Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich wünsche Ihnen allen ei-
nen guten Tag und uns gute Beratungen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b so-
wie den Zusatzpunkt 8 auf:
22 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung
der gesundheitlichen Prävention
- Drucksache 15/4833 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef
Parr, Dr. Dieter Thomae, Dr. Heinrich L. Kolb,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Prävention und Gesundheitsförderung als individuelle und gesamtgesellschaftliche Aufgabe
- Drucksache 15/4671 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({1})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette
Widmann-Mauz, Verena Butalikakis, Monika
Brüning, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe umfassend, innovativ und unbürokratisch gestalten
- Drucksache 15/4830 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({2})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir das so beschließen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Bundesministerin Ulla Schmidt.
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Prävention ist ein Anliegen aller im Bundestag vertretenen Fraktionen. Deswegen müsste es gelingen, dass der
vorliegende Gesetzentwurf die Zustimmung des gesamten Bundestages erhält.
Es ist ja nicht so, als gäbe es in Deutschland nicht bereits Prävention. Sie lebt heute von vielen vorbildlichen
Projekten in Betrieben, Verwaltungen und Sportvereinen. Prävention ist bei uns schon zu Hause; aber so, wie
sie heute organisiert ist, reicht sie nicht aus.
Der vorliegende Gesetzentwurf eröffnet die Möglichkeit, Prävention wirklich in unseren Alltag einziehen zu
lassen,
({0})
sie so alltäglich werden zu lassen wie die „Tagesschau“,
den grünen Tee,
({1})
Redetext
Kaffee am Morgen, das Jobticket oder den Wetterbericht. Alle sollen die Chance erhalten und auch ergreifen,
in ihrem Viertel, ihrem Stadtteil, im Betrieb, im Kindergarten oder in der Schule etwas für sich zu tun, damit es
ihnen besser geht. Jedem Einzelnen soll es besser gehen.
Denn Krankheiten zu vermeiden, das ist vor allen Dingen etwas für die Menschen selber. Ein Mensch, der gesund ist, hat auch viel Kraft; es geht ihm besser und das
sollten wir fördern.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen, dass
zum Beispiel Eltern, die sich Sorgen machen, weil ihre
Kinder übergewichtig sind, Anleitung bekommen, dass
sie Beratung und Hilfe erhalten. Auch das ist Prävention. Wir wollen die Kindergärten und Schulen in ihrem
Bemühen um mehr Bewegung und gesunde Ernährung
unterstützen. Gesund ernährt lernt es sich besser; gesunde Ernährung schafft größere Lebenschancen für die
Kinder, weil sie dadurch für das zukünftige Leben gestärkt werden.
Auch in die Häuser für Seniorinnen und Senioren, in
denen das bisher noch nicht der Fall ist - in vielen Häusern gibt es das schon -, soll fachlich gute Anleitung zur
vernünftigen Bewegung und gesünderen Ernährung einziehen. Gesund alt werden bedeutet gewonnene Lebensjahre für jeden Einzelnen.
Die Sportvereine sollen ermutigt werden, noch mehr
auf Prävention zu setzen, ihre Angebote auszuweiten,
Trainer und Betreuer zu schulen, damit wir alle uns gesünder und wohler fühlen können.
Ich denke aber auch an die vielen Unternehmensleitungen - ich hatte gestern eine Veranstaltung mit Betriebsräten von großen Unternehmen -, die bisher nicht
genug getan haben und jetzt vielleicht neue Anstöße bekommen, gemeinsam mit den Betriebsräten, mit den
Krankenkassen und mit Medizinern über entsprechende
Angebote in den Betrieben zu reden, Programme für die
Beschäftigten einzuführen und zu evaluieren sowie zu
lernen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die
sich wohl fühlen, denen es gut geht, bei denen Rückenerkrankungen und Schmerzen vermieden werden, damit
auch eine wesentliche Grundlage für Leistungsfähigkeit,
Kreativität und ein gutes Miteinander haben.
({3})
Ein Punkt ist mir auch angesichts vieler Diskussionen
mit den Selbsthilfeorganisationen in unserem Lande
besonders wichtig: Mit diesem Gesetzentwurf wird endlich die Arbeit der Selbsthilfe gestärkt. Die Selbsthilfe
ist einer der wesentlichen Faktoren nicht nur im Bereich
der primären Prävention, sondern auch in den Bereichen
der sekundären und tertiären Prävention. Die Selbsthilfeorganisationen beraten Menschen, die krank sind, sie leiten sie an, beraten auch deren Familien und sorgen dafür,
dass eine Krankheit, wenn sie ausgebrochen ist, nach
Möglichkeit nicht zu weiteren Krankheiten führt. Wir
sorgen dafür, dass das Geld, das die Krankenkassen für
die Förderung und Finanzierung der Selbsthilfe ausgeben sollten, endlich dort ankommt und dass nicht die
Hälfte davon bei den Krankenkassen verbleibt, wie das
bisher der Fall gewesen ist.
({4})
Prävention ist eine Sache für alle. Das Ziel, gesünder
zu werden und gesünder zu leben, soll gefördert werden.
Ich hoffe, dass wir mit den Regelungen, die wir gemeinsam mit den Ländern auf den Weg bringen, wirklich viel
in Bewegung setzen, dass vor allen Dingen gute Anstöße
entwickelt werden, um an diejenigen heranzukommen,
die man normalerweise mit keinem Angebot auch der individuellen Prävention erreicht. Hierbei geht es um viele
Menschen, die vielleicht noch vor dem Fernsehapparat
„Tor!“ rufen, die aber nicht viel für sich tun, um ihr Leben zu verbessern. Es geht hierbei aber auch um viele
Kinder und um viele ältere Menschen, die bisher von
den Gesundheitskampagnen kaum erreicht werden.
Auch das wollen wir ändern und wirklich einen Schritt
nach vorne machen.
Diesem Gesetzentwurf sind viele enge Beratungen in
der Koalition, aber auch Beratungen mit den Bundesländern, egal ob unionsregiert oder SPD-regiert, und mit
den Sozialversicherungen vorausgegangen. Angesichts
der zahlreichen Partner, die an den Beratungen beteiligt
waren, ist der vorliegende Gesetzentwurf das, was wir
momentan mit der Zustimmung aller - der Sozialversicherungsträger, aber auch der Länder - auf den Weg
bringen können. Ich möchte allen für die gute Kooperation und Vorbereitung danken.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen Teil der Zukunft unseres
Gesundheitswesens beschreiben: Wir leiten einen Paradigmenwechsel ein; denn Prävention, Behandlung, Rehabilitation und Pflege stehen künftig gleichrangig
nebeneinander. Sie bilden vier Säulen unseres Gesundheitswesens. Der Gesetzentwurf ist der Start einer Entwicklung mit dem Ziel, dass wir nicht nur immer dann
sehr viel Geld ausgeben, wenn eine Krankheit aufgetreten ist oder sich verschlimmert hat, sondern dass wir
auch Geld dafür ausgeben, dass Krankheiten erst gar
nicht entstehen oder dass sich Krankheiten, wenn sie
entstanden sind, nicht weiter verschlimmern, damit die
Menschen ein Stück an Lebensqualität zurückgewinnen
können.
({5})
Unser Gesundheitswesen wird mit der neuen Bestimmung, dass Prävention vor Behandlung gesetzt werden
muss, zu einem modernen Gesundheitssystem weiterentwickelt. Wir schließen damit zu anderen Ländern in
Europa auf, die - wie zum Beispiel die skandinavischen
Länder - bereits gute Erfolge mit gesundheitlicher Prävention erzielt haben.
Bisher hat sich von den Sozialversicherungszweigen
vor allen Dingen die gesetzliche Krankenversicherung
in der Prävention engagiert. Das geschah nicht so umfassend, wie wir alle es gerne gehabt hätten; aber die gesetzlichen Krankenversicherungen waren diejenigen, die
bisher Geld in die Hand genommen und Engagement gezeigt haben. Künftig sollen sich auch die Rentenversicherung, die Unfallversicherung und die Pflegeversicherung an der Finanzierung der Verhütung von
Krankheiten beteiligen, da auch sie von präventiven
Maßnahmen profitieren. Ich hoffe, dass es uns im Laufe
der Beratungen gelingen wird, auch die Bundesagentur
für Arbeit in die gemeinsame Aufgabe der Prävention
einzubeziehen. Alle tragen in diesem Bereich eine Verantwortung und alle müssen diese Verantwortung gemeinsam wahrnehmen.
({6})
Jährlich soll insgesamt eine viertel Milliarde Euro für
präventive Maßnahmen verwendet werden. 80 Prozent
davon sollen für individuelle Präventionsangebote oder
für Angebote zur Prävention in den verschiedenen Lebenswelten verwendet werden. Der Rest soll für Modellvorhaben, Kampagnen und viele andere Dinge, die man
zusätzlich auf den Weg bringen muss, um die Menschen
für unser Vorhaben zu begeistern, aufgewendet werden.
Experten schätzen, dass man durch einen Ausbau der
Präventionsmaßnahmen in den Bereichen Krankheitskosten und krankheitsbedingte Ausfallkosten langfristig
Einsparungen in Höhe von mehr als 6 Milliarden Euro
erzielen kann.
Wir alle wissen, dass in einer Gesellschaft des längeren Lebens das, was der Einzelne für seine Gesundheit
aufbringen muss, nicht weniger werden kann. Wenn wir
wollen, dass die Menschen am medizinischen Fortschritt
teilhaben können, ist das nicht aus der Portokasse zu bezahlen. Angesichts dieser Tatsachen müssen wir wirklich alles tun, um dort Einsparungen vorzunehmen, wo
sie vorgenommen werden können, zumal wenn sie den
Menschen gleichzeitig ein Mehr an Lebensqualität bringen. Es ist höchste Zeit, alles Erforderliche auf den Weg
zu bringen, damit die Prävention als nationale Aufgabe
in der Form starten kann, wie wir es wollen.
({7})
Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zur privaten
Krankenversicherung sagen. Ich bedaure es sehr, dass
mir die gesetzliche Grundlage fehlt, um die privaten
Krankenversicherungen zur Mitfinanzierung heranzuziehen: Es kann auf Dauer nicht sein, dass in den Kindergärten und Schulen Angebote zur Prävention in den Bereichen Ernährung und Bewegung sowie Angebote zur
Zahnprophylaxe gemacht werden, bei denen sich die privaten Krankenversicherungen außen vor halten, während die gesetzlich Krankenversicherten auch für die
Kinder der privat Versicherten zahlen müssen.
({8})
Deshalb sollte es unser gemeinsames Anliegen sein,
die privaten Krankenversicherungen in die Pflicht zu
nehmen, damit sie sich auf diesem Gebiet anteilmäßig
ebenso wie die gesetzlichen Krankenversicherungen an
den Kosten beteiligen.
({9})
Das Angebot der privaten Krankenversicherungen,
3,5 Millionen Euro, davon 3,4 Millionen für die BZgA
und 100 000 Euro für die Aidsprophylaxe, zur Verfügung zu stellen, ist zwar honorig; es reicht aber nicht
aus. Das sollten wir in der Öffentlichkeit deutlich sagen.
({10})
Prävention ist um so erfolgreicher, je einfacher sie
sich darstellt und je einfacher wir die Menschen erreichen. Wir brauchen keine großen Botschaften. Einfache
Aussagen wie „Lass den Fahrstuhl stehen! Geh zu Fuß!“
können eine ganze Menge erreichen.
Die verschiedenen Präventionsmaßnahmen müssen
jedoch zusammengeführt werden. Damit die verschiedenen Maßnahmen, die es überall gibt, effektiv und sinnvoll sind, braucht man einen roten Faden, an dem sie
sich ausrichten. Deswegen werden die Sozialversicherungszweige gemeinsame Präventionsziele erarbeiten.
Dadurch können die Mittel effizient dort eingesetzt werden, wo sie den größten Nutzen stiften. Wir wollen, dass
das Geld nur für Maßnahmen ausgegeben wird, die tatsächlich mehr Nutzen bringen und die wirksam sind. Wir
wollen, dass der Nutzen nachgewiesen wird. Wir wollen,
dass die Qualität gesichert ist. Deswegen legt der vorliegende Gesetzentwurf hierfür verbindliche Kriterien fest.
Damit nachhaltige Veränderungen bewirkt werden
können, ist eine verbesserte Zusammenarbeit und Abstimmung auf Bundesebene notwendig. Deswegen werden wir auf der Bundesebene unter Mitwirkung der
Sozialversicherungszweige eine Stiftung „Prävention
und Gesundheitsförderung“ gründen, die die Erarbeitung von Präventionszielen, die Ausarbeitung der gemeinsamen Qualitätsstandards sowie Informations- und
Aufklärungsarbeit durch Präventionskampagnen leistet.
Wir wollen, dass in regelmäßigen Abständen Rechenschaft über das Erreichte abgelegt wird und dass festgestellt wird, wo Verbesserungen vorgenommen werden
müssen. Wir werden die gesamte Fachkraft der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, aber auch
das Expertenwissen, zum Beispiel des Robert-KochInstituts, zur Verfügung stellen, damit wir, auch das Parlament, valide Aussagen erhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Prävention ist eine
Gemeinschaftsaufgabe. Sie verbindet Eigeninitiative auf
der einen Seite mit Gemeinschaftssinn auf der anderen
Seite. Ich bin davon überzeugt: Daraus kann und muss
ein großes Projekt werden. Denn Prävention führt - das
werden die Menschen merken - zu einem besseren Leben, zu mehr Lebensqualität und damit zu vielem, was
man im Leben nur machen kann, wenn bestimmte Voraussetzungen vorhanden sind.
Man darf ein Weiteres nicht unterschätzen: Prävention ist eine wichtige Voraussetzung dafür, in einer Gesellschaft des längeren Lebens auch unter veränderten
Bedingungen bis in das hohe Alter Innovationsfähigkeit
und Produktivität zu erhalten. Damit schaffen wir die
Grundlagen dafür, dass in diesem Lande auch in zehn,
20 oder 30 Jahren Wettbewerbsfähigkeit und die Fähigkeit, Wohlstand zu wahren und zu schaffen, erhalten
bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
sich in Reden zur Prävention zu bekennen ist schön,
reicht aber nicht.
({11})
Ich kann Sie nur auffordern: Schließen Sie sich unserem
Vorhaben und dem, was die von Ihnen regierten Länder
eingebracht haben, an! Sich zu bewegen ist angesagt.
Blockieren Sie nicht! Machen Sie mit, anstatt mies zu
machen! Das ist gelebte Prävention. Ich möchte, dass
auch Sie davon profitieren.
({12})
Das Wort hat nun die Kollegin Annette WidmannMauz, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Frau Ministerin, wir bewegen uns
gerne. Sie fordern zwar von anderen Bewegung. Wenn
es aber um die eigene Verantwortung, insbesondere um
die finanzielle Verantwortung, geht, dann verlangen Sie
nur von denjenigen Bewegung, die Beiträge in die Sozialversicherungen zahlen.
({0})
Sie sollten in den Spiegel schauen, wenn Sie Vorwürfe
machen.
Schön ist es, um die Kranken besorgt zu sein, ihrer
Gesundheit wegen; viel schöner ist es aber, für die
Gesunden besorgt zu sein, ihres Nichtkrankseins
wegen.
Diese Erkenntnis von Hippokrates ist zweieinhalbtausend Jahre alt und wir haben sie noch immer nicht verinnerlicht.
In Deutschland ist jeder Zweite übergewichtig. Jeder
Vierte hat Herz-Kreislauf-Probleme und Millionen klagen über Rückenschmerzen. Besonders erschreckend ist,
dass gerade viele Kinder bereits heute an Alterskrankheiten wie Herzschwäche, Diabetes oder Osteoporose
leiden, weil sie einfach zu dick sind und sich falsch ernähren. Man wagt kaum, sich vorzustellen, dass uns
diese Generation in ein paar Jahren über die ersten Wellen des demographischen Wandels tragen soll, wo ihnen
schon heute die Puste ausgeht.
Die Krankenkassen befürchten gerade im Hinblick
auf Diabetes bei Kindern Behandlungskosten in Milliardenhöhe. Dabei wären viele dieser Krankheiten vermeidbar. Wer hat nicht schon einmal, wenn er ein Rückenleiden hatte, selber die Erfahrung gemacht, wie
hilfreich zum Beispiel ein Keilkissen auf dem Bürostuhl
oder Wirbelsäulengymnastik sein kann? Er hat dann eine
Vorstellung von Prävention.
Das Problem ist nur, dass zwischen dem Wissen und
dem entsprechenden Verhalten eine Riesenlücke in unserer Gesellschaft klafft.
({1})
Während die einen gesunder Ernährung, Bewegung,
dem Nordicwalking, Sport oder dem Jane-Fonda-Wahn
anhängen, hängen die anderen, die ihren inneren
Schweinehund zum besten Freund gemacht haben, mit
den entsprechenden Getränken und Ernährungsprodukten lieber auf dem Sofa vor der Glotze herum. Diese
Menschen müssen wir erreichen. Deshalb ist uns der
Präventionsgedanke so wichtig.
Wir wissen, dass die Stärkung der Prävention und der
Gesundheitsförderung zur Vermeidung von Krankheiten und zur Erhaltung der Gesundheit eine sinnvolle Investition in die Zukunft ist. Sie verbessert nicht nur die
Gesundheit, die Lebensqualität und die Leistungsfähigkeit der Menschen. Nein, sie mindert auch die künftigen
finanziellen Belastungen unseres Gesundheitswesens.
Deshalb hat die Union die Prävention bereits in ihrer
Regierungsverantwortung ernst genommen und entsprechende Maßnahmen umgesetzt. Wer kennt nicht den lieben Doktor mit der großen Zahnbürste in der Schule, das
Bonusheft für den regelmäßigen Zahnarztbesuch oder
Krebsfrüherkennungsuntersuchungen? Wir müssen heute
also nicht bei null anfangen, sondern können auf bereits
Bestehendem aufbauen.
Bereits in der letzten Legislaturperiode hat sich unsere Fraktion intensiv mit diesem Thema beschäftigt und
Anträge gestellt. Auch bei den Kompromissverhandlungen zur Gesundheitsreform hat sich die Union nicht nur
für die Einführung von Bonusprogrammen bei den gesetzlichen Krankenkassen, also dafür, dass finanzielle
Anreize für gesundheitsbewusstes Verhalten gegeben
werden, stark gemacht,
({2})
sondern sie hat maßgeblich mit dafür gesorgt, dass die
Erarbeitung eines Präventionsgesetzes überhaupt vereinbart wurde.
Es ist nur schade, Frau Schmidt - Sie haben das heute
Morgen mit freundlichen Worten umschrieben; aber der
Sachverhalt ist deshalb nicht besser geworden -, dass
Sie im Gegensatz zu den Kompromissverhandlungen des
letzten Sommers hier auf die Kompetenz der größten
Oppositionsfraktion einfach verzichtet haben. Ich sage
Ihnen: Das ist nicht nur schlechter politischer Stil, sondern schlichtweg dumm.
({3})
Der vorliegende Gesetzentwurf enthält eine Reihe
guter Ansätze. Er ist ein erster Schritt in die richtige
Richtung. Derzeit ist festzustellen, dass es einen Flickenteppich an Maßnahmen gibt. Deshalb sind bundeseinheitliche Kriterien, Ziele und Qualitätsstandards durch
die Stiftung „Prävention“ sinnvolle Maßnahmen. Erfreulich ist auch, dass eine Begriffsvereinheitlichung stattAnnette Widmann-Mauz
findet und dass die Berichterstattung von Bund, Ländern
und Sozialversicherungsträgern eingeführt wird, durch
die auch die entsprechende Öffentlichkeit hergestellt
wird.
Trotz dieser positiven Ansätze gibt es aber auch wesentliche Punkte, die zu grundsätzlicher Kritik Anlass
geben und eine vorbehaltlose Zustimmung untersagen.
Es kann nicht übersehen werden, dass Sie Ihrem eigentlichen Ziel - Ihre Ziele haben Sie heute erneut mehrfach
genannt -, Prävention als gesamtgesellschaftliche und
ganzheitliche Aufgabe wahrzunehmen, nicht nachkommen; sie verfehlen dieses Ziel. „Gesamtgesellschaftlich“
heißt doch, dass Prävention alle erreichen muss und dass
sich deshalb auch alle Bevölkerungsgruppen an dieser
Aufgabe beteiligen müssen, auch bzw. vor allem finanziell.
({4})
„Ganzheitlich“ heißt doch, dass diese Aufgabe alle Formen der Prävention erfasst und sich nicht nur auf eine
Form, die Primärprävention, beschränken kann.
({5})
Gerade angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der dramatischen Finanzlage unserer Sozialkassen ist eine alleinige Finanzierung der Prävention
durch die Sozialversicherungen im Grunde ein beschäftigungspolitischer Sündenfall. Sind der Kanzler und sein
Kabinett nicht angetreten, um mehr Arbeitsplätze zu
schaffen, indem sie die Beitragssätze der Sozialversicherungen senken? Sie, Frau Schmidt, haben die Kassen
noch vor kurzem mit dem Ziel, die Lohnnebenkosten zu
senken, geradezu genötigt. Da kann ich nur sagen: Die
„FAZ“ kommentiert richtig, wenn sie schreibt, dass dieses Präventionsgesetz Ihre Argumentation als doppelbödig entlarvt.
({6})
Um nicht missverstanden zu werden, sage ich: Wir
sehen in der Prävention eine sinnvolle Investition in die
Zukunft. Aber jede Investition muss finanzierbar sein
und darf nicht ausschließlich von den Beitragszahlern
der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden.
({7})
Der kleine Mann darf doch nicht immer der Lastesel der
Nation sein.
({8})
Auch wenn Sie es nicht mehr sind - wir verstehen uns
nach wie vor als Sachwalter der Beitragszahlerinnen und
Beitragszahler.
({9})
Während die gesetzliche Krankenversicherung
180 Millionen Euro, also den größten Anteil der Präventionskosten, schultert, müssen die Renten- und Pflegeversicherung erstmals, also zusätzlich, eine Summe von
insgesamt 50 Millionen Euro für die Vermeidung von
Krankheiten bereitstellen. Wer allerdings weiß, dass die
gesetzliche Rentenversicherung nur noch über liquide
Mittel verfügt, um die derzeitigen Renten sechs Tage
lang zu finanzieren, der muss sich bewusst sein: Wenn
die Rentenversicherung 40 Millionen Euro zusätzlich
aufbringen muss,
({10})
dann muss dieser Betrag an anderer Stelle eingespart
werden.
Meine Damen, meine Herren, es kann nicht in unserem Interesse sein, dass der Brummifahrer mit kaputter
Bandscheibe in Zukunft keine medizinische Reha mehr
erhält, weil mit seinem Beitrag die präventive Rückenschulung seines Chefs finanziert wird.
({11})
Die Problemlage bei der Pflegeversicherung ist ähnlich.
Frau Schmidt, Sie haben vollmundig erzählt, dass Sie
die Bundesagentur für Arbeit einbinden wollen. Da
muss die Frage schon gestattet sein, warum die Bundesagentur im Gegensatz zur Pflegeversicherung und zur
Rentenversicherung aus der Finanzierung herausgenommen worden ist. Was für den einen recht ist, muss doch
für den anderen nur billig sein. Oder hatten die Rentenund die Pflegeversicherung im Kabinett nur weniger
starke Fürsprecher? Das kann es ja wohl nicht sein.
Nochmals: Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Eine finanzielle Beteiligung von allen, also
von Bund, Ländern und Kommunen, ist in diesem Gesetzentwurf aber nicht vorgesehen. Ein Präventionsgesetz, wie wir es verstehen, darf am Ende aber nicht zum
Freibrief für den Staat werden, sich wieder einmal auf
Kosten der Sozialversicherungsträger und damit letztlich
zulasten der Betriebe und der Arbeitnehmer noch weiter
von seinen originären Aufgaben zurückzuziehen. Verschiebebahnhöfe - liebe Kolleginnen und Kollegen, das
sage ich an alle Fraktionen in diesem Haus gewandt haben wir doch in der Vergangenheit genug veranlasst.
Wir können so nicht weitermachen. Es muss endlich
Schluss damit sein, die Steuerhaushalte zulasten der Sozialhaushalte zu bedienen.
({12})
Ein weiteres Manko bei diesem Gesetzentwurf besteht darin, dass Sie sich nur auf eine Präventionsform
beziehen, nämlich auf die Vorbeugung einer Erkrankung, die Primärprävention. Ihr Gesetzentwurf sagt
überhaupt nichts zu Früherkennungsmaßnahmen, Impfungen, Kindervorsorgeuntersuchungen oder Maßnahmen zur Vermeidung der Verschlimmerung bestehender
Krankheiten. Zu Recht bemängelt die Bundesärztekammer die fehlende Verzahnung der Primärprävention mit
den anderen Präventionsformen.
Als weiteres Problem kommt hinzu, dass Sie denjenigen, die in der Vergangenheit ihrer gesetzlichen Aufgabe
gemäß § 20 SGB V, Primärprävention durchzuführen,
vorbildlich nachgekommen sind, jetzt teilweise den Boden unter den Füßen wegziehen: indem Sie ihnen bis zu
60 Prozent der bisherigen Mittel vorenthalten. Das kann
doch nicht unser Ziel sein, das kann doch nicht in unserem Interesse sein. Denn Sie zerstören damit bewährte
bestehende Strukturen. Bei Ihnen ist wieder einmal der
Fleißige der Dumme.
({13})
Was für einen bürokratischen Aufwand Sie betreiben,
wird zum Beispiel an den Regelungen zur Stiftung und
zu den Verfahren deutlich. Eine Vielzahl neuer Gremien
wird geschaffen: Vorstand, Stiftungsrat, Kuratorium,
Wissenschaftlicher Beirat oder weitere gemeinsame Entscheidungsgremien, Koordinierungsausschüsse - ein erheblicher, ein gigantischer Abstimmungsaufwand ist
notwendig. Dass dieses nicht nur die verquere Ansicht
der Opposition ist, bestätigen die Äußerungen Ihres eigenen Justizministeriums: Das Regelungsgebilde erwecke den Eindruck - ich zitiere -,
dass der zusätzliche bürokratische Aufwand den
vermeintlichen Nutzen bei weitem überwiegen
wird.
Das kann man doch nicht einfach ignorieren.
({14})
Wir haben unsere Bedenken in unserem Antrag zusammengefasst. Wir nehmen die Kritik der Kassen, der
Rentenversicherung, der Ärzteschaft, der Arbeitgeberverbände und auch der Sozialverbände ernst; wir befinden uns mit unserer Haltung zu diesem Gesetzentwurf
damit in bester Gesellschaft. Dass es Äußerungen von
Kolleginnen der SPD-Fraktion gibt, denen der Gesetzentwurf ebenfalls noch nicht weit genug geht, unterstreicht unsere Haltung.
Auch wenn die Bundesregierung über ein Jahr für die
Vorlage ihres Präventionsgesetzes gebraucht hat, wird
noch einmal nachzusitzen sein und der Gesetzentwurf
gründlich überarbeitet werden müssen. Auch hier gilt:
Qualität geht vor Schnelligkeit. Ich sage ganz bewusst:
Eine Wagenburgmentalität, wie Sie sie derzeit an den
Tag legen, ist bei diesem Thema überhaupt nicht angebracht. Die kommende Anhörung und insbesondere die
Ausschussberatungen bieten uns jetzt die Chance für
eine sachliche Diskussion, auch über die Parteigrenzen
hinweg. Wir von der Union bekennen uns nachdrücklich
zum Präventionsgedanken. Uns darf nicht nur die ökonomische, sondern uns muss auch die ethische Sicht der
Prävention sehr wichtig sein. Denn nur ein Gesundheitswesen, das die Menschen gesund erhält, statt sich
im Kurieren von Krankheiten zu erschöpfen, hat seinen
Namen auch wirklich verdient.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man
glaubt es ja kaum, aber es ist erst acht Jahre her, dass die
unionsgeführte Bundesregierung die Primärprävention
aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gestrichen hat.
({0})
- Herr Kollege Zöller, wir mussten sie mit der
Gesundheitsreform 2000 erst wieder einführen. - Heute
hört man von Ihnen großartige Bekenntnisse zur Prävention und Sie haben uns auch einen Antrag zur Stärkung
von Prävention und Gesundheitsförderung nicht vorenthalten wollen. Nach der Rede, die wir eben von der Frau
Kollegin Widmann-Mauz gehört haben, stehen diese
vollmundigen Bekenntnisse allerdings in einem merkwürdigen Gegensatz zu dem kleingeistigen Gemäkel an
diesem Gesetz. Ich glaube, Sie müssen sich einmal entscheiden, was Sie eigentlich wollen.
({1})
Frau Kollegin Bender, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zöller?
Nein, jetzt nicht.
({0})
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den Gesetzentwurf zu begründen. Vielleicht lernen Sie dabei etwas.
({1})
Es ist doch so: Alle reden von Prävention. Niemand
ist dagegen, selbst die Union nicht. Tatsächlich leidet die
Prävention bis heute aber unter unklaren Begrifflichkeiten, fehlenden Zuständigkeiten und zu geringen Finanzierungsmitteln. Damit machen wir mit unserem Gesetz
jetzt Schluss. Die Finanzausstattung von 250 Millionen
Euro ist gar nicht so viel mehr, als auch bisher jedenfalls
rechtlich schon möglich war. Der Unterschied ist aber,
dass man jetzt nicht mehr mühsam darum kämpfen
muss, Projekte für die Vorbeugung von Krankheiten und
für die Stärkung der Gesundheit der Menschen durchführen zu können, und dass der Prävention ein selbstverständlicher Platz eingeräumt wird, sodass sie zu einer
weiteren Säule im Gesundheitswesen wird.
Nun gibt es die Kritik der Krankenkassen - Frau Kollegin Widmann-Mauz, diese haben Sie sich vorhin zu
Eigen gemacht -, dass hier ausschließlich mit Mitteln
der Sozialversicherung agiert werde. Man muss natürlich schon sagen, dass präventive Anstrengungen auch
bisher schon aus Steuermitteln finanziert werden.
({2})
Denken Sie etwa an die Aktivitäten der Bundeszentrale
für gesundheitliche Aufklärung - dort werden immerhin
40 Millionen Euro investiert - und daran, was die Bundesernährungsministerin, Renate Künast, schon alles getan hat, um das Thema Ernährung und Bewegung und
somit den Gesundheitszustand von Kindern stärker in
den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken.
({3})
Es ist also nicht so, dass man bisher untätig war. Jetzt
wird die Sozialversicherung aber dazu gezwungen, ihrem gesetzlichen Auftrag, den es ja schon gab, auch
wirklich nachzukommen. Dafür werden die Strukturen
geschaffen und erstmals werden auch die Renten-, Unfall- und Pflegeversicherung einbezogen.
Seitens der Kassen wird die Sorge geäußert, dass öffentlich finanzierte Gesundheitsdienste jetzt möglicherweise abgebaut werden, weil man sich auf die neuen
Mittel verlässt. Dazu kann ich nur sagen: Es wird unsere
gemeinsame Aufgabe sein, darauf zu achten, dass genau
dies nicht passiert. Ich will auch deutlich sagen: Die
Kassen sind ordnungspolitisch der richtige Ort für die
präventiven Anstrengungen. Schließlich kommt es in ihren Haushalten - jedenfalls mittelfristig - auch zu Einsparungen.
({4})
Frau Kollegin Widmann-Mauz, Sie sprachen vom
kleinen Mann und sagten, dass alles müsse aus Steuermitteln finanziert werden.
({5})
Daneben sprachen Sie von der Rückenschule. Ich kann
Ihnen nur sagen: Die Rückenschule ist zwar sinnvoll,
aber Sie sollten sich einmal damit beschäftigen, wer dort
hingeht. Das sind Frauen aus der Mittelschicht. Es tut ihnen gut. Der Brummifahrer geht dort aber nicht hin. Er
kann mit Angeboten, zu denen er selbst hingehen muss,
nichts anfangen.
({6})
Auch mit Unterstützung der AOK marschiert er nach
Schichtende nicht in die Volkshochschule. Es braucht
Projekte, die tatsächlich im lebensweltlichen Bereich, im
Wohnquartier oder im Betrieb, stattfinden,
({7})
damit wir gerade auch die Menschen erreichen, die nicht
zur Mittelschicht gehören und die eine gesundheitliche
Förderung oft besonders nötig haben. Die Kassen haben
dafür bestimmte Strukturen aufgebaut.
({8})
- Die betriebliche Gesundheitsförderung gibt es schon.
Sie wird weitergeführt und verstärkt. ({9})
Trotzdem ist es bedauerlich, Herr Kollege Parr, dass die
Arbeitslosenversicherung bisher nicht einbezogen ist.
Wir alle wissen, dass Arbeitslosigkeit - um es einmal etwas plakativ zu sagen - krank macht. Arbeitslose sind
stärkeren gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Je länger
die Arbeitslosigkeit dauert, desto eher verschlechtert
sich der Gesundheitszustand. Es besteht also tatsächlich
Anlass, die Arbeitslosenversicherung einzubeziehen
({10})
und Projekte, die besonders arbeitslosen Menschen zugute kommen, zu fördern.
({11})
Ich will deutlich sagen: Ich halte es für äußerst unbefriedigend, dass die private Krankenversicherung
nicht mitmacht. Die Frau Ministerin hat es schon dargelegt: Die Maßnahmen, die in der Schule oder im Wohnquartier angeboten werden, richten sich natürlich nicht
nur an gesetzlich Versicherte, sondern davon werden
auch die Privatversicherten profitieren. Ihnen, meine Damen und Herren von der Union, liegt doch immer so viel
an der privaten Krankenversicherung. Ich finde, es wäre
für Sie eine echte Aufgabe, mit Vertretern der privaten
Krankenversicherung darüber zu reden, dass diese nicht
nur eine Aidsaufklärungskampagne machen - was schön
ist -, sondern dass sie sich auch in die Stiftung einklinken und nicht nur von den Sozialversicherungsbeiträgen
der anderen profitieren.
({12})
Das Präventionsgesetz ist nicht nur und auch nicht
vorrangig ein Finanzierungsgesetz. Entscheidend ist,
dass der Prävention im Gesundheitswesen ein fester
Platz eingeräumt wird. Im Zentrum steht die Stiftung.
Von dort aus wird eine Weiterentwicklung der Strukturen
und eine Vernetzung der verschiedenen Akteure stattfinden. Es ist gut, dass über die Stiftung eine Ausrichtung
aller Aktivitäten an übergreifenden Präventionszielen erfolgt und dass auch die Qualitätssicherung Teil dieser
Anstrengungen ist. Damit werden wirklich alle einbezogen, auch diejenigen, die nicht der Mittelschicht angehören. Damit wird der Auftrag aus der Gesundheitsreform
2000, dass nämlich Prävention etwas zum Abbau gesellschaftlich bedingter Ungleichheit leisten soll, tatsächlich
erfüllt. Das Gesetz sieht vor, dass Maßnahmen jetzt vor
allem in Schulen, Kindergärten, Wohnquartieren und
anderen Bereichen des Alltagslebens angeboten werden.
Auf diese Weise geht man zu den Leuten hin, Frau
Widmann-Mauz, und wartet nicht darauf, dass sie von
selbst kommen.
Ich will auch deutlich sagen: Dem Gesetz liegt - auch
darin unterscheiden wir uns vielleicht - ausdrücklich ein
weiter Präventionsbegriff zugrunde, der nicht nur und
auch nicht vorrangig medizinische Aspekte umfasst,
sondern vor allem auch soziale Aspekte beinhaltet; denn
Gesundheit hat etwas mit der sozialen Lage zu tun. Deswegen ist Prävention nicht vorrangig eine ärztliche Leistung. Vielmehr geht es bei Prävention darum, Menschen
zu einer selbstverantwortlichen Lebensführung zu befähigen und sie dabei von Angehörigen verschiedener Berufsgruppen zu unterstützen.
Dieses Gesetz ist ein Riesenfortschritt. Es befreit Prävention aus der bisherigen gesellschaftlichen Randlage.
Erstmals steht die Prävention dauerhaft und institutionell
abgesichert auf der Tagesordnung des Gesundheitswesens. Damit haben wir einen großen Schritt nach vorn
gemacht.
({13})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Detlef Parr, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle
haben ein Idealbild vor Augen, nämlich gesund ein hohes Alter zu erreichen. Wir alle wissen: Stressfrei leben
mit gesunder und ausgewogener Ernährung, mit viel Bewegung und ohne Zigaretten, Alkohol oder sonstige Genussmittel sind dafür die besten Voraussetzungen. Askese pur als Leitbild ist jedoch wenig überzeugend.
Dennoch ist das völlig unstrittig. Für jeden Einzelnen
von uns sollte zum Beispiel der prognostizierte Anstieg
von Diabeteserkrankungen als Folge von Übergewicht,
Herz-Kreislauf-Problemen oder übermäßigem Drogenkonsum als Bedrohung erscheinen.
Daher begrüßt die FDP das Anliegen der Bundesregierung, der Bedeutung von Prävention verstärkt Rechnung
zu tragen. Es hat lange genug gedauert, es war längst
überfällig.
({0})
Die FDP-Fraktion hat bereits fast auf den Tag genau
vor zwei Jahren einen wichtigen Teil der Prävention in
dem Antrag „Die Kompetenzen des Sports bei Prävention und Rehabilitation besser nutzen“ zum Thema gemacht. Rot-Grün hat fast ein Jahr benötigt, um darauf zu
antworten. Jetzt gibt es immerhin einen gemeinsamen,
fraktionsübergreifenden Beschluss. Ich verstehe aber
nicht, warum Sie, Frau Ministerin, wertvolle Zeit mit
überflüssigen Abstimmungen zwischen den Ministerien
vertändelt haben. Noch immer ist dem kundigen Thebaner völlig unklar, was eine Ernährungs- und Bewegungskampagne der grünen Verbraucherschutzministerin
Künast soll, wenn ihre rote Kollegin Ulla Schmidt als
Gesundheitsministerin exakt die gleichen Ziele verfolgt.
({1})
Sie vertändeln aber vor allem wertvolle Zeit, weil Sie
immer wieder dem gesetzlichen Regulierungswahn
verfallen.
({2})
Warum war die Bundesregierung nicht davon abzubringen, weitere Präventionsaktivitäten über ein solches Gesetz anzuschieben?
({3})
Warum verführt sie die Länder, dies mit fremdem Geld
mitzutragen, mit dem diese dann ihre leeren Kassen füllen können?
({4})
Was dabei herausgekommen ist, war vorauszusehen:
150 Seiten voller Bürokratie und Überregulierung. Wenn
man die Verordnungen, die daraus folgen, noch hinzurechnet, dann wird das noch unüberschaubarer.
Was wird jetzt von dem Gesetz und von den
250 Millionen Euro bei den Menschen tatsächlich ankommen?
({5})
Erstens. Die Stiftung wird erst einmal viel Geld für Papier, Sitzungen, Reisekosten usw. ausgeben.
({6})
Dann werden Präventionsziele und Qualitätsstandards
formuliert. Diese sorgen dann dafür, dass einer solchen
„Planwirtschaft“ vermutlich gleich auch erfolgreich laufende Projekte zum Opfer fallen, weil sie plötzlich den
Stiftungskriterien nicht mehr genügen. Tabula rasa à la
Rot-Grün.
({7})
Zweitens. Die Kassen werden mit den 100 Millionen
Euro einige ihrer laufenden Projekte mehr schlecht als
recht fortführen können, aber gewiss nicht alle guten
Ansätze weiterentwickeln können.
Drittens. Die Länder werden den Geldsegen von
100 Millionen Euro dankbar in ihre leeren Haushaltskassen lenken. Für ein Mehr an Präventionsaktivitäten sehe
ich dabei keinen Spielraum. Vorteile für den Bürger sehe
ich auch nicht. Die Hoffnung, mit 250 Millionen Euro
möglichst viele erfolgreich erreichen zu wollen, ist euphemistisch. Es ist geradezu dreist, dass mit Mitgliedsbeiträgen der Sozialversicherten öffentliche Aufgaben
wahrgenommen werden - dreist den Mitgliedern gegenüber, die Sie seit Jahren mit Leistungskürzungen konfrontieren.
({8})
Es ist nicht die große Masse der Bevölkerung, die mit
einer aktiven Präventionspolitik erreicht werden muss.
Der überwiegende Teil der Menschen kann und muss das
für sich - Frau Bender, auch der Brummifahrer gehört
dazu - regeln. Auch der Brummifahrer kann eigenverantwortlich handeln. Dafür brauchen wir ein solches Gesetz und eine solche Überregulierung nicht.
({9})
Unser Plädoyer lautet: Eigenverantwortung stärken,
aber nicht die Bürger fürsorglich bevormunden und ihnen einen bestimmten Gesundheitsstil aufzwingen.
({10})
Gerade im Hinblick auf die knappen finanziellen Ressourcen kommt es darauf an, sich auf den Teil in der Prävention zu beschränken, der als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden muss. Zielgerichtet
müssen die Menschen mit entsprechenden Maßnahmen
erreicht werden, die von sich aus ohne Hilfe nicht zu einem gesundheitsbewussten Leben in der Lage sind ohne neue bürokratische Strukturen. Wir können die vorhandenen Strukturen besser ausnutzen und sie koordinieren.
({11})
Die Zuständigkeiten und Finanzverantwortlichkeiten
müssen klar definiert werden. Die Sozialversicherungen
dürfen nicht erneut zum Steinbruch für die Bewältigung
öffentlicher Aufgaben werden. Solche Verschiebebahnhöfe müssen der Vergangenheit angehören.
