Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist
eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
dem Kollegen Michael von Schmude, der am 19. November seinen 60. Geburtstag feierte, die besten Glückwünsche des Hauses aussprechen.
({0})
Die Fraktion der F.D.P. hat fristgemäß beantragt, die
Tagesordnung für diese Sitzungswoche um die zweite
und dritte Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahre 2000 auf Drucksache 14/1977 ({1}) zu erweitern. Das
Wort zur Begründung hat der Kollege van Essen.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wir haben es hier mit einem einmaligen Vorgang zu tun.
({0})
Der Bundestag hat einen Gesetzentwurf verabschiedet,
bei dem über 20 Seiten fehlen. Deshalb macht dieses
Gesetz für sich keinen Sinn mehr. Wenn wir schon beim
Thema „Sinn“ sind: Es macht keinen Sinn, daß dieser
Fehler auf die Druckerei, auf den Ausschuß oder auf
wen auch immer geschoben wird. Schuld an diesem
Vorgang hat diese Bundesregierung.
({1})
Sie hat dafür gesorgt, daß die Ausschüsse bis in die
letzte Minute mit ganzen Packen von Änderungsanträgen versehen worden sind.
({2})
Sie hat dafür gesorgt, daß mitberatende Ausschüsse Änderungsanträge zum Teil überhaupt nicht gesehen haben,
und sie hat dafür gesorgt - das ist der entscheidende
Punkt -, daß dem vernünftigen Vorschlag, den ich hier
am 4. November gemacht habe, nicht gefolgt worden ist.
({3})
Sie können sich daran erinnern, daß ich hier einen
sehr vernünftigen Vermittlungsvorschlag gemacht habe,
nachdem wir schon während der Beratungen mehrere
gravierende Fehler entdeckt haben. Ich habe vorgeschlagen, abends noch einmal über die Unterlagen zu gehen
und nachzuschauen, ob gegebenenfalls noch weitere
Fehler vorhanden sind.
({4})
Es ist doch eine Lebenserfahrung: Wenn in irgend etwas
einmal der Wurm ist, dann ist er dick drin. Wer das erste
Jahr dieser Bundesregierung erlebt hat, der weiß, was
das für ein Wurm ist.
({5})
Die Kollegin Heyne hat damals geglaubt, sagen zu
können: Das heißt, es gibt jetzt überhaupt keinen Anlaß,
alle Seiten zu wälzen und zu hoffen und zu glauben, es
möge sich noch ein weiterer Fehler finden. - Diese Arroganz hat uns damals gestört, und sie ist prompt bestraft worden.
({6})
Warum beantragen wir, erneut in die zweite und
dritte Lesung des Gesetzentwurfs einzutreten? Wir tun
es nicht, weil wir das Gesetz gut finden und wollen, daß
der Gesetzentwurf in Kraft tritt. Wir wissen, welche negativen Folgen es insbesondere für die Patienten, aber
auch für alle Gesundheitsberufe hat.
({7})
Ich denke, daß wir als Parlament eine Gesamtverantwortung haben. Wir sollten diesen unwürdigen Vorgang
endlich beenden und jetzt zu einer vernünftigen Beratungsweise des Bundestages kommen.
Nach unserer Auffassung ist das, was wir in zweiter
und dritter Lesung beschlossen haben, klar nichtig.
({8})
Dadurch, daß ganz wesentliche Teile fehlen, macht das
Gesetz keinen Sinn mehr. Es gibt zum Beispiel in eini6388
gen Paragraphen Verweisungen auf Bestimmungen, die
sich im beschlossenen Gesetz gar nicht finden.
({9})
Bereits dies macht doch deutlich, wie unsinnig der Gesetzestorso ist, der jetzt dem Bundesrat zugeleitet worden ist.
Der Bundestag soll und muß sich nach unserer Auffassung noch einmal mit diesem Gesetz befassen, weil
bisher der Bundesrat dieses Gesetz nicht in ordnungsgemäßer Weise erhalten hat;
({10})
denn der Bundestagspräsident hat den vollständigen
Text übermittelt, den der Bundestag nicht beschlossen
hat. Dies kann nicht als eine ordnungsgemäße Übersendung des Gesetzes an den Bundesrat angesehen werden;
denn ein solches Gesetz gibt es nicht.
({11})
Der unvollständige Text ist vom Direktor beim Deutschen Bundestag zugeleitet worden. Dies ist kein ordnungsgemäßes Verfahren. Dies alles macht deutlich, daß
der Bundestag frei ist, darüber noch einmal zu beraten.
Wir appellieren erneut an Sie, zu einem geordneten
Verfahren zurückzukehren. Sie haben diesen vernünftigen Ratschlag der Opposition am 4. November arrogant
abgelehnt. Wir haben die herzliche Bitte, daß Sie diesmal zur Vernunft zurückkehren.
Herzlichen Dank.
({12})
Zur Geschäftsordnung erteile ich jetzt dem Kollegen Wilhelm Schmidt das Wort für die sozialdemokratische
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Geschäftsordnungsantrag der F.D.P. - unterstützt durch die CDU/CSU - und
diese Debatte laufen ins Leere. Gerade eben ist eine längere Sitzung des Ältestenrats beendet worden, die fast
einem juristischen Seminar glich. Trotzdem hat dies
nichts geholfen. Man wundert sich schon sehr. Ich stelle
fest, daß es Ihnen nicht darum geht, irgendwelche
Rechtsfehler zu bereinigen, sondern darum, das Gesetz
zu Fall zu bringen.
({0})
Wenn Sie es schon nicht im demokratischen Verfahren
schaffen, das Gesetz zu Fall zu bringen, dann versuchen
Sie es eben durch Geschäftsordnungsdebatten und durch
nachträgliche rechtliche Auslegungen, die keiner Prüfung standhalten. Dies haben wir heute bestätigt bekommen.
({1})
Tun Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU und der F.D.P., bitte nicht so, als würden Sie
ein Interesse daran haben, das Gesetz zu retten, das Ihnen immer ein Dorn im Auge gewesen ist. Das Gegenteil ist offensichtlich der Fall: Sie versuchen verzweifelt,
wenn auch mit dubiosen Mitteln, das Gesetz zu torpedieren.
Ich möchte Ihre Fragen, Herr van Essen, im Detail
beantworten. Nachdem die Fehler entdeckt worden sind,
hat es mehrere Möglichkeiten gegeben, sie zu heilen. Ich
möchte an dieser Stelle sehr deutlich darauf hinweisen:
Die Fehler waren relativ umstritten. Man hätte beispielsweise auf die „offenbaren Unrichtigkeiten“ rekurrieren können. Die Bezugnahme auf § 122 Abs. 3 der
Geschäftsordnung hat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens schon einmal geholfen. Wir haben diesmal
darauf verzichtet - obwohl es starke Argumente dafür
gegeben hat, dies zu tun -, weil wir der Auffassung sind,
daß in diesem Fall mit der entsprechenden Gesetzeslükke nicht so verfahren werden sollte, so sehr sie uns darauf möchte ich deutlich hinweisen - auch selber ärgert. Tun Sie bitte nicht so, als würden wir hier Gesetzeslücken fahrlässig produzieren. Tatsächlich ärgert
uns dies genauso wie Sie und alle anderen draußen im
Lande.
({2})
Der Weg, uns auf § 122 Abs. 3 der Geschäftsordnung
zu beziehen, war uns schon deswegen versperrt, weil es,
wenn wir uns darauf bezogen hätten, eine neue Beratung
des Gesetzes im Deutschen Bundestag gegeben hätte.
Der Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages
hätte erneut tagen müssen. Genau dies ist der Punkt, auf
den Sie hinauswollen. Jedes zusätzliche Tätigwerden des
Deutschen Bundestages hinsichtlich des Gesetzes hätte
ein Wiederaufleben des Gesetzesverfahrens bedeutet
und hätte gleichzeitig dem Bundesrat wahrscheinlich die
Gelegenheit gegeben, die Fristeinrede geltend zu machen. Ich möchte an dieser Stelle nur sagen: Wir wollten
dieses Gesetz auf jeden Fall in den Bundesrat einbringen.
({3})
Dies werden wir nun auch tun.
Ich möchte Sie einmal an Ihre Regierungszeit erinnern. Das muß sein. Sie tun immer so, als wenn nur
während unserer Regierungszeit besondere Eile bezüglich der Gesetzgebungsverfahren an den Tag gelegt
worden sei. Dies ist bei Ihnen auch der Fall gewesen.
Wenn Sie darauf hinweisen, daß jetzt besondere Pannen
zu verzeichnen seien, dann möchte ich von dieser Stelle
aus Ihnen und der Öffentlichkeit mitteilen, daß das letzte
Gesundheitsreformgesetz, das unter Ihrer Federführung
behandelt worden ist, 600 - ich betone: 600 - Fehler
aufgewiesen hat, die anschließend bereinigt werden
mußten.
({4})
Jedesmal machen Sie aus einer Mücke einen Elefanten
und versuchen, Gesetzgebungsverfahren zu torpedieren.
Während Ihrer Regierungszeit - dies ist ganz normal sind ähnliche Fehler, manchmal sogar in noch größerem
Umfang, passiert.
Deswegen haben wir ganz besonderen Wert darauf
gelegt, das Gesetzgebungsverfahren nicht zu unterbrechen. Wir tun gut daran, dies nicht zu tun, weil nämlich
der Deutsche Bundestag sein Verfahren abgeschlossen
hat.
Der Bundesrat hat übrigens in seinem ständigen Beirat, wohl wissend, was denn an dieser Stelle stattfindet,
nichts gegen dieses Verfahren gehabt. Das heißt, der
ständige Beirat des Bundesrates hat dem Verfahren, das
wir hier heute durchführen wollen, ausdrücklich zugestimmt. Er hat ausdrücklich auch auf eine zusätzliche
Sitzung des Gesundheitsausschusses des Bundesrates
verzichtet. Was soll denn dann eigentlich Ihr Getöse?
({5})
Ich will in diesem Zusammenhang auf folgendes
hinweisen: Wenn Sie hier in einer sehr verqueren Form
von Juristerei zu demonstrieren versuchen,
({6})
das Gesetz sei wegen dieses Teilfehlers nichtig, dann
dürfen Sie hier und heute nicht die zweite und dritte Lesung reklamieren, sondern dann müssen Sie sagen, daß
das Gesetz insgesamt nicht mehr vorhanden ist - das
wäre dann nämlich die Folge -, weil es nichtig ist. Dann
müßten Sie uns auffordern, das gesamte Gesetzgebungsverfahren neu zu beginnen. Aber mit der Krücke, die Sie
an dieser Stelle benutzen, geht es jedenfalls nicht. Das
verstehe sogar ich als Nichtjurist.
({7})
Ich will im übrigen daran erinnern, daß Sie, insbesondere die CDU/CSU, von vornherein erklärt haben,
daß Sie überhaupt kein Interesse daran haben, dieses
Gesetz wirksam werden zu lassen. Sie entlarven sich
selbst am heutigen Tage.
Daher werden und können wir, auch mit Blick auf die
ausführlichen Informationen, die uns die Bundestagsverwaltung im Ältestenrat auf juristischer Basis gegeben
hat, Ihrem Antrag nicht zustimmen.
({8})
Ebenfalls zur
Geschäftsordnung spricht jetzt der Herr Kollege Repnik.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zum
wiederholten Mal muß sich das Haus mit einem Gesetzgebungsverfahren befassen, das in seinem Dilettantismus und in seiner Schludrigkeit beispiellos in der Geschichte des Bundestages ist.
({0})
Diese Koalition, diese Regierung bleibt sich treu: Pannen, Pleiten, Peinlichkeiten,
({1})
und sie übertrifft sich: mit einem Gesetzesbeschluß, der
bruchstückhaft, in sich widersprüchlich ist und in dem
Verweise ins Leere laufen. Wir hören jetzt von der Koalition, daß wir das, was passiert ist, im Vermittlungsausschuß heilen sollten. Was ist das für ein Parlamentsverständnis, meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen? Der Vermittlungsausschuss als Reparaturwerkstatt für Unfallschäden rotgrüner Geisterfahrer dies kann und darf nicht sein.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was dieses
Haus produziert, muß auch im Gesetzblatt stehen können. Diese Sammlung von Widersprüchlichkeiten, von
Bruchstücken, von Wegen in die Irre dem Bundesrat
oder letztlich dem Bundespräsidenten zumuten zu wollen ist kein pfleglicher Umgang von Verfassungsorganen miteinander - von den Bürgern, von den Ärzten,
von den Versicherten ganz zu schweigen.
({3})
Doch um es klar zu sagen: Hier geht es nicht nur um
politische Stilfragen. Da dieser Beschluß des Bundestages so nicht im Gesetzblatt stehen könnte, da selbst
Interpretation ihn nicht anwendungsfähig machte, ist er
nicht gesetzesgeeignet. Er ist nach unserer Auffassung
damit nichtig.
({4})
Das Gesundheitsreformgesetz 2000, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist kein heterogenes Artikelgesetz,
das eine Vielzahl unterschiedlicher Materien zusammenführt, wie zum Beispiel das Haushaltssanierungsgesetz.
Es befaßt sich mit einer Materie, es muß in seiner Gesamtheit Bestand haben können, um Gültigkeit zu erlangen. Kollege van Essen hat eine Reihe von Beispielen
aufgeführt. Ich möchte darauf verweisen und brauche sie
nicht noch einmal zu nennen. Lassen Sie mich aber ein
Beispiel, das er genannt hat, herausgreifen. In diesem
Gesetzentwurf ist zum Beispiel auf Seite 495
({5})
von der „maoistischen“ Krankenhausfinanzierung statt
von der „monistischen“ die Rede.
({6})
Mein Eindruck ist, daß sich diese Koalition in einem
geistigen Zustand befindet, wie er seinerzeit bei der
Kulturrevolution in China vorherrschte.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was
das Plenum dieses Bundestages passiert hat, ist im eigentlichen Sinne kein Gesetz, sondern unabhängig von
Wilhelm Schmidt ({8})
der inhaltlichen Wertung bereits formal ein Torso oder
ein Trümmerhaufen - was auch immer Sie dazu sagen
wollen. Ich weiß, daß es Ihnen von der Koalition darum
geht, den Bundesrat am kommenden Freitag mit diesem
Gesetzeswerk zu erreichen.
({9})
Doch, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, den Weg dorthin werden Sie mit dem eingeschlagenen Verfahren ohnehin nicht schaffen.
Der rührende Versuch des Kanzleramtsministers, im
Ständigen Beirat dem Vertreter des Bundesrates nebenbei zu erklären, daß leider einige Seiten in dem Gesetzentwurf fehlten, kann die korrekte Zuleitung ebensowenig ersetzen wie ein korrigierendes Schreiben des Direktors beim Deutschen Bundestag. Die Verfassungslage
ist auch in dieser Frage eindeutig: Art. 77 des Grundgesetzes sieht vor, daß Gesetzesbeschlüsse nach ihrer Annahme durch den Präsidenten des Bundestages unverzüglich dem Bundesrat zuzuleiten sind. Hier wurde nicht
das Beschlossene zugeleitet.
({10})
Das Beschlossene war kein Gesetz, sondern ein Nullum.
Es wurde also nichts zugeleitet, sondern lediglich eine
Gebrauchsanleitung für das weitere Verfahren auf Verwaltungsebene mitgeteilt. Dies ist die Situation.
({11})
Nachdem der Kollege Schmidt an die Öffentlichkeit
appelliert hat, möchte auch ich der Öffentlichkeit einmal
eine ganz kleine Facette dieses Verfahrens darstellen,
damit sie begreift, was hier eigentlich vorgegangen ist:
Im Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages
wird ein Gesetzentwurf beschlossen. Dieser Gesetzentwurf wird dem Bundestag zugeleitet.
({12})
- Dem Plenum des Deutschen Bundestages! - In der
Drucksache, die hier Gegenstand der Beratung war,
fehlen wesentliche Teile, zum Beispiel auch der gesamte
Bereich „Risikostrukturausgleich für die neuen Bundesländer“.
({13})
Der Bundestagspräsident wiederum leitet die ursprüngliche Fassung der Drucksache des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages dem Bundesrat zu. Auf
dieser Grundlage berät der Gesundheitsausschuß des
Bundesrates; ausschlaggebend für das Votum der neuen
Bundesländer war dabei insbesondere auch der vorgesehene Risikostrukturausgleich. Mittlerweile wird festgestellt, daß dieser gar nicht Gegenstand dessen war,
was der Bundestag beschlossen hat. Also ging der Gesundheitsausschuß des Bundesrates bei seinen Beratungen und seinem Votum von einer falschen Grundlage
aus.
Herr Kollege
Repnik.
Ich habe noch eine Minute, bitte, Frau Präsidentin.
Nein, ich habe
schon eine Minute zur Redezeit dazugegeben. Bitte versuchen Sie, zum Schluß zu kommen.
Erlauben Sie mir
noch einen letzten Satz.
({0})
- Daß Sie das nicht hören wollen, verstehe ich sehr
wohl.
({1})
Der Direktor beim Deutschen Bundestag hatte nämlich eine korrigierte Fassung an den Bundesrat überwiesen.
({2})
Jetzt wollen Sie dem Bundesrat zumuten, auf der Basis
einer so unsicheren Rechtsgrundlage zu beraten.
Ich bitte Sie sehr herzlich darum: Heilen Sie diese
Fehler! Muten Sie weder dem Bundesrat noch den Bürgern in diesem wichtigen Bereich eine solche Rechtsunsicherheit zu! Muten Sie dem Bundespräsidenten nicht
zu, daß er sich mit einer solchen Materie befassen muß.
Treten wir also in eine erneute zweite und dritte Lesung
ein. Da haben Sie dann die Chance, Ihr Gesetz durchzubekommen.
({3})
Noch einmal
zur Erinnerung - Herr Kollege Repnik weiß das natürlich -: Für Beiträge zur Geschäftsordnung stehen jedem
Redner fünf Minuten zur Verfügung.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Kristin Heyne.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! All die juristischen Leibesübungen, die wir von den beiden Kollegen
vorgeführt bekommen haben,
({0})
können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Bundestag das Gesetz beschlossen hat. Ein solcher Beschluß ist
unverrückbar. Er gilt, und er wird seinen ganz normalen
Weg zum Bundesrat gehen.
({1})
Der Wille des Parlaments ist bei diesem Beschluß
über die Gesundheitsreform völlig eindeutig gewesen.
Er ist auch durch die Unterlagen des Gesundheitsausschusses eindeutig belegbar. Es wäre relativ einfach gewesen, dies als einen klaren Übertragungsfehler anzusehen und ihn zu korrigieren, wenn man es denn gewollt
hätte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. In diesem Fall könnte das Verfahren ganz normal
weitergehen.
({2})
Wir haben hier zur Zeit nicht die Atmosphäre, in der
solche Fehler ganz normal korrigiert werden können;
Herr Kollege Schmidt hat darauf hingewiesen. Die frühere Gesundheitsreform wies allein 600 Fehler auf. Darüber hat sich niemand groß aufgeregt. Während Ihrer
Regierungszeit gab es sogar den Fall, daß nach Beschluß
durch den Bundesrat noch die Gesetzesüberschrift geändert wurde und das Gesetz an eine andere Stelle kam.
Vermutlich war das vernünftig, weil Sie neue Erkenntnisse hatten. So etwas ist vernünftig umgesetzt, und
nicht skandalisiert worden. Das ist ein Beispiel für eine
ordentliche Zusammenarbeit.
({3})
Wenn neue Medien genutzt werden, führt dies auch
zu neuen Tatbeständen hinsichtlich der Geschäftsordnung. Das, was heute beispielsweise durch E-Mail hin
und her geht, gab es noch nicht, als unsere Geschäftsordnung aufgestellt wurde.
({4})
Wir hatten die verrückte Situation, daß die Sekretariate
die richtige Fassung hatten, daß auch der Gesundheitsausschuß die richtige Fassung hatte, aber hier im Plenum
etwas anderes auf dem Tisch lag. Lieber Herr Kollege
van Essen, es ist richtig, es gab noch einen Fehler. Es
hat aber über zehn Tage gedauert, bis er zufällig bemerkt wurde. Hätte der Gesundheitsausschuß weiterhin
seine richtigen Vorlagen gewälzt, hätte er ihn nicht finden können. Genauso konnte das Gesundheitsministerium diesen Fehler nicht finden, weil die Vorlage richtig
war.
Um Kosten zu sparen, haben wir alle gemeinsam im
Zusammenhang mit dem Umzug nach Berlin den Beschluß gefaßt, uns nicht mehr eine eigene Druckerei zu
leisten, sondern die Druckaufträge an Private zu vergeben.
({5})
Es ist auch vernünftig, es so zu tun. In der privaten
Druckerei - das wissen Sie - ist dieser Fehler aufgetreten. Wir müssen noch weitere Erfahrungen sammeln, um
herauszufinden, ob wir weiterhin eine private Druckerei
nutzen wollen oder ob wir doch eine eigene Druckerei
brauchen. Heute geht es mir nur darum, hervorzuheben,
wo der Fehler gelegen hat.
({6})
Herr Kollege Koppelin, Sie waren diesmal nicht in der
Druckerei. Wir haben schon nachgefragt und in Erfahrung gebracht, daß es an Ihnen nicht gelegen hat.
({7})
Meine Damen und Herren, worum geht es bei dieser
Debatte? Es geht nicht um Gesetzesklarheit, es geht
nicht um parlamentarische Verfahren. Worum es geht,
hat der Kollege Thomae von der F.D.P. deutlich gemacht, als er gesagt hat, das ganze Gesetz müsse eingestampft werden, weil es nichts wert sei.
({8})
Es geht also um Stimmungsmache. Es geht darum, daß
besonders Ihre Klientel - bestimmte Ärztevereinigungen, die Pharmaindustrie ({9})
dieses Gesetz nicht will. Es geht Ihnen um Stimmungsmache gegen dieses Gesetz. Das ist Ziel und Zweck dieser Debatte.
({10})
Die fehlenden Seiten sind ein sehr ärgerliches Vorkommnis. Wir müssen die Wege in Berlin besser einspuren, das ist gar keine Frage.
({11})
Das hat aber nichts mit der Qualität des Gesetzes zu tun.
Wir haben erlebt, daß sich Bundestag und Bundesrat
sehr wohl auf ein Verfahren einigen konnten. Es würde
auch diesem Haus sehr gut tun, wenn es hier mehr Kooperation gäbe.
Dem Antrag der F.D.P. kann ich weder in seinem Inhalt noch in seiner Zielsetzung zustimmen. Wir lehnen
Ihren Antrag ab.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Herr Kollege Claus.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! In einem Punkt ist dem
Ansinnen der Freien Demokraten und der CDU/CSU
natürlich zuzustimmen: Im Gesetzgebungsverfahren war
in der Tat der Wurm, und zwar mit der Dimension einer
Python. Noch schlimmer ist, daß der Wurm noch nicht
heraus ist.
({0})
Das Loch im Gesetz ist echt; es ist nicht erfunden.
Wir laufen auch Gefahr, vor lauter Verfahrensstreit
zu verkennen, daß das Gesetz nicht gut ist. Ich habe dieser Debatte mit einiger Sorge entgegengesehen - hier
endet die Gemeinsamkeit mit den Antragstellern -, und
ich sehe diese Sorge bestätigt. Meines Erachtens geht es
hier nicht mehr um einen Streit zwischen Opposition
und Koalition, sondern hier geht es um das Verhältnis
von Parlament und Öffentlichkeit, konkreter gesagt: um
ein gerade beschädigtes Verhältnis von Parlament und
Öffentlichkeit.
({1})
Wenn dann - das sage ich an die Adresse der Koalition - die Vertreterinnen und Vertreter der Koalition auf
solche Kritiken immer mit Muskelspielen antworten und
das, was sie machen, trotz allem für richtig halten, dann
muß ich Ihnen entgegenhalten, daß Sie Mehrheiten mit
Wahrheiten und den Bundestag mit dem Leben verwechseln.
({2})
Nun aber zur Kritik am F.D.P.-Antrag: Die F.D.P.
schlägt uns allen Ernstes vor, einen Verfahrensfehler
durch einen nicht minder groben Verfahrensfehler zu
beheben. Das würde bedeuten, von einem Straßengraben
in den anderen zu geraten. So geht es nicht; das wissen
auch die Antragsteller. Der Bundestag hat dieses Gesetz
abschließend angenommen. Es kann jetzt nicht seine
Nichtigkeit erklärt werden. Die Sache ist ungeheuer
peinlich, aber sie ist wahr.
Wenn Sie eine Alternative wollten, hätten Sie die
Bundesregierung mittels der Mehrheit des Bundestages
auffordern müssen, ein Gesetz zur Änderung des Gesundheitsreformgesetzes einzubringen. Nur dies wäre
eine Alternative zu dem jetzt vorgeschlagenen Vermittlungsakt. Jetzt kommt aber Ihr Problem, meine Damen
und Herren: Diesen Weg haben Sie am 4. November
selbst verlassen. Sie haben sich auf den § 122 der Geschäftsordnung eingelassen, der besagt, daß geringe
Korrekturen möglich seien. Herr Kollege Repnik, insofern steht die im Gesetz enthaltene „maoistische“ Krankenhausversorgung mit dem Segen der CDU/CSU darin.
Dem können Sie sich nicht entziehen.
({3})
Die PDS hatte Ihnen damals - Sie haben mich dafür
verlacht; ich habe das hingenommen -gesagt - das ist
nachlesbar -: Der § 122 GO ist ein sehr dünnes Eis. Wir
haben Ihnen auch gesagt, daß es eine andere Möglichkeit gegeben hätte, nämlich die Möglichkeit, die Veränderung über Änderungsanträge in der zweiten Lesung
herbeizuführen. Für die Opposition hätte dies bedeutet,
ihrerseits mittels Fristverzicht und einer Zweidrittelmehrheit im Plenum zur Heilung des Problems beizutragen. So etwas funktioniert aber nur, wenn man einigermaßen vernünftig miteinander umgeht.
Nun haben Sie aber das andere Verfahren mitgemacht, und damit ist dies nicht nur ein Fehler der Koalition. Offenbar bleibt uns nichts anderes übrig, als den
Weg zu gehen, den § 10 der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates vorschlägt, nämlich im Vermittlungsausschuß Änderungen
am Gesetz vorzunehmen.
Insofern lehnen wir den Antrag der F.D.P. ab.
Ich sage abschließend: Wir machen uns öffentlich lächerlich, und die Betroffenen des Gesetzes bleiben im
Regen stehen. Die Pharmaindustrie reibt sich dennoch
die Hände, und die parlamentarische Demokratie ist ein
weiteres Mal beschädigt, was zu bedauern ist.
({4})
Wir kommen
nun zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
schäftsordnungsantrag der Fraktion der F.D.P. zustim-
men wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen! -
Enthaltungen? - Der Geschäftsordnungsantrag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS ge-
gen die Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt
worden.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 1 auf:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2000 ({0})
-Drucksachen 14/1400, 14/1680 ({1})
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 1999 bis 2003
- Drucksachen 14/1401, 14/1680, 14/1925 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft
Wir kommen zunächst zu den drei Einzelplänen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Zunächst rufe ich auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 14/1901, 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Adof Roth ({3})
Ewald Schurer
Antje Hermenau
Dr. Christa Luft
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 01 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Ich rufe auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 14/1902, 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Dr. Jochen Borchert
Antje Hermenau
Dr. Barbara Höll
Wer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 02 ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Ich rufe auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 14/1903, 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Matthias Berninger
Heidemarie Ehlert
Hierzu liegt der Wunsch der Abgeordneten Ehlert
nach einer mündlichen Erklärung zur Abstimmung vor.
- Bitte.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich möchte begründen, warum ich
mich bei der Abstimmung über den Einzelplan 03 der
Stimme enthalten werde.
Selbstverständlich erkenne auch ich die verantwortungsvolle Tätigkeit des Bundesrates an. Ich bin mir
auch darüber bewußt, daß ein solches Gremium Möglichkeiten und entsprechende Rahmenbedingungen zum
Arbeiten haben muß. Deshalb habe ich im vergangenen
Haushaltsjahr dem Einzelplan 03 ohne Intervention zugestimmt.
Für den Einzelplan 03 des Jahres 2000 ist die Situation allerdings anders. Die Bundesregierung hat generell
ein weitreichendes Sparprogramm ausgerufen und alle
Ministerien zum Sparen verpflichtet. Gespart wird nun
insbesondere bei denen, die kaum eine Lobby haben.
Erinnert sei nur an die Rentenanpassung. Dazu wird in
den kommenden Debatten sicher noch viel gesagt werden.
Der Bundesrat gehört auf jeden Fall zu den Gremien,
die im Jahr 2000 nicht sparen müssen. Im Gegenteil:
Sein Haushalt erhöht sich von 27,3 Millionen auf rund
48 Millionen DM. Das sind also rund 20 Millionen DM
mehr als 1999. Geschuldet ist diese Erhöhung nur zum
Teil dem Umzug nach Berlin im nächsten Jahr. Abgesehen davon, daß nach den bisherigen Erfahrungen die
Mittel nicht reichen werden, ist es meiner Meinung nach
unter den gegebenen Umständen des allseits verordneten
Sparzwangs den Bürgerrinnen und Bürgern nicht zu erklären, warum der Bundesrat trotz des Umzuges nach
Berlin weiterhin eine Außenstelle in Bonn aufrechterhält, so daß insgesamt die Kosten für Unterhaltung, Mieten und Pachten im Vergleich zu 1999 um das
Neunfache - ich wiederhole: um das Neunfache! wachsen.
Auch die Neueinstellungen beim Personal sind im
Vergleich zu den anderen Gremien überdurchschnittlich
hoch. Zwei Dienstsitze wollen eben auch personell abgesichert werden. Auch bei der Ausstattung mit Geräten,
Möbeln bis hin zur Ausstattung mit Literatur wird nicht
gespart. Da die Arbeitsfähigkeit in Bonn erhalten bleiben soll, muß man sich in Berlin komplett neu einrichten.
Ich denke, die genannten Gründe reichen aus, daß
dieser Einzelplan 03 von mir nicht mitgetragen werden
kann. Ich hoffe, daß sich noch weitere Mitglieder dieses
Hauses meiner Meinung anschließen können.
({0})
Wir kommen
nun zur Abstimmung. Wer stimmt für den Einzelplan 03
in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 03 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Ich rufe die Einzelpläne 08, 32, 60 und 20 auf:
Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksachen 14/1908, 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Oswald Metzger
Dr. Uwe-Jens Rössel
Manfred Hampel
Antje Hermenau
Einzelplan 32
Bundesschuld
- Drucksache 14/1919 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Oswald Metzger
Dr. Uwe-Jens Rössel
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache 14/1921 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Dr. Günter Rexrodt
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksache 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Oswald Metzger
Ewald Schurer
Josef Hollerith
Heidemarie Ehlert
Zum Einzelplan 60 liegen je ein Änderungsantrag
der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der PDS
vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist auch so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Dietrich Austermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Haushaltsberatungen
sind Weichenstellungen, die die Wirkungen von Politik
optimieren sollen. Bis Ende 1998 wurde ein konsequenter Konsolidierungskurs betrieben.
({0})
1991 bis 1997 wurden 125 Milliarden DM eingespart,
was von der damaligen Opposition immer mit dem Begriff „Kaputtsparen“ gebrandmarkt wurde. Das Ergebnis
war aber, daß wir eine Stärkung der Wachstumskräfte
und eine Belebung des Arbeitsmarktes erreicht haben.
({1})
Deutschland wurde unter der Regierung Kohl/Kinkel/
Waigel bis zur letzten Bundestagswahl auf mehr internationale Wettbewerbsfähigkeit vorbereitet. Reformen
wurden eingeleitet, die zwar schmerzhaft, aber wirkungsvoll waren. Die Medizin war bitter, aber der Patient kam auf den Weg der Besserung.
Das ist eine Zwischenbilanz unserer damaligen Regierungszeit. Wie sieht es heute aus?
Mit den zweiten Haushaltsberatungen nach der Bundestagswahl unter rotgrüner Federführung wurde der sofort nach dem Regierungswechsel begonnene Zickzackkurs fortgesetzt. Die Grundlinien rotgrüner Politik sind
nicht erkennbar. Das gilt vor allem für die Finanz- und
Haushaltspolitik.
({2})
Die Regierenden im Kanzleramt und in den Ministerien
stellen sich als politische Wetterfahnen dar.
({3})
Entsprechend sieht die Bilanz dieser rotgrünen Politik
aus. Der erste rotgrüne Haushalt wurde verspätet in
Kraft gesetzt. Investitionen kamen ins Stocken, das
Wachstum wurde halbiert, der Arbeitsmarkt stagniert,
die Erwerbstätigkeit sinkt. Wenn Sie heute nach der Bilanz der Bundesanstalt für Arbeit fragen und sich die
Tabelle vorzeigen lassen, auf der erkennbar ist, wie sich
die Arbeitslosenquote in letzter Zeit entwickelt hat, werden Sie unter der Rubrik „Erwerbstätigkeit“ eine Leerstelle finden, keine einzige Markierung, keine einzige
Angabe. Seit sieben Monaten wird keine Bilanz mehr
darüber geführt, wie sich die Zahl der Erwerbstätigen
tatsächlich geändert hat. Das hat offensichtlich gute
Gründe
({4})
- schlechte Gründe -, denn die Zahl der Erwerbstätigen
geht offenbar zurück. Auch die aktive Arbeitsmarktpolitik erreicht anscheinend weniger Menschen.
Nein, diese Politik rotgrüner Haushaltsführung heißt:
Verschuldung, Staatsquote, Steuerquote, aber auch
Steuerbelastung und Spritkosten steigen, letztere seit der
Wahl um 30 Pfennig. Die Kohle hat durch neue Steuern
geringere Chancen. Gekürzt wurde auch bei der Kohle,
und zwar um 250 Millionen DM,
({5})
um noch einmal einen Punkt aufzunehmen, der in der
vorangegangenen Woche eine Rolle gespielt hat.
Für den Schiffbau bedeutet die Steuerpolitik hohe
Risiken und Auftragsverluste. Von der für dieses Jahr
notwendigen Wettbewerbshilfe, Herr Finanzminister,
hat Ihr Haus bisher keinen einzigen Pfennig bewilligt.
Das heißt, das, was das Parlament zu Beginn des Jahres
beschlossen hat - mehr Unterstützung für die Wettbewerbsfähigkeit der Werften -, wird durch den Finanzminister blockiert, der das Geld nicht auszahlt. Daß dies
zwangsläufig zur Folge hat, daß im nächsten Jahr wahrscheinlich zwei, drei Werften stilliegen werden, ist,
glaube ich, für jedermann, der etwas von der Materie
versteht, erkennbar.
Die Landwirtschaft wird durch den ruinösen Subventionsabbau und durch Kürzungen in Milliardenhöhe
gestraft. Ein Energiekonsens kommt nicht zustande.
Das Bündnis für Arbeit hat bisher kein Ergebnis vorgelegt. Die vom Verfassungsgericht erzwungene Familienentlastung wird durch höhere Steuern kompensiert.
Der Bund bietet dem Bau und dem Straßenbau keine
Perspektive für neue Projekte. Ihr Zickzack führt auf den
Holzweg und zu Holzmann, also zur Pleite. - Dies war
die Bilanz bereits vor Beginn der Haushaltsberatungen
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
2000, und sie hat sich während der Beratungen weiter
verschlechtert.
({6})
Vor fünf Monaten vorgelegt, in der letzten Woche im
Haushaltsausschuß verabschiedet, beginnt heute die
zweite und dritte Lesung des Haushaltes 2000. Drei Monate hat der Haushaltsausschuß beraten. Was ist das Ergebnis? Zum erstenmal schließen wir nach den Haushaltsberatungen mit Mehrausgaben ab. Während der Beratungen wurde die Haushaltsstruktur weiter verschlechtert. Lagen die Investitionen bereits im Entwurf
um 0,6 Milliarden DM niedriger als 1999, so wurden
noch einmal 100 Millionen DM gestrichen. Sie blähen
die Konsumausgaben auf. Sie kürzen die Investitionen.
Dies ist wachstums- und beschäftigungsfeindlich.
Meine Damen und Herren, die Ausgaben liegen im
Vergleich zu 1998 - ich bitte darum, genau zuzuhören;
denn Sie versuchen im Hinblick auf dieses Thema wieder Boden unter die Füße zu bekommen - im Haushalt
2000 um 22 Milliarden DM höher.
({7})
Das sind 4,5 Prozent mehr als im Jahre 1998.
({8})
- Herr Eichel, das ist selbstverständlich so. Offenkundiger als diese Zahl ist, so glaube ich, wenig in Ihrem
Haushalt. - 2003 sind es dann 47 Milliarden DM Mehrausgaben als 1998.
Mit dem von Ihnen eingeleiteten angeblichen Sparpaket von 30 Milliarden DM werde das zurückgenommen,
was im Jahre 1999 auf die Ausgaben aufgeschlagen
worden sei - so der Sachverständigenrat in seinem
kürzlich vorgelegten Gutachten. Sie stärken nicht die
Wachstumskräfte; vielmehr schaden Sie ihnen.
({9})
Bezogen auf die Finanz- und Haushaltspolitik stelle
ich fest: Wer Eichel kennt, lobt ihn nicht - das richtet
sich nicht auf seine Person, sondern auf seine Finanzpolitik -; denn vieles wird nur mit einem Etikett versehen. Die finanziellen Auswirkungen der Steueränderungen im Haushaltssanierungsgesetz belegen, daß von
Ihrer Politik, Herr Finanzminister, für Bürger und Betriebe keine Entlastung zu erwarten ist. Sie belegen, daß
sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtern werden.
Allein beim Bund führt die zweite Stufe der sogenannten Ökosteuerreform zu 5,1 Milliarden DM Mehreinnahmen. Davon fließen 2,9 Milliarden DM in die
Rentenkasse. Für jedermann ist nachvollziehbar: Wenn
im Rahmen der Ökosteuer mehr kassiert wird, als durch
entsprechend reduzierte Beiträge zurückgegeben wird,
dann muß die Ökosteuer dazu dienen, im Haushalt selbst
geschaffene Löcher abzudecken.
Das kann man offenkundig belegen, wenn man einmal folgende Rechnung aufmacht: Die Mehrwertsteuer
wurde im letzten Jahr um 1 Prozentpunkt erhöht. Eine
weitere Belastung erfolgte durch die sogenannte Energiesteuer. Durch diese zusätzlich erhobenen Steuern ergeben sich für das Jahr 2000 33 Milliarden DM Mehreinnahmen. Tatsächlich werden die Rentenbeiträge nur
um 18 Milliarden DM entlastet. Das heißt, nur etwas
mehr als die Hälfte von dem, was von den Bürgern zusätzlich an Steuern gezahlt wird, wird zurückgegeben.
Das kann doch nur eine stärkere Belastung bzw. einen
Betrug der Bürger bedeuten. Das sogenannte Haushaltssanierungsgesetz ist dafür eine weitere Basis.
({10})
Das sogenannte Haushaltssanierungsgesetz bringt
dem Bund weitere 14,2 Milliarden DM Einnahmen.
Selbst wenn ich abziehe, daß die Einnahmen nach dem
Zusammentreffen mit dem Bundesrat etwas geringer
sein werden als vorher und sich die Finanzsituation des
Bundes etwas anders darstellt - denn es müssen natürlich Kompromisse geschlossen werden -, erzielt der
Bund im nächsten Jahr eine zusätzliche Nettoeinnahme
in Höhe von 10 Milliarden DM. Wenn der Bund bei den
Bürgern 10 Milliarden DM mehr abkassiert, kann dies
nur bedeuten, daß diese 10 Milliarden DM den Investitionsbereich nicht stärken und die Belastungen der Bürger
nicht verringern.
Sie führen auch an anderen Stellen bestimmte Töpfe
ein, so daß für den Außenstehenden nicht genau erkennbar ist, in welcher Höhe zusätzliche Milliardeneinnahmen in den Haushalt fließen. Ich glaube, daß Sie diesen
Schritt nur machen, um das verständliche Begehren der
Bürger nach einer Steuerentlastung zu reduzieren. Bei
einem Haushalt, wie er 1998 vorgelegt worden ist, und
einer Haushaltslage, wie sie sich bei einer richtigen
Politik ergeben hätte, könnten die Steuern schon am
1. Januar des Jahres 2000 gesenkt werden. Wer dies
nicht will, muß verschleiern und täuschen.
({11})
Der Bundeskanzler hat gesagt, er wolle sich an der
Entwicklung am Arbeitsmarkt messen lassen. Wir stellen fest: Die Beschäftigung sinkt, auch auf dem aufgeblähten zweiten Arbeitsmarkt, und deshalb müssen Sie
mehr Geld für Langzeitarbeitslose ausgeben. Sie haben
versagt - dies ist die wichtigste Feststellung nach einem
Jahr rotgrüner Bundesregierung in Deutschland.
Dieses Sparprogramm, Herr Eichel, ist eine Schimäre
({12})
- um es für Sie zu übersetzen, Herr Schlauch: ein Trugbild.
({13})
Es werden nicht 30 Milliarden DM eingespart, sondern
allenfalls 7 Milliarden DM. Es werden keine Schulden
abgebaut, sondern neue Schulden gemacht: 220 Milliarden DM.
({14})
- Hört zu, damit auch Ihr es endlich lernt: Von 1999 bis
2003 werden 220 Milliarden DM neue Schulden gemacht - wobei wir davon ausgehen, daß Sie für das Jahr
2003 keine politische Verantwortung mehr tragen werden. Das ist ganz leicht nachzuvollziehen, wenn man
sich die Finanzplanung anschaut.
({15})
Offensichtlich wird hier nach dem im Rechenunterricht
einer ehemaligen hessischen Gesamtschule Gelernten
verfahren: Wenn zehn Mann in einer Kneipe sitzen und
elf rausgehen, muß einer wieder reingehen, damit keiner
mehr da ist. - So betreiben Sie Finanzpolitik, nämlich
mit dem Bestreben, deutlich zu machen, daß gespart
wird, obwohl dies nicht der Fall ist.
Die größte Steuersenkung aller Zeiten entpuppt sich
als neue Schröpfkur à la Eichel.
({16})
Die Ausgabenkürzungen wirken stärker als die Impulse
durch Steuersenkung und Anhebung des Kindergeldes das sagt nicht die Union oder die F.D.P., sondern das
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Ein Jahr
Rotgrün mit chaotischer Wirtschafts- und Finanzpolitik
bedeutet mehr Konsum, übrigens auch im täglichen Regierungsgeschäft. Wenn man sich einmal die Einzelpositionen des Haushalts anguckt, wo mehr Geld ausgegeben wird, dann weiß man, daß mit dem Sparen offensichtlich nicht ernst gemacht wird: Ob es die getunten
Dienstwagen sind, ob es die Ausgaben für die parteipolitisch geprägte Öffentlichkeitsarbeit des Regierungssprechers Heye sind, ob es die Verfügungsmittel des
Bundeskanzlers sind,
({17})
ob es das Umzugsfest ist, das gesponsert werden sollte,
jetzt aber aus der EXPO-Kasse bezahlt wird - überall
wird mit dem Geld nur so herumgeschleudert, behauptet
aber wird, es werde gespart. Dies ist eine Politik der
Unvernunft. Das Jahr 1999 war, wie es das DIW und
auch wir sagen, ein verlorenes Jahr für den Arbeitsmarkt, ein verlorenes Jahr für Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Rotgrün hat Deutschland zurückgeworfen.
({18})
- Herr Poß, ich wäre vorsichtig mit voreiligen Verdächtigungen.
({19})
Nachdem Sie hier dem Kollegen Rüttgers vor zwei Wochen unterstellt haben, er habe in einem bestimmten
Punkt die Unwahrheit gesagt, sollten Sie in Sachen
Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit ein bißchen zurückhaltender sein.
({20})
Noch einmal zu den Sachverständigen. Sie haben gesagt, die Bundesregierung habe mit einer Reihe gesetzlicher Maßnahmen in die Arbeitsmarktordnung eingegriffen. Professor Walter spricht, wenn er Ihre Wirtschaftspolitik beschreibt, von einem Rekord an Konfusion. Die
Haushaltspolitik dieser Regierung steht unter dem Motto: Versprochen, gebrochen.
({21})
Der Kanzler hat gesagt: Ich stehe dafür, daß die Renten
in Zukunft in gleichem Maße steigen wie die Nettoeinkommen. Versprochen, gebrochen: Die Ausgaben für
die Rentenversicherung explodieren. Im Jahr 1998 unter
Minister Waigel haben wir an Bundeszuschuß 20 Prozent der Renten ausgegeben, im Jahre 2003 werden es
30 Prozent sein. Die Rente wird immer abhängiger von
der öffentlichen Kasse. Das bedeutet: Rente nach Kassenlage. Sie betrügen die Menschen um das, was sie
während ihrer Arbeitszeit erarbeitet und eingezahlt haben.
({22})
Versprochen haben Sie mehr Investitionen. Wir werden die Investitionsausgaben in Forschung und Bildung in den nächsten fünf Jahren verdoppeln, hieß es
seitens des Bundeskanzlers. Was ist Tatsache? Die Investitionsausgaben des Bundes sinken im Haushalt 2000
und werden weiter sinken bis zum Jahr 2003: von 12,5
auf 10,6 Prozent. Die Investitionsquote erreicht damit
einen Negativrekord. Jeden, dem es um Bauarbeiter, um
den Arbeitsmarkt und um zusätzliche Arbeitsplätze geht,
muß das beunruhigen, und man muß überlegen, wie man
die Schraube anders drehen kann, als Sie es getan haben.
Das gleiche gilt übrigens - ein wichtiges Thema - für
die Investitionsausgaben im Bereich der Forschung und
der Bildung. Inzwischen haben wir den Eindruck, daß
die Aufspaltung von Teilen von Forschungsausgaben
zum Wirtschaftsetat mehr dem Zweck dient, über globale Minderausgaben das wieder einsammeln zu können, was Sie vorher zur Verfügung gestellt haben. So ist
es in diesem Jahr geschehen. Für erneuerbare Energien
sollten 200 Millionen DM bereitgestellt werden.
({23})
115 Millionen DM haben Sie im Laufe des Jahres wieder einkassiert. Die Mittel, die für die mittelständische
Forschung - AIF - bereitgestellt werden sollten, werden
klammheimlich wieder genommen. Sie trennen die Forschungspolitik von der Mittelstandspolitik und schaden
damit dem Mittelstand,
({24})
und Sie geben bis zum Jahre 2000 deutlich weniger für
Forschungsausgaben aus, als wir das zuletzt im Jahre
1998 gemacht haben.
Vom Bundeskanzler wurde eine bessere Verkehrspolitik versprochen. Die Aussage lautete: Es wird keine
Reduzierung der Mittel für den Straßenbau geben. Sehen wir uns die Situation an: In jedem Jahr sind es Hunderte von Millionen DM weniger. Jeder Kollege hat in
seinem Wahlkreis eine Ortsumgehung, wichtige Verbindungsstraßen, die fertig geplant sind, aber nicht realisiert
werden können, weil Sie auch beim Straßenbau mehr
Mittel kürzen, als es dem Straßenbau guttut. Für das Jahr
2000 sind weitere Kürzungen von 220 Millionen DM
bei den Schienenwegen vorgesehen. Sie können nicht
darüber hinwegtäuschen, daß durch das Verkleistern
Ihres Kompromisses die Schienenwegeausbaumaßnahmen neu bewertet werden sollen.
In der Verteidigungspolitik wurde vom Kanzler versprochen: Bei der Bundeswehr ist soviel gekürzt worden, daß sie jetzt schon mit den Helmen an die Decke
stoßen; deshalb haben wir vereinbart, daß es bis auf
weiteres weder im Etat noch bei der Truppenstärke Veränderungen geben wird. Eine halbe Milliarde DM weniger in diesem Jahr, 1,7 Milliarden DM weniger im nächsten Jahr, 19 Milliarden DM weniger bis zum Jahre
2003: Sie ruinieren die Bundeswehr mit Ihrer Finanzund Haushaltspolitik, und Sie belasten mit dieser falschen Politik das, was zusätzlich an neuer Technologie
im Wehrtechnischen betrieben wird.
({25})
- Nein, wir wollen konstante Ausgaben.
Ich kann das gleiche auch für die Entwicklungshilfe
sagen. Es wurde versprochen, den Anteil an Entwicklungshilfeausgaben zu erhöhen. Auch hier Fehlanzeige.
Ich kann das gleiche auch zum Thema Schuldenabbau
sagen.
Ich will noch einmal die Rechnung aufzeigen, die für
die Bürger, meine ich, ganz wichtig ist. Von Ihnen wird
immer wieder gesagt: Die haben uns 1,5 Billionen DM,
also 1500 Milliarden DM, Schulden hinterlassen. Wenn
Sie offizielle Regierungspapiere vom März dieses Jahres
nehmen, so steht dort, daß die Bundesschuld 935 Milliarden DM beträgt. Das ist eine ganze Menge und wird
überhaupt nicht bestritten.
Machen wir eine ganz einfache Addition: Ende letzten Jahres hatten wir mit den sogenannten Schattenhaushalten 1,3 Billionen DM Schulden. Wir haben mit der
Wiedervereinigung 500 Milliarden DM Altschulden
von Herrn Honecker, Herrn Gysi und Frau Luft übernommen, ohne irgendeine politische Entscheidung getroffen zu haben. Darüber hinaus hat der Bund 600 Milliarden DM netto in die neuen Bundesländer investiert.
Die Sachverständigen haben vor kurzem noch einmal
deutlich gemacht, daß es der Bund alleine war. Eichel
und Schröder waren als ehemalige Ministerpräsidenten
Mittäter bei dieser Politik, indem sie den Bund in dieser
Frage alleine gelassen haben.
({26})
600 Milliarden DM! Dies ergibt eine Gesamtsumme von
1,1 Billionen DM oder 1100 Milliarden DM.
({27})
- Noch einmal für Sie, Herr Larcher: 600 Milliarden
DM Investitionen in die neuen Bundesländer, netto, 500
Milliarden DM Honecker-Altlast: Auslandsschulden
usw. Das sind 1,1 Billionen DM oder 1100 Milliarden
DM. Dann rechne ich noch die alte Schmidt-Erblast, die
wir 1982 übernommen haben, hinzu. Sie kommen dann
leicht auf den Betrag, der sich ergeben hat. Etwas anderes wäre auch gar nicht denkbar - Sie haben in den letzten Jahren immer vom Kaputtsparen geredet -, als daß
in den letzten Jahren verantwortlich mit dem Geld umgegangen worden ist. Dies wird von allen Sachverständigen bundesweit belegt.
Sie können den Erfolg dieser Politik - vielleicht sollte
manch einer sein Redemanuskript umschreiben - auch
an der Entwicklung der Zinsen in den letzten Jahren
messen. Wenn im nächsten Jahr 2 Milliarden DM weniger vom Bund für Zinsen ausgegeben werden - das sind
nicht, wie Herr Schröder meint, 82 Milliarden DM, sondern 78 Milliarden DM -, dann ist das der Erfolg einer
langjährigen Konsolidierungspolitik, die sich bemüht
hat, die Zinsen zu verringern.
({28})
- Sie können ja zu den Zahlen sagen, was Sie wollen,
aber bestreiten können Sie sie nicht, weil sie schwarz
auf weiß vorliegen und die amtliche Grundlage der
Politik dieser Regierung sind.
Herr Kollege
Austermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Luft?
Ja. Sie wundert
sich wahrscheinlich, warum ich gesagt habe, daß sie das,
was an Erblast vorhanden ist, mit zu verantworten hat.
Aber wenn ich mich nicht irre, haben Sie ja damals dem
Kabinett angehört.
Sie irren sich; ich will eine
ganz andere Frage stellen. Ihre Redezeit ist ja gleich zu
Ende. Ich warte immer noch darauf, daß Sie dem Hause
und auch der Öffentlichkeit mitteilen, welchen Sparantrag Ihre Fraktion gestellt hat.
({0})
Sie haben - da stimme ich Ihnen zu - bedauert, was
sich auf dem Arbeitsmarkt in diesem Lande, auch im
letzten Jahr, getan hat. Aber wie man angesichts dieser
Tatsache fordern kann,
({1})
den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit auf Null zu
fahren, das müßten Sie noch einmal erklären.
({2})
Das ist mir nicht ganz begreiflich. Vielleicht verwenden
Sie einen Teil Ihrer Redezeit noch darauf.
Über die Schulden können wir uns an anderer Stelle
unterhalten. Ich frage Sie, ob Sie sich je damit befaßt
haben, welche Ziffer die Bundesbank zum Zeitpunkt der
Währungsunion, also zum 1. Juli 1990,
({3})
für die Netto-Auslandsverschuldung der damaligen
DDR veröffentlicht hat.
({4})
Sie operieren immer mit Ziffern, die aus irgendwelchen
Quellen stammen, aber nicht mit der Ziffer der Bundesbank.
Frau Kollegin
Luft, da Sie ja im Haushaltsausschuß sitzen, wissen Sie,
welche Anträge die Union dort gestellt hat. Ich habe den
Eindruck, irgend jemand hat Ihnen mein Redemanuskript gegeben, von dem ich ein bißchen wegen des einen Themas abgewichen bin.
Ich werde jetzt deutlich sagen, wo die Alternative der
Union ist, und ich werde ebenfalls deutlich sagen, daß es
bisher das erstemal ist, daß die Union - die Opposition ein geschlossenes Konzept vorlegt.
({0})
- Wir sind ja auch das erstemal in der Opposition. Deswegen ergibt sich das auch, daß die Opposition überhaupt ein geschlossenes Konzept für die weitere finanzielle und haushaltsmäßige Entwicklung hat. Dies haben
wir im Haushaltsausschuß beantragt. Jeder, der dort anwesend war und nicht vor sich hingedämmert hat, weiß
das. Ich sage dazu gleich noch etwas.
Zu der Frage der Auslandsschulden der DDR: Es
gibt dazu offizielle Angaben. Ich habe mir vor kurzem
einmal den Mitschnitt der letzten ZK-Sitzungen der SED
angehört. Das ist auf CD veröffentlicht worden; irgend
jemand hat es mir zugeschickt. Das ist zutreffend und
authentisch. Dort haben Krenz und andere, unter anderem auch der Vorsitzende der Plankommission, geredet.
Er hat gesagt - jeder hat sich bemüht, sich reinzuwaschen, und hat gesagt, daß er damit überhaupt nichts zu
tun habe -: Liebe Genossen, wir in der Plankommission
haben schon im Jahre 1971 festgestellt, daß die DDR
pleite ist.
({1})
- Hören Sie sich doch den Mitschnitt der Protokolle an.
Da ist es drauf. Dann können Sie ausrechnen, welche
Altschulden und Auslandsverpflichtungen tatsächlich
bestanden haben.
({2})
Da Sie immer über die Situation der Treuhand geredet haben, wissen Sie doch auch, was die Treuhand
übernommen hat, welche Belastungen da waren. Wer
heute das Elend beklagt und sich darüber beschwert, daß
noch nicht genügend in den neuen Bundesländern passiert ist, bringt doch damit implizit zum Ausdruck, daß
die Schäden offensichtlich groß waren und viel beseitigt
werden mußte.
({3})
- Ja, das war nichts Neues.
Ich will zum Schluß konkret sagen, daß wir unsere
Haushaltsberatungen unter das Motto gestellt haben:
Sparen, Investieren und Steuern senken. Wir haben
Haushaltskürzungen in der Größenordnung von 3,5 Milliarden DM gemacht; wir haben vorgeschlagen, die Investitionen deutlich zu steigern - im Unterschied zu Ihnen. Das steht in unseren Anträgen. Wir kommen zu
dem Ergebnis, daß unsere Nettokreditaufnahme etwa
um 10 Milliarden unter der des Bundesfinanzministers
liegt.
({4})
Wir wollen dazu beitragen, daß die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr aufrechterhalten werden kann. Wir
wollen beim Wohngeld die Belastungen nicht bei den
Gemeinden und den sozial Schwachen belassen. Wir
wollen die Investitionen im Straßenbau und Schienenbau und die Investitionen in die Stadtsanierung stärken.
Wir wollen die Ausgaben für den Hochschulbau, für die
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ steigern, und wir wollen in der
Tat die Mittel für die Bundesanstalt für Arbeit zum Teilausgleich für diese Mehrausgaben reduzieren.
({5})
Sie glauben offensichtlich der eigenen Propaganda nicht.
Glauben Sie wenigstens der Statistik des einschlägigen
Instituts bei der Bundesanstalt für Arbeit! Das hat ausgerechnet, daß es demographisch bedingt - ohne jeden
politischen Einfluß - im nächsten Jahr mindestens
200 000 Arbeitslose weniger gibt. Wenn das so ist, muß
das doch bedeuten, daß wir weniger Geld ausgeben können; denn 100 000 Arbeitslose kosten den Arbeitsmarkt
4,5 Milliarden DM. Ich sage: Wer eine richtige, vernünftige, der Beschäftigung zugewandte Politik macht,
der kann sich nicht verweigern. Der erste Arbeitsmarkt
ist wichtiger als eine Aufblähung des zweiten Arbeitsmarkts.
({6})
Bundeskanzler Schröder sagte am 10. November
1998, gewissermaßen bei Regierungsantritt: „Die Menschen erwarten, daß eine bessere Politik für Deutschland
gemacht wird.“ Ministerpräsident Stolpe antwortete am
7. Oktober 1999: „Die Erwartungen der Leute sind enttäuscht worden.“ Müntefering ergänzte am gleichen Tage: „Elf Monate sind uns nicht gelungen.“
Herr Kollege
Frau Präsidentin, ich komme zum letzten Satz. - Leider gilt dieses
Urteil auch für den Haushalt 2000. Ihr erstes Jahr rotgrüner Haushaltspolitik hat Deutschland zurückgeworfen, das zweite Jahr hat keine Perspektive. Sie schaffen - um das Motto Ihres Parteitages aufzunehmen weniger Innovation und weniger Gerechtigkeit. Umsteuern tut not. Wir werden Ihren Haushaltsentwurf ablehnen.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans Georg Wagner.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Austermann,
Sie müssen in einem anderen Haushaltsausschuß gewesen sein als ich. Ich habe das, was Sie hier vorgetragen
haben, nicht begriffen. Denn es ist alles erläutert worden, und Sie wollen es immer noch nicht glauben. Sie
lügen bei der Steinkohle - wie das vor Ihnen schon Herr
Rüttgers gemacht hat -, Sie sagen, es gebe keine Werftenhilfe - dabei haben wir ihre Fortschreibung für drei
Jahre gesichert -, und Sie sagen, die Probleme in der
Familienpolitik seien die Schuld dieser Bundesregierung, obwohl Sie für Ihre Regierungszeit das vernichtende Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinnehmen
mußten.
({0})
Wir heilen nur die Ungerechtigkeiten, die Sie verursacht
haben.
Der Haushalt 2000 rundet das Zukunftspaket der rotgrünen Koalition ab
({1})
zu einem Gesamtbild der Haushaltskonsolidierung und
der Wiedergewinnung der Zukunftsfähigkeit unseres
Staates.
({2})
Zwar postulierte schon vor über 100 Jahren Lorenz
von Stein, daß ein Staat, der zuwenig Schulden macht,
„es schlecht mit der heutigen Generation und zu gut mit
der nächsten meint“, doch hat es die alte Bundesregierung von CDU/CSU und F.D.P. mit dem Schuldenmachen nun wirklich übertrieben. 1 500 Milliarden DM
Schulden, das sind umgerechnet auf jeden Kopf der Bevölkerung in Deutschland 200 000 DM. 82 Milliarden
DM an Zinsen werden allein im Jahr 1999 fällig, das
sind umgerechnet auf jeden Kopf der Bevölkerung in
Deutschland 10 000 DM. Das hat Ihre Politik zu verantworten. Wir haben das beendet und versuchen gegenzuhalten.
({3})
Der Staat stand zweifellos am Rande des Ruins. Dieser Entwicklung ist die jetzige Koalition energisch entgegengetreten und hat, für jedermann sichtbar, Nägel
mit Köpfen gemacht. Das war nicht einfach und hat
nicht nur Freude ausgelöst. Trotzdem haben wir an
dem Ziel festgehalten und dies durch Beschlüsse hier
im Deutschen Bundestag dokumentiert. Wir wollen Deutschland fit machen für die Zukunft. Jeder ist
eingeladen, im Rahmen seiner Möglichkeiten mitzumachen und sich notwendigen Reformen nicht zu verschließen.
({4})
Mit dem vor zwei Wochen von diesem Hause beschlossenen Haushaltssanierungsgesetz und mit dem
Haushalt 2000, der in dieser Woche verabschiedet wird,
haben wir unsere Grundsteine für ein solides Haushaltsgebaren gelegt. Obwohl viele skeptisch waren und wir
stark beäugt wurden, um uns bei etwaigen Fehlern erwischen zu können, haben wir es geschafft. Unser Konzept
steht.
Wir sind mit dieser Auffassung nicht allein. Die von
der Opposition beantragte öffentliche Anhörung zum
Haushaltssanierungsgesetz erwies sich als ein Flop für
die Antragsteller. Wenn sogar die von Ihnen berufenen
Experten die Richtigkeit der Haushalts-, Finanz- und
Sozialpolitik von Rotgrün bestätigen und vor einer Sabotage der Sparbemühungen warnen, sagt dies eigentlich
alles.
({5})
Sie haben den Entwurf abgelehnt. Ich will Sie nicht öffentlich Saboteure der Entwicklung nennen. Aber der
Experte Herr Walter hat dazu Entsprechendes ausgeführt.
Die führenden Wirtschaftsinstitute sagen, daß noch
stärker gespart werden müsse. Nur leider sagen sie nicht,
wo. In jedem Fall ermutigen sie uns, den eingeschlagenen Kurs fortzusetzen. Das werden wir auch tun.
Anfang November hat der Internationale Währungsfonds, IWF, in Washington sein Gutachten über die
Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht, mit einem dicken Lob
für die rotgrüne Koalition. Nun sage ich ein Wort an die
SPD und an Bündnis 90/Die Grünen. Niemand von uns
kann doch erwartet haben, daß die Opposition und die
Herren Stihl, Henkel und Philipp das Ergebnis des IWF
bejubeln. Wir, liebe Koalitionäre, müssen das tun, indem
wir sagen: Das ist ein Ergebnis internationaler Fachleute. Es bestätigt die Richtigkeit unserer Politik und verdammt die Politik der anderen.
({6})
Wir wissen auch, daß viele nicht gern über diese Erfolge schreiben. Es muß der „Bild“-Zeitung schwergefallen sein, einen Artikel in der Größenordnung von
zehn Zentimetern Höhe und vier Zentimetern Breite zu
veröffentlichen. Darüber stand: „Lob für Deutschland“.
Sie mußte damit ihre schriftlich geäußerte und damit
belegbare Meinung selbst als falsch entlarven. Nicht die
objektiven Daten, sondern der eigene Wunsch war der
Vater des Gedankens. Darum wird die Tatsache ebenso
tapfer wie kleinlaut verschwiegen, daß es die rotgrüne
Koalition geschafft hat, 200 000 junge Menschen mit
einem Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit an die Arbeit heranzuführen, ihnen die Resignation zu nehmen und Zukunftsperspektiven zu eröffnen.
({7})
Wir müssen darüber reden, daß doppelt so viele Ausbildungsplätze, als veranschlagt wurden, im Sinne der
Zukunftsfähigkeit unseres Staates und unserer Gesellschaft geschaffen worden sind. Skepsis in unserer Gesellschaft, Resignation und Zukunftsangst abzubauen
war unser Ziel, das wir auch erreicht haben. Darauf sind
wir stolz.
Mit dem stärkeren Anstieg der Forschungsmittel
versuchen wir, den Herausforderungen des nächsten
Jahrtausends gerecht zu werden. Ich finde es gut, daß ein
Wettbewerb zwischen dem Forschungs- und dem Wirtschaftsministerium darüber ausgetragen wird, wer von
beiden die besten Forschungsvorschläge einbringt und
daher über die entsprechenden Forschungsgelder verfügen kann.
Ich meine, daß die Umwandlung der einzelnen Ministerien und ihrer nachgeordneten Dienststellen in modernste Anbieter von Dienstleistungen auch zu mehr
Beweglichkeit und Kreativität führen muß. Dies muß
nicht zwangsläufig zu Mehrkosten führen.
({8})
Die Motivation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
muß an der Spitze unserer Anstrengungen stehen. Ich
kann mir nicht vorstellen, daß der öffentliche Dienst
nicht mindestens ebenso kreativ sein kann wie die private gewerbliche Wirtschaft.
({9})
Deshalb muß die weitere Verschlankung der Verwaltung
ohne Gefährdung ihrer Handlungsfähigkeit fortgesetzt
werden. Auch hier gilt vorrangig, die Zukunftsfähigkeit
der Verwaltung herzustellen. Daher rührt auch die Bitte
der Koalition an die Bundesregierung, zu prüfen, ob es
möglich und sinnvoll ist, die aus den 20er Jahren stammende Ministerialzulage auf Bundesebene in eine Leistungszulage umzuwandeln. Damals war eine Zulage als
Lockprämie für die Beamten aus der Provinz nötig, damit sie bereit waren, nach Berlin zu kommen. Heute ist
eine solche Prämie nicht mehr notwendig. Die Länder bis auf ein Land - haben sie übrigens abgeschafft. Durch
die Umwandlung der Ministerialzulage in eine Leistungszulage könnte neue Motivation entstehen.
Die Koalition hat die in Washington gemachte Zusage der Bundesregierung, die Entschuldung der ärmsten Länder voranzutreiben, in konkrete Haushaltszahlen gefaßt. Die von der Bundesregierung zugesagte Verdreifachung der Mittel von 50 Millionen DM auf 150
Millionen DM ist auch für andere Staaten ein wichtiges
Signal gewesen, wofür ich Heidemarie Wieczorek-Zeul
und Hans Eichel besonders Dank sagen möchte.
({10})
Ich will auch sagen, daß die vielfältigen Bemühungen
aus dem Bereich der Kirchen und der übrigen Nichtregierungsorganisationen nicht ohne Eindruck auf die
oftmals als hart und kalt bezeichneten Haushälter geblieben sind. Wir haben dem Gedanken der Friedenserhaltung stärkere Bedeutung als je zuvor im Haushalt
eingeräumt. So wurden zur Unterstützung friedenserhaltender Maßnahmen die Einzelpläne von Außenminister Joschka Fischer um 20 Millionen DM
({11})
und von Heidemarie Wieczorek-Zeul um 10 Millionen
DM aufgestockt. Im Einzelplan von Edelgard Bulmahn
haben wir die Einrichtung eines Instituts für Friedensund Konfliktforschung durch Bereitstellung von insgesamt 50 Millionen DM ermöglicht.
({12})
Zugegeben: 50 Millionen DM sind nicht allzuviel Geld,
aber angesichts des Tilgens solcher Mittel durch die alte
Koalition eine ganze Menge.
Wenn es denn gelänge, internationale Krisen früher
beilegbar zu machen, wäre dies sicherlich billiger als
nachträgliche Wiederaufbauhilfe.
({13})
Es ist auf Dauer niemandem mehr begreiflich zu machen, daß man es zuläßt, daß zunächst einmal alles kräftig zerstört wird, um anschließend für den Wiederaufbau
zu sammeln.
In diesem Zusammenhang begrüße ich die Absicht
der Bundesregierung, verstärkt deutsche Architektenund Ingenieurverbände sowie die deutsche Bauwirtschaft in den Wiederaufbau Südosteuropas einzubeziehen. Es darf sich nicht wiederholen, daß, wie in BosHans Georg Wagner
nien-Herzegowina, Milliardenbeträge der Europäischen
Union einfach verschwinden. Die deutschen Bauunternehmen müssen in einem europäischen Wettbewerb eine
echte Chance bekommen, denn kompetent und leistungsfähig sind sie allemal. - Ich darf natürlich nicht an
das aktuelle Beispiel erinnern, das zeigt, daß manchmal
die Leistungsfähigkeit etwas eingeschränkt ist. - Der
Aufbau Südosteuropas kann dazu führen, daß sich ein interessanter Markt auch für deutsche Produkte entwickelt.
Mit der von allen gewünschten, immer stärker werdenden europäischen Integration reift langsam, aber sicher die Erkenntnis, daß es ein Witz ist, auf Dauer
15 Außenminister, 15 Verteidigungsminister und je
15 Minister für alle anderen Ressorts zu haben. In einem
vereinigten Europa ist das eigentlich obsolet. Es ist auf
Dauer nicht hinnehmbar, daß Europa in der ganzen Welt
immer gleich 15fach vertreten ist. Deshalb hat Außenminister Fischer auch unsere Unterstützung bei seinen
Versuchen, zu mehr europäischer Konzentration zu
kommen.
Ich freue mich, meine Damen und Herren, daß die
Koalition zu einem einvernehmlichen Konzept zur
Finanzierung von Verkehrsinvestitionen gekommen
ist. Auch hier hat die Koalition Handlungsfähigkeit bewiesen. Nach dem absolut unterfinanzierten Bundesverkehrswegeplan, der nur unerfüllbare Versprechungen
gemacht hat - Ihr Bundesverkehrswegeplan, meine Damen und Herren - und der bar jeglicher finanzieller
Grundlage war,
({14})
sind wir jetzt endlich zur Realität zurückgekehrt.
({15})
Auch weiß die Bauwirtschaft endlich Bescheid und muß
nicht auf Utopien aufbauen. Zwar ist meinen Kolleginnen und Kollegen der Koalition so die Chance genommen - wie es CDU/CSU und F.D.P. über Jahrzehnte
hinweg praktiziert haben -, Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen ins Blaue hinein zu verkünden. Aber dafür können wir jetzt mit der Wahrheit vor unsere Bürgerinnen
und Bürger treten. Sie verstehen, daß nicht alles
Wünschbare sofort zu verwirklichen ist.
Der Haushalt 2000, den wir in dieser Woche ausgiebig diskutieren und am Freitag verabschieden werden,
gibt nicht nur der Regierungskoalition Gelegenheit, ihre
Politik umfassend darzustellen. Er gibt auch der Opposition die Chance, ihre Alternativen darzustellen. In den
Beratungen des Haushaltsausschusses ist allerdings mein
schon in der ersten Lesung Anfang September geäußerter Wunsch nach positiven Vorschlägen der Opposition
nicht in Erfüllung gegangen. Es kam nichts, was seriös
gewesen wäre.
Nach Anträgen der F.D.P. und der CDU/CSU sollten
die Zuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit auf Null
gestellt werden.
({16})
Das hätte als Ergebnis gehabt, daß der Arbeitsmarkt in
den neuen Ländern absolut zerstört worden wäre. Auch
in den westlichen Bundesländern wäre es drunter und
drüber gegangen. Wir haben das verhindert, meine Damen und Herren.
({17})
Die Koalition beweist mit diesem Haushalt, daß sie
handlungsfähig ist und Schritte unternimmt, zu denen
die alte Regierung einfach nicht in der Lage war. Dies
ist sicherlich schmerzhaft. Aber wer unseren Kindern
und Enkelkindern die Chance eröffnen will, ihre Gegenwart selbst zu bestimmen, darf nicht zurückzucken,
sondern muß handeln. Die Koalition tut dies, meine
Damen und Herren.
Noch ein paar Bemerkungen zu dem, was der Kollege
Austermann wieder ausgeführt hat: Er hat hier gesagt,
die Koalition kürze die Steinkohlenbeihilfe um
250 Millionen DM.
({18})
Das ist schlicht und ergreifend eine Lüge.
({19})
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Austermann?
Nein.
({0})
Ich belege gerade seine Lügen. Er hat behauptet, die
Koalition habe 250 Millionen DM für den Steinkohlenbergbau gestrichen. Das ist schlichtweg gelogen.
({1})
Es ist mit den Betroffenen, also mit den Landesregierungen, mit der Gewerkschaft und mit den Unternehmen, darüber Einigkeit erzielt worden, daß eine Tranche
von 250 Millionen DM in den Januar 2001 geschoben
wird. Das ist keine Kürzung,
({2})
sondern eine sichere Zusage, daß alle Zuwendungen, die
die alte Koalition mit den bergbautreibenden Unternehmen vereinbart hat, von dieser Bundesregierung geleistet
werden.
({3})
Sie waren nicht einmal in der Lage, in den Haushalt
1999 eine müde Mark für den Steinkohlenbergbau einzustellen. Haben Sie das vergessen?
({4})
Dasselbe gilt für die beiden Bundesländer Bremen
und Saarland. Sie haben keine müde Mark für deren
weitere Teilentschuldung eingestellt.
({5})
Sie wollten da nichts machen. Auch hierzu verbreiten
Sie draußen ständig eine Lüge.
({6})
- Nein, da brauchen Sie keine Befürchtungen zu haben,
Herr Kollege. Ich bedanke mich aber für die Aufmerksamkeit, die Sie mir damit widmen.
Zu den Werften: Herr Kollege Austermann, hier ärgert mich insbesondere, daß Sie für diese gar nichts
mehr vorgesehen hatten. Die jetzige Koalition hat
90 Millionen DM für das nächste Jahr und Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von jeweils 80 Millionen
DM für die nächsten drei Jahre eingestellt. Wir haben
damit genau das gemacht, was die Werftenindustrie
wollte. Sie haben das über Jahre und Jahrzehnte hinweg
verweigert.
({7})
Sie haben es noch immer nicht überwunden: Sie sagen, die Erhöhung des Kindergeldes sei lächerlich. Wir
werden nach anderthalb Jahren Regierungszeit das Kindergeld bis zum Jahre 2000 mehr erhöht haben als Sie in
16 Jahren. Das darf man doch nicht vergessen.
({8})
Auch viele andere von Ihnen betriebene Dinge haben
sich wesentlich geändert. Wir haben den Eingangssteuersatz vermindert. Das war ein Versprechen von uns.
Wir konnten ihn nicht so weit zurückführen, wie wir es
wollten. Wir werden aber am Ball bleiben. Wir haben
das Existenzminimum angehoben. All das waren familienfreundliche Maßnahmen, mit denen wir das wettmachen wollten, was Sie sich 16 Jahre lang familienpolitisch geleistet haben und was zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts geführt hat.
Sie sind eingeladen, im Laufe der Debatte einmal
ganz konkret Ihre Alternativen aufzuzeigen. Am Freitag
können wir darüber reden, wie wir damit umgehen. Es
müßte von Ihnen endlich einmal etwas anderes als immer nur das Dreschen von leeren Phrasen und das Aufstellen von falschen Behauptungen kommen. Es muß
etwas kommen, was der Wahrheit entspricht. Unser
Haushalt dient der Wahrheit und Klarheit in der Bundesrepublik Deutschland.
Schönen Dank.
({9})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Günter Rexrodt.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem
Haushalt 2000 und mit der Finanzplanung soll nun ein
Mäntelchen über das gedeckt werden, was uns die rotgrüne Koalition seit mehr als einem Jahr an Konzeptionslosigkeit und an handwerklichen Mängeln bietet.
({0})
Sie nennen das „Sparpaket“. Sparen ist gut. So empfinden das auch die Bürger. Sie treffen damit eine Grundstimmung in unserem Land, die seit langem existiert
({1})
und die Sie nicht erzeugt haben.
({2})
Herr Eichel, ich nehme Ihnen ab, daß Sie diesen
Sparkurs wollen. Wir haben nie einen Zweifel daran
gelassen, daß es zu einem Kurs des Sparens und Konsolidierens keine Alternative gibt. Wir stehen zu einem
solchen Kurs. Aber zweierlei kann man Ihnen hier nicht
durchgehen lassen:
Erstens kann man Ihnen Ihren Anspruch nicht durchgehen lassen, daß Sie gewissermaßen Erfinder dieses
Kurses seien, daß jemand nach einer Phase hemmungsloser Staatsverschuldung in die Arena getreten sei,
({3})
- Herr Schlauch, dazu eignen Sie sich am besten -, der
mit Feuer und Schwert die Schatten der Vergangenheit
bekämpft und dafür sorgt, daß es eine neue Orientierung
in der Haushaltspolitik gibt. Wir werden auf diesen
Sachverhalt noch eingehen.
