es bisher noch nicht vernommen haben: Bis zur deutschen Einheit haben sich die Schulden,
die Sie von Ex-Kanzler Schmidt übernommen haben,
verdoppelt, und zwar ohne Grund. Nach der Einheit haben Sie die bereits verdoppelten Schulden noch einmal
verdoppelt. In Zahlen: Von 1987 bis 1997 sind ausweislich des Bundesrechnungshofes die Schulden des Bundes auf rund 955 Milliarden DM angestiegen. Dies ist
im Rahmen der Aktuellen Stunde von einer Kollegin bereits lang und breit erklärt worden. Der Schuldenstand
erreicht im Jahre 2002 rund 1 554 Milliarden, also gut
1,5 Billionen DM.
({8})
Und da reden Sie von geordneten Staatsfinanzen! Wir
treten eine Erblast an, gekennzeichnet - jetzt zitiere
ich aus dem Bericht des Bundesrechnungshofs durch ein hohes Finanzierungsdefizit, stark steigenden Schuldenstand und steigende Zins- und Tilgungsausgaben.
Das Problem ist, daß wir uns für die schönen Dinge,
zum Beispiel für Kunst und Kultur, kaum noch rühren
können. Um aus dieser Finanzwirtschafts- und Zinsenfalle herauszukommen, wird durch die Auflage des Zukunftsprogramms 2000 zum ersten Mal eine seriöse
Perspektive für die Sanierung der Staatsfinanzen eröffnet. Ich kann nur hoffen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der jetzigen Opposition, daß Sie es bei der Sanierung der Staatsfinanzen ehrlich meinen mit Ihren
ewigen Versprechungen „Sparen ja; es kommt nur darauf an, wie“. Wir hoffen auf Ihre massive Hilfe, damit
uns solche Berichte, wie sie hier zu debattieren sind, in
der Zukunft nicht mehr vorgelegt werden.
({9})
Ich muß allerdings hinzufügen, daß uns Festlegungen aus früheren Haushaltsjahren mit entsprechenden
Ermächtigungen durch Haushaltsgesetze noch schwer zu
schaffen machen - Stichwort Eurofighter.
({10})
Allein bis Ende 1997 haben wir 170 Milliarden DM an
Ermächtigungen zusammenbekommen. Bis zum Jahre
2008 werden die Verpflichtungen zur Leistung von Versorgungsaufgaben vermutlich 30 Milliarden DM betragen. Dabei lasse ich die demographische Entwicklung
zunächst einmal außer acht. Auch das, was über die EUBeamtenschaft an Versorgungsverpflichtungen auf uns
zukommen wird, ist noch gar nicht einbezogen.
({11})
Herr Eichel hat mit diesem Sparpaket, so denke ich,
Herr Kollege Kalb, die Notbremse gezogen, um auch in
Zukunft für künftige Verpflichtungen unseren Gestaltungsspielraum wahrnehmen zu können.
Da wir schon bei den Details der Erblast sind und Sie
dies ständig brüllenderweise bestreiten, habe ich noch ein
anderes Stichwort auf Lager: Gewährleistungen. Herr
Kalb, was ist denn damit? Schon Mitte des Jahres 1997
lag die Haftungssumme des Bundes bei knackigen 433
Milliarden DM. Wenn uns auch noch die hohen Belastungen für künftige Bundeshaushalte durch verstärkte Inanspruchnahme des Bundes aus diesen Gewährleistungen,
die Sie zu verantworten haben, treffen, dann gnade uns
Gott. Deswegen müssen wir national - das macht die
neue Regierung - die Verschuldung zurückfahren. Allerdings muß uns daran gelegen sein, international verbindliche Regularien für die Finanzmärkte zu entwickeln.
Wir bitten Sie, der Empfehlung des Bundesrates zu
folgen und der Bundesregierung die Entlastung für 1997
zu erteilen.
In einem letzten Satz möchte ich allerdings noch etwas ansprechen, was wir von Ihnen geerbt haben: Seit
1992 verhandeln Sie ergebnislos, erfolglos. Sie wissen,
was ich meine, nämlich die koordinierte Finanzpolitik
zwischen Bund und Ländern. Wegen des finanziellen
Sanktionsrisikos der EU müssen wir hier zu Ergebnissen
kommen. Wir haben in diesem Bereich ein Nullum vorgefunden. Das heißt: Wenn wir jetzt den Referenzwert
um nur einen Punkt überschreiten, dann trifft uns eine
Sanktion in zweistelliger Milliardenhöhe, und zwar nur
den Bund, weil sich die Länder bisher weigern, bei der
interstaatlichen Haftung mitzumachen, einen innerstaatlichen Stabilitätspakt zu verankern.
Ich bitte das Finanzministerium dringend, zu einer für
alle Ebenen - inklusive der Sozialversicherung - einvernehmlichen Lösung zu kommen, weil wir alle dafür
Verantwortung tragen.
Frau
Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
Herr Präsident, ich
schließe mit dem Dank an all die Personen, die unermüdlich - oft ohne Blick auf die Uhr - für unser leibliches und mentales Wohl gesorgt haben, insbesondere
an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den beiden
Ausschußsekretariaten des Haushalts- und Rechnungsprüfungsausschusses.
Ich danke auch meinem Vorgänger im Amt - so wie
Sie es mir gegenüber getan haben, Herr Hollerith -; Herr
Pützhofen hat die Sitzungen straff, charmant und effizient durchgeführt.
({0})
Dafür bedanke ich mich.
Ich bedanke mich bei all denen, die in verantwortlicher
Position für uns gearbeitet haben, zum Beispiel bei Herrn
Müller, und bei denen, die jetzt für uns arbeiten, zum Beispiel bei Frau Pendzich von Winter, sowie bei Ihnen, meine
lieben Kollegen und Kolleginnen aus dem Rechnungsprüfungsausschuß, für Ihre motivierte Arbeit, unsere gute Zusammenarbeit und auch unsere gegenseitige Geduld.
({1})
Als
nächster Redner hat der Kollege Oswald Metzger vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Austermann, man hat als Mitglied einer kleineren
Fraktion manchmal das arbeitsame Vergnügen, in verschiedenen Ausschüssen zu sitzen. Ich bin auch hier als
Berichterstatter zuständig. Deshalb kommt es hier zu
dieser Doppelrolle.
Das Sprichwort „Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit
Steinen werfen“ fiel mir ein, als Kollege Hollerith nach
einem charmanten Auftakt und dem Dank an den Rechnungshof und die zuständigen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter plötzlich ein gigantisches Ablenkungsmanöver startete. Er sprang nämlich vom Jahre 1997 auf das
Hier und Jetzt. Zudem hat er von damaligen hohen
Wachstumsraten gesprochen.
Ich komme auf die Jahresrechnung 1997 zurück, für
die wir der ehemaligen Bundesregierung Entlastung erteilen wollen, und stelle fest: Die damalige Regierung
mußte auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit das Instrument der Feststellung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Anspruch nehmen dies war in der Wissenschaft außerordentlich umstritten
und wurde auch von den Ökonomen kritisiert -, um die
Überschreitung der Verschuldungsgrenze grundgesetzkonform möglich zu machen.
({0})
Das war ein finanzpolitischer Offenbarungseid, den
die damalige Opposition, die SPD und das Bündnis 90/
Die Grünen, bereits bei der Haushaltsverabschiedung im
Frühjahr 1997 beklagt hatte. Eine Überveranschlagung
bei den Einnahmen und eine Unterveranschlagung bei
den Ausgaben hat damals mit dramatischer Stärke
durchgeschlagen. Sie alle wissen - Kollegin TitzeStecher hat zu Recht darauf hingewiesen -: 1996 wurde
im Haushaltsvollzug die Verschuldungsgrenze sogar
überschritten. Dazu ist ja in Karlsruhe eine Verfassungsklage einer großen Fraktion anhängig.
Wer also in der jüngeren Vergangenheit - das ist ja
erst zwei Jahre her - gräbt, merkt, daß die ehemalige
Regierung höllisch aufpassen muß, wenn sie jetzt solidere Haushalte wie zum Beispiel den des Jahres 1999 und
das Konsolidierungsprogramm angreift.