({12})
Die Kompetenzen und Möglichkeiten der im Gesundheitswesen Tätigen, vor allem der Ärzte und Zahnärzte, müssen genutzt werden. Stattdessen schenken Sie
dieser wichtigen Gruppe als idealem Anlaufpunkt in Ihrem Gesetz kaum Beachtung. Die Ressourcen müssen
auf die Verhinderung von vermeidbaren, besonders belastenden und besonders teuren Krankheiten konzentriert
werden. Sie müssen auf Kinder und Jugendliche, ältere
Menschen und sozial benachteiligte Gruppen konzentriert werden. Hier sind wir völlig einig. Hier müssen
Prioritäten gesetzt werden. Da helfen - schauen Sie sich
die Stiftungskonstruktion an - keine Zielfindungsselbsterfahrungsgremien.
Weiterhin gehören die Intensivierung der Impfungsaktivität, die Überprüfung und Evaluierung der Präventionsmaßnahmen und die Aufklärungsarbeit, die vor allem von der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung sehr gut geleistet wird, ins Zentrum unserer
Betrachtungen. Die Medien sind in diese Aufgabe über
ihren öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag bzw. über
freiwillige Vereinbarungen einzubeziehen.
Ich komme zum Schluss. Die FDP begrüßt diese Debatte, weil die Prävention für die Gesundheitsförderung
gestärkt wird. Aber es wäre wesentlich effizienter und
zielführender gewesen, wenn man das Angebot der Spitzenverbände der Krankenkassen angenommen hätte,
selbst für eine Stiftungslösung zu sorgen. Jetzt schaffen
Sie einen bürokratischen Moloch. Er ist von den eigenen
Ressorts nur unter stark vernehmbarem Zähneknirschen
- daraus erklärt sich auch die lange Dauer des Verfahrens - durchgewunken worden. Niemand, der in seiner
praktischen Arbeit mit der Prävention zu tun hat, will
diesen Entwurf unterstützen. Wir warten jetzt gespannt
auf die Anhörung und die daraus folgenden Konsequenzen.
Danke.
({13})
Das Wort hat nun der Kollege Götz-Peter Lohmann,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In letzter
Zeit fiel im Vorfeld der heutigen ersten Beratung des Gesetzentwurfs häufig der Begriff Paradigmenwechsel. Ich
halte die Bemerkung für angebracht, dass unser heutiges
traditionelles Gesundheitsmodell erfolgreich war und ist.
Es hat aber Grenzen. Heute sterben die meisten Menschen in den Industriegesellschaften an Herz-Kreislaufund Krebserkrankungen. Zum Tragen kommen komplexe Faktoren wie Stress und Lebensstil.
Vor allem chronisch degenerative und psychische,
insbesondere psychosomatische Erkrankungen nehmen
zu. Die 1946 von der WHO getroffene Definition der
Gesundheit als Zustand des vollständigen körperlichen,
geistigen und sozialen Wohlbefindens ist allgemein bekannt.
Nahezu täglich wird in den Medien über Auswirkungen gesundheitlichen Fehlverhaltens wie Fehlernährung
und Bewegungsmangel berichtet. Mich persönlich bedrückt am meisten der immer früher einsetzende Konsum von Tabak und Alkohol. Angesichts dieser Situation
ist eine flächendeckende Prävention für jedermann notwendig. Es geht dabei um eine Prävention von vielen für
viele.
({0})
Dabei sind viele Probleme zu lösen. Zum Beispiel
dürfen keine Gruppe und keine Indikation ausgenommen
werden. Unterschiedliche Situationen erfordern einen
unterschiedlichen Zugang; Gruppen mit chronischen
Problemen sind anders zu erreichen als andere Gruppen.
Dadurch wird das Ganze äußerst kompliziert.
Ich denke, wir alle sind uns darin einig, wie schwer es
ist, Prävention richtig, intelligent, erfolgreich und effizient zu gestalten. Wir alle wissen, dass Gesundheit immer wieder zurückerlangt und aktiv aufrechterhalten
werden muss. Die einzig mögliche Perspektive besteht
in einer Abkehr vom Behandeln von Krankheiten zugunsten der Vermeidung von Krankheiten.
({1})
Ich möchte einige Anmerkungen zu den zwei Anträgen der CDU/CSU und der FDP machen. Trotz differenzierter Kritik - wie ich es nenne - werte ich die beiden
Anträge alles in allem als Zustimmung. Ich bin optimistisch, dass wir während und nach der Anhörung - gegebenenfalls auch unter Durchführung von Änderungen zu einem gemeinsamen Vorgehen kommen werden.
({2})
Ich möchte aber auch etwas zu der vorgebrachten Kritik anmerken. Ich füge gleich hinzu, Herr Kollege Zöller,
dass auch ich keine Zwischenfrage dulde, weil ich in
meinem Vortrag ohne Unterbrechungen fortfahren
möchte.
({3})
Es ist nicht richtig, dass das BMGS so gut wie nichts
zur Prävention beiträgt. Vielmehr leistet das BMGS bzw.
der Steuerzahler bereits heute einen finanziellen Beitrag
zur Prävention in Höhe von circa 100 Millionen Euro.
({4})
Ich denke zum Beispiel an die Finanzierung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der Aidsund Suchtprävention.
({5})
Ich selbst habe 1996 in der Prävention, in der Psychoprophylaxe, gearbeitet und werde nie vergessen, wie die
Krankenkassen mir von einem Tag auf den anderen mitgeteilt haben: Herr Lohmann, wir können Ihre präventive Arbeit nicht mehr bezahlen. Der Grund war - er
wurde schon genannt -, dass der damalige Gesundheitsminister, Herr Seehofer, § 20 des SGB V gestrichen hat.
Danach war mit der Prävention schlagartig Schluss.
Auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden.
({6})
Ich möchte betonen, was ich an dem vorliegenden
Gesetzentwurf gut finde. Ich finde gut, dass die Begrifflichkeit besser, einheitlicher geworden ist. Es wird eindeutig definiert, was gesundheitliche sowie primäre,
sekundäre und tertiäre Prävention und was Gesundheitsförderung ist; denn diesbezüglich gab es in der wissenschaftlichen und der pseudowissenschaftlichen Literatur
ein großes Durcheinander. Es wurde höchste Zeit, bundesweit Einheitlichkeit herzustellen. Ich bin außerdem
sehr zufrieden damit, dass die Stiftung „Prävention und
Gesundheitsförderung“ als Herzstück des Präventionsgesetzes die Aktivitäten der beteiligten Sozialversicherungsträger organisiert und koordiniert. Das ist ebenfalls
ein wesentlicher Aspekt.
Obwohl ich weiß, dass mein Sportfreund Klaus
Riegert gleich noch etwas dazu sagen wird - hoffentlich
nehme ich nichts vorweg -, sei es mir gestattet, auf den
Anteil des Sports an der Prävention einzugehen. Wir haben im Sportausschuss schon zwei Anhörungen zu dem
Komplex Prävention durchgeführt. Ich bin mir sehr sicher, dass es uns gelingen wird, im Sportausschuss einen
Konsens zu finden. Ich möchte in diesem Zusammenhang Professor Banzer zitieren, über dessen Aussagen
ich sehr glücklich und froh bin:
Aus meiner Sicht ist der Gesetzentwurf für den organisierten Sport mit dem DSB an der Spitze
grundsätzlich als positiv zu bewerten.
({7})
Die Sportvereine sind explizit in das Gesetz mit
einbezogen worden. Wir haben daher eine offizielle
Aufforderung durch das Gesetz erhalten, in der Prävention mitzuwirken.
Das sind gewichtige Worte; denn Professor Banzer ist
der Experte des DSB für Prävention, also eines Verbandes, der mit immerhin 27 Millionen bis 28 Millionen
Mitgliedern in der Bundesrepublik nicht ganz unwichtig
ist.
Ich möchte ebenfalls aus der Stellungnahme des Freiburger Kreises, der Arbeitsgruppe der größeren deutschen Sportvereine, zitieren:
Der Freiburger Kreis begrüßt es, dass die Prävention durch ein Gesetz als vierte Säule neben der Kuration, Rehabilitation und Pflege in das Gesundheitssystem integriert wird.
Weiter heißt es:
Positiv hervorzuheben sind der Vorrang der Prävention vor der Kuration, Rehabilitation und Pflege
und die Betonung der Eigenverantwortung.
Zum Schluss heißt es:
Der Freiburger Kreis begrüßt den Gesetzentwurf
und sieht darin eine große Chance, den Sport als einen Teil der primären Prävention und Gesundheitspolitik im Gesundheitssystem zu etablieren.
So weit der Freiburger Kreis.
({8})
Ich möchte aber auch sagen, was mich an dem Gesetzentwurf stört. Ich werde nicht alles wiederholen; nur
so viel: Mich stört, dass die PKV in das Präventionsgesetz nicht einbezogen worden ist. Ich weiß, dass es keine
gesetzgeberische Kompetenz gibt, die es erlaubt, die
PKV zu einer Beteiligung am Präventionssystem zu verpflichten.
Mindestens genauso stört mich das Ausklammern der
Arbeitslosenversicherung; denn gerade Arbeitslose haben einen hohen Bedarf an Präventionsleistungen. Angesichts des milliardenschweren Budgets der Arbeitslosenversicherung wäre ein angemessener Beitrag sicherlich
beitragsneutral zu gestalten gewesen. Ein Beispiel: Es
kann im Rahmen eines Settingansatzes in einer Kindertagesstätte oder in einer Schule dazu kommen, dass Geringverdiener die Prävention für Kinder von Freiberuflern und Besserverdienenden finanzieren. Das ist
makaber und ein Widerspruch. Frau Ministerin Schmidt,
ich fordere Sie deshalb auf: Setzen Sie Ihre Bemühungen
fort, hier etwas zu verändern! Die PKV und die Arbeitslosenversicherung müssen einbezogen werden.
({9})
Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, dass
es uns gelingen wird - es muss uns gelingen -, die Prävention als eigenständige vierte Säule aufzubauen und
ein Präventionsgesetz zu formulieren und noch in diesem Jahr in Anwendung zu bringen. Wenn uns das gelingt, wäre das aber noch lange kein Grund für Selbstzufriedenheit oder Arroganz - mir bleiben noch
42 Sekunden an Redezeit -;
({10})
denn Gesundheit ist schon in der Antike ein hohes Gut
gewesen. Schon die Ärzte der Antike hatten neben der
Pharmazeutik und der Chirurgie eine dritte Säule: Sie
nannten das nicht Prävention, sie nannten das Diätetik.
Sie hatten einen ganzen Katalog von vorbeugenden Gewohnheiten: erstens ausgewogene Ernährung - das ist in
unserem Entwurf auch enthalten -; zweitens ausreichend
Bewegung; drittens - das ist in unserem Entwurf nicht
so sehr enthalten - die Wohltaten von Massagen und Bädern; viertens guter Schlaf; den fünften Aspekt kann ich
wegen der Würde des Hohen Hauses nicht nennen.
({11})
Gesundheit war also bereits in der Antike im Wesentlichen eine Eigenleistung. Es war und ist geboten, diese
durch eine vernünftige Lebensweise zu erbringen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Herr Kollege Lohmann, auch die Verkündung verbleibender Redezeiten kostet Redezeit
({0})
und hat dem Plenum nun das Vortragen genau der Präventionsmaßnahme vorenthalten, die die größte Aufmerksamkeit erzeugt hätte.
({1})
Zu einer Kurzintervention erhält nun der Kollege
Wolfgang Zöller das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Kollegin Bender und der Kollege Lohmann haben etwas
behauptet, was eindeutig falsch ist. Sie haben gesagt, unter unserer Regierungszeit sei § 20 SGB V - Prävention - gestrichen worden. Ich möchte feststellen: Das ist
eindeutig falsch. Was damals gestrichen wurde, waren
PR-Maßnahmen von Krankenkassen, die zum Beispiel
Geld für Bauchtanz und Taucherbrillen ausgegeben haben.
({0})
In diesem Paragraphen wurde festgelegt, dass nur noch
sinnvolle Maßnahmen zur Prävention gefördert werden
können. Die Selbstverwaltung hat dann einen Katalog
darüber erstellt, welche Maßnahmen als sinnvoll zu erachten sind. Nicht sinnvolle Maßnahmen wurden gestrichen. Das ist nach wie vor richtig.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Barbara Lanzinger,
CDU/CSU-Fraktion.
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Dies ist nun also die erste Lesung zum Entwurf eines Präventionsgesetzes der Koalitionsfraktionen. Viele warten auf dieses Gesetz: die Leistungserbringer, Interessengruppen, Verbände, Selbsthilfegruppen,
Länder, Kommunen und selbst der Bund. Endlich kann
man so richtig loslegen - aber mit was denn? Ich hätte
erwartet, Frau Ministerin, dass Sie so richtig loslegen.
Sie haben uns aufgefordert, diesen Gesetzentwurf
nicht kleinzureden. Ich würde diesen Wunsch an Ihre
grünen Partner und an Ihre Kollegen der SPD richten;
denn sie haben diesen Gesetzentwurf sehr wohl in sehr
kleinkarierter Weise kritisiert.
({0})
Der Begriff Prävention wird mittlerweile vielfach und
in einer immensen Bedeutungsvielfalt gebraucht und die
Prävention wird als Zaubermittel schlechthin dargestellt.
Als Zaubermittel für was? Erreichen wir mehr durch
Impfung, Reihenuntersuchungen, Vorsorge, richtiges
Essen und Verhalten, Bewegung, Gedächtnistraining?
Bekommen wir durch Prävention weniger Übergewichtige, Suchtkranke, Depressive, psychisch Erkrankte? Ich
meine ja, wenn das Gesetz den Hauptbegriff von Prävention zum Inhalt hat und ihn auch umsetzt. Prävention bedeutet nämlich, aus dem Lateinischen übersetzt, vorbeugen und zuvorkommen, ursprünglich sogar abschrecken,
wachrütteln und Unerwünschtes vermeiden. Wenn im
Präventionsgesetz Unerwünschtes definiert und den
Zieldefinitionen ein zeitlicher Rahmen gesetzt wird, der
angibt, bis wann es beispielsweise alle Akteure im Gesundheitsbereich schaffen sollen, dafür zu sorgen, dass
wieder mehr geimpft wird und dass es weniger Übergewichtige gibt, dann ist es sicherlich richtig.
Für Gesundheitsförderung und Gesundheitserhaltung
kann der Gesundheitsbereich allein nicht sorgen. Eine
Vernetzung und eine Verstärkung des Engagements aller
Akteure im Gesundheitswesen - Sozialversicherungsträger, betriebliche Einrichtungen, private Versicherungen,
Verbände, Kommunen und Länder - sind dringend notwendig. Dieses Gesetz darf jedoch nicht eine Art Tummelplatz werden, auf dem man der Auffassung ist, ein
neuer Finanzierungstopf für bereits Vorhandenes und bereits Laufendes sei gefunden.
({1})
Dann gelingt Prävention nicht.
Vom Gesetzentwurf sind wichtige Gruppen nicht betroffen, zum Beispiel - das wurde angesprochen - die
privaten Versicherungen sowie die Bundesagentur für
Arbeit. Ich denke, hier liegen Wunsch und Wirklichkeit
weit auseinander.
Ungut ist auch, dass im Gesetzentwurf zu sehr auf die
primäre Prävention, also auf das Vorbeugen des erstmaligen Auftretens von Krankheiten, fokussiert wird. Das
reicht nicht aus. Frau Kollegin Bender, Sie wünschen
sich, dass wir an die Menschen herantreten. Dazu ist es
notwendig, dass gerade die sekundäre und die tertiäre
Prävention noch besser verankert werden.
({2})
Sekundäre und tertiäre Prävention besagt Folgendes: Gerade auf die Verhütung von Verschlimmerung von Erkrankungen - psychische Erkrankungen, Schmerzen,
Sucht; um nur einige zu nennen - muss ein viel größeres
Augenmerk gerichtet werden. Dem wird dieses Gesetz
schlichtweg nicht gerecht. Wenn seine Umsetzung erfolgreich sein soll, dann dürfen wir nicht nur von der
Förderung der körperlichen Gesundheit, sondern müssen
auch von der Förderung der seelischen Gesundheit sprechen.
({3})
Prävention und Gesundheitsförderung gehören zusammen und sind keine rein verhaltensbezogenen Botschaften. Sie setzen in und an den Lebenswelten an
- das wird im Gesetz richtig dargestellt -: Wohnumfeld,
Schule, Kindergärten; aber die Familie, ein ganz wesentliches Lebensumfeld, fehlt.
({4})
Dabei ist die Familie die wichtigste Lebenswelt. Wie wir
alle wissen, leistet sie oftmals nicht mehr das Erlernen
und das Trainieren von individuellen Fähigkeiten und
Fertigkeiten, damit jemand für seine Gesundheit eigenverantwortlich sorgen kann.
({5})
Gerade die Familie ist als Lebenswelt der wichtigste Bereich, in dem man lernt, mit seinem Körper, seiner Umwelt, mit sich selbst bewusst und verantwortlich umzugehen.
({6})
Das Präventionsgesetz hat nur Erfolg, wenn es schon
vorhandene Strukturen aufgreift, vernetzt und bündelt,
um Veränderungen zu erreichen. Ganz elementar sind
gesicherte Daten. Sie fehlen, auch auf Bundesebene. Ich
möchte wissen, wie mit bereitgestelltem Geld umgegangen wird.
Gerade die Kommunen scheinen mir der ursprünglichste und wichtigste Ort zu sein, um Lebenswelten, Lebensumfelder zu bündeln, Schwachstellen zu erkennen
und Maßnahmen zu ergreifen. Die teilweise schon vorhandenen kommunalen Gesundheitskonferenzen und
„gesunde Städtenetzwerke“ scheinen ein bewährtes Vorgehen zu sein. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass
die Kommunen und die Länder die bisher zur Verfügung
gestellten finanziellen Mittel kürzen, um mit Geldern der
Sozialversicherungen weiter zu arbeiten.
({7})
So muss man nicht unbedingt der Auffassung sein,
dass wir, wie im Gesetzentwurf formuliert, neue Länderund Bundesstrukturen brauchten, um zielorientiert handeln zu können. Es ist ein Trugschluss von Rot-Grün, zu
glauben, mit immer neuen Strukturen könne man mehr
und Besseres erreichen. Es gilt vielmehr, die Vielzahl
schon vorhandener Strukturen auf Länder- und Bundesebene zu sichten, zu nutzen und entsprechend zu bündeln. Unbürokratisches und zielorientiertes Handeln ist
gefragt. Ständig zusätzliche Strukturen machen das
Ganze uneffizient, in der Abstimmung und der Umsetzung schwierig. Das Ganze kostet Geld und Zeit und
bringt für Prävention und Gesundheitsförderung nichts.
({8})
Ein alter Spruch heißt: Schiebst du das Geld hin und her,
macht es nur die Taschen leer. Genau das trifft hier zu.
({9})
Die geplante Stiftung ist ein solches Konstrukt. Da
bleibt viel zu viel Geld hängen und kommt bei den Menschen nicht an.
Zum Schluss noch einmal zu den von mir eingangs
erwähnten Akteuren; Kollege Parr hat die allseits bekannte PR-Aktion der Ministerin Künast auch schon erwähnt. Ein Ministerium macht ein Präventionsgesetz,
das andere macht eine PR-Aktion. Es grenzt schon an
Peinlichkeit, wenn diese beiden Ministerien nicht in der
Lage sind, hierbei zusammenzuarbeiten.
({10})
Das gehört zusammen, liebe Ministerinnen!
({11})
Hier passiert wieder einmal etwas, was rot-grüne Politik letztlich ausmacht und was die Menschen draußen
satt haben. Jeder kocht sein eigenes Süppchen und
spuckt am liebsten noch in das des anderen hinein. Ein
Kassensturz wäre notwendig, um festzustellen, was bisher schon an Geldern vorhanden ist. Man müsste auch
einmal wissen, für was es gebraucht wird.
Ein Präventionsgesetz muss transparent sein, muss in
seinen wesentlichen Inhalten und Zielen für die Bevölkerung verständlich sein. Prävention und Gesundheitsförderung haben nur dann eine Chance, wenn das nicht
eine Frage der Geldverteilung wird, sondern eine Frage
der Einstellung, der Gesinnung, des Engagements, dem
sich jeder verpflichtet fühlt, des Vorbeugens, des Zuvorkommens und des Wachrüttelns. Bewegen durch Bewegung, darauf warten die Menschen.
Danke schön.
({12})
Ich erteile der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir als PDS begrüßen das Gesetz zur Stärkung der
gesundheitlichen Prävention.
({0})
Es ist ein erster, allerdings sehr kleiner Schritt in die
richtige Richtung. Auf mich macht dieses Gesetz deshalb den Eindruck eines Trostpflasters. Es ist ein Trostpflaster für engagierte Gesundheitspolitiker, die mit der
ungesunden Gesundheitsreform der großen Koalition
von SPD, CDU/CSU und Grünen nur schwer leben können. Sie sollen mit dem Präventionsgesetz entschädigt
werden.
Doch die beste Gesundheitsvorsorge wäre eine Rücknahme der ungesunden Regelungen.
({1})
Die 10-Euro-Praxisgebühr und die höheren Zuzahlungen
auf Medikamente und Hilfsmittel sowie bei Krankenhausaufenthalten machen viele Menschen nicht gesünder, sondern erst richtig krank. Nach einem Jahr Gesundheitsreform gibt es Zahlen und Statistiken, die das
belegen.
Zahlreiche Studien zeigen, dass vor allem sozial Benachteiligte einer besonderen gesundheitlichen Gefährdung unterliegen. In meiner Heimatstadt Berlin - wie
anderswo auch - sind die Auswirkungen sozialer Unterschiede deutlich zu erkennen. Die PDS-Senatorin Heidi
Knake-Werner hat in ihrem Gesundheitsbericht 2003
festgestellt, dass ein Mann im reichen Steglitz-Zehlendorf in Berlin mit 77,2 Jahren durchschnittlich um vier
Jahre älter wird als ein Mann, der im armen Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin wohnt. Im armen Berlin-Neukölln ging die Anzahl der Arztbesuche im Vergleich zum
reichen Steglitz-Zehlendorf um etwa das Doppelte zurück. Die Praxisgebühr hat sich also als ein sozialer Selektionsmechanismus erwiesen. Sie steuert die sozial
Schwachen aus dem Gesundheitssystem heraus. Die Abschaffung der Praxisgebühr und die Reduzierung der Zuzahlungen, wie wir als PDS es fordern, wären ein wirklicher Beitrag zur Gesundheitsvorsorge.
Ich möchte abschließend etwas zur Finanzierung des
Gesetzes sagen. 250 Millionen Euro sind wirklich nicht
viel Geld für die Gesundheitsvorsorge von 80 Millionen
Menschen. Das sind im Jahr 3 Euro pro Person. Ich habe
einen Finanzierungsvorschlag, der eigentlich allen gefallen müsste und den Sie in das Gesetz aufnehmen sollten.
2 000 Berliner sterben jährlich an den Folgen von Alkoholmissbrauch. Die Folgen des Rauchens überleben in
Berlin jährlich etwa 100 Männer und 700 Frauen nicht.
Die Tendenz ist steigend. In Deutschland insgesamt leiden über 1,2 Millionen Menschen an einer Tablettensucht. In Anbetracht dieser Zahlen wäre es aus meiner
Sicht nur logisch, wenn die Alkohol-, die Tabak- und
vor allem die Pharmaindustrie ihren Beitrag zur Gesundheitsvorsorge leisten würden.
({2})
Ich befürchte allerdings, dass die Bundesregierung diesen nahe liegenden Gedanken nicht einmal in Erwägung
gezogen hat: Aber die Beratungen beginnen ja erst.
Wir als PDS unterstützen den Gesetzentwurf zur Prävention und verbinden damit die Hoffnung, dass die Koalition und die CDU/CSU zur Einsicht gelangen und den
Mut aufbringen, gesundheitsbedrohende Regelungen
wie die Praxisgebühr und die hohen Zuzahlungen zurückzunehmen.
Vielen Dank.
({3})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Klaus Riegert, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weltweite
wissenschaftliche Untersuchungen zeigen eindeutige Ergebnisse: Je früher Menschen mit Sport und Bewegung
beginnen, desto gesünder ernähren sie sich, desto weniger anfällig sind sie für Krankheiten und desto weniger
anfällig sind sie auch für den Konsum von Genussmitteln.
({0})
Alles spricht dafür, Sport und Bewegung bei der Prävention eine herausragende Rolle zuzumessen. Die Bedeutung des Sports bei der Prävention muss im Präventionsgesetz verankert werden.
({1})
Über die Ursachen und Folgen vieler Krankheiten
gibt es kaum Erkenntnisdefizite, dennoch nehmen zu
viele Menschen diese Ursachen auf die leichte Schulter.
Das Ergebnis mangelnder Bewegung und falscher Ernährung ist: Schon fünfjährige Kinder leiden an Altersdiabetes und die Zunahme der Anzahl fettleibiger Kinder
ist erschrekkend. Es fehlt offensichtlich das Bewusstsein
der Betroffenen, dass sie mehr Eigenverantwortung für
die Gesundheit übernehmen müssen. Dieses Bewusstsein müsste aber schon im Elternhaus herausgebildet
werden. Eltern tragen bei der Erziehung ihrer Kinder
auch die größte Verantwortung für deren Gesundheit.
Das sollten sie sich stärker bewusst machen.
({2})
Obst und ein Vollkornbrot sind als Schulnahrung besser als ein 5-Euro-Schein für die Currywurst oder den
Döner. Statt Geld für Videospiele auszugeben, wäre es
sinnvoller, dieses Geld als Mitgliedsbeitrag in einem
Sportverein zu verwenden.
({3})
In Kindergärten und Schulen sollte mehr Gewicht auf
gesunde Ernährung und Bewegung gelegt werden. Täglich eine Stunde Bewegung ist ein Muss. Unsere Bildungspolitiker müssen endlich dem Sport in der Bildung
mehr Gewicht verleihen.
({4})
27 Millionen Mitglieder treiben in 87 000 Sportvereinen Sport.
({5})
Diese halten eine Infrastruktur vor, die jedem Mitglied
umfassende und vielfältige Bewegungsmöglichkeiten
anbietet. Jeder kann nach seinen Interessen und Möglichkeiten Sport treiben. Herr Präsident, schauen wir einmal selbstkritisch in unsere Reihen: Der eine oder die
andere könnte sich mehr bewegen und stärker auf die Ernährung achten.
({6})
In diesem Zusammenhang weise ich auf das Angebot der
Sportgemeinschaft Deutscher Bundestag hin. Da können
auch wir Sport treiben.
Unsere Sportvereine unterbreiten darüber hinaus von
den Krankenkassen und Ärzten geprüfte und anerkannte
qualitätsgesicherte Gesundheitsangebote. Sie könnten
dies aufgrund der Organisationsstruktur flächendeckend
für zusätzlich 5 Millionen Menschen anbieten. Die
Krankenkassen müssten dafür pro Jahr und Versicherten
1,50 Euro aufbringen. Machbar wäre das heute schon.
Die Krankenkassen sind sich der Bedeutung von Prävention durchaus bewusst. Sie sind bereit, von den
2,56 Euro mehr Geld für Prävention bereitzustellen, weil
sie wissen, dass auf sie eine gewaltige Kostenlawine zurollt, wenn nicht schnell gehandelt wird. Vor allem,
wenn nicht unverzüglich bei Kindern und Jugendlichen
mit der Prävention begonnen wird.
({7})
Für diese Bundesregierung ist Sport mit Glanz und
Glamour verbunden. Wenn eine Kamera da ist, sitzt der
Minister Schily immer in der ersten Reihe.
({8})
Frau Künast glänzt aber heute durch Abwesenheit. Es ist
somit nicht verwunderlich, dass dem Sport als Mittel der
Prävention in diesem Gesetzentwurf keine besondere
Bedeutung zugemessen wird.
({9})
Der Gesetzentwurf hat überwiegend Appellationscharakter. Er bietet keine Garantie für eine erfolgreiche Prävention, er sieht mehr oder weniger die Übernahme der
Koordinierung bereits bestehender Einrichtungen und
Systeme vor und bewirkt vor allem eines: mehr Bürokratie! Wir sollten aufpassen, dass nicht Geld für Bürokratie
ausgegeben wird, das besser in Maßnahmen investiert
werden könnte,
({10})
oder dass gar gut funktionierende Programme, lieber
Kollege Lohmann, wie zwischen der AOK BadenWürttemberg und dem Schwäbischen Turnerbund, infolge der Umsetzung dieses Gesetzentwurfs zerschlagen
werden.
({11})
Ich habe berechtigte Zweifel, dass das Gesetz die
Ziele und Erwartungen erfüllt. Das Gesetz schafft eine
riesige Bürokratie. Aber welche Möglichkeiten haben
wir, wenn die Ziele der Prävention verfehlt werden? Der
deutsche Sport mit seiner umfassenden Infrastruktur in
den Sportvereinen bietet einen hervorragenden Ansatz
zur Prävention, flächendeckend, kostengünstig und qualitätsgesichert. Bei allem, was gesetzgeberisch beschlossen wird: Ohne Sport und Bewegung ist Prävention nicht
möglich. Wir sollten nicht vergessen: Sportförderung
und die Unterstützung unserer Sportvereine ist die beste
Prävention.
({12})
Deshalb ist dem Sport und den Sportvereinen im Präventionsgesetz eine hervorgehobene Stellung zuzuordnen.
Danke schön.
({13})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/4833 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 15/4671 soll an dieselben
Ausschüsse und zusätzlich an den Ausschuss für Tourismus, nicht jedoch an den Haushaltsausschuss gemäß
§ 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Die Vorlage auf Drucksache 15/4830 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 sowie den
Zusatzpunkt 9 auf:
23 Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas
Strobl ({0}), weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Gesetzes über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes ({1})
- Drucksache 15/4731 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung ({2})
Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
ZP 9 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches
- Drucksache 15/4832 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Wolfgang Bosbach für die CDU/
CSU-Fraktion.
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um die
Debatte heute Morgen besser verstehen zu können, müssen wir einen Blick zurückwerfen:
29. Januar 2000: Neonazis marschieren mit schwarzweiß-roten Fahnen durch das Brandenburger Tor. Die
Bilder gehen um die Welt. Der Ort und der Zeitpunkt
sind ganz bewusst gewählt worden: Der 27. Januar erinnert an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, der 30. Januar an die Machtergreifung Hitlers
1933.
17. September 2000, 17 Uhr, Hamburg, 50. Geburtstag der Gewerkschaft der Polizei: Der Bundeskanzler
verkündet lautstark, er könne niemandem erklären, warum es die Bundesrepublik Deutschland zulasse, dass
Neonazis durch das Brandenburger Tor marschierten;
solche Bilder gingen um die Welt und würden unser
Land blamieren. Das Demonstrationsrecht müsse dringend geändert werden. - Donnernder Applaus. Was tut
der Kanzler daraufhin? - Nichts.
27. November 2000: Die CDU/CSU-Fraktion bringt
einen Gesetzentwurf ein, der unter anderem vorsieht, für
Orte von herausragender nationaler und historischer Bedeutung befriedete Bezirke auszuweisen, wenn die
Bundesländer dies wünschen, beispielsweise im Falle
des Holocaust-Mahnmals, aber auch der Neuen Wache
und des Brandenburger Tores. Entscheidend ist für uns
der Schutz - ob durch ein Bundesgesetz, eine Rechtsverordnung oder ein Ländergesetz ist demgegenüber zweitrangig.
16. Mai 2002: Rot-Grün lehnt das Gesetz ab.
Herbst 2004: Die NPD meldet für den 7. und 8. Mai
2005 Demonstrationen an. Geplanter Weg: Neue Wache,
Brandenburger Tor, Holocaust-Mahnmal.
11. Februar 2005: Die beiden Verfassungsminister
Brigitte Zypries und Otto Schily erkennen auf einmal,
dass Eile geboten ist, und stellen einen eigenen Gesetzentwurf vor. Geändert werden sollen das Strafgesetzbuch
und das Versammlungsgesetz, um derartige Neonazidemonstrationen wirksam verhindern zu können.
15. Februar 2005: Die rot-grüne Koalition kassiert
Teile dieses Gesetzentwurfes wegen verfassungsrechtlicher Bedenken und kündigt einen eigenen Gesetzentwurf an.
Dieser Ablauf hat viel mit politischer Realsatire, aber
überhaupt nichts mit einer seriösen Politik zu tun.
({0})
Dass wir Demonstrationen von Neonazis nicht grundsätzlich verbieten können, ist klar. Auch Extremisten
sind Träger von Grundrechten. Auch für sie gilt grundsätzlich das Recht auf Demonstrationsfreiheit. Solange
die NPD nicht verboten ist, muss sie behandelt werden
wie andere Antragsteller auch. Das kann aber doch nicht
im Umkehrschluss bedeuten, dass wir verfassungsrechtlich verpflichtet sind, der NPD oder den Jungen Nationaldemokraten auch noch besonders sensible Orte von
herausragender nationaler, historischer Bedeutung als
medienwirksame Kulisse für ihre unappetitlichen Aufzüge zur Verfügung zu stellen.
({1})
Das Brandenburger Tor ist nicht nur ein Symbol für
das wiedervereinigte Deutschland, wie es in der Vergangenheit ein Symbol für die deutsche Teilung war. Es ist
leider auch ein Symbol für Hitlers Machtergreifung. Die
Bilder vom 30. Januar 1933 müssten uns eigentlich alle
in Erinnerung sein. Die NPD will gerade deshalb dort
demonstrieren, weil sie ihren Aufzügen eine Prägung geben möchte, die an die Nazizeit erinnert. Diese Bilder
gehen um die Welt. Sie diskreditieren nicht nur Berlin,
sie diskreditieren ganz Deutschland und unsere Demokratie. Deshalb sollten wir sie zukünftig verhindern.
({2})
Uns sollte es nicht egal sein, welches Bild die Welt
von unserem Land hat. Wenn es die Koalition in der Vergangenheit nicht abgelehnt hätte, den Ländern die Möglichkeit zu geben, befriedete Bezirke an solchen Orten
einzurichten, dann müssten wir diese Debatte heute nicht
führen.
Alternativ schlagen wir vor, den befriedeten Bezirk
Deutscher Bundestag, den es jetzt schon gibt, um die
Liegenschaften Holocaust-Mahnmal und Brandenburger Tor auszuweiten und zukünftige Aufzüge nach dem
Prinzip „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ zu regeln. Dagegen gibt es Bedenken. Diese Bedenken müssen wir
berücksichtigen und ernst nehmen.
Zunächst möchte ich auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Münster vom Dezember 1993 im
Zusammenhang mit der Bonner Bannmeile hinweisen.
Auch damals war das Prinzip „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat zwar
eine Demonstration in der Bannmeile genehmigt. Man
muss aber wissen, um welchen konkreten Fall es sich gehandelt hat: 25 Greenpeace-Aktivisten wollten in der sitzungsfreien Zeit vor dem Haus der Bundespressekonferenz demonstrieren, weil darin der australische
Premierminister eine Pressekonferenz zu einer Antarktisproblematik abhielt.
({3})
Dies mit dem Vorgang zu vergleichen, dass Tausende
von Neonazis in Sichtweite des Reichstagsgebäudes
durch das Brandenburger Tor marschieren, halte ich für
ziemlich abwegig, jedenfalls nicht für zwingend geboten.
({4})
Jetzt kommen wir zu dem Hauptargument der Grünen. Volker Beck wird vorgestern mit den Worten zitiert:
Wir können doch nicht den befriedeten Bezirk Deutscher
Bundestag ausweiten und damit „halb Berlin-Mitte“ von
Demonstranten freihalten.
({5})
Es ist auf den ersten Blick ein gewichtiges Argument.
Man muss aber einmal schauen, ob es zutrifft. Der Bezirk Berlin-Mitte ist 3 947 Hektar groß.
({6})
Die Fläche des jetzigen befriedeten Bezirks umfasst genau 1,2 Prozent dieser Fläche; nach unseren Vorstellungen wären es zukünftig 1,5 Prozent. Wenn Sie sagen, die
um 0,3 Prozentpunkte vergrößerte Fläche sei ein verfassungswidriger Eingriff in die Grundrechte der Demonstranten, dann dürfen Sie uns nicht böse sein, dass wir
dieses Argument nicht nachvollziehen können.
({7})
Laut Reuters hat der Kollege Dr. Wiefelspütz das Argument vorgebracht: Wir lehnen den Vorschlag der
Union ab, weil das Brandenburger Tor keinen Bezug
zum Parlament und keinen Bezug zur NS-Geschichte
hat.
({8})
Das Bild von den durch das Brandenburger Tor marschierenden Nationalsozialisten müsste Ihnen eigentlich
bekannt sein, Herr Kollege Wiefelspütz.
({9})
Sie wollen gerade an diesem Ort demonstrieren, weil sie
an Hitlers Machtergreifung erinnern wollen.
({10})
Da Sie fragen, was das Brandenburger Tor mit dem
Deutschen Bundestag zu tun hat, zeige ich Ihnen einmal
die Grenzen des befriedeten Bezirks: Wir schützen das
Parlament der Bäume. Wir schützen die Spree.
({11})
Wir schützen die Schweizer Botschaft. Wir schützen das
Sowjetische Ehrenmal.
({12})
Ich bitte darum, dass Sie mir hier gleich erklären, wieso
die Schweizer Botschaft und das Sowjetische Ehrenmal
einen größeren Bezug zum Deutschen Bundestag und
zur Arbeit des Parlaments haben als das Brandenburger
Tor. Auch die Französische Botschaft liegt im befriedeten Bezirk.
({13})
Wir sind bereit, den Gesetzentwurf der Koalition
wohlwollend zu prüfen. Wenn es Orte gibt, die des besonderen Schutzes bedürfen, wie beispielsweise das Holocaust-Mahnmal, aber dann natürlich auch die Orte des
authentischen Geschehens, wie die Konzentrationslager,
sind wir gerne bereit, gemeinsam mit Ihnen diese Orte
zu schützen.
Wir sollten uns auch nicht über Punkte streiten, in denen wir uns eigentlich einig sind, nur um des Streites
willen.
({14})
Wenn Sie aber das Hauptproblem nicht lösen, werden
Sie und werden wir alle unserer besonderen Verantwortung nicht gerecht.
Danke.
({15})
Das Wort hat nun die Kollegin Erika Simm, SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Bosbach, phasenweise hat hier
nicht die Ernsthaftigkeit geherrscht,
({0})
mit der man dieses Thema eigentlich angehen müsste.
({1})
Ich vermisse eine etwas vertieftere Auseinandersetzung
mit den rechtlichen Rahmenbedingungen, in denen
wir uns bei diesem Thema zwangsläufig bewegen müssen. Es gibt gesicherte Rechtsprechung zu dem Thema.
Das OVG Münster hat - auch wenn Sie das bagatellisiert
haben - sehr grundsätzliche Ausführungen gemacht, die
ich für mich schon als verbindliche Richtschnur für die
Ausweitung der befriedeten Bezirke annehme.
Welches sind die rechtlichen Rahmenbedingungen, in
denen wir uns bewegen? Befriedeter Bezirk heißt Einschränkung des Versammlungsrechts. Art. 8 Abs. 1
Grundgesetz garantiert allen Deutschen, sich ohne Erlaubnis frei zu versammeln. Art. 8 Abs. 2 Grundgesetz
gibt die Möglichkeit, dieses in der Demokratie besonders hochrangige Grundrecht durch einfaches Gesetz
einzuschränken. Solche einschränkenden Gesetze sind
das Versammlungsgesetz und das Gesetz über befriedete
Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes, das wir nach
dem Umzug nach Berlin neu geregelt haben.
({2})
Auch wenn Art. 8 Abs. 2 Grundgesetz die Möglichkeit gibt, die Versammlungsfreiheit durch einfaches
Gesetz einzuschränken, heißt das nicht, dass diese Einschränkung beliebig vorgenommen werden kann.
({3})
Dazu gibt es nicht nur die Entscheidung des OVG Münster, sondern insbesondere auch die Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Diese legen gesicherte Rahmenbedingungen fest, in denen wir uns zu
bewegen haben, wenn wir entsprechende Gesetze machen oder ändern.
Nach dieser gesicherten Rechtsprechung ist eine Einschränkung des Versammlungsgrundrechts nur zum
Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter zulässig. Außerdem muss der Wesensgehalt des Grundrechts immer
erhalten bleiben.
Welches sind dann im konkreten Fall der Bannmeile
- um den alten Begriff zu verwenden - die anderen
gleichwertigen Rechtsgüter, zu deren Schutz wir das
Versammlungsrecht einschränken? Das ist - auch das ist
mittlerweile allgemeine Ansicht - die Funktions- und
Arbeitsfähigkeit der Verfassungsorgane, die durch
den befriedeten Bezirk geschützt werden sollen, in unserem Fall also des Deutschen Bundestages. Nur zu dessen
Schutz dürfen wir das Versammlungsrecht einschränken.
Das gilt sowohl, was die Größe des befriedeten Bezirks
angeht, als auch, was die Zulässigkeit von Ausnahmegenehmigungen für Versammlungen innerhalb des befriedeten Bezirkes angeht.
Sie wenden jetzt einen juristischen Trick an, indem
Sie künftig im Gesetz ein generelles Verbot mit
Erlaubnisvorbehalt formulieren wollen.
({4})
- Natürlich war das so. Wir sind davon in der Neuregelung mit gutem Grund abgewichen.
