Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Aufbau eines Frühwarnsystems im Indischen Ozean.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Ulrich Kasparick.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Vorbereitungen zur Hilfe beim Aufbau eines
Frühwarnsystems im Indischen Ozean kommen in
Deutschland sehr zügig voran. Insofern kann ich Ihnen
heute positive Nachrichten übermitteln.
Wir haben am 18. Januar deutsche Hilfe angeboten.
Frau Bundesministerin Bulmahn hat den betroffenen
Ländern deutsche Hilfe signalisiert. Schon im Februar
haben sich deutsche und indonesische Experten getroffen, um miteinander die Chancen für eine schnelle Umsetzung zu beurteilen. Die Arbeitsgruppen haben ihre
Arbeit zügig aufgenommen. Dabei arbeiten wir in enger
Abstimmung mit der UNESCO, die die Federführung
für das Frühwarnsystem im Indischen Ozean übernommen hat, genauer gesagt: mit deren Internationalem
Ozeanzentrum, IOC.
Am Montag dieser Woche hat Frau Ministerin
Bulmahn in Jakarta eine Joint Declaration unterschrieben, mit der fest verabredet ist, welches die nächsten
Schritte sein werden. Unser Partnerland Indonesien ist
eines von zwei Ländern, die der Bundeskanzler vorgeschlagen hat. Indonesien ist deswegen von so großer Bedeutung, weil es in der geologisch kritischsten Zone
liegt: Der Tsunami ist dort entstanden. Deswegen wollen
wir mit dem Frühwarnsystem in dieser Region anfangen.
Ein zweiter Vorteil ist, dass wir seit 1979 sehr enge Forschungsbeziehungen mit Indonesien pflegen. Damit haben wir eine gute Vertrauensbasis, dank deren wir zügig
mit der gemeinsamen Arbeit beginnen können. Sie wissen alle, dass Vertrauen im internationalen Projektmanagement eine ganz wichtige Rolle spielt. Wenn man
sich gut kennt, kann man solche Projekte schnell angehen.
Der nächste Schritt wird sein, dass das deutsche Forschungsschiff „Sonne“ im Oktober dieses Jahres die ersten Bojen aussetzt. Wir wollen in den nächsten Tagen
mit dem federführenden Geoforschungszentrum Potsdam einen Letter of Intent verabreden, sodass die Aufträge ausgelöst werden können. Wir pflegen bei diesem
Projekt - das will ich an dieser Stelle auch erwähnen eine schnelle und unkomplizierte Zusammenarbeit mit
den anderen Ministerien. Die Atmosphäre war sehr
kooperativ, sodass wir auch die deutsche finanzielle
Hilfe sehr bald umsetzen können.
Ich will noch zwei Punkte ansprechen, die die nächsten Schritte betreffen. Unser Zeitplan ist jetzt sehr straff:
Der erste Schritt ist die Aussetzung der Bojen. Parallel
dazu wird eine zweite Projektphase starten, um die Informationen, die von den Bojen gesendet werden, der
Bevölkerung möglichst schnell zukommen zu lassen. Es
geht also darum, ein Kommunikationssystem an Land zu
errichten. Das geht einher mit dem, was die Fachleute
Capacity Building nennen, der Ausbildung von Fachpersonal, das in der Lage ist, mit dieser Technologie umzugehen.
Wir haben mittlerweile klare Signale aus Indien, aus
Pakistan, von den Malediven, von Malaysia und aus
Thailand, wo man ebenfalls Interesse an dem deutschen
System hat. Unser Bestreben ist es dabei, die internationale Einbindung dieses Frühwarnsystems sicherzustellen; Sie wissen, dass es auf der Welt mehrere Systeme
gibt. Wir wollen das deutsche Angebot so formulieren,
dass wir zu guten, kooperativen Beziehungen kommen.
Wir wollen uns sozusagen als deutscher Player aktiv am
internationalen Gespräch und auch an den Planungen der
EU bezüglich eines Frühwarnsystems beteiligen. Sie
wissen, dass es nicht nur in der indonesischen Region,
Redetext
sondern auch in anderen Regionen dieser Welt, nicht zuletzt in Europa, kritische Zonen gibt. Wenn wir dort mit
unserer Technologie helfen können, dann sind wir gut
aufgestellt.
Insgesamt kann Deutschland mit diesem Projekt zeigen, dass man durch Forschung und Innovation zu ganz
konkreten Anwendungen kommen und helfen kann. Wir
sind der Überzeugung - das merken wir auch an dem internationalen Echo -, dass wir Deutschland mit dem
Hilfsangebot gut aufgestellt haben und dass wir dort hilfreich sein können.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. - Zur ersten
Frage hat der Kollege Jörg Tauss das Wort.
Frau Präsidentin, ganz herzlichen Dank. - Herr
Staatssekretär, ich glaube, an dieser Stelle ist wirklich
einmal ein Kompliment zum einen an die deutsche Forschungsszene - speziell in Richtung Potsdam - und zum
anderen an die Ministerin angebracht, die hier sehr
schnell reagiert hat. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Signal sowohl für den Wissenschaftsstandort
Deutschland als auch für den Standort Deutschland insgesamt, nachdem hier immer wieder - leider auch gestern wieder aus berufenem Munde - Mittelmaß beklagt
wurde. Ich glaube, wir sollten in diesem Land sehr viel
mehr die Bereiche in den Mittelpunkt stellen, in denen
wir Spitzenforschung und Spitzenleistungen erbringen.
Herr Staatssekretär, bei meiner Frage geht es um die
internationale Kooperation. Unternehmen wir hier möglicherweise Alleingänge? Wie sieht die Kompatibilität
mit anderen Systemen aus, wie es sie beispielsweise im
Pazifischen Ozean bereits gibt? Hier zeigt sich ja eine
gewisse Stärke unseres Systems. Ich glaube, die Kompatibilität ist ein wichtiger Punkt. Mich würde daher interessieren, wie dieses Thema von Ihnen in den weiteren
Gesprächen behandelt wird.
Die deutsche Öffentlichkeit hat bereits bei der ersten
Konferenz im Januar wahrgenommen, dass es einen gewissen Wettbewerb der Anbietersysteme gab. Insbesondere aus den Vereinigten Staaten gab es klare Signale.
Wir haben aus deutscher Sicht immer großen Wert
darauf gelegt, dass wir ein kooperatives Angebot unterbreiten, das durch das ergänzt werden kann, was andere
Systeme leisten. Wir glauben nämlich, dass man bei der
Herausforderung, um die es geht, nämlich die Entwicklung eines schnellen, präzisen und den Menschen helfenden Frühwarnsystems, die weltweit vorhandenen Möglichkeiten so verbinden muss, dass man das höchste Ziel
erreicht.
Wir sind allerdings der Auffassung, dass das deutsche
System zu den besten gehört, die man derzeit auf der
Welt kaufen kann. Deswegen erfüllt es uns mit einem
gewissen Stolz, dass wir Deutschen den Auftrag erhalten
haben, das System aufzubauen.
Die nächste Frage hat der Kollege Helge Braun.
Herr Staatssekretär, wer haftet für Schadenersatzansprüche, falls das Tsunami-Frühwarnsystem ein solches Ereignis aufgrund eines Fehlers nicht erkennt?
Ich bitte Sie, mir zu erklären, welche Schadenersatzansprüche wem gegenüber Sie genau meinen.
Jedes technische System kann fehlerhaft sein. Für den
Fall, dass ein von Deutschland gestelltes und, wie ich der
Presse bisher entnommen habe, auch finanziertes Frühwarnsystem fehlerhaft ist und deshalb einen Tsunami
nicht erkennt, könnte es ja zu Schadenersatzansprüchen
kommen. Daher lautet meine Frage, wie die Vertragsgestaltung aussieht. Inwieweit könnten Schadenersatzansprüche gegen die beteiligte deutsche Industrie, die
deutsche Bundesregierung oder andere Institutionen erhoben werden?
Mir ist nichts davon bekannt, dass aus einem fehlerhaft funktionierenden Frühwarnsystem Schadenersatzansprüche gegenüber dem Industriekonsortium, das eine
solche Technologie zur Verfügung stellt, abgeleitet werden könnten.
Es gibt also keine Produkthaftung?
Davon gehe ich aus.
Frau Kollegin Reiche, bitte.
Herr Staatssekretär, die Kosten dieses Frühwarnsystems werden mit 45 Millionen Euro veranschlagt. Meine
Frage lautet: In welchem Einzelplan des Haushalts werden Sie das Ganze etatisieren und hat die Bundesregierung dies als echten Aufwuchs des Forschungshaushalts
geplant oder wo muss gegebenenfalls dafür gestrichen
werden?
Frau Abgeordnete Reiche, Sie wissen, dass die Bundesregierung für Deutschland erklärt hat, dass wir den
Flutopfern mit 500 Millionen Euro helfen wollen. Aus
diesem Topf finanzieren wir den Aufbau des Frühwarnsystems. Das BMBF geht zurzeit mit dem Einzelplan 30
des Haushalts in Vorlage, damit wir das zügig finanzieren können. Das Endkonzept, wie wir die 500 Millionen
Euro finanzieren, wird etwa im April vorliegen.
Frau Kollegin Berg, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben das TsunamiFrühwarnsystem umschrieben, das Deutschland angeboten hat. Es gibt schon ein pazifisches Early Warning System. Können Sie kurz beschreiben, welches die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem pazifischen
System sind?
Die Stärke des deutschen Systems besteht darin, dass
es am schnellsten ist. Das System kann mehrere Ereignisse messen, zum Beispiel Seebeben und Vulkanausbrüche. Es kann überall eingesetzt werden, wo Tsunamis
entstehen können. Wir können die Bevölkerung innerhalb von zwei Minuten benachrichtigen. Das Tempo unseres Systems ist der entscheidende Vorteil gegenüber
anderen Systemen. Das ist bei den Überlebensfragen,
mit denen wir es dort zu tun haben, die entscheidende
Größe.
Frau Kollegin Pieper, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie wissen, dass die FDP-Bundestagsfraktion die Initiative der Bundesregierung mit
einem eigenen Antrag unterstützt hat. Wir begrüßen es
natürlich, dass die Initiative erfolgreich war. Wir hatten
in unserem Antrag darauf hingewiesen, dass auch die
Bundesregierung ein Interesse daran haben müsste, das
Tsunami-Frühwarnsystem in das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm zu implementieren. Gibt es Initiativen
der Bundesregierung in diese Richtung? Wird dies beim
7. EU-Forschungsrahmenprogramm ein Thema sein?
Der zweite Bereich bezieht sich auf Capacity Building bzw. die Fachkräfteausbildung. Es ist uns beim Besuch des Forschungsausschusses in Indonesien von den
Wissenschaftlern und den politisch Verantwortlichen vor
Ort immer wieder vorgetragen worden, wie wichtig es
neben der Bereitstellung der Technologie ist, diejenigen
auszubilden, die damit umgehen. Wie spielt sich das ab?
Wer finanziert das? Wie ist Deutschland daran beteiligt?
Läuft das über das Forschungsministerium und wie ist
das abgestimmt? Wie ist die Größenordnung? Gibt es
eine bestimmte Anzahl von Personen, die ausgebildet
und mit dem Frühwarnsystem vertraut gemacht werden
sollen?
Zu Ihrer ersten Frage im Zusammenhang mit dem
7. EU-Forschungsrahmenprogramm: Mir sind keine Bemühungen bekannt, das Projekt eines Frühwarnsystems
im europäischen Rahmenprogramm zu verankern, weil
wir uns schon in der Anwendung befinden. Es gibt im
europäischen Rahmen Bestrebungen, ein Frühwarnsystem aufzubauen. Unser nationales Interesse ist, das, was
wir mittlerweile sowohl in der Forschung als auch in der
Anwendung an Know-how haben, in diese Prozesse einzubringen, weil wir glauben, hier auch technologisch einen Beitrag leisten zu können.
Zum Thema Capacity Building: Man muss sich den
Prozess so vorstellen, dass sich die Anwender aus den
Forschungszentren, die sich am besten mit dem Umgang
mit der GPS-Technologie, der Leistung der Bojen und
der weiteren Vermittlung über die Satelliten auskennen,
zunächst mit einer sehr begrenzten Zahl von Fachleuten
aus den Anwenderländern zusammentun, um schon
beim Aufbau des Systems den Lernprozess zu organisieren.
Sehr spannend wird die zweite Phase sein, die parallel
läuft und in der sichergestellt wird, dass die Informationen, die über das System ermittelt werden, die Bevölkerung auch tatsächlich erreichen. Hier sind unterschiedliche Modelle in der Diskussion. Eine Möglichkeit ist
beispielsweise, die Informationen über SMS - Sie wissen, dass alle Hotels und Orte in der Region mittlerweile
über SMS erreichbar sind - möglichst zeitnah weiterzuleiten. Daran wird zurzeit gearbeitet. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir mit dem, was die mobile Telekommunikationstechnologie ermöglicht, zu guten Lösungen
kommen.
Herr Kollege Schirmbeck, bitte.
Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär, ich hatte vor
14 Tagen Gelegenheit, mir südlich von Chennai, in
Madras, Katastrophengebiete in Indien anzusehen. Ich
habe große Zweifel, dass man das Problem angesichts
der Lebensverhältnisse der Menschen vor Ort nur mit
Technik in den Griff bekommt. Ich könnte mir vorstellen, dass bestimmte Meldungen Panik verursachen, was
zu erheblichen Opfern in der Bevölkerung führen wird.
Ich bin schon dafür, dass alle technischen Möglichkeiten eingesetzt werden, die uns zur Verfügung stehen.
Aber müssen wir der Bevölkerung nicht auch sagen,
dass es bei allen technischen Entwicklungen, die es
heute schon gibt und die noch denkbar sind, immer wieder Naturkatastrophen geben wird, angesichts deren der
Mensch machtlos ist? In Indien haben mir dazu Gesprächspartner gesagt, es gebe nun einmal so etwas wie
Schicksal.
Ich stimme Ihnen zu, dass ein technisches System Katastrophen nicht verhindern kann. Das, was ein Frühwarnsystem leisten kann, ist, die Schäden, die solch eine
gewaltige Naturkatastrophe auslöst, zu minimieren. Das
ist das Ziel eines Frühwarnsystems. Ich glaube, es gehört
bei aller technologischen Entwicklung zur Bescheidenheit, dass man das so sagt. Wir können einen Beitrag
dazu leisten, die Schäden zu minimieren, wir können
aber die Katastrophe selber dadurch nicht unmöglich
machen.
Sie wissen, dass auch die Vorhersage geologischer Ereignisse eine schwierige Sache ist, an der die geologische Forschung schon sehr lange arbeitet. Interessant ist
in diesem Zusammenhang, dass es im Rahmen der Auswertung der Ereignisse, die stattgefunden haben, Untersuchungen in einem ganz anderen Bereich gibt. Sie wissen, dass es Eingeborenenstämme in der Region gibt, die
schon reagiert haben, bevor das Wasser aus dem Meer
auf sie zukam. Es gibt zurzeit Untersuchungen, um herauszufinden, wie die Menschen das wahrgenommen haben und ob es Erfahrungen gibt, von denen wir Westeuropäer möglicherweise noch lernen können.
Es ist wichtig, dass wir bei dem Aufbau eines solchen
Systems nicht nur mit dem Anspruch auftreten, den
Menschen zu zeigen, wie es geht, sondern dass wir uns
auch auf einen Lernprozess einlassen und sehen, was an
Erfahrung und Know-how in der Region vorhanden ist,
wovon unsere Systeme profitieren können.
Frau Kollegin Dominke, bitte.
Herr Staatssekretär, nach dem Stufenplan des BMBF
und des GFZ soll eine Stufe II, nämlich der von Ihnen
angesprochene Bau und Betrieb eines Satellitensystems,
gleichzeitig mit Stufe I gestartet werden. Gibt es bereits
Verhandlungen mit europäischen und/oder internationalen Partnern, in welchem Stadium sind diese, wenn es sie
gibt, und welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang
die Förderung und auch die Entwicklung des europäischen Satellitensystems Galileo?
Frau Abgeordnete, wenn Sie mit Professor Emmermann
vom Geoforschungszentrum Potsdam sprechen und er Ihnen das bestehende Forschungssystem des GFZ beschreibt, dann sehen Sie, dass die Wissenschaft selber
schon ein satellitengestütztes System nutzt. Das, worum
es jetzt geht, ist, das System auf die Region, in der wir
nicht stark genug vertreten sind, zu erweitern. Die Satellitenkapazitäten sind vorhanden. Es geht darum, über die
Sendestationen, nämlich über das Ausbringen von Bojen,
zusätzliche Sendeimpulse zu bekommen. Insofern gehe
ich davon aus, dass wir das, was an Satellitenkapazitäten
vorhanden ist, in der ersten Phase nutzen können. Somit
ist das keine Extraanstrengung.
Darüber, wie sich das zu dem europäischen und dem
globalen Sicherheitsnetz, das wir brauchen, verhält,
muss man diskutieren. Man muss über die Erweiterung
von Satellitenkapazitäten sprechen. In dieser Phase sind
wir aber im Moment noch nicht.
Herr Kollege Schulz, bitte.
Herr Staatssekretär, Deutschland ist ein Land, das
glücklicherweise keine Tsunami-Erfahrung hat. Insofern
erscheint es erst einmal überraschend, dass gerade
Deutschland in diesem Bereich so gut helfen kann. Können Sie darstellen, woher die Exzellenz Deutschlands in
diesem Bereich stammt?
Man muss sich ansehen, was die Großforschungszentren des Bundes in Deutschland leisten. Wir haben es
hier mit dem Phänomen zu tun, dass es über Jahrzehnte
eine exzellente Grundlagenforschung gab, die sich mit
dem gesamten System Erde beschäftigt hat. Das wurde
im Wesentlichen im Geoforschungszentrum Potsdam
koordiniert.
In Potsdam laufen jetzt schon Informationen aus der
ganzen Welt zusammen. Wer das Institut in Potsdam besucht, der sieht dort Messgeräte, die so sensibel und
empfindlich sind, dass man damit sogar die Brandung
der Nordsee, die bei Hamburg anläuft, in Potsdam messen kann. Dort stehen die sensibelsten Messgeräte der
Welt. Man hat jetzt schon ein Informationssystem, in
dem alle Daten aus der Welt zusammenlaufen, was aber
in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit nie wahrgenommen worden ist.
Jetzt ist eine große Naturkatastrophe eingetreten und
es stellte sich die Frage, wer am schnellsten in der Lage
ist, ein Warnsystem aufzubauen. Die Wissenschaft sagte
uns, dass sie bereits ein Messsystem benutzt, das weltweit in der Lage ist, Daten zu erfassen. Wenn das ausgebaut und erweitert werde, dann könne der nächste Schritt
zur Anwendung erfolgen.
Man kann an diesem Beispiel sehen, dass es sich
lohnt, in eine exzellente Grundlagenforschung zu investieren, weil man dann in der Lage ist, gesamtsystemische
Lösungen anzubieten, wie wir es im Moment machen
können.
Herr Kollege Braun.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass sich
das System schon weitgehend in der Anwendung befindet. Deshalb frage ich Sie: Wie viele von den Bojen, die
ab Oktober im Indischen Ozean zum Einsatz gebracht
werden sollen, befinden sich bereits im Routinebetrieb?
Ist auch die Analyse der Daten im Hinblick auf die Entwicklung von Tsunamis bereits Routine?
Nein. In der von Ihnen genannten Region werden
neue Bojen ausgebracht. Ich habe vorhin schon erwähnt,
dass wir unter einem enormen Zeitdruck stehen. Die Planung sieht vor, dass das Forschungsschiff „Sonne“ die
neuen Bojen ausbringt, wenn es in diese Region fährt;
dies ist für den Oktober dieses Jahres geplant. Wir geraParl. Staatssekretär Ulrich Kasparick
ten unter einen enormen Zeitdruck, weil die Bojen noch
produziert werden müssen. Wir können aber auf Erfahrungen mit dem Bau solcher Bojen zurückgreifen, weil
sie bereits im Rahmen des Messsystems des Geoforschungszentrums benutzt werden. Insofern befinden wir
uns in dieser Hinsicht in einem Lernprozess. Auch das
Geoforschungszentrum Potsdam lernt in diesem Prozess
dazu, weil wir es mit neuen Regionen zu tun haben und
die Datenmenge zunimmt.
Wir sind aber zuversichtlich - das bestätigen uns die
Wissenschaftler anhand der Messbojen, die bereits im
Einsatz sind -, dass die Bojen zuverlässig in das System
implementiert werden können.
({0})
- Nein.
Der Kollege Tauss stellt die nächste Frage.
Ich weiß nicht, warum sich der Kollege immer freut,
wenn etwas nicht klappt, und er das dann immer so bombastisch aufbauscht.
({0})
Aber das unterscheidet die Opposition vielleicht von
uns.
Herr Staatssekretär Kasparick, Sie haben vorhin Indonesien angesprochen. Ich glaube, die Bedeutung dieses
Landes bzw. dieser Region ist unbestritten. Die historische Kooperation im Bereich Wissenschaft hat Tradition
und ist, glaube ich, auch sinnvoll.
Sie haben aber vorhin in einem Nebensatz auch die
Anrainergemeinschaft erwähnt. Sie haben Indien und die
verheerenden Auswirkungen auch auf Sri Lanka etc. angesprochen. Ich glaube, darauf müssen wir an dieser
Stelle nicht näher eingehen. In welcher Form sind die
Kooperation und die Einbindung der Anrainerstaaten in
organisatorischer und politischer Hinsicht vorgesehen?
Schließlich sollte der Eindruck vermieden werden, man
wolle „nur“ etwas für Indonesien tun. Finden demnächst
weitere Gespräche statt? Welche Organisationen stehen
im Mittelpunkt?
Wir haben als nationales Angebot zunächst die Konzentration auf zwei Staaten vorgesehen, nämlich Indonesien und Sri Lanka. Diese Länder bilden sozusagen den
Schwerpunkt.
Wir beginnen mit Indonesien, weil wir seit 1979 sehr
intensive Beziehungen zu diesem Land unterhalten - ich
habe das bereits erwähnt - und ein sehr gutes Vertrauensverhältnis entstanden ist. In einem zweiten Schritt
wird Sri Lanka folgen. Unter Abwägung der Mittel und
Kapazitäten, über die ein Staat in einem solchen Prozess
verfügt, ist die Entscheidung zu treffen, was im nationalen Alleingang zusätzlich geleistet werden kann. Was
wir beitragen können, sind die sehr guten Kooperationen, die wir auch mit anderen Universitäten pflegen.
Wichtig ist dann aber die Rolle des Internationalen
Ozeanzentrums, auch der UNESCO. Ich glaube, wir
müssen auch eine europäische Position dazu formulieren, wie wir in der Region Hilfe leisten wollen. Ich
denke, dass die weitere Zusammenarbeit mit zusätzlichen Staaten nicht mehr allein eine nationale Aufgabe
Deutschlands ist; wir brauchen dazu weitere Verbündete.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn es zu einem guten gemeinsamen europäischen Angebot käme.
({0})
- Zurzeit noch nicht. Wir beschäftigen uns zunächst einmal mit den konkreten Schritten, die wir leisten können,
nämlich der Konzentration auf Indonesien und dann
auch auf Sri Lanka.
Kollegin Uschi Eid, bitte.
Herr Staatssekretär, meine Frage geht in dieselbe
Richtung wie die eben schon gestellte Frage. Besteht
- falls noch nicht geschehen - in Ihrem Hause Bereitschaft, darüber nachzudenken, wie eventuell die ostafrikanische Küste mit einbezogen werden kann? Denn auch
Somalia, Tansania und Kenia waren betroffen. Wir haben davon aber sehr wenig erfahren; denn dadurch, dass
die Anrainerstaaten schon von den Seychellen aus informiert worden waren, konnten die Menschen gewarnt und
die Strände geschlossen werden. Trotzdem frage ich Sie:
Sind Sie bereit, auch in diese Richtung Überlegungen
anzustellen?
Eine solche Frage kann prinzipiell bejaht werden;
denn im Kern geht es um die Frage, wie wir zu einem
globalen Warnsystem kommen. Zurzeit haben wir den
Fokus auf eine besonders gefährdete Region gerichtet.
Weil die Gefahr, dass es zu neuen Beben kommt, in dieser Region besonders groß ist, wird zunächst dort begonnen, das System zu implantieren. Von dort ausgehend
muss im Gespräch auf europäischer, dann aber auch auf
internationaler Ebene geprüft werden, wie die Warnsysteme, die weltweit bereits vorhanden sind, zu einem globalen Netz verbunden werden können. Das muss das
Ziel sein; denn alles andere, also der Ausschluss bestimmter Regionen, würde keinen Sinn machen.
Herr Kollege Brähmig, bitte.
Herr Staatssekretär, gibt es seitens der Bundesregierung Überlegungen, gemeinsam mit der deutschen Tourismusbranche deutsche Touristen, die in die betroffenen
Länder fahren, auf konventionelle Weise mit Informationen über die Naturerscheinungen zu bedenken - es ist
offensichtlich, dass mancher, wenn die eine oder andere
Information vorhanden gewesen wäre, nicht zu Tode gekommen wäre -, etwa durch das Auslegen von Informationsblättern bei den Fluglinien und in den Hotels in den
entsprechenden Zielländern?
Ich denke, es muss im Interesse der Tourismuswirtschaft liegen, die Kunden über die Gefahren und Risiken
einer Region zu informieren, für die man Reisen anbietet. Ich bin guten Mutes, dass das nach den Ereignissen,
die wir leider erleben mussten, passieren wird. Es gibt ja
nicht nur die Möglichkeit, den Kunden während des
Flugs darüber zu informieren, welche Risiken er eingeht.
Man kann vielmehr schon im Vorfeld informieren und
aufklären. Es gehört im Übrigen auch zum Verbraucherschutz, die Kunden rechtzeitig darüber zu informieren,
dass sie in eine Region fahren, in der es, wie man erlebt
hat, bestimmte geologische Gefährdungen gibt, auf die
man sich folgendermaßen einstellen kann. Ich sehe das
allerdings nicht als eine prioritäre Aufgabe der Bundesregierung an. Ich glaube vielmehr, dass die Tourismusbranche selbst über entsprechende Möglichkeiten verfügt.
Frau Kollegin Dominke, bitte.
Herr Staatssekretär, der indonesische Wissenschaftsminister hat vor wenigen Tagen in einem Interview darauf hingewiesen, dass Indonesien nicht nur mit
Deutschland, sondern auch unter anderem mit den USA
und Frankreich kooperiere, wenn es um die anderen
Küsten, als nicht um die Westküste bzw. einen Teil der
Südküste, gehe. Was unternimmt die Bundesregierung,
um neben dem marinen Frühwarnsystem etwa auf eine
einheitliche Geodateninfrastruktur im Landesinneren
hinzuwirken und die Frühwarnsysteme der anderen Staaten einzubinden, damit eine rechtzeitige Warnung der
Menschen im Landesinneren - das wurde schon angesprochen - sichergestellt wird?
Sie sprechen damit einen ganz wichtigen Punkt an,
nämlich das Zusammenspiel zwischen der Ermittlung
von maritimen Informationen über Satelliten und der Informationsvermittlung an Land. Dort hat man es mit verschiedenen Systemen zu tun. Wir versuchen, zielgerichtet vorzugehen, indem wir klare Prioritäten setzen. Die
erste Priorität haben die Bojen; diese müssen im Oktober
dieses Jahres ins Wasser. Parallel dazu erfolgt Capacity
Building, also die Ausbildung von Menschen, die mit
den Systemen umgehen können. Wenn wir es schaffen,
wollen wir gleichzeitig die Systeme an Land einbinden.
Das ist eine ganz wichtige Projektphase. Das ist aber nur
in Zusammenarbeit mit den Fachleuten möglich, die bereits bestehende Systeme betreiben. Man muss vor Ort
konkret entscheiden, wie man das technologisch lösen
kann.
Herr Kollege Tauss.
Frau Kollegin Dominke, ich habe gerade ein bisschen
gegrinst; denn mir ist eingefallen, dass unsere 16 begnadeten Bundesländer, die heute hier leider nicht vertreten
sind, keine einheitliche Geodateninfrastruktur hinbekommen haben. Vielleicht können wir auf Bundesebene
- das BMI unternimmt ja einige Bemühungen - einen
Schritt vorankommen.
Herr Staatssekretär, vorhin habe ich einen Punkt vergessen, was den Bereich Forschung und Wissenschaft
angeht. Wir haben verschiedene Forschungsschwerpunkte im Bereich Erdmanagement. Es gibt das Geotechnologieprogramm der Bundesregierung. Hier hat
sich einiges getan und ist in Vorbereitung. Meine Frage
ist: Gibt es aufgrund der Erfahrungen im Zusammenhang mit Tsunamis und der bei der Umsetzung gewonnenen Erkenntnisse Überlegungen, dieses Programm möglicherweise in seinen Zielsetzungen zu verändern bzw.
zu erweitern, oder können wir, nachdem wir die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit vorher bereits hinreichend
gewürdigt haben, auf dem eingeschlagenen Weg weitergehen, weil er erfolgreich ist? Mich interessieren insbesondere eventuell veränderte, neue Schwerpunktsetzungen.
