Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröff-
net. Wir setzen nun die Haushaltsberatungen - Punkt I -
fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2000
({0})
- Drucksachen 14/1400, 14/1680 ({1})
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 1999 bis 2003
- Drucksachen 14/1401, 14/1680, 14/1925 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft
Ich rufe auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzler und Bundeskanzleramt
- Drucksachen 14/1904, 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth ({3})
Manfred Hampel
Antje Hermenau
Oswald Metzger
Dankward Buwitt
Steffen Kampeter
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel
Es liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der
F.D.P. und der Fraktion der PDS vor. Ich weise darauf
hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über den
Einzelplan namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kollege
Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.
({4})
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Am letzten Wochenende haben sich in Florenz die Führer der europäischen
Linksregierungen - Tony Blair, Massimo D´Alema,
Lionel Jospin und Gerhard Schröder - mit Bill Clinton
getroffen:
({0})
Vorabmeldungen über dieses Treffen haben ein ganz beschauliches Bild gezeichnet: Gerhard Schröder mit seiner internationalen Toskana-Fraktion auf der Suche nach
dem dritten Weg.
({1})
Mit Quellen der Inspiration - Sie sollten da auch einmal
hingehen - ist die Region Florenz ja bekanntlich reich
gesegnet: von Machiavelli bis Chianti, nur Brioni liegt
weiter südlich.
({2})
Herr Bundeskanzler, es ist schon auffällig, wie wenig
nach dem Florenzer Treffen von Ihren Thesen zur Erneuerung der europäischen Sozialdemokratie zu hören
und zu lesen war, die Sie zusammen mit dem britischen
Premier Tony Blair haben verfassen lassen. Der Verfasser auf deutscher Seite hieß damals Hombach. Das In6506
teresse an den dort zusammengefaßten Sprechblasen
scheint zumindest Presseberichten zufolge gering gewesen zu sein. Vor allen Dingen war Ihre eigene Sorge zu
groß, die Genossen könnten Ihnen diese Thesen noch
einmal übelnehmen. Es steht ein SPD-Parteitag an, auf
dem die Genossinnen und Genossen die Möglichkeit haben, Noten und Quittungen zu verteilen.
Es ist ganz klar: Es reicht nicht aus, den Begriff
„neue Mitte“ breitzutreten, um die Wählerschaft der
SPD zu vergrößern. Es reicht nicht aus, sich den Deckmantel der Modernität umzuhängen, um die SPD mit der
Realität zu versöhnen. Die eigentliche Aufgabe wäre ja
die Versöhnung der SPD mit der Realität in der Welt.
({3})
Da haben Sie noch sehr viel vor sich. Ich wünsche Ihnen
dabei, nachdem die Mehrheitsverhältnisse im Deutschen
Bundestag so sind, wie sie sind, im Interesse unseres
Landes viel Erfolg.
({4})
Vor allem reicht es nicht aus, immer wieder die
Schlachten von gestern zu schlagen.
({5})
Sie müssen konkret werden. Der Hinweis auf dieses
Buch, das Herr Hombach geschrieben hat, reicht nicht.
({6})
Auch nebulöse Ankündigungen reichen nicht. Deutschland braucht eine klare, verläßliche marktwirtschaftliche
Politik erhardscher Prägung. Daran hapert es in
Deutschland seit einem Jahr, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({7})
Wissen Sie, wie der dritte Weg, der in Florenz eingeschlagen worden ist, aussieht? Man hat offensichtlich
nicht miteinander, sondern mit Hilfe von Zeitungen
übereinander geredet. Das wird beispielsweise durch das
belegt, was der „Independent“ an Kritik von Tony Blair
an Ihrer Haltung zu Mannesmann/Vodafone geschrieben
hat. Herr Bundeskanzler, ich sage es vorneweg, damit
kein Zweifel entsteht - man weiß ja, daß sehr rasch gefälscht wird -: Unser aller Bestreben geht dahin, möglichst vielen Mitarbeitern von Mannesmann auch in Zukunft sichere Arbeitsplätze zu garantieren. Das geht aber
immer nur dann, wenn Unternehmungen erfolgreich
sind. Wir wissen auch, daß der Mannesmann-Konzern
plant, den größten Teil der Arbeitsplätze im Montanund Maschinenbaubereich abzuspalten und in eine eigene Gesellschaft einzubringen, die dann entweder direkt
an die Börse geht oder an andere Gesellschaften verkauft wird oder mit anderen großen Gesellschaften kooperiert. Deshalb gilt unsere allererste Sorge natürlich
den Arbeitsplätzen außerhalb des Telekommunikationsbereichs. Der Telekommunikationsbereich ist von der
Sache her heute global und international verflochten.
Deswegen interessiert mich, Herr Bundeskanzler Sie haben hinterher Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen -, ob Sie bei solchen Gelegenheiten zu Tony Blair
dasselbe wie zu den Betriebsräten sagen.
({8})
Sagen Sie bitte auch etwas dazu, wie wünschenswert
Investitionen bei uns im Land sind. Sagen Sie dann
auch noch, wie Sie es mit Kapitalinvestitionen bei uns
im Lande halten. Ich sage hier ganz klar: Die letztendlich wirksamste Form, darüber mitzubestimmen, was
Eigentümer tun - bei dieser Entscheidungsfindung zielt
man direkt auf die Eigentümer dieser Konzerne ab -, ist,
möglichst viel Investivkapital in Arbeitnehmerhand zu
haben. Das ist bisher insbesondere von der IG Metall
immer blockiert worden, weil man nie den wirklich
selbständigen Arbeitnehmer wollte.
({9})
- Sie können das hinterher klarstellen.
({10})
Wir brauchen tiefgreifende Reformen dringender
denn je in Deutschland. Statt dessen herrschen bei uns
Stillstand, Rückschritt und Chaos. Was bedeutet ein Jahr
Schröder? Ich will es Ihnen gern aufzählen, meine sehr
verehrten Damen und Herren: Das heißt Stillstand am
Arbeitsmarkt, das heißt Stillstand bei der Steuerreform,
das heißt Stillstand bei der Rentenreform - dazu komme
ich noch -,
({11})
das heißt Rückschritt in der Energiepolitik, das heißt
Rückschritte in der Arbeitsmarktflexibilisierung, das
heißt Chaos bei den 630-DM-Jobs, und das heißt Chaos
bei der Gesundheitsreform.
({12})
Seit einem Jahr leidet Deutschland unter einem „ChaCha-Cha-Kanzler“, wie es Helmut Herles im „GeneralAnzeiger“ geschrieben hat. „Cha-Cha-Cha“ bedeutet
einen chaotischen Schritt nach vorn, dann einen Nachbesserungsschritt nach hinten, schließlich drei Schritte
rotgrüner Kakophonie auf der Stelle.
({13})
Man kommt damit aber nicht vorwärts im Land. Das ist
unser eigentliches Problem. Wenn man die rotgrünen
Dissonanzen auf sich wirken läßt, fällt einem das Bild
von den Bremer Stadtmusikanten ein. Die Bremer
Stadtmusikanten sind dagegen ein Kammerorchester,
meine sehr verehrten Damen und Herren.
({14})
Notwendige Reformen werden nicht angepackt, Bewährtes wird sachfremd und systemwidrig verändert.
Das beste Beispiel dafür ist die Rentenversicherung. Erst
hatten Sie den Menschen vorgegaukelt, es gehe ohne
schmerzhafte Eingriffe. Dann setzten Sie willkürlich die
Rentenformel aus; Sie taten es angeblich, um den
Staatshaushalt zu sanieren. Mit den unseriösen Versprechungen, nach zwei Jahren wieder zur nettolohnbezogenen Rente zurückzukehren, haben Sie immer noch nicht
die Glaubwürdigkeit bei den Menschen gefunden, weil
Ihre Versprechungen, Herr Bundeskanzler, eine sehr
kurze Halbwertszeit haben.
({15})
Ich habe in meiner Kindheit den Spruch gelernt:
„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er
auch die Wahrheit spricht.“
({16})
Das eigentliche Problem ist Ihre Glaubwürdigkeit, Herr
Bundeskanzler.
({17})
- Wenn es wieder ruhig ist, bin ich gerne bereit weiterzureden.
Bei Ihrem Geschrei fallen mir noch andere Kinderreime ein. Zum Beispiel: Getroffener Hund bellt.
({18})
Bei der Rente ist es noch viel schlimmer. Hier betätigt sich auch noch Herr Zwickel und singt irgendwelche
Sirenengesänge für eine Rente mit 60. Bei Zwickel und
Sirenengesängen fällt mir allerdings nicht das Bild von
Odysseus ein, sondern da fallen mir nur Feuerwehrsirenen ein.
Auch die Riestersche Rentenpolitik haben Sie, Herr
Bundeskanzler, zu verantworten. Sie bestimmen die
Richtlinien der Politik und können sich nicht dauernd
hinter anderen verschanzen. Diese Rentenpolitik ist keine Rentenpolitik mit einer demographischen Komponente, sie ist eine Rentenpolitik mit ausschließlich demagogischer Komponente, meine Damen und Herren.
({19})
In diesem Urteil weiß ich mich mit dem Sachverständigenrat einig, der sagt: Das ist reine Umfinanzierung;
das hat nichts mit Rentenreform zu tun. Dafür hat diese
Bundesregierung nach wie vor kein schlüssiges Konzept. Wenn Sie auf der Suche danach sind, sind wir gerne bereit, Ihnen dabei zu helfen. Ich werde hierauf noch
einmal zurückkommen.
Das Perpetuum mobile Ihrer Rentenreform heißt
Ökosteuer. Inzwischen können die Autofahrer beobachten, wie die Zahlen an der Tanksäule rasen. Die Digitalanzeigen sind das einzige, was heute noch auf deutschen
Autobahnen rasen kann.
({20})
Denn auf den Autobahnen machen sich immer mehr
Staus breit. Wir gehen jetzt einem Benzinpreis von 2
DM entgegen. Das tut den Leuten weh.
({21})
Benzin und Heizöl sind 30 Pfennige teurer als vor einem
Jahr. Dies hat - das wissen wir auch - nur zum Teil mit
der Ökosteuer zu tun. Aber Sie haben die Situation damit verschärft, und entgegen den Versprechungen des
Bundeskanzlers, die Steuer werde 6 Pfennig betragen,
sind für die nächsten Jahre insgesamt 30 Pfennig Steuererhöhung beschlossen worden.
({22})
Herr Bundeskanzler, Sie wollen der Autokanzler sein.
Ich bin dafür: Auf jede Zapfsäule gehört ein Abziehbild
von Ihnen, auf dem stehen sollte: „Autokanzler Gerhard
Schröder läßt grüßen.“
({23})
Unter Ihrer Führung preßt die Bundesregierung die
Autofahrer aus wie Zitronen.
({24})
Die Autofahrer werden sicherlich auch schauen, als ob
sie in eine Zitrone gebissen hätten, wenn sie sehen, was
an der Tankstelle vor sich geht.
Ein weiteres Beispiel für Chaos ist die Energiepolitik. Wider alle Vernunft hält die Bundesregierung am
Ausstieg aus der Kernenergie fest. Drohkulissen eines
gesetzlich verordneten Ausstiegs wechseln mit Harmoniebekundungen eines Ausstieges im Konsens ab. Einmal Trittin, einmal Müller, oder was?
({25})
Dies ist ein unwürdiges Schauspiel. Es ist auch ein Katzund-Maus-Spiel mit der Energiewirtschaft, wobei der
Kater Jürgen heißt. Jürgen Trittin ist der Kater, der mit
der deutschen Energiepolitik ein Katz-und-Maus-Spiel
versucht. Die Methode, alle Szenarien auszumalen, beispielsweise nach dem Motto: „Wenn du nicht so willst,
verstopfe ich dir die Abtransporte von Kernbrennstäben“, ist im Prinzip die gleiche, als wenn der Henker in
einer großzügigen Geste den Delinquenten die Form
seiner Hinrichtung frei wählen läßt.
({26})
- Herr Trittin lacht. Das ist sein gutes Recht. Herr Trittin, Sie oder der Bundeskanzler können nachher etwas
dazu sagen. Sie arbeiten ja insgeheim an einem Ausstiegsgesetz.
({27})
Sie wollen nämlich den Ausstieg erpressen. Herr Bundeskanzler, sind Sie bereit, ein solches Gesetz einzubringen, zu unterschreiben? Sind Sie dann auch bereit,
etwaige Schadenersatzansprüche aus der Bundeskasse
zu regeln, also vom Steuerzahler bezahlen zu lassen?
({28})
Herr Bundeskanzler, dies ist reines Schutzgeld für Ihren
grünen Koalitionspartner. Bevor Schutzgeld gezahlt
wird, hat es eine Schutzgelderpressung gegeben. Das
wissen wir auch.
({29})
Wie unsinnig diese Ausstiegsforderungen sind, wird
einem klar, wenn man sieht, daß sich der europäische
Energiemarkt immer stärker harmonisiert und daß die
Stadtwerke - auch in sozialdemokratisch geführten
Städten - ihren Strom heute bei belgischen und französischen Konzernen einkaufen.
({30})
Es heißt doch immer, der Strom komme aus der Steckdose, auch der Atomstrom. Aber der Atomstrom kommt
dann von französischen Kernkraftwerken und solchen
im Ostblock, die weniger sicher sind als deutsche. Das
ist die Wahrheit.
({31})
Haben Sie in Florenz, zum Beispiel mit Jospin, einmal über die Öffnung des französischen Energiemarktes
gesprochen? Es hätte sich gelohnt, das zu tun, denn nach
dem jetzigen Stand können zwar die Franzosen uns
Strom liefern, aber umgekehrt geht es nicht. Das sind
doch die Themen, die man bei solchen Treffen besprechen muß.
Herr Trittin, wenn Sie von Ausstieg sprechen, heißt
das letztendlich Ausstieg aus der Wertschöpfung in
Deutschland und Ausstieg aus den Arbeitsplätzen in diesem Bereich.
Die Bundesregierung handelt auch in anderen Bereichen konsequent nach dem Motto: Versprochen, gebrochen. Versprochen war eine deutliche Reduzierung der
Arbeitslosenzahl, statt dessen Stillstand in Deutschland.
Versprochen war der Aufbau Ost in verstärktem Tempo,
statt dessen steigt die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern. Versprochen war, die mittelständische Wirtschaft
zu fördern, statt dessen wurden den Mittelständlern
Steuererhöhungen, Ökosteuer, 630-DM-Chaos und
Rücknahme wichtiger Reformen zugemutet. Versprochen war, die Finanzkraft der Kommunen zu stärken,
statt dessen werden milliardenschwere Lasten auf die
kommunalen Haushalte abgewälzt. Und das alles nennt
Herr Eichel dann Sparen!
Versprochen war, innerhalb von fünf Jahren die Investitionen für Forschung und Bildung zu verdoppeln, statt
dessen werden diese Investitionen bis 2003 weit zurückgeführt; sie werden deutlich niedriger sein als 1998.
({32})
Versprochen war ein Verkehrssystem, das die flächendeckende Mobilität der Menschen gewährleistet, statt
dessen werden Straßenbau- und Schieneninvestitionen
bis zum Jahr 2003 um 7,5 Milliarden DM gekürzt. Der
Verkehrskollaps in Deutschland ist vorprogrammiert.
({33})
Ich möchte das zum Anlaß nehmen, etwas über die
gegenwärtigen Schwierigkeiten der Bauwirtschaft,
insbesondere des Holzmann-Konzerns, zu sagen. Die
beste Methode, Bauarbeitern Arbeit zu geben, ist, Investitionen zu stärken, sowohl öffentliche als auch private
Investitionen.
({34})
Unsere Sorge gilt natürlich in allererster Linie den
mittelständischen Geschäftspartnern, den Zulieferern,
denen, die darauf warten, daß ihre Projekte fertiggestellt
werden, und vor allen Dingen allen dort Beschäftigten.
Es muß jeden mit Sorge erfüllen, wenn er sieht, was dort
geschieht.
({35})
Aber eines ist ganz klar: Die Kosten für Mißmanagement kann nicht der deutsche Steuerzahler pauschal
übernehmen. Das würde unser System nicht vertragen.
({36})
Deswegen sind die Eigentümer dran. Die Eigentümer
sind zum großen Teil große Banken. Es sind auch diejenigen mit in die Verantwortung zu bringen, die im Aufsichtsrat gesessen haben und wohl eher weniger Aufsicht und sehr wenig Rat ausgeübt haben, wenn man das
Ergebnis sieht.
Herr Bundeskanzler, nach Presseberichten werden Sie
heute abend Ihre Bemühungen fortsetzen, eine Rettung
letztendlich der Arbeitsplätze zu erreichen. Ich glaube,
Sie sollten mehr auf die Arbeitsplätze als auf die Existenz eines Konzerns, und wenn er noch so traditionsreich ist, abstellen.
({37})
- Das muß kein Widerspruch sein. - Jedenfalls wünsche
ich Ihnen, daß Sie bei den Bemühungen, die Roland
Koch und Petra Roth begonnen haben,
({38})
mehr Autorität haben. Allerdings ist am Schluß die Frage zu stellen, warum bei dem gleichen Wollen aller
konkrete Angebote und Hilfen in erster Linie von der
Stadt Frankfurt gekommen sind.
({39})
Aber wie gesagt: Im Interesse der Arbeitnehmer dort
gönne ich Ihnen herzlich den Erfolg. Es ist dann auch
ein Erfolg des hessischen Ministerpräsidenten Koch und
der Oberbürgermeisterin Petra Roth.
({40})
- Ist das so schlimm? Es ist doch beschämend, daß es
Ihnen nicht in allererster Linie um die Arbeitsplätze der
Arbeitnehmer geht, sondern daß Sie sofort in ein billiges
parteipolitisches Geheule ausbrechen, wenn man über
dieses Thema spricht.
({41})
Versprochen war, die ländlichen Räume zu stärken
und die Landwirtschaft in Deutschland zu sichern. Statt
dessen bringt die Regierung Schröder die Bauern um
25 Prozent ihres Einkommens und die Bauern werden zu
Freiwild erklärt.
({42})
Versprochen war, jedem den gleichen Anspruch auf
qualitativ hochwertige medizinische Versorgung zu
sichern. Statt dessen bringt die rotgrüne Gesundheitsreform den Menschen Mangelverwaltung, Rationalisierung und eine Zweiklassenmedizin.
({43})
Herr Bundeskanzler, Sie kennen sicher den alten sozialistischen Kampfspruch - ich habe ihn oft um die Ohren geknallt bekommen; als Blüm und Seehofer Gesundheitsreformen durchgeführt haben, wurde dies immer als Motto herangezogen -: „Weil du arm bist, mußt
du früher sterben.“ Daß das aber ausgerechnet unter Ihrer Kanzlerschaft mit Inhalt erfüllt werden soll, finde ich
ein ganz starkes Stück. Es wäre gut, wenn Sie auch dazu
etwas sagen würden.
({44})
Herr Bundeskanzler, Verteidigungsminister Rudolf
Scharping konnten Sie nur mit der Zusage in dieses Amt
locken, daß der Wehretat bis zum Abschluß der Arbeiten der Wehrstrukturkommission zur Mitte der Legislaturperiode nicht gekürzt wird. Das war die öffentlich gegebene Zusage. Sie hatten noch zu Beginn der Legislaturperiode eingeräumt: Die Bundeswehr stößt beim Sparen „mit dem Helm an die Decke“. Demnach ist bald
nicht nur der Helm verbeult, sondern auch der Kopf darunter; so stark stößt das jetzt an die Decke, was Sie mit
unserer Bundeswehr vorhaben.
({45})
Die Realität bei Gerhard Schröder ist folgendermaßen: bis 2003 Kürzungen von über 18 Milliarden DM im
Verteidigungsbereich. Das hat zur Folge: Beim Anteil
der Verteidigungsausgaben am Bruttosozialprodukt fällt
Deutschland innerhalb der 19 NATO-Staaten auf den
17. Platz zurück - vor Luxemburg mit seiner 1 000Mann-Armee und allerdings auch vor Island; denn die
haben überhaupt keine Armee.
({46})
Wenn Sie noch Österreich in die NATO holen, kann es
sein, daß Deutschland einen Platz weiter vorrückt. Denn
die Situation dort in bezug auf das, was man für die
Verteidigung ausgibt, ist noch schlimmer.
Deswegen hat NATO-Generalsekretär Robertson
recht: Wenn Deutschland als eines der größten NATOLänder ein schlechtes Beispiel gibt, dann dient das den
Partnern als Vorwand, auch ihren Verteidigungsetat zu
kürzen. All dies hat verheerende Folgen für die Einsatzfähigkeit des gesamten westlichen Bündnisses, insbesondere der Europäer.
Herr Bundeskanzler, ich fordere Sie deshalb auf:
Kehren Sie beim Verteidigungshaushalt zur Finanzplanung von Helmut Kohl und Theo Waigel zurück!
({47})
- Ich verstehe diese Aufregung nicht. - Dies ist nötig,
um das beschädigte Vertrauen unserer Partner, insbesondere das der USA, zurückzugewinnen. Ich hatte unlängst ein Gespräch im Pentagon. Sie sollten sich die
dortigen Verantwortlichen einmal anhören. Die sagen
höflich, sie wollten nicht in die deutsche Innenpolitik
hineinreden, aber als Bündnispartner seien sie von tiefer
Sorge darüber erfüllt, was hier vor sich gehe und was
man der Bundeswehr und damit auch dem westlichen
Bündnis zumuten wolle.
({48})
Wir wollen auch, daß die Beschlüsse zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein festes
Fundament haben. Wir wollen verhindern, daß „Mister
GASP“, Herr Solana, ein Mann ohne Geld wird. GASP
heißt nicht: Geld alle, Solana pleite.
({49})
Dieses Amt muß mit Inhalt erfüllt werden.
({50})
Wir wollen unser Gewicht in der NATO nicht verspielen. Auch hier steht die Glaubwürdigkeit unseres Landes
längerfristig auf dem Spiel.
Ihre Verteidigungspolitik ist letztendlich so unglaubwürdig wie Ihre Außenpolitik. Auch hierzu möchte ich
ein paar Kostproben bringen. Die Widersprüchlichkeit
Ihrer Außenpolitik wird am allerbesten am Beispiel
Türkei deutlich: Einerseits will Herr Fischer der Türkei
den Status eines EU-Beitrittskandidaten einräumen;
nach Presseberichten wollen Sie das in Helsinki durchsetzen. Andererseits will die Partei des Außenministers
die Lieferung von Panzern an den NATO-Partner Türkei
verhindern. Ich sehe hier ganz gewaltige Widersprüche
im Verhalten.
Diese widersprüchliche Politik gegenüber der Türkei
wird nur noch durch die doppelbödige und pharisäerhafte Haltung der Regierungskoalition zum NATOEinsatz im Kosovo und zum russischen Militärengagement in Tschetschenien überboten.
({51})
Da wurde im Frühjahr dieses Jahres von einer Antikriegsinitiative der Grünen der NATO-Militäreinsatz
zum Schutz der Menschen im Kosovo als „NATOAngriffskrieg gegen Jugoslawien“ gebrandmarkt. Es ist
auch noch nicht lange her, daß auf dem Bielefelder Sonderparteitag der Grünen Spruchbänder gezeigt wurden:
„Nie wieder Krieg! Die NATO zerschlagen - Fischer
verjagen!“ Jetzt, beim russischen Feldzug gegen die
tschetschenische Bevölkerung, ist von den grünen Bedenkenträgern weit und breit nichts zu hören. Die sind in
erster Linie da, wenn es gegen die NATO geht.
({52})
Am 19. Januar 1995 - Sie können es gerne nachlesen
- sagte der damalige Fraktionsvorsitzende der Grünen,
Joschka - damals nannte er sich noch so - Fischer,
({53})
im Deutschen Bundestag:
Bei Menschenrechtsverletzungen gibt es kein Einmischungsverbot … Bei Menschenrechtsverletzungen gibt es vielmehr nur eines: die Pflicht zur
Wahrheit, zur Klarheit und zur öffentlich bekundeten klaren Position. Da hat diese Bundesregierung
schmählich versagt
Dies hat er damals zu Helmut Kohl gesagt.
({54})
Ich kann nur sagen - um mit Fischers Worten zu sprechen -: Avanti, dilettanti!
Ich frage Sie: Wo ist der moralische Aufschrei von
Joschka Fischer auf dem jüngsten Gipfel in Istanbul geblieben? Davon war wenig zu vernehmen. Hier wurde
von den Grünen keine Aktuelle Stunde dazu beantragt,
wie es sonst bei solchen Gelegenheiten geschieht.
({55})
Herr Schlauch, wenn Sie mit dem Lesen fertig sind,
können Sie vielleicht folgende Frage beantworten: Wo
ist auf dem jüngsten Strategiekongreß der Grünen die
Resolution zur Wahrnehmung der Menschenrechte in
Tschetschenien geblieben? Haben Sie das vergessen?
War das ein Regiefehler, oder tauchen Sie jetzt weg?
({56})
Es zeigt sich, daß das rotgrüne Gewissen in Sachen
Menschenrechte nur dann anspringt, wenn es in Ihre
Philosophie paßt, also immer dann, wenn es um die
NATO und ihre Mitglieder geht.
Der „Spiegel“ schrieb am 15. November 1999 - das
ist noch nicht lange her; es ist die Ausgabe der letzten
Woche -:
Die Lust verloren - Rot und Grün haben sich auseinandergelebt, doch auseinandergehen können sie
nicht.
Wenn sich die Ehepartner völlig auseinandergelebt haben und dies alle um sie herum spüren, dann stellt man
sich die Frage: Warum gehen sie nicht auseinander? Bei
einer Ehe sind oft die Kinder der Grund; aber das ist in
diesem Fall wahrscheinlich nicht möglich. Sehr oft geht
es auch um die Finanzen. Dies zählt hier: Offensichtlich
haben noch nicht genügend Partner ihre Ruhestandsansprüche ersessen.
({57})
Bei dem Auseinandergehen solcher Partnerschaften muß
aber auch die Frage gestellt werden: Sind sich die Partner hörig?
Bei dieser rotgrünen Partnerschaft muß noch eine andere Frage erlaubt sein: Sind der Grund dafür die politischen Schmuddelkinder? Als solche haben die Grünen
begonnen. Sie haben einen langen und schwierigen Weg
hinter sich, auch die führenden Personen der Grünen.
Ich meine, sie lassen sich aus den Sesseln der Macht
letztendlich nur von den Wählerinnen und Wählern vertreiben. Es gibt keine Demütigung, die dies bewirken
könnte. Sie können sich deswegen auch alle Schutzgeldzahlungen sparen.
({58})
Kollege Glos, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lippelt?
Aber ja.
Herr Glos, ich möchte Sie fragen: Ist Ihnen entgangen,
daß von den europäischen Außenministern der deutsche
Außenminister die meisten und intensivsten Erklärungen
zu Tschetschenien gemacht hat, und zwar seit vier Wochen?
Ist Ihnen entgangen - das kann Ihnen entgehen, denn
Sie müssen nicht Erklärungen von Abgeordneten lesen -,
daß es entsprechende Erklärungen aus unserer Fraktion,
auch von mir, seit mindestens drei Wochen gibt?
({0})
Ist Ihnen entgangen, daß es gestern abend in der Akademie der Künste eine hochdramatische Diskussion gegeben hat, wo sich auf der einen Seite Herr Kawaljow
sehr deutlich ausgesprochen hat und auf der anderen
Seite drei Tschetschenen - auf Einladung unserer Fraktion - dort anwesend waren? Das brauchen Sie nicht zu
wissen. Sie brauchen auch nicht zu wissen, daß in dieser
Woche der Außenminister Maschadow hier sein wird
und daß auch dies etwas mit unserer Fraktion zu tun hat.
Informieren Sie sich bitte besser, bevor Sie das nächste Mal solch einen Unsinn reden.
({1})
Ich bitte um Verzeihung.
Die von Ihnen aufgezählten Aktionen sind mir alle entgangen - auch der breiten deutschen Öffentlichkeit.
({0})
Ansonsten wissen die Grünen sehr gut, wenn man will,
wie man sich öffentlichkeitswirksam in Szene setzt. Mir
ist vor allem die Aktuelle Stunde im Bundestag entgangen. Die hätte ich nämlich wahrgenommen.
({1})
Herr Bundeskanzler, Sie können Ihrem grünen Koalitionspartner noch so viele Demütigungen zumuten,
Die gehen nicht, die bleiben. Sie können ruhig fünf neue
Kernkraftwerke bauen: Die Grünen bleiben trotzdem in
dieser Koalition.
({2})
Ihre Kanzlerschaft ist ausschließlich aus Ihrer eigenen
Partei bedroht. Damit das ganz klar ist.
({3})
Bundesverteidigungsminister Scharping traut sich
ganz offen die Kanzlerschaft zu und sagt das auch jedem, der es hören will, und jedem, der es nicht hören
will. Unverblümt, aber zu Recht wird in diesen Hintergrundgesprächen vom „Vergeigen“ des Vertrauens gesprochen, das der Wähler der rotgrünen Koalition bei
der letzten Bundestagswahl übertragen hat.
In der SPD werden bereits Erinnerungen an Mannheim 1995 wach.
({4})
Damals trauten die Sozialdemokraten schon einmal vor
ihrem Parteitag dem Vorsitzenden nicht mehr zu, die
Partei kraftvoll zu führen. Es steht ja jetzt ein Parteitag
vor der Tür, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich verrate kein Geheimnis: Es ist einsam um den
Bundeskanzler geworden.
({5})
Auch wenn er jetzt wieder lacht, man sieht ihm an: Regieren macht ihm keinen Spaß mehr.
({6})
Es ist seinem Gesicht deutlich anzumerken. Es ist auch
kein Wunder, das Amt des Bundeskanzlers verlangt
Verantwortung, es verlangt Verläßlichkeit, es verlangt
Stetigkeit, es verlangt Visionen, es verlangt harte Arbeit,
es verlangt Geschick und Durchsetzungsvermögen.
({7})
Mit Spaß allein ist es nicht getan.
Herr Bundeskanzler, Sie sind darauf angewiesen, daß
Sie das deutsche Volk überzeugen können, daß es Ihnen
ein Stück auf den Weg folgt. Sie können das deutsche
Volk nicht überzeugen, wenn es Ihnen nicht einmal gelingt, Ihre eigene Partei zu überzeugen und hinter sich
zu scharen.
({8})
Deswegen kann ich nur sagen: Stellen Sie diese
Querschüsse ab, die immer wieder kommen und die
letztendlich Ihre Politik und damit die Politik Deutschlands vernebeln.
({9})
Wenn Ihre Koalition und vor allen Dingen Ihre eigene
Partei Sie weiter so nervt, wie es bisher geschehen ist,
dann kann ich mir durchaus vorstellen, daß Sie einmal
von innen am Zaun des Kanzleramtes rütteln und sagen:
Ich will hier raus.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat nun
der Kollege Peter Struck, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Erlauben Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung: Ich möchte an dieser Stelle dem Kollegen
Wolfgang Schäuble herzlich gute Besserung wünschen.
({0})
Ich habe ihm das auch schon schriftlich mitgeteilt. Ich
hoffe, daß er bald wieder seine Arbeit für seine Fraktion
aufnehmen kann, wenngleich ich seine Arbeit in vielen
Punkten inhaltlich zu kritisieren habe.
Herr Kollege Glos, Sie haben ja nun die Hauptrede
der Opposition gehalten. Ich muß schon sagen: Ich vermisse den Herrn Schäuble in diesem Zusammenhang
denn doch. Ein bißchen flach war das schon, was Sie gesagt haben.
({1})
Da ich wußte, daß Sie vor mir reden, möchte ich Ihnen
einige Punkte eines Briefes vorhalten, den ich gestern
von einem Mitglied der CSU bekommen habe. Mein Büro hat sich vergewissert, daß der Brief authentisch ist;
wir haben auch mit dem Autor gesprochen. Dieser Brief
fängt so an:
Ich bin seit 25 Jahren Mitglied der CSU und Träger
deren silberner Ehrennadel,
({2})
aber trotzdem SPD-Wähler, der möchte, daß Sie Ihre Politik fortführen können. Die derzeitige Politik
der Unionsparteien, welche 16 Jahre Zeit hatten,
etwas zu verbessern, finde ich abstoßend und geeignet, Arbeitnehmer verschiedener Alters- und Berufsgruppen gegeneinander aufzuwiegeln.
Recht hat das Mitglied der CSU.
({3})
Wenn ich noch etwas zitieren darf:
Wie viele bin auch ich der Meinung, daß die Bundesrepublik Deutschland in den 16 Jahren der alten
Koalition keine Regierung hatte, die tatsächlich regierte. Das Ergebnis daraus ist eine für den Normalbürger nicht mehr zu fassende Staatsverschuldung, ein riesiger Verwaltungsapparat, ein Gesetzes- und Abschreibungsdschungel, 4 Millionen Arbeitslose und wahrscheinlich ebenso viele neue
Millionäre, Mißwirtschaft, Steuerverschwendung,
Spekulantentum, Korruption und Schmiergeldaffären.
({4})
Recht hat der Mann, das Mitglied der CSU.
({5})
Mit dem Haushalt, den wir in dieser Woche verabschieden, machen wir Politik für das nächste Jahrtausend. Sie, Herr Kollege Glos, haben über den Haushalt
({6})
überhaupt nicht gesprochen. Das will ich an dieser Stelle
nur einmal anmerken. Dieser Haushalt ist Teil einer
Operation, die dem Staat am Vorabend des 21. Jahrhunderts verlorene Handlungsfähigkeit zurückerobert; dieser Haushalt ist eine Wendemarke.
({7})
Die Zeiten, in denen der Haushalt bestimmt war durch
Verprassen von Tafelsilber, durch höhere Staatsverschuldung und durch Mehrwertsteuererhöhungen, sind
endgültig vorbei, seitdem wir diese Regierung übernommen haben.
({8})
Wir wollen einen Fairneßpakt der Generationen; wir
wollen, daß auch unsere Kinder und Enkelkinder die
Chance haben, ihr Modell Deutschland zu gestalten. Sie
brauchen die besten Schulen, die besten Universitäten,
die beste Ausbildung, um in diesem globalisierten Wettbewerb mithalten zu können. Wir schaffen die Voraussetzungen dafür.
({9})
Es gibt kein Institut, keinen Verband, der diesen Kurs
der Regierung Schröder nicht als einen wichtigen Schritt
in die richtige Richtung bezeichnet hat. Der Sachverständigenrat hat das in seinem Gutachten bestätigt, die
Bundesbank, der Bundesrechnungshof, die Sachverständigen von Banken und anderen. Wir setzen diesen Kurs,
den sie für richtig halten, um und werden unbeirrt an
diesem Kurs festhalten.
({10})
Wir haben ein hohes Maß an internationaler Anerkennung erhalten. Sowohl Clinton als auch Tony Blair
haben das in Florenz deutlich gemacht, übrigens auch
Lionel Jospin. Clinton und Blair wissen auf Grund ihrer
Politik - auch wir wissen das jetzt -, daß Kursänderungen und Einschnitte Wähler schon schmerzhaft treffen
und sie auch schmerzhaft aufstoßen lassen. Aber beide
haben mit diesem Kurs Erfolg gehabt, und auch wir
werden mit diesem Kurs Erfolg haben.
({11})
Da bin ich ganz sicher, meine Damen und Herren.
({12})
Die Menschen spüren inzwischen, daß es zwischen
Waigelscher Haushaltspolitik und unserer einen gravierenden Unterschied gibt:
({13})
Wir sanieren nicht die eine Klientelgruppe, um die anderen ausbluten zu lassen. Wir haben oben Steuerschlupflöcher in der Größenordnung von 35 Milliarden
DM dichtgemacht.
({14})
Diejenigen, die von diesen legalen Möglichkeiten der
Steuerreduzierung Gebrauch gemacht haben, protestieren natürlich dagegen. Das kann ich verstehen. Aber wir
haben die Gesetze geändert, damit derjenige, der von
seiner Leistungsfähigkeit her viel Steuern zahlen muß,
dies auch tatsächlich tut.
Es gibt eine wunderbare Vokabel des Ex-Finanzministers Waigel, nämlich „legale Steuerverkürzung“.
Ich bin mit Ihnen in einem Punkte einig, Herr Kollege
Waigel: Wir haben solche steuerlichen Möglichkeiten
aus bestimmten Gründen, zum Beispiel wegen des Aufbaus Ost, schaffen müssen.
({15})
Wir hatten andere Vorschläge, denen Sie nicht gefolgt
sind. Aber wir müssen heute feststellen: Die Situation,
daß eine solche Art von Steuerverkürzung möglich sein
sollte, ist heute vorbei. Wir haben daraus den entsprechenden Schluß gezogen.
({16})
Protestiert haben natürlich nicht diejenigen, die jetzt
von guten Maßnahmen profitieren. Wir alle haben die
Demonstrationen erlebt - wir sehen sie, wenn wir auf
unserem Weg zum Reichstag durch das Brandenburger
Tor kommen -, von Ärzten, von Bauern, vom Reichsbund, vom Beamtenbund. An dieser Stelle will ich nur
kurz einfügen - das habe ich auch dem Präsidenten des
Beamtenbundes, Herrn Geyer, gesagt -: Ich finde es
schon etwas eigenartig, wenn Beamte gegen angebliche
Kürzungsmaßnahmen demonstrieren, aber mit einem
Airbus, den sie gechartert haben, hier herkommen. Man
muß sich einmal überlegen, welchen Beigeschmack das
hat.
({17})
Es ist das gute Recht von Funktionären, für ihre Klientel
zu demonstrieren. Aber unsere Pflicht als Parlamentarier
und als Regierungsfraktion ist, im Blick zu haben, daß
wir nicht irgendeiner Interessengruppe verpflichtet sind,
sondern dem Gemeinwohl, und danach auch handeln.
({18})
Das heißt für uns: Wir haben eine Einkommensteuerreform beschlossen, mit der Normalverdiener am Ende dieser Legislaturperiode um 46 Milliarden DM entlastet werden. Das bedeutet eine Stärkung der Kaufkraft,
eine Ankurbelung der Binnenkonjunktur. So nachhaltig
und gezielt sind Normalverdiener in der Geschichte dieses Landes noch nie gefördert worden.
({19})
Wir haben die Familienförderung auf eine neue Grundlage gestellt. Wir haben in der Zeit unserer Regierungsverantwortung das Kindergeld um 50 DM erhöht, von
220 auf 270 DM. Das ist Ihnen noch nie gelungen, und
Sie wollten es auch gar nicht.
({20})
Wir haben damit begonnen, endlich die Lohnnebenkosten zu senken. Wäre Herr Blüm noch heute Arbeitsund Sozialminister, würde der Rentenversicherungsbeitrag bei 21 Prozent liegen.
({21})
Bei uns liegt er bei 19,3 Prozent. Das ist eine große Leistung, die den Arbeitgebern und Arbeitnehmern zugute
kommt.
({22})
Wir haben dafür - das ist zu Recht angesprochen
worden - eine maßvolle Erhöhung der Energiepreise
vorgenommen. Nur ein kleiner Hinweis in diesem Zusammenhang: Solange Herr Kohl und Herr Waigel Verantwortung für Politik und Finanzpolitik hatten, sind die
Spritpreise auf Grund von Mineralölsteuererhöhungen
stetig erhöht worden, in den letzten Jahren ihrer Regierungszeit, zwischen 1994 und 1998, um 50 Pfennig pro
Liter.
({23})
Wir haben jetzt eine Mineralölsteuererhöhung von 6
Pfennig pro Liter beschlossen.
Herr Kollege Glos, legen Sie einmal Ihr Telefon aus
der Hand, damit Sie auch hören, daß Ihre falschen Darstellungen korrigiert werden.
({24})
Sie haben über die Preise an den Tankstellen gesprochen. Dazu will ich Ihnen etwas vorhalten: Die OPEC
hat sich mit Rußland und Norwegen auf eine Reduzierung der Erdölförderung um 2,1 Millionen Barrel ab
dem 1. April 1999 geeinigt. Die Folge war ein Preisanstieg pro Barrel Erdöl von 10 US-Dollar auf 23 USDollar. Das bedeutet, daß allein die Politik der OPEC zu
einer Erhöhung der Spritpreise geführt hat, die in keiner
Relation steht zur Erhöhung in Folge der Ökosteuer, die
wir beschlossen haben.
({25})
Wer so etwas erzählt, Herr Kollege Glos, der will die
Leute für dumm verkaufen. Ich sage: Die Benzinpreise
werden maßgeblich von den Mineralölkonzernen bestimmt.
({26})
Wir machen mit der Senkung der Lohnnebenkosten
die Arbeit billiger, damit möglichst alle wieder Arbeit
haben. Das ist der große Unterschied zwischen Ihnen
und uns: Wir nehmen die Sorgen der Menschen ernst.
An dieser Stelle möchte ich etwas über das Thema
Holzmann sagen. Ich bestreite überhaupt nicht, daß sich
der hessische Ministerpräsident und die Frankfurter
Oberbürgermeisterin bemüht haben.
({27})
Das erkenne ich ausdrücklich an. Ich begrüße das.
({28})
Ich halte das aber nicht für einen Grund, jetzt in diesem
Haus in einen Streit auszubrechen, Herr Kollege Glos.
({29})
Ich vertraue auf die Bemühungen des Bundeskanzlers.
Ich wünsche ihm im Namen meiner Fraktion viel Erfolg
bei der Rettung der Arbeitsplätze von Holzmann.
({30})
Wenn Sie dann über Arbeitslosigkeit klagen, dann
möchte ich Ihnen doch eines vorhalten, nämlich das,
was Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß beantragt haben und was Sie in diesem Parlament - das entnehme
ich dem Antrag - beantragen werden: Sie haben im
Haushaltsausschuß beantragt - das werden die Haushälter bestätigen -, alle Bundeszuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit zu streichen.
({31})
Ich habe diesen Antrag vorliegen. Die F.D.P. hat den
gleichen Antrag gestellt.
({32})
Es heißt, es sollen 9,85 Milliarden DM gestrichen werden. Mit uns nicht! Denn die Bundesanstalt für Arbeit
braucht diese Mittel für eine aktive Arbeitsmarktpolitik.
({33})
Das ist blanker Zynismus gegenüber Arbeitslosen.
Genau so zynisch haben Sie sich zum Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
verhalten. Ich will noch einmal daran erinnern, daß Sie
dieses Programm - wie Frau Merkel gesagt hat - „abschaffen“ wollten und daß Herr Kollege Schäuble von
„ruhigstellen“ gesprochen hat. Das ist eine skandalöse
Bemerkung, die er immer noch nicht aus der Welt geschafft hat.
({34})
Dieses Programm - da können Sie sagen, was Sie wollen - ist ein großer Erfolg: Die Jugendarbeitslosigkeit ist
um 6,3 Prozent gesenkt worden. 199 000 Jugendliche
haben entweder einen Arbeits- oder einen Ausbildungsplatz. Das ist diesem Programm zu verdanken. Wir sind
stolz auf diese Leistung.
({35})
Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Austermann?
Nein, bei Austermann
nicht. Tut mir leid.
({0})
- Es gibt Kollegen, bei denen ich eine Zwischenfrage
gerne zulasse, aber er gehört nicht dazu.
({1})
Meine Damen und Herren, zu dem Fairneßpakt der
Generationen, von dem ich gesprochen habe, gehört
auch die Frage, wie sich die Rentenentwicklung abzeichnen wird. Ich habe Anfang der Sommerpause in
Abstimmung mit der Bundesregierung - Bundesarbeitsminister und Bundeskanzler - mit dem Kollegen
Schäuble über die Frage gesprochen, ob es denn nicht
Sinn macht, gemeinsam über Rentenstrukturreformen
zu reden. Dieses Angebot ist ausgeschlagen worden. Wir
haben die Gespräche wiederholt. Jetzt sind Sie - was ich
begrüße - bereit, in Gespräche über Rentenstrukturreformen einzutreten. Aber wir haben aus parteitaktischen,
aus wahltaktischen Gründen ein halbes Jahr verloren.
Wir hätten schon viel weiter sein können.
({2})
Sie haben taktiert und getrickst. Das wird sich für Sie
aber nicht auszahlen; ich garantiere Ihnen das.
In unseren Veranstaltungen erleben wir überall, daß
die Rentnerinnen und Rentner mit der Rentenerhöhung
nach der Preisentwicklung einverstanden sind, weil sie
damit ihren Beitrag für den Generationenvertrag leisten, den man von ihnen erwarten kann. Ich bedanke
mich bei den Rentnerinnen und Rentnern dafür.
({3})
In der Gesundheitspolitik haben Sie keine oder wenn überhaupt - nur die alten Alternativen vorgelegt.
Das „Konzept Seehofer“ steht offenbar nach wie vor.
Ihre Alternative zu unserer Gesundheitspolitik läßt sich
- das stelle ich hiermit fest - wie folgt beschreiben: Die
Versicherten und die Patienten müssen mehr zuzahlen.
Das werden wir nicht akzeptieren. Deswegen haben wir
ein anderes Konzept vorgelegt. Darüber - nicht über Ihre Lösungen - werden wir dann zu entscheiden haben.
({4})
Ihre Gesundheitspolitik ist im letzten Jahr abgewählt
worden. Es macht also keinen Sinn, mit Ihnen über die
alten Programme zu beraten.
Wir haben in diesem Jahr - das ist wahr - ein gewaltiges Arbeitsprogramm erledigt. Wir haben damit Spielräume eröffnet. Ich möchte Ihnen mitteilen, was mir ein
fraktionsvorsitzender Kollege aus einem anderen euroDr. Peter Struck
päischen Parlament gesagt hat. Ich will das auch meiner
eigenen Fraktion nicht vorenthalten. Er hat mir gesagt:
Was Ihr in einem Jahr gemacht habt, hätten wir in einer
ganzen Legislaturperiode erledigt. Das ist wahr. Wir haben eine Gesundheitsreform, eine Steuerreform und eine
Rentenreform auf den Weg gebracht.
({5})
Wir haben viel erledigt, und wir sind stolz darauf. Wir
werden diesen Weg konsequent weitergehen.
({6})
Das Programm, das heute im Rahmen des Haushalts
verabschiedet wird, ist im Vorfeld kommentiert worden.
Es hieß: Das schaffen die nicht. Jetzt, nachdem klar ist,
daß wir es schaffen, lese ich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: Der Blick zurück zeigt eine erstaunlich glatt verlaufene Operation. Der Rat der Zeitung an
die Union ist: Wer mehr will, muß sparen. Wenn Sie also mehr wollen, dann sagen Sie auch, wo Sie sparen
wollen. Sie haben es an einer Stelle gesagt, das akzeptieren wir nicht.
({7})
Wenn Sie den Menschen, die von diesen Maßnahmen
betroffen sind, nach dem Munde reden, dann sagen Sie
Ihnen bitte auch, wie Sie all das finanzieren wollen, was
Sie Ihnen versprechen, sonst sind Sie ein Haufen von
Scharlatanen.
({8})
Sie unterscheiden sich dabei übrigens gar nicht von
der PDS. Ich habe mir die Anträge der PDS angesehen.
Die PDS hat Anträge im Rahmen der Haushaltsplanberatungen zu Beginn der Legislaturperiode vorgelegt, die
ein Volumen in Höhe von 50 Milliarden DM hatten. Ich
möchte gern von Ihnen wissen: Wie wollen Sie dieses
Geld aufbringen? Es ist ein gnadenloser Populismus,
den Menschen etwas zu versprechen, ohnen ihnen auch
zu sagen, wie es bezahlt werden soll.
({9})
Da sind Sie genauso wie die CDU/CSU. Sie unterscheiden sich von ihr überhaupt nicht. Ihre Art der Moral ist
nicht unsere Art der Moral.
({10})
Weil ich nun einmal bei dem Thema Moral bin und
Zwischenrufe vom ehemaligen Finanzminister höre,
möchte ich schon über die Ereignisse, die uns in den
letzten Wochen bewegt haben, sprechen. Die SPDFraktion und die Fraktion der Grünen haben beschlossen, einen Untersuchungsausschuß einzurichten, der
sich mit dem Finanzgebaren der CDU und damit in Zusammenhang stehenden Entscheidungen der alten Bundesregierung beschäftigen wird.
Es gibt offenbar eine besondere Art der Moral bei Ihnen. Ich habe mir sehr genau die Erklärungen angesehen, die der ehemalige Parteivorsitzende und Bundeskanzler der CDU dazu abgegeben hat. Wir werden in
diesem Untersuchungsausschuß aufzuklären haben, wie
es kommt, daß der ehemalige Schatzmeister der CDU,
der dieses Amt mit Ihrer Zustimmung 21 Jahre innehatte
- Sie schlagen ihn vor -, erklären kann, daß es eine
Spende an die CDU in Höhe von 1 Million DM gegeben
hat, und wieso Sie erklären können, daß es keine Spende
an die CDU gegeben hat. Das müssen Sie mir einmal erklären, Herr Kollege Kohl.
({11})
Ich wäre Ihnen auch sehr dankbar, wenn Sie gleich
klarstellen könnten, wie Sie zu der Äußerung von Herrn
Kiep in der gestrigen Sendung „Kulturzeit“ stehen, die
wichtigsten Gremien der CDU seien stets über die Parteifinanzen informiert gewesen,
({12})
als Schatzmeister sei er lediglich für die Geldbeschaffung zuständig gewesen; über die Verwendung von Geldern entscheide die Partei. Erklären Sie diese Aussage,
Herr Kollege Kohl, nachdem Sie öffentlich das Gegenteil behauptet haben.
({13})
Die CDU ist laut „Spiegel“ nicht nur ein Wiederholungstäter, sondern ein Seriensünder. Ich unterstreiche
diesen Satz.
({14})
Ich habe es nicht für möglich gehalten, daß nach der
Flick-Parteispendenaffäre in Ihren Reihen offenbar so
weitergemacht worden ist wie vorher, mit schwarzen
Konten und Treuhandanderkonten gearbeitet wird, und
Verstöße gegen das Parteiengesetz leichtfertig eingegangen worden sind. Ich kann das nicht akzeptieren. Wir
werden das aufklären, und Sie, Herr Kollege Kohl, sollten in Ihrem eigenen Interesse dazu beitragen.
({15})
Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kohl?
Selbstverständlich.
Herr Abgeordneter,
Sie wissen so gut wie ich, daß dies nicht eine Situation
ist, um die Fragen, die Sie stellen, zu beantworten und
über die Behauptungen, die Sie aufstellen, zu debattieren. Ich mache Ihnen ein konkretes Angebot.
({0})
- Jetzt hören Sie bitte zu!
({1})
Das kann in der Art und Weise, wie hier verleumdet
wird, nicht stattfinden, ob Sie das wollen oder nicht.
({2})
Ich fordere Sie ganz konkret auf - ({3})
- Sie können hier mit Niederbrüllen gar nichts erreichen.
Kollege Kohl, es gilt
die Regel, eine Frage stellen zu müssen. Ich bitte Sie,
eine Frage zu formulieren.
Herr Präsident, ich
stelle die Frage. Aber Herr Präsident, nehmen Sie bitte
auch zur Kenntnis, wie hier bewußt versucht wird, die
Frage gar nicht zuzulassen.
({0})
Herr Abgeordneter, ich fordere Sie als Vorsitzenden
der SPD-Fraktion hiermit auf, dazu beizutragen,
({1})
daß der von Ihnen geforderte Untersuchungsausschuß
unverzüglich eingesetzt wird,
({2})
seine Arbeit noch vor Weihnachten beginnt und mir die
Chance gibt, dort noch vor Weihnachten Ihre Fragen zu
beantworten.
({3})
Meine Frage ist: Sind Sie bereit, hier die Erklärung
abzugeben, daß Sie genau dies tun werden?
({4})
Herr Kollege, ich möchte
Ihnen folgendes darauf antworten: Wir werden in der
nächsten Sitzungswoche, also in der nächsten Woche, in
diesem Parlament die Einsetzung des Untersuchungsausschusses beschließen.
({0})
Ich höre, daß die F.D.P. dem offenbar zustimmen will.
Das finde ich sehr gut. Es ist noch besser, wenn die
Union dem auch zustimmen will. Der Ausschuß wird
sich dann konstituieren.
({1})
Die Personalvorschläge in meiner Fraktion und bei
den anderen sind fast fertig. Das heißt, um das ganz
konkret zu sagen: Ich kann mir vorstellen, daß dann,
wenn sich dieser Ausschuß konstituiert hat, die ersten
Zeugenbefragungen noch in diesem Jahr stattfinden
werden. Dann können Sie dort das sagen, was Sie mir
offenbar hier in diesem Dialog nicht sagen wollen
({2})
- lassen Sie mich doch ausreden -, weil Sie meinen, daß
dies nicht der geeignete Ort sei. In der Tat ist der geeignete Ort der Untersuchungsausschuß, Herr Kollege.
({3})
Sie haben ja auch Erfahrung als Zeuge in einem Untersuchungsausschuß.
({4})
Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Wir werden das
so machen, wie wir es für richtig halten.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Kohl.
Ich stelle noch einmal die Frage, ob Sie bereit sind, hier zu erklären, daß
Das habe ich doch gesagt.
- nein, das haben Sie
so nicht gesagt -, persönlich dafür Sorge tragen, daß
sich der Ausschuß schnell konstituiert und daß ich die
Chance bekomme,
({0})
dort noch vor Weihnachten als Zeuge gehört zu werden.
({1})
Herr Kollege,
({0})
ich habe Ihnen die Frage schon beantwortet, möchte es
aber noch einmal sagen: Der Ausschuß wird sich konstituieren.
({1})
Der Ausschuß muß - das muß man Ihnen auch einmal
erklären - Akten herbeiziehen. Wir werden - das wäre
jedenfalls meine Empfehlung - die Staatsanwaltschaft
Augsburg bitten, die Akten, die dort vorliegen, zur Verfügung zu stellen. Dann wird der Ausschuß seine Beweisaufnahme beginnen. Wenn Sie darauf Wert legen,
daß Sie als erster gehört werden - ich nehme an, auch
der Kollege Rühe legt darauf großen Wert -, dann wird
der Ausschuß darüber entscheiden.
({2})
Man kann in den Zeitungen und Zeitschriften, die in
diesem Zusammenhang viele Einzelheiten veröffentlichen, lesen, daß der Waffenhändler, der Geschäftsmann,
der Vermittler Schreiber dem „Stern“ bestätigt hat, daß
er sich auch mit der einstigen CDU-Schatzmeisterin
Brigitte Baumeister getroffen hat. Die Antwort auf eine
konkrete Frage in einem „Stern“-Interview dazu lautet:
Ja, zum Beispiel bei einem Essen mit Wolfgang
Schäuble in Bonn.
Das ist für mich insofern sehr interessant, als es neu ist.
Bisher hat Herr Kollege Schäuble geäußert, daß er den
Herrn nicht kennt.
Interessant finde ich auch eine Äußerung des Kollegen Schäuble in der „Welt am Sonntag“ von der vergangenen Woche - wörtliches Zitat -:
In der CDU sind die Dinge aber so geregelt, daß für
die Einnahmen der Schatzmeister eine ganz eigene
Verantwortung hat. Die Aufgaben des Generalsekretärs konzentrieren sich auf die Ausgaben. Für
die Einnahmen hat der Generalsekretär keine Verantwortung, und er hatte auch keine Kenntnis.
An Ihrer Stelle, Herr Kollege Schäuble - das ist auch
an die Union insgesamt gerichtet -, würde ich mir diese
Aussage noch einmal überlegen. Das ist ja nun wirklich
doppelte Moral in Reinkultur: Der Schatzmeister nimmt
ein - woher auch immer -, und der Generalsekretär interessiert sich überhaupt nicht dafür, aus welcher Quelle
die Einnahmen kommen; er gibt das Geld nur aus. Wenn
das Ihr Finanzgebaren ist, dann prophezeie ich Ihnen in
diesem Untersuchungsausschuß Schlimmes. Das will ich
Ihnen sagen.
({3})
Vielleicht war diese Aussage des jetzigen CDUVorsitzenden eher ein Blackout. Der Blackout im Zusammenhang mit Parteifinanzierungen ist ja systemimmanent, wie wir wissen. Kollege Schily und ich haben
da unsere Erfahrungen aus dem Flick-Untersuchungsausschuß.
Wir haben uns mit unserer politischen Arbeit in diesem Jahr überhaupt nichts vorzuwerfen. Wir haben
sachlich zu diskutieren und aufzuklären. Das hat Ihrer
Fraktion, meine Damen und Herren von der Union,
schon Herbert Wehner mit auf den Weg gegeben, als Sie
1970 als Opposition im Parlament waren. Wenn ich es
richtig weiß, saß damals von Ihnen noch niemand da.
Immer dann, wenn Sie in der Opposition sind, fallen Sie
kollektiv in den gleichen Reflex zurück: polemisieren,
populisieren, obstruieren. Herr Kollege Glos hat dafür
gerade ein fürchterliches Beispiel gegeben.
({4})
Klären Sie in Ihrer Spendenaffäre auf! Stellen Sie
richtig, ob es denn tatsächlich so war - es entspricht der
Lebenswahrscheinlichkeit eigentlich überhaupt nicht -,
daß ein Parteivorsitzender und ein Generalsekretär von
einer Spende in Höhe von 1 Million DM, die in einem
Koffer übergeben worden ist, überhaupt nichts wußten!
Ich glaube nicht, daß das der Lebenswirklichkeit entspricht.
({5})
Stellen Sie das in diesem Untersuchungsausschuß bitte
klar! Stellen Sie auch klar, ob diese Spende einen Einfluß auf Ihre Regierungsentscheidungen hatte! Politik in
Deutschland darf nicht käuflich werden.
({6})
Mit dem Haushalt, der in dieser Woche verabschiedet
wird, wollen wir den Fairneßpakt der Generationen. Wir
wollen ihn, damit unsere Kinder im Modell Deutschland
eine bessere Zukunft für sich und für ihre Familien haben. Wir werden diesen Weg unbeirrt zu Ende gehen.
({7})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Austermann.
Der Kollege Glos hat ebenfalls um eine Kurzintervention gebeten.
Herr Präsident.
Meine Damen und Herren! Es ist interessant, mit welcher Intensität sich der Fraktionsvorsitzende der SPD,
der offensichtlich nur über eine geringe Souveränität
verfügt, weil er Fragen während seiner Rede nicht zugelassen hat,
({0})
all den Themen gewidmet hat, die mit dem Bundeshaushalt überhaupt nichts zu tun haben. Dies hat er beim
Kollegen Glos kritisiert.
({1})
Angesichts der drei fröhlichen Gesichter dort vorne
möchte ich Ihr Erinnerungsvermögen, Herr Kollege
Struck, bemühen: Wir beide, Herr Kollege Struck, saßen
zusammen mit zwei der drei Herren, die dort auf der
Regierungsbank sitzen, im Untersuchungsausschuß zu
den Parteispenden. Sie waren dabei. In diesem Ausschuß
ging es unter anderem um die Frage, wie eigentlich die
Flinte, mit der damals Heinz Herbert Karry erschossen
worden ist, in Ihr Auto, Herr Fischer, gelangt ist.
({2})
Dies ist bis heute nicht aufgeklärt worden. Es ging um
die Frage - Herr Kollege Struck, Sie müssen hier nicht
den Blödmann machen -, wie es zu - ({3})
Kollege Austermann,
es ist ein sehr unfreundlicher Stil, wenn Sie im Plenum
einen Kollegen einen „Blödmann“ nennen.
Das habe ich
nicht gesagt. Ich kann es auch anders ausdrücken, nämlich daß er Dinge, die er offensichtlich besser kennt und
besser weiß, als nicht existent darstellt. Herr Kollege
Struck, wenn ich an Ihrer Stelle wäre und mich an das
Stichwort NAFTA-Stiftung und an die 1 Million DM im
Koffer von Alfred Nau erinnerte, dann würde ich ganz
kleine Brötchen backen und wäre vorsichtig, eine ganze
Partei und insbesondere ihre Führung pauschal zu verleumden.
({0})
Ich möchte jetzt nicht daran erinnern, Herr Kollege
Schily - damals waren Sie noch bei den Grünen -, was
Franz Josef Strauß zu Ihrer Art, Fragen zu stellen, gesagt
hat. Ich wäre ganz vorsichtig. Wir sind sehr dafür, Aufklärung herbeizuführen. Aber es muß dann bitte auch
über das hinausgegangen werden, was der Fraktionsvorsitzende der SPD heute gesagt hat und was ich als
Dreckschleudern bezeichne.
({1})
Wenn das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung gilt - davon gehen wir noch immer aus - und
gleichzeitig bestimmte Vermutungen geäußert werden
und auf Fragen, die gestellt werden, nicht geantwortet wird, dann halte ich dies für demokratisch unbrauchbar.
({2})
Ich möchte eine letzte Anmerkung machen.
Herr Kollege Austermann, Ihre drei Minuten sind vorüber. Ich bitte, die
Kurzintervention sofort zu beenden. - Herr Kollege
Glos, Sie haben jetzt die Gelegenheit zu einer Kurzintervention.
Herr Kollege Struck, Sie
haben am Anfang Ihrer Rede aus einem Brief eines angeblichen CSU-Mitglieds zitiert.
({0})
Auch ich könnte Zitate aus ähnlichen Briefen von SPDMitgliedern, die stapelweise eingehen, in die Haushaltsdebatte einbringen.
({1})
Aber ich bin der Meinung, wir sind in viel zu ernster
Sorge und die Kanzlerdebatte ist für solche Kinkerlitzchen nicht geeignet.
({2})
Anstatt die Politik Ihres Bundeskanzlers zu verteidigen, haben Sie eine erbärmliche Rede - gespickt mit
Verdächtigungen - gehalten.
({3})
Das ist Tatsache. Ich erkläre hiermit für die CDU/CSUBundestagsfraktion, daß wir bereit sind, noch in dieser
Woche einen Untersuchungsausschuß zu beantragen und
einzusetzen.
({4})
Wir sollten hier zusammenwirken, damit dieser Ausschuß möglichst schnell seine Arbeit aufnehmen kann
und die Verdächtigungen und Verleumdungen in der Öffentlichkeit aufhören.
({5})
Herr Kollege Struck,
Sie haben nun Gelegenheit zur Erwiderung.
Auf den Kollegen Austermann einzugehen lohnt sich nicht.
({0})
Aber ich nehme die Intervention des Kollegen Glos
und auch die Zwischenfragen von Herrn Kohl zum Anlaß, Sie um folgendes zu bitten - vielleicht auch gleich
eine Erklärung -: Wir werden mit der Beweisaufnahme
sehr schnell beginnen; diese Beweisaufnahme wird dem
Untersuchungsausschuß um so leichter fallen, je eher
Sie von der Union bereit sind, den Herrn Weyrauch von
seiner Schweigepflicht zu entbinden, was das FinanzgeDietrich Austermann
baren der Union angeht. Wenn Sie das noch bitte gleich
erklären würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar.
({1})
Das Wort hat nun
Kollege Wolfgang Gerhardt, Fraktionsvorsitzender der
F.D.P.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Auch ich will - wie der
Kollege Struck - unserem Kollegen Schäuble gute Genesungswünsche übermitteln. Wir wünschen ihm, daß er
bald wieder hier im Parlament mitwirken kann.
({0})
Als zweites möchte ich zu der Rede des Kollegen
Struck folgendes sagen: Jeder bekommt ja Briefe, sogar
sehr viele. Sie, Herr Kollege Struck, haben einen Brief
vorgetragen, in dem Ihnen ein CSU-Mitglied geschrieben hat, Ihre Politik sei richtig, und die Politik der Union sei falsch.
Auch ich habe Briefe erhalten. Mir hat ein Mann geschrieben, er habe sich bei der letzten Bundestagswahl
verwählt. Er habe SPD gewählt und bedauere das. Er hat
einen 500-DM-Scheck beigelegt und versichert, er werde das nicht wiederholen.
({1})
Ich darf diese Spende hiermit ganz offiziell anzeigen.
Meine Damen und Herren, wollen wir doch einmal
eines festhalten: Trotz des vielen Pulverdampfes heute
morgen spüren wir doch, daß das abgelaufene Jahr selbst
bei SPD und Grünen nicht gerade als Erfolgsjahr öffentlich bekanntgegeben wird. Das ist überall nachzulesen.
({2})
Es gibt ganz gemischte Gefühle. Ich erinnere mich an
den Start. Ich habe mich schon gewundert, weil es doch
Kollegen waren, die lange politisch tätig waren. Sie haben erklärt, man bräuchte jetzt sehr wahrscheinlich keine Koalitionsgespräche mehr. Die Koalitionsvereinbarung sei so gut. Nun gehe es voran. Es ging dann auch
voran!
Bevor es aber überhaupt voranging, kam der in Aussicht genommene Wirtschaftsminister abhanden. Als es
dann voranging, wurde die erste Phase bemäntelt mit
Kommunikationsschwierigkeiten. Als diese vorbei war,
bequemte man sich zu der Aussage, man habe sich wohl
etwas übernommen. Man habe zuviel des Guten und das
alles gleichzeitig gewollt, und das sei auch alles viel zu
schnell gegangen.
Das haben wir auch gespürt. Der Bundeskanzler ist ja
förmlich von seinem eigenen Schwung mitgerissen worden in den ersten Erklärungen zu den 630-MarkVerträgen. Dann hat er gemerkt, daß es mit dieser
Brummkreiselpolitik nicht weitergeht, und hat Nachbesserungen angekündigt. Die verbale Nachbesserungsphase hat zwei bis drei Monate gedauert. Als die Nachbesserungsphase real wurde, wurde nichts besser. Das war
eine Phase der Verschlimmbesserung aller Gesetze, die
vorliegen.
({3})
Nun hatten wir nach einigen Monaten gedacht, das
Schlimmste sei nun vorüber, jedenfalls soweit es diese
Koordinationsmängel betrifft. Im letzten Plenum und
auch gestern haben wir erfahren, daß der eigentliche
Höhepunkt die Gesundheitsreformgesetzgebung gewesen ist. Da geht es doch nicht nur um die fehlenden
20 Seiten. Wenn es das nur wäre! Ihrer Politik, Herr
Bundeskanzler, fehlen doch nicht nur 20 Seiten. Ihr fehlt
das Ziel, die Grundlage, das Konzept, das, was an politischen Begründungen notwendig ist.
({4})
Jetzt geht es auf das Jahresende zu. Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, erinnern Sie sich doch
einmal wirklich: Was haben Sie denn in diesem Jahr alles genannt? Den Transrapid auf einer Schiene. Dann die
voll budgetierten Patienten. Reden Sie doch nicht über
die Ärzte, deren Budget beschnitten wird. Wenn deren
Budget beschnitten wird, wird die medizinische Versorgung der Patienten in Deutschland beschnitten. Das ist
der Weg, den Sie gehen.
({5})
Auf gleicher Schiene liegen das Abkassiermodell Ökosteuer, ein völlig strangulierter Arbeitsmarkt, die starke
Subventionierung der Steinkohle und die Gefährdung
der Braunkohle, ein Sparprogramm, das auf Verschiebebahnhöfen basiert, die unendliche Geschichte des Kernenergieausstiegs, die Rente nach Kassenlage und das
Gesetzgebungsverfahren für die vermaledeite Gesundheitsreform. Wenn es überhaupt jemals eine Gelegenheit
gegeben hat, um den Ausdruck von Joseph Fischer anzuwenden, dann jetzt: „Avanti, dilettanti!“ - das kennzeichnet die Sachlage in diesem Jahr am besten.
({6})
Der Bundeskanzler hatte in der Nacht - manche erinnern sich vielleicht noch - nach seinem Wahlsieg erklärt, er sei am Ziel. Das war falsch. Sie waren am Anfang. Jetzt stehen Sie da wieder. Sie waren nicht am
Ziel. Sie hätten wissen müssen, daß Sie Verantwortung
übernehmen. Heute spüren Sie es. Sie alle, meine Damen und Herren von der rotgrünen Koalition, wissen es:
Die Arbeitslosenquote liegt nach wie vor hoch, die
Zustimmung zu Ihrer Politik ist stark gesunken. Jeder
spürt es; das ist doch nicht nur die Wahrnehmung von
draußen.
Sie, Herr Bundeskanzler, wissen es selbst - ich sage
das hier ganz offen -, daß in diesem Jahr so manches
gewaltig schiefgelaufen ist. Ich bezweifle, ob Sie heute
noch einmal solche Gesetzvorhaben wie das zu den 630Mark-Arbeitsverhältnissen auf den Weg bringen würden. Es kann Ihnen doch nicht verborgen geblieben sein,
daß Sie mit diesen Gesetzen genau die kleinen Leute
getroffen haben,
({7})
als deren Schutzpatron Sie sich im Bundestagswahlkampf ausgegeben haben.
({8})
Sie haben die Menschen getroffen, die sich anstrengen
müssen, die ein Haus gebaut haben, die noch etwas
dazuverdienen müssen, die Kindern eine besonders qualifizierte Ausbildung geben möchten oder die eine Anschaffung getätigt haben. Diese Menschen sind doch auf
Zuverdienste angewiesen, sie haben doch nicht verzweifelt nach Lücken auf dem Arbeitsmarkt gesucht, sondern
waren bereit zu arbeiten.
Ich glaube auch nicht, Herr Bundeskanzler, daß Sie
noch einmal den gleichen gesetzgeberischen Weg einschlagen würden wie bei der Bekämpfung der
Scheinselbständigkeit. Ihnen muß doch klargeworden
sein, daß das zu nichts führt, daß Sie damit Existenzgründer treffen und Attentismus auslösen. Daß Sie das
heute nicht zugeben wollen, verstehe ich ja, aber ich
unterstelle Ihnen, daß Sie das ganz genau wissen.
Sie brauchen uns doch nicht zu erzählen, daß die
Rente nach Kassenlage ein Erfolgsstück gewesen sei.
Ich selbst habe mindestens dreimal mitverfolgen können, wie Sie sich im Fernsehen beim deutschen Volk für
die Fehler bei der Führung Ihres Bundestagswahlkampfes entschuldigt haben. Herr Bundeskanzler, das war nur
ein Fehler, aber ich glaube, Sie sind sich heute darüber
im klaren, daß Sie völlig unvorbereitet in den Bundestagswahlkampf und in die nachfolgenden Koalitionsverhandlungen zu den großen sozialen Fragen der Bundesrepublik Deutschland gegangen sind. Das ist der Sachverhalt. Das haben Sie nicht gesehen.
({9})
Nun wartet die Zukunft nicht, bis Sie und die SPD ihre Gedanken sortiert haben. Das Jahrtausend wechselt.
Wenn sich die SPD bis dahin nicht klar darüber ist, wie
sie ihre Sozialpolitik gestalten will, werden Sie in
Schwierigkeiten kommen. Die Sozialdemokratische
Partei Deutschlands steht vor einem zweiten Bad Godesberg, diesmal sozialpolitischer Art. Es reicht nicht
aus, daß Sie wie ein Auslandskorrespondent zusammen
mit Tony Blair der SPD Signale übermitteln, über die
Sie im übrigen noch vor zwei Jahren gesagt haben, daß
sie aus dem Giftschrank der bösen Neoliberalen kämen.
Wenn Sie die Grundgedanken aus dem gemeinsam mit
Tony Blair verfaßten Papier an die deutschen Verhältnisse anpassen, kommen Sie zu Konzepten, die wir
schon seit langem vertreten. Sagen Sie doch Ihren Genossen, daß sie sich den Schlagabtausch mit den bösen
Neoliberalen sparen können. In wenigen Jahren wird auf
Gewerkschaftstagen ein Themenpaket diskutiert werden
müssen, das heute Beschlußlage der Freien Demokratischen Partei ist. Anders geht es nämlich nicht; die weltweite Entwicklung wird Sie dazu zwingen.
({10})
Die alten Systeme - das hat Herr Riester schon erkannt - tragen so nicht mehr. Ich möchte aber wissen,
welche neuen tragen. In der heutigen Debatte möchte ich
von Ihnen eine Auskunft darüber haben, wie Ihr Rentenkonzept wirklich aussieht. Dies möchte ich im übrigen
auch von den Grünen erfahren. Deren Haltung ist ja
völlig gespalten: Man braucht nur die öffentlichen Äußerungen und das Abstimmungsverhalten im Bundestag
zu vergleichen.
({11})
Wenn man hört, was Frau Scheel zur Steuerpolitik sagt,
dann frage ich mich, warum sie diesem Haushalt und der
bisherigen Steuergesetzgebung zustimmen kann.
({12})
Wenn man die Jüngeren unter den Grünen zu den
Altersvorsorgesystemen reden hört, dann wundert man
sich, daß sie Rente nach Kassenlage überhaupt mitmachen konnten. Es ist doch absurd, was sich bei den Grünen abspielt: eine komplette Identitätsverlustlinie seit
einem Jahr Regierungsbeteiligung. Sie brechen nahezu
jedes Wahlversprechen, das Sie Ihrer Wählerschaft gegeben haben. Sie haben nichts von dem erreicht, was
vorher angekündigt worden ist.
({13})
Meine Damen und Herren, das ist die Situation einer
Regierung nach einem Jahr, die angetreten war, vieles
besser zu machen, einen Aufbruch zu vermitteln,
Deutschland nach vorne zu führen und die Fehler der
Vergangenheit nicht zu wiederholen. Sie sind mit einem
öffentlichen Image angetreten, das im Laufe eines Jahres
völlig zu Staub geworden ist. Noch niemals in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Bundesregierung
einen derartigen Ansehensverlust innerhalb eines Jahres
erlitten,
({14})
weil die Menschen spüren, daß Sie nicht vorbereitet waren, daß Sie ihnen Falsches versprochen haben und daß
Sie Versprechen nicht halten können.
Die heutige Debatte sollte sich nicht nur mit der Frage beschäftigen, wann wir einen Untersuchungsausschuß zustande bringen können. Ich erkläre für meine
Fraktion, daß wir die Einsetzung dieses Ausschusses am
Freitag beschließen können. Er kann sofort in Gang
kommen.
({15})
Bei der heutigen Debatte möchte - neben den Tatbeständen, die der Untersuchungsausschuß aufzuklären hat
- die deutsche Öffentlichkeit wissen, welches die Standorte der Parteien sind und wer für was steht, damit überDr. Wolfgang Gerhardt
haupt erkennbar wird, in welche Richtung wir gehen
können. Das will ich jetzt beantworten.
({16})
„Die sozialen Sicherungssysteme“ - so hat Klaus von
Dohnanyi, ein Mitglied der SPD, das in diesem Zusammenhang immer zitiert wird und das ich übrigens gern
zitiere, gesagt - „haben sich zu einer Barriere gegen Arbeitsplätze entwickelt.“ Ich füge hinzu: Unser strangulierter Arbeitsmarkt hat sich ebenfalls zu einer Barriere
gegen Arbeitsplätze entwickelt. Das weiß doch jeder.
Ich kann sogar noch hinzufügen: Die hohe Steuerlast,
bei der Sie überhaupt keine Anstrengung unternehmen,
von ihr quer durch alle Einkommensgruppen herunterzukommen,
({17})
hat sich zu einer Barriere gegen Arbeitsplätze entwikkelt. Was ist denn eigentlich wirklich sozial?
({18})
Sind denn diejenigen sozial, die das meiste Geld in die
soziale Begleitung von Arbeitslosigkeit stecken? Oder
haben auch diejenigen soziales Bewußtsein, die die
Kernfrage der sozialen Sicherheit in Deutschland mit
dem Hinweis auf Arbeitsplätze beantworten? Im Unterschied zu sozialpolitischen Vorstellungen der SPD sage
ich für die Freien Demokraten, die größte soziale
Sicherheit ist ein Arbeitsplatz und nicht die Höhe der
Sozialhilfe, der Arbeitslosenhilfe und des Arbeitslosengeldes.
({19})
Deshalb ist der erste Schritt moderner Sozialpolitik,
Angebotsbedingungen in Deutschland so zu gestalten,
daß Kapital und Technologie in Deutschland bleiben
oder nach Deutschland eingeladen werden.
({20})
Anders ist soziale Sicherheit überhaupt nicht zu gestalten.
15 Prozent Eingangssteuersatz bei der Einkommensteuer und der Lohnsteuer, 25 Prozent mittlerer Steuersatz und 35 Prozent oberer Steuersatz ohne Ausnahmemöglichkeiten - das ist ein Weg zu mehr Gerechtigkeit
in Deutschland. Wir schlagen das vor. Wir sind bereit,
das im Deutschen Bundestag zu beschließen. Der Kollege Struck hat es als Weg zu mehr Gerechtigkeit bezeichnet. Wir bitten Sie um Zustimmung, wenn wir entsprechende Initiativen einbringen.
({21})
Das ist ein Stück Weg für die Bundesrepublik Deutschland, mit niedrigen Steuern Arbeitsplätze zu sichern,
neue Arbeitsplätze möglich zu machen und damit den
Menschen und der Gesellschaft soziale Stabilität und soziale Sicherheit zu geben.
Sie wissen wie wir, Herr Bundeskanzler - Sie reden
ja dauernd davon -, daß die mittleren und kleinen Unternehmen eigentlich die Wachstumsträger der Volkswirtschaft sind, die Dynamik entfalten. Bei ihnen werden Existenzen gegründet, 85 Prozent der Jugendlichen
ausgebildet, über 60 Prozent der Steuern gezahlt und
über 50 Prozent des Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. Aber Sie strangulieren die mittleren und kleinen Betriebe doch. Sie waren ihnen doch keine Hilfe. Sie haben
sie mit den 630-DM-Verträgen kujoniert. Sie haben sie
doch eher bedrängt, als daß Sie ihnen freie Luft zum
Atmen gegeben hätten.
Deshalb kann man hier auch nicht um bestimmte
Themen herumreden. Diese mittleren und kleinen
Unternehmen brauchen mehr Optionen, mehr Öffnungen, mehr Korridore im Rahmen der alten Flächentarife.
Es ist einfach wahr, daß diese mittleren und kleinen Betriebe politische Anwälte brauchen, die es ihnen auch
ermöglichen, Betriebsvereinbarungen zu schließen,
wenn der Betrieb nicht anders gehalten werden kann.
({22})
Wenn die Tarifvertragsparteien nicht in der Lage
sind, der Arbeitnehmerschaft der mittleren und kleineren
Betrieben Tarifvereinbarungen zu ermöglichen, mit denen sie ihre Existenz behaupten können, dann muß der
Deutsche Bundestag politisch aktiv werden.
Für die Freien Demokraten sage ich: Wenn die Tarifvertragsparteien nicht in der Lage sind, den mittleren
und kleinen Unternehmen im Rahmen von Korridoren
bei Tarifen und Regelungen eigene Betriebsvereinbarungen zu ermöglichen, dann werden wir gesetzgeberisch aktiv werden müssen. Darin steckt ein Stück Wirtschaftskraft. Sie müssen solche Möglichkeiten erhalten.
({23})
In seinem Herbstgutachten des letzten Jahres hat der
Sachverständigenrat der Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben, daß es in den sozialen Sicherungssystemen keine Fairneß und auch keine Generationengerechtigkeit gibt. Dies gilt für das Rentensystem wie für
das Gesundheitswesen.
Um dies ganz verständlich auszudrücken, meine Damen und Herren: Gegen große Lebensrisiken muß es
immer solidarische, gemeinschaftliche Versicherungen
geben. Das steht völlig außer Zweifel. Eine schwerwiegende Krankheit ist eines der großen Lebensrisiken, für
die ein solidarischer Schutz unabdingbar ist. In solchen
Fällen steht man füreinander ein. Das ist überhaupt keine Frage. Gilt das aber für jeden Husten, für jede Grippewelle, für jede Kur? Ich glaube, daß wir den Bürgerinnen und Bürgern, wenn wir ihnen eine umfassende
Steuersenkung zugute kommen lassen, zumuten können,
das Ausmaß ihrer Versorgung über die Absicherung von
Grundrisiken hinaus selbst zu regeln und auch selbst zu
bestimmen. Sie sollten Wahlmöglichkeiten haben.