({5})
Ihr Vorgehen bringt Sie auch nicht weiter; denn dann,
wenn das Schutzgut „Arbeitsfähigkeit des Parlamentes“
nicht durch eine konkret geplante Demonstration gefährdet ist, haben Sie die entsprechende Erlaubnis zu erteilen.
({6})
Dann reduziert sich das Ermessen auf null. Das hat das
OVG Münster in seiner Entscheidung von 1993 dezidiert
gesagt.
({7})
Darin ist immer wieder von der Ermessensreduzierung
auf null die Rede. Wenn Sie das Urteil wirklich gelesen
haben, werden Sie das festgestellt haben.
Ergebnis der Prüfung, die wir innerhalb der SPDFraktion vorgenommen haben, ist, dass uns und Ihnen
eine Erweiterung des befriedeten Bezirkes überhaupt
nichts in dem Bemühen bringt, rechtsextremistische
Aufmärsche und Demonstrationen im Bereich des Brandenburger Tores und des Holocaust-Denkmals zu verhindern.
({8})
Da ich davon ausgehen muss, dass Ihnen durchaus bewusst ist, wie die Rechtslage ist, bzw. zu Ihren Gunsten
unterstelle, dass Sie sich mit ihr befasst haben - diejenigen von Ihnen, die sich bisher zu diesem Problem öffentlich artikuliert haben, sind ja auch entweder Innenpolitiker oder aber ich kenne sie als Rechtspolitiker aus dem
Rechtsausschuss -, frage ich mich: Was soll dieser Gesetzentwurf, wenn es Ihnen wirklich darum geht, rechtsextremistische Aktivitäten ernsthaft einzuschränken und
zu bekämpfen?
({9})
Herr Bosbach, Sie haben von Seriosität gesprochen.
Ich halte diesen Gesetzentwurf für nicht seriös.
({10})
Für mich stellt er vielmehr Aktionismus dar:
({11})
Man tut so, als wolle man etwas erreichen - mit einem
völlig untauglichen Instrument.
Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen und stattdessen das machen, was sinnvoll erscheint:
entsprechende Regelungen im Versammlungsrecht
schaffen, das Strafrecht in § 130 Strafgesetzbuch,
Volksverhetzung, verschärfen - dieser Paragraph hat ja
wieder mittelbar Einfluss auf die Genehmigungsfähigkeit
von Demonstrationen - und versuchen, den vielfältigen
Anliegen der Öffentlichkeit, gerade auch von Bürgermeistern, Rechnung zu tragen.
Ich fordere Sie hiermit herzlich auf, mit Ihrem juristischen Sachverstand, den ich Ihnen, wie gesagt, nicht abspreche,
({12})
daran mitzuwirken.
({13})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Jörg van Essen,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Bosbach ist mit einem Rückgriff in die Historie
gestartet. Er hat auf einige Gesichtspunkte hingewiesen,
die wir tatsächlich zu berücksichtigen haben. Auch für
meine Fraktion ist es ganz selbstverständlich, dass Neonazis am 8. Mai nicht durch das Brandenburger Tor marschieren dürfen.
({0})
- Auch ich bin sicher, Herr Ströbele, dass sie das nicht
tun werden; denn die Demokraten stehen zusammen.
({1})
Wer aber den Blick zurückwirft, muss natürlich auch
ein anderes Ereignis erwähnen, das uns als Liberale ganz
außerordentlich beschäftigt hat: der Gang der verschiedenen Verfassungsorgane zum Bundesverfassungsgericht in Sachen NPD-Verbot. SPD, CDU/CSU und
Bündnisgrüne haben diesen Antrag hier im Bundestag
unterstützt, wir als FDP bewusst nicht - nicht, weil wir
die NPD als nicht gefährlich betrachten; das tun wir
selbstverständlich. Ich tue dies auch ganz persönlich,
weil ich als junger Staatsanwalt in einer Staatsschutzabteilung für die Bekämpfung der NPD zuständig war und
nicht nur die Verfassungswidrigkeit dieser Partei deutlich mitbekommen habe, sondern auch ihre Gefährlichkeit, weil viele ihrer Anhänger ständig Verstöße gegen
das Waffengesetz begangen haben.
Aufgrund dieser Tätigkeit war mir die V-Mann-Problematik bekannt. Wir haben davor gewarnt und als
Rechtsstaatspartei deutlich gemacht, dass das Verbot einer Partei in einer Demokratie das letzte Mittel sein
muss.
({2})
Man freut sich zwar, wenn man Recht behält, aber in
diesem Fall muss ich sagen: Leider haben wir Recht behalten haben; denn die NPD hat in Karlsruhe - das muss
man leider feststellen - einen Sieg über die Verfassungsorgane davongetragen.
Ich hatte gehofft, dass man daraus lernt und auch
Konsequenzen für die politische Diskussion zieht. Heute
erleben wir eine Debatte, die deutlich macht, dass das
leider nicht der Fall gewesen ist. Wer gegen Neonazis
vorgehen will, der muss streng auf dem Boden der Verfassung agieren. Nur dann zeigt er die Stärke der Demokraten.
Die Diskussion der vergangenen Tage hat gezeigt,
dass die Vorschläge, um die es heute geht, in vielfältiger
Form fragwürdig sind.
({3})
Das hat beispielsweise dazu geführt, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der von der Bundesjustizministerin und vom Bundesinnenminister erarbeitet worden war, von den Koalitionsfraktionen nicht in den
Bundestag eingebracht und unterstützt worden ist.
({4})
Man hat sich auf einen anderen Vorschlag geeinigt, der
allerdings, wie die Diskussion der Fachleute gezeigt hat,
ebenfalls höchst fragwürdig ist.
({5})
Dabei geht es zum Beispiel um folgende Fragen: Entspricht das Verharmlosen dem Bestimmtheitsgebot von
Art. 103 des Grundgesetzes?
({6})
Können die symbolträchtigen, schützenswerten Orte
durch eine Rechtsverordnung festgelegt werden? Wir
geben auf diese Fragen eine klare Antwort: Das ist
selbstverständlich nicht der Fall.
({7})
Deshalb lautet unsere klare Aufforderung an alle, keine
mit heißer Nadel genähten Gesetze durch das Parlament
zu peitschen.
({8})
Das würde nur Schwäche, nicht aber Stärke der Demokratie zeigen - Stärke, die wir gerade gegenüber den
Neonazis demonstrieren müssen.
({9})
Nicht die heiße Nadel ist also gefordert, sondern der
kühle Kopf.
Wir als FDP stellen fest, dass die bestehenden Gesetze ausreichen, um das, was für den 8. Mai geplant ist,
zu verhindern. Das ist ganz offensichtlich auch die Meinung von Volker Beck, der das heute Morgen im „Morgenmagazin“ des ZDF so deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Er sagt: Wir wollen ein Zeichen setzen. Genau das ist nicht die Aufgabe der Gesetzgebung. Die
Gesetzgebung muss dann eingreifen, wenn tatsächlich
Defizite vorhanden sind, die abgebaut werden müssen.
Das haben Ihnen in den letzten Tagen nicht nur die
Journalisten aufgezeigt - der Leitartikel gestern in der
„FAZ“ zum Beispiel war wirklich bemerkenswert, nachdenkenswert -, sondern das sagen Ihnen auch die
Experten. Wenn Sie Professor Battis nicht trauen, dann
weise ich auf den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichtes hin. Auch der oberste Verwaltungsrichter in
Deutschland sagt klar und deutlich, dass die Haltung
meiner Fraktion, dass die bestehenden Gesetze ausreichen, richtig ist.
({10})
Die letzten Tage haben gezeigt, dass Diskussionsbedarf besteht und dass viele der Vorschläge, die angedacht
sind, offensichtlich nicht tragen. Daher habe ich die
herzliche Bitte an Sie, dieses Gesetz, um die Demokratie
zu stärken, nicht in der nächsten Woche durch den Bundestag zu peitschen, sondern eine Anhörung durchzuführen, um zu überprüfen, ob die geplanten Regelungen
wirklich tragen. Das, was Kollegin Simm zum Thema
befriedete Bezirke vorgetragen hat, trifft zu. Die Patentlösung, die Kollege Bosbach uns vorgestellt hat, ist
keine; ganz im Gegenteil - Frau Kollegin Simm hat das
auf wirklich beeindruckende Weise vorgestellt -, es
bringt uns nicht weiter.
({11})
Deshalb richte ich den herzlichen Appell an uns alle,
dass wir uns an dem orientieren, was uns die Dresdner
Bevölkerung am letzten Wochenende gezeigt hat. Sie hat
einen kühlen Kopf bewahrt, das Geschehen bestimmt
und sich nicht von den Neonazis treiben lassen. Genauso
müssen auch wir agieren. Das ist die Linie meiner Fraktion.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Hans-Christian Ströbele,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir lehnen den Gesetzentwurf der Union, durch den der
befriedete Bereich um das Parlament erheblich erweitert
werden soll, ab,
({0})
weil sich die bisherige Eingrenzung bewährt hat, weil
die Arbeitsfähigkeit des Parlaments auch durch Neonaziaufmärsche am Brandenburger Tor nicht bedroht ist und
weil die gegenwärtige Diskussion über Neonaziumtriebe
nicht dazu missbraucht werden darf, um am, vor dem
und hinter dem Brandenburger Tor so etwas wie eine demonstrationsfreie Zone zu schaffen.
({1})
Dieser Platz um das Brandenburger Tor hat sich nach
dem Fall der Mauer zum wichtigsten Demonstrationsort
in Deutschland entwickelt und das soll auch so bleiben.
({2})
Wir Grünen wissen, welch hohes Gut das Recht ist, gerade auch an herausgehobenen Stellen zu demonstrieren;
wir sind eine Partei, die geradezu aus dem Demonstrationsrecht geboren worden ist.
({3})
Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach
dem Demonstrationen auch in der Nähe des HolocaustDenkmals erlaubt sind - auch dort soll die Auseinandersetzung in Form von öffentlichen Demonstrationen stattfinden dürfen -, allerdings stellen wir klar, dass am Holocaust-Denkmal die Menschenwürde der Opfer der
deutschen Naziverbrechen nicht erneut in den Schmutz
gezogen werden darf, indem geleugnet und verharmlost
wird; das ist der Inhalt unseres Gesetzentwurfs.
({4})
Ich sage Ihnen, Herr Bosbach: Die für den 8. Mai dieses Jahres angemeldete Demonstration der Neonazis
wird am Brandenburger Tor nicht stattfinden. Die Berliner werden verhindern, dass die Neonazis durch das
Brandenburger Tor ziehen; sowohl die Behörden in Berlin als auch die Bevölkerung von Berlin werden das verhindern. Ich glaube, darauf können wir vertrauen,
({5})
unabhängig davon, ob wir ein neues Gesetz haben oder
nicht.
Noch eine letzte Bemerkung, Herr Kollege Bosbach:
Mir geht es nicht in erster Linie darum, ob hässliche Bilder um die Welt gehen, auf denen Neonazis zu sehen
sind, die auf einer Demonstration durch das Brandenburger Tor ziehen. Mir persönlich geht es darum - uns allen
sollte es persönlich darum gehen -, dass für uns unerträglich sein muss, dass braune Kolonnen gerade an diesem 60. Jahrestag der Befreiung erneut durchs Brandenburger Tor marschieren.
({6})
Es geht um uns alle, es geht nicht in erster Linie um die
Bilder, die um die Welt gehen. Denn Demonstrationen,
die letztlich der Wiederbelebung des Nationalsozialismus in Deutschland dienen, sind keine bloße Meinungsbekundung, sondern das sind Verbrechen.
({7})
Das Wort hat nun der Kollege Hartmut Koschyk,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Ströbele, Sie hätten Ihre kurze Redezeit nicht
mit so viel Emphase vertun sollen. Sie hätten hier im
Deutschen Bundestag auch einmal deutlich machen sollen, dass nicht einmal der abgespeckte Gesetzentwurf,
den die Koalitionsfraktionen uns heute präsentieren
- ohne den Verbotsgrund, für den Frau Ministerin
Zypries und Herr Minister Schily am letzten Freitag
noch standen -, Ihre Zustimmung findet. Denn als Weltkind in der Mitten sind Sie gegen jede Beeinträchtigung
des Versammlungsrechts in der heutigen Form.
({0})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
ist die Untätigkeit von Rot-Grün, die jetzt diesen gesetzgeberischen Aktionismus zur Folge hat. Denn nach dem
Januar 2000, als die beschämenden Bilder von NPD-Anhängern, die mit ihren unsäglichen Parolen und schwarzweiß-roten Fahnen durch das Brandenburger Tor marschiert sind, um die Welt gingen, hat zwar der Bundeskanzler großspurig angekündigt, man werde Veränderungen am Versammlungsrecht vornehmen. Aber seit
dem Januar 2000 ist auf Koalitionsebene nichts getan
worden.
({1})
Wir haben damals einen Gesetzentwurf vorgelegt,
von dem wir kritisch zurückblickend sicher sagen müssen, dass er bei einer Anhörung verfassungsrechtlich
deutliche Schwächen gezeigt hat. Nur wundert es mich
schon - das einmal an die Adresse der Koalition -, dass
der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck zeitgleich zu unserer Debatte darauf besteht, im Bundesrat
einen Gesetzentwurf des Landes Rheinland-Pfalz aus
dem Jahr 2000,
({2})
der bemerkenswerte Parallelen zum damaligen Gesetzentwurf der Union hat, auf die Tagesordnung zu setzen.
({3})
Ich will Ihnen sagen: Das ist ein Schlag ins Gesicht Ihrer
handlungsunfähigen Regierung. Die Länder wissen, dass
Ihre akademische Position ihnen nicht hilft, um in ihrem
Bereich widerwärtige Nazi-Demonstrationen zu verbieten.
({4})
Herr Minister Schily, Sie haben jetzt zwei Jahre lang
mit Ihren Innenministerkollegen aus den Ländern darum
gerungen, Eckpunkte für einen Gesetzentwurf zur Verschärfung des Versammlungsrechts zu entwickeln.
An die Adresse der FDP sage ich: Man merkt, dass
Sie in den Ländern nicht so die Regierungsverantwortung tragen. Sie lehnen sich bei diesem Thema zurück
und sagen, dass man hier überhaupt keine Veränderung
braucht. Mit dieser Position machen Sie es sich zu leicht.
({5})
Fragen Sie bitte auch einmal die Länder, in denen Sie die
Regierungsverantwortung mittragen, gerade auch das
Land Rheinland-Pfalz, das heute Wert darauf legt, dass
im Bundesrat ein solcher Gesetzentwurf auf die Tagesordnung kommt. Die Haltung der FDP, man müsse hier
überhaupt nichts verändern, trägt dem Problem, das existiert und gelöst werden muss, nicht in notwendigem Maß
Rechnung.
({6})
Herr Kollege Koschyk, gestatten Sie Zwischenfragen?
Ja.
Aufgrund der Reihenfolge der Wortmeldungen ist zunächst der Kollege Wiefelspütz zu berücksichtigen. Bitte schön.
Geschätzter Kollege Koschyk, Sie kommen aus dem
wunderschönen Land Bayern.
({0})
Ich möchte Ihnen die ernsthafte Frage stellen, was Ihr
Gesetzentwurf, mit dem Sie die Bannmeile in Berlin auf
das Brandenburger Tor erweitern, den wirklich geplagten Bürgerinnen und Bürgern in Wunsiedel bringt. Ich
stelle Ihnen diese Fragen mit großem Ernst, weil mich
und, wie ich denke, auch Sie das umtreibt. Was haben
Sie den Menschen in Wunsiedel - der eine oder andere
wird unsere Debatte mit hohem Interesse verfolgen - anzubieten?
Ich glaube, wir alle miteinander würden versagen,
wenn wir diesen Menschen nichts anzubieten hätten.
Herr Koschyk, ich bitte Sie, uns hier zu unterbreiten,
wieso Sie meinen, mit der Ausdehnung der Bannmeile
bis zum Brandenburger Tor im restlichen Deutschland,
also auch in Wunsiedel, etwas bewirken zu können.
({1})
Herzlichen Dank, Herr Kollege Wiefelspütz. Erstens.
Wir haben immer gesagt, dass unser Vorschlag, die Ausweitung des befriedeten Bezirks, die schnellste und einfachste Lösung ist, um einen Naziaufmarsch am Brandenburger Tor und am Holocaust-Mahnmal am 8. Mai
zu verhindern.
({0})
Herr Kollege Wiefelspütz, zweitens haben wir immer
gesagt, dass wir einer Veränderung des Versammlungsrechts offen gegenüberstehen und konstruktiv daran mitarbeiten werden, um auch andernorts, also außerhalb des
befriedeten Bezirks, Naziaufmärsche unterbinden zu
können. Schauen Sie sich unseren Gesetzentwurf aus der
vergangenen Legislaturperiode an!
Lieber Herr Kollege Wiefelspütz, das, was die Koalition heute vorschlägt, hilft Wunsiedel in keiner Weise.
Sie wissen das auch. Deshalb haben Sie gestern in einem
Interview in der „Frankenpost“ - das ist die Zeitung für
die Region Wunsiedel - gesagt, die Wunsiedeler sollten
keine Angst haben, denn der jetzt durch den Koalitionsentwurf herausgenommene Verbotsgrund aus dem Vorschlag Schily/Zypries könne im Verlauf der parlamentarischen Beratung wieder hineinkommen,
({1})
sodass man aufgrund des Gesetzes dann auch in Bezug
auf Wunsiedel wieder handlungsfähig sei.
({2})
Ich sehe jetzt die blassen Gesichter Ihrer grüner Koalitionspartner, lieber Herr Wiefelspütz,
({3})
und sage Ihnen mit allem Ernst:
Das Thema ist zu ernst, um solche gesetzgeberischen
Spielchen zu veranstalten.
({4})
Denn Sie führen hier doch folgendes Theater auf: Um
die Grünen zu beruhigen, specken wir den Schily/
Zypries-Entwurf ab, und anschließend versetzen wir ihn,
möglichst mithilfe der Union - das ist Ihr Wunsch -, infolge des öffentlichen Drucks in der parlamentarischen
Beratung wieder in den alten Zustand. So macht man bei
einem so wichtigen Thema keine gründlichen Gesetze.
({5})
Nun wird die Redezeit durch eine Zwischenfrage des
Kollegen Stadler erweitert. Bitte schön.
Herr Kollege Koschyk, wenn ich einen Kommentar
abgeben dürfte und nicht nur eine Frage zu stellen hätte,
würde ich dem, was Sie zuletzt zu der Art und Weise gesagt haben, wie die Koalition dieses Gesetzgebungsverfahren betreibt, voll und ganz zustimmen.
Ich habe mich aber deswegen gemeldet, weil Sie vorhin die FDP angesprochen haben und in der Debatte
Ernsthaftigkeit angemahnt haben. Ich möchte Sie daher
fragen, ob Sie uns diese Ernsthaftigkeit ebenfalls zugestehen, wenn wir mit vielen Fachleuten der Meinung
sind, dass ein Aufmarsch der NPD am Brandenburger
Tor und am Holocaust-Mahnmal am 8. Mai in der Tat
eine unerträgliche Provokation wäre, die aber schon
nach dem geltenden Recht verhindert werden kann.
({0})
Es kann doch Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen
sein, dass diese Auffassung nicht darauf beruht, dass die
FDP in Bundesländern angeblich nicht in der Regierungsverantwortung sei. Sie ist übrigens in mehreren
Bundesländern in der Verantwortung.
({1})
Vielmehr wird diese Auffassung von Experten wie dem
Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts und von
ausgewiesenen Verfassungsrechtlern wie Professor
Battis vertreten - ich komme gleich zum Schluss und
zum Kern der Frage, Herr Präsident -,
({2})
und zwar aus folgendem Grund.
Es wäre schön, wenn Sie den Kern der Frage mit dem
Schluss verbinden könnten.
({0})
Ich werde mich bemühen. - Der Kern des Problems
liegt nämlich im geltenden Recht in § 15 des Versammlungsgesetzes, wonach Versammlungen zu verbieten
sind, die gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung
verstoßen. Selbstverständlich ist diese Vorschrift grundgesetzkonform auszulegen. Es verstößt gegen die Menschenwürde, wenn Neonazis vor dem Holocaust-Mahnmal aufmarschieren. Es ist auch ein Verstoß gegen die
öffentliche Sicherheit und Ordnung, wenn in dem speziellen Zusammentreffen des Jahrestags der Beendigung
des Zweiten Weltkriegs und damit der Beendigung der
Naziherrschaft Neonazis durch einen symbolträchtigen
Ort wie das Brandenburger Tor marschieren.
Stimmen Sie mir zu, dass das geltende Recht wegen
dieser Argumente ausreicht und dass deswegen Ihr Vorhalt, die FDP sei untätig, unangebracht ist?
Herr Kollege Stadler, wir sind der Meinung, dass unser Gesetzentwurf zur Ausweitung des befriedeten Bezirkes eine schnelle und auch verfassungsfeste Lösung
bieten würde, um wirklich eine bessere Handhabe zu haben und gerade im Hinblick auf den 8. Mai handlungsfähig zu sein.
Weil Sie Änderungen am Versammlungsrecht generell ablehnen - also auch abgesehen von der besonderen
Berliner Problematik um den 8. Mai herum - und meinen, die gegenwärtige Rechtslage sei ausreichend, will
ich Ihnen gerne noch einmal erklären, wogegen ich mich
gewandt habe: Ich frage mich, warum das Land Rheinland-Pfalz, in dem Sie bekanntlich mit in der Regierungskoalition sind, heute im Bundesrat einen Gesetzentwurf aus dem Jahr 2000 auf die Tagesordnung gesetzt
hat, der eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem seinerzeit
auch von der FDP im Bundestag abgelehnten Gesetzentwurf der Union hat. Es scheint hier eine unterschiedliche
Auffassung zwischen der SPD im Bundestag und der
SPD in der Landesregierung von Rheinland-Pfalz zu geben.
({0})
Ich sage Ihnen: Ihre Kollegen in Rheinland-Pfalz sind
näher an der Praxis. Sie hingegen sehen das vielleicht etwas zu grundsätzlich. Sie sollten sich eher die Auffassung Ihrer Parteifreunde in Rheinland-Pfalz in der dortigen Regierungsverantwortung zu Eigen machen.
({1})
Ich möchte noch einmal, vor allem bei den Koalitionsfraktionen, um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf werben. Der Kollege Bosbach hat Ihnen vorhin
eine Karte des befriedeten Bezirks gezeigt, die allerdings
nicht farbig war. Ich zeige Ihnen jetzt eine weitere Karte,
damit Sie Ihre Argumente noch einmal wägen.
({2})
Hieraus ist ersichtlich, wie weit der befriedete Bezirk
ausgeweitet wird.
({3})
Der heute befriedete Bezirk reicht von der Straße des
17. Juni bis zur anderen Seite des Spreeufers. In dem Bezirk befinden sich die schweizerische Botschaft, die
französische Botschaft und das Sowjetische Ehrenmal.
Ich möchte von Ihnen wissen, was daran verfassungsrechtlich bedenklich ist, diesen befriedeten Bezirk um
das Holocaust-Mahnmal und das Brandenburger Tor zu
erweitern.
({4})
- Herr Ströbele, was hat die Spree - der Bezirk reicht sogar über das Spreeufer hinweg - mit der Sicherheit von
Beratungen des Bundestags zu tun?
({5})
Ich mache Ihnen im Namen unserer Fraktion ein Angebot. Wer sagt uns denn, dass die NPD nicht versucht,
wenn sie jetzt erkennt, dass der 8. Mai ein besonders
sensibler Tag ist, am 7., 9. oder am 10. Mai an einem
zentralen Ort in Berlin zu demonstrieren? Lassen Sie
mich noch etwas zum Brandenburger Tor sagen.
({6})
- Lieber Herr Ströbele, unser Gesetzentwurf sieht vor,
dass der Bundesinnenminister und der Bundestagspräsident jede Demonstration im befriedeten Bezirk genehmigen können.
({7})
Das ist selbstverständlich. Aber wir wollen eine stärkere
Handhabe haben, um zum Beispiel widerwärtige extremistische Demonstrationen zu verbieten.
({8})
- Lieber Herr Ströbele, ich muss Ihnen sagen: Ich würde
darauf vertrauen, dass der Bundesinnenminister oder
auch der Bundestagspräsident die Fähigkeit haben, zu
entscheiden, welche Demonstrationen im befriedeten
Bezirk möglich sind und welche nicht.
({9})
Ich will Ihnen jetzt noch etwas zu Ihrem Gesetzentwurf sagen. Eine Schwäche in Ihrem Gesetzentwurf ist,
dass Sie solche Orte durch Rechtsverordnung und nur
mit Zustimmung des Bundesrates festlegen wollen. Das
ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel.
({10})
Wir treten dafür ein, dass bei der Bestimmung dieser
Orte auch der Deutsche Bundestag ein Mitspracherecht
hat.
({11})
Wir wollen vor allem dafür sorgen, dass es eine Öffnungsklausel gibt, sodass die Länder auch für sich selber
solche sensiblen Orte und befriedeten Bezirke festlegen
können.
({12})
Herr Wiefelspütz hat uns in dieser Woche im Ausschuss
berichtet, dass Sie nach wie vor dazu stehen - das wurde
schon im Rahmen der Föderalismuskommission behandelt -, dass das Versammlungsrecht Sache der Länder
werden soll. Das, was Sie heute in diesem Gesetzentwurf
den Ländern anbieten, wird und kann den Ländern nicht
reichen. Deshalb muss dieser Gesetzentwurf gerade im
Hinblick darauf, dass die Länder beim Versammlungsrecht handhabbare Instrumente erhalten müssen, nachgebessert werden.
Ich darf Ihnen abschließend sagen: Sie können jetzt
unnötigen gesetzgeberischen Aktionismus verhindern,
indem Sie unserem Gesetzentwurf zur Ausweitung des
befriedeten Bezirks zustimmen. Statt einen gesetzgeberischen Schnellschuss zu wagen, könnten wir so das Versammlungsrecht in aller Ruhe - mit Anhörungen und
unter Abwägung der vielen schwierigen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte -, sorgfältig und seriös ändern.
({13})
Frau Kollegin Simm, ich bitte um Nachsicht, dass ich
nach deutlicher Überschreitung der ohnehin durch andere Zwischenfragen verlängerten Redezeit keine weiteren Fragen zulassen kann.
Nächster Redner ist der Bundesminister Otto Schily.
({0})
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege
Koschyk hat darauf hingewiesen, dass die Debatte um
das Versammlungsrecht relativ mühsam ist. Das kann
man nicht bestreiten. Ein Entwurf aus meinem Hause
liegt seit langer Zeit vor. Er ist Gegenstand sehr kontroverser Erörterungen gewesen.
({0})
- In der Koalition, aber auch mit anderen, zum Beispiel
mit Verfassungsrechtlern.
Aufgrund der heutigen Debattenlage frage ich mich,
ob Sie sich in dem Fall, dass wider Erwarten Ihre
Wunschvorstellung einer von CDU/CSU und FDP geführten Bundesregierung Wirklichkeit wird,
({1})
jemals einigen könnten.
({2})
Die Debatte über das Versammlungsrecht hätte in dieser
Konstellation mindestens so lange gedauert wie die, die
zurzeit innerhalb der Koalition stattfindet.
({3})
Das müssen Sie doch anerkennen, wenn Sie einigermaßen objektiv an die Probleme herangehen.
Ich habe heute Morgen den Agenturmeldungen entnommen, dass sowohl der Kollege Bosbach als auch der
Kollege Wiefelspütz angekündigt haben, zusammen auf
einen Gesetzentwurf hinarbeiten zu wollen, der eine
breite Mehrheit findet. Ich kann nur dazu ermutigen, dieses Vorhaben ernsthaft anzugehen. Denn wir haben es
dabei mit einem Sachverhalt zu tun, der uns als Demokraten alle zusammen angeht.
Ich habe an der Veranstaltung zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz teilgenommen und ich habe
noch die Worte der Opfer des Nationalsozialismus im
Ohr, die die Größe zeigen, in unserem Land wieder ihren
Wohnsitz genommen zu haben. Sie müssen sich einmal
bewusst machen, welche seelischen Schmerzen diesen
Menschen zugefügt werden, wenn sie das erleben, was
die NPD heute tut. Das beschreibt unsere gemeinsame
Verantwortung, meine Damen und Herren.
Deshalb sollten wir die Debatte meiner Meinung nach
so führen, dass jeder auf die Argumente des anderen
hört. CDU und CSU befürworten eine Erweiterung befriedeter Bezirke. Jenseits der Frage, ob das sehr viel bewirkt, meine ich, dass man dafür offen sein sollte. Man
muss diese Frage also stellen dürfen und sollte sie nicht
gleich abwehren.
({4})
Darüber, dass damit das Problem womöglich nicht vollständig erfasst wird, sind wir uns, glaube ich, alle einig.
({5})
Wir sind uns doch darin einig, dass wir bestimmte Bezirke schützen müssen, die der Erinnerung dienen. Ich
denke in diesem Zusammenhang weniger an das Brandenburger Tor als an das Mahnmal. Mit den Ländern
wurde bereits eine Einigung getroffen. Jetzt stellt sich
die Frage, wie wir damit umgehen. Wer hat darüber zu
befinden?
Wir haben in der Föderalismuskommission eine breite
Einigung darüber erzielt - ich kann mich gut daran erinnern -, dass die Länder das Versammlungsrecht regeln
sollen.
({6})
Deshalb wäre es auch richtig, dass wir die Festlegung
der zu schützenden Orte den Ländern überlassen.
({7})
Ich bin insoweit bereit, meine Vorstellungen abzuändern
und mich mit einer Kompetenz der Länder einverstanden
zu erklären. Das würde den Überlegungen der Föderalismuskommission genau entsprechen.
Ein anderer Paragraph, der umstritten ist und den der
Kollege Wiefelspütz - ich bedanke mich ausdrücklich
dafür - nicht aus dem Blickfeld verliert, ist § 15 Abs. 2
unseres Gesetzentwurfes, der vorsieht, dass dann, wenn
in einer Veranstaltung die Nazigräueltaten in einer
Weise, die dem öffentlichen Frieden widerspricht, verherrlicht oder verharmlost zu werden drohen, eine solche
Veranstaltung nicht zugelassen werden kann. Wir schreiben das Jahr 2005. Haben wir denn die Zeit vor 60 Jahren vergessen? 1945 hätte es niemals eine Debatte darüber gegeben, dass wir das nicht zulassen.
({8})
Ich habe gestern ein Schreiben aus Wunsiedel - der
Ort wurde bereits erwähnt - erhalten. Ich kann Ihnen
mitteilen, dass die Menschen, die dort unter Aufmärschen von Rechtsradikalen zu leiden haben, meinen
Vorschlag ausdrücklich unterstützen. Herr van Essen,
Sie haben Herrn Battis als sozusagen von Ihnen anerkannten Sachverständigen erwähnt. Herr Professor
Battis, den wir intern angehört haben, spricht sich aber
für die Vorschrift in § 15 Abs. 2 des Versammlungsgesetzes, wie ich sie entworfen habe, aus.
({9})
Wenn Sie Herrn Battis folgen wollen, dann sollten Sie
auch seine Äußerung dazu ernst nehmen. Dann kommen
wir zueinander.
Zum Schluss möchte ich ganz herzlich bitten - damit
halte ich wider Erwarten meine Redezeit ein -: Lassen
Sie uns zusammenkommen und uns ernsthaft bemühen,
die jeweiligen Vorstellungen anzunähern! Dann werden
wir unserer gemeinsamen demokratischen Verantwortung gerecht.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
liegen zwei Gesetzentwürfe vor. Beide wurden eingebracht, um Aufmärsche der NPD zu verhindern, allemal an symbolträchtigen Orten und Tagen. SPD und
Grüne wollen das Straf- und das Versammlungsrecht ändern. Ich sage es gleich vorweg: Die PDS im Bundestag
wird dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen nicht
zustimmen,
({0})
zum einen weil die angestrebten Verbote auch mit dem
geltenden Recht möglich sind und zum anderen weil die
hier vorgeschlagenen Änderungen Ersatzhandlungen
sind.
Nun zum zweiten Gesetzentwurf: CDU und CSU
wollen den befriedeten Bezirk rund um den Bundestag ausweiten, sodass er das Brandenburger Tor und
das Holocaust-Denkmal einschließt. Die PDS wird
auch diesen Gesetzentwurf ablehnen, zum einen weil das
eine Zweckentfremdung der so genannten Bannmeile
wäre
({1})
und zum anderen weil dann auch andere Veranstaltungen
und Demonstrationen vor dem Bundestag betroffen
wären. Ich möchte Ihnen das nur an einem Beispiel illustrieren. Jahr für Jahr gedenken am 18. März Bürgerrechtler, Schüler sowie Gäste aus dem In- und Ausland gemeinsam mit Vertretern der Union, der SPD, der Grünen,
der FDP und der PDS der demokratischen Revolution
von 1848. Das tun wir alljährlich gemeinsam auf dem
Platz des 18. März direkt am Brandenburger Tor.
({2})
Auch diese wichtige Traditionslinie würde gebannt werden. Zumindest müsste diese Veranstaltung zusätzlich
genehmigt werden.
({3})
Man könnte sich also nicht frei und ohne Anmeldung
versammeln.
Mein Anliegen ist allerdings weiter und geht tiefer. Es
ist zugleich ein Appell an uns alle. Bitte lesen Sie doch
einmal alle Erklärungen aus dem Bundestag in den letzten Wochen, die sich mit der NPD und dem Rechtsextremismus befassen! Sie werden vor allem wechselseitige Schuldzuweisungen und viel Aktionismus finden.
Das ist unter der Würde, die der Bundestag zu Recht für
sich beansprucht, und das ist vor allen Dingen unter den
Ansprüchen, die die Bürgerinnen und Bürger zu Recht
an das höchste Parlament im Lande haben.
Mein Befund - nicht nur beim Nachlesen, sondern
auch beim Blick in die Gesellschaft - zum Thema
Rechtsextremismus und zu möglichen Ursachen ist komplexer und wird vielfach durch Ereignisse und Zahlen
belegt. Über 20 Prozent der Bevölkerung sind latent antisemitisch eingestellt bzw. entsprechend aktivierbar.
Hinzu kommen eine Verrohung der Sitten sowie eine zunehmende Gewaltbereitschaft, und zwar nicht nur bei
Kindern und Jugendlichen. Große Teile der Bevölkerung
fühlen sich sozial verunsichert; das sind nicht nur Arbeitslose. Die allgemeine Bildung im Lande bekommt
im internationalen Vergleich schlechte Noten. Wir erleben des Weiteren eine zunehmende Politiker- und Demokratieverdrossenheit.
Es geht also längst nicht mehr nur um die NPD und
den rechtsextremen Rand, sondern um die Substanz unserer Gesellschaft. Deshalb möchte ich meinen Vorschlag wiederholen: Befördern wir doch gemeinsam einen Ratschlag gegen Rechtsextremismus,
({4})
der zum Inhalt hat, Analysen zu bündeln, Strategien zu
entwickeln, die über den 8. Mai hinausreichen, und
Demokratie und Zivilcourage zu stärken.
Abschließend eine Bitte: Wir sollten nicht hinter das
zurückfallen, was Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag der Befreiung gesagt hat, weder in unserem gesetzgeberischen Handeln noch im Alltag.
Danke schön.
({5})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dieter
Wiefelspütz von der SPD-Fraktion.
({0})
Diese rot-grüne Koalition geht immer respektvoll mit
der Bundesregierung um, wie es sich auch gehört.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir führen heute eine wichtige und, wie ich
glaube, auch außerhalb dieses Hauses stark beachtete
Debatte. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit
ist konstitutiv für unsere Demokratie; es ist ein sehr
wichtiges Grundrecht für alle Bürgerinnen und Bürger
dieses Landes. Unsere Demokratie ist eine wehrhafte
Demokratie. Ich sage von dieser Stelle aus: Null Toleranz gegenüber den Feinden der Demokratie! Wir müssen also die Gratwanderung hinbekommen, bei der angemessenen entschlossenen Bekämpfung der Feinde der
Demokratie nicht die Rechte aller Bürger zu beschneiden.
Lassen Sie mich ein Zweites sagen: Dieses Gesetz
wird kein 8.-Mai-Gesetz sein. Wir machen keine Lex
8. Mai, wir machen keine Lex NPD. Dieses Gesetz muss
auch am 9. und am 10. Mai gelten. Es muss für Berlin,
aber auch für Wunsiedel, für Berchtesgaden wie für
Flensburg vernünftig sein. Wir müssen darüber nachdenken, ob das Gesetz nicht nur gut gemeint ist - das unterstelle ich jedem von uns -, sondern auch gut gemacht. Es
ist wichtig, dass wir nicht Erwartungen wecken, die hinterher nicht erfüllt werden.
({1})
Angesichts der Herausforderungen, die wir täglich an
vielen Stellen unseres Landes beobachten, macht es
Sinn, unser Versammlungs- und unser Strafrecht zu präzisieren und an der einen oder anderen Stelle auch zu
verschärfen. Unser Konzept heißt:
({2})
Ausweitung des Straftatbestandes der Volksverhetzung. Was ist es eigentlich, was uns alle miteinander so
stört? Es ist eine Form von Volksverhetzung. Deswegen
wollen wir - ich denke, Ministerin Zypries wird darauf
noch eingehen - einen erweiterten Straftatbestand der
Volksverhetzung. Wenn darüber Konsens besteht, werden wir über die öffentliche Sicherheit, die durch § 15
Abs. 1 des Versammlungsgesetzes geschützt ist, selbstverständlich auch das Versammlungsrecht verschärft haben, dann aber, Herr Koschyk, für ganz Deutschland.
Wir werden hier keine Patentrezepte zustande bringen. Der Rechtsextremismus ist kein Problem, das wir
in erster Linie mit juristischen Methoden bekämpfen
können. Das muss jeder wissen.
({3})
Trotzdem, Herr Dr. Gehb, muss auch im Bereich des
Strafrechts und des Versammlungsrechts das Verantwortbare gemacht werden.
Jeder Sachkundige weiß, dass wir uns, wenn wir über
die Strafbarkeit zum Beispiel der Auschwitzlüge sprechen - das ist heute in § 130 Abs. 3 des Strafgesetzbuches geregelt - und wenn wir diese Bestimmungen ausweiten wollen, auf schwierigem Gelände bewegen.
Ich bitte um Verständnis - und bitte auch sehr darum,
dass das nicht zerredet wird -: Ich habe die Vorschläge
von Frau Zypries und von Herrn Schily begrüßt. Ich verstehe meine Arbeit, die Arbeit meiner Kollegen, des Koalitionspartners und auch Ihre Arbeit allerdings so, dass
wir mit großem Engagement der Frage nachgehen, ob
das geht, wie weit das geht und ob es an der einen oder
anderen Stelle ein Problem gibt.
Ich habe zu respektieren, dass die beteiligten Häuser
sagen: Wir haben mit der Verharmlosung kein verfassungsrechtliches Problem. Für mich und auch für andere
ist das verfassungsrechtlich schon problematisch. Das
sollten wir aber nicht zerreden; vielmehr sollten wir feststellen: Die Grundrichtung, die Struktur stimmt. Lasst
uns das jetzt nicht zerreden, sondern zu einem guten Ergebnis führen. Das wird mit Rot-Grün möglich sein.
Wir wären sehr daran interessiert, dass das auch mit
Ihnen, der Opposition, möglich ist. Das gilt für alle. Deswegen werben wir dafür, dass es zu Gesprächen kommt.
Wie Sie sich vorstellen können, wären solche Gespräche
keine SPD-CDU/CSU-Veranstaltungen. Die Koalition
bittet vielmehr um konstruktive Mitwirkung Ihrerseits.
Herr Koschyk und Herr Strobl, Sie sollten doch interessant finden, dass wir auch für Wunsiedel und ganz
Deutschland etwas anzubieten haben.
Lassen Sie mich noch auf den Bereich Brandenburger
Tor eingehen. Ich will einmal das aufgreifen, was Herr
Schily angedeutet hat. Er hat die - rein theoretische Überlegung angestellt, ob eine Erweiterung befriedeter Bezirke möglich ist. Sie sagen: Das würde helfen.
Ich sage Ihnen: Diesem Vorschlag steht die Verfassungswidrigkeit auf die Stirn geschrieben.
({4})
Ihr Vorschlag ist evident verfassungswidrig. Ich bedauere sehr, dass Herr Bosbach jetzt nicht mehr da ist; er hat
sicherlich einen Termin.
Ich kann Ihnen doch nur sagen: Wir schützen doch
natürlich nicht das sowjetische Ehrenmal, wir schützen
nicht die Schweizerische Botschaft, wir schützen mit der
Regelung über befriedete Bezirke ausschließlich die
Funktionsfähigkeit dieses Hohen Hauses und sonst
nichts.
({5})
Wer behauptet, wir schützten hier die Spree, der missbraucht diese Debatte hier im Grunde. Solche lächerlichen Sprüche sind einer Debatte über ein solch ernsthaftes Thema nicht würdig.
({6})
Herr Strobl und Herr Koschyk, es gibt hier keine Redeverbote und keine Denkverbote. Ich bin gerne bereit,
mit Ihnen auch über Ihre Vorstellungen zum befriedeten
Bezirk zu sprechen. Ich werde mit Ihnen allerdings die
verfassungsrechtlichen Gegebenheiten erörtern wollen.
Ich sage Ihnen: Es wird nicht gehen. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass Sie ein verfassungswidriges Gesetz wollen. Ich bin im Grunde genommen betroffen, dass Ihr
Gesetzentwurf vorsieht, dass der Bundesinnenminister
Ausnahmen in Bezug auf das Demonstrationsverbot im
befriedeten Bezirk - Sie wollen dieses Verbot - schaffen
kann. Nach welchen Kriterien, bitte schön? Etwa willkürlich? Wie soll denn das gehen?
