Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Bundesforschungsbericht
2004.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Edelgard Bulmahn.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute den Bundesforschungsbericht 2004 verabschiedet. Dieses alle vier
Jahre im Auftrag des Parlamentes erstellte Werk ist die
umfassendste Bestandsaufnahme zur Forschungsförderung in Deutschland.
Im ersten Bundesforschungsbericht dieser Bundesregierung aus dem Jahre 2000 mussten wir in unserem
Land einen beispiellosen Raubbau an Forschung und
Entwicklung konstatieren. Die Regierung Kohl hatte die
Ausgaben in diesem für unser Land so wichtigen Zukunftsbereich allein zwischen 1992 und 1998 um rund
670 Millionen Euro gekürzt. Die negativen Spätfolgen
der Kürzungen aus dieser Zeit sind teilweise heute noch
spürbar.
Diese Bundesregierung hat das Ruder herumgerissen.
Das belegen die Zahlen eindrucksvoll. Zwischen 1998
und 2003 sind die Ausgaben des Bundes für Forschung
und Entwicklung um rund 1 Milliarde Euro auf jetzt insgesamt 9 Milliarden Euro gestiegen, und das trotz des
ungeheuren Drucks, die Finanzen des Bundes zu konsolidieren. Unser entschiedenes Handeln hat auch die Wirtschaft zu Investitionen ermutigt. So ist der Anteil der
Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt von 2,31 Prozent im Jahre 1998 auf aktuell
2,52 Prozent angewachsen.
Deutschland hat seine starke Position auf den internationalen Technologiemärkten behauptet. Im Jahre 2002
betrug der Exportüberschuss allein bei den Gütern der
Hoch- und Spitzentechnologie 132 Milliarden Euro. Bei
forschungsintensiven Gütern liegen wir mit einem Weltmarktanteil von 14,9 Prozent hinter den USA, deren Anteil rund 19,4 Prozent ausmacht, weltweit auf Platz zwei.
Die neuen Länder und Berlin werden, gemessen an
ihrem Bevölkerungsanteil, überproportional gefördert.
Während 1998 knapp 1,7 Milliarden Euro - in Prozentsätzen ausgedrückt: 23,3 Prozent - der gesamten Forschungsmittel des Bundes dorthin flossen, waren es
2003 bereits mehr als 2 Milliarden Euro bzw. rund
25 Prozent. Mithilfe dieser gezielten Förderung, zum
Beispiel durch das Programm Inno-Regio, entwickelt
sich in Ostdeutschland eine leistungsfähige Innovationsstruktur. Seit dem Jahr 2000 sind in den Inno-Regios
über 50 neue Unternehmen gegründet worden. So wurden
zum Beispiel in der Region Sachsen-Anhalt, einem Land,
das ja mit sehr großen wirtschaftlichen Problemen zu
kämpfen hat, durch M-A-H Reg Automotive 3 000 Arbeitsplätze geschaffen.
Die Bundesregierung hat durch ihre Forschungsförderung den Vorsprung in wichtigen Zukunftsbranchen der
Wirtschaft ausgebaut, zum Beispiel in der Lasertechnik.
In den 80er-Jahren war Deutschland noch Importeur von
Lasertechnik. Durch eine gezielte, strategisch ausgerichtete Forschungsförderung hat sich Deutschland zu einem
führenden Anbieter optischer Technologien entwickelt.
Heute sind rund 110 000 Menschen bei Herstellern optischer Komponenten und Geräte beschäftigt. 50 000 neue
Arbeitsplätze sind dabei erst in den vergangenen Jahren
entstanden. Darüber hinaus haben diese Technologien
eine Technologietreiberrolle - das wissen Sie - für weitere wichtige Branchen wie zum Beispiel den Maschinenbau oder die Automobilindustrie.
Ein zweites Beispiel: die Informationstechnologie.
Mit dem Programm „IT-Forschung 2006“ stellt die Bundesregierung insgesamt 3 Milliarden Euro für die Forschung zur Verfügung. Deutschland ist heute einer der
modernsten IT-Standorte der Welt. Das schafft zukunftssichere Arbeitsplätze, im Übrigen gerade in den neuen
Redetext
Ländern. Mit Förderung des BMBF, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, ist in der Region
Dresden das Silicon Valley Europas entstanden. Insgesamt wurden dort 6 Milliarden Euro an zusätzlicher
Wertschöpfung mobilisiert und unmittelbar 11 000 Arbeitsplätze geschaffen.
Es geht aber nicht nur um Geld. Damit sich etwas in
die richtige Richtung bewegt, müssen wir neben den Investitionen auch sehen, dass wir die Strukturen und die
Rahmenbedingungen für eine effiziente Forschung und
für die effiziente Umsetzung von Forschungsergebnissen
zügig weiterentwickeln. Hierbei sind wir energischer
vorgegangen als jede andere Regierung zuvor. Ich nenne
als Stichworte die Umwandlung der Finanzierung der
Großforschungseinrichtungen und -zentren von einer
institutionellen Finanzierung zu einer wettbewerbsorientierten, programmorientierten Finanzierung, die leistungsbezogene Besoldung der Professorinnen und Professoren, die Modernisierung des Dienstrechtes und die
BAföG-Reform, mit der es uns gelungen ist, viel mehr
junge Menschen zur Aufnahme eines Studiums zu motivieren.
Innovationswille und Innovationsfähigkeit lassen sich
nicht einfach verordnen. Deshalb ist die von Politik,
Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam getragene Initiative „Partner für Innovation“ so wichtig für den Standort Deutschland. Für die Innovationsinitiative der Bundesregierung habe ich - zum Teil gemeinsam mit dem
Kollegen Clement - bereits wichtige Schritte eingeleitet:
den Hightech-Masterplan und die Gründerinitiative, um
die Bedingungen für junge technologieorientierte Unternehmen zu verbessern, den „Pakt für Forschung und Innovation“, mit dem wir den großen deutschen Forschungsorganisationen Planungssicherheit geben wollen,
ihnen gleichzeitig aber auch Anreize setzen, sich selber
weiter zu reformieren, und den gemeinsamen Wettbewerb von Bund und Ländern, um die deutschen Hochschulen in Spitze und Breite weiter voranzubringen.
Wir haben uns das Ziel der Europäischen Union, die
Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis zum
Jahre 2010 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben, zu Eigen gemacht. Ich sage ausdrücklich: Ich
bin sehr froh, dass die gesamte Bundesregierung heute
im Kabinett noch einmal unterstrichen hat, dass wir dieses Ziel erreichen wollen. Wir haben diese Entwicklung
in den vergangenen vier Jahren erfolgreich in Gang gesetzt: von 2,31 Prozent, als wir die Regierung übernommen haben, auf jetzt 2,52 Prozent. Wir werden in den
kommenden Jahren daran festhalten, unser Ziel bis 2010
Schritt für Schritt zu erreichen. Das wird nicht einfach
sein, aber zu diesem Weg gibt es keine Alternative. Das
ist unser Weg, die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu
erhalten.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Ich bitte, zunächst
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Gemeldet hat sich zuerst der Herr
Kollege Fischer.
Frau Bulmahn, Sie haben gerade von Raubbau im Bereich Forschung gesprochen und zum Ende Ihres Beitrags darauf hingewiesen, dass es Ihr Ziel ist, dafür zu
sorgen, dass die Zukunftsfähigkeit des Landes erhalten
bleibt. Was das Ziel angeht, gebe ich Ihnen vollkommen
Recht.
Wenn ich mir aber überlege, in welchen Bereichen in
den letzten Jahren Raubbau betrieben worden ist, und
mit Blick darauf die Forschungsberichte durchlese, fällt
mir als ein Beispiel die Forschung zur Kernenergie und
Kerntechnik ein. In diesem Bereich hat Deutschland
jahrzehntelang führend mitgearbeitet und war international anerkannt. In den letzten Jahren haben wir auf
diesem Gebiet massiv an Boden verloren, was wir auf
internationalen Konferenzen und bei Gesprächen mit
Forschenden, die es in diesem Bereich noch gibt, immer
wieder feststellen können. Des Weiteren müssen wir
feststellen, dass durch Ihre Politik immer weniger junge
Menschen bereit sind, überhaupt ein Studium in diesem
Bereich aufzunehmen.
Meine Frage an Sie lautet: Welche Initiativen plant
die Bundesregierung, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken? Was haben Sie persönlich vor, um dafür zu
sorgen, dass die Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Kerntechnik wieder das Know-how erreicht,
das sie einmal hatte, und dass sie international auf diesem Gebiet wieder anerkannt ist?
Lieber Kollege Fischer, es war die Regierung Kohl,
die Raubbau im Bereich Forschung und Entwicklung betrieben hat.
({0})
Wir haben diesen Kurs umgekehrt und kräftig in Forschung und Entwicklung investiert. Das war richtig und
notwendig.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
sind davon überzeugt, dass die Kerntechnik nicht der
richtige Weg ist, um die Welt langfristig mit Energie zu
versorgen. Wir müssen deswegen umsteuern und zur
Nutzung regenerativer Energien übergehen. Sie wissen
genauso gut wie ich, dass zum Beispiel der Vorrat an
Uran begrenzt ist. Wir können die Energieversorgung
langfristig also nicht auf Kerntechnik abstellen.
Diese Bundesregierung hat das getan, was seit Jahrzehnten überfällig war, und den regenerativen Energietechnologien eine Chance gegeben. Wir haben die
Forschungsförderung in diesem Bereich erheblich ausgebaut. Inzwischen sind wir weltweit anerkannt und stehen mit an erster Stelle. Im Bereich der Windenergie haben wir in Deutschland Zigtausende von Arbeitsplätzen
schaffen können und sind Technologieweltmarktführer.
Im Bereich der solaren Energietechnologien, also bei der
Nutzung der Sonnenenergie - diese wird langfristig sicherlich eine große Rolle spielen -, haben wir die Weichen gestellt, damit dieses wichtige Zukunftsfeld von
Deutschland nicht unbesetzt bleibt und wir eine gute
Position auf dem Weltmarkt einnehmen können. Das ist
uns inzwischen gelungen. Ich denke, dass es richtig ist,
einen klaren Schwerpunkt auf die Forschung und Entwicklung der regenerativen Energien zu setzten. Das
wird sich auf der internationalen Energiekonferenz im
Juni nachdrücklich zeigen.
Sie müssen im Übrigen keine Sorge haben, dass die
notwendigen Forschungsmaßnahmen zum Beispiel im
Bereich Sicherheitsforschung nicht mehr durchgeführt
werden. Sie werden nach wie vor durchgeführt und
finanziert. Natürlich wird es auch weiterhin Forschung
geben müssen - diese wird auch weiterhin finanziert
werden -, die sich mit dem Problembereich der sicheren
Endlagerung beschäftigt. Das ist vorsorgende Forschung, die wir betreiben müssen und auch weiterhin betreiben werden.
({1})
Herr Kollege Fischer, jetzt ist Ihr Kollege Kretschmer
an der Reihe.
Frau Ministerin, beim Lesen Ihres Papiers fällt das
ständige Vor und Zurück auf. Es gab - das ist aufgeschlüsselt - zum Beispiel im Bereich der Biotechnologie
Zuwächse und Kürzungen. 2000/2001 gab es ein Minus
von 22,9 Prozent, im Jahr danach ein Plus von 7 Prozent.
Das erleben wir auch in diesem Jahr. Sie kürzen, reduzieren, machen Minderausgaben und legen um. Meine
Frage ist: Wie soll es unter diesen Bedingungen ein kontinuierliches Wachstum geben?
Zweitens. Sie haben den Hightech-Masterplan angesprochen. Wie viele von den darin formulierten Programmen sind tatsächlich schon gestartet bzw. können in
diesem Jahr neue Projekte auslösen? Beim Programm
Inno-Watt ist ein Minus von 20 Prozent zu verzeichnen.
Pro-Inno II ist noch gar nicht gestartet. Was ist hier Anspruch und was ist Wirklichkeit?
Mein letzter Punkt bezieht sich auf die neuen Länder;
Sie haben das angesprochen. Natürlich ist Dresden das
Silicon Valley des Ostens. Aber uns ist doch allen klar,
dass dieses Silicon Valley, dieser Wachstumskern sehr
labil ist und so wie die anderen Cluster, die es gibt,
permanent vor dem Scheitern steht. Meine Frage lautet
- dazu steht relativ wenig in Ihrem Papier -: Was unternimmt Ihr Haus, um diese Cluster weiterzuentwickeln
und voranzubringen? Inno-Regio kann es ja nun wirklich
nicht gewesen sein, weil dieses Programm auf eine ganz
andere Zielgruppe ausgerichtet ist.
Frau Präsidentin, ich darf vielleicht einen letzten
Punkt anfügen - herzlichen Dank für Ihre Geduld -:
Frau Ministerin, Sie erwähnen auch die Personalintensität in Ost und West. Die Schere geht hier auseinander,
und zwar vor allen Dingen dort, wo die Unternehmen
selbst gefordert sind.
Herr Kollege, denken Sie bitte daran, dass es sich um
eine Regierungsbefragung handelt.
Selbstverständlich. - Deswegen frage ich die Bundesregierung, vertreten durch die Frau Bundesministerin:
Welche Maßnahmen werden in Zukunft eingesetzt, um
die Personalintensität bei den Unternehmen zu erhöhen
bzw. um die Forschung in den Unternehmen zu unterstützen?
Lieber Herr Kretschmer, zunächst zum Auf und Ab.
Wenn Sie sich den Bundesforschungsbericht und die Tabelle anschauen, werden Sie unschwer erkennen - das
traue ich Ihnen durchaus zu, da Sie lesen können -, dass
die Ausgaben für Forschung und Entwicklung seit 1998
kontinuierlich um insgesamt 1 Milliarde Euro angewachsen sind.
Zum Bereich der Biotechnologie will ich ausdrücklich sagen: Diese Bundesregierung hat die Investitionen
in die Biotechnologie um deutlich über 40 Prozent erhöht, und zwar sowohl in der Projektförderung als auch
in der institutionellen Förderung. Die Projektförderung
spielt ja gerade für die Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen eine große
Rolle. Dies werden wir auch fortsetzen. Im Übrigen haben wir es aufgrund dieser gezielten Förderung inzwischen geschafft, sowohl bei der Zahl der bestehenden als
auch bei der Zahl der neu gegründeten Unternehmen in
Europa an der Spitze zu stehen.
Sie haben Folgendes nicht gesagt, weshalb ich das
ausdrücklich tun will: Wir brauchen eine größere Bereitschaft der Finanzwirtschaft - das wissen auch Sie -, diesen sehr erfolgreich gestarteten Unternehmen jetzt auch
das notwendige Wachstumskapital zur Verfügung zu
stellen. Diese Diskussion haben wir im Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung oft
genug miteinander geführt. Diese Aufgabe kann die
Bundesregierung aber nicht allein bewältigen. In erster
Linie ist hier die Wirtschaft gefordert.
({0})
Zum Hightech-Masterplan. Sie haben gefragt, was
bereits umgesetzt wurde. Ich nenne ein Beispiel: Mit
dem Dachkapitalfonds haben wir das zur Verfügung stehende Wagniskapital deutlich erhöht. Für die Entwicklung und Schaffung eines Dachkapitalfonds haben wir
Steuergelder in Höhe von 500 Millionen Euro bereitgestellt, mit denen insgesamt 1,7 Milliarden Euro mobilisiert werden, um genau den Unternehmen, die ich vorhin
genannt habe - junge, neu gegründete Unternehmen in
der Biotechnologie, in den optischen Technologien und
in den wichtigen Technologiefeldern, die für unser Land
eine große Rolle spielen -, Wachstumsmöglichkeiten
und -chancen zu geben und um Existenzgründungen zu
unterstützen.
Daneben haben wir zum Beispiel durch eine Veränderung der Forschungsförderung auch in meinem Bereich
- auch das habe ich vorhin schon gesagt - Unternehmensgründungen in den zwei wichtigen Bereichen der
Bio- und der Nanotechnologie mit unterstützt. Hier gibt
es nun sowohl für Existenzgründungen als auch für
junge und Erfolg versprechende wachsende Unternehmen eine spezielle Förderlinie.
Zu den neuen Bundesländern: 1999 hat die Bundesregierung das Programm „Inno-Regio“ gestartet. Der Kerngedanke, der mit diesem Programm verfolgt wird, ist,
Cluster in den neuen Bundesländern zu schaffen. Ich
freue mich sehr, dass jetzt endlich alle begreifen, worum
es geht. Nach zwei bis drei Jahren war es ja auch langsam
an der Zeit. Wir haben das in Gang gesetzt und entwickelt, was jetzt in aller Munde ist; manchmal stellt sich
der Erfolg in der Forschung und das Bekanntwerden eben
nicht sofort ein. Deshalb widerspreche ich Ihrer Aussage,
dass Inno-Regio es ja nicht gewesen sein könne. Genau
das wird heute von allen gefordert. Das haben wir bereits
1999 gewusst und sind es deshalb auch angegangen.
Wir setzen also auf die Entwicklung von Innovationsclustern. Dieser Ansatz wird sowohl mit Inno-Regio als
auch mit den Wachstumskernen verfolgt, die wir 2001
gestartet haben und die heute ebenfalls in aller Munde
sind. Auch hier setzen wir bei kleinen, Erfolg versprechenden Unternehmen an und bringen sie mit sehr guten
Forschungseinrichtungen zusammen. Ich habe eben ein
Beispiel in Sachsen-Anhalt genannt. Ich könnte weitere
Beispiele in Jena, in Greifswald und im Berliner sowie im
Brandenburger Umland nennen. Wir haben hier eine sehr
erfolgreiche Förderstrategie auf den Weg gebracht. Alle
Experten sind einhellig der Meinung, dass unser Ansatz
richtig war. Deshalb wird das Programm fortgesetzt.
Wir begleiten diesen speziellen Förderansatz durch
eine zielgerichtete Forschungsförderung, zum Beispiel
für die optischen Technologien und für den gesamten Bereich der Elektronik. Ich nenne als Stichworte die Chipentwicklung und Chipproduktion, um noch einmal auf
Dresden zurückzukommen. Es geht aber darüber hinaus;
es geht auch um Bio- und Nanotechnologie. Es geht um
die gesamte Zuliefererindustrie, zum Beispiel für die Automobilbranche, oder die Inno-Regio-Technologien in
der maritimen Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern.
Das zeigt - das sage ich ausdrücklich -, dass dies der
richtige Ansatz war. Das ist der Grund, warum wir dort
einen Schwerpunkt gesetzt haben. Wir finanzieren Forschung und Entwicklung mit der Zielsetzung, wirtschaftliches Wachstum in Gang zu setzen und Arbeitsplätze zu
schaffen.
Last, not least komme ich zum Personal. Wenn Sie
sich den Bundesforschungsbericht anschauen, werden
Sie feststellen, dass wir die neuen Bundesländer nicht
nur finanziell überproportional fördern - ein Viertel der
Bundesausgaben für Forschung und Entwicklung fließen
in die neuen Bundesländer -, sondern dass die neuen
Bundesländer beim öffentlich finanzierten Personal in
den Forschungseinrichtungen gleichgezogen haben. Sie
sind von ihrer Qualität her genauso gut. Dafür tut sich zu
wenig in der Wirtschaft. Das entscheidet aber nicht die
Bundesregierung; das entscheiden die Unternehmen.
({1})
Über Inno-Regio führen wir die verschiedenen Ansätze zusammen, das exzellente Potenzial in den öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen mit dem in
der Wirtschaft, und tragen so zu wirtschaftlichem
Wachstum bei.
({2})
Liebe Kollegen, mir liegen sehr viele Wortmeldungen
vor. Ich bitte im Sinne der Kollegialität darum, die Fragen möglichst kurz zu halten.
({0})
Die nächste Frage hat die Kollegin Reiche.
({1})
Frau Ministerin, Herr Clement will den Sparerfreibetrag abschaffen, Herr Eichel will daran festhalten. Mal
soll die Goldreserve geplündert werden, mal nicht. Jetzt
soll die Eigenheimzulage daran glauben. Andere in Ihrer
Fraktion fordern, die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer
für die Bildung einzusetzen. Sie rechnen mit einem Plus
von schlappen 250 Millionen Euro. Ich frage Sie, was
bei den Verhandlungen mit Minister Eichel tatsächlich
herauskommen wird und wie Sie angesichts des Chaos
in Ihren eigenen Reihen mit dem Weg, den Sie eingeschlagen haben, jemals auf eine Anhebung der Ausgaben auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kommen
wollen.
Liebe Frau Reiche, die Bundesregierung - das ist im
Kabinett von allen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere vom Bundeskanzler, nachdrücklich unterstrichen
worden - will diesen sehr erfolgreichen Kurs fortsetzen.
Unser Kurs ist, mehr Mittel für Bildung und Forschung
bereitzustellen. Wir wollen mit dem Raubbau Schluss
machen, der unter Ihrer Regierungsverantwortung betrieben wurde.
Wir geben den Investitionen Vorrang und werden dafür Subventionen abbauen. Das wird für Sie der Lackmustest sein.
({0})
Wir werden sehen, ob Sie ihn bestehen.
Wir werden einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen und die Eigenheimzulage streichen. Damit können wir rund 7 Milliarden Euro für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung und Innovationen bis zum
Jahre 2008 mobilisieren. Damit werden wir im
Jahre 2005 beginnen. Ich erwarte, dass sich die Opposition nicht auf Ankündigungen beschränkt und nur
mehr Geld für Bildung und Forschung fordert. Vielmehr
muss sie bereit sein, mit ihren Ankündigungen Ernst zu
machen, und der Streichung der Eigenheimzulage zustimmen. Das ist für sie der Lackmustest. Wir werden
- darüber gibt es innerhalb der Koalitionsfraktionen
breites Einvernehmen - Investitionen den Vorrang vor
Subventionen geben.
({1})
Deswegen gebe ich die Frage an Sie zurück.
Herr Kollege Koppelin, bitte.
({0})
Frau Ministerin, eine kurze Anmerkung zu dem, was
Sie eben gesagt haben: Wie wäre es, statt das zu streichen, was Sie vorgeschlagen haben, die Subventionen
für die Steinkohle zu streichen? Daran sollten Sie einmal
denken. Dadurch würden Sie auch Mittel bekommen.
Meine Frage betrifft einen Bereich, den Sie nicht angesprochen haben, die Luft- und Raumfahrtforschung.
Darüber haben wir sehr intensive Diskussionen im Haushaltsausschuss gehabt. Können Sie mir bitte die Steigerungen im Bereich der Luft- und Raumfahrtforschung
nennen?
Lieber Kollege, wir haben gerade in der Luft- und
Raumfahrtforschung sowohl durch die Projektförderung
des Bundeswirtschaftsministeriums als auch durch die
institutionelle Förderung, die durch mein Ministerium
erfolgt - für mein Ministerium kann ich die Zahlen nennen; das DLR hat jedes Jahr eine Steigerung von
3 Prozent erhalten -, zum Beispiel erreicht, dass wir mit
dem neuen Airbus weltweit führend sind.
({0})
Alleine dadurch werden rund 2 000 Arbeitsplätze geschaffen. Hinzu kommen die Arbeitsplätze der Zulieferindustrie. Wir haben es durch die gezielte Forschungsförderung in diesem Bereich geschafft, dass Airbus
inzwischen weltweit der Flugzeugbauer ist.
({1})
Das heißt aber nicht, dass wir uns auf den Lorbeeren
ausruhen. Wir sind in dieser Technologie führend und
werden durch die gezielte Forschungsförderung das Zukunftsflugzeug in Deutschland und Europa bauen.
Herr Kollege Kasparick, bitte.
Frau Ministerin, wenn man sich erfolgreiche Regionen in Deutschland anschaut, dann sieht man, dass sie
dann erfolgreich sind, wenn sich Bund und Land auf den
Aufbau von Forschungsinfrastrukturen konzentrieren.
Wir haben heute schon über Dresden gesprochen. Da ist
beispielsweise die Ansiedlung von Fraunhofer-Instituten
deswegen so erfolgreich gewesen, weil Bund und Land
sehr gut kooperiert haben. Wie beurteilen Sie vor dem
Hintergrund dieser Erfolgsgeschichten den Umstand,
dass der Beitrag des Bundes zur Hochschulfinanzierung
im Moment 24 Prozent beträgt, während einige Länder
massiv auf die Bremse treten?
Das halte ich für ein Problem. Wenn nur eine Seite die
Mittel erhöht - Sie haben zu Recht darauf hingewiesen,
dass wir die Mittel für die Hochschulen in den vergangenen Jahren deutlich erhöht haben -, die andere Seite
aber Mittel kürzt oder deren Haushalte stagnieren, dann
führt das nicht zur Stärkung der Forschungslandschaft,
die wir erreichen wollen. Deshalb sage ich ausdrücklich:
Bund und Länder müssen ihre Anstrengungen parallel
verstärken. Die Bundesregierung - ich habe darauf hingewiesen - hat das in den letzten Jahren getan. Der Erfolg wäre aber noch deutlicher spürbar, wenn alle Bundesländer dieses in gleichem Maße tun würden.
Herr Kollege Lensing, bitte.
Frau Ministerin Bulmahn, wir kennen alle die Schlagworte „Globalisierung“ und „interkulturelle Verflechtung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft“. Aufgrund
Ihres Berichts ist mir nicht klar geworden, welche Bedeutung Sie eigentlich der Forschung in den Geisteswissenschaften zumessen. Welche Förderung bzw. Steigerung halten Sie für realistisch? Glauben Sie, dass gerade
in den neuen Bundesländern die Einrichtungen, die aus
den ehemaligen Akademieinstituten hervorgegangen
sind, speziell in den Geisteswissenschaften und der entsprechenden Forschung einen großen Beitrag leisten?
Ich messe den Geisteswissenschaften eine große
Rolle zu. Ich persönlich bin der Auffassung, dass sie sich
viel stärker nicht nur an der Debatte über die Entwicklung unserer Gesellschaft, sondern auch an der Debatte
über die Entwicklung unserer Wirtschaft beteiligen sollten. Im Übrigen ist gerade die Förderung der Geisteswissenschaften durch diese Bundesregierung beträchtlich
erhöht worden. Für die Geisteswissenschaften ist die
DFG, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, der wichtige Förderer. Die Bundesregierung hat die Mittel zur Finanzierung der DFG um mehr als 30 Prozent erhöht. Das
unterstreicht, dass wir diesem Bereich eine sehr große
Bedeutung zumessen.
Zu Ihrer zweiten Frage bezüglich der „Blaue-ListeInstitute“, der Leibniz-Institute, weise ich ausdrücklich
darauf hin, dass wir in den vergangenen Jahren die Fördermittel für diese Institute deutlich erhöht haben. In
dieser Frage liegt die Entscheidung bei den Ländern. Wir
haben aber zum Beispiel im laufenden Haushalt die Fördermittel um 3 Prozent erhöht.
Insofern gibt es keine Differenz. Wenn ich Sie richtig
verstanden habe, messen Sie - ebenso wie ich - den von
Ihnen genannten Wissenschaften einen hohen Stellenwert bei. Ich würde mir wünschen, dass sie sich noch
stärker an der internationalen wissenschaftlichen Debatte beteiligen und noch stärker als bisher einbringen.
Ich habe - das wissen Sie vielleicht - für das kommende Haushaltsjahr vorgeschlagen, die Fördermittel für
die DFG um 3 Prozent zu erhöhen. Ich hoffe, die Länder
werden dieses Vorhaben mittragen. Darüber hinaus habe
ich eine zusätzliche 3-prozentige Förderung für die DFG
zur Schaffung von Graduiertenschulen vorgeschlagen.
Ich gehe davon aus, dass sich auch die Geisteswissenschaften engagiert daran beteiligen werden.
Herr Kollege Braun, bitte.
Frau Ministerin, bevor Sie vorschlagen, die Aufstockung der Mittel für Bildung und Forschung aus der
Eigenheimzulage gegenzufinanzieren, möchte ich Ihnen
eine Frage stellen. Sie wie auch der Kanzler - auch im
Bundesforschungsbericht steht das - bekennen sich immer wieder zum Lissabon-Ziel. Was aber in Ihren Ausführungen fehlt, sind konkrete Zahlen. Deshalb frage ich
Sie: In welchem Maße müssen die Mittel der öffentlichen Hand aufgestockt werden und welche Maßnahmen möchten Sie ergreifen, damit die Wirtschaft ihren
Anteil an den FuE-Ausgaben erhöht?
Ich erläutere es gerne noch einmal. Erstens. Die Taten
sind bereits seit 1999 erfolgt. Wir haben den Anteil der
Ausgaben für Forschung und Entwicklung von
2,31 Prozent im Jahr 1998 auf derzeit 2,52 Prozent gesteigert. Wir haben also bereits die ersten wichtigen
Schritte zur Erreichung des Dreiprozentziels vollzogen
und werden diesen Weg auch weiterhin verfolgen, um
dieses Ziel bis zum Jahr 2010 zu erreichen. Das werden
wir nicht in einem Schritt innerhalb eines Jahres umsetzen können. Dies wäre im Übrigen auch nicht sinnvoll,
weil wir damit wieder in Beton investieren würden. Wir
werden das Ziel vielmehr in mehreren Schritten erreichen. Es ist der feste Wille dieser Bundesregierung, das
Dreiprozentziel bis zum Jahr 2010 zu erreichen. Dafür
werden wir allerdings auch Subventionen streichen müssen.
Wir werden die Debatte darüber gemeinsam führen
müssen. Wenn man Mittel umschichten und den Kurs in
diesem Land so ausrichten will, dass Investitionen in
Bildung und Forschung an erster Stelle stehen, dann
sollte die Opposition bereit sein - ich hoffe, dass dies der
Fall ist -, diese Kursänderung nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zu unterstützen. Die Debatte darüber werden wir in einigen Wochen miteinander führen.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Pieper, bitte.
Frau Ministerin, Sie sagten eben, den Worten sollten
Taten folgen. Ich kann mich entsinnen, dass Sie bei Ihrem Amtsantritt die Verdopplung der Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung verlangt haben. Wir sind
zwar nicht nachtragend, aber festzuhalten ist: Sie haben
sich das ernsthafte Ziel gesetzt, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschungsaufgaben einzusetzen. Das
ist ein hoch gestecktes Ziel, das auch wir in der Opposition, die FDP-Fraktion, sehr ernst nehmen.
Ich frage Sie an dieser Stelle noch einmal: Werden Sie
- damit Ihr Vorhaben nicht auch so ein Flop wird wie die
Verdopplung der Zukunftsinvestitionen - in der mittelfristigen Finanzplanung ernsthaft und seriös die Steigerung der Forschungsausgaben bis 2010 fixieren, sodass
das angestrebte Ziel der 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht wird? Werden Sie uns Ihr Vorhaben im
Parlament auch in den anstehenden Haushaltsberatungen
insoweit darlegen können, dass von einer tatsächlichen
Steigerung der Forschungsausgaben von 300 Millionen
Euro jährlich auszugehen ist? Denn nach den offiziellen
Berechnungen entspricht das angestrebte Ziel von 3 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt einer Steigerung
der Forschungsausgaben um 300 Millionen Euro jährlich.