Ich möchte auf einen Punkt im Zusammenhang mit
dem Thema Glaubwürdigkeit und Umgang der neuen
Regierung mit den Empfehlungen des Rechnungshofes
hinweisen. Der Rechnungshof hat in bezug auf die Kreditermächtigungen einen sehr richtigen Hinweis gegeben, nämlich den auf die Untugend, daß sich Finanzminister in der Vergangenheit mehr Kreditermächtigungen
vom Parlament haben genehmigen lassen, als tatsächlich
in Anspruch genommen wurden. Sie haben dann die alten, nicht verbrauchten Kreditermächtigungen jeweils
klammheimlich auf das neue Haushaltsjahr übertragen,
so daß sie eine richtige Bugwelle von Ermächtigungen
zur Schuldenaufnahme vor sich hergeschoben haben.
Daraus hat die neue Regierung glaubwürdige Konsequenzen gezogen.
({1})
Wir haben mit dem Haushaltsgesetz dieses Jahres damit
Schluß gemacht - denn als Opposition haben wir die
damalige Praxis kritisiert - und haben eine Begrenzung
der Übertragbarkeit von alten Kreditermächtigungen auf
folgende Haushaltsjahre auf sehr niedrige, einstellige
Milliardenbeträge durchgesetzt.
Daran ist zu erkennen: Der Rechnungshof, dem nur
die Kraft seiner Argumente zur Verfügung steht - er
wird ja oft als Ritter ohne Schwert bezeichnet -, hat
immer dann, wenn Regierungen glaubwürdig bleiben,
wenn sie also die Kritik, die sie als Opposition geäußert
haben, in konkretes Handeln umsetzen, eine Chance,
sich durchzusetzen. Beim Stichwort Kreditermächtigungen haben wir entsprechende Konsequenzen gezogen.
Ein weiteres Stichwort ist die globale Minderausgabe.
({2})
Nächste Woche können wir erleben, daß die heutige
Opposition der heutigen Regierung vorwerfen wird, daß
globale Minderausgaben in Höhe von rund 5 Milliarden
DM im Etat 2000 veranschlagt worden sind, die noch
nicht kapitelgenau belegt sind. Wir, der Finanzminister
und die haushaltspolitischen Sprecher der Regierungsfraktionen, haben im Juni dieses Jahres in diesem Parlament erklärt: Im Rahmen der Haushaltsberatungen
2000 werden diese globalen Minderausgaben titelgenau
aufgelistet. Warum haben wir das erklärt? Weil in der
Jahresrechnung des Jahres 1997 der damaligen Regierung ins Stammbuch geschrieben wurde, sie habe den
Haushaltsgesetzgeber nicht komplett über die Haushaltsrechnung aufgeklärt, weil in der Jahresrechnung über
5 Milliarden DM nicht titelgenau in der Ausgabenübersicht belegt waren. Was der Rechnungshof zu Recht
anmahnt, lassen wir bei der Aufstellung des Etats 2000
auch gegen uns gelten.
({3})
Wir werden die globalen Minderausgaben belegen. Da
sind wir im Wort, und das werden wir auch tun.
Letzter Gesichtspunkt. Ich habe es schon angedeutet:
Der Rechnungshof lebt von der Kraft seiner Argumente.
Ich wünsche mir, daß auch diese Regierung - in Oppositionszeiten haben wir beklagt, daß bestimmte Minister
mit Berichten des Rechnungshofs, höflich ausgedrückt,
fahrlässig umgegangen sind, um nicht zu sagen, sie haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rechnungshofes in Sitzungen der Berichterstattergruppen wie Schuljungen abgekanzelt - in der Lage ist, auch sie treffende
kritische Berichte entgegenzunehmen, die Aufgabe, die
dem Bundesrechnungshof zukommt, zu akzeptieren auch wenn es wehtut -,
({4})
und, wenn nötig, die notwendigen Konsequenzen daraus
zu ziehen.
Ich sage zumindest für meine Fraktion: Wir werden
dem Bundesrechnungshof auch aus einem veränderten
Blickfeld heraus - jetzt als Regierungspartei - nach wie
vor die notwendige Aufmerksamkeit schenken.
({5})
Ich hoffe, daß der Rechnungshof seine wichtige Controlling-Aufgabe gegenüber dem Parlament und dem Finanzministerium mit Engagement wahrnimmt.
Vielen Dank.
({6})
Das
Glockenzeichen, das wir eben gehört haben, war kein
Telefon, sondern die Glocke, die zur Abstimmung ruft.
Das schallt vom Gang so in den Plenarsaal hinein. Ich
denke, das muß man technisch noch anders lösen. Damit
wollte ich erklären, woran das liegt.
({0})
- Es braucht niemand geweckt zu werden; alle sind
wach und voll bei der Debatte.
Als nächster Redner hat der Kollege Jürgen Koppelin
von der F.D.P-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Zuerst einmal möchte ich für
die F.D.P. den Dank für die gute Zusammenarbeit, die
wir im Rechnungsprüfungsausschuß haben, aussprechen. Das mag auch an der guten Führung gelegen haben: In der letzten Legislaturperiode war es der Kollege
Pützhofen, dem ich ausdrücklich danke, und jetzt ist es
die Kollegin Titze-Stecher, die die Führung des Rechnungsprüfungsausschusses übrigens viel netter macht,
als sie sich heute bei ihrer Rede teilweise präsentiert hat.
Das will ich einmal sagen, liebe Kollegin. Einen recht
herzlichen Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
im Ausschußsekretariat und natürlich auch dem Rechnungshof, an seine Präsidentin und an die dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter!
Vor dem Hintergrund immer knapper werdender
Mittel in den öffentlichen Haushalten auf der einen Seite
und der Fülle auch neuer Staatsaufgaben auf der anderen
Seite gewinnt, so meine ich, die Haushaltskontrolle
zukünftig immer mehr an Bedeutung. Ich würde mir,
Frau Präsidentin, wünschen, wenn der Bundesrechnungshof uns zukünftig mit seinen Bemerkungen vielleicht noch etwas zeitnäher begleiten und unterrichten
könnte. Das wäre für unsere Arbeit sicher von großem
Vorteil. Auf diesem Weg können wir anstehende Vorhaben und deren Umsetzung im Vorfeld schnell und
wirksam kontrollieren und gegebenenfalls - das halte
ich für wichtig - auch beeinflussen.
Mit den Feststellungen zur Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1997
wird ein Jahresabschlußbericht vorgelegt, der Auskunft
über den gesetzestreuen Vollzug der Parlamentsbeschlüsse und darüber gibt, ob es einen sparsamen und
wirtschaftlichen Umgang mit den Steuergeldern gegeben
hat.
Im Jahr 1997 hatten wir - das ist bei den Ausführungen des Kollegen Metzger leider verschwiegen worden,
weil er ein bestimmtes Szenario für das fragliche Jahr
gezeichnet hat - eine schwierige Arbeitsmarktentwicklung und ein deutliches Zurückbleiben der Steuereinnahmen. Das hatte natürlich schwerwiegende Belastungen für den öffentlichen Haushalt des Bundes zur Folge.
Aus diesem Grund mußte der Bund - das ist heute schon
angesprochen worden - einen Nachtragshaushalt erstellen. Die Belastungen mit einer Höhe von etwa 30 Milliarden DM waren immens. Bei der Gelegenheit darf ich
einmal sagen, daß es uns gelungen ist, über 5 Milliarden
DM im Haushalt einzusparen. Von Haushaltsüberschüssen will ich gar nicht sprechen,
({0})
um es nicht zu kompliziert zu machen und um nicht all
das zu konterkarieren, was der Kollege Metzger vorgetragen hat; denn darüber hat er natürlich nicht gesprochen, weil das eine positive Seite war. 1997 war ein außerordentlich schwieriges Jahr. Ich kann für die F.D.P.
feststellen, daß in diesem Jahr haushaltsmäßig solide gearbeitet worden ist und daß der Bundesregierung deswegen Entlastung zu erteilen ist.
Ich will in dieser Aussprache einen Punkt ansprechen,
der mir bisher in allen Bemerkungen noch gefehlt hat.
Ich meine die internationalen Einrichtungen. Dazu
gibt es im Bericht des Rechnungshofes nur eine kurze
Bemerkung. Wenn die Bundesrepublik Deutschland
schon Mitglied in vielen internationalen Einrichtungen
ist - im Bericht wird ausgeführt, daß wir etwas über
6 Milliarden DM dafür zahlen -, dann kann es, finde ich,
nicht nur die Aufgabe des Rechnungshofes sein, zu
schauen, ob diese Zahlungen auch erfolgt sind. Uns
fehlen nämlich die Informationen über die Verwendung.