Zweitens kann man Ihnen in diesem Parlament nicht
durchgehen lassen, daß Ihr sogenanntes Sparpaket in
seiner Dimension ein neues Kapitel in unserer Haushaltspolitik und in unserer Finanzpolitik darstelle.
({4})
In Wirklichkeit bewegen Sie sich in einem ganz schmalen Korridor. Ihr Haushalt 2000 ist nichts Weltbewegendes, sondern ein Routinevorgang.
({5})
Dieser Haushalt ist in keiner Weise dazu angetan, die
chaotische Politik des letzten Jahres zu überdecken oder
gar heiligzusprechen, Herr Schlauch.
({6})
Sie wollten sich immer daran messen lassen, wie Sie
mit der Arbeitslosigkeit fertig werden. Von der ArHans Georg Wagner
beitslosigkeit haben Sie immer behauptet, sie sei zu einem gut Teil auf die falsche Politik der Vorgängerregierung zurückzuführen. Nun hatten Sie schon über ein Jahr
Gelegenheit, eine andere Politik zu machen. Was ist das
Ergebnis? Das Ergebnis ist über alle Maßen unbefriedigend.
({7})
Es gibt keinen wirklichen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Die in den letzten Monaten beobachteten marginalen Veränderungen sind auf eine veränderte Weltkonjunktur, sprich: höhere Exporte - bei uns haben Sie das
immer gegeißelt und wollten es nicht gelten lassen -,
und auf eine demographische Entwicklung am Arbeitsmarkt in Deutschland zurückzuführen. Ihr wirtschaftspolitisches Konzept der Nachfrageorientierung war
schon theoretisch falsch. Es ist - für jedermann in diesem Lande sichtbar - mit einem Paukenschlag zusammengebrochen. Ihre inhaltliche Kurskorrektur scheitert
vor allem an der Unfähigkeit, Sozialsysteme zu reformieren und eine überzeugende Unternehmensteuerreform anzupacken.
({8})
Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist für Sie ein
Tabu. Sie wollten an das „Bündnis für Arbeit“ delegieren. Aber über das „Bündnis für Arbeit“ sprechen Sie
jetzt gar nicht mehr, weil Sie wissen, daß das Ganze angesichts der anstehenden harten Fragen der Tarifpolitik,
der Rentenpolitik und der Sozialpolitik vor die Wand zu
fahren droht. Dies alles, Herr Eichel, spiegelt sich auch
in Ihrem Haushalt wider. Ihre Politik gerät immer wieder in Widersprüche durch falsche Weichenstellungen
und durch Entscheidungen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, die so nicht hätten getroffen werden dürfen.
Die eigentliche Crux dieses Landes liegt darin, daß es
keinen stimmigen Kurs der Regierungspolitik gibt und
daß man es allen recht machen möchte und damit keinem gerecht wird. Die Crux unseres Landes liegt darin,
daß sich der Bundeskanzler auf nichts festlegt und daß
er Punkte in der Tagespolitik zu sammeln versucht. Die
Menschen draußen haben dies durchschaut. Der Bundeskanzler sammelt auch immer weniger Punkte in der
Tagespolitik, wenn ich an seine Äußerungen über Vodafone und Mannesmann denke. Dieser Kanzler ist noch
nicht einmal in der Lage, die Tagespolitik zu meistern.
({9})
Ich lasse Ihnen - das gilt auch für Sie, Herr Eichel;
dies sage ich mit großem Ernst - den ständigen Vorwurf, wir hätten in der Vergangenheit eine unverantwortliche Schuldenpolitik betrieben, nicht durchgehen.
Herr Kollege Wagner - hören Sie erst einmal zu! -, Sie
haben mit Ihrer Rede für mich die beste Vorlage gegeben:
({10})
Sie haben sich vorgenommen - peinlich genau und demagogisch angelegt -, im Zusammenhang mit der Entwicklung der Staatsschuld seit 1990 die Worte „Aufbau
Ost“ und „Wiedervereinigung“ nicht in den Mund zu
nehmen.
({11})
Sie umschreiben und umschiffen diese Begriffe, wo Sie
nur können. Indem Sie diese Begriffe verschweigen,
wollen Sie den Menschen suggerieren: Die Politik der
Regierung Kohl war unsolide gewesen, während wir von
Rotgrün solide sind.
({12})
Das ist Ihre demagogische Anlage.
Nun komme ich zu den Fakten. Fakt ist, daß in den
Jahren 1990 bis 1998 in Deutschland eine Aufgabe geschultert wurde, wie es sie in dieser Form noch nie gegeben hat. Daß dadurch auch die Verschuldung gestiegen ist, war im Prinzip unvermeidbar. Wenn Sie immer
wieder behaupten, man hätte den Leuten 1990 steuerlich
mehr abverlangen können, dann sagen Sie die Unwahrheit. Die Leute müssen im übrigen durch den Solidarzuschlag mehr zahlen. Dieser Solidarzuschlag ist umstritten genug, nicht nur bei uns Politikern, sondern auch bei
den Menschen. Wir haben Steuerpolitik betrieben und
mußten die Schuldenschraube anziehen.
Das eigentliche Wunder im Zusammenhang mit dem
Aufbauwerk besteht in der Tatsache, daß Deutschland
mit einer Gesamtverschuldung von 60 Prozent - gemessen am Bruttosozialprodukt - nicht an der Spitze, sondern im Mittelfeld der europäischen Länder gelandet ist.
Das ist das eigentliche Wunder.
({13})
Das eigentliche Wunder besteht auch darin, daß die gewaltige Aufbauarbeit nahezu bei Preisstabilität geleistet
worden ist. Vergessen Sie dies nicht!
({14})
Sie heben immer - zum Beispiel wie Herr Wagner auf die absolute Zahl von 1,5 Billionen DM und auf die
Staatsverschuldungsquote von 60 Prozent ab. Dies ist
viel zuviel. Das ist keine Frage. Aber warum verschweigen Sie die Konsolidierungsbemühungen der vergangenen Jahre, insbesondere während der Vorbereitung der
Währungsunion? Theo Waigel hat den Stabilitätspakt
in Europa durchgesetzt.
({15})
Warum gehen Sie mit keinem Wort auf die Konsolidierungsbemühungen und die Sparanstrengungen, die wir
unternommen haben, im Zusammenhang mit der Einhaltung der Kriterien von Maastricht ein? Ich kann es
Ihnen sagen: Dies ist die demagogische Anlage Ihrer
Argumentation. Sie tun so, als ob Wiedervereinigung
und Aufbau Ost nicht stattgefunden hätten. Sie wollen
die alte Koalition an Hand der absoluten Zahlen vorführen. Das Aufbauwerk ist mit Spar- und Konsolidierungszwängen einhergegangen, denen wir uns gestellt
haben. Sie können allenfalls noch den Anspruch erheben, sich eingereiht zu haben, nicht mehr und nicht weniger. Sie sind nicht der Erfinder einer neuen Politik.
({16})
Ich will auch folgendes in Erinnerung rufen: Als wir
in den letzten Jahren in den Ressorts gespart haben, da
waren Sie es, die auf jede Ausgabeposition, die wir hatten, eine weitere draufgesetzt haben. Jede Sparmaßnahme, die wir vorgeschlagen haben, haben Sie konterkariert. Das ist ja als damalige Opposition Ihr gutes Recht
gewesen. Was ich hiermit nur zeigen will, ist die Tatsache, daß Ihr Anspruch, etwas Neues und Besseres zu
machen, mit der Wirklichkeit nicht in Übereinstimmung
steht.
({17})
Was das sogenannte Sparpaket angeht, so wird da ein
mageres Ergebnis zur Staatsaktion aufgeblasen.
({18})
Der Berg kreißte und gebar ein Mäuslein, Herr Schwanhold.
30 Milliarden DM Sparpaket. Eine Institution, die
Ihnen nun wirklich nicht kritisch gegenübersteht, nämlich das DIW, sagt, daß von diesen 30 Milliarden DM
allenfalls 17 Milliarden DM, 18 Milliarden DM echte
Sparmaßnahmen sind. Der Rest entfällt auf - so heißt es
wörtlich - Luftbuchungen und auf Abwälzungen auf die
Länder- und die Kommunalhaushalte. Wenn man einwendet, daß das ein Abwälzen auf die Länder- und die
Kommunalhaushalte und kein wirkliches Sparen sei, und
Herrn Eichel danach fragt, dann sagt er, die Länder und
Kommunen würden an anderer Stelle entlastet. - Das
findet jedoch in nur marginalem Umfang statt. Wenn es
konkret wird und man die Dimension betrachtet, die da
abgewälzt werden soll, dann ist das alles unbefriedigend.
Das sind die Fakten. Blasen Sie nicht ein so mageres Ergebnis zu einer Staatsaktion auf.
({19})
Das gilt in gleichem Maße für Ihre Subventionspolitik,
die ja gar keine ist. Wir haben das Kohleproblem wirklich angepackt. Was machen Sie heute?
({20})
- Sie haben doch die Leute in Bonn empfangen und
große Reden gehalten. Sogar der Herr Fischer war dabei,
die Umweltpartei. Sie haben doch die Kohlekumpel
empfangen und große Reden geschwungen, als wir das
Problem angegangen sind. Was machen Sie heute?
({21})
- Herr Urbaniak, Sie sind da ganz vorn. Sie sind da völlig eingebunden. Da steht eine Subventionsgewährung
- das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen - für Gas- und Ölkraftwerke im Raum. Was ist das?
Das ist eine Politik, die der Braunkohle in Deutschland
den Garaus machen kann. Das ist eine sehr glaubwürdige Politik!
({22})
Auf der anderen Seite fassen Sie eine Subventionsgewährung für Kraft-Wärme-Kopplung auf Steinkohlenbasis ins Auge und sagen, daß das dem Umweltschutz diene. Das dient aber überhaupt nicht dem Umweltschutz, sondern das dient dazu, die abgeschriebenen
Dreckschleudern aus dem Wettbewerb herauszunehmen,
den wir gerade eingeführt haben.
({23})
Das ist eine Verbeugung vor der ÖTV und nichts anderes, vor der ÖTV, Ihrer Klientel. Der sind nämlich
Markt, Wettbewerb und Preissenkungen auf dem Stromsektor fremd. Das sind die Fakten, Herr Schwanhold. Sie
wissen es ganz genau.
({24})
Wie sind Sie über uns hergefallen, als wir bei den
Steinkohlesubventionen eine Bugwelle haben entstehen
lassen? Dies geschah, Herr Wagner, im übrigen immer
in Abstimmung mit Ruhrkohle bzw. damals noch den
Saarbergwerken.
Heute - das ist ein Faktum; Herr Austermann hat
darüber gesprochen - streichen Sie flott 250 Millionen
DM und verschieben 200 Millionen DM in die nächsten
Jahre. Darüber kann man ja reden. Aber man kann nicht
darüber reden, daß Sie den Anspruch erheben, Sie
machten alles besser, daß Sie uns Wort- und Gesetzesbruch vorwerfen und daß Sie angesichts des Anspruchs,
bei diesem Haushalt wenigstens ein mageres Sparergebnis vorzuweisen, dasselbe machen. Das sind die Fakten.
Dem können Sie nichts entgegensetzen. Dem können
Sie null entgegensetzen. So ist es, meine Damen und
Herren.
({25})
Wo sind denn die Akzente in diesem Haushalt, wenn
es um die Ausstattung mit Investitionsmitteln geht? Im
Bildungshaushalt gibt es - ich will da einmal ganz fair
sein, Herr Eichel - wenigstens eine Verstetigung bei den
Investitionen. Gemessen aber an den Ankündigungen,
Sie wollten die Investitionen im Bildungsbereich in
vier oder fünf Jahren verdoppeln, ist das, was Sie
da machen, schlicht ein Klacks. Sie werden Ihre Ankündigungen und Ihre Ziele niemals verwirklichen können.
In diesem von Ihnen selbst als Renommierhaushalt
bezeichneten Zahlenwerk fehlt beispielsweise eine langfristige, stetige und berechenbare Mittelerhöhung für
Großforschungseinrichtungen wie das Max-PlanckInstitut, wie Sie es angekündigt hatten. Wir als Freie
Demokraten wollen in diesem Bereich mit unseren Anträgen nachbessern. Das dient den Arbeitsplätzen in unserem Land.
Das gilt auch für die Förderung der Luft- und
Raumfahrt in Deutschland; auch das ist ein ganz wichtiger Bereich, in dem zukunftsträchtige Arbeitsplätze
entstehen können. Nur wenn wir richtig finanzieren, hat
Deutschland die Chance, entsprechende Aufträge zu erhalten und an Gemeinschaftsprojekten im europäischen
Verbund mitzuwirken.
({26})
Die Investitionen für den Straßenbau, den Wasserstraßenbau und die Bahn werden zurückgefahren. Darunter leidet unser Standort, weil die Infrastruktur zurückbleibt oder nicht in dem Maße wächst, wie es notwendig wäre, um diesen Standort für Investoren attraktiv zu machen. Das gefährdet Arbeitsplätze.
({27})
Ebenso gefährdet die Beschneidung der Mittelstandsförderung im Haushalt des Bundesministers für
Wirtschaft Arbeitsplätze.
({28})
- Schauen Sie sich einmal die Aussagen der AiF an,
Herr Schwanhold. Sie müßten das wissen, das ist doch
Ihre Materie. Nicht einmal das geben Sie zu. Wenn Sie
es jedoch besser wissen sollten, dann sagen Sie die Unwahrheit. Es handelt sich um Fakten; diese können Sie
nicht durch Zwischenrufe verdrehen. Daß dem so ist,
sieht man ja auch an Ihrem Gesicht.
({29})
Begründet wird das alles damit, daß Sie einen Gesamthaushalt übernommen hätten, der ein strukturelles
Defizit von 20 Milliarden DM ausgewiesen habe. Wir
hätten dieses - so sagen Sie im Brustton der Überzeugung vorwurfsvoll - durch das Einstellen von Privatisierungserlösen gedeckt. Sie tun so, als ob Sie keine
Privatisierungserlöse einstellten! Das geschieht in diesem Jahr beispielsweise durch die Veräußerung der Eisenbahnerwohnungen. Ich habe dafür Verständnis, denn
auf Grund der enormen außergewöhnlichen Belastungen
durch den Aufbau Ost, die Sie aus demagogischen
Gründen immer negieren wollen, halte ich dieses für
durchaus legitim. Es war legitim, daß wir das machten; es ist auch legitim, daß Sie das machen. Ich
habe gar nichts dagegen, solange Sie sich nicht so aufspielen. Das ist das Entscheidende, meine Damen und
Herren!
({30})
Nun lassen Sie mich auf einen Bereich eingehen, in
dem Sie, wie ich glaube, meine Damen und Herren von
Rotgrün, in dieser Legislaturperiode Ihr Waterloo erleben werden. Das ist leider so,
({31})
weil das, Herr Schlauch, für unser Land erhebliche Konsequenzen hat. Davon verstehen Sie, Herr Schlauch, ja
nichts. Aber dann halten Sie sich wenigstens zurück.
({32})
Der Bundesfinanzminister wird im Jahre 1999 nach
neuester Schätzung 9,5 Milliarden DM mehr an Steuern
einnehmen als erwartet. Im Jahr 2000 sind es netto noch
einmal rund 10 Milliarden DM mehr.
({33})
- Hören Sie doch einmal zu, oder können Sie diesen
gedanklichen Ableitungen nicht mehr folgen, Herr
Schlauch? Stellen Sie sich doch nicht in die Ecke!
Dies ist zu weiten Teilen ein Ergebnis der Korrekturen, die wir 1997 bei der Ostförderung in bezug auf
Abschreibungen und Neubauförderung vorgenommen
haben. Diese Korrekturen waren fällig, manche Leute
sagen, sie seien überfällig gewesen - auch ich habe das
gesagt. Wir haben diese dann ja auch umgesetzt, im übrigen mit Ihrer Zustimmung hier im Parlament und in
den Ausschüssen.
({34})
Sie profitieren jetzt davon.
In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß
Sie noch eines draufgesetzt haben, was steuerlich jetzt
noch nicht wirkt. Es handelt sich um die Reform von § 2
des Einkommensteuergesetzes.
({35})
Rufen Sie einmal bei den Finanzämtern an, Herr Eichel.
Kein Mensch kann Ihnen dort erklären, wie dieses Paragraphenungetüm, das Sie mit der Überschrift „Mindestbesteuerung“ versehen haben, überhaupt angewandt
werden soll.
({36})
Im November 1999 weiß das noch niemand. Ich selbst
habe mich in dieser Angelegenheit sachkundig gemacht,
indem ich mit meinem Finanzamt telefoniert habe. Kein
Mensch weiß, wie dieses Paragraphenungetüm angewandt werden soll.
({37})
Bleiben wir bei der Ostförderung: All dies hat Sie
nicht davon abgehalten, für die Zukunft noch kräftig bei
der Ostförderung zu kürzen. Man kann darüber reden.
Aber zunächst sagten Sie, daß der Aufbau Ost Chefsache sei und die Koordinierung dafür im Kanzleramt
liege. Wo ist denn der Chef? Der Kanzler absolviert ein
paar fadenscheinige Pflichttermine in den neuen Bundesländern. Sein Habitus läßt dabei erkennen, daß solche
Auftritte nicht sein Ding sind. Hinzu kommt, daß den
Ostbeauftragten Schwanitz niemand kennt, weder jemand im Osten noch jemand im Westen. Das sind die
Fakten zur Ostförderung.
({38})
Herr Eichel, geben Sie die zusätzlichen Steuereinnahmen an diejenigen zurück, die in diesem Land ArDr. Günter Rexrodt
beitsplätze schaffen: an den Mittelstand. Wo bleibt denn
Ihre Unternehmensteuerreform? Ich habe kein Problem damit, nachzuvollziehen - ich brauche mich nur in
Sie hineinzuversetzen -, daß Sie mit Ihrer Steuerpolitik
zunächst die unteren Einkommensgruppen entlastet haben. In Ordnung! Aber genau die Steuerzahler, die Sie
entlasten wollen, kassieren Sie wieder mit dem ab, was
Sie Ökosteuer nennen.
({39})
In Wirklichkeit ist sie eine fiskalisch notwendige Verbrauchsteuererhöhung. Sie hat nichts mit Umweltschutz
und nichts mit Ökologie zu tun.
({40})
Das Schlimme an dieser Verbrauchsteuererhöhung ist,
daß Sie auch bei denen abkassieren, die von der Senkung der Rentenbeiträge gar nicht begünstigt werden:
bei den Schülern und Studenten, den Rentnern und den
Sozialhilfeempfängern. Ist es so oder ist es nicht so? Es ist so, und Sie wissen es, meine Damen und Herren!
({41})
Wieder klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander,
wieder befinden Sie sich allenthalben im finanziellen
Tagesgeschäft. Eine Trendwende ist nicht zu erkennen,
auch wenn Sie einen solchen Anspruch erheben.
({42})
Herr Eichel, alles, was man über die Reform der Reformen hört, nämlich die Reform der Besteuerung des
Unternehmensbereiches, klingt besorgniserregend. Sie
haben im Bundesrat über Jahre hinweg eine Reform
verhindert, die eine klare Senkung der Steuersätze für
alle Einkommensgruppen und gerade für den Mittelstand vorsah, eine Reform, die mit Transparenz, Vereinfachung und Nettoentlastung verbunden war. Jetzt
kommen Sie, Herr Eichel - das ist mir sehr ernst; das
geht über den parlamentarischen Schlagabtausch, den
wir hier haben, weit hinaus -, in der Unternehmensteuerreform offensichtlich mit einer Spreizung zwischen dem Einkommensteuertarif in Höhe von 45 bis 50
Prozent und dem Unternehmensteuersatz in Höhe von
etwa 35 Prozent. Verfassungsrechtlich können Sie das
nicht machen; das geht nicht durch. Im übrigen öffnen
Sie mißbräuchlicher Gestaltung Tür und Tor.
Außerdem - das ist das Entscheidende - zerstören Sie
eine alles in allem bewährte Unternehmer- und Selbständigenkultur in unserem Lande.
({43})
Sie zerstören diese Kultur, wenn Sie persönlich haftende
Unternehmer und Freiberufler aus wirtschaftlichen
Gründen dazu zwingen, für eine Besteuerung wie bei
Kapitalgesellschaften zu optieren. Das geht über die
Tagespolitik hinaus, das geht an die Grundlagen unseres Landes.
({44})
Eine GmbH mit einem Steuersatz von 25 Prozent für
einbehaltene Gewinne wird das Steuersparmodell der
künftigen Jahre, wenn Sie Ihre Steuerreform so durchsetzen. Dies wird mittelfristig verheerende Folgen für
unsere Unternehmenskultur haben.
Herr Kollege
Rexrodt, an Ihrem Rednerpult blinkt es schon seit längerem.
({0})
Ich bin sofort fertig,
Frau Präsidentin.
Ich komme zum Schluß. Ihre Finanzplanung ist nicht
die Wundertüte, in die Sie den Pfusch und die Flickschusterei der letzten Jahre einpacken können.
({0})
- Ach Gott, Sie haben offenbar ein schlechtes Gewissen,
meine Damen und Herren. Wir haben gerade vor einer
halben Stunde über Ihren Pfusch und Ihren Mist diskutiert.
Meine Fraktion steht für einen Kurs des Sparens und
Konsolidierens. Aber das, was Sie uns hier vorlegen,
hält dem nicht stand. Ein Berg kreißte und gebar ein
Mäuslein.
({1})
Zustimmung von unserer Seite können Sie dafür nicht
erwarten.
({2})
Zu einer
Kurzintervention, die sich auf den vorletzten Redebeitrag bezieht, erhält nun der Kollege Austermann das
Wort.
Ich komme kurz
auf den Beitrag des Kollegen Wagner zurück. Ich bin
der Meinung, man sollte mit dem Vorwurf, jemand habe
etwas nicht korrekt gesagt, vorsichtig sein. Erstens stelle
ich fest, daß im Haushaltsausschuß der Ansatz des Kap.
09 02 Tit. 697 15 - Zuschüsse an Unternehmen des
deutschen Steinkohlebergbaus - von 406 Millionen DM um 250 Millionen DM auf 156 Millionen DM
gekürzt worden ist,
({0})
und zwar mit der Begründung der Ansatzkürzung zur
teilweisen Auflösung der globalen Minderausgabe von
600 Millionen DM auf 350 Millionen DM, und daß bei
Kap. 09 02 Tit. 683 14 - Zuschüsse für den Absatz deutscher Steinkohle zur Verstromung und zum Absatz an
die Stahlindustrie sowie zum Ausgleich von Belastungen infolge Kapazitätsanpassung - zur Erwirtschaftung
der globalen Minderausgabe für das Haushaltsjahr 2000
im Einvernehmen mit den betroffenen Unternehmen beabsichtigt ist, weitere 250 Millionen DM statt im Dezember 2000 im Januar 2001 zu zahlen. Gekürzt wurde
der eingangs genannte Titel.
Zweitens zur Werftenhilfe. Ich habe hier eine Bilanz
der Politik des Jahres 1999 gezogen und habe in diesem
Zusammenhang gesagt, daß der Bundesfinanzminister
auf den zusätzlichen Mitteln für die Werftenhilfe, die
wir gemeinsam beschlossen haben, sitzt und die Werftarbeiter im Regen stehen läßt. Die Mittel für 1999 sind
bis heute nicht freigegeben. Es macht überhaupt keinen
Sinn, für das nächste Jahr gemeinsam zusätzliche Mittel
für die Werften zu beschließen, wenn das Finanzministerium die Mittel wieder nicht bereitstellt. Wir waren
uns einig: 214 Millionen DM für die Werften zusätzlich.
Ich habe niemals behauptet, daß die SPD nicht bereit sei,
hierzu einen Beitrag zu leisten. Ich bitte das zur Kenntnis zu nehmen.
({1})
Herr Wagner.
Meine Damen und
Herren!
({0})
Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Repnik, tue ich das immer.
({1})
Wenn das Unternehmen Deutsche Steinkohle, die
Gewerkschaft und die entsprechenden Landesregierungen, die Mitbeteiligte im Verfahren sind, erklären, sie
seien bereit, 250 Millionen DM in das Jahr 2001 zu ziehen, und sie verkrafteten dies auch betriebswirtschaftlich, wenn das Unternehmen selber erklärt, es werde im
Vollzug des Haushaltes 2000 erneut 250 Millionen DM
erzielen, so ist dies zunächst einmal zu akzeptieren.
Dies ist ein Angebot der Wirtschaft an die Bundesregierung.
({2})
- Es ist ein Angebot, Herr Rexrodt, das einvernehmlich
vereinbart worden ist. Sie hatten ja einmal gesagt, die
Bergleute würden alles behalten, was sie haben. Dann
haben Sie Ihr Wort gebrochen und im März 1993 die
Vereinbarung geschlossen. Das war der Fehler.
Der Punkt ist, daß es nicht um eine Kürzung geht. Ich
wende mich mit dem Begriff der Lüge gegen das Wort
„Kürzung“. Es ist keine Kürzung.
({3})
- Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Es ist nun
einmal so.
({4})
Die Bergleute wissen es besser. Ich will das eigentlich
gar nicht alles in einer Kurzintervention anführen. Aber
Sie wissen doch, daß die Bergleute die Debatte über die
Finanzierung der Steinkohle sehr aufmerksam verfolgen.
({5})
Wenn an dem, was Sie sagen, irgend etwas dran wäre
und die Bergleute sich in ihrer Existenz bedroht sähen,
wären mit Sicherheit schon die ersten hier in Berlin.
({6})
Ich will nur sagen, daß wir sauber miteinander umgehen
sollten.
Nun zur Werftenindustrie. Sie, Herr Kollege
Austermann, und auch der Kollege Rexrodt stellen es
immer so dar, als sei die Bundesregierung nicht in der
Lage und nicht bereit, die entsprechenden Gelder zur
Verfügung zu stellen. Aber wie sieht die Wahrheit aus?
Die Wahrheit ist, daß die Länder Komplementärmittel
aufbringen müssen. Reden Sie doch einmal mit Ihren
Finanzministern, und lassen Sie sich das einmal erzählen. Die bringen das Geld doch gar nicht auf! Der Bund
kann aber nur bezahlen, wenn die Länder Komplementärmittel zur Verfügung stellen. Wenn die Länder das
nicht machen, darf der Bund nicht zahlen.
({7})
- So einfach ist das, Herr Repnik. Deshalb weise ich den
Vorwurf von Herrn Austermann zurück.
({8})
Es gibt den
Wunsch nach einer weiteren Kurzintervention, die sich
auf den Beitrag des Kollegen Rexrodt beziehen soll. Das
Wort hat der Abgeordnete Mosdorf.
Lieber Herr Kollege Rexrodt, Sie haben in Ihrer Rede sowohl auf die Werften als
auch auf die AiF Bezug genommen. Ich habe mir die
entsprechenden Zahlen einmal geben lassen. Sie wissen,
daß Sie in Ihrer Amtszeit die Förderung der AiF, die
für uns eine wichtige Brücke zwischen Forschung und
Anwendung darstellt, von 210 Millionen DM auf
170 Millionen DM gesenkt haben. Das entspricht den
Tatsachen. Wir haben 1999 den Anteil für die AiF auf
180 Millionen DM angehoben. Ein Teil des Geldes wurde gesperrt. Wir sind aber gerade dabei, diese Mittel
zu entsperren. Für das Jahr 2000 haben wir 175 Millionen DM vorgesehen. Das heißt, wir haben die Förderung
der angewandten Forschung in Richtung mittelständische Wirtschaft stabilisiert und sogar leicht angehoben.
Sie aber haben die Mittel von 210 Millionen auf 170
Millionen DM gesenkt.
Herr Rexrodt und Herr Austermann, ich will folgendes klarstellen: Die Mittel für die Werftenhilfe - der
Bundesfinanzminister hat dies gerade bestätigt - sind für
1999 freigegeben.
({0})
- Herr Austermann, diese Freigabe konnte erst nach den
Beratungen im Haushaltsausschuß erfolgen. Dies ist
unmittelbar danach geschehen. Die Mittel für 1999 sind
also freigegeben. Sie wissen genauso gut wie ich, daß
wir einvernehmlich dafür gesorgt haben, daß in den
nächsten drei Jahren Werftenhilfen zur Verfügung stehen.
({1})
Lieber Herr Kollege
Mosdorf, zunächst möchte ich der Ordnung halber darauf hinweisen, daß ich zur Werftindustrie kein Wort gesagt habe. Meine Erinnerung in bezug auf die AiF ist ich habe im Moment keine Unterlagen dazu -, daß wir
im Zuge unserer Sparbemühungen, die Sie immer in Abrede gestellt haben, vorgesehen hatten, die Mittel für die
AiF auf 160 Millionen DM zu kürzen. Wir haben sie
dann aber wieder auf 180 Millionen DM angehoben.
Fakt ist, daß dies 5 Millionen DM mehr sind, als Sie angesetzt haben.
Lieber Herr Mosdorf, ich möchte Ihnen ein paar Beispiele nennen - daran liegt mir sehr -, wie Sie durch Ihre Kürzungen die Mittelstandsförderung und damit
mittelbar Arbeitsplätze gefährden. Nach dem derzeitigen
Stand gibt es folgende Minderausgaben: Förderung erneuerbarer Energien 76 Millionen DM, Forschungskooperation 17 Millionen DM, industrielle Gemeinschaftsforschung 15,1 Millionen DM, FuE neue Bundesländer
15 Millionen DM, überbetriebliche Lehrlingsunterweisung 5,1 Millionen DM, Handwerk 5,5 Millionen DM,
Innovationsfähigkeit KMU 9 Millionen DM, Außenwirtschaft 13,8 Millionen DM, Absatzfinanzierung Luftfahrt 10 Millionen DM. Ich könnte die Liste dieser
Zahlen, für die Sie verantwortlich sind, noch weiter fortführen.
Herr Eichel, Sie haben Sparzwänge und wollen
gleichzeitig alles tun, daß im Handwerk und im Mittelstand Arbeitsplätze geschaffen werden. Sie wollen
ferner an der Entwicklung der Arbeitslosigkeit gemessen
werden. Trotzdem nehmen Sie diese Sparmaßnahmen
vor. Ihre Konsolidierungs- und Haushaltspolitik ist
falsch gestrickt. Sie sparen an der falschen Stelle, damit
Renommierprojekte, die für Ihre Politik eine Rolle
spielen, finanziert werden können. Diese Politik haben
wir nie gemacht, was wir an Hand von Zahlen belegen
können.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Oswald Metzger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei diesem
Kleinkrieg um Einzelpositionen kommt eines leider zu
kurz: die große Linie. Angesichts der Leistungen dieser
Koalition in der Haushaltspolitik der letzten Monate tut
sich bei Ihnen von der Union und der F.D.P. eine
Glaubwürdigkeitslücke auf. Gestern schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in einem Leitartikel im
Wirtschaftsteil: Die Union und die F.D.P. können nicht
jedes Bauernopfer aufspießen und gleichzeitig den Eindruck erwecken, es würde überhaupt nicht gespart. - Sie
haben es dieser Regierung nicht zugetraut, einen solchen
Konsolidierungsetat aufzustellen, den wir im Rahmen
des parlamentarischen Verfahrens mit einer Punktlandung umgesetzt haben!
({0})
Kommen wir zu den Fakten. Wenn Kollege Austermann, immerhin haushaltspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, hier zum wiederholten Male Zahlen nennt,
die überhaupt nicht stimmen - meinen Spickzettel, auf
dem ich die Zahlen aufgeschrieben habe, die er in seiner
Rede im September genannt hat, brauche ich nicht zu
ändern -, dann zeigt dies das ganze Ausmaß seiner
Hilflosigkeit. Wenn Volker Rühe einen Finanzminister
für ein Schattenkabinett suchen sollte: Den Austermann
aus Schleswig-Holstein dürfte er nicht nehmen, denn
der kennt noch nicht einmal das kleine Haushaltseinmaleins!
({1})
Kollege Rexrodt, obwohl die Opposition Ihnen offensichtlich guttut - so befreit wie heute haben Sie selten
geredet -,
({2})
muß man feststellen, daß es in der Opposition anscheinend leichter ist, den Mund zu spitzen und dann nicht zu
pfeifen, als früher in der Regierung.
Wir als Grüne nehmen für uns in Anspruch, daß wir
schon in der Oppositionszeit bei der Haushaltspolitik
Konsolidierung, eine nachhaltige Finanzpolitik und die
Deckungsgleichheit zwischen Einnahmen und Ausgaben
des Staates angemahnt haben. Wir wollten die Neuverschuldung reduzieren, damit nicht unsere Kinder und
Enkel in Haftung genommen werden, um heutige Generationen zu schonen.
Für dieses Worthalten bringe ich Ihnen jetzt ein Beispiel. Im Jahr 1998, dem letzten Jahr, für das Sie als alte
Koalition die Regierungsverantwortung trugen, stand in
Ihrem Haushaltsentwurf eine Nettoneuverschuldung
von 56,4 Milliarden DM. Gleichzeitig hatten Sie
28,7 Milliarden DM Privatisierungserlöse eingestellt,
um diesen Haushalt überhaupt verfassungsgemäß - also
Nettoneuverschuldung niedriger als Investitionsquote fahren zu können.
Wissen Sie, was das heißt, wenn Sie im Vergleich
dazu den Haushaltsentwurf 2000, also den dieser Regierung, betrachten? In diesem Entwurf stehen 49,5 Milliarden DM Nettoneuverschuldung und 3,5 Milliarden
DM Privatisierungserlöse. Genau in dieser Lücke zwischen dem strukturellen Defizit - nämlich Neuverschuldung plus Privatisierungserlöse - von annähernd
86 Milliarden DM im Jahr 1998 und einem strukturellen
Defizit von annähernd 52 Milliarden DM im nächsten
Jahr liegt der Konsolidierungserfolg dieser Regierung.
Wir haben das strukturelle Defizit um mehr als 30 Milliarden DM in einem Kraftakt, der bereits 1999 begann,
verringert. Das ist eine Leistung, auf die diese Regierung stolz sein kann.
({3})
Kollege Austermann kommt immer wieder mit der
alten Mär hinsichtlich der Finanzplanung von Theo
Waigel. Aber im 98er Etat und sogar im Regierungsentwurf 1999 - ein Wahlkampfhaushalt, wie wir im nachhinein wissen - waren von Theo Waigel für die Jahre
2000, 2001 und 2002 Nettoneuverschuldungen vorgesehen, die immer um etwa 5 bis 8 Milliarden DM höher
gelegen haben als das, was die heutige Koalition in
ihrem Regierungsentwurf 2000 und in ihrer Finanzplanung vorsieht. Wir sind also in der Tat nicht nur dabei,
das strukturelle Defizit einmalig zu schließen, sondern
dieser Effekt wird sich mittelfristig fortsetzen. Wir werden damit dem Ziel, ausgeglichene Haushalte vorzulegen, ein gutes Stück näherkommen.
({4})
Ausgeglichene Haushalte sind die Voraussetzung dafür, daß wir das Leben auf Pump in dieser Gesellschaft
einstellen und unseren Nachfahren nicht höhere Zinslasten aufhalsen, wodurch wir nämlich automatisch dazu
beitragen, daß die Handlungsspielräume der nachwachsenden Generationen verringert werden. Diese Politik zu
Lasten der Zukunft und der jungen Generation machen
wir nicht mit. Dafür haben wir jetzt das Startsignal gegeben. Das, meine Damen und Herren - auch von der
SPD -, ist auch soziale Gerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit zwischen den Generationen.
({5})
Während also Ihr Motto in der Regierungszeit „Verscherbeln und Verschieben“ war, vergießen Sie heute
Krokodilstränen und versuchen beispielsweise, die Mär
zu verbreiten, im konsumtiven Bereich werde nicht gespart, sondern nur bei den Investitionen. Woher Sie den
Mut nehmen, diese Behauptung aufzustellen, frage ich
mich schon. Die Investitionen sind gegenüber dem Regierungsentwurf gerade einmal um 100 Millionen DM
auf rund 57 Milliarden DM reduziert worden. Sie lagen
auch in den letzten Jahren nicht höher. Das muß man
deutlich sagen. Sie sind auf hohem Niveau verstetigt.
Gleichzeitig sind wir in einer Situation, in der wir die
Erblast privat vorfinanzierter Straßenbauprojekte
zahlen müssen. Ich bekomme es in Baden-Württemberg
mit, wie die CDU zur Zeit in jedem Gemeindeparlament
und in jedem Kreistag den Investitionsstau im Verkehrshaushalt thematisiert.
({6})
- Das ist wirklich Heuchelei, wie Konstanze Wegner
sagt. Jetzt ist die Zeche für die Projekte zu zahlen, die
Wissmann privat vorfinanziert in die Pipeline brachte.
Mir fallen aus meinem Bundesland Beträge in dreistelliger Millionenhöhe ein. Beim Engelbergtunnel bei Leonberg beispielsweise werden ab nächstem Jahr 89 Millionen DM jährlich an Rückzahlungen fällig. Das waren
die Strategien Ihrer Regierungszeit: Lasten in die Zukunft zu verschieben, um Ihre Haushalte überhaupt verfassungsgemäß vorlegen zu können; denn Sie hatten
nicht den Mut, im konsumtiven Bereich tatsächlich zu
konsolidieren.
({7})
Sie haben im September und Oktober dieses Jahres
sogar versucht, 18 Millionen Rentnern vorzumachen,
daß die jetzige Regierung den Rentnern etwas wegnimmt. Statt dessen hätten Sie sagen müssen, daß ihnen
die neue Regierung durch eine Rentensteigerung in Höhe des Inflationsausgleichs ein höheres Nettoeinkommen
gewährt, als es ihnen die alte Koalition in den letzten
vier Jahren jeweils verschafft hat.
({8})
Das ist die Wahrheit. Diese Glaubwürdigkeitslücke kann
Ihnen die Öffentlichkeit nicht durchgehen lassen. Das
läßt Ihnen übrigens auch nicht der Sachverständigenrat,
der IWF und die Wirtschaftspresse durchgehen.
Wenn die jetzige Koalition in einem Punkt Wort
gehalten hat, dann ist es bei den Grundlagen der Finanzpolitik. Mit Amtsantritt des jetzigen Finanzministers
lautete unsere Finanzpolitik immer folgendermaßen: Wir
wollen ein Leben zu Lasten der Zukunft einstellen. Unser Ziel sind ausgeglichene Haushalte. Wir wollen, daß
der Staat mit seinen Einnahmen auskommt und daß deshalb die Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden.
Im Rahmen dieser Prüfung sind auch die konsumtiven Ausgaben angetastet worden. Sie wissen, daß die
Koalition im Rahmen des Sparpaketes, das wir im Bundestag vor zwei Wochen verabschiedet haben, Einschnitte in gesetzliche Leistungen in Höhe von über
10 Milliarden DM beschlossen hat und daß mit dem
heutigen Auftakt der abschließenden Haushaltsberatungen weitere 16 Milliarden DM im Bundeshaushalt geschultert werden. Nur noch über 4 Milliarden DM, also
über etwa 12 Prozent der im Sparpaket vorgesehenen
Kürzungen, kann die Opposition im Bundesrat bzw. im
Vermittlungsverfahren mitbestimmen. Wenn Sie in der
Vergangenheit mit einem solch hohen Anspruch gestartet wären und mehr als 85 Prozent dieses Anspruches im
Gesetzgebungsverfahren hätten realisieren können, dann
hätten Sie vor lauter Kraft nicht mehr laufen können.
({9})
Die jetzige Koalition kann vor lauter Kraft wieder
laufen, weil sie merkt, daß mit diesem Kraftakt die Voraussetzungen für ein Herauskommen aus der Defensive
des letzten Jahres - dies gestehen wir gerne ein - geschaffen werden. Dieses Herauskommen geht einher mit
einer Verbesserung der konjunkturellen Situation. Wir
stehen heute besser da als im ersten Quartal dieses Jahres. Sie erwecken immer wieder fälschlicherweise den
Eindruck, als sei die Konjunktur in Deutschland deshalb
weggebrochen, weil Rotgrün an die Regierung gekommen ist.
({10})
Sie sollten sich einmal die Auftragsbücher und die
Monatsstatistiken des letzten Jahres anschauen. Bereits
im Mai 1998, zu einem Zeitpunkt also, als Sie sich im
Vorwahlkampf noch auf die Brust geklopft und behauptet haben, Sie würden auf dem Arbeitsmarkt durch
eine konjunkturelle Erholung mehr erreichen können,
hat in Deutschland ein Einbruch in der Auftragslage
eingesetzt, ist die Exportkonjunktur zurückgegangen,
wurde der Aufschwung eingetrübt.
An diesen Fakten kommen Sie genausowenig vorbei
wie daran, daß im dritten Quartal dieses Jahres die
Wachstumsraten 0,75 Prozent höher waren als im Vorquartal. Der neue Monatsbericht der Bundesbank von
gestern macht dies klar. Damit wird deutlich, daß die
Märkte, die Wirtschaft, die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Industrie für die Zukunft positiver
gestimmt sind, weil sie plötzlich merken: Die Mär der
Opposition, daß in unserem Land alles schlechter gelaufen sei, seitdem Rotgrün an der Regierung ist, stimmt
einfach nicht.
({11})
Nehmen wir doch die Fakten zur Kenntnis: Wir hatten dieses Jahr den höchsten Zuwachs des Nettoeinkommens der Bevölkerung, und zwar trotz Ökosteuer.
Diese fließt im Saldo den Bürgern und der Wirtschaft
wieder in die Taschen. Denn wir brauchen dieses Geld
nicht für den Haushalt. Wir sparen wirklich und erhöhen
nicht die Steuern, um Haushaltslöcher zu stopfen, wie
Sie es früher getan haben, indem Sie in einer Legislaturperiode die Mineralölsteuer um fast 50 Pfennig erhöht haben. Davon will die Union heute nichts mehr
wissen.
Wir haben vor der Wahl gesagt, wofür wir die Ökosteuer verwenden wollen. Wir hatten damals sogar
einen Kronzeugen, den Fraktionsvorsitzenden der Union, Wolfgang Schäuble, dem ich übrigens von dieser
Stelle aus gute Besserung wünsche.
({12})
Wolfgang Schäuble hat in einer Debatte des letzten Jahres, als es um eine Mehrwertsteuererhöhung im Zusammenhang mit dem Rentenbeitrag ging, gesagt, mit einer
Erhöhung der Mineralölsteuer um 15 Pfennig zur Senkung des Rentenversicherungsbeitrages könne man als
Union gut leben. Die CSU wollte das damals nicht.
Wolfgang Schäuble hat eine Begründung geliefert, die
für uns Grüne nach wie vor gilt: Ressourcen sind endlich. Deshalb ist eine höhere Ressourcenbesteuerung allemal sinnvoller, als Arbeit, ein überreichlich vorhandenes Gut auf dem Arbeitsmarkt, teurer zu machen.
Auf dieser Linie befindet sich die Koalition bei der
Ökosteuer. Dies ist eine stetige und kalkulierbare Linie
bis zum Jahre 2003. Wirtschaft und Verbraucher wissen,
wo es langgeht. Die Planbarkeit staatlichen Handelns ist
wichtig.
({13})
Planbar ist auch unsere Fiskalpolitik. Keine Frage:
Wirtschaft und Verbraucher können sich darauf verlassen, daß diese Regierung die Nettoneuverschuldung im
Laufe der nächsten Jahre, wie versprochen, weiter senken wird, weil wir auf die Ausgaben achten. Die Bevölkerung kann sich auch darauf verlassen, daß Steuererhöhungen zum Stopfen von Haushaltslöchern für uns tabu
sind. Wir hätten in der Vergangenheit gern von Ihnen
gehört, daß Sie dieses Wort geben. Sie konnten es aber
nicht geben, weil Sie es nicht geben wollten.
({14})
- Sie können ruhig klatschen.
({15})
Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen, der in
dieser Debatte bei der heutigen Opposition immer eine
große Rolle spielt. Sie haben hier noch im September
getönt - es war gerade Herr Rexrodt -: Die globale
Minderausgabe mit über 5 Milliarden DM, die ihr im
Sparpaket eingeplant habt, ist doch eine Luftbuchung.
Man weiß ja nicht, was unter dem Strich dabei herauskommt.
({16})
Wir haben die globale Minderausgabe bis auf einen
Restbetrag von 550 Millionen DM aus dem Haushalt herausgestrichen.
({17})
Eine globale Minderausgabe in dieser Höhe war bereits
im letzten Jahr im Haushaltsentwurf enthalten. Sie fällt
jetzt aber viel niedriger aus als 1998, als die heutige Opposition den Haushalt beschlossen hat. Damals waren im
Haushalt 10,5 Milliarden DM globale Minderausgaben
veranschlagt.
({18})
Wer also im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen
werfen. Mit Zahlen kann man viel manipulieren, aber
die Fakten lassen sich nicht wegdiskutieren. Auch
hier sind wir auf der sicheren und seriösen politischen
Seite.
({19})
Nun komme ich zu den wirtschaftspolitischen Überlegungen. Wir bestellen das Feld im Hinblick auf eine
solide Finanzpolitik und räumen mit der alten, schweren Erblast der Vergangenheit auf. Das ist ein mühsamer
Prozeß, der zwar weh tut, der aber Handlungsspielräume
für die Zukunft eröffnet; denn wir sparen nicht zum
Selbstzweck, sondern für ein bestimmtes Ziel. Deshalb
muß man neben dem „ersten Aufschlag“ der fiskalischen
Konsolidierung auch im steuerpolitischen Bereich Akzente setzen.
Hier halten wir, was wir versprochen haben: Mit der
Unternehmensteuerreform, die der Bundesfinanzminister am 5. Januar in ihren Eckpunkten vorstellen wird, senken wir die Steuertarife in Deutschland, um
die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Steuersystems herzustellen. Gleichzeitig sind wir uns als Koalition sehr wohl bewußt, daß die tatsächliche Steuerlast in Deutschland im europäischen Vergleich nicht
überdurchschnittlich hoch ist, sondern im Mittelfeld
liegt.
({20})
Wir müssen deshalb eine Lösung finden, die der mittelständischen Wirtschaft gerecht wird; denn sie ist nach
dem heutigen Steuerrecht der Lastesel der Industrie im
Steuerstaat Deutschland. Die großen Unternehmen können heute bilanztechnisch ihre Gewinne ins Ausland
transferieren und ihre Erträge dort versteuern, während
der Mittelständler, der in Deutschland sein Gewerbe,
sein Handwerk ausübt, angesichts der Steuertarife in
diesem Land gekniffen ist.
Wir streben ein Konzept an, das die Anforderungen
erfüllt, zu einem wirtschaftlich wettbewerbsfähigen
Steuerrecht zu führen und trotzdem eine fiskalische Ergiebigkeit derart zu erreichen, daß von der Wirtschaft in
Deutschland Steuern gezahlt werden, sowohl von den
großen als auch von den kleinen Betrieben. In diesem
Bereich soll wie bei der Einkommensteuer Gerechtigkeit angestrebt werden. Dafür werden wir Grünen in der
Koalition streiten. Ich glaube auch, daß wir eine vernünftige Lösung finden werden, die dann als „zweiter
Aufschlag“ wirkt und dazu beiträgt, die verbesserten
konjunkturellen Aussichten in einen lange andauernden
Aufschwung münden zu lassen. Dies täte unserem Land
gut.
({21})
Eines darf man nie vergessen: Die Union und auch
die F.D.P., die immer den Eindruck erwecken, sie würden per se wirtschaftliche Interessen vertreten, waren
nach der Wiedervereinigung in der Situation, mit unterdurchschnittlichen Wachstumsraten über neun Jahre
hinweg bis auf letztes Jahr nie die Beschäftigungsschwelle überschritten zu haben. Wir hatten in den letzten neun Jahren ein reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,8 Prozent. Damit haben wir uns in der
Europäischen Union gemeinsam mit Italien ans Ende der
Skala begeben. Das war in Ihrer Regierungszeit. Uns
jetzt dafür in Haftung zu nehmen, daß Sie in Ihrer Regierungszeit Ihre wirtschaftspolitischen und steuerpolitischen Hausaufgaben nicht gemacht haben, ist geradezu
ein Aberwitz.
({22})
Ich würde an Ihrer Stelle schamhaft in der Ecke bleiben
angesichts dessen, was Sie in der Vergangenheit gemacht haben.
Wenn wir wirtschaftspolitische Signale in Richtung
Stetigkeit und Verläßlichkeit setzen wollen, dann - das
ist für uns als bündnisgrüne Fraktion auch klar - müssen
wir uns natürlich auch die sozialen Sicherungssysteme
ansehen. Dies tun wir auch vor dem Hintergrund der
derzeitigen Rentendebatte. Was passiert nach den Jahren
2000 und 2001, wenn der Inflationsausgleich als Konsolidierungsbeitrag der Rentenversicherung abgelaufen
ist? Bekommen wir eine neue Rentenformel hin oder
nicht? Wir begrüßen ausdrücklich, daß die Opposition,
speziell die Union und ihr Fraktionsvorsitzender, den
Regierungsparteien angeboten hat, in Gespräche über
eine neue Rentenformel einzusteigen. Bei der Rente
geht es um ein Generationenprojekt. Wir müssen in diesem Zusammenhang darauf achten, daß bei fast 19 Millionen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern - wenn
man die Pensionäre hinzunimmt, sind es noch ein paar
Millionen mehr - die Lebensbiographie davon abhängt,
wie sich das Alterseinkommen künftig aus gesetzlicher
Rente, privater Zusatzversicherung und betrieblicher Zusatzversicherung zusammensetzt. Hier muß
man einen größtmöglichen gesellschaftlichen Konsens
schmieden. Dafür ist es gut, diese Gespräche zu führen.
Ich glaube, im Interesse der Bevölkerung ist es wichtig,
daß bei einer solchen Herkulesarbeit im Parlament die
wichtigsten politischen Kräfte zusammenstehen und eine
Lösung für diese Gesellschaft, für die Zukunft unserer
Kinder, aber auch für die alten Menschen finden, die
auch künftig ein lebensstandardsicherndes Einkommen
brauchen.
({23})
Außerdem gibt es, wenn man den ökonomischen Zusammenhang sieht, einen weiten Bereich neben der
wichtigen staatlichen Fiskalpolitik, der Steuerpolitik, der
Reform der sozialen Sicherungssysteme, und zwar den
Arbeitsmarkt in Deutschland. Das ist keine Frage.
Wenn wir uns den Arbeitsmarkt mit seinen Regelungen
anschauen, muß man sich in dieser Gesellschaft auch
überlegen, vielleicht auch in einem Bündnis für Arbeit,
obwohl das sehr stark nach rheinischem Kapitalismus,
nach korporatistischem System klingt, ob alle Schutzklauseln in den Gesetzen oder den Tarifverträgen, die
den Arbeitsmarkt betreffen, tatsächlich im Interesse von
mehr Beschäftigung stehen, ob nicht Hemmnisse im Arbeitsrecht, in den tarifvertraglichen Regelungen auch
einen Teil dazu beitragen, daß die Beschäftigungsschwelle in Deutschland so hoch liegt, daß wir 2,5 Prozent reales Wachstum brauchen, um die Arbeitslosigkeit
abzubauen. Auch ich als Grüner will natürlich, daß die
Arbeitslosigkeit in den nächsten Jahren nicht nur auf
Grund der Demographie sinkt, sondern daß auch tatsächlich mehr Menschen in den ersten Arbeitsmarkt
kommen. Dazu braucht man viele schlaue und auch innovative Ideen, um dieses Herkulesproblem in unserer
Gesellschaft zu lösen.
({24})
- Ich traue mich immer, etwas zu sagen. Ein Beispiel
aus meiner Heimatstadt Bad Schussenried: Dort habe ich
als Stadtrat in Ihrer Regierungszeit, als Sie das Gesundheitsreformgesetz beschlossen haben, dafür büßen
müssen, wie Rehabilitationskliniken von einem Tag
auf den anderen wie von einem Fallbeil getroffen wurden.
({25})
Damals sind 250 Menschen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch von mir gekündigt worden. Der Gemeinderat ist Dienstherr der städtisch Beschäftigten. Es ist
ein kommunaler Eigenbetrieb. Diese Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, vom Putzmann bis zur Chefärztin hinauf, sind teilweise in einer Altersgruppe gewesen, in der
auch ich bin. Ich bin 45 Jahre alt. Dies sind Leute, die
gut ausgebildet sind, die teilweise auf dem Arbeitsmarkt
keine Chance hatten, weil es in der Umgebung anderen
Kur- und Rehabilitationsstandorten ähnlich ging. Diese
Menschen merken, daß der Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer ein Einstellungshemmnis am Arbeitsmarkt sein kann.
({26})
Das ist zum Beispiel eine konkrete Friktion. Ich habe ein
Beispiel genannt, bei dem Sie merken, daß es mir nicht
darum geht, eine Täter-Opfer-Diskussion zu führen,
sondern darum, auf ein gesellschaftliches Problem hinzuweisen.
({27})
In Zeiten der Vollbeschäftigung sind solche Regelungsmechanismen durchaus im Interesse der Betroffenen
sinnvoll gewesen.
({28})
Aber heute ist es in bestimmten Situationen so, daß
manche Regelungen in der Tat das Gegenteil von dem
bewirken, was sie bringen sollen.
Ich komme zum Schluß.
({29})
Diese Regierung hat im Finanzbereich mit einer Glaubwürdigkeit sondergleichen einen Haushalt und eine
mittelfristige Finanzplanung auf den Weg gebracht, die
sich deutlich von dem unterscheidet, was wir vor allem
in den letzten vier Jahren der alten Koalition erlebt haben.
({30})
Wir haben keinen Grund, in Sack und Asche durch dieses Land zu gehen,
({31})
sondern wir können stolz und aufrechten Hauptes sagen:
Wir haben uns eine schwierige Aufgabe vorgenommen;
wir haben das trotz Wahlniederlagen im September und
Oktober durchgestanden. Wir als Koalition werden denken Sie einmal daran - die Früchte dieser Herkulesarbeit ernten. Dieser Sparhaushalt wird dazu beitragen,
die konjunkturelle Erholung in Deutschland zu befördern. Wenn dann beim Steuerrecht, bei der Unternehmensteuerreform im Januar, auch ein gutes Signal
kommt, werden wir - davon bin ich überzeugt - bei
den Wahlen im Februar und im Mai des nächsten
Jahres mit einer besseren Performance vor die Wählerinnen und Wähler treten können als im Herbst dieses
Jahres.
({32})
Vielen Dank.
({33})
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel
von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mindestens 60 000 Frauen
und Männern im Unternehmen selbst sowie in Zulieferbereichen droht nach der Holzmann-Pleite die Arbeitslosigkeit.
({0})
Ihnen gebührt von dieser Stelle aus unsere ausdrückliche
Solidarität.
({1})
Verantwortlich für den drohenden Verlust von 60 000
Arbeitsplätzen sind die Gläubigerbanken des Baukonzerns, die auch diese Nacht kein Rettungskonzept zustande gebracht haben - ein abgekartetes Spiel. Verantwortlich für die Pleite sind aber auch frühere und jetzige
Vorständler und Aufsichtsräte sowie Wirtschaftsprüfungsgesellschaften - oft millionenschwer dotiert -, die
auf der ganzen Linie versagt haben.
({2})
Diese 60 000 Menschen, die über 4 Millionen
Arbeitslosen in Deutschland überhaupt, warten aber
auch auf Hilfe und Unterstützung von der Politik, warOswald Metzger
ten auf Hilfe und Unterstützung von der Bundesregierung,
({3})
zumal von deren Haushaltspolitik.
({4})
In der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, so heißt es
richtigerweise in der Koalitionsvereinbarung, liegt nun
einmal der Schlüssel für die Konsolidierung der Staatsfinanzen.
({5})
Damit wären wir unmittelbar beim Thema.
Schaut man sich den Haushaltsentwurf 2000 an, so ist
zu sehen, daß er diesen Anforderungen nicht gerecht
geworden ist. Er ist nämlich beschäftigungspolitisch
kontraproduktiv, weil er massiv Investitionen kürzt und
weil er die Binnenkaufkraft absenkt. Er ist aber auch sozial unausgewogen und in weiten Teilen kommunalfeindlich.
({6})
An dieser kritischen Gesamteinschätzung ändern
auch durchaus begrüßenswerte Einzelakzente im Haushalt 2000 wenig. Die Anhebung des Kindergeldes gehört
nach unserer Auffassung ebenso dazu wie das Projekt
für innovative Regionen. Auch die erfreuliche Tatsache,
daß während der Ausschußberatungen Einzelanträge der
PDS angenommen worden sind, soll hier herausgestellt
werden.
({7})
Ausdrücklich erwähnen möchte ich hier die von uns
veranlaßte finanzielle Unterstützung von Arbeitsloseninitiativen.
({8})
Völlig einseitig wird im Haushalt 2000 die Reduzierung der Neuverschuldung durch eine überwiegend
knallharte Rotstiftpolitik vor allem im Sozialbereich und
bei Investitionen in den Mittelpunkt rotgrüner Politik gerückt. Kann aber, so frage ich Kollegen Metzger, die
Senkung der Zinslast des Bundes, so wichtig sie ist, das
Zukunftsprogramm für die Bundesrepublik Deutschland
nach der Jahrtausendwende sein? Ich sage nein.
({9})
Wollte sich nicht der Bundeskanzler in seinem Amt vor
allem am Abbau der Arbeitslosigkeit messen lassen?
Alles schon vergessen?
({10})
Mit der vom Finanzminister eingeleiteten Finanzpolitik
findet die Bundesregierung zwar immer weniger Anklang in der Bevölkerung, dafür aber - anders als beim
Amtsvorgänger Oskar Lafontaine - wachsendes Wohlgefallen bei Großbanken, Assekuranzen und anderen
Akteuren an den Finanzmärkten. Sind aber Autokonzerne und Großbanken die Klientel, der sich die Bundesregierung besonders verpflichtet fühlen sollte?
Die Pleite des Holzmann-Konzerns macht deutlich,
daß wir fragen müssen: Wann endlich werden Banken,
Vorstände und Aufsichtsräte für milliardenschweres
Fehlverhalten, für den Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen auch öffentlich zur Verantwortung gezogen?
({11})
Sie, die sich der Sanierung der öffentlichen Haushalte
überwiegend entziehen - ja, durch die Zinszahlungen
sogar maßgeblich davon profitieren -, müssen endlich
zu einer angemessenen Finanzierung der öffentlichen
Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden herangezogen werden.
({12})
Das ist nicht nur ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft, sondern auch ein Erfordernis sozialer Gerechtigkeit.
Die Bundesregierung - auch sie! - ist ebenfalls bei
der dringend notwendigen Wiederherstellung der Unternehmenskultur gefordert. Die Übernahmeschlachten
- heute um den Mannesmann-Konzern und vielleicht
schon morgen um die Deutsche Telekom - zeigen auch,
wie dringend notwendig regulierende gesetzgeberische
Maßnahmen auf dem Gebiet der Unternehmensübernahmen sind. Das reicht bis zur Abwehr sogenannter
feindlicher Übernahmen - welch ekelerregendes Wort!
Die abgewählte Koalition hat in der vergangenen Legislaturperiode eine derartige Gesetzesinitiative der damaligen Opposition ausdrücklich niedergestimmt.
Zurück zum Haushalt: Das Verlassen der Nettolohnbezogenheit bei der Rentenanpassung, aber auch bei der
Arbeitslosen- und Sozialhilfe - was wir ausdrücklich
erwähnen wollen - trifft gerade jene Bevölkerungsschichten, die von der Ökosteuer schon stark belastet
werden, ohne daß sie an eventuellen Einspareffekten
teilhaben können. In Ostdeutschland wiederum - das ist
an dieser Stelle besonders herauszustellen - wird die
Zahlung lediglich des Inflationsausgleichs bei der Rentenentwicklung dazu führen, daß Hunderttausende älterer Menschen zwischen Fichtelberg und Kap Arkona die
Angleichung ihrer Altersbezüge an das um 14 Prozent
höhere Rentenniveau im Westen kaum noch erleben
werden. All das ist für die PDS nicht hinnehmbar.
({13})
Auch die von SPD und Bündnisgrünen veranlaßten
drastischen Kürzungen in der landwirtschaftlichen Sozialpolitik rufen den entschiedenen Protest meiner Fraktion ebenso hervor wie die Absenkungen in der Kulturförderung der neuen Bundesländer,
({14})
Absenkungen, die Kulturstaatsminister Naumann ausdrücklich nicht verhindert hat. Auch die längst überfällige Wohngeldreform wird um ein weiteres Jahr nach
hinten geschoben.
Beschäftigungspolitisch kontraproduktiv und mittelstandsschädlich ist die Streichung von fast 1 Milliarde
DM beim Eigenkapitalhilfeprogramm sowie bei den
Zinszuschüssen für das ERP-Sondervermögen. Auch die
Verschiebung von Milliardenlasten des Bundes auf
die Haushalte von Städten, Gemeinden, Landkreisen
bzw. Ländern, wie beim pauschalierten Wohngeld, bei
der originären Arbeitslosenhilfe oder beim Unterhaltsvorschuß für Alleinerziehende - das alles führt ebenfalls zur Beeinträchtigung von Wachstum und Beschäftigung.
Ausgerechnet ein früherer Oberbürgermeister, der
jetzige Bundesfinanzminister, hat eine solche Maßnahme veranlaßt.
({15})
Er möge sich daran erinnern, daß, als CDU/CSU und
F.D.P. 1993 dies bei der originären Arbeitslosenhilfe
auch vorhatten, sofort ein außerordentlicher Städtetag in
Bonn zusammengekommen ist; und - ich sage es deutlich - die alte Regierung hat dieses Thema nie wieder
angefaßt.
Als Alternative zu diesem für die Kommunen schädlichen Verhalten der Bundesregierung sollten wir uns in diesem Raum sitzen viele Bürgermeisterinnen und
Bürgermeister - darauf verständigen, daß der Einstieg in
eine baldige umfassende Reform der Kommunalfinanzierung unverzichtbar ist. Sie ist auch notwendig, um
Planungssicherheit vor Ort zu geben.
({16})
Aber nur die PDS hat dazu bislang einen Antrag eingebracht, der auch in den Ausschüssen beraten wird.
({17})
Dringend geboten ist in diesem Zusammenhang die
Wiederauflage einer kommunalen Investitionspauschale.
Das gilt gerade für Ostdeutschland auf Grund der erheblichen Strukturprobleme im Steueraufkommen, soll aber
auch auf die strukturschwachen Regionen im alten Bundesgebiet ausgedehnt werden. Letzteres möchte ich ausdrücklich betonen. Die Mittel fließen bei der Pauschale
direkt von Berlin in die betreffenden Kommunen und
tragen dazu bei, Infrastrukturvorhaben vor Ort umzusetzen und die Politik für Bürgerinnen und Bürger konkret
erlebbar zu machen. Das ist ein Vertrauensbeweis für
die Politik überhaupt.
({18})
Die Bundesregierung sollte sich endlich nachprüfbar
von milliardenschweren Prestigeobjekten trennen. Der
Eurofighter soll bis zum Jahre 2014 Steuergelder in Höhe von 20 Milliarden DM - das ist das Zwanzigfache
des Umwelthaushalts des Jahres 2000 - verschlingen.
Das ist ein unvertretbarer Zustand, wenn nachhaltige
Entwicklung und der Rio-Gipfel ernst genommen werden.
({19})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluß. Die genannten und weitere Gründe führen zu
der Entscheidung, daß die PDS den Entwurf des Bundeshaushalts 2000 ablehnen wird.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({20})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Joachim Poß
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident, meine Damen
und Herren! Der Kollege Wiesehügel, der Vorsitzende
der IG BAU, und der Betriebsratsvorsitzende von
Holzmann, Mahneke, waren heute mittag beim Kanzler
zum Gespräch. Wir wissen, daß es für die Politik und für
uns Politiker äußerst schwierig ist, in dieser Situation
unmittelbar irgend etwas zu erreichen. Dessenungeachtet begrüßen wir es ausdrücklich, daß der Bundeskanzler
in dieser Weise aktiv wird und die Banken für morgen
zum Gespräch bittet; denn diese sind jetzt am Zug.
({0})
Sie müssen sich jetzt im Sinne und im Geiste der sozialen Marktwirtschaft und im Interesse der Arbeitsplätze
bewegen und deutlich machen, daß sie auch unserem
Verständnis von sozialer Marktwirtschaft entsprechen
wollen.
({1})
Es kann nicht angehen, daß einzelne ohne Rücksicht auf
Verluste Konzerninteressen oder eigene Bankinteressen
verfolgen.
({2})
Wenn der Kanzler 300 Millionen DM an Bürgschaft
in Aussicht stellen sollte, dann gilt das, liebe Kollegen,
doch nicht nur der Großfirma Holzmann, sondern auch
den Hunderten von kleinen und mittelständischen Firmen, die daran hängen und denen wir helfen müssen.
Schaffen Sie hier doch keine künstlichen Gegensätze!
({3})
Ansonsten haben wir doch ein gleichgerichtetes Verständnis davon, daß man Kleinen und Mittleren helfen
muß. Ich bitte Sie aber herzlich, Herr Kollege Rauen,
jetzt, wo so viele Bauarbeiter und ihre Familien um den
Arbeitsplatz bangen, nicht diesen Keil zu treiben, den
man Ihren Äußerungen - Groß gegen Klein - entnehmen kann. Es hängen zu viele menschliche Schicksale
daran.
({4})
Die Probleme sind nicht durch Politik, sondern durch
Mißmanagement entstanden, und deshalb begrüßen wir
ausdrücklich das, was die Bundesregierung, an der Spitze der Bundeskanzler, in dieser Situation unternimmt.
({5})
- Herr Rauen, Ihr Zwischenruf erinnert mich an die Rede von Herrn Austermann. Diese wiederum erinnert
mich an das, was heute in der „Welt“ - das ist eine Zeitung, die Ihnen nicht fernsteht - zu lesen ist.
({6})
Da steht:
Mitten im Leben auf sich gestellt, wirkt die CDU
seltsam hilflos. Nichts kann sie in Anbetracht der
politischen Gesamtlage weniger brauchen als das.
- Das bezog sich zwar nicht auf die Rede von Herrn Austermann
({7})
und auf die Finanz- und Steuerpolitik, sondern auf die
Million, die in bar geflossen ist. Aber es bezeichnet auch
Ihre Linie in der Haushaltspolitik, wie sie heute hier
sichtbar wird. Sie sind seltsam hilflos, meine Damen
und Herren.
Wir dagegen - der Kollege Metzger hat dies noch
einmal deutlich gemacht - können mit Taten aufwarten.
({8})
Wir handeln und haben gehandelt. Wir haben in dieser
Woche die Trendwende in der Steuer- und Haushaltspolitik geschafft.
({9})
Wir machen das, was möglich und nötig war. Wir haben
alles das, was wir uns vorgenommen haben, auch erfolgreich umgesetzt.
({10})
Der Marsch in den Schuldenstaat ist gestoppt. Zum erstenmal seit 1992 wird die Nettokreditaufnahme des
Bundes im Jahre 2000 bei unter 50 Milliarden DM liegen. Durch das Konsolidierungspaket, das wir durchgesetzt haben, wird die Kreditaufnahme in den folgenden
Jahren stetig bis auf 30 Milliarden DM fallen. Zu einer
ähnlichen Anstrengung fehlten der Regierung
Kohl/Waigel - die F.D.P. kann man eh vergessen ({11})
die Energie und der Mut.
({12})
Unter anderem deshalb wurde sie vor einem Jahr mit
Mehrheit abgewählt.
Mit Fug und Recht können wir jetzt hier stehen und
sagen: Die Koalition hat es geschafft, das größte Konsolidierungspaket in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen, und zwar allen Unkenrufen zum Trotz.
({13})
Im Frühjahr hatten noch viele eine Mehrwertsteuererhöhung von 2 bis 3 Prozentpunkten zur Haushaltskonsolidierung prophezeit. Davon redet niemand mehr.
({14})
Das haben wir vermieden.
({15})
Für diesen Erfolg erhalten wir Zuspruch und Lob von
kompetenter Stelle.
({16})
Im übrigen bin ich sicher, daß die Zustimmung in der
Breite der Bevölkerung noch deutlich zunehmen wird.
({17})
Ich will Ihnen nur aus einigen wenigen Stellungnahmen
während der Anhörung zum Haushaltssanierungsgesetz
zitieren. Die Bundesbank sagt:
Das von der Bundesregierung vorgelegte Konsolidierungspaket setzt auf der Ausgabenseite an und
vermeidet insgesamt gesehen einen ins Gewicht
fallenden Rückgriff auf zusätzliche Einnahmen,
({18})
was in Anbetracht der erreichten hohen Steuer- und
Abgabenlast den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen entspricht. … Ein erheblicher Teil der bisher
„unsichtbaren“ strukturellen Deckungslücke würde
konsolidiert.
Der Bundesrechnungshof schreibt:
Die im Entwurf des Haushaltssanierungsgesetz
selbst vorgesehenen Minderausgaben sind aufgrund
der enthaltenen gesetzlichen Leistungseinschränkungen und Einnahmenverbesserungen in wesentlichen Teilen nachhaltig angelegt und damit geeignet, die Neuverschuldung im Bundeshaushalt dauerhaft … zu vermindern.
Allein die Opposition im Deutschen Bundestag ist
anderer Meinung. Sie versucht immer noch, unsere Konsolidierungserfolge durch Mäkeleien klein- und wegzureden. Freuen Sie sich doch statt dessen, meine Damen
und Herren von CDU/CSU und F.D.P.!
({19})
Freuen Sie sich doch mit uns, daß es uns gelingt, den
Staat wieder finanziell handlungsfähig zu machen. Das
ist ein Grund zur Freude.
Aber auch die Beratungen im Haushaltsausschuß haben gezeigt: Wer wie Sie einen haushaltsbelastenden
Antrag nach dem anderen stellt, der will letztlich nicht
sparen, sondern immer weiter Geld ausgeben, das nicht
da ist. Sie haben in der Opposition nichts gelernt. Im
Gegenteil: CDU/CSU und F.D.P. entwickeln sich immer
mehr zu Staatsverschuldungsparteien.
({20})
Sie machen nur einen einzigen Einsparvorschlag, und
der zeigt Ihr wahres Gesicht: CDU/CSU und F.D.P. forderten mehrmals ernsthaft, den Bundeszuschuß an die
Bundesanstalt für Arbeit zu streichen.
({21})
Das zeugt von einer völligen Verkennung der Realität in
West- und vor allem in Ostdeutschland. Wollen Sie den
Bürgern wirklich weismachen, wir könnten auf aktive
Arbeitsmarktpolitik verzichten? Wollen Sie den Betroffenen wirklich weismachen, das äußerst erfolgreiche
Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit sei überflüssig?
Wenn es nach Ihnen ginge, hätten Sie auf jeden Fall
Milliarden zur Senkung des Spitzensteuersatzes, aber
keinen Pfennig zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.
({22})
Zugegeben, die von uns durchgeführte umfassende
Sparoperation ist nicht immer einfach. Sie verlangt vielen Menschen einiges ab, zum Beispiel den Beziehern
von sozialen Transfers, den Rentnern und Pensionären
sowie den Beamten, die sich damit zufriedengeben müssen, daß ihre Bezüge nur in Höhe des Preisniveauanstiegs zunehmen, wodurch ihre Kaufkraft gesichert wird.
Aber alle Umfragen zeigen: Die Bevölkerung trägt in
der Mehrheit unseren Sparkurs, der gleichzeitig ein Weg
zur Sicherung der Zukunft ist, mit.
({23})
So wie die Dinge liegen, ist doch allen klar: Die Zeit,
in der man sich in der Haushaltspolitik durch zeitliches
Verschieben von Belastungen und durch Einmaloperationen irgendwie über die Runden retten konnte, ist mit
diesem Jahr endgültig vorbei. Der Bundeshaushalt war
und ist nur noch durch strukturelle Veränderungen und
vor allem durch nachhaltiges Umsteuern zu sanieren.
Das haben wir mit dem jetzt umgesetzten Zukunftsprogramm begonnen.
({24})
Haushaltspolitik, die sich den Notwendigkeiten und
Realitäten stellt und die vor allem dauerhafte Erfolge
zeitigen will, kommt dabei nicht umhin, Subventionstatbestände und soziale Leistungen zu begrenzen, auch
wenn wir uns begreiflicherweise die Schelte der Betroffenen - das sind nicht wenige - zugezogen haben. Mit
diesen Menschen müssen wir, die Politiker der Koalition, die Diskussion intensivieren, damit sie nicht Opfer
parteipolitisch motivierter Kampagnen der Opposition
werden; denn um nichts anderes geht es dieser verantwortungslos agierenden Opposition.
({25})
Das von uns eingeleitete Programm ist außerdem ein
Beweis dafür, daß wir es mit dem neuen Politikansatz,
mit dem diese Koalition angetreten ist, ernst meinen.
Jegliche Politik muß sich daran gewöhnen, ja verpflichten, auch die Auswirkungen auf zukünftige Generationen in den Blick zu nehmen. Die Träger politischer Verantwortung wie auch die Vertreter legitimer Einzel- und
Gruppeninteressen müssen sich immer stärker fragen,
was ein bestimmtes politisches Tun oder Unterlassen für
die Bürgerinnen und Bürger in 10, 15 oder 20 Jahren
bedeutet. Generationenfairneß, Generationenausgleich das ist ein Postulat, das nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Finanz-, Haushalts- und Sozialpolitik
gilt. Davon haben Sie überhaupt nichts mitbekommen;
den Schuß haben Sie bis jetzt überhaupt noch nicht gehört.
({26})
Wir setzen trotz der Konsolidierung starke Akzente
für mehr Innovation, mehr Beschäftigung und mehr soziale Gerechtigkeit. Bei Forschung, Bildung und Wissenschaft verstärkt die Bundesregierung die Zukunftsinvestitionen. Bis zum Jahre 2003 sorgen wir für ein Plus
von insgesamt 10 Milliarden DM für Hochschulbau,
Forschung und Bildung in den neuen Ländern und insbesondere für die Förderung der Schlüsseltechnologien
Biotechnologie, Informations- und Kommunikationstechnik, Umwelt und Gesundheitswissenschaften.
Im Zusammenhang mit diesen Anstrengungen vollziehen wir die Trendwende in der Steuerpolitik.
({27})
Ihre Regierungszeit war doch dadurch gekennzeichnet,
daß die Steuer- und Abgabenlast gerade der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Familien völlig
inakzeptable und leistungsfeindliche Höhen erreicht
hatte. Auf der anderen Seite konnten sich Millionäre arm
rechnen. Damit haben wir Schluß gemacht.
({28})
Mit unserem Steuerentlastungsgesetz, das in der
Spitze eine Entlastung von 46 Milliarden DM schafft,
gibt es eine Absenkung der Lohnsteuerbelastung um
14 Prozent gegenüber dem geltenden Steuerrecht des
letzten Jahres der Regierung Kohl/Waigel. Familien bekommen Schritt für Schritt auch finanziell - nicht nur in
Sonntagsreden - ihr Recht: Kindergeldanhebung um
30 DM bereits zum 1. Januar 1999, Anhebung um weitere 20 DM im Familienförderungsgesetz zum 1. Januar
2000, Kinderbetreuungsfreibetrag von rund 3 000 DM
zum 1. Januar 2000. Mit der zweiten Stufe des Familienförderungsgesetzes wird es weitere steuerliche Vergünstigungen für Familien mit Kindern geben.
