Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht „Zur technologischen
Leistungsfähigkeit Deutschlands 2005“.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Edelgard Bulmahn.
({0})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
heute im Kabinett den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit dargestellt, der von acht unabhängigen
Forschungsinstituten erarbeitet worden ist. Im Anschluss
an die Kabinettssitzung haben die Forschungsinstitute
und ich ihn gemeinsam der Öffentlichkeit vorgestellt. Inzwischen findet dieser Bericht weltweit große Beachtung. Mittlerweile haben eine ganze Reihe anderer Länder mit einer ähnlichen Form der Berichterstattung
begonnen.
Zu Beginn möchte ich kurz die Kernpunkte und Kernaussagen des Berichtes vorstellen. In dem Bericht wird
nachgewiesen und ausdrücklich gesagt, dass die deutschen Unternehmen inzwischen zu den innovativsten in
Europa gehören. Der Anteil der Unternehmen, die in neue
Produkte und Verfahren investieren, ist im Jahr 2003 erstmals seit drei Jahren wieder auf 59 Prozent gestiegen. Die
wissenschaftlichen Forschungsinstitute weisen in dem
Bericht auch darauf hin, dass die Unternehmen - das kann
man wirklich sagen - verhalten optimistisch sind, ihre Innovationsanstrengungen zu verstärken, sodass sie deutlich zunehmen werden.
Neben der Tatsache, dass die deutschen Unternehmen
zu den innovativsten in Europa gehören, wird in dem
Bericht festgestellt, dass Deutschland auch im internationalen Vergleich eine herausragende Position wahrnimmt. Wir liegen, sowohl was die Veröffentlichungen
als auch was die weltmarktrelevanten Patentanmeldungen angeht, ganz weit vorne, im Übrigen vor unseren
größten Konkurrenten.
Damit bestätigt der Bericht den Kurs der Bundesregierung. Wir haben in Forschung investiert und die Wirtschaft bei Innovationen unterstützt; das wird in dem
Bericht herausgestellt. Es wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass die öffentlichen Forschungsaufgaben wie
auch die Forschungsausgaben wieder deutlich zugenommen haben. Bei den öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung ist es zu einer jährlichen Steigerung von 2 Prozent gekommen. Gleichzeitig, so heißt
es, sind die richtigen Schwerpunkte gesetzt worden, sowohl bei der Technologieförderung in den für unsere
Volkswirtschaft wichtigen Schlüsselbereichen wie den
IuK-Technologien als auch bei der Produktionstechnik,
den optischen Technologien, den Umwelttechnologien,
der Biotechnologie und der Nanotechnologie.
In dem Bericht wird ganz klar darauf abgestellt, dass
Investitionen in Forschung und Entwicklung für unsere
Volkswirtschaft entscheidend sind: für die internationale
Wettbewerbsfähigkeit, die Wachstumsentwicklung und
die Arbeitsplatzentwicklung.
Die Unternehmen, die stark in Forschung und Entwicklung investieren, haben deshalb auch einen Exportboom erlebt - und sie erleben einen Exportboom -, wohingegen die Unternehmen, die nicht in Forschung und
Entwicklung investieren, Wachstumsprobleme haben.
Das unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit und die
Bedeutung der Investitionen in Forschung und Entwicklung. Der Bericht zeigt genau diesen Zusammenhang
klar auf und stellt ihn ganz stark heraus.
Für Deutschland bedeutet das, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen insgesamt stark gestiegen ist.
Das hängt auch mit der gezielten Forschungsförderung
zusammen, die wir betreiben. Wir haben in der Forschungsförderung meines Ministeriums den Schwerpunkt auf die kleinen und mittleren Unternehmen
Redetext
gesetzt, weil sie wichtige Treiber von Innovationen sind
und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Wir haben vor
allen Dingen auch die Kooperation, die Zusammenarbeit
von großen und kleinen bzw. mittleren Unternehmen im
Blick, weil auch sie eine wichtige Rolle dafür spielt, dass
das Innovationsgeschehen erfolgreich ist.
Die Beteiligung der kleinen und mittleren Unternehmen an den Technologieförderprogrammen des Bundesforschungsministeriums hat im Übrigen von 1998 bis
2003 um rund zwei Drittel zugenommen. In dem Bericht
wird darauf hingewiesen, dass es darauf ankommt, dass
sich gerade kleine und mittlere Unternehmen in noch
stärkerem Maße an Forschung und Entwicklung beteiligen; denn auch bei den kleinen und mittleren Unternehmen zeigt sich, was bei den großen Unternehmen klar erkennbar ist, nämlich dass ihre Wettbewerbsfähigkeit und
ihre Wachstumschancen in einem ganz entscheidenden
Maße von ihren Forschungsanstrengungen abhängen.
Von daher ist auch für die kleinen und mittleren Unternehmen die Teilnahme am Innovationsgeschehen von
großer Bedeutung.
Neben der klaren Fokussierung der Technologieförderprogramme auf kleine und mittlere Unternehmen und
einer ganzen Reihe von anderen Maßnahmen, die ich jetzt
nicht alle nennen will, hat die Bundesregierung zum einen die Ausgründung von Unternehmen aus Universitäten und Forschungseinrichtungen erheblich verbessert,
und zwar sowohl durch eine entsprechende Veränderung
der Rahmenbedingungen als auch durch entsprechende
Programme. Zum Zweiten haben wir die steuerlichen
Rahmenbedingungen für Wagniskapital erheblich verbessert und den Hightech-Masterplan aufgelegt. In dem
Bericht wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass
wir in Deutschland die Anstrengungen fortsetzen müssen,
dass wir die Investitionen in Forschung und Entwicklung
weiter verstärken müssen, und zwar in allen öffentlichen
Haushalten.
Als dritten Punkt will ich hier noch kurz anreißen,
dass in dem Bericht auch auf den Nachwuchs eingegangen wird. Es wird noch einmal hervorgehoben, dass es
dringend notwendig ist, die Kraftanstrengungen, die wir
in den letzten sechs Jahren unternommen haben, um gerade für die ingenieurwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Fächer Nachwuchs zu gewinnen, fortzusetzen. Ich will darauf hinweisen, dass die Bundesregierung
hier durch die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ und
durch Initiativen, die wir gemeinsam mit den Berufsverbänden und mit den Wirtschaftsverbänden durchgeführt
haben - zum Beispiel durch die Einrichtung von Schülerlabors in den Forschungseinrichtungen oder durch die
Einrichtung von Kinderuniversitäten etc.; wo immer wir
in unseren Forschungseinrichtungen Einflussmöglichkeiten haben -, eine Trendwende erreichen konnte: In
den 90er-Jahren ist die Zahl der Studienanfänger in diesen Fächern weiter gesunken. Seit 1998 haben wir eine
klare Trendwende: Die Zahl der Studienanfänger in diesem Bereich hat deutlich zugenommen, was jetzt langsam zu einer höheren Zahl von Studienabsolventen
führt; Sie wissen ja, dass die durchschnittliche Studiendauer bei diesen Fächern ungefähr sechs bis sieben Jahre
beträgt. Jetzt spüren wir also die positiven Ergebnisse.
Aber ich sage ausdrücklich: Das muss fortgesetzt werden; auch darauf weisen die Experten hin.
Zusammenfassend will ich zwei zentrale Schlussfolgerungen aus dem Bericht ziehen: Zwei zentrale Projekte
stehen an, die darüber mitentscheiden, ob es uns gelingt,
den Kurs, den wir jetzt eingeschlagen haben und der erkennbar Früchte bringt - weil das Innovationsgeschehen
deutlich verstärkt worden ist und die Unternehmen deutlich an Innovationsstärke gewinnen -, fortzusetzen. Zum
Ersten handelt es sich um die Entscheidung über die Eigenheimzulage.
({0})
- Das ist absolut kein Grund zum Lachen. Ihnen ist der
Ernst der Lage offensichtlich nicht bewusst. Ich will nur
darauf hinweisen, dass die Schwellenländer ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung massiv erhöht
haben. Allein China hat seine Aufwendungen für Forschung und Entwicklung seit Mitte der 90er-Jahre
vervierfacht. Auch die Opposition muss begreifen, dass
es hier um die Zukunft unseres Landes geht und dass es
zwingend notwendig ist, dass wir in den öffentlichen
Haushalten umschichten.
({1})
Wir müssen weg von den traditionellen Subventionen
und hin zu den Investitionen in die Zukunft. Dabei geht
es um die Investitionen in Forschung und Entwicklung
sowie in Bildung.
Ein Land wie Niedersachsen kürzt bei den Wissenschaftsausgaben zurzeit massiv. Wenn Sie von der Opposition mir sagen können, wie Sie die notwendige Steigerung der Haushaltsmittel in Zukunft erreichen wollen,
dann können Sie auch kritisieren, dass die Bundesregierung hier vielleicht nicht ausreichend Vorschläge auf den
Tisch legt. Darüber können wir dann diskutieren. Solange Sie aber in den Ländern, in denen Sie die Regierung stellen, in den für unser Land so wichtigen Zukunftsbereichen die Mittel kürzen, müssen Sie hier im
Bundestag auch sagen, wie Sie diese Herausforderung
eigentlich bewältigen wollen.
Wir weisen in diesem Bericht darauf hin, dass es
zwingend notwendig ist, dass Bund und Länder in den
öffentlichen Haushalten umschichten. Die Bundesregierung hat einen ernst zu nehmenden Vorschlag auf den
Tisch gelegt. Ich erwarte von einer Opposition, dass sie
sich konstruktiv damit auseinander setzt, den Ernst der
Lage wahrnimmt und die Verantwortung dafür übernimmt.
({2})
Als zweiten Punkt möchte ich die Exzellenzinitiative
ansprechen. Die Wissenschaftsorganisationen, die Universitäten und die Wirtschaftsverbände haben übereinstimmend gefordert, dass Bund und Länder diese Exzellenzinitiative jetzt starten. Die Wissenschaftsminister
haben über ein Jahr lang intensiv miteinander verhandelt. Wir haben ein gutes, tragfähiges und sehr Erfolg
versprechendes Konzept miteinander erarbeitet. Beide
Seiten sind dabei aufeinander zugegangen. Die Ministerpräsidenten haben es jetzt in der Hand, darüber zu entscheiden, ob diese Chance unseren Universitäten erhalten bleibt oder ob sie ihnen verwehrt wird. Das ist nicht
nur eine Chance für die Universitäten. Es ist auch eine
Chance für unser gesamtes Innovationssystem, für unsere Universitäten genauso wie für die Wirtschaft, die
auf die Leistungsfähigkeit der Universitäten entscheidend angewiesen ist.
Morgen werden die Ministerpräsidenten zusammentreffen und hierüber beraten. Jetzt liegt es in der Hand
der Ministerpräsidenten, in unserem Land wichtige Perspektiven für Forschung und Entwicklung zu schaffen.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Frau Bundesministerin Bulmahn. - Wir
kommen zunächst zu den Fragen, die den angesprochenen Themenbereich betreffen. Als Erste hat sich die Kollegin Ulrike Flach gemeldet.
Herr Präsident! Frau Ministerin! In dem Bericht wird
viel Erfreuliches gesagt; das ist gar keine Frage. In den
drei zentralen Bereichen, die uns seit vielen Jahren umtreiben - zum Ersten geht es da um die staatliche Förderung von FuE, zum Zweiten um die Förderung im privaten Bereich und zum Dritten um das in den letzten
15 Jahren geradezu katapultartige Ansteigen des Mangels an Fachkräften im ingenieurwissenschaftlichen Bereich -, macht er aber sehr deutlich, dass wir dabei sind,
den Anschluss zu verlieren, und nicht, wie Sie es gerade
dargestellt haben, dass wir sozusagen vor der ganzen
Kohorte hergaloppieren.
Deswegen komme ich zu meiner ersten Frage. Für
den Fall, dass Sie erkennen müssen, dass die unionsgeführten Länder bei der Eigenheimzulage nicht nachgeben werden - und wir können keine Signale dafür erkennen, dass ein Nachgeben erfolgen wird -, hat der
Kanzler damals einen Plan B vorgeschlagen. Ich würde
von Ihnen gerne hören, welche Alternativen zur Abschaffung der Eigenheimzulage Sie sich inzwischen vorstellen können; denn Sie brauchen ja das Geld. Anders
als andere Länder gibt Deutschland im öffentlichen Sektor zurzeit nicht massiv mehr aus. Die Ziele, die Sie sich
gesetzt haben, erreichen Sie ja nicht.
({0})
Ich komme zur zweiten Frage. In dem Bericht wird
sehr deutlich gesagt, dass Venture Capital fehlt. Die
entsprechenden Haushaltsmittel dafür wurden gesperrt,
sodass Sie große Schwierigkeiten haben, den kleinen
und mittleren Unternehmen zu helfen. Ich wäre Ihnen
dankbar, wenn Sie mir sagen würden, wie Sie bei diesem
sehr wunden Punkt vorgehen wollen.
Das dritte Thema betrifft die Zahl der Studierenden
im Bereich der Ingenieurwissenschaften. Die Zahl der
Absolventen ist in den letzten Jahren eingebrochen.
Beabsichtigen Sie, ein Sonderprogramm aufzulegen?
Wollen Sie entsprechende Vorschläge unterbreiten? Verhandeln Sie in diesem Fall einmal konstruktiv mit den
Ländern?
Das möchte ich gerne von Ihnen wissen.
Bitte schön, Frau Bundesministerin.
Ich komme zunächst zum Thema Eigenheimzulage.
Die Bundesregierung wird keinen anderen Vorschlag
vorlegen. Die Länder können ihrerseits Vorschläge einbringen. Frau Flach, ich sage es noch einmal ausdrücklich: Es geht um unser ganzes Land.
({0})
Deshalb hat nicht allein die Bundesregierung ein Problem, sondern wir alle, Bund und Länder, haben die Aufgabe, sicherzustellen, dass wir stärker in Forschung und
Entwicklung investieren können.
Ich erinnere daran, dass für die Investitionen in Wissenschaft und Forschung - man muss schließlich beides
zusammen betrachten - zwischen Bund und Ländern
eine hälftige Verteilung gilt. Es reicht nicht aus, wenn
allein die Bundesregierung ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung verstärkt. Bund und Länder
müssen ihre Investitionen verstärken. Daher ist nur ein
Vorschlag zielführend, der sowohl dem Bund als auch
den Ländern neue Gestaltungsspielräume eröffnet und
höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung ermöglicht. Genau das ist mit der Abschaffung der Eigenheimzulage möglich; denn über 50 Prozent der Mittel
aus der Eigenheimzulage kämen den Ländern zugute.
Das heißt, sie hätten damit die notwendigen finanziellen
Spielräume, um in Forschung und Entwicklung zu investieren.
Die Bundesregierung könnte aus ihrem Anteil ebenfalls die notwendigen Investitionen tätigen.
Von der Streichung dieser Subvention würden Bund
und Länder profitieren; so könnten sie die Umschichtungen durchführen. Ansonsten gibt es, wie Sie wissen,
nicht sehr viele Möglichkeiten. Insofern gibt es keinen
großen Spielraum, andere Möglichkeiten vorzuschlagen.
Genau das ist der Grund, warum die Bundesregierung
vorgeschlagen hat, genau diese Subvention zu streichen.
So können beide Seiten, Bund und Länder, investieren.
Ansonsten erreichen wir nicht das Ziel, das ich angesprochen habe.
Ich komme zu dem zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass
wir die steuerlichen Rahmenbedingungen für
Wagniskapital im letzten Jahr verbessert haben. Sie
werden sich daran erinnern; das haben wir im Deutschen
Bundestag beraten. Weil wir dies gemeinsam für
notwendig erachten, fand dieser Vorschlag die Zustimmung mehrerer Fraktionen. Wir haben den Dachfonds
des ERP-Sondervermögens und des Europäischen
Investitionsfonds aufgelegt und mit 500 Millionen Euro
ausgestattet. Wir wissen, dass das private Wagniskapital
und vor allen Dingen das Seed Capital - das ist das
Hauptproblem - durch die private Seite noch nicht in
ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt wird.
Wir haben aber nicht nur den Wagniskapitalfonds geschaffen, sondern sind auch im Rahmen der Initiative
„Partner für Innovation“ mit Unternehmen und ihren
Wagniskapitalgesellschaften, aber auch mit der Finanzwirtschaft im Gespräch, um in einem noch deutlich stärkeren Maße das notwendige Seed Capital bereitzustellen. Das wird von privater Seite nach wie vor noch nicht
in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt; darin
stimme ich Ihnen zu. Deshalb führen wir diese Gespräche. Wir haben auch die Rahmenbedingungen entsprechend verändert, um die Anlage in solchen Fonds zu unterstützen.
Ich komme zum letzten Punkt, zum wissenschaftlichen Nachwuchs. Ich will anhand der Zahlen zeigen,
dass wir in den vergangenen Jahren Erhebliches geleistet
haben. Vielleicht haben Sie heute Morgen in der „Welt“
den Bericht zu diesem Thema gelesen. Die Überschrift
dieses Berichtes ist sicherlich zutreffend. Wenn es uns
nicht gelingt, in Zukunft noch mehr junge Menschen für
ein Studium der Ingenieurwissenschaften oder Naturwissenschaften zu motivieren, dann werden wir auf Dauer
ein Problem haben. Was der Bericht leider völlig verschweigt, obwohl die Daten vorliegen, ist die Tatsache,
dass wir gerade in den letzten sechs Jahren große Fortschritte erzielen konnten.
Ich will Ihnen die Zahlen dazu nennen: Seit 1998, als
sich diese Bundesregierung mit der damaligen Situation
auseinander setzen musste, nämlich dem rasanten
Einbruch der Zahl der Studierenden der Natur- und Ingenieurwissenschaften - diese Entwicklung war seit Anfang der 90er-Jahre bis 1998 zu beobachten -, ist die
Zahl der Studierenden in beiden Bereichen rasant gestiegen. In den Naturwissenschaften und in der Mathematik
betrug die Steigerung 81 Prozent. In absoluten Zahlen:
1998 begannen 38 000 Studierende ein solches Studium,
2004 waren es 68 000. Bei den Ingenieurwissenschaften
ist die Lage vergleichbar. Als ich Ministerin wurde, fand
ich hier ebenfalls eine absolut desolate Situation vor:
45 000 Studierende begannen ein Ingenieurstudium.
Inzwischen sind es 70 000. Das zeigt, dass unsere Initiativen, die ich beschrieben habe, sowohl die mit den Forschungsorganisationen als auch diejenigen mit den Berufsverbänden und den Wirtschaftsverbänden, Früchte
tragen.
Ich will allerdings eines an dieser Stelle klar sagen:
Die Entscheidung, ob ein junger Mensch ein naturwissenschaftliches oder ingenieurwissenschaftliches
Studium ergreift, fällt häufig in der zehnten Klasse, spätestens in der elften, nämlich dann, wenn sich die Jugendlichen entscheiden, welche Leistungskurse sie belegen. Deshalb müssen die Länder dafür Sorge tragen,
dass die naturwissenschaftlichen Fächer - auch das Fach
Technik, zumindest als Querschnitt - in den Schulen
eine größere Rolle spielen. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass der Unterricht so gestaltet wird, dass die jungen Leute Spaß an Naturwissenschaften und Technik haben und nicht davon abgeschreckt werden.
Die Länder erklären immer wieder mit Nachdruck
- das wissen Sie -, die Schule sei ihre Sache. Deshalb
sage ich: Die Länder müssen dafür sorgen. Die Bundesregierung hat mit ihren Partnern alles, was sie kann, dafür getan, dass die Naturwissenschaften und die Ingenieurwissenschaften wieder an Stellenwert gewinnen.
Die Länder haben die Verantwortung. Sie fordern sie immer ein, sie wollen die Verantwortung und sie müssen
sie deshalb auch wahrnehmen.
Vielen Dank. - Der nächste Fragesteller ist der Kollege Jörg Tauss.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Ich kann mir die
Vorbemerkung nicht verkneifen, dass die Union - dazu
könnte Herr Staatssekretär Diller sicherlich einiges sagen - alle Pläne B, zu einem Subventionsabbau zu kommen, ebenfalls blockiert. Insofern ist das ein bisschen
merkwürdig.
Ich will an dieser Stelle nachfragen, Frau Ministerin,
weil wir heute Morgen im Ausschuss eine Diskussion
darüber geführt haben und die Kolleginnen und Kollegen eindeutig wieder die Priorität auf Einbauküchen anstatt auf Bildung und Forschung gelegt haben. Können
Sie uns den Schaden, der im aktuellen Haushalt und darüber hinaus durch die Blockaden der Union angerichtet
und dem Wissenschaftsstandort Deuschland durch die
Union zugefügt wird, beziffern und darlegen, wie sich
diese Blockade und diese destruktive Haltung insgesamt
auf die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands
auswirken können, wenn man diesen Kurs nicht umgehend stoppt?
Lieber Kollege Tauss, wir haben die Aufwendungen,
das heißt die Investitionen in Forschung und Entwicklung zwischen 1998 und 2003 von 2,31 Prozent auf
2,55 Prozent gesteigert. Wir haben also einen gewaltigen
Schritt in die richtige Richtung gemacht. Wir haben uns
gleichzeitig auf europäischer Ebene darauf verständigt,
dass wir 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in
Forschung und Entwicklung investieren wollen. Das
zeigt, dass wir immer noch einen erheblichen Schritt machen müssen, um das 3-Prozent-Ziel zu erreichen.
Um unseren Beitrag auch vonseiten der öffentlichen
Haushalte zu erbringen, die ein Drittel dazu beitragen
müssen, müssen wir in den öffentlichen Haushalten umschichten. Wenn uns diese Umschichtung nicht gelingt,
dann ist das 3-Prozent-Ziel, so fürchte ich, gefährdet.
Deshalb müssen wir umschichten. Es geht kein Weg daran vorbei. Das, was andere Länder im Übrigen auch
tun, muss auch in unserem Land gelingen.