Ich meine, es ist dringend notwendig, als großer
Zahler bei internationalen Einrichtungen mehr ÜberOswald Metzger
prüfungsmöglichkeiten zu bekommen, ob die gezahlten
Gelder wirklich zweckmäßig eingesetzt wurden und ob
die Mitgliedschaft - ich würde sogar so weit gehen - bei
einer Organisation überhaupt noch sinnvoll ist. Es gibt
durchaus Bereiche - ich will das hier bewußt nicht ansprechen -, wo man sagen könnte: Hier könnten wir uns
aus der Mitgliedschaft verabschieden. Hier wünsche ich
mir noch mehr Kontrolle.
Wir als F.D.P. - ich wäre gar nicht darauf eingegangen, aber das will ich sagen, weil hier vom sogenannten
Sparpaket des Ministers Eichel die Rede war - sind
natürlich bereit, den jeweiligen Minister bei jedem
Sparkonzept, das vernünftig gehandhabt wird, zu unterstützen. Ich glaube sogar, das wollen alle Mitglieder des
Haushaltsausschusses. Hierüber gibt es überhaupt keine
Diskussion.
({1})
- Lieber Kollege Andres, vielleicht wäre es besser, auf
der Regierungsbank zu sitzen und nicht dort, aber ich
kenne den aktuellen Stand hinsichtlich der Bildung der
Bundesregierung nicht.
({2})
Aber wenn Sie schon von Sparpaket und von Spar-
zielen reden, dann muß ich sagen: Die Vorwürfe an die
alte Regierung, die ich heute gehört habe, sind heiße
Luft. Sie müssen sich erst einmal das Sparpaket von
Herrn Eichel ansehen. Herr Eichel präsentiert uns ein
Sparpaket von 30 Milliarden DM. Das verkauft er den
Medien und der Öffentlichkeit. Wenn man sich das an-
sieht, stellt man fest - dazu braucht man sich noch nicht
einmal eine Brille aufzusetzen -, daß es unglaublich
viele Positionen gibt, die überhaupt nicht geklärt sind
oder bei denen man sagen muß: Man bedient sich bei
anderen.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Bri-
gitte Baumeister [CDU/CSU]: Das stimmt!)
Man bedient sich bei den Ländern. Man bedient sich
beim Wohngeld, man bedient sich hier, man bedient sich
da. Sie gehen sogar so weit - das wird die Haushaltsberatung demnächst zeigen, das müssen Sie sich einmal
vorstellen; das hätte ich von Sozialdemokraten nie gedacht -, daß Sie sich bei den deutschen sozialen Verbänden bedienen; Stichwort: Zivildienst. Dort bedienen
Sie sich mal eben mit 600 Millionen DM.
({3})
Sie kassieren bei den sozialen Verbänden ab. Das darf
doch wohl nicht wahr sein.
({4})
Auch die globale Minderausgabe von über 5 Milliarden DM ist schon angesprochen worden. Wir schauen
einmal, wie das aussieht.
({5})
- Wenn diese Zurufe kommen, will ich Ihnen noch eine
Gruppe nennen, die Sie unverschämt radikal abkassieren. Das sind zum Beispiel die Landwirte.
({6})
An diese gehen Sie in einer Weise ran, die ein einziger
Skandal ist.
Man sollte sich nicht nur hier hinstellen und auf die
alte Regierung schimpfen. Schauen Sie sich Ihr eigenes
Sparpaket an. Aber das wird Sie alles wieder einholen.
Ich meine, daß so manche Ausgabe, die diese Regierung
getätigt hat, ein Fall für den Rechnungshof sein wird.
Ich bin sicher, daß wir im Rechnungsprüfungsausschuß
so manchen guten Ausgabenbekannten dieser Bundesregierung bald wiedertreffen werden.
({7})
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({8})
Als
nächster Redner hat der Kollege Uwe-Jens Rössel von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch die PDS-Fraktion befürwortet die Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 1997. Die politische Quittung für den damaligen Haushalt hat die Kohl-Waigel-Regierung ohnehin schon mit der Bundestagswahl 1998 erhalten.
({0})
Auch ich will gern die Gelegenheit nutzen, um mich
an dieser Stelle bei Frau Präsidentin von Wedel und bei
ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich
für die wertvollen Prüfungsergebnisse zu bedanken. Die
Arbeit des Bundesrechnungshofes genießt in der PDSFraktion eine hohe Wertschätzung. Wir erwarten von
der jetzigen Bundesregierung, daß sie weit mehr Engagement und weit mehr Konsequenz als die Vorgängerkoalition bei der Umsetzung der Kontrollfeststellungen
des Hofes zeigt.
Dank sagen will ich auch ausdrücklich für das Wirken des Rechnungsprüfungsausschusses unter der Leitung der verdienstvollen Kollegin Uta Titze-Stecher.
({1})
Die Prüfung der Haushaltsrechnung 1997 macht erneut die immense Verschwendung öffentlicher Gelder
und auch Mißwirtschaft von Bundesbehörden deutlich. Daran hat sich leider bis heute nur wenig geändert.
Damals war und heute ist sehr kritikwürdig die Arbeit
mit Investitionszulagen, deren Bedeutung für die Wirtschaftsförderung in den neuen Bundesländern spürbar
zugenommen hat. Durchschnittlich jeder dritte Antrag in
den Finanzämtern wird falsch bearbeitet. Allein dadurch
entstehen dem Bund jährlich Einnahmeausfälle bis zu
500 Millionen DM.
Überhaupt lassen Bund und Länder - etwas zugespitzt formuliert - Steuergelder in mehrfacher Milliardenhöhe auf der Straße liegen, weil Betriebsprüfungen
unkontinuierlich und teilweise mangelhaft durchgeführt
werden. Das ist unverantwortlich, meinen wir, gerade in
einer Situation, in der die Schröder-Eichel-Regierung
mit dem sogenannten Sparpaket 2000 die Verschuldung
des Bundeshaushaltes überwiegend auf Kosten von
Rentnerinnen und Rentnern, von Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern abbauen will. Zugleich soll ein
Drittel des Einsparvolumens den ohnehin arg gebeutelten Kommunen aufgedrückt werden. Solche Praktiken
lehnen wir ganz entschieden ab.
Vergegenwärtigen wir uns: Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer werden hinsichtlich ihres Einkommens hundertprozentig überprüft, Kleinbetriebe nur zu 4,3 Prozent, Groß- und Mittelbetriebe zwischen 7,9 und 20 Prozent.
Betriebsprüfungen müssen dringend ausgebaut werden; der Veränderungsbedarf ist unerhört. Das Problem
der unzureichenden Betriebsprüfung und auch der ungenügenden Steuerfahndung liegt nach Ansicht des Bundesfinanzministeriums allein in der Steuerhoheit der
Länder begründet. Dem ausdrücklich widersprechend,
stellt der Bundesrechnungshof jedoch fest, daß im Rahmen seiner Fach- und Rechtsaufsicht das Bundesfinanzministerium für die zutreffende Besteuerung im
Bundesgebiet verantwortlich ist. Minister Eichel und
Staatssekretär Diller können sich also um diese Aufgabe
wohl nicht mehr länger herummogeln, da sie ja mit
Macht und Konsequenz das Sparpaket gegen den Willen
von Millionen Wählerinnen und Wählern durchpeitschen wollen.
Herr
Kollege Rössel, kommen Sie bitte zum Schluß.
Daher bitten wir um
Unterstützung für den Antrag der PDS-Fraktion, die
Betriebsprüfungen deutlich auszubauen und die Steuerfahndung zu qualifizieren. Es ist eine Aufgabe, die uns
allen hilft, soziale und ökologische Projekte durchzusetzen.
Vielen Dank.
({0})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem
Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1997
und zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
1998, Drucksache 14/1257. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich, Michael Goldmann, Dr. Karlheinz
Gutmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
CO2-Ausstoß im Gebäudebereich senken
- Drucksache 14/660 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ich höre, daß diese Reden dieses Tagesordnungspunktes zu Protokoll gegeben werden sollen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein.