Auch in unseren Reihen gab es eine Debatte darüber,
ob unsere Politik sozial ausgewogen sei.
({29})
Ich erinnere nur an folgendes: Um die von mir angesprochenen Entlastungen zu finanzieren, haben wir
Steuervergünstigungen von rund 36 Milliarden DM
abgebaut. Es handelt sich um Steuervergünstigungen,
die im wesentlichen außerhalb der Reichweite der
durchschnittlichen Arbeitnehmerinnen oder des durchschnittlichen Arbeitnehmers lagen.
({30})
Ein Spitzenverdiener kann seine Steuerschuld jetzt nicht
mehr in einem Jahr auf Null herunterrechnen, auch wenn
Union und F.D.P. im Finanzausschuß immer wieder versuchen, ein Schlupfloch nach dem anderen aufzumachen.
Wir halten uns an das Grundprinzip des deutschen
Steuerrechts, das Sie ausgehöhlt haben. Wir halten uns
an das Verfassungsgebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dieses Prinzip setzen
wir bei uns in Deutschland durch.
({31})
Wir brechen einen weiteren Trend, nämlich den des
stetigen Anstiegs der Belastung von Arbeitnehmern und
Arbeitgebern durch Sozialabgaben. Diese Verteuerung
des Faktors Arbeit war in höchstem Maße beschäftigungsfeindlich. Hier haben wir gegengesteuert. Während der Amtszeit von Herrn Blüm lag der Rentenversicherungsbeitrag bei fast 21 Prozent. Jetzt liegt er bei
19,5 Prozent. Demnächst wird er bei 19,3 Prozent und
später sogar unter 19 Prozent liegen. Dies sind meßbare
Taten, an denen wir auch tatsächlich gemessen werden
können.
({32})
Das verstehen wir unter einer Politik, die Anreize für
Arbeit und Leistung schafft sowie übrigens auch die
Akzeptanz unserer sozialen Sicherungssysteme erhöht.
Dies alles wird dazu führen, daß die Bürgerinnen und
Bürger die Entlastung durch die Senkung der Steuern
und Abgaben - dies war möglicherweise bis jetzt noch
nicht spürbar - konkret im Geldbeutel spüren. Sie werden merken: Die SPD ist eine Steuerentlastungspartei,
die die Doppelaufgabe, Begrenzung der Staatsverschuldung und Senkung der Steuern und Abgaben, schafft.
({33})
Wir verlieren - im Gegensatz zu Ihnen - dabei nicht die
Realitäten aus dem Blick. Steuern und Abgaben konnten
nur in dem Maße gesenkt werden, wie entsprechende finanzielle Spielräume vorhanden sind. Um diese Spielräume bemühen wir uns. Deswegen sagen wir: Die bisherigen Steuerentlastungsschritte sollen nicht die letzten
gewesen sein. Wenn entsprechende finanzielle Spielräume vorhanden sind, werden wir die Steuertarife weiter senken.
Die geplante Unternehmensteuerreform wird zu einer
Nettoentlastung in Höhe von rund 8 Milliarden DM führen. Aber wir werden keine Steuerentlastungen auf
Pump, so wie Sie es vorschlagen, und damit zu Lasten
der nachfolgenden Generation vornehmen. Das machen
wir nicht mit. Auch der Sachverständigenrat hat sich gegen eine solche Politik ausgesprochen.
({34})
Erinnern Sie sich noch an die Gespensterdiskussion,
in deren Rahmen Sie behauptet haben, auf Grund der
Steuerschätzung müßten jetzt massive Steuerentlastungen vorgenommen werden. Wie sah das Ergebnis der
Steuerschätzung tatsächlich aus? Es wird erwartet, daß
in diesem Jahr insgesamt 6,8 Milliarden DM und im
nächsten Jahr 3 Milliarden DM mehr an Steuern eingenommen werden. Der Bund profitiert davon lediglich
mit 1,5 Milliarden DM bzw. 0,6 Milliarden DM. Wo
sind denn die Mehreinnahmen geblieben, von denen Sie
gesprochen haben und mit denen Sie Steuersenkungen in
Höhe von 50 bis 80 Milliarden DM begründet haben? In
den Ergebnissen der Steuerschätzung lassen sich solche
Spielräume jedenfalls nicht finden.
Wo befinden sich die finanziellen Spielräume für eine
Nettoentlastung in Höhe von 30 Milliarden DM, von denen Herr Schäuble sprach? Herr Stoiber hat sogar von
einer Nettoentlastung in Höhe von 50 Milliarden DM
gesprochen. Beide haben ihre Zahlen am selben Tag
präsentiert. Daran kann man sehen, wie seriös diese
Partei ist.
({35})
Am selben Tag spricht der eine Parteivorsitzende von
einer Nettoentlastung in Höhe von 30 Milliarden DM,
während der andere Parteivorsitzende von 50 Milliarden
DM spricht. Dies ist ja nur ein kleiner Unterschied von
20 Milliarden DM. Dies muß man sich vorstellen.
Unsere Steuerpolitik
({36})
mag man als vorsichtig schelten. Aber sie ist jedenfalls
realistisch und solide. Das, was Sie machen, ist nicht nur
unrealistisch, es ist auch unverantwortlich, wie Sie die
Menschen täuschen.
({37})
Das gilt auch für die Unternehmensteuerreform. Sie
lehnen wieder reflexartig alles ab, was wir vorschlagen.
Sie suchen das Heil ausschließlich in der Senkung des
privaten Spitzensteuersatzes. Als Beiwerk soll es ein
bißchen Rückbau am unteren Ende des EinkommenJoachim Poß
steuertarifs geben. Nehmen Sie doch endlich wahr, daß
so gut wie kein Existenzgründer und auch nur die allerwenigsten Mittelständler die Spitzensteuersätze überhaupt erreichen.
Es ist festzustellen: Die Trendwende bezüglich Steuern und Haushalt ist geschafft. Der Weg in den Schuldenstaat ist gestoppt. Steuern und Abgaben gehen endlich wieder zurück. Die steuerlichen Rahmenbedingungen für mehr Arbeit und Beschäftigung werden gesetzt.
Das alles wird durch eine Politik geleistet, die keine
Luftschlösser baut und den Menschen nicht Dinge vorgaukelt, die nicht einzuhalten sind.
({38})
Sie haben sich in der Vergangenheit genug versündigt
und Politikverdruß mit Ihren Versprechungen 1999 herbeigeführt. Betreiben Sie bitte diese unverantwortliche
Politik nicht weiter! Mit uns ist eine solche Politik jedenfalls nicht möglich.
({39})
Wir orientieren uns an den Realitäten. Dies mag
manchen unzufrieden stimmen. Aber eine Politik in
Verantwortung für die Menschen läßt keine andere
Wahl. Wie hat doch der frühere, langjährige Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Anfang Oktober in einem Gespräch formuliert: „Als Deutsche haben wir noch nie so
wenig Grund zum Pessimismus gehabt wie heute.“ Dem
kann ich nichts mehr hinzufügen.
({40})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Bartholomäus
Kalb von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Früher, als
noch Frau Matthäus-Maier diesem Hohen Hause angehörte, konnte man jede Wette abschließen, daß in jeder
ihrer Reden das Thema Eurofighter auftauchen würde.
({0})
Jetzt ist es so, daß in jeder Rede stereotyp die Behauptung mit den 1,5 Billionen DM Schulden kommt.
Kollege Austermann hat dazu das Wesentliche bereits
gesagt. Ich darf wiederholen, wie sich die Schulden zusammensetzen. Niemand wird bestreiten, daß 500 Milliarden DM von der DDR geerbt wurden, daß der Bund
600 Milliarden DM netto in den Aufbau der neuen Länder investiert hat. Niemand von Ihnen wird auch
bestreiten können, daß wir den Rest 1982 von Ihnen geerbt haben.
({1})
Wer so argumentiert wie Sie, lenkt ab, vereinfacht
und vernebelt. Sie oder der Herr Bundeskanzler sind der
Empfehlung eines Medienberaters - um nicht zu sagen:
eines Propagandaberaters - gefolgt. Wer dies leichtfertig
so hinstellt und als Schulden der Regierung Kohl/Waigel
bezeichnet, stellt unter Beweis, daß er nach wie vor ein
gestörtes Verhältnis zur deutschen Einheit hat.
({2})
Sie werden nicht bestreiten können, daß die Investitionen in die deutsche Einheit eine ganz gewaltige Aufgabe darstellen, im übrigen eine ähnlich gewaltige Aufgabe, wie sie damals nach der Währungsumstellung zu
bewältigen war. Wer sich jemals die Mühe macht, in die
Pläne, in die Veröffentlichungen der Bundesschuldenverwaltung hineinzuschauen, wird feststellen, daß dort
heute noch 8 Milliarden DM aus der Währungsumstellung verbucht sind. Das heißt, man wird fairerweise sagen müssen: Die enormen Aufgaben der Wiedervereinigung müssen mindestens von einer Generation getragen
werden und können nicht innerhalb von wenigen Jahren
bewältigt werden.
({3})
Herr
Kollege Kalb, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Titze-Stecher?
Ich würde das
nicht gerne erlauben, weil ich als Redner, der oft erst am
Ende des Tages zum Zuge kommt, weiß, wie schwer es
ist, wenn andere vorher alles „abräumen“ und die ganze
Zeit in Anspruch nehmen.
({0})
Also
keine Zwischenfrage?
Danke, nein.
Ich meine, es ist ganz vernünftig, daß diese Lasten
entsprechend verteilt werden. Das Ganze ist nur eine
Polemik, ist Angstmache und ist Blockade. Mit Blockade haben Sie früher Sparen verhindert; das ist vorhin bereits ausgeführt worden. Man braucht nur einen Blick
auf die Länder zu werfen. Heute tun Sie so, als hätten
Sie das Sparen erfunden. Aber wenn ich mir die Zahlen
von Niedersachsen und Hessen anschaue, dann stelle ich
fest, daß Niedersachsen und Hessen, ohne die gewaltige
Aufgabe einer Wiedervereinigung meistern zu müssen zugegebenermaßen haben sie sich im Rahmen des Föderalen Konsolidierungskonzepts beteiligt -, in Ihrer
Amtszeit die Verschuldung um 60 Prozent gesteigert
haben, während Sie uns hier am Sparen gehindert haben.
({0})
Ich will mich auch damit auseinandersetzen, wie sich
die Dinge entwickelt haben. Ohne die gewaltige Aufgabe der Wiedervereinigung sähen die Zahlen ganz anders
aus. Wie war es denn? 1982 waren Sie am Ende, weil
Ihre Finanzexperten damals über 50 Milliarden DM
Neuverschuldung eingeplant hatten. Es sind dann im
Ergebnis 37 Milliarden DM dabei herausgekommen,
und das bei einem Haushaltsvolumen von 245 Milliarden DM und einem Bruttoinlandsprodukt, das nicht
einmal die Hälfte des heutigen betragen hat, nämlich
von 1,588 Billionen DM. Damit waren Sie am Ende.
Dann haben unsere Finanzminister die Neuverschuldung
zurückgeführt, und zwar ganz gewaltig.
1989 - unter Waigel - betrug die Nettokreditaufnahme 19 Milliarden DM.
({1})
Die Bedienung Ihrer Schulden erforderte aber 33 Milliarden DM. Die Schulden, die Theo Waigel aufgenommen hat, lagen also um 14 Milliarden DM niedriger als
der Betrag, der erforderlich war, um die durch Sie verursachten Schulden zu bedienen.
({2})
Das heißt, daß unter Stoltenberg und Waigel der Anteil
der Neuverschuldung am Bruttoinlandsprodukt von 2,3
Prozent auf 0,9 Prozent zurückgeführt werden konnte.
Wir hatten 1990 die realistische Chance, keine einzige
Mark neuen Kredits mehr aufnehmen zu müssen. Es
kam dann aber alles anders. Gott sei Dank kam die Wiedervereinigung.
({3})
Da mein Wahlkreis an der Grenze zu Tschechien
liegt, möchte ich hinzufügen: Ich empfinde es auch zehn
Jahre später noch immer als Glück und Segen, daß die
Teilung unseres Vaterlandes und Kontinentes - ich erinnere an Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl - überwunden ist.
({4})
Hat sich jemand von denen, die heute beklagen, wieviel
wir für Zinszahlungen im Rahmen der Schuldenbedienung ausgeben müssen, schon einmal die Mühe gemacht, darüber nachzudenken, wieviel Geld in beiden
Teilen Deutschlands für Verteidigung und Verteidigungsfolgelasten ausgegeben werden müßte, wenn die
Verhältnisse noch so wie vorher wären?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben
ja die Senkung der Lohnnebenkosten in den Mittelpunkt Ihrer Politik gestellt und als Rezept zur Bewältigung der Beschäftigungskrise ausgegeben. Sie meinen,
diese dadurch erreichen zu können, daß die Mehreinnahmen aus der Erhöhung der Mineralöl- und
Stromsteuer der Rentenversicherung zugute kommen.
Ich verwende bewußt nicht den Begriff Ökosteuer. Der
Kollege Dr. Rexrodt hat, wie ich glaube, schon gesagt,
daß auf diese Steuern die Begriffe ökologisch und sozial
nicht zutreffen, da sie lediglich zur Finanzierung dienen.
Auch die Veröffentlichungen von Instituten und vom
Bund der Steuerzahler lassen entsprechende Schlüsse zu.
Ich brauche darauf nicht weiter eingehen. Die Tischvorlage, die Sie uns im Haushaltsausschuß dazu gegeben
haben, vernebelt ja mehr, als daß sie tatsächlich etwas
über die Beträge, die der Rentenversicherung zugeführt
werden, aussagt.
({5})
- Sie wollen ja nur vernebeln; diese Aussage ist sehr
richtig, Kollege Glos.
({6})
Ihr größtes Problem bezüglich der Lohnnebenkosten
ist doch folgendes: Sie haben es geschafft, eine dynamisch wachsende Wirtschaft - im letzten Jahr ist sie um
2,8 Prozent gewachsen - auf 1,4 Prozent Wachstum zurückzuführen. 1 Prozent Wirtschaftswachstum mehr
hätte Sie all Ihrer Probleme entledigt. Dahinter hätten
Sie Ihr Sparprogramm verstecken können. Ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 1 Prozent bringt in etwa
11 Milliarden DM Steuereinnahmen und 22 Milliarden
DM an Versicherungsbeiträgen für die Sozialkassen.
Dies alles wäre ein sehr viel besserer Beitrag zur Entlastung der Lohnnebenkosten. Ihr Vorhaben wird Ihnen
so, wie Sie es beabsichtigen, nicht gelingen, weil Sie die
Rechnung ohne den Wirt machen.
({7})
Sie haben durch Ihre chaotische, unberechenbare und
unkalkulierbare Politik die Wirtschaftsentwicklung gebremst und das Wachstum sinken lassen.
({8})
Das ist doch der wahre Hintergrund.
({9})
Wie sonst wäre es denn erklärbar, daß nur noch Italien
und die Bundesrepublik Deutschland derart schlechte
Wachstumszahlen für das Jahr 1999 aufweisen? Sie
können sich die OECD-Berichte oder die Berichte der
Institute und Sachverständigen anschauen; die Zahlen
stimmen fast überein. Alle anderen OECD-Staaten haben mit 2,8 Prozent ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum, während die OECD für Deutschland für 1999
1,25 Prozent prognostiziert. Die Institute sprechen von
1,4 Prozent, während das durchschnittliche Wirtschaftswachstum im Euro-Raum bei 2,1 Prozent liegt.
({10})
Wenn man dann auch noch das Gewicht Deutschlands
im Euro-Raum berücksichtigt, wird deutlich, daß die
Zahlen der anderen noch viel besser wären. Ich kann im
Hinblick auf die verfügbare Zeit nicht mehr darstellen,
({11})
wie vergleichsweise gut Spanien, Portugal, Österreich
und andere abschneiden. Sie haben sich durch eine
chaotische, verheerende und konzeptionslose Politik die
Suppe eingebrockt, mit der Sie jetzt nicht mehr so recht
fertig werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist
wichtig, daß eine Steuerreform durchgeführt wird, die
diesen Namen verdient. Bisher sieht man davon aber
nichts. Sie verharren in dem Glauben, man könnte zwischen guten und bösen Einkünften, zwischen Unternehmen und Unternehmern unterscheiden. Sie unterstellen,
daß die Unternehmen gut und die Unternehmer schlecht
seien. Ich weiß nicht, ob Sie das heute angesichts der
Holzmann-Affäre auch noch sagen.
({12})
Werfen Sie all das, was Sie in diesem Zusammenhang denken, auf den Müll. Das ist von Neid geleitet
und führt nicht weiter. Wir müssen zukunftsorientiert
handeln. Das bedeutet, daß es etwas mit Wirtschaft und
mit Ökonomie zu tun haben muß. Dies sagen auch die
Experten aus Ihrem eigenen Hause. Auf einer Tagung,
die vor einiger Zeit in Mainz stattgefunden hat, äußerte
Professor Homburg:
({13})
Führen Sie diese Unternehmensteuerreform nicht
durch!
Weiter sagte er:
Ich habe den Eindruck, daß optische Täuschung das
Hauptziel der Reform ist.
Sie unterliegen auch einem Irrglauben, wenn Sie
meinen, es gehe nur um die Belastungen der Unternehmen im engeren Wortsinn, also um das, was sie direkt
an Steuern und Abgaben abzuführen haben. In einer
modernen und globalisierten Arbeitswelt wird immer
mehr zu berücksichtigen sein, daß sich die Belastungen
für die Unternehmen aus der Summe aller Belastungen,
auch der der Mitarbeiter, zusammensetzen. Die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen hängt auch davon ab,
ob sie ausreichend viele hochqualifizierte Mitarbeiter in
den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen haben;
denn diese verhelfen den Unternehmen überhaupt erst
zur Zukunftsfähigkeit. Beispiele aus Skandinavien belegen, daß Unternehmen erhebliche Probleme haben,
wenn gerade die Leistungsträger in den Unternehmen,
die ein Höchstmaß an Mobilität auch über Grenzen hinweg aufweisen müssen, diese verlassen. Dann geht auch
Zukunftsfähigkeit für das Land verloren.
({14})
Noch ein letzter Gedanke: Die Steuerschätzung besagt, daß der Bund allein von 1998 bis 2000 Steuermehreinnahmen in Höhe von rund 40 Milliarden DM
hat. Die Mai-Steuerschätzung besagt, daß wir gesamtstaatlich von 1998 bis 2002 Steuermehreinnahmen
in Höhe von rund 123 Milliarden DM verzeichnen können. Bereinige ich diesen Betrag jetzt um den Anteil
der sogenannten Ökosteuer, dann bleiben in diesen vier
Jahren immer noch gesamtstaatliche Steuermehreinnahmen in der Größenordnung von knapp 100 Milliarden DM.
({15})
Will mir angesichts dieser Rahmenbedingungen irgend
jemand sagen, daß man keine vernünftige, durchgreifende Steuerreform mit einer Tarifabsenkung von oben bis
unten durchführen kann, wenn der Wille dazu vorhanden ist?
Vielen Dank.
({16})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Christine
Scheel von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
vorab einige Bemerkungen zu Äußerungen machen, die
im Rahmen der Haushaltsberatungen und der verschiedensten Steuerdiskussionen von seiten der Opposition
gekommen sind. Wir haben im Finanzausschuß hautnah
erlebt - die Haushälter konnten das ebenso wunderbar
miterleben -, daß an allen möglichen Punkten, an denen
versucht wurde, Einsparungen vorzunehmen und Subventionen abzubauen - das ist dieser Regierung zu einem großen Teil auch gelungen -, von seiten der Opposition immer wieder Anträge gestellt worden sind, in denen es darum geht, genau diese Änderungen zurückzunehmen und den alten Zustand wiederherzustellen. Damit sollten also weiter Subventionen gewährt werden,
und es wurde keine Bereitschaft gezeigt, an irgendeiner
Stelle eine Einsparung auch nur anzudenken.
({0})
Hinzu kommt: Die F.D.P. wollte die Gewerbesteuer
abschaffen, was Mindereinnahmen für die Kommunen
in der Größenordnung von 50 Milliarden DM bedeutet
hätte. Und unter Federführung der CSU wurde ein Tarif
vorgeschlagen, der für diesen Staat Mindereinnahmen in
einem Volumen von etwa 50 Milliarden DM bedeutet
hätte. Diese Beispiele sollen genügen. Und dann stellen
Sie sich hin und sagen, Sie betrieben eine Haushaltsund Finanzpolitik, die Arbeitsplätze schaffe und die solide sei!
({1})
Die Umsetzung all Ihrer Überlegungen - man darf sie
ja nicht einzeln sehen, man muß sie zusammen sehen -,
würde dazu führen, daß der Haushalt verfassungswidrig
wäre
({2})
und daß wir eine Steuerpolitik hätten, bei der sich die
Einnahmen nicht mehr verstetigten und bei der die notwendigen Ausgaben, die wir jetzt im Bereich der Bildungs- und Forschungspolitik, im Bereich der aktiven
Arbeitsmarktpolitik - für arbeitslose Jugendliche - tätigen, in der jetzigen Form nicht möglich wären. Sie hätten bloß die entlastet, die es in dieser Form nicht nötig
hätten, und der Finanzminister müßte weiterhin wie auf
Eis rumrudern.
({3})
Herr Kalb, Sie haben wiederum Ihren Vergleich angebracht, obwohl wir wirklich versucht haben, zu erklären, wie das mit der Steuerschätzung ist und wie man
dies auch insgesamt im Hinblick auf die wirtschaftliche
Entwicklung sehen muß. Man muß die gesamten Rahmendaten zugrunde legen und kann nicht sagen, Steueraufwuchs sei immer dann zu verzeichnen, wenn den
Einnahmen keine Ausgaben gegenüberstünden. Dies ist
völlig falsch
({4})
Dies gilt ebenso für einen weiteren Vergleich, der
immer wieder angeführt wird und den Herr Merz heute
wahrscheinlich auch wieder nennt. Dabei werden Äpfel
mit Birnen verglichen. Wenn man nämlich hinsichtlich
der Fortschreibung im Jahr 1999 nur die Ausgabensteigerungen ansieht und dem die Sollzahlen des nächsten
Haushaltsjahres gegenüberstellt, wenn man also die
485,7 Milliarden DM für 1999 mit den 478,8 Milliarden
DM für 2000 vergleicht und zu dem Ergebnis kommt,
wir hätten gar keine 30 Milliarden DM, sondern nur
7,5 Milliarden DM eingespart, so ist dies völliger Unsinn. Denn es geht um Einsparungen, bevor man überhaupt Mehrausgaben entstehen läßt. Diese Zahlen kann
man nicht vergleichen und damit ein Finanzvolumen
suggerieren, das in keiner Weise der Wahrheit entspricht.
({5})
Nach Ihren Vorstellungen von Haushaltspolitik hätten
wir im Haushalt 2000 rund 505 Milliarden DM zu veranschlagen. Dieser Haushalt wäre eindeutig verfassungswidrig, und er würde auch gegen den europäischen
Stabilitätspakt verstoßen. Auch das muß man in diesem
Zusammenhang sehen.
({6})
Wir haben von unserer Seite immer wieder Grundüberlegungen zur Nachhaltigkeit angestellt.
({7})
Dies hatten wir unter ökologischen Aspekten selbstverständlich immer wieder eingefordert, und diese Nachhaltigkeit fordern wir genauso in der Finanz-, Haushaltsund Steuerpolitik ein.
({8})
Ihre unsoliden Vergleiche rühren daher, daß es Sie
außerordentlich schmerzt, daß die Bevölkerung mittlerweile das Zukunftsprogramm 2000 zu über zwei Dritteln
unterstützt. Ich verstehe gut, daß Sie hierüber verärgert
sind und daß es Ihnen einfach nicht paßt, daß diese Regierung an diesem Punkt steht.
({9})
Eine Kollegin hat einmal von der Feuerfestigkeit der
Koalition gesprochen, die hierbei bewiesen worden sei.
({10})
Dieses 30-Milliarden-Sparpaket umzusetzen ist ein
Kraftakt gewesen. Davon können Sie wirklich nur träumen.
Frau
Kollegin Scheel, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Luft von der PDS?
Frau Kollegin Scheel, würden Sie mir der Fairneß halber zustimmen, daß es in diesem Hause nicht d i e Opposition gibt? Die Opposition
besteht vielmehr aus zwei Teilen, die sich in der Haushaltsberatung unterschiedlich verhalten haben. Für meine Fraktion nehme ich in Anspruch, daß wir eine Fülle
von Einsparvorschlägen gemacht haben, die die Sparbemühungen durchaus unterstützt hätten. Zugegebenermaßen handelt es sich um Einsparvorschläge auf anderen Gebieten, als die Koalition sie vorgesehen hat. Wir
lassen es aber nicht zu, daß wir mit dem Reden von
d e r Opposition abgefrühstückt werden, indem man
sagt, aus den Reihen der Opposition gebe es keine Einsparvorschläge.
({0})
Frau Luft, ich gestehe Ihnen gerne zu, daß Opposition
und Opposition in diesem Hause nicht das gleiche sind.
({0})
CDU/CSU und F.D.P. haben sich anders als Sie verhalten. Sie haben nämlich - diesen Punkt haben Sie gerade
angesprochen - Deckungsvorschläge für Mehrausgaben
unterbreitet.
({1})
Ich muß aber dazu sagen, daß Ihre Deckungsvorschläge
illusionär sind.
({2})
Ihre Deckungsvorschläge haben mit der realen Erfassung von Vermögenswerten oder von Einnahmen, wie
sie von Ihrer Seite immer wieder gefordert wird, aus
Sicht der Regierungsparteien - ich darf in diesem Punkt
auch für die SPD sprechen - überhaupt nichts zu tun.
({3})
Wir dürfen die Tatsache nicht unter den Tisch kehren,
daß die alte Koalition ein strukturelles Haushaltsdefizit zu verantworten hat. Herr Rexrodt, 1998 gab es zwiChristine Scheel
schen der Kreditaufnahme und den Investitionen eine
Differenz von 33 Milliarden DM. Ich will in diesem Zusammenhang nicht auf den Schuldenberg insgesamt
verweisen, sondern nur vom Jahr 1998 reden. Sie haben
diese Lücke damals kaschiert, indem Sie, wie man so
schön sagt, das Tafelsilber in einer Größenordnung von
20 Milliarden DM verscherbelt haben. Die F.D.P. kann
jetzt wahrlich nicht behaupten, sie habe eine Sparpolitik
betrieben.
({4})
Sie haben vielmehr alle Möglichkeiten genutzt, das Tafelsilber zu verscherbeln. Herr Waigel, ich kann mich
noch daran erinnern - in der Öffentlichkeit wird dieses
Ereignis sehr leicht vergessen -, wie Sie damals mit dem
Hubschrauber zur Bundesbank nach Frankfurt geflogen
sind.
({5})
- Ich weiß, wovon ich rede: Ich rede von den Bundesbankgewinnen.
({6})
Ich rede zum einen von dem Tafelsilber, das verscherbelt worden ist, und zum anderen von den in den Sand
gesetzten Bemühungen, die Bundesbankgewinne zur Sicherung der Liquidität des Bundes zu verwenden.
({7})
Erstmals seit 1992 haben wir es geschafft, daß die
Neuverschuldung zurückgeführt wird. Sie wird über
8 Milliarden DM unter den Ausgaben für Investitionen
liegen. Wir haben es damit geschafft - es ist mir klar,
daß Sie das ärgert -, auch das strukturelle Defizit abzubauen.
({8})
Auch wenn Sie es nicht gerne hören: Wir haben keine
Steuererhöhungen vorgenommen. Wir haben gleichzeitig die Familien mit Kindern entlastet. Wir werden auch
eine Unternehmensteuerreform vorlegen, die zu Entlastungen führen wird.
({9})
Frau
Kollegin Scheel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Michelbach?
Ja.
Herr
Michelbach, bitte schön.
Frau Kollegin
Scheel, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß Ihre Ausführungen über die Bundesbank überhaupt nichts mit
dem Bundeshaushalt zu tun haben? Es handelte sich
vielmehr um eine notwendige Sanierung und Konsolidierung für den Erblastentilgungsfonds unter Beachtung
der damaligen finanzpolitischen Situation. Nehmen Sie
das zur Kenntnis?
({0})
Herr Michelbach, ich nehme Ihre Frage zur Kenntnis.
Ich will in diesem Zusammenhang aber sagen, daß der
Erblastentilgungsfonds - genauso wie das sogenannte
Bundeseisenbahnvermögen - mit dem Haushalt sehr
wohl etwas zu tun hat.
({0})
Fest steht, daß die alte Koalition es nicht geschafft
hat, ihren Haushalt zu konsolidieren und die Steuersätze
drastisch zu senken, sondern daß sie Ausgabensteigerungen in Nebenhaushalten versteckt hat und daß sie
letztendlich vorhatte, mit einer Mehrwertsteuererhöhung zu Mehreinnahmen zu kommen - ich denke an
den damaligen Wahlkampf -, um ihre Wunschvorstellungen einigermaßen umzusetzen. Eine junge Kollegin
aus Ihren Reihen wurde damals im Wahlkampf dafür,
daß sie die Wahrheit gesagt hat, gerügt, weil niemand
von Ihnen im Wahlkampf von Steuererhöhungen reden
wollte. Die Konsequenz Ihrer Politik wäre gewesen wenn Sie an der Regierung geblieben wären -, daß die
Bevölkerung heute 18 Prozent anstatt 16 Prozent Mehrwertsteuer zu verkraften hätte.
({1})
Als
nächster Redner hat der Kollege Uwe Hiksch von der
PDS-Fraktion das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Scheel sollte aufpassen, wenn sie über
Wahlkampfversprechen redet. Ich erinnere mich sehr
gut daran, daß die ehemalige Opposition, bestehend aus
Sozialdemokratie und Bündnis 90/Die Grünen, mit dem
Versprechen in den Wahlkampf gezogen ist, bei einem
Regierungswechsel würden die Eisenbahnerwohnungen
nicht verkauft werden.
({0})
Jetzt erleben wir, daß sich die PDS-Bundestagsfraktion
für die Interessen der Mieterinnen und Mieter dieser
Wohnungen einsetzen muß.
({1})
Kollege Poß, Sie haben mit Ihrer Rede sowohl recht
als auch unrecht. Sie haben davon gesprochen, daß es
die Koalition geschafft hätte, das größte Konsolidierungspaket durchzusetzen. Das stimmt, ist aber auch
falsch! Das Paket, das die rotgrüne Bundesregierung
vorgelegt hat, ist kein Konsolidierungspaket, sondern
ein Sparpaket. Darüber hinaus ist es sozial ungerecht.
({2})
Es ist deshalb kein Konsolidierungspaket, weil Konsolidierung bedeuten würde, daß man sich sowohl die Einnahmeseite als auch die Ausgabenseite anschauen müßte. Doch Sie weigern sich, in der Diskussion über Einsparungsmöglichkeiten und Möglichkeiten der Haushaltskonsolidierung darüber nachzudenken, auch die
Vermögenden, die Millionäre, heranzuziehen, um die
Bundesrepublik Deutschland zu finanzieren. Wenn Sie
ein wirkliches Konsolidierungspaket vorgelegt hätten,
hätten Sie sich beispielsweise dafür eingesetzt, daß eine
Vermögensabgabe bereits in diesem Jahr umgesetzt
worden wäre. Fehlanzeige bei der rotgrünen Bundesregierung!
({3})
Es ist auch deshalb kein wirkliches Konsolidierungspaket, weil das, was die Rotgrünen damals in der Opposition richtig gesagt haben, daß nämlich Haushaltspolitik
niemals nach dem „Rasenmäherprinzip“ durchgeführt
werden dürfe, jetzt in der Regierungsverantwortung gemacht wird. Es ist falsch, wenn alle Einzelhaushalte
denselben prozentualen Anteil, nämlich 7,4 Prozent, einsparen müssen. Es widerspricht Ihren eigenen Überzeugungen und Wertevorstellungen, wenn sowohl der Entwicklungshilfehaushalt als auch der Haushalt für Arbeit
und Soziales genauso bluten müssen wie beispielsweise
der Verteidigungshaushalt. Eine solche Form der Politik
halte ich für falsch und nicht vertretbar.
({4})
Es ist auch deshalb kein wirkliches Konsolidierungspaket, weil Massenkaufkraft geschwächt wird, weil bei
den unteren Einkommensschichten angesetzt wird, die
eine hohe Konsumquote haben, und die Rentnerinnen
und Rentner, die Arbeitslosenhilfeempfänger und sozial
Schwachen dafür bezahlen müssen, daß Sie sich an die
Reichen, an die Konzerne und Gutverdienenden in unserem Lande, nicht herangetraut haben.
({5})
Deshalb sage ich: Es ist aus Sicht der rotgrünen Bundesregierung eine Schande, daß im nächsten Jahr eine
Unternehmensteuerreform gemacht werden soll, bei
der die Unternehmen noch einmal um netto 8 Milliarden DM entlastet werden sollen. Gleichzeitig müssen
- mit dem Hinweis darauf, daß gespart werden müsse Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfeempfänger, Rentnerinnen und Rentner sowie sozial Schwache dafür bezahlen,
daß Wahlversprechen gebrochen werden.
({6})
Ich glaube, es ist kein Mäkeln der PDS, wenn wir
darauf hinweisen, daß dieser Haushalt falsch ist. Wir,
die PDS, weisen als einzige Oppositionskraft in diesem
Hause darauf hin, daß Ihre falsche Politik dazu geführt
hat, daß Millionen von Wählerinnen und Wählern nicht
mehr zur Wahl gehen,
({7})
daß der Ruhrpott auf Grund Ihrer falschen Politik
schwarz geworden ist und daß Sie in Sachsen erleben
mußten, daß Sie gerade noch über die Fünfprozenthürde
gekommen sind.
Wir, die PDS, geben den Menschen, die berechtigterweise darauf hinweisen, daß es nicht angehen kann,
daß gegen die sozial Schwachen gearbeitet wird und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Regen stehen
gelassen werden, eine neue Heimat und machen deutlich, daß es darum gehen muß, Politik für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gestalten.
({8})
Die rotgrüne Bundesregierung bricht zentrale Wahlkampfversprechen. Sie erinnern sich doch sicher noch
sehr gut daran, wie die rotgrüne Opposition in die Wahl
gezogen ist und deutlich gemacht hat, daß sie, wenn sie
die Wahl gewinnen würde, die unsoziale Blümsche
Rentenreform zurücknehmen und zur nettolohnorientierten Rentenanpassung zurückkehren werde.
({9})
Das Gegenteil ist geschehen. Hätte die rotgrüne Bundesregierung wahr gemacht, was sie im Wahlkampf versprochen hat, hätten Rentnerinnen und Rentner mit einer
Rente von beispielsweise 1 000 DM im nächsten Jahr
eine Nettorentenerhöhung in Höhe von 35 DM erhalten.
Jetzt bekommen sie 6 DM, also 29 DM weniger, als versprochen wurde. Ein Rentner, der eine Rente von 2000
DM hat, hätte, wenn das Versprochene eingehalten worden wäre, eine Rentenerhöhung von 70 DM bekommen.
Jetzt erhält er ganze 12 DM.
Der vorgelegte Haushalt ist falsch. Er ist abzulehnen.
Es ist die PDS, die die Hoffnungen, die Sie letztes Jahr
im Wahlkampf geweckt haben, nämlich die Hoffnungen
der kleinen Leute, die Hoffnungen der Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sowie die Hoffnungen der
sozial Schwächeren und der Mitglieder in Sozialverbänden, aufgreift und dafür sorgen wird, daß Menschen, die
vom Parlament Hilfe benötigen, nämlich die sozial
Schwächeren, wieder ein Sprachrohr bekommen, und
dieses Sprachrohr ist die PDS.
Danke schön.
({10})
Als
nächster Redner hat Bundesminister Hans Eichel das
Wort.
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein
ehemaliges Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion hat
wirklich nicht verstanden, was wir hier tun. Dieses ehemalige Mitglied haben Sie soeben gehört.
({0})
Was wir mit dem Haushalt 2000, mit unserem Zukunftsprogramm, tun, ist der Einstieg in eine langfristig
angelegte, solide Finanzpolitik für Wachstum, für Innovationen, für Beschäftigung und für soziale Gerechtigkeit. Wir tun dies konsequent.
({1})
- Jeder dieser „Sprüche“ wird - anders, als Sie es mit
Ihren Sprüchen gemacht haben - belegt werden. - Wir
haben uns nicht von all den Demonstrationen, mit denen
Sie sich solidarisiert haben - obwohl dort, wie Sie eben
ausgeführt haben, ja nur gegen Luftbuchungen demonstriert wurde -, einschüchtern lassen. Vielmehr halten
wir unseren Kurs. Anders könnten wir keine solide Basis
für unser Land schaffen.
({2})
Heute geht es um den Haushalt 2000. Am 12. November dieses Jahres haben wir im Bundestag das
Haushaltssanierungsgesetz in seinen beiden Teilen, in
seinem zustimmungspflichtigen und in seinem nicht zustimmungspflichtigen Teil, verabschiedet, so daß der
Einstieg in eine solide Finanzwirtschaft mit einem Konsolidierungsumfang in Höhe von 30 Milliarden DM für
das nächste Jahr erreicht worden ist.
Meine Damen und Herren, warum 30 Milliarden
DM? Die Antwort ist sehr einfach zu geben: Unter Fortschreibung Ihrer Haushaltsansätze und unter Aufnahme
all der Dinge, die Sie nicht mehr in den Haushalt eingestellt hatten - das hatte ich übrigens dem Kollegen Waigel bereits am 25. September 1998 im Bundesrat vorgerechnet -, und - dies ist zuzugeben - unter Aufnahme
von zwei neuen Schwerpunkten, zum einen des Schwerpunktes, 7 Milliarden DM für eine aktive Arbeitsmarktpolitik vorzusehen, und zum anderen des Schwerpunktes, mit 1 Milliarde DM Zukunftsinvestitionen im Bereich Forschung zu fördern - das ergibt zusammen
8 Milliarden DM -, wären wir insgesamt auf eine Nettoneuverschuldung von 80 Milliarden DM gekommen.
Aus diesem Grund und weil wir gleichzeitig mit
einem ganz stringenten Konsolidierungskurs Jahr für
Jahr die Nettokreditaufnahme zurückfahren, haben wir
dem Deutschen Bundestag das erstemal seit 1992 einen
Haushalt vorgelegt, der weniger als 50 Milliarden DM
neue Schulden enthält. Weil wir das zum Ziel hatten,
mußten wir 30 Milliarden DM einsparen.
({3})
Wenn man Ihre Reden hört und all das ernst gemeint
sein sollte, was Sie soeben hier gesagt haben, wundert
man sich nicht, in welchem Zustand man den Bundeshaushalt vorgefunden hat.
({4})
Die Wahrheit ist ganz einfach: Schon Ihre Herleitung
der Schulden in Höhe von 1,5 Billionen DM - dies ist
das eigentlich Schlimme; deswegen sind Sie auf lange
Zeit nicht regierungsfähig - ist abenteuerlich.
({5})
Richtig ist, daß mit dem Aufbau der Staatsverschuldung bereits Mitte der 60er Jahre begonnen wurde darum rede ich gar nicht herum -, zu Zeiten der Großen
Koalition. Von da an wurde systematisch jedes Jahr
mehr Geld ausgegeben, als eingenommen wurde. Als
Sie 1982 im Deutschen Bundestag die Regierungsverantwortung für die Bundesrepublik Deutschland übernahmen, haben Sie rund 300 Milliarden DM an Schulden mit übernommen. Diese Schulden haben sich innerhalb von 15 Jahren angesammelt. Ganze acht Jahre später, Ende 1990, waren es bereits - das haben Sie eben
unterschlagen - 600 Milliarden DM. 900 Milliarden DM
sind dann bis heute noch hinzugekommen. Das heißt:
Von diesen 1,5 Billionen DM Staatsverschuldung stammen 80 Prozent, also 1,2 Billionen DM, aus Ihrer Zeit,
meine Damen und Herren.
({6})
Dies haben Sie übrigens konsequent verschleiert. Seit
1996 waren Ihre Haushalte im Vollzug nicht mehr verfassungsgemäß. Um dies zu verdecken, haben Sie
Schritt für Schritt immer mehr Privatisierungserlöse eingestellt. 1998 waren es 20 Milliarden DM Privatisierungserlöse, für 1999 hatten Sie 28 Milliarden DM vorgesehen. Damit machen wir Schluß! Unter unserer Verantwortung gibt es 1999 nur 22 Milliarden DM an Privatisierungserlösen. Im nächsten Jahr sind es - abgesehen von den Postunterstützungskassen, die wir jedes
Jahr bedienen müssen - noch 3,5 Milliarden DM. In der
mittelfristigen Finanzplanung ab 2001 wird es keine Privatisierungserlöse mehr zur Verdeckung struktureller
Defizite im Haushalt geben. Das ist ein riesiger Konsolidierungserfolg.
({7})
Man muß eines sehr deutlich machen - das sage ich
übrigens in Richtung PDS -: Die Staatsverschuldung ist
das unsozialste Umverteilungskonzept, das es gibt.
({8})
So enthebt man den Staat seiner Funktion, einen Ausgleich für die Schwachen zu leisten. So macht man ihn
handlungsunfähig. Indem Sie sich weigern, sich diesen
1,5 Billionen DM zu stellen, verweigern Sie sich aus
rein populistischen Gründen einer Lösung der sozialen
Probleme dieses Landes.
({9})
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Es geht um 82
Milliarden DM Zinszahlungen, um den zweitgrößten
Ausgabeposten.
Das war übrigens toll: Sie haben gesagt, daß wir
nächstes Jahr etwas weniger Zinsen zahlen müssen, sei
Ergebnis Ihrer Konsolidierungspolitik. Da muß ich lachen. Tatsächlich können wir wegen unserer Politik zu
niedrigeren Zinsen umschulden, als zu den Zinsen, zu
denen Sie Schulden aufgenommen haben. Das ist unser
Erfolg in diesem Bereich.
({10})
Sie haben die Schulden doch ständig erhöht!
Auch wir werden noch eine Weile Schulden machen
müssen - aber jedes Jahr weniger und mit der eindeutigen Zielsetzung, im Jahr 2006, zum Ende der Wahlperiode des nächsten Deutschen Bundestages, das erste Mal
den Menschen in unserem Lande erklären zu können:
Wir sind mit dem Geld, das ihr uns dieses Jahr gegeben
habt, ausgekommen. Wir haben keine neuen Schulden
gemacht. - Ich sage Ihnen: Diese Bundesregierung unter
Bundeskanzler Schröder und, wenn er es will, mit mir
als Finanzminister möchte diesen Haushalt für das Jahr
2006 vorlegen.
({11})
Die Zins-Steuer-Quote ist in den Jahren Ihrer Regierungstätigkeit bis 1990 nicht gesunken, wie Sie uns hier
weismachen wollen. Sie war zu Beginn der Wiedervereinigung auf demselben Stand wie 1982: bei rund 11
Prozent. Sie haben es geschafft, die Zins-Steuer-Quote
danach faktisch zu verdoppeln. Von 100 DM Steuern,
die die Bürgerinnen und Bürger an den Bund zahlen,
bekommen sie nur noch für 78 DM Leistungen. 22 DM
von diesen 100 DM müssen sofort für Zinsen ausgegeben werden. Das ist das Ergebnis Ihrer „grundsoliden“
Finanzpolitik.
({12})
Herr
Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Grehn?
Nein,
das erlaube ich nicht. Dafür ist die Zeit zu knapp.
Herr
Bundesminister, das wird nicht auf Ihre Zeit angerechnet.
Ich
möchte gerne im Zusammenhang vortragen.
Also
keine Zwischenfrage!
Gut,
eine Zwischenfrage.
Herr
Kollege Grehn, bitte schön.
({0})
Herr Bundesminister, Sie
haben gesagt, daß das Sparpaket sozial gerecht sei, weil
dadurch die Schuldenlast abgebaut werde. Sind Sie mit
mir einer Meinung, daß das Sparpaket dann sozial gerecht ist, wenn es dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit
folgt, aber nicht dann, wenn es die sozialen Schieflagen
vergrößert?
({0})
Herr
Abgeordneter Grehn, ich werde auf Ihre Frage bei meinen Bemerkungen, die ich noch zu machen habe, eingehen. Dann werden Sie sehen, daß wir das, was Sie einfordern, tun.
Ich muß noch auf eine Bemerkung des Herrn Kollegen Kalb eingehen: Wenn sie die Dinge jetzt hier so
darzustellen versuchen, als ob wir zusätzliche Steuereinnahmen hätten, die uns frei zur Verfügung stünden
und die wir ausgeben könnten, dann unterschlagen Sie:
Die Mehrwertsteuererhöhung, die Sie gewollt haben und
die wir mitgemacht haben, ist in den 100 Milliarden DM
enthalten und muß deshalb abgezogen werden. Dann
bleiben noch 36 Milliarden DM für vier Jahre. Das sind
9 Milliarden DM pro Jahr. Das sind weniger als 2 Prozent Einnahmewachstum. Das entspricht - in der mittelfristigen Finanzplanung - bei unserem Haushalt einem Ausgabewachstum zwischen 1,5 und 2 Prozent. Mit
anderen Worten: Genau dies ist eingerechnet, und
genau dies hat die Steuerschätzung im November ergeben. So und nicht anders ist es, meine Damen und Herren.
Herr
Bundesminister, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein,
nicht mehr, weil ich gerne im Zusammenhang vortragen
möchte.
({0})
Meine Damen und Herren, wir wollen festhalten:
Was ist die Politik dieser Bundesregierung?
({1})
Es sind zwei Dinge zur gleichen Zeit - das ist ein
ehrgeiziges und ambitioniertes Programm -: eine SenBundesminister Hans Eichel
kung der Steuer- und Abgabenlast auf der einen und
Haushaltskonsolidierung auf der anderen Seite.
({2})
Das werden wir Ihnen im einzelnen nachweisen. Das
summiert sich bis zum Ende dieser Wahlperiode, also
bis 2002, auf einen strukturellen Konsolidierungserfolg
von über 150 Milliarden DM; davon entfallen 40 Milliarden DM auf das Jahr 2002. Und gleichzeitig erreichen
wir im Jahr 2002 eine strukturelle Senkung der Steuerund Abgabenlast von über 34 Milliarden DM.
Zu diesem Zweck, meine Damen und Herren, sparen
wir; Sparen ist für uns nicht Selbstzweck. Niemand das ist übrigens eine lächerliche Debatte und nur einer
der Versuche, sich der ganzen Debatte zu entziehen spart um des Sparens willen, meine Damen und Herren.
Die einen sparen, um ihren Kindern eine bessere Ausbildung zu finanzieren. Die anderen sparen, um sich für
den Lebensabend eine gute Rente zu sichern. Wiederum
andere sparen, um sich ein Häuschen zu bauen. Niemand spart um des Sparens willen, sondern weil er vernüftige Zwecke damit verbindet. Das gilt selbstverständlich auch für uns.
({3})
Wenn wir sparen, meine Damen und Herren, dann zu
allererst, weil wir der nächsten Generation, der Generation unserer Kinder, nicht eine solche Schuldenlast in
den Rucksack packen wollen, wie sie entstanden wäre,
wenn Sie Ihre Politik hätten fortsetzen können.
({4})
Wenn Sie - ich wiederhole es; das ist doch Ihr
Grundproblem - 1990 gesagt hätten: Ja, das ist eine riesige Aufgabe, die die nächste Generation tragen muß,
dann hätten wir damals einen ehrlichen Wahlkampf gehabt. Damals aber haben Sie so getan, als ob die deutsche Einheit eine Angelegenheit sei, die nichts koste.
Deswegen, meine Damen und Herren, war Ihre Herleitung der Schulden ganz falsch. Ich habe eben schon gesagt: Durch die Eröffnungsbilanz des Jahres 1990 sind
hinzugekommen, nicht 500 Milliarden DM an DDRAltschulden. Nein, es sind lediglich 94 Milliarden DM:
Fonds Deutsche Einheit, Treuhand-Kreditabwicklungsfonds, Altschulden Wohnungen Ost, Altschulden gesonderte Einrichtungen, Reichsbahn. Es sind ganze 94 Milliarden DM. Aber ich werfe Ihnen ja nicht die Kosten
der Einheit vor, sondern ich werfe Ihnen vor, daß Sie
eine durch und durch unsolide Finanzpolitik gemacht
und am Anfang so getan haben, als ob das alles nichts
koste.
({5})
Wir sparen, meine Damen und Herren, weil unsere
Kinder ab 2015 vor den großen Herausforderungen des
demographischen Wandels stehen, weil von da an für
die nächste Generation sichtbar wird, was es bedeutet,
wenn die einen, die im Erwerbsleben stehen, nur eine
„schmale“ Generation sind, und diejenige, die vor ihnen
war, die Rentnergeneration, eine „breite“ ist. Dann wird
klar, was das für die nächste Generation bedeutet. Deswegen müssen wir die Rentenstrukturreform jetzt machen, um einen neuen Ausgleich zu schaffen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie dieser Generation, die das zu schultern hat, gleichzeitig noch eine
Staatsverschuldung in der jetzigen Größenordnung in
den Rucksack packen, dann haben Sie die um ihre Lebenschance betrogen. Das können Sie nicht verantworten!
({6})
Wir sparen, um die Handlungsfähigkeit des Staates
in der Zukunft und jetzt sicherzustellen. Im Hinblick auf
die Zukunft möchte ich etwa nennen: Wir brauchen eine
Anschlußregelung für den Aufbau Ost ab 2005. Darin ist
auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts einzubeziehen. Ein Bund, der überschuldet ist, kann dann keine
Leistungen für den Aufbau Ost, die in den ostdeutschen
Ländern noch notwendig sind, zur Verfügung stellen.
Das geht nur, wenn wir die Finanzen in Ordnung gebracht haben.
Wir sparen auch für die Handlungsfähigkeit des
Staates jetzt. Die Investitionen werden auch im Jahr
2000 auf hohem Niveau verstetigt - ganz anders, als Sie
das erzählt haben. Wir haben die aktive Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau verstetigt. Dabei handelt es
sich immerhin um 46 Milliarden DM bei der Bundesanstalt für Arbeit; über 7 Milliarden DM kommen aus dem
Bundeshaushalt hinzu. Darin stecken auch - das ist für
den Arbeitsmarkt ebenfalls wichtig - Überbrückungsgelder, mit denen Arbeitslosen der Weg in die Selbständigkeit oder - über die aktive Arbeitsmarktpolitik - der
Weg geöffnet wird, überhaupt wieder in Arbeit zu
kommen.
({7})
Das ist in vielen Fällen - leider nicht in allen - eine
Brücke zurück in den ersten Arbeitsmarkt.
Wenn wir - ich will nicht darum herumreden - an
dieser Stelle, bei der Abführung von Geldern an die
Rentenversicherung, bei Arbeitslosen und bei Beziehern von Arbeitslosenhilfe über den Zahlbetrag reden,
dann werden wir darüber nachdenken müssen, ob es beispielsweise richtig sein kann, daß jemand, der einen Beruf mit einem höheren Einkommen ausgeübt hat, aus
Mitteln der Steuerzahler, die zum Beispiel auch eine
Verkäuferin aufbringt, die auf Grund ihres eigenen
Rentenversicherungsbeitrages eine kleinere Rente bekommt, eine höhere Rente bekommt, als die Verkäuferin
sie sich selber erarbeiten kann. Auch das muß man bedenken, und das haben wir hier entschieden. Das war
keine einfache Entscheidung; ich glaube aber, sie ist
vertretbar.
Im Umkehrschluß heißt das: Diese Verstetigung auf
hohem Niveau kommt den Arbeitslosen und ihren Chancen zugute. Statt ausgegrenzt zu werden und nur Geld zu
empfangen, haben sie die Chance, wirklich in den Arbeitsmarkt hineinzukommen.
Das, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, behaupten, ist ja völlig falsch: Der Anteil des
Haushalts des Bundesarbeitsministers am Bundeshaushalt ist in den letzten zwei Jahren von 31,8 Prozent auf
35,5 Prozent gestiegen - das ist der höchste Anteil am
Bundeshaushalt, den er jemals hatte -, und auf dieser
Höhe bleibt er im gesamten Finanzplanungszeitraum.
Wo soll da die soziale Schieflage sein? Das ist schlicht
falsch.
({8})
Wir sparen, weil wir den jungen Leuten eine Chance
geben wollen. In Ihrer Zeit hat es ein Programm - wie
wir es aufgelegt haben - zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, das schon fast 200 000 jungen Leuten zugute gekommen ist, überhaupt nicht gegeben. Nirgendwo in Europa sinkt die Jugendarbeitslosigkeit so schnell
wie bei uns.
({9})
An dieser Stelle möchte ich folgende Bemerkung machen: Es war schon bezeichnend, daß Sie den Zuschuß
zur Bundesanstalt für Arbeit insgesamt zur Disposition
gestellt haben. Wenn die Aussage auf irgend jemanden
in diesem Hause zutrifft, daß er zu Lasten der Arbeitslosen sparen will, dann auf Sie mit Ihren Haushaltsanträgen - auf niemanden sonst.
({10})
Denn Sie hätten den Anteil des Sozialen am Bundeshaushalt zurückgefahren. Das haben wir nicht gemacht.
Wir haben umstrukturiert; dazu bekennen wir uns. Aber
wir haben den Anteil des Sozialen auf dem höchsten Niveau, das es je hatte, gehalten.
Wir sparen auch wegen der Zukunftsinvestitionen in
die Bildung. Auch dieser Bereich hat seinen Konsolidierungsbeitrag leisten müssen - wie alle. Die Frage,
wie man effizient mit Geld umgeht, gilt natürlich auch
für den Bildungs- und Forschungsbereich. Gleichzeitig
legen wir drauf, jedes Jahr 1 Milliarde. Das sind dann
insgesamt 10 Milliarden in diesem Finanzplanungszeitraum, bis Ende 2002, für Zukunftsinvestitionen im Bereich der Forschung.
({11})
Wir sparen, um den Aufbau Ost auf hohem Niveau und zwar auf einem höheren Niveau, als Sie es 1998
hinterlassen haben - fortzuführen. Bei dieser Gelegenheit will ich deutlich sagen: Man wird den Aufbau Ost
mit der Zielsetzung, daß die neuen Länder eines Tages
auf eigenen Beinen stehen können, nur hinbekommen,
wenn man das richtig anfaßt. Deshalb sage ich ausdrücklich: Jawohl, wir haben bei den Strukturanpassungsmaßnahmen gekürzt. Wir haben aber nicht die
Zahl der Menschen verringert, die durch solche Strukturanpassungsmaßnahmen Beschäftigung haben. Vielmehr haben wir bei den Subventionen etwas weggenommen. Denn wenn man das eines Tages von 90 auf
null zurückfahren wollte, bricht das zusammen. Das
muß umgestellt werden; das muß sich selber tragen.
Man muß die Subventionen systematisch zurück führen.
Nur so wird das ein selbsttragender Aufschwung auch in
den neuen Ländern.
({12})
Übrigens ist einiges verdeckt: Die Industrie läuft hervorragend. Das Problem ist, daß wir die überhöhte Förderung des Baubereichs - was aus der ersten Phase stammt
- noch ein Stück zurückführen müssen.
Wir haben ein Modernisierungsprogramm mit
einem Volumen von 10 Milliarden DM neu aufgelegt,
an dem sich aber auch die neuen Länder beteiligen müssen. Erst dann wissen wir nämlich, ob sie das Programm
wirklich wollen. Die geschenkten Programme - davon
bin ich fest überzeugt - taugen nichts. Die eigene Anstrengung gehört dazu. Daran, wie das Urteil dann ausfällt, sieht man, ob es wirklich gut ist oder nicht.
Wir sparen auch, um Strukturen zu modernisieren.
Ich will das an zwei, drei Beispielen deutlich machen.
Der eine Punkt betrifft einen Tatbestand, den die Bayern
schon geändert haben - überhaupt ist die bayerische Finanzpolitik besser als der Ruf, den der bayerische Finanzminister gegenwärtig verbreitet -:
({13})
Die Bayern haben beim Unterhaltsvorschußgesetz die
Gemeinden zu Recht beteiligt. Denn sie sagen, es kann
nicht richtig sein, daß die einen die Rechnung schreiben
und die anderen sie bezahlen. Wenn ich einen effizient
arbeitenden Staat will, dann muß derjenige, der die
Rechnung ausstellt, auch ein eigenes materielles Interesse daran haben, daß die Rechnung möglichst niedrig
ausfällt.
({14})
Deswegen ist es richtig, was wir im Zusammenhang mit
dem Unterhaltsvorschußgesetz vorschlagen. Deshalb ist
es richtig, daß die Gemeinden auch beim pauschalierten
Wohngeld beteiligt sind.
({15})
Die Frage ist nur: Geschieht das in einem Zusammenhang, in dem die Kommunen das tragen können? In unserem Paket ist das - das sage ich ausdrücklich - der
Fall.
Wenn sich im Zusammenhang mit den notwendigen
Einsparungen im Haushalt ergeben sollte - wir arbeiten
daran; hier hat der Bundesaußenminister meine volle
Unterstützung -, daß in den kleinen, neu gebildeten
Staaten nicht alle 15 EU-Staaten plus die EU selber
eigene Vertretungen unterhalten, sondern eine gemeinsame Außenvertretung sinnvoll ist, dann ist dies ein
wunderbares Beispiel. Andere dürfen folgen, zum Beispiel in der Verteidigungspolitik. Wenn Europa auf diese Weise ein bißchen schneller vorangebracht wird, ist
das nur gut so. Das sind die strukturellen Reformen, die
man mit Sparmaßnahmen anstoßen kann.
({16})
Wir sparen, weil wir mit der unsoliden Politik, das
Defizit durch Privatisierungserlöse - die dafür gar nicht
da sind - zu decken, Schluß machen wollen. Wir brauchen die Finanzierungserlöse - wir werden in den nächsten 50 Jahren ungefähr 200 Milliarden DM benötigen -,
um die übertragenen Pensionen der Beamten bei den
Postunternehmen und deren Witwen und Witwer bezahlen zu können.
Wir sparen, damit wir die Familienförderung, die Sie
jahrzehntelang vernachlässigt haben, verfassungsgemäß
machen können.
({17})
Eine Kindergelderhöhung um 25 Prozent in einer Wahlperiode, 50 DM in etwas mehr als einem Jahr, und das
bei dieser Finanzlage, die wir von Ihnen übernehmen
mußten, ist eine riesige Kraftanstrengung, für die an anderer Stelle Einsparungen nötig sein werden.
Herr
Bundesminister, Ihre angemeldete Redezeit ist vorüber.
Sie können selbstverständlich weitersprechen. Das geht
aber zu Lasten der Redezeit der Redner der SPDFraktion, die noch folgen.
Ich
komme gleich zum Schluß.
Wir haben die Binnennachfrage durch eine größere
Entlastung am unteren Ende des Einkommensteuertarifs,
als Sie je zuwege gebracht haben, gewaltig gestärkt. Zudem haben wir die bestehenden Lücken im oberen Bereich des Einkommensteuertarifs geschlossen. Das
bringt Steuereinnahmen von rund 35 Milliarden DM.
Die Unternehmensteuerreform wird darüber hinaus
ein deutliches Signal für die Verbesserung der Investitions-, der Standortbedingungen bei uns setzen.
({0})
Dies alles summiert sich im Jahr 2002, zum Ende dieser Legislaturperiode, zu Steuer- und Abgabenentlastungen für die Bürger und Unternehmen dieses Landes von
mehr als 34 Milliarden DM auf.
({1})
Dies alles summiert sich im Jahre 2002 zu einem jahresbezogenen Konsolidierungserfolg von 40 Milliarden
DM. Dies alles führt im Jahre 2002 zu einer Reduzierung der Nettokreditaufnahme auf noch 40 Milliarden
DM und zu einem Defizit am Bruttoinlandsprodukt von
dann nur noch 1 Prozent sowie zu einer Absenkung der
Staatsquote von 48 Prozent auf 45 Prozent.
Dies ist eine Politik der gleichgewichtigen Senkung
der Steuern und Abgaben und der Konsolidierung des
Haushaltes. Es ist eine Politik, die Vertrauen schafft,
weil sie stetig und verläßlich ist. Es ist eine Politik, die
Vertrauen schafft, damit die Menschen nicht damit
rechnen müssen, daß ein Staat, der nicht solide wirtschaftet, den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmern in die Tasche greift. Es ist eine Politik,
({2})
die den Märkten deutlich macht, daß der Staat nicht
mehr als der große Nehmer von Krediten auftreten wird,
und die deswegen dafür sorgt, daß die Zinsen am langen
Ende niedrig bleiben. Das ist für die Häuslebauer und
die vielen Unternehmen wichtig. Es ist eine zukunftsbezogene und gerechte Politik, deswegen trägt sie zum
Wachstum bei.
Im nächsten Jahr, wenn wir aus den weltwirtschaftlichen Krisen herausgekommen sind, ist unser Beitrag das ist dann nicht mehr Ihrer - 2,5 Prozent bis 3 Prozent
Wachstum. Dann gleicht sich das Wachstum in Europa
wieder an. Das, was Herr Jagoda sagt, ist ganz klar: Es
besteht Grund zum Optimismus auf dem Arbeitsmarkt,
jedes Jahr gibt es rund 200 000 Arbeitslose weniger. Das
ist ein erheblicher Beitrag.
({3})
Diese Politik ist langfristig angelegt. Mittelfristig will
sie einen ausgeglichenen Haushalt, und - ich wiederhole das - diese Bundesregierung wird bis zum Ende der
nächsten Wahlperiode des Deutschen Bundestags als erste seit Jahrzehnten einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Darauf werden wir stolz sein.
({4})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen
Günter Rexrodt von der F.D.P.-Fraktion.
({0})
Herr Kollege Eichel,
Sie haben hier in dramatischen Worten das Anwachsen
der Staatsverschuldung in den letzten Jahren dargestellt.
Sie haben das inszeniert. Sie haben in diesem Zusammenhang davon gesprochen, daß die Lasten, die dabei
zu übernehmen waren, in einer Größenordnung von
94 Milliarden DM gelegen hätten.
Herr Kollege Eichel, ich gehöre nun nicht zu denen,
die ständig vor sich hertragen, was für die deutsche Einheit aufgewandt werden mußte. Ich glaube, das ist mit
Blick auf die Menschen in den neuen Ländern, die nicht
ständig danke sagen sollen, und mit Blick auf die Menschen im Westen, die den Großteil dieser Lasten zu tragen haben, nicht richtig.
({0})
Herr Kollege Eichel, ich halte es aber für in hohem
Maße unverantwortlich, daß ein Bundesfinanzminister
in seiner Rede zur zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushalts 2000 mit keinem Wort die Realitäten im
Zusammenhang mit dem Aufbau Ost in einer den Umständen entsprechenden Weise erwähnt.
({1})
Ihnen ist sehr wohl bekannt, daß allein der Erblastentilgungsfonds 360 Milliarden DM umfaßt. Der Fonds
Deutsche Einheit kommt wie viele andere Beträge ebenfalls hinzu. Das summiert sich zu einer Größenordnung - Sie müssen das wissen, und Sie wissen das
auch ganz genau -, die in etwa dem Zuwachs der
Staatsverschuldung zwischen 1990 und 1998 entspricht.
Dies in einer Rede, die nur dazu diente, hier vorzuführen, wie hemmungslos und unverantwortlich
und ohne Blick für das Wesentliche die alte Koalition
eine Staatsverschuldungspolitik betrieben habe, wegzulassen, ist eines Bundesfinanzministers unwürdig, Herr
Eichel.
({2})
Ich füge hinzu: Das ist vor dem Hintergrund besonders unverantwortlich, daß in Ihrer Regierungsverantwortung in Hessen - sie betrug weniger Jahre als die
Regierungszeit der alten Koalition - die Staatsverschuldung in diesem Bundesland, obwohl die Bundesländer an den Lasten des Aufbaus Ost proportional geringer beteiligt waren, um 59 Prozent gestiegen
ist. Das, was Sie hier vortragen, steht nicht in der Tradition eines Finanzministers der Bundesrepublik
Deutschland.
({3})
Zur Erwiderung erteile ich dem Bundesfinanzminister Hans
Eichel das Wort.
Herr
Kollege Rexrodt, erstens ist in den acht Jahren von 1982
bis 1990 unter Verantwortung der CDU-F.D.P.-geführten Bundesregierung die Staatsverschuldung im
Bundeshaushalt um 100 Prozent von 300 auf 600 Milliarden DM gestiegen.
({0})
Zweitens - ich weise Sie nur darauf hin - gibt es im
Laufe der Jahre einen eklatanten Widerspruch in Ihrer
Argumentation. 1990 haben Sie erklärt, die Wiedervereinigung koste so gut wie nichts. Erinnern Sie sich, daß
zur gleichen Zeit der damalige Kanzlerkandidat der
SPD, Herr Lafontaine, gesagt hat: „Man wird jährlich
etwa 100 Milliarden DM brauchen“? Heute reklamieren
Sie, daß die 100 Milliarden DM richtig gewesen wären.
Damals haben Sie das genaue Gegenteil gesagt. Die
Konsequenz - ich will das einmal freundlich formulieren - Ihrer völligen Fehlprognose dessen, was als Aufgabe auf uns alle zusammen zukam, war eine Finanzpolitik, die das Ganze über die Staatsverschuldung abgefeiert hat statt es solide zu finanzieren. Genau dies ist
unser Problem.
({1})
Als
nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Friedrich
Merz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Eigentlich hatte ich, wie alle meine
Kolleginnen und Kollegen, gedacht, daß Sie, Herr Bundesfinanzminister, heute die Rede halten, die schon seit
einigen Stunden im Internet nachzulesen ist, nämlich
eine Rede, die sich mit der Zukunft Deutschlands beschäftigt. Sie haben heute statt dessen zum wiederholten
Male eine Beschreibung der Lage der Bundesrepublik
Deutschland abgegeben
({0})
- ja, dies wird mittlerweile zum Wintermärchen von
Hans Eichel -, die in der Tat eine wirklich scharfe Erwiderung erfordert.
({1})
Ich empfinde es zunehmend nicht nur als unfair und
unsachlich in der Form der Auseinandersetzung mit der
Opposition, sondern ich empfinde es auch gegenüber
den Leistungen, die in den letzten Jahren nicht die Politik, sondern die Menschen in Deutschland erbracht haben, als eine Zumutung, in welcher Art und Weise Sie
hier die Wirklichkeit in Deutschland beschreiben.
({2})
Meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit ist
Ihnen offensichtlich - weil Sie zu weit von Ihrem Redemanuskript abgewichen sind - auch noch unterlaufen,
zu behaupten, wir hätten in der Bundesrepublik
Deutschland und weltweit eine Wirtschaftskrise. Herr
Eichel, eine solche Behauptung von einem Bundesfinanzminister zu einem Zeitpunkt, in dem die Wirtschaft
weltweit stärker wächst, als sie in den letzten Jahrzehnten jemals in einem größeren zusammenhängenden Zeitraum gewachsen ist, hätte kein einziger Ihrer sozialdemokratischen Vorgänger im Amt des Bundesfinanzministers gemacht. So ein Fehler wäre keinem von denen
unterlaufen.
({3})
Dies zeigt, daß Sie offensichtlich überhaupt nicht begriffen haben, in welcher Situation sich die BundesrepuDr. Günter Rexrodt
blik Deutschland im Jahre 1999 befindet. Wir haben
nicht weltweit eine Krise, sondern wir haben in
Deutschland eine Krise bei der Anpassung an die nach
wie vor dynamisch wachsenden Kräfte der Weltwirtschaft. Das ist das Problem, das wir in Deutschland insbesondere im Jahre 1999 haben.
({4})
Meine Damen und Herren - ich will die Behauptung
morgen im Protokoll nachlesen, damit ich weiß, wie Sie
es genau gesagt haben -,
({5})
wenn ich es richtig verstanden habe, haben Sie hier eben
die Behauptung aufgestellt, es gebe eine Verschuldung
in einer Größenordnung von 87 Milliarden DM, die mit
der zusammengebrochenen DDR zusammenhänge.
Herr Eichel, wir haben bis zum heutigen Tag eine
Verschuldung von mehr als 500 Milliarden DM, die von
der alten DDR herrühren und durch die Bücher der Bundesrepublik Deutschland gehen. Wir haben in derselben
Zeit einen Nettotransfer in die neuen Bundesländer in
einer Größenordnung von mehr als 600 Milliarden DM
leisten können.
({6})
Was übrigbleibt, ist eine gemessen am Bruttoinlandprodukt deutlich zurückgegangene Staatsverschuldung
gegenüber der Zeit der Bundesrepublik Deutschland, in
der Sie regiert haben. Das ist die Wahrheit, vor der wir
heute stehen.
({7})
Nun behaupten Sie doch bitte in diesem Zusammenhang nicht wider besseres Wissen, daß Ihnen für die Zukunft keine Privatisierungserlöse mehr zur Verfügung
stehen. Das ist in der Tat die nächste Unverschämtheit,
die Sie hier heute morgen von sich gegeben haben.
({8})
Alleine aus der Privatisierung der Telekom und ihrem
gestiegenen Börsenwert steht Ihnen ein zweites Paket es ist gegenwärtig bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau geparkt - in einem Börsenwert von 160 Milliarden
DM zur Verfügung.
({9})
Wenn man davon das, was die Kreditanstalt für Wiederaufbau dem Bund bereits zur Verfügung gestellt hat, abzieht, dann steht noch immer mindestens die Hälfte des
Börsenwertes dieses Aktienpaketes dem Bund in einer
zweiten Tranche der Privatisierung zur Verfügung. Behaupten Sie doch so etwas Wahrheitswidriges nicht!
({10})
Selbst wenn Sie dies alles aus guten Gründen - dafür
gäbe es eine ganze Reihe - und mit Rücksicht auf die
Kleinaktionäre der Telekom nicht sofort plazieren, dann
wissen Sie doch - das hoffe ich jedenfalls -, daß der
Bundesrepublik Deutschland, dem Bund, im Zuge der
Privatisierung der Telekommunikation in Deutschland
für die Vergabe einer Reihe weiterer Telekomlizenzen in
Zukunft Lizenzgebühren ebenfalls in einem erheblichen
Umfang zur Verfügung stehen. Sie ernten die Windfall
profits der Privatisierung der Telekom, die in Zeiten der
alten Regierung nur zu einem Teil realisiert worden
sind. Der größere Teil fließt dieser Bundesregierung ich sage allerdings: unverdientermaßen - zu.
({11})
Es ist in höchstem Maße aufschlußreich, worüber Sie
heute mittag gesprochen und worüber Sie nicht gesprochen haben. Sie, Herr Eichel, haben über das zentrale
Thema der politischen Auseinandersetzung des letzten
Jahres, die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt,
wohlweislich fast jede Bemerkung vermieden.
({12})
- Das ist wahr. Da bekommt man sogar Zustimmung
von der PDS.
Ich will ganz unverdächtig wörtlich zitieren, was in
diesem Zusammenhang der auch von Ihnen schon angeführte Sachverständigenrat in seinem letzten Gutachten
geschrieben hat:
Am Ende des Jahres 1999 kann die deutsche Wirtschaftspolitik keine nennenswerten Erfolge bei ihrem vorrangigen Ziel vorweisen, bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dies ist eine herbe Enttäuschung für alle, die von dem im Herbst 1998
verkündeten Regierungsprogramm eine grundlegende Wende erhofft hatten.
Dies ist die tatsächliche Bilanz des ersten Jahres rotgrüner Wirtschafts- und Finanzpolitik.
({13})
Herr Eichel, ich kann gut verstehen, daß Sie darauf mit
keinem Wort eingehen. Ihre Bilanz ist in der Tat ernüchternd.
Nun rühmen Sie sich der Tatsache, daß Sie in diesem
Jahr und im nächsten Jahr zusätzliche Mittel für „aktive
Arbeitsmarktpolitik“, wie Sie es nennen, ausgeben wollen. In Ihrem Redemanuskript, wie ich es dem Internet
entnommen habe, steht der Satz:
Insgesamt stehen dem Haushalt 2000 7 Milliarden DM mehr als 1998 für aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung.
Herr Eichel, dazu will ich Ihnen zwei Dinge sagen.
Erstens. Wenn Sie eine solche Behauptung aufstellen
und wenn Sie sich dessen rühmen, dann sollten Sie aufhören, darüber Klage zu führen, daß im Jahr 1998 angeblich die Mittel für ABM von uns einseitig zu Wahlkampfzwecken erhöht worden sind. Das stimmt offensichtlich nicht.
({14})
Zweitens. Genau an dieser Stelle wird der Unterschied
in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zwischen dieser
Regierung und unseren Vorstellungen deutlich. Sie geFriedrich Merz
ben über 7 Milliarden DM mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik, für eine zusätzliche Bewirtschaftung des
Arbeitsmarktes, aus. Gleichzeitig, im selben Zeitraum
und im selben Bundeshaushalt, kürzen Sie die Mittel für
Investitionen um fast genau diesen Betrag.
({15})
An dieser Stelle kommt etwas zum Ausdruck, was
uns in der Tat trennt und was uns in der Beurteilung
einer Reihe von wirtschaftspolitischen Fragen auch nicht
zueinanderbringt. Sie mißtrauen in Wahrheit zutiefst den
marktwirtschaftlichen Kräften dieser Volkswirtschaft,
dafür zu sorgen, daß ein höheres Maß an Beschäftigung
erreicht wird.
({16})
Sie wollen bewirtschaften, sie wollen ein höheres Maß
an staatlicher Intervention, und Sie mißtrauen den Kräften der Volkswirtschaft.
({17})
Dies wird deutlich, wenn man sich die Eckwerte des
Bundeshaushaltes von 1999 bis zum Jahr 2003 ansieht.
Der Anteil der vom Bund zu leistenden Ausgaben wird
an keiner Stelle so kontinuierlich wie bei den investiven
Ausgaben abgeschmolzen.
({18})
Gerade heute stehen wir alle hier und klagen darüber,
daß ein großes Unternehmen in Frankfurt, nämlich die
Philipp Holzmann AG, in eine schwierige Lage geraten
ist.
({19})
Alle äußern sich dazu. Der Bundeskanzler hat sich offensichtlich für den ganzen heutigen Tag entschuldigen
lassen, weil er Gespräche mit Betriebsräten der Philipp
Holzmann AG führt. Dies ist aller Ehren wert. Nur, ich
sage Ihnen: Wenn Sie im Bundeshaushalt die Mittel für
Investitionen einschließlich des Hoch- und Tiefbaus
nicht in dieser unverantwortlichen Weise zusammenstreichen würden,
({20})
dann gäbe es möglicherweise morgen noch die Philipp
Holzmann AG, und dann gäbe es in den nächsten Jahren
ganz sicher eine Reihe von großen, mittleren und kleinen Unternehmen mit einer Vielzahl von Arbeitsplätzen.
Diese Zahl der Arbeitsplätze läge über der, die Sie mit
Ihrer Politik zu verantworten haben.
({21})
Diejenigen, die heute hier sind, um diese Debatte und
die Bemühungen der Politik zu verfolgen, ein Unternehmen wie die Philipp Holzmann AG zu sanieren,
werden sich natürlich die Frage stellen: Warum reagiert
die Politik eigentlich, wenn es sich um große Unternehmen handelt, deren Namen in jedermanns Mund sind
und die jeder kennt, und warum reagiert die Politik
überhaupt nicht, wenn zum selben Zeitpunkt und im selben Umfang Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Unternehmen zerstört werden, die niemand von uns in Berlin mit Namen kennt? An dieser Stelle wird die Unglaubwürdigkeit solcher Aktionen wie der Gespräche
des Bundeskanzlers mit den Betriebsräten der Philipp
Holzmann AG deutlich.