Ich will noch darauf hinweisen, dass andere Länder
wie die USA, Japan und die skandinavischen Länder
ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung sehr
stark gesteigert haben. In den skandinavischen Ländern
liegt der Anteil am Bruttoinlandsprodukt bei über 4 Prozent, in Japan liegt er inzwischen deutlich über 3 Prozent
und die USA steigern ihre Ausgaben ebenfalls. Dort
liegt der Anteil aber noch unter 3 Prozent. Das heißt, wir
sind hier nahe an den USA. Aber hinzu kommt, dass
auch die Schwellenländer ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung erheblich gesteigert haben. Ich
habe vorhin auf China hingewiesen. Aber auch Korea
hat seine Ausgaben in diesem Bereich erheblich gesteigert.
Die gute Position, die Deutschland einnimmt - wir
sind nach den USA das Land mit dem höchsten Welthandelsanteil bei forschungsintensiven Gütern; das
heißt, wir haben aufgeholt: Der Abstand zwischen erstem und zweitem Platz ist geringer geworden -, können
wir nur halten oder sogar noch verbessern, wenn wir
stärker in Forschung und Entwicklung investieren. Das
ist nur möglich, wenn wir in den öffentlichen Haushalten
eine Umsteuerung vornehmen.
Insofern betone ich noch einmal: Das ist nicht nur
eine Aufgabe, die in der Verantwortung der Regierung
liegt, sondern es ist auch die Aufgabe der Opposition, da
sie in vielen Ländern die Landesregierung stellt. Bund
und Länder müssen die Ausgaben für Forschung und
Entwicklung steigern. Wenn nur der Bund eine Ausgabensteigerung vornimmt, ist es ein Nullsummenspiel.
Das hätte zur Folge, dass die notwendigen Anstrengungen nicht unternommen werden könnten. Gerade kleine
und mittlere Unternehmen - das gilt aber auch für größere Unternehmen - sind auf die öffentliche Forschungsförderung angewiesen, weil nur so die erforderliche
Dynamik entsteht. Ohne eine exzellente öffentliche Finanzierung von Forschungseinrichtungen, Universitäten
wie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, können
wir diese positive Entwicklung nicht einschlagen.
Um ein konkretes Beispiel anzuführen, verweise ich
auf die neuen Bundesländer. Dort ist es uns durch eine
gezielte strategische Forschungsförderung, durch Ansiedlung und Ausbau von Forschungsinstituten und die
Ansiedlung von neuen Forschungsfeldern in der Region
Dresden gelungen, an die Weltspitze zu gelangen. Das
ist uns zwar bereits in anderen Bereichen gelungen, aber
es ist notwendig, dass diese Entwicklung auch in der
Breite stattfindet. Deshalb ist eine Umschichtung in den
öffentlichen Haushalten dringend notwendig.
Die nächste Frage stellt der Kollege Willi Brase.
({0})
Herr Präsident! Frau Ministerin! Ich möchte ein anderes Thema ansprechen. Die deutschen Unternehmen
feiern mit Hightechgütern große Exporterfolge auf den
internationalen Märkten. Die kleinen und mittleren
Unternehmen gelten bisweilen als Sorgenkinder des Innovationsgeschehens. Sie betreiben seltener Forschung
und Entwicklung und gelten manchmal auch als weniger
erfolgreich in ihren Innovationsaktivitäten. Welche Unterstützung benötigen die KMU durch die Forschungsund Innovationspolitik? Welche Fortschritte der Bundesregierung sehen Sie in der Innovationsförderung zugunsten der KMU, damit wir dort einen noch stärkeren Prozess anstoßen können?
Der Bericht weist auf den von Ihnen geschilderten
Zusammenhang hin. Forschung und Innovation sind bei
kleinen und mittleren Unternehmen im Großen und Ganzen nicht so breit verankert wie bei großen. Wir haben
- das kann ich für mein Ministerium sagen - bei den
kleinen und mittleren Unternehmen durch eine Veränderung der Förderbedingungen die Beteiligung dieser
Unternehmen an dem Technologieprogramm, dem Fachprogramm meines Ministeriums, seit 1998 um zwei Drittel, um über 66 Prozent, erhöhen können. Wir werden
diese Anstrengungen, wie gesagt, auch fortsetzen, weil
auch die kleinen und mittleren Unternehmen Wachstumschancen bekommen und Beschäftigungszuwächse erzielen, wenn sie in Forschung und Entwicklung investieren
und sich am Innovationsgeschehen beteiligen.
Ich habe des Weiteren auch mit den kleinen und mittleren Unternehmen diskutiert, wie wir die Zusammenarbeit zwischen den Universitäten, den Fachhochschulen
und den kleinen und mittleren Unternehmen verbessern
können. Wir haben zum einen die Rahmenbedingungen
für die Verwertung verändert. Zum anderen haben wir
gleichzeitig die Universitäten darin unterstützt, dass sie
durch eine Programmförderung richtige Verwertungsagenturen aufbauen können, die auch als Partner und
Koordinator für die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Unternehmen auftreten.
Wir beziehen die kleinen und mittleren Unternehmen
systematisch in unsere Innovationsnetzwerke ein, weil
sie dadurch auch Zugang zu potenziellen Partnern, sowohl Abnehmern als auch Kunden, erhalten. Wir haben,
wie gesagt, auch durch die indirekte Förderung des Bundeswirtschaftsministeriums den Fokus klar auf die kleinen und mittleren Unternehmen ausgerichtet.
Last, not least bleiben das Wirtschaftsministerium
und mein Ministerium im Gespräch und wir haben unsere Förderprogramme insgesamt so aufeinander abgestimmt, dass sozusagen eine Kette entstanden ist und
eine größere Transparenz geschaffen wird. Wir haben
auch einen einfacheren Zugang geschaffen, indem wir
eine Stelle eingerichtet haben, bei der sich ein kleines
oder mittelständisches Unternehmen über die Möglichkeiten der Forschungs- und Innovationsförderung informieren kann.
Das heißt, wir haben die Strukturen so vereinfacht
und verbessert, dass die Programme gerade für kleine
und mittlere Unternehmen leichter zugänglich sind.
Nach wie vor schwierig ist für kleine und mittlere Unternehmen - darauf hat Frau Flach bereits hingewiesen die Innovationsfinanzierung. Deshalb haben wir einen
Fonds eingerichtet, befinden wir uns in Gesprächen mit
der Finanzwirtschaft und haben wir die steuerrechtlichen
Rahmenbedingungen verbessert, um auch für diese Unternehmen die Innovationsfinanzierung zu erleichtern.
Ich gehe davon aus, dass die Senkung der Körperschaftsteuer, wie sie geplant ist, auch für die kleinen und mittleren Unternehmen eine Hilfestellung bedeuten wird, genauso wie die Umsetzung unserer Vorschläge betreffend
die Personengesellschaften.
Die nächste Frage hat die Kollegin Katherina Reiche.
Frau Ministerin, wenn man den Bericht liest, dann
weiß man, warum die Bundesregierung von der jährlichen Berichterstattung abrücken will und stattdessen nur
alle zwei Jahre einen Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands präsentieren möchte. So
kann man sich nämlich Kritik gut entziehen. Der vorliegende Bericht beginnt mit der Diagnose anhaltender
Wachstumsschwäche und hartnäckiger Arbeitsmarktprobleme und vermeldet nur einzelne positive Signale. Weiter ist zu lesen, dass Deutschland in der zweiten Hälfte
der 90er-Jahre stark war - ich glaube, zu diesem Zeitpunkt haben wir noch regiert - und nun deutlich hinter
die nordischen Länder zurückgefallen ist, genauso wie
hinter Großbritannien und Frankreich. Es ist weiterhin
zu lesen, dass die Zahlen der Unternehmensgründungen
dramatisch eingebrochen sind und dass andere große Industrieländer eine erheblich größere Dynamik aufweisen
als Deutschland. Es ist außerdem zu lesen - erstaunlicherweise erst auf der letzten Seite -, dass sich die Verfasser des Berichts für die Einführung von Studiengebühren aussprechen.
Erstens. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung
aus dieser Wirtschafts- und Wachstumsdiagnose für ihren eigenen Haushalt? Zweitens. Wie bewerten Sie den
Ratschlag Ihrer eigenen Experten, Studiengebühren einzuführen?
In dem Bericht wird darauf hingewiesen - das haben
Sie nicht erwähnt, liebe Frau Reiche -, dass zum Beispiel das Durchsetzungsvermögen der exportierenden
Industrie in Deutschland uneingeschränkt hoch ist, dass
diese Industrie auf den Weltmärkten alle Rekorde bricht.
In jedem Kapitel des Berichts wird auf den engen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Wachstum sowie Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen hingewiesen. Das ist eine Kernaussage des Berichtes. Wenn
ich mich recht erinnere, wird in Punkt 4 des Berichts
darauf hingewiesen, dass seit einigen Jahren Bildung,
Forschung, Wissenschaft und Technologie wieder einen
höheren Stellenwert in Deutschland haben, was in den
90er-Jahren unter Ihrer Regierung - darauf wird in längeren Ausführungen hingewiesen - leider nicht der Fall
war.
({0})
Der Bericht besagt, dass die Ausgaben für Bildung sowie für Forschung und Entwicklung seit einigen Jahren
- genauer: seit wir die Bundesregierung stellen - einen
höheren Stellenwert haben. Der Bericht macht eines
ganz deutlich - das habe ich bereits mehrfach gesagt -:
Die Bundesrepublik Deutschland - Bund und Länder sowie die private Wirtschaft - muss ihre Forschungs- und
Entwicklungsanstrengungen noch weiter verstärken,
auch wenn die bisherige Entwicklung positiv ist; denn
andere Länder setzen ihre Anstrengungen sehr dynamisch fort. Das ist eine weitere Kernaussage des Berichtes. Ich habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass
die Regierungsfraktionen und die Opposition gemeinsam dazu bereit sein müssen, die notwendigen Umschichtungen im Bundeshaushalt durchzuführen, der
auch für die Länder Gestaltungsräume beinhaltet.
Nun zur Frage nach der Einführung von Studiengebühren: Auch hier haben Sie nur eine Hälfte des Berichts angeführt. Der Bericht besagt ausdrücklich, dass
eine umfangreiche Gewährung von Stipendien durch die
Länder sichergestellt sein muss, damit sich die Zahl der
Studienanfänger weiterhin positiv entwickelt - das habe
ich vorhin erwähnt -, dass sie nicht einbrechen darf. Auf
diesen Punkt geht der Bericht sehr ausführlich ein.
Außerdem geht er sehr stark darauf ein, dass gerade
die Studierenden der Ingenieurwissenschaften zu einem
großen Teil aus den typischen Arbeitnehmerfamilien
kommen.
({1})
Dabei handelt es sich um diejenigen, denen es unsere
Politik ermöglicht hat, dass sie studieren können. Seit
der BAföG-Reform 2001 ist die Zahl der Studienanfänger aus diesen Familien um fünf Prozentpunkte gestiegen. Das ist der erste Anstieg in diesem Bereich seit ungefähr 20 Jahren.
Einige Wissenschaftsminister der CDU haben nichts
Besseres zu tun, als zu fordern, dass das BAföG abgeschafft wird.
({2})
Frau Reiche, dazu sage ich Ihnen ganz klar: Das ist ein
Skandal.
({3})
Damit gefährden Sie wirklich die Zukunft unseres Landes. Deshalb bitte ich Sie, mit Ihren Parteikollegen, die
in den Ländern Minister sind, wirklich einmal ein ernsthaftes Wort zu reden, damit diese Verunsicherung aufhört. Diese Minister müssen, wenn sie schon Studiengebühren einführen - die Einführung von Studiengebühren
liegt, wie Sie wissen, nicht in der Hand der Bundesregierung; das hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt -, dafür Sorge tragen, dass diese Personen auch in Zukunft noch studieren können.
Kreditfinanzierungsmodelle ermöglichen das nicht; sie
bedeuten nämlich, dass Studenten am Ende des Studiums Schulden in Höhe von 50 000 Euro, 60 000 Euro
oder noch mehr haben.
({4})
Ich sage Ihnen ausdrücklich: Sie müssen sich Gedanken machen, wie Sie sicherstellen wollen, dass die positive Entwicklung der Zahl der Studienanfänger in den
Naturwissenschaften und in den Ingenieurwissenschaften seit 1998 anhält. Dafür sind Ihre Landesregierungen
verantwortlich. Ich kann Sie nur ermuntern, mit Ihren
Landeskollegen ein ernsthaftes Wort zu reden.
({5})
Vielen Dank. - Als Nächster hat der Kollege Heinz
Riesenhuber das Wort.
Frau Ministerin, Sie haben soeben festgestellt, dass es
nicht reicht, dass die Bundesregierung allein ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung erhöht. Nach
dem Bundesforschungsbericht wurden die Ausgaben für
Forschung im Jahr 2004 im Vergleich zum Jahr 2003 sowohl in Ihrem Ressort als auch in Bezug auf die Gesamtausgaben der Bundesregierung gesenkt;
({0})
2003 waren es insgesamt 9,162 Milliarden Euro, 2004
waren es insgesamt 8,882 Milliarden Euro. Dieser Trend
entspricht dem, was in der Zusammenfassung dieses Berichts steht: Die FuE-Pläne 2004 der Wirtschaft haben
nach einem unerwartet positiven Jahr 2003 einen Rückgang bis maximal Status quo vorgesehen.
Frau Ministerin, es wäre gut, wenn wir von der Alibidiskussion über die Eigenheimzulage wegkämen. Ich
stimme mit Ihnen völlig überein, dass wir im Haushalt
neue Prioritäten setzen müssen.
({1})
Die andere Hälfte der Wahrheit ist jedoch, dass die
Bundesregierung, die in diesem Jahr über einen Haushalt
mit einem Volumen von rund 250 Milliarden Euro verfügt, nicht nur im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Ist und Soll, sondern auch im Hinblick auf die Planung nicht diejenigen Prioritäten setzt, die in der Sache
notwendig sind. Durch diese Alibidiskussion blockieren
Sie sich bei den Verhandlungen mit dem Finanzminister.
Er hat Sie erfolgreich in eine Sackgasse gelockt. Darin
sitzen Sie jetzt und alle Ihre Verhandlungsbemühungen
mit dem Finanzminister werden mit dem Hinweis auf
den Bundesrat abgeblockt, sodass Sie in eine wirklich
schwierige Lage gekommen sind.
({2})
Wenn es in der Vergangenheit um diese Berichte ging,
haben Sie immer in einer sehr interessanten Weise zusammenfassend dargestellt, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik im Vergleich zu den mit ihr
konkurrierenden Ländern verändert hat. Eine solche
Darstellung finde ich in diesem Bericht nicht. Insofern
wäre ich Ihnen dankbar - ich verweise auf die Analogie
zum letzten ergänzenden Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit 2003/2004 -, wenn Sie die Entwicklung der relevanten Faktoren im Vergleich zur Konkurrenz betrachteten: die Erwerbstätigenproduktivität, die
IuK-Ausgaben, den Hochtechnologiehandel, die Forschungsbeachtung, die FuE-Ausgaben, die Bildungsausgaben, die Zahl der technikrelevanten Hochschulabsolventen. In Bezug auf all diese Bereiche gab es nach den
früheren Berichten ein Zurückfallen Deutschlands gegenüber konkurrierenden Ländern, und zwar trotz aller
eindrucksvollen Anstrengungen, die hier unternommen
worden sind.
Die eine Bitte ist, uns nachträglich darüber zu informieren, wie sich die Situation in dieser Berichtsperiode
diesbezüglich darstellt. Die andere Bitte ist, uns zu sagen, an welchen Stellen Sie Ihre Berichterstattung in der
Zukunft wieder so gestalten, dass wir die Konkurrenz,
auf die es ankommt, kennen, dass wir von da aus wirklich Strategien entwickeln können und nicht nur rabulistische Diskussionen über einzelne Zahlen führen müssen.
Herr Riesenhuber, ein Blick in den Bericht zeigt, dass
die Vergleiche, die Sie gefordert haben, enthalten sind,
auch in der Kurzfassung. Darin sind zum Beispiel enthalten die Innovatorenquote, der Wertschöpfungsanteil
von FuE-intensiven Industrien und wissensintensiven
Dienstleistungen, die Produktion in forschungs- und entwicklungsintensiven Industriezweigen, die Forschungsund Entwicklungsintensität in ausgewählten Regionen
der Welt, die Entwicklung der internen Forschungs- und
Entwicklungsausgaben der Wirtschaft, die Entwicklung
auch differenziert nach Ausgaben der Wirtschaft und des
öffentlichen Sektors insgesamt, die Entwicklung der Studienanfängerzahlen in Deutschland. Im Übrigen habe
ich gerade darauf hingewiesen, welch positive Entwicklung zu verzeichnen ist.
Ich würde es begrüßen, wenn Sie einmal selbstkritisch dazusagen würden, Herr Riesenhuber, dass Sie es
in den 90er-Jahren versäumt haben, durch vielfältige Anstrengungen dafür Sorge zu tragen, dass der Nachwuchs
gewährleistet ist. Wir leiden heute zum Teil immer noch
unter dem, was Mitte der 90er-Jahre unter Ihrem Kollegen Rüttgers versäumt worden ist. Er hat damals die Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Haushalt dieses
Ministeriums in unverantwortlicher Weise zurückgefahren und vieles zerstört. Er hat sich damals unverantwortlicherweise überhaupt nicht um das Problem gekümmert, dass der Nachwuchs bei den Ingenieuren fehlt.
({0})
Das sind Zahlen, die Sie, Herr Riesenhuber, genauso gut
kennen wie ich; das weiß ich ganz genau. Wir haben das
damals im Deutschen Bundestag diskutiert. Angesichts
dessen sollten Sie zumindest an die Adresse Ihres Kollegen Rüttgers sagen - ich will jetzt nicht auf das eingehen, was in den 80er-Jahren war; das liegt wirklich zu
weit zurück -: Lieber Jürgen Rüttgers, damals hast du
wirklich große Fehlentscheidungen getroffen. Sie sollten
korrigiert werden. - Dass wir sie korrigiert haben, habe
ich vorhin deutlich dargestellt. Herr Riesenhuber, man
sollte sich ein wenig intensiver mit dem befassen, was
sich in den letzten zehn Jahren wirklich vollzogen hat.
Sie werden mir darin Recht geben müssen, dass wir vieles von dem, was damals versäumt worden ist, kompensiert haben.
Sie wissen wie ich, Herr Riesenhuber, dass die durchschnittlichen Studienzeiten in den Ingenieur- und Naturwissenschaften sechs Jahre betragen. Ich hoffe immer
noch, dass wir gemeinsam versuchen, sie zu reduzieren.
Aber dabei sind die Länder, die Universitäten in der
Hauptverantwortung. Nach sechs Jahren gibt es erste positive Entwicklungen auch bei den Absolventen. Das
wird sich in den nächsten Jahren noch verstärken.
Was Sie eingefordert haben, ist - das sage ich noch einmal ausdrücklich - in diesem Bericht enthalten. Für die
Zukunft haben wir im Deutschen Bundestag beschlossen,
dass der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit
von den Wirtschafts- und Forschungsinstituten weiterhin
selbstständig erarbeitet und vorgestellt wird, so wie das
zum Beispiel beim Jahreswirtschaftsbericht geschieht,
und dass wir ihn dann im Bundestag diskutieren. Die
Bundesregierung wird alles tun, damit wir die Indikatoren und präzisen Daten bekommen, die eine wichtige
Grundlage für die zielgerichtete Weiterentwicklung des
Forschungs- und Innovationssystems sind, die man
braucht, um Arbeitsplätze in unserem Land zu halten oder
auch neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist die Zielsetzung der Bundesregierung.
Vielen Dank.
Wegen des Zeitablaufs kann ich jetzt nur noch eine
Frage zu einem anderen Themenbereich der Kabinettssitzung zulassen. Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Der Presse war zu entnehmen, dass sich das Bundeskabinett heute mit weiteren schwer wiegenden Themen beschäftigt hat bzw. dazu
Entscheidungen getroffen hat. Ich frage die Bundesregierung: Trifft es zu, dass eine Entscheidung über einen neuen Auslandseinsatz der Bundeswehr, in diesem
Fall im Sudan, getroffen wurde? Welchen Umfang hat
dieser Einsatz? Welcher Art ist er? Für wie lange ist er
geplant?
Wer möchte antworten? - Staatssekretär Wagner, bitte
schön.
Ja, Frau Kollegin Pau, Sie haben richtig gelesen. In
der Presse wurde öffentlich gemacht, dass sich die Bundesregierung heute mit einem Einsatz von Soldaten im
Rahmen einer UN-Mission im Sudan befasst hat. Dabei
geht es um 50 Militärbeobachter. Der Bundestag wird in
der nächsten Sitzungswoche damit befasst werden, weil
er ja die endgültige Zustimmung zu einem solchen Auslandseinsatz geben muss. Sie wissen, dass dies nach den
Kriterien der Vereinten Nationen ein unbewaffneter Einsatz für unsere Soldaten ist und sich auf die Beratung des
dortigen, im Aufbau befindlichen Stabes bezieht.
Vielen Dank. - Ich beende damit die Befragung der
Bundesregierung und komme zum Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
- Drucksache 15/5229 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg Wagner
zur Verfügung, der ja schon eben geantwortet hat.
Wir kommen zur Frage 1 der Kollegin Ursula Lietz:
Wie hoch sind die notwendigen Investitionen in das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, um es nach dem Konzept zur
einsatzbezogenen Transformation der Bundeswehrkrankenhäuser zukunftsfest zu machen?
Frau Kollegin Lietz, für das Bundeswehrkrankenhaus
Hamburg ist ein mittelfristiger Bedarf von 31,6 Millionen Euro für infrastrukturelle Investitionen veranschlagt.
Bis etwa 2015 werden langfristig weitere 25,8 Millionen
Euro notwendig werden. Insgesamt sind also 57,4 Millionen Euro für infrastrukturelle Investitionen veranschlagt.
Sie wissen, die Entscheidung, das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg zu erhalten, ist am 1. November vergangenen Jahres von Herrn Minister Dr. Struck getroffen
worden. Damals geisterten noch andere Zahlen herum.