({7})
Das ist evident verfassungswidrig. Das kann man noch
nicht einmal mit einer verfassungskonformen Interpretation halten.
Ich bin im Grunde enttäuscht, dass Sie das Thema an
dieser Stelle so verfehlen. Ich bin nämlich der festen
Überzeugung, dass es auch in Ihren Reihen ein paar
hoch qualifizierte Juristen gibt, denen doch längst aufgefallen sein müsste, dass das nicht geht.
({8})
Herr Kollege Wiefelspütz, denken Sie an die Zeit.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich meine Aussagen da und dort etwas zugespitzt habe. Ich bin der Auffassung, dass wir - diese Chance sollten wir nicht verpassen - in den kommenden Tagen in Bezug auf diese
Fragestellungen nicht übereinander, sondern miteinander
reden sollten. Ich sehe durchaus Möglichkeiten, zueinander zu kommen, wenn man mit Augenmaß vorgeht. Wir
brauchen einen neuen § 130 Abs. 4 StGB. Wir brauchen
die Ausweisung der besonderen Orte in § 15 des Versammlungsgesetzes. Da stimmen Sie ja zu.
({0})
Lassen Sie uns ebenso über die Unmöglichkeit dessen
reden, was Sie im Hinblick auf die Bannmeile beabsichtigen.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Kollege Thomas Strobl von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Verehrter Kollege Dr. Wiefelspütz, Sie haben am
Schluss gesagt, dass wir konstruktiv gemeinsam beraten
sollten. Dazu sind wir bereit. Das ist ganz in Ordnung.
Nur sollten Sie dann bitte diese unselige Arroganz ablegen, dass nach Ihrer alleinigen Entscheidung etwas
verfassungswidrig ist, egal ob es die Bundesjustizministerin vorschlägt, ob es der Verfassungsminister vorschlägt
({0})
oder ob es die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorschlägt. Das ist keine gute Grundlage für eine solche
Diskussion.
({1})
Das Thema ist auch zu ernst, als dass man in dieser
apodiktischen Art und Weise argumentieren könnte. Der
Thomas Strobl ({2})
Kampf gegen extremistische Parteien und Gruppierungen jeglicher Art ist unser aller gemeinsame Aufgabe.
Das sollte auch in Zukunft so bleiben.
Neben den rechtlichen Regelungen - natürlich sind
wir als Deutscher Bundestag aufgerufen, solche zu treffen - muss es vor allem darum gehen, den Wählerinnen
und Wählern immer klar zu sagen, wen und was sie unterstützen, wenn sie ihre Stimme extremistischen Parteien geben. Die argumentative Auseinandersetzung mit
solchen Kräften, ihren falschen Parolen und vermeintlich einfachen Lösungen ist und bleibt neben der gesetzgeberischen Aktivität eigentlich die wichtigste Aufgabe.
Genauso wichtig ist übrigens, dass wir die Sorgen und
Nöte auch der Menschen ernst nehmen, die extremistische Parteien wählen.
Alle Parteien, die in diesem Haus vertreten sind, sind
sich in der Beurteilung der Inhalte einer Partei wie der
NPD einig. Wir wollen nicht - auch darüber sind wir uns
einig -, dass grölende Nazibanden mit antisemitischen,
ausländerfeindlichen und den Nationalsozialismus verherrlichenden Parolen durch das Brandenburger Tor oder
am Holocaust-Mahnmal vorbeimarschieren.
({3})
Das gilt übrigens auch - um das an dieser Stelle einmal klar zu sagen - für grölende und prügelnde Banden
von linken und autonomen Schlägern, mit denen gerade die Berliner in der Vergangenheit so leidvolle Erfahrungen gemacht haben.
({4})
- Frau Stokar, in knapp zweieinhalb Monaten, am
1. Mai, ist es in Berlin wieder so weit. Dann kann das
deutsche Publikum und kann vor allem die Berliner Bevölkerung wieder betrachten, was angerichtet worden
sein wird. Dies wollen und müssen wir verhindern. Wir
können das auch.
Der Entwurf der CDU/CDU-Bundestagsfraktion ist
ein einfacher und zugleich verfassungsfester Vorschlag
dazu. Die Ausweitung der Bannmeile auf das Brandenburger Tor und das Holocaust-Mahnmal ist der einfachste und sicherste Weg, diese geschichtsträchtigen
Orte vor Radikalen zu schützen. Ich bedanke mich ausdrücklich beim Herrn Bundesinnenminister; er hat attestiert, dass man über einen solchen Vorschlag reden kann
und, Herr Dr. Wiefelspütz, auch reden sollte.
Es ist übrigens nicht so, dass wir dieses Thema heute
zum ersten Mal in diesem Hohen Hause diskutieren.
Vielmehr ist es so, dass wir es schon längst hätten vom
Tisch bringen können,
({5})
wenn die rot-grüne Bundesregierung in dieser so wichtigen Frage nicht über Jahre von enervierender Zerstrittenheit und lähmender Tatenlosigkeit gekennzeichnet wäre.
Schon einmal nämlich, am 29. Mai des Jahres 2000,
marschierten die Neonazis.
Herr Kollege Strobl, ich darf Sie unterbrechen. Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Simm?
Aber bitte.
Bitte schön, Frau Simm.
Herr Kollege Strobl, ist Ihnen bekannt, dass der Zuschnitt der Bannmeile bzw. des befriedeten Bezirks, so
wie er jetzt ist, nach intensivsten Beratungen mit den
Berliner Sicherheitsbehörden zustande gekommen ist?
Ist Ihnen bekannt, dass der 1. Ausschuss seinerzeit - Sie
waren damals noch nicht Mitglied des 1. Ausschusses gerade deshalb, weil der Zuschnitt so engräumig war,
nochmals eine Anhörung von Vertretern der Berliner Sicherheitsbehörden durchgeführt hat, in der bestätigt
wurde, dass das mit ihnen so abgestimmt ist? Ist Ihnen
bekannt, dass in einem Bericht der Bundesregierung, in
den auch die Stellungnahmen der Berliner Sicherheitsbehörden eingeflossen sind, die Erfahrungen mit dem jetzigen Zuschnitt des befriedeten Bezirks als gut und positiv
bezeichnet worden sind und dass es diesbezüglich bisher
keine Änderungsvorschläge gegeben hat? Teilen Sie
meine Auffassung, dass wir ein Problem hätten, eine Erweiterung des befriedeten Bezirks verfassungsrechtlich
zu begründen, wenn wir dafür nicht einmal ein Votum
der für den Deutschen Bundestag zuständigen Sicherheitsbehörden von Berlin hätten?
Bitte, Herr Strobl.
Frau Kollegin Simm, ich nehme an, dass für die Bundesregierung unter anderem der Bundesinnenminister
sprechen kann. Er hat vor wenigen Minuten - vielleicht
haben Sie in dem Moment nicht zugehört - sehr deutlich
gesagt, dass er es nicht gut findet, wenn man den Vorschlag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für eine Erweiterung der Bannmeile gleich mit dem Verdikt „verfassungswidrig“ versieht und nicht bereit ist, darüber zu
reden. Vielmehr sollte man durchaus darüber reden. Insofern ist, wie ich glaube, eine eindeutige Stellungnahme
vonseiten der Bundesregierung dazu abgegeben worden.
Darüber hinaus, Frau Kollegin Simm, gibt es zahlreiche
Äußerungen vonseiten der Sicherheitsbehörden, in denen sehr wohl der Wunsch geäußert wird, eine Bannmeilenregelung zu erlassen, die gerade das Brandenburger
Tor und in Zukunft auch das Holocaust-Mahnmal umfasst.
({0})
Thomas Strobl ({1})
Ich darf noch hinzufügen, Frau Kollegin Simm: Die
Diskussion ist absurd. Jahrzehntelang hatten wir in Bonn
eine Bannmeilenregelung, nach der die Bannmeile sogar
über den Rhein hinausreichte. Seitdem wir in Berlin sind
- die Kollegen Bosbach und Koschyk haben das ausgeführt -,
({2})
haben wir eine Bannmeilenregelung, nach der die Bannmeile selbstverständlich weit über den Reichstag hinausgeht, nämlich das nördliche Spreeufer, die Schweizer
Botschaft, die Dresdner Bank usw. umfasst. Es liegt absolut im Ermessen des Bundesgesetzgebers, diese Bannmeile um ein kleines Stück zu erweitern: nicht, wie der
Herr Beck von den Grünen sagte, über halb Berlin, sondern nur um das Brandenburger Tor und das HolocaustMahnmal. Damit hätten wir eine verfassungsfeste und
sichere Lösung, mit deren Hilfe Demonstrationen von
Neonazis dort sehr schnell untersagt werden können.
In Wahrheit ist es doch so, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass es auch bei den Sozialdemokraten
den einen oder anderen gibt, der das befürwortet; vermutlich gehört auch Herr Schily dazu. Nur der grüne
Koalitionspartner sperrt sich aus ideologischen Gründen
gegen diese vernünftige Lösung.
({3})
Das ist wohl auch der Grund, warum seit dem Jahr
2000 weder die Koalition noch die Bundesregierung gehandelt hat, obwohl der Bundesinnenminister am
27. Mai 2000 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“
gesagt hat - vielleicht wäre das für Sie, Frau Kollegin
Simm, auch noch einmal interessant, wenn Sie das nachlesen würden -, dass sein Haus sehr wohl für die Einführung neuer befriedeter Bezirke in Berlin sei. Diese
Aussage ist ziemlich identisch mit dem Vorhaben, das
wir jetzt nicht nur in Worte gekleidet, sondern sogar in
konkrete Gesetzesform gegossen haben. Im Jahr 2004
gab es dann erneut entsprechende Ankündigungen durch
den Bundesinnenminister. Passiert ist wiederum nichts;
die Koalition war handlungsunfähig. Erst jetzt, nachdem
die NPD in den Sächsischen Landtag und die DVU in
den brandenburgischen Landtag gewählt wurden, erst
jetzt, wo die NPD mit Skandalmeldungen Schlagzeilen
macht, erst jetzt, wo sich die Bundesregierung offenbar
bewusst geworden ist, dass am 8. Mai dieses Jahres ein
Aufmarsch der Rechtsradikalen durch das Brandenburger Tor und am Holocaust-Mahnmal vorbei droht,
kommt ein offensichtlich mit heißer Nadel gestrickter,
unzureichender, weil äußerst unvollständiger Gesetzentwurf auf den Tisch des Hauses.
Aber damit nicht genug: Die Entwicklung der letzten
Woche stellt doch einmal mehr ein Stück aus dem rotgrünen Tollhaus dar.
({4})
Herr Kollege Dr. Wiefelspütz hat gesagt, ein Gesetz soll
nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht werden. Zu der Art und Weise, wie das Gesetzgebungsverfahren bisher von Rot-Grün betrieben worden ist, kann
man nur sagen, dass sie das krasse Gegenteil von „gut
gemacht“ darstellt.
({5})
Am vergangenen Freitag hat die Bundesregierung in
Person von Frau Ministerin Zypries und Herrn Minister
Schily einen unter Hochdruck erarbeiteten Gesetzentwurf präsentiert. Die Druckerschwärze auf dem Papier
dieses Entwurfs ist noch nicht trocken, da wird er von
den Innenpolitikern von Rot und Grün wieder kassiert.
Die Herren Wiefelspütz und Beck von der SPD bzw. den
Grünen gaben dem Gesetzentwurf aus den Häusern der
Justizministerin und des Verfassungsministers eine klare
Note: verfassungswidrig. Allenfalls als Formulierungshilfe, so unkte Herr Beck von den Grünen, könne der
Regierungsentwurf, den Herr Schily und Frau Zypries
ausgearbeitet und vor der Bundespressekonferenz vorgestellt hatten, dienen. Der Gesetzentwurf des Bundesinnenministers und der Justizministerin stellt also für
den Verfassungsexperten Beck eine teilweise verfassungswidrige Formulierungshilfe dar. Ich weiß nicht,
wie die beiden Bundesminister dies mit ihrer Selbstachtung ausmachen. Allenfalls ähnelt das Vorgehen der
Bundesregierung und der rot-grünen Koalition der Echternacher Springprozession. Sie gehen einen Schritt vor
und zwei zurück; rein in die Kartoffeln, raus aus den
Kartoffeln. Herr Wiefelspütz, das ist das Gegenteil von
gut gemacht; ich bezweifle, dass es überhaupt gut gewollt war.
({6})
Schon heute haben wir nämlich wieder eine entschärfte, von den Grünen weichgespülte Version auf
dem Tisch liegen, und dies angesichts der Tatsache, dass
die Bundesregierung eine grundlegende Reform des Versammlungsrechts bis zum heutigen Tag ohnehin nur angekündigt hat, das allerdings seit dem Jahr 2000. Während der Beratungen diese Woche im Innenausschuss
wurde seitens der roten und der grünen Fraktion mehrfach betont, dass das, was jetzt von Rot-Grün als Gesetzentwurf eingebracht worden ist, schon wieder hinfällig
sei, weil man in dem einen und anderen wichtigen Punkt
durchaus weitere Änderungen vornehmen wolle. Meine
Damen und Herren von Rot-Grün, Sie haben offensichtlich jeglichen Kompass verloren. Es ist - auch das
möchte ich Ihnen sagen - für die Feinde der Demokratie
eher ermunternd, wenn eine Bundesregierung und die sie
tragenden Koalitionsfraktionen durcheinander laufen
wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen.
({7})
Wir sind und bleiben der Meinung, dass unser Gesetzentwurf zur Erweiterung der Bannmeile eine einfache
und richtige Antwort zur Lösung des einen Problems ist.
Wir sind gerne bereit, die anderen Probleme mit Ihnen
zu besprechen. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass - Herr Kollege Dr. Wiefelspütz, Sie sind nicht
der einzige Verfassungsrechtler in der Bundesrepublik
Deutschland ({8})
Thomas Strobl ({9})
es eine ganze Reihe von Verfassungsrechtlern gibt, die
eine andere Auffassung haben und die Bannmeilenregelung so, wie wir sie vorgeschlagen haben, begrüßen, beispielsweise Rupert Scholz. Auch in Maunz/Dürig/
Herzog/Scholz können Sie zu Art. 8 des Grundgesetzes
nachlesen: Irgendwelche verfassungsrechtlichen Argumente gegen die Zulässigkeit solcher Bestimmungen
sind nicht ersichtlich.
Das ist ein weiter Spielraum für den Bundesgesetzgeber. Ich habe zwar wenig Hoffnung, möchte aber an Sie
appellieren, dass wir über diese Frage in den Beratungen
im Innenausschuss und in den beteiligten Ausschüssen
noch einmal reden.
Herr Strobl, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme sofort zum Schluss. - Wir sind zu konstruktiven Beratungen, auch was das Versammlungsrecht angeht, absolut bereit. Ich hoffe nur sehr, dass die
Uneinigkeit zwischen Rot und Grün, den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung solche konstruktiven
Beratungen nicht weiter behindert.
Besten Dank fürs Zuhören.
({0})
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Brigitte
Zypries.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schön an dieser Debatte ist, dass sich alle einig
sind, dass wir als Demokraten gegen Neonazis, Antisemiten und Rassisten kämpfen müssen.
({0})
Wie wir das tun, darüber besteht Dissens. Dass man über
einen solchen Dissens diskutiert, ist gut und richtig; dazu
ist ein Parlament wie dieses schließlich da. Deswegen
finde ich es völlig unnötig, dass man ständig diskreditiert, dass es über einen von der Regierung vorgelegten
Gesetzentwurf Diskussionen gibt. Es ist Aufgabe dieses
Parlaments, genau solche Diskussionen zu führen.
({1})
Ebenso ist es Aufgabe des Parlaments, sich mit den
Vorschlägen der Opposition auseinander zu setzen. Noch
schöner wäre es, wenn die Opposition dann auch wüsste,
was sie vorgeschlagen hat, sehr geehrter Herr Strobl.
({2})
Es ist ja nicht so, dass irgendjemand etwas über die
Reichweite im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit
Ihres Entwurfes sagen würde.
({3})
- Nein, das verstehen Sie, glaube ich, falsch. - Bei der
Diskussion über die Verfassungswidrigkeit Ihres Entwurfes geht es doch um den vorgeschlagenen § 5.
({4})
Nach dem geltenden Gesetz ist es so, dass Demonstrationen in befriedeten Bezirken zuzulassen sind, wenn eine
Beeinträchtigung des Bundestages nicht zu besorgen ist.
Das, sagt das Gesetz, ist in der Regel der Fall, wenn die
Versammlung an einem Tag durchgeführt werden soll,
an dem Sitzungen nicht stattfinden. Dann gilt volle Demonstrationsfreiheit.
Was macht die Opposition jetzt daraus?
({5})
- Entschuldigung, ich bitte um Nachsicht, Herr van
Essen. - Was sagt die CDU/CSU in ihrem Gesetzentwurf
dazu? Dort heißt es, dass der Innenminister Ausnahmen
im Einvernehmen mit dem Präsidenten zulassen kann.
({6})
Ich frage: Nach welchen Kriterien soll das geschehen?
({7})
Herr Wiefelspütz hat vorhin richtig gesagt, dass es nicht
sein kann, dass hier von Herrschaftsgnaden entschieden
wird, wann und wo demonstriert werden kann.
({8})
Das ist mit unserer Verfassung wirklich nicht zu vereinbaren. Vielleicht können wir darüber einen Konsens finden. Ich habe Verständnis dafür, dass man über all das
diskutiert, was nach unserer Auffassung erforderlich ist,
um sich mit den Neofaschisten und mit anderen Rechtsextremisten auseinander zu setzen und ihre Aktivitäten
zu beschneiden.
Wir meinen, dass es richtig ist, an einer anderen Stelle
anzusetzen. Man muss dabei den Aspekt berücksichtigen
- er wurde vorhin schon angesprochen -, dass die Maßnahmen nicht nur in Berlin, sondern auch an anderen
Orten in der Republik wirken sollen.
({9})
Deswegen halten wir es für richtig, § 15 des Versammlungsgesetzes zu ändern. Dazu hat der Bundesinnenminister schon etwas gesagt. Wir halten es auch für richtig,
einen neuen § 130 Abs. 4 Strafgesetzbuch einzufügen.
Mit dieser Norm wollen wir zumindest das Verherrlichen
der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter Strafe stellen und damit eine deutliche Erweiterung der strafbaren Handlungen vornehmen.
({10})
Bisher mussten die Neonazis nur vermeiden, das Wort
„Holocaust“ in den Mund zu nehmen und von der
Auschwitzlüge zu sprechen. Alles andere durften sie tun:
Sie durften billigen, sie durften leugnen und sie durften
verharmlosen. Jeder wusste zwar, was gemeint war.
Aber strafrechtlich konnten wir ihnen nicht ans Leder.
Die Neuregelung, die wir jetzt planen, ist im Hinblick
auf das Strafrecht richtig. Sie ist aber auch im Hinblick
auf das Versammlungsrecht richtig. Darauf hat Herr
Wiefelspütz schon hingewiesen. Natürlich kann unter
Rekurs auf das Strafrecht die Genehmigung von Versammlungen mit Auflagen versehen werden oder sie
können verboten werden.
Nun gibt es immer wieder Juristen - zwei Juristen
und drei Meinungen, wie es bekanntlich heißt -, die behaupten, dass unsere Vorschläge zum Teil verfassungswidrig und deswegen nicht umsetzbar seien. Ich gestehe
allen zu, dass man sehr ernsthaft über unsere Vorschläge
diskutieren muss. Wogegen ich mich verwahre, ist, dass
die beiden Verfassungsminister dieser Regierung einen
angeblich verfassungswidrigen Entwurf vorlegen. Das
stimmt schlicht nicht. Dieser Entwurf ist nicht verfassungswidrig.
({11})
Das heißt aber nicht, dass man ihn nicht - aus welchen
Gründen auch immer - in Teilen ändern könnte. Man
muss ihn aber sicherlich nicht ändern, nur um ihn verfassungsgemäß zu machen.
Wir wissen sehr wohl, dass wir auch bei der Bekämpfung des Rechtsradikalismus die Grundrechte beachten
müssen. Hier geht es insbesondere um Art. 5 des Grundgesetzes. Es gibt aber auch die ständige Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts, dass die Regelungen des
Art. 5 durch allgemeine Gesetze eingeschränkt werden
dürfen. Darunter sind solche Gesetze zu verstehen, die
sich nicht auf Meinungsäußerungen beziehen, sondern
die einem anderen schützenswerten Rechtsgut dienen.
Es ist völlig unstreitig, dass auch Strafgesetze unter
diese allgemeinen Gesetze fallen.
Diesen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, entspricht der in Aussicht genommene § 130 Abs. 4 Strafgesetzbuch. Die neue Norm ist
hinreichend bestimmt. Die Tathandlung ist das Verherrlichen. Dies ist ein Begriff, den wir an verschiedenen Stellen bereits im Strafgesetzbuch haben. Dazu gibt es auch
eine hinreichende Rechtsprechung.
({12})
Zudem muss die Äußerung geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Sie muss öffentlich gemacht
oder in einer Versammlung geäußert werden. Außerdem
muss sie die Würde der Opfer der nationalsozialistischen
Gewalt- und Willkürherrschaft verletzen. Damit sind alle
Voraussetzungen für eine zielgenaue Strafrechtsnorm
geschaffen.
({13})
Damit ziehen wir eine klare Grenze zwischen dem, was
erlaubt, und dem, was verboten ist.
Ich meine, dass wir mit diesem Signal auch den jungen Menschen, die zunehmend von den Neofaschisten
umworben werden, deutlich machen können, was in diesem Staat erlaubt ist.
({14})
Ein Wort zum Schluss. Wir alle sollten uns darüber
bewusst sein, dass das Strafrecht nur eine Möglichkeit
ist, um gegen den Neofaschismus zu kämpfen.
({15})
Wir müssen aber vor allen Dingen die politische Auseinandersetzung suchen und führen. Dieses Problem geht
die gesamte Gesellschaft an. Es ist eine Aufgabe, die wir
jeden Tag auch im Alltag immer wieder aufs Neue bewältigen müssen.
({16})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Jürgen Gehb das Wort.
Frau Ministerin, ich habe mit Freude wahrgenommen,
dass Sie die politische Auseinandersetzung mit den
Rechtsextremisten an die Spitze der Maßnahmen stellen
wollen, die dazu geeignet sein können, diese zurückzudrängen.
Ich muss aber auch eines sagen: Das schärfste
Schwert, das Strafrecht - dies haben Sie auch im Zusammenhang mit heimlichen Vaterschaftstests einbringen
wollen -, halte ich in dieser Debatte für das ungeeignetste Mittel. Wir müssen aufpassen, dass wir auch nicht
nur den Hauch des Eindrucks erwecken, ein Gesinnungsstrafrecht machen zu wollen.
({0})
Ich weiß, dass wir alles gut meinen - das müssen wir
uns nicht immer wieder versichern -, aber nicht immer
alles gut machen. Herr Wiefelspütz hat das eben gesagt.
Ebenso wie sich alle behördlichen Verbotsverfügungen
nicht nur am Versammlungsrecht, sondern auch an dem
zugrunde liegenden Art. 8 Grundgesetz haben messen
lassen müssen, müssen sich auch alle gesetzlichen Verschärfungen an Art. 8 Grundgesetz messen lassen.
({1})
Es ist nichts schlimmer, als wenn jemand gegen eine
Verbotsverfügung mit Erfolg zu Gericht zieht und dann
hinterher mit erhöhter Legitimation, quasi mit gerichtlichem Persilschein, zur Demonstration geht, in der dann
schwarz auf weiß steht: Die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs gegen die Verbotsverfügung wird wieder
hergestellt, weil die Verbotsverfügung offensichtlich
rechtswidrig ist und die Antragsteller in ihren Rechten
verletzt. Dieser geht dann aufgrund eines solchen
schriftlichen Diktums eines Gerichts mit von noch mehr
Stolz geschwollener Brust, als das bisher schon der Fall
ist, zur Demonstration.
Deswegen ermahne ich uns alle, dass wir mit Bedacht
an eine gesetzliche Regelung gehen und nicht nur Lippenbekenntnisse machen. Wir sollten uns tatsächlich zusammensetzen und keinen Wettlauf um die vermeintlich
beste Lösung starten, aus dem jeder als Sieger hervorgehen möchte.
({2})
Frau Zypries, wollen Sie erwidern? - Bitte schön.
Herr Gehb, ich glaube, dass in dieser Sache - das
zeigt auch der Beifall - überhaupt kein Dissens besteht.
Ich habe gerade ausgeführt, dass die von uns vorgesehene Norm an Art. 5 Grundgesetz gemessen werden
muss, nicht an Art. 8 Grundgesetz; denn wir machen
kein Versammlungsrecht, sondern Strafrecht. Wir machen ein Gesetz, das die Meinungsfreiheit einschränkt.
Das muss ein allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5
Grundgesetz sein. Wir sind der Auffassung, dass dieses
Gesetz so, wie wir es in der nächsten Woche in die Ausschüsse bringen werden, damit in Einklang steht.
({0})
- Nein, dazu gibt es in den Koalitionsfraktionen überhaupt keine Probleme. Nun machen Sie sich nicht dauernd Gedanken um uns, Herr Strobl, sondern bessern Sie
lieber Ihren eigenen Gesetzentwurf nach.
({1})
Trotzdem muss die Arbeit getan werden: entweder in
der Diskussion oder am Schreibtisch sitzend. Das stelle
ich anheim.
Zu Ihnen, Herr Gehb, wollte ich noch sagen: Darin
sind wir uns völlig einig. Unser Gesetzentwurf erfüllt die
Anforderungen. Es gibt aber auch das Angebot, gemeinsam noch einmal darüber zu reden. Wir sind gerne dazu
bereit.
({2})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat das Wort die Kollegin Silke Stokar von Neuforn vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle
sind empört über die Auftritte der Neonazis in unserem
Land. Im Sächsischen Landtag wurden die Opfer des
Nationalsozialismus verhöhnt und beleidigt. In unseren
Städten wird der Versuch gemacht, das Gedenken an die
Opfer zu stören und den Nationalsozialismus zu verherrlichen.
60 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus sind wir
aber eine starke und auch eine wehrhafte Demokratie.
Sehr eindrücklich haben die Bürgerinnen und Bürger in
Dresden gezeigt: Wir lassen uns die Würde des Gedenkens nicht nehmen. Auch in anderen Städten - ich
möchte hier Weimar hervorheben, aber auch die hier oft
genannte Stadt Wunsiedel erwähnen - hat das zivile Engagement der Bevölkerung gezeigt, dass wir in der Lage
sind, uns aus der Mitte unserer Bevölkerung heraus gegen diese Auftritte der Neonazis zur Wehr zu setzen.
({0})
Ich möchte hier auch betonen: Kern der Auseinandersetzung mit der NPD muss die politische Auseinandersetzung sein. Dennoch halte ich es für genauso richtig
- das ist kein Widerspruch; das tun wir zurzeit -, dass
wir erneut alle rechtlichen Mittel prüfen, um der NPD
Aufmärsche und große Auftritte zu erschweren.
Wir sind in Deutschland eine streitbare Demokratie.
An der Debatte der vergangenen Tage hat mich ein bisschen irritiert, dass ein in der Demokratie ganz normaler
parlamentarischer Vorgang - wir sollten uns Gedanken darüber machen, welchen Zweck wir damit verfolgen - skandalisiert wird.
({1})
Das, was wir im Hinblick auf das vorliegende Gesetz
tun, machen wir jeden Tag.
({2})
Wir haben die Initiative der Regierung begrüßt, die Vorschläge zu einer Gesetzesverschärfung gemacht hat. Es
ist ein ganz normaler Vorgang, dass die Fraktionen über
Änderungsanträge, über die Beratung in den Fachausschüssen und über Änderungen nach Anhörungen in dieses Gesetzesverfahren eingreifen. Das ist nichts Besonderes; das ist unsere alltägliche Arbeit.
Zu den einzelnen Punkten möchte ich nur so viel sagen:
Am 8. Mai werden wir hier im Deutschen Bundestag
- das ist auch gut so - eine Gedenkveranstaltung abhalten.
Ich sage Ihnen: An diesem 8. Mai wird die NPD nicht
durch das Brandenburger Tor in Berlin marschieren.
({3})
Dies wird deshalb nicht geschehen - das ist uns von der
Innensenatsbehörde bestätigt worden -, weil die heutige
Rechtsgrundlage dafür ausreicht. Gedenktage sind schon
heute besonders geschützt.
Es ist doch völlig selbstverständlich: Das höchste
Schutzgut unserer Verfassung ist die Menschenwürde.
Wir werden sicherstellen, dass Neonazis nicht am Holocaust-Mahnmal vorbeimarschieren. Wir werden darüber
hinaus sicherstellen - denn es geht nicht nur um
Berlin -, dass auch die anderen KZ-Gedenkstätten in unserem Land noch besser als bisher vor solchen Aufmärschen geschützt werden.
In einem Punkt sind wir uns nicht einig. Da haben wir
als Fraktion der Grünen eine ganz klare und feste Position: Die NPD wird uns nicht dazu veranlassen - denn
wir sind eine starke Demokratie -, dass wir die Versammlungsfreiheit an zentralen Punkten für alle einschränken.
({4})
Auf dem Pariser Platz in Berlin wird es weiterhin auch
ohne Ermächtigung durch den Innenminister und nur auf
Grundlage des Versammlungsrechtes Demonstrationen
geben.
({5})
Wir sind gerne bereit, diese Position hier streitig zu vertreten.
Ich möchte noch ein Wort zur FDP sagen. Wehe,
wenn Sie an der Regierung sind! Ihre Reden hier im
Bundestag zu diesem Thema kann ich begrüßen. Ich
sehe aber Ihr Verhalten nicht nur in Rheinland-Pfalz,
sondern auch in Niedersachsen. Wenn Sie die Möglichkeit haben, einzugreifen, dann machen Sie das Gegenteil
von dem, was Sie hier sagen. Ich habe noch in keinem
Bundesland gesehen, wie so schnell aus liberalen Gesetzen reine Repressionsgesetze gemacht worden sind, wie
es jetzt in Niedersachsen durch Ihre Beteiligung und Ihr
Einknicken vor dem Innenminister Schünemann geschieht.
({6})
Ich finde es besser, dass Rot-Grün hier einen vernünftigen Abwägungsprozess vornimmt und sagt:
({7})
Es gilt die Verfassung. Das, was rechtlich möglich ist,
versuchen wir in diesem Rahmen zu machen.
Ich freue mich auf eine konstruktive und spannende
- das ist sie nämlich - verfassungsrechtliche Auseinandersetzung im Innenausschuss. Herr Strobl, wenn Sie
dort einen wirklich konstruktiven Beitrag zu leisten haben und sich an der Diskussion über unsere Anträge beteiligen wollen, dann werden wir Ihnen - das sollten Sie
wissen - sehr genau zuhören.
Danke schön.
({8})
Ich schließe die Aussprache und rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Betreuungsrechts ({0})
- Drucksache 15/2494 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 15/4874 Berichterstattung:
Abgeordnete Sabine Bätzing
Joachim Stünker
Jerzy Montag
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Sabine Bätzing von der SPD-Fraktion
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn am 1. Juli dieses Jahres das Zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz in Kraft tritt, sind seit
Einbringung des Entwurfs des Bundesrates eineinhalb
Jahre vergangen. Der von vielen befürchtete Schnellschuss zulasten der Betreuten ist ausgeblieben. Der
Rechtsausschuss hat Sachverständigen in zwei Anhörungen - Sie wissen, das ist außergewöhnlich - die Möglichkeit gegeben, ihre Anregungen und Bedenken vorzutragen.
Deshalb gilt mein Dank für die kooperative Zusammenarbeit den Berichterstatterinnen und Berichterstattern aller Fraktionen sowie dem Justizministerium, aber
auch und ganz besonders der Vielzahl von Betreuern,
Richtern, Rechtspflegern sowie den Verbänden und Arbeitsgemeinschaften, die das Verfahren mit ihrer konstruktiven Kritik und ihrem Fachwissen sehr partnerschaftlich und kompetent begleitet haben.
({0})
Ich möchte gleich zu Beginn meiner Rede vorwegnehmen, dass wir nicht allen Forderungen und Wünschen entsprechen konnten. Zugegeben, auch ich hätte
mir an der einen oder anderen Stelle vielleicht ein anderes Ergebnis gewünscht. Aber wir haben sowohl mit den
Ländern als auch mit den Fraktionen einen Kompromiss
gefunden, der für alle Beteiligten tragbar ist. Vor allem
haben wir erreicht, dass sich die Qualität im Betreuungswesen verbessern wird. Beispielsweise konnten wir
durchsetzen, dass in Betreuungssachen nur noch Richter
mit mindestens einjähriger Berufserfahrung tätig werden
können. Aber wir mussten uns auch der Erkenntnis stellen, dass finanzielle Einschnitte im Bereich der rechtlichen Betreuung notwendig sind.
Lassen Sie mich deshalb gleich zu Beginn meiner
Rede auf einen Punkt zu sprechen kommen, zu dem uns
Fachpolitiker die meisten und auch emotionalsten Zuschriften erreicht haben: zur Pauschalierung der Vergütung. Sie ist ein geeignetes Mittel zur Entbürokratisierung des gesamten Betreuungswesens; darüber herrscht
Einigkeit. Denn Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuer
müssen nun nicht mehr jede aufgeklebte Briefmarke und
jeden einzelnen gefahrenen Kilometer gegenüber dem
Vormundschaftsgericht nachweisen. Rechtspflegerinnen
und Rechtspfleger können ihre Arbeitsabläufe nach dem
In-Kraft-Treten dieser Regelung straffen, da das Kontrollieren von Abrechnungen entfällt.
Auf beiden Seiten bleibt nun also mehr Zeit, um sich
ganz konkret um den Betreuten zu kümmern. Er steht im
Mittelpunkt, nicht seine Abwicklung. Intensiv und kontrovers wurde hingegen die Höhe der pauschalierten Vergütung diskutiert. Wir haben uns bei der Pauschalierung
auf einen Inklusivstundensatz geeinigt. Dieser Inklusivstundensatz enthält einen pauschalen Anteil für Aufwendungsersatz sowie die anfallende Umsatzsteuer. Mit einem Höchstsatz von 44 Euro ist es möglich, den
Klienten eine qualifizierte Betreuung und den Betreuern
ein auskömmliches Einkommen zu sichern.
Differenziert wird bei der Vergütung nach dem Aufenthaltsort - das heißt, ob der Betreute zu Hause oder in
einem Heim lebt - und der Dauer seiner Betreuung.
Auch an dieser Stelle haben wir lange um ergänzende
Kriterien gerungen, beispielsweise um eine Öffnungsklausel für besonders schwere Fälle, eine Differenzierung nach Krankheitsbildern oder nach Aufgabenkreisen. Aber weiter gehende Differenzierungen hätten nicht
zu weniger, sondern zu mehr Bürokratie geführt; darum
haben wir von solchen Abstand genommen. Es gibt deshalb nur zwei Sonderregelungen. Sie beziehen sich zum
einen auf vermögende Betreute - da erfahrungsgemäß
ein größerer Zeitaufwand schon allein für die Vermögensverwaltung erforderlich ist -, zum anderen auf die
Übergabe der Betreuung an einen ehrenamtlichen Betreuer. Diese zweite Ausnahmeregelung soll für die Berufsbetreuer ein Anreiz sein, ihre Betreuung, wenn es im
Sinne des Betreuten ist, an einen Ehrenamtlichen abzugeben. Sofern von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, erhalten die Berufsbetreuer die Vergütung
für den begonnenen und für den Folgemonat weitergezahlt.
An dieser Ausnahmeregelung erkennt man einen weiteren Schwerpunkt der Gesetzesberatungen: die Stärkung des Ehrenamtes. Der Vorteil, der den Betreuungsvereinen durch den Inklusivstundensatz entsteht, ist
politisch gewollt: Im Inklusivstundensatz sind 16 Prozent Umsatzsteuer enthalten, die Betreuungsvereine haben allerdings lediglich 7 Prozent zu entrichten - im Gegensatz zu den Berufsbetreuern. Dabei ist uns allen
natürlich bekannt, dass das Betreuungsrecht nicht ausschließlich von Ehrenamtlichen ausgeführt werden kann
und dass wir weiterhin Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuer brauchen.
Bei der Diskussion um das Betreuungsrecht ist das
Ziel der Betreuungsvermeidung ein wenig aus dem
Blickfeld verschwunden. Hier geht es nicht darum, Betreuung zu verhindern, sondern lediglich darum, rechtlich angeordnete Betreuung zu vermeiden. Die Vorsorgevollmacht ist das einzige Rechtsinstrument, mit dem
dies möglich ist und mit dem vor allem das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen umfassend gesichert
werden kann. Denn damit kann man eine Vertrauensperson für den Betreuungsfall selbst auswählen. Von daher
rate ich jedem, so früh wie möglich eine Vorsorgevollmacht zu verfassen.
({1})
Mit der Verteilung der Beratungs- und Beglaubigungskompetenz auf mehrere Schultern sorgen wir
ebenfalls für die Verbreitung und die Stärkung der Vorsorgevollmacht. In der Vergangenheit sind zwar Unsicherheiten bei der Akzeptanz der Vollmachten aufgetreten, insbesondere im Bereich der Kreditwirtschaft. Doch
durch entsprechende Anweisungen an die Banken gibt es
hier nun Sicherheit, wenngleich es von Vorteil sein kann,
die Vorsorgevollmacht direkt bei der Bank zu unterzeichnen.
Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass
es uns in den Verhandlungen gelungen ist, auch eine
Evaluierung für das Gesetz festzuschreiben. Diese Evaluierung wird die folgenden zwei Jahre umfassen und sowohl die Auswirkungen auf die Betreuten als auch auf
die wirtschaftliche Situation der Betreuer beleuchten;
besondere Berücksichtigung werden auch die Probleme
und Fragestellungen finden, die aus der kürzlich ergangenen Entscheidung des Bundesfinanzhofes bezüglich
der Gewerbesteuerpflicht für Berufsbetreuer resultieren.
Mit dieser frühzeitigen Evaluierung wird es möglich
sein, eventuelle Fehlentwicklungen sehr zeitnah zu erkennen, ihnen entgegenzusteuern oder auch Ergänzungen vorzunehmen; ich denke hier zum Beispiel an die
Probleme, die für Ordensgemeinschaften entstehen können.
Wir laden alle Beteiligten ein, die hervorragende Kooperation der vergangenen zwölf Monate weiterleben zu
lassen, die Evaluierung gemeinsam mit uns zu begleiten
und uns über die Erfahrungen mit dem neuen Gesetz zu
berichten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Gesetzesvorhaben zum Betreuungsrecht sind gefüllt mit Zahlen,
Ziffern, Daten und Berechnungen. Wichtiger als die Diskussion über Kosten und über Öffnungsklauseln ist aber
der Betreute, der auf Hilfe angewiesen ist
({2})
und dessen Würde gewahrt werden muss. Wie ich schon
in meiner ersten Rede sagte: Im Mittelpunkt steht der
Mensch. Daran wird sich auch nach In-Kraft-Treten des
Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes nichts ändern.
Vielen Dank.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
die Debatte kurz unterbrechen und auf den
Tagesordnungspunkt 23 zurückkommen. Aufgrund einer
Fehleinordnung der Sprechzettel habe ich es versäumt,
die Überweisung der beiden Gesetzentwürfe an die Ausschüsse beschließen zu lassen. Deshalb bitte ich, darauf
zurückkommen zu dürfen.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 15/4731 und 15/4832 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Dann komme ich zum Tagesordnungspunkt 24 zurück. Das Wort hat jetzt die Kollegin Ute Granold von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir befassen uns heute mit dem Betreuungsgesetz, einem Gesetz, das die Menschen tief bewegt und
das beim Bund und in den Ländern sehr intensiv, aber
auch sehr konstruktiv und sehr harmonisch beraten
wurde. Ich glaube, wir können heute sagen, es ist eine
Sternstunde für uns, wenn wir hier zusammen zu einem,
wie ich denke, guten Ergebnis kommen.
Die erste Lesung hierzu fand vor einem Jahr statt.
Seitdem gab es eine ganze Anzahl von intensiven Beratungen. Wir haben zwei große Anhörungen durchgeführt
und es wurde eine Arbeitsgruppe zwischen Bundestag
und Bundesrat gebildet, um zu einem konstruktiven Ergebnis zu kommen. Daneben fanden eine Vielzahl von
Gesprächen mit Verbänden und Interessenvertretungen
sowie Veranstaltungen statt. Alle Berichterstatter sind
quer durch die Republik gereist, um den Menschen unsere Novellierung nahe zu bringen.
Über den Reformbedarf bestand Einigkeit. Bereits in
der letzten Legislaturperiode - in den Jahren 1999 und
2000 - hat eine interfraktionelle Arbeitsgruppe ein Reformkonzept erarbeitet, da die Zahl der Betreuungen erheblich gestiegen ist und die Kosten in den Ländern explodiert sind. Die Länder haben nach Erstellung des
Abschlussberichts einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe
einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Grundlage für unsere
Beratungen war.