({22})
Sie bestreiten heute erneut, daß die öffentlichen
Haushalte genügend Spielräume besitzen.
({23})
- Nein, ich möchte dies im Zusammenhang vortragen,
Herr Kollege Poß.
({24})
Ich soll Sie übrigens herzlich von Ihrem Oberbürgermeister grüßen.
({25})
Wollen
Sie keine Zwischenfrage zulassen?
Doch, ich lasse eine
zu.
Bitte
schön, Herr Poß.
Herr Merz, ist Ihre Äußerung
so zu verstehen, daß Sie eventuelle Stützungsmaßnahmen, die der Bundeskanzler, die Bundesregierung sowie
offenbar auch die hessische Landesregierung im Zusammenhang mit Holzmann erwägen, ablehnen?
Herr Kollege Poß, immer dann, wenn ich in den letzten Wochen gesprochen
habe, haben Sie ständig Zwischenrufe gemacht. So ist es
auch heute gewesen. Deswegen können Sie offensichtlich gar nicht mehr verstehen, was ich sage. Sie haben
schon gemerkt, daß mich dies nicht sonderlich beeindruckt.
Auf Ihre Frage antworte ich: Alle Bemühungen, Arbeitsplätze in großen, mittleren und kleinen Unternehmen zu retten, sind notwendig und richtig. Aber ich sage
Ihnen: Wenn sich der Fokus der Politik ausschließlich
auf große Unternehmen richtet und gleichzeitig nicht die
Bedingungen für kleine und mittlere Unternehmen so
verbessert werden, daß sie auch ohne öffentliche Unterstützung Arbeitsplätze schaffen und Investitionen vornehmen können, dann ist das ein großer Fehler. Ihr Sanierungsversuch ist aller Ehren wert. Aber er reicht nicht
aus, um die Probleme der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland zu lösen. Nichts anderes, Herr
Kollege Poß, habe ich zum Ausdruck gebracht.
({0})
Sie von der rotgrünen Koalition bestreiten, daß wir
in der Lage sind, eine Steuerreform mit einer wirklich nachhaltigen Nettoentlastung durchzuführen. Ich
möchte Ihnen die Zahlen noch einmal in Erinnerung rufen. Offensichtlich lebt Politik von der Wiederholung.
Deswegen wiederhole ich folgende Zahlen:
({1})
Bund, Länder und Gemeinden, Herr Eichel, verfügen im
Jahr 2000 über 905 Milliarden DM an Steuereinnahmen.
Das sind im Vergleich zu 1998 rund 50 Milliarden DM
mehr. Im Jahr 2001 werden die Steuereinnahmen von
Bund, Ländern und Gemeinden noch einmal um 27 Milliarden DM höher sein. Wenn wir, wie andere auch, der
Auffassung sind, daß eine Nettoentlastung von mindestens 30 Milliarden DM möglich sein sollte, dann wollen
wir im Jahr 2001 - nehmen wir diesen Zeitpunkt als
Beispiel - nicht mehr und nicht weniger als die Hälfte
der Steuermehreinnahmen, die Sie als Finanzminister
erzielt haben, an die Bürgerinnen und Bürger sowie an
die Unternehmen dieses Landes zurückgeben. Wer angesichts dieser Höhe der Steuermehreinnahmen bestreitet - ({2})
Herr
Kollege von Larcher, das stört die Debatte. Ich würde
Sie bitten, wieder Ihren Platz einzunehmen. - Bitte
schön.
({0})
Der Blick des Kollegen Larcher von der Regierungsbank stört mich allerdings fast mehr, als wenn er ständig dazwischenredet.
({0})
Wer vor diesem Hintergrund ernsthaft bestreitet, daß
eine Steuerreform mit einer Nettoentlastung von mindestens 30 Milliarden DM möglich ist, der hat in der Bundesrepublik Deutschland jeden wirtschafts- und finanzpolitischen Gestaltungsanspruch aufgegeben. Das ist die
Lage.
({1})
Ich will Ihnen, Herr Eichel, damit Sie das jetzt nicht
wieder als Oppositionsgerede abtun, sagen
({2})
- das wissen Sie -, was der Sachverständigenrat dazu
geschrieben hat:
Den Bürgern und den Unternehmen muß eine Nettoentlastung gewährt werden. Nur so läßt sich die
Dynamisierung unserer Volkswirtschaft erreichen.
({3})
Unsere Vorstellungen
- Sachverständigenrat gehen dahin, daß hierfür ein Volumen von 30 Milliarden DM durchaus angemessen ist.
Meine Damen und Herren, das ist nicht Opposition,
sondern das ist der Sachverständigenrat. Er sagt dann
weiter - damit Sie das auch noch hören -:
Die jetzt beschlossene Tarifsenkung ist nicht hinreichend, um die Investitions- und Leistungsbereitschaft unserer Wirtschaft zu verbessern. Insbesondere
- jetzt kommt nicht Klassenkampf von oben, sondern
jetzt kommen die Sachverständigen müßte der Spitzensteuersatz deutlich abgesenkt
werden. Ihn im Jahre 2002 nur bis 48,5 Prozent zurückzuführen, das ist entschieden zu wenig.
({4})
Meine Damen und Herren, das sagt der Sachverständigenrat. Wenn Sie ihn allerdings nicht mehr hören
wollen - der Kollege Poß zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Beschimpfung der Sachverständigen aus,
die er in letzter Zeit gemacht hat -,
({5})
nachdem er etwas gesagt hat, was großen Teilen der rotgrünen Koalition offensichtlich nicht gefällt, dann fragen Sie den Sachverständigenrat doch auch nicht mehr.
Dann geben Sie doch den gesetzlichen Auftrag zurück,
daß Sie sich von Sachverständigen etwas sagen lassen, was in zentralen Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieses Landes von entscheidender Bedeutung ist!
({6})
Ich will kurz auf ein weiteres Thema zu sprechen
kommen, das Sie auch nicht angesprochen haben, das
aber in einer allgemeinen Aussprache der Finanzpolitik
in Deutschland gerade heute wohl Erwähnung verdient,
nämlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Länderfinanzausgleich.
Ich kann gut verstehen, daß Sie gerade als ehemaliger
hessischer Finanzminister, der seine Staatssekretäre
nach Karlsruhe geschickt hat, um dort heftig gegen diese
Klage zu polemisieren, davon Abstand genommen haben, heute dazu etwas zu sagen. Sie sind Kläger in diesem Verfahren gewesen. Das Bundesverfassungsgericht
hat den Ländern zunächst aufgegeben, eine Neuordnung
des Länderfinanzausgleichs vorzunehmen.
Aber, meine Damen und Herren, darin steckt auch ein
grundsätzliches Problem, nämlich das der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Ich
meine, daß es an der Zeit ist, gerade heute, da wir diese
allgemeine Aussprache haben, darauf hinzuweisen, daß
wir wahrscheinlich so schnell nicht wieder eine Chance
bekommen, vor dem Hintergrund dieser Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts die Finanzbeziehungen
zwischen Bund, Ländern und Gemeinden völlig neu zu
ordnen.
Ich will Ihnen, Herr Eichel, ausdrücklich anbieten,
daß wir in einer Finanzverfassungsreform zwischen
Bundestag und Bundesrat jetzt an die Arbeit gehen, die
notwendigen Entscheidungen dazu zu treffen; denn
wenn Sie den Föderalismus in Deutschland wirklich
stärken wollen, dann können Sie das nicht nur auf der
Ebene der Länder untereinander tun, sondern dann muß
auch der Bund seinen Beitrag dazu leisten.
Ich zitiere erneut aus einem Sachverständigengutachten. Wiederum ist niemand von Ihnen darauf eingegangen, obwohl dieses Zitat aus einer Zeit stammt, in
der Sie noch in der Opposition waren.
Wer den Föderalismus wirklich stärken und eine
Basis für grundlegende Reformen will,
- das sagte der Sachverständigenrat im Jahresgutachten
1997/98 der muß sich mit den Fragen der Finanzverfassung
auseinandersetzen und prüfen, wie Voraussetzungen geschaffen werden können, die es ermöglichen,
vernünftigen Regelungen in der Finanzpolitik in
Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen.
Wir bieten Ihnen ausdrücklich an, daß wir dieses sehr
schwierige Thema der Beziehungen der Finanzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden jetzt vor dem
Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts neu ordnen, neu regeln und damit auch einen
Teil der von Ihnen zu Recht reklamierten Handlungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte, insbesondere der des
Bundes, zurückgewinnen. Wir bieten Ihnen das an, Herr
Bundesfinanzminister, weil Sie, wie ich finde, richtigerweise gesagt haben, eine Entscheidung über den
weiteren Fortgang der Debatte über die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sollte erst getroffen
werden, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung getroffen hat. Es hat diese getroffen, jetzt ist
die Politik aufgefordert zu handeln.
({7})
Ich komme zum Schluß auf etwas zu sprechen, das
nicht Sie, sondern der Bundeswirtschaftsminister, den
ich gerne bei dieser heutigen Debatte gesehen hätte, im
Zusammenhang mit einer Kompetenz, die er eigentlich
gar nicht mehr hat - er hat die Zuständigkeit für den Jahreswirtschaftsbericht ja abgeben müssen - zum Thema
gemacht hat. Er hat zu Beginn des Jahres in Konkurrenz
zum Jahreswirtschaftsbericht des Finanzministers einen
Wirtschaftsbericht für 1999 aufgestellt und in ihm geschrieben, er hielte es für richtig, die Staatsquote in der
Bundesrepublik Deutschland langfristig auf 40 Prozent
abzusenken. Das klingt ziemlich technisch; die meisten
Menschen in Deutschland verstehen vermutlich gar
nicht, was sich dahinter verbirgt. In Wahrheit steckt dahinter die für die im Wettbewerb stehende Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland entscheidende
politische Frage, wie hoch in Zukunft der Verbrauch des
Staates an dem sein soll, was die Menschen und Betriebe in diesem Lande erwirtschaften.
Die Staatsquote liegt gegenwärtig bei knapp unter 50
Prozent. In Folge Ihrer Politik, Herr Bundesfinanzminister, wird sie eher steigen als sinken.
({8})
Wir bieten Ihnen aber ausdrücklich an, die notwendigen
Entscheidungen mitzutragen, um dem Ziel der Absenkung der Staatsquote um rund 8 Prozentpunkte nahezukommen, das der Bundeswirtschaftsminister völlig zu
Recht formuliert hat.
({9})
Meine Damen und Herren, damit wir uns über die
Dimension dieser Aufgabe klar sind: Die Absenkung der
Staatsquote um rund 8 Prozentpunkte gegenüber der
Staatsquote des Jahres 1998 als Bezugsgröße würde bedeuten, daß auf öffentliche Ausgaben in Höhe von rund
320 Milliarden DM verzichtet wird.
({10})
Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, dann müssen wir
über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren auf die
Ausweitung aller öffentlichen Ausgaben verzichten.
Dies dürfte in einem Land wie der Bundesrepublik
Deutschland, das auf beständigen Zuwachs des
Wohlstandes und des Lebensstandards eingerichtet ist,
als äußerst dramatisch empfunden werden. Die zurückgewonnene Handlungsfreiheit durch ein höheres Bruttoinlandsprodukt pro Kopf wird das nicht aufwiegen
können. Lassen Sie uns deswegen wenigstens versuchen, für die Auffassung zu werben, daß der Anteil des
öffentlichen Sektors am Sozialstaat nicht weiter ausgebaut werden darf, sondern Schritt für Schritt zurückgeführt werden muß.
({11})
Die deutsche Gesellschaft ist ganz anders als die amerikanische anfällig - das haben wir heute leider wieder
erlebt - für Neidkomplexe in der Politik. Sie ist ganz
anders als die britische nicht bereit, größere Konflikte zu
ertragen und auszutragen. Sie ist ganz anders als etwa
die französische Gesellschaft nicht bereit, größere
Wohlstandsunterschiede hinzunehmen. Die deutsche
Bevölkerung ist aber offensichtlich bereit, Veränderungen zu akzeptieren. In ihrer Mehrheit ist sie auch bereit,
den Weg zu einem politisch definierten Ziel mitzugehen.
Helmut Kohl hat dies 1983 bewiesen.
Die Sozialdemokraten haben den Wählern im letzten
Jahr Erfolg ohne Anstrengung versprochen. Dieser Erfolg wird sich mit Ihrer Politik nicht einstellen.
({12})
Im Gegenteil: Die Enttäuschung wird noch größer werden.
({13})
Die Koalition fordert nämlich nicht mehr Verantwortung
von den Menschen, von der Politik, von den Tarifvertragsparteien und von jedem an seinem Platz. Sie organisiert am runden Tisch Verantwortungslosigkeit.
({14})
Sie verhindern so seit mehr als einem Jahr, daß der Weg
zu einer besseren Zukunft Deutschlands beschritten
wird.
Herzlichen Dank.
({15})
Ich erteile das Wort
zu einer Kurzintervention dem Kollegen Oswald Metzger, Bündnis 90/Die Grünen.
Auch ein Merz kann die Glaubwürdigkeitslücke der
Union nicht schließen, selbst wenn er intellektuell redlicher als Austermann argumentiert.
({0})
Ich möchte das an drei Beispielen zum Thema Verdrängung aufzeigen:
Erstens. Kollege Merz, wenn Sie dieser Koalition
vorwerfen, das ehrgeizige Ziel einer Staatsquote von 45
Prozent nicht erreichen zu können, und gleichzeitig verdrängen, daß im September, im Oktober und im laufenden Monat Ihre Parteigänger auf jeder Veranstaltung,
auf der Leute gegen das Sparpaket opponieren, aufstehen und Arm in Arm mit der Opposition gegen das
Sparpaket marschieren, dann frage ich Sie, wo Ihre
Mitwirkung an der Reduzierung der Aufgaben des
Staates ist, die nur mit Konsolidierungsmaßnahmen einhergehen kann. Als Beispiel für den erforderlichen Subventionsabbau nenne ich die Gasölbetriebsbeihilfe bei
der Landwirtschaft.
({1})
Zweitens. Sie behaupten hier allen Ernstes, daß die
Koalition Privatisierungserlöse aus dem Verkauf der
Telekom-Aktien in den Haushalt einstellen wolle. Diese
Koalition hat eine Passage in das Haushaltsgesetz 2000
aufgenommen, in der es heißt, daß sämtliche Privatisierungserlöse aus dem Telekommunikationsbereich für die
Tilgung alter Schulden verwendet werden,
({2})
und zwar mit der eindeutigen Argumentation, daß dadurch Zinszahlungen in Zukunft vermieden werden und
damit auch in 30, 40 oder 50 Jahren die Pensionen früherer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Postunternehmen gezahlt werden können. Das ist ebenso die
Wahrheit.
Wenn ich Ihren Zwischenruf, Herr Kollege Austermann, höre, dann erinnere ich Sie an einen Ihrer Sparvorschläge im Haushaltsausschuß, der besagte, durch die
Privatisierungserlöse die Einnahmenseite um 6 Milliarden DM zu erhöhen.
({3})
- Einnahmeverbesserungsmaßnahme durch Privatisierung? Dazu kann ich nur sagen: Verdrängung wie Anno
dunnemals, als Sie an der Regierung waren und mit Privatisierungserlösen das strukturelle Defizit zugedeckt
haben, damit Sie auf dem Papier einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen konnten. Dieses Spiel macht
diese Koalition nicht mehr mit.
({4})
Drittens. Herr Kollege Merz, Sie haben uns eben angegriffen, weil die Sachinvestitionen relativ und nominal
leicht zurückgehen. Ich zitiere aus einer Publikation eines Instituts, das auch Sie als finanzpolitischer Sprecher
Ihrer Fraktion gern zitieren und das die Quelle des heutigen Artikels im „Handelsblatt“ auf Seite 5 ist. Ich meine die Schrift „Entwicklung wesentlicher Daten der öffentlichen Finanzwirtschaft“ vom Institut Finanzen und
Steuern e. V. Ich lese nur zwei Sätze vor, die in dem Bericht über die zehn Jahre von 1988 bis 1998 auf Seite 9
enthalten sind:
Die öffentlichen Sachinvestitionen gingen seit der
Rezession 1993 nicht nur relativ, sondern sogar in
absoluten Beträgen zurück. Ihr Gesamtausgabenanteil erreichte 1998
- dem letzten Jahr Ihrer Regierungstätigkeit mit nur 6,8 v. H. sein bisher tiefstes Niveau in
Deutschland.
Ich sage dazu nichts weiter; das reicht eigentlich.
({5})
Nun erteile ich dem
Kollegen Dietrich Austermann das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Merz hat
erneut deutlich unterstrichen, welche Alternative von
unserer Seite angeboten wird. Unsere Alternative beinhaltet, daß wir die Neuverschuldung um 10 Milliarden DM weiter zurückführen wollen, als es die Bundesregierung getan hat.
({0})
- Sie saßen doch vorhin auf Ihrem Platz, als ich es
vom Rednerpult aus darstellte. Sie müssen es an den
Ohren haben, Herr Schlauch. Ich habe vorhin ausdrücklich gesagt, daß wir die Neuverschuldung um
weitere 10 Milliarden DM zurückführen wollen. Dafür haben wir auch konkrete Kürzungsvorschläge gemacht.
Jetzt nehme ich noch einmal Bezug darauf, was der
Bundesfinanzminister selber bestätigt hat. Er sagte, für
die aktive Arbeitsmarktpolitik stünden im nächsten Jahr
46 oder 47 Milliarden DM und damit 7 Milliarden DM
mehr als vorher zur Verfügung. Wir sagen,
40 Milliarden DM reichen. Aber niemand kann doch den
Eindruck vermitteln wollen, daß wir uns darum drückten, etwas für besonders Schwache auf dem Arbeitsmarkt zu tun.
Jetzt kommt die Frage der Einnahmeverbesserung nicht der Ausgabekürzung - durch Telekomlizenzen,
die der Finanzminister verschwiegen hat. Im Haushaltsplan des Wirtschaftsministers - nicht im Etat des Finanzministers wie sonst bei Privatisierungen - ist ein
Vermerk angebracht, der besagt, daß Zuflüsse aus Erlösen aus dem Verkauf von Telekomlizensen zur Verringerung der Verschuldung verwendet werden können.
Was ist das denn für eine Politik, die Neuverschuldung
unnötig aufzublähen, aber gleichzeitig zu behaupten,
man führe die Tilgung zurück?
Die heutigen Zinsen sind im Vergleich zum Arbeitsmarkt relativ günstig. Also ist es doch logisch zu sagen: Es gibt von vornherein eine niedrigere Neuverschuldung, und ich setze dafür das ein, was ich
im Laufe des Jahres erlöse und was im nächsten Jahr
fällig ist. Warum macht er das nicht? Nicht etwa, weil er
die Neuverschuldung zurückführen will, sondern zur
Abwehr der verständlichen und berechtigten und von
Friedrich Merz auch begründeten Begehrlichkeit, Steuern abzusenken. Herr Eichel ist ein Mann für hohe Steuern und für hohe Schulden und nicht für das genaue Gegenteil.
({1})
Das Wort zu einer
weiteren Kurzintervention erhält der Kollege Karl Diller, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Wir haben gerade
wieder staunend zur Kenntnis nehmen müssen, daß der
Kollege Austermann einen einmaligen Einnahmevorgang zum Anlaß nimmt, um auf Dauer auf Einnahmen
zu verzichten. Das ist die typische Milchmädchenrechnung, die er in seiner Regierungsverantwortung ständig
angestellt hat.
Es ist mehrfach zu Recht kritisiert worden, wie leichtfertig der Kollege Austermann mit der Wahrheit umgeht. Aber der Kollege Merz steht ihm in nichts nach.
Dieser hat eben sinngemäß behauptet, wir kürzten die
Investitionen um ziemlich genau den gleichen Betrag,
den wir der Bundesanstalt für Arbeit für aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung stellten. Wir stellen der
Bundesanstalt 7,8 Milliarden DM zur Verfügung. Gemessen daran müßten im nächsten Jahr die Investitionen
auf 50 Milliarden DM zurückgehen. Sie gehen aber
nicht auf 50 Milliarden DM zurück, sondern sie betragen
erfreulicherweise 57,5 Milliarden DM. Kein Wort ist
wahr von dem, was Herr Merz sagt.
({0})
Nun erteile ich dem
Staatsminister Rolf Schwanitz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Merz! Ich will ebenfalls noch ein
Wort zu Ihrem Redebeitrag verlieren. Auch nachdem ich
nunmehr bereits acht Jahre dem Parlament angehöre, hat
es für mich eine besondere Qualität, mit welcher Selbstgerechtigkeit Sie die finanziellen Hinterlassenschaften
verteidigen, mit denen wir jetzt zurechtkommen müssen.
Ich habe gelernt: Sie haben alle keine Fehler gemacht. Debatten haben wir in den letzten 8 Jahren nicht
geführt: keine Debatte über die Treuhandanstalt, keine
Debatte über den Solidaritätszuschlag, keine Debatte
über die Steuerlöcher bei den Sonderabschreibungen.
Das alles hat es nicht gegeben. Daran schuld ist entweder die Erblast vor 1989 oder der Aufbau Ost.
Ich sage ausdrücklich: Ich habe Verständnis dafür,
daß man die eigene Politik verteidigt. Aber hören Sie
auf, die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern
für Ihre verfehlte Finanzpolitik kollektiv in Haftung zu
nehmen!
({0})
Meine Damen und Herren, mit diesem Haushaltsplanentwurf 2000 gelingen zwei große Kraftanstrengungen. Zum einen gelingt es, Handlungsfähigkeit zurückzuerlangen. Dies ist auch für die Zukunftsaufgaben
wichtig. Das ist besprochen worden. Zum zweiten hat
der Aufbau Ost weiterhin Priorität. Das ist wichtig, das
braucht der Osten. Da Sie dies in Frage gestellt haben,
will ich das an Hand von vier zentralen Politikfeldern in
dieser Debatte noch einmal in Erinnerung rufen.
Das erste Politikfeld, das ich ansprechen möchte, ist
die Wirtschafts- und Innovationspolitik. Wir werden in
diesem Haushalt 2000 ein neues Förderungsinstrument
schaffen, und zwar das Programm Inno-Regio. Dies ist
ein ganz neuer zentraler Förderansatz, mit dem wir in
den nächsten Jahren 25 ostdeutsche Modellregionen fördern werden. 500 Millionen DM werden in den nächsten
Jahren zur Verfügung gestellt, um kleine und mittelständische Unternehmen, die einen großen Bedarf an Netzwerken haben, und regionale Innovationspotentiale zusammenzuführen. Dies ist ein richtiger Schritt im Interesse Ostdeutschlands, meine Damen und Herren.
({1})
Zweitens machen wir nicht Schluß mit dem Programm FUTOUR. Dieses Programm stammt noch aus
Ihrer Amtszeit. Aber Sie wollten es im Gegensatz zu uns
Ende 1999 schließen. Hierzu befindet sich noch ein Entschließungsantrag von Ihnen im parlamentarischen
Raum. Über diesen wollen Sie am Donnerstag abstimmen. Wir haben 80 Millionen DM zusätzlich in den Etat
2000 eingestellt. Wir werden dieses für technologieorientierte Existenzgründungen wichtige Förderprogramm
nicht auslaufen lassen, sondern wir werden es fortführen. Für die nächsten drei Jahre ist dies gesichert. Dies
ist eine wichtige Investition in die Zukunft Ostdeutschlands.
({2})
Das zweite Politikfeld - vorhin ist es schon genannt
worden -, das ich Ihnen gerne in Erinnerung rufen
möchte, ist der Infrastrukturausbau. Beim Investitionsprogramm „Verkehr“ gibt es eine klare Priorität Ost.
Der Anteil für den Osten liegt bei knapp 50 Prozent, bezogen auf das gesamte Ausgabevolumen. Aber das ist
nicht alles: Zum erstenmal besteht Planungssicherheit
für die infrastrukturellen Leistungen in den nächsten drei
Jahren. Das ist eine wichtige Botschaft dieser Haushaltsberatung hinsichtlich der Bauwirtschaft und der Arbeitsplätze am Bau.
({3})
Ich will ausdrücklich sagen: Trotz der Unterfinanzierung beim Bundesverkehrswegeplan, die Sie uns hinterlassen haben, werden wir im Bundeshaushalt 2000 zum
Beispiel beim Bundesstraßenbau über dem Ausgabevolumen liegen, das Sie 1998 für den Straßenausbau in
Ostdeutschland bereitstellen wollten. Wir werden nämlich 4,3 Milliarden DM im Jahr 2000 für den Straßenausbau in Ostdeutschland bereitstellen.
({4})
Das ist genausoviel, wie Sie 1998 - im Jahr des Bundestagswahlkampfes hatten diese Ausgaben einen Spitzenwert erreicht - bereit waren bereitzustellen. Das ist
mehr als 1997, als der entsprechende Betrag bei
4,1 Milliarden DM lag; das ist auch mehr als 1996, als
der Betrag unter 4 Milliarden DM, nämlich bei
3,9 Milliarden DM, lag. Ich sage noch einmal: Trotz
Unterfinanzierung sind die Ausgaben für den Straßenbau in Ostdeutschland genauso hoch wie 1998. Das ist
die Situation.
({5})
- Wahrscheinlich nicht. Deswegen rufe ich ihm diese
Tatsache in Erinnerung.
Zum wichtigen KfW-Wohnraummodernisierungsprogramm hat der Finanzminister das Nötige gesagt. Ich
erinnere aber auch an das Thema der Altschulden der
ostdeutschen kommunalen Wohnungsunternehmen. Seit
dem Regierungswechsel haben wir 1 000 ostdeutschen
Wohnungsunternehmen - das sind fast 50 Prozent der
entsprechenden Unternehmen - einen Freistellungsbescheid erteilt. Diese Erleichterungen werden fortgeführt.
Eine Novelle zum Altschuldenhilfe-Gesetz wird vorbereitet werden. Auch das ist eine wichtige Botschaft für
Ostdeutschland.
Nicht nur bezüglich der harten Fakten, sondern auch
bezüglich der weichen Standortfaktoren hat der Aufbau
Ost Priorität. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an
den Goldenen Plan. Wir werden im Haushalt 2000 den
Goldenen Plan fortsetzen. 15 Millionen DM sind dafür
eingestellt; Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von
30 Millionen DM sind vorgesehen. Damit ergibt sich ein
Gesamtinvestitionsvolumen für den Sportstättenbau in
Ostdeutschland von über 66 Millionen DM. Das ist
wichtig für die Motivation und die Orientierung der Jugend. Entsprechende Maßnahmen werden im Haushalt
2000 fortgesetzt. Das ist eine wichtige Entscheidung.
({6})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang das Zentralstadion in Leipzig - es gibt nicht nur das Olympiastadion in Berlin - erwähnen. Wir wollen, daß es in Ostdeutschland nicht nur gute Fußballspieler gibt, sondern
wir wollen auch, daß dort geeignete Arenen für große
Fußballspiele vorhanden sind. Wir werden dafür
100 Millionen DM bereitstellen. Im Jahre 2000 werden
es 20 Millionen DM sein. Die Verpflichtungsermächtigungen liegen vor. Dies ist eine wichtige Entscheidung
im Interesse des Ostens.
Das dritte Politikfeld, das ich ansprechen möchte dieses Thema wird zwar Ihre Aufmerksamkeit nicht finden; ich spreche es aber trotzdem an -, betrifft die Zuwendungen für besonders Benachteiligte - Stichwort:
HCV-Geschädigte. Dabei handelt es sich um die Opfer
eines der größten Medizinskandale zur DDR-Zeit. Sie
haben während Ihrer Regierungszeit diese Opfergruppe
völlig leer ausgehen lassen. Wir haben in unserer Amtszeit gemeinsam mit den Ländern eine Entschädigung auf
den Weg gebracht und 10 Millionen DM eingestellt.
({7})
Im Rahmen dieser Haushaltsberatungen sind weitere
15 Millionen DM im Etat vorgesehen. Wir können damit
die Einmalentschädigungen vorziehen und die laufenden
Entschädigungen verbessern. Das sind wichtige Maßnahmen, um in diesem Bereich eine Befriedung zu erreichen.
({8})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang daran erinnern - wir werden am Freitag noch die zweite und
dritte Lesung zum SED-Unrechtsbereinigungsgesetz haben -, daß wir jetzt, gekoppelt mit dem Bundeshaushalt
2000, endlich eine Verbesserung der Haftentschädigung erreichen, nachdem die Betroffenen, nämlich die
politisch Verfolgten, die unter schwersten Haftbedingungen gelitten haben, jahrelang auf eine einheitliche
Kapitalentschädigung von 600 DM pro Haftmonat haben warten müssen. Auch das ist ein wichtiges Signal in
Richtung der Benachteiligten in Ostdeutschland, die von
Ihnen vernachlässigt worden sind.
({9})
Das vierte Politikfeld - es hat heute mehrfach eine
Rolle gespielt, aber ich kann Ihnen das nicht ersparen ist die aktive Arbeitsmarktpolitik. Wir werden das
wichtige und wie ich ausdrücklich sage: segensreiche
Jugendsofortprogramm auch im nächsten Jahr fortsetzen. Die 2 Milliarden DM mit dem Anteil von 40 Prozent in Ostdeutschland sind nicht nur wichtig, sondern
auch weiterhin notwendig. Auch das haben Sie hier mit
keinem Wort positiv erwähnt. Ich hätte mir da ein positives Signal von Ihnen gewünscht.
({10})
Alle Kassandrarufe, die ich in den ersten Wochen der
Haushaltsberatung von Ihnen gehört habe - damals haben Sie noch ganz anders getönt, da wollten Sie den
Bundeszuschuß noch nicht kürzen oder gar streichen -,
nämlich daß die Regierung die ganze aktive Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland zusammenstreichen
wolle, sind jetzt verstummt. Heute, am Ende der Haushaltsberatungen, ist völlig klar: Wir haben eine Stabilität
der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland. Das
Auf und Ab hört endlich auf. Aktive Arbeitsmarktpolitik
ist nicht mehr ein Instrument im Interesse einer einseitigen parteipolitischen Orientierung, das nur kurz im
Wahlkampf eingesetzt wird, sondern aktive Arbeitsmarktpolitik gehört nur noch einem Ziel untergeordnet,
nämlich der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Das ist
eine richtige Entscheidung.
Letzte Bemerkung. Sie haben das im Haushaltsausschuß beantragt und werden es wahrscheinlich auch hier
wieder tun: Sie wollen den Bundeszuschuß auf Null herunterfahren. Das würde bedeuten - das muß man den
Ostdeutschen sagen -, daß wir etwa 20 Prozent aller aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in Ostdeutschland streichen müßten. 200 000 Arbeitslose in
Ostdeutschland würden sofort in die passive Arbeitslosigkeit geschickt, wenn Sie so könnten, wie Sie wollen.
Ich sage Ihnen: Einen solchen Kahlschlag wird es mit
uns nicht geben.
Schönen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Susanne Jaffke, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die großen Themen sind
heute weitestgehend schon angesprochen worden. Aber
ich glaube, auf zwei Dinge sollte man noch einmal eingehen.
Wir waren vorhin sehr emotional, als es um die Privatisierungserlöse ging. Ich kann mich des Eindrucks
nicht erwehren, daß auch hier wieder ein Stückchen geschummelt wird. Sicherlich ist es richtig, daß Privatisierungserlöse im neuen Bundeshaushalt zurückgefahren
werden sollen. Aber im Einzelplan 08 zum Beispiel steht
unter Tit. 131 01, daß man die Privatisierungserlöse
aus Rückführungen von Treuhandunternehmen um
1,1 Milliarden DM erhöht. Herr Finanzminister, wenn
Sie sich erinnern: Ich habe Ihnen im Haushaltsausschuß
nach der Zahl gefragt, und Ihr Adlatus, Ihr Beamter, hat
Ihnen eine falsche Zahl gegeben. Aber es ist richtig, daß
aus den Treuhandunternehmen Ost 1,1 Milliarden DM
abgezogen werden. Da kann ich eigentlich nicht verstehen, wieso Herr Schwanitz hier von einem WahnsinnsAufbau Ost gerade in puncto Treuhandnachfolgeunternehmen spricht. Denn all die Treuhandnachfolgeunternehmen, die das Geld jetzt bei der BvS abliefern müssen, haben größte Schwierigkeiten damit, daß die
Strukturanpassungsmaßnahmen - die Sie auch in der
deutschen Braunkohle im Lausitzer Gebiet, beim Abbau
der Kernkraftwerke in Mecklenburg-Vorpommern oder
in den Braunkohlegebieten in Mitteldeutschland durchführen - beschnitten werden. Das halte ich nicht für das
Nonplusultra oder das Gelbe vom Ei.
({0})
Eine Bemerkung zum Kollegen Wagner. Herr Kollege Wagner, wenn wir über die Verschuldung reden,
sollten wir das fair tun. Es sind hier auch einige Bundesländer angesprochen worden. Als Herr Ministerpräsident Lafontaine 1985 im Saarland die Geschäfte übernommen hat, hatte das Saarland eine Staatsverschuldung
von zirka 6 Milliarden DM. In der Spitzenzeit der Lafontaineschen Regierung hat sich diese Staatsverschuldung dann allerdings auf 15 Milliarden DM erhöht.
({1})
- ihr seid dann ein Stückchen entschuldet worden; das
ist in Ordnung -, und das bei einer konstanten Einwohnerzahl von zirka 1 Million.
Wenn man diese Schulden hochrechnet, das Lafontainesche Modell für die ganze Bundesrepublik gelten
läßt und dementsprechend davon ausgeht, daß die Bundesrepublik Deutschland 80 Millionen Einwohner hat,
dann hätten wir in kürzester Zeit 1,2 Billionen DM
Schulden. Ich glaube, es ist gut, daß die SPD keinen
Finanzminister Lafontaine mehr hat.
Aber angesichts der vorhandenen 1,2 Billionen DM
Schulden sollte man nicht so kleinkrämerisch sein. Diese aufgelaufenen Schulden sind ein Ergebnis der deutschen Teilung - ich betone das. Die müssen wir überwinden und die in deren Folge entstandenen Schulden
auch heute noch abtragen. Diese Schulden - darauf ist
schon von meinen Vorrednern hingewiesen worden werden wir in gut einer Generation abzutragen in der
Lage sein. Darauf war die mittelfristige Finanzplanung
von Finanzminister Waigel ausgerichtet.
Herr Minister Eichel, die Sparvorschläge, die Sie insgesamt in Ihrem sogenannten Finanzkonzept vorlegen,
die ja im Grunde genommen einen Verschiebebahnhof
zu Lasten anderer öffentlicher Kassen darstellen, und
zwar einen Verschiebebahnhof hin zu den Kommunen
beim Wohngeld, beim Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe, bei der Reduzierung des Bundesanteils im
Rahmen des Unterhaltsvorschusses und bei der Erhöhung der Kostenbeteiligung für Zivildienstleistende,
werden dazu führen, daß die Kommunen in eine größere
Notlage geraten. Das bezeichne ich nicht als Sparmaßnahme. Vielmehr ist dies ein Taschenspielertrick, indem
Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, als ob Sie den
Haushalt wirklich solidieren würden.
({2})
Ich glaube, hier im Raum befindet sich niemand, der
es anzweifelt, daß die Kommunen in den neuen Bundesländern, wenn das von Ihnen Vorgesehene tatsächlich auf sie zukommt, eine ganz besondere Last tragen
werden. Ich hoffe, daß im Bundesrat noch Korrekturen
möglich sind. Denn der Spielraum der Kommunen in
den neuen Bundesländern, die mit einer viel geringeren
Finanzausstattung zu kämpfen haben und die durch Infrastrukturmaßnahmen, die sie noch durchführen müssen, zum Beispiel im Hinblick auf den Straßenbau, den
Bau von Gewerbegebieten usw., ein viel höheres strukturelles Defizit auszugleichen haben, wird noch enger.
Das kann nicht gut sein.
Diesbezüglich finde ich es nicht so toll, daß Sie die
Mittel für die GA „Ost“, die GA „Agrarstruktur“ und die
GA „Küstenschutz“ sowie für Verkehrsprojekte kürzen.
Herr Schwanitz, ich weiß nicht, wie Sie davon sprechen
können, daß die geplanten Verkehrsprojekte so gut
durchgeführt werden.
({3})
Gerade im Hinblick auf die ICE-Strecke Erfurt-Nürnberg haben wir Demonstrationen erlebt. Vielleicht ist
das ja gar keine Verkehrsinfrastruktur; noch dazu betrifft
sie die Schiene. Ich kann nicht verstehen, daß die Grünen das alles so mitmachen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch
ein paar Worte direkt zum Haushaltsplan des
Finanzministeriums verlieren. Sie wissen ja, daß der
Bundesfinanzminister der oberste Dienstherr aller Zöllner ist und daß er auch ein wenig Dienstherr des
Branntweinmonopols ist. Das wird ja jetzt alles abgeschafft. Er ist sogar zu einem geringen Teil noch
Dienstherr über die mehr oder weniger benötigten Liegenschaften des Bundes.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine
Bemerkung, die für die Kommunen ebenso wichtig ist:
Ich kann mich noch gut daran erinnern, daß Kollege
Diller in der vergangenen Legislaturperiode immer wieder einen sogenannten Konversionsfonds zugunsten der
Sanierung nicht mehr benötigter sanierter Liegenschaften eingefordert hat, um diese dann den Kommunen kostenlos zu übertragen. Da ja Kollege Diller nun mit den
Weihen eines Parlamentarischen Staatssekretärs versehen ist, hätte ich mich eigentlich gefreut, daß das nun
endlich einmal im Haushalt umgesetzt wird. Aber keine
Rede davon!
({5})
Denn diesbezüglich hat Kollege Diller ganz anders zugeschlagen. Sie haben nämlich die unter der Regierung
von CDU/CSU und F.D.P. recht großzügig gehandhabten Verbilligungstatbestände und Stundungsmöglichkeiten so stark eingeschränkt, daß ab dem Haushalt 2001
dies alles überhaupt nicht mehr möglich ist.
Natürlich haben wir noch eine ganze Menge problembehafteter Liegenschaften in den neuen Bundesländern. Sportanlagen, Schlösser, Krankenhäuser sowie
ehemalige WGT-Liegenschaften und NVA-Wohnungen
können den Kommunen zukünftig nicht mehr zu den
bewährten günstigen Konditionen angeboten werden.
Ich bedaure dies; ich sehe darin auch einen Widerspruch
zu den vollmundigen Sonntagsversprechungen, daß man
den Aufbau Ost ernst nehme und sich gerade um die
Kommunen in den neuen Bundesländern so sorge.
({6})
Noch ein Wort zu den Zöllnern; ich erwähnte schon,
daß der Bundesminister ihr oberster Dienstherr ist. Hier
hört man von vielen Dingen. Das Zauberwort lautet
„Organisationsstrukturreform“.
({7})
Wir wissen: Zwar hat die politische Verantwortung jemand anders, aber die Zuarbeit erfolgt noch immer
durch die gleichen Leute. Wir alle haben da die eine
oder andere schmerzliche Erfahrung gemacht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Bundesfinanzministerium ist die Arbeitsgruppe „Strukturplanung
Bundesfinanzverwaltung“ gebildet worden. Dagegen ist
zunächst einmal überhaupt nichts einzuwenden; denn
auch der von uns häufig zitierte und vielgeliebte BunSusanne Jaffke
desrechnungshof wünscht, daß wir die Organisationsstruktur verändern. Man muß sich aber schon wundern,
auf welche Weise diese Gruppe arbeitet. Nichts Genaues
weiß man nicht. Sie sitzen sehr konspirativ hinter verschlossenen Türen.
({8})
Das erinnert mich ein bißchen an die Zeit bis 1989. Ich
wünsche mir, daß der Bundesfinanzminister weiß, was
diese Gruppe so alles auf den Weg bringt.
({9})
Ich kann in diesem Zusammenhang nur sagen: Leider ist
die Anhebung von 576 Stellen beim Zoll, was wir im
Rahmen des Haushaltsgesetzes 1999 beschlossen haben,
nicht vollzogen worden. Man muß also fragen: Wie gesetzestreu ist eigentlich diese Bundesregierung?
Ich frage mich angesichts dieser Strukturveränderungen - der Zoll soll keine Kontrolle bei der Rauschgiftkriminalität ausüben und auch keine grenzpolizeilichen
Aufgaben mehr übernehmen -, wie der oberste Dienstherr seiner Pflicht nachkommen will, seine Beamten
ordnungsgemäß zu behandeln. Werden sie zu Beamten
des BGS umgeschult, oder wie sieht das aus? All das ist
doch sehr in Frage zu stellen und verstetigt den Eindruck, daß diese Regierung die Bevölkerung durch Täuschung und Tricks auf den Irrweg führen will.
({10})
Alle Wahlergebnisse der letzten Zeit - das wird auch bei
zukünftigen Wahlergebnissen so sein ({11})
belegen, daß unsere Bevölkerung nicht so einfallslos ist.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({12})
Ich erteile dem Kollegen Hans Urbaniak, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Erstens, Frau Kollegin Jaffke: Bei den Mehreinnahmen, die wir den Treuhandunternehmen entziehen, handelt es sich nicht um
1 Milliarde DM, sondern um 1 Million DM. Sie werden
das registrieren.
Zweitens. Die Fragen bezüglich der Zöllner haben
wir im Gespräch der Berichterstatter erörtert. Karl Diller
hat angesichts der Fragen, die geklärt werden mußten,
auf die Veränderungen hingewiesen, die sich im Südwesten ergeben haben. Soweit es sich an anderen Stellen
ergibt, wird es hier zu einer sozialverträglichen Regelung kommen. Das ist doch selbstverständlich. Die Bundesregierung wird in diesem Punkt ihrer Verantwortung
voll gerecht.
({0})
Drittens. Sie haben gefragt: Ist diese Bundesregierung
denn gesetzestreu? Laufen Sie nicht weg! Sie müssen es
sich anhören, Frau Kollegin: Selbstverständlich ist die
Regierung gesetzestreu. Wenn es nämlich nicht so wäre,
müßten Sie hier den Beweis dafür erbringen. Darum ist
das, was Sie hier gesagt haben, Polemik. Es gibt keine
konspirativen Gruppen in der Bundesregierung. Die mag
es in einer Partei geben, aber nicht in der Bundesregierung. Darüber sind wir uns doch klar, und das sage ich
mit aller Deutlichkeit.
Der Kollege Rexrodt ist leider nicht anwesend - oder
kann es nicht sein. Ich möchte noch ein Wort zu der Situation von Holzmann und Mannesmann sagen. Wenn
man so lange Arbeitnehmerinteressen vertreten durfte
und derartige Pleiten miterlebt hat, dann muß man feststellen: Pleiten gehen immer zu Lasten von Beschäftigten, die ihre ganze Qualifikation in das Unternehmen
hineingebracht und die zur Gewinnmaximierung des
Unternehmens beigetragen haben. Wie ist es eigentlich
in den Aufsichtsräten? Da ist doch die Intelligenz der
deutschen Banken vertreten.
({1})
Sind das denn alles Laienspielscharen, die dort auftreten? Sitzen die in den Aufsichtsräten herum und lassen
sich etwas vorgaukeln? Die sind doch wohl in der Lage,
Gewinn- und Verlustrechnungen zu bewerten, Bilanzen
darzulegen! Nach der neuesten gesetzlichen Regelung
ist dort auch der Wirtschaftsprüfer anwesend. Den kann
man doch ausquetschen bis auf den letzten Punkt. Diese
Damen und Herren haben völlig versagt. Das ist ein
Qualitätsverlust, den wir in der Bundesrepublik
Deutschland feststellen müssen.
({2})
Ich hoffe, daß wir vor allen Dingen bei Holzmann zu
einer Regelung kommen. Ich habe am Montag abend in
meiner Fraktion geschildert, wie sich das Beispiel AEG
in Frankfurt dargestellt hat. Damals war Lahnstein
Finanzminister, und Lambsdorff war Wirtschaftsminister. Wir haben dort helfen können: Das Unternehmen konnte für einige Jahre gerettet werden. Das war
eine gute Sache.
Wenn der Kollege Finanzsprecher der CDU sagt, Investitionen würden gekürzt, so sehen Sie sich die mittelfristige Finanzplanung an: 1998 57,12 Milliarden DM,
1999 58,20 Milliarden DM und 2000 57,60 Milliarden
DM, also auf gleich hohem Niveau. Das, was Sie hier
dargestellt haben, stimmt überhaupt nicht und ist nicht in
Ordnung, Herr Kollege.
({3})
Das, was Herr Eichel hier darstellt, ist kein Verschiebebahnhof zwischen Bund und Ländern, sondern es ist
eine sinnvolle Zuordnung, die natürlich in bestimmter
Weise Belastungen, aber vor allen Dingen Entlastungen
bringt, die die Bundesregierung in vielen Bereichen dargelegt hat. Den Gleichklang der Politik, der sich hier
entwickelt, können Sie nicht zerstören. Es ist mir ein
Bedürfnis, hier klipp und klar zu sagen - ob es der Kollege Lambsdorff ist, ob es der Kollege Austermann ist -:
Zwischen die Bergarbeiter und die SPD-Fraktion werden Sie keinen Keil treiben können. Wir sind und bleiben voll in der Verantwortung.
({4})
Die Bundesregierung hat, ich sage: leider, eine
schlimme Finanzlage vorgefunden: 1982 300 Milliarden
DM Schulden, 1998 1,5 Billionen DM. Dies ist einfach
unvorstellbar. Wenn man draußen mit den Leuten
spricht, fragen sie: Was haben die eigentlich gemacht?
Herr Kollege Kalb, Sie müssen ihnen einmal erklären,
was Sie da gemacht haben. Nun muß man von den
Schulden herunter. Sie können hin- und herkonstruieren.
Wenn wir dem gefolgt wären, was Sie gemacht haben,
dann wären wir jetzt bei einer Kreditaufnahme von
80 Milliarden DM. Dies ist verfassungsrechtlich nicht in
Ordnung. Der Staat wäre k. o. gegangen. Das wird durch
die Politik der Koalition und der Bundesregierung Gott
sei Dank zurückgenommen. Wir betreiben eine zukunftsträchtige Politik; das ist überhaupt gar keine Frage.
Darum sage ich hier mit aller Deutlichkeit: Es ist gut,
daß sich Wachstum wieder eingestellt hat. Die Daten,
die wir vorfinden, sind sehr günstig. Die Sachverständigen haben uns ermuntert. Bei den Beratungen des Haushaltsstrukturgesetzes verhielt es sich so, daß die Sachverständigen, die Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, befragt haben, vor Sabotage am Eichel-Kurs
gewarnt haben. Ich habe ein solches Wort in meiner
politischen und parlamentarischen Praxis von Sachverständigen noch nicht vernommen. Sie haben klipp und
klar das, was der Finanzminister dargelegt hat, unterstützt und die Klarheit und Wahrheit in bezug auf die
Haushaltsansätze begrüßt. Es ist eine gute Sache, daß
Finanzminister Eichel für Klarheit und Wahrheit im
Haushalt eintritt und daß wir tatsächlich in der Lage
sind, 30 Milliarden DM zu sparen und die Nettokreditaufnahme auf unter 50 Milliarden zu drücken. Das ist
doch eine phantastische Sache. Das ist eine gute Politik,
die den Staat wieder handlungsfähig macht, und darauf
kommt es doch ganz entscheidend an.
({5})
Sie haben damals die Zahlen bei den Wachstumsraten
und den Steuereinnahmen zu hoch angesetzt, als Sie
Verantwortung hatten. Sie haben dagegen die Ausgaben
für den Arbeitsmarkt zu niedrig angesetzt. Sie haben die
Risiken der Gewährleistung ignoriert. Sie haben sogar
die Entschuldung Bremens und des Saarlands nicht ordnungsgemäß veranschlagt, und bei den Tarifrunden haben Sie sich nicht auf die Realitäten eingestellt. Dies
sind Ihre Versäumnisse, die man mit aller Deutlichkeit
hier nennen muß.
Wenn wir in der mittelfristigen Finanzplanung - wie
es der Finanzminister vorhat - die Kreditaufnahme weiter reduzieren werden, dann erfüllen wir vor allen Dingen auch die Kriterien von Maastricht. Wir haben in dieser Frage wieder internationales Ansehen errungen.
({6})
Das ist ganz wichtig. Der Finanzminister wird von Vertretern anderer Mitgliedstaaten der EU oft gefragt, wie
diese Regierung diesen Kurs steuert und ihn tatsächlich
einhält. Das Parlament wird diesen Kurs selbstverständlich unterstützen.
Ich sage hier mit Blick auf den Einzelplan 08, also
auf den Einzelplan des Finanzministers: Nach der Diskussion im Haushaltsausschuß habe ich die Frage gestellt: Mein Lieber, wie sieht das denn aus mit dem
„Handling“ des Haushalts 1999? Wirst du die Kreditaufnahme voll nutzen müssen? Er hat gesagt, daß er
möglicherweise darunter bleiben wird. Mein Gott, welcher Finanzminister aus Ihren Reihen hat so etwas sagen
können? Es ging nur immer nach oben.
({7})
Kollege Kalb, Sie können das nachlesen; in der Geschäftsordnung werden Sie das nicht finden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang die saubere
Haushaltspolitik, die Klarheit in der Finanzplanung und
das Handling dieser Fragen deutlich herausstellen, die
uns international zusätzliches Ansehen gebracht haben.
Besonders freuen wir uns aber, daß die Arbeitslosigkeit bekämpft werden kann, und hier vor allem die Jugendarbeitslosigkeit.
({8})
Das kann ja keiner bestreiten; das wissen Sie genau. Ich
weiß doch noch, wie damals in Ihrer Fraktion Überlegungen angestellt worden sind, den Hauptschulabschluß
von Mädchen und Jungen nicht mehr über die Arbeitsämter zu finanzieren und sie sofort in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Wir haben uns damals Gott sei Dank
mit dem Kollegen Blüm geeinigt. Das war - das sage ich
zu seinen Ehren - ein wichtiger Vorgang.
Aber wir bekämpfen ja nicht nur die Jugendarbeitslosigkeit. Ich werfe ihm vor - das ist das Schlimmste -,
Langzeitarbeitslosigkeit erzeugt zu haben, Menschen
zu Hunderttausenden in eine ausweglose Lage gebracht
zu haben. Das bedeutet, daß man diese Menschen nicht
von heute auf morgen - und sei es mit noch so vielen
Programmen - in die Disziplin eines Achtstundentages
zwingen kann. Das ist eine ganz schwierige Sache, die
wir aber bewältigen müssen.
Bundesfinanzminister und Koalition werden beim
Haushalt und bei der mittelfristigen Finanzplanung ihrer
Verantwortung gerecht. Ein solider Haushalt, eine solide
mittelfristige Finanzplanung werden dem Staat wieder
neue Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Das trägt die Arbeit des Bundesfinanzministers.
Umsteuern war unbedingt notwendig, um aus der von
der alten Regierung herbeigeführten Schuldenfalle herauszukommen. Wir kommen heraus, dank des Finanzministers und der klaren Position der Regierungskoalition.
({9})
Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über den Einzelplan 08, Bundesministerium der
Finanzen, in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Einzelplan 08 ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 32, Bundesschuld,
in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Einzelplan 32 ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P.
und PDS angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung, in der Ausschußfassung. Es liegen zwei
Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der CDU/CSU auf
Drucksache 14/2126? - Wer stimmt dagegen? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/2124? Wer stimmt dagegen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Einzelplan 60 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen?
- Der Einzelplan 60 ist mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 20, Bundesrechnungshof, in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Der Einzelplan 20 ist einstimmig angenommen worden.
Nunmehr rufe ich den Einzelplan 17 auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
- Drucksache 14/1915, 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Antje-Marie Steen
Antje Hermenau
Jürgen Koppelin
Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kollege
Manfred Kolbe, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundesfinanzminister Eichel hat sich heute morgen in seiner
Haushaltsrede wieder als 30-Milliarden-DM-Sparkommissar dargestellt. Herr Eichel, Sie haben sich allerdings
bisher, was den Gesamthaushalt betrifft, gehütet, eine
schriftliche Unterlage darüber vorzulegen, damit wir das
exakt nachprüfen können. Wir haben das in der Bereinigungssitzung moniert, und wir hoffen, daß sie noch
nachgetragen wird.
({0})
- Auf die bereinigte Finanzplanung sind wir immer noch
gespannt.
In einem Politikbereich allerdings haben Sie tatsächlich kräftig gespart. Das ist der jetzt zur Beratung anstehende Einzelplan 17 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Frau Ministerin
Bergmann, es waren im Bundeshaushalt 1999 noch 11,8
Milliarden DM etatisiert, im Regierungsentwurf sind
diese um 863 Millionen DM auf 10,985 Milliarden DM
zurückgeführt worden. Im Haushaltsausschuß wurde
noch einmal um 20 Millionen DM gekürzt, und jetzt
umfaßt der Einzelplan 10,96 Milliarden DM. Das ist ein
Minus von 7,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr, während
das Volumen des Bundeshaushalts nur um 1,4 Prozent
zurückgeht.
Diese beiden Prozentzahlen - Bundeshaushalt: minus
1,4 Prozent, Einzelplan des Ministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend: minus 7,4 Prozent - zeigen eines ganz deutlich: den Stellenwert, den die Familienpolitik, die Frauenpolitik usw. in dieser Regierung
haben, nämlich keinen.
({1})
- Frau Schmidt, der Bundeskanzler hat es bei der Regierungsbildung vorweggenommen. Da war vom Ministerium für Gedöns die Rede. Jetzt haben Sie es auch
schwarz auf weiß. Es wird in diesem Bereich im Haushalt überproportional eingespart. Die Familienpolitik ist
für diese Bundesregierung bestenfalls Nebensache.
({2})
Im einzelnen verteilen sich die Kürzungen wie folgt:
Die Ausgaben für Zivildienstleistende werden um 604
Millionen DM gekürzt, die Ausgaben nach dem Unterhaltsvorschußgesetz um 242 Millionen DM. Die Mittel
für die Maßnahmen der Jugendpolitik werden um 14
Millionen DM gekürzt.
Ich komme erstens zum Zivildienst. Hier gibt es eine
Erhöhung der Kostenbeteiligung am Sold von derzeit 25
Prozent auf 30 Prozent und die Einführung einer Kostenbeteiligung am Entlassungsgeld in Höhe von 30
Prozent.
({3})
Die Erstattungspauschale für die Beiträge zur Rentenversicherung der Zivildienstleistenden wird von 80 ProPräsident Wolfgang Thierse
zent auf 60 Prozent gesenkt, und die Dienstzeit wird von
13 auf 11 Monate verkürzt. Diese Kürzungen stellen
keine echten Kürzungen dar, sondern sind ein reiner
Verschiebebahnhof, wie es sie auch an anderen Stellen
des Bundeshaushalts gibt.
Die 110 Millionen DM, die Sie beim Sold einsparen,
müssen jetzt von den Einrichtungen draufgelegt werden.
Die 274 Millionen DM, die Sie angeblich bei den Rentenversicherungsbeiträgen einsparen, müssen von der
Rentenversicherung draufgelegt werden. Das sind keine
Einsparungen, Herr Bundesfinanzminister, das ist - wie
es an vielen anderen Stellen vorkommt - ein reiner Verschiebebahnhof.
({4})
Die Verkürzung der Dienstzeit läßt eine Zeitlücke
entstehen. Die Zivildienstleistenden treten üblicherweise
nach Abschluß des Schuljahres im Sommer ihren Dienst
an. Bisher war durch die einmonatige Überlappung eine
Kontinuität gesichert: Das Wissen konnte an den nachfolgenden Jahrgang weitergegeben werden. Das entfällt
jetzt und führt zu großen Problemen bei den Einrichtungen.
Der zweite Einsparungspunkt betrifft das Unterhaltsvorschußgesetz. Nach dem Unterhaltsvorschußgesetz erhalten Kinder unter 12 Jahren, die bei einem alleinstehenden Elternteil leben und von dem anderen Elternteil keinen oder keinen regelmäßigen Unterhalt bekommen, Unterhaltsleistungen. Diese Ausgaben wurden
bisher vom Bund und von den Ländern zur Hälfte getragen. Es wäre in der Tat sachgerecht, einmal darüber zu
reden, ob nicht eine Kostenbeteiligung der Kommunen,
die diese Gelder verwalten, angebracht wäre.
Das aber, was Sie gemacht haben, war der falsche
Weg, Frau Schewe-Gerigk. Sie haben nicht mit den
Kommunen geredet. Sie haben das den Kommunen diktiert. Dadurch sperren sich die Kommunen natürlich.
Das ist der falsche Weg.
({5})
Damit haben Sie vielleicht den Weg zu einer sachgerechten Lösung versperrt. Diesen Verschiebebahnhof
werden sich die Kommunen jedenfalls nicht bieten
lassen, Herr Eichel. Das werden Sie im Bundesrat erleben.
({6})
So weit zum Bundeshaushalt.
Wir haben, Frau Bundesministerin, nicht nur die
stärksten Kürzungen, die es im Bundeshaushalt gibt, gerade in Ihrem Etat. Wir haben - was wir besonders bedauern, weil die CDU die Partei der Familie ist ({7})
einen kompletten Stillstand der Politik in Ihrem Hause
seit einem Jahr. Dabei haben Sie in der Koalitionsvereinbarung noch Großes verkündet. Lesen wir die
Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 nach.
Darin war von einem neuen Aufbruch für die Frauenpolitik die Rede.
({8})
Die neue Bundesregierung wollte Anfang 1999 ein Aktionsprogramm „Frau und Beruf“ starten.
({9})
Zu diesem Aktionsprogramm gehöre ein effektives Gleichstellungsgesetz, das spätestens im Frühjahr
1999 in den Deutschen Bundestag eingebracht werden
sollte.
({10})
Mittlerweile ziehe ich schon wieder den Mantel an,
wenn ich von meinem Büro in den Reichstag gehe: Das
Frühjahr ist vergangen, der Sommer ist auch vergangen,
Frau Ministerin. Das Gesetz ist nicht vorgelegt worden.
Wir sind darüber nicht unglücklich, aber es ist symptomatisch für das Handeln dieser Bundesregierung:
({11})
Kanzler Schröders große Versprechungen und keine Ergebnisse! Dafür ist leider auch Ihr Haus ein Musterbeispiel.
({12})
Besonders bemerkenswert, Frau Ministerin, ist eines:
Wir begehen demnächst die Jahrtausendwende. Zum erstenmal seit vielen Jahrzehnten hat in der Bundesrepublik Deutschland keine Frau eines unserer höchsten drei
Staatsämter inne.
({13})
Ist das der Aufbruch in der Gleichstellungspolitik, den
Sie in Ihrer Broschüre verkündet haben? Ich frage auch
die Kollegin von der SPD, Frau Schmidt: Ist das Ihr
Aufbruch in der Gleichstellungspolitik?
({14})
Wie wollen Sie denn von Inhabern kleiner und mittlerer Betriebe erwarten, daß sie Frauen fördern, daß Frauen in Führungspositionen gelangen, wenn Sie bei den
höchsten Staatsämtern so inkonsequent sind? Sie müssen doch mit gutem Beispiel vorangehen.
({15})
Denselben politischen Stillstand wie in der Frauenpolitik haben wir in der Familienpolitik. Dabei hätte
doch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.
Januar 1999, das ich ausdrücklich begrüße, uns allen
Ansporn sein müssen, hier eine neue familienpolitische
Offensive zu starten. Das gilt auch für uns. Auch wir
hätten vielleicht das eine oder andere mehr dazu tun
können.
({16})
Aber wir alle hätten diese Chance ergreifen müssen. Sie
haben sie auch nicht ergriffen. Sie sind jetzt an der Regierung, aber Sie haben diese Chance für eine familienpolitische Offensive nicht ergriffen.
({17})
Was Sie jetzt mit Ihrem Gesetz zur Familienförderung machen, ist eine Minimalumsetzung des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts.
({18})
Das ist das absolute Minimum dessen, was Ihnen das
Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, und nicht
mehr. Sie führen den Betreuungsfreibetrag ein, und Sie
erhöhen das Kindergeld um 20 DM. Diese 20 DM werden durch Ihre diversen Ökosteuern mehr als einmal
aufgefressen. Darüber hinaus gibt es keinerlei zukunftsorientierte Familienleistungspolitik.
Dabei wird die Familie auch im nächsten Jahrtausend
die zentrale Säule unserer Gesellschaft sein. Nur eine
vernünftige Familienpolitik kann die Belastungen des
Staates in Grenzen halten und unsere kollektiv organisierten sozialen Sicherungssysteme vor dem Zusammenbruch bewahren. Deshalb liegt die Familienpolitik
auch nicht nur im Interesse der Familienpolitiker, sondern, Herr Bundesfinanzminister, im Interesse aller
Politiker, auch des Bundesfinanzministers.
({19})
Deutlich wird dies, wenn wir uns die enormen finanziellen Aufwendungen, die entstehen, wenn ein intakter
Familienverband ausfällt, vor Augen führen. Die Leistungen der Eltern für die Erziehung eines Kindes bis
zum 18. Lebensjahr belaufen sich auf rund eine halbe
Million DM. Muß der Staat einspringen, entstehen Betreuungskosten von rund 50 000 DM im Jahr.
Denken Sie nur an unsere Alterssicherungssysteme
und an die Probleme, in die diese nach der Jahrtausendwende kommen. Nach unserem jetzigen System muß der
Nutzen eigener Kinder für die Alterssicherung mit der
Gesellschaft geteilt werden, während die Kosten der Erziehung zum größten Teil in der Familie bleiben. Das
kann nicht so weitergehen. Frau Ministerin, deshalb
brauchen wir eine moderne Familienpolitik, die insbesondere die Leistungen der Familien mit Kindern angemessen würdigt. Hierzu haben Sie nichts entwickelt,
obwohl Sie an 16 Jahre erfolgreiche Familienpolitik der
CDU/CSU anknüpfen könnten.
({20})
Ich darf noch einmal aufzählen: Wir haben 1986 das
Erziehungsgeld eingeführt. Wir haben 1987 das Baukindergeld eingeführt. Wir haben die erstmalige Anerkennung von Erziehungsjahren in der gesetzlichen Rentenversicherung durchgesetzt. Alle diese Leistungen haben
wir stetig verbessert. In den 16 Jahren unserer Regierung
gab es eine familienpolitische Entwicklung, die im letzten Herbst zum Stillstand gekommen ist.
({21})
Auch heute kommen die familienpolitischen Impulse
aus der CDU, insbesondere aus der sächsischen CDU.
Das sage ich mit ein bißchen Stolz.
Erstens. Wir wollen das Kindergeld und das Erziehungsgeld bis zum sechsten Lebensjahr zum Familiengeld zusammenfassen und betragsmäßig so ausgestalten,
daß eine Wahlfreiheit zwischen Familienarbeit und Erwerbsarbeit ideell und materiell gegeben ist.
Zweitens. Wir wollen die Anerkennung der Kindererziehung im Rentenrecht weiter verbessern und deshalb
prüfen, ob die Rente künftig nicht nur von den Beitragszahlungen, sondern auch von der Kinderzahl abhängig
sein kann.
Zum Schluß: Die CDU/CSU bleibt der Anwalt der
Familie. Frau Ministerin, wir werden Sie deshalb immer
dann unterstützen, wenn Sie wirklich eine Politik für die
Familie betreiben.
({22})
Davon ist jedoch im Einzelplan 17 wirklich nichts zu
finden. Wir können dem Einzelplan 17 deshalb in der
vorliegenden Fassung nicht zustimmen.
Danke.
({23})
Das Wort hat nun
Kollegin Antje-Marie Steeen, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Lieber Herr Kolbe, ich mag Sie ja.
({0})
Ich muß Ihnen sagen: Ich bin heilfroh, daß ich kein
Mann bin; denn dann hätte ich hier heute eine genauso
traurige Figur wie Sie abgeben müssen.
({1})
Ich will Ihnen lieber einmal zeigen, wie die SPD Frauenpolitik macht. Das können wir an Hand unseres Haushaltes sehr gut beweisen, lieber Herr Kolbe.
({2})
„Stark gespart“ ist vielleicht wieder so etwas aus der
Kiste „Äpfel und Birnen verwechseln“. Jeder Haushalt
hat einen Konsolidierungsbeitrag geleistet, der im
Rahmen von 7,4 Prozent - etwas mehr, etwas weniger liegt. Sie ziehen einen Vergleich zur Einsparrate des
Bundeshaushaltes. Dabei kann nur so eine Sparrate
herauskommen.
Ich will Ihnen gerne sagen, warum wir diese Einsparungen vorgenommen haben. Wir brauchen diese Einsparrate, um endlich aus der Verschuldungsfalle herauszukommen.
({3})
Das war unter den Vorgaben einer desolaten Haushaltssituation keine leichte Aufgabe, die wir, ausgelöst durch
die Vorgängerregierung, zu bewältigen haben, lieber
Herr Kolbe,
({4})
um Handlungsspielraum für Reformen und Zukunftsfähigkeit in der Politik zurückzugewinnen und, wie Minister Eichel heute noch einmal sehr deutlich gesagt hat,
um Leistungen für Schwache auch in Zukunft noch anbieten zu können.
({5})
Angesichts eines Schuldenberges von 1,5 Billionen
DM und seiner Bedienung mit über 82 Milliarden DM
Zinsen muß und wird Schluß sein mit einer weiteren
Verschuldung. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen
der Opposition, sind Ihre Änderungsanträge zu unserem
Haushalt auch immer vor dem Hintergrund Ihrer politischen Verantwortung in 16 Jahren Regierung zu betrachten.
Ich will Ihnen sagen, zu welcher Erkenntnis man
kommt, wenn man das tut: Sie machen es sich leicht,
nach der Devise „Was schert mich mein Wort von gestern?“ Was Sie tun, besteht nur darin, munter Erhöhungen zu fordern. Konkrete Programmvorschläge, meine
Damen und Herren von der Opposition, suchen wir bis
heute allerdings vergebens.
({6})
Es war schwierig, in einem überwiegend durch gesetzliche Leistungen gebundenen Haushalt Einsparungen einerseits sozial ausgewogen zu gestalten, andererseits aber auch die Verstetigung der begonnenen Reform
in der Familienpolitik fortzusetzen. Sie, Herr Kolbe, haben anscheinend manche Diskussion in diesem Parlament verpaßt; denn wir haben über verschiedene Aktionsprogramme Beschlüsse gefaßt, die jetzt laufen und
die wir im Haushalt 2000 bereits im zweiten Jahr finanzieren. Man muß also auch ein bißchen aufpassen, was
hier im Parlament abläuft.
Ich möchte Ihnen, Frau Ministerin Bergmann, unsere Anerkennung aussprechen, daß es gelungen ist,
durch sozial verträgliche Maßnahmen insbesondere in
Kap. 17 04 - Bundesamt für den Zivildienst - und in
Kap. 17 10 - Gesetzliche Leistungen für die Familie den nötigen Einsparungsbetrag zu erbringen.
({7})
Meine Damen und Herren von der Opposition, bei den
Maßnahmen im Zivildienst achten wir auf soziale Ausgewogenheit und auf tragbare Belastungen für die Beschäftigungsstellen bzw. auch für die öffentlichen Haushalte.
Kollegin Steen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert,
PDS-Fraktion?
Ja, gerne.
Frau Kollegin Steen, wir waren gemeinsam in den vergangenen Jahren sehr viel auf
dem Gebiet der Behindertenarbeit tätig. Können Sie mir
bitte erklären, wie Sie die jetzt vorgesehenen Kürzungen
im Zivildienstbereich vertreten wollen? Sie wissen genau, daß es erhebliche Probleme in der individuellen
Schwerbehindertenbetreuung und auch in anderen Bereichen geben wird - dies betrifft nicht nur, aber vor allen Dingen Menschen mit Behinderungen -, wenn das,
was Sie vorhaben, wahr wird. Wie können Sie diese
Kürzungen vertreten? Dies kann doch mit Ihrer eigenen
Meinung nicht übereinstimmen.
Sehr verehrter Kollege
Seifert, auch während der ersten Lesung haben Sie solche Fragen gestellt, die immer beantwortet wurden. Ich
möchte Ihre Fragen auch heute gerne beantworten. Ich
sehe diese Schwierigkeiten nicht; denn wir werden im
originären Bereich, in dem das Zivildienstgesetz greift,
keine Einsparungen vornehmen.
({0})
Sie werden erkennen, daß wir Einsparungen in einem
Bereich vornehmen werden - ich möchte darauf nur
kurz eingehen, weil ich im Laufe meiner Rede auf diesen Bereich noch zu sprechen komme -, von dem ich
denke, daß er es vertragen kann. Dies sind eigentlich
auch keine Einsparungen, sondern strukturelle Veränderungen.
({1})
- Ja, natürlich kann man das so nennen. Es handelt sich
um eine strukturelle Veränderung. Aber ich weise darauf
hin: Man muß steuernd eingreifen - daß dies Auswirkung auf die Beschäftigungsstellen hat, möchte ich gar
nicht verhehlen -, wenn die Zivildienststellen nicht den
Anforderungen des Zivildienstgesetzes entsprechen. Ich
kann Ihnen ein paar skurrile Beispiele nennen: So wurden Zivildienstleistende bei der Erntearbeit und als Bühnenarbeiter eingesetzt. Manche wurden auch als Hausmeister und in Angestelltenpositionen beschäftigt, die
durchaus durch andere Kräfte besetzt werden können.
Antje Marie Steen
Wir wollen, daß der Bereich der sozialen Pflege nicht
berührt wird. Ich glaube, daß sich die Wohlfahrtsverbände wie auch das Bundesamt für Zivildienst diesen
neuen Herausforderungen stellen werden.
({2})
Sie werden es gemeinsam schaffen; denn dies ist auch in
ihrem Interesse und vor allen Dingen im Interesse der
jungen Leute.
Ich weise darauf hin: Die unterschiedliche Besoldung
von Zivis und Wehrdienstleistenden gehört bereits der
Vergangenheit an. Mit der Angleichung der Dauer des
Zivildienstes an den Grundwehrdienst - er beträgt jetzt
11 Monate - entsprechen wir einer langjährigen Forderung. Ich möchte deutlich machen: Zivildienst ist für uns
Sozialdemokraten und, wie ich denke, auch für unseren
Bündnispartner kein Dienst zweiter Klasse. Er ist genauso wichtig wie der Dienst in der Bundeswehr. Deshalb
ist die Dauer des Zivildienstes an die Dienstzeit in der
Bundeswehr angeglichen worden.
({3})
Die finanziellen Auswirkungen auf die Beschäftigungsstellen halten wir für vertretbar. Sie betragen pro
Zivildienstleistenden und Tag 2 DM bzw. 740 DM pro
Jahr. Dies wird nicht zu den von Ihnen beschriebenen
Verwerfungen führen.
Besonders wichtig ist auch der Konsolidierungsbeitrag in Höhe von 242 Millionen DM durch die Änderung
des Unterhaltsvorschußgesetzes. Sie wissen, daß die Kosten für Unterhaltsleistungen bisher hälftig von Bund
und Ländern getragen wurden. Sie wissen auch, daß das
Land Nordrhein-Westfalen längst zu einer anderen Regreßforderungspraxis übergegangen ist. Auch andere
Bundesländer stehen diesem Modell aufgeschlossen gegenüber.
({4})
Die zukünftige Drittelung der Ausgaben bedeutet nicht
nur eine gerechtere Schulterung der Lasten, sondern vor
allem auch einen Anreiz für die örtlichen Träger, das
Auffinden säumiger Unterhaltszahler effizienter zu gestalten.
Dabei geht es nicht ausschließlich um die finanzielle
Seite. Es geht auch um das Schließen einer Gerechtigkeitslücke, meine Damen und Herren von der Opposition, um das Einfordern von Pflichten, die jeder Vater
seinen Kindern gegenüber hat. Es strapaziert wohl die
Solidarität in der Gesellschaft, wenn sich zahlungsunwillige Väter ihrer Pflicht zur Unterhaltszahlung entziehen, während andere Väter sie erfüllen.
Für uns ist es wichtig, daß durch diese Politik der sozialen Ausgewogenheit der Ansatz für die allgemeinen
Bewilligungen bei Kap. 17 02 mit 733,9 Millionen DM
keine wesentlichen Einschnitte hinnehmen mußte. Hinter diesem Ansatz stehen die Politikbereiche, die man zu
Recht als ein Stück sozialdemokratischen Herzbluts bezeichnen kann.
({5})
In Übereinstimmung mit unserem Koalitionspartner
wollen wir hier verstärken, was bereits mit dem Haushalt 1999 auf den Weg gebracht wurde: eine Politik für
eine kinder- und familienfreundliche, auf Gleichstellung
der Geschlechter ausgerichtete Gesellschaft in sozialer
Verantwortung für alle Generationen.
Wir halten Wort, wie am Beispiel der Familienpolitik
abzulesen ist. Hier war der Nachholbedarf sehr groß.
({6})
- Das sind nicht meine Worte, Frau Rönsch, sondern die
der Vorsitzenden der Jungen Union, Frau Hildegard
Müller, die äußerte, daß dies besonders bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Fall sei.
({7})
Ich denke, Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. Fahren Sie nur so fort!
({8})
Auf die Senkung der Steuersätze und die nochmalige
Erhöhung des Kindergeldes sowie die Anhebung der
Freibeträge im Rahmen des Familienentlastungsgesetzes
möchte ich noch einmal deutlich hinweisen.
({9})
Damit ist der größte finanzielle Entlastungsblock auch
für die Familien in Deutschland geschaffen worden. Er
wird sich bis 2002 auch noch durch einen steuerlich anwendbaren Betrag für den Erziehungsbedarf erhöhen.
({10})
Zum erstenmal erfahren auch Sozialhilfeempfänger
eine verbesserte Familienförderung. Sie erhalten einen
monatlichen Betrag von 20 DM bis zum 30. Juli 2002
für ihre Betreuungsleistungen.
Deutlich hervorheben möchte ich die familienpolitischen Aspekte in unserem Einzelplan. Dazu gehört unter
anderem das Aktionsprogramm zur wirtschaftlichen
Situation und zur gezielten Armutsprophylaxe von Familien, das in dem entsprechenden Titel mit 3,4 Millionen DM auf vier Jahre angelegt ist. Ich denke, das ist ein
deutliches Zeichen dafür, daß wir einen Schwerpunkt
bei Familien setzen, die Schwierigkeiten haben, in besonderen, prekären Lebenslagen einen Ausweg zu finden, daß wir versuchen, ihnen zu helfen, ihre Situation
anzunehmen, und Strategien zu entwickeln, wie sie aus
diesem Dilemma herauskommen.
Ich möchte ganz besonders betonen, daß das Programm für ein neues Leitbild von Männern und Familie
mit 2,6 Millionen DM ausgestattet ist. Ich halte dies für
einen ganz wichtigen Ansatz, vor allem im Bereich
Gleichstellung in der Gesellschaft.
({11})
Es sollen Betriebe in einem Wettbewerb belohnt werden, die sich darum kümmern, auch Vätern familienfreundliche und damit kompatible Arbeitszeiten anzubieten. Dies ist ein toller Anreiz. Ich denke, daß wir damit in die Mitte der Gesellschaft treffen.
Insgesamt bleibt die Förderung der Träger mit 10,5
Millionen DM weitgehend auf dem gleichen hohen Niveau erhalten. Hier haben wir absolut keine Defizite zu
verzeichnen.
Besonders wichtig ist mir, darauf hinzuweisen, daß es
endlich gelungen ist, auch ein Aktionsprogramm zur
gewaltfreien Erziehung bzw. in Begleitung eines Gesetzentwurfs zu initiieren. Es ist in unserer Gesellschaft
immer noch ein Tatbestand, daß Gewalt, vor allem Gewalt gegen Kinder, einen sehr großen Raum einnimmt.