Das ist ein Punkt, der von zentraler Bedeutung ist.
Wir haben an den Ereignissen in Indonesien gesehen,
dass wir noch viel zu wenig von dem verstehen, was
man das „System Erde“ nennt. Wir haben Erkenntnisse
aus Einzeldisziplinen, aus der Meereswissenschaft, aus
der Geologie, aus der Atmosphärenforschung und aus
anderen Forschungsteilbereichen. Wir, das BMBF, sind
zurzeit dabei, diese Einzeldisziplinen mit einem neuen
Forschungsprogramm - der Name dieses Programms ist
dementsprechend - zu einer Erdsystemforschung zusammenzuführen. Wir wollen das System Erde verstehen.
Das ist eine hochkomplexe Aufgabe, die nicht zuletzt
enorme Rechnerleistungen erfordert, weil die Datenmengen, mit denen man umgehen muss, wirklich gewaltige Dimensionen haben. Die Vertreter der einzelnen
Fachbereiche - Antarktisforscher, Geologen oder Seismologen - sagen: Wir sind jetzt so weit, dass wir die
Disziplinen wirklich zu einer systemischen Forschung
zusammenführen können. Diese Ansätze wollen wir
vom BMBF fördern; denn wir erhoffen uns vom Zusammenwirken der Disziplinen ganz neue Erkenntnisse.
Ende des vergangenen Jahres haben wir hier in Berlin
das neue Programm vorgestellt. Auch in der Industrie
gibt es ein sehr großes Interesse, sich daran zu beteiligen. Nicht zuletzt die Ereignisse in Indonesien zeigen,
dass es zwingend notwendig ist, die Fachdisziplinen
durch gemeinsame Forschungsanstrengungen zusammenzuführen.
Frau Kollegin Reiche, bitte.
Herr Staatssekretär, gehört es auch zu den vorausschauenden Aktivitäten der Bundesregierung, dass sie
die Fördermittel für Projekte über das System Erde von
2004 auf 2005 um rund 5 Prozent gekürzt hat?
Auf meine Frage nach der Finanzierung des TsunamiFrühwarnsystems sagten Sie, Sie gingen in Vorleistung.
Was heißt das für diesen Haushalt und was heißt das für
den kommenden Haushalt?
({0})
Frau Reiche, ich wiederhole, was ich Ihnen schon
vorhin gesagt habe: Deutschland bietet - über diese
Position gab es hier im Parlament keine große Kontroverse - 500 Millionen Euro, weil wir helfen wollen und
helfen können. Das Gesamtvolumen des Bundeshaushaltes ist sehr groß. Wenn Sie sich einmal den Anteil dieser
500 Millionen Euro am Gesamtvolumen anschauen,
dann stellen Sie fest, dass das eine angemessene Größe
ist. Der Beitrag des Forschungsministeriums wird aus
diesem Topf finanziert.
Die Geosystemforschung ist ein wichtiger Punkt.
Man kann an die Sache herangehen, indem man in Bezug auf einzelne Titel fragt: Wie fördert ihr bestimmte
Projekte? Man muss verstehen, dass Systemforschung
ganz anders betrieben wird. Wir erhoffen uns von der
Zusammenführung einzelner Forschungsbereiche
Synergien, die es uns erlauben, mit den uns anvertrauten
Steuermitteln noch effizienter umzugehen.
Das ist zwingend erforderlich. Allein mehr Geld ins
System zu stecken - diese Forderung gibt es - ist nicht
zielführend. Wir, das Forschungsministerium, sagen:
Wir brauchen sowohl mehr Geld für die Forschung als
auch mehr Forschung fürs Geld. Deswegen ist die neue
Konstruktion eines solchen Rahmenprogramms mit der
begründeten Hoffnung verknüpft, dass wir mit den zur
Verfügung gestellten Mitteln noch effizienter umgehen
können.
Herr Schirmbeck, bitte.
Herr Staatssekretär, haben wir Sie richtig verstanden,
dass es die 500 Millionen Euro, von denen die Rede war
- Ihrer Auffassung nach ist das keine große Sache -,
„über den Durst“ gibt, dass dadurch also andere Projekte
der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Entwicklungshilfe nicht beeinträchtigt werden?
({0})
Wir gehen davon aus, dass Deutschland die finanzielle Kraft hat, die zugesagten 500 Millionen Euro aufzubringen.
Mir liegen zu diesem Themenbereich keine weiteren
Fragen vor.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen
Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall. Dann beende
ich die Behandlung der Themenbereiche der heutigen
Kabinettssitzung.
Gibt es darüber hinaus Fragen an die Bundesregierung? - Das ist ebenfalls nicht der Fall. Dann beende ich
die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/5070 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf.
Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Hannelore Roedel
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf.
Die Frage 3 des Kollegen Michael Kretschmer wird
ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf.
Die Frage 4 des Kollegen Hartwig Fischer ({0}) wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Alfred
Hartenbach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Vera Lengsfeld auf:
Wie bewertet die Bundesregierung strafrechtlich die nach
Einschätzung der Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der
DDR in Bonn „vertrauliche Information von K. D. Voigt“,
insbesondere unter dem Aspekt, dass Karsten Voigt sich bewusst gewesen sei, dass „ihm die Information zugespielt“
worden sei und er diese vertraulich in der Absicht der Erhaltung der „sicherheitspolitischen Zusammenarbeit von SED
und SPD“ mitteile?
Ich bin etwas verwirrt, Frau Präsidentin, weil mir eine
Frage 12 vorliegt.
Entschuldigung, es ist die Frage 5 der Kollegin Vera
Lengsfeld.
Frau Lengsfeld, man hat mir eine falsche Bezifferung
aufgeschrieben. Ich entschuldige mich ausdrücklich.
Frau Kollegin Lengsfeld, die Antwort auf Ihre Frage
nach den so genannten vertraulichen Informationen von
Herrn Voigt lautet: Der Bundesregierung liegen keine
Hinweise darauf vor, dass der im Magazin „Focus“ - Telefoniert Ihr Kollege gerade mit der Stasi?
({0})
- Gut; man weiß ja nie. Herr Nooke, ich finde Ihr Verhalten nicht besonders höflich. Wenn ich Frau Lengsfeld
antworten will, möchte ich, dass sie sich auf meine Antwort konzentrieren kann. Verstanden? - Gut.
Ich wiederhole: Der Bundesregierung liegen keine
Hinweise darauf vor, dass der im Magazin „Focus“ veröffentlichte Vermerk eines Mitarbeiters der Ständigen
Vertretung der DDR in Bonn vom 8. Juli 1988, der Ihrer
Frage zugrunde liegt, inhaltlich zutreffend ist. Zu hypothetischen Sachverhalten nimmt die Bundesregierung
grundsätzlich nicht Stellung.
({1})
Frau Lengsfeld, Ihre Zusatzfragen.
Verstehe ich Sie richtig, dass die Bundesregierung
auch keine Erkenntnisse darüber hat, wer Herrn Voigt
diese vertraulichen Informationen zugespielt hat?
Frau Kollegin, ich glaube, ich habe gerade deutlich
gemacht, dass wir zu Spekulationen keine Äußerungen
abgeben. Der Bundesregierung liegen allerdings durchaus Erkenntnisse vor, dass diejenigen, die in den damaligen DDR-Ministerien und -Behörden gearbeitet haben
und Außenkontakte hatten, nicht unbedingt zu den Jüngern der klaren Wahrheit gehört haben.
({0})
Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.
Betrachtet die Bundesregierung denn den Vorgang als
gravierend genug, dass sie bereit ist, Spekulationen auszuräumen, dieser Sache auf den Grund zu gehen und die
Wahrheit herauszufinden?
Die Bundesregierung sieht hier keinen Vorgang. Ein
solcher Zeitungsbericht - auch wenn er in einem seriösen Magazin steht - kann, solange er nicht in irgendeiner
Form durch harte Fakten untermauert ist, keinen Anlass
dazu geben, auch nur annähernd in Überprüfungen irgendwelcher Art einzutreten.
({0})
Herr Kollege Gewalt, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, dass
die Staatsanwaltschaft, die polizeilichen Ermittlungsbehörden durchaus in einer Vielzahl von Fällen Zeitungsberichte zum Anlass nehmen, um Ermittlungen aufzunehmen?
Herr Gewalt, Sie als Jurist haben manchmal eine erstaunliche Art, Fragen zu stellen. Es gibt sicherlich Hinweise, aber das reicht keiner Staatsanwaltschaft. Ich war
zwölf Jahre lang Staatsanwalt. Ich habe nicht allein aufgrund eines Hinweises in einer Zeitung ein Ermittlungsverfahren aufgenommen. Dafür musste es schon kräftige
Unterfütterungen geben. Mir sind solche Verfahren nicht
bekannt, in denen Staatsanwälte mit den Freiheitsrechten
anderer Menschen so leichtfertig umgehen, wie Sie das
hier behaupten.
Herr Kollege, Sie haben keine weitere Zusatzfrage
mehr. - Herr Kollege Kauder, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich annehmen, dass Sie sich
auf der Gewissheit ausruhen, dass ein Ermittlungsverfahren wohl deshalb nicht mehr möglich ist, weil die
Straftat verjährt sein könnte? Hat man wenigstens das im
Ministerium geprüft? Sieht man nicht dann, wenn strafrechtliche Verjährung eingetreten ist, erst recht von
Amts wegen Anlass, in der Behörde zu ermitteln?
Ich gehe davon aus, Herr Kollege Kauder, dass Sie
auf diesen im „Focus“ erschienenen und bereits, ich
glaube, im „Spiegel“ 1992 erstmals erwähnten Bericht
über angebliche Informationen von Herrn Karsten Voigt
Bezug nehmen. Wenn das so ist, dann darf ich Ihnen sagen, dass das Bundesministerium der Justiz keine Prüfbehörde für Fragen strafrechtlicher Relevanz ist.
Herr Kollege Vaatz, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihren Ausführungen
schließen, dass die Bundesregierung prinzipiell Hinweise aus nachgelassenen Akten des Ministeriums für
Staatssicherheit oder von Staatsorganen der DDR, die
auf strafrechtliches oder möglicherweise strafrechtliches
Verhalten schließen lassen, als hypothetisch, irrelevant
und keine Indizien beinhaltend betrachtet?
Herr Vaatz, Sie interpretieren in meine Antwort etwas
hinein, was ich in den Antworten zu den vorangegangenen Fragen nie gesagt habe.
({0})
Die Bundesregierung nimmt ihre Verantwortung gegenüber den Rechten ihrer Bürgerinnen und Bürger sehr
ernst. Die Bundesregierung ist aber nicht gehalten, jedem abstrusen Vermerk nachzugehen.
Herr Kollege Klose, bitte.
Herr Staatssekretär, da, wie Sie eben erwähnt haben,
dieser Vermerk spätestens seit Sommer 1992 bekannt ist
- da ist ausführlich im „Spiegel“ darüber berichtet worden -, möchte ich Sie fragen, ob die damalige Bundesregierung Anlass gesehen hat, damals Ermittlungen in dieser Sache einzuleiten, und, wenn ja, zu welchem
Ergebnis ist sie gekommen?
({0})
Soweit mir bekannt ist, Herr Kollege Klose - ehrlicherweise kann ich mich nur auf das stützen, was mir
zur Verfügung steht -, ist damals nichts unternommen
worden, weil Karsten Voigt damals sehr deutlich erklärt
hat, dass ein solcher Vermerk nicht auf Angaben beruhen
könne, die er abgegeben habe.
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Arnold Vaatz auf:
Wie bewertet die Bundesregierung straf- und arbeitsrechtlich insbesondere die in dem Vermerk für das Zentralkomitee
der SED getroffene Aussage, Karsten Voigt habe über die
Sachverhaltsfeststellung, dass Bärbel Bohley und Wolfgang
Templin am 6. August 1988 wieder in die DDR einreisen würden, auch den weitergehenden Ratschlag erteilt, „sie zunächst
einreisen zu lassen und dann bei oder wegen entsprechender
Aktivitäten zu ergreifen und auszuweisen“?
Herr Kollege Vaatz, Ihre Frage geht nahezu in die
gleiche Richtung.
Ich antworte Ihnen wie folgt: Der Bundesregierung
liegen keine Hinweise darauf vor, dass der Vermerk inhaltlich zutreffend wäre. Zu hypothetischen Sachverhalten nimmt die Bundesregierung grundsätzlich nicht Stellung.
Ihre Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, welche
Qualität ein interner Vermerk des Ministeriums für
Staatssicherheit oder eines Staatsorgans der DDR haben
müsste, damit er, insofern es in ihm um einen strafbaren
Sachverhalt geht, die Bundesregierung zu einer eingehenderen Nachfrage veranlasst?
({0})
Herr Kollege Vaatz, das ist wiederum eine sehr hypothetische Frage, die überhaupt keinen Hintergrund hat
und zu der ursprünglichen Frage keinerlei Bezug aufweist. Ich habe eben auf Ihre Zusatzfrage, Herr Kollege
Vaatz, geantwortet, dass die Bundesregierung so etwas
grundsätzlich ernst nimmt. Wenn sich irgendein Hintergrund erhärtet, wird die Bundesregierung die Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger wahren und dem nachgehen.
Bei diesem Fall war aber, wie die Juristen sagen, erkennbar auf die Stirn geschrieben nichts dran.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, betrachten Sie es als gerechtfertigt, einen Politiker mit dem Amt des Koordinators für
die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit zu betrauen,
gegen den unwiderlegt derartige Vermutungen öffentlich
geäußert werden dürfen, über deren Wahrheitsgehalt Sie
persönlich keine Nachforschungen angestellt haben?
({0})
Ich glaube, die Frage des Kollegen Klose eben hat gezeigt, dass auch die Vorgängerregierung, der das ebenfalls lange Zeit bekannt war, keinerlei Veranlassung sah,
dieser Sache nachzugehen.
Gestatten Sie mir, Herr Kollege Vaatz, außerdem, ein
wenig der Verwunderung der Bundesregierung, die ich
hier vertrete, Ausdruck zu verleihen, dass ehemalige
Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler der DDR, die eigentlich wissen müssten, welchen Wahrheitsgehalt interne Vermerke der Staatssicherheit haben, hier heute
auftreten und so tun, als hätten die Vermerke der Staatssicherheit oder auch anderer DDR-Behörden immer der
Wahrheit entsprochen.
({0})
Herr Kollege Weisskirchen.
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie die Wahl
Karsten Voigts kurz nach Erscheinen des „Spiegel“-Artikels 1992 zum Vizepräsidenten der NATO-Parlamentarierversammlung, wie wir heute sagen, vor dem Hintergrund der eben gestellten Frage, ob Karsten Voigt
möglicherweise eine Irritationsquelle im transatlantischen Verhältnis bedeutet?
({0})
Verehrter Herr Kollege Weisskirchen, es ist immer
sehr schwierig, Entscheidungen anderer zu kommentieren. Ich kann nur so viel dazu sagen: Ich kenne Karsten
Voigt seit einigen Jahrzehnten und persönlich schätze ich
ihn sehr.
Herr Kollege Nooke, bitte.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich im
Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss, der
einen Ihrer Kabinettsmitglieder, Bundesminister Stolpe,
zu seiner Zeit als Brandenburger Ministerpräsident betraf, leider in der misslichen Lage war, sehr viele Akten
lesen zu müssen - Sie mussten vielleicht nicht so viele
Stasi-Akten lesen wie ich -, und dass ich beim Lesen
dieser Stasi-Akten leider feststellen musste, dass sich an
keiner Stelle eine wirkliche Fehlinformation nachweisen
ließ, sondern viele der Informationen sehr gut zusammenpassten?
Ich nehme gerne zur Kenntnis, was Sie festgestellt haben - oder glauben, festgestellt zu haben -; die Wirklichkeit ist allerdings anders, Herr Nooke.
Die Frage 7 des Kollegen Jürgen Herrmann wird
schriftlich beantwortet.
Deshalb rufe ich die Frage 8 des Kollegen Günter
Nooke auf:
Seit wann hat die Bundesregierung Kenntnis von dem im
Bundesarchiv aufgefundenen und am 21. Februar 2005 in der
Zeitschrift „Focus“ veröffentlichten, auf den 8. Juli 1988 datierten Vermerk für das Zentralkomitee der SED, nach dem
Karsten Voigt der DDR Erkenntnisse über eine für den
Juli 1988 beabsichtigte Einreise der Bürgerrechtler Bärbel
Bohley und Wolfgang Templin habe zukommen lassen?
Gleiches Thema, Herr Nooke. Der Vermerk, der am
21. Februar 2005 in der Zeitschrift „Focus“ veröffentlicht worden ist, war bereits im Jahre 1992 Gegenstand
der Berichterstattung in der Zeitschrift „Der Spiegel“.
Ihre Zusatzfragen.
Können Sie mir erklären, warum Karsten Voigt vonseiten des Auswärtigen Amtes in ein offizielles Amt berufen wurde, und sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Karsten Voigt 1992 keinerlei Funktion für die
damalige CDU/CSU-geführte Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl hatte?
Für letzteren Tatbestand bin ich als Sozialdemokrat
dankbar. Zum ersten Teil Ihrer Frage, warum diese Bundesregierung Karsten Voigt in ein wichtiges Amt berufen
hat: weil er gut ist und die Fähigkeit besitzt, dieses Amt
auszufüllen.
({0})
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Ist der Bundesregierung bekannt, in welcher Weise
und an welcher Stelle die deutsch-amerikanischen Beziehungen durch die jetzt diskutierten Veröffentlichungen im „Focus“ - auch im Rahmen der Diskussion, die
wir hier führen - beeinträchtigt wurden?
Herr Nooke, gehen Sie bitte davon aus, dass man solche Dinge jenseits des Atlantiks durchaus registriert. Ich
kann mir sehr gut vorstellen, dass die US-Administration
heftig opponiert hätte, wenn sie dem „Spiegel“-Artikel
von 1992 oder dem jetzigen „Focus“-Artikel in irgendeiner Form Bedeutung beimessen würde.
Herr Kollege Weisskirchen.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung - übrigens nicht nur der Außenpolitiker der SPD und der Grünen, sondern auch von Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion; fragen Sie da einmal nach -, dass Karsten
Voigt gerade in der nicht ganz einfachen Phase, die hinter uns liegt - Auseinandersetzungen um den Irakkrieg -, eine außergewöhnlich verbindende Rolle gespielt hat, besonders im Hinblick darauf, Spannungen,
die es zwischen den USA und der Bundesrepublik
Deutschland gegeben hat, abzubauen?
({0})
Herr Kollege Weisskirchen, diese Einschätzung kann
ich teilen.
Herr Kollege Grindel, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass es über
den Sachverhalt, über den wir hier sprechen, Erkenntnisse des BND gegeben hat, die nicht an das Bundesamt
für Verfassungsschutz weitergegeben worden sind? Aus
welchen Gründen ist die Weitergabe nicht erfolgt?
Herr Grindel, angesichts Ihrer Frage muss ich davon
ausgehen, dass Sie interne Vorgänge kennen, die ansonsten niemandem bekannt sind. Ist das richtig?
({0})
- Das haben wir noch nicht, Herr Nooke.
Herr Grindel, Ihre Frage kann ich nur mit einer Gegenfrage beantworten: Woher wissen Sie das?
({1})
Waren Sie selbst beim BND? Ich kann Ihre Frage nicht
beantworten; man kann sie so nicht stellen.
({2})
- Sie kann zwar so gestellt werden, aber ich kann sie Ihnen dann nicht beantworten.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Werner Kuhn auf:
Ist das Bundesministerium der Justiz Ende 2004 von der
Bundesanwaltschaft über ein Prüfverfahren wegen Landesverrats gegenüber dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten
und heutigen Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, Karsten Voigt, informiert
worden?
Jetzt wird es sehr spannend, Herr Kuhn. - Der Generalbundesanwalt hat das Bundesministerium der Justiz
durch einen Bericht vom 29. November 2004 davon in
Kenntnis gesetzt, dass geprüft werde, ob der Anfangsverdacht einer Staatsschutzstraftat besteht.
Ihre Zusatzfragen.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Das war eine
konkrete Antwort.
Ich bin pausenlos konkret.
Aber ich muss Ihren Verdacht, den Sie vorhin geäußert haben, zurückweisen, dass mit der Stasi telefoniert worden ist. Wer selber in einem Staat, in dem bespitzelt wurde, gelebt hat und wer eine Akte hat, der
befindet sich in einer anderen Situation und kann mit
dem Thema nicht so locker umgehen wie Sie.
({0})
Wir haben parteiübergreifend die Aufarbeitung der
SED-Diktatur und der Stasi-Akten in Angriff genommen. Deshalb wurde die Gauck-Behörde eingerichtet.
Im Jahre 1992 - das weiß ich aus eigener Erfahrung waren die Akten noch längst nicht so weit aufbereitet,
dass wir genauere Erkenntnisse daraus ziehen konnten.
Deshalb frage ich Sie: Was tut die Bundesregierung, um
diese schwerwiegenden Vorwürfe auszuräumen? Ich will
das nicht unbedingt an den Vorgängen um den ehemaligen Kollegen Voigt festmachen, sondern es geht mir um
den prinzipiellen Umgang mit solchen Informationen.
Das habe ich jetzt nicht verstanden. Die Frage dreht
sich doch um Karsten Voigt. Sie müssen mir schon sagen, gegen wen die Vorwürfe gerichtet sind, die die Bundesregierung ausräumen soll, Herr Kollege Kuhn.
Sie haben sich vorhin darauf bezogen, dass im Jahr
1992 die damalige Bundesregierung entsprechende Recherchen im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Landesverrats gegen den Kollegen durchgeführt hat, und Sie
haben gesagt, dass die damalige Bundesregierung keine
Erkenntnisse hatte und dass sich die jetzige Bundesregierung nicht verantwortlich fühle.
Sie haben anscheinend nicht zugehört, als ich die
Frage beantwortet habe. Ich habe nur gesagt: Auch die
damalige Bundesregierung hat darüber gelesen; sie hatte
aber keinerlei Veranlassung, etwas zu unternehmen. Genauso wenig hat die jetzige Bundesregierung aufgrund
von Vermerken, die sich in irgendwelchen Akten befinden und die irgendein ehemaliger BND-Mitarbeiter geschrieben hat, Veranlassung, etwas zu unternehmen. Damit habe ich Ihre erste Zusatzfrage beantwortet.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kuhn.
Warum hat die Bundesregierung bis heute nicht offiziell darauf reagiert, sondern darauf gewartet, dass die
Opposition tätig wird?
Die Bundesregierung muss nicht auf jedes dumme
Gerücht reagieren.
({0})
Die Frage 10 der Kollegin Gitta Connemann und die
Frage 11 des Kollegen Albert Rupprecht ({0}) werden schriftlich beantwortet.
Ich schließe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für
die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen.
Alle Fragen dieses Geschäftsbereichs sollen schriftlich beantwortet werden. Es handelt sich um die
Fragen 12 und 13 des Kollegen Dr. Jürgen Gehb, die
Frage 14 des Kollegen Georg Schirmbeck, die Frage 15
der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, die Fragen 16 und 17
des Kollegen Kurt-Dieter Grill sowie die Frage 18 des
Kollegen Albert Rupprecht ({1}).
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit auf. Die Fragen
beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Dr. Ditmar Staffelt.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Dr. Christoph
Bergner auf.
({2})
- Der Abgeordnete ist nicht anwesend. Dann verfahren
wir bei Frage 19 und Frage 20 - denn auch die Frage 20
wurde vom Kollegen Dr. Christoph Bergner gestellt wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Frage 21 des Kollegen Ernst Hinsken und die
Fragen 22 und 23 des Kollegen Dirk Niebel werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 24 der Kollegin Petra Pau auf:
Trifft es zu, dass die gewünschte bessere Vermittlung von
Arbeitslosen im Rahmen des Fordern-und-Fördern-Konzeptes
wegen des Mangels an qualifizierten Mitarbeitern in den Jobcentern nicht realisiert werden kann, und, wenn ja, wie viele
Mitarbeiter fehlen derzeit nach Kenntnis der Bundesregierung?
Frau Kollegin Pau, nach Auskunft der Bundesagentur
für Arbeit verläuft der sukzessive Personalaufbau in den
Jobcentern und damit das Bereitstellen der Vermittlung
nach Plan und ist bereits weit vorangeschritten. Gerade
im Bereich der Jugendlichen unter 25 Jahren werden danach die Sollzahlen zeitnah erreicht werden.
Um den Personalaufbau auch weiterhin zügig voranzutreiben, hat die Bundesagentur für Arbeit den Agenturen für Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften zuletzt
weitere 2 500 Beschäftigungsmöglichkeiten für die Rekrutierung von externem Personal zur Verfügung gestellt. Damit sollen die Betreuungsrelationen für den
Personenkreis der erwerbsfähigen Hilfeempfänger über
25 Jahre verbessert werden.
Der weit überwiegende Teil der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in den Arbeitsgemeinschaften nach SGB II
ist nach Auskunft der Bundesagentur bereits qualifiziert
und damit arbeitsfähig.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, könnten Sie die Voraussage „zeitnah“ etwas mehr konkretisieren? Oder andersherum gefragt: Wann ist nach Ansicht der Bundesregierung der in
Bezug auf Fallmanager und Arbeitsuchende angestrebte
Schlüssel tatsächlich erreicht? Der Begriff „zeitnah“ ist
mir etwas zu schwammig.
Ich kann Ihnen dies nicht auf den Tag genau sagen. Es
wird immer wieder regionale Unterschiede geben. Aber
wir gehen schon davon aus, dass „zeitnah“ innerhalb der
nächsten sechs bis acht Wochen bedeutet.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben eine Zahl hinsichtlich
der zusätzlichen Einstellung von Kräften genannt. Ist das
nach Ansicht der Bundesregierung der Endstand der zusätzlich einzusetzenden Mittel oder wie hoch werden die
Kosten für die Schaffung von zusätzlichen Stellen sowohl in den Arbeitsagenturen als auch eventuell in den
optierenden Kommunen sein?
Das ist der bisherige Stand nach den entsprechend
eingegangenen Meldungen seitens der Bundesagentur
und der entsprechend beauftragten Kommunen. Wir gehen davon aus, dass diese Zahlen stichhaltig sind, müssen allerdings darauf verweisen, dass das Zahlenmaterial
noch nicht bis ins Letzte ausgewertet werden konnte.
Dafür werden Sie sicherlich Verständnis haben. Wir hatten ja schon bei anderer Gelegenheit darüber gesprochen.
Ich rufe die Frage 25 der Kollegin Petra Pau auf:
In wie vielen Fällen wurden - nach der zurzeit vorliegenden Kenntnis der Bundesregierung - von Kommunen,
Jobcentern etc. Sozialhilfeempfänger missbräuchlich als erwerbsfähig eingestuft und beabsichtigt die Bundesregierung
angesichts der anhaltenden Diskussion über die Frage der Erwerbsfähigkeit ehemaliger Sozialhilfeempfänger, die Regelung des § 8 Abs. 1 SGB II mittels einer Durchführungsverordnung zu konkretisieren?
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit ist
durch mehrere Schreiben von Trägern der gesetzlichen
Krankenversicherung, unter anderem des Verbandes der
Angestellten-Krankenkassen e. V. vom 25. Januar 2005
und der Barmer Ersatzkasse vom 24. Februar 2005, davon unterrichtet worden, dass nach ihrer Auffassung
eine erhebliche Zahl von Personen, denen Arbeitslosengeld II bewilligt wurde, nicht erwerbsfähig sei. Konkrete
Zahlen, um wie viele Personen es sich dabei handelt, haben die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung
dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit bislang nicht übermittelt.
Das BMWA hat im Zusammenhang mit den genannten Schreiben bereits erklärt, alle ihm benannten konkreten Fälle, in denen unrichtige Entscheidungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit getroffen worden sein sollen,
zu überprüfen und gegebenenfalls einer Aufklärung zuzuführen. Das SGB II enthält bewusst keine Ermächtigung für eine Rechtsverordnung zu § 8 SGB II, da der
Gesetzestext eindeutige und abschließende Vorgaben für
die Feststellung der Erwerbsfähigkeit enthält. Von einer
Verordnungsermächtigung hierzu wurde im Rahmen des
Gesetzgebungsverfahrens zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt bewusst abgesehen, um keinen Spielraum für etwaige Verschiebungen
der Finanzströme zwischen Bund, Ländern und Kommunen einzuräumen. Mit dem Verzicht auf eine solche Verordnungsermächtigung ist der Gesetzgeber insbesondere
dem Anliegen der Länder gefolgt.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Danke, Herr Staatssekretär. - Sind der Bundesregierung Zahlen darüber bekannt, wie vielen Arbeitslosengeld-II-Empfängern der Leistungsanspruch durch die
Krankenkassen ganz oder vorübergehend in der Folge
des Streites darüber, ob sie nun tatsächlich arbeitsfähig
sind oder nicht, entzogen wurde?