Ich denke, ich spreche hier für alle Beteiligten, wenn
ich sage, dass für uns bei allen Beratungen stets der
Mensch, der aufgrund einer Erkrankung, einer Behinderung oder seines Alters einer rechtlichen Betreuung bedarf, im Mittelpunkt stand. Ziel der jetzigen Reform ist
es, die Qualität der Betreuung zu erhöhen und sicherzustellen, dass qualifizierte Betreuungsarbeit geleistet und
bezahlt wird. Die Justizhaushalte der Länder sollen dabei mit einem gerechten und unbürokratischen Abrechnungssystem entlastet werden.
Wir waren uns bei der Diskussion stets der Problematik bewusst, dass in unserer Gesellschaft eine Betreuungshilfestruktur, ein Handlungsinstrumentarium zur
Stützung von Betroffenen ohne Eingriffe der Justiz,
fehlt. Hier besteht nach wie vor Handlungsbedarf.
Heute befassen wir uns mit der rechtlichen Betreuung, die im Betreuungsgesetz geregelt ist. Die Vorsorgevollmacht als Herzstück ist bereits im Gesetz verankert, sie muss aber gestärkt und in den Mittelpunkt
gerückt werden. Sie ist als einziges Rechtsinstitut geeignet, das Selbstbestimmungsrecht der Einzelnen für den
Fall einer Erkrankung oder Behinderung umfassend zu
sichern. Mittlerweile besteht auch eine große Nachfrage
nach so genannten Mustervorsorgevollmachten. Die sehr
gut besuchten Informationsveranstaltungen der letzten
Wochen und Monate haben gezeigt, dass das Interesse in
der Bevölkerung sehr groß ist.
Die bisherige Rechtslage wird den Anforderungen der
Praxis allerdings nicht gerecht. Im Rechtsverkehr, insbesondere bei den Banken und Sparkassen, findet die Vorsorgevollmacht keine Akzeptanz, da nicht gesichert ist,
ob sie auch tatsächlich vom Vollmachtgeber stammt und
seinen Willen wiedergibt. Ein akzeptabler Weg, der viele
Menschen erreicht, wurde jetzt mit der Errichtung einer
behördlichen Beglaubigungskompetenz im Sinne einer
öffentlichen Beglaubigung gefunden.
Außerdem konnte dieser Tage - wir haben es von
Herrn Staatssekretär Hartenbach gehört - eine Einigung
mit den Banken und Sparkassen gefunden werden. Die
Banken werden eine so genannte Bankenvorsorgevollmacht ausstellen und in den Verkehr bringen. In begleitenden Informationsbroschüren von Bund und Ländern
wird bei den Menschen darum geworben werden, eine
solche Vollmacht zu unterzeichnen. Weiterhin soll die
Vorsorgevollmacht in ein so genanntes Vorsorgeregister,
das bei der Bundesnotarkammer geführt wird, aufgenommen werden. Die Gerichte haben dann rund um die
Uhr die Möglichkeit, sich zu informieren und auf diese
Vorsorgevollmacht Rückgriff zu nehmen. Die Gebühr
hierfür - auch das wurde mittlerweile festgelegt - soll
zwischen 15 und 18 Euro liegen, je nachdem, für welche
Zahlungsart man sich entscheidet. Die Rechtvorschriften
hierfür sind nach einem größeren Akt aller - es gab hier
noch eine Vielzahl von Hürden zu nehmen - mittlerweile
auf den Weg gebracht. Ich danke für die wirklich intensive Mitarbeit von Herrn Staatssekretär Hartenbach.
Auch wenn es zu wünschen wäre, dass möglichst alle
volljährigen Menschen eine Vorsorgevollmacht erteilen,
so gibt es doch Fälle, in denen eine Betreuung erforderlich ist und keine Vorsorgevollmacht besteht. Hier müssen Regelungen getroffen werden, die für die Menschen
greifen. Insbesondere im Verfahrensbereich gibt es eine
Reihe von Neuerungen. Wir haben es gerade schon von
der Kollegin Bätzing gehört. Die Anordnung und Aufhebung der Betreuung sowie die Festlegung des Aufgabenbereichs eines Betreuers sollen nach wie vor unter Richtervorbehalt bleiben. Die Auswahl, Bestellung und
Entlassung sollen im Aufgaben- bzw. Zuständigkeitsbereich der Rechtspflege liegen. Proberichter sollen im
ersten Jahr ihrer richterlichen Tätigkeit nicht eingesetzt
werden, weil die Erfahrung fehlt. Gutachten, die erforderlich sind, um eine Betreuung anzuordnen, können
auch dann verwertet werden, wenn sie aus vorangegangenen Verfahren stammen, sofern diese aus dem Bereich
der Pflegeversicherung stammen und der Betroffene zustimmt.
Wir sind überzeugt, dass wir mit der Änderung der
Vergütung im Betreuungswesen den richtigen Weg beschritten haben. Mit der Pauschalierung, die nun eingeführt werden soll, entfallen zeitraubende und bürokratische Einzelabrechnungen. Wir haben für die
Pauschalierung eigens eine Anhörung durchgeführt und
waren sehr froh, dass wir sehr viele Anregungen aus der
Praxis erhielten, die wir in das Gesetz einarbeiten konnten. Ich denke, wir haben einen gerechten Interessenausgleich zwischen den Betreuern und den Ländern vorgenommen, einen Katalog erstellt und das, was uns die
Länder vorgelegt haben, ein Stück weit erweitert.
Neben der Differenzierung, ob der Betreute zu Hause
ist, in einem Heim oder einer anderen Einrichtung untergebracht ist, differenzieren wir jetzt noch zwischen mittellosen und vermögenden Betreuten. Wir müssen
wissen, dass 85 Prozent der Betreuten mittellos sind. Wir
haben aber entschieden, nicht weiter je nach der
Schwere einer Erkrankung oder eines Falles zu differenzieren. Diese Position haben wir bei der Mittelung der
Pauschalsätze eingearbeitet. Weitere Differenzierungen
würden wiederum zu einem Verwaltungsaufwand führen, den wir gerade vermeiden wollten.
Was uns von der Union wichtig war und auch Eingang im Gesetz gefunden hat, ist die Stärkung des
Ehrenamtes. Mit den Inklusivsätzen und den Bruttobeträgen werden die Betreuungsvereine, wo sich die vielen
ehrenamtlich Tätigen wieder finden, gestützt und gestärkt. Mit einem reduzierten Steuersatz ist es möglich,
dass die Betreuungsvereine hier ein Stück weit bevorzugt werden und damit die ehrenamtliche Arbeit honoriert wird.
({0})
Auf einen weiteren Vorschlag der Union wurde das so
genannte Tandemmodell eingeführt. Wir wollen Anreize schaffen, dass bei leichteren Fällen die Berufsbetreuung an ehrenamtliche Betreuer abgegeben wird.
Daher wird eine Zusatzvergütung erfolgen, um einen
Anreiz zu schaffen, dass der Fall einem ehrenamtlichen
Betreuer übergeben wird.
Auch das Urteil des Bundesfinanzhofs wurde bereits
angesprochen. Hier gab es Irritationen, weil die Berufsbetreuer nun der Gewerbesteuerpflicht unterliegen sollen. In den letzten Tagen haben wir noch eine Einigung
gefunden, um das Gesetz verabschieden zu können. In
zwei Jahren wird es eine Evaluierung unter den Gesichtspunkten der steuerlichen Belastung und der Differenzierung geben. Auch bei der Frage der Auskömmlichkeit der nun festgelegten Vergütungssätze wollen wir
sehen, ob das Gesetz greift und von der Praxis angenommen wird.
Wir haben in der Anhörung viel Zeit auf die Frage der
Einführung einer gesetzlichen Vertretung im Bereich der
Personen-, Vermögens- und Gesundheitssorge verwandt.
Ab einem bestimmten Stadium haben wir in der Diskussion gesagt: Wir könnten die gesetzliche Vertretung befristen, um haftungsrechtliche Probleme in den Griff zu
bekommen. Das hat aber nicht funktioniert. Das wäre allerdings ein Anliegen, da viele Menschen in der Praxis
davon ausgehen, dass eine Vertretung in der Gesundheitsfürsorge im Gesetz steht. Aber dies steht leider
nicht so im Gesetz; der Kollege Grübel wird hierzu noch
einiges ausführen. Gleiches gilt im Übrigen auch für die
ambulante Zwangsbehandlung, die eine Zeit lang diskutiert wurde.
Wir haben gemeinsam ein Gesetzeswerk auf den Weg
gebracht, das für die Menschen in unserem Land gut ist
und mit dem auch die Handelnden gut leben können. Die
Evaluierung gibt uns ein Stück weit die Sicherheit, in
zwei Jahren zu überprüfen, ob das Gesetz greift. Ich bedanke mich wie die Kollegin Bätzing bei den Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen und der
FDP für die doch sehr lange, intensive und fruchtbare
Zusammenarbeit und die Tatsache, dass wir heute, so
hoffe ich, gemeinsam ein Gesetz verabschieden, das allen Menschen in unserem Land zugute kommt.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jerzy Montag von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Reformgesetz zum Betreuungsrecht, dem heute allseitige
Zustimmung im Hause zuteil wird, hat sein Gesicht
gegenüber dem ursprünglichen Bundesratsentwurf entscheidend geändert. Erst die Änderungen, die wir
gemeinsam im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zustande gebracht haben, haben den Kern des Betreuungsrechts wieder sichtbar gemacht. Die betreuungsbedürftigen Menschen in ihrer Menschenwürde sind und
bleiben auch in Zeiten knapper Kassen im Mittelpunkt
der Reform.
({0})
Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis harter und
schwieriger Verhandlungen. Der erzielte Kompromiss ist
aber gelungen. Wir stehen zu dem Gesamtpaket und setzen auf die politische Zusage, dass auch die Länder diese
Gesamtlösung mittragen werden.
Einen Vorschlag des Bundesrates haben wir ersatzlos
streichen müssen, die ambulante Zwangsbehandlung.
Sie widerspricht allen Ansätzen einer modernen
Psychiatrie, die auf ein kooperatives Patientenverhältnis
setzt. Psychisch Kranke brauchen gerade in ihrem Zuhause vertrauensvolle Unterstützung und Hilfe und eben
nicht staatlich verordneten Zwang.
Wir wollen die Vorsorgevollmacht stärken. Mit einer
solchen Vollmacht kann jeder Mensch selbst bestimmen,
welche Person seines Vertrauens im Falle des Falles
seine Rechtsangelegenheiten regeln soll; denn auch hier
muss gelten: Persönliche Vorsorge ist besser als staatliche Fürsorge. Dieser Vorrang sichert das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen und hilft zugleich, Kosten
der Betreuung zu vermeiden.
({1})
Wir haben deswegen die Hürden für Vorsorgevollmachten gesenkt, damit die Menschen davon noch stärker Gebrauch machen. Betreuungsvereine können noch offensiver für diese Vollmachten werben und Beratungen
durchführen. Beglaubigungen können auch bei Betreuungsbehörden erfolgen.
Nun müssen wir alle an der gesellschaftlichen Akzeptanz der Vorsorgevollmacht mitwirken. Die Mustervollmachten aus den Ländern und aus dem Bundesjustizministerium sind erarbeitet und sollten verbreitet
werden. Sie sollten um eine spezielle Bankvollmacht ergänzt werden, die dann von den Banken auch tatsächlich
akzeptiert wird.
Dem Gedanken der Selbstbestimmung widersprach
auch die gesetzliche Vertretungsmacht für Ehegatten
bzw. Angehörige in Gesundheits- bzw. Vermögensangelegenheiten. Wir haben diese Vorschläge daher ersatzlos
gestrichen.
Mit weiteren Änderungen haben wir die Qualität der
Betreuungsentscheidungen gesichert und ausgebaut.
Stichwort richterliche Entscheidungskompetenz: Die
Anordnung der Betreuung und die Bestimmung des Aufgabenkreises bleiben in Richterhand. Stichwort Qualitätssicherung: Der Richter kann in geeigneten Fällen
einen Betreuungsplan erstellen lassen. Stichwort Zweitverwertung von Gutachten: Den Vorschlag des Bundesrates, jedes Hausarztgutachten im Betreuungsverfahren
zu verwenden, haben wir abgelehnt. Nur zeitnahe und
umfassende Gutachten können die Basis für eine qualifizierte Entscheidung des Gerichts bieten.
Ein zentraler Reformpunkt, der massiver Kritik ausgesetzt war, betraf die Pauschalierung der Vergütung für
die Berufsbetreuer. Ich möchte vorab ganz deutlich sagen: Das Interesse der Länder, die Kosten der Berufsbetreuungen finanzierbar zu halten, ist ein ganz berechtigtes Interesse. Die bisherige so genannte Spitzabrechnung
führte zu unbestreitbaren Mehrkosten. Sie sind von meinen Vorrednerinnen im Einzelnen aufgeführt worden.
Deswegen ist der Übergang zur Pauschalvergütung ein
richtiger Reformschritt. Aber dieser Reformschritt
musste so gegangen werden - und er ist jetzt so gegangen worden -, dass die Auskömmlichkeit der Berufsbetreuer gesichert ist. Nur so wird der Grundgedanke der
Reform von 1992, nämlich eine qualitativ hochwertige
Individualbetreuung zu leisten, gesichert werden können.
Der Stundensatz für Berufsbetreuer ist netto um fast
13 Prozent angehoben worden, bei Vereinsbetreuungen
wird die Steigerung sogar 20 Prozent betragen. Dies ist
auch gerechtfertigt; denn die Betreuungsvereine sichern
nicht nur Berufsbetreuungen, sondern werben und begleiten auch die ehrenamtlichen Betreuer und helfen ihnen bei ihrer Arbeit.
Deswegen gilt jetzt für alle Beteiligten, für den Bund,
für die Länder, für die Betreuungsvereine, für die freiberuflichen Berufsbetreuer und deren Berufsverbände: Das
Gesetz ist eine Basis für gute Rechtsbetreuung in der Zukunft im Interesse und zum Wohl der betreuungsbedürftigen Menschen.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sibylle Laurischk von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst
möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei den Kollegen aus den anderen Fraktionen für die gute Zusammenarbeit zu bedanken, die durch eine bemerkenswerte
Nähe in den Kernpositionen gefördert wurde.
({0})
Die Reform des Betreuungsrechts hat uns alle lange
beschäftigt. Mit dem vom Bundesrat vorgelegten Entwurf haben wir uns unter anderem in zwei Anhörungen
im Rechtsausschuss und in vielen Fachgesprächen intensiv beschäftigt. Wir haben wesentliche Punkte geändert
und, wie ich meine, deutlich verbessert. Die Ablehnung
der gesetzlichen Vertretungsmacht sowohl in der Gesundheits- als auch in der Vermögenssorge, die Verhinderung der ambulanten Zwangsbehandlung wie auch die
Beibehaltung der Grundentscheidung über die Betreuung bei den Richtern sind Punkte, die aus unserer Sicht
rechtsstaatlich unverzichtbar waren.
({1})
Die Pauschalierung der Betreuervergütung war
notwendig, um Bürokratie abzubauen und die Rechtspfleger nicht als reine Abrechnungsrevisoren zu verstehen. Nach Klärung der rechtsstaatlichen Kernpunkte
blieb die Pauschalierung der Betreuervergütung der zentrale Streitpunkt mit den Ländern. Hier haben wir eine
Differenzierung nur nach dem Aufenthaltsort des Betreuten vorgenommen und Stundenansätze auf Basis eines Medians der rechtstatsächlichen Untersuchung vorgenommen.
Es bleibt abzuwarten, ob die gefundene Lösung bei
den Zeitansätzen und der Vergütungshöhe den Ansprüchen gerecht wird, die wir an die Arbeit von Betreuern
stellen. Doch über eines sollten wir uns von Anfang an
im Klaren sein. Die Betreuer haben bisher in der täglichen Abwicklung ihrer Aufgaben oft Arbeiten übernommen, die eigentlich in die Zuständigkeiten anderer fallen.
Dies können wir nach In-Kraft-Treten des neuen Vergütungsmodells nicht mehr erwarten.
Ich darf mich an dieser Stelle wiederholen: Eine qualifizierte Betreuung ist nicht zum Nulltarif zu haben.
Leider steht hinsichtlich der finanziellen Situation der
Betreuer noch ein anderes Problem ins Haus. Ein Urteil
des Bundesfinanzhofs, das Anfang Februar bekannt gemacht wurde, unterwirft Berufsbetreuer, aber auch als
Betreuer tätige Anwälte mit ihren gesamten Einkünften
der Gewerbesteuerpflicht. Ich habe in meinen Gesprächen die Berufsbetreuer durchaus als Angehörige einer
Berufsgruppe erlebt, die den mir geläufigen Grundsätzen
eines freien Berufes entsprechen würden. Trotz steuerlichen Freibetrags und teilweiser Anrechnungsmöglichkeiten auf die Einkommensteuer hat die genannte Entscheidung möglicherweise Konsequenzen, die noch
nicht absehbar sind.
Wir haben uns auf eine Evaluation der finanziellen
Situation der Betreuer einschließlich der Steuersituation
nach zwei Jahren verständigt. Ich fordere die Bundesregierung schon jetzt auf, auf die Problemlage zu reagieren.
Ein weiterer Punkt, der uns aller Voraussicht nach
auch in Zukunft beschäftigen wird, ist die Qualitätssicherung. Im Spagat zwischen einer möglichst geringen
Zugangsvoraussetzung, um ehrenamtliche Betreuer zu
gewinnen, und möglichst hohen Standards für berufliche
Betreuer ist ein Ausgleich nur schwer möglich, gerade
weil auch weiterhin das Ehrenamt in der Betreuung
Vorrang haben soll.
Doch immer komplizierter werdende Sozialvorschriften - sei es bei den Krankenkassen oder infolge von
Hartz IV - lassen das Aufgabengebiet der Betreuer in
Zukunft eher noch anspruchsvoller werden. Daher muss
es unser Anliegen sein, einen angemessenen Standard zu
gewährleisten. Die Klärung, ob dies durch ein Zertifizierungsmodell mit Register, einen eigenständigen akademischen Ausbildungsgang, eine Fortbildungspflicht oder
eine Kombination aus allem erfolgen sollte, ist Aufgabe
der Verbände, denen ich an dieser Stelle ausdrücklich
meine Anerkennung und meinen Dank für ihre konstruktive Haltung im Diskussionsprozess ausspreche. Sie haben sehr viele hilfreiche Vorschläge in die Diskussion
eingebracht.
({2})
Angesichts des kurzen Bestehens des Berufsstandes ist
dies eine bemerkenswerte Leistung.
Einen anderen Beitrag zur Qualitätssicherung werden
im Übrigen auch die Richter leisten müssen. Wir haben
durchsetzen können, dass nicht mehr unerfahrene Richter mit dieser Aufgabe betraut werden. Nun sind sie gefordert, gute und verlässliche Betreuer auszuwählen.
Leitgedanke für die Reform war Art. 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Trotz
des Charakters des Spargesetzes, den die Bundesratsvorlage hatte, bin ich heute der Meinung, dass dieser Grundsatz durch die Veränderungen, auf die wir uns verständigt
haben, beachtet wurde. Das Selbstbestimmungsrecht der
Betreuten wird nicht weiter eingeschränkt. Die Rahmenbedingungen für die Vorsorgevollmacht werden verbessert.
Auch in Zukunft werden wir uns der Herausforderung
stellen müssen, trotz knapper Kassen das in uns gesetzte
Vertrauen im Interesse der Betreuten und der Betreuer
nicht zu enttäuschen und tragfähige Lösungen zu entwickeln.
Ich danke Ihnen.
({3})
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte an den Beginn meiner Rede ein ganz herzliches Dankeschön stellen: Dank
an Sie, die Berichterstatter und Berichterstatterinnen, an
die Bundesländer sowie an die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Bundesjustizministeriums.
Frau Zypries hatte vor einem Jahr von gleicher Stelle
aus versprochen, dass wir konstruktiv mitarbeiten und
uns einbringen werden. Dies haben wir getan.
({0})
Ich glaube, wir alle können stolz darauf sein, dass wir
gemeinsam etwas geschaffen haben, das denjenigen zugute kommt, denen es tatsächlich zugute kommen soll,
nämlich den Menschen, die nicht mehr selbst bestimmen
können, was mit ihnen geschieht.
Heute versprechen wir, dass wir den Werdegang des
Gesetzes - ich halte es für gut - sehr genau beobachten
und darauf achten werden, wie es sich in der Praxis auswirkt. Ich stehe zu unserem Wort, dass wir evaluieren
und schnell eingreifen werden, wenn etwas nicht funktioniert. Frau Laurischk, die Evaluierung bezieht sich
auch auf die steuerlichen Auswirkungen auf die Betreuer.
({1})
Lassen Sie mich noch auf einen Punkt eingehen, den
ich persönlich für sehr wichtig halte. Das ist die Vorsor-
gevollmacht. Wir schaffen hier ein Instrument, welches
es den Menschen ermöglicht, zu den Zeiten, in denen sie
noch selbst bestimmen können, zu regeln, wer einmal für
sie sorgen soll, wenn sie nicht mehr selbst bestimmen
können. Ich bin sehr stolz darauf, dass es uns in gemein-
samen Gesprächen gelungen ist, zu erreichen, dass die
Banken sich bemühen werden, ein einheitliches Formu-
lar zu entwerfen. Ich bin sehr sicher, dass es uns eben-
falls gelingen wird, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die
aufgrund einer Vollmacht Betreuung übernommen ha-
ben, mithilfe dieses Formulars ihre finanziellen Pro-
bleme unter erleichterten Umständen lösen können. In
diesem Zusammenhang darf ich ein herzliches Danke-
schön an die Vertreter der Banken aussprechen, die uns
sehr entgegengekommen sind.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ich freue
mich, dass wir zu einem parlamentarischen Stil gefun-
den haben, der vorbildlich für alle weiteren Beratungen
in diesem Hause sein dürfte.1)
Vielen Dank, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Markus
Grübel von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Mittelpunkt der Beratungen stand und steht der Mensch.
Das haben alle gesagt. Anlass für die Beratungen und
den Gesetzentwurf war aber das liebe Geld. Die Kosten
der rechtlichen Betreuung sind in den letzten Jahren
stark gestiegen. Dafür gibt es viele Gründe. Durch den
demographischen Wandel gibt es immer mehr hochbe-
tagte Menschen und damit auch immer mehr Altersde-
mente. Die Familienverbände lösen sich auf. Durch die
Verrechtlichung in allen Lebensbereichen wird immer
1) siehe auch Anlage 3
stärker nach einer förmlichen Vorsorgevollmacht oder
Betreuung gefragt, wo früher die Kenntnis der Familienverhältnisse genügt hat.
Die Beratungen waren durch das Konsensprinzip geprägt; das ist klar geworden. Wir haben hier das gute
Beispiel eines Gesetzes, das gemeinsam und ohne großen Streit beraten wurde. Auf was wir uns nicht einigen
konnten, steht demnach auch nicht im Gesetz. Einen
Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich ansprechen: die gesetzliche Vertretungsmacht für
Ehegatten und Kinder im Bereich der Gesundheitsfürsorge und für Ehegatten im Bereich der Vermögenssorge. Hier sind ganz unterschiedliche Bilder von Familie und Ehe aufeinander geprallt, ja man kann fast sagen:
ganz unterschiedliche Weltbilder. Während SPD und
Grüne von einem möglichen Missbrauch bei den Ehegatten und in der Familie ausgegangen sind, haben wir ein
ganz anderes, positiveres Bild von Ehe und Familie.
({0})
Wir sehen nicht zunächst die Gefahr, dass der Ehepartner
die Konten räumt, wenn der andere in einer hilflosen
Lage ist. Wir unterstellen nicht, dass die Kinder nur darauf warten, sich durch einen Behandlungsabbruch in
den Besitz der Erbschaft bringen zu können.
({1})
Für uns ist die Ehe ein Ort, an dem der eine für den anderen da ist. Für uns ist die Familie der Ort, an dem es
Solidarität zwischen den Generationen gibt.
({2})
Die meisten alten und kranken Menschen haben weniger Angst vor ihren Familienangehörigen als vielmehr
vor dem Vormundschaftsgericht und dem vormundschaftsgerichtlichen Verfahren. Sollte es im Einzelfall
tatsächlich Grund für Misstrauen geben, hätte nach dem
Gesetzentwurf jeder seinen entgegenstehenden Willen
äußern und dokumentieren können.
Ein rechtsstaatlich sauberes Verfahren besteht aus
vielen Verfahrensschritten: der Anregung der Betreuung
und dem ärztlichen Attest, einer sozialpsychiatrischen
Stellungnahme von ambulanten kommunalen Diensten,
einem fachärztlichen Gutachten über den Betroffenen,
der Anhörung der Betreuungsbehörde, der Stellungnahme des Verfahrenspflegers, der Anhörung des Betroffenen und dem Schlussgespräch und schließlich dem
Beschluss des Vormundschaftsgerichts und der Verpflichtung des Betreuers. In vielen Fällen ist das Ergebnis dieses sauberen rechtsstaatlichen Verfahrens, dass
der Ehepartner oder das Kind zum Betreuer bestellt
wird, und dies oft nur für eine verhältnismäßig kurze
Zeit. Hier hätten wir ein familienpolitisches Signal setzen und Bürokratieabbau betreiben können. Leider war
dies nicht konsensfähig.
Auf das Thema Vorsorgevollmacht haben bereits alle
Redner hingewiesen.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen: Wir sind mit
dem Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz insgesamt zufrieden. Wenn wir uns auch noch auf die gesetzliche Vertretungsmacht geeinigt hätten, hätten wir noch
weniger Bürokratie und ein familienpolitisches Signal
setzen können. Dies bleibt ein Merkposten für ein mögliches Viertes Betreuungsrechtsänderungsgesetz nach dem
Jahr 2006.
Vielen Dank.
({3})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat das Wort die Kollegin Christine Lambrecht von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will
nur kurz die Gelegenheit nutzen, einige Irrtümer auszuräumen, die mein Vorredner jetzt in die Debatte eingebracht hat. Herr Grübel hat ein Familienbild aufgezeigt,
wie es wünschenswert ist und wie es in zahlreichen Familien vorkommt und noch häufiger vorkommen sollte.
Das hat aber nichts mit dem zu tun, über das wir uns hier
unterhalten, nämlich die gesetzliche Vertretungsmacht.
({0})
Man muss zunächst wissen, dass nur 13 Prozent aller
Menschen, die unter Betreuung stehen, überhaupt verheiratet sind. Wir reden hier also über eine marginale
Zahl.
Das Problem bei der gesetzlichen Vertretungsmacht
war, dass sie sich nicht nur auf Ehegatten bezog, sondern
auch auf die Kinder. Es war ein Automatismus vorgesehen, nach dem das Kind für den entsprechenden Elternteil verantwortlich ist,
({1})
aber auch umgekehrt der Elternteil für das Kind. Das ist
dann kein Problem, wenn zum Beispiel ich mit 39 Jahren
für meinen 60-jährigen Vater die Betreuung übernehmen
soll. Umgekehrt geht es auch noch. Wenn aber sein
84-jähriger Vater für ihn automatisch die Betreuung
übernehmen soll, zum Beispiel wenn er einen Schlaganfall gehabt hat, besteht ein Fall der Überforderung.
Genau so ist es, wenn der 18-jährige Sohn für seinen
50-jährigen Vater, der nebenbei noch einen Betrieb leitet, die gesetzliche Vertretungsmacht übernehmen soll.
Das waren unsere Bedenken.
Außerdem ging es um die Emanzipation. Ich spreche
hier nicht von Frauen, sondern von Behinderten, die
explizit erklärt haben, dass sie nicht automatisch für
den Rest ihres Lebens unter die Vertretungsmacht ihrer
Eltern gestellt werden wollen.
({2})
Das waren die Gründe, warum wir kein gesetzliches
Vertretungsrecht wollen. Wir haben kein abgehobenes
Familienbild, sondern wir nehmen die Realität zur
Kenntnis. Es wäre schön, wenn es so wäre, wie Sie es
hier dargestellt haben. Völlig andere Gründe haben dazu
geführt, dass wir das ursprünglich vorgesehene gesetzliche Vertretungsrecht nicht im Gesetzentwurf haben
wollten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Betreuungsrechtsänderungsgesetzes auf Drucksache 15/2494. Der
Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/4874,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige
Tagesordnung um die Beratung der Anträge der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Zurückweisung von Einsprüchen des Bundesrates auf
den Drucksachen 15/4892 und 15/4893 zu erweitern und
diese jetzt als Zusatzpunkt 11 und Zusatzpunkt 12 aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist so beschlossen.
Ich rufe somit den Zusatzpunkt 11 und den Zusatzpunkt 12 auf:
ZP 11 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz über die Feststellung
des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsgesetz 2005 ({0})
- Drucksachen 15/4890, 15/4892 ZP 12 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Errichtung der
Akademie der Künste ({1})
- Drucksachen 15/4891, 15/4893 14834
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Der Präsident des Bundesrates hat schriftlich mitgeteilt, dass der Bundesrat beschlossen hat, gegen das
Haushaltsgesetz 2005 und gegen das Gesetz zur Errichtung der Akademie der Künste Einspruch einzulegen. Es
liegen zwei Anträge der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Zurückweisung der Einsprüche des Bundesrates vor.
Bevor wir gleich zur Abstimmung über die beiden
Anträge kommen, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für
einige notwendige Hinweise zum Abstimmungsverfahren. Es ist jeweils namentliche Abstimmung verlangt.
Nach Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes ist für die
Zurückweisung eines Einspruchs des Bundesrates die
Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages erforderlich; das sind mindestens 301 Stimmen.
Wer den Einspruch zurückweisen will, muss mit Ja
stimmen. Sie benötigen außer Ihren Stimmkarten auch
Ihre Stimmausweise in den Farben Blau und Gelb. Die
Farbe des zu verwendenden Stimmausweises werde ich
bei der jeweiligen Abstimmung angeben. Die Stimmausweise können Sie, so weit noch nicht geschehen, Ihrem
Stimmkartenfach entnehmen. Bitte achten Sie darauf,
dass Stimmkarten und Stimmausweise Ihren Namen tragen. Bevor Sie Ihre Stimmkarte in die Urne werfen,
übergeben Sie bitte den jeweiligen Stimmausweis einem
der Schriftführer an der Urne. Sie müssen also Ihre
Stimmkarte und Ihren Stimmausweis abgeben.
Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich,
darauf zu achten, dass Stimmkarten nur von Kolleginnen
und Kollegen in die Urnen geworfen werden dürfen, die
vorher ihren Stimmausweis in der richtigen Farbe abgegeben haben.
Wir kommen jetzt zur ersten namentlichen Abstimmung. Zusatzpunkt 11: Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates
gegen das Haushaltsgesetz 2005, Drucksache 15/4892.
Sie benötigen den Stimmausweis in der Farbe Blau. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den
Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? Können mir die
Schriftführer das bitte einmal signalisieren? - Einen Moment müssen wir noch warten.
Jetzt schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
({2})
- Die Abstimmung ist geschlossen.
Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die Urnen auszu-
wechseln.
Zusatzpunkt 12: Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates ge-
gen das Gesetz zur Errichtung der Akademie der Künste,
Drucksache 15/4893. Sie benötigen jetzt den Stimmaus-
weis in der Farbe Gelb.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmungen wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen dann mit
dem nächsten Tagesordnungspunkt fortfahren. Ich bitte
diejenigen, die sich daran beteiligen wollen, die Plätze
einzunehmen, und die übrigen, jedenfalls das Zentrum
des Plenarsaals zu räumen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Martina Krogmann, Dagmar Wöhrl, KarlJosef Laumann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Stärkung von Auskunfts- und Mehrwertdiensten durch Missbrauchsbekämpfung
- Drucksachen 15/3547, 15/4092 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Dr. Martina Krogmann von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue
mich, dass wir heute im Bundestag darüber debattieren,
wie wir die Auskunfts- und Mehrwertdienste stärken
können. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben
unsere Große Anfrage bereits im Juni 2004 eingebracht.
Damals wie heute liegen uns zwei Dinge bei dieser Thematik besonders am Herzen: Erstens wollen wir die ungeheuer dynamischen Unternehmen auf diesen Zukunftsmärkten stärken und zweitens wollen wir die
Verbraucher stärken. Deshalb müssen wir unseriöse Anbieter, die die Verbraucher nur abzocken wollen, endlich
energisch bekämpfen.
({0})
Der Markt für Mehrwertdienste und auch für Aus-
kunftsdienste stellt einen zentralen Wachstumsmotor
für die gesamte Telekommunikationsbranche dar und
ist damit natürlich auch von entscheidender Bedeutung
für unsere Volkswirtschaft. Die Branche ist in den letz-
ten Jahren weltweit enorm gewachsen. Aber auch in
Deutschland haben wir inzwischen einen Umsatz von
1) Seiten 14836 C, 14839 C
2 Milliarden Euro pro Jahr, Tendenz weiter rasant steigend.
Das Problem ist nun, dass es einige unseriöse Anbieter gibt, die enormen Schaden anrichten: Schaden für die
seriösen Unternehmen, weil sie die Branche in Verruf
bringen, und Schaden für die Verbraucher, weil sie ihnen
mit unlauteren Methoden das Geld aus der Tasche ziehen. Damit gehen das Vertrauen in diese Dienste und infolgedessen Wachstumsmöglichkeiten, Innovationsmöglichkeiten und Arbeitsplätze verloren.
({1})
Um welche Dienste geht es hier eigentlich? Es geht
zum einen um die 0190er-/0900er-Nummern, unter denen man verschiedene Dienstleistungen abfragen kann:
Beratungsdienste, das Wetter, Sportergebnisse, Stauprognosen, Kochrezepte, also Dienste aller Art. Dann gibt
es die 0137er-Nummern, mit denen das Fernsehen gewissermaßen interaktiv wird. Sie wählen eine Nummer
und können dann per Telefon zum Beispiel mitentscheiden, wer das Dschungelcamp verlassen muss oder wer
als Erster aus dem Big-Brother-Container fliegt. Auch
hier gibt es keine Grenzen für Geschäftsmodelle und
Ideen.
Vergleichsweise jung ist der Markt der mobilen Mehrwertdienste, Stichwort hier: Premium-SMS. Dabei fordert der Kunde per SMS die Leistung eines Anbieters an
und kann sich dann Klingeltöne, Wallpapers, Informationen, Videos oder Musik auf sein Handy herunterladen.
Hier ist eine ungeheure Dynamik im Markt. Fast täglich
entstehen neue Ideen und Geschäftsmodelle. Man muss
sich einmal vorstellen, dass der größte Anbieter solcher
mobilen Mehrwertdienste - er sitzt hier in Berlin - inzwischen ein Angebot an 30 000 Klingeltönen und
25 000 verschiedenen Logos und Grußkarten hat. Pro
Monat werden in dieser Firma in einer alten Fabrikhalle
in Kreuzberg allein 150 neue Spiele erfunden. Daran
zeigt sich diese ungeheure Dynamik. Am Markt sind
junge, kleine, mittelständische Unternehmen, die neue
Ideen haben und innovativ sind.
Das geht weiter; es wird sich noch beschleunigen. Mit
der flächendeckenden Einführung von UMTS werden
solche Dienste natürlich noch stärker nachgefragt werden. Wir dürfen diese junge Wachstumsbranche nicht
kaputtregulieren.
({2})
Leider ist - das ist die andere Seite - die Palette des
Missbrauchs auch bei diesen mobilen Diensten vielfältig. Es gibt zum Beispiel so genannte Lock-SMS. In diesem Fall bekommen Sie eine persönlich formulierte
SMS, in der Sie aufgefordert werden, doch bitte schnell
zurückzurufen. Wenn Sie Pech haben, landen Sie dann
bei einer 0190er-Nummer und der Anruf kostet Sie
gleich mehr als 3 Euro, ohne dass Sie irgendetwas davon
haben. Sicherlich kennen Sie auch die Werbeanzeigen
für Dienste, die mit falschen Preisen angeboten werden.
Dort steht klein, dass eine bestimmte Leistung angeboten wird, dann groß, dass das per SMS 80 Cent kostet,
aber ganz winzig klein, in millimetergroßer Schrift, steht
an der Seite dieser Anzeige: Freischaltgebühr 9,95 Euro.
Das heißt, Sie werden mit einer SMS gleich über
10 Euro los, und das für nichts und wieder nichts.
Das darf es natürlich nicht geben. Deshalb besteht
hier dringender politischer Handlungsbedarf.
({3})
Wir haben gemeinsam das Gesetz zur Bekämpfung von
Missbrauch bei den so genannten Dialern verabschiedet. Das ist jetzt knapp zwei Jahre her. Auch damals war
es so, dass wir Sie antreiben mussten, in diesem Bereich
überhaupt etwas zu tun. Vor allem meine Kollegin Ulla
Heinen hat damals einen Antrag formuliert, den Sie dann
fast wörtlich und mit allen unseren Forderungen in das
Gesetz übernommen haben. Wir tragen das Gesetz mit,
denn es war ein gutes Gesetz.
({4})
Leider haben Sie sich dann bequem zurückgelehnt
und gedacht: Gut ist mit der Missbrauchsbekämpfung.
Dabei haben Sie aber übersehen, dass sich diese Branche
ständig weiterentwickelt, und zwar in einem ungeheuren
Tempo. Es gibt neue Technologien, neue Übertragungswege und ständig neue Geschäftsmodelle. Hier kommt
es leider zu neuen Formen des Missbrauchs. Wir werfen
Ihnen vor, dass Sie, statt zu handeln, viel zu lange tatenlos zugesehen haben, wie seriöse Unternehmen diskreditiert und die Verbraucher über den Tisch gezogen worden sind.
({5})
Erst vor ein paar Tagen, also Anfang Februar, haben
Sie den Gesetzentwurf zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes eingebracht. Wir werden über diesen Gesetzentwurf in den kommenden Wochen und Monaten intensiv debattieren müssen. Schon jetzt sage ich
Ihnen aber, dass die CDU/CSU-Fraktion keinem Gesetz
zustimmen wird, das Verbraucher entmündigt und Unternehmen stranguliert.
({6})
Für uns sind Wirtschaft und Verbraucherschutz eben
keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Die Unternehmen selbst haben doch ein hohes Interesse daran, zufriedene Kunden zu haben. Sie haben
sich deshalb in vielen Bereichen freiwillig verpflichtet,
bestimmte Maßnahmen durchzuführen. Wichtig ist aber,
dass wir das im Wettbewerb schaffen; denn der Wettbewerb - und nicht die staatliche Drangsalierung von Frau
Künast, Herrn Clement und der rot-grünen Bundesregierung - sorgt dafür, dass der Verbraucher die besten Produkte bekommt.
({7})
Ich denke, in einigen Punkten sind wir uns einig, vor
allem darin, dass es wichtig ist, mehr Transparenz in
dieser Branche zu haben. Die Verbraucher benötigen
mehr Sicherheit, wie viel sie für welche Leistung bezahlen müssen.
({8})
Die Verbraucher müssen sich in dem dichten Tarifdschungel, den wir heute haben, auskennen. Preise und
Leistungen müssen immer deutlich lesbar und erkennbar
sein. Deshalb müssen wir natürlich über Preisangaben
und über Preishöchstgrenzen reden. Wir müssen auch
über Preisansagepflichten, zumindest für die teuren
Dienste, reden. Die Frage ist aber, ob das wirklich überall und umfassend gelten muss. Ich habe beispielsweise
Probleme damit, wenn Sie diese Pflichten automatisch
für das Call-by-Call-Verfahren einführen wollen.
({9})
Wir müssen auch über das so genannte HandshakeVerfahren reden. Der Kunde bekommt beim HandshakeVerfahren nach seiner Abobestellung eine SMS vom Anbieter, die er bestätigen muss. Bei SMS-Abos ist das sicherlich richtig und sinnvoll. Dieses Handshake-Verfahren wird von einigen Anbietern freiwillig angeboten.
Fraglich ist nun aber, ob dieses Verfahren wirklich für
jede E-Mail und jede SMS gelten soll. Denn hier geht es
nur um kleine Beträge. Das wäre ungefähr so, als wenn
man sich am Bahnhofskiosk spontan eine Tüte Gummibärchen kaufen will und der Verkäufer zweimal fragen
würde, ob man wirklich sicher sei, diese Tüte Gummibärchen kaufen zu wollen. Dieses Verfahren wäre nicht
nur nervig, sondern auch lebensfremd und nicht praktikabel. Deshalb lehnen wir eine Übertragung auf einzelne
SMS ab.
({10})
Auch über Preisobergrenzen müssen wir uns verständigen. Ich habe eine Bitte: Wir müssen vor dem Hintergrund einer schnelleren Einführung der UMTS-Technologie aufpassen, dass wir neue Ideen nicht durch
staatliche Preisvorgaben von vornherein ausschließen
und kaputtmachen. Denn eines geht nicht: Man kann
nicht die weltweit teuersten UMTS-Lizenzen versteigern
und dann den Unternehmen, die die Lizenzen teuer bezahlt haben, Niedrigpreise für ihre Angebote per Gesetz
vorschreiben und damit attraktive Inhalte verhindern.
Das werden wir auf keinen Fall mitmachen.
({11})
Wir, die Union, werden den weiteren Gesetzgebungsprozess wie bisher kritisch, aber vor allem auch konstruktiv begleiten. Denn wir stehen ein für eine unbürokratische, praktikable und zukunftsfähige Lösung für
den gesamten Markt der Auskunfts- und Mehrwertdienste.
Vielen Dank.
({12})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe,
möchte ich die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der beiden namentlichen
Abstimmungen bekannt geben.