Unicef hat vor kurzem geschrieben, daß jährlich 150 000
Kinder so verprügelt werden, daß sie ärztliche Hilfe
brauchen, und daß Eltern dieser Situation manchmal
völlig hilflos gegenüberstehen. Angesichts dessen ist es
wichtig, daß begleitend zu dem Gesetz, das jetzt endlich
Kinder und Jugendliche vor entwürdigenden Maßnahmen in Schutz nimmt und eine gewaltfreie Erziehung
ermöglichen soll, ein Aktionsprogramm läuft; denn ein
Gesetz allein bewirkt noch keine Bewußtseinsänderung.
({12})
Deswegen ist es nötig, daß dieses durch solche Strategien unterstützt wird, wie sie das Ministerium zur Zeit
vorbereitet. Das, meine Damen und Herren, verstehen
wir unter einer nachhaltigen Familienpolitik. Wir zählen
die Familien zu den wichtigsten Leistungsträgern in unserer Gesellschaft; wir wollen sie auch in die Lage versetzen, ihre Aufgaben wahrzunehmen.
Politik für Seniorinnen und Senioren ist ein weiterer wichtiger Eckpfeiler unserer Regierungsarbeit. Um
die ältere Generation in den Wandel der gesellschaftlichen Lebensformen einzubeziehen, ihre in langer Familien- und Erwerbsarbeit gewonnenen Kompetenzen zu
nutzen und aus ihrem in hohem Maße geleisteten ehrenamtlichen Engagement mehr als nur volkswirtschaftlichen Nutzen zu ziehen, dafür erweitern wir die Rahmenbedingungen. Deshalb erfährt der Bundesaltenplan
eine deutliche Aufstockung auf 18,8 Millionen DM. Ihnen noch einmal zur Erinnerung: Es war sehr viel weniger, als wir die Verantwortung übernommen haben.
({13})
Schwerpunkte sind die Förderung der Selbständigkeit
und der Partizipation von älteren Menschen, die besondere Unterstützung bei der Pflege und - ich bin froh, daß
Frau Ministerin Bergmann dieses aufgegriffen hat - der
Ausbau der internationalen Seniorenarbeit unter anderem durch Zusammenarbeit. All dies wird mit ganz besonderem Interesse verfolgt. Das werden Sie erfahren,
wenn Sie mit älteren Menschen reden.
Weil wir jetzt in die Vorbereitungen für das Internationale Jahr des Ehrenamtes eintreten, haben wir die
Mittel in diesem Jahr um 300 000 DM erhöht. Die Vorwürfe, die ich in der Debatte in der vorigen Woche gehört habe, waren wirklich abstrus und treffen einfach
nicht zu. Diesem Bereich wird eine sehr große Aufmerksamkeit gewidmet.
Einen gleichen Stellenwert räumen wir der Jugendpolitik ein, in der das politische Engagement noch bis
vor kurzem auf ein Mindestmaß zurückgeschraubt war.
Wir haben nun deutliche Schwerpunkte in der Jugendpolitik gesetzt.
({14})
Ich möchte nicht wiederholen, was hier heute schon
zu dem sehr erfolgreichen Programm zum Abbau der
Jugendarbeitslosigkeit gesagt worden ist. Aber Äußerungen wie die von Frau Merkel, daß das Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit ein Bereich sei, wo wir
sparen könnten, sind unverantwortlich. Wir würden
dann wieder in die Situation zurückfallen, die wir vor
einem Jahr hatten: Damals wurde gar nichts getan und
alles den Selbstheilungskräften des Marktes überlassen.
({15})
Sie wissen, wie erfolgreich dieses Programm ist. Ich
könnte Ihnen an Hand meines Wahlkreises Ostholstein
ein sehr prägnantes Beispiel geben.
({16})
Das Bundesland Schleswig-Holstein stellt nämlich viele
Mittel bereit, um diese Maßnahme flankierend zu begleiten, und bietet damit über 8 000 jungen Menschen
eine neue Perspektive, die sie nicht erhalten hätten,
wenn Sie noch regierten. Das wollen wir einmal ganz
klar festhalten.
({17})
An dieser Stelle ist auch das Aktionsprogramm
„Entwicklung und Chancen von jungen Menschen in sozialen Brennpunkten“, das sogenannte EuC-Programm,
anzuführen, das mit 15 Millionen DM wirklich sehr gut
ausgestattet ist. Ich glaube allerdings, daß der Bedarf
weitaus höher liegt, Frau Ministerin. Aber hiermit sollte
erst einmal ein Anfang gemacht werden. Diese Maßnahmen konzentrieren sich ja nicht nur auf Betreuungsmaßnahmen in sozialen Brennpunkten, sondern beziehen auch die räumliche und gesellschaftliche Entwicklung eines Wohngebietes ein. Das ist ein völlig neuer
Ansatz. Sie können für Maßnahmen sowohl in Städten
als auch in strukturschwachen ländlichen Räumen abgefordert werden. Gerade von den Jugendämtern wurde
mir signalisiert, daß dieses dringend erforderlich war.
Sie fühlten sich nämlich oft mit schwierig handhabbaren
Programmen allein gelassen. Unser Programm wird daher sehr schnell Wirkung zeigen.
({18})
Wie wichtig uns die Jugendpolitik ist, zeigt sich an
der Höhe der Ausgaben im Einzelplan 17. Von den
knapp 734 Millionen DM, die für allgemeine Bewilligungen zur Verfügung stehen, entfallen rund 462 Millionen DM, also 62 Prozent, allein auf Maßnahmen im
Bereich der Jugendpolitik. Wer will uns jetzt noch absprechen, daß dieser Bereich keinen Schwerpunkt und
kein wichtiges Thema für uns darstellt? Jugend bedeutet
nämlich Zukunft. Für ein Ministerium, das generationenübergreifende Aufgaben erfüllt, ist diese Generation
sicherlich die wichtigste. Alle anderen werden aber auch
berücksichtigt.
({19})
Der Ansatz für den Bundesjugendplan bewegt sich
mit 291 Millionen DM nach wie vor auf hohem Niveau.
Hier haben wir nichts herausgenommen. Mit Hilfe dieses Programmes können nach wie vor sehr viele gute
Projekte gefördert werden.
Bei der Eingliederungshilfe für junge Aussiedlerinnen und Aussiedler, die sich jetzt auf 202 Millionen
DM beläuft, mag es faktisch so aussehen,
({20})
als sei eine Minderung vorgenommen worden. Die Zuzugszahlen machen es aber ganz deutlich, daß wir in
Zukunft mit weniger jungen Aussiedlern und Flüchtlingen zu rechnen haben. Allerdings wissen wir sehr wohl
um die Schwierigkeit der sozialpädagogischen Betreuung. Hier werden wir uns in Zukunft darum bemühen,
die Integrationsmaßnahmen deutlich zu verstärken; denn
nur wer die Sprache beherrscht, kann in dieser Gesellschaft Fuß fassen. Wir wollen, daß sie hier Fuß fassen,
denn sie gehören in die Mitte unserer Gesellschaft.
({21})
Mit 40 Millionen DM werden frauenpolitische
Maßnahmen in einer neuen Titelgruppe gefördert.
Wichtig ist, daß im Gleichstellungstitel, für den die jetzige Opposition 1998 nur 16,8 Millionen DM ausgegeben hat, obwohl 20 Millionen DM veranschlagt waren,
der Ansatz von uns um 2 Millionen DM auf insgesamt
22 Millionen DM erhöht worden ist. Damit werden neue
Schwerpunkte in der Gleichstellungspolitik gesetzt, zum
Beispiel mit dem Programm „Frau und Beruf“ und der
Fortsetzung der bewährten Projekte zur Vereinbarkeit
von Familie und Erwerbsarbeit.
({22})
Diese Schwerpunkte werden besser als diejenigen sein,
die wir in den Jahren zuvor hatten.
Es hilft halt kein Klagen, wie es Frau Merkel beim
Frauenkongreß der CDU in Schleswig-Holstein wieder
einmal tat. Sie reklamierte, daß 30 Prozent der Akademikerinnen mit 35 Jahren keine Kinder hätten, und äußerte, dies sei Ergebnis der „Tatsache, daß zwischen
Familien- und Erwerbsarbeit keine Brücken existieren“.
Bravo, kann ich dazu nur sagen, diese Äußerung ist ein
Eigentor; denn es ist schließlich Ihr Erbe und Ausdruck
Ihrer 16jährigen Frauenpolitik, daß nicht nur Brücken
zwischen Familie und Arbeit für Frauen fehlen, sondern
in Ihrer Regierungszeit sogar abgerissen wurden.
({23})
- Das für mich wichtigste Projekt, Frau Rönsch, ist nach
wie vor der Aktionsplan zum Schutz von Frauen vor
Gewalt. Dies halte ich für unbedingt nötig, vor allen
Dingen angesichts der Tatsache, daß Gewaltanwendung
gegen Frauen und Kinder sowie gegen Behinderte und
Alte, sexuelle Belästigungen und Frauenhandel immer
noch tabuisiert werden. Ich hoffe, daß dieser Aktionsplan eine Veränderung bringt. Sie haben zu diesem
Thema geschwiegen. Hier wird gehandelt. Es geht um
nichts Geringeres, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Haus, als um die Einhaltung der universellen Menschenrechte und des Rechts
auf Unversehrtheit sowie um die Achtung der Menschenwürde. Deswegen kann ich Sie, Frau Ministerin,
nur ermutigen, in diesem Bereich nicht nachzulassen,
sondern Ihre Aktivitäten sogar noch zu verstärken.
({24})
An der Schwelle zum 21. Jahrhundert sind das kluge
und rationale Zusammenlegen von Aufgabenschwerpunkten, wie es im Einzelplan 17 erfolgte, die gerechte
Schulterung von Lasten zwischen Bund und Ländern
sowie moderne Ansätze beim Erschließen neuer Finanzquellen drei zentrale Säulen zur Wiederherstellung und
nachhaltigen Sicherung einer zeitgemäßen Frauen- und
Familienpolitik.
Der Einzelplan 17 hat zudem einen betont europäischen Ansatz. Wir verknüpfen wichtige gesellschaftspolitische Aufgaben im Sinne der zunehmenden und
wünschenswerten Europäisierung mit überregionalen
und überstaatlichen Zielen der Europäischen Gemeinschaften; als Beispiel dafür nenne ich das „DaphneProgramm“.
An dieser Stelle möchte ich etwas zu den Anträgen
der PDS sagen. Beide Anträge werden wir ablehnen. Es
ist Ihnen sicherlich nicht entgangen, daß wir aus dem
Aktionsprogramm „Zielgruppenorientierte Präventionsarbeit“, aber auch aus dem Kinder- und Jugendhilfeplan
die Maßnahmen finanzieren können, die Sie fordern. Es
werden sogar bereits Projekte daraus finanziert. Daher
sehen wir keinen weiteren Bedarf. Außerdem halte ich
Ihren Finanzierungsvorschlag für geradezu abenteuerlich. Deckungsvorschläge aus anderen Haushalten heraus zu machen fällt einem immer am leichtesten, ist aber
am wenigsten solide.
Liebe Kollegin, Sie
müssen zum Ende kommen. Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ja, ich wollte gerade ein
letztes Wort sagen. Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis
möchte ich auch im Namen von Herrn Kolbe, mit dem
ich das abgesprochen habe, sowie namens aller KolleAntje-Marie Steen
ginnen und Kollegen ein Dankeswort an Herrn Ministerialrat Markus Rohwer und Herrn Ministerialdirigenten
Walter Meyer sagen, die in Pension gehen. Sie haben
über viele Jahre - auch in Ihrer Regierungszeit - dem
Einzelplan 17 zugearbeitet und für diesen Haushalt oft
die Strukturen gelegt, die wir dann diskutiert und auch
inhaltlich bestimmt haben. An dieser Stelle danke ich
beiden herzlich und wünsche ihnen einen zufriedenen
und erfüllten Ruhestand.
({0})
Mein Dank gilt aber auch den Kollegen aus dem
Haushaltsausschuß, mit denen gemeinsam ich den Einzelplan 17 beraten habe. Es macht immer wieder Spaß,
mit Ihnen zusammenzuarbeiten und auch zu streiten.
({1})
Das Wort hat nun
Kollegin Ina Lenke, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegen
und Kolleginnen! Ein Wort zu Ihnen, Frau Steen. Ich
finde es merkwürdig, daß Sie nur SPD-Papiere lesen und
gar nicht wissen, was F.D.P. und CDU/CSU entwickelt
haben. Wir jedenfalls haben in der vorletzten Woche einen Antrag zur blau-gelben Familienförderung eingebracht. Anscheinend haben Sie ihn nicht gelesen. Sie
sollten etwas genauer mit diesen Dingen umgehen.
({0})
Meine Damen und Herren, für die F.D.P.-Bundestagsfraktion will ich mich dem Haushalt der rotgrünen
Koalition in den Bereichen Familie, Senioren, Frauen
und Jugend widmen und mich auch mit diesem auseinandersetzen.
Als Oppositionspolitikerin wundert mich der Jubel
von Rotgrün - auch in unserem Ausschuß - zu den
Sparauflagen von Herrn Eichel. Als Oppositionspolitikerin muß ich Sie nämlich fragen: Wie wurde das erreicht?
Da sieht es weniger rosig aus, als Ihr Jubel vermuten
läßt. Denn Sie haben diese Ziele unter anderem durch
Verschiebungen von finanziellen Lasten auf andere
Ebenen erreicht. Das ist wirklich keinen Applaus wert.
({1})
Einige Punkte will ich konkret ansprechen. Dies ist
zum einen der Zivildienst. Sie haben jungen Leuten, die
sich für den Zivildienst zur Verfügung stellen, geringere
Rentenversicherungsbeiträge beim Rentenversicherungsträger gutgeschrieben. Ich weiß nicht, ob dies ein
Pluspunkt sein soll. Ich empfinde dies als ein Minus.
({2})
Zweitens. Sie haben die sozialen Einrichtungen mit
Kosten belastet. Es mag ja sein, daß dies für Sie gerechtfertigt ist, weil die Arbeitskräfte, die Zivildienstleistenden, vorhanden sind. Aber da muß ich die Familienministerin schon fragen: Frau Bergmann, wenn im nächsten Haushalt, im Haushalt 2001, wieder einmal ein
Haushaltsloch bei den Sozialversicherungen besteht,
was machen Sie dann? Kürzen Sie dann wieder bei den
sozialen Einrichtungen und lassen für Zivildienstleistungen mehr zahlen?
({3})
- Es geht doch um Haushaltseinsparungen.
({4})
Die Einsparungen im Zivildienstbereich sind eindeutig.
Ich sage Ihnen: Im nächsten Jahr werden weitere Kosten
auf die zivilen Einrichtungen zukommen. Darauf möchte
ich mit Ihnen wetten; aber das können wir im Parlament
ja nicht.
Meine Damen und Herren, ich will auch noch sagen,
daß wir als F.D.P.-Bundestagsfraktion den Zivildienstleistenden danken. Sie haben gute Arbeit geleistet.
({5})
Deshalb werden wir unser Augenmerk weiterhin auch
auf diesen Teil des Haushaltes des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend richten.
Herr Müller, der Finanzexperte der Grünen, ist heute
leider nicht anwesend. Er hat sich vor zirka zwei Wochen stark auf die Schulter geklopft und darauf hingewiesen, was Rotgrün alles für die Familie getan habe.
({6})
Ja, Sie haben die Freibeträge für die Familien erhöht,
aber nur auf Sparflamme. Ich muß Ihnen sagen: Auf der
Grundlage des Bundesverfassungsgerichtsurteils ist Ihre
Familienförderung nur gering ausgefallen. Es ist jedenfalls nicht der große Wurf, den Frau Bergmann und
auch die Grünen in der Familienpolitik angekündigt haben.
Sie haben auch Umschichtungen zwischen Alleinerziehenden und Ehepaaren mit Kindern vorgenommen.
Frau Steen, das hätten Sie auch sagen sollen. Ich frage
Sie, wie das mit § 133c des Einkommensteuergesetzes
ist. Da gibt es für Ehepaare, von denen ein Ehepartner
krank oder behindert ist, keinen Freibetrag auf Nachweis
mehr. Diesen Betreuungsfreibetrag von 4 000 DM für
das erste Kind und den Freibetrag für alle weiteren Kinder haben Sie, ohne neue Alternativen zu setzen, gestrichen.
({7})
Ich habe die Regierung gefragt, und wir werden sehen, was die Regierung antwortet.
Meine Damen und Herren, Herr Kolbe hat schon gesagt, daß Sie Ausgaben auf die Städte und Gemeinden
verlagern. Ich weiß nicht, ob dies Einsparungen oder
nicht doch eher Verschiebungen sind. Ich nenne es lieber Verschiebungen.
({8})
Sie nehmen die Kommunen wirklich ohne Übergangszeit in Regreß.
Ich bin Kommunalpolitikerin im Landkreis Verden.
Im Jugendhilfeausschuß habe ich mich mit unserem Dezernenten unterhalten und gemeint, die Kosten, die die
Bundesregierung auf die Länder und die Länder wahrscheinlich auf die Kommunen verteilten - in Niedersachsen sowieso -, müßten sich ja irgendwo niederschlagen. Da hat er zu mir gesagt: Das können wir doch
gar nicht quantifizieren. Das heißt also, wir gehen mit
Landkreishaushalten und Gemeindehaushalten in das
Jahr 2000, ohne die genauen Belastungen etwa durch
das pauschalierte Wohngeld, durch die Streichungen bei
der Sozialhilfe oder durch die Veränderungen beim Unterhalt genau zu kennen. Wenn Sie schon diese Maßnahmen als richtig empfinden, hätte ich mir gewünscht,
daß Sie den Kommunen eine längere Vorlaufzeit gegeben hätten. Was Sie jetzt machen, ist überfallartig. Davon halte ich überhaupt nichts.
({9})
Die F.D.P. kritisiert - ich komme aus dem Steuerfach; mir ist daher diese Regelung aus arbeitsmarktpolitischen Gründen völlig unverständlich - die drastische
Senkung der Einkommensgrenzen für die Eigenheimzulage. Sie senken bei den Familien die Einkommensgrenze - eigentlich handelt es sich nach dem
Gesetzestext um Einkünfte - von 240 000 DM auf
160 000 DM pro Jahr. Auf der anderen Seite erhöhen
Sie die Einkommensgrenze nur um 10 000 DM für jedes
Kind. Eine Familie muß also acht Kinder haben, um
nach der alten Einkommensgrenze gefördert zu werden.
Wie soll sie das in so kurzer Zeit schaffen? Das haut
nicht hin.
({10})
Angesichts meiner kurzen Redezeit muß ich meinen
Beitrag leider etwas straffen, möchte aber noch auf Frau
Steen eingehen. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil sollten für die neue Familienförderung nach ersten Berechnungen 22 Milliarden DM ausgegeben werden. Dann sprach Frau Hendricks von 8 Milliarden DM.
Jetzt sind Sie bei 5 Milliarden DM gelandet.
({11})
Wenn ich mir anschaue, daß die Rente mit 60
70 Milliarden DM kosten soll, dann muß ich sagen, daß
5 Milliarden DM für die Familien kein Grund zum Jubeln sind. Für uns ist dieser Betrag zu niedrig.
({12})
Ich will noch ganz kurz auf die blaugelbe Familienförderung zu sprechen kommen. Wir wollen eine nachhaltige finanzielle Verbesserung der Situation der Familien. Was Sie gemacht haben, kann nur ein Einstieg sein.
Wir werden uns also in den nächsten Jahren mit Ihrer
Familienförderung noch beschäftigen müssen.
Wir wollen eine andere Politik: Wir wollen erstens
den Einstieg in das Familiengeld, also in Richtung Bürgergeld.
({13})
Wir wollen zweitens steuerliche Freibeträge für Kinderbetreuung. Wir wollen darüber hinaus, daß jede Arbeitnehmerin die Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten und jede Selbständige die Kinderbetreuungskosten als Betriebsausgaben absetzen kann; denn ohne
Kinderbetreuung können Frauen nicht arbeiten. Wir
wollen aber, daß Frauen dazu in der Lage sind.
({14})
Als drittes wollen wir mit unserem Familienkonzept
auch etwas für die finanzschwachen Familien tun.
({15})
- Lesen Sie doch einmal unser Konzept und nicht immer
nur Ihre eigenen und die SPD-Papiere! - Wir wollen
einen Kindergeldzuschlag, wenn das familiäre Existenzminimum nicht erreicht wird. Das ist eine liberalere
und sozialere Politik. Dafür werden Sie unsere Zustimmung finden.
Der Haushalt von Frau Bergmann enthält natürlich
viele Haushaltsansätze, die wir gut finden. Ich nenne in
diesem Zusammenhang den deutsch-polnischen und den
deutsch-französischen Jugendaustausch.
Frau Kollegin Lenke, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich komme damit zum Schluß. Dieser Jugendaustausch findet unsere Unterstützung.
Aber ein Blick in den „Finanzplan des Bundes 1999 bis
2003“ zeigt - auch Zahlen und Fakten gehören zu der
Bewertung eines Einzelplanes -, wie wenig Sie gewillt
sind, Ihren eigenen Ankündigungen zu folgen; denn unter dem Titel „Familienpolitische Leistungen“ haben Sie
einen Abwachs von rund 8,8 Milliarden auf rund
8 Milliarden DM im Jahre 2003. Wie trügerisch sind
doch die Aussagen von Rotgrün!
({0})
Ich erteile nun das
Wort der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis
90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit der ersten Lesung hat sich beim Einzelplan 17 nicht sehr viel verändert. Der Haushaltsausschuß
hat lediglich in zwei Haushaltstiteln eine Umsetzung beschlossen. Der eine Bereich betrifft Mittel in Höhe von
19 Millionen DM und basiert auf einer Verlagerung der
Beiträge an die Internationale Organisation für Migration in den Haushalt des Innenministeriums. Eine Zusammenführung der Rückkehrprogramme für Flüchtlinge aus Bosnien und aus dem Kosovo sowie deren
Finanzierung aus dem Etat des Innenministeriums halte
ich für sachgerecht. Eine Aufstockung dieser Mittel, die
ab diesem Jahr auch Opfern des Frauenhandels zugute
kommen sollen, wäre meiner Meinung nach notwendig.
Aber leider gilt auch für unseren Haushalt der Sparzwang. In diesem Zusammenhang habe ich die Ministerin überhaupt nicht beneidet. 882 Millionen DM bei
einem Gesamtvolumen von knapp über 11 Milliarden
DM einzusparen, das ist keine fröhliche Aktion.
Böse Zungen forderten, die Verwaltung abzuschaffen. Aber selbst das hätte bei weitem nicht gereicht,
denn es hätte nur 60 Millionen DM gebracht. Erspart
wurden aber über 800 Millionen DM.
Ich kann sagen: Die Ministerin hat ihre Aufgabe gut
gemacht,
({0})
denn die Ausgabenminderungen treffen nicht die Kernbereiche der Politik für Frauen, Familien, junge und alte
Menschen. Die Kürzungen erfolgen hauptsächlich in den
zwei Bereichen Unterhaltsvorschuß und Zivildienst.
Zunächst zum Unterhaltsvorschuß - hierzu wurde ja
eine Menge an Vorwürfen erhoben -: Der Ansatz der
Bundesregierung sieht vor, die Ausgaben für das Unterhaltsvorschußgesetz zu je einem Drittel von Bund, Ländern und Gemeinden zu finanzieren. Das hat für den
Bund zur Folge, daß der Ansatz von rund 807 Millionen
DM im Vorjahr nun auf 565 Millionen DM reduziert
werden kann. Ich halte die Einbeziehung der Kommunen für sinnvoll,
({1})
weil dadurch auch ein Anreiz für eine effektivere Rückforderung von den säumigen Vätern geschaffen wird.
Bisher werden gerade einmal 13 Prozent zurückgeholt.
Ich glaube, durch die bessere Beteiligung der Kommunen haben diese ein eigenes Interesse an der Rückforderung.
({2})
Die Quote könnte auf 30 bis 40 Prozent steigen. Die
meisten Länder haben schon signalisiert, daß sie mit diesem Vorschlag einverstanden sind.
({3})
Die Chancen für eine Einigung im Vermittlungsausschuß stehen gut.
Frau Lenke, wenn Sie immer behaupten, die Kommunen würden von Rotgrün so geschröpft,
({4})
möchte ich Ihnen sagen: Die Kommunen werden bis
zum Jahr 2002 durch den Wegfall von Abschreibungsmöglichkeiten und durch steuerliche Maßnahmen um
8 Milliarden DM entlastet. Ich glaube, da können die
Kommunen dieses gut verkraften.
({5})
Hinsichtlich der frauenpolitischen Bereiche hat sich
der Einzelplan im Haushalt 2000 positiv entwickelt. Gegenüber dem Vorjahr stehen nach der Zusammenführung verschiedener Titel nun 2 Millionen DM mehr zur
Verfügung. Die Hälfte davon kommt der institutionellen
Förderung von Pro Familia zugute. Der Antrag der
CDU/CSU, die Mittel für die Stiftung „Mutter und Kind
- Schutz des ungeborenen Lebens“ um 20 Millionen
DM auf 200 Millionen DM zu erhöhen, hat mich daher wenn ich das freundlich ausdrücke - sehr überrascht.
Schließlich hatten Sie, meine Damen und Herren von
der CDU/CSU, diese Mittel im vorigen Jahr selbst gekürzt, und zwar genau um diesen Betrag von
20 Millionen DM. Daß Sie jetzt in der Opposition ein
Jahr später eine Erhöhung beantragen, kann ich - es tut
mir leid - nicht ernst nehmen.
({6})
Der Schwerpunkt der Frauenpolitik für das Jahr
2000 liegt in der Gleichstellungspolitik. Unterstützende
Maßnahmen für das Programm „Frau und Beruf“ werden dieses Programm zu einem Erfolgsmodell machen.
Ich finde es schade, daß in der CDU/CSU noch nicht
angekommen ist, daß das Programm bereits im Sommer
verabschiedet wurde.
({7})
- Doch, das war schon gut. Die Gesetzesinitiativen
werden jetzt in Angriff genommen.
Aber ich möchte zu einem anderen Thema kommen.
Hier wird immer gesagt, familienpolitisch habe die rotgrüne Koalition nichts vorzuweisen. Gerade hier gehen
wir mit großen Schritten voran.
({8})
In Kürze wird es einen Gesetzentwurf für eine Novellierung des Bundeserziehungsgeldgesetzes geben, der entscheidende Verbesserungen vorsieht. Danach wird
künftig - Frau Rönsch, dann hat auch die Akademikerin
die Möglichkeit, ein Kind zu bekommen und in ihrem
Beruf weiterzuarbeiten - eine flexible Kombination der
Erwerbs- und Familienarbeit möglich sein, auch durch
die Einführung eines Zeitkontos. Ich freue mich, daß die
CDU/CSU in ihrem Leitantrag für die Familienpolitik
auch auf die Idee gekommen ist,
({9})
daß das eine gute Möglichkeit ist.
({10})
- Wer war zuerst da? Wir diskutieren das schon etwas
länger. Sie haben das verhindert, als wir in der Opposition waren.
({11})
Durch die Erhöhung der Einkommensgrenze - je
nach Familiengröße zwischen 10 und 30 Prozent - wird
wieder mehr Eltern der volle Betrag des Erziehungsgeldes zur Verfügung stehen. Damit setzen wir nicht nur
ein Wahlversprechen um, sondern tun das, was Sie
13 Jahre lang ausgesetzt haben. Ich sehe die ehemalige
Ministerin Nolte, die uns vier Jahre lang immer gesagt
hat: Wir werden die Einkommensgrenzen erhöhen. Niemals ist das umgesetzt worden. Damit machen wir
nun endlich Schluß.
Sie sehen: Für Rotgrün steht die Familienpolitik im
Zentrum.
({12})
Ich will nur ein paar Beispiele nennen; Sie fragen ja
immer danach: 50 DM mehr Kindergeld, steuerliche
Entlastung der Familien,
({13})
Nichtanrechnung der Erhöhung der 20 DM Kindergeld
bei Sozialhilfeempfängern, Erhöhung der Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld.
({14})
Das sind Leistungen, die unter Rotgrün innerhalb eines
Jahres auf den Weg gebracht worden sind. Das ist eine
Bilanz, die sich sehen lassen kann.
({15})
Auch deshalb war ein Regierungswechsel notwendig.
Ich sage Herrn Kolbe ganz deutlich: Ihre alte Leier,
Rotgrün habe mit Familienpolitik nichts am Hut, können
Sie irgendwo erzählen, aber bitte nicht hier im Bundestag. Ich habe Ihnen gerade das Gegenteil bewiesen.
({16})
Aber nicht nur in finanzieller Hinsicht unterstützen
wir Familien. Eltern können demnächst im Erziehungsurlaub wöchentlich nicht nur - wie bisher - 19 Stunden,
sondern 30 Stunden erwerbstätig sein. Das ist in zweierlei Hinsicht ein Fortschritt: Zum einen besteht ein Anreiz für Väter, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Zum anderen können künftig auch Alleinerziehende von der Erwerbsarbeit plus dem Erziehungsgeld leben, ohne Sozialhilfe beantragen zu müssen.
Ein Rechtsanspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit
während des Erziehungsurlaubs mit einem Rückkehrrecht zur ursprünglichen Arbeitszeit, das ist unser Angebot ganz besonders für Väter. Es muß stärker als bisher
deutlich gemacht werden, was für ein Gewinn es für die
ganze Gesellschaft ist, wenn auch Väter ihre Kinder
betreuen. 1,5 Prozent der Väter nehmen Erziehungsurlaub; das ist das Ergebnis Ihrer 16 Jahre. Wir glauben,
daß viel mehr Väter in die Verantwortung genommen
werden müssen.
({17})
Ich komme zur Politik für alte Menschen. Auch hier
wurde im Haushalt 2000 das Niveau der Vorjahre
gehalten. Wir konnten Maßnahmen vorsehen, mit denen
zwingend notwendige Gesetzesänderungen wie das Altenpflegegesetz und das Heimgesetz gesellschaftlich
unterstützt werden.
Ich gehe nun auf die strukturellen Entscheidungen im
Bereich des Zivildienstes ein. Das Einsparziel von
660 Millionen DM wird durch drei Maßnahmen erreicht:
erstens durch eine Verkürzung des Zivildienstes von 13
auf 11 Monate und zweitens durch eine um 2 DM pro
Tag erhöhte Beteiligung der Dienststellen. Wir halten
das für vertretbar, auch wenn wir wissen, daß dadurch in
einzelnen Fällen kleine Beschäftigungsstellen Probleme
bekommen. Wir halten es trotzdem für vertretbar.
Das dritte Einsparziel betrifft die Entrichtung der
Rentenversicherungsbeiträge für Zivildienstleistende.
Die erfolgt jetzt auf der Basis von 60 Prozent der Bezugsgröße. Angesichts eines angenommenen fiktiven
Monatseinkommens von 2 600 DM - dies verdienen
Auszubildende bei weitem nicht - halten wir auch diese
Maßnahme für vertretbar.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Verkürzung des
Zivildienstes sagen. Wir begrüßen diesen Schritt nicht
nur wegen der Kosteneinsparung, sondern auch als einen
Beitrag zur Wehrgerechtigkeit. Die beabsichtigte Verkürzung wird nicht ohne Auswirkungen auf die Arbeit
der Träger der freien Wohlfahrtspflege bleiben. Wir
werden die geäußerten Bedenken berücksichtigen. Allerdings, Frau Lenke, sollten wir die Kirche im Dorf lassen: Schließlich gilt für den Einsatz von Zivildienstleistenden eine arbeitsmarktpolitische Neutralität.
({18})
Aus einer Analyse des Diakonischen Werkes Württemberg geht hervor, daß die Verkürzung des Zivildienstes
für die Wohlfahrtsverbände sehr wohl zu verkraften wäre, wenn es zu einem geregelten Übergang kommt. Dafür werden wir sorgen.
({19})
Darüber hinaus - jetzt komme ich zu dem Punkt, bei
dem Herr Seifert immer nachfragt - gilt grundsätzlich
für unsere Fraktion: Die Verkürzung des Zivildienstes
darf nicht dazu führen, daß sich viele Leistungen für alte, kranke oder behinderte Menschen so verteuern, daß
sie unbezahlbar würden. Allerdings dürfen mögliche
Engpässe bei ambulanten und teilstationären Diensten
und Einrichtungen auch nicht auf dem Rücken der Zivildienstleistenden ausgetragen werden.
({20})
Es könnte unseres Erachtens auf Grund der Verkürzung
des Zivildienstes innerhalb der Einrichtungen sogar zu
positiven Effekten kommen. Zum Beispiel die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen könnte manchem Zivi den
Gang zum Arbeitsamt ersparen.
Zusammenfassend gilt: Mit den vorgesehenen Änderungen im Bereich des Zivildienstes sind wir unserem
Ziel einer Gleichbehandlung von Wehrdienst und Zivildienst ein Stück nähergerückt. Die Fraktion der Grünen
wird sich weiterhin für eine Verkürzung des Zivildienstes einsetzen. Nach wie vor ist ein nationales Freiwilligengesetz notwendig, um rechtliche und institutionelle
Hemmnisse abzubauen, die sich der Selbsthilfe und dem
sozialen Engagement entgegenstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe, der Präsident blinkt mich an. Ich muß zum Ende kommen. Wir
haben im Ausschuß über den Einzelplan 17 trefflich gestritten. Allerdings - das fiel mir auf - ging es ständig
um andere Politikfelder, derentwegen wir uns gestritten
haben.
({21})
Daß es bei diesem Streit weniger um den Einzelplan 17
ging, werte ich als Zustimmung für den Einzelplan 17.
({22})
Sie haben keine umfangreichen Änderungen vorgeschlagen.
({23})
Es wäre ein gutes Zeichen, wenn auch die Opposition
dem Einzelplan 17 nun zustimmen würde.
Vielen Dank.
({24})
Das Wort hat nun die
Kollegin Petra Bläss, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erkennen durchaus die Bemühungen der Bundesministerin an, den Bereich Jugendpolitik aus den Sparplänen herauszuhalten und zumindest zu stabilisieren. Dennoch ist der Etat für Jugendliche angesichts der enormen Probleme, mit denen wir
konfrontiert sind, viel zu niedrig. Das wissen Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ganz genau. Wir halten es
für eine folgenreiche Fehlentscheidung, daß es nicht
mehr Geld für die politische Bildung von Jugendlichen
geben soll. Mit unserem Antrag, der heute zur Abstimmung steht, wollen wir das Engagement von Jugendlichen gegen Rassismus und Rechtsextremismus fördern.
Und hier bitten wir Sie dringend um Unterstützung.
Rechtsextremismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Freien
Universität Berlin belegt, daß der Anteil der rechtsextrem eingestellten Jugendlichen im Alter von 18 bis
24 Jahren in Ostdeutschland binnen eines Jahres von 20
auf 42 Prozent gestiegen ist. Hier besteht tatsächlich
politischer Handlungsbedarf.
Frau Kollegin Steen, dieser Bedarf ist noch nicht abgedeckt, sosehr ich auch zu schätzen weiß, daß in diesem Bereich keine Kürzungen vorgenommen worden
sind.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was die Bundesregierung im Bereich der Frauenpolitik bietet, ist enttäuschend. Die Bilanz rotgrüner Frauenpolitik fällt bislang
ziemlich mager aus. Der Haushaltsentwurf läßt auch für
das kommende Jahr kein Mehr an Gleichberechtigung
erwarten. Dabei steht dieses Mehr nicht mehr allein im
Ermessen der Bundesregierung.
Im Frühjahr ist der Vertrag von Amsterdam in Kraft
getreten. Dieser Vertrag, der für alle Länder der Europäischen Union bindend ist, schreibt auch der Bundesregierung die Chancengleichheit zwingend vor. „Gender
mainstreaming“ ist der EU-weit geprägte Begriff dafür.
Was heißt das? Das heißt nicht mehr und nicht weniger,
als daß quer durch alle Politikbereiche die Gleichberechtigung von Frauen durchgesetzt werden muß: in der
Arbeitsmarkt-, Sozial- oder Wirtschaftspolitik genauso
wie in der Ausländerinnen- und Ausländer- und Flüchtlingspolitik, in der Forschungs- und Technologiepolitik
genauso wie in der Landwirtschafts- und der Jugendpolitik.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, es steht Ihnen nicht frei, sich über diese höchsten
Beschlüsse der Europäischen Union hinwegzusetzen. Es
steht Ihnen auch nicht frei, mit den Beschlüssen der
Vereinten Nationen umzugehen, wie Sie es gerade mit
dem aktuellen Sparpaket tun.
Die Vereinten Nationen haben kürzlich nachgefragt,
wie Deutschland die Beschlüsse der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking umgesetzt hat. Die Antwort ist dünn
ausgefallen. Natürlich haftet dafür nicht allein die neue
Bundesregierung; denn die Kolleginnen und Kollegen
von CDU/CSU und F.D.P., die sich heute so echauffieren können, haben es viele Jahre lang versäumt, in der
Frauenpolitik die Weichen richtig zu stellen.
({1})
Aber wenn ich mir den Haushaltsentwurf für das Jahr
2000 anschaue, finde ich von einer Frauenpolitik quer
durch alle Ressorts wieder allenfalls Versatzstücke.
Ich frage Sie: Wo bleibt ein Arbeitszeitgesetz, das für
tägliche Arbeitszeitverkürzung sorgt, damit sich an der
gesellschaftlichen Arbeitsteilung etwas ändern kann?
({2})
- Das ist eine klare Antwort, Frau Kollegin Schmidt. Wo bleibt das Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, das Quoten vorschreibt, damit Frauen im BeIrmingard Schewe-Gerigk
rufsleben endlich gleiche Chancen haben? Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht über die PekingNachfolge die Quote gelobt. Dennoch wollen Sie es in
der Privatwirtschaft bei Appellen belassen. Wir können
dieser Tage aber wieder beobachten, was passiert, wenn
man die Wirtschaft ausschließlich das machen läßt, was
sie für richtig hält.
Ich frage Sie weiter: Wo bleibt das Konzept für eine
eigenständige Alterssicherung von Frauen? Wo bleiben
Ansätze zur individuellen Besteuerung von Einkommen? Diese Chance ist mit den Beschlüssen der letzten
Wochen verpaßt worden. Wo bleiben die Nachbesserungen bei den 630-Mark-Jobs, um endlich die Benachteiligung von Alleinerziehenden aufzuheben? Und schließlich: Wo bleibt das eigenständige Aufenthaltsrecht für
ausländische Frauen, das Sie angekündigt haben, und wo
bleibt die Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund?
Die Bundesregierung nennt als wesentliches Hindernis für die Gleichberechtigung das hergebrachte Rollenverständnis von Männern und Frauen. Damit fallen gewachsene gesellschaftliche Strukturen, die auch in den
Gesetzen verborgen sind, unter den Tisch. Der Gestaltungsanspruch von Politik schwindet.
Wenn Sie die Weichen für die Zukunft so stellen,
meine Damen und Herren, dann landet staatliche Frauenpolitik sicher auf dem Abstellgleis. Ich bin froh, daß
viele Frauenverbände und Frauenprojekte genau verfolgen, wie die Bundesregierung den Vertrag von Amsterdam und die Verpflichtungen der Weltfrauenkonferenz
umsetzen wird. Auch die PDS wird hier weiter Druck
machen, genau wie die NGOs.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, die Vorschußlorbeeren sind aufgebraucht. Die Frauen wollen endlich Taten sehen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat nun die
Kollegin Maria Eichhorn, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Entgegen der Ankündigung redet die Frau Ministerin jetzt zum Schluß.
({0})
Aber wir wissen genau, was sie sagen wird; denn all
die Reden vom vergangenen Jahr waren ähnlich. In der
Sache hat sie nichts zu sagen, und deswegen ist ihre Redezeit wahrscheinlich auf sechs Minuten begrenzt worden, weil sie mehr Zeit gar nicht füllen könnte.
({1})
Frau Ministerin, Sie sind bereits über ein Jahr im
Amt. Aber außer der Einbringung eines Gesetzentwurfes
zur bundeseinheitlichen Altenpflege haben Sie noch
nichts Konkretes auf den Tisch gebracht.
({2})
Alles andere sind nur Ankündigungen und Absichtserklärungen.
Frau Schewe-Gerigk, worüber soll man zum Einzelplan 17 streiten, wenn hier keine Politik gemacht wird?
Wo bleibt die Novellierung des Bundeserziehungsgeldgesetzes, das angeblich zum 1. Januar nächsten Jahres in
Kraft treten soll?
({3})
Sie reden immer davon, aber eine Gesetzesvorlage habe
ich noch nicht gesehen. Sie hatten in Ihrer Oppositionszeit genügend Zeit, sich darauf vorzubereiten.
({4})
Dieses eine Jahr ist jetzt verstrichen. Ihre eigenen Forderungen haben Sie noch nicht umgesetzt. Bisher Fehlanzeige!
({5})
Im Zusammenhang mit den Maßnahmen des Bundesfinanzministers zur Familienförderung sprechen Sie,
Frau Ministerin, von sozialer Gerechtigkeit. Lesen Sie
dazu nach, was die Fachleute bei der Anhörung zur Familienförderung zu diesem Thema gesagt haben. Einhellig wurde Ihnen bestätigt, daß zwar das Kindergeld
erhöht, aber auch die soziale Ungerechtigkeit verstärkt
wird. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Sie erreichen
mit dem Ansatz eines Betreuungsfreibetrages von 1512
DM pro Kind für einen Elternteil, daß 90 Prozent der
Alleinerziehenden eine erhebliche Verschlechterung in
Kauf nehmen müssen.
({6})
Bisher konnten Alleinerziehende bis zu 4 000 DM steuerlich absetzen. In Zukunft kommt die steuerliche Freistellung der Kinderbetreuungskosten nur einem kleinen Teil der Familien voll zugute, nämlich jenen mit einem hohen Jahreseinkommen. Hier beträgt die Entlastung 120 DM. Der Großteil der Familien aber, die auf
Grund des niedrigeren Einkommens Kindergeld
beziehen, bekommt nur 20 DM. Ist dies gerecht, Frau
Ministerin?
({7})
Deswegen haben die Familienverbände zu Recht gefordert, das Kindergeld statt um 20 DM um 120 DM zu erhöhen.
({8})
Das wäre eine sozial gerechte Konsequenz aus der steuerlichen Berücksichtigung des Betreuungsaufwandes für
Kinder, wie sie das Verfassungsgericht gefordert hat.
({9})
Durch Ihr Gesetz klafft die Schere in Zukunft noch mehr
auseinander.
Dazu kommt, daß der Betreuungsfreibetrag nur bis
zum 16. Lebensjahr des Kindes gewährt wird.
({10})
Können Sie mir erklären, warum für einen siebzehnjährigen Realschüler zwar Kindergeld gezahlt, aber kein
Betreuungsgeld gewährt wird?
({11})
Sozial ungerecht ist auch die Benachteiligung von Familien mit drei und mehr Kindern. Die Kindergelderhöhung gilt nur für das erste und zweite Kind. Bei drei
Kindern, bei vier Kindern heißt das in der Konsequenz,
daß die Kindergelderhöhung nicht 20 DM pro Kind,
sondern 10 DM pro Kind beträgt. Ist dies gerecht?
({12})
Mit der Erhöhung der Ökosteuer belasten Sie die
Familien, insbesondere die Familien mit mehreren Kindern. Vor allem Familien auf dem flachen Land haben
höhere Energiekosten zu tragen.
({13})
Ist dies vielleicht gerecht?
Die Familienförderung dieser Bundesregierung hat
eine soziale Schieflage; das haben die Familienverbände
festgestellt. Dies kann man nur unterstreichen. Reden
Sie also nicht von sozialer Gerechtigkeit, Frau Ministerin, sondern sorgen Sie dafür, daß diese soziale Schieflage beseitigt wird!
Wir haben in unserer Regierungszeit, nachdem Sie
1975 den Kinderfreibetrag abgeschafft hatten,
({14})
die Leistungen für Familien von 27 Milliarden auf 77
Milliarden DM verdreifacht. Das müssen Sie erst einmal
nachmachen.
({15})
Wir haben mit der Einführung von Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub, Anrechnung der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung neue Wege beschritten.
({16})
Ich sehe bei Ihnen keine neuen Ideen, mit denen Sie in
der Familienpolitik vorankommen können. Wir brauchen ein Gesamtkonzept zur Förderung von Familien.
Das ist aber bei Ihnen nicht in Sicht.
Frau Ministerin, das Internationale Jahr der Senioren ist bisher an Ihnen vorbeigezogen.
({17})
Nun endlich wollen Sie noch nächste Woche einen Seniorenkongreß veranstalten, bevor das Jahr zu Ende ist.
Es war unerhört, als Sie im Frühjahr dieses Jahres 500
Senioren aus ganz Deutschland nach Bonn eingeladen
haben,
({18})
sie aber drei Wochen vor der Veranstaltung aus parteipolitischen Gründen wieder ausgeladen haben.
({19})
So geht man mit Menschen, insbesondere mit älteren
Menschen, nicht um.
({20})
Ihre Rentendiskussion verunsichert die Senioren, die
Rentnerinnen und Rentner, aber auch die zukünftigen
Rentenempfänger. Am 17. Februar dieses Jahres hat
Kanzler Schröder in Vilshofen gesagt - ich zitiere -:
Ich stehe dafür, daß die Renten auch in Zukunft so
steigen wie das Nettoeinkommen. Das ist ein Prinzip, das wir nicht antasten werden.
Der Kanzler ist umgefallen. Denn mit dem Haushaltsbereinigungsgesetz wurde die Rentenanpassung für zwei
Jahre auf den Inflationsausgleich begrenzt. Eine tatsächliche Rentenreform, die die Renten wirklich saniert, ist
nicht in Sicht.
({21})
Die Wählerinnen und Wähler erwarten von Ihnen, daß
Sie in der Rentenpolitik endlich ein Konzept vorlegen.
({22})
Rente mit 60 ist keine Lösung des Problems.
({23})
Frauenpolitik findet bei Ihnen nicht statt. Es war zwar
die Rede von einem Gleichstellungsgesetz, doch die
Ministerin wurde sofort vom Kanzler zurückgepfiffen.
Ich habe Verständnis dafür, daß Ihnen das weh tut,
({24})
weil Sie in der Oppositionszeit ständig von mehr
Gleichberechtigung geredet haben. Jetzt, wo es um das
Umsetzen dieser Forderung geht, sind Ihnen die Hände
gebunden. Wir wissen ja, welchen Stellenwert Frauenpolitik beim Kanzler hat; denn wir können uns an das
Wort vom „Ministerium für sonstiges Gedöns“ noch
sehr gut erinnern. Frau Bergmann, setzen Sie sich bei Ihrem Kanzler endlich durch!
({25})
Jugendpolitik beschränkt sich auf das Programm für
arbeitslose Jugendliche. Dabei überbieten Sie sich gegenseitig mit angeblichen Erfolgen. Es wäre ja schön,
wenn dem so wäre. Nimmt man Ihr Programm etwas
näher unter die Lupe, dann muß man leider feststellen,
daß es sich nur um kurzfristige Überbrückungsmaßnahmen handelt. Betriebliche Ausbildungsplätze wurden
nur in ganz geringem Maße geschaffen. Wollen Sie auf
Dauer junge Menschen beschäftigen, müssen Sie neue
Stellen schaffen. Das beste Rezept dazu ist eine vernünftige Wirtschafts- und Steuerpolitik zur Schaffung
von Arbeitsplätzen. Aber hier haben Sie bisher kläglich
versagt.
({26})
Noch ein Wort zum Zivildienst. Bei der Einbringung
des Haushalts im September und auch heute wieder haben Ihre Redner die Katze aus dem Sack gelassen. Denn
mit den Haushaltskürzungen beim Zivildienst verfolgen
Sie gleichzeitig ein ideologisches Ziel, nämlich die
Gleichstellung des Zivildienstes mit dem Wehrdienst zu
erreichen. Damit höhlen Sie den Wehrdienst systematisch aus.
({27})
Die Einsparungen im Zivildienst treffen vor allem die
Wohlfahrtsverbände. Insbesondere bei den ambulanten
und teilstationären Diensten, bei der Betreuung von
kranken, alten und schwerbehinderten Menschen, sehen
die Organisationen beträchtliche Probleme auf sich zukommen. Auch wenn Sie noch so oft gebetsmühlenartig
vortragen, daß die Kürzungen nicht zu Lasten der Pflegeeinrichtungen gehen, ist es doch Tatsache, daß die
Verringerung der Dauer des Zivildiensteinsatzes von 13
auf elf Monate auch den Pflegebereich betrifft. Die Kürzung erhöht die Kosten und macht es insbesondere für
kleine Einrichtungen uninteressant, noch Zivis zu beschäftigen. Das kommt einem Stellenabbau gleich. Tatsache ist: Durch die Kürzungen beim Zivildienst belasten Sie zunächst die Wohlfahrtsverbände. Letztlich aber
gehen die Mehrkosten zu Lasten der Patienten, der Sozialversicherungen und der Kommunen. Ihre Politik ist ein
Verschiebebahnhof zu Lasten anderer.
Sie versuchen immer wieder, von Ihrem eigenen Versagen abzulenken,
({28})
indem Sie auf die angebliche Kohlsche Erblast hinweisen. Haben Sie denn ein so kurzes Gedächtnis, daß Sie
schon wieder vergessen haben, daß der Bund durch die
Hinterlassenschaft des SED-Regimes 450 Milliarden
DM Schulden übernehmen mußte und daß der Nettotransfer für den Aufbau nach 40 Jahren kommunistischer
Mißwirtschaft den Bundeshaushalt seit 1990 mit 600
Milliarden DM belastet?
({29})
Wenn es nach Schröder, Lafontaine und Fischer gegangen wäre, gäbe es diese Kosten natürlich nicht. Denn
diese Herren waren gegen die deutsche Einheit.
({30})
Die Debatte über den Haushalt soll einen Einblick in
die Ressortpolitik geben. Bisher haben Sie, Frau Ministerin, in Ihrem Ressort noch nichts vorzuweisen. Ich
bin gespannt, wann Ihre Ankündigungen und Absichtserklärungen endlich in die Tat umgesetzt werden.
({31})
Das Wort hat die
Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Christine Bergmann.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Ziel war
es, den erforderlichen Konsolidierungsbeitrag von 880
Millionen DM zu erreichen, und zwar ohne Einschnitte
in die familienpolitischen Leistungen, ohne Einschnitte
in den Kinder- und Jugendplan, ohne die Mittel für die
Frauenprojekte oder für den Bundesaltenplan zu kürzen.
Das ist, so möchte ich feststellen, gelungen.
({0})
Das ärgert Sie. Sonst würden Sie nicht mit solch billiger
Polemik oder mit solch abenteuerlichen Berechnungen
kommen. Herr Kolbe, Sie haben mir richtig leid getan,
wie Sie die Mathematik bemühen mußten.
Daß dies gelungen ist, ist eine gute Nachricht für die
Familien, für die Jugendlichen, für die Frauen und auch
für die Senioren in unserem Lande. Ich möchte mich an
dieser Stelle bei allen herzlich bedanken, die mitgeholfen haben, daß das funktionieren konnte: bei dem zuständigen Fachausschuß und natürlich auch beim Haushaltsausschuß. Herzlichen Dank!
Wir machen mit diesem Haushalt deutlich, daß es
möglich ist, auch unter Berücksichtigung der notwendigen Konsolidierung Zukunft zu gestalten. Wir wollen
die Menschen beteiligen. Wir wollen ihnen die Chance
bieten, ihre Fähigkeiten in allen Bereichen einzubringen.
Das ist unser Bild von Gesellschaftspolitik, und das will
ich auch in meinen Bereichen deutlich machen. Hören
Sie gut zu, Frau Eichhorn, das kann nichts schaden.
({1})
- Herr Kolbe kann nicht rechnen, Frau Eichhorn kann
offensichtlich nicht lesen.
Mit unserem Programm „Frau und Beruf“ - das ist
hier ja schon mehrfach angesprochen worden - arbeiten
wir auf eine tatsächliche Chancengleichheit von Frauen
in der Arbeitswelt hin. Das mag vielleicht nicht allen
recht sein, aber es ist so. Nun lesen Sie doch einmal dieses Programm - manchmal hilft das ja -, und überlegen
Sie sich, was wir davon schon umgesetzt haben! Das ist
nämlich eine ganze Menge. Einige Maßnahmen wie zum
Beispiel das Existenzgründungsprogramm laufen schon,
andere sind im Gesetzgebungsverfahren. Das Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst beispielsweise ist - das wissen auch Sie - jetzt in der Vorabstimmung.
Herr Kolbe, ich habe mich richtig gefreut - ich habe
Sie gar nicht wiedererkannt -, daß Sie so dringend auf
ein Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft
warten. Das ist mir neu.
({2})
Ich lade Sie zur Zusammenarbeit ein, wenn es um die
Formulierung einer gesetzlichen Regelung geht, die die
Frauen hier voranbringen soll.
Frau Bläss, wir sind am Thema „gender mainstreaming“ dran. Aber Sie wissen, daß das ein dickes Brett
ist, das wir gemeinsam bohren müssen. Zu alledem, was
an Forderungen in bezug auf den nationalen Aktionsplan
zur Bekämpfung von Gewalt kam, sage ich: Warten Sie
einmal die nächsten Wochen ab! Nächste Woche beraten
wir darüber im Kabinett; da wird noch jeder seinen Teil
beitragen können.
Ich will in diesem Bereich noch einen Punkt ansprechen - auch der ist Ihnen wahrscheinlich bisher entgangen -, der deutlich macht, wie ernst es uns ist mit der
Herstellung der Chancengleichheit von Frauen in der
Erwerbsarbeit. Die gesamte Informations- und Kommunikationstechnologie stellt mittlerweile einen großen Bereich des Arbeitsmarktes dar. In diesem Bereich gibt es
viel zu wenige Frauen, sowohl in den Ausbildungsberufen als auch in den Studiengängen. Wir haben in unserem Programm festgelegt, eine Quote von 40 Prozent zu
erreichen. Wir haben ganz praktische Programme;
schauen Sie sich an, was wir mit der Initiative
„Deutschland 21 - Aufbruch in das Informationszeitalter“, die vom Bundeskanzler ins Leben gerufen wurde,
erreichen wollen. Hier arbeiten wir mit großen Unternehmen wie IBM, Hewlett Packard oder debis zusammen. Hier gewinnen wir Frauen für den IT-Bereich, hier
schaffen wir Ausbildungsplätze speziell für Frauen. Wir
gehen in die Schulen und werben bei den Mädchen. Sie
können sich das einmal ansehen. So sieht das, über das
Sie immer nur schön reden, ganz praktisch aus. Ich denke, mit dieser Form von „public private partnership“ gehen wir neue Wege.
({3})
Ich komme nun zum nächsten Bereich, zur Kinderund Jugendpolitik. Auch hier geht es uns um die Integration junger Menschen in Staat und Gesellschaft. Wir
setzen auf die Integration und wollen Jugendliche aktivieren. Wir haben mit dem kleinen Programm „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen
Brennpunkten“, das wir an das große Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit andocken, genau
dieses Ziel im Auge. Mit ihm wollen wir die schwierigsten Jugendlichen erreichen, wir wollen, daß sie sich vor
Ort engagieren, daß sie zusammen mit den Schulen, mit
der Jugendhilfe und den Betrieben Projekte entwickeln.
Wir bieten ihnen ein soziales Trainingsjahr und den Anschluß in die Ausbildung an.
Das Programm umfaßt genau die Jugendlichen, um
die Sie sich in den letzten Jahren überhaupt nicht gekümmert haben. Das möchte ich einmal ganz klar sagen.
({4})
Sie stellen sich auch jetzt immer noch hier hin und sagen, daß Sie für diesen Bereich keine Mark ausgeben
wollen. Ihre regelmäßige Intervention gegen das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
spricht wirklich Bände.
Meine Damen und Herren, wir arbeiten natürlich
auch im Bereich der Seniorenpolitik am Thema Partizipation. Frau Eichhorn, was Sie sagten, war ja wirklich
abenteuerlich; offensichtlich ist einiges an Ihnen vorbeigegangen, so zum Beispiel die vielen Veranstaltungen
im Internationalen Jahr der Senioren, die darauf gesetzt
haben, Strukturen zu schaffen, mit denen die aktiven
Älteren - die älteren Menschen sind heute anders als vor
30 Jahren - in die Gesellschaft einbezogen werden können.
Ich war bei vielen Veranstaltungen anwesend, und ich
freue mich, daß wir in der nächsten Woche die Veranstaltung „Alt und Jung im Parlament“ durchführen. Ich
bedanke mich bei allen, die sich schon angemeldet haben. Unter normalen zivilisierten Mitteleuropäern wird
man doch wohl Verständnis dafür haben, daß hin und
wieder ein Termin verlegt werden muß. Das soll gelegentlich vorkommen, und zwar nicht nur bei uns, sondern auch anderswo. Wir führen die Veranstaltung in der
nächsten Woche durch, und ich denke, daß sie erfolgreich wird.
({5})
Ich komme nun zur Familienpolitik. Herr Kolbe, ich
glaube, ich muß Ihrem Gedächtnis ein wenig auf die
Sprünge helfen. Wir haben nämlich nicht auf die Beschlüsse von Karlsruhe gewartet. Wir haben schon vorher durch Steuerentlastung und Kindergelderhöhung gehandelt.
({6})
- Nein, das hatten wir schon vorher beschlossen und
umgesetzt. - Wir haben den Grundfreibetrag erhöht, und
wir haben jetzt einen weiteren Schritt mit der Umsetzung getan. Damit haben wir mehr getan als das, wozu
uns Karlsruhe verpflichtet hat. Auch das müssen Sie akzeptieren.
({7})
- Wir haben mehr getan, als die CDU/CSU wollte. Aber
das sind wir ja gewöhnt, das war schon immer so. Sie
müssen die Tatsachen zur Kenntnis nehmen. Wir haben
doch bereits vor ein paar Tagen eine Debatte darüber geführt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mit vielen
Familienverbänden gesprochen. Natürlich hätten alle
gerne mehr - ich auch -, aber sie akzeptieren, daß wir in
diesem Jahr sehr viel mehr getan haben, als in den Jahren Ihrer Regierungszeit getan wurde. Das akzeptieren
im übrigen auch die Verbände der Alleinerziehenden.
Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
({8})
Sie fragen, wann unser Gesetz in Kraft tritt. Wir sind
mit dem Gesetz zur Änderung des Erziehungsurlaubs im
Moment in der Ressortabstimmung. Ich denke, das ist
eine gute Sache. Familien können den Erziehungsurlaub
dann flexibler handhaben, und Erwerbsarbeit und Familie können besser in Übereinstimmung gebracht werden.
Natürlich sind das Ideen, über die schon in der vergangenen Legislaturperiode in der SPD diskutiert wurde.
Vorhin führten wir die Debatte darüber, wer eher da
war. Daß Sie jetzt nachziehen, ist erfreulich. Sie können
das ja gern unterstützen.
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluß
möchte ich noch einen Satz zum Zivildienst sagen. Wir
haben dort Einsparungen vorgenommen. Aber es geht
nicht nur um Einsparungen. Ich halte sie für gerechtfertigt. Es ist eine schon lange bestehende politische Forderung, ein Stück mehr Gleichheit zwischen Zivil- und
Wehrdienst zu erreichen.
({10})
Zu Herrn Seifert möchte ich noch sagen: Wir befinden uns im Gespräch mit den Verbänden. Wir werden
dafür sorgen, daß das vernünftig läuft. Wir haben genug
Stellen. Wir haben den Einsatzstellen sehr viel mehr
freie Hand gelassen, das so zu regeln, daß die Übergänge gut gestaltet werden können.
Ich denke, daß wir alles in allem die richtigen Maßnahmen getroffen haben
({11})
und daß das, was wir in der kurzen Zeit geleistet haben,
im Vergleich zu dem, was Sie die 16 Jahre vorher gemacht haben, durchaus sehenswert ist.
Danke schön.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17 - Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend - in der Ausschußfassung. Es liegen
zwei Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor, über
die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/2127? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/2128? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDSFraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 17 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 17 ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der CDU/CSU, F.D.P. und PDS
angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
- Drucksachen 14/1907, 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Schneider
Matthias Berninger
Heidemarie Ehlert
Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
- Drucksachen 14/1916, 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Schneider
Matthias Berninger
Dr. Christa Luft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
Fraktion der CDU/CSU der Kollege Hans Jochen
Henke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es hier mit einem kleinen, feinen Schlüssel- und
Querschnittsressort zu tun, welches sehr viel mehr und
sehr viel besser als viele große Einzelpläne Strukturen
erkennen, analysieren und bewerten läßt. Aber auch der
Haushalt dieses kleinen Ressorts fügt sich in den Gesamthaushalt mit der Bewertung der Zukunftsentwicklung ein, wie wir ihn in der Vergangenheit beraten haben und jetzt in zweiter und dritter Lesung beraten.
An der Stelle erlauben Sie mir zum Generellen folgende kurze Anmerkung, Herr Kollege Diller. Ich
glaube, es gab seit langem, wenn überhaupt jemals,
keine so unglaubliche Ausgangssituation für einen Finanzminister, wie sie Minister Eichel zur Zeit vorfindet.
Diese beruht nicht nur auf den inzwischen beherrschbaren Folgen der deutschen Wiedervereinigung - ein Jahrhundertwerk -, sondern auch auf der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung in Deutschland, in Europa, ja
weltweit mit unglaublich günstigen Rahmenbedingungen. Es liegt national eine einmalig günstige Ausgangssituation hinsichtlich der Inflation und vor allen Dingen
hinsichtlich des Kapitalmarkts vor. Hinzu kommt, daß in
der jetzigen Phase eigentlich alles auf Reformschritte
wartet. Zu keinem Zeitpunkt waren - dies nicht zuletzt
vor dem Hintergrund Ihrer Ankündigungen - die Erwartungen so hoch wie jetzt.
Was tun Sie? Ich gebe zu, Sie sparen. Aber das liegt
weit unter dem, was Sie nominell angeben, was Ihnen
Sachverständige empfehlen und was die Haushaltssituation eigentlich zuließe. Sie reden von Reformen im
Steuerbereich, im Gesundheitsbereich, im Rentenbereich. Was aber tut der Finanzminister als zuständiger
Querschnittsminister? Er deckelt im wesentlichen. Die
Weichenstellungen, die die notwendigen Impulse geben
müßten, fehlen.
Warum schicke ich das voran? Ich mache dies, weil
sich der Einzelplan 07 des Bundesministeriums der Justiz sehr schön dazu eignet, im einzelnen zu analysieren,
wie sich der Finanzminister zu den einzelnen Punkten
wirklich verhält. Dieser kleine Einzelplan ist an manchen Stellen signifikant dafür - wovon Herr Eichel
heute morgen gesprochen hat -, wie in eine solide Finanzpolitik eingestiegen werden könnte. Das, was er
jetzt macht - sich an Zuwachsraten von 2 Prozent zu
orientieren -, hat schon Herr Waigel gekonnt.
Im Bereich der Justiz - ich knüpfe an das an, was ich
bereits bei der ersten Lesung ausgeführt habe - haben
wir eine bemerkenswerte Personal- und Gebührenexpansion ebenso wie eine Expansion wichtiger Sachkosten zu
gewärtigen. Das reicht - man höre und staune - von den
Telefon- und Kommunikationskosten, die eigentlich
überall sinken - bei der Justiz steigen sie -, bis hin zu
den Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit, die ebenfalls
steigen.
Es gibt ein wunderschönes Beispiel dafür, daß Privatisierung auch bei der Justiz angesagt ist. Der kleine
Einzelplan 07 fällt immerhin dadurch auf, daß außerordentliche Erträge zu gewärtigen sind. Nur, die gelieferten Begründungen waren alles andere als überzeugend
und in jeder Hinsicht nachvollziehbar. Die Stichworte
heißen „Bundesanzeiger“ und „juris“. Im einen Fall waren es Kapitalrückzahlungen, und im anderen Fall waren
es Gewinnausschüttungen.
Über den Einzelplan 07 hinaus fällt jetzt beim Einzelplan 60 auf, daß genau diese Einrichtungen plötzlich
auf der Liste der Unternehmungen erscheinen, die privatisiert werden sollen. Als wir im Rahmen der Haushaltsberatungen beim Justizministerium nachgefragt haben, konnte oder vielleicht wollte man uns keine Auskunft geben. Offenbar weiß der Finanzminister hier wie in anderen Bereichen - sehr viel mehr.
68,1 Millionen DM sind einzusparen. 55,5 Millionen
DM werden durch steigende Gebühren eingenommen;
das heißt, 12,6 Millionen DM werden real eingespart.
Wenn man sich das noch differenzierter anschaut, dann
erkennt man, daß sich noch etwas viel Erstaunlicheres
ergibt. Der Haushalt des Bundesjustizministeriums
- wer weiß, welche großen Projekte sich in der Phase
fortgeschrittener Realisierung befinden - weist einen
Rückgang der Investitionen um 29 Millionen DM - das
sind rund 4 Prozent des Haushaltsvolumens - auf.
Tatsächlich wird der Haushalt des Justizministeriums
insgesamt aber nur um 23 Millionen DM zurückgeführt.
Es werden also noch nicht einmal die nominalen Minderausgaben bei den Investitionen weitergegeben.
18 Millionen DM sollen in diesem Zusammenhang über
die Effizienzrendite erwirtschaftet werden, wohingegen
- ich habe es bereits gesagt - Personalkosten und Verwaltungskosten deutlich ansteigen.
Frau Ministerin, 48 Millionen DM erhält das Patentund Markenamt zusätzlich. 7,5 Millionen DM gehen
zusätzlich an das Bundeszentralregister. Rund 75 Stellen
werden beim Patent- und Markenamt geschaffen. Wir
haben uns bereits in der ersten Lesung über dieses Thema ausgetauscht. Ich möchte ganz klar unterstreichen:
Gerade diesem Amt kommt eine Schlüsselfunktion zu.
Darüber besteht weitgehend Konsens. Es müssen alle
Anstrengungen unternommen werden, in diesem Amt zu
rationalisieren, zu modernisieren und seine Entwicklung
im Hinblick auf Innovations- und Zukunftssicherung
auszurichten. Dies sollte aber nicht allein über eine Erhöhung der Anzahl der Stellen und schon gar nicht über
Gebührenerhöhungen erfolgen. Den Einnahmen in Höhe
von 373 Millionen DM stehen bereits jetzt Ausgaben in
einer Größenordnung von lediglich 318 Millionen DM
gegenüber.
Wir haben gemeinsam mit dem Rechnungshof und
anderen erhebliche Zweifel, ob die Investitionen in
EDV, in zukunftsorientierte Organisation und Umstrukturierung nunmehr durch eine solch gewaltige
Stellenexpansion noch aufgestockt werden müssen. In
einem Zeitalter, in dem durch Informations- und Kommunikationstechniken, durch das Internet und durch
elektronische Kommunikation und Datentransfer auch
auf dem Gebiet der Patentanmeldungen und -bearbeitungen ganz neue Entwicklungen auf uns zukommen, ist
in allererster Linie keine gewaltige Personalvermehrung,
sondern eine Umstrukturierung vonnöten.
Die Zahlen, Daten und Aussagen von 1992 können
fast zehn Jahre später nicht einfach fortgeschrieben werden. Es wäre schön gewesen, wenn das, was wir gefordert haben, von Ihnen berücksichtigt worden wäre und
wenn man das gegenübergestellt, qualifiziert und bewertet hätte, was künftig eingespart werden kann, was in
bestimmten Bereichen anders gemacht werden kann und
was erhöht werden kann. Wenn dies gemacht worden
wäre, dann wäre es nachvollziehbar und in sich stimmig
gewesen. Vielleicht kann dies noch nachgeholt werden.
Sie beantragen für Ihr Haus fünf zusätzliche Stellen.
Die Begründung in der Vorlage für die Berichterstatter
lautet: Die zahlreichen und wichtigen in der Koalitionsvereinbarung festgestellten rechtspolitischen Vorhaben
machen eine Verbesserung der Personalausstattung erforderlich. Sie haben unlängst - ich glaube, es war am
12. November dieses Jahres - festgestellt, daß das Ministerium durch Sie aus dem Dornröschenschlaf wachgeküßt worden sei und nunmehr große Reformen bewältigt
werden könnten.
Wir appellieren einmal mehr an Sie: Setzen Sie das
um, was in verschiedenen Gutachten festgestellt worden
ist! Restrukturieren Sie Ihr Haus! Dies motiviert die Mitarbeiter mehr als die Aussage, Sie hätten das Ministerium
wachgeküßt. Mir liegt eine Liste von 17 signifikanten Reformvorhaben aus der letzten Legislaturperiode vor. Dies
spricht im Grunde eine ganz andere Sprache.
Ich verweise pauschal auf das, was ich bereits in der
ersten Lesung zu wichtigen Reformprojekten gesagt habe. Nicht alles, was diskutiert wird - die Einführung eines dreistufigen Gerichtsaufbaus und andere Projekte -,
ist so überzeugend, daß es hohen Ansprüchen genügt
und eine Realisierung gewärtigen kann.
Lassen Sie mich auf einen Punkt eingehen, der ebenfalls vorhin angesprochen wurde, nämlich den europäischen Rechtsraum. Wir erinnern uns alle, was Sie im
Vorfeld der deutschen Präsidentschaft hier und anderwärts angekündigt haben. Frau Ministerin, es war eine
singuläre Chance, zu Beginn dieser Regierung und Ihrer
Amtszeit eine qualifizierte Bilanz zu ziehen. Diese fehlt.
Schade, daß die Chancen und Möglichkeiten, im europäischen Kontext qualifizierte Verbesserungen im Bereich der internationalen Zusammenarbeit, der Strafsachen und der abgestimmten Konzepte zur grenzüberschreitenden Verbrechensbekämpfung zu realisieren,
nicht genutzt wurden.
Lassen Sie mich zwei andere Punkte ansprechen. Wir
sind nach wie vor gegen das Forum der Kriminalprävention und gegen die Errichtung einer Servicestelle im
Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs. Die Neuordnung
des Länderfinanzausgleichs, die wir gemeinsam bewältigen müssen, gibt uns - unabhängig von den unterschiedlichen Positionen in der Sache - einmal mehr
recht: Institutionen, die von Bund und Ländern gemeinsam finanziert werden, sind unangemessen. Solche Institutionen wären, wenn sie denn in der Sache plausibel
und überzeugend sind, Sache der Länder. Die Länder
wollen überwiegend gar nicht mitmachen.
Ich habe eingangs gesagt: Ihr Haus ist ein Schlüsselund Querschnittsressort. Sie haben eine überragende
Verantwortung für Verwaltungsvereinfachung, für Entbürokratisierung und für Verschlankung. Es gibt hier
wie in anderen Bereichen unheimlich viel zu tun. Vielleicht können Sie uns im Hinblick auf die Zukunftsorientierung Ihres Hauses auch im Rahmen der zweiten
und dritten Lesung einige Ausführungen dazu machen.
Für uns ist das, was im Rahmen des Einzelplans auf dem
Tisch liegt, wenig überzeugend und vor allen Dingen zu
wenig zukunftsorientiert, als daß wir dem zustimmen
könnten. Wir werden den Einzelplan 07 ablehnen.
Danke schön.
({0})
Für die SPDFraktion spricht jetzt der Kollege Carsten Schneider.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt des Bundesministeriums der Justiz, der Einzelplan 07, sieht als Ergebnis der Beratungen des Haushaltsausschusses Ausgaben in Höhe von 693,6 Millionen DM vor. Damit beträgt der Anteil an den Gesamtausgaben des Bundeshaushalts gerade einmal 0,145 Prozent. Nun ist die gesamtgesellschaftliche Bedeutung eines Ressorts nicht an
dessen Etathöhe auszumachen. Im Fall des Justizministeriums gilt vielmehr: klein, aber fein und vor allem
wichtig.
({0})
Ist doch die Pflege, Anpassung und Entwicklung der
Rechtsordnung eine der ureigenen Grundlagen und Aufgaben von Politik!
Mit dem vorliegenden Haushaltsplan ist es gelungen,
der Bedeutung des Ressorts - die auch Sie, Herr Kollege
Henke, eben hervorgehoben haben und die ich ähnlich
sehe - Rechnung zu tragen. Dies war möglich, obwohl
auch der Justizhaushalt seinen Anteil an der Haushaltskonsolidierung geleistet hat.
Bevor ich auf den vorliegenden Einzelplan eingehe,
noch kurz einige Anmerkungen zum Gesamtrahmen. Bei
einer Gesamtverschuldung - das vergessen Sie ab und
zu - von 1,5 Billionen DM und auf Grund der Tatsache,
daß jede vierte Steuermark zur Zahlung von Zinsen
verwendet wird, wäre es meines Erachtens an der Zeit,
daß die Opposition endlich die Verantwortung für das
finanzpolitische Desaster übernimmt, das sie hinterlassen hat.
({1})
Ihre Kritik am Sparhaushalt bzw. am gesamten Zukunftsprogramm ist in sich widersprüchlich. Auf der
einen Seite behaupten Sie, daß eigentlich gar nicht in der
angegebenen Höhe gespart wird, daß nicht intelligent
gespart wird,
({2})
was natürlich auch nicht dadurch richtiger wird, daß das
hier jeder Redner wiederholt. Auf der anderen Seite begeistert sich ausgerechnet die Union für den von ihr immer gescholtenen Keynes und entwickelt die Theorie,
daß Herr Minister Eichel eigentlich alles kaputtspare.
Liebe Freunde von der Union: Was ist denn nun eigentlich Ihr Kurs? Permanente Mehrausgaben verlangen und
irrationale Steuervorschläge machen führt doch viel
weiter in den Schuldenstaat.
Ich bin froh, daß wir diesen Kurs verlassen.
({3})
Die Bundesregierung spart, aber sie spart nicht kaputt,
weil die Grundlagen für ein weiteres Wirtschaftswachstum nur auf der Basis solider Finanzen geschaffen werden können. Es wirkt nicht glaubhaft, wenn die Union
nun die Position der PDS bezieht, nur weil es Wählerstimmen verspricht. Das Gegenteil von dem ist richtig.
Der Haushalt muß nachhaltig konsolidiert werden. Dazu
gibt es leider keine Alternative.
Die momentane Situation kann meines Erachtens
schon aus zweierlei Gründen auf Dauer so nicht fortgeschrieben werden. Zum einen ist die gegenwärtige Einengung des haushaltspolitischen Handlungsspielraums
aus ordnungs-, sozial- wie wirtschaftspolitischen Gründen nicht länger hinnehmbar. Zum anderen leben wir
heute auf Kosten der jetzt jungen oder noch nicht einmal
geborenen Generation. Es ist daher eine Frage der Generationengerechtigkeit, daß wir die Aufblähung des
Haushalts auf Pump eindämmen. Ich sehe die Koalition
dabei auf dem einzig richtigen Weg und unterstütze diesen Kurs nachhaltig.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun zum Einzelplan
07. Die Beratungen im Haushaltsausschuß, insbesondere
die Beratungen zum Justizhaushalt, waren trotz der
Schärfe in der Debatte hier insgesamt von einer konstruktiven Haltung aller Beteiligten geprägt. Sie konnten somit auch zu einem guten Abschluß gebracht werden.
Der Einzelplan 07 sieht, wie schon erwähnt, Ausgaben in Höhe von 693,6 Millionen DM vor. Diese sind
somit gegenüber dem Regierungsentwurf um zirka 14
Millionen DM und gegenüber dem Haushalt 1999 um
zirka 37 Millionen DM geringer. Diese Verringerungen
sind zum einen Ergebnis gewissenhafter Sparanstrengungen gewesen.