Das ist uns bisher nicht bekannt. Allerdings muss ich
sagen, dass die diesbezüglichen Listen zunehmend länger werden. Ich habe - das wird Sie als Berlinerin interessieren - eine Liste mit allein über 250 solcher Fälle
von der AOK Berlin vorliegen. Wenn wir das auf die gesamte Bundesrepublik hochrechnen, werden wir mit
einer nicht unerheblichen Größenordnung zu rechnen
haben. Bei überschlägigem Durchsehen der Krankheitsbilder in der Liste muss wohl davon ausgegangen werden, dass auch die Minimalanforderungen an die
Arbeitsfähigkeit von diesem Personenkreis nicht zu erbringen sind. Hier ist also eine entsprechende Überprüfung erforderlich.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wir sind sicherlich beide der Meinung, dass dieser Klärungsprozess nicht auf dem Rücken
der betroffenen, offensichtlich ja auch kranken Personen
erfolgen darf. Hat die Bundesregierung eventuell vorübergehende Regelungen oder Absprachen mit den
Krankenkassen getroffen, um sicherzustellen, dass Menschen trotz alledem eine ärztliche Behandlung bekommen? Zu mir kommen immer wieder zutiefst verunsicherte Patienten. Sie sind ja nicht durch eigenes
Verschulden in diesen Status gekommen.
Nach unserer Rechtsauffassung wird es niemanden
geben, der in der Zeit, in der er in der einen oder anderen
Gruppe Berücksichtigung findet, in dem Sinne Nachteile
hinzunehmen hätte, dass er nicht mehr Leistungen des
Gesundheitswesens in Anspruch nehmen könnte.
Die Frage 26 des Kollegen Hartwig Fischer ({0}) wird schriftlich beantwortet. Deshalb schließe ich
diesen Geschäftsbereich. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf. Die Fragen 27 und 28 des Kollegen
Manfred Kolbe werden schriftlich beantwortet, ebenso
die Frage 29 der Kollegin Gitta Connemann.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die Fragen beantwortet Herr
Parlamentarischer Staatssekretär Hans Georg Wagner.
Die Fragen 30 und 31 des Kollegen Dr. Egon Jüttner
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe somit die Frage 32 des Kollegen Bernhard
Kaster auf:
Trifft es zu, dass der Infrastrukturstab Süd bzw. andere zuständige Stellen erst jetzt, nach der im November 2004 getroffenen Entscheidung bezüglich der Schließung von 105 Bundeswehrstandorten, die Rentabilität und Wirtschaftlichkeit
einzelner Standorte, unter anderem in Hermeskeil, prüfen, und
welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich der
Notwendigkeit neuer baulicher Maßnahmen zur Unterbringung der im neuen Bundeswehrstandortkonzept vom 1. November 2004 vorgesehenen Aufstockung um insgesamt
570 Soldaten an den saarländischen Standorten Saarlouis,
Merzig und Lebach?
Herr Kollege Kaster, Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen sind vor der Stationierungsentscheidung zum 1. November 2004 durch die Infrastrukturorganisation in Verbindung mit anderen Dienststellen der Bundeswehr
erfolgt. In Saarlouis sind, resultierend aus dem Konzept
zur Stationierung der Bundeswehr in Deutschland, keine
zusätzlichen Baumaßnahmen erforderlich. An den
Standorten Lebach und Merzig erhalten die dortigen
Verbände künftig eine Einsatz- und Unterstützungskompanie. Für diese Einheiten ist mittel- und langfristig der
Neubau jeweils eines Unterkunftsgebäudes erforderlich.
Zur Umsetzung des in der Vorbereitung des Stationierungskonzeptes erkannten Infrastrukturbedarfs haben die
Infrastrukturstäbe vor Ort das Regelbauverfahren eingeleitet. Die Umgliederung der beiden Verbände kann
planmäßig erfolgen. Die Unterbringung der E/U-Kompanie Fallschirmjägerbataillon 261 Lebach bzw. Luftlandeunterstützungsbataillon 262 Merzig erfolgt zunächst
in vorhandener Infrastruktur in der NiederauerbachKaserne in Zweibrücken in Rheinland-Pfalz beim Fallschirmjägerbataillon 263.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben angesprochen, dass im
Rahmen der Aufstockung der Standorte im Saarland
auch bauliche Maßnahmen notwendig werden. Können
Sie schon Angaben über das Kostenvolumen machen?
Nein, das kann ich nicht machen; denn bis jetzt handelt es sich noch um Vorüberlegungen. Sie wissen, dass
die endgültige Feinausplanung des Standortekonzeptes
noch nicht abgeschlossen ist. Erst danach werden konkrete Entscheidungen vorbereitet werden können.
Werden derzeit keinerlei Wirtschaftlichkeitsanalysen
mehr durchgeführt, weder an den Standorten im Saarland noch beispielsweise am Standort Hermeskeil in
Rheinland-Pfalz?
Mir sind keine Analysen bekannt, auch nicht zu den
Standorten im Saarland. Es werden natürlich im Rahmen
der neuen Konzeption, die mit dem Ausdruck „Kaserne 2000“ verbunden ist, bessere Unterbringungsmöglichkeiten - auch für Wehrpflichtige - geschaffen werden müssen. Dies allerdings wäre eine riesige Bauaufgabe, deren Kosten im Bundeshaushalt noch nicht
abgebildet sind.
Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Bernhard Kaster
auf:
Ist die Möglichkeit geprüft worden, bezüglich der deutlichen Aufstockung der Luftlandebrigade in den erwähnten
saarländischen Kasernen doch noch auf die bislang zur
Schließung vorgesehene Hochwaldkaserne in Hermeskeil mit
ihrer Raumkapazität von bis zu 2 000 Soldaten und eigener
Schießanlage zurückzugreifen, und welche Gründe sprechen
auch vor dem Hintergrund der guten Autobahnverkehrsanbindung und der räumlichen Nähe zu den saarländischen Kasernen gegen eine Berücksichtigung der Hochwaldkaserne?
Sehr geehrter Herr Kollege Kaster, bei den Untersuchungen zur Stationierung der Luftlandebrigade 26 und
ihrer Verbände wurden im zu betrachtenden Stationierungsraum die Standorte der Brigade Merzig, Lebach
und Saarlouis im Saarland sowie Zweibrücken in Rheinland-Pfalz und noch andere Standorte in der Region
vergleichend berücksichtigt. Der Stab und die Stabskompanie der Luftlandebrigade 26 sowie die Luftlandepionierkompanie 260 in Saarlouis, das Luftlandeunterstützungsbataillon 262 in Merzig, das Fallschirmjägerbataillon 261
in Lebach sowie das Fallschirmjägerbataillon 263 in
Zweibrücken sind an ihren Standorten bedarfsgerecht
untergebracht.
Mit einer strukturbedingten Erhöhung des Personalumfangs der Brigade wird darüber hinaus eine betriebswirtschaftlich optimierte Belegung der Liegenschaften
erreicht. Unabhängig von einem mittel- bis langfristigen
Bedarf jeweils eines Unterkunftsgebäudes in Merzig und
Lebach kann die Umgliederung der Verbände der
Luftlandebrigade 26 in vorhandener Infrastruktur erfolgen. Die Zusammenfassung des personellen Aufwuchses
der Luftlandebrigade 26 am Standort Hermeskeil oder
die Verlegung eines geschlossenen Verbandes dorthin
wäre weder militärisch-funktional sinnvoll noch betriebswirtschaftlich zweckmäßig.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Wäre es nicht doch wirtschaftlicher und auch militärisch begründbar gewesen, statt Standorte mit derzeitigen Kapazitäten von unter 1 000 Soldaten aufzustocken,
einen Standort mit einer Kapazität von weit über
1 000 Soldaten in die Konzeption mit aufzunehmen, zumal der Standort Hermeskeil sowohl bereits von den
Fallschirmjägern der Luftlandebrigade für Schießübungen regelmäßig benutzt wird als auch es dort gute Möglichkeiten für die Absetzplätze gibt? Inwieweit haben
Aspekte wie beispielsweise der, dass die Luftlandebrigade in Oldenburg ebenfalls auf zwei Standorte aufgeteilt ist, Berücksichtigung gefunden? Wie ist die Entscheidung wirtschaftlich zu begründen?
Ich habe bereits gesagt, Herr Kollege, dass die militärische Funktionalität für die Entscheidung, dort nicht unterzukommen, maßgeblich war. Daher ist für die Luftlandebrigade 26 eine Unterbringung in Hermeskeil nicht
in Betracht gezogen worden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben sich sicherlich mit viel
Freude und Engagement für die eben genannten Standorte eingesetzt, die ja auch in Ihrem Wahlkreis liegen.
Denken Sie aber nicht auch, dass die Größe des mit der
Aufstockung verbundenen Bauvolumens den Eindruck
aufkommen lässt, dass die Entscheidung, den Nachbarstandort mit einer solch hervorragenden Infrastruktur
nicht in Anspruch zu nehmen, nicht wirtschaftlich oder
militärisch geprägt war, sondern von anderen Dingen beeinflusst worden ist?
Ich werde Anfang April zu einer Besprechung vor Ort
sein. Sie können sicherlich davon ausgehen, dass mein
Freund und Kollege Karl Diller mir die Augen ausgekratzt hätte, wenn ich den Standort Hermeskeil bei der
Gesamtbetrachtung im Rahmen der Stationierungsentscheidung außer Acht gelassen hätte. Maßgebend waren
aber nun einmal die militärisch-funktionalen Aussagen
der militärischen Führung, dass der Standort für eine
Verwendung in diesem Umfang nicht sinnvoll ist.
Als es seinerzeit um die Entscheidung zwischen den
Standorten Idar-Oberstein und Hermeskeil ging, ist die
Entscheidung gegen Hermeskeil gefallen. Anfang April
werden wir versuchen, das Beste aus der Sache zu machen. Vonseiten des Ministeriums steht fest, dass wir der
Stadt Hermeskeil helfen wollen. Ich habe, wie Sie wissen, beste Kenntnis von der Gegend und musste allerdings den Eindruck gewinnen, dass die dort ausgewiesenen Gewerbegebiete bisher wenig bedacht worden sind,
sodass die Verwertung dieser Liegenschaft sicher nicht
ganz einfach sein wird.
Die Fragen 34 und 35 des Kollegen Markus Meckel
werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Wir sind somit
bei diesem Geschäftsbereich am Ende angekommen.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung
der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung auf. Die
Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk. Die Frage 36 des Kollegen
Peter Weiß wird schriftlich beantwortet. Die Fragen 37
und 38 des Kollegen Jens Spahn werden ebenfalls
schriftlich beantwortet.
Ich rufe deshalb die Frage 39 des Kollegen Georg
Schirmbeck auf:
Trifft es zu, dass der Anteil jugendlicher Raucher nach der
Tabaksteuererhöhung um mehr als 5 Prozent anstieg, und,
wenn ja, worauf führt die Bundesregierung diese Entwicklung
zurück?
Herr Kollege Schirmbeck, Sie fragen, ob es zutrifft,
dass der Anteil der jugendlichen Raucher nach der Tabaksteuererhöhung um mehr als 5 Prozent anstieg. Die
Antwort kann ich sehr kurz halten: nein. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Ich weiß nicht, woher Sie diese Zahl
haben. Die Bundesregierung beauftragt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung als oberste Bundesbehörde, alle drei Jahre eine Studie zur Drogenaffinität
von Jugendlichen durchzuführen, bei der immer dieselbe
Methode zum Einsatz kommt. Die Ergebnisse des Jahres
2004 zeigen: Es gibt zum ersten Mal seit zehn Jahren einen Rückgang bei der Zahl der jugendlichen Raucher. In
der Gruppe der 12- bis 17-Jährigen ist der Anteil der
Raucher nämlich von 28 Prozent auf 23 Prozent, also um
5 Prozentpunkte, zurückgegangen.
Wir führen dies auf ein Bündel von Maßnahmen zurück. Zum einen gibt es Preissignale. Jugendliche - das
wissen wir aus WHO-Studien - sind besonders preissensibel. Zum anderen wurden die Präventionsanstrengungen bei der Gruppe der Jugendlichen verstärkt. Ich erinnere daran, dass die BZgA unter dieser Bundesregierung
deutlich mehr für die Bekämpfung von legalen Suchtmitteln ausgibt. Insgesamt haben wir die Ansätze für
diesen Teil erhöht; wir selbst geben 1 Million Euro für
ein gezieltes Präventionsprogramm aus. Darüber hinaus
haben wir in einem Schreiben alle Bundesländer gebeten, das Thema „rauchfreie Schulen“ voranzubringen,
auch vor dem Hintergrund, möglichst viele öffentliche
Einrichtungen rauchfrei zu gestalten, weil der Vorbildcharakter dieser Einrichtungen für Jugendliche entscheidend ist.
Ich kann Ihnen also sagen: Der Anteil jugendlicher
Raucher geht deutlich zurück. Dabei hilft auch eine
Maßnahme wie die Erhöhung der Tabaksteuer.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir bestätigen, dass
der Verbrauch von Tabak für selbst zu drehende Zigaretten erheblich gestiegen ist?
Das kann ich Ihnen bestätigen. Es ist leider so. Hinsichtlich der Besteuerung geht die Schere weit auseinander: Während eine normale Zigarette mit ungefähr
11 Cent Tabaksteuer belastet ist, ergibt sich für den losen
Tabak oder auch den vorgefertigten Tabak ein Steuervolumen von umgerechnet nur 3 bis 4 Cent pro Zigarette. Deswegen gab es Verlagerungen zwischen Fertigzigarette und so genanntem Feinschnitt. Insgesamt sind
die Verbrauchsvolumina aber zurückgegangen. Dabei
muss man sehen, dass ein Teil des Rückgangs auf eine
Verlagerung in Richtung Billigprodukte zurückzuführen
ist und ein weiterer Teil mit stärkeren Aktivitäten im Bereich des illegalen Schmuggels erklärt werden kann. Ein
erheblicher Teil resultiert aber aus dem objektiv messbaren Rückgang der Raucherquote, welcher ein Ziel der
Gesundheitspolitik ist.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, kennen Sie die Aussagen des
Statistikprofessors Rainer Pelka, der Ihre Aussage, dass
der Rauchkonsum in der Gesellschaft insgesamt zurückgegangen ist, in Zweifel zieht?
Ich kenne die Veröffentlichungen; ich kenne den
Herrn nicht persönlich. Ich lese aber natürlich die Presse
genauso aufmerksam wie Sie. Wir haben es nachgeprüft:
Als Datengrundlage nutzt er den Mikrozensus von 2003.
Darin hat sich statistisch überhaupt nichts verändert. Daher weiß ich gar nicht, worauf er diese Angaben stützt.
Vor allen Dingen ist dieses Messinstrument überhaupt
nicht so genau wie das, was wir alle drei Jahre erheben.
Ich sage es noch einmal: Wir führen alle drei Jahre eine
Drogenaffinitätsstudie in derselben Altersgruppe und
mit derselben Methodik durch. Wenn man dieses Befragungsinstrument zugrunde legt, dann ist ganz klar nachweisbar, dass der Anteil der jugendlichen Raucher rückläufig ist. Das bestätigen im Übrigen unsere Kontakte
mit den Bundesländern: Unsere gemeinsamen Arbeitsgruppen bestätigen, dass das, was wir im Moment mit
der Initiative „Rauchfreie Schulen“ und mit Wettbewerben wie „Be smart - Don’t start“ oder „Klasse 2000“ auf
den Weg bringen, langsam Wirkung zeigt. Deswegen
darf der Gesetzgeber hier nicht nachlassen und sollte auf
dem eingeschlagenen Weg bleiben.
Dr. h. c. Susanne Kastner:
Die Frage 40 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 41 der Kollegin Maria Michalk auf:
Wie hat sich der Umsatz der Zahntechniker in den Monaten Januar und Februar 2005 vor dem Hintergrund des Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres
entwickelt?
Frau Kollegin Michalk, Sie fragen nach der Entwicklung des Umsatzes der Zahntechniker. Über die Entwicklung des Umsatzes der Zahntechniker in den Monaten Januar und Februar 2005 liegen der Bundesregierung
noch keine aussagekräftigen Daten vor. Erkenntnisse
über die Ausgabenentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung für Zahnersatz im ersten Quartal 2005
werden dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung etwa im Juni dieses Jahres zur Verfügung stehen.
Wir kennen die öffentlichen Äußerungen des VDZI;
wir kennen auch die Befragungsergebnisse, die in der
Öffentlichkeit kommuniziert wurden. Nur, belastbare
Zahlen liegen noch nicht vor. Ich denke, man muss
berücksichtigen, dass mit den Festzuschüssen eine Umfinanzierung des Zahnersatzes begonnen wurde; damit
folgen wir einer neuen Philosophie. Valide Aussagen
können wir erst machen, wenn die Quartalszahlen vorliegen. Sobald uns diese Zahlen vorliegen, werden wir
sie im Fachausschuss - Sie sind ja Mitglied dort - besprechen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, wir akzeptieren, dass fundierte
Zahlen noch nicht vorliegen. Aber wir unterstellen natürlich, dass der Fachverband aufgrund seiner Erfahrung
mit seiner Schätzung, wonach der Umsatz der Zahntechniker in den letzten zwei Monaten im Durchschnitt um
zwischen 30 und 40 Prozent zurückgegangen ist, nicht
total danebenliegt, was mit einer enormen Zahl von Entlassungen einhergehen müsste. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung diesbezüglich?
Ich verstehe die Sorge der Zahntechniker, aber man
muss natürlich sehen, dass es im letzten Jahr erhebliche
Vorzieheffekte gab. Die Darstellung der Umfinanzierung
des Zahnersatzes in der öffentlichen Diskussion war teilweise irreführend; es wurde oftmals der Eindruck erweckt, der Zahnersatz würde in Zukunft gar nicht mehr
von der Krankenkasse bezahlt. Tatsache ist, dass wir nur
die Art der Finanzierung geändert haben: Bezuschusst
wird nicht mehr prozentual, sondern über einen Festbetrag.
Vor diesem Hintergrund ist die Nachfrage nach Zahnersatz letztes Jahr überproportional gestiegen. Wenn jetzt
von Umsatzeinbrüchen die Rede ist, muss man das also
hinterfragen: Wie hoch lag der normale Umsatz? Was ist
auf Vorzieheffekte zurückzuführen und was darauf, dass
die Patientinnen und Patienten durch die neue Struktur
verunsichert waren? Ob sich die Umsätze stabilisieren,
werden wir erst im Laufe dieses Jahres feststellen können.
Wir haben - um Ihre Frage umfassend zu beantworten -, weil uns bislang keine Zahlen vorliegen, mit den
Spitzenverbänden der Krankenkassen gesprochen, um
herauszufinden, ob es einen Beurteilungsstau oder Versorgungsengpässe gibt, ob Heil- und Kostenpläne liegen
geblieben sind und nicht bearbeitet wurden. Die Spitzenverbände der Krankenkassen sagen, dass es keinen
erheblichen Rückgang bei der Anzahl eingereichter
Heil- und Kostenpläne gegeben hat. Nach anfänglichen,
teilweise durch den Start bedingten Problemen, zum
Beispiel aufgrund fehlerhaft ausgefüllter Heil- und Kostenpläne, beträgt die durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Genehmigungen nach Angaben der Spitzenverbände der Krankenkassen inzwischen wieder
zwischen vier und sechs Tage; sie liegt damit wieder genau auf dem Vorjahresniveau.
Ich verstehe also die Sorge des Berufsstandes der
Zahntechniker. Andere Indikatoren sprechen aber eine
andere Sprache. Ich glaube, man kann sich mit der Situation nur dann auseinander setzen, wenn erste valide Zahlen vorliegen.
Frau Michalk, Sie haben zur Frage 41 noch eine Zusatzfrage.
Ich denke, dass die Vorzieheffekte von 2003 zu 2004
nicht in der gleichen Höhe sein können wie die von 2004
zu 2005; darüber sind wir uns einig. 2003 gab es diese
Vorzieheffekte in Erwartung des GMG. 2004 und 2005
haben wir aber eine andere Situation. Gehen Sie davon
aus, dass die Vorzieheffekte dadurch zustande gekommen sind, dass die Bundesregierung den Konsens bezügMaria Michalk
lich des GMG an dieser Stelle relativ kurzfristig geändert und den Zahnersatz nicht als eigenständige Säule in
Gesetzesform gegossen hat?
Natürlich gehe ich nicht davon aus, liebe Frau Kollegin Michalk. Wir haben eher dazu beigetragen, eine Situation, die nicht mehr steuerbar war, weil nicht klar
war, was der Zahnersatz am Ende kostet, dadurch wieder
ins Lot zu bringen, dass die Versicherten - das haben wir
ihnen auch eindeutig gesagt - nur entsprechend ihrer
Leistungsfähigkeit für den Zahnersatz zahlen müssen.
Wir hielten es für nicht in Ordnung, wenn jemand mit einem geringen Einkommen für den Zahnersatz genauso
viel zahlen sollte wie jemand mit einem hohen Einkommen.
Diese „Mini-Kopfpauschale“ war zwischen den Fraktionen politisch mit Sicherheit umstritten. Am Ende hat
der Bundestag hier mit seiner Mehrheit entschieden, sodass es bei der der Leistungsfähigkeit des Einzelnen entsprechenden Finanzierung des Zahnersatzes bleibt. Ab
dem 1. Juli 2005 müssen die Patienten den Zahnersatz
alleine finanzieren. Das ist für viele mit Sicherheit nicht
einfach. In einer Zeit, in der wir hier über die schlechte
wirtschaftliche Situation debattieren, stellt das aber eine
deutliche Entlastung der Arbeitgeber um immerhin
4,5 Milliarden Euro dar. Daneben haben wir mit den
neuen Festzuschüssen auch für die Patientinnen und Patienten mehr Wahlfreiheit und Flexibilität in das System
gebracht, sodass die neue Struktur vertretbar ist.
Ich rufe die Frage 42 der Kollegin Maria Michalk auf:
Hat sich die Zahl der Heil- und Kostenpläne der Zahnärzte, die vor der Genehmigung gutachterlich bewertet werden, erhöht und, wenn ja, welche Ursachen sieht die Bundesregierung dafür?
Ja. Nach Auskunft der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung kam das vertraglich vereinbarte Gutachterverfahren im Jahr 2003 in 265 800 Fällen zum Einsatz.
Bezogen auf die für eine Begutachtung infrage kommenden Fälle fand damit in rund 7 Prozent der Heil- und
Kostenpläne eine vertraglich vereinbarte Begutachtung
statt. Der Anteil der begutachteten Fälle betrug nach Angaben der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung im
Jahr 2000 rund 4,7 Prozent, im Jahr 2001 5,3 Prozent
und im Jahr 2002 5,8 Prozent. Die Anzahl der durch einen vertraglich vereinbarten Gutachter begutachteten
Fälle hat sich seit dem Jahr 2000 somit von Jahr zu Jahr
etwas erhöht.
Die Bundesregierung kann die Gründe für die Entwicklung gegenwärtig nicht abschließend beurteilen.
Neben medizinischen Gründen könnten auch statistische
Effekte die Anzahl der erfassten Begutachtungen beeinflusst haben. Unabhängig davon ist es Aufgabe der zuständigen Krankenkassen, darüber zu entscheiden, in
welchen Einzelfällen eine Begutachtung zur Konkretisierung der Leistungspflicht erforderlich ist.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Ja, eine Frage habe ich noch. - Frau Staatssekretärin,
hat die Bundesregierung Hinweise darauf, dass die Versorgung mit Zahnersatz in den unteren und mittleren
Einkommensschichten in den letzten zwei Monaten
rückläufig ist?
Nein, den Eindruck haben wir schon deshalb nicht,
weil wir im Gesetz auch eine Härtefallregelung verankert haben; Sie erinnern sich. Das heißt, derjenige, der
wirklich bedürftig ist, muss den Eigenanteil nicht leisten.
Das war auch vorher schon so geregelt. Mit dieser Regelung wollen wir gerade im Interesse der unteren Einkommensschichten dafür sorgen, dass der Anspruch auf
Zahnersatz nicht davon abhängt, ob man sich das finanziell leisten kann oder nicht.
Danke.
Sie haben also keine weitere Zusatzfrage. - Ich
schließe diesen Geschäftsbereich. Frau Staatssekretärin,
vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Die
Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke.
Ich rufe die Frage 43 des Kollegen Klaus Hofbauer
auf:
Ist die Bundesregierung bereit, aufgrund des starken Verkehrsaufkommens am Grenzübergang Waidhaus und der daraus folgenden erheblichen Belastung der Ortsdurchfahrten in
den betroffenen Landkreisen den Bau der Bundesautobahn
A 6 zu beschleunigen und dadurch deren Fertigstellung früher
als geplant zu vollziehen?
Sehr geehrter Herr Kollege Hofbauer, Ziel der Bundesregierung ist es, die noch fehlende, rund 40 Kilometer lange Teilstrecke der Bundesautobahn A 6 zwischen
Amberg-Ost und Vohenstrauß-Ost frühestmöglich fertig
zu stellen. Mit den Fertigstellungen des Abschnitts ostwärts der Bundesautobahn A 93 Ende 2006 und des Abschnitts westlich der Bundesautobahn A 93 Ende 2008
wird diese Zielstellung gewährleistet.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin,
erlauben Sie mir einen Hilferuf. Seit dem 1. Mai letzten
Jahres ist die Zahl der LKWs am Grenzübergang Waidhaus um 135 Prozent gestiegen. Die meisten dieser
LKWs - 85 bis 90 Prozent - müssen sich durch diese
40 Kilometer Landstraße mitsamt den anliegenden Ortschaften wälzen. Von April bis Mai letzten Jahres kam es
bereits zu einer Verdoppelung des Verkehrs. Ich darf
noch hinzufügen, dass der Verkehr seit Januar/Februar
dieses Jahres um 10 000 LKW pro Monat zugenommen
hat. Der LKW-Verkehr explodiert und zum allergrößten
Teil ist davon die Landstraße betroffen.
Ich appelliere an Sie, dass Sie sich nicht auf die Zusage einer Fertigstellung bis 2008 beschränken. Es muss
hier schneller gebaut und wirklich Geld in die Hand genommen werden: Steigerung um 135 Prozent, und zwar
nicht von einem niedrigen Niveau, nicht seit 1989, sondern bezogen auf den 1. Mai letzten Jahres! Ich bitte darum, diese Zahlen zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend zu handeln.
Herr Kollege Hofbauer, ich weiß, dass dieser Appell
gerechtfertigt ist; denn uns liegen die Zahlen, von denen
Sie gesprochen haben, vor. Vor dem Hintergrund, dass
der LKW-Verkehr nach der EU-Osterweiterung auf den
Bundesstraßen 14 und 299 derart angestiegen ist, erscheint der zeitliche Rahmen bis 2008 in der Tat als sehr
lang. Das ist vollkommen klar. Aber, Herr Kollege
Hofbauer, wir können die Gesetze der Physik nicht außer
Kraft setzen: Dort werden neun Talbrücken, 23 Unterund Überführungen sowie zwei Anschlussstellen gebaut.
Parkplätze müssen geschaffen werden. Auch der Beton
muss trocken werden.
Ich kann nichts anderes sagen: Das Ziel ist erreichbar.
Der eine Abschnitt wird bis 2006 fertig, der andere bis
2008. Dies erscheint realistisch.
Eine weitere Zusatzfrage? - Nein.
Die Fragen 44 und 45 des Kollegen Ralf Göbel werden schriftlich beantwortet. Damit schließe ich diesen
Geschäftsbereich und bedanke mich bei der Frau Staatssekretärin für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers
und des Bundeskanzleramtes auf. Die Fragen beantwortet Frau Staatsministerin Dr. Christina Weiss.
Die Frage 46 des Kollegen Jürgen Herrmann wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 47 des Kollegen Roland Gewalt auf:
Liegen der Bundesregierung über den in der Zeitschrift
„Focus“ abgedruckten Vermerk weiter gehende Erkenntnisse
zu der angeblichen Weitergabe von Informationen über DDRBürgerrechtler durch Karsten Voigt an die DDR insbesondere
aus dem Bundesarchiv und aus den Stasi-Unterlagen der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR vor und wenn ja, welche?
Herr Abgeordneter, die Recherchen des Bundesarchivs in den einschlägigen Beständen haben bisher
keine weiteren Hinweise zur angeblichen Weitergabe
von Informationen über DDR-Bürgerrechtler durch
Karsten Voigt an die DDR ergeben. Der Beauftragten für
die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR liegen keine Erkenntnisse zu diesem Sachverhalt vor.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatsministerin, wurde denn, bevor Herr Voigt
zum Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit ernannt worden ist, eine Sicherheitsanfrage
bei der Gauck- bzw. Birthler-Behörde vorgenommen?
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, da sie
nicht vorgegeben war.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, würden Sie mir zustimmen,
dass bei jeder Sekretärin und jedem Mitarbeiter, der hier
im Bundestag beschäftigt ist - erst recht also bei einer so
prekären Position wie der, die Herr Voigt eingenommen
hat -, eine Sicherheitsüberprüfung eine Selbstverständlichkeit ist?
Darin stimme ich mit Ihnen überein.