Wir haben heute im Kabinett - das gilt für das gesamte Kabinett - erklärt: Wir sind entschlossen, das
Dreiprozentziel Schritt für Schritt zu erreichen, das
heißt, dass wir das auch in der mittelfristigen Finanzplanung berücksichtigen müssen. Wir werden und wollen
das - das habe ich heute schon mehrfach gesagt - durch
eine entsprechende Gegenfinanzierung erreichen. Ich
sage ganz ausdrücklich: Ich baue und hoffe darauf, dass
die Opposition - das gilt natürlich auch für die FDP,
Frau Pieper - diesen Vorschlag unterstützt und mitträgt,
damit wir genau das leisten können, was notwendig ist das haben wir ja gemeinsam erklärt -, um Schritt für
Schritt das Dreiprozentziel bis zum Jahre 2010 zu erreichen. Ich sage ganz ausdrücklich: Wir werden darüber
sicherlich noch während der Haushaltsklausur beraten.
Aber hier ist auch das Zusammenwirken des gesamten
Parlaments notwendig. Das wird die Nagelprobe für alle
Fraktionen sein, ob sie es ernst meinen, dass 3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung investiert werden sollen, und ob sie bereit sind, dafür andere Subventionen zu streichen. Die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung sind jedenfalls dazu
bereit. Der Bundeskanzler hat das schon im März dieses
Jahres angekündigt. Wir haben das heute noch einmal
unterstrichen. Mein Wunsch als Forschungsministerin
ist, dass auch Sie dazu bereit sind.
Frau Kollegin Dr. Lötzsch, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin,
mein Interesse richtet sich auf die Leibniz-Gemeinschaft. Uns allen ist ja bekannt, dass die Mehrzahl der
außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Ostdeutschland zur Leibniz-Gemeinschaft gehört, dass die
Institute bzw. die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die zu dieser Gemeinschaft gehören, schon
mehrfach positiv evaluiert worden sind. Nun haben Sie,
Frau Ministerin, in einer Rede am 20. Januar dieses Jahres die Forderung erhoben, die Leibniz-Gemeinschaft zu
zerschlagen und die Institute auf andere Wissenschaftsorganisationen aufzuteilen. Halten Sie an dieser Forderung fest und teilen auch die anderen Mitglieder der
Bundesregierung nach der heutigen Kabinettssitzung
Ihre am 20. Januar dieses Jahres vorgetragene Meinung?
Liebe Frau Kollegin, die Bundesregierung und die
Landesregierungen sowie der Bundestag und die Länderparlamente beraten zurzeit über die Neuordnung des
Verhältnisses zwischen Bund und Ländern. Das ist Ihnen
allen ja unter dem Stichwort „Föderalismusdebatte“ bekannt. In diesem Zusammenhang wird auch darüber gesprochen, wie man hier zu einer klareren Zuordnung von
gesetzlichen Gestaltungsmöglichkeiten bei den Rahmenbedingungen, aber auch von Finanzverantwortlichkeiten
zwischen Bund und Ländern kommen kann, wo eine
neue Zuordnung sinnvoll ist und wo weniger, welche
Strukturen wir in den kommenden Jahrzehnten brauchen, damit auch der Bereich Bildung und Forschung in
unserem Land erfolgreich gestaltet werden kann. In
diesem Zusammenhang habe ich vorgeschlagen, zu
überprüfen, ob es nicht sinnvoller und besser wäre, bestimmte wissenschaftliche Institute der Leibniz-Gemeinschaft, die ja sehr heterogen ist - sie umfasst eine große
Bandbreite, die von geisteswissenschaftlichen Forschungsinstituten über Gesundheitsforschungsinstitute
bis hin zu materialwissenschaftlich und ingenieurwissenschaftlich ausgerichteten Instituten reicht -, in einer
anderen Forschungsorganisation anzusiedeln.
Dieser Vorschlag wird im Übrigen auch von einer
ganzen Reihe von Ländern für sinnvoll gehalten und unterstützt. Wenn es dazu käme - das sage ich ganz offen
und klar -, würde das keine Entlastung des Bundes bedeuten; denn wie Sie wissen, finanzieren wir zum Beispiel die Fraunhofer-Gesellschaft und die HGF zu
90 Prozent sowie die MPG zu 50 Prozent. Es ist aber
notwendig und richtig, immer zu hinterfragen, ob eine
Forschungsorganisation richtig aufgestellt und platziert
ist und ob die Institute in der entsprechenden Wissenschaftsgemeinschaft richtig angesiedelt sind.
In den vergangenen Jahren habe auch ich einige Umorganisationen durchgeführt. Ich nenne als Beispiel nur
die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung,
GMD, in Bonn, die jetzt zur Fraunhofer-Gesellschaft gehört und dort besser in den Forschungskontext eingebunden ist, als sie das in der HGF war. Inzwischen wird das
von vielen so gesehen. Das war am Anfang nicht so.
Wenn wir also wollen, dass das Potenzial unserer Forschungseinrichtungen optimal genutzt und eingesetzt
wird und dass es sich optimal entwickelt, dann müssen
wir auch die richtige Forschungsumgebung schaffen.
Genau dies ist die Zielsetzung meines Vorschlags.
Herr Kollege Schulz, bitte.
Frau Bundesministerin, welchen Stellenwert messen
Sie der internationalen Zusammenarbeit in der Forschung
bei? Was ist im Bereich der Steigerung der internationalen Attraktivität des Forschungsstandortes Deutschland
in den letzten Jahren erreicht worden? Welche Maßnahmen müssen auf diesem Feld in Zukunft ergriffen werden?
Hier haben wir in den letzten Jahren wirklich eine
Menge erreicht, nachdem diese wichtige Entwicklung
über viele Jahre überhaupt nicht beachtet worden ist;
auch da zeigen sich bereits Erfolge. Deutschland ist als
Studienstandort, auch als Wissenschaftsstandort inzwischen international deutlich attraktiver geworden. Die
Zahl der ausländischen Studierenden ist erheblich gestiegen.
Im Übrigen möchte ich zu dem, was ich manchmal
lese, sagen: Gerade sehr gute Studierende kommen hierher. Ich fand es interessant, dass hier - offensichtlich bar
jeder Kenntnis - berichtet worden ist, wir hätten Studierende aus Ländern, bei denen das Studium nicht so
attraktiv und sinnvoll ist. Wir haben eine kleine Untersuchung über mehrere Tausend ausländische Studierende
gemacht: Ihre Leistungen sind sehr gut. Das heißt, wir
haben es wirklich geschafft, sehr gute junge Leute für
den Studienstandort Deutschland zu gewinnen. Die Zuwachsraten in den vergangenen drei Jahren lagen bei
15 Prozent.
Wir haben es geschafft - auch das ist mir ganz wichtig -, exzellente, etablierte junge Wissenschaftler über
unsere beiden Bundesprogramme, das Wolfgang-PaulProgramm und das Sofja-Kovalevskaja-Programm, zu
gewinnen. Wir werden das Sofja-Kovalevskaja-Programm fortsetzen; es wird kein einmaliges Programm
sein. Rund ein Drittel derjenigen, die über diese Programme hierher gekommen sind, haben schon jetzt erklärt, dass sie hier bleiben werden. Bei einer ganzen
Reihe anderer sind zurzeit noch Verhandlungen im
Gange. Das ist ebenfalls ein Erfolg.
Wir haben es ferner geschafft - mir persönlich war
das ein wichtiges Anliegen -, dafür zu sorgen, dass deutsche Universitäten mittlerweile Standorte in anderen
Ländern gegründet haben bzw. gründen. Es gibt über
30 Ausgründungen unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher Qualität. Endlich ist auch bei uns das in Bewegung gesetzt worden, was andere Länder schon in den
80er-Jahren, teilweise Anfang der 90er-Jahre begonnen
haben. Da hatten wir wirklich erheblichen Nachholbedarf und da sind wir einen Riesenschritt vorangekommen.
Nur wenn wir uns international positionieren und international Spitze sind - dem dient der Wettbewerb
„Spitzenuniversitäten“ -, nur wenn es uns gelingt, als
Wissenschafts- und Forschungsstandort international anerkannt und attraktiv zu sein, dann werden wir auch international die Rolle spielen, die uns meines Erachtens
zusteht, und dann sind wir sowohl für Wissenschaftler
als auch für Unternehmen attraktiv. Diese Zielsetzung
verfolgen wir damit.
Wir haben die Zeit für die Regierungsbefragung eigentlich schon deutlich überzogen; deswegen können
wir nicht alle Fragestellungen abarbeiten.
Ich möchte zum Schluss dieses Themenbereichs der
Kollegin Flach das Wort geben. Danach möchte ich noch
zwei weitere Fragen zu anderen Bereichen zulassen. So
bleiben wir einigermaßen im Zeitlimit.
Bitte schön, Frau Kollegin Flach.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Sie
wissen: Wir, die FDP, sind sicherlich bei Ihnen, wenn
Sie fordern, Subventionen und Zuwendungen abzubauen. Das wissen Sie seit vielen Jahren. Wir konzentrieren uns da nicht nur auf die Eigenheimzulage. Die
von Ihnen geplante Abschaffung der Eigenheimzulage
bringt - wenn es dazu überhaupt kommen sollte - nach
Berechnungen der zuständigen Stellen in diesem Jahr
maximal 200 Millionen Euro ein. Ich vermisse an dieser
Stelle den stetigen Pfad in die Zukunft, Frau Ministerin.
Anders als Sie es dargestellt haben, haben wir in wichtigen Bereichen wie der Biotechnologie und der Informationstechnik in den letzten Jahren einen Niedergang feststellen müssen. Wo ist der konstante Pfad, auf dem wir
gemeinsam mit Ihnen den Zielwert von 3 Prozent zu erreichen versuchen? Was haben Sie zum Beispiel in den
nächsten drei Jahren vor? Nennen Sie uns einmal eine
konkrete Zahl!
Es ist richtig, dass die Abschaffung der Eigenheimzulage - vielleicht werden wir sie hier gemeinsam beschließen - bewirkt, dass Bund und Länder zusammen
im ersten Jahr rund 200 Millionen Euro zusätzlich zur
Verfügung haben. Ich habe vorhin darauf hingewiesen,
dass beide Seiten, Bund und Länder, diese Investitionsanstrengung unternehmen müssen. Natürlich ist die
Wirtschaft als dritter wichtiger Partner dabei.
Es gibt aus der Abschaffung der Eigenheimzulage einen deutlichen Zuwachs über die kommenden Jahre. Das
heißt, es kann genau das eintreten, was Sie einfordern,
nämlich dass das nicht nur für ein Jahr ist, sondern dass
wir damit genau die mittel- und langfristige Perspektive
sicherstellen, die wir - da stimme ich Ihnen völlig zu gerade in Forschung und Entwicklung brauchen. Es
macht keinen Sinn, das nur für ein Jahr zu machen; vielmehr brauchen wir die Wachstumsperspektive über einen längeren Zeitraum.
Es wächst in den kommenden Jahren bis deutlich über
5 Milliarden Euro auf. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, werden es im Jahr 2006 schon 600 Millionen Euro für Bund und Länder sein, also für beide Seiten
1,2 Milliarden Euro. Wir haben also eine ganz klare
Wachstumsperspektive. Bis zum Jahr 2008 können wir
das erreichen und sicherstellen, dass sowohl Bund als
auch Länder wirklich erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten für die für uns so wichtigen Bereiche Forschung,
Bildung, Entwicklung und Innovation insgesamt gewinnen.
({0})
Vielen Dank, Frau Ministerin, auch für die Ausdauer;
die Zeit wurde ja überschritten.
Ich beende nun die Fragen zu den Themenbereichen
der heutigen Kabinettssitzung und gebe dem Kollegen
Göbel das Wort, der eine Frage zum Bereich „Sonstiges“
an die Bundesregierung stellen möchte.
Wir haben am Wochenende in Ramstein die sterbliche
Hülle eines GSG-9-Beamten aus dem Irak in Empfang
genommen, wie man leider sagen muss. Ein weiterer Beamter kam bei dem Vorfall am 7. April in Falludscha zu
Tode und ist vermisst. Wir haben heute Morgen im Innenausschuss gehört, dass es entgegen einigen Presseverlautbarungen keine offizielle Anfrage an die Amerikaner gegeben hat, ob die Beamten der GSG 9 bzw. des
Bundesgrenzschutzes auf dem Luftweg nach Bagdad
transportiert werden können.
Vor dem Hintergrund frage ich die Bundesregierung,
ob sie im Kabinett über diesen Vorfall beraten hat und ob
und, wenn ja, gegebenenfalls durch wen eine Anfrage an
die Vereinigten Staaten gerichtet wird, ob Beamte, die
den Schutz der Botschaft in Bagdad sicherstellen, künftig, je nach Sicherheitslage vor Ort, auch auf dem Luftweg, nämlich mit den amerikanischen Militärtransportern, reisen können.
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Kollege, wir sind über den Tod der beiden Bundesgrenzschutzbeamten erschüttert. Ich glaube, ich kann
nicht nur für die Bundesregierung, sondern auch für die
Mitglieder des Deutschen Bundestages den Angehörigen
unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme aussprechen.
Die Situation im Irak ist, wie wir alle wissen, gefährlich. Das gilt nicht nur für die Ein- und Ausreise, sonStaatsminister Hans Martin Bury
dern auch für die tägliche Arbeit unserer Mitarbeiter in
der Botschaft. Diesen Mitarbeitern möchte ich bei der
Gelegenheit genauso wie den Bundesgrenzschutzbeamten, durch deren Schutz die Arbeit überhaupt erst möglich ist, meine Hochachtung für den Dienst aussprechen,
den sie unter sehr schwierigen und sehr gefährlichen Bedingungen für unser Land tun.
({0})
Bei jeder Ein- und Ausreise, aber auch bei jeder Bewegung im Land ist selbstverständlich die Sicherheitslage zu prüfen und zu beurteilen. Das geschieht. Das geschieht durch die Beteiligten gemeinsam. Das war auch
vor dem Konvoi, den Sie angesprochen haben, so.
Ich muss darauf hinweisen, dass auch der Luftweg,
auf den Sie abstellen - wir kommen in der Fragestunde
noch auf das Gesamtthema zu sprechen -, keineswegs
ohne Risiko ist. Der Flughafen in Bagdad ist auch ein
Jahr nach Kriegsende aus Sicherheitsgründen immer
noch nicht offiziell eröffnet. Die Sicherheit ist nicht gegeben, weil die Maschinen bei Start und Landung immer
wieder von Aufständischen beschossen werden, sowohl
mit Maschinengewehren als auch mit schultergestützten
Boden-Luft-Raketen. Mehrere Maschinen mussten nach
Beschuss notlanden. Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen werden monatlich mehrere Flugzeuge durch Beschuss getroffen. Anfang April, also zum Zeitpunkt der
Fahrt des Konvois, wurde eine Frachtmaschine von einer
SAM-7-Rakete getroffen, deren Sprengstoff jedoch nicht
explodierte.
Der Flughafen und die Zubringerstraße sind mit die
gefährlichsten Brennpunkte im Irak, weil es keine Ausweichrouten gibt. Anschläge gegen Koalitionsstreitkräfte finden dort ständig statt.
Im Übrigen war bekannt, dass grundsätzlich keine
Mitflugmöglichkeit auf US-Militärflugzeugen besteht.
Das Auswärtige Amt hatte bei Entsendung der ersten
Mitarbeiter nach Einstellung der Hauptkampfhandlungen die US-Botschaften in Berlin und Amman sowie die
US-Besatzungsbehörde in Bagdad hierüber unterrichtet
und sie um Hilfestellung gebeten. Die US-Behörden sagten zu, im Rahmen des Möglichen Informationen über
die Sicherheitslage zur Verfügung zu stellen. Sie betonten bei dieser wie auch bei anderen Gelegenheiten, dass
eine weitergehende Unterstützung, beispielsweise durch
Militärbegleitung, nicht möglich sei und dass US-Lufttransportkapazitäten durch eigenen militärischen Bedarf
und den der Koalitionstruppen ausgelastet seien.
Selbstverständlich prüfen wir gemeinsam mit dem
Bundesministerium des Innern und anderen Ländern, die
vor der gleichen Situation stehen, für die Zukunft noch
einmal intensiv alle Möglichkeiten, um unter den gegebenen Umständen Transporte so sicher wie eben möglich durchführen zu können.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung
und rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 15/3021, 15/3037 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen der Abgeordneten Jürgen Koppelin und
Dietrich Austermann auf.
Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Karl Diller bereit.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Jürgen
Koppelin auf:
Trifft die Meldung der dpa vom 1. Mai 2004 - Regierung
bereitet radikalen Kurswechsel in der Finanzpolitik vor - zu,
dass die Bundesregierung einen Kurswechsel in der Finanzund Haushaltspolitik vorbereitet?
Herr Kollege Koppelin, es gibt keinen Kurswechsel in
der Finanz- und Haushaltspolitik. Wir setzen unseren
Kurs der Konsolidierung fort, denn ohne Konsolidierung
gibt es kein Wachstum.
Herr Kollege Koppelin, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob es für Sie
eine Politik der Konsolidierung darstellt, wenn jedes
Jahr neue Schulden aufgenommen werden, wie Sie es
machen? Minister Eichel hat ja in seiner Amtszeit neue
Schulden in Höhe von 180 Milliarden aufgenommen.
Herr Kollege Koppelin, ich weise darauf hin, dass Sie
eigentlich wider besseres Wissen reden. Sie müssten ja
wissen, dass unser erster Haushalt, der Haushalt für das
Jahr 1999, den wir im Frühjahr 1999 vorgelegt haben,
weil ja der Haushalt eines auf ein Wahljahr folgenden
Jahres traditionell erst im laufenden Jahr beraten wird,
schon ein Sparpaket gewaltigen Umfangs beinhaltete.
Allein aufgrund dieses Sparpakets wurden jährlich in
den Haushalten 20 Milliarden Euro eingespart. Ihre Behauptung ist also unter diesem Gesichtspunkt falsch.
Uns hat allerdings der Umstand Probleme bereitet,
dass es drei Jahre hintereinander wirtschaftliche Stagnation gab. Von daher sind einerseits die Steuereinnahmen
weggebrochen, andererseits wurde der Bundeshaushalt
auf der Ausgabenseite durch zwei Elemente besonders
belastet: durch den notwendigen Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit in Milliardenhöhe und den Umstand, dass die Arbeitslosenhilfe zu 100 Prozent aus dem
Bundeshaushalt bezahlt wird. So kamen Belastungen in
Milliardenhöhe auf den Haushalt zu. Diese Scherensituation haben wir in Jahren mit schlechter wirtschaftlicher Entwicklung. Durch die schlechten Basiswerte ist
natürlich auch die Gestaltung zukünftiger Haushalte entsprechend schwieriger geworden.
Ihre zweite Frage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, die Medien haben berichtet, dass
sich in der letzten Woche der Bundeskanzler, der Bundesaußenminister, der Finanzminister und der SPD-Vorsitzende Müntefering getroffen haben. Ist bei diesem
Treffen so, wie die Medien berichtet haben, über die
Haushaltspolitik der Bundesregierung diskutiert worden? Ist dort über Investitionsprogramme diskutiert worden? Teilen Sie die Auffassung von einigen Mitgliedern
der Fraktion der Grünen, die wir heute in der „taz“ lesen
konnten, dass das, was der Bundesaußenminister über
dieses Treffen im „Spiegel“ verlauten ließ, als Stuss zu
bezeichnen sei?
({0})
Herr Kollege Koppelin, Bewertungen solcher Art stehen mir nicht zu. Ich hielte es auch für falsch, wenn ich
mich dazu äußerte. Es bleibt aber dabei: Der Kurs der
Bundesregierung wird fortgesetzt.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Türk.
Herr Staatssekretär, Deutschland war und ist ja einer
der Architekten des europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspaktes. Jetzt wird versucht, die Defizitgrenze
von 3 Prozent neu auszulegen - ich sage: aufzuweichen.
Meinen Sie nicht auch, dass dadurch die Stabilität des
Euro gefährdet wird?
Der Euro ist eine außerordentlich stabile Währung.
Das sehen Sie zum einen im Verhältnis zu konkurrierenden Währungen dieser Welt, beispielsweise zum Dollar;
das sehen Sie zum anderen auch im Inland. Wir haben
nahezu absolute Preisstabilität in Deutschland.
Eine weitere Zusatzfrage, diesmal des Kollegen
Heinrich.
({0})
In der Sitzung des Ecofin-Rates am 25. November
2003 hat Deutschland vor dem Hintergrund der
Agenda 2010 versprochen, das konjunkturpolitisch verursachte Defizit 2004 um 0,6 Prozentpunkte und 2005
um mindestens 0,5 Prozentpunkte abzusenken, wenn die
in den Stabilitätskriterien festgelegte Dreiprozentgrenze
überschritten werde. Fühlt sich die Bundesregierung an
diese Zusage noch gebunden und welche Maßnahmen
wird die Bundesregierung ergreifen, um diese Zusage
einzuhalten?
Herr Kollege, Sie wissen, dass die Zusagen gelten.
Wir werden die Einhaltung auch durch die Umsetzung
der Reformagenda 2010 erreichen. Hier ist nicht nur der
Bundeshaushalt, sondern sind auch die Länder- und Gemeindehaushalte sowie die Haushalte der Sozialversicherungskassen gefragt. Vor diesem Hintergrund haben
wir die strukturellen Verbesserungen zugesagt.
({0})
Nein, Sie dürfen nicht mehr; Sie dürfen nur eine Zusatzfrage stellen.
Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen Jürgen
Koppelin auf:
Teilt die Bundesregierung die Äußerung des Bundesministers des Auswärtigen, Joseph Fischer, der laut „Der Spiegel“
Nr. 19, Seite 50, gesagt hat: „Nur sparen, streichen, kürzen
bringt uns nicht das notwendige Wachstum“?
Herr Kollege Koppelin, ich wiederhole mich: Wachstum und Konsolidierung gehören zusammen. Deswegen
werden wir unsere bisherige Strategie fortsetzen.
Herr Staatssekretär, ich wiederhole meine Frage, die
ich eben gestellt habe und die Sie nicht beantwortet haben: Hat es in der letzten Woche ein Treffen des Bundeskanzlers, des Außenministers, des Finanzministers und
des SPD-Vorsitzenden gegeben und wurde bei diesem
Treffen über Haushaltspolitik und auch über Investitionsprogramme gesprochen?
Herr Kollege, auf der Bundespressekonferenz am
Montag dieser Woche hat Staatssekretär Anda für die
Bundesregierung zu diesen Fragen Stellung genommen.
Es ist in der Tat über das Thema der Haushaltsgestaltung
gesprochen worden.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie ja Staatssekretär im
Finanzministerium sind, werden Sie uns doch jetzt
sicher sagen können, was denn Inhalt der Gespräche geJürgen Koppelin
wesen ist, damit auch wir als Parlament endlich etwas
darüber erfahren. Ich kann schließlich nicht immer die
Bundespressekonferenz begleiten.
Herr Kollege Koppelin, über dieses Gespräch ist Vertraulichkeit vereinbart worden.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Türk.
Herr Staatssekretär, die EU-Kommission hat ja den
Europäischen Rat vor dem EuGH wegen Bruch des Stabilitätspaktes verklagt. Meinen Sie, dass der Rat eine
Chance hat, diese Klage abzuwehren, wenn in Deutschland der Sparkurs verlassen bzw. die öffentliche Verschuldung immer höher wird?
Herr Kollege, ich weise zunächst einmal darauf hin,
dass der Ecofin-Rat seinen Juristischen Dienst eingeschaltet hat, um zu einer juristisch einwandfreien Beurteilung zu kommen, und dass man dem gefolgt ist, was
der Juristische Dienst des Ecofin-Rates empfohlen hat.
Insofern sehen wir der Auseinandersetzung vor dem Europäischen Gerichtshof gelassen, natürlich auch interessiert entgegen. Im Übrigen gilt: Wir halten an dem Konsolidierungskurs fest.
({0})
Wir unternehmen alle Anstrengungen, das, was wir auf der
europäischen Ebene zugesagt haben, auch einzuhalten.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Grindel.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Bundespressekonferenz und die Äußerung von Herrn Anda zu diesem
Sachverhalt hingewiesen. Ich möchte gerne den Kollegen hier im Hohen Haus und Ihnen die Äußerung von
Herrn Anda noch einmal in Erinnerung rufen. Herr Anda
hat gesagt:
Der Bundeskanzler zieht die Konsequenz daraus,
dass er dem Verfahren, so wie es in der Regel und
auch hierbei geordnet abläuft, entsprechend seiner
Aufgabe mit großer Sorgfalt, aber auch in Zuständigkeit des betreffenden Ressorts belassend, dass er
diese Aufgabe weiterhin so wahrnimmt, das heißt,
dass der Finanzminister entsprechend die Arbeiten
so tut, die dann im Kabinett besprochen werden
müssen und besprochen werden sollen.
({0})
Können Sie mir bitte erläutern, welche konkreten
Handlungsanweisungen der Bundeskanzler damit den
Ministern gegeben hat, was ich also interpretierend aus
diesen Äußerungen von Herrn Anda, auf die Sie ausdrücklich Bezug genommen haben, schließen kann und
was darunter zu verstehen ist?
({1})
Herr Kollege, wie Sie wissen, vollzieht sich das
Haushaltsaufstellungsverfahren nach einem bestimmten
Ablauf. Wir sind schon in den Gesprächen mit den Ressorts, allerdings noch nicht in großem Umfang auf der
Abteilungsleiterebene, geschweige denn auf der Chefebene. All das steht für den Haushalt 2005 noch bevor.
Wir brauchen für eine qualifizierte Abschätzung nicht
nur die Daten, die uns die Forschungsinstitute vor etwa
zehn Tagen geliefert haben, und die konjunkturelle Einschätzung des Wirtschaftsministeriums. Vielmehr sind
wir gespannt darauf, was die Steuerschätzer von Bund,
Ländern und Gemeinden - zusammen mit den Experten
der Bundesbank und anderen Sachverständigen - uns
nach ihrem Treffen in Gotha Mitte des Monats als Schätzungen für das laufende Jahr und für die mittelfristige
Finanzplanung vorlegen. Das werden wir uns anschauen
und dann entsprechende Lösungsvorschläge erarbeiten.
Herr Kollege Heinrich, bitte.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung, wenn
sich abzeichnen sollte, dass sie im Jahr 2004 die Verpflichtungen, die sie am 25. November 2003 eingegangen ist, wiederum nicht einhalten kann - wenn also die
Neuverschuldung 2005 über der Dreiprozentgrenze liegen wird -, im Ecofin-Rat darauf hinwirken, dass die im
Vertrag von Maastricht vorgesehenen Sanktionsmechanismen wiederum ausgesetzt werden?
Die Bundesregierung - ich habe das gerade erklärt wird alles daran setzen, im nächsten Jahr die Dreiprozentgrenze einzuhalten.
({0})
Ich rufe die dringliche Frage 3 des Kollegen Dietrich
Austermann auf:
Treffen Meldungen in den Medien zu, dass die Bundesregierung ihre Bemühungen um eine Konsolidierung des Bundeshaushalts aufgibt und ein schuldenfinanziertes Investitionsprogramm in Milliardenhöhe anstrebt?
Herr Kollege Austermann, Sie haben eine nahezu
identische Frage zu der eben beantworteten gestellt. Deswegen ist auch die Antwort identisch: Konsolidierung
bleibt ein herausragendes Ziel. Ohne Konsolidierung erreichen wir kein Wirtschaftswachstum. Deswegen gehören Wachstum und Konsolidierung untrennbar zusammen.
Wir flankieren das Ziel der Haushaltskonsolidierung
durch umfangreiche Reformen, die die Wachstums- und
Beschäftigungsaussichten entscheidend verbessern werden. Dazu gehört auch das, was der Bundeskanzler am
25. März in der Regierungserklärung angekündigt hat
und was eben Gegenstand der Ausführungen von Frau
Bundesministerin Bulmahn war, nämlich die Umsetzung
einer Innovationsoffensive. Durch das Streichen der Eigenheimzulage - auch die Wirtschaftsforschungsinstitute haben uns die Streichung vor wenigen Tagen dringend empfohlen - sollen Mittel für Bund, Länder und
Gemeinden gewonnen werden. Die Gelder werden entsprechend dem Aufkommen der Einkommensteuer verteilt: Bund und Länder erhalten jeweils 42,5 Prozent, die
Gemeinden 15 Prozent. Jede Ebene soll das eingesparte
Geld für Investitionen in die Zukunft verwenden: der
Bund für die Stärkung von Forschung und Bildung, die
Länder für die Förderung qualifizierter Schulen - hierzu
gehören auch Schulsanierungsprogramme -, die Kommunen für eine Verbesserung des Angebots bei der Betreuung der unter Dreijährigen.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben meine Frage nicht beantwortet, sodass ich der Meinung bin, dass das, was ich
jetzt frage, keine Zusatzfrage ist, sondern eine Wiederholung meiner Frage mit dem Ziel, darauf eine Antwort
zu bekommen. In einer meiner Fragen frage ich danach,
was damit gemeint ist, wenn Regierungsmitglieder sagen, es gebe ein Ende der Zumutungen. Da Sie sagen,
der Konsolidierungskurs werde fortgesetzt, muss ich fragen: Was bedeutet im Zusammenhang mit der Absicht,
den Konsolidierungskurs, den wir nicht erkennen können, fortzusetzen, ein „Ende der Zumutungen“? Heißt
das, dass an anderer Stelle konterkarierend Maßnahmen
getroffen werden, die das wirtschaftliche Wachstum ankurbeln sollen?
Ein Streichen der Eigenheimzulage - die Eigenheimzulage gehört zu den größten Subventionen aus dem
Bundeshaushalt - würde notwendige Mittel freischaufeln, um Zukunftsinvestitionen in einem Milliardenumfang anzustoßen. Als Haushälter wissen Sie, dass die
Eigenheimzulage über acht Jahre gewährt wird. Diejenigen, die sie jetzt bekommen, werden sie auch in Zukunft
bekommen, bis die Förderung über acht Jahre ausgelaufen ist. Es geht darum, keine Neufälle mehr zu schaffen.
Das würde bedeuten, dass Bund, Länder und Gemeinden
im achten Jahr nach der Streichung der Eigenheimzulage
mehr als 6 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung
hätten, um in die Zukunft zu investieren. Das ist mit einem Milliardenprogramm gemeint.
Ich wollte wissen, was mit einem „Ende der Zumutungen“ gemeint ist. Worin liegt die Zumutung? Dass die
Eigenheimzulage weiter gewährt wird, dass sie abgebaut
wird oder dass ein Forschungsprogramm aufgelegt werden soll, das nicht beziffert ist? Worin liegt die Zumutung, die beendet werden soll?