({5})
Zum anderen sind sie Resultat des aus Gründen der Effektivität und Klarheit im Einvernehmen durchgeführten
Wechsels von Kap. 07 12 - Gemeinschaftsdienste - in
das Kap. 12 04.
({6})
Ungeachtet dessen haben solche Sparanstrengungen
in Anbetracht der Tatsache, daß der Anteil an Personalausgaben und personalgebundenen Sachausgaben sehr
hoch, nämlich bei über 80 Prozent, liegt, ausdrücklich
Anerkennung verdient.
Noch einmal zu Ihnen, Herr Kollege Henke. Sie sagten gerade, die Einsparauflage sei im Justizressort so
nicht erfüllt. Wenn Sie sich den Haushalt 2000 anschauen, dann werden Sie feststellen, daß die Einsparauflage
bei 54,3 Millionen DM liegt. Sie wird sogar übererfüllt,
und zwar durch eine Einnahmeverbesserung - ich komme noch darauf zu sprechen -, aber auch durch eine
Ausgabenreduzierung. Das Einsparvolumen beläuft sich
auf 68 Millionen DM. Ich denke, diese Übererfüllung
kann sich sehen lassen.
({7})
Die Personalausgaben betragen 438,1 Millionen DM,
die sächlichen Verwaltungsausgaben 147,8 Millionen
DM. 22 Millionen DM entfallen auf Zuweisungen und
Zuschüsse. 103,3 Millionen DM sind Ausgaben für Investitionen, darunter in diesem Jahr 35 Millionen DM
für die Herrichtung des ehemaligen Reichsgerichtsgebäudes in Leipzig für das Bundesverwaltungsgericht.
Lassen Sie mich an dieser Stelle meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß das Bundesarbeitsgericht seit dem gestrigen Tage als erstes oberstes Bundesgericht seine Arbeit in Erfurt aufgenommen hat. Ich
meine, das ist ein wichtiger und gelungener Schritt zur
Vollendung der deutschen Einheit.
({8})
Wie dem Haushaltsplan zu entnehmen ist, konnte jedoch auf eine angemessene Erhöhung der Einnahmen
nicht verzichtet werden. Infolgedessen wird die Gebühr
für die Erteilung eines polizeilichen Führungszeugnisses
um 5 DM auf 20 DM angehoben. Die Gebühren für Leistungen des Deutschen Patent- und Markenamts in
München und der Außenstelle in Jena werden im Mittel
um 15 Prozent erhöht. Diese erste Erhöhung nach 23
Jahren ist aber meines Erachtens gerechtfertigt. Sie
macht sich am stärksten bei der Aufrechterhaltung eines
langjährigen Patentes bemerkbar, also vom 15. bis zum
20. Jahr. Wenn das Patent in Ordnung ist und man damit
Geld verdient, kann man meines Erachtens auch mehr
Geld dafür bezahlen. Existenzgründer und Kleinunternehmer - das muß man einmal ganz klar feststellen zahlen erschwingliche Preise für Anmeldung und Prüfung. Das wird insbesondere dann deutlich, wenn man
diese Preise mit denen des Europäischen Patentamtes
vergleicht, das bedeutend höhere Kosten in Rechnung
stellt.
({9})
Ein Teil der höheren Gebühreneinnahmen des
Deutschen Patent- und Markenamtes - da widerspreche
ich Ihnen, Herr Kollege Henke - kommt der Anmelderschaft direkt zugute. Wir haben ja - auch das ist eine
Erblast Ihrer Regierungszeit - beim Patent- und Markenamt eine wahnsinnig hohe Bugwelle von Anmeldungen,
die noch nicht bearbeitet wurden. Die durchschnittliche
Wartezeit liegt bei fast einem Jahr. Dies wollen wir ändern. Wir wollen eine innovations- und mittelstandsfreundliche Politik machen; es soll dort zügig vorangehen. Deswegen haben wir bereits in den vorigen Haushalt mehr Geld für Personal eingestellt. Auch in diesem
Jahr wird die Zahl der Stellen für Patentprüfer um 49
und die für Markenprüfer um 10 erhöht.
({10})
Ich glaube, daß auch durch den Justizhaushalt deutlich
wird, daß der Politikwechsel zu einem Richtungswechsel geführt hat, hin zu einer innovativen, erfinder- und
mittelstandsfreundlichen Politik.
Nun zum Einzelplan 19, dem des Bundesverfassungsgerichtes: Mit 27 Millionen DM ist er der kleinste
Etatposten im Bundeshaushalt. Auf Vorschlag der
Koalitionsfraktionen konnten während der Haushaltsberatungen im Einvernehmen Finanzierungsmittel für
fünf weitere Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter
eingestellt werden. Die Notwendigkeit für diese Aufstockung resultiert aus der gestiegenen Arbeitsbelastung
insbesondere durch anhängige Verfahren im Rahmen
der deutschen Einheit. Ich denke, daß es neun Jahre nach
der deutschen Einheit sinnvoll und wünschenswert ist,
daß diese Verfahren möglichst schnell abgeschlossen
werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über die
Mittelausstattung für das Justizministerium oder das
Verfassungsgericht entscheiden, entscheiden wir auch
über die Rechtsprechung.
({11})
Das darf man nicht aus den Augen verlieren. In der
Politik gibt es meines Erachtens zwei schädliche Tendenzen: Einerseits werden Gerichte bemüht, weil Politik
nicht in der Lage ist, selbständig einen Ausgleich und
eine Lösung bei auseinanderstrebenden Interessen
zu finden. Andererseits werden Urteile einfach nach
Lust und Laune kritisiert, oder es wird sogar gefordert, daß sie aufgehoben werden. Die jüngste Klage
vor dem Bundesverfassungsgericht von Bayern und anderen Ländern ist nichts anderes als eine Beschäftigungsmaßnahme für dieses höchste deutsche Gericht
gewesen.
({12})
Wenn aber einige Länder eine Showveranstaltung
durchführen wollen, brauchen wir dafür keine zusätzlichen Stellen im Haushalt zu bewilligen. Es ist allerdings
ganz schön, wenn ein Urteil des Verfassungsgerichtes,
bei dem es einmal nicht um Kreuze in Klassenzimmern
geht, sogar vom Lande Bayern begrüßt wird.
Wenn alte Streithähne Gerichte nur benutzen, um sich
in der Öffentlichkeit besser zu präsentieren, schadet dies
dem Ansehen der Politik. Das sage ich als Vertreter einer jungen Generation, bei der Politik erst einmal wieder
um Vertrauen werben muß.
({13})
Ein letztes Wort noch zu der Frage, ob alle Konflikte
nur vor Gerichten gelöst werden können. Selbstverständlich nicht! Wir wollen, daß es auch außerhalb des
Gerichtssaales zu einem Ausgleich zwischen Opfer
und Täter kommen kann. Deswegen wollen wir gemeinsam mit allen Ländern den Täter-Opfer-Ausgleich
weiter fördern und das Servicebüro der Deutschen Bewährungshilfe in Köln weiter aufrechterhalten.
({14})
Die Halbierung der Mittel aus dem Jahre 1995 haben wir
bereits im Haushalt 1999 wieder rückgängig gemacht.
Der Bundeszuschuß in Höhe von 300 000 DM bleibt
auch im nächsten Haushaltsjahr konstant.
Mindestens genauso wichtig wie die Bekämpfung
von Kriminalität und Strafverfolgung ist die Verhinderung von Kriminalität, ihre Prävention. Deswegen haben wir das Deutsche Forum für Kriminalprävention gegründet. Aber gerade die Länder, die uns ihren Reichtum erst jetzt wieder vor dem Bundesverfassungsgericht
bewiesen haben, wollen sich nicht daran beteiligen.
({15})
Zum Schluß meiner Rede möchte ich den Kolleginnen und Kollegen Berichterstattern noch einmal für die
konstruktive Atmosphäre während der Beratungen danken. Ihnen, Herr Kollege Henke, vielen Dank für Ihre
konstruktive Mitarbeit. Sie geben die Betreuung dieses
Einzelplanes ab und übernehmen eine andere Aufgabe.
Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg. Last, not least danke ich der Frau Ministerin und ihren Mitarbeitern im
Justizministerium für ihre zielgerichtete und kooperative
Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat der
Kollege Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Seit über einem Jahr sind Sie, Frau
Ministerin, im Amt und leiten das Bundesjustizministerium. Sie haben - anders als Ihre Kollegen aus dem
Bundesfinanzministerium, Bundesarbeitsministerium
und dem Bundesgesundheitsministerium - der Versuchung widerstanden, mit Schnellschüssen und unüberlegten Änderungen der zahlreichen, in der 12. und
13. Legislaturperiode vorgenommenen Reformvorhaben
an die Öffentlichkeit zu treten.
Sie haben gleich zu Beginn Ihrer Tätigkeit die Justizreform als Ihre wichtigste Aufgabe bezeichnet und die
Dreistufigkeit des Gerichtsaufbaus propagiert. Mit der
öffentlichen Forderung nach der Dreistufigkeit sind Sie
inzwischen etwas zurückhaltender geworden,
({0})
weil Sie erkannt haben werden, daß zumindest in den
Flächenstaaten der dreistufige Aufbau der Justiz zunächst teurer und wahrscheinlich auch nicht effektiver
sein wird.
({1})
Statt dessen haben Sie nunmehr nach über einem Jahr
den ersten Arbeitsentwurf einer Teilrechtsmittelreform
vorgelegt, der genau in die falsche Richtung geht - das
zeigt der Entwurf sehr deutlich -, nämlich auch in die
der Dreistufigkeit des Gerichtsaufbaus. Der Ansatz für
die Justizreform kann und darf nicht die Verkürzung von
Rechtsmitteln des Bürgers, sondern muß der Rechtsfrieden sein.
({2})
Eine ordnungsgemäße Rechtspflege ist ein Bürgerrecht
und darf nicht aus fiskalischen Gesichtspunkten eingeschränkt werden; statt dessen sollten alle Möglichkeiten
genutzt werden, auch und insbesondere organisatorische
und technische Mittel anzuwenden, um die Effektivität
der Gerichte zu steigern. Justiz ist - wie auch die Innenpolitik - eine Kernaufgabe des Staates. Sie dient dem
Rechtsfrieden in der Gesellschaft und kann demgemäß
nicht zur Disposition gestellt werden.
Meine Damen und Herren, ich habe eingangs die
mangelhaften Vorlagen des Bundesarbeitsministers, des
Bundesfinanzministers und auch der Bundesgesundheitsministerin erwähnt. Hier wäre es Aufgabe der Bundesjustizministerin gewesen, im Wege der Prüfung der
Rechtsförmlichkeit diesem unseligen Treiben Einhalt
zu gebieten.
({3})
Dies ist leider nicht geschehen - wahrscheinlich auch,
weil der Bundesjustizministerin nicht ausreichend Zeit
zur Prüfung der vielen Änderungsanträge der jeweiligen
Ministerien gegeben worden ist. In dieser Situation steht
nicht nur das Bundesjustizministerium - insoweit habe
ich Verständnis für Sie -,
({4})
sondern auch der Rechtsausschuß. Wir haben in der
letzten Sitzung des Rechtsausschusses beispielsweise
über zwei Vorgänge sprechen müssen: über das Steuerbereinigungsgesetz und die Gesundheitsreform. Über
das Steuerbereinigungsgesetz haben wir eine halbe
Stunde lang beraten dürfen; so viel hat uns die Regierungskoalition zugestanden.
({5})
Danach mußten wir die 150 Seiten, die sie uns um 9 Uhr
zur Beratung vorgelegt hatte, durch Handaufheben absegnen. Der nächste Tagesordnungspunkt umfaßte die
Gesundheitsreform. Dazu hatten wir noch nicht einmal
Vorlagen; die gingen mir erst am nächsten Tag um
10.30 Uhr zu.
({6})
Trotzdem haben Sie uns gezwungen, darüber zu „beraten“; eigentlich kann man über nicht vorhandene Unterlagen kaum beraten. Danach ließen Sie darüber abstimmen. Auch das zeigt Ihr Demokratieverständnis. Darüber bin ich sehr überrascht.
({7})
- Ja, enttäuscht ohnehin. Man sieht: Koalition und
Bundesregierung machen vieles anders, aber nichts besser.
Mit großer Sorge sehe ich, daß die Gebühren für das
Bundespatent- und Markenamt erhöht worden sind,
trotzdem aber nicht ausreichend zusätzliches Personal,
das aus den Gebührenerhöhungen hätte bezahlt werden können, eingestellt worden ist. Gerade die deutsche
Wirtschaft ist auf ein gut funktionierendes Bundespatent- und Markenamt angewiesen. Die Markenrechte
spielen im globalen Wettbewerb eine immer größere
Rolle. Gerade deswegen bedarf es einer guten und
schnellen Bearbeitung im Markenamt. Hier hätte ich mir
mehr Durchsetzungskraft der Ministerin gewünscht.
({8})
Frau Ministerin, seit langem kündigen Sie die 5. und
auch die 6. Urheberrechtsnovelle an. Dabei ist es jedoch bislang geblieben. Auch hier warten die beteiligten
Wirtschaftskreise und insbesondere die Urheber auf eine
baldige Umsetzung. Urheberrechte sind Eigentumsrechte, die insbesondere vom Gesetzgeber geschützt
werden müssen. Gerade deswegen ist die 5. und 6. Urheberrechtsnovelle unbedingt notwendig.
Ich vermisse auch, daß sich die Bundesjustizministerin aktiv in die Unternehmensteuerreform einschaltet.
Wahrscheinlich glaubt sie, daß diese ausschließlich Angelegenheit des Bundesfinanzministers sei. Tatsächlich
aber besteht ein enger Zusammenhang von Unternehmensteuerrecht und Gesellschaftsrecht. Dies wird durch
die vorgesehene Spreizung der Steuersätze ganz deutlich. Im übrigen ist der Grundsatz der Gleichbehandlung, also Art. 3 des Grundgesetzes, von großer Bedeutung.
Mit großer Sorge sehe ich schließlich, daß immer
mehr sozialdemokratische Ideologie im Bundesjustizministerium Einkehr hält.
({9})
Wir sehen das an den Eckwerten zur Mietrechtsreform,
an den Beschlüssen zur angeblichen Demokratisierung
der Gerichtsverfassung, an der Einbeziehung zusätzlicher Gesellschaftsformen in das Bilanz-Publizitätsrecht.
Dies dient nicht dem Vertrauen, das die Bevölkerung
bislang der Rechtsetzung und dem Bundesjustizministerium entgegengebracht hat. Mit solcher Ideologisierung
schadet man unserem gemeinsamen Anliegen im Parlament, die Rechtsordnung so zu gestalten, daß sie dem
Rechtsfrieden in der Bevölkerung dient.
({10})
Nächster Redner
ist der Kollege Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! So eine Haushaltswoche - dies will ich sagen,
auch wenn sie heute erst beginnt - ist häufig sehr traurig, weil man, vor allem wenn man von Ihnen eine ganz
bestimmte Finanzlage übernommen hat, feststellen muß,
daß überall gespart werden muß.
Auch die Justizministerin mußte sparen, und sie hat
ihr Sparziel erreicht. Dies ist hier bereits ausführlich
dargestellt worden. Ich will mich nicht mehr lange damit
aufhalten. Die Einnahmen sollen im Jahr 2000 verbessert werden, und zwar dadurch, daß beim Patentamt und
auch beim Generalbundesanwalt höhere Gebühren bezahlt werden. Beim Generalbundesanwalt handelt es
sich zum Beispiel um Gebühren für Führungszeugnisse
und ähnliches. Ich habe mir daraufhin noch einmal
ein ganz neues Führungszeugnis zum alten Preis beschafft.
({0})
Es ist also gespart worden. 33 Millionen DM zusätzliche Einnahmen sind in den Haushalt eingestellt worden, und die Ausgaben sind um 23 Millionen DM gesenkt worden. Das ist in Ordnung. Aber das ist natürlich
nicht alles, was dieses Ministerium im letzten Jahr geschafft hat. Das wäre ja auch ein bißchen wenig.
Wir Bündnisgrünen sind in diese Koalition gegangen,
weil wir - dies war von Anfang an für uns ein wichtiges
Ziel - Bürgerrechte und Freiheitsrechte in Deutschland stärken und diesen Rechten wieder mehr Geltung
verschaffen wollen. 50 Jahre Grundgesetz - hierzu haben Sie in den letzten Wochen viele Reden gehört heißt für viele von uns auch 50 Jahre Einschränkung von
Freiheitsrechten und auch Einschränkung von Grundrechten. Man muß nur das Grundgesetz aufschlagen und schon stellt man fest, daß viele der Bestimmungen,
die hinzugekommen sind, nicht eine Erweiterung von
Freiheitsrechten bedeuteten. Die F.D.P., die eigentlich
einmal die Aufgabe hatte, eine Bremserfunktion beim
Abbau von Freiheitsrechten einzunehmen, hat diese
Aufgabe - ich komme noch im einzelnen darauf zurück
- schon vor Jahrzehnten abgegeben. Deshalb war eine
neue parlamentarische Kraft erforderlich: die Bündnisgrünen.
({1})
Wir haben uns als erstes wichtiges Ziel vorgenommen, möglichst viel zu entrümpeln, was sich an Überbleibseln aus der bleiernen Zeit in der Bundesrepublik
Deutschland angesammelt hat, die Sie ja maßgeblich im
gesetzgeberischen Bereich mitgestaltet haben.
({2})
Mit Ausnahmegesetzen wie etwa Gesetzen zur Kronzeugenregelung, zur Telefonüberwachung und zur
Kontaktsperre hat eine Reihe von Mitgliedern des
Bündnisses 90 und der Grünen leidvolle Erfahrungen staatliche Repression, Überwachung und Bespitzelung machen müssen.
({3})
Wir haben in diesem Bereich erste Schritte beschlossen.
Damit werden wir uns in den nächsten Tagen, auch
morgen im Ausschuß, etwas intensiver beschäftigen
können.
Das Gesetz zur Kronzeugenregelung, ein zeitlich
befristetes Gesetz, dessen Gültigkeit von der F.D.P. immer brav verlängert worden ist, läuft zum Ende dieses
Jahres aus. Das wollten Sie früher einmal auf Ihre Fahnen schreiben; Sie haben es aber nie geschafft. Wir
schaffen das in diesem Jahr.
({4})
§ 12 des Fernmeldeanlagengesetzes, das dem Richter erlaubt, Telefonanschlüsse festzustellen, schaffen wir
zwar nicht ab, aber wir schaffen in diesem Bereich datenschutzrechtliche Regelungen, die dringend erforderlich sind. Wir wollen, daß die Betroffenen unterrichtet
werden und daß weitere Einschränkungen, die von den
Datenschützern unisono gefordert worden sind, in den
nächsten zwei Jahren hinzugefügt werden, damit auch
diese Regelung auf ein rechtsstaatliches Gleis kommt.
Wir wollen die Telefonüberwachung überprüfen. Es
kann nicht angehen, daß in der Bundesrepublik
Deutschland viel mehr als in vielen anderen Ländern,
beispielsweise in den USA, abgehört wird. Erste Schritte
zur Überprüfung sind eingeleitet. Wir wollen wissen:
Wer wird abgehört? Warum wird abgehört? Vor allen
Dingen wollen wir wissen, wie viele Unverdächtige von
solchen staatlichen Maßnahmen betroffen sind, damit
wir das Gesetz so reparieren können, daß in Zukunft die
Freiheitsrechte besser geschützt werden und daß weniger abgehört wird. Wir wollen bei der Zahl der Abhöraktionen auf ein Niveau kommen, das unter dem der
Vereinigten Staaten liegt.
({5})
Wir wollen - auch dieses haben wir bereits auf den
Weg gebracht - die Geheimdienste in der Bundesrepublik Deutschland, die ja noch existieren, besser kontrollieren. Wir haben deshalb ein Gesetz gemacht, mit dem
für die Parlamentarier und für das Parlamentarische
Kontrollgremium wesentlich mehr Möglichkeiten geschaffen worden sind, die Geheimdienste zu kontrollieren und unserer Aufgabe als Parlament nachzukommen.
Wir haben in diesem Zusammenhang eine ganze Reihe
von zusätzlichen kleinen Schritten unternommen. Wir
wollen in den nächsten Jahren größere Schritte hinzufügen.
Als zweiten wichtigen Punkt haben wir uns vorgenommen - auch in diesem Bereich ist die Justizpolitik in
der Bundesrepublik Deutschland ein großes Stück vorangekommen -, den angesammelten Reformstau im Ju6464
stizbereich aufzulösen. Sie haben zwar viele dringend
notwendige Reformen eingeleitet, aber Sie haben es
nicht geschafft, sie zu einem Ende zu bringen.
({6})
Als erstes nenne ich das Strafverfahrensänderungsgesetz, das in Zukunft absichern soll, wie etwa eine Person als Zeuge oder als Beschuldigter in die öffentliche
Fahndung kommt. Fragen wie „Nach welchen gesetzlichen Vorschriften soll dieses Verfahren ablaufen?“ und
„Wie sieht die Kontrolle aus?“ haben Sie im Zusammenhang mit der Strafprozeßordnung nicht beachtet,
obwohl Ihnen von der Europäischen Union schon vor
Jahren eine entsprechende Vorgabe gemacht worden ist.
Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht; wir mußten
sie machen. Das Gesetz ist fertig. Wir wollen es in den
nächsten Tagen verabschieden. Das ist ein wichtiger
Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit,
({7})
weil auch das Recht auf Datenschutz und das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung wichtige Freiheitsrechte sind.
({8})
Wir wollen die Justizreform angehen. Dazu ist
schon einiges gesagt worden. Wir wollen aber auch, daß
sich die Gefängnisse nicht weiter füllen.
({9})
Wir wollen - das fordern alle Sachverständigen - die
richtigen und notwendigen Schlußfolgerungen ziehen.
Gefängnisse sind zu teuer, zu voll und bringen in der
Regel nicht mehr Schutz für die Bevölkerung, sondern
in vielen Fällen mehr Unsicherheit, weil sich Gefängnisse vielfach als Schule des Verbrechens und nicht als Institution zur Verhinderung künftiger Verbrechen erwiesen haben. Deshalb wollen wir, daß möglichst wenig
Straftäter ins Gefängnis kommen. Wir wollen mit neuen
Sanktionen, vor allen Dingen für diejenigen, die bisher
zu geringen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind und
diese im Gefängnis verbüßen mußten, Alternativen anbieten,
({10})
indem wir andere Möglichkeiten strafrechtlicher Sanktionen schaffen,
({11})
die auch treffen, für den Staat billiger sind, für die Bevölkerung wesentlich nützlicher sind und verhindern,
daß zusätzlich Personen straffällig werden.
Wir wollen natürlich auch mehr Gleichheit. Wir streben eine Reform an, die lange überfällig ist. Die F.D.P.
hat es nicht geschafft, in 16 Jahren Regierungsbeteiligung etwas auf den Weg zu bringen. Deshalb hat sie uns
jetzt ein Gesetz vorgelegt, nämlich die Veränderung der
gesetzlichen Lage für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Wir wollen nach skandinavischem Vorbild dafür in der Bundesrepublik ein Gesetz.
({12})
Wir wollen, daß Schwule und Lesben in der Bundesrepublik gleiche Rechte haben. Wir wollen eine umfassende Regelung, die auch eine Gleichbehandlung in
steuerrechtlichen, ausländerrechtlichen und sozialrechtlichen Fragen sowie in den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches bringt.
({13})
Wenn das nicht etwas so Halbfertiges werden soll,
({14})
wie Sie es vorgelegt haben, dauert das eben länger. Wir
wollen das gründlich machen. Wir wollen die Regelung
auf den Weg bringen, damit sie im nächsten Jahr in der
Bundesrepublik Deutschland Gesetz werden kann.
({15})
Wir wollen aber auch, möglichst noch zu Weihnachten,
({16})
für die Medien und die Journalisten zusätzliche Rechte
schaffen. Wir wollen, daß die journalistische Arbeit besser als in der Vergangenheit geschützt wird. Wir wollen
den Journalisten ein Zeugnisverweigerungsrecht für
selbstrecherchiertes Material, das sie bisher nicht hatten, geben.
({17})
Wir wollen auch absichern, daß solches Material in den
Redaktionsstuben und Sendern nicht beschlagnahmt
werden kann. Damit werden bessere Arbeitsmöglichkeiten geschaffen. Wir hoffen, daß wir das noch zu
Weihnachten fertigstellen können.
Es ist noch viel zu tun. Wir haben es angepackt, und
wir werden es weiter vorantreiben. Ich bin sicher, daß
die Bundesregierung am Ende gute Gesetze, die mehr
Freiheit, mehr Gerechtigkeit und mehr Gleichheit in der
Bundesrepublik Deutschland garantieren, vorlegen kann.
({18})
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat die Kollegin Sabine Jünger.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Neuanfang in der Justizgeschichte, den der Kollege Hartenbach noch im Februar
dieses Jahres beschworen hat, war wohl von relativ kurzer Dauer. Die finanzielle Ausstattung des Justizressorts
jedenfalls steht in keiner Relation mehr zu den Ankündigungen aus dem Ministerium.
({0})
Wenn dieser Haushalt den „Weg nach vorne“ zeigen
soll, wie wir hier in erster Lesung hören durften, dann ist
dieses „vorne“ ganz schön weit weg und allenfalls
schemenhaft zu erkennen.
Der Weg, der hier eingeschlagen wird, ist auf finanzieller Ebene nun wahrlich nicht neu. Die Bürgerinnen
und Bürger sollen mal wieder mehr zahlen, wenn sie
zum Beispiel ein Führungszeugnis brauchen oder gewerbliche Schutzrechte beim Patentamt beantragen.
Auch die Erhöhung der sogenannten Mißbrauchsgebühr beim Bundesverfassungsgericht finden wir - bei
allem gebührenden Respekt vor der Bedeutung dieses
Gerichtes, die wir nicht in Abrede stellen - bedenklich
und werden dieser mehrheitlich nicht zustimmen.
Gleiches gilt für die Einsparungen beim Personal
sowie bei der Aus- und Fortbildung der Beschäftigten.
Eine Ausdünnung der ohnehin nicht üppig bedachten
Justiz wird die Folge sein. Mit der angekündigten großen Justizreform jedenfalls sind diese Einsparmaßnahmen nicht kompatibel. Ein solches Vorhaben ist nun
einmal nicht zum Nulltarif zu haben. Im Gegenteil: Zumindest anfangs werden die zusätzlichen Umstellungen
und Veränderungen sogar zusätzliche Kosten mit sich
bringen. Wie das von weniger Personal mit weniger
Fortbildung bewerkstelligt werden soll, scheint doch
sehr fragwürdig zu sein. Eine wirkliche Strukturreform
kann es so wohl nicht geben.
Frau Ministerin Däubler-Gmelin hat im September
hier eingeräumt, daß Sparen im Justizhaushalt, „wo
Schmalhans sowieso schon Küchenmeister ist“, eigentlich kaum mehr möglich ist. Heißt das, daß in Zukunft
nur noch Gesetze verabschiedet werden, die nichts
kosten? Es gibt zwar durchaus kostenneutrale Gesetze.
In der Regel aber kosten Reformen Geld - und wenn es
nur Mittel sind, um die Bevölkerung sachgerecht zu informieren.
Nehmen wir zum Beispiel das Gesetz zur Ächtung
der Gewalt in der Erziehung, das ja bereits auf seinem
parlamentarischen Weg ist. Es beschränkt sich ohnehin
auf eine normative Veränderung, will heißen: Klingt gut
und kostet nichts. Im Justizministerium wird eingeräumt, daß eine professionell gemachte, breite Informations- und Aufklärungskampagne zwingend notwendig ist. Die Kosten werden auf zirka 700 000 DM geschätzt. Nur - leider - der gesamte Haushaltstitel „Öffentlichkeitsarbeit“ des Justizministeriums beträgt gerade einmal 400 000 DM. Aber immerhin, im Haushaltsentwurf ist dieses Gesetz wenigstens erwähnt und somit
Geld dafür vorgesehen, wenn auch nicht in der für notwendig erachteten Höhe.
Ein anderes Vorhaben - auch Kollege Ströbele hat es
gerade angesprochen -, das seit dem Regierungswechsel
angekündigt und seither regelmäßig verschoben wird jetzt wieder auf Mai 2000, also auf die Zeit nach der
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen -, findet dagegen
finanziell überhaupt keinen Niederschlag in diesem
Haushalt. Ich meine den Abbau von Benachteiligungen
von Lesben und Schwulen sowie die rechtliche Absicherung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften.
({1})
- Eine Kampagne im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit
könnte schon Geld kosten.
({2})
Das läßt mehrere Schlüsse zu. Erster Schluß: Die
Bundesregierung hat überhaupt nicht vor, ihre Ankündigungen wirklich wahr werden zu lassen. - Dann braucht
man natürlich kein Geld. - Das hoffe ich allerdings
nicht.
Zweiter Schluß: Die Bundesregierung hat zwar konkrete Pläne, die aber wiederum so schwach und so weit
entfernt von den Vorstellungen der Lesben- und
Schwulenverbände sind, daß sie dafür lieber keine große
Öffentlichkeit schaffen möchte.
Dritter und letzter Schluß: Die Bundesregierung will
ein Gesetz, aber kein Geld ausgeben - weder für die
Aufklärung der Bevölkerung noch für sachgerechte Informationen über diesbezügliche Veränderungen. Wenn
aber die Bevölkerung bereits so aufgeklärt und voller
Akzeptanz ist, daß auf Gelder für Öffentlichkeitsarbeit
verzichtet werden kann, dann frage ich mich: Weshalb
verschiebt die rotgrüne Koalition eigentlich laufend die
rechtliche Absicherung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften?
({3})
Da ich gerade beim Thema Öffentlichkeitsarbeit bin,
noch eine kurze Bemerkung zum Schluß meiner Rede:
Ich freue mich, daß die Homepage des Justizministeriums überarbeitet und neu gestaltet werden soll und daß
dafür sogar finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.
Danke schön.
({4})
Es spricht jetzt der
Kollege Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Eine gut funktionierende Justiz, eine leistungsfähige Justiz, eine gut ausgestattete Justiz ist ein wichtiger Faktor für die Attraktivität eines Landes. Sie leistet einen entscheidenden Beitrag zur inneren Sicherheit und bietet die Grundlage für
eine gut funktionierende Wirtschaftsordnung.
Während Ausstattung und Effizienz der Justiz Sache
der Bundesländer sind, ist es unsere Sache, rechtliche
Grundlagen dafür zu schaffen, daß eine national und international handelnde Wirtschaft ohne Konflikte agieren
und daß Verbrechensbekämpfung national und internaSabine Jünger
tional gelingen kann. Die unausrottbare Vorstellung von
der Justiz als einer veralteten Form von robentragenden
Richtern, die lieber ihrer Freizeit nachgehen, als ihren
Dienst zu versehen, und die Vorstellung von einer altmodischen Büroausstattung mit Ärmelschonern und
Bleistifthaltern
({0})
waren nie ganz richtig und sind heute mit Gewißheit
falsch. Unsere Justiz nimmt im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz ein. Das einmal festzustellen
ist notwendig.
({1})
- Das mag hier in Berlin so sein. Aber sonst im Land ist
das nicht der Fall.
Deswegen, Frau Ministerin, sind umwälzende Reformen nicht notwendig. Mit einem großen Mangel an
Sensibilität würde sonst in ein gut funktionierendes System eingegriffen werden. Der Schaden wäre größer als
der Nutzen. Das gilt beispielsweise für die geplante Zerschlagung der Viergliedrigkeit unseres Gerichtsaufbaus.
({2})
Mir hat noch niemand sagen können, welcher Vorteil
dadurch für den Rechtsuchenden entstehen kann. Es
mag vielleicht im Interesse des Staates sein, aber bei Reformen geht es doch in erster Linie um den Rechtsuchenden und nicht um den Schutz des Staates.
({3})
Deswegen sind wir gegen die Zerschlagung der Viergliedrigkeit. Sie hat sich bewährt, und wir wollen sie
beibehalten.
Das gleiche gilt für die geplante Rechtsmittelreform. Hier sehen Sie die Streichung der zweiten Tatsacheninstanz vor. Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Zivilprozeß geht es zu 90 Prozent um die Erfassung des Sachverhalts, und dabei passieren die meisten
Fehler. Wir brauchen eine zweite Instanz, um Fehler, die
insoweit in der ersten Instanz passiert sind, korrigieren
zu können. Deswegen halten wir es für völlig falsch, die
zweite Tatsacheninstanz abzuschaffen, wie Sie es vorhaben, verehrte Frau Ministerin.
Wir brauchen uns nicht über eine Rechtsmittelflut zu
beschweren; sie ist nämlich nicht vorhanden. Die Zahl
der Eingänge bei den ordentlichen Gerichten ist in den
westlichen Bundesländern in den letzten zehn Jahren
nicht wesentlich gestiegen. Das gilt nicht für die neuen
Bundesländer, aber dort hatten wir vor zehn Jahren auch
noch keine funktionierende Justiz in unserem Sinn. Das
gleiche gilt für die Verfahrensdauer. Unsere Zivilgerichte sind die schnellsten in Europa.
Wir brauchen also keine umwälzenden Reformen.
Dadurch kann man nur etwas kaputtmachen.
({4})
- Ja, verbessern wir sie. Es ist schon richtig, daß nicht
alles im Lot ist. Man kann immer etwas verbessern; das
wollen wir auch. Aber wir brauchen keine umwälzenden
Reformen. Reformen sind für den Rechtsuchenden da,
nicht aber zur größeren Ehre einer Regierung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Zukunft
wird es eine der wichtigsten Aufgaben der Rechtspolitik
sein, den Anforderungen von High-Tech und Globalisierung gerecht zu werden. Sie beeinflussen die Gesellschaft in zunehmendem Maße, ohne daß wir es so recht
merken. Die Rechtspolitik muß diese Entwicklung begleiten, muß ihr Einhalt gebieten, wo es notwendig ist,
und muß sie fördern, wo es richtig ist. Deshalb müssen
wir uns einmal überlegen, wie wir den internationalen
Geschäftsverkehr über PC rechtlich besser absichern.
Da sitzt jemand daheim an seinem PC und kauft in
einem deutschen Warenhaus, zur selben Stunde aber
auch in einem englischen Computerladen und in einer
italienischen Modeboutique ein und merkt gar nicht, daß
er sich in derselben Stunde in drei verschiedenen
Rechtsordnungen bewegt. Hier brauchen wir einen gemeinsamen Rahmen. Es ist schon vieles getan worden.
Aber auf diesem Weg müssen wir fortschreiten, ohne
daß dabei die Eigenart der jeweiligen Rechtsordnung eines Landes verlorengeht.
In diesem Rahmen brauchen wir auch die Charta der
Grundrechte in Europa. Der Einfluß von Brüssel wird
immer stärker. Hier müssen wir Abwehrrechte schaffen.
Im Rahmen dieser Charta brauchen wir aber keine großartigen Programmsätze oder quasireligiöse Verantwortungserklärungen für die Mitgeschöpfe und das Weltganze. Wir brauchen konkrete Anspruchsgrundlagen, die
im Ernstfall durchgesetzt werden können.
({5})
Wir brauchen über Europa hinaus eine Koordinierung
der Privatrechtsordnungen in globaler Sicht. Schon der
Völkerbund hat dies für richtig gehalten und 1926 ein
entsprechendes Institut in Rom gegründet. Dieses Institut macht es sich jetzt zur Aufgabe, einen rechtlichen
Rahmen zu schaffen, um international auftretende Konflikte im privaten Rechtsverkehr auffangen zu können.
Wir sollten uns darum kümmern und dieses Institut nutzen, zumal dort zur Zeit ein deutscher Zivilrichter Generalsekretär ist.
Aber auch im nationalen Bereich besteht auf Grund
der rasanten Entwicklung in der Informations- und
Kommunikationstechnik Reformbedarf. Die Formvorschriften des BGB sind der sich rasant entwickelnden
Informationstechnik nicht gewachsen. Wir haben noch
Formvorschriften, die es ausschließen, daß Rechtsgeschäfte über E-Mail, über Fax oder über Computer abgewickelt werden können. - Vielleicht sollte ich etwas
warten, bis die Frau Ministerin Zeit findet zuzuhören.
({6})
- Ich habe aber nicht den Eindruck.
Wir brauchen zum Beispiel im Miet- und im Arbeitsrecht Namensunterschriften, die ein solches RechtsgeNorbert Geis
schäft über E-Mail ermöglichen. Deswegen müssen wir
prüfen, ob die Formvorschriften des BGB nicht an die
moderne Kommunikationstechnik angeglichen werden
können. Das gleiche gilt auch für die Verfahrensordnung. Auch da muß es möglich sein, moderne Kommunikationstechnik in den Verfahrensabläufen bei Gericht
und bei der Staatsanwaltschaft einzusetzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Haushaltsrede kann sich nicht mit allen Punkten befassen. Ich
will aber noch drei erwähnen. Da ist einmal die geplante
Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften
mit Ehe und Familie. Wir halten dies nicht für verfassungskonform. Für uns wird damit die Vorrangstellung
der Ehe angegriffen. Wir werden uns daher mit aller
Macht dagegen wenden.
Sie wollen, Frau Ministerin, mit aller Macht das
Mietrecht ändern. Wir sind einverstanden, wenn es darum geht, daß das Mietrecht lesbarer wird und daß es systematischer wird. In der Tat ist aufgrund der vielen Novellierungen der letzten 30 Jahre ein Mietrecht entstanden, das ein Normalsterblicher gar nicht mehr lesen
kann. Hier sind wir auf Ihrer Seite.
({7})
Aber wenn Sie wirklich die Eckpunkte umsetzen wollen,
die Sie vorhaben, sehr verehrte Frau Ministerin, dann
haben wir die Befürchtung, daß Sie das Mietrecht verschlechtern und nicht verbessern. Sie wollen an die
Kappungsgrenzen herangehen. Jeder, der sich in dieser
Sache auskennt, weiß, daß dies letztendlich immer zu
Lasten des Mieters geht, weil sich der Vermieter hüten
wird, wenn es sozial geboten ist, nicht bei der Vergleichsmiete zu bleiben und nicht zu erhöhen; der Vermieter wird immer hart an der Vergleichsmiete bleiben.
Das geht immer zu Lasten des Mieters. Deswegen ist
das Herumtüfteln an Kappungsgrenzen immer ein Tüfteln zu Lasten des Mieters.
Genau das gleiche gilt für die Vertragsnachfolge
beim Tod eines Mieters und für die Absenkung der
Modernisierungsumlage. Sie nehmen damit dem Vermieter und dem potentiellen Vermieter den letzten Mut,
noch in den Mietwohnungsbau zu investieren. Das
Ergebnis ist dann, daß Sie das Angebot verringern,
und somit werden die Mieten wieder steigen. Sie erreichen damit genau das Gegenteil von dem, was Sie erreichen wollen. Wir bitten Sie deshalb, dies genau zu
überlegen.
Ein letzter Punkt betrifft die Kronzeugenregelung,
die von Herrn Kollegen Ströbele angesprochen wurde.
Offenbar hat er sich in dieser Frage durchgesetzt. Er
kommt mit anderen Wertungen, die aber nichts mit innerer Sicherheit und schon gar nichts mit Gemeinwohl zu
tun haben. Wir haben vor zwei Jahren, Herr Minister
Schily und Frau Ministerin, mit großer Sorgfalt und mit
viel Aufwand, auch an Zeit, die elektronische Wohnraumüberwachung durchgesetzt und dafür eine Verfassungsänderung herbeigeführt. Dieses Instrument ist
wichtig. Ich will es hier nicht verniedlichen und will es
nicht wegdiskutieren. Aber die Kronzeugenregelung hat
einen weit größeren Effekt. Das beweisen die Erfahrungen aus dem Ausland.
({8})
Das beweist auch das Gutachten, das von Herrn Kanther
in Auftrag gegeben wurde und das jetzt vorgestellt worden ist.
Herr Kollege Geis,
Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich komme zum Schluß.
Insbesondere die Praktiker unter den Sachverständigen,
die für das Gutachten gehört worden sind, kommen zu
dem Ergebnis, daß die Kronzeugenregelung verlängert
werden muß. Man kann sie verbessern, aber sie fordern
die Verlängerung der Kronzeugenregelung.
Wir bitten Sie sehr herzlich, Ihren Beschluß noch
einmal zu überdenken.
({0})
Wir halten die Kronzeugenregelung im Kampf um die
Sicherheit unserer Bevölkerung für notwendig und sind
der Auffassung, daß sie in gar keinem Fall auslaufen,
sondern verlängert werden sollte.
Ich danke Ihnen.
({1})
Es spricht jetzt die
Bundesministerin der Justiz, Herta Däubler-Gmelin.
Frau Vorsitzende! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Parlamentarismus ist halt doch etwas Schönes. Ich finde, heute zeigt er sich wieder in seiner vollen Blüte. Ich muß sagen: Ich habe mich beim Zuhören so richtig darüber gefreut, daß ich doch wieder
viele Neuigkeiten über mich erfahren habe. Nicht nur
hat der Kollege Funke mir gesagt, was ich wohl glaube
und meine, nicht nur hat er darauf hingewiesen, daß etwas von mir so oder so gemeint sein könnte, auch andere haben mir herzlich nachgeholfen. Ich darf an dieser
Stelle dafür danken. Ich glaube, das macht wirklich
Spaß.
Beim Einzelplan 07, über den wir heute reden, verhielt es sich dann schon ein wenig anders. Jetzt gucke
ich Herrn Henke an,
({0})
und zwar einfach deswegen, weil ich ihm in vielem zustimmen kann, nämlich dann, wenn er sagt, daß es ein
kleiner und feiner Haushalt ist, daß wir den MitarbeiteNorbert Geis
rinnen und Mitarbeitern des BMJ sehr viel zumuten
müssen usw.
({1})
Ich bin dankbar dafür, daß auch Sie das anerkennen.
Aber dann wird es in einer Art und Weise übersteigert, daß es an Komik grenzt. Dann rügt der Kollege
Henke - das finde ich sehr liebenswürdig -, daß bei uns
die Telefonkosten steigen.
({2})
Das Schlimme, verehrter, lieber Herr Kollege Henke lassen Sie mich auch das sagen -, ist: Bei uns sind in
diesem Titel auch die Porti der Gerichte und des Bundeszentralregisters enthalten. Urteile und Führungszeugnisse können wir leider weder mailen noch über Telefon
verschicken.
({3})
Das heißt, man muß es einfach wissen.
Ich will Ihnen jetzt noch etwas sagen. Sie rügen, daß
bei uns die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit angestiegen sind. Sie sind aber nur gering angestiegen.
({4})
Ich sage Ihnen: Ich hätte sie gern noch mehr gesteigert,
übrigens schon deswegen, weil dann auch die Informationen über das, was wir tun - warten Sie ab; es kommt
noch etwas -, zum Beispiel über das erste halbe Jahr, die
Chance gehabt hätten, zu Ihnen zu gelangen.
({5})
Ich will Ihnen eine ganz andere Zahl entgegenhalten. Es handelt sich bei uns um eine sehr mäßige Steigerung der Mittel für Informationsbroschüren - sie
brauchen wir dringend - und Öffentlichkeitsarbeit von
443 000 auf 475 000 DM. Ich weiß nicht, ob Sie noch
in Erinnerung haben, wieviel Mittel das Bundesministerium für Verkehr zu der Zeit für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung hatte, als der verehrte Kollege
Henke dort Staatssekretär war. Ich will es Ihnen sagen.
Das waren nicht 440 000, das waren keine 900 000, das
waren keine 3 Millionen, sondern es waren über 6 Millionen DM.
({6})
Wenn wir nur einen kleinen Bruchteil davon hätten,
dann wären wir besser dran. So peinlich ist das, wenn
man genauer hinschaut.
({7})
Sie können gern eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie
möchten; Sie würden dann nur riskieren, daß ich antworte.
Ich möchte mit Ihnen noch weiter anschauen, was
sich im Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und
der nachgeordneten Behörden bewegt hat. Ich möchte
mit einem Dank an die Mitglieder dieses Hauses, die das
mitgemacht haben, beginnen. Wir sind in der Tat politisch der Meinung, daß sich beim Deutschen Patentund Markenamt eine ganze Menge bewegen muß.
Mich rührt dieser Konsens, den ich heute auf allen Seiten des Hauses feststellen kann. Ich finde das richtig gut.
Nur, diese Einsicht hätte Ihnen eigentlich schon in den
letzten zehn Jahren kommen können, weil die Zahl der
Anträge auf Patenterteilung und Markenerteilung seit
1993 ständig gestiegen sind. Die Zahl der Stellen im Bereich der Patentprüfer und der Markenprüfer, die das zu
bearbeiten haben, ist von Ihnen in jedem Jahr abgesenkt
worden. Auf der einen Seite eine Steigerung der Anträge
um über 30 Prozent, auf der anderen Seite ein Abbau der
Stellen um 16 Prozent.
Sie sagen, wir sollten das alles jetzt mit Computern
machen. Das war die Aussage. Sie wissen, ich teile Ihre
Begeisterung für einen vernünftigen Einsatz von Computern. Bloß, Patente prüfen können sie nicht, und Marken prüfen können sie auch nicht. Deswegen muß ich
Ihnen sagen: Um diesen Berg an Anträgen abbauen zu
können, war es dringend erforderlich, daß diese Personalstellen bewilligt wurden. Ich hoffe, daß das reicht.
Nur, wenn es nicht reicht, werde ich Sie an Ihre Äußerung erinnern, daß das Deutsche Patent- und Markenamt
endlich wieder in Schwung gebracht werden muß.
({8})
Daß wir DEPATIS ausbauen und die Organisation umbauen müssen und was Sie sonst noch gesagt haben, ist
alles richtig. Aber Sie müssen auch den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern ein bißchen mehr Unterstützung geben;
sie brauchen das. Sonst kommen sie nämlich nicht auf
die Füße, und das ist doch das Ziel, das wir gemeinsam
haben.
Wir haben in der Tat große bauliche Aufgaben hinter uns gebracht; einige sind jetzt in der Endphase. Ich
erwähne das deshalb, weil der Bundesgerichtshof in
Karlsruhe endlich besser untergebracht werden muß. Da
müssen wir noch etwas tun. Das ist auf einem guten
Weg. Ich erwähne das deshalb, weil der 5. Strafsenat in
Leipzig mittlerweile gut untergebracht ist. Aber auch
das Bundesverwaltungsgericht muß in Leipzig gut untergebracht sein.
Das ist mir aus zwei Gründen wichtig, zum einen
deswegen, weil alle diejenigen, die verhalten kritisieren,
daß die Justiz den Ausgaben - bei Bund oder Ländern hinterherhinkt, daß dem Innenbereich eine zu geringe
Bedeutung beigemessen wird, sehen sollen, daß das bei
uns nicht so ist. Wir haben in der Tat eine Menge für die
Gerichte getan. Das waren keineswegs wir alleine. Hier
war es anders als beim Deutschen Patent- und Markenamt; hier können wir auf Entscheidungen aufbauen, die
auch früher gemeinsam getroffen wurden. Auf der EbeBundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
ne des Bundes ist das nicht so. Aber das, was die einzelnen Kolleginnen und Kollegen über die Verbesserung
von Organisation und Ausstattung gesagt haben, trifft
zu: In den Ländern muß es besser werden.
Zum anderen tut, so glaube ich, die Politik gut daran,
durch diese Maßnahmen ihren Respekt gegenüber den
unabhängigen Gerichten zu erweisen. Das ist eine vernünftige und eine notwendige Maßnahme.
Im letzten Jahr haben wir in der Rechtspolitik in der
Tat eine Kehrtwende vollzogen. Übrigens, Herr Kollege
Henke, das hübsche Wort vom „Dornröschen“ stammt
leider nicht von mir; ich habe das - das werden Sie feststellen, wenn Sie das nachlesen - nur zitiert. Das stammt
von einem ganz pfiffigen Journalisten.
({9})
- Ja, natürlich. - Ich finde, er hat recht. Ich wollte mich
bloß nicht mit fremden Federn schmücken.
({10})
Wenn auch Sie der Meinung sind, daß das stimmt, dann
verbindet uns schon wieder etwas.
({11})
Jetzt zu einem weiteren Punkt. Es war doch deswegen
notwendig, klare Grundlinien zu schaffen, weil einer der
Nachteile Ihrer Rechtspolitik der vergangenen Jahre
darin bestanden hat, daß kein Mensch mehr wußte, warum Sie etwas gerade machen.
({12})
Es gab sehr viele Einzelregelungen - einmal hü, einmal
hott.
({13})
All diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die sich in der
Vergangenheit ernsthaft bemüht haben, sich aber nicht
durchsetzen konnten, lade ich herzlich ein.
({14})
- Ich wollte Sie nicht einladen dazwischenzurufen, zumal Sie schon geredet haben, sondern zuzuhören und
sich dann - durchaus auch streitig - an den Diskussionen zu beteiligen.
({15})
Ich möchte jetzt einmal vier Punkte nennen, wo wir
die Grundlinien geändert haben. Sie alle bringen die
Aufgabe zum Ausdruck, die Entscheidungen eines
rechtsstaatlichen und sozialstaatlichen demokratischen
Gefüges, das wir haben, nicht nur national, sondern auch
europäisch durchzusetzen. Denn, verehrter Herr Kollege
Geis, die Globalisierung können noch nicht einmal die
Juristen aufhalten.
({16})
Es verhält sich ein bißchen anders, als Sie sagen. Wir
können uns nur darum bemühen, die Entscheidung für
Rechtsstaatlichkeit auf die europäische Ebene zu transferieren.
Ich finde es schön, daß Sie die Grundrechtecharta
loben. Aber es waren nicht Sie, die sie in Angriff genommen und als Initiative durchgesetzt haben. Das war
vielmehr einer unserer Erfolge der deutschen Präsidentschaft im ersten Halbjahr.
({17})
Daß in der Fortsetzung der deutschen Präsidentschaft die
Tagung in Tampere uns auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Rechtsraum einen großen Schritt
nach vorn gebracht hat, kommt hinzu.
Ich nenne Ihnen weitere Stichworte unter dem Aspekt
der Rechtsstaatlichkeit, zum Beispiel Eurojust oder die
Schritte über eine erleichterte Anerkennung der Urteile
und Entscheidungen in allen Staaten der Europäischen
Union. Es lohnt sich, wenn Sie sich dort einklinken. Ich
denke, wir haben eine Menge vor, was wir gemeinsam
bewältigen können.
Die zweite Grundlinie. Wir haben damit begonnen, in
der Rechtspolitik klar für die Opfer Partei zu nehmen.
Das gilt zum Beispiel für den Täter-Opfer-Ausgleich,
einen Bereich, bei dem ich gar nicht verstehe, warum
Sie kritische Töne anschlagen.
({18})
Das gilt auch für die Frage, Alternativen im Sanktionensystem zu finden, ein Punkt, über den schon einiges gesagt wurde. Wir werden in den nächsten Wochen mit
entsprechenden Vorschlägen an die Öffentlichkeit
kommen, in Einklang mit der Kommission, die dann
hoffentlich ihre Arbeiten beendet haben wird.
Und dies gilt für die Vorbereitung der Rechtsmittelreform - dabei meine ich nicht die Reform von Zivilsachen, sondern die Reform von Strafsachen - ebenso wie
für den dringend erforderlichen Kampf gegen Gewalt.
Dabei geht es um die Zurückdrängung der Gewalterfahrung, sei es nun, daß Frauen, daß Ältere oder daß Kinder
verprügelt werden.
All diese Punkte sind - lassen Sie mich das deutlich
sagen - in den letzten Jahren auf sträfliche Weise vernachlässigt worden.
({19})
Deswegen wird das geändert.
Der dritte Punkt ist das klare Signal für die Modernisierung. Die Veränderung des Gerichts- und Rechtsmittelsystems soll in der Tat den Bürgern dienen, und
sie tut das auch. Sie wird zu mehr Transparenz beitragen
und zu Vereinfachungen führen.
({20})
Ich glaube auch nicht, Herr Kollege Geis, daß Sie
noch sehr lange mit der Forderung, wir wollen die Vierstufigkeit, herumlaufen können und Erfolg haben werden. Ich darf Sie daran erinnern: Wir haben die Vierstufigkeit
({21})
in bestimmten Bereichen, bei Teilen der Zivilgerichtsbarkeit und der Strafgerichtsbarkeit. Wir haben sie nicht
in der Familiengerichtsbarkeit, nicht im Bereich der
Verwaltungsgerichtsbarkeit, nicht bei der Arbeitsgerichtsbarkeit und auch nicht bei der Sozialgerichtsbarkeit. Bei der Finanz- und Patentgerichtsbarkeit haben
wir sogar nur die Zweistufigkeit.
({22})
Sie müssen sich überlegen, was Sie tatsächlich sagen.
({23})
Außerdem werden wir weder die Amtsgerichte abschaffen noch die zweite Tatsacheninstanz. All das sind
irgendwelche Märchen. Das, was wir tun wollen, tun wir
mit der Zustimmung der Wirtschaft. Wir tun es gerade
mit der Zustimmung der kleinen Handwerker, denen es
darum geht, ihre Forderungen in vernünftiger Weise und
angemessener Zeit durchsetzen zu können.
({24})
Wir wollen, daß die Anwälte, von ganz wenigen Prozessen abgesehen, die Tatsachen nicht erst in der zweiten Instanz einbringen, obwohl sie diese bereits in der
ersten hätten einbringen können. Wir sind der Meinung,
daß es ihnen zuzumuten ist, das, was an Tatsachen vorliegt, bereits in der ersten Instanz einzubringen; denn das
verkürzt den Prozeß. Das ist genau das, was wir wollen.
({25})
Wenn Sie es ernsthaft überdenken, werden Sie das mit
tragen können.
Der vierte Punkt ist mir ganz besonders wichtig. Er
betrifft die Entscheidung der Rechtspolitik für die
Rechtsstaatlichkeit. Ich darf daran erinnern, daß es
nicht mehr allein um den nationalen Bereich, sondern
auch um den Bereich der Europäischen Union geht, Eurojust spielt hier eine Rolle.
Das, was Sie, Herr Geis, zur Kronzeugenregelung
ausgeführt haben, trifft nicht zu. Sie wissen ganz genau,
daß auch in Ihrer damaligen Regierungskoalition bei den
Verlängerungen die rechtsstaatlichen Bedenken eine erhebliche Rolle gespielt haben. Auch bei uns gibt es diese
Bedenken. Wir sind im übrigen der Meinung, daß wir
das, was notwendig sein wird, in § 46 des Strafgesetzbuchs einbauen werden. Auf die Diskussion mit Ihnen
darüber freue ich mich.
Bei der Frage des § 12 FAG hatten die gleichen Leute
rechtsstaatliche Bedenken. Auch das muß hier einmal
ausgesprochen werden. Es ist vernünftig, die Normen,
die Sie leider Gottes nicht rechtsstaatlich genug gefaßt
haben, rechtsstaatlich zu fassen und in die Strafprozeßordnung zurückzuführen. Darüber sollte in diesem Haus
Konsens zu erzielen sein.
Lassen Sie mich noch zwei Punkte erwähnen. Wir
machen in der Tat Schluß mit der Diskriminierung
gleichgeschlechtlicher Sexualität. Es ist aber völlig
falsch, zu meinen, wir würden der Ehe dadurch in irgendeiner Weise etwas wegnehmen. Das sind zwei unterschiedliche Sachverhalte, die wir unterschiedlich regeln werden. Ich bin sehr dankbar, daß auf der einen
Seite die Grünen in der öffentlichen Diskussion sagen,
daß auch sie das möchten. Ich stelle mit Vergnügen fest,
daß Sie, verehrter Herr Geis, sagen, niemals nie, während uns Frau Süssmuth auffordert, entsprechende Regelungen vorzulegen.
({26})
Die gesellschaftliche Diskussion wird auch Sie erreichen. Ich freue mich auf diese Diskussion, und sie wird
fortgesetzt.
({27})
- Die Auseinandersetzung mit Frau Süssmuth müssen
Sie schon selbst führen.
({28})
Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen.
Ich freue mich in bezug auf den Bereich Entscheidungen
für die Rechtsstaatlichkeit sehr, daß wir in den kommenden Wochen ebenfalls die Möglichkeit haben werden, ein vernünftiges und weiterführendes Zeugnisverweigerungsrecht zu entwickeln. Wir werden es vorlegen
und einbringen.
({29})
- Jetzt sehe ich gerade, daß sich Herr Geis wieder richtig
erregt. Eigentlich hätte ich mit einem liebevollen Zitat
und einem netten Spruch an ihn enden wollen.
({30})
- Gut, dann werde ich das machen und sagen: Die Zeiten, in denen wir leben, sind interessant.
Es ist richtig, daß wir den Reformstau jetzt auflösen
können. Wir machen es anders als Sie, wir laden Sie
ausdrücklich zu Diskussionen und zum Konsens ein. Ich
habe dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses mehrfach
angeboten, daß über jeden einzelnen der Punkte, die wir
umsetzen wollen, nicht nur sehr breit und öffentlich disBundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
kutiert wird, sondern daß wir auch gern Ihre sachdienlichen und weiterführenden, vielleicht auch kritischen
Überlegungen einbeziehen werden.
Ich wiederhole das: Ich freue mich darauf, mit Ihnen
über Inhalte zu streiten. Dann werden die Diskussionen
um den Haushalt vielleicht sogar noch liebenswürdiger
und noch spannender.
Herzlichen Dank.
({31})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Wir stimmen
über Einzelplan 07 - Bundesministerium der Justiz - in
der Ausschußfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 07 mit den Stimmen der Regierungskoalition
gegen die Stimmen der CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.
Wir stimmen über Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - in der Ausschußfassung ab. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit
ist der Einzelplan mit den Stimmen der CDU/CSU und
der F.D.P. sowie einigen Stimmen aus der PDS-Fraktion
bei Enthaltungen einiger Abgeordneter der PDSFraktion angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
- Drucksachen 14/1906, 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Werner Hoyer
Lothar Mark
Carl-Detlef Frhr. v. Hammerstein
Herbert Frankenhauser
Einzelplan 33
Versorgung
- Drucksache 14/1920 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Rexrodt
Ewald Schurer
Josef Hollerith
Heidemarie Ehlert
Zu Einzelplan 06 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU und ein Änderungsantrag der
Fraktion der F.D.P. sowie drei Änderungsanträge der
Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Steffen Kampeter, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich vertrete
den kurzfristig erkrankten Kollegen von Hammerstein,
dem ich - so glaube ich - von dieser Stelle aus im Namen des gesamten Hauses gute Besserung wünschen
darf.
({0})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
mitten in die Haushaltsberatungen ist ein interessantes
Interview des Bundesinnenministers hineingeplatzt,
({1})
in dem er sich über die Zukunft des Asylrechts und die
Praxis des Asylrechts in Deutschland ausgelassen hat.
Darin ist davon die Rede, daß in Deutschland die Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderungen überschritten seien. Die Forderung von Schily lautet, die Lasten
der Wanderungsbewegungen innerhalb der Europäischen Union gerechter zu verteilen.
Recht hat er, der Bundesinnenminister, meine sehr
verehrten Damen und Herren. Nach wie vor kommt zirka die Hälfte aller Flüchtlinge, die in der EU Aufnahme
finden, nach Deutschland. Die schon seit einigen Jahren
erhobene politische Forderung der Union hat leider noch
nicht zu dem Ergebnis einer gerechteren Lastenverteilung innerhalb der europäischen Partnerländer geführt.
Wir von seiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
hätten uns schon gewünscht, daß die politische Kraft des
Bundesinnenministers etwas weiter reicht, als eine kontroverse und sicherlich bei den Grünen auf große Zustimmung gestoßene Äußerung zum Asylrecht vorzutragen, nämlich aus einer zutreffenden, aber offensichtlich
nur oberflächlichen Analyse auch tatsächlich eine richtige Schlußfolgerung zu ziehen.
({2})
Beispielsweise wäre im Rahmen der Beratungen über
den Haushalt und das Konsolidierungsprogramm ein
Blick in das Asylbewerberleistungsgesetz aus haushälterischer und auch aus politischer Sicht sinnvoller gewesen. Es hat eine sehr intensive Diskussion darüber gegeben, ob nicht beispielsweise § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes, der die Leistungsansprüche von Asylbewerbern in der Bundesrepublik regelt, stärker eingeschränkt werden muß. Diese Forderung ist von seiten
des Bundesrates von den Ländern Hessen, Bayern und
Baden-Württemberg, aber auch von den kommunalen
Spitzenverbänden erhoben worden. Herr Kollege Schily,
wenn Sie schon Burden sharing fordern, hätten Sie auch
den politischen Mut besitzen müssen, im Rahmen dieser
Haushaltsberatung den Vorschlag einzubringen, das
Asylbewerberleistungsgesetz in diesem Punkt zu ändern
und damit einen wesentlichen Anreiz, nach Deutschland
zu kommen, zu beseitigen.
({3})
Ich glaube, daß Sie damit nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung nicht nur des
Bundes, sondern vor allen Dingen der Gemeinden hätten
leisten können, sondern daß Sie auch dem breiten Gerechtigkeitsempfinden einer großen Mehrheit der bundesrepublikanischen Bevölkerung entsprochen hätten.
Dies wäre - besser als Interviews - tatsächlicher Tatendrang. Sie nähern sich zwar in inhaltlichen Vorstellungen Ihrem Amtsvorgänger Manfred Kanther; aber an
Tatkraft und Umsetzungsfähigkeit mangelt es Ihnen
noch sehr stark.
({4})
Vor diesem Hintergrund mutet es auch seltsam an,
daß in dem Haushalt für das Jahr 2000 gerade einmal
1 Millionen DM für die Integration ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger in die Bundesrepublik veranschlagt sind. Jürgen Rüttgers, der da vorne sitzt, hat in
einem umfassenden Integrationskonzept,
({5})
das wir hier als Antrag beraten haben, die umfassenden
Erfordernisse der Integration von Ausländern in die
Bundesrepublik Deutschland aufgezeigt. Es bedarf in
der Tat einer umfassenden Konzeption und nicht lediglich eines Placebo-Ansatzes, wie Sie ihn in Ihrem Etat
vortragen.
({6})
Im übrigen - auch das will ich an dieser Stelle einmal
sagen - ist dieser Etat vom Ansatz her schlechter als die
etwas über 1 Million DM teure Kampagne ausgestattet,
mit der Sie waschmittelwerbungsgleich für die doppelte
Staatsbürgerschaft werben. Ich halte das - sowohl vom
Verfahren als auch von der inhaltlichen Ausrichtung her
- für zweifelhaft. Ihre Regierung hat auf jeden Fall eine
umfassende Verschwendung von Steuergeldern zu vertreten.
Ich möchte eine zweite Anmerkung zu der finanziellen Ausstattung der Bereitschaftspolizei machen. In den
vergangenen Jahren hat es einen Konsens zwischen
Bund und Ländern über die Bundesfinanzierung der Bereitschaftspolizei gegeben. Trotz knapper Mittel hat der
Bund eine Mindestausstattung stets gewährleistet. Sie
schlagen jetzt vor, in den nächsten Jahren aus der Kofinanzierung der Bereitschaftspolizei auszusteigen, und
Sie wollen im Jahre 2002 den Bundeszuschuß ganz
streichen. Wir von seiten der Union halten dies für eine
erhebliche Verschlechterung der Sicherheitslage in der
Bundesrepublik Deutschland. Die Aufgaben der Bereitschaftspolizei waren immer auch von überregionalen
Interessen geprägt. Sie sollten den Aufforderungen der
Länder, aus dieser Finanzierung nicht auszusteigen, Gehör leisten.
Ich möchte eine dritte Anmerkung zu der von Ihnen
mit diesem Haushaltsentwurf vorgeschlagenen Privatisierung der inneren Sicherheit machen. Wir halten den
von Ihnen eingeschlagenen Weg, für die Finanzierung
der inneren Sicherheit von seiten der Deutschen Bahn
AG eine viertel Milliarde DM an Gebühr zu veranschlagen, für politisch falsch. Die Union verschließt sich Privatisierungsoffensiven im Prinzip nicht.
({7})
Aber wir halten es nicht für geboten, daß wir die Frage
von Recht und Ordnung zu einer Frage der Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit in der Bundesrepublik
Deutschland machen.
({8})
Ich muß Ihnen sagen: Es wundert mich darüber hinaus sehr, daß die Koalition gerade die Deutsche Bahn als
Versuchsfeld für die Privatisierung der inneren Sicherheit verwendet, weil sie damit die umweltfreundliche
Mobilität der Kunden der Deutschen Bahn AG in einem
großen Umfang weiter verteuert.
In Ihren Bemühungen für den Haushalt 2000 fehlen
tatsächliche Einsparbemühungen; denn außer dieser Gebührenschöpfung verändern Sie Ihr Ausgabengebaren
nicht. Im Schröder/Blair-Papier, das offensichtlich
noch immer Grundlage zumindest von Teilen der Politik
der Bundesregierung ist, steht vollmundig vieles zur
Modernisierung des öffentlichen Sektors und zur Effizienzsteigerung der öffentlichen Verwaltung. In Ihrer
Koalitionsvereinbarung haben Sie angekündigt, eine
Koordinationsstelle für diese Aufgaben einzurichten.
Fehlanzeige im Etat 2000: Es gibt keine konzeptionellen
Fortentwicklungen im Bereich des Dienstrechtes. Fehlanzeige bei der Reorganisation der öffentlichen Verwaltung. Fehlanzeige bei einer kompletten Antwort auf
die Versorgungslasten. Auch hierzu liegt eine Negativbilanz vor.
Herr Bundesinnenminister, Sie haben kein Herz für
die Sportpolitik.
({9})
In den vergangenen zehn Jahren hat es im Bereich des
Sports ausgesprochen breite Zustimmung gegeben. Ich
weiß, da vorne sitzt der Konkursverwalter der Sportpolitik in diesem Haushalt, der Abgeordnete Mark, der
gleich versuchen wird, das Versagen schönzureden und
gesundzubeten.
Tatsache bleibt aber: Die Förderung des Spitzensportes wird zusammengestrichen: Weniger für
Wettkampf und Trainingsmaßnahmen, weniger für
Olympiastützpunkte und für die Sportmedizin.
({10})
Die Behauptung, es gebe mehr Geld für den Sport, ist
nur dadurch zustande gekommen, daß Sie im Haushalt
bereits etatisierte Aufwendungen für die Paralympics
hinzugefügt haben. In einer Art wundersamer Geldvermehrung haben Sie ein neues Loch geschaffen, und an
anderer Stelle haben Sie versucht, mit diesem Geld das
Loch zu stopfen.
({11})
Die Investitionen in die Sportstätten werden mehr
als halbiert. Die Zusage für Berlin und Leipzig wurde
erst auf den politischen Druck der CDU/CSUBundestagsfraktion hin eingelöst.
({12})
Dem Institut für Sportwissenschaft wollen Sie den Garaus machen.
Von Ihrer vollmundigen Wahlkampfankündigung,
den Goldenen Plan Ost mit 100 Millionen DM pro Jahr
auszustatten, sind nur 15 Millionen DM geblieben.
({13})
Den Rest der versprochenen Mittel haben Sie im Investitionszulagengesetz entsorgt.
Den Riesenblödsinn, den Sie mit der 630-MarkRegelung in den Sportvereinen angestellt haben, werden
Sie durch keine Maßnahme in diesem Haushalt wiedergutmachen können.
({14})
Hier sind insbesondere im ehrenamtlichen Bereich - ich
bin selber Vorsitzender eines Sportvereins ({15})
große Lücken gerissen worden.
Der Etat 2000 des Bundesinnenministers ist ein Dokument der Konzeptions- und Handlungslosigkeit. Es ist
keinerlei inhaltliche Perspektive weder für die innere Sicherheit noch für den Sport zu erkennen. Deswegen
werden wir ihn voller inhaltlicher Überzeugung ablehnen.
({16})
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Lothar Mark.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Wir haben eben von Herrn
Kampeter plakative Luftblasen gehört.
({0})
Ich möchte hinzufügen, daß wir dies im Grunde genommen von den jeweiligen Einlassungen gewöhnt sind.
({1})
Als von Herrn Kampeter titulierter Konkursverwalter
möchte ich einige klare Bemerkungen zu der sehr konstruktiven Sportpolitik der Innenministers machen.
({2})
Die Koalitionsfraktionen setzen in der Sportförderung
2000 drei besondere Akzente:
({3})
Weiterführung des Goldenen Plans Ost, Sanierung des
Olympiastadions Berlin und des Zentralstadions Leipzig
sowie Förderung des Behindertensports. Wir glauben,
daß wir damit einen Beitrag zu Fair play in der Sportpolitik leisten und Investitionsimpulse geben.
({4})
Trotz Erfüllung des Konsolidierungsauftrages im
Haushalt ist es uns gelungen, notwendige Kürzungen
moderat, sozial gerecht und vertretbar zu halten. Daß
unter den gegebenen Haushaltsprämissen die Investitionen dennoch erheblich gesteigert werden konnten,
({5})
spricht für den kreativen und innovativen Gestaltungswillen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, lieber Herr Kampeter.
({6})
Wir streben eine stetige Angleichung der Förderung
des Behindertensports an die Förderung des Nichtbehindertensports an. So werden die Mittel für die Entsendung von Mannschaften zu Paralympics, Weltspielen
der Gehörlosen und Special Olympics von 850 000 DM
auch, aber nicht nur veranstaltungsbedingt auf 2,9 Millionen DM erhöht.
({7})
Wesentlich bescheidener, aber trotzdem Duftmarken
setzend, fallen die Förderungen im ärztlichen und physiotherapeutischen Bereich des Behindertensports sowie
die wissenschaftliche Betreuung und Begleitung aus. Für
Behinderte wie Nichtbehinderte setzen wir unsere Forderungen gleichermaßen um.
Herr Kampeter, Ihre Aussage, die Sanierung der Stadien in Berlin und in Leipzig würde nur auf Druck der
CDU/CSU gefördert, ist ein Trugschluß. Wir haben in
den jeweiligen Sitzungen des Haushaltsausschusses diese Position bewußt offengelassen, weil wir uns versichern wollten, in welchen finanziellen Schritten die geplanten Maßnahmen gefördert werden können und müssen. Es macht keinen Sinn, vorher Summen einzusetzen
und zu benennen, die in der Realität nicht umsetzbar
sind.
({8})
Wir haben für die Förderung der Stadiensanierung
sowohl in Berlin als auch in Leipzig für das Jahr 2000
jeweils 20 Millionen DM neu eingestellt und sind Verpflichtungsermächtigungen für die nächsten Jahre jeweils in Höhe von 80 Millionen DM eingegangen. Wer
angesichts dieser Zahlen behauptet, dies seien Luftbuchungen, der täuscht die Bevölkerung bewußt.
({9})
Ich möchte aber auch sofort hinzufügen, daß dadurch
kein neues Faß für Stadiensanierungen mit Bundesmitteln geöffnet wird; denn nach wie vor ist hier eine ganz
klare Trennung der Zuständigkeiten vorhanden. Aber
mit diesen Stadienneubauten fördern wir unter Umständen nicht nur den Profisport, sondern auch Breiten- und
Spitzensport, die Jugendarbeit sowie auch die Baubranche. Wir wissen, daß sich gerade diese im Moment als
sehr problematisch darstellt.
Wenn nun von seiten der CDU/CSU gesagt wird, der
Goldene Plan Ost sei quasi reduziert, und es würden in
der Realität nicht die Summen umgesetzt, die ursprünglich prognostiziert worden seien, dann muß man ganz
deutlich sagen: Die CDU/CSU hat es in ihrer Regierungszeit in zehn Jahren nicht geschafft, einen Goldenen
Plan Ost aufzustellen.
({10})
Vielmehr hat sie es sogar für richtig gehalten, die Neubaumaßnahmen aus dem Investitionsförderungsgesetz
herauszunehmen, so daß für Sportneubauten in den neuen Bundesländern überhaupt keine Mittel mehr zur Verfügung standen. Dies hat die neue Bundesregierung korrigiert. Ich meine, daß es ungemein wichtig war, so zu
verfahren.
({11})
Beim Goldenen Plan Ost haben wir für 2000 wiederum 15 Millionen DM etatisiert
({12})
- Sie haben in den zehn Jahren überhaupt nichts gemacht -, und wir haben Verpflichtungsermächtigungen
in Höhe von 30 Millionen DM für die nächsten beiden
Jahre ausgebracht.
Herr Kollege Mark,
Sie müssen zum Schluß kommen.
Schließlich möchte ich noch
darauf hinweisen, daß durch die Komplementärfinanzierungen fast 135 Millionen DM in Gang gesetzt werden.
Dies ist nicht nur für den Sport, sondern auch für unsere
Volkswirtschaft von allergrößter Bedeutung. Ich denke,
daß mit diesen Investitionen Gelder der Bürgerinnen und
Bürger rentierlich angelegt sind.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Dr. Werner Hoyer.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich als
Hauptberichterstatter für diesen Einzelplan den Mitberichterstattern sehr herzlich danken. Wir hatten konstruktive, fruchtbare Gespräche. Daß wir uns nicht überall über die Ergebnisse einig sind, ist ein anderes Thema.
Aber die Beratungen waren gut. Ich schließe in diesen
Dank die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses
ausdrücklich ein. Das war eine prima Zuarbeit. Schönen
Dank dafür.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Bundesinnenminister leistet sich den „Luxus des Denkens“; wie er unlängst der „Zeit“ gesagt hat. Es ist schon
bemerkenswert, daß wir in unserem Politstreß, in dem
wir uns alle befinden, das Denken schon als Luxus bezeichnen müssen. Wir sollten uns viel mehr davon gönnen.
Aber es ist etwas anderes, in einer Phase des Nachdenkens bereits Unausgegorenes zu servieren, und es
stellt sich die Frage, ob es klug ist, eine Debatte wieder
aufleben zu lassen, die wir vor ein paar Jahren mit einem
Kompromiß abgeschlossen hatten. Die damalige Debatte
zum Asylrecht war schmerzlich. Sie war nicht unbedingt rühmlich, und niemandem ist der Kompromiß seinerzeit leichtgefallen. Vor allem ist die damalige Debatte bisweilen mit Bildern und Argumenten geführt
worden, die enorm emotionalisiert haben, die gespalten
haben,
({0})
die die Bürgerinnen und Bürger zum Teil geradezu gegeneinander aufgehetzt haben
({1})
und die notwendige Suche nach einem ethisch vertretbaren und zugleich praktisch handhabbaren Kompromiß
nicht gerade erleichtert haben. Fangen wir nicht an, wieder in diese rhetorischen Verirrungen einzusteigen;
({2})
Eines ist klar: In einem einheitlichen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, wie der Amsterdamer Vertrag die Europäische Union beschreibt, kommen wir um eine gemeinschaftliche Regelung des Asylrechts nicht herum. Das wird für Deutschland sehr heikel werden; denn die Partner werden kaum bereit sein,
die deutschen Regelungen zu übernehmen, von der verfassungsrechtlichen Grundlage bis zur Frage der Sozialhilfesätze oder der Unterbringungsstandards. Es wird also ohne Beschränkungen der Freizügigkeit innerhalb der
Europäischen Union nicht gehen, wenn ein europäisches
Asylrecht kommt.
Das wiederum setzt Quotierungen voraus, und diese
Quotierungen wiederum setzen ein hohes Maß an Solidarität voraus, die ich in der Europäischen Union bis
heute leider noch nicht sehe.
Der Luxus des Denkens sollte sich also von der Notwendigkeit des Handelns nicht abkoppeln. Das heißt, die
Bundesregierung muß das Thema in Brüssel verhandeln,
besonnen und beharrlich, aber ohne große Töne. Das
setzt allerdings eine von Rotgrün gemeinsam getragene
Politik voraus. Eine solche ist keineswegs erkennbar.
