Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II auf:
Dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2000 ({0})
- Drucksachen 14/1400, 14/1680, 14/1901 bis
14/1921, 14/1922, 14/1923, 14/1924 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner
Michael von Schmude
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft
Es liegen fünf Entschließungsanträge der Fraktion der
F.D.P. und zwei Entschließungsanträge der Fraktion der
PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung
sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen.
- Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Adolf Roth, CDU/CSU-Fraktion.
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Zur dritten Lesung des Bundeshaushaltes gehört traditionell die politische Wertung
des Haushaltsauschußvorsitzenden, der ebenso traditionsgemäß ein Vertreter der Opposition ist. Herr Kollege
Wagner, bevor Sie sich heute darüber echauffieren, daß
ich aus dem Blickwinkel der CDU/CSU spreche, möchte
ich Ihnen zu Ihrem Geburtstag herzlich gratulieren. Bleiben Sie ruhig!
({0})
Lassen Sie mich zunächst das positive Ergebnis voranstellen, daß der Etat 2000 am heutigen Tag fristgerecht verabschiedet werden kann. Das ist ganz und gar
nicht selbstverständlich. Ich spiele jetzt nicht auf frühere
Erfahrungen mit sozialdemokratischen Bundesregierungen an, bei denen die fristgerechte Verabschiedung eher
die seltene Ausnahme gewesen ist und bei denen mancher Etat erst verabschiedet wurde, wenn das laufende
Haushaltsjahr schon fast vorüber war und man mit IstErgebnissen operieren konnte. Nein, ich beziehe mich
auf die Irritationen und die Schwierigkeiten im Vorfeld
dieser Haushaltsdebatte, insbesondere auf die internen
Rebellionsübungen bestimmter Parteiflügel im Koalitionslager.
({1})
Ich hätte gerne den Bundesfinanzminister angesprochen. Er muß aber heute im Bundesrat sein. An seiner
Stelle muß sein Staatssekretär folgendes zur Kenntnis
nehmen: Bundesfinanzminister Eichel ist nach wie vor
Parteivorsitzender der hessischen SPD. Nach seiner
Niederlage bei der Landtagswahl ist er, wenn auch mit
einem kleinen Dämpfer, wiedergewählt worden. Ich habe mir die Schlagzeile von vor wenigen Wochen aufgeschrieben: Aufstand in der SPD; jetzt 34 Abgeordnete
gegen Schröder.
({2})
Jetzt sind es nicht mehr 34 Abgeordnete, weil ein Kollege zur PDS übergelaufen ist. Von den 33 verbliebenen
Abgeordneten gehören immerhin 10 Abgeordnete der
hessischen SPD an. Jeder zweite hessische SPDAbgeordnete läuft also Sturm gegen das Zukunftsprogramm und gegen das Sparpaket des Bundesfinanzministers Eichel.
({3})
Das ist eine sehr bemerkenswerte Situation. Die mag
man verbrämt als politische Kultur ausgeben; in Wahrheit ist diese Situation aber alles andere als überzeugend.
Meine Damen und Herren, der Haushaltsausschuß hat
sich durch diese Irritationen nicht aus der Ruhe bringen
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lassen. Das hängt mit unserem traditionell guten Zusammenhalt und mit der Kooperationsbereitschaft über
die Fraktionsgrenzen hinweg zusammen. Es hat aber
auch ein Stück weit damit zu tun, daß die strategische
Anlage dieser Haushaltsrunde bei der Koalition von
vornherein eine Verteidigung und nicht etwa eine parlamentarische Gestaltung dieses Bundeshaushaltes für
das kommende Jahr gewesen ist. Verteidigt wurde, was
das Kabinett im internen Schwur verabredet hatte.
({4})
Wenn am Ende euphorisch von einer Punktlandung
gesprochen wird, dann muß ich anmerken: Wenn man
zu einem bestimmten Ziel noch gar nicht aufgebrochen
ist, dann ist es wahrscheinlich leicht, am Ende eine
Punktlandung zu konstatieren.
({5})
So genau war die Punktlandung übrigens nicht. Immerhin haben Sie 600 Millionen DM mehr bewilligt, als es
von der Bundesregierung beantragt worden ist. Im übrigen empfehle ich
({6})
- weil es in der öffentlichen Wahrnehmung etwas zu
kurz gekommen ist, Herr Kollege Schlauch -, sich einmal die gewundenen, schriftlichen Erklärungen aus dem
Koalitionslager zur Abstimmung über das Haushaltssanierungsgesetz - fünf Seiten im Protokoll der Sitzung
des Deutschen Bundestages - anzuschauen. Über
70 Abgeordnete haben in diesen schriftlichen Erklärungen ihre gequälte Zustimmung zu diesem Haushaltskonzept inhaltlich eingeschränkt und für ihre heimische
Parteibasis interpretationsfähig gemacht. Das ist die Situation.
({7})
Sie dagegen tun hier so, als sei Sparen das wichtigste
und eigentümlichste Herzensanliegen von Sozialdemokraten. Nein, da ist sehr viel Schminke darauf. Das muß
in dieser Debatte auch angesprochen werden.
Wenn hier gestern der Bundesarbeitsminister Riester
vollmundig verkündet hat, er werde im nächsten Jahr
16 Milliarden DM mehr ausgeben als im Jahre 1998,
und jeder vorher gesagt hat, auch er müsse seinen Sparbeitrag leisten, dann steht das in einem bemerkenswerten Kontrast zu dem Bild, das öffentlich erweckt worden
ist.
({8})
Der gleiche Vorwurf trifft auch den Bundesfinanzminister selbst, denn Herr Eichel hat hier am Dienstag bei der Beratung mit uns im Haushaltsausschuß hat er es
eher beiläufig erwähnt - sehr vollmundig verkündet: Ja,
dies ist ein besonderer politischer Akzent, wir haben
7 Milliarden DM mehr in den zweiten Arbeitsmarkt hineingepumpt.
({9})
Aber in der Arbeitslosenstatistik hat man in diesem Jahr
überhaupt keine Ergebnisse gesehen.
({10})
Meine Damen und Herren, dessenungeachtet möchte
ich auch bei dieser Gelegenheit, in der dritten Lesung,
allen Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses, namentlich aber den Sprechern und Obleuten der
Fraktionen auf beiden Seiten des Hauses und den Vorsitzenden der Unterausschüsse meinen herzlichen Dank
für die konstruktive Zusammenarbeit aussprechen. Ich
denke, trotz aller politischen Unterschiede: Irgendwie
mögen wir uns ja untereinander.
({11})
Ich füge hinzu: Am meisten mögen wir uns, wenn andere uns nur als schwer genießbar einstufen. Ich glaube,
das verschweißt unsere Truppe in besonderer Weise.
({12})
Aber ich möchte auch sagen, daß unser besonderer
Dank auch diesmal den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats des Haushaltsausschusses, die hier
oben am Saalende Platz genommen haben,
({13})
und auch den Mitarbeitern der Ministerien und des Bundesrechnungshofes gelten muß. Denn ohne stimmige
Organisation und verläßliche Zuarbeit wäre das wochenlange Haushaltsverfahren auf Sand gebaut.
Wir haben diesmal durch eine Straffung unserer Beratungsarbeit die gefürchteten Nachtsitzungen vermeiden können. Unser Berliner Provisorium in der Luisenstraße mit dem langgestreckten Sitzungssaal hat natürlich allen Beteiligten ein äußerstes Maß an Konzentration abverlangt, auch der Bundesregierung, die diesmal
quasi am Katzentisch am Saalende Platz nehmen mußte.
({14})
Sie ist durch die mehr bewilligten 600 Millionen DM
entschädigt worden.
Ich möchte feststellen, daß trotz aller eklatanten Organisationsschwächen im zwischen Berlin und Bonn
zweigeteilten Regierungsapparat die Haushaltsberatungen jedenfalls belegt haben, daß die Berliner Kopfstellen
der sogenannten Bonn-Ministerien den Ansprüchen des
Parlaments durchaus gerecht werden können, wenn das
Ganze richtig organisiert ist und wenn man auch parlamentarischerseits Wert darauf legt, daß überflüssige und
kostspielige Personalausflüge an die Spree auf das Minimum reduziert werden. Ich glaube, darauf müssen wir
alle achten.
({15})
Adolf Roth ({16})
SEITE ZURÜCK SEITE VOR
Meine Damen und Herren, die Zauberformel von der
öffentlichen Sparsamkeit bleibt politisches Blendwerk,
solange die quantitativen Kürzungen nicht durch eine
qualitative Haushaltskonsolidierung ergänzt werden,
und zwar mit klaren Entscheidungen über Umfang und
Prioritäten staatlicher Tätigkeit. Dies fordert nicht nur
der Sachverständigenrat. Das haben uns auch alle Institutionen und Experten aufgetragen, die uns bei den Anhörungen zum Bundesetat und zum Haushaltssanierungsgesetz in den letzten Wochen begegnet sind.
In dieser Woche ist auffällig gewesen, daß sich jeder
auf die Teile der Expertengutachten bezieht, die ihm besonders zupasse kommen. Das ist sicher menschlich,
aber ich weise mit Blick zur Koalition darauf hin, daß
das, worin Sie sich in diesen Gutachten bestätigt und bestärkt fühlen, nämlich in der grundsätzlichen Notwendigkeit und dem Vorrang von Haushaltskonsolidierung
und öffentlicher Sparsamkeit, bei uns zu keiner Minute
in irgendeiner Weise in Zweifel gezogen worden ist. Das
ist immer unsere politische Position gewesen. Aber dort,
wo es kritisch wurde und wo wir die Positionen der Experten übernehmen, haben Sie geglaubt, es genüge,
wenn man die Sätze nur bis zum ersten Semikolon liest.
Nein, Sie müssen die kritischen Anmerkungen der Experten auch umsetzen.
Ich zitiere ein Papier, das mir besonders aufschlußreich scheint. Darin heißt es:
Was not tut, ist eine radikale Modernisierung des
öffentlichen Sektors und eine Strukturreform der
öffentlichen Verwaltung. Der Weg zur sozialen Gerechtigkeit darf nicht mit immer höheren öffentlichen Ausgaben gepflastert sein, denn soziale Gerechtigkeit läßt sich nicht an der Höhe der öffentlichen Ausgaben messen.
Meine Damen und Herren, diese Passage steht im sogenannten Schröder-Blair-Papier. Nur weil linke Traditionalisten dieses Papier für eine Ausgeburt der Hölle halten,
({17})
müssen diese Empfehlungen und Auffassungen ja nicht
politisch falsch sein. Aber Sie müssen sie dann auch in
die Praxis umsetzen.
({18})
Der Bundesfinanzminister ist in der öffentlichen
Kommentierung in den letzten Monaten teilweise mit
dem Kompliment ausgestattet worden,
({19})
er verfüge zum Beispiel über die glückliche Gabe der
Sturheit. Ich glaube, das gilt für die job-description eines
Finanzministers in jedem Fall. Ich möchte, Ihren Beifall
aufnehmend, die Hoffnung aussprechen, daß der
Finanzminister konservativ genug ist, sich diese Eigenschaft auch für die Zukunft zu bewahren. Denn neben
der Sturheit, die er an den Tag legen muß, wird auch eine gehörige Portion Kreativität von ihm verlangt werden, wenn er das wahr macht und umsetzt, was er angekündigt hat, nämlich einen Umbau des bundesstaatlichen
Finanzsystems,
({20})
die Beseitigung der Schieflage, die er selber mit seiner
Strategie im Bundesrat bezüglich der Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern in den
letzten Jahren mit heraufbeschworen hat.
Meine Damen und Herren, dies allerdings hätte einem
verantwortlichen Politiker und Ministerpräsidenten auch
früher auffallen können. Die Verteilung der gesamtstaatlichen Steuermasse sah vor der Wiedervereinigung,
nein, sogar bis zum Jahre 1994, noch so aus, daß dem
Bund fast die Hälfte zufiel. Aber nach Übernahme der
gesamten kommunistischen Erblastschulden - die haben
wir nicht gemacht; die mußten wir übernehmen -, nach
der Finanzierung der Aufbautransfers für Ostdeutschland in Höhe von 600 Milliarden DM und nach der
Finanzierung der Stabilisierung der politischen Entwicklung in Osteuropa in Höhe von 160 Milliarden DM
muß der Bund dann am Ende zwar für zwei Drittel der
Schulden haften, aber er verfügt selbst nur noch über
42 Prozent der Finanzausstattung. Das ist dann in der
Tat eine Schieflage. Aber das hätten Sie bedenken müssen, bevor diese Situation entstanden ist.
({21})
Eine Umschichtung in Höhe von 6 Prozent zu Lasten
des Bundes bedeutet, daß dem Bund aus dem gesamtstaatlichen Steueraufkommen heute ein Volumen von
50 Milliarden DM pro Jahr weniger zur Verfügung steht
als nach dem früheren Verteilungsschlüssel, der bis
1994 gegolten hat. Das gesamte Ausmaß der Nettokreditaufnahme des Bundes wäre also in diesem Rahmen
abgedeckt gewesen.
Meine Damen und Herren, wenn der Bundesfinanzminister diese Situation heute beklagt, ist das ein Eingeständnis, das wir akzeptieren. Es unterstreicht zugleich
aber die Unhaltbarkeit und Grobschlächtigkeit seines
Argumentationsmusters bezüglich der Situation unserer
Staatsfinanzen. Wenn die Schuldenstandsveränderungen
im Jahrzehnt der deutschen Einheit gebetsmühlenhaft als
schieres Versagen der Vorgängerregierung abgestempelt
werden, dann ist dies nicht nur bösartig,
({22})
sondern leugnet auch den historischen Ereignisablauf im
Zusammenhang mit der deutschen Einheit und den damit verbundenen großen Finanzierungsverpflichtungen.
({23})
Wir stehen zu der Leistung, die Helmut Kohl und
Theo Waigel für das Zusammenwachsen in Deutschland
im letzten Jahrzehnt erbracht haben. Genauso deutlich
fragen wir aber auch, woher ausgerechnet Sozialdemokraten, gerade solche, die wie der Bundeskanzler und
der Bundesfinanzminister in der landespolitischen Verantwortung standen, ihre Selbstgerechtigkeit in Sachen
Staatsfinanzen nehmen und von welchen eigenständigen
Leistungen sie ihre Vorwürfe an andere ableiten wollen.
Adolf Roth ({24})
SEITE ZURÜCK SEITE VOR
Es sind keine Herren ohne Vorleben. Solange diese
Position hier vertreten wird, werden wir darauf zu antworten wissen, weil wir nicht bereit sind, diese Argumentation politisch zu akzeptieren.
({25})
Ich sage noch einmal an die Adresse der Bundesregierung: Sie werden mit der CDU/CSU keinen Streit
über die nachhaltige Verringerung der Nettokreditaufnahme und über die schrittweise Vermeidung von
Staatsschulden haben. Wie kämen wir auch dazu? Alles
andere würde einen eigenartigen Bruch unserer politischen Tradition bedeuten, die immer auf Absenkung der
Staatsquote und auf eine Reduzierung der Steuerlasten
in den gesamten Tarifverläufen angelegt war - aber vernetzt mit der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung:
strukturelle Reformen, Auftrieb für Arbeit, Beschäftigung und Investitionen. Wir sind damit immer für bessere Rahmenbedingungen in unserem Land eingetreten.
Dazu gehört staatliches Sparen. Es ist vertrauensbildend. Es stärkt die wirtschaftliche Dynamik. Aber es
muß Teil eines wirtschaftspolitischen Gesamtkonzeptes sein. Die Vernetzung mit der Steuerpolitik, mit der
Arbeitsmarktpolitik und mit der Sozialgesetzgebung
stellt drei offene Flanken dar, über die in diesem Land in
den nächsten Jahren sehr vehement weitergestritten
werden muß. Denn auch im Haushalt 2000 haben Sie
auf die damit verbundenen Fragen nicht die geringste
Antwort formuliert.
({26})
Sie haben die Steuerreform von 1997 eiskalt zunichte
gemacht. Sie sind allen strukturellen Reformen für Investitionen und Arbeitsplätze entgegengetreten. Heute
wollen Sie für sich eine politische Wende reklamieren.
Dazu sage ich Ihnen: Es hat in den fünf Jahren vor dem
Regierungswechsel bei gleichbleibendem Ausgabenvolumen des Staates eine strukturelle Einsparung von weit
über 100 Milliarden DM gegeben - ohne einen Bruch im
Sozialbudget. Wer das damals als himmelschreiendes
Unrecht diffamiert und daraus revisionistische Wahlkampfversprechungen abgeleitet hat, heute aber die
eigenen Sparleistungen mit vertauschten Rollen und
neuen Etiketten als „epochalen Sanierungsbeitrag“ feiern lassen will, der beweist, daß er mit seiner Verantwortung nicht zurechtkommt.
Hätte es das verkündete Ende der Bescheidenheit
oder die Ausgabenexpansion, die Ausflüge in die interventionistische Nachfragestimulation, mit dem Regierungswechsel nicht gegeben, wären Sie vor mancher unangenehmen Operation bewahrt geblieben.
({27})
Ihr Sparpaket ist nichts anderes als ein unausweichliches
Wendemanöver, Ihre Antwort auf den folgenschweren
Fehlstart von Oskar Lafontaine. Ihr Sparpaket ist der
Versuch, die im Wahlkampf gegebenen Versprechungen
mit möglichst geringem Gesichtsverlust zurückzunehmen.
({28})
Dafür gibt es keinen besseren Zeugen als den Bundeskanzler selbst. Er hat am 14. Juli auf einer Pressekonferenz in Bonn den Kernsatz formuliert, daß es nach seiner - Schröders - Einschätzung besser gewesen wäre,
der Linie Eichels von Anfang an zu folgen.
„Wie denn das?“ fragt man sich und reibt sich die
Augen. Eichel war zu dieser Zeit ein gesinnungsstarker
Anhänger von Oskar Lafontaine, sozusagen der brave
Ministrant an seiner Seite, sein strategischer Gehilfe im
Bundesrat.
({29})
Er hatte die Wahl in Hessen noch nicht verloren und
damit noch nicht sein Erweckungserlebnis nach dem
Verlust seines Amtes gehabt. Nein, Sie sind mit dem falschen Programm gestartet, Sie sind mit dem falschen
Mann am Geldhahn angetreten, und Sie haben den
Wählern falsche Versprechungen gemacht. Die müssen
Sie heute zurücknehmen.
({30})
Wenn die zweite Chance erfolgreicher als das vermasselte erste Jahr Ihrer Amtszeit ausgehen soll, dann
werden Sie mehr als diese in sich nicht stimmigen Sparoperationen leisten müssen. Sie müssen vor allem die
alarmierende Fehlentwicklung in der Ausgabenstruktur des Bundeshaushalts stoppen. Ich weiß, daß diese
Fehlentwicklung nicht neu ist. Sie hat mit den Finanzierungen des Einheitsprozesses zu tun.
Wir haben in den letzten fünf Jahren allein 25 Milliarden DM zusätzlich für die Tilgung der Erblastschulden
aufbringen müssen. Wir haben zusätzlich 8 Milliarden
DM für den Kohlepfennig aufbringen müssen. Wir haben zusätzliche Rentenzuschüsse finanzieren müssen.
Dazu kam eine Verfünffachung der Aufwendungen für
den Arbeitsmarkt. All das ist in einem gleichbleibend
hohen Ausgabenvolumen untergebracht worden. Das
heißt, wir mußten zu Lasten aller übrigen Etats sparen.
Dies darf keine dauerhafte Entwicklung in Deutschland
sein, wenn wir die Handlungsfähigkeit und die Entscheidungsfähigkeit unseres Staates weiter im Auge behalten wollen.
Lieber Kollege Roth,
Sie müssen leider zum Ende kommen.
({0})
Ich stelle fest,
daß Sie mit dem folgenden Widerspruch leben müssen:
auf der einen Seite sparen, sparen, sparen, auf der anderen Seite Milliarden für die Sozialkasse und für den
zweiten Arbeitsmarkt; auf der einen Seite ein minimaler
Einstieg in die Konsolidierung, aber auf der anderen
Seite ein riesiger Korb mit ungelösten Problemen und
Adolf Roth ({0})
SEITE ZURÜCK SEITE VOR
falschen Weichenstellungen. Sie sind innerhalb von
zwölf Monaten mit zwei verschiedenen Mannschaften
auf zwei verschiedenen Wegen vorangegangen. Dies hat
kein Vertrauen geschaffen und keinen Auftrieb für unser
Land gebracht. Deshalb werden wir dieser Politik entgegentreten. Wir lehnen den Bundeshaushalt in der dritten
Lesung ab.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich erteile nun dem
Kollegen Hans Georg Wagner, SPD, das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es bewundernswert, wenn diejenigen, die 16 Jahre lang alles in
Deutschland versaubeutelt haben, jetzt fordern: Nach
einem Jahr muß alles geregelt sein.
({0})
Damit ist - vor allem dann, wenn dies ständig wiederholt wird - die Grenze der Lächerlichkeit erreicht.
Ich möchte zunächst einmal dem Herrn Bundeskanzler für seinen Einsatz am Mittwochabend danken.
({1})
Dies war eine tolle Leistung. Sie haben unsere volle
Unterstützung. Wir sind wirklich dankbar und froh, daß
Sie die Sache mit der Firma Philipp Holzmann und
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - insgesamt
sind 60 000 betroffen - geregelt haben.
({2})
Ich habe schon gestern abend in einer Diskussion gesagt: Der Bundeskanzler kommt genauso wie ich aus
sogenannten kleinen Verhältnissen. Es war schon Herzblut dabei angesichts der Tatsache, daß 60 000 Familien
in Deutschland vor dem Herannahen der Weihnachtstage zitterten, weil der Haushaltsvorstand seinen Arbeitsplatz zu verlieren drohte. Deshalb war das eine tolle
Leistung, die auch gewürdigt werden muß.
({3})
Herr Kollege Fischer, natürlich waren Sie als Mitglied
der Bundesregierung auch involviert. Sie müssen keine
Kritik äußern. Wir vergessen nicht, auch Sie zu würdigen.
({4})
Es gab in Berlin schon oft Demonstrationen von
Bauarbeitern. Ich erinnere daran, daß die Bauarbeiter
am 17. Juni 1953 gegen das Regime der SED aufgestanden sind. Sie haben hier demonstriert und ihren Körper
für die Freiheit hingehalten. Später haben Bauarbeiter
in Berlin gegen illegale Beschäftigungsverhältnisse
demonstriert. Danach haben Bauarbeiter gegen die
Schlechtwettergeldregelung demonstriert. Zuletzt haben
die Holzmänner und die Beschäftigten der Zulieferfirmen in Berlin demonstriert. Ich danke auch diesen
Bauarbeitern. Sie haben das Recht wahrgenommen, das
ihnen unser Grundgesetz garantiert, nämlich frei für ihre
Rechte und für ihre Arbeitsplätze zu demonstrieren.
Dies war eine tolle Leistung, die ich hier ausdrücklich
würdigen möchte.
({5})
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch ein
paar Sätze zu Herrn Merz sagen, der heute morgen überraschenderweise auch hier ist. Normalerweise ist er nur
hier, wenn er eine Rede halten möchte. Herr Merz, einen
Tag nach dem großen Erfolg Schröders in Frankfurt haben Redner aus Ihren Reihen hier darum gebeten, dies
parteipolitisch nicht auszuschlachten. Wir haben geantwortet: Jawohl, es war eine gemeinsame Leistung; dies
akzeptieren wir.
Jetzt möchte ich auf das zu sprechen kommen, Herr
Merz, was Sie am Mittwoch gesagt haben.
({6})
Egal, ob Dienstag oder Mittwoch: Das, was Herr Merz
gesagt hat, war jedenfalls eine Unverschämtheit.
({7})
Ich zitiere aus dem Protokoll:
Wenn Sie im Bundeshaushalt die Mittel für Investitionen einschließlich des Hoch- und Tiefbaus
nicht in dieser unverantwortlichen Weise zusammenstreichen würden, dann gäbe es möglicherweise
morgen noch die Philipp Holzmann AG …
Eine Unverschämtheit, die durch nichts gedeckt ist!
({8})
Sie kennen die Zahlen nicht. Sie reden zwar hier immer
sehr gescheit - das ist unbestritten -,
({9})
aber Sie machen sich nicht über die Realität kundig. Ich
sage Ihnen, wie es wirklich aussieht: Herr Waigel hatte
für 1999 Investitionsmittel in Höhe von 57,5 Milliarden
DM vorgesehen.
({10})
Unter Hans Eichel wurden die Investitionen auf 58,2
Milliarden DM erhöht. Für das Jahr 2000 hatte Waigel
57,7 Milliarden DM vorgesehen. Eichel hat - das können Sie im Haushaltsplan nachlesen, die dicken Bücher
liegen Ihnen vor - 57,5 Milliarden DM vorgesehen. Das
ist nur unwesentlich weniger.
Adolf Roth ({11})
SEITE ZURÜCK SEITE VOR
Herr Kollege Merz, Sie haben konkret die Bauinvestitionen angesprochen. Ich muß Sie auf folgendes hinweisen: Das Ist im Jahre 1998 betrug 11,22 Milliarden
DM. Das Soll im Jahre 1999, in unserem Haushalt, belief sich auf 11,55 Milliarden DM. Das war also schon
mehr als im Jahre 1998. Das Soll für das Jahr 2000 beläuft sich auf 11,59 Milliarden DM. Das ist nochmals
mehr als im Jahre 1998. Wie Sie angesichts dessen sagen können, wir hätten etwas zusammengestrichen, ist
mir unerklärlich.
({12})
Diese Lügen, diese Behauptungen, die Sie - meinetwegen am Dienstag - aufgestellt haben, gehen ja noch
weiter. Ich will an Hand von vier Punkten beweisen, daß
Sie entweder absolut keine Ahnung haben oder zu faul
waren, sich richtig zu informieren.
({13})
Sie haben gesagt, Herr Kollege Merz, die Staatsverschuldung sei, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, in
der Zeit der CDU/CSU-F.D.P.-Regierung zurückgegangen. Das ist falsch. Das ist effektiv falsch. Ich will jetzt
nicht sagen, daß das gelogen war, weil der Präsident
sagt, daß man das Wort Lüge hier nicht verwenden darf.
Also tue ich das auch nicht. Aber das war zumindest
einmal haarscharf die Unwahrheit.
Die Gesamtstaatsverschuldung, Herr Kollege Merz,
betrug im Jahre 1982 641 Milliarden DM, im Jahre 1989
969 Milliarden DM und im Jahre 1998, also nach Ihrer
glorreichen Regierung,
({14})
2 259 Milliarden DM.
Die Verschuldung des Bundes - einschließlich der
Schattenhaushalte -, Herr Kollege Merz, belief sich
1982 auf 349 Milliarden DM, im Jahre 1989 auf 542
Milliarden DM und 1998 auf 1 457 Milliarden DM. Der
Anteil des Bundes an der Staatsverschuldung insgesamt
betrug im Jahre 1982, als wir die Regierung abgeben
mußten, 54,4 Prozent. Dann hat Herr Stoltenberg die
Verschuldung nicht gesenkt, sondern gesteigert. 1989
betrug der Anteil des Bundes 55,9 Prozent. Im Jahre
1998 hatten Sie den Anteil der Staatsverschuldung des
Bundes auf 64,5 Prozent gesteigert. Da reden Sie davon,
Sie hätten in der Zeit von 1982 bis 1998 etwas Besonderes getan. Sie haben die Staatsverschuldung gesteigert,
und zwar ganz erheblich; das ist richtig.
Diese Zahlen räumen auch mit dem Märchen auf, daß
Herr Stoltenberg von 1982 bis zur Wiedervereinigung
besonders sparsam gewirtschaftet hätte. Die Wahrheit
ist: Von 1982 bis 1989, also in nur sieben Jahren, ist die
Verschuldung des Bundes um 55 Prozent, nämlich um
193 Milliarden DM gestiegen. Sie ist damit stärker gestiegen als die von Ländern und Gemeinden. In diesen
Jahren gab es weder Öl- noch Weltwirtschaftskrisen,
wie sie die sozialliberale Koalition zu bewältigen hatte.
Die Staatsverschuldung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, ist von 40,4 Prozent im Jahre 1982 auf
43,6 Prozent im Jahre 1989 angestiegen und nicht etwa
gefallen, wie Sie und auch Herr Austermann uns hier
immer wieder vorgaukeln.
Herr Merz, Sie haben wahrheitswidrig behauptet ich habe es eben schon einmal gesagt -, wir würden die
Investitionen in unverantwortlicher Weise zusammenstreichen. Ich habe eben die Zahlen genannt. Das Ist von
11,22 Milliarden DM im Jahre 1998 und das Soll im
Jahre 2000 von 11,59 Milliarden DM widersprechen all
Ihren Behauptungen. Wir haben die Mittel also nicht
zusammengestrichen, sondern stocken die Mittel für
Baumaßnahmen auf.
({15})
Jetzt sage ich noch etwas, was in diesen Tagen gesagt
werden sollte. Wir haben im Bereich des Bundesverkehrsministers eine Anpassung an die Realität vorgenommen. Jahrelang haben Sie den Leuten draußen vorgegaukelt, daß bestimmte Baumaßnahmen im Verkehrsbereich - sei es Straße oder Schiene, sei es Wasserstraße
oder Flughafen - durchgeführt würden. Das geht jedoch
völlig an der Realität vorbei. Der Bundesverkehrswegeplan, der von uns, vom Gesetzgeber, bis zum Jahre
2012 beschlossen worden ist, ist in hoffnungsloser Weise unterfinanziert, und zwar von Ihnen, weil Sie nur
vorgegaukelt haben, sie würden etwas tun, aber nicht die
notwendigen Mittel eingesetzt haben.