Herr Kollege Austermann, ich habe schon einmal darauf hingewiesen, dass die Maßnahmen, die wir bisher
zur Konsolidierung des Staatshaushaltes treffen mussten,
für den jeweils Betroffenen ein sehr schmerzhafter Einschnitt sind. Die Agenda 2010 wird, soweit das noch
nicht geschehen ist, umgesetzt. Insofern wird es auch in
Zukunft noch den einen oder anderen schmerzhaften Einschnitt geben. Deswegen ist das eine Einschätzungsfrage.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.
Herr Staatssekretär, wie soll ich Ihre Äußerung - soweit Sie überhaupt bereit sind, hier Auskunft zu geben und die Überschrift in der „Berliner Morgenpost“ vom
3. Mai 2004: „SPD-Fraktionsvize bestätigt Wende in der
Finanzpolitik - Poß: Rigider Sparkurs soll aufgegeben
werden“ beurteilen?
Herr Kollege Koppelin, ich habe nicht mit Herrn Poß
persönlich gesprochen, sondern mit seinem Mitarbeiter.
Sein Mitarbeiter hat dementiert, dass er eine solche Äußerung gemacht hat.
({0})
Ich rufe die dringliche Frage 4 des Kollegen
Austermann auf:
Was versteht die Bundesregierung im Zusammenhang mit
dem angekündigten Ende des Sparkurses unter einem - die
„Welt“ vom 3. Mai 2004 - „Ende der Zumutungen“?
Frau Präsidentin, das war eigentlich die Frage, die
Kollege Austermann eben angesprochen hat, nämlich
die Frage nach dem Ende der Zumutungen. Insofern ist
sie schon beantwortet.
Ihre Zusatzfragen.
Meldungen der gestrigen Nacht ist zu entnehmen,
dass der Finanzminister in diesem Jahr von einer
Neuverschuldung von bis zu 47 Milliarden Euro ausgeht. Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, welche
die Hauptposten sind, die sich im Vergleich zu dem im
Februar dieses Jahres beschlossenen Haushalt verändern
und die zu einer derart gravierenden Abweichung im
Hinblick auf die Staatsverschuldung des Bundes führen?
Herr Kollege Austermann, ich habe schon vorhin darauf hingewiesen, dass wir verlässliche Daten erst dann
vorlegen und Einschätzungen erst dann vornehmen können, wenn in der nächsten Woche die Schätzung der
Steuereinnahmen für dieses Jahr durch den Steuerschätzerkreis, der sich aus Vertretern von Bund, Ländern und
Gemeinden sowie der Deutschen Bundesbank zusammensetzt, vorliegt. Dann können wir uns über verlässliche Daten unterhalten.
Ich habe schon vor einigen Wochen im Haushaltsausschuss darauf hingewiesen, dass die Deutsche Bundesbank mitgeteilt hat, dass sie nicht wie in der Vergangenheit einen milliardenschweren Bundesbankgewinn
überweisen kann. Diesen haben wir in der Vergangenheit
immer gemäß der Vereinbarung, die schon vor mehr als
zehn Jahren getroffen worden ist, verwendet, nämlich
7 Milliarden DM oder - jetzt in Euro - 3,5 Milliarden
Euro dem Haushalt zugeführt und den darüber hinausgehenden Betrag des Bundesbankgewinns zur Schuldentilgung eingesetzt. Die Bundesbank hat uns in diesem Jahr
statt der erwarteten 3,5 Milliarden Euro weniger als
250 Millionen Euro überwiesen. Mit diesem riesigen
Einnahmeausfall - das habe ich schon im Haushaltsausschuss erklärt - sind die stillen Reserven des Bundeshaushalts weg, um es vereinfacht darzustellen. Das bedeutet, dass weitere Einnahmeverschlechterungen eine
schwierige Situation ergeben.
Die Risiken haben Sie in einem Presseartikel, der vor
einiger Zeit erschienen ist, sicherlich nicht unzutreffend
beschrieben. Die Frage ist nur, ob die von Ihnen unterstellten Schätzungen zutreffen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege
Austermann.
Sie berufen sich immer auf Eckwerte und Daten, die
Dritte geben müssten, beispielsweise die Steuerschätzer
in Gotha in einer Woche. Ist es nicht so, dass ein wesentlicher Teil der Basisdaten und die Empfehlungen für die
Steuerschätzer vom BMF erarbeitet werden? Es müsste
doch jetzt schon ein Überblick über die Eckwerte und
Steuereinnahmen vorliegen, der zur Entscheidungsfindung der Steuerschätzer herangezogen werden kann.
Herr Kollege Austermann, ich habe mich erkundigt.
Wir alle wissen - es ist auch in den monatlichen Heften
des BMF nachzulesen -, wie sich die Steuereinnahmen
entwickelt haben. Das letzte Heft umfasst den Monat
März. Die spannende Frage ist jetzt: Wie war der April?
Es gibt eine erste Einschätzung, dass die Entwicklung im
April günstiger war. Fraglich ist nur, ob das damit zusammenhängt, dass eine Zahlung, die sonst im März gebucht worden wäre, erst im April gebucht wurde. Über
diese Feinheit müssen wir mit den Fachleuten noch diskutieren. Den Überblick über die Steuereinnahmen im
April werden wir in gut zehn Tagen haben, dann wissen
wir mehr.
Das Wort zur Geschäftsordnung gebe ich dem Kollegen Jürgen Koppelin.
({0})
Frau Präsidentin, wir alle haben im Plenum miterleben können, dass Herr Staatssekretär Diller nicht in der
Lage war, die Fragen des Kollegen Austermann und
meine Fragen zu beantworten. Selbst bei einfachen Fragen hat er sich auf Vertraulichkeit berufen. Die Fraktion
der FDP beantragt daher nach der Fragestunde eine Aktuelle Stunde. Ich gehe davon aus, dass die Union unser
Verlangen unterstützt.
Herr von Klaeden, bitte.
Wir unterstützen das selbstverständlich.
Ich habe aber noch eine Zusatzfrage an den Herrn
Staatssekretär. Sie hatten soeben auf die Frage des Kollegen Koppelin, ob die Äußerungen von Herrn Poß zutreffend seien, gesagt, Sie hätten nicht mit ihm, sondern
mit seinem Mitarbeiter gesprochen -
Herr von Klaeden, ich muss Sie leider unterbrechen.
Herr Koppelin hat sich zur Geschäftsordnung gemeldet.
Ich mich aber nicht.
Sie haben sich aber auch nicht zu einer Zusatzfrage
gemeldet.
Doch, ich habe mich zu einer Zusatzfrage gemeldet.
({0})
Gut, ich lasse die Zusatzfrage noch zu.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, Sie hätten mit
dem Mitarbeiter gesprochen und dieser habe Ihnen gesagt, Herr Poß habe die Aussagen, die in der „Berliner
Morgenpost“ stehen, so nicht gemacht. Ich habe an diesem Morgen zufällig den Deutschlandfunk gehört; dort
hat jemand mit einer Stimme, die der von Herrn Poß sehr
ähnlich war, genau die Aussagen gemacht, die heute in
der „Berliner Morgenpost“ zitiert sind, und sich sogar
als „Herr Poß“ ansprechen lassen.
({0})
Können Sie mir vielleicht erklären, wie es dazu gekommen ist? Hätten Sie vielleicht die Freundlichkeit,
diese Frage, wenn Sie sie jetzt nicht beantworten können, mit dem Mitarbeiter von Herrn Poß zu klären, damit
wir erfahren, wie es dazu kommen kann, dass irgendwelche Stimmenimitatoren am Montagmorgen als „Herr
Poß“ Interviews im Deutschlandfunk geben und Äußerungen machen, die es hinterher nicht gegeben hat?
Herr Kollege von Klaeden, ich habe Ihnen wahrheitsgemäß gesagt, was sich abgespielt hat. Bei einem routinemäßigen Treffen - Montag ist da unser Jour fixe habe ich den persönlichen Mitarbeiter von Herrn Poß danach gefragt und er hat mir diese Antwort gegeben.
Im Übrigen steht es der Bundesregierung nicht zu, zu
Äußerungen von Mitgliedern des Deutschen Bundestages interpretierend Stellung zu nehmen. Meine Bitte lautet: Sprechen Sie den Kollegen Poß an!
({0})
Nachdem ein Geschäftsordnungsantrag gestellt worden ist, kann ich weitere Zusatzfragen nicht zulassen.
Die Fraktionen der FDP und der CDU/CSU haben zu
den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen
Fragen 1 bis 4 der Kollegen Jürgen Koppelin und
Dietrich Austermann eine Aktuelle Stunde verlangt.
Dies entspricht Ziffer 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache wird nach Schluss der Fragestunde durchgeführt. Die Aktuelle Stunde wird um
16 Uhr beginnen.
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet sind, rufe ich jetzt die Fragen auf
Drucksache 15/3021 in der üblichen Reihenfolge auf.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Die
Frage 1 des Kollegen Dr. Egon Jüttner wird schriftlich
beantwortet.
Deswegen rufe ich nun den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Zur
Beantwortung steht Herr Staatssekretär Wolf-Michael
Catenhusen bereit.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Petra Pau auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die gegenwärtige Ausbildungsplatzsituation in den neuen Ländern und Berlin im
Vergleich zum Vorjahr und beabsichtigt die Bundesregierung
im Rahmen der Ausbildungsoffensive 2004 - wie bereits im
Rahmen der Ausbildungsplatzoffensive 2003 -, eine hälftige
Mitfinanzierung von insgesamt 14 000 Ausbildungsplätzen
mit den neuen Ländern und Berlin zu vereinbaren?
Auf Ihre Frage möchte ich Folgendes antworten: Angesichts der schwierigen Situation des Ausbildungsjahres 2003 hatte das Bundesministerium für Bildung und
Forschung einer Aussetzung der zwischen dem Bund
und den neuen Ländern einvernehmlich vereinbarten
Degression bei den Platzzahlen des Ausbildungsplatzprogramms Ost zugestimmt. Für diese Degression war
seinerzeit ausschlaggebend, dass sich die Zahl der Ausbildungsplatzbewerber in den neuen Ländern aufgrund
der demographischen Entwicklung ab 2005 nachhaltig
reduzieren wird.
Dass die Experten von Bund und neuen Ländern damals in dieser gemeinsamen Einschätzung nicht falsch
lagen, verdeutlicht die Zahl der im Osten Deutschlands
jeweils Ende März bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten unvermittelten Ausbildungsplatzbewerber, die
von 120 260 Ende März 2002 auf nunmehr 110 950 im
Februar 2004 gesunken ist.
Für die weiteren Planungen ist aber auch die Initiative
der Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag zu
berücksichtigen, im Rahmen des Berufsausbildungssicherungsgesetzes die finanzielle Verantwortung für die
Berufsausbildung im dualen System wieder in die Wirtschaft zurückzuverlagern. Auch der von der Wirtschaft
vorgeschlagene Pakt für Ausbildung zielt in die gleiche
Richtung. Ein am tatsächlichen Bedarf des Jahres 2004
orientiertes Ausbildungsplatzprogramm, das wie üblich
vom Bund sowie den neuen Ländern und Berlin jeweils
zu 50 Prozent finanziert wird, könnte auch ein Element
eines solchen Paktes für Ausbildung sein.
Wir werden also erst dann, wenn das Gesetz verabschiedet ist und wenn die Bemühungen um einen Pakt
für Ausbildung zu einem wie auch immer gearteten Ergebnis geführt haben, die Frage beantworten können, in
welcher Weise und in welchem Umfang auch im Rahmen der Ausbildungsoffensive 2004 die hälftige Mitfinanzierung von Ausbildungsplätzen in den neuen Ländern und Berlin vereinbart wird.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, trifft es - mit Hinweis auf die von
Ihnen eben gegebene Antwort - zu, dass man die Folgen
der Ausbildungsplatzumlage und möglicher Ausbildungspakte abwarten will und daher noch nicht einmal
zur Erörterung auf Fachebene eingeladen wurde?
Wir halten diese Erörterung erst dann für sinnvoll,
wenn wir die Koordinaten, die Rahmenbedingungen für
die Fortführung des Instrumentes genau kennen. Es kam
der Vorschlag aus den neuen Bundesländern, ein Gespräch auf Staatssekretärsebene zu führen. Dazu sage ich
Ihnen ganz offen: Wir haben jetzt Anfang Mai. Ich gehe
davon aus, dass die Bemühungen um einen Ausbildungspakt so oder so noch vor der Sommerpause zu einem Ergebnis führen müssen, denn die kritische Phase
für das nächste Ausbildungsjahr wird am 30. September
erreicht werden. Ich gehe insofern davon aus, dass diese
Gespräche noch vor der Sommerpause geführt werden.
Es macht aber wenig Sinn - hier bitte ich um Verständnis -, das, was ich Ihnen hier gesagt habe, noch einmal
auf der Arbeitsebene in den Ministerien zu erklären,
denn diese sind über die Situation eigentlich informiert.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Vor diesem Hintergrund möchte ich eine weitere Zusatzfrage stellen: Trifft es nach Ihrer Kenntnis zu, dass
die Daten der Agenturen für Arbeit ein gegenüber dem
Vorjahr eher weiter zurückgehendes betriebliches Ausbildungsplatzangebot signalisieren und damit schon völlig klar ist - ohne dass wir die neuen gesetzlichen Regelungen und ihre Wirkungen abwarten müssen -, dass
viele von denen, die sich derzeit in so genannten Warteschleifen oder Vorbereitungsmaßnahmen befinden, auch
von dieser Initiative der Bundesregierung nicht betroffen
sein werden, also ein anderes Angebot brauchen?
Sie haben die Entwicklung der betrieblichen Ausbildungsplätze angesprochen. Die Tendenz, die Sie für diesen Bereich genannt haben, stimmt. Aber wir befinden
uns in der bizarren Situation eines „Wettlaufs“ zwischen
einem Rückgang betrieblicher Ausbildungsplätze auf der
einen Seite und einem Rückgang der Nachfrage nach
Ausbildungsplätzen auf der anderen Seite.
Lassen Sie mich das anhand eines Beispieles sagen:
2005 wird die Zahl des infrage stehenden Altersjahrgangs nur noch 224 800 betragen, im Vergleich zu
229 500 im Jahre 2004. Auch die Nachfrage auf dem
Ausbildungsmarkt wird sich nach unten entwickeln, von
159 500 im Jahre 2004 auf 156 300. Ihre Frage nach der
Bilanz - ob sich dieses Problem also, wenn man den
Rückgang der angebotenen und der nachgefragten betrieblichen Ausbildungsplätze gegenrechnet, insgesamt
ausweitet oder nicht - kann ich heute noch nicht beantworten.
Frau Pau, unabhängig davon stellt sich hier die Frage,
welchen Stellenwert das ausschließlich staatsfinanzierte
Ausbildungsprogramm Ost im Rahmen einer Ausbildungsplatzoffensive hat, durch die man die Verantwortung für die Finanzierung beruflicher Ausbildung stärker
auf die Wirtschaft verlagern will. Ich verstehe, dass man
auch den Staat in die Pflicht nehmen will. Aber ich muss
Ihnen sagen: Wenn wir diese Gespräche führen, wird es
auch um einen anderen Aspekt gehen. Denn in den letzten Jahren wurden, mit Ausnahme dieses Jahres, die Mittel für die primär länderfinanzierten Programme in einer
Reihe von Bundesländern zurückgefahren. Dieses Spiel
kann nicht so laufen, dass wir die Anzahl der von uns garantierten Ausbildungsplätze um 14 000 erhöhen, ohne
dass die Länder in ihren Ausbildungsplatzprogrammen
in gleicher Weise entsprechende Zielmarken in die Verhandlungen einbringen.
Ich sage noch einmal: Vor der Sommerpause müssen
wir mit diesen Gesprächen beginnen. Angesichts der allgemeinen Unsicherheit darüber, ob wir diesem Ziel auf
anderem Wege und mithilfe neuer Instrumente näher
kommen, bitte ich um Verständnis, dass ich zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr sagen kann.
Eine weitere Zusatzfrage hat die Kollegin Lötzsch. Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Sie haben in Ihrer Antwort darauf Bezug genommen,
dass die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen sinken
werde, weil die entsprechenden Geburtenjahrgänge
schwächer sind. Zu den Zahlen, die Sie dargestellt haben, frage ich Sie: Haben Sie in die Zahlen, nach denen
Sie die Nachfrage bemessen, auch diejenigen einbezogen, die zwar schon älter sind, aber dennoch keine Ausbildung haben, zum Beispiel weil sie, wie es meine
Kollegin Pau beschrieben hat, in Warteschleifen untergebracht sind, oder beziehen Sie Ihre Aussagen allein auf
die Jahrgangszahlen?
Ich beziehe mich zunächst allein auf die Zahlen der
Ausbildungsjahrgänge. Es stellt sich allerdings die
Frage, auf welche praktischen Erfahrungen der letzten
Jahre wir uns dabei stützen können. Zurzeit kann man,
gerade aufgrund des großen Anteils staatlich finanzierter
Ausbildungsprogramme in den neuen Bundesländern,
davon ausgehen, dass die Anzahl derjenigen, die in Warteschleifen eintreten, dort möglicherweise geringer ist
als in den alten Bundesländern. Denn diese Art von
staatlich finanzierten - vor allem außer- und überbetrieblichen - Ausbildungsplätzen steht in den alten Bundesländern so nicht zur Verfügung.
Das heißt, dass der Druck, auszuweichen, dank der
guten Wirkung dieser Programme in den alten Bundesländern - ich sage das unter Vorbehalt - möglicherweise
noch größer als in den neuen Bundesländern ist. Denn
der Bund wusste, was er tut, als er diese Garantie gegeben hat. Es ist nicht unsere Intention, uns ersatzlos zurückzuziehen. Aber es ist nüchtern zu prüfen, ob aufgrund von Gesprächen, die zum Beispiel im Rahmen
Wolf-Michael Catenhusen, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung
eines Ausbildungspaktes geführt werden könnten, neue
Instrumente zur Lösung dieses Problems entstehen.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Bergner. Bitte.
Herr Staatssekretär, ich habe durchaus Verständnis
dafür, dass Sie sich im Moment noch nicht festlegen
wollen, was das Volumen eines staatlichen Programmes
zur Schaffung außerbetrieblicher Ausbildungsplätze betrifft. Was mich aber alarmiert, ist Ihr Hinweis, dass Sie
in dieser Hinsicht durch die Ausbildungsplatzabgabe
eine Entlastung für die neuen Bundesländer erwarten.
Ich möchte Sie mit den Zahlen des Bundeslandes, aus
dem ich komme, konfrontieren. Dort wurde im
Jahre 2003 im Durchschnitt aller Betriebe eine Ausbildungsquote von 7 Prozent erreicht; trotzdem mussten
50 Prozent der Ausbildungssuchenden außerbetrieblich
versorgt werden. Das heißt, das Problem liegt nicht in
der Ausbildungsbereitschaft, sondern in der Unternehmenslücke. Müssen Sie vor diesem Hintergrund nicht
zugestehen, dass staatliche Ausbildungsprogramme
- bei aller sonstigen Kritik, die ich an der Ausbildungsplatzabgabe habe - in den neuen Bundesländern unverzichtbar bleiben?
Auf jeden Fall bleiben Programme unverzichtbar, die
nicht unmittelbar von den einzelnen ausbildenden Unternehmen getragen werden. Die Frage, ob es auch in der
Zukunft rein vom Staat finanzierte Programme gibt oder
ob der Mechanismus dieses Ausbildungsplatzsicherungsgesetzes bewirkt, dass dieser Solidarausgleich zur
Schließung der Ausbildungsplatzlücke führt - auch in
den neuen Bundesländern -, kann ich Ihnen nicht beantworten.
Ich muss einmal deutlich sagen: Wenn am 30. September dieses Jahres eine Ausbildungsplatzlücke konstatiert und daraufhin eine Ausbildungsplatzumlage eingeführt werden sollte, dann haben wir eine gesamtdeutsche
Ausbildungsplatzlücke, aber keine „Ostlücke“ bzw.
„Westlücke“. Das heißt, die spannende Frage wird sein,
ob wir dieses Thema auch finanziell differenziert bewältigen können, nämlich insofern, als eine Lücke in Westdeutschland ausschließlich wirtschaftsfinanziert geschlossen werden kann, während wir in den neuen
Bundesländern nach wie vor auf eine rein staatlich finanzierte Schließung der Lücke setzen. Das ist eine Frage,
die ich Ihnen nicht beantworten kann, über die wir aber
auf jeden Fall nachdenken müssen, sobald wir Klarheit
darüber haben, wie der Gesetzentwurf insgesamt aussieht und ob unter Umständen ein Ausbildungspakt zustande kommt. Sie wissen ja, dass zwischen den Koalitionsfraktionen auch über einen Ausbildungsfonds für
die neuen Bundesländer geredet wird, der nicht ausschließlich vom Staat finanziert werden soll. Lassen Sie
uns doch erst einmal abwarten, was an Substanz dahinter
ist - das ist eine Frage von vielleicht zwei Monaten - in
dem Sinne, dass sich die praktischen Konsequenzen präzise einschätzen lassen.
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Petra Pau:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Beschluss des viertelparitätisch mit Beauftragten der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer, der Länder und des Bundes besetzten Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung vom 10. März 2004,
wonach „der Hauptausschuss keine Möglichkeit sieht, den
Umfang der Förderung zusätzlicher Ausbildungsplätze im
Ausbildungsprogramm Ost 2004, wie von der Bundesregierung geplant, zu verringern, und eine Größenordnung wie im
Vorjahr von insgesamt 14 000 Plätzen für dringend erforderlich hält“?
Der Hauptausschuss des BIBB hat der Stellungnahme der Beauftragten der Länder zum Berufsbildungsbericht 2004 am 10. März 2004 zugestimmt, der
den von Ihnen in der Frage richtig dargestellten Wortlaut umfasst. Der Bund hat hinsichtlich der Beschlussfassung zum Berufsbildungsbericht 2004 gemäß
Berufsbildungsförderungsgesetz kein Stimmrecht; insofern hat dieser Hauptausschuss nicht viertelparitätisch beschlossen. Der Bund war an dieser Beschlussfassung nicht beteiligt.
Wir sehen in diesem Beschluss vor allen Dingen die
Erwartung, dass es zu einer stabilen finanziellen Lösung
für die Schließung der Ausbildungsplatzlücke in den
neuen Bundesländern kommt. Ich denke deshalb, dass
der Zusammenhang zwischen den Bemühungen, die
Verantwortung der Wirtschaft für die Berufsausbildung
generell durch das Berufsausbildungssicherungsgesetz
und einen Pakt für Ausbildung nachhaltig zu stärken,
und einem Ausbildungsprogramm Ost 2004 nüchtern
überprüft werden muss. Zum Zeitpunkt dieses Beschlusses vom 10. März dieses Jahres waren weder die Details
der jetzigen Fassung des Gesetzentwurfes noch die „Offerte“, einen Pakt für Ausbildung zu schließen, bekannt.
Ich glaube, wir müssen die Erwartungen erfüllen, dass es
hier keinen Einbruch bei der Finanzierung gibt. Wir
müssen im Interesse der Betroffenen die Kontinuität sicherstellen. Es darf durch Probleme im Verfahren nicht
zu einer Finanzierungslücke kommen. Das können wir
in aller Ruhe sicherstellen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatssekretär, wir mögen diese Hoffnung und
Zukunftsaussichten zumindest zum Teil teilen. Trotzdem
frage ich nach: Ist der Bundesregierung bekannt, dass
die neuen Länder und Berlin zumindest bis zu diesem
Jahr zusätzlich zum Bund-Länder-Sonderprogramm Programme auflegen und schulische Ausbildungsgänge erheblich ausweiten mussten, um möglichst viele Jugendliche unterzubringen? Sind Sie auch dahin gehend
optimistisch, dass das in Zukunft nicht mehr notwendig
ist?
Diese Hoffnung habe ich. Das Ganze ist aber erst
dann klar, wenn wir wissen, auf welcher Basis die weitere Finanzierung der beruflichen Bildung erfolgt.
Zu Ihrem zarten Hinweis auf die Aktivitäten der Länder: Die Ausbildungsplatzsituation hat in diesem und im
letzten Jahr in Ost wie in West dazu geführt - das verdrängen Vertreter der Wirtschaft in der öffentlichen Debatte manchmal -, dass die Zahl von schulischen Berufsausbildungsplätzen deutlich gestiegen ist. Das sehen
Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und
Brandenburg übrigens völlig übereinstimmend so.
Zur Finanzierung von zusätzlichen Ausbildungsplätzen darf ich auf Folgendes hinweisen: Unter Berücksichtigung, dass Bund und Länder im Bund-LänderProgramm jeweils 50 Prozent der Plätze finanzieren und
der Bund die Plätze aus dem Jugendsofortprogramm
alleine finanziert, ist der Anteil des Bundes an der gesamten Finanzierung von 29,6 Prozent im Jahr 1997 auf
42,5 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen. Der Anteil
des Bundes bei der Finanzierung von Programmen hat
sich also dramatisch verstärkt. Dies muss man deutlich
sagen.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, abschließend wüßte ich gern,
auch mit Blick auf die Debatte und die Abstimmung am
Freitag, woraus sich Ihr Optimismus speist, dass wir die
Lage auf dem Ausbildungsmarkt innerhalb von drei Monaten - das ist der Zeitraum, um den es geht - so positiv
verändern können, dass wir am Ende des Monats September feststellen können, dass ein großer Schritt nach
vorne gemacht werden konnte. Meine Erfahrung aus all
den Reformen des vergangenen Jahres ist, dass wir nach
Verabschiedung der Gesetze, ob nun mit der Mehrheit
der Koalition oder der Mehrheit von konservativer Opposition und Koalition, mindestens ein halbes Jahr nacharbeiten mussten, um allein die handwerklichen Mängel
der Gesetze zu beseitigen und die Gesetzeswerke umsetzen zu können.
Ich habe meinen Optimismus in dem Sinne eingeschränkt geäußert, dass spätestens bis zur Sommerpause
die Rahmenbedingungen klar sind, unter denen über die
Fortsetzung und den Umfang der Ausbildungsplatzsonderprogramme in den neuen Bundesländern entschieden
werden kann. Politik sollte aber nie Wunder versprechen, vor allem nicht solche, die in Wochen wirken.
Damit sind wir am Ende dieses Themenbereiches.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung
der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf. Die Frage 4 des Kollegen Rainer Funke wird
nach Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Beantwortung
der Fragen übernimmt Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hans Georg Wagner.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Ernst-Reinhard
Beck auf:
Was passiert bei einer Auflösung der Reservelazarettorganisation mit dem Ärzte- und Pflegepersonal sowie mit dem
gegenwärtig vorhandenen Material?
Frau Präsidentin, die folgenden sechs Fragen haben
einen inhaltlichen Zusammenhang, sodass es bei der Beantwortung zu Wiederholungen kommen könnte. Ich
bitte Sie, das von vornherein zu entschuldigen. Ich
möchte zum besseren Verständnis trotzdem jede Frage
einzeln beantworten.
Zu Frage 5 des Kollegen Beck: Die erforderliche Auflösung der Reservelazarettorganisation wird erst dann
erfolgen, wenn die künftigen Reservistenstrukturen des
zentralen Sanitätsdienstes endgültig ausgeplant sind. Damit wird sichergestellt, dass alle qualifizierten Reservistinnen und Reservisten in den Strukturen der Zukunft
nahtlos eine herausfordernde Aufgabe und eine neue
militärische Heimat finden können, vorausgesetzt, sie
wollen ihre Expertise und ihr Engagement unter den veränderten Rahmenbedingungen der Verteidigungspolitischen Richtlinien und der Konzeption für die Reservistinnen und Reservisten der Bundeswehr weiterhin dem
zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr zur Verfügung
stellen.
Das Sanitätsmaterial der Reservelazarettgruppen besteht im Wesentlichen aus Sanitätsgerät, also Röntgengeräten, Narkosegeräten, chirurgischem Instrumentarium
und sonstigen medizinischen Ausrüstungsgegenständen,
das zum überwiegenden Teil dem technischen Stand der
70er- und 80er-Jahre entspricht. Da es für den Zweck der
Landesverteidigung eingelagert wurde, ist es überwiegend nicht oder nur wenig gebraucht. Die Geräte sind
funktionsfähig, aber eben nicht auf dem neuesten technischen Stand.
Derzeit wird geprüft, welches Material aus den Reservelazarettgruppen zur Auftragserfüllung der Streitkräfte weiter verwendet werden kann. Eine Abgabe von
Material erfolgt nur dann, wenn dieses im Sanitätsdienst
tatsächlich nicht mehr benötigt wird.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich stelle mit Befriedigung fest,
dass die Auflösung der Lazarettgruppen erst dann erfolgen soll, wenn die Überführung in die neuen Strukturen
Ernst-Reinhard Beck ({0})
angegangen wird. Ich möchte hier nachfragen: Welche
Organisationsform soll an deren Stelle treten und lässt
sich bereits heute ein entsprechender Bedarf an Sanitätsoffizieren und an qualifiziertem Sanitätspersonal absehen?
Ich habe eben ausgeführt, dass sich diese neuen
Strukturen in der Ausplanung befinden, sie aber noch
nicht endgültig ausgeplant sind. Ein Ergebnis liegt deshalb noch nicht vor.
Ihre weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wurden in diese Planungen die
neuen Strukturen einbezogen und sind die neuen Organisationsformen so konzipiert, dass sie auch bei großen zivilen Katastrophen zum Einsatz kommen können?
Man wird in jedem Einzelfall zu prüfen haben, inwieweit der Sanitätsdienst für Katastrophenfälle und für die
Verbesserung der dann gegebenen Situation eingesetzt
werden kann. Der Lazarettdienst wird natürlich dann zur
Verfügung stehen, wenn er zeitnah nach dem Eintritt von
Katastrophen eingesetzt werden kann.
Herr Kollege, außerdem wird zu prüfen sein, welche
Geräte im Rahmen der Ausstattungshilfe, die die Bundesregierung für gewisse Länder in der Welt leistet, verwendet werden können. Das würde eine sinnvolle Nachnutzung dieser Geräte bedeuten.
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Ernst-Reinhard
Beck auf:
Welche Einsparungsgewinne bzw. Effizienzsteigerungen
erhofft sich das Bundesministerium der Verteidigung, BMVg,
durch eine Auflösung der Reservelazarettorganisation?
Herr Kollege Beck, bei den laufenden Kosten, die die
Reservelazarettorganisation verursacht, handelt es sich
im Wesentlichen um Liegenschaftsbetriebs- und Personalkosten. Da die Reservelazarettgruppen aber nur
Anteile einer militärischen Liegenschaft belegen, ist die
Ermittlung der anteiligen Kosten mit gewissen Ungenauigkeiten verbunden. Die überschlägig ermittelten Betriebskosten des Liegenschaftsanteils einer Reservelazarettgruppe bewegen sich in einer Größenordnung
von 36 000 bis 38 000 Euro pro Jahr. Die anfallenden
Personalkosten liegen bei circa 90 000 Euro.