Wir kommen zunächst zum Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag auf Zurückweisung
des Einspruchs des Bundesrates gegen das Haushaltsgesetz 2005. Abgegebene Stimmausweise 572, abgegebene
Stimmen 572. Mit Ja haben gestimmt 303, mit Nein haben gestimmt 269, Enthaltungen keine. Der Antrag ist
angenommen, da das Quorum 301 betragen hat.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 572;
davon
ja: 303
nein: 269
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({0})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Sören Bartol
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Martina Eickhoff
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({5})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({6})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack
({7})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({8})
Nina Hauer
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gisela Hilbrecht
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({9})
Walter Hoffmann
({10})
Iris Hoffmann ({11})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Frank Hofmann ({12})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Klaus-Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Dr. Heinz Köhler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Horst Kubatschka
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christian Lange ({13})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({14})
Christian Müller ({15})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({16})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({17})
Michael Roth ({18})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({19})
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({20})
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Horst Schmidbauer
({21})
Ulla Schmidt ({22})
Silvia Schmidt ({23})
Dagmar Schmidt ({24})
Wilhelm Schmidt ({25})
Heinz Schmitt ({26})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Brigitte Schulte ({27})
Reinhard Schultz
({28})
Swen Schulz ({29})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({30})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Reinhard Weis ({31})
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({32})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({33})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Brigitte Wimmer ({34})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff
({35})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({36})
Volker Beck ({37})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({38})
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Jutta Krüger-Jacob
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({39})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Kerstin Müller ({40})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({41})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({42})
Werner Schulz ({43})
Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({44})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({45})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({46})
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({47})
Cajus Julius Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({48})
Dirk Fischer ({49})
Axel E. Fischer ({50})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({51})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Karl-TheodorFreiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger-Heinrich Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({52})
Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({53})
Norbert Königshofen
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({54})
Dr. Karl A. Lamers
({55})
Helmut Lamp
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({56})
Dr. Klaus W. Lippold
({57})
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski
({58})
Stephan Mayer ({59})
Dr. Conny Mayer ({60})
Dr. Martin Mayer
({61})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Doris Meyer ({62})
Maria Michalk
Marlene Mortler
Stefan Müller ({63})
Bernward Müller ({64})
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({65})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Melanie Oßwald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Christa Reichard ({66})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz-Xaver Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({67})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({68})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Angela Schmid
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({69})
Andreas Schmidt ({70})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({71})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marko Wanderwitz
Peter Weiß ({72})
Gerald Weiß ({73})
Ingo Wellenreuther
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({74})
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Willi Zylajew
FDP
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({75})
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich ({76})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Eberhard Otto ({77})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Fraktionslose
Martin Hohmann
Petra Pau
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
({78})
Nun das Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung, nämlich der über den Antrag auf Zurückweisung
des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur
Errichtung der Akademie der Künste. Abgegebene Stimmausweise 571, abgegebne Stimmen ebenfalls 571. Mit
Ja haben gestimmt 306, mit Nein haben gestimmt 39,
Enthaltungen 226. Auch dieser Antrag hat die erforderliche Mehrheit bekommen und ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 306
nein: 39
enthalten: 226
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({79})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({80})
Klaus Barthel ({81})
Sören Bartol
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({82})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({83})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Martina Eickhoff
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({84})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({85})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack
({86})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({87})
Nina Hauer
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gisela Hilbrecht
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({88})
Walter Hoffmann
({89})
Iris Hoffmann ({90})
Frank Hofmann ({91})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Klaus-Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Dr. Heinz Köhler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Horst Kubatschka
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christian Lange ({92})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({93})
Christian Müller ({94})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({95})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({96})
Michael Roth ({97})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({98})
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({99})
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Horst Schmidbauer
({100})
Ulla Schmidt ({101})
Silvia Schmidt ({102})
Dagmar Schmidt ({103})
Wilhelm Schmidt ({104})
Heinz Schmitt ({105})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Brigitte Schulte ({106})
Reinhard Schultz
({107})
Swen Schulz ({108})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({109})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Reinhard Weis ({110})
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({111})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({112})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Brigitte Wimmer ({113})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff
({114})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
CDU/CSU
Kurt J. Rossmanith
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({115})
Volker Beck ({116})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({117})
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Jutta Krüger-Jacob
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({118})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Kerstin Müller ({119})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({120})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({121})
Werner Schulz ({122})
Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({123})
Fraktionslose
Petra Pau
Nein
FDP
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({124})
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich ({125})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Eberhard Otto ({126})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Enthalten
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({127})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({128})
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({129})
Cajus Julius Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({130})
Dirk Fischer ({131})
Axel E. Fischer ({132})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({133})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger-Heinrich Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({134})
Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({135})
Norbert Königshofen
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({136})
Dr. Karl A. Lamers
({137})
Helmut Lamp
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({138})
Dr. Klaus W. Lippold
({139})
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski
({140})
Stephan Mayer ({141})
Dr. Martin Mayer
({142})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Doris Meyer ({143})
Maria Michalk
Marlene Mortler
Stefan Müller ({144})
Bernward Müller ({145})
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({146})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Melanie Oßwald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Christa Reichard ({147})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({148})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({149})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Angela Schmid
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({150})
Andreas Schmidt ({151})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({152})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marko Wanderwitz
Peter Weiß ({153})
Gerald Weiß ({154})
Ingo Wellenreuther
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({155})
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Willi Zylajew
Fraktionslose
Martin Hohmann
({156})
Wir setzen die Debatte fort. Das Wort hat für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Ditmar
Staffelt.
({157})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr geehrte Kollegin Krogmann, Ihre Rede hat
gezeigt, dass wir in diesen Fragen sehr viel näher beieinander sind, als Sie das zum Ausdruck bringen wollten.
Es steht doch gar nicht in Frage, dass wir gemeinsam alles dafür tun müssen, um auf der einen Seite Verbraucher
zu schützen, auf der anderen Seite aber eine sich dynamisch entwickelnde Branche in ihrer Entwicklung nicht
zu stören oder zu behindern. Darauf ist unsere Politik,
die Politik der Koalition, der Bundesregierung, aber
auch Ihre, gerichtet.
({0})
Worüber wir möglicherweise miteinander zu diskutieren haben, ist die Frage, wie die Stellschrauben im Einzelnen ausjustiert werden. Das ist es aber auch im Wesentlichen.
Wie Sie richtig gesagt haben, haben wir es mit einer
Branche zu tun, die in einem ständigen Wechsel, in einer
ständigen Entwicklung begriffen ist, die ständig neue
Geschäftsmodelle entwickelt. Das hat zur Folge, dass
wir uns in entsprechender Weise darauf einstellen müssen. Wir alle haben gelernt - weil die Geschäftsmodelle
dieser Branche nicht im Hause des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Arbeit entwickelt werden -, dass wir
immer auch auf die Entwicklung an den Märkten reagieren müssen. So sind wir letztlich auch verfahren.
Wir haben im Jahre 2003 das Gesetz zur Bekämpfung
des Missbrauchs von 0190er-/0900er-Mehrwertdiensterufnummern verabschiedet. Es ist im August 2003 in
Kraft getreten. Das Missbrauchsgesetz hat bereits, Frau
Krogmann, zu einer erheblichen Verbesserung des Verbraucherschutzes in diesem Bereich geführt. Durch die
Vorgaben über Preisobergrenzen, Preisangaben und die
Zwangstrennung von Verbindungen wurden Maßnahmen getroffen, die die Transparenz steigern und das Risiko, sich durch die Nutzung solcher Nummern hoch zu
verschulden, reduzieren. Wir haben also dem Versuch
der Abzocke durch Einzelne, die die Möglichkeiten
missbraucht haben, einen Riegel vorgeschoben.
({1})
Frau Kollegin Krogmann, des Weiteren wurde mit der
TKG-Novelle, die zum 26. Juni 2004 in Kraft getreten
ist und an der Sie insbesondere im Vermittlungsausschuss sehr stark mitgearbeitet haben, eine umfassende
Generalermächtigung für die Regulierungsbehörde
erteilt. Das ist ein qualitativ wichtiger Schritt, um gegen
rechtswidrige Rufnummernnutzung einschreiten zu können. Damit wird es unseriösen Anbietern immer weiter
erschwert, die bestehenden gesetzlichen Regelungen
durch die Nutzung anderer Rufnummergassen zu umgehen.
Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation
und Post konnte auf der Grundlage der von der Bundesregierung in den vergangenen Jahren initiierten gesetzlichen Regelungen wirksam und erfolgreich gegen Missbräuche vorgehen. So wurden mehrere Tausend Dialer
vom Markt genommen und zahlreiche Mehrwertdiensterufnummern gesperrt. Das wissen Sie sehr wohl; wir
haben immer wieder über diese Fragen diskutiert. Ich
vermute, im Beirat der RegTP ist genau dies von allen
Beteiligten debattiert worden.
Aktuell werden - Sie haben darauf verwiesen - auf
der Grundlage des am 26. Juni 2004 in Kraft getretenen
novellierten Telekommunikationsgesetzes die bisher in
der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung enthaltenen verbraucherrelevanten Regelungen in das TKG
integriert, das so genannte Telekommunikationsänderungsgesetz neu gefasst und insbesondere die Regelungen zur Bekämpfung des Missbrauchs von Mehrwertdiensterufnummern weiter optimiert. Der Gesetzentwurf
ist jetzt, Anfang Februar, vom Bundeskabinett verabschiedet worden. Wir hoffen selbstverständlich auf
Ihre konstruktive und kritische Begleitung, Frau
Krogmann, wie es letztlich Aufgabe der Opposition bzw.
des Parlaments insgesamt ist, wenn vonseiten einer Regierung ein entsprechender Gesetzesvorschlag eingebracht wird.
Im Übrigen stehen auch in diesem Gesetzentwurf die
Interessen der Verbraucher im Fokus. Das war uns ein
besonderes Anliegen. Im Gesetzentwurf werden die verbraucherschützenden Vorschriften zur Bekämpfung des
Missbrauchs von Mehrwertdiensterufnummern optimiert. Insbesondere werden mit Blick auf die jugendlichen Verbraucher klare Regelungen bei Inanspruchnahme von Mobilfunkdiensten, zum Beispiel bei den
Klingeltönen, vorgegeben. So haben die Unternehmen
dem Verbraucher beispielsweise vor Abschluss entsprechender Abonnementverträge die Vertragsbedingungen
in einer SMS mitzuteilen. Erst wenn der Verbraucher
diese bestätigt hat, kommt der Vertrag, der im Übrigen
jederzeit kündbar ist, zustande.
Der Bundestag wird also demnächst Gelegenheit haben, diesen Themenkomplex zu erörtern. Die zahlreichen Initiativen der Bundesregierung zeigen auch mit
Blick auf die Bedeutung des Telekommunikationsmarktes für Wachstum und Innovationen, dass wir dem Verbraucherschutz eine hohe Bedeutung zumessen. Gleichwohl sind wir uns der Tatsache bewusst - das will ich an
dieser Stelle bekennen -, dass die elektronischen Medien, einschließlich der UMTS-Technologie, eine ganz
wichtige Branche sind, die wir nicht nur erhalten, sondern auch weiterentwickeln wollen und in der wir weltweit und in Europa einen Spitzenplatz erzielen bzw. erhalten wollen.
({2})
Das heißt also - das haben Sie vorhin angesprochen -: Wir werden mit dem, was wir von der gesetzgebenden Seite her tun können, weder die Branche strangulieren noch die Verbraucher entmündigen. Wir müssen
hier einen vernünftigen Interessenausgleich zwischen
den Verbrauchern und der Branche finden.
({3})
Das führt dann dazu, dass diese Branche unterm Strich
eine Rahmenbedingung hat, in der sie sich sehr gut entwickeln und in der sie einen wichtigen Beitrag zur volkswirtschaftlichen Entwicklung leisten kann.
Ich will an dieser Stelle darauf verweisen, dass wir allesamt - das sagte ich eingangs - ein Stück weit das Gefühl von Learning by Doing hatten, dass wir jetzt aber
dennoch die Kontrolle in stärkerem Maße an die RegTP,
also an die Regulierungsbehörde, zu übertragen gedenken und einen gesetzlichen Rahmen fassen werden, der
dazu führt, dass die Regulierungsbehörde alle Mechanismen in der Hand hat, um Missbräuchen entgegentreten
zu können. Mit einem solchen Rahmen, so glaube ich,
können wir allesamt sehr gut leben - sowohl die Unternehmen als auch die Verbraucher, wie ich an dieser
Stelle wiederholen möchte. Ich denke, wir sind auf einem guten Wege.
Wir werden diese Branche auch weiterhin unterstützen, soweit es irgend möglich ist. Wir laden Sie wie immer herzlich zu einem sehr konstruktiven Dialog ein, der
- mit vielen praktischen Vorschlägen garniert - letztendlich zur Stärkung dieses Wirtschaftszweiges beiträgt,
und zwar unter Wahrung der Interessen der Verbraucher
in unserem Lande.
Schönen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! Ich glaube, das gesamte Haus ist daran interessiert, dass die Verbraucher nicht abgezockt, nicht in die
Irre geführt und nicht ausgenutzt werden; das ist völlig
klar. Wir sind uns einig, dass wir die Verbraucherinteressen wahren müssen.
Aber, Herr Staatssekretär Staffelt, beim Interessenausgleich bestehen noch Friktionen. Auf der einen Seite
wollen wir den Verbraucherschutz wahren, auf der anderen Seite Angebotsvielfalt und innovative Entwicklungen ermöglichen - das ist der Spagat, den wir zu leisten
haben.
Für die FDP-Bundestagsfraktion kann ich nur sagen:
Wir legen Wert darauf, dass man nicht - wie es insbesondere im Kabinettsbeschluss zum Ausdruck kommt;
denn hier wird an vielen Stellen überreagiert und überreguliert, Herr Staffelt - in Aktionismus verfällt. Das ist
nicht unser Anliegen.
({0})
Insbesondere bei den Grünen besteht immer wieder die
Versuchung, verstärkt zu kontrollieren,
({1})
den Verbraucher ans Händchen zu nehmen
({2})
und ihn auf diese Weise, wie ich finde, einzuschränken
und Entwicklungen zu behindern.
({3})
Heute beraten wir über die Große Anfrage der
Unionsfraktionen. Diese Anfrage zeigt sehr deutlich
- darauf möchte ich hinweisen -: Es gibt eine große Palette an Findigkeiten und viele Gründe, warum der
Markt in eine Friktion geraten kann.
({4})
Ich stimme Ihnen völlig zu, wenn Sie sagen, dass wir einen Rahmen schaffen müssen und Regeln brauchen.
({5})
Aber wir müssen uns von der Überlegung verabschieden, jede Kleinigkeit regulieren und die Stellschrauben
immer weiter nachziehen zu können;
({6})
denn das geht nicht. Das werden wir nicht schaffen.
({7})
Ich finde, dass die in der Antwort auf die Große Anfrage
beim Thema unseriöses Agieren gesetzten Schwerpunkte ganz deutlich zeigen, dass wir nicht glauben sollten, jede Kleinigkeit regulieren zu können.
({8})
So wird zum Beispiel eine Preisansageverpflichtung
für Telekommunikationsdienste mit mehr Transparenz
auf dem Telekommunikationsmarkt begründet; das ist
auch nachvollziehbar.
({9})
Aber für die Diensteanbieter ist eine solche Verpflichtung teuer. Möglicherweise ist sie noch nicht einmal im
Interesse der Verbraucher. Das heißt, wir müssen dem
Verbraucher auch die Freiheit geben, wählen zu können.
({10})
Ich muss Ihnen sagen: Eine Firma, die Preisansagen anbietet, wird sich, wenn der Verbraucher diese Leistung
auch nachfragt, am Markt durchsetzen und behaupten
können. Aus freiwilligen Preisansagen sollten daher
keine Pflichtansagen gemacht werden.
Ich glaube, dass es nötig ist, den vorliegenden Gesetzentwurf daraufhin zu überprüfen, an welchen Stellen Regulierungen dringend nötig sind,
({11})
aber auch abzuwägen, wo wir uns einer Regulierung enthalten sollten. Oft ist weniger mehr.
({12})
Wir sollten darauf vertrauen, dass sich der Wettbewerb
zwischen den Anbietern - auch der Wettbewerb um das
Vertrauen der Verbraucher - weiter entwickeln kann; das
kann ich nur hoffen. Wir sollten an dieser Stelle allerdings nicht behindernd eingreifen.
Insofern kann ich nur sagen - Frau Dr. Krogmann, ich
unterstreiche, was Sie gesagt haben -: Es handelt sich
um völlig neue Marktentwicklungen. Es werden immer
mehr neue Dienste angeboten. Diese Entwicklung müssen wir unterstützen; denn sie ist sehr dynamisch und betrifft auch unseren Markt. Sie entscheidet mit darüber, ob
wir ein modernes Kommunikations-Deutschland sind
oder ob wir in einem überregulierten Zustand verharren.
Ich glaube, wenn wir den Gesetzentwurf so betrachten und weiterdiskutieren, dann werden wir am Ende
eine Regelung haben, mit der wir alle sehr gut leben
können, die aber vor allen Dingen im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher ist.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Der Beitrag von Frau Kopp ist mir etwas
unverständlich geblieben.
({0})
Aber man kann ihn im Grunde als eine große Lobeshymne auf unsere Politik in diesem Bereich auffassen; dafür können wir uns ja einmal bedanken.
({1})
Ich will etwas zur Verbraucherpolitik der CDU/CSU
sagen. Frau Heinen, vielleicht wäre es gut, Sie würden
sich hierhin stellen und vorlesen,
({2})
was Sie in Ihrer letzten Presseerklärung zum verbraucherpolitischen Konzept der CDU/CSU geschrieben haben. Da steht nämlich drin, was Sie unter Verbraucherpolitik verstehen: Verbraucherpolitik ist für die CDU/
CSU, mehr Lebensqualität für den Einzelnen zu schaffen, aber auch - und das aber muss man betonen - Spielraum für die Wirtschaft zu lassen. Das ist ein extrem
wirtschaftsfeindlicher Ansatz, den wir hier mit Abscheu
von uns weisen.
({3})
Für uns sind Verbraucherschutz und Wirtschaftspolitik zwei Seiten einer Medaille.
({4})
Es hat sich gezeigt, wie notwendig es ist, diese beiden
Bereiche miteinander zu verknüpfen, um das erfolgreiche Funktionieren von neuen Wirtschaftsbereichen möglich zu machen. Wir sind gemeinsam der Auffassung,
dass der Bereich der Telekommunikation noch ungeheure Potenziale hat, und wir möchten dazu beitragen,
dass sich diese auch entwickeln. Das kann aber nur funktionieren, wenn die Menschen Vertrauen in die Angebote
haben. Es ist nun einmal so, dass es immer wieder einige
wenige schwarze Schafe gibt, die versuchen, bei neuen
Entwicklungen entstehende Lücken auszunutzen, und
dort erheblichen Schaden anrichten. Darauf muss man
gesetzlich reagieren; dazu bedarf es auch entsprechender
politischer Diskussionen.
Wir müssen leider sagen: Der Telekommunikationsmarkt ist reichlich intransparent, wir haben in Einzelbereichen immer noch erhebliche Probleme. Das sind zum
einen die Klingeltöne, wie Sie gesagt haben, aber auch
der ganze Bereich der Beteiligungsmöglichkeiten, etwa
Gewinnspiele, bei denen das Tor des Monats oder sonst
irgendetwas von den Zuschauern durch den Anruf einer
0137er-Nummer bestimmt werden soll. Die Überraschung beim Öffnen der Rechnung ist oft eine ziemlich
böse.
Mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs
von 0190er-/0900er-Mehrwertdiensterufnummern haben wir bereits Instrumente geschaffen - das ist der entscheidende Schritt, den wir gemacht haben -, auf deren
Grundlage wir bei solchen Entwicklungen zum Wohle
des Verbrauchers und der Wirtschaft eingreifen können.
Diese Instrumente sind die Preisobergrenze, die Preisansage, eine automatische Trennung der Verbindung nach
einer Stunde und der Auskunftsanspruch der Regulierungsbehörde und überhaupt die Schaffung der Regulierungsbehörde als eigene Institution. Wir haben die
Regulierungsbehörde noch einmal gestärkt. Über
400 000 entzogene Dialernummern allein 2003 zeigen,
wie richtig und notwendig eine solche Regelung war.
Wir haben neuere Entwicklungen, auf die ich eben
hingewiesen habe. Die Preisinformation ist generell problematisch. Dieses Thema wird immer wieder an uns herangetragen. Die Tarifinformationen bei Handys umfassen nicht selten zehn bis 20 Seiten, Tarife im Call-byCall-Verfahren wechseln manchmal von einem Wochenende zum nächsten, Tarifmodelle sind nicht vergleichbar. Das sind Probleme für Verbraucher. Zusammen betrachtet mit den Missbrauchsangeboten schleicht sich bei
den Verbrauchern eine Stimmung ein - natürlich berechtigt, wenn man selbst betroffen ist -, dass man ständig
übers Ohr gehauen wird. Dieser möchten wir etwas entgegensetzen, um die Entwicklung in diesem Wirtschaftsbereich zu verstärken.
Die Bundesregierung hat in der Antwort auf die Große
Anfrage viele Lösungen beschrieben. Ich denke, kein
einziger Punkt ist ohne ein entsprechendes Lösungsangebot geblieben. Deswegen ist diese Debatte heute
eigentlich auch überflüssig.
({5})
Hinzu kommt noch, dass im Bundesrat gerade eine
neue gesetzliche Regelung beraten wird. Bezogen auf
die über die 0190er-Nummern hinaus bestehenden Probleme wird es Regelungen geben, nämlich bessere
Preisansagepflichten, vorvertragliche Preisinformationen und Regelungen bei Kurzwahlnummern, also bei
Premium-SMS, wodurch - ich denke, das ist ein großes
Ziel dabei - auch ein besserer Schutz von Minderjährigen in diesem Markt erreicht wird.
Aus verbraucherpolitischer Sicht sage ich: Ich finde,
das ist eine wirklich gute Ausgangsgrundlage, um das
Verbrauchervertrauen zu stärken. Die Preisobergrenzen
bereiten uns noch ein paar Probleme. Bei den 0190erNummern greifen die Regelungen ab dem ersten Cent.
Bei den anderen Mehrwertdiensten ist das anders. Wir
finden, dass es dafür eigentlich keinen Grund gibt, da
auch die technischen Probleme inzwischen gelöst sind.
Man könnte das also noch verbraucherfreundlicher regeln.
Man muss an dieser Stelle auch einmal sagen, dass
einzelne Unternehmen mit Selbstverpflichtungen und
Angeboten für Minderjährige einen Schritt vorangegangen sind. Die Telekom, Vodafone und E-Plus haben entsprechende Angebote gemacht. Ich finde, das ist ein unterstützenswerter Schritt in Richtung guter Angebote für
Minderjährige.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ja. - Ich denke, wir werden mit den gefundenen Lösungen einen großen Schritt weiterkommen und im parlamentarischen Verfahren alles mit gewohnter Aufmerksamkeit und in gewohnter Breite diskutieren.
Danke schön.
({0})
Nächste Rednerin ist Kollegin Ursula Heinen, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht einmal eines zur Wahrheitsfindung vorweg: Die Anfrage meiner
Kollegin Krogmann und unserer Fraktion stammt von
Juni 2004, also aus dem letzten Jahr.
({0})
Sie gab es somit schon, lange bevor Sie über weitere Änderungen nachgedacht haben. Lassen Sie mich auch das
noch sagen: Sie hoppeln unseren Initiativen schon die
ganze Zeit hinterher, anstatt selbst einmal zum richtigen
Zeitpunkt aktiv zu werden.
({1})
Liebe Kollegin Höfken, Sie haben vorhin noch einmal
die Missbrauchsbekämpfung bei den Dialern genannt.
Ich weise darauf hin, dass meine Kollegin Krogmann einen Forderungskatalog entwickelt hat, der fünf Forderungen enthält. Sie sind vier dieser Forderungen dankenswerterweise nachgekommen und haben das
entsprechend gesetzlich umgesetzt. Der fünften Forderung, nämlich der Ausweitung auf andere Nummerngassen, also auch auf die von Kollegin Höfken gerade
angesprochenen 0137er-Nummern, sind Sie aber nicht
nachgekommen. Das geschieht erst jetzt. Ich kann nur
sagen: Wenn Sie eine solche Debatte als überflüssig bezeichnen, zeigt das nur, dass Sie mit diesem Thema im
Grunde genommen gar nichts anfangen können und getrieben werden müssen, hier etwas zu tun. Das finde ich
sehr bedauerlich.
({2})
Bevor die Kollegin Höfken geredet und diese Debatte
als überflüssig bezeichnet hat, wollte ich mich eigentlich
sowohl bei denjenigen, die die Fragen entwickelt haben,
als auch bei denjenigen, die die Antworten geschrieben
haben, bedanken - Staatssekretär Staffelt, Sie könnten
ruhig zuhören;
({3})
denn ich wollte mich bei Ihnen bedanken, weil es eine
wirklich umfangreiche Ausarbeitung geworden ist,
durch die wir, wie ich denke, einen guten Überblick über
den Markt, über die Missbrauchsmöglichkeiten und über
die Chancen für neue Entwicklungen bekommen haben.
Insofern ist das eine gute Sache, die absolut notwendig
war.
({4})
Wir haben es schon von allen Rednerinnen und Rednern gehört: Premium-SMS und Mehrwertdienste spielen
in unserer Informationsgesellschaft eine immer bedeutendere Rolle. Ein Beispiel zeigt sehr schön, wie gut man
diese Möglichkeiten nutzen kann: Im Rahmen einer
Spendenaktion für die Flutopfer in Südostasien hat
Unicef eine Sondernummer eingerichtet. Pro SMS, die
insgesamt 2,99 Euro gekostet hat, konnte man 2,65 Euro
spenden. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass diese
Mehrwertdienste tatsächlich mehr sein können und auch
etwas bringen.
({5})
Daher sollten wir diese Sache durchaus positiv angehen.
Auf der anderen Seite müssen wir darauf achten, dass
unseriöse Anbieter, die das Vertrauen der Verbraucher
zerstören können, vom Markt verschwinden. Das ist unser Auftrag.
Die teuren Konsequenzen von Premium-SMS lernen
manche erst dann kennen, wenn sie ihre Handyrechnung
bekommen und sehen, auf wen sie hereingefallen sind.
Besondere Animationen, Gewinnversprechen oder erotische Inhalte sollen die Kunden zum Versenden von Premiums-SMS verführen. Das scheint auch zu funktionieren. Der Preis für eine simple Antwort kann schnell
3 Euro betragen.
Aber auch bei den anderen Mehrwertdiensten gibt es
schwarze Schafe. Da helfen leider auch die gesetzlichen
Regelungen nichts. In diesem Zusammenhang werden
wir uns etwas überlegen müssen.
Ein Beispiel: Es kann sein, dass man eine 0190erNummer anruft und dann in eine Konferenzschaltung
gelockt wird. Das heißt, es wird dazu aufgefordert, eine
bestimmte Nummer zu wählen, und danach würde man
weiterverbunden. Mit dieser zusätzlichen Nummernwahl
aber gelangt man in eine Konferenzschaltung. Dann
nützt es wenig, dass nach einer Stunde die Verbindung
unterbrochen wird. Die Regulierungsbehörde hat auf ihrer Homepage Fälle aufgelistet, bei denen man vorsichtig sein soll. Wenn einem so etwas passiert, sollte man
das im Hinterkopf haben. In einem solchen Fall kann
sich die Telefonrechnung nach einer Stunde auf sage und
schreibe 600 Euro belaufen. Man muss sehen, ob es nach
den neuen Verordnungen eine Möglichkeit gibt, hiergegen etwas zu unternehmen. Ich bin mir sicher, dass
Ihnen unsere Fraktion dabei helfen wird, die richtigen
Lösungen zu finden.
({6})
Durch Missbrauch bei unseriösen Mehrwertdiensten
entsteht mittlerweile bei den seriösen Auskunfts- und
Mehrwertdiensten und leider auch bei neuen Geschäftsmodellen ein erhebliches Akzeptanzproblem. Es ist deshalb entscheidend, die Verbraucher in diesem Bereich
vor einem weiteren Missbrauch zu schützen, damit das
Vertrauen in die Seriosität der Diensteanbieter insgesamt
gestärkt wird. Deshalb braucht man zum Schutz der Verbraucher klare Regeln. Produkt- und Preistransparenz
müssen deutlich gesteigert werden. Ein angemessener
Ausgleich zwischen den Verbraucherrechten, den Interessen der seriösen Anbieter und den Anbietern des
Netzzuganges muss gewährleistet werden.
({7})
Natürlich sind wir für eine Preisansagepflicht vor dem
Beginn der Entgeltpflichtigkeit; das ist keine Frage.
Aber das gilt nicht für billige Call-by-Call-Anrufe, wo
sich die Kosten im Zehntelbereich bewegen und damit
nur zu zusätzlichem Aufwand, aber nicht zu zusätzlichem Nutzen führen. Als Folge kann der eine oder andere Anbieter vom Markt verdrängt werden.
({8})
Ich kann zum Abschluss nur sagen: Ich bin froh, dass
diese Anfrage heute diskutiert wird und dass wir die Ankündigungen nicht weiter via Presse machen, sondern
dass sich auch der Deutsche Bundestag mit dem Thema
Mehrwertdienste intensiv auseinander setzt.
Danke.
({9})
Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
habe, ehrlich gesagt, am Anfang der Debatte die Auffassung der Kollegin Höfken geteilt, dass diese Debatte eigentlich überflüssig ist, weil wir in einigen Tagen und
Wochen mit einem Gesetzgebungsverfahren konkret
handeln und nicht nur darüber reden. Im Verlaufe der
Debatte habe ich allerdings meine Meinung geändert.
Frau Kopp, die Allgemeinheit Ihrer Ausführungen hat
damit zu tun. Denn eine solche Debatte - da bin ich der
CDU/CSU sehr dankbar - kann auch dazu führen, dass
man über konkrete Dinge redet. Insofern kann diese Debatte hinsichtlich der Aufklärung der Sachverhalte
durchaus einen pädagogischen Effekt haben.
({0})
Frau Kopp, Sie haben Selbstverständlichkeiten angeführt, zum Beispiel dass wir auf der einen Seite Verbraucher schützen müssen, sie auf der anderen Seite aber
nicht totregulieren sollen. Das sagt jeder hier im Haus.
Sie haben aber nicht einen einzigen konkreten Fall genannt. Ich versuche, ohne Sie belehren zu wollen, einige
Hintergründe dazu zu schildern.
Vorweg aber will ich eines an die Adresse der Union
sagen, Frau Kollegin Heinen und Frau Kollegin
Krogmann: Man sollte nicht versuchen - das hat Herr
Staffelt deutlich gesagt -, künstlich Widersprüche aufzubauen, die nicht da sind. Über technische Details muss
man reden. Eines aber werden wir nicht zulassen, nämlich dass die CDU arbeitsteilig agiert und Frau
Krogmann zu den Unternehmen geht, diesen sagt, was
sie hören wollen,
({1})
und Frau Heinen am nächsten Tag den Verbraucherschutzverbänden erzählt, was diese hören wollen.
Ich will dazu ein Beispiel geben. Sie haben im Herbst
eine Flatrate für Jugendliche gefordert, wenn ich das
richtig gelesen habe,
({2})
als gäbe es keine Prepaidcards. Sie, Frau Heinen, haben
eben davon gesprochen, wenn ich Sie richtig verstanden
habe, dass Sie Ansagepflichten für alle Nummerngassen
haben wollen.
({3})
Das wollen wir jetzt einmal miteinander durchgehen.
({4})
Wir haben für die 0190er- und 0900er-Nummern seit
der letzten Novelle eine Ansagepflicht und das ist auch
gut so. Jetzt gibt es die Diskussion darüber, welchen
Nummerngassen wir weitere Ansagepflichten auferlegen
und bei welchen das nicht sinnvoll ist. Ich bin der festen
Überzeugung, dass bei 0137er-Nummern eine Preisansagepflicht nicht sinnvoll ist, weil wir das Geschäftsmodell
- das ist ein Massenmarkt - dadurch zerstören würden.
Der faire Kompromiss, den das Ministerium erarbeitet
hat, ist folgender: Wenn jemand eine 0137er-Nummer
anruft, erfolgt die Ansage, dass der Anruf registriert ist
und soundso viel kostet. Das ist wichtig, damit einfache
Gemüter nicht tausend Mal dort anrufen. Das ist ein Beispiel dafür, wie man im Dialog mit der Wirtschaft - das
hat das Ministerium geschafft - eine vernünftige Lösung
herbeiführt.
({5})
In diesem Zusammenhang gibt es eine grundsätzliche
Frage. Wir wollen - das hat die Kollegin Höfken zu
Recht gesagt - keinen künstlichen Widerspruch zwischen Verbraucherinteressen und Unternehmensinteressen; denn Verbraucher und Unternehmen bilden zusammen die Wirtschaft. Es ist nicht so, dass nur die
Unternehmen die Wirtschaft sind, sondern auch die Verbraucher sind ein Teil davon. Vertrauen ist da ganz wichtig.
({6})
Insofern - da sind wir uns einig - sollten wir nicht versuchen, hier im Haus künstliche Widersprüche aufzubauen.
({7})
Lassen Sie uns lieber im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens an die Arbeit gehen und schauen, welche Einzelregelungen verhältnismäßig sind und welche Regelungen
tatsächlich dazu führen, dass Verbraucher effektiv geschützt werden.
Dabei sind zwei Punkte wichtig, Frau Kollegin Kopp.
Der erste ist: Wir wollen natürlich Missbrauch aktiv bekämpfen. Wir wissen aber, dass die Entwicklung der
Technik in diesem Bereich häufig so schnell ist, dass der
Gesetzgeber nicht rechtzeitig reagieren kann. Deshalb ist
die Möglichkeit der Regulierungsbehörde, selbst aktiv
zu werden, ein ganz wichtiger Punkt. Der zweite Aspekt
ist die Frage der Transparenz, vor allen Dingen der
Preistransparenz. Es ist wichtig für eine entwickelte
Marktwirtschaft, dass man weiß, um welche Preise es
geht. Wir müssen aber den Menschen eines offen sagen:
Ein Gesetz, das gegen menschliche Dummheit schützt,
kann dieses Parlament nicht beschließen. Das heißt, es
gibt Dienste, bei denen sich niemand dafür interessiert,
wie viel sie kosten. Dort sind Preisansagepflichten
zwecklos.
Ich nehme aber einen Bereich aus, nämlich den, wo
Kinder betroffen sind. Da geht es nicht um Dummheit,
sondern darum, Kinder zu schützen. Darüber müssen wir
uns unterhalten. Das betrifft insbesondere die Klingeltöne. Das ist ein Riesenthema. Wir müssen uns darüber
unterhalten, wie wir verhindern können, dass sich Kinder, ohne geschäftsfähig zu sein, Abonnements einhandeln. Dazu hat die Bundesregierung in dem Gesetzentwurf gute Vorschläge gemacht.
({8})
Diese müssen wir uns ansehen. Das betrifft auch das
Thema Handshake-SMS. Wir müssen schauen, wo wir
in diesem schwierigen Bereich einen Schnitt machen.
({9})
Wir müssen die Trennlinie zu dem ziehen, was wir bei
Jugendlichen zu regeln haben. An diesem Punkt müssen
wir schauen - da gebe ich Ihnen von der Union Recht -,
dass wir Micropaymentsysteme nicht unnötig belasten.
Sie haben vorhin das Gummibärchenbeispiel genannt.
Lassen Sie uns darüber reden und eine vernünftige Lösung finden. Dafür sind wir offen. Ich sage aber ganz
deutlich: Wir können nicht zulassen, dass Sie so tun, als
ob das etwas ganz Neues wäre, etwas, was die CDU erfunden hätte.
Wir haben doch gemeinsam - mit Ausnahme der
FDP - das Telekommunikationsgesetz beschlossen.
Jetzt wird es übrigens, Frau Kopp, wieder genauso laufen. Wir laden Sie herzlich zu Gesprächen ein. Am Ende
werden sich SPD und Grüne mit der Union auf einen
vernünftigen Kompromiss einigen. Sie aber werden irgendeinen Punkt finden, der Ihnen nicht schmeckt, um
dann heldenhaft die Oppositionsrolle zu spielen. Beim
TKG war es genauso. Es war ganz erstaunlich, was Sie
sich beim TKG zum Schluss alles ausgedacht haben, um
nicht mitstimmen zu müssen, nur weil Sie Ihre Maximalforderungen nicht durchsetzen konnten. Ein Vermittlungsverfahren, das wahrscheinlich ist, das wir aber
nicht brauchen, weil wir das hier im Parlament vernünftig miteinander regeln können, ist ein Geben und Nehmen, wenn man unterschiedliche Positionen hat. Insofern bin ich der CDU/CSU ganz dankbar, dass sie
mitarbeiten will. Ich weiß auch die Kompetenz der Kolleginnen dieser Fraktion zu schätzen.
({10})
- Das können Sie sich ruhig gefallen lassen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle auch einmal etwas Nettes.
({11})
Es geht aber, wie gesagt, nicht an, sich vom Acker
zu machen oder so zu tun, als habe man das Ei des
Kolumbus erfunden. Wir haben im Juni die Ermächtigungen zu Kundenschutzverordnungen in das TKG
aufgenommen. Zeitgleich haben Sie Ihre Anfrage gestartet, wohl wissend, dass die Verordnungen in Vorbereitung waren und gesetzgeberisch umgesetzt werden, um Pendelverordnungen zwischen Bundestag und
Bundesrat zu vermeiden.
Ich bin mir sicher, dass wir letztendlich einen vernünftigen gesetzlichen Rahmen schaffen werden, um
Missbrauch zu bekämpfen, Transparenz und Verbraucherinteressen zu fördern und die notwendige Sicherheit
zu schaffen, damit sich neue Geschäftsmodelle, die wir
als Politiker nicht absehen können, entwickeln können.
Wer hätte vor einigen Jahren gedacht, dass sich aus
den SMS ein Massenmarkt entwickelt? Wer hätte gedacht, dass sich der MMS so rasant entwickelt? Ich weiß
nicht, wie es bei Ihnen ist, aber ich hätte vor einigen Jahren nicht erwartet, dass es einmal eine Hitparade für
Klingeltöne geben wird. Über Fragen des Geschmacks
muss ein Parlament nicht entscheiden - ich sage nur:
„Schni Schna Schnappi“ -; für uns ist entscheidend, den
Menschen nicht vorzuschreiben, was sie sich als Unterhaltung oder im Informationsbereich zu Gemüte führen.
Wir sollten vielmehr den notwendigen Rahmen schaffen,
damit die Menschen nicht über den Tisch gezogen werden.
Es gibt gerade bei den so genannten Ansagediensten
Entwicklungen, die nicht gutzuheißen sind. Zwar ist es
vernünftig, dass es im Bereich der 118er-Nummern Ansagedienste gibt, wir müssen aber meiner Ansicht nach
dafür Sorge tragen, dass jemand, der eine Auskunft anruft und das Angebot erhält, weiterverbunden zu werden,
woraufhin er möglicherweise noch mit einer Mehrwertdienstnummer verbunden wird, weiß, dass er dreimal zu
zahlen hat: bei der Einwahl, bei der Weitervermittlung
und bei der neuen Mehrwertdienstnummer.
({12})
Ich meine, wir können nicht zulassen, dass es an dieser
Stelle keine Preistransparenz gibt.
Ich verlange für die 118er-Nummern keine Preisansagepflicht. Ich halte eine Ankündigung bei der Bewerbung dieser Dienste für ausreichend. Aber ich bin für
eine Preisansagepflicht, wenn jemand weiterverbunden
wird. Dies muss sich auch auf den Vermittlungsvorgang
beziehen. Ich denke, auch dafür bietet der Gesetzentwurf
eine gute Grundlage.
Lassen Sie uns zusammenarbeiten! Dabei sollten wir
sachorientiert vorgehen, Gespräche mit den Unternehmen und den Verbraucherschutzverbänden führen und
klären, was die Regulierungsbehörde leisten kann.
Damit komme ich zu meinem letzten Punkt. Es geht
nicht an, dass die Opposition ständig Kritik daran übt,
dass die Regulierungsbehörde mehr Personal braucht,
während wir als Politiker dieser Behörde immer mehr
Aufgaben zuordnen. Wenn wir wollen, dass Missbrauch
vernünftig bekämpft wird, dann muss die Regulierungsbehörde in der Lage sein, diesen Job zu leisten.
({13})
Ich möchte keine Regulierungsbehörde um ihrer
selbst willen. Ich möchte auch nicht, dass wir einen
Superregulierer schaffen, der beispielsweise zukünftig
contentreguliert. Lassen Sie uns das gemeinsam angehen.
Aber, Frau Kopp, wenn es das nächste Mal um den
Haushalt des Bundeswirtschaftsministers und um die
Frage geht, wie sich Ihre Haushälter zum Thema Kosten
der Regulierungsbehörde verhalten, dann werden wir genau hinhören und auch die immer weiteren Forderungen
hinsichtlich der Aufgaben der RegTP wie auch die Bereitschaft berücksichtigen, sicherzustellen, dass die
RegTP ihre Aufgaben erfüllen kann.
Ich möchte mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit
bedanken. Lassen Sie uns jetzt das Gesetzgebungsverfahren beginnen, nach Lösungen suchen und das Gesetz
beschließen! Zu diesem Thema sollte auf weitere Anfragen verzichtet werden. Es ist Zeit zu Handeln.
Herzlichen Dank.
({14})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung des Wirtschaftsplans des
ERP-Sondervermögens für das Jahr 2005
({0})
- Drucksache 15/3596 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({2})
- Drucksache 15/4704 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
wollen heute das ERP-Wirtschaftsplangesetz 2005 verabschieden. Der Zeitpunkt ist so spät wie schon lange
nicht mehr.