({0})
Ich rufe die Frage 48 des Kollegen Werner Kuhn auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass im Jahr 1998 im
Bundesarchiv Unterlagen über die Übergabe von NATOPapieren durch den ehemaligen Bundestagsabgeordneten und
heutigen Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, Karsten Voigt, an Mitglieder
des Zentralkomitees der SED vorhanden waren und in Kopie
herausgegeben wurden?
Herr Abgeordneter, die von der Zeitschrift „Focus“
genannten NATO-Unterlagen, die von Karsten Voigt an
das ZK der SED übergeben worden sein sollen, waren
seit der Übergabe der Akten an das Bundesarchiv nicht
in diesen Akten. Sie konnten daher auch nicht als Kopie
herausgegeben werden.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Kulturstaatsministerin, sind Sie mit mir der Auffassung, dass eine gründliche Recherche, die Sie sicher
in allen Bereichen angestrengt haben, nicht nur notwendig ist, um den ehemaligen Kollegen Voigt zu exkulpieren, sondern auch das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten - er ist immerhin
der Koordinator der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit - entlasten würde?
Herr Abgeordneter, ich denke, diese Frage ist Ihnen
vorhin schon beantwortet worden. Ich kann sie Ihnen nur
in Bezug auf das Bundesarchiv beantworten. Dort ist
umfassend recherchiert worden.
Danke, keine weitere Nachfrage.
Herr Kollege Weisskirchen, bitte.
Frau Staatsministerin, da in der Frage unterschwellig
angedeutet sein könnte, dass es sich hier um geheimdienstliche oder um vertrauliche Papiere handeln könnte,
frage ich Sie: Ist Ihnen, Frau Staatsministerin, bekannt,
dass all diese Dokumente, von denen hier die Rede ist,
öffentlich zugängliche Dokumente sind, die auch zum
damaligen Zeitpunkt öffentlich zugänglich gewesen
sind? Die Presse hat beispielsweise an den Tagungen der
Parlamentarischen Versammlung der NATO teilnehmen
können.
Herr Abgeordneter, es ist mir bekannt, dass es Entwürfe für Berichte der Nordatlantischen Versammlung
sind, die ihrerseits öffentlich zugänglich sind.
Eine weitere Frage des Kollegen Scheer.
({0})
Frau Staatsministerin, reicht Ihnen das, was ich Ihnen
jetzt mündlich sage, oder sollte ich Ihnen schriftlich geben, dass ich entgegen dem, was im „Focus“ steht, als
Augenzeuge und Ohrenzeuge der verschiedenen Gespräche, in denen es um die Bürgerrechtler der DDR ging,
das intensive Engagement von Karsten Voigt für Frau
Bohley und Herrn Templin mitbekommen habe?
({0})
Wenn der Abgeordnete Otto sagt, er sei davon restlos
überzeugt, kann ich das nur unterstützen.
Ich rufe die Frage 49 des Kollegen Hans-Joachim
Otto auf:
Auf welcher satzungsgemäßen Grundlage beruht die außerplanmäßige Mittelvergabe des Hauptstadtkulturfonds
- Sitzung des Gemeinsamen Ausschusses Ende Februar 2005 und in welcher Höhe sollen die Projekte im Einzelnen gefördert werden?
Herr Abgeordneter Otto, der Hauptstadtkulturfonds
entscheidet in der Regel zweimal jährlich über die zu
fördernden Projekte des jeweils kommenden Jahres. Die
Sitzungstermine liegen am Jahresende und in der Jahresmitte in Abhängigkeit von den Antragsfristen. Sondersitzungen sind nach den geltenden Regularien nicht ausgeschlossen. Sie werden insbesondere dann vereinbart,
wenn auch über den Hauptstadtkulturfonds hinausgehende Themen der Kulturförderung in Berlin zu erörtern
sind, wie es der Hauptstadtkulturvertrag vom 9. Dezember 2003 vorsieht.
Im Ergebnis der regulären Sitzung des Gemeinsamen
Ausschusses am 30. November 2004 wurde der Presse
am 1. Dezember 2004 mitgeteilt, dass der Ausschuss
über die von der Jury zur Durchführung im Palast der
Republik vorgeschlagenen Projekte nicht entschieden
hat und sich in dieser Frage vertagt hat. Grund dafür war,
dass wesentliche Rahmenbedingungen für die Entscheidung, insbesondere die vom Berliner Kultursenator
geplante Einsetzung eines Generalmieters für eine kulturelle Zwischennutzung des Gebäudes, nicht abschließend geklärt waren.
Inzwischen haben sich die Pläne zur Einsetzung eines
Generalmieters zerschlagen, sodass die jeweiligen Nutzer unmittelbar Mietverträge mit der Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben abschließen müssen. Damit war
der Zeitpunkt gekommen, über die Juryempfehlungen
für kulturelle Projekte, die den Palast der Republik als
Spielstätte vorsehen, zu entscheiden. Die entsprechenden Mittel waren vorher zurückgehalten worden.
Der Gemeinsame Ausschuss ist im Januar folgenden
Voten der Jury gefolgt:
Für eine Audio-/Videoinstallation von Bauhouse
- Fabian Grobe und Clemens Wittkowski - an der Fassade des Palastes der Republik sind 20 000 Euro bewilligt worden. Für eine Auswahl von Projekten der Sophiensæle und des Theaters Hebbel am Ufer im August
bzw. September dieses Jahres sind 250 000 Euro bewilligt worden. Das von der Jury außerdem vorgeschlagene
Projekt „Dropping Knowledge“ kann - wie uns mitgeteilt wurde, aus zeitlichen Gründen - nicht realisiert werden.
Der Gemeinsame Ausschuss hat des Weiteren die Bewilligung von 300 000 Euro für eine Ausstellung zur
historischen Aufarbeitung des Palastes der Republik beschlossen. In dem Antrag, der uns vorlag - es geht um
ein überarbeitetes Konzept der Stiftung Stadtmuseum
Berlin -, war die Rede von neuen Partnern, und zwar der
Stiftung Stadtmuseum Berlin zusammen mit der Stiftung
Aufarbeitung und der Bundeszentrale für politische Bildung. Wie das endgültige Konzept dieser drei Partner
aussehen wird, wird zu prüfen sein.
Der Gemeinsame Ausschuss hat weiterhin die Förderung von Projekten aus Restmitteln entschieden, die in
der Sache bereits positiv befunden worden waren. Es
handelt sich um die Wiederaufnahme der erfolgreichen
Inszenierung „Einstein on the Beach“ von Phil Glass im
Rahmen des Einsteinjahres, die Förderung eines Gastspiels von Forsythe im Rahmen der Mittel des Förderschwerpunkts „Zeitgenössischer Tanz“ und für die Erstellung eines ergänzenden Katalogs für die vom
Hauptstadtkulturfonds bereits geförderte Ausstellung
„Ost-Punk“ des Künstlerhauses Bethanien.
Schließlich hat sich der Gemeinsame Ausschuss über
erste Projekte verständigt, die aus der auf Beschluss vom
30. November 2004 gebildeten so genannten Fondsreserve finanziert werden sollen. Hierbei handelt es sich
erstens um das achte Kinder- und Jugendtheatertreffen 2005. Dafür erfolgt letztmalig eine Bewilligung
von Mitteln aus dem Hauptstadtkulturfonds. Es handelt
sich zweitens um die Kosten der Uraufführung der Sinfonie X von Dieter Schnebel, die am letzten Sonntag
zum Abschluss der Maerz-Musik in der Philharmonie
präsentiert wurde, drittens um die Weiterentwicklung der
Plattform „lyricline.org“ zum internationalen Netzwerk
und viertens um ein für den Oktober geplantes Gastspiel
des Israelischen Nationaltheaters in Berlin anlässlich des
40. Jahrestages des deutsch-israelischen Abkommens.
({0})
Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege.
Liebe Frau Staatsministerin, gefragt war nur, aber
sehr konkret nach den 250 000 Euro, die pauschal für die
Zwischennutzung durch die Initiative Volkspalast vorgesehen waren. Nachdem Sie eben geschildert haben, dass
das Ganze eine sehr lange Vorgeschichte hat, kann ich
mir nicht erklären - Sie werden mir sicherlich helfen
können -, weshalb weder auf der Homepage des Hauptstadtkulturfonds noch bei telefonischen Nachfragen meinerseits beim Hauptstadtkulturfonds präzisiert werden
kann, für welche Projekte die 250 000 Euro im Einzelnen verwendet werden sollen. Sie haben eben gesagt, die
250 000 Euro seien für die Sophiensæle, also Tanzaufführungen, und das Theater Hebbel am Ufer bestimmt.
Können Sie angeben, welche Summe konkret auf welches Projekt entfällt? Dem Hauptstadtkulturfonds ist das
offensichtlich nicht bekannt. Vielleicht weiß es die
Der Berliner Kultursenator hat die Sophiensæle und
das Theater Hebbel am Ufer zum Abschluss eines Mietvertrags für den Zeitraum August bzw. September vorgeschlagen, und zwar nicht auf bestimmte Projekte
bezogen, sondern mit Projekten dieser beiden Kulturinstitutionen, die uns auch hinsichtlich der von ihnen
realisierten Projekte durchaus bekannt sind.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, aufgrund dieser Auskunft muss
ich Sie fragen, ob diese pauschale Mittelvergabe mit den
Vergaberichtlinien des Hauptstadtkulturfonds und dem
Transparenzgebot gegenüber der Öffentlichkeit gegenüber im Einklang steht. Zu Ihrer eigenen Erleichterung
zitiere ich aus der Förderrichtlinie des Hauptstadtkulturfonds:
Die Anträge müssen konkrete Aussagen über Art
und Umfang des Projektes, einen Finanzierungsplan, einen zeitlichen Ablaufplan und gegebenenfalls Nachweise über die bisherigen Arbeiten des
Antragstellers enthalten. Für die Antragstellung ist
ein Formblatt zu verwenden, das durch weitere Angaben ergänzt werden kann.
Ist dies in irgendeiner Weise bei den Projekten, die immerhin mit 250 000 Euro gefördert werden, berücksichtigt worden und, wenn nein, warum nicht?
Diese Projekte werden im Einzelnen vorgelegt werden müssen, ebenso wie die Ausstellung, von der ich
eben berichtet habe. Man hat uns zwar „Partner“ genannt. Aber das konnten wir in der angesprochenen Sitzung noch gar nicht verifizieren. Das heißt, aus der gemeinsamen Arbeit der Partner muss ein Konzept
hervorgehen, das wieder vorgelegt wird.
({0})
Es handelt sich allerdings um Abänderungen vorhandener Konzepte. Die Konzepte sind durch die Jury bereits geprüft worden. Ich weise darauf hin, dass die Jury
zum Beispiel eine Konzeption des Deutschen Historischen Museums als ideologieverdächtig abgelehnt hat,
({1})
während die Grundsatzausrichtung, die das Stadtmuseum vorgeschlagen hat, als positiv bewertet wurde. Insofern müssen wir nur noch darauf schauen, was aus der
Zusammenarbeit mit den neuen Partnern im Vergleich zu
dem alten Konzept wird. Entsprechende Ergebnisse liegen uns aber noch nicht vor; das ist auch nicht möglich.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Nooke.
Frau Weiss, können Sie denn etwas zu den geplanten
Projekten der beiden Institutionen sagen, die Sie quasi
zur Betreibergesellschaft für den Palast der Republik berufen haben und die entgegen den von Herrn Otto zitierten Förderrichtlinien bisher keine konkreten Projekte
vorgelegt haben? Was erwartet uns denn?
({0})
Ich frage das aufgrund der Erfahrungen im letzten Jahr,
als uns im Palast der Republik einige Dinge begegnet
sind, die nicht nur völlig geschmacklos waren, sondern
auch den Beschlüssen des Deutschen Bundestages voll
zuwiderliefen. Mit welcher Sicherheit können wir davon
ausgehen, dass dort nicht wieder zusätzlich öffentliches
Geld für Projekte ausgegeben wird, die von der öffentlichen Hand und dem Bundestag mitfinanziert werden?
Herr Abgeordneter Nooke, sie liefen garantiert nicht
den Beschlüssen des Deutschen Bundestages zuwider.
Über Geschmacksfragen lässt sich immer diskutieren.
Seit dem vergangenen Jahr ist Folgendes geändert
worden: Wir haben im Herbst eine neue Satzung für die
Vergabe der Gelder im Hauptstadtkulturfonds entwickelt. Der Berliner Kultursenator hat einen Beirat gegründet, der wiederum die einzelnen Projekte, die ausschließlich im Palast der Republik stattfinden sollen, zu
prüfen hat. Es obliegt mir nicht, die Qualität der einzelnen Projekte zu beurteilen. Wir haben die Partner kontaktiert und gesagt: Wenn die Projekte zustande kommen, dann steht Geld in einem bestimmten Umfang zur
Verfügung. Die Projekte werden zuerst durch den Beirat
beim Berliner Kultursenator geprüft. Danach kommen
sie zu uns zurück.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Hartwig
Fischer.
Frau Staatsministerin, wenn es eine klare Vergaberichtlinie gibt und wenn nach der Vergabezusage die
Programme geändert werden, entfallen dann die Zusagen oder nicht?
Die Änderungen werden uns mitgeteilt.
({0})
Es gibt Fälle, in denen eine Zusage nicht mehr zustande
kommt, weil sich das Projekt völlig verändert hat. Dann
muss es erneut eingereicht und von der Jury bewertet
werden. Es gibt andere Fälle, in denen die Änderungen
minimal sind. Dann kann man sagen: Der Vorratsbeschluss, das, was wir vor zwei, drei oder sechs Monaten - manchmal dauert es auch ein Jahr - gesagt haben,
ist noch immer gültig.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Dr. Hoyer.
Frau Staatsministerin, der Bundesrechnungshof hat
sich schon einmal mit dem Geschäftsgebaren des Hauptstadtkulturfonds befasst. Kann man davon ausgehen,
dass die Schlussfolgerungen, die daraus zu ziehen sind,
bereits bei dem Projekt, das Herr Otto angesprochen hat,
greifen?
Wir haben bereits vor und während der Erstellung des
Bundesrechnungshofsberichtes die Satzung geändert;
darauf habe ich eben hingewiesen. Wir haben alle Kritikpunkte, die dort zum Tragen kommen, bereits im Vorfeld
berücksichtigt und entsprechende Änderungen vorgenommen.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Lengsfeld.
Frau Staatsministerin, Ihnen ist doch bewusst, dass
der Bundestag seinerzeit beschlossen hat, dass keine öffentlichen Gelder in den Palast der Republik fließen. Wir
hören von Ihnen jetzt, dass eine erhebliche Menge öffentliches Geld für noch gar nicht feststehende Projekte
zur Verfügung gestellt wird. Wie bringen Sie das mit Ihrer Aussage, den Beschlüssen des Bundestages sei nicht
zuwidergehandelt worden, in Übereinstimmung?
Frau Abgeordnete, der Beschluss des Bundestages
war eindeutig: kein öffentliches Geld in die Sanierung
und die Herrichtung des Palastes zur öffentlichen Nutzung. So ist es geschehen.
Wir können mit dem Hauptstadtkulturfonds die Förderung von Projekten verfügen, die auch an einem anderen Ort stattfinden können; sie sind nicht an den Palast
der Republik gebunden, auch wenn sich die Anträge der
meisten Antragsteller in der Tat auf dieses Gebäude beziehen.
Dass dieses Gebäude überhaupt nutzbar geworden ist,
verdanken wir McKinsey und dem BDI und nicht öffentlichen Mitteln.
Ich rufe die Frage 50 des Kollegen Hans-Joachim
Otto auf:
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Welche Unterschiede zwischen der Konzeption der Stiftung Stadtmuseum für eine „historische Ausstellung zur Aufarbeitung der Geschichte des Palastes der Republik“ und der
Ausstellungskonzeption des Deutschen Historischen Museums, die die Jury des Hauptstadtkulturfonds Ende November
2004 laut Zeitungsberichten wegen einer vermeintlich „ideologischen Ausrichtung“ abgelehnt hatte, haben zu der Entscheidung für die Konzeption des Stadtmuseums geführt und
inwieweit entspricht diese den Grundsätzen einer historisch
fundierten und kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Palastes der Republik?
Herr Abgeordneter Otto, zur Entscheidung im Gemeinsamen Ausschuss stand am 25. Februar 2005 nur
noch ein überarbeitetes Konzept der Stiftung Stadtmuseum Berlin. Ich habe schon eben darauf hingewiesen: Es ist ein überarbeitetes Konzept in Zusammenarbeit mit der Stiftung Aufarbeitung und der
Bundeszentrale für politische Bildung. Wir müssen prüfen, ob eine solche Zusammenarbeit die Mängel, die wir
an diesem Konzept gesehen haben, beseitigen kann.
Ein erneuter Antrag zur Ausstellungskonzeption des
Deutschen Historischen Museums lag nicht vor. Allerdings war dem Deutschen Historischen Museum zu diesem Zeitpunkt noch keine Absage zugegangen; das
konnte auch nicht geschehen sein.
({0})
Die Jury hat ursprünglich, wenn ich Sie daran erinnern darf, allgemein gegen eine Ausstellung, anstelle
dessen aber für andere Formen der Dokumentation und
Aufklärung votiert. Die Jury wollte das Gebäude nicht
mit einer Ausstellung blockieren. Ich darf Sie daran erinnern, dass ich selbst eine historisch-kritische Ausstellung im Palast der Republik angeregt habe und deswegen natürlich bereit bin, die vorliegenden Konzepte zu
prüfen und im positiven Falle auch zu genehmigen.
Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege, bitte.
Nachdem das Konzept des Deutschen Historischen
Museums wegen angeblicher, wie es so schön heißt,
„ideologischer Ausrichtung“ abgelehnt worden ist und
Sie eben gesagt haben, dass Sie gern eine „historischkritische Ausstellung“ möchten, frage ich Sie, ob Sie das
durch das neue Konzept der Stiftung Stadtmuseum Berlin gewährleistet sehen. In diesem Konzept heißt es unter
anderem wörtlich:
Es sollen wesentliche Merkmale des multifunktionalen Gebäudes
- Palast der Republik als gelungene Verbindung von öffentlichem Kulturanspruch und privater Aneignung deutlich werden.
Halten Sie das für ideologiefrei? Halten Sie das für historisch-kritisch?
Ich halte eine Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit
der Stiftung Aufarbeitung und mit der Bundeszentrale
für politische Bildung durchgeführt wird, für positiv.
Im Übrigen gilt für die Ausstellung das, was auch für
alle anderen Projekte gilt: Es gibt ein Vorvotieren einer
Jury, die, nebenbei gesagt, seit Beginn dieses Jahres
nicht mehr im Amt ist, und es gibt eine weitere Jurierung
durch den Beirat des Berliner Kultursenators, an dem
wir nicht beteiligt sein müssen.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Sie haben eben erheblich auf die Mitwirkung der
Bundeszentrale für politische Bildung und der Stiftung
Aufarbeitung abgestellt. Daher möchte ich Sie fragen:
Können Sie die Gerüchte, dass sich die Bundeszentrale
für politische Bildung zu diesem Projekt der Stiftung
Stadtmuseum kritisch geäußert hat, als unzutreffend zurückweisen? Ist die Bundeszentrale für politische Bildung noch voll an Deck und wird sie mitarbeiten? Können Sie mir das hier versichern?
Herr Otto, ich kann an dieser Stelle bestimmt nicht
auf Gerüchte reagieren. Aber ich kann Ihnen sagen, dass
wir, was diese Partnerschaft angeht, mit Sicherheit genauestens abfragen werden.
({0})
- Ich kann auf Fragen nach Gerüchten hier keine Antwort geben.
({1})
- Sie müssen ja erst einmal gefragt worden sein.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Frau Staatsministerin, wenn Sie auf Gerüchte nicht
antworten, dann können Sie vielleicht sagen, welchen
Anlass Sie haben, so genau nachzufragen, wie Sie es gerade gesagt haben.
Weil wir das so vereinbart haben und weil wir es immer dann so vereinbaren, wenn einige Fragen bei der
Konkretisierung eines Projektes offen geblieben sind.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Die Fragen beantwortet Frau Staatsministerin
Kerstin Müller.
Ich rufe Frage 51 der Kollegin Vera Lengsfeld auf:
Hat die Bundesregierung den vom Bundesminister des
Auswärtigen, Joseph Fischer, im Dezember 1998 zum Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit berufenen und seitdem im Auswärtigen Amt tätigen Karsten Voigt
zu dem Vermerk für das Zentralkomitee der SED vom 8. Juli
1988 angehört und gegebenenfalls zu welchem Ergebnis hat
diese Anhörung geführt?
Die Bundesregierung sieht keinen Anlass, den Koordinator für die deutsch-amerikanische zwischengesellschaftliche kultur- und informationspolitische Zusammenarbeit, Karsten D. Voigt, zu einem Vorgang zu
befragen, zu dem Herr Voigt bereits 1992 abschließend
Stellung genommen hat. Die Darstellung, in der der
„Spiegel“ in der Ausgabe vom 24. August 1992 unter
anderem über den Vermerk der SED vom 8. Juli 1988
berichtete, hat Herr Voigt in einem Brief an den „Spiegel“-Redakteur richtig gestellt, der im „Spiegel“ auszugsweise folgendermaßen abgedruckt wurde:
Richtig ist, dass ich mich mehrfach für die freie
Einreisemöglichkeit von Bärbel Bohley und
Templin eingesetzt habe … Alles andere sind Deutungen und Erfindungen derjenigen, die den Vermerk geschrieben haben.
Tatsache ist, dass Frau Bohley am 3. August 1988 wieder in die DDR einreiste.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatsministerin, gab es eine Überprüfung von
Karsten Voigt bei der Gauck-Behörde durch das Auswärtige Amt als Dienstherrn?
Es gab die übliche Sicherheitsüberprüfung. Ob dies
eine Überprüfung durch die Gauck-Behörde einschließt,
kann ich Ihnen nicht sagen; das werde ich Ihnen aber
schriftlich beantworten.
({0})
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Hält das Auswärtige Amt den Vermerk des Zentralkomitees von Juli 1988 tatsächlich für so belanglos vor
dem Hintergrund der Tatsache, dass in etwa dieser Zeit
Herr Voigt gemeinsam mit dem Mitglied des Zentralkomitees und des Politbüros Egon Krenz Urlaub gemacht hat?
Wir haben keine Anhaltspunkte, um an der Stellungnahme von Karsten D. Voigt zu zweifeln. Zu hypothetischen Sachverhalten nimmt die Bundesregierung keine
Stellung.
({0})
- Darf ich diese Frage beantworten?
Sie dürfen nur zwei Zusatzfragen stellen, Frau
Lengsfeld.
Darf ich meine Antwort zu Ende führen?
Sie dürfen, Frau Staatsministerin.
Zu hypothetischen Sachverhalten nimmt die Bundesregierung keine Stellung. Ich verweise insofern auf die
vom Kollegen Hartenbach gegebenen Antworten in dieser Fragestunde.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Vaatz.
Frau Staatsministerin, Sie haben soeben auf eine abschließende Stellungnahme des Kollegen Voigt aus dem
Jahre 1992 abgehoben. Sind Sie bereit, einzuräumen,
dass diese Stellungnahme keinen der erhobenen Verratsvorwürfe gegen die Bürgerrechtler Bohley und Templin
ausräumt, sondern dass er ausdrücklich erklärt, dass er
Gespräche geführt habe mit dem Ziel, die Wiedereinreisemöglichkeit von Bohley und Templin zu schaffen,
und dass genau dieses in der fraglichen Notiz behauptet
wird, allerdings mit dem Zusatz, dass er diese Wiedereinreisemöglichkeit den Herren dort hat schmackhaft
machen wollen, indem er empfohlen hat, Bohley und
Templin hinterher einzusperren und sie unter einem anderen Vorwand aus der DDR wieder auszuweisen?
Ich teile keine der von Ihnen getätigten Unterstellungen. Ich zitiere noch einmal aus der Stellungnahme des
Kollegen Voigt:
Richtig ist, dass ich mich mehrfach für die freie
Einreisemöglichkeit von Bärbel Bohley und
Templin eingesetzt habe … Alles andere sind Deutungen und Erfindungen derjenigen, die den Vermerk geschrieben haben.
Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass Frau Bohley
am 3. August 1988 wieder in die DDR einreiste, offensichtlich auf den Einsatz des Kollegen Voigt hin.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Weisskirchen.
Können Sie, Frau Staatsministerin, möglicherweise
bestätigen, dass - man kann das in der Dokumentationsreihe der Friedrich-Ebert-Stiftung alles nachlesen; ich
selbst war Teilnehmer an einer solchen Diskussion, veranstaltet von der Friedrich-Ebert-Stiftung - Frau Bärbel
Bohley ausdrücklich die SPD aufgefordert hat - ganz besonders Karsten Voigt -, alles zu tun, damit sie, Bärbel
Bohley, wieder in die DDR einreisen darf?
({0})
Da ich auf dieser Veranstaltung nicht anwesend war,
kann ich naturgemäß dazu nichts sagen. Ich kann nur bestätigen, dass Dokumente, die über diese Veranstaltung
existieren, genau die Äußerungen von Frau Bohley auf
jener Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahre
1988, die Sie gerade genannt haben, wiedergeben.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Dr. Bergner.
Frau Staatsministerin, mir fällt auf, dass Sie sich hinsichtlich der Prüfung des Wahrheitsgehaltes dieses Vermerks allein auf die Gegendarstellung des Betroffenen
stützen. Wir haben ja eine Menge von Stasi-Unterlagen
der ehemaligen DDR aufgearbeitet und dabei erlebt,
dass sich der Betroffene immer dann, wenn in einer Unterlage ein bestimmter Beleg geliefert wurde, durchaus
immer in einem erklärenden und abwehrenden Sinne geäußert hat. Es war bei dieser Praxis der Stasi-Überprüfung üblich, sich nicht allein auf diese Gegendarstellung
zu verlassen. Sehen nicht auch Sie die Notwendigkeit einer intensiveren Prüfung dieses Vermerkes, da allein die
Gegendarstellung des Betroffenen nicht ausreichen
kann, wenn man mit gleichen Maßstäben messen will?
({0})
Ich verweise insofern auf meine Antwort zu Frage 51
der Kollegin Lengsfeld.
Ich rufe die Frage 52 des Kollegen Arnold Vaatz auf:
Aufgrund welcher Erwägungen und Erkenntnisse sieht die
Bundesregierung trotz des Vermerks für das Zentralkomitee
der SED vom 8. Juli 1988 noch das besondere Vertrauensverhältnis zu ihrem Koordinator für die deutsch-amerikanische
Zusammenarbeit, Karsten Voigt, gewahrt?
Karsten Voigt hat seit seiner Ernennung zum Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit
hervorragende Arbeit geleistet und in bemerkenswerter
Weise zu einer positiven Entwicklung der deutsch-amerikanischen zwischengesellschaftlichen Beziehungen
beigetragen. Karsten Voigt genießt für seine Arbeit weiterhin das volle Vertrauen der Bundesregierung. Er hat
zu dem Kontext des Vermerks vom 8. Juli 1988 bereits
ausführlich und abschließend im Jahre 1992 Stellung genommen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatsministerin, Ihnen ist bekannt, dass ein
schwer wiegender Verratsvorwurf gegenüber Herrn
Voigt in der Presse behauptet wird. Betrachten Sie es
nicht als selbstverständlich, dass der Kollege Voigt - ({0})
- Ich darf aus dem „Focus“ 8/2005 zitieren, wenn Sie
gestatten, Frau Präsidentin, dass ich auf den Zuruf des
Kollegen Weisskirchen reagiere. Hier steht, Herr Voigt
… beging dann - wenn der DDR-Vermerk nicht
übertreibt - Hochverrat an den Dissidenten Bohley
und Templin.
Ein solcher Verratsvorwurf steht im Raum, Frau
Staatsministerin. Betrachten Sie es nicht als selbstverständliche Aufgabe des Herrn Voigt, diesen Verratsvorwurf, wenn er nicht zutrifft, im Wege einer Unterlassungsklage auszuräumen?
Nein, keineswegs.
({0})
Ich bin nicht der Meinung, dass die Bundesregierung auf
jeden Unfug, der in der Presse behauptet wird, reagieren
muss.
Haben Sie noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Vaatz?
Ich bedanke mich, Frau Präsidentin.
Dann eine weitere Zusatzfrage des Kollegen
Weisskirchen.
Ist Ihnen, Frau Staatsministerin, möglicherweise bekannt, dass Leserbriefe, etwa einer von dem vormaligen
zuständigen Funktionär der Parlamentarischen Versammlung der NATO zu einem Problem, dessen Sachverhalt vorhin erörtert worden ist, vom „Focus“ nicht
abgedruckt wurden? Können Sie daraus vielleicht entnehmen, wie seriös der „Focus“ mit solchen Fragen umgeht?
Es ist mir in der Tat bekannt, dass immerhin der Generalsekretär der Parlamentarischen Versammlung auf
eine falsche Darstellung im „Focus“ hingewiesen hat
und dass das Magazin sich nicht genötigt sah, dies zu
veröffentlichen. Was sich daraus für dessen Seriosität ergibt, überlasse ich Ihrer Wertung.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Nooke.