Zur Effizienzsteigerung: Mit der neuen Reservistenstruktur soll das Fachpersonal der Reserve besser an die
aktive Truppe angebunden werden. Zudem soll die Verfügbarkeit dieses Personals verbessert werden. Damit
werden die Fähigkeiten des Sanitätsdienstes auch zur bedarfsgerechten und flexiblen Unterstützung im Katastrophenfall deutlich verbessert.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn ich es richtig sehe, dann
werden die Strukturen gerade ausgeplant. Gibt es Überlegungen bezüglich der Mobilisierungszeiten, die gerade
im Hinblick auf den Einsatz im Katastrophenfall eine besondere Rolle spielen?
Die Mobilisierung, die sehr schwierig ist, muss sehr
schnell erfolgen. Es ist unmöglich, die Reservisten unmittelbar nach Eintritt eines Katastrophenfalls einzuberufen. Wenn das Hochwasser heute kommt, kann man
die Reservisten nicht schon in der folgenden Nacht einberufen. Das ist technisch nicht möglich. Diese Einschränkung muss ich machen.
Die Fachleute aus der Gruppe der Reservisten werden
natürlich gerufen, wenn es zur Beseitigung von längerfristigen Schäden, die durch Katastrophen hervorgerufen
worden sind - dabei denke ich zum Beispiel an Hochwasserschäden -, erforderlich ist.
Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden,
dass bei der Überprüfung der Brauchbarkeit des eingelagerten Materials darauf geachtet wird, ob eine weitere
Nutzung möglich ist? Ist es richtig, dass eine Verscherbelung zu Schnäppchenpreisen nicht vorgesehen ist?
Sie haben mich richtig verstanden.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Ursula Lietz auf:
Welche detaillierten Planungen bestehen seitens des
BMVg bezüglich der Zukunft der Reservelazarettorganisation, auch im Verbund mit Organisationen des zivilen
Katastrophenschutzes?
Frau Kollegin, die Reservelazarettorganisation der
Bundeswehr war als Behandlungsreserve des Sanitätsdienstes für den Fall der Landesverteidigung aufgestellt
worden. Als nicht aktive Struktur bedarf sie der zeitintensiven allgemeinen Mobilmachung - wie angekündigt, wiederhole ich mich, Frau Präsidentin -, das heißt
der Einberufung von Reservisten, um einsatzfähig zu
werden. Deshalb beinhaltet ihr Auftrag keine Aufgaben
im Bereich des Katastrophenschutzes, da die dafür erforderliche rasche Reaktionsfähigkeit nicht gewährleistet
ist.
Schnelle Unterstützung im Fall eines terroristischen
Madrid-Szenarios kann keinesfalls durch ein Reservelazarett geleistet werden, da weder Personal noch Material auf Abruf zur Verfügung stehen. Um der gestiegenen
asymmetrischen Bedrohung durch den terroristischen
Gebrauch von Massenvernichtungswaffen begegnen zu
können, werden hingegen andere Strukturen benötigt.
Eine konzeptionelle Fortschreibung der Reservelazarettorganisation als solche ist deshalb nicht beabsichtigt.
Die neue Reservistenstruktur wird so ausgeplant, dass
die aktiven Einheiten und Verbände des Sanitätsdienstes
im gesamten Aufgabenspektrum, also auch beim Schutz
nach innen, verstärkt werden können. Dies beinhaltet unter anderem die Erarbeitung von Verfahrensweisen, die
eine schnelle Unterstützung im Katastrophenfall ermöglichen. Die herkömmliche Alarmierungs- und Einberufungspraxis des Sanitätspersonals der Reserve wird dagegen den Anforderungen einer raschen Reaktion auf ein
Großschadensereignis erheblichen Ausmaßes nicht gerecht.
Der Führungsstab des Sanitätsdienstes untersucht derzeit intensiv, wie auf dem Boden der geltenden Rechtslage die subsidiäre Unterstützung ziviler Verantwortungsträger und Hilfsorganisationen im Katastrophenfall
optimiert werden kann. Dabei geht es vor allen Dingen
darum, wie Spezialfähigkeiten, unter anderem personelle
Kernstrukturen der Reservelazarettorganisation, in das
Gesamtkonzept Katastrophenschutz in Deutschland eingebracht werden können.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, dass
die Motivation von Reservisten, die in der Vergangenheit bei Einsätzen sehr aktiv mitgearbeitet haben - sei es
in Krankenhäusern, sei es am Einsatzort selber -, dadurch, dass sie über Medien erfahren, dass sie demnächst
überflüssig sein könnten, nicht besonders hoch ist? Meinen Sie nicht, dass es Zeit wird, den Reservisten möglichst bald ein Konzept vorzulegen, in dem ihnen klipp
und klar dargelegt wird, dass und wie sie in Zukunft gebraucht werden?
Frau Kollegin, meiner Antwort konnten Sie nicht entnehmen, dass nach unserer Einschätzung die Motivation
der Reservisten verloren geht, die wir nach wie vor brauchen. Wir sind auf das Fachwissen von Reservistinnen
und Reservisten im Bedarfsfall angewiesen. Sie können
davon ausgehen, dass wir nichts tun, was die Motivation
verringern würde.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, werden Sie sich bei der Änderung
der Strukturen des Reservistenkonzeptes, das auch einen
zeitnahen Einsatz von Reservisten im Katastrophenfall
möglich machen würde, der Erfahrungen bedienen, die
die Reservisten gemacht haben, und in Gesprächen mit
ihnen gemeinsam ein Konzept erarbeiten?
Selbstverständlich. Wir werden das mit dem Herrn
Präsidenten des Reservistenverbandes, dem neben Ihnen
sitzenden Herrn Beck, und Herrn Höfer besprechen. Sie
sind die ständigen Gesprächspartner, wenn es darum
geht, die Motivation der Reservistinnen und Reservisten
zu verbessern und sie in der Politik der Bundesregierung
zu berücksichtigen.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Ursula Lietz auf:
Ist beabsichtigt, den Katastrophenschutz bzw. die Lazarettorganisation aus dem Verantwortungsbereich des BMVg
in den Verantwortungsbereich des Bundesministers des Innern
zu verlagern bzw. dort die derzeit auf verschiedene Verantwortungsbereiche verteilten Kompetenzen zu bündeln?
Frau Kollegin Lietz, grundsätzlich stehen alle Kräfte
und Mittel der Bundeswehr nach dem Subsidiaritätsprinzip des Art. 35 des Grundgesetzes auch für die Hilfeleistungen im Katastrophenfall zur Verfügung; das hat sich
in der Vergangenheit schon bewiesen. Die Zuständigkeit
für den Katastrophenschutz obliegt jedoch den Innenministerien der Länder, wohingegen der Bundesinnenminister die Verantwortung für den Zivilschutz trägt.
Katastrophenschutz: Sache der Länder, Zivilschutz: Sache des Bundesinnenministers. Ein Übertrag der bisherigen Reservelazarettorganisation als Strukturelement der
konventionellen Landesverteidigung auf ein anderes
Ressort wird nicht erwogen.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, in welcher Form werden Sie eingelagertes technisches Gerät, von dem Sie gerade selber
gesagt haben, dass es aus den 70er- und 80er-Jahren
stammt, vor dem Hintergrund verkaufen, dass Ihr Kollege Staatssekretär Kolbow gesagt hat, dass er beachtliche Einnahmen durch marktübliche Preise beim Verkauf dieses technischen Geräts erwartet?
Es geht hier um medizintechnisches Gerät, nicht um
technisches Gerät. Wenn man einen Lastwagen verkauft,
ist es eher möglich, marktübliche Preise zu erzielen, als
wenn man einen Röntgenapparat verkauft, der 30 oder
40 Jahre alt ist und nicht mehr dem neuesten technischen
Stand entspricht.
Ich gehe davon aus, dass wir das so wie immer handhaben und das Gerät im Rahmen der Ausstattungshilfe
an Länder, die diese Technik als modern in ihrem
Bereich ansehen - beispielsweise Länder in Afrika -, abgeben. Das fällt allerdings in die Zuständigkeit des
Ministers des Auswärtigen, nicht in die des Verteidigungsministers. Wir stellen nur bei. Auch könnte ich mir
vorstellen, dass wir das Gerät kostenlos abgeben. Medizinisches Gerät, das 30 Jahre alt ist, kann auf dem Markt
nicht verkauft werden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir als Vorabinformation zu dem zu entwickelnden Konzept sagen, ob Sie in
Zukunft auch Reservisten in den Einsatzorten einsetzen
werden oder ob Sie diese ausschließlich zum Ersatz von
Soldaten, die in den Einsatz gehen, in den Bundeswehrkrankenhäusern einsetzen?
Wenn sich Soldaten freiwillig für den Einsatz in einem Einsatzgebiet melden, dann wird man auf sie zurückgreifen, vor allem auf medizinisches Personal, das
Sie angesprochen haben. Denn dort ist Bedarf. Sie haben
die Diskussion über die Situation der Ausbildung in den
Bundeswehrkrankenhäusern im Zusammenhang mit
dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch mit geführt. Die
starre Haltung aller Bundesländer - da ist keines besser
als das andere -, uns nicht in die Krankenhausbedarfspläne aufzunehmen, führt dazu, dass wir in verstärktem
Maße Reservisten, soweit sie das freiwillig tun, in den
Einsatzgebieten einsetzen müssen.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Christian Schmidt
auf:
Wie ist die geplante Auflösung der Reservelazarettorganisation mit der Einschätzung der gegenwärtigen Bedrohungslage durch das BMVg in Einklang zu bringen, insbesondere
im Hinblick auf die Bewältigung der Folgen möglicher terroristischer Anschläge auch im Inland?
Herr Kollege Schmidt, die Reservelazarettorganisation der Bundeswehr war als Behandlungsreserve des
Sanitätsdienstes für den Fall der Landesverteidigung
aufgestellt worden. Als nicht aktive Struktur bedarf sie
der zeitintensiven allgemeinen Mobilmachung, das heißt
der Einberufung von Reservisten, um einsatzfähig zu
werden. Deshalb beinhaltet ihr Auftrag keine Aufgaben
im Bereich des Katastrophenschutzes, da die hierfür erforderliche rasche Reaktionsfähigkeit nicht gewährleistet ist. So haben bislang, wie im Fall des Elbe-Hochwassers, ausschließlich aktive Einheiten der Bundeswehr
Katastrophenhilfe in Deutschland geleistet.
Schnelle Unterstützung im Falle eines terroristischen
Madrid-Szenarios kann keinesfalls durch ein Reservelazarett geleistet werden, da weder Personal noch Material
auf Abruf zur Verfügung stehen. Die Lazarette eignen
sich nur für die sanitätsdienstliche Unterstützung der
Verteidigung an den Grenzen Deutschlands, für die eine
ausreichend lange Vorwarnzeit gewährleistet ist. Da für
einen solchen Fall aber absehbar keine konkrete Bedrohung erkennbar ist, ist die Reservelazarettorganisation
im heutigen sicherheitspolitischen Umfeld nicht mehr
erforderlich.
Um der gestiegenen asymmetrischen Bedrohung
durch den terroristischen Gebrauch von Massenvernichtungswaffen begegnen zu können, werden hingegen andere, flexiblere Strukturen benötigt. Dazu wird zum
einen auf mobile aktive Einheiten und Verbände des zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr zurückgegriffen,
die nicht im Einsatz gebunden sind. Darüber hinaus wird
die neue Reservistenkonzeption des Sanitätsdienstes
auch einen verbesserten Beitrag des qualifizierten medizinischen Fachpersonals der Reserve zum Katastrophenschutz gewährleisten. Hierbei handelt es sich vor allem
um fachärztliche Komponenten, die das zivile Gesundheitswesen bei einem Massenanfall von Verletzten gezielt im Sinne einer örtlichen Schwerpunktbildung verstärken können. Diese sollen künftig über die
erforderliche rasche und flexible Reaktionsfähigkeit verfügen. Neben diesen so genannten „Verstärkungsgruppen Klinik“ sind weitere Module geplant, die beispielsweise als verbundene Verteilerorganisation oder als
„Verstärkungsgruppe Rettungsmedizin“ bedarfsgerecht
vor allem innerhalb Deutschlands zum Einsatz kommen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie stehen und ich stehe. Sie hatten intendiert, die Dinge zum Sitzen kommen zu lassen.
Sitzt denn bei der Bundesregierung die in den Verteidigungspolitischen Richtlinien angesprochene Erarbeitung
einer nationalen Sicherheitskonzeption und sehen Sie im
Zusammenhang solch einer wohl ressortübergreifenden
nationalen Sicherheitskonzeption die Möglichkeit bzw.
Notwendigkeit, Elemente der Reservelazarettorganisation in zukünftige neue Strukturen - auch in Absprache
mit dem BMI bzw. den Innenministern der Länder - zu
überführen?
Selbstverständlich werden in solchen Diskussionen
alle Möglichkeiten einbezogen, auch wenn die von Ihnen angesprochene Konzeption für die Bundeswehr selber nicht mehr notwendig ist. Es könnte durchaus sein,
dass der Bundesminister des Inneren und die Innenminister der Länder auf die Bundeswehr bzw. auf den
Bundesverteidigungsminister zukommen und ein Interesse an der Übernahme von Elementen der Reservelazarettorganisation in eine Konzeption bekunden, die die
Länder und der Bundesinnenminister noch erarbeiten
müssten. Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Konzeption bereits vorliegt.
Gibt es dafür einen Zeitplan?
Nein. Wir beabsichtigen, dass bis Ende dieses Jahres
alle Fragen vonseiten unseres Ministeriums geklärt werden. Das gilt, wie Sie wissen, auch für die Standortentscheidungen, die bis Ende des Jahres getroffen werden
sollen, damit wir möglichst rasch die Bundeswehrreform
2010 angehen können, um die Ruhe in der Truppe wiederherzustellen. Denn durch die vielen Reformschritte
der letzten Jahre - man kann schon sagen: Jahrzehnte ist die Unruhe ziemlich groß geworden.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Christian Schmidt
auf:
Ist es zutreffend, dass durch das BMVg interne Kritiker
des Konzeptes der Reservelazarettorganisation von ihren
Funktionen entbunden bzw. Druck auf sie ausgeübt wurde,
und, falls ja, wie oft ist dies in ähnlich gelagerten Fällen vorgekommen?
Herr Kollege Schmidt, die Entbindung von Soldatinnen und Soldaten von ihren Funktionen aus Anlass interner kritischer Äußerungen zur vorgesehenen Auflösung
der Reservelazarettorganisation ist nicht erfolgt. Ebenso
wenig wurde Druck zur Unterdrückung kritischer Äußerungen zum neuen Reservistenkonzept des Sanitätsdienstes ausgeübt.
Ein derzeit noch schwebendes Verfahren zur Ausplanung eines Sanitätsoffiziers der Reserve aus seiner aktuellen Mob-Verwendung als Referatsleiter im Führungsstab des Sanitätsdienstes ist nicht als Reaktion etwa auf
interne Kritik an der künftigen Konzeption der Reservistenstrukturen des zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr zu verstehen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Ist es zutreffend, Herr Staatssekretär, dass der stellvertretende Inspekteur San aber gerade mit dieser Begründung die Untragbarkeit der Verwendung des Reserveoffiziers in seiner bisherigen Ausplanung begründet
hat?
Mir ist nur bekannt, dass der Reserveoffizier als Einziger in der Gruppe, die sich damit befasst hat, eine andere Meinung zu der Konzeption vertreten hat. Sie wissen, dass sich derjenige, der nicht mit ganzem Herzen
hinter einer Konzeption steht, fragen lassen muss, ob er
die richtige Position innehat. Das ist der Hintergrund der
derzeit stattfindenden Untersuchung.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Kann ich Ihrer Antwort entnehmen, dass es Politik
und Prinzip des Bundesverteidigungsministeriums bzw.
des Ministers sind, diejenigen, die anderer Meinung
sind, auszuplanen?
Nein, das wäre eine falsche Interpretation. Sie kennen
Herrn Minister Dr. Struck, der sehr offen ist. Er pflegt
auch gegenüber den Obleuten der Opposition eine offene
Sprache und hält mit seiner Meinung nicht hinter dem
Berg. Ihre Vermutung ist völlig unzutreffend.
Ich schließe diesen Geschäftsbereich. Vielen Dank für
die Beantwortung der Fragen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung auf. Die Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Marion Caspers-Merk.
Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Ina Lenke auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Meldungen des
Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und der Katholischen
Arbeitsgemeinschaft für Müttergenesung - 29. April 2004:
www.gesundheit.de/static/news/040404082147.1c5ksrrl.shtml -,
dass infolge des Wegfalls der generellen Härtefallregelung im
Rahmen der Gesundheitsreform 2004 die Belegung der Mütterkurhäuser um bis zu 50 Prozent zurückgegangen ist?
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Lenke, Sie fragen
nach der Situation der Mutter-Kind-Kuren und nach den
aktuellen Zahlen. Der Bundesregierung liegen derzeit
aus der Statistik der gesetzlichen Krankenversicherung
für das Jahr 2004 noch keine Zahlen vor, die die Pressemeldungen, auf die Sie sich berufen, bestätigen könnten.
Es trifft zu, dass nach den Neuregelungen des GKVModernisierungsgesetzes eine generelle Befreiung von
Zuzahlungen nicht mehr möglich ist. Im Unterschied zu
früherem Recht werden allerdings jetzt Zuzahlungen
auch zu Leistungen in Mütterkurhäusern bei der Berechnung der Belastungsgrenze berücksichtigt, sodass niemand unzumutbar belastet wird. Im Unterschied zur früheren Rechtslage gehen die Zuzahlungen bei Kuren in
die Berechnung der allgemeinen Belastungsgrenze von
2 Prozent, bei chronisch Kranken von 1 Prozent ein. Die
Bundesregierung geht davon aus, dass diese Regelungen
dazu beitragen werden, dass künftig wieder mehr Anträge auf Mutter- bzw. Vater-Kind-Leistungen gestellt
werden.
Ich will dazu noch anfügen, dass zu diesem Sachverhalt zwei Gespräche stattgefunden haben. In einem dieser Gespräche, die im federführenden Ressort, dem
BMGS, durchgeführt wurden, haben wir bei den Spitzenverbänden der Krankenkassen nachgefragt, worauf
der Rückgang der Anträge und der Bewilligungen zurückzuführen sei. Uns wurde mitgeteilt, dass derzeit
keine statistischen Angaben der GKV darüber vorlägen,
dass die Bewilligungen zögerlich erfolgten. Auch habe
sich die Bewilligungspraxis nicht verändert.
Wir haben daraufhin noch einmal beispielsweise mit
Vertreterinnen des Müttergenesungswerkes gesprochen
und darum gebeten, uns ihr statistisches Material zur
Verfügung zu stellen. Wir haben außerdem in einem Gespräch mit Vertretern der gesetzlichen Krankenkassen
darauf gedrungen, dass die Ablehnungsgründe transparent gemacht werden und dass auch uns gegenüber
Rechenschaft abgelegt wird, ob es vielleicht unterschiedliche Bewilligungspraxen der Krankenkassen im
Einzelfall gibt.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, das Müttergenesungswerk hat
tagtäglich mit dem Problem zu tun, dass Mütter, die eine
Mütterkur beantragt haben, eine Ablehnung von ihrer
Krankenkasse erhalten. Das mag sich nicht in der Statistik niederschlagen. Aber ich meine aus Ihren Worten herausgehört zu haben, dass auch Sie einen Rückgang bei
den Mütterkuren eingeräumt haben.
Meine Frage ist: Es geht ja um einkommensschwache
Frauen, die aufgrund ihrer Familientätigkeit oder aus gesundheitlichen Gründen ihren Aufgaben nur eingeschränkt nachkommen können. Gerade wir Frauen im
Deutschen Bundestag wollen diese Frauen unterstützen,
damit sie wieder gesunden. Wenn aber das Müttergenesungswerk Recht hätte, dass die Zahl der Mutterkuren
um 50 Prozent rückläufig ist: Welche Maßnahmen
könnte die Bundesregierung einleiten, um die Zahl der
Kuren wieder auf einen höheren Level zu bringen?
Frau Kollegin, ich möchte noch einmal festhalten: Es
war das Bestreben insbesondere unseres Ministeriums,
den gesetzlichen Anspruch auf Mutter-Kind-Kuren zu
bestätigen und dafür zu sorgen, dass nicht mehr die eine
Krankenkasse diese Kuren bewilligt, während sich eine
andere ihrer Verantwortung entzieht. Der Gesetzgeber
hat eine entsprechende gesetzlich Änderung vorgenommen und so dazu beigetragen, dass es die Mutter-KindKuren bei allen Krankenkassen wieder als Regelleistung
gibt.
Auch uns ist berichtet worden, dass die Zahlen faktisch zurückgegangen sind. Auf der einen Seite kann natürlich die Zahl der Anträge zurückgegangen sein. Auf
der anderen Seite ist es möglich, dass die Bewilligungspraxis unterschiedlich restriktiv ist. Aus diesem Grund
haben wir das Müttergenesungswerk um die entsprechenden statistischen Zahlen gebeten und in einem Gespräch mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen
- federführend ist der Verband der Angestelltenkrankenkassen, VdAK - darauf gedrungen, uns darüber Bericht
zu erstatten, wie die Bewilligungspraxis faktisch aussieht. Wir haben darüber hinaus gefordert, transparent zu
machen, ob zum Beispiel der soziale Hintergrund der
Antragstellerinnen ausreichend berücksichtigt wird. Da
dies schon in die Beantwortung Ihrer nächsten schriftlich
eingereichten Frage fällt, möchte ich darauf erst näher
eingehen, wenn sie aufgerufen wird.
Frau Lenke, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Diese möchte ich auch gerne stellen. - Frau Staatssekretärin, Sie haben zwei Gründe für den Rückgang genannt. Es könnte zum einen an den Krankenkassen und
zum anderen am sozialen Umfeld der Frauen liegen. Ich
vermute, dass der Wegfall der Härtefallregelung ein negatives Signal für die betroffenen Frauen gesetzt hat. Sie
haben auch gesagt, die Frauen würden nicht mehr von
Zuzahlungen ausgeschlossen. Soweit ich mich erinnern
kann, dauert eine Kur drei - das ist der Normalfall - bis
vier Wochen. Dabei ist zu bedenken, dass die Frauen
nicht alleine, sondern mit ihren Kindern die Kur antreten. Liegen die Gründe vielleicht darin, dass das Geld für
die Zuzahlungen von den betroffenen Familien zum Beispiel aufgrund von Arbeitslosigkeit - auch wenn die Beträge, um die es geht, in unseren Augen gering sein mögen - nicht aufgebracht werden kann? Wenn dem so
wäre, könnten Sie sich vorstellen, dass die Bundesregierung den Wegfall der Härtefallregelung noch einmal
überprüft?
Wir haben gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion im
Bundestag bei den Beratungen über den Entwurf eines
GKV-Modernisierungsgesetzes vereinbart, keine Ausnahmen bei den Zuzahlungsregelungen zuzulassen, dafür aber eine Belastungsgrenze von 2 Prozent festzulegen. Auch die Zuzahlungen zu Kuren fallen - das ist
neu - unter diese Belastungsgrenze. Sie werden also bei
der Gesamtbelastung einer Familie berücksichtigt.
Hinzu kommt, dass wir im Hinblick auf die Zuzahlungen auch eine Kinderkomponente verabschiedet haben.
Das heißt, ein Alleinstehender, der bis zu einer Grenze
von 2 Prozent belastet wird, ist schlechter gestellt als jemand mit demselben Jahreseinkommen, der mehrere
Kinder hat. Bei Letzterem wird nämlich pro Kind ein bestimmter Betrag von der Belastungsgrenze abgezogen.
Damit haben wir eine familienfreundliche Komponente
bei den Zuzahlungen geschaffen.
Wir müssen hier mutmaßen, weil wir die tatsächliche
Situation noch nicht ausreichend kennen. Es könnte sein,
dass die neue Struktur der Zuzahlungen vielen Müttern
noch nicht klar ist. Das könnte ein Grund für den Trend
sein, dass Mütter für sich und ihre Kinder in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nur zögerlich einen wichtigen
Kuraufenthalt wahrnehmen, der zur Verbesserung der
gesundheitlichen Situation der Mutter und zur Stabilisierung der Familie beitragen soll.
Ich rufe die Frage 12 der Kollegin Ina Lenke auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Meldung des Müttergenesungswerkes - Quelle: Papier des Müttergenesungswerks, Titel: „Hürden für Mütter im Antrags- und Bewilligungsverfahren bei stationären Maßnahmen nach §§ 24 und
41 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch“ -, dass Krankenkassen
zur Umsetzung kurzfristiger Sparziele die Genehmigungshürden bei der Beantragung von Mütterkuren verschärfen, immer
häufiger die Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers
unterstellen und die Ablehnungsquoten bei Anträgen auf Mütterkuren regional variieren?
Liebe Kollegin, Änderungen hinsichtlich der Zugangsvoraussetzungen für die in Rede stehenden Leistungen wurden seitens der Krankenkassen bzw. der Spitzenverbände der Krankenkassen nicht vorgenommen.
Bei der Beurteilung der Notwendigkeit medizinischer
Vorsorge- und von Rehabilitationsleistungen spielen neben den medizinischen Befunden auch die Kontextfaktoren eine Rolle. Häufig werden Angaben zu dem gesamten Lebenshintergrund weder von dem verordnenden
Arzt noch von der Antragstellerin oder der jeweiligen
Beratungsstelle an die Krankenkasse weitergegeben.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen prüfen derzeit, ob und in welchem Umfang im Rahmen eines Antragsvordrucks Angaben zum Lebenshintergrund der
Antragsteller abgefragt werden können, um bereits bei
der ersten Beurteilung des Antrags alle relevanten Faktoren berücksichtigen zu können.
Offenbar werden Anträge oft abgelehnt, weil der medizinische Dienst eine rein medizinische Beurteilung des
Falls vornimmt. Wenn man aber weiß, in welcher Lebenssituation sich eine Mutter befindet - in einer Trennungssituation, in einer schwierigen beruflichen oder familiären Situation -, dann kommt man eventuell zu einer
anderen Beurteilung der Notwendigkeit einer Kur. Es
geht also darum, das Lebensumfeld einer Mutter bereits
bei der Antragstellung zu berücksichtigen statt Ablehnnungsbescheide zu erteilen, die hinterher revidiert werden. Deswegen soll jetzt ein neuer Erhebungsbogen dafür sorgen, dass die Zahl der Ablehnungen zurückgeht.
Ich glaube, das ist in Ihrem und in unserem Sinne.
Frau Kollegin, Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Meine Frage betrifft das Zusammenspiel der Rentenversicherungsträger und der Krankenkassen. Welche
Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um die
laut Müttergenesungswerk zunehmenden Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern hinsichtlich ihrer Leistungspflicht
zu unterbinden, damit verhindert wird, dass die Zuständigkeitsstreitigkeiten auf dem Rücken der Mütter ausgetragen werden?
In der Regel ist eindeutig, welcher Sozialversicherungszweig für welche Bereiche zuständig ist. Wir haben
in Deutschland allerdings ein gewachsenes Sozialversicherungssystem mit komplizierten Strukturen. Das darf
sich aber nicht zum Nachteil für die antragstellenden
Mütter auswirken. Wenn es Einzelfälle gibt, dann soll
man sie uns nennen und dann werden wir ihnen nachgehen. Das haben wir dem Müttergenesungswerk in einem
Gespräch zugesagt.
Ich habe Ihnen von einem Gespräch berichtet, das
Staatssekretär Dr. Schröder geführt hat. Auch das
BMFSFJ ist mit dem Müttergenesungswerk, das es jährlich zum Beispiel über Baukostenzuschüsse fördert, in
Kontakt. Es führt Gespräche, um die Situation zu verbessern.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ich gehöre dem Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend an. Müttergenesungskuren sind ein ganz wichtiger Bestandteil auch unserer politischen Arbeit. Für Ihr Ministerium ist ein anderer Ausschuss zuständig. Wären Sie so freundlich,
über die Staatssekretärin, Frau Riemann-Hanewinckel,
das Ergebnis Ihrer Gespräche auch unserem Ausschuss
zur Kenntnis zu geben?
Selbstverständlich. Das ist auch bei uns gute Praxis.
So fand beispielsweise ein Gespräch im Ministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend statt, zu dem wir
hinzugezogen worden sind, weil das BMGS für den Bereich Kuren und Reha zuständig ist. Generell findet zwischen den Ressorts eine enge Abstimmung statt. Wir
sind gerne bereit, auch Ihrem Fachausschuss die nötigen
Gesprächsunterlagen zur Verfügung zu stellen.
({0})
Die Fragen 13 und 14 des Kollegen Jens Spahn werden ebenso wie die Fragen 15 und 16 der Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Die
Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Dr. Christoph
Bergner auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den bisherigen Stand
der Realisierung des Verkehrsprojektes „Deutsche Einheit“
Nr. 8, Bahnstrecke Halle-Sangerhausen-Kassel?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Dr. Bergner, das
Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ Nr. 6, Eichenberg-Halle, wurde durchgehend zweigleisig für eine
Streckengeschwindigkeit von 120 Kilometern pro
Stunde ausgebaut, einschließlich Elektrifizierung. Die
Inbetriebnahme erfolgte zum Fahrplanwechsel Ende
Mai 1994. Damit ist dieses Vorhaben als erstes Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ fertig gestellt worden.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, angesichts noch bestehender
Engpässe auf diesem Streckenabschnitt - ich erinnere
nur an den Knotenpunkt Sangerhausen; Ihnen als Thüringerin wird auch die Strecke Riestedt-Blankenheim,
auf der Geschwindigkeiten erreicht werden, die weit unter der von Ihnen angegebenen Geschwindigkeit liegen,
nicht ganz fremd sein - möchte ich Sie fragen, ob Sie
das Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ Nr. 6 im Sinne
des ursprünglichen Ausbauziels tatsächlich als erledigt
betrachten.
Herr Dr. Bergner, im Bundesverkehrswegeplan sind
der Engpass bei Sangerhausen, den Sie angesprochen
haben, aber auch eine Verbindungskurve zwischen Mönchehof und Speele im weiteren Bedarf eingeplant. Worauf Sie abheben, sind die Langsamfahrstellen auf der
Strecke. Das gehört nicht zum Bereich der Neubaumaßnahme, sondern zum Bereich der Bestandsnetzinvestitionen nach dem Schienenwegeausbaugesetz. Uns ist auch
vom Land Sachsen-Anhalt mitgeteilt worden, dass diese
Langsamfahrstellen bestehen. Aber es liegt nicht in unserer Verantwortung, sondern in der Eigenverantwortung
der DB AG, diese Langsamfahrstellen zu beseitigen.