Da waren es nämlich 115 Millionen Euro. Auch Sie wissen das, da Sie ja vor Ort waren. Der Bedarf hat sich
jetzt herunterstabilisiert auf geschätzte Kosten von - ich
bin mir nicht sicher, ob das endgültig so bleibt - etwas
mehr als 57 Millionen Euro. Dafür soll ein Bettenhaus
gebaut werden. Das Bettenhaus, das jetzt benutzt wird,
ist alt, muss also renoviert werden, und liegt ziemlich
weit weg vom OP-Bereich, der schon saniert worden ist,
und auch von der Unfallchirurgie. Deshalb wird das
erste größere Projekt, an dem gebaut wird, das Bettenhaus sein. Danach folgen Renovierungsmaßnahmen in
anderen Bereichen.
Ein wichtiger Entscheidungsgrund, das Krankenhaus
in Hamburg zu erhalten, war nicht nur die Höhe der Investitionskosten, sondern auch die Tatsache, dass dieses
Krankenhaus als einziges Krankenhaus mitten in der
Stadt Hamburg über einen Hubschrauberlandeplatz verParl. Staatssekretär Hans Georg Wagner
fügt. Ich gehe davon aus - da stimmen Sie mir sicherlich
zu -, dass an vergleichbar günstiger Stelle in Hamburg
ein Hubschrauberlandeplatz unter den heute herrschenden Bedingungen in dem Bereich nicht mehr genehmigt
werden würde. Der Erste Bürgermeister der Freien und
Hansestadt Hamburg hat uns ein neues Krankenhaus angeboten, weil er im Zuge der Neustrukturierung der
Hamburger Krankenhauslandschaft ein Krankenhaus abgeben wollte. Das wäre der beste Weg gewesen, um die
Bettenzahl zu verringern. Auf dieses Angebot konnten
wir aufgrund des dort nicht vorhandenen Hubschrauberlandeplatzes nicht eingehen, weil wir ja unsere verletzten Soldatinnen und Soldaten sehr schnell unmittelbar
dahin bringen müssen, wo Operationsmöglichkeiten bestehen.
Zusatzfrage, Frau Lietz?
Ja. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Antworten. Ich entnehme meinen Unterlagen, wenn ich das
richtig interpretiere, dass bis zum Jahre 2003 über einen
Zeitraum von insgesamt fünf Jahren 19 Millionen Euro
in Bauunterhaltung und Baumaßnahmen gesteckt wurden. Danach gab es erst einmal eine Pause, wahrscheinlich wegen der möglicherweise anstehenden Stilllegung.
Jetzt haben Sie von mittelfristigen Investitionen gesprochen. Für die Benutzung der Vokabel „Herunterstabilisierung“ anstelle von Reduzierung von Investitionen
kann ich Ihnen übrigens nur gratulieren; dabei handelt es
sich wirklich um eine freundliche Umschreibung.
Meine Frage lautet nun: Wann beginnen Sie mit diesen so genannten mittelfristigen Investitionen und wie
lange, glauben Sie, brauchen Sie, nachdem Sie davon
gesprochen haben, dass das meiste bis 2015 fertig sein
soll, bis dieses Krankenhaus wieder voll funktionsfähig
ist? Sie wissen ja, dass es schwierig ist, während Baumaßnahmen in einem Krankenhaus zu arbeiten.
Sobald Planungssicherheit herrscht, werden wir unverzüglich damit beginnen, die entsprechenden Ausschreibungen vorzunehmen. Sie wissen, dass der OP-Bereich schon saniert ist. Das war ja das Erste und
Wichtigste. Auch die Unfallaufnahme wurde erneuert.
Man ist da jetzt fähig, schnell zu reagieren. In diesen beiden Bereichen war die Lage nämlich am kritischsten.
Das Bettenhaus ist als Nächstes dran; auch dessen Zustand ist nicht der beste. Dann werden der Kreuz- und
Südbau renoviert werden; das wird sich bis 2015 hinziehen. Aber den Schwerpunkt bei den Baumaßnahmen
stellt das Bettenhaus dar, das neben dem OP-Bereich,
also in unmittelbarer räumlicher Nähe, gebaut wird. Damit wird begonnen, sobald die entsprechenden Ausschreibungen gelaufen sind.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Wird das vor dem Jahre 2008 sein?
({0})
Ich gehe davon aus, dass vor dem Jahr 2008 begonnen
werden wird. Die entsprechenden Mittel für den Neubau
müssen zunächst im Haushalt 2006 verfügbar gemacht
werden. Bisher waren, wie Sie zu Recht gesagt haben,
nur Unterhaltungsmaßnahmen vorgesehen. Ich gehe davon aus, dass an dem Bau im Jahr 2008 bestimmt gearbeitet wird.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Lietz auf:
Wie weit sind die Verhandlungen des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg für eine Kooperation mit dem BernhardNocht-Institut für Tropenmedizin, BNI, fortgeschritten?
Sie sprechen die Frage der Zusammenarbeit an. Wir
haben einen Entwurf des Kooperationsvertrages erarbeitet, in dem es um die Zusammenarbeit mit dem
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin geht. Dieser
Kooperationsvertrag muss in verschiedenen Teilpunkten
noch weiter ausgearbeitet werden. Seit kurzem ist
bekannt, dass die Gesundheitsbehörde der Freien und
Hansestadt Hamburg plant, die stationäre Versorgung
der Patienten des Bernhard-Nocht-Institutes für Tropenmedizin aus dem Institut auszulagern und zu reorganisieren. Bezüglich dieser möglichen Neuorganisation der
stationären Krankenbehandlung durch das BernhardNocht-Institut fanden erste Gespräche statt, in denen die
Freie und Hansestadt Hamburg, das Bernhard-Nocht-Institut selbst und mögliche Interessenten, also auch wir,
das Bundesministerium der Verteidigung, für das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg dessen Möglichkeiten
und Grenzen einer Zusammenarbeit bzw. einer Trägerschaft bei der Versorgung im Bereich der Tropen- und
Infektionsmedizin erschließen.
Der Inhalt des Kooperationsvertrages zwischen uns,
dem Bundesministerium der Verteidigung, und dem
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin sowie der
Zeitpunkt des Vertragsabschlusses werden durch die
Entscheidung der Freien und Hansestadt Hamburg über
die künftige Organisation der stationären Versorgung der
Patienten des Bernhard-Nocht-Institutes für Tropenmedizin beeinflusst werden. Sie wissen, die Nähe zu diesem
Institut war mit ein Grund für die Erhaltung des Hamburger Bundeswehrkrankenhauses, weil die vielfältigen
Einsätze der Bundeswehr in Krisengebieten dazu führen
können, dass Krankheiten auftreten, die wir nicht unbedingt vermuten und die im Tropeninstitut untersucht
werden müssen. Da sind die räumliche Nähe und eine
engere Kooperation natürlich sinnvoll.
Zusatzfrage?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
mich würde noch interessieren: Gibt es schon Konzepte
dafür, wie die Verteilung der Finanzierung zwischen
dem Land Hamburg und der Bundeswehr bzw. dem
Bernhard-Nocht-Institut, das ja vom Lande finanziert
wird, in Zukunft aussehen wird?
Diese Überlegungen werden zurzeit angestellt. Aber
aufgrund der Ungewissheit bezüglich der Ausgliederung
der stationären Versorgung kann ich Ihnen keine konkreten Zahlen nennen. Dass jedoch in Bezug auf die Behandlung von Bundeswehrangehörigen im Tropeninstitut eine vernünftige Finanzierungsregelung gefunden
werden muss, ist selbstverständlich.
Weitere Zusatzfrage?
Beziehen Sie Ausbildungsmöglichkeiten für Sanitätsoffiziere am Bernhard-Nocht-Institut in Ihre Planungen
mit ein?
Das wird sicherlich so sein. Ich habe auf die möglichen Einsätze in Krisengebieten hingewiesen, die unerwartete Folgen haben können, zum Beispiel durch Seuchen. Der jetzt bevorstehende Einsatz im Sudan könnte
durchaus die Gefahr einer Tropenerkrankung mit sich
bringen. Die Krankheit kann dann in Kooperation mit
dem Bernhard-Nocht-Institut untersucht werden. Gleichzeitig muss das Thema der speziellen Ausbildung erörtert werden, damit unsere Leute in die Lage versetzt werden, vor Ort zu erkennen, welche Krankheiten auftreten
und wie diese behandelt werden können.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Blumenthal.
Herr Staatssekretär, welche Synergieeffekte verspricht sich das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg von
der zukünftigen Kooperation mit dem Bernhard-NochtInstitut?
Wir versprechen uns davon, dass die Zusammenarbeit
durch den Kooperationsvertrag intensiver wird und dass
bei Auftreten entsprechender Fälle in Krisengebieten sofort darauf zugegriffen werden kann. Das ist eine wichtige Verbesserung der bisherigen Zusammenarbeit, die
durch die Schaffung der vertraglichen Grundlage geschieht.
({0})
- Deshalb habe ich ja gesagt, dass eine Verbesserung
eintritt.
Ihr Kommentar, Frau Blumenthal, ist sicher zutreffend, aber nicht zulässig, weil von Nichtfragestellern nur
eine Zusatzfrage gestellt werden darf.
({0})
- Das ist ja in Ordnung, aber es gibt keine weitere Zusatzfrage. Das Reglement ist streng, aber es ist nicht vom
amtierenden Präsidenten erfunden, sondern unter den
Fraktionen so vereinbart und verabschiedet worden.
Damit sind wir mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung durch.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung auf. Zur
Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Caspers-Merk zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Petra Pau auf:
Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, dass
deutsche Patientendaten aus dem so genannten Disease-Management-Programm im großen Stil nach Vietnam transferiert
worden sein sollen - vergleiche Sendung „Monitor“ vom
17. März 2005 -, und was hat die Bundesregierung unternommen, um diesen Vorgang aufzuklären?
Frau Kollegin Pau, Sie fragen nach einem Vorgang,
der in den Medien seinen Niederschlag gefunden hat. Es
geht darum, ob personenbezogene Daten aus dem
Disease-Management-Programm im Ausland verarbeitet
wurden und welche Maßnahmen die Bundesregierung
ergriffen hat, um diesem Vorgehen aus datenschutzrechtlichen Gründen Einhalt zu gebieten.
Ich will der guten Ordnung halber sagen, dass schon
vorher zwei Kollegen, nämlich die Frau Kollegin
Dr. Lötzsch und der Herr Kollege Wolfgang Zöller, danach gefragt haben. Ich verweise in meiner Antwort deshalb auch auf die damals gegebenen Antworten.
Die Arbeitsgemeinschaften Disease-ManagementProgramm in Thüringen, Hessen, Schleswig-Holstein
und Mecklenburg-Vorpommern haben eine Firma in
Bamberg mit der Verarbeitung von DMP-Daten beauftragt. In diesen Verträgen ist eine Verarbeitung im Ausland ausdrücklich ausgeschlossen.
Die Firma soll ungeachtet der Bestimmungen in diesem Vertrag personenbezogene Daten an ihre Tochterfirma in Vietnam zur Verarbeitung übermittelt haben.
Demgegenüber verweist die Firma nach Angaben der
kassenseitigen Vertragspartner darauf, lediglich anonymisierte Daten an ihre Tochterfirma in Vietnam zur Optimierung der Beleglesesoftware zu Testzwecken übermittelt zu haben. Es sollen eidesstattliche Erklärungen der
Mitarbeiter der Tochterfirma in Vietnam vorliegen, dass
keine personenbezogenen Daten verarbeitet wurden. Die
Firma in Bamberg hat den Geschäftsführer entlassen.
Die betroffenen Arbeitsgemeinschaften DMP haben
unter Einschaltung der jeweils zuständigen Landesdatenschutzbeauftragten unverzüglich Ermittlungen eingeleitet. Eine unabhängige Prüfstelle, eine Geschäftsstelle des
TÜV Rheinland in Vietnam, wurde beauftragt zu prüfen,
wie die Verarbeitung der Datensätze durch die im Ausland ansässige Niederlassung des Dienstleisters erfolgte.
Nach den nun vorliegenden Gutachten des TÜV Rheinland vom 10. März 2005 konnten keinerlei Hinweise auf
DMP-Daten festgestellt werden. Ebenso konnten keine
DMP-Daten rekonstruiert werden.
Wir haben geprüft, an welcher Stelle die Bundesregierung handeln könnte, und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir in dieser Frage nicht gefordert sind. Denn
die Kontrolle obliegt den Aufsichtsgremien der Länder.
Die aufsichtsrechtliche und datenschutzrechtliche Prüfung ist vonseiten der Landesbehörden eingeleitet worden. Es wurden sowohl die Landesdatenschutzbeauftragten als auch die jeweiligen Fachstellen eingeschaltet.
Die Bundesregierung besitzt in diesem Bereich keine
Zuständigkeit.
Im Gesetz haben wir sehr strenge Anforderungen,
was die Verarbeitung von DMP-Daten angeht, festgelegt. Der Datenschutzbeauftragte des Bundes hat daran
mitgewirkt. Insofern gibt es keine Fehler in der Gesetzgebung. Aber wie es immer ist: Niemand von uns kann
garantieren, dass Regelungen, die in Gesetzen oder in
Verträgen festgelegt wurden, im Einzelfall nicht unterlaufen werden. Verstöße sind lückenlos aufzuklären und
abzustellen. Dies ist im vorliegenden Fall erfolgt.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Pau.
Danke, Frau Staatssekretärin. - Die Stichworte Datenschutz und Datenschutzbeauftragte sind schon gefallen. Mir sind intensive, zum Teil heftige und zum Teil
über die Presse ausgetragene Auseinandersetzungen
zwischen den Landesschutzbeauftragten und dem Bundesversicherungsamt im Vorfeld der Verarbeitung von
Patientendaten gerade zur Kenntnis gelangt. Die Datenschutzbeauftragten hatten bemängelt, dass das Bundesversicherungsamt die Beachtung des Datenschutzes regelmäßig nicht als Kriterium für die Vergabe solcher
Aufträge nimmt. Vielmehr bekommt derjenige den Auftrag, der die Daten am preisgünstigsten verarbeitet. Es
werden also keine Qualitätskriterien angelegt.
Sind Ihnen diese Auseinandersetzungen im Vorfeld
der Verarbeitung der Daten bekannt gewesen und inwieweit haben Sie dem Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde den Hinweis gegeben, dass nicht nur der
Preis ein Kriterium sein kann?
Es ist üblich, dass über Ausschreibungen Aufträge an
Drittfirmen in denjenigen Bereichen der Sozialversicherung vergeben werden, in denen die Behörden nicht über
entsprechende eigene Kompetenzen - wie zum Beispiel
im Bereich der Datenverarbeitung - verfügen. Dieses
Vorgehen ist nicht zu beanstanden. In dem vorliegenden
Vertrag wurde ausgeschlossen, dass die Daten ins Ausland übermittelt werden dürfen. Aber es ist rechtswidrig
gehandelt worden.
Insofern macht es Sinn, dass wir nicht jede einzelne
Kasse zwingen, eine sehr aufwendige Hard- und Software für die Verarbeitung großer Datensatzmengen im
Rahmen der DMP-Programme vorzuhalten. In diesem
Falle kann man sich vielmehr Fachfirmen bedienen, die
aufgrund ihrer Vertragstreue und Leistungsfähigkeit auszuwählen sind.
Der Vertrag ist entsprechend der Rechtslage abgeschlossen worden. Einer hat vertragswidrig gehandelt;
das können Sie nie ausschließen. Es macht nach wie vor
Sinn, dass wir uns für eine sparsame Verwaltung der
Mittel, die die versicherten Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufbringen müssen, einsetzen. Deswegen können wir
nicht jeder kleinen Betriebskrankenkasse vorschreiben,
dass sie selbst große Datenverarbeitungskapazitäten vorhält. Das würde zu einer Erhöhung der Beiträge führen.
Das kann nicht in unserem Sinne sein.
Weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Ich will keiner Betriebskrankenkasse einen weiteren
Verwaltungsapparat vorschreiben. Meine Frage bezog
sich aber auf die Qualitätsstandards, die nicht nur mit
Geld und Aufwendungen begründet werden können.
Im Zusammenhang mit meinen Recherchen zu diesem Thema stieß ich unter anderem auf das gerade erst
in Kraft getretene Verwaltungsvereinfachungsgesetz und
auf Vorhaltungen sowohl von Datenschützern als auch
von Sozialrechtlern, dass die Bundesregierung mit Art. 4
Nr. 6 dieses Gesetzes die Vergabe von Aufträgen an
Dritte einschließlich der Übertragung vollständiger Datenbestände nachträglich legalisiert bzw. vereinfacht und
damit der Praxis, dass solche Aufträge ins Ausland gehen, Tür und Tor geöffnet habe. Wie treten Sie solchen
Vorwürfen entgegen?
Das ist eine Frage, die über den Einzelfall weit hinausreicht. Sie fragen ja, ob es generell zulässig ist, solche Aufträge an Dritte zu vergeben. Ich glaube, dass es
generell Sinn macht, an Dritte solche Aufträge zu vergeben. Man muss aber über Einzelverträge sicherstellen,
dass alle Auflagen des Datenschutzes eingehalten werden.
Das angesprochene Beispiel zeigt, dass erstens die
Aufsicht und zweitens die Landesdatenschutzbeauftragten tätig geworden sind, dass also die Kontrollmechanismen greifen. Sie können nie ausschließen, dass jemand
in irgendeinem Verwaltungsverfahren gegen Gesetze
verstößt. Der entscheidende Punkt ist: Gibt es Kontrollmechanismen und wird hinterher eine transparente
Aufklärung vorgelegt? In diesem Fall ist es so gewesen.
Deswegen spricht nichts dagegen, dass man sich Fachfirmen bedient; denn diese können eine solche Arbeit in
aller Regel kostengünstiger und leistungsfähiger erfüllen. Der entscheidende Punkt dabei ist: Alle datenschutzrechtlichen Auflagen müssen erfüllt werden und
man muss dafür sorgen, dass diese Firmen nur anonymisierte bzw. pseudonymisierte Daten erhalten. Genau das
ist, zumindest was unseren Fall hier angeht, im Rahmen
der DMP-Regelungen gewährleistet gewesen.
Vielen Dank, Frau Caspers-Merk.
Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Hofbauer aus dem
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen, die Frage 6 des Kollegen
Jüttner aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie die Frage 7 des Kollegen Kaster aus dem
Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Hier steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hartenbach zur Beantwortung der
Fragen zur Verfügung.
Zunächst rufe ich die Frage 8 des Kollegen Roland
Gewalt auf:
Wie bewertet die Bundesregierung inhaltlich den Gesetzentwurf des Bundesrates ({0}) über
ein Graffiti-Bekämpfungsgesetz?
Herr Kollege Gewalt, die Bundesregierung ist der
Auffassung, dass es neben strafrechtlichen Maßnahmen
ebenso Anstrengungen auf dem Gebiet der Prävention
bedarf, um dem Graffitiunwesen entgegenzuwirken. Aus
strafrechtlicher Sicht begegnet der Begriff der nicht unerheblichen Veränderung gegen den Willen des Eigentümers oder eines sonst Berechtigten keinen durchgreifenden Bedenken. Eine Erweiterung der Straftatbestände in
den §§ 303 und 304 Strafgesetzbuch, wie in dem Gesetzentwurf des Bundesrates vorgeschlagen, hätte im Wesentlichen den Vorteil der Vereinfachung der Strafverfolgung, da kein Beweis mehr darüber erhoben werden
müsste, ob die Graffitischmierereien zu einer Substanzverletzung geführt haben. Häufig dürfte - wenn auch
erst durch die Reinigung - eine Substanzverletzung vorliegen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie, was ich ausdrücklich
begrüße, diese Gesetzesvorlage des Bundesrates unterstützen, wie erklären Sie sich dann, dass diese Gesetzesinitiative des Bundesrates seit zweieinhalb Jahren hier
im Bundestag auf Eis liegt?
Herr Kollege Gewalt, die Bearbeitung lag in den Händen der Abgeordneten des Deutschen Bundestages; sie
vollzog sich im Rahmen der Beratungen des Rechtsausschusses. Auf diese Bearbeitung hat die Bundesregierung gemäß dem Prinzip der Gewaltenteilung keinen
Einfluss; das ist auch gut so.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Ihrer Äußerung, dass Sie den Gesetzesvorschlag des Bundesrates unterstützen, entnehme
ich - das möchte ich Sie fragen -, dass die Bundesregierung keinen eigenen Vorschlag unterbreiten wird und
den Vorschlag des Bundesrates unterstützt.
Ich kann Ihre Frage so beantworten: Die Bundesregierung wird keinen eigenen Gesetzesvorschlag unterbreiten
und wird es den Koalitionsfraktionen und den anderen
beiden Fraktionen überlassen, ob sie im Rechtsausschuss
des Deutschen Bundestages den Gesetzentwurf des Bundesrates unverändert übernehmen oder ihn gegebenenfalls verbessern wollen.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Gewalt auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass über die bisherige Behandlung dieser Gesetzesinitiative ein weiterer Beratungsbedarf in der Sache besteht?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass Änderungen des Strafgesetzbuches eine komplementäre Rolle
bei der Bekämpfung des Graffitiunwesens zukommen
sollte. Denn zum einen ist in allen Fällen, in denen es zu
einer wenn auch nur geringfügigen Substanzverletzung
kommt, eine Strafbarkeit nach §§ 303 und 304 Strafgesetzbuch gegeben; zum anderen kommt der Prävention
eine zumindest ebenso wichtige Bedeutung zu. Im Übrigen werden derzeit Gespräche der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen geführt, in denen Regelungsvorschläge erörtert werden. Das habe ich Ihnen
schon eben in etwa gesagt.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, mich würde sehr interessieren
- das habe ich ja auch in der Frage so angesprochen -,
wie denn die Bundesregierung dies sieht. Sehen Sie als
Bundesregierung angesichts einer zweieinhalbjährigen
Beratung des Gesetzentwurfs des Bundesrates und einer
fünfjährigen Beratung zweier weiterer Gesetzentwürfe
des Bundesrates jetzt wirklich noch irgendwelchen Beratungsbedarf?
Herr Kollege Gewalt, wenn Sie sich die Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Gesetzentwurf des
Bundesrates in der betreffenden Bundestagsdrucksache
ansehen, dann werden Sie feststellen, dass die Bundesregierung dort erklärt hat, dass sie die im Gesetzentwurf
verwendete Formulierung bevorzuge und unterstütze.