Frau Staatsministerin, der Staatssekretär aus dem
Justizministerium hat vorhin auf eine Frage von Herrn
Weisskirchen bezüglich der Koordinationstätigkeit von
Karsten Voigt für die deutsch-amerikanischen Beziehungen eine auf die Vergangenheit bezogene unbefriedigende Antwort gegeben. Ich möchte Ihnen nahe legen,
mit mir zusammen einem Gedanken zu folgen: Könnte
es sein, dass es Ihrer Politik - der von Bundeskanzler
Gerhard Schröder, der Ihres Außenministers Fischer zuwiderlaufen würde, wenn Sie einen Koordinator für
die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit bestellten,
der in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis mit anderen steht, das ihn eventuell erpressbar machen würde?
Müssten Sie nicht alles dafür tun, in dem Geschäft zwischen Deutschland und Amerika - gerade wenn Sie sich
gegenüber Amerika mit eigenen Positionen durchsetzen
wollen - unabhängige Leute zu installieren und nicht
Leute, über die andere Geheimdienste eventuell mehr
wissen, als das Außenministerium hier zu Protokoll
gibt? Sie sagen ja sogar: Wir haben überhaupt nicht
überprüft, ob das stimmt, und eine Unterlassungsklage
ist nicht so wichtig; sollen die in Amerika lesen, dass
Leute für uns arbeiten, die nicht integer sind.
Da ich die von Ihnen gemachten Unterstellungen
nicht teile, verweise ich auf meine Antworten zu den
Fragen 51 und 52. Ich wiederhole, dass Karsten Voigt
ein ganz hervorragender Koordinator in Bezug auf die
deutsch-amerikanischen Beziehungen ist, dass er ein
sehr unabhängiger Kopf ist und dass er gerade dafür in
den USA geschätzt wird, über alle Fraktionsgrenzen und
politischen Richtungen hinweg. Ich konnte mich durch
viele Reisen in die Vereinigten Staaten persönlich davon
überzeugen. Es gibt überhaupt keinen Zweifel an seiner
Integrität.
({0})
Die Fragen 53 und 54 des Kollegen Norbert Geis werden schriftlich beantwortet.
Deshalb rufe ich die Frage 55 des Kollegen Dr. Ole
Schröder auf:
Welche Maßnahmen, insbesondere außenpolitischer Art,
werden ergriffen, um die türkische Regierung zu bewegen, gegen antisemitische und antiwestliche Hetzkampagnen, insbesondere gegen volksverhetzende Presseerzeugnisse, in der
Türkei vorzugehen?
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Herr Bundesminister des Innern hat am 25. Februar 2005 die in
Deutschland verlegte Europaausgabe der Zeitung
„Vakit“ wegen volksverhetzender Inhalte verboten. Die
Zeitung hat einen radikal-islamistischen Hintergrund.
Der Grundton der Zeitung ist oft antisemitisch. Darüber
hinaus steht der Bundesminister des Innern mit seinem
türkischen Kollegen Abdülkadir Aksu in Kontakt. Er hat
ihn dazu aufgefordert, zu prüfen, ob er nicht seinerseits
rechtliche Schritte gegen die türkische Ausgabe der Zeitung einleiten kann.
({0})
Nachdem der Vorsitzende des türkischen Presserates,
Oktay Eksi, in einem Kommentar in der Zeitung
„Hürriyet“ das Verbot der in Deutschland erscheinenden
Europaausgabe der „Vakit“ in Deutschland kritisiert
hatte, hat der deutsche Botschafter in Ankara am 1. März
dieses Jahres in einem offenen Brief an Oktay Eksi unmissverständlich klargestellt, dass die antisemitische und
antiwestliche Berichterstattung der „Anadoluda Vakit“
gänzlich inakzeptabel ist. Diese Auffassung der Bundesregierung hat der deutsche Botschafter in Ankara darüber hinaus in verschiedenen Kontakten mit türkischen
Regierungsvertretern und bei einer Pressekonferenz mit
dem Oberbürgermeister von Istanbul am 4. März 2005
bekräftigt.
Zusatzfragen.
Oktay Eksi hat auf diesen offenen Brief in gleicher
Weise scharf geantwortet. Ich zitiere ihn:
Dass Sie bezüglich des deutschen Innenministers
den Ausdruck „von oben herab“ erwähnt haben, hat
mich mit Genugtuung erfüllt. Dies gibt Ihnen die
Möglichkeit, die Wirkungen zu erfahren, die uns
bewegen, wenn man Ausdrücke gebraucht, die die
Türkei von oben herab betrachten.
Das war die Antwort auf den offenen Brief des Botschafters. Wie reagiert der Außenminister, der ja vom Ressort
her dafür zuständig ist, auf solche Vorkommnisse?
Der Außenminister selbst hat darauf nicht reagiert,
aber unser deutscher Botschafter. Er hat das sehr deutlich zurückgewiesen. Darüber hinaus hat es am 10. März
2005 Konsultationen der Staatssekretäre gegeben. Unser
Staatssekretär hat diese Sache dort noch einmal sehr
deutlich angesprochen und klar gemacht, dass für uns
die Vorgänge in dieser Zeitung völlig inakzeptabel sind,
dass wir diese Entwicklungen weiterhin verfolgen werden und, wenn nötig, entsprechend eingreifen werden.
Eine Bundestagskollegin wurde von der Zeitung
„Vakit“ bedroht. Warum haben der Außenminister und
der Botschafter darauf nicht reagiert?
In dieser Angelegenheit ist mir nichts bekannt. Ich
kann deswegen nicht sagen, ob darauf reagiert wurde.
Die Bedrohungen waren der Grund dafür, weshalb
der Bundesinnenminister diese Zeitung verboten hat.
Nicht nur. Es gab auch antisemitische Äußerungen.
Wollen Sie sagen, dass Ihnen die Drohungen gegen
die Kollegin Köhler, die in der Zeitung „Vakit“ geäußert
wurden, nicht bekannt sind?
In dieser Zeitschrift werden antisemitische und volksverhetzende Inhalte veröffentlicht. Der Bundesinnenminister hat darauf reagiert und die Zeitschrift verboten.
Ich kann Ihnen eine genaue Antwort gerne nachreichen.
({0})
Weitere Zusatzfrage?
Frau Staatsministerin, ist Ihnen denn zumindest bekannt, dass der Außenminister in einem Schreiben, in
dem er auf die Bedrohungen der Zeitschrift „Vakit“ gegen meine Person eingeht, der Jungen Gruppe mitgeteilt
hat, dass es der Frau Kollegin Köhler freistünde, in der
Türkei den Klageweg zu beschreiten?
Nein, ich kenne den Brief nicht.
({0})
Ich rufe die Frage 56 des Kollegen Schröder auf:
Werden diese Maßnahmen mit Konsequenzen verknüpft
sein, um der Forderung an die türkische Regierung, volksverhetzende Äußerungen zu unterbinden, angemessenes Gewicht
zu verleihen?
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf meine
Antwort zur Frage 55. Die Bundesregierung hat dieses
Thema mit der türkischen Seite im Rahmen der bilateralen Konsultationen am 10. März 2005 aktiv aufgenommen. Sie wird in dieser Angelegenheit das Gespräch mit
der türkischen Regierung in allen kritischen Punkten
weiterhin offen führen und die weitere Entwicklung mit
großer Aufmerksamkeit verfolgen.
Bundesinnenminister Schily hat den türkischen Innenminister konkret gebeten, der hetzerischen Berichterstattung Einhalt zu gebieten. Er hat außerdem angekündigt, das Thema beim Besuch seines Kollegen in Berlin
im April anzusprechen. Wird der Bundesaußenminister
den Bundesinnenminister bei seinen Bemühungen unterstützen?
({0})
Selbstverständlich unterstützt der Bundesaußenminister den Bundesinnenminister in seinen Bemühungen.
Der Bundesinnenminister hat in seiner Rede zum
Thema Versammlungsrecht am letzten Freitag Zusammenhänge zum EU-Beitritt deutlich gemacht. Wird nach
Meinung der Bundesregierung die jetzige Verhaltensweise der türkischen Regierung zu diesem Thema Auswirkungen auf die EU-Beitrittsverhandlungen haben?
Ich muss Ihnen gestehen, dass ich am letzten Freitag
die Rede des Bundesinnenministers nicht im Detail verfolgt habe. Ich gehe aber davon aus, dass es eine gute
Rede war und dass er das gesagt hat, was Sie gerade angesprochen haben.
Wir meinen, dass ein solcher Vorgang allein nicht
ausreicht, um von der Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen abzusehen. Aber alle diese Vorgänge werden
natürlich in den Fortschrittsbericht der Kommission einfließen und insgesamt Berücksichtigung finden.
Die Fragen 57 und 58 der Kollegin Oßwald werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 59 des Kollegen Ulrich Heinrich
auf:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, inwieweit die Anforderungen, die von der Afrikanischen Union,
AU, für die Mission in der Darfur-Region im Sudan an die internationale Gemeinschaft gestellt wurden, erfüllt worden
sind?
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Herr Kollege
Heinrich, die Afrikanische Union führt vom 10. bis
17. März eine Evaluierungsmission in Darfur durch, die
den genauen aktuellen Bedarf der Mission der Afrikanischen Union im Sudan feststellen soll. Die USA, die
Vereinten Nationen und die EU beteiligen sich an der
Evaluierungsmission.
Die Bundesregierung hat bereits vorab entschieden,
ihre bisherige Unterstützung für AMIS um 1 Million
Euro auf insgesamt 3 Millionen Euro aufzustocken. Die
Bundesregierung klärt derzeit mit der AU, in welchem
Bereich dieser Beitrag am sinnvollsten eingesetzt werden kann.
EU und Bundesregierung unterstützen die AU-Mission AMIS politisch, finanziell, materiell und logistisch.
So ist bislang etwa der finanzielle Bedarf der AU-Mission durch substanzielle Beiträge der EU, ihrer Mitgliedstaaten und der USA zu einem großen Teil gedeckt worden. Die Europäische Union hat beispielsweise aus
Mitteln der Friedensfazilität für Afrika 92 Millionen
Euro für AMIS zur Verfügung gestellt. Die Bundesregierung ist hieran über ihre EU-Beiträge mit mehr als
20 Prozent beteiligt. Die AU-Mission in Darfur ist die
erste Mission dieser Art überhaupt. Die AU nimmt diese
Mission sehr ernst und betrachtet sie als einen Testfall
für den Aufbau eigener Konfliktlösungsfähigkeiten.
Diese Zielrichtung gilt es zu fördern.
Bitte.
Frau Staatsministerin, Sie haben die Frage nicht beantwortet, inwieweit den Anforderungen, die von der
AU gestellt worden sind, nachgekommen wurde oder ob
es höhere Anforderungen gab, die mit den von Ihnen genannten Zahlen nicht befriedigt werden konnten, oder ob
die Anforderungen sogar unterhalb dessen lagen, was
von der EU-Friedensfazilität und der Bundesregierung
zur Verfügung gestellt worden ist.
Doch, insofern, als ich dargestellt habe, welche Anforderungen an die Europäische Union durch die AU gestellt wurden und was geliefert wurde. Bis zum 17. März
evaluiert eine Mission den genauen, aktuellen Bedarf.
Nach Beendigung der Tätigkeit dieser Mission werden
wir selbstverständlich sowohl bilateral als auch mit den
Partnern in der Europäischen Union prüfen, ob wir über
die Unterstützung, die bisher geleistet wurde, hinaus
noch mehr zur Verfügung stellen können.
Ich könnte Ihnen jetzt einzelne Beispiele nennen,
etwa die Aufstockung der Zahl der an der AU-Mission
Teilnehmenden; das ist ja ein wichtiger Punkt. Diese ist
fast abgeschlossen; beteiligt sind derzeit 2 298 Mann.
Von den 450 vorgesehenen Militärbeobachtern sind
438 vor Ort. Von den 1 700 vorgesehenen Mann der
Schutztruppe sind 1 695 vor Ort. Bei der Polizei läuft es
etwas zögerlich. Von den vorgesehenen 815 sind
118 Polizisten vor Ort. Zudem gibt es 47 Mann Unterstützungspersonal.
Damit ist der größte Teil der vorgesehenen militärischen Beobachter stationiert. In diesem Zusammenhang
wurde Unterstützung geleistet. Wie der Deutsche Bundestag beschlossen hat, hat die Bundeswehr im
Dezember 2004 auf Bitten der AU den Transport von
196 gambischen Soldaten von Banjul nach Al-Fashir in
Darfur übernommen. Wenn dort weitere Unterstützungsleistungen notwendig wären, würden wir die natürlich
im Rahmen des bestehenden Mandats gewährleisten.
Wir warten jetzt die Evaluierung ab. Ich kann Ihnen
versichern: Die Bundesregierung wird sowohl bilateral
als auch im Rahmen der EU alles dafür tun, dass es nicht
an der Unterstützungsleistung mangelt.
Heißt dies dann konkret, dass die Bundesregierung
willens und bereit ist, bei einer höheren Anforderung
vonseiten der AU entsprechende Mittel bereitzustellen?
Wir werden das dann sicherlich prüfen. Das hängt natürlich auch von der Höhe der Mittel ab. Die Frage ist,
ob es um finanzielle oder logistische Unterstützung geht.
Was wir im Rahmen unseres Budgets leisten können,
werden wir tun.
Bisher gehört die Bundesregierung weltweit zu den
größten Gebern, was die humanitäre Hilfe im letzten
Jahr in Darfur betrifft. Wir haben beschlossen, diese
auch 2005 zu leisten. Wir gehören im internationalen
Vergleich zu denjenigen, die sowohl im Hinblick auf die
AU-Mission als auch im Hinblick auf das, was zur Linderung der humanitären Not nötig ist, die größte Unterstützung leisten.
Herr Kollege Fischer.
Sie haben eben AMIS und den Einsatz der Bundeswehr erwähnt. Während dieses Einsatzes hat der Bundesverteidigungsminister angekündigt, dass er eventuell
bereit sei, für den Sudan zusätzlich Soldaten zur Verfügung zu stellen. Wie weit sind Sie da und geht es nur um
finanzielle Hilfe oder auch um Manpower, zum Beispiel
bei den Polizisten?
Die Äußerung, die der Verteidigungsminister getätigt
hat, bezog sich auf die UN-Mission UNMIS, die zur Absicherung und Implementierung des Nord-Süd-Friedensvertrages geplant ist. Sie bezog sich also nicht auf die
AU-Mission in Darfur.
Hierzu kann ich Ihnen nur folgenden Stand mitteilen:
Bisher wird noch immer über einen Entwurf diskutiert,
der leider in New York noch nicht verabschiedet worden
ist. Erst wenn das geschehen ist, können wir sagen: Was
ist das Mandat? Wie sehen die Anforderungen aus? Es
gab eine Voranfrage und wir haben signalisiert, dass wir
bereit seien, uns zu beteiligen. Aber konkrete Entscheidungen werden natürlich erst getroffen, wenn ein Mandat und eine entsprechende Anfrage vorhanden sind.
({0})
- Wir prüfen, ob wir uns auch an dem Polizeieinsatz beteiligen können. Das betrifft auch UNMIS.
Ich rufe jetzt Frage 60 des Kollegen Heinrich auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung des Koordinators der Vereinten Nationen für humanitäre Hilfe, Jan
Egeland, eine größere internationale Schutztruppe für die sudanesische Krisenregion zur Verfügung zu stellen, und wie
könnte eine solche Schutztruppe von der Bundesregierung unterstützt werden?
Die Afrikanische Union leistet mit ihrer Mission in
Darfur einen wichtigen Beitrag in der Region. Die Bundesregierung teilt die Auffassung des UN-Koordinators für
humanitäre Hilfe, Egeland, dass die AU-Mission in Gegenden, in denen sie in Darfur stationiert ist, in vielen Fällen dem Ausbruch von neuer Gewalt entgegenwirken kann
und auch entgegengewirkt hat. Insofern wäre eine weitere
Aufstockung der Mission der Afrikanischen Union erstrebenswert. Die Entscheidung hierüber muss allerdings von
der AU selbst getroffen werden. Wichtig ist uns, dass die
Eigenverantwortung der Afrikanischen Union für eine Lösung der Darfur-Krise nicht angetastet wird, sondern vielmehr Möglichkeiten einer effizienten Unterstützung ausgearbeitet werden. Auf welche Weise die Bundesregierung
eine größere Schutztruppe unterstützen könnte, hängt von
den konkreten Aufstockungsmodalitäten ab.
Heißt das, dass die Bundesregierung bereit ist, eine
eventuelle Anforderung von der AU, dorthin internationale Schutztruppen zu entsenden, positiv zu bescheiden?
Das ist eine sehr hypothetische Frage. Denn bisher hat
die Afrikanische Union - das ist der Sachstand, den ich
habe - darauf bestanden, die AU-Mission ausschließlich
mit afrikanischen Soldaten zu bestücken.
Was im Rahmen der Mandatserteilung für UNMIS
diskutiert wird, ist, ob und gegebenenfalls auf welche
Weise es eine enge Kooperation zwischen der UNOMission und der AU-Mission geben kann. Insofern verweise ich auf meine zuvor gegebenen Antworten, als ich
nämlich gesagt habe, dass wir, sobald eine Anfrage vorliegt, wohlwollend prüfen werden, wie und in welchem
Rahmen wir uns daran beteiligen können. Es sieht im
Moment danach aus, als würde das eher über eine stärkere Kooperation mit und somit über eine Unterstützungsleistung für die UN-Mission geschehen.
Frau Staatsministerin, Sie waren ja erst kürzlich im
Sudan und haben dort sicherlich zusätzliche Informationen darüber erhalten, wie die Versorgung der Flüchtlinge
aussieht. Wir lesen tagtäglich, dass die Lage katastrophal
ist, dass viele Menschenopfer nicht nur durch Kriegseinwirkungen zu beklagen sind, sondern dass auch
Zehntausende innerhalb eines Monats aufgrund fehlender Ernährung und schlechter medizinischer Versorgung
zu Tode kommen. Wie geht die Bundesregierung die
Riesenherausforderung dieser menschlichen Tragödie
konkret an?
In der Tat hat Herr Egeland die Zahlen über die Todesopfer korrigiert. Man spricht jetzt nicht mehr von
70 000, sondern von 180 000 bis 200 000 Todesopfern.
Ferner besagt ein Bericht von Médecins sans Frontières,
dass es in einer Region Darfurs innerhalb von drei Monaten eine massive Zahl von Vergewaltigungen gegeben
hat, dass also Vergewaltigungen als Mittel der Kriegsführung eingesetzt wurden.
Was werden wir tun?
Erstens. Wir werden natürlich weiterhin humanitäre
Hilfe leisten. Aber dies wird nicht ausreichen. Wir werden natürlich auch in Zukunft im Sinne der Politik, die
wir bisher verfolgt haben, versuchen, Druck auf die Verantwortlichen auszuüben - dies ist zum einen die sudanesische Regierung, die auch nach dem Bericht der internationalen Untersuchungskommission offensichtlich
mit den Reitermilizen kooperiert; dies sind zum anderen
aber auch die Rebellenorganisationen -, die Waffenstillstandsvereinbarungen einzuhalten und letztlich zu einer
politischen Lösung zu kommen.
Zweitens setzen wir uns im Rahmen der Europäischen Union für die Verhängung von gezielten Sanktionen wie etwa Einreisebeschränkungen und anderes
gegen die im Untersuchungsbericht genannten Hauptverantwortlichen ein.
Drittens haben wir in der Europäischen Union durchgesetzt, dass sich die EU den Empfehlungen der UnterStaatsministerin Kerstin Müller
suchungskommission angeschlossen hat, die Verantwortung für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit an den Internationalen Strafgerichtshof
zu überweisen.
Mit diesen Maßnahmen - Sanktionen, Internationaler
Strafgerichtshof und Linderung der Not - hoffen wir,
dass wir die Verantwortlichen vor Ort, die Konfliktparteien, zum Einlenken bewegen können.
Kollege Fischer.
Frau Staatsministerin, sind Sie mit mir der Auffassung, dass die Prozesse wieder einmal sehr schleppend
sind, die Weltgemeinschaft hier versagt und wir direkt
vor einem Genozid stehen, wie wir ihn in Ruanda erlebt
haben?
Ich würde nicht von Genozid sprechen. Der Bericht
der internationalen Untersuchungskommission, die unter
anderem auf Betreiben der Bundesregierung eingerichtet
wurde, sagt ausdrücklich, es sei ihrer Ansicht nach kein
Genozid. Er spricht aber von schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen, und
zwar auf beiden Seiten, und benennt auch die Verantwortlichen.
Angesichts dessen kann ich nur unterstützen, was
Kofi Annan gesagt hat, nämlich dass die Menschen in
Darfur zurzeit die Hölle auf Erden durchleben und dass
die internationale Gemeinschaft schneller zu Entscheidungen kommen muss. Sie muss eine weitere Eskalation
der Gewalt durch Druck auf die Konfliktparteien verhindern.
({0})
Ich rufe die Frage 61 des Kollegen Dr. Addicks auf:
Welches politische Konzept hat die Bundesregierung, um
die sudanesische Regierung definitiv in Khartoum zur Aufgabe der Unterstützung der Dschandschawid-Milizen zu bewegen und deren Gräueltaten zu stoppen?
Zum politischen Konzept habe ich in meinen zuvor
gegebenen Antworten schon einiges gesagt. Der Generalsekretär der Vereinten Nation, Kofi Annan, hat in
einem Bericht an den Sicherheitsrat am 4. März 2005
festgestellt, dass die sudanesische Regierung ihre Verpflichtung zum Rückzug und zur Entwaffnung der
Dschandschawid-Milizen nicht erfüllt hat.
Die Bundesregierung verfolgt mit großer Sorge, dass
die Gewalt gegen Zivilisten und Flüchtlinge in Darfur
anhält. Alle Konfliktparteien brechen weiterhin das am
8. April 2004 in Ndjamena vereinbarte Waffenstillstandsabkommen. Die Bundesregierung setzt sich daher
dafür ein, den Druck auf die sudanesische Regierung zu
erhöhen, um diese zu einer Entwaffnung und zum Rückzug der Dschandschawid-Milizen zu drängen.
Unter aktiver Mitwirkung der Bundesregierung hat
der UN-Sicherheitsrat diese Forderung an die sudanesische Regierung in mehreren Resolutionen klar festgehalten. Die Bundesregierung hat außerdem Erklärungen der
EU und der G 8 initiiert, die diese Forderung an die sudanesische Regierung deutlich gemacht haben. In zahlreichen bilateralen Gesprächen und öffentlichen Erklärungen haben Bundesminister Joschka Fischer, meine
Wenigkeit und die Bundesministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul die sudanesische Regierung zur Entwaffnung der Milizen aufgefordert. Ich war gemeinsam
mit Bundesminister Joschka Fischer im Juli 2004 in
Khartoum, um diese Forderung persönlich gegenüber
der Regierung zur vertreten.
Da die sudanesische Regierung diese Forderung bisher nicht erfüllt hat, setzen wir uns für die Verhängung
eines umfassenden UN-Waffenembargos gegen den
Sudan sowie für personengebundene Sanktionen wie
Einreiseverbote und das Einfrieren von Guthaben ein.
Auch der Druck auf die Darfur-Rebellen muss weiter
erhöht werden. Des Weiteren unterstützt die Bundesregierung nachdrücklich die Empfehlungen des Berichts
der UN-mandatierten Untersuchungskommission, die in
Darfur geschehenen Menschenrechtsverletzungen an
den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen.
Letztlich muss es darum gehen, eine politische Lösung
des Konflikts zwischen den Konfliktparteien zu finden.
Daher unterstützt die Bundesregierung die Fortführung
der politischen Gespräche in Abuja.
Zusatzfrage.
Danke, Frau Staatsministerin Müller. - Eine Zusatzfrage: Ihrer Antwort entnehme ich, dass Sie sehr viele
Absichten haben und Erklärungen abgegeben haben, die
allerdings meiner Ansicht nach nicht geeignet sind, die
Vorgänge dort zu stoppen. Ist die Bundesregierung vielleicht der Auffassung, dass es sich bei den Vorgängen
dort ganz klar um Völkermord und Vertreibung handelt?
Könnte sie sich dazu entschließen, das als solches zu bezeichnen?
Ich verweise auf meine vorangegangene Antwort. Ich
würde mich den Formulierungen und Empfehlungen der
Untersuchungskommission anschließen, dass es sich
völkerrechtlich gesehen nicht um Genozid handelt. Dies
soll aber nicht davon ablenken, dass hier von beiden Seiten schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen
werden und dass dies ausreicht, um vor dem Internationalen Strafgerichtshof einen Prozess gegen die Verantwortlichen zu führen. Dies soll auch nicht davon
ablenken, dass es angesichts der humanitären Katastrophe und des Ausmaßes der Vertreibung ganz klar eine internationale Verantwortung gibt, alles zu versuchen, um
die Gewalt zu beenden und die Zivilbevölkerung zu beschützen.
Eine weitere Frage, Herr Addicks.
Halten Sie jüngste Presseberichte, zum Beispiel gestern
in der „FAZ“, denen zufolge es - bei einer sehr hohen
Dunkelziffer - mittlerweile mindestens 300 000 Tote gegeben hat, für zutreffend?
Ja, wir haben keinen Anlass, an dieser Zahl zu zweifeln.
Herr Kollege Fischer.
Frau Staatsministerin, können Sie mir vor dem Hintergrund der Dramatik - Sie haben sie geschildert - und
der grauenhaften Situation erklären, warum der Bundeskanzler bei seinem Staatsbesuch in China das Thema
nicht angesprochen hat, obwohl China eine entscheidende Rolle im Sicherheitsrat spielt?
Ich kann Ihnen nicht sagen, ob der Bundeskanzler das
dort angesprochen hat. Für uns ist es selbstverständlich
auch in den bilateralen Gesprächen, und zwar auf allen
Ebenen, ein sehr wichtiges Thema, sei es in Gesprächen
mit der chinesischen Regierung, mit der russischen Regierung, mit den Amerikanern oder mit den europäischen Partnern. Für uns ist dies ein wichtiges Thema, das
wir auf allen Ebenen ansprechen. Nicht umsonst werden
wir von vielen in diesem Zusammenhang als treibende
Kraft angesehen, von manchen als zu stark treibende
Kraft.
Herr Kollege Heinrich.
Frau Staatsministerin, Sie haben vorhin den Bericht
der Untersuchungskommission erwähnt, der sich mit der
Frage beschäftigt, ob es sich hierbei um Genozid handelt
oder nicht. Könnte es sein, dass diese Kommission ihren
Bericht nicht auf Grundlage der aktuellen Daten erstattet
hat? Wir erfahren nämlich erst jetzt, dass sich die Zahl
der Toten gegenüber den ursprünglich angenommenen
Zahlen fast verdreifacht hat, sodass auch die Aussage,
die Sie gerade gemacht haben, so nicht mehr zutrifft.
Der Bericht beruht, soweit ich das in Erinnerung
habe, auf der damals bekannten Faktenlage. Die Begründung dafür, dass die Kommission zu dem Ergebnis
kommt, es handele sich nicht um Genozid, wird nicht an
dem Ausmaß festgemacht. Im Gegenteil: Der Bericht
sagte schon seinerzeit sehr deutlich, dass das Ausmaß
absolut inakzeptabel sei und es sich um eine schwere humanitäre Krise handele. Die Lage wird, soweit ich mich
erinnere, so dargestellt, dass den Beteiligten juristisch
nicht die Absicht, eine andere Ethnie auszurotten, unterstellt werden kann. Auch dies hat zu der erwähnten Bewertung geführt.
Noch einmal: Die Kommission sagt sehr deutlich,
dies solle nicht davon ablenken, dass hier schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden. Es
werden auch die Verantwortlichkeiten dargestellt. Dem
Sicherheitsrat wird empfohlen - dieses Prozedere muss
eingehalten werden -, diese Fälle an den Internationalen
Strafgerichtshof zu überweisen. Insofern gäbe es politisch keine andere Sachlage, wenn wir es als Genozid
bezeichnen würden.
Ich rufe die Frage 62 des Kollegen Dr. Addicks auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung angesichts der neuerlichen Meldungen aus der Krisenregion Darfur, auf eine Verurteilung Sudans wegen Genozids durch die
Vereinten Nationen hinzuarbeiten?
Insbesondere auf die persönlichen Bemühungen von
Bundesminister Fischer ist zurückzuführen, dass im
Oktober 2004 eine UN-mandatierte Kommission zur
Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen in
Darfur eingesetzt wurde. Die Kommission hat in ihrem
Abschlussbericht im Januar 2005 festgestellt, dass die
sudanesische Regierung und die mit ihr verbündeten
Dschandschawid-Milizen für Verbrechen gegen die
Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich
sind. In dem Bericht werden auch den in Darfur kämpfenden Rebellen Kriegsverbrechen zur Last gelegt. Der
Vorwurf eines Genozids in Darfur ist in dem Bericht hingegen nicht bestätigt worden.
Die Bundesregierung unterstützt nachdrücklich die
Kernempfehlung der Untersuchungskommission, die in
Darfur geschehenen Menschenrechtsverletzungen durch
den Internationalen Strafgerichtshof untersuchen zu lassen. Außerdem ist es insbesondere auf die Bemühungen
der Bundesregierung zurückzuführen, dass die Europäische Union in einer Erklärung vom 4. Februar 2005 eine
Befassung des Internationalen Strafgerichtshofs ausdrücklich befürwortet. Diese Position wurde auf unsere
Initiative vom Europäischen Rat am 21. Februar 2005
noch einmal bekräftigt.