Gerade in dieser Frage liegen zwischen Otto Schily und
Marieluise Beck Welten.
Soll hier nach Atompolitik und Staatsangehörigkeitsrecht, nach Kosovo-Krieg und der Panzerlieferung die
nächste Sollbruchstelle für Rotgrün programmiert werden? Oder hält der Bundesinnenminister seine früheren
Parteifreunde von den Grünen für so flexibel, daß sie
sich schon lustvoll auf die nächste Kröte freuen, obwohl
sie etliche andere immer noch nicht heruntergeschluckt
haben und kräftig daran herumwürgen?
({3})
Zum Thema Staatsangehörigkeit: Hier ist es der
Regierungskoalition nur mit Hilfe der F.D.P. gelungen,
ein vernünftiges und vor allem auch verfassungskonformes Gesetz zustande zu bringen. Das muß jetzt umgesetzt werden. Es ist schon als Skandal zu bezeichnen,
daß - schon heute absehbar - zum Jahreswechsel keine
bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften vorliegen
werden.
({4})
- Das weiß ich. - Der Bundesgesetzgeber kann und darf
es nicht hinnehmen, daß die Kriterien in Sachsen-Anhalt
anders als in Sachsen oder Niedersachsen angewendet
werden.
({5})
Wir Liberalen fordern die Bundesregierung auf, mit
Nachdruck bei der Konferenz der Innenminister von
Bund und Ländern dafür zu sorgen, daß hier für den einzelnen Rechtsklarheit geschaffen wird.
({6})
Den Luxus zum Denken sollte sich der Innenminister
auch gönnen, wenn er die Axt an die Wurzeln der Pressefreiheit ansetzt.
({7})
Daß die Umsetzung der Datenschutzrichtlinie der EU
ebenso dringlich wie schwierig ist, wird ja niemand
bestreiten. Otto Schily geht ja über das, was die EU
verlangt, weit hinaus. Diesen Anschlag auf die Pressefreiheit ausgerechnet in einem Datenschutzgesetz zu
verstecken, halte ich für ziemlich unverfroren.
({8})
Herr Kollege Hoyer,
gestatten Sie eine Frage des Kollegen Wiefelspütz?
Ja.
Herr Kollege Hoyer, Ihr
Redebeitrag war bislang von Nachdenklichkeit und sehr
viel Sachlichkeit geprägt. Jetzt fangen Sie mit einer Zuspitzung an, die weit über das Ziel hinausschießt. Würden Sie uns bitte erläutern, wieso mit Texten, die die
frühere Bundesregierung entworfen hat und die der Datenschutzbeauftragte bislang immer so akzeptiert hat,
auf einmal ein Anschlag auf die Pressefreiheit ausgeübt
werden kann? Würden Sie uns bitte auch darüber aufklären, wie Sie es würdigen, daß von seiten der Bundesregierung aber auch von seiten der Koalition, jederzeit Gesprächsbereitschaft in dieser Angelegenheit bestand?
Kein Mensch kann doch unterstellen, daß wir ernsthaft
vorhätten, die Pressefreiheit oder auch nur die Arbeitsbedingungen der Presse zu erschweren.
({0})
Letzteres freut mich zu
hören. Ich registriere auch, daß der Bundesminister in
den letzten Tagen in dieser Frage zurückgerudert ist. Ich
halte das auch für erforderlich. Sie müssen berücksichtigen, Herr Kollege Wiefelspütz, daß der Kollege Kanther, mit dem ich nicht in allen innen- und rechtspolitischen Fragen immer einig war, in der Frage der Pressefreiheit ganz besonders sensibel gewesen ist.
({0})
Als es darum ging, die Datenschutzrichtlinie, die ja
nicht gerade von gestern ist, in deutsches Recht umzusetzen, ist er da sehr vorsichtig herangegangen,
({1})
weil er erkannt hat - das ist der Punkt, der mir besonders
wichtig ist -, daß die „Denke“ hinter diesem Vorschlag,
der das Haus ja noch nicht erreicht hat - insofern können ja noch Verbesserungen stattfinden -, nicht stimmt:
Medienunternehmen, Redaktionsräume, Journalistenbüros eignen sich einfach nicht für die Arbeit eines Mediencontrolletti, der Quellen aufdecken, Unterlagen einsehen, Rechercheunterlagen herausfordern oder Informanten aufdecken will.
({2})
Herr Kollege Hoyer,
es gibt eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Koppelin.
Gern.
Herr Kollege Hoyer,
trifft es zu, daß auch der Deutsche JournalistenVerband die Punkte, die Sie eben nannten, am Wochenende kritisiert hat?
({0})
Ich bedanke mich außerordentlich für diese hilfreiche Frage. Das gibt mir die
Gelegenheit, daran zu erinnern, daß auch der Deutsche
Presserat davor gewarnt hat, in diese Richtung weiterzugehen. Ich erkenne ja an, daß Herr Bundesminister bei
diesem Thema wieder etwas vorsichtiger geworden ist.
Ein Wort zur politischen Bildung: Ich habe langsam
den Eindruck, daß die politische Bildung in Deutschland
ebenso wie das Wissen und die Kenntnis um politische
Zusammenhänge Not leidet. Das trifft die Bundeszentrale für politische Bildung ebenso wie die politischen
Stiftungen und viele andere Organisationen und Initiativen. Da kann gewiß vieles modernisiert und aktualisiert
werden. Nicht jedes Projekt besitzt Anspruch auf Ewigkeitsgarantie, erst recht nicht die entsprechenden Planstellen. Die Arbeit muß aber gemacht werden. Oft muß
sie auch gebündelt werden.
Am deutlichsten scheint mir dieses beim Thema
Rechtsextremismus der Fall zu sein. Hier ist es erforderlich, die Aktivitäten, die in Form vieler Einzelmaßnahmen, von vielen Organisationen getragen und über
die politischen Ebenen hinweg stattfinden, zu bündeln.
({0})
Was die politischen Stiftungen angeht, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir festzustellen, daß sie
durch ihre Inlands- und Auslandsarbeit in den letzten
Jahrzehnten Großartiges geleistet haben.
({1})
Weltweit werden wir um unsere politischen Stiftungen
beneidet. In manchem Land der Welt wäre der Weg zu
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Marktwirtschaft
noch schwieriger gewesen, hätte es die Arbeit der deutschen politischen Stiftungen nicht gegeben.
({2})
Manche gute Freundschaft mit Parlamentarierinnen
und Parlamentariern in neuen Demokratien könnten wir
heute wohl nicht pflegen, hätten nicht die deutschen
Stiftungen unter schwierigsten Bedingungen zu einer
Zeit Kontakte hergestellt und Werte vermittelt, als die
offizielle Außenpolitik noch sehr viel mehr Rücksichten
nehmen mußte. Mit diesem Pfund müssen wir wuchern.
Deswegen begrüße ich es, daß wir eine Verstetigung
der Stiftungsfinanzierung in den nächsten Jahren einvernehmlich haben erreichen können, wenn auch auf deutlich abgesenktem Niveau. Aber immerhin gibt dieses
Niveau Planungssicherheit.
Jetzt wird es wichtig sein, den Stiftungen klare
Rechtsgrundlagen sowohl für ihre Arbeit als auch für ihre Finanzierung zu geben. Deswegen wird die F.D.P. das
Thema Stiftungsgesetz erneut auf die Tagesordnung
bringen.
Herr Minister Schily, gönnen Sie sich weiter den Luxus des Denkens, aber vergessen Sie das Handeln nicht.
Sie haben in der letzten Zeit immerhin mit der Altfallregelung einiges zusammengebracht. Aber von der Videoüberwachung bis zum Waffenrecht, von den privaten Sicherheitsdiensten bis zum Aktionsbündnis gegen den
Rechtsextremismus ist noch einiges Unerledigte auf der
Tagesordnung.
Ein letztes Wort zum Thema innere Sicherheit. Die
strukturellen Verwerfungen bei BGS und BKA müssen
angegangen werden. Das ist mit ein paar hundert Stellenhebungen, so sinnvoll und richtig sie sind, nicht erledigt, wenn die gesamte deutsche Polizei unter dem Beurteilungssystem leidet und in wesentlichen Bereichen
beim Thema Beförderung auf Grund ungelöster rechtlicher Konflikte und schwebender Rechtsstreite praktisch
Stillstand der Rechtspflege herrscht.
Wir unterbreiten beim Haushaltsgesetz erneut den
Vorschlag, die sensibelsten Bereiche der inneren Sicherheit aus den Rasenmäherstellenstreichungen herauszunehmen, und zwar nicht nur bei den Polizeivollzugsbeamten, sondern auch bei der Kriminaltechnik und bei
den völlig überlasteten Vorposten der inneren Sicherheit
im Ausland, den Rechts- und Konsularbereichen der
Auslandsvertretungen. Ich werbe bis zum letzten Tag
dieser Haushaltsberatungen darum, daß wir hier noch
eine gemeinsame Lösung hinbekommen.
Herzlichen Dank.
({3})
Nächster Redner für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege
Cem Özdemir.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren!
({0})
- Da mußt Du jetzt durch. - Der Kollege Lothar Mark
hat bereits auf die Anstrengungen der Bundesregierung
im Sportbereich hingewiesen. Deshalb kann ich mir diesen Teil sparen.
({1})
Aber Sie werden uns abnehmen, daß diese Bundesregierung den in europäischen Wettbewerben verbliebenen
deutschen Fußballmannschaften die Daumen drückt. Ich
darf sicherlich auch für das ganze Haus sagen, daß wir
heute abend Hertha die Daumen drücken.
({2})
Die Notwendigkeit für Einsparungen im Haushalt des
Bundesinnenministeriums ist offensichtlich. Wir haben
als Erblast einen Schuldenhaushalt übernommen, der
uns gezwungen hat, in allen Bereichen zu sparen. Daß
die Einsparungen schmerzlich sind, ist in verschiedenen
Redebeiträgen bereits angeklungen. Wir mußten bei etlichen Projekten sparen, was uns nicht leicht gefallen ist.
Trotzdem muß dieser Weg der Konsolidierung in den
kommenden Jahren fortgesetzt werden, und er wird auch
fortgesetzt werden.
Wir werden uns dafür einsetzen, daß die Sparmaßnahmen gerecht sind. Trotzdem wird es uns nicht erspart
bleiben, daß wir auch in Bereichen sparen, bei denen es
dem einen oder anderen wehtun wird. Auf einen Bereich
hat dabei meine Fraktion ein ganz besonderes Augenmerk: auf das Bundesamt für Verfassungsschutz und den
Bundesgrenzschutz. Auch hier muß zukünftig viel stärker als bisher gelten: Sicherheit schaffen mit weniger
Aufwand. Es geht hier nicht darum, ideologische
Schlachten von gestern zu schlagen, aber sehr wohl darum, daß Effizienz überall Einzug halten muß. Auch hier
muß man mit kritischem Blick durchleuchten, wo es
Einsparpotentiale gibt.
({3})
Ich möchte zur Philosophie des Haushaltes etwas sagen. Wir reden hier ja nicht über unser eigenes Geld,
sondern über das Geld der Bürgerinnen und Bürger, das
uns anvertraut worden ist.
({4})
Das ist die Geschäftsgrundlage, auf der wir handeln. Die
Politik dieser Bundesregierung ist von dem Gedanken
gekennzeichnet, daß wir uns bei dem, was wir tun, des
Geldes würdig erweisen, das wir verwalten.
Darum haben wir ein Staatsangehörigkeitsrecht
verabschiedet, das die Probleme in dieser Republik nicht
größer, sondern kleiner machen soll und das wahrscheinlich in zehn, zwanzig Jahren erst in der ganzen
Dimension erkannt werden wird. Allerdings glaube ich,
Herr Kollege Hoyer, daß der Teil, den die F.D.P. zum
Staatsangehörigkeitsrecht beigetragen hat, unter die Rubrik Verschlimmbesserung fällt. Die Kritik des Städteund Gemeindetages an bestimmten Teilen des Gesetzes
reichen wir komplett an die F.D.P.-Fraktion weiter. Solange uns der Bereich Geburtsrecht bleibt, solange uns
die Bereiche Verkürzung der Fristen und Erweiterung
der Tatbestände der doppelten Staatsbürgerschaft bleiben, habe ich kein Problem damit, daß Sie den Bereich
der Optionslösung für sich reklamieren.
Ich denke, daß wir auch in einem weiteren Bereich
der Rechts- und Innenpolitik Wichtiges erreicht haben,
auch wenn es uns nur am Rande streift. Wir haben heute
früh im Innenausschuß über die Kronzeugenregelung
abgestimmt. Es ist vielleicht für das ganze Haus interessant zu wissen, daß sich die F.D.P.-Fraktion im Gegensatz zu dem, was sie in der Vergangenheit gesagt hat,
der Stimme enthalten hat. Ich denke, das sollten die
Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik wissen. Die
F.D.P. ist nach 10 Jahren nicht in der Lage, sich zum
Thema Kronzeugenregelung eine Meinung zu bilden.
({5})
Ich habe das Gefühl, daß von der ehemaligen Bürgerrechtspartei mittlerweile nicht sehr viel mehr als eine
Nostalgieveranstaltung übrig ist.
({6})
Was das Fernmeldeanlagengesetz angeht, so haben
wir den Bürgerrechtsgedanken, den Datenschutz dort
einbezogen. Hierbei handelt es sich um sensible Eingriffe. Daher ist es gut, daß sich die Bundesregierung vorgenommen hat, den gesamten Bereich der Telefonüberwachung in zwei Jahren auf den Prüfstand zu stellen. Wir sind sehr gespannt, was die Opposition dazu
beizusteuern hat.
Ein weiterer Punkt ist uns im Sinne dessen, was ich
vorhin gesagt habe, ein wichtiges Anliegen. Des Vertrauens, das wir von den Bürgerinnen und Bürgern in
Empfang genommen haben, sollten wir uns würdig erweisen, und wir sollten den Bürgerinnen und Bürgern
unsererseits Vertrauen schenken. Dies heißt für uns
konkret: Wir wollen Akteneinsichtsrechte gewähren.
Das was die Amerikaner bereits in den sechziger Jahren
mit dem Freedom-of-Information-Act eingeführt haben, muß endlich auch in Deutschland gelten. Wir wollen den transparenten Staat, nicht den transparenten
Bürger/die transparente Bürgerin. Wir wollen einen
Staat, der sich vor den Menschen nicht versteckt. Insofern ist es nur in sich schlüssig, daß wir die Bannmeile
auf den notwendigen Bereich reduziert haben. Wir wollen eben kein Parlament haben, das sich als Jurassic
Park versteht, das sich abschirmt.
({7})
Deshalb haben wir auch im Gegensatz zu Ihrem Berliner Innensenator kein Problem damit, daß die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Demonstrationsrecht
Gebrauch machen. Auch wenn es einen manchmal ärgert - es gehört zur Demokratie dazu, daß die Bürgerinnen und Bürger von ihren Grundrechten Gebrauch machen. Wir sind stolz darauf, daß wir in einem Land leben, in dem es aktive Bürgerinnen und Bürger gibt, die
sich für ihre Anliegen einsetzen und von ihrem Recht
auf Demonstration Gebrauch machen.
({8})
Auf das Erfolgskonto, also als Guthaben dieser Regierung, muß auch gutgeschrieben werden, daß wir die
Kontrollrechte des Parlamentes gestärkt haben, was die
Geheimdienste angeht. Das ist etwas, was Sie nicht geschafft haben, meine Damen und Herren von der Opposition. Insofern kann sich die innenpolitische Bilanz dieser Bundesregierung eindeutig sehen lassen.
({9})
Ich möchte auf einen weiteren Bereich eingehen, der
besonders sensibel ist. Das ist der Datenschutz. Dieses
Thema hat der Kollege Hoyer bereits am Rande gestreift. Mir scheint, in diesem Bereich gibt es eines der
kompliziertesten Vorhaben dieser Legislaturperiode. Sie
wissen: Wir haben auch hier ein Erbe, das es uns nicht
leicht macht, weil wir auf der einen Seite schnell sein
müssen, weil aber auf der anderen Seite auch großer
Handlungsbedarf besteht. Wir müssen die Schande vermeiden, daß diese Bundesregierung Bußgeld zahlen
muß, weil die alte Bundesregierung ihre Hausaufgaben
nicht gemacht hat und der Aufforderung, die EURichtlinie von 1995 umzusetzen, nicht nachgekommen
ist.
({10})
Wir werden dieser Richtlinie nachkommen und gleichzeitig darauf achten - da können Sie sich auf uns verlassen -, daß in die Redaktion niemand außer Redakteuren
hineinkommt. Die Datenschutzrechte, auch die Rechte
der Journalistinnen und Journalisten, sind bei Rotgrün in
guten Händen.
({11})
Wir werden eine Lösung finden. Wir haben dieses
Gesetz gemeinsam mit dem Presserat beraten. Morgen
wird eine Koalitionsrunde zu diesem Thema stattfinden.
Dort werden wir eine Lösung präsentieren, die genau
das aufnimmt, was der Presserat sagt. Ich bin sicher, daß
wir schließlich zu einer Lösung kommen werden, der die
Mehrheit dieses Hauses zustimmen wird.
({12})
Lassen Sie mich zum Datenschutz noch eines sagen:
Es reicht uns nicht, die Vorgaben aus Brüssel zu erfüllen. Wir wollen zurück zu dem, was in Deutschland
einmal Stand der Debatte war. Wir wollen ein modernes
Datenschutzgesetz haben, das auch den Realitäten entspricht.
({13})
Das heutige Datenschutzrecht ist unübersichtlich. Niemand versteht es. Wir brauchen ein Gesetz, das den Datenbegriff des nächsten Jahrtausends aufgreift. Wir
brauchen ein Gesetz, das auch den privaten und den
wirtschaftlichen Bereich umfaßt. Wir brauchen einen
Datenschutzbegriff, der die Rechte des Datenschutzbeauftragten stärkt und das dazu beiträgt, daß wir nicht
Datenreichtum, sondern Datenarmut zum tragenden Gedanken machen. Dies ist der entscheidende Gedanke.
({14})
Lassen Sie mich, weil dieses Thema auch angesprochen worden ist, zum Asylrecht in aller Kürze noch einiges sagen. Einiges ist hierzu bereits gesagt worden.
Ich will mich an den diversen Polemiken der vergangenen Tage und Wochen nicht beteiligen. Dafür ist dieses
Thema zu ernst.
({15})
Ein Punkt muß in aller Klarheit gesagt werden - auch
hier gibt es in der Koalition eine eindeutige Position -:
Jeder, der zu uns kommt, hat einen Anspruch darauf,
daß sein Verfahren rechtsstaatlich geprüft wird. Davon
werden wir nicht Abstand nehmen.
({16})
Menschen, die zu uns kommen, können sich darauf verlassen, daß sie ein rechtsstaatliches Verfahren bekommen. Wenn man dieses Verfahren unter der Einbeziehung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention beurteilt,
({17})
dann kommt man zu dem Ergebnis, daß nach dem Verfahren ungefähr 20 Prozent zu Recht bei uns Aufnahme
finden. Diese Zahl muß man berücksichtigen.
Ich möchte Ihnen noch etwas anderes sagen: Ich bin
froh, daß sich die Bundesregierung mit Unterstützung
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen in Tampere
mit der Position durchgesetzt hat, daß die Genfer
Flüchtlingskonvention die Grundlage für ein europäisches Asylrecht ist. Es ist eben nicht so, wie Sie sagen,
daß unser Recht ein Sonderrecht in Europa darstellen
würde.
({18})
Es ist beispielsweise so, daß andere europäische Länder
in der Frage nichtstaatlicher Verfolgung und in der Frage frauenspezifischer Fluchtgründe durchaus gleichgezogen und uns überholt haben.
({19})
Noch eines möchte ich Ihnen sagen: Die falschen
Zahlen werden nicht richtiger, indem Sie sie wiederholen. Wir sind nicht mehr die Nummer eins und nehmen
nicht mehr die Hälfte der Asylbewerber in Deutschland
auf. Unser Anteil liegt bei ungefähr einem Drittel. Die
von Ihnen genannte Zahl wird durch Wiederholen nicht
richtiger.
({20})
Der Wanderungssaldo ist mittlerweile negativ. Es
wandern mehr Menschen aus Deutschland ab, als Menschen zuwandern. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, daß
die Zahl der Asylbewerberinnen und der Asylbewerber
zurückgeht. Gleichzeitig wollen wir eine europäische
Lösung. Wir sind uns in der Koalition einig, daß wir eine europäische Lösung wollen, die gewährleistet, daß
ein Anspruch auf eine Entscheidung in einem rechtsstaatlichen Verfahren besteht und daß bei Vorliegen von
politischer Verfolgung Asyl gewährt wird. Auch davon
werden wir nicht Abstand nehmen.
({21})
Ich komme zum Schluß. Im Innenausschuß haben wir
ein besonders sensibles und besonders schwieriges
Thema, das uns alle berührt, diskutiert. Es geht um das
Thema „Entschädigung für Zwangsarbeiter“. Auch
für diesen Bereich sind wir zuständig. Wir werden zu
diesem Thema am Freitag eine intensive Plenardebatte
führen. Deswegen will ich an dieser Stelle nur eine kurze Bemerkung machen.
Wir sind, so glaube ich, alle froh, daß nach 12 Jahren
für die Opfer eine Lösung endlich in Sichtweite ist. DieCem Özdemir
se Lösung war überfällig. Ich möchte die Gelegenheit
nutzen - vermutlich im Namen aller -, Graf Lambsdorff
für seine kluge und durch Augenmaß gekennzeichnete
Verhandlungsstrategie zu danken. Ich denke, daß die in
Sichtweite liegende Lösung den verschiedenen Interessen gerecht wird. Ich möchte daher all denen meine Anerkennung aussprechen, die daran mitarbeiten, daß wir
zu einer Lösung kommen.
Ich möchte deutlich sagen, daß dies auch für die Industrie gilt, und zwar für die Unternehmen, die sich an
einer Lösung beteiligen. Auf diese darf man nicht
schimpfen. Man muß vielmehr auf die Unternehmen
schimpfen, die sich bisher nicht daran beteiligt haben.
Aber den Unternehmen, die ihre Verantwortung wahrnehmen, gilt unser Respekt.
Ich glaube, es wäre auch ein Wort des Lobes von der
Opposition angemessen, weil es sich die Bundesregierung trotz der Sparnotwendigkeit nicht einfach macht
und ihren Teil dazu beiträgt, daß dieses dunkle Kapitel
unserer Geschichte endlich zufriedenstellend abgeschlossen wird.
Ich bin froh, daß auch die Bevölkerung - nach letzten
Umfragen sind es 63 Prozent - diesen Kurs unterstützt.
Sie alle wissen, daß dieses sehr sensible Thema nicht
unumstritten ist. Um so erfreulicher ist es, daß die
Mehrheit der Bevölkerung in dieser Frage die Notwendigkeit des Handelns erkennt.
Vielen Dank.
({22})
Das Wort hat nun
die Kollegin Ulla Jelpke, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Ich kann meinem Vorredner, Cem Özdemir,
nicht ganz folgen. Im Gegensatz zu ihm bin ich der
Meinung, daß dieser Innenminister innerhalb eines
Amtsjahres die Koalition in einem atemberaubenden
Tempo nach rechts manövriert hat.
({0})
„In der Koalition wachsen die Zweifel an der Eignung
des Innenministers“ schrieb gestern „Der Tagesspiegel“.
Der grüne Abgeordnete aus NRW, Roland Appel, wird
mit den Worten zitiert, daß sich der Innenminister zum
„Affen der Rechtsradikalen“ in der Republik mache.
({1})
- Aber er ist noch Abgeordneter. - Er ist zwar nicht
mein Freund, aber ich denke, er hat in der Sache recht.
Ein Innenminister, der seine Politik vor allem von der
CDU und von weiter rechts mit Zustimmung und Beifall
begleiten läßt,
({2})
ist unserer Meinung nach ein Trauerspiel.
Die auf der letzten Innenministerkonferenz beschlossene Altfallregelung ist das jüngste Beispiel für Ihre inhumane Flüchtlingspolitik. Die Innenminister behaupten, 20 000 Menschen würden von dieser Altfallregelung profitieren. Flüchtlingsorganisationen dagegen
sprechen von nur 5 000 Menschen. Auch mit dieser Regelung verschafft die neue Regierung den Flüchtlingen
allenfalls bis zu zwei Jahre Aufschub. Im Gegenzug
sollen dann über 200 000 Menschen bis Ende nächsten
Jahres abgeschoben werden, notfalls mit Gewalt. Die
„Berliner Zeitung“ hat das einen „Kuhhandel mit
Flüchtlingen“ genannt. Das ist in jeder Hinsicht passend.
Ihr Umgang mit diesen Menschen ist zutiefst inhuman.
Ich zitiere weiter die „Berliner Zeitung“:
Nur ... wer die Sprache dieses Herrn goutiert,
- gemeint ist Herr Schily der gerne Armutsflüchtlinge mit Wirtschaftsflüchtlingen verwechselt, und wer nicht den Schutz für
Flüchtlinge, sondern den Schutz vor Flüchtlingen
zum Ziel des Asylrechts erklärt, wird die von den
Innenministern in Görlitz beschlossene „Altfallregelung“ als Erfolg der Humanität willkommen heißen.
So ist es leider.
Ich erinnere mich noch, wie die Staatssekretärin Frau
Sonntag-Wolgast mir in der Debatte zu diesem Thema
in der vergangenen Sitzung vorgeworfen hat, ich würde
ein „Zerrbild der deutschen Innenpolitik“ malen.
({3})
Ich meine, daß das Zerrbild mit dieser Vereinbarung der
Innenminister beschlossene Sache geworden ist. Mehr
noch: Innenminister Schäuble aus Stuttgart und der
bayerische Innenminister Beckstein fordern gleich hinterher, daß nun Bewegung in die Sache kommen und
man ans Grundgesetz herangehen müsse.
({4})
Diese unsägliche Debatte - wir hören es von der
rechten Seite - ist von Ihnen, Herr Schily, angestoßen
worden. Ich meine, daß die Umwandlung des Asylrechts
in ein Gnadenrecht bis aufs Messer bekämpft werden
muß.
({5})
Ein solches Gnadenrecht gab es schon einmal. Als in
den 30er Jahren ganze Schiffe mit jüdischen Flüchtlingen nicht ankern durften, galt dieses Gnadenrecht, und
das wollen wir auf keinen Fall wiederhaben.
In der Asylpolitik besteht keine rotgrüne Koalition,
wie manche hier gerne behaupten, sondern es gibt eine
große Koalition der Inhumanität gegen Flüchtlinge.
Der EKD-Ratsvorsitzende, Herr Kock, hat völlig
recht, wenn er erklärt, für ihn seien Wirtschaftsflüchtlinge Leute, die zur Vermeidung von Steuern nach Monaco
ziehen. Die Forderung der EKD, das Asylrecht so zu ändern, daß Opfer nichtstaatlicher Verfolgung, vor allem
Frauen, endlich Asyl bekommen, findet unsere volle
Unterstützung. Offenbar ist die PDS zur Zeit die einzige
Partei in diesem Haus, die Kirchen und Flüchtlingsgruppen noch unterstützt.
Dabei sollte nicht vergessen werden, daß die unsägliche Theorie des Innenministers von den 97 Prozent
Wirtschaftsflüchtlingen ihre Vorgeschichte hat. Ich meine damit die Länderberichte des Auswärtigen Amtes.
Diese liefern nämlich die Grundlage für die hohe Ablehnungsrate bei Flüchtlingen.
({6})
An die Vertreterinnen und Vertreter der Grünen gerichtet sage ich: Ihr Außenminister und Ihr Staatsminister liefern diese Berichte, damit entsprechend abgeschoben werden kann. Das sollten die Grünen bei ihrer
Debatte auf jeden Fall mit berücksichtigen.
Auch bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus Herr Hoyer hat es hier schon angesprochen - und Antisemitismus werden von diesem Innenminister keine
neuen Impulse zu erwarten sein. Dies haben wir immer
wieder kritisiert. Wir haben in diversen Sitzungen Jahr
für Jahr immer wieder Anträge auf Aufklärung über den
Rechtsextremismus und über den Antisemitismus eingebracht. Darüber hinaus haben wir Anträge auf Verstärkung der Integrationsmaßnahmen für Migrantinnen und
Migranten eingebracht. Sie sind im Innenausschuß von
allen Parteien abgelehnt worden.
Ganz fatal ist, was beispielsweise am letzten Samstag
in der „Welt“ zu lesen war.
Frau Kollegin, würden Sie bitte zum Schluß kommen. Ihre Redezeit ist um.
Ja. - Hier wird schon jetzt suggeriert - da widerspreche ich den Aussagen, die Cem Özdemir hier eben gemacht hat -, daß es nur eine positive
Zahl gebe. Entscheidend ist, wie die Fragestellung ist.
Bei anderen Umfragen wird nämlich gesagt, daß nur jeder zweite Jugendliche auf antisemitische Vorurteile mit
völliger Ablehnung reagiert.
Frau Kollegin, ich
hatte Sie gebeten, zum Schluß zu kommen.
Es versteht sich von selbst, daß
wir diesen Haushalt ablehnen werden.
({0})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Gunter Weißgerber, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Konsolidieren des
Haushalts mit Augenmaß, so lassen sich die Ergebnisse
im Einzelplan 06 beschreiben. Im Vergleich zum Regierungsentwurf erhöhten wir im Beratungsverfahren den
Plafond um 71,97 Millionen DM auf jetzt 7,23 Milliarden DM. Wesentliche Änderungen sind hierbei die Einrichtung eines neuen Titels in Höhe von 19 Millionen
DM zur Bezuschussung des REAG-Programms, die
Verstärkung des Ansatzes zur Förderung der Rückkehr
und Reintegration von ausländischen Flüchtlingen,
GARP, um 16,5 Millionen DM und die Weiterführung
des „Goldenen Planes Ost“ sowie die Mitfinanzierung
der Baumaßnahmen Olympiastadion Berlin und Zentralstadion Leipzig.
Über die zuletzt genannten Vorhaben hat Kollege
Lothar Mark schon berichtet. Zu den Stadien nur soviel:
Uns war sehr daran gelegen, daß beide Stadien und beide Städte gleich behandelt werden. Das ist jetzt eingetreten.
({0})
An Steffen Kampeter habe ich die Bitte, keine Legende
zu verbreiten. Daß dies so ist, ist nicht auf den Druck der
Opposition zurückzuführen. Zu vermerken ist, daß Bundeskanzler Schröder und Bundesinnenminister Schily
Wort gehalten haben.
({1})
Deshalb werden Leipzig und Berlin gleichermaßen finanziert.
({2})
- Das hast du doch im Ausschuß mitbekommen.
Ein Schwerpunkt im Einzelplan 06 wird die Finanzierung der politischen Stiftungen bleiben. Die Herausforderungen hierbei sind sehr groß. Wurden in diesem
Einzelplan noch 1989 vor der deutschen Einheit rund
151 Millionen DM - einschließlich der Bauglobalmittel
- veranschlagt, so werden es in 2000 rund 168 Millionen DM - einschließlich der Bauglobalmittel und der
Mittel für die Rosa-Luxemburg-Stiftung - sein.
Nach derzeitiger Finanzplanung im BMI werden diese Mittel bis 2003 auf rund 157 Millionen DM absinken.
Dies würde bedeuten, daß in 2003 für die bisher finanzierten Stiftungen unter Abrechnung der neu hinzugetretenen Luxemburg-Stiftung weniger Mittel als vor der
deutschen Einheit zur Verfügung stehen würden - und
das, obwohl die Republik und damit die bildungspolitischen Aufgaben größer geworden sind. Dies können wir
alle so nicht wollen. Deshalb werden die rotgrünen Berichterstatter alles daransetzen, den jetzigen Plafond für
die nächsten Jahre zu verstetigen.
({3})
Zur Luxemburg-Stiftung bzw. zu den Wünschen der
PDS in dieser Hinsicht nur noch soviel: Die PDS zieht
hierzu die Wahlergebnisse nach Bundestagssitzen heran.
Dies ist jedoch falsch. Grundlage der Zuteilungsberechtigung sind die erreichten Zweitstimmenergebnisse über
vier Wahlperioden. Bezogen auf das Wahlergebnis aller
Parteien stünden der Rosa-Luxemburg-Stiftung bei
einem durchschnittlichen Ergebnis von 3,1 Prozent Globalmittel in Höhe von lediglich 5,1 Millionen DM zu.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung erhält jedoch 8 Millionen
DM. - Soviel zur angeblichen Schlechterstellung der
PDS und ihres politischen Hintergrunds.
({4})
Ein wichtiges politisches Zeichen - wenn auch relativ
gering in der Dimension - setzten wir bei der Bezuschussung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur. Hier milderten wir im Gegensatz zur allgemeinen Kürzung um 7,4 Prozent die Absenkung der
Mittel, indem wir 130 000 DM drauflegten. Ich persönlich denke, es wäre gerechter, die für die RosaLuxemburg-Stiftung vorgesehenen Mittel in Höhe von
8 Millionen DM würde diese Stiftung bekommen. Aber
es ist nicht alles gerecht auf dieser Welt; ich habe das
schon verstanden.
({5})
Im Sommer hatte ich im Kosovo zusammen mit dem
Kollegen Frankenhauser die Gelegenheit, dortige Mitarbeiter und Einrichtungen des Technischen Hilfswerkes
zu besuchen. Von hier aus möchte ich die Gelegenheit
nutzen und meine Hochachtung vor dem Engagement
und dem Pensum der THW-Beschäftigten aussprechen.
Auf deren Arbeit können wir stolz sein. Sie sind hervorragende Botschafter unseres Landes.
({6})
An dieser Stelle möchte ich mich auch bei meinen
Mitberichterstatterkollegen bedanken. Wir alle haben an
einem zukunftssichernden Haushalt mitgearbeitet.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat nun
der Kollege Erwin Marschewski, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manche sagen,
der jetzige Bundesinnenminister versuche, seinem erfolgreichen Vorgänger Manfred Kanther nachzueifern.
Wenn das denn stimmte, bliebe wenig Raum für Unionskritik. Es könnte dann richtig sein, Herr Bundesinnenminister, wenn Ihren Worten entsprechende Taten
folgten.
Hier einige Beispiele: Sie haben gesagt - der Kollege
Kampeter hat dies gerade erwähnt -, die Grenze der
Belastbarkeit durch Zuzug von Ausländern nach
Deutschland sei überschritten. Das ist richtig; das sagt
auch die Union. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung
gesagt, die Zuwanderung müsse endlich gesteuert werden. Auch das sagen wir. Sie haben weiter gesagt, das
subjektive Asylgrundrecht müsse abgeschafft werden.
Meine Damen und Herren, ich bin schon verwundert,
daß es angesichts dieses bedeutenden Satzes keine Reaktion von seiten der Koalition gegeben hat, kein Ja,
aber auch kein Nein.
Was Sie gesagt haben, Herr Kollege Özdemir, ist
doch selbstverständlich. Natürlich erfolgt ein rechtsstaatliches Verfahren; das steht in der Genfer Konvention. Daß Sie aber sonst nichts dazu gesagt haben, beweist, daß Sie kein Rückgrat mehr haben. Sie werden
immer mehr zu einer Partei ohne Grundsätze. Das zeigt
auch ihr Verhalten in Sachen Panzerlieferung.
({0})
Ich sage klar und eindeutig: Sie als Grüne hatten ursprünglich eine Berechtigung. Ich füge aber gleich hinzu: Es war einmal, Herr Kollege Özdemir!
({1})
Herr Bundesinnenminister, unsere Antwort auf Ihre
Vorschläge: Wir waren und sind stets bereit, sinnvolle,
die Zuwanderung begrenzende Änderungen in Art. 16 a
des Grundgesetzes und im Asylverfahrensgesetz mit zu
beschließen, wenn Sie es wirklich wollen. Wenn Sie
aber diese Denkerkenntnisse ernsthaft vertreten - ich
spreche einmal mit Ihren Worten -, warum haben Sie
dann bisher keinen Gesetzentwurf zur Zuwanderungsbegrenzung, zur Asylrechtsänderung eingebracht?
({2})
Werden Sie dies überhaupt noch tun? Warum haben Sie
Ihre Haushaltspolitik nicht diesen Feststellungen angepaßt? Und warum tun Sie und Ihre Koalition genau das
Gegenteil?
Wer die illegale Zuwanderung bekämpfen will - das
wollen Sie doch offensichtlich -, der muß die vorhandenen Instrumente nutzen und ausbauen. In diesem Haushalt findet sich keine müde Mark für den Ausbau des
Ausländerzentralregisters und die Einrichtung einer
Warndatei.
({3})
Aber beides könnte im Kampf gegen Visafälscher, gegen Schleuser und Menschenhändler große Dienste leisten. Da Sie nicht handeln, haben wir an Hand von
Praktikervorschlägen, die keiner bestimmten Partei zuzurechnen sind, einen ausgereiften Gesetzentwurf dazu
vorgelegt.
Ein Weiteres: Wer die illegale Zuwanderung bekämpfen will, der muß zunächst das Asylbewerberleistungsgeld beschränken.
({4})
Sie wissen, daß die Schlepper in Deutschland abkassieren, Herr Bundesinnenminister. Sie wissen auch um das
Nord-Süd-Gefälle in Europa; eine Angleichung haben
Sie in Tampere leider nicht erreicht. Wir alle wissen:
Solange ein Asylbewerber in Italien im Monat umgeGunter Weißgerber
rechnet 100 DM an staatlichen Leistungen bekommt und
bei uns ein Vielfaches davon bar ausgezahlt wird, so
lange wird der Zustrom nach Deutschland nicht abreißen. Dieser Diskussion müssen Sie sich stellen.
({5})
Anstatt über Leistungsminderungen mit der Folge
von Haushaltseinsparungen nachzudenken, Herr Kollege
Ströbele, kürzt der Bundesinnenminister den Etat des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge, obwohl die Zahl unerledigter Asylanträge
von rund 30 000 im letzten Jahr auf über 50 000 in diesem Jahr angestiegen ist, was natürlich die Sozialkassen
belastet.
Große Worte, aber keine Taten, Herr Bundesinnenminister! Wer ernsthaft die Zuwanderung begrenzen
will, der schränkt das Asylbewerberleistungsgeld ein das ist ein Vorschlag -, der sagt ja zur Einrichtung einer
Warndatei und zum Ausbau des Ausländerzentralregisters und erhöht die Haushaltsausgaben für die Visakontrollen. Das Hauptproblem - das wissen Sie genauso
gut wie ich - ist die illegale Zuwanderung. Deswegen
müssen wir in diesem Bereich Leistung erbringen.
Wer ernsthaft die Zuwanderung begrenzen will, der
sorgt für schnelle Asylverfahren und kündigt dies nicht
nur an, wie es die Justizministerin vorhin getan hat, und
für schnelle Abschiebungen, der will nicht - wie Sie eine Aufweichung der Flughafenregelung und noch
mehr Altfallregelungen.
Herr Bundesinnenminister, Ihre Politik in Rechtsetzung und im Etat hat nichts und gar nichts zu tun mit
dem Versuch, die Zuwanderung erfolgreich zu begrenzen. Ich sage: Worte, Worte, nichts als Worte, Herr
Schily. Sie wecken Hoffnungen, die Sie nicht erfüllen
können oder - noch schlimmer - nicht erfüllen wollen,
Herr Bundesinnenminister,
({6})
es sei denn, es sind Hoffnungen, die Guido Heinen so in
der „Welt“ beschreibt - ich zitiere -:
Schily hilft mit dem Vorschlag, Asylgrundrecht abzuschaffen, dem Bundeskanzler, weil er ihm doppelte Entlastung verschafft: Er baut eine neue Profilierungslinie auf, an der sich das grüne Milieu
nach Kosovokrieg, Atom und Panzern nun abarbeiten darf. Und er bietet der neuen Mitte die
Chance, sich zumindest in diesem Punkt in der Regierungssemantik wieder zu finden.
So weit „Die Welt“.
Herr Kollege Schily, man könnte dies auch augenzwinkernde Doppelstrategie nennen oder vielleicht auch
Desinformation der Bevölkerung, vielleicht sogar Täuschung. Sie können das gar nicht umsetzen, was Sie hier
proklamiert haben.
({7})
- Sie können sich dazu äußern. Ich bin sehr gern bereit,
über diesen Punkt, der die Menschen bewegt, zu reden.
Der Kollege von der F.D.P. hat völlig recht, daß dies ein
wichtiger Punkt ist. Wir haben dies damals in einer Diskussion abgeschlossen. Man muß über Neuerungen
nachdenken; aber da muß ein Bundesinnenminister mit
der Möglichkeit der Mehrheit die Dinge, die er einbringt, auch umsetzen, sonst führt er alle Leute in die Irre. Das ist keine gute Politik.
({8})
Dies ist leider auch im Bereich der inneren Sicherheit so. Richtig ist, daß allein die Menge an Gesetzen
nicht eo ipso innere Sicherheit gewährt. Das ist wahr.
Die Verschärfung von Gesetzen und von Recht darf nur
Ultima ratio sein. Richtig ist aber auch, daß wir durch
das Verbrechensbekämpfungsgesetz, durch die Geldwäschegesetze, durch die Bundeskriminalamts- und Bundesgrenzschutzgesetze den Gangstern erfolgreich den
Kampf angesagt haben. Sie haben recht, Herr Bundesinnenminister, Deutschland ist weit entfernt von Schrekkensszenarien in anderen Teilen der Welt, dank des Einsatzes der für innere Sicherheit Verantwortlichen, aber
auch dank unseres Einsatzes, dank unserer Gesetzeswerke in der Vergangenheit - und dies oftmals gegen die
SPD oder große Teile der SPD, immer gegen die Grünen
und ganz zu schweigen von der PDS, die die innere
Sicherheit überhaupt nicht kannte.
({9})
Ich habe noch Ihre Argumente im Kopf, meine Damen und Herren von der SPD, ich sehe die Kollegen
noch vor mir, die sagten, wir würden die Festen des
Rechtsstaates erschüttern oder wir seien eine Partei von
„law and order“. Ich habe das in diesem Hause sehr oft
gehört. Ich habe stets gesagt, was ich heute sage: Mein
Kampf gilt denjenigen, die Mord auf Bestellung ausführen lassen und die unsere Kinder in die Drogensucht
treiben. Da stützen wir uns auf das Gewaltmonopol des
Staates. Gewaltmonopol heißt, Recht zu schützen, und
heißt, Pflicht zu schützen, weil der Staat hier keinen
Finger breit Boden aufgeben darf, sonst gibt er sich
selbst auf. Das ist das Problem.
({10})
Hier ist Handeln vonnöten. Wann kommt denn endlich ein Gesetz zur Abschöpfung von Vermögensvorteilen aus Straftaten? Sie haben in Ihrem Lagebericht zur
organisierten Kriminalität 1998 gesagt, es sei Handlung
vonnöten. Wann kommt das Gesetz zur Abschöpfung
von Vermögensvorteilen? Wann kommen Ihre Vorschläge zur besseren Bekämpfung von Internetkriminalität? Kein Wort bisher! Wann beseitigen Sie die von der
Praxis belächelten Ausnahmeregelungen beim Einsatz
technischer Mittel in Gangsterwohnungen, zum Beispiel
für Zahnärzte, für Zeitungsvolontäre, für Hebammen
oder für Apotheker? Absurd, Herr Bundesinnenminister!
Wann steht dies einmal auf Ihrer Tagesordnung?
Sie haben in Ihrer Koalitionsvereinbarung versprochen zu handeln, versprochen, gegen Kriminalität und
die Ursachen vorzugehen. Aber auch hier keine Taten,
nur Fehlanzeige! Kein einziges Gesetz zur Bekämpfung
von Gewalt und organisierter Kriminalität, ein Jahr lang
kein einziges Gesetz! Statt dessen gibt es - das kritisiere
ich - die ersatzlose Abschaffung der Kronzeugenregelung,
({11})
die man natürlich verändern und dem Geschehen anpassen kann,
({12})
und das gegen die Polizei, gegen die Staatsanwaltschaften, wie es die Erkenntnisse aus dem Fall Pfeiffer nahelegen.
({13})
Statt dessen reduzieren Sie die Zuschüsse für die Bereitschaftspolizei.
Noch unglaublicher: Sie lassen letzten Endes Kunden
der Eisenbahn für deren eigene Sicherheit auf Bahnhöfen und in Zügen 250 Millionen DM selbst bezahlen.
({14})
Denn tragen werden dies die Reisenden. Das ist ein
eigenartiges Verständnis von Staat und der von ihm zu
garantierenden inneren Sicherheit.
Man muß ja schon fast zufrieden sein, Herr Bundesinnenminister, daß Sie der jahrelangen Propagierung von
Entkriminalisierung und der Verharmlosung von Bagatelldelikten - wie Grüne, Teile der SPD oder die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen sie betreiben nicht das Wort reden.
({15})
Unsere Antwort ist klar, Herr Graf: Null Toleranz bei
Rechtsbrechern und bei Gewalttätern. Dazu gehören
auch Gesetze und nicht bloße Sonntagsreden.
Ein Wort zum öffentlichen Dienst. Sie haben Innovation und Gerechtigkeit versprochen. Gerade die Gerechtigkeit bleibt auf der Strecke. Ausschließlich einer
Gruppe der Bevölkerung, den Beamten, im nächsten
Jahr keine Gehaltserhöhung zu gewähren ist ungerecht.
Herr Schily, Sie müßten wissen: Der öffentliche Dienst
besteht nicht nur aus Bundesministern und Staatssekretären,
({16})
sondern auch aus kleinen Arbeitern, kleinen Beamten,
kleinen Angestellten.
({17})
Vor allen Dingen kleine Beamte der Polizei sind es, die
für Recht und Gerechtigkeit, für die freiheitlichdemokratische Grundordnung einstehen und die unbestechlich sind.
({18})
- Ja, ja.
Wer als Innenpolitiker wie Sie die innere Sicherheit
zum Nulltarif verlangt, ist unglaubwürdig, und wer dies
als Innenminister tut, Herr Schily, der ist kein guter Innenminister. Bei Ihnen besteht das Problem: Analysen,
Aussagen und Forderungen allein können nicht ausreichen. Denn es besteht ein Widerspruch zwischen politischem Anspruch und der Wirklichkeit. Das gilt für die
Rechtssetzung und für den Haushalt, dem wir natürlich
nicht zustimmen können.
Ich komme zu folgendem Ergebnis, Herr Schily:
Auch Sie beteiligen sich voll an der Umkehr der Wahlversprechen der SPD und der Grünen: Nichts ist besser,
aber vieles ist schlechter als zuvor.
Herzlichen Dank.
({19})
Ich erteile das Wort
dem Bundesinnenminister Otto Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Gewährleistung der inneren Sicherheit gehört zu den vornehmsten Aufgaben des Staates. Die Menschen haben
Anspruch darauf, daß sie im Arbeitsleben und in ihrer
Freizeit nicht durch kriminelle Aktivitäten gefährdet
werden oder zu Schaden kommen. Die Freiheitlichkeit
unserer Gesellschaftsordnung findet daher ihr Fundament in der durch die staatlichen Institutionen garantierten inneren Sicherheit. Drei für die innere Sicherheit entscheidende Indikatoren weisen - im Gegensatz
zu dem Schreckensbild, das die Opposition malt - auf
eine positive Tendenz hin.
Erstens. Nach einer vom Bundeskriminalamt durchgeführten Untersuchung hat sich das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger in jüngster Zeit
deutlich verbessert.
Zweitens. Im Jahr 1999 zeichnet sich eine deutliche
Abnahme der Zahl der registrierten Straftaten ab.
Drittens. Die Aufklärungsquote hat sich im Bundesdurchschnitt erhöht.
An dieser Stelle darf ich den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der Polizeien der Länder und des Bundes
sowie aller anderen Institutionen, die für die Gewährleistung der inneren Sicherheit zuständig sind, insbesondere auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesgrenzschutzes, des Bundeskriminalamtes, des Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik
und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, für die von
ihnen geleistete Arbeit meinen herzlichen Dank aussprechen.
({0})
Die Bundesregierung wird die Politik zur Gewährleistung der inneren Sicherheit und ihre stetige Verbesserung konsequent und zielstrebig weiter verfolgen. Dies
ist auch aus den Ihnen vorliegenden Haushaltszahlen erkennbar.
Selbstverständlich muß der Bundesinnenminister wie alle anderen Ressorts - seinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Daß wir das tun müssen,
liegt an den Schulden, die wir von der abgewirtschafteten alten Bundesregierung übernommen haben:
({1})
1,5 Billionen DM insgesamt, 82 Milliarden DM Zinsen
pro Jahr. Das ist das, was Sie uns hinterlassen haben.
Wir haben jedoch strikt darauf geachtet, daß dadurch
keine Einbußen bei der inneren Sicherheit entstehen.
Im Haushaltsentwurf für das Jahr 2000 sind rund 60
Prozent der Ausgaben des Einzelplanes - das sind zirka
4,2 Milliarden DM - für den Sicherheitsbereich vorgesehen. Die Ausgaben für den Bundesgrenzschutz, das
Bundeskriminalamt, das Bundesamt für den Verfassungsschutz sowie das Bundesamt für die Sicherheit in
der Informationstechnik werden nicht reduziert, sondern
angehoben. Den Mitgliedern des Haushaltsausschusses
danke ich hier ausdrücklich für ihr Verständnis, daß sie
diese Haushaltsansätze mitgetragen haben. Ich weiß, daß
das einigen nicht leichtgefallen ist. Um so höher weiß
ich das Verständnis einzuordnen.
({2})
Sie von der Opposition haben an dieser Stelle gerügt,
daß der Haushaltsansatz für die Bereitschaftspolizei in
diesem Jahr um 6 Millionen DM gesenkt wird. Das ist
ein Betrag, von dem die Länderinnenminister sagen, er
lasse sich verkraften. Ich weiß, daß das in der mittelfristigen Finanzplanung etwas anders aussieht. Ich bin
gesprächsbereit und gesprächsoffen. Unter den Innenministern haben wir das in einer konstruktiven und
sachlichen Weise ausgetragen. Ich würde Ihnen empfehlen, diesem Beispiel zu folgen.
({3})
Um den Konsolidierungsbemühungen gerecht zu
werden, haben wir uns des weiteren von dem Grundsatz
leiten lassen, das Ziel der Einsparung von Haushaltsmitteln mit dem Ziel der Modernisierung der Verwaltung zu verbinden. Diesem Grundsatz folgend, ist es uns
gelungen, an vielen Stellen ungenutzte Effizienzpotentiale aufzudecken, die Verwaltungsstrukturen zu straffen
und neu zu ordnen. Mir ist bewußt, daß gegen die eine
oder andere Entscheidung unter regionalen Gesichtspunkten Einwände geltend gemacht worden sind. Wir
haben uns bemüht, mit diesen Einwänden sachlich umzugehen, und haben, wo uns die Einwände berechtigt erschienen, auch einige Korrekturen vorgenommen. Wir
haben aber stets hervorgehoben, daß Veränderungen bei
den Strukturentscheidungen nur dann in Betracht kommen können, wenn dadurch der von uns zu leistende
Konsolidierungsbeitrag für den Haushalt 2000 nicht in
Frage gestellt wird.
Wie Sie alle wissen oder jedenfalls wissen könnten,
kann die neue Bundesregierung für das erste Regierungsjahr in der Innenpolitik auf eine insgesamt sehr positive Bilanz verweisen.
({4})
Wir haben das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert. Wir
haben die Reform des Bundesgrenzschutzes weitergeführt, zugleich aber durch eine Verdoppelung des Hebungsprogramms für Fortschritte in der Qualifizierung
des Bundesgrenzschutzes gesorgt.
Wir haben - das sage ich an Ihre Adresse, Herr Marschewski - durch einen ausgewogenen Tarifabschluß
den Beschäftigten im öffentlichen Dienst und den Beamten einen deutlichen Reallohnzuwachs verschafft,
({5})
während sie in der Regierungszeit der früheren Bundesregierung fünfmal mit Lohnerhöhungen deutlich unter
der Inflationsrate vorliebnehmen mußten, somit Reallohnverluste erlitten haben. Das ist die Wahrheit, Herr
Marschewski. Reden Sie nicht so ein dummes Zeug wie
das, was Sie hier vorgetragen haben!
({6})
Wir garantieren für die kommenden Jahre, daß dieser
Reallohnzuwachs erhalten bleibt. Es gibt keine Nullrunden, wie Sie es behaupten. Das haben Sie früher praktiziert. Da verwechseln Sie die Vergangenheit mit der Zukunft.
({7})
Wir haben während der Kosovo-Krise erstmals eine
vernünftige Lastenteilung unter den Mitgliedsländern
der Europäischen Union bei der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen erreicht. Wir haben während
des Schengen-Vorsitzes und der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Union deutliche Fortschritte
beim Ausbau der Europäischen Union zu einem Raum
der Freiheit, des Rechts und der Sicherheit erreicht.
Dazu gehört, daß Europol, die europäische Polizeibehörde, am 1. Juli dieses Jahres mit einem erweiterten
Zuständigkeitsbereich ihre Arbeit aufnehmen konnte.
Dazu gehört auch der Abschluß der Arbeiten am
Eurodac-Regelwerk. Wer ein bißchen von der Sache
versteht, Herr Marschewski, weiß, daß das für die Bekämpfung der Schleusungskriminalität eine hohe Bedeutung hat.
Und wir haben vieles andere erreicht. Wir haben die
Sicherheitsarchitektur in Europa bilateral und multilateral erheblich verstärkt, und wir haben die ZusammenarBundesminister Otto Schily
beit in innenpolitischen Fragen zwischen Bund und
Ländern enger gestaltet und insbesondere durch zahlreiche Kooperationsabkommen zwischen Bund und Ländern zur besseren Koordinierung der Arbeit des Bundesgrenzschutzes und der Länderpolizeien beigetragen.
Die gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern hat sich auch auf der jüngsten Innenministerkonferenz in Görlitz bewährt. Besondere Hervorhebung verdient die Tatsache, daß wir uns auf eine abgewogene
Altfallregelung verständigt haben, die verständlicherweise manchen nicht weit genug geht, bei anderen dagegen eher auf Ablehnung stößt. Angesichts der ursprünglich sehr weit auseinanderliegenden Auffassungen ist
das erzielte Ergebnis anerkennenswert.
({8})
Besondere Beachtung verdient die Tatsache, daß die
Innenministerkonferenz - da sollte die CDU/CSU besonders gut zuhören - einhellig die Ergebnisse der europäischen Ratskonferenz von Tampere begrüßt hat. Ich
kann mich noch an die Diskussion erinnern, in der Sie
sie gescholten und gesagt haben, dabei sei gar nichts herausgekommen. Die Bundesregierung sieht sich dadurch
in ihrer positiven Würdigung der Ergebnisse von Tampere bestärkt.
Meine Damen und Herren, die Debatte ist heute zeitlich zu stark eingeschränkt, als daß ich das schwierige
Thema Asyl ausführlich darlegen könnte. Ich glaube,
daß Sie, Herr Marschewski, einigen Mißverständnissen
unterliegen.
({9})
- Ich glaube aber, Sie haben es nicht verstanden. Lesen
allein reicht manchmal nicht aus, um zu verstehen.
({10})
Ich habe die Genfer Flüchtlingskonvention nie in
Frage gestellt, und ich habe auch keine konkreten Forderungen aufgestellt. Ich habe nur gesagt - ich meine, es
ist durchaus möglich, das zu tun -, daß man sich zunächst einmal in der Zielsetzung einig sein muß. Ich bin
mir mit den Koalitionsfraktionen in der Zielsetzung völlig einig. Ich sage das, damit das klar ist.
Ich möchte, daß der Schutz für politische Flüchtlinge
in Deutschland gewährleistet ist.
({11})
Ich möchte, daß wir die Zuwanderungen regeln und begrenzen. Ich möchte sie aber nicht nur als Negativum
ansehen.
({12})
Ich möchte, daß wir eine vernünftige Lastenteilung bei
den Bürgerkriegsflüchtlingen erreichen. Die Frage, die
sich stellt, lautet: Wie können wir es schaffen, das zu erreichen, was in dem deutsch-britisch-französischen Papier formuliert worden ist, daß diese drei Fragenkomplexe auseinandergehalten werden?
({13})
- Herr Marschewski, es tut mir leid, ich habe nur ganz
wenig Zeit und möchte keine Zwischenfragen beantworten. Wir können das in aller Ruhe im Innenausschuß
besprechen.
({14})
Die Bundesregierung wird auch in den kommenden
Jahren ihre solide und verantwortungsbewußte Innenpolitik fortsetzen. In unserem Programm stehen dabei
eine Reihe wichtiger Vorhaben. Dazu zählen die dringend notwendige Novellierung des Waffenrechts, eine
zeitgemäße Regelung des Sicherheitsgewerbes und die
Verstärkung kriminalpräventiver Maßnahmen.
Ziel der Novellierung des Waffenrechts ist es, eine
klare, übersichtlichere und praktikablere Regelung zu
schaffen. Um allen Belangen Rechnung zu tragen, haben
wir eine umfangreiche Anhörung durchgeführt. Wir sind
zuversichtlich, daß wir in Kürze nach Abstimmung mit
den Ländern einen Entwurf zur Novellierung des Waffenrechts vorlegen können.
Mit der Neuregelung des Rechts des privaten
Sicherheitsgewerbes, für das der Wirtschaftsminister
die Federführung hat, sollen noch vorhandene Regelungsdefizite beseitigt werden. Zur Verbesserung der
Präventionsarbeit haben Bund und Länder ein Deutsches
Forum für Kriminalprävention gegründet, von dem ich
hoffe, daß es bald arbeitsfähig sein wird.
Wie in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, haben
wir uns ferner zum Ziel gesetzt, die Bundesverwaltung
grundlegend zu modernisieren. Die Verwaltung muß
sich dem gewandelten Staatsverständnis und den sich
ändernden Aufgaben anpassen. Dabei wird die Staatstätigkeit nach dem Leitbild des aktivierenden Staates
auf die Kernaufgaben zurückgeführt. Privatinitiative,
Selbstregulierung und Selbstvorsorge müssen gestärkt
werden.
Die Bürgerinnen und Bürger, die dafür Steuern aufbringen müssen, haben einen selbstverständlichen Anspruch auf eine leistungsstarke, kostengünstige und
transparente Verwaltung.
({15})
Diesem Anspruch weiß sich die Bundesregierung verpflichtet. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, muß
ein umfassendes Qualitätsmanagement unter Anwendung betriebswirtschaftlicher Instrumente wie Kostenund Leistungsrechnung und Controlling in der Bundesverwaltung eingeführt werden.
Das Leitmotiv für die Modernisierung der Bundesverwaltung heißt für uns: Wir wollen eine Verwaltung,
die mehr leistet und weniger kostet. Die Verwaltung
wird ihre Aufgaben zunehmend unter WettbewerbsbeBundesminister Otto Schily
dingungen erfüllen müssen. Die Motivation der Beschäftigten ist dabei die Grundvoraussetzung für Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft.
({16})
- Es ist interessant, daß Sie das sagen. Dabei haben Sie
in 16 Jahren einiges zustande gebracht!
({17})
Auch im Übergang zur Informationsgesellschaft
stellen sich neue Aufgaben im öffentlichen Sektor. Wir
müssen die vielschichtigen Veränderungen und Probleme angehen, die die neuen Kommunikationsmedien
mit sich bringen. Zugleich müssen sich die staatlichen
Institutionen die Chancen und Möglichkeiten der Informationsgesellschaft für die Erfüllung ihrer Aufgaben
zunutze machen. Dabei liegt der Schwerpunkt zum
einen im Bereich der notwendigen Regulierung, zum
anderen aber auch in der Teilhabe des Staates an eben
diesem Informations- und Wissenssektor.
Als Regulierer der Informationsgesellschaft hat der
Staat vor allem die Aufgabe, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in der Informationsgesellschaft zu
gewährleisten, die Vertrauenswürdigkeit der Informationstechnik sicherzustellen und den Schutz der Privatsphäre zu wahren.
Dabei ergeben sich für den Bundesinnenminister folgende Handlungsfelder:
Erstens. Tatbestände, die einer staatlichen Regulierung bzw. Kontrolle bedürfen, sind beispielsweise strafrechtlich relevante Sachverhalte sowohl in repressiver
als auch in präventiver Hinsicht.
Zweitens. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist
die Förderung von Sicherungsinstrumenten wie die
Kryptographie und die digitale Signatur, mit denen
der unberechtigte Zugang zu Fremddaten verhindert, jedenfalls aber erheblich erschwert werden kann.
Von Bedeutung ist auch die Neukonzeption des Datenschutzrechts. Das Bundesdatenschutzgesetz und andere Gesetze müssen an die EG-Datenschutzrichtlinie
vom 24. Oktober 1995 angepaßt werden. Leider ist bei
diesem Vorhaben ein Zeitdruck entstanden, weil die alte
Regierung ihrer Verpflichtung zur Umsetzung der EGDatenschutzrichtlinie nicht nachgekommen ist.
({18})
Entgegen mancher in der Öffentlichkeit verbreiteter
Falschmeldungen lege ich Wert auf die Feststellung, daß
die Bundesregierung bei der Novellierung des Datenschutzrechts die Pressefreiheit in keiner Weise einschränken wird.
({19})
An dieser Stelle darf ich im Hinblick auf einige seltsame Berichte und Kommentare die Bitte äußern, folgende allgemein bekannte Spielregeln zu beachten:
({20})
Von einem Schily-Entwurf kann erst dann die Rede sein,
wenn ich einen Gesetzentwurf gebilligt habe und ihn
dem Kabinett zur Beschlußfassung vorlege.
({21})
Ein Referentenentwurf ist noch kein Schily-Entwurf.
({22})
- Jetzt hören Sie einmal ganz genau zu! Bei allen Gesetzesinitiativen, die ich zu verantworten habe, habe ich
stets Wert darauf gelegt, Einwände, die gegen einen Referentenentwurf erhoben werden, in persönlichen Gesprächen mit den betroffenen Organisationen und Berufsverbänden zu erörtern. Sie können offenbar nicht
einmal zuhören.
({23})
So halte ich es auch mit den Medienvertretern. Mit dem
Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger habe ich seit
geraumer Zeit einen Gesprächstermin vereinbart. Dieser
Gesprächstermin steht schon lange fest, und zwar stand
er fest, bevor der Deutsche Presserat seine Pressekonferenz abgehalten hat.
({24})
Auch dem Deutschen Presserat habe ich im Vorfeld der
besagten Pressekonferenz eine Teilnahme an dem Gespräch angeboten.
({25})
Am wenigsten Grund, sich bei dieser Frage zu ereifern, hat die Opposition. Der Referentenentwurf, an dem
die Opposition Kritik übt,
({26})
stimmt fast zu 100 Prozent mit dem Entwurf überein,
({27})
den die alte Bundesregierung bereits im Mai 1998 als
Kabinettsvorlage fertiggestellt hatte.
({28})
Er stammt von derselben Referentin, die auch in Ihren
Diensten stand. Es ist fast zu 100 Prozent derselbe Entwurf.
({29})
Die Kabinettsvorlage scheiterte damals ausschließlich
daran, daß das Bundesministerium für Wirtschaft eine
seit Entstehung des Datenschutzgesetzes aus dem Jahre
1968 geltende, im Entwurf unveränderte Vorschrift zum
Anlaß nahm, der Kabinettsvorlage zu widersprechen.
Alle Bestimmungen hinsichtlich des Medienbereichs,
die jetzt mit großem Getöse kritisiert werden, waren bereits mit Zustimmung aller Häuser der damaligen Bundesregierung in der Kabinettsvorlage der alten Bundesregierung enthalten.
({30})
Bitte, schauen Sie sich das noch einmal an, bevor Sie in
der Öffentlichkeit Kritik üben. Wenn Sie die Vorlage
jetzt kritisieren, dann kritisieren Sie sich selber. Das ist
der Sachverhalt.
({31})
Herr Minister, ich
muß Sie leider auf Ihre Redezeit aufmerksam machen.
Die Bundesverwaltung muß sich in viel stärkerem Maße als bisher die moderne Informationstechnik zunutze machen.
Wegen der Kürze der Zeit kann ich das im weiteren
nicht ausführen.
Ich möchte auf das Thema „innere Sicherheit“ zurückkommen. Niemand kann sich der Erkenntnis verschließen, daß der innere Frieden in unserem Lande in
hohem Maße auch von der internationalen Zusammenarbeit abhängig ist. Im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten unterstützt die Bundesregierung daher andere
Länder bei der Ausbildung und bei der Ausstattung ihrer
Sicherheitskräfte.
Einen Schwerpunkt dabei bildet der Kosovo. Bund
und Länder haben in den Kosovo insgesamt 210 Polizeibeamte entsandt. Ich bin meinen Innenministerkollegen aus den Ländern dankbar, daß sie sich auf meine
Bitte hin bereit erklärt haben, zusammen mit dem Bund
das Polizeikontingent im Kosovo zu verdoppeln, und
dem Wunsch des Leiters der zivilen Verwaltung im
Kosovo, Tom Koenigs, nach Entsendung zusätzlicher
Experten für den Auf- und Ausbau der zivilen Verwaltung im Kosovo zu entsprechen.
Herr Minister, ich
muß Sie noch einmal auf Ihre Redezeit aufmerksam machen.
Ich komme
zum Ende.
Es ist wichtig, daß folgendes in diesem Hause gesagt
wird: Den Beamtinnen und Beamten, die sich für diese
schwierige Aufgabe im Kosovo zur Verfügung gestellt
haben, spreche ich meinen besonderen Dank aus.
({0})
Ich wünsche ihnen, daß sie nach Erfüllung ihrer schwierigen Aufgaben wohlbehalten in die Heimat zurückkehren. In diesen Dank schließe ich auch die Beamtinnen
und Beamten des Bundeskriminalamtes und der Landeskriminalämter sowie die Rechtsmediziner ein, die im
Auftrag der Chefanklägerin beim Internationalen Gerichtshof die äußerst schwierigen Ermittlungsarbeiten im
Kosovo übernommen und erfolgreich abgeschlossen haben.
({1})
Frau Kollegin Jelpke, Sie haben vorhin ausgeführt, der grüne Abgeordnete
aus NRW Roland Appel werde mit den Worten zitiert,
daß sich der Innenminister zum Affen der Rechtsradikalen in der Republik mache. Sie haben gesagt, er habe
in der Sache recht. Ich weise diese Ausführungen als
unparlamentarisch zurück.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der
Kollege Günter Graf.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte folgende
Kurzintervention machen, nachdem wir die Beratungen
zum Einzelplan 06 abgeschlossen haben. Wir haben von
allen Seiten viel über die Polizei gehört. Wir alle in diesem Hause haben der Polizei gemeinsam gedankt.
Ich möchte die Opposition und in besonderer Weise
Sie, Herr Rüttgers, der Sie sich in dieser Angelegenheit
immer sehr stark machen, auffordern, beim Innensenator
in Berlin dafür Sorge zu tragen, daß die Arbeitsbedingungen für die Berliner Polizei, die uns in diesem Gebäude beschützt, erheblich verbessert werden. Die Kollegen von der Berliner Polizei sitzen draußen auf einem
Mannschaftswagen mit laufendem Motor. Man bedenke,
daß es jetzt noch relativ warm ist.
Wenn es nicht gelingt, für die Kollegen, die hier in
Berlin Tag für Tag im Einsatz sind, vernünftige Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen, dann dürfen wir
nicht über Polizei und innere Sicherheit reden; vielmehr
müssen wir erst einmal unsere Hausarbeiten erledigen.
Das wäre vernünftig.
Danke.
({0})
Wir danken dem
Kollegen Graf für diese Kurzintervention, und wir
schließen uns seinen Worten ausdrücklich an. Wir hoffen, daß auch alle Verantwortlichen dies gehört haben.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen über den Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der AusBundesminister Otto Schily
schußfassung. Es liegen fünf Änderungsanträge vor,
über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/2130? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den
Stimmen der Regierungsfraktionen und der PDS abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/2135? - Die Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/2129? - Gegenprobe! Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/2131? - Gegenprobe! Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/2132? - Gegenprobe! Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 06 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 06 ist angenommen.
Wer stimmt für den Einzelplan 33 - Versorgung - in
der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Einzelplan 33 ist angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 15 auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
- Drucksachen 14/1914, 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Schöler
Matthias Berninger
Jürgen Koppelin
Dr. Barbara Höll
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Manfred Kolbe, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 15, in
dessen Beratung wir jetzt eingetreten sind, eignet sich
ganz besonders, um das 30-Milliarden-DM-Spargerede
des Bundesfinanzministers, das wir uns auch heute wieder anhören mußten, zu entlarven.
Herr Diller, schauen wir uns einmal diesen Einzelplan an: 1999 betrugen die Ausgaben noch 1,607 Milliarden DM. Der jetzige Entwurf sieht nach den Beratungen im Haushaltsausschuß Ausgaben in Höhe von
1,837 Milliarden DM vor. Jeder, der rechnen kann,
weiß: Nach Adam Riese sind dies 237 Millionen DM an
Mehrausgaben. Wie kann man damit begründen, daß
angeblich 7,4 Prozent eingespart werden? Frau Bundesministerin, vielleicht können Sie uns später weiterhelfen
und uns dies erklären.
Ihr Haus hat in den Haushaltsverhandlungen für die
Erhöhung des Etats drei angebliche Sondersachverhalte
angeführt, die zur bisherigen Finanzplanung addiert
werden, nämlich 130 Millionen DM an Nachveranschlagungen für die Pflegeeinrichtungen, 50 Millionen DM
für den Neubau eines Instituts und 26 Millionen DM für
Personalausgaben.
Damit haben Sie auf wunderschöne Art und Weise
das Eichelsche Gerede von den angeblichen 30 Milliarden DM an Einsparungen entlarvt. Auf die bisherige
Finanzplanung wird erst einmal tüchtig draufgesattelt.
Dies nennt sich dann „bereinigte Finanzplanung“. Auf
Grund dieser „bereinigten Finanzplanung“ werden dann
wieder Einsparungen in Höhe von angeblich 30 Milliarden DM vorgenommen. Der Bundesfinanzminister verhält sich dadurch wie ein unseriöser Kaufmann: Er malt
große Plakate, auf denen steht, 30 Prozent billiger, hier:
30 Milliarden DM eingespart, ohne zu verraten, auf welcher Grundlage eingespart wird. Genau wie bei dem
Kaufmann, der zunächst Mondpreise bildet, um anschließend seinem Kunden eine Reduzierung um
30 Prozent zu suggerieren, so wird hier der Öffentlichkeit suggeriert, daß 30 Milliarden DM eingespart werden. Dies ist falsch.
({0})
Wir sind sehr gespannt, Frau Ministerin, ob Sie uns
weiterhelfen können.
Lassen Sie mich nun auf einige wichtige Einzelpositionen im Einzelplan 15 eingehen. Ich möchte mit dem
Erfreulichen beginnen, mit den Pflegeeinrichtungen.
Über die Hälfte der Gesamtausgaben des Gesundheitshaushalts in Höhe von 1,837 Milliarden DM, nämlich
925 Millionen DM, fließen als Finanzhilfe des Bundes
zur Förderung der Investitionen in Pflegeeinrichtungen
in die östlichen Länder. Dies ist erfreulich. Allerdings
geht diese Leistung auf die vorherige CDU-geführte
Bundesregierung zurück, die in Art. 52 Abs. 1 des Pflege-Versicherungsgesetzes von 1994 bestimmt hatte, daß
acht Jahre jeweils 800 Millionen DM, also insgesamt
6,4 Milliarden DM, zur Modernisierung der Pflegeeinrichtungen in die östlichen Bundesländer fließen.
Dieses Investitionsprogramm ist ein Erfolg. Jeder, der
seinen Wahlkreis im Osten hat, weiß, daß zahlreiche
Pflegeeinrichtungen modernisiert werden konnten. Ich
möchte mich dafür beim deutschen Steuerzahler bedanken.
({1})
Wir beglückwünschen Sie, Frau Ministerin, daß Sie
an diesem Punkt erfolgreiche CDU-Politik fortführen.
Hätten Sie ähnliches auch bei der Gesundheitsreform
getan, würde es Ihnen heute besser gehen. Diesen Rat
darf ich Ihnen kurz geben.
Problematischer wird es in der Pflegeversicherung
dann, wenn Sie die eigene Politik umzusetzen versuchen. So haben Sie die Bemessungsgrundlage für die
Sozialversicherungsbeiträge der ArbeitslosenhilfebezieVizepräsidentin Anke Fuchs
her gesenkt, mit fatalen Auswirkungen auf die Pflegeversicherung. Der Pflegeversicherung fehlen jährlich
400 Millionen DM. Die Pflegeversicherung wird ab dem
Jahre 2003 wohl ins Defizit geraten. Das scheint Sie
nicht sonderlich zu kümmern, vielleicht auch, weil Sie
annehmen, daß Sie 2003 nicht mehr im Amt sind. Diese
Prognose ist vielleicht nicht ganz unbegründet.
({2})
- Das wissen wir alle nicht, Frau Kollegin. Wir warten
es ab.
({3})
- Da bin ich mir nicht ganz sicher.
Erfreulich ist des weiteren, daß wir endlich den Bundesanteil zur Entschädigung von Hepatitis-C-Opfern in
der ehemaligen DDR in diesem Bundeshaushalt verankert haben.
({4})
1978/79 sind in der ehemaligen DDR rund 3 000 Frauen
und Neugeborene durch ein fehlerhaftes Serum mit dem
Hepatitis-C-Virus infiziert worden. So etwas kann leider
passieren.
Aber der eigentliche Skandal dieser Jahre ist, daß erstens die Öffentlichkeit damals nicht informiert wurde,
daß zweitens die betroffenen Frauen, obwohl sie zum
Teil monatelang von ihren Neugeborenen isoliert wurden, nicht informiert wurden. Gegen die Verantwortlichen hat unter Ausschluß der Öffentlichkeit ein Geheimprozeß stattgefunden. Als einmalige Entschädigung
wurde den Betroffenen damals in der DDR ein Betrag
von 200 Mark angeboten. Das ist ein Skandal gewesen.
({5})
- Frau Fuchs, ich empfehle Ihnen die Lektüre der Bundestagsdrucksache 13/2732.
Wir freuen uns, daß dies jetzt endlich anders wird,
spät, wenn auch nicht zu spät.
Lassen Sie mich zu einem dritten Punkt kommen,
dem Drogen- und Suchtmittelmißbrauch. Obwohl Sie,
Frau Ministerin, im Internet verkünden, daß die Prävention nach wie vor einen hohen Stellenwert hat, kürzen
Sie die Ansätze für die Aufklärung im Bereich des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs um 1 Million DM, und
dies, obwohl der Gesundheitsausschuß das einstimmig,
also auch mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
abgelehnt hat.
({6})
Dafür wenden Sie 2 Millionen DM für die wissenschaftliche Begleitung des Versuchs zur heroingestützten Behandlung, den sogenannten Fixerstuben, auf,
obwohl die Sachverständigenanhörung am 10. November vor dem Gesundheitsausschuß ergeben hat, daß dieser Versuch äußerst zweifelhaft ist. Er führt oft zu einer
Verlängerung einer behandelbaren Krankheit. Die Einrichtungen üben eine überregionale Sogwirkung aus.
Völlig unklar ist, welche Drogen dort verabreicht werden sollen. Das Projekt ist auch nicht ganz billig. Die
Kosten pro Tag und Teilnehmer werden mit zirka 90
DM angesetzt, belaufen sich also pro Jahr und Teilnehmer auf 33 000 DM.