Es ist der große Irrtum der deutschen Linken, daß
Wettbewerb, Markt, freie Entscheidung und Eigenverantwortung nicht ausreichend zur Versorgung mit Gütern beitragen. Ich bin der Überzeugung: Wenn man den
Menschen mehr vom Ertrag ihrer Leistung beläßt und
sie bittet, mit diesem Mehrertrag ihrer Leistung ein
Stück eigene Vorsorge zu treffen, um der nachfolgenden
jungen Generation mehr Arbeitsmarktchancen zu geben,
werden sie das tun.
({24})
Dies ist aber das glatte Gegenstück zu der Politik, die
Sie, Herr Bundeskanzler, mit Rotgrün machen. Sie müssen Steuern und Abgaben senken, und Sie müssen Spielraum für eigenverantwortliche Altersvorsorge schaffen.
Die Formel - Sie kennen sie auch; nur, Sie sollten einen
Gesetzentwurf vorlegen - lautet: Weniger Umlage plus
mehr Vermögensbildung gleich Sicherung des Lebensstandards im Alter.
Bis heute liegt diesem Haus kein Rentenreformmodell der SPD und keines der Bundesregierung vor. Die
Generationen in Deutschland haben aber nach einem
Jahr Regierung von SPD und Grünen allmählich Anspruch darauf zu erfahren, worüber bei diesem wichtigen sozialen Thema verhandelt werden soll. Wir erklären wie auch die Union unsere Bereitschaft, über einen
großen Generationenvertrag zu reden. Eine unerläßliche
Voraussetzung hierfür ist es aber, daß Sie endlich etwas
vorlegen und uns sagen, wohin es mit einem der größten
sozialen Sicherungssysteme gehen soll.
({25})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht aber nicht
nur um die traditionellen sozialen Sicherungssysteme.
Sie wissen alle, daß soziale Sicherheit, gesellschaftliche
und demokratische Stabilität in Deutschland dringend
voraussetzen, daß sich dieses Land auch im nächsten
Jahrtausend seine technologische Höchstleistungskompetenz bewahrt.
Insoweit ist der Transrapid nur ein äußeres Beispiel
eines inneren Denkzustandes. Den Transrapid haben Sie,
meine Damen und Herren von den Grünen, nie gewollt.
Sie haben anfangs umfangreich, über alle Felder hinweg,
kritisiert. Diese Kritik mußten Sie dann aber langsam
zurückziehen, weil der Transrapid weniger Energie und
weniger Fläche für den Fahrweg verbraucht, schneller
und leiser fährt und genauso sicher ist wie die Bahn. Sie
haben sich dann auf einen Kostenrahmen von
6,1 Milliarden DM eingelassen. Herr Bundeskanzler,
damals war klar - und die Grünen haben es auch erklärt -: Dies ist die stille Beerdigung des Transrapid. Ich
stelle mir vor, daß sich so ungefähr auch die Gegner der
ersten deutschen Eisenbahnstrecke zwischen Nürnberg
und Fürth verhalten haben. Mit einem solchen Verhalten
kommt ein technisches Projekt niemals zustande.
({26})
Weltweit gibt es 400 Kernkraftwerke. Viele sind
gegenwärtig im Bau, im übrigen auch in den osteuropäischen Ländern. Nahezu alle im Bau befindlichen Kernkraftwerke weisen nicht den Sicherheitsstandard auf,
den die deutschen Kernkraftwerke haben. Wenn Sie sie
abschalten wollen, müssen Sie der Bevölkerung auch
klar sagen, wieviel Tausende Tonnen Schwefeldioxid,
Stickoxide, Staub und Kohlendioxid mehr in die Luft
geblasen werden. Damit erreichen Sie Ihr Klimaziel
nicht, und Sie vernichten damit Arbeitsplätze in Forschung und Entwicklung. So vernichtet man in der Bundesrepublik Deutschland zugunsten einer Ideologie von
gestern Arbeitsplätze von morgen.
({27})
Die Kernenergie ist mehr als eine Technologie. Ihre
Beherrschbarkeit muß gesichert sein. Aber sie muß im
Interesse der hochtechnologischen Leistungsfähigkeit
einer großen Industrienation erhalten bleiben. Deshalb
ist das kein Spielball für rotgrüne Vereinbarungen.
Die junge Generation, verehrte Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen, ist im übrigen immer eine
neue junge Generation. Sie spüren das ja gegenwärtig.
Sie laufen Ihnen nicht mehr scharenweise zu.
({28})
Das ist auch keine 68er-Bewegung im Nachklapp mehr.
Diese junge Generation, mit der wir es heute zu tun haben, ist technisch interessiert. Sie legt Wert darauf, in
absehbarer Zeit zu einem Abschluß zu kommen. Sie will
verkürzte Studienzeiten. Sie war auf der Straße, um zu
protestieren, weil die Bibliotheken zu gering ausgestattet
sind, die Praktika nicht ausreichend angeboten werden
und weil sie wollten, daß Vorlesungen auch freitags angeboten werden und nicht nur dienstags, mittwochs und
donnerstags.
Das ist eine sehr ehrgeizige, qualitätsbewußte junge
Generation. Ihr ist mit Technologiefeindlichkeit, mit alter Bildungspolitik und mit alter Hochschulpolitik, wie
Sie sie betreiben, nicht mehr beizukommen. Ich wage
die Behauptung, Frau Bulmahn, daß diese junge Generation gern bereit ist, an deutschen Universitäten Studiengebühren zu bezahlen, wenn sie nur die Sicherheit
hätte, in einem Studiengang in absehbarer Zeit einen
qualitativ hochwertigen Abschluß zu bekommen.
({29})
Deshalb ist diese Wettbewerbsfeindlichkeit im System der Hochschulpolitik, die Rotgrün ausprägt, so
falsch. Wir brauchen mehr Autonomie, mehr Dezentralität, mehr Wettbewerb und Hochschulen, die sich ihre
Studenten selbst aussuchen können. Wenn wir über
Autonomie reden, gehört dazu: Die Hochschulen sollen
selbst entscheiden können, ob sie Studiengebühren erheben oder nicht.
({30})
Diese Bevormundung, diese Gängelei, dieses Bestreben, daß im Bildungswesen alles gleich sein muß, alles
flächendeckend, alles einheitlich, alles kollektiv, daß
sich da nichts an der Seite entwickelt, daß man sogar
eher Angst hat, wenn sich einige schneller entwickeln,
daß man um den Zusammenhalt von Klassenverbänden
fürchtet, daß man Neid entwickelt, wenn besondere Talente auftreten - das ist das Falsche an Ihrer Politik. Sie
zerstören ein Stück Zukunftsfähigkeit des Landes. Das
müssen Sie ändern.
({31})
Schließlich, Herr Kollege Schily: Ob Deutschland ein
Einwanderungsland ist oder nicht, kann man mit der
Union hin- und herdiskutieren. Tatsache ist: Es findet
Einwanderung statt. Deshalb reicht mir Ihre Äußerung,
daß Sie nicht glauben, daß das deutsche Asylrecht
Grundlage europäischer Harmonisierungsbestrebungen
sein kann, ernsthaft nicht. Diesem Haus liegt ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz der F.D.P. vor. Sie wissen wie ich, daß die Zuwanderung begrenzt werden
muß, weil wir nicht die sozialen Probleme aller Welt in
Deutschland lösen können.
({32})
Wenn Sie das wissen, müssen Sie konstruktiv den
Gesetzentwurf beraten, den wir eingebracht haben. Ich
spreche das heute an, weil ich der Überzeugung bin, daß
wir darüber ehrlich diskutieren müssen. Es ist an der
Zeit, nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts offen, wenn nötig streitig, aber klar über eine Begrenzung
der Zuwanderung nach Deutschland zu reden, weil wir
nicht die Probleme aller Welt auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland lösen können. Das gesetzlich
zu regeln ist notwendig und unumgänglich.
({33})
Zum Abschluß: Nachhaltige Veränderungen, die wir
vor uns haben, brauchen einen Grundkonsens, aber sie
brauchen auch eine Streitkultur. „Neoliberal“ ist kein
Schimpfwort, sondern die klarste Positionsbestimmung
freiheitlicher und erfolgreicher Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle. Als Ludwig Erhard als Neoliberaler kritisiert worden ist, hat er sich klar zur Schule der neoliberalen Ordnungspolitik bekannt - wie auch ich. Es
gibt weltweit kein erfolgreicheres Modell. Alle Alternativen dazu sind vor einem Jahrzehnt vor unseren Augen
wie ein Kartenhaus zusammengefallen.
({34})
Deshalb führt kein Weg an Eigenverantwortlichkeit,
Privateigentum, Gewerbe- und Vertragsfreiheit und offenen Märkten vorbei. Wir gewinnen die Zukunft nicht
mit einem Vorsorgestaat, nicht mit Verteilung, nicht mit
genereller Interventionsbereitschaft. Das ist bequemer,
aber falsch. Ich glaube, daß wir weg müssen von einem
Vollkaskodenken und vom Anspruchsdenken. Das ist
unbequemer, aber richtig. Es ist jedenfalls das Zeichen
der Qualität einer Gesellschaft und die Grundlage einer
freiheitlichen Ordnung.
Kollege Gerhardt,
bitte kommen Sie zum Schluß.
Ich bin fertig.
({0})
Das ist das Programm der F.D.P. Sie sagen immer,
die Opposition habe kein Konzept. Ich lege es Ihnen vor.
Sie können sich darauf auf allen Feldern einlassen. Das
wäre besser für Deutschland.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat nun
der Kollege Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube,
heute ist entgegen dem, was von Ihnen, Herr Glos, gesagt worden ist, ein guter Tag für Deutschland, und zwar
deshalb, weil wir mit der Entscheidung über den Haushalt 2000 den zweiten Schritt machen, um die Handlungsfähigkeit unseres Staates zurückzugewinnen und
dauerhaft zu sichern.
Bereits mit dem Haushaltssanierungsgesetz haben wir
entschlossen begonnen, die finanzielle Erblast der alten
Regierung in Höhe von 1,5 Billionen DM Schulden abzutragen. 14 Milliarden DM weniger Ausgaben konnten
wir bereits vor zwei Wochen realisieren.
Mit der heutigen Entscheidung über den Bundeshaushalt 2000 reduzieren wir die Ausgaben um weitere
16 Milliarden DM. Wir haben also geschafft, woran die
ehemalige Regierung, die heutige Opposition, gescheitert ist und was die heutige Opposition für unmöglich
gehalten hat, nämlich den Abbau des strukturellen Defizits im Bundeshaushalt.
({0})
Wir haben unser ehrgeiziges Ziel, 30 Milliarden DM
einzusparen, erreicht. Entgegen dem, was uns die Opposition glauben machen will, muß ich feststellen, daß dieser Kurs weit in Ihre Kreise hinein, und zwar in der
Wirtschaft, in Publikationen und in Ihren ureigensten
Reihen, auf breiten Konsens stößt. Ich zitiere nur wenige: „Kurt Biedenkopf“ - so hieß es in der „Berliner
Zeitung“ - „will den Sparkurs der Bundesregierung im
Bundesrat grundsätzlich unterstützen.“
({1})
Der Präsident des DIHT, Peter Stihl, sieht uns bei der
Haushaltskonsolidierung auf dem richtigen Weg.
({2})
Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, der die von Ihnen zur öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses über das Haushaltssanierungsgesetz als Sachverständiger eingeladen war, meinte, daß eine Ablehnung unseres Konsolidierungsprogrammes unverantwortlich sei.
Da kann ich nur sagen: Wo er recht hat, hat er recht.
({3})
Auch Ihr Leib- und Magenblatt, die „FAZ“, kommentierte am vergangenen Montag:
Dennoch müssen Union und F.D.P. mit ihren Kritteleien aufpassen ... Damit drohen sie selbst in eine
Glaubwürdigkeitsfalle zu laufen.
({4})
Herr Glos, Herr Gerhardt, es ist schon spannend, zu
beobachten, wie Sie sich winden, welche Rechen- und
Taschenspielertricks Sie heranziehen, um den Erfolg der
Regierungskoalition kleinzureden. Erst hieß es - das ist
erst wenige Monate her -: Das schaffen die nie! Dann
hieß es - das ist erst einige Wochen her -: Das mit dem
Sparen ist schon recht; aber ihr schafft es nie, die globalen Minderausgaben titelgenau zu etatisieren! Jetzt
heißt es: Ob das mit dem Sparen so richtig ist, wissen
wir nicht; aber auf jeden Fall habt ihr an den falschen
Stellen gespart!
Bis heute liegt von Ihnen keine Alternative vor. Herr
Glos, immer wenn Sie sprechen, ist das ein Beleg dafür.
Wenn die Union keine Alternative hat, schickt sie den
bayerisch-fränkischen Geschichtenerzähler hier an das
Pult.
({5})
Das ist der Beleg dafür, daß von Ihnen keine Alternative
zu dem, was wir vorgelegt haben, vorgebracht worden
ist. Sie solidarisieren sich mit den Protesten gegen unser
Sparprogramm, sagen aber gleichzeitig, daß in Wahrheit
nicht gespart werde. Wie das zusammenpaßt, verstehe
ich nicht.
Sie wollen Etatposten wie zum Beispiel den der Bundeswehr und den der Landwirtschaft erhöhen, sagen
aber nicht, daß der Verteidigungshaushalt unter Herrn
Rühe als Verteidigungsminister gnadenlos zusammengestrichen worden ist, ohne daß es zu einer Strukturreform der Bundeswehr gekommen ist. Sie haben die
Strukturreform verschlafen.
({6})
Sie blinken links und bleiben rechts, mit einer Panne auf
dem Standstreifen stehen.
Ein besonders schäbiges Beispiel - das möchte ich
hier anführen - ist Ihr Umgang mit der Aufstockung der
Leistungen für die Opfer politischer Verfolgung in der
ehemaligen DDR. Über Jahre hinweg haben Sie die politischen Häftlinge hingehalten und es bei der Hälfte
der westdeutschen Haftentschädigung belassen. Wir haben in diesem Haushalt trotz knapper Kassen die Leistungen für die ehemaligen Häftlinge auf 600 DM pro
Monat aufgestockt. Aber jetzt, kaum sind Sie in der Opposition, haben Sie keine Hemmungen, einen Gesetzentwurf für eine weitergehende Haftentschädigung vorzulegen. Das ist wirklich ein Papier der Firma Schein
und Heilig.
({7})
Seien Sie sicher, meine Damen und Herren von der
Opposition: Die Betroffenen wissen sehr genau, wer sie
über Jahre hinweg mit mangelhaften Gesetzen hingehalten hat und wer ihnen jetzt unter schwierigsten Bedingungen so gut es geht unter die Arme greift. Ihre
Luftbuchung auf das Konto der Opfer von Gewalt und
Verfolgung spricht Bände über die Seriosität Ihrer Politik.
({8})
Ich kann nicht verstehen, wie Ihnen die Bürgerrechtler
in Ihren Reihen dazu noch die Hand reichen können.
({9})
Aus eigener Erfahrung auf Grund einer langen Zeit in
der Opposition sage ich Ihnen: Wenn die eigene Strategie schneller Schimmel ansetzt als der Käse im Kühlschrank, dann ist es Zeit, innezuhalten und keine Geschichten mehr zu erzählen, Herr Glos.
({10})
Herr Merz hat uns gestern lange Zitate aus dem Gutachten der fünf Wirtschaftsweisen von letzter Woche
zum Thema Haushaltskonsolidierung vorgelesen. Ich
möchte ebenfalls eine Stelle daraus zitieren und dies an
Ihre Adresse richten. Dort steht:
In der Verantwortung stehen in erster Linie die Regierung und die sie tragende Koalition, ebenso aber
auch die übrigen im Parlament vertretenen Parteien;
auch sie verlieren auf Dauer an Glaubwürdigkeit,
wenn sie um kurzfristiger taktischer Vorteile willen
die konstruktive Mitarbeit an einem im Prinzip als
richtig erkannten Reformkurs verweigern.
So weit die fünf Weisen.
({11})
All Ihr Genörgel an den Details unseres Konsolidierungskurses - mehr ist Ihnen ja am Ende der Haushaltsberatungen nicht eingefallen - ändert nichts daran, daß
Union und F.D.P. mit dem heutigen Tag trotz manchen
tagespolitischen Erfolgs, den ich Ihnen gönne, eine langfristige und strategische Niederlage erleiden.
Die Regierungskoalition aus SPD und Grünen, die
Koalition, die Sie so gerne als etatistische Gesellen darstellen, hat Sie auf Ihrem ureigenen Feld der Finanzund Haushaltspolitik nachhaltig geschlagen!
({12})
Das ist Ihre strategische Niederlage.
Freuen Sie sich nicht zu früh, Herr Kollege Rühe und
Herr Kollege Rüttgers! Es ist mutig von Ihnen beiden,
daß Sie sich zu Höherem berufen fühlen - bei der Bilanz, die Sie als ehemaliger Bundesminister vorzuweisen
haben. Es kann also sein, daß wir Sie in unseren Reihen
halten und auch weiterhin freundlich begrüßen werden.
({13})
Das ist nur der parteipolitische Aspekt. Ich sage Ihnen aber ganz ehrlich: Hätten wir nur diesen Erfolg erlangt, hätten wir nur ein bißchen entschlossener gespart
als die alte Regierung, hätten wir es nur besser und nicht
auch anders gemacht, so könnte ich mich nicht darüber
freuen! Stolz bin ich darauf, daß es uns gelungen ist, das
Sparen mit dem Aufbauen, das Sparen mit dem Gestalten zu verbinden;
({14})
denn für diese Regierungskoalition gehören solide Finanzpolitik, soziale Gerechtigkeit und ökologische Erneuerung zusammen.
({15})
Deshalb haben wir nicht nur das ehrgeizigste Konsolidierungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg gebracht, sondern gleichzeitig neue
Akzente für ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit gesetzt. Wir sparen 30 Milliarden DM ein und belassen
durch eine Steuerreform 20 Milliarden DM netto mehr
in den Taschen der Bürgerinnen und Bürger. Wir sparen
30 Milliarden DM ein und ermöglichen einer Familie
mit zwei Kindern, mit 1 200 DM mehr pro Jahr ins neue
Jahrhundert zu starten.
({16})
- Ich weiß: Das tut Ihnen weh. Wir sparen 30 Milliarden DM ein und haben die Sozialhilfesätze für Kinder
erhöht, damit unsere neue Familienpolitik wirklich allen
Familien zugute kommt.
({17})
Bereits zum 1. Januar 2000 werden die Steuersätze
erneut sinken. Wir finanzieren unsere Steuerreform seriös. Sie von der Opposition wollen sie wahlweise mit
einer Erhöhung der Mehrwertsteuer oder - so die neueste Idee aus München - mit einer grandiosen Neuverschuldung gegenfinanzieren. Ich weiß, daß es Herr
Stoiber in Bayern mit den Millionen nicht so genau
nimmt. Aber der neueste Finanzcoup stellt die Immobilienaffäre des Herrn Stoiber bei weitem in den Schatten.
Nicht genug damit, daß nach dem CSU-Vorschlag die
Steuersenkungen auf Pump finanziert werden sollen. Die
Realisierung dieses Vorschlages wäre ein offener Verfassungsbruch. Mit einer solchen Höhe der Verschuldung würden auch die Maastricht-Kriterien unterlaufen,
würde die Stabilität des Euro und somit der Prozeß der
europäischen Einigung insgesamt gefährdet.
({18})
Daß das der CSU meistens egal ist und daß es vielleicht sogar gewollt ist, daß die Melodien der eurokritischen und der abwehrenden Töne zur Erweiterung der
Europäischen Union in das Bild passen, scheint mir an
diesem Vorschlag auch nachweisbar zu sein. Wir halten
die Maastricht-Kriterien ein und entlasten die Bürgerinnen und Bürger von Steuern und Abgaben. Bei uns steigen die Nettolöhne endlich wieder; bei Ihnen sind sie
gesunken, und das über acht lange Jahre hinweg. Die
Arbeitnehmer und Angestellten haben mit weniger Nettolöhnen in die Röhre geschaut.
({19})
Schauen wir einmal genauer in: Was haben Sie gemacht, und was bringen wir auf den Weg? Von 1982 bis
1998 ist der Eingangsteuersatz um 4 Prozent gestiegen.
Wir senken ihn in nur vier Jahren um 6 Prozent. Während der 16 schwarzgelben Jahre ist die Mehrwertsteuer um 3 Prozent gestiegen, bei uns bleibt sie stabil. In
der Verantwortung der heutigen Opposition - Herr Kollege Struck hat es gesagt - wurde die Mineralölsteuer
um 58 Pfennig erhöht. Jetzt regen sich dieselben Akteure auf, wenn wir die Mineralölsteuer um 6 Pfennig pro
Jahr erhöhen. Ich kann nur sagen: Scheinheiliger geht es
in diesem Punkt der Auseinandersetzungen wirklich
nicht.
({20})
Sie haben aber nicht nur die Steuern erhöht, Sie haben auch die Schulden erhöht. Allein von 1982 bis 1990
hat Schwarzgelb die Verschuldung verdoppelt, um sie
bis 1998 noch einmal zu verdoppeln. Das ist der konservative Faktor 4: mehr Schulden, weniger Nachhaltigkeit.
({21})
Noch ein Wort an die so putzmuntere bürgerliche
Protestpartei mit den drei Pünktchen. Sie fragen in Ihrer
neuesten Kampagne: Bin ich denn total besteuert?
({22})
Die Antwort fällt nach 29 Jahren Ihrer Mitregierung
eindeutig aus: Erhöhung des Eingangssteuersatzes um
7 Prozent, Erhöhung der Mehrwertsteuer um 5 Prozent,
Erhöhung der Mineralölsteuer um 73 Pfennig - das ist
Ihre beeindruckende „Erfolgsbilanz“!
({23})
An Ihrer Stelle würde ich der Agentur, die Ihnen das
aufgeschrieben hat, das Honorar wegen des grandiosen
Eigentors, das Sie damit geschossen haben, verweigern.
({24})
Mit dem Kurswechsel beim Thema Rente hat die
Union bereits begonnen, ihre Fundamentalopposition
aufzugeben, und wir begrüßen es, daß Sie zur Vernunft
zurückkehren und ohne Vorbedingungen, die Sie sonst
immer gestellt haben, nun mit der Koalition über eine
Rentenstrukturreform reden wollen, bei der wir die Frage der Generationengerechtigkeit in den Vordergrund
stellen wollen.
({25})
- Da können Sie gespannt sein; ob Sie daran teilnehmen,
wissen wir ja noch nicht.
Ich kann nur sagen: Solide Finanzpolitik, soziale Gerechtigkeit und ökologische Erneuerung verhalten sich
wie kommunizierende Röhren: Ein Weniger bei einem
führt zu einem Weniger bei allen; umgekehrt muß ein
Mehr des einen zu einem Mehr bei allen führen. Deshalb
haben wir nicht nur angefangen, den Haushalt wieder ins
Gleichgewicht zu bringen und die soziale Fairneß in unserer Gesellschaft wiederherzustellen, sondern wir haben gleichzeitig damit begonnen, unser Land so zu verändern, daß wir auch morgen noch in einer gesunden
Umwelt leben können. Deshalb ist auch der Atomausstieg für uns unverzichtbar. Die Atomkraftbetreiber
fühlen sich ihren Aktionären verpflichtet. Ob sie angesichts der ökonomischen Situation der Atomkraft gut beraten sind, steht auf einem anderen Blatt. Wir fühlen uns
dem Souverän des Landes, nämlich den Bürgerinnen
und Bürgern, verpflichtet. Sie haben mit ihrer Wahlentscheidung verdeutlicht, daß sie den Ausstieg aus der
Atomenergie wollen.
({26})
Wenn möglich, werden wir das im Konsens durchführen; wenn nicht möglich und wenn nötig, aber auch im
Dissens.
({27})
Bündnis 90/Die Grünen stehen auf der Seite der neuen innovativen Energieunternehmen. Wir schaffen die
notwendigen Freiräume für Innovationen und Investitionen. Es gilt, in der Energiewirtschaft Perspektiven für
dauerhaft sichere und zukunftsfähige Arbeitsplätze zu
eröffnen. Diese Perspektiven können nicht in der Energieversorgung der Vergangenheit liegen, sondern hier
müssen neue Wege begangen werden, die wir mit den
regenerativen Energien, mit dem 100 000-DächerProgramm, mit der Stützung der Kraft-Wärme-Kopplung eröffnet haben.
({28})
Das Sparprogramm ist in ein Zukunftsprogramm und
das Zukunftsprogramm in eine übergeordnete Politik
eingebunden. Unser Ziel ist es, in einer sich rasant wandelnden Welt für die Menschen in unserem Land soziale
Sicherheit in gesunder Umwelt zurückzugewinnen und
sie heute und morgen zu sichern.
Nun sagt die Union, daß wir es nicht können. Ein
mutiger Satz! Damit wir uns richtig verstehen: Die
Startschwierigkeiten, die wir hatten, sind gern zugegeben. Aber bevor Sie, Herr Glos, in zuviel Hochmut verfallen,
({29})
sei Ihnen ein Blick zurück auf den Anfang der Amtszeit
Ihrer Regierung gewährt. Ich zitiere aus einem Kommentar, der nach einem Jahr Kohl, 1983, veröffentlicht
wurde:
Statt dessen gehören zum Regierungsprogramm
Konzeptionslosigkeit in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Laiengastspiele in der Außenpolitik - Dinge, über die „Männerfreund“ Strauß
mault. Helmut Kohl betreibt das politische Geschäft allein mit dem bescheidenen Mittel der Intuition,
({30})
die sich aus einem schlicht-schlauen Gefühlsvorrat
speist.
Soweit ein Kommentar aus dem Jahre 1983 zu einem
Jahr Schwarzgelb.
({31})
Angesichts dessen können wir uns mit unserer Bilanz,
glaube ich, sehr gut sehen lassen.
({32})
- Herr Glos, die Quelle kann ich Ihnen benennen. Das
war der „Spiegel“ vom Ende des entsprechenden Jahres.
({33})
- Ein wichtiges Publikationsorgan.
({34})
Dieser Satz „Wir können es nicht!“ sagt übrigens
mehr über Sie selbst als über uns: warum wir und nicht
Sie die Nettoneuverschuldung gesenkt haben, warum
wir und nicht Sie die Familien endlich wieder deutlich
besser gestellt und mehr in die Bildung ihrer Kinder investiert haben,
({35})
warum wir und nicht Sie die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlasten und die Lohnnebenkosten
senken. Sie haben es nicht getan, weil Sie es nicht wollten und weil Sie es bis heute nicht wollen.
({36})
Statt dessen wollen Sie den Menschen weismachen,
es gebe einen inneren Zusammenhang zwischen den
weltweiten Veränderungen und Ihrer Politik der sozialen
Kälte. Ihre Antwort auf die Veränderungen von außen
war und ist der Strukturkonservatismus nach innen. Sie
glauben, es reiche aus, an dem Bestehenden festzuhalten
und die sozialen Sicherungssysteme durch Kürzungen
bei den sozial Schwächsten zu kitten. Sie wollen die
kurzfristige Sicherheit der Mehrheit auf Kosten der
Minderheit und der Zukunft erkaufen.
Wenn es noch eines Beweises bedurfte, welch Geistes
Kind Schwarzgelb war und bis heute ist, dann sind es
die Äußerungen von Ihnen, Herr Gerhardt, aus der
„Süddeutschen Zeitung“ vom 8. November. Dort lesen
wir: Gerhardt gegen den Begriff der sozialen Marktwirtschaft. - Markt und Wettbewerb und Vielfalt
reichten aus, die Versorgung der Menschen mit sozialer
Sicherheit und Gütern sicherzustellen.
({37})
Und weiter - das muß man sich genau anhören -: Die
soziale Funktion stelle sich dann wieder ein, wenn
Marktwirtschaft richtig funktioniert.
({38})
Für Sie sind also der Schutz vor Armut und die Sicherung des Lebensstandards in Zeiten von Arbeitslosigkeit
nur mehr noch eine soziale Funktion? Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie viele Menschen in unserem Land
auf das, was Sie „soziale Funktion“ nennen, angewiesen
sind?
({39})
Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie viele Menschen
jetzt, zu Beginn des Winters, kein Dach über dem Kopf
hätten, wenn es diese soziale Funktion nicht geben würde? Ich kann nur sagen: Was für Sie eine „soziale Funktion“ ist, das ist für uns ein Herzensanliegen.
({40})
Was für Sie soziales Beiwerk ist, ist für uns die Grundlage für eine funktionierende soziale Marktwirtschaft.
Kollege Schlauch,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gerhardt?
Ja, gerne.
Herr Kollege
Schlauch, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß
die soziale Marktwirtschaft nicht eine Addition aus
Marktwirtschaft und Sozialpolitik ist, sondern daß der
Begriff der sozialen Marktwirtschaft, wie ihn Ludwig
Erhard geprägt hat, die Versorgung einer Gesellschaft
mit Gütern und die Bewahrung vor sozialer Not meint?
({0})
Sie haben offensichtlich nicht begriffen, daß Sie sich mit
dem, was ich zitiert habe, gegen den Begriff der sozialen
Marktwirtschaft ausgesprochen haben. Sie wollen der
reinen Marktwirtschaft bestenfalls eine soziale Funktion
zukommen lassen.
({0})
Das ist nun wirklich verkürzt. Deshalb setze ich mich
jetzt auch nicht weiter mit Ihnen auseinander.
Sie haben - das gilt für die gesamte Opposition - aus
kurzfristigen parteipolitischen Erwägungen heraus die
Veränderungsbereitschaft der Bevölkerung ins Leere
laufen lassen. Der Herr Kollege Schäuble, dem ich von
hier aus beste Genesung und Besserung wünsche, und
auch der Herr Kollege Merz reden immer wieder von
der Veränderungsbereitschaft der Menschen in diesem
Land. Sie haben diese Veränderungsbereitschaft ins Leere laufen lassen. Ja, schlimmer noch: Sie haben sogar
den Eindruck erweckt, als brauche es diese Veränderungen gar nicht. Das ist neben der finanziellen Erblast die
noch größere geistig-moralische Erblast Ihrer Politik, die
Sie uns hinterlassen haben.
({1})
Gestatten Sie mir einen Satz zu dem beantragten Untersuchungsausschuß. Wir von der Fraktion der Grünen haben diesen Untersuchungsausschuß von Anfang
an gewollt. Wir finden gut, daß er jetzt eingesetzt wird.
Aber eines muß ich Ihnen schon sagen, meine Damen
und Herren von der Union: Sie verkehren die Rollen etwas. Nicht wir, sondern Sie haben etwas zu erklären.
Und dazu hatten Sie Zeit genug, aber Sie haben geschwiegen!
({2})
Bei Herrn Kohl hat sich das vorhin etwas anders angehört.
({3})
Die notwendigen Veränderungen für ein dauerhaftes
Mehr an Sicherheit führen jedoch kurzfristig zu einem
Mehr an Unsicherheit. So erscheint den Menschen das
Festhalten am Status quo kurzfristig besser und sicherer
als der mutige Weg der Erneuerung und dauerhaften Sicherung der Zukunft. Dieser Teufelskreis ist das größte
Handicap, das die alte Regierung zurückgelassen hat.
Das ist die geistig-moralische Erblast von Schwarzgelb.
Sie zu überwinden ist noch schwieriger, als einen Haushalt zu sanieren und aus der Schuldenfalle herauszukommen
({4})
Trotz dieses schwierigen Erbes haben wir uns für den
Wandel und gegen den Stillstand entschieden. Dafür
zahlen wir - das zeigen die letzten Wahlen - kurzfristig
einen hohen Preis. Aber wir sind uns sicher, daß es nur
so gelingen kann, den Menschen die soziale Sicherheit
zurückzugeben, die die Grundlage für die individuelle
Freiheit bildet, Herr Gerhardt.
({5})
Wir öffnen mit unserer Politik die Zukunft. Wir erneuern das Land heute so, daß wir es morgen guten Gewissens an unsere Kinder übergeben können. Deshalb
belassen wir es nicht wie die Opposition bei der Beschreibung der Probleme, sondern wir haben uns an die
Lösung gemacht.
Meine Damen und Herren, die Bilanz der letzten
Monate liest sich kurz wie folgt: Wir wollten das alte
Staatsbürgerschaftsrecht modernisieren, ein Unternehmen, zu dem Sie über Jahre hinweg keine Lust hatten,
an dem die F.D.P. gescheitert ist. Wir haben es getan.
({6})
Wir wollten durch die Ökosteuer Arbeit billiger und
Umweltverbrauch teurer machen. Wir haben es getan.
({7})
Wir wollten Eingangs- und Spitzensteuersatz senken,
meine Damen und Herren von der F.D.P. Wir haben es
getan, Sie nicht.
({8})
Wir wollten das Existenzminimum und das Kindergeld
erhöhen. Wir haben das getan.
({9})
Wir wollten arbeitslosen Jugendlichen endlich wieder
eine Perspektive geben. In fast 200 000 Fällen haben wir
es getan, während Sie das Thema ignoriert haben.
({10})
Wir wollten mehr in Bildung investieren. Wir haben es
getan. Wir wollten regenerative Energien fördern. Wir
haben es getan. Und wir wollten die Staatsfinanzen in
Ordnung bringen. Mit dem Haushaltssanierungsgesetz
vor zwei Wochen und mit dem Haushalt heute haben wir
das in einem ersten Schritt getan. Weitere Schritte werden folgen.
({11})
Das alles zeigt: Diese Regierung ist handlungsfähig,
meine Damen und Herren von der Opposition.
({12})
- Ja, das macht mir besondere Freude -: Sie ist trotz geänderter Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat handlungsfähig. Das haben Sie über Jahre hinweg nicht geschafft.
({13})
Das zeigt auch: Wir haben unsere Probleme hinter uns.
Sie von der Opposition haben sie vor sich!
({14})
Wir werden auch im nächsten Jahr unseren Kurs der
finanziellen Seriosität, der sozialen Gerechtigkeit und
der ökologischen Erneuerung fortsetzen. Ich bin sicher,
wir werden wie heute auch beim Haushalt 2001 sagen
können: Dies ist ein guter Tag für unser Land.
Danke schön.
({15})
Das Wort hat
jetzt der Fraktionsvorsitzende der PDS, Gregor Gysi.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Schlauch, Sie haben viel Beifall von der Regierungskoalition bekommen. Es war ja
auch eine erstaunliche Erfolgsbilanz, die Sie hier vorgetragen haben.
({0})
Ich warne nur ein bißchen vor der Haltung, die dahintersteckt: Was die Partei sagt, wird morgen sein. Das kenne
ich.
({1})
Ich finde, Ihre Bilanz ist sehr einseitig ausgefallen. Die
Selbstkritik, die auch erforderlich gewesen wäre, fehlte
mir.
({2})
Ein Satz hat mich besonders stutzig gemacht, Herr
Schlauch. Sie haben Ihr Sparprogramm gewürdigt und
in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen - und das
der Union vorgehalten -, daß Ihr Sparprogramm von
Ministerpräsident Biedenkopf, vom Präsidenten des
Deutschen Industrie- und Handelstags, Stihl, von der
Deutschen Bank und von der „FAZ“ gelobt wird. Früher
hätte es die Grünen stutzig gemacht, wenn sie gerade
von den vier so gewürdigt worden wären.
({3})
Heute empfinden Sie das als Bestätigung. Ich finde, Sie
sollten darüber nachdenken.
Ich möchte eine Bemerkung zu dem machen, was
Herr Struck gesagt hat. Sie haben am Anfang Ihrer Rede
den Brief eines CSU-Mitglieds als Bestätigung Ihrer
Politik zitiert. Vor dieser Methode kann ich nur warnen.
Was glauben Sie, wie viele Briefe ich von SPDMitgliedern bekomme? Ich käme aber nie auf die Idee,
sie hier als Nachweis zu zitieren. Das sollten wir nicht
einführen.
({4})
Sie haben auch über die Spendenaffäre der Union
gesprochen. Ich meine, alles, was damit in Zusammenhang steht, ist schon ein starkes Stück. Es fängt mit einer
Spende von einem Waffenhändler an. Es geht damit
weiter, daß die Spende bar erfolgte. Ich frage: Warum
wurde sie eigentlich nicht überwiesen? Warum wurde
sie als Bargeld in einem Koffer überreicht? Warum
wurde sie nicht auf ein normales Konto eingezahlt?
Warum wurde ein eigenes Konto dafür eingerichtet?
Hier ist Aufklärung wirklich dringend geboten.
Ich sage Ihnen aber auch: Wenn sich der Bundestag
entscheidet, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen,
dann ist der Untersuchungsausschuß das Gremium, in
dem die Fragen geklärt werden. Dann ist es nicht fair,
das vorher im Plenum zu versuchen und mit Vermutungen zu operieren und sie als Tatsachen darzustellen.
Dann lassen Sie uns das alles im Untersuchungsausschuß klären!
An die Adresse der Union möchte ich sagen: Könnten
Sie sich in etwa die Überschrift in der „Bild“-Zeitung
vorstellen, wenn ein führender PDS-Politiker 1 Million
DM in bar in einem Koffer bekommen hätte? Ich kann
sie mir vorstellen. Glauben Sie im Ernst, daß Sie nach
dem Motto vorgegangen wären, es gilt zunächst die Unschuldsvermutung,
({5})
oder wären Sie nicht minuten- oder sogar stundenlang
über uns hergezogen? Ich bin für Fairneß und Rechtstaatlichkeit. Deshalb werde ich mich an Vorverurteilungen nicht beteiligen. Ich bitte Sie nur, in umgekehrten Fällen - und nicht nur als Betroffene - diese Prinzipien ebenfalls gelten zu lassen.
({6})
Lassen Sie mich dazu noch eine Bemerkung machen.
Die Frage, die der Kollege Dr. Kohl hier gestellt hat,
kann Herr Struck überhaupt nicht beantworten. Wenn
wir den Untersuchungsausschuß ernst nehmen, dann
entscheidet der Untersuchungsausschuß über die Beweisaufnahme und darüber, wann welche Zeugen gehört
werden. Es wäre schon eine Verletzung der Regeln des
Untersuchungsausschusses, wenn er hier etwas zusichert, was der Untersuchungsausschuß zu entscheiden
hat. Dort muß es geklärt werden, und das muß zügig gehen; da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu.
Herr Struck, Sie haben uns - eigentlich der ganzen
Opposition - gnadenlosen Opportunismus vorgeworfen. Sie haben gesagt, wir fordern lauter Dinge und sagen nicht, wie sie finanziert werden sollen.
({7})
Zunächst will ich an folgendes erinnern: Dieser Vorwurf
trifft jede Opposition. 16 Jahre lang ist Ihnen vorgehalten worden, daß Sie Dinge vorschlagen, ohne die Finanzierung zu sichern. Irgendwie scheint mir das ein Dauerthema zwischen Regierung und Opposition zu sein.
({8})
Aber in diesem Fall irren Sie sich einfach, was Ihre Kritik an der PDS angeht.
({9})
Wir haben zur zweiten Lesung Ihres Haushaltsgesetzentwurfs Änderungsanträge gestellt. Wenn Sie den Anträgen stattgeben würden, würde das Mehrausgaben in
Höhe von 9,907 Milliarden DM und Mehreinnahmen in
Höhe von 9,933 Milliarden DM bedeuten. Die Vorschläge sind also gegenfinanziert, ja sogar überfinanziert. Insofern ist Ihr Vorwurf in dieser Hinsicht unbegründet.
({10})
Wenn man die Gesamtbilanz Ihrer Regierungsarbeit,
Herr Bundeskanzler, für ein Jahr zieht, muß man die
Beurteilung differenziert vornehmen. Ich will wenigstens ganz kurz versuchen, etwas zur Außenpolitik zu
sagen. Diese war lange Zeit und wird auch noch lange
Zeit von der Tatsache geprägt sein, daß Deutschland
unter Ihrer Verantwortung erstmalig nach 1945 an einem
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg teilgenommen hat.
Sie wissen, daß wir ganz entschieden und - wie wir
meinen - aus sehr guten Gründen dagegen waren: als
Lehre aus der deutschen Geschichte, in Respekt vor dem
Völkerrecht und weil wir vor allem der Meinung sind,
daß Krieg kein Mittel der Politik werden darf.
Heute geht es mir um etwas anderes - das ist bekannt,
und ich will die Debatte nicht wiederholen -, nämlich
um die Ergebnisse. Wir haben damals, vor Beginn des
Krieges, gesagt: Das Schicksal der Kosovo-Albaner
wird sich während des Krieges nicht verbessern, sondern
verschlimmern. Dies ist leider eine traurige Wahrheit
geworden. Jetzt muß ich in den Zeitungen lesen, daß die
Zahlen, die der Bundesverteidigungsminister Scharping
vor Beginn des Krieges über Massaker etc. angegeben
hat, offensichtlich falsch waren. Jetzt möchte ich
irgendwann Aufklärung darüber haben: Waren die
Quellen falsch? Dann muß man über die Art der Quellen
nachdenken. Oder hat er bewußt falsch informiert? Dann
bedarf auch das der Aufklärung.
Heute besteht nach wie vor eine extrem komplizierte
Situation im Kosovo. Man kann eben nicht mit Krieg
Menschenrechte herstellen. Das zeigen auch jetzt die
Vertreibung, Verfolgung und Tötung von Serben und
anderen Minderheiten, die genauso zu verurteilen sind.
Sie haben gesagt: Das Ganze dient der Schwächung
von Milosevic. Milosevic muß gestoppt werden. Er muß
aus seinem Amt heraus. Der Krieg soll in erster Linie
ihn treffen. Ich stelle fest: Der sitzt immer noch im Amt.
Wer friert, das ist die jugoslawische Bevölkerung. Die
Lebensmittelknappheit gibt es bei der jugoslawischen
Bevölkerung. Deshalb habe ich eine ganz entschiedene
Bitte: Beenden Sie bezüglich dieser Leistungen das Embargo. Es trifft nicht Milosevic, es friert doch die Bevölkerung. Das muß aufhören.
({11})
Sie haben damals ganz häufig von Kollateralschäden gesprochen. Wenn es denn Kollateralschäden waren, dann heißt dies: ungewollte Schäden. Aber wenn
man ungewollte Schäden nach dem Krieg nicht beseitigt, dann werden sie irgendwann zu gewollten Schäden.
Deshalb sage ich Ihnen: Lassen Sie uns die Heizkraftwerke wiederaufbauen, lassen Sie uns dafür sorgen, daß
wenigstens die einfachsten Lebensbedingungen der jugoslawischen Bevölkerung wiederhergestellt werden.
Das müßte eine Selbstverständlichkeit sein. Wir dürfen
die Bevölkerung nicht in eine Art Geiselhaft für Milosevic nehmen. Das ist einfach nicht zu verantworten, das
ist nicht fair. Das schwächt auch nicht diesen Mann, das
schwächt nur die Bevölkerung.
({12})
Ich habe damals gesagt: Es wird ein Schaden für die
Charta der Vereinten Nationen, für die UNO, sein. Sie
wird geschwächt sein. Es wird weltweit eine Dominanz
des Militärischen geben. Ich glaube, daß Blicke nach Indien, Pakistan oder in andere Regionen das bestätigen.
Dies gilt übrigens auch für die neue Doktrin der NATO.
Aber am schlimmsten - das habe ich damals gesagt ist die Sache mit dem Verhältnis zu Rußland. Ohne
Rußland gibt es keine Stabilität, keine wirkliche Entwicklung, keinen Frieden in Europa. Das ist, glaube ich,
eine allgemein anerkannte Tatsache. Ich habe damals
gesagt: Ich befürchte, daß die Demütigung Rußlands, die
Negierung des Vetorechts, dazu führen wird, daß das
Militärische in Rußland wieder in den Vordergrund tritt,
weil man Rußland gezeigt hat, daß es nur mit entsprechender Militärmacht eine Großmacht ist. Ich habe davor gewarnt, daß das Militär in Rußland das Primat
übernehmen wird.
Jetzt schauen Sie sich die heutige Situation in Rußland an! Selbst wenn es eine ernstzunehmende politische
Kraft in Rußland gäbe, die diesen entsetzlichen Tschetschenien-Krieg beenden wollte, sie könnte das heute
gegen den Willen der Militärführung überhaupt nicht
mehr. So hat sich die Situation in Rußland verändert, sosehr haben wir es jetzt mit dem Primat des Militärischen
zu tun, was ich für kreuzgefährlich halte.
({13})
Es mag schon sein - ich finde, in dem Punkt hat Herr
Glos recht -, Herr Lippelt, daß Sie viele öffentliche Veranstaltungen zu Tschetschenien durchführen. Aber der
Bundestag schweigt im wesentlichen. Das geht eigentlich nicht.
({14})
Wir müssen hier viel deutlicher Farbe gegen diesen
Krieg, der in Tschetschenien geführt wird, bekennen.
Sie, Herr Bundesaußenminister Fischer, haben den
früheren Außenminister Kinkel immer dafür kritisiert,
daß er Menschenrechte nicht in den Mittelpunkt der
Außenpolitik gestellt hat. Was hat sich denn diesbezüglich im Verhältnis zum Iran, zur Türkei oder zu anderen
Ländern in der Außenpolitik geändert? Ich kann nichts
erkennen.
Ich mache mir auch über etwas anderes Sorgen. Noch
nie war das Verhältnis zwischen Deutschland und
Frankreich so distanziert wie heute. Aber nur bei einem
wirklich guten Verhältnis zwischen Deutschland und
Frankreich wird es möglich sein, den europäischen Einigungsprozeß voranzubringen. Sie können die Beziehungen zu Frankreich durch Beziehungen zu Großbritannien
nicht ersetzen.
Was hat sich bei den Rüstungsexporten getan? Alle
haben doch gedacht, daß Rüstungsexporte reduziert
werden, wenn SPD und Grüne regieren. Manche hatten
vielleicht sogar die Illusion, Rüstungsexporte würden
gestoppt. Diese Illusion hatte ich nicht. Jetzt muß ich
feststellen, daß es in diesem Jahr mehr Rüstungsexporte
als im letzten Regierungsjahr von Kanzler Kohl gab.
Das ist geradezu absurd. Es stellt die Welt doch irgendwie auf den Kopf. Der Panzer für die Türkei ist dabei ja
nur die Spitze des Eisberges.
Wir hatten uns vorgestellt und gehofft, daß die Entwicklungshilfe ausgebaut wird, schon um Fluchtursachen zu bekämpfen. Statt dessen werden die Mittel für
die Entwicklungshilfe zurückgeschraubt. Damit wird
auch die Bekämpfung von Fluchtursachen zurückgeschraubt.
Hat sich wenigstens die Lage der Flüchtlinge in
Deutschland verbessert? Sie hat sich nicht verbessert; es
ist maximal beim Ist-Zustand geblieben. Nun beginnt
auch noch der Innenminister, über das Grundrecht auf
Asyl zu fabulieren. Was soll das? Wir wissen doch alle,
wohin solche Asyldebatten führen. Wir erinnern uns
doch noch an die brennenden Asylheime. Lassen Sie eine solche gesellschaftliche Debatte nicht zu!
({15})
Zur Innenpolitik. Die Dezembergesetze Ihrer Regierung gehen in Ordnung. Ich bedauere nur, daß Sie damals, zum Beispiel im Hessen-Wahlkampf, nicht vehement damit gepowert haben. Ich hatte immer das Gefühl, daß sie Ihnen so richtig gar nicht gefallen haben.
Aber inzwischen greifen Sie in Ihren politischen Äußerungen immer häufiger auf die Dezembergesetze von
1998 zurück. Das geht auch in Ordnung. All das haben
wir unterstützt. Es waren alles Schritte in die richtige
Richtung, auch wenn der eine oder andere vielleicht zu
kurz war: Aussetzung der Senkung des Rentenniveaus,
Kündigungsschutzerweiterung, Reduzierung der Zuzahlung für Medikamente, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kindergelderhöhung etc.
Wir haben zwar Bedenken gegen Ihr Jugendprogramm, weil es nicht so greift, wie Sie es hier immer
darstellen. Trotzdem ist auch das ein Schritt in die richtige Richtung. Nur lieber Herr Schlauch, in dieser Frage
kommen Sie irgendwann um das Problem der Umlagefinanzierung nicht herum. Immer noch gibt es Tausende Jugendliche ohne Lehrstelle und ohne Ausbildung.
Immer noch sind es die kleinen und mittelständischen
Unternehmen, die weit über ihre Möglichkeiten ausbilden, während sich die Großen immer mehr aus der Ausbildung zurückziehen. Deshalb werden wir diese Umlagefinanzierung benötigen. Wir kommen nicht umhin.
Ihre Regierung hat zum Teil wichtige Probleme aufgegriffen. Die diesbezüglichen Angriffe von CDU/CSU
und F.D.P. sind, was die Problematik betrifft, regelrecht
falsch: 630-Mark-Jobs, Scheinselbständigkeit. Es bestand doch die Tendenz, daß immer mehr Arbeitsverhältnisse in 630-Mark-Jobs aufgegliedert wurden, daß
dadurch vorwiegend die Arbeitnehmerinnen - auch einige Arbeitnehmer - nicht abgesichert waren und daß
dadurch die Versicherungskassen immer leerer wurden.
Also bedurfte dieses Problem einer Lösung. Dasselbe
gilt für die Scheinselbständigkeit.
Daß Sie dabei nicht konsequent waren, daß es auch
zu Überziehungen kam - Stichwort Übungsleiter im
Sport etc. -, ist ein anderes Thema. Das hätte man aber
wissen können und wissen müssen. Insofern gibt es Korrekturbedarf. Aber es ist richtig, daß man die Probleme
im Prinzip einer Lösung zuführt.
Ich möchte etwas zur neoliberalen Tendenz sagen, die
leider in allen Parteien um sich greift, nicht nur in der
F.D.P. und in der CDU/CSU, sondern auch bei den Grünen und zum Teil auch in der SPD.
({16})
- An dieser Stelle kommt immer der Ruf von Herrn
Gerhardt nach weniger Staat. Machen wir es einmal
konkret, nehmen wir einmal Holzmann! Die jetzige Situation ist so, daß alle auf den Kanzler setzen. Am liebsten soll er die Schulden selber bezahlen. Der Staat soll
die Löhne bezahlen; auf jeden Fall soll der Staat Bürgschaften übernehmen. Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen schon heute: Wir werden alles, was Sie dort zusichern, unterstützen, wenn es die Arbeitsplätze der Beschäftigten rettet.
({17})
Aber eines sage ich ganz deutlich: Wenn der Staat für
die Schulden zuständig wird, dann muß mit dem Gerede
über die Beteiligung privater Gewinne an der Finanzierung des Allgemeinwohls Schluß sein. Das muß aufhören.
({18})
Privatwirtschaftliche Gewinne bleiben immer in privaten
Händen, während privatwirtschaftliche Schulden sozialisiert werden sollen. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssen die Tilgung dieser Schulden auf sich
nehmen. Sie sprechen davon, wie unproduktiv die Vermögensteuer ist usw.; aber jetzt soll die Politik helfen,
jetzt soll der Staat eingreifen. Wir müssen da jetzt einmal eine Symmetrie herstellen.
Dasselbe gilt für die Diskussion über Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte. Immer wieder höre ich
von der rechten Seite das Argument, wie kontraproduktiv Arbeitnehmerrechte seien. Die Arbeitnehmer dürften sich nicht in die Entscheidungen des Managements
einmischen. Aber das Problem ist folgendes: Wenn das
Management falsche Entscheidungen trifft, dann werden
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Straße
geschickt und haben keinen Lohn mehr. Insofern fordern
wir mehr Mitbestimmungsrechte; denn die Entscheidungen in den Vorständen betreffen auch das Schicksal der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb müssen
sie stärker in diese Entscheidungen einbezogen werden.
({19})
Sie fordern immer Lohnzurückhaltung. Wissen Sie
eigentlich, welche Folgen diese Forderung für die Arbeitnehmer hat? Wenn die Arbeitnehmer auf gerechtfertigte Lohnsteigerungen verzichten und anschließend arbeitslos werden, dann bedeutet dies weniger Arbeitslosengeld und weniger Arbeitslosenhilfe, vom Rückgang
der Kaufkraft einmal abgesehen.
({20})
Warum hat die Baubranche Schwierigkeiten? Die
Baubranche hat deshalb Schwierigkeiten, weil Sie, Herr
Gerhardt, jahrelang nichts gegen Lohndumping auf den
Baustellen unternommen haben. Dies hat natürlich die
Bauunternehmen, die noch nach Tarif gezahlt haben, in
höchstem Maße gefährdet. Aber Sie wollten ja Lohndumping. Dies ist eine der Folgen, mit der wir uns jetzt
auseinandersetzen müssen.
({21})
Ich möchte auch noch eine Bemerkung zu den feindlichen Übernahmen machen. Herr Bundeskanzler, ich
habe mit großer Freude in der Presse gelesen, daß Sie
jetzt ganz und gar gegen feindliche Übernahmen seien
und daß Sie eine europäische Regelung fordern, um solche Übernahmen auszuschließen. Auf Seite 17 der Antwort Ihrer Regierung auf die Große Anfrage der PDSFraktion vom 20. Oktober 1999 heißt es zu feindlichen
Übernahmen:
Feindliche Übernahmen, das heißt Übernahmen gegen den Willen des Vorstandes der Zielgesellschaft,
sind aus volkswirtschaftlicher Sicht grundsätzlich
nicht negativ zu bewerten. Potentielle Übernahmen
haben eine wichtige Kontrollfunktion, weil weniger
effiziente Vorstände mit der Übernahme des Unternehmens mit ihrer Ablösung rechnen müssen.
Weiter heißt es, daß es um den Schutz der Aktionäre gehe. Der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird in Ihrer Antwort überhaupt nicht erwähnt. Zum
Schluß heißt es:
Gesetzliche Maßnahmen bezüglich der Verhinderung feindlicher Übernahmen sind von der Bundesregierung nicht geplant.
Sie wissen, es gibt einen großen Unterschied zwischen freundlichen Übernahmen, bei denen es um mehr
Effizienz und die Gestaltung des Unternehmens geht auch diese Übernahmen sind leider meistens mit Arbeitsplatzverlusten verbunden -, und feindlichen Übernahmen, in deren Folge ein Konkurrent zumindest im
wesentlichen vernichtet werden soll, was mit dem Verlust Tausender Arbeitsplätze verbunden ist. Deshalb sage ich Ihnen: Nein, so einfach ist es mit „weniger Staat“
nicht getan.
Jetzt regen sich alle über feindliche Übernahmen auf.
Im Grunde genommen sind solche Übernahmen aber ein
Resultat der nackten Marktwirtschaft. Wir müssen also
schon ein bißchen regulieren, wenn wir wollen, daß das
Ganze sozial verträglich abläuft und Arbeitsplätze geschaffen und erhalten werden.
({22})
Sie haben Gesetze initiiert, die nach dem Motto „Ja,
aber“ oder „Nein, aber“ funktionieren. Zur Ökosteuer:
Natürlich ist es erst einmal richtig - hierin stimme ich
Ihnen, Herr Schlauch, zu -, daß der Gedanke der Ökologie in das Steuersystem eingeführt wird, daß der Ressourcenverbrauch verteuert wird und daß ökologisches
Verhalten steuerlich begünstigt wird. Aber schauen Sie
sich doch einmal Ihr Gesetz an! Die ökologische Lenkungswirkung ist gleich Null.
({23})
Wenn Sie eine Energiesteuer einführen und gleichzeitig diejenigen, die die meiste Energie verbrauchen,
von dieser Steuer befreien, dann müssen Sie doch damit
rechnen, daß die Wirkung gleich Null ist. Sie haben
Lobbyismus betrieben. Die Energiesteuer ist sozial absolut unverträglich, weil sie im wesentlichen von den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Rentnerinnen und Rentnern, den Arbeitslosen und den Sozialhilfeempfängern gezahlt werden muß.
Auch beim Thema Mineralölsteuer können Sie einen
Aspekt nicht ausklammern: Sie können zwar das Autofahren teurer machen, aber nur unter der Bedingung, daß
Sie den Menschen eine sozial verträgliche verkehrspolitische Alternative anbieten. Aber mit Ihrer Ökosteuer
machen Sie auch Bus und Bahn teurer. Dies ist sozial
extrem unausgewogen.
({24})
Im übrigen verzerren Sie durch die unterschiedliche
Behandlung der Unternehmen auch noch ganz erheblich
den Wettbewerb in der Wirtschaft. Die Landwirtschaft
wird diesbezüglich am meisten getroffen, auch durch Ihre Sozialkürzungen. Die Landwirte erhalten keinen Ausgleich. Bisher sehe ich kein Bemühen, dies zu reparieren.
Die Gesundheitsreform ist ein interessantes Beispiel. Im Gesundheitswesen steigen die Kosten. Nun
fordern Union und F.D.P., daß die Beiträge nicht erhöht
werden. Sie denken dabei weniger an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als vielmehr an die Unternehmer. Das ist egal. Auf jeden Fall fordern alle Fraktionen
in diesem Hause - auch SPD, Grüne und PDS -, die
Beiträge nicht zu erhöhen. Aber die Kosten im Gesundheitswesen steigen. Was tun? Die Opposition zur Rechten schlägt jetzt vor, die Zuzahlungen der Patientinnen
und Patienten zu erhöhen. Dies ist nun die unsolidarischste aller denkbaren Varianten; denn damit wird das
Problem auf Kosten der Kranken gelöst.
({25})
Wir sind der Bundesregierung dankbar, daß sie diesen
Weg nicht mitgeht.
Allerdings macht es sich auch die Bundesregierung
zu leicht, wenn sie den medizinischen Einrichtungen
vorschreiben möchte, wieviel Geld sie ausgeben dürfen.
Mehr sei eben nicht da, sie sollten sehen, wie sie zurechtkämen. Das heißt, Sie verlagern ein gesamtgesellschaftliches Problem auf Ärztinnen und Ärzte und auf
Schwestern. Das ist natürlich nicht hinnehmbar. Wo
sollen die denn das Problem lassen? Sie können es letztlich wiederum nur an Patientinnen und Patienten weitergeben. Wir werden die Schließung von Einrichtungen
erleben. Deshalb sage ich: Das ist der falsche Weg.
Wir haben vorgeschlagen, die Finanzierung durch eine gerechtere Beitragsbemessungsgrenze zu sichern, dadurch, daß mehr und nicht nur die abhängig Beschäftigten in die Kasse einzahlen müssen, und dadurch, daß die
Unternehmen nicht länger nach der Lohnsumme einzahlen, sondern endlich nach ihrer Wertschöpfung, das
heißt differenziert nach ihrer Leistungsfähigkeit, und indem wir gleichzeitig eine Strukturreform im Gesundheitswesen durchführen, in dem es viele Spareffekte
gibt. Die Positivliste ist vernünftig, weil sie auch ein
bißchen die Gewinne der Pharmaindustrie einschränkt.
Daß Sie jetzt die Polikliniken wiederentdecken, ist,
finde ich, ein starkes Stück. Wir haben Ihnen schon
1990 gesagt, daß sie eine sinnvolle Einrichtung sind.
Man hätte sie gar nicht erst kaputtmachen sollen. Dieser
Hinweis muß allerdings an die Adresse der ehemaligen
Regierung gehen.
({26})
Sie hatten das Ziel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und nennen jetzt als Hauptziel die Sanierung des
Haushalts. Ich sage Ihnen: Sie sanieren den Haushalt am
ehesten, wenn Sie die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Dafür aber wäre eine ganz andere Politik erforderlich. Wir
müssen dem Umstand Rechnung tragen, daß die Arbeitsproduktivität ständig steigt, daß immer weniger
Menschen in immer kürzerer Zeit immer mehr herstellen. Wir müssen zu Arbeitszeitverkürzungsmodellen
kommen. Wir müssen Arbeit gerechter verteilen. Mit
Lohnzurückhaltung lösen Sie auf dieser Strecke kein
Problem, ganz im Gegenteil. Wir können auch keine
weitere Schwächung der Kaufkraft hinnehmen. Wir
brauchen im Non-profit-Sektor einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Es ist doch viel sinnvoller,
Arbeit zu bezahlen statt Arbeitslosigkeit.
Es wird mir immer gesagt, Jugendarbeit sei teuer. Das
ist wahr. Aber ich sage Ihnen: Jugendstrafvollzug ist viel
teurer. Deshalb lassen Sie uns die Mittel an den richtigen Stellen auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen einsetzen.
({27})
Achten Sie
bitte auf die Zeit, Herr Kollege Gysi.
Wir brauchen endlich eine
direkte Förderung der kleinen und mittelständischen
Unternehmen. Vor allem müssen wir erreichen, daß die
Zahlungsunmoral aufhört. Die meisten Unternehmen
gehen ein, weil Kommunen und andere Kunden die
Rechnungen nicht bezahlen. Dafür kann man Lösungen
finden.
Wenn wir in dieser Richtung gehen und Sie die
Lohnnebenkosten auf die Wertschöpfung umstellen
würden, wie wir es vorgeschlagen haben, dann könnten
wir auch die Finanzierungsprobleme lösen.
Wir haben Ihnen auch gesagt, wie man 30 Milliarden
DM einsparen kann, ohne eine Sozialkürzung vorzunehmen. Indem Sie die Renten kürzen, bei den Bezügen
der Arbeitslosen, beim Arbeitslosengeld, bei der Arbeitslosenhilfe, bei den Bezügen der kleinen und mittleren Beamten und auch in der Landwirtschaft Kürzungen
vornehmen, haben Sie ein unsoziales Sparprogramm
aufgelegt. Dafür werden Sie die Quittung bekommen.
Das wäre überhaupt nicht nötig gewesen. Wenn Sie allein auf die Senkung des Spitzensteuersatzes verzichtet
hätten, hätten Sie sich die gesamte Kürzung bei Rente,
Arbeitslosen und auch im Sozialbereich der Landwirtschaft sparen können.
Das wäre eine sozialere Politik gewesen. Aber dazu
waren Sie nicht bereit. Das muß eine linke Opposition in
diesem Bundestag ganz deutlich kritisieren.
({0})
Das Wort hat
jetzt Herr Bundeskanzler Gerhard Schröder.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wirtschaftliche Kraft des Landes zu entwickeln, um soziale
Gerechtigkeit unter völlig veränderten wirtschaftlichen
Bedingungen auch weiterhin zu ermöglichen, ist das
Ziel, das sich die Koalition im Innern gesetzt hat. Sie
wird dieses Ziel realisieren, um den Menschen in
Deutschland Perspektiven zu geben, zumal den jungen,
und sie wird dieses Ziel auch deshalb realisieren, um
solidarisch mit denen in Europa und in der Welt zu sein,
denen es schlechter geht als den Menschen in Deutschland.
({0})
Wer die Lage in Deutschland und um uns herum
wirklich vorurteilsfrei einschätzen will - ich habe verstanden, Herr Glos, daß Sie es nicht ganz wollen -, der
tut gut daran, sich mit ein paar nüchternen Zahlen bekanntzumachen - Zahlen über wirtschaftliches Wachstum, die dieses Jahr betreffen und die das nächste Jahr
betreffen werden, Zahlen, die nicht aus der Bundesregierung stammen, sondern die entwickelt worden sind auf
der Basis von Forschungsergebnissen der Sachverständigen ebenso wie der fünf großen wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die wir in Deutschland haben.
Diese Zahlen weisen aus: Wir werden in diesem Jahr
ein wirtschaftliches Wachstum von 1,5 Prozent haben.
Wir werden zum erstenmal seit sehr langer Zeit wieder
eine Steigerung der Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland zu
verzeichnen haben, und zwar um 3 Prozent.
({1})
Die Zahlen weisen aus, daß zunächst die außenwirtschaftliche Schwäche überwunden werden konnte. Das
hat gewiß mit positiven Entwicklungen in Asien, in
Südamerika und in anderen Bereichen der Welt zu tun.
Diese Regionen sind in den letzten Monaten krisenfester
geworden. Das ist nicht das Verdienst der Bundesregierung. Aber sowenig wie das Festigen der Situation um
uns herum das Verdienst der Bundesregierung ist, sowenig war es der Fehler der Bundesregierung, wenn wir im
zu Ende gehenden Jahr - jedenfalls in der ersten Hälfte
- leider eine gegensätzliche Konjunkturentwicklung in
vielen Ländern der Welt zu verzeichnen hatten, die natürlich auch die Außenwirtschaft Deutschlands beeinflußt und zu einer Wachstumsrate in Höhe von nur
1,5 Prozent insgesamt beigetragen hat. Die gleichen Institute prognostizieren, daß wir im nächsten Jahr mit einem Wachstum von 2,5 bis 3 Prozent rechnen können.
Das ist Gott sei Dank mehr, als wir brauchen, um die
Beschäftigungsschwelle, die in Deutschland unbestritten
zu hoch liegt, zu überwinden. Das ist die Situation.
Angesichts der Tatsache, daß wir im nächsten Jahr
mit einer Exportsteigerung von 7 Prozent rechnen können, nachdem sie in diesem Jahr bei 2 bis 2,5 Prozent
lag, also mit fast 5 Prozent mehr, ist es unsere gemeinsame Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sich die Aufschwungtendenzen, die wir Gott sei Dank beim Export
erwarten können, auch auf dem Binnenmarkt einstellen.
Es ist unsere Aufgabe, miteinander dafür zu sorgen, daß
die prognostizierten Wachstumsraten auch eintreten und,
wo immer es geht, auch noch gesteigert werden. Das
trägt dazu bei, das zentrale Ziel, das, wie ich glaube, alle
Parteien verfolgen, nämlich Massenarbeitslosigkeit zu
überwinden, auch zu erreichen.
({2})
Das ist der Grund, meine Damen und Herren, warum die
Politik dieser Koalition in drei Bereichen genau diese
Wachstumskräfte auf dem Binnenmarkt stärken will
und wird.
Erstens. Zunächst einmal können wir auf dem Arbeitsmarkt nicht nur auf Grund unserer Politik, aber
auch als Folge unserer Politik Gott sei Dank Besserungstendenzen erkennen. In diesem Jahr ging die Arbeitslosenzahl um 150 000 bis 200 000 zurück.
({3})
Die gleiche Entwicklung wird sich im nächsten Jahr
fortsetzen. Wir werden im nächsten Jahr zum erstenmal
seit Jahren - davon gehen alle Institute und alle Sachverständigen aus - eine durchschnittliche Arbeitslosenzahl von unter 4 Millionen erzielen. Das ist ein großer
Erfolg.
({4})
Diesen Erfolg sollte man im übrigen nicht zerreden. Wir
haben im Oktober dieses Jahres zum erstenmal seit sehr
langer Zeit - ich glaube, seit 1994 - wieder weniger als
4 Millionen Arbeitslose. Darüber sollten wir uns freuen,
und jeder sollte klarmachen, daß dieser Weg fortgesetzt
werden muß.
({5})
Der zentrale Fehler, den die Opposition in diesem Haus
macht, ist, daß sie diesen Sachverhalt nicht positiv aufnimmt, sondern ihn immer wieder zerredet.
({6})
Wer sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt anschaut, stellt außerdem fest, daß wir bei der Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit, jener Arbeitslosigkeit
von Menschen unter 25 Jahren, die beste Entwicklung
aller europäischen Länder aufweisen.
({7})
Arbeitslosigkeit - das wissen wir doch alle - ist in jedem Alter eine individuelle Katastrophe. Aber insbesondere dann, wenn man am Beginn des Erwerbslebens
keine Chance hat, eine Arbeit zu erhalten, stellen sich
individuelle Katastrophen mit allen Folgen wie Drogensucht und Abrutschen in Kriminalität ein. Deshalb ist es
so wichtig, daß wir endlich mit der Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit begonnen haben und damit auch Erfolg haben.
({8})
Zweitens. Die Perspektive, die wir realisieren wollen,
ist klar. Sie heißt Stärkung der Wirtschaftskraft, um
unter radikal veränderten ökonomischen Bedingungen,
die mit dem Stichwort der Globalisierung nur schlecht
beschrieben sind, sozialen Ausgleich auch im nächsten
Jahrhundert in diesem Land als selbstverständliche Errungenschaft beibehalten und finanzieren zu können.
Wir müssen diese Politik, diesen Pfad des Wachstums
und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der sich Gott
sei Dank jetzt bei uns auftut, unterstützen.
Das ist der Grund dafür, daß Konsolidierung unsere
erste Maßnahme darstellt. Meine sehr verehrten Damen
und Herren, nur dann, wenn wir diesen Konsolidierungskurs entschlossen, wie es der Bundesfinanzminister angekündigt und durchgesetzt hat, weiter verfolgen,
unterstützen wir die die Wachstumskräfte, die wir gegenwärtig erkennen können.
({9})
Warum ist das so? Hier ist zu Recht viel davon geredet worden, daß wir jene 1,5 Billionen DM Staatsschulden reduzieren müssen. Hier ist zu Recht davon
geredet worden, daß es unsozial ist, wenn wir
82 Milliarden DM in jedem Jahr für Zinszahlungen ausgeben. Das ist eine gigantische Umverteilung von unten
nach oben; denn das Geld, das wir für Zinsen ausgeben,
nehmen wir aus den Steuern und Abgaben der kleinen
Leute in diesem Land und geben es in die internationalen und nationalen Kapitalsammelstellen, man kann
auch sagen: den Banken und Versicherungen.
({10})
Wer sich diesem Konsolidierungskurs - ob hier im
Deutschen Bundestag oder im Bundesrat - verweigert,
der schadet dem Wachstum und erschwert den Abbau
der Arbeitslosigkeit. Das muß in diesem Lande klar sein.
({11})
Blockadehaltungen, gleich, wo sie eingenommen werden, ob im Bundesrat oder hier, sind Angriffe auf die
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Mit diesem Vorwurf
müssen Sie sich auseinandersetzen, meine Damen und
Herren von der Opposition.
({12})
Wir konsolidieren den Haushalt auch deshalb, weil
wir Stabilität in der Finanzpolitik benötigen. Zu ihr haben wir uns übrigens auch international verpflichtet,
weil nur sie der Europäischen Zentralbank objektiv die
Möglichkeit gibt, ein Zinsniveau aufrechtzuerhalten, das
die Wachstumskräfte stützt und ihnen nicht schadet. Eine solche Stabilität in der Finanzpolitik können wir nur
erreichen, wenn wir den Kurs, den wir eingeleitet haben,
durch- und fortsetzen.
({13})
- Das ist ein großer, im ganzen Bundestag bekannter
Schlaumeier. Das wissen wir nun alle. Das merkt man
an seinen Zwischenrufen, vor allen Dingen aber daran,
wenn er sich selbst am Rednerpult äußert.
Drittens. Ein weiterer Punkt, der mir wichtig ist, hat
etwas mit der von uns eingeleiteten Steuerpolitik zu
tun. Unsere Steuerpolitik ist - das wird sich mit der Unternehmensteuerreform noch verstärken - gleichermaßen nachfrage- und angebotsorientiert. Wir beenden den
Unsinn, daß Angebotsorientierung gegen Nachfrageorientierung ausgespielt wird. Wir machen einen vernünftigen Mix zwischen einer steuerpolitischen Angebotsorientierung und einer Nachfrageorientierung, was ich Ihnen gleich beweisen werde.
({14})
Meine Damen und Herren, bei diesem Mix geht es
uns - das ist der Kernbestandteil unserer Steuerpolitik insbesondere darum, jenen Menschen, die jeden Tag in
die Fabriken, Verwaltungen und Dienstleistungszentren
gehen und ihre Arbeit tun, also den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern in Deutschland, von dem, was sie
brutto verdienen, netto mehr in der Tasche zu lassen.
Diese Aufgabe haben wir, und wir realisieren sie.
({15})
Wir realisieren sie Schritt für Schritt. Wir haben begonnen, den Eingangssteuersatz abzusenken, und wir
werden dies fortführen. Wir haben das steuerfreie Existenzminimum erhöht, und wir werden das fortführen.
Wir haben auch das Kindergeld erhöht. Der Fraktionsvorsitzende der SPD und auch der Kollege Schlauch haben darauf hingewiesen, daß es einer unglaublichen Anstrengung bedurft hat, das Kindergeld für das erste und
das zweite Kind innerhalb eines Jahres um 50 DM zu
erhöhen. Das nutzt den Familien, und das stärkt die
Nachfrage.
({16})
Die Entlastungen, die am 1. Januar 2000 eintreten
werden - gerade dann, wenn die Menschen sehen, was
sie mehr in der Tasche haben, werden wir noch Gelegenheit haben, über Steuerpolitik zu reden -, betreffen
insbesondere die durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land, jene
Menschen also, die es in Ihren 16 Regierungsjahren haben hinnehmen müssen, daß ihnen vom Brutto netto
immer weniger geblieben ist. Das wollten wir ändern,
und das haben wir geändert.
({17})
Was die Nachfrageseite angeht, haben Sie nun gesagt:
Ja, aber die Ökosteuer. Herr Glos, Herr Struck hat Ihnen schon vorgerechnet, daß Ihre Argumentation bezüglich der Preissteigerungen beim Tanken eine ökonomisch unsinnige und letztlich auch unmoralische ist,
weil Sie es ja besser wissen.
({18})
Sie wissen genau, daß, wie Herr Struck hier sehr deutlich gemacht hat, jenseits der Verantwortung der Bundesregierung der Preis je Barrel von 10 Dollar auf nunmehr 26 Dollar gestiegen ist. Das, meine Damen und
Herren, macht die Preissteigerungen an den Zapfsäulen
aus! Diese gefallen mir auch nicht; das ist gar keine Frage. Aber das sind die wirklichen Ursachen dafür. - Zu
ihrer Mineralölsteuerpolitik ist ja das Notwendige schon
gesagt worden.
({19})
Um eine Gruppe geht es mir besonders, nämlich um
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jeden Tag
erneut ihre Pflicht tun. Deren Einkommen wird durch
die Ökosteuer entlastet.
({20})
Diesen Zusammenhang gilt es immer wieder klarzumachen. Das Aufkommen aus der Ökosteuer wird zur Senkung der Lohnnebenkosten genutzt. Zum erstenmal
wird nicht nur darüber geredet, sondern die Lohnnebenkosten werden tatsächlich gesenkt, meine Damen und
Herren. Sie haben immer nur darüber geredet!
({21})
Die Lohnnebenkosten sinken, weil die Rentenversicherungsbeiträge nicht nur gleichbleiben, sondern sinken. Ich erinnere mich noch an eine Zeit, als wir noch
die Mehrheit im Bundesrat hatten und es hier im Bundestag eine andere Mehrheit gab. Damals ging es nicht
etwa um die Frage, wie man erreicht, daß die Rentenbeiträge sinken. Solche ehrgeizigen Ziele hatten Sie gar
nicht. Sie wollten nur verhindern, daß die Rentenbeiträge auf 21 Prozent steigen. Ich erinnere mich ganz genau.
Sie haben seinerzeit gefragt: Können wir nicht, damit
die Rentenbeiträge nicht so hoch steigen, mir Ihrer Zustimmung die Mehrwertsteuer um ein Prozent erhöhen?
Wir haben das gemacht. Sie haben das dann übrigens,
wie ich mich erinnere, als großen Erfolg verkauft, meine
Damen und Herren. Das war ein bißchen dreist, meine
ich. Nun gut, so sind Sie eben.
({22})
Ich sage Ihnen: Die Politik dieser Koalition erschöpft
sich nicht in der Forderung, die Rentenbeiträge dürften
nicht mehr steigen.
({23})
Wir haben vielmehr dafür gesorgt, daß sie zum erstenmal sinken. Das ist unser Erfolg. Das ist der Erfolg der
Koalition.
({24})
Was bedeutet das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Jeder, der uns zusieht und zuhört, weiß, daß
die Rentenversicherungsbeiträge, daß die Sozialversicherungsbeiträge je zur Hälfte von den Unternehmen
und den Arbeitnehmern aufgebracht werden. Eine Senkung um einen Prozentpunkt bedeutet natürlich, daß die
Arbeitnehmer entlastet werden, und zwar zusätzlich zu
dem, was wir steuerlich gemacht haben. Das ist der Erfolg unserer Politik.
Im übrigen sage ich noch einmal: Die Senkung der
Beiträge stärkt die gesamtvolkswirtschaftliche Nachfrage und gibt damit der Binnenkonjunktur Aufschwung.
Das ist gewollt und Ziel unserer Politik, die auf Wachstum und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit setzt.
({25})
- Sagen Sie Ihren Zwischenruf doch noch einmal laut!
({26})
- Gut, darüber wollen wir uns einmal unterhalten. Die
Senkung stärkt insbesondere diejenigen, die als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Kosten, etwa für
das Autofahren, nicht substituieren können. Wir haben
ihnen gesagt: Ihr bekommt durch die Senkung der
Lohnnebenkosten mehr zurück, als ihr an Spritkosten
ausgeben müßt. Das ist der Zusammenhang.
({27})
- Natürlich ist das so! Hier wird eine Politik gemacht,
die sich zum erstenmal wieder an diejenigen wendet, die
in den Betrieben tatsächlich die Werte schaffen, von denen wir alle leben. Das ist eine Politik zu deren Gunsten,
und das ist gewollt. Unsere Bemühungen sind KernbeBundeskanzler Gerhard Schröder
standteil einer Politik, die insbesondere bei den Beschäftigten in den Betrieben und Verwaltungen ansetzt,
um zu erreichen, daß sie und nicht immer nur die anderen von ihrem Bruttolohn am Ende netto mehr übrig haben. Diese Politik werden wir fortsetzen; sie ist nämlich
vernünftig.
({28})
Ich hatte eingangs gesagt: Die Politik, die diese
Koalition macht, dient der Stärkung der Wachstumskräfte, um im nächsten Jahrhundert die objektive Möglichkeit zu behalten, über sozialen Ausgleich nicht nur
zu reden, sondern ihn auch zu finanzieren. Zwei Punkte,
die dazu dienen, habe ich genannt.
Ich will noch einen dritten Punkt nennen, der wirklich
schwierig umzusetzen ist. Es geht dabei um die Anpassung der sozialen Sicherungssysteme an völlig veränderte ökonomische Bedingungen. Dies ist speziell für
Sozialdemokraten eine schwierige Aufgabe, und zwar
deswegen, weil sie mit diesem Thema natürlich besonders vertraut sind und man in diesem Punkt speziell auf
sie sieht. Das ist gar keine Frage.
Aber es führt kein Weg daran vorbei. Es geht hier
nicht um Abbau, sondern um einen vernünftigen Umbau
der sozialen Sicherungssysteme in einer Weise, daß sie
für die Jungen und Aktiven bezahlbar bleiben und für
die Älteren sowie für die Kranken und die Arbeitslosen,
die darauf angewiesen sind, hinreichende Sicherheit
bieten.
({29})
Das ist die Aufgabe, die wir haben. Wie wir sie umsetzen, möchte ich Ihnen an zwei Bereichen klarmachen.
Der eine Bereich ist die Rente. Es ist doch so, daß
wir den jungen Leuten in unserem Lande nicht gut sagen
können: Die Beitragssätze steigen uferlos - wenn es so
weitergegangen wäre, wie Sie es 16 Jahre lang gemacht
haben, bis zu 26 Prozent -,
({30})
und die Leistungen werden immer geringer. Das macht
doch der aktive Teil der Bevölkerung nicht mit. Wenn
man eine solche Politik tatsächlich betreibt, betreibt man
die Spaltung der Gesellschaft in Alt und Jung. Das darf
um Gottes willen nicht sein.
({31})
Von der bitteren Situation belehrt, haben wir deshalb
gesagt: Wir verlangen von den älteren Menschen einen
Solidarbeitrag.
({32})
Der Solidarbeitrag besteht darin, daß die Rente in den
nächsten zwei Jahren nur um den Kaufkraftausgleich erhöht wird.