({16})
Das sage ich, weil das ein großes Lügengebilde war.
Ich bin der rotgrünen Bundesregierung dankbar, daß sie
es geschafft hat, beim Bundesverkehrswegeplan Realitätsnähe herzustellen und den Leuten die Wahrheit zu
sagen, anstatt sie permanent zu belügen. Das ist Ausdruck des Handelns dieser Koalition.
({17})
Ferner haben Sie behauptet, Herr Merz, der Bund
schwimme in noch erzielbaren Privatisierungserlösen.
Ich weiß nicht, wovon Sie da geredet haben. Offenbar
sind Sie nicht informiert oder haben keine Ahnung.
Weiter sagten Sie, es gebe insbesondere noch weitere
Erlöse durch die Privatisierung der Telekom. Sie
wollten damit den Eindruck erwecken, der Bund brauche gar nicht zu sparen, es sei eigentlich Unsinn, was
wir da veranstalten. Offenbar haben Sie gar nichts verstanden, wenn sie meinen, die Erlöse aus der Privatisierung der Telekom stünden für die Finanzierung des
Bundeshaushaltes zur Verfügung. Richtig ist leider, daß
Herr Waigel 25 Milliarden DM von den Erlösen aus der
Privatisierung der Telekom zum Stopfen seiner Haushaltslöcher mißbraucht hat bzw. mißbrauchen wollte.
„Mißbraucht“ sage ich, weil diese Erlöse nach dem Postreformgesetz zur Finanzierung der Postunterstützungskassen dienen, das heißt, für die Sicherung der Pensionen und nicht zur Haushaltsfinanzierung einzusetzen
sind.
({18})
SEITE ZURÜCK SEITE VOR
Damit Sie, Herr Kollege Merz, einen Begriff davon
bekommen, wie lange dieses Geld an die Postunterstützungskassen fließt: Bis zum Jahre 2040 müssen die Erlöse aus der Privatisierung der Telekom jedes Jahr gemäß dem Postreformgesetz den Postunterstützungskassen zugeführt werden. Das haben Sie wahrscheinlich
nicht gelesen. Das ist jedenfalls die Realität. Solche falschen Behauptungen sollten Sie künftig nicht mehr aufstellen.
({19})
Wir haben Mißbrauchsmöglichkeiten eingeschränkt
und, um für klare Verhältnisse zu sorgen, in das Haushaltsgesetz 2000 hereingeschrieben - das haben Sie
vielleicht nicht bemerkt -, daß Telekomerlöse, soweit
sie im nächsten Jahr über den Zuschußbedarf hinausgehen, zur Tilgung von Schulden zu verwenden sind. Sie
sind also nicht frei verwendbar, sondern müssen zur
Schuldentilgung eingesetzt werden, damit wir endlich
von dem von Ihnen verursachten Schuldenberg in Höhe
von 1 500 Milliarden DM herunterkommen.
({20})
Schließlich haben Sie, Herr Kollege Merz, den Eindruck erwecken wollen, eine Nettoentlastung der Steuerzahler in Höhe von 30 Milliarden DM sei möglich, da
die gesamten Steuereinnahmen des Staates im Jahre
2000 um rund 50 Milliarden DM über denen von 1998
lägen und 2001 noch einmal um 27 Milliarden DM anstiegen.
({21})
Das ist billiger Populismus, denn Sie wissen doch genau, daß diese Summe nicht frei verfügbar ist, sondern
längst in die Haushalte und in die Finanzplanung eingearbeitet wurde. Die von Ihnen geforderte Steuersenkung
wäre nur auf Pump zu haben. Eine Politik auf Pump ist
aber mit uns nicht mehr zu machen, damit das auch einmal klar ist!
({22})
Nach diesem denkwürdigen Auftritt von Herrn Merz
am Dienstag trat am Mittwoch ein neuer Star in die
Runde, nämlich Herr Rühe.
({23})
Er versuchte, hier eine große Rede zu halten. Ich muß
Ihnen aber sagen, daß ich etwas so Enttäuschendes wie
die Rede von Herrn Rühe in einer zweiten Lesung des
Bundeshaushaltes noch nie erlebt habe.
({24})
In Anlehnung an ein Wort von Bernhard Vogel - als er
die Regierungsverantwortung in Mainz abgeben mußte,
sagte er: „Gott schütze Rheinland-Pfalz!“ - sage ich nur:
„Gott schütze Schleswig-Holstein!“.
({25})
Was Herr Rühe hier zur Bundeswehr gesagt hat, war
eine Auflistung der Versäumnisse aus seiner Zeit als
Minister. Daß die Bundeswehr technologisch in diesem
Zustand ist, ist ausschließlich die Schuld von Herrn Rühe und von niemandem sonst! Das sage ich ganz klar
und deutlich, meine Damen und Herren.
({26})
Bei seinen großartigen Ausführungen zur Werftindustrie war er wahrscheinlich genauso wie Sie, Herr
Merz, nicht informiert, daß die Koalition 90 Millionen
DM
({27})
- schönen Dank, Herr Kollege Koppelin - an Barmitteln
für die Werftindustrie im nächsten Jahr eingestellt hat.
In den darauffolgenden Jahren werden es jeweils 80
Millionen DM pro Jahr sein, damit die Werftindustrie
Aufträge einwerben kann und lebensfähig bleibt. Das
hat er nicht gewürdigt, obwohl er sich darum bemüht das wird die Bevölkerung Gott sei Dank verhindern -,
Ministerpräsident in einem Land zu werden, das hiervon
profitiert. Auch diesen Punkt muß man einmal würdigen. Aber das hat er bei seiner Rede wohl vergessen.
Seine Rede war sehr enttäuschend und ohne jegliche
Substanz. Man hat in ihr weder einen schwarzen noch
einen roten Faden gefunden, es war überhaupt kein Faden vorhanden, sondern er ist von Hölzchen auf Stöckchen gekommen und meinte, das sei etwas ganz Besonderes.
({28})
Gestern hat Herr Brüderle, der heute morgen auch
nicht da ist
({29})
- natürlich, Sie machen das wahrscheinlich besser, als er
selbst das könnte, das ist mir schon klar -, gegen das
polemisiert, was Gerhard Schröder bei Holzmann erreicht hat,
({30})
indem er sagte: Wie kann man denn eine Bundesbürgschaft für das Unternehmen Holzmann geben?
({31})
Er soll sich doch einmal etwas besser über die Geschichte informieren. Er war damals zwar Winzerkönig
in Rheinland-Pfalz, aber noch nicht auf Bundesebene
tätig.
({32})
SEITE ZURÜCK SEITE VOR
Als nämlich die AEG in Schwierigkeiten war, haben
Graf Lambsdorff - der ja noch Mitglied der F.D.P. ist als Bundeswirtschaftsminister und Manfred Lahnstein
als Bundesfinanzminister ohne viel Worte eine Bürgschaft in Höhe von 1 Milliarde DM für AEG aufgelegt.
Diese brauchte nicht in Anspruch genommen werden,
weil allein durch diese Bürgschaft in Höhe von 1 Milliarde DM die Aktien der AEG so anstiegen, daß sich alles wieder ausglich.
Wenn man sich jetzt die Aktienkurse von Holzmann
anguckt, stellt man fest, daß sie genau in die gleiche
Richtung gehen, obwohl die Bürgschaft lediglich 100
Millionen DM beträgt. Sie sollten also immer wieder in
Ihre eigene Geschichte hineinforschen - richten Sie das
auch Herrn Brüderle aus -, um sich daran zu erinnern,
was Sie in der Vergangenheit alles schon gemacht haben.
({33})
Meine Damen und Herren, nun noch ein paar Bemerkungen zur Beratung des Haushaltes. Ich bin von den
Haushaltsberatungen enttäuscht. Am Dienstag hatte ich
für die Koalition - auch für Bündnis 90/Die Grünen angeboten, daß wir, wenn Sie vernünftige Vorschläge
machen, miteinander darüber reden und sie, sofern sie
wirklich sinnvoll sind, in den Bundeshaushalt aufnehmen. Leider sind keine solchen Vorschläge gekommen;
Sie haben hier überhaupt keine alternativen Positionen
dargestellt.
({34})
Es tut mir furchtbar leid, schließlich sind Sie regierungserfahren und erst ein Jahr von der Regierungsmacht
entwöhnt. Sie könnten doch Anträge bringen.
({35})
Sie als Union haben den Antrag gebracht, man möge
alle Zuschüsse zur Bundesanstalt für Arbeit auf Null
stellen. Das hätte bedeutet, daß die Jugendarbeitslosigkeit wieder schlagartig in die Höhe gegangen wäre. Das
Programm, mit dem wir es geschafft haben, 200 000 Jugendlichen in Deutschland wieder eine Zukunft zu geben, wäre zunichte gemacht worden, wenn wir Ihrem
Antrag gefolgt wären. Deshalb haben wir diesen Antrag
abgelehnt.
({36})
Wir hätten auch das hohe Niveau der Arbeitsmarktsunterstützung in den neuen Ländern nicht fortsetzen
können, wenn wir Ihrem Antrag gefolgt wären. Sie
wollten mit dem Antrag, den Sie hier eingebracht haben,
eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern erreichen, meine Damen und Herren.
({37})
Kollege Wagner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?
Nein.
Dann haben Sie von der PDS - diese Fraktion kam
natürlich auch mit Anträgen und behauptete sogar noch,
sie seien seriös gegenfinanziert - den Verzicht auf den
Eurofighter als Gegenfinanzierung für Ihre sonstigen
Forderungen vorgeschlagen. Das wäre eine schöne Sache; in ihr steckt auch Herzblut von Sozialdemokraten
und Grünen. Aber Sie müssen wissen, daß die Schwarzgelben die Verträge abgeschlossen und das Zeug bestellt
haben. Wir müssen das nun bezahlen, so leid uns dies
tut. Deshalb sind die Vorschläge der PDS unseriös, was
die Gegenfinanzierung angeht.
({0})
Meine Damen und Herren, mich hat schon gewundert, daß zum Beispiel das Wort Kultur in den Reden
der Opposition gar nicht vorgekommen ist.
({1})
- Sie haben zwar für die Deutsche Welle gekämpft, wissen aber genau, daß das ein Kampf gegen Windmühlenflügel ist. Im übrigen hat Kultur bei Ihnen keine Rolle
gespielt, obwohl ungewöhnlich große Anstrengungen
der Bundesregierung in den neuen Ländern, in den alten
Ländern und auch hier in Berlin zur Sicherung der kulturellen Aktivitäten zu verzeichnen sind.
({2})
Das war Ihnen kein Wort der Erwähnung wert. Ich sage
das nur, damit deutlich wird, daß Sie mit der Förderung
von Kultur in Deutschland nichts im Sinn haben.
Den Bemühungen der Bundesregierung - des Bundesfinanzministers, vertreten durch Karl Diller - ist es
zu verdanken, daß am Mittwoch dieser Woche die Europäische Kommission beschlossen hat, daß die neuen
Länder Ziel-1-Gebiet bleiben.
({3})
Durch den Einsatz der Bundesregierung ist es also möglich geworden,
({4})
daß in den Jahren 2000 bis 2006 19,6 Milliarden Ecu in
die neuen Länder zu ihrer weiteren Entwicklung fließen
werden. Das sind etwa 38 Milliarden DM, die allein von
der europäischen Ebene nach Ostdeutschland gegeben
werden. Ich bin sehr dankbar, daß sich die Bundesregierung darum bemüht hat, die anderen Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, daß die Förderung im Osten weitergehen muß, genauso wie wir die Förderung der neuen
Länder auf hohem Niveau fortsetzen.
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Nun zu einem Punkt, der schon am Mittwoch zu einer
erregten Diskussion geführt hat, zum Thema Spenden.
Ich möchte jetzt nicht dem Untersuchungsausschuß vorgreifen. Aber mich wundert schon sehr, wenn an jedem
Tag in den Presseorganen über neue Dinge berichtet
wird, die die Union betreffen. Da gibt es schon Erklärungsbedarf; hier hat Kollege Struck völlig recht gehabt.
Ich habe gelesen, daß der bayerische Ministerpräsident
- Ihr eigentlicher Oberbefehlshaber, wie Sie wissen sechsmal an der Côte d´Azur in der Villa von Herrn
Holzer Urlaub gemacht hat
({5})
und daß drei Tage vor dem Minol-Deal im Bundeskabinett Herr Dieter Holzer einen Brief an den Bundeskanzler mit der Anrede „Lieber Helmut Kohl“ geschrieben
hat. Diese vertrauliche Anrede zeigt, daß er im Hause
Kohl nicht unbekannt gewesen sein kann.
Diese Dinge muß man natürlich aufklären. Was die
eine Million betrifft, habe ich gestern scherzhaft Frau
Kollegin Baumeister gefragt: Geht eine Million eigentlich auch in einen Kosmetikkoffer?
({6})
Sie war etwas erstaunt über die Frage; ich habe ihr aber
gleich gesagt, daß ich sie persönlich nicht verdächtigen
möchte. Aber es wird zu klären sein: Ist die Politik in
Deutschland käuflich? War sie es, ist sie es, wird sie es
werden?
({7})
Politik darf in der Bundesrepublik nicht käuflich werden, meine Damen und Herren!
({8})
Mit dem Bundeshaushalt für das Jahr 2000 runden
wir heute unser Paket ab. Wir sind handlungsfähig und
haben dies auch bewiesen. Die Koalition handelt, sie redet nicht nur. Deshalb wird es auch zum Guten für die
Bundesrepublik werden.
({9})
Ich erteile dem Kollegen Jürgen Koppelin, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte vor der
heutigen Entscheidung über den Haushalt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Haushaltsausschusses sehr
herzlich für die Unterstützung danken. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch den Mitarbeitern in unseren
Abgeordnetenbüros herzlich für die gute Zuarbeit danken. Sie dürfen, denke ich, heute auch einmal erwähnt
werden.
({0})
Ich bedanke mich auch dafür, daß alle, die ich eben genannt habe, die Arbeitszeitordnung sehr souverän mißachtet haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundesfinanzminister ist ja mit einem großen Ziel gestartet. Er hat gesagt, 30 Milliarden DM wolle er im Haushalt 2000 einsparen. Richtig ist jedoch, daß er diesen Betrag überhaupt nicht spart, sondern daß er sich durchmogelt. Der
Finanzminister spart weniger am Bundeshaushalt, als
daß er abkassiert. Das nennt er eben „sparen“.
({1})
Nur in drei Bereichen streicht er selbst. Dies geschieht erstens bei der Bundeswehr, der er die Möglichkeit nimmt, die auf Grund der Auslandseinsätze
dringend erforderlichen Investitionen zu tätigen. Zweitens kassiert er radikal beim Agrarhaushalt ab und
nimmt den Landwirten etwa 25 Prozent ihres Einkommens. Da muß man sich fragen: Wo bleiben die begleitenden Gesetze, damit unsere Landwirte die gleichen
Bedingungen haben wie ihre Kollegen in Frankreich,
Dänemark oder Holland?
({2})
Und es wird beim Straßenbau gestrichen. Herr Kollege Wagner, daran geht kein Weg vorbei: Beim Straßenbau wird gestrichen. Dadurch werden auch wichtige
Strukturmaßnahmen gestoppt. Herr Eichel verfährt nach
dem Motto: Mehr Straßenlöcher zum stopfen von Haushaltslöchern.
({3})
Dieser Haushalt ist weiterhin kommunalfeindlich;
denn er kassiert bei den Kommunen und auch bei den
Ländern radikal ab. Dies wird schließlich zu Lasten der
Bürgerinnen und Bürger gehen. Statt selbst zu sparen,
wird auch bei den Sozialschwachen und beim Mittelstand abkassiert.
Wo der Finanzminister streicht - das ist das Bedauerliche -, streicht er bei Investitionen. Damit werden Arbeitsplätze gefährdet; denn für viele Branchen, zum Beispiel für den Straßenbau, ist der Bund der einzige Auftraggeber. Dort, wo es jedoch sinnvoll wäre zu sparen,
geschieht dies aus ideologischen Gründen nicht.
Wenn die Bundesregierung aus demographischen
Gründen von einer durchschnittlichen Abnahme der Arbeitslosigkeit um 200 000 Stellen ausgeht, fragt man
sich, warum der Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit weiterhin überdimensional bleiben muß.
({4})
Bereits 1999 war der Ansatz für die Bundesanstalt für
Arbeit völlig überhöht. Was Sie mit Ihrem hohem Zuschuß wollen, ist völlig klar: Sie wollen eine Aufblähung des zweiten Arbeitsmarktes. Damit verzögern Sie
notwendige Strukturanpassungen.
({5})
Der Bundesfinanzminister nennt öffentlich ehrenwerte Ziele. Er will sparen, und er will die Verschuldung
des Bundes zurückführen. Interessant ist, daß Herr
Eichel in seiner Amtszeit als hessischer Ministerpräsident bereits die gleichen Ziele verkündet hat.
Nun muß man sich einmal das Ergebnis in Hessen
anschauen: In der Amtszeit von Herrn Eichel sind in
Hessen die Personalausgaben von 42 Prozent auf 47
Prozent gesteigert worden. Wahr ist auch, daß in der
Amtszeit von Herrn Eichel in Hessen, bei rotgrüner
Landesregierung - Herr Fischer soll irgendwann auch
einmal dabei gewesen sein; aber das war noch zur
Amtszeit des Vorgängers von Herrn Eichel -,
({6})
- zwischen 1994 und 1998 pro Jahr durchschnittlich 2,3
Milliarden DM neuer Schulden aufgenommen wurden.
({7})
Den Höchststand erreichte man 1997. Damals war ein
Negativrekord in der Geschichte des Landes Hessen zu
verzeichnen, und Herr Eichel mußte 2,9 Milliarden DM
an neuen Schulden aufnehmen.
({8})
Auch ein weiterer Vergleich ist vielleicht zulässig,
nämlich bei der Zinsausgabenquote. Man muß das einmal vergleichen: Am Ende der Amtszeit von Herrn
Eichel lag die Quote in Bayern bei 3,7 Prozent, in Baden-Württemberg bei 6,8 Prozent und in Hessen bei
immerhin 9,6 Prozent. Das spricht doch wohl Bände
hinsichtlich der Arbeitsweise dieses Finanzministers!
({9})
Ich kann nur jedem, der immer wieder auf Herrn Eichel
hereinfällt, empfehlen, sich anzuschauen, was er in Hessen gemacht hat. Dort hat er die gleichen Botschaften
verkündet, aber völlig anders gehandelt. Er hat mit den
gleichen Tricks gearbeitet, mit denen er auch hier arbeitet.
Vielleicht darf man aber auch einmal an eine andere
Funktion erinnern, die Herr Eichel in Hessen innegehabt
hat: Er war nämlich auch Oberbürgermeister in Kassel.
Dort hat er sich immer gelobt, denn er war damals Chef
der ersten rotgrünen Koalition. Seine Forderung war damit ist er in unrühmlicher Erinnerung -: Kassel muß
bundeswehrfrei werden. Da wundert es einen doch nicht,
daß er jetzt bei der Bundeswehr so radikal streicht. Das
sitzt bei ihm immer noch im Kopf.
({10})
Mit diesem Bundeshaushalt werden keine neuen Impulse für die Wirtschaft unseres Landes gegeben und
keine sicheren Rahmendaten für Unternehmen und Bürger gesetzt. Notwendig wären ein echter Sparhaushalt das hat auch die Anhörung ergeben - und eine radikale
Senkung der Steuern. Nur so kann man die Rahmenbedingungen verbessern und neue Arbeitsplätze schaffen. Aber das geschieht hier nicht.
({11})
Insofern sei den Sozialdemokraten ins Stammbuch
geschrieben: Der Staat sorgt zwar nicht für Arbeitsplätze, aber er setzt die Rahmenbedingungen, damit die
Wirtschaft und vor allem der Mittelstand Arbeitsplätze
schaffen können. Hier versagt der Bundeshaushalt völlig.
Im Abkassieren sind dieser Bundesfinanzminister und
seine Koalition besonders groß. Nicht einmal das Versprechen, die vollen Einnahmen der Ökosteuer zur
Senkung der Rentenbeiträge zu nutzen, hält diese Regierung ein. Sie nimmt nur einen Teil davon; mit dem anderen stopft sie Haushaltslöcher.
Man muß sich übrigens ebenfalls fragen: Wo war
denn - ich sehe sie auch heute nicht - die Familienministerin damals? Warum hat sie nicht dem Finanzminister gesagt: Das kannst du nicht machen, mit der Ökosteuer belastest du vor allem die Rentner und die Familien? - Sendepause!
({12})
- Abgetaucht! Genau das ist es.
Wie unlogisch die Ökosteuer ist, haben wir Ihnen oft
genug gesagt. Ich denke, auch bei dieser Debatte sollte
man es noch einmal sagen. Die Ökosteuer ist völlig unlogisch, denn sie ist darauf angelegt, daß bloß kein Bürger Energie sparen möge, denn dann hätte der Finanzminister weniger Einnahmen.
({13})
Das kann doch nicht wahr sein. Die Ökosteuer ist ein
Etikettenschwindel; sie dient nur zum Abkassieren der
Bürger.
({14})
Oder nehmen wir die Rentenpolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, nur weil Oskar
Lafontaine mit 56 Jahren in Rente gegangen ist, muß
doch nicht die ganze Republik mit 60 in Rente gehen!
({15})
Dann kommt es noch schlimmer: Frau Simonis verkündet fast täglich, wir bräuchten die Vermögensteuer,
die Erbschaftsteuer usw.
({16})
Da muß ich doch noch einmal den Bundesarbeitsminister ansprechen; er ist leider auch nicht da. Von ihm
stammt das Thema Rente mit 60. Herr Riester hat in der
„Wirtschaftswoche“ verkündet - so lese ich es zumindest als Zitat -: „Ich bin mit Sicherheit kein Umfaller.“
({17})
Das will ich gerne bestätigen. Das trifft übrigens ähnlich
auf die Grünen zu. Da haben wir als F.D.P. ja ein bißchen Erfahrung.
({18})
Umfallen kann man nur, wenn man vorher gestanden
hat. Herr Riester steht für gar nichts!
({19})
Ich stelle fest: Täglich überall Verunsicherung durch
diese Koalition, und täglich erleben wir, daß man sich in
dieser Koalition streitet. Das wirkt sich natürlich auch
bei den politischen Entscheidungen aus. Da streiten sich
Rot und Rot, Rot und Grün, Grün und Rot, Grün und
Grün. Man hat den Eindruck, in dieser Koalition ist sich
überhaupt niemand mehr grün.
({20})
Diese Koalition zeichnet sich durch Zerstrittenheit,
Orientierungslosigkeit und Unberechenbarkeit aus, und
das Ganze ist gepaart mit mangelnder Sachkompetenz.
Auch das spiegelt dieser Haushalt wider.
Die Unterschiede zwischen Herrn Eichel und der
F.D.P. sind klar: Im Gegensatz zu Herrn Eichel ist für
die F.D.P. der Staat eine Instanz, die ordnungspolitisch
an der Stelle eingreift, an der es erforderlich ist. Ansonsten hat der Staat nur Rahmenbedingungen und Anreize
zu schaffen. Für uns ist der Staat nicht - wie bei dieser
rotgrünen Bundesregierung - der besserwisserische
Übervater, der alles bestimmt, alles regelt und seinen
Bürgern mit Mißtrauen begegnet. Das unterscheidet uns.
({21})
Kollege Wagner, ich hätte Schleswig-Holstein ja
nicht angesprochen, aber ich bin Ihnen dankbar für den
Hinweis. Ich will Ihnen nur zwei Beispiele für das nennen, was uns unterscheidet, auch in der Politik.
Frau Simonis läuft jetzt durchs Land und verkündet
dort, wo tatsächlich ein paar Arbeitsplätze entstanden
sind, nämlich im Telekommunikationsbereich, das sei
ihr Erfolg. In diesem Bereich gibt es in SchleswigHolstein tatsächlich einige neue Arbeitsplätze. Aber wer
war denn gegen die Privatisierung? Das waren doch Sie!
Wir waren dafür!
({22})
Diese Arbeitsplätze wären in Schleswig-Holstein niemals entstanden, wenn wir uns nicht dafür eingesetzt
hätten. Frau Simonis hat das nicht getan.
Nun nenne ich noch einmal den Bereich Straßenbau
- Herr Kollege Wagner, den haben ja auch Sie angesprochen -: Es ist richtig, daß wir, wenn CDU und
F.D.P. die Landtagswahl in Schleswig-Holstein gewinnen sollten, Straßen bauen werden. Wir werden dann
natürlich Widerstand seitens bestimmter Interessengruppen bzw. bestimmter Bevölkerungskreise bekommen,
die die eine oder andere Straße an der vorgesehenen
Stelle nicht haben wollen. Das gibt es überall; das wird
es auch hier geben. Aber der Unterschied zu Ihrer jetzigen Koalition und zu uns ist: Sie in Schleswig-Holstein
haben den Widerstand bereits im Kabinett sitzen. Das ist
das Entscheidende.
({23})
Herr Kollege Wagner, ich verstehe es ja, daß Sie die
Landtagswahl in Schleswig-Holstein ansprechen. Sie
haben ja gar nicht so sehr Angst davor, daß Herr Rühe
gewinnt. Sie haben vielmehr Angst davor, daß der Herr
Bundeskanzler Frau Simonis einen Kabinettsposten anbietet. Das ist doch das Problem.
({24})
Der Bundeshaushalt, so sagt man, sei das Schicksalsbuch der Nation. Von diesem Schicksalsbuch müßten ja
dann eigentlich Impulse und Bewegungen ausgehen.
Doch wo sind sie? Die einzige Bewegung, die von diesem Haushalt und der rotgrünen Bundesregierung ausgeht, ist Kopfschütteln bei der getäuschten und enttäuschten Bevölkerung. Nichts anderes ist der Fall.
({25})
Wenn man dem Bundesfinanzminister für diesen
Haushalt ein Zeugnis ausstellen müßte, dann würde es
wohl lauten: Hans Eichel war stets bemüht, konnte jedoch den eigenen Ansprüchen zu keiner Zeit gerecht
werden.
Wir Freien Demokraten lehnen den Bundeshaushalt
2000 ab.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld.
({26})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Matthias Berninger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch
ich möchte damit beginnen, mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ministerien und vor allem bei
jenen im Haushaltsausschuß zu bedanken. Einen solchen
Haushalt zustande zu bringen ist ziemlich viel Arbeit.
Das würde ohne diese Mitarbeiter nicht so reibungslos
ablaufen, wie es jetzt der Fall war. Deswegen an dieser
Stelle mein Dank an alle Mitarbeiter.
({0})
Ein besonderer Dank gilt dem Ausschußvorsitzenden.
Im Ausschuß geht es ja manchmal hoch her. Kollege
Austermann weiß das. Ich denke, daß der Vorsitzende
die Sitzungen sehr souverän und sehr fair geleitet hat.
Auch das ist ein besonderes Dankeschön wert.
({1})
Aber trotz so vieler Worte des Dankes, Herr Kollege
Roth, sollten wir nicht vergessen, uns politisch zu streiten. Sie haben gesagt, Finanzminister Eichel habe eine
ganze Menge Komplimente bekommen; das habe Sie
gewundert. Mich überrascht nicht, daß die Union sich
wundert, wenn ein Finanzminister Komplimente beJürgen Koppelin
kommt. Bei Waigel war das nie der Fall. Es ist also klar,
daß Sie darüber verwundert sind.
Dies wird erst recht klar, wenn Sie die Haushaltspolitik dieser Legislaturperiode mit jener der letzten vergleichen. Ich fange einmal mit den Investitionen an; denn
sie waren hier schon mehrfach Thema. Sie sind 1994 mit
Investitionen im Schienenbaubereich in Höhe von etwa
10 Milliarden DM und im Straßenbaubereich in Höhe
von annähernd 9 Milliarden DM angetreten und haben
in den nächsten vier Jahren bei den Investitionen um
über 4 Milliarden DM gekürzt. Wenn man uns dann angesichts dessen, daß wir den Haushalt ins Gleichgewicht
bringen und die Investitionen auf einem hohen Niveau
halten wollen, kritisiert, dann muß man sich den Vorwurf der Unglaubwürdigkeit gefallen lassen.
({2})
Sie haben in den letzten Jahren unter Herrn Rüttgers
im Bildungsbereich 800 Millionen DM zusammengestrichen, während wir für Bildung, Zukunft und Forschung mehr Geld ausgeben. Auch hier müssen Sie sich
den Vorwurf gefallen lassen, daß Ihre Haushaltspolitik
alles andere als solide war.
Kollege Rühe hat in seiner Amtszeit als Verteidigungsminister die nette Bilanz zu verzeichnen, daß es im
Verteidigungsetat zu Kürzungen von über 11 Prozent
kam, und zwar ohne daß er irgendeine Strukturreform in
Gang gesetzt hat. Es ist zwar vernünftig, die Verteidigungsausgaben auf ein realistisches Niveau abzusenken.
Aber dazu muß man - das muß man ihm hier vorwerfen
- die nötigen Strukturreformen in Gang setzen. Dazu
war die alte Koalition nicht in der Lage.
({3})
Es ist viel über die Summe von 1,5 Billionen DM
Schulden gesprochen worden. Ein Abgeordneter der
CDU war gestern sogar stolz auf diese Schulden. Wir
können uns hier lange darüber streiten, wer dafür verantwortlich ist. Mich langweilt - offen gestanden - dieser Streit. Denn er führt zu keinem Ergebnis. Wir haben
diese Schulden, und der Finanzminister - das unterscheidet ihn von seinem Vorgänger - hat sich das Ziel
gesetzt, diesen Schuldenberg abzubauen. Dafür erhält er
die schon angesprochenen Komplimente.