Als letztem Punkt lassen Sie mich zu den AidsAufklärungsmaßnahmen kommen. Hierfür sah Ihr Regierungsentwurf Minderausgaben in Höhe von 3 Millionen DM vor. Der Haushaltsausschuß hat das einvernehmlich korrigiert und den alten Ansatz wiederhergestellt.
Frau Fischer, Sie erreichen mit Ihrem Haushaltsentwurf eine gute Performance. Ich habe ihn durchgeblättert. Die Seiten sind vollständig.
({7})
Rechenfehler sind auch nicht enthalten. Herzliche
Glückwünsche!
({8})
Dennoch müssen wir ihn zu unserem Bedauern ablehnen, weil wir uns eine bessere Gesundheitspolitik
vorstellen können.
Danke.
({9})
Das Wort hat nun
der Kollege Walter Schöler, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kolbe hat ja das ist etwas Besonderes bei einer solchen Debatte - tatsächlich zu einer Reihe von Haushaltspositionen gesprochen. Ich möchte das eingangs auch machen. Er hat auch
vieles von dem, was sich in unserem Haushalt findet, als
erfreulich bezeichnet. Herzlichen Dank, Herr Kollege!
Einiges haben wir natürlich auch gemeinsam auf den
Weg gebracht.
Daß Sie aber das Sparsystem bezüglich der
30 Milliarden DM immer noch nicht begriffen haben,
nachdem es Ihnen viermal erläutert worden ist - zweimal im Ausschuß, der Staatssekretär Diller und auch ich
haben es Ihnen erläutert -, das begreife ich nun wirklich
nicht.
({0})
Ich weiß nicht, ob ich es tun soll, aber ich werde vielleicht im Laufe der Rede noch einige Punkte erwähnen.
({1})
Sie haben ja schon gesagt, das Einzelplanvolumen
beläuft sich für Pflege und Gesundheit auf 1,837 MilManfred Kolbe
liarden DM. Es steht damit natürlich in keiner Relation
zu den außerhalb des Bundeshaushaltes über die Versicherungssysteme und die öffentlichen Haushalte laufenden jährlichen Leistungen, denn diese betragen für die
Pflege über 31 Milliarden DM und für Gesundheit über
530 Milliarden DM. Davon fallen allein 260 Milliarden
DM in der gesetzlichen Krankenversicherung an.
Bei allen Sparbemühungen, die uns die Opposition
vorwirft, statt sie zu unterstützen, stellt der Einzelplan
Gesundheit sicher, daß die Finanzierung gesundheitspolitischer Maßnahmen mit Programmcharakter, zum
Beispiel die Modellvorhaben zur Qualitätssicherung, die
Verbesserung der Selbstversorgung mit Blut und Blutprodukten und die Bekämpfung des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs, auf hohem Niveau verstetigt oder gar
verbessert werden konnte. Im Rahmen der Haushaltsberatungen ist es der Koalition gelungen, Bereiche mit
steigender gesundheitspolitischer Bedeutung von Kürzungen auszunehmen. Wenn Bereiche nach unserer Entscheidung von zentraler Bedeutung waren, haben wir die
Haushaltstitel auch angehoben.
Insgesamt hat der Einzelplan 15 seinen Beitrag zur
Konsolidierung des Haushalts geleistet. Dies geschah
jedoch nicht durch stures Ansetzen des Rotstiftes, sondern durch optimierten Einsatz der vorhandenen Mittel.
Auf einige solcher Bereiche will ich gleich noch näher
eingehen.
Ich möchte jetzt an eine Begebenheit aus der letzten
Haushaltsdebatte, die im Mai dieses Jahres stattfand,
erinnern. Herr Thomae von der F.D.P. war damals etwas
enttäuscht darüber, daß die SPD die Entschädigungsfrage für Hepatitis-C-Opfer in den neuen Bundesländern noch nicht gelöst habe. Nachdem die Koalition
erst sechs Monate regierte, waren Sie etwas enttäuscht,
und das, nachdem CDU/CSU und F.D.P. fünf Jahre lang
zu diesem Thema geschwiegen hatten.
({2})
Dabei waren es Anträge der SPD-Bundestagsfraktion
und der beharrliche Einsatz unserer Gesundheitspolitiker, welcher Sie überhaupt erst auf diesen Mißstand
aufmerksam gemacht haben.
({3})
Ich denke, Ihre Enttäuschung hat sich mittlerweile
gelegt, denn auf Initiative der Koalitionsfraktionen hat
der Haushaltsausschuß für das Jahr 2000 20 Millionen
DM zur Entschädigung dieser Hepatitis-C-Opfer in der
ehemaligen DDR bereitgestellt.
({4})
Damit gibt es jetzt endlich Gerechtigkeit für die 2 600
Opfer des größten Arzneimittelskandals in Ostdeutschland. Der Bundesanteil schlüsselt sich dabei in
5 Millionen DM für jährliche Rentenleistungen und
weitere 15 Millionen DM für Einmalzahlungen auf. Sie
haben diesem Vorgehen ja Ihre Zustimmung auch nicht
entziehen können. Wir erwarten jetzt natürlich vom Gesundheitsministerium, daß es den Gesetzesentwurf zügig
vorlegt, und von den Ländern,
({5})
daß diese ihren Anteil von jährlich 5 Millionen DM für
die Rentenleistungen ebenfalls bereitstellen.
({6})
Das ist wirklich ein großer Erfolg der Regierungskoalition. Das haben Sie nicht zustande gebracht, Herr Thomae; Sie können da erzählen, was Sie wollen.
({7})
- Ich würde mir an Ihrer Stelle, Herr Thomae, einmal
eine neue Schallplatte kaufen. Ihre alte hat langsam einen Sprung. Sie wiederholen sich dauernd, aber dadurch
wird es nicht besser.
({8})
Wir haben dieses Versprechen eingelöst und verhelfen
den Frauen endlich zu ihrem Recht auf angemessene
Entschädigung.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig sind vor
allem Haushaltstitel mit Programmcharakter. Für gesundheitspolitisch relevante Maßnahmen sind insgesamt
84 Millionen DM veranschlagt; hinzu kommen 63 Millionen DM für Modellprogramme innerhalb der Pflegeversicherung. Es werden insbesondere Modellprogramme zur Krebsbekämpfung, Maßnahmen gegen Drogenund Suchtmittelmißbrauch und auch die Vorhaben zur
medizinischen Qualitätssicherung gefördert. Wir zahlen
Zuwendungen für Projekte sowie für Maßnahmen zur gesundheitlichen Aufklärung der Bevölkerung und finanzieren insbesondere die Drogen- und Aids-Prävention.
In der Drogenpolitik werden seit der Anbindung der
Drogenbeauftragten der Bundesregierung an das Bundesministerium für Gesundheit neue Akzente gesetzt.
Diese umfassen einerseits die Elemente Aufklärung,
Prävention und Hilfe für Suchtkranke und andererseits
die Strafverfolgung des kriminellen Drogenhandels
durch Polizei und Justiz. Besondere Betonung liegt dabei auf Prävention, Aufklärung und Hilfe für Abhängige.
Wir sollten dabei nicht nur die illegalen Drogen sehen.
Erwähnen möchte ich auch die Gesundheitsschäden
durch Rauchen, Alkohol und die Abhängigkeit von Medikamenten. Es war auch noch irgend etwas anderes dabei, an das ich mich im Moment aber nicht erinnern
kann.
({10})
Bei der Drogenbekämpfung wurden zusätzliche Mittel für einen Modellversuch der heroingestützten Behandlung bereitgestellt. Herr Kolbe hat das erwähnt und
es wieder kritisiert. Die Umsetzung erfolgt in Kooperation mit einer ganzen Reihe von Großstädten. Inzwischen - das bedauere ich sehr - regieren in immerhin
fünf der acht genannten Großstädte Oberbürgermeister,
die der CDU angehören. Aber sie machen - im Gegensatz zu Ihnen, die Sie immer noch Bedenken haben - bei
diesem Modellversuch mit.
({11})
Gerade mit diesen differenzierten Maßnahmen können auch langjährig Abhängige erreicht werden, zu denen es bisher kaum einen Zugang gab. Außerdem wird
dadurch dem Beschaffungsdruck und der damit verbundenen Kriminalität entgegengewirkt. Angesichts der
noch steigenden Zahl von Konsumenten harter Drogen
und der großen Zahl der jährlich am Drogenkonsum
sterbenden Menschen kommt der Sucht- und Drogenpolitik eine besondere Bedeutung zu.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
wichtigen Thema Aids. Der Regierungsentwurf hatte
nur 15 Millionen DM für die Aids-Aufklärung vorgesehen. Das hat uns nicht gefallen. Der Haushaltsausschuß
hat eine Erhöhung auf 18 Millionen DM beschlossen
und meint - darin besteht interfraktionell wohl Übereinstimmung -, der Titel sollte künftig auch nicht mehr zur
Disposition gestellt werden.
({13})
Wir alle wissen, daß es immer noch kein durchschlagendes Heilmittel gegen Aids gibt. Daher steht bei der
Bekämpfung von Aids die umfassende und intensive
Aufklärung der Bevölkerung über Übertragungswege
des Erregers und über Schutzmöglichkeiten im Vordergrund.
Das Robert-Koch-Institut, das in der Gesundheitsberichterstattung sowie im speziellen in der AidsForschung sehr gute und wichtige Arbeit leistet, schätzt
die Gesamtzahl der HIV-Infektionen in Deutschland auf
50 000 bis 60 000. Trotz intensiver Bemühungen durch
die Aufklärungskampagnen kommen jährlich 2 000 bis
2 500 Neuinfektionen hinzu. Von großer Bedeutung ist
daher die von der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung durchgeführte Aids-Präventionskampagne.
Sie ist notwendig; denn wiederholte Erhebungen zeigen,
daß der positive Trend des verstärkten Schutzverhaltens
seit 1996 stagniert. Deshalb muß das hohe Niveau bei
der Prävention erhalten werden.
({14})
Wir haben dafür gesorgt, daß die Haushaltsmittel
wieder auf 18 Millionen DM aufgestockt wurden. Erwähnt werden sollte dabei, verbunden mit einem Wort
des Dankes an alle beteiligten Stellen, auch das Einwerben privater Sponsorenmittel, ohne die die Aufklärungskampagne nur unzureichend gestaltet werden
könnte.
Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für
Arzneimittel könnten um 10 bis 20 Prozent niedriger sein. Der Arzt steht nach wie vor einem
Dschungel von 50 000 Arzneimitteln gegenüber,
von denen weit mehr als die Hälfte nicht nach wissenschaftlichen Kriterien auf Wirksamkeit und Sicherheit hin überprüft worden sind. ... 2 200 auf
dem Markt befindliche Wirkstoffe, die aber dennoch weiter verordnet werden, hielten der kritischen Überprüfung der Kommission nicht stand.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist keine Pressemeldung der SPD-Fraktion, sondern ein Zitat von Professor Bruno Müller-Oerlinghausen, dem Vorsitzenden
der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft.
Schon bei den letzten Haushaltsberatungen habe ich
auf das Problem der hohen Zahl von unerledigten Nachzulassungsanträgen aufmerksam gemacht. Ursprünglich gab es rund 32 000 Anträge, deren Zahl sich inzwischen auf 15 000 reduziert hat, in vielen Fällen allerdings nur durch Rücknahme der Anträge oder Auslaufen
des Produktes; das muß man auch dazusagen. Deshalb
haben wir zur beschleunigten Bearbeitung von nachträglichen Anträgen für Arzneimittel das zuständige
Bundesinstitut in den Stand versetzt, die Rückstände
schneller abzuarbeiten. Hierfür werden im kommenden
Jahr 75 weitere Stellen geschaffen, und im Jahre 2001
werden weitere 75 Stellen dafür notwendig. Damit
kommen wir den Forderungen der EU-Kommission
nach einer intensiveren Prüfung der Anträge nach. Die
Verfahrensänderungen werden auch Gegenstand der
10. Novelle zum Arzneimittelgesetz sein.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kosten der
Nachzulassungen werden - das ist mir als Mitglied des
Haushaltsausschusses auch sehr wichtig - durch entsprechende Gebühren von den pharmazeutischen Unternehmen voll gedeckt. Der Bundeshaushalt wird somit
nicht zusätzlich belastet. Dies wird aber eine zeitversetzte Refinanzierung sein, zumindest bei einem Teil der
Beträge.
Die notwendigen Einsparungen, denen sich auch der
Einzelplan 15 nicht entziehen konnte, wurden verträglich gestaltet und vor allen Dingen auf Bereiche gelegt,
in denen der Mittelbedarf gesenkt werden konnte, etwa Herr Kolbe hat das angesprochen - bei den Finanzhilfen
bei Investitionsmaßnahmen für Pflegeeinrichtungen,
dies aber in Anlehnung an die Finanzplanung, die Herr
Waigel früher schon aufgestellt hatte und die ein Zurückfahren ohnehin vorsah. Dafür haben wir allerdings
im Pflegebereich zu einem stärkeren Einsatz von Modellmitteln gegriffen.
Daß das Einzelplanvolumen trotz des Sparbeitrages
ansteigt, hängt zum einen mit den Investitionen für das
Arzneimittelinstitut zusammen, das nach Bonn verlagert
wird, liegt aber in erster Linie an den nachträglichen
Mittelbereitstellungen für den Aufbau Ost im Pflegebereich. Denn die von der Regierung Kohl im Jahre
1997 ausgesetzte Förderung von fast 700 Millionen DM
muß jetzt mit einem Teilbetrag nachveranschlagt werWalter Schöler
den, wobei wir uns an den angemeldeten Mittelbedarf
gehalten haben. Diese Nachveranschlagung; in diesem
Jahr rund 130 Milliarden DM - es fehlen dann also noch
570 Milliarden DM -, ist eine Altlast, die uns die alte
Regierung hinterlassen hat. Sie wissen alle: Hinzu
kommt noch die Rückzahlung der Anleihe an die Pflegekassen in Höhe von 1,1 Milliarden DM, die wir im
Jahre 2002 zu leisten haben werden.
Ich will jetzt noch mit einigen Worten auf die gegenwärtige Diskussion zum Stand der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung eingehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Daß die Opposition das Reformgesetz ablehnt, haben wir nicht anders erwartet. Aber
daß Sie sich bei der zweiten und dritten Lesung am
4. November hauptsächlich zu Verfahrensfragen ausgelassen
({16})
und kleine Pannen bei Zusammenstellung und Druck des
Ausschußberichtes mit Geschäftsordnungstricks hochgeschaukelt haben - heute morgen haben Sie dies noch
einmal deutlich vorgemacht -, das ist doch ein Manöver,
das nur von Ihrer eigenen Konzeptlosigkeit ablenken
soll.
({17})
- Da werden Sie tatsächlich wieder wach! - Herr Parr,
ich will Ihnen dazu noch folgendes sagen. Ich habe
selbst mehrfach als Berichterstatter für einen anderen
Ausschuß Fehler der früheren Regierung zu Gesetzesvorhaben korrigiert bzw. Vorlagen in Form von Berichtigungen ergänzt. Das war parlamentarisch unproblematisch.
({18})
Herr Schmidt hat heute morgen noch einmal gesagt, daß
Ihr letztes Gesetz mit rund 600 Fehlern behaftet gewesen ist. Aber darauf will ich gar nicht weiter eingehen.
Wir werden das schon regeln.
Lassen Sie mich noch einen anderen Punkt ansprechen. Drei Tage nach Verabschiedung des Gesetzes
kündigen Sie uns sehr vollmundig eigene gesundheitspolitische Initiativen an.
({19})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn Sie
schon keine vernünftige Oppositionsarbeit machen und
wenn Sie, wie gerade jetzt wieder, beklagen, was sich
das Parlament bei einem solch umfangreichen Gesetz
alles selbst zumutet: Der Ort, Ihre Vorstellungen darzulegen, war - spätestens bei der zweiten und dritten Lesung - dieser Plenarsaal und nicht die Bundespressekonferenz.
({20})
Also müssen Sie sich fragen lassen, wie S i e mit dem
Gesetz und dem Parlament umgehen.
Dabei muß ich allerdings die F.D.P. etwas ausnehmen. Herr Thomae hat am 4. November schon gesagt,
was sie will: eine grundlegende Änderung des bisherigen Systems, also auch eine grundlegende Änderung
dessen, was sie noch vor zwei Jahren gemeinsam mit der
CDU/CSU beschlossen hat. Sie will wegkommen von
solidarischen Systemen, und zwar mit der Festschreibung des Arbeitgeberbeitrages - so haben Sie dies genannt; Sie können es ja nachlesen - hin zur einseitigen
Belastung der Arbeitnehmer bei Erweiterung des Leistungskataloges durch Beitragserhöhungen und Privatversicherung. Das ist ihr Konzept. Das bedeutet den Abschied vom solidarischen System.
({21})
Denen, die etwas von Vollkasko-Mentalität und Widerstandsnestern der Besitzstandswahrer sagen, sage ich:
Besitzstandswahrer sind nicht diejenigen, die in den
letzten Jahren durch moderate Tarifabschlüsse und
durch reale Einkommensverluste schon einen erheblichen Beitrag erbracht haben. Besitzstandswahrer sind
für mich diejenigen, deren Anteil nach Ihrer Meinung
festgeschrieben und damit auf Dauer vermindert werden
soll. Besitzstandswahrer sind diejenigen, bei denen wie der Arbeitsmarkt zeigt - das Gemeinwohl offensichtlich immer mehr aus dem Blickfeld gerät. Die
Holzmann-Pleite mit dem unverantwortlichen Verhalten
der Banken ist ein klassisches Beispiel dafür.
({22})
Wir halten es da lieber mit Bundespräsident Johannes
Rau, der kürzlich angemahnt hat:
Eine Reprivatisierung der Lebensrisiken darf es
nicht geben. Denn gerade in Zeiten der Globalisierung bekommt Solidarität einen neuen Wert.
Recht hat er. Ein Satz sagt mehr als lange programmatische Reden.
({23})
Das gilt im übrigen auch für die Vorschläge der sogenannten Reformkommission „Soziale Marktwirtschaft“. Ein marktradikales Gesundheitssystem besitzt
keine Sozialperspektive, wie unser Kollege Rudolf
Dreßler zu Recht festgestellt hat.
Was hat die CDU/CSU hier für Alternativen auf den
Tisch gelegt?
({24})
- Doch, es gibt einige. - Die „Ärzte-Zeitung“ vom
10. November sagt dazu:
Dünnbier aus der Union. … die Union läßt die Katze nicht aus dem Sack. Klar ist nur, daß die Union
die Gesundheitsreform der rot-grünen Bundesregierung ablehnt … Was sie dem entgegensetzen will,
bleibt nebulös.
Es handelt sich nicht um eine Pressemitteilung der SPDFraktion, sondern um einen Kommentar aus der „ÄrzteZeitung“. Auch von anderen Seiten gibt es genügend
Kritik an Ihren Vorstellungen.
({25})
- Das ist das Problem. Sie müssen mich schon ertragen,
Herr Kollege.
({26})
- Frau Schwaetzer, nomen est omen.
({27})
Ich möchte noch ein anderes Zitat erwähnen:
Niemand wird doch ernsthaft behaupten können,
daß 25prozentige Kostensteigerungen im Krankenhaus medizinisch verursacht sind. Oder daß die
45 Prozent mehr an Ausgaben für Krankenfahrten
durch den Gesundheitszustand der Bevölkerung
bedingt sind … Es gibt zu viele Doppel- und Mehrfachuntersuchungen: Eine Klinik akzeptiert die
Diagnose eines niedergelassenen Arztes nicht oder
umgekehrt. Häufig informieren sich nicht einmal
Fachärzte untereinander … Wenn wir diesen
Schnick-Schnack beenden, könnten wir 10 Prozent
von den 250 Milliarden DM Gesamtausgaben einsparen.
Diese Worte, übrigens nicht aus dem Jahre 1992, stammen von Ihrem Fraktionskollegen Herrn Seehofer und
sind in der „Welt am Sonntag“ vom 4. Februar 1996
nachzulesen.
Unser Gesetz geht jetzt die notwendigen Reformen
wirkungsvoll an. Ihr Grundsatzpapier hingegen wird im
Kommentar als billige Kopie alter Rezepte aus der
Kohl-Ära oder als politisches Placebo bezeichnet. Ihre
Vorschläge gehören dorthin, wohin Herr Seehofer die
Positivliste verschwinden ließ: in den Reißwolf.
Was Sie als mehr Selbstverantwortung der Patienten
bezeichnen - sprich: Prävention, Selbstbeteiligung oder
Übernahme kleinerer Gesundheitsrisiken -, bedeutet
doch nur Zuzahlungen für die Patienten. Was Sie als
Wahlmöglichkeit beim Umfang der Leistungen bezeichnen, bedeutet doch in Wirklichkeit Leistungskürzungen.
Es ist doch offensichtlich, was Sie wollen. Aber damit
lösen Sie die Probleme nicht.
({28})
Nur bei den Patienten abkassieren zu wollen reicht
nicht als Konzept für die Gesundheitspolitik. Dieses
Vorgehen dulden wir und offenbar auch die Menschen
im Lande nicht.
({29})
Wie erklären Sie sich zum Beispiel im internationalen
Vergleich, aber auch innerhalb der Bundesrepublik die
unterschiedlichen Kostenstrukturen?
({30})
Wie erklären Sie sich, daß auf 10 000 Einwohner in
Deutschland 72, in Frankreich 46 und in den Niederlanden 39 Krankenhausbetten kommen? Wie erklären Sie
sich die unterschiedlichen Verweildauern, den unterschiedlichen Aufwand für Medikamente bei den Kassenärztlichen Vereinigungen oder die regional stark
voneinander abweichenden Kosten einer Krankenhausbehandlung?
Die zahlreichen Beispiele der Kritik am Papier der
CDU/CSU machen ganz deutlich: Sie haben noch eine
wichtige Lektion zu lernen. Nicht stures Blockieren,
sondern konstruktive Kritik ist gefragt. Diese Kritik haben Sie am 4. November nicht eingebracht.
({31})
Sollte der Bundesrat die Gesundheitsstrukturreform
blockieren, so werden wir, wie angekündigt, im Vermittlungsverfahren das Gesetzeswerk aufschnüren.
({32})
Wir werden den größten Teil unserer gesundheitspolitischen Vorstellungen auf diese Weise durchsetzen. Mit
diesen Vorstellungen können wir dann im Jahre 2000
den notwendigen Reformprozeß in unserem Gesundheitswesen beginnen.
({33})
Dazu gehören der Übergang zu einem durchgängigen
leistungsgerechten Entgeltsystem, der Grundsatz der
Beitragsstabilität, die Aufwertung von Selbsthilfe, integrierte Versorgungsformen und die qualitätsgeschützte
Neuordnung des Arzneimittelmarktes insbesondere
durch die Einführung einer Positivliste.
({34})
Das alles werden Sie noch erleben.
({35})
Ich möchte abschließend ein Wort des Dankes an all
diejenigen richten, die die gesundheitliche Versorgung
in den Arztpraxen, Kliniken und Reha-Einrichtungen
sicherstellen. Dort wird überall hervorragende Arbeit
geleistet. Die Menschen dort sollten sich nicht von Ihrer
Art, mit der Materie umzugehen, verunsichern lassen,
sondern ihre Aufgaben weiter mit vollem Engagement
erledigen und darauf vertrauen, daß sie bei uns gut aufgehoben sind.
({36})
Ich möchte auch die Gelegenheit nutzen, mich bei
den Berichterstatterkolleginnen und -kollegen für die
Zusammenarbeit zu bedanken. Auch wenn die Opposition den Gesundheitshaushalt ablehnen wird: Die meisten
Haushaltstitel wurden einvernehmlich getragen.
Ich möchte mich auch bei Frau Ministerin Fischer
und den Vertretern des Ministeriums ganz herzlich für
die gute Vorarbeit und die Zusammenarbeit bedanken.
Sie haben es vernommen: Die SPD-Fraktion steht zu
den gesundheitspolitischen Maßnahmen der Regierung
und wird dem Haushalt 2000 zustimmen.
({37})
Ich
möchte gerne etwas zu einer Bemerkung von Herrn
Kollegen Kolbe sagen.
Herr Kollege Kolbe, Sie haben eben angemerkt, daß
in unserem Haushalt Mittel für die wissenschaftliche
Begleitung eines Modellversuchs zur heroingestützten
Behandlung eingestellt sind, und gesagt, daß das Gelder
seien, die für die Drogenkonsumräume zur Verfügung
stünden. Das wird man im Protokoll nachlesen können;
wenn ich es falsch gehört habe, möchte ich mich schon
jetzt entschuldigen. Sehr oft, auch von Kollegen hier im
Plenum, wird der Modellversuch zur heroingestützten
Behandlung mit der Frage der Drogenkonsumräume
vermischt.
Das sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe.
Es sind beides Maßnahmen zur Überlebenshilfe für
schwer abhängige Menschen, die man anders nicht erreichen kann. Allerdings ist der Modellversuch zur heroingestützten Behandlung ein Versuch, der nach den
strengen Vorgaben des Arzneimittelgesetzes als klinische Studie durchgeführt werden muß. Sie wissen, daß
das eine multizentrische Studie ist, die verschiedenste
Städte, unter anderem CDU-geführte Städte, unter ihnen
Karlsruhe und München, ausdrücklich ohne Unterstützung ihres jeweiligen Bundeslandes, Frankfurt allerdings mit - auch finanzieller - Unterstützung des
Bundeslandes, in diesem komplizierten und wichtigen
Modellversuch mit uns zusammen durchführen wollen.
Hier geht es um eine Gruppe von Menschen, die
schwer abhängig sind, die sich in einer Spirale von großer körperlicher und psychosozialer Verelendung befinden und die man mit den bewährten Hilfemethoden, die
wir bislang haben, nicht erreichen kann und von denen
sich deshalb viele in der Drogentotenstatistik wiederfinden. Es ist nötig, daß man in einem sehr seriösen - und
darum auch nicht billigen - Modellversuch erprobt, diesen Menschen zu helfen. Dazu brauchen wir eine vernünftige wissenschaftliche Begleitforschung, um auch
die Punkte, die von der Weltgesundheitsorganisation als
berücksichtigenswert angemerkt worden sind, hier mit
einfließen zu lassen.
Ich möchte hier auch noch darüber informieren, daß
das International Narcotic Control Board das ausdrücklich zur Kenntnis genommen und uns gebeten hat, in enger Zusammenarbeit zu bleiben. Ich finde, daß das ein
sehr ermutigender Ansatz ist.
Bei den Drogenkonsumräumen dagegen handelt es
sich um Räume der Überlebenshilfe, die in einer rechtlichen Grauzone existieren und die in den meisten Städten
unter bestimmten Kriterien geführt werden, um zu verhindern, daß sich schwer Abhängige, die man nicht erreichen kann, auch nicht mit einem Hilfesystem, weiter
infizieren und noch kränker werden. Es ist seit langem
nötig - dazu gab es eine Bundesratsinitiative von 1995,
und es gab auch Überlegungen in der alten Regierung -,
das auf rechtlich einwandfreie Füße zu stellen. Sie wissen, daß dieses Vorhaben im Bundesrat in der ersten Lesung, auch weil es mit den Ländern sehr solide abgestimmt worden ist, Zustimmung gefunden hat.
Das kostet den Bund nichts. Das sind Mittel, die von
den Ländern und den Städten dort, wo sie jetzt eingesetzt werden, auch später eingesetzt werden müssen. Es
ist mir nur wichtig, daß man das auseinanderhält und
daß hier nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden.
({0})
Herr Kolbe, möchten Sie antworten? - Bitte.
Frau Staatssekretärin,
ich habe das exakt auseinandergehalten. Der Bund finanziert in der Tat nur die wissenschaftliche Begleitung.
Ich habe dann allerdings das Objekt der wissenschaftlichen Begleitung näher betrachtet. Dazu hat es im November dieses Jahres eine Anhörung des Gesundheitsausschusses gegeben. Die Kritik, die dort teilweise auch
von Ihren Experten vorgetragen wurde, habe ich dargestellt.
Was die Finanzierung betrifft, habe ich zwischen der
Finanzierung der Einrichtungen selber, die von den
Kommunen erfolgt, und der Finanzierung der wissenschaftlichen Begleitung genau unterschieden.
Mein hauptsächlicher Kritikpunkt ging aber in eine
ganz andere Richtung: Ich habe mich dagegen gewandt,
daß Sie bei der Prävention kürzen. Das ist doch das
eigentlich Gravierende. Sie befassen sich hier mit der
Fürsorge für Schwerstfälle. Aber wir müssen doch verhindern, daß solche Schwerstfälle überhaupt entstehen.
Das können wir nur durch eine wirkungsvolle Prävention. In diesem Bereich zu kürzen ist nicht gerade verantwortlich.
({0})
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Detlef Parr, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schöler, wenn Sie unseren Antrag, den wir zur zweiten und dritten Lesung der
Gesundheitsreform eingebracht hatten, richtig gelesen
hätten, dann hätten Sie heute diese Rede nicht halten
können. Ich bedauere das sehr.
({0})
Nur aus sechs Blättern inklusive Ergänzung besteht
die Beschlußempfehlung zum Einzelplan 15. Da kann
man schlecht Seiten vergessen. Zumindest heute wissen
wir also, worüber wir im Gesundheitsbereich beraten.
Seit letzter Woche ist auch klar, daß die Gesundheitspolitik nicht nur inhaltlich, sondern auch formell ein
Etikettenschwindel ist.
({1})
Der Titel der Reform, versehen mit der magischen Zahl
2000, suggeriert große Dimensionen. Die Realität bleibt
aber weit dahinter zurück. Wenn 24 Seiten Gesetzestext,
die unter anderem nichts Geringeres als die Milliardenhilfe für die Ostkrankenkassen beinhalteten, schlicht
vergessen werden, ist die Jahr-2000-Fähigkeit offensichtlich nicht gegeben.
({2})
Im Gesetzestext zur Gesundheitsreform heißt es unter
„Kosten“ - ich zitiere -:
Für den Bund ergeben sich geringfügige Mehrbelastungen durch die Übernahme der Kosten eines Instituts für die Arzneimittel in der gesetzlichen
Krankenversicherung.
Die Bundesregierung, so kann ich mich erinnern, war
angetreten mit dem Ziel, Arbeitsplätze zu schaffen und
Bürokratie abzubauen. Jetzt errichten Sie eine zusätzliche Institution zur Beurteilung von Arzneimitteln, deren
Kosten keineswegs gering sein werden. Der Nutzen ist
unserer Meinung nach nicht ersichtlich.
Mit der Positivliste wird eine weitere Zulassungshürde für Arzneimittel errichtet, die die Wettbewerbsfähigkeit der Pharmaindustrie beeinträchtigt, Arbeitsplätze
kosten wird und den Forschungsstandort Deutschland
schwächt. Die vage Hoffnung, auf diese Weise im Arzneimittelbereich zu sparen, rechtfertigt den Aufwand
nicht. Sie verkennen die Gefahr teurer Substitutionseffekte. Und was noch schlimmer ist: Die Patienten
müssen bestimmte Arzneimittel, auf die sie bisher
vertrauten und die ihnen geholfen haben, in Zukunft zu
100 Prozent aus eigener Tasche bezahlen. Das ist soziale
Gesundheitspolitik à la Rotgrün.
({3})
Die F.D.P. ist froh - ich komme jetzt zu den positiven
Seiten des Haushaltsplanes -, daß die Mittel für die
Aids-Aufklärung entgegen den ursprünglichen Absichten nun doch nicht gekürzt wurden. Die Mittel, die
nun eingestellt wurden, sind das absolute Minimum, um
in der Bevölkerung und vor allem auch bei den Jugendlichen einen hohen Informationsstand zu sichern. Darin
sind wir uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg einig.
Frau Ministerin, ich war dabei, als Sie im Rahmen einer diesbezüglichen Kampagne eine Enthüllung von
Wettbewerbsplakaten vorgenommen haben. Das war aus
meiner Sicht eine äußerst gelungene Aktion. Ich denke,
wir sollten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für diese Initiative danken. Das war vorbildlich.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen aber
auch überlegen, wie wir zukünftig mit den Opfern von
HIV-verseuchten Blutprodukten umgehen bzw. wie
wir ihnen helfen können. Denn es ist erkennbar, daß das
in diesem Zusammenhang bestehende Stiftungskapital
bereits im Jahre 2004 aufgebraucht sein wird. Es ist gut,
daß sich der Gesundheitsausschuß auf unsere Anregung
hin bereits mit dieser Problematik beschäftigt. Die Unterstützung der SPD-Fraktion hierbei hat uns sehr gefreut. Wir brauchen für die Erkrankten und die Angehörigen eine verläßliche Anschlußregelung. Das sind wir
ihnen schuldig.
Ähnlich Schlimmes, Herr Kollege Schöler, haben die
Hepatitis-C-Opfer der ehemaligen DDR durchgemacht. Deswegen begrüßen wir die vorgesehene Einstellung der Mittel. Der entscheidende Punkt aber ist,
daß die alte Bundesregierung Ähnliches vorhatte,
({5})
wir aber, Frau Schmidt-Zadel, nach wie vor der Auffassung sind, daß die Länder eine Mitverantwortung zu tragen haben.
({6})
Die müssen Sie erst einmal ins Boot bekommen. Dann
haben wir das Ziel wirklich erreicht.
({7})
- Keine Aufregung, immer mit der Ruhe! Es ist schon
spät am Abend. Wir müssen ein bißchen ruhiger werden.
Das Jahr neigt sich dem Ende zu
({8})
- das soll auch keine Entschuldigung sein, Herr Kollege
- und mit ihm auch die Budgets. Überall werden nun
die Daumenschrauben angesetzt und fällige Gesundheitsleistungen aufs nächste Jahr verschoben.
({9})
Jetzt bekommen die Patienten zu spüren, was es bedeutet, wenn willkürlich gespart wird. Der Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft, Dr. Manfred Lennings,
hat diesen Sachverhalt vor kurzem sehr treffend umschrieben:
In einer dynamischen Welt können die Regeln nicht
statisch bleiben.
Das genau ist der Fehler, den Sie mit Ihren geschachtelten Budgets machen. Wollen Sie wirklich mit
den Dreßler-Positionen von 1992, die inzwischen längst
überholt sind, ins nächste Jahrtausend gehen, Frau Ministerin? Dabei gibt es bereits heute zum Beispiel bei der
zahnärztlichen Selbstverwaltung intelligente Ansätze,
noch bestehende Budgets zu überwinden.
({10})
Dies ist Beweis dafür, daß das starrsinnige Beharren auf
der phantasielosen Deckelung der Ausgaben als Steuerungsinstrument völlig überflüssig ist.
Statt Mißtrauen entgegenzubringen und verschärft zu
kontrollieren, sollten Sie den Alternativen, die auf dem
Tisch liegen, mehr Aufmerksamkeit schenken und mehr
Vertrauen in die Vertragspartner setzen.
({11})
Kreativität fördert man nicht, indem man bürokratisch
überreglementiert. Kreativität fördert man nur innerhalb
freiheitlicher Strukturen, die unser Gesundheitssystem
dringend benötigt.
({12})
Wer Qualität und Bezahlbarkeit des deutschen Gesundheitssystems erhalten will, der muß Wettbewerb,
Transparenz und Eigenverantwortung fördern, statt sie
einzuschränken. Leistungsgerechte Bezahlung sollte im
Dienst am Menschen eine Selbstverständlichkeit sein.
Klassenkämpferisch geprägte Sparattacken auf Ärzte
und Zahnärzte sind fehl am Platze.
Ich will meine Rede ein wenig kürzen. Sie haben unseren Antrag vielleicht noch in Erinnerung. Wir sagen,
wir können die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nur aufrechterhalten, wenn wir an den Leistungskatalog kritische Maßstäbe anlegen und die Frage
prüfen, was den persönlichen Präferenzen des einzelnen
obliegen kann und welche Leistungen von ihm zusätzlich erbracht werden können.
Ich komme zum Schluß. Der große Ökonom John
Maynard Keynes - eigentlich ein Reizwort für Sie -, hat
einmal den lakonischen Befund formuliert, Herr Berninger: „Auf lange Sicht sind wir alle tot.“ Faktisch hat er
damit sicherlich recht. Dennoch sollte uns dies nicht davon abhalten, an der stetigen Verbesserung unseres Gesundheitssystems zu arbeiten. Das geht am besten, wenn
man diejenigen zu Rate zieht, die täglich in diesem System arbeiten.
Wolfgang Pföhler, der Präsident der Deutschen
Krankenhausgesellschaft, stellte vor wenigen Tagen bei
der Eröffnung des 22. Deutschen Krankenhaustages in
Düsseldorf fest:
Immer dann, wenn der Sachverstand sich anmeldete, schlossen sich im Ministerium die Türen.
Ich fordere deshalb die Kolleginnen und Kollegen der
Regierungskoalition gerade in der momentanen Ausweglosigkeit auf: Nehmen Sie den Sachverstand endlich
ernst!
({13})
Kehren Sie an den Verhandlungstisch zurück! Fangen
Sie gemeinsam mit uns und den Praktikern noch einmal
von vorne an - ohne Globalbudget, ohne mit Globalhaftung versehenen Sektoralbudgets, ohne Machtzuwachs für die Krankenkassen und ohne überzogene Datensammlungen -, bevor Sie dieses Gesundheitssystem
auf längere Sicht zum Ableben verurteilen!
Ich danke Ihnen.
({14})
Jetzt hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Herr Parr, zwei Dinge zum Ableben des Gesundheitswesens: Erstens. Wenn man sich mit denen unterhält, die mit dem Gesundheitswesen zu tun haben und in
diesem Bereich arbeiten, dann erfährt man nicht zu Unrecht, daß alle Veränderungen anmahnen, weil sie ebendieses Ableben nicht heraufbeschwören wollen. Zweitens. Wir unterhalten uns sehr wohl mit allen; das wissen Sie auch. Und diese Regierung sorgt dafür, daß ein
Ableben des Gesundheitswesens nicht erfolgt, indem sie
die notwendigen Reformen angeht.
({0})
Lassen Sie mich einmal die Ausgangsbasis beschreiben, auf der wir uns befinden. Wir reden heute sehr viel
über Zukunftsprogramm und Einsparungen in vielen Bereichen. Im Gesundheitsbereich haben wir durch die gesetzliche Krankenversicherung das Gegenteil. Wir haben
jedes Jahr mehr Geld zur Verfügung stehen. Zum Vergleich, wie die Vergangenheit ausgesehen hat: 1970 haben wir noch 2 766 DM pro Versicherten ausgegeben,
heute sind es 5 877 DM. Im Gesundheitsreformgesetz
wird auch deutlich gemacht, daß es noch mehr wird.
({1})
Die Situation, mit der wir es zu tun haben, zeigt uns auch angesichts der Tatsache, daß wir immer mehr zugelassene Ärztinnen und Ärzte in Deutschland haben -,
daß Reformen aus zwei Gründen notwendig sind - und
nicht, weil es irgend jemandem gefällt, etwas ganz anders zu machen. Erstens wollen wir das Gesundheitswesen für morgen und übermorgen und für alle erhalten,
und zweitens geht es darum, den Patientinnen und Patienten einen selbstbestimmten Platz in diesem System zu
schaffen, ihnen wohlverstandene Eigenverantwortung zu
ermöglichen und Sicherheit und Innovation gleichermaßen zu gewährleisten.
({2})
Da muß man das aufgreifen, was uns in der letzten
Woche von der CDU präsentiert worden ist. Da heißt Ihr
erster Vorschlag: Wir reden mit dieser Regierung nicht
über Reformen. Gleichzeitig sagen Sie, das sei keine
Blockade. Hier habe ich ein Verständnisproblem, weil
ich nicht begreifen kann, warum es nichts mit Blockade
zu tun hat, wenn Sie sagen, wir reden nicht darüber.
({3})
Dann sagen Sie auf der anderen Seite, es müsse Veränderungen geben, aber darüber sollte nicht konstruktiv
diskutiert werden, schon gar nicht hier im Plenum, sondern über die Medien. Dann frage ich mich: Wen instrumentalisieren Sie da eigentlich, und wem glauben
Sie zu schaden? Manchmal meint man, Sie glauben,
damit der Bundesregierung zu schaden. Es kann sein,
daß Sie mit Ihrer Haltung verhindern wollen, daß die in
Ihrem Entwurf als positiv dargestellten, von uns geplanten Veränderungen der Regierung gelingen, daß beispielsweise endlich Schluß ist mit dem „jeder für sich“
im Gesundheitswesen, dem wir eine vernetzte Versorgungsform gegenüberstellen wollen. Ich habe gelernt,
daß dies auch in Ihrem Papier steht. Möglicherweise
wollen Sie dafür sorgen, daß uns das nicht gelingt, sondern daß Sie sich das auf irgendeine Fahne schreiben.
Ich sage Ihnen ganz klar: Das werden wir im Zweifelsfall auch ohne Sie machen. An dieser Stelle können Sie
nur enttäuscht sein, weil die Regierung es selbstverständlich schaffen wird, wesentliche Elemente der Reform auch ohne Sie durchzusetzen, und zwar insbesondere diejenigen, die die Patientinnen und Patienten direkt betreffen. Das sage ich einmal so ganz platt, denn
das ist der zentrale Punkt.
({4})
Wenn man sich weiter fragt, wem Sie schaden wollen, dann kann ich dazu nur eines sagen: Sie verunsichern und schaden Patientinnen und Patienten, Sie verunsichern und schaden Versicherten, und Sie verunsichern und schaden chronisch Kranken, Menschen, die
darauf angewiesen sind, daß die Politik und die Selbstverwaltung ein funktionsfähiges System organisieren,
das ihnen dann, wenn sie es brauchen, zur Verfügung
steht.
Am Ende tun Sie sich selbst keinen Gefallen. Denn
wenn man sich anschaut, was Sie tatsächlich vorschlagen, dann stellt man fest, daß Sie vermutlich Ihre großartigen Ankündigungen nicht erfüllen können; denn Sie
sagen: Im Moment haben wir Probleme im System;
wenn wir dafür sorgen, daß noch etwas privates Geld
über Zuzahlungen zur Verfügung gestellt wird, dann
werden wir alles ganz gut hinbekommen, wir können
dann wieder dafür sorgen, daß der Gesundheitsbereich
funktioniert. Genau das wird mit uns nicht zu machen
sein, weil das nicht hierhin gehört. Medizinisch notwendige Versorgung werden wir nicht organisieren über
immer mehr Zuzahlungen.
({5})
- Wir nehmen die notwendige Versorgung nicht weg.
Wir sorgen vielmehr dafür, daß notwendige Versorgung
nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen
stattfinden kann, ohne daß die Leute dann in die private
Tasche greifen müssen. Denn am Ende sind es gerade
die, die es sich selber nicht leisten können.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluß. Die Diskussion, die wir
zur Zeit führen, darf nicht nach dem Motto laufen: Wir
machen den Menschen erst angst, und dann erklären wir
ihnen: Wenn ihr ein bißchen mehr bezahlt, geht alles in
Ordnung. - Das ignoriert nicht nur den Problemdruck,
sondern das ignoriert vor allem die Ängste der Menschen. Damit spaßt man auch nicht im politischen Streit
und schon gar nicht in derartigen Debatten, wie wir sie
in den letzten Tagen in diesem Haus erlebt haben.
Vielen Dank.
({0})
Jetzt hat das Wort
die Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Haushaltspolitik ist in Zahlen gegossene Politik. Betrachtet man nun den Haushalt des
Bundesministeriums für Gesundheit unter diesem
Aspekt, ist, von ein paar positiven Ansätzen einmal abgesehen, für mich folgendes erkennbar: Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, machen leider Kürzen und Streichen zum Inhalt Ihrer Politik.
An dieser Aussage ändert auch die Tatsache nichts,
daß Sie die vorgesehenen Mittel von 1,6 Milliarden DM
in diesem Jahr auf zirka 1,8 Milliarden DM für das Jahr
2000 erhöhen werden. Denn Sie wissen genau wie ich:
Der Hauptgrund für diese Aufstockung ist die nach § 52
des Pflege-Versicherungsgesetzes gewährte Finanzhilfe
des Bundes zur Förderung von Investitionen in Pflegeeinrichtungen in Ostdeutschland. Ohne Frage: Das ist
eine außerordentlich wichtige Leistung, und niemand
will die Summe, die auf über 900 Millionen DM angestiegen ist, kleinreden. Für die Modernisierung und
den Umbau von Seniorenheimen in den neuen Ländern
ist sie unverzichtbar; sie bringt einen bedeutenden
Fortschritt für die Betreuung der älteren Menschen genauso wie für die Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten.
Wir werten auch die Tatsache positiv, daß ein neuer
Titel bezüglich des Bundesanteils für die Hepatitis-CEntschädigungsregelung für Frauen aus den neuen
Bundesländern in den Haushalt aufgenommen wurde.
({0})
Die in der Bereinigungssitzung erfolgte Anhebung dieser Summe von 5 auf 20 Millionen DM ist eine gute
Nachricht und der richtige Weg. Herr Kolbe, diesen
Weg sind Sie nicht gegangen. Sie hätten ihn gehen können; Sie sind ihn aber nicht gegangen. Lieber Herr Parr,
Sie waren in der letzten Legislaturperiode nicht dabei.
Aber was Sie jetzt anmahnen, nämlich die Länder ins
Boot zu bekommen, hat die vorherige Regierung auch
nicht geschafft, und das war die Entschuldigung dafür,
daß gar nichts gemacht worden ist. Deshalb muß ich
dies hier wirklich positiv bewerten.
({1})
Trotz dieser ausdrücklich zu würdigenden Sachverhalte muß ich feststellen, daß auch der Einzelplan 15
einen deutlichen Einsparbetrag im Rahmen des radikalen Kürzungsprogramms für den Gesamthaushalt leisten
muß. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition,
wissen doch genau: Geht man von dem bereinigten
Finanzbedarf des BMG aus - dabei handelt es sich um
1,95 Milliarden DM; darauf ist heute schon eingegangen
worden -, dann bedeuten die im Haushalt ausgewiesenen Mittel von 1,8 Milliarden DM nämlich, daß es eine
Kürzung von über 7 Prozent gibt. Es stehen also 7 Prozent weniger Geld zur Verfügung als objektiv wirklich
notwendig wäre.
Die Folgen dieser Kürzungen sind unübersehbar. So
ist es sehr bedauerlich, daß die Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung Pflegebedürftiger von 76,5 auf
63 Millionen DM gekürzt werden. Beziehe ich hier ein,
daß die Mittel für die Zuschüsse zur Errichtung, zur
Ausstattung und Modernisierung von Pflegeeinrichtungen noch einmal um 2 Millionen DM gesenkt wurden,
kann ich hier nur eine Sparmaßnahme erkennen, die ich
nicht als sozial bezeichnen kann.
({2})
Begrüßenswert ist, daß der Haushaltsausschuß die
Ausgaben für Aufklärungsmaßnahmen bei Aids wieder
um 3 Millionen DM aufgestockt hat, auch wenn dadurch
nicht mehr und nicht weniger als der Mittelumfang des
Jahres 1999 erreicht wurde.
Um so unverständlicher bleibt allerdings für mich,
daß ein analoger Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur
Anhebung der Gelder für Aufklärungsmaßnahmen im
Drogen- und Suchtbereich im Haushaltsausschuß von
der Koalitionsmehrheit abgelehnt wurde, obwohl er vom
Gesundheitsausschuß einhellig angenommen worden ist
und in ihm auch nicht mehr vorgesehen war, als den
Stand der Finanzausgaben des Vorjahres auf diesem Gebiet wieder zu erreichen.
({3})
Sie sehen, ich lobe die CDU, wenn sie etwas Gutes
macht. Es passiert nur zuwenig.
Ich denke, wir dürfen eines nicht vergessen: Die
Streichungen im Einzelplan 15 finden vor dem Hintergrund statt, daß die gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen weitere Einnahmeausfälle bzw. zusätzliche Ausgaben zu erwarten haben. Seit kurzem wissen
wir alle, daß auch noch völlig neue finanzielle Verpflichtungen in zweistelliger Milliardenhöhe - ich betone: Milliardenhöhe - auf die Krankenkassen zukommen
können. Sie können sich aus möglichen Rückerstattungen von erhobenen Beiträgen von Einmalzahlungen aus
Weihnachts- und Urlaubsgeld ergeben. Es hat also keineswegs etwas mit Schwarzmalerei zu tun: Angesichts
der ohnehin von der Bundesregierung mit der Gesundheitsreform 2000 vorgesehenen harten Budgetierungen
bedarf es keiner prophetischen Gabe, um zu erkennen,
daß sich die finanziellen Voraussetzungen für die gesundheitliche Versorgung insgesamt weiter verschlechtern werden. Damit kommen zu den Kürzungen zu
Lasten von Rentnerinnen und Rentnern, Arbeitslosen
und Sozialhilfebeziehern auch noch Abstriche bei der
Versorgung kranker Menschen hinzu.
Meine Damen und Herren von der Koalition, von
Ihrem vor der Wahl noch selbst benannten Ziel, mehr
soziale Gerechtigkeit zu erreichen, entfernen Sie sich
meiner Meinung nach mit Ihrer Haushaltspolitik immer
mehr.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Jetzt hat das Wort
der Kollege Dr. Hermann Kues, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt politische
Situationen, da hat man es als Opposition sehr schwer,
seine Argumente überzubringen.
({0})
Aber es gibt auch politische Situationen, da hat man es
sehr leicht, weil die Menschen im Lande bereits die
Auswirkungen einer falschen Politik spüren. Das ist im
Moment im Gesundheitsbereich der Fall.
({1})
Wenn Sie sich mit den Beschäftigten unterhalten mit den Krankenschwestern, mit den Pflegern, mit den
Ärzten -, wenn Sie in die Krankenhäuser gehen, wenn
Sie sich mit Vertretern der Krankenkassen unterhalten,
dann können Sie eines feststellen: daß sich Ihre völlig
unnötigen Eingriffe in das Gesundheitssystem, Ende des
vergangenen Jahres beschlossen, mittlerweile verheerend auswirken, nämlich in Form von Leistungsverweigerungen.
({2})
Jetzt sage ich Ihnen etwas zu dem sozialen Aspekt,
weil Sie darauf gerne verweisen. Wir erleben derzeit,
daß in 17 von 23 KV-Bezirken das Budget bereits überschritten ist. Damit wird vor allen Dingen den sozial
Schwachen das, was sie medizinisch benötigen, verweigert. Das ist ungerecht.
({3})
Derjenige, der mehr Geld hat, ist in der Lage, sich auf
andere Art und Weise das zu besorgen, was er meint zu
benötigen.
Erinnern Sie sich an das, was im letzten Jahr passiert
ist: Die Reduzierung der Zuzahlungen zu Arzneimitteln
kostete Sie etwa 1 Milliarde DM. Das konnten Sie tun.
Sie hätten den Leuten aber gleichzeitig sagen müssen,
daß sie dafür jetzt nicht nur wesentlich mehr Zuzahlungen entrichten müssen, sondern daß sie dies im Endeffekt voll bezahlen müssen. Das verärgert die Menschen,
und aus diesem Grund machen Sie eine unrichtige und
unlautere Politik.
Ein solches Durcheinander, wie wir es in der vorletzten Woche hier beim Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform 2000 erlebt haben, hat es in der Geschichte
dieses Parlaments noch nicht gegeben.
({4})
Das war ein einmaliger Vorgang und ist der Tiefpunkt
der Pannenserie der Koalition von SPD und Grünen. Das
hat auch nichts mehr mit einer seriösen Politik zu tun.
Sie haben einen Trümmerhaufen als Gesetzentwurf vorgelegt. Dann dürfen Sie sich über die Kritik nicht wundern.
({5})
- Wir haben Sie vor diesem Hauruckverfahren gewarnt.
Sie waren ja selbst maßgeblich beteiligt, Herr Schmidt.
({6})
Es gab gute Vorschläge - auch von Ihrer Seite -, wie
man das Problem hätte lösen können. Sie sind darauf
nicht eingegangen, weil Sie bestimmte ideologische
Vorstellungen hatten. Sie wollten mit dem Kopf durch
die Wand, und jetzt sind Sie - darauf deutet alles hin an der Wand hängengeblieben.
({7})
Das haben Sie selbst zu verantworten. Mit dieser Sturheit fügen Sie - das ist mit Händen zu greifen - dem
Gesundheitswesen Schaden zu.
Ohne Not haben Sie eingegriffen. Und zu welcher
Situation hat das geführt? Die Krankenkassen hatten zu
Beginn des Jahres noch Überschüsse, die bei 7 bis
8 Milliarden DM lagen. Jetzt lesen wir plötzlich von
drohenden Defiziten, und das zu einer Zeit, in der Sie
Ihre Reform noch nicht einmal durchgesetzt haben. Das
hat etwas mit Ihrem sogenannten Solidaritätsstärkungsgesetz zu tun. Diese Eingriffe hatten zur Folge, daß im
Endeffekt die Qualität der medizinischen Versorgung
sinkt. Unter der Ausschöpfung der Arzneimittelbudgets
leiden vor allem die Schwächeren, weil ihnen nicht mehr
die Möglichkeiten eingeräumt werden, die notwendig
wären: Es gibt an Medikamenten nur noch das medizinisch Allernotwendigste. Operationen werden verschoben auf das kommende Jahr. Behandlungen müssen
warten. Das ist das Ergebnis einer Gesundheitspolitik
nach Kassenlage.
Soweit Sie Kontakte in Ihren Wahlkreisen haben und
sich unter Menschen begeben, müßten Sie alle entsprechende Schreiben bekommen haben. Ich habe auch die
Frau Ministerin persönlich darauf angesprochen. Ich
könnte jede Menge zitieren, zum Beispiel ein Schreiben
vom Caritasverband in Osnabrück, in dem präzise beschrieben wird, wie eine Schlaganfallpatientin - ich sage
ausdrücklich - unzureichend und falsch behandelt wird,
weil ihr Leistungen verweigert werden und der Arzt ihr
sagt, man könne ihr nicht beides, nämlich sowohl ein
Herzmedikament als auch ergotherapeutische Maßnahmen, bieten. Nur das eine oder das andere ist möglich. In
einer solchen Situation befinden wir uns. Sie geht zu Lasten der sozial Schwachen, und sie geht nicht zuletzt zu
Lasten der alten Menschen, die sich nicht dagegen zur
Wehr zu setzen wissen.
Sie wissen das ganz genau, weil Sie es im Moment
erleben. Das hat nichts mit Ihrer Reform zu tun, sondern
das hat etwas mit den völlig unnötigen Eingriffen zu tun,
die Sie Ende des vergangenen Jahres beschlossen haben.
Jetzt sagen Sie, Sie wollen eine Gesundheitsreform
machen. Die Menschen, die jetzt erleben, was nach einem Jahr rotgrüner Regierung mit ihnen passiert, müssen das als Bedrohung empfinden. Sie müssen es auch
als Bedrohung empfinden, daß Sie jetzt sagen: Wir werden das auf Teufel komm raus durchziehen. - Sie wollen
bei dieser sogenannten Reform zusätzlich Freiheitsrechte einschränken, Sie wollen die Menschen durch
Bürokratie gängeln und auf Teufel komm raus Daten
sammeln. Sie sollten sich mit anderen - nicht mit der
Opposition, uns nehmen Sie es sowieso nicht ab - darüber unterhalten. Reden Sie einmal mit Datenschutzbeauftragten; die werden Ihnen dazu das Nötige berichten.
({8})
Vielleicht haben Sie in diesen Tagen zufällig in der
Zeitung verfolgt - mir hat ein Arzt den Artikel zugeschickt -, daß man in den USA von der Budgetierung
von Gesundheitsleistungen wieder abkommt.
({9})
- Sie haben die USA ansonsten durchaus als Beispiel
herangezogen; ich denke beispielsweise an die Behandlungsrichtlinien, die Sie ins Gesetz aufgenommen haben.
({10})
Das ist nämlich ein Stück Amerikanisierung. Sie haben
genau festgeschrieben, was bei einer bestimmten Krankheitssituation an Behandlung erfolgen soll. Es soll nicht
das medizinisch Optimale erfolgen, sondern das, was gerade mit der Versicherung vereinbart worden ist.
In dem erwähnten Artikel steht, daß ein amerikanischer Großversicherer mit 16 Millionen Versicherten
darauf hinweist, daß man die gegen niedergelassene
Ärzte verhängten Budgets wieder abgeschafft habe, weil
sie sich betriebswirtschaftlich als kontraproduktiv erwiesen hätten; die Kosten für die Kontrolle und die Verwaltung seien höher als die Ersparnisse, die mit diesem
Instrument erwirtschaftet worden seien.
Sie versuchen jetzt, die Reglementierung und Bürokratisierung nach dem Motto zu perfektionieren: Der
Staat weiß und kann alles, er weiß alles besser. Ich sage
Ihnen: Auch wenn Sie es lieber anders hätten, es wird
ebensowenig den Standardpatienten wie die Vereinheitlichung der Medizin geben. Dazu passen die Gegebenheiten einfach nicht.
Der Ansatz der Bundesregierung, man könne die Kosten durch strikte Ausgabenbudgetierung und -begrenzung in den Griff bekommen, ist ein Trugschluß. Das
hat bereits in der Vergangenheit nicht funktioniert.
Krank wird man eben nicht nur dann, wenn der Gesetzgeber das will, und die Häufigkeit und die Schwere von
Krankheiten richten sich nicht nach bürokratischen Vorgaben. Wer so denkt, der nimmt bewußt Wartelisten und
eine schlechte Versorgung der Menschen in Kauf.
({11})
Wir als Union gehen in der Gesundheitspolitik von
einem anderen Menschenbild aus. Das ist ein anderer
Politikansatz.
({12})
- Nein. Sie reduzieren Zuzahlungen und greifen den
Menschen dennoch in die Tasche, weil Sie ihnen bestimmte Medikamente überhaupt nicht mehr geben. Das
ist die Wirklichkeit Ihrer Gesundheitspolitik.
({13})
- Sie wissen das ganz genau, Herr Schmidt. Gehen Sie
einmal in Ihren Wahlkreis und unterhalten Sie sich mit
den Leuten!
({14})
Sie wissen das ganz genau und sagen dennoch, wir peitschen diesen Gesetzentwurf auf Teufel komm raus
durch, obwohl er in die völlig falsche Richtung geht.
({15})
Wir wollen, daß die solidarische Krankenversicherung in ihren Eckpfeilern erhalten bleibt. Wir wollen
ausdrücklich, daß jeder, unabhängig von Einkommen,
Alter und der Art der Krankheit die medizinisch notwendige Versorgung erhält. Wir setzen aber auch - das
unterscheidet uns von Ihnen - auf Freiheit und Eigeninitiative.
({16})
Nur wenn es für die Menschen von Vorteil ist, medizinische Leistungen sinnvoll und sparsam zu nutzen, werden
sie es auch tun.
Wir wollen eine andere Form der Steuerung als Sie.
Sie gehen davon aus, daß es möglich ist, das Gesundheitsleben von oben herab zu lenken.
Wir sagen: Die Menschen, die Beteiligten, die Beschäftigten und die Institutionen müssen alle einbezogen werden. Das ist eine andere Philosophie. Wir glauben, daß
dabei im Endeffekt medizinisch mehr herumkommt und
es auch sozial gerechter ist.
({17})
Wir wollen - ich sage das ganz ehrlich, auch wenn
ich weiß, daß dies nicht nur populär ist -, daß die Versicherten über ihren Versicherungsumfang mitentscheiden
können und daß gewisse kleine Risiken - dabei muß
man über Fahrtkosten, Bandagen, Mittel gegen Erkältung und ähnliches reden - nicht in jedem Fall von der
Solidargemeinschaft getragen werden müssen. Die Solidargemeinschaft ist vor allem zur Abdeckung der großen Risiken zuständig, die heute teilweise verschoben
wird: Krebsbehandlungen, Herzoperationen, Dialyse
usw. Die Menschen müssen darauf vertrauen können,
daß sie dann, wenn sie wirklich schwer krank werden,
optimal behandelt werden.
Wir wollen diese Steuerung aber nicht nur bezogen
auf die Patienten. Wir wollen auch, daß bei Krankenkassen Innovationen und Engagement gefördert werden.
Wir wollen einen gewissen Wettbewerb unter den
Krankenkassen um ihre Versicherten. Wir wollen keine
zentrale Lenkung durch die Zentralen der Krankenkassenverwaltungen.
({18})
Das heißt zum Beispiel auch, daß es unterschiedliche
Leistungsangebote oder Wahltarife geben muß und daß
der Versicherte ein Stück weit entscheiden können muß,
in welchem Umfang er selbst dafür aufkommen möchte.
Wir wollen auch einen gewissen Wettbewerb zwischen Ärzten, Zahnärzten, Physiotherapeuten, Apothekern und Krankenhäusern. Dabei muß die Qualität im
Vordergrund stehen. Das jetzige System, bei dem Ärzte
für eine Budgetüberschreitung kollektiv haften müssen,
wobei sie keine Chance haben, von sich aus sparsam mit
den Mitteln umzugehen und davon auch zu profitieren,
ist im Grunde ein irrsinniges System, dessen Folgen keiner nachvollziehen kann.
({19})
Eine kollektive Haftung aller Ärzte für Mehrausgaben
führt zu der abstrusen Situation, daß die Kosten in
Wirklichkeit steigen. Das erleben wir ja in diesem Jahr;
das hat offensichtlich eine völlig falsche Wirkung hervorgerufen. Das führt auch nicht zu dem, was Sie sich
offensichtlich davon erhofft haben.
Deswegen haben wir gesagt, Herr Schmidt, daß man
ehrlich darüber reden muß, ob es nicht besser ist, Patienten sozialverträglich mit zu beteiligen, damit darüber
eine Steuerung erfolgt. Das darf aber nicht zu einer isolierten Mehrbelastung führen. Dabei ist am wichtigsten,
daß wir die Menschen in die Lage versetzen, zuzuzahlen
und Eigenverantwortung zu übernehmen. Deswegen
bleibt eine wirkliche steuerliche Entlastung der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland das Wichtigste, damit
sie über mehr des Geldes verfügen können, das sie verdient haben.
({20})
Steuerliche Entlastung und Eigenverantwortung gehen Hand in Hand. Es gab dazu einen ganz präzisen
Vorschlag, der auch als Gesetz im Bundestag verabschiedet worden ist. Er ist - hier fängt die Blockade an im Bundesrat völlig ohne Not blockiert worden, weil Sie
damit parteipolitische Absichten verfolgt haben, die
auch ein wenig aufgegangen sind.
Wenn Sie sich die Härtefallregelungen ansehen, stellen Sie fest, daß Sie sie nicht, wie Sie es angekündigt
haben, prinzipiell geändert haben. Sie haben sie reduziert. Es wird finanziell eigentlich niemand überfordert.
Schon heute ist ungefähr ein Drittel aller Versicherten
von Zuzahlungen befreit. Ihre Alternative ist - ich sage
das noch einmal -: Ihr Konzept benachteiligt ausdrücklich die sozial Schwachen; denn das Verweigern medizinischer Leistungen auf Grund Ihrer Politik nach Kassenlage trifft insbesondere diejenigen, die ein geringes
Einkommen haben. Patienten mit höherem Einkommen
können sich Leistungen anderweitig besorgen, Einkommensschwache dagegen nicht.
Ihre Politik der Reglementierung und Budgetierung
ist rückwärtsgewandt. Wenn Sie klug gewesen wären,
hätten Sie 1998 Bilanz gezogen und überlegt, wie man
das System vorwärtsentwickeln kann, wie man für neue
Elemente sorgen kann. Sie hätten nicht alles mit Stumpf
und Stiel herausreißen sollen. Deswegen sind Sie in solchen Schwierigkeiten.
Wir sind trotz alledem zu Gesprächen mit Ihnen
darüber bereit. Aber wir wollen nachhaltige Lösungen,
damit wir für fünf bis zehn Jahre Ruhe an der gesundheitspolitischen Front bekommen, damit wir einen Weg
einschlagen, der für mehrere Jahre tragfähig ist. Wir
sind bereit, an einer solch nachhaltigen Lösung mitzuarbeiten. Ich sage ganz ausdrücklich: Auch bei diesem
Thema liegt der Ball in Ihrem Spielfeld. Sie müssen ihn
nur aufnehmen.
Vielen Dank.
({21})
Das Wort hat nun
die Gesundheitsministerin Andrea Fischer.
({0})
- Ich hätte gern die Fußballergebnisse bekanntgegeben;
aber ich kenne sie nicht.
({1})
Frau Präsidentin, Sie können jetzt zumindest das mich
interessierende Ergebnis noch nicht bekanntgeben, weil
Hertha erst vor einer Viertelstunde angefangen hat, zu
spielen;
({0})
deswegen kann ich jetzt noch über den Haushalt des Gesundheitsministeriums reden.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kues, man kann den Inhalt Ihrer gerade gehaltenen Rede
inzwischen mitsingen, weil er schon so oft zu hören war.
Das macht die Melodie trotzdem nicht richtiger. Ich
habe gerade wirklich sehr aufmerksam zugehört: Sie
haben den Großteil Ihrer Zeit darauf verwendet, zu sagen, was wir alles falsch machen. Dabei haben Sie zum
Teil auf zumindest zweifelhafte Informationen zurückgegriffen. Ihre Aussagen über die Budgets sind so nicht
haltbar, weil Sie sich dabei auf Prognosen aus dem
Sommer dieses Jahres beziehen. Diese Prognosen haben
sich bislang nicht bestätigt, und sie berücksichtigen
nicht das gemeinsame Aktionsprogramm.
Wenn Sie so emphatisch fordern, Kleinigkeiten aus
dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung
herauszunehmen, dann muß ich Ihnen entgegnen: Das
ist bereits in Ihrer Regierungszeit geschehen. Reden Sie
also nicht davon, daß Erkältungsmittel nicht von der
GKV bezahlt werden sollten; denn das steht schon lange
im Gesetz. Das haben wir mit dem gemeinsamen Aktionsprogramm bestätigt.
({1})
Hinsichtlich der Schulden der ostdeutschen Krankenkassen bitte ich Sie, folgendes zu berücksichtigen:
Bei diesen Schulden geht es um eine Hypothek, die über
Jahre hinweg angehäuft worden ist. Es ist unglaublich
schwer, sie jetzt wieder abzutragen.
({2})
Ich will die Gelegenheit heute nutzen, um über ein
paar Punkte aus dem Haushalt zu reden. Über die
Gesundheitsreform ist ausgesprochen viel diskutiert
worden; aber auf ein paar Dinge sollte man durchaus
noch einmal das Augenmerk richten. Wenn Sie behaupten, mit Zuzahlungen bekomme man eine Lösung der
Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung, die
zehn Jahre halte, dann entgegne ich: Das halte ich wirklich für völlig unangemessen.
({3})
- Sehr viel anderes hat Ihre Rede nicht enthalten. Sie
schauen auffällig oft weg, soweit es um die in diesem
Gesetz enthaltenen Strukturreformen geht. Teilweise
fordern Sie in Ihren diversen Konzeptpapieren dieselben
Sachen, die wir mit unserem Gesetz in Angriff genommen haben. Dabei hat man das Problem, daß man nicht
immer genau weiß, welches gerade gilt. Jedenfalls fordern Sie in diesen Papieren Dinge, die in unserem Gesetzentwurf längst enthalten sind. Von daher meine ich,
daß Sie da einfach noch einmal etwas nachlegen müssen.
Sie haben gesagt, wir machten eine rückwärtsgewandte Politik. Sie schlagen im Moment vor, zur Situation von 1997/98 zurückzukehren. Wenn ich mich an
den Wahlkampf des Jahres 1998 richtig erinnere, dann
war genau das eine sehr umstrittene Politik, die Ihnen
die Wählerinnen und Wähler nicht gedankt haben.
({4})
Ich möchte jetzt auf den Haushalt zu sprechen kommen. Es gibt da eine auffällige Diskrepanz. Herr Kolbe
sagt: Ihr spart doch gar nicht ordentlich. Frau Fuchs
sagt: Ihr spart viel zuviel. Das ist immer eine Frage der
Betrachtungsweise.
({5})
- Nein, da liegt auch die Wahrheit nicht in der Mitte.
Herr Kolbe hat hinsichtlich ein paar Posten, die wir aufgestockt haben, recht. Dazu sage ich gleich etwas. Frau
Fuchs hat genauso recht, wenn Sie sagt, daß wir - wenn
man von einigen besonderen Fällen absieht - in diesem
Haushalt ansonsten gespart haben.
Ich will nicht verhehlen, daß das auch schmerzhaft
ist, weil das Bundesministerium für Gesundheit in seinem bekanntermaßen sehr kleinen Etat eigentlich nur
Mittel hat, für die jedermann sein kann. Wenn man dort
sparen muß, dann ist das immer schmerzhaft.
Ich glaube aber, daß das, was wir gemacht haben, zu
vertreten ist. Ich bin damit auch insofern zufrieden,
als wir die wichtigen Aufgaben, die das Gesundheitsministerium wahrnehmen muß - Modellvorhaben Qualitätssicherung, Maßnahmen zur Verhinderung des Mißbrauchs von Drogen und Suchtmitteln, Verbesserung der
Selbstversorgung mit Blut und Blutprodukten -, auch in
Zukunft gewährleisten können.
Einsparungen finden in unserem Haushalt in der Tat
bei den Anpassungen der Finanzhilfen für Pflegeeinrichtungen in Ostdeutschland nach dem Liquiditätsbedarf, den die neuen Länder anmelden, statt. Frau Fuchs,
Sie wissen, daß es erhebliche Schwierigkeiten beim
Abruf der Mittel gibt. Die Mittel für Modellvorhaben in
der Pflege werden in der Tat gekürzt. Aber dies ist deswegen vertretbar, weil damit eine Veränderung in der
Förderpolitik einhergeht: Wir werden nicht mehr so
stark auf den kostenaufwendigen investiven Bereich,
sondern stärker auf die Entwicklung neuer Konzepte in
der Pflege setzen. Dies ist eine sehr sinnvolle Beschreibung der Aufgaben von öffentlich geförderten Modellprojekten.
({6})
- Wir wollen doch wenigstens noch die zweite Halbzeit
des Fußballspiels sehen, Herr Kolbe.
Ich lasse jetzt auch
keine Zwischenfragen mehr zu. Wir wollen die Debatte
beenden. - Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Auch im Verwaltungsbereich wird weiterhin gespart.
Ich möchte eines betonen: Die Aufgaben in der Gesundheitspolitik wachsen. Das betrifft nicht nur mein
Ministerium - dies hat viel mit der europäischen Entwicklung zu tun -, sondern auch die nachgeordneten
Behörden, die unglaublich viele zusätzliche Aufgaben
bewältigen müssen. Es ist sehr bitter, daß die Kürzungen
der letzten Jahre die Stellensituation in diesen Behörden
verschärft haben.
Nun zu dem Vorwurf von Herrn Kolbe, wir würden
kräftig drauflegen. Herr Kolbe, das Berlin/Bonn-Gesetz
habe ich nicht zu verantworten. Es existierte schon vor
meinem Amtsantritt. Aus diesem Gesetz resultiert der
Umzug des BfArM nach Bonn. Diese Vorgabe haben
wir zu erfüllen. Ich halte es nicht für redlich, wenn Sie
die Ausgaben für diesen Umzug als Ausgabenwut darstellen.
Die 130 Millionen DM für Pflegeeinrichtungen, die
jetzt eingestellt sind und die Sie monieren, gehen darauf
zurück, daß wir eine Kürzung der alten Bundesregierung
von 1997 rückgängig machen mußten. Es ist auch nicht
fair, uns dies jetzt vorzuwerfen.
Die 27 Millionen DM an Personalausgaben sind vor
allen Dingen für den Bereich der Nachzulassungen notwendig. Auch dies ist eine Hypothek. Wir müssen im
Bereich der Nachzulassungen unheimlich schnell in die
Puschen kommen, weil die Kommission zu Recht ungeduldig ist. Sie haben vor allen Dingen nicht darauf hingewiesen, daß dies ausgabenneutral finanziert wird, weil
es über die Gebühren wieder hereingeholt wird. Deshalb
sind die Vorwürfe, die Sie uns gemacht haben, nicht
richtig.
Frau Ministerin,
hatte ich Sie recht verstanden, daß Sie jetzt keine Zwischenfragen mehr zulassen?
Ja.
Danke schön.
Ich möchte jetzt noch einmal auf Hepatitis C eingehen.
Ich bin sehr froh darüber, daß wir in diesem Punkt weitergekommen sind. Ich möchte gar nicht darüber reden,
warum dies erst zehn Jahre nach der Wende möglich
war. Lassen wir dies einfach so stehen. Aber reden Sie
nicht die Tatsache klein, daß wir das Gesetz fertig haben. Zwar wird dieses Gesetz nach der Beratung im
Haushaltsausschuß noch einmal verändert, aber es ist
bereits mit den Bundesländern abgestimmt. Sie haben
sich bereit erklärt, Ihren Anteil zu tragen. Ich habe keinen Grund, am Wort der Länder zu zweifeln. Falls Sie
einen Grund haben, dann sollten Sie ihn nennen. Mit den
ostdeutschen wie mit den westdeutschen Ländern hat es
im Sommer auf der Gesundheitsministerkonferenz eine
Einigung gegeben. Darüber bin ich sehr froh. Wir werden uns sehr schnell in die Veränderungen des Gesetzes
einarbeiten, die durch den Beschluß des Haushaltsausschusses zustande kommen und die ich außerordentlich
begrüße. Wir werden uns danach an die Länder wenden.
Ich hoffe, daß wir bald zu einer Lösung gelangen werden.
({0})
Ich möchte die Kontroverse zwischen der Kollegin
Nickels und dem Kollegen Kolbe kurz aufgreifen. Herr
Kollege Kolbe, im letzten Jahr ist der Etat für Suchtprävention einmalig erhöht worden. Diese Erhöhung ist
diesmal nicht enthalten. Jetzt hat der Etat eine Höhe erreicht, die er auch schon unter dem Vorgänger von
Herrn Minister Eichel und meinem Vorgänger hatte. Ihre Kritik, das sei zugunsten dieses Modellversuchs gemacht worden, stimmt nicht; vielmehr handelt es sich
um Geld, das hier zusätzlich eingestellt worden ist.
Sie haben behauptet, der Modellversuch sei Quatsch.
Dazu hätte es schon eine Anhörung gegeben. Mit Verlaub, wenn ich mich recht entsinne, dann werden Modellversuche durchgeführt, um etwas herauszufinden. Es
gab bereits Vorläufermodelle, an die wir anknüpfen und
die wir weiterentwickeln werden. Dadurch werden neue
Fragen aufgeworfen. Ich bin der Auffassung, daß wir es
hier mit Drogenabhängigen zu tun haben, an denen bisher alle Entzugsversuche gescheitert sind. Wir haben die
Pflicht, diesen kranken Menschen zu helfen. Wir wollen
herausfinden, ob dies im Rahmen des Modellversuchs
möglich ist. Dies ist der Sinn des Modellversuchs. Deswegen halte ich ihn für notwendig und gerechtfertigt.
({1})
Abschließend möchte ich mich herzlich bei meinen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken. Ich glaube,
auch die Berichterstatter werden mir zustimmen, wenn
ich feststelle, daß es eine hervorragende Zuarbeit und
Unterstützung gegeben hat. Ich möchte mich aber auch
bei den Berichterstattern für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Ich freue mich, daß doch wenigstens dieses noch geht. In diesem Sinne vielen Dank!
({2})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15 - Bundesministerium für Gesundheit - in der
Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 15 ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.
Wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 24. November
1999, 9 Uhr, ein.
Allen Fußballfans einen schönen Abend. Es steht 1:0
für Barcelona.
Die Sitzung ist geschlossen.