Grund für die Verzögerung ist vor allem die Diskussion um die Planung der Bundesregierung, die Wirtschaftsförderung und damit das ERP-Sondervermögen
für die Zukunft neu zu ordnen und dabei
2 Milliarden Euro aus dem ERP-Sondervermögen zu
verwenden, um den Haushalt auszugleichen. Das ist
zwar heute nicht unser Thema, es wird uns aber in den
kommenden Wochen in den zuständigen Parlamentsausschüssen noch intensiv beschäftigen.
Ich will dazu nur so viel sagen: Am Kern der ERPWirtschaftsförderung zugunsten des Mittelstandes und
am ERP-Sondervermögen selbst darf ebenso wenig gerüttelt werden wie an der Entscheidung des Parlaments
über die Ausrichtung der damit bewirkten Wirtschaftsförderung; denn das ERP-Sondervermögen war und ist
ein wichtiges Instrument der Wirtschaftsförderung. Das
muss es auch bleiben.
Der Zahlenbeweis dafür ist eindrucksvoll. Seit dem
Kriege sind 115 Milliarden Euro an Krediten aus diesem
Vermögen zur Unterstützung der mittelständischen Wirtschaft geflossen. Bis heute sind unmittelbar 8 Millionen
neue bzw. bestehende Arbeitsplätze aus dem ERP-Sondervermögen gefördert worden. Auch und gerade in den
neuen Bundesländern hatten und haben die ERP-Kredite
positive Wirkungen. Seit der Wiedervereinigung wurde
der Aufbau eines leistungsfähigen Mittelstandes in den
neuen Bundesländern massiv unterstützt. Seit 1990 gab
es in den neuen Bundesländern 460 000 Kreditzusagen
mit einem Gesamtvolumen von 44 Milliarden Euro.
Rund 1,7 Millionen Arbeitsplätze wurden so geschaffen
und 1,75 Millionen bestehende Arbeitsplätze gesichert.
200 000 Existenzgründungen konnten vorgenommen
werden. Das ist eine Bilanz, die sich wirklich sehen lassen kann.
({0})
Das sind zwar nur wenige Zahlen. Aber sie illustrieren, dass die Wirtschaftsförderung aus dem ERPSondervermögen einer der wichtigsten Bausteine zur
Unterstützung von Gründern und mittelständischen Unternehmen darstellt. Weil das so ist, haben der ERP-Unterausschuss, der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
und der Deutsche Bundestag an der Umsetzung der
ERP-Förderung immer regen Anteil genommen. Sie haben aktiv darauf hingewirkt, dass die Ausrichtung und
die Schwerpunktsetzung bei der Wirtschaftsförderung
immer wieder den veränderten Umständen angepasst
wurden. Nur so konnten wichtige Beiträge im Rahmen
der deutschen Einheit erfolgreich geleistet werden.
Der Kern, das Grundprinzip, ist immer gleich geblieben: Das ERP-Sondervermögen gewährt keinen Zuschuss, sondern gibt Hilfe zur Selbsthilfe, das heißt, das
Kapital wird zu sehr günstigen Bedingungen - sei es
beim Zinssatz, sei es bei der Haftung - zur Verfügung
gestellt. Es erleichtert so Investitionen und den Aufbau
von Unternehmen und fließt dann wieder zurück, um erneut für die Förderung von mittelständischen Unternehmen und Gründern eingesetzt zu werden. Die USA haben uns nämlich nach dem Zweiten Weltkrieg die
Marshallplangelder nicht wie anderen Europäern als Geschenk, sondern als Kredit gegeben und haben damit die
Grundlage für den dauerhaften Erfolg des Instruments
gelegt.
Um es ganz offen zu sagen: In anderen Ländern wurden die Gelder unmittelbar in den Haushalt eingestellt
und verbraucht. Bei uns wurden durch die erwähnte Sonderkonstruktion die Begehrlichkeiten der Finanzminister
jahrzehntelang im Zaum gehalten. Nur Österreich ist
ähnlich verfahren wie die Bundesrepublik. Auch dort
wirken die ERP-Fonds genannten Mittel nach wie vor
segensreich und werden zur Unterstützung der Wirtschaft eingesetzt. Übrigens denkt in Österreich niemand
daran, die ERP-Fonds aufzulösen. Ich werde weiterhin
nachdrücklich dafür eintreten, dass auch bei uns dieses
wichtige Förderinstrument in seiner vollen Kraft erhalten bleibt.
({1})
Wir müssen uns aber heute - unabhängig von allen
anderen Überlegungen - auch um die haushaltsmäßige
Grundlage, also das ERP-Wirtschaftsplangesetz, kümmern. Der Wirtschaftsplan 2005 sieht wie der nun geltende ein Fördervolumen von rund 4 Milliarden Euro
vor. Er ist wiederum darauf ausgerichtet, die Unternehmen in ihrer deutlich schwieriger gewordenen Finanzierungssituation zu unterstützen. Die richtigen Instrumente
dafür sind im Wirtschaftsplan angelegt.
Ich darf mich bei dieser Gelegenheit bei den Kolleginnen und Kollegen des ERP-Unterausschusses bedanken. Wir haben immer in einer offenen und konstruktivkritischen Weise diskutiert. Es ist uns über die Fraktionsgrenzen hinweg - nicht immer in jedem Detail, aber
doch weitgehend - gelungen, bei den Zielen und Instrumenten Einigkeit zu erzielen, wie dies selten im Deutschen Bundestag ist.
({2})
Ich denke in diesem Zusammenhang insbesondere an die
Nachrangkapitalprodukte „ERP-Kapital für Gründer“
und das „ERP-Kapital für Wachstum“, aber auch den
ERP/EIF-Dachfonds und die neuen ERP-Startfonds für
junge innovative Unternehmen. Darüber haben wir gemeinsam diskutiert und dazu stehen wir auch gemeinsam.
Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage nach diesen
Förderprogrammen mit zunehmender Bekanntheit der
Programme und vor allem mit zunehmender Konjunkturerholung anziehen wird. Dies kann allerdings nur gelingen - zum Abschluss noch ein kritisches Wort -,
wenn sich auch die deutsche Kreditwirtschaft ihrer
Aufgaben und ihrer hohen Verantwortung für die Finanzierung des Mittelstandes wieder bewusst wird. Der
Staat kann nämlich die riesigen Summen, die hier für die
Finanzierung fehlen, nicht aufbringen. Er kann an der einen oder anderen Stelle helfen. Aber für die breite Kreditversorgung ist und bleibt die Kreditwirtschaft verantwortlich. Dieses Ziel darf sie nicht völlig überzogenen
Gewinnerwartungen opfern.
Herzlichen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Otto Bernhardt,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bei diesem Tagesordnungspunkt geht es um die
Frage, wie die Erträge des ERP-Sondervermögens im
Jahre 2005 eingesetzt werden sollen. Im Grunde unterscheidet sich dieser Wirtschaftsplan nur wenig von den
vorangegangenen Plänen. Wir müssen leider feststellen,
dass die Inanspruchnahme der Mittel aus den Programmen rückläufig ist; in den letzten drei Jahren sank sie um
etwa 20 Prozent. Besonders traurig ist, dass der Abfluss
der Gelder für Existenzgründungen im Jahr 2004, verglichen mit 2003, um etwa 40 Prozent zurückgegangen ist.
Das hängt aber nicht damit zusammen, dass wir zu wenig Geld zur Verfügung stellen. Nein, die Gelder reichen
aus, sie werden auch im nächsten Jahr ausreichen. Tatsache aber ist, dass es vor dem Hintergrund der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung nicht so viele Menschen in Deutschland gibt, die investieren können oder
wollen. Dennoch dürfen wir dieses Vermögen auf keinen
Fall schmälern; denn ich gehe davon aus, dass diese Mittel nach einem Regierungswechsel im Jahr 2006 wieder
in erheblichem Umfang benötigt werden.
({0})
Eigentlich könnten wir wie in den vorangegangenen
Jahren diesem Plan unsere Zustimmung geben. Es gibt
eine hervorragende Zusammenarbeit im Unterausschuss.
Die Regierung erteilt uns alle Auskünfte. Unsere Wünsche werden berücksichtigt. Dennoch werden wir uns
heute wie bereits in den Ausschüssen der Stimme enthalten, und zwar einzig und allein um unsere Kritik daran
zum Ausdruck zu bringen, dass der Finanzminister beabsichtigt, dem ERP-Sondervermögen 2 Milliarden Euro
zu entnehmen, um damit allgemeine Haushaltslöcher zu
stopfen. Dies hat der Mittelstand in Deutschland nicht
verdient.
({1})
Das ERP-Sondervermögen geht auf die Zeit nach
dem Krieg zurück. Sie wissen, dass uns die Amerikaner
damals in erheblichem Umfang Kredite für den Wiederaufbau Westdeutschlands gewährt und vertraglich auf
die Rückflüsse verzichtet haben. Sie haben uns
zugestanden, diese Mittel zu sammeln - das ist das Sondervermögen - und daraus Wirtschaftsförderung zu betreiben. Es ist ein stattliches Vermögen zusammengekommen: 12,7 Milliarden Euro.
In diesem Vertrag aus dem Jahr 1949 sind zwei
Grundsätze festgelegt worden. Der erste Grundsatz ist
das Substanzerhaltungsgebot; es dürfen also nur die
Erträge verwendet werden. Es geht hier nicht um eine
nominelle Erhaltung des Vermögens, sondern um eine
effektive. Das haben wir bis heute durchgehalten. Der
Erste, der das nicht durchhalten wird, wird wie in vielen
anderen Bereichen auch hier Hans Eichel sein. Auch in
dieser Hinsicht wird er als sehr traurige Gestalt in die
Geschichte eingehen.
({2})
Der zweite Grundsatz ist die parlamentarische Kontrolle. In dem Vertrag heißt es, dass jedes Jahr ein Wirtschaftsplan vom Bundestag zu verabschieden ist. Es
muss also eine ordnungsgemäße parlamentarische Beratung geben. Auch darauf hat Hans Eichel einen Anschlag vor. Wir kennen noch nicht alle Vorschläge; wir
werden darüber in Ruhe im Unterausschuss diskutieren.
Zurzeit aber sieht es so aus, als wollte der Finanzminister dem Sondervermögen nicht nur 2 Milliarden Euro
entnehmen - diese Mittel wären dann endgültig weg -,
sondern die verbleibenden Mittel der KfW geben.
Wenn diese Mittel dort Eigenkapital werden sollen
- ich komme darauf zu sprechen -, dann wäre das das
Ende der parlamentarischen Mitwirkung. Die KfW hat
ausgerechnet, dass sie mit 2 Milliarden Euro weniger genauso viel Wirtschaftsförderung betreiben kann, wenn
diese Mittel echtes Eigenkapital werden. Wenn es aber
so kommt, Frau Kollegin, dann - ich wiederhole - ist
unsere Mitwirkung beendet. Deshalb sage ich: Dazu darf
es nicht kommen.
Unser Unterausschuss hat eine Anhörung durchgeführt. In dieser Anhörung hat niemand, weder die Kreditinstitute noch der Bundesrechnungshof noch die Wirtschaftsverbände, die Pläne der Bundesregierung begrüßt,
({3})
weil sich alle darüber im Klaren sind, dass das ERP-Sondervermögen das wichtigste Förderungsinstrumentarium
des Bundes für den Mittelstand ist. Mit diesem Vermögen sollte man nicht so leichtfertig umgehen.
Ich sage daher sehr deutlich: Im Unterausschuss sind
wir uns im Grunde sehr einig. Die Front verläuft eigentlich ein bisschen mehr zwischen den Abgeordneten, die
etwas von der Sache verstehen, und dem Finanzminister,
der sich kurzfristig bedienen will.
({4})
Nun weiß ich natürlich, dass die Kollegen im Unterausschuss - sie geben mir immer Recht, wenn ich mit
diesen Thesen komme - aus Solidarität nachher wahrscheinlich verkehrt abstimmen werden. Das werden wir
sicherlich nicht verhindern können. Wir können nur an
die Bundesregierung appellieren, einen Weg zu finden,
der sicherstellt, dass die parlamentarische Mitwirkung
bei der geplanten Übertragung erhalten bleibt.
({5})
Wenn es hier eine vernünftige Lösung gibt, dann werden wir uns ihr nicht verschließen.
({6})
Wir werden aber mit Sicherheit ablehnen, dass
2 Milliarden Euro zur allgemeinen Haushaltsdeckung
herangezogen werden. Deshalb enthalten wir uns heute.
Wir wollen das Signal setzen: Finger weg vom
ERP-Sondervermögen! Wir brauchen dieses Vermögen
ungeschmälert für die Mittelstandsförderung in Deutschland.
({7})
Der Kollege Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grü-
nen, hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gudrun Kopp,
FDP.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
Herr Kollege Bernhardt, wir sind uns im Plenum und in
den Ausschüssen einig - das ist wirklich selten -, dass
wir das ERP-Sondervermögen für die Wirtschaftsförderung erhalten wollen. Wenn man bedenkt, wie schwierig
unsere Wirtschaftslage und wie hoch die Arbeitslosenquote seit vielen Jahren ist, dann sollte man umso mehr
zu schätzen wissen, wenn der Wert dieses Sondervermögens erhalten bleibt.
({0})
Auch deshalb ist es bisher - jedenfalls solange ich
Mitglied dieses Unterausschusses bin - Usus gewesen,
jedes Jahr, wenn es um das ERP-Wirtschaftsplangesetz
ging, Einigkeit im Abstimmungsverhalten zu zeigen. Ich
kann für die FDP-Bundestagsfraktion auch heute sagen:
Wir Liberalen wollen ebenfalls ein Zeichen setzen, und
1) Anlage 4
zwar gegen die Hilflosigkeit, die wir gegenüber dem
empfinden, was hinter den Kulissen in den Ministerien
geplant ist, nämlich das ERP-Sondervermögen Schritt
für Schritt als Steinbruch zu missbrauchen, um Haushaltslöcher zulasten der Wirtschaft zu füllen. Die
FDP-Bundestagsfraktion wird sich daher der Stimme
enthalten, um auch auf diese Art und Weise ihren Protest
kundzutun.
Ich weiß, dass die Kollegen aller Fraktionen, auch des
Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD, im Grunde genommen der Meinung sind, dass wir das nicht zulassen
dürfen. Insofern wird sich die Frage stellen, ob Sie bei
der Abstimmung Ihrer Überzeugung folgen werden. Vermutlich nicht; das ist eben so. Aber es ist wirklich eine
sehr schwierige Lage.
Wir haben einen Bericht des Bundesrechnungshofs
eingefordert. Der Bundesrechnungshof hat uns zu allen
Punkten eine klare Auskunft gegeben. Er hat uns aufgetragen, dass dann, wenn 2 Milliarden Euro herausgelöst
werden sollen, die US-amerikanische Regierung zu befragen bzw. zu beteiligen ist. Uns ist gesagt worden, dass
dieses Prozedere in etwa ein Jahr in Anspruch nehmen
wird. Das heißt, dieser Prozess des Vermögensabbaus
wird sich nur allmählich vollziehen können. Gleichwohl
wird diese böse Entwicklung auf uns zukommen.
Ich sehe die Frontlinie eher woanders, Herr Kollege
Bernhardt. Ich sehe sie in erster Linie zwischen den
beiden Ministern verlaufen, nämlich zwischen Bundeswirtschaftsminister Clement und Bundesfinanzminister
Eichel. Wir haben uns natürlich gefragt: Wie kann der
Wirtschaftsminister im Wissen um die Daten und Fakten
am Markt und darum, wie wichtig dieses Sondervermögen für die Wirtschaft ist, zustimmen? Wie kann er das
zulassen? Die einzige Erklärung, die jedenfalls ich dafür
habe, ist: Minister Clement ist dazu vergattert worden,
Einsparungen zu realisieren, und hat gesagt: Okay, dann
gebe ich hier klein bei und lasse es zu, dass die 2 Milliarden Euro quasi entzogen werden.
Man muss einmal sehen, welche Folgen es haben
wird, wenn das Parlament nicht mehr beteiligt wird. Das
Vermögen soll verringert werden. Es wird gesagt, die
KfW könne bessere Renditen erzielen, effizienter wirtschaften. Wenn das so ist, dann - auch das haben wir im
Unterausschuss gesagt - müsste es doch eigentlich zur
Ausschreibung dieser Leistungen kommen. Man müsste
einmal in Erfahrung bringen, ob eine andere Bank nicht
noch ganz andere Effizienzgewinne erwirtschaften
könnte als die bundesnahe KfW.
({1})
Die Argumentationslinie ist also alles andere als logisch.
Ich vermute, dass zweierlei geschehen wird. Die
2 Milliarden Euro werden abfließen; dafür wird es in
diesem Hause leider eine Mehrheit geben. Es wird irgendein Hilfskonstrukt geschaffen, bei dem das Parlament in irgendeiner Weise beteiligt wird. Was derzeit
stattfindet, nämlich die jährliche intensive Beratung eines Wirtschaftsplangesetzes, wird es so nicht mehr geben. Das können wir uns, finde ich, nicht leisten.
Frau Kollegin, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr.
Sie haben deutlich überzogen.
Ja, letzter Satz.
Dies ist ein Raubbau an der Wirtschaft in unserem
Land zulasten von Arbeitsplätzen und dem sollten wir
uns nach Kräften widersetzen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär für
Wirtschaft und Arbeit, Ditmar Staffelt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Erstens stelle ich fest: Was den ERP-Wirtschaftsplan betrifft, besteht, denke ich, ein hohes Maß an
Übereinstimmung darüber, dass wir das, was wir in den
letzten Jahren getan haben, kontinuierlich fortschreiben
und dazu bei den ERP-Aktivitäten Akzentuierungen vornehmen, die sich infolge der Nachfrage durch Unternehmer bzw. Unternehmen als notwendig erwiesen haben.
Sie alle werden begrüßen, so hoffe ich jedenfalls, dass
wir mit dem ERP/EIF-Dachfonds ein Instrument geschaffen haben, das uns in die Lage versetzt, wieder in
stärkerem Maß Risikokapital zu bilden, um insbesondere
Technologieunternehmen und innovativen Unternehmen unter die Arme zu greifen oder die Gründung solcher Unternehmen zu fördern und darüber hinaus dafür
Sorge zu tragen, dass sich Unternehmen, die sich in
schwierigen Phasen der Entwicklung befinden, finanzieren können.
Ähnliches gilt für den ERP-Startfonds. Das ist ebenfalls eine Maßnahme, der wir alle in diesem Haus, denke
ich, zustimmen.
Ich glaube auch, dass die Schaffung der KfW-Mittelstandsbank ein wichtiger Schritt war, um Programme zu
vereinheitlichen, neu zu strukturieren und damit auch an
die Marktgegebenheiten anzupassen. Summa summarum finde ich - das ist ein wichtiges Ergebnis dieser
Diskussion -: Wir sollten uns dazu bekennen, dass die
Förderkulisse für das Entstehen von kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland ausgesprochen gut ist.
Dies - so habe ich die Ausführungen von Ihnen allen
verstanden - wird von Ihnen allen mitgetragen.
Die Kritik, die hier laut geworden ist, richtet sich sozusagen auf das Bild der Zukunft. In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass wir alle die Details
noch nicht kennen. Ich bitte zugleich diejenigen, die mit
mir gemeinsam im Unterausschuss darüber diskutiert haben, anzuerkennen, dass sich die Bundesregierung um
weitestmögliche Transparenz bei den jeweiligen Arbeitsschritten bemüht hat und dass wir auch sehr offen
über die einzelnen Teilschritte, von denen aus wir dieses
Thema erschlossen haben, Frau Kollegin SkarpelisSperk, diskutiert haben. An der Stelle weise ich darauf
hin, dass wir selbstverständlich auch die Einwände, die
es gegeben hat, abarbeiten und sie in vollem Umfang in
die Überlegungen einbeziehen werden.
({0})
Dazu gehört - das haben wir sehr wohl verstanden -,
dass die Mitwirkung des Deutschen Bundestages, die
sich im Übrigen in der Vergangenheit außerordentlich
bewährt hat, von allen weiterhin für erforderlich gehalten wird. Wir werden daher alles unternehmen, damit im
Gesetz die bisher vorgesehenen Mitwirkungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt werden.
Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen: In der
Anhörung gab es ja Hinweise auf Sondierungsgespräche
mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Diese hat es
gegeben. Wir sind optimistisch, dass wir hierbei zu einem guten Ergebnis kommen werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Natürlich hängt viel
von der Vertragsgestaltung ab. Ich gehe fest davon aus,
dass die KfW eine klare Zusage geben muss, dass sie für
die von ihr prognostizierte Verwertung eine ausreichende Rendite aus den 8,4 Milliarden Euro erzielen
wird. Das ist Voraussetzung dafür, dass die vorhandenen
Programme überhaupt finanziert werden können. Wir
bemühen uns darum, hier zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.
Zu Ihrem Vorschlag, das auszuschreiben, Frau Kollegin Kopp, kann ich nur sagen: Natürlich kann man Ausschreibungen machen. Es wird auch tolle Angebote geben, bei denen erheblich bessere Renditen versprochen
werden.
({1})
Die Frage ist nur, in welchem Umfang wir bezüglich der
Renditen, die wir dringend benötigen, um die Fördermaßnahmen weiterhin durchführen oder gar noch ausbauen zu können, Risiken in Kauf nehmen wollen. Deshalb stehen wir einer Ausschreibung eher zurückhaltend
gegenüber.
Die weitere Diskussion sollten wir in der bewährten
Art und Weise des offenen Meinungsaustausches miteinander führen. Ich gehe davon aus, dass wir in den
nächsten Wochen weitere wichtige Schritte unternehmen
werden, da es letztlich, wie ich glaube, kaum eine Alternative dazu gibt, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
Deshalb bitten wir den Deutschen Bundestag um entsprechende Unterstützung und um Zustimmung zum
vorliegenden ERP-Wirtschaftsplangesetz.
Danke schön.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines ERP-Wirtschaftsplangesetzes 2005, Drucksache 15/3596. Der
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt auf
Drucksache 15/4704, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Enthaltung der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmergebnis wie in der zweiten Beratung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger,
Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mülltrennung vereinfachen - Haushalte entlasten
- Drucksachen 15/2193, 15/4786 Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Dr. Antje Vogel-Sperl
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Petra Bierwirth, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Getrenntsammlung bestimmter Abfälle ist eine
Grundvoraussetzung für eine qualitativ hochwertige
stoffliche Verwertung. Durch die getrennte Erfassung
von Verpackungsmaterialien werden hohe Sammel- und
Verwertungsquoten erreicht. Deutschland nimmt neben
Dänemark und den Niederlanden in Europa eine Spitzenstellung bei der Verwertung von Verpackungsabfällen ein.
Mit der Verpackungsverordnung wurde der Wirtschaft die Produktverantwortung übertragen. Dies hat
- das wissen wir alle - zur Entwicklung paralleler Strukturen in der Abfallwirtschaft geführt. Sortieranlagen sind
weitgehend von privaten Investoren getragen. In den
letzten Jahren haben sich Verwertungswege herauskristallisiert, die als Maßstab für zukünftige Veränderungen
genommen werden müssen.
Daran müssen wir den heute zur Beschlussfassung
vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion messen. Aus
dem Antrag ist meiner Auffassung nach lediglich erkennbar, dass die derzeitigen Strukturen durchbrochen
und das bisher Erreichte vernachlässigt werden sollen.
Grundlage des uns vorliegenden Antrages sind Testläufe
großer Entsorgungsunternehmen, deren Ziel nicht die
Vereinfachung der Müllentsorgung ist, sondern der weitere Zugriff auf die Abfallströme und damit letztendlich
auch auf die Gebühren der Verbraucher.
({0})
Für mich sind bei der Diskussion auf diesem Feld
noch viele Fragen unbeantwortet. Zum Beispiel hat das
Sammelsystem, das wir derzeit in der Bundesrepublik
haben, in der Bevölkerung eine sehr hohe Akzeptanz.
95 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sammeln getrennt. Die Bürgerinnen und Bürger identifizieren sich
mit diesem System. Für sie ist das praktizierter Umweltschutz vor der Haustür. Hier stelle ich mir schon die
Frage: Können wir das einfach leichtfertig aufs Spiel setzen?
Auch ist völlig ungeklärt, ob das neue System, das
eingeführt werden soll, den bisher hohen Standard im
Umweltschutz, wie wir ihn durch die Getrenntsammlung
erreicht haben, weiterhin gewährleisten wird. Für mich
stellt sich auch die Frage: Ist ein solch neues System
wirtschaftlich? Die wohl wichtigste Frage ist: Ist überhaupt die Technik schon so weit, dass wir eine solche
komplette Systemumstellung vornehmen können? Ist sie
schon so weit, dass das System großflächig eingeführt
werden kann?
Eine weitere Frage: Können die heute in dieser Branche tätigen mittelständischen Unternehmen eine solche technische Umstellung überhaupt realisieren? Oder
leiten wir hiermit durch die Hintertür einen eleganten
Wechsel in der Unternehmensstruktur ein? Eine äußerst
wichtige Frage ist auch: Was bedeutet eine Systemumstellung für die Verbraucherinnen und Verbraucher?
Werden sie eine Gebührensenkung erleben oder nicht
doch eher eine Gebührenerhöhung?
Diese Reihe von Fragen ließe sich noch beliebig lang
fortsetzen. Um fundierte Antworten zu erhalten, haben
wir im Umweltausschuss eine Expertenanhörung durchgeführt, in der wir auch diese Fragen gestellt haben. Für
mich war das Ergebnis dieser Anhörung, dass die Antragsteller mit ihrem Anliegen gescheitert sind; die Antworten fielen in meinen Augen niederschmetternd aus.
({1})
Wir können heute in keiner Weise von einem Systemwechsel in der Abfallsammlung und Abfallentsorgung
sprechen. Davon sind wir noch meilenweit entfernt. Ein
solcher Systemwechsel ist in meinen Augen noch nicht
einmal spruchreif. Zum einen sind die Pilotversuche gerade erst abgeschlossen und die Auswertung liegt uns im
Detail noch gar nicht vor. Zum anderen wurde in der Anhörung deutlich, dass wir es bei diesen Pilotversuchen
doch eher mit Ergebnissen unter laborähnlichen Bedingungen zu tun haben. Sie haben im kleinteiligen Raum
stattgefunden. Auf den Fließbändern spiegelte sich das
Abfallverhalten auf dem flachen Land wider. Leichtverpackungen und Restmüll sind erst in der Sortieranlage
gemischt worden. Ich denke daher, diese Ergebnisse
können in keiner Weise verallgemeinert werden.
Für mich steht fest, dass die ökonomischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und Umweltauswirkungen eines
Systemwechsels zum heutigen Zeitpunkt - das hat die
Anhörung ganz klar ergeben - nicht mit Namen und
Hausnummer benannt werden können. Aus der Anhörung können wir aber Folgendes mitnehmen: Wenn ein
solcher Systemwechsel stattfinden sollte, dann ergibt
sich auf alle Fälle eine Erhöhung der Gebühren für die
Verbraucherinnen und Verbraucher. Denn die Abfallentsorger müssen überall diese neue Technik einführen.
Diese bekommt man nicht umsonst.
Die Anhörung hat ebenfalls gezeigt, dass die derzeit
eingesetzte Technik zwar in den Versuchen funktioniert,
aber noch nicht für einen großflächigen Einsatz ausreicht. Außerdem - das ist ein zusätzliches Problem bei
einem Systemwechsel - muss dann noch die Biotonne
eingeführt werden. Denn ohne diese lässt sich die Systemumstellung nicht realisieren.
Ich persönlich halte es bei all diesen Unklarheiten für
völlig unverantwortlich, einen Systemwechsel zu vollziehen. Bevor wir zu einer solchen Entscheidung kommen, müssen noch viele Antworten gegeben werden. Es
darf nicht nur vage Versprechungen geben, wie wir es
teilweise erlebt haben.
Für meine Fraktion und mich gibt es derzeit zum System der getrennten Sammlung keine Alternative.
({2})
Wir sind natürlich immer offen für Verbesserungen - da
verweigern wir uns nicht -; denn kein System ist so gut,
dass es nicht verbessert werden könnte. Darüber diskutieren wir gerne. Aber die heutige ökologisch sinnvolle
und aller Erfahrung nach gut funktionierende Getrenntsammlung darf nicht aufgegeben werden, bevor kein
besseres und ausgereifteres System vorhanden ist.
({3})
Das Wort hat der Kollege Werner Wittlich, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im ersten Moment scheint es eine geniale Idee zu sein,
Verpackungsmaterial zusammen mit dem Restmüll in
Sortieranlagen technisch aufzubereiten und zu verwerten. Alle Abfälle wandern künftig in dieselbe Tonne. Die
Unterscheidung zwischen Verpackungs- und Restmüll entfiele und das leidige Sortieren hätte ein Ende:
Nie mehr nachschauen müssen, ob ein Grüner Punkt aufgedruckt ist - dann gehört die Verpackung in die gelbe
Tonne und nicht in den Restmüll - oder ob das Papier
nicht doch an irgendeiner Stelle beschichtet ist und somit
nicht in die normale Papiersammlung gehört.
Hinzu kommt, dass die Müllentsorgung von Region
zu Region unterschiedlich gehandhabt wird. Die einen
sammeln Verpackungen in der gelben Tonne, die anderen
setzen auf den gelben Sack. In meinem Wahlkreis, im
Landkreis Neuwied, ist die gelbe Tonne sogar grün.
({0})
- Wir waren sehr fortschrittlich und haben diese Tonne
schon seit mindestens 15 bis 20 Jahren.
Die Forderung nach einem Ende der Getrenntsammlung klingt deshalb zunächst innovativ und viel versprechend. Im Moment aber ist das Modell „Alles in eine
Tonne“ noch Zukunftsmusik.
({1})
- Lesen Sie einmal Ihren Antrag und hören Sie zu! Ich
will Ihnen, unserem zukünftigen Koalitionspartner, aber
nicht zu nahe treten.
({2})
Es wäre aus Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion absolut verfrüht, zum jetzigen Zeitpunkt das System der
Getrennterfassung aufzugeben.
Auch in der Sachverständigenanhörung im Umweltausschuss am 1. Dezember wurde deutlich, dass in den
nächsten Jahren auf die Trennung des Hausmülls in
Deutschland nicht verzichtet werden kann. Nach wie vor
gibt es zu viele offene, ungelöste Fragen. Zu dem Ergebnis kam die Mehrheit der Sachverständigen in ihren Stellungnahmen.
Sollte das Getrennterfassungssystem in naher Zukunft
umgestellt werden, wäre dies kaum wieder rückgängig
zu machen, falls die Umstellung nicht funktionieren
würde.
Zwar wurden schon Pilotprojekte durchgeführt, in denen Restmüll und Verpackungsabfälle gemeinsam gesammelt und anschließend maschinell getrennt wurden.
Diese Versuche sind bislang jedoch nur als so genannte
Testversuche mit geringen Mengen und unter Laborbedingungen durchgeführt worden. Erforderlich sind
unseres Erachtens jedoch Langzeitversuche unter Praxisbedingungen. Auf der Grundlage des derzeitigen Kenntnisstandes wäre es einfach unverantwortlich, aus diesen
Versuchen Rückschlüsse auf die technische Machbarkeit
zu ziehen.
Die für die Müllentsorgung zuständigen kommunalen
Gebietskörperschaften wären in erster Linie von einer
Umstellung auf gemeinsame Sammlungen von Abfällen
betroffen. Die Landkreise und kreisfreien Städte müssten
ihre gesamten bisher bewährten Systeme der Müllentsorgung umstellen. Für die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger würde sich eine Umstellung mehr als
schwierig gestalten; denn die meisten sind an langfristige Verträge mit den Abfallentsorgungsunternehmen gebunden. Aus diesen Verträgen können sie nicht von
heute auf morgen aussteigen.
Die kommunalen Spitzenverbände kritisieren vor allem, dass sich die Hersteller künftig aus ihrer Produktverantwortung stehlen könnten.
Unklar ist auch, welche Auswirkungen die Aufhebung der Mülltrennung auf die Müllgebühren hätte. Wir
dürfen hier den Bürgerinnen und Bürgern keinen Sand in
die Augen streuen. Der Bürger kann heute durch die gezielte Rückgabe von Abfällen die Inanspruchnahme der
kommunalen Abfallentsorgung und den entsprechenden
Anfall von Abfallgebühren vermeiden. Dieser Anreiz
entfiele mit der gemeinsamen Erfassung.
Nach Einschätzung des Städte- und Gemeindebundes
besteht aus Sicht des Bürgers kein Anlass, vom bestehenden System abzugehen. Die Aufgabe der getrennten
Abfallerfassung wird entgegen den versprochenen Kostenreduzierungen eher Kostensteigerungen zur Folge haben. Abfälle sollten nach unserer Auffassung auch weiterhin getrennt werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kauch?
Ja, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Wittlich, Sie
haben ebenso wie Frau Bierwirth, an die ich die Frage
genauso hätte richten können, erläutert, warum aus Ihrer
Sicht ein Systemwechsel nicht infrage kommt, und reden
von einem bewährten System der Abfallsammlung. Ich
möchte fragen, ob Sie ein System für bewährt halten, bei
dem nach einer Studie des Bayerischen Landesamtes für
Umweltschutz im Restmüll in ländlichen Gebieten
43 Prozent, in innerstädtischen Verdichtungsräumen
53 Prozent der Müllmenge verwertbare Stoffe ausmachen und eben nicht Restmüll sind und umgekehrt in der
gelben Tonne 15 bis 20 Prozent Fehlwürfe sind, die in
diese Tonne nicht hineingehören. Halten Sie das für ein
bewährtes System?
Verehrter Herr Kollege Kauch, darüber reden wir jetzt
gar nicht.
({0})
Wir reden über Ihren Antrag. Dabei geht es darum, ob
wir die jetzigen Restabfälle zusammen mit dem DSDMüll in einer Tonne sammeln.
({1})
Allein darum geht es zunächst.
Wir als CDU/CSU-Fraktion sind offen für alle technischen Entwicklungen. Sie werden mich als jemand, der
aus dem technischen Umfeld kommt, doch nicht am
Ende noch der Technikfeindlichkeit bezichtigen. Ganz
im Gegenteil.
Ich komme in meiner Rede - vielleicht hören Sie
dann noch zu - nachher noch zu diesem Punkt und sage
Ihnen dann, dass wir den Umstieg zum jetzigen Zeitpunkt für verfrüht halten. Einen Tag nach der Anhörung
im Umweltausschuss im Dezember letzten Jahres stand
in der „FAZ“ oder in der „Süddeutschen Zeitung“
({2})
- Herr Schmidt, Sie sind doch gerade erst gekommen;
dann können Sie doch noch ein bisschen länger hier bleiben - ein Artikel mit der Überschrift „Zeit der Getrenntsammlung vorbei“. Dieser ist populistisch aufgemacht
worden.
Uns geht es darum, dem Bürger nicht den Eindruck zu
vermitteln, man könne zum jetzigen Zeitpunkt alles in
eine Tonne stecken und das würde am Ende noch billiger
werden. Das ist der eigentliche Punkt, um den es geht.
Ansonsten sind wir gar nicht weit auseinander.
({3})
Wenn wir eine Lösung hätten, die insgesamt günstiger
wäre, den Umweltinteressen entgegenkäme, die wirtschaftlich wäre und den Bürger entlasten würde, würden
wir hier eine einvernehmliche Lösung finden.
({4})
Ich habe vorhin gesagt, dass der Anreiz zur gezielten
Rückgabe von Abfällen entfallen würde, wenn man den
Müll zusammenschütten würde. Nach Einschätzung des
Städte- und Gemeindebundes besteht aus Sicht des Bürgers kein Anlass, vom bisherigen System abzugehen.
Die Aufhebung der getrennten Abfallerfassung wird entgegen den Versprechen, die Kosten zu reduzieren, eher
Kostensteigerungen zur Folge haben.
Abfälle sollten also auch weiterhin getrennt gesammelt werden. Das bisherige System kann noch im Hinblick auf die Kosten verbessert werden. Vorhandene
Potenziale sollten ausgeschöpft und an den Bürger in
Form von sinkenden Müllgebühren weitergegeben werden, sofern das möglich ist.
Eines ist klar: Steigende Müllgebühren sind in diesem
Zusammenhang für die Union nicht akzeptabel.
({5})
Aber nach allen Erkenntnissen ist durch die Müllsammlung in einer Tonne eine Gebührenerhöhung vorprogrammiert. Zudem würde eine Aufhebung der Mülltrennung es schwierig machen, ein verursachergerechtes
Gebührensystem umzusetzen. Ein Anreiz zur Müllvermeidung wäre kaum noch gegeben.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion befürchtet, dass
die Bürger mit sehr widersprüchlichen Signalen konfrontiert würden. Einerseits diskutieren wir über die gemeinsame Erfassung und Sortierung von Rest- und Verpackungsabfällen, auf der anderen Seite weiten eine
Vielzahl von Regelungen, wie zum Beispiel die Batterieverordnung, die Gewerbeabfallverordnung, die Altholzverordnung oder das Elektronikgerätegesetz, die Getrenntsammlung auf weitere Abfallanteile aus. Papier,
Glas und vor allem Bioabfall müssten auch in Zukunft
getrennt gesammelt werden. Es ist mehr als fraglich, ob
dem Bürger diese unterschiedliche Behandlung vermittelt werden kann. Denn schließlich hat er jahrelang für
den Umweltschutz Abfälle getrennt und Joghurtbecher
ausgespült. Der Bürger sammelt ja keinen Abfall; er
trennt Wertstoffe.
Stichwort Bioabfälle. Das ist ein Punkt, Herr Kauch,
der das ganze System ins Wanken bringen würde. Es
darf nicht der Eindruck entstehen, dass Biomüll zusammen mit dem gesamten Restabfall in eine Tonne kommt.
In Deutschland sind bisher 50 Prozent der Haushalte
nicht an die Bioabfallentsorgung angeschlossen. Auch
für diese Haushalte müsste zuerst die Biomüllerfassung
flächendeckend eingeführt werden. Denn ehe man in
diesem Bereich Hals über Kopf etwas ändert, muss man
eine sorgfältige Kostenoptimierung ins Auge fassen.
Dem Bürger wird vorgegaukelt, es würde billiger werden. Das ist aber gerade nicht der Fall.
Bemerkenswert ist, dass die grüne Umweltministerin
in Nordrhein-Westfalen gegen erhebliche Widerstände
der kommunalen Spitzenverbände Langzeitversuche mit
Mischtonnen durchboxen will. Die Ministerin tut dies,
obwohl schon jetzt bekannt ist, dass damit in den Städten
die nächste Gebührenerhöhung vorprogrammiert ist.
Denn das System der Mischtonne ist in den Städten erheblich teurer als das bewährte System der Getrennterfassung.
Auch in den nächsten Jahren wird auf die Trennung
des Hausmülls in Deutschland nicht verzichtet werden
können. Weder die technische Machbarkeit noch die
ökologischen und ökonomischen Vorteile sind bisher geklärt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es daher aus Sicht der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht sinnvoll, das bestehende und funktionierende System der Mülltrennung in
Deutschland abzuschaffen.
Auch das Umweltbundesamt kommt in seinem Sachstandspapier „Getrennte Sammlung von Abfällen aus
Haushalten“ vom Juli 2004 zu der Einschätzung - ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin -,
dass es zur Praxis der getrennten Sammlung derzeit
keine Alternative gibt, da die Praxisreife der technischen Alternativen noch nicht nachgewiesen ist.
Für alle Abfallarten gelte - so das Umweltbundesamt
weiter -, dass die nach bisherigen Erkenntnissen ökologisch sinnvollen und aller Erfahrung nach gut funktionierenden Getrennthaltungssysteme nicht aufzugeben
seien, bevor bessere Alternativen zur Verfügung stünden.
Das System der Getrenntsammlung von Abfällen hat
nicht zuletzt erheblich zu einem gestiegenen Umweltbewusstsein und zu einem sorgfältigeren Umgang mit
Ressourcen in Deutschland geführt. Die CDU/CSUBundestagsfraktion - ({6})
- Sie hört nicht einmal zu; das muss auch ich feststellen.
({7})
Weil diese Sitzung so gut besucht ist, habe ich schon
überlegt, nachher schnell zu meinem Platz zu laufen, um
mir selbst Beifall zu klatschen, damit das wenigstens im
Protokoll vermerkt ist.
({8})
Die CDU/CSU-Fraktion - Herr Kauch, jetzt werden
wir wieder versönlich - stellt die Berechtigung des FDPAntrages überhaupt nicht in Abrede. Für die CDU/CSUFraktion ist das Modell „Alles in eine Tonne“ nach dem
gegenwärtigen Kenntnisstand noch Zukunftsmusik. Das
heißt aber nicht, dass die Bundestagsfraktion der CDU/
CSU vor dem technischen Fortschritt und der Weiterentwicklung in der Abfallwirtschaft die Augen verschließen
würde.
Wer die Abfallwirtschaft vor allem in den 90er-Jahren
verfolgt hat, kann feststellen, welch tief greifende Veränderungen es seitdem auf diesem Gebiet in Deutschland gegeben hat. Standen noch vor zehn bis 15 Jahren
Mülldeponien im Mittelpunkt der Abfallentsorgung, so
sind heute überwiegend Maßnahmen zur Verwertung der
Abfälle das Maß der Dinge. Zum jetzigen Zeitpunkt
wäre die Aufhebung der Mülltrennung in technischer,
ökonomischer und ökologischer Hinsicht mit einem zu
großen Risiko behaftet.