Vielen Dank.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/660 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Monika Brudlewsky, Georg Brunnhuber, Manfred
Carstens ({1}) und weiteren Abgeordneten
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Arzneimittelgesetzes
- Drucksache 14/1184 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({2})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Norbert Geis von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({3})
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesinstitut
für Arzneimittel und Medizinprodukte hat am 6. Juli im
Rahmen eines Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung innerhalb der Europäischen Union dem Antrag auf
Zulassung von Mifegyne zugestimmt. Durch eine Änderung des Arzneimittelgesetzes hat dieses Parlament vor
der Sommerpause den Vertriebsweg geregelt, so daß gesichert ist, daß wenigstens vom Gesetz her die Vorschriften der §§ 218ff. gewahrt bleiben können.
Der Zulassung ist harte Kritik vorausgegangen, insbesondere von der Katholischen Kirche, hier besonders
von Kardinal Meisner,
({0})
der diese Zulassung für einen Rechtsbruch hält. Kritisiert hat diese Zulassung auch die Ministerin für Soziales in Bayern, Barbara Stamm, die in der Zulassung eine
Bagatellisierung der Tötung ungeborener Kinder sieht.
Kritik kam auch von ganz unvoreingenommener Seite,
nämlich von amerikanischen und französischen Feministinnen, die für sich den Anspruch auf Abtreibung reklamieren, die aber wegen der Nebenwirkungen vor Mifegyne warnen, ebenso der deutsche Abtreibungsarzt Stapf.
Die Zulassung von Mifegyne wurde dagegen aus den
Reihen der F.D.P., der Grünen und der SPD begrüßt. Eine lange Kampagne hat ihr Ziel erreicht, eine Kampagne, der sich zum Schluß auch der Bundeskanzler angeschlossen hat.
Ich meine jedoch, daß die Freigabe von Mifegyne
nicht auf eine Methodenfrage reduziert werden kann, auf
die Frage, ob eine Alternative zum chirurgischen Abbruch vorgesehen werden sollte. Es geht bei dem Einsatz
von Mifegyne um die Tötung noch nicht geborener Kinder. Das ist die Realität. Darauf muß man sich besinnen,
wenn man über diese Frage diskutiert. Der Staat ist dazu
da, Leben zu schützen. Das ist sein eigentlicher Auftrag.
Deswegen gibt es ihn überhaupt. Darin liegt seine Berechtigung. Deshalb hat auch ein so profilierter Rechtspolitiker wie Adolf Arndt von der SPD so leidenschaftlich gegen die Freigabe der Abtreibung gekämpft. Wir
meinen, daß in der Abtreibung selbst ein Bruch der
staatlichen Verpflichtung, Leben zu schützen, zu sehen
ist. Wir meinen, daß dieser Bruch durch Mifegyne verstärkt werden könnte. Das ist unsere Befürchtung.
Mit unserem Gesetzentwurf wenden wir uns deshalb
gegen die Genehmigung dieses Mittels. Aber wir fassen
unseren Gesetzentwurf weiter. Wir wollen die Herstellung und den Vertrieb von jeglicher chemischer Substanz verbieten, die dazu geeignet ist, menschliches Leben zu töten. Ein solches Verbot ist einem Kulturstaat
gemäß. Der Staat - ich habe das schon gesagt - hat die
Aufgabe, menschliches Leben zu schützen. Er kann
nicht Mittel einsetzen und zulassen, mit denen menschliches Leben getötet werden kann. Das ist jedenfalls unsere Auffassung.
({1})
Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir klarstellen,
daß ein Arzneimittel ausschließlich den Zweck hat, zu
heilen, zu lindern oder Krankheiten zu verhindern. Mifegyne ist in diesem Sinn kein Arzneimittel, ganz gewiß
nicht; denn die Schwangerschaft ist keine Krankheit,
und die Tötung des ungeborenen Lebens ist kein Heilungsvorgang. Das kann man jedenfalls so nicht sehen.
Deshalb stimmen wir mit Kardinal Meisner überein,
wenn er ankreidet, daß das Institut für Arzneimittel und
Medizinprodukte eigentlich falsch gehandelt hat. Es
hätte mangels Kompetenz dieses Mittel nicht zulassen
dürfen. Es war dafür nicht zuständig.
Man muß bedenken, daß dieses Institut bei der Zulassung von Arzneimitteln zwei Punkte zu berücksichtigen
hat, nämlich zum einen die Frage, ob die Nebenwirkungen zu hart und zu groß sind und ob sie in den Griff zu
bekommen sind - das muß bei jedem Arzneimittel geprüft werden -, und zum anderen die Frage, ob überhaupt die medizinische Wirkung erzielt werden kann,
die man sich von dem Arzneimittel verspricht. Diese
zwei Punkte muß das Institut prüfen. Schon beim ersten
Punkt gibt es große Schwierigkeiten. Es gibt viele Meldungen, die besagen, daß die Nebenwirkungen von Mifegyne so groß sind, daß es eigentlich nicht zugelassen
werden sollte. Ich habe vorhin die amerikanischen und
französischen Feministinnen ebenso wie den Abtreibungsarzt Stapf zitiert. Es wird darauf hingewiesen, daß
das Mittel zu übermäßigen Blutungen führe. Es gebe die
Gefahr von Kreislaufstörungen, ja sogar die des Herzinfarktes. All diese Umstände zwingen die Frau, sich einer
starken Kontrolle durch den Arzt zu unterziehen. Das ist
richtig und auch notwendig. Nur durch diese Kontrolle
können die Nebenwirkungen in den Griff bekommen
werden. Aber dadurch entstehen auch große psychische
Belastungen für die Frau, die nicht übersehen werden
dürfen; denn sie erlebt ja durch das Einnehmen des Präparats den langsamen Tod des Kindes, das regelrecht
verhungert. Dies ist die Wirkung des Präparates. Das
erlebt die Frau und gerät dadurch natürlich in große psychische Probleme, die oft weit länger dauern als der
Abtreibungsvorgang selbst. Häufig rufen betroffene
Frauen nach der Einnahme des Präparates beim Arzt an
- jedenfalls wird es so berichtet - und fragen, ob es
nicht möglich sei, dies rückgängig zu machen. Die Nebenwirkungen sind nach meiner Meinung also nicht so
ohne. Man muß sie bedenken. Auch das wollen wir in
unserem Antrag mit berücksichtigen.
Der zweite Prüfungspunkt ist, ob durch dieses Mittel
die medizinische Wirkung erreicht werden kann. Es
stockt einem der Atem; denn die medizinische Wirkung
dieses Mittels ist die Tötung menschlichen Lebens.
Deswegen kann dieses Mittel niemals als Arzneimittel
verstanden werden, es sei denn, man macht einen geistigen Salto mortale. Das wollen wir mit unserem Gesetzentwurf ebenfalls klarstellen. Ich meine, eine solche
Klarstellung ist dringend erforderlich.
Das Hauptargument gegen diejenigen, die sich gegen
die Einführung des Mittels wenden, ist, sie wollten lieber den chirurgischen Eingriff, um auf diese Weise die
Frauen vor der Abtreibung abzuschrecken. Da die Abtreibung in Deutschland aber grundsätzlich möglich ist,
müsse es, so ist das Argument, grundsätzlich erlaubt
sein, der Frau ein schonenderes Mittel zu bieten. Gemessen an dem, was ich vorhin über die Nebenwirkungen sagte, lautet die Frage doch, ob dieses Präparat in
der Tat ein schonenderes Mittel ist. Ich glaube, darüber
muß man nachdenken. Darum bitte ich Sie.
Herr
Kollege Geis, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lenke?
Aber bitte.
Bitte
schön, Frau Kollegin.
Herr Geis, ich möchte gern von
Ihnen wissen, ob Sie auch gegen die chirurgische Methode des Schwangerschaftsabbruchs sind?
Ich bin gegen jeglichen
Schwangerschaftsabbruch. Ich bin der Meinung, daß der
Schwangerschaftsabbruch eine Tötung menschlichen
Lebens ist. Ich halte Schwangerschaftsabbruch für Unrecht, und ich bin nicht der Auffassung, daß unsere derzeitige gesetzliche Lage unserer Verfassung entspricht.
Ich halte sie nicht für verfassungskonform. Ich trete gegen die Abtreibung ein, wie es einst - ich nehme das für
mich in Anspruch, erlauben Sie mir das - Adolf Arndt
getan hat, wenngleich ich mich nicht mit diesem bedeutenden Rechtspolitiker messen will.