({4})
Niemand bezweifelt, daß die deutsche Einheit zusätzliche Lasten mit sich gebracht hat. Was wir Ihnen
aber vorwerfen, ist, daß Sie im Zuge der deutschen Einheit den Menschen nicht die Wahrheit gesagt haben und
daß Sie von denen, die mehr hätten geben können, keinen höheren Solidarbeitrag verlangt haben. Das ist es,
was Sie sich von uns vorwerfen lassen müssen.
({5})
Meine Damen und Herren, natürlich ist das Ausgabenvolumen in der Ära Waigel gewachsen, auch wenn
viele Haushaltspolitiker Nebelkerzen werfen, indem sie
sagen, es sei konstant geblieben. Nein, es ist gewachsen.
Weil auf Grund einer strukturellen Änderung beim Kindergeld aus vorherigen Ausgaben Einnahmeausfälle
wurden, konnten Sie den Haushalt rein zahlenmäßig
konstant halten. Aber Sie haben den Haushalt aufgebläht. Statt die Schulden zu bekämpfen, haben Sie Jahr
für Jahr versucht, das strukturelle Defizit zu vertuschen.
Sie haben die Privatisierungserlöse nur für einen Zweck
verwandt, nämlich dafür, sich durchzumogeln und mit
dem Haushalt noch knapp an der Verfassungswidrigkeit
vorbeizukommen - oder diese Grenze auch zu berühren.
Sie haben es in den letzten Jahren nicht geschafft, die
Entwicklung des Defizits in den Griff zu bekommen.
Deshalb ist die Aufgabe für diese Koalition auch so
außerordentlich schwierig. Wir stehen vor großen Risiken. Brutto nehmen wir auch in diesem Jahr annähernd
250 Milliarden DM an neuen Schulden auf,
({6})
netto unter 50 Milliarden DM; das zeigt, wie schwer das
Umsteuern ist. Wenn sich der Zinssatz nur um 1 Prozent
erhöht - allein das ist ein großes Risiko -, dann kostet
uns dies weitere 2,5 Milliarden DM. So viel müßten wir
dann zusätzlich zu den 82 Milliarden DM, die wir heute
für Zinsen auf den Tisch legen müssen, für die Schulden
ausgeben. Deswegen hat sich diese Koalition, auch
wenn es schwer ist, für Einsparungen entschieden. Wir
wollen den Haushalt ins Gleichgewicht bekommen. Das
ist etwas, was Sie nie zustande gebracht haben.
({7})
Noch etwas unterscheidet uns von der alten Regierungskoalition. Sie haben den Haushalt aus dem Gleichgewicht gebracht.
({8})
Sie haben aber auch die Steuern erhöht. Allein der Eingangssteuersatz ist in den letzten 16 Jahren um 4 Prozent
gestiegen. Was aber noch viel schlimmer ist: Sie haben
die Lohnnebenkosten in den letzten acht Jahren um
10 Prozent steigen lassen. Wir betreiben eine Steuersenkung: Der Eingangssteuersatz wird in vier Jahren um
6 Prozent sinken.
({9})
Das ist eine Politik, die sozial gerecht ist, weil sie auch
den Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen zugute
kommt.
({10})
Wir senken die Lohnnebenkosten - dadurch werden
wir neue Arbeitsplätze schaffen - und sparen dennoch.
Es ist die Leistung von Herrn Eichel, daß das strukturelle Defizit in Angriff genommen wird, ohne die Menschen mit neuen Steuern zu belasten.
({11})
„Schein und heilig“ ist es in der Tat, wenn Sie hier
immer die Ökosteuer anführen. Ich hätte mir gewünscht, die Ökosteuer wäre höher gewesen. Durch
mutigere Entlastungen bei den Lohnnebenkosten hätten
nämlich noch mehr neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.
({12})
- Herr Kollege Ramsauer, ich bin alles andere als ein
grüner Raubritter. Das Raubrittertum fällt mir immer
dann ein, wenn ich mir die Situation in der letzten Legislaturperiode, wenn ich mir Ihre Regierungszeit vor
Augen halte. Man kann bei uns von allem reden, nur
nicht von Raubrittertum.
({13})
Sie haben doch die Mineralölsteuer um 58 Pfennig erhöht, ohne damit irgendeinen Impuls für die Senkung
der Lohnnebenkosten erreicht zu haben.
({14})
Auch dies ist angesprochen worden: Wieviel Tafelsilber haben wir noch? In diesem Zusammenhang ist es
nötig, auf den Kollegen Merz einzugehen. Herr Kollege
Merz, wir haben noch 160 Milliarden DM an Privatisierungserlösen. Es muß hier noch einmal gesagt werden:
Im Unterschied zur alten Koalition wollen wir das Tafelsilber, die Telekom-Privatisierungserlöse, dafür verwenden, die Renten und Pensionen für die Postbediensteten zu bezahlen. Zum anderen haben wir mit diesem
Haushaltsgesetz etwas Mutiges in Angriff genommen.
Wir sagen nämlich: Sollten wir darüber hinaus noch Privatisierungserlöse haben, so geben wir sie nicht aus,
Herr Kollege Austermann, sondern verwenden sie zum
Abbau der Schulden. Das ist eine Weichenstellung, die
Sie nie vorgenommen haben.
({15})
Wahlweise wird von der Opposition gesagt, es werde
gar nicht gespart, es werde an der falschen Stelle gespart, es werde zuviel gespart. Wir hören wahlweise
eines dieser Argumente in den Reden der einzelnen Abgeordneten. Dann werden die sogenannten Alternativvorschläge unterbreitet. Ich habe nur einen Vorschlag
wirklich wahrgenommen - Kollege Koppelin ist auch
stolz darauf -, nämlich den, den Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit auf Null zu fahren. Wissen Sie,
was mich daran ärgert? Mich ärgert, daß wir dann das
Sofortprogramm der Bundesregierung, das wir auf den
Weg gebracht haben, von dem einen auf den anderen
Tag aussetzen müßten. Damit hätten 200 000 Jugendliche keine Perspektive mehr; das wäre ein Rückfall in die
Ära Kohl.
({16})
Was ich noch schlimmer finde: Erst gewinnen Sie
von der Union die Wahlen in Ostdeutschland, und dann
kommen Sie in den Haushaltsausschuß und sagen, wir
streichen den BA-Zuschuß.
({17})
200 000 Menschen in den neuen Ländern hätten dann
keinen Arbeitsplatz mehr, wobei ich zugebe: Jetzt haben
sie einen öffentlich geförderten. Das ist etwas, was Sie
sich vor der Wahl nicht getraut hätten zu sagen. Das ist
genau Ihre Politik. Das haben Sie zu Ihrer Regierungszeit so gemacht, und auch in Oppositionszeiten gehen
Sie so vor.
({18})
Deshalb ist Ihre Politik auch so unglaubwürdig.
Bevor ich jetzt auf den Kollegen Koppelin eingehe,
gibt es noch den Wunsch zu einer Zwischenfrage des
Niebel-Kerzenwerfers. Bitte schön.
Kollege Niebel, bitte
schön.
Herr Kollege Berninger, wenn
wir über Nebel - oder Niebel-Kerzen reden, dann können wir vielleicht im Rahmen dieser Frage klären, wer
was vernebelt.
Mir ist nicht bekannt - vielleicht ist es Ihnen bekannt
-, seit wann dieser Zuschuß zweckgebunden sein soll.
Sie tun so, als wenn der Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit zweckgebunden sei. Nach meinen
Kenntnissen ist dies nicht der Fall. Nach meinen Kenntnissen ist es vielmehr so - ich würde mich freuen, wenn
Sie das hier bestätigen können -, daß es eine Faustformel gibt, wonach 100 000 Arbeitslose zirka 4,5 Milliarden DM Kosten verursachen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht von einem demographischen Rückgang der Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr von 200 000 aus. Das sind dann 9 Milliarden DM.
Sie haben auch gesagt, daß Sie durch Ihre Politik die
Arbeitslosigkeit noch senken wollen. Gesetzt den Fall,
daß Sie das so tun könnten, könnten Sie die globale
Minderausgabe durch den Haushalt erwirtschaften, ohne
irgendeine Leistung zu kürzen.
Stimmen Sie mir zu, daß dieser Zuschuß nicht
zweckgebunden ist und daß meine Äußerungen so richtig sind?
({0})
Ich habe davon geredet, daß 200 000 Menschen
in den neuen Ländern von heute auf morgen wieder auf
der Straße stehen würden.
({0})
Herr Niebel hat davon geredet, daß es irgendwelche
Zweckbindungen gebe. Wer bestreitet denn, daß die Arbeitsmarktsituation in den neuen Ländern so ist, daß wir
noch auf Jahre hinaus öffentliches Engagement brauchen, um neue Arbeitsplätze in den neuen Ländern zu
schaffen?
({1})
Wir haben im Gegensatz zu Ihnen vor und nach der
Wahl gesagt, wir wollen eine aktive Arbeitsmarktpolitik
in den neuen Ländern finanzieren. Stimmen Sie mit mir
überein - das ist nur eine rhetorische Frage -,
({2})
daß der Chef der Bundesanstalt für Arbeit genau auf diesen Zustand hingewiesen hat, welche Folgen es nämlich
hätte, den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit auf
Null zu setzen? Das erfinden doch nicht wir, sondern es
ist das, was uns die Leute, die im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ihre alltägliche Arbeit verrichten, sagen.
Das Sofortprogramm für junge Leute wäre über die
Wupper. Die Leute würden wieder auf der Straße stehen. In den neuen Ländern würden weitere 200 000
Menschen ohne Arbeitsplatz sein.
Kollege Berninger,
der Kollege Niebel will noch einmal fragen.
Er will noch einmal fragen? Er darf auch noch
einmal fragen.
({0})
Herr Kollege Berninger, stimmen Sie mir zu,
({0})
daß die Bundesanstalt für Arbeit über eigene Einnahmen
verfügt, die sie selbst auf ungefähr 89,5 Milliarden DM
beziffert. Wenn man das durch den Beitragssatz von
6,5 Prozent teilt, kommt man bei ungefähr 7 Milliarden
DM auf eine mögliche Senkung des Beitrags an die
Bundesanstalt von 0,5 Prozent. Stimmen Sie mir zu, daß
all das die Lohnnebenkosten, wenn man die Beitragssenkung umsetzen würde, verringern würde und dadurch
die Chance, Arbeitsplätze ohne staatliche Förderung zu
schaffen, vergrößert werden würde?
Werter Kollege Niebel, wenn F.D.P.-Politiker
von einer Senkung der Lohnnebenkosten reden, fällt mir
immer ein, was Sie gemacht haben. Sie haben, weil Sie
Steuererhöhungen für die Besserverdienenden vermeiden wollten, die Lohnnebenkosten erhöht.
({0})
Es ist doch völlig klar: Wenn ich die gesamte aktive
Arbeitsmarktpolitik verwerfe, wenn ich die Leistungen
der Bundesanstalt für Arbeit verringere, dann verringere
ich auch den Beitrag der Beschäftigten. - Einen Moment
müssen Sie noch stehenbleiben; Sie stellen die Frage,
ich antworte. - Es ist doch völlig klar, Herr Kollege
Niebel, daß man die Bundesanstalt für Arbeit zu einer
Nachtwächterbehörde machen könnte und damit auch
die Beiträge für die Bundesanstalt für Arbeit senken
könnte. Das ist aber das, was diese Koalition nicht will,
was auch die Beschäftigten in Deutschland nicht wollen.
Es ist klar, daß die F.D.P. das will. Aber vor diesem
Hintergrund stehen wir dafür, daß es öffentliches Engagement und öffentliche Beschäftigung in diesem Bereich
gibt.
({1})
Meine Damen und Herren, der Haushalt wird in den
nächsten Jahren systematisch mit geringerer Neuverschuldung auskommen, und er wird, so schnell es eben
möglich ist, im Gleichgewicht sein. Wir stehen dazu,
daß wir die Nettoneuverschuldung auf Null fahren. Wir
stehen dazu, daß wir möglichst Überschüsse erwirtschaften. Wir wollen einen ähnlichen Weg gehen wie
viele unserer Nachbarländer - zu nennen ist das Beispiel
Dänemarks -, wo man der jungen Generation sagt:
Wenn wir euch schon große Belastungen im Bereich der
demographischen Entwicklung hinterlassen - das dürfte
ja in diesem Hause unstrittig sein -, können wir euch
nicht zusätzlich einen Haushalt, der aus dem Gleichgewicht geraten ist, hinterlassen. Vor diesem Hintergrund
muß man sagen: Der Weg des Bundesfinanzministers
bringt einen Einstieg - diese Koalition steht hinter dem
Bundesfinanzminister - in einen Paradigmenwechsel in
der Finanzpolitik, der besagt, daß man eben nicht auf
neue Schulden setzen will.
({2})
Vielmehr die Ausgaben danach auszurichten, wie hoch
unsere Einnahmen sind, ist das Ziel der Bundesregierung. Ich halte das für einen guten Weg.
Übrigens ist das nicht der einzige Punkt, bei dem wir
diesen Weg gegangen sind. Wenn Sie sich vor Augen
führen, was wir im Bereich der Neuordnung der Energiewirtschaft machen, daß wir auf regenerative Energien setzen, daß wir eine Umorientierung der Energiewirtschaft wollen, daß wir die Ökosteuer auch deshalb eingeführt haben, damit Deutschland auf eine neue Energiepolitik setzen kann, dann sehen Sie, daß diese Punkte
Beispiele dafür sind, daß wir damit aufhören wollen, zu
Lasten kommender Generationen Politik zu machen.
Ich bin sehr sicher, daß uns das auch bei der Reform
des Rentensystems gelingen wird. Übrigens kann man
an dieser Frage erkennen, wie mächtig die Opposition
denn ist. Als das Sparpaket noch ein geschlossenes Paket und komplett zustimmungspflichtig war, haben Sie
hier vollmundig Drohungen ausgesprochen, etwa die
Drohung, Sie würden erst dann über eine Rentenreform
reden, wenn wir uns von der Maßnahme, die Erhöhung
der Renten auf den Inflationsausgleich zu beschränken,
verabschieden würden. Dann haben wir Sie von heute
auf morgen im Haushaltsausschuß damit überrascht, das
Sparpaket in zwei Teile zu zerlegen, und damit ist Ihre
gesamte Strategie zusammengebrochen.
({3})
Das mag Sie ärgern. Aber, meine Damen und Herren,
ich freue mich darüber, daß die Union endlich zur Vernunft zurückkehrt und an das anknüpft, wo sie sich in
der letzten Legislaturperiode befunden hat,
({4})
nämlich zu erkennen, daß wir alle in diesem Haus gemeinsam das Rentensystem reformieren müssen und daß
Fundamentalopposition von Ihrer Seite nicht angebracht
ist. Sie sind mit in der Verantwortung.
({5})
Ich bin für Ihr Gesprächsangebot sehr dankbar. Ich
glaube, daß diese Verhandlungen zu einem guten Ergebnis führen werden. Denn wir alle müßten uns darin
einig sein, daß es keinen Sinn macht, der nächsten Generation eine Kostenbelastung zu hinterlassen, die sie nicht
tragen kann.
Mich hat es geärgert, daß Sie Steuerreformvorschläge
gemacht haben, die nur auf Pump zu finanzieren wären.
Der Kollege Wagner hat völlig recht: Auf Pump ist mit
uns nichts mehr zu machen. Mich hat das auch deshalb
geärgert, weil Sie dann dazu beitragen würden - unsere
Wirtschaft ist die Leitökonomie in Europa -, daß der
Euro gefährdet würde. Wenn wir die MaastrichtKriterien nicht erfüllen würden, wenn wir einen Haushalt vorlegen würden, der das von der Verfassung in Art.
115 des Grundgesetzes vorgesehene Gebot verletzen
würde, wonach die neuen Schulden nicht die Höhe der
Investitionen überschreiten dürfen, dann würde schlagartig die Botschaft an die europäischen Finanzmärkte
gehen: Das mit dem Euro wird nichts mehr.
Für den Euro, denke ich, ist dieser Haushalt deshalb
eine gute Nachricht, weil wir den Weg finanzpolitischer
Seriosität gehen, weil wir nicht Jahr für Jahr vor der
Frage zittern: Schaffen wir die Maastricht-Kriterien oder
nicht?, sondern weil wir finanzpolitisch auf Stabilität
setzen. Diese Stabilität wird an den europäischen Finanzmärkten positive Wirkungen haben.
Mich ärgert es dann, wenn Herr Stoiber nicht nur zum
Verfassungsbruch aufruft,
({6})
sondern mit seinen Steuerreformvorschlägen auch noch
versucht, den Euro auszuhebeln.
({7})
Diese Art Oppositionsvorschläge finde ich nicht in Ordnung. Wer Vorschläge zur Reform des Steuersystems
macht - natürlich warten wir auch auf Ihre Vorschläge -,
der muß sie seriös gegenfinanzieren.
({8})
Der Kollege Ramsauer hat gesagt, ich soll das zurücknehmen,
({9})
das Wort „Aufruf zum Verfassungsbruch“. Was ist das
denn sonst, Herr Kollege Ramsauer?
({10})
Wenn man einen Vorschlag für eine Steuerreform
macht, der 30 Milliarden neue Schulden vorsieht, was
zur Folge hätte, daß wir höhere Schulden als Investitionen hätten und damit die Verfassung brechen müßten,
was ist das, bitte, anderes als ein Verfassungsbruch?
({11})
Diese Aufforderung von Herrn Stoiber weisen jedenfalls
wir in diesem Haus zurück.
({12})
Das Hauptproblem, das die Opposition hat, besteht
darin, daß sie eigentlich gegen das Sparen nichts hat.
Dann schiebt sie allerdings immer das große Komma
nach und sagt: Aber nicht an dieser, nicht an jener, nicht
an irgendeiner anderen Stelle. Der Kollege Austermann
hat immer wieder vollmundig verkündet, es gebe ein
Alternativkonzept.
({13})
Dieses Alternativkonzept lag nie auf dem Tisch.
({14})
Es ist unseriös. Es setzt auf den alten Kurs und auf soziale Kälte, wie am Beispiel des Zuschusses für die
Bundesanstalt für Arbeit zu sehen war.
({15})
Wir erhöhen das Kindergeld. Wir verbessern die Leistungen für die Familien in wirklich spürbarem Maße.
Wir setzen auf ein neues Steuersystem, auf eine Ergrünung des Steuersystems. Wir setzen auf einen Haushalt,
der ins Gleichgewicht kommt. Vor diesem Hintergrund
empfehle ich Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dem Haushalt zuzustimmen, und danke dieser
Koalition dafür, daß sie mit dem finanzpolitischen Voodoo der Ära Waigel Schluß macht.
Vielen Dank.
({16})
Ich erteile der Kollegin Christa Luft, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Minuten wird
hier eine Redeschlacht zu Ende gehen, die seit Dienstag
vormittag in diesem Hause um den ersten Haushalt im
neuen Millennium tobt. Wenn ich rekapituliere, dann
stelle ich fest, daß diese Redeschlacht von lautstarken
gegenseitigen Schuldzuweisungen der früheren Koalition an die jetzige Koalition und der jetzigen Koalition an
die frühere geprägt gewesen ist. Zwischendurch hat natürlich - wie sich das gehört - die PDS immer ein paar
Hiebe abbekommen. Ob das nun aber den Menschen,
die am Bildschirm und an den Radiogeräten all die Tage
ausgeharrt haben, Antworten auf ihre Fragen gegeben
hat, ob damit Vertrauen in die Politik zurückgewonnen
worden ist, das bleibt noch zu bezweifeln.
({0})
Nicht aufgeklärt hat die Koalition, warum sie so mir
nichts, dir nichts den Schwerpunkt der Wahlversprechen
und den Schwerpunkt der Koalitionsvereinbarungen
hinter sich gelassen und einen Schwenk vollzogen hat.
In der Koalitionsvereinbarung heißt es noch - das war
richtig -: Der Schlüssel zur Haushaltskonsolidierung ist
die energische Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dafür,
liebe Koalitionäre, seid ihr doch gewählt worden und
nicht für ein Sparpaket schlechthin.
({1})
Beim Sparpaket ist nun fast eine Punktlandung gelungen. Was die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit angeht, da hat sich der Fallschirm noch irgendwie
im Gestrüpp verfangen. Bislang jedenfalls hat er sein
Ziel weit verfehlt.
Zum sorgfältigeren und effektiveren Umgang mit öffentlichen Geldern - das sind zum ganz großen Teil
Steuergelder von abhängig Beschäftigten - sagen wir
selbstverständlich ja. Aber wenn für die Zukunft gespart
wird, dann sind alle Bevölkerungsgruppen in die Pflicht
zu nehmen. Diese Koalition aber fordert besonders jene
zur Solidarität mit den Kinder- und Enkelgenerationen
auf, die ihre monatlichen Einkünfte für den aktuellen
Konsum brauchen und sie nicht auf die hohe Kante legen können, nämlich Rentnerinnen und Rentnern, Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger und Arbeitslosenhilfebezieherinnen und -bezieher. Jene aber, die über
mehr als ein Jahrzehnt von der wahrlich eskalierenden
öffentlichen Verschuldung profitiert haben, für die diese
öffentliche Verschuldung gar zur privaten Melkkuh geworden ist, kommen nach wie vor unter dem Regen
durch. Das sehen wir nicht ein.
({2})
Muß denn die Öffentlichkeit davon ausgehen, daß die
Einnahmeverbesserung öffentlicher Haushalte durch
Wiedererhebung der privaten Vermögensteuer, wie sie
von den heutigen Regierungsparteien zu deren noch gar
nicht lange zurückliegenden Oppositionszeiten stets gefordert wurde, damals auch nur eine populistische Forderung war? Ich meine, wir sollten die Forderung nach
sozialer Gerechtigkeit nicht ständig als Populismus diffamieren.
({3})
Nicht ausgeräumt hat die Koalition den Vorwurf, die
Anpassung von Einkommen entsprechend dem Inflationsausgleich würde die Binnenkaufkraft reduzieren.
Noch einmal, liebe Koalitionäre: Rentnerinnen und
Rentner, Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfebezieherinnen und -bezieher haben von der Lohnnebenkostensenkung durch Erhebung der Ökosteuer nichts. Aber ihnen
wird durch die Ökosteuer in die Tasche gegriffen. Das
ist doch die Wahrheit.
Was das Verlagern von Bundesausgaben auf Länder
und Kommunen mit Sparen zu tun hat, hat sich auch
nach dieser lautstarken Schuldzuweisung von der einen
auf die andere Seite der Öffentlichkeit immer noch nicht
erschlossen.
({4})
Der Kern unserer Kritik aber ist, daß Sie nicht sagen,
wie diese Gesellschaft nach einem harten Sparkurs aussehen soll. Wie sieht Ihr Gesellschaftskonzept für die
Zeit danach aus? Wofür wird die Handlungsfähigkeit
des Staates zurückgewonnen? Wollen wir etwa noch
mehr Eurofighter? Doch wohl nicht! Wollen wir noch
mehr Transrapids? Wollen wir noch mehr Subventionen
für Daimler-Chrysler?
Ich will dem lieben Geburtstagskind, dem Kollegen
Wagner, sagen: Frau Matthäus-Maier hat bis zum letzten
Tag ihrer Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag, also
bis zum Sommer 1999, den Verzicht auf die Anschaffung des Eurofighters und den Verzicht auf den Einstieg in dieses Projekt ständig gefordert. Das kann nicht
ihre Privatmeinung gewesen sein. Sie wurde doch wohl
von der SPD-Fraktion mitgetragen. Wie kann sich diese
Meinung nach nur wenigen Monaten so verändern? Die
Vorbelastungen für künftige Haushalte - das ist der
Kern unserer Kritik - reichen bis zum Jahr 2015. Woher
wissen wir eigentlich, ob unsere Kinder und Enkelkinder
im Jahr 2015 und danach diesen Eurofighter überhaupt
noch wollen? Diese Fragen müssen wir stellen.
({5})
Eine Konversion wäre zwar nicht billig, aber sie wäre
möglich. Sie wäre das Zeichen dafür, daß dieses Land
tatsächlich eine antimilitaristische Außenpolitik betreiben will.
Ob und wie Sie im Zuge der Haushaltskonsolidierung
heute brachliegende Arbeit finanzierbar machen wollen,
wissen wir noch nicht. Was der Umbau des Sozialstaates
tatsächlich bedeutet, wissen wir noch nicht. Wie der
ökologische Umbau der Gesellschaft aussehen soll, ist
ebenfalls unbekannt. Diese Punkte hätten aber im Zusammenhang mit dem harten Sparpaket flankierend diskutiert werden müssen, damit die Öffentlichkeit weiß,
wohin der Weg führen soll.
Wir werden diesen Haushalt als Gesamtpaket ablehnen. Dabei sitzen wir optisch mit der CDU/CSU und der
F.D.P. in einem Boot. Ich will aber sagen, daß es inhaltlich deutliche Unterschiede gibt. Wir verkennen nämlich
nicht solche neuen Akzente in der Haushaltspolitik der
jetzigen Koalition - darin besteht der Unterschied zur
Haushaltspolitik der vorigen Koalition - wie die Familienförderung, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
oder das Programm „Soziale Stadt“ und das Inno-RegioProgramm. Wir sehen diese neuen Akzente sehr wohl,
die auch einmal von der rechten Seite dieses Hauses
neidlos anerkannt werden könnten.
({6})
Der zweite Unterschied: CDU/CSU und F.D.P. haben
plausible Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung nicht
gebracht. Wenn man ihre Anträge bilanziert, dann
kommt man zu dem Schluß, daß sie zwar Absenkungsanträge gestellt haben, die aber durch Erhöhungsanträge
sozusagen wieder aufgefressen werden. Wenn Sie unsere Entschließungsanträge vorurteilsfrei lesen, dann werden Sie erkennen, wo unsere Konsolidierungsvorschläge liegen:
Erstens. Wir haben einmal zusammengerechnet, was
die jetzige Koalition noch bis in den Sommer 1998 hinein selbst an Kürzungen in ihren Anträgen gefordert hat.
Wenn Sie die entsprechenden Zahlen addieren, dann
kommen Sie auf einen Betrag von 8 Milliarden DM. Ich
denke, das wäre eine gemeinsame Verständigungsbasis
gewesen.
Zweitens. Wenn die Ausbildungsplatzumlagefinanzierung eingeführt würde, worüber sich damals SPD,
Bündnisgrüne und PDS eigentlich im Kern immer einig
waren, dann würde das den öffentlichen Haushalt um
2 Milliarden DM entlasten. Dieses Geld könnte für andere Zwecke zur Verfügung stehen, oder man könnte
damit die Neuverschuldung senken.
({7})
Drittens. Es gibt nach wie vor beeinflußbare Kosten
beim Umzug von Regierung und Parlament. Ich kann
jetzt die Einzelheiten nicht darstellen. Ich kann aber sagen, daß ein Einsparvolumen in zweistelliger Millionenhöhe garantiert möglich wäre.
Viertens. Wenn Sie die Betriebsprüfungen und die
Steuerfahndung intensivieren würden, dann könnten wir
Mehreinnahmen erzielen, die wahrscheinlich in der
Größenordnung von 1 Milliarde DM liegen würden.
Fünftens. Wenn wir eine befristete Vermögensabgabe
erheben und die Erbschaftsteuer reformieren würden,
dann stünden uns mehrstellige Milliardenbeträge zur
Finanzierung der öffentlichen Ausgaben zur Verfügung.
({8})
Ich komme zum Schluß.
({9})
So häufig wie hier in den letzten Tagen von Regierungspolitikerinnen und von Regierungspolitikern, auch vom
Bundeskanzler, über soziale Gerechtigkeit, über die
Bedeutung der Binnennachfrage und über Solidarität
gesprochen worden ist, ist dies in den vielen Monaten
zuvor nicht geschehen. Ich möchte Ihnen, Herr Bundeskanzler, sagen, daß meine Fraktion Ihnen großen Respekt dafür zollt, daß Sie sich für den Erhalt der Arbeitsplätze bei dem Unternehmen Philipp Holzmann
eingesetzt haben. Ihr Handeln macht doch deutlich, wie
wichtig es ist, daß sich die Politik von der Wirtschaft
nicht mehr an die Wand spielen läßt. Dafür braucht sie
aber entsprechende Einnahmen, um die sie sich kümmern muß.
Frau Kollegin Luft,
Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten.
Ich sage zum Abschluß: Ich
bedanke mich ganz herzlich bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern des Haushaltsausschußsekretariates für
die faire Zusammenarbeit, die immer unabhängig von
der politischen Farbe der Abgeordneten funktioniert.
({0})
Jawohl, Herr Kollege Roth, irgendwie mögen wir uns
trotz aller Kontroversen im Haushaltsausschuß doch.
({1})
Frau Kollegin Luft!
Dennoch mußte es keine
langen Nachtsitzungen geben, wofür ich mich auch
bedanke. Ich denke, das war auch ein wenig Ihr Verdienst.
Danke schön.
({0})
Ich erteile dem
Kollegen Peter Ramsauer, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn
man am Ende dieser Woche das Fazit dieser Haushaltsberatung zieht, muß man sagen - man kann es nicht oft
genug wiederholen -: Rotgrün kann es nicht, Rotgrün
wird es nicht lernen. Der Haushalt, der in dieser Woche
vorgelegt worden ist, ist kein Zukunftsprogramm für unser Land.