Man kann daran erkennen, Herr Abgeordneter, wie
wichtig es ist, dass wir die Bundesmittel für die Bestandsnetzinvestitionen auf hohem Niveau halten. Sie
betragen derzeit rund 2,5 Milliarden Euro.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wir beide, so vermute ich, haben mit der Formulierung der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ bestimmte Hoffnungen verbunden. Mit
dem Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ Nr. 6 haben wir
die Hoffnung verbunden, dass es tatsächlich zu einer
Ertüchtigung der Strecke kommt, sodass die Richtgeschwindigkeit erreicht werden kann, die Sie genannt haben; ich habe sogar noch eine höhere Richtgeschwindigkeit in Erinnerung.
Wir stellen jetzt fest, dass dieses Verkehrsprojekt
„Deutsche Einheit“ von Ihnen als abgeschlossen betrachtet wird, obwohl die Ausbauziele, die mit der Formulierung dieses Verkehrsprojektes verbunden worden
waren, nicht erreicht worden sind, und auf ganz andere
Planungsvorgänge und Entwicklungen verwiesen wird.
Als jemand, der aus einem Bundesland kommt, das an
das Bundesland angrenzt, in dem dieses Verkehrsprojekt
liegt, will ich Sie einfach einmal fragen: Kann Sie dieser
Zustand zufrieden stellen?
Herr Kollege Dr. Bergner, die Verkehrsprojekte
„Deutsche Einheit“ sind definiert worden. So wie sie
vom Gesetzgeber definiert und beschlossen worden sind,
werden sie auch abgearbeitet. Das ist beim Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ Nr. 6 geschehen. Das ist damit
abgeschlossen.
Gleichwohl steht außer Frage, dass es Situationen gibt,
in denen weitere Ausbaumaßnahmen erforderlich werden. Da gibt es etwa die Maßnahmen, die jetzt im Bundesverkehrswegeplan im weiteren Bedarf enthalten sind.
Sie sind sozusagen als neue Maßnahmen abzuarbeiten.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Klaus Haupt auf:
Wie bewertet die Bundesregierung angesichts der wiederholten Bekenntnisse zum Vorrang der Ost-West-Eisenbahnkorridore im Zusammenhang mit der Osterweiterung der EU - beispielsweise durch den Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen, Dr. Manfred Stolpe, und den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, auf dem
Parlamentarischen Abend am 28. Januar 2004 - die Planungseinstellung für den Ausbau der Niederschlesischen Magistrale
- das ist die Bahnstrecke Hoyerswerda-Horka- Grenze zu
Polen - und wie rechtfertigt sie diese Planungseinstellung angesichts der erheblichen Vorleistungen auf polnischer Seite, die
dort eine Inbetriebnahme im Jahre 2007 ermöglichen?
Kollege Haupt, für die folgenden Jahre zwingen insbesondere die Einsparauflagen aus der Umsetzung der
Koch/Steinbrück-Vorschläge zu einer strengen Priorisierung der Vorhaben und zu einem flexiblen Einsatz der
verfügbaren Haushaltsmittel. Dies gilt auch für den Ausbau der Strecke Hoyerswerda-Horka-Grenze Deutschland/Polen. Die Priorisierung ist noch nicht ganz abgeschlossen. Die Bundesregierung geht aber davon aus,
dass die Planungen im erforderlichen Umfang fortgesetzt werden, insbesondere zur Erlangung des Baurechts.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, es handelt sich hierbei ja nicht
um irgendeine Eisenbahnstrecke, sondern, wie Sie als
Fachfrau wissen, gerade angesichts der EU-Osterweiterung um eine der bedeutendsten Ost-West-Tangenten.
Auch die Verantwortlichen - der zuständige Minister
und Herr Mehdorn als Zuständiger für die Bahn - bekunden überall, dass angesichts der EU-Osterweiterung der
Streckenausbau von immenser Bedeutung ist. Wie wollen Sie den politischen Schaden minimieren, der dann
entsteht, wenn die Polen eifrigst bauen, auch unterstützt
mit EU-Mitteln, 2007 ihre Strecke bis zur Oder zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert haben, wir aber nach
dem jetzt erfolgten Abbruch der Planungen erst 2016,
das heißt neun Jahre später als geplant, den Anschluss
schaffen? Das wäre eine grenzenlose Blamage. Wie bewerten Sie aus Ihrer Sicht den Verlust der Glaubwürdigkeit und diese Diskrepanz zwischen Wort und Tat?
Herr Kollege Haupt, ich sprach nicht von einem Abbruch der Planungen, sondern im Gegensatz dazu sprach
ich davon, dass wir davon ausgehen, dass die Planungen
fortgesetzt werden. Sie machen mir jetzt eine Antwort
ein wenig schwer, weil es darin eigentlich auch um den
Inhalt Ihrer zweiten Frage ginge. Ich versuche diese
Frage jetzt, ohne vorzugreifen, zu beantworten.
Herr Kollege Haupt, es ist so, dass die Planungen an
dieser Stelle nicht ganz unkritisch sind. In diesem Gebiet
haben wir es mit Biosphärenreservaten und durch Bergbau hervorgerufene Setzungen zu tun. Insofern müssen
die Planungen weitergeführt werden. Da sie nicht ganz
unproblematisch sind, ist damit zu rechnen, dass sie einen längeren Zeitraum einnehmen. Deshalb gehen wir
davon aus, dass die Planungen weitergehen.
Also kann ich Ihrer Antwort entnehmen, dass die Aussage, die Planungen seien eingestellt worden - dieser Eindruck ist ja vor Ort schon entstanden -, von Ihnen jetzt zurückgenommen wurde und die Planungen weitergehen?
Ich habe da nichts zurückzunehmen, Herr Kollege
Haupt. Es ist ganz einfach so, dass wir davon ausgehen,
dass die Planungen weitergeführt werden. Sie wissen,
dass nicht wir, sondern die DB AG die Planungen durchführt. Insofern kann ich nur davon ausgehen, dass es
weitergeht.
Ich weise Sie noch einmal darauf hin, dass wir mit der
Umsetzung der Koch/Steinbrück-Vorschläge sparsam
mit den Haushaltsmitteln umgehen müssen. Deshalb
müssen wir mit der DB AG über die Priorisierung der
Mittel sprechen, also darüber, welche Maßnahmen mit
dem zur Verfügung stehenden Geld weitergeführt werden. Wir befinden uns mitten in den Gesprächen mit der
DB AG. Ich sage aber noch einmal: Die Planungen - davon gehe ich aus - laufen weiter.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Klaus Haupt auf:
Hält die Bundesregierung eine Einsparung von Gesamtkosten für den Streckenausbau im Abschnitt Knappenrode-Horka-Grenze zu Polen in Höhe von circa 300 Millionen Euro angesichts der zu erwartenden Kosten für den
Abbruch der Planungen von circa 240 Millionen Euro - Schadenersatzforderungen, verlorene Planung, Schaden in der DBUnternehmensplanung und Erhaltungskosten - für sinnvoll
und wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung, dass
mit der Planungseinstellung die Strecke frühestens 2016, also
erst neun Jahre nach dem polnischen Gegenstück, fertig ist?
Herr Kollege Haupt, die zu erwartenden Kosten für
einen Abbruch der Planungen von circa 240 Millionen
Euro sind für die Bundesregierung nicht nachvollziehbar. Wegen der gegebenen komplizierten Bedingungen,
wie unter anderem Biosphärenreservat und Vogelschutzgebiet, wird allerdings das Baurecht nicht wesentlich vor
2008 vorliegen. Bei einer voraussichtlichen Bauzeit von
circa zweieinhalb Jahren würde die Inbetriebnahme im
Jahre 2010/11 möglich sein und damit keinesfalls neun
Jahre nach der voraussichtlichen Fertigstellung des polnischen Abschnitts.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie machen es mir einfach und
trotzdem schwer, einfach insofern, als Sie jetzt in Ihrer
Antwort - das begrüße ich - eindeutig beim alten Zeitplan bleiben. Sie reden von einem Baubeginn im Jahre
2008 und einer Inbetriebnahme im Jahre 2010. Das verwundert mich jedoch sehr. Ich würde die Frage doch
nicht stellen, wenn nicht alle Alarmzeichen in meiner
Region auf Dunkelrot stünden, weil jedem klar ist, dass
mit einem Abbruch der Planungen ein immenser Schaden für die Region entstehen würde. Das würde bedeuten, dass die Planungen erst nach 2008 fortgesetzt würden und die Inbetriebnahme erst 2016 erfolgen würde.
Ich ergreife hier ganz bewusst die Möglichkeit, nachzufragen: Sie gehen davon aus, dass die Planungen 2008
beendet sind und die Inbetriebnahme 2010 erfolgt wie
bisher vorgesehen?
Herr Haupt, wenn Sie mich so verstanden hätten, dass
bis 2008 keine weitere Planung erfolgt, dann wäre das
wirklich ein Missverständnis. Wir gehen davon aus, dass
weiter geplant wird. Ich habe darauf hingewiesen, dass
sich die Planungen aufgrund der Ausweisung von Vogelschutzgebieten und Biosphärenreservaten, aber auch wegen des Baugrundes - wir haben es dort mit Setzungen aufgrund des Bergbaus zu tun; das ist alles nicht ganz einfach
- ein Stück weit hinziehen werden, bis wir Baurecht erhalten. Das sind Erfahrungswerte, die ich hier genannt habe.
Demnach wird sich die Zeitspanne, bis wir Baurecht erhalten, realistischerweise bis 2008 ausdehnen. Dann geht es
um die Frage der Finanzierung und des Weiterbaus. Die
Bauzeit wird ungefähr zweieinhalb Jahre betragen. So sind
die Jahreszahlen zu sehen, die ich genannt habe.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Ich nehme die mündlichen Ausführungen jetzt so hin
und bekomme sie ja auch noch schwarz auf weiß. Ich
verzichte damit auf die zweite Zusatzfrage.
Wenn Sie keine weitere Frage mehr haben, Herr Kollege, dann schließe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf. Die Fragen beantwortet Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Simone Probst.
Die Frage 20 der Kollegin Gitta Connemann wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Franz Obermeier
auf:
Mit welchem Geheimhaltungsgrad wurde die Studie der
Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, GRS, in
Köln über die Sicherheit der Kernkraftreaktoren in Deutschland als Verschlusssache, VS, eingestuft?
Sehr geehrter Herr Kollege Obermeier, das Gutachten
der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit
wurde nach § 4 Abs. 2 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes in Verbindung mit § 7 der Verschlusssachenanweisung als VS-Vertraulich eingestuft.
Ihre Zusatzfragen.
Frau Staatssekretärin, haben Sie in Ihrem Ministerium
Erfahrungen mit als Verschlusssache eingestuften
Schriftstücken in der Hinsicht, dass, wie es hier der Fall
war, solche Schriftstücke an die Öffentlichkeit geraten
sind?
Wir tun alles dafür, dass die Geheimhaltungsvorschriften der Bundesregierung eingehalten werden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ist es in Ihrem Haus schon vorgekommen, dass als geheim eingestufte Schriftstücke an die Öffentlichkeit geraten sind?
Wir haben in dem Fall, nach dem Sie fragen, bisher
keine Hinweise, wie es dazu gekommen ist, dass dieses
Schriftstück an die Öffentlichkeit gelangt ist. Sie können
sicher sein, dass bei Verschlusssachen, die als VS-Vertraulich eingestuft sind, alle Vorschriften eingehalten
werden.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Franz Obermeier
auf:
Mit welchem Geheimhaltungsgrad wurde eine dazu im
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, erstellte Kurzfassung als VS eingestuft?
Die so genannte Kurzfassung, die Sie ansprechen,
wurde ebenfalls mit dem Geheimhaltungsgrad VS-Vertraulich eingestuft.
Ihre Zusatzfragen.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie meine beiden Zusatzfragen zu der letzten Frage nicht beantwortet haben,
stelle ich Ihnen noch einmal die Frage: Ist es in Ihrem
Hause vorgekommen, dass als geheim eingestufte
Schriftstücke an die Öffentlichkeit geraten sind, und wer
hat diese Zusammenfassung in Ihrem Hause auf Übereinstimmung mit dem Gutachten geprüft?
Wenn Sie nach der Übereinstimmung fragen, weise
ich Sie darauf hin, dass ich extra von einer „so genannten Kurzfassung“ gesprochen habe. Die Studie, die sich
mit terroristischen Angriffen und der Verhinderung terroristischer Angriffe auf Kernkraftwerke befasst, ist
eben nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Vielmehr handelt es sich - darauf komme ich noch bei den folgenden
Fragen und das habe ich auch in der Antwort auf Ihre
Kleine Anfrage zum Ausdruck gebracht - bei dem, was
in der Öffentlichkeit kursiert, um eine Information für
die Hausleitung des BMU. Man kann nicht von einer
Übereinstimmung zwischen der Studie und der so genannten Kurzfassung sprechen, weil es sich um zwei
Unterlagen mit verschiedener Zielsetzung handelt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Meinung,
dass die Zusammenfassung mindestens in einem Punkt
sachlich falsch ist und dass die darin enthaltenen
Aussagen mit den Inhalten der Studie nicht übereinstimmen?
Das müssen wir, also die Fachabteilung und ich, weit
von uns weisen. Selbstverständlich hat die Fachabteilung ordentliche Arbeit geleistet und die Hausleitung
sachgerecht informiert.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Georg Girisch auf:
Trifft es zu, dass die Studie der GRS in Köln über die Sicherheit der Kernkraftreaktoren in Deutschland bzw. deren Kurzfassung in den Besitz eines österreichischen Abgeordneten der
Grünen gelangte, und war dieser zur Entgegennahme nach den
entsprechenden Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland
über den Umgang mit Verschlusssachen berechtigt?
Der österreichische Abgeordnete Peter Pilz hat in
München ein fotokopiertes Exemplar der so genannten
Kurzfassung der besagten Studie verteilt. Dieses ist ihm
vom BMU nicht zur Verfügung gestellt worden. Der Abgeordnete war zur Entgegennahme einer VS-Vertraulich
eingestuften Verschlusssache nicht berechtigt.
Ihre Zusatzfragen.
Frau Staatssekretärin, welche Maßnahmen gibt es in
Ihrem Hause, mit denen sichergestellt werden soll, dass
geheime Unterlagen nicht an die Öffentlichkeit kommen?
({0})
Es werden die Geheimhaltungsvorschriften des Bundes eingehalten. Einer Ihrer Kollegen hat diesen Punkt in
einer Frage, die später aufgerufen wird, angesprochen.
Im Vorgriff auf die Beantwortung dieser Frage teile ich
Ihnen mit, dass Bundesminister Jürgen Trittin die Durchführung von amtsinternen Ermittlungen zur Aufklärung
dieses Vorfalls angeordnet hat. Die Untersuchungen sind
noch nicht abgeschlossen.
Können Sie nachvollziehen, welche Angehörigen Ihres Hauses mit der Studie beschäftigt waren?
Selbstverständlich gibt es einen sehr eng begrenzten
Personenkreis, der nach den Richtlinien der Geheimhaltungsvorschriften berechtigt war, in Kenntnis dieser Informationen zu gelangen.
Herr Kollege, eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, ist es richtig, dass sich kurz vor
der Verteilung durch den österreichischen Abgeordneten
der Abgeordnete Trittin mit diesem getroffen hat?
Nein. Ich kann aber nicht ausschließen, dass der Abgeordnete Trittin in den vergangenen Jahren im Rahmen
seiner politischen Tätigkeit schon einmal mit diesem österreichischen Abgeordneten zusammengetroffen ist.
({0})
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Georg Girisch auf:
Wann erhielt der zuständige Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin, Kenntnis
davon, dass der betreffende Abgeordnete in den Besitz dieser
Studie gelangte, und wurde die Studie von einem Faxgerät aus
dem Leitungsbereich des BMU an diesen Abgeordneten übersandt?
Die Vermutung, dass der betreffende Abgeordnete im
Besitz der Studie sein könnte, wurde durch einen Artikel
in der „Süddeutschen Zeitung“ gestützt. Der Bundesumweltminister erhielt davon Kenntnis. Wie der Abgeordnete in den Besitz der Studie gelangte, wird amtsintern ermittelt.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, sind Sie sich sicher, dass diese
Studie nicht von einem Faxgerät aus dem Leitungsbereich Ihres Hauses an den Abgeordneten versendet
worden ist?
Ich habe eben schon ausgeführt, dass der Minister
eine amtsinterne Untersuchung angeordnet hat. Diese
Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. Vor Abschluss der Untersuchung kann ich Ihnen auf Detailfragen keine Auskunft geben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Girisch.
Sind Sie bereit, die Ergebnisse der amtsinternen Untersuchung an den Umweltausschuss weiterzugeben?
Sie wissen, dass es nicht sachgerecht ist, über Zwischenergebnisse eines laufenden Ermittlungsverfahrens
zu informieren. Selbstverständlich können die Abgeordneten und Fraktionen ihr Fragerecht im Umweltausschuss wahrnehmen und die Aufsetzung von Tagesordnungspunkten beantragen.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Obermeier.
Frau Staatssekretärin, könnten Sie uns sagen, welchen
Zeitraum diese hausinterne Untersuchung in Anspruch
nehmen wird, und ist es sinnvoll, dass wir noch vor der
Sommerpause von unserem Fragerecht Gebrauch machen?
Wir sind an einer sehr zügigen Ermittlung interessiert.
Die Frage, die Sie stellen, bewegt sich im Bereich der
Spekulation. Insofern müssten Sie vielleicht mit Abgeordneten unserer Fraktion, mit mir oder unserem Hause
Kontakt aufnehmen, wenn Sie wissen wollen, ob Ihre
Aktivitäten Sinn machen. Ansonsten vertraue ich auf Ihr
politisches Gespür,
({0})
den rechten Zeitpunkt für Fragen im Umweltausschuss
und die Beantragung von Debatten zu finden.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Holger Haibach
auf:
Hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin, eine Untersuchung zur Aufklärung der Veröffentlichung von VS-eingestuften Akten im Zusammenhang mit der GRS-Studie angeordnet und, wenn ja, zu
welchem Ergebnis hat diese Untersuchung bisher geführt?
Herr Haibach, entschuldigen Sie, dass ich diese Frage
schon dem Kollegen Girisch beantworten musste; aber
diese Doppelung muss sein, damit an der richtigen Stelle
im Protokoll eine Antwort steht: Ja, Umweltminister
Jürgen Trittin hat die Durchführung von amtsinternen
Ermittlungen zur Aufklärung des Vorfalls angeordnet.
Diese Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, der Begriff „zeitnah“ lässt
durchaus Raum für Interpretationen. Deswegen würde
ich gerne die Frage des Kollegen Obermeier etwas verdeutlichen. Was versteht Ihr Haus unter dem Begriff
„zeitnah“ im Sinne der jetzt angegangenen Untersuchungen?
Ich habe, wenn ich mich recht erinnere, den Begriff
„zügig“ verwendet.
({0})
Die Beantwortung der Frage, was in einem Ermittlungsverfahren im Hinblick auf ein Ergebnis zeitnah bzw. zügig ist, empfehle ich den juristisch gebildeten Kollegen
Ihrer Fraktion zu überlassen. Ich sage „zügig“; ich bin
Naturwissenschaftlerin. Ich denke, sobald man ein Ergebnis hat, geht man den nächsten Schritt und möchte zu
einem weiteren Ergebnis kommen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Meine zweite Zusatzfrage bezieht sich auf den Zeitraum, der zwischen dem Bekanntwerden der Vorfälle
und der Anordnung der Untersuchung durch den Minister liegt. Wie groß war dieser Zeitraum?
Der Minister hat unmittelbar nach Bekanntwerden der
Öffentlichmachung dieser Information gehandelt und die
amtsinterne Untersuchung angeordnet.
Ich rufe die Frage 26 des Kollegen Holger Haibach
auf:
Welche Arbeitsbereiche im BMU waren von der Untersuchung betroffen und wie viele Personen sind überprüft worden?
Das fällt in die Fragen, die Ihre Kollegen bereits gestellt haben: Einzelheiten zu dieser laufenden Untersuchung können nicht mitgeteilt werden.
Ihre Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wenn Einzelheiten zu einer laufenden Untersuchung nicht bekannt gegeben werden
können - dafür haben wir alle ja Verständnis -, sind Sie
dann bereit, das Endergebnis Ihrer Untersuchungen, sobald es vorliegt, dem Umweltausschuss zur Verfügung
zu stellen?
Ich habe eben schon ausgeführt, dass selbstverständlich alle parlamentarischen Rechte Ihrer Kollegen und
Ihrerseits im Umweltausschuss gewahrt sind und Sie im
Umweltausschuss jederzeit frei sind, das Ministerium zu
bestimmten Tagesordnungspunkten zu befragen. Insofern liegt es in Ihrer Initiative, ob diese Frage beantwortet wird. Wenn Sie dies für sinnvoll halten, beantragen
Sie dies!
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Wir können natürlich in jeder Sitzung des Umweltausschusses davon Gebrauch machen. Meine Frage war
aber gewesen: Sind Sie auch gewillt, Antworten zu geben?
Sofern es keine juristischen Einschränkungen gibt,
anworten wir auf alle Fragen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Frau Staatssekretärin, warum tun Sie sich so schwer
mit der offensichtlichen Selbstverständlichkeit, dem
Parlament Mitteilung zu machen, wenn Ihre Untersuchungen abgeschlossen sind? Wenn Sie tatsächlich ein
Interesse daran haben, die Untersuchungen zu einem Ergebnis zu führen, und sie zügig durchgeführt werden,
dürfte doch kein Problem darin bestehen, das auch dem
Parlament mitzuteilen.
Herr von Klaeden, Sie wissen, dass wir im Umweltausschuss und auch im Parlament aus großem Eigeninteresse vor allem in der Sache gern zu bestimmten Tagesordnungspunkten debattieren. Aber Sie selbst wissen
auch, dass bei amtsinternen Ermittlungen das Dienstrecht und andere juristische Fragen berührt sein können.
Insofern möchte ich nicht etwas zusagen, was hinterher
unter anderem aufgrund des Schutzes von Persönlichkeitsrechten juristisch nicht haltbar ist. Alle Informationen, die ohne Rechtsverstöße herausgegeben werden
können, werden wir dem Ausschuss bzw. dem Parlament
selbstverständlich zugänglich machen.
Ich rufe die Frage 27 der Kollegin Tanja Gönner auf:
In welcher Weise wurde die Untersuchung im BMU wegen Veröffentlichung von VS-eingestuften Akten im Zusammenhang mit der GRS-Studie vorgenommen und mussten
dienstliche Erklärungen abgegeben werden?
Frau Gönner, auch Sie fragen nach Einzelheiten der
laufenden Untersuchung. Ich wiederhole mich ungern;
aber auch dazu kann ich zurzeit nichts mitteilen.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Können zumindest hinsichtlich der Frage nach etwaigen dienstlichen Erklärungen bereits Aussagen getroffen
werden? Hierzu dringt das eine oder andere an die Öffentlichkeit. Ich denke, wenn etwas bereits an die Öffentlichkeit gedrungen ist, könnte es keine Schwierigkeit
bereiten, eine entsprechende Frage im Parlament zu beantworten.
Es wundert mich sehr, Frau Kollegin Gönner, dass
diese Dinge wie auch immer an Ihr Ohr und an die Öffentlichkeit dringen. Eine amtsinterne Ermittlung ist eine
amtsinterne Ermittlung und wird bis zum Schluss auch
so gehandhabt, um zu einem sachgerechten Ergebnis
kommen zu können.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Die Frage, wie auch immer etwas an die Öffentlichkeit gelangt, ist Grundlage für die heutigen Fragen. Ich
möchte noch einen Hinweis geben, Sie sprachen davon,
dass die Untersuchungen zügig abgeschlossen werden
sollen. Anschließend sagten Sie, Sie wüssten nicht, wie
die Juristen das Wort „zügig“ auslegen. Ich möchte darauf hinweisen, dass „zügig“ ohne schuldhaftes Zögern
bedeutet. Bedeutet dies, dass wir noch vor der Sommerpause - wir gehen davon aus, dass die Untersuchung
ohne schuldhafte Verzögerungen abgeschlossen wird die entsprechenden Antworten erhalten?
Wir werden alle nötigen sachgerechten Schritte veranlassen und dann zu einem Ergebnis kommen. Sie können sicher sein, dass wir aufgrund dieser Debatte ein
großes Interesse daran haben, diese amtsinterne Untersuchung abzuschließen.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fischer.
Frau Staatssekretärin, ich komme auf die Frage des
Herrn von Klaeden zurück. Es verlangt doch niemand etwas Unrechtmäßiges. Sind Sie von sich aus bereit, gegenüber dem Parlament initiativ zu werden, wenn der
Abschlussbericht vorliegt? Werden Sie dann im Rahmen
der rechtlichen Möglichkeiten - ohne dass Nachfragen
kommen müssen - das Parlament informieren?
Wenn das Interesse im Ausschuss kundgetan wird,
kommen wir dem selbstverständlich nach. Die politische
Notwendigkeit einer Mitteilung wird aber erst dann zu
bewerten sein, wenn wir das Ergebnis der Untersuchung
vorliegen haben. Schließlich möchten wir das Parlament
nicht mit Banalitäten behelligen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Girisch.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Meinung,
dass die Öffentlichkeit, nachdem als geheim eingestufte
Unterlagen aus einem Ministerium an die Öffentlichkeit
gelangt sind, ein großes Interesse an Informationen hat?
Stimmen Sie mir zu, dass über ein solches Thema umfassend informiert werden sollte und die Informationen
nicht als geheim eingestuft werden dürfen?
Die Öffentlichkeit, das Parlament, unser Ministerium
und natürlich all diejenigen, die mit solchen brisanten
Informationen zu tun haben, haben ein großes Interesse
daran, dass die Geheimhaltungsvorschriften des Bundes
eingehalten werden. Genau aus diesem Grunde hat Herr
Minister Trittin das amtsinterne Ermittlungsverfahren
eingeleitet. Damit wollen wir sicherstellen, dass brisante
Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangen.
Sie wissen selbst, dass es sich hier um ein Thema handelt, über das in der Öffentlichkeit sehr gern diskutiert
wird. Wir wollen aber keine Handlungsanleitung für Terroristen herausgeben oder Schwachstellen der Kraftwerke aufzeigen. Aus diesem Grunde müssen wir die öffentliche Debatte auf das Notwendige beschränken.
Ich rufe die Frage 28 der Kollegin Tanja Gönner auf:
Waren auch Mitarbeiter des Leitungsbereiches von den
Untersuchungen betroffen und, wenn ja, wer?
Auch diese Frage, Frau Gönner, bezieht sich auf die
Einzelheiten der Untersuchung. Insofern gebe ich die
gleiche Antwort wie auf die vorige Frage, dass die Einzelheiten der laufenden Untersuchung nicht mitgeteilt
werden können.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, wir wollen keine einzelnen Namen wissen. Dann ginge es um Einzelheiten der Untersuchung. Es geht vielmehr um die Frage, ob Mitarbeiter
des Leitungsbereichs des Ministeriums - was zu einem
gewissen Umfang der Untersuchung führen würde - betroffen sind oder nicht. Ich glaube schon, dass man diese
Frage stellen darf, ohne Geheimhaltungsvorschriften,
denen die Untersuchung offensichtlich unterliegt, zu verletzen.
Sie können sicher sein, dass das Untersuchungsverfahren allen notwendigen Voraussetzungen Rechnung
trägt. Bei amtsinternen Ermittlungen muss die gesamte
Bandbreite der Möglichkeiten ins Auge gefasst werden.
Deshalb wäre es verfehlt, Einzelheiten dieses Ermittlungsverfahrens hier im Parlament zu debattieren.
Können Sie uns erklären, warum Sie es nicht für sachgerecht halten, zumindest im Ausschuss in nicht öffentlicher Sitzung - wenn schon nicht hier im Parlament über Zwischenstände der Untersuchung zu berichten?
Da es noch keine Ergebnisse gibt, gibt es dazu auch
nichts zu berichten.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Frau Staatssekretärin, auf die Fragen der Kollegen
und auch auf meine Frage, ob Sie bereit sind, das ParlaEckart von Klaeden
ment zu informieren, wenn die Untersuchung abgeschlossen ist, haben Sie unter anderem geantwortet, Sie
wollten das Parlament nicht mit Lappalien behelligen.
Nun geht es hier nicht um eine Lappalie, sondern darum,
dass Inhalte einer Studie, die die Gefährdung von Kernkraftwerken durch terroristische Angriffe anspricht,
durch einen Abgeordneten, der der Spitze Ihres Hauses
politisch nahe steht, an die Öffentlichkeit gelangt sind.
Bei einem Abgeordneten der Grünen kann ich doch wohl
annehmen, dass er der Spitze Ihres Hauses nahe steht. Es
ist auch auf keinen Fall eine Lappalie.
Ich muss auch feststellen, dass die Gründe, die Sie dafür anführen, das Parlament über das Ende der Untersuchung nicht zu informieren, aus der Luft gegriffen sind.
Es können auch keine Persönlichkeitsrechte berührt sein,
wenn Sie lediglich Auskunft darüber geben, dass Sie einen internen Untersuchungsvorgang abgeschlossen haben.
Deswegen frage ich Sie hier noch einmal: Sind Sie
bereit, dem Parlament von sich aus Kenntnis lediglich
über die Tatsache - nicht über das Ergebnis - zu geben,
dass Sie die Untersuchungen in dieser doch ziemlich brisanten Frage, die eben keine Lappalie ist, abgeschlossen
haben?
Herr von Klaeden, vielleicht reden wir aneinander
vorbei
({0})
oder es scheinen Missverständnisse im Raum zu stehen.
Ich habe darauf hingewiesen, dass es ganz klare Spielregeln zwischen Parlament und Regierung gibt und wir
selbstverständlich allen Wünschen, die das Parlament
hat, nachkommen werden.
({1})
- Ja bitte.
({2})
Wir werden laufend darüber berichten und auch im Ausschuss über die Sache debattieren. Ich glaube, dass das
Wort „Lappalie“ nicht in diesem Zusammenhang gefallen ist.
Wir führen hier eine Debatte über die ernsthafte
Frage, dass Informationen über ein ernstes Thema
({3})
an die Öffentlichkeit gelangt sind, und zwar Informationen, die das Umweltministerium nach bisherigem
Kenntnisstand nicht zur Verfügung gestellt hat.
({4})
Herr Kollege von Klaeden, Sie haben keine Zusatzfragen mehr.
Wir sollten froh sein, dass die Information der Leitung des Hauses im Gegensatz zu den detaillierten Informationen der Studie - diese konnten Sie einsehen - nicht
an die Öffentlichkeit gekommen ist.
Nichtsdestotrotz - ich wiederhole mich - gilt: Die
Geheimhaltungsvorschriften müssen eingehalten werden. Wir nehmen den Vorgang ernst und haben alle notwendigen Verfahren eingehalten.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Girisch.