Die Bundesregierung hat allerdings zu den vorausgegangenen Vorschlägen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
von denen derzeit zumindest noch einer im Verfahren ist,
immer gesagt, dass die Bundesregierung den Begriff des
Verunstaltens nicht in einem Gesetz haben wolle. Dieser
Meinung der Bundesregierung, die im Übrigen auch von
den Koalitionsfraktionen geteilt wird, ist bei - soweit ich
mich erinnern kann - mindestens zwei Anhörungen in
der 14. und in der 15. Legislaturperiode von der überwiegenden Zahl der Sachverständigen zugestimmt worden. Es waren ein oder zwei Stimmen, die den Begriff
des Verunstaltens, der im Übrigen - wenn ich Ihnen das
noch sagen darf; wahrscheinlich wissen Sie das aber - in
das österreichische Strafgesetzbuch Eingang gefunden
hat, nicht abgelehnt haben. Wir sind der Meinung, dass
dieser Begriff in das Gesetz nicht hineinpasst.
Ich sagte es schon: Ich glaube, dass der Begriff des
nicht unerheblichen Veränderns gegen den Willen des
Eigentümers oder des sonst Berechtigten, wie er sich
jetzt in dem Vorschlag des Bundesrates befindet, durchaus akzeptabel ist.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bereits vor einem Jahr, als wir
dies im Bundestag debattiert haben, hat die CDU/CSUBundestagsfraktion erklärt, dass wir, sobald die Koalition die Anträge zur Abstimmung zulassen würde, unseren eigenen Antrag für erledigt erklären würden. Deshalb steht er ja auch gar nicht mehr zur Debatte.
Deshalb noch einmal meine Frage: Sieht die Bundesregierung, obwohl nur noch der Antrag des Bundesrates
zur Beratung und zur Abstimmung steht, der von allen
Bundesländern mit Ausnahme von Schleswig-Holstein
unterstützt wird, nach zweieinhalb Jahren noch weiteren
Beratungsbedarf über diesen Antrag des Bundesrates?
Die Bundesregierung, Herr Kollege Gewalt, hat das
Ihrige getan, indem sie zu dem Entwurf des Bundesrates
Stellung genommen hat. Danach ist - so ist das nun einmal in einer Demokratie - der Bundestag, in diesem Fall
die Fachausschüsse des Bundestages, gefragt. Die Bundesregierung wird dort, wo es vonseiten des Rechtsausschusses gewünscht wird, gern mit Formulierungshilfen
unterstützend tätig werden.
({0})
- Ihre Meinung hat die Bundesregierung schon geäußert,
Herr Nolting.
({1})
Sie müssen einfach den Gesetzentwurf des Bundesrates
lesen.
Eine Zusatzfrage.
Kann ich der Tatsache, dass die Bundesregierung über
zwei Jahre hinweg nicht aktiv geworden ist und selbst
keine Vorschläge zu einer gesetzlichen Änderung vorgelegt hat, entnehmen, dass die Bundesregierung in den
letzten zwei Jahren der Meinung war, dass hier kein
Handlungsbedarf besteht? Sieht die Bundesregierung
das heute anders?
({0})
Herr Kollege Schröder, ich möchte hier nicht über demokratisches Verhalten und demokratische Gepflogenheiten belehren. Ich habe die Frage ausführlich beantwortet. Ich wiederhole meine Antwort aber gern: Die
Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates - das ist nachzulesen - Einvernehmen signalisiert. Danach lag dieser Gesetzentwurf den Gremien des Bundestages zur Beratung vor.
Die Bundesregierung hatte keine Veranlassung, in diese
Beratungen einzugreifen. Sie steht allerdings zur Verfügung, wenn sie um Formulierungshilfen gebeten wird.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Dr. Schröder auf:
Welche Auswirkungen hat nach Auffassung der Bundesregierung die Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden
({0}) aus dem Jahr 2004, derzufolge nach der gegenwärtigen Rechtslage selbst das großflächige Besprühen von Eisenbahnwaggons mit Lackfarbe nicht strafbar ist?
Herr Kollege Schröder, das Oberlandesgericht Dresden hat nicht entschieden, dass das großflächige Besprühen von Eisenbahnwaggons mit Lackfarbe nicht strafbar
ist, vielmehr hat es das landgerichtliche Urteil aufgehoben und das Verfahren an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen. Als Begründung führt
das Oberlandesgericht an, dass dem landgerichtlichen
Urteil nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen
werden könne, ob die für eine Sachbeschädigung erforderliche Substanzverletzung tatsächlich eingetreten ist.
Die Sache wurde deshalb an das Landgericht zurückverwiesen, damit dort die entsprechenden Feststellungen
nachgeholt werden konnten. Das entspricht im Übrigen
auch der bisherigen Rechtsprechung.
Zusatzfrage.
Ich möchte mich auf den Beschluss des Oberlandesgerichtes beziehen. Der Sachverhalt ist folgender: Das
untergeordnete Landgericht hat in dem angefochtenen
Urteil festgestellt, dass der Angeklagte zu dem Tatzeitpunkt einen hellgrau und rot lackierten Reisezugwagen
großflächig mit lösemittelhaltigen Kunstlacken besprüht
hat. Dies hat es als Sachbeschädigung angesehen.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden sagt
unter Punkt 2: Die Feststellungen des Landgerichtes
rechtfertigen die Verurteilung des Angeklagten wegen
Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB nicht, weil das
Landgericht keine Sachsubstanzverletzung festgestellt
hat.
Das bedeutet, dass zukünftig das Besprühen von Bundesbahnwaggons nicht mehr dem Straftatbestand der
Sachbeschädigung entspricht.
Meine Nachfrage ist: Welche Folgen hat das Ihrer
Meinung nach insbesondere für die Deutsche Bahn AG?
Herr Kollege Schröder, gestatten Sie, dass ich ein
kleines Repetitorium durchführe. Ich will Ihnen zwar
gerne nachsehen, dass es für Sie nicht ganz einfach ist,
ein Revisionsurteil eines Oberlandesgerichtes richtig zu
lesen. Aber in meiner Antwort auf Ihre ursprüngliche
Frage habe ich diese Frage bereits beantwortet. In diesem Urteil steht nicht, der Angeklagte sei freizusprechen. Das Oberlandesgericht Dresden hat lediglich festgestellt, dass die Feststellungen des Landgerichts für
eine Verurteilung nicht ausreichen und dass man, um
eine Verurteilung zu erreichen, mehr unternehmen muss.
Das Landgericht muss zum Beispiel dartun, warum eine
Substanzverletzung vorliegt und worin sie besteht.
Die Schlussfolgerung, die Sie daraus ziehen, kann ich
überhaupt nicht teilen; denn wenn - ob beim großflächigen oder beim kleinflächigen Besprühen; dafür dürfte bereits eine Fläche von 5 Quadratzentimetern ausreichen eine Substanzverletzung festgestellt wird, handelt es sich
um Sachbeschädigung. Das war übrigens schon so, als
ich noch Staatsanwalt war; das ist jetzt 30 Jahre her.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, unser Kernproblem, das auch Sie
vorhin erkannt haben, ist, dass immer eine Sachsubstanzbeschädigung festgestellt werden muss, was insbesondere dann, wenn sehr glatte Flächen, zum Beispiel Waggons der Deutschen Bahn AG, besprüht wurden, nicht
ganz einfach ist. Deshalb lautet meine Frage: Sind Sie
der Meinung, dass es auch zukünftig immer der Feststellung einer Sachsubstanzbeschädigung bedürfen muss,
oder sehen Sie hier Handlungsbedarf?
Herr Kollege Schröder, wenn man den § 303 des
Strafgesetzbuches oder den § 304 des Strafgesetzbuches
zur gemeinschädlichen Sachbeschädigung richtig auslegt, bedarf es schon nach geltender Rechtsprechung einer Substanzverletzung. Das ist schon seit 100 Jahren so,
seitdem es das Strafgesetzbuch gibt. Eine andere Regelung hat es bisher nie gegeben.
Die Bundesregierung hat - das habe ich bereits in
meiner Antwort auf die erste Frage des Herrn Kollegen
Gewalt zum Ausdruck gebracht - deutlich gemacht, dass
sie sich durchaus vorstellen kann, dass die Formulierung
des Gesetzentwurfes des Bundesrates - nach der die
nicht unerhebliche Veränderung gegen den Willen des
Eigentümers oder sonstiger Berechtigter ebenfalls strafbar sein soll - Eingang in ein Gesetz finden kann. Allerdings wiederhole ich: Das liegt nicht in den Händen der
Bundesregierung, die angesichts der Debatten, die derzeit im Rechtsausschuss geführt werden, keine Notwendigkeit sieht, einen eigenen Gesetzentwurf zu unterbreiten. Vielmehr liegt es in den Händen der Mitglieder des
Rechtsausschusses und dieses Hohen Hauses, ob man
sich auf eine Formulierung einigt, die allen gerecht wird.
Herr Kollege Gewalt.
Herr Staatssekretär, nach der Veröffentlichung des
Beschlusses des Oberlandesgerichts Dresden ist die Zahl
der Graffitischmierereien im Bereich der Berliner Bahngelände, für die der Bundesgrenzschutz zuständig ist, um
17 Prozent gestiegen, während sie in Berlin im Übrigen
nur um 2 bis 3 Prozent gestiegen ist. Hier ist also ein klarer Zusammenhang zu erkennen. Würden Sie, Herr
Staatssekretär, mir zustimmen, dass solche Beschlüsse,
und insbesondere die unklare Rechtslage, auf der sie basieren, zu solchen Entwicklungen führen?
Herr Gewalt, jetzt haben Sie eine Frage angesprochen, die eigentlich der Kollege Fritz Rudolf Körper beantworten müsste; denn hier geht es um Ermittlungstätigkeiten. Gleichwohl will ich versuchen, soweit das
Bundesministerium der Justiz in dieser Frage für die
Bundesregierung sprechen kann, etwas dazu zu sagen.
Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Kollege Gewalt,
dass die Sprayerszene in Berlin aufgrund des Urteils des
Oberlandesgerichtes Dresden, welches von Mitgliedern
von CDU und CSU völlig falsch ausgelegt wird - ihre
Aussagen haben mit der Realität gar nichts mehr zu
tun -, animiert worden ist, verstärkt zu sprühen. Ich
hoffe nur, Herr Kollege Gewalt, dass Sie die Sprayer
nicht über das Urteil des Oberlandesgerichtes informiert
haben.
({0})
- Ja, es handelt sich natürlich um einen Beschluss; vielen Dank. - Eher kann ich mir vorstellen, dass die Szene
durch die mit sehr viel öffentlicher Aufmerksamkeit einhergehende Tagung gegen Graffitischmierereien etwas
aufgemischt wurde, was zu entsprechenden Aktivitäten
geführt hat.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Stephan Mayer
auf:
Wo sieht die Bundesregierung Handlungsnotwendigkeit,
um die Bekämpfung von Graffitivandalismus in Deutschland
voranzutreiben?
Herr Kollege Mayer, ich habe das eigentlich alles
schon beantwortet; ich verweise auf meine Antworten
auf die Fragen 8 und 9 des Herrn Kollegen Gewalt und
auf die Zusatzfragen der Kollegen Gewalt und Schröder.
Mehr kann ich dazu eigentlich nicht sagen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe zwei Nachfragen. Die
erste: Wie bewertet die Bundesregierung das konsequente Vorgehen gegen Graffitivandalismus in den skandinavischen Ländern, das sehr erfolgreich vonstatten
geht?
Herr Kollege Mayer, auch dazu habe ich - wenn auch
nicht unter Nennung der skandinavischen Länder - etwas gesagt: Die Strafbarkeit macht nur einen Teil des
Rezeptes gegen die Schmierereien aus. Umgekehrt spielt
die Prävention - das ist ja das, was die skandinavischen
Länder im Wesentlichen betreiben - eine mindestens genauso große Rolle, wenn nicht eine noch viel größere
Rolle, das heißt, die Möglichkeiten der polizeilichen Ermittlung, aber auch die Möglichkeiten, Sprayer mit anderen Mitteln auf das Verwerfliche ihres Tuns hinzuweisen.
Ich würde mir wünschen, dass die Bundesländer hier
endlich einmal ihrer Verantwortung gerecht würden und,
anstatt immer nur Gesetze zu unterbreiten, präventiv tätig würden. In Berlin gibt es zum Beispiel eine Antisprayergruppe bei der Polizei; aber auch in anderen Bundesländern, etwa in Nordrhein-Westfalen. Wenn man das
machen würde, könnte man Sprayer anhand ihrer ganz
speziellen Tags - ich glaube, man nennt das so - sehr
viel besser ermitteln.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, zunächst eine Anmerkung: Die
Strafe auf Graffitisprayen ist in den skandinavischen
Ländern wesentlich höher als in Deutschland.
Aber noch einmal eine konkrete Nachfrage: Erachten
Sie es bzw. erachtet es die Bundesregierung als erfolgreiche Prävention, wenn, wie in der vergangenen Woche
geschehen - das wurde schon angesprochen -, Graffitisprayer in Berlin mit Hubschraubern gejagt werden,
auch dingfest gemacht werden, aber dann wieder freigelassen werden, ohne dass Anklage gegen sie erhoben
wird?
Diese Frage ist so unvollständig, dass ich sie auch nur
unvollständig beantworten kann. Ich nehme - das wissen
Sie - für die Bundesregierung grundsätzlich keine Stellung zu Zeitungsmeldungen - und nur aus solchen können Sie dieses ja wissen. Herr Gewalt weiß schon, wie
ich darauf reagiere. Sie können die Frage auch gerne
selbst stellen; Sie bekommen keine andere Antwort.
Wir haben einen Rechtsstaat; das möchte ich Ihnen
sagen. Wenn in diesem Rechtsstaat Beschuldigte festgestellt und festgenommen worden sind, dann darf, wenn
kein Haftgrund vorliegt, niemand einen Täter länger als
bis zum Ablauf des nächsten Tages festhalten. Das steht
in § 112 Strafprozessordnung; das können Sie nachlesen.
Danach beginnen die Ermittlungen. - Das nur am Rande,
ganz gegen meine sonstige Gewohnheit, zu Zeitungsmeldungen nicht Stellung zu nehmen. - Ich kann mir gar
nicht vorstellen, dass die Staatsanwaltschaft bereits innerhalb von drei Tagen - so lange ist es ja erst her, dass
man das lesen konnte - eine Entscheidung über den weiteren Fortgang des Verfahrens getroffen hat.
Zusatzfrage, Kollege Gewalt.
Herr Staatssekretär, wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Äußerung des Berliner Generalstaatsanwalts Karge, der mir gegenüber erklärt hat, bei Glas und
Metall als Unterfläche von Farbschmierereien erfolge als
Konsequenz dieser Situation regelmäßig die Einstellung
des Verfahrens schon bei der Staatsanwaltschaft?
Ich freue mich, dass Sie mit Herrn Generalstaatsanwalt Karge im Gespräch sind. Aber da ich bei diesem
Gespräch nicht dabei war, kann ich dazu auch nichts sagen.
Vielen Dank, Herr Hartenbach.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht Frau
Staatssekretärin Hendricks zur Verfügung. Ich rufe die
Frage 12 des Kollegen Peter Weiß auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Stellungnahme der
Deutschen Bundesbank zu der Frage der Verwendung der
Goldreserven des Internationalen Währungsfonds, IWF, zur
Finanzierung eines Schuldenerlasses für arme Entwicklungsländer - vergleiche „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom
4. April 2005 - und in welcher Weise wird die Bundesregierung die Auffassung der Bundesbank bei ihrer Meinungsbildung in Vorbereitung der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank am 16. April 2005 berücksichtigen?
Herr Kollege Weiß, die Bundesregierung setzt sich
für eine ergebnisoffene Analyse aller Finanzierungswege eines multilateralen Schuldenerlasses ein. Sie wird
Ihre Haltung hinsichtlich der eventuellen Verwendung
von IWF-Goldreserven im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank festlegen.
Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, der G-7-/G-8-Gipfel naht und
dort soll eine Entscheidung getroffen werden, nachdem
man sich beim letzten Gipfel grundsätzlich darauf verständigt hatte, einen solchen weiteren Schuldenerlass
durchzuführen, wobei man die Details offen gelassen
hatte. Wann wird die Bundesregierung ihre Position festlegen und entscheiden, ob sie Goldverkäufe des IWF zur
Finanzierung des Schuldenerlasses heranziehen oder
doch eher andere Wege beschreiten will?
Die Bundesregierung wird dies zusammen mit der
Bundesbank im Lichte der Debatte festlegen.
Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, gemäß einiger Pressemeldungen - zum Beispiel heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ - wird von Mitgliedern der deutschen
Delegation behauptet, dass der Internationale Währungsfonds einen solchen Schuldenerlass im Umfang von
3,8 Milliarden Euro aufgrund seiner sonstigen finanziellen Möglichkeiten auch ohne den Einsatz der Goldreserven stemmen könnte. Daneben wird darauf verwiesen,
dass in Bezug auf Mexiko und Brasilien bereits früher
ein besonderes Verfahren gewählt worden ist, wonach
der IWF das Geld für den Schuldenerlass durch Rückkäufe finanziert hat, ohne dass die Höhe der Goldreserve
abgeschmolzen werden musste.
Deswegen lautet meine Frage an Sie: Sieht die Bundesregierung, nachdem diese Hinweise offenbar aus der
deutschen Delegation gekommen sind, die Möglichkeit,
den geplanten Schuldenerlass durch den IWF ohne
Rückgriff auf die Goldreserven und damit ohne echte
Verkäufe der Goldreserven zu finanzieren?
Die Bundesregierung hält dies jedenfalls nicht für
ausgeschlossen.
Ich rufe die Frage 13 auf:
Welche Auffassung wird die Bundesregierung bei der
Frühjahrstagung von IWF und Weltbank am 16. April 2005
hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung und des Umfangs
des im Zusammenhang mit der Heranziehung der Goldvorräte
des IWF diskutierten weiteren Schuldenerlasses vertreten?
Herr Kollege Weiß, die Bundesregierung wird sich
auf der bevorstehenden Frühjahrstagung von Weltbank
und IWF für einen multilateralen Schuldenerlass aussprechen, der auf Basis einer fallweisen Analyse - also
einer jeweiligen Analyse bezogen auf ein spezielles
Land - das Ziel hat, die Schuldentragfähigkeit von hoch
verschuldeten, armen Entwicklungsländern wiederherzustellen.
Bitte.
Frau Staatssekretärin, nach den Erfahrungen mit der
letzten größeren Entschuldungsaktion, der so genannten
HIPC-II-Initiative, ist festzustellen - Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen:
Entschuldigung, dass ich unterbreche: Sie läuft ja
weiter.
Ja, sie ist für eine bestimmte Zahl von Ländern bis
zum Jahre 2006 verlängert worden. Ansonsten wäre sie
2004 zu Ende gegangen. - Nach diesen Erfahrungen
muss man feststellen, dass erstens eine Reihe bereits entschuldeter Länder wieder in einem Maße verschuldet ist,
das weit über der so genannten Schuldentragfähigkeitsgrenze liegt, und dass zweitens unterschiedliche Ergebnisse bezüglich der Verwendung der frei gewordenen
Mittel für die Armutsbekämpfung vorliegen.
Deswegen lautet meine Frage an Sie: Wird die Bundesregierung darauf drängen, dass für diese neue Runde
von Entschuldungen neue Konditionen festgelegt werden, und auf welche Kriterien wird die Bundesregierung
dabei gegebenenfalls besonders Wert legen?
Die Bundesregierung legt in diesem Zusammenhang
ganz besonderen Wert auf die so genannte Good Governance, also den Nachweis, dass die verantwortlichen Regierungen tatsächlich nach bestem Wissen und Gewissen
handeln, um es einmal allgemein verständlich auszudrücken. In diesem Zusammenhang ist die Korruptionsbekämpfung natürlich unabdingbar. Ansonsten gäbe es ja
auch keine Good Governance. Korrupte Regierungen
können per se keine guten Regierungen sein. Das ist der
ganz entscheidende Hintergrund für die Handlungsweise
der Bundesregierung und das wird auch in Zukunft der
wesentliche Gegenstand sein.
Frau Staatssekretärin, nachdem im Vorfeld des G-7-/
G-8-Gipfels und der Frühjahrstagung des Internationalen
Währungsfonds aus dem Kreis der Bundesregierung in
der Öffentlichkeit durchaus unterschiedliche Bewertungen abgegeben worden sind - die Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat
den Einsatz der Goldreserven des IWF als eine sehr gute
Möglichkeit öffentlich angepriesen; das Bundesfinanzministerium, das Sie vertreten, hat sich hier kritischer
geäußert - frage ich Sie: Sind die jetzt von Ihnen vorgetragenen Positionen die gemeinsame Haltung von BMF
und BMZ?
Für uns kommt es nicht auf den Weg an, sondern auf
das Ziel. Darin sind sich das BMF und das BMZ einig.
({0})
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Georg Girisch auf:
Wie will die Bundesregierung mit Sondergenehmigungen
für Volksfeste, die im Rahmen der deutsch-amerikanischen
Freundschaft auf den den in Deutschland stationierten amerikanischen Streitkräften zur Nutzung überlassenen Liegenschaften durchgeführt werden, in den Fällen umgehen,
in denen abweichend von der Verfahrensanweisung
- III B 2 - Z 6315 - 5/03 - des Bundesministeriums der Finanzen, BMF, ein gemeinsamer deutsch-amerikanischer Ausschuss als Organisator auftritt, der Eintritt erheben würde und
diese Eintrittsgelder im vollen Umfang für wohltätige Zwecke
unter dem Leitmotiv der deutsch-amerikanischen Freundschaft verwendet?
Herr Kollege Girisch, Volksfeste, die im Rahmen der
deutsch-amerikanischen Freundschaft durchgeführt werden, können vom Hauptzollamt genehmigt werden,
wenn die Voraussetzungen der entsprechenden Verfahrensanweisung erfüllt sind. Anträge für Volksfeste, die
diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sind nicht genehmigungsfähig. Ergibt sich aus dem Antrag für das Volksfest, dass Eintrittsgelder für das Betreten des Volksfestgeländes erhoben werden sollen, wird eine
Genehmigung nicht erteilt.