({0})
Der Herr Bundeskanzler und andere Vertreter dieser
Bundesregierung und Koalition haben oft genug zugegeben, es seien viele sogenannte handwerkliche Fehler
passiert. Aber wenn man diese Worte schon gebraucht eigentlich ist die Bezeichnung „handwerkliche Fehler“
eine totale Beschönigung dessen, was hier passiert ist,
der Euphemismus des Jahres und eine Beleidigung für
das ganze Handwerk -,
({1})
muß man schon unterscheiden und sagen: Auch wenn
im Handwerk Fehler passieren, stimmt dort wenigstens
die Richtung noch. Bei dieser Regierung, bei der rotgrünen Koalition, stimmt die ganze Richtung nicht. Das ist
der wesentliche Unterschied.
({2})
Ich habe einmal in den persönlichen Erklärungen
nachgelesen, die von Kolleginnen und Kollegen aus der
SPD - Kollege Roth hat es auch schon angesprochen vor 14 Tagen bei der Verabschiedung des Haushaltssanierungsgesetzes abgegeben worden sind. Hier heißt es
beispielsweise in einer Erklärung vom linken Flügel - es
geht von B wie Barthel bis W wie Wiesehügel, das reimt
sich sogar
({3})
- das sind jetzt Ihre Worte, passen Sie gut auf -:
Gleichwohl haben wir in einigen wesentlichen
Punkten deutliche Kritik an der Strategie und den
konkreten Auswirkungen der hiermit beschlossenen
Konzeption der Haushaltskonsolidierung.
({4})
Was heißt das? Das heißt nichts anderes, als daß die
Richtung nicht stimmt.
Wenn man bei den Begriffen „handwerkliche Mängel“ und „handwerkliche Fehler“ bleibt, muß man sagen: Solche Richtungsfehler würden in der freien Wirtschaft und im Handwerk zur Streichung aus der Handwerksrolle und zum Entzug des Meistertitels führen.
({5})
Ein Korrekturgesetz jagt das andere. Diese Bundesregierung ist nichts anderes als eine Nachbesserungsanstalt. Der Haushalt 2000 ist nichts anderes als eine
Mogelpackung an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend.
({6})
- Lieber Kollege Schlauch, lesen Sie einmal nach, was
der Kollege Metzger zu dem einen oder anderen gesagt
hat. Eine herbere Kritik können Sie sich gar nicht vorstellen.
In der Einbringungsrede zu diesem Haushalt am 15.
September 1999 hat der Bundesfinanzminister gesagt:
Mit dem Haushalt 2000 haben wir das größte Konsolidierungsvorhaben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. Damit kann
der Bundeshaushalt endlich wieder solide finanziert
werden - übrigens ohne Steuererhöhungen.
„Übrigens ohne Steuererhöhungen“: Das glatte Gegenteil ist der Fall.
({7})
Auf vielfältigste Weise wird hier verkappt und versteckt und dem Bürger in die Tasche gegriffen, angefangen bei der versteckten Fast-Verdoppelung bei den Abschreibungen, was den Menschen ungeheuer weh tut es gibt kaum eine schlimmere Investitionsbremse -, bis
hin - jetzt am aktuellsten - zur Ökosteuer. Da satteln Sie
drauf.
({8})
Sie satteln überall drauf und kalkulieren bis zum Jahre
2003 mit einem Anstieg der jährlichen Bundesausgaben
um fast 50 Milliarden DM.
Unter Bundesfinanzminister Theo Waigel hat es so
etwas nicht gegeben. Unter ihm sind die Ausgaben zwischen 1993 und 1998 praktisch unverändert geblieben.
Das ist die nackte Wahrheit der Zahlen.
({9})
Meine Damen und Herren, das einzige, worum Sie
sich aus der Regierungskoalition bemühen, ist, die Lafontainsche Hinterlassenschaft, die 30 Milliarden DM
Lafontainscher Erblast abzutragen. Leider sparen Sie
dabei wirklich ohne Sinn und Verstand
({10})
durch das Verschieben von Lasten auf Länder und Gemeinden und durch das Kürzen von Investitionen.
({11})
Lafontaine hat sich aus dem Staub gemacht, als er gemerkt hat, daß er mit dieser Verteilungspolitik den Karren in Deutschland an die Wand fährt.
Ich habe wirklich kein Mitleid mit Bundesfinanzminister Eichel; in der Tat nicht. Aber eines gestehe
ich ihm zu: Er muß die Suppe auslöffeln, die Herr Lafontaine in den 135 Tagen seiner Amtszeit hinterlassen
hat.
({12})
Deswegen gibt es keine schwarzgelbe Erblast. Es gibt
keine CDU/CSU-F.D.P.-Erblast.
({13})
Es gibt nur eine Erblast aus den 135 Tagen der Amtszeit
von Herrn Lafontaine.
({14})
In diesen 135 Tagen hätten wir auch eine echte Steuerreform mit einer Nettoentlastung in Höhe von etwa
30 Milliarden DM durchführen können, die am 1. Januar
2000 hätte in Kraft treten können.
({15})
Wir haben alle geglaubt, Sie hätten aus den Fehlern
von Lafontaine gelernt. Das Schlimme ist, Sie haben
nichts daraus gelernt. Einige Stichworte sind zum Beispiel die Wiedereinführung der Vermögensteuer, die
Neueinführung der Vermögensabgabe und die Erhöhung
der Erbschaftsteuer. Das sind Stichworte für die Folterund Marterinstrumente, die Sie sich neuerdings einfallen
lassen.
Momentan sprechen Sie - das muß man auch sagen nur halbherzig darüber, weil der SPD-Parteitag bevorsteht. Ich erwarte - Herr Diller, Sie reden zum Abschluß
in dieser Haushaltsdebatte nach mir - und wünsche mir,
daß Sie die Dinge hier vor der deutschen Öffentlichkeit
und vor dem deutschen Parlament klarstellen und daß
Sie die Menschen nicht aus Rücksicht auf Ihren SPDParteitag und die gute Stimmung, die Sie dort erzeugen
wollen, im unklaren lassen. Eigentlich müßte der Kanzler ein Machtwort sprechen und deutlich machen, wer
das Sagen hat: der Kanzler mit seiner Richtlinienkompetenz oder der linke Parteiflügel mit Herrn Larcher und
Konsorten.
Meine Damen und Herren, genauso gefährlich wie
diese Neidhammelpolitik sind auch die Einschnitte bei
den Investitionen. Ich möchte dies deutlich machen: In
Milliardenhöhe wird der Etat des Straßenbaus zusammengestrichen. Herr Bundeskanzler - er ist gerade nicht
anwesend -, die Bauarbeiter werden es Ihnen „danken“.
Allein daran zeigen sich die ganzen Widersprüchlichkeiten rotgrüner Politik. Sie sind auf der einen Seite für
sichere Arbeitsplätze in der Baubranche und in der
Automobilbranche. Auf der anderen Seite wollen Sie
keine Straßen mehr bauen. Wie paßt dies zusammen?
({16})
Ich zitiere aus einer weiteren Erklärung von sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten von vor 14 Tagen.
({17})
Hier heißt es - ich zitiere -:
Wenn Kürzungen die Substanz angreifen, wenn sie
konjunkturdämpfend wirken und wichtige Investitionen verzögern oder verhindern,
({18})
werden sie kontraproduktiv.
({19})
Das heißt im Klartext - SPD-Abgeordnete trauen sich
allerdings nicht, das so deutlich zu sagen -: Eichel ist
die personifizierte Investitionsbremse in unserem Lande.
({20})
Vor diesem Hintergrund wirkt die Sanierung bei
Holzmann, die sich der Kanzler auf die Fahnen schreibt,
({21})
als ein gut inszeniertes Medienereignis, als eine Politshow dieses Kanzlers, obwohl ich diese Erfolge nicht
schmälern möchte.
Wichtiger als all dies ist: Deutschland braucht ein investitionsfreundliches, ein wirtschaftsfreundliches Klima für Betriebe, für Unternehmen und für Arbeitsplätze.
Das wäre tausendmal besser als Staatszuschüsse in dreistelliger Millionenhöhe, wenn alles schon in Flammen
steht.
({22})
Sparen ja, aber an der richtigen Stelle und nicht am
falschen Ort. Seit Monaten versucht diese Bundesregierung, ihren wilden Sparhammer damit zu begründen,
daß sie von uns eine Erblast in Höhe von
1 500 Milliarden DM übernommen habe. Wahr ist:
Wenn man sich die gesamte Substanz dieser Altschulden
ansieht, stellt man fest, daß sie im wesentlichen, vom
Sockel her, eine Hinterlassenschaft aus 13 Jahren SPDRegierung,
({23})
und zwar mit Zinseszinsen, und eine Folge des SEDSchuldenschutts nach der Wiedervereinigung sind.
({24})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS,
400 Milliarden DM Altschulden des SED-Regimes
mußten übernommen werden. Wir können darauf stolz
sein, daß es in dem jetzt ablaufenden Jahrzehnt - wenn
auch mit Opfern - gelungen ist, 600 Milliarden DM für
die neuen Länder aufzubringen. Das war eine Zukunftsinvestition für unser ganzes Land, für unser Vaterland, und eine großartige Leistung der Regierung
Kohl/Waigel.
({25})
Es ist unredlich, unanständig und schlechthin falsch,
diese Schulden der Regierung Kohl anzulasten. Wer hier
den negativ besetzten Begriff der „Erblast“ benutzt, der
hat in Wirklichkeit die deutsche Einheit nicht gewollt.
Zu diesen Leuten gehört Schröder genauso wie Lafontaine.
({26})
Die Mitglieder der Regierung sind sich nicht grün,
die Regierung ist zerstritten, und sie ist sich nur in dem
einen Punkt einig, wie man dem kleinen Mann in die
Tasche greift. Die Ökosteuer ist - ich greife es noch
einmal auf - das reinste Abkassiermodell. Wenn im Jahr
2003 der Benzinpreis bei 2,10 DM oder 2,20 DM liegt wir weisen schon heute darauf hin -, dann werden wir
sagen: Es war rotgrüne Abzockerpolitik, die zu diesem
hohen Spritpreis geführt hat.
({27})
Das Ganze ist in mehrfacher Hinsicht ein totaler
Fehlgriff.
Aus den Einnahmen aus der Ökosteuer Geld in die
Sozialversicherungssysteme, in die Rentenversicherung,
zu stecken ist ein schlimmer Systemfehler, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Bundesregierung. Denn
wir können die Sozialsysteme nicht dadurch sanieren,
daß wir in sie immer wieder frisches Geld hineinpumpen. Es war ein schlimmer Fehler von Ihnen, die sozialpolitischen Reformen unserer letzten Regierung zurückzunehmen.
({28})
Man macht die Sozialsysteme in Deutschland nicht
durch die Verweigerung von Reformen fit. Man macht
sie nicht fit, indem man in sie immer wieder frisches
Geld hineinpumpt. Wenn das frische Geld verpufft ist,
dann lassen Sie sich neue Instrumente einfallen, um den
Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen und damit
die Lücken in der Sozialversicherung zu schließen.
({29})
Im übrigen hat es geheißen, Sie wollten mit den Einnahmen aus der Ökosteuer die Beiträge zur Rentenversicherung senken. Jetzt heißt es, nur 70 Prozent dieser
Einnahmen sollen dazu dienen. In Wirklichkeit fließen
4,4 Milliarden DM in den Bundesetat. Damit stopfen Sie
die von Lafontaine angerichteten Etatlöcher, die Eichel
jetzt zu reparieren versucht.
({30})
Ich möchte noch etwas zu den Renten sagen. Am
17. Februar 1999 hat der Bundeskanzler gesagt:
Ich stehe dafür, daß die Renten in Zukunft so stark
steigen wie die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer.
Vier Monate später war das alles Schall und Rauch, und
es hat geheißen, es gebe nur eine Inflationsanpassung,
weil die Rentenkassen sonst zu leer würden. Es war
schon der Gipfel der Geschmacklosigkeit,
({31})
als sich am letzten Mittwoch der SPD-Fraktionsvorsitzende bei den Rentnern noch dafür bedankt
hat, daß sie für dieses Raubrittertum Verständnis hätten.
Spätestens als er das Mittwoch früh gesagt hat, hat das
Wort „Morgengrauen“ für mich eine ganz neue Bedeutung bekommen.
({32})
Was sollen die Rentner tun?
({33})
Die Rentner sind jetzt bei Ihnen im Schwitzkasten. Ich
gehe davon aus, daß die Menschen Sie bei den nächsten
Wahlen spüren lassen, was sie davon halten. Bei Versammlungen im ganzen Land zwischen Berchtesgaden
und Lübeck bekommt man zu hören: Niemand will es
mehr gewesen sein, der Sie am 27. September 1998 gewählt hat - schon damals nicht und auch heute nicht.
({34})
Wer hat sich denn in aller Öffentlichkeit in der Sendung
von Frau Christiansen entschuldigen müssen? Es war
der Bundeskanzler persönlich.
({35})
Wer glaubt, daß durch die „Rente mit 60“ die rentenpolitischen, die sozialpolitischen und die arbeitsmarktpolitischen Probleme in unserem Land gelöst werden
könnten, der ist nicht nur falsch „gezwickelt“, wie
Michael Glos es genannt hat, sondern er ist auch falsch
„geriestert“ und „geschrödert“. Das alles kommt zusammen; denn es gibt nicht nur einen, sondern inzwischen drei oder mehr Täter.
({36})
Leidtragende dieser gesamten Politik sind die Arbeitsuchenden, die Steuerzahler und die Unternehmen in unserem Land, die die Zeche dieses rotgrünen Gewürges
bezahlen.
Tatsächlich braucht Deutschland zur Jahrtausendwende, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, mehr denn je
eine Politik, die uns für die Zukunft fit macht.
({37})
Genau dies haben die Menschen von der neuen Regierung erwartet. Deswegen sind Sie auch gewählt worden.
Aber die Menschen sind tief enttäuscht worden. Deswegen steht jetzt niemand mehr zu Ihnen.
Wir brauchen eine Steuerreform, die diesen Namen
auch verdient und mit der nicht wie mit der Ökosteuer
draufgesattelt wird. Wir brauchen eine Politik für mehr
Wachstum und Investitionen statt Arbeitsplatzhemmnisse und Jobkiller wie das 630-Mark-Gesetz.
Wir brauchen eine nachhaltige Rentenreform, die die
Renten der jetzigen Bezieher sichert und die Solidarität
der Beitragszahler, vor allem die der jüngeren, nicht
überfordert. Der schlimmste Fehler von Rotgrün war,
daß die Reformen, die wir durchgeführt haben, zurückgenommen worden sind.
({38})
Dies bereuen Sie jetzt, weil Sie gemerkt haben, daß unsere Richtung gestimmt hat. Mit dieser Reformverweigerungs- und Reformrücknahmepolitik haben Sie unserem Land ein Stück Zukunft genommen.
Herr Kollege Ramsauer, Ihre Redezeit ist überschritten.
({0})
Ich komme zum
Schluß, noch ein letzter Satz. - Der Bundeskanzler hat
nach der haushoch verlorenen Europawahl gesagt, er
habe die Menschen verstanden. Er hat sie nicht verstanden. Als Resümee dieser Haushaltswoche muß ich sagen: Herr Bundeskanzler, Sie und Ihre Mannschaft erfüllen die Ansprüche der Politik in Deutschland nicht.
Ihr erstes Regierungsjahr war ein verlorenes Jahr für unser Land, ein verlorenes Jahr für die Arbeitslosen.
Deutschland und die Deutschen haben diese Regierung
nicht verdient.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Parlamentarischen Staatssekretär Karl Diller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Sie alle ganz herzlich von
meinem Bundesfinanzminister Hans Eichel grüßen.
({0})
Er läßt sich entschuldigen; denn er ist zur Zeit verpflichtet, im Bundesrat Rede und Antwort zum Haushaltssanierungsgesetz zu stehen.
Wenn ich die Debatte von Dienstag bis heute Revue
passieren lasse - wie Sie wissen, habe ich viele Stunden
hier gesessen und intensiv zugehört -,
({1})
muß ich feststellen, daß es einige prägende Eindrücke
gibt. Der erste prägende Eindruck: Die Opposition in
diesem Hause ist zu feige, zu ihrer katastrophalen finanziellen Erblast zu stehen.
({2})
Jetzt redet sie sich mit den Kosten der deutschen Einheit
heraus. In der Tat: 1990 starteten Sie mit Schulden in
Höhe von 94 Milliarden DM. Diese stiegen bis 1998 auf
rund 450 Milliarden DM an. Sie bezeichneten das alles
als „Sondervermögen“. In Wirklichkeit war es eine Ansammlung von Schulden. Wenn ich dieses „Sondervermögen“ abrechne, dann muß ich feststellen, daß Sie innerhalb von 16 Jahren aus 308 Milliarden DM Schulden,
aus der Ära Helmut Schmidt, über 900 Milliarden DM
Schulden gemacht haben. Sie haben die Schulden des
Bundes - reine Finanzschulden, ohne die Schulden, die
für die deutsche Einheit gemacht wurden - verdreifacht.
Deswegen bleibt das, was ich früher zu Ihnen gesagt habe, auch richtig: Sie sind der größte Schuldenmacher
aller Zeiten.
({3})
Die bittere Folge dieser Entwicklung ist: 1982 reichte
noch jede achte D-Mark, die wir vom Bürger einnehmen
durften, aus, um die Zinsen zu zahlen. Am Ende Ihrer
Regierungszeit müssen wir jede vierte D-Mark, die wir
an Steuern einnehmen, für das Zahlen der Zinsen ausgeben. Darin ist keine müde Mark für Tilgung enthalten.
Deswegen gilt auch für den Bund das, was das Bundesverfassungsgericht bezüglich Saarland und Bremen feststellte: Sie haben die Finanzen des Bundes in eine extreme Haushaltsnotlage hineinmanövriert;
({4})
denn auch diese Bundesländer mußten ein Viertel ihrer
Steuereinnahmen für das Zahlen der Zinsen aufbringen.
Zweiter prägender Eindruck: Die Opposition ist sich
überhaupt nicht klar darüber, ob kaum oder ob viel zu
viel gespart wird. Wenn man Austermann folgt, dann
werden aus 30 Milliarden DM plötzlich nur noch
7,5 Milliarden DM. Wenn man aber die vielen Einzelplanberatungen verfolgt, dann stellt man fest: Bei jedem
Einzelplan wird gesagt: Da dürft ihr nicht sparen, und
dort dürft ihr nicht sparen. Da müßt ihr mehr ausgeben.
- Das heißt, die ganze Richtung stimmt nicht bei der
Opposition.
({5})
Der dritte Eindruck ist folgender: Diese Opposition
hat nach wie vor nichts übrig für das Schicksal von arbeitslosen Jugendlichen und arbeitslosen Erwachsenen.
({6})
Deswegen stellt sie erneut den Antrag, den Zuschuß an
die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 7,8 Milliarden DM restlos zu streichen.
({7})
Dies bedeutet für über 100 000 junge Menschen Hoffnungslosigkeit hinsichtlich des Einstiegs in das Berufsleben. Das bedeutet für die Erwachsenen, daß sie keine
Hoffnung haben dürfen, durch Fortbildung und Umschulung eine neue Chance für eine Erwerbstätigkeit zu
bekommen.
({8})
Deswegen bin ich den Koalitionsfraktionen dankbar, daß
sie diesen unsäglichen Antrag mit Entschiedenheit zurückgewiesen haben.
({9})
Der vierte bleibende Eindruck von dieser Opposition
ist folgender: Sie ist in einer so verzweifelten Situation,
({10})
daß sie Zahlen fälscht und Zusammenhänge herstellt,
indem sie Äpfel mit Birnen vergleicht, und einen Popanz
aufbaut, um endlich angreifen zu können. Wer so miteinander umgeht, der muß noch viel lernen in der Oppositionszeit. Deswegen wünsche ich Ihnen eine ganz lange Oppositionszeit.
({11})
Berüchtigt in diesem Zusammenhang ist der Kollege
Austermann inzwischen nicht nur im Haushaltsausschuß, sondern auch im Plenum des Deutschen Bundestages und bei der Presse.
({12})
Zur Ökosteuer stellt er hier Behauptungen auf. Das tut
aber nicht nur er, sondern auch der Kollege Koppelin
und der Kollege Ramsauer; ihm sehe ich es nach, weil er
es vielleicht nicht besser wissen kann.
({13})
Die Ökosteuer will ich hier einmal klar auflisten. In
1999 nehmen wir 8,4 Milliarden DM ein und geben
8,8 Milliarden DM an die Rentenkasse. Wir geben in
diesem Jahr damit mehr an die Rentenkasse, als wir über
die Ökosteuer überhaupt einnehmen. Das ist die Wahrheit. Im nächsten Jahr und in den darauffolgenden Jahren ist dieses Geben und Nehmen ausgewogen, so daß
wir über den gesamten Zeitraum von 1999 bis 2003 das habe ich allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses
schriftlich mitgeteilt - sogar 800 Millionen DM mehr an
die Rentenkassen zahlen, als wir in diesen fünf Jahren
über die Ökosteuer überhaupt einnehmen. Deswegen sage ich Ihnen: Lassen Sie diese Lüge mit der Ökosteuer!
({14})
Dann gibt es einen neuen, der in den unedlen Wettstreit mit Austermann tritt. Das ist der Kollege Merz.
Am Dienstag dieser Woche sagte Herr Merz - ich zitiere
wörtlich -:
Sie
- gemeint sind wir geben über 7 Milliarden DM mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik, für eine zusätzliche Bewirtschaftung des Arbeitsmarktes, aus. Gleichzeitig, im
selben Zeitraum und im selben Bundeshaushalt,
kürzen sie die Mittel für Investitionen um fast genau diesen Betrag.
({15})
Herr Merz, das ist die glatte Unwahrheit.
({16})
Wenn Sie nur die Freundlichkeit hätten, einmal auf Seite
53 des Finanzplans des Bundes nachzuschauen, der Ihnen vorliegt, dann würden Sie, bezogen auf den Zeitraum 1998 bis 2000, den Sie herangezogen haben, feststellen: 1998, also unter Ihrer Regierung, standen für Investitionen 57,1 Milliarden DM zur Verfügung. Im Jahre
2000 geben wir 57,6 Milliarden DM aus. Mithin geben
wir 500 Millionen DM mehr aus, als es Ihre Regierung
im Jahre 1998 getan hat.
Lassen Sie es, mit unwahren Zahlen zu operieren!
({17})
Geradezu unverschämt, ja widerlich ist es, mit dem
Schicksal der Holzmänner zu spielen, indem Sie unterstellen, wir würden die Bauinvestitionsmittel streichen. Der Kollege Wagner hat darauf zu Recht hingewiesen. Ich wiederhole, was Sie da gesagt haben:
Wenn Sie im Bundeshaushalt die Mittel für Investitionen einschließlich des Hoch- und Tiefbaus
nicht in dieser unverantwortlichen Weise zusammenstreichen würden,
- so der Kollege Merz am Dienstag dann gäbe es möglicherweise morgen noch die
Philipp Holzmann AG …
({18})
Meine Damen und Herren, ich weise darauf hin: Die
Mittel für Bauinvestitionen sind seit 1998 - das war zu
Ihrer Regierungszeit - von 11,2 Milliarden DM um
400 Millionen DM auf 11,6 Milliarden DM im Jahr
2000 gestiegen. Wir haben nicht gekürzt, wir legen sogar drauf. Es ist deswegen erbärmlich, was sich der Herr
Merz hier leistet.
({19})
Jetzt kommt der Gipfel, die Äußerungen des Herrn
Ramsauer. Sie, Herr Ramsauer, behaupten, wir würden
einsammeln, was Oskar Lafontaine ausgegeben habe.
Herr Ramsauer, Sie sollten sich für solche Behauptungen zu gut sein. Wissen Sie denn nicht, warum der
Haushalt 1999 gegenüber dem Haushalt 1998 um
28 Milliarden DM gestiegen ist?
({20})
Ist es Ihnen unbekannt, daß wir Ihre Schattenhaushalte,
({21})
nämlich das Defizit der Postunterstützungskassen in
Höhe von 9 Milliarden DM, auf der Einnahmen- und
Ausgabenseite in den Bundeshaushalt einstellten und
daß die Einnahmen aus der erhöhten Mehrwertsteuer
- das wurde ja von Ihnen mit unserer Zustimmung beschlossen - nicht wie 1998 nur ein Dreivierteljahr, sondern 1999 ein ganzes Jahr im Haushalt zu Buche schlugen? Hinzu kommen die Einnahmen aus der Ökosteuer, die in den letzten drei Quartalen des Jahres 1999 zu
Buche schlagen und von uns an die Rentenkassen weiParl. Staatssekretär Karl Diller
tergeleitet werden. Die letzten beiden Einnahmequellen
machen zusammen 15 Milliarden DM aus; zusammen
mit den 9 Milliarden DM aus der erstmaligen Etatisierung der Zahlungen an die Postunterstützungskassen ergibt das schon 24 der 28 Milliarden DM. Im Haushalt 2000 wird nichts eingesammelt, sondern diese Ansätze sind wie schon 1999 weiter Bestandteil des Haushaltes. Hören Sie auf, so erbärmlich mit der Wahrheit
umzugehen!
({22})
Verlassen wir jetzt das Thema Opposition, und wenden wir uns den Medien zu. Vor einem halben Jahr hat
mein Minister erstmals gegenüber den Fachministerien
und der Öffentlichkeit die Notwendigkeit dargestellt,
30 Milliarden DM im Bundeshaushalt 2000 zu sparen.
({23})
Gerhard Hennemann von der „Süddeutschen Zeitung“
hat dieses im Mai wie folgt kommentiert - hören Sie
bitte einmal zu, was er gesagt hat! -:
Mutig, wie er sich seit seiner Amtsübernahme präsentiert, will Bundesfinanzminister Hans Eichel sogar die tiefste Schnittstufe einstellen und
30 Milliarden DM an Ausgaben einfach wegnehmen.
({24})
Unvorstellbar für diejenigen, die Jahre lang verfolgt
haben, wie schwer es einem Theo Waigel gefallen
ist, auch nur einen Bruchteil dieser Mammutkürzungen zu realisieren. Sollte es dem neuen Bonner
Kassenwart dennoch gelingen, auch nur ein Drittel
seiner Zielgröße zu erreichen, wäre das ein riesiger
Erfolg.
({25})
Meine Damen und Herren, wir freuen uns heute, daß wir
diesen riesigen Erfolg geschafft haben, ohne das in Anspruch zu nehmen, was Hennemann uns damals in seiner
Überschrift unterstellte: „Höhere Steuern sind absehbar“. Wir haben die Steuern zur Finanzierung des Bundeshaushaltes nicht erhöht.
({26})
Ziel unseres Sparens ist, aus der Voodoo-Situation
von Theo Waigel herauszukommen. Zu Ihrer Erinnerung: Die Aufnahme von 78 Milliarden DM Schulden
im Jahre 1996 war verfassungswidrig. So viele Schulden wie Sie damals aufgenommen haben, hat man früher
in einer ganzen Wahlperiode gemacht. Sie haben 1996
gegen die Verfassung verstoßen. Deswegen sind wir
1997 vor das Verfassungsgericht gezogen. 1997 trat
Theo Waigel dann hier auch den Gang nach Kanossa an.
Er mußte den Bundestag händeringend bitten, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes festzustellen, damit er höhere Kredite aufnehmen durfte, als
es die Verfassung erlaubt. Im Jahr 1998 hat er sein Lebenswerk gekrönt: Er hat Bundesvermögen im Werte
von 20 Milliarden DM - das war der Gipfel - verkauft,
um die Haushaltslöcher zu stopfen. Er hat auf einen
Schlag so viel Bundesvermögen verkauft, wie früher in
20 Jahren verkauft wurde.
({27})
Aus dieser Voodoo-Situation werden wir mit dem 99er
Haushalt und mit dem 2000er Haushalt herauskommen.
({28})
Insoweit sind wir froh und dankbar, daß der Haushalt
für das Jahr 2000 und die mittelfristige Finanzplanung
dazu dienen werden, die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Familien zu stärken
und damit Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Erneut werden wir im nächsten Jahr die Steuern
senken. Erneut werden wir im nächsten Jahr das Kindergeld anheben. Erneut werden wir die neuen Bundesländer in einem gewaltigen Umfang fördern. Wir werden
die Investitionen in Bildung, Forschung und Hochschulbau gegenüber diesem Jahr nochmals steigern. Wir werden für die aktive Arbeitsmarktpolitik genügend Mittel
bereitstellen. Wir werden die Investitionen auf hohem
Niveau halten können. Wir werden das 1-Milliarde-DMSolardachprogramm fortführen können. Wir werden für
die soziale Sicherung im nächsten Jahr 15 Milliarden
DM mehr ausgeben, als Sie es im letzten Jahr Ihrer Regierungszeit taten. Das ist ein gigantischer Erfolg, über
den wir uns alle freuen können.
({29})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang, meine
Damen und Herren, darauf hinweisen, daß wir in der
mittelfristigen Finanzplanung auch Vorsorge dafür getroffen haben, im Jahr 2001 das Wohngeld, das Sie seit
1990 nicht mehr erhöht hatten, endlich zugunsten der
Beschäftigten und der Rentnerinnen und Rentner in diesem Lande drastisch erhöhen zu können. Auch werden
wir die Steuern für die Unternehmen in einer sehr beachtlichen Größenordnung senken können, nämlich um
8 000 Millionen DM in jedem Jahr.
({30})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt noch
etwas für haushaltspolitische Feinschmecker.