Frau Staatssekretärin, erklären Sie bitte einem Nichtjuristen, warum die breite Öffentlichkeit nicht wissen
muss, wie diese Studie, die im weitesten Sinne als Skandal eingeschätzt wird, aus dem Ministerium an die
Presse oder an den grünen Abgeordneten weitergegeben
worden ist.
Wir müssen auf jeden Fall klären, wie es möglich war
- deshalb führen wir auch die amtsinterne Untersuchung
durch -, dass diese Informationen an die Öffentlichkeit
gekommen sind. Je nach Ergebnis der amtsinternen Untersuchung - diese Frage haben wir Ihnen aufgrund Ihrer
Kleinen Anfragen beantwortet - besteht entweder eine
Notwendigkeit oder keine Notwendigkeit, weitere juristische Schritte einzuleiten. Insofern macht es Sinn, dann
über die Ergebnisse zu debattieren, wenn Ergebnisse
vorliegen. In der Sache besteht kein Dissens darüber,
dass diese Informationen nicht in die Öffentlichkeit gehören; denn sonst hätten wir diese Studie nicht als VSVertraulich eingestuft.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Obermeier.
Frau Staatssekretärin, hierbei handelt es sich sehr
wohl um einen ernsthaften Vorgang. Ich sage Ihnen, an
welchen Punkten wir diese Ernsthaftigkeit festmachen:
Erstens ist es ein Vergehen, dass geheim eingestufte Unterlagen an die Öffentlichkeit geraten. Zweitens gibt es
in der Tat - ich habe die Studie eingesehen und den Vergleich mit der Zusammenfassung angestellt - zwischen
der Studie und der Zusammenfassung einen erheblichen
Unterschied sachlicher Natur.
Wir hätten gern von Ihnen erfahren, wie es kommt,
dass diese sachlich bzw. inhaltlich falsche Zusammenfassung auf der Internetseite des BUND zu finden war.
Lässt das, Frau Staatssekretärin, nicht den Schluss zu,
dass die mehrseitige Zusammenfassung direkt aus dem
Ministerium zum BUND geschickt wurde?
Herr Kollege, denken Sie bitte daran, Ihre Zusatzfrage zu stellen.
Ja. - Deswegen nehmen wir diesen Vorgang ernst.
Herr Obermeier, wenn man das, was der BUND im
Internet veröffentlicht hat, nachvollzieht, stellt man fest,
dass es sich anscheinend um eine Abschrift der Unterlagen handelt, die der Abgeordnete Pilz verteilt hat. Es
handelt sich - damit weise ich Ihre im Raum stehende
Unterstellung ausdrücklich zurück - nicht um eine sachlich falsche Zusammenfassung der Studie. Die Studie ist
nicht in die Öffentlichkeit gelangt. Das, was immer als
ihre Zusammenfassung dargestellt wird, ist eine Information für die Leitung des Bundesumweltministeriums
und insofern etwas anderes als eine Zusammenfassung
dieser Studie. Das möchte ich klarstellen, ohne damit allerdings in Abrede zu stellen, dass wir auch diese Information für die Leitung des Hauses aus bestimmten Gründen als VS-Vertraulich eingestuft haben. Aber der
Umfang und die Qualität der Darstellung der Studie
- das haben Sie selbst eingesehen - sind unterschiedlich.
Dass es sich um sachlich falsche Informationen handelt,
weise ich zurück.
Die Zeit ist schon überschritten. Als letzte Zusatzfrage lasse ich die des Kollegen Haibach zu.
Frau Staatssekretärin, trotz allem bleibt immer noch
die Frage: Wie ist diese Zusammenfassung - der Natur
nach kann sie nur aus dem BMU gekommen sein - an
die Öffentlichkeit gelangt? Es ist auch spannend, dass in
der Zusammenfassung, die offensichtlich aus dieser Studie entstanden und an die Leitungsebene des Hauses
weitergegeben worden ist, Wertungen enthalten sind und
dass sie offensichtlich nicht ganz vollständig ist. Meine
Frage lautet: Können Sie zumindest bestätigen, dass die
Wahrscheinlichkeit, dass die Zusammenfassung dieser
Studie nicht aus dem BMU gekommen ist, ausgesprochen gering ist?
Herr Kollege, wir sollten uns natürlich nicht im Bereich von Spekulationen bewegen. Es ist auch unser Interesse, zu erfahren, wie die Zusammenfassung einer Information über eine Studie, die für die Leitung des
Hauses bestimmt ist, an die Öffentlichkeit gekommen
ist. Genau deshalb haben wir das interne Ermittlungsverfahren eingeleitet; insofern sehe ich keinen Widerspruch
zwischen unseren Interessen.
Ich weise Ihre Spekulationen zurück, insbesondere
die Spekulation - ich bin mir nicht sicher, ob Sie die Studie im Original eingesehen haben -, dass es hier zu unrichtigen Bewertungen gekommen ist.
({0})
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die Fragen
zu den Geschäftsbereichen, die heute nicht aufgerufen
wurden, werden schriftlich beantwortet.
Die Aktuelle Stunde soll um 16.00 Uhr aufgerufen
werden. Ich unterbreche daher die Sitzung. Der Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Klingelsignal
angekündigt.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Die Fraktionen der FDP und der CDU/CSU haben zu
den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen
Fragen zum Thema Kurswechsel in der Haushalts- und
Finanzpolitik eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht Ziffer I.1 b der Richtlinien für die Aktuelle
Stunde.
Ich rufe daher auf:
Aktuelle Stunde
Möglicher Kurswechsel in der Haushalts- und
Finanzpolitik
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit dem letzten Wochenende präsentieren uns die Regierung und die Regierungskoalition
({0})
eine haushaltspolitische Debatte, die nur noch als führungslos, konzeptionslos und chaotisch bezeichnet werden kann. Zickzackkurs - diesen Begriff habe ich in der
Presse gelesen - ist noch eine harmlose Bezeichnung.
Nach einer Spitzenrunde mit dem Bundeskanzler,
dem Bundesfinanzminister, dem Fraktionsvorsitzenden
Franz Müntefering sowie Außenminister Fischer darf
der Außenminister der staunenden deutschen Öffentlichkeit nun verkünden, dass Sparen und Streichen kein
Wachstum bringen und deshalb von diesem Kurs abgewichen werden muss.
({1})
Eigentlich hätten wir den Außenminister herbeizitieren
müssen, damit er sich dazu äußert.
({2})
Aber ich habe den Eindruck, der Herr Bundesaußenminister hat sich in der Haushaltspolitik dieser Regierung noch nie zurechtgefunden.
Zu den Aussagen des Bundesaußenministers können
wir heute in der „taz“ lesen - das ist sehr interessant -,
dass Haushalts- und Finanzpolitiker der Grünen diese
und weitere Aussagen des Bundesaußenministers als
„ziemlichen Stuss“ bezeichnet haben. Dazu kann ich nur
sagen: Wo sie Recht haben, haben sie Recht.
Damit könnte man die Äußerungen des Bundesaußenministers eigentlich abhaken und zur Tagesordnung
übergehen, wenn nicht fast stündlich Aussagen zur
Haushaltspolitik aus dem Regierungslager kommen würden, mit denen dieser „Stuss“, den der Außenminister
von sich gegeben hat, öffentlich unterstützt wird. Beispielhaft nenne ich den stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Poß. Nachdem ich in einer dpa-Meldung
ein Interview mit ihm gelesen habe, kann ich nur das bestätigen, was ich eben gesagt habe. Aber auch der SaarSPD-Chef Maas begrüßt die Abkehr von der Sparpolitik
als ein „wichtiges Signal“. Bundeskanzler Schröder, der
letzte Woche in der kleinen Koalitionsrunde die ganze
Diskussion angestoßen hat, rudert nun zurück und erklärt, es bleibe beim Konsolidierungskurs. Vielleicht
sind nun einige in der Koalition endlich aufgewacht,
({3})
nachdem die üblichen Verdächtigen wie DGB-Chef
Sommer oder der ehemalige Finanzminister Oskar
Lafontaine ebenfalls die Aufnahme neuer Schulden gefordert haben.
({4})
Man muss es aber schon als sehr mutig bezeichnen,
dass die Koalition und vor allem der Bundesfinanzminister immer noch davon sprechen, sie würden am Sparkurs
festhalten. Wer wie Bundesfinanzminister Eichel in seiner Amtszeit über 180 Milliarden Euro neue Schulden
aufgenommen hat, der leidet anscheinend an Realitätsverlust, wenn er diese Schuldenaufnahme als Sparkurs
bezeichnet.
({5})
Wer so viele Schulden wie Finanzminister Eichel aufgenommen hat, wer uns Haushaltspläne vorlegt, die verfassungswidrig sind und gegen die Maastricht-Kriterien
verstoßen, wer wie der Bundesfinanzminister Eichel bei
seinen Haushaltsplänen Einnahmen einplant, die unrealistisch sind, der betreibt keinen Sparkurs, sondern er dokumentiert der deutschen Öffentlichkeit, dass er haushaltspolitisch am Ende ist.
({6})
Der Bundesfinanzminister hat einen Haushalt beschließen lassen, der so unrealistisch ist, dass er auch in
diesem Jahr an einem Nachtragshaushalt nicht vorbeikommen wird. Das bedeutet, dass er erneut zusätzliche
Schulden machen muss. Mich interessiert, was uns dazu
die Regierung sagen wird.
Es ist schon ein starkes Stück, wenn wir uns im Vermittlungsausschuss von der Regierung anhören müssen,
dass das Koch/Steinbrück-Papier umgesetzt wird - dazu
hat sie eine Erklärung abgegeben -, aber dann die Minister Stolpe, Trittin und Fischer bekannt geben, dass diese
Zusage nicht mehr eingehalten wird. So spielen Sie nicht
mit uns im Vermittlungsausschuss. Das, was gesagt worden ist, muss eingehalten werden. Darauf legen wir
Wert.
Für uns als FDP ist jedoch wichtig: Eine Wende in der
Haushaltspolitik muss kommen, aber als ein Bestandteil
müssen bei Subventionen und Zuwendungen - wir haben unsere Konzepte vorgelegt - in einem ersten Schritt
mindestens 20 Prozent gestrichen werden. Das wäre eine
erste wichtige Maßnahme. Eine Streichung von 20 Prozent bei allen Subventionen würde im Bundeshaushalt
erhebliche Einsparungen bringen. Leider hat die Koalition unsere Anträge bisher abgelehnt.
Der Bundeskanzler hat zwar erklärt, er wolle am Konsolidierungskurs in der Haushaltspolitik festhalten, aber
wir sehen davon überhaupt nichts. Ich darf vor allem die
beiden Vertreterinnen der Grünen daran erinnern, dass
der Bundeskanzler zusätzliche Subventionen für die
Steinkohle in Höhe von 15,8 Milliarden Euro zugesagt
hat. Eine Konsolidierung sehe ich nicht. Es geht nur darum, neue Schulden zu machen.
Einer der Hauptverantwortlichen für diese Haushaltssituation ist nicht nur der Bundesfinanzminister, sondern
auch der Bundeskanzler selbst.
({7})
Die Haushaltspolitik von Bundesfinanzminister
Eichel ist eine einzige Geisterfahrt. Die Diskussion der
letzten Tage - so finden wir jedenfalls - ist dafür ein
Dokument. Diese Regierung löst keine Probleme, diese
Regierung ist das Problem.
({8})
Bundeskanzler Schröder hat aufgegeben, und zwar zuerst den Parteivorsitz, dann die Agenda 2010 und jetzt
auch noch die Haushaltskonsolidierung. Das ist jedenfalls unsere Auffassung.
({9})
Die FDP ist davon überzeugt, dass eine Konsolidierung des Haushalts des Bundes durchaus möglich ist.
Dazu braucht unser Land endlich eine Aufbruchstimmung und einen Neuanfang. Die rot-grüne Koalition ist
zu einem Neuanfang nicht in der Lage. Wir brauchen
eine neue Bundesregierung,
({10})
die den Bürgern in unserem Lande die Wahrheit sagt und
die Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit in der Finanzund Haushaltspolitik wiederherstellt.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({11})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Karl Diller.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das, was Kollege Koppelin vorgetragen hat, waren platte Sprüche.
({0})
Wie realitätsbezogen seine Ankündigung ist, die FDP sei
bereit, 20 Prozent aller Subventionen zu streichen, haben
wir gemerkt, als wir tage- und nächtelang in den vorbereitenden und entscheidenden Sitzungen des Vermittlungsausschusses saßen. Da wollte die FDP von Subventionskürzungen auf der Einnahmeseite überhaupt nichts
wissen. Lesen Sie einmal nach, welche Zickzackpolitik
Sie selber betreiben. Sie begreifen als Subventionen offenbar nur das, was auf der Ausgabenseite erscheint,
weil das Ihre Klientel nicht betrifft. Wenn die Kürzung
von Subventionen aber Ihre Klientel trifft, nämlich auf
der Einnahmenseite, dann sind Sie strikt gegen Subventionskürzungen.
({1})
Ich nenne Ihnen folgende Fakten: Die Konsolidierung
des Bundeshaushaltes bleibt ein herausragendes Ziel der
Finanzpolitik, denn ohne nachhaltige Konsolidierung
gibt es kein Wachstum und umgekehrt gibt es ohne
Wachstum keine großen Fortschritte bei der Konsolidierung.
({2})
Wachstum und Konsolidierung gehören untrennbar zusammen. Wir haben seit 1999 mit dem ersten Sparpaket
von 20 Milliarden Euro, das immer noch jedes Jahr
wirkt, eine Sparpolitik betrieben, die wir fortsetzen. Wir
haben Strukturreformen unter der Überschrift der
Agenda 2010 auf den Weg gebracht und wir haben konjunkturelle Impulse gesetzt, was Sie von der Opposition
nie geschafft haben;
({3})
denn während Ihrer Regierungszeit waren der Eingangssteuersatz und der Spitzensteuersatz astronomisch hoch.
({4})
Während unserer Regierungszeit haben wir den Spitzensteuersatz und den Eingangssteuersatz auf ein historisch
niedriges Niveau gebracht. Diese Politik werden wir
fortsetzen.
({5})
Zur Konjunktur möchte ich Folgendes bemerken: Es
gibt gute Anzeichen eines konjunkturellen Aufschwungs. Die äußeren Kriterien sind außerordentlich
günstig.
({6})
Die kurz- und langfristigen Nominalzinsen sind sehr
niedrig, die Preise sind sehr stabil, die Lohnstückkostenentwicklung ist außerordentlich moderat und die Absatzund Gewinnperspektiven der Unternehmen sind günstig.
Schauen Sie sich, wenn Sie abends nach Hause kommen,
die Videotexttafel 703 mit den Wirtschaftsnachrichten
an. Dann sehen Sie die Zahl der positiven Meldungen,
die dort in den Überschriften zusammengeführt werden.
({7})
Die weltwirtschaftlichen Perspektiven werden ebenfalls
als sehr günstig eingestuft.
({8})
Wir haben das typische Ablaufmuster der Konjunktur zu
erwarten: Über die Belebung der Weltkonjunktur werden
sich bei uns insbesondere die Ausrüstungsinvestitionen
positiv entwickeln.
({9})
Wir werden die abwartende Haltung der Konsumenten noch zu überwinden haben. Das wird unsere gemeinsame Aufgabe sein. Dabei ist das, was infolge der
Obstruktionspolitik der CDU/CSU und der FDP im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag beschlossen wurde, sehr hinderlich.
({10})
Wenn Sie nämlich unserem Vorschlag gefolgt wären, die
für das Jahr 2005 vorgesehene Stufe der Steuerreform
vollständig auf das Jahr 2004 vorzuziehen, dann hätten
wir ein wesentlich stärkeres Wirtschaftswachstum. Das
haben Ihnen die wissenschaftlichen Institute vor wenigen Tagen noch einmal deutlich ins Stammbuch geschrieben. Sie betreiben im Bundesrat eine katastrophale
Obstruktionspolitik, die aufhören muss, damit es wirtschaftlich aufwärts geht.
({11})
Zum Haushalt 2004 will ich anmerken, dass uns die
Bundesbank mitgeteilt hat, dass sie statt eines erwarteten
Gewinns in Höhe von 3,5 Milliarden Euro nur knapp
250 Millionen Euro überweisen wird. Damit verfügt der
Haushalt 2004 über keine stillen Reserven mehr. Hinsichtlich der Steuereinnahmen und der Arbeitsmarktpolitik bestehen weitere Risiken, die es abzuwarten gilt.
({12})
Für den Haushalt 2005 haben wir uns auf europäischer Ebene verpflichtet, das Maastricht-Kriterium einzuhalten, das heißt, die Neuverschuldung darf 3 Prozent
vom Bruttoinlandsprodukt nicht übersteigen. Mit den
eingeleiteten Maßnahmen kann dies gelingen, auch
wenn sich die wirtschaftlichen Daten des Jahres 2004 als
Basiseffekt auf das Jahr 2005 auswirken werden. Dadurch wird es schwieriger, das Maastricht-Kriterium zu
erfüllen.
Für den Bundeshaushalt 2005 wird auch die in
Art. 115 Grundgesetz festgelegte Obergrenze einzuhalten sein. Das erfordert, dass der Bund seinen konsequenten Konsolidierungskurs weiter beibehält.
({13})
Lassen Sie mich noch einmal deutlich zum Ausdruck
bringen, dass wir in dem Gesamtdreiklang von Wirtschaftswachstum, Haushaltskonsolidierung und Reformen insbesondere auf Wachstum setzen. Dazu dient die
vom Bundeskanzler angekündigte Initiative, die Innovationen in unserem Land stärker zu fördern.
({14})
Die Wirtschaftsinstitute haben das empfohlen, was
wir Ihnen schon vor einem Jahr vorgeschlagen haben,
nämlich die Eigenheimzulage komplett zu streichen. Die
Wirtschaftsinstitute legen Ihnen das noch einmal ausdrücklich nahe. Wir wollen Ihnen vorschlagen, die damit
verbundenen Einsparungen ausschließlich für die Erhöhung der Ausgaben für Bildung und Forschung zu verwenden.
({15})
Das ist den Gemeinden ebenso möglich wie den Ländern
und dem Bund. Denn alle drei Ebenen würden von der
Streichung der Eigenheimzulage profitieren.
({16})
Alle Ebenen gemeinsam könnten eine Politik gestalten,
die nicht länger auf Investitionen in Beton, sondern in
die Köpfe unseres Landes ausgerichtet ist. Wir laden Sie
ein, diesen Weg mit uns gemeinsam zu gehen.
({17})
Das Wort hat nun der Kollege Friedrich Merz, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer sich
gewünscht hat, dass ein kurzes Schlaglicht auf den Zustand der Bundesregierung fällt, für den wurde innerhalb
der sieben Minuten Ihres Redebeitrags erkennbar, Herr
Staatssekretär, wie dieser Zustand aussieht.
({0})
Sichtbar wurde eine Regierung im Wachschlaf, im Dämmerzustand. Was Sie abgeliefert haben, ist eine Zumutung.
Auf der Regierungsbank ist nicht die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland vertreten. Es ist ein jämmerlicher Zustand, in dem Sie sich in der Debatte über
ein so ernsthaftes Thema präsentieren!
({1})
Kein Einziger der für die dramatische Lage unseres Landes zuständigen Bundesminister hat es nötig, an der Aktuellen Stunde zu diesem Thema im Parlament teilzunehmen. Was Sie mit uns allen machen - mit dem
Parlament, der deutschen Öffentlichkeit, der deutschen
Volkswirtschaft und allen Menschen, die noch an diesem
Land Interesse haben -, ist eine bare Zumutung. Eine so
miserable Regierung wie diese hat das Land in seiner
neueren Geschichte bislang nicht gehabt.
({2})
Gestern berichtete die Presse darüber, dass sich der
Regierungssprecher und sein Kollege aus dem Bundesfinanzministerium vor der Bundespressekonferenz verabredet hätten: „Du sagst nichts und ich mache den
Autisten.“
({3})
Der „Brockhaus“ führt unter „Autismus“ Folgendes auf:
Bezeichnung für psychotische ({4})
Persönlichkeitsstörungen, die durch extreme Selbstbezogenheit und Insichgekehrtheit sowie durch
fantastisch-traumhaftes … und affektiv-impulsives
Denken und Sprechen gekennzeichnet sind.
({5})
Eine bessere Zustandsbeschreibung der Regierung kann
man nirgendwo finden.
Jenseits aller parteipolitischen Auseinandersetzungen,
die wir auszutragen haben, sage ich Ihnen in der Sache
Folgendes: Herr Staatssekretär, Sie haben - das ist das
Gleiche, was Ihr neuer Chefvolkswirt, der Bundesaußenminister, dieser selbst ernannte Hobbyökonom, im
„Spiegel“ von sich gegeben hat; offensichtlich scheint
das der neue Sprachgebrauch der Bundesregierung zu
sein - von einem „typischen konjunkturellen Ablaufmuster“ gesprochen. Ich bin angesichts dessen, was wir
von Ihnen gehört haben, geneigt, zu sagen, dass dies das
typische strukturelle Auslaufmuster ist. Aber zur Sache
selbst: Wir haben es in Deutschland nicht mit einem
konjunkturellen Problem, sondern mit einem tief greifenden strukturellen Problem auf dem Arbeitsmarkt und
beim Wachstum zu tun. Ihr Glaube, dass Sie die Probleme, die Sie selbst verursacht haben, in den nächsten
Wochen, Monaten oder sogar Jahren lösen, indem Sie
nur darauf vertrauen, dass die Weltkonjunktur wieder anspringt, ist ein Irrglaube. Es ist ein grundlegender Fehler,
so etwas überhaupt zu denken.
({6})
Das zeigt ebenfalls, dass Sie das eigentliche Problem
überhaupt nicht verstanden haben. Die Weltwirtschaft
wächst in diesem Jahr um 4,5 Prozent. Warum wächst die
deutsche Wirtschaft nicht wenigstens halb so stark? Warum liegt Deutschland in der gesamten alten Europäischen Union mit 15 Mitgliedstaaten noch immer am
Ende bei den Wachstumserwartungen? Mit Verlaub, warum hat Deutschland mittlerweile - abgesehen von den
vier Ländern Italien, Spanien, Portugal und Griechenland
- das geringste Pro-Kopf-Einkommen in der gesamten
alten Europäischen Union? Zehn Mitgliedstaaten der alten Europäischen Union haben mittlerweile ein höheres
Pro-Kopf-Einkommen als Deutschland. Das ist doch kein
konjunkturelles Problem, sondern ein schwerwiegendes
strukturelles Problem. Herr Staatssekretär, dieses Problem hat nichts mit der Opposition, sondern etwas mit der
Regierung zu tun, die es in fünfeinhalb Jahren ihrer Verantwortung nicht geschafft hat, das Land wieder auf Kurs
zu bringen. Das liegt nicht daran, dass Sie über den richtigen Kurs in der Wirtschafts- und der Finanzpolitik streiten, sondern daran, dass Sie gar keinen haben.
({7})
Vor diesem Hintergrund sind Vermutungen darüber,
ob es in der besagten nächtlichen Sitzung vom letzten
Mittwoch - Sie haben ja versucht, zu bestreiten, dass sie
überhaupt stattgefunden hat - zu einem Kurswechsel gekommen ist, völlig fehl am Platz. Es hat keinen Kurswechsel gegeben. Weil Ihnen die Probleme mittlerweile
über den Kopf wachsen, hat vielmehr eine Krisensitzung
stattgefunden, an der derjenige, der eigentlich der Shootingstar der zweiten Regierung Schröder sein und mithelfen sollte, die Probleme zu lösen, gar nicht teilgenommen hat. Ich möchte Ihnen jenseits aller politischen
Auseinandersetzungen ehrlich sagen: Die Art und Weise,
wie in Ihrer Regierung - auch durch den Herrn Bundeskanzler - mit einigen Mitgliedern des Kabinetts in
menschlicher Hinsicht umgegangen wird, ist gelinde gesagt eine persönliche Sauerei.
({8})
Schlussbemerkung: Dass Herr Clement solche unausgegorenen Vorschläge macht wie den Vorschlag betreffend den Sparerfreibetrag, ist nur die Spitze des Eisberges.
({9})
- Herr Poß, ich habe ebenfalls vorgeschlagen, den Sparerfreibetrag zu reduzieren. Wenn man das aber macht,
dann muss man auch die Steuern senken und darf nicht
mit den zu erwartenden Mehreinnahmen die Haushaltslöcher stopfen, die Sie mit Ihrer Politik zusätzlich verursacht haben.
({10})
Herr Diller, Sie haben sich diesen Vorschlag offenbar
zu Eigen gemacht. Ich gebe Ihnen nur zu bedenken:
Wenn Sie die Eigenheimzulage streichen, dann erzielen
Sie im nächsten Jahr so viele Steuermehreinnahmen, wie
die Bundesregierung pro Woche an zusätzlichen Schulden macht. Hören Sie bitte auf, die Öffentlichkeit in
Deutschland für dumm zu verkaufen! Ich könnte auch
einen anderen Ausdruck verwenden. Da dieser aber unparlamentarisch ist, verzichte ich darauf. Sie alle wissen
ja, was ich meine und wie Sie sich verhalten.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort der Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Merz, Sie haben sicherlich ein rhetorisches Feuerwerk abgebrannt.
({0})
Aber die Bierzeltatmosphäre, die sich in Ihren Reihen
ausbreitet, wird unser Land auch nicht voranbringen.
({1})
Was Sie eben zur Lösung unserer Schwierigkeiten zu sagen hatten, das war verdammt wenig.
({2})
Es wurde die Frage gestellt, ob es - da teile ich bis zu
einem gewissen Grad die Einschätzung meines Vorredners - einen Kurswechsel gegeben hat, als letzte Woche
regierungsintern diskutiert wurde. Das war Gegenstand
der Berichterstattung. Ich sage ganz bescheiden: Das
war kein Kurswechsel, sondern eine Auseinandersetzung, in der es darum ging, sich die ziemlich dramatische Lage, in der wir und unsere Regierung stecken, zu
vergegenwärtigen.
({3})
Mit Blick nicht nur auf 2004, sondern auch auf 2005
haben wir es wahrscheinlich mit großen Steuerausfällen
zu tun. Genaue Zahlen werden wir im Rahmen der Maisteuerschätzung hören. Zuzugeben ist: Das ist nicht erfreulich. Ich teile im Übrigen eine sehr ausgewogene
Einschätzung, die der CSU-Kollege Faltlhauser in einem
Interview gegeben hat - Sie sehen, ich zitiere Unionskollegen durchaus gerne; ich habe da keine Scheu -:
({4})
Es geht nicht so sehr darum, ob ein Finanzminister im
Rahmen eines Konsolidierungskurses einmal ein Ziel
verfehlt, sondern darum, ob man sich weiter zur Haushaltsdisziplin bekennt.
({5})
Für unsere Seite möchte ich ganz deutlich sagen: Wir
werden weiterhin eine strikte Haushaltsdisziplin brauchen.
({6})
Ich weiß, dass es Minister gibt, die gerne etwas strittig
stellen. Es ist nichts Neues, dass Fachminister etwas
strittig stellen, bevor das Kabinett entscheidet. Ich wiederhole: Wir werden weiterhin Haushaltsdisziplin brauchen. Außerdem werden wir uns von lieb gewonnenen
Gewohnheiten verabschieden müssen.
Herr Merz, Sie haben die Frage der Abschaffung der
Eigenheimzulage allzu sehr verniedlicht. Damit bin ich
nicht einverstanden. Es ist typisch für unser Land, dass
wir nicht den Mut aufbringen, lieb gewonnene Subventionen - es sich handelt sich um die größte, die wir vergeben; in Spitzenzeiten hatte sie einen Gesamtumfang
von über 10 Milliarden Euro - abzubauen. Das ist ein
Skandal. Das trifft auch Sie; denn Sie müssen bei der
Lösung der Probleme mitmachen.
({7})
Es geht nicht darum, ob wir im ersten Jahr hier nur einen kleinen Fortschritt erreichen, sondern um eine längerfristige Perspektive. Sie sind in der Pflicht, mitzumachen. Wir wollen lieb gewonnene Gewohnheiten
aufgeben, nicht um zu sparen und zu streichen, sondern
um neue Beweglichkeit herzustellen.
Die Regierung hat einen verfassungsgemäßen
Haushalt 2005 aufzustellen. In Anbetracht der Entwicklung der Steuereinnahmen wird das sehr schwierig. Ich
finde es richtig, dass wir Investitionen in Bildung und in
andere Zukunftsaufgaben nicht einfach streichen. Man
muss auch in so schweren Zeiten eine Balance finden
und Prioritäten setzen. Das ist die wichtigste Aussage,
die gemacht wurde, als es in diesen Tagen um die Frage
ging, ob wir vom Sparkurs abweichen wollen. Wir werden weiterhin äußerste Disziplin im gesamten Haushalt
brauchen und wir werden zur Lösung wichtiger Zukunftsaufgaben Prioritäten setzen.
({8})
Sie haben den schweren Vorwurf erhoben, wir hätten
das Land in diese - zugegebenermaßen schwierige - Situation gebracht.
({9})
Was ist eigentlich Ihr Anteil - Sie geben zu, dass auch in
Ihrer Regierungszeit die eine oder andere Strukturreform
nicht durchgeführt worden ist - an dieser schwierigen
Situation? Worin besteht zurzeit eigentlich Ihre Unterstützung? Zum Subventionsabbau habe ich schon etwas
gesagt. Sie haben sich damit gebrüstet, sich bei den
Landwirten lieb Kind gemacht zu haben und den kompletten Bereich der Landwirtschaft außen vor zu lassen.
({10})
Sie zeigen eine große Zögerlichkeit - Herr Merz macht
zwar manchmal anders lautende Vorschläge -, wenn wir
an die Eigenheimzulage herangehen. Gerade hat schon
wieder ein Kollege ironisch dazwischengerufen: Davon
würde besonders die Bauwirtschaft profitieren!
({11})
Es ist das typische Hickhack. Es ist das typische Hin und
Her. Sie sind uns im letzten Herbst bei entscheidenden
Schritten zum Subventionsabbau nicht gefolgt. Das ist
Fakt.
({12})
Jetzt kommt die Spitze: Beim Streit um Hartz IV haben Sie gepokert mit dem Ziel, eine der größten Reformen im Bereich des Arbeitsmarktes - Sie werfen uns
vor, wir täten in dem Bereich zu wenig - lieber scheitern
zu lassen als zu akzeptieren, dass wir da einen großen
Schritt vorankommen.
({13})
Ihnen wäre es lieb, wenn die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe nicht zum 1. Januar 2005
käme. Das empfehlen Sie uns. Daran sieht man: Sie sind
erfolgreich im Blockieren. Das ist nicht zum Guten unseres Landes.
Wir wissen, dass wir eine schwere Zeit zu meistern
haben und dass wir nicht fehlerfrei sind; aber Ihre Blockadeposition, mit der Sie uns in die Enge treiben wollen, nützt diesem Land gar nichts.