Die Bundesregierung führt im Übrigen mit einer Vielzahl von internationalen Partnern einen intensiven Dialog in dieser Frage und wirbt um Unterstützung für ihre
Auffassung. Eine Überweisung an den Internationalen
Strafgerichtshof wäre aus Sicht der Bundesregierung ein
wichtiger Beitrag zur Beendigung des in Darfur herrschenden Zustandes der Straflosigkeit.
Vielen Dank für diese Antwort. Da ich der Auffassung bin, dass wir an die Grenze zum Zynismus geraten,
verzichte ich auf jede Nachfrage.
Kollege Fischer.
Frau Staatsministerin, bin ich richtig informiert, dass
in dem Augenblick, wo die Feststellung „Es ist ein Genozid“ getroffen wird, die UN zum Eingreifen verpflichtet sind und dass man deshalb im Augenblick - ich kann
nur sagen: leider - so vorsichtig mit dieser Begriffsbestimmung umgeht?
Ich glaube nicht, dass dies der Grund war, weshalb
die Untersuchungskommission nicht von einem Genozid
gesprochen hat.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Frage 63 des Kollegen Dietrich Austermann wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung. Die Fragen 64, 65, 66 und 67 der Kollegen
Grindel und Koschyk werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 68 der Kollegin Köhler auf:
Wie wird sichergestellt, dass die Türkei-Ausgabe der „Vakit“ nicht über Abonnenten in Deutschland in Umlauf gerät
und dadurch das Verbot des Verlages unterhöhlt wird?
Frau Kollegin Köhler, vorauszuschicken ist, dass der
Bundesinnenminister nicht die Türkeiausgabe der
„Anadolu’da Vakit“, sondern den in Deutschland ansässigen Verlag „Yeni Akit GmbH“, der die Europaausgabe
der Zeitung vertrieb, verboten hat. Ein Deutschlandvertrieb der Türkeiausgabe der „Anadolu’da Vakit“ könnte
über ein Betätigungsverbot, welches an den türkischen
Verlag zu richten wäre, verboten werden. Ich verweise in
diesem Zusammenhang auf § 18 Vereinsgesetz in Verbindung mit dem einschlägigen Verbotstatbestand. Voraussetzung dafür wäre aber der Nachweis einer Betätigung des türkischen Verlages in der Bundesrepublik
Deutschland. Bisher wissen wir nur von Einzelfällen einer Verbreitung der Türkeiausgabe in Deutschland. Deshalb kann ein derartiger Nachweis derzeit nicht geführt
werden. Wegen des hohen Stellenwerts der Meinungsund Pressefreiheit - ich verweise hier auf Art. 5 unseres
Grundgesetzes - sind äußerst strenge Anforderungen an
die Prüfung der Voraussetzungen eines möglichen Betätigungsverbotes zu stellen.
Herr Staatssekretär, ich habe dem „Spiegel“ entnommen, dass Sie solche Hinweise überprüfen und dass an
Abonnenten weiterhin ein Direktvertrieb aus der Türkei
stattfindet. Kann ich Ihrer Antwort entnehmen, dass
diese Prüfung abgeschlossen ist und Sie zu dem Ergebnis gekommen sind, dass es sich hier lediglich um Einzelfälle handelt und deswegen kein Handlungsbedarf besteht?
Sie können davon ausgehen, dass wir den Vorgang im
Auge behalten. Was zurzeit an Ergebnissen kundzutun
ist, haben ich Ihnen kundgetan; deswegen auch die Begrifflichkeit „Einzelfall“.
Eine weitere Frage.
Wenn klar ist, dass eine Zeitungsausgabe - es muss ja
gar nicht die „Vakit“ sein, es kann sich ja auch um eine
andere handeln - einen nach unseren Gesetzen strafbaren Inhalt aufweist, etwa etwas Volksverhetzendes, besteht dann prinzipiell die Möglichkeit, dass der Zoll tätig
wird und die Exemplare der Zeitung bereits an der
Grenze beschlagnahmt?
Ich weiß nicht, inwieweit der Zoll diese Aufgabe erfüllen kann. Ich habe versucht, Ihnen noch einmal die
Rechtsgrundlage für ein eventuelles Betätigungsverbot
darzulegen. Tatsache ist: Es ist schwierig. Deswegen
habe ich auch den Querverweis auf § 18 des Vereinsgesetzes mit den entsprechenden Strafverbotstatbeständen
gebracht. Ich muss diese Frage zum Zoll offen lassen.
Ich denke, es wird schwierig sein. Lassen Sie mich das
aber noch einmal überprüfen.
Herr Kollege Schröder.
Inwieweit arbeiten das Innenministerium und insbesondere das BKA mit den Beamten des BND in der Türkei zusammen? Es kann doch nicht sein, dass ein Verbot,
das in Deutschland ausgesprochen wurde, dadurch unterlaufen wird, dass die Zeitung in der Türkei gedruckt
und über den Postweg nach Deutschland an die Abonnenten versandt wird.
Herr Kollege Schröder, erstens gibt es eine gute Zusammenarbeit zwischen dem BMI, dem BKA und dem
BND. Zweitens haben wir diesbezüglich Kontakt mit der
türkischen Seite. Das ist vorhin schon einmal deutlich
geworden. Wir werden alle nationalen Möglichkeiten
ausschöpfen, um dort einzuschreiten. Das ist aus meiner
Antwort, die ich Frau Köhler gegeben habe, im Übrigen
auch deutlich hervorgegangen.
Ich rufe noch die Frage 69 der Kollegin Köhler auf:
Welche Erkenntnisse - außer denjenigen über die „Vakit“ liegen der Bundesregierung über antisemitische und antiwestliche Hetzartikel in der in Deutschland erhältlichen türkischund arabischsprachigen Presse vor?
Frau Kollegin Köhler, wegen der derzeit vorliegenden
und offen verfügbaren Informationen über antisemitische und antiwestliche Hetze wird meinerseits auf den
jeweils aktuellen Verfassungsschutzbericht verwiesen.
Eine Zusatzfrage.
Herzlichen Dank. Ich will ihn auch gerne eifrig studieren. - Welche Maßnahmen erwägt die Bundesregierung als Reaktion auf diese Verfassungsschutzberichte?
Diesbezüglich gibt es konkrete laufende Maßnahmen.
Wir gehen dieses Thema vonseiten des Verfassungsschutzes an. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass ich
das hier jetzt nicht im Einzelnen darlegen möchte und
kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Gibt es nach Informationen der Bundesregierung ähnlich drastische Fälle wie den der „Vakit“, sodass auch
hier ein Verbot erwogen wird?
Wir beobachten. Bisher kann ich nicht bestätigen,
dass es an der einen oder anderen Stelle eine ähnliche
Erkenntnislage wie im Falle „Vakit“ gibt, sodass wir mit
einer gleichen Maßnahme reagieren müssten. Wir beobachten aber weiter und sind am Ball. Ich glaube, das
ist das Entscheidende.
Kollege Schröder.
Erwägt die Bundesregierung aufgrund der vom Bundesinnenminister kritisierten Vorfälle in der Türkei hinsichtlich der Hetze in türkischen Zeitungen gegen den
Bundesinnenminister, den Botschafter der Türkei in
Deutschland einzubestellen?
Herr Kollege Dr. Schröder, wir werden unsere Möglichkeiten nutzen. Das ist vorhin auch schon deutlich
geworden. Der Herr Innenminister macht seine diesbezügliche klare Position bei seinen türkischen Gesprächspartnern deutlich. Ich denke, das gehört auch dorthin. Da
Sie uns kennen, werden Sie davon überzeugt sein, dass
es an unserer klaren Haltung diesbezüglich keine Zweifel gibt.
Die für die Fragestunde verfügbare Zeit ist damit erschöpft bzw. leicht überschritten.
Die Fragen 70 bis 73 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
Ergebnisse der Sitzung der Bund/LänderKommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung am 14. März 2005 - Auswirkungen auf Wissenschaft und Forschung
Diese Aktuelle Stunde wurde von der Fraktion der SPD
verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Kollegin Ute Berg für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Freitag sah es zunächst so aus, als würden wir einen Aufstand der Anständigen erleben.
({0})
Die Kultusminister der CDU- bzw. CSU-regierten Länder haben sich an ihre Ministerpräsidenten gewandt und
darum gebeten - Zitat -,
die zeitnahe Umsetzung der in der Bund-LänderKommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung beratenen Programme zur Förderung der
außeruniversitären und universitären Forschung zu
ermöglichen.
({1})
Nach monatelanger Blockade war dies ein Signal, das
hoffnungsvoll stimmte. Ich habe mich gefreut, dass die
Kultusminister der Union - Hessen ist allerdings wieder
einmal ausgeschert - endlich mit ins Boot gekommen
sind und verkündet haben, dass sie den Pakt für ForUte Berg
schung und Innovation umsetzen wollen. Damit sind
Ihre Parteifreunde, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU - Gott sei Dank -, wieder auf den Pfad der
Tugend zurückgekehrt.
({2})
Die jährlichen Zuwendungen an die großen Forschungsinstitute können nun, wenn sich die CDU/CSU-Ministerpräsidenten überzeugen lassen, bis zum Jahr 2010 um
mindestens 3 Prozent erhöht werden. Die Forschungsinstitute verpflichten sich im Gegenzug, Qualität, Effizienz und Leistungsfähigkeit ihrer Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zu steigern. Es handelt sich also um
eine klassische Win-win-Situation.
Bei der Exzellenzinitiative hat die Bildungs- und Wissenschaftsminister der Union dann aber leider der Mut
verlassen.
({3})
Dabei gibt es auch hier längst ein Konzept, auf das sich
Bund und Länder verständigt haben.
({4})
Statt dieses fertige Konzept vom letzten Herbst nun zügig umzusetzen, haben die unionsregierten Länder einen
neuen Weg vorgeschlagen: Die Bund/Länder-Kommission soll eine Arbeitsgruppe einsetzen und ein Alternativmodell entwickeln.
({5})
Ich kann hier nur an Sie appellieren, meine Damen
und Herren von der CDU/CSU-Fraktion: Machen Sie Ihren Einfluss auf Ihre Parteifreunde in den Ländern geltend und sorgen Sie dafür, dass aus dem Vorhaben Exzellenzinitiative keine unendliche Geschichte wird.
({6})
Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen warten
ungeduldig auf die Fördermittel. Professor Gaehtgens,
Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, sagte dazu
wörtlich:
Die Exzellenzinitiative muss in vollem Umfang und
in der bereits zwischen Bund und Ländern ausverhandelten Form umgesetzt werden.
({7})
Wir brauchen die 1,9 Milliarden Euro aus der Exzellenzinitiative dringend für die Spitzenförderung, und
zwar für alle drei Bestandteile dieser Initiative.
({8})
Wir brauchen das Geld erstens für neue Graduiertenschulen, um den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, zweitens für die Schaffung von Exzellenzclustern,
um Spitzenforschung zu unterstützen, und drittens für
die Förderung von Spitzenuniversitäten, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit in Forschung und Lehre zu
stärken. Wir können uns auf Dauer nicht damit abfinden,
dass, weltweit gesehen, die Topuniversitäten überwiegend in den USA zu finden sind und, wenn man Europa
betrachtet, in der Schweiz und in Großbritannien. Auch
deutsche Hochschulen müssen verstärkt in der ersten
Liga mitspielen.
Die baden-württembergischen Minister Schavan und
Frankenberg haben nun den Vorschlag gemacht, Mittel,
die eigentlich für die Exzellenzinitiative vorgesehen waren, für eine Vollkostenfinanzierung an Hochschulen zu
verwenden.
({9})
Das ist aber ein ganz anderes Thema.
({10})
Die Drittmittelproblematik beschreiben sie durchaus
richtig: Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
sehr erfolgreich sind und viel Geld für neue Forschungsprojekte an ihrer Hochschule einwerben, entstehen oft
zusätzliche Kosten für die Ausstattung, die für die Forschungsarbeit bereitgestellt werden muss. Dadurch können Hochschulen in finanzielle Bedrängnis geraten.
Dieses Problem rührt aber vor allem daher, dass die
finanzielle Grundausstattung der Hochschulen insgesamt
zu wünschen übrig lässt. Dafür zu sorgen ist nun einmal
originäre Aufgabe der Länder.
({11})
Es kann nicht sein, dass die CDU/CSU-regierten Länder
durch die Hintertür versuchen, den Bund hauptverantwortlich für die Finanzierung der Hochschulforschung
zu machen. Gleichzeitig wollen sie die Mitspracherechte
des Bundes im Hochschulbereich existenziell beschneiden. Dass das nicht zusammenpasst, ist ja wohl offensichtlich.
({12})
Spitzenuniversitäten, Exzellenzcluster und Graduiertenschulen stärken den Wissenschaftsstandort Deutschland insgesamt. Daher spreche ich mich vehement dafür
aus, die Exzellenzinitiative, wie sie im vergangenen
Herbst von Bund und Ländern vereinbart wurde, umzusetzen. Ich will keine Exzellenzinitiative light, wie sie
die baden-württembergischen Minister auf den Tisch gelegt haben.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat nun der Minister für Wissenschaft und
Kultur des Landes Niedersachsen, Lutz Stratmann.
Lutz Stratmann, Minister ({0}):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegin Berg, ich bin sowohl bei der
KMK in der letzten Woche als auch bei der vorletzten
Sitzung der BLK anwesend gewesen. Am letzten
Montag war ich leider nicht da. Das unterscheidet uns.
Deshalb will ich hier ausdrücklich betonen, dass wir es
Lutz Stratmann, Minister ({1})
langsam leid sind, ständig diese Legenden anhören zu
müssen,
({2})
es habe in allen Fragen der Exzellenzinitiative eine Einigung zwischen dem Bund und den Ländern gegeben.
({3})
Bis zum Schluss war die Frage des dritten Förderstranges, nämlich die Frage der so genannten Spitzenuniversitäten, strittig. Die Ministerpräsidenten einschließlich
des Kollegen Steinbrück aus Nordrhein-Westfalen haben
erklärt, sie ließen sich vom Bund nicht vorschreiben, wo
sie Spitzenuniversitäten errichteten und wo nicht. Dies
gehört zur Wahrheit dazu.
({4})
Beim Pakt für Forschung und Innovation gab es diesen Streit von Anfang an nicht. Es gab ein Junktim; das
ist in der Tat richtig. Wir sind der Meinung, dass wir
dieses Junktim auflösen sollten, damit bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen endlich die Steigerung von 3 Prozent, die zumindest in den Haushalten
der B-Länder eingestellt sind, tatsächlich realisiert werden kann.
Sie haben heute eine Aktuelle Stunde beantragt mit
dem Ziel, den B-Ländern wieder einmal Blockadepolitik
vorzuwerfen.
({5})
Ich kenne es aus den Länderparlamenten so, dass ich
Aktuelle Stunden nur dann beantrage, wenn ich mir einen Benefit davon erhoffe. Das scheint bei Ihnen anders
zu sein; denn wir haben im Gegensatz zu den A-Ländern, liebe Frau Kollegin Berg, ein Alternativpapier vorgelegt, weil doch unstreitig ist, dass die bisherige Exzellenzinitiative - Stichwort Spitzenuniversitäten - nicht
von den Ministerpräsidenten der Länder und übrigens
auch nicht von den meisten Wissenschaftsministern akzeptiert werden kann.
({6})
Wie sieht jetzt unser Vorschlag aus? Erstens. Wir
würden gerne an den 1,9 Milliarden Euro festhalten, die
das Programm umfasst, davon 25 Prozent finanziert von
den Ländern und 75 Prozent vom Bund.
({7})
Ich möchte ein Weiteres an dieser Stelle sagen: Es
wird überhaupt nicht bestritten - schon gar nicht von den
Ländern -, dass wir alle massive Haushaltsprobleme haben. Das gilt für das Land, das ich vertrete - Niedersachsen -, das gilt aber auch für den Bund. Das können
wir alle in der Zeitung lesen. Das, was mich aber schon
ein wenig aufregt, ist, dass von Ihrer Seite, insbesondere
von der Kollegin Bulmahn - die heute leider nicht anwesend ist -, immer so getan wird, als gäben Sie tatsächlich
frisches Geld in den Wissenschaftsbereich. Die Wahrheit
ist, dass Sie den Hochschulbauplafond genau um den
Betrag, um den es geht, nämlich die 1,45 Milliarden
Euro, zurückführen. Das heißt, Sie finanzieren ein Programm aus Hochschulbaumitteln. Die Länder müssen
das dann durch die Hintertür wieder bezahlen.
({8})
Wenn wir wahrhaftig miteinander umgehen wollen,
dann sagen Sie das. Dies alleine wäre schon ein Grund
für uns Länder, zu sagen: Wir machen dabei nicht mit.
Wir sagen aber im Ergebnis: Sie haben Recht, dass wir
im internationalen Wettbewerb eine gestärkte Forschung
brauchen. Deshalb haben wir uns dem Grundprinzip
nicht verschlossen.
Was wollen wir mit unserem Antrag, dem einzigen
Antrag, der vorgelegt worden ist? Erstens. Wir wollen
die bisherigen Graduiertenkollegs zu Graduiertenschulen weiterentwickeln, die fachübergreifend die Leistungsträger in der Professorenschaft und die besten
Nachwuchswissenschaftler zusammenbringen.
({9})
Zweitens. Wir wollen Exzellenzcluster, die international herausragende Forschungseinheiten an deutschen
Universitäten und, was wichtig ist, an den außeruniversitären Einrichtungen miteinander verbinden. Das heißt,
wir wollen die Versäulung in der Forschung in Deutschland auflösen. Wir wollen ihr entgegenwirken.
({10})
Was diese beiden Förderstränge anbelangt, war ich bisher der Meinung, dass wir im Großen und Ganzen eine
Einigung erzielt haben.
Jetzt kommen wir zu der dritten Frage, nämlich den
Spitzenuniversitäten. Wir lehnen solche Spitzenuniversitäten ab.
({11})
Wir wollen leistungsfähige Universitäten, die auch international an vorderer Stelle in der Forschung mitwirken,
in ihrer Forschungsinfrastruktur stärken und haben gemäß international üblichen Verfahren einen Zuschlag
von 20 Prozent auf die Projektkosten vorgeschlagen.
Warum tun wir das?
Die besonders leistungsstarken Universitäten laufen
derzeit Gefahr, ausgezehrt zu werden, und zwar umso
stärker, je erfolgreicher sie sind. Die realen Kosten der
DFG-Projekte - das heißt, einschließlich der Infrastrukturkosten - werden in der Spitzenforschung von der
DFG-Förderung nicht abgedeckt. Der Bundesvertreter
hat in der BLK-Sitzung vorgebracht, vom Grundprinzip
sei nichts dagegen einzuwenden, aber es gebe verfassungsrechtliche Bedenken.
({12})
Lutz Stratmann, Minister ({13})
Ehrlich gesagt sind wir einigermaßen erstaunt darüber, dass wir ausgerechnet von denjenigen zurechtgewiesen worden sind, die bei der Juniorprofessur, den
Studiengebühren und in der Frage der Studierendenvertretung vor dem Bundesverfassungsgericht wider besseres Wissen - Ihre Fachleute haben Ihnen schließlich vorher andere Ratschläge gegeben - eine Niederlage erlitten
haben, und zwar in einer Form, die nicht deutlicher sein
kann.
({14})
Dass uns diese Personen nun verfassungsrechtliche Probleme vorwerfen, ist mehr als scheinheilig.
({15})
Mit dem Einstieg in die Vollkostenfinanzierung von
DFG-Projekten werden zudem die leistungsstarken Forschungsuniversitäten auch ohne einen Wettbewerb um
den Titel „Spitzenuniversität“ gefördert. Zehn Universitäten in Deutschland werben 32 Prozent der DFG-Mittel
ein. Das heißt, zehn Universitäten sind schon Spitzenuniversitäten, und zwar ohne dass dies von oben verordnet worden wäre; sie sind vielmehr aus ihren exzellenten
Strukturen heraus gewachsen.
({16})
- Warum ist das ein Märchen, liebe Frau Kollegin Berg?
Sie müssen sich nur die Rankinglisten anschauen. Sie
können Spitzenuniversitäten nicht zentralistisch von
oben verordnen. Sie müssen vielmehr am Markt wachsen.
({17})
Die Entwicklung in den zentralistischen Staaten Europas zeigt im Übrigen sehr deutlich, dass man gerade in
diesen Staaten beginnt, Schritte in Richtung Föderalismus einzuleiten. Ich denke dabei etwa an Frankreich
oder Großbritannien. Das hat etwas damit zu tun, dass
unser Föderalismus ein Erfolgsrezept sein und damit
zum Exportschlager werden kann, sofern er richtig gehandhabt wird.
Wir haben in Deutschland einen kooperativen Föderalismus, der gegenseitiges Vertrauen voraussetzt. Nur so
erreichen wir mehr Wettbewerb, Qualitätssicherung und
Leistungssteigerung. Das wissen die übrigen EU-Staaten
und deshalb sind sie mehr und mehr bereit, unser Modell
zu übernehmen. Aber das Verhalten des Bundes, der seit
Monaten versucht, durch ständige Schnellschüsse ohne
Abstimmung mit den Ländern in deren Zuständigkeit
einzugreifen, entspricht dem Gegenteil von kooperativem Föderalismus. Ein solcher Föderalismus kann nicht
funktionieren.
({18})
Wenn Sie der Meinung sind, wir müssten den Föderalismus im Bereich der Bildung abschaffen, dann bitte ich
Sie, das ehrlich zu sagen, damit wir in aller Offenheit
darüber diskutieren können.
({19})
Ich appelliere an Sie, die Bundestagsfraktionen der
SPD und der Grünen, und an den Bund, sich im Sinne
der Universitäten unseres Landes mit uns zu einigen.
Wir haben einen konkreten Vorschlag vorgelegt.
Horst Köhler hat gestern in seiner Rede festgestellt
- damit will ich schließen -, dass unser Land Bildung,
Wissenschaft und Forschung braucht. Notwendig sind
keine Querelen, sondern rasches Handeln.
({20})
Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar, Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Obwohl ich diesem Hohen Hause noch nicht sehr lange angehöre, nehme ich schon zum wiederholten Mal an einer
Debatte teil, in der es um Forschung in Deutschland
geht. Auf den ersten Blick ist das ein gutes Zeichen, weil
es deutlich macht, dass diesem Haus das Thema am Herzen liegt.
Auf den zweiten Blick aber ist es ein schlechtes Zeichen. Wir müssen immer wieder über dasselbe reden.
Denn wir kommen nicht voran; wir drehen uns vielmehr
im Kreis und verlieren deswegen wertvolle Zeit,
({0})
und das alles, weil ein paar mächtige Ministerpräsidenten von CDU und CSU nicht wollen, dass Forschung
und Lehre in Deutschland vorankommen.
Seit mehr als einem Jahr diskutieren Bund und Länder über den Pakt für Forschung und Innovation sowie
die Exzellenzinitiative für die Hochschulen. Seit fast
einem Jahr sind sich diejenigen, die in Bund und Ländern dafür zuständig sind, einig, wie der Pakt für Forschung und Innovation aussehen soll, damit die Forschungseinrichtungen mehr Mittel haben und bessere
Bedingungen vorfinden. Ebenfalls seit fast einem Jahr
wird nun dieser gemeinsam beschlossene Pakt von einigen Ministerpräsidenten von CDU und CSU aus den bekannten sachfremden Gründen blockiert, und das, obwohl die Fachministerinnen und -minister den Pakt für
Forschung und Innovation im November letzten Jahres
gebilligt haben.
({1})
Am letzten Freitag haben nun die Wissenschaftsministerinnen und -minister im Rahmen der Kultusministerkonferenz die Ministerpräsidenten öffentlich gebeten, „die zeitnahe Umsetzung der in der Bund-LänderKommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung beratenen Programme zur Förderung der außeruniversitären und der universitären Forschung zu ermöglichen“. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen außer: Es wird
allerhöchste Zeit.
({2})
Nun zur Exzellenzinitiative: Auch hier gab es eine
Einigung der Fachministerinnen und -minister. Diese
hielt aber nur so lange, bis die Ministerpräsidenten von
CDU und CSU das ausgearbeitete Konzept zum Faustpfand für die Föderalismusreform machten. Seitdem
tingeln sowohl die Wissenschaftsminister BadenWürttembergs und Bayerns als auch die Unionsbundestagsfraktion mit der Idee der Vollkostenfinanzierung der
Hochschulforschung durch die Lande. Das ist zwar eine
charmante Idee, die auf einer zutreffenden Analyse der
Situation beruht. Doch wer heute an einem Universitätsinstitut viele Drittmittel einwirbt, macht sich entweder
arm oder bei Kolleginnen und Kollegen unbeliebt, weil
die Drittmittel nicht alle Kosten abdecken.
({3})
Wie ernst kann aber der Vorschlag gemeint sein, dass
Bundesmittel über die DFG an die Hochschulen fließen
und dort für die Grundausstattung verwendet werden
sollen, wenn Herr Koch vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen klagt - er will eine einstweilige Anordnung erreichen, um „im Kernbereich der Hochschulpolitik Entscheidungskompetenzen des Landes zu
schützen“ -, dass Bundesmittel zur Förderung eines
Kompetenzzentrums bei der Hochschulrektorenkonferenz eingesetzt werden? Ist es nicht so, dass nur eine dieser beiden Haltungen möglich ist, weil sie sich im Kern
zutiefst widersprechen? Wie redlich ist der Vorschlag,
wenn zum Beispiel im Antrag der Unionsbundestagsfraktion zur Vollkostenfinanzierung von den Landesmitteln, die für die Exzellenzinitiative eingeplant waren, gar
nicht mehr die Rede ist? Das scheint sich ja nun gebessert zu haben. In der BLK-Version des Vorschlages
tauchen diese Mittel immerhin wieder auf. Das ist eine
Grundlage, auf der Bund und Länder weiter verhandeln
können.
Was dürfen wir aber nun von der neuen Arbeitsgruppe
der Bund/Länder-Kommission erwarten? Inhaltlich kann
ich Ihnen sagen, dass es uns Bündnisgrünen ein wichtiges Anliegen ist, die Nachwuchsförderung entscheidend
zu verbessern. Hier sind Exzellenz, aber auch das Überwinden enger Disziplingrenzen, die Förderung der
Gleichstellung der Geschlechter und natürlich die Internationalität wichtig. Die Exzellenzcluster sind uns ebenfalls sehr wichtig. Um in Forschung und Lehre erfolgreich zu sein, brauchen wir Konzepte, Instrumente und
Strukturen zur Vernetzung von Disziplinen und zur Herstellung universitätsübergreifender oder außeruniversitärer Kooperationen.
Formell kann ich Ihnen sagen, dass Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion, Ihr ganzes
Gewicht in die parteiinterne Waagschale werfen sollten,
damit in der Arbeitsgruppe diejenigen sitzen, die nicht
nur sachkundig verhandeln, sondern auch nachher dafür
geradestehen, dass ein Verhandlungsergebnis Wirklichkeit wird.
({4})
Eine Fortsetzung der Spirale der Verhandlungskunst,
die einen zweiten oder sogar einen dritten Plan gebiert,
der dann auch nicht geht, haben die deutschen Hochschulen wirklich nicht verdient.
Vielen Dank.
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Cornelia Pieper,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte Ihnen ein paar Grunddaten zum deutschen Wissenschaftssystem im internationalen Vergleich in Erinnerung rufen: Bei dem Anteil der öffentlichen und privaten
Ausgaben für Hochschulausbildung am Bruttoinlandsprodukt belegt Deutschland mit 1 Prozent im OECDVergleich den zehnten Platz. Bei dem Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt belegt Deutschland den achten Platz mit
2,51 Prozent, wobei wir 1991 noch den dritten Platz eingenommen haben.
({0})
- Moment, Herr Tauss. - Das macht deutlich, dass andere Nationen wie USA, Korea, Schweiz und Japan
mächtig aufgeholt haben.
({1})
Die Welthandelsanteile Deutschlands bei F-und-Eintensiven Waren sind seit 1991 stetig rückläufig. Wir
hatten 1991 18,4 Prozent, 2001 waren es 14,9 Prozent.
Was den Anteil der Studienanfänger angeht, liegt
Deutschland im internationalen Vergleich mit 35 Prozent
auf Platz 18; was den Anteil der Hochschulabsolventen
angeht, mit 19 Prozent auf Platz 15.
Was will ich Ihnen damit vor Augen führen? Der
Bundespräsident hat gestern gesagt: Deutschland
braucht einen Kraftakt für Jobs. Ich bin der Auffassung:
Deutschland braucht vor allem einen Kraftakt für Bildung und Innovation.
({2})
Dieser Kraftakt bedeutet auch, dass man nicht die alten
ideologischen Grabenkämpfe führt, sondern im Interesse
von Bildung, Wissenschaft und Forschung wirklich
sachgerecht entscheidet und vor allen Dingen überlegt,
wie wir heute in Köpfe und neue Ideen investieren und
dadurch morgen die Früchte in Form von mehr Arbeitsplätzen ernten können.