Sollten dennoch Eintrittsgelder erhoben oder die Verfahrensanweisung in anderen Fällen missachtet werden,
stellt dies eine Beteiligung am deutschen Wirtschaftsverkehr dar und löst die damit verbundenen abgabenrechtlichen Konsequenzen aus. Die Eintrittsgelder wären dann
Entgelt für eine umsatzsteuerpflichtige Leistung und für
die von der ausländischen Truppe auf dem Volksfest verkauften Waren wären dann Zoll und Einfuhrumsatzsteuer zu entrichten. Dies gilt auch dann, wenn nicht die
US-Streitkräfte selbst, sondern ein Dritter, zum Beispiel
der gemeinsame deutsch-amerikanische Ausschuss, als
Organisator nach außen auftritt.
Bitte schön, Herr Girisch.
Frau Staatssekretärin, dem deutsch-amerikanischen
Ausschuss wurde empfohlen, diese Vorschriften zu umgehen, indem kein Eintrittsgeld, sondern eine Spende
verlangt wird. Eine Spende wäre nach Recht und Gesetz
in Ordnung. Sie müssen sich aber einmal vorstellen, was
das Ganze für eine Organisation bedeutet, die in diesem
Jahr das deutsch-amerikanische Volksfest im 50. Jahr
durchführt, bei dem alle Eintrittsgelder und Gewinne nur
gemeinnützigen Organisationen zur Verfügung gestellt
werden.
Ich frage Sie: Wäre es möglich, dass man zumindest
für die Eintrittsgelder dieses deutsch-amerikanischen
Volksfestes, nachdem es nun schon 50 Jahre besteht,
eine Ausnahmegenehmigung erteilt?
Nein, Herr Kollege, ich habe Ihnen die Rechtslage
dargestellt, die ich nicht erfunden habe. Sie basiert auf
der einen Seite auf dem Zollkodex, der schon immer europäisch abgestimmt war, und auf der anderen Seite auf
dem Umsatzsteuerrecht, bezogen auf die Einfuhrumsatzsteuer, welches ebenfalls dem harmonisierten Recht entspricht. Es ist so, dass in den vergangenen Jahren die
Zahl der deutsch-amerikanischen Volksfeste gestiegen
ist und dass diese Handlungsanweisung der Zollverwaltung vorgelegt worden ist, um eine einheitliche Handhabung herbeizuführen.
Dazu muss man wissen: Dieses Volksfest findet auf
dem Gelände der amerikanischen Truppe statt. Dieses ist
- um es einmal vereinfacht auszudrücken - exterritoriales Gebiet. Dort gelten andere Bestimmungen, sofern
sich dort nur amerikanische Bürger aufhalten. Für sie ist
alles zoll- und steuerfrei. Jetzt werden aber viele deutsche Bürger auf dieses Gelände eingeladen und auch
Waren verkauft. Dies ist auch möglich, wenn man die
entsprechenden Bestimmungen einhält. Man muss sich
aber an diese Bestimmungen halten.
Es tut mir wirklich sehr Leid, aber diese Zoll- und
Steuerfreiheit, die für die amerikanischen Bürger auf
diesem exterritorialen Gelände gilt, kann eben nicht auf
eine Vielzahl von deutschen Bürgern übertragen werden.
Das war schon immer geltendes Recht. Die Handlungsanweisung, die wir gemacht haben, dient der Vereinfachung, damit die Zollämter wissen, wie sie vorgehen sollen und ob sie Genehmigungen erteilen können. Ein
Eintrittsgeld macht eine solche Veranstaltung umsatzsteuerpflichtig. Das können wir leider nicht ändern. Man
wundert sich manchmal, wie die Welt ist; aber sie ist nun
einmal so. Das können auch wir nicht beeinflussen.
Gibt es Zweifel, dass die Welt so ist, wie sie ist, Herr
Kollege Girisch?
Frau Staatssekretärin, Sie müssen sich einmal den
technischen Ablauf vorstellen. Der deutsch-amerikanische Ausschuss würde für das Volksfest eine Genehmigung erhalten, wenn am Eingang des Truppenübungsplatzes eine Bude aufgestellt und auf deutschem Boden
Eintritt verlangt würde. Das Ministerium hat meinen
Kollegen mitgeteilt, sie sollten das einfach in eine
Spende umwandeln. Ich bin aber der Meinung, dass mit
einer Spende nicht die Erfüllung eines Zweckes verbunden sein darf. Frau Staatssekretärin, mir geht es eigentlich nur darum, dass man gemeinsam einen Weg suchen
sollte, um aus diesem Dilemma herauszukommen.
Herr Kollege Girisch, ich kann nicht bestätigen, dass
das Ministerium Ihren Kollegen die Empfehlung gegeben hat, das in eine Spende umzuwandeln, weil mir dieser Sachverhalt nicht bekannt ist.
({0})
Wenn es so ist, dann ist das die pragmatische Möglichkeit. Wenn das Ministerium diesen Rat gegeben hat,
dann könnte sich damit ein praktischer Weg eröffnen.
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Girisch auf:
Sind der Bundesregierung neben dem deutsch-amerikanischen Volksfest auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr,
das seit 1952 vom gemeinsamen deutsch-amerikanischen
Ausschuss durchgeführt wurde und bei dem der Eintritt im
vollen Umfang zur Verwendung für wohltätige Zwecke unter
dem Leitmotiv der deutsch-amerikanischen Freundschaft erhoben wurde, vergleichbare Fälle bekannt, bei denen die Ausnahmeregelung durch das BMF nicht erteilt wurde, und, wenn
ja, wurden dadurch erhebliche Veränderungen in den Organisationsstrukturen von deutsch-amerikanischen Veranstaltungen herbeigeführt?
Genehmigungen für Volksfeste können nur erteilt
werden, wenn die Voraussetzungen der Verfahrensanweisung vom Februar 2004 erfüllt sind. Hierauf hatte ich
schon hingewiesen. Diese Verfahrensanweisung sieht
Ausnahmeregelungen nur durch das BMF auf Antrag
des NATO-SOFA-Office vor. Bisher wurde davon aber
kein Gebrauch gemacht. Es ist mir kein Antrag bekannt,
der im Ministerium angekommen wäre. Die Genehmigungsbehörden sind die Hauptzollämter. Bisher ist noch
kein Antrag auf Ausnahmegenehmigung beim Bundesministerium der Finanzen eingegangen.
Frau Staatssekretärin, kann ich davon ausgehen, dass
Sie sich, wenn der Antrag vom deutsch-amerikanischen
Ausschuss kommt, bemühen, diesen Antrag wohlwollend zu prüfen, zu entscheiden und dann eventuell an die
Zollbehörden weiterzugeben?
Selbstverständlich, Herr Kollege Girisch, wobei wir
uns natürlich bei der Bescheidung eines Antrags an
Recht und Gesetz halten müssen.
Mehr erwarte ich auch nicht von Ihnen.
Danke.
Die letzte Bemerkung stößt auf allgemeines Verständnis.
Ich rufe jetzt die Frage 16 der Kollegin Dr. Lötzsch
auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung von PorscheChef Wendelin Wiedeking, dass „es ... wenig sinnvoll“ ist,
„wenn man in Zeiten, in denen mehr als fünf Millionen Menschen als Arbeitslose in Deutschland registriert sind, den Jobexport auch noch aus dem … Steuertopf subventioniert“
- „Spiegel online“, 5. April 2005 -, und sieht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Handlungsbedarf im
Hinblick auf den Umstand, dass Unternehmen bei Standortverlagerungen ins Ausland die Kosten für die Planung der Investitionen, den Transfer der Arbeitsplätze, die Verwaltung
und die Finanzierung voll steuerlich absetzen können?
Frau Kollegin Lötzsch, das geltende Steuerrecht enthält entgegen einer weit verbreiteten Auffassung keine
Regelungen, die die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins
Ausland subventionieren. Für die steuerliche Beurteilung von Aufwendungen im Zusammenhang mit Betriebsverlagerungen ins Ausland gilt der allgemeine
steuerliche Veranlassungszusammenhang. Danach sind
Aufwendungen für eine Betriebsstättengründung im
Ausland der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen
und damit in Deuschland insoweit nicht zu berücksichtigen.
Bei einer Unternehmensverlagerung in eine ausländische bestehende Tochtergesellschaft müssen die Aufwendungen zwischen der inländischen Muttergesellschaft und der ausländischen Tochtergesellschaft
steuerlich wie unter fremden Dritten abgerechnet werden. Um Gewinnverlagerungen entgegenzuwirken, führt
die Finanzverwaltung hinsichtich der Verrechnungen
zwischen den Gesellschaften eine Angemessenheitsprüfung durch.
Für die steuerliche Beurteilung von Aufwendungen
zur Finanzierung und Verwaltung einer Beteiligung an
einer Tochtergesellschaft enthält das geltende Recht eine
pauschalierende Sonderregelung. Danach kann die inländische Muttergesellschaft in Deuschland die Aufwendungen, insbesondere Finanzierungsaufwendungen, als
Betriebsausgabe abziehen. Es gelten jedoch 5 Prozent
der steuerfreien Beteiligungserträge als nicht abziehbare
Betriebsausgaben. Dieses pauschale Betriebsausgabenabzugsverbot ist 1999 eingeführt worden, weil das bis
dahin für Auslandsbeteiligungen geltende Abzugsverbot
für Betriebsausgaben durch Gestaltungen vollständig unterlaufen werden konnte und zudem sehr streitanfällig
war. Eine solche pauschale Regelung ist EG-rechtlich in
der Mutter-Tochter-Richtlinie vorgesehen. Sie gilt aus
EU-rechtlichen Gründen für Aufwendungen im Zusammenhang mit Inlands- und Auslandsbeteiligungen. Eine
Verschärfung der Regelungen zulasten der Auslandsbeteiligungen wäre nach dem EG-Vertrag nicht zulässig.
Zusatzfrage, Frau Lötzsch.
Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, Sie haben relativ einleuchtend beschrieben, dass es zwar de jure keine
Subventionierung von Jobexport gibt, dass aber die
Steuergesetze die Wirkung haben, dass Jobexport subventioniert wird oder sich für die betroffenen Unternehmen steuerlich positiv bemerkbar macht. Ich bin im
Übrigen nicht die Einzige, der das aufgefallen ist; es ist
auch von Mitgliedern Ihrer Fraktion diskutiert worden.
Ich gehe deshalb davon aus, dass Sie intern berechnet
haben, wie hoch die Steuerausfälle im Jahr 2004 durch
die De-facto-Subvention von Jobexport waren.
Nein, Frau Kollegin Lötzsch. Dazu kann ich keine
Angaben machen, weil das die Körperschaftsteuerstatistik nicht hergibt. Im Übrigen ist das Jahr 2004 - vereinfacht ausgedrückt - in körperschaftsteuerlicher Hinsicht
noch längst nicht abgeschlossen. Es geht hierbei um
Sachverhalte, die naturgemäß in der Regel Gegenstand
der Betriebsprüfung sind. Die Unternehmen bzw. Aktiengesellschaften leisten eine Körperschaftsteuervorauszahlung, und zwar - sofern sie überhaupt Erträge
erwarten - regelmäßig jedes Vierteljahr. Das wird von
der Finanzverwaltung festgesetzt. Erst durch eine Betriebsprüfung wird die endgültige Steuerlast festgestellt.
Die Betriebsprüfungen für das Jahr 2004 haben aber
noch nicht stattgefunden. Das ist den Landesfinanzverwaltungen nicht vorzuwerfen; vielmehr sind die Betriebsprüfungen noch mit den Vorjahren befasst. Große Konzerne werden schließlich nahtlos geprüft. Es finden nicht
nur ab und an stichprobenartige Prüfungen statt; vielmehr werden die Betriebsprüfungen jedes Jahr durchgeführt. Das Jahr 2004 erscheint aber sicherlich frühestens
im Jahr 2006 auf dem Prüfplan, weil vorher die
Jahre 2002 und 2003 zu prüfen sind. Weiter dürften die
Finanzverwaltungen noch nicht sein. Deswegen kann
noch keine Aussage darüber getroffen werden, welche
eventuellen Steuereinnahmeausfälle damit verbunden
sind.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
Sie haben zwar ausgeführt, dass Sie keine Angaben zu
dem Jahr 2004 machen können; aber ich gehe davon aus
- darauf will ich allerdings keine Zusatzfrage verschwenden -, dass Sie Angaben zu den vorangegangenen Jahren hätten machen können. - Das ist allerdings
nur eine Anmerkung, keine Frage.
({0})
Soweit mir durch die Medien bekannt ist, haben sich
zumindest Abgeordnete der Grünen dahin gehend geäußert, dass die Steuerregelungen, die den Jobexport
quasi subventionieren oder für die Unternehmen erleichtern, zu ändern sind. Hat die Bundesregierung diese Vorschläge aus der Fraktion des Koalitionspartners aufgegriffen bzw. gedenkt sie, diese Vorschläge aufzugreifen,
und wenn ja, wann?
Frau Kollegin Lötzsch, ich würde Ihnen die Frage, die
Sie nicht als Zusatzfrage verstanden wissen wollten,
gleichwohl gerne beantworten. Die Körperschaftsteuerstatistik - ich habe das eben in der Einleitung meiner
Antwort auf Ihre Frage schon ausgeführt - enthält auch
für die vorangegangenen Jahre keine so spezifizierten
Angaben. Ich glaube nicht, dass wir diese Angaben zu
den vorangegangenen Jahren machen können. Ich will
dem aber gerne nachgehen.
Die einzelnen Sachverhalte werden in den Betriebsprüfungen nicht festgehalten. Nach den zahlreichen Betriebsprüfungen, die in der Bundesrepublik Deutschland
erfolgen, liegt zwar hinterher ein Ergebnis vor; aber nur
diejenigen, die diese Prüfungen selber vor Ort durchgeführt haben, wissen, wie dieses Ergebnis zustande gekommen ist. Ich fürchte, aus der Körperschaftsteuerstatistik geht das nicht hervor.
Auch mir ist bekannt geworden - um nun auf Ihre
Frage einzugehen -, dass sich Kollegen und Kolleginnen
aus der Fraktion der Grünen kritisch zu dem angesprochenen Sachverhalt in unserem Körperschaftsteuergesetz geäußert haben. Mir ist dies nicht recht verständlich, weil wir dieses Gesetz gemeinsam beschlossen und
in der Vergangenheit durchaus schon den Versuch unternommen haben, die Pauschalierung, von der ich sprach,
etwas höher anzusetzen. Diese hätte aber aus europarechtlichen Gründen nicht nur in Bezug auf das Ausland,
sondern auch auf das Inland angewandt werden müssen.
Insofern ist uns keine handhabbare Alternative zu der
pauschalierenden Regelung ersichtlich.
Insbesondere ist - wie auch die frühere Praxis gezeigt
hat - ein generelles Abzugsverbot für Aufwendungen,
die mit steuerfreien Beteiligungserträgen in Zusammenhang stehen, sehr gestaltungsanfällig. Die für die steuerliche Beurteilung notwendige Zuordnung von Aufwendungen lässt sich nicht befriedigend lösen, sodass nur
der Weg der Pauschalierung bleibt.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, darauf
hinzuweisen, dass sich nicht nur die Kollegin Scheel,
sondern auch der bayerische Ministerpräsident,
Dr. Edmund Stoiber, vor einigen Wochen in einer Fernsehsendung sinngemäß in der Weise geäußert haben,
dass das überhaupt nicht zu verstehen ist.
Ich darf in diesem Zusammenhang die Bitte an die
Bayerische Staatsregierung richten, uns eine handhabbare Alternative vorzuschlagen, sofern sie eine hat.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Thiele.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - In Ergänzung dieses Sachverhaltes frage ich Sie Folgendes, Frau Staatssekretärin: Plant die Regierung keine Änderungen in diesem Bereich, auch nicht im Zusammenhang einer
Gegenfinanzierung der Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 25 auf 19 Prozent? Hat die Bundesregierung
keine Anhaltspunkte, die darauf hinweisen, dass bei einer Änderung der entsprechenden Regelung dem Fiskus
Mehreinnahmen in Höhe von bis zu 5 Milliarden Euro
pro Jahr entstehen, wie das teilweise medial behauptet
wurde?
Ich weiß, dass das teilweise medial behauptet wurde.
Das bezieht sich unter anderem auf Äußerungen des
Fachhochschulprofessors Jarass. Diese sind so aber nicht
zu bestätigen. Die Bundesregierung plant nicht, dies als
eine Gegenfinanzierungsmaßnahme - wozu auch immer heranzuziehen, da sie derzeit keine handhabbare Alternative sieht.
Die Fragen 17 und 18 des Kollegen Spahn werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 19 der Kollegin Gerlinde
Kaupa:
Zu welchem Schluss im Hinblick auf die geschätzte Höhe
des Steueraufkommens ist die Prüfung durch den Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, gelangt, die sich - „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 15. März 2005 - mit der möglichen
Erhebung der Mehrwertsteuer auf Mitgliedsbeiträge zu Vereinen befasst hat?
Frau Kollegin Kaupa, Gegenstand der Prüfung einer
möglichen Erhebung von Umsatzsteuer auf Leistungen
von Vereinen an ihre Mitglieder sind durch ein Urteil des
Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2002 aufgeworfene komplexe Rechtsfragen. Eine Untersuchung der
finanziellen Auswirkungen ist völlig nachrangig. Sollte
es dort zu Änderungen kommen, würde dies nicht aus
finanziellen Gründen, sondern aus Rechtsgründen geschehen.
Es ist für mich überraschend, dass Sie sich noch nicht
einmal über die Höhe Gedanken gemacht haben. Aber
für die Vereine hätte das eine riesengroße Auswirkung.
Daher ist es wert, sich darüber Gedanken zu machen.
Darf ich Ihnen ein Beispiel nennen? - Ich betreue bei
uns 315 Vereine mit 87 000 Mitgliedern. Wenn man den
Mindestbeitrag von circa 50 Euro jährlich ansetzt, dann
stellt man fest, dass allein die Vereine in dem kleinen
Bereich Stadt und Landkreis Passau 400 000 Euro an
Umsatzsteuer abführen müssten. Das wäre für die Vereine eine Katastrophe. Wenn man über etwas nachdenkt
und anschließend nicht dementiert und sagt: „Okay, wir
lassen es sein“, dann muss man sich auch darüber Gedanken machen, welche Folgen das hat. Was sagen Sie
dazu?
Frau Kollegin Kaupa, wir haben das schon dementiert. Wir haben zwar darauf hingewiesen, dass es in der
Tat einen Prüfungsvorgang von Bund und obersten
Finanzbehörden der Länder gibt, und zwar wegen eines
EuGH-Urteils. Aber Zielrichtung weder der Bundesregierung noch der obersten Finanzbehörden der Länder
ist, auf alle Vereinsbeiträge Umsatzsteuer zu erheben
und auf diese Weise Geld zu schöpfen. Zielrichtung der
Prüfung ist vielmehr, das EuGH-Urteil so auszulegen,
dass möglichst wenige Betroffenheiten entstehen. Das
ist der Gegenstand der Prüfung. Eine Hochrechnung der
Umsatzsteuer auf alle Mitgliedsbeiträge an die Vereine
in einem Landkreis ist daher wirklich nicht notwendig.
Ich will Ihnen nicht unterstellen, dass Sie Panikmache
betreiben. Aber ich bitte Sie, vor Ort für Entwarnung zu
sorgen; denn es ist weder die Absicht der Bundesregierung noch die der obersten Finanzbehörden der Länder,
auf alle denkbaren Vereinsmitgliedsbeiträge, zum Beispiel auf die Beiträge an die Sportvereine, Umsatzsteuer
zu erheben. Vielmehr geht es darum, dies so eng wie
möglich zu handhaben. Ihre Sorgen sind unbegründet.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wenn meine Sorgen unbegründet sind, dann können
Sie sich ja dazu definitiv äußern und sagen: Die Vereinsmitgliedsbeiträge werden nicht besteuert. Dann sind die
Vereine zufrieden und ich muss sie nicht mehr beschwichtigen. Sind Sie dazu bereit?
Frau Kollegin Kaupa, ich hatte Ihnen ja bereits gesagt, dass der Prüfungsvorgang noch nicht abgeschlossen ist.
({0})
- In naher Zukunft. Es gibt einen Bericht, der den Landesministerien zugehen wird. Ich gehe davon aus, dass
das mit dem Abschluss der Prüfung wahrscheinlich im
Mai so weit sein wird, wenn ich das richtig sehe.
Ich kann aber die von Ihnen gewünschte Aussage
nicht treffen; denn das EuGH-Urteil kann in eng begrenzten Ausnahmen - so eng wie nur möglich - tatsächlich eine Pflicht zur Erhebung der Umsatzsteuer auf
Vereinsmitgliedsbeiträge rechtlich notwendig machen.
Deswegen kann ich nicht sagen: Es wird gar nicht dazu
kommen. - Im Moment ist eine solche Aussage nicht
möglich. Aber ich kann Entwarnung für fast alles geben.
({1})
Das müssten Sie im Rahmen der Behandlung der
nächsten Frage ansprechen. Sie hatten nämlich schon
zwei Zusatzfragen.
Jetzt dürfen Frau Kollegin Lenke und dann der Kollege Fahrenschon eine Zusatzfrage stellen. Frau Lenke,
bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, Sie könnten
Entwarnung für fast alles geben. Dann haben Sie noch
gesagt, Sie versuchten, dieses Urteil so eng wie möglich
auszulegen, damit es keine negativen Auswirkungen auf
die Sportvereine und auf andere Vereine hat. Das zeigt
mir aber - diese Botschaft vermitteln Sie -, dass die Vorprüfung wahrscheinlich ergeben hat, dass doch einige
Vereine betroffen sind. Ich möchte jetzt gerne von Ihnen
wissen, ob Sie ausschließen können, dass die eingetragenen Vereine - viele Vereine sind eingetragen - betroffen
sind.
Frau Kollegin, eigentlich sind alle Vereine eingetragenen Vereine. Genauso wie ich gerade gesagt habe, dass
ich nicht ausschließen kann, dass kein Verein betroffen
ist, kann ich auch nicht sagen: Ich kann ausschließen,
dass alle eingetragenen Vereine betroffen sind.
Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Wir können sie nicht allein durchführen. Wir führen sie zusammen mit den obersten Finanzbehörden der Länder, also
mit allen 16 Länderfinanzministerien, durch. Wir sind
uns in der Zielrichtung einig. Ich kann sicherlich sagen,
dass die Sportvereine - in ihnen üben die Bürgerinnen
und Bürger einfach nur Sport aus - davon nicht betroffen
sein werden. Nur das kann ich schon jetzt sagen.
Ich kann nicht sagen: Alle eingetragenen Vereine sind
davon ausgeschlossen; denn der EuGH richtet sich nicht
nach dem deutschen Gemeinnützigkeitsrecht. Er urteilt
vielmehr nach europäischem Recht.
Kollege Fahrenschon, bitte.
Frau Staatssekretär, Sie haben bei der Beantwortung
der Frage der Kollegin Kaupa gesagt, dass Sie sich nicht
in der Lage sehen, schon heute Entwarnung, was eine
eventuelle Steuerpflicht angeht, zu geben. Habe ich Sie
da richtig verstanden? Stehen Sie damit gegebenenfalls
im Widerspruch zum Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen? Er hat ausweislich eines Artikels im
„Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 18. März 2005, also vor
etwa einem Monat, geäußert - ich zitiere -:
Dieckmann erläuterte, er habe in Gesprächen auf
Landes- und Bundesebene bereits durchgesetzt,
dass Fördervereine grundsätzlich nicht betroffen
sind, dass Sportvereine von der Umsatzsteuerpflicht befreit sein werden und dass weitere Vereine
- soweit es machbar ist - ebenfalls umsatzsteuerbefreit bleiben.
Der Kollege Dieckmann hat also gesagt: Das Thema
Fördervereine ist erledigt, das Thema Sportvereine ebenfalls; nur bei den weiteren Vereinen gibt es noch ein Problem. Ich sehe da einen Widerspruch.
Ich sehe da keinen Widerspruch. Ich habe Frau Kollegin Lenke schon darauf hingewiesen, dass zum Beispiel
weder Sportvereine noch Fördervereine betroffen sein
werden.
Aber es sind eben nicht alle Vereine nicht betroffen.
Abschließend muss noch geklärt werden, wie klein die
Gruppe der Betroffenen sein wird. Darum geht es uns.
Ich möchte noch einmal ganz deutlich machen: Es geht
uns nicht darum, irgendwie mehr Geld einzunehmen; es
geht uns nicht darum, mehr Bürokratie zu schaffen. Es
geht uns darum, das EuGH-Urteil so vereinsfreundlich
wie nur irgend möglich auszulegen.
Ich rufe Frage 20 der Kollegin Kaupa auf:
Wird seitens des Bundesministers der Finanzen, Hans
Eichel, die Erhebung der Mehrwertsteuer auf Mitgliedsbeiträge der Vereine erwogen oder schließt er diese Form der Besteuerung definitiv aus?
Hintergrund dieser Frage ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. März 2002 - Kennemer
Golf & Country Club - zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Leistungen eines Sportvereins an seine Mitglieder, das aufgrund eines niederländischen Vorabentscheidungsersuchens ergangen ist.
Bei dem Verfahren vor dem EuGH ging es unter anderem um die Frage, unter welchen Voraussetzungen die
Leistungen eines Sportvereins an seine Mitglieder umsatzsteuerbar sind und der Mitgliedsbeitrag somit Entgelt für von einem Sportverein erbrachte sonstige Leistungen ist. Der EuGH hat hierzu entschieden, dass die
Jahresbeiträge der Mitglieder eines Sportvereins Gegenleistung für eine von dem Verein erbrachte Leistung darstellen können. Der EuGH hat in seiner Entscheidung
weiter die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1
Buchstabe M der 6. EG-Richtlinie bestätigt.
Die in Deutschland geltende Regelung, wonach echte
Mitgliedsbeiträge als Gegenleistung für nicht steuerbare
Leistungen eines Sportvereins angesehen werden, führt
zum gleichen fiskalischen Ergebnis wie die Entscheidung des EuGH, nach der die Mitgliedsbeiträge Entgelt
für steuerbare, aber steuerfreie Leistungen eines Sportvereins sind. Danach fällt also wie bisher keine Umsatzsteuer an.
Gleichwohl muss geprüft werden, ob aufgrund der
Entscheidung des EuGH das nationale Recht an die verbindlichen Vorgaben der 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Mehrwertsteuern angepasst werden muss.
Gegenstand der Prüfung ist auch die weitestgehende
Ausnutzung der Spielräume des Gemeinschaftsrechts,
damit es nur in möglichst wenigen Fällen zu einer wirtschaftlichen Belastung mit Umsatzsteuer kommt.
Hierzu hat die schon genannte Bund/Länder-Arbeitsgruppe einen Bericht erstellt, der nun den obersten Finanzbehörden der Länder vorgestellt und alsbald - nach
meinem Kenntnisstand wird das im Mai sein - erörtert
werden soll. Nach bisheriger Erkenntnis werden sich
insbesondere bei der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Leistungen eines Sportvereins an seine Mitglieder, die Sport ausüben, im wirtschaftlichen Ergebnis
keine Änderungen ergeben. Andere Vereine, zum Beispiel Gesangsvereine, kommen ohnehin nicht in Frage.
({0})
- Musikvereine oder ähnliche Vereine, in denen Unterricht erteilt wird.
Wenn Sportvereine nicht gemeint sind, wenn auch
Trachten- oder Musikvereine nicht gemeint sind, dann
ist zu fragen, ob überhaupt noch Vereine übrig bleiben,
die es betrifft.
({0})
Welche Vereine betrifft es?
Man hat in der Vergangenheit festgestellt, dass die
Bundesregierung nicht jedes EUGH-Urteil hinnimmt,
sondern mitunter auch dagegen klagt.
Nein.
Die Frage ist, ob sich die Bundesregierung dagegen
wehren würde, wenn es Vereine gäbe, für die eine solche
Regelung existenziell wäre, falls am Schluss doch die
Sportvereine betroffen würden.
Nein, die Bundesregierung kann sich gar nicht dagegen wehren, weil ein solches Urteil bindend ist. Das ist
schon die letzte Instanz. Da ist der Rechtsweg auf europäischer Ebene ausgeschöpft. Ich glaube auch nicht, dass
man zum Beispiel noch vor dem europäischen Menschenrechtsgerichtshof klagen könnte; das hielte ich für
eher unwahrscheinlich.
Die Bundesregierung legt schon Wert darauf, das Urteil so eng wie eben möglich auszulegen. Aber es gibt
natürlich Vereine, die infrage kommen könnten. In dem
Bericht der Arbeitsgruppe, der den obersten Finanzbehörden der Länder zugegangen ist, wird vorgeschlagen,
die Möglichkeiten der 6. EG-Richtlinie so weit wie möglich auszunutzen und bislang nicht transformierte Steuerbefreiungen in das nationale Umsatzsteuerrecht aufzunehmen, sodass wir da EU-konform blieben.
Gleichwohl wird ein Bereich von Leistungen von
Vereinigungen an ihre Mitglieder, im Wesentlichen außerhalb des Sportbereichs, aufgrund der engen Vorgaben
der 6. EG-Richtlinie künftig der Umsatzsteuerpflicht unterliegen. Beispiele hierfür sind Leistungen von Dachverbänden an ihre selbstständigen Untergliederungen im
Bereich des Sports - nicht die Mitgliedsbeiträge des einzelnen Menschen - oder individualisierbare Leistungen
von Automobilclubs an ihre Mitglieder, die nicht unter
eine der bereits bestehenden Steuerbefreiungen fallen
und für die neben dem Mitgliedsbeitrag kein gesondertes
Entgelt gezahlt wird, zum Beispiel die Abgabe von Straßenkarten oder die Erarbeitung von Reiserouten. Solche
Leistungen können in Zukunft möglicherweise nicht
mehr umsatzsteuerbefreit sein. Darüber wird noch endgültig zu entscheiden sein. Sie sehen, wie sehr wir uns
bemühen, das so eng wie eben möglich auszulegen.
Zweite Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Herr Kollege Schmidt.
Frau Staatssekretärin, ich entnehme dem Fall, der diesem Urteil des EuGH zugrunde liegt, dass - das haben
Sie zuletzt auch betont - der normale Vereinsbeitrag,
egal ob es sich um einen Verein im Bereich des Sports
oder der Kultur oder der Wohlfahrtspflege handelt, offensichtlich nicht im Fokus der Auswertung steht, die
Sie genannt haben, sondern dass, wenn überhaupt, eher
zusätzliche Dienstleistungen, die von einem Verein für
Mitglieder oder gar für Externe erbracht werden, in den
Wilhelm Schmidt ({0})
Fokus geraten würden mit dem Ziel, eine Umsatzbesteuerung herbeizuführen. Ist das so ungefähr das, worum es
in der Auswertung geht?
Ja, Herr Kollege, das ist die Richtung; das haben Sie
richtig erkannt. Es kommt nicht zuletzt auf Art und Umfang der Gegenleistungen an, die für den Mitgliedsbeitrag erbracht werden.
({0})
Frau Kollegin Lenke.
Frau Staatssekretärin, erst einmal bedanke ich mich
für Ihre Ausführungen. Hierbei gibt es kein parteipolitisches Hickhack. Wir alle sind dafür - das ist ganz klar -,
dass Vereinsmitglieder nicht noch zusätzliche Beiträge
zahlen müssen. Auch deshalb sind die Fragen sehr gerechtfertigt.
Was in den einzelnen Landkreisen passiert, davon haben Sie sicherlich auch schon Kenntnis bekommen. In
meinem Landkreis herrscht helle Aufregung und keiner
weiß Bescheid. Deshalb wurden ja auch die entsprechenden Fragen für die heutige Fragestunde gestellt. Deshalb
ist in Bezug auf diese Sache Transparenz vonnöten und
bis zum Mai vielleicht auch eine gewisse Beruhigung
der Bürger und Bürgerinnen. Deshalb meine Frage, ob
Sie den Bericht, aus dem Sie gerade vorgetragen haben,
nicht dem Plenum zur Verfügung stellen können.
Frau Kollegin, das kann ich leider nicht, weil es sich
um den Bericht einer Bund/Länder-Arbeitsgruppe handelt, über den ich nicht frei verfügen kann. Ich müsste
zunächst eine Genehmigung von den Ländern einholen;
deshalb kann ich das hier nicht zusagen, so Leid es mir
tut. Wir werden aber prüfen, ob wir das zumindest den
Mitgliedern des Finanzausschusses zur Verfügung stellen können, damit sie damit entsprechend umgehend
können. Das müssen wir aber erst prüfen.
Zur gleichen Frage ist keine weitere Zusatzfrage mehr
möglich, Frau Kaupa. Weitere Wünsche nach Zusatzfragen sehe ich im Augenblick nicht.
Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Hendricks, und rufe
den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch zur Verfügung.
Frage 21 des Kollegen Uwe Schummer:
Wie viele Berufsberater und wie viele Arbeitsvermittler
hat die Bundesagentur für Arbeit, BA, gemessen jeweils an
den gesamten Beschäftigten?
Bitte, Herr Schlauch.
Sehr geehrter Herr Kollege Schummer, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Agenturen für Arbeit
verfügen über insgesamt 15 137 Stellen für Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittler sowie für Berufsberaterinnen und Berufsberater. Rund 21 Prozent aller Beschäftigten der Bundesanstalt arbeiten in diesen
Bereichen. Auf die Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittler entfallen 11 514 Stellen; damit arbeiten in diesem Bereich rund 16 Prozent aller Beschäftigten der BA.
3 623 oder rund 5 Prozent der Beschäftigten der BA sind
Berufsberaterinnen und Berufsberater.
Darüber hinaus können die Agenturen für Arbeit zusätzlich bis zu 2 259 Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittler im SGB-III-Bereich befristet einstellen. Diese
Quote wird nach Auskunft der Bundesanstalt im Laufe
des Jahres 2005 ausgeschöpft werden. Weiterhin stehen
in der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung, die unter anderem für die Vermittlung vom und ins Ausland sowie
für besondere Personengruppen zuständig ist, weitere
158 Stellen für Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittler zur Verfügung.
Bitte schön, Herr Schummer.
Herr Staatssekretär, sehen Sie den politischen Willen
der Bundesregierung erfüllt, im Zuge der Hartz-I-Gesetze die Zahl der Arbeitsvermittler in den Agenturen
aufzustocken? Wie erklären Sie vor diesem Hintergrund,
dass die Zahl der Vermittlungserfolge in den letzten zwei
bis drei Jahren um etwa ein Drittel zurückgegangen ist?
Herr Kollege, Sie sehen schon an den Zahlen, dass es
hier eine deutliche Bewegung nach oben gibt. Im Rahmen der Umstrukturierung der Bundesanstalt wird das
Verhältnis der Beschäftigten, die im Bereich Arbeitsvermittlung und Berufsberatung tätig sind, gegenüber den
Beschäftigten im Verwaltungsbereich nachhaltig verbessert. Auch das ist ein Ziel der Umgestaltung und Umstrukturierung sowie der Zuweisung von neuen Aufgaben an die Bundesagentur, wie Sie genau wissen. Wenn
dies in Einzelfällen in manchen Regionalbereichen noch
nicht zu dem von uns gewünschten und ins Auge gefassten Ergebnis geführt hat, dann deshalb, weil der Umstrukturierungsprozess noch nicht abgeschlossen ist.
Klar ist aber, dass die Vermittlungstätigkeit im Vordergrund der Aufgaben und der Ziele der BA steht und weiterhin entwickelt wird.
Herr Staatssekretär, ist bei der Umsetzung von
Hartz IV sichergestellt, dass auch bei den optierenden
Kommunen die Berufsberatung bei den Arbeitsagenturen personell abgesichert und unterstützt wird?
Die Agenturen sind ausschließlich für die Vermittlung
zuständig. Selbstverständlich wird der auf die Bundesagentur entfallende Anteil des Engagements abgesichert.
Dazu gehört die Berufsberatung.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Gerald Weiß auf:
Liegen der Bundesregierung Daten über die Auswirkungen der Änderungen des Kündigungsschutzes der Arbeitnehmer über 50 Jahre vor, auf denen die Aussage des Bundeskanzlers Gerhard Schröder vor dem Deutschen Bundestag am
17. März 2005 beruht, diese Änderungen hätten bei diesem
Personenkreis nicht zu einer massiven Einstellungswelle geführt, und weicht die Bundesregierung damit von der Antwort
auf die Frage 11 der Kleinen Anfrage der Fraktion der CDU/
CSU „Wandel der Arbeitswelt und Modernisierung des Arbeitsrechts“ auf Bundestagsdrucksache 15/2932 ab, wonach
sich in dem kurzen Zeitraum seit In-Kraft-Treten der geänderten Anwendungsschwelle des Kündigungsschutzgesetzes
Auswirkungen auf das Einstellungsverhalten der betreffenden
Betriebe und Verwaltungen noch nicht feststellen ließen und
wonach dem Deutschen Bundestag bis Ende 2007 über die
Beschäftigungswirkung berichtet werde?
Sehr geehrter Herr Kollege Weiß, ich beantworte Ihre
Frage nach dem Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer wie folgt: Die von Ihnen zitierte Aussage in der
Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard
Schröder bezieht sich auf die seit Januar 2003 bestehende Möglichkeit, Arbeitnehmer auf der Grundlage des
§ 14 Abs. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz ab dem
52. Lebensjahr, bei einer vorausgehenden Befristung
nach § 14 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz bereits
ab dem 50. Lebensjahr ohne Vorliegen besonderer
Gründe befristet zu beschäftigen. Da befristete Arbeitsverträge ohne Kündigung auslaufen, findet das Kündigungsschutzgesetz in diesem Fall keine Anwendung.
Wie die Arbeitsmarktzahlen zeigen, hat diese seit über
zwei Jahren bestehende Möglichkeit der Beschäftigung
ohne Kündigungsschutz, die eine höhere Flexibilität als
vorher gestattet, bislang nicht zu spürbar mehr Einstellungen älterer Arbeitsuchender geführt. Der Bundeskanzler hat das als volkswirtschaftliche Vergeudung von
Wissen, Erfahrung, Fähigkeiten und Kreativität kritisiert
und es als Pflicht der Unternehmen bezeichnet, ältere
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzustellen.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Frage 11
der Kleinen Anfrage „Wandel der Arbeitswelt und Modernisierung des Arbeitsrechts“ bezieht sich nicht auf die
Beschäftigungssituation Älterer, sondern auf die im
Januar 2004 angehobene betriebliche Anwendungsschwelle des Kündigungsschutzgesetzes. Über deren Beschäftigungswirkung wird die Bundesregierung dem
Deutschen Bundestag bis Ende 2007 berichten.
Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß?
Herr Staatssekretär, man kann das etwas einfacher
formulieren: Die rot-grüne Regierung hat den Kündigungsschutz für die über 50-Jährigen faktisch abgeschafft, jedenfalls weit heruntergefahren. Nach 26 Monaten stellt der Bundeskanzler fest, dass keine
Beschäftigungswirkung eingetreten ist.
({0})
Bedeutet das für Sie jetzt, dass die Entscheidung damals
falsch war? Oder hoffen Sie, dass sich in der Zukunft
- in der Antwort auf die erwähnte Anfrage haben Sie ja
Erkenntnisse für Herbst 2005 in Aussicht gestellt - doch
noch positive Wirkungen ergeben könnten?
Herr Kollege, ich möchte die pauschale Feststellung,
die Sie treffen, dass der Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer quasi aufgehoben sei, korrigieren. Ältere Arbeitnehmer, die ein befristetes Arbeitsverhältnis begründen, haben aufgrund der Befristung natürlich keinen
Kündigungsschutz; das liegt im Wesen der Befristung.
Aber ältere Arbeitnehmer, die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen, haben selbstverständlich einen
Kündigungsschutz.
({0})
Insofern ist Ihre pauschale Aussage, die jedenfalls in Ihrer Fragestellung impliziert war, für meine Begriffe nicht
zutreffend. Wir hoffen nach wie vor, dass die Flexibilität, die wir mit der Ausweitung der Befristungsmöglichkeit geschaffen haben, von der Wirtschaft, den Unternehmen, den Arbeitgebern nach und nach zur Kenntnis
genommen und entsprechend praktiziert wird, sodass
dann ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zunehmend eingestellt werden.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie es sozusagen mit diesem
Mauseloch versucht haben, frage ich Sie, ob der Bundeskanzler mit der Feststellung, für Personen ab 50 Jahren
existiere so gut wie kein Kündigungsschutz mehr, Recht
hat.
({0})
Er kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass diese Rege-
lung bisher keine Beschäftigungswirkung gehabt hat.
Herr Kollege, ich muss Sie leider noch einmal korri-
gieren. Für Personen ab 50 Jahren, die in einem Beschäf-
tigungsverhältnis sind, besteht sehr wohl Kündigungs-
schutz. Wenn Sie beispielsweise die arbeitsgerichtliche
Rechtsprechung betrachten, dann können Sie feststellen,
dass der Kündigungsschutz für Personen über 50 Jahren,
die in bestehenden Arbeitsverhältnissen sind, aufgrund
der Sozialauswahl noch besser ist als der für jüngere Ar-
beitnehmer. Insofern ist diese pauschale Aussage nicht
zutreffend.
Die Fragen 23 und 24 des Kollegen Dirk Niebel so-
wie die Fragen 25 und 26 der Kollegin Dagmar Wöhrl
werden schriftlich beantwortet.1)
Ich rufe die Frage 27 der Kollegin Ina Lenke auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass es
durch die Anrechnung der Eigenheimzulage auf das Einkom-
men von ALG-II-Empfängerinnen und -Empfängern insbeson-
dere bei kinderreichen Familien dazu kommen kann, dass
Kredite für - auch im Vertrauen auf Leistungen der Eigenheim-
zulage - erworbenen Wohnraum nicht mehr getilgt werden
können und dadurch ein Verkauf oder eine Zwangsversteige-
rung des Eigenheims/der Eigentumswohnung unumgänglich
wird, obwohl kinderreiche Familien vor allem im städtischen
Raum kaum Chancen haben, eine geeignete und bezahlbare
Mietwohnung zu finden?
Sehr geehrte Frau Kollegin Lenke, wenn Sie es ge-
statten, möchte ich Ihre Fragen 27 und 28 zusammen be-
antworten.
Dann rufe ich noch die Frage 28 der Kollegin Ina
Lenke auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass nach
dem Verkauf oder der Versteigerung des Wohneigentums von
ALG-II-Empfängerinnen und -Empfängern bereits ausge-
zahlte und investierte Leistungen aus der Eigenheimzulage
und dem Baukindergeld ihre beabsichtigte Wirkung verfehlen,
weil die Empfänger der Leistungen am Ende doch ohne
Wohneigentum bleiben und stattdessen als Mieter auf Wohn-
kostenzuschüsse im Rahmen des ALG II angewiesen sind,
und, wenn ja, welche Maßnahmen wird die Bundesregierung
ergreifen, um zu verhindern, dass ALG-II-Empfängerinnen
und -Empfänger staatlich gefördertes Wohneigentum veräu-
ßern müssen?
Grundsätzlich sind bei der Gewährung von Arbeits-
losengeld II bzw. Sozialgeld alle vorrangig zur Verfü-
gung stehenden Einnahmen zu berücksichtigen. Sie kön-
nen so zu einer Minderung - gegebenenfalls bis zum
Wegfall - der Leistung führen. Entsprechend diesem
Grundsatz sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II als Ein-
kommen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit
Ausnahme weniger Sozialleistungen zu berücksichtigen.
Das SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende -
sieht eine Privilegierung der Eigenheimzulage nicht vor.
Zur Frage der Anrechnung der Eigenheimzulage auf die
1) Die Antworten werden zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt.
Leistung der Sozialhilfe, also Hilfe zum Lebensunterhalt, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden,
dass diese anzurechnen ist, weil es sich hierbei nicht um
eine zweckgebundene Leistung handelt. Dieser Grundsatz ist auch auf die Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende nach SGB II anzuwenden, da es sich dabei um eine staatliche, bedarfsorientierte und bedürftigkeitsabhängige Fürsorgeleistung handelt. Diese Fürsorgeleistung soll weder dem Vermögensaufbau dienen
noch diesen auf andere Weise fördern.