({14})
Das Wort hat nun der Kollege Günter Rexrodt, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Hajduk, es ist wenig überzeugend, wenn Sie verkünden, dass der Konsolidierungs- und Sparkurs beibehalten wird. Faktum ist zunächst einmal, dass Herr
Fischer in seiner Eigenschaft als selbst ernannter Haushaltsminister in nöliger und missmutiger Form verkündet hat, es gehe nicht mehr so weiter wie bisher, und dass
es dann zu einem riesigen Missmanagement der Bundesregierung kam. Faktum ist, dass diese Äußerungen von
Herrn Fischer wiederum dazu angetan sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, ob es eine konsistente und
Vertrauen erweckende Politik gibt, wie sie gebraucht
wird.
({0})
Diese Äußerungen von Herrn Fischer stehen in einer
Reihe mit dem Durcheinander bei der Gesundheitsreform, mit der Drohkulisse, die mit der Vermögensteuer
und der Erbschaftsteuer immer wieder aufgebaut wird,
mit dem Durcheinander bei der Steuerreform und mit der
Ausbildungsplatzabgabe, über die Sie ständig diskutieren und die nun Gesetz werden soll. Das Neueste ist die
Frage, ob der Sparerfreibetrag wegfallen soll. Wie wollen Sie mit einer solchen Politik - dazu gehören die Äußerungen von Herrn Fischer, es gehe mit dem Sparen
und Konsolidieren so nicht mehr weiter - die Menschen
überzeugen und den Mittelstand dazu bringen, zu investieren? Das geht nicht. Das ist Missmanagement. Das ist
schlechte Politik. Das ist ein Beispiel dafür, dass Sie
auch mit der Haushaltspolitik und mit der Bestimmung
des Kurses in der Haushaltspolitik Menschen verwirren
und vom Investieren abhalten.
({1})
Faktum bei der Verschuldungspolitik ist, dass Sie bei
der Verletzung der Kriterien von Maastricht wenigstens
noch ein schlechtes Gewissen gehabt und den Anschein
zu erwecken versucht haben, die Dinge auf die Reihe
bringen zu wollen.
Wenn Sie den Spar- und Konsolidierungskurs aufgeben oder in Zweifel ziehen, dann ist das eine offene Kapitulation. Dass Sie faktisch längst kapituliert haben, sehen wir daran, dass die Nettoneuverschuldung von 1998
- sie betrug damals 29 Milliarden Euro - bis 2003 auf
38 Milliarden Euro gestiegen ist. Für dieses Jahr, 2004,
gibt es zwar eine Planzahl von 29 Milliarden Euro. In
Wirklichkeit wird die Neuverschuldung jedoch zwischen
40 und 50 Milliarden Euro betragen. Das ist eine Situation, in der sich die Bundesrepublik Deutschland noch
nie befunden hat.
({2})
Wir haben ein Rezept dafür geliefert, wie man die
Dinge Schritt für Schritt in den Griff bekommen kann:
Wir wollen in den nächsten sieben Jahren die Subventionen auf null bringen. Wir wollen den Subventionsabbau
entschieden in Angriff nehmen, das heißt an die Finanzhilfen und die Steuervergünstigungen herangehen. Wir
werden auf diese Weise 20 Milliarden Euro freisetzen,
die dann zu einer entsprechend geringeren Nettoneuverschuldung führen.
Meine Damen und Herren von der SPD und von den
Grünen, Sie wollen auf der einen Seite Reformer sein
und Konsolidierungspolitik betreiben, sich damit den
Anspruch erwerben, etwas für die Zukunft Deutschlands
zu tun, und damit auch beim Wähler ankommen. Auf der
anderen Seite wollen Sie sich natürlich nicht vorwerfen
lassen, Sie seien Totengräber des sozialen Ausgleichs
oder der sozialen Gerechtigkeit.
Aber beides kriegen Sie eben nicht richtig zusammen.
Das ist, objektiv betrachtet, auch schwer; das gebe ich
zu. Sie bekommen es aber deshalb nicht zusammen, weil
Sie keine konsistente Politik machen, weil Sie so viele
handwerkliche Fehler machen und weil Sie, meine Damen und Herren, von der Sinnhaftigkeit dieser Reformen, die notwendig sind, nicht durchdrungen sind.
({3})
Jedenfalls große Teile Ihrer Partei sind von der Sinnhaftigkeit dieser Reformen nicht durchdrungen. Das ist das
eigentliche Problem. Das ist bei der Sozialdemokratie
und bei den Grünen der Fall.
({4})
Die Reformpolitik, die Sie in den letzten zwei bis drei
Jahren gemacht haben, mussten Sie deshalb machen,
weil Sie eine Landtags- und Kommunalwahl nach der
anderen verloren haben. Deshalb haben Sie diese Reformen angeleiert. Jetzt bekommen Sie aber Ärger von anderer Seite. Deshalb haben Sie sich den Herrn
Müntefering zum Parteivorsitzenden gewählt. Der soll
die Dinge auf die Reihe bringen. Aber wie soll man zukunftsorientierte Reformen auf der einen Seite und Zustimmung bei den Menschen, die Sie ja mitnehmen wollen - das ist wohl Ihr Anliegen -, auf der anderen Seite
mit einer so schlechten, handwerklich verfehlten Politik
auf die Reihe bringen? An diesem Problem können Sie
sich nicht vorbeimogeln. Die Nörgler sitzen an vielen
Stellen. Herr Müntefering wird niemanden aufhalten
oder überzeugen können.
({5})
Viele Minister - das lesen wir ja auch in der Zeitung haben im Übrigen die Faxen dicke mit der Sparpolitik.
Meine Damen und Herren, Sie sind zerstritten und innerlich nicht gefestigt. Eine von einer Koalition getragene
Regierung, die nicht bezüglich Sparkurs und Reformpolitik gefestigt ist, kann nicht überzeugen.
({6})
Weil Sie gefällig sein wollen - die Bundestagswahlen
kommen näher -, werden Sie am Ende auch wieder zusätzliche Schulden machen.
Herr Kollege!
Da können Sie so viel erzählen, wie Sie wollen: Es
wird so sein. In diesem Jahr sind es 45 Milliarden, auch
in den nächsten Jahren wird es sich um hohe zweistellige
Beträge handeln. Ich erinnere daran, dass Sie ursprünglich einmal vorhatten, im Jahre 2006 die Staatsverschuldung auf null zurückzuführen.
Herr Rexrodt, es hilft alles nichts.
Wir sind im Jahre 2004 aber noch bei 45 Milliarden.
Das ist, meine Damen und Herren, keine glaubwürdige Politik. Diese Politik ist darauf angelegt, den Mittelstand und die Konsumenten zu verunsichern.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weise aus gegebenem Anlass noch einmal darauf hin, dass wir in unseren Richtlinien für die Aktuelle Stunde eine eindeutige
Regelung haben. In der Ziffer 7 heißt es da:
Der einzelne Redner darf nicht länger als fünf Minuten sprechen.
({0})
Ich hoffe, es leuchtet jedem ein, dass diese Formulierung
selbst dem gutwilligsten Präsidenten nur einen begrenzten Interpretationsspielraum eröffnet.
({1})
Nun erteile ich dem Kollegen Poß für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch
diese Aktuelle Stunde beweist, die Nörgler und
Schlechtredner sitzen bei der Opposition,
({0})
egal ob sie Rexrodt oder Merz heißen. Der Erregungszustand bei Ihrer Rede vorhin, Herr Merz, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Situation von CDU/CSU und
auf Sie selber. Wir haben ja hier die Selbstbeschreibung
eines pathologischen Falles mit dem Vokabular des
„Brockhaus“ erlebt. Mehr war das nicht.
({1})
Auch Herr Rexrodt muss sich der Verantwortung stellen, die er in der Vergangenheit getragen hat.
({2})
Er hat nämlich Verantwortung für die falsche Finanzierung der deutschen Einheit getragen. Er hat wie Herr
Merz Verantwortung dafür getragen, dass die steuerliche
Entlastung in diesem Jahr nicht größer ausgefallen ist.
Die beiden Herren tragen Verantwortung dafür, dass wir
beim Subventionsabbau noch nicht weiter gekommen
sind. Auch da haben sie nämlich blockiert. So sieht die
Realität aus. Das ist die Wahrheit!
({3})
Wir, meine Damen und Herren, bleiben auf unserem
Kurs.
({4})
Mit Maßnahmen wie den Konsolidierungsmaßnahmen
im Zuge des Zukunftsprogramms 2000 bis hin zum
Haushaltsbegleitgesetz im letzten Jahr hat es die Regierungskoalition geschafft, die Entwicklung der Bundesausgaben unter Kontrolle zu halten, Herr Haushälter
Rexrodt.
({5})
Die Gesamtausgaben des Bundes sind im Zeitraum von
1999 bis 2003 um durchschnittlich 1 Prozent pro Jahr
gestiegen. Das heißt, die Ausgaben sind real rückläufig.
Die Haushaltsprobleme haben ihren Grund ausschließlich darin, dass wegen wirtschaftlicher Stagnation in drei
aufeinander folgenden Jahren die Steuereinnahmen seit
geraumer Zeit wegbrechen.
({6})
Das gilt nicht nur für den Bund, sondern auch für die
Länder und die Kommunen. Das ist die schwierige
Situation, die die Kollegin Hajduk beschrieben hat.
Alle Versuche von Hans Eichel und der Koalition,
durch die Streichung von ungerechtfertigten Steuervergünstigungen und den verstärkten Kampf gegen Steuerhinterziehung die Steuerbasis der öffentlichen Haushalte
zu verbessern, sind von Ihrer Mehrheit im Bundesrat
blockiert worden. Das ist die Wahrheit!
({7})
Wer im Bundesrat die Mehrheit hat, ist mit verantwortlich für die Geschicke Deutschlands. Sie haben diese
Verantwortung mit Ihrer Blockadepolitik verraten. Da
können Frau Merkel und Herr Stoiber noch so viele
staatstragende Sonntagsreden halten: Alles, was konkretes Handeln bedeutet hätte, haben Sie blockiert.
({8})
Sie haben das Steuervergünstigungsabbaugesetz pauschal als Steuererhöhung diskriminiert. Damit haben Sie
Verunsicherung bei den Bürgern erzeugt. Das fällt in
Ihre Verantwortung, meine Damen und Herren.
({9})
Das, was die CDU/CSU und die FDP als Alternative
präsentieren, nämlich zum Beispiel eine Staatsquote von
unter 40 Prozent, würde die wirtschaftliche, finanzielle
und soziale Situation in Deutschland nur noch weiter
verschärfen. Es hätte den Abschied vom sozialen Ausgleich in der Bundesrepublik Deutschland und die flächendeckende Verrottung der staatlichen Infrastruktur
im Osten wie im Westen zur Folge.
Wenn die dreijährige Stagnation, Herr Merz, allein
das Ergebnis vermeintlich schlechter Regierungspolitik
sein soll, warum gibt es dann Wachstumseinbrüche nicht
nur in Deutschland, sondern auch in den Volkswirtschaften aller vergleichbaren europäischen Industriestaaten?
({10})
Lange hieß es: „Schaut auf die Niederlande; sie haben
frühzeitig die Zeichen der Zeit erkannt.“ Im letzten Jahr
ist in den Niederlanden das Bruttoinlandsprodukt um
0,7 Prozent gesunken; für dieses Jahr erwarten die Wirtschaftsforschungsinstitute eine Steigerungsrate, die nur
halb so hoch ist wie die, die in Deutschland erwartet
wird. Die Wirtschaftsleistung im gesamten Euroraum hat
2003 nur um 0,4 Prozent zugenommen. Ähnliche wirtschaftliche Probleme und ähnliche gravierende Haushaltsprobleme gibt es fast im gesamten Euroraum, ob in
den Niederlanden, in Frankreich oder in Italien; selbst
Großbritannien hat mittlerweile Defizitprobleme, die in
Brüssel zu einem Defizitverfahren führen werden.
Wir haben gegengesteuert mit dem Prozess der
Agenda 2010 und auch mit unserer Haushaltspolitik, indem wir die Zukunftsinvestitionen - Bildung, Forschung, Förderung von Familien - gestärkt haben. Diese
Prioritäten setzen wir auch im nächsten Jahr.
({11})
Wir bleiben in den langen Linien unserer Politik, auch
wenn wir durch eine dreijährige Stagnation zurückgeworfen worden sind. Sie haben auch heute wieder
keine Alternativen dazu geboten. Wir sind auf dem richtigen Kurs!
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Peter Ramsauer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe vor wenigen Stunden eine Agenturmeldung in
die Finger bekommen, deren Überschrift lautet:
„Müntefering kritisiert Indiskretionen in der Koalitionsspitze“. Da liest man ja gerne weiter, was Müntefering
am eigenen Laden kritisiert. Es heißt dann in der Meldung, er habe „beklagt, dass über das vertrauliche Gespräch zur Haushaltspolitik in der vergangenen Woche
bei Bundeskanzler Gerhard Schröder … einer geplappert“ habe. Es würde uns interessieren, wer das war,
({0})
ob es zutrifft, dass es der Außenminister - oder der
Chefökonom -, Joschka Fischer, war. Dann heißt es weiter: „Damit habe man der Opposition eine Vorlage geliefert.“
Stimmt! Aber wir sind längst schon selbst darauf gekommen, in welch marodem Zustand diese Regierung
ist.
({1})
Dass die Präsenz in der Opposition heute ein Vielfaches
von dem beträgt, was sich von der rot-grünen Koalition
hergetraut hat, ist ein wahrheitsgemäßes Abbild der Umfragewerte, die wir zurzeit in Deutschland haben.
({2})
In der Agenturmeldung kommt es aber noch schlimmer. Müntefering wird weiter zitiert mit einem scheußlichen Wort aus der Fäkalsprache, das ich in diesem
Hohen Hause nicht gebrauchen möchte.
({3})
Es heißt: „,…, dass das jetzt öffentlich diskutiert wird‘,
habe Müntefering nach Teilnehmerangaben geschimpft.“
Das kann ich mir vorstellen. Aber ich kann nur sagen:
selbst hineingeritten!
Wir werden von den Menschen im Land und von
Journalisten natürlich oft gefragt: Was würdet ihr denn
anders machen, wenn ihr an der Regierung wärt?
({4})
- Ja, das wird hier genügend ausdiskutiert. Aber ich darf
Ihnen sagen, wie meine erste Antwort immer lautet: Vor
allen Dingen hätten wir Ende 1998 und 1999 nicht unsere eigenen Reformen zurückgenommen. Das ist das
Erste, was Sie damals getan haben.
({5})
Was ist 1998 passiert? Die SPD und die Grünen haben
der Bevölkerung in Deutschland Sand in die Augen gestreut. Sie haben sie glauben gemacht, unser Land bedürfe keiner Reformen und die Reformen, die unter der
Kohl-Regierung 1995, 1996 und 1997 durchgeführt wurden - sie waren in der Tat schmerzhaft -, seien nur aus
vorsätzlicher Böswilligkeit gegenüber dem Volk gemacht worden. Leider Gottes hat diese Behauptung gefruchtet, weil damals das Bewusstsein für notwendige
Reformen vielleicht noch nicht in dem Maße vorhanden
war, wie es heute der Fall ist. Sie von Rot-Grün haben
sich damals 1998 den Wahlsieg erschlichen.
({6})
Dass Sie jetzt darauf kommen, dass die Rücknahme der
Reformen falsch war, bestätigt den Wahlbetrug, den Sie
1998 begangen haben. Jetzt müssen Sie mühsam Stück
für Stück wieder das aufholen, was Sie an Reformen
rückgängig gemacht haben.
({7})
Was ist dadurch passiert? Sie sind - man muss nach
dem von Ihnen angekündigten Reform- und Sparmoratorium eigentlich sagen: waren - also erst sehr spät zu der
Erkenntnis gelangt, dass Reformen notwendig sind.
Deutschland hat dadurch sechs Jahre verloren. Deutschland im Jahre 2004 wäre ein anderes Deutschland, wenn
unsere Reformen nicht zurückgenommen worden wären,
sondern wenn eine unionsgeführte Bundesregierung mit
dem Reformkurs über 1998 hinaus so weitergemacht
hätte, wie wir es vor den Wahlen 1998 ehrlicherweise
angekündigt hatten.
({8})
Es dauert eine lange Zeit, wenn man sechs verlorene
Jahre aufholen will. Es würde schon lange dauern, wenn
Rot-Grün ein höheres Reformtempo als in den letzten
Jahren hinlegen würde. Aber selbst dann würde es lange
dauern. Wenn Sie das gleiche Tempo bei den Reformen
oder bei dem, was Sie als Reformen bezeichnen, hinlegen würden, dann würden wir ewig hinterherhinken.
Aber wenn Sie jetzt wahr machen, was manchem von
Ihnen vorschwebt, nämlich den Menschen erneut Sand
in die Augen zu streuen, dann treiben Sie unser Land in
einen nicht aufholbaren Rückstand. Sie werden vor allen
Dingen Schiffbruch bei der Zustimmung der Menschen
erleiden.
Ich möchte ein Wort aufgreifen, das man von RotGrün in den letzten Tagen im Zusammenhang mit dem
Krisengespräch der letzten Woche gehört hat. Es heißt,
mit den Zumutungen müsse es ein Ende haben. Ich
glaube, dass die Menschen in Deutschland heute ein anderes Problembewusstsein haben als noch vor Jahren
und dass sie es nicht als Zumutung empfinden, wenn
notwendige Reformen durchgeführt werden. Sie empfinden dies vielleicht als schmerzhaft. Das mag sein.
({9})
Als Zumutung empfinden sie vielmehr, wenn sie zuschauen müssen, wie eine Regierung aus Feigheit das
eigene Land sozusagen an die Wand fährt. Das ist die
Zumutung!
({10})
Wenn ein Bundeskanzler wieder die Politik der ruhigen Hand einführen möchte, dann empfinden die Menschen dies als Arbeitsverweigerung.
({11})
Aber Arbeitsverweigerung kann sich Deutschland nicht
leisten. Deswegen brauchen wir eine neue Regierung.
Vielen Dank.
({12})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Hermenau,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte
eigentlich mit Ihnen, Herr Ramsauer, eine sehr fundierte
Debatte führen. Aber zunächst muss ich mich auf den
Kollegen Merz beziehen, aus dessen Rede ich mehr herausgehört habe.
({0})
Herr Kollege Merz hat von psychologischen Vorgängen bei bestimmten politischen Akteuren gesprochen.
({1})
Ich will das nicht unter behindertenpolitischen Gesichtspunkten bewerten, möchte aber einmal bei diesem Bild
bleiben. Ich wundere mich nämlich, wie schizophren
Ihre Fraktion mit dem Alterseinkünftegesetz umgegangen ist. Sie hat es im Bundestag abgelehnt - alle haben
es gesehen; das war sehr medienwirksam - und später im
Bundesrat soll dieses Gesetz klammheimlich von einigen CDU-regierten Ländern mitgetragen werden.
({2})
Das ist nur schwer nachzuvollziehen.
Ich glaube, dass Ihre Machtfixierung - Herr
Ramsauer, Sie selber haben das Trauma der verlorenen
Wahl von vor zwei Jahren angesprochen - Sie daran hindert, Verantwortung zu übernehmen. Sie haben Verantwortung; Sie nehmen sie aber nicht wahr. Das ist nicht
so lustig, wie es klingt.
({3})
Im Prinzip erinnert mich das psychologisch ein bisschen daran, wie die Situation war, als die UdSSR damals
versuchte, den Westen ökonomisch totzurüsten. So benehmen sich jetzt die Union und die von ihr geführten
Bundesländer, indem Sie versuchen, die Regierungsfähigkeit der Bundesregierung einzuschränken.
({4})
Sie haben beim Subventionsabbau gekniffen. Sie vertrösten auf die nächsten zwei, drei Jahre, um dann damit
Steuersenkungen gegenzufinanzieren.
({5})
Dabei ist Ihnen völlig klar, dass es bei der Mittelvergabe
zwischen den Generationen eine Schieflage gibt und es
sehr vernünftig ist, Subventionen abzubauen, um dieses
Geld in Bildung zu investieren; denn die junge Generation ist eigentlich gekniffen.
({6})
Adenauer - diese Ära muss in dieser Republik wirklich einmal beendet werden - hatte beim Generationenvertrag maximal zwei Generationen im Auge. Wir alle
wissen, was der Webfehler bei der Rente ist. Vor diesem
Hintergrund sollte man doch jetzt ehrlich sein und sagen:
Es gibt in diesem Land eine investive Schieflage; das betrifft die Bildung, das, was wir für junge Menschen in
diesem Land machen.
({7})
Dieses Problem muss man jetzt lösen. Man kann nicht
darauf warten, ob Sie eventuell 2006 erfolgreicher sein
werden als 2002. Ihr Vorgehen halte ich für eine Zumutung. Sie haben doch in den Ländern dieselben Probleme. Jetzt, da wir dabei sind, die Wand - sie ist hauchdünn -, die von den letzten Strukturreformen trennt, die
nötig sind, zu erreichen und auch zu durchbrechen, kneifen Sie, weil Sie durch diese dünne Wand schon erkennen können, was das alles bedeutet.
Wie sich Herr Stoiber in den letzten Monaten aufgeführt hat - meine Einschätzung teilt der Kollege Merz ja
ganz öffentlich, wie ich aus der Zeitung weiß -, viele Sachen verhindert hat und in der öffentlichen Wahrnehmung sozusagen ein Rollback hinsichtlich der modernen
Entscheidungen, die wir treffen müssen, um das Land fit
zu machen, versucht, hat mich schon sehr geärgert. Man
kann nicht das eine sagen und das andere tun; das ist
nicht in Ordnung. Sie nehmen Ihre Verantwortung nicht
wahr. Sie gehen immer wieder nur den Schritt, dass Sie
sagen, was Sie anders machen würden, wenn Sie dürften, und dann schmollen Sie ein bisschen und sagen, Sie
dürften ja nicht. Das ist relativ wenig für eine so große
Oppositionsfraktion.
({8})
Wenn Ihnen jetzt das Gegrummel des einen oder anderen Ministers, der sich mal ein bisschen die Krawatte
lockert, weil ihn der Spardruck ziemlich zwickt,
({9})
zu viel ist und Sie Angst haben, es gebe einen finanzpolitischen Kurswechsel, dann mag es Sie vielleicht zumindest trösten, dass die Abstimmung zwischen den
Deutschen und den Franzosen in den letzten Jahren stark
gestiegen ist und es inzwischen einen sehr verlässlichen
Arbeitszusammenhang gibt. Sie sollten einmal nachlesen, was Ihr konservativer Kollege Sarkozy in Frankreich, der inzwischen sowohl Finanz- als auch Wirtschaftsminister ist, in den letzten zwei Tagen dargelegt
hat, was die Haushaltsführung 2005 betrifft. Der 13. Mai
ist nicht nur der Tag der Steuerschätzung. An diesem Tag
findet auch der deutsch-französische Gipfel statt. Dann
werden wir sehen, was sich im Rahmen dieser engen
Zusammenarbeit in Bezug auf das Einhalten der
Maastricht-Kriterien im Haushalt 2005 in den beiden
größten Volkswirtschaften Europas ergeben wird.
Ich sagte: Diese hauchdünne Trennwand erschreckt
viele. Es wird der älteren Generation bestimmt nicht sehr
leicht fallen, sich von der alten Republik zu verabschieden. Deswegen gibt es vornehmlich bei älteren Leuten
- das fällt mir schon auf - Nervositäten. Das heißt aber
nicht, dass Sie den Freibrief haben, Reformen zu verweigern, nur weil Sie im Bundesrat eine strukturelle Mehrheit haben und glauben, dass Sie das alles alleine und
besser hinbekommen. Auch Sie haben ein Generationenproblem.
({10})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Laurenz Meyer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was
Kollege Poß hier vorgetragen hat, macht mir Sorge.
({0})
- Die Art und Weise vor allen Dingen. - Wenn man diesen Wahrnehmungsverlust und diese Wirklichkeitsstörung, das, was Sie hier gemacht haben, im Familienkreis
vorfinden würde, würde man einen Arzt rufen.
({1})
Sie haben die derzeitige Lage in Deutschland ganz offensichtlich nicht erkannt. Sie fahren - da hat der Kollege Merz völlig Recht ({2})
das Land sehenden Auges oder mit geschlossenen Augen vor die Wand und tun so, als ob das das Normalste
auf der Welt wäre.
Wir haben in den letzten Tagen die EU-Erweiterung
um zehn Länder erlebt, ein Ereignis, mit dem das große
Europa auf die Weltbühne tritt. Gleichzeitig haben wir
eine Bundesregierung, die von ihrer Qualität her bestenfalls für die Kommunalverwaltung einer Mittelstadt geeignet ist.
({3})
- Bestenfalls!
({4})
- Gut, Kollegen, ich gebe Ihnen Recht. Wahrscheinlich
würde man sich unter den Fraktionen einig werden, solche Dezernenten gemeinsam abzuwählen.
({5})
Betrachten wir nur einmal die letzten sieben Tage
durch das Brennglas:
({6})
überbordende Schulden, Schulden noch nie so hoch wie
in diesem Jahr, höchste Neuverschuldung. Heute lautet
eine Meldung: Höchste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Die Langzeitarbeitslosigkeit steigt um
13 Prozent.
Herr Clement schlägt vor, den kleinen Sparern den
Sparerfreibetrag zu streichen. Heute - das muss man
sich auf der Zunge zergehen lassen - meldet eine NachLaurenz Meyer ({7})
richtenagentur, dass Herr Clement bis zum Nachmittag
keinen neuen Vorschlag gemacht hat.
({8})
Kein neuer Vorschlag kam aus seinem Mund - heißt es
bei ddp -, zumindest nicht bis zum Nachmittag.
Herr Müntefering schlägt eine Ausbildungsplatzabgabe vor. Diese würde ein Übriges tun, um die Wirtschaft zu verunsichern. Das, was jetzt an angeblichen
zusätzlichen Haushaltsrisiken entdeckt worden ist, bezeichnen Sie als neu. Dabei sind das Punkte, über die wir
im Rahmen der Haushaltsplanberatungen diskutiert haben. Es sind die Luftblasen in Ihrem Haushalt, die jetzt
nach und nach platzen, nichts anderes.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Eigenheimzulage wird einem wirklich schlecht. Was soll das? Das
ist wie der Jäger 90, den die Grünen früher vor sich hergetragen haben.
({10})
Sie schlagen die Streichung der Eigenheimzulage regelmäßig doch nur vor, weil Sie genau wissen, dass wir sie
ablehnen. Können Sie mir sagen, Herr Poß, was das soll?
Ein Irrwitz, wie er schlimmer nicht sein könnte, wird
hier deutlich sichtbar. Indem man weniger Häuser bauen
will, will man die Konjunktur ankurbeln! Ausgerechnet
damit!
({11})
Die Streichung der Eigenheimzulage würde dazu führen,
dass weniger kleine Leute ein Haus bauen können. Ausgerechnet so will man die Konjunktur ankurbeln, das
muss man sich einmal vorstellen.
({12})
In einem anderen Bereich haben Sie Gott sei Dank
nur begrenzte Zuständigkeiten. Ausgerechnet Sie wollen
sich um die Bildung kümmern. Das müssen die Eltern in
diesem Land als Drohung empfinden, wenn sie die Ergebnisse der Bildungspolitik in den rot-grün geführten
Bundesländern sehen.
({13})
Ich sage: Gott sei Dank wird die Bildungspolitik in
Deutschland nicht zentral von Rot-Grün gemacht, sondern in den Ländern.
({14})
Meine Damen und Herren von den Grünen, ich fand
das, was hier vorgetragen wurde,
({15})
am Anfang noch einsichtig. Ich werde in dieser Woche
allerdings den Verdacht nicht los, dass das Getöse um
die Zuwanderung nur dazu dient, davon abzulenken,
dass Sie das Nachhaltigkeitsthema, das Sie wie eine
Fahne vor sich hergetragen haben, jetzt mit Füßen treten
und Joschka Fischer vorneweg marschiert. Diesen Verdacht werde ich wirklich nicht los. Das muss ich hier sagen.
({16})
Sie stehen in der Verantwortung und unsere Kinder müssen das ausbaden, was Rot und Grün ihnen einbrocken.
({17})
Als ersten notwendigen Schritt brauchen wir eine ehrliche Bestandsaufnahme und eine Haushaltssperre, damit das Ausgeben auf Teufel komm raus aufhört. Ihnen,
meine Damen und Herren von der SPD, sage ich vorweg: Solange fast 50 Prozent der Menschen in diesem
Land Angst um ihren Arbeitsplatz haben, können der
Bundeskanzler, der Wirtschaftsminister und wer auch
immer die Menschen zum Konsum auffordern, sie werden nicht konsumieren.
({18})
Solange die Menschen keine Planungssicherheit für ihre
Investitionen haben, werden sie nicht investieren. Sie
werden auf eine bessere Politik und eine andere Regierung warten. Dafür ist es Zeit.
({19})
Das Wort hat nun Ortwin Runde, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Meyer, ich glaube, ich habe es richtig in
Erinnerung: 1998 gab es im Januar/Februar 4,8 Millionen Arbeitslose.
({0})
Das war der höchste Stand.
({1})
Herr Ramsauer, während ich Ihnen zuhörte, habe ich
den Eindruck gewonnen, dass Sie die Wahlniederlage
von 1998 bis heute psychisch noch nicht verdaut haben.
({2})
Das ist wirklich ganz erstaunlich. Dass Sie der Bevölkerung klar machen wollen,
({3})
dass 22 Jahre Kohl Fortschritt in Deutschland und die
Reform Deutschlands bedeutet hätten, ist wirklich eine
rückwärts gewandte Utopie ganz besonderer Art. So etwas ist mir bisher noch nicht begegnet.
({4})
Dass es seit 1998 eine Reihe von tief greifenden Reformen gegeben hat, ist jedem, der das objektiv bewertet, klar.
({5})
Dazu gehört nicht zuletzt die große Steuerreform, die in
Stufen bis 2005 wirken wird.
({6})
Das ist eine große Leistung. Dazu gehören auch andere
Reformen.
Dass wir uns nach drei Jahren Stagnation in einer
haushaltspolitisch schwierigen Situation befinden, ist
unbestreitbar. Das ist für jeden, der die Situation analysiert, ganz selbstverständlich, ob auf Landesebene, auf
kommunaler Ebene oder hier auf Bundesebene. Die
Frage muss doch lauten: Wie können wir diese schwierige Situation überwinden? Dabei streiten wir uns in der
Tat um die Konzepte.
Dass es hinsichtlich der Ausgabendisziplin und des
Einhaltens von Ausgabenpfaden keinen Kurswechsel geben kann, ist ganz selbstverständlich.