Das Hauptargument gegen diejenigen, die sich gegen die Einführung wenden, ist, man wolle lieber den
chirurgischen Eingriff, um auf diese Weise die Frau abzuschrecken. Das Hauptargument für dieses Präparat ist
der sogenannte schonendere Eingriff. Ich habe aber dargelegt, daß es größte Zweifel daran gibt, ob es sich
wirklich um einen schonenderen Eingriff handelt.
Wie ich meine, gibt es ein weiteres wichtiges Argument gegen dieses Präparat. Gerade wenn man die bei
uns bestehende Abtreibungsgesetzgebung der §§ 218 ff.
bejaht, wenn man den mühsam zustande gekommenen
Kompromiß vom 21. August 1995 mit seinem Beratungskonzept bejaht, dann muß man doch darüber nachdenken, ob durch diesen Einsatz von Mifegyne dieser
mühsame Kompromiß nicht unterlaufen werden kann.
Die Gefahr besteht zumindest. Wenn die Frau am
43. Tag der Schwangerschaft erstmals als feststehende
Tatsache erfahren kann, daß sie schwanger ist, und wenn
dieses Mittel bereits am 49. Tag der Schwangerschaft
eingesetzt werden muß, weil es zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr wirksam ist, dann sind die dazwischenliegenden Tage nur eine ganz kurze Frist. Innerhalb dieser Frist muß sie sich entscheiden. Wir wissen
doch, daß eine Frau, die das Kind nicht will, in größte
Zweifel gerät. Wir wissen doch, daß eine solche Frau
allen möglichen Ratschlägen ausgesetzt ist, guten und
schlechten. Wir wissen vor allen Dingen auch, daß eine
solche Frau Pressionen aus ihrem eigenen Umfeld ausgesetzt sein kann.
({0})
- Richtig, immer, verehrte Frau Kollegin. - Aber wie
soll in einer solch kurzen Frist von drei, vier oder fünf
Tagen eine vernünftige Beratung stattfinden und eine
vernünftige Entscheidung für die Frau in ihrem eigenen
Inneren heranreifen, so daß diese Entscheidung auch gegenüber späteren Zweifeln in ihrem eigensten Bewußtsein Bestand haben kann. Ich meine, das muß man ebenfalls bedenken.
Es gibt in einem Rechtsstaat, in einem Kulturstaat
wie unserem viele Argumente gegen den Einsatz solcher
Mittel. Deshalb bitte ich Sie, diese Argumente - alle
konnte ich auf Grund der Kürze der Zeit nicht vortragen - in den Ausschußberatungen in aller Ruhe zu bedenken.
Danke schön.
({1})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Regina SchmidtZadel von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Am 24. Juni hat der Deutsche Bundestag mit Mehrheit einen Gesetzentwurf der
Koalition zur Änderung des Arzneimittelgesetzes verabschiedet. Der Bundesrat hat am 9. Juli diesem Gesetz
zugestimmt. Das Gesetz ist am 30. Juli im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden, und es ist seitdem in
Kraft. Seitdem steht nun endlich auch den deutschen
Frauen die Möglichkeit offen, sich bei einem Schwangerschaftsabbruch für die medikamentöse Methode zu
entscheiden.
Die 9. Novelle des Arzneimittelgesetzes hat für den
Vertrieb der Präparate für den medikamentösen
Schwangerschaftsabbruch einen streng kontrollierten
Sondervertriebsweg geschaffen. Die F.D.P. und die
Mehrheit der CDU/CSU im Gesundheitsausschuß haben
sogar für einen Vertriebsweg über die Apotheken plädiert. F.D.P. und Union hätten der 9. AMG-Novelle
ebenfalls mehrheitlich zugestimmt, wäre ihr Änderungsantrag auf Einbeziehung der Apotheken berücksichtigt
worden. Deswegen ist es - lassen Sie mich, meine Damen und Herren, auch dieses sagen - sehr verwunderlich, daß die Fraktion der CDU/CSU diesen Antrag, den
wir heute beraten, mit unterstützt hat.
({0})
Ihnen, meine Damen und Herren, die Sie den vorliegenden Gesetzesentwurf auf Drucksache 14/1184 eingebracht haben, sage ich: Alle Argumente, aber auch alle
Argumente in dieser Sache sind in jahrelangen Debatten
ausgetauscht worden. Die Zulassung für Mifegyne ist in
Deutschland und mittlerweile in vielen anderen europäischen Ländern erfolgt. Der Vertriebsweg ist gesetzlich
geregelt. Der Hersteller wird das Präparat voraussichtlich im November auch hier auf den Markt bringen. Es
gibt daher aus meiner und unserer Sicht keinen Grund,
längst abgeschlossene Debatten neu zu entfachen und
weiter darüber zu diskutieren.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ina Lenke von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter
Herr Geis, ich finde es schon merkwürdig, daß Sie die
Argumente des Kardinals Meisner hier wieder in die
Diskussion bringen und nicht sagen, was er sonst noch
über Frauen gesagt hat. Jemand, der das Medikament
mit dem Zyklon B der Nazis vergleicht, kennt offenbar
die Nöte der Frauen nicht.
({0})
Außerdem sind wir hier im Deutschen Bundestag und
nicht in einem Entscheidungsgremium der katholischen
Kirche.
({1})
Ich habe durch meine Zwischenfrage, so meine ich,
auch von Ihnen erfahren, daß der von Ihnen eingebrachte Antrag eigentlich nur ein Umweg ist, um wieder
in die Diskussion des § 218 einzusteigen. Sie haben
nämlich eben zu mir gesagt, daß Sie auch die operative
Methode ablehnen. Warum sind Sie dann so einseitig
und stürzen sich nur auf dieses Medikament? Ich finde,
daß das ein leicht durchschaubarer Versuch ist.
({2})
- Wir können darüber gerne reden; Sie können auch eine
Frage stellen. Ich denke, daß die Mehrheit des Parlaments diesen Antrag zu verhindern weiß.
({3})
Gerade wir Frauen haben 1995 in einem parteiübergreifenden Konsens die Regelung des § 218 hart erkämpft. Die Frauen und auch Männer der F.D.P. haben
sich doch in der Mehrheit der Fraktion wirklich dafür
eingesetzt. Ein Schwangerschaftsabbruch ist seitdem
straffrei. Wir dürfen den Frauen nicht wieder von einer
Gruppe von Parlamentariern, die mehrheitlich aus Männern besteht - ich finde es sehr merkwürdig, daß von
den 40 Antragstellern nur zwei Frauen sind und Sie
nicht mehr Frauen Ihrer Fraktion überzeugen konnten,
ihren Namen unter den Antrag zu setzen -, ihre Entscheidungsfreiheit nehmen lassen.
Ganz klar und ganz deutlich möchte ich sagen, daß
Sie offensichtlich nichts verstanden und nichts dazugelernt haben. Ich möchte den Blick auf Ihre Begründung
richten. Hier steht wörtlich:
Die Verwendung solcher Mittel als „Arzneimittel“
ist geeignet, die Tötung als Heilmaßnahme erscheinen zu lassen ...
Sie glauben doch nicht, daß irgendeine erwachsene Frau
in der Bundesrepublik einer solchen Meinung ist.
({4})
Sie verharmlosen hier, um diesen Antrag ins Parlament
zu bringen. Das tut keine Frau.
({5})
Das zweite ist - ich will weiter aus Ihrer Begründung
zitieren -:
Insbesondere die Verwendung von „Arzneimitteln“
zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen
fördert die Vorstellung, eine unerwünschte
Schwangerschaft sei eine Krankheit, von der die
Einnahme solcher Mittel heilen könne.
Für wie dumm halten Sie die Frauen eigentlich?
Frau
Kollegin Lenke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Geis?
Ja. Ich will nur noch zu Ende zitieren:
Die dadurch für das Leben Ungeborener entstehende erhöhte Gefahr liegt auf der Hand.
So, jetzt kommt Ihre Zwischenfrage. Bitte.
Herr
Kollege Geis.
Vielleicht ist es Ihnen
möglich, weniger arrogant hier vorzutragen.
({0})
- Na ja, da haben Sie nicht zugehört.
Ich möchte Ihnen eine Frage stellen. Sie wissen, daß
in dem Gesetz vom 21. August 1995 für die Beratungszeit eine lange Frist vorgesehen ist und daß der Gesetzgeber dies ausdrücklich deshalb gemacht hat, um dem
Schutzzweck, dem die Beratung dient - denn die Beratung ist ja nur deshalb da, um die Lebensinteressen des
Kindes in den Blick zu bringen -, Raum zu geben. Wie
können Sie dann sagen, daß bei dieser kurzen Frist, vom
43. bis 49. Tag, nicht die Bedenken bestehen, die ich
vorgetragen habe, daß durch die Verkürzung der Fristen
dieser Beratungszweck unterlaufen werden könnte?