({33})
- Das ist unanständig? Sie, Herr Austermann, haben in
den letzten 20 Jahren doch noch nicht einmal das hinbekommen!
({34})
Die Leute in der Opposition, die in den letzten 20 Jahren
die überwiegende Zeit nicht einmal den Kaufkraftausgleich an die Rentnerinnen und Rentner gegeben haben,
({35})
verhalten sich jetzt wie die Biedermänner. In Wirklichkeit sind sie aber die Brandstifter an den Rentenkassen!
({36})
Wir schaffen mit dieser Maßnahme die Grundlage dafür, ein Rentensystem zu entwickeln, das die Jungen bezahlen können und das den Alten hinreichend Sicherheit
gibt. Ich habe mich darüber gefreut, daß Kollege Schäuble, dem ich von hier aus von Herzen gute Besserung
wünsche,
({37})
gesagt hat: Ich akzeptiere das. - Wir sprechen jetzt mit
der Oppositionspartei über die mittel- und langfristige
Sicherung der Rentensysteme. Das ist auch in Ordnung
so.
In Ordnung ist auch, daß wir die Basis dafür geschaffen haben - wir haben dafür die Prügel bekommen; das
ist gar keine Frage -, an die Erarbeitung eines vernünftigen Konzeptes der mittel- und langfristigen Sicherung herangehen zu können. Diese Basis ist geschaffen
worden, und sie darf nicht wieder in Frage gestellt werden.
({38})
Das wäre nicht vernünftig. Auf dieser Basis sprechen
wir. Wenn wir es hinbekommen, gemeinsam ein Rentenkonzept zu entwickeln, das für die Jungen bezahlbar
und für die Alten hinreichend sicher ist, dann werden
alle etwas davon haben, und die deutsche Politik insgesamt wird etwas davon haben.
({39})
Ich will ein weiteres Beispiel anführen. Die Arbeitsmarktpolitik, die wir machen, unterstützt den Kurs, den
wir zur Sicherung der Wirtschaftskraft und zum Abbau
von Arbeitslosigkeit eingeleitet haben. Wir alle wissen
doch, daß man im Osten unseres Landes noch sehr lange
darauf angewiesen sein wird, daß den Menschen, statt
sie arbeitslos zu lassen, auf dem zweiten Arbeitsmarkt
bezahlte Arbeit gegeben wird. Wir wissen doch, daß das
noch sehr lange unsere Aufgabe sein wird. Dies ist leider so; aber wir müssen es doch tun.
Wir sind diejenigen, die daraus keine wahlpropagandistischen Geschichten gemacht haben. Früher wurden
sechs Monate vor einer Bundestagswahl die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verstärkt und einen Monat danach wieder reduziert.
({40})
So kommen doch die Unterschiede in der jeweiligen
Arbeitsmarktbilanz zustande.
Wir haben damit ein Ende gemacht. Denn wir haben
diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verstetigt. Wir
haben in diesem Bereich in dem vorliegenden Haushalt,
verglichen mit dem von 1999, 700 Millionen DM draufgelegt, nachdem wir schon vorher 6 Milliarden DM
mehr ausgegeben hatten. Das nenne ich aktive Arbeitsmarktpolitik. Die hilft den Menschen, zumal jenen im
Osten, und sie soll ihnen auch helfen. Das ist unsere
Aufgabe.
({41})
Es ist ja nun keineswegs so, daß wir im System nichts
geändert hätten. Wer sich das genau anschaut, wird feststellen - die Bewältigung dieser Aufgabe wird weiterverfolgt werden müssen -, daß wir im Bereich der Arbeitsmarktmaßnahmen langsam von ausschließlichen
Betreuungsansätzen, von Ansätzen, die alimentieren,
wegkommen hin zu dem, was wir „aktivierenden Sozialstaat“ nennen, nämlich dazu, die Menschen mehr und
mehr zu befähigen, auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder
die Chance zu ergreifen, die sich ihnen dort bietet. Wir
setzen sehr stark auf Qualifizierung derjenigen, die länger keine Arbeit gehabt haben. Denn deren Qualifikationsdefizite sind die eigentlichen Barrieren für den Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt. Diese Barrieren zu beseitigen ist Aufgabe einer modernen, einer fortschrittlichen und einer vernünftigen Arbeitsmarktpolitik.
({42})
Mir liegt sehr viel daran, den Zusammenhang begreifbar zu machen, der zwischen dem Kurs, den wir in
Deutschland einschlagen wollen, nämlich dem, Wachstumskräfte zu stärken, um eine soziale Ausgewogenheit
realisieren zu können, dem Zukunftsprogramm, das wir
in der letzten Woche beschlossen haben, und dem Haushalt 2000 besteht, den wir in dieser Woche beschließen
werden. Dieser Zusammenhang ist nicht auflösbar. Wer
das eine will, muß auch das andere - sowohl hier im
Deutschen Bundestag als auch im Bundesrat - wollen.
Dafür werden wir werben.
({43})
Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund eine Bemerkung zu einer aktuellen Problematik machen. Ich
meine die Situation bei Holzmann. Erstens werde ich
natürlich, bevor ich heute abend mit den Bankenvertretern spreche, mit Frau Roth und Herrn Koch sprechen.
Warum denn nicht? Es würde doch niemand verstehen,
wenn wir bei dem schwierigen Versuch, diesen nach
meiner Bewertung - sie kann nur eine vorläufige sein;
denn mir stehen nicht alle erforderlichen Informationen
zur Verfügung - sanierungsfähigen Konzern zu retten,
in einen parteipolitischen Streit verfallen würden. Das
wäre doch verrückt.
({44})
Nicht nur ich, sondern auch andere glauben, daß dieser
Konzern, so wie er ist, sanierungsfähig ist und nicht zerschlagen werden muß, damit vielleicht für die einzelnen
Betriebsteile Erwerber gefunden werden können. Das ist
die Ausgangsposition.
Zweitens. Natürlich müssen Banken betriebswirtschaftlich denken, rechnen und agieren. Das ist gar keine Frage; das wird niemals bestritten werden. Wenn man
aber über die Jahre Geschäfte mit einem großen Konzern gemacht, ihm Kredite zur Verfügung gestellt und
daran verdient hat - das ist okay - und wenn man wichtige Aufgaben in dem Aufsichtsrat dieses Konzerns
wahrnimmt, dann erwächst daraus, so glaube ich,
eine Verpflichtung, die über betriebswirtschaftliche
Gesichtspunkte hinausgeht.
({45})
Ich möchte diejenigen, die dort agieren, über ihre betriebswirtschaftliche Verantwortung hinaus, die sie tragen und die man ihnen nicht abnehmen kann und sollte,
daran erinnern, daß sie als große ökonomische Einheiten, als Mitglied im Aufsichtsrat und als Kreditgeber, in
volkswirtschaftlicher Hinsicht auch die Verantwortung
haben, sich am Versuch, diesen Konzern zusammenzuhalten, zu beteiligen.
Ich möchte nicht, daß in dieser Zeit, in der wir gerade
Boden unter den Füßen bekommen, was die konjunkturelle Entwicklung angeht, Arbeitsplätze gefährdet werden, nicht nur die 17 000 Stellen bei Holzmann selber,
sondern auch - das muß uns alle bedrücken; denn das
betrifft jeden Wahlkreis - die Arbeitsplätze in all den
kleinen und mittleren Handwerksbetrieben, die als Subunternehmer, manchmal nur als Sub-Subunternehmer,
Material geliefert haben und noch heute auf ihr Geld
warten.
({46})
Es geht doch auch um diese Menschen, meine Damen
und Herren.
({47})
Ich hoffe, daß ich es schaffen werde, den Vertretern
der großen Banken, der Kreditinstitute, all denen, die
heute zusammenkommen werden, klarzumachen, daß sie
zunächst eine Verantwortung gegenüber ihren Unternehmen, ihren Beschäftigten haben, daß die Verantwortung aber in dieser Situation noch darüber hinausgeht. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, daß das, was
am Modell Deutschland weltweit bewundert wird, nämlich daß man sich in Krisensituationen zusammenfindet
und gemeinsam, mit Wirtschaft und Politik, nach
Lösungen sucht, nicht verlorengegangen ist. Diese
Hoffnung habe ich nicht aufgegeben. Ganz im Gegenteil: Über Instrumente wie das „Bündnis für Arbeit“ will
ich dies wieder zum Kern des gesellschaftspolitischen
Agierens in Deutschland machen.
({48})
Das hat übrigens nichts mit verstärkter staatlicher
Intervention zu tun, was gelegentlich vorgebracht wird.
Das hat auch nichts mit - wie es andere schon wieder in
Kommentaren mutmaßen - Verstaatlichung zu tun.
Nein, es geht nicht um staatliche Intervention, schon gar
nicht um Verstaatlichung. Es geht um Verantwortung.
Und die darf auch, aber eben nicht nur bei der Politik
abgeladen werden, meine Damen und Herren!
({49})
Zu den Schwerpunkten, die wir vor dem Hintergrund
konsolidierter Haushalte und einer arbeitnehmerfreundlichen Steuerpolitik setzen wollen und setzen werden,
gehört auf der Angebotsseite die Unternehmenssteuerreform. Darüber ist hier schon viel gesagt worden; ich
will es deshalb kurz machen: Es geht uns darum, den
Unternehmen, weil sie Arbeits- und Ausbildungsplätze
schaffen, die Möglichkeit zu geben, angesichts der
zunehmenden Internationalisierung und Europäisierung
- dies betrifft auch die kleinen und mittleren Unternehmen - wettbewerbsfähig zu bleiben. Das ist der Kern
dessen, was wir wollen. Wir tun dies der Beschäftigung
wegen und nicht wegen der blauen Augen irgendwelcher
Leute.
({50})
Im Rahmen der Unternehmenssteuerreform werden
wir dafür sorgen, daß nach der Entlastung des Mittelstands um 6 Milliarden DM in der ersten Stufe nun
weitere Entlastungen in Höhe von netto 8 Milliarden
DM hinzukommen. Das ist praktizierte Mittelstandspolitik und nicht nur Gerede.
({51})
Der dritte Schritt um den es uns geht - das hängt mit
dem Haushalt und den Haushaltsbegleitgesetzen zusammen -, betrifft die Schwerpunkte, die wir für das
nächste Jahrhundert setzen wollen und setzen müssen.
({52})
- Es beginnt nun mal demnächst. - Wir müssen diese
Schwerpunkte vor allen Dingen setzen, um nicht nur eine
Basis für privates Wachstum zu haben, sondern auch,
um das private Wachstum in geeigneter Weise zu unterstützen. Deshalb haben wir bei aller Haushaltsenge den
Schwerpunkt gesetzt, mehr in Bildung und Wissenschaft zu investieren. Wir haben das nicht nur beredet
- Rezzo Schlauch hat recht -, sondern wir haben es auch
getan, und wir werden es weiter tun, meine Damen und
Herren.
({53})
Qualifikationen zu vermitteln läuft über diesen Weg.
Qualifikationen vermitteln, in die Köpfe unserer Menschen investieren, das ist das eigentliche Zukunftsprogramm, das wir brauchen und das Rotgrün angepackt hat
und weiterführen wird.
({54})
Dabei setzen wir nicht nur auf ein Mehr an staatlichen Ausgaben. Nein, in der Initiative Deutschland 21
haben wir uns zusammengetan mit jenen Unternehmen,
die als Hard- und Softwareproduzenten in den Informations- und Kommunikationstechnologien Deutschlands
tätig sind. Das ist die gesellschaftliche Begleitung für
das, was wir für Bildungs- und Forschungspolitik machen. Diese gesellschaftliche Begleitung ist wichtig,
meine Damen und Herren. Wir werden das erreichen,
weil wir vereinbart haben, daß wir in diesem Bereich die
Ausbildungsplatzkapazitäten von 14 000 auf 40 000 erhöhen. Wir wären heute in der Lage, wenn früher eine
ähnliche Politik gemacht worden wäre, die auf solche
Qualifikationen setzt, 70 000 Stellen in diesem Bereich
zu besetzen. Wir haben die Menschen dafür nicht, weil
sie nicht qualifiziert worden sind. Das ist auch Ihr
Versäumnis, meine Damen und Herren von der Opposition.
({55})
Ich hoffe, es ist deutlich geworden, daß wir nicht nur
auf das setzen, was wir kraftvoll und selbstbewußt - das
konnte man an den Reden der Vorsitzenden der Regierungsfraktionen spüren - im Deutschen Bundestag
durchsetzen. Nein es geht uns um die Herstellung eines
neuen Konsenses in der Gesellschaft. Das ist die
Begründung, die Legitimation für das „Bündnis für Arbeit“. Wir wollen das, was wir hier zu tun haben, bei
dem uns niemand die Verantwortung abnimmt, von den
verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen unterstützt
bekommen. Deshalb ist das „Bündnis für Arbeit“ so
wichtig. Deshalb werden wir es Schritt für Schritt zu einem Erfolg machen und uns nicht beirren lassen, wenn
der eine oder andere einmal droht oder kritisiert. Wir
wissen, daß wir dieses Bündnis brauchen, und wir werden es mittel- und langfristig zu einem Erfolg machen.
Daß man keine kurzfristigen Erfolge haben kann, kann
man in Holland studieren. Die haben 1982 angefangen
und sehr lange Zeit gebraucht, bis sie da waren, wo sie
heute sind.
({56})
Wir werden es schneller schaffen, aber wir werden beharrlich an unsrem Ziel festhalten müssen. Der eine oder
andere, der dabei droht und sagt, er komme nicht, wenn
nicht alles nach seiner Nase gehe, beirrt uns auf gar keinen Fall.
Eine weitere Bemerkung, meine Damen und Herren.
Ich habe gesagt, wir wollen im Innern stark sein. Stark
sind wir nur, wenn wir wirtschaftlich stark sind und sozial gerecht agieren. Das gehört zusammen. Und nach
außen wollen wir verläßliche und solidarische Partner
sein. Wir waren es, die Deutschen, unter deren Präsidentschaft in Köln zum ersten Mal die größte Entschuldungsaktion für die leidenden Staaten der dritten Welt
gemacht worden ist, die je in Deutschland gemacht
wurde.
({57})
Wir sind es, die immer wieder sagen: nicht „kontrolletti“. Aber mehr Transparenz, eine bessere Einbeziehung des privaten Sektors im internationalen Finanzgebaren ist schon notwendig. Es kann nicht so weitergehen, daß durch Finanzspekulationen ganze Volkswirtschaften ruiniert werden, die dann - in die Enge getrieben - saniert werden müssen aus Beiträgen, die nicht
zuletzt auch Deutschland in die internationalen Finanzorganisationen einzahlt. Also wir brauchen hier mehr
Transparenz, eine bessere Einbeziehung des privaten
Sektors. Das bleibt richtig, wichtig und wahr, auch wenn
andere das schon vor mir gesagt haben.
({58})
Ich denke, genauso klar wird langsam, daß das, was
wir europapolitisch gemacht haben - das hat ja hier zu
„wilden“ Diskussionen geführt; daran erinnere ich mich
schon -, das, was wir hier in Berlin mit der Agenda
2000 zustande gebracht haben, nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa ein wirklicher Durchbruch gewesen ist, und das in mehrfacher Hinsicht.
({59})
Es gibt - das sage ich all denjenigen, die sich wenig
sachkundig über die Erweiterung der EU äußern - keinen Erweiterungsprozeß ohne eine materielle Basis, und
die ist mit der Agenda 2000 unter deutscher Präsidentschaft gelegt worden.
({60})
Abgesehen von den gewaltigen Staatsmännern vom
Schlage eines Herrn Haussmann wird das übrigens von
allen anerkannt. Das ist inzwischen überhaupt keine
Frage mehr.
Daß es da noch ein bißchen hapert, sehe ich durchaus.
Aber auch diejenigen, um die es sich handelt, werden
bald erkennen: Ohne die materielle Basis, die wir mit
der Agenda 2000 für Europa beschlossen haben, wäre es
wirklich schwierig, in Helsinki hinzubekommen, daß
Europa mit Blick auf den Beitritt der beitrittswilligen
Länder sagt: Wir wollen zu dem Zeitpunkt, in dem ihr
beitreten wollt, nämlich 2003, so weit sein, daß wir euch
auch aufnehmen können. Dem dient das, was jetzt in einer Regierungskonferenz vorbereitet wird, nämlich die
institutionelle Reform; dem dient, was wir in Tampere
beschlossen haben, nämlich Rechtsvereinheitlichung
herzustellen, so daß wir Europa nicht nur zu einem Ort
werden lassen, wo es einen Markt gibt, wo ökonomisch
interagiert wird. Nein, Europa muß auch ein Ort - wie
wir es genannt haben - des Rechts und der Freiheit werden. Wir werden ferner die institutionelle Reform so
vorantreiben, daß wir in der Lage sind, die Staaten, die
jetzt vor der Tür stehen, aufzunehmen; das geht aber
nur, wenn wir diese Reform durchführen.
Ich will noch einmal auf die Agenda zurückkommen
und dazu noch einen Satz sagen. Inzwischen ist klar, daß
das, was wir immer gesagt haben, daß wir nämlich
Schritt für Schritt die Lasten Deutschlands auf ein vernünftiges Maß bringen werden, erreicht worden ist.
({61})
In einer Größenordnung zwischen 8 und 12 Milliarden
DM - nach den Berechnungen europäischer Institutionen; ich bleibe deswegen etwas vage, weil ich nachprüfen muß, ob sie richtig gerechnet haben ({62})
werden sich die deutschen Beiträge im Finanzierungszeitraum verringern. Ich erinnere mich noch an hier geführte Debatten, in denen man das entweder nicht glauben wollte oder es besser wußte, aber die Unwahrheit
gesagt hat.
({63})
- So ist das.
({64})
aber ich ziehe einen Strich darunter, meine Damen und
Herren.
Mit den Haushaltsbegleitgesetzen, die in der letzten
Sitzungswoche beschlossen worden sind, mit dem Zukunftsprogramm, das in einer unerhörten Kraftanstrengung der Koalition - das räume ich doch ein; wieso
sollte ich das nicht tun? - beschlossen worden ist, mit
dem, was jetzt für den Bereich des Haushalts beschlossen werden wird, und mit der Kontinuität, mit der wir das
umsetzen werden, wird es uns gelingen, die Wachstumskräfte in Deutschland zu stärken und uns objektiv die
Möglichkeit zu verschaffen, auch im nächsten Jahrhundert Garanten für soziale Gerechtigkeit zu sein. Damit
verschaffen wir uns zugleich die Möglichkeit, daß wir
nach außen zuverlässige und solidarische Partner sind.
Insofern unterstreiche ich das, was Rezzo Schlauch gesagt hat: ein wirklich guter Tag für Deutschland!
({65})
Jetzt spricht
der Abgeordnete Volker Rühe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Bundeskanzler, auch die Gratulation des
Kollegen Struck hat nichts daran geändert - auch wenn
Sie sagen: Das ist ein guter Tag für Deutschland -: Das
war ein verlorenes Jahr für Deutschland.
({0})
Sie haben hier über viele Absichtserklärungen gesprochen und davon, die Wachstumskräfte stärken zu
wollen. Aber wenn man sich dieses Jahr ansieht, in dem
Sie Verantwortung in Deutschland getragen haben, dann
paßt - Sie haben übrigens eine sehr selektive Art, sich
mit Sachverständigengutachten zu beschäftigen; ich
komme darauf gleich noch zurück - als Überschrift für
Ihre Politik des vergangenen Jahres nur - sei es bei der
Neuregelung der 630-Mark-Jobs, sei es bei der Regelung zur Scheinselbständigkeit, sei es vor allem wegen
Ihrer Unfähigkeit, eine große Steuerreform auf den Weg
zu bringen: Verhinderung von Wachstum in Deutschland.
({1})
Ich komme gleich noch auf die Schuldensituation zu
sprechen. Sie verweisen immer darauf, eine Erblast
übernommen zu haben, also politische Rahmenbedingungen, die uns heute Schwierigkeiten machen. Dazu
muß ich Ihnen sagen: Die Erblast, mit der wir es wirklich zu tun haben, besteht darin, daß Sie die große Steuerreform 1996/97/98 blockiert haben.
({2})
Wir könnten in Deutschland heute sehr viel weiter und
in Europa der Wachstumsmotor sein, wenn es nicht Ihre
Blockade der großen Steuerreform gegeben hätte.
({3})
Wenn Sie Wachstum wollen, dann frage ich mich, wie
es denn um Ihre Fähigkeit, wenigstens in dieser Legislaturperiode eine große Steuerreform zu machen, bestellt
ist. Herr Kollege Struck, Sie haben das doch im Sommer
großspurig angekündigt. Jetzt ist dieses Vorhaben wieder auf die nächste Legislaturperiode verschoben worden. Nein, Sie haben es nicht verstanden, bessere Bedingungen für Wachstum in Deutschland zu schaffen.
({4})
Herr Bundeskanzler, ich werde nachher noch zu unserem Angebot sprechen,
({5})
die notwendige Rentenreform auf die breiten Schultern
der Volksparteien zu stellen. Denn ich glaube, das
schulden wir den Menschen in diesem Lande.
({6})
Aber jemand, der den Rentnerinnen und Rentnern im
Wahlkampf die Unwahrheit über die Situation in der
Rentenversicherung gesagt hat, der sollte sich zurückhalten mit Formulierungen wie „Biedermann“ oder
„Brandstifter“.
({7})
Sie haben dann später gesagt, Sie hätten sich im Hinblick auf die finanzielle Situation der Rentenversicherung geirrt. Herr Bundeskanzler Schröder, Sie haben
natürlich auch im Wahlkampf schon sehr genau gewußt,
daß unsere moderate Rentenreform notwendig war, um
den Generationenvertrag auf eine neue Grundlage zu
stellen.
({8})
Herr Bundeskanzler, Sie haben eben gesagt, in diesem Monat sei die Arbeitslosenzahl zum erstenmal unter 4 Millionen gesunken. Ich muß Ihnen sagen: Gott sei
dank hatten wir das schon im Oktober letzten Jahres erreicht.
({9})
Im letzten Jahr konnte die Arbeitslosenzahl netto - und
das nicht in erster Linie aus demographischen Gründen
- um 400 000 zurückgeführt werden. Ich fand das eine
großartige Leistung. Danach sind die Arbeitslosenzahlen
wieder angestiegen - wegen der verfehlten Wachstumspolitik, die die rotgrüne Regierung hier betrieben hat.
({10})
Wenn Sie sich auf das Gutachten der Sachverständigen berufen, dann sollten Sie auch die ganze Wahrheit
sagen, Herr Bundeskanzler. In diesem Gutachten können
Sie nachlesen, daß nur 8 000 Arbeitsplätze zusätzlich
auf Grund Ihrer Wirtschaftspolitik entstanden sind und
der andere Teil der Verbesserung der Statistik demographische Gründe hat, also darauf zurückgeht, daß mehr
ältere Menschen ausscheiden, als Junge nachkommen.
Das ist die Wahrheit, und an der sollten Sie nicht vorbeigehen.
Übrigens würde ich jetzt nicht über SchleswigHolstein sprechen, wenn Sie, Herr Schlauch, nicht damit
angefangen hätten. Wenn Sie beklagen, daß wir bis zu
100 000 zusätzliche Arbeitsplätze haben könnten, wenn
wir die für hochtechnologische Arbeitsplätze entsprechend qualifizierten Menschen - im Norden gibt es insofern besondere Probleme - hätten, dann muß ich Sie fragen, wo die Jungen und Mädchen denn qualifiziert werden. Doch in den Schulen und Hochschulen dieses Landes! Wer trägt denn dort die Verantwortung?
({11})
Tatsache ist: Überall dort, wo die Union die Kultusminister stellt, ist mehr Vorsorge für die Zukunft getroffen worden und gibt es eine bessere Ausbildung. In diesem Bereich gibt es einen Nord-Süd-Konflikt.
({12})
Sie können doch nicht beklagen, daß es zu wenige junge
Leute gibt, die für diese Arbeitsplätze qualifiziert sind,
wenn Sie selbst mit Ihren Parteifreunden in den Ländern
nicht dafür sorgen, daß die entsprechenden Modernisierungen des Bildungssystems endlich durchgesetzt
werden. Die Innovationen im Hochschulwesen werden
mit dem Süden Deutschlands verbunden. Aber, Herr
Schlauch, das wollen wir in Schleswig-Holstein ändern,
damit im Norden ein Leuchtfeuer entsteht!
({13})
Die Politik von Rotgrün im letzten Jahr ist eine Politik der ständigen Kehrtwendungen.
({14})
- Aus Ihrer Sicht vielleicht. Ich darf aber einmal aus
dem „Independent“ zitieren, der ja nun eine angesehene
englischsprachige Zeitung ist. Dort heißt es: „Kanzler
Schröder hat in diesem Jahr schon mehr Kehrtwendungen vollzogen als ein Berliner Taxifahrer in seinem ganzen Leben.“
({15})
Was haben Sie nicht schon alles vertreten, Herr Bundeskanzler! Sie haben mit der Lafontaineschen Politik der
Ankurbelung der Konsumnachfrage angefangen. Das
war ein mit ca. 30 Milliarden DM Defizit finanziertes
Konjunkturprogramm à la Keynes.
({16})
- Ich habe die Faktoren genannt, durch die das
Wachstum gefährdet worden ist.
Zu Herrn Eichel muß man sagen: In Wirklichkeit ist
er die Antwort auf Lafontaine und nicht auf Waigel und
Stoltenberg. Das ist noch eine andere Klasse.
({17})
Aber im Vergleich zu Lafontaine gibt es natürlich einen
Kurswechsel. Niemand bestreitet die Notwendigkeit des
Sparens.
({18})
Aber, Herr Eichel, Sie sehen schon mit Unbehagen auf
den Parteitag der SPD. Ich glaube, Sie fühlen sich hier in der Gesellschaft von uns im Deutschen Bundestag viel wohler.
({19})
- Warten Sie einmal ab! - Mit großem Unbehagen
schauen Sie auf den Parteitag der SPD. Denn Ihr Kanzler - noch einmal: mehr Kehrtwendungen als ein Berliner Taxifahrer in seinem gesamten Leben - ist längst
dabei, schon wieder eine Kurve zu ziehen, und zwar in
Richtung Neidsteuer. Er hat ja schon entsprechende
Vorschläge gemacht. Das ist doch wieder eine Kehrtwende.
({20})
Deswegen sage ich: Die Menschen im Lande haben das
richtige Gespür. Es sind zwei Dinge, die man immer
wieder hört: Diese Regierung weiß nicht, was sie will!
Und: Die können das nicht! Das ist Ihre wahre Bilanz,
Herr Bundeskanzler.
({21})
Ein Politiker darf ja seine Meinung ändern.
({22})
Ich finde, er sollte sie sogar weiterentwickeln.
({23})
Jemand, der immer voller Stolz „Seit 30 Jahren bin ich
der Meinung, daß …“ sagt, ist vielleicht nicht intelligent
genug, auf Veränderungen zu reagieren. Man braucht
aber schon einen roten Faden
({24})
und ein klares Ziel. Deswegen muß ich Ihnen sagen:
Daß Ihnen das fehlt, das ist das Grundübel Ihrer Politik.
Herr Fischer, Sie sind das beste Beispiel. Welche
Kehrtwendungen haben Sie schon vollzogen! Dieser
Opportunismus der Grünen!
({25})
Michael Glos hat zu Recht gesagt, Sie blieben auch noch
an der Regierung, wenn fünf neue Atomkraftwerke gebaut werden würden. - Noch einmal: Ich hätte nicht
über Schleswig-Holstein gesprochen, wenn Herr
Schlauch das nicht netter Weise getan hätte.
({26})
Ich kann doch nichts dafür! - Die Grünen in SchleswigHolstein haben 20 Jahre lang dagegen gekämpft, daß
man in St. Peter-Ording mit dem Auto am Strand parken
kann. Jetzt haben sie entdeckt, daß sie noch die grünen
Autofahrer aus Pinneberg brauchen, und schon haben
sie das um 20 Jahre verlängert. Demnächst fordern sie
noch die Asphaltierung der Sandbank vor St. PeterOrding!
({27})
Das sind die Grünen: unberechenbar und opportunistisch, Herr Schlauch.
({28})
Der Kollege Fischer hat einmal die Wahrheit geschrieben, als er ausführte, sein Ziel sei es, daß die Grünen im Jahre 2002 eine Regierungspartei sind. Tragischerweise, Herr Fischer, regieren Sie schon jetzt, und
man kann merken, daß Ihre Programmatik nicht dazu
dient, einen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland
politisch zu führen. Die Menschen bezahlen die Rechnung Ihrer Politik.
({29})
Herr Bundeskanzler, wie sieht das Gutachten des
Sachverständigenrats tatsächlich aus? Ich möchte darVolker Rühe
aus vortragen, um zu zeigen, daß man als Bundeskanzler
mit einem Gutachten so nicht umgehen kann:
Zwar stärkt die Aufwärtsentwicklung der Weltwirtschaft, die die Folgen der Finanzkrisen weitgehend
überwunden hat, die außenwirtschaftlichen Antriebskräfte, doch gefährden Unsicherheiten über
den Kurs der Finanzpolitik
- damit sind Sie gemeint und über die anstehenden Lohnrunden eine nachhaltige Verstärkung der Binnenkonjunktur. Gute
und verläßliche Rahmenbedingungen, die für das
Investitionsverhalten der Unternehmen entscheidend sind, fehlen noch.
Das ist ein Auszug aus dem Gutachten des Sachverständigenrats. Das deckt sich völlig mit der Kritik der Union
an der Bundesregierung in diesem Bereich.
({30})
Meine Damen und Herren, worauf kommt es jetzt an?
Ich finde, wir sollten diese Debatte nutzen,
({31})
um über die Sache zu sprechen, damit wir politisch
wirklich vorankommen.
({32})
- Geben Sie sich keine Mühe, mich bringen Sie nicht aus
der Ruhe. - Das im Jahr 2000 zu erwartende Wachstum
muß stabilisiert und verstetigt werden. Unser Vorbild
sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Wachstumsdelle dieses Jahres ist durch Ihre Wirtschafts- und
Finanzpolitik verursacht worden und hätte vermieden
werden können; denn wir hatten bereits 1998 eine
Wachstumsrate von 2,2 Prozent - mit der Perspektive
eines kontinuierlichen Ansteigens bei entsprechenden
binnenwirtschaftlichen Signalen.
Ich sage Ihnen: Das, was geleistet werden muß, ist,
insbesondere noch in dieser Legislaturperiode zur Schaffung von mehr Wirtschaftsdynamik zu kommen. Herr
Eichel, Sparen ist die eine Seite, mehr Einnahmen des
Staates, mehr Wirtschaftsdynamik die andere: Das ist
die große Steuerreform, das ist die Rentenreform, und
das ist die Gesundheitsreform.
({33})
Diese Reformen dürfen nicht noch weiter verschoben
werden.
({34})
Wir wissen um unsere zusätzliche Stärke im Bundesrat,
({35})
und unsere Wähler würden es uns auf Dauer übelnehmen, wenn wir uns so verhalten würden, wie Lafontaine
und die Sozialdemokraten es mit ihrer Blockadepolitik
getan haben.
({36})
Sie würden uns das nie verzeihen.
({37})
Sie erwarten von uns, daß wir unsere Stärke nutzen, um
aus dem Bundesrat ein Schwungrad der deutschen Politik zu machen, damit es nicht drei weitere verlorene
Jahre für die Modernisierung Deutschlands geben wird.
Das ist die Frage, um die es geht.
({38})
Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Rede zur ersten Lesung dieses Haushalts und auch jetzt wieder über
die Schuldenlast und die Erblast gesprochen und ausgeführt, daß dies Ihnen die politische Gestaltung so
schwer macht. Wie ist es dann möglich, daß Sie noch
vor wenigen Tagen im Deutschen Bundestag, als es darum ging, das zu würdigen, was die Deutschen für die
Einheit in den letzten 10 Jahren erreicht haben, völlig zu
Recht zuerst die große Aufbauleistung der Menschen in
den neuen Bundesländern gewürdigt und dann ebenso
völlig zu Recht von der Solidarität der Westländer und
von den wichtigen öffentlichen Leistungen des Bundes
für den gemeinsamen Aufbau in Deutschland gesprochen haben? Es paßt doch nicht zusammen, wenn man
sich auf der einen Seite in der Debatte ständig darüber
beschwert, daß man sich in einer schwierigen Verschuldungssituation befindet, auf der anderen Seite aber weiß,
daß die größten Kosten im Zusammenhang mit der deutschen Einheit entstanden sind.
({39})
Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt: Natürlich war
es die SED-Herrschaft - das gilt es festzuhalten -, die
für den desolaten Zustand des Wirtschaftsraumes Ostdeutschland am Ende der 80er Jahre verantwortlich
gewesen ist. Darin und nirgendwo anders liegen die
wesentlichen Ursachen für die ökonomischen Folgen der
Vereinigung.
Ich muß Ihnen sagen: Sprache ist manchmal sehr verschleiernd. Wir alle sollten nicht davon sprechen, daß
das Kosten der deutschen Einheit sind, sondern sagen:
Das sind Folgekosten der SED. Das sind Folgekosten
der widernatürlichen Teilung Deutschlands, und die haben zu dieser Verschuldung geführt.
({40})
Wir haben diesen Preis bezahlt. Das war nicht leicht,
denn - das ist keine Frage - die deutsche Einigung war
eine Überraschung in der deutschen Geschichte. Sie sind
wirklich die letzten, die das bezweifeln sollten. Anders
sind Ihre Äußerungen nicht zu verstehen. Es gab zwar
keine Rücklagen für die Kosten der deutschen Einheit.
Ich muß allerdings auch sagen: Wenn Helmut Kohl und
Gerhard Stoltenberg - damals wußten sie allerdings
noch nicht, daß es so bald zur deutschen Wiedervereinigung kommen würde - nicht schon von 1982 bis 1989
die Konsolidierung der Staatsfinanzen in Deutschland
betrieben hätten, wären wir noch sehr viel schlechter gerüstet gewesen, die Einheit durchzusetzen.
({41})
Ich sage noch einmal: Die deutsche Einheit war eine
Überraschung. Es gab dafür keine Rücklagen. Deswegen
konnte die Finanzierung nur mit Krediten erfolgen. Ich
sage mit aller Deutlichkeit: Wir haben diesen Preis als
ein gern gebrachtes Opfer, als eine gute Investition in
Deutschland und in die gemeinsame Zukunft empfunden.
({42})
Wir haben dies übrigens auch als eine Investition in eine
gemeinsame Zukunft in einem europäischen Haus empfunden.
Lothar de Maizière - das will ich in diesem Zusammenhang hinzufügen - hat vor einigen Tagen gesagt, es
habe immer nur ein Ministerium für gesamtdeutsche
Fragen, aber nie eines für gesamtdeutsche Antworten
gegeben. Jetzt möchte ich Sie, Herr Bundeskanzler, in
Ihrer Eigenschaft als SPD-Politiker fragen: Was hätten
Sie denn gesagt, wenn wir in den 80er Jahren Rücklagen
für die deutsche Einheit gebildet oder ein Ministerium
für gesamtdeutsche Antworten geschaffen hätten? Wenn
man sich Ihre schon damals erteilte Absage an die deutsche Einheit in Erinnerung ruft, wird klar, wie absurd Ihr
Vorwurf in dem Zusammenhang ist.
({43})
Das war auch damals schon im Bundestag so. Da
hätte ich wirklich erleben mögen, wie Sie, die Sozialdemokraten, dann, wenn die Regierung Kohl zwischen
1982 und 1989 angefangen hätte, Rücklagen für die
deutsche Einheit zu bilden, auf die Barrikaden gestiegen
wären. Deswegen sage ich Ihnen: Seien Sie ruhig, wenn
es darum geht, daß wir diese Zukunftsinvestitionen getätigt haben.
({44})
- Wenn das Protokoll die augenblickliche Situation
richtig wiedergibt, muß darin stehen: Erhöhte Aufgeregtheit bei der SPD; dies nur als kleiner Hinweis.
Es ist völlig in Ordnung, Herr Eichel, daß man ganz
nüchtern beschreibt, welche Konsequenzen diese hohe
Verschuldung hat. Hier bin ich voll auf Ihrer Seite. Was
aber nicht hingenommen werden kann, sind die Degenerierung und die Instrumentalisierung dieses Prozesses,
wie Sie das betreiben. Was Sie machen, ist folgendes:
Sie verschweigen, daß das im wesentlichen Kosten für
die deutsche Einheit sind. Um zu begründen, warum Sie
einen Kurswechsel zu vollziehen haben, bilden Sie diese
Erblastlegende. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen
lassen.
({45})
Herr Kollege
Rühe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Büttner?
Bitte.
Herr Rühe, Sie
haben gerade erklärt, daß die Kosten der Wiedervereinigung einen erheblichen Teil der Schulden ausmachen,
die wir jetzt abzutragen haben. Würden Sie mir auch
darin zustimmen, daß Sie 1990 die Bevölkerung in
Deutschland belogen haben, indem Sie gesagt haben, die
Kosten der Wiedervereinigung seien praktisch aus der
Portokasse zu bezahlen?
Nein, darin würde ich Ihnen nicht zustimmen. Wir haben die Kosten unterschätzt; aber das ehrt uns.
({0})
- Natürlich haben wir die Kosten unterschätzt. Das ist
überhaupt keine Frage. Das ist auch keine Schande.
Aber wir haben die politische Kraft aufgebracht, eine
enorm große Summe in die deutsche Einheit zu investieren.
({1})
Jetzt sage ich Ihnen noch eines: Ich habe die Haushaltsberatungen der letzten Wochen intensiv verfolgt. So
manches Mal habe ich mich darüber geärgert, daß wir
jedesmal, wenn Sie diese Schuldenlastlegende gebildet
haben, nicht darauf geantwortet haben.
({2})
Intellektuell ist das auch nicht so befriedigend. Ich muß
einmal selbstkritisch sagen: Wir sind manchmal etwas
zu vornehm,
({3})
weil man davor zurückscheut, bestimmte Argumente
immer zu wiederholen.
Herr Bundeskanzler, eines verspreche ich Ihnen:
Wenn Sie weiterhin in dieser Weise über die Erblastlegende sprechen, dann werden Sie jedesmal eine entsprechende Antwort von uns bekommen, und dann wird
deutlich werden, daß, wer in dieser Weise über die zur
Überwindung der Teilung Deutschlands eingegangene
Verschuldung spricht, möglicherweise noch Erinnerungen an die Probleme hat, die er selbst mit der deutschen
Einheit gehabt hat.
({4})
Herr Kollege
Rühe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Urbaniak?
Bitte.
Herr Kollege Rühe, Sie sagten, Sie hätten die Kosten für die deutsche
Einheit unterschätzt. Sie werden mir sicherlich bestätigen können, daß Sie sich ein zweites Mal verschätzt
oder den Menschen etwas Unwahres gesagt haben, als
Sie ihnen „blühende Landschaften“ versprochen haben.
Was ist tatsächlich daraus geworden? Haben Sie nicht
Oskar Lafontaine, nachdem er auf die Schwierigkeiten
des Einheitsprozesses aufmerksam gemacht hatte, nach
Strich und Faden verurteilt?
Herr Kollege, zunächst
einmal gratuliere ich Ihnen zu dem Mut, aus den Reihen
der SPD heraus den Namen Oskar Lafontaine hier auszusprechen.
({0})
Ich hoffe, den Mut zu dieser Erfahrung finden Sie auch
auf dem Parteitag der SPD.
({1})
Herr Kollege
Urbaniak, wenn eine Frage beantwortet wird, dann müssen Sie stehen bleiben, bitte.
Sie sollen stehen bleiben,
um meinen Dank für die Erwähnung Lafontaines entgegenzunehmen.
({0})
Es gab kein Lehrbuch über die Herbeiführung der
deutschen Einheit. Ich möchte einmal wissen, wie sich
der Ministerpräsident von Niedersachsen geäußert hätte,
wenn wir in die Schulbücher gebracht hätten, wie man
die deutsche Einheit herbeiführt. In den Schulbüchern
stand nämlich überall, wie unterschiedlich die Menschen
in Ostdeutschland und in Westdeutschland sind und daß
sie niemals wieder zusammenleben können. Es gab kein
Rezept, wie man aus einem kommunistischen Land ein
Land mit sozialer Marktwirtschaft macht.
({1})
Deswegen - Herr Kollege, das wissen auch die Menschen draußen - gab es keine fertigen Rezepte. Für das
Stichwort „blühende Landschaften“ - diesen Beifall
sollten Sie ruhig noch stehend entgegennehmen - bin
ich Ihnen ausgesprochen dankbar.
({2})
Sie müssen
allerdings auch die Frage beantworten.
Sie sollten die Gelegenheit nutzen, von Berlin aus möglichst viel in die neuen
Bundesländer zu fahren. Natürlich muß in einer ganzen
Generation noch vieles getan werden. Wenn Sie mich
gefragt hätten, was dort in zehn Jahren geschaffen werden könnte, dann hätte ich Ihnen geantwortet, daß ich all
das, was an Investitionen und Modernisierungen im Zuge der deutschen Einheit geschehen ist, nicht für möglich gehalten hätte.
({0})
In diesem Zusammenhang - Helmut Kohl ist zu
Recht besonders gewürdigt worden - möchte ich einmal
ein Wort des Dankes an Theo Waigel richten. Er ist der
Finanzminister der deutschen Einheit.
({1})
Später war er auch der Finanzminister der europäischen
Einheit. Ich erinnere mich noch gut daran, welche Prophezeiungen es auch von Wirtschaftsgurus gegeben hat:
Wenn ihr diese Einheit herbeiführt, dann wird die Inflationsrate auf 10, 11 oder 12 Prozent steigen usw. Eichel
ist die Antwort auf Lafontaine, aber nicht auf Waigel.
Der ist eine andere Gewichtsklasse.
({2})
Herr Eichel, daß es nicht nur um Sparen, sondern
auch um Investieren geht, das hat auch Theo Waigel
immer deutlich gemacht. Übrigens, Sparen ist nicht Ihre
Erfindung. Wie hätten wir denn sonst die MaastrichtBedingungen erfüllen können?
({3})
Im Vergleich zu Lafontaine muß man anerkennen,
daß Sie niemand für das Sparen an sich schilt. Wir kritisieren zum Beispiel, daß vielfach bei Investitionen gespart wird. Der Bundeskanzler wird mir nach 20 Minuten Rede zustimmen, wenn ich behaupte, daß es für
Holzmann ganz gut gewesen wäre, wenn das EmsSperrwerk durch grüne Widerstände nicht blockiert
worden wäre. Dasselbe gilt für andere Investitionen.
({4})
Sparen und Investieren, das ist der Punkt. Der jetzige
Sparkurs ist rein fiskalisch orientiert.
({5})
- Für eine schwache Rede sind Sie aber ziemlich aufgeregt, Herr Kollege Poß.
({6})
Es ist unbestritten, daß für eine qualitative Konsolidierung die Initiativen notwendig sind, die ich angesprochen habe, allen voran eine Steuerreform.
({7})
Herr Bundeskanzler, liebe Kolleginnen und Kollegen,
lassen Sie mich noch ein Wort zur Rente sagen. Nach
meiner Meinung wäre es ein großer Fehler, wenn Sie im
Rahmen der politischen Auseinandersetzung das ungewöhnliche Angebot ausschlagen, das die Opposition Ihnen ungeachtet unserer unterschiedlichen Auffassungen
über Ihre willkürlichen Eingriffe in die Rentenversicherung in den letzten beiden Jahren gemacht hat. Wir sind
bereit, mit Ihnen auf höchster politischer Ebene über die
konkreten Probleme zu sprechen und in dieser Legislaturperiode Beschlüsse im Deutschen Bundestag zur
Sicherung der Sozialversicherungssysteme zu verabschieden. Ich möchte festhalten: Es geht um das Angebot einer Arbeitsgemeinschaft.
({8})
Der Vertrauensverlust ist riesig. Sie, Herr Bundeskanzler, werden registriert haben, wie völlig einheitlich
die junge Generation auf das Hin und Her um die Rente
mit 60 reagiert hat, die jungen Gewerkschaftsmitglieder,
die Mitglieder der Jungen Union, die Jungsozialisten
und die jungen Banker
({9})
- natürlich auch die jungen Liberalen; dies ist doch klar;
diese hatte ich in meiner Aufzählung indirekt schon
erwähnt, weil es überall Liberale gibt.
({10})
- Glückwunsch! Wir werden dafür sorgen, daß wir auch
in Schleswig-Holstein gemeinsam die Mehrheit haben.
({11})
- Ich habe Schleswig-Holstein nicht angeführt. - Dann
muß Ihnen klar sein, daß das Mißtrauen bezüglich der
Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme groß
ist. Ich glaube, die Aufgabe, dieses Mißtrauen abzubauen, läßt sich nur schultern, wenn sich neben den kleineren Parteien auch die beiden großen Volksparteien mit
allem Ernst um eine Vertrauensgrundlage für die
Zukunft bemühen. Dieses Angebot sollten Sie, Herr
Bundeskanzler, nicht leichtfertig ausschlagen.
({12})
Herr Struck, wir haben kein halbes Jahr verloren;
denn Sie haben unsere moderate Rentenreform rückgängig gemacht, weil sie Ihnen zu weit ging. Das, was Sie
jetzt machen, ist zum Teil nicht zustimmungspflichtig.
Wir haben Sie nicht daran hindern können, unsere
Reform rückgängig zu machen. Deshalb haben wir keine
Zeit verloren. Ich möchte nicht weiter über das rechten,
was Sie gemacht haben. Ich sage nur: Es ist hohe Zeit,
wenn wir eine Reform noch in dieser Legislaturperiode
schaffen wollen. Es wäre für die Demokratie und für
unseren Staat ungeheuer wichtig, daß wir hier vorankämen.
({13})
Ich möchte jetzt nichts zur Gesundheitsreform sagen,
obwohl dieses Thema sehr wichtig ist.
({14})
Mir bleibt nur übrig, das aufzugreifen, was Hans-Peter
Repnik gestern so wunderbar geschildert hat: Wenn die
Reform schon formal so schwach ist, daß im Gesetzestext von einem „maoistischen“ System gesprochen wird,
dann zeigt dies: Diese Reform ist gescheitert. Herr Bundeskanzler, wir brauchen einen Neuanfang in der Gesundheitspolitik! Wir sind bereit, darüber zu sprechen,
wie ein modernes Gesundheitssystem geschaffen werden
kann. Jeder könnte von einem solchen System profitieren, wenn er in eine schwierige gesundheitliche Situation gerät. Dies kann einem schneller passieren, als einem
lieb ist. Deswegen ist dies ein sehr ernstes Thema. Es
gibt kaum einen anderen Bereich in der Politik, von dem
die Menschen so existentiell betroffen sind. Deswegen
fordere ich: Kehren Sie von Ihrem falschen Weg ab!
Seien Sie bereit, das Gesundheitswesen so zu modernisieren, daß es dort mehr Selbstverantwortung, mehr
Eigenständigkeit und mehr Freiheit gibt. In einem solchen System darf es keine obrigkeitstaatliche Reglementierung mehr geben.
({15})
Lassen Sie mich zum Schluß noch einige Bemerkungen zur Außen- und Sicherheitspolitik machen. Ich
möchte mit der Bundeswehr beginnen. Als ehemaliger
Verteidigungsminister weiß ich aus eigener Erfahrung,
Herr Kollege Scharping, wie schwer das Amt ist. Deswegen respektiere ich meine Vorgänger und Nachfolger.
Dies ist eine gute Tradition der Verteidigungsminister
der Bundesrepublik Deutschland. Das beste für die
Streitkräfte ist, wenn sie die nötige Finanzierung und
Klarheit über den zukünftigen konzeptionellen Kurs
haben. In der rotgrünen Regierung scheint es keine
Mehrheit für eine solche finanzielle Ausstattung der
Bundeswehr zu geben. Ich bestreite gar nicht, daß Theo
Waigel und ich harte Auseinandersetzungen hatten. Du,
Theo, warst genauso für die Bundeswehr wie ich. Du
hattest nur ein anderes Amt inne. Aber am Ende unserer
Auseinandersetzungen stand immer eine berechenbare
Finanzplanung, die der Bundeswehr den Weg in die Zukunft ermöglicht hat.
({16})
Eines geht nicht: Wenn man der Bundeswehr schon
das Geld verweigert, dann darf man ihr nicht die Klarheit verweigern.
({17})
Woche für Woche, Monat für Monat geht Zeit für die
Bundeswehr verloren, sich auf die Zukunft einzustellen.
({18})
Deswegen sage ich Ihnen - fragen Sie die Soldaten -:
Das hat einen enormen Vertrauensverlust zur Folge, und
es hat schon zu viel Resignation geführt. Deswegen,
Herr Bundeskanzler, ist das ein Thema, das auch Sie angeht; denn die Bundeswehr ist nicht irgendeine Institution in unserem Staat. Wir alle haben ein großes Interesse
daran, daß sie für das 21. Jahrhundert zukunftssicher
gemacht wird.
({19})
Im übrigen, Herr Bundeskanzler, lieber Gerhard
Schröder:
({20})
Über die Rollenverteilung zwischen Ihnen und dem
Verteidigungsminister, wenn der Crash eingetreten ist,
dürfen Sie sich keine Illusionen machen. Er hat sehr feste Vorstellungen darüber, wo die Schurkenrolle liegt.
Er sieht sich in dieser Situation doch mehr als Robin
Hood und Sie so ein bißchen mehr als Sheriff von Nottingham. Ich glaube, es ist hohe Zeit, den Vertrauensverlust zu stoppen.
({21})
Sehen Sie, nach dem Kosovo-Krieg gab es doch eine
Chance für einen neuen Konsens für die Bundeswehr in
Deutschland. Das Verständnis der Menschen auch für
militärische Ausgaben ist gewachsen. Deswegen ist es
jetzt in Ihrer Verantwortung, die notwendigen finanziellen, aber auch die notwendigen konzeptionellen Entscheidungen zu treffen, damit wir Streitkräfte haben, die
den Herausforderungen der Zukunft gewachsen sind.
({22})
Was man nicht machen kann, ist folgendes: über
europäische Identität und von einer größeren Rolle der
Europäer gegenüber den Amerikanern zu sprechen, zu
Hause aber in dieser Weise zu versagen. Wir müssen
uns darauf vorbereiten, daß wir im 21. Jahrhundert ein
anderes Verhältnis zwischen den USA und Europa
haben werden. Ich denke, wir stimmen - bis auf wenige
Ausnahmen - vielleicht alle darin überein, daß wir die
Amerikaner auch im 21. Jahrhundert in Europa haben
wollen. Aber Sie werden nur in Europa bleiben, wenn
wir ein relevanter Partner sind, wenn wir ein strategisch
interessanter Partner sind,
({23})
wenn es eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen
Europa und Amerika gibt. Eine solche kann es nicht
geben, wenn in Deutschland in dieser Weise Sicherheitsstrukturen abgebaut werden. Darum geht es.
({24})
Wir werden auch im 21. Jahrhundert ungleiche
Fähigkeiten haben. Das will ich einmal einigen sagen,
die immer so tun, als ob es notwendig wäre, daß wir dieselben militärischen Fähigkeiten wie die Amerikaner
erwerben und dringend jeglichen technologischen Rückstand aufholen müßten. Nein, wir werden ungleiche militärische Fähigkeiten haben. Die Amerikaner sind eine
militärische Weltmacht.
({25})
Europa ist es nicht, sollte es im 21. Jahrhundert auch
nicht sein.
Aber die Arbeitsteilung - das hat es auch schon in
einigen Situationen im Kosovo-Krieg gegeben -, daß die
Amerikaner für den Krieg und die Europäer für Frieden
und seine Absicherung verantwortlich sind, funktioniert
nicht. Deswegen muß das größte Land in Europa, muß
Deutschland mit seiner Bundeswehr den Beitrag leisten,
der von uns zu Recht erwartet werden kann.
({26})
Herr Bundeskanzler, ich möchte mich in einer anderen Frage direkt an Sie wenden. Das ist der Punkt, der
von den Grünen, heute morgen aber auch von Herrn
Struck angesprochen worden ist, nämlich daß behauptet
wird, Entscheidungen der Organe dieses Staates - Bundeskanzler, Bundessicherheitsrat - zur Lieferung von
Waffen nach Saudi-Arabien seien käuflich gewesen.
Wenn das ein Herr Ströbele von den Grünen sagt, dann
ist das eine Sache. Aber wenn das der Fraktionsvorsitzende der Volkspartei SPD macht, dann muß ich Ihnen
sagen: Wenn es darum geht, das Ansehen dieses Staates
zu beschädigen, dann ist auch der Bundeskanzler und
der Parteivorsitzende der SPD gefordert, hier ein deutliches Wort zu sprechen.
({27})
Wir werden auch nicht zulassen, daß in einer unerträglichen Weise versucht wird, das Ansehen Ihres
Amtsvorgängers zu beschädigen, Herr Bundeskanzler.
Ich bin fest davon überzeugt
({28})
- jetzt lassen Sie mich das einmal sagen -, daß die von
Helmut Kohl im September 1990 vorgenommenen Weichenstellungen richtig gewesen sind. Wir haben mit
bestimmten Systemen nicht nur Israel und der Türkei
militärisch enorm geholfen, sondern auch den arabischen Opferstaaten des Iraks.
({29})
Diese Weichenstellungen waren richtig.
({30})
Ich bin auch davon überzeugt, daß der Bundessicherheitsrat die außen- und sicherheitspolitischen Interessen
der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen hat
und sonst gar nichts. Herr Bundeskanzler, ich wäre sehr
daran interessiert von Ihnen zu hören, wie Sie das Verhalten der Organe dieses Staates in einer so wichtigen
Frage einschätzen.
({31})
Das ist ganz wichtig.
({32})
Ich möchte hier auch eine persönliche Bemerkung anfügen. Ende Januar 1990, als der Golf-Krieg in seiner
heißen Phase war, bin ich in einer Delegation mit Bundesaußenminister Genscher und Bundesminister Spranger - wir haben uns eben noch einmal vergewissert und
glauben, es war am 25./26. Januar 1990 - in Jerusalem
und Tel Aviv gewesen.
({33})
Wir haben die Wirkung der eingeschlagenen Raketen
gesehen und mitbekommen, daß die Menschen in Tel
Aviv nicht in die Keller gegangen sind, weil die Sprengkraft der Raketen weniger gefährlich war als die möglicherweise von ihnen freigesetzten chemischen Kampfstoffe, sondern statt dessen die obersten Stockwerke
aufgesucht haben.
({34})
- Einen Moment, hören Sie doch einmal zu und vergegenwärtigen Sie sich, was für eine existentielle Bedrohung in der damaligen Situation bestand! - Als wir dann
bei einem offiziellen Abendessen mit den Israelis in Jerusalem zusammensaßen - Sie können sich das vom
Kollegen Genscher bestätigen lassen -, hatte jeder von
uns eine Gasmaske dabei. Während dieses Essens gab es
Alarm, die Warnung vor einem Angriff auf Jerusalem.
({35})
Wir haben das Essen verlassen und sind gemeinsam mit
unseren israelischen Gastgebern - ({36})
- Ich finde es schon ziemlich unerträglich, wie Sie darauf reagieren.
({37})
Am nächsten Morgen haben wir das Ergebnis der
Einschläge der Scud-Raketen gesehen. All das läßt sich
nachvollziehen. Sie können sich gerne die Bilder anschauen. Ebensolche Scud-Raketen sind auch auf SaudiArabien abgefeuert worden, dort aufgeschlagen und haben dort Menschen getötet. Hier hat - ich war damals
noch nicht Verteidigungsminister - unser Land seine
außen- und sicherheitspolitische Verantwortung wahrgenommen.
Streiten Sie über Parteienfinanzierung! Wir haben an
allererster Stelle Interesse an der Aufklärung - das wurde hier schon gesagt - und wollen, daß dieser Fall
schnell aufgeklärt wird. Im übrigen erinnere ich mich
auch noch an den Schmuddelwahlkampf in SchleswigHolstein, bei dem es Ausforschungen auch des persönlichen Bereiches durch sozialdemokratische Pressesprecher gab.
({38})
Ich hätte das unter anderen Umständen nicht angesprochen, aber ich lasse mir von Ihnen nichts gefallen, sondern erwarte, daß Sie mit Anstand verlieren, wenn die
Wähler in Schleswig-Holstein das so entscheiden.
({39})
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist sehr
wichtig, daß wir uns in dieser Haushaltsdebatte neben
den politischen Auseinandersetzungen immer bewußt
machen, welche Verantwortung wir für unseren Staat
tragen - jeder an seiner Stelle. Deshalb begrüße ich die
Bereitschaft, gemeinsam eine Rentenreform durchzuführen.
({40})
Lassen Sie uns hart über Politik streiten,
({41})
aber unfaire Angriffe werden auf die geschlossene Abwehr der Union stoßen. Das gilt insbesondere dann,
wenn Sie unseren Bundeskanzler Kohl angreifen. Darauf
können Sie sich verlassen.
({42})
Herr Kollege
Rühe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Ströbele?
Nein, denn ich komme
zum letzten Satz. - Es ist gar keine Frage, daß es harte
politische Auseinandersetzungen geben muß. Das nützt
auch der Demokratie.
({0})
Meine herzliche Bitte ist aber, dabei Anstand zu bewahren.
Ich habe noch in Erinnerung, wie Herr Ströbele und
seine Kollegen während des Golf-Krieges durch Berlin
gezogen sind und eine Blutspur gelegt haben. Ihre Parole lautete damals: „Blut für Benzin“. Herrn Außenminister Fischer, der leider gerade nicht da ist, möchte
ich sagen, daß die rechtliche Grundlage für das Eingreifen im Golf-Krieg besser war als die für das Eingreifen
im Kosovo. Dazu will ich aber nichts weiter sagen, da
auch ich letztlich ja dazu gesagt habe. Damals hat man
einen Staat von der Landkarte getilgt, nämlich Kuwait.
Daraufhin haben die Vereinten Nationen eingegriffen,
und auf dieser Grundlage ist gehandelt worden. Herr
Schlauch, Sie und Ihre Genossen
({1})
haben damals noch gesagt, das sei „Blut für Benzin“.
Dafür sollten Sie sich schämen.
({2})
Meine herzliche Bitte
({3})
ist, daß Sie sich noch einmal überlegen, welche Rolle
der Fraktionsvorsitzende Struck heute morgen gespielt
hat. Greifen Sie uns als Partei an; das ist normal. Wir
können uns verteidigen. Aber hören Sie auf, den Eindruck zu erwecken, als sei in unserem Staat eine
so schwerwiegende außenpolitische Entscheidung käuflich!
({4})
Leisten Sie Ihren Beitrag dazu, daß solche infamen Verdächtigungen zurückgewiesen werden!
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Antje Hermenau.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Volker Hase, der von nichts weiß, Sie haben
die Möglichkeit, zur Aufklärung der Sachverhalte, die
Sie angeschnitten haben, beizutragen, indem Sie erlauben, daß Herr Weyrauch aussagt.
({0})
Damit möchte ich aber die nostalgische Debatte über
Wehrertüchtigung und andere Fragen beenden und über
das reden, was Gegenstand der heutigen Debatte ist,
nämlich über den Bundeshaushalt.
({1})
Je mehr Sie solche Geschichten erzählen, je mehr Sie
daran erinnern, wie schön früher alles war, desto mehr
erwecken Sie in mir den Eindruck, wie sehr es Ihnen abgeht, daß Sie durch den Machtwechsel die Gestaltungshoheit auch in der Sache an uns haben abgeben müssen.
({2})
Der Ernüchterungsschock bei der CDU/CSU - auch
bei der F.D.P., dort aber weniger - wird in dem Moment
kommen, in dem die Mehrheiten, die Sie jetzt bei Kommunalwahlen in NRW und bei Landtagswahlen aufgebaut haben - Sie hoffen darauf auch, Herr Rühe -, Sie in
Ihren eigenen Reihen politisch ganz massiv unter Druck
setzen werden. Sie werden sich eine solche an der Sache
vorbeigeführte Rede über Bundesfinanzen in Zukunft
nicht mehr leisten können, weil Ihre eigene Basis Ihnen
die Hölle heiß macht, wenn Sie versuchen, mit solchen
Platitüden Bundespolitik zu gestalten.
({3})
Da das Thema der deutschen Einheit auf eine, wie ich
finde, nicht ganz zutreffende Art und Weise angesprochen worden ist, mache ich dazu ein paar kurze Ausführungen. Man kann leicht entlarven, wie falsch die Behauptung ist, daß sich Rotgrün den Herausforderungen
der deutschen Einheit nicht stellen würde. In den neuen Ländern ist in nächster Zeit keine einzige Wahl zu
erwarten: keine Bundestagswahl, keine Landtagswahl.
Trotzdem haben wir in Ostdeutschland finanzielle
Schwerpunkte gesetzt. Trotz eines 30-Milliarden-DMSparpaketes wird man hier ganz verstärkt in die wichtigen Zukunftsfelder investieren.
({4})
Wie sehr Sie falsch gelegen haben, können wir einmal aufdröseln. Herr Waigel wurde heute als der große
finanzpolitische Architekt der deutschen Einheit gelobt.
Sehen wir uns seine Kunst doch einmal an: 1993 waren
Sie, Herr Waigel, einer groben Fehleinschätzung unterlegen, als es um das Vorangehen zwar nicht der deutschen Einheit, aber der europäischen Einheit ging. Sie
haben maßgeblich Einfluß darauf genommen, welche
Kriterien für die Teilnahme an der europäischen Währungsunion festgelegt wurden. Sie selber haben beispielsweise hinsichtlich der Gesamtverschuldung davon
gesprochen, daß 60 vom Hundert des Bruttoinlandsprodukts eine leicht einzuhaltende Grenze sei. Damals war
das auch leicht versprochen. Da lag der Anteil noch bei
48 vom Hundert, da schien das ein leichtes Ziel. Auch
die 3-Prozent-Grenze bei der Neuverschuldung schien
sehr einfach zu erreichen. Und dann stellten Sie fest, daß
Ihnen alle Fehler, die Sie am Anfang gemacht haben, indem Sie die Kosten der deutschen Einheit nicht von
vornherein über die Steuerfinanzierung sichergestellt,
sondern versucht haben, sie über die Beitragsfinanzierung auf die Versicherungsträger abzuwälzen, auf die
Füße fielen. Schon drei Jahre später, 1996, fiel es Ihnen
unglaublich schwer, die von Ihnen mit aufgestellten
Maastricht-Kriterien tatsächlich zu erfüllen.
({5})
Wir sitzen jetzt mit dem ganzen Schlamassel da, und
haben ihn aufzuräumen, und zwar, wenn es geht, zügig.
Wir müssen uns in jede Richtung umschauen. Denn in
jeder Richtung liegt etwas Schweres, etwas Kompliziertes, das nicht gelöst ist. In unserer Fraktion kursiert
schon der Spruch von den drei V: Man möchte alles verschieben, man möchte alles verdrängen, man möchte
alles verleugnen.
({6})
So läuft das die ganze Zeit. Wir müssen das jetzt aufräumen. Das machen wir.
Hätte Schwarzgelb weiterregiert, hätten wir laut Ihrer
eigenen Finanzplanung im Jahre 2000 eine Nettoneuverschuldung von mindestens 54,5 Milliarden DM zu
verzeichnen. Wo steht Rotgrün? Bei 49,5 Milliarden
DM. Wir liegen glatt darunter.
({7})
Wie ist denn 1998 gelaufen? Darüber kann man jetzt
große Reden schwingen. Aber Sie haben fast 20 Milliarden DM an Privatisierungserlösen hineinbuttern müssen,
um den Haushalt überhaupt aufstellen zu können,
({8})
während wir jetzt auf lächerliche 3,5 Milliarden DM
sehen. Übrigens wird alles, was aus diesen Privatisierungserlösen kommt, in die Tilgung der Schulden gehen
und nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet
werden, so wie Sie das gemacht haben.
({9})
Es war zu schaffen, einen verfassungsgemäßen Haushalt aufzustellen. Es war möglich, den Stabilitätspakt in
Europa einzuhalten. Dies war also nicht, wie Sie immer
behauptet haben, ein Ding der Unmöglichkeit. Aber es
war auch nicht, wie es der Kollege Rexrodt gestern sagte, ein Routinehaushalt. Das kann man nun wirklich
nicht sagen. Die Anstrengungen, die unternommen werden mußten, waren enorm. Sie haben sich auf der innenpolitischen Debatte ausgeruht, die natürlich im Gefolge
dieser Kraftanstrengungen geführt wurde.
Ich sage es Ihnen noch einmal: Trotz der guten Wahlergebnisse, auf denen Sie sich jetzt ausruhen, werden
Sie davon eingeholt, daß Ihnen seitens der Länder und
von kommunaler Seite die Hölle heiß gemacht wird,
wenn Sie versuchen, einen Haushalt mit solchen Platitüden zu diskutieren. Wo sind denn Ihre Vorschläge? Der
einzige Vorschlag, den ich im Ohr habe, bezieht sich auf
die Herabsetzung des Zuschusses an die Bundesanstalt
für Arbeit auf Null. Da lachen ja die Hühner! Das bedeutet im Klartext auf einen Schlag 200 000 Arbeitslose
in den fünf neuen Ländern mehr.
Sie verbreiten vergiftete Vorschläge. Stellt sich doch
ein Kollege aus dem Haushaltsausschuß hierher und
meint, wir hätten außerordentlich viel Geld übrig. Dieses
liege bei den Postunterstützungskassen. Wir seien nur zu
blöd, die Aktien zu verkaufen. - Das kann ich nicht
mehr hören! Sie hatten bereits angefangen, diese Aktien
zu verkaufen. Wir halten dies für eine sehr kurzsichtige
Denkweise und für kurzatmiges Handeln. Sie wissen
ganz genau, daß wir das Volumen und die Erlöse aus
diesen Aktien angesichts steigender Zahlungen für die
Pensionen der ehemaligen Postbediensteten benötigen
werden. Oder wollen Sie das auch wieder auf den Steuerzahler abwälzen?
({10})
Auch ein Volker Rühe kann sich nicht hierherstellen
und sagen, unter seiner sechsjährigen Ägide als Bundesverteidigungsminister habe es keine drastischen Probleme beim Verteidigungsetat gegeben. Wenn ich es richtig
weiß, ist dieser in den sechs Jahren um circa 11 Prozent
abgesenkt worden, und zwar ohne eine Wehrstrukturreform. Er wurde einfach gesenkt.
({11})
Worin die Berechenbarkeit bestehen soll, weiß ich
nicht. Wahrscheinlich besteht sie im stetigen Absinken.
Wir sind immerhin aufgestanden und haben gesagt: Wir
führen eine Wehrstrukturreform durch. Dies hatte nicht
nur etwas mit Einsparbemühungen zu tun, sondern auch
mit den Anforderungen, die an die Wehrfähigkeit
Deutschlands als Partnerstaat der NATO gestellt werden. Wir müssen uns diesen neuen Aufgaben stellen.
Auch das wird im Zusammenhang mit der Wehrstrukturreform zu debattieren sein.
Wir können uns nicht einfach durchwurschteln, ohne
eine Wehrstrukturreform zu machen, ohne eine Gesundheitsstrukturreform zu machen, ohne eine Rentenreform
zu machen, ohne eine Steuerreform zu machen. Es kann
doch wohl nicht wahr sein, daß Sie sich, wenn all diese
Dinge angepackt werden, hinstellen und sagen: Da machen wir nicht mit. Bei der Rentenreform haben Sie gemerkt, daß Sie sich der Verantwortung nicht weiter entziehen können, wenn Sie das Attribut einer Volkspartei
behalten wollen. Wir nehmen diesen Vorschlag auch an.
Die rotgrüne Koalition hat das signalisiert. Ich sage
für die Grünen, daß wir der Auffassung sind, in dieser
Frage vielleicht sogar vermittelnd fungieren zu können, denn unsere Vorschläge zur Rentenreform gleiVolker Rühe
chen teilweise denen der SPD und teilweise denen der
CDU/CSU.
({12})
Es wird also eine interessante Debatte werden, bei der
ich davon ausgehe, daß die Grünen die richtigen Impulse
mit einspeisen werden. Ich bin sehr zufrieden, daß Sie
erkannt haben, daß Sie sich aus der Debatte nicht mehr
herausmogeln können.
Noch ein Wort zum Haushalt. Wo sind wir mit Ihrer
Haushaltspolitik der letzten Jahre denn gelandet? Bei einem strukturellen Defizit, das sich dauernd um die
20 Milliarden DM bewegte, mal etwas darüber, mal etwas darunter, über Jahre hinweg. Da Sie immer der Auffassung sind, das sei eine Chimäre - wie das hier genannt wurde -, irgendein Hirngespinst, will ich das einmal klarstellen. Im Jahresbericht des Bundesrechnungshofes vom Oktober 1999 - der ist also noch warm
vom Druck - steht:
Die wachsenden strukturellen Deckungslücken sind
in erheblichem Umfang durch zunehmende Erlöse
aus Vermögenswerten ausgeglichen worden.
Das war 1998 und 1997. Das war Theo Waigel, um das
einmal klarzustellen. Er hat das Tafelsilber verjuxt.
({13})
Der Bundesrechnungshof sagt weiter:
Diese Entwicklung ist bedenklich, da Vermögen für
künftige Verpflichtungen aufgebraucht werden und
Vermögensminderungen dann natürlich auch künftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen.
Sie haben die Bundesfinanzen an die Wand gefahren.
Sie haben die Strukturreformen versäumt. Sie sprechen
seit einer Dekade dauernd von den Schwierigkeiten der
deutschen Einheit und versuchen, Ihre Handlungsunfähigkeit dahinter zu verstecken. Sie haben recht, wenn
Sie sagen, Sie hätten die deutsche Einheit willkommen
geheißen. Aber Sie haben die Chancen nicht genutzt.
Die deutsche Einheit wäre die Möglichkeit gewesen, all
diese Strukturreformen, die im Westen längst fällig waren, durchzuführen.
({14})
Diese Chance haben Sie nicht genutzt. Aber Sie nutzen
natürlich gerne die deutsche Einheit, durch die der Aufbau der neuen Länder finanziert werden muß, als Deckmantel dafür, daß Sie nicht handeln konnten.
({15})
Das ist eine Aussage über Ihre eigene Unfähigkeit. Aber
es hat nichts mit dem zu tun, was Rotgrün in einem Jahr
alles auf die Beine gestellt hat.
Ich bedanke mich.
({16})
Ich gebe der Kollegin Cornelia Pieper für die F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler hat seine
Regierung dafür gerühmt, daß es im kommenden Jahr
500 000 Arbeitslose weniger in Deutschland geben werde. Sie haben das mit Ihrer Politik in Zusammenhang
gebracht.
Ich will hier richtigstellen: Jeder Arbeitsplatz, der zusätzlich geschaffen wird, wird durch die Wirtschaft, die
Existenzgründer, die Freiberufler, die Handwerker, die
kleinen und mittelständischen Betriebe geschaffen, aber
auf keinen Fall durch Ihre Politik, die Desorientierung
und Planungsunsicherheit in Deutschland hervorgebracht hat, insbesondere für die Unternehmen in diesem
Land.
({0})
Ich will noch einmal klarstellen: Das neueste Jahresgutachten der fünf Wirtschaftsweisen hat in der Tat ein
höheres Wirtschaftswachstum für Gesamtdeutschland
prognostiziert. Aber der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Herbert Hax, hat fast wörtlich gesagt, der
Rückgang der Arbeitslosigkeit basiere vor allem auf
demographischen Faktoren und habe verhältnismäßig
wenig mit dem Konjunkturaufschwung zu tun. Bitte
schreiben Sie sich das endlich hinter die Ohren, und
verdrehen Sie hier nicht die Tatsachen!
({1})
3 Prozent Einkommenssteigerung für die Bevölkerung - was hat denn diese letztlich bewirkt, wenn Sie
den Menschen in diesem Land das Geld in die eine Tasche stecken und es aus der anderen Tasche wieder herausziehen? Wir wissen doch alle, daß die ökologische
Steuerreform eine Belastung der privaten Haushalte
und der Wirtschaft in diesem Land bedeutet.
({2})
Deswegen kann man sich damit überhaupt nicht rühmen,
denn Sie vernichten Arbeitsplätze mit der ökologischen
Steuerreform. Das ist die Wahrheit.
({3})
Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, daß das Bruttosozialprodukt im nächsten Jahr im Osten weit unter
dem der alten Bundesländer liegen wird. Die Arbeitslosenquote steigt; das wurde schon gesagt. Die ostdeutschen Arbeitgeberverbände haben sich in der vergangenen Woche an Bundeskanzler Schröder mit einem
Schreiben gewandt und ihn aufgefordert, endlich die
Trendwende für den Osten herbeizuführen, für eine stabile Förderung in den neuen Ländern zu sorgen und zu
verhindern, daß die Entwicklung in Ost und West weiterhin auseinanderdriftet.
({4})
Der Bundeskanzler - Frau Kaspereit, zu dieser Regierung stehen Sie ja - hat in seiner Regierungserklärung
anläßlich seines Amtsantrittes gesagt, für ihn sei der
Aufbau Ost Chefsache.
({5})
Mir klingen diese Worte in den Ohren. Chef ist er seit
langem; aber für ihn ist die Chefsache nur eine Worthülse geblieben. Sie haben doch keine neuen, innovativen
Ideen im Hinblick auf den Aufbau Ost eingebracht. Sie
nennen immer wieder das Programm Inno-Regio.
({6})
Das ist das einzig neue Programm.
({7})
An anderer Stelle haben Sie gekürzt.
({8})
Insgesamt wurde bei den neuen Bundesländern um rund
3 Milliarden DM gekürzt, und zwar bei Haushaltspositionen, bei denen es besonders weh tut, bei denen es um
Investitionen und Arbeitsplätze geht.
({9})
- Konkret zum Beispiel bei der Gemeinschaftsaufgabe
„Regionale Wirtschaftsstruktur Ost“ um 285 Millionen
DM,
({10})
bei dem Eigenkapitalhilfeprogramm um zirka 500 Millionen DM und bei den Strukturanpassungsmaßnahmen
Ost um 800 Millionen DM. Das ist keine Politik, die
man als Chefsache bezeichnen kann. Hier werden Einschnitte vorgenommen, die zu Lasten der Menschen gehen.
({11})
Ich möchte auch auf das Thema Infrastrukturausbau zu sprechen kommen. Staatsminister Schwanitz hat
in der gestrigen Debatte deutlich gemacht, daß es beim
Verkehrswegebau im Osten Planungssicherheit gebe.
Darüber kann ich nur lachen. Wir alle wissen doch, daß
auch über den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“
das Damoklesschwert einer globalen Minderausgabe in
Höhe von 5 Milliarden DM schwebt.
({12})
Es geht um 5 Milliarden DM, die nicht finanziert sind.
({13})
Angesichts dessen kann man doch nicht von Planungssicherheit sprechen. Sie haben überhaupt kein Interesse,
den Osten an das Schienenverkehrswegenetz in Europa
anzubinden. Sonst würden Sie den ICE von Nürnberg
nach Berlin, der über den Thüringer Wald und durch
Sachsen-Anhalt führt, bauen. Statt dessen schieben Sie
ihn auf das Abstellgleis. Das ist doch die Wahrheit.
({14})
Weiterhin ist zu erwähnen, daß Kürzungen bei Investitionen und beim Infrastrukturausbau immer zu Lasten
von Wirtschaft und Arbeitsplätzen gehen.
({15})
Das Frankfurter Institut, die Stiftung für Marktwirtschaft
und Politik, hat in seinem letzten Bericht zur wirtschaftlichen Lage in Ostdeutschland deutlich gemacht - ich
zitiere -:
Auch mit Blick auf das Ziel des Subventionsabbaues wäre eine Rückführung der Investitionen in die
wirtschaftsnahe Infrastruktur völlig kontraproduktiv.
Meine Damen und Herren, die haben recht.
({16})
Allein im letzten Jahr sind die Investitionen in ostdeutsche Unternehmen um rund 6 Prozent zurückgegangen. So schaffen wir es doch nicht, die Arbeitslosigkeit
in den neuen Bundesländern zurückzuführen. Sie haben
bei Ihrer Politik die falsche Zielrichtung.
({17})
Als letztes möchte ich an dieser Stelle auf Frau Hermenau eingehen, die mich aufgefordert hat, darzulegen,
was die Opposition bzw. die F.D.P.-Bundestagsfraktion
eigentlich in bezug auf das Thema Aufbau Ost tut und
welche Vorschläge zur Angleichung der Lebensverhältnisse wir haben.
({18})
Wir haben in den Haushaltsberatungen konkrete Vorschläge gemacht. Stimmen Sie doch endlich unseren
Anträgen zu, wenn es darum geht, den Bundeswehrsold
in Ost- und Westdeutschland anzugleichen.
({19})
Es besteht überhaupt kein Grund dafür, daß die Soldaten
im Osten, die wie ihre Kollegen aus dem Westen in
den Kosovo geschickt werden, wenn sie nach Hause
kommen, weiterhin 86,5 Prozent des Westsoldes bekommen.
({20})
Frau Kollegin Pieper, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten. Wenn Sie die Frage des Kollegen Tauss noch beCornelia Pieper
antworten möchten, dann will ich Ihnen dazu Gelegenheit geben.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Es besteht überhaupt kein Grund, die Angleichung der Lebensverhältnisse zu verschieben.
Ich wollte in diesem Zusammenhang die Gebühren
der Rechtsanwälte in Erinnerung rufen.
({0})
Die Rechtsanwälte im Osten werden doppelt bestraft dadurch, daß der Streitwert in den neuen Ländern viel geringer ist. Es gibt viele Ansatzpunkte, die man in diesem
Zusammenhang vorantreiben könnte.
Herr Tauss, jetzt können Sie Ihre Frage stellen.
Bitte schön, Herr
Kollege Tauss.
Frau Kollegin, ich wollte hinsichtlich des Stichwortes „Damoklesschwert“, das über
den neuen Ländern schweben soll, fragen, wie Sie in
diesem Zusammenhang Äußerungen aus den Reihen der
Union, speziell des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Teufel, beurteilen, der fordert, die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ drastisch zugunsten
der alten Bundesländer zurückzuführen und mit begonnenen Investitionen aufzuhören. Ist das nicht das eigentliche Damoklesschwert, über das wir sprechen sollten?
Entziehen Sie sich doch
nicht der Verantwortung! Es geht hier in erster Linie um
die Politik der Bundesregierung für die neuen Bundesländer.
({0})
Sie können sich darauf verlassen, daß auch die F.D.P. in
der Landesregierung von Baden-Württemberg, wenn es
um die deutsche Einheit geht, immer die richtigen
Schwerpunkte setzen
({1})
und diese Politik korrigieren wird.
({2})
Herr Tauss, summa summarum ist Ihr Sparpaket nicht
nur eine Mogelpackung. Sie betreiben damit auch eine
Steinbruchpolitik für den Osten. Tun Sie etwas für die
neuen Länder! Dabei werden wir Sie unterstützen. Um
es mit Erich Kästner zu halten: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Viel Erfolg dabei!
({3})
Als nächster Redner spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Lothar
Mark.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die bisher von seiten der
CDU/CSU gehaltenen Reden zeichnen sich durch kollektiven Gedächtnisschwund aus.
({0})
Ich möchte zunächst auf die Äußerungen von Herrn
Glos und Herrn Rühe, insbesondere aber auf die von
Herrn Rühe Bezug nehmen.
Kollege Rühe trauerte den verpaßten Chancen nach.
({1})
Aktuell monierte er nur Dinge, die er in den zurückliegenden 16 Jahren mit seiner Fraktion hätte umsetzen
können.