({31})
Die SPD-Fraktion ist unter meiner Führung als Haushälter
({32})
- Herr Vorsitzender, unter Scharpings Führung - 1997
zu dem Schluß gekommen, gegen den verfassungswidParl. Staatssekretär Karl Diller
rigen Haushaltsvollzug von Theo Waigel in Karlsruhe
zu klagen. Was die Haushälter zusammen mit der Bundesregierung mittlerweile in den Haushaltsgesetzen
1999 und 2000 verankert haben, ist genau das, wofür wir
in Karlsruhe gekämpft haben. Wir haben jetzt eine deutliche Eingrenzung dessen gesetzlich festgeschrieben,
was mit Ausschöpfung von Rest-Kreditermächtigungen
ohne Haushaltsausschuß möglich ist. Ferner haben wir
deutliche Grenzen für das gezogen, was eine Bundesregierung bezüglich gesetzlicher Leistungen einfach mehr
ausgeben kann, ohne das Parlament überhaupt zu befragen. Nein, wir werden künftig den Haushaltsausschuß
befragen und ihm dadurch die Chance geben, darüber zu
entscheiden, ob es einen Nachtragshaushalt geben soll
oder nicht. Dies ist eine Stärkung des Parlaments. Wir
freuen uns, daß wir das gemeinsam hinbekommen haben.
({33})
Zum Schluß möchte ich noch eine Bitte äußern, die
sich an die Opposition richtet. Im Haushaltsausschuß
verstehen wir uns eigentlich immer ganz gut.
({34})
Damit wir uns auch in Zukunft ganz gut verstehen, bitte
ich Sie, in Ihrer Argumentation zur Wahrheit zurückzukehren. Mit der Wahrheit läßt sich trefflich argumentieren. Aber wenn eine Seite mit falschen, zusammengeschusterten Zahlen und mit Äpfel-und-Birnen-Vergleichen operiert, dann kann man mit dieser Seite des
Hauses nicht diskutieren, weder im Haushaltsausschuß
noch im Plenum.
({35})
Ich spreche der Koalition meinen Dank aus. Zunächst
richte ich ihn stellvertretend für alle Haushälter sowie
für die SPD-Fraktion an meinen Freund Hans Georg
Wagner, dem ich zu seinem heutigen Geburtstag meinen
herzlichen Glückwunsch ausspreche.
({36}) und der F.D.P.)
Ich bedanke mich auch bei Oswald Metzger, den Haushältern von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen. Wir, die Haushälter, haben eine
äußerst schwierige Operation konstruktiv, vertrauensvoll
und geräuschlos bewältigt. Es war eine Freude zusammenzuarbeiten. Herzlichen Dank dafür.
({37})
Ich möchte dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Adolf Roth, und seinem Stellvertreter, Manfred Hampel, für eine exzellente, zügige Sitzungsleitung
danken. Sie war souverän. Herzlichen Glückwunsch,
lieber Adolf!
({38})
Ich danke dem Sekretariat des Haushaltausschusses,
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dort hinten
sitzen, den Haushaltabteilungen von Bundeskanzleramt
und allen Ministerien bis hin zum Bundesfinanzministerium sowie dem Bundesrechnungshof für die exzellente
Zuarbeit.
Meine Damen und Herren, das Parlament wird nachher mit Ihrem Beschluß den Haushalt aus seinen Händen
wieder in die Hände der Regierung legen. Wir bedanken
uns für Ihre Zustimmung. Dieser Haushalt ist eine gute
Grundlage für das Zukunftsprogramm 2000 der Bundesregierung.
({39})
Zwei Kollegen der
CDU/CSU-Fraktion haben für eine Kurzintervention um
das Wort gebeten, und zwar der Kollege Merz und der
Kollege Austermann. - Herr Kollege Merz!
({0})
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich bin in zwei Debattenbeiträgen persönlich angesprochen worden. Ich erlaube
mir, hierzu kurz Stellung zu nehmen.
Erstens. Wir können ja verstehen, daß die Koalitionsfraktionen die Rettungsaktion des Herrn Bundeskanzlers
zugunsten der Philipp Holzmann AG in dieser Woche
als ein besonderes Ereignis feiern
({0})
und die Freude hierüber auch in der Schlußberatung des
Bundeshaushalts zum Ausdruck bringen. Aber, meine
Damen und Herren, vielleicht dürfen wir uns doch den
Hinweis erlauben, daß nicht der Bundeskanzler den Versuch unternommen hat, Philipp Holzmann zu retten,
sondern daß der deutsche Steuerzahler für dieses Unternehmen in Anspruch genommen wird,
({1})
und daß zum selben Zeitpunkt viele hundert mittelständische Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland, die hier in Berlin niemand kennt, ganz sicher nicht
darauf rechnen können, in einer vergleichbaren Lage
auch die Hilfe des deutschen Steuerzahlers in Anspruch
nehmen zu können.
({2})
Zweitens haben Sie mehrfach kritisiert, daß wir uns
dafür ausgesprochen haben, die erhöhten Mittel für die
sogenannte aktive Arbeitsmarktpolitik zurückzufahren.
Ich will noch einmal ausdrücklich festhalten: Der Bundesfinanzminister schlägt dem Deutschen Bundestag
vor, die Mittel für die aktive Beschäftigungspolitik um
7 Milliarden DM gegenüber dem Jahr 1998 anzuheben,
einem Jahr, bei dem Sie uns kritisiert haben, wir hätten
aus rein wahlkampfbedingten Gründen die ABM-Mittel
erhöht.
({3})
Sie schlagen jetzt noch einmal eine Erhöhung um
7 Milliarden DM vor. Aber, meine Damen und Herren,
wenn diese Mittel nicht gewährt würden, stünden für
aktive Beschäftigungspolitik immer noch 38 Milliarden
DM zur Verfügung. Es kann also niemand ernsthaft behaupten, wir würden den Vorschlag machen, die gesamte Beschäftigungspolitik auf Null zu fahren.
({4})
Dritter und letzter Punkt: die Investitionsmittel im
Bundeshaushalt. Meine Damen und Herren, ich habe
kritisiert und bestätige und wiederhole das an dieser
Stelle noch einmal, daß die investiven Mittel aus
dem Bundeshaushalt des Jahres 1999 in Höhe von
58,2 Milliarden DM bis zum Jahr 2003 kontinuierlich,
Jahr für Jahr, auf schließlich 53,3 Milliarden DM zurückgeführt werden. Dies wird über eine Zeit von vielen
Jahren der niedrigste Anteil an investiven Ausgaben im
Bundeshaushalt sein, in jedem Jahr wird es einen niedrigeren Anteil an investiven Ausgaben im Bundeshaushalt
geben. Dies haben wir kritisiert. Dabei bleiben wir. Diese Kritik ist berechtigt, meine Damen und Herren.
({5})
Nun hat der Kollege
Austermann das Wort.
({0})
Ich glaube, daß
es den Grundsätzen der Fairneß entspricht, sich die
eigenen Zahlen konkret vorhalten zu lassen, wenn
man anderen Leuten vorhält, daß die Zahlen, die
bekanntgegeben werden, mit der Realität nicht vereinbar
seien.
Es steht nach den Haushaltsberatungen im Ausschuß
und auch hier im Plenum fest, daß die Ausgaben des
Bundes im kommenden Jahr um 22 Milliarden DM über
den Ausgaben des letzten Jahres liegen. Es steht weiter
fest, daß die Mittel, die in den nächsten Jahren für die
Ökosteuer einkassiert werden, nur zu einem Drittel zur
Senkung des Beitrages für die Rentenversicherung eingesetzt werden.
({0})
Das kann man ganz leicht nachvollziehen, wenn man
die Einnahmen aus der Ökosteuer und der Mehrwertsteuer auf der einen Seite und die Senkung des Rentenbeitrages auf der anderen Seite gegenüberstellt: Bis zum Jahr
2003 wird der Rentenbeitrag um 0,9 bis maximal
1 Prozentpunkt gesenkt, während etwa 35 Milliarden DM
plus Mehrwertsteuer kassiert werden.
({1})
Es handelt sich bei der Ökosteuer also um eine Ökozokkerei. Dies muß ganz klar festgestellt werden.
({2})
Zweitens zur Jugendarbeitslosigkeit. Im Haushalt
der Bundesanstalt für Arbeit stehen 2 Milliarden DM dafür bereit. Das Ganze wird unter anderem abgedeckt
durch 600 Millionen DM Einnahmen aus der EU. Hier
den Eindruck zu vermitteln, es gäbe dieses Programm
nicht mehr, wenn der Bundeszuschuß auf Null gefahren
würde, ist irreführend und falsch.
({3})
Aus unserer Sicht ist nach dieser Woche als Ergebnis
festzustellen: Das Jahr 1999 war ein verlorenes Jahr für
die Arbeitslosen.
({4})
Das Jahr 2000 geht in die gleiche Richtung: weniger Investitionen und mehr Konsum. Das ist die falsche Richtung, und deswegen lehnen wir den Haushalt ab.
({5})
Zu einer Kurzintervention hat sich auch der Kollege Joachim Poß gemeldet. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß Sie nur auf
den Staatssekretär antworten können, nicht aber auf die
erfolgten Kurzinterventionen.
Vielen Dank für diesen Hinweis, Herr Präsident. Genau das wollte ich machen. Ich
wollte mit dieser Kurzintervention deutlich machen, daß
Herr Diller mit seinen Aussagen, die sich auf Herrn
Merz und auf Herrn Austermann bezogen haben, vollkommen recht hat, Herr Präsident.
({0})
Ich glaube, daß es die Regeln des politischen Anstandes verletzt, wenn in der Situation, in der sich Holzmann
und viele Hunderte und Tausende mittelständische Unternehmen befanden, Herr Kollege Merz in der Debatte
den Eindruck erweckt hat, daß zurückgeführte Bundesmittel für Bauausgaben das Schicksal der „Holzmänner“
herbeigeführt hätten. Das ist der Kontext, den Sie hier in
schlimmer Weise hergestellt haben!
({1})
Damit haben Sie das, was in der politischen Auseinandersetzung zulässig sein sollte, weit überschritten.
({2})
Von daher stelle ich noch einmal fest: Die Ist-Mittel
für die Bauinvestitionen des Bundes betragen, im Jahre
1998 11,22 Milliarden DM; Soll 1999: 11,55 Milliarden
DM, Soll 2000: 11,59 Milliarden DM. Die Mittel werden also aufgestockt und nicht zurückgefahren, im Gegensatz zu dem Eindruck, den Sie hier zu erwecken versuchen.
({3})
Deswegen, Herr Merz, müssen Sie sich zukünftig gefallen lassen, daß solche taktischen Spielchen hier auf
jeden Fall aufgeklärt werden. Sie treiben im Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit und den Existenzängsten
von Tausenden von Bauarbeitern ein ganz schlimmes
Spiel!
({4})
Nun hat das Wort
zur Erwiderung auf alle drei Kurzinterventionen der
Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller.
Herr Präsident! Zunächst zu Herrn Austermann. Wir haben gegenüber allen Haushaltsausschußmitgliedern offengelegt und dokumentiert, welche
Einnahmen des Bundes aus der Ökosteuer in den einzelnen Haushaltsjahren zu erwarten sind und welche Zuführungsbeträge der Bund an die Rentenkassen leistet.
Damit das ganze Haus es jetzt mitbekommt, werde ich
das im einzelnen verlesen: In 1999 kommt es zu Einnahmen aus der Ökosteuer in Höhe von 8,4 Milliarden
DM und im Rahmen des Zuschusses an die Rentenkasse zu Ausgaben in Höhe von 8,8 Milliarden DM. Der
Bund gibt mehr.
({0})
In 2000 kommt es zu Einnahmen in Höhe von
17,4 Milliarden DM und zu Ausgaben in Höhe von
16,6 Milliarden DM. Der Bund gibt weniger; aber im
Saldo gleicht es sich aus. In 2001 kommt es zu Einnahmen in Höhe von 22,8 Milliarden DM und zu Ausgaben
in Höhe von 23,1 Milliarden DM. Das heißt, wir geben
mehr aus, als wir einnehmen. In 2002 kommt es zu Einnahmen in Höhe von 28,1 Milliarden DM und zu Ausgaben in Höhe von 28,5 Milliarden DM. Wir geben
mehr aus, als wir einnehmen. In 2003 kommt es zu Einnahmen in Höhe von 33,5 Milliarden DM und zu Ausgaben in Höhe von 34 Milliarden DM. Wir geben mehr
aus, als wir einnehmen. - So viel zur Wahrheit.
({1})
Herr Austermann kennt das alles. Gleichwohl nennt er
wider besseres Wissen falsche Zahlen.
Nun zu Herrn Merz. Herr Merz, Sie hatten soeben die
einmalige Chance,
({2})
sich der Frankfurter Oberbürgermeisterin, Frau Roth das ist Ihre Parteifreundin -, und dem hessischen Ministerpräsidenten, Herrn Koch, anzuschließen, die heute,
wenn ich es richtig mitverfolgt habe, den Bundeskanzler
für seinen Einsatz ausgesprochen gelobt haben.
({3})
Herr Merz, Sie haben eine zweite Chance ausgeschlagen, nämlich die, sich hier dafür zu entschuldigen,
daß Sie sich in Ihrer Rede am Dienstag dieser Woche in
zwei zentralen Ausführungen versehen haben, falsch informiert waren oder was auch immer.
({4})
Die von Ihnen genannten Zahlen stimmen nicht. Sie haben am Dienstag dieser Woche
({5})
- ich kann Ihre Ausführungen vorlesen; ich habe sie hier
- im Vergleich zum Jahre 1998 - das war das letzte Regierungsjahr Ihrer Partei - dargestellt, welche Mittel wir
bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik drauflegen, und
zwar 7,75 Milliarden DM, und haben im gleichen Zusammenhang behauptet, wir würden die Investitionen
im selben Zeitraum um fast den gleichen Betrag kürzen.
Das ist schlicht unwahr.
({6})
Kollege Poß hat soeben darauf hingewiesen, daß die
von Ihnen im Zusammenhang mit dem Schicksal der
Beschäftigten bei Holzmann getroffene Aussage, wir
würden die bauinvestiven Mittel kürzen, schlicht unwahr ist.
Deswegen sollten Sie jetzt aufstehen und sich entschuldigen. Dann ist diese Sache vergessen.
({7})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung über das Haus-
haltsgesetz 2000, Drucksachen 14/1400, 14/1680 und
14/1901 bis 14/1924. Die Koalitionsfraktionen verlan-
gen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekanntgegeben.*)
*) Seite 6831 D
Wir setzen die Beratungen fort und kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Ich bitte die
Kolleginnen und Kollegen, die den Beratungen folgen
möchten, wieder Platz zu nehmen.
Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf
Drucksache 14/2142. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der F.D.P. abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf
Drucksache 14/2145. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der
CDU/CSU und der PDS gegen die Stimmen der F.D.P.
abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf
Drucksache 14/2146. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Opposition abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf
Drucksache 14/2147. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Opposition abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf
Drucksache 14/2148. Der Kollege Gerhard Rübenkönig
möchte hierzu eine persönliche Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung abgeben. - Bitte schön.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Der Entschließungsantrag, der von
der F.D.P.-Fraktion vorgelegt wurde, ist in meinen Augen doppelzüngig und heuchlerisch. Deshalb müssen wir
ihn ablehnen.
Herr Kollege Rübenkönig, Sie haben gesagt: Deshalb müssen wir ihn
ablehnen. Ich möchte Sie vorsorglich darauf hinweisen,
daß Sie sich zu einer persönlichen Erklärung gemeldet
und dazu das Wort erhalten haben. Bitte sprechen Sie
für Ihre Person!
Ich lehne den Entschließungsantrag ab. Ich habe gestern abend in meinen
Ausführungen zum Einzelplan 12 klargemacht, wie sehr
sich die Bundesregierung momentan in den schwierigen
Verhandlungen einbringt, um dem Projekt Transrapid
zum Durchbruch zu verhelfen. Wir haben 6,1 Milliarden
DM im Haushaltsplan eingesetzt.
Ich komme jetzt auf die Begriffe „heuchlerisch“ und
doppelzüngig zurück. Sie haben gestern abend die Mittel
für den Transrapid abgelehnt und stellen heute morgen
einen Antrag, diese Regierung aufzufordern, sich einzusetzen.
({0})
Dies halte ich für heuchlerisch und doppelzüngig. Aus
diesem Grunde lehne ich diesen Antrag ab.
({1})
Ich stelle noch einmal fest, daß wir mit 6,1 Milliarden
DM diesem Zukunftsprojekt für den Industriestandort
Deutschland mit allen Mitteln zum Durchbruch verhelfen. Dieses wird auch die Bundesregierung tun.
Schönen Dank.
Dann kommen wir
zur Abstimmung. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der F.D.P. auf Drucksache 14/2148? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/2154. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses
gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/2186 ({0}). Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenergebnis abgelehnt.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Schlußabstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({1})
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über das Haushaltsgesetz 2000 bekannt.
Abgegebene Stimmen 606. Für das Haushaltsgesetz
2000 haben gestimmt 321 Abgeordnete,
({0})
mit Nein haben gestimmt 283, Enthaltungen 2.
Vizepräsident Rudolf Seiters
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 606;
davon:
ja: 322
nein: 282
enthalten: 2
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({4})
Bernhard Brinkmann
({5})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({6})
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({7})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Lilo Friedrich ({8})
Harald Friese
Anke Fuchs ({9})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({10})
Angelika Graf ({11})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({12})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({13})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({14})
Walter Hoffmann
({15})
Iris Hoffmann ({16})
Frank Hofmann ({17})
Ingrid Holzhüter
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({18})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({19})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({20})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({21})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({22})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({23})
Jutta Müller ({24})
Christian Müller ({25})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({26})
Gerhard Neumann ({27})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Andreas Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({28})
Birgit Roth ({29})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({30})
Ulla Schmidt ({31})
Silvia Schmidt ({32})
Dagmar Schmidt ({33})
Wilhelm Schmidt ({34})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({35})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Reinhard Schultz
({36})
Volkmar Schultz ({37})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({38})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({39})
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({40})
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({41})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({42})
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Vizepräsident Rudolf Seiters
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek
({43})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Heino Wiese ({44})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer
({45})
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({46})
Waltraud Wolff ({47})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({48})
Marieluise Beck ({49})
Angelika Beer
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({50})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika
Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller
({51})
Kerstin Müller ({52})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({53})
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt
({54})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({55})
Margareta Wolf ({56})
F.D.P.
Paul K. Friedhoff
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({57})
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({58})
Hartmut Büttner
({59})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({60})
Peter H. Carstensen
({61})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Axel E. Fischer ({62})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({63})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({64})
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({65})
Gottfried Haschke
({66})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({67})
Hansgeorg Hauser
({68})
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr. Dietmar Kansy
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
({69})
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({70})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({71})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({72})
Erich Maaß ({73})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({74})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({75})
Elmar Müller ({76})
Bernd Neumann ({77})
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({78})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({79})
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth ({80})
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({81})
Andreas Schmidt ({82})
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Vizepräsident Rudolf Seiters
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({83})
Gerald Weiß ({84})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({85})
Hans-Otto Wilhelm ({86})
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({87})
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({88})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Gisela Frick
Horst Friedrich
({89})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther
({90})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Jürgen W. Möllemann
Günter Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({91})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Dieter Thomae
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Eva-Maria Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Knoche
Der Gesetzentwurf und damit das Haushaltsgesetz 2000
ist angenommen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 4a und 4b auf:
a) -Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer
der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR
- Drucksache 14/1805 ({92})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Michael Luther, Dr. Angela
Merkel, Ulrich Adam, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung
der beruflichen Rehabilitation der Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet ({93})
- Drucksache 14/1001 ({94})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der neuen
Länder ({95})
- Drucksachen 14/2188, 14/2204 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Jürgen Türk
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({96})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/2189 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Schneider
Hans Jochen Henke
Dr. Werner Hoyer
Uwe-Jens Rössel
b) Beratung der Beschlußempfehlung und Bericht
des Ausschusses für die Angelegenheiten der
neuen Länder ({97}) zu dem Antrag
der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Verbesserung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze
- Drucksachen 14/1165, 14/2188, 14/2204 Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Hans-Christian Ströbele
Petra Pau
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein
Änderungsantrag der Fraktion der PDS sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
F.D.P. vor.
Vizepräsident Rudolf Seiters
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe für die SPDBundestagsfraktion der Kollegin Barbara Wittig das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß wir heute mit der
zweiten und dritten Lesung des Regierungsentwurfes zur
Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze
einen wichtigen Schritt zur wirklichen Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für die Opfer der
politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR unternehmen.
Die Rehabilitierung und Entschädigung der Menschen, die in der DDR und zuvor in der Sowjetischen
Besatzungszone Opfer politischer Verfolgung geworden
sind, ist eine Anerkennung des Leids der Verfolgten
und ihrer Widerstandsleistung. Die hier und heute zur
Debatte stehenden Leistungen können nur Nachteile
ausgleichen; das erlittene Schicksal und das ihnen zugefügte Unrecht sind mit Geld sowieso nicht aufzuwiegen.
Dies entspricht auch dem Geist der Ehrenerklärung des
Deutschen Bundestages vom 17. Juni 1992, in der all jenen tiefer Respekt und auch Dank bezeugt wird, die
durch ihr persönliches Opfer dazu beigetragen haben,
daß nach über 40 Jahren das geteilte Deutschland in
Freiheit wieder zusammengeführt werden konnte.
Die bestehenden Gesetze der alten CDU/CSU-F.D.P.Regierung hatten viele Lücken und Mängel. Erinnert sei
in diesem Zusammenhang daran, daß im Mittelpunkt der
Kritik von Anfang an immer folgendes gestanden hat:
zum einen die Höhe der Entschädigung für rechtsstaatswidrige politische Haft und die unterschiedlichen Entschädigungssätze, des weiteren die fehlenden Möglichkeiten für einen großen Teil der Hinterbliebenen der
ehemaligen politischen Häftlinge, insbesondere auch der
nächsten Angehörigen der Todesopfer, Leistungen nach
dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Anspruch zu nehmen, weiterhin Probleme bei der Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden.
Auf all diese Mängel haben wir seit 1992 hingewiesen, und wir haben entsprechende Verbesserrungen gefordert. Nichts ging mit Ihnen, meine Damen und Herren von der damaligen Regierungskoalition - leider! Im
Protokoll der 97. Sitzung der 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages finden sich interessante Aussagen
aus der Debatte im Zusammenhang mit SEDUnrechtsbereinigung, wie zum Beispiel:
Es ist nicht zu verantworten, die Verschuldung unseres Staates zu Lasen künftiger Generationen zu
erhöhen. Jede Entschädigungshöhe löst auch Fragen der Haushaltsgerechtigkeit aus.
Oder:
Liebe Fraktion der SPD, mit Blick auf die angespannte Lage der Staatsfinanzen und die finanziellen Leistungen des Bundes für die neuen Länder
wissen wir, daß wir nicht alle notwendigen Ausgaben gleichzeitig finanzieren können.
An dieser Stelle sei aber auch daran erinnert, daß sich
am 17. Juni 1992 dennoch viele Abgeordnete der Fraktion der CDU/CSU, darunter auch Dr. Angela Merkel und
Dr. Rita Süssmuth, einer Erklärung des Abgeordneten
Hartmut Büttner anschlossen, in der klargestellt wird,
daß die Unterzeichner eine monatliche Kapitalentschädigung in Höhe von 600 DM für die Opfer rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen für angemessen
halten.
Viele Jahre sind seitdem ins Land gegangen, ohne
daß von seiten der alten Bundesregierung den Forderungen der Opferverbände Rechnung getragen worden wäre, ohne daß die alte Bundesregierung substantielle
Verbesserrungen angestrebt hätte. Es ist der neuen Bundesregierung und der sie tragenden Koalition zu verdanken, daß bereits in der Koalitionsvereinbarung vom
vergangenen Jahr festgeschrieben wurde, die Entschädigung und Rehabilitierung von DDR-Unrecht soweit wie
möglich zu verbessern und Härten zu beseitigen.
({0})
Das entspricht auch den Forderungen der zentralen Verbände. Der vorliegende Gesetzentwurf beseitigt endlich
diese Unzulänglichkeiten der bisher geltenden Gesetze.
({1})
Die Verbesserungen rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften betreffen im einzelnen: Es gibt eine einheitliche Kapitalentschädigung von 600 DM. Eine Nachzahlung an Berechtigte, die nach dem geltenden Recht bereits Entschädigung erhalten haben, ist vorgesehen. Die
Hinterbliebenen der Todesopfer sollen von der Stiftung
wiederholt Leistungen erhalten, ohne daß auf die wirtschaftliche Situation abgestellt wird. Die Antragsfristen
werden um zwei Jahre verlängert. Der Stiftungsfonds
wird aufgestockt, um den aus den Gebieten jenseits von
Oder und Neiße Zivildeportierten bzw. -internierten
Unterstützungsleistungen zu gewähren. Bei der Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden soll
eine zentrale Überprüfung in den Fällen erfolgen, in denen eine Ablehnung des Antrages beabsichtigt ist. Die
Bundesregierung bittet in diesem Zusammenhang die
Länder, alle Ablehnungsfälle nochmals von Amts wegen
zu überprüfen.
({2})
Die Länder haben dazu bereits Bereitschaft signalisiert.
Das ist erfreulich. Die Bundesregierung wird außerdem
Ende des Jahres 2000 einen Bericht zu dieser Problematik vorlegen.
Fraktionsübergreifend waren wir uns auch darüber
einig, einen Appell an die Länder zu richten, dafür Sorge
zu tragen, daß im Wege der Anwendung der Härteklausel in § 88 Abs. 3 des Bundessozialhilfegesetzes der Bezug von Sozialhilfeleistungen nicht vom Einsatz eines
Vizepräsident Rudolf Seiters
aus der Kapitalentschädigung nach dem Strafrechtlichen
Rehabilitierungsgesetz gebildeten Vermögens abhängig
gemacht wird.
({3})
Noch ein Wort zu den Finanzen. Unser Gesetzesvorhaben ist natürlich nicht kostenneutral. Die Mittel, die
zur Finanzierung benötigt werden, sind im Haushalt
2000 eingestellt und werden in der mittelfristigen Finanzplanung berücksichtigt.
Lassen Sie mich abschließend meine Freude darüber
zum Ausdruck bringen, daß der federführende Ausschuß
für die Angelegenheiten der neuen Länder die genannten
Verbesserungen rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften
für die Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR einstimmig gebilligt hat.
Ich danke Ihnen.
({4})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Dr. Michael Luther.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vor
zehn Jahren ist die Mauer gefallen. Aber auch vor zehn
Jahren ist die SED noch davon ausgegangen, daß der
Sozialismus auf dem Boden der DDR fortgesetzt werden
kann. Herr Krenz hat es zu diesem Zeitpunkt noch geglaubt.
Die Menschen wollten damals einfach nur eines: Sie
wollten die DDR nicht mehr. Sie haben ihre Chance genutzt. Die deutsche Einheit wurde herbeigeführt.
({0})
Für die allermeisten Menschen, aber insbesondere für
die politisch Verfolgten, war das Ende des SEDRegimes eine Befreiung von Willkür und Unterdrükkung.
Dieses System hat politische Opfer hervorgebracht.
Wir haben in der Vergangenheit versucht, diesen politischen Opfern zu helfen und auszugleichen. Ich erinnere
an das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz von
1992, an das Verwaltungsrechtliche und an das Berufliche Rehabilitierungsgesetz von 1994. Diese Gesetze haben wir 1997 noch einmal verbessert.
Aber es muß auch festgestellt werden: Auch zehn
Jahre nach dem Fall der Mauer ist es so, daß diejenigen,
die politisch verfolgt worden sind, nach wie vor erhebliche Nachteile erleiden müssen. Ich denke, deswegen ist
es gut, daß wir uns heute wieder mit diesem Thema beschäftigen und daß wir versuchen, hier Verbesserungen
zu erreichen.
({1})
Vor diesem Hintergrund begrüße ich diese Gesetzesinitiative ausdrücklich, die die Bundesregierung auf den
Weg gebracht hat und eine Verbesserung der Kapitalentschädigung für ehemalig politische Häftlinge bedeutet.
Meine Damen und Herren, vielleicht darf ich aber
auch einige kritische Bemerkungen an dieser Stelle machen. Die SPD ist vor einem guten Jahr mit Wahlversprechen in die Wahlauseinandersetzung gezogen. Ich
will sie Ihnen vorlesen. Ich lese aus dem „Stacheldraht“,
Ausgabe vom September/Oktober letzten Jahres, vor:
Dabei werden vorrangig Veränderungen erfolgen:
1. Erhöhung der Kapitalentschädigung auf einheitlich 600,- DM …
Das ist erfüllt.
2. Die Einbeziehung der jenseits von Oder und
Neiße Verschleppten in die Unrechtsbereinigungsgesetzgebung.
Nicht erfüllt.
({2})
3. Die leichter zu erlangende Anerkennung gesundheitlicher Haftfolgeschäden durch Einbeziehung
der Betroffenen in das Bundesentschädigungsgesetz.
Nicht erfüllt.
4. Die Vererbbarkeit der Kapitalentschädigung auf
unmittelbar von der Haft mitbetroffene Ehegatten
und Kinder.
Nicht erfüllt. - Meine Damen und Herren, Sie haben es
versprochen. Aber diese Versprechen haben Sie gebrochen.
({3})
Den berechtigten Erwartungen der Opfer der SEDDiktatur trägt der Gesetzentwurf der Bundesregierung
nicht in ausreichendem Maße Rechnung. Aus Sicht der
Betroffenen hat sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatzversorgungssystemen der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung die rentenrechtliche Ungleichbehandlung von Tätern und Opfern verstärkt.