({7})
Ich kann nachempfinden - und kenne das aus der eigenen Vergangenheit -, dass der eine oder andere Fachminister, wenn er mehrere Jahre unter dem Druck des
Sparens und der Ausgabendisziplin steht, den Wunsch
hat, dass das doch einmal zu Ende sein möge. Das kann
aber nicht die Strategie sein.
Wenn man das Ganze objektiv betrachtet, muss man
auch über den Tellerrand Deutschlands hinaus blicken.
Dann sieht man, dass alle alten Industrieländer in Europa
ähnliche Probleme haben. Auch diejenigen, die bei der
Diskussion über die Einhaltung des Stabilitäts- und
Wachstumspakts und hinsichtlich der Maßnahmen, die
erwogen worden sind, eine ablehnende Position vertreten haben, befinden sich heute - wie die Niederlande
und Spanien - in einer vergleichbaren Situation. Wir
müssen also darüber diskutieren, wie wir mit der Situation umgehen. Dabei muss der Konsolidierungsweg weiter beschritten werden. Ausgabendisziplin ist angesagt.
({8})
Zudem müssen die Reformen natürlich umgesetzt
werden. Da ist die Opposition gefragt.
({9})
Der Beitrag, den Sie im letzten Jahr geleistet haben, war
kein positiver Beitrag. Herr Merz, Sie haben völlig
Recht, wenn Sie sagen: Es dauert eine Weile, ehe der
Subventionsabbau wirkt. Sie hätten bereits im Frühjahr
des letzten Jahres beim Steuervergünstigungsabbaugesetz konstruktiv mitarbeiten können.
({10})
Es ist nicht richtig, im Vermittlungsausschuss Bereiche
wie die Landwirtschaft völlig herauszunehmen. Das ist
Klientelpolitik übelster Art. Das ist kein Beitrag zur Reform.
Welche Auswirkungen Ihr Wirken hat, zeigt das Frühjahrsgutachten auf. Darin steht: Dadurch, dass Sie das
vollständige Vorziehen der Steuerreform 2005 verhindert haben, haben Sie die Revision der Wachstumsprognose zu verantworten. Das ist Ihre Verantwortung! Ich
kann an Sie wirklich nur appellieren - auch bezogen auf
die Hartz-IV-Reform, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe -, Ihre obstruktive Haltung aufzugeben und sich darüber klar zu werden, wie Sie hinsichtlich des Alterseinkünftegesetzes verfahren wollen. Man
kann nicht von Reformnotwendigkeiten reden, sich aber
immer gegenteilig verhalten. Das ist kein Kurs.
({11})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dietrich
Austermann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt
drei Stereotypen, die in der Debatte über die Finanz- und
Haushaltssituation regelmäßig verwendet werden: Das
erste lautet, die Opposition würde nicht richtig mitspielen, das zweite, sie würde es auch nicht besser machen,
und das dritte, die Regierung sei dabei, zu sparen.
Der erste Punkt lässt sich gut an dem festmachen, was
Kollege Runde hier gesagt hat. Was würden wir anders
machen? Das können Sie im Saarland, in Niedersachsen,
in Hessen und in Hamburg sehen.
({0})
Wir tauschen schlechte Regierungen durch bessere aus.
Dann läuft es besser.
({1})
Herr Runde, Hamburg ist ein Beispiel für Ihre gescheiterte Politik. Mit Bezug auf die Bundespolitik sage
ich: 2006 werden sich die Bürger genauso wie dort verhalten. Dann wird es automatisch Impulse geben; denn
dann wird das, was in der gegenwärtigen Situation so
schädlich ist, aufhören: eine Politik, bei der jeden Tag
eine neue Sau durch das Dorf getrieben wird und bei der
keiner mehr weiß, was gestern gegolten hat und was
morgen gilt. Sie können von Folgendem ausgehen: Sowohl die Ausbildungsplatzabgabe als auch eine Fülle anderer Gesetzentwürfe, die in dieser Woche auf der Tagesordnung des Bundestages stehen, werden, wenn sie in
Kraft treten, den Investoren in Deutschland schaden und
das Klima im Lande negativ beeinflussen.
({2})
Das, was sich in den letzten sieben Tagen in der Regierungsspitze abgespielt hat, war nicht dazu angetan, Vertrauen zu wecken. Deswegen sage ich: Es geht in erster
Linie darum, bei Investoren und Konsumenten Vertrauen
zu schaffen.
({3})
In der Situation, in der sich Deutschland befindet, der
schlimmsten Finanz- und Haushaltskrise der Nachkriegszeit, hätte ich mir gewünscht - meine Vorredner
Friedrich Merz, Peter Ramsauer und Kollege Meyer haben das erwähnt -, dass sich die Regierung an dem Ort
versammelt, an dem das Parlament zusammenkommt,
um den Haushalt aufzustellen und ihn zu kontrollieren,
einen Bericht über die Situation abgibt und dann darüber
diskutiert und entschieden wird. Stattdessen erscheint
hier die C-Besetzung;
({4})
die Regierung lässt sich gar nicht sehen. Was in den Zeitungen steht, wird dementiert.
({5})
Auch die Fakten, die auf dem Tisch liegen und die Sie
selbst angesprochen haben, werden bestritten. Kollege
Diller hat bestritten, dass Ihre Aussage, die in der Zeitung steht, auch von Ihnen getroffen worden ist. Wenn es
so weitergeht, dass Sie das, was Sie sagen, selbst nicht
mehr glauben, dann muss man sich nicht wundern, wenn
die Menschen erst recht nichts mehr glauben.
({6})
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, der zu den
Stereotypen der gegenwärtigen Diskussion gehört: die
Behauptung, es werde gespart. Das kann ich nicht erkennen. Beim Personal wird zum Beispiel nicht gespart. Sie
gliedern zwar Personal aus und gründen neue Gesellschaften, um Genossen zu bedienen. Aber die Kopfzahl
ändert sich nicht, und wenn, wird sie größer. Sie sparen
nicht bei den Sozialausgaben und nicht bei den Arbeitsmarktausgaben. Sie sparen eigentlich nur an Kreativität.
Es gibt Leute, die sagen, dass die Regierung spart.
Dazu sage ich: Eichel spart bei der Haushaltswahrheit,
Fischer bei seinen Urlaubsausgaben, Schröder bei vertrauenswürdiger Politik, Struck bei der vorgeschriebenen
Einberufung der Wehrpflichtigen, Stolpe bei den Investitionen in die Infrastruktur, Clement an Realismus und
Bulmahn an Kreativität. Alle miteinander sparen bei
nachvollziehbarer Politik, die in der Bevölkerung Vertrauen schafft. Das sind die einzigen Punkte, an denen
Sie sparen. Was den Haushalt betrifft, sparen Sie aber
nicht.
({7})
Ich beschreibe die tatsächlichen Dimensionen - es
wird ja immer wieder auf Ihre Ausgangssituation im Jahr
1998 abgestellt -, um zu erklären, was wir anders gemacht haben: 1998 hatten wir steigende Beschäftigungszahlen, sinkende Neuverschuldung, steigendes Wachstum und sinkende Arbeitslosenzahlen zu verzeichnen.
Heute stellen wir in allen wesentlichen Bereichen das
genaue Gegenteil fest.
Herr Poß, Sie können so viel lärmen, wie Sie wollen.
Aber man muss feststellen, dass die Beschäftigungszahlen auf ein Rekordtief gesunken sind. Damit hängt auch
die Situation hinsichtlich der Sozialausgaben und der
Steuereinnahmen zusammen.
Wenn Sie sagen, dass wir Ihnen nicht genug helfen,
({8})
frage ich Sie: Was ist denn beim Thema Steuersenkungen geschehen? Die beschlossene Steuersenkung, die im
Jahre 2003 Gesetz werden sollte, haben Sie ausgesetzt.
Die Steuersenkung, die Sie auf dieses Jahr verschoben
haben, wollten Sie durch Steuererhöhungen an anderer
Stelle konterkarieren. Sie nennen das zwar „Verbreiterung der Bemessungsgrundlage“; eigentlich müsste es
aber „Steuererhöhung“ heißen.
({9})
Dem haben wir natürlich nicht zugestimmt; denn in der
gegenwärtigen Phase wäre es ausgesprochen idiotisch,
die Steuern zu erhöhen.
({10})
Ich möchte zum Abschluss die konkreten Zahlen nennen, die - Gott sei Dank - nicht bestritten werden.
Sie müssen sich aber beeilen, Herr Kollege.
Ich habe noch drei Sekunden. - In den Jahren 2002
und 2003 haben Sie 85 Milliarden Euro neue Schulden
gemacht und die Schulden steigen jedes Jahr in 10-Milliarden-Sprüngen. Sie haben die Dinge nicht mehr im
Griff. Deswegen ist es Zeit, dass Sie aufhören und die
Verantwortung in die Hände derer legen, die es können,
wie in Hamburg.
({0})
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Carsten
Schneider, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aktuelle Stunden dienen ja grundsätzlich dazu, Klarheit
über aktuelle Entwicklungen zu erhalten. In der vorigen
Woche hatten wir eine Aktuelle Stunde beantragt, in der
es darum ging, die widersprüchlichen Aussagen der
Union zu Ihren Konzepten zum Umbau des Sozial- und
Steuerwesens zu erörtern. In der Zeitung hatte sich Herr
Seehofer mit Herrn Merz auseinander gesetzt - ich
möchte das einmal positiv formulieren -, so viel zum
Thema „Schwesterpartei“.
({0})
Es geht um eine Deckungslücke von circa 100 Milliarden Euro.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich saß vorige Woche hier, habe von Ihnen aber leider keine Aussage
gehört, wie diese 100 Milliarden Euro tatsächlich zu
finanzieren sind. Wenn ich den Zahlen des Bundesfinanzministeriums traue, komme ich zu dem Schluss,
dass diese 100 Milliarden Euro definitiv zu Ausfällen in
den öffentlichen Haushalten führen würden.
({1})
- Herr Meyer, Sie haben gerne später Gelegenheit, mir
Auskunft zu geben, wie Sie diese Lücke schließen wollen. Das würde mich sehr interessieren!
({2})
Ich will nicht sagen, dass die letzten Jahre für einen
Haushälter das pure Vergnügen waren, aber wir haben
immer solide Haushalte aufgestellt.
({3})
Schauen Sie sich die Ausgabenseite an - der entscheidende Faktor für die Solidität ist die Ausgabenseite -:
Diese ist in den vergangenen Jahren - von 1999 bis
heute - um gerade einmal 4 Prozent gestiegen. Das ist
weniger, als die Wirtschaftsinstitute empfohlen haben.
Das Problem liegt auf der Einnahmenseite. Wer die Zahlen liest, muss das eigentlich verstehen. Aber wenn ich
die Reden und die öffentlichen Ausführungen von Herrn
Austermann höre, habe ich da manchmal meine Zweifel.
Jedes Jahr spricht er von einer Rekordverschuldung; das
war voriges Jahr so und ist auch die letzten Jahre immer
so gewesen. Tatsächlich hatten wir nie eine Rekordverschuldung. Die Rekordverschuldung hat immer noch ihr
ehemaliger Kollege Theo Waigel zu verantworten. Auch
in diesem Jahr werden wir dessen Rekordverschuldung
nicht übertreffen; der Pokal wird auf Ihrer Seite bleiben.
Ich hätte mir gewünscht - das liegt in der Verantwortung der Opposition -, dass wir uns im Vermittlungsausschuss beim Subventionsabbau in vielen Punkten einig
gewesen wären. Die FDP hat vorige Woche einen Gesetzentwurf vorgelegt. Herr Stoiber hat angeblich gesagt,
er setze sich nicht an den Tisch, um die Probleme
Deutschlands zu lösen, wenn man bei den Agrarsubventionen auch nur ein Fingerchen breit etwas ändert. Was
ist denn das für eine Zukunftspolitik? Das ist rückwärts
gewandt.
({4})
Ich wünschte mir wirklich, wir hätten eine Opposition,
die sich Ihrer Verantwortung für dieses Land bewusst
wird.
({5})
Sie tragen in vielen Bundesländern Verantwortung.
Die Ausfälle in den Haushalten sind ja nicht nur ein Problem des Bundes, sie sind auch ein Problem der Länder.
Ich wünschte mir, dass auch die Finanzminister der Länder sich ihrer Verantwortung bewusst würden. Sie hier
im Bundestag tun dies jedenfalls nicht. Sie haben weder
bei den Beratungen zum Haushalt 2004 einen einzigen
Antrag eingebracht - die FDP nehme ich aus - noch haben Sie zum Thema „Nachhaltigkeit in der Gesellschaft“
bzw. Rentenreform einen eigenen Entwurf vorgelegt.
Der Bundeskanzler hat von dieser Stelle aus gesagt: Es
war ein Fehler, den demographischen Faktor abzuschaffen. Herr Merz, Sie haben ihn damals noch zu seiner
Ehrlichkeit beglückwünscht. Wir haben dafür den Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt und die Rentenversicherung
damit langfristig auf sichere Beine gestellt. Wieder haben Sie keinen eigenen Entwurf gehabt und nur abgelehnt. Ich glaube, dies muss wirklich einmal ganz deutlich gesagt werden: Natürlich bringt es die Regierung
und die sie tragenden Fraktionen in einem wie Deutschland föderal organisierten Land in Schwierigkeiten,
wenn die Opposition sich gänzlich der Realität und jeder
Veränderung der Politik verweigert.
({6})
Der letzte Streich ist die Rentenbesteuerung. Ich habe
nicht verstanden, warum Sie das Alterseinkünftegesetz
im Bundestag abgelehnt haben. Sie haben das doch immer gefordert; man muss nur auf Ihrer Homepage nachsehen und sich die Stellungnahmen dazu durchlesen.
Einer Ihrer Geschäftsführer hat gesagt, Thüringen werde
dem im Bundesrat wohl zustimmen. Jetzt hört man aus
Thüringen, das sei nicht der Fall. Herr Grund, vielleicht
können Sie das Rätsel auflösen: Ich wüsste gerne, ob das
ein Ja ist, ein Nein oder ein Jein. Haben Sie eine Meinung dazu? Ich bin mir angesichts der Parolen, die man
hört, und der Vorschläge, die nicht finanzierbar sind
- ich erinnere daran: 100 Milliarden Euro -, nicht sicher,
ob die Opposition wirklich etwas kann.
Ich möchte zur Aufklärung beitragen; eine Aktuelle
Stunde dient ja diesem Zweck. Auf die Frage, ob es eine
Veränderung der finanzpolitischen Linie gibt, sage ich
Ihnen ganz klar: Es gibt keine Veränderung und es wird
auch keine Veränderung geben,
({7})
weil wir uns das gar nicht leisten können. Wir können es
uns nicht leisten, die Finanzpolitik im Bereich der Ausgaben zu verändern.
({8})
Das war bisher nicht unsere Politik und wird es auch nie
sein. Ich kann nur hoffen, dass Sie Ihrer Verantwortung
gerecht werden und sich bei der Aufstellung des
Haushaltes 2005 wenigstens die Mühe machen, Alternativvorschläge vorzulegen.
({9})
Das Wort hat nun die Kollegin Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS.
Die Finanzpolitik von Herrn Eichel, die Arbeitsmarktpolitik von Herrn Clement und die Gesundheitsund Rentenpolitik von Frau Schmidt sind Gift für die
Konjunktur. Ihre Politik läuft immer auf das Gleiche hinaus: Sie belasten die Menschen mit kleinen Einkommen, die Arbeitslosen und die sozial Schwachen und
begünstigen die Bürger mit hohen und sehr hohen Einkommen. Das ist nicht nur unsozial, das ist auch ökonomisch unsinnig.
Um die Konjunktur anzukurbeln, reicht es offensichtlich nicht aus, Exportweltmeister zu sein, man muss
auch etwas zur Förderung der Binnennachfrage tun. Es
ist nachgewiesen, dass Menschen mit mittleren und hohen Einkommen viel Geld sparen, Menschen mit geringen Einkommen dagegen ihr Geld im Monat vollständig
ausgeben müssen und am Ende des Monats nichts mehr
übrig haben. Die Absenkung des Höchststeuersatzes
wird demzufolge nicht zu der notwendigen Binnennachfrage führen, sondern die Sparquote weiter erhöhen. Die
Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau
ist Gift für die Konjunktur, weil dadurch der Massenkonsum weiter eingeschränkt wird. Die erhöhten Zuzahlungen zu Medikamenten und die Rentenkürzungen werden
den Konsum weiter drosseln. Es reicht nicht, die Bürgerinnen und Bürger aufzufordern, mehr zu kaufen; wenn
sie kein Geld haben, können sie das einfach nicht. Das
beste Konjunkturprogramm wäre demzufolge die Rücknahme der von der Bundesregierung beschlossenen sozialen Zumutungen. Schon Regierungsmitglieder sprechen davon, dass es sich um Zumutungen handelt.
Einige haben das augenscheinlich also schon erkannt.
Der Kanzler und der Vizekanzler möchten offensichtlich ohne Herrn Eichel mit staatlichen Investitionsprogrammen die Wirtschaft ankurbeln. Wir als PDS würden
ein Investitionsprogramm für Bildung, Wissenschaft und
Forschung unterstützen. Wir könnten mit den riesigen
Goldreserven riesige Bildungsreserven in unserer Gesellschaft erschließen. Allerdings liegen die Reserven
unserer Meinung nach nicht in der Bildung von Eliteuniversitäten, sondern in der Verbesserung der Bildung
möglichst vieler Menschen.
Abschließend ein Wort an den Kollegen Merz. Er hat
kürzlich erklärt, dass staatliche Programme zur Ankurbelung der Wirtschaft einen Rückfall in die 70er-Jahre
bedeuten würden.
({0})
Das mag sein. Doch Ihre Programme, egal ob man Ihr
Steuerkonzept nimmt, Herr Merz, oder die Aufweichung
des Kündigungsschutzes, sind ein Rückfall in das
19. Jahrhundert. Ich glaube, den meisten Menschen wäre
ein Rückfall in die 70er-Jahre lieber als ein Rückfall in
das 19. Jahrhundert. Besser wäre es allerdings, eine moderne und soziale Politik zu machen, die Agenda 2010
zu korrigieren und ihr eine Agenda Sozial entgegenzusetzen.
Vielen Dank.
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Walter
Schöler, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Trotz der wilden Vermutungen und Verdächtigungen, die
die Opposition heute hier geäußert hat, und trotz der
Spekulationen in den Medien in den letzten Tagen wird
es mit uns keinen Kurswechsel in der Haushaltspolitik
geben.
({0})
Es hat ihn bisher nicht gegeben und es wird ihn auch in
den nächsten Jahren nicht geben. Wir werden nämlich
noch eine ganze Zeit lang regieren. Kollege Koppelin,
wir, Regierung und Koalitionsfraktionen, halten an dem
finanzpolitischen Dreiklang aus Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und Wachstumsförderung unverändert fest.
({1})
Herr Kollege Meyer, die Strukturreformen im Rahmen
der Agenda 2010 werden deshalb wie beschlossen, ohne
Abstriche, umgesetzt. Ich kann Ihnen sagen: Wir setzen
die langfristig angelegte Konsolidierung des Bundeshaushaltes fort.
({2})
Sie haben davon gesprochen, Sie würden das Land
auf Kurs bringen. Kollege Runde hat das noch einmal
gesagt: Sie haben das Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit, der höchsten Verschuldung und den höchsten
Abgabenlasten, die Sie den Bürgern zugemutet haben,
gegen die Wand gefahren. Daran gibt es überhaupt nichts
zu beschönigen. Sie wollen hier wieder einmal tarnen,
täuschen und ablenken. Das ist die alte Methode, die Sie
auch in den letzten Aktuellen Stunden angewandt haben.
({3})
Ich finde es immer angenehm, wenn die Sitzung des
Haushaltsausschusses deshalb unterbrochen wird. Das
können wir in den nächsten Wochen und Monaten gern
fortsetzen.
Wir können belegen - ein Blick auf die Ausgabenlinie
beweist das -, dass wir bereits beachtliche Konsolidierungserfolge erzielen konnten, da wir die Ausgaben des
Bundes seit 1999 real zurückgefahren haben. Das zeigt
sich daran, dass die Gesamtausgaben des Bundes seit
1999 im Durchschnitt um 1 Prozent pro Jahr gestiegen
sind, der Anstieg also hinter der Inflationsrate zurückgeblieben ist.
({4})
Wir haben die konsumtiven Staatsausgaben in vielen
Bereichen begrenzt. Im Gegensatz zu Ihnen wussten wir
von Anfang an, dass an Sparmaßnahmen kein Weg vorbei führt. Ich muss Ihnen sagen: Die Beschlüsse haben
uns oft wehgetan. Die Bürgerinnen und Bürger hatten
zwar grundsätzlich Verständnis für die Konsolidierung
und für die Strukturreformen, wegen ihrer persönlichen
Betroffenheit haben sie sich aber nicht gerne damit identifiziert. Das muss man einmal ganz offen sagen.
Der Kollege Austermann hat eben gesagt, was er anders machen würde. Was haben Sie denn anders gemacht? Sie zitieren jetzt hier das Saarland, Niedersachsen und Hamburg. Was haben Sie denn anders gemacht?
Ich erinnere an die Beratung des Haushaltsplanes 2004.
Im August haben Sie gesagt, Sie würden knallharte
Sparmaßnahmen vorlegen.
({5})
Das, was Sie gebracht haben, war Makulatur. Ungefähr
zwei Tage vor den abschließenden Beratungen haben Sie
326 leere Seiten Papier im Haushaltsausschuss abgeliefert. Das muss man der Öffentlichkeit einmal sagen.
({6})
Dieses Papier hätte man sich sparen können. Wir wären
schon ein ganzes Stück weiter,
({7})
wenn Sie hier konkrete Vorschläge gemacht hätten, anstatt uns Sand in die Augen streuen zu wollen.
Uns ist der Einstieg in den Subventionsabbau auf beiden Seiten gelungen: auf der Einnahmeseite zum Teil
und auf der Ausgabenseite hervorragend. Diese Erfolge
haben wir gegen Ihren Widerstand durchgesetzt. Die
Kollegen haben das eben dargelegt.
({8})
Hätten Sie in Ihrer Regierungszeit doch mit all diesen
Maßnahmen begonnen! Sie hatten 16 Jahre lang Zeit.
({9})
Leider haben Sie das nicht getan.
({10})
Im Gegenteil: Sie haben immer weiter draufgesattelt, bis
Sie im Stillstand verharrt sind. Kollege Ramsauer, das
war der Grund, weshalb man Sie 1998 abgewählt hat.
Unser Ziel bleibt ein ausgeglichener Haushalt. Sie
werden uns nicht daran hindern, das zu erreichen. Die
konjunkturelle Stagnation in den letzten Jahren hat die
Erreichung dieses Ziels wahrlich nicht einfacher gemacht; das wissen wir alle. Wir haben Ihnen bereits in
den letzten Jahren - auch im vergangenen Jahr und in
den letzten Wochen und Monaten wieder - bei der Verabschiedung der Haushaltspläne gesagt, dass wir das
Ziel einer Nettokreditaufnahme von Null bis 2006 leider
nicht erreichen werden. Das ist keine neue Meldung und
auch keine neue Erkenntnis und erst recht kein Kurswechsel in der Haushalts- und Finanzpolitik, die im Übrigen auch nicht im luftleeren Raum stattfindet.
({11})
Ich kann Ihnen nur sagen: Die Umsetzung der bisher
von der Union vorgelegten Vorschläge zur Sozialpolitik,
zur Steuerpolitik und zur Pflegeversicherung
({12})
- Herr Seehofer hat die Zahl, ich benutze jetzt einmal die
Worte von Herrn Ramsauer, ausgeplappert - soll
102 Milliarden Euro kosten. Sie von der Union wissen
ganz genau, dass diese Vorschläge weder finanzierbar
sind noch dem Land dienen. Dadurch würden Sie das
soziale Netz zerstören, das wir auch in Zukunft unabdingbar brauchen. Deshalb sind Ihre Vorschläge keine
Alternative zu unserer Politik des Dreiklangs aus Strukturreformen, Innovation und Konsolidierung.
Wer in dieser Pseudodiskussion die Frage stellt, ob
der Konjunkturaufschwung weitere Konsolidierung voraussetzt oder die Konsolidierung weiteren Konjunkturaufschwung, dem kann ich nur antworten: Beide bedingen einander.
({13})
Das wissen Sie genauso gut wie wir. Wir setzen auf
Wachstums- und Beschäftigungsimpulse.
({14})
Ich fordere Sie auf: Machen Sie mit! Geben Sie Ihre
Blockadehaltung auf!
({15})
Legen Sie demnächst seriöse Vorschläge vor! Wir sind
bereit, darüber zu beraten.
({16})
- Bei den nächsten Haushaltsberatungen.
Auf diesen Dialog kann ich mich nicht mehr einlassen.
Zu den nächsten Haushaltsberatungen, die ab August
stattfinden, sind Sie herzlich eingeladen.
({0})
Letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kollege Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! 83-mal steht im Koalitionsvertrag zwischen Rot
und Grün das Wort Nachhaltigkeit.
({0})
- Ich habe nachgezählt: 83-mal. - Nachhaltig soll die
Politik der Bundesregierung im Bereich der Gesellschaftspolitik, der Wirtschaftspolitik, der Staatsfinanzen,
des Haushaltes und auch des Aufbaus in den neuen Bundesländern sein. Wer in diesen Tagen ein Fazit ziehen
will, braucht nur das Frühjahrsgutachten der fünf Wirtschaftsinstitute zur Hand zu nehmen, um festzustellen:
Diese Politik ist nachhaltig gescheitert.
({1})
Sie ist so nachhaltig gescheitert, dass wir heute vor einem großen Scherbenhaufen stehen. Interessanterweise
sind die Einzigen, die Nutzen aus diesem nachhaltigen
Scheitern ziehen, die Grünen. Die Zustimmung für die
Grünen nimmt auf Kosten der SPD zu, Herr Poß. Das ist
das einzige Problem der Koalition, das in diesen Tagen
ausgetragen wird.
({2})
Nun würde der Bundeskanzler nicht Schröder heißen,
wenn er nicht versuchte, auch aus dieser Situation Nutzen zu ziehen. Es deutet alles darauf hin, dass die Haushaltspolitik auf eine Nachfragepolitik und damit auf eine
Ausgabenausweitung hinausläuft. Dies wurde in einem
Geheimtreffen mit Müntefering verabredet. Dieser hat
sich noch darüber geärgert, dass das bekannt geworden
ist. Aber als DGB-Chef Sommer im Kanzleramt angerufen und zu dieser Entscheidung gratuliert hat, ist ihm gesagt worden, dass seine Informationen richtig sind. Es
kommt also zu einer Ausgabenausweitung. Ich werde Ihnen anhand eines Beispiels beweisen, dass wir uns in
diesem Land in einer Situation befinden, in der der Bundeskanzler aus einem Flugzeug Euroscheine abwerfen
könnte und es trotzdem nur zu einem kurzfristigen
Strohfeuer kommen würde, weil langfristige Reformen
ausgeblieben sind.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP
Insoweit ähnelt die Situation in Deutschland der in Japan. Ich möchte das am Beispiel Aufbau Ost belegen.
Mit dem Aufbau Ost Anfang 1990 sind die neuen
Bundesländer über die gesamten Jahre in einer beispiellosen innerdeutschen Solidarität mit 1 200 Milliarden
Euro für Investitionen in Infrastruktur und Soziales ausgestattet worden. Sie haben aber bis auf wenige Ausnahmen das Regelwerk einer satten Bundesrepublik aus dem
Jahre 1989 übernehmen müssen. Sie sind sozusagen mit
Gummistiefeln in einen Wettbewerb geschickt worden,
für den Deutschland Spikes braucht, nämlich den Wettbewerb im Rahmen der Globalisierung und der EU-Osterweiterung.
({3})
Die Gummistiefel der neuen Länder entsprechen dem
Regelwerk, das nicht geeignet ist, die Probleme zu lösen.
({4})
Das Ergebnis in den neuen Bundesländern sind eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit wie in den alten Bundesländern, eine absolute Wachstums- und Einnahmeschwäche
und eine Produktivität von 70 Prozent.
({5})
Herr Poß, es gibt zwei Bereiche, in denen die neuen
Bundesländer wirklich Spitze sind. Das sind genau die
Bereiche, in denen sie Freiheiten bekommen haben und
ihnen Leine gegeben worden ist.
Der erste Bereich ist die Bildung. Die neuen Bundesländer konnten sich entscheiden - Bildungspolitik fällt
nicht in den Aufgabenbereich des Bundes, sondern ist
Ländersache -, ob die Hochschulreife schon nach zwölf
Schuljahren oder wie in den alten Bundesländern erst
nach 13 Schuljahren erreicht wird. Bei allen Vergleichen
sind diejenigen, die wie in Thüringen oder Sachsen nach
zwölf Schuljahren die Hochschulreife erwerben, auch an
den Universitäten Spitze. Es hat sich also gelohnt, in diesem Bereich andere Wege zu gehen und nicht das zu
übernehmen, was sich in den alten Bundesländern angeblich bewährt hat.
({6})
Der zweite Bereich ist die Verkehrsinfrastruktur. In
diesem Bereich konnten die neuen Länder im Planungsrecht von den üblichen Instrumentarien abweichen. Das
bedeutet eine Verkürzung der Planungszeiten und ein
Überspringen von Instanzen bei Einsprüchen, die Verkehrsprojekte oftmals monate- und jahrelang blockieren.
Das Ergebnis ist, dass in den neuen Ländern im Zeitraum von zwölf bis 13 Jahren Verkehrsprojekte begonnen und beendet wurden, für die die alten Bundesländer
mittlerweile 40 Jahre brauchen, wenn sie überhaupt zu
einem guten Ende kommen.
Das zeigt, dass wir in den Bereichen, in denen Reglementierungen zurückgenommen werden, in denen Freiheit, Markt und Wettbewerb zugelassen werden, in der
Lage sind, nach vorne zu kommen, von dem Bild der
neuen Bundesländer als Kostgänger wegzukommen und
die Zukunft selber zu gestalten.
({7})
Ich sage dies, weil Deutschland im Zeitalter der Globalisierung und der EU-Osterweiterung mit denselben Problemen konfrontiert ist wie die neuen Bundesländer seit
ungefähr zwölf oder 13 Jahren. Deutschland hat in einem Wettbewerb Gummistiefel an, in dem andere Länder Spikes haben. Wir fordern die Bundesregierung auf,
auch für Deutschland diese Spikes, die Sportausrüstung
zuzulassen.
Sollte es nicht möglich sein, weil Ihnen die Kraft dazu
fehlt - wirklich einschneidende Reformen würden Blut,
Schweiß und Tränen bedeuten -, das Ganze gesamtdeutsch zu regeln, dann lassen Sie uns wenigstens in den
neuen Bundesländer beweisen, dass es geht. Geben Sie
Freiheiten! Lassen Sie Wettbewerb zu! Wir fürchten uns
davor nicht.
({8})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 6. Mai 2004,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.