({3})
Innovation und Wirtschaftswachstum bedingen einander. Umso skurriler ist es, dass der Beschluss über Zukunftsinvestitionen, über Spitzenforschung und über die
Exzellenzoffensive von einer strukturellen Föderalismusdebatte abhängig gemacht wird. Um es wieder mit
einem Zitat von
Taktische Reformpausen kann sich das Land einfach nicht
mehr leisten.
({0})
Das Scheitern der Bundesstaatskommission bedeutete
auch das Scheitern des Pakts für Forschung und Innovation. Wir erinnern uns an den Dezember 2004. Die Verbitterung der Wissenschaft darüber kann ich durchaus
nachvollziehen. Das gilt auch für die Worte der Vertreter
der HRK, des Wissenschaftsrats und der DFG in der
Pressekonferenz; sie sagten, der dringend notwendige
Ausbau der Forschungsförderung werde zum Spielball
wissenschaftsfremder Interessen.
({1})
Schluss damit! Wir müssen endlich aufwachen und handeln, Herr Tauss. Das trifft sowohl auf den Bund als
auch auf die Länder zu.
({2})
Der Pakt für Forschung duldet in der Tat keinen Aufschub mehr. Der Pakt ist für die deutsche Forschung sowie für die Stärkung ihrer internationalen Sichtbarkeit
und Wettbewerbsfähigkeit von außerordentlicher Bedeutung. Besonders die Intensivierung des Wettbewerbs
dient der Konzentration auf Exzellenz, dem Ausbau von
Kooperationen und einer Vernetzung über Organisationsgrenzen hinweg. Eine damit verbundene verstärkte
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sichert
der deutschen Forschung exzellente junge Wissenschaftler. Neue und unkonventionelle Forschungsansätze können so flexibel und zeitnah aufgegriffen werden.
Außerdem sichert der Pakt den Forschungseinrichtungen finanzielle Planungssicherheit durch die Steigerung
der jährlichen Zuwendungen bis zum Jahr 2010, jeweils
um mindestens 3 Prozent. Darüber hinaus sollen die
Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung,
zum Beispiel im Dienstrecht und im Tarifrecht, deutlich
verbessert werden.
Ich weiß, wie oft wir über das Ziel, den Anteil der
Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt zu steigern, hier im Hohen Haus diskutieren. Ich glaube, das ist uns allen bewusst. Wir unterstützen die Forderung der Bund/Länder-Kommission für
Bildungsplanung und Forschungsförderung, die ihren
Appell folgerichtig an die Ministerpräsidenten aller
16 Bundesländer gerichtet hat, dem Beschluss der BLK
zuzustimmen, den Pakt für Forschung und Innovation
zeitnah in Kraft zu setzen.
Ich sage aber auch ganz deutlich für die FDP-Fraktion, dass der Pakt für Forschung nicht wieder einem
ideologischen Streit um die Exzellenzoffensive geopfert
werden darf.
({3})
Ich warne eindringlich davor, das mit dem Pakt für Forschung jetzt so eng zu verknüpfen, dass am Ende beides
auf der Strecke bleibt.
Noch ein Wort zur Exzellenzoffensive. Exzellenz und
Wettbewerb waren, sind und bleiben wesentliche Merkmale des deutschen Wissenschaftssystems.
({4})
Dieser Wettbewerb findet aber, Herr Tauss, nur bedingt
zwischen Hochschulen als Ganzen statt, sondern eher
auf der Ebene der Fachbereiche, Fakultäten und Wissenschaftsbereiche.
({5})
Durch neue Strukturen und zusätzliche Mittel für die
Spitzenförderung, die jedoch nicht zulasten der Breitenförderung gehen dürfen, muss das ganze Wissenschaftssystem in einem offenen Wettbewerb zu internationaler
Spitzenleistung motiviert und international sichtbar gemacht werden.
({6})
Die leistungsstärksten wissenschaftlichen Cluster in
Deutschland sollen sich in permanentem wissenschaftlichen Wettbewerb in einem Exzellenznetzwerk zusammenfinden und, wie es von Länderseite einmal formuliert wurde, als Elitecampus Deutschland auch im
Ausland sichtbar gemacht werden.
Frau Kollegin, Sie denken bitte an die Redezeit.
Herr Präsident, ich will noch einmal deutlich machen:
Hierfür kann und soll der Bund durchaus neuartige, differenzierende Wettbewerbsanreize setzen.
({0})
Stellt er aber zusätzliche Mittel für eine derartige Spitzenförderung zur Verfügung, so sollten diese einzig und
allein und auf Antrag der beteiligten Hochschulen und
Institutionen über die DFG im Wettbewerb vergeben
werden.
({1})
Mit Blick auf den 14. April sage ich noch einmal: Opfern Sie den Pakt für Forschung nicht ideologischen Grabenkämpfen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat nun die Kollegin Andrea Wicklein,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit Montag dieser Woche bin ich - ich drücke es einmal so aus - gebremst optimistisch. Der Druck
von vielen Seiten hat offensichtlich Wirkung gezeigt. In
die festgefahrenen Verhandlungen über die dringend notwendige Förderung von Spitzenhochschulen ist wieder
Bewegung gekommen. Übrigens, Herr Stratmann, in der
Pressemitteilung der BLK vom November 2004 steht,
dass man sich schon damals auf die Förderung der Spitzenforschung in Deutschland verständigt hatte. Das ist
also nichts Neues.
({0})
Es ist gut, dass sich die Wissenschaftsminister von
Bund und Ländern auf die Weiterentwicklung der Exzellenzinitiative verständigt haben. Es ist auch gut, dass die
Wissenschaftsminister der Union an ihre Ministerpräsidenten appellieren, den Pakt für Forschung endlich umzusetzen. Durch das Taktieren der Unionsländer ist mehr
als ein Dreivierteljahr verloren gegangen. Das ist - gerade vor dem Hintergrund der 5 Millionen Arbeitslosen
in Deutschland - wertvolle Zeit.
({1})
Wir haben heute diese Aktuelle Stunde einberufen,
um noch einmal deutlich zu machen, worum es denn eigentlich geht.
({2})
Es geht um insgesamt 1,9 Milliarden Euro für die Spitzenforschung im Universitäts- und Wissenschaftsbereich. Der Bund allein will hiervon 75 Prozent tragen.
Mit diesen Mitteln sollen Spitzenforschung, Exzellenzcluster und Graduiertenschulen für den Nachwuchs
gefördert werden. Das ist Geld, das unsere Hochschulen
- Frau Pieper hat es gerade gesagt - dringend brauchen.
Es geht um den Pakt für Forschung, mit dem die großen
Forschungsorganisationen allein in diesem Jahr Zuwendungen in Höhe von 3,8 Milliarden Euro erhalten sollen.
Hinzu kommen 1,3 Milliarden Euro für die Deutsche
Forschungsgemeinschaft zur Förderung der Hochschulforschung.
Wir sind uns einig, dass wir eine engere Verzahnung
der universitären und außeruniversitären Forschung
brauchen. Wir brauchen starke Partner für mehr Qualität.
Kern des Paktes für Forschung und Innovation sind deshalb mehr Wettbewerb, mehr Exzellenz, mehr Vernetzung mit den Hochschulen und der Wirtschaft, mehr
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und
mehr Förderung von Frauen in Wissenschaft und Forschung. Das alles brauchen wir, weil nur durch Innovationen Wachstum und Beschäftigung entstehen können.
Wegen der Blockade der Unionsländer lagen bis jetzt
beide, sowohl die Exzellenzinitiative als auch der Pakt
für Forschung, auf Eis. Wir können uns Stillstand aber
nicht leisten. Seit Montag besteht nun wieder Hoffnung.
Es ist wieder Bewegung in die Sache gekommen. Schon
seit Monaten warten wir alle darauf. Zu Recht verlangen
die Hochschulrektorenkonferenz, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Wissenschaftsrat, dass
Pakt und Exzellenzinitiative nicht zum „Spielball wissenschaftsfremder Interessen“ werden dürfen. Sehr geehrte Damen und Herren von der Union, beweisen Sie,
dass Sie es ernst meinen mit dem Forschungsstandort
Deutschland. Helfen Sie mit, diese Taktiererei zu beenden.
({3})
Für uns Sozialdemokraten ist besonders wichtig: Forschung ist kein Selbstzweck. Durch die Förderung von
Innovationen im Hochschul- und Wissenschaftsbereich
wollen wir unsere Gesellschaft gestalten: Für neue Arbeitsplätze, für mehr Lebensqualität, für mehr Gesundheit im Alter, für eine humane Arbeitsgestaltung und für
mehr Nachhaltigkeit insgesamt brauchen wir die richtigen Rahmenbedingungen in Wissenschaft und Forschung. Deshalb wollen wir in Zukunft investieren statt
in die Eigenheimzulage.
({4})
Deshalb brauchen wir verstärkte Anstrengungen, um bis
2010 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung
und Entwicklung zu investieren.
({5})
Deshalb brauchen wir jetzt Erfolg beim Pakt für Forschung und Innovation.
({6})
Ich erteile das Wort der Kollegin Katherina Reiche,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 1998 legt diese Bundesregierung die Axt an unser Grundgesetz.
({0})
Immer wieder, mit schon erstaunlicher Beharrlichkeit,
versucht die Bundesregierung, den Föderalismus auszuhebeln. Es geht Ihnen nicht um eine Reform, es geht Ihnen um den Einfluss auf Bereiche, die außerhalb Ihrer
Verantwortung liegen. Die Blockade und die Verhärtungen, die wir mittlerweile in der Bildungs- und Forschungspolitik feststellen und die dem Land ohne Zweifel nicht gut tun, sind die Folge der unzähligen Versuche
seit 1998 von Frau Bulmahn, sich Kompetenzen anzumaßen, in föderale Zuständigkeiten einzugreifen und
sich Rosinen herauszupicken.
({1})
Das Sündenregister ist in der Tat lang: Ich erinnere an
die versuchte Abschaffung der Habilitation, den Zwang
zur Bildung verfasster Studierendenschaften, das
Studiengebührenverbot, das Ganztagsschulprogramm,
das Eliteuniprogramm und das Bologna-Programm. Wir
haben Sie jedes Mal gewarnt. Es haben Experten gewarnt. Doch Rot-Grün betreibt selbstherrlich und rücksichtslos Politik. Sie haben alle Warnungen in den Wind
geschlagen. Sie haben die Opposition verlacht und verhöhnt. Sie haben sich über das Votum des Bundesrates
hinweggesetzt. Am Ende misslingen Ihre Projekte.
({2})
Am Ende weist das Bundesverfassungsgericht Sie immer und immer wieder in die Schranken, und das ist
auch richtig.
Schaden nimmt die Wissenschaft. Schaden nehmen
die Forschung und die Hochschulen.
({3})
Wir brauchen die Besten für unsere Hochschulen,
({4})
nur ist es angesichts der Unsicherheit, die seit 1998 bei
ständiger Provokation und daraus resultierender Rechtsunsicherheit durch Ihre Politik hier herrscht, nicht verwunderlich, dass immer mehr junge Forscherinnen und
Forscher Deutschland verlassen.
({5})
Sie haben die Länder wiederholt getäuscht. Sie haben
Zusagen nicht eingehalten. Sie haben Vertraulichkeit
nicht gewahrt. Sie sind unabgesprochen an die Presse
gegangen, weil Sie die Schlagzeilen wollten. Sie haben
Dinge verkündet, die gar nicht beschlossen waren, wie
zum Beispiel die angeblich bestehende Einigung über
bestimmte Projekte. Sie haben den Forschungsorganisationen mehr Geld versprochen, ihnen aber nicht gesagt,
dass Sie gleichzeitig die Projektmittel kürzen: 2003 um
4 Prozent, 2004 um 12 Prozent. Sie haben ihnen auch
nicht gesagt, dass Sie ihnen den Zugang zu den noch
verbleibenden Projektmitteln mit dem DudenhausenErlass noch erschweren.
({6})
Sie haben die Dreistigkeit besessen, zum Auftakt der
Debatte um die Föderalismusreform erst einmal zu erklären, dass Sie sogar die Max-Planck-Gesellschaft und
die DFG unter das Dach der Programmforschung bringen und am liebsten die Leibniz-Gemeinschaft zerschlagen wollen.
Es ist kein Wunder, meine Damen und Herren von der
Koalition, dass mittlerweile die Wissenschaftswelt und
auch die Länder allergisch reagieren,
({7})
übrigens nicht nur die B-Länder, sondern auch die A-Länder, und die Föderalismuskommission an dem Themenfeld Bildung und Forschung gescheitert ist.
Sie haben eine Situation in der Wissenschafts- und
Hochschulpolitik in Deutschland herbeigeführt, in der
keiner mehr miteinander redet und die in der Tat vergiftet ist.
({8})
Nun wollen Sie der Union den schwarzen Peter in die
Schuhe schieben.
({9})
Ich sage Ihnen: Das wird nicht gelingen.
({10})
Es ist Ihrem Staatssekretär in der Bund/Länder-Kommission am Montag nur noch mit Mühe gelungen, eine direkte Zustimmung der A-Länder zum Konzept der
Union zu verhindern. Das Junktim zwischen Spitzenhochschulen und dem Pakt für Forschung ist schon aufgelöst.
Es ist erklärter Wille der Union, dass Forschung und
Wissenschaft in unserem Land weiter vorankommen.
({11})
Die Sitzung der BLK am Montag war insofern ein
Erfolg, als wieder Bewegung in eine recht verfahrene Situation gekommen ist.
({12})
Die Unionsländer haben einen sehr konstruktiven Ansatz
eingebracht und versucht, den Zug wieder in Gang zu
bringen.
({13})
Minister Stratmann hat unser Konzept ausgeführt. Es
geht um Exzellenzcluster, Graduiertenschulen und Vollkostenfinanzierung.
({14})
Ich glaube, Sie haben nach wie vor nicht verstanden,
wie das System der Vollkostenfinanzierung aussehen
soll.
({15})
Die Rede von Frau Lazar hat deutlich gemacht, dass
nicht angekommen ist, wie das System funktioniert. Es
ist einfach und wirkungsvoll. Wer forscht und Drittmittel
einwirbt, soll nicht länger ein unbeliebter Kostenfaktor
in der eigenen Fakultät sein, weil er Ressourcen stärker
in Anspruch nimmt als andere. Er soll belohnt werden.
Auf eingeworbene Drittmittel soll es eine Prämie geben,
einen Overhead, von dem zusätzliche Geräte gekauft
bzw. die Verwaltungskosten für die Forschung gedeckt
werden können.
({16})
Dieses System ist vernünftig und erfolgreich; in den
USA wird es seit Jahrzehnten praktiziert und vor kurzem
wurde es in Großbritannien eingeführt.
Sorgen Sie in Ihrem Haushalt vor allem für eine
glaubwürdige Finanzierung! Das System „linke Tasche,
rechte Tasche, Nullsummenspiel“ wird nicht funktionieren.
({17})
Genauso wenig wie die Rettung der Rente über die Ökosteuer funktioniert oder über die Tabaksteuer das Gesundheitssystem renoviert werden kann, ist es Irrglaube,
anzunehmen, die Eigenheimzulage würde die Forschung
retten. Ganz im Gegenteil: Lassen Sie sich darauf ein,
Forschung nachhaltig und stringent zu fördern! Hören
Sie auf mit Ihrem Hü und Hott in der Forschungspolitik!
({18})
Geben Sie Ihre Blockadehaltung auf und machen Sie den
Weg für das Modell frei, das die Unionsländer vorgeschlagen haben!
({19})
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Loske,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Worum geht es? Es geht um drei Dinge, die wir auch in
den letzten Wochen besprochen haben. Insofern müssen
wir den Hinweis, der eben gemacht wurde, dass wir uns
ein bisschen lächerlich machen, weil wir wochenlang
über das gleiche Thema reden und nicht vorankommen,
ernst nehmen.
({0})
Es geht um drei Themen. Erstens geht es um den Pakt
für Forschung und Innovation. Was heißt das? Wir wollen, dass jedes Jahr 3 Prozent mehr in die Haushalte der
Max-Planck-Institute, der Helmholtz-Gemeinschaft, der
Leibniz-Gemeinschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft und
der Deutschen Forschungsgemeinschaft fließen, damit
mehr Geld für Bioforschung, Geoforschung, Mobilitätsforschung, Energieforschung, Verkehrsforschung und
auch die Geistes- und Sozialwissenschaften zur Verfügung steht. Dieses Geld haben Sie bisher zurückgehalten. Sie haben dieses Thema - das wurde bereits gesagt als Geisel genommen und faktisch eine Strategie
verfolgt, die man am besten als „forschungspolitische
Sonthofen-Strategie“ bezeichnen könnte,
({1})
nach dem Motto: Es muss nur schlecht genug laufen, damit unsere Konzepte Gehör finden.
Damit sind Sie nicht durchgekommen. Sie merken
allmählich, dass der Wind da gedreht hat; die öffentliche
Meinung wendet sich gegen Sie. Deswegen drehen Sie
jetzt bei. Nicht zuletzt sagen Ihnen die Fachminister der
Landesebene - Gott sei Dank sogar die Ministerpräsidenten -: Gebt das Geld frei! - Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist die Exzellenzinitiative. Worum
geht es dabei? Wir wollen zusätzlich 1,9 Milliarden Euro
mobilisieren, von denen wir als Bund 75 Prozent aufbringen wollen.
({2})
Es geht um Exzellenzcluster und Spitzenuniversitäten,
meinethalben auch Spitzenfakultäten; da gibt es gar keinen Dissens, das war doch ganz offenkundig. Es geht um
Exzellenz insgesamt. Auch diese Maßnahme haben Sie
- das muss man ganz klar sagen - bisher angehalten. Sie
haben verhindert, dass das Geld in diese wichtigen Bereiche fließt. Auch da sind Sie die Blockierer - um einmal die Tatsachen auf den Tisch zu legen.
({3})
Der dritte Punkt, über den wir in den letzten Wochen
gesprochen haben: Unter dem Deckmäntelchen der Zuständigkeitsdebatte, der Föderalismusdebatte, wollen Sie
- bzw. Teile von Ihnen, vor allen Dingen Ministerpräsident Koch aus Hessen - sogar verhindern, dass der Bund
den notwendigen Einstieg in die Masterstudiengänge
usw. über den Bologna-Prozess modellhaft begleitet.
Selbst das wollen Sie dem Bund mit fadenscheinigen
Zuständigkeitsargumenten untersagen. Das versteht kein
Mensch mehr. Diese Blockadepolitik müssen Sie aufgeben. Das verlangt die deutsche Öffentlichkeit von Ihnen.
({4})
Mit dieser Geiselnahme kommen Sie nicht durch. Es
ist gut, dass der Wind ein bisschen gedreht hat und die
Themen am Anfang dieser Woche wieder etwas aufgelockerter angegangen worden sind. Es gibt kein Junktim
von unserer Seite. Wir wollen eine sachgerechte Lösung.
Aber wir wollen eben, dass sowohl der Pakt für Forschung und Innovation - bis 2010 jedes Jahr 3 Prozent
mehr - durchkommt als auch die 1,9 Milliarden Euro
real fließen. Bitte machen Sie den Weg dafür frei!
Jetzt zu einigen Argumenten von Frau Reiche. Zunächst komme ich auf die Finanzierungsfrage zu sprechen. Ihre Auffassung dazu entbehrt nicht einer gewissen Chuzpe. Ich habe Ihre heutige Erklärung gelesen, als
ich Ihnen vorhin zuhörte. Dort heißt es:
Die Finanzierung der geplanten Exzellenzinitiative
von Bundesseite steht auf tönernen Füßen. Woher
das Geld zur Förderung der Spitzenuniversitäten
kommen soll, ist völlig offen. Schon in diesem Jahr
sind rund 100 Millionen Euro, die im Bundeshaushalt als Hochschul- und Forschungsausgaben vorgesehen sind, gesperrt. Eine solide Finanzierung
der Regierungspläne ist wieder einmal nicht zu erkennen.
({5})
Es ist doch vollkommen klar: Wir wollen diese Ausgaben durch Subventionsabbau finanzieren. Wir wollen
eben nicht in Beton, sondern in Köpfe investieren. Aber
auch da stehen Sie auf der Bremse.
({6})
Es gibt eine ganze Reihe von Projekten, über die Sie
vollmundig reden, aber bei denen Sie faktisch auf der
Bremse stehen.
({7})
Die Abschaffung der Eigenheimzulage ist ein langwieriger Prozess, weil sie acht Jahre lang gewährt wird.
({8})
Einen Augenblick, Herr Kollege Loske.
Ich kann mit den Zurufen ganz gut leben. Sie machen
mir nichts aus.
Es kommt nicht darauf an, dass Sie damit gut leben
können, Herr Kollege. Wir haben eine gemeinsame Verpflichtung, die für uns gesetzten Regeln einzuhalten. Ich
mache deshalb darauf aufmerksam, dass auch noch so
gut gemeinte spontane Debatten zwischen dem Parlament und den Vertretern der Regierung und des Bundesrates nach unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen
sind.
Sie haben wieder das Wort.
Entschuldigung. Ich dachte, es seien Zurufe von den
Kollegen gemeint. Mir war entgangen, dass es Zurufe
von der Bundesratsbank gab. Ich hatte sie aus Richtung
der SPD wahrgenommen.
({0})
Ihr Hinweis, Herr Präsident, ist sehr berechtigt.
Wie gesagt: Die Eigenheimzulage wird für die Dauer
von acht Jahren gewährt. Wenn sie einmal abgebaut ist,
dann ergibt sich eine Ersparnis von 9 bis 10 Milliarden
Euro. Das ist viel Geld. Wenn davon nur die Hälfte in
Bildung und Forschung fließen würde, dann wäre sehr
viel gewonnen. Sie sollten sich das also noch einmal
überlegen.
({1})
Ein weiterer Punkt, Frau Reiche. Sie haben selbst das
Ganztagsschulprogramm in die Liste derjenigen Projekte
eingereiht,
({2})
die uns angeblich nichts angehen und in die wir uns
nicht einmischen sollen. Mon Dieu! Ist etwa die Ganztagsbetreuung und das Fortkommen im Bereich der Bildung keine Aufgabe des Bundes? Ich würde sagen: Das
ist sie sehr wohl.
({3})
Wenn wir bei der PISA-Studie international schlecht dastehen, dann fragt doch kein Mensch nach der Situation
in Bremen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und BadenWürttemberg, sondern es wird auf Deutschland insgesamt geschaut. Deswegen ist es gut, dass wir diesen Prozess unterstützen.
({4})
Ein letzter Punkt. Es wird fortwährend davon gesprochen, dass immer mehr Forscher unser Land verlassen.
Wir sollten einmal auf der Basis von Zahlen diskutieren.
Es gibt eine Debatte um Braindrain, Braingain und
Braincirculation. Wir sind auf dem Weg, dass der Wissenschaftsstandort Deutschland wieder attraktiver wird.
Deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die
im Ausland gewesen sind, kehren zu uns zurück, weil
unser System besser wird. Es kommen auch zunehmend
Forscherinnen und Forscher aus dem Ausland zu uns.
({5})
Mein letzter Satz kann wie in der letzten Woche nur
lauten: Hören Sie endlich auf, den Forschungsstandort
Deutschland schlechtzureden; denn er ist wesentlich besser, als Sie ihn darstellen.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Helge Braun für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die gestrige Rede des Bundespräsidenten ist
hier schon mehrfach bemüht worden. Wir können seiner
Aussage, dass wir einen nationalen Aufbruch für Bildung, Forschung und Familie brauchen, der unserer Gesellschaft Zukunftsglauben und Zusammenhalt gibt, sicherlich alle beipflichten.
Herr Loske, Sie sagen, man solle aufhören, Bildung
und Forschung und die Maßnahmen in diesem Bereich
schlechtzureden. Aber es konnte bisher noch nicht der
Eindruck erweckt werden, dass die SPD diese Debatte
heute deshalb beantragt hat, um die Fortschritte in der
Bund/Länder-Kommission zu loben.
({0})
Wir müssen in dem Umfang besser sein, in dem wir
teurer sind. Deshalb ist eine nationale Kraftanstrengung
auf dem Gebiet der Forschungsförderung erforderlich.
Bei knappen Kassen ist es aber auch sehr wichtig, dass
wir darüber reden, welchen Mechanismus wir wählen,
die Forschungsförderung auf geeignete Art und Weise
durchzuführen.
Deshalb ist der von den B-Ländern vorgelegte Vorschlag, wie wir Spitzenuniversitäten fördern, genau der
richtige Ansatz. Es geht eben nicht darum, dass wir in einem politisch wie auch immer besetzten und gesteuerten
Gremium uns darüber Gedanken machen, welche Körperschaften in Zukunft gefördert werden sollen. Es ist
ein völlig wissenschaftsfremdes Verfahren, Universitäten als Ganzes oder einzelne Fachbereiche zu fördern.
Wissenschaftlicher Austausch entsteht vielmehr auf der
Basis Forscher gegen Forscher sowie Projektgruppe gegen Projektgruppe.
({1})
- Forscher mit Forscher. Ich akzeptiere Ihren Einwand. - Wir haben bei der DFG ein weltweit anerkanntes Verfahren, wie wir die Exzellenz beurteilen und Geld
vergeben können. Warum sollen wir uns dieses Verfahrens an der Stelle nicht bedienen?
({2})
Deshalb ist es auch aus Sicht der B-Länder und der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion vollkommen richtig, im
Pakt für Forschung und Innovationen eine langfristige
Finanzierungszusage zu geben. Richtig ist aber auch,
dass gerade die Bundesregierung diesem Anspruch in
der Vergangenheit mit der Überrollung der Haushalte
wiederholt, insbesondere im Haushaltsjahr 2003, nicht
gerecht geworden ist;
({3})
auch das muss man einmal erwähnen dürfen.
({4})
- Beim Haushalt 2003 waren Sie diejenigen, die das Versprechen eines Aufbaus der Mittel um 3 Prozent im November gekündigt haben.
({5})
Eine Offensive ist notwendig. Zeitgleich muss aber
mehr passieren. Das Thema Vollkostenfinanzierung ist
in diesem Zusammenhang wichtig. In England wird dies
jetzt umgesetzt. Wie Infrastrukturen von der Forschung
in Anspruch genommen werden, ist doch eigentlich logisch nachvollziehbar. Da, wo besonders viel exzellente
Forschung gemacht wird, wird die Infrastruktur der Universitäten in besonderer Art und Weise genutzt. Die
Vollkostenfinanzierung ist das richtige Modell, um die
Infrastruktur da, wo besonders viel und besonders gute
Spitzenforschung gemacht wird, an diese Erfordernisse
in idealer Weise exzellenzorientiert anzupassen. Deshalb
ist dies für Deutschland ein notwendiger Schritt.
({6})
Jetzt hat die Bund/Länder-Kommission eine Arbeitsgruppe gebildet, um in kürzester Zeit zwischen diesen
Positionen zu vermitteln und zu einem vernünftigen
Ergebnis zu kommen. In dieser Situation beantragen
Rot und Grün eine Aktuelle Stunde, um die Haltung
der B-Länder oder die Haltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bzw. der Union insgesamt zu kritisieren. Inwieweit das ein Aufbruch für Bildung und Forschung in
Deutschland ist, kann ich nicht erkennen. Insofern sollten Sie sich die Mahnungen des Bundespräsidenten in
besonderer Weise ansehen.
({7})
In einer schwierigen Zeit ist es aus meiner Sicht wichtig,
das Geld für Bildung und Forschung sinnvoll, exzellenzorientiert und geeignet einzusetzen. Das bedarf durchaus
der Zusammenarbeit von Bund und Ländern.
Die vollmundigen Ankündigungen, woher Sie das
ganze Geld nehmen wollen, und das scheinbare Vorsich-Hertreiben der Länder stehen in keinem Verhältnis
zu dem, was Sie an solider Finanzierungsgrundlage in
Höhe von 1,9 Milliarden Euro bisher vorgelegt haben.
Hier hat die Bundesregierung die große Aufgabe, nachzuarbeiten und dieses Finanzierungsangebot überhaupt
glaubwürdig zu machen.
({8})
An dieser Stelle sei ein historischer Vergleich erlaubt.
Es ist eine große Kraftanstrengung, Bildung und ForHelge Braun
schung in diesem Umfange zu finanzieren. Aber Bildungs- und Forschungspolitiker sollten an dieser Stelle
gemeinsam hantieren. Denn es ist wahr: Es war immer
wichtig, Geld für die Forschung auszugeben. Dies war
vor allem dann wichtig, wenn die Zeiten schwierig waren. Da ist schon früher Großes geleistet worden.
Wilhelm von Humboldt hat 1810 seinen Antrag zur
Gründung der Berliner Universität folgendermaßen eingeleitet: Es wird befremdend erscheinen, dass die Sektion des öffentlichen Unterrichts im gegenwärtigen
Augenblick einen Plan zur Sprache bringt, dessen Ausführung ruhigere und glücklichere Zeiten vorauszusetzen scheint.