Herr Geis, ich bin wirklich nicht
arrogant, dann haben Sie mich mißverstanden; ich bin empört und auch innerlich verletzt. Das muß ich schon sagen.
({0})
Aber es ist gut; man weiß ja nie, wie man wirkt, Herr
Geis. Schön, daß Sie das sagen; ich finde das richtig.
Aber ich will das nun richtigstellen.
Ich bin wirklich innerlich verletzt und empört darüber, daß Frauen so ein lascher Umgang mit dem Leben
vorgeworfen wird.
({1})
- Sie nicht, aber in der Begründung kommt das deutlich zum Ausdruck. Herr Geis, es ist doch so: Für die
einen ist bis zur siebten Woche zu früh, für die anderen
bis zur zwölften Woche zu spät. Das ist ja wirklich die
Frage; da kann man so oder so argumentieren. Ich meine, daß eine Frau, die sich das überlegt, sich das Tag
und Nacht überlegt und das wirklich nicht leichtfertig
macht.
({2})
Sie haben doch vielleicht in Ihrer familiären Umgebung oder ihrem persönlichen Umfeld solche Fälle, und
Sie wissen auch, daß, egal welche Art von Schwangerschaftsabbruch vorgenommen wird - fragen Sie einmal
Ärzte -, Frauen immer Gewissensbisse haben: vorher,
während der Sache und hinterher.
Wir als F.D.P. und auch ich haben nie gesagt, daß das
eine leichtfertige Methode ist. Wir haben uns, bevor solche Diskussionen hier im Parlament stattfinden, sehr genau kundig gemacht. Man muß ja nicht alles selbst erleben, um hier im Parlament darüber zu sprechen. Ich
finde, es wäre ehrlicher, wenn noch einmal der Antrag
käme: Schafft den § 218 ab, als das jetzt mit diesem
Gesetz über die Hintertür zu machen.
({3})
Herr
Kollege Geis, Ihre Zwischenfrage war beantwortet.
({0})
- Natürlich, aber sie war beantwortet. Wenn Sie eine
weitere Zwischenfrage stellen wollten, müßten Sie mich
fragen, und dann würde ich wiederum die Rednerin fragen.
({1})
Frau Kollegin Lenke, fahren Sie bitte fort.
Ich habe Ihnen doch geantwortet, Herr Geis.
Dann möchte ich Herrn Geis, weil er das für die
CDU/CSU-Fraktion vorgetragen hat, doch einmal fragen: Was ist denn beim Schwangerschaftsabbruch aus
medizinischen Gründen? Wollen Sie den Frauen das
Präparat auch dann verwehren? Denn es gibt ja sehr
wohl Gründe, die es wirklich medizinisch notwendig
machen, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen.
Dann müssen Sie ebenfalls klar sagen, ob Sie dann auch
wollen, daß der Arzt als Fachmann der Frau nicht mehr
selbst den Rat geben kann, zwischen der operativen
Methode und der Präparatmethode zu wählen. Da
könnten Sie vielleicht noch einmal in Ihrer Fraktion beraten, ob Sie auch das nicht wollen.
Sie haben gesagt, diese Methode erfordere die Aktivität der Frau, während der chirurgische Eingriff für sie
passiv ist. Insofern ist die Einleitung eines Schwangerschaftsabbruchs für die Frau ja wesentlich schwerer.
Von daher kann man nicht, wie Sie in der Begründung,
von leichtfertig reden.
Ich will zum Schluß sagen, daß sich die F.D.P. für
den Schutz des menschlichen Lebens einsetzt. Für uns
geht das - das ist für mich jetzt auch kein Spruch - nur
mit der Frau und nicht gegen die Frau. Daß Sie gerade
Herrn Kardinal Meisner mit seinen Aussagen, die er zu
diesem Thema getätigt hat, als moralische Instanz angeführt haben, wundert mich schon sehr.
({0})
Ich als Frau jedenfalls lasse mir nichts mehr von Herrn
Kardinal Meisner sagen.
({1})
- Ich bin in der evangelischen Kirche, und ich bin
Christin. Sie kennen ja meine innere Einstellung nicht.
Meine innere Einstellung gründet sich sehr wohl auf
dem, was ich Ihnen eben erzählt habe.
Wir sind ja nicht für uns im Bundestag,
({2})
sondern wir müssen versuchen, für alle Frauen in der
Bundesrepublik Lösungsmöglichkeiten zu finden.
({3})
Deshalb, meine Damen und Herren: Lassen wir es nicht
zu, daß konservative Männer über uns bestimmen und
die wenigen hart erkämpften Entscheidungen auf Umwegen wieder zunichte machen!
Ich danke Ihnen.
({4})
Der
Kollege Geis bittet um eine Kurzintervention.
({0})
Bitte schön, Herr Kollege Geis, Sie haben das Wort zu
einer Kurzintervention.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier
ist die Frage aufgeworfen worden, ob wir dieses Parlament als Instrument der katholischen Kirche ansehen
wollen. Kardinal Meisner hat nichts anderes getan, als
auf den Lebensschutz hinzuweisen. Der Lebensschutz
steht in unserer Verfassung. Was wir hier tun - das
nehme ich wirklich ernsthaft für mich in Anspruch -,
entspricht der Verfassung. Ich tue hier nichts anderes.
Wenn mir jemand etwas anderes unterstellt, dann ist
er weit weg von der Wahrheit, dann lebt er auf einem
anderen Stern, dann kennt er auch unsere Verfassung
und vor allem meine parlamentarischen Rechte, die ich
als einfacher Abgeordneter habe, nicht. Das bitte ich zu
respektieren, anstatt hier falsche Parolen zu verkünden.
Danke schön.
({0})
Kollegin
Lenke, Sie hätten das Recht auf eine Antwort.
({0})
- Gut. Als nächste Rednerin hat die Kollegin Christa
Nickels vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der heute von einer Gruppe von Abgeordneten der CDU/CSU eingebrachte Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Arzneimittelgesetzes sieht ein gesetzliches Verbot von Arzneimitteln vor, die zum Schwangerschaftsabbruch bestimmt sind. Unsere Fraktion lehnt
dieses Gesetz ab, weil ein solches Verbot unter jedem
Gesichtspunkt von uns für den falschen Weg gehalten
wird, um dieses Arzneimittel und generell Arzneimittel
dieser Art, die in vielen Staaten gerade ein europäisches
Zulassungsverfahren durchlaufen haben, zu reglementieren.
Wenn es in der Begründung des Gruppenantrages
heißt, daß die Verwendung solcher Arzneimittel geeignet sei, eine Abtreibung als Heilmaßnahme erscheinen
zu lassen, und deshalb zur Verharmlosung beitrage, und
wenn es weiter heißt, daß die Arzneimittelzulassung von
Abtreibungsmitteln die Schutzpflicht des Staates für das
menschliche Leben senke, so kann man hier nur von einem völlig verqueren Frauenbild und von einem völlig
lebensfremden Antrag sprechen.
({0})
Genauso ist die Vorstellung - überhaupt ein derartiger Gedanke -, daß sich eine Frau, die sich in einer
schweren Konfliktsituation befindet und nach Beratung
einen Schwangerschaftsabbruch überlegt oder beabsichtigt, bei dieser grundsätzlichen Frage von Überlegungen
zu Methoden leiten läßt, völlig lebensfremd und wird
der Konfliktsituation dieser Frau nicht gerecht. Dieses
Frauenbild muß - da muß ich meiner Vorrednerin zustimmen - eigentlich jede Frau empören, die von diesen
Problemen Ahnung hat oder in diesem Bereich arbeitet.
Das entspricht nicht den Tatsachen.
Die Verfügbarkeit von Arzneimitteln zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch hat keinen Einfluß
auf die Entscheidung über eine Abtreibung. Deshalb
möchte ich feststellen, daß es bei dem In-den-VerkehrBringen und der Anwendung von Arzneimitteln zum
Schwangerschaftsabbruch eben nicht um eine grundsätzliche Frage des Schwangerschaftsabbruchs geht, die
in § 218 Strafgesetzbuch eine Regelung gefunden hat,
die parteiübergreifend zustande gekommen ist. Dafür
bin ich dankbar und möchte noch einmal in Erinnerung
rufen, Herr Kollege Geis, daß das auch von wichtigen
Repräsentanten Ihrer eigenen Fraktion in aller Deutlichkeit gesagt worden ist.