Es wurde schon darauf hingewiesen: Sie haben
Deutschland in der Phase der Wiedervereinigung getäuscht. Damals haben Sie gesagt: Das zahlen wir aus
der Portokasse. Das hat Ihnen niemand geglaubt. Ich
muß hier ganz klar feststellen: Entweder wußte die Bundesregierung tatsächlich nichts über die Situation in der
DDR, oder sie hat bewußt ihr Wissen verschwiegen beides ist schlimm.
({2})
Man kann nicht sagen, wie es Herr Rühe heute getan
hat, man habe die Situation einfach unterschätzt. Welche
Information haben denn der Bundesnachrichtendienst
und andere Organisationen in der Vergangenheit über
die Situation der DDR geliefert, wenn doch schon jeder
Bürger, der durch die DDR gefahren ist, wußte, in welchem Zustand sich die DDR befindet?
Herr Rühe hat von der Schuldenlegende gesprochen.
Dies ist zurückzuweisen. Hier ist auch mehrfach ausgeführt worden, daß die damalige Bundesregierung die
Schulden innerhalb von acht Jahren, also bis 1990, mehr
als verdoppelt hat.
({3})
Hinzu kamen dann die vereinigungsbedingten Schulden;
das räumen wir ein. Es muß aber klar gesagt werden,
daß die Finanzierung der deutschen Einheit unter völlig
falschen Bedingungen in Angriff genommen worden ist.
- Wenn wir das feststellen, bedeutet es nicht, daß wir
gegen die Einheit seien - ganz im Gegenteil.
({4})
Ferner möchte ich darauf hinweisen, daß Herr Rühe
über alles geredet hat, nur nicht über den Bundeshaushalt.
({5})
Vizepräsident Rudolf Seiters
Er hätte hier die Chance gehabt, etwas über den
Verbleib des ehemaligen Staatssekretärs Pfahls zu sagen,
({6})
insbesondere darüber, weshalb er untergetaucht ist.
Wenn Sie meinen, Herr Rühe, mit unseriösen Angriffen
die Problematik lösen zu können und wir dazu schweigen, dann täuschen Sie sich gewaltig.
({7})
Herr Rühe hat die Maastricht-Kriterien angesprochen, dabei aber vergessen, daß die damalige Regierung
diese Kriterien nur durch den Verkauf des Tafelsilbers
einhalten konnte. Diese Möglichkeit ist heute nicht mehr
gegeben.
Bevor ich zu meinem eigentlichen Thema komme,
({8})
möchte ich sagen, daß wir sehr wohl mit Anstand verlieren können, wenn es um Landtagswahlen und auch um
Kommunalwahlen geht. Wenn man aber sieht, mit welchen Methoden die Opposition vor diesen Wahlen gegen
uns gearbeitet hat, dann beginnt man zu zweifeln, ob die
christdemokratischen Grundsätze noch ihre Rechtfertigung haben.
({9})
Für mich ist es erstaunlich, daß von beiden CDURednern bisher kein Wort zur Kultur gesagt wurde. Der
Kulturhaushalt gehört zum Einzelplan 04.
({10})
Wenn ich daran denke, daß in den jeweiligen Ausschüssen die CDU sehr starke Muskeln macht, wenn es um
Kultur geht und hier kein Wort darüber verloren wird,
dann ist dies symptomatisch für die Glaubwürdigkeit,
die die CDU präsentiert.
Meine Damen und Herren, der Haushalt für Kultur
und Medien ist mit knapp 1,8 Milliarden DM ausgestattet und ist damit in finanzieller Hinsicht ein winziger
Etat. Auch im Vergleich mit den Ländern und Kommunen spielt das kulturelle Engagement des Bundes keine
große finanzielle Rolle. Sein Anteil an den Ausgaben
der öffentlichen Hand für Kultur beträgt in Deutschland
gerade einmal 2 Prozent.
Demgegenüber wird der Kulturpolitik des Bundes eine ungleich größere symbolische Bedeutung zugemessen. Dies zeigt sich exemplarisch im Kampf um den
vergleichsweise kleinen Betrag von 239 000 DM und
vielleicht auch mehr, der von der Bayreuther Festspiele
GmbH als Konsolidierungsbeitrag eingefordert wurde.
Die CDU hat in der Haushaltsbereinigungssitzung gegen
die Erhöhung um 239 000 DM gestimmt.
({11})
Bayreuth verfügt im Jahr 2000 über die gleichen Mittel
wie 1999. Wir können sagen, daß dies allein das Verdienst der SPD und der Grünen im Haushaltsausschuß
ist.
({12})
Meine Damen und Herren, warum ist das Interesse
der Bevölkerung an Fragen der Kultur, der Kunst und
der Medien derzeit so groß wie selten zuvor? Wie schon
lange nicht mehr, wird in der Bevölkerung heute intensiv über Kultur gestritten, werden Zuwendungsempfänger, Instrumente und Konzepte der Kulturförderung
hinterfragt, die zuvor jahrelang unbemerkt und unbehelligt blieben.
Ich glaube, immer mehr Menschen haben verstanden,
daß Kultur die Grundlage ihres gesamten Wesens ist,
daß die Bedeutung von Kultur daher in einer sich radikal
verändernden Welt mit permanentem Wandel von Gewißheiten und anderen Grenzen sehr groß ist.
Dies waren auch die Gründe, warum wir Sozialdemokraten nach der Regierungsübernahme vor einem
Jahr die Einsetzung eines Ausschusses für Kultur und
Medien und die Benennung eines Staatsministers für
Kultur und Medien durchgesetzt haben
({13})
und warum wir systematisch die kulturellen Programme,
Zielsetzungen und Bedürfnisse mit globalen Veränderungen abstimmen.
Die Umsetzung unseres Zukunftsprogramms erfordert
auch im Bereich Kultur und Medien einerseits gezielte
finanzielle Eingriffe und Prioritäten sowie andererseits
neue konzeptionelle Gestaltungen anstatt der unkoordinierten Verteilung von Steuergeldern. Es versteht sich
von selbst, daß wir nicht bei allen Zuwendungsempfängern ohne Unterschied die Mittel um 7,4 Prozent kürzen,
sondern im besten Sinne Politik machen, Zukunft gestalten.
({14})
So haben wir die Zuwendungsempfänger mit einem
Fördervolumen von unter 1 Million DM in der Regel
von Einsparungen ausgenommen, da diese sonst nicht
mehr lebensfähig wären.
({15})
In zentralen Bereichen, wie der Gedenkstättenkultur,
der Vertriebenenkultur und der auswärtigen Kulturpolitik setzen wir zudem schrittweise und in Kontakt mit
den betroffenen Gruppen Konzeptionen um, die den
heutigen Erfordernissen gerecht werden müssen. Muß es
angesichts begrenzter Mittel nicht darum gehen, diese so
effizient wie möglich und nach transparenten Kriterien
einzusetzen? In einer bestimmten historischen Situation
gewährte Mittel berechtigen nicht dazu, die Steuern der
Bürgerinnen und Bürger in alle Ewigkeit progressiv zu
beanspruchen.
({16})
Um die Frage zu beantworten, welche kulturellen
Einrichtungen und Projekte der Staat fördern soll, müssen wir in einer veränderten und sich ständig ändernden
Welt Entscheidungen von früher überprüfen und gegebenenfalls revidieren. So kann ich heute zum Beispiel
keinem professionellen Orchester in Deutschland vermitteln, warum die Förderung der ehemaligen Emigrantenorchester nach dem Ende des kalten Krieges weiterhin durch den Bund erfolgen soll, während alle anderen
Orchester durch Länder, Gemeinden und sonstige Träger
finanziert werden. Die Mittel werden daher stetig, aber
sozial verträglich gegen Null geführt werden. Über den
Zeitrahmen muß noch gesprochen werden, genauso wie
über die Konzeptionen der Orchester. Die Bamberger
Symphoniker und die Philharmonica Hungarica müssen
nun endlich ihre Hausaufgaben machen, damit sie ihr
Überlebenskonzept selbst mitgestalten.
Auch die Instrumente der Förderung von Kultur und
Künstlern müssen an veränderte Bedingungen angepaßt
werden. So wollen wir zum Beispiel die Künstlersozialversicherung novellieren. Wir haben die Bundesregierung gebeten, bis zum 31. März nächsten Jahres einen Bericht über die soziale Lage der Künstlerinnen und
Künstler in Deutschland anzufertigen. Der Entwurf der
Novelle soll dann bis Ende April vorliegen. Bis dahin
bleibt der Zuschuß des Bundes an die Künstlersozialkasse, wie beschlossen, bei 20 Prozent; der Abgabesatz
wird für alle Kulturbereiche auf 4 Prozent vereinheitlicht.
Verantwortungsbewußte Politik muß den Mut haben,
zum Wohle des Ganzen zu handeln, auch wenn dies einzelnen Interessengruppen nicht gefallen mag. Natürlich
hätte ich gern einige Millionen DM mehr für die Kulturförderung im Bund zur Verfügung. Der von der alten
Regierung hinterlassene Schuldenberg verpflichtet uns
jedoch dazu, den Gürtel enger zu schnallen, wenngleich
wir für Kultur immer noch mehr Mittel bereitstellen als
unter Kanther.
In diesem Zusammenhang möchte ich vor allem das
Aufbauprogramm Kultur in den neuen Ländern in
Höhe von 60 Millionen DM herausstellen.
({17})
Mit dieser zusätzlichen Förderung zu bestehenden Programmen unterstützt die Bundesregierung Länder und
Gemeinden in den neuen Ländern bei der Modernisierung ihrer Kultureinrichtungen. Durch eine Verbesserung der Infrastruktur, durch Sanierung, Rekonstruktion
und Neubauten soll die große Bedeutung ostdeutscher
Kulturstandorte wieder deutlicher in das öffentliche Bewußtsein gelangen.
Einen hohen ethischen Symbolwert hat auch die Förderung der Gedenkstätten. Von „Schluß machen“ und
„Strich ziehen“ kann hier keine Rede sein, im Gegenteil:
Durch die Übernahme der nationalen Mahn- und Gedenkstätten der DDR hat sich die deutsche Gedenkstättenlandschaft gravierend verändert. Bei den ehemaligen großen Gedenkstätten der DDR, Buchenwald, Ravensbrück, Sachsenhausen, handelte es sich um relativ
personalintensive staatliche Einrichtungen mit differenzierter institutioneller Struktur, wie etwa Archiven, Bibliotheken, wissenschaftlichen und pädagogischen Abteilungen. Im Gegensatz dazu waren und sind die Gedenkstätten in Westdeutschland im besten Fall von den
betreffenden Ländern getragene unselbständige Einrichtungen, meistens angeschlossen an übergeordnete
Institutionen, wie zum Beispiel Landeszentralen für
politische Bildung. Während dort bei mangelhafter Infrastruktur die Vergangenheit beispielhaft aufgearbeitet
wurde, waren die Einrichtungen der DDR inhaltlich oft
mehr als fragwürdig.
({18})
Unsere neue Gedenkstättenkonzeption sieht deshalb
die exemplarische Einbeziehung der Konzentrationslager Bergen-Belsen, Neuengamme und Dachau in die
Förderung vor sowie eine stärkere Vernetzung der gesamten Gedenkstättenarbeit. Ohne Wissen wird Gedenken zum leeren Ritual. Die Mittel für die Förderung der
Gedenkstätten und ihrer pädagogischen Arbeit stocken
wir daher um 4 Millionen auf 44 Millionen DM auf,
damit die nachfolgenden Generationen nach dem Ableben der Erlebnisgeneration aus der Vergangenheit Lehren für ihre Gegenwart ziehen.
({19})
Gleiches gilt für die Förderung kultureller Maßnahmen im Rahmen des § 96 des Bundesvertriebenengesetzes. Die Gelder dafür hat die alte Regierung einseitig
und teilweise nach dem Gießkannenprinzip verteilt. Die
Förderung wurde seit 1982 exorbitant ausgeweitet. Zehn
Jahre nach den revolutionären Umbrüchen in Mittel- und
Osteuropa ist es an der Zeit, gemeinsam mit den Vertriebenen- und Aussiedlerverbänden nach neuen Konzepten für die Förderung der deutschen Kultur östlich
von Oder und Neiße zu suchen. Die alte Regierung war
hier ebenfalls untätig und ließ vieles laufen.
Wir wollen die bestehenden Institutionen von Überflüssigem und Doppelarbeit befreien. Wir wollen sie mit
Universitäten und Forschungseinrichtungen, aber auch
untereinander stärker vernetzen. Dadurch kann auch hier
die Erinnerung an die deutsche Kultur im Kontext unserer Nachbarländer, wie Polen, Tschechien, Rumänien
oder Rußland, nach dem Ableben der Erlebnisgeneration
wissenschaftlich fundiert und lebendig erhalten werden.
Es geht aber nicht um die museale Aufbereitung von
Vergangenheit. Daher wollen wir eine Kulturstiftung
„Östliches Europa“ errichten und die Arbeit der einzelnen Museen und Forschungsinstitute besser koordinieren. Die wissenschaftliche Koordinierung soll aber in
den Händen des Instituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte bleiben.
Mit Blick auf die Zeit muß ich versuchen, einiges
stärker zusammenzufassen. - Ich weise darauf hin, daß
wir die Minderheitenpolitik in Deutschland wieder verstärkt fördern. Zum Beispiel erhält die Stiftung für das
sorbische Volk wie ehedem 16 Millionen DM, obwohl
die alte Regierung die Mittel bis zum Jahr 2007 halbieren wollte. Wir werden hier neue Akzente setzen.
Ich möchte noch erwähnen, daß wir auch in der auswärtigen Kulturpolitik neue Akzente setzen, indem wir
versuchen, die Arbeiten der europäischen Länder verstärkt zusammenzuführen.
Schließlich will ich betonen, daß die Deutsche Welle
für die Außenpolitik eine große Rolle spielt. Sie muß
nun versuchen, die Kürzungen mit intelligenten Konzepten umzusetzen und Deutschland dennoch nach
außen gut zu vertreten.
Die Hauptstadtförderung Berlin und die Bundesstadtförderung Bonn will ich nur erwähnen, um abschließend kurz noch etwas zur Stiftung Preußischer
Kulturbesitz sagen zu können. Nur noch zwei Sätze,
Herr Präsident.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz nimmt bei
uns einen hohen Stellenwert ein. Wir haben den Investivbereich um 45 Millionen DM erhöht, so daß derzeit
für das Jahr 2000 295 Millionen DM zur Verfügung stehen. Wir wollen damit erreichen, daß die Museumsinsel
wesentlich schneller voll bezugsfertig ist, als dies ursprünglich geplant war.
Ich bitte Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
dem Einzelplan 04 zuzustimmen, besonders auch aus
Gründen der Kulturpolitik.
({20})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Nobert Lammert.
({0})
Der Kollege
Mark hat seinen Überblick über die Kontinuitäten und
Diskontinuitäten bundesdeutscher Kulturpolitik in der
Verantwortung der rotgrünen Koalition sinngemäß mit
dem Hinweis begonnen, erstmals seit vielen Jahren würden liebgewordene Besitzstände der Kulturpolitik auf
den Prüfstand gestellt, einer Überprüfung und Evaluierung unterzogen.
({0})
Dies ist eine fröhliche Beschreibung dessen, was in
der Kulturpolitik seit einem Jahr stattfindet bzw. nicht
stattfindet. Jeder, der in diesen Tagen in den Feuilletons
die Berichterstattung über die Bilanz nach einem Jahr
liest, der wird nicht übersehen können, daß sich nach
den hohen, ausdrücklich geweckten Erwartungen nun
weithin mindestens Ernüchterung, in vielen Fällen auch
große Enttäuschung breitmacht.
({1})
Denn aus dem, was mit großer Geste angekündigt war,
ist entweder nichts oder sehr viel weniger geworden, als
vernünftigerweise erwartet werden konnte. Schröders
neue Kleider sind entweder gar nicht vorhanden oder
weit weniger eindrucksvoll als angekündigt.
Nun wissen auch wir, daß sich in Zeiten knapper
Kassen die Kulturpolitik nicht ihrem Beitrag zur Stabilisierung öffentlicher Haushalte entziehen kann.
({2})
Um so ernster hätte man nehmen müssen, was von seiten der Bundesregierung an Überprüfungen und Bestandsaufnahmen angekündigt war.
({3})
Das ist aber entweder gänzlich ausgeblieben oder hat
sich in eine Richtung lapidarer Auflistung von Maßnahmen ohne jede Perspektive und Vision entwickelt.
({4})
Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur die
berühmte Diskrepanz zwischen Hoffnungen auf die
Ausstattung von Kulturtiteln und tatsächlich verfügbaren
Mitteln,
({5})
sondern vor allen Dingen eine politisch zu vertretende
Diskrepanz zwischen Ankündigungen, die die Bundesregierung selber vorgenommen hat, und dem, was daraus geworden ist. Dazu zählt insbesondere die Ankündigung, man wolle die mediale Außendarstellung Deutschlands verbessern; daraus ist eine massive Kürzung der
Mittel für die Deutsche Welle geworden. Dazu zählt die
Ankündigung, man wolle die soziale Absicherung der
Künstler verbessern; daraus ist eine massive Streichung
des Bundeszuschusses zur Künstlersozialversicherung
geworden. Ähnliches läßt sich für die Ausstattung vieler
einzelner Institutionen sagen. Das macht den Kern der
Verbitterung und Enttäuschung aus, die bei vielen Betroffenen eingetreten sind. Es gehört zur Redlichkeit
einer solchen Haushaltsdebatte, festzuhalten, daß nach
der Verankerung der Zuständigkeit für Kulturpolitik im
Kanzleramt -
Herr Kollege Lamert, Sie müssen innerhalb der drei Minuten, die Ihnen
zustehen, zum Schluß kommen. Der Kollege Mark kann
noch etwas erwidern, aber Sie müssen jetzt bitte zum
letzten Satz kommen.
Ja. - Es gehört
zur Redlichkeit einer solchen Haushaltsdebatte, festzuhalten, daß mit der Veränderung der Zuständigkeit für
die Kulturpolitik und ihrer Ansiedlung im Kanzleramt
die Kulturpolitik zur Sparkasse des Bundes, jedenfalls
des Kanzleramtes, geworden ist. Auf jeden Fall ist der
Löwenanteil der vom Kanzleramt zu erbringenden Einsparungen ausgerechnet bei den Kulturtiteln erfolgt.
({0})
Das ist das präzise Gegenteil dessen, was die Kulturpolitik vernünftigerweise erwarten konnte. Kulturpolitik
ist eben nicht die Fortsetzung der Politik mit den Mitteln
der Kultur,
Herr Kollege Lammert, Sie müssen jetzt zum Schluß kommen.
- sondern hätte
die Fortsetzung der Kultur mit den Fördermöglichkeiten
der Politik sein müssen. Das bleibt festzuhalten.
({0})
Ich gebe dem Kollegen Mark das Wort zu einer Erwiderung.
Herr Lammert, eigentlich bin
ich Ihnen sehr dankbar, daß Sie noch einmal auf diese
Punkte eingingen, weil Sie mir damit die Möglichkeit
bieten, zu sagen, daß alles, was in Ihren Köpfen vor sich
geht, unzutreffend ist.
({0})
Wenn Sie die Künstlersozialversicherung ansprechen,
so muß ich sagen, daß ich dazu Ausführungen gemacht
habe.
({1})
Damit ist klar und deutlich geworden, daß wir Mitte des
nächsten Jahres eine neue Entscheidung fällen werden je nachdem, was uns an Gutachten vorgelegt wird.
Das Thema Deutsche Welle hatte ich angesprochen,
und in Ermangelung der Zeit konnte ich nicht darauf
hinweisen, daß wir unter anderem für die Sonderberichterstattung der Deutschen Welle im Kosovo noch einmal
10 Millionen DM aus dem Einzelplan 60 bereitstellen
konnten.
({2})
Ich muß Ihnen eine ganz herbe Enttäuschung bereiten, wenn Sie sagen, die Kultur sei die Sparkasse im
Kanzleramt. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
diese Bundesregierung hat die Kulturförderung für Ostdeutschland zu den zusätzlich etatisierten Bereichen im
Jahre 1999 um 90 Millionen DM erhöht bzw. neu etatisiert. Im Jahr 2000 werden es 60 Millionen DM sein.
1999 betrug die Kulturhauptstadtförderung für Berlin
120 Millionen DM, und im Jahr 2000 werden es
100 Millionen DM sein. Das sind zusätzliche Millionenbeträge. Wenn Sie dann die sonstigen Kürzungen betrachten, die in dem Einzelplan 04 vorgenommen werden, so werden Sie trotzdem ein riesiges Plus im Kulturbereich feststellen.
({3})
Ich denke, daß mit der neuen Akzentuierung in der
Kulturpolitik insbesondere auch Ostdeutschland sehr
vorteilhaft bedient wird.
({4})
Ich gebe nunmehr
dem Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen, Dr.
Bernhard Vogel, das Wort.
Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident ({0}):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bitte erlauben Sie, daß ich mich in dieser Generaldebatte zum Haushalt 2000 zu Wort melde; denn der
Haushalt des Bundes ist von spürbarem großen und
wesentlichen Einfluß auf die Länder, nicht zuletzt natürlich auf die jungen Länder. Ich ergreife heute aber
auch deswegen gern das Wort, weil Thüringen wieder eine Stimme hat. Die Zeit des Schweigens und
des Sichenthaltens ist vorbei. Wir haben klare Verhältnisse.
({1})
Weil wir diese klaren Verhältnisse haben, weiß ich
auch, daß Vertrauen verpflichtet, und zwar nach meiner
Überzeugung zu konstruktiver Mitarbeit. Es verpflichtet
uns, über unsere Interessen, über die Länderinteressen
zu wachen und dazu einiges hier zu sagen.
Wir werden die wiedergewonnene Stimme nicht mißbrauchen. Für eine Blockadepolitik stehen der Freistaat
und ich nicht zur Verfügung. Bei meinem Verständnis
von Mitwirkung und Mitgestaltung ist das selbstverständlich. Gerade weil wir in der letzten Legislaturperiode des Bundestages andere Erfahrungen gemacht
haben, stelle ich fest: Das war von Schaden für das
Land, und das darf sich nicht wiederholen.
({2})
In seiner Regierungserklärung vom November letzten
Jahres hat der Herr Bundeskanzler gesagt - ich zitiere
ihn -:
Gerade in den neuen Bundesländern haben die
Bürgerinnen und Bürger ihre ganz speziellen Erfahrungen mit Dichtung und Wahrheit in der Politik
gemacht.
({3})
Das ist ein Satz von Gerhard Schröder, der richtig ist.
Daran müssen sich aber nicht nur die Landesregierungen
in den jungen Ländern, sondern daran muß sich nach
einem Jahr auch die Bundesregierung messen lassen.
Unsere Leitlinie für Thüringens Verhalten in Bundestag und Bundesrat ist klar: Wir akzeptieren selbstverständlich, daß die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler im September 1998 dieser Bundesregierung einen
eindeutigen Auftrag erteilt hat. Nehmen Sie diesen Auftrag bitte wahr. Wir werden Sie daran nicht hindern und
auch nicht hindern können. Sie tragen die Verantwortung und haften für die Fehler, die Sie machen.
({4})
Wir sagen aber auch klar und eindeutig, was wir für
falsch halten. Wir sagen ebenso klar und eindeutig unDr. Norbert Lammert
sere Meinung, wenn Sie einen Fehler machen. Es muß
aber deutlich sein, wer am Steuer sitzt, auch wenn er das
Lenkrad nicht benutzt.
({5})
Bei Einspruchsgesetzen - um das ganz klar zu sagen
- werden wir unsere Meinung sagen, aber wir werden
Sie in der Regel nicht aufhalten. Einspruchsgesetze liegen in Ihrer Verantwortung und gehören deswegen in
der Regel nicht in den Vermittlungsausschuß. Bei
zustimmungspflichtigen Gesetzen ist die Lage anders;
denn hier sind wir für das Ergebnis mitverantwortlich.
Hier dürfen wir Fehler, wie sie Ihnen unterlaufen, und
Zielvorstellungen, die wir nicht billigen, nicht durchgehen lassen.
({6})
Hier werden wir alle uns gegebenen Chancen für eine
Gesetzesverbesserung nutzen. Nach einem Jahr rotgrüner Regierung ist ein reiches Betätigungsfeld dafür vorhanden, und zwar nicht allein, was den Inhalt der Gesetze betrifft, so ist mein Eindruck.
Die Bundesregierung will sparen. Das ist richtig.
({7})
- Mancher müßte sparen und tut es nicht.
({8})
Die Bundesregierung will sparen.
({9})
- Wenn sie mußte, hätte der Bundeskanzler seine Rede
so nicht halten dürfen; denn er hat so getan, als sei es
sein freier Entschluß gewesen, diese Politik zu betreiben.
({10})
Die Bundesregierung will sparen, das ist richtig und
verdient unsere Unterstützung. Wir in den Ländern - der
Kollege Eichel weiß das - müssen nicht weniger sparen,
und wir machen große Anstrengungen dazu. Sehen Sie
sich bitte unsere Haushalte einmal an. Ihr Ziel, Herr
Bundesfinanzminister, verdient insoweit unsere Unterstützung.
({11})
Ich kritisiere nicht, daß Sie ein Sparpaket vorgelegt
haben.
({12})
Ich hätte mir nur gewünscht, daß in den letzten Monaten
weniger vom Paket und mehr vom Sparen die Rede
gewesen wäre.
({13})
Sparpaket heißt nicht, Lasten auf andere verteilen.
({14})
Geld, das man nicht hat, nicht auszugeben, aber andere
zu zwingen, welches auszugeben, obwohl die es auch
nicht haben, ist noch kein Sparen.
({15})
Wer glaubt, schon gespart zu haben, wenn man ein paar
Millionen aus dem Haushalt des Bundes herausnimmt
und sie den Ländern und Kommunen zuschiebt, hat
unrecht. Das ist noch kein Sparen.
Inzwischen ist geschehen, was Kenner der Materie
von Anfang an vorausgesagt und die Bundesregierung
und insbesondere Sie selbst, Herr Finanzminister, in
Abrede gestellt haben: Das Paket ist aufgeschnürt.
Rechtlich ist das natürlich möglich, guter Stil ist es
nicht. Man fühlt sich an der Nase herumgeführt.
({16})
- Man muß alte Fehler nicht nachmachen. Sie wollen es
doch besser machen.
({17})
Sie sind doch nicht gut, wenn Sie es nicht besser
machen.
Ich halte beispielsweise die Rentenerhöhung nach
Kassenlage für eine Ungerechtigkeit. Ich lehne sie ab.
Aber nach der Aufschnürung werden wir sie im Bundesrat nicht verhindern können.
Über das Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze - also den anderen Teil des
Sparpakets - werden wir streiten. Wir von Länderseite
können es nicht hinnehmen, daß Sie Sparen nennen, was
Lastenverlagerung auf die Kommunen bedeutet.
({18})
Oder das Gesetz zur Familienförderung: Natürlich
geht es in Ordnung, meine Damen und Herren, das
monatliche Kindergeld für das erste und zweite Kind
anzuheben. So verlangt es übrigens das Bundesverfassungsgericht. Allerdings geht es nicht, daß die einen
gute Dinge beschließen und sich dafür hier feiern lassen
und die anderen zahlen müssen. Nicht die Erhöhung des
Kindergeldes, aber die Finanzierung der Mehrausgaben
muß im Vermittlungsausschuß diskutiert werden.
({19})
Zur Rente habe ich schon gesagt, daß wir darüber im
Rahmen des Sparpakets nicht mehr sprechen können.
Diese Möglichkeit haben Sie uns genommen. Um so
mehr scheint es mir notwendig zu sein, daß jetzt alle
Verantwortlichen an einen Tisch kommen und ohne
Vorbedingungen darüber sprechen, wie wir die Rente
für die nachwachsenden Generationen und die alten
Leute von heute sichern können.
Aber, meine Damen und Herren, als Ministerpräsident eines jungen Landes füge ich hinzu: Wenn die
Renten um 1 oder 1,5 Prozent erhöht werden - Inflationsausgleich -, erhöhen sich die Renten der Bezieher
Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel ({20})
von 100 Prozent natürlich stärker als die Renten von denen, die nur 85 Prozent bekommen.
({21})
Das ist ein Spezifikum des gesamten Sparpakets. Es
stellt die jungen Länder auf Grund der bestehenden Disparität bei den Einkommen generell schlechter als die
alten Länder.
({22})
Das führt dazu, daß sich die Schere, die wir doch alle
schließen wollen, nicht schließt, sondern weiter öffnet.
Auch die Ökosteuer ist dafür ein Musterbeispiel. Ich
habe heute früh den Eindruck gehabt, daß es dann, wenn
die Ölpreise steigen, gar nicht mehr darauf ankommt:
Dann kann man auch die Steuern erhöhen.
({23})
Man könnte auch auf die Idee kommen, zu überlegen, ob
nicht umgekehrt ein Schuh daraus wird. Also werden
entgegen den Ankündigungen, die Steuern würden
gesenkt, die Steuern erhöht. Die Ökosteuer belastet uns
in den jungen Ländern natürlich stärker als die Menschen in den alten Ländern, weil wir im Schnitt - wie
jeder weiß - noch immer deutlich niedrigere Einkommen als der Westen haben.
Wir haben aber nicht nur niedrigere Einkommen,
sondern auch niedrigere Lohnnebenkosten. Mit der Ökosteuer finanziert der Osten bei niedrigerem Einkommen
die Senkung der höheren Lohnnebenkosten des Westens.
Zum erstenmal gibt es einen Finanztransfer von Ost
nach West. Ich glaube, das muß wenigstens festgehalten
werden.
({24})
Am Freitag - übermorgen - steht unter anderem auch
das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz auf
der Tagesordnung des Bundesrates. Thüringen und
Sachsen werden gemeinsam dafür werben, eine Verlängerung bis 2010 zu erreichen, weil uns die jetzt
beschlossene Verlängerung bis 2002 nicht hilft. Gerade
jetzt ergibt sich aus dem Investitionsprogramm des Bundesverkehrsministers die Verschiebung wichtiger Maßnahmen auf die Zeit nach 2002. Wer uns helfen will, der
muß die Fristen verlängern. Bitte, haben Sie für unser
Eintreten Verständnis.
({25})
Im übrigen höre ich, die Bahn wolle den Akzent auf
Ausbau und nicht mehr auf Neubau setzen. Nur, wenn
man ausbauen will, dann muß man etwas zum Ausbauen
haben. In den jungen Ländern brauchen wir den Neubau
von Verkehrswegen, von Straßen und Schienen, weil
sie die strukturelle Voraussetzung dafür sind, daß wir
vom Tropf weg- und auf eigene Beine kommen.
({26})
Zur Arbeit der Bundesregierung, die heute zur
Debatte steht, gehört auch ihr Bemühen um eine Gesundheitsreform. Weil ich optimistisch veranlagt bin,
gehe ich einmal davon aus, daß wir bis Freitag wissen,
was der Bundestag beschlossen hat, und daß wir im
Bundesrat wissen, was wir beschließen sollen.
({27})
Das vorausgesetzt, kann ich dem, was hier in Rede steht,
nicht zustimmen, weil ich nicht möchte, daß den Ländern die Mitsprache bei der Krankenhausplanung weitgehend entzogen wird. Das würde über kurz oder lang in
vielen Ländern schlimme Folgen haben. Vor allem aber
möchte ich nicht, daß wir mit einer Rationierung der
Versorgung und mit einer Budgetierung der Leistungen
zu einer Zweiklassenmedizin kommen. Der Gesundheitsbereich ist - auch für Beschäftigung - ein zukunftsträchtiger Wachstumsbereich, den man nicht abwürgen darf.
({28})
Zur Verwirklichung der langfristigen Strukturreformen mit der Notwendigkeit einer Entlastung hochverschuldeter Ost-AOKs äußere ich mich nicht. Eine solche
Verquickung ist unseriös. Wir im Osten sind zwar arm
und auf Hilfe angewiesen; aber wir sind in Strukturfragen nicht käuflich, und darum geht eine solche Verquikkung nicht.
({29})
Sparen tut not, aber es muß fair und gerecht zugehen.
Wenn Ausgaben nur verschoben werden, dann wird die
Wirtschaft nicht belebt. Sparen allein - das hat der
Sachverständigenrat deutlich gesagt - macht es nicht.
„Sparen und gestalten“ muß das Motto sein. Es geht
nicht an, daß wir in den jungen Ländern bei einem
Anteil von etwa einem Fünftel der Bevölkerung ein
Viertel der vorgesehenen Einsparungssumme erbringen.
Das ist nicht richtig.
({30})
Der Finanzminister hat gestern hier im Bundestag
wiederholt, was er in den letzten Monaten landauf, landab und auch im Bundesrat gesagt hat: Der hohe Schuldenstand ist die Folge einer unsoliden Finanzpolitik der
vorherigen Bundesregierung.
({31})
Als Ministerpräsident eines jungen Landes widerspreche ich: Ein Großteil der Schulden, von denen die
Rede ist, ist nach 1989 entstanden, um uns so rasch und
unbürokratisch wie möglich zu helfen.
({32})
Diese Schulden sind beispielsweise entstanden, um die
Zustimmung unserer Nachbarn zur Wiedervereinigung
zu erreichen. Diese Schulden sind gemacht worden, weil
ein Ereignis eintrat, das viele sehnlichst erhofften, aber
mit dem niemand kurzfristig rechnen konnte. Die Zahlen
sind eindeutig: Der Schuldenstand am 31. Dezember
Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel ({33})
1989 betrug 490 Milliarden DM. Wir hatten eine Staatsquote von unter 46 Prozent.
Ich bedanke mich beim Parlament der Bundesrepublik Deutschland der 13. Legislaturperiode, ich bedanke
mich bei der damaligen Bundesregierung, und ich
bedanke mich beim damaligen Bundeskanzler, daß diese
Schulden gemacht worden sind und daß es Anlaß gab,
sie zu machen.
({34})
Wir danken für diese Hilfe. Wir wissen, daß wir weitere
Hilfe benötigen.
Die Arbeitslosenquote liegt in Thüringen bei
14,7 Prozent. Niemand wird behaupten, daß dies so
bleiben kann. Dabei haben wir in Thüringen noch die
niedrigste Arbeitslosenquote aller neuen Länder. Die
Arbeitslosigkeit bleibt unsere größte Sorge. Das Sparpaket und eine Reihe weiterer jetzt vom Bundestag
beschlossener Gesetze führen zu einer finanziellen
Schlechterstellung der jungen Länder. Wir werden
weniger in der Lage sein, den Menschen Perspektiven zu
geben.
Der Bundeskanzler hat im letzten Jahr gesagt: Wir
wollen uns jederzeit - nicht erst in vier Jahren - daran
messen lassen, in welchem Maße wir zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit beigetragen haben. Ich stelle fest,
die Arbeitslosigkeit in den jungen Ländern ist nach dem
Amtsantritt der neuen Regierung vor einem Jahr höher
als zuvor.
({35})
Deswegen wäre ich ganz dankbar, wenn die Freudenbekundungen, die ich heute gehört habe, gelegentlich die
Fußnote enthalten hätten: Trifft leider nicht zu für die
jungen Länder. Dies trifft tatsächlich nicht zu. Darum
sorgen wir uns gemeinsam.
Wenn sich, wie ich hoffe, der Aufschwung einstellt,
dann müssen wir an ihm beteiligt werden.
({36})
- Sie machen es sich mit Ihrem Zuruf zu einfach. Die
höchste Arbeitslosigkeit herrscht dort, wo die PDS an
der Regierung beteiligt ist. Die niedrigste Arbeitslosenrate gibt es dort, wo wir allein regieren.
({37})
Wir brauchen Reformen und eine baldige gemeinsame Beratung über die Folgen des Karlsruher Urteils. Wir
müssen einen zweiten Solidarpakt auf den Weg bringen, der erfreulicherweise von allen Verantwortlichen sowohl vom Finanzminister als auch vom Bundeskanzler - für notwendig erkannt worden ist. Wir haben mit
den Vorarbeiten begonnen. Wir brauchen Hilfe, nicht
um uns an Subventionen zu gewöhnen, sondern um eine
gesamtstaatliche Aufgabe zu bewältigen; denn der Aufbau Ost ist nicht allein unsere Angelegenheit, sondern
eine gesamtstaatliche Angelegenheit. Der Krieg ist nicht
von Sachsen und Thüringen verloren worden, sondern
von ganz Deutschland.
({38})
Der Bundeskanzler hat vor einem Jahr gesagt: „Wir
werden die Solidarität mit den Menschen im Osten des
Landes auch weiterhin brauchen. Wer die dafür nötigen
Leistungen zurückfährt, der gefährdet das Erreichte.“
Der Satz hat vor einem Jahr gestimmt; dieser Satz
stimmt auch heute. Ich bitte Sie, uns zu helfen und nicht
das aufs Spiel zu setzen, was wir in den jungen Ländern
erreicht haben. Alle Länder brauchen die Solidarität
zwischen Bund und Ländern. Wir in den jungen Ländern
brauchen sie ganz besonders, damit wir auf eigenen Beinen stehen können. Wir bieten unsere Mitarbeit an, um
Rahmenbedingungen zu schaffen, die uns alle voranbringen; denn unser Ziel ist ganz einfach: Wir wollen
wieder den Platz in Deutschland einnehmen, den wir
ohne deutsche Teilung längst eingenommen hätten. Dies
ist unser Ziel und auch, glaube ich, eine berechtigte
Bitte.
({39})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort Rolf Schwanitz.
Herr Ministerpräsident, ich
möchte kurz auf das eingehen, was Sie zum Infrastrukturausbau gesagt haben. Ich bin immer dann besonders
aufmerksam, wenn Mitglieder Ihrer Staatsregierung im
Bundestag reden. Am 9. September hat Ihr Finanzminister hier von angeblichen Problemen bei der Finanzierung der Strecke A 4 berichtet. Ich habe ihn danach angeschrieben, um ihn zu korrigieren und ihm mitzuteilen,
daß dies nicht stimme. Er hat nicht reagiert. Das ist die
Vorgeschichte.
Nun haben Sie sich hier als Hüter der Interessen der
neuen Länder und als Kritiker von angeblichen Sparmaßnahmen im Hinblick auf den Infrastrukturausbau
präsentiert. Ich habe in Vorbereitung - weil ich natürlich
wußte, daß Sie heute kommen - extra noch einmal die
Zahlen über die Höhe der Mittelansätze herausgesucht.
Ich denke, man muß die Zahlen einfach einmal nennen.
Bei den Neu- und Ausbaumaßnahmen im Bereich
der Bundesfernstraßen lag der Anteil Thüringens in
Ostdeutschland 1998 bei 21 Prozent. Dieser wird nun
mit dem Investitionsprogramm auf 28 Prozent angehoben. Aber lassen wir einmal die relativen Zahlen
weg.
1998 standen unter der letzten Regierung für Neuund Ausbaumaßnahmen 560 Millionen DM zur Verfügung. Wir haben jetzt ein Investitionsprogramm für
den Zeitraum 1999 bis 2002 verabschiedet, in dem
für Ausbau- und Neubaumaßnahmen in Thüringen
eine Gesamtsumme von 2,95 Milliarden DM verankert
ist.
({0})
Das sind 740 Millionen DM pro Jahr - ich sage es noch
einmal: 740 Millionen DM pro Jahr - gegenüber 560
Millionen DM im Jahre 1998 unter der Regierung Kohl.
Diese Mittel stehen in den nächsten drei Jahren für Neuund Ausbaumaßnahmen in Thüringen zur Verfügung.
Das sind 30 Prozent mehr, Herr Ministerpräsident. Sie
Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel ({1})
haben überhaupt keinen Grund, sich hier zum Kläger zu
machen.
({2})
Herr Ministerpräsident, möchten Sie erwidern? - Dann haben Sie das
Wort.
Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident ({0}):
Herr Schwanitz, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie bei mir
besonders aufmerksam zuhören. Das hat ja auch einen
guten Grund: Sie sind in Thüringen geboren; den Vorteil
hat nicht jeder.
Ich finde es auch sehr beruhigend, daß Sie sich auf
Dinge vorbereitet haben, die ich hätte sagen können, die
ich aber - wenn Sie genau zugehört hätten, hätten Sie es
gemerkt - nicht gesagt habe.
({1})
- Nein. Sie können das noch einmal nachlesen. - Ich
weiß, daß Sie immer damit rechnen, daß ich das sage,
und ich sage das auch oft. Aber ich habe lediglich darauf
hingewiesen, daß wir in den neuen Ländern nicht auf
den Ausbau vorhandener Strecken setzen können, weil
wir solche Strecken, wie sie im Westen in 50 Jahren gebaut worden sind, noch nicht haben - daher können wir
sie auch nicht ausbauen -, sondern daß wir neben dem
Ausbau auch den Neubau brauchen.
({2})
Wenn Sie mir jetzt antworten, daß der Beitrag in irgendeinem Jahr höher ist - das mag ja richtig sein; ich
kann die Zahlen nicht überprüfen -, dann sage ich Ihnen: Lieber Herr Schwanitz, wir haben doch nicht so
gewettet, daß es dann, wenn die Bundesregierung von
einem sozialdemokratischen Kanzler geleitet wird, keine
Gerechtigkeit mehr gibt. Wir erhalten mehr, weil wir einen Anspruch darauf haben,
({3})
weil nämlich bei uns 1940 der letzte Kilometer Autobahn gebaut worden ist. Wenn ich mich recht erinnere,
ist das in einigen anderen Ländern anders.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Aber der
Streit um die nicht verwirklichten Verkehrswege geht
weiter.
({4})
Nun spricht für die
SPD-Fraktion der Kollege Klaus Hagemann.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Zwischenzeitlich ist
es ein geschichtlicher Fakt, daß während der 13. Legislaturperiode, in der Zeit, als CDU/CSU und F.D.P. die
politische Verantwortung getragen haben, der höchste
Stand der Arbeitslosigkeit in unserem Land erreicht
wurde. Ich erinnere mich noch daran, daß der Kollege
Rexrodt zum Jahreswechsel 1996/97 auf die Zahl von 5
Millionen Arbeitslosen hingewiesen hat.
Wir hatten in dieser Zeit die höchsten Steuersätze in
unserem Land. Wir erinnern uns auch, daß Steuererhöhungen nicht vorgesehen waren, daß von der Bundesregierung eigentlich versprochen worden war, die Steuern
nicht zu erhöhen. Es waren in der 13. Legislaturperiode,
als Sie die Verantwortung getragen haben, die höchsten
Abgabensätze und die höchste Verschuldung festzustellen. Das ist, wie gesagt, ein geschichtlicher Fakt.
Ursache hierfür ist nicht nur die deutsche Einheit; die
Schulden wurden vielmehr schon in der Zeit zwischen
1983 und 1989 von fast 300 Milliarden DM auf über
500 Milliarden DM erhöht.
({0})
Meine Damen und Herren, durch diese Regierung,
durch den Haushalt, den wir in dieser Woche verabschieden werden, wird ein Paradigmenwechsel eintreten.
Wir werden - das hat sich schon gezeigt - die Arbeitslosigkeit verringern. Sie hat sich bereits verringert. Dabei
ist es mir egal, aus welchem Grunde das geschieht.
Wichtig ist, daß abgebaut wird, daß Arbeitslose wieder
in Arbeit und Brot gekommen sind.
({1})
Die Steuern sind gesenkt worden und werden weiter
gesenkt. Familien werden entlastet, Arbeitnehmer werden entlastet, kleine Betriebe werden entlastet. Bis zum
Jahre 2003 beträgt die Summe dieser Entlastungen
46 Milliarden DM.
Auch die Sozialabgaben sind erstmals seit vielen
Jahren gesenkt worden. Die Senkung der Beiträge zur
Rentenversicherung wurde durch die Ökosteuer finanziert. Lassen Sie mich hier noch einen Punkt klarstellen,
auf den der Kollege Glos heute morgen hingewiesen hat:
In den Jahren zwischen 1989 und 1994 wurde die Mineralölsteuer um 50 Pfennige erhöht; das Geld floß aber
nicht wie jetzt bei der Ökosteuer in die Rentenkasse,
sondern in die Staatskasse, damit Theo Waigel die Löcher stopfen konnte. Auch das muß man immer wieder
deutlich herausstellen.
({2})
Wir sind auch das Hauptproblem, die Nettoneuverschuldung, angegangen und haben sie zum erstenmal
seit Jahren wieder zurückgeführt. Wir haben es dabei
geschafft, die 50-Milliarden-DM-Grenze zu unterschreiten.
({3})
Meine Damen und Herren, die Politik, von der ich
hier spreche, hat auch in der Anhörung bei den Sachverständigen - darauf wurde schon mehrfach hingewiesen deutliche Anerkennung gefunden. Ich möchte hier nur
drei Stimmen erwähnen: Professor Eekhoff - ich glaube,
er ist CDU-Mitglied, zumindest war er Staatssekretär in
einer CDU/F.D.P.-Regierung - bezeichnete diese Politik
als einen Schritt in die richtige Richtung. Professor
Walter von der Deutschen Bank warnte davor - er sagte
das an die Adresse der Opposition -, die Bemühungen
der Bundesregierung zu torpedieren. Recht hat er.
({4})
Auch der Bundesrechnungshof - meiner Meinung
nach das wichtigste Kontrollorgan in unserem Lande erkannte die Absicht der Bundesregierung an, den Bundeshaushalt dauerhaft zu konsolidieren und die Neuverschuldung bis zum Ende der nächsten Wahlperiode auf
Null zurückzuführen. Auch von seiten des Bundesrechnungshofes fand unsere Politik deutliche Anerkennung.
In der Sachverständigenanhörung des Haushaltsausschusses hat der Bundesrechnungshof auch noch einmal
deutlich davor gewarnt, jedes Jahr mehr Geld auszugeben, als eingenommen werde, weil die Gestaltungsmöglichkeiten der nächsten Generation - Generationen müßte man schon bald sagen - stark eingeschränkt oder ganz behindert würden, wenn wir ihr einen solchen Berg an Schulden hinterließen.
Nur durch Einsparungen bei den Zinszahlungen gibt
es Spielraum für die Haushaltsgestaltung und kann wieder mehr Geld für Bildung, Forschung, Wissenschaft
und für eine aktive Arbeitsmarktpolitik freigeschaufelt
werden. Das ist unser Ziel.
({5})
Wenn wir die Zukunft gestalten wollen, dann brauchen
wir Mittel für solche Zukunftsaufgaben.
({6})
In den nächsten Jahren bleibt sicherlich noch Erhebliches zu tun. Wir haben den Weg und die Richtung geändert, aber es ist wichtig, weitere Schritte zu gehen. Diese
wurden in Angriff genommen. Wir müssen den Paradigmenwechsel, der mit dem Haushalt 2000 begonnen
wurde, fortsetzen.
({7})
Meine Damen und Herren, gestern und heute war in
der Debatte deutlich zu beobachten, daß CDU/CSU und
F.D.P. immer sehr nervös und gereizt reagierten, wenn
über die hohe Staatsverschuldung gesprochen wurde.
Stimmt etwa hier das Sprichwort: Getroffene Hunde
bellen?
({8})
Wenn man genau zugehört hat, stellte man fest, daß in
vielen Diskussionsbeiträgen der Eindruck vermittelt
wurde, als seien für die objektiv vorhandenen Bundesschulden in Höhe von 1,5 Billionen DM, das entspricht
1 500 Milliarden DM, Honecker und seine SED bzw.
Helmut Schmidt verantwortlich. Dazwischen scheint es
keine Schuldenmacher gegeben zu haben. Ich habe ja
vorhin schon dargelegt, wie die Situation aussieht: Gerade in der Zeit zwischen 1982/83 und 1999 wurden entsprechende Entscheidungen getroffen.
Fast alle begrüßen die deutsche Einheit. Auch wir
sind glücklich darüber, daß sie gekommen ist. Gleichwohl ist festzustellen, daß sie falsch finanziert worden
ist. Man hat das süße Gift der Verschuldung gewählt
und in die Sozialkassen gegriffen. Die Kosten der deutschen Einheit sind über die Lohnnebenkosten finanziert
worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Nervosität
und Unruhe sind bei Ihnen auch zu beobachten, wenn es
um die Gestaltung und um die Auswirkungen des Sparund Zukunftprogramms geht, das wir Ihnen vorgelegt
haben. Von Ihnen wird - das haben wir heute wieder hören können - vieles schlechtgeredet und herabgewürdigt.
Auch wird von Chaospolitik gesprochen. Ihre Nervosität, weil unsere Vorlagen bei der Fachwelt im Grundsatz
Anerkennung finden, ist nicht zu übersehen.
({9})
Wie wird Ihr Verhalten in der Ihnen nahestehenden
Presse kommentiert? Auch ich möchte den Kommentar
der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 22. November im Wortlaut zitieren, der heute morgen schon
erwähnt worden ist:
Dennoch müssen Union und FDP mit ihren Kritteleien aufpassen. Sie können nicht jedes Bauernopfer aufspießen und gleichzeitig so tun, als wenn
nicht oder zu wenig gespart wird. Damit drohen sie
selbst in eine Glaubwürdigkeitsfalle zu laufen.
({10})
- Recht hat der Kommentator.
Lassen Sie mich die Beispiele, die heute zum Thema
Glaubwürdigkeitsfalle schon genannt worden sind, noch
um einige wenige ergänzen. Mein erstes Stichwort ist
die Förderung der ehrenamtlichen Arbeit unserer
Vereine und der in ihnen Tätigen. Viele Jahre und Jahrzehnte, meine Damen und Herren von der Union und der
F.D.P., ist nichts geschehen. Über Mittel zur Förderung
der Vereine durfte nicht geredet werden. Jetzt, seitdem
CDU und CSU Oppositionsparteien sind, haben sie das
Ehrenamt entdeckt und bringen Anträge ein, die zu
Steuerausfällen von mehr als 1 Milliarde DM führen
würden. Wenn es um Glaubwürdigkeit geht, muß man
fragen, warum Sie nicht schon in Ihrer Regierungszeit
gehandelt und die Vereine entsprechend unterstützt haben. Das war ja auch früher schon dringend notwendig.
({11})
Was die Finanzierung der Maßnahmen angeht, so legen Sie in Ihrem Antrag nicht dar, wie Sie sich vorstellen, die Steuerausfälle zu kompensieren. Wir von der
SPD und den Grünen haben zwischenzeitlich in diesem
Bereich Entscheidungen getroffen, die den Vereinen und
den ehrenamtlich Tätigen etwas bringen. Es wird jetzt
gehandelt und nicht nur über Anträge geredet.
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch ich
möchte noch einmal auf die Debatte zur Steuerreform
eingehen. Sie von der Opposition überbieten sich gegenseitig bei der Höhe der angeblichen Nettoentlastung.
30 Milliarden DM, 50 Milliarden DM, sogar 80 Milliarden DM wurden hier genannt. Aber niemand von Ihnen
sagt etwas dazu, wie die entstehenden Haushaltslöcher
bei Bund, Ländern und Gemeinden geschlossen werden
können. Das richtet sich auch an Sie, Herr Ministerpräsident: Zu der Frage, wie weitere Löcher in Ihrem Landeshaushalt und in den Haushalten Ihrer Gemeinden geschlossen werden können, haben Sie sich nicht geäußert.
Wer eine deutliche Steuerentlastung will, muß aber auch
sagen, wo auf der Ausgabenseite der Haushalte gespart
werden soll. Hier war leider Fehlanzeige.
({13})
Der Sachverständigenrat - hier haben wir wieder
die fachliche Kompetenz auf unserer Seite - hat beispielsweise das Konzept der CSU zerrissen. Von Ihnen
ist nichts Konkretes gesagt worden, wie im Haushalt
2000 gespart werden soll. Sie haben nur eine Menge
populistischer Erhöhungsanträge eingebracht: im Verkehrsbereich, in der Landwirtschaft, bei der Bundeswehr, bei der Deutschen Welle, im Bereich Kultur und
in vielen anderen Bereichen. Die Forderungen mögen im
Einzelfall richtig gewesen sein. Aber man muß auch deren Finanzierung deutlich darlegen. Denn das süße Gift
einer immer stärkeren Verschuldung darf nicht weiterwirken. Deswegen haben wir diese Anträge ablehnen
müssen.
({14})
Ich glaube, daß diese Entscheidung richtig war, damit
wir aus der Schuldenfalle herauskommen, in die Sie uns
gebracht haben.
Steuersenkungen in erheblichem Umfang, deutliche
Mehrausgaben im Haushalt, Klagen, daß nicht genügend
gespart werde, und auch noch Klagen über abnehmende
Leistungen des Staates - es ist unmöglich, dem gerecht
zu werden. Dies ist die Quadratur des Kreises, und dies
müssen alle, die die Dinge objektiv sehen, bestätigen.
({15})
Fairerweise muß ich sagen, daß auch Sie Einsparvorschläge vorgelegt hatten. Sie hatten vorgeschlagen, das
Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
und die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik herunterzufahren. Jetzt ist Ministerpräsident Vogel leider
weggegangen. Es hätte in erster Linie den jungen Ländern geschadet, wenn die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik gestrichen worden wären und wenn die
vielen Stellen aus Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und
den Förder- und Unterstützungsprogrammen nicht geschaffen worden wären. Dies möchte ich noch einmal
herausstellen.
Nun zur aktiven Arbeitsmarktpolitik. Auch hierzu
fällt mir eines auf. Dies wurde schon unterstrichen, und
ich wiederhole es: Es ist schon seltsam, daß Gelder für
die aktive Arbeitsmarktpolitik, die im Wahljahr 1998
auch von Ihnen anerkannt, beantragt und ausgegeben
wurden und - dies unterstreiche ich - richtig waren, jetzt
plötzlich falsch sein sollen und Ihrer Meinung nach
wegfallen können. Nein, hier ist Stetigkeit gefragt. Es
muß so gehandelt werden, daß die Gelder zur Verfügung
gestellt werden.
Es ist der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit in
Nürnberg, Herr Jagoda, gewesen, der im Haushaltsausschuß noch einmal deutlich unterstrichen hat, daß die
richtige Richtung eingeschlagen worden ist und daß dieses Geld auch gebraucht wird.
Meine Damen und Herren, als Kommunalpolitiker,
der ich auch bin, möchte ich hinzufügen: Ich würde
mich auch über den Wegfall des Jugendprogramms im
Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik beschweren;
denn durch diese Maßnahmen gelingt es doch auch,
Menschen aus der Sozialhilfe herauszuholen, sie aus der
Arbeitslosigkeit herauszuholen, wodurch auf der anderen Seite kommunale Mittel eingespart werden. Außerdem kann den Menschen geholfen werden, damit sie
wieder Selbstbewußtsein bekommen.
({16})
Ich bin selbst Vorsitzender eines Jugendhilfeausschusses im Landkreis Alzey-Worms, und ich muß sagen: Auch wir sind dankbar, daß es dieses Jugendprogramm gibt und daß die Jugendlichen nicht in eine Entwicklung abgleiten, die wir nicht begrüßen würden.
Meine Damen und Herren, weitere Finanzierungen
sind notwendig. In diesem Zusammenhang sind Kindergeld, Wohngeld und Erziehungsgeld zu nennen. Alle
diese Mittel tragen mit dazu bei, die Kommunen zu entlasten und ihnen wieder Spielraum zu geben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluß kommen. Alle Fachleute sagen, daß wir im Jahr
2000 ein deutliches Wachstum von 2,5 Prozent bis
3 Prozent haben werden. Unter diesen Voraussetzungen
lassen sich die von uns eingeleiteten dringenden Reformen besser verwirklichen. Dies kann, so schreibt die
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“, nur gelingen, wenn
sich alle daran beteiligen.
Ich habe heute morgen die Rede von Herrn Glos gehört.
({17})
Ich muß sagen: Meine Damen und Herren, Sie haben
leider kein Programm, keine Ziele vorgetragen. Sie haben Ihre Politik nicht dargelegt.
({18})
Wir haben ein Programm. Das legen wir Ihnen heute
vor. Machen Sie mit, um die Zukunftsfähigkeit unseres
Staates weiter zu stärken.
({19})
Ich gebe nun dem
Staatsminister im Bundeskanzleramt, Dr. Michael Naumann, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Herr Abgeordneter Lammert, Sie werfen der neuen Institution des Staatsministers für Kultur und Medienpolitik beim Bundeskanzleramt vor, ein Kaiser ohne Kleider
zu sein. Ich weiß nicht, wo Sie sich einkleiden und wie
teuer Ihre Kleider sind. Aber Tatsache ist, daß diese
Metapher, die aus einem Märchen stammt, nichts damit
zu tun hat, daß diese neue Institution im laufenden
Haushaltsjahr um 180 Millionen DM über dem Etat
liegt, den Sie in der vorherigen Regierung in der Summe
derselben Etatposten bei den diversen Ministerien haben
erreichen können.
({0})
Auch im nächsten und im übernächsten Jahr werden wir
über dem Haushaltsansatz liegen, den die frühere Bundesregierung zur Verfügung gehabt hat.
({1})
- Das stimmt, Herr Kampeter. Sie selber wissen das
ganz genau, denn Sie haben diesen Haushalt, so gut es
ging, zu zerpflücken versucht. Das ist Ihnen jedoch nicht
gelungen.
({2})
Ich wollte hier aber etwas ganz anderes kurz zur
Sprache bringen. Ich bedaure es, daß Ministerpräsident
Vogel wieder gegangen ist, denn er hätte Sie darüber
aufklären können, wie diese neue Institution und die
Politik des Bundeskanzleramtes - insofern auch meine
Politik - in den neuen Ländern beurteilt werden. Tatsache ist, daß bis zum Jahre 2003 auf Grund unserer Politik eine Gesamtsumme von einer halben Milliarde DM
mobilisiert wird, um daniederliegende Kulturinstitutionen der ehemaligen DDR zu renovieren. Darauf sind
wir stolz.
({3})
Sie haben vergessen, daß der Bund 1993 in den neuen
Ländern den Kulturförderungsvorhang hat fallen lassen.
Das haben wir geändert.
Noch etwas: Als dieses Amt geschaffen wurde, gab
es vor allem aus den CDU-regierten Ländern, ganz besonders aus Bayern, lebhaften Protest bezüglich der Verfassungsmäßigkeit dieser Institution. Diesen Protest hört
man nicht mehr. Allerdings erinnere ich mich sehr wohl
noch daran, wie sich zum Beispiel mein Kollege Zehetmair über den Einsatz der Bundesregierung hinsichtlich
der Aufrechterhaltung der Buchpreisbindung bei der
Kommission in Brüssel geäußert hat.
({4})
Das seien, so sagte er, die Ritte eines Don Quichotte gegen die Windmühlen der Kommission. Aber eines steht
fest: Sancho Pansa habe ich in den letzten Wochen in
Brüssel nicht mehr gesehen.
({5})
Die Wahrheit ist: Ohne den Einsatz der Bundesregierung
wäre der gebundene Ladenpreis gefallen, und Sie hätten
bereits heute eine Konzentrationsbewegung im Buchhandel, durch die ein Verlust von über 10 000 Arbeitsplätzen binnen eines Jahres zu beklagen gewesen wäre.
Die Verhinderung ist unter anderem dem bundespolitischen Einsatz zu verdanken.
({6})
Ich habe es sehr bedauert, daß bei der letzten Ratssitzung der Kulturminister Europas der Vertreter der Länder - die im übrigen Mitsprache, ja sogar Sachkompetenz beanspruchen - gar nicht erst gekommen ist. So
sieht es in der Wirklichkeit aus.
({7})
- Herr Zehetmair. - Weil das so ist, empfehle ich doch
sehr, Herr Abgeordneter, sich bei der Beurteilung dieses
Amtes nicht auf die Feuilletonausschnitte des CDUParteivorstands zu verlassen. Lesen Sie die ganzen Artikel, zum Beispiel in der „Zeit“! Das ist sehr erfreulich
und sehr schön.
({8})
Außerdem empfehle ich Ihnen - wenn wir uns schon
Zeitungen vorhalten - die Sonntagsausgabe des „Tagesspiegels“, in der klar und deutlich zu lesen ist: „Diese
Bilanz lässt sich sehen“.
({9})
Aber, Herr Abgeordneter, es gibt auch zahllose Gebiete, auf denen es - gottlob - im Kulturausschuß des
Bundestages Einheit, Eintracht, ja sogar dieselben Vorstellungen über die Richtigkeit der Bundespolitik gibt.
Da möchte ich ganz besonders das Bündnis für den
Film erwähnen. Vor wenigen Wochen sagte Ihr Fraktionsvorsitzender, von dem Bündnis für den Film sei
nichts mehr zu hören. Ich habe ihm damals gesagt: längere Antennen, dann würde er etwas davon hören, und
zwar aus seiner eigenen Fraktion.
Das Bündnis für den Film wird - und es hat das bereits getan; das steht fest - die Situation der freien Produzenten in Deutschland verbessern. Das wird, falls das
nicht konsensual zwischen den öffentlich-rechtlichen
Anstalten und den Filmproduzenten möglich ist, mit einer auch von Ihrer Fraktion begrüßten Novellierung des
Filmförderungsgesetzes geschehen. Am Ende dieses
Bündnisses für den Film wird - auch mit Ihrer Hilfe eine verbesserte Filmlandschaft in Deutschland, die eine
größere Exportfähigkeit vorweisen kann, stehen.
Danke schön.
({10})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der
Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2143. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Darf ich fragen, wie die Fraktion der PDS abstimmt?
({0})
Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der
PDS abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/2141. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen?
- Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abge-
lehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den
Einzelplan 04 in der Ausschußfassung. Die Fraktion der
SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist
der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kanntgegeben.*) Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe auf:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
- Drucksachen 14/1905, 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Herbert Frankenhauser
Dr. Werner Hoyer
Dr. Barbara Höll
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU
vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner dem Kollegen Herbert Frankenhauser für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Da wir gestern und heute, aber auch in den vergangenen
Wochen ausführlich über die Haushaltsgrundsätze und
die tatsächliche und vermeintliche Sparpolitik diskutiert
haben, kann ich mich unmittelbar dem Einzelplan 05 -
Auswärtiges Amt - zuwenden, einem kleinen, aber
durchaus feinen Einzeletat.
*) Seite 6566 C
Auf dem Strategiekongreß - besser gesagt: Beruhigungskongreß - der Grünen am vergangenen Sonntag in
Kassel hat der Außenminister zu mehr Kampfgeist aufgerufen. Mehr Kampfgeist, Herr Außenminister, hätten
wir von Ihnen erwartet, als Ihr Finanzminister mit seinem Rasenmäher auch und insbesondere den Einzelplan
des Auswärtigen Amtes schwer verunstaltet hat.
({0})
Dabei handelte es sich leider nicht um eine einmalige
Unglücksaktion. Besorgniserregend ist auch der Finanzplan, der beinhaltet, daß dieser Einzelplan im Jahr 2003
vom Ansatz her auf dem Stand von 1990 sein wird. In
Anbetracht der seit 1990 objektiv erheblich gewachsenen außenpolitischen Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Bundesrepublik Deutschland, vor allem aber
unter Einbeziehung der von dieser Regierung postulierten außenpolitischen Zielsetzungen und Beteiligungen
ist eine solche Finanzplanung nicht sachgerecht, ja geradezu widersinnig.
In bezug auf das natürliche und berechtigte Anliegen,
unsere Interessen bei ständig wachsenden Herausforderungen durch die Globalisierung weltweit wahrzunehmen, ist die rote Grundstruktur dieses Haushaltes
schlichtweg falsch. Im Prinzip ist es so wie beim Knöpfen einer Weste: Wenn man am Anfang falsch einknöpft, geht´s am Ende beim besten Willen nicht aus.
Das wird der Herr Außenminister als mittlerweile ambitionierter Westenträger wohl bestätigen können.
Neben der verkehrt angelegten Grundstruktur ist auch
die detaillierte Ausgestaltung dieses Einzelplans kontraproduktiv und widerspricht im übrigen in weiten Teilen
eklatant früheren Aussagen, Anträgen und Forderungen
der jetzigen Regierungsparteien.
Um die haushaltspolitische Berg- und Talfahrt von
SPD und Grünen zu verdeutlichen, sind ein paar Eckpunkte in Zahlen ausreichend: Gegenüber dem Haushaltsjahr 1998 mit Ausgaben in Höhe von 3,532 Milliarden DM haben Sie die Ausgaben im Haushalt des kommenden Jahres auf 3,471 Milliarden DM, also um 61
Millionen DM - das entspricht etwa 1,7 Prozent -, zurückgefahren. Die Einnahmen erhöhen sich um 47,7
Millionen DM; das entspricht 25,5 Prozent. Ein Vergleich mit dem Haushalt 1999 wäre insoweit irreführend, als Sie im Prinzip lediglich die Lafontaineschen
Einmalzugaben dem Eichelschen Rasenmäher geopfert
haben.
In aller Kürze eine einfache Rechnung: Sie haben den
Haushalt 1999 gegenüber dem Haushalt 1998 um zirka
109 Millionen DM erhöht und kürzen nun den Haushalt
2000 gegenüber dem Haushalt 1999 um zirka 170 Millionen DM; das heißt: Sie reduzieren hier um zirka
61 Millionen DM.
({1})
Wenn Sie davon den Einmalposten von 38,5 Millionen
DM für die EU-Ratspräsidentschaft und die rund
23 Millionen DM, um die Sie die DemokratisierungsVizepräsident Rudolf Seiters
und Ausstattungshilfe verringert haben, indem Sie sie
einfach undotiert auf andere Einzelpläne abgeschoben
haben, abziehen, sind Sie - nicht nur symbolisch praktisch auf Null.
({2})
Diesen Vorgang können Sie als alles mögliche bezeichnen, nur nicht als Sparen.
({3})
Wenn allerdings die Erhöhungsanträge von SPD und
Grünen für die zurückliegenden Haushalte der Jahre
1997 und 1998 seinerzeit eine Mehrheit gefunden hätten, wären Sie nun tatsächlich zum Sparen gezwungen,
und zwar in dreistelliger Millionenhöhe.
Wenn wir den Blick auf einzelne Titel werfen, wird
die haushaltspolitische Achterbahnfahrt der Regierungsparteien besonders offenkundig. So haben Sie, die jetzigen Regierungsparteien, als Opposition zum Beispiel gefordert und beantragt, im Haushalt 1997 22,5 Millionen DM mehr für humanitäre Hilfe und Flüchtlingshilfe
einzustellen. Das Ergebnis heute ist eine Kürzung um
11 Millionen DM. Im übrigen haben dem nicht einmal
die Koalitionsfraktionen im Ausschuß für Menschenrechte zugestimmt.
({4})
Im Haushalt 1998 haben Sie 4,9 Millionen DM bzw.
14,1 Millionen DM mehr für Organisationen im internationalen Bereich gefordert. Dies betrifft zum Beispiel
das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, das Hilfswerk des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten
Nationen und das Hilfsprogramm der UNRWA. Heute
ist das Ergebnis eine Kürzung um mehr als 4 Millionen DM. 4,3 Millionen DM mehr für die Unterstützung
von Maßnahmen der OSZE war Ihre seinerzeitige Forderung. Das Ergebnis heute ist eine Kürzung um 5 Millionen DM.
Dies ist nur ein minimaler Auszug aus Ihrer falsch
angelegten Streichliste, der aber schon deutlich macht,
daß Sie weniger ein Problem mit Haushaltsmitteln als
vielmehr ein Problem mit Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit haben.
({5})
Völlig unverständlich und inakzeptabel sind aber beispielsweise die überproportionalen Mittelkürzungen bei
den Zuwendungen an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, die langfristig zu dessen Existenzgefährdung führen würden, die Schließung zahlreicher
Auslandsvertretungen des AA und quasi als „Geschenk“
zum 250. Geburtstag von Johann Wolfgang von Goethe
die Schließung von zahlreichen - die Zahlen widersprechen sich zwischenzeitlich laufend - Goethe-Instituten
im Ausland.
({6})
Meine Fraktion hat durch entsprechende Anträge versucht - wir tun das auch heute wieder -, den Haushalt
des Auswärtigen Amtes im Rahmen der vorgegebenen
Eckdaten einigermaßen wieder ins Lot zu bringen, was
bislang von Ihnen leider abgelehnt worden ist.
({7})
Daß Sie im parlamentarischen Verfahren den Etat
insgesamt aber um 20,5 Millionen DM erhöht haben,
macht deutlich, wofür Sie letztendlich Geld einsetzen
wollen. Die Mehrmittel, nicht nur im Einzelplan 05, landen alle in dem Bereich Konfliktprävention und zivile
Konfliktbearbeitung.
({8})
Herr Staatsminister Dr. Volmer feiert dies
({9})
in einer Presseerklärung vom 22. November dieses Jahres als - ich zitiere - „großen Erfolg der grünen Verhandlungsstrategie im Koalitionsausschuß“.
({10})
Das mag so sein. Wahr ist aber offensichtlich auch, daß
diese 20 Millionen DM Zusatzmittel eine nachgereichte
Beruhigungsspritze für die Grünen im Zusammenhang
mit der türkischen Panzererprobung darstellt.
({11})
Sehr bemerkenswert ist, daß bislang - vielleicht außer
den Initiatoren und den eigentlichen Geldempfängern niemand so recht weiß, was mit diesen Mitteln genau
geschehen soll. Ist es als große AB-Maßnahme für grünrote Personalunterbringungsfälle gedacht, oder wird
nach dem Motto verfahren - wie es in der „Welt“ hieß -:
„Und nutzt es nichts, so wird es auch nicht schaden“?
Ich meine, daß über die genauen Inhalte und Zielvorstellungen in den zuständigen Ausschüssen endlich einmal beraten werden muß.
Um weiteren Schaden von der Europäischen Union
abzuwenden, der durch das unkontrollierte, ja hanebüchene Finanzwesen der EU schon entstanden ist, verweise ich auf den jüngsten Bericht des Europäischen
Rechnungshofes. Ich fordere Sie, Herr Außenminister,
dringend auf, endlich der Steuerverschwendung und
dem Subventionsbetrug geeignete Abwehrmaßnahmen
entgegenzusetzen.
({12})
Das erfordert zum Beispiel eine wirklich unabhängige
Betrugsbekämpfungsbehörde, OLAF, die nicht der
Kommission, sondern dem Europäischen Rechnungshof
angegliedert wird.
({13})
Es ist weiterhin unabdingbar, daß verstärkt nationale
Kofinanzierungen, eine Umschichtung von Subventionen zu Darlehen und bei Mißbrauch oder Betrug drastiHerbert Frankenhauser
sche Kürzungen der Zuwendungen vorgenommen werden müssen. Auch hier, Herr Außenminister, ist mehr
Kampfgeist gefordert.
({14})
Wir könnten ja auch einmal - bei allen rechtlichen
Schwierigkeiten - mit der Aussetzung unserer Zahlungen an die EU drohen. Sie wissen durch das Beispiel Ihres Finanzministers, daß so etwas wirkt - nach dem
Motto: Ohne Moos nix los.
({15})
In der ersten Lesung des Haushaltes 2000 haben Sie,
Herr Außenminister - wohl in Vorahnung des „Leidzufügungspotentials“ Ihrer Koalition - gesagt - ich darf
Sie zitieren -:
Ich fürchte, daß wir sehr beten müssen, damit vieles
von dem, was versprochen wurde,
- von Ihrer Koalition auch eingehalten wird.
Herr Außenminister, ganz offenbar haben Sie auch zuwenig gebetet;
({16})
denn eingehalten wurde eigentlich nichts.
({17})
Dieser Haushalt wird den Interessen Deutschlands
und seiner Bürger nicht gerecht. Wir lehnen ihn deshalb
ab.
Vielen Dank.
({18})
Bevor wir in der
Aussprache fortfahren, gebe ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zum Geschäftsbereich
des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes bekannt. Abgegebene Stimmen 614. Mit Ja haben gestimmt 331, mit Nein haben gestimmt 283, Enthaltungen
keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 614;
davon:
ja: 331
nein: 283
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({2})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({3})
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({6})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({7})
Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({8})
Angelika Graf ({9})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({10})
Hans-Joachim Hacker
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({11})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({12})
Walter Hoffmann
({13})
Iris Hoffmann ({14})
Frank Hofmann ({15})
Ingrid Holzhüter
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({16})
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({17})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({18})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({19})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({20})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({21})
Jutta Müller ({22})
Christian Müller ({23})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({24})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Andreas Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Birgit Roth ({26})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({27})
Ulla Schmidt ({28})
Silvia Schmidt ({29})
Dagmar Schmidt ({30})
Wilhelm Schmidt ({31})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({32})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({33})
Brigitte Schulte ({34})
Reinhard Schultz
({35})
Volkmar Schultz ({36})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dietmar Schütz ({37})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({38})
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({39})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({40})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({41})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({42})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({43})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({44})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({45})
Waltraud Wolff ({46})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({47})
Marieluise Beck ({48})
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({49})
Joseph Fischer ({50})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller
({51})
Kerstin Müller ({52})
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({53})
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt ({54})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({55})
Margareta Wolf ({56})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({57})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({58})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({59})
Peter H. Carstensen
({60})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({61})
Axel E. Fischer ({62})
Dr. Gerhard Friedrich
({63})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({64})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Vizepräsident Rudolf Seiters
Horst Günther ({65})
Gottfried Haschke
({66})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({67})
Hansgeorg Hauser
({68})
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Karl A. Lamers
({69})
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({70})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({71})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({72})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({73})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({74})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({75})
Bernd Neumann ({76})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({77})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard ({78})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({79})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth ({80})
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({81})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({82})
Andreas Schmidt ({83})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze ({84})
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Angelika Volquartz
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({85})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({86})
Hans-Otto Wilhelm ({87})
Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({88})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({89})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({90})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({91})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard
Kolb
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Jürgen W. Möllemann
Dirk Niebel
Günther Friedrich
Nolting
Hans-Joachim Otto
({92})
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Monika Balt
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({93})
Bühler ({94}), Klaus, CDU/CSU Neumann ({95}), Gerhard, SPD
Vizepräsident Rudolf Seiters
Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir fahren in der Aussprache fort. Ich gebe das Wort
für die SPD-Fraktion der Kollegin Uta Titze-Stecher.
({96})
Ja, wir haben keine Drukkerei im Keller.
({0})
- Und vor allem kein Geld im Koffer, Herr Kollege.
Vielen Dank für den Zwischenruf.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Frankenhauser, wenn ich Ihre Hauptbotschaft richtig verstanden habe, so haben Sie gesagt, daß
der vorliegende Einzelplan durch Streichlisten und Kürzungen verunstaltet worden ist, ein Einzelplan, der auf
Grund der Streichungen symbolisch und praktisch auf
Null gefahren wurde, in dem an den falschen Stellen gespart wurde und der deswegen Probleme der Glaubwürdigkeit mit sich bringt. Dazu muß ich sagen: Ich weise
dieses strikt zurück, und ich werde Ihnen im Verlauf
meiner Rede bei den Punkten, die Sie als Belege für diese Bewertung gebracht haben, nachweisen, daß es sich
nicht so verhält, wie Sie dies hier dargestellt haben.
({1})
Im übrigen denke ich, daß ein Einzelplan, der über eine
Summe von knapp 3,5 Milliarden DM verfügt, nun
wahrhaftig nicht das Etikett verdient, er sei auf Null gefahren worden.
({2})
Die konkrete Veranschlagung in den vier großen Kapiteln dieses Einzelplans 05, Geschäftsbereich Auswärtiges Amt, hat allerdings Schwierigkeiten bereitet. Das
geben wir unumwunden zu. Aber in den Kraftakt, den
Marsch in den Schuldenstaat zu stoppen und die Staatsfinanzen zu sanieren, waren alle Ressorts einbezogen.
Das heißt, jedes Ressort mußte seinen Teil dazu beitragen, um diese Ziele zu verwirklichen. Ich kann Ihnen,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
versichern: Sparen bereitet auch uns weder geistige und
mentale noch emotionale Befriedigung. Es ist mühsam,
es ist schwierig, es ist schmerzlich. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ heute schreibt: Der Weg wird langsam zurückgelegt, bis man die Ernte einfahren kann.
Deswegen muß man immer wieder die Ziele nennen,
die die Einsparungen auch rechtfertigen, Herr Kollege
Frankenhauser.
({3})
Es handelt sich um dreierlei Ziele. Wir wollen zum einen die Belastung künftiger Generationen Schritt für
Schritt abbauen. Wir wollen zweitens die Belastung der
jetzigen arbeitenden Bevölkerung durch Steuern und
Abgaben minimieren. Wir wollen drittens für die Zukunft Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit gewinnen,
die ja erst die Voraussetzungen nicht nur für die schönen
Dinge des Lebens sind, Herr Kollege Frankenhauser,
sondern auch für solch profane Dinge wie Wachstum
und Beschäftigung.
({4})
Im ersten Schritt haben wir das Haushaltssanierungsgesetz verabschiedet. Am Ende dieser Woche verabschieden wir den Bundeshaushalt 2000 und tun damit
einen weiteren gigantischen Schritt.
({5})
Die Regierung hat bei der Aufstellung des Haushaltsentwurfs immerhin vor dem großen Problem gestanden,
ein strukturelles Defizit in Höhe von 30 Milliarden DM
abzubauen. Außerdem mußte in der mittelfristigen
Finanzplanung berücksichtigt werden, daß sich im Zeitraum 2000 bis 2003 ein zusätzliches Defizit in Höhe von
50 Milliarden DM auftürmt. Konkret auf das Auswärtige
Amt bezogen bedeutet das, daß im Bundeshaushalt 2000
Einsparungen von über 270 Millionen DM und in jedem
Folgejahr von weiteren 60 Millionen DM zu leisten sind.
Summa summarum ergibt sich so für den Zeitraum
2000 bis 2003 die stattliche Summe von 450 Millionen DM.
Dies ist kein leichtes Unterfangen. Erschwerend
kommt hinzu, daß der Etat des Auswärtigen Amtes zunehmend ein Verwaltungshaushalt ist, der über sehr wenig disponible Mittel verfügt, eigentlich nur in der Höhe
von rund 900 Millionen DM. Schließlich kommt - für
diesen Haushalt wie für andere Ressorts; das ist mir
klar - der hohe Dollarkurs erschwerend hinzu. Außerdem gibt es Unwägbarkeiten im Bereich des politischen
und humanitären Geschehens.
Diese Perspektive macht aber um so deutlicher, daß
das Auswärtige Amt um strukturelle Veränderungen
in allen Bereichen - politische Aufgaben, Kulturpolitik,
Auslandsvertretungen, Personalpolitik und alle dazugehörigen Instrumente - nicht herumkommen wird. Angesagt ist also eine neue Sparkultur auf der Grundlage einer längerfristigen, intelligenten Sparkonzeption. Das
wird nicht möglich sein ohne einschneidende Veränderungen. Zum Teil sind verkrustete Strukturen abzubauen, zum Teil Aufgaben neu zu justieren.
Herr Kollege Frankenhauser, wenn Sie schon die gesetzlichen Aufgaben des Auswärtigen Amtes ansprechen: Ich denke, man wird alle Aufgaben neu gewichten
müssen. Wir haben selbst mit diesem knapp bemessenen
und dennoch ausreichenden Haushalt dafür gesorgt, daß
den Kernaufgaben des Auswärtigen Amtes in den nächsten Jahren sehr wohl nachgekommen werden kann, als
da sind: die Vertretung der Interessen der Bundesrepublik im Ausland, die Pflege und Förderung der auswärtigen Beziehungen, Informationen der Bundesregierung über hiesige Verhältnisse und Entwicklungen im
Ausland, Hilfe und Beistand für Deutsche im Ausland
usw.
Vizepräsident Rudolf Seiters
Angesichts der Fülle und Bedeutung dieser genannten
Aufgaben ist das vorgesehene Finanzvolumen ausreichend und gerechtfertigt.
({6})
Da der Minister im übrigen - das soll ein Kompliment
sein - selbst das beste Vorbild für einen schlankeren,
dabei gesünderen und effizienteren Organismus bietet,
denke ich, daß auch das Haus mit einem schlankeren
Menü wird leben können.