Dementsprechend handelt es sich bei einer Eigenheimzulage, die einem Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft ausgezahlt wird, um eine einmalige Einnahme im
Sinne des § 2 Abs. 3 Arbeitslosengeld II, die vom Beginn des Monats an zu berücksichtigen ist, in dem sie zufließt. Arbeitslosengeld-II-Empfänger, die zur Finanzierung ihres Eigenheims auf ein Darlehen angewiesen
sind, erhalten im Rahmen der Kosten für Unterkunft und
Heizung nach § 22 SGB II die angemessenen Darlehenszinsen. Tilgungsleistungen können hingegen nicht übernommen werden, da sie dem Vermögensaufbau dienen.
Die Bundesregierung fördert durch die Gewährung
der Eigenheimzulage die Schaffung von Wohnungseigentum. Es ist richtig, dass in den Fällen, in denen der
Verkauf oder die Zwangsversteigerung des Wohneigentums notwendig ist, die beabsichtigte Wirkung der Eigenheimzulage nicht erreicht wird. - Nach Ihrer Körpersprache zu urteilen, Frau Kollegin Lenke, wissen Sie
schon alles.
({0})
Wie gesagt: Es ist richtig, dass in den Fällen, in denen
der Verkauf oder die Zwangsversteigerung des Wohneigentums notwendig ist, die beabsichtigte Wirkung der
Eigenheimzulage nicht erreicht wird. Dies gilt aber nicht
nur für Arbeitslosengeld-II-Bezieher, denen die weitere
Finanzierung ihres Eigenheims nicht möglich ist. Ist die
Tilgung des Darlehens dadurch gefährdet, dass die Eigenheimzulage zur Sicherung des Lebensunterhaltes
verwendet werden muss, kann mit dem Kreditgeber
eventuell auch die Stundung der Darlehensrückzahlung
vereinbart werden.
({1})
- Ja, das ist die Rechtslage, nach der Sie gefragt haben.
Herr Staatssekretär, wenn Bundestagsabgeordnete,
weil Bürger in Not sind, die Bundesregierung fragen,
dann erwarte ich von Ihnen nicht nur, dass Sie mir die
Rechtslage deutlich machen, sondern dass Sie vielleicht
auch einmal selber überlegen, ob nicht seitens der Bundesregierung aufgrund der Neuerungen im Rahmen des
ALG II Veränderungen nötig sind, wenn sich solche
Dinge, wie ich sie dargestellt habe, auftun.
Deshalb meine Frage: Wie bewerten Sie das und welche Lösungen haben Sie? Sie haben all das aufgeführt,
was ich und sicher auch andere, die daran Interesse haben, schon recherchiert haben. Sie wissen ganz genau,
dass die Eigenheimzulage nicht zu berücksichtigen ist,
wenn sie nicht als bereite Einnahme zur Verfügung steht.
Das ist dann der Fall, wenn die Eigenheimzulage bereits
im Rahmen der Kreditfinanzierung wirksam an den Kreditgeber abgetreten worden ist. In diesem Fall hat der
Hilfsbedürftige keinen Zugriff mehr.
Ein anderer, der die Eigenheimzulage zwar abgetreten
hat, sich auch in dieser Notlage befindet, bei dem die
Abtretung aber jährlich erneuert wird, muss sie zurückzahlen. Das ist doch eine Ungleichbehandlung. Ich habe
in meinem Wahlkreis zum Beispiel eine Familie, die
fünf Kinder hat und in einem älteren Haus lebt. Der Vater ist jetzt arbeitslos geworden. Ich würde gerne einmal
von Ihnen wissen, was Sie als Bundesregierung vorhaben, um den Menschen, die die Eigenheimzulage bisher
zur Verfügung hatten, um ihre Zinsen zu bezahlen, damit
ihr Haus nicht zwangsversteigert wird, in dieser Notlage
zu helfen. Ich würde Sie gerne fragen: Was haben Sie
sich angesichts meiner Fragen, wobei Sie ja wissen, welche Ziele diese Fragen haben, überlegt?
Sehr geehrte Frau Kollegin Lenke, wenn Sie mich
nach der Rechtslage fragen, dann stelle ich die Rechtslage dar.
({0})
Wenn Sie nach Lösungen fragen, dann nenne ich Ihnen
Lösungen. Wenn ich Ihre Fragen recht in Erinnerung
habe - ich kann sie vorlesen; das möchte ich mir
ersparen -, dann haben Sie nicht nach Lösungen gefragt.
({1})
Sie haben vielmehr gefragt: Ist der Sachverhalt, bezogen
auf diese Familie, wirklich so? Dazu kann ich nur sagen:
Dieser Sachverhalt ist rechtlich so, wie ich ihn dargestellt habe.
Jetzt kommen wir zu der Frage der Lösung. In diesem
Fall ist eine Lösung mit Sicherheit nicht von der Bundesregierung innerhalb eines weiteren Gesetzentwurfes
zu finden. Im gesamten Gesetzeswerk zum Arbeitslosengeld ist vielmehr vorgesehen, dass man dann, wenn es
sich um einen besonderen Härtefall handelt, vor Ort zu
pragmatischen Lösungen kommt.
({2})
Dazu wird es mit Sicherheit keiner Intervention der Bundesregierung bedürfen. Vielmehr werden die handelnden
Institutionen vor Ort schauen, wie weit die gesetzliche
Regelung geht und ob es nach den Gesetzen aufgrund eines Härtefalles möglicherweise zu einer Stundung, einer
Verhinderung der Zwangsversteigerung etc. kommen
kann. Sie werden wohl kaum erwarten, dass das das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit durchgreifend erledigen kann.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich kann Ihnen sagen, dass der
Landkreis Verden, der für diese Familie zuständig ist,
({0})
keinen Ermessensspielraum gesehen hat und diesem
Ehepaar gesagt hat: Sie sollen klagen. Ich finde, dass die
Bundesregierung dann, wenn sich zeigt, dass bei einem
neuen Gesetz irgendetwas nicht in Ordnung ist und für
bestimmte Personen eine Notlage entsteht, sagen sollte:
Hier müssen Änderungen vorgenommen werden.
({1})
Es gibt hier anscheinend
Frau Kollegin!
- ja, meine Frage - keinen Ermessensspielraum. Deshalb frage ich - denn das steht in Frage 28, Herr Staatssekretär -: Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um zu verhindern, dass ALG-IIEmpfängerinnen und -Empfänger staatlich gefördertes
Wohneigentum veräußern müssen?
Dazu würde ich gern noch eine Anmerkung machen.
Wir haben heute parallel die Anhörung zum TAG, zum
KICK, dem Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe, und zum Entwurf
eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich, KEG, sowie zum Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch.
Auch dabei geht es um Bedürftige. Im Zusammenhang
mit der Feststellung der zumutbaren Belastung steht in
einem Änderungsantrag der SPD und der Grünen in Bezug auf dieses Gesetz:
Bei der Einkommensberechnung bleibt die Eigenheimzulage nach dem Eigenheimzulagegesetz
außer Betracht.
Warum kann die Bundesregierung nicht im Zusammenhang mit dem, was ich bezüglich des ALG II als
Problematik aufgeführt habe, handeln? Das ist meine
Frage. Und da würde ich Sie bitten, dass Sie mir jetzt
über das, was Sie bisher genannt haben, hinaus vielleicht
noch andere Lösungsvorschläge vortragen.
({0})
Sehr geehrte Frau Kollegin, vielleicht wissen Sie,
dass im Zuge der Durchführung von Hartz IV eine
Schiedskommission unter Vorsitz des Exministerpräsidenten Biedenkopf eingerichtet worden ist; diese Kommission sammelt genau solche Härtefälle und Problemfälle wie den von Ihnen geschilderten. Sie wird in der
Mitte des Jahres oder am Ende des Jahres auf diese Problemfälle mit Veränderungsvorschlägen reagieren.
Zum einen schlage ich Ihnen vor, dass Sie den Fall,
den Sie hier geschildert haben, bei dieser Kommission
einreichen; zum anderen biete ich Ihnen an, dass Sie diesen Fall auch mir vorlegen und ich nach Wegen suche
- ich kann Ihnen nicht versprechen, ob ich sie finde -,
um an diesem Punkt das Schlimmste zu verhindern.
Bitte schön, Frau Lenke.
Ich bedanke mich sehr herzlich dafür, Herr Staatssekretär, dass Sie Ihre persönliche Hilfe angeboten haben. Denn Sie wissen ja: Wenn die betroffene Familie
- es ist eine Familie mit fünf Kindern - keine Unterstützung erhält, dann kann es unter Umständen passieren,
dass die Banken nicht stillhalten und dass die Familie
aus dem Haus ausziehen muss.
({0})
Wir wissen ja, dass das unter Umständen den Steuerzah-
ler noch mehr Geld kosten würde.
Ich bedanke mich herzlich dafür, dass wir miteinan-
der zu einem konstruktiven Ende gekommen sind.
Danke.
Gerne.
Eine typische Frage war das zuletzt Gesagte nicht. Ich
mache noch einmal darauf aufmerksam: Gelegentlich ist
es schwierig, die kunstvolle Gratwanderung zwischen
Debatte und Fragestunde zu bewältigen.
Die Fragen 29 und 30 des Kollegen Hinsken werden
schriftlich beantwortet.1)
Ich rufe somit Frage 31 des Kollegen Heiderich auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Abweichung zwischen ihrer am 6. April 2005 in ihrer Kabinettsitzung beschlossenen Stellungnahme zu Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b des
Gesetzesentwurfs des Bundesrates zur Änderung des Postgesetzes - Bundesratsdrucksache 33/05 ({0}) -, wo sie
die vorgeschlagene Änderung insgesamt ablehnt, obwohl sie
bisher, zum Beispiel auf dem BDI/DIHK-Workshop ({1}) am 13. Oktober 2004 in
Bonn sowie in der Stellungnahme der Bundesregierung an die
EU-Kommission im kartellrechtlichen Verfahren gemäß
Art. 86 EG gegen die Bundesrepublik Deutschland - verglei-
che Beschluss des Bundeskartellamtes gegen die Deutsche
Post AG vom 11. Februar 2005, Seite 46, Az. B 9 - 55/03 -,
eine Änderung in § 51 Abs. 1 Nr. 5 Postgesetz hinsichtlich der
Streichung der Verpflichtung für „denjenigen, der Briefsen-
dungen im Auftrag des Absenders bei diesem abholt“, diese
bei der nächsten oder einer Annahmestelle der Deutschen
1) Die Antworten werden zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt.
Post AG innerhalb derselben Gemeinde einzuliefern, unterstützt hat?
Sehr geehrter Herr Kollege Heiderich, ich beantworte
Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung sieht keinen
Widerspruch in ihrem bisherigen Vorgehen. Die Frage
zielt auf die Aufhebung der örtlichen Einlieferbeschränkung für Unternehmen ab, die im Auftrag eines Absenders für diesen bei der Deutschen Post AG Sendungen
einliefern. Nach Auffassung der Bundesregierung sollen
derartige Unternehmen dies entsprechend dem zwischen
dem Absender und der Deutschen Post AG bestehenden
Vertrag auch bei den Briefzentren der Deutschen
Post AG tun können und nicht auf die nächste Annahmestelle oder eine andere Annahmestelle innerhalb derselben Gemeinde beschränkt sein. Rücksprachen mit der
Deutschen Post AG wie auch mit den Wettbewerbern haben ergeben, dass es bereits heute gängige Übung und
damit branchenbekannt ist, dass Einlieferungen auch
von Wettbewerbern überall erfolgen können. Insofern
hätte eine eventuelle Gesetzesänderung allenfalls klarstellende Wirkung.
Bitte schön, Herr Heiderich.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden,
dass die Bundesregierung nicht länger der Auffassung
ist, dass der zitierte Absatz aus § 51 gegen das Recht der
Europäischen Union verstößt, und sie insofern ihre Position auch nicht weiter aufrechterhält, die sie gegenüber
dem Bundesrat dargestellt hat?
Wenn die faktische Situation so ist, wie ich sie geschildert habe, dann hat sie möglicherweise die gesetzliche überholt.
Zweite Zusatzfrage.
Ich möchte zusätzlich fragen, ob bei der Bundesregierung eine untergesetzliche Regelung in Bearbeitung ist,
mit der der Vorgang so klargestellt wird, wie Sie das
eben mir gegenüber geschildert haben.
Eine solche untergesetzliche Regelung ist nicht in Bearbeitung. Aber ich bin gern bereit, nachzuhören, ob eine
Klarstellung des von mir dargestellten Sachverhalts, in
welcher Form auch immer, erfolgen kann.
({0})
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Karl Addicks auf:
Ist nach Meinung der Bundesregierung 16 Millionen Tonnen pro Jahr die Mindestmenge an Steinkohle, die gefördert
werden muss, damit deutsche Bergbautechnik hierzulande in
einem Maße eingesetzt werden kann, das zur Sicherung des
Know-hows dieses Industriezweigs ausreichend ist, und wie
viele Arbeitsplätze würden zur Förderung dieser Mindestmenge noch benötigt werden ({0}) ?
Sehr geehrter Herr Kollege Addicks, die Bundesregierung wird die deutsche Steinkohlenförderung bis
zum Jahre 2012 wie allgemein bekannt auf 16 Millionen
Tonnen zurückführen. Die unternehmerische Entscheidung, in welchen Bergwerken und mit wie vielen Arbeitnehmern die weitere Förderung erfolgen wird, obliegt
der RAG. Mit dieser Förderung ist einerseits die weitere
sichere Energieversorgung unter Berücksichtigung des
heimischen Energieträgers Steinkohle möglich, andererseits wird die Sicherung des Know-hows der deutschen
Bergbauzulieferindustrie ermöglicht.
Deutschland ist beim Export von Bergbautechnik die
mit Abstand führende Nation in der Europäischen Union
und auch weltweit die Nummer eins. Vom Gesamtumsatz der Bergbaumaschinenindustrie in 2004 in Höhe
von 1,8 Milliarden Euro entfallen rund 70 Prozent auf
den Export. Diese Position ist vor allem auf den hohen
Entwicklungsstand der Technik für den untertägigen
Steinkohlenbergbau in Deutschland zurückzuführen. Der
Weiterentwicklung dieser modernen Technologie in
deutschen Bergwerken kommt somit auch eine wichtige
Rolle für den Industriestandort Deutschland zu.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Addicks.
Herr Staatssekretär, ich hatte diese Frage schon einmal schriftlich gestellt. Damals wurde der Kern der
Frage ebenso wenig beantwortet wie jetzt hier. Ich
möchte gerne von Ihnen wissen, wie viele Millionen
Tonnen Steinkohle nach Ansicht der Bundesregierung
mindestens gefördert werden müssen, um das Knowhow, das wir natürlich in unserem Land halten wollen,
zu sichern. Sie sprechen davon, die Jahresförderung auf
16 Millionen Tonnen zurückzuführen. Ist das Ihre Mindestfördermenge?
Die Frage, wie hoch die Mindestförderung sein muss,
um einen bergbautechnologischen Standort zu halten,
kann ich Ihnen wirklich nicht beantworten.
Es wäre jedoch interessant gewesen, das zu wissen.
Das hält aber -
Der Austausch über die Frage, was interessant gewesen wäre, ist hochgradig hypothetisch. Ich würde deswegen sehr empfehlen, von der Möglichkeit einer weiteren
konkreten Frage Gebrauch zu machen oder auch nicht.
Ich verzichte auf eine weitere Frage.
Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Karl Addicks auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
Feststellungen des Sachverständigenrats zur Begutachtung
der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Jahresgutachten 2003/04, wonach durch die Einstellung der Steinkohlenförderung in Deutschland die Sicherheit der Energieversorgung nicht gefährdet wird und, falls es für den Export von
Fördertechnologie notwendig ist, Versuchs- und Probebergwerke zu betreiben, es in erster Linie Aufgabe der entsprechenden Unternehmen ist, diese Basis ihrer Exporttätigkeit
selbst zu finanzieren ({0})?
Angesichts hoher und weiter wachsender Importabhängigkeit bei Energierohstoffen stellt der Zugang zu
eigener Steinkohle ein wichtiges Element der Versorgungssicherheit dar. Darüber gibt es derzeit eine sehr aktuelle Diskussion, die Sie kennen. Die Steinkohlenhilfen
sind seit Jahren degressiv ausgestaltet. So wird die Steinkohlenförderung von gegenwärtig 26 Millionen Tonnen
bis zum Jahr 2012 auf - die Zahl wurde bereits genannt
- 16 Millionen Tonnen zurückgeführt. Dies liegt auf der
Linie der Feststellung des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Neue Bergbautechnik wird weltweit aufgrund der hohen Kosten nur in aktiven Bergwerken und im Tagebau
eingesetzt und unter echten Einsatzbedingungen weiterentwickelt. Ein Wegfall der Einsatzmöglichkeit in
Deutschland würde sich somit auch auf die Erhaltung
der Arbeitsplätze in über 120 mittelständischen Unternehmen auswirken.
Zusatzfrage.
Weshalb ist die Beurteilung der Versorgungssicherheit in Deutschland so grundsätzlich anders, sodass wir
die Steinkohle unbedingt für unsere nationale Energiereserve brauchen, während man in Frankreich vor kurzem die letzte Steinkohlenzeche geschlossen hat? Worin
besteht der generelle Unterschied zu Frankreich? Warum
ist das bei uns Ihrer Ansicht nach so unsicher?
Herr Kollege Addicks, Sie und ich wissen, dass die
Frage - deshalb komme ich auf die vorhergehende Frage
zurück -, die nach der Mindestfördermenge von Steinkohle, nicht mit der Frage verknüpft werden darf, wie
wir die Technologiestandards in diesem Bereich, über
die wir verfügen und die wir exportieren, erhalten können.
Das ist vielmehr eine politische Frage, die die Bundesregierung so, wie ich es hinsichtlich der 16 Millionen
Tonnen geschildert habe, beantwortet hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wie bewertet die Bundesregierung in Anbetracht der
sich in letzter Zeit im saarländischen Lebach häufenden
Erdbeben, von denen die dort lebende Bevölkerung sehr
stark betroffen ist, die Möglichkeiten, das Berggesetz
angesichts dieser Nebenwirkungen zu ändern, um statt
eines Sofortvollzugs einen Sofortstopp zu erreichen?
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Aber
ich bin gern bereit, Ihnen die Beantwortung dieser Frage
schriftlich nachzureichen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Thalheim zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 34 des Kollegen Mayer auf:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über Fehlurteile
bzw. fehlerhafte Untersuchungen durch die Stiftung Warentest e. V., gegebenenfalls über deren wirtschaftliche Folgen
für einzelne davon betroffene Unternehmen und, wenn ja,
welche?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Mayer, Ihre Frage beantworte ich wie
folgt: Im September 2002 wurde in der Zeitschrift
„Finanztest“ ein Test über so genannte Riester-Rentenversicherungen veröffentlicht, der einen systematischen
Fehler enthielt. Die Stiftung Warentest hat auf diesen
Fehler professionell reagiert, die diesbezügliche Ausgabe nach ihrem Erscheinen unverzüglich vom Kiosk
zurückgeholt und in der folgenden Ausgabe einen überarbeiteten und korrigierten Testbericht veröffentlicht.
Weitere Fehlurteile oder fehlerhafte Untersuchungen
der Stiftung Warentest sind der Bundesregierung nicht
bekannt. Über etwaige wirtschaftliche Folgen für betroffene Unternehmen liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.
Die Stiftung Warentest hat sich im Laufe ihrer 40-jährigen Arbeit eine allseits anerkannte, überaus hohe Wertschätzung erworben. Einer der maßgeblichen Gründe für
die erfolgreiche Arbeit der Stiftung ist neben der in ihrer
Satzung festgeschriebenen Unabhängigkeit ihre qualitativ hochwertige Testarbeit.
Bitte schön, Herr Kollege Mayer.
Herr Staatssekretär, welche Konsequenzen - insbesondere hinsichtlich der Gewährung des Bundeszuschusses von immerhin 6,5 Millionen Euro pro Jahr - würde
die Bundesregierung ziehen, wenn die Stiftung Warentest zukünftig zu Schadenersatzleistungen verurteilt werden würde?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Mayer, die rein hypothetische Frage,
was geschehen würde, wenn eine Gerichtsentscheidung
dies zum Ergebnis hätte, kann ich Ihnen nicht beantworten, zumal ich in der Antwort, die ich Ihnen gegeben
habe, darauf hingewiesen habe, dass sich die Stiftung
Warentest in der Öffentlichkeit hohes Ansehen und großes Vertrauen erworben hat.
Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass es
in den letzten Jahren nur etwa zehn Rechtsstreitigkeiten
pro Jahr gegeben hat und die jeweilige Untersuchung der
Stiftung Warentest in 90 Prozent der Fälle vom zuständigen Gericht nicht beanstandet worden ist. Bisher musste
in keinem einzigen Fall Schadenersatz geleistet werden.
Das ist der Hintergrund für meine Antwort, dass dies
auch für die Zukunft nicht zu vermuten ist. Wenn allerdings ein solcher Einzelfall vorkäme, dann müsste er in
Relation zu den Gerichtsentscheidungen der letzten
Jahre gesehen werden. Für eine Kürzung des Bundeszuschusses gäbe es aber auch dann überhaupt keine Begründung.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe noch eine konkrete
Nachfrage: Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung, um zu überprüfen, wie die von mir erwähnten immerhin 6,5 Millionen Euro, die die Stiftung
Warentest pro Jahr erhält, verwendet werden
({0})
Stephan Mayer ({1})
und ob die Seriosität und Ordnungsgemäßheit der entsprechenden Überprüfungen und Maßnahmen eingehalten werden?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Die zuletzt von mir zitierten Zahlen, der Hinweis auf
den Erfolg bei Rechtsstreitigkeiten und die öffentliche
Würdigung der Arbeit der Stiftung Warentest sind die
Gründe für meine Antwort, dass dieser Fall rein hypothetisch ist. Wir sehen überhaupt keinen Handlungsbedarf, zumal uns auch von der Satzung her keine Handlungsmöglichkeit gegeben wäre. Durch die Satzung hat
der Bund lediglich auf die Besetzung des Verwaltungsrates Einfluss. Auf die Arbeit der Stiftung hat der Bund
aber keinen direkten Einfluss. Ich möchte hinzufügen:
Das ist auch gut so und hat letztendlich der Unabhängigkeit der Stiftung und ihrer Arbeit, auch aus Sicht der Öffentlichkeit, sehr gut getan.