Vielmehr geht es bei diesem Arzneimittel um eine
bestimmte Methode, die medikamentöse Methode des
Schwangerschaftsabbruchs, die nunmehr neben dem
herkömmlichen instrumentellen Eingriff dem Arzt und
der Patientin zur Verfügung steht. Keine dieser Methoden ist von vornherein die geeignetere. Welche Methode
im Einzelfall gewählt wird, ist in erster Linie eine medizinische Frage, die Arzt und Patientin miteinander besprechen sollen, und keine Aufgabe des Gesetzgebers.
Ich sehe also keinen Grund dafür, von Staats wegen
eine bestimmte Methode des Schwangerschaftsabbruchs
zu verbieten. Staatliche Aufgabe ist es, daß ein Arzneimittel, das zum Schwangerschaftsabbruch bestimmt ist,
wie jedes andere neue Arzneimittel auch nach den strengen Anforderungen des Arzneimittelgesetzes geprüft
wird und daß alle notwendigen Vorkehrungen gegen
eine mißbräuchliche Anwendung getroffen werden.
Beide Aufgaben sind bekanntermaßen erfüllt.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat im Zusammenwirken mit den anderen europäischen Behörden das Anerkennungsverfahren zu der
französischen Zulassung abgeschlossen. Wie Sie wissen,
hat es Gesundheitsministerin Fischer im Vorfeld des
Zulassungsverfahrens wegen ihrer politischen Verantwortung gegenüber dem Arzneimittelinstitut eindeutig
abgelehnt, gegenüber dem Antragsteller eine Aussage zu
treffen, die irgendeinen Zweifel an der normalen und
ordnungsgemäßen Durchführung des Zulassungsverfahrens hätte begründen können.
Der Deutsche Bundestag hat mit dem Neunten Gesetz
zur Änderung des Arzneimittelgesetzes umfassende und
wirksame Regelungen gegen eine mißbräuchliche
Verwendung des Arzneimittels getroffen. Dazu gehören
besonders ein spezifischer Vertriebsweg, besondere
Kennzeichnungs- und Aufbewahrungsregelungen sowie
strenge Nachweispflichten. Das sind die arzneimittelrechtlichen Instrumente, die sinnvoll und notwendig sind
und die unverzüglich und rechtzeitig eingesetzt worden
sind.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen anschließen. Warum sollte eigentlich das Arzneimittel, das zum
Schwangerschaftsabbruch bestimmt ist, gesetzlich verboten werden, demgegenüber aber diejenigen Arzneimittel, die in Verbindung mit einem instrumentellen
Schwangerschaftsabbruch eingesetzt werden, anders behandelt werden? Das ist natürlich eine rhetorische Frage.
Aber sie zeigt auf, daß die von den Antragstellern angeführte - ich zitiere - „Perversion des Arzneimittelbegriffs“ kein nachvollziehbarer oder irgendwie weiterführender Begriff ist.
Den Arzneimittelbegriff hat der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit dem europäischen Recht bewußt weit
gewählt, damit die Schutzvorschriften des Arzneimittelgesetzes auf all die Stoffe und Gegenstände Anwendung
finden, die zur Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt und nicht in anderen Gesetzen mit entsprechendem Schutzzweck geregelt worden sind. Damit sind gesetzesfreie Räume oder sogenannte Grauzonen wirksam
vermieden worden. Lassen Sie uns bei dieser
Grundsatzentscheidung bleiben.
Ethische Fragen der Anwendung zugelassener Arzneimittel sind grundsätzlich nicht im Arzneimittelgesetz
zu regeln, sondern sind Gegenstand allgemeiner Gesetze
und der Regelung zur ärztlichen Berufsübung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Zulassung
von Arzneimitteln zum Schwangerschaftsabbruch befinden wir uns im übrigen in Übereinstimmung mit nahezu
allen Staaten der Europäischen Union. Bei allen Unterschieden, die die Staaten Europas in gesellschaftlichen
Fragen aufweisen, zeigt auch diese Rückkopplung, daß
Arzneimittel zum Schwangerschaftsabbruch allgemein
dem Bereich der Methodenwahl zugeordnet werden und
mit ihnen gerade nicht die Grundsatzfrage der Behandlung des Schwangerschaftsabbruchs durch die Rechtsordnung verbunden wird.
Nach allem, was wir als Ergebnis des europäischen
Anerkennungsverfahrens wissen, sind Arzneimittel zum
Schwangerschaftsabbruch eine in bestimmten, medizinisch zu beurteilenden Fällen geeignete Methode.
Herr Kollege Geis, wir haben schon in den 80er Jahren intensiv in dieser Debatte gestritten und gerungen.
Ich möchte Sie bitten, damit aufzuhören, über alle möglichen, teilweise absurden Hintertüren diese Frage, die
wir mit großem Ernst diskutiert und über die wir beschlossen haben, immer wieder in einer unwürdigen Art
und Weise auf die Tagesordnung zu setzen.
({1})
Als
nächste und letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort die Kollegin Petra Bläss, PDS.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die jetzige Debatte ist in der Tat an
Skurrilität kaum noch zu übertreffen. Hinzu kommt, daß
wir heute die außerordentliche Gelegenheit hatten, über
mehrere Stunden hier im Parlament die Leistungen von
Frauen zu würdigen. Nun fehlen mir angesichts einer
solchen frauenverachtenden Vorlage und solcher frauenverachtenden Töne fast die Worte.
({0})
Herr Kollege Geis, Ihr verfassungsrechtliches Engagement wird doch überhaupt nicht in Zweifel gezogen.
({1})
Sie werden als Experte für Verfassungsrecht sehr geschätzt. Aber ich habe eine Frage: Für wen ist das
Grundgesetz, für wen ist unsere Verfassung? - Für die
Bevölkerung, und Frauen machen in diesem Land mehr
als die Hälfte der Bevölkerung aus.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt vermutlich
wenige Medikamente, an denen sich ein derartiger
ideologischer Streit entzündet hat, wie es bei der sogenannten Abtreibungspille RU 486 der Fall war und ist.
Der hier zur Debatte stehende Gesetzentwurf einiger
Unionsabgeordneter ist für mich ein neuerlicher Versuch, Frauen ihr Selbstbestimmungsrecht abzusprechen.
Die betreffenden Kolleginnen und Kollegen wollen mit
ihrem Gesetzentwurf verhindern, daß die RU 486 zugelassen wird, und das nicht etwa, weil sie Gesundheitsgefährdungen für die Frauen befürchten, sondern deswegen, weil sie generell der Ansicht sind, daß Frauen nicht
die Freiheit haben dürfen, selbst über Leben und eine
Schwangerschaft zu bestimmen.
({3})
Ich habe es heute bereits in der Debatte „Die Parlamentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag“ gesagt und wiederhole es an dieser Stelle ganz bewußt:
Eine demokratische Gesellschaft muß sich daran messen
lassen, wie sie mit dem Selbstbestimmungsrecht der
Frauen verfährt. Dazu gehört, daß Frauen im Falle einer
ungewollten Schwangerschaft die für sie am wenigsten
belastende Methode des Abbruches wählen können.
Auch wenn die sogenannten Lebensschützerinnen
und Lebensschützer uns immer wieder etwas anderes
glauben machen wollen - es gibt kaum eine Frau, die
sich die Entscheidung für oder gegen ein Kind leichtmacht. Vielmehr hat sie einen sehr schwierigen Entscheidungsprozeß zu durchstehen, der sie tief bewegt.
RU 486 ist bekanntlich nur eine von verschiedenen
Möglichkeiten, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Im übrigen ging es in unseren Debatten hier
immer nur um ein politisches Signal der Zulassung und
nie darum, dieses Medikament hochleben zu lassen.