({9})
Daher lehnt die CDU/CSU-Fraktion Ihren Antrag ab.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Antje Vogel-Sperl,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich auf das Argument eingehen, das vonseiten der Wirtschaft und der Opposition immer wieder
gern und immer wieder zu Unrecht angeführt wird: dass
innovative Umweltpolitik wirtschaftliches Wachstum
bremsen würde. Nun gibt es aber in der Tat einen Bereich, in dem dies der Fall ist - und zwar politisch gewollt -, den Abfallbereich, das heißt das Aufkommen
von Abfall. Es ist nicht zuletzt ein Verdienst unserer erfolgreichen Umweltpolitik - ich nenne an dieser Stelle
nur das Stichwort Dosenpfand -, dass Abfälle zum einen
mehr und mehr vermieden werden und dass zum anderen
die Menge des Gutes, um das es geht, des Abfalls, tendenziell zurückgeht.
Das heißt, meine Damen und Herren, der Abfallmarkt stagniert. Und das heißt für die Beteiligten in der
Entsorgungswirtschaft vor allem eines: Zuwächse im
Abfallgeschäft sind für Unternehmen nur zu machen,
wenn umverteilt wird. Deshalb ist die Debatte, die in den
vergangenen Wochen und Monaten über die Zukunft der
Getrenntsammlung geführt wurde, vor allem vor diesem
Hintergrund zu bewerten;
({0})
denn der Wegfall eines Sammelgefäßes hätte natürlich
eine Verschiebung von Abfallströmen zur Folge. Dies
wiederum hätte spürbare wirtschaftliche Auswirkungen
für die Beteiligten in der Entsorgungsbranche und deshalb werden neue technologische Verfahren derzeit - je
nachdem, ob man zu den potenziellen Gewinnern oder
Verlierern zählt - entweder generell verteufelt oder in
den Himmel gehoben.
Das Ziel von uns Grünen ist es, dafür zu sorgen, dass
- ungeachtet jeglicher Verteilungskämpfe - jeweils das
ökologisch sinnvollere Verfahren zum Einsatz kommt.
Vor diesem Hintergrund sind wir für neue, ökologisch
vorteilhafte Techniken offen. Aber - und das sage ich in
aller Deutlichkeit - wir prüfen sehr genau, wo sich aus
ökologischer Sicht Vorteile ergeben und wo nicht. Ich
möchte darauf hinweisen, dass der Umgang mit Abfall,
das selbstverständliche Trennen und der Anspruch einer
hochwertigen Verwertung nach wie vor als zentrale Elemente des praktizierten Umweltschutzes in Deutschland gelten.
({1})
Wir haben uns im parlamentarischen Verfahren einschließlich der durchaus interessanten Anhörung im
Umweltausschuss zum Thema Getrenntsammlung intensiv mit dem Antrag der FDP auseinander gesetzt. Auch
aus unserer Sicht möchte ich die wichtigsten Ergebnisse
der Anhörung kurz vorstellen.
Erstens. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe unterschiedlicher Versuche unterschiedlicher Auftraggeber,
das heißt Modellprojekte, nicht zuletzt ausgelöst durch
die von der RWE Umwelt durchgeführten Untersuchungen zur Getrenntsammlung. Aber bislang - das ist der
entscheidende Punkt - liegen noch keine vollständigen
Ergebnisse der Untersuchungen vor; das wurde schon
von verschiedenen Seiten gesagt.
Erste Ergebnisse der in NRW durchgeführten Studie
werden am kommenden Montag vorgestellt. Diese Ergebnisse werden wir mit Interesse verfolgen. Zu den derzeit untersuchten Verfahren gehört neben der genannten
gemeinsamen Erfassung von Leichtverpackungen und
Restmüll unter anderem auch die zu einer so genannten
trockenen Wertstofftonne geadelte gelbe Tonne, die sozusagen als Gegenprogramm zur Zebratonne initiiert
wurde.
Das zweite Ergebnis der Anhörung war: Die technische Machbarkeit einer gemeinsamen Erfassung von
Restmüll und Leichtverpackungen wurde grundsätzDr. Antje Vogel-Sperl
lich von keinem Sachverständigen bestritten. Gleichzeitig hat sich aber auch ganz klar herausgestellt: Eine Zebratonne wird weder per se ökologisch besser noch
kostengünstiger als das bisherige Verfahren sein.
({2})
Sondern es wird stark von regionalen Gegebenheiten abhängen, wie das Ergebnis im Einzelfall ausfällt. In Ballungszentren ist es durchaus eine sinnvolle Option, aber
in ländlichen Räumen macht das Festhalten an der Getrenntsammlung von grauem und gelbem Müll aufgrund
der geringen Anzahl von Fehlwürfen selbstverständlich
Sinn. Und diese differenzierte Betrachtung, meine Damen und Herren, fehlt in dem Antrag der FDP völlig.
({3})
Und daraus folgt ganz klar: Jetzt pauschal das Ende der
Getrenntsammlung von Restmüll und LVP zu verkünden
und zu behaupten, das derzeitige System sei technisch
überholt, uneffektiv und zu teuer, ist sachlich schlicht
und einfach nicht haltbar und zu kurz gedacht.
Ein drittes Ergebnis der Anhörung war auch: Es gibt
derzeit keine Notwendigkeit für gesetzliche Veränderungen, da das bestehende Abfallrecht die Möglichkeit zur
gemeinsamen Erfassung von Restmüll und Leichtverpackungen durchaus zulässt.
Zum Schluss möchte ich eines klarstellen: Es geht in
dieser Debatte ausschließlich um die gemeinsame Erfassung von Leichtverpackungen und Restmüll - und nicht
um die Getrennterfassungssysteme für Papier, Glas oder
die Biotonne.
Tatsache ist: Die gemeinsame Erfassung mit anschließender Sortierung ist durchaus ein viel versprechender
Ansatz, zum einen bei Berücksichtigung regionaler Unterschiede und zum anderen vor dem Hintergrund des
Ziels einer abfallfreien Kreislaufwirtschaft für Siedlungsabfälle nach 2020. Tatsache ist aber auch, dass Ergebnisse aus den zuvor genannten Untersuchungen größtenteils noch nicht vorliegen. Deshalb sage ich noch
einmal in aller Deutlichkeit an die Adresse der FDP: Ihr
Antrag ist einseitig, pauschal und eindeutig verfrüht.
Deswegen lehnen wir ihn ab.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Die Getrenntsammlung ist in Deutschland ein Kulturgut“, erklärte der Sachverständige Pretz, benannt von der
SPD-Bundestagsfraktion. Das macht das Problem deutlich: Für uns ist das nicht ein Kulturgut, sondern es ist
schlicht und ergreifend eine praktische Frage, ob Mülltrennung notwendig ist, um ein entsprechendes ökologisches Ergebnis zu erreichen oder nicht.
({0})
Wir wissen, dass im Restabfall bis zu 54 Prozent verwertbarer Anteil enthalten ist, und wir wissen, dass von
den 2,3 Millionen Tonnen Material, die im Jahr 2002
beim Grünen Punkt in den Sammelsystemen für Leichtverpackungen gesammelt wurden, nur 1,4 Millionen
Tonnen verwertet wurden - das sind 58 Prozent -, der
Rest aber einer Entsorgung hat zugeführt werden müssen. Das bedeutet doch, dass wir in der grauen Restmülltonne und im gelben Sack teilweise nahezu dieselben
Mischungsverhältnisse haben. Deswegen macht es überhaupt keinen Sinn, diese Trennung so aufrechtzuerhalten.
({1})
Ich sage ganz deutlich: Wir wollen nicht wieder eine
Tonne, sondern wir wollen, dass die graue Tonne und die
gelbe Tonne zusammengefasst werden. Alle, die in dieser Debatte etwas anderes behauptet haben, liegen
falsch. Auch gilt unverändert - ich zitiere aus unserem
Antrag -, dass
Bioabfälle, Papier, Pappe, Karton und Glas sowie
besonders problematische Abfälle weiterhin getrennt
gesammelt werden sollen.
({2})
Das widerlegt, was vorhin behauptet wurde: Wir wollten, dass alles in eine Tonne kommt. Das wollen wir
nicht. Wir wollen allerdings durch Zusammenlegung
von zwei Abfallarten erreichen, dass die Haushalte entlastet werden, und zwar erstens bei der Sortierung und
zweitens finanziell. Wenn das geht, dann sollte man das
im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher auch
tun.
({3})
Die Kollegin Bierwirth sprach von einem Desaster in
der Anhörung, weil diese ganzen Verfahren technisch
nicht ausgereift seien.
({4})
Meine Damen und Herren, die Sie hier sitzen, wenn von
acht geladenen Sachverständigen sechs ausdrücklich erklären, dass eine getrennte Sammlung für eine hochwertige Verwertung nicht mehr notwendig ist, dass so etwas
also technisch machbar ist - sechs von acht Sachverständigen! -,
({5})
dann heißt das doch wohl, dass es technisch möglich ist.
Nichts anderes behauptet die FDP.
({6})
Die Mülltrennung ist technisch überholt und zu teuer.
Allein die Tatsache, dass sie ein Element des praktizierten Umweltschutzes ist, ist kein Grund, sie aufrechtzuerhalten. Wir betreiben eine praktische und keine
ideologische Politik. Das ist der Unterschied an dieser
Stelle.
({7})
Bei der Mülltrennung auf automatisierten Anlagen
können sogar mehr Wertstoffe und Verpackungsmaterialien verwertet werden als bei der getrennten Sammlung
über das DSD. Auch das hat die Sachverständigenanhörung klar, eindeutig und zweifelsfrei ergeben. Alle Sachverständigen haben gesagt: Ja, aufgrund der Qualität
dessen, was wir dort herausholen, ist es möglich, das
hinterher zu verwerten.
Als letzten Punkt spreche ich die Kosten an. Wir wollen den Grünen Punkt in keiner Weise abschaffen. Das
heißt, es wird keine Kostensteigerungen geben.
Frau Kollegin, den letzten Punkt sprechen Sie bitte
nur kurz und knapp an.
Gerne, Frau Präsidentin. - Ich sage Ihnen klar und
deutlich: Der von den Grünen benannte Sachverständige, Herr Kerres, hat erklärt, wir könnten 5 bis
10 Prozent der Kosten einsparen. Wir wollen, dass das,
was möglich ist, im Sinne der Bürgerinnen und Bürger
auch getan wird. Sie werden den Fortschritt nicht aufhalten können.
Sie werden heute noch dagegen stimmen. Am Montag
wird Frau Höhn die Ergebnisse vorstellen und positiv
bewerten. In einigen Jahren werden Sie feststellen, dass
in den Kreisen genau das getan wird, was die FDP vorhergesagt hat. Dafür werden wir im Sinne der Bürgerinnen und Bürger weiter kämpfen.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit auf Drucksache 15/4786 zu dem
Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Mülltren-
nung vereinfachen - Haushalte entlasten“. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/2193
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/
Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP
angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Neuordnung des Gentechnikrechts
- Drucksache 15/4834 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Helmut
Heiderich, Peter H. Carstensen ({1}),
Marlene Mortler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Gentechnikgesetz wettbewerbsfähig vervollständigen
- Drucksache 15/4828 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem das
erste Gentechnikneuordnungsgesetz Anfang des Jahres
in Kraft getreten ist, beraten wir heute unseren Entwurf
eines Zweiten Gesetzes zur Neuordnung des Gentechnikrechts sowie einen Antrag der CDU/CSU mit dem Titel „Gentechnikgesetz wettbewerbsfähig vervollständigen“.
Mit unserem Gesetzentwurf zur Neuordnung des Gentechnikrechts kommen wir unserer Verpflichtung nach,
die EU-Freisetzungsrichtlinie in nationales Recht umzusetzen. Der heute eingebrachte Entwurf des Zweiten Gesetzes enthält im Wesentlichen Verfahrenserleichterungen und Verfahrensbeschleunigungen für gentechnische
Arbeiten. Ich nenne hier einige Beispiele:
Für erste gentechnische Arbeiten in der Sicherheitsstufe 1 und weitere gentechnische Arbeiten in der
Sicherheitsstufe 2 ist anstatt einer Anmeldung nur noch
eine Anzeige der gentechnischen Arbeit vorgesehen. Das
heißt konkret, dass der Betreiber sofort nach Eingang der
Anzeige bei der Behörde und nicht wie bisher erst
30 Tage nach dem Eingang der Anmeldung bei der Behörde mit der gentechnischen Arbeit beginnen kann.
Eine Vereinfachung ist auch, dass bestimmte Mikroorganismen aus dem Anwendungsbereich des Gentechnikgesetzes herausgenommen werden können, ohne dass für
den Umgang mit solchen Organismen eine Melde- und
Registerführungspflicht besteht.
Das müsste doch voll in Ihrem Sinne sein, meine Damen und Herren von der CDU/CSU; denn damit werden
wir das Gentechnikgesetz wettbewerbsfähig vervollständigen. Dazu erwarten wir allerdings Ihre Unterstützung;
denn uns einerseits dafür zu kritisieren, dass wir mit der
Umsetzung in Verzug sind, und andererseits die Umsetzung zu blockieren, halte ich für unredlich.
({0})
Sie werfen uns in Ihrem Antrag vor - ich zitiere -,
„aus rein politischen Gründen“ das Gesetz in zwei Teile
gespalten zu haben. Uns aber ging es darum, schnellstmöglich Rechtssicherheit für die Betroffenen zu schaffen.
({1})
Eine rein taktische Blockade des Gesetzes durch die
CDU/CSU-regierten Länder mit ihrer Mehrheit im Bundesrat drohte dies zu verhindern. Das war der Grund für
die Teilung.
So ist der erste Teil des Gentechnikneuordnungsgesetzes bereits in Kraft getreten. Wir gehören gemeinsam
mit den Dänen und den Österreichern zu den Ersten, bei
denen Koexistenzregelungen geltendes Recht sind. Das
sind Regelungen, um die wir in anderen EU-Ländern beneidet werden. Letzte Woche hörte ich im Deutschlandfunk in einem Beitrag über die Koexistenzregelungen in
den Niederlanden davon, wie ein Biobauer davon
träumte, in einem Land wie Deutschland zu leben.
({2})
Er sagte - ich zitiere -: Da ist das alles sehr viel besser
geregelt als bei uns. Wirklich wahr, ich wollte, ich wäre
ein deutscher Biobauer. Der hat es sehr viel leichter als
wir hier in Holland.
Wie groß auch in anderen EU-Ländern das Interesse
ist, neben dem Gentechnikanbau auch den Fortbestand
einer gentechnikfreien Landwirtschaft zu gewährleisten,
zeigt das immer größer werdende Netzwerk gentechnikfreier Regionen in der EU. In Italien beispielsweise haben sich von 20 Regionen 14 für gentechnikfrei erklärt.
Rund 50 gentechnikfreie Regionen - mit steigender Tendenz - sind es in Deutschland. Bis auf Sachsen, Thüringen und das Saarland gibt es sie in allen Bundesländern.
Anlässlich der Grünen Woche hat EU-Agrarkommissarin Fischer Boel zum Nebeneinander von gentechnikfreier und gentechnikanwendender Landwirtschaft erklärt: Wenn sich die Pflanzen erst einmal mischen, dann
bekommt man sie nie wieder auseinander. - Auch deshalb war Eile geboten. Das hat sie mehrfach erklärt und
das haben auch die Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition gehört.
Uns ging es um ein zügiges Gesetzgebungsverfahren;
denn wie Sie wissen, ist die Umsetzungsfrist für die EUFreisetzungsrichtlinie im Oktober 2002 abgelaufen.
({3})
Die EU-Kommission hatte sich damals geweigert, EUweit geltende Koexistenzregelungen zu schaffen. Das
machte die Erarbeitung solcher Regelungen auf nationaler Ebene notwendig. Das ist eine schwierige und zeitaufwendige Arbeit, wie man auch daran sieht, dass die
Mehrheit der EU-Länder noch nicht so weit ist wie wir.
Nun hat Frau Fischer Boel während der Grünen Woche
angedeutet, dass es eventuell doch zu EU-weit geltenden
Regelungen für Koexistenz kommen würde. Das würden
wir natürlich sehr begrüßen.
({4})
Aber noch ist unklar, ob und wann es zu einem solchen
Regelwerk kommen könnte. Deshalb müssen wir nun
zügig auch den zweiten Teil unseres Gesetzes zur Neuordnung des Gentechnikrechts auf den Weg bringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sind
uns einig, dass wir dieses Gesetz schnellstmöglich brauchen. Mir scheint, wir sind in der Zielrichtung gar nicht
weit auseinander.
({5})
Wir wollen durch den vorliegenden Entwurf mit Verfahrensvereinfachungen bei gentechnischen Arbeiten die
Wettbewerbsfähigkeit stärken. Damit diese Vorteile
möglichst bald genutzt werden können, bitte ich Sie,
meine Damen und Herren von der Opposition: Unterstützen Sie unseren Gesetzentwurf und setzen Sie sich
für ein zügiges Gesetzgebungsverfahren auf allen Ebenen ein!
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Helmut Heiderich, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es sind
heute exakt 14 Tage, seit das neue Gentechnikgesetz in
Kraft getreten ist, und schon kommen Sie mit dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuordnung des Gentechnikrechts.
({0})
Allein diese kurzfristigen Versuche des Nachbesserns
machen schon deutlich, welch einseitige Position Sie
vertreten
({1})
und dass Sie unablässig bemüht sind, der Gentechnik in
Deutschland ein negatives Image anzuhängen.
Ich will vorab feststellen: Die ständige Verunsicherung der Verbraucher und der Bürger ist Ihnen offensichtlich wichtiger, als eine wettbewerbsfähige Position
Deutschlands in einer anerkannten Zukunftstechnologie
zu schaffen.
({2})
Es ist höchste Zeit, dass Sie hier und heute öffentlich
feststellen, dass von der Gentechnik weder Gefahren für
die Gesundheit der Bürger ausgehen noch Beeinträchtigungen der Umwelt entstehen und dass deren Produkte,
ob das nun Futtermittel, Arzneimittel oder Lebensmittel
sind, genauso sicher sind wie die bisherigen.
Ihr ständiges unbegründetes Risikogerede ist letztlich,
wenn Sie das einmal durchdenken, nichts anderes als ein
Affront gegen die Wissenschaft und gegen die eigenen
Zulassungsbehörden.
({3})
Sie machen den Menschen Angst, statt sie sachlich zu informieren. Anschließend nutzen Sie die Verunsicherung
und sagen - das haben wir hier schon x-mal gehört -, soundso viel Prozent der Bevölkerung wollten keine Gentechnik, um damit wiederum Ihre eigene Verhinderungspolitik zu begründen. Das ist keine Innovationspolitik für
Deutschland. Da müssen wir zu anderen Regeln kommen.
({4})
Sagen Sie doch unseren Bürgern endlich einmal, wie
umfassend die wissenschaftlichen Kontrollen sind und
dass schon allein das deutsche Lebensmittelgesetz jedes
neue Produkt verbietet, das irgendein Risiko für den
Menschen wäre, ganz abgesehen davon - ich bitte Sie,
sich das einmal anzusehen -, dass heute umfangreiche
Prüfungen von der neuen europäischen Behörde EFSA
vorgenommen werden müssen, ehe überhaupt ein Produkt für den Markt freigegeben werden darf.
Hören Sie also endlich auf mit Ihren Ablenkungsmanövern. Sie bemühen schon heute Länder wie Kanada,
Argentinien und andere für Ihre Argumente. Sorgen Sie
doch endlich dafür, dass in unserem Lande die Voraussetzungen geschaffen werden,
({5})
dass solche Pflanzen auf deutschen Feldern wachsen
können, dass deutsche Wissenschaftler diese begutachten können und dass wir deren Ergebnisse in die Gesetze
und Verordnungen aufnehmen können, damit wir wettbewerbsfähig bleiben bzw. werden. Wir wollen nicht
ständig Ihre Verhinderungstaktik hinnehmen.
({6})
Es ist doch ganz offensichtlich, dass Sie hier im Deutschen Bundestag und in Deutschland ständig negativ
über Gentechnik reden, Frau Künast aber dann, wenn es
auf europäischer Ebene um Entscheidungen geht, klein
beigibt und sich dort der Stimme enthält. Wenn sie also
hier so furios gegen diese Technologie auftritt, warum
schrumpft sie dann auf europäischer Ebene jedes Mal
auf Zwergengestalt, wenn es dort um Entscheidungen
geht?
({7})
- Ich kann Ihnen gerne noch weitere solche sachlichen
Punkte vortragen, Herr Kollege.
({8})
Die Ministerin greift auch persönlich in die deutsche
Forschung ein. Sie hat durch direkten persönlichen Einfluss - das werden Sie hoffentlich nicht vergessen haben - die Forschung in Pillnitz und in Quedlinburg im
vergangenen Jahr verboten, obwohl alle Fachleute gesagt haben, dass die Forschung, die dort geleistet wird,
Spitzenniveau hat. Frau Künast hat persönlich verboten, dass wir solche Erfahrungen in Deutschland machen dürfen.
({9})
Auch an anderen Standorten werden die Wissenschaftler zunehmend behindert. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen. Die Forschungen im Rahmen des NapusProjektes - das sind Forschungen an Rapspflanzen und
anderen Ölpflanzen - haben zu weltweit beachteten Ergebnissen geführt. Jetzt lässt das BMBF dieses Projekt
auslaufen, ohne entsprechende Anschlussprojekte zu finanzieren.
Ein zweites Beispiel ist das Pflanzengenomforschungsprojekt GABI, das vom Bundeskanzler persönlich vor Jahren in höchsten Tönen gelobt wurde. Inzwischen haben Sie die Mittel für dieses Projekt auf die
Hälfte zusammengestrichen. Das sind konkrete Beispiele für Ihren Versuch, die Gentechnik in Deutschland
zurückzufahren und die Forscher um ihre Chancen zu
bringen.
Lassen Sie mich noch ein drittes Beispiel anführen.
Während Sie in der Forschung - wie eben beschrieben den Geldhahn zudrehen, fördern Sie Projekte von Gentechnikgegnern aus Steuermitteln. Das BfN fördert ein
Projekt des BUND, der im Internet schreibt:
Der beste Weg, Probleme mit der Gentechnik zu
vermeiden, ist, die Gentechnik zu vermeiden. Und
hier sind gentechnikfreie Regionen die ideale Lösung.
So macht sich die Bundesregierung zum willfährigen
Werkzeug der Gentechnikgegner. Statt neuer Erkenntnisse fördern Sie die Verhinderer und Blockierer. Das
eben ist der falsche Weg; ihn sollten wir in Deutschland
nicht beschreiten.
({10})
Das international anerkannte deutsche Saatzuchtunternehmen KWS aus Einbeck hat kürzlich mitgeteilt,
dass es bei Mais auf dem internationalen Markt inzwischen 50 Prozent als GV-Saatgut - das heißt gentechnisch verändertes Saatgut - verkauft. Ich frage Sie in
diesem Zusammenhang: Wo, meinen Sie, ist dafür die
Forschung angesiedelt? Wo, meinen Sie, befinden sich
die Felder der Saatgutvermehrer? Wo, meinen Sie, sind
die damit zusammenhängenden Arbeitsplätze entstanden?
Mit der Einstellung, die Sie gegenüber der Gentechnik in den vergangenen Jahren vertreten haben, vertreiben Sie die vorhandenen Potenziale aus dem Land, statt
hier bei uns die bestehenden Möglichkeiten zu entwickeln.
Ministerin Künast hat im Übrigen - auch das ist eben
schon angesprochen worden - vor dem Bundesrat selbst
die Mängel ihres Gentechnikgesetzes schriftlich eingestanden. Sie hat in einer Sechs-Punkte-Erklärung zugesichert, diese Mängel umgehend abstellen zu wollen. Ich
frage Sie: Welche Aktivitäten sind bisher erfolgt, die
deutlich machen, dass diese sechs Punkte in das Gentechnikrecht eingebracht werden sollen?
Frau Künast hat in der Erklärung beispielsweise fest
zugesagt, den Erprobungsanbau der Bundesländer
aus dem vergangenen Jahr in 2005 unter Führung des
BMVEL über ganz Deutschland verteilt fortzusetzen.
Doch wo bleiben Ihre Verhandlungen mit den Bundesländern in dieser Sache? Wo ist das Programm? Wo sind
die Standorte? Wer übernimmt das begleitende Monitoring? Nichts davon wurde bisher realisiert. Das zeigt,
dass Sie an dieser Entwicklung nicht ernsthaft interessiert sind.
({11})
Zusätzlich verzögert die Ministerin auch noch die Zulassung neuen Saatguts, obwohl die Prüfungen beim
Bundessortenamt längst positiv abgeschlossen sind und
entsprechende Sorten in Spanien und Frankreich seit
Jahren kommerziell angebaut werden. Wohin man auch
schaut, wird Ihre Verhinderungstaktik deutlich.
Im zentralen Punkt der Haftungsregelungen hat Ministerin Künast in ihrer Sechs-Punkte-Erklärung zugesichert, sich für einen Haftungsfonds oder - man höre und
staune! - eine Versicherungslösung einzusetzen. Bisher
haben wir von Ihnen immer wieder die Auskunft erhalten, eine Versicherungslösung sei nicht möglich. Frau
Künast erklärt nun, sie wolle sich bei der Versicherungswirtschaft für eine Versicherungslösung einsetzen.
({12})
Wann beginnen Sie denn mit dem, was Sie angekündigt
haben?
({13})
Mein nächstes Beispiel ist bereits angesprochen worden. Hinsichtlich der Zukunftsorientierung wäre es von
Vorteil, wenn wir uns ein wenig am Nachbarland Holland ausrichten würden.
({14})
In Holland hat man - das ist ein hervorragendes Beispiel - alle Beteiligten, einschließlich der von Ihnen erwähnten Ökoverbände, an einen Tisch geholt und gemeinsam eine ebenso pragmatische wie einfache Lösung
gefunden. Durch pflanzenspezifische Festlegung von
Abstandsregeln, zu deren Einhaltung sich die Landwirte
verpflichten, hat man ein Problem einvernehmlich gelöst, das Sie hier in Deutschland zu dem bekannten und
von Ihnen verabschiedeten Gentechnikverhinderungsgesetz genutzt haben. Ich denke, Lösungen wie die in Holland sind viel zukunftsfähiger. Solche Überlegungen
sollten deshalb in einem Änderungsgesetz berücksichtigt
werden.
({15})
Das Zweite Gesetz zur Neuordnung des Gentechnikrechts bietet dafür die beste Gelegenheit.
Wie weit Sie sich inzwischen mit Ihrer Einstellung
von der Realität entfernt haben, zeigt ein Blick auf das
Bundeskabinett. So hat Wirtschaftsminister Clement vor
wenigen Wochen öffentlich erhebliche Vorbehalte gegen
das neue Gentechnikgesetz geäußert und mit Nachdruck
davor gewarnt, in der Grünen Gentechnik den Anschluss
zu verlieren. Wörtlich: „Eine Tabuisierung einzelner
Technologien können wir uns nicht leisten.“ Anschließend hat er ausdrücklich festgehalten, dass er mit Ministerin Künast in dieser Sache nicht übereinstimme.
Der Bundeskanzler selbst, Ihr Regierungschef, hat
kürzlich hier in Berlin festgestellt, dass es im deutschen
Parlament eine Zurückhaltung bezüglich aller Fragen der
Gentechnik und deren Entwicklung gibt. Daraus hat er
den Schluss gezogen, dass dies Deutschland auf den
Märkten der Welt schwäche sowie Forschung und Entwicklung in Deutschland nicht befördere. Volle Übereinstimmung, Herr Bundeskanzler! Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, es ist nun an Ihnen, den
Worten des Bundeskanzler zu folgen und die gesetzlichen Regelungen entsprechend zu ändern; denn das
Gentechnikgesetz ist eine Vorlage Ihrer Regierung und
deswegen von Ihnen neu zu fassen.
Bisher ist der von Ihnen vorgelegte Entwurf eines
Zweiten Gesetzes zur Neuordnung des Gentechnikrechts
nicht mehr als ein Placebo. Außer zwei kleinen Verfahrenserleichterungen - Frau Kollegin Drobinski-Weiß,
wir, die CDU/CSU, sind übrigens schon vor drei Jahren
initiativ geworden und haben diese Erleichterungen vorgeschlagen - ist nichts Positives festzustellen. Wir dürfen nicht länger zusehen, wie deutsche Spitzenforschung
an der Ignoranz einer Ministerin und ihrer Getreuen zerbricht. Wir dürfen Deutschland nicht vom Fortschritt abriegeln. Wir müssen dafür sorgen, dass das Zweite Gesetz zur Neuordnung des Gentechnikrechts so gefasst
wird, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in Europa auf dem wichtigen Feld dieser Zukunftstechnologie wettbewerbsfähig wird.
Schönen Dank.
({16})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem Zweiten Gesetz zur Neuordnung des
Gentechnikrechts, das als Entwurf vorliegt - dem muss
der Bundesrat zustimmen -, werden weitere wichtige
EU-Vorgaben umgesetzt: Vorgaben zur Unterrichtung
der Öffentlichkeit oder Vorschriften darüber, welche Angaben zur Risikobewertung oder zum Monitoringplan
ein Gentechnikbetreiber in seinem Zulassungsantrag machen muss. Ich hoffe, dass die Ergänzungen zum bisher
geltenden Gentechnikgesetz schnell verabschiedet werden.
Es ist zu betonen, dass das rot-grüne Gentechnikgesetz die Forschung unterstützt und gleichzeitig die Menschen vor gesundheits- oder umweltbezogenen Verstößen schützt, wie sie die Opposition quasi fordert.
({0})
Denn die CDU/CSU verlangt in ihrem Antrag - genauso
wie die FDP - von der Bundesregierung, die EU-Kommission zu überreden, dafür zu sorgen, dass Auskreuzungen aus Freisetzungsexperimenten keine Zulassung
mehr brauchen und so in den Verkehr gebracht werden
können, wohlgemerkt aus Experimenten, also Konstrukte, die sich noch in der wissenschaftlichen Entwicklung befinden.
Man stelle sich einmal Folgendes vor: Eine Forschungsanstalt betreibt einen Versuchsacker mit Pharmapflanzen und einige Gene wandern quasi auf das Nachbarfeld. Die CDU/CSU möchte nun das, was dort
gefunden wird, in die Babynahrung oder auf den Teller
bringen. Das ist doch unglaublich. Seit Jahren gibt es
EU-Gesetze, die genau das nicht zulassen. Das heißt, Sie
verlangen von der Ministerin einen regelrechten Verstoß
gegen geltendes Recht und gegen den gesunden Menschenverstand. Gott sei Dank würde die Ministerin so etwas niemals unterstützen, genauso wenig wie wir.
({1})
Diese absurde Forderung wurde aber auch von verschiedenen Forschungsgesellschaften vorgebracht. Wir
sind daher - ich denke, das betrifft nicht nur uns Grüne,
sondern auch die SPD-Fraktion - in langen Gesprächen
zum Beispiel mit Professor Winnacker jeden einzelnen
Paragraphen durchgegangen und haben sämtliche Vorwürfe der angeblichen Forschungsfeindlichkeit im Gentechnikgesetz widerlegt. Wenn diese Forderung nun
wiederholt wird, muss es sich um eine tendenziöse Beratungsresistenz handeln. Das hat mit dem Gesetz überhaupt nichts zu tun.
Keine Regelung im neuen Gentechnikgesetz behindert ein mit der üblichen Sorgfalt geplantes Forschungsvorhaben. Im Gegenteil: Der heute vorliegende
Gesetzentwurf sieht sogar Erleichterungen im Forschungsbereich vor, und zwar für die Forschung im
geschlossenen System, die wir im Übrigen klar unterstützen. Wenn bei Freilandversuchen die schon seit mehreren Jahren nach geltendem Recht vorgeschriebenen
Sicherheitsauflagen eingehalten werden, können Auskreuzungen auf benachbarte landwirtschaftlich genutzte
Felder vermieden werden. Die Wirtschaft hat immer gesagt, dass sie diese Auflagen einhalten könne. Ein Haftungsfall würde also gar nicht eintreten. Aber selbstverständlich kann Forschungsfreiheit nicht bedeuten, dass
Wissenschaftler die Freiheit haben, das Eigentum oder
die Gesundheit anderer zu beschädigen.
Die Haftungsregelungen in der bisher erfolgten Gesetzgebung sind daher keine unbillige Verschärfung anlässlich der Gentechnikgesetzgebung. Der verschuldensunabhängige Ansatz ist bereits im Nachbarschaftsrecht
verankert. Es handelt sich um nichts anderes als die Anwendung des Verursacherprinzips und des Prinzips,
dass jemand, wenn ihm durch die Tätigkeit eines anderen ein Schaden zugefügt wird, zu entschädigen ist.
Wenn Sie wollen, dass die große Mehrheit der Bauern
hier vom geltendem Recht ausgeschlossen wird, dann
sollten Sie das auch ganz deutlich sagen.
Die bisherigen Erfahrungen widersprechen im Übrigen all dem, was Herr Heiderich hier vollmundig vorgetragen hat. Es wird der Eindruck erweckt, im weltweiten
Agrogentechnikgeschäft gebe es nur eine kleine uneinsichtige Minderheit, die gegen den Durchmarsch der
Gentechnik in diesem Bereich eintritt,
({2})
was vollkommener Unsinn ist.
Rund 85 Prozent der Anbaufläche liegt in zwei Ländern und ein einziges US-amerikanisches Unternehmen,
nämlich Monsanto, verfügt über mehr als 90 Prozent
Marktanteil an den kommerziell angebauten gentechnisch veränderten Sorten. Das heißt umgekehrt, dass auf
über 95 Prozent der Anbaufläche keine gentechnisch
veränderten Pflanzen wachsen.
Was aber weltweit ansteigt, ist der Widerstand gegen
diese Technik und damit gegen die Großkonzerne, die
sich aggressiv über die Interessen der Landwirte und
Verbraucher hinwegsetzen wollen. Denn die Erfahrungen in der landwirtschaftlichen Praxis in den USA, aber
genauso in Argentinien - damit komme ich auf die
neuen Studien, Herr Heiderich; das werde ich Ihnen
nicht ersparen - belegen, dass sich die Versprechungen
in Bezug auf weniger Umweltgifte und höhere Erträge
nicht realisiert haben. Nach zahlreichen Studien in den
USA mussten bei GVO-Mais und GVO-Raps nicht etwa
weniger Pestizide, sondern im schlechtesten Fall mehr
Pestizide eingesetzt werden als bei konventionellen Sorten.
({3})
Höhere Erträge konnten langfristig im Schnitt mit keiner
der beschriebenen und von Ihnen immer angeführten
gentechnisch veränderten Pflanzen erreicht werden, und
das, obwohl dieses Saatgut deutlich teurer ist. Obendrein
hat Monsanto wegen Patentverletzungen mehr als
90 Klagen gegen Landwirte und kleine Wirtschaftsunternehmen erhoben.
({4})
- Ich lasse keine Zwischenfragen zu. Sonst bekommt
Herr Schmidt eine Krise.
Monsanto macht sich im Übrigen auch bei der Wirtschaft nicht beliebt. Investmentgruppen warnen schon,
Monsanto sei an der Börse zu hoch notiert. Die Begründung lautet, man betreibe eine Marktstrategie gegen die
Interessen der Verbraucher und mögliche Regressforderungen durch ungewollte Ereignisse gefährdeten das Unternehmen.
In Argentinien - um auch darauf zu sprechen zu kommen - ist der Einsatz von Totalherbiziden massiv angestiegen. Dasselbe gilt für den Einsatz von Stickstoffdünger. Probleme gibt es auch im sozialen Bereich. Der
„WWF-Bericht“ stellt fest:
Die Kombination aus ökonomischen Krisen und der
Vertreibung von kleinen Bauern und Landarbeitern
durch die zunehmende Mechanisierung des Sojaanbaus führte zu einem Verlust an Nahrungssouveränität und erhöhte Armut und Hunger.
Das sei noch als Reaktion auf Ihre Dauerbotschaft, mit
Gentechnik könne man den Hunger beseitigen, gesagt.
Ich komme zum Schluss. Wer wie die CDU, die CSU
und die FDP die weiträumige Verunreinigung von Flächen und Lebensmitteln durch gentechnisch veränderte
Pflanzen aktiv betreiben will
({5})
und den angemessenen Schutz, den wir verankern wollen, hintertreibt,
({6})
der handelt nicht nur gegen die Interessen der Verbraucher,
({7})
sondern behindert auch massiv die Wahlfreiheit. Das
nenne ich nach wie vor Freiheitsberaubung.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Christel
Happach-Kasan, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Höfken, ich glaube, Sie blenden die Wirklichkeit aus.
({0})
Wer Pollenflug als Verunreinigung bezeichnet, der weiß
nicht, was Natur ist.
Wir, die FDP, lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Wir
werden uns im Vermittlungsausschuss für eine grundlegende Änderung dieses Gesetzes wie auch des Ersten
Gentechnikgesetzes einsetzen. Ich will noch hinzufügen:
Das Wahlergebnis in Schleswig-Holstein vergrößert unsere Möglichkeiten. Ich bin da sehr zuversichtlich.
({1})
Wir wollen, dass gentechnische Forschung auch in
Deutschland weiterhin möglich ist. Wir wollen, dass
Professor Jung von der CAU in Kiel nicht der einzige
Leibniz-Preisträger bleibt, und wir wollen, dass seine
Ergebnisse auch in Deutschland genutzt werden können.
Wir wollen, dass auch in Deutschland Landwirte die
Möglichkeit erhalten, transgene Sorten zu nutzen, um
damit am Züchtungsfortschritt teilzuhaben. Ob sich
diese Sorten durchsetzen, entscheidet ihre Qualität, nicht
eine rot-grüne Regierung.
({2})
Die Züchtungsmethode „Grüne Gentechnik“ ist - das
merkt man ein bisschen - politisch noch immer heiß umstritten; in der Bevölkerung nimmt die Polarisierung jedoch ab. Anders kann man wohl nicht erklären, dass die
Bürgerinitiative für ein gentechnikfreies Schleswig-Holstein es nicht geschafft hat, die erforderlichen 20 000
Stimmen zu sammeln. Anders lässt sich wohl auch nicht
erklären, dass wir in Deutschland in diesem Jahr erstmals 1 000 Hektar Bt-Mais haben werden.
Das bedeutet, dass die gesamte politische Aufregung
über dieses Thema ihre Ursache allein in machtpolitischen Erwägungen hat.
({3})
Sie, die Grünen, können es sich nicht leisten, zuzugeben,
dass Ihnen Ihr Paradethema, der Kampf gegen die Züchtungsmethode „Grüne Gentechnik“, zwischen den Händen zerrinnt. Die vermeintlichen Argumente, die Sie
immer wieder anführen, fallen wie ein Kartenhaus zusammen:
Erstens: Ablehnung durch die Bevölkerung. Sie haben es aber nicht geschafft, in Schleswig-Holstein die
für eine Volksinitiative erforderlichen 20 000 Stimmen
zusammenzubekommen.
({4})
- Die Grünen gewinnen die Wahl mit Sicherheit nicht,
mein lieber Kollege.
Zweitens: Gesundheit. Selbst Verbraucherschutzministerin Renate Künast sieht keine Anhaltspunkte für
Gefährdungen.
Drittens: Ökologie. Seit 1987 wird in Deutschland
biologische Sicherheitsforschung betrieben. Es gibt
keine Ergebnisse, die gegen diese Züchtungsmethode
sprechen.
Viertens: Entwicklungspolitik. Frau Kollegin Höfken,
blenden Sie doch nicht die Ergebnisse aus: In China und
Indien ist Bt-Baumwolle ein Erfolgsprogramm.
({5})
Die Beurteilung dieser Ergebnisse durch die FAO besagt
ganz klar, dass die Kleinbauern in China und in Indien
dadurch einen entscheidenden Fortschritt gemacht haben.
({6})
- Stellen Sie eine Frage oder halten Sie den Mund!
({7})
Fünftens: Pflanzenschutzmitteleinsatz. Über den Erfolg neuer Sorten entscheidet der Geldbeutel: Neue Sorten setzen sich nur durch, wenn sie Vorteile gegenüber
älteren Sorten haben. Teure Sorten rentieren sich nur,
wenn die Erträge besonders hoch sind bzw. wenn der
Pflanzenschutzmitteleinsatz besonders niedrig ist. Es ist
eindeutig: Die Anbauflächen werden in jedem Jahr ausgeweitet.
Schließlich zu dem schönen Argument von der Macht
der Konzerne: Es ist doch völlig absurd, die Macht global wirkender Konzerne über die Ächtung einer Züchtungsmethode begrenzen zu wollen. Wo leben wir denn?
Das ist albern.
Frau Kollegin, es ist nun einmal so, dass die FDP drei
Minuten Redezeit hat. Ihre Redezeit ist überschritten.
({0})
Ich komme zum letzten Satz. - Gleichwohl setzt RotGrün mit der Vorlage des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Neuordnung des Gentechnikrechts seinen Weg
fort, heimische Betriebe daran zu hindern, die Vorteile
gentechnisch veränderter Sorten zu nutzen. Den minimalen Verfahrenserleichterungen stehen an anderer Stelle
erhöhte bürokratische Anforderungen gegenüber. Sie
sind nicht zu rechtfertigen. Wir lehnen das Gesetz ab.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/4834 und 15/4828 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 23. Februar 2005, 13 Uhr,
ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, aber
auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ebenso wie
den Besucherinnen und Besuchern auf den Tribünen ein
schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.