Nicht nur deshalb hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 17. Juni dieses Jahres einen Gesetzentwurf
eingebracht, der einen Gedanken aufgreift, der nicht neu
ist. Er wurde bereits im Rahmen der letzten Änderung
des Gesetzes 1997 besprochen und hat seitdem seinen
Niederschlag im § 8 Berufliches Rehabilitierungsgesetz
in Form von Ausgleichsleistungen gefunden.
Allerdings gab es damals bei dem Bezug dieser Leistungen eine Einkommensgrenze. Wir sind vor dem
Hintergrund der aktuellen Diskussion der Meinung, daß
diese Einkommensgrenze fallen muß. Wir schlagen vor,
daß jeder, der mindestens drei Jahre verfolgt wurde,
monatlich 200 bis 300 DM mehr Ausgleichsleistungen
bekommt. Faktisch ist dies eine Verfolgtenrente.
({4})
Außerdem haben wir vorgeschlagen, das Problem der
verfolgten Schüler endlich zu lösen. Das gelingt aber
nur, wenn man sie auf diese Art und Weise in die Ausgleichsleistungen einbezieht.
Diese beiden Anliegen hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf zum Ausdruck
gebracht. Wir stehen also nicht allein da, sondern haben
den Bundesrat auf unserer Seite. Sie haben die Aufnahme einer Verfolgtenrente, so wie wir sie vorgeschlagen
haben, abgelehnt. Ich nehme daher an, daß Sie heute unseren Gesetzentwurf ebenfalls ablehnen werden.
Wir haben deshalb vorgeschlagen, daß wir im Laufe
des nächsten Jahres erneut über dieses Thema reden.
Wir bitten die Bundesregierung, bis zum 17. Juni des
nächsten Jahres - ich denke, auch dieses Tages sollte
weiterhin gedacht werden - einen Gesetzentwurf vorzulegen, der diesem berechtigen Anliegen der Opfer,
endlich eine Verfolgtenrente zu erhalten, Rechnung
trägt.
({5})
Ich erwarte heute eine Erklärung - Frau Wittig, Sie
sind diese Erklärung bislang schuldig geblieben -, ob
Sie akzeptieren, daß die Lebensbiographie auch heute
noch - daran ändert eine Verbesserung der Haftentschädigung nichts - nachhaltig beeinträchtigt sein kann. Die
betroffenen Menschen konnten sich eben nicht qualifizieren. Sie leiden noch heute an gesundheitlichen und
psychischen Folgen. Wir haben mit dem Zweiten SEDUnrechtsbereinigungsgesetz versucht, einen Ausgleich
ohne einzelgesetzliche Maßnahmen, wie das bisher der
Fall war, zu schaffen. Wir brauchen eine generelle Regelung, die nach meiner Meinung nur darin bestehen
kann, eine Verfolgtenrente einzuführen. Ich stelle Ihnen
daher die Frage, ob Sie bereit sind, darüber nachzudenken, über eine Verfolgtenrente zu diskutieren. Wir haben
einen Entschließungsantrag dazu eingebracht. Stimmen
Sie diesem Antrag zu!
({6})
Ich möchte an dieser Stelle noch folgendes bemerken:
Hören Sie auf, die Mär zu erzählen, der Vorschlag einer
Verfolgtenrente sei neu! Er ist nicht neu. Bündnis
90/Die Grünen haben bereits in der letzten Legislaturperiode vorgeschlagen, 500 DM Entschädigung pro Monat
zu zahlen.
({7})
- Sie haben jetzt die Gelegenheit dazu; Bündnis 90/Die
Grünen sind nämlich jetzt in der Regierungsverantwortung.
({8})
Dieser Gedanke hat - das hatte ich eben bereits erwähnt
- in § 8 Berufliches Rehabilitierungsgesetz schon seinen
Niederschlag gefunden.
Lassen Sie mich noch auf einen zweiten wichtigen
Punkt eingehen, nämlich auf das Thema Anerkennung
von gesundheitlichen Haftschäden. 1992 wurde im
Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens die interessante
Frage gestellt: Wie kann man gesundheitliche Haftschäden anerkennen? Wer sich das Gesetz von 1992
heute durchliest, der kann feststellen, daß man sich
wirklich bemüht hat, die Schwierigkeit zu erfassen und
eine gesetzliche Regelung zu finden, die den Opfern tatsächlich hilft.
({9})
Als wir bemerkt haben, daß diese Regelung nicht
funktioniert, haben wir in der letzten Legislaturperiode
an die Länder appelliert, Gutachter zu schulen und zentrale Gutachterausschüsse zu bilden, um dem Problem
Rechnung zu tragen. Aber auch 1999 müssen wir feststellen: 95 Prozent der Anträge werden negativ beschieden, weil der kausale Zusammenhang zwischen Haft
und Gesundheitsschäden nur schwer nachweisbar ist.
Deswegen kann ich die Aufregung bei den Opferverbänden verstehen, die aus guten Gründen fragen: Warum schon wieder ein neuer Versuch, der nichts Neues
bringt?
Wir müssen heute feststellen: Die geltende Gesetzeslage ist nicht ausreichend. Ein Versuch, dem Phänomen
auf untergesetzlichem Weg zu begegnen, ist gescheitert.
Das muß man an dieser Stelle erklären. Die logische
Folge daraus ist: Ich brauche eine gesetzliche Änderung.
Sie haben das im Ausschuß abgelehnt, aber ich gebe
Ihnen noch eine Frist.
({10})
Wir haben das im Ausschuß vereinbart. Wir erwarten
einen Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der Bemühungen, ob sich dort eine Verbesserung
einstellt oder nicht. Wenn wir nach einem Jahr feststellen, daß es wiederum keine Verbesserung gibt, müssen
wir endlich zur Tat schreiten. Dann müssen wir an dieser Stelle eine Gesetzesänderung erreichen.
({11})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein
paar Bemerkungen zur Ausschußberatung selbst machen.
({12})
Sie haben vor der Wahl angekündigt, das Gesetz zu novellieren und das Versprechen in der Regierungserklärung und am 17. Juni wiederholt. Das Gesetz ist erst
sehr spät in den Deutschen Bundestag gelangt. Wir hatten in der letzten Woche eine Sondersitzung in Form einer Anhörung und in dieser Woche eine Sondersitzung,
um darüber zu beraten. Sie wollten die Anhörung nicht.
Ich weiß auch, warum Sie die nicht wollten, nämlich
weil Sie zwar mit einigen ausgewählten Opferverbänden
vereinbart hatten, was im Gesetz geregelt werden kann,
Sie aber natürlich nicht hören wollten, was die Mehrheit
der Opferverbände davon hält.
({13})
Die Anhörung fand statt. Wer dabei war, weiß, daß
Ihr Gesetzentwurf an vielen Stellen sehr herb kritisiert
worden ist.
({14})
Sie wollten die Kritik nicht hören. Im Gegenteil, Sie
wollten das Gesetz schnell fertigstellen. Deshalb fand in
dieser Haushaltswoche die abschließende Ausschußberatung statt. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie
sich in der Ausschußberatung kaum zu dem Gesetz geäußert. Sie wollten überhaupt nicht über die Anhörung
reden.
({15})
Damit haben Sie die Anhörung zu einer Farce gemacht,
die berechtigten Anliegen der Opfer einfach ignoriert
({16})
und damit auch das Parlament und die Parlamentsrechte
mißachtet.
({17})
- Herr Küster, Sie waren nicht dabei. Ich hätte Ihnen
empfohlen, bei der Anhörung mit dabei zu sein. Sie
hätten viel dazulernen können.
({18})
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser
Stelle den Mitarbeitern des Ausschußsekretariats danken, die kurzfristig Tag und Nacht die Beschlußvorlagen
zusammenstellen mußten.
({19})
Meine letzte Bemerkung: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich immer gegen Diktatur und Willkür
eingesetzt. Sie hat sich für die politischen Opfer eingesetzt. Wir werden das auch in der Zukunft tun.
Schönen Dank.
({20})
Für Bündnis 90/Die
Grünen spricht nun der Herr Kollege Hans-Christian
Ströbele.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Luther, Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie kritisieren wollen, daß die Regelung nicht
schnell genug gekommen ist, oder ob Sie kritisieren
wollen, daß wir im Ausschuß in dieser Woche gegen Ihre Bemühungen Widerstand geleistet haben, dieses Gesetz in diesem Jahr zu verhindern. Dann würde es nämlich nicht am 1. Januar 2000 in Kraft treten.
({0})
Dann hätten die Betroffenen warten müssen; das wollten
wir nicht.
({1})
Wir haben uns deshalb geduldig zweieinhalb Stunden
lang angehört, was Sie im Ausschuß immer wieder filibustert haben. Wir sind froh, daß wir dieses Gesetz im
Ausschuß doch noch einstimmig beschließen konnten.
So sollten wir es auch heute im Deutschen Bundestag
halten.
({2})
Gestatten Sie, Herr
Kollege Ströbele, eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Luther?
Ja, klar.
Lieber Kollege
Ströbele, geben Sie mir darin recht, daß wir das Gesetz
auch in der nächsten Woche hätten abschließend beraten
können, da zu erwarten gewesen wäre, daß der Bundesrat keine Fristeinrede geltend macht und er so in der
Bundesratssitzung am 17. Dezember dieses Jahres das
Gesetz hätte verabschieden können, und darin, daß es
nicht das erste Mal gewesen wäre - was gerade bei diesem Gesetz immer wieder der Fall gewesen ist -, daß
der Bundesrat hier mitgewirkt hätte?
Da gebe ich Ihnen nicht recht, Herr Kollege. Das gerade ist ja zu kritisieren: daß die Leute, die
davon betroffen sind, schon lange darauf warten, daß es
so lange gedauert hat, daß die Opfer und ihre Interessenvertretungen gewartet haben. Es gab ja eine Anhörung dazu und eine ganze Reihe von Besprechungen,
erst im Bundeskanzleramt, dann im Ausschuß. Dadurch
ist natürlich eine erhebliche Verzögerung eingetreten.
Die Betroffenen wollen doch nur wissen: Können sie
damit rechnen, daß sie die - wenn auch geringen - Beträge bekommen, oder können sie nicht damit rechnen?
Sollen sie jetzt auf den 17. Dezember warten? Auch
dann können sie nicht wissen, ob das bis Weihnachten
über die Bühne geht.
({0})
- Sie durften doch im Ausschuß alles sagen und haben
das doch auch umfassend genutzt.
Das jetzt vorgelegte ist dabei herausgekommen. Ich
denke, dieser Gesetzentwurf kann sich sehen lassen.
Die wesentlichen Versprechungen, die Bündnisgrüne
und SPD vor der Wahl gemacht haben, sind hiermit eingelöst worden. Der entscheidende Punkt ist doch der,
daß Sie es in den acht Jahren, in denen Sie das hätten
anders regeln können und müssen, nicht fertiggebracht,
zu sagen: Die Menschen, die in der SBZ oder der DDR
aus politischen Gründen im Gefängnis gesessen haben,
bekommen mindestens den gleichen Betrag als Anerkennung - das kann ja keine Entschädigung für verlorene Jahre sein - wie derjenige, der in der Bundesrepublik
Deutschland zu Unrecht in Haft gewesen ist.
Sie können das fast an Willi Stoph festmachen: Wenn
er Haftentschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft in West-Berlin bekommt, dann kann er doch
nicht bessergestellt werden als jemand, der jahrelang in
Bautzen gesessen hat.
({1})
Darum geht es: diese Ungerechtigkeit auszugleichen.
Dafür sind wir angetreten. Das haben wir mit diesem
Gesetz hervorragend geleistet. Wir haben damit ein Versprechen eingelöst.
Wir haben uns auch in anderen Bereichen bemüht. Es
geht doch nicht darum, daß man nicht viel mehr hätte
tun können. Natürlich haben Sie recht - genauso wie
Vertreter der Verbände, die das kritisieren -, daß es viel
Unrecht gibt, dessen Folgen noch heute andauern: Gesundheitsschäden, Schäden aus beruflicher Benachteiligung, aus Benachteiligung an Schulen und Universitäten. Aber wir können das nicht alles ausgleichen. Die
Maßnahmen, die wir jetzt auf den Weg gebracht haben,
kosten etwa 400 Millionen DM. Angesichts der angespannten Haushaltslage können sich die Bundesregierung und die Koalition das ans Revers heften und sagen:
Trotz dieser miserablen Haushaltslage haben wir uns
bemüht, etwas zu tun, und haben wesentliche Schritte
getan.
({2})
Nun kommen Sie mit dem Vorschlag der Ehrenrente. Herr Kollege, ich habe dagegen überhaupt nichts; das
habe ich ja auch im Ausschuß gesagt. Natürlich kann
man weiter darüber nachdenken und darüber reden.
Auch dagegen habe ich nichts. Aber ich habe etwas dagegen, daß Sie, die ehemalige Koalition von CDU/CSU
und F.D.P., die lange Zeit die Regierung gestellt hat,
dies fordern. Sie hätten acht Jahre lang eine solche Ehrenrente einführen, die Mittel bereitstellen und sie auszahlen können. Insofern ist das jetzt gegenüber den Betroffenen nicht fair.
Wir betreiben hier ja ein Spiel: Sie haben früher die
Regierung gestellt, jetzt stellen wir die Regierung. Sie
waren früher die Regierungskoalition, jetzt sind wir die
Regierungskoalition. - An diesem Punkt sollte man dieses Spielchen nicht weitertreiben. Denn wenn man mit
der Lage der Opfer spielt, wird das alles nicht nur unverständlich, sondern unerträglich. Sie wissen ganz genau:
Das Ganze scheitert doch nicht daran, daß das die jetzige Regierungskoalition nicht möchte, sondern es scheitert an den Finanzen. Eine solche Ehrenrente, wenn man
sie einführen würde, kostete pro Jahr wahrscheinlich
weit über 1 Milliarde DM.
({3})
Dieses Geld ist im Augenblick nicht da.
Man kann sicher weiter darüber diskutieren, weil ein
Ausgleich von Schäden, die bisher nicht ausgeglichen
werden konnten, natürlich seine Berechtigung hat. Aber
lassen Sie uns jetzt diesen Entwurf gemeinsam Gesetz
werden lassen! Lassen Sie uns dafür sorgen, daß die
Betroffenen endlich davon profitieren und daß dieses
Gesetz zum 1. Januar 2000 in Kraft tritt. Das wäre ein
richtiges und wichtiges Signal dafür, daß diese Regierungskoalition die Botschaft verstanden hat, sich an
Versprechen hält und auch in Zukunft weiter darüber
nachdenken wird, wie man Ungerechtigkeiten ausgleichen kann.
Ich jedenfalls vertraue auf die Zusagen der Länder,
daß sie in allen Fällen, in denen bisher abgelehnt worden
ist, gesundheitliche Schäden wiedergutzumachen, ihre
Entscheidung überprüfen. Wir sollten die Länder beim
Wort nehmen. Diesbezüglich sollten wir im Deutschen
Bundestag zusammenstehen.
({4})
Davon haben die Betroffenen etwas. Die Betroffenen
haben nichts von blanker Polemik, wie Sie sie hier betrieben haben. Ich hoffe, der Gesetzentwurf wird im
Plenum des Bundestages einstimmig verabschiedet.
({5})
Herr Kollege Ströbele, Ihre Redezeit ist zwar abgelaufen, aber ich frage
Sie dennoch, ob Sie noch bereit sind, eine Frage des
Kollegen Nooke zu beantworten.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Ströbele,
ist Ihnen bekannt, daß das, was Sie jetzt gesagt haben eine Ehrenpension bzw. eine Verfolgtenrente von weit
über 1 Milliarde DM -, der Zahl entspricht, die die Opferverbände - 1 400 DM pro Monat - genannt haben?
Das war nicht unser Vorschlag. Wäre das nicht insbesondere dann gerechtfertigt - das ist die zweite Frage -,
wenn Sie berücksichtigen, wieviel Nachzahlungen aus
Zusatz- und Sonderrentenversorgungssystemen laut
Bundesverfassungsgerichtsurteil vom April 1999 - auch
über 1 Milliarde DM - jährlich kosten werden? Ist Ihnen
bekannt, daß es um Nachzahlungen in der GrößenordHans-Christian Ströbele
nung von 5 bis 10 Milliarden DM geht? Wie will die
Koalition erklären, daß Ihnen die Opfer soviel weniger
als die Täter und die Privilegierten des alten Systems
wert sind?
Herr Kollege Nooke, darum geht es doch
überhaupt nicht. Wenn das Bundesverfassungsgericht
der Bundesregierung und dem Gesetzgeber Auflagen
macht, dann können wir uns dem nicht verschließen, sofern wir Gewaltenteilung in diesem Lande ernst nehmen.
Man kann nicht einfach sagen: Weil der Kollege Nooke
das als ungerecht ansieht, lassen wir das. Wir sind vielmehr an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden. So ist das nun einmal in einem Rechtsstaat, in dem es eine Dreigliederung der Gewalten gibt.
Die Jurisdiktion kann den anderen Gewalten Vorschriften machen. Deshalb sind Bundestag und Bundesregierung an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden.
Ungerechtigkeiten beseitigen Sie auch mit Ihrem Gesetzentwurf nicht. Sie schaffen sogar neue. In Ihrem Gesetzentwurf ziehen Sie eine Grenze bei drei Jahren. Es
gibt überhaupt keinen einsehbaren Grund dafür, daß
man beispielsweise Menschen, die zwei Jahre lang im
Gefängnis gesessen haben, von dieser Rente ausnehmen
soll. Nennen Sie mir einen logischen Grund für diese
Grenze.
Wir sind in diesem Bereich immer darauf angewiesen, Signale zu setzen und die Würde der Menschen dadurch zu respektieren, daß wir uns mit den Problemen
befassen. Wir können all das angerichtete Unrecht weder durch Geld noch durch andere materielle Werte ausgleichen, sosehr wir uns darum bemühen. Vielmehr
können wir nur Versuche in dieser Richtung unternehmen, und wir können Signale setzen, daß wir uns dieser
Probleme annehmen und die größten Ungerechtigkeiten
beseitigen.
({0})
Für die F.D.P.Fraktion spricht der Kollege Jürgen Türk.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute zur Debatte
stehende Gesetzentwurf schafft für die Betroffenen natürlich Verbesserungen; deshalb wird die F.D.P.Fraktion ihm zustimmen, auch wenn er weiterhin verbesserungswürdig bleibt.
Ich hätte mir gewünscht, daß die Anhörungsergebnisse wenigstens zum Teil berücksichtigt worden wären;
denn eine Anhörung macht man nicht nur wegen der
Nabelschau, sondern um schlauer zu werden und das
Gesetz letztlich besser zu machen, Herr Ströbele.
Bei etwas mehr Zeit für die Überarbeitung des Koalitionsentwurfes - das Gesetz könnte auch rückwirkend
zum 1. Januar 2000 in Kraft treten - hätte nach unserer
Ansicht folgendes noch aufgenommen werden müssen.
Erstens. Die Opferverbände beklagen - ich glaube, zu
Recht -, daß der Staat mit den Verfolgten der SEDDiktatur - das sind immerhin rund 1 Million Menschen
- stiefmütterlicher als mit den Opfern der Nazidiktatur
umgegangen ist. Einer, der viele Jahre in Bautzen gesessen und schwere gesundheitliche Schäden davongetragen hat, sieht sich verständlicherweise nicht als Opfer
zweiter Klasse. Es geht uns hauptsächlich darum, daß
noch in der laufenden Legislaturperiode eine „Opferpension“ - so nennen wir das - gewährt wird; zumindest sollte man die Chance für eine Option nicht vergeben.
Das kann einerseits nur unter Berücksichtigung der
Schwere und der Dauer der Verfolgung erfolgen - wir
bleiben ja Realisten -, und andererseits ist es von der
Höhe der noch zu erschließenden Mittel abhängig. Diesen Gesichtspunkt kann man nicht völlig ausschließen.
Ich könnte mir vorstellen, daß das SED-Vermögen oder
andere Quellen etwas hergeben, etwa die Behebung der
Verschwendung öffentlicher Gelder. Der Bund der Steuerzahler weist diesbezüglich immer rund 70 Milliarden
DM pro Jahr aus. Davon benötigen wir nur einen kleinen Anteil.
Zweitens. Wenig befriedigend ist auch, daß Opfer,
die auf Grund der Verfolgung dauerhafte Gesundheitsschäden erlitten haben, kaum eine Chance haben, diese
Schäden anerkannt zu bekommen. Herr Luther wies
schon darauf hin: 95 Prozent der Anträge werden abgelehnt. Hier kann also etwas nicht in Ordnung sein. Man
muß dies verbessern.
Um trotzdem in der Sache weiterzukommen, schlägt
die F.D.P. vor, Beweiserleichterungen bei der Anerkennung von Gesundheitsschäden von politisch Verfolgten
einzuführen. Dies würde den Nachweis verfolgungsbedingter Krankheiten deutlich vereinfachen und die
Chance auf Anerkennung erhöhen.
({0})
Wir werden dem Gesetzentwurf der Koalition zustimmen und bitten Sie, unserem Entschließungsantrag
mit den beiden von mir erläuterten Vorschlägen zuzustimmen.
Vielen Dank.
({1})
Für die Fraktion der
PDS spricht die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir behandeln und verabschieden heute
ein Gesetz, das besser als seine Vorläufer, aber schlechter ist - das muß man auch sagen -, als es möglich gewesen wäre. Damit kritisiere ich nicht nur das Verfahren, daß die Betroffenen zwar in der vergangenen Woche über drei Stunden angehört wurden, ihre Anliegen
aber kaum noch berücksichtigt werden konnten. Ich teile
zwar nicht alles, was von den Vertretern der OpferverGünter Nooke
bände vorgetragen wurde, etwa den gelegentlichen Versuch, die DDR mit dem NS-Regime gleichzusetzen,
oder etwa den erneuten Vorstoß, die Bodenreform rückgängig zu machen. Aber auf die zentrale Frage, ob die
bislang beschlossenen Regelungen hinreichend, handhabbar oder angemessen sind, gab es für mich zwei
Antworten: Sie waren es bislang nicht und werden es
auch nicht sein, wenn wir heute dieses Gesetz verabschieden.
Es bleibt nur die alte Formel vom richtigen Schritt
auf dem richtigen Weg. Deshalb ist natürlich auch den
wesentlichen Verbesserungen, insbesondere der künftig
einheitlichen Entschädigung für Opfer politischer Haft
in Höhe von 600 DM, zuzustimmen. Nur, diese Floskel
vom richtigen Schritt auf dem richtigen Weg hat nicht
nur eine lobende, sondern auch eine ausblendende
Funktion. Wir haben beantragt, daß nunmehr fällige
Nachzahlungen von Amts wegen erfolgen sollen, weil
wir die Beantragungshürden und andere bürokratische
Hemmnisse so niedrig wie nur irgend möglich halten
wollen. Wir meinen, es geht nicht an, daß Haftentschädigungen auf Sozialhilfe angerechnet werden, sei es
auch nur im Einzelfall. Wir wollen hoffen, daß der gemeinsame Appell des Ausschusses in den Ländern und
vor allem in den einzelnen Kommunen tatsächlich Gehör findet. Ich glaube, daß Forderungen von Betroffenen, etwa die Beweislastumkehr bei gesundheitlichen
Haftschäden, ernster zu nehmen sind, als dies bislang
geschehen ist. Die Beispiele ließen sich noch fortsetzen.
Die PDS wird diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Aber ich widerspreche der deutlich formulierten Behauptung, er sei alternativlos. Er ist ein Schritt auf einem
Feld, das so weit ist, daß wir es heute nicht bestellen
können. Ich erinnere nur an die problematische Frage
von betroffenen Schülerinnen und Schülern. Sie bleibt
natürlich zu beantworten. Es geht auch in diesem Gesetzentwurf um gemeinsame Geschichte und um Menschenrechte, also um gesellschaftliche Fragen, die deshalb nicht - auch nicht formal - an einen Ausschuß
„Neue Bundesländer“ delegiert werden können. Aber
zum weiten Feld unserer Geschichte gehören auch der
gleich folgende Tagesordnungspunkt zur Zwangsarbeiterentschädigung ebenso wie die politisch gewollten Berufsverbote in der alten Bundesrepublik. Diese gemeinsame Geschichte und diese schmerzhaften Themen bleiben uns erhalten.
Ich glaube, wir haben hier nicht nur schmerzhafte
Debatten vor uns, sondern vor allem Regelungsbedarf,
um in dieser Bundesrepublik nicht nur gemeinsam anzukommen, sondern gemeinsam unseren Platz zu finden.
Danke schön.
({0})
Ich gebe nunmehr
das Wort dem Staatsminister im Kanzleramt Rolf
Schwanitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend ein Gesetz, auf das
die Opfer lange gewartet haben. Es ist die umfangreichste Verbesserung zur Entschädigung von Opfern politischer Verfolgung in der SBZ und DDR seit 1992
seit dem Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. Diese
Verbesserung war längst überfällig und dringend notwendig. Deswegen ist dies ein guter Tag für die Opfer.
({0})
Das ist es nicht nur wegen der Bedeutung der Regelung. Um übrigens noch einmal auf die Quantität einzugehen: Ein Drittel aller Wiedergutmachungsleistungen,
die seit 1990 gewährt worden sind, werden jetzt im Zusammenhang mit der Verbesserung der Wiedergutmachungsleistungen noch einmal draufgepackt. Das Gesamtvolumen beläuft sich auf 400 Millionen DM. Zwei
Drittel davon trägt der Bund. Es war ein richtiger Kraftakt, dieses wichtige Gesetz zustande zu bringen.
({1})
Wichtig ist dieses Gesetz nicht nur wegen der einheitlichen 600 DM Kapitalentschädigung, damit die Opfer nicht mehr - wie in der Vergangenheit durch Ihr Gesetz - auseinanderdividiert werden, sondern beispielsweise auch wegen der Hinterbliebenenregelung. Ich
will darauf einmal näher eingehen, Herr Dr. Luther. Wir
bekommen jetzt eine Hinterbliebenenregelung über die
Stiftung für politisch Verfolgte, in deren Rahmen künftig Einmalleistungen in der Größenordnung von 8 000
DM gewährt werden können und ein Rechtsanspruch ohne Bedürftigkeitsprüfungen, also quasi lebenslang auf laufende, also jährlich wiederkehrende Leistungen in
einem Volumen von 6 000 bis 8 000 DM besteht. Das ist
für viele Betroffene eine Entschädigung, die weit besser
ist als eine fiktive Kapitalentschädigung. Ich sage noch
einmal: Das ist alles andere als eine Kleinigkeit.
({2})
Herr Staatsminister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich trage erst einmal im Zusammenhang vor und bleibe
am Schluß am Pult stehen; Sie können Ihre Frage dann
noch stellen.
Ich möchte auf die Bemerkung eingehen, wir hätten
die Opferinteressen nicht hinreichend berücksichtigt.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben in diesem parlamentarischen Verfahren die Anhörung zu dem spätestmöglichen Zeitpunkt beantragt. Sie
haben alle möglichen Kapriolen gemacht, zum Beispiel
gesagt, das Ganze sei im Ausschuß nicht genügend beraten worden. Drei Stunden lang ist im Ausschuß über
jedes Komma in der Vorlage filibustert worden. Ich habe gehört, zum Schluß sei sogar versucht worden, nicht
zu unterzeichnen. Wir haben so etwas schon einmal gePetra Pau
habt. Es sind also alle möglichen Dinge versucht worden.
({0})
Aber zum 1. Januar 2000 wird es diese Leistungen geben. Das ist wichtig. Die Opfer warten darauf.
({1})
Herr Luther, Sie haben in Ihrer Rede kritisiert, wir
würden Leistungen gewähren, die, bezogen auf eine Ehrenrente, nicht den Erwartungen entsprächen. Ich will
das mit einigen deutlichen Worten kommentieren. Zunächst möchte ich nur noch einmal die Aussage unterstreichen: Sie haben die Opfer acht Jahre lang auf
eine ordentliche, bessere, finanziell vernünftig ausgestattete Rehabilitierung und Wiedergutmachung warten
lassen. Das wird jetzt kommen. Sie haben überhaupt
keinen Grund, sich hier zum Sachwalter der Opfer zu
machen.
Das Verfassungsgerichtsurteil zu den - ich sage es
einmal flapsig - Stasirenten haben Sie selbst provoziert.
Sie haben ein Rentenrecht geschaffen, bei dem damals
klar war, daß es in den verfassungswidrigen Raum hineinreicht. Sie haben das Urteil selbst provoziert und benutzen es jetzt, um nicht zugeben zu müssen, daß die
Verbesserung wegen Ihrer eigenen politischen Versäumnisse notwendig ist. Sie benutzen das Urteil, um
über Ihre eigenen Fehlleistungen nicht reden zu müssen.
Sie haben übrigens den Unmut bei den Opfern in den
zurückliegenden Wochen und Monaten auch im Zusammenhang mit diesem Urteil ganz gezielt geschürt.
Sie haben nichts dafür getan, um den Opferverbänden
und den Betroffenen klarzumachen, was wirklich in dem
Urteil steht. Darin steht nämlich nicht, daß die Rentenansprüche von Stasi-Bediensteten beliebig ausgedehnt
werden können. Vom Verfassungsgericht wurde nur beschieden, daß der Grundsatz, den die erste frei gewählte
Volkskammer aufgestellt hat, nämlich daß die Rentenansprüche auf die Durchschnittshöhe des Einkommens
in der DDR zu begrenzen sind und das Einkommensprivileg nicht fortgeschrieben wird, sehr wohl verfassungskonform ist.