Übrigens ist diese Abtreibungspille bei weitem nicht
das einzige Abtreibungsmedikament auf dem Markt. Aber
an dieser Pille entzündet sich die Debatte, weil die sogenannten Lebensschützerinnen und Lebensschützer ihre
frauenfeindliche Propaganda um ein Element erweitern: Jetzt gibt es „Kindstötung auf Rezept“. Sie wissen
genau, daß das so nicht ist. Der Abbruch mit RU 486
kann wie jeder konventionelle chirurgische Abbruch auch
nur nach einer Zwangsberatung und nur unter ärztlicher
Aufsicht durchgeführt werden. Die gesamte Behandlung
dauert drei Tage und ist mit erheblichen Schmerzen verbunden. Man kann also schwerlich behaupten, ein
Schwangerschaftsabbruch mit RU 486 sei ein Kinderspiel. Allerdings erspart sie den Frauen die Narkose, und
die Gefahr von Gebärmutterverletzungen ist geringer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines wird an diesem Streit einmal mehr deutlich: Die Debatte um den
Schwangerschaftsabbruch ist nach wie vor aktuell. Es ist
unsere Aufgabe, hier im Parlament endlich für Rechtsklarheit zu sorgen, das Selbstbestimmungsrecht der
Frauen verfassungsfest zu verankern und den § 218
endlich aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.
({4})
Ich
schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/1184 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das
ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Ursula Lötzer, Eva-Maria Bulling-Schröter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch ({0})
- Drucksache 14/139 ({1})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2})
- Drucksache 14/863 Berichterstattung: Abgeordneter Adolf Ostertag
Hier haben alle Fraktionen mit Ausnahme der PDS
beantragt, die Reden zu Protokoll geben zu dürfen. Gibt
es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann
eröffne ich die Aussprache und gebe der Kollegin Dr.
Heidi Knake-Werner von der PDS-Fraktion das Wort.
Bitte schön.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gott sei dank ist doch
nicht alles in diesem Berliner Reichstag so neu; ein paar
Rituale sind geblieben. Die PDS ist mit ihrem Tagesordnungspunkt wieder an die letzte Stelle der Tagesordnung
gerückt, und die lieben Kolleginnen und Kollegen entziehen sich der Diskussion. Sie wollen die Berliner Luft
genießen. Das finde ich zwar sehr menschlich; ich muß
aber trotzdem sagen, daß dieses Verhalten bei manchen
Themen, wozu das jetzige Thema gehört, einfach gegen
den sozialen Anstand verstößt.
({0})
- Ich finde, schon. Aber diesen Sachverhalt kann man ja
unterschiedlich bewerten.
Eigentlich - auch das möchte ich deutlich sagen könnte ich es mir ersparen, die Argumente für unseren
Antrag zur Abschaffung des Anti-Streik-Paragraphen an
dieser Stelle noch einmal auszubreiten, weil die Mehrheit in diesem Parlament und zahlreiche Mitglieder der
Bundesregierung über ein Jahrzehnt lang leidenschaftlich für seine Abschaffung gestritten haben und sich für
die Wiederherstellung des Streikrechts eingesetzt haben.
({1})
Es besteht also vollkommene Übereinstimmung darüber, diesen Anti-Streik-Paragraphen abzuschaffen und
die strukturelle Benachteiligung der Gewerkschaften
im Hinblick auf die Arbeitskampfsituation endlich zu
beseitigen.
Für die Abschaffung des damaligen § 116 des AFG
sind in den Jahren nach 1986 Hunderttausende auf die
Straße gegangen. Viele von uns können sich noch daran
erinnern. 1992 zogen SPD-Bundestagsabgeordnete und
sozialdemokratisch geführte Länder vor das Bundesverfassungsgericht, um die Chancengleichheit der Tarifvertragsparteien im Arbeitskampfrecht wiederherzustellen. Beide heutigen Regierungsparteien haben in der 13.
Legislaturperiode Anträge zur Wiederherstellung der
Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit eingebracht. Die
PDS versucht mit einem Antrag inzwischen zum dritten
Mal, den alten Rechtszustand wiederherzustellen - im
Interesse der Kampfparität von Gewerkschaften und Arbeitgebern.
Bereits 1994 sagte Kollege Ostertag, bei Regierungsantritt würde eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung in einem Sofortprogramm der ersten 100 Tage
§ 116 AFG entsprechend ändern. Er hat weiter gesagt,
daß diese Korrektur zu einer glaubwürdigen sozialdemokratischen Politik gehöre - wie wahr.
({2})
- Entschuldigen Sie, Sie müssen einmal Ihre eigenen
Debattenbeiträge lesen! Wenn Sie sich nicht daran erinnern können, dann lesen Sie einmal die Rede des Kollegen Ostertag nach! Sie wissen doch sehr wohl, daß der
Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes andere Regelungen zuläßt.
({3})
- Kollege Niebel, diesen Streit müssen wir auf anderer
Ebene austragen. Daß Sie nicht für eine Neuregelung
sind, ist mir hinreichend bekannt.
({4})
- Unser Verhalten ist nicht scheinheilig, sondern konsequent. Viele wissen aber nicht, wie man konsequent
handelt.
Die ersten 100 Tage sind längst vorbei. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihre Glaubwürdigkeit steht ein bißchen auf dem Spiel.
({5})
- Darüber mache ich mir keine Sorgen; ich stelle diese Tatsache nur fest. Aber viele Ihrer Mitglieder und vor allen
Dingen die Wählerinnen und Wähler machen sich Sorgen.
({6})
Sie haben ja bereits ein Vorschaltgesetz zum SGB III
vorgelegt. Aber leider haben Sie dabei die Neuregelung
des Streikrechtes ausgelassen. Dieses Verhalten wundert
mich schon, weil Sie diese Neuregelung für ein Gebot
des sozialstaatlichen Anstandes halten. Auch unsere
parlamentarische Initiative werden Sie heute wieder
einmal ignorieren, was Ihnen zunehmend schwerer fallen wird, weil Sie schon zu häufig auf Demonstrationen
und Gewerkschaftstagungen diesbezügliche Versprechungen gemacht haben.
Dieses Thema wird auf vielen Ebenen der Gewerkschaft diskutiert. Heute und morgen findet hier in Berlin
eine Festveranstaltung der IG Metall zum 50. Jahrestag
der Verabschiedung des Tarifvertragsgesetzes statt.
Staatssekretär Andres hat auf dieser Veranstaltung erklärt, § 146 SGB III stehe auf dem Prüfstand - immerhin. Aber ehrlich gesagt, mir ist diese Aussage zu vage.
Ich bin schon gespannt darauf, was der Kollege Ostertag
auf der entsprechenden Podiumsdiskussion zum Novellierungsgebot des Streikparagraphens sagt.
({7})
Natürlich nennen Sie für Ihre Ablehnung Gründe. Sie
behaupten zum Beispiel, daß heute manches rechtlich
fragwürdig sei. Ich frage Sie: Kann heute etwas rechtlich
fragwürdig sein, was Sie bis zu Ihrem Regierungsantritt
wortgetreu gefordert haben? Sie werfen uns wieder diesen Vorwurf lassen Sie ja nie aus - Aktionismus und
Populismus vor. Das ärgert mich aus zwei Gründen:
Auch wir haben das Recht, Wahlversprechen einzufordern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ärgert mich
auch deshalb, weil das durchaus mit Ihrem überholten
Alleinvertretungsanspruch korrespondiert, von dem Sie
sich endlich einmal verabschieden sollten.
({8})
Frau
Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich sage einen
letzten Punkt. Sie wollten die Novellierung des Streikparagraphen in einer großen Reform des Arbeitsförderungsrechtes verabschieden. Ich habe Zweifel, ob Sie
dazu noch die Chance haben, denn die Politik der Neuen
Mitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, verträgt sich
nicht mit der Wiederherstellung des gewerkschaftlichen
Streikrechts. Das Schröder/Blair-Papier läßt keinen
Platz für Verteilungskämpfe, und wen das leiseste
Hüsteln der Unternehmerseite zum heftigen Rückwärtsrudern bringt, der bringt es nicht mehr zustande, den
Herren Hundt und Henkel ein verbessertes Streikrecht
zuzumuten. Schade, leider.
Ich würde mich freuen, wenn ich mich geirrt hätte.
Vielen Dank.
({0})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Änderung des III. Buches
des Sozialgesetzbuches, Drucksache 13/139. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf
Drucksache 13/863, den Gesetzentwurf abzulehnen.
({0})
Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/139 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. ({1})
Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist der
Gesetzentwurf gegen die Stimmen der PDS mit allen
anderen Stimmen abgelehnt worden.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 9. September 1999,
9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.