({7})
- Ob Rennerei gesund ist, muß man den Minister selber
fragen. Er macht aber diesen Eindruck.
Die Einsparung von 270 Millionen DM für das Haushaltsjahr 2000 erklärt sich auf der Grundlage der
7,43prozentigen Kürzung des gesamten Finanzplans.
Dieser sah für das Auswärtige Amt ein Volumen von
3,665 Milliarden DM vor. Das Auswärtige Amt hat bereits im Regierungsentwurf Einsparungen vorgenommen, speziell im Kulturbereich, der im Haushaltsjahr
1999, also im laufenden Jahr, auf Wunsch des Ministers
besonders geschont worden ist. Diesmal konnte kein Bereich außen vor bleiben. Abzüglich zu erwartender
Mehreinnahmen blieb dem Haus die Vorgabe, eine globale Minderausgabe in Höhe von 170 Millionen DM
umzusetzen.
Das, was Sie uns nie zugetraut haben, haben wir geschafft, nämlich die titelgenaue Umlegung von 170 Millionen DM. Daß das der Opposition nicht paßt, kann ich
mir denken. Aber als wir in der Opposition waren und
ich die Kollegen der anderen Seite öfter bat, auf Wünsche der Opposition Rücksicht zu nehmen,
({8})
sagte mir der Kollege Uelhoff knapp, kurz und trefflich
- das ist unvergessen -: „Uta, wir regieren.“ So ist das,
Herr Frankenhauser.
({9})
Diesmal regiert die andere Truppe, und die andere Truppe hat andere Schwerpunkte und andere Prioritäten gesetzt, innerhalb derer sehr klug gespart wurde.
Wir haben im parlamentarischen Verfahren die großen Sparpotentiale auf folgende drei Kapitel einigermaßen gerecht aufgeteilt: 35 Millionen DM im Bereich
des Ministeriums, 52 Millionen DM im politischen Bereich - bei den Bewilligungen -, 60 Millionen DM bei
der auswärtigen Kulturpolitik. Die Kürzungen hören
sich zwar harmlos an, im Vorfeld haben wir aber öffentliche Protestreaktionen zu spüren bekommen. Es ist
doch klar, daß es im Ausland, an Standorten, in Städten
und Regionen Proteste gibt, wenn nicht nur GoetheInstitute, sondern sogar Botschaften - insgesamt fünf -,
Generalkonsulate - zwölf an der Zahl - und drei Außenstellen vor der Schließung stehen.
({10})
- Herr Kollege, wenn Sie dazwischenfragen - ich sehe
das als Frage -, dann muß ich Ihnen sagen: Nach dem
Ende des Ost-West-Konflikts war das Auswärtige Amt
sowieso gezwungen, Neujustierungen vorzunehmen, das
heißt, im Netz der Auslandsvertretungen Prioritäten zu
schaffen. Man kann nicht auf der einen Seite 40 neue
Auslandsvertretungen mit all ihren Kosten schaffen und
auf der anderen Seite das sehr dicht - für uns zu dicht geknüpfte Netz in der westlichen Hemisphäre so belassen.
({11})
Es mußte also ein Gleichgewicht hergestellt werden.
Angesichts weiterer bevorstehender Schließungen
von Auslandsvertretungen - denn die Sparaktionen
werden ja weitergeführt - habe ich die Bitte an Sie, Herr
Minister, ein insgesamt stringentes Abwicklungskonzept
für die Schließung von betroffenen Auslandsvertretungen zu entwickeln. Dabei darf nicht nur eine Rolle spielen, wie umfangreich das Rechts- und Konsularwesen auf deutsch: die Erteilung von Visa - ist, wie hoch die
Kriminalität ist, wie gefährlich das Umfeld ist und wie
groß der Handelsaustausch bzw. die wirtschaftliche Bedeutung ist.
Ich möchte auch nicht verhehlen, Herr Minister, daß
es im Zusammenhang mit der beabsichtigten Schließung
einiger Auslandsvertretungen - ich nenne nur Stichworte: Apenrade, Stettin, Oppeln oder Temesvar - auch
im parlamentarischen Raum selbst Irritationen gegeben
hat. Speziell bei Temesvar bitte ich Sie, da Temesvar und nicht Siebenbürgen mit Hermannstadt; dafür spricht
schon die Zahl von 40 000 Visa - das kulturelle und
wirtschaftliche Zentrum der Rumäniendeutschen ist, zu
prüfen, ob es nicht möglich ist, das Angebot des Bischofs von Temesvar anzunehmen, die Visastelle, die
zugegebenermaßen in unwürdigsten Räumen untergebracht ist, in einem Haus, das dem Bischof gehört, unterzubringen, das heißt, den Konsularbetrieb für die dortigen deutschen Unternehmen und die deutsche Minderheit aufrechtzuerhalten.
({12})
Ich bitte zudem, bei einem Streichungskonzept zu beachten - auch das mit vorsichtiger Kritik ans Haus -,
daß nicht der Eindruck entsteht, daß Afrika ein besonderes Opfer wird.
({13})
Denn die Signale könnten in die Richtung interpretiert
werden: Na ja, wir sind sowieso der fünfte, der letzte,
der vergessene Kontinent. - Ich bitte Sie, mit besonderer
Sensibilität, die ich Ihnen ja zutraue, an die Aufgabe
heranzugehen.
({14})
Das Auswärtige Amt muß allerdings - das hat die
Kollegin Hermenau in der allgemeinen Debatte betont auch selbst seine Bemühungen verstärken, gemeinsame
EU-Botschaften im Ausland zu errichten. Leuchtendes
Beispiel sind hier in der Nähe die nordischen Botschaften.
({15})
- Ich weiß, Herr Haussmann, verfassungsmäßige Hürden usw. Hürden sind dazu da, übersprungen zu werden.
Alle EU-Mitglieder unterliegen denselben Maastrichtund Amsterdam-Kriterien. Das heißt, jeder Staat muß
mit dem Geld seiner Bürger sparsam und effizient umgehen. Das bedeutet, daß es zwar mühsam, aber nicht
verboten ist, auf allen Gebieten um Kooperation mit den
europäischen Nachbarn bemüht zu sein. Ich denke, daß
die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik gemeinsame Strukturen wird entwickeln müssen;
denn Inhalt und Form sind nur die zwei Seiten einer
Medaille.
({16})
Ich komme zum zweiten Bereich, nämlich zum großen Bereich des Politischen. Das ist der Bereich „Allgemeine Bewilligungen“, auf dem Sie sich, Herr Frankenhauser, mit Ihren Vorwürfen ja ausgetobt haben. Dabei sind in diesem Bereich nur 20 Prozent der Ersparnis
aufgebracht worden. Bei vielen Titeln wurde sehr maßvoll gekürzt. Interessanterweise haben Sie die überhaupt
nicht genannt. Das sind nämlich die Bereiche, wo sich
das Haus selbst ins Bein hackt. Beim Gästeprogramm
der Bundesrepublik wurden beispielsweise mehrere
hunderttausend Mark gespart. Bei den Kosten für
Staatsbesuche sind es satte 700 000 DM. Bei der Förderung des europäischen Gedankens, der uns lieb und recht
und teuer - aber nicht so teuer - ist, wurde gespart. Das
heißt, daß das Haus im Vorfeld schon eine ganze Menge
dafür getan hat, die Einsparungen gerecht zu verteilen,
so daß es nirgends zu weh tut.
Das von Ihnen angesprochene Gebiet der Kriegsgräberfürsorge hat auch mich, wie Sie wissen, beschäftigt.
Wir haben dafür gesorgt, daß die Bedenken des Präsidenten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge,
daß nämlich die Gräber- und Gedenkstätte in Riga nicht
rechtzeitig zum 60. Jahrestag der Deportation und Ermordung jüdischer Bürger aus Deutschland, Österreich
und Tschechien im Jahre 2001 fertig wird, unnötig sind.
Es ist dafür gesorgt worden, Herr Nachtwei, daß in diesem Jahr die Hälfte des dafür notwendigen Zuschusses
in Höhe von 550 000 DM fließt und der Rest für das
nächste Jahr etatisiert wurde. Auch hier gab es im Vorfeld viel Wind, und Sie sehen, wir haben den Sturm abwenden können.
({17})
Der Ansatz für humanitäre Hilfsmaßnahmen im
Ausland - Sie haben ihn erwähnt - ist, Herr Kollege
Frankenhauser, um 11 Millionen DM von 69 Millionen
DM auf 58 Millionen DM gesenkt worden. Für mich
ist es schon erstaunlich, daß Sie als Haushälter nicht
erwähnen, daß das durch die Einstellung von
300 Millionen DM im Einzelplan 60 für Ausgaben im
humanitären Bereich im Zusammenhang mit der Kosovo-Krise mehr als kompensiert wurde. Das tun wir Jahr
für Jahr mit 300 Millionen DM. In der Finanzplanung
bis 2003 sind dafür insgesamt 1,2 Milliarden DM vorgesehen. Über die Verwendung von 50 Millionen DM aus
diesem Titel kann das Auswärtige Amt alleine entscheiden.
Das heißt, man kann nicht einfach eine Mittelkürzung
nennen, ohne die andere - wie bei kommunizierenden
Röhren - zu erwähnen. Da können Sie ruhig den Kopf
schütteln; es ist so, wie ich sage.
Die Mittelverteilung auf die einzelnen Ressorts ist
zwar noch nicht ausgehandelt, aber durch die kontinuierlichen Berichte werden wir im Rahmen des Haushaltsvollzugs über die Einzelverwendungen regelmäßig
informiert. Damit hier Klarheit herrscht, möchte ich betonen, daß die Mittel für humanitäre Maßnahmen insbesondere für das Auswärtige Amt und das BMZ zur Verfügung stehen.
({18})
Ein besonderes Kapitel und deshalb erwähnenswert ich bin Ihnen, Herr Kollege von der Opposition, dafür
dankbar, daß Sie das getan haben - ist die Ausstattungs- und Demokratisierungshilfe für ausländische
Polizeien und Streitkräfte. Ich bin überzeugt, Herr Minister, daß dies ein äußerst wirksames außenpolitisches
Instrument ist. Die Frage ist nur, wer in Zukunft über
dieses Instrument verfügt und die Mittel bereitstellt. Ich
denke nicht, daß der generelle Verzicht durch die Bundesregierung auf die Anwendung dieses Instruments angesagt ist.
({19})
Man muß sagen, daß in diesem Bereich einer der wenigen Titel vorhanden ist, in dem überhaupt disponible
Mittel verfügbar sind, so daß die Kürzung natürlich diesen Bereich hat treffen müssen. Das Auswärtige Amt hat
in kooperativer Zusammenarbeit mit dem BMVg dafür
gesorgt, daß Projekte abgewickelt werden können und in
anständigem Zustand Ende 2000 den jeweiligen Ländern
zur Verfügung gestellt werden können. Dafür sind
5 Millionen DM aus dem Etat des Auswärtigen Amtes
und 10 Millionen DM aus dem Etat des Einzelplans 60
vorgesehen.
Mit dem BMI ließ sich noch kein Konzept über die
Zusammenarbeit mit ausländischen Polizeien entwikkeln. Ich denke, Herr Minister, das wird eine Sache sein,
die Sie innerhalb der Ressorts konzeptionell entscheiden
müssen. Wir haben Sie in der Bereinigungssitzung des
Haushaltsausschusses darum gebeten, ein zwischen den
Ressorts abgestimmtes Konzept zur Weiterführung dieUta Titze-Stecher
ses Bereiches vorzulegen, und zwar für den übernächsten Haushalt.
Eine erfreuliche Sache, auf die bereits der Vorredner
eingegangen ist, ist die Anhebung des bisherigen Ansatzes für die Unterstützung internationaler Maßnahmen
auf den Gebieten Krisenprävention, Friedenserhaltung
und Konfliktbewältigung von 8,6 Millionen DM um 20
Millionen DM auf 28,6 Millionen DM. Dazu muß ich
sagen, Herr Frankenhauser: Das hat nichts mit Ideologie
zu tun. Mit dem Titel „Unterstützung von Maßnahmen
zur Förderung der Menschenrechte“ baut die Bundesregierung bewußt die operativen Möglichkeiten für eine
aktive Menschenrechtspolitik aus.
({20})
Nicht nur die Einrichtung eines eigenständigen Ausschusses oder die Ansiedlung eines Beauftragten für die
Menschenrechte machen deutlich, daß die Bundesregierung Menschenrechtspolitik als Querschnittsaufgabe
betrachtet.
Wir denken, daß dies auch langfristig zu einer Verstärkung der Rolle der OSZE als politischer Vermittler
führen wird. Das ist etwas, was auch Sie begrüßen
müßten, meine Damen und Herren von der Opposition.
({21})
Ich komme zur auswärtigen Kulturpolitik. Die politische Neuakzentuierung der Außenpolitik seit dem
Regierungswechsel hat unmittelbare Auswirkungen
auch auf die auswärtige Kulturpolitik. Das bleibt nicht
aus. Das Auswärtige Amt stellt seine Kulturarbeit im
Ausland seither verstärkt in den Dienst von Menschenrechten, Demokratie und Kulturdialog. Dies geschieht
auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung, in der
von einem gemeinsamen, weltweiten Handeln und von
Verständigung über kulturelle Unterschiede hinweg gesprochen wird. Ich denke, diese Weichenstellung ist
sinnvoll und notwendig. Ich sage nicht, daß das unter
freidemokratischen Außenministern nicht getan wurde,
aber wir verstärken diese Tendenz. Mit der neuen Regierung ist nicht nur ein Regierungswechsel, sondern auch
ein Politikwechsel verbunden, Herr Haussmann.
({22})
In die Sparmaßnahmen - das wurde hier erwähnt sind natürlich auch die Mittler wie der Schulfonds, die
Stiftungen und Stipendienträger einbezogen. Das bleibt
nicht aus. Wir haben uns aber bemüht, die Empfänger
kleiner Zuwendungen in Höhe von weniger als
1 Million DM etwas zu schonen sowie den größten
Mittler, nämlich das Goethe-Institut, unverhältnismäßig stark zu schonen, weil wir zu schätzen wissen, daß
sich dort bereits acht Arbeitsgruppen mit einer Reform
der Struktur des weltweiten Institutsnetzes, der Arbeitsformen in den westlichen Weltstädten, mit der Konkurrenzfähigkeit von Sprachunterricht gegenüber anderen
Anbietern, ja sogar mit der Möglichkeit beschäftigen,
andere Einnahmequellen zu erschließen und Sponsorengelder zu bekommen.
Das alles wird nicht reichen, weil die Anstrengungen
in Form von Sparbeiträgen erst mit Zeitverzug Wirkung
zeigen. Weil die Zentralverwaltung der Goethe-Institute
bereits entschieden hat, dem Vorschlag des Bundesrechnungshofs und der Parlamentarier zu folgen, die Fusion
von Inter Nationes und Goethe-Institut zu vollziehen,
haben wir zur Erleichterung dieser Umstrukturierungsmaßnahmen 11 Millionen DM über eine Verpflichtungsermächtigung im Jahre 2001 zur Verfügung gestellt.
Ich denke, dem Antrag der CDU/CSU - ich teile Ihren Sinn für „Tribunismus“, Herr Kollege Frankenhauser; die Zentrale sitzt in München, und auch mein Wahlkreis liegt ganz in der Nähe - stattzugeben und dem
Goethe-Institut jetzt 20 Millionen DM zu geben ist eine
falsche Entscheidung, auch wenn man es außerordentlich stark schont und honoriert, was es schon getan hat
und noch vorhat. Das ist so, als wenn Sie einem Kind im
Rahmen der Erziehung eine Belohnung geben, bevor es
überhaupt eine Leistung erbracht hat. So geht es nicht.
Das ist pädagogisch ausgesprochen sinnlos.
Nicht nur die Kulturinstitute, sondern auch das Haus
selbst ist gefordert, eine Prüfung seiner Kulturarbeit
vorzunehmen, und zwar besonders unter dem Aspekt,
Herr Minister, daß in Ihrem Etat nicht nur die erwähnten
Mittlerorganisationen im großen Stil bedient werden,
sondern daß an der Kulturarbeit auch andere Ministerien
konzeptionell und finanziell beteiligt sind. Vielleicht
könnte in diesem Zusammenhang auch ein neues Stiftungsrecht Hilfestellung leisten.
({23})
Ich komme mit dem zum Schluß, womit Sie angefangen haben, Herr Kollege Frankenhauser. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat den Strategiekongreß der Grünen mit
„Antworten statt Visionen“ betitelt. Ich kann Ihnen sagen, daß mit den Vorhaben der Koalitionsfraktionen und
der Regierung die beiden Punkte, nämlich Sparen und
Gestaltungsfähigkeit zu gewinnen, erfüllt werden. Wir
geben Antworten auf 16 Jahre Kuddelmuddel vor allem
in der Finanz- und Haushaltspolitik.
({24})
Unsere Vision heißt: Wir sanieren die Staatsfinanzen,
um Generationengerechtigkeit herzustellen, den Sozialstaat zu reformieren und um damit eine Politik zu entwickeln, die die Deutschland AG auch unter den Bedingungen des globalen Marktes leben läßt.
Ich bitte um Zustimmung für den Haushalt des Auswärtigen Amtes und bedanke mich bei dem Haus und
den Kollegen für die Zusammenarbeit.
({25})
Für die F.D.P.Fraktion spricht der Kollege Dr. Helmut Haussmann.
Verehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einem
Jahr war man mit viel Schwung gestartet. Ich zitiere die
rotgrüne Koalitionsvereinbarung:
Die neue Bundesregierung wird die Grundlinien
bisheriger deutscher Außenpolitik weiterentwikkeln. Sie wird den notwendigen Wandel der Welt,
der internationalen Beziehungen mit eigenen Vorschlägen, mit eigenen Impulsen mitgestalten.
Blickt man auf das erste Jahr zurück, so erkennt man,
daß auch der Star des Bundeskabinetts inzwischen auf
dem Boden angekommen ist.
({0})
Seit der Kosovo-Krise herrscht ein Erschöpfungszustand. In der Außen- und Europapolitik gibt es eigentlich
keinen neuen Impuls mehr. Herr Fischer muß zunehmend mehr Zeit und mehr Engagement für Parteiinternes aufwenden. Man sieht: Es kann auf Dauer nicht
gutgehen, wenn außenpolitische Realitäten und ideologisches Denken der Grünen so weit auseinanderklaffen.
({1})
- Hören Sie einmal ganz ruhig zu.
({2})
Erstes Beispiel: Türkeipolitik. Man kann nicht einerseits Vertrauen in die innere Entwicklung der Türkei
setzen und ihr einen Beitrittskandidatenstatus - wohlgemerkt: ohne konkrete Verhandlungen - anbieten, andererseits aber aus Mißtrauen in die innere Entwicklung
der Türkei eine NATO-interne Gleichbehandlung
verweigern. Das ist eine unglaubwürdige Türkei- und
Europapolitik.
({3})
Zweites Beispiel: Menschenrechtspolitik. Was hat der
Oppositionspolitiker Joseph Fischer die frühere Bundesregierung kritisiert!
({4})
Heute hat die rotgrüne Bundesregierung - entgegen der
vollmundigen Ankündigung, die Menschenrechte zur
obersten Priorität zu erklären - nicht einmal die Kraft
gefunden, im Kreise der Europäischen Union einen
Konsens für eine China-Resolution der UN-Menschenrechtskommission in Genf zustande zu bringen eine äußerst schwache Leistung.
({5})
Vom Bundesbeauftragten für Menschenrechte, dem
geschätzten Kollegen Poppe, hört und liest man so gut
wie gar nichts.
({6})
- In der außenpolitischen Debatte sollten wir es nicht
ganz so billig machen. Wir können uns ja einmal die
Wahlergebnisse vor Ort anschauen. Da kann ich mit
vielen SPD-Kollegen mithalten.
({7})
In den für Menschenrechte relevanten Bereichen wird
drastisch gekürzt: bei der Entwicklungspolitik, bei der
humanitären Hilfe, bei den freiwilligen Leistungen für
UNICEF, beim Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen
und bei den Beiträgen für die OSZE.
Drittes Beispiel - es ist unter globalen Bedingungen von besonderer Bedeutung -: Außenpolitik und
Außenwirtschaft. Ich kann heute nach einem Jahr fragen: Wo ist die angekündigte neue Asienpolitik nach
Beilegung der Asien-Krise, Herr Außenminister? Gibt es
denn überhaupt Schwerpunkte in der groß angekündigten Afrikapolitik? Wo liegen die neuen Ansätze in der
Lateinamerikapolitik? Botschaftsschließungen und Personalreduktion können meines Erachtens nicht die Antwort sein. Darauf ist vorhin zu Recht hingewiesen worden. Zusammenlegungen von EU-Außenvertretungen
außerhalb Westeuropas wären ein Instrument kreativer
und intelligenter Sparpolitik.
({8})
Außenwirtschafts- und Außenpolitik sind der beste
Beitrag, deutsche Arbeitsplätze unter globalen Bedingungen zu sichern.
({9})
Der Mittelstand braucht vor Ort aktive, kompetente
Menschen bei der Erschließung neuer Märkte. Die deutsche Wirtschaft braucht verbindliche Regeln für geistiges Eigentum und für Direktinvestitionen. Sie braucht
keine unendlich breite Agenda für die nächste WTORunde. Schon jetzt setzen wir uns dort unsinnigerweise
in Gegensatz sowohl zu allen Entwicklungsländern als
auch zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Die
nächste WTO-Runde ist für Arbeitsplätze in Deutschland von ganz entscheidender Bedeutung.
Wir brauchen eine Stärkung der transatlantischen
Beziehungen. Die Europäer und die Vereinigten Staaten
von Amerika haben eine enorme globale Verantwortung
für weltweit über zwei Drittel der Arbeitsplätze und für
über zwei Drittel des Bruttosozialprodukts. Sie können
sich eine Fortsetzung der Handelskonflikte - Hormonfleisch, Bananen, Gentechnik, Airbus/Boeing, audiovisuelle Produkte - eigentlich nicht leisten. Wir haben
einen Antrag zur Verbesserung der transatlantischen
Beziehungen im Deutschen Bundestag eingebracht, der
leider abgelehnt worden ist.
({10})
Die deutsche Wirtschaft und der deutsche Mittelstand
brauchen verbindliche Daten über die Osterweiterung,
Herr Außenminister. Rechtssicherheit - auch bezüglich
der Daten - ist der beste Schlüssel für Direktinvestitionen, für die Aufbauhilfe in Osteuropa und damit gleich6574
zeitig auch für neue Arbeitsplätze. Entweder exportieren
wir zu bestimmten Zeitpunkten Stabilität nach Osteuropa, oder wir werden - wenn dies nicht geschieht - Instabilität von Ost- nach Westeuropa importieren. An dem
Rückgang der Zustimmung zu Europa in der Tschechischen Republik und in Polen ist deutlich zu sehen: Auch
das Zeitfenster für die reformerischen Kräfte in Mittelund Osteuropa steht nicht beliebig lange offen.
({11})
Der frühere Staatsminister Verheugen hat sich in seiner letzten Rede im Europaausschuß und bei seiner Abschiedsrede hier im Plenum - er war als EU-Kommissar
in Brüssel noch nicht bestätigt - für verbindliche Daten
ab 2002/2003 konsequent eingesetzt. Meine Gespräche
in Brüssel in der vergangenen Woche haben aber gezeigt, daß die Bundesregierung bisher nicht in der Lage
war, mit wichtigen Partnern wie Frankreich oder Großbritannien hierüber eine Verständigung herbeizuführen.
Herr Fischer, Sie werden auf Dauer um konkrete Zeitpläne nicht herumkommen.
({12})
- Nein, dies ist ein ganz entscheidender Punkt. Sie sehen
auch an Österreich und der Schweiz: Wenn man nicht
konkrete Zeitpunkte - etwa für die Einführung des Euro
oder für den Beitritt zum Binnenmarkt - nennt, dann
nehmen rechte und linke Kräfte an Bedeutung zu. Euroeinführung, Binnenmarkt und Osterweiterung gehören
zu den Aufgaben, bei denen politische Führung gefragt
ist. Man muß sich für sie einsetzen. Für ein solches
Engagement erhält man Zustimmung.
({13})
- Das ist arg billig. Das bin ich von Ihnen, Herr Bindig,
gar nicht gewohnt. Das ist ein bißchen schade.
Das vierte Beispiel liegt der F.D.P.-Bundestagsfraktion besonders am Herzen. Tun Sie mehr für das
deutsch-französische Verhältnis.
({14})
Das deutsch-französische Verhältnis ist und bleibt der
Motor für die europäische Integration. Der groß angekündigte Schwung der „reliance de la relation“ ist ausgeblieben. Intellektuelle Symposien und Fototermine
sind kein Ersatz für Verständnis und Pflege. Herr
Fischer, wenn schon für den Bundeskanzler das deutschfranzösische Verhältnis keine Herzensangelegenheit ist,
dann muß es vorrangige Aufgabe des Außenministers
sein, dieses Verhältnis auch emotional dynamisch
voranzubringen.
({15})
Die Konflikte häufen sich. Jeder, der die Franzosen
kennt und vielleicht auch französisch spricht,
({16})
weiß, daß der Alleingang von Herrn Schröder beim
Schröder/Blair-Papier
({17})
ohne Abstimmung mit Frankreich und daß der Alleingang von Herrn Trittin hinsichtlich der entschädigungslosen Kündigung der Nuklearverträge wertvolles politisches Kapital in Frankreich zerstört haben, Herr
Schlauch.
({18})
Die weiteren Konflikte sind längst vorprogrammiert.
Es gibt nach wie vor keine Übereinstimmung zwischen
Deutschland und Frankreich in der Agrarpolitik.
({19})
- Herr Fischer, ich gebe zu, das war mit der CDU/CSU
auch sehr schwer.
({20})
Ich mußte damals während der GATT-Verhandlungen
nachts den Bundeskanzler anrufen, weil ohne französische Zustimmung nichts ging, Herr Fischer. Aber es gibt
einen Unterschied: Damals war das emotionale Grundverhältnis zu den Franzosen so gut, daß die Franzosen
zum Schluß Kompromissen zugestimmt haben. Dies
passiert derzeit nicht, weder bei der Osterweiterung
noch bei den WTO-Verhandlungen.
({21})
Die entscheidende Nagelprobe steht bei der Besetzung internationaler Schlüsselpositionen bevor. Ich halte
aus deutscher Sicht Herrn Koch-Weser als Chef des
IWF für eine ausgezeichnete Besetzung. Seit 20 Jahren
ist die Besetzung dieses Postens ein Vorrecht der Franzosen. Jetzt wird sich zeigen, ob das deutschfranzösische Verhältnis so gut ist, daß das wichtigste
Land in Europa nach über 20 Jahren erstmalig eine der
entscheidenden Positionen der internationalen Währungs- und Finanzpolitik besetzen kann. Ich befürchte,
das wird dieser Bundesregierung wieder nicht gelingen.
Da schließt sich der Kreis, meine Damen und Herren.
Internationaler Einfluß unter globalen Bedingungen bedeutet eben auch: personelle Vertretung Deutscher in
wichtigen Gremien.
({22})
Schon die Ernennung der Kommissare in Brüssel war
ein Rückschritt.
({23})
Weder das Ressort von Herrn Verheugen noch das Ressort von Frau Schreyer sind Schlüsselressorts.
({24})
Deutschland hat in der EU-Kommission bisher sechs
Generaldirektorenposten besetzt. Wir werden nach Ablauf von zweieinhalb Jahren nur noch drei Generaldirektoren in Brüssel stellen.
({25})
Kollege Hausmann,
Sie müssen zum Schluß kommen.
Wir werden spüren, wie der Einfluß zurückgeht. Deshalb schließt sich
hier der Kreis. Deutsche Außen- und Europapolitik erfordert die volle Konzentration des Außenministers. Wir
halten die Bilanz für eher bescheiden und werden dem
Etat des Außenministeriums nicht zustimmen.
Danke schön.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollege Helmut Lippelt, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Probleme des Einzelplans 05 haben wir in den
letzten Monaten hinreichend diskutiert. Deutlich geworden ist in meinen Augen zweierlei:
Erstens. Die prozentualen Kürzungen - wir bejahen
sie; denn anders wäre das Ziel bei notwendigerweise
widerstreitenden Ressortinteressen kaum zu erreichen
gewesen ({0})
haben den Haushalt des Auswärtigen Amtes besonders
schwer getroffen, weil dieser Einzelplan, bezogen auf
den prozentualen Anteil am Gesamtbudget - das muß in
Ihre Richtung gesagt werden, Herr Frankenhauser -,
schon in den Jahren zuvor, zu Zeiten Ihrer Regierung,
immer mehr an Boden verloren hat, nämlich von
0,93 Prozent Anfang der 80er Jahre auf 0,77 Prozent.
Das ist die traurige Bilanz Ihrer Regierungszeit.
Deshalb ging die gleichmäßige Kürzung gerade bei
diesem Haushalt natürlich an die Substanz; das ist doch
völlig klar. Schließung von Botschaften, von Konsulaten
und Goethe-Instituten, Kürzungen vieler freiwilliger Beiträge zu internationalen Organisationen - alles
das hat die deutschen Außenbeziehungen natürlich belastet.
Ich erwähne das, weil dieser Einzelplan in den nächsten Jahren einen deutlichen Nachholbedarf hat. Da treffen wir uns wieder. Ich freue mich, daß Sie es unterstützen, daß wir das dem Finanzminister heute sehr deutlich
ins Haushaltsbuch zu schreiben haben.
Zweitens. Kürzungsnotwendigkeiten bieten auch Reformchancen. Das Amt hat diese genutzt. Ich erwähne
nur einiges, so etwa, daß die schon erwähnte, lange vom
Rechnungshof geforderte und von der früheren Regierung immer wieder verschleppte Fusion von Inter Nationes und Goethe-Institut endlich in Angriff genommen
wird, so auch, daß trotz Schließung von GoetheInstituten jetzt ein sehr wichtiges Goethe-Institut, nämlich eines in Sarajevo, neu eröffnet wird. Auch das ist
Gestaltungspolitik.
({1})
Als letztes erwähne ich, daß es trotz dieser Kürzungen gelungen ist, Mittel für den Auf- und Ausbau von
Maßnahmen für präventive Außenpolitik bereitzustellen.
Das alles sind sehr anzuerkennende Leistungen.
({2})
Jetzt legen wir einmal das Haushalterische beiseite
und sprechen über das, was der Kollege Glos heute früh
angesprochen hat, allerdings in einer sehr oberflächlichen Weise.
({3})
Herr Kollege Glos, jetzt sprechen wir einmal über die
Istanbuler Konferenz und über Rußlands Krieg in
Tschetschenien.
Zunächst Herr Glos, zu Ihrer Aussage, die Grünen
protestierten nicht: Beim ersten Tschetschenien-Krieg
haben eine Reihe von Grünen, auch ich, mit Lew Kopelew vor der russischen Botschaft gestanden. Ich habe
dort nie einen CSU- oder CDU-Abgeordneten gesehen.
({4})
Jetzt sagen Sie, das sei immer Sache der Grünen gewesen, sie seien die Protestpartei usw. Sie übersehen dabei
aber einen entscheidenden Punkt, nämlich den völligen
Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten
Tschetschenien-Krieg.
Die Bundesregierung hat in Istanbul eine schwierige
Gratwanderung bestanden. Dafür gebühren dem Außenminister und dem Bundeskanzler Anerkennung.
({5})
Auf eine politische Lösung für Tschetschenien wurde
nachdrücklich gedrungen. Schließlich gelang es auch,
den Punkt 23 in die Abschlußerklärung aufzunehmen.
Das heißt, es wurde zugestanden, daß der Vorsitzende
der OSZE jetzt nach Tschetschenien reist
({6})
und die OSZE-Mission nach wie vor ihrer Arbeit nachgehen kann. Diese Bilanz konnte in schwierigen Verhandlungen unter Einbindung Rußlands erreicht werden;
es kam nämlich zu keinem Eklat. Vielmehr wurden die
Neufassung des KSE-Vertrages und die Sicherheitscharta verabschiedet.
Es gelang also, heftige Kritik zu üben und gleichzeitig Rußland weiter einzubinden, und zwar im Gegensatz
zu früheren Gipfelkonferenzen.
({7})
Ich erinnere einmal an den OSZE-Gipfel in Budapest im
Jahre 1992. Dort kam es zum Eklat, als die Russen auszogen. Nicht Sie allein tragen dafür die Verantwortung,
({8})
aber die damalige Regierung war mit daran beteiligt.
Ganz nebenbei erinnere ich auch an den EU-Gipfel in
Brüssel, auf dem Duisenberg berufen wurde. Einen größeren Eklat hätten Sie doch gar nicht veranstalten können.
({9})
Nun zurück zu Tschetschenien: Wenn man vor dem
Hintergrund dessen, was in Tschetschenien geschieht,
die Sicherheitscharta liest, dann ist ganz klar, daß die
Charta das Papier nicht wert ist, auf dem sie geschrieben
wurde. Wenn die Charta nicht zu einem Stück beliebiger
Konferenzrhetorik verkommen soll, muß intensiv an der
Entfaltung ihrer Wirkung, also an ihrer schleunigen Ratifizierung, gearbeitet werden.
Was immer die Motive eines islamistischen Extremisten wie Bassajew - jetzt komme ich inhaltlich auf Ihre
Kritik zu sprechen, Herr Glos - gewesen sein mögen,
sein Einfall nach Dagestan ist durch die Abriegelung
abgewehrt worden. Wer auch immer hinter den terroristischen Anschlägen auf Hochhäuser in Moskau und anderswo stehen mag - die Hinweise lassen eher islamistische Extremisten als tschetschenische Extremisten dahinter vermuten; auch das muß man sehen -: Die Attentäter sind zu verfolgen, aber ein ganzes Volk, insbesondere die Zivilbevölkerung, selbst wenn die Attentäter
aus Tschetschenien kämen, kann nicht umgekehrt als
Geisel genommen und mit systematischem Terror in die
Flucht getrieben werden.
({10})
All dies geht offensichtlich mit erweiterten russischen
Kriegszielen einher: zunächst Abriegelung Tschetscheniens, jetzt totale Unterwerfung Tschetscheniens und eine totale Revision des Friedens von 1996. Zugleich tritt
drohend hinter Putin die russische Generalität mit der
Auffassung hervor, daß man sich nicht ein zweites Mal
von der Politik den Sieg stehlen lassen dürfe, und spricht
von einer Wiedergeburt der russischen Armee in diesem
Kriege. Plötzlich erscheint das Erreichen demokratischer
Wahlen zur Duma und danach zum Präsidenten vor einem vom Präsidenten eventuell ausgerufenen Notstand
oder einem gegen den Präsidenten gerichteten Staatsstreich als ein Ziel mit äußerster Prioriät.
Klar ist: Die EU hat zwar eine gemeinsame RußlandStrategie beschlossen, aber wir betreiben keine RußlandPolitik. Es gibt zwar Beziehungen zwischen den politischen Klassen, Reisen parlamentarischer Delegationen,
aber kaum Freunde. Die NATO- und EU-Erweiterung,
die in Richtung Rußland vorangetrieben wurde und
wird, hat in Rußland Gefühle der Isolation hervorgerufen, aber dort nicht für Stabilität gesorgt. Deshalb müssen wir jetzt die Jugoslawisierung Rußlands befürchten
und können Rußland im Tschetschenien-Krieg nicht vor
sich selbst schützen.
Dabei muß auch eine andere Hypothek angesprochen
werden, die unsere außenpolitischen Beziehungen
schwer belastet und verhindert hat, daß wir Freunde im
russischen Volk gewonnen haben. Das hätte erreicht
werden können, wenn wir ehrlich vor ihnen gehandelt
hätten. Ich spreche von dem Gezerre um die Entschädigung für die Zwangsarbeiter.
({11})
In diesem Zusammenhang möchte ich zugleich dem
Grafen Lambsdorff, der sich redlich um dieses Problem
bemüht, danken.
({12})
Aber gerade in diesen Tagen wird der Unterschied
der Welten, in denen wir und die Opfer deutscher Geschichte leben, besonders deutlich. Wir verfolgen den
ersten Versuch einer sogenannten feindlichen Übernahme in unserer Wirtschaft. Mannesmann ist Vodafone
242 Milliarden DM wert. Zugleich hat der Verein „Wider das Vergessen“ unter dem Vorsitz von Hans-Jochen
Vogel eine Liste von 1 900 Firmen veröffentlicht, die
Zwangsarbeiter beschäftigten, und aus dieser wiederum
einen Auszug von 29, die in wesentlichem Umfang
Zwangsarbeiter beschäftigten und bis heute dem Entschädigungsfonds der Industrie nicht beigetreten sind.
Unter ihnen sind sechs Firmen, die mehr als 10 000
Zwangsarbeiter beschäftigten; die Liste reicht von
Dynamit Nobel über Hochtief, Philipp Holzmann, die
Deutsche Solvay und die Klöckner-Werke eben bis zu
Mannesmann. Bundes- und Landespolitiker stellen sich
jetzt zu Recht vor Mannesmann; die Belegschaft fordert
zu Recht unsere Solidarität ein.
({13})
Aber über deren Schultern blicken die Überlebenden
von 10 035 Zwangsarbeitern, die auch Anspruch auf
Solidarität haben. Herr Haussmann, wirken Sie doch auf
diese Firmen so ein, wie es viele von uns auch tun.
({14})
Ich erteile das Wort
zu einer Kurzintervention dem Kollegen Pflüger.
Herr Kollege
Lippelt, ich möchte erstens etwas zum Thema Tschetschenien sagen. Sie haben hier behauptet, es sei während der Regierungszeit Helmut Kohls nichts oder so gut
wie nichts gemacht worden. Ich kann mich daran erinnern, daß wir immerhin eine gemeinsame Bundestagsresolution zu diesem Thema verabschiedet haben. Das
heißt, von einem Schweigen des Bundestages in dieser
Situation kann wirklich nicht die Rede sein. Nicht nur
Sie haben demonstriert. Vielmehr sind zum Beispiel
auch meine Kollegen Schmidt und Koschyk in jener Zeit
in Moskau gewesen und haben dort ganz deutliche
Worte zum Tschetschenien-Krieg gefunden. Daß während der Regierungszeit Kohls beim ersten Tschetschenien-Krieg die Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes nicht
kritisiert worden sei, möchte ich also zurückweisen.
Zweitens. Es ist völlig richtig, daß wir zwar - auch
auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul - Kritik an Rußland
geübt haben, daß wir die Kritik aber auch in einem
gewissen Rahmen belassen haben. Das ist notwendig, weil es neben dem Ziel, die Menschenrechte in
Tschetschenien zu erhalten - ich glaube, daß dieses Ziel
uns allen hier im Parlament sehr wichtig ist -, auch andere moralische Ziele gibt, die wir im Verhältnis zu
Rußland bedenken müssen. Wir wollen Rußland als
Partner für Abrüstung haben. Wir wollen verhindern,
daß Rußland Massenvernichtungswaffen weltweit verbreitet. Wir wollen Moskau als Partner für eine europäische Sicherheitsarchitektur. Deshalb ist es richtig - und
auch früher wie heute von den Bundesregierungen praktiziert worden -, Kritik an Rußland zu üben, aber sie in
einer Art und Weise zu üben, die Rußland nicht weiter
in die Isolierung treibt und uns der Einflußchancen in
Moskau ganz beraubt.
Der eigentliche Unterschied zwischen früher und
heute besteht nicht im Regierungsverhalten, sondern verzeihen Sie - im Verhalten der Grünen. Sie haben früher mit einem, wie ich durchaus fand, sehr erfrischenden
Rigorismus und Idealismus für Menschenrechte gestanden und sich gegen solche realpolitischen Überlegungen
gewandt. So etwas hat eine wesentliche Bedeutung in
einem Regierungssystem wie dem unseren; ich erinnere
in diesem Zusammenhang etwa daran, daß Präsident
Jimmy Carter eine Menschenrechtsbeauftragte in seiner
unmittelbaren Umgebung hatte, die ständig dafür gesorgt
hat, daß das Thema Menschenrechte richtig gewichtet
worden ist. Heute ist bei Ihnen - das hat natürlich mit
dem grünen Außenminister zu tun und stellt Ihr generelles Strukturproblem dar - von dieser deutlichen Kritik
weniger zu spüren. Darüber freut sich ja Herr Gysi; er
schlägt bei jeder Gelegenheit, angefangen vom Kosovo
bis hin zu Tschetschenien, in diese Kerbe. Mit diesem
Problem müssen Sie fertig werden. Der Unterschied zur
Situation des ersten Tschetschenien-Krieges liegt nicht
in den Regierungen Kohl bzw. Schröder, sondern liegt
eindeutig in der Tatsache begründet, daß die Grünen
sehr schwach sind, wenn es jetzt darum geht, eindeutig
moralisch Position zu beziehen.
({0})
Kollege Lippelt!
Herr Kollege Pflüger, ich bedaure, daß Sie heute morgen
nicht dagewesen sind. Heute morgen habe ich dem Kollegen Glos eine kurze Frage gestellt.
({0})
Vor dem Hintergrund der Debatte von heute früh würden Sie vielleicht meine Polemik ein wenig besser verstehen.
Nun sprechen Sie das Verhalten der Grünen an. Sie
meinen, wenn Sie in Moskau etwas sagten, brauchten
Sie nicht zu protestieren. Aber uns sagen Sie: Ihr sagt
zwar auch in Moskau etwas, aber ihr solltet weiter protestieren. - Damit verkehren Sie die Rolle von Regierung und Opposition.
({1})
Sie sind jetzt in der Opposition. Sie können sehr viel
deutlicher protestieren.
({2})
- Herr Kollege Pflüger, ich weise darauf hin, daß der
Kollege Kowaljow, der gerade hier war, natürlich auch
in unserer Fraktion war. War er bei Ihnen auch? Die
tschetschenischen Politiker, die jetzt hier sind und die
gestern abend mit dem Kollegen Kowaljow in der Akademie der Künste diskutiert haben, waren sie auf Ihre
Einladung hier? Waren sie nicht vielmehr auf unsere
Einladung da? Und auf wessen Einladung wird demnächst der tschetschenische Außenminister kommen?
({3})
- Ich hatte erst gedacht, Herr Pflüger sei nicht dabeigewesen. Dann hat er aber genickt. Deshalb sage ich: Er
war zwar dabei, er hat aber nichts verstanden. Das ist
der Punkt.
({4})
Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch bei diesem Haushalt
geht es nicht nur darum, wieviel wofür ausgegeben wird.
Vielmehr geht es auch um die politische Richtung, die
damit befördert werden soll. Ich muß ganz offen sagen:
Die ganze Richtung paßt mir nicht.
({0})
- Das verwundert, offen gesprochen, auch niemanden.
({1})
- Komm doch nach vorn. Dann versteht man dich.
Die PDS-Bundestagsfraktion wird dem Haushalt des
Auswärtigen Amtes nicht zustimmen, weil wir die außenpolitische Linie der Bundesregierung für grundsätzlich falsch halten. Dies will ich begründen.
Scheidelinie und Bruchpunkt zu uns war das Ja der
Bundesregierung zum Krieg der NATO in Jugoslawien. Als von deutschem Boden wieder Krieg ausging,
sind auch Risse zwischen der Regierung und weiten
Teilen der Bevölkerung aufgebrochen. Im Krieg gegen
Jugoslawien wurden Völkerrecht und Grundgesetz gebrochen, der Zwei-plus-Vier-Vertrag beiseite geschoben, die UNO herabgesetzt und - das wollen wir nicht
vergessen - über viele Menschen Leid gebracht.
Wir als PDS können heute, weil wir die Bomben auf
Jugoslawien kritisiert haben, vorurteilsfrei und glaubwürdig die russischen Bombenangriffe auf Tschetschenien kritisieren.
({2})
Die Bundesregierung kann dies nicht. Sie muß sich von
russischen Politikern vorhalten lassen, sie messe mit
zweierlei Maß. Das Problem der Bundesregierung besteht darin, daß sie dies nicht erklären kann.
({3})
Die militärische Interessenpolitik im Kosovo hat der
Bundesregierung die Freiheit und Souveränität genommen, in Europa und in der Welt die Rolle eines besonnenen Mittlers einzunehmen. Dieses Ziel verfolgt die
PDS für die deutsche Außenpolitik. Wir wollen, daß
sich Deutschland strikt auf friedliche Mittel beschränkt.
Diese Selbstbeschränkung wäre verantwortlich und wirkungsvoll, und nicht zuletzt wäre mit ihr den Menschenrechten mehr gedient als mit der militärischen Karte.
Weil die Bundesregierung die militärische Karte in
petto haben will, hat sie auch der neuen NATOKonzeption zugestimmt. Zuvor hatte sich die NATO als
territoriales Verteidigungsbündnis definiert. Heute
nimmt sie für sich in Anspruch, für ihre Interessen
weltweit intervenieren zu können. Diese neue NATO
bringt aus der Sicht meiner Fraktion nicht mehr, sondern
weniger Sicherheit.
Daß jetzt auch noch die bislang zivile Europäische
Union militarisiert werden soll, ist für die PDS ein weiterer Grund zur Opposition. Die Bundesregierung will
die Europäische Union mit militärischen Mitteln ausstatten und mit der NATO verbinden. Die Folge wird eine qualitative Aufrüstung sein. Dies wird das Verhältnis
zu den europäischen Ländern belasten, die sich bewußt
für die Europäische Union und nicht für die NATO entschieden haben. Eine militarisierte Union wird darüber
hinaus die zivilen, sozialen und politischen Strukturen
der EU deformieren. Sie kann von anderen Ländern,
namentlich von Rußland, als Bedrohung empfunden
werden. Das will die PDS ganz und gar nicht.
Wer notfalls drohen will, rüstet die Länder mit auf,
die in seinem Interessenbereich liegen. Die rotgrüne
Bundesregierung hat mit Rüstungsexporten genau da
weitergemacht, wo die alte stehengeblieben ist. Einem
Leopard 2 für die Türkei werden 999 weitere folgen.
Das weiß jeder hier im Hause.
Herr Außenminister, daß Sie ein schlechtes Buch eines Ihrer Ministerkollegen öffentlich präsentieren, ist Ihre Sache. Ich finde aber, die Außenpolitik sollte nicht
auf der Hardthöhe gemacht werden.
({4})
Wo bleibt gegenüber der Türkei das, was Rotgrün
zum letzten Maßstab deutscher Außenpolitik erkoren
hat, nämlich Menschenrechte in aller Welt zu wahren?
Die deutsche Außenpolitik hat ein gebrochenes Verhältnis zur UNO. Nachdem sie der UNO mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien ihren „schwärzesten Tag“
beschert hat, merkt nun auch die deutsche Außenpolitik,
nicht zuletzt auf dem Balkan: Ganz ohne UNO geht es
nicht. Deswegen spricht der Außenminister in letzter
Zeit mehr über die UNO. Aber das sofort mit dem Anspruch auf einen Platz im Sicherheitsrat und mit Vorschlägen, das Vetorecht zumindest einzuschränken, zu
verbinden halte ich für falsch. Ich bin dafür, daß die
Macht im Sicherheitsrat mit Ländern aus Afrika, Asien
und Lateinamerika geteilt wird.
Bei Meinungsverschiedenheiten en detail in der Außenpolitik kann sich die Bundesregierung auf eine
grundsätzliche Übereinstimmung mit CDU/CSU und
F.D.P. verlassen. Das tut sie auch. Bei allen wichtigen
Entscheidungen betont sie die Kontinuität zur Vorgängerregierung. Bis auf die PDS ziehen in der Außenpolitik alle Parteien an dem sprichwörtlichen gemeinsamen
Strang. Doch ich sage Ihnen aus Erfahrung, Herr Außenminister: Mehrheiten im Bundestag sind nicht unbedingt Mehrheiten im Leben. Das weiß ich sehr gut. Auch
Sie haben das bereits bei Wahlen in den letzten Monaten
erfahren. Die Wählerinnen und Wähler von SPD und
Grünen wollten einen Politikwechsel und nicht die Fortsetzung der alten Außenpolitik mit anderen Argumenten.
Was ich Ihnen vorhalte, Kolleginnen und Kollegen
von SPD und Grünen, ist, daß Sie dabei sind, eine historische Chance zu verspielen. Vielleicht haben Sie sie sogar bereits verspielt. Die Chance wäre gewesen, in
Deutschland einen politischen Kurswechsel einzuleiten
und ihn gemeinsam mit Mitte-links-Regierungen anderer
Länder europäisch zu gestalten. Bei dieser Aufgabe hat
die Bundesregierung aus meiner Sicht versagt.
Uns als PDS ist dadurch die Aufgabe zugefallen, zu
verhindern, daß Menschen, die sich enttäuscht von Ihnen
abwenden, bei der rechten Opposition landen; denn das
möchten wir auf keinen Fall.
({5})
- Wir warten, was da kommt. Sie können ja mit uns auf
diesem Felde konkurrieren.
Die Grundlinie unserer Außenpolitik heißt Verantwortung durch Selbstbeschränkung. Wir halten an dem
fest, was die beiden Deutschlands im Zwei-plus-VierVertrag bekräftigt haben, nämlich „daß von deutschem
Boden nur Frieden ausgehen wird …“ Wir halten daran
fest, „daß die beiden Deutschlands völkerrechtlich erklärt haben, „daß das wiedervereinigte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in
Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta
der Vereinten Nationen“. Wir wollen eine eindeutige
Erklärung, daß Deutschland sich künftig daran und an
das Gewaltmonopol der UNO hält, und zwar ohne Grauzonen.
Von Grauzonen redet die Regierung immer, wenn es
um das Völkerrecht geht. Leider bewegt sich diese Regierung in Grauzonen. Man kann zum Beispiel nicht in
Washington die Selbstmandatierung der NATO unterschreiben und sich gleichzeitig in New York zur Charta
der Vereinten Nationen bekennen. Der Widerspruch
zwischen neuer NATO-Strategie und UNO-Charta ist
eine Grauzone, in der jeweils nach eigenem Interesse
gehandelt wird.
Ich wiederhole unseren Vorschlag, die OSZE weiter
auf- und die NATO abzubauen. Die Sicherheitspartnerschaft mit Rußland liegt ebenso im deutschen Interesse
wie eine Partnerschaft mit den USA, beides bitte ohne
Unterordnung. Da gibt es in bezug auf Rußland wohl
auch kein Problem.
Europa hat viele drängende Aufgaben: gemeinsam
soziale wie ökologische Standards herzustellen, die Erweiterung der EU zu befördern und gezielte Stabilitätshilfe für alle Länder des Balkans zu leisten, einschließlich Jugoslawiens. Das gemeinsame Haus Europa wird
viele Räume haben. Eine Waffenkammer jedoch, so
meine ich, braucht es nicht.
({6})
Ich höre schon jetzt Ihren Einwand - einige Einwände sind schon vorgebracht worden; auch dieser wird
noch kommen -, daß ich Vorschläge unterbreite, die
sich früher in den Programmen der SPD und der Grünen
befunden haben sollen. Selbst wenn dem so sein sollte,
ist das kein Argument gegen diese Vorschläge.
({7})
Es war mehr Richtiges an dem, was die Koalitionsparteien vor der Wahl vertraten, als an dem, was sie seither
tun.
({8})
Ich erteile das Wort
nun dem Kollegen Christian Schmidt, CDU/CSU.
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Kuddelmuddel war ein Wort, das Sie, Frau Kollegin Titze-Stecher,
({0})
in einem Zusammenhang verwendet haben, der einige
Fragen zum gegenwärtigen Haushalt aufwirft. Kollege
Frankenhauser hat dazu schon einiges gesagt.
({1})
Ich will nicht alles noch einmal beleuchten. Aber ein
paar Punkte sind anzusprechen: Frau Kollegin TitzeStecher, ich habe es sehr begrüßt, daß Sie die Frage der
Schließung der Generalkonsulate - namentlich Apenrade, Stettin, Oppeln und Temesvar - problematisiert
haben. Wir werden uns einer sinnvollen Lösung, die
nicht weiße Salbe darstellt, sondern die vorhandenen
Bedürfnisse - und zwar nicht nur die von Ihnen angesprochenen Visabedürfnisse - befriedigt, sicherlich nicht
verschließen.
Nur, ich habe den Eindruck - das ist keine Frage der
Haushälterei, sondern eine Frage der politischen Grundlinien -, daß es hier um etwas anderes geht, nämlich um
die Beantwortung der Frage, wie wir im Jahre 2000 mit
deutschen Minderheiten außerhalb der Grenzen der
Bundesrepublik Deutschland umgehen. Sie haben darauf
hingewiesen, daß das Verschwinden des Ost-WestKonfliktes andere Prioritäten verlangt. Ja, wir kommen
zu einem Europa der Regionen. Gerade angesichts dessen halten wir es für unabdingbar, daß wir uns - so wie
um viele andere - auch um diejenigen kümmern, die
sich uns besonders verbunden fühlen.
Herr Bundesminister, die Worte, die Erzbischof Nossol in diesem Zusammenhang an Staatssekretär Ischinger gerichtet hat, sind sehr eindrucksvoll und deutlich
gewesen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß das auch
Wirkung zeigt und daß die deutsche Minderheitenpolitik
nicht dazu führt, daß sich beispielsweise die dänische
Minderheit in Schleswig-Holstein fragt, was mit ihrem
dänischen Generalkonsulat in Flensburg passiert. Das
wäre wahrlich keine wünschenswerte Entwicklung in
einem Bereich, in dem sich nach dem Krieg zwischen
Dänemark und Deutschland ein Musterbeispiel an
grenzüberschreitender Minderheitenpolitik entwickelt
hat, die schweren Schaden nehmen könnte.
Auch ein anderer Punkt stößt mir sehr auf. Er hat
zwar nicht unmittelbar mit dem Einzelplan 05 zu tun,
muß aber einmal angesprochen werden: Herr Kollege
Volmer, Sie haben in einer Presseerklärung, die Sie ohne Ihren Titel als Staatsminister zu bemühen - für die
Fraktion der Grünen abgegeben haben, von 50 Millionen
DM für die Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung
gesprochen. Wenn man gleichzeitig der Stiftung Wissenschaft und Politik - die auch nicht Bestandteil dieses Haushaltes ist - nur mit Mühe ein Domizil in Berlin
verschaffen kann, dann stimmt etwas nicht in der Grundfrage, wie sich Außen- und Sicherheitspolitik begrünWolfgang Gehrcke
det, wer beraten werden soll und wie er beraten werden
soll.
({2})
- Herr Kollege Schlauch, vielleicht nehmen Sie die
Dienste der Stiftung Wissenschaft und Politik nicht in
Anspruch, weil Sie sich mit den Dingen, mit denen sich
diese Stiftung befaßt, nicht beschäftigen. Aber es gibt
bei solchen Stiftungen durchaus noch viel Finanzbedarf,
der nicht befriedigt werde kann, weil er für eine grüne
Spielwiese gebraucht wird. Dafür habt ihr 50 Millionen
DM übrig. Darum müßt ihr euch meine Einwände schon
anhören.
({3})
Wenn man sich die Arbeit der Stiftung Wissenschaft
und Politik genauer anschaut, dann wird man an der Diskussion, was die Grundausrichtung der deutschen Außenpolitik sein soll, nicht vorbeikommen. An dem Disput
zwischen Herrn Lippelt und Herrn Pflüger haben wir gemerkt, um was es eigentlich geht. Es gibt Unbehagen darüber, daß Joschka Fischer in Kassel gesagt hat: Ich mache
keine grüne Außenpolitik, ich mache deutsche Außenpolitik. Von manchen Grünen wird dies als Realpolitik
beschrieben - mit dem dazugehörigen Hautgout. Es muß
dennoch gefragt werden: Sind die Axiome der deutschen
Außenpolitik von grünem Denken geprägt? Es gibt ein
sehr nobles Denken in Sachen Menschenrechte. Herr
Kollege Lippelt, ich stimme mit Kowaljow und Memorial, die Herr Poppe während des ersten Kosovo-Krieges
intensiv betreut hat, überein; ich nehme für mich und uns
ein klein wenig in Anspruch, auch etwas getan zu haben.
Aber es ist nicht zu übersehen, daß die Einhaltung der
Menschenrechte nicht das einzige Axiom ist. Das ist für
viele Grüne ein bitterer Erkenntnisprozeß. Man fragt sich,
ob er wirklich stattgefunden hat.
Wir haben damals im Auswärtigen Ausschuß heftig
über die Mitgliedschaft Rußlands im Europarat debattiert. Wir waren überwiegend der Meinung, daß es besser ist, Rußland im Europarat zu haben, um Überzeugungsarbeit leisten zu können. Wir wußten aber genau,
daß dafür auch andere Mittel notwendig sind. Dazu gehört ein Vertrauensverhältnis. Und in diesem Punkt will
ich Ihnen entschieden widersprechen: Das Vertrauensverhältnis zwischen Deutschland und Rußland, zwischen
der damaligen Bundesregierung und dem Bundeskanzler
und der russischen Führung, war zu Zeiten des ersten
Kosovo-Krieges sehr viel besser, wir waren sehr viel
einflußreicher, als wir es heute sind.
({4})
Dieses Defizit kann man nicht auf einem OSZE-Gipfel
ausgleichen.
Ich gestehe zu, daß die Spätphase mit Jelzin viel problematischer ist, als die Zeit mit Jelzin in den Jahren
1994 und 1995 war.
({5})
Aber die Verläßlichkeit der deutschen Politik - alle
Abmachungen wurden eingehalten, bis die letzten russischen Soldaten durch das Brandenburger Tor abmarschiert sind - war eine Grundkonstante. Sie wurde geboren aus dem deutschen Interesse.
Ich habe den Eindruck, daß die Definition des deutschen und europäischen Interesses das heiße Eisen ist,
({6})
um das die grüne Katze wie um den heißen Brei herumschleicht.
({7})
Man sollte sich eingestehen, daß es Problemfälle gibt,
die man nicht allein mit dem Argument der Menschenrechte beantworten kann. Frau Roth wird ihre Schwierigkeiten haben,
({8})
wenn sie erklären muß, wieso in Helsinki Verhandlungen über den Beitritt der Türkei beschlossen werden
sollen, obwohl das 4. Finanzprotokoll im Europäischen
Parlament - zu einer Zeit, als sie ihm angehörte - nicht
beschlossen worden ist. Es hat damals keine Mehrheiten
gefunden. All diese Fragen sind doch nur ein Symptom
für die Probleme, die Sie haben.
Nun zu den Vereinten Nationen; der Kollege Brecht
wird anschließend noch sprechen. Wir befinden uns in
der Frage der Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat in einer Kontinuität. Nur fragt sich, mit welcher
Intensität man dieses Ziel verfolgt. Jedenfalls werden
die Stand-by-Arrangements Herr Bundesminister, in der
deutschen Öffentlichkeit nie breit diskutiert.
({9})
Wenn sozusagen angeboten wird: Wir stehen zur Verfügung, wir sind immer gern bereit, etwas zu tun, dann
kommt Osttimor dabei heraus. Das ist der Punkt, über
den wir jenseits aller Polemik in diesem Parlament und
in camera caritatis reden müssen. Wir müssen fragen,
wie wir uns definieren, und zwar an Hand der von der
Größe her reduzierten - wenn es nach uns ginge, wäre
das nicht geschehen - Bundeswehr und unter Beachtung
unserer Interessen. Wir müssen fragen, wie, wo und in
welchem Umfang wir bereit sind, uns politisch und gegebenenfalls auch militärisch zu beteiligen. Diese Frage
ist sehr wichtig, weil wir unsere Entscheidung vor jedem
Soldaten, den wir in den Einsatz schicken, verantworten
müssen. Wir müssen sagen können: Du tust das, weil es
der Interessenlage unseres Landes entspricht. Deswegen
ist hier Nachdenken angesagt.
({10})
Zum Thema Orientierung möchte ich einen weiteren
Punkt - nicht einmal kontrovers - in die Diskussion einbringen. Wir hatten vor kurzem eine Debatte über ein
für uns nicht erfreuliches Thema: das Stimmverhalten
Christian Schmidt ({11})
des US-Senats zum Atomteststoppabkommen. Wir alle
waren darüber nicht sehr erbaut. Unsere Debatte zu diesem Thema war sehr konstruktiv. Wir haben auf verschiedenen Ebenen, in verschiedenen Kreisen darüber
gesprochen, welches die amerikanischen Beweggründe
sind. Ich halte eine kurzfristige taktische Überlegung
nach wie vor für einen Beweggrund. Aber in der Tat:
Wenn eine Tendenz bestehen sollte, aus dem Vertragsregime der Rüstungskontrolle herauszugehen, weil manche in den USA der Meinung sind, es ließe sich mit
Blick auf die sogenannten Schurkenstaaten nicht mehr
rechtfertigen, dann stellen sich für uns ganz entscheidende Fragen, die in den nächsten Jahren diskutiert werden müssen.
Ad eins: Welchen Weg gehen wir? Ich bin der Meinung, wir müssen beim Vertragsregime bleiben, soweit
es nur geht. Ad zwei: Wenn es so ist, daß in den USA
die Befürchtung besteht, es werde eine Verletzung ihres
eigenen Territoriums durch sogenannte Schurkenstaaten,
das heißt durch Raketen, möglich sein, und wenn
man beginnt, eine nationale Raketenverteidigung aufzubauen - das gehört in diesen Kontext hinein -, dann
stehen wir vor Fragen wie im Jahre 1979, nämlich
vor der Frage -
Herr Kollege, bevor
Sie weiter fortfahren:
({0})
Ihre Redezeit ist erstens deutlich überschritten, und
zweitens will Kollege Brecht Ihnen durch eine Zwischenfrage noch die Gelegenheit geben, weiterzureden.
Vielleicht nehmen Sie diese Möglichkeit wahr?
Herr Präsident, ich nehme diese Möglichkeit sehr gerne wahr.
Herr Kollege Schmidt,
ich muß noch einmal auf den vorherigen Punkt, den Sie
angesprochen haben, zurückkommen. Das Präsidium hat
mich leider nicht eher bemerkt.
Ich bedanke mich dafür, daß Sie darauf zurückkommen. Das ist
eine kollegiale Geste.
Sie haben kritisiert,
daß es in der deutschen Außenpolitik offensichtlich Unklarheiten über die Ausdehnung ihres Engagements gibt.
Speziell haben Sie unser Engagement in Osttimor kritisiert. Sind Sie bereit, solche Aussagen auch gegenüber
den Japanern, den Australiern oder anderen Staaten
vorzubringen, die sich zum Beispiel durch die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen oder durch aktive
finanzielle Hilfe im früheren Jugoslawien engagiert haben?
Das habe
ich beispielsweise gegenüber australischen Politikern
getan, aber nicht, weil ich grundsätzlich der Meinung
bin, daß wir in Osttimor nie etwas verloren hätten.
Vielmehr müssen wir uns schon die Frage beantworten,
ob wir symbolische Politik zu unserem etwaigen eigenen
Nutzen, Mitgliedschaft im Sicherheitsrat, betreiben. Das
Wort „symbolische Politik“ ist übrigens auch in Ihren
eigenen Reihen mehrfach benutzt worden. Das zeigt mir,
daß wir in dieser Frage Anlaß zur Diskussion haben.
Wir haben das für uns mit großer Mehrheit beschlossen.
Die Geschichte wird dadurch hoffentlich sehr bald beendet sein. Ein zweites Mal wird das in dieser Form
nicht laufen können. Darüber müssen wir vorher diskutieren.
Sie haben gemeint, daß ich die Frage, die Sie gestellt
haben, dahin gehend ergänzen sollte, zu sagen, was 1979
gewesen ist. Damals war das Argument für den NATODoppelbeschluß die Frage, ob ein Abkoppeln amerikanischer von europäischen Sicherheitsinteressen droht
oder nicht. Ich sehe, daß eine solche Gefahr potentiell
nicht von Europa her droht und daß die deutsche Politik
erhebliche Anstrengungen unternehmen muß, um zu
verhindern, daß sich in den transatlantischen Beziehungen unterschiedliche Sicherheitsphilosophien entwickeln
und Orientierungen nur auf den eigenen Bereich Platz
greifen. Ich befürchte, das ist eine Grundfrage der politischen Diskussion in den nächsten Jahren. Die wird für
uns nicht leicht zu beantworten sein.
Herr Präsident, ich bedanke mich.
({0})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Gert Weisskirchen, SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Christian
Schmidt, Sie haben eben einen wichtigen Punkt angesprochen, über den in der Tat weiter zu debattieren sein
wird, weil wir in den USA - wir haben noch etwa ein
Jahr bis zur Präsidentenwahl in den USA - wohl eine
Verstärkung von unilateralen Tendenzen erleben werden. Das ist genau der Punkt. Im europäischen Interesse
liegt es, daß multilaterale Schritte weiter vollzogen werden, und diese Bundesregierung hat dafür gesorgt, daß
das geschehen kann.
({0})
Weil Sie die Kritik geäußert haben, es sei symbolhaft
gewesen, was die Bundesregierung an vielen Punkten
gemacht hat, will ich dazu kurz etwas sagen. Ich greife
einmal das heraus, was Sie zu dem Thema eines der
großen Konflikte, den wir in diesem Jahr erlebt haben
und der noch nicht zu Ende ist, gesagt haben. Ich meine
den Kosovo-Krieg. Wer war es denn, der dafür gesorgt
hat, daß es nicht allein um die militärische Logik ging,
der dafür gesorgt hat, daß von Beginn an diese militäriChristian Schmidt ({1})
sche Logik unter den Zwang der politischen Logik gestellt wurde, der dafür gesorgt hat, daß nicht ein Krieg
gegen Serbien als solches geführt wurde, der vielmehr
herausgestellt hat, daß es darum ging, eine drohende faschistische Diktatur zu brechen? Ferner ging es darum,
dafür zu sorgen, daß die zivilen Kräfte in Serbien eine
neue Perspektive bekommen.
({2})
Der Stabilitätspakt stellt keine Symbolpolitik dar, sondern ist ein Angebot der Europäisierung an diesen
schwierigen Raum in Südosteuropa.
({3})
Das ist konkrete Politik, mit der wir das, worum es
geht, vorantreiben, nämlich die zivilen Kräfte überall in
Europa zu stärken, unabhängig davon, ob sie im verdichteten Raum der westeuropäischen Integration leben. Das ist der zentrale Punkt, auf den es ankommt. Der
Gewinn von Frieden, der Gewinn von Stabilität kann nur
gelingen, wenn die Kräfte der zivilen Gesellschaft von
unten gestärkt werden. Wir Westeuropäer - das dürfen
wir mit Stolz sagen; jeder, der hier ist, hat seinen Beitrag
geleistet - haben aus der Vergangenheit genau die Lehren gezogen, auf die es ankam, nämlich Prozesse der
Integration, des Zusammenwachsens, des Zusammenlebens von Menschen und Gesellschaften, von nationalen
Orientierungen voranzutreiben. Das ist das aktive Modell, das Europa anbieten kann.
Nun kommt es darauf an, all den europäischen Regionen, die bisher die Chance zur Integration, zur Öffnung nach Westeuropa noch nicht bekommen haben,
diese Chance zu bieten. Südosteuropa ist dafür eine der
zentralen Regionen. Diese Bundesregierung, Gerhard
Schröder und Joschka Fischer, haben in diesem Jahr bewiesen, daß sie das können, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition.
({4})
Vielleicht darf ich noch eine Bemerkung zu diesem
ersten kriegerischen Konflikt machen. Wir haben ihn ja
alle selbst erlebt und erlitten. Dieser Krieg hat uns auch
gezeigt, daß wir an die Grenze unserer politischen
Möglichkeiten gedrängt worden sind. Ich meine das
auch im Hinblick darauf, daß die inneren Kräfte dafür
aufgebracht werden mußten, damit dieser Krieg in dieser
Form - mit allen seinen Schrecknissen - durchgestanden
werden konnte. Das hat mit dazu geführt, daß der Krieg
im Juni eingestellt und dann eine politische Perspektive
eröffnet werden konnte. Diese Grenze unserer Möglichkeiten haben wir erfahren. Es ist wichtig, daß es eine
politische Öffentlichkeit gibt, die diese Grenzen, diese
Ränder der politischen Möglichkeiten ausleuchtet und
kritisisch betrachtet. Ich bin dankbar dafür, daß diese
Debatte und diese Kritik auch in diesem Parlament eine
Rolle haben spielen können.
Ich möchte jetzt auf einen weiteren kriegerischen
Konflikt dieses Jahres zu sprechen kommen. Ich setze
darauf, daß auch in der russischen Öffentlichkeit die
kritischen Fragen, die bereits jetzt gestellt werden,
Widerhall finden. Sergej Adamovitsch Kowaljow war
gestern hier, und heute ist ein Kollege aus dem tschetschenischen Parlament anwesend, der auf der Besuchertribüne sitzt und uns zuhört. Ich hoffe sehr, daß diese Kritik in der russischen Öffentlichkeit stärker Platz
greift. Denn es war die wichtigste Lehre aus dem ersten
Krieg in Tschetschenien, daß es eine kritische, aufmerksame, harte Debatte in der russischen Öffentlichkeit
gegeben hat. Wir müssen dafür sorgen und dabei mithelfen, daß unsere Kollegen in der Duma und die russischen Intellektuellen mit dazu beitragen können, daß
dieser zweite Tschetschenien-Krieg genauso beendet
werden kann wie der erste Tschetschenien-Krieg. Liebe
Kolleginnen und Kollegen aus Tschetschenien, bitte
sorgen Sie dafür, daß man die Gründe, die es gibt, kritisch gegenüber Ihrer eigenen Region zu sein, selbst erkennt. Terrorismus kann und darf kein Instrument sein,
auch nicht, wenn vorgetäuscht wird, daß es um einen
Befreiungskampf geht. Terrorismus darf überhaupt kein
Instrument sein!
({5})
Deshalb war es gut, daß auch die Bundesregierung für
die Durchsetzung des Punktes 23 der OSZE-Erklärung er ist ja vorhin schon zitiert worden - gesorgt hat. Die
OSZE hat gute Möglichkeiten. Das Mandat der OSZE ist
erneut eröffnet, bestätigt und gestärkt worden. Jetzt
kommt es darauf an, daß die OSZE es nutzt, daß sie auf
beide Seiten einwirkt und beiden Seiten deutlich macht:
Mit kriegerischen Aktionen läßt sich niemals Frieden
herstellen. Es kommt darauf an, daß innerhalb dieser Region die sozialen Interessen, die territorialen Interessen,
die demokratischen und verfassungsmäßigen Interessen
zu einem Ausgleich geführt werden. Ich bitte Sie darum,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus Tschetschenien, mitzuhelfen, daß es einen konstruktiven Dialog zwischen
Rußland und Tschetschenien gibt. Das wäre eine Hilfe,
damit dieser zweite schreckliche Krieg, den wir 1999 erleben, rasch beendet wird.
({6})
Am 19. Dezember sind die Wahlen zur Duma. Es ist
schon erforderlich - der Kollege Pflüger und andere haben schon darauf hingewiesen -, daß wir Parlamentarier
eine härtere Sprache an den Tag legen als die Regierung.
Ich möchte auch bitten, alle zur Verfügung stehenden
Instrumente - ich höre, das geschehe bereits, das werde
bereits in die Wege geleitet - zu nutzen, auch die der
OSZE-Parlamentarierversammlung.
Wer könnte uns, die OSZE-Parlamentarier, denn
daran hindern, den Beschluß, den wir in Petersburg - Sie
erinnern sich, Frau Grießhaber - gefaßt haben, umzusetzen, wonach laut Ziffer 111 der Deklaration ein Forum
in der Nähe der Konfliktregion eingerichtet werden soll,
auf dem all diejenigen, die etwas zu sagen haben, die
über die Lage der Flüchtlinge informieren können, Wege aufzeigen können, wie dieser Konflikt politisch gelöst werden kann? Wer hindert uns daran, daß die OSZE
ein solches Forum in der Region eröffnet?
Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir Unterstützung
dafür finden könnten, daß der 3. Ausschuß der OSZEGert Weisskirchen ({7})
Parlamentarierversammlung, zuständig für Demokratie,
Menschenrechte und humanitäre Fragen, vielleicht in
Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen aus
dem Europarat, den Betroffenen die Chance gibt, miteinander zu debattieren, vielleicht Lösungswege aufzuzeigen und diese in die Duma hineinzutragen. Sergej
Adamovitsch Kowaljow hat mir gestern zugesagt, daß er
nach der Wahl diesen Vorschlag aufgreifen werde. Ich
finde es gut, wenn die Duma bereit wäre, einen solchen
Weg zu gehen. Er könnte mit dazu beitragen, daß dieses
Problem anders behandelt wird als bisher.
Militärische Logik - das sagt Grigorij Jawlinskij in
seinem Aufsatz, den er kürzlich, am 23. November, in
der „Welt“ veröffentlicht hat - führt zur geopolitischen
Katastrophe Rußlands. Das sagt Grigorij Jawlinskij, und
wir teilen seine Auffassung. Wir hoffen, daß die Demokraten in Rußland die Chance haben, in der Duma so
stark zu werden, daß diese militärische Logik in Rußland endlich keine Geltung mehr besitzt.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt also in Gesamteuropa einen sich verdichtenden Raum der Integration. Wir Westeuropäer haben die Lektionen der Geschichte gelernt. Die Präsidentschaft dieser Bundesregierung in der Europäischen Union hat an ebendiesem
Projekt gearbeitet. Ich finde, die Bundesregierung hat
die Präsidentschaft konstruktiv genutzt. Sie hat mit dazu
beigetragen, daß die EU gestärkt worden ist.
Wir danken der Bundesregierung dafür, daß sie das getan hat.
({9})
Ich sage das mit aller Deutlichkeit, weil Sie, Herr
Haussmann, vorhin die Bundesregierung kritisiert haben. Sonst hätte ich diese etwas überzogene Position
nicht bezogen.
({10})
Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu dem machen, was Sie gesagt haben, Herr Haussmann. Sie haben
die WTO angesprochen. In diesem Zusammenhang haben Sie zu berücksichtigen, daß der amerikanische Präsident, als die WTO in Marrakesch in neuer Form gegründet worden ist, dafür hat werben wollen und es hat
durchzusetzen versucht, daß in der WTO soziale Mindeststandards und Umweltmindeststandards einzubeziehen sind. Ihre Regierung hat das damals verhindert. Das
hat mit dazu beigetragen, daß die WTO einen Kernbestand von sozialen und Umweltstandards nicht berücksichtigt hat. Diese Bundesregierung will in Seattle dafür
sorgen, daß diese grundlegenden Standards in die WTO
einbezogen werden. An diesem Punkt sehen Sie, daß es
nicht um Symbolpolitik, sondern um die klare Vertretung der sozialen Interessen der Arbeitnehmerschaft bei
uns in Deutschland und in Europa geht.
({11})
- Lieber Kollege Haussmann, darüber werden wir, wenn
Seattle vorbei sein wird, noch einmal reden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Jahr 1999 ist die
Furcht, die Ossip Mandelstam geäußert hat, als er am
Ende des letzten Jahrhunderts in das neue Jahrhundert
geblickt hat, nicht in Erfüllung gegangen. Er hat gesagt,
es komme ein „Wolfshundjahrhundert“. Ja, viele Züge
in diesem Jahrhundert haben dieses Wolfshundgesicht
gehabt. Aber am Ende dieses Jahrhunderts gibt es positive Perspektiven: einen europäischen Verdichtungsraum der Integration und Angebote für andere Räume,
die noch nicht in diesen Integrationsprozeß einbezogen
sind. Ich wünsche mir, daß diese Bundesregierung - das
hat sie in diesem Jahr auch schon gezeigt - auf diesem
Weg des Angebotes einer erweiterten Integration voranschreitet, damit Europa ein Kontinent des Friedens wird.
({12})
Als nächster Redner
spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Peter
Hintze.
({0})
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir führen diese Debatte in
dem Bewußtsein, daß es die letzte Haushaltsdebatte im
zu Ende gehenden 20. Jahrhundert ist und es zugleich
um den ersten Haushalt im anbrechenden 21. Jahrhundert geht.
({0})
Mit dem neuen Millennium erleben wir einen Datumswechsel. Eine Zeitenwende ist es nicht. Politisch und
ökonomisch ist sie schon geschehen. Seit 1989 leben wir
in Europa in einem neuen Zeitalter.
({1})
Das verdanken wir dem Freiheitswillen der Menschen,
und nicht zuletzt verdanken wir das der Standfestigkeit
der westlichen Politik.
({2})
Der Weg einer verstärkten wirtschaftlichen und politischen Integration im Westen Europas war erfolgreich.
Dagegen erschien der politische und ökonomische Mißerfolg des Kommunismus und seiner Idee vom Zusammenschluß unter Führung der Sowjetunion um so drastischer. Der Wunsch, zum freien Teil Europas zu gehören,
hat die Menschen von Tallinn bis Sofia auf die Straße
gebracht. Unsere offene Sympathie für ihren Mut hat
ihnen einen guten Teil der Kraft gegeben, die friedlichen
Revolutionen zum Erfolg zu führen.
Das Wissen um das Privileg, für Europa dauerhaft
und umfassend Stabilität in Frieden und Freiheit schaffen zu können, macht auch Enttäuschungen auf dem
schwierigen Weg der Einigung Europas leichter verGert Weisskirchen ({3})
kraftbar und rechtfertigt den materiellen Aufwand als
eine Investition in eine gemeinsame gute Zukunft. Am
Ende des dramatisch verlaufenden 20. Jahrhunderts - da
stimme ich mit meinem Vorredner überein - leben wir
im besten Europa, das es je gab. Daß wir an diesem
Projekt weiterarbeiten können, ist eine Sache, die uns
verbindet und die uns auch stärken kann.
({4})
West und Ost waren in Europa nicht nur geographische Kategorien. West und Ost symbolisierten über vier
Jahrzehnte hinweg gegensätzliche politische Begriffe:
frei gegen unfrei, demokratisch gegen diktatorisch,
marktwirtschaftlich gegen planwirtschaftlich, erfolgreich gegen erfolglos und menschlich gegen unmenschlich. Wie in Deutschland muß auch in Europa die
schwere kommunistische Erblast abgetragen werden.
Das wirtschaftliche Desaster, die ökologische Katastrophe und die menschliche Tragödie als Ergebnis der linken Diktatur haben tiefe Wunden auf unserem Kontinent
gerissen.
Die Europäische Union leistet bereits heute erhebliche Unterstützung für den Reformprozeß in den mittelund osteuropäischen Staaten, damit dieser gelingt. Die
erfolgreichen Programme Phare und Tacis sind hier zu
nennen. Doch die wirksamste Wirtschaftshilfe ist eine
klare Perspektive für den Beitritt zur Europäischen Union.
({5})
Sie bietet Sicherheit für die Investoren, stärkt die demokratischen Regierungen in den Beitrittsländern und gibt
den Menschen dort Hoffnung für eine dauerhaft bessere
Zukunft in ihrer Heimat in Europa.
({6})
Nun haben wir auch in dieser Debatte immer wieder
das Thema des richtigen Datums erwähnt. Der Kollege
Haussmann hat es gerade dazwischengerufen. Ich finde
eines wichtig: Die Qualität dieses Prozesses und das
Tempo dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Die Beitrittskandidaten brauchen eine klare Perspektive,
um bei sich zu Hause die Reformen, die sie beitrittsfähig
machen, durchzusetzen. Wir haben die Pflicht und
Schuldigkeit, alles daranzusetzen, um unsere Erweiterungsfähigkeit zügig herzustellen und diesen Prozeß zu
einem guten Ergebnis zu bringen.