({2})
Ich will ausdrücklich noch einmal festhalten, daß das
von uns vorgelegte Gesetz ein gutes Gesetz ist. Ich bedaure sehr, daß Sie es sich gerade bei diesem Thema
nicht verkneifen konnten, unter dem Deckmantel von
Ehrenhaftigkeit parteipolitische Spielchen zu spielen.
Ich bedaure sehr, daß Sie das getan haben. Mein
Wunsch an die Opposition ist: Kehren Sie - wie in den
zurückliegenden Monaten und Jahren - zu einer an konstruktiven Problemlösungen orientierten Politik zurück!
Daran hat es hier - leider - gefehlt.
Schönen Dank.
({3})
Jetzt bin ich gerne bereit, Ihre Frage zu beantworten.
Vielen Dank, Herr
Staatsminister, für Ihre Bereitschaft, die Frage jetzt zu
beantworten. Der Kollege Luther hat sich aber für eine
Kurzintervention entschieden. Bitte schön, Herr Luther.
Verehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich für eine
Kurzintervention entschieden, weil ich mir meine ursprüngliche Frage auf Grund der weiteren Äußerungen
des Herrn Staatsministers selbst beantworten kann. Ich
möchte aber noch einiges zu anderen Punkten Ihrer Rede sagen. Das ist wichtig und zur Aufklärung des Hauses notwendig.
Erstens. Wecken Sie nicht vielleicht zu viele und zu
hohe Erwartungen? Bislang standen der Stiftung für
ehemalige politische Häftlinge 10 Millionen DM zur
Verfügung, um Hinterbliebenen von Todesopfern zu
helfen, jetzt stehen 20 Millionen DM bereit. Das ist eine
Verdoppelung, das gebe ich zu. Ich glaube aber, daß
die hohen Erwartungen, die Sie in Ihrer Rede gerade
geweckt haben, dadurch nicht befriedigt werden können.
Zweitens haben Sie gesagt, wir hätten die Anhörung
zum spätestmöglichen Zeitpunkt beantragt. Als wir die
Anhörung beantragten, hatte die erste Lesung des Gesetzes noch nicht stattgefunden, und es war noch nicht an
den Ausschuß überwiesen worden. Wir haben die Anhörung also quasi auf Vorrat beantragt. Wir hätten die Anhörung natürlich auch für Januar beantragen können.
Drittens haben Sie von einer Verzögerung bei der
Unterzeichnung gesprochen. Ich bitte Sie, sich dafür zu
entschuldigen, daß Sie vor diesem Hause einen solchen
Vorwurf geäußert haben. Ich kann doch kein Blankoformular unterschreiben! Nach der Anhörung mußte erst
der Ausschußbericht erstellt werden. Ich kann nicht auf
einem Blankoformular den Ausschußbericht schon im
voraus bestätigen.
({0})
Ich habe daran mitgewirkt und daran mitgearbeitet, daß
alles rechtzeitig in Gang gekommen ist. Ihre Unterstellung sollten Sie deshalb vor diesem Hause zurücknehmen.
({1})
Viertens haben Sie uns vorgeworfen, wir schürten
Unmut bei den Betroffenenverbänden. Schauen Sie
sich doch einmal die Meldungen in den Medien an:
Nach dem Urteil haben zuerst die Betroffenen aufgeschrien. Wir haben uns erst später mit der Thematik beschäftigt. Wenn Sie uns unterstellen, wir schürten Unmut bei den Betroffenenverbänden, dann müssen Sie
dieses auch dem Bundesrat unterstellen. Ich habe ja in
meiner Rede aus der Stellungnahme des Bundesrates
zum Gesetzentwurf zitiert. Dort wurde die von uns angesprochene Problematik noch einmal verdeutlicht. So
stellt sich die Lage dar. Dieses Thema muß in Zukunft
noch einmal aufgegriffen werden.
Meine letzte Bemerkung: Trotz der Mängel des Gesetzes und Ihrer unverschämten Einlassungen
({2})
stimmen wir dem Gesetz zu.
({3})
Herr Staatsminister
Schwanitz zur Erwiderung.
Den Einschätzungen, die ich am Rednerpult abgegeben habe, habe ich nichts hinzuzufügen. So verhält es
sich.
Ich möchte aber Ihre Ausführungen an einigen Stellen korrigieren: Der Gesetzentwurf war bereits Mitte
August im Bundesrat. Es ist gute und übliche Praxis im
Deutschen Bundestag, daß Anhörungen auch zu Vorlagen durchgeführt werden können, die im Bundesrat anhängig sind. Das ist zigmal gemacht worden, Sie aber
haben es bewußt unterlassen. Sie haben die Anhörung statt dessen in den November gelegt, so daß die
Beratung dieses Gesetzentwurfes mit den Beratungen des Finanzausschusses des Bundesrates kollidierte,
um die Stimmungslage noch einmal ordentlich anzuheizen.
({0})
- Das ist so! Ich muß ganz offen sagen, daß ich bewundere, wie Sie immer wieder mit ernster Miene den Widerspruch zwischen Ihrem Verhalten in der Praxis
({1})
und dem, was Sie nach außen hin kommunizieren, offensichtlich problemlos überbrücken können.
({2})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung rehabilitationsrechtlicher Vorschriften für Opfer politischer Verfolgung, Drucksachen 14/1805 und 14/2188 Buchstabe a.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
auf Drucksache 14/2190 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen?
({0})
- Ich frage noch einmal: Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der PDS und des Kollegen Jürgen Türk abgelehnt.
({1})
- Es gab eine Enthaltung aus den Reihen der CDU/CSU.
Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
Dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/2205?
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU
und F.D.P. abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2191? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis
90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf
eines SED-Opfer-Rehabilitations-Verbesserungsgesetzes
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/1001.
Der Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
empfiehlt auf Drucksache 14/2188 Buchstabe b, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/1001 abstimmen und bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen.
- Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS
abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Nun kommen wir zu der Beschlußempfehlung des
Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu
dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen zur Verbesserung des SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes, Drucksache 14/2188 Buchstabe c. Der
Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/1165 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt III auf:
III. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke-Reymann, Dr. Heinrich Fink, Dr.
Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Zügige Entschädigung für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und Errichtung einer
Bundesstiftung
- Drucksache 14/1694 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({2})
Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem
Kollegen Dr. Gregor Gysi für die antragstellende Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir müssen uns heute in erster Lesung
mit einem Antrag beschäftigen, der eines der dunkelsten
Kapitel der deutschen Geschichte betrifft. Es geht um
rund 10 Millionen Menschen, die als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter von dem NS-Regime gezwungen wurden, an der sogenannten Heimatfront in Sklavenarbeit ihren Beitrag zur Herstellung der Infrastruktur
zu leisten, und zwar in der Rüstungsproduktion, um die
Kriegsmaschinerie aufrechtzuerhalten, und in vielen anderen Bereichen. Die meisten von diesen über 10 Millionen Menschen haben niemals eine einzige Mark Entschädigung bekommen. Nicht einmal eine Entschuldigung an die Opfer hat es bis heute im Bundestag gegeben.
Die meisten von ihnen können auch keine Entschädigung mehr bekommen; denn sie sind längst verstorben.
Zirka 1,5 Millionen ehemalige Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter leben noch. Viele von ihnen wurden gezwungen, Arbeiten in der Landwirtschaft zu verrichten.
Die Bedingungen insgesamt waren menschenunwürdig:
Es gab nicht die einfachsten hygienischen Einrichtungen, sie waren unterernährt, es wurde geschlagen, gefoltert und geprügelt. All das ist bekannt.
Daß in der Entschädigungsfrage bislang nichts geschehen ist, hängt mit dem Londoner Schuldenabkommen zusammen, das nach 1945 geschlossen wurde.
Es beinhaltete, daß die Lösung dieser Frage auf den
Zeitpunkt eines Friedensvertrages verschoben wird. Seinerzeit wurde ausgerechnet der tief in das NS-Regime
verstrickte Abs vom damaligen Kanzler Adenauer nach
London geschickt, um Verhandlungen zu führen und zu
einem Ergebnis zu kommen. Dies war, wie ich meine,
eine höchst unglückliche Personalentscheidung.
({0})
Der Zwei-plus-Vier-Vertrag war nun Anlaß, neu
nachzudenken. In gewisser Hinsicht ersetzt er ja einen
Friedensvertrag. Damit stand die Frage der Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter automatisch auf der Tagesordnung.
Ich bedaure, daß in Sachen Aufklärung so wenig
getan wurde, daß es in der Bevölkerung zum Teil völlig
falsche Vorstellungen gibt. So glauben zum Beispiel
viele, daß es überwiegend um amerikanische Jüdinnen
und Juden ginge und daß viele schon eine Entschädigung
bekommen hätten. In Wirklichkeit machen Jüdinnen und
Juden den geringsten Anteil aus. Die meisten sind wahrscheinlich Osteuropäerinnen und Osteuropäer. Diese haben noch nie eine Entschädigung bekommen und leben
zum größten Teil auch heute noch unter eher ärmlichen
Bedingungen. Das muß ganz klar gesagt werden.
Es gab auch insoweit völlig falsche Vorstellungen, als
man zum Beispiel die Höhe der Entschädigung davon
abhängig machen wollte, unter welchen Umständen diese Menschen heute leben. Reiche sollten mehr bekommen, Arme weniger. Dies ist, wie ich meine, ein unhaltbarer Ansatz.
Eines hat mich außerordentlich gestört: Schon als der
Bundeskanzler noch Kanzlerkandidat war, hat er sich zu
dieser Frage geäußert. Damals hat er als ersten Satz gesagt - das war der Satz, der wie eingemeißelt stand -, er
werde darum kämpfen, daß die deutschen Firmen nicht
übermäßig in Anspruch genommen würden; es werde
seine Aufgabe sein, sie vor falschen und überzogenen
Ansprüchen zu schützen. Ich frage Sie: Hätte nicht sein
erster und entscheidender Satz lauten müssen, er werde
sich dafür einsetzen, daß die Opfer endlich eine angemessene Entschädigung bekommen?
({1})
Als vielleicht dritten Satz hätte er dann sagen können,
daß er als künftiger Kanzler natürlich auch überzogene
Forderungen abwehren werde. Daß er diese Aussagen in
ebendieser Reihenfolge gemacht hat, hat auch bei der
Wirtschaft völlig falsche Vorstellungen geweckt, die bis
heute nachwirken.
Es ist natürlich höchst unglücklich, wenn man, während in Bonn und in Washington verhandelt wird, sagt,
es solle sichergestellt werden, daß nach Errichtung des
Fonds gegen kein deutsches Unternehmen noch ein Anspruch erhoben werden könne, und zwar unabhängig
davon, ob sich dieses deutsche Unternehmen an diesem
Fonds beteiligt hat oder nicht. Wenn ich das öffentlich
und laut verkünde, dann ist zumindest unter finanziellem
Gesichtspunkt nachvollziehbar, daß die meisten Unternehmen sagen: Wenn ich hinterher von Forderungen
freigestellt bin, auch wenn ich jetzt nicht zahle, dann
versuche ich natürlich zu der Gruppe derjenigen zu gehören, die nicht zahlen. - Es wäre viel günstiger gewesen, den Eindruck zu vermitteln, daß jene, die nicht einzahlen, nach wie vor mit Forderungen rechnen müssen.
Dann wäre wahrscheinlich auch die Bereitschaft, einzuzahlen, größer. Das kann jetzt nicht mehr repariert werden. Deshalb kommen sich in dieser Frage Politikerinnen und Politiker gegenüber der Wirtschaft jetzt wie
Bittsteller vor. Dies finde ich nun wirklich völlig unangemessen.
({2})
Als erster Schritt wäre es notwendig gewesen, daß
sich die deutsche Industrie und die deutschen Banken zu
ihrem Versagen gegenüber den Nationalsozialisten, zu
ihrer politischen, moralischen und materiellen Verantwortung für die Etablierung des NS-Staates, für das SyVizepräsident Rudolf Seiters
stem der Bereicherung, für das System aus Raubkrieg,
Ausplünderung, Sklavenarbeit und - wie es hieß - Vernichtung durch Arbeit bekannt hätten.
({3})
Deutsche Firmen, zum Beispiel die Tochtergesellschaft
von Degussa - die Degesch -, haben das Zyklon B produziert, mit dem in den Konzentrationslagern gemordet
wurde. Degussa hat das Zahngold der ermordeten Häftlinge eingeschmolzen.
Wenn ich den Namen Auschwitz nenne, darf ich über
die IG Farben und ihre Nachfolger nicht schweigen.
Wenn es um die Arisierung des jüdischen Vermögens,
um Gold- und Finanztransfers geht, muß über die Deutsche Bank und die Dresdner Bank gesprochen werden.
Weil der Reichsverband der Deutschen Industrie mit
seiner Adolf-Hitler-Spende Hitler förderte, hätte sich
auch der Nachfolger, der BDI, damit auseinandersetzen
müssen. Das alles ist nicht geschehen - und es ist jetzt
auch nur noch schwer zu erreichen. Das hätte längst geschehen müssen.
Ich kann von hier aus heute nur appellieren, daß die
Wirtschaft sich zu einem Wort des Bedauerns durchringt, daß mit der Feilscherei aufgehört wird
({4})
und daß alle diejenigen ihren Beitrag in diesen Fonds
einzahlen, die damals davon profitiert haben, daß es in
Deutschland Zwangsarbeit gab.
({5})
Dazu gehörte auch der Staat. Der Staat trug natürlich
Verantwortung dafür, daß es überhaupt Zwangsarbeit
gab. Deshalb ist es richtig, daß auch der Staat in diesen
Fonds einzahlt. Gleichzeitig muß er ausreichend Aufklärung betreiben, auch in der Öffentlichkeit, um eine
breite Zustimmung in der Bevölkerung zu erreichen.
Ich füge hinzu: Wir müssen einen Anfang machen.
Der Fonds muß eingerichtet werden. Darum geht es in
unserem Antrag. Wir haben ihn extra verschoben, um
die Verhandlungen nicht zu gefährden. Denn wir meinen, das Wichtigste ist, daß die Opfer eine angemessene
Entschädigung bekommen. Aber jetzt muß das Parlament eingeschaltet werden. Wir müssen jetzt darüber
diskutieren. Wir müssen das jetzt als Parlament begleiten und versuchen, noch einiges zu ändern. Selbst wenn
keine Lösung zustande kommen sollte, müssen wir jetzt
anfangen, Geld zur Verfügung zu stellen, damit wenigstens erst einmal eine Mindestsumme an die noch lebenden Opfer ausgezahlt wird. Es darf keine biologische
Lösung dergestalt geben, daß hier verzögert und verschoben wird, bis immer weniger der Betroffenen leben.
Das ist nicht hinzunehmen. Deshalb haben wir unseren
Antrag vorgelegt. Er soll eine Unterstützung sein, damit
wir endlich zu diesem Fonds und zu einer Lösung kommen.
Daß die Unternehmen die Zahlungen später von der
Steuer absetzen dürfen, ist schon ein starkes Stück.
({6})
Aber daß sie trotzdem nicht bereit sind, einzuzahlen, ist
ein noch stärkeres Stück. Deshalb sage ich: Hören wir
auf, die Unternehmen zu kritisieren, die einzahlen wollen! Es ist ein bißchen ungerecht, daß die Kritik diese
Unternehmen am meisten trifft. Jetzt müssen wir öffentlich die benennen, die nicht einzahlen wollen, die sich
ihrer Verantwortung völlig entziehen wollen. Das ist
nicht hinnehmbar. Ich hoffe, wir werden in dieser Angelegenheit alle gemeinsam streiten und kämpfen und
diese Unternehmen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.
Danke schön.
({7})
Für die SPDFraktion spricht der Kollege Ludwig Stiegler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gysi hat wieder versucht, sich als
großen Moralisten darzustellen.
({0})
Ich sage nur: Diejenigen unter Ihnen, die früher in der
SED waren, sollten ganz ruhig sein.
({1})
Wir sind hier mitten in Verhandlungen, und Sie tun so,
als ob nichts geschehen sei. Dort, wo Sie früher Verantwortung hatten, ist - außer Solidaritätsadressen - nichts
geschehen, während hier eine ganze Menge geschehen
ist.
({2})
Deshalb sollten wir etwas ernster an das Thema herangehen.
({3})
Wir haben keine Veranlassung, jetzt am Bundeskanzler herumzumäkeln, denn es ist wahr, daß mit sehr
zweifelhaften juristischen Methoden Druck ausgeübt
worden ist. Ich stimme allen zu, die sagen, die Wirtschaft und die ganze Gesellschaft seien zu hartleibig und
im Grunde nicht sensibel genug für dieses Thema. Aber
wir können auch nicht über die Methoden, die in Amerika teilweise angewandt worden sind, hinwegsehen. Ich
habe zwischendurch schon daran gezweifelt, ob dort
noch ein rechtsstaatliches System gibt. Ich meine, wir
sollten hier wirklich aufpassen, daß die Initiative nicht in
ein falsches Licht gerückt wird.
Die Koalition hat in ihrer Koalitionsvereinbarung klar
gesagt: Wir wollen das Gesetz. Auch in den Wahlprogrammen war das ein Thema. Ich denke zum Beispiel an
Hans-Jochen Vogel und seinen Verein „Gegen Vergessen - Für Demokratie“. Der Druck von unserer Seite,
endlich zur Tat zu schreiten, war groß und intensiv. Wir
sind jetzt mitten in den Verhandlungen. Alle Fraktionen
haben mitgetragen, daß der Bund seinen Anteil noch
einmal erhöht und damit mehr Druck auf die Wirtschaft
gemacht hat, damit sie ihren Anteil ebenfalls erhöht. Wir
sollten gemeinsam an die Wirtschaft herantreten und
von allen verlangen, daß sie sich an diesem Fonds beteiligen. Aus dieser moralischen Verpflichtung werden wir
sie nicht entlassen.
({4})
Herr Kollege
Stiegler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Gehrcke? - Bitte schön.
Herr Kollege Stiegler,
finden Sie nicht auch, daß gerade bei diesem Thema, das
die deutsch-deutsche Geschichte berührt, die wir gemeinsam zu tragen haben, eine Differenzierung danach,
wer hier etwas sagen darf und wer hier nichts sagen darf,
völlig unangebracht ist?
({0})
Finden Sie nicht auch, daß gerade bei dieser Frage die
Demokraten in unserem Lande die Verpflichtung haben,
Meinungsverschiedenheiten bzw. Dinge, die man zu
Recht kritisieren kann, zurückstehen zu lassen zugunsten
einer Lösung für Menschen, die unendlich gelitten haben?
Wir sind uns darin einig,
daß die Menschen unendlich gelitten haben und daß wir
alles tun müssen, um sie dafür zumindest ein wenig zu
entschädigen. Aber angesichts dessen, daß Herr Gysi
sich hier hinstellt und sagt, er allein sei der Rächer der
Entrechteten,
({0})
muß ich darauf hinweisen, daß uns dies in der jetzigen
Situation nicht weiterführt. Die PDS hat weder ein Erstgeburtsrecht noch ein Monopol in dieser Frage. Auch
alle anderen Parteien haben eine ganze Menge an Anstrengungen unternommen.
({1})
- Ich lasse nicht zu, daß Sie sich hier in eine Alleinvertreterrolle begeben. Denn die mit diesen Verhandlungen
verbundene Arbeit und die anstehenden finanziellen
Entscheidungen betreffen uns alle hier.
Wir erwarten von der Wirtschaft, daß sie sich massiv
beteiligt, damit der Anteil derer, die entschädigt werden,
angemessen festgelegt werden kann. Diese unglaublich
schwierige Frage ist in den momentan laufende Verhandlungen zu lösen.
Jetzt geht es darum, daß wir uns an die Wirtschaft
und an die Bevölkerung wenden, dafür Verständnis aufzubringen. Wenn Sie so sprechen, wie Sie es hier tun, ist
es viel schwieriger, in den breiten Schichten der Bevölkerung ein entsprechendes Verständnis zu erreichen.
Es ist auch nicht angemessen, zu kritisieren, daß die
Wirtschaft diese Entschädigungsleistungen als Betriebsausgaben absetzen kann. Wir wollen durch diese
Möglichkeit höhere Zahlungen erreichen. Ich weise darauf hin, daß der Staat auf diese Weise die Hauptlast der
Zahlungen trägt. Aber es gibt ja sehr viele Unternehmen,
die heute gar nicht mehr greifbar sind, zum Beispiel einzelne landwirtschaftliche oder ähnliche Unternehmen.
Vor diesem Hintergrund ist der staatliche Anteil an
den Zahlungen gesellschaftlich gerechtfertigt. Diesen
Punkt sollte man nicht kritisieren. Wir alle sollten vielmehr die Verhandlungen nicht stören. Sie sind schwierig
und finden unter großen Belastungen statt.
Wir sollten den vorliegenden Antrag der PDS an die
zuständigen Ausschüsse überweisen. Für die Umsetzung
eines Verhandlungsergebnisses ist der Inhalt dieses Antrages nicht nötig. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist
fertig und liegt praktisch in der Schublade. Er kann in
dem Moment, in dem die Verhandlungen abgeschlossen
sind, sofort eingebracht werden. Für die Fraktionsgremien gibt es dann keine große Arbeit mehr. Das Stiftungsgesetz ist in seiner Struktur praktisch fertig. Jetzt aber
ein Stiftungsgesetz vorzulegen, ohne daß man den Inhalt
des Verhandlungsergebnisses kennt, führt uns insgesamt
nicht weiter.
({2})
Wichtig ist, daß der Gesetzentwurf faktisch fertig ist und
es keine zeitliche Verzögerung mehr geben wird.
Jetzt ist zunächst notwendig, die Verhandlungen endlich zum Abschluß zu bringen. Dabei ist entscheidend,
daß der Topf gefüllt wird. Aus diesem Grunde und angesichts dessen, daß Hans-Jochen Vogel eine Liste von
Firmen aufgestellt hat, die sich noch nicht beteiligt haben, sind alle betroffenen Unternehmen moralisch in die
Pflicht zu nehmen, sich zu beteiligen.
Herr Gysi, Sie wissen genau, daß die Frage von Befreiungszahlungen erhebliche völkerrechtliche und andere Probleme aufwirft, die wir nicht anpacken wollen,
weil wir sagen: Bei diesem Problem handelt es sich
nicht um eine Rechtsfrage, sondern eine moralische Frage, die wir zu lösen haben, wobei die moralische Verpflichtung aus einer Entschuldigung und aus einer materiellen Entschädigung besteht.
Das ist unser gemeinsames Ziel. An diesem arbeiten
wir am besten, wenn wir die Verhandlungen fördern. Ich
kann Ihnen noch einmal zusichern: Die Umsetzungsgesetzgebung ist so weit fertig, daß sie hier unverzüglich
eingebracht werden kann. Deshalb kann Ihr Antrag, den
Sie eingebracht haben, ruhen. Im Ausschuß wird wirklich zügig gearbeitet, um endlich voranzukommen. Entscheidend ist, daß Graf Lambsdorff und alle Beteiligten
endlich zum Ziel kommen. Wir danken ihnen für ihren
bisherigen Einsatz und hoffen auf einen baldigen Erfolg.
Ich möchte aber auch die andere Seite bitten, unsere Situation zu berücksichtigen.
Unser gemeinsames Ziel ist es, die Verhandlungen
auf der Grundlage, auf der sie gediehen sind, endlich zu
einem Erfolg zu führen. Dies kann nicht hier im Parlament geschehen, sondern nur an den Verhandlungstischen. Alles weitere wird dann ganz schnell gehen.
Vielen Dank.
({3})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Wolfgang Bosbach.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Formal betrachtet beraten wir heute über den Antrag der PDS, zügig eine
Bundesstiftung zur Entschädigung für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter einzurichten und die hierfür
notwendigen Mittel bereitzustellen, damit schon ab
dem 1. Januar mit den Zahlungen begonnen werden
könne.
1,5 Millionen Überlebende sollen nach dem Willen
der PDS zunächst rasch a conto pro Kopf 10 000 DM
erhalten. Hierfür müßte nach Ihren Berechnungen ein
Startkapital von 1 Milliarde DM zur Verfügung gestellt
werden. Es handelt sich also um einen klassischen PDSAntrag: Abgesehen davon, daß die Multiplikation von
10 000 mit 1,5 Millionen einen Betrag von 15 Milliarden DM ergibt
({0})
und daß ein konkreter Finanzierungsvorschlag fehlt,
dürfte nach Addition aller PDS-Forderungen in diesem
Antrag der Betrag sogar weit über den Zahlungsansprüchen liegen, die derzeit von den amerikanischen Anwälten im Rahmen der Verhandlungen über die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft geltend gemacht
werden.
Niemand kann die PDS daran hindern, derartige Anträge zu stellen. Es ist allerdings sehr bedauerlich, daß
die PDS auch auf dem sehr sensiblen Gebiet der Wiedergutmachung von nationalsozialistischem Unrecht
völlig unseriös agiert
({1})
und - das ist für mich der entscheidende Punkt - bei den
Überlebenden und in deren Herkunftsländern Hoffnungen weckt, die in jeder Hinsicht unerfüllbar sind.
({2})
Herr Kollege Bosbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Fink?
Nein.
({0})
Der Zwischenruf
war unparlamentarisch.
Ich weiß, wer das
gesagt hat, und deswegen berührt mich dieser Zwischenruf überhaupt nicht.
({0})
Weil Sie es so gerne hören, sage ich es noch einmal
langsam, zum Mitschreiben: Ihr Engagement für die
Wiedergutmachung staatlichen Terrors wäre viel glaubhafter, wenn Sie nicht unter der alten Firmierung SED
dafür gesorgt hätten, daß die DDR - im Gegensatz zur
Bundesrepublik Deutschland - die Opfer der NaziBarbarei, zumindest diejenigen, die in Ihren Augen die
falsche Gesinnung hatten, nicht entschädigt, und wenn
Sie das erworbene SED-Vermögen sofort den Opfern
der DDR-Diktatur zur Verfügung stellten.
({1})
Vor diesem Hintergrund macht es wenig Sinn, den
Antrag der PDS im Detail zu diskutieren. Er gibt jedoch
Anlaß zu einigen grundsätzlichen Anmerkungen über
die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft und
den bisherigen Verlauf der Verhandlungen über eine
Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter - unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen humanitären Geste der
deutschen Wirtschaft, genauer gesagt: der Unternehmen,
die sich zur Stiftungsinitiative „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zusammengeschlossen haben.
Das Thema „Entschädigung für NS-Zwangsarbeit“
wird in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten diskutiert.
Alle Bundesregierungen, auch die derzeit im Amt befindliche, haben folgenden Rechtsstandpunkt vertreten:
Soweit ausländische Zwangsarbeiter außerhalb des BEG
- einschließlich Art. 6 des BEG-Schlußgesetzes - Schadensersatzansprüche geltend gemacht haben, stehe dem
das Londoner Schulden-Abkommen aus dem Jahr 1953
entgegen. Bei Forderungen nach Entschädigung wegen
NS-Zwangsarbeit handele es sich um Reparationszahlungen im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg.
Dies gelte auch für die Forderungen ehemaliger
Zwangsarbeiter gegenüber privaten Unternehmen. Demgemäß konnten und können allein auf Grund von
Zwangsarbeit keine Rechtsansprüche gegen Deutschland
oder deutsche Staatsangehörige geltend gemacht werden, so zuletzt auch der Bundesminister der Finanzen in
einem Schreiben vom 22. November an den Vorsitzenden des Innenausschusses.
Diese Rechtsansicht ist nicht unumstritten; sie wurde
aber von den Gerichten bislang ganz überwiegend geteilt, vor wenigen Wochen auch von einem amerikanischen Gericht in New Jersey, das über eine Klage gegen
die bereits genannte Firma Degussa-Hüls AG zu entscheiden hatte.
Eine völlig andere Frage ist jedoch, ob man das Thema Entschädigung für NS-Zwangsarbeit aus der besonderen historischen Verantwortung gegenüber den Betroffenen nicht eher unter humanitären als unter rechtlichen Aspekten betrachten müsse. Gerade auf Grund dieser Überlegung wurden in der Vergangenheit zunächst
mit elf westlichen Staaten Globalabkommen zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts abgeschlossen, aus denen auch Zwangsarbeiter entschädigt
worden sind.
Darüber hinaus hat die Bundesrepublik nach der
Wiedervereinigung als humanitäre Geste durch die Einrichtung von Stiftungen in Warschau, Moskau, Kiew
und Minsk sowie im Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds Beträge von insgesamt 1,5 Milliarden DM zur
Verfügung gestellt, die auch ehemaligen Zwangsarbeitern zugute kommen sollten.
In den vergangenen Jahrzehnten war es der Staat, der
sich zu seiner historischen Verantwortung gegenüber
den Opfern der NS-Tyrannei bekannte. Nur einige wenige private Wirtschaftsunternehmen, die im Dritten
Reich Zwangsarbeiter beschäftigten, bekannten sich
bislang auf Grund ihrer Firmengeschichte zu einer eigenen historisch begründeten humanitären Verantwortung
gegenüber den Opfern und waren bereit, sie für die erzwungene Arbeitsleistung zumindest teilweise zu entschädigen.
Wir begrüßen daher ausdrücklich das Engagement
derjenigen Unternehmen, die sich zur Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zusammengeschlossen
haben. Wir unterstützen ihre Bemühungen, durch eigene
Zahlungen und durch die Aufforderung an andere Firmen, sich ebenfalls mit einem angemessenen Betrag zu
beteiligen, dafür zu sorgen, daß ein sowohl für die deutsche Wirtschaft als auch für die Bundesrepublik insgesamt schwieriges Problem im Interesse der Betroffenen,
das heißt der überlebenden Zwangsarbeiter, rasch, fair
und möglichst unbürokratisch gelöst wird.