Zusatzfragen liegen hierzu nicht vor.
Die Fragen 35 und 36 der Kollegin Connemann werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin
Probst zur Verfügung.
Ich rufe Frage 37 der Kollegin Veronika Bellmann
auf:
Welcher Prozentsatz der in der so genannten EU-Feinstaubrichtlinie - 99/30/EG - erwähnten Chemikalien und
Feinstäube wird tatsächlich von Menschen verursacht und wie
viele dieser so genannten anthropogenen Schadstoffe stammen aus Deutschland?
Sehr geehrte Frau Kollegin, die Richtlinie 1999/30/EG
regelt die Stoffe Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Stickstoffoxide und Partikel, allgemein unter Feinstaub bekannt, und Blei. Die Stoffe Stickstoffdioxid, Stickstoffoxid und Blei werden nahezu ausschließlich anthropogen
erzeugt. Bei dem Stoff Schwefeldioxid und den Partikeln
ist es anders: Hier kann der natürliche Anteil unter bestimmten Bedingungen nennenswert sein. Deshalb sind
in der Richtlinie für genau diese Stoffe entsprechende
Regelungen vorgesehen. Über diese beiden Stoffe kann
man sagen: Schwefeldioxidemissionen entstehen in der
Nähe von Vulkanen oder bei anderen geothermischen
Aktivitäten; dieses ist für Deutschland nicht relevant.
Natürliche Partikel bilden sich aber auch durch Aufwirbelung von Erdkrustenmaterial oder aus Seesalz. Abschätzungen hierfür, die man aufgrund von Modellrechnungen und Messungen vornehmen kann, kommen zu
dem Ergebnis, dass der Anteil der natürlichen Partikel an
der Luftbelastung in Deutschland weniger als 5 Prozent
ausmacht. Der Anteil von Seesalz kann in küstennahen
Gebieten 10 Prozent betragen.
Die „Importe“ aus den Nachbarländern tragen sehr
unterschiedlich, insbesondere regional unterschiedlich,
zur Luftbelastung bei. In Ballungsräumen oder an stark
befahrenen Straßen ist der aus dem Ausland stammende
Anteil deutlich niedriger als in ländlichen Gebieten. Bei
Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Partikeln kann dieser Anteil prozentual - das muss man immer sehen zwischen 10 und 20 Prozent liegen; bei Blei spielen solche Ferntransporte keine Rolle.
Eine Zusatzfrage.
In Deutschland hat sich infolge der Umsetzung dieser
EU-Richtlinie durch die Bundesregierung regelrecht
eine Filterhysterie ausgebreitet. Man schiebt alles nur
auf die Kfz-Ausstöße. Ich habe daher folgende Zusatzfrage: Sehen auch Sie die Tendenz weg von der Festschreibung von Grenzwerten hin zur Festschreibung einer bestimmten technischen Ausführung, nämlich eines
Rußfilters?
Diese Einschätzung teile ich überhaupt nicht. Es geht
wirklich um den Grenzwert. Dieser ist davon abhängig,
welche Gesundheitsgefährdung wir in Kauf nehmen.
Um diesen Grenzwert einzuhalten, spielt der Partikelfilter eine herausragende Rolle. Wenn es andere Möglichkeiten gäbe, die Luftreinhaltung durch Kfz zu gewährleisten, gäbe es keine Präferenz für eine bestimmte
Technik. Aber in diesem Fall ist nur diese Technik auf
dem Markt. Aktuell ist die Situation doch die, dass viele
Bürgerinnen und Bürger alarmiert sind und sich um ihre
Gesundheit sorgen.
Es geht aber nicht nur um den Kfz-Bereich, es geht
auch um Industrie und Gewerbe. Sie wissen, dass die
Bundesregierung die Großfeuerungsanlagenverordnung
und die TA Luft novelliert hat und dass gerade den Städten und Gemeinden durch Verkehrsleitsysteme, durch
die Verbesserung des ÖPNV, durch Umrüstung ihrer eigenen städtischen Fuhrparks und anderes viele Möglichkeiten gegeben sind, um die Feinstaubbelastung gering
zu halten. Ich wiederhole: Es geht darum, welche Gesundheitsgefährdung wir in Kauf nehmen, es geht nicht
darum, singulär eine bestimmte Technik zu fördern.
Wenn es aber eine Technik gibt, die die größten Erfolge
ermöglicht, sollte man natürlich darauf setzen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Daran anschließen möchte ich eine Zusatzfrage bezüglich der Angleichung der EU-Richtlinie an den wissenschaftlichen Fortschritt bzw. deren Umsetzung. Wir
konnten dieser Tage lesen, dass das Herausfiltern von
Rußpartikeln - ich beziehe mich auf die Ausstöße von
Kfz - nicht ausreichend ist bzw. zu einer noch größeren
Gefährdung und Konzentration der Partikel, insbesondere der Feinstäube, führt, weil sich kleine Partikel nicht
mehr an die großen anhängen können; das ist chemisch
nun einmal so.
Es wurde gesagt, dass die EU mit ihrer in der Richtlinie getroffenen Festlegung der Grenze in Bezug auf die
Mikrometerbelastungen den wissenschaftlichen Erkenntnissen hinterherhinkt. Inwiefern kann die Bundesregierung hier gegensteuern bzw. in der EU darauf hinwirken, dass es dort zu einer Angleichung kommt?
Ich denke, wir sind sehr froh, dass wir eine Luftqualitätsrichtlinie haben, die Regelungen über die Partikel in
der Größenordnung von PM 10 enthält. Sie haben aber
Recht, dass in der wissenschaftlichen Diskussion auch
kleinere Partikel mit der Größe PM 2,5 als sehr gesundheitsgefährdend eingeschätzt werden. Deshalb wird auf
EU-Ebene darüber diskutiert, auch hier Regelungen vorzusehen. Diese Diskussion wird von der Bundesregierung unterstützt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dreßen.
Frau Staatssekretärin, man hört nur von Feinstaubmessungen in Großstädten, zum Beispiel in Düsseldorf,
Stuttgart und München, und dass dort die Grenze überschritten worden ist. Ich komme aus dem ländlichen
Raum. Deshalb lautet meine Frage: Wird im ländlichen
Raum überhaupt nicht gemessen oder ist dort die Feinstaubentwicklung gravierend niedriger?
({0})
Natürlich wird auch im ländlichen Raum gemessen.
({0})
Wenn Sie konkrete Regionen im Blick haben, empfehle
ich Ihnen, auf der Homepage des Umweltbundesamtes
nachzusehen. In Ballungsgebieten und in Städten mit einer schwierigen topographischen Lage ist dieses Problem sicherlich evidenter und es liegt eher auf der Hand,
aber natürlich gibt es auch im ländlichen Bereich stark
befahrene Straßen, sodass der Schutz der Anwohner sowie der Bürgerinnen und Bürger dort genauso gewährleistet werden muss wie in Ballungsgebieten. Das Umweltbundesamt gibt auf seiner Homepage Auskunft
darüber, wo die Messstellen sind. Wir sind immer offen
für eine Diskussion darüber, wie wir diese Verfahren, in
die auch die Länder maßgeblich involviert werden, optimieren können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Fischer.
Frau Staatssekretärin, bei dem unglaublichen Engagement dieser Regierung in den letzten Tagen frage ich
Sie: Seit wann sind die Fahrzeuge der Bundeswehr mit
Rußpartikelfiltern ausgerüstet?
Über die Fahrzeuge der Bundeswehr müsste ich mich
bei den Kollegen aus dem Verteidigungsministerium erkundigen. Ich werde das gerne tun und Ihnen die Antwort schriftlich zukommen lassen.
Ich rufe noch die Frage 38 der Kollegin Veronika
Bellmann auf:
In welcher Größenordnung würde die Feinstaubbelastung
verringert, wenn alle Kraftfahrzeuge in Deutschland mit entsprechenden Rußfiltern ausgestattet würden, und ist es wahr,
dass gemäß EU-Feinstaubrichtlinie auch die durch Kraftfahrzeuge angesaugten - nicht anthropogenen - Feinstäube zulasten der Feinstaubbilanz dieser Fahrzeuge gehen?
Frau Kollegin, wenn alle Dieselfahrzeuge in Deutschland mit Partikelfiltern, die einen Wirkungsgrad von größer als 90 Prozent haben, ausgestattet würden, dann
hätte dies zur Folge, dass die gesamte Feinstaubbelastung in einer exemplarisch angenommenen stark befahrenen Straße in Berlin um bis zu 30 Prozent abnehmen
könnte. In der Praxis muss man aber sagen, dass nur
Fahrzeuge der neuesten Generation mit derart leistungsfähigen Systemen ausgestattet werden. Bei nachgerüsteten älteren Fahrzeugen ist der Wirkungsgrad niedriger.
Sie haben in Ihrer Frage einen zweiten Teil angesprochen. Damit knüpfen Sie an meine Antwort auf die
Frage 37 an, dass der Anteil der natürlichen Partikel an
der Luftbelastung in Deutschland nur wenige Prozent
beträgt, sodass die durch die Kraftfahrzeuge angesaugten nicht anthropogenen Feinstäube in der Feinstaubbilanz dieser Fahrzeuge keine maßgebliche Rolle spielen.
Aus meiner Antwort zum ersten Teil der Frage 38 erkennen Sie, dass der Partikelfilter einen großen Anteil hat.
Die anderen Maßnahmen, die ich vorhin bei der Beantwortung Ihrer ersten Frage exemplarisch genannt habe,
müssen aber natürlich auch greifen. Wir müssen alles
tun, um die Feinstaubbelastung zu reduzieren.
Eine Zusatzfrage.
Das ist vollkommen einsichtig. Ich habe noch eine
Frage zu Ihrer Einschätzung. Aufgrund der Vielzahl anderer Probleme, die sowohl Deutschland als auch diese
Regierung ohnehin schon haben, hat das Thema Feinstaub, wie ich vorhin schon sagte, die Bundesregierung
derart überlastet, dass man sich fragen muss, wie das in
anderen Ländern gehandhabt wird; denn auch dort gibt
es sicherlich eine solche Belastung.
In diesen Ländern ist die Umweltpolitik bei weitem
nicht so fortschrittlich, wie dies hier seit Jahren der Fall
ist. Wie wird das dort gehandhabt? Welche Maßnahmen
werden ergriffen, wenn der Grenzwert überschritten
wird?
Das kann man pauschal nicht beantworten. Die EURichtlinie ist natürlich in allen EU-Staaten gültig. Wir
haben in der Diskussion gesehen, dass zum Beispiel
auch die Industrie einen maßgeblichen Anteil an der Belastung hat. In Frankreich haben die Automobilhersteller
sehr früh auf die Partikelfilter gesetzt und sie serienmäßig eingebaut. Ich bin sehr froh, dass dies nun auch in
Deutschland in die Wege geleitet wird. Wir haben ein
großes Interesse daran, dass das, was wir in den Städten
und Kommunen tun können, auch gemacht wird und
dass die Gesamtfeinstaubbelastung ebenso in den anderen EU-Ländern reduziert wird.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Homburger.
Frau Staatssekretärin, könnten Sie uns bitte den Anteil mitteilen, der bei den Feinstaubemissionen im
Schnitt auf den Verkehr entfällt? Beim Verkehr geht es
nicht nur um Feinstaub aus Dieselruß, sondern es geht
auch um den Abrieb von Reifen, die Aufwirbelung von
Staub, der auf der Straße liegt, und um den Abrieb beispielsweise von Bremsbelägen. Wie hoch ist deren Anteil an den Feinstaubbelastungen?
Es ist nicht möglich, diese Frage pauschal zu beantworten, weil in jeder Stadt und in jeder Straße eine andere Situation vorherrscht. Wenn wir im Umweltausschuss weiterhin über dieses Thema diskutieren, werden
wir über viele Maßnahmen debattieren. Ich habe vorhin
die Großfeuerungsanlagenverordnung und die TA Luft
genannt. Diese Maßnahmen zeigen insbesondere in Gebieten, in denen sich sehr viel Industrie und Gewerbe angesiedelt haben, eine große Wirkung. Dort, wo es um
den Straßenverkehr und um Dieselfahrzeuge geht - besonders dann, wenn der Lieferverkehr sehr hoch ist -,
haben diese Maßnahmen einen sehr viel höheren Anteil.
Insofern kann diese Frage nicht pauschal beantwortet
werden.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Die Fragen 39 bis 54 werden schriftlich beantwortet
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Religionspolitik des Berliner Senats und
Grundgesetz
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Dr. Hermann Kues für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Absicht des Berliner Senats, getragen von SPD und
PDS, ab dem Schuljahr 2006 den ohnehin freiwilligen
Religionsunterricht der Kirchen und Religionsgemeinschaften abzudrängen und faktisch durch eine staatlich
organisierte Wertevermittlung zu ersetzen, ist für die
Union nur eines: Ein Anschlag auf die Bekenntnis- und
Gewissensfreiheit in unserem Lande.
({0})
Das Ganze geht weit über die Berliner Landespolitik
hinaus. Es ist eine Kampfansage an den Grundkonsens
unserer pluralen Gesellschaft, wenn zum Beispiel Schülerinnen und Schüler, die religiös gebunden sind, keine
Chance haben, sich vom staatlich verordneten Werteunterricht abzumelden. Nach unserem Verständnis muss
der Staat Freiheiten garantieren und nicht Werte normieren.
({1})
Religionsfreiheit ist eines der vornehmsten Menschenrechte. Die Legitimation des Religionsunterrichtes
im geltenden Verfassungsrecht folgt aus der Verpflichtung des freiheitlich-demokratischen Staates. Wegen der
weltanschaulichen Neutralität des Staates und seiner
Verantwortung für das Schulwesen hat er dafür zu sorgen, dass religiöse Bezüge als Erfahrungsgut der Schülerinnen und Schüler nicht ausgeblendet werden, sondern
in das auf ganzheitliche Persönlichkeitsbildung ausgerichtete Unterrichtsprogramm fachlich einbezogen werden. Ich will es einmal so formulieren: Jede Generation
hat einen Anspruch darauf, mit religiösen Erfahrungen
konfrontiert zu werden. Dies gilt umso mehr, als wir
wissen, dass unser Staat und unsere Verfassung ohne die
religiösen Traditionen, die wir in unserem Lande haben,
nicht denkbar wären.
({2})
Lassen Sie mich Bischof Wolfgang Huber zitieren:
Seelenlose „Religionskunde“ kann den Religionsunterricht nicht ersetzen. Man braucht ein eigenes
Verhältnis zu Gott, zur Nächstenliebe und zu gelebtem Glauben, wenn man andere darin unterrichten
will. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Staates,
das Christentum aus unseren Schulen zu verdrängen. Das verletzt die Pflicht des Staates zu religiöDr. Hermann Kues
ser Neutralität. Es widerspricht auch dem demokratischen Miteinander.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
({3})
Ich sage Ihnen ganz offen: Das, was sich hier in Berlin abspielt, riecht verdammt nach DDR.
({4})
Bei der PDS - das sage ich auch ganz deutlich - wundert
mich das nicht. Dass sich aber 77 Prozent der Berliner
SPD auf dem Landesparteitag in unserer Bundeshauptstadt dem religionsfeindlichen Geist, der dahinter steckt,
anschließen,
({5})
macht mich auch im Hinblick auf die deutsche Vergangenheit fassungslos. Das ist ein gefährlicher Weg. Das
ist ein verantwortungsloser Irrweg.
({6})
Es werden in diesen Tagen kräftig Nebelkerzen geworfen, auch wenn ich das Engagement des stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden Wolfgang Thierse ausdrücklich anerkenne, wiewohl er nur eine kleine
Minderheit darstellt. Herr Müntefering sagt, Kulturpolitik sei Sache der Länder.
({7})
Tiefer gehende Zusammenhänge versucht er auszublenden. Der eigentliche Höhepunkt ist aber die Art und
Weise der Argumentation des Regierenden Bürgermeisters, der sagt, es ändere sich eigentlich gar nichts. Eine
Zeitung hat heute geschrieben, das sei entweder Ignoranz oder Dummheit.
({8})
Man muss sich ein wenig das Umfeld dieser Entscheidung ansehen; dann merkt man auch, was beabsichtigt
ist. Michael Müller, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, hat gesagt, die Mittel für den Religionsunterricht könnten sowieso gekürzt werden, da künftig
ohnehin weniger Schülerinnen und Schüler daran teilnehmen würden. Monika Buttgereit hat sogar gesagt, sie
möchte den Katholiken nicht absprechen, dass sie auch
Werte hätten - sehr großzügig, kann ich nur sagen -,
aber das seien nicht die Werte, die sie mit Schülern diskutiert haben wolle. Das sagte sie im „Spiegel“ dieser
Woche. Das ist eine deutliche Kampfansage.
({9})
Ich will auch nicht verhehlen, dass mich sehr wohl
beschäftigt, welch enge Verbindung es zwischen dem
Berliner Senat von SPD und PDS und dem atheistischen
Humanistischen Verband gibt. Der Verband hat heute
eine Presseerklärung herausgegeben, in der es unter anderem heißt, man müsse jetzt aufpassen, dass bei dem
neuen Fach unter fachlichen und personellen Gestaltungsgesichtspunkten nicht diejenigen, die sich für Religion einsetzen würden, wieder einen Fuß in die Tür bekämen.
({10})
Das heißt also, wer irgendwie religiös orientiert ist, soll
demnach dieses Fach nicht unterrichten dürfen. Der Humanistische Verband ist schon dabei, ein Konzept zu entwickeln,
({11})
weil er die Unterrichtung dieses Faches für sich reservieren will.
Der Kultursenator des Berliner Senats, Herr Flierl
({12}), der diesem Verband, wenn ich es richtig sehe,
auch angehört, hat dafür gesorgt, dass dieser Verband
Jahr für Jahr 580 000 Euro aus dem wahrlich klammen
Berliner Haushalt bekommt. Diese Einrichtung wird im
Verhältnis zu den Kirchen überproportional gefördert.
({13})
Die Ausgaben für Kirchen und Religionsgemeinschaften
werden stattdessen systematisch gekürzt.
Deswegen sage ich ganz deutlich: Toleranz setzt voraus, dass man sich selbst darüber im Klaren ist, wer
man eigentlich ist. Dazu gehört Religion. Toleranz ohne
eine eigene Position fördert Orientierungslosigkeit und
Beliebigkeit. Wir unterstützen die Kirchen in Berlin und
auch die Jüdische Gemeinde bei ihrem Einsatz für das
Fach Religion als Wahlpflichtfach.
Herzlichen Dank.
({14})
Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Wilhelm
Schmidt das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kues, lassen Sie die Kirche im Dorf, auch im Dorf
Berlin.
({0})
Als Kirchenbeauftragter meiner Fraktion will ich um
der Sache willen auch einen Beitrag zum Religionsfrieden liefern. Das ist der Angelegenheit, wie sie in den
vergangenen Wochen und Monaten behandelt worden
ist, sicherlich angemessen.
Ich glaube, dass es nicht richtig ist, wenn Sie von
einem Abdrängen oder faktischen Abschaffen des Christentums und der Abschaffung der Religionsfreiheit sprechen.
({1})
Wilhelm Schmidt ({2})
Ich halte es auch nicht für richtig, wenn zum Beispiel
ausweislich der „Berliner Morgenpost“ vom 5. April
Reymar von Wedel wie folgt zitiert wird:
Viele, die unseren Aufruf zur Bewahrung des Religionsunterrichtes begrüßt haben, stellen die Frage,
warum dieser Vergleich: So schlimm wie 1934, als
Niemöller den Pfarrernotbund gründete, ist es doch
heute nicht. Das ist richtig, aber es kann so werden
und manches ist schon heute vergleichbar.
In demselben Artikel wird auch Kardinal Sterzinsky
zitiert, der den Vergleich „wie in der Nazizeit und in der
DDR“ gezogen hat. Ich halte das nicht für angemessen.
({3})
Wir müssen uns mit diesen Fragen in anderer Form auseinander setzen.
({4})
Was passiert eigentlich konkret? Eine seit über
50 Jahren geübte Praxis wird um ein neues Angebot ergänzt, das als Pflichtfach eingeführt wird.
({5})
Wer hindert denn diejenigen, die die freiwilligen Möglichkeiten des Religionsunterrichts in Anspruch nehmen
wollen, daran, dies zu tun?
({6})
Von daher wäre ein bisschen mehr Nüchternheit und
Objektivität angemessen.
({7})
- Nun lassen Sie das doch mal! Sie haben noch die Gelegenheit, zu reden.
Wer von Ihnen hat sich denn in den vergangenen
50 Jahren darüber aufgeregt, dass nur 20 Prozent der Sekundarstufenschüler ab der 7. Klasse den freiwilligen
Religionsunterricht wahrgenommen haben? Niemand
von Ihnen hat das hier zum Thema gemacht. Insofern ist
das, was Sie heute abliefern, einmal mehr Ausdruck Ihrer heuchlerischen Politik, wie sie immer wieder festzustellen ist.
({8})
- Bleiben Sie ganz ruhig, Herr Kauder!
Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich persönlich die
Entscheidung nicht für richtig halte.
({9})
- Es geht doch nicht darum, was ich persönlich für richtig halte;
({10})
die Frage ist vielmehr, ob das Plenum des Deutschen
Bundestages mit einer Aktuellen Stunde der richtige Ort
für die Diskussion über ein solches Vorgehen und eine
solche politische Entscheidung ist.
({11})
Diese Frage beantworte ich sehr deutlich mit Nein: Das
Plenum des Bundestages ist nicht der richtige Ort. Denn
es sind die CDU/CSU-geführten Bundesländer, in denen
es immer wieder zur Blockade in allen Fragen der Bildungspolitik, auch der Schulhoheit, kommt.
({12})
- Natürlich ist das eine. - Sie haben es sogar so weit getrieben, die Föderalismuskommission an diesem Thema
scheitern zu lassen.
Nehmen Sie die Verantwortung, die Sie hier zum
Ausdruck zu bringen versuchen, wahr und sorgen Sie
erst einmal dafür, dass die Diskussion