({7})
Als unglücklich empfinde ich die Leichtfertigkeit, mit
der die Bundesregierung immer neue EU-Mitgliedschaften in Aussicht stellt. Ich erinnere an die Worte in
Richtung Balkan, aber auch an die Hoffnungen, die jetzt
voreilig in der Türkei geweckt werden. Vor der Frage
nach dem „wann“ muß immer auch die Frage nach dem
„ob“ gestellt werden. Die Frage nach dem „ob“ ist an
klare Kriterien gebunden. Das ist doch wohl klar. Ob
diese Kriterien erfüllt werden, ist zunächst einmal im
Falle der Türkei eine Frage an die Türkei selbst. Zur Zeit
erfüllt sie diese Kriterien nicht. Politische Defizite, etwa
in der Menschenrechtspolitik oder in der Frage nach der
Rolle des Militärs, aber auch in wirtschaftlichen Fragen
müssen vor der Einleitung einer wie auch immer gearteten Beitrittspolitik klar ausgeräumt sein.
({8})
Das Dilemma, das wir dem Bundesaußenminister, Ihnen, Herr Fischer, verdanken, liegt darin, daß in der
Türkei eine Nichtgewährung des offiziellen Kandidatenstatus nach Ihren Einlassungen beim Europäischen Rat
in Helsinki als schwerer Affront empfunden würde. Sie
haben dadurch die Entscheidungsfreiheit der Europäischen Union deutlich beschädigt. Wir wollen der Türkei
keine unhaltbaren Versprechungen machen, die uns voreilig binden. Die Fairneß gegenüber dem Nato-Partner
verlangt allerdings die Einlösung der in der Vergangenheit gegebenen Zusagen. Im Finanzprotokoll wird immer auf Griechenland verwiesen, wir verweisen hier auf
die Grünen und auf die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, die unserem Bündnispartner bisher die
Zustimmung verweigert und das Finanzprotokoll blokkiert haben. Diese Blockade muß aufgehoben werden.
Ziel der nächsten Reform der EU-Verträge ist es,
die Europäische Union baldmöglichst erweiterungsfähig
zu machen. Alle Fragen, die für die Erweiterung wichtig
sind, müssen deswegen rasch auf den Tisch. Das bedeutet für die Regierungskonferenz die Konzentration
auf die wichtigsten Themen, aber nicht die Beschränkung auf die „left overs“.
Wir müssen jetzt Europa definieren, das heißt, wir
müssen über die Grenzen und darüber sprechen, wie wir
uns Europa vorstellen. Wir müssen die Institutionen
handlungsfähig machen, um dieses Europa wirksam zu
gestalten.
({9})
Ich persönlich finde den Vorschlag von Jean-Luc Dehaene, Richard von Weizsäcker und Lord Simon überzeugend, die bestehenden Verträge aufzuteilen. Ein kurzer, leicht verständlicher Text sollte Vorläufer eines europäischen Verfassungsvertrags sein, der die Grundrechte enthält, institutionelle Fragen klärt und die Kompetenzabgrenzung vornimmt. Ein zweiter Vertragsteil,
der einfacher zu handhaben ist als das bisherige komplizierte Ratifizierungsverfahren, sollte die Regelungen der
einzelnen Politiken beinhalten. Dazu gehört auch ein
weitgehender Übergang zu Mehrheitsabstimmungen im
Ministerrat. Nur so können Blockaden und unangemessener Druck verhindert werden.
Das Europäische Parlament sollte das Recht erhalten,
den Präsidenten der Kommission zu wählen und künftig
über den gesamten Haushalt der Europäischen Union
mit zu entscheiden.
({10})
Die Europäische Union würde sich dadurch in Richtung
auf ein parlamentarisches System weiterentwickeln. In
ihm wäre ein in seinen Legislativrechten gestärktes Europäisches Parlament als Vertretung der Bürger Europas
die erste Kammer und der Rat als Vertretung der Staaten
die zweite Kammer.
Das Europäische Parlament hat die nationalen Parlamente eingeladen, Vertretungen in Brüssel und Straßburg, also Kontaktbüros der nationalen Parlamente beim
Europäischen Parlament, zu errichten. Der Vorsitzende
des Europaausschusses, Friedbert Pflüger, hat hier die
Anregung gegeben, daß wir als Deutscher Bundestag
das tun.
({11})
Ich möchte das für die CDU/CSU-Fraktion nachdrücklich unterstützen und rufe die anderen Fraktionen auf,
sich daran zu beteiligen.
({12})
Wir können uns nicht darüber beschweren, daß manche
Dinge in Brüssel oder Straßburg an uns vorbeigehen,
wenn wir die Chancen und Möglichkeiten zu einer solchen Verknüpfung nicht nutzen.
Nun hat mein verehrter Vorredner, wie auch heute
morgen der Bundeskanzler, die Agenda 2000 als eine
große Grundlage für eine positive Gestaltung des Erweiterungsprozesses gepriesen. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, der Bundeskanzler hat sogar gesagt, die
Agenda 2000 wäre ein Durchbruch für Europa. Ich muß
sagen: Es war eher ein Einbruch für Europa,
({13})
nämlich eine Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen
Nenner mit schwerwiegenden Folgen, nämlich mit der
Folge, daß weder in der Agrarpolitik noch in der Strukturpolitik, noch in der Finanzpolitik die Voraussetzungen für die Erweiterung wirklich gelegt sind. Die materielle Basis ist mehr als fragil.
Zu der ganzen Kette von Pannen und Fehlern dieser
Regierung gehört, daß im Vorfeld dieser Konferenz in
Berlin etwa die Kofinanzierung bei den Direktbeihilfen
für die Einkommen der Landwirte ohne jede Gegenleistung fallengelassen und damit die Chance, hier einen
grundlegenden Ausgleich sicherzustellen, aufgegeben
wurde. Das war ein schwerer Fehler, der uns im Erweiterungsprozeß noch zu schaffen machen wird.
({14})
Wenn am 17. Dezember dieses Jahres in Brüssel mit
der Ausarbeitung der Grundrechtscharta der Europäischen Union begonnen wird, bedeutet dies nicht nur die
Erfüllung einer seit langem bestehenden Forderung des
Deutschen Bundestages. Die Grundrechtscharta bietet
die große Chance, uns am Ende dieses Jahrhunderts
Klarheit über den weiteren Fortgang der europäischen
Integration und über die künftige Gestalt der Union zu
verschaffen. Der Deutsche Bundestag wird morgen für
die Sozialdemokraten Professor Meyer als ordentliches
Mitglied und für die CDU/CSU-Fraktion Peter Altmaier
als stellvertretetendes Mitglied des Konvents entsenden.
Das sind zwei in europäischen Grundrechtsfragen ausgewiesene Kollegen. Ich habe für uns die Anregung, daß
wir diese Debatte über die Grundrechte in Europa und
über die zukünftige Gestalt Europas nicht allein diesem
Konvent überlassen, sondern daß wir die Mitwirkung
unserer Kollegen nutzen, um diese Debatte auch hier im
Deutschen Bundestag parlamentarisch zu begleiten.
({15})
Wo ich gerade bei den Anregungen bin: Meine sehr
geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, am 6. Dezember
({16})
- ist nicht nur der Nikolaustag, wie Frau Kollegin Roth
zutreffend reinruft. Am 6. Dezember muß der Rat darüber entscheiden, ob er dem derzeitigen Inhaber des
Amtes des Koordinators für den Stabilitätspakt auf dem
Balkan, Herrn Bodo Hombach, einen neuen Auftrag für
das kommende Jahr erteilt.
({17})
Ich habe von zwei führenden, nein, führend sind sie
nicht mehr: von zwei prominenten Sozialdemokraten
gelesen bzw. gehört, Hombach sei im Kanzleramt eine
Katastrophe gewesen. Ich kann das nur teilweise beurteilen. Ich kann nur sagen:
({18})
- Er meint, er war total eine Katastrophe; in Ordnung. Die Regierung hätte die Chance, Europa einen Dienst zu
erweisen, dem Balkan einen Dienst zu erweisen, einen
schwerwiegenden Fehler zu korrigieren und einmal eine
vernünftige Personalentscheidung zu treffen und dieses
Mandat für Herrn Hombach nicht zu verlängern und
damit Europa wirklich etwas Gutes zu tun.
Herzlichen Dank.
({19})
Das Wort hat nunmehr der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat heute in ihrer Kritik am Einzelplan 05 ein weites
Feld aufgetan: von der wuchtig vorgetragenen Eröffnungskritik des Kollegen Frankenhauser - er ging sehr
in die Details des Einzelplans - bis hin zu den die Zeitenwende beschwörenden Ausführungen des Kollegen
Hintze, der sich noch schwertut. In der Beurteilung der
Frage, wieweit jemand politisch eine Katastrophe ist,
sind Sie ohne jeden Zweifel besonders berufen und befugt, Herr Kollege Hintze.
({0})
Sie haben im bekannten Tremolo einer Predigt als
parlamentarischer Sendbote der Zeitenwende vom zu
Ende gehenden 20. Jahrhundert - man könnte noch hinzufügen: vom sich wendenden zweiten christlichen
Jahrtausend, das sich ebenfalls anschickt, sich zu verabschieden - gesprochen. Wenn man Ihr Niveau aufnehmen würde, Herr Kollege Hintze, dann würde man sagen: Es gibt doch tatsächlich so etwas wie Fortschritt:
Früher war es Nostradamus, der diese unheilsschwangeren Prophezeiungen ausgesprochen hat; heute sind Sie
es. Dies begreife ich als echten Fortschritt.
({1})
Sie merken: Es juckt mich, in die politische Auseinandersetzung mit einzusteigen; zumal hinter Ihnen der
verehrte, nein: Herr Austermann sitzt.
({2})
Ich will mir weitere Bemerkungen aber verkneifen.
Ich möchte mich in aller Kürze auf die wichtigen
politischen Fragen, beginnend mit dem Einzelplan, konzentrieren. Ich möchte mich bei allen Berichterstattern bei Ihnen, Herr Kollege Frankenhauser, bei den anderen
Berichterstattern der Opposition und bei denen der
Koalition - für die gute Zusammenarbeit, die wir im Zusammenhang mit dem Einzelplan 05 hatten und, wie ich
hoffe, auch in Zukunft haben werden, bedanken.
Natürlich ist der Einzelplan kein Haushaltsentwurf,
der mich mit Freude erfüllt. Ich würde aber nicht sagen,
daß uns der Finanzminister mit einem Einspardiktat
mißhandelt. An diesem Punkt sage ich Ihnen klipp und
klar: Wir stehen zu der Konsolidierungspolitik, weil sie
alternativlos ist.
({3})
Auf der anderen Seite müssen wir hier klar sagen: Es
war notwendig, jetzt die Einsparleistung von über
7 Prozent zu erbringen. Sie kennen den Einzelplan viel
besser als die meisten anderen Kollegen. Wir mußten bei
dieser Einsparleistung von über 7 Prozent und bei den
geringen uns zur Verfügung stehenden Programmitteln
ans Eingemachte gehen. Wir mußten Entscheidungen
nicht zwischen Gut und Schlecht, sondern zwischen
Schlecht und Schlechter treffen. Wir mußten Entscheidungen über Schließungen und über Einsparleistungen
bei Programmitteln treffen, deren Entwicklung ich, mit
Verlaub gesagt, gerne in eine andere Richtung - ansteigend und nicht abnehmend - sehen würde. Ich würde
gerne Generalkonsulate genauso wie Goethe-Institute
nicht schließen, sondern offenhalten. Ich würde gerne
für die Auslandsschulen und für die auswärtige Kulturpolitik mehr Mittel haben. Aber angesichts dessen, was
wir vorgefunden haben, führt am Konsolidierungskurs
kein Weg vorbei.
({4})
Ihre Kritik darf sich nicht darin erschöpfen - das kann
man bei jeder Einzelplanberatung nachvollziehen -, daß
Sie hier das Beklagenswerte feststellen - eine Opposition muß das tun -, aber keine Alternativen - außer der,
daß man nicht mit dem Rasenmäher sparen soll - aufzeigen. Hinsichtlich unserer Kürzungsvorstellungen
würde ich mir etwas mehr Konstruktivität auch in der
Debatte wünschen. Sie haben bei den Berichterstattergesprächen durchaus Konstruktivität an den Tag gelegt.
Dort waren unsere Ansichten in wesentlichen Punkten
gar nicht so kontrovers, wie es jetzt den Anschein hat.
({5})
Was die Schließung der Konsulate angeht, möchte ich
nochmals betonen: Wir wollen alles versuchen, um den
Bedürfnissen der Minderheiten gerecht zu werden. Die
Entscheidungen werden ausschließlich nach Kürzungskriterien getroffen und sind nicht Ausdruck einer gegen
Minderheiten gerichteten Politik. - Bitte schön.
Vielen Dank, daß
Sie mir die Arbeit abnehmen, Herr Außenminister. Sie
haben das Wort zu einer Zwischenfrage erteilt.
So sind wir, Herr Präsident.
Ihre Aussage, es habe keine
Alternativvorschläge gegeben, hat mich etwas verletzt.
Ich habe Ihnen, Herr Bundesaußenminister, im Ausschuß und auch in der Öffentlichkeit die Frage gestellt,
ob es nicht eine Alternative gewesen wäre, zu prüfen,
inwieweit die Großbotschaften in den europäischen
Hauptstädten ausgedünnt werden können.
({0})
Wir leisten uns Großbotschaften im Stile des
19. Jahrhunderts, obwohl es längst eine europäischpolitische Zusammenarbeit und eine Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union
gibt. Wäre es nicht besser gewesen, die Mittel für die
Botschaften in Paris, in London, in Rom und in Madrid
um jeweils 10 bis 20 Prozent zu kürzen, anstatt Botschaften, Goethe-Institute und Konsulate in Afrika zu
schließen? Die deutsche Wirtschaft unterhält heute in
der EU Wirtschaftsbeziehungen zu ihren Partnern auf
bilateraler Ebene. Für ihre Unterstützung sind keine
Großbotschaften mehr notwendig.
Ich möchte nicht den Vorwurf auf mir sitzen lassen,
nicht auf Alternativen, die sich uns bieten, aufmerksam
gemacht zu haben. Ich habe den Eindruck, daß unsere
Anregungen von Ihnen lediglich nicht aufgegriffen worden sind und daß deswegen überhaupt nichts geschehen
ist. Natürlich ist es einfacher, irgendeine Botschaft in
Afrika zu schließen, als einem Botschaftbediensteten
oder einem Diplomaten in Paris klarzumachen, daß sein
Posten gestrichen wird; denn jeder Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes geht lieber nach Paris als nach Ouagadougou. Dafür habe ich Verständnis. Aber man sollte
anfangen, dort zu kürzen, wo es notwendig und möglich
ist.
({1})
Das war eine
Kurzintervention und keine Zwischenfrage. Dies sollten
wir künftig vermeiden.
Bitte schön, Herr Minister.
Dies war eine sehr umfängliche Frage. Wenn die Kürzungsvorschläge proportional zur Länge der Frage sind,
dann müßten die Mittel für die Botschaften sogar aufgestockt werden.
Ich möchte Ihnen Ihre Frage klipp und klar und in
aller Kürze beantworten: Die von Ihnen angesprochenen
Botschaften haben bereits ganz erhebliche Ausdünnungen hinter sich. Herr Kinkel, der vor Ihnen sitzt, weiß
dies ganz genau. Die Frage der Kürzung werden wir
weiter diskutieren müssen, vor allem im Zusammenhang
mit dem Zusammenwachsen Europas. Natürlich steht
die Frage, was mit den Generalkonsulaten im EU-Raum
geschehen soll, an erster Stelle, Apenrade als Stichwort;
allerdings gibt es hier ein Minderheitenproblem, das erst
gelöst werden muß. Ich sage Ihnen hier klipp und klar:
Wir müssen die vorhandenen Möglichkeiten, weitere
Einsparungen vorzunehmen, in den kommenden Jahren
nutzen. Wir stehen erst am Beginn dieser Phase.
Mich bedrückt viel mehr, daß wir angesichts der Bedeutungszunahme der Außenpolitik des vereinigten
Deutschlands und angesichts des Bildes, das sich die
Welt von uns macht, diese Sparpolitik in den kommenden Haushaltsjahren werden überdenken müssen. Wir
werden auf Dauer nicht mit weniger Mitteln mehr leisten können. Dies wird nicht gutgehen. Deswegen sage
ich Ihnen: All dies wird bedacht und ist auch schon teilweise bedacht worden. Aber eine Ausdünnungspolitik
ist bereits in den vergangenen Jahren betrieben worden.
Selbst dann, wenn wir nur den Ist-Zustand in unserem
Haushalt fortgeschrieben hätten, hätten wir die eine oder
andere Botschaft schließen müssen, weil es nicht vertretbar gewesen wäre, sie auf Dauer in ausgedünnter
Form aufrechtzuerhalten.
Gestatten Sie, Herr
Minister, eine Zwischenfrage des Kollegen Hornhues?
Bei Herrn Hornhues kann ich nicht nein sagen.
Das ist nett
von Ihnen, Herr Außenminister. Nicht Apenrade, sondern
Afrika war angesprochen. Sie schließen Botschaften in
Ländern, die nachweislich zu den problematischsten Krisenregionen gehören und wo ständig mit der Ausweitung
von Krisen gerechnet werden muß. Glauben Sie nicht,
daß die Einsparungen besser woanders vorgenommen
worden wären? Erinnern Sie sich nicht an Ihre eigenen
Vorstellungen zur Krisenprävention, die Sie bei anderen
Diskussionen vertreten haben? Sind Sie wirklich überzeugt, daß Ihre Streichungen alternativlos waren?
Herr Vorsitzender - Sie sind Vorsitzender der AfrikaGesellschaft -, dies ist eine verdienstvolle Arbeit. Insofern verstehe ich Ihre Zwischenfrage. Ich würde am
liebsten gar keine Botschaft schließen, vielleicht von
einer Ausnahme abgesehen, die ich jetzt nicht nenne. Ich
habe großen Wert darauf gelegt, daß in Sarajevo ein
Goethe-Institut eröffnet wird, obwohl eine Vielzahl von
Goethe-Instituten angesichts des strukturellen Bedarfs
geschlossen werden mußte. Hier befinde ich mich in einem inneren Widerspruch.
Wenn Sie ehrlich sind und von der Parteipolitik einmal absehen, dann müssen Sie zugeben, daß die Beiträge der Opposition nicht sehr hilfreich waren. Wir müssen feststellen, daß es auf der einen Seite einen unabweisbaren Haushaltssanierungsbedarf und auf der anderen Seite ein Mehr an politischen Aufgaben gibt. Mit
diesem Widerspruch muß die Koalition, muß diese Bundesregierung fertig werden. Wir werden diesen Widerspruch lösen, indem wir unsere Hausaufgaben im Inland
machen, so daß wir nicht nur in bezug auf diesen Einzelplan, sondern auch in bezug auf den Verteidigungshaushalt und die Entwicklungshilfe, also für den gesamten Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, in
den kommenden Jahren die notwendigen Aufwüchse
werden haben können.
({0})
Lassen Sie mich in den zehn Minuten, die mir
zur Verfügung stehen, noch auf einige Substanzpunkte
eingehen. Ich denke, das ist in dieser Debatte sehr wichtig.
Bedauerlicherweise hat Istanbul in der heutigen Debatte nur am Rande eine Rolle gespielt. Ich möchte Ihnen nochmals klarmachen: Die Situation in Istanbul war
unter vielen Gesichtspunkten eine sehr schwierige. Ich
bin sehr froh, daß es gelungen ist, eine solche Lösung
herbeizuführen. Sie war überschattet durch den Krieg in
Tschetschenien.
Zu dem Vorwurf, daß die Bundesregierung es an
Klartext habe fehlen lassen, kann ich nur sagen: Wir waren diejenigen im Bündnis, die in den öffentlichen und
internen Diskussionen darauf gedrängt haben, daß wir
mehr Klartext mit Rußland sprechen, daß wir nicht nur
darauf hinweisen, daß eine humanitäre Katastrophe damals im Anlaufen war - heute ist sie da - und daß es
nicht geht, unter dem Banner der Terrorismusbekämpfung einen Krieg gegen ein Volk zu führen. Es ist vielmehr auch darauf hinzuweisen, daß Rußland dabei ist,
sich dort in einen Kolonialkrieg zu verstricken, der die
gesamte Region destabilisieren wird und meines ErachUlrich Irmer
tens auch destabilisierende Auswirkungen auf die Entwicklung der russischen Demokratie haben wird.
({1})
Wir haben in den Gesprächen mit der russischen Seite
daran niemals auch nur einen Zweifel aufkommen lassen. Umgekehrt aber haben wir auch ein Interesse an der
Entwicklung der russischen Demokratie. Bisher war es
Konsens deutscher Politik, parteiübergreifend hier in
diesem Hause, daß wir ein elementares Interesse an Stabilität, Demokratie und Marktwirtschaft in Rußland haben. Insofern stehen hier zwei Interessen im Widerspruch. Das muß man auch so offen sagen.
In diesem Rahmen ist es uns gelungen - der deutsche
Anteil war da nicht unerheblich -, einen Zusammenbruch des OSZE-Prozesses zu verhindern, der durchaus
für einen längeren Augenblick drohte, und die konventionelle Rüstungsbegrenzung, die KSE-Adaption, zu erreichen, und zwar mit erheblichen Fortschritten. So haben wir jetzt einen Abzugsplan für Moldawien und für
den Abzug der russischen Truppen aus Georgien. Aserbaidschan und Armenien werden sich wieder an einen
Tisch setzen, und wir haben die Adaption des Rüstungskontrollregimes auf die neuen Bedingungen hin. Vor
allem die baltischen Staaten und andere ost- und mitteleuropäische Staaten hatten ein massives Interesse daran,
daß wir die Charta mit einem klaren Bekenntnis dafür
haben, daß es legitim ist, sich in die inneren Angelegenheiten der Mitgliedstaaten seitens der OSZE einzumischen, wenn es dort Entwicklungen gibt, die sicherheitsrelevant sind.
({2})
Schließlich ist es gelungen, der OSZE eine politische
und nicht nur eine humanitäre Rolle bei der Lösung des
Tschetschenien-Konflikts - inklusive einer Reise des
Vorsitzenden Vollebæk, des norwegischen Außenministers, dorthin - zukommen zu lassen.
Das war alles schwer genug. Ich bedaure, daß es nicht
gelungen ist, Rußland von einer Abkehr von der bisherigen Politik zu überzeugen und davon, zu einer politischen Lösung zurückzukehren.
Wenn hier der Vergleich mit Kosovo gezogen wird diesen Vergleich haben wir überhaupt nicht zu scheuen -,
dann sage ich Ihnen: Im Kosovo war das Ziel, einer
Politik des Nationalismus, der ethnischen Säuberung
entgegenzutreten und sie zu beenden und eine Perspektive der Demokratie, der Kooperation, des Heranführens
an das Europa der Integration zu erreichen. Das haben
wir erreicht und werden es mit dem Stabilitätspakt
durchsetzen.
({3})
Ich frage Sie: Was ist das politische Ziel im Kaukasus? Sehen Sie hier nicht die Substanzunterschiede?
({4})
- Sehen Sie, er ist wenigstens ehrlich - im Gegensatz zu
manch anderem. Er sagt, daß er natürlich den Unterschied sieht.
Ich möchte hier nochmals eindeutig darauf hinweisen: Der Konflikt auf dem Balkan, in Südosteuropa wird
erst dann zu Ende sein, wenn sich die Demokratie in
Belgrad durchgesetzt hat. Deswegen werden wir alle unsere Kräfte darauf konzentrieren, gemeinsam mit der
demokratischen Opposition diesen Prozeß hinzubekommen.
({5})
Lassen Sie mich kurz noch zwei andere Punkte ansprechen. Zunächst zum Thema Europa. Auf Grund der
Kürze der Zeit kann ich es nur im Telegrammstil machen. Herr Haussmann,
({6})
ich kann Ihnen nur sagen: Daß Sie die Qualität der neuen
Kommissare ansprechen - ich hatte mit Romano Prodi
jüngst ein Gespräch; da klang das völlig anders -, daß
ausgerechnet die F.D.P. sich über die Qualität der
Kommissare ausläßt, ist schon bemerkenswert.
({7})
Zur Frage der Generaldirektoren: An Stelle der F.D.P.
würde ich im Zusammenhang mit Kommissaren den
Begriff „Direktor“ gar nicht in den Mund nehmen, denn,
wenn ich es richtig sehe, ist Herr Bangemann noch
F.D.P.-Mitglied. Sie dürften sich nur zu gut erinnern,
daß dieses Jahr keinesfalls ein Ruhmesblatt Ihrer europäischen Personalpolitik darstellt. Ich bitte Sie, Herr
Haussmann!
Bei dem, was Sie als Zweites in diesem Zusammenhang angesprochen haben, haben Sie fast das Niveau
unterschritten, das Herr Hintze vorgegeben hat. Das zu
unterschreiten ist eigentlich eine Kunst.
({8})
Das hätte ich von Ihnen, Herr Haussmann, nicht erwartet. Herr Hintze hat ja selber zugegeben, daß er es mit
der Logik nicht so hat.
({9})
Als Theologe muß man auch nicht unbedingt Logiker
sein.
({10})
Auf der einen Seite sagt Herr Hintze nämlich, die Erweiterung der EU solle möglichst schnell kommen.
Darin stimme ich ihm völlig zu. Gleichzeitig sagt er
aber: Ihr habt die Voraussetzungen für die Erweiterung
beim Gipfel in Berlin nicht geschaffen. Trotzdem fordert
er, sie soll möglichst schnell kommen. Diese beiden
Aussagen kann man nur mit theologischer Intuition
zusammenbringen.
Das, was Sie hier zum besten gegeben haben, hat mit
Logik nichts zu tun. Ich rate Ihnen, Herr Hintze: Fahren
Sie nach Warschau, Prag und Budapest, und fragen Sie
einmal dort die Vertreter der Parlamente, die proeuropäisch orientiert sind, oder gar die Regierungen, was sie
von der Agenda 2000 und vom Ergebnis der deutschen
Präsidentschaft halten. Wenn Sie ehrlich sind, werden
Sie nach Ihrer Rückkehr sagen: Mit diesen Vorhaben ist
der erste Schritt für die Erweiterungsfähigkeit der EU
getan worden. Der zweite Schritt wird auf der Regierungskonferenz getan werden.
({11})
Dann sind wir da, wohin diese Bundesregierung immer
wollte. Die Bundesregierung hat immer gesagt, wir sollten den 1. Januar 2003 als konkretes Datum festsetzen nicht als visionäres, sondern als konkretes Datum -, zu
dem wir erweiterungsfähig sind. Wenn dann die Verhandlungen mit den Beitrittsländern abgeschlossen sind
- das hängt ja von diesen ab -, werden wir den
Erweiterungsprozeß, den ich für dringend notwendig
halte, so schnell wie möglich zu einem Abschluß bringen.
({12})
- Nicht „na also“, das war schon immer unsere Position.
({13})
Dazu bedurften wir nicht der Hilfe von Herrn Haussmann.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang noch einen
zweiten Punkt ansprechen.
({14})
- Richtig, die Türkei. - Daß Sie sich hier nach dem Debakel, das Sie in der Türkei-Politik verursacht haben,
hinstellen! Man sieht doch, wohin Ihre Türkei-Politik in
den letzten drei Jahren geführt hat.
({15})
Ich will Ihnen gerne einmal die Frage der Menschenrechte in diesem Punkt durchdeklinieren. Hat die Türkei-Politik der damaligen Bundesregierung, die von dem
Grundsatz ausging, daß die EU eine Organisation des
christlichen Abendlandes sei - was in der Türkei als
schwerste Zurückweisung empfunden wurde -, dazu geführt, daß die Menschenrechtsbedingungen in der Türkei
verbessert sowie ökonomische und politisch-demokratische Modernisierung vorangebracht wurden? Ich
kann nur sagen, all dieses ist schlechter geworden.
({16})
Die Lage in der Türkei schätzen wir doch völlig realistisch ein. Sie müssen mich nun wirklich nicht belehren,
wie die Realitäten aussehen. Vergleichen Sie einmal Ihren Länderbericht Türkei mit unserem Länderbericht
Türkei. Dann finden Sie auch gleich eine Antwort auf
Ihre Frage nach den Menschenrechten.
({17})
Ich habe im Gegensatz zu anderen auch nicht das
Zipperlein bekommen, als ich dem Dalai-Lama gegenüberstand. Das wollte ich Ihnen an dieser Stelle auch
einmal ins Stammbuch schreiben. Für Peking ist klar,
daß man mit uns in der Menschenrechtsfrage nicht so
Schlitten fahren kann wie mit einigen Mitgliedern der
Vorgängerregierung. Auch das möchte ich Ihnen ins
Stammbuch schreiben.
({18})
Bei der Türkei-Politik geht es doch darum, ob wir der
Türkei eine europäische Perspektive eröffnen, die zu einer inneren, nicht nur ökonomischen, sondern auch demokratischen und rechtsstaatlichen Modernisierung
führt - diese Perspektive kann nur die EU bieten -, oder
ob wir darauf verzichten. Das würde bedeuten, daß die
Türkei isoliert bleibt, und hätte fatale Konsequenzen, da
das EU-Mitglied Griechenland direkter Nachbar der
Türkei ist. Wir reden hier doch nicht nur über Theorien.
Schauen Sie sich doch die Entwicklung des griechischtürkischen Verhältnisses im Zusammenhang mit der
veränderten Türkei-Politik der Europäischen Union an.
Sie können doch schon feststellen, daß es positive Ergebnisse bis hin zur Wiederaufnahme der Gespräche
über Zypern gibt.
({19})
Daß Sie, Herr Hintze, diese Ausrichtung der Politik
mir persönlich zuschreiben, ist zwar schön, zeigt aber
nur, wie schlecht oder unvollständig Sie informiert sind.
Der Bundeskanzler hatte einen Briefwechsel mit Premier Ecevit; der französische Präsident Chirac hat gegenüber der türkischen Regierung gerade erklärt, er sei
schon immer dafür gewesen. Ich würde für mich nie in
Anspruch nehmen wollen, daß ich Erfinder dieser Politik bin. Ich halte sie für richtig und bemühe mich in
meiner Funktion als Außenminister der Bundesrepublik
Deutschland, diese von der Bundesregierung, vom Bundeskanzler und von unseren Verbündeten als richtig erkannte Politik entsprechend zügig voranzubringen.
Darin sehe ich meine Aufgabe.
({20})
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal
auf die allgemeine Entwicklung zu sprechen kommen.
Sie haben die Frage der transatlantischen Beziehungen
angesprochen. Ich gehe auf sie in einem weiteren Umfeld ein. Wenn wir nicht achtgeben, werden dunkle
Wolken auf uns zu ziehen.
({21})
Wir müssen aufpassen, daß es nicht zu einer Auseinanderentwicklung kommt. Dazu muß es nicht kommen.
Aber jenseits aller taktischen Argumente, die in Washington auch eine Rolle gespielt haben, war mein Eindruck, daß sich unterschiedliche Perspektiven der Weltsicht und unterschiedliche Rollendefinitionen ergeben.
Sie haben das Jahr 1979 angesprochen. Ich sehe in
der Tat mit großer Sorge, daß die negative Entscheidung
beim Teststopp-Vertrag durchaus mehr als nur ein taktischer Fehler oder eine innenpolitisch gewollte Entscheidung sein kann. Wenn dem so wäre, dann meine
ich, daß die Bundesrepublik Deutschland bei aller Priorität der europäischen Einigung immer auch ein Interesse an transatlantischer Rückversicherung haben muß,
({22})
und zwar nicht nur aus sicherheitspolitischen Gründen;
da spielt auch die Stabilität in Europa insgesamt eine
sehr große Rolle.
({23})
- Jetzt hat man einmal einen Diskussionspartner bei
Ihnen gefunden, der ein ernstes Problem für die Zukunft
anspricht, und da melden sich bereits wieder die Hinterbänkler und wollen eine vernünftige, nach vorne
gewandte Diskussion unterbinden.
({24})
Aber ich lasse mich da nicht irritieren, Herr Schmidt,
weil ich zu dem von Ihnen angesprochenen Punkt kommen möchte, den auch ich für zentral halte.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Frage,
ob es in Zukunft eine unilaterale oder eine multilaterale
Orientierung der amerikanischen Politik gibt. Gäbe es
eine unilaterale Orientierung, machte mir dies, bezogen
auf das Jahr 1979, das Sie genannt haben, große Sorgen.
Eine multilaterale Orientierung hingegen machte eine
Beantwortung der Fragen im transatlantischen Verhältnis, die wir gegenwärtig diskutieren, wesentlich einfacher.
({25})
Ich ziehe daraus aber die Konsequenz, meine Damen
und Herren, daß wir, egal, ob unilateral oder multilateral, begreifen müssen, daß der europäische Einigungszug Dynamik bekommen muß und daß die gemeinsame
Sicherheits- und Außenpolitik in Europa ganz entscheidend über das Gewicht und die Rolle Europas
bestimmen wird.
({26})
Deswegen liegt hier ein Schwerpunkt der Bundesregierung. Das ist ein Kernpunkt; ich kann jetzt nicht mehr
in die Details gehen. Das ist nicht nur eine Frage des
Geldes, Herr Schmidt.
({27})
- Entschuldigen Sie, Sie können noch so viel Geld
haben. Es nützt nichts, wenn Sie nicht über die notwendigen Strukturen verfügen, wenn Sie den gemeinsamen
politischen Willen nicht haben,
({28})
wenn Sie die institutionellen Voraussetzungen und - das
streite ich überhaupt nicht ab - die Hardware nicht haben.
Meine Damen und Herren, Sie haben vorhin nach den
Interessen gefragt. Das Hauptinteresse unseres Landes
ist, fußend auf der Politik einer Selbstbeschränkung das ist mit das Wichtigste, was wir als Stilelement von
der alten Westrepublik übernommen haben -, den europäischen Einigungsprozeß bis hin zur europäischen
demokratischen Union als eigenes politisches Subjekt zu
vollenden. Das steht an erster Stelle unserer Interessen.
Sie haben den Begriff eingeführt; ich übernehme ihn
gern. Dieser Prozeß muß mit den transatlantischen Verhältnissen ausbalanciert sein, allerdings eingebunden in
die multilaterale Politik, die die Bundesrepublik
Deutschland betrieben hat und auch von Berlin aus
weiter betreiben wird.
({29})
Ich gebe das Wort
zu einer Kurzintervention dem Kollegen Peter Hintze.
Der Herr Bundesminister
hatte, wie offensichtlich auch einige Kollegen auf der
linken Seite des Hauses, Probleme mit der Logik. Das
sind wir bei ihm gewohnt. Das erleben wir bei fast jeder
Regierungsvorlage, bei fast jeder Regierungserklärung.
({0})
Aber wir wollen ihm helfen.
Herr Bundesminister Fischer, wen kann es denn verwundern, daß die Staaten Mittel- und Osteuropas all ihre
Beitrittshoffnungen auf das dürftige Fundament richten,
das in Berlin geschaffen wurde? Sollen sie denn sagen:
Das geben wir jetzt auf? Das kann doch niemand erwarten! Meine Damen und Herren, wichtige Fragen sind
nicht beantwortet, andere Fragen sind falsch beantwortet
worden. Und durch Beschwörungen wird aus einem
Strohhalm kein Baumstamm. Das muß man in diesem
Zusammenhang einmal sagen.
({1})
Ich will dies kurz erläutern. Wir wissen ganz genau,
daß die Erweiterung das ambitionierteste Projekt überhaupt ist. Es gibt große Bereiche, in denen wir erhebliche Schwierigkeiten haben werden - die Verhandlungskapitel sind noch gar nicht eröffnet -: Landwirtschaft,
Strukturfonds, Regionalpolitik. Für all diese Dinge hat
die deutsche Regierung folgendes gemacht: Bundeskanzler Schröder - es ist richtig, daß ich ihn stärker hätte
würdigen müssen - hat vor der gesamten europäischen
Öffentlichkeit großartig erklärt, er werde aufzeigen, was
er im Unterschied zur Vorgängerregierung für Deutschland erreicht habe
({2})
und für Europa noch ordnen werde.
({3})
- Bleiben Sie ganz ruhig! - Und er hat seine eigenen
Worte auf dem Gipfeldinner Löffelchen für Löffelchen
essen müssen.
Nun zu dem, was uns beschwert: Herr Fischer, Sie
haben, wie ich finde, in einer eines Bundesaußenministers unwürdigen Weise gegen Kollegen des Hauses
polemisiert und versucht, durch platte Beleidigungen
über den eigentlich großen Bruch in Ihrem Leben hinwegzukommen, nämlich den Widerspruch zwischen Ihren Worten und Ihren Taten, die wir ja seit einiger Zeiten beobachten müssen.
({4})
- Hören Sie auf, dazwischenzuschreien!
({5})
Ich weiß nicht, wer aus diesem Hause das Mißvergnügen hatte, den Bundesaußenminister in einer seiner
jüngsten Talkshows - ich weiß nicht, ob es die letzte
war; sie war gestern oder vorgestern - zu erleben, in der
die entscheidende Frage gestellt wurde, wie denn
eigentlich der Fischer von vor 20 Jahren den Fischer von
heute beurteilen würde. Er hat immerhin - das fand ich
anständig - wahrheitsgemäß geantwortet, das Urteil
würde kritisch ausfallen.
Herr Minister, mich interessiert nicht Ihr dialektischer
Dialog mit sich selbst. Aber ich muß sagen: Unser Urteil
über Sie fällt auch höchst kritisch aus.
({6})
Ich denke allerdings, die Fraktionen sind sich darüber einig, daß es in
diesem Hause keine Hinterbänkler gibt, sondern Abgeordnete mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten und
gleicher Reputation.
({0})
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den
Abstimmungen, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU. Wer stimmt für
den Änderungsantrag auf Drucksache 14/2155? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der Opposition abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 05 in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan
05 ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
- Drucksachen 14/1913, 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Bartholomäus Kalb
Oswald Metzger
Dr. Uwe-Jens Rössel
Es liegen Änderungsanträge der Fraktionen der
CDU/CSU sowie der PDS vor. Über den Änderungsantrag der CDU/CSU werden wir nach der Aussprache
namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst für die
CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Dietrich Austermann
das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wer über den Haushaltsentwurf der Bundeswehr für das kommende Jahr redet, muß
sich mit der Diskussion des letzten halben Jahres in der
Bundeswehr beschäftigen. Selten ist ein Minister auf offener Bühne so rasiert worden wie der Bundesverteidigungsminister.
({0})
Sein berechtigter und von uns getragener Widerspruch
gegen die falsche Entscheidung des Finanzministers und
des Kabinetts, den Verteidigungsetat im kommenden Jahr
um mehr als 1,7 Milliarden DM zu senken, war zwecklos.
Nachdem zunächst versucht wurde, die Sparauflage
zu ignorieren, wurde dann im August begonnen, die
Vorhaben der Bundeswehr neu zu priorisieren, das heißt,
es wurde der Versuch unternommen, nicht Vorhandenes
in eine Reihe zu stellen und Projekte zu streichen, die
nicht unbedingt im Jahre 2000 realisiert werden müßten.
Dann folgte eine Diskussion zwischen dem Minister und
den rotgrünen Haushaltsabgeordneten, die an Peinlichkeit kaum zu überbieten war. Fast jeden Tag war in der
Zeitung über Differenzen zwischen den Abgeordneten
des Haushaltsausschusses und dem Minister zu lesen.
Schließlich gab es den Versuch, aus den zusätzlichen
Mitteln für den Kosovo-Einsatz, die unseres Erachtens
in den Verteidigungsetat hineingehören - der Bundesrechnungshof stimmt uns hierin zu -, einen Teil für den
normalen Bundeswehrbetrieb freizuschaufeln. Auch da
gab es Widerstand der rotgrünen Haushaltspolitiker. Sie
konterten mit der Forderung nach einer Ausgabensperre,
die wir dann schließlich gemeinsam verhindern konnten.
Das Ergebnis bedeutet folgendes: Ohne die Verstärkung aus dem Einzelplan 60 - Beteiligung der Bundeswehr am Stabilitätspakt für Südosteuropa - sinken die
Verteidigungsausgaben im kommenden Jahr um
3,6 Prozent gegenüber den Anmeldungen des Ministers
im Kabinett. Dies bedeutet in Zahlen ein Minus von
3,5 Milliarden DM gegenüber dem, was der Minister
selbst gewünscht hat.
Den angeblich zusätzlichen Mitteln für die Bundeswehr - heute ist davon in der Zeitung zu lesen -, die die
SPD-Fraktion bewilligt haben will, stehen die zusätzlichen Aufgaben für den Kosovo gegenüber, nachdem
insbesondere die Ausgaben für Bosnien schon in den
normalen Etat einbezogen worden sind.
Dies nennt man neudeutsch, in der Sprache des Bundesverteidigungsministers und derer, die für ihn die Reden schreiben, einen Beitrag zur Konsolidierung des
Bundeshaushaltes. Dazu sagen wir: Das ist genau der
falsche Zeitpunkt.
({1})
- Frau Kollegin, wenn Sie sich an die Aufgabenstellungen der früheren Jahre sowie an die Tatsache erinnern,
daß gerade Sie in personam sich entschieden dagegen
gewehrt haben, neue Aufgaben zu übernehmen,
({2})
können Sie sich doch jetzt kaum mit Fug und Recht hier
herstellen und fordern, die Bundeswehr müßte mehr
Mittel für internationale Einsätze haben.
({3})
Das kann doch wohl aus Ihrem Werdegang und dem,
was Sie bisher gefordert haben, durch nichts gerechtfertigt werden.
({4})
Im übrigen dürften Sie wissen, daß im Entwurf von
Minister Waigel für die mittelfristige Finanzplanung zusätzliche Mittel bereitgestellt werden sollten. Darin liegt
auch die Differenz zu dem, was jetzt als Haushaltsentwurf vorgelegt worden ist.
Auf Grund der neuen NATO-Strategie und der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU
muß die Bundeswehr materiell in die Lage versetzt werden, die neuen Aufgaben wahrzunehmen. Das betrifft
beispielsweise strategische Aufklärung, Transport oder
manche andere zusätzliche Maßnahme. Dies muß verbunden sein mit einer Erhöhung oder Umstrukturierung
der Verteidigungsausgaben.
Es gibt aber einen zweiten Punkt, der dazu zwingt,
daß wir zusätzliches Geld bereitstellen müßten. Sieht
man die Ergebnisse der Kommission „Gemeinsame
Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ sowie das, was
der Generalinspekteur dazu sagt, dürfte es ziemlich offenkundig sein, daß eine neue Struktur auch neue
Finanzmittel braucht.
Jetzt, bevor diese neue Struktur im Entwurf vorgelegt
worden ist, einen Finanzdruck zu entfalten, kann doch
nur bedeuten, daß man die Arbeit der Kommission, egal
wie sie aussieht, von vornherein zur Bedeutungslosigkeit
verdammt.
Die notwendige Neustrukturierung, immer Bestandteil des rotgrünen Koalitionsabkommens, findet im
Haushalt 2000 und im 33. Finanzplan keine Basis. Das
heißt im Ergebnis, daß der verteidigungsinvestive Anteil
in diesem Haushalt sinkt und der Anteil des Verteidigungsetats am Bundeshaushalt gegenüber dem Ansatz
des letzten Jahres von 10,3 auf 9,5 Prozent zurückgeht.
Die Bundesrepublik stellt also effektiv prozentual weniger Mittel für Verteidigung bereit, als dies bisher der
Fall war.
Wenn man mit der Truppe spricht - ich konnte das in
den letzten Tagen an verschiedenen Standorten tun -,
stellt man fest: Die Eingriffe haben verheerende Auswirkungen auf den Ausgabenbereich. Was bedeuten
0,8 Milliarden DM weniger für das Personal? Die Folge:
Dies wird erkauft durch einen Abbau von 1 000 zivilen
Mitarbeitern, durch einen Verzicht auf 5 000 Zeit- und
Berufssoldaten, durch einen Verzicht auf 6 000 Grundwehrdienstleistende und durch einen Verzicht auf 1 000
Wehrübungsplätze. Das bedeutet einen Ausstieg aus
dem sogenannten Sofortprogramm der Bundesrepublik
zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Vom Arbeitsmarkteffekt her gesehen bedeutet das unter dem Strich
18 000 Arbeitsplätze weniger. Angesichts dessen kann
man sich doch nicht hier herstellen und sagen, das alles
spiele keine Rolle und habe keine Auswirkungen. Zu
diesen Folgen führt allein die Einsparung beim Personal
um 800 Millionen DM.
Bei den verteidigungsinvestiven Ausgaben kommt
es zu einer Kürzung um 1,9 Milliarden DM, im Bereich
„Forschung, Entwicklung und Erprobung“ zu einer Kürzung um 0,3 Milliarden DM und im Bereich „Militärische Beschaffung“ zu einer Kürzung um 1,3 Milliarden DM.
({5})
Alle Bemühungen der Bundeswehr zur Stärkung des investiven Bereiches durch Aufwandsbegrenzung im Betrieb und Straffung der Organisationen werden durch
derartige Eingriffe zunichte gemacht.
Was ist die Folge? Die Ausrüstung der Streitkräfte
veraltet zunehmend. Im Jahre 2000 kann die Beseitigung
des Ausrüstungsdefizits - wie schon 1999 - nicht begonnen werden.
Mit der kurzfristigen Reduzierung des Verteidigungshaushaltes ist die Balance zwischen dem finanziell
Machbaren und dem zur Erreichung einer hinreichend
ausgerüsteten Bundeswehr Erforderlichen nicht mehr
ausreichend gewahrt. Wir sagen deshalb: Die Haushaltspolitik oktroyiert dem Verteidigungsminister bzw. dem
Verteidigungsetat die falsche Richtung auf. Rotgrün
spart den Verteidigungsetat kaputt.
({6})
Meine Damen und Herren, die deutliche Kürzung der
Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Erprobung
sowie für den Bereich „Militärische Beschaffung“ beeinträchtigen und gefährden im Ergebnis die zukünftige
Aufgabenerfüllung der Streitkräfte in hohem Maße und
haben, wie ich nachgewiesen habe, negative arbeitsmarkt- und in Zukunft auch industriepolitische Auswirkungen bis hin zum Wegbrechen bislang sicherheitspolitisch begründeter nationaler Kapazitäten der deutschen Industrie. Dies wirkt sich selbstverständlich auch
auf den Bereich „Zivile Forschung, Entwicklung und
Technologie“ aus, zumal Sie auch bei der Luftfahrtforschung kürzen. Nach Erklärungen der DASAUnternehmensführung bedeutet das, worüber bisher entschieden worden ist, allein im Hinblick auf die Verteidigungstechnik einen Abbau von mehr als 10 Prozent der
Arbeitsplätze in Süddeutschland im nächsten Jahr. Das
sind - in absoluten Zahlen - 850 Arbeitsplätze in der
wehrtechnischen Industrie.
Vor kurzem ist ein etwas peinlicher Bericht des Bundesverteidigungsministers mit der Überschrift „Ein Jahr
im Amt - Eine Bilanz“ vorgelegt worden. Man könnte
diesen Bericht auch ironisch mit „Ein Enkel packt aus“
überschreiben:
({7})
- Er hat sich ja so sehr auf die Urenkel bezogen, denen
man bestimmte Ergebnisse nicht vorlegen kann. - Zieht
man das verharmlosende Fazit, das am Schluß dieses
Berichtes steht, nachdem verschiedene Daten, Fakten
und Zahlen aufgeführt werden, heran - gehen wir einmal
davon aus, daß dieser Jahresbericht, der bisher nicht üblich war, die Leistungen des Amtsinhabers, also desjenigen, der ein Jahr im Amt ist, positiv darstellen soll; das
ist im wesentlichen eine Person; hinzu kommen die zwei
Parlamentarischen Staatssekretäre und diejenigen, die
aus politischen Gründen an die Spitze gehievt werden
mußten -,
({8})
dann stellt man fest, daß in diesem Papier über die Probleme der Armee relativ wenig steht. Die Frage, weshalb das Kabinett dem Minister die notwendigen Mittel
verweigert, wird nicht beantwortet. Dies wird mit der
Feststellung umschrieben, die Bundeswehr stehe angesichts gestiegener Haushaltszwänge an einem entscheidenden Punkt ihrer Entwicklung. Wohin die Entwicklung gehen soll, ergibt sich aus diesem Papier nicht.
({9})
Alle warten ja nun auf den Bericht des nächsten Jahres.
Wir sind der Meinung: Überall dort, wo Entscheidungsbedarf bestand, ist möglicherweise schnell und
konsequent gehandelt worden. Es stellt sich jedoch die
Frage, ob auch richtig gehandelt worden ist. Eindeutig
falsch ist, daß alle Maßnahmen, wie in dem Bericht behauptet wird, so ausgelegt worden sind, daß sie eine
Modernisierung der Bundeswehr erleichtern würden.
Ich kann davon nichts erkennen. Wenn kein Geld mehr
vorhanden ist, ist diese Aufgabe kaum zu erledigen.
({10})
Das heißt, eine Schrumpfung ist angesagt. Die Kürzungen des Haushaltes lassen keine andere Entscheidung zu, als der Strukturkommission vorzuschlagen, die
Armee zu reduzieren. Wenn man bedenkt, daß jedes
Jahr im Rahmen des Finanzplanes durchschnittlich
500 Millionen DM weniger zur Verfügung stehen, dann
läßt die Entscheidung des Kabinetts nur den Schritt zu,
in den nächsten vier Jahren pro Jahr 10 000 bis 15 000
Stellen für Soldaten abzubauen. Das sind 60 000 Soldaten weniger. Das bedeutet, die Bundeswehr auf 270 000
Soldaten zu reduzieren.
Dies ist praktisch vorgegeben; denn wenn es im Bereich der Beschaffung keinen Spielraum gibt, wenn unter Vertrag befindliche Projekte weitergeführt werden
sollen und außerdem noch 500 Millionen DM eingespart
werden müssen, muß man da ansetzen, wo die Möglichkeit zur Disposition besteht. Dies führt zwangsläufig zu
einer deutlichen Reduzierung der Kapazität der Bundeswehr - unabhängig von der Beantwortung der Frage:
Wehrpflicht oder Berufsarmee? Daß wir für die Wehrpflichtarmee sind, ist klar.
Bei den Investitionen können Sie nicht weiter streichen, ohne in laufende Verträge einzugreifen. Diese
Entwicklung war schon in diesem Jahr abzusehen: Wir
haben 1999 praktisch keine 50-Millionen-DM-Vorlagen
auf dem Tisch gehabt, nur zwei, drei kleinere. Ich gehe
davon aus, daß es auch im kommenden Jahr keine Vorlagen größeren Umfangs für die Armee geben wird.
Deswegen nimmt sich im Bericht „Ein Jahr im Amt“
fast flehentlich der letzte Satz aus, die Bundeswehr müsse bündnisfähig bleiben und europafähiger werden. Wie
soll dies möglich sein angesichts des sinkenden Etats,
also mit weniger Geld?
Auch die Soldaten spüren, daß da etwas nicht stimmt.
Daß sich der Minister ständig zur Lage der Koalition als
neues Konfliktzentrum äußert - unter dem Motto: Wenn
das vergeigt wird, können wir gleich auf die Urenkel
schauen -, sagt noch nichts darüber aus, daß die Weichenstellungen in der Armee bei sinkendem Etat richtig
vorgenommen werden.
Letzte Woche war ich in einem Standort in meinem
Wahlkreis. Dort haben mir die Vertrauensleute berichtet,
sie fühlten sich von der Politik - was nur heißen kann:
von der jetzigen Regierung - im Stich gelassen. Sie
fragten: Was wird aus unserem Standort? Warum werden wir als Soldaten nicht beteiligt? Was soll die neue
Struktur, nachdem wir die letzte aus dem Jahr 1995 noch
nicht einmal abgearbeitet haben? Wird es tatsächlich einen Kümmer-Wehrdienst von sechs Monaten geben? Ist
wenigstens daran gedacht - kommen wir einmal zu den
Finanzen! -, ein neues Personalstärkegesetz zu machen, wenn die Struktur weiter reduziert wird? Wenn ja:
Wovon wird dies bezahlt?
Ich möchte aus einem Bericht vom heutigen Tage aus
meiner Heimatzeitung, der „Norddeutschen Rundschau“, zitieren. Die Überschrift lautet: Sofort 39 Jobs
gestrichen! Der Personalrat protestiert, Angst geht um in
der Standortverwaltung. Die Kürzung um die 39 Stellen
ist mit Sofortvollzug versehen worden. - Die Situation
ist also dramatischer als es uns diejenigen, die handeln
bzw. handeln sollten, beschreiben.
In diesem Jahr reiste der Minister durch das Land und
versicherte allen: Euer Standort bleibt erhalten; er wird
nicht geschlossen. Dabei wird übersehen, daß für Ihren
Bundesparteitag im Dezember schon Anträge vorliegen
mit dem Tenor - das erinnert ein wenig an den Kollegen
Opel -, das Festhalten an der Wehrpflicht dürfe einer
Verkleinerung und Abschaffung der Bundeswehr nicht
im Wege stehen. Dies ist Inhalt eines Antrages nicht etwa eines Ortsvereins, sondern eines größeren Bereichs
Ihrer Partei.
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, der
Kollege Wieczorek, fordert radikale Sparmaßnahmen in
den Streitkräften, unter anderem den Abbau mehrerer
zehntausend ziviler Arbeitsplätze. Ich frage mich angesichts der Situation eines großen Unternehmens, über
das heute vormittag viel gesprochen wurde, wo es hinsichtlich der Zahl der Arbeitsplätze um eine vergleichbare Größenordnung geht, ob man mit den Arbeitsplätzen
der zivilen Mitarbeiter in der Bundeswehr in der Tat so
umgehen kann, wie es hier gemacht wird.
({11})
Der Kollege Wieczorek fordert den Abbau mehrerer
zehntausend ziviler Arbeitsplätze und den Verkauf überschüssigen Materials. In diesem Zusammenhang erwähnt er 1 500 Leopard II. Nachdem es schon bei einem Leopard II so große Probleme gab und krisenhafte
Sitzungen innerhalb der Koalition, frage ich mich: An
wen wollen Sie denn diese 1 500 Panzer verkaufen?
({12})
- Sie wissen doch, Frau Kollegin, daß es einen Bruch in
der Argumentation des Menschen gibt, der vor mir an
diesem Pult gestanden hat. Auf der einen Seite hat er gesagt, die Türkei sei ein NATO-Partner und daß er
möchte, daß die Türkei auch EU-Mitglied wird, auf der
anderen Seite hat er der Türkei das verweigert, was sie
als NATO-Partner braucht, um im Angriffsfall ihrer
Pflicht genügen zu können.
({13})
Dramatisch ist die Situation im Bereich der wehrtechnischen Industrie. In einer Anhörung, die wir auf
Wunsch der F.D.P. vom Haushaltsausschuß durchgeführt haben, wurde dies an Hand der Stellungnahmen
der Sachverständigen deutlich. Sie klagten über zielloses
Vorgehen, vermißten die Klarheit im Auftrag, bemängelten inkonsequente Weichenstellungen in Fragen der
dauerhaften Einsatzfähigkeit der Truppe. Sie zeichneten
ein bestürzend dunkles Bild. Sie fragten, welches Ziel
die Kommission habe, wenn die Entscheidungen schon
vorweggenommen werden könnten.
({14})
Meine Damen und Herren, dieser Verteidigungsetat
ist vom Minister nicht ganz zu Unrecht als Nothaushalt
bezeichnet worden. Ich habe unterstrichen, daß wir den
Minister bei seinen Bemühungen, mehr Finanzen für die
Bundeswehr einzuwerben, unterstützen. Wir unterstreichen mit ihm zusammen, daß die Bundeswehr - der
Kanzler hat es vor einem Jahr gesagt - mit dem Helm an
die Decke stößt. Dies ist ein Nothaushalt. Dieser Haushalt leidet unter dem Wortbruch des Kanzlers, der gesagt
hat, hier werde nicht weiter eingegriffen. Deswegen fordern wir Sie auf: Steuern Sie um, sparen Sie die Bundeswehr nicht kaputt!
Sie werden verstehen, daß wir im Interesse der Arbeitsplätze, der Sicherheit unseres Landes und seiner
Bündnisfähigkeit darauf achten müssen, daß die Finanzen auch bei der Armee in Ordnung kommen, weil dies
offensichtlich nicht der Fall sein wird. Es wird das erste
Mal sein, daß die CDU/CSU-Fraktion den Verteidigungsetat ablehnt.
Herzlichen Dank.
({15})
Als
nächstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen Volker Kröning von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der Vorsitzende des
Verteidigungsausschusses, unser Kollege Helmut
Wieczorek, ist erkrankt und deshalb entschuldigt. Ich
glaube, es wäre gut, wenn wir alle ihm von hier aus gute
Besserung wünschen würden.
({0})
Der Bundeshaushalt 2000 ist für das Verteidigungsministerium, für die Bundeswehr, für die Soldaten und
für die Zivilbeschäftigten wie 1999 ein Brückenhaushalt - Brücke zwischen der gültigen Finanzplanung des
Bundes und Bundeswehrplanung und der künftigen Planung. Für die Zukunft heißt es in dem von der Bundesregierung am 23. Juni 1999 beschlossenen Finanzplan
2003:
Die Bundeswehr … ({1}) in den kommenden Jahren … für ihre neuen Aufgaben weiter optimiert
werden. Dabei sind die … Ergebnisse der vom
Bundesminister der Verteidigung berufenen KomDietrich Austermann
mission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der
Bundeswehr“ einzubeziehen. Insbesondere wird zu
berücksichtigen sein, daß die Bundesrepublik
Deutschland … erstmals in ihrer Geschichte nur
noch von Freunden und Partnern umgeben ist.
Die eine Seite der Brücke - gewissermaßen der Doppelpfeiler auf dieser Seite - sind die Haushalte 1999 und
2000.
({2})
Die andere Seite müssen der Haushalt 2001 und der
Finanzplan 2004 werden.
({3})
Gegen alle Unkenrufe will ich nachweisen, daß die
Pfeiler auf dieser Seite stabil sind, die Pfeiler auf der anderen Seite stehen und der Bau der Brücke fortschreitet.
({4})
Erstens. Die Mittel aus dem Einzelplan 14 und die
Zusatzmittel aus dem Einzelplan 60, die 1999 für den
Kosovo und 2000 für den ganzen Balkan vorgesehen
waren und sind, machen insgesamt - gegenüber 1998
mit 46,865 Milliarden DM - in 1999 47,489 Milliarden
DM und 2000 47,333 Milliarden DM aus.
({5})
- Nein, das sind real bereitgestellte Mittel.- Der Anteil
am Bundeshaushalt lag und liegt bei 10,3 Prozent,
9,8 Prozent und nun 9,9 Prozent. Nach den NATOKriterien - also im wesentlichen mit den Versorgungsausgaben - betrug und beträgt der Anteil 58,3 Milliarden DM, das heißt 12,8 Prozent, 59,7 Milliarden DM,
das sind 12,3 Prozent und 59,6 Milliarden DM, das heißt
12,4 Prozent, vom Gesamthaushalt.
Diese Zahlen belegen, daß von einem Steinbruch keine Rede sein kann. Diese Rede gibt es auch nicht mehr
unter dieser Koalition.
({6})
Wer seriös bleiben will, muß anerkennen, daß sich die
Verteidigungsausgaben stabilisiert haben.
({7})
- Hören Sie doch einmal zu! Sie können wirklich noch
lernen, Herr Nolting.
({8})
Zweitens. In der gültigen mittelfristigen Finanzplanung, die auch die Zusatzmittel bis 2003 ausweist, halten sich die aktiven Verteidigungsausgaben mit einem
Anteil am Bundeshaushalt von 9,6 Prozent in 2001,
9,4 Prozent in 2002 und 9,1 Prozent in 2003. Nach den
NATO-Kriterien sind es sogar mehr, nämlich jeweils
rund 12 Prozent. Eine tragfähige Definition des Anteils
der gesamten Verteidigungsausgaben am Bundeshaushalt wird - und das wird für alle Ressorts gelten - das
Verhältnis zum Leistungshaushalt zugrunde legen und
transparent machen müssen, wird also die Zinsausgaben
außer acht lassen müssen. Da die Zinsausgaben noch
steigen, ist die Rede von sinkenden Verteidigungsausgaben in Relation zum Leistungshaushalt sogar Unsinn.
Wer Vertrauen in die Politik bewahren will, darf der
Bundeswehr nichts vorgaukeln.
({9})
- Sie.
Liebe Kollegen von der Opposition, Sie können nicht
einerseits eine noch niedrigere Neuverschuldung verlangen, wie Sie das gestern getan haben - ich glaube, das
war auch der Kollege Austermann -, und andererseits
höhere Ausgaben für Verteidigung, für Verkehr und andere Bereiche in Milliardenhöhe fordern,
({10})
zumindest nicht, ohne zu sagen, wo Sie sparen wollen.
({11})
Ihren Antrag, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, werden wir deshalb ablehnen.
({12})
- O ja! Wir verstehen uns nach wie vor sehr gut.
({13})
Drittens. Da die Fortschreibung der Finanzplanung
Sache der Bundesregierung ist, bitte ich für die Bundeswehr um dreierlei. Die Bundeswehrplanung, die im
Moment auf dem 31. Finanzplan beruht, der nur bis
2001 reicht, braucht eine neue, langfristige Orientierung,
die über den üblichen Zeitraum der Finanzplanung,
nämlich die mittlere Frist, hinausreicht und rund zehn
Jahre umfassen sollte. Darüber muß die Regierung eine
Verständigung im Interesse der Bundeswehr finden. Der
Umfang der Verteidigungsausgaben muß verstetigt werden.
Eine Strukturreform der Bundeswehr, die unausweichlich ist, erfordert angesichts der Anspannung des
Personal- wie des Sachhaushaltes unserer Streitkräfte
beträchtliche Modernisierungsinvestitionen. Dazu sollten - neben dem Zusatzaufwand für den Balkan - die
Spielräume der Seitenfinanzierung aus dem Einzelplan
60 genutzt werden. Der geplante Zusatzaufwand im Jahr
2000 wird mit rund 1,3 Milliarden DM geschätzt. Das
heißt, rund 700 Millionen DM stehen im kommenden
Jahr bereits für den Strukturwandel zur Verfügung,
nämlich für die Modernisierung der Ausrüstung, orientiert an den neuen Aufgaben.
Der nächste Haushaltsentwurf sollte - wie es der
Bundesrechnungshof empfohlen hat; da haben Sie recht,
Herr Austermann - die Verteidigungsausgaben, das
heißt den gegenwärtigen Haupt- und Nebenhaushalt, zusammenfassen. In Verbindung mit der langfristigen Perspektive, die ich fordere, heißt das: Der Rahmen steht,
und nun müssen die Schwerpunkte gesetzt werden.
Vor diesem Hintergrund bleibt für den Verteidigungshaushalt 2000 festzuhalten:
Erstens. Die Einschnitte beim Personal werden
strukturneutral vorgenommen, im wesentlichen durch
eine Anpassung der Soll- an die Ist-Zahlen. Die „Erläuterungen und Vergleiche“, die den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses und des Haushaltsausschusses
vorliegen und jedermann zugänglich sind, weisen Verbesserungen der Beförderungssituation aus, die der
Verteidigungsminister bereits in den Verhandlungen mit
dem Finanzminister erreicht hat.
({14})
- Jetzt kommt das Wichtige, Kurt.
Zweitens. Der Ansatz für den Teil der Sachausgaben,
der auch die Rüstungsindustrie am meisten interessiert,
nämlich für die Beschaffungen, liegt, einschließlich der
Zusatzausgaben, die der Haushaltsausschuß innerhalb
des Einzelplans 60 anerkannt hat, mit 7,6 Milliarden
DM über dem Soll von 1999 - 7,3 Milliarden DM - und
1998 - da waren es 6,4 Milliarden DM.
({15})
Wir wollen das einmal festhalten. Die Rüstungsindustrie
hat also keinen Anlaß, von einem Sinken der Investitionen zu reden.
({16})
- Der Verteidigungsminister wird noch das Wort nehmen, keine Sorge.
In diesem Zusammenhang weise ich noch einmal auf
eine wichtige Aussage des Finanzplans zur Investitionsplanung der Bundeswehr hin:
Das für Ende des Finanzplanungszeitraums im
Jahre 2003 angestrebte Niveau von … 43,7 Milliarden DM erfordert eine Überprüfung der Beschaffungsplanung im Rüstungsbereich mit dem Ziel,
sich insgesamt konzeptionell auf die geänderten
Rahmenbedingungen einzustellen.
Ich füge hinzu: In diesem Rahmen ist eine Erhöhung
der Investitionsquote nur durch eine Senkung der Personalquote erreichbar. Dies ist auch der Tenor der Beratungen der Außen- und der Verteidigungsminister der
WEU in dieser Woche gewesen.
Drittens. Die Anreize für mehr Wirtschaftlichkeit,
die schon 1999 geschaffen worden sind, bleiben auch
2000 erhalten. Die Rendite für Effizienzsteigerung, die
der Verteidigungshaushalt an den Gesamthaushalt abzuführen hat, ist von allen Ressorts am niedrigsten. Mit
anderen Worten: Das Verteidigungsressorts behält im
Vergleich zu den anderen Ressorts am meisten. Der Finanzminister ist dem Verteidigungsminister sehr weit
entgegengekommen.
({17})
- Ihr Verhalten gibt allenfalls einen Chor. Aber verständlich sind Sie mit diesem Gebrüll nicht.
Nach den Ergebnissen der ersten drei Quartale des
Jahres 1999 werden der Bundeswehr über Verstärkungsvermerke Erlöse aus dem Verkauf von Material
und Liegenschaften im gesamten Jahr in Höhe von rund
250 Millionen DM zusätzlich zum Plafond zufließen.
Eine ähnliche Größenordnung ist auch 2000 erreichbar.
Der Investitionshaushalt ist durch Erweiterung der
Austauschvorhaben im Rahmen des Plafonds während
der Haushaltsberatungen zusätzlich flexibilisiert worden.
Das weist in die Richtung, die Investitionsquote zu erhöhen - eines der wichtigsten Ziele der Bundeswehrreform.
Um in der Haushaltspolitik nicht nur das Soll, sondern auch das Ist zu kontrollieren - gerade vor dem
Hintergrund des Stabilitäts- und Wachstumsprogramms
der Europäischen Union -, sind auch die Jahresabschlüsse von Bedeutung. Daher kann ich mit Genugtuung berichten, daß der Kosten- und Ausgabenrahmen
für die Einsätze der Bundeswehr in Bosnien und im Kosovo, von denen wir im Frühjahr ausgegangen sind, im
Laufe dieses Jahres eingehalten worden ist.
({18})
Alle Dramatisierungen der Opposition von damals - wer
hätte das nicht noch im Ohr? -, die Haushaltspolitik
schränke unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit ein,
haben sich als Unfug erwiesen. Sowohl militärisch als
auch humanitär kann sich das deutsche Engagement auf
dem Balkan sehen lassen.
({19})
Dafür danke ich im Namen unserer Fraktion - daran
sollten auch Sie sich beteiligen - all denen, die dort
Dienst tun, den Soldaten und den zivilen Helfern.
({20})
Im Haushaltsvollzug des nächsten Jahres werden uns
einige Fragen beschäftigen, die von den BerichterstatVolker Kröning
tern der Fraktionen zum Gegenstand von Berichtswünschen gemacht worden sind und zu denen das Ressort
auch schon Berichte vorgelegt hat. Sie sind noch zu diskutieren - ich hoffe, im Haushalts- und im Verteidigungsausschuß. Sie betreffen Fragen wie Umfang und
Struktur der Bundeswehrverwaltung, Optimierung der
Planungs- und Entscheidungsprozesse bei der Rüstung,
Nutzung industrieller Dienstleistungen, Straffung der
Führungsorganisation der Teilstreitkräfte und vieles andere mehr.
Nicht daß die Strukturreform der Bundeswehr im
Haushaltsvollzug 2000 stattfinden sollte; doch wenn die
Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ im zweiten
Quartal ihren Bericht vorlegt, bleiben der Bundesregierung weniger als ein und dem Bundestag weniger als
zwei Quartale für die erforderlichen weitreichenden
Bewertungen und Entscheidungen bis zu den Haushalten
der Jahre ab 2001.
Dabei müssen der Vorrang des Parlaments nach Art.
87 a des Grundgesetzes ebenso wie die Initiativaufgabe
der Regierung beachtet werden. Wenn Planungssicherheit gewährleistet werden soll, müssen Vorentscheidungen im Frühjahr fallen und so abgesichert sein, daß sie
bei den Haushaltsberatungen im Herbst Bestand haben.
Deshalb ein Wort zu den atlantischen und europäischen Anforderungen an den deutschen Verteidigungshaushalt. Die Vergleiche spielen in der innen- und außenpolitischen Debatte eine Rolle. Dies hat die Konferenz der Außen- und der Verteidigungsminister in der
vorigen Woche gezeigt, die den EU-Gipfel der Staatsund Regierungschefs in Helsinki vorbereitet hat, und
dies hat auch der Auftritt des Hohen Repräsentanten der
EU für Außen- und Sicherheitspolitik in der vorigen
Woche vor dem Parlament in Straßburg gezeigt.
Auftrag, Art, Umfang und Zusammensetzung gemeinsamer militärischer Ressourcen der EU stehen auf
der Tagesordnung. Von einem gemeinsamen Korps von
rund 50 000 Soldaten, verfügbar in 60 Tagen, ist die Rede. Nimmt man den Anteil der Bundeswehr am militärischen Einsatz auf dem Balkan zum Maßstab, könnte ein
deutsches Kontingent von 10 000 Mann notwendig sein.
Ausrüstung, Ausbildung, Logistik und Kommunikation
müssen darauf ausgerichtet sein. Bis 2003 soll die Eingreiftruppe stehen. Diese Anforderungen sind, wenn
man die Bundeswehrreform entschlossen anpackt, im
gegebenen Finanz- und Zeitrahmen zu erfüllen. Die
Verantwortlichen in der und für die Bundeswehr wissen
nach den Erfahrungen außereuropäischer und europäischer Einsätze, worauf es ankommt.
Auch 1999 sind Vorhaben auf den Weg gebracht
worden, die eher früher als später nötig gewesen wären.
Ich nenne nur SATCOM und GTK. Wenn endlich eine
Chance zu einer europäischen Verteidigungs- und Rüstungspolitik besteht, sollten auch die Probleme des
Transports und der Aufklärung lösbar sein.
({21})
Nur eines muß klar bleiben: Die Bundesrepublik
Deutschland ist kein Schlußlicht bei den finanziellen
Aufwendungen für Sicherheitsvorsorge und Friedenssicherung.
({22})
Die übliche Betrachtung nach dem Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt - - Hören
Sie doch bitte einmal zu! Als wir gemeinsam beim Bundeswehr-Verband diskutiert haben, haben Sie ein bessere Figur gemacht als heute.
({23})
Die übliche Betrachtung nach dem Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, von der zum
Glück bei der ersten Lesung des Haushalts 2000 keine
Rede mehr war, ist in dreierlei Hinsicht korrekturbedürftig:
({24})
Erstens. Sie vernachlässigt Besonderheiten bei NATO-Ländern wie Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den USA, die auch Atommächte sind, oder der
Türkei und Griechenland, die gerade erst dabei sind, ihre
bilateralen Spannungen zu überwinden.
Zweitens. Sie übergeht die gesellschaftlichen Kosten
der Wehrpflicht, die schwer bezifferbar sind, aber auch
die Kosten, die im Falle einer Berufsarmee für Werbung
entstehen würden. Da sind wir uns einig: Eine Berufsarmee wollen wir nicht. Wir wollen an der Wehrpflicht
- an einer machbaren Wehrpflicht - festhalten.
({25})
Drittens. Die Koppelung an das Bruttoinlandsprodukt
ist mit der Notwendigkeit der Sanierung der Staatsfinanzen unvereinbar. Denn die Sanierung der Staatsfinanzen
ist ja gerade der unabdingbare Beitrag Deutschlands zu
Stabilität und Wachstum in Europa und damit auch zu
einem Interessenausgleich zwischen den alten und den
neuen Mitgliedern.
Ich meine, daß die Verteidigungsausgaben eine feste
Orientierung am Gesamtbudget brauchen. Dabei muß
berücksichtigt werden, daß die Gesamtaufwendungen
für äußere Aufgaben allein 1999 einen Anteil von fast
24 Prozent am Bundeshaushalt ausmachen - wenn man
die Leistungen an die MOE-Staaten und die GUSStaaten, die bilateralen und multilateralen Ausgaben für
Entwicklung sowie die Beiträge zur UNO samt Unterorganisationen und die Eigenmittelabführung an die EU
einbezieht.
({26})
Rechnet man die EU-Beiträge heraus, beträgt der Anteil
dieser Mittel für auswärtige Aufgaben am Gesamthaushalt 14,5 Prozent. Setzt man diese 14,5 Prozent an echVolker Kröning
tem auswärtigen Aufwand, in den die Verteidigungsausgaben einbezogen sind, mit den 12,3 Prozent Verteidigungsausgaben in Beziehung, wird kein Mißverhältnis
zu Lasten des militärischen Sicherheitsaufwandes sichtbar, sondern im Gegenteil: Der militärische Aufwand
überwiegt den nichtmillitärischen Aufwand bei weitem.
Es ist durchaus zu fragen, ob nicht stärker - und zwar im
ganzen Kreis der EU - die Effizienzsteigerung als die
Erhöhung dieses Postens diskutiert werden muß.
Auch in dieser Hinsicht lassen sich die europäischen
Außen- und Verteidigungsminister zitieren: Mit dem,
was Europa militärisch aufwendet, leistet es im Verhältnis deutlich weniger als die USA. Vor Debatten über die
Erhöhung der Verteidigungsausgaben ist also wirklich
eine Verbesserung der Zusammenarbeit und Arbeitsteilung angesagt.
({27})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es zeigt sich folgendes: Die Bundesrepublik Deutschland hat eine Kultur der militärischen und nichtmillitärischen Sicherheitsvorsorge und Friedenssicherung entwickelt, die wir nicht
klein- oder schlechtreden sollten. Sie drückt sich im
Haushaltsjahr 2000 in einem Verhältnis von rund 59
Milliarden DM zu 55 Milliarden DM aus. Gelingt es
uns, dieses Verhältnis im Lot zu halten, brauchen wir
nicht um Stellen hinter dem Komma zu streiten, sondern
dann haben wir für die Bundeswehr und für die Aufgaben, die sie erfüllen soll, viel erreicht.
Danke schön.
({28})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Günther
Nolting von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verteidigungsminister kann einem fast schon leid tun, weil er die Rede
des Kollegen Kröning anhören mußte.
({0})
Herr Kollege Kröning, ich sage Ihnen: Der Verteidigungshaushalt 2000 ist kein Brückenhaushalt, er ist ein
Nothaushalt; so hat ihn der Verteidigungsminister selbst
bezeichnet.
({1})
Wenn Sie hier von einem Brückenhaushalt sprechen,
kann ich Ihnen nur sagen: Diese Brücke ist verdammt
brüchig und stürzt - Sie werden das erleben - in den
Abgrund. Fest steht, Kollege Kröning - da können Sie
heute als Rechenkünstler auftreten, wie Sie wollen -:
Der Haushaltsansatz 2000 sinkt im Vergleich zu dem
dieses Jahres um mehr als 3 Milliarden DM. Im Gegensatz dazu sollte in der mittelfristigen Finanzplanung der
alten Bundesregierung der Verteidigungshaushalt für das
Jahr 2000 wesentlich erhöht werden. Vielleicht haben
Sie das noch in Erinnerung.
({2})
Man muß der Bezeichnung „Nothaushalt“ auch zustimmen, weil in der neu vorgelegten mittelfristigen Finanzplanung eine Senkung bzw. Kürzung des Verteidigungsplafonds in einer Summe von fast 19 Milliarden DM bis zum Jahre 2003 erfolgen soll. Zusammen
mit dem von Minister Scharping ebenfalls gesehenen
Modernisierungsbedarf im zweistelligen Milliardenbereich in den nächsten Jahren ergibt sich somit ein Fehlbetrag von weit mehr als 30 Milliarden DM, Herr Kollege Kröning, für die notwendige sicherheitspolitische
Vorsorge der Bundesrepublik. Ich sage Ihnen: Das ist
unverantwortbar.
({3})
Herr Kollege Kröning, ich sage es noch einmal: Sie
stehen in absolutem Widerspruch zu Bundesminister
Scharping, der zusätzliche Finanzmittel in Höhe von
mehr als 18 Milliarden DM fordert. Es ist doch Minister
Scharping, der ständig von der Unterfinanzierung
spricht. Ich denke aber, daß der Minister dazu gleich
noch Stellung nehmen wird. Der Widerspruch wird sich
dann auftun.
Unseriös ist und bleibt das Verhalten des Bundesverteidigungsministers, der einerseits im Herbst dieses Jahres vor der Führungsakademie der Bundeswehr hohe
Anschubfinanzierungen zur umfassenden Modernisierung der Bundeswehr einforderte, andererseits den Milliardenkürzungen seines Haushalts für das Jahr 2000 und
in der mittelfristigen Finanzplanung im Bundeskabinett
zustimmte.
Die Bundeswehr erhält ständig neue Aufgaben und
Aufträge, und die Finanzen werden ständig gekürzt.
Dies kann nicht richtig sein. Ein Soldat sagte: Erst
schickt man uns in den Krieg, dann tritt man uns ins
Hinterteil.
Meine Damen und Herren, wir reden hier nicht über
irgendeinen Haushalt, wir reden hier über die Sicherheit
Deutschlands, wir reden hier über die Sicherheit des
Bündnisses, über unsere sicherheitspolitischen Interessen und vor allem über die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten. Der Umgang dieser Bundesregierung
mit den vitalen Interessen unseres Landes ist unprofessionell und verantwortungslos.
({4})
Zu den finanziellen Belastungen kommen noch hausgemachte Fehlleistungen, beispielsweise wenn uns der
Bundesaußenminister einen humanitär, militärisch und
politisch fragwürdigen Einsatz aufzwingt, nur um die
Seele der grünen Parteibasis zu streicheln.
({5})
Es war Außenminister Fischer, der auf einer Streitmacht von 80 Sanitätern bestand, die vom fernen Darwin aus den angeblich notwendigen Lufttransport von
Verletzten aus Osttimor durchführen soll.
({6})
Bisher wurden etwa 10 Millionen DM aufgewendet. Jeden Monat kommen 5 Millionen DM hinzu. Deshalb
fordere ich die Bundesregierung auf, zu prüfen, ob dieser Bundeswehreinsatz abgebrochen werden kann, um
das dadurch frei werdende Geld zur Bekämpfung des
humanitären Notstands im Krisengebiet aufzuwenden.
Ein entsprechender F.D.P.-Antrag liegt vor.
Eine weitere, in Koproduktion zwischen Außen- und
Verteidigungsminister herbeigeführte Fehlleistung war
der Umstand, daß sich deutsche KFOR-Einheiten Material bei türkischen Kameraden ausleihen mußten und
dann kurze Zeit danach der Bundesaußenminister eine
nie dagewesene Politfarce im Bundessicherheitsrat angezettelt und sogar noch dafür gesorgt hat, daß diese an
die Öffentlichkeit geriet. Auch dies war ein einmaliger
Vorgang.
({7})
Dem Bundesminister der Verteidigung ist der Vorwurf nicht zu ersparen, daß er sich hier nicht energisch
genug widersetzt hat, wie er sich auch den Kürzungen
des Finanzministers im Rasenmähersystem nicht energisch genug widersetzt hat.
({8})
Liegt dies nun daran, daß der Verteidigungsminister
übertriebene sozialdemokratische Solidarität übt, oder
hat dies andere Gründe, daß er sich etwa als Reservekanzler bereithalten möchte, wie es die Medienspatzen
hier in Berlin von den Dächern pfeifen?
({9})
Aber wie die Hintergründe auch sein mögen: Der Effekt
ist in jedem Fall schädlich für die Bundeswehr und für
die Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren, diese Regierung handelt in
der Praxis, als hätte sie sich nicht im April in Washington verpflichtet, mehr für die europäische Verteidigungspolitik und deren Verankerung in der Atlantischen
Allianz zu tun. Dies wurde völlig zu Recht von NATOGeneralsekretär Robertson bei seinem Antrittsbesuch
hier in Deutschland gegenüber dem Kanzler angemahnt,
Herr Kollege Kröning. Vielleicht haben Sie auch das
noch in Erinnerung.
Wir wissen darüber hinaus von all unseren Kontaktpersonen bei den Verbündeten im befreundeten Ausland,
daß deutsche Repräsentanten seit Monaten immer wieder darauf angesprochen werden, welche unverständlichen Budgetplanungen Deutschland betreibt. Dort wird
unter der Hand und oft höflich diplomatisch das ausgesprochen, was ich einmal deutlich im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik als den Weg zur Bananenrepublik bezeichnet habe.
({10})
- Ja, Herr Kollege, ich sage jetzt noch etwas dazu: In
Regierungskreisen selber ist dagegen bezeichnenderweise der Vergleich vom Abstieg in die dritte Liga geläufig.
Auch das wird gern vom Verteidigungsminister vorgetragen.
Deutschland verliert in der internationalen Sicherheitspolitik enorm an Prestige und Einfluß, die von der
letzten Regierung aufgebaut wurden, weil die Investitionen in äußere Sicherheit mit Aufgaben anderer Qualität
über einen Kamm geschoben werden und weil die Praxis
keine klare Linie in der Außen- und Sicherheitspolitik
erkennen läßt. Dies begann mit der ebenfalls zum Wohlbefinden grüner Fundis von Außenminister Fischer angezettelten Ersteinsatzdebatte und reichte über eine
praktisch nicht vorhandene Beteiligung an der Medienpolitik der NATO während der Kosovo-Operation bis zu
den bereits eingangs von mir genannten Fehlleistungen.
Neben diesen Kardinalfehlern berücksichtigt der von
Rotgrün vorgelegte Einzelplan 14 auch wichtige Einzelaspekte nicht. Dazu gehört die von der F.D.P. mehrfach
beantragte stufenweise Anpassung der Ostgehälter der
Soldaten an das Westniveau. Die Soldaten in den östlichen Bundesländern brauchen hier endlich eine zeitliche
Perspektive, aber Rotgrün hat einen entsprechenden
Antrag der F.D.P. im Verteidigungsausschuß abgelehnt.
({11})
Dazu gehört die von Ihnen vor der Regierungsübernahme selber geforderte Wehrsolderhöhung, die durchzuführen Sie jetzt Gelegenheit hätten. Aber auch hier hat
Rotgrün einen entsprechenden F.D.P.-Antrag abgelehnt.
Dazu gehört Planungssicherheit für die wehrtechnische
Industrie. Ich nenne hier stellvertretend für viele andere
Bereiche die Instandsetzungskapazitäten und die Munitionshersteller. Fällige Exportanträge werden in unverantwortlicher Weise verzögert und verschleppt.
Meine Damen und Herren, Sie werden jetzt vielleicht
das klassische Gegenargument einwerfen, die Opposition stelle nur Forderungen, mache aber keine Vorschläge
zur Kostendeckung. Dies ist falsch. Sie wissen genauso
gut wie ich, daß in vielen Bereichen dreistellige Millionenbeträge zugunsten wesentlicher Aufgaben umzuschichten wären. Das reicht von den Verwaltungsausgaben für die Landesbauverwaltungen, die in keinem Verhältnis zur Leistung stehen, über die Effizienzrendite,
die über eine zügigere Umsetzung der globalen Budgetierung zu erreichen wäre, bis hin zu entschlossenen Privatisierungen beispielsweise bei der Logistik, beim
Transport oder aber auch in Teilbereichen der Ausbildung.
({12})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat übrigens ohne Not - wichtige Schaltstellen im internationalen Bereich aufgegeben oder erst gar nicht angetreten. Der deutsche Außenminister hält große Reden,
aber Substanz und Konzepte fehlen. Dafür sind sein Gehabe und seine Arroganz nicht zu überbieten. Das haben
wir auch heute im Deutschen Bundestag wieder erlebt.
({13})
Der deutsche Verteidigungsminister muß sich als
Ausputzer für Kanzler und Kabinettskollegen betätigen
und empfiehlt sich so für höhere Aufgaben. Der Kanzler
selber - daran muß auch an dieser Stelle wieder erinnert
werden - ist gegenüber seinem Verteidigungsminister,
was die Stabilisierung des Einzelplanes 14 angeht, wortbrüchig geworden: Der Verteidigungshaushalt sollte
nicht reduziert werden. Auch hier gilt das gebrochene
Wort.
({14})
Dieser Regierung muß klar sein, daß ihre gesamte
Politik, inklusive der Haushaltspolitik, weder in der
Bundeswehr noch in der nationalen und internationalen
Wahrnehmung Verständnis findet, weil sie schlicht und
einfach falsch ist. Die Haltung der Verbündeten, die
Proteste des Bundeswehr-Verbandes und die öffentlichen Diskussionen machen dies überdeutlich.
Meine Damen und Herren von Rotgrün, Sie sollten
Einsicht zeigen und einen anderen Weg einschlagen.
Wir sind bei vernünftigen Ansätzen Ihrerseits zu konstruktiver Mitarbeit bereit. Den jetzt eingeschlagenen
Kurs können und wollen wir als verantwortungsvolle
Opposition nicht mittragen.
({15})
Aus diesem Grunde wird die F.D.P.-Fraktion dem vorgelegten Entwurf des Verteidigungshaushaltes nicht zustimmen.
({16})
Zum Schluß möchte ich allen Soldatinnen und Soldaten und allen zivilen Mitarbeitern, ob in den Einsatzgebieten oder hier im Lande, für ihre Arbeit danken.
Herr Präsident, Ihnen gratuliere ich zum heutigen
Geburtstag.
Vielen Dank.
({17})
Als
nächster Rednerin gebe ich der Kollegin Angelika Beer
vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Nolting, zu
Ihrer Ankündigung, konstruktive Vorschläge zu machen,
möchte ich sagen: Ich hätte mich gefreut, wenn in Ihrem
zwölfminütigen Redebeitrag überhaupt ein einziger konstruktiver Vorschlag enthalten gewesen wäre.
({0})
Herr Kollege Nolting, noch vor einem Jahr hat so gut
wie niemand - vor allen Dingen niemand aus Ihrer Partei - von der Notwendigkeit einer Reform der Bundeswehr gesprochen. Heute verhält sich das anders. Heute
sind wir dabei, die Erblast Rühe abzuwickeln. Wir übernehmen diese Verantwortung. Wir haben inzwischen
eine breite Diskussion über die Zukunft der Bundeswehr
begonnen, die weit in die Gesellschaft hineinreicht. Es
gibt mittlerweile kaum noch jemanden, der die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Bundeswehr
bestreitet. Davon muß ich den Kollegen Nolting leider
ausnehmen.
Der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping, hat dies in seiner Rede an der Führungsakademie
der Bundeswehr am 8. September 1999 deutlich herausgestellt. Ich zitiere:
In den nächsten zwölf Monaten geht es um nichts
weniger als um eine grundlegende Neuausrichtung
der Bundeswehr: Struktur, Umfang, Ausrüstung
und Ausbildung gehören wieder in eine dauerhafte
Balance.
Damit wartet auf sein Haus, aber auch auf uns als Parlament eine gewaltige Aufgabe. Wir haben uns vorgenommen, diese Aufgabe zu erfüllen.
Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, haben
wir die von Ihnen oft belächelte Kommission „Gemeinsame Sicherheit und die Zukunft der Bundeswehr“ eingerichtet.
({1})
Wir wollen genau die Fehler vermeiden, die die liberalkonservative Bundesregierung und Verteidigungsminister Rühe in den letzten Jahren gemacht haben.
({2})
Sie, die Kollegen der jetzigen Opposition, haben es
versäumt, die außen- und sicherheitspolitischen Bedingungen und die internationalen Rahmenbedingungen anzupassen und die Bundeswehr dahin zu führen, daß sie
diese Aufgaben adäquat erfüllen kann.
({3})
Mit einer kruden Mischung, Kollege Rossmanith, aus
„weiter so“ und „schieben, strecken und streichen“ haben Sie sowohl die Reform der Außen- und Sicherheitspolitik als auch die Umstrukturierung der Bundeswehr verhindert.
Wenn die Kommission Ihre Empfehlungen zu Beginn
des nächsten Jahres vorlegen wird, dann wird sie auf
eine sensibilisierte Öffentlichkeit stoßen. Wir können
auf der Basis der Ergebnisse diskutieren, und wir müsGünther Friedrich Nolting
sen die Entscheidungen umsetzen. Aus diesem Grunde
wollen und können wir den Ergebnissen der Kommission nicht vorgreifen; vielmehr müssen wir behutsam vorgehen,
({4})
um diesen unter Ihnen starr gewordenen Apparat in die
Zukunft zu wenden.
Die Bundeswehr leistet ihren Solidarbeitrag zum
Sparpaket. Wir haben ihre Leistungsfähigkeit und ihre
Einsatzfähigkeit unter schwersten Bedingungen in Bosnien und im Kosovo sichergestellt. Daß Sie dies durch
den Kakao ziehen, zeigt, wie wenig Ihnen tatsächlich an
den Interessen der Bundeswehr gelegen ist. Ihre Äußerungen sind nichts weiter als Polemik.
({5})
Die Bundeswehr ist gegenwärtig besser denn je auf
die anstehenden Veränderungen vorbereitet. Diese Veränderungen werden für alle - dies ist uns klar - mühsam
werden, vor allen Dingen auch für die Soldaten. Ich hoffe auf deren Unterstützung und Motivation. Ich werde
Ihnen sagen, warum die Regierung diese Unterstützung
auch bekommen wird: Unsere Planungen vollziehen sich
nicht im Hauruck-Verfahren, sondern langfristig. Dies
ist das einzige Mittel, um den Soldaten wieder Planungssicherheit zu vermitteln. Dies ist unsere Zielsetzung.
({6})
Ich möchte unterstreichen: Wir werden die zukünftigen Aufgaben der Außen- und Sicherheitspolitik, die
auch in den Bereichen Prävention, Gewaltvermeidung
und Krisenmanagement liegen, erfüllen können und
müssen. Die Dringlichkeit von Veränderungen wird
allerdings auch von anderen Faktoren beeinflußt. Es wäre falsch, davor die Augen zu verschließen.
Die Diskussion, ob der Dienst von Frauen in der
Bundeswehr ausgeweitet werden soll, ist von Ihnen
über Jahre hinweg als liberales Sommertheater inszeniert worden. Diesmal wird diese Diskussion kein
Sommertheater bleiben und wird möglicherweise sogar
unser Grundgesetz betreffen, weil eine Klage vor dem
Europäischen Gerichtshof anhängig ist. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in einem andersgelagerten Fall und das Plädoyer des Generalanwaltes
im Fall Kreil legen nahe, daß wir aus dem Urteil, das
wahrscheinlich im Februar nächsten Jahres verkündet
wird, Konsequenzen ziehen müssen. Die logische Folgerung daraus wird aus grüner Sicht die Abkehr von der
Wehrpflicht und die Stärkung der freiwilligen Dienste
sein. Dies wird dann für alle gelten.
Wir sind bereit, diese Diskussion zu führen. Wir stehen in der Pflicht, weil die Bundeswehr im nächsten
Jahr auf Grund der Reform vor einer Zäsur steht. Diese
Zäsur wird die gesamte Gesellschaft und die Frauen betreffen. Die Frauen haben das Recht, die Frage des
Wehrdienstes zu diskutieren.
Ich möchte auch noch den Kosovo-Krieg ansprechen.
Dieser Krieg hat uns allen deutlich vor Augen geführt,
wie grundlegend eine Reform der Außen- und Sicherheitspolitik sein muß. Eine solche Reform erfordert in
erster Linie die Stärkung der präventiven Fähigkeiten.
Ich möchte klarmachen, daß wir während unserer
zwölfmonatigen Regierungszeit nicht nur von Prävention geredet haben, sondern zum erstenmal begonnen
haben, konkrete präventive Instrumente zu schaffen.
({7})
Wir haben die zivilen Friedensdienste gestärkt. Wir
haben begonnen, einen Ausbildungsgang für zivile
Kräfte einzurichten. Wir haben die Förderung der Friedensforschung endlich wieder aufgenommen. Damit haben wir begonnen, das Gerüst für eine präventive
Außen- und Sicherheitspolitik zu errichten.
Angesichts Ihrer Rechenbeispiele und Ihrer Diffamierungen im Zusammenhang mit dem Einzelplan sage ich
Ihnen ehrlich: Außen- und Sicherheitspolitik - dies hat
Außenminister Fischer vorhin sehr deutlich gemacht hat nicht immer etwas mit militärischen Einsätzen zu
tun. Das, was wir im Rahmen des Stabilitätspaktes auf
dem Balkan zu leisten bereit sind, ist eine Politik der
Prävention und der Krisenverhütung. Sie soll sicherstellen, daß Gewalt in dieser schwierigen Region nicht wieder vorkommt.
({8})
Dies ist ein neues Politikkonzept.
Lassen Sie mich noch den OSZE-Gipfel ansprechen,
den Sie bisher nicht erwähnt haben. Ich begrüße ausdrücklich die Ergebnisse des OSZE-Gipfels; denn es ist
nicht nur gelungen, den Rüstungskontrollprozeß in Europa zu stabilisieren - das war keine Selbstverständlichkeit -, sondern auch eine Sicherheitscharta zu verabschieden. Damit haben wir einen Schritt in Richtung
einer gesamteuropäischen Friedensordnung unternommen.
Ich möchte zum Schluß noch sagen: Ich hoffe sehr darüber haben wir heute schon gesprochen -, daß Rußland aus diesem OSZE-Gipfel die entsprechenden Lehren zieht und endlich erkennt, daß es in Tschetschenien
keine militärische, sondern nur eine politische Lösung
geben kann. Rußland ist auf dem Gipfel vielleicht auch
klargeworden, daß es sich dann, wenn es sich anders
entscheidet, langfristig gegen die OSZE und damit gegen die Organisationen stellt und sie schwächt, in deren
Rahmen es mit uns in Europa weiter zusammenwachsen
möchte.
Ich hoffe deshalb, daß wir zukünftig nicht nur über
den engsten militärischen Bereich, sondern auch über
die Frage diskutieren werden, was wirklich Sicherheit
schafft. Die Antwort, Herr Kollege Nolting und Herr
Kollege Breuer, hängt nicht nur mit der Zahl der Waffen
und deren Schlagkraft, sondern auch mit der Frage
zusammen, ob wir zukünftig bereit sind, Kriege zu verhindern. Sie haben in den letzten 16 Jahren keine einAngelika Beer
zige D-Mark für den präventiven Bereich lockergemacht.
({9})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Heidi
Lippmann von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident, auch meine
Glückwünsche zu Ihrem Geburtstag!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Nolting, Ihnen wurde eben deutlich gesagt, daß Ihnen das richtige
Verständnis für die Bundeswehr fehlt. Vielleicht sollten
Sie bei Frau Beer Nachhilfeunterricht nehmen und zum
Beispiel die gesammelten Werke der letzten zehn Jahre
nachlesen. Unter Umständen haben Sie dann das richtige
Verständnis hierfür.
({0})
Haushaltsreden sind immer dazu angetan, Bilanz zu
ziehen. Dies sollten wir auch bei dem vorliegenden
Rüstungsetat tun. Bevor Rotgrün angetreten ist, hätte
wohl niemand geglaubt, daß diese Regierungskoalition
wenige Monate nach Amtsantritt einen Krieg führen
würde oder daß ein Jahr danach Rüstungsexporte in die
Türkei von seiten der Grünen toleriert würden, ohne
daß diese die Koalitionsfrage hierzu gestellt hätten.
({1})
Wer hätte damals geglaubt, daß der grüne Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch - vehement und mit großem
Einsatz - eine Rede über die Erneuerungspolitik der rotgrünen Regierung halten würde, wie er es heute morgen
getan hat? Zu dieser Erneuerungspolitik gehört, daß auf
militärische Stärke und Interventionsfähigkeit gesetzt
wird. Zu dieser Erneuerungspolitik gehören die neue
NATO-Strategie und der Ausbau der Europäischen Union zu einer Militärunion. Zu dieser Erneuerungspolitik
gehören auch die Androhung und der Einsatz von Waffengewalt über die Landes- und Bündnisverteidigung
hinaus. Ich denke, daß dies noch vor anderthalb Jahren
kaum jemand erwartet hätte.
Die nicht gerade als linkslastig zu bezeichnende
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat bei der rotgrünen
Außenpolitik ein Gefühl von Größe ausgemacht. Dieses
Gefühl von Größe läßt sich an vielen Punkten des vergangenen Jahres festmachen. Ich möchte einen herausgreifen, nämlich die nicht zu rechtfertigende Entscheidung über den Osttimoreinsatz.
In dem Antrag zur Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Osttimor hieß es:
Deutschland darf sich seiner Verantwortung in aller
Welt nicht entziehen.
Dieser Satz ist, losgelöst gesehen, durchaus richtig;
denn Deutschland als eines der reichsten Länder des
Nordens hat eine weitreichende Verantwortung. Doch
dieser Satz in einem Antrag zur Entsendung von Miltitäreinheiten macht deutlich, wie diese Verantwortung interpretiert wird, nämlich in Richtung militärischer Präsenz weltweit. Dieser Ansatz ist nicht nur falsch, sondern dieser Kurs ist unverantwortlich und gefährlich.
({2})
Die Verantwortung ernst zu nehmen hieße, zur Gestaltung einer friedlicheren, sozial gerechteren Welt beizutragen. Die Instrumente hierfür sind bekannt: Krisenund Konfliktvorbeugung, eine gerechte soziale NordSüd-Politik, die Verringerung des sozioökonomischen
Drucks, der auf vielen Konfliktländern lastet, eine nachhaltige Umweltpolitik, eine intensivere Entwicklungszusammenarbeit und auch eine soziale Stabilität im Innern.
Hierzu gehören selbstverständlich auch der Abbau
von Militär und seinen Strukturen, eine drastische Reduzierung der Rüstungsproduktion und ein Verbot für Rüstungsexporte. All dies ist nicht neu. Bis vor anderthalb
Jahren haben große Teile der SPD und der Grünen diese
Forderungen vertreten.
({3})
Der vor uns liegende Haushalt spricht allerdings eine
ganz andere Sprache. Dies wird in diesem Hause immer
wieder deutlich verbalisiert. Statt die Kosten für die
Entwicklungszusammenarbeit endlich den 0,7 Prozent
des Bruttosozialprodukts anzunähern, hat es eine erneute
Kürzung gegeben: Das Volumen dieses Haushalts ist um
8,7 Prozent geringer als im Vorjahr. Im Vergleich zu
dem der alten Regierung, also dem Haushalt 1998, sind
es sogar 9,6 Prozent. Damit liegt der Wert fast bei 0,2
Prozent. Dies ist etwas, was im Wahlkampf gerade von
den Herren und Damen dieser beiden Parteien noch verurteilt wurde.
({4})
Über die innere Stabilität haben wir hier ja lang und
breit geredet. Die massiven Einsparungen im Sozialhaushalt treffen insbesondere Rentner und Rentnerinnen,
Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose und Kranke. Die
Militärausgaben hingegen steigen effektiv um 900 Millionen DM auf 59,6 Milliarden DM, knapp 60 Milliarden DM nach NATO-Kriterien. Herr Scharping fordert
für die nächsten Jahre noch 20 Milliarden DM mehr; das
wissen wir. Damit hätte dieser Haushalt einen Anteil
von 12 Prozent am Gesamthaushalt der Bundesrepublik
Deutschland. Bei der Rüstungsproduktion und den Rüstungsexporten liegt Deutschland nach wie vor unter den
sechs führenden Staaten, die weltweit für rund
85 Prozent aller Rüstungsexporte verantwortlich sind.
Nachdem hier so lang und breit über den Nothaushalt
lamentiert wurde, frage ich mich, weshalb nicht bei diesem Haushalt eine Zäsur gemacht wurde. Weshalb wartet man ab, bis die Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ im nächsten Jahr weitreichende oder vielleicht
auch nicht weitreichende Entscheidungen vorschlagen
wird? Weshalb leistet sich die Bundesrepublik im Jahr
1999 eine Armee mit über 300 000 Soldaten und
120 000 Zivilangehörigen? Warum unterhält sie viele
überflüssige Kasernen und unzählige Standorte und verfügt weiterhin über ein stehendes Heer, das für den
Verteidigungsfall während des kalten Krieges konzipiert
war, der heute unwahrscheinlicher denn je ist? Weshalb
hält die Bundesregierung nach wie vor an Wehrpflicht
und Zivildienst fest?
({5})
Nach wie vor hält sie ebenso an Beschaffungsprojekten wie dem Eurofighter fest, der in den nächsten 15
Jahren mit 20 Milliarden DM im Haushalt zu Buche
schlagen wird. Dieser Eurofighter - daran erinnere ich
noch einmal - ist ein Kampfflugzeug, ein Jagdbomber,
der für kriegerische Angriffe ausgelegt ist.
({6})
Ausgehend von der These, daß im Kosovo-Krieg die
Kriegsführung der Zukunft deutlich geworden sei, die
der Herr Verteidigungsminister aufgestellt hat, frage ich
mich, wie diese Eurofighter künftig bei den kriegerischen Geschäften eingesetzt werden sollen.
({7})
Unter dem Gesichtspunkt einer Haushaltskonsolidierung bieten der Einzelplan 14 und der Einzelplan 60, in
denen Kriegs- und Kriegsfolgekosten veranschlagt sind,
genügend Möglichkeiten, um umfangreiche Einsparungen vorzunehmen. Unsere diesbezüglichen Haushaltsanträge haben Sie leider bisher abgelehnt.
({8})
Die PDS ist nicht bereit, Ihren Weg mitzugehen.
Deshalb lehnen wir - das wird Sie nicht überraschen Ihren Haushalt ab. Wir lehnen allerdings genauso den
Antrag der CDU/CSU auf Einstellung einer globalen
Mehrausgabe in Höhe von 1,7 Milliarden DM in diesen
Haushalt ab. Lediglich dem Antrag der F.D.P. auf eine
Erhöhung des Wehrsolds in den neuen Bundesländern werden wir zustimmen.
Die Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfeinsätzen out of area, den Aufwuchs der sogenannten Krisenreaktionskräfte auf 63 000 Mann, Kampfbomber wie
den Eurofighter oder neue Transportflugzeuge, die lediglich dazu dienen, Truppenkontingente schneller zu
kriegerischen Einsätzen zu bringen, neue Satelliten zur
militärischen Aufklärung und auch Rüstungsexporte in
dem Umfang, wie sie jetzt betrieben werden, lehnen wir
ab.
({9})
Wir wollen, daß unser Land zu einer Politik der
Selbstbeschränkung zurückkehrt, zu einer Politik der
militär- und machtpolitischen Selbstbegrenzung. Herr
Fischer sprach das ja vorhin an, nur widerspricht seinen
Worten der Kurs, den der Verteidigungsminister gestern
insbesondere auch in Luxemburg vertreten hat.
Frau
Kollegin Lippmann, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich komme zum Schluß. Wir wollen, daß in diesem Lande endlich Abrüstungspolitik gemacht wird und die für Balkaneinsätze vorgesehenen 2 Milliarden DM statt dessen in den zivilen
Wiederaufbau investiert werden.
({0})
Wir fordern die dringend erforderliche Aufstockung der
Entwicklungshilfe. Krisenvorbeugungspolitik sollte zum
Markenzeichen deutscher und europäischer Außen- und
Sicherheitspolitik werden, nicht das Eurocorps oder der
Eurofighter.
({1})
Als
nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Winfried
Nachtwei das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mich zunächst mit den beiden Oppositionsflügeln von rechts und von links auseinandersetzen.
Nach allem, was ich von Ihnen von der CDU/CSU
gehört habe - Herr Kollege Breuer, ich nehme an, daß
ich Sie da nicht zu Unrecht vereinnahme -, ist Ihre Kritik laut, alarmistisch und äußerst hohl.
({0})
16 Jahre lang standen Sie in der Herausforderung von
Regierenden, das als notwendig Erachtete im Rahmen
des Möglichen zu bewerkstelligen. Frappierend ist, wie
schnell Sie sich nun ins Reich der Wünsche verabschiedet haben und den Einzelplan 14 einfach von der Konsolidierung ausnehmen wollen.
({1})
Ihre Forderung nach Wiedererhöhung des Volumens des
Einzelplans 14 ist angesichts Ihres eigenen Regierungshandelns billigster Populismus, gerichtet auf Bundeswehrangehörige, die Ihnen das allerdings in keiner Weise als realistisch abnehmen.
({2})
Zugleich fällt Ihr Schweigen auf, Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU. Sie schwiegen hinsichtlich
der Zukunft der Bundeswehr, obwohl offenkundig ist,
daß einschneidende Reformen bevorstehen. Von Ihnen
ist da außer Strukturkonservatismus und Mittelerhöhung ganz und gar nichts zu hören. Das ist aber vor dem
Hintergrund ganz besonders verantwortungslos, daß im
Umfeld Ihrer Partei - das muß man vor allem aus unserer Sicht zugestehen - viel militärischer Sachverstand
versammelt ist. Daß Sie hier so schweigen, ist also besonders bemerkenswert. Sie sprechen - Herr Breuer, Sie
besonders - immer so gern von Verpflichtung und Verantwortung. Aber auf Ihrem traditionellen Feld militärischer Sicherheitspolitik nehmen Sie Ihre Verantwortung
offensichtlich in keiner Weise wahr.
Nun zur linken Seite: Es fällt ein bißchen schwer, zu
den Aussagen der PDS Stellung zu nehmen, weil diese
Partei bei den gesamten Haushaltsberatungen im Ausschuß nicht vertreten war.
({3})
Trotzdem will ich es tun. Zum zweitenmal stimmt
Bündnis 90/Die Grünen dem Einzelplan 14, einem Verteidigungs-, einem Militärhaushalt, zu. Viele unserer
bisherigen Mitstreiter und auch die PDS als Neumitglied
oder auch Trittbrettfahrer der Friedensbewegung werfen
uns vor, die alte gemeinsame Sache von Abrüstung und
Entmilitarisierung verraten zu haben.
({4})
Das können nur solche sagen, die erstens die Wirklichkeit selektiv wahrnehmen und die zweitens auf Positionen von 1996 und früher stehengeblieben sind.
({5})
Sie ignorieren nämlich die Erfahrungen, die wir seitdem
- zum Teil schmerzhaft - mit SFOR und KFOR
gemacht haben, und sie ignorieren die Bedingungen
einer Regierungsbeteiligung. Regierungsbeteiligung
heißt schlichtweg und unausweichlich, auch Mitverantwortung für die Bundeswehr,
({6})
für ihre Einsätze und ihre Ausstattung zu tragen, und
zwar in einem friedensförderlichen Sinne. Diese Mitverantwortung trägt man unausweichlich.
Was SFOR und KFOR seit Jahren und Monaten im
Kosovo und in Bosnien leisten, hat nichts mit Aufrüstung und Militarisierung zu tun.
({7})
Auch wenn es altgedienten Antimilitaristen unmöglich
erscheint: KFOR und SFOR sind, von nahem besehen,
unverzichtbar gerade für das Gegenteil, nämlich für die
gesellschaftliche Entmilitarisierung und den Aufbau
eines rechtsstaatlichen Gewaltmonopols in diesen vom
Krieg zerrütteten Gebieten.
({8})
Allerdings sehen wir mit Interesse, daß in die hiesige
PDS-Fraktion - ich weiß nicht, ob das auch für Frau
Kollegin Lippmann gilt;
({9})
es scheint mir nicht der Fall zu sein - die Erfahrungen
internationaler Krisenbewältigung und der Rolle des
Militärs dabei zumindest etwas einsickern.
({10})
In Anerkennung der ganzen UN-Charta, also auch des
Kapitels VII, hat die PDS-Fraktion die Notwendigkeit
einer UN-Polizeitruppe zugestanden.
Mit anderen Worten: Sie verabschieden sich damit
von einem pauschalen Antimilitarismus, Sie verabschieden sich von einem radikalen Pazifismus, den Sie in den
letzten Jahren aus parteitaktischen Motiven aufgebaut
haben.
({11})
Allerdings können Sie dabei als nächstes nicht der
Frage ausweichen, was bei gewalttätigen Krisensituationen, wenn alle anderen Mittel versagt haben, getan
werden kann, solange wir diese wünschenswerte
UN-Polizeitruppe noch nicht haben.
({12})
Nach dem Kosovo-Krieg steht die Erörterung der
militärischen Defizite der westeuropäischen Staaten im
Vordergrund. Das ist naheliegend, aber gefährlich verkürzt. Angesagt ist eine Bilanzierung des gesamten
Spektrums der Krisenbewältigung. Die Vorstellung von
kurzen und schnellen Krisenbewältigungen, die auch
durch Begriffe wie „Schnelle Eingreiftruppe“ genährt
wird, ist eine pure Illusion. Wenn Krisenbewältigung bei
innerstaatlichen Gewaltkonflikten überhaupt eine
Erfolgschance haben soll, muß sie multidimensional und
längerfristig angelegt sein.
({13})
Nur zwei Defizitbereiche nenne ich beispielhaft. Wir
haben es bei der großen OSZE-Mission gesehen: Internationale Friedensmissionen konnten nicht schnell und
nicht qualifiziert genug aufgefahren werden. Die Bundesregierung hat hieraus inzwischen die praktische Konsequenz gezogen und dafür gesorgt, daß bei uns in Zukunft genügend qualifiziertes Personal für solche Friedensmissionen bereitsteht.
Das zweite Defizit zeigt sich beim Peace-building im
Kosovo. Nach Beendigung der offenen kriegerischen
Gewalt spielen bei der Herstellung eines rechtsstaatlichen Gewaltmonopols neben einer Friedenstruppe
internationale Polizeimissionen eine Schlüsselrolle. Ihr
Erfolg ist Voraussetzung dafür, daß Friedenstruppen
überhaupt wieder reduziert bzw. ganz abgezogen werden
können.
Die Bundesrepublik Deutschland leistet hinsichtlich
dieser Funktion - das will ich betonen - vorbildliche
Beiträge. Ich danke - ich gehe davon aus, im Namen des
ganzen Hauses - den Beamten der Länderpolizeien und
des Bundesgrenzschutzes nachdrücklich für ihren Einsatz in den internationalen Missionen.
({14})
- Und den Beamten des BKA.
Herr Kollege,
kommen Sie bitte zum Schluß!
Ja. - Zugleich muß die internationale Staatengemeinschaft ihre bisherige Vernachlässigung dieses Instruments im Hinblick auf Rekrutierung, Qualifizierung und
materielle Ausstattung überwinden. Das Problem fängt
allerdings - das müssen wir ehrlicherweise zugeben bei uns an. Wir als deutsches Parlament müssen unsere
Verantwortung auch gegenüber diesem Instrument der
Krisenbewältigung in Zukunft ganz anders wahrnehmen.
Nur alles zusammen ist erfolgversprechend, was den
künftigen Umgang mit solchen Krisen angeht.
Danke schön.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Paul Breuer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich habe einen Artikel aus der Tageszeitung „Die Welt“ vom 9. September 1999 mitgebracht.
({0})
Darin heißt es, Minister Scharping sehe die Bundeswehr
bald auf Platz 17 in der NATO.
Nun haben wir alle der heutigen Debatte beigewohnt
und den geschätzten Kollegen Kröning gehört.
({1})
Dieser machte deutlich, die Bundeswehr und der Verteidigungshaushalt seien für die Zukunft bestens vorbereitet.
Entweder hat Scharping recht, oder die SPD-Fraktion
hat recht.
({2})
Ich behaupte: Scharping hat eine realistische Sichtweise,
und die Traumtänzer sitzen in seiner eigenen Fraktion
im Deutschen Bundestag.
({3})
Das macht die eigentliche Tragik der deutschen Verteidigungspolitik in dieser Legislaturperiode aus, die für
die Zukunft der Bundeswehr und damit für die Wahrnehmung der deutschen Sicherheitsinteressen entscheidend sein wird.
Der Bundesverteidigungsminister antwortet in der
Drucksache 14/1795
({4})
auf eine Anfrage der verteidigungspolitischen Sprecherin der zweiten Koalitionsfraktion, nämlich der Grünen,
Frau Beer - die Frage lautet: „Wie beurteilt die Bundesregierung den Umfang des deutschen Beitrages ... in der
NATO zur Sicherheit in Europa ...?“ -:
... Sollte es jedoch bei der Finanzplanung
- der Finanzplanung der Bundesregierung bleiben, ist mit einer deutlichen Absenkung der
Personalstärke, weiter zunehmenden Problemen im
Betrieb und bei der Modernisierung der Streitkräfte
zu rechnen. Dies würde das politische Gewicht der
Bundesrepublik nicht unbeeinträchtigt lassen. ...
({5})
- Herr Außenminister Fischer, das geht Sie mehr an, als
Sie selbst glauben. Wenn Herr Scharping sagt, wir
könnten nicht in der Champions League spielen und
gleichzeitig für die Bundeswehr nichts tun, denn dann
drohe der Abstieg in die zweite Liga,
({6})
dann meint er mit der Champions League auch Sie. Er
meint, daß Sie den Anspruch erheben, in der Champions
League zu spielen, aber das, was in Ihrer Koalition gemacht wird, lediglich den Abstieg verdient. Das ist der
Widerspruch in dieser Koalition.
({7})
Ich halte es schon für interessant, daß Sie sich hier in
die Nähe Ihrer Kollegen begeben. Ich will Ihnen auch
empfehlen, diese Nähe zu suchen. Denn Sie sind sehr
flugs dabei, die Bundeswehr einzusetzen.
({8})
Das haben wir bei Osttimor gesehen. Aber ihr die nötige
Ausstattung dafür zu geben, dazu sind Sie nicht in der
Lage. Sie gehen sehr leichtfertig damit um. Das richte
ich an die Adresse der Koalition.
({9})
Ich bedaure es, daß in Deutschland in den letzten Jahren über die Sicherheitspolitik und damit auch über die
Zukunft der Bundeswehr zu stark vor dem Hintergrund
der finanzpolitischen Aspekte diskutiert worden ist. Ich
räume ein - um das deutlich zu sagen -, daß das auch in
der Zeit der CDU/CSU-Verantwortung zu stark so gewesen ist. Das müssen wir zugeben.
Viel zu lange haben wir alle in diesem Parlament ich meine die verantwortlichen Sicherheitspolitiker und
Finanzpolitiker - eine Debatte laufen lassen, die nicht
gut ist,
({10})
nämlich die Debatte, daß eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit eigentlich nur dann möglich sei, wenn man es
organisieren könnte - das machen wir seit zehn Jahren -,
daß die Personalstärke und die Ausrüstung der Bundeswehr reduziert würden und mit den gewonnenen Mitteln
die Zukunft der Bundeswehr und des deutschen Beitrages gesichert würde. Ich halte das für einen grandiosen
Widerspruch. Die Problematik des Verteidigungsministers Scharping ist, daß er keine Chance sieht, in der rotgrünen Koalition diese Entwicklung, die eine neue Qualität gewonnen hat, aufzuhalten. Das ist die Problematik
der deutschen Verteidigungspolitik. Die Pflicht der Opposition ist es, die Bundesregierung zu überprüfen und
zu kritisieren.
({11})
Herr Kollege Fischer, es geht eigentlich um die Frage
der Sinnhaftigkeit
({12})
des deutschen Beitrages innerhalb Europas und der
NATO. Wir, die CDU/CSU, stellen als Basis unserer
Überlegungen eine sorgfältige sicherheitspolitische
Analyse an.
Erstens soll die Landesverteidigung in der Bündnisverteidigung wichtigste Aufgabe bleiben.
({13})
Auf Grund der diffusen Sicherheitslage, vor allem im
östlichen Teil Europas, ist es dabei nicht ausgeschlossen,
daß Bündnispartner unter Druck geraten. Das betrifft
zweitens die Krisenvorsorge und die Krisenbewältigung
vor allem an der Peripherie des Bündnisses, die an Bedeutung gewonnen haben und gewinnen. Das betrifft
drittens die Tatsache, daß Amerika auf Dauer kein so
starkes Engagement in Europa zeigen kann, wie das
heute noch der Fall ist. Die Demokratien in Europa müssen immer mehr selbst aktiv werden.
({14})
Vor diesem Hintergrund und der Bewertung der
sicherheitspolitischen Lage müssen wir uns von einigen
Gedanken leiten lassen, nämlich erstens von der Bündnis- und Europafähigkeit Deutschlands, zweitens davon,
daß die Landes- und die Bündnisverteidigung im Rahmen der Krisenbewältigung gleichermaßen gesichert
werden müssen, drittens davon, daß deshalb der Bestand
und die Weiterentwicklung der allgemeinen Wehrpflicht
unabdingbar sind, viertens davon, daß nur mit Investitionen und durch die Nutzung moderner Technologien
sowie Waffensysteme - und nicht durch Kürzungen eine Modernisierung erreicht werden kann, fünftens davon, daß die Straffung von Führungsstrukturen im militärischen und zivilen Bereich zwingend notwendig ist allerdings nur in der Reihenfolge, daß vorher Investitionen stattzufinden haben -, und sechstens davon, daß dabei eine Rationalisierung innerhalb der Bundeswehr
stattzufinden hat, die ebenfalls nur mit Investitionen angeschoben werden kann.
({15})
Welches Konzept hat die Bundesregierung und die
sie tragenden Fraktionen hier im Deutschen Bundestag
in diesem Zusammenhang?
({16})
Ich bin ja soeben nach Konzepten gefragt worden. Der
Verteidigungshaushalt 2000
({17})
ist aus der Not geboren und mit einer heißen Nadel nach
der Vorgabe Eichels genäht worden.
({18})
Sie muten uns zum erstenmal in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland zu, über einen Verteidigungshaushalt zu befinden, ohne daß eine gesicherte
mittelfristige Finanzplanung für den Verteidigungshaushalt besteht. Das ist unglaublich. Das hat es in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie
gegeben.
({19})
Wenn der Bundesverteidigungsminister in diesem
Zusammenhang von einem Nothaushalt spricht
({20})
- das hat er getan; Sie sollten ihm mehr zuhören -, dann
meint er damit nicht nur das Haushaltsjahr 2000, sondern dann spricht er auch davon, daß in der mittelfristigen Finanzplanung, in der im Hinblick auf den Verteidigungshaushalt ein Absturz um fast 20 Milliarden DM
droht,
({21})
der deutsche Beitrag für die Sicherheitsinteressen unserer Bürger und unseres Landes in Unordnung kommt.
Wir befinden uns hier an einem Wendepunkt, der in dieser Debatte deutlich angesprochen werden muß.
({22})
Die CDU/CSU hat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland während der Zeit, in der es die
Bundeswehr gibt, erst fünfmal gegen einen Verteidigungsetat gestimmt.
({23})
- Sie konnten nicht so oft dagegen stimmen, Herr
Fischer. So lange ist Ihre Partei noch nicht im Bundestag, und ich befürchte, Sie werden nicht mehr lange hier
sitzen.
({24})
Wir stimmen in dieser Woche das sechste Mal dagegen. Das heißt, wir haben es uns in der Vergangenheit
auf Grund unseres Verständnisses als staatstragende
Kraft in Deutschland nicht einfach gemacht.
({25})
Wer für den Haushalt 2000 stimmt, der muß wissen, daß
dies der erste Haushalt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist, der in dem wichtigen Feld der
Verteidigung keine mittelfristige bzw. langfristige Perspektive beinhaltet.
({26})
Lassen Sie mich dazu noch eines sagen: Da tritt der
Bundesfinanzminister auf und sagt, man müsse doch
verstehen, daß auch die Bundeswehr von Sparmaßnahmen nicht ausgenommen werden könne
({27})
- das hört man auch in Ihrer Fraktion -;
({28})
denn schließlich müsse auch die Bundeswehr ein Interesse daran haben, daß die Staatsfinanzen solide seien. Das ist eine abenteuerliche Begründung.
({29})
Es geht doch nicht um die Interessen der Bundeswehr,
sehr verehrte Kollegen der SPD. Vielmehr geht es um
die Sicherheitsinteressen der Menschen in Deutschland,
um die Sicherheitsinteressen unseres Landes.
({30})
- Sehr verehrte Frau Kollegin Wohlleben, hier erfolgt
eine schleichende Veränderung der Prioritäten der
Politik unseres Landes.
({31})
Wenn Herr Scharping ehrlich ist - was ich unterstelle
-, dann soll er gleich zum Rednerpult kommen - er wird
sprechen; das ist nicht zu verhindern ({32})
und folgendes sagen: Die im Bundeshaushalt 2000 veranschlagten Mittel steigen, wenn auch um nicht sehr
viel,
({33})
aber der Ansatz für den Verteidigungshaushalt sinkt gegenüber dem Vorjahr um 1,7 Milliarden DM, gegenüber der alten mittelfristigen Finanzplanung um
3,5 Milliarden DM.
({34})
Wenn der Finanzminister diese Woche einen Haushalt
verabschieden lassen will, der vom Mittelansatz her gestiegen ist, die Mittel im Verteidigungshaushalt aber
sinken, dann bedeutet dies, daß die Priorität der deutschen Verteidigungspolitik in diesem Hause mit Zustimmung derer, die dies verabschieden, abnimmt. Diese
Prioritätenverschiebung ist nicht zu vertreten. Wir werden erleben, daß der Verteidigungsminister, der diesen
Umstand bedauert, durch sein Abstimmungsverhalten
mit dafür verantwortlich wird, daß er selbst absteigt.
({35})
Das kann ich eigentlich nicht begreifen.
Die Zukunft der Bundeswehr, die Zukunft der deutschen Verteidigungspolitik bedarf mehr Verläßlichkeit
und mehr Vertrauen. Dies sind nicht nur in der Sicherheitspolitik entscheidende Größen, sondern auch dann,
wenn es um eine Großorganisation wie die Bundeswehr,
wenn es um Menschen geht.
({36})
Ich unterstelle einmal, daß sich der Vorsitzende des
Verteidigungsausschusses, Kollege Wieczorek - er ist
leider erkrankt; gute Besserung, Helmut Wieczorek -,
der Frage der Berechenbarkeit sehr wohl bewußt war,
als er in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ gesagt hat
({37})
- das ist Ihnen allen geläufig -, daß die Bundeswehr
Stellen abbauen müsse, insbesondere beim BeschafPaul Breuer
fungsamt - dort handelt es sich um 20 000 Stellen -, daß
1 500 Panzer veräußert werden müßten usw. Ich kenne
die Schreiben der betroffenen Menschen an den Verteidigungsausschuß. Darin wird deutlich, daß sie sich in
dieser Frage - und es sind Arbeitnehmer - nicht von der
SPD vertreten fühlen. Warum? Sie gehen an diese Sache
in einer Art und Weise heran, die völlig unvertretbar ist.
Wenn wir die Zukunft der Bundeswehr bestimmen wollen, wenn wir die Bundeswehr umbauen, sie reformieren
wollen, dann können wir das nicht gegen die Mitarbeiter, die Soldaten und zivilen Bediensteten der Bundeswehr tun.
({38})
Wir müssen das gemeinsam mit ihnen tun.
({39})
Seien Sie ehrlich - dies richte ich an den Verteidigungsminister -,
({40})
was die Konsequenzen der mittelfristigen Finanzplanung angeht, die der Kollege Kröning für die SPDFraktion gutgeheißen hat. Die Universität der Bundeswehr München, Bereich Wirtschaftsorganisationswissenschaften, hat die Konsequenzen berechnet - der
ehemalige stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr war daran beteiligt -: Die militärische Personalstärke ginge von 340 000 auf 230 000 zurück. Die
Grundwehrdienstdauer läge bei etwa sechs Monaten.
Die Fähigkeit zu Auslandseinsätzen verringerte sich um
mindestens 15 Prozent. Die investive Lücke wüchse auf
30 bis 40 Milliarden DM. Der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt sänke von 1,3 auf 1,1
Prozent; dann lägen wir an der zweitletzten Stelle mit
nur noch Luxemburg hinter uns. Deutschlands möglicher Bündnisbeitrag bei Auslandseinsätzen läge um
50 Prozent unter den Erwartungen unserer Partner.
Im Binnenbereich der Bundeswehr hätte es verheerende Auswirkungen auf das Dienstklima, die Nachwuchsgewinnung, das Vertrauen in die Politik: zirka
120 000 bis 170 000 Arbeitsplatzverluste, 20 000 bis
30 000 Arbeitslose, 150 bis 200 der 600 Standorte der
Bundeswehr würden aufgelöst, fiskalische Entlastungen
per annum lägen in der Größenordnung von unter 1 Prozent des Bundeshaushaltes.
Meine Damen und Herren Kollegen, wenn Sie eine
Debatte ernsthaft führen, dann frage ich Sie: Wenn derart verheerende Auswirkungen drohen - niemand bestreitet sie; der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Walter Kolbow, hat in einer
Diskussion gestern zugestimmt, daß es so wäre -,
könnten Sie sich bei Ihrer Verantwortung nicht einmal
einen Ruck geben und sagen, dieser rotgrüne Zirkus in
der Verteidigungspolitik muß beendet werden? Es ist
unverantwortlich, was hier geschieht.
({41})
Herr Kollege Erler, ich richte direkt an Sie die Frage:
Betreiben Sie diese Finanzpolitik mit der Zielsetzung,
genau das zu erreichen, was die Bundeswehruniversität
feststellt? Kommt Ihnen dieses Mittel gerade recht, weil
Sie das schon immer wollten, oder ist es eine Folge einer
Sparpolitik, die Sie als notwendig erachtet haben?
({42})
Ich habe den Eindruck, daß es eine ganze Reihe von
Kollegen auf den rotgrünen Bänken gibt, denen die
Finanzenge, von der Sie heute sprechen, regelrecht zupaß kommt. Sie wollen eine andere deutsche Sicherheitspolitik.
({43})
Herr
Kollege Breuer, kommen Sie bitte zum Schluß.
Danke schön, Herr Präsident. Ich komme zum Ende.
Bei Ihnen, Frau Kollegin Beer, bin ich fest davon
überzeugt, daß sie Ihnen zupaß kommt. Sie wollen eine
andere Rolle der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Deswegen sind Sie froh, daß Sie das mit
der Finanzpolitik begründen können. Sie springen zu
kurz und zäumen das Pferd vom Schwanze auf.
Der deutsche Sicherheitsbeitrag muß bestimmt werden aus dem deutschen Rollenverständnis in der Verantwortung für Europa und für die NATO. Das, was Sie
an Beitrag leisten - das bescheinigt Ihnen der Verteidigungsminister -, ist völlig unverantwortlich.
({0})
Das
Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping.
Ich schließe mich den herzlichen Glückwünschen
zum Geburtstag an. Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Wir sollten die deutsche Sicherheitspolitik in
die internationale Lage einordnen und sie als das verstehen, was sie ist, nämlich umfassend und kooperativ.
Umfassend in dem Sinne, daß sie wirtschaftliche, ökologische, soziale, kulturelle Aspekte einbezieht, kooperativ in dem Sinne, daß sie mit anderen Nationen gemeinsam Sicherheit sucht. Früher hat man gefragt: Wo steht
der Feind? Heute sollte man fragen: Wo ist der Partner
für gemeinsame Sicherheit?
({0})
Wenn man das tut, dann fällt es auch leichter, einzelne
Haushalte zu betrachten. Darauf will ich gleich kommen.
Ich will hinzufügen, daß die internationale Lage eher
von gewissen Herausforderungen und ihrem Anwachsen
geprägt ist und daß wir uns darüber klar sein sollten, daß
mit den Präsidentschaftswahlen sowohl in Rußland wie
auch später in den USA ein gewisser Attentismus und
möglicherweise auch eine mangelnde Kooperationsbereitschaft oder Kooperationsfähigkeit drohen können.
Wir hoffen das nicht, aber man sollte es in Rechnung
stellen.
Die NATO hat eine neue Strategie verabschiedet. Die
Europäer haben sich entschlossen, eine Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik aufzubauen, in deren
Rahmen eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik steht. Die Verantwortung und die Gestaltungsmöglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland
sind gewachsen.
Das alles sage ich, weil nach meiner Überzeugung
auch in Zukunft die Entscheidungen über die Sicherheitspolitik unseres Landes auf einer möglichst breiten
gesellschaftlichen wie parlamentarischen Grundlage erfolgen sollten.
({1})
Die Bundeswehr braucht diesen Konsens, damit auch
die Soldatinnen und Soldaten wissen, wofür sie eintreten
und daß sie dabei bei Bevölkerung, Parlament und Regierung Unterstützung haben, zumal wenn es um internationale Einsätze geht.
Diese Unterstützung ist gegeben. Weit über 80 Prozent der Menschen in unserem Land haben großes Vertrauen in die Bundeswehr. Die NATO genießt höchstes
Ansehen; mehr als 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sprechen sich für eine Mitgliedschaft in dem gemeinsamen Sicherheitsbündnis aus. Über zwei Drittel
der Bevölkerung unterstützen übrigens auch die Wehrpflicht. Man sollte das wenigstens wissen, bevor man
anfängt, Politik zu formulieren. Die hohe Zustimmung
der Bevölkerung auch zum internationalen Engagement
der Streitkräfte ist ein wesentliches Ergebnis gemeinsamer, verantwortungsbewußter Außen- und Sicherheitspolitik.
Vor diesem Hintergrund bedauere ich, daß sich die
CDU/CSU und die F.D.P. aus ausschließlich parteitaktischen Erwägungen aus dieser gemeinsamen Verantwortung zu verabschieden beginnen.
({2})
Das ist besonders bedauerlich angesichts der Tatsache,
daß wir vor grundlegenden Weichenstellungen stehen
- nicht mit diesem Haushalt allein -, was die Neuausrichtung der Bundeswehr angeht. Sie verhalten sich nach
dem Motto: Schon richtig, es muß gespart werden, aber
bitte nirgendwo.
({3})
Sie bringen eine Argumentation, die besagt: Der Staat
muß mit dem öffentlichen Geld behutsamer, vorsichtiger, sparsamer, kostenbewußter umgehen. Bei jedem
Einzelplan, bei jeder Einzelentscheidung stellen Sie sich
hier hin und sagen: Nein, hier darf das nicht passieren;
das ist nicht vertretbar.
({4})
Das ist intellektuell mindestens unredlich.
({5})
- Herr Kollege Breuer, wenn Sie noch zwei Minuten
warten, dann gerne.
({6})
Ich kann nur sagen: Sie sind offenbar ohne Alternative, aber gleichzeitig auch ohne Gedächtnis.
({7})
Sie waren es doch, die den Rüstungsteil, den Investitionsteil des Verteidigungshaushalts in den 90er Jahren
auf mickrige 5,2 Milliarden heruntergefahren haben.
({8})
Sie waren es doch, die die Bundeswehr in den 90er Jahren personell wie finanziell halbiert haben. Sie waren
es doch, die den Beförderungsstau haben entstehen lassen.
({9})
Sie waren es doch, die den Investitionsstau haben entstehen lassen.
({10})
Mit allen diesen Problemen müssen sich die neue Koalition und der Bundesverteidigungsminister jetzt herumschlagen. Sie haben die Probleme aufgehäuft und
beschimpfen uns jetzt dafür, daß wir sie konsequent
bewältigen wollen. Das ist doch unverantwortlich.
({11})
Herr
Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Breuer?
Wenn ich vorher noch einen Satz sagen darf, der
Kollege Breuer kann das dann einbeziehen.
Er hat eben gesagt: Zum erstenmal verabschieden wir
einen Haushalt ohne langfristige Perspektive. Damit haben Sie doch gleichzeitig gesagt, daß die früheren Bundeswehrplanungen keine langfristige Perspektive beinhaltet haben.
({0})
Das ist eine interessante Bemerkung.
Bitte schön, Herr Kollege Breuer.
Herr
Bundesminister, das Wort erteile ich.
Herr Breuer, bitte.
Herr Verteidigungsminister, darf ich Sie darauf hinweisen, daß ich gesagt habe, dies ist der erste Verteidigungshaushalt, den der
Deutsche Bundestag beschließen soll, ohne daß eine
mittelfristige Finanzplanung vorliegt?
({0})
Sie legen ja Wert auf die Feststellung, daß Sie diese mit
einem Vorbehalt versehen haben.
Aber nun zur Frage. Ist Ihnen entgangen, daß die
Verkleinerung der Bundeswehr in der Folge der großen
Veränderungen in Europa und der deutschen Einheit aus
sicherheitspolitischen Gründen zwingend notwendig
war?
({1})
Ist es Ihnen entgangen, daß die damit einhergehenden
Kürzungen im Verteidigungsetat von Ihrer eigenen
Fraktion gewollt waren und daß es zum Teil Situationen
gab - Sie waren Fraktionsvorsitzender -, in denen Ihre
Stellvertreterin, Ingrid Matthäus-Maier, zusätzliche
Kürzungen von 1 Milliarde DM wollte und sich die
Verteidigungspolitiker Ihrer Fraktion, für die Sie Verantwortung trugen, weigerten, den Beschlüssen der SPD
zuzustimmen?
({2})
Ist Ihnen entgangen, daß die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag weitestgehend - Sie selbst haben in
Karlsruhe geklagt ({3})
gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr gewesen
ist? Ist Ihnen entgangen, daß in der Finanzplanung des
damaligen Bundesverteidigungsministers
({4})
eine Einplanung neuer Mittel - Sie bedauern heute, daß
sie nicht vorhanden sind - gar nicht möglich war, weil
Sie denselben Verteidigungsminister in die Wüste geschickt hätten, wenn er überhaupt nur daran gedacht
hätte, daran irgendetwas ändern zu wollen?
Bitte
schön, Herr Bundesminister.
Herr Kollege Breuer, mir entgeht wenig. Vor allen
Dingen ist mir nicht entgangen, daß Sie die Bundeswehr
nicht nur personell und finanziell halbiert haben, sondern gleichzeitig im Zuge dieses Prozesses regelmäßig
Haushalte aufgestellt haben, die an zwei Dingen krankten: Zum einen haben Sie für internationale Einsätze
50 Millionen DM veranschlagt, obwohl Sie genau wußten, daß sie mit 400 bis 500 Millionen DM zu Buche
schlagen werden.
({0})
Das wurde zu Lasten der Investitionen erwirtschaftet.
Zum anderen haben Sie im Zuge der Waigelschen
Haushaltspolitik - nach dem Motto: erst den Haushalt
aufstellen und hinterher die Tatsachen sprechen lassen den Bundeswehrhaushalten insgesamt über 5 Milliarden DM entzogen, eine um das Fünffache höhere Summe als das, was die SPD jemals als Kürzungsvorschlag
vorgelegt hat.
({1})
Das ist mir alles nicht entgangen.
Insofern: Die Frage ist beantwortet, Sie dürfen sich
jetzt setzen. Es gibt noch mehr Kollegen, die Zwischenfragen stellen wollen.
Herr
Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Nolting?
Eine Zwischenfrage lasse ich noch zu, damit das
zwischen den Oppositionsparteien gerecht verteilt ist.
({0})
Herr
Breuer, Sie haben eine Serie von Fragen gestellt. Damit
haben Sie Ihr Fragerecht, so glaube ich, ausgeschöpft.
({0})
Bitte, Herr Nolting.
Herr Minister,
Sie haben eben gesagt, die mittelfristige Finanzplanung
liege doch vor. Wir alle wissen, daß in dieser mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen ist, im Bereich Verteidigung, Einzelplan 14, mehr als 18 Milliarden DM einzusparen. Kann ich Ihrer Bemerkung entnehmen, daß
Sie der mittelfristigen Finanzplanung doch zugestimmt
haben?
({0})
Zunächst möchte ich Sie bitten - wenn Sie das
denn tun -, sich oppositionell abzustimmen. Denn es
paßt schlecht zusammen, daß der Kollege Breuer sagt,
es gebe gar keine mittelfristige Finanzplanung, während Sie auf sie verweisen. Sie wissen genau, in welcher
Form sie existiert: Bundestagsdrucksache 14/1401; dort
ist das nachzulesen.
({0})
Der Kollege Kröning hat das gerade zitiert: Die mittelfristige Finanzplanung besagt ausdrücklich, daß bei weiteren Entscheidungen die Ergebnisse der Kommission unter Vorsitz von Richard von Weizsäcker einzubeziehen
sind.
({1})
Genau das werden wir tun.
({2})
Nun wollte ich Ihnen im Zusammenhang dieses
Haushaltes etwas zu Ihrer Alternativlosigkeit sagen. Sie
haben ja nicht nur die Bundeswehr halbiert, sondern
gleichzeitig die Ausrüstung der Bundeswehr sträflich
vernachlässigt. Die Einsätze in Bosnien-Herzegowina
und im Kosovo haben jedenfalls deutlich gemacht, wie
dringend notwendig Sicherheitsvorsorge auch in der Zukunft sein wird.
Bei allen vorigen Haushalten hat die Bundeswehr ich erwähnte es - die Mehrkosten für diese Einsätze zu
einem großen Teil aus dem laufenden Etat erwirtschaften müssen. Dies ging vor allem zu Lasten der Investitionen. Jetzt ist mit der Veranschlagung jener 2 Milliarden DM im Einzelplan 60 zum erstenmal eine zuverlässige, ordentliche und übrigens auch durchschaubare
Finanzierung gewährleistet, was ich ausdrücklich begrüße.
({3})
Sollte sich das Parlament entscheiden, diese Mittel später in den Einzelplan 14 einzustellen, werden Sie von
mir keinen Protest hören. Das werden Sie sicher verstehen. Mit diesen Entscheidungen machen wir jedenfalls
deutlich, daß die Bewältigung von Krisen wie auf dem
Balkan eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, der wir
uns stellen.
Zu Beginn des Jahres 1999 hatte ich Leitlinien für
die Arbeit des Bundesministeriums der Verteidigung
und der Bundeswehr vorgestellt. Eine davon hieß „Planerische und soziale Sicherheit gewährleisten“, eine
zweite „Wirtschaftlichkeit und Effizienz steigern“.
Zunächst zu der ersten Leitlinie. Im Sinne dieser
Leitlinie und ihrer Erfüllung wird es keine Abstriche bei
Ausbildung, Übung und Betrieb geben. Das ist auch
richtig so; denn anders könnte man internationale
Einsätze mit hohem Risiko überhaupt nicht verantworten.
({4})
Nun zu der zweiten Leitlinie: Im Haushalt sind für
Berufs- und Zeitsoldaten 192 600 Planstellen veranschlagt. Das ist etwas mehr als letztes Jahr, im großen
und ganzen aber dieselbe Zahl wie 1999. Der Kollege
Austermann hat schlicht Unrecht, wenn er hier behauptet, die Zahl sei deutlich gesunken. Das ist einfach die
Unwahrheit. Sie haben etwas verglichen, was Sie in
Ihrer eigenen Regierungszeit nie erreicht haben, nämlich
die Zielplanung der Bundeswehrstruktur von 340 000
Mann, mit den tatsächlichen Stellen.
Planerische und soziale Sicherheit besteht. Das gilt
übrigens auch für die Zivilbeschäftigten. Ich möchte
mit Blick auf manche Äußerungen - die nicht nur hier
im Parlament gemacht wurden - sagen: Die Zahl der
Dienstposten im zivilen Bereich der Bundeswehr wird
um präzis 1 000 von 123 000 auf 122 000 verringert.
Das bedeutet, daß wir die Fluktuation nutzen können
und niemandem aus betriebsbedingten Gründen kündigen müssen.
({5})
Diese Aussage steht auch für das Jahr 2000. Im übrigen
verbessern die im Haushalt enthaltenen Planstellen die
Beförderungsmöglichkeiten und leisten damit einen Beitrag dafür, daß die Bundeswehr attraktiv bleibt.
In diesem Zusammenhang möchte ich einen Hinweis
geben. Ein Bundesbediensteter kostet durchschnittlich
etwa 125 000 DM im Jahr. Ein Landesbediensteter kostet durchschnittlich etwa 90 000 DM im Jahr. Ein Bediensteter der Bundeswehr - ohne Wehrpflichtige - kostet durchschnittlich etwa 58 000 DM im Jahr. Das
heißt, daß wir uns auch für die Zukunft zu überlegen haben werden, ob die Attraktivität des Dienstes in der
Bundeswehr - auch im Vergleich zu Polizei, Grenzschutz, Zoll oder anderen Laufbahnen im Landesdienst entwickelt werden kann. In meinen Augen muß sie entwickelt werden.
({6})
Diejenigen, die glauben, daß sie mit einer Abschaffung der Wehrpflicht billiger fahren würden, warne ich
vor den übrigen internationalen Erfahrungen.
({7})
Ich will nicht erleben, daß wir in Deutschland dieselbe
Situation wie in den USA bekommen, wo für bestimmte
Verwendungen Erstverpflichtungsprämien von 50 000
Dollar gezahlt werden. Ich will auch nicht eine Situation
wie in den Niederlanden erleben, wo beispielsweise für
Piloten Weiterverpflichtungsprämien von 25 000 Gulden
pro Jahr gezahlt werden. Schon gar nicht möchte ich in
die Lage anderer europäischer Berufsarmeen kommen,
in denen mittlerweile junge Straffällige ihren Dienst in
der Armee als Vollzug der Strafe ableisten.
({8})
Das alles halte ich für höchst problematisch. Das will
ich in Deutschland nicht sehen.
({9})
Vor diesem Hintergrund folgendes: Die besondere
Stärke der Bundeswehr ist ihr Personal - seine Leistungsbereitschaft und sein Verantwortungsbewußtsein.
Folglich darf man daran nicht rütteln. Im Gegenteil:
Man muß diese Stärke erhalten und ausbauen. Das bedeutet, daß übereilte und vorschnelle Eingriffe in die
Bundeswehr falsch sind. Ein systematisches Vorgehen
bleibt richtig. Es muß mit unseren internationalen Verpflichtungen in Einklang stehen. Es muß auf der
Grundlage der Arbeit der Kommission und der Arbeiten
des Ministeriums aufbauen. In diesem Rahmen wird der
Generalinspekteur im nächsten Frühjahr seine Untersuchungen abschließen und Vorschläge vorlegen.
Die Entscheidungen, die dann zu treffen sind, werden
vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung
und mit dem Ziel zu fällen sein, mehr Sicherheit in Europa und im euroatlantischen Raum zu gewährleisten.
Deshalb haben Ende April dieses Jahres die Staats- und
Regierungschefs der NATO ein neues strategisches
Konzept verabschiedet. Auf dessen Grundlage und auf
der Grundlage kollektiver Verteidigung wendet sich die
Allianz stärker Konfliktverhütung und Krisenbewältigung zu. Im Bündnis besteht breite Übereinstimmung,
daß - vielleicht mit Ausnahme der amerikanischen - alle
Streitkräfte im Bündnis in Schlüsselbereichen wie Mobilität, Interoperabilität, Führung, Aufklärung und Nutzung neuer Technologien Defizite aufweisen. Diese
müssen in Zukunft durch Investitionen ausgeglichen
werden.
Auf dem Gipfel der Europäischen Union Anfang Juni
dieses Jahres haben sich die Staats- und Regierungschefs
verpflichtet, die militärischen Mittel und Fähigkeiten für
eigenständige Krisenbewältigung der Europäer weiterzuentwickeln. Das betrifft dieselben Bereiche: strategische Aufklärung, Lufttransport und Streitkräfteführung.
Über das dafür notwendige Geld wird man reden müssen, wenn die Planungen abgeschlossen und die Vorhaben beschaffungsreif sind. Vorher macht es keinen Sinn,
denn dann hätte man wieder Luftbuchungen im Haushalt, die eine Scheinsicherheit vorgaukeln würden, die
tatsächlich nicht vorhanden ist.
({10})
Im Interesse dieser Entwicklung wird das Eurokorps auf
Initiative Frankreichs und Deutschlands umgestaltet. Im
Sinne dieser Zielsetzung will ich hinzufügen, daß wir in
Europa auf einem guten Weg sind, gemeinsam, wirksam
und im politischen Sinne umfassend etwas zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung beizutragen.
({11})
Bei all diesen Vorhaben hat die Bundesregierung entscheidend mitgewirkt. Es ist ein großer außenpolitischer
Erfolg, daß wir uns in allen Fragen, die mit der Gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zu
tun haben, mit unseren Initiativen und Vorschlägen durchgesetzt haben. Das ist ein Erfolg, auf den man
stolz sein kann, jedenfalls innerhalb des Regierungslagers.
({12})
Wenn man daraus Konsequenzen mit Blick auf diesen Haushalt und spätere Haushalte ziehen will, dann
heißt das zunächst folgendes: Die Bundesrepublik
Deutschland hat in Europa die höchste Bevölkerungszahl, aber die relativ zweitkleinsten Streitkräfte; die
Bundesrepublik Deutschland hat in Europa die größte
Wirtschaftskraft, aber sie gibt gemeinsam mit Belgien
am wenigsten für die Verteidigung aus, noch weniger als
Luxemburg.
({13})
Es ist völlig egal, ob man sich nach NATO-Kriterien
richtet oder beispielsweise heute in die „Neue Zürcher
Zeitung“ schaut und dort die Schweizer Untersuchungen
über die volkswirtschaftlichen Kosten verschiedener
Konzepte heranzieht. Man wird feststellen: Diese Tatsachen sind unbestreitbar.
({14})
Der Investitionsanteil im Einzelplan 14 muß wieder
ansteigen. Wir haben ihn 1999 angehoben, und er bleibt
im Jahre 2000 allem Gerede zum Trotz auf exakt demselben Niveau, und das ist auch gut so. Denn sonst
könnten wir die eingegangenen Verpflichtungen aus der
neuen NATO-Strategie und der sich entwickelnden
europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
nicht erfüllen.
Schließlich sollten wir beachten, daß es auch um den
Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland geht,
der eine wettbewerbsfähige Industrie, auch eine wettbewerbsfähige wehrtechnische Industrie braucht. Wer
nämlich nur international einkauft, bekommt immer die
Technologien der vorletzten Generation zum Preis der
übernächsten Generation, also das Zweitbeste zum
Höchstpreis. Das sollten wir vermeiden.
({15})
Meine Damen und Herren, in die Bundeswehr investieren heißt, in Menschen und Sicherheit, in die freiheitliche und friedliche Entwicklung unseres Landes, in
eine leistungsfähige Industrie und in moderne Arbeitsplätze zu investieren.
({16})
Im Zusammenhang mit der Leitlinie Nr. 2 darf ich
hinzufügen, daß wir konsequent und energisch die Einführung neuer Managementmethoden betreiben und die
Kooperation mit der Wirtschaft verstärken. Wir erschließen auf diese Weise Rationalisierungspotentiale.
Dem diente die Rahmenvereinbarung mit 13 Großunternehmen der deutschen Wirtschaft, und dem diente auch
die Modernisierungsvereinbarung mit den Gewerkschaften und Verbänden des öffentlichen Dienstes. Dies
alles wird konsequent fortgesetzt werden.
Wir werden nämlich letztlich mit der Bundeswehr im
Interesse der Sicherheit unseres Landes, der Europäer
und unseres gemeinsamen Bündnisses nur Erfolg haben,
wenn Regierung und Parlament bereit sind, solche innovativen Schritte stärkerer Kooperation, höherer Wirtschaftlichkeit, verbesserter Effizienz und moderneren
Verwaltungshandelns tatkräftig zu unterstützen.
Heute fehlen der Bundeswehr gewisse Fähigkeiten.
Ich habe darüber gesprochen. Eine Fortsetzung dieses
Zustands liegt nicht im Interesse unseres Landes. Die
Bundeswehr muß auch in Zukunft in der Lage bleiben,
ihre Verpflichtungen im Bündnis und ihre Verpflichtungen in Europa zu erfüllen.
({17})
Eines hat uns der Kosovo-Konflikt überdeutlich vor
Augen geführt: Gemeinsame Sicherheit im euroatlantischen Raum und gemeinsame Verantwortung für den
Frieden erfordern die Bereitschaft, Verpflichtungen und
Lasten zu übernehmen, die der gewachsenen Rolle unseres Landes in Europa und international gerecht werden.
({18})
Ich will hinzufügen, daß die Bereitschaft, sich an internationaler Friedenssicherung zu beteiligen, ein Gebot der Solidarität, aber auch unser ureigenstes Interesse
ist. Wenn es um Konflikt oder Frieden, um Gewalt oder
Sicherheit geht, hängt der Einfluß auf internationale
Entscheidungen und auch der Einfluß auf deren Umsetzung davon ab, welche konkreten Beiträge man in
sicherheitspolitischen Zusammenhängen leisten will und
leisten kann.
Meine Damen und Herren, ich möchte diese Bemerkungen zum Haushalt 2000 mit einem Dank an die
450 000 Angehörigen der Bundeswehr, an die etwa
320 000 in Uniform ebenso wie an die gut 120 000 im
zivilen Bereich, abschließen.
({19})
Das sind Menschen, die unter manchmal schwierigen
Bedingungen Frieden und Freiheit sichern, Gewaltfreiheit gewährleisten, ob sie jetzt in Bosnien-Herzegowina,
im Kosovo, in Georgien oder in Osttimor eingesetzt
sind. Dies sind Menschen, die Opfer retten und - weit
über ihren militärischen Auftrag hinaus - Infrastruktur
entwickeln, Häuser wieder aufbauen helfen, Schulen
wieder herrichten helfen, Kindergärten aufbauen und
vieles andere tun, was mit dieser umfassenden Sicherheit zu tun hat.
Wir haben - das will ich noch einmal am Beispiel des
Kosovo sagen - auch dank der Bundeswehr mörderische
Gewalt gestoppt. Frieden haben wir noch lange nicht
gewonnen. Es ist aber so, daß die Bundeswehr mit ihren
Angehörigen auf erstaunliche und manchmal bewundernswerte Weise auch einen Beitrag zur Gewinnung
eines umfassenden Friedens leistet. Dafür haben die Angehörigen der Bundeswehr Dank und Anerkennung verdient,
({20})
in die ich die Familien ausdrücklich einschließe.
Vielen Dank.
({21})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Helmut Rauber von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Scharping, so,
wie Sie das heute getan haben, lassen wir uns als Opposition nicht behandeln.
({0})
Wir standen immer zu Ihnen, wenn es um die Interessen
der Bundeswehr und um die Interessen der Sicherheitspolitik Deutschlands ging. Sie werden es nicht schaffen,
daß aus den Brandstiftern von gestern jetzt die Bewerber
für das Leistungsabzeichen als Feuerwehrmann werden.
({1})
Es ist noch nicht vergessen, daß SPD und Grüne im
Juni 1994 über das Bundesverfassungsgericht zu verhindern versuchten, daß deutsche Piloten die AWACS mitfliegen bzw. daß sich die Bundesmarine am Waffenembargo in der Adria beteiligt.
({2})
Unsere Politik, die Politik von Helmut Kohl, war
immer: Frieden schaffen mit weniger Waffen. Zu dieser
Politik stehen wir, und diese Politik war auch erfolgreich.
({3})
Erst die sicherheitspolitische Situation hat es erlaubt,
daß wir den Verteidigungshaushalt deutlich nach unten
fahren konnten.
({4})
Ich frage Sie: Wo waren denn die Anträge der SPD,
den Verteidigungshaushalt aufzustocken? Die Anträge
gingen doch in die genau entgegengesetzte Richtung.
Wenn wir heute im Bereich der Wehrtechnik beklagen,
daß der Munitionstitel unterfinanziert ist, weise ich Sie
darauf hin, daß aus den Reihen der SPD Anträge gestellt
wurden, den Munitionstitel um 400 000, um 280 000
DM usw. pro Jahr zu kürzen. So geht es nicht.
Es geht auch nicht, daß Sie auf dem europäischen
Gipfel im Juni 1999 großspurige Erklärungen nach außen abgeben, aber letzten Endes der Bundeswehr die
Mittel entziehen, die sie braucht, um diesen Aufgaben
auch gerecht werden zu können. Wir, Herr Minister, erkennen an, daß Sie sich für die Bundeswehr einsetzen.
Wir werden Sie aber daran messen, inwieweit Sie sich
innerhalb der SPD bzw. in Ihrer Koalition durchsetzen
können.
({5})
Herr
Bundesminister, wollen Sie erwidern? - Nein!
Wir kommen jetzt - ich bitte um Aufmerksamkeit zur Abstimmung über den Einzelplan 14 in der Ausschußfassung. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU vor, über den wir zuerst abstimmen. Die
Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle
Plätze besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung
Hat ein Mitglied des Hauses seine Stimme noch nicht
abgegeben? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS. Wer stimmt für den
Änderungsantrag auf Drucksache 14/2144? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen, CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der
PDS abgelehnt.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung.
({0})
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU zur zweiten Beratung des Entwurfs des
Haushaltsgesetzes 2000 - hier: Einzelplan 14, Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung - bekannt, Drucksachen 14/1400, 14/1680,
14/1913, 14/1922, 14/1923, 14/1924 und 14/2140. Abgegebene Stimmen 587. Mit Ja haben gestimmt 238, mit
Nein haben gestimmt 349; keine Enthaltungen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 585;
davon:
ja: 238
nein: 347
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor
Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({0})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({1})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({2})
Peter H. Carstensen
({3})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Gerhard Friedrich
({6})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({8})
Gottfried Haschke
({9})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({10})
Hansgeorg Hauser
({11})
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({12})
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({13})
Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({14})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({15})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({16})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({17})
Bernd Neumann ({18})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({19})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard ({20})
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({21})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth ({22})
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({23})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({24})
Andreas Schmidt ({25})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze ({26})
Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({27})
Gerald Weiß ({28})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({29})
Hans-Otto Wilhelm ({30})
Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({31})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({32})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({33})
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({34})
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({35})
Klaus Barthel ({36})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({37})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({38})
Bernhard Brinkmann
({39})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({40})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({41})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({42})
Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({43})
Angelika Graf ({44})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({45})
Hans-Joachim Hacker
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({46})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({47})
Walter Hoffmann
({48})
Iris Hoffmann ({49})
Frank Hofmann ({50})
Ingrid Holzhüter
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({51})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({52})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({53})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({54})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller ({55})
Jutta Müller ({56})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Christian Müller ({57})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({58})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Andreas Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter
Rossmann
Michael Roth ({59})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({60})
Ulla Schmidt ({61})
Silvia Schmidt ({62})
Dagmar Schmidt ({63})
Wilhelm Schmidt ({64})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({65})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({66})
Brigitte Schulte ({67})
Reinhard Schultz
({68})
Volkmar Schultz ({69})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dietmar Schütz
({70})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl
({71})
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({72})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({73})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({74})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({75})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({76})
Brigitte Wimmer
({77})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({78})
Waltraud Wolff ({79})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({80})
Marieluise Beck ({81})
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({82})
Joseph Fischer ({83})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika
Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller
({84})
Kerstin Müller ({85})
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({86})
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt
({87})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian
Ströbele
Jürgen Trittin
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm
({88})
Margareta Wolf
({89})
PDS
Monika Balt
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Winfried Wolf
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({90})
Bühler ({91}), Klaus, CDU/CSU Neumann ({92}), Gerhard, SPD
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
({93})
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 14 in der Ausschußfassung. Wer stimmt für den
Einzelplan 14? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Dann ist der Einzelplan 14 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen.
Ich rufe jetzt auf:
Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
- Drucksachen 14/1917, 14/1922 Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Hermenau
Dr. Emil Schnell
Dr. Barbara Höll
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich das Wort dem Abgeordneten von Schmude von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon bei der ersten
Lesung des Einzelplans haben alle Redner die überdurchschnittliche Kürzung, ja den geradezu dramatischen Einbruch bei der Entwicklungshilfe beklagt. Dennoch hat sich nach den Haushaltsberatungen am Gesamtergebnis kaum etwas verändert. Ganze 13,5 Millionen DM Mehrausgaben - das sind weniger als zwei
Promille - runden den Etat jetzt auf 7,1 Milliarden DM
auf. Der Plafonds liegt damit um 800 Millionen DM
unter dem Haushaltsergebnis 1998 und um 661 Millionen DM unter dem Ist von 1999.
Es ist der Koalition nicht gelungen, aus diesem absoluten Tiefstand wenigstens ein Stück weit herauszukommen. Das Wahlversprechen, mehr für die Entwicklungshilfe zu tun - übrigens auch eine Aussage im rotgrünen Koalitionsvertrag -, wurde gebrochen.
({0})
Nach dem Motto „Augen zu und durch“ wurden unsere
Einspar-, Aufstockungs- und Deckungsvorschläge abgelehnt. Dieser Einzelplan war früher immer so etwas
wie das soziale Gewissen einer Regierung. Jetzt drücken
sich darin soziale Kälte, Hilflosigkeit, ja Stümperei aus.
({1})
Kürzungen in diesem Einzelplan hat es früher auch
gegeben. Aber nie waren sie substanzvernichtend. Die
Ministerin selbst hat vor den Haushaltsberatungen darauf hingewiesen, daß es angesichts der Kürzungen zu
drastischen Einschränkungen in der Entwicklungszusammenarbeit kommen würde. Geradezu gravierende
negative Auswirkungen auf die zukünftigen Haushaltsjahre hat aber das rigorose Absenken der Verpflichtungsermächtigungen. Es ist ein Stück weit gelungen,
die vorgesehenen Kürzungen zu korrigieren. Doch bleibt
festzuhalten, daß in vielen Bereichen nur noch ein Abwickeln bereits begonnener Projekte oder eingegangener
Verpflichtungen erfolgen kann.
Ganz kraß zeigt sich das bei der finanziellen Zusammenarbeit. Die Verpflichtungsermächtigungen sinken
von 2,3 Milliarden DM auf nur noch 1,7 Milliarden DM.
1998 betrugen die Barmittel für die FZ noch 2,533 Milliarden DM; im Jahr 2000 werden es nur noch rund 1,95
Milliarden DM sein. Dies hat nicht nur eine negative Signalwirkung auf unsere Entwicklungshilfe, sondern
auch entsprechende Auswirkungen auf den deutschen
Arbeitsmarkt. 85 Prozent der deutschen Entwicklungshilfe fließen letzten Endes in Form von Aufträgen an
deutsche Firmen zurück. Interessant ist auch: Die Rückflüsse aus der finanziellen Zusammenarbeit betragen im
Jahr 2000 1,425 Milliarden DM. Die FZ finanziert sich
also zu 75 Prozent selbst.
Im Rahmen der Beratungen hat es einige Umschichtungen gegeben, die wir im wesentlichen mittragen. Wir
begrüßen die Korrekturen bei den Ansätzen für die Kirchen - 275 Millionen DM - und für die Stiftungen - 290
Millionen DM. Wir begrüßen, daß die entwicklungspolitischen Maßnahmen privater deutscher Träger nunmehr
mit 34 Millionen DM gefördert werden
({2})
und daß für die berufliche Aus- und Fortbildung von
Personen aus Entwicklungsländern nunmehr 152 Millionen DM zur Verfügung stehen.
({3})
Trotz dieser Korrekturen, lieber Kollege Dr. Schnell,
wird bei diesen Einzeltiteln weder das Haushaltsergebnis 1999 und schon gar nicht das Haushaltsergebnis von
1998 erreicht.
Großzügig zeigt sich die Koalition dagegen bei den
Mitteln für den zivilen Friedensdienst. Waren im Regierungsentwurf zunächst 7,5 Millionen DM bar und 10
Millionen DM an Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen, so belaufen sich die Barmittel jetzt auf 17,5 Millionen DM und die Verpflichtungsermächtigungen auf
20 Millionen DM - und dies, obwohl noch im Berichterstattergespräch davon die Rede war, daß nicht einmal
7,5 Millionen DM ausgegeben werden könnten, sondern
das Geld vielleicht sogar gestreckt werden müsse. Offensichtlich mußte hier wieder einmal etwas für die
Klimapflege in der Koalition getan werden.
({4})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Unsere Anträge, die im Haushaltsausschuß bedauerlicherweise abgelehnt wurden - passen Sie genau auf,
Herr Dr. Schuster -, zielten darauf ab, die berufliche
Aus- und Fortbildung langfristig abzusichern, die Zuschüsse an integrierte Fachkräfte zu verstärken, die
Mittel für die FZ um 200 Millionen DM zu erhöhen, die
entwicklungspolitischen Maßnahmen privater deutscher
Träger stärker zu dotieren und vor allem auch das
Ernährungssicherungsprogramm zu verstärken, anstatt
3 Millionen DM in eine neue Kantine in Bonn zu investieren.
({5})
Auf diese Angelegenheit hat Gott sei Dank inzwischen
auch der Bundesrechnungshof ein Auge geworfen. Unser Deckungsvorschlag für die Aufstockung von 200
Millionen DM für die FZ aus Forderungsverkäufen
wurde bedauerlicherweise ebenfalls abgelehnt.
Die innerhalb des Haushaltes erfolgten Umschichtungen gehen vor allem zu Lasten des Europäischen Entwicklungsfonds. Hier wird um 59 Millionen DM gekürzt. Ich hatte schon beim Berichterstattergespräch auf
diese Möglichkeit hingewiesen, aber die Koalition war
damals nur bereit, 6 Millionen DM aus dem EEF
herauszunehmen. Bei allem, was wir heute wissen, gibt
es sogar noch mehr Luft für Kürzungen als nur diese
59 Millionen DM im EEF. Aber das Haus trägt im Jahr
2000 schwer am Währungsrisiko. Für 1 Dollar wird ein
Kurs von nur 1,6823 DM zugrunde gelegt. Laut BMZ
muß das Haus auf Grund der Kursdifferenzen rund 65
Millionen DM aus eigenen Mitteln, das heißt durch Kürzung anderer Titel, selbst erwirtschaften.
({6})
Wir haben in den Beratungen mit großem Nachdruck
darauf gedrungen, daß die deutsche Beteiligung am internationalen Schuldenerlaß in den kommenden Jahren durch die Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel
erfolgt und nicht etwa, Frau Ministerin, aus dem abgemagerten BMZ-Haushalt selbst aufgebracht werden
muß. Wir halten den Schuldenerlaß für richtig, aber
Euphorie ist auch hier völlig fehl am Platze. Reichen die
Auflagen für die 36 betroffenen Länder wirklich aus,
wenn von ihnen nur Konzepte zur Armutsbekämpfung
vorgelegt werden müssen und eine „gute Regierungsführung“ - was ist das eigentlich? - gegeben sein muß? Wir
alle wissen, daß die Auflagen des Internationalen Währungsfonds in der Vergangenheit oft nicht erfüllt wurden. Es wurden falsche Statistiken vorgelegt und rhetorische Bekenntnisse abgegeben. Notwendig ist deshalb
auch eine Kontrolle darüber, ob frei werdende Mittel
wirklich richtig eingesetzt werden.
Im übrigen sollte man die Dimension dieses Schuldenerlasses realistisch einschätzen. Aus einem Volumen
von 70 Milliarden US-Dollar, die in der Regel mit 0,5
bis 1 Prozent verzinst werden und auch mit niedrigen
Tilgungsraten konditioniert sind, die manche Länder gar
nicht leisten, ergibt sich nur ein geringer Spielraum. Ob
es eine knappe Milliarde sein wird oder ein bißchen
mehr, werden wir sehen.
({7})
Wir haben bereits seit einigen Jahren erfolgreich bilaterale Entschuldung durch Umwandlung von Schulden
in nationale Maßnahmen zur Armutsbekämpfung vorangetrieben - das haben wir gemeinsam getan - und dafür
jährlich 210 Millionen DM im Haushalt bereitgestellt.
Jetzt aber ist es an der Zeit, auch hier einmal eine
Evaluierung durchzuführen, um festzustellen, ob die von
uns gesteckten Ziele wirklich erreicht wurden.
({8})
Internationaler Kritik sieht sich die Bundesregierung
jetzt auch ausgesetzt, weil deutsche Mittel für verschiedene UN-Organisationen drastisch zusammengestrichen wurden. Das Niveau ist von 224 Millionen
DM im Jahre 1998 und 210 Millionen DM im Jahre
1999 auf jetzt 139,26 Millionen DM gesunken. Dabei
fällt auf, daß vor allem der wichtige Bevölkerungsfonds
der Vereinten Nationen von 50 Millionen DM auf ganze
20 Millionen DM im Jahr 2000 heruntergefahren wird.
Diese Kürzungen stehen in völligem Widerspruch zum
Anspruch der Bundesregierung, auf internationaler Ebene mehr mitreden zu wollen. Auch die Bemühungen
deutscher Firmen - übrigens auch der GTZ - um Projektaufträge von den Vereinten Nationen dürften durch
diese Handlungsweise nicht gerade gefördert werden.
Die Kürzungen in diesem Haushalt treffen vorrangig
die Investitionen und gehen zu Lasten der Projekte und
damit der Nichtregierungsorganisationen. Das Haushaltsvolumen fällt um 8,7 Prozent, der Anteil des Einzelplans 23 am Gesamthaushalt beträgt nur noch 1,5
Prozent statt wie bisher 1,7 Prozent, und die ODAQuote geht von 0,28 Prozent weiter auf 0,26 Prozent
zurück. Das sind die Fakten.
Aber wo so viel Schatten ist, gibt es auch Licht, wenn
- immerhin - die Ansätze für Dienstreisen angehoben,
neue Dienstfahrzeuge gekauft, der Verfügungsfonds der
Frau Ministerin erhöht, die jährlichen Verwaltungskosten um 2,6 Millionen DM gesteigert und zu guter
Letzt auch noch zusätzlich 5 000 DM, insgesamt nunmehr 30 000 DM, für Sachverständige eingestellt werden, die die Frau Ministerin im Bundessicherheitsrat bei
zukünftigen Entscheidungen beraten sollen. Bisher war
dieser Sachverstand offensichtlich nicht ausreichend,
was vielleicht eine Erklärung für den Trouble bei den
Rüstungsgeschäften mit der Türkei ist.
Der Rotstift des Bundesfinanzministers hat in diesem
Haushalt eine Blutspur hinterlassen. Das hat dem Ansehen der deutschen Entwicklungshilfe leider sehr geschadet. Wir lehnen deshalb diesen Haushalt mit großer Entschiedenheit ab.
({9})
Für die SPDFraktion spricht nun der Kollege Emil Schnell.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Wahrheit ist ein gutes
Stichwort. In der Tat helfen uns Jammern, Schlechtreden
und Schwarzmalen, wie wir es eben gehört haben
({0})
- dazu gehört auch der Begriff Blutspur -, in der
schwierigen Situation nicht weiter, die wir beim Haushalt übernommen haben. Wir werden die Erblast von
Kohl Stück für Stück abtragen.
({1})
Gleichzeitig werden wir neue Akzente auch im Bereich
der Entwicklungspolitik setzen.
({2})
Natürlich muß der Einzelplan 23 seinen Beitrag zur
Konsolidierung des Haushalts leisten; das ist gar keine
Frage. Das trägt dann auch dazu bei, daß wir in den
nächsten 15, 20 Jahren eine verläßliche Entwicklungspolitik betreiben können. Für dieses Ziel lohnt es sich,
Konsolidierungsanstrengungen zu unternehmen. Fakt ist
natürlich auch - das wissen Sie so gut wie ich -, daß
Sparsamkeit dienlich sein kann, wenn es darum geht, effiziente Strukturen zu bekommen. Das gilt auch für
Projekte und Kooperationen im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Insofern muß das
nicht unbedingt kontraproduktiv sein.
Wir wollen - das wissen Sie - Schwerpunktländer
stärker zusammenfassen. Hierbei denken wir an eine
Zusammenarbeit mit 50 bis 60 Ländern. Auch müssen
wir natürlich mehr Marktmittel mobilisieren, um vernünftig arbeiten zu können.
Die Opposition hat uns massiv und undifferenziert
kritisiert. Es war klar, daß dies so kommt. Aber auch die
Nichtregierungsorganisationen haben dies in den vergangenen Wochen und Monaten getan. Ich glaube, daß
diese Kritik nach den Haushaltsberatungen so nicht
mehr stehenbleiben kann. Ich werde nachher noch ausführen, weshalb wir in erster Linie im Sinne der Nichtregierungsorganisationen deutliche Verbesserungen im
Haushalt erreicht haben.
({3})
Es wird behauptet, die Armutsbekämpfung werde
vernachlässigt. Richtig ist: Mehr als 50 Prozent des
BMZ-Etats stehen für Armutsbekämpfung zur Verfügung.
({4})
Armutsbekämpfung ist das strategische Ziel unserer
Entwicklungspolitik, werter Herr Kollege. Alles ordnet
sich dem unter. Dies bitte ich zur Kenntnis zu nehmen.
Weiterhin wird ein finanzieller Absturz behauptet.
Der Kollege von Schmude hat dies soeben auch versucht.
({5})
Richtig ist, daß die strukturellen Veränderungen - auch
bei Kürzungen an der einen oder anderen Stelle; die
müssen wir ja wohl zugeben - letztlich die entscheidende politische Leistung darstellen, die erstens nachhaltig
und zweitens ehrlich ist. Darauf kommt es uns an. Dies
zum Thema Wahrheit.
({6})
Meiner Ansicht nach ist es hundertmal wichtiger, daß
es uns gelingt, die von uns angestoßene Entschuldungsinitiative im Gesamtvolumen von 70 Milliarden
US-Dollar erstens umzusetzen und zweitens mitzufinanzieren. Wir haben entsprechende Mittel eingestellt. Die
Wirkung, die dies hätte, überträfe sicherlich die Veränderungen, die wir am Einzelplan 23 vorgenommen haben. 16 Jahre Entwicklungspolitik unter Kohl haben
nicht das Geld zusammengebracht, das durch diese Entschuldungsinitiative mobilisiert wird. Dies ist ein positives Signal.
({7})
An dieser Stelle kann und muß man die Ministerin, die
sich in diesem Bereich sehr engagiert, einiges initiiert
und durchgesetzt hat, loben.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
es ist auch hundertmal wichtiger, daß es gelingt, den
Welthandel für die Entwicklungsländer völlig zu öffnen, bzw. daß es gelingt, in der europäischen Entwicklungspolitik Schritt für Schritt effizienter, koordinierter,
kohärenter und transparenter vorzugehen.
({9})
Ich möchte nun zu den Veränderungen im Rahmen
der Haushaltsplanberatungen kommen. SPD und
Bündnis 90/Die Grünen haben sich mit den Entwicklungspolitikern und natürlich mit dem Ministerium abgestimmt. Ich denke, die Ergebnisse die wir in der Bereinigungssitzung letztlich erreicht haben, können sich
sehen lassen. Diese Veränderungen spiegeln auch unser
Anliegen wider, in ganz bestimmten Bereichen Signale
zu setzen und etwas draufzulegen.
Ein Ergebnis ist eine - immerhin - leichte Plafonderhöhung, die es in anderen Bereichen nicht gibt und bei
den Verpflichtungsermächtigungen ist eine Erhöhung
von 650 Millionen DM, also eine Erhöhung um 20,6 Prozent, zu verzeichnen.
({10})
- Das ist etwas! - Für die Entschuldungsinitiative haben
wir eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 100
Millionen DM eingestellt. Wir haben im Bereich der
bilateralen technischen Zusammenarbeit Verpflichtungsermächtigungen um 180 Millionen DM erhöht, und
für die finanzielle Zusammenarbeit haben wir 200 Millionen DM draufgelegt. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind Größenordnungen, die man nicht
so einfach beiseite drücken kann.
Der Bereich der beruflichen Aus- und Fortbildung
liegt gerade uns Fachpolitikern besonders am Herzen.
Hier haben wir 10 Millionen DM bar draufgelegt. Auch
im Bereich integrierter Fachkräfte haben wir Verpflichtungsermächtigungen um 3 Millionen DM erhöht. Für
die entwicklungspolitische Bildung, die uns auch besonders am Herzen liegt, haben wir 1 Million DM draufgelegt. Das klingt nicht nach viel, aber die Kürzungen um
3,3 Prozent liegen deutlich unter der Gesamtkürzung
von 7,4 Prozent, die wir vornehmen mußten.
({11})
Wir haben bei den UN-Organisationen versucht,
mehr Flexibilität für das Haus einzuführen, auch als
Beitrag zur Effizienzsteigerung, indem wir diesen Titel
zusammengefaßt, 10 Millionen DM draufgelegt und die
Verpflichtungsermächtigung um 25 Millionen DM erhöht haben.
Wir haben beim zivilen Friedensdienst noch einmal
10 Millionen DM draufgelegt, auch in Anerkennung der
sehr schwierigen Aufgaben in den geschundenen Ländern auf dem Balkan. Es ist völlig klar, daß es da einen
unmittelbaren Zusammenhang gibt.
Wir haben bei den politischen Stiftungen 15 Millionen DM draufgelegt und die Verpflichtungsermächtigung erheblich erhöht, nämlich um 44 Millionen DM.
Damit liegen die Kürzungen auch hier deutlich unter 7,4
Prozent, nämlich bei 4,2 Prozent.
Wir haben bei den NGOs, bei den privaten Trägern, 5
Millionen DM draufgelegt. Sie erbringen mit minus 2,9
Prozent den geringsten Sparbeitrag. Das haben wir so
gewollt. Deswegen kann ich die undifferenzierte Kritik
und das Gemeckere nicht ganz verstehen; das muß ich
ehrlich sagen. Hier sollte eigentlich Freude darüber ausbrechen, daß wir ein klares Signal gesetzt haben.
({12})
Wir haben für Mittel- und Osteuropa 20 Millionen
DM bar draufgelegt, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition. Davon profitieren nicht nur die
Partnerländer, sondern natürlich auch die Durchführungsorganisationen, wiederum die NGOs, darunter die
Kirchen, die GTZ und die staatlichen Einrichtungen.
Das ist in der gegenwärtigen Situation auch notwendig.
Bei den Kirchen haben wir 14 Millionen DM bar
draufgelegt und die Verpflichtungsermächtigung um 78
Millionen DM erhöht. Ich habe in einigen Gazetten gelesen, daß Herr Kollege von Schmude und ein Kollege
Weiß, der mir in diesem Bereich nicht so bekannt ist
({13})
- ach, da ist er; ich habe meine Brille jetzt nicht auf, tut
mir leid -, sagen, die Erhöhung im Kirchentitel und bei
den Stiftungen sei ein Erfolg des beharrlichen Bohrens
der CDU/CSU-Fraktion gewesen.
({14})
Ich weiß nicht, woher sie das nehmen. Das ist schon
ziemlich dreist.
({15})
Fakt ist nämlich, daß die Koalition äußerste Anstrengungen unternommen hat, um die 77,7 Millionen DM zu
erwirtschaften und somit die eben genannten Erhöhungen zu ermöglichen.
Die Wahrheit ist auch, Herr Kollege Weiß, daß die
Opposition nur 13 Millionen DM Erhöhungen für Stiftungen und Kirchen beantragt hatte, wir aber von vornherein geplant hatten, 14 bzw. 15 Millionen DM draufzulegen. Dem haben Sie sich zwar angeschlossen, aber
die Initiative lag eindeutig bei uns. Ich lege Wert darauf,
das hier zu erwähnen.
({16})
Herr Kollege
Schnell, jetzt haben Sie den Kollegen Weiß zu einer
Zwischenfrage provoziert. Gestatten Sie diese?
Jetzt, wo ich ihn kennengelernt habe, bitte.
({0})
Herr
Kollege Schnell, ich verstehe ja, daß Sie Ihre Verdienste
herausstreichen wollen und Kritik Sie ein bißchen ärgert. Ich möchte Sie aber folgendes fragen:
Erstens. Können Sie bestätigen, daß in der Sitzung
des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung seitens der Arbeitsgruppe der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantragt worden ist, bei
den Mitteln für die Kirchen und für die entwicklungspolitische Arbeit der Stiftungen Erhöhungen zu
Lasten des Europäischen Entwicklungsfonds vorzunehmen, und daß die sozialdemokratischen Kolleginnen und
Kollegen sowie die Kolleginnen und Kollegen von
Bündnis 90/Die Grünen erklärt haben, daß sie über eine
konkrete Zahl nicht abstimmen könnten, sondern nur
unseren freundschaftlichen Wunsch ohne Bezifferung
weiterleiten wollten?
Können Sie zweitens bestätigen, daß der Kollege von
Schmude am nächsten Tag in der Sitzung des Haushaltsausschusses für die Stiftungen und die Kirchen jeweils eine Erhöhung um 13 Millionen DM beantragt hat,
wiederum zu Lasten der Mittel für den Europäischen
Entwicklungsfonds, daß Sie als Koalition nicht in der
Lage waren, darüber abzustimmen, das Thema deswegen mit in die Bereinigungssitzung genommen haben
und erst dort zu dem Ergebnis gekommen sind, das Sie
jetzt vorgetragen haben?
Da möchte ich doch gerne einmal fragen: Wer war
nun zuerst initiativ und wer zuletzt?
({0})
Ich setzte meine Brille jetzt
nur auf, um Sie zu sehen, nicht, um Dinge anders darzustellen. Ich habe ja gesagt: Wahrheit ist alles. Es ist einerseits sehr wohl wahr, daß wir schon in den letzten
Jahren und auch in diesem Jahr gesagt haben - dies hat
auch Kollege von Schmude getan -, im Bereich der europäischen Entwicklungspolitik bestehe Handlungsbedarf; der Abfluß der Mittel sowie die Projektfortschritte
verliefen unglücklich, da müsse man handeln. Man müsse in diesem Bereich über finanziellen Druck etwas bewegen. Das ist völlig in Ordnung. Insofern ist der gemachte Deckungsvorschlag sinnvoll und richtig.
Andererseits ist es realistisch, wenn meine Kollegen
im Ausschuß fragen: Was kann man in der schwierigen
Situation, die Sie uns hinterlassen haben, tun?
({0})
Was ist überhaupt möglich? Insofern finde ich es in
Ordnung, wenn man sagt, man müsse das offenlassen
und in der Bereinigungssitzung - also dann, wenn klar
sei, was möglich sei - die Zahlen entsprechend konkretisieren. Das ist geschehen. Sie haben gesehen, daß wir
uns sehr bemüht haben und daß unsere Ausgaben über
dem liegen, was Sie gewollt hatten. Insofern könnten
auch Sie mit dem jetzigen Ergebnis zufrieden sein.
({1})
- Damit könnten Sie eigentlich zufrieden sein. Ich
wollte jetzt nicht noch einmal darauf eingehen.
({2})
Herr Kollege
Schnell, es liegt in Ihrem Ermessen, ob Sie noch eine
Zwischenfrage zulassen.
Wir wollen ja eine Debatte
führen. - Bitte.
Herr
Kollege Schnell, was die Zufriedenheit anbelangt: Können Sie bestätigen, daß die von Ihnen angesprochenen
Haushaltstitel für die Kirchen und politischen Stiftungen
im Vergleich zum letzten Haushalt abgesenkt worden
sind? Ich weiß nicht, wie sich angesichts dessen Zufriedenheit breitmachen soll.
Es ist richtig, daß auch dort
ein Sparbeitrag erwirtschaftet werden mußte. Das ist
doch völlig klar. Wen wollen Sie eigentlich angesichts
der Anstrengungen, die wir unternehmen müssen,
um die Konsolidierung voranzubringen, davon ausnehmen?
({0})
Ich würde gerne einmal hören, wen Sie davon ausnehmen und wen Sie zusätzlich belasten wollten. Das würde
mich sehr interessieren.
({1})
Wir haben uns weiterhin mit der Frage beschäftigt,
wie es bei den Reintegrationsmaßnahmen weitergeht.
Diese liegen uns sehr am Herzen; das ist völlig klar.
Aber auch andere Maßnahmen müssen aus Effektivitätsgründen zusammengefaßt werden. Wir haben uns in
bezug auf die Weiterbehandlung der Reintegrationsmaßnahmen ein Gesamtkonzept vorlegen lassen - ein
vorläufiges, wie ich meine. Wir werden darüber im
nächsten Jahr intensiv beraten. Das BMZ bereitet für das
Haushaltsjahr 2001 eine Umstrukturierung des jetzt vorhandenen Instrumentariums vor. Es soll flexibler gestaltet werden. In erster Linie wird angestrebt, die Reintegrationsmaßnahmen soweit wie möglich in die Länderpolitiken des BMZ einzubeziehen.
Wie haben wir - auch darauf möchte ich hier noch
eingehen - finanziert? Wir haben 65 Millionen DM aus
dem Europäischen Entwicklungsfonds freigekämpft.
Wir haben im EXPO-2000-Bereich 10 Millionen DM
verlagert - nicht gestrichen -, weil sie im nächsten Jahr
wahrscheinlich nicht wie geplant abfließen werden.
Angesichts des Themas Finanzierung komme ich auf
die Anträge der anderen Fraktionen zu sprechen: Die
F.D.P. hat den Vorschlag gemacht - das habe ich nur
gehört; ich weiß nicht, ob dieser Antrag noch vorliegt -,
das BMZ aufzulösen. - Damit ist alles finanziert; völlig
klar.
({2})
Die CDU/CSU hat, wie schon erwähnt, in diesem
Politikbereich halbwegs realistische Gegenfinanzierungen vorgeschlagen. Ich füge hinzu: In anderen Politikbereichen wurden globale Mehrausgaben und andere Dinge eingeplant. So geht es natürlich nicht! Aber in dem
jetzt zur Debatte stehenden Bereich waren die Vorschläge der CDU/CSU halbwegs realistisch.
Die PDS - auch von dieser Fraktion sind noch einige
Mitglieder hier ({3})
hat - wie immer - im Prinzip beantragt, die Welt zu
verbessern, und eine Gegenfinanzierung vorgelegt, die
unrealistisch ist und schon mehrfach verfrühstückt worden ist, so daß von dieser Seite nur unorthodoxer Populismus kam.
Ich möchte, da derzeit die Folgeverhandlungen zum
Lomé-Abkommen stattfinden, noch folgende Bemerkung machen: Wir im Haushaltsausschuß, aber auch im
zuständigen Fachbereich haben viele Jahre darüber diskutiert, was man in diesem Zusammenhang ändern bzw.
verbessern muß. Ich denke, jetzt ist es an der Zeit, bestimmte Dinge einzufordern. Ich nenne nur einige
Stichworte: Budgetierung, parlamentarische Kontrolle
auf nationaler und auf EU-Ebene, STABEX, ein Instrument, das man besser abschaffen sollte, und die Frage,
wer in Europa wen kontrollieren darf. Ich bitte das Ministerium, diese Fragen zum Bestandteil der Verhandlungen zu machen, so daß es zu einem Ergebnis kommt,
das uns finanziell ein Stück weit entlastet und das dazu
führt, daß auf europäischer Ebene in diesem Bereich effektiver gearbeitet wird. Dann sind wir sicherlich ein
Stück zufriedener.
({4})
Schließlich möchte ich den Kolleginnen und Kollegen im Haus und im Ministerium für die konstruktive
Zusammenarbeit in den letzten Monaten danken. Ich
denke, die Ergebnisse stellen eine solide Basis für eine
weiterhin erfolgreiche Entwicklungspolitik dar. Auch im
Jahr 2000 ist der Einzelplan 23 ein Haushalt mit großen
Investitionen, mit Investitionen in unsere Zukunft und in
die eine Welt.
Ich bitte Sie, dem Einzelplan 23 zuzustimmen. Diese
Bitte richtet sich vor allem an die Opposition. Es ist ein
guter Einzelplan; Sie können ihm ohne weiteres zustimmen.
Vielen Dank.
({5})
Für die F.D.P.Fraktion spricht nun der Kollege Joachim Günther.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute wieder über den Einzelplan 23, haben aber gegenüber September, dem Zeitpunkt der Einbringung des
Haushalts - da bin ich anderer Meinung als Sie, Herr
Kollege Schnell -, außer kosmetischen Nachbesserungen nichts Wesentliches erreicht.
({0})
Einzelne Etatposten sind - vorrangig nach massivem
Protest von Nichtregierungsorganisationen - in letzter
Minute nachgebessert worden.
({1})
Aber es führt kein Weg daran vorbei: Die von der Bundesregierung geweckten Erwartungen zur Stärkung der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit wurden insgesamt bitter enttäuscht.
({2})
Entwicklungspolitik wird zur globalen Strukturpolitik aufgewertet - so Ihre Darstellung, Frau Ministerin
Wieczorek-Zeul, als die Legislaturperiode begann. Damals waren Sie persönlich wahrscheinlich noch davon
überzeugt, diese Ideale durchsetzen zu können. Welchen
Stellenwert die Entwicklungspolitik in dieser Bundesrepublik aber wirklich hat, sieht man daran, daß selbst Ihr
angedrohter Rücktritt eigentlich ohne Wirkung geblieben ist. Das ist ein verheerendes Signal für die entwicklungspolitische Glaubwürdigkeit und die Verläßlichkeit
Deutschlands in der Welt.
Die Rückführung der Verpflichtungsermächtigung auf den Stand von 1972 wird dazu führen, daß die
deutsche Entwicklungspolitik im Jahr 2000 zahlungsunfähig und damit vertragsbrüchig werden wird.
({3})
Langfristig angelegte Programme müssen ohne Rücksicht auf negative Auswirkungen zusammengestrichen
werden. Die Leidtragenden sind die Menschen in den
Empfängerländern, die eigentlich auf die Kontinuität der
deutschen Politik vertraut haben.
({4})
Wie hat heute mittag Bundeskanzler Schröder so
überzeugend geäußert? „Wir wollen nach außen verläßliche Partner sein.“ Ich glaube, wenn er sich den Haushalt des BMZ und seine Auswirkungen noch einmal ansähe, würde er diesen Anspruch revidieren müssen.
({5})
Bis heute hat das zuständige Ministerium keine plausiblen Konzepte für die Umsetzung der Sparbeschlüsse vorgelegt. Niemand weiß, nach welchen Kriterien die
Kürzungen erfolgen. Gerade vor dem Hintergrund der
für die nächsten Jahre angekündigten weiteren drastischen Einsparungen - um noch einmal die Zahl zu nennen: mit 13,6 Prozent bis zum Jahr 2003 geht die Bundesregierung auch hier weit über die Kürzungen in anderen Ressorts hinaus ({6})
sind Sie dringend aufgefordert, ein Konzept vorzulegen,
das den entwicklungspolitischen Schaden begrenzen
hilft.
({7})
Not macht erfinderisch; manchmal wird aus der Not
auch eine Tugend. Die Pläne des BMZ, den akuten
Geldmangel durch eine verstärkte Mobilisierung von
Marktmitteln und eine engere Einbindung der Wirtschaft und der Verbände in die Entwicklungszusammenarbeit zu beheben, sind zu begrüßen. Eine stärkere Berücksichtigung marktwirtschaftlicher Kriterien
führt nicht nur zur Entlastung des Haushalts, sondern
entspricht nach jüngsten Erkenntnissen auch der modernen Entwicklungsforschung.
Die überproportionale Rückführung des Einzelplans
23 bleibt aber als Tatsache bestehen. Da nützen auch
noch so schöne Sonntagsreden nichts. Die Entwicklungspolitik, so wie sie hier betrieben wird, wickelt sich
im Prinzip selbst ab.
({8})
Deshalb unterbreitet unsere Fraktion den Vorschlag,
BMZ und AA zusammenzuführen.
({9})
Wir würden hierdurch nicht nur den schlanken Staat
fördern, sondern wir würden auch die überproportionalen Kürzungen des Einzelplanes 23 abmildern.
Es gibt mehrere Gründe, mit denen ich diesen Vorschlag kurz untermauern möchte. Das beste Beispiel in
den letzten Wochen ist aus meiner Sicht Osttimor. Statt
im Monat 5 Millionen DM für zwei Flugzeuge der Bundesluftwaffe auszugeben, die eigentlich niemand
braucht, könnte man ein zerstörtes Berufsschulzentrum
aufbauen, das viel dringender gebraucht wird. Das haben
Kollegen aus unserem Haus im Ausschuß eindeutig erklärt.
({10})
Im BMZ-Haushalt haben wir keine 5 Millionen DM für
das ganze Jahr, um in Osttimor zu helfen. Sie sehen,
wenn Handlungen aus einer Hand kommen, dann
kommt auch ein sinnvoller Einsatz der gesamten Mittel
zustande.
({11})
Für eine Zusammenlegung beider Ministerien
spricht auch die Entwicklung in der Welt. Ich sage bewußt „Zusammenlegung“, denn nach dem, was Bundesaußenminister Joschka Fischer heute gesagt hat, kann
man auch das AA in das BMZ eingliedern. Das muß
man auch einmal sagen.
({12})
Heute, zehn Jahre nach dem Fall der Mauer und dem
Ende des Ost-West-Konflikts, sind die Grenzen zwischen klassischer Entwicklungszusammenarbeit und
Außenpolitik fließender geworden. Mit der Ausnahme
Kanadas ist die Bundesrepublik Deutschland weltweit
das einzig größere Geberland, das sich eine Trennung
zwischen Außen- und Entwicklungspolitik leistet. Bei
der weit überwiegenden Zahl unserer westlichen Partner
wird Entwicklungspolitik durch die Außenministerien
und durch die zugeordneten Organisationen durchgeführt. Aus der Perspektive der Empfängerländer sind
Außen- und Entwicklungspolitik inzwischen ohnehin
zwei Seiten derselben Medaille.
Frau Ministerin, sprechen Sie auch einmal mit den
Botschaften der Entwicklungsländer in Deutschland!
Dort besteht ein starkes Interesse an der Zusammenlegung von BMZ und AA, denn sie möchten nicht als Botschaften zweiter Klasse in Bonn bleiben,
({13})
nur weil dort das BMZ ist und sie sich den Unterhalt von
teuren Außenstellen nicht leisten können.
Zusammengefaßt kann man sagen: Der Einzelplan 23
in seiner jetzigen Form steht für den Rückzug Deutschlands aus der Entwicklungspolitik in der Welt.
({14})
Der Einzelplan 23 läßt nicht einmal zu, bestehende Verträge in den Partnerländern voll zu realisieren, und führt
damit die Glaubwürdigkeit Deutschlands in eine komplizierte Situation bei den Entwicklungsländern. Ohne
Vertrauen in unser Land schwächen wir auch die Stellung der deutschen Wirtschaft in den Entwicklungsländern. Das ist das Letzte, was wir auch im Interesse der
Arbeitsplätze in Deutschland als Signal brauchen können.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt ist
kein Zukunftsprogramm 2000. Es ist eine glatte Rolle
rückwärts. Er fügt unserem Ansehen Schaden zu. Deshalb werden wir ihn ablehnen.
({16})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Dr. Werner Schuster das
Wort.
Herr Kollege Günther, Sie wissen, daß ich Sie persönlich schätze, aber ich
glaube, Sie müßten ganz dringend Ihre Berater wechseln. Das fing mit falschen Fakten an. Die Botschafter
wollen nach Berlin und können nicht, weil sie kein Geld
haben. Das muß durch die Entwicklungszusammenarbeit
geändert werden.
({0})
Ihre Aussage, daß es in anderen Ländern anders ist,
stimmt nur zum Teil. Wenn Sie genauer nachsehen, wissen Sie, daß eine Reihe von Ländern - Herr Hedrich
kann Ihnen das bestätigen - eigenständige Organisationen haben, die direkt dem Kabinett berichten. Sie können völlig unabhängig von den Außenministern agieren.
Ihre Forderung zu sparen hat Herr Koppelin klassisch
beantwortet. Sie sparen publikumswirksam maximal das
Gehalt einer Ministerin, sonst nichts, es sei denn, Sie
wollen die Entwicklungszusammenarbeit generell kürzen.
({1})
Sollte das der Kern Ihres Antrages sein?
Ich denke, daß Ihnen bewußt sein muß, daß in den
Entwicklungsländern die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ein sehr großes Ansehen genießt.
({2})
Gerade draußen wird immer wieder betont, wie wichtig
es ist, daß es unterschiedliche Ansprechpartner gibt: die
Botschaft und die Entwicklungszusammenarbeit. Es gibt
sogar europäische Länder, die sich darum bemühen, unserem Vorbild nachzueifern. Es hat also seine guten
Gründe, warum wir diese zwei getrennten Zuständigkeiten haben. Auch in Zukunft, Herr Günther, meine
Damen und Herren, wird es legitime Interessenunterschiede zwischen dem Auswärtigen Amt und dem EntJoachim Günther ({3})
wicklungsministerium geben. Ich wundere mich, warum
Sie in der gleichen Konsequenz nicht vorgeschlagen haben, die Außenwirtschaftsabteilung des Wirtschaftsministeriums in das AA einzugliedern.
({4})
Aber da stehen Ihre Wirtschaftsinteressen dagegen. Die
Frage ist erneut erlaubt: Hat die F.D.P. überhaupt entwicklungspolitische Interessen, wenn sie solche Forderungen aufstellt?
({5})
Ich meine nach wie vor - ich habe das auch in der Vergangenheit deutlich gemacht -, daß eine Doppelstrategie, wenn sie zwischen dem Außenminister und der
Entwicklungsministerin abgestimmt ist, auf internationaler Ebene sehr hilfreich sein kann. Denn das BMZ
kann manchmal Partnern Dinge etwas deutlicher sagen,
als es ein Außenminister aus übergeordneten Gründen
heraus sagen kann.
({6})
Sie haben schlechte Erfahrungen mit dem NichtTandem Spranger/Kinkel gemacht: Sie argumentieren
mit einem schlechten Beispiel. Es kann aber auch funktionieren, wie man an der Zusammenarbeit zwischen der
Frau Wieczorek-Zeul und dem Minister Fischer sieht.
Dort funktioniert diese Doppelstrategie erstklassig.
({7})
Ich kann Sie nur bitten: Wer ernsthaft Entwicklung in
den Entwicklungsländern will, muß Ihren Antrag unbedingt dort hintun, wo er hingehört, in die Mottenkiste,
und im übrigen die Stellung des BMZ im Kabinett stärken. Wir unterstützen Sie dabei.
({8})
Ich gratuliere Ihnen.
Das war eine Punktlandung. Sie haben exakt drei Minuten gebraucht.
({0})
Eine Erwiderung des Kollegen Günther.
Herr Kollege
Schuster, wir werden sicherlich noch viele Gelegenheiten haben, dieses auszudiskutieren. Ich möchte nur
zweierlei Dinge richtigstellen.
Die F.D.P. möchte nicht die Entwicklungszusammenarbeit zurückführen, im Gegenteil: Wir haben Ihnen zu
Beginn dieser Legislaturperiode angeboten, die Ministerin bei der Aufstockung ihres Haushaltes und anderen
Dingen voll zu unterstützen. Das müßten Sie eigentlich
noch wissen.
({0})
Der zweite Punkt. Wir haben angeregt - wir haben
auch hier der Ministerin die Unterstützung zugesagt; ich
habe dazu sogar Fragen gestellt -, bestimmte Abteilungen anderer Ministerien im BMZ zusammenzuführen, so
wie Sie dies auch machen wollen. Also auch hier sind
wir nicht auf einer anderen Ebene.
Das Entscheidende ist eigentlich: Wir wollen eine
Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, der
Entwicklungshilfe. Eine Verbesserung kann auch durch
die Eingliederung oder durch die Zusammenlegung von
Ministerien erfolgen. Dann sind nämlich viel kürzere Informationswege möglich.
({1})
Nun spricht für
Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Antje Hermenau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die F.D.P.
ist ja immer für eine Überraschung gut. Herr Günther,
ich habe schon gedacht, das würde heute eine sehr ruhige Debatte werden. Aber Sie haben noch einmal Leben
mit Ihrem Änderungsantrag hineingebracht, den ich nur
ganz schwer nachvollziehen kann.
({0})
Ich habe erwartet, die F.D.P. würde natürlich vorschlagen, daß wir das Entwicklungshilfeministerium und das
Wirtschaftsministerium zusammenlegen sollten. Ich bin
völlig verblüfft, daß Sie davon ausgehen, daß das diplomatische Personal in der Lage sein würde, mit derselben Kompetenz wie das Personal im BMZ zu agieren.
Sie kennen natürlich die Diskussionen über die Kohärenz zwischen beiden Bereichen, dem Auswärtigen Amt
und dem Entwicklungshilfeministerium. Ihnen ist klar,
daß der Prozeß läuft. Ihnen ist ebenso klar, daß man das
diplomatische Personal jahrelang trainieren müßte.
Deswegen ist dieser Änderungsantrag zum Haushalt
2000 völliger Kappes, um das einmal deutlich zu sagen.
({1})
Das mit der Außenwirtschaft hätte ich eventuell noch
verstehen können, denn der Einzelplan des Bundesministeriums für Wirtschaft weist wirklich nicht mehr
viel an beweglicher Masse und Substanz auf. Aber das
ist eigentlich alles, was ich dazu hätte sagen können.
({2})
Jetzt reden wir wirklich einmal über die Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit in den nächsten Jahren.
({3})
- Das ist schon ein anderes Thema, Herr Koppelin; die
Frage würde zu spät kommen.
({4})
Dabei handelt es sich um eine Frage, der wir uns in
zwei Punkten widmen müssen. Der eine Punkt ist in der
Diskussion schon angeklungen, nämlich: Wie gehen wir
damit um, daß davon auszugehen ist, daß in den nächsten Jahren weniger oder auf dem jetzigen Niveau stagnierende öffentliche Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen? Das hat etwas mit
dem Sparpaket insgesamt zu tun. Diese Entscheidung ist
grundsätzlich richtig, löst aber natürlich Probleme in der
Entwicklungszusammenarbeit aus. Das ist völlig richtig.
Also werden wir uns mit diesen Problemen befassen
müssen. Es gab hierzu auch schon erste Ansätze in den
Redebeiträgen der Kollegen. Sie wissen alle selbst, daß
im Bereich Entwicklungszusammenarbeit sehr oft eine
große Einigkeit in den Grundlinien herrscht. Das kennen
wir alle aus unserer Praxis. Man könnte fast sagen: In
diesem Bereich ist nie so ganz klar, wer hier eigentlich
Opposition und wer hier Koalition ist, weil man oft einer
Meinung ist. Ich bin der Auffassung, daß wir nicht nur
über die Verbundfinanzierung - sie vertritt der Kollege
von Schmude mit viel Verve immer wieder, und sie
prägt seit 1994 diesen Haushalt mit, wenn auch nur in
kleinem Maße - reden müssen. Das ist das eine. Wir haben jetzt verschiedene Erfahrungen gemacht. Was, wie
ich finde, nicht so gut funktioniert hat, sind die Mischfinanzierungen. Ich denke, diese liefergebundene Mischfinanzierung wird keine Zukunft haben.
Was relativ gut funktioniert, ist der Umgang mit
Marktmitteln. Okay, da können wir weiterarbeiten. Das
haben wir auch versucht. Wir haben den Gewährleistungsrahmen stabilisiert. Wir bemühen uns zudem darum, dem Finanzminister beizubiegen, daß das „sehr gute
Risiko“ eigentlich eine Exklusivklausel ist und zu einer
Risikoverteilung führt, die so gestaltet ist, daß sie ein
hohes Risiko darstellt und eben nicht zu einer Verteilung
des Risikos führt.
Die andere Möglichkeit ist, private Mittel in die
Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der FZ einzubeziehen, die trotzdem entwicklungspolitisch orientiert
ausgegeben werden. Ich rede nicht von wirtschaftlichen
Investitionen im nackten betrieblichen Interesse. Wie
bekommen wir das auf die Reihe? Das wird schwierig.
Ich habe in einer der Diskussionen hier schon einmal
darauf hingewiesen, daß die Existenz der Öko-Bank, die
nunmehr schon über zehn Jahre besteht, deutlich macht:
Es gibt in Deutschland eine Klientel von Leuten, die
nicht nur sehr gerne spenden, sondern mit ihrem Geld
gerne auch etwas verdienen würden. Der Zinssatz sollte
auch über dem Zinssatz normaler Bankguthaben liegen.
Sie würden aber nie und nimmer zum Beispiel in einen
Waffenhandel investieren. Ich glaube, mit diesen Leuten
kann man darüber reden, einen Finanzierungsfonds zu
entwickeln, der - ähnlich wie bei den „ecological investments“ der Öko-Bank - im Entwicklungshilfebereich eine Art „ethical investment“ organisiert. Ich halte
das für machbar. Das ist eines der ersten großen neuen
Projekte der Entwicklungszusammenarbeit der Koalition.
({5})
Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie sagen, daß die Kürzungen bei den Verpflichtungsermächtigungen, also bei
den Ausgabeabsichten für die Folgejahre, drastisch ausgefallen sind. Das ist richtig beobachtet. Das war eine
Vollbremsung. Warum hat die Vollbremsung stattgefunden, und was hat das mit unserer Debatte zu tun? Im
Haushalt des BMZ werden im Moment eigentlich nur
die ganzen Altverpflichtungen abgearbeitet, die unter
Minister Spranger getroffen worden sind. Da sind gute
und schlechte dabei; wir kennen die jährlichen Auswertungen von GTZ und KfW. Hier kann man also dieser
oder jener Meinung sein. Das Problem ist natürlich: Wir
haben fast keine Möglichkeit mehr, Neuverpflichtungen
einzugehen.
Auf der anderen Seite gibt es in einem Haushalt, dessen Projekte über mehrere Jahre gehen, die berühmte
„Pipeline“ von Auftragslage, Zusagegenehmigung usw.
Die Vollbremsung, die der BMF gemacht hat, ist, so
glaube ich, eine Idee zu drastisch ausgefallen. Wir
Haushälter haben auch gegengesteuert und die VE um
650 Millionen DM noch einmal ordentlich angehoben.
Nichtsdestotrotz muß man sich endlich einmal mit diesem kaum noch darstellbaren Barmittelproblem befassen
und sich fragen, wie wir das in Zukunft bewältigen
wollen. Ich habe einen Weg aufgezeigt: Wir müssen uns
darüber unterhalten, wie wir die FZ teilweise aus der öffentlichen Finanzierung herausnehmen.
Um noch einen zweiten Punkt aufzunehmen: Man
kann sich natürlich, wie der Herr Kollege Weiß es getan
hat, darüber beschweren, daß es Kürzungen gegeben hat,
daß die Entwicklungshilfe dramatisch betroffen sei.
Damit sage ich gar nichts über die innenpolitischen Debatten, der sich die Koalition im Zusammenhang mit
dem Sparpaket insgesamt stellen muß, und darüber, wie
schwer es ist, dann noch etwas für das Ausland bereitzustellen. Das will ich hier gar nicht weiter ausführen; das
kann sich jeder vorstellen.
Aber wir wollen doch einmal die Extras beim Namen
nennen, die hier immer so schön verschwiegen werden.
Es gibt nämlich eine ganze Menge Extras: Die Schuldenentlastung wurde ein bißchen kleingeredet. Das
Ganze muß man sich erst einmal auf der Zunge zergehen
lassen.
({6})
Dauernd habe ich von der alten Bundesregierung gehört,
daß sie das nicht wollte, weil das multilaterale Abkommen betreffe, und da komme das nicht in die Tüte.
({7})
Die bilaterale Entschuldung haben wir immer mitgetragen; das wurde zurecht vom Herrn Kollegen von
Schmude angesprochen. Natürlich wollen wir auch
bilateral entschulden. Das war immer einvernehmliche
Beschlußlage von Haushaltsausschuß und AWZ. Aber
wir wollen noch mehr: Wir wollen auch die multilaterale
Entschuldung. Das hat jetzt geklappt, das ist endlich
passiert.
({8})
Wir werden - um das deutlich zu sagen - damit auf Einnahmen verzichten. Man kann natürlich sagen, daß dies
keine direkte Investition in Entwicklungszusammenarbeit ist. Aber indirekt fließt der Einnahmeverzicht auch
der Entwicklungszusammenarbeit zu. Wir verändern
endlich globale Rahmenbedingungen. Das halte ich für
ganz entscheidend.
({9})
Es geht um eine gemeinsame globale Zukunftssicherung.
Das hat sogar so überzeugt, daß der Herr Finanzminister noch einmal 100 Millionen DM zusätzlich versprochen hat, die wir im Einzelplan 23 auch hurtig eingestellt haben. Diese Summe werden wir Haushälter,
wenn die Zeit gekommen ist, ihn auch tatsächlich abverlangen. Wir haben uns sehr darüber gefreut, daß die
Argumentation im Bereich Entwicklungszusammenarbeit aus Sicht des BMF so schlagend war. Das hat also
geklappt.
Da wir bei den Extras sind: Im Gesamthaushalt werden 1,2 Milliarden DM für den Stabilitätspakt Südosteuropa bereitgestellt. Das BMZ hat natürlich bei einer Reihe von Mittelverwendungen ein relativ starkes Mitspracherecht. Ich möchte doch bitten, auch diese Gelder in
das hineinzurechnen, was der Bund insgesamt für die
Entwicklungskooperation zur Verfügung stellt. Ich halte
es für angemessen, daß wir redlich argumentieren. Wenn
man alle Zahlen zusammenzählt, dann kommt man zu
dem Ergebnis, daß die Kürzung fast wieder aufgehoben
ist. Um es deutlich zu sagen: Wir erreichen zumindest
das Vorjahresniveau.
Reden wir noch ein wenig über die Maßnahmen, die
wir in Angriff nehmen müssen. Ich habe eben schon die
Erweiterung der Möglichkeiten angedeutet, privates Kapital in die FZ zu bringen. Aber die Diskussion über andere Punkte ist auch wichtig. Dazu gehört zum Beispiel
die Diskussion, was die kleineren Projektträger an Aufgaben leisten sollen. In diesem Zusammenhang stellen
sich die Fragen: Welche Akteure sollen beteiligt sein?
Ist es vernünftig, große Projekte nur durch die GTZ
durchführen zu lassen? Wäre es nicht klüger, auch kleinere Mittlerorganisationen anzusprechen? Ist es nicht
einmal an der Zeit, daß wir uns darüber verständigen,
welche Vorstellungen wir zum Beispiel im Bereich der
Regierungsberatung haben? Wir müssen nämlich darüber sprechen, wie man die Rahmenbedingungen im
globalen Maßstab und im jeweiligen Entwicklungsland
ändern kann, damit die Entwicklungsländer bessere
Möglichkeiten bekommen.
Wir haben eine sehr differenzierte Landschaft von
Entwicklungsländern. Das betrifft sowohl ihre Finanzkraft als auch zum Beispiel ihre Good Governance. Wir
brauchen deutlich mehr einzelne Instrumente, um dieser
differenzierten Entwicklungslandschaft gerecht zu werden. Ich freue mich auf die entsprechende Debatte, die
wir führen werden.
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen. Uns
würde es gut zu Gesicht stehen, wenn wir versuchen
würden, Einfluß darauf zu nehmen, daß die Strukturanpassungsmaßnahmen von IWF und Weltbank so durchgeführt werden, daß wir zu einer größeren Transparenz
in den Entscheidungen gelangen können, damit diese
Entscheidungen nachvollziehbarer werden. Auch müssen diese Einrichtungen endlich dazu übergehen, sich an
globalen Fragestellungen auszurichten.
Schönen Dank.
({10})
Zu einer Kurzintervention der Kollege Jürgen Koppelin.
({0})
Ich hätte gerne den folgenden Punkt in einer Zwischenfrage geklärt. Aber da
die Kollegin Hermenau keine Zwischenfrage zugelassen
hat, muß ich eine Kurzintervention machen.
Frau Hermenau hat eine Unterstellung gemacht, die
die deutschen Botschaften betrifft. Wenn ich sie richtig
verstanden habe, ist sie der Meinung, daß im Falle einer
Zusammenlegung der beiden Ministerien das Personal
der Botschaften erst einmal geschult werden müßte. Das
ist schon eine sehr merkwürdige Aussage; denn sie unterstellt damit, daß sich die deutschen Botschaften nicht
für die wirtschaftliche Zusammenarbeit einsetzen
würden, weil sie das notwendige Personal nicht hätten.
Diese Aussage kann man nicht kommentarlos stehen
lassen.
Die Kollegin Hermenau reist ja gern und viel. Deshalb müßte ihr eigentlich bekannt sein, daß gerade in
den Botschaften eine Reihe von Menschen arbeiten, die
sich sehr engagiert für die wirtschaftliche Zusammenarbeit einsetzen.
({0})
- Ich wiederhole die Äußerung von Frau Hermenau - sie
kann mich korrigieren, wenn ich sie nicht richtig verstanden habe -, daß das Personal für wirtschaftliche Zusammenarbeit besonders geschult werden müsse. ({1})
Ich stelle in diesem Zusammenhang fest: Das entsprechende Personal ist in den Botschaften vorhanden.
Wenn es nicht vorhanden sein sollte, müßten wir entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Ich bestreite ferner, daß sich die Botschaftsangehörigen in diesem Bereich nicht engagieren. Meine Erfahrung ist - ich wiederhole diesen Punkt -, daß dies die
Kollegin Hermenau angesichts ihrer vielen Reisen besser wissen müßte.
Ich möchte noch auf einen anderen Punkt hinweisen.
Die Zusammenlegung wäre auch für uns im Hause effektiv. Denn all die Themen, die Sie im Ausschuß für
wirtschaftliche Zusammenarbeit diskutieren, Kollegin
Hermenau, werden genauso im Auswärtigen Ausschuß
diskutiert. Warum gibt es auch bei uns diese Doppelgleisigkeit? Warum können wir die Arbeit nicht effektiver
gestalten? Zum schlanken Staat würde auch gehören,
daß wir den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und den Auswärtigen Ausschuß zusammenlegen.
Ich befürchte aber, daß der eine oder andere dann seinen
Wirkungskreis verlieren zurück. Emil, ich würde dafür
sorgen, daß du deinen Arbeitsbereich auf jeden Fall behalten würdest. Normalerweise bist du sehr fähig. Das
sage ich trotz deiner heutigen Rede. Es macht mehr
Sinn, diese beiden Bereiche zusammenzulegen.
({2})
Nun spricht der
Kollege Carsten Hübner für die Fraktion der PDS.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Man muß es leider immer
wieder sagen: Auch mit diesem Haushalt entfernt sich
die Bundesregierung weiter vom international vereinbarten Richtwert von 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für die öffentliche Entwicklungshilfe. Man muß
dazu erwähnen: wie schon im letzten Jahr und natürlich wie unter der alten Bundesregierung in den Jahren zuvor. Da gibt es nichts zu beschönigen. Auch die
von Ihnen, Kollege Schnell und Kollegin Hermenau,
eben angeführten Erfolge ändern nichts an dieser Tatsache.
Wenn ich mich an die Presseäußerungen von Frau
Staatssekretärin Eid von vor einigen Wochen erinnere,
dann muß ich sagen, daß dieser Richtwert inzwischen
nicht nur regelmäßig ignoriert wird, sondern bereits zur
Disposition steht. Dies gilt zumindest für einen Teil des
BMZ, trotz der eigentlich unmißverständlichen Festlegung in der Koalitionsvereinbarung.
Die überproportionalen Kürzungen im Einzelplan
23 im Vergleich zu dem Gesamthaushalt und den anderen Einzelplänen unterstreichen diesen Eindruck und
machen genau das unmöglich, Frau Ministerin, mit dem
Sie vor etwas mehr als einem Jahr angetreten sind: eine
nachhaltige, zukunftsweisende und globale Strukturpolitik, die nicht nur Querschnittsaufgabe sein, sondern
auch wesentlich zu einer Neuprofilierung der deutschen
Außenpolitik beitragen sollte,
({0})
und zwar nicht zuletzt mit Blick auf eine ganzheitliche
Politik der zivilen Konfliktvorbeugung, -bearbeitung
und -nachsorge.
Sosehr ich viele Eckwerte dieser Politik geteilt habe,
Frau Ministerin, so sehr habe inzwischen Zweifel, ob Ihre Regierung, zumindest Teile Ihrer Regierung, auch nur
einen Teilschritt in diese Richtung möglich machen
wird. Diese Zweifel räumen Sie auch nicht mit dem
ständigen Insistieren auf dem vereinbarten Schuldenerlaß aus. Das macht mich von Mal zu Mal eher skeptischer - das muß ich Ihnen sagen -, zumal die Kürzungen auch in den kommenden Haushalten weitergehen
werden und das Ende der Fahnenstange in dieser Hinsicht längst noch nicht erreicht ist, während selbst die
Entwicklungspolitiker aus Ihren Reihen längst wissen
und im Ausschuß auch eingestehen, daß wir fachlich
über das Ende der Fahnenstange längst hinaus sind.
Statt dessen erleben wir das, was die Chefin des
UNHCR, Frau Ogata, erst kürzlich die „Militarisierung
der humanitären Hilfe“ genannt hat. Das ist eine Tendenz, meine Damen und Herren, die wir für fatal halten
und auf Grund deren es aus unserer Sicht nur folgerichtig sein kann, zu fordern, den Haushalt des BMZ mit
rund 600 Millionen DM aus dem Einzelplan 60 zu stabilisieren, die dort für militärische Aufwendungen für
den Stabilitätspakt Südosteuropa eingeplant sind.
({1})
Ich möchte noch kurz auf zwei Aspekte eingehen;
mehr erlaubt die Zeit leider nicht. Das eine sind die Kürzungen im Bereich der UNO-Organisationen. Ich frage
Sie ernsthaft: Wie können Sie auf der einen Seite, etwa
in der Osttimorfrage, bis hin zur fachlichen Unsinnigkeit
Ihre angebliche Treue zur UNO zur Schau stellen und
gleichzeitig genau dieser UNO die dringend notwendigen Mittel für ihre Arbeit entziehen, etwa für UNDP,
Unido, Unicef, der WHO oder Unifem? Das paßt doch
nur dann zusammen, wenn man unterstellt, daß Ihre
Uno-Politik zunehmend allein nationalen Interessenlagen unterworfen ist, z. B. wenn es um einen ständigen
Sitz im Sicherheitsrat geht.
Der zweite Aspekt, den ich kurz hervorheben möchte,
ist die Mittelkürzung im Bereich der NGO, der Kirchen
und der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit. Auch
hier widersprechen sich formulierter Anspruch und reale
Kürzungspraxis in eklatanter Weise. Auch hier liegen
die nach den Ausschußberatungen angehobenen Ansätze
für 2000 unter denen des letzten Haushalts, und das vor
dem Hintergrund einer sich weiter verschärfenden
Weltlage.
Es gibt immer mehr Konfliktherde und soziale und
ökologische Verwerfungen, deren Ursachen häufig genug bei uns zu suchen sind, und gleichzeitig immer weniger Geld für diejenigen, die sich nicht selten durch ehrenamtliches Engagement dieser Entwicklung entgegenstemmen. Das erkläre, wer will. Aus unserer Sicht jedenfalls ist dieser Widerspruch derart offensichtlich und
inakzeptabel, daß wir nicht darauf verzichten werden,
unseren diesbezüglichen Änderungsantrag zum Haushalt
extra abstimmen zu lassen.
({2})
Es gäbe hier noch viele Einzelfragen anzusprechen,
etwa die anstehende Länderliste oder die Frage der Aufnahme der Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba, zu
der von uns in Kürze ein Antrag vorgelegt wird. Mir
bleibt aber nur noch die Zeit für einige abschließende
Sätze.
Vor dem Hintergrund des geplanten F.D.P.-Antrags
zur Eingliederung der Entwicklungspolitik des BMZ in
das Auswärtige Amt, vor dem Hintergrund der durchaus
bewußten politischen Einmischung des Außenministers
in entwicklungspolitische Kernbereiche - z.B. in den
Lomé-Prozeß -, vor dem Hintergrund der überdurchschnittlichen Etatkürzungen für das BMZ und nicht zuletzt vor dem Hintergrund etlicher Stimmen aus dem
Auswärtigen Amt, das BMZ endlich als selbständige Institution dichtzumachen, möchte ich meine Rede so beschließen: Dieser Haushalt ist aus entwicklungspolitischer Sicht völlig inakzeptabel, sein Trend ist skandalös.
Dennoch bleibt zu hoffen, daß es nicht einer der letzten
BMZ-Haushalte ist. Es bleibt zu hoffen, daß das BMZ
nicht längst schon dem Fischer ins Netz gegangen ist,
der es jetzt schön langsam an Land zieht. Mir - und
nicht nur mir - scheint diese Befürchtung mehr als realistisch. Nichtsdestotrotz wird die PDS-Fraktion diesen
Haushalt selbstverständlich ablehnen.
Vielen Dank.
({3})
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Klaus-Jürgen Hedrich, CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
möchte noch einmal nüchtern darauf verweisen, daß wir
Sie auch in diesem Bereich an Ihren eigenen Ankündigungen und Versprechungen messen.
({0})
Ich habe die Koalitionsvereinbarung nicht geschlossen.
Ich habe auch nicht die Regierungserklärung des Kanzlers im November des letzten Jahres abgegeben. Darin
haben Sie großmundig angekündigt, was Sie alles im
Bereich der Entwicklungshilfe zusätzlich leisten wollen.
Die Realität sieht völlig anders aus.
({1})
Die Kurskorrektur von Eichel ist die berühmte Kurskorrektur von Lafontaine. Seitdem Oskar nicht mehr da ist,
ist auch der Mentor von Heidemarie nicht mehr da. Das
sind die Fakten.
({2})
Lassen Sie mich auf zwei oder drei Sachbereiche eingehen. Die Tatsache, daß Sie die internationale Entschuldung erfunden haben, wird nicht dadurch besser,
daß Sie das ständig wiederholen.
({3})
- Auch das ist falsch, Herr Kollege Schuster. Sie wissen
es besser, und das ist das Schlimme.
Der Punkt war folgender: Auf dem Sozialgipfel in
Kopenhagen hat sich die Bundesregierung zum erstenmal mit großem Nachdruck dafür eingesetzt, daß nicht
nur die bilaterale Entschuldung wichtig ist, die nämlich
allmählich an ihre Grenzen stößt, weil sie weitestgehend
gelöst ist, zumindest was Deutschland angeht, sondern
daß es vorrangig darauf ankommt, auch die internationalen Organisationen einzubeziehen. Wenn Sie wissen,
wie nachhaltig sich IWF und besonders die Weltbank
dagegen gewehrt haben, wissen Sie, daß es einer gewaltigen Anstrengung bedurfte, bis wir die sogenannte
HIPC-Initiative auf den Weg gebracht haben. Seit 1996
läuft dieselbe. Das sind die Fakten.
Dazu, daß der Bundeskanzler heute morgen ankündigt, man habe eine gewaltige Leistung vollbracht, muß
man zwei Bemerkungen machen: Erstens. Das hat für
den Haushalt Auswirkungen in der Form, daß der Entwicklungshilfeetat um etwa 60 Millionen DM entlastet
wird. Sie kürzen den Haushalt um 670 Millionen DM.
Das heißt, Sie stehlen unseren Partnerländern rund 600
Millionen DM. Das sind die Fakten.
({4})
Er ist sogar noch weiter gegangen, denn zweitens - auch
das hören Sie nicht gerne - hat der gleiche Bundeskanzler zusammen mit der Entwicklungsministerin auf
dem Kölner Gipfel, auf dem diese Schuldeninitiative als
Vorlage für die Weltbankkonferenz im September auf
den Weg gebracht wurde, ein Dokument unterschrieben,
in dem sich Deutschland verpflichtet, seine Entwicklungshilfemittel zu erhöhen. Dies geschah in dem Wissen, daß der Finanzminister gleichzeitig bereits die Einsparung vorbereitet. Das hat unserem internationalen
Ansehen erheblich geschadet.
({5})
- Das ist völlig richtig.
Hinzu kommt, daß Sie für die gesamte Entschuldungsinitiative keinen Pfennig zusätzlichen Geldes aufwenden. Sie machen folgendes: Die Leistungen der EU,
die deutschen Leistungen und auch die Leistungen der
EU-Mitglieder werden ausschließlich aus dem EEF mit
rund 1 Milliarde Euro finanziert. So wird es ablaufen.
Das heißt, Sie nehmen diese Mittel aus dem EEF - was
vom Prinzip her sachgerecht ist, weil die Mittel dort herumliegen, was Sie immer bestritten haben ({6})
- doch -, um die Entschuldungsinitiative zu finanzieren.
Es gibt also keinen Pfennig zusätzlich für die Entwicklungsländer. Das ist der Sachverhalt.
Das macht deutlich, daß im EEF erheblich größere
Finanzpolster enthalten sind, um praktisch - worauf wir
uns gemeinsam hätten verständigen können - die Titel
für die Kirchen, Stiftungen, für die private Wirtschaft
und für die Nichtregierungsorganisationen auf dem gleichen Level wie dem des Jahres 1999 zu halten. Das wären vielleicht noch einmal rund 40 Millionen DM gewesen. Es hätte überhaupt keine Rolle gespielt, wenn wir
diese ebenfalls aus dem EEF herausgenommen und diesen Titeln zugewiesen hätten.
({7})
- Aber wenn Sie im EEF 1 Milliarde Euro übrig haben,
werden Sie doch wohl 40 Millionen DM übrig haben,
um noch zusätzliche Leistungen für den nichtstaatlichen
Bereich aufzubringen. Das können Sie doch nicht
bestreiten.
Wir werden Sie übrigens sorgfältig daran messen,
was mit den von Eichel zugesagten 100 Millionen DM
passiert. Sie haben im Augenblick eine verklausulierte
Formulierung gefunden. Aber es steht erst einmal eindeutig fest: Als Verpflichtungsermächtigung sind sie im
Einzelplan 23 und nicht irgendwo anders ausgewiesen.
Nun werden wir einmal sehen, wie Sie das in der nächsten Zeit umsetzen.
({8})
Jetzt möchte ich noch etwas zu dem Thema „BMZ
und Auswärtiges Amt“ sagen. Schon aus Leidenschaft
werden Sie sich nicht wundern, wenn ich mit großem
Nachdruck auch für unsere Fraktion gegen den F.D.P.Antrag argumentiere.
({9})
Übrigens, lieber Kollege Günther, die Überlegung, ob
das AA nicht im BZ viel besser aufgehoben wäre, haben
wir schon zu unseren Zeiten angestellt.
({10})
Aber der Punkt ist noch ein anderer: Abstimmungen,
lieber Werner Schuster, finden überhaupt nicht statt. Das
Auswärtige Amt beschließt, fünf Botschaften in Afrika
- Ihrem Lieblingskontinent - zuzumachen. Darüber ist
mit dem BMZ kein Wort gesprochen worden. Die Bundesregierung muß doch erst einmal eine Konzeption
entwickeln, wo sie in Zukunft ihre entwicklungspolitischen Schwerpunkte setzt.
Man kann sich darüber unterhalten, ob man aus dem
Tschad, dem Niger und der Zentralafrikanischen Republik herausgeht. Es ist doch absolut grotesk, in einem
Land wie Burundi die Botschaft dichtzumachen, wenn
auf der anderen Seite das Auswärtige Amt seine Bereitschaft erklärt, man müsse einen Beitrag zur Lösung der
Probleme im Bereich der Großen Seen leisten. Was ist
es denn für eine Politik, dort einen Botschafter abzuziehen?
({11})
Uns beschäftigt gewaltig, daß auf diesem Gebiet keine
Abstimmung stattfindet. Das sollte uns meines Erachtens im Parlament nicht gleichgültig sein.
Wenn sich jetzt die Bundesregierung und insbesondere - gezwungenermaßen - das BMZ Gedanken über eine
Konzentrierung macht - wir werden uns demnächst im
Fachausschuß mit dieser Frage beschäftigen -, dann
möge das bitte - ich wiederhole mein Plädoyer - durch
eine in sich abgestimmte, kohärente Politik geschehen:
Nicht, daß das AA irgendeine Entscheidung vorwegfällt
und das BMZ muß hinterherlaufen. Wie wollen wir in
diesen Ländern überhaupt noch Politik machen, wenn
dort die Infrastruktur einer Botschaft nicht gegeben ist?
Ich glaube, die Bundesregierung ist auf dem Holzweg. Was sie tut, ist schädlich für die entwicklungspolitischen Anliegen unseres Landes. Das denke ich insbesondere, wenn ich Ihre vollmundigen Ankündigungen
darüber höre, wie wichtig Ihnen der afrikanische Kontinent ist. In der aktuellen Politik dieser Bundesregierung
ist davon nichts zu erkennen.
({12})
Man soll Kollegen aus der jetzigen Koalitionsfraktion
nicht nur tadeln.
({13})
Ich möchte den Kollegen Schuster zu einer besonderen
Formulierung in seinem Beitrag beglückwünschen. Sie
haben darauf hingewiesen, daß das Ansehen der deutschen Entwicklungshilfe weltweit sehr groß ist. Sie sind
dabei, dieses Ansehen zu verspielen.
({14})
Nun hat die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, das Wort.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr von
Schmude hat vorhin die Bemerkung gemacht, der Entwicklungshaushalt sei so etwas wie das soziale Gewissen. So hätten ihn auch frühere Regierungen behandelt.
Ich muß feststellen: Sie haben in den Jahren von 1991
bis 1998 den Gesamthaushalt um 14 Prozent ausgeweitet; aber im gleichen Zeitraum haben Sie den Entwicklungshaushalt um 5 Prozent gesenkt. Das ist keine
Haushaltskonsolidierung, sondern das Benutzen des
Entwicklungshaushaltes als Steinbruch. Wer so handelt,
der hat nach Ihrer Interpretation kein soziales Gewissen.
Das kann ich nur bestätigen.
({0})
Herr Hedrich, es ist einfach notwendig, Fakten zu
kennen und sie richtig vorzutragen. In unserer Regierungszeit ist der Anteil der Finanzierungen für den afrikanischen Kontinent der größte Anteil unserer bilateralen Leistungen.
({1})
Das war zu Ihrer Zeit nicht der Fall. Deshalb lege ich
Wert darauf, daß hier nicht einfach ins Blaue hinein Unsinn behauptet wird.
Der entwicklungspolitische Gestaltungsrahmen - das
ist heute hier gesagt worden - ist in den Haushaltsberatungen um insgesamt 1,2 Milliarden DM deutlich gestärkt worden. Dieser Rahmen ist zum einen durch Verpflichtungsermächtigungen im Einzelplan 23 um 650
Millionen DM erhöht worden. Darüber hinaus ist eine
Verpflichtungsermächtigung für den Stabilitätspakt
Südosteuropa im Einzelplan 60 in Höhe von
300 Millionen DM verankert worden. Auch die Gewährleistungen für Verbundfinanzierungen sind auf
250 Millionen DM erhöht worden.
Wie wir uns angesichts der Kürzungen im Haushalt
2000 verhalten, habe ich in der letzten Debatte detailliert
dargestellt. Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, daß
ich jetzt die zwischenzeitlich erreichten Erfolge darstellen möchte. Es ist wirklich schwer erträglich, daß hier
Abgeordnete den Schuldenerlaß in Höhe von 70 Milliarden US-Dollar, den wir im September auf den Konferenzen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds im Interesse der Entwicklungsländer erreicht haben, in parteipolitischer und kleinkrämerischer Absicht
schlechtmachen. Dies ist noch kleiner als kleinkariert;
dies ist Pepita.
({2})
70 Milliarden US-Dollar sind das 20fache der Mittel
unseres Entwicklungshaushalts. Daran kann man erkennen, was alles mobilisiert worden ist. Vor allen Dingen
werden durch diesen Schuldenerlaß mindestens 36 der
ärmsten Entwicklungsländer die Chance haben, eine soziale und nachhaltige Entwicklung zu verwirklichen. Im
Durchschnitt ist damit zu rechnen, daß diese Länder
nach der Entschuldung weniger als 10 Prozent ihrer Exporteinnahmen für den Schuldendienst ausgeben müssen.
Dies bedeutet, daß Millionen von Kindern und Erwachsenen in diesen Ländern eine bessere Perspektive
erhalten. Wer kann schon von sich behaupten, so etwas
jemals angestoßen zu haben? Unsere Regierung hat dies
angestoßen. Dies ist ein großer Erfolg, den Sie anerkennen sollten, anstatt ihn kleinzumachen.
({3})
Zweiter Punkt. Wir leisten einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung der Gesamtinitiative. Wir werden
zum einen den Entwicklungsländern auf bilateraler Ebene bis zu 9 Milliarden DM an Schulden erlassen. Rund 5
Milliarden DM entfallen auf Handelsschulden einschließlich der DDR-Altschulden, für die dadurch endlich eine Lösung gefunden wird. Zirka 4 Milliarden DM
entfallen auf Schulden aus der finanziellen Zusammenarbeit.
Die Bundesregierung wird darüber hinaus - darauf ist
schon hingewiesen worden - 150 Millionen DM direkt
in den Treuhandfonds einzahlen, der bei der Weltbank
zur Unterstützung der multilateralen Gläubiger und
der Finanzierung ihres Anteils an der Entschuldungsinitiative eingerichtet worden ist. Darüber hinaus - Sie
haben bestätigt, daß dies richtig ist - werden bis zu
1 Milliarde Euro aus dem Europäischen Entwicklungsfonds, die noch nicht abgeflossen sind, in die HIPCEntschuldungsinitiative fließen. Dies ist ein substanzieller Beitrag. Da der deutsche Finanzierungsanteil am
EEF rund ein Viertel beträgt, werden damit noch einmal
rund 540 Millionen DM als deutscher Beitrag in die Entschuldungsinitiative fließen.
Der dritte Punkt ist meines Erachtens in der bisherigen Diskussion überhaupt nicht ausreichend berücksichtigt worden. Es ist uns gelungen, die Entschuldungsinitiative als Hebel zu benutzen, um die Politik und die
Haushalte der Entwicklungsländer auf Armutsbekämpfung auszurichten,
({4})
und dafür zu sorgen, daß die Finanzmittel für die Entschuldung wirklich bei den Menschen ankommen. Die
Menschen bei uns sind doch bereit, die Entschuldungsinitiative zu akzeptieren, allerdings nicht konditionslos.
Wir haben endlich die Entwicklungsländer verpflichtet,
eigene Entschuldungs- und Armutsbekämpfungsprogramme vorzulegen.
Ich kann nicht mehr hören, wenn Sie sagen, wir würden den Nichtregierungsorganisationen schaden. Wir
haben durch die Entschuldungsinitiative dazu beigetragen, daß die Zivilgesellschaft an den Armutsbekämpfungsplänen der Entwicklungsländer endlich beteiligt
wird. Dies ist ein Riesenschritt, den Sie nie geschafft
haben. Sagen Sie also nicht, die Nichtregierungsorganisationen würden nicht unterstützt!
({5})
Ich möchte übrigens - ich weiß nicht, ob wir das
durchsetzen können -, daß ein kleiner Teil des Entschuldungsteils für die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen in den Entwicklungsländern zur Verfügung
gestellt wird, damit sie eine Chance haben, sich einzubringen. Sonst könnte es eine vergleichsweise folgenlose
Forderung gewesen sein, die Zivilgesellschaft einzubeziehen.
Hinzu kommt, daß wir es geschafft haben - das ist
der vierte Punkt -, die Politik der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds so umzuorientieren, daß
sie zur Armutsbekämpfung die Programme der Entwicklungsländer entsprechend mit unterstützen müssen.
Das ist eine wegweisende, ich möchte sagen: fast revolutionäre Veränderung, bezogen auf den Internationalen
Währungsfonds. Es war doch bisher so: Der Fonds hat
die Haushaltsstabilität in den Vordergrund gestellt, und
er hat die Probleme der Armut in den Entwicklungsländern zum Teil erst verschärft. Dann hat die Weltbank die
Heftpflaster geliefert, um die Wunden zu verbinden.
Damit ist endlich Schluß.
({6})
Jetzt wird die Verbesserung der Situation der Entwicklungsländer integriert angegangen. Das haben wir
mit der Entschuldungsinitiative hinbekommen: Liebe
Kolleginnen und Kollegen, es geht jedoch nicht um die
Anerkennung für uns, sondern es geht darum, daß Entwicklungsländer sagen, damit ist eine Rieseninitiative in
Gang gekommen.
Ich möchte ferner darauf hinweisen, daß es gelungen
ist - ich bedanke mich ausdrücklich für die Unterstützung, die wir dabei im Haushaltsausschuß hatten; der
Kollege Wagner blickt wissend ({7})
- immer wissend, er ist allwissend -,
({8})
die 100 Millionen DM für die entsprechende multilaterale Finanzierung so einzusetzen, daß sie plafondsteigernd und additional sind.
Ich möchte von dieser Stelle aus einen Appell an die
Parlamentarier im US-Kongreß richten. Die Parlamentarier im US-Kongreß haben das, was Bill Clinton vor
der Jahresversammlung von Weltbank und Währungsfonds angekündigt hat, nämlich auch einen multilateralen Beitrag zur Entschuldungsinitiative zu leisten, finanziell im Haushalt nicht abgesichert. Wir appellieren deshalb an unsere amerikanischen Kolleginnen und Kollegen - ich bin sicher, ich sage das in Ihrer aller Sinne -,
({9})
daß die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen einen
Nachtragshaushalt vorlegen, damit die Finanzierung
auch von den USA aus gesichert ist.
Ich darf jedenfalls sagen: Die europäischen Länder
werden zu ihren Zusagen im Zusammenhang mit der
Finanzierung der HIPC-Initiative stehen. Das habe ich
mit meinen Kolleginnen und Kollegen verabredet. Das
gilt auch für die Bundesregierung.
({10})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Krisenprävention. Wir haben Mittel für den Zivilen Friedensdienst eingesetzt. Entgegen dem Trend sind sie auf
17,5 Millionen DM aufgestockt worden. Der Zivile
Friedensdienst ist ein neues, flexibles und schnelles
Instrument, das wir zusammen mit den christlichen
Entsendeorganisationen AGEH, Dienste in Übersee,
EIRENE und anderen anwenden. Das Neue dabei ist
- das bitte ich die Kolleginnen und Kollegen zu verstehen -, daß es zum ersten Mal ein Gemeinschaftswerk
zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Seite zur Versöhnung und Vermittlungsarbeit in unseren Partnerländern ist.
({11})
Es ist im übrigen auch ein Versuch, eine qualifizierte
Ausbildung in diesem Bereich der Versöhnungs- und
Vermittlungsarbeit zu verwirklichen.
({12})
Ich appelliere an Sie: Freuen Sie sich doch, daß es
Leute gibt, die dafür ihre Ausbildung einbringen wollen
und die in den beteiligten Ländern tätig werden. Jeder
Einsatz kann Krisen und Konflikte mindern.
({13})
Da sage ich: Da ist es des Schweißes der Edlen wert,
daß diese Leute dort hingehen, daß wir es finanzieren.
Das ist im übrigen billiger, menschlicher und anständiger, als anschließend mit großem Aufwand Schäden zu
beseitigen, die aufgetreten sind.
({14})
Ich habe großes Vertrauen in die Organisationen, die
den Zivilen Friedensdienst bilden.
Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weiß?
Im
Moment nicht, Herr Präsident.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich sind die
Finanzen wichtig. Jeder weiß, daß ich es besser gefunden hätte, wenn dem Entwicklungsbereich weniger Kürzungen zugemutet worden wären. Eines ist aber auch
festzuhalten - das sage ich an die Kritiker in diesem
Hause oder sonstwo -: Es geht insbesondere um qualitative Arbeit. Wir arbeiten daran, daß Initiativen unterstützt werden, die sich weltweit um die Reduzierung und
Begrenzung von Waffenlieferungen in Entwicklungsländer bemühen. Die Länder sollen nämlich ihr Geld für
Bildung und Gesundheit und nicht für Waffen und Rüstungsgüter ausgeben. Darin liegen ihre Chancen.
({0})
- Daß Sie dafür kein Verständnis haben, ist mir klar.
({1})
Ein weiterer Punkt, bei dem es uns um Qualität geht.
Bei der Ressortabstimmung haben wir unseren Einfluß
dahin gehend geltend gemacht, daß die WTO endlich
auch die Entwicklungsländer berücksichtigt. Durch die
Öffnung der Märkte der Industrieländer für Produkte aus
den Entwicklungsländern kann mehr erreicht werden, als
wenn alle Hilfen nur über die öffentlichen Haushalte
finanziert würden. Das wäre ein großer Schritt nach vorne. Die diesbezügliche Position der Europäischen Union
bei den Verhandlungen haben wir mitformuliert und
auch für die Bereitstellung von Finanzmitteln gesorgt.
({2})
Ich möchte gern noch einmal darauf hinweisen, daß
wir erstens die Nichtregierungsorganisationen im SüBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
den gestärkt haben, insbesondere auch beim Post-LoméProzeß, und daß zweitens die privaten Träger im kommenden Jahr nach den bisherigen Haushaltsvorschlägen
immer noch deutlich mehr Mittel zur Verfügung haben
als zur Zeit der Regierung Kohl, nämlich 4,8 Prozent
mehr als 1998.
({3})
Für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit dieser
Organisationen werden im Jahr 2000 deutlich mehr
Mittel bereitgestellt, nämlich gegenüber 1998 über
40 Prozent mehr.
({4})
Mir geht es noch um einen zusätzlichen Punkt. Angesichts der Probleme, die es in der Welt gibt, sollten wir
alle unsere Kräfte bündeln. Wir sollten die staatlichen
Mittel nutzen, Nichtregierungsorganisationen einbinden
und vor allen Dingen - das möchte ich und werde ich
auch tun - die Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft voranbringen. Bei jedem Projekt, das zukünftig
geplant wird, muß geprüft werden, ob die Leistungen
nicht von seiten der privaten Wirtschaft besser und effektiver erbracht werden können, so daß eine wirkliche
Partnerschaft, bezogen auf das entwicklungspolitische
Ziel, zustande kommt. Das ist ein Schwerpunkt, um dessen Verwirklichung wir uns kümmern werden.
({5})
Zum Schluß liegt mir noch eine Sache am Herzen:
Sie alle haben gelesen, daß zwei 14- und 15jährige
Schüler aus dem westafrikanischen Guinea, die sich im
Fahrgestell eines Flugzeuges versteckt hatten, auf dem
Weg nach Europa jämmerlich erfroren sind. Als man sie
nach der Landung des Flugzeuges in Europa fand, trugen sie nicht etwa einen Brief dabei, in dem sie um Asyl
baten, sondern sie hatten einen verzweifelten Hilferuf an
die Verantwortlichen Europas dabei. Ich möchte Ihnen
den Inhalt gerne vorlesen und Sie alle bitten, in diesem
Sinne tätig zu werden. Sie schrieben: „Wir leiden
furchtbar in Afrika. Wir leiden an Hunger, Krankheit
und Krieg. Wir möchten lernen und zur Schule gehen.
Bitte helfen Sie uns, damit wir in Afrika ein Leben führen können wie Sie in Europa.“
Ich denke, meine Damen und Herren, wenn wir uns
gemeinsam diesen Appell und die schreckliche Situation
dieser Jugendlichen, die zu einem solchen Mittel gegriffen haben, vor Augen halten, dann sollten wir dahin
kommen, einen Teil unserer parteipolitischen Auseinandersetzungen zu lassen, und sollten uns vielmehr gemeinsam bemühen, die Finanzmittel und die Möglichkeiten unseres Landes im Sinne der Jugend der Welt zu
nutzen.
Ich bedanke mich sehr.
({6})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den
Änderungsantrag der Fraktion der PDS. Wer stimmt für
den Änderungsantrag auf Drucksache 14/2149? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen
der PDS abgelehnt.
Damit kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 23 in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 23 ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 25. November
1999, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.