Das ist wahr. Wir haben zwar eine schwierige Zeit;
aber wir haben auch einen guten Ansatz. Den sollten wir
jetzt verwirklichen. Da kann es nicht die Aufgabe von
Rot-Grün sein, den in Gang gesetzten Prozess hier in ungeeigneter Art und Weise zu kritisieren.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort erhält die Kollegin Dr. Carola Reimann,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um
die Chancen der deutschen Forschung im internationalen
Wettbewerb zu verbessern, hat Bundesministerin
Bulmahn bereits im Januar letzten Jahres im Rahmen der
Innovationsoffensive der Bundesregierung die Initiative
für einen Pakt für Forschung und Innovationen initiiert.
Nach monatelangen Verhandlungen haben sich die Bundesregierung und die Länder im November letzten Jahres auf den Pakt für Forschung und Innovationen verständigt.
Ziel des Paktes - das ist schon gesagt worden - ist die
Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Forschung. Bis zum Jahre 2010 soll großen Forschungsund Wissenschaftsorganisationen durch eine jährliche
Erhöhung der institutionellen Förderung um 3 Prozent
die dringend benötigte Planungssicherheit ermöglicht
werden. Das ist ein Zuwachs von 3 Prozent für bessere
Leistungen, ein Zuwachs für stärkere Kooperationen und
damit auch ein Zuwachs für mehr Wettbewerbsfähigkeit
für die deutsche Forschung.
Aber, Kolleginnen und Kollegen, schon für dieses
Jahr hätte der Pakt für Forschung und Innovation den
Forschungseinrichtungen zusätzlich 150 Millionen Euro
eingebracht und neue Möglichkeiten eröffnet.
({0})
Am 16. Dezember dann aber haben die Ministerpräsidenten die Entscheidung über den Pakt und über den
Wettbewerb zur Förderung von Spitzenuniversitäten vertagt. Unter dem Vorwand der Föderalismusdebatte und
mit einem für mich unsachlichen und unsinnigen Junktim zwischen Pakt für Forschung auf der einen Seite und
dem Wettbewerb, der Exzellenzinitiative, auf der anderen Seite legten die Ministerpräsidenten der Union beide
Projekte auf Eis.
({1})
Inzwischen sind 14 lange Monate ins Land gegangen;
({2})
wertvolle Zeit ist auf Kosten der Forschung und auf Kosten der Wissenschaftsorganisationen verstrichen.
({3})
Im letzten Monat ist die Hochschulrektorenkonferenz
noch einmal aktiv geworden und hat die Blockade der
Exzellenzförderung massiv gerügt - wie ich finde, zu
Recht.
Jetzt, nach 14 Monaten, legen Frankenberg und
Schavan ein Papier mit der Überschrift „Forschungsoffensive Deutschland“ auf den Tisch.
({4})
Das kommt mir wie eine Art Ersatzhandlung vor, mit der
die monatelange Untätigkeit überspielt werden soll.
({5})
Denn eine Forschungsoffensive hätten Sie schon am
16. Dezember letzten Jahres mit der Zustimmung der
Unionsministerpräsidenten zum Pakt für Forschung und
Innovation starten können. Eine Einigung der Wissenschaftsminister - auch wenn einige davon nichts mehr
wissen wollen - war bereits im November letzten Jahres
erzielt. Ohne diese Blockade könnte mit den
150 Millionen Euro, die für dieses Jahr zur Verfügung
stehen, in den Instituten schon gearbeitet werden.
({6})
Das, finde ich, ist ein Jammer.
Das Taktieren der Unionsregierungschefs und der
CDU/CSU insgesamt halte ich für leicht zu durchschauen. Sie fürchten, dass die Bundesregierung mit der
Bereitstellung dieser Mittel in Milliardenhöhe einen Vorteil für das kommende Wahljahr haben könnte. Mit der
Blockade wollen Sie natürlich die Bundesregierung treffen.
({7})
Aber Sie treffen damit Wissenschaft und Forschung in
unserem Land.
({8})
Das sind die Verlierer der Blockadehaltung. Mit Ihrer
Haltung machen Sie Forschungseinrichtungen und
Hochschulen in der Tat zu Geiseln der Ministerpräsidenten.
({9})
Sie verhindern, dass die Hochschulen ihre vorhandenen
Potenziale stärker nutzen können.
In den von Ihnen regierten Ländern ziehen Sie sich
darüber hinaus zunehmend aus Ihrer Verantwortung für
die Hochschulen und die Hochschulförderung insgesamt
zurück. Ich komme aus Braunschweig und habe daher
das Beispiel Niedersachsens gut vor Augen, Herr
Stratmann.
({10})
Da erleben wir momentan unter dem, wie ich finde,
euphemistischen Etikett eines so genannten Hochschuloptimierungsprogramms ein Einsparprogramm,
({11})
das die Universitäten finanziell aushungert. Jetzt wollen
Sie sich mit dem Papier als Retter präsentieren, indem
Sie mit der Forderung nach einer Vollkostenfinanzierung
quasi Kuchen für alle in Aussicht stellen, den Sie aber
selbst gar nicht bezahlen können.
({12})
Dabei geben Sie selbst ja kaum Brot für die Hochschulen
in den von Ihnen regierten Ländern.
Was wir bisher erlebt haben, ist ein allzu durchsichtiges Manöver der Unionsministerpräsidenten. Sie haben
durch ihr Nichtentscheiden zusätzliche Chancen und
Entwicklungsmöglichkeiten für unsere Forschungseinrichtungen und Hochschulen auf Eis gelegt. Aber am
Wochenende ist ja Frühlingsanfang. Ich würde mich
freuen, wenn Sie dabei mithelfen würden, das föderale
Ideologieeis zum Schmelzen zu bringen, damit die bereitgestellten Gelder endlich fließen können.
Danke schön.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christoph
Bergner, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich mich
bei dieser Debatte von dem Geist dieser Woche inspirieren lassen:
({0})
Gestern die Bundespräsidentenrede, morgen der Jobgipfel - alles das sendet Zeichen aus, Bremsen zu lösen
und Blockaden zu lockern.
({1})
Auf diese Sicht der Dinge hatte ich mich eingestellt und
war daher geneigt, zu begrüßen, dass die Bund/LänderKommission am Montag eine Presseerklärung mit der
Überschrift „BLK will Exzellenzinitiative voranbringen“ verabschiedet hat. Ich war bereit, der eingesetzten
Arbeitsgruppe einen raschen und nachhaltigen Erfolg zu
wünschen. Dann haben Sie Ihre Debatte begonnen, verehrte Frau Kollegin Berg. Dadurch sind wir wieder bei
der kleinen Münze angekommen, dabei, dass Sie im
Rahmen der Eliteinitiative an dem dritten Förderstrang
der Eliteuniversität wie das Kleinkind an seinem Spielzeug festhalten wollen.
({2})
Es geht doch nicht um die 1,9 Milliarden Euro,
({3})
sondern es geht um die Frage, ob es wirklich sinnvoll ist
- das haben wir schon im Ausschuss diskutiert -, den
Wettbewerb in der Wissenschaft, den wir wollen, als einen Wettbewerb zwischen Körperschaften zu definieren
und als Schiedsrichter womöglich noch die Bundesbildungsministerin einzusetzen. Dies wäre erkennbar mit
der Versuchung verbunden,
({4})
im Wahljahr auch noch die Preisvergabe mit einer segnenden Geste zu verbinden, als käme das Geld nicht
vom Steuerzahler, sondern von ihr selber.
({5})
Wer Forschungsförderung will, sollte nicht diese Propagandamasche verfolgen, sondern Forschungsförderung
voller Vertrauen denen überlassen, die wirklich etwas
davon verstehen, nämlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
({6})
Herr Tauss, wenn Sie in diesem Zusammenhang den
Vorwurf des Verteilens nach dem Gießkannenprinzip erheben, sollten Sie sich darüber klar werden, wie weitreichend dieser Vorwurf ist. Sie stellen damit die gesamte,
international hochanerkannte Forschungsförderung
durch die DFG infrage. Der Mechanismus der Förderung
ist doch derselbe, aber die Art der Förderung umfasst
auch Grundausstattungselemente an der Hochschule. Ich
halte das für einen richtigen und durchaus vernünftigen
Ansatz; er hält auch internationalen Vergleichen stand.
({7})
Kommen Sie doch aus diesem Schützengraben im
Zusammenhang mit dem dritten Förderstrang heraus!
Führen Sie eine offene Diskussion über die eigentlichen
Probleme, zu deren Bewältigung die A-Länder nach
meiner Beobachtung übrigens durchaus bereit waren.
Wenn endlich die „kleine Münze“ beiseite gelegt wird,
können wir in einer Debatte wie dieser über die eigentlichen Probleme sprechen. Diese sind aus meiner Sicht:
Wir brauchen Ehrlichkeit in der Finanzierungsfrage
({8})
und wir brauchen eine Verständigung über das Leitbild
der Hochschule von morgen.
Erstens zur Ehrlichkeit in der Finanzierungsfrage:
({9})
- Herr Tauss, ich weiß gar nicht, für wen Sie klatschen.
({10})
Glauben Sie, dass es ehrlich ist, Deckungsvorschläge auf
einer Rechtsgrundlage zu machen, die überhaupt noch
nicht besteht? Glauben Sie, dass es ehrlich ist, auf Verpflichtungsermächtigungen zu verweisen, die die genannte Summe überhaupt nicht abdecken? Das bezieht
sich auf den Bund.
Ich weiß natürlich, dass sich die Länder - das hat
Minister Stratmann, wie ich finde, mit bemerkenswerter
Offenheit gesagt -, die die Hauptlast der Kosten zu tragen haben, vor allen Dingen die unflexiblen Personalkosten, in einer außerordentlich schwierigen Situation
befinden.
({11})
- Herr Tauss, ich sage doch nicht, dass Sie es bezahlen
müssen. Mir geht es nur darum, klar zu machen, dass
man ehrlich miteinander umgehen muss und nicht den
anderen in seiner Finanznot vorzuführen versucht,
({12})
wenn er an einer bestimmten Stelle bekennen muss, dass
diese Leistungen nicht mehr im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten liegen.
Wir werden auch noch einmal über das Lissabon-Ziel
sprechen müssen; denn angesichts der mittelfristigen
Finanzplanung Ihres Finanzministers rückt die Erreichung des Lissabon-Ziels für mich in immer weitere
Ferne. Im Interesse der Forschung, der wir keine Fata
Morgana vorgaukeln dürfen, möchte ich, dass wir über
einen wirklich realistischen Finanzrahmen reden.
Für den zweiten Punkt, die Verständigung über das
Leitbild der Universitäten, bleibt leider nur noch wenig
Zeit.
Herr Kollege, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass gar keine Zeit mehr bleibt und Sie insofern
zum Schluss kommen müssen.
({0})
Herr Präsident, das ist sehr schade. Ich kann nur darauf hoffen, dass die Koalitionsfraktionen bald wieder
eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragen.
Dann würde ich meine Ausführungen gerne fortsetzen.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich bitte um Nachsicht, aber das vorhin schon einmal
strapazierte Reglement unserer Aktuellen Stunde ist gnadenlos. Es heißt nun einmal schlicht und ergreifend:
Der einzelne Redner darf nicht länger als fünf Minuten sprechen.
({0})
Deswegen muss ich mich bei einer gewissen Überschreitung dieser eindeutig geregelten Redezeit zu Wort melden.
Nun hat der Kollege Heinz Schmitt für die SPD-Fraktion das Wort.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bergner, ich freue mich darüber, dass die
Bund/Länder-Kommission für Bildungsplanung und
Forschungsförderung in einem Punkt, nämlich beim
Pakt für Forschung und Innovation, eine Einigung erzielt
hat.
({0})
Ich betone also - Sie haben das vorhin vermisst - das
Positive. Wir ermöglichen mit diesem Pakt den großen
Forschungs- und Wissenschaftsorganisationen eine größere finanzielle Planungssicherheit. Es ist sehr begrüßenswert, dass sich die Wissenschaftsminister der
unionsgeführten Länder nun endlich zumindest punktuell bewegen; denn - wir alle wissen das - Wissenschaft und Forschung sind von größter Bedeutung für
unser Land.
Trotz aller Zufriedenheit über die teilweise Verständigung am Montag ist es ärgerlich, dass wir dieses Ergebnis nicht bereits früher erzielen konnten. Es war unnötig,
dass vonseiten der Union die Förderung von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen zur parteipolitischen Verhandlungsmasse gemacht wurde; in Sachen
Spitzenhochschulen wird es weiterhin dazu gemacht. Es
geht wieder Zeit verloren, wenn sich eine weitere Arbeitsgruppe mit dem Thema Exzellenzinitiative befassen
soll.
({1})
Heinz Schmitt ({2})
Das ist nicht gut; denn Wissenschaft und Forschung sind
denkbar schlecht dazu geeignet, für parteitaktische
Spielchen herzuhalten.
({3})
Gerade auf diesem Gebiet zählt jeder Monat, damit wir
weiter international bestehen können. Der Wettbewerb in
Wissenschaft und Forschung ist hart; das wissen wir.
Außerdem stehen die Forschungseinrichtungen bereits
ungeduldig in den Startlöchern.
Wenn wir in Deutschland etwas schnell in Gang setzen können, dann sind es gerade diese wichtigen neuen
Weichenstellungen in der Wissenschafts- und Forschungspolitik. Vielleicht sollten Sie von der CDU/CSU
dies Ihren beiden Parteivorsitzenden mit auf den Weg
geben, bevor sie morgen mit dem Bundeskanzler zusammentreffen. Das ist etwas, das man sehr schnell voranbringen kann.
({4})
Im Gegensatz zu den arbeitsmarktpolitischen Modellen,
die Sie bereits diskutieren, ist es ein konstruktiver und
zukunftsweisender Ansatz für schnelle Reformen in
Deutschland.
Trotz der schwierigen Haushaltslage haben wir die
Ausgaben für Bildung und Forschung seit 1998, seit wir
in der Verantwortung stehen, um über 32 Prozent erhöht.
Das ist ein sichtbarer Erfolg. Wir alle wissen: Wir müssen in diesem Bereich mehr tun. Bildung, Wissenschaft
und Forschung haben für uns weiterhin oberste Priorität.
Wir befinden uns damit im Einklang mit der LissabonStrategie, die der Europäische Rat im Jahre 2002 formuliert hat.
Wir wollen die Ausgaben für Bildung und Forschung
auf 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigern. Wir
wissen aber, dass wir das nicht alleine schaffen können.
Wir brauchen dazu die Länder und die Unterstützung der
Wirtschaft. Wir müssen Mittel frei machen, um die Maßnahmen mit dem Ziel weiterer Verbesserungen solide zu
finanzieren.
Wir werben schon seit langem dafür, die Eigenheimzulage zu streichen, um die eingesparten Mittel in Bildung und Forschung zu stecken. Wir wissen: In vielen
Gegenden unseres Landes ist der Wohnungsmarkt gesättigt. Das Angebot liegt dort über der Nachfrage. Die ursprüngliche Aufgabe, genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen, ist zum großen Teil erledigt. Für
staatliche Anreize besteht - anders als in den vergangenen Jahrzehnten - im Augenblick kein Bedarf mehr. Nie
waren die Marktzinsen günstiger als zurzeit. Wer sich
den Wunsch nach den eigenen vier Wänden erfüllen
möchte, kann dies weiterhin tun. Wir sind also der Meinung, dass wir auf diese Subventionen im Wohnungsbau
verzichten können. 15 Milliarden Euro könnten wir so
bis zum Jahr 2010 einsparen. Das sind 15 Milliarden
Euro für eine gute Ausbildung junger Menschen, für
leistungsfähige Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen.
Der Bundespräsident hat gestern in seiner Rede, die
heute schon ein paar Mal zitiert wurde, gesagt:
Unser Land braucht bei Bildung, Wissenschaft und
Forschung keine Querelen, sondern rasches Handeln.
Ich füge für alle, die sich hinter Gerichtsurteilen verstecken, dieser bedeutenden Rede noch einen Satz hinzu:
Wir brauchen auch keine Kleinstaaterei in der Bildungspolitik.
({5})
Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Wir können
uns rasch darauf einigen.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich erteile dem Kollegen Klaus-Peter Willsch, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es wird hier viel von Taktik und von der Geschäftsordnung gesprochen. Auch die Öffentlichkeit soll
einmal erfahren, warum wir heute eigentlich diese Debatte führen. Wir führen sie nicht, weil Sie sich in Ihrer
Fraktion nicht richtig durchsetzen können, sondern weil
es Ihrer Fraktionsgeschäftsführung wichtig war, eine
Aktuelle Stunde zum Thema Stabilitätspakt zu verhindern. Das konnten Sie, indem Sie dieses Thema gewählt
haben.
({0})
Dabei hätten wir vor dem EU-Gipfel noch gern einmal
über den Stabilitätspakt diskutiert.
Aber wir wollen ja über das aktuelle Thema sprechen.
Ich will kurz auf zwei, drei Punkte eingehen; es ist ja immer so am Ende einer Aktuellen Stunde, dass sich einiges angesammelt hat.
Herr Loske, ich verstehe, dass Sie hier leichterhand
über den Einwand hinweggehen, dass man sich durchaus
der Mühe unterziehen sollte, die Länderergebnisse von
PISA zu betrachten; denn das muss Ihnen unangenehm
sein. Sie müssten nämlich bei der Länderbetrachtung
feststellen, dass die Migrantenkinder an den Schulen in
Bayern besser abschneiden als die deutschen Kinder bei
Ihnen in Nordrhein-Westfalen. Das ist natürlich ein Ergebnis, das Sie nicht so gerne lesen. Aber Sie sollten es
zur Kenntnis nehmen, wenn Sie etwas besser machen
wollen.
({1})
- Das hat etwas mit Föderalismus zu tun; das ist ein sehr
richtiger Hinweis. Wir müssen aber feststellen, dass RotKlaus-Peter Willsch
Grün seit der Regierungsübernahme hartnäckig versucht, dieses Thema entgegen der grundgesetzlichen
Ordnung einseitig zu dominieren ({2})
ohne dass dem ganzen Gerede hinterher Taten folgten!
Das ist der Grund dafür, dass, wie meine Kollegin
Reiche festgestellt hat, eine Verhärtung in der bildungsund in der forschungspolitischen Diskussion eingetreten
ist. Sie rechnen sich ständig schön. Schauen wir uns
doch einmal die Zahlen an: Ihr Suppenküchenprogramm, die 4 Milliarden Euro für die Ganztagsbetreuung, ist Ihr einziger Punkt, in dem Sie überhaupt einen
einigermaßen ordentlichen Zuwachs zu verzeichnen haben - und den dürfen Sie im Einzelplan 30 nicht einmal
etatisieren, weil es unzulässig wäre. Wenn Sie sich an
die Haushaltsberatungen für dieses Jahr erinnern, müssen Sie feststellen, dass Sie beim Ausbau und Neubau
von Hochschulen, wo wir 2002 noch bei 1,1 Milliarden
Euro lagen, inzwischen bei 925 Millionen liegen.
({3})
Wir haben Anträge auf Erhöhung gestellt - Sie sind denen nicht gefolgt. Im Gegenteil, Sie haben darüber hinaus 63 Millionen Euro unter Sperre gestellt mit dem
Hinweis, dass Sie die Eigenheimzulage abschaffen
möchten. Dabei wissen Sie, dass sie nicht abgeschafft
werden wird. Weitere 30 Millionen Euro für die Ressortforschung haben Sie ebenfalls unter den Vorbehalt von
Luftnummern gestellt. Die Eigenheimzulage wird für
Sie der Eurofighter, der sonst immer herhalten musste,
wenn nicht erfüllbare Wünsche dargestellt werden sollten.
Wir haben mit dem Grundgesetz eine klare Verteilung
der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. Frau
Wicklein, was ist das denn für eine Art des Umgangs
miteinander, wenn mitten in der nun wirklich intensiv
und engagiert geführten Diskussion über die Reform des
Föderalismus einfach so dahergesagt wird: Wir machen
jetzt Eliteunis. Macht mit oder lasst es bleiben! Das
kommt so, wie wir das sagen!?
({4})
Wenn man so vorgeht, ist doch völlig klar, dass man
überhaupt keinen Konsens sucht,
({5})
sondern die Schuld am Scheitern dem anderen zuschieben möchte und an einem Ergebnis im Grunde genommen nicht interessiert ist. Das ist der Schluss, den ich
daraus gezogen habe. Ich habe in der Föderalismuskommission gesessen
({6})
und gesehen, wie Sie, wie Ihre Regierung diese notwendige Reform des Föderalismus mutwillig an die Wand
gefahren hat, indem Forderungen hinsichtlich des Bildungsbereiches erhoben wurden, von denen man von
vornherein wusste, dass die Länder dazu nicht bereit sein
würden.
({7})
Wenn Sie schon über das Ergebnis der Bund/LänderKommission diskutieren: Wir wollen hier Brücken
bauen.
({8})
Wir wollen, dass dieses Geld den Hochschulen zur Verfügung gestellt wird.
({9})
Wir wollen, dass es in der Bildungspolitik insgesamt
einen Wettbewerb gibt.
({10})
Wir haben keine Angst vor dem Föderalismus, wir wollen die Chancen des Föderalismus nutzen: Im Wettbewerb mögen sich die besseren Ideen durchsetzen. Im
Wettbewerb wollen wir Exzellenz erreichen.
({11})
- Dann machen Sie doch endlich mit! Gehen Sie doch
den Schritt! Wir sind bereit dazu.
({12})
Wir wollen, dass Forschung in Deutschland besser
gefördert wird. Wir wollen, dass Forschung und Exzellenz in Deutschland ausgebaut werden, weil wir wissen,
dass wir damit Arbeitsplätze für dieses Land gewinnen
werden. Das ist das Wichtigste, das wir in dieser Zeit
brauchen: Arbeit, Arbeit, Arbeit.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({13})
Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Jörg Tauss für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Willsch, Wilhelm Busch ist schon bemüht worden; es passt in der Tat. Wie heißt der Text dort
so schön?
… mit der Säge,
Ritzeratze! voller Tücke,
In die Brücke eine Lücke.
Das ist das, was Sie tun. Das war ein sehr schönes Bild
für das, was Sie hier treiben.
({0})
Sie haben Bayern als Modell für eine gelungene Integrationspolitik dargestellt. Das ist ja wunderbar. Kollege
Hinsken, seien Sie ganz entspannt. Was ist mit den
Migrantenkindern in Bayern? Letzen Freitag war der italienische Botschafter bei mir.
({1})
Wir saßen im Bundestagsrestaurant und er hat sich bei
mir beklagt, dass es kein Land in Deutschland gibt, in
dem mehr italienische Kinder in Sonderschulen abgeschoben werden als in Bayern. Sie sind noch nicht einmal in der Lage, die katholischen Kinder in Bayern zu
integrieren! Das ist Ihre Integrationspolitik.
({2})
Kollege Loske hat die Frage gestellt, warum wir hier
diskutieren. Ich denke, ich kann die Frage beantworten:
Solange Ihre Blockadepolitik dazu führt, dass der Wissenschaft und der Forschung jeden Monat Millionen entzogen werden, sollten wir diesen Skandal in der Tat so
oft es geht hier im Deutschen Bundestag öffentlich machen. Ich bin sehr dafür.
({3})
Alle Rednerinnen und Redner haben es erwähnt und
auch ich bin froh - das sage ich ausdrücklich -, dass in
den Pakt Bewegung gekommen ist. Darüber, woran das
nun lag, mag sich irgendwann gnädigerweise der
Schleier der Geschichte breiten. Ich behaupte, es lag vor
allem daran, dass Sie dem Druck, den Wissenschaft und
Hochschulen Ihnen gegenüber ausgeübt haben, nicht
länger standhalten konnten. Sie mussten sich wenigstens
in einem minimalen Feld endlich bewegen und konnten
den Pakt für Forschung nicht länger blockieren.
({4})
Nichtsdestotrotz blockieren Sie natürlich immer noch.
Darauf komme ich gleich zu reden.
Liebe Frau Reiche, ich habe aufgehört, mich über Sie
aufzuregen. Es macht wirklich keinen Sinn und Spaß.
({5})
- Sie ist ja auch gar nicht mehr da. Wahrscheinlich ist sie
wieder bei einer Party. - Vergleichen Sie einfach einmal
1998 mit dem Jahr 2005 und hören Sie auf, über Kürzungen für die Wissenschaftsorganisationen im Bereich der
Projektförderung zu reden. Das ist nicht nur mathematischer Unfug, sondern es ist auch nicht anständig, wenn
man hier die Zahlen derart verdreht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundespräsident ist mehrmals zitiert worden. Er hat eine interessante Rede gehalten. Jeder kann sie bewerten, wie
er will. Ich hätte mir etwas mehr Optimismus gewünscht. An seiner Stelle hätte ich die deutschen Universitäten nicht so pauschal als Mittelmaß im internationalen Vergleich beschimpft. Ich finde es nicht gut, wenn
wir immer alles herunterreden.
({6})
Selbstverständlich gibt es die eine oder andere Universität, die Mittelmaß ist. Aber mit dieser pauschalen Beschimpfung wird man den deutschen Universitäten nicht
gerecht.
Ich empfehle dem Bundespräsidenten, einfach einmal
nach Aachen, München, Karlsruhe oder meinetwegen
auch nach Göttingen zu fahren. Er kann in Deutschland
in der Tat Spitzenuniversitäten besichtigen. Gerade in
Niedersachsen kann er aber einige Universitäten besichtigen, denen das Geld von Ihnen, Herr Minister
Stratmann, weggenommen wird. Ich spreche genau von
den Universitäten, die eine spezielle Exzellenz in Ihrem
Lande hervorbringen. Das liegt in Ihrer Verantwortung
als Minister und das haben Sie vor der Wahl nicht versprochen. Das ist der eigentliche Skandal. Wir haben die
Mittel erhöht. Sie kürzen sie und führen einen Kahlschlag durch, womit Sie auch im Bereich der Spitze vieles kaputtmachen. Das ist der Unterschied zwischen uns.
({7})
- Lieber Kollege Hinsken, normalerweise würde ich sagen: Stellen Sie eine Zwischenfrage. Das ist heute leider
nicht möglich. Mir rennt die Zeit ein wenig davon.
Herr Hinsken, ich möchte Ihnen einfach einmal sagen, was die Folgen Ihrer Politik sind. Ich sage es noch
einmal: Der Pakt für Forschung ist hervorragend. Sie sagen, Sie wollen die Spitze fördern. Nein, Sie wollen die
Spitze eben nicht fördern. Sie haben sogar eine Scheu
vor Wettbewerb, um die Spitzen zu fördern.
({8})
Zu Ihrer Unterstellung, die Ministerin wolle Schiedsrichterin sein, kann ich nur sagen: Plumper geht es nicht
mehr.
Nein, Fakt ist etwas anderes: Sie haben Angst vor
Wettbewerb. Deswegen entziehen Sie sich dem Wettbewerb. Sie haben Angst, die Spitze zu fördern, und Sie
haben Probleme mit Exzellenzen. Deswegen wollen Sie
eine Förderung mit der Gießkanne. Das macht Ihre Vorschläge letztlich aus. Ich hoffe sehr, dass Sie sich an dieser Stelle, ähnlich wie beim Pakt für Forschung, bewegen.
Was blockieren Sie im Moment? Ich sage es Ihnen
deutlich: Sie sagen hier, Sie seien dafür, zu clustern. Das
ist fast unglaublich. Wir könnten uns heute Nachmittag
darauf einigen; das wäre überhaupt kein Problem. Im
Moment werden aber 30 Exzellenzcluster mit durchschnittlich 8 Millionen Euro pro Jahr von Ihnen blockiert. Das sind 240 Millionen Euro. Sie blockieren
Exzellenzcluster, obwohl Sie sie angeblich wollen. Das
ist der Sachverhalt, der auch Gegenstand dieser Aktuellen Stunde ist. Sie verhindern, dass zehn Unis durchschnittlich 25 Millionen Euro pro Jahr erhalten, um an
die internationale Spitze aufschließen zu können. Das ist
die Folge Ihrer Politik.
Das Allerschlimmste, Herr Hinsken, ist, dass Sie auf
der einen Seite blockieren und auf der anderen Seite beklagen, dass die jungen Menschen ins Ausland gehen.
Ihre Darstellung ist ein bisschen provinziell. Wir haben
diese jungen Menschen zum Teil wieder zurückgeholt.
Eines ist richtig - darauf können wir uns sofort einigen -: Jedes Jahr könnten wir im Rahmen dessen, was
wir den Ländern vorgeschlagen haben, 40 unserer besten
Nachwuchswissenschaftler mit jeweils 1 Million Euro
fördern. Auch das blockieren Sie. Die eigentliche
Katastrophe ist, dass jeder Einzelne dieser Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler Ihretwegen
bereits ein Jahr lang auf 1 Million Euro verzichten muss.
Solange dieser Skandal andauert, sind Aktuelle Stunden
höchst angebracht und aktuell.
({9})
Wir werden Sie auch weiterhin vorführen. Sie müssen
sich bewegen. Hören Sie auf, dieses Land zu behindern
und hier zu blockieren!
({10})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Wir sind zugleich am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 17. März 2005,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.