({2})
Gelegentlich wird der Wirtschaft entgegengehalten,
ihr Engagement sei eher eigennützig als moralisch motiviert, denn es ginge ihr in erster Linie um die Wahrung
von Exportchancen, nicht um die Wiedergutmachung
von Unrecht.
({3})
Zwar kann niemand ernsthaft bestreiten, daß bei diesem
Thema Moral und Geschäft nahe beieinander liegen.
Dennoch sollte zumindest anerkannt werden, daß sich
führende deutsche Unternehmen in den letzten Monaten
im Zuge der Verhandlungen ausdrücklich zu ihrer historischen Verantwortung bekannt haben und daß sie jenseits aller rechtlichen Erwägungen bereit sind, erhebliche Beträge für ehemalige Zwangsarbeiter bereitzustellen. Diese Leistungen sollen auch jenen zugute kommen,
die in Firmen arbeiten mußten, die zum Teil schon seit
Jahrzehnten nicht mehr existieren, so daß eine klageweise Geltendmachung von Zahlungsansprüchen schon aus
diesem einen Grunde völlig aussichtslos wäre.
Bedrückend ist jedoch, daß sich bislang noch nicht
einmal zehn Prozent derjenigen Unternehmen, die im
Dritten Reich Zwangsarbeiter beschäftigten, an dieser
Stiftungsinitiative beteiligen.
({4})
Dies muß vor allen Dingen für diejenigen enttäuschend
sein, die sich als Gründungsmitglieder in der Stiftungsinitiative zusammengeschlossen haben. Jene Unternehmen, die sich bisher standhaft geweigert haben, sich zu
beteiligen, müssen sich schon die Mühe machen, die
Frage zu beantworten, warum sie im Gegensatz zu anderen Unternehmen weder die historische noch die humanitäre Verantwortung spüren, am Ende des Jahrhunderts den überlebenden Opfern auf dem Wege einer
freiwilligen humanitären Geste zumindest eine geringe
Entschädigung für das erlittene Leid zukommen zu lassen.
({5})
Vornehme Zurückhaltung kann manchmal sinnvoll
oder gar notwendig sein. Hier ist sie völlig deplaziert.
Die Haltung „Einer trage des anderen Last, man muß
nur sehen, daß man der andere ist“ sollte so rasch als
möglich im Interesse des Ansehens der deutschen Wirtschaft und unseres Landes insgesamt aufgegeben werden. Diejenigen Firmen, die in den vergangenen Jahren
in Deckung gegangen sind, können doch nicht ernsthaft
erwarten, daß nur wenige Unternehmen die Verantwortung und die finanziellen Lasten dafür tragen, daß auch
allen anderen durch die beabsichtigte Vereinbarung
Rechtssicherheit und dauerhafter Schutz vor Klagen garantiert werden.
In den Verhandlungen konzentriert man sich derzeit
auf die Rechtssicherheit in den USA. Das ist wichtig,
dürfte aber alleine nicht genügen. Für den Fall einer Einigung müßte es Rechtsfrieden und den Schutz vor
weiterer gerichtlicher Inanspruchnahme auch in der
Bundesrepublik Deutschland geben.
Bis vor wenigen Monaten hat sich die Bundesregierung darauf beschränkt, entspannt zurückgelehnt die
Aktivitäten der deutschen Wirtschaft, wie es so schön
hieß, politisch zu begleiten. Erst nachdem ihr klar geworden war, daß die Stiftungsinitiative ohne eine angemessene finanzielle Beteiligung des Bundes zu scheitern drohe, erklärte man sich bereit, zunächst 2 Milliarden DM zuzusagen, die mittlerweile auf 3 Milliarden
DM aufgestockt wurden.
Die Höhe des Gesamtangebotes von zunächst 6 und
derzeit 8 Milliarden DM ist von verschiedenen Seiten,
auch von Teilen der deutschen Presse, mehr oder weniger heftig als viel zu niedrig kritisiert, teilweise sogar als
unwürdig bezeichnet worden. Vergleicht man dieses
Angebot mit den Forderungen der amerikanischen Anwälte, so erscheint es in der Tat als niedrig. Auf der anderen Seite sollte aber bei aller Kritik an der Höhe des
Angebotes auch darauf hingewiesen werden dürfen, daß
manche Forderungen derart überzogen sind, daß nicht
ernsthaft erwartet werden kann, daß eine Einigung in der
Nähe der Forderungen zu erzielen sein wird.
Es ist nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht
von Anwälten, die Interessen der Mandantschaft zu vertreten. Das ist nicht zu kritisieren. Aber diejenigen, die
mit harten Worten mit der Fortsetzung einer öffentlichen
Druck- und Drohkampagne gegen deutsche Unternehmen oder mit öffentlichen Boykottkampagnen gegen
Produkte aus Deutschland drohen, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie mit einer derartigen Vorgehensweise tatsächlich die Interessen der Opfer vertreten
oder ob sie nicht Gefahr laufen, durch derartige Methoden die ohnehin schon langwierigen und schwierigen
Verhandlungen zum Scheitern zu bringen.
({6})
Die unausgesprochene Botschaft derartiger Anzeigen
kann nur lauten: Man muß die Bundesrepublik
Deutschland oder - wie in dem Beispiel, das ich hier gerade vor mir habe - ein ganz bestimmtes Industrieunternehmen öffentlich und heftig an die Greueltaten der Nazizeit erinnern, und schon werden sie kurze Zeit später
bereit sein, viel mehr Geld auszugeben als bislang angeboten.
({7})
Warum hier eine Firma angegriffen wird, die bereit ist,
zu zahlen, und nicht eine Firma, die in Deckung geht, ist
ohnehin nicht erklärbar.
({8})
Derartige Vorgehensweisen dürfen schon deshalb
keinen Erfolg haben, weil sich die Methoden zukünftig
jederzeit wiederholen könnten - mit unabsehbaren Folgen nicht nur finanzieller Art, sondern auch für das Verhältnis unseres Landes zu den Vereinigten Staaten und
anderen Ländern.
Gelegentlich hat man bei der Lektüre von Berichten
und bei einigen Kommentaren zum Stand der Verhandlungen den Eindruck, als beginne man in der Bundesrepublik erst heute, 54 Jahre nach dem Ende des zweiten
Weltkriegs, mit Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts und als sei es höchste Zeit, endlich Entschädigung zu leisten. Nur ganz vereinzelt wurde in den
letzten Monaten darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik bereits in den vergangenen Jahrzehnten über 104
Milliarden DM Wiedergutmachungsleistungen erbracht
hat und auch zukünftig nach jetzt schon geltendem
Recht noch weit über 20 Milliarden DM zu zahlen haben
wird. Es muß erlaubt sein, im Deutschen Bundestag
einmal darauf hinzuweisen, daß sich unser Land in den
vergangenen Jahrzehnten, wenn auch manchmal quälend, redlich und ernsthaft darum bemüht hat, das dunkelste Kapitel der Geschichte nicht zu verdrängen oder
gar zu vergessen, sondern aufzuarbeiten und daraus die
notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Wir haben stets
den Worten Taten folgen lassen.
({9})
Die Verhandlungspartner der Stiftungsinitiative haben bis Anfang Dezember Zeit, sich zu dem neuen Angebot zu äußern. Die Wirtschaft hat verkündet, daß sie
ihren Beitrag von bislang 5 Milliarden DM unter keinen
Umständen erhöhen werde. Im Klartext: Sollte das Angebot von insgesamt 8 Milliarden DM nicht akzeptiert
werden, wird wohl erwartet, daß der deutsche Steuerzahler die Differenz zwischen diesem Betrag und den
Forderungen der Verhandlungspartner schließt.
Ich bin dem Kollegen Wiefelspütz, der heute leider
nicht hier ist, dankbar, daß er klargestellt hat, daß es ja
wohl nicht sein kann, daß der Beitrag des Bundes - mit
anderen Worten: der Beitrag des deutschen Steuerzahlers - bei einer Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft größer ist als der eigene Beitrag der Unternehmen.
({10})
Das ist aber bei genauer Betrachtung schon jetzt der
Fall. Da die Beträge steuerlich absetzbar sind - was ich
nur feststelle und nicht kritisiere; das war die Geschäftsgrundlage für das Engagement -, haben wir schon jetzt
eine Relation von 2,5 zu 5,5 Milliarden DM zu Lasten
der öffentlichen Hände. Sollte sich der Direktanteil des
Bundes weiter erhöhen, würde sich diese Relation weiter
zu Lasten des deutschen Steuerzahlers verschieben.
Vermutlich vertrauen diejenigen Unternehmen, die bislang so tun, als ginge sie die ganze Angelegenheit nichts
an, darauf, daß der Steuerzahler für sie schon einspringen wird. Das sind die gleichen Unternehmen, die uns
am Tag darauf auffordern, doch vorsichtiger mit dem
Geld des Steuerzahlers umzugehen.
({11})
Viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger haben
die Verhandlungen in den vergangenen Monaten mit
großem Interesse verfolgt, insbesondere jene, die selber
verschleppt, gequält und unter grausamen Bedingungen
in Rußland oder in anderen Staaten Zwangsarbeit verrichten mußten. Vermutlich entspricht es nicht der sogenannten political correctness, wenn auch einmal an deren Schicksal erinnert wird. Es geht hierbei nicht um
Aufrechnung. Es geht auch nicht darum, den Eindruck
zu vermitteln, als habe es hüben und drüben in gleicher
Weise Unrecht gegeben und man sei quitt, so daß ein
Schlußstrich gezogen werden könne. Das wäre in jeder
Hinsicht töricht.
Aber es muß erlaubt sein, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß auch viele Deutsche Opfer von Ausbeutung unter unmenschlichen Bedingungen waren. Diese
Überlebenden werden nicht eine finanzielle Entschädigung erwarten oder gar einklagen. Aber zumindest auf
eine humanitäre Geste haben sie am Ende dieses Jahrhunderts ebenso ein Recht wie auch alle anderen Opfer
von Unmenschlichkeit und Tyrannei.
({12})
Wir danken Herrn Bundesminister a.D. Dr. Otto Graf
Lambsdorff ausdrücklich dafür, daß er in einer schwierigen Phase von schwierigen Verhandlungen im Interesse unseres Landes Verantwortung übernommen hat. Wir
danken ihm für sein unermüdliches Engagement, das
sich wohltuend von dem Treiben seines Vorgängers Bodo Hombach unterscheidet. Wir hoffen, daß seine Bemühungen, insbesondere im Interesse der noch lebenden
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, erfolgreich
sein werden.
Danke für Ihr Zuhören.
({13})
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Abgeordneten Ulla Jelpke das
Wort.
({0})
Das hätten Sie sich sparen können, Herr Kollege.
Herr Kollege Bosbach, Sie haben gesagt, der PDSAntrag sei unseriös und gehe, wenn man alles zusammenfaßt, weit über das hinaus, was die Anwälte in Washington und in Bonn gefordert haben. Sie wissen genau, daß die Anwälte zunächst mit 38 Milliarden DM
angefangen haben. Auch wissen Sie, daß heute die Forderung der Anwälte heißt: weit über 10 Milliarden DM.
Wenn wir unseren Antrag noch einmal zur Grundlage
nehmen, dann würden wir tatsächlich auf mindestens 15
Milliarden DM für die Betroffenen kommen, wenn man
pro Kopf 10 000 DM Entschädigung voraussetzt.
Ich meine aber, daß es nicht alleine das sein kann,
wenn wir darüber diskutieren, ob der Antrag nun unseriös ist oder nicht. Es gibt das Gutachten von Thomas
Kuczynski, das übrigens im Beisein der Anwälte in der
vergangenen Woche hier vorgetragen wurde. Thomas
Kuczynski hat ganz sachlich vorgerechnet, was die Industrie mindestens an den Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeitern - zwischen 10 und 15 Millionen Menschen - verdient hat. Wenn man die damaligen Löhne in
Reichsmark zur Grundlage nimmt, dann hat er errechnet,
daß etwa 180 Milliarden DM an Gewinn durch diese
Zwangsarbeit erwirtschaftet wurde. Das muß man wenigstens einmal zur Kenntnis nehmen.
Darüber hinaus möchte ich Sie darauf aufmerksam
machen, daß es in diesen Tagen eine Anfrage von uns
geben wird, die Sie lesen sollten. Dort werden 2 000
Firmen aufgezählt, die noch existieren und belangt werden könnten.
Ich meine, Sie haben hier sehr richtige Dinge gesagt,
was das Verhältnis zwischen Industrie und deutschem
Steuerzahler bei der Entschädigung angeht. Ich stimme
Ihnen da voll zu, bin aber der Meinung, daß wir gemeinsam viel mehr Druck auf die deutsche Industrie machen
müssen, daß eben mindestens diese 15 Milliarden DM
zustande kommen, um den Mindestbetrag von 10 000
DM für jeden einzelnen Betroffenen zahlen zu können.
Ich bin außerdem der Meinung, daß man eigentlich
denjenigen Firmen, die sich nicht beteiligen, keineswegs
eine Rechtsschutzgarantie geben dürfte.
({0})
Das heißt, daß sie weiterhin verklagt werden können.
Das wäre wohl das mindeste. Ansonsten, Herr Bosbach,
weiß ich, daß Sie es nicht ernst gemeint haben - es ist
ein bißchen propagandistisch -, wenn Sie unseren Antrag hier in diese Ecke stellen.
Wichtig ist uns, daß die Zahlungen möglichst schnell
getätigt werden; denn mindestens 10 Prozent der Opfer
sterben pro Jahr. Es muß unsere Aufgabe sein, schnell
zu einer Entschädigung zu kommen.
Danke.
({1})
Zu einer Erwiderung hat jetzt der Kollege Bosbach das Wort.
Frau Kollegin
Jelpke, in aller Kürze: Sie sehen, ich habe den Antrag
nicht, weil er von der PDS kommt, mit spitzen Fingern
angefaßt, sondern Zeile für Zeile gelesen. Wenn Sie
das ernst nehmen, was Sie selber geschrieben haben
oder haben schreiben lassen, dann stimmt das mit den
15 Milliarden DM nicht. Die 15 Milliarden DM ergeben
sich aus den auch vom Fraktionsvorsitzenden genannten
1,5 Millionen Menschen. Wir alle wissen nicht, ob
tausend rauf oder runter. Diese Zahl, multipliziert mit
10 000 DM, ergibt nun einmal 15 Milliarden DM. Sie
können Politik gegen die CDU oder die SPD machen,
aber nicht gegen die Mathematik. Es ergibt 15 Milliarden DM.
({0})
Hinzu kommt, daß weitere 600 DM „für jeden über
ein Jahr hinausgehenden Monat geleisteter Zwangsarbeit“ gezahlt werden sollen. Nach den mir zur Verfügung stehenden Unterlagen ist das ein Betrag weit jenseits von 30 Milliarden DM.
Ich habe vorhin gesagt, daß Sie natürlich solche Anträge stellen können. Aber wenn noch nicht einmal nebulös angedeutet wird, woher das Geld kommen soll,
dann muß ich sagen - ich drücke es einmal vornehm aus
-, daß das kein seriöses Vorgehen ist.
({1})
Ganz schlimm wird es aber, wenn man gegenüber
den Opfern und den Opferverbänden vortäuscht, als seien dies Leistungen, die realistischerweise erbracht werden könnten, und als ob man als Opfer diese Leistungen
erwarten könnte. Dies ist in jeder Hinsicht unseriös. Wir
sollten uns hüten, Hoffnungen zu wecken, die wir niemals werden erfüllen können.
({2})
Nun gebe ich der
Kollegin Annelie Buntenbach das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Es ist gut, daß das Parlament heute über die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter spricht.
({0})
Für uns ist das ein zentrales Anliegen, für das wir uns
schon seit vielen Jahren einsetzen. Den Antrag der PDS,
der Anlaß für die heutige Diskussion ist, halten wir allerdings in der vorliegenden Form nicht für geeignet, das
Problem zu lösen. Im einzelnen können und werden wir
darüber sicherlich im Ausschuß sprechen. Ich hoffe allerdings, daß die praktische Entwicklung den Antrag
dann schon überholt hat,
({1})
weil wir einen Schritt weiter auf dem Weg zu einer
Bundesstiftung vorangekommen sind.
({2})
Wir haben dafür Sorge getragen, daß das Versprechen
einer Bundesstiftung in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen worden ist. Wir sind froh darüber, dafür
endlich die Unterstützung bei allen Fraktionen des Parlaments zu finden. Unser Ziel ist es, für die Opfer nach
all den Jahren von Ignoranz und Entwürdigung endlich
eine spürbare Entschädigung zu erreichen, wohl wissend, daß es eine Wiedergutmachung der verlorenen
Jahre, des Schmerzes sowie der seelischen und körperlichen Schäden nicht geben kann.
Gerade bei dieser Diskussion müssen wir uns immer
wieder vergegenwärtigen, um welches Ausmaß von
Verbrechen es eigentlich geht: Rund 10 Millionen Menschen wurden während des zweiten Weltkriegs vom
Deutschen Reich zur Zwangsarbeit herangezogen. Viele
Unternehmen haben zur Aufrechterhaltung ihrer Produktion Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter von
staatlichen Stellen angefordert und gezielt ausgesucht.
Schätzungsweise jeder dritte Arbeitsplatz wurde von einem Zwangsarbeiter besetzt.
Viele Zwangsarbeiter wurden aus der Heimat, insbesondere aus Osteuropa, unter Androhung von Gewalt
verschleppt. Sie waren in bewachten Barackenlagern
untergebracht. Unterkunft, Ernährung, Kleidung und
medizinische Versorgung waren ungenügend. Gewalt im
Lager und Schikanen am Arbeitsplatz gehörten zu ihrem
Alltag. Besonders dramatisch war die Situation für KZHäftlinge und jüdische Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter, die quasi im Schatten der Vernichtung
gearbeitet haben. Die durch die Haftbedingungen entkräfteten Menschen mußten schwere Arbeiten verrichten; ihre Lebenserwartung betrug oftmals nur wenige
Monate.
Es kann also allein um eine spürbare Geste gegenüber
den Opfern gehen. Der einzig konkrete Weg dazu ist das
Modell einer Bundesstiftung als Solidarlösung.
({3})
Eine Lösung, die allein denjenigen zugute käme, die
bei heute zahlungswilligen Firmen beschäftigt waren,
schließt viel zu viele aus. Auch jahrelange Prozesse, deren Ende viele der Betroffenen nicht mehr erleben würden, können nicht im Interesse der Opfer sein, auch
wenn wir - im Gegensatz zu in Teilen der Bundesregierung weiter vorherrschender Meinung - nach wie vor
davon ausgehen, daß es berechtigte Ansprüche und daß
es auch Rechtsansprüche der Opfer gibt.
Deswegen haben wir vehementes Interesse an dem
Erfolg der laufenden Verhandlungen und sind froh über
den Durchbruch, der in Bonn im November erzielt worden ist, nachdem man jetzt endlich über einen gemeinsamen finanziellen Rahmen redet. Ich möchte von hier
aus allen, die ihren Anteil an einer würdevollen Lösung
haben, herzlich danken. Das Projekt kann immer noch
scheitern; aber gerade im Interesse der Opfer darf es
nicht scheitern.
({4})
Unsere Fraktion hat zu den Verfolgtenverbänden in
Ost und West seit Jahren intensive Kontakte. Mit zahlreichen Gesprächen auch am Rande der Verhandlungen
haben wir versucht, unseren Teil zu einem Erfolg beizutragen. Gerade vor diesem Hintergrund will ich deutlich
aussprechen, was noch getan werden muß, damit eine
wirklich würdevolle Entschädigung zustande kommt.
Erstens. Wir können der Industrie, gerade den bislang
abseits stehenden Firmen, nicht durchgehen lassen, daß
nun der Steuerzahler überproportional für alles haftet,
was zum Verantwortungsbereich der Industrie gehört.
({5})
Die Industrie hat von der Zwangsarbeit erheblich profitiert; sie ist zu diesem Profit nicht gezwungen worden.
({6})
Wenn Firmen wie Daimler-Chrysler zu über 200
Milliarden DM fusionieren und die englische Telefongesellschaft Vodafone für die deutsche Firma Mannesmann 242 Milliarden DM zahlen will, ist kaum zu glauben, daß es der gesamten deutschen Wirtschaft nicht gelingen soll, mehr als 5 Milliarden DM zusammenzubringen. Dieses Armutszeugnis werden wir ihr auch nicht
ausstellen.
({7})
Auch die Kommunen und der Bauernverband sind
gefragt. Ich muß mich ehrlich fragen: Warum sollen
überhaupt gerade die Firmen Rechtssicherheit bekommen, die sich weigern, in die Bundesstiftung einzuzahlen?
({8})
Die Industrie ist im Gegensatz zum ersten Anschein
ohnehin in einer komfortablen Lage. Selbst bei einer
hälftigen Beteiligung am Stiftungsfonds kann sie ihren
Beitrag teilweise bis zu 50 Prozent steuerlich absetzen.
Bei einem möglichen Stiftungsvolumen von 10 Milliarden DM würde de facto der Steuerzahler bis zu 7,5 Milliarden DM zahlen, die Industrie vielleicht nur 2,5 Milliarden DM. Aus diesem Grund muß die Politik ihr
Hauptaugenmerk darauf richten, daß mehr Firmen in
den Fonds einzahlen und der Finanzierungsanteil der Industrie noch deutlich erhöht wird.
Der zweite Punkt: Eine würdevolle und für die Beteiligten akzeptable Lösung kann nur zustande kommen,
wenn alle Gruppen, die auf Grund ihres Verfolgungsschicksals einen Anspruch darauf haben, auch einbezogen werden. Über die Höhe der Entschädigungsbeträge
für die verschiedenen Gruppen kann und muß man sicherlich reden. Aber wir wollen auch deutlich sagen: Es
muß auch eine Lösung für die in der Landwirtschaft eingesetzten Zwangsarbeiter gerade aus Polen und der
Ukraine geben.
({9})
Damit komme ich zum dritten und letzten Punkt: Die
Debatte des letzten Jahres hat oftmals vergessen lassen,
daß es nicht nur um Geld, sondern auch um die Würde
der Opfer geht. Nicht das Schachern um einzelne Geldbeträge, sondern eine würdevolle Behandlung der bislang vergessenen Opfer ist die Leitlinie, wenn die Bundesstiftung auch zu einer würdevollen Befriedung über
die Erbschaft des Nationalsozialismus beitragen soll. Es
wird vor allem die Aufgabe der Politik, des Deutschen
Bundestages, sein, den Opfern auch ihre Würde wiederzugeben. Einen Schlußstrich unter die gesamte Geschichte des NS-Regimes wird es und kann es auch nicht
geben. Aber zu einer würdevollen Lösung für die Opfer
am Ende ihres Lebens müssen der deutsche Staat und
die deutsche Gesellschaft bereit sein. Ich hoffe, daß das
Projekt deshalb mit diesen Vorzeichen noch in diesem
Jahr einen guten Abschluß findet.
({10})
Für die F.D.P.Fraktion spricht der Kollege Dr. Max Stadler.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß die Debatte in dieser sensiblen Frage in der
Vergangenheit allzusehr oder gar ausschließlich unter
juristischen Aspekten geführt worden ist. Seit ich im
Bundestag bin, waren es eigentlich immer nur einzelne
Kolleginnen und Kollegen, die sich - bei dem bekannten
Rechtsstandpunkt, daß solche Ansprüche rein juristisch
nicht bestünden - gleichwohl dieses Themas in besonderer Weise angenommen und immer wieder versucht haben, dafür zu sorgen, daß die Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter eine - angemessene Entschädigung mag
man gar nicht sagen - symbolische Geldleistung erhalten.
Auch wenn man bei der Aufzählung Einzelner immer
Gefahr läuft, anderen Unrecht zu tun: Ich habe im Innenausschuß erlebt, daß sich dort mein früherer Fraktionskollege Burkhard Hirsch, für die Fraktion der Grünen Volker Beck und in ganz besonderer Weise auch Herr Kollege Stiegler, das will ich der Fairneß halber
hier ausdrücklich erwähnen - unsere Kollegin Ulla Jelpke des Themas angenommen haben.
Es ist erfreulich, daß heute in dieser Plenardebatte
alle Fraktionen zum Ausdruck gebracht haben, daß sie
wünschen, daß die Stiftungsinitiative der deutschen
Wirtschaft nun zu einem Erfolg führt. Wir sind damit
nämlich den entscheidenden Schritt über die rein juristische Betrachtungsweise früherer Legislaturperioden hinausgegangen. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion jedenfalls
unterstützt nachhaltig die intensiven Bemühungen von
Otto Graf Lambsdorff als den Beauftragten der Bundesregierung, endlich eine Vereinbarung über diese Zahlungen für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu
erzielen.
Diese Verhandlungen waren zu Beginn des Jahres
vom damaligen Kanzleramtsminister Bodo Hombach
nicht mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl geführt
worden.
({0})
Sie sind daher leider monatelang nicht vorangekommen.
({1})
Durch den hohen persönlichen Einsatz von Otto Graf
Lambsdorff besteht nun die leise Hoffnung, vielleicht
doch in der nächsten Verhandlungsrunde im Dezember,
also noch im Jahr 1999, Einigkeit über die Höhe der
Entschädigungssumme und über die wesentlichen Modalitäten zu erzielen.
Dabei ist meiner Meinung nach der Streit müßig, ob
die Betroffenen Rechtsansprüche geltend machen können oder ob weiterhin der Rechtsstandpunkt der Bundesregierung gilt, daß solche Ansprüche nicht bestehen. Jedenfalls besteht eine moralische Pflicht für die deutsche
Industrie und für die Bundesrepublik Deutschland, an
die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter jetzt endlich diese Geldbeträge zu leisten.
({2})
Aus diesem Grunde verdient die Stiftungsinitiative
der deutschen Industrie Anerkennung. Wenn hier Kritik
geübt wird, dann ist die Situation ähnlich wie in der Kirche, wo der Pfarrer den ohnehin Gläubigen predigt.
Diejenigen, die sich daran beteiligen, nehme ich von der
Kritik aus. Aber es bleibt ein bitterer Nachgeschmack,
daß sich von über 2 000 Unternehmen, die in der NSZeit Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt haben, bisher nur ein ganz geringer Teil der Stiftungsinitiative angeschlossen hat.
({3})
Das ist beschämend und unverständlich. Das böse Wort
von den „Trittbrettfahrern“ ist in diesem Zusammenhang
leider berechtigt, genauso wie die massive Kritik berechtigt ist, die von außerhalb des Parlaments geübt
worden ist, etwa von Michel Friedman oder von HansJochen Vogel.
Man fragt sich auch, warum denn die Wirtschaftsverbände und ihre Vorsitzenden im Laufe der Debatte ihre
Stimme nicht kräftiger erhoben haben. Denn Zwangsmittel - wenn man die Rechtskraft auf alle erstreckt, was
die Bundesregierung in den Verhandlungen ausdrücklich
gewünscht hat - stehen dem Parlament ebensowenig wie
den Initiatoren der Stiftungsinitiative zur Verfügung.
Daher wäre ein größeres Eigenengagement auch der
Wirtschaftsverbände sehr wünschenswert gewesen.
({4})
Im Laufe der Verhandlungen der letzten Monate ist
von allen Seiten immerhin ein Aspekt sehr positiv gewürdigt worden, nämlich die Tatsache, daß der Deutsche
Bundestag bei diesen Verhandlungen jeweils mit einer
Delegation vertreten war, die aus Mitgliedern aller
Fraktionen bestanden hat. Dadurch hat das Parlament
zum Ausdruck gebracht, daß es sich seiner hohen Verantwortung bewußt ist, diese Entschädigungsleistungen
nunmehr endlich durchzusetzen.
Die F.D.P.-Fraktion wird daher nach - hoffentlich
baldigem - Abschluß der Verhandlungen an einer zügigen Beratung und Verabschiedung des Stiftungsgesetzes
mitwirken. Übrigens verstehe ich nicht, Herr Kollege
Stiegler, warum das Stiftungsgesetz nicht schon jetzt
eingebracht wird. Denn die Struktur, die dort festzulegen
ist, ist bereits jetzt den Grundzügen nach bekannt. Unabhängig von den Entschädigungssummen, die am Ende
ausgehandelt werden, könnten wir eigentlich schon jetzt
mit der Beratung dieses Stiftungsgesetzes beginnen.
({5})
Wenn es dazu kommt - dies ist mein letzter Punkt -,
dann wäre es, so glaube ich, ein angemessenes Zeichen
nach außen, wenn der Deutsche Bundestag am Ende in
dieser Frage zu einer einmütigen Entscheidung kommen
würde. Denn wir wissen alle, daß hier im Haus - etwa
von dem Kollegen Bosbach, der für die Union gesprochen hat - auf der einen Seite noch Überzeugungsarbeit
geleistet werden muß, damit das akzeptiert wird, was
jetzt Stand der Verhandlungen ist. Wir sehen anhand des
Antrages, der heute Anlaß der Debatte war, daß es auf
der anderen Seite viel weitergehendere Vorstellungen
gibt. Es wäre aber für die Wirkung nach außen am Ende
sehr wichtig, daß wir in dieser Frage Parteitaktik hintanstellen
({6})
und zu einer einstimmigen Entscheidung kommen.
({7})
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 14/1694 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Ende unserer Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen und
auch unseren Gästen auf der Tribüne des Deutschen
Bundestages ein schönes Wochenende.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 1. Dezember 1999, 13 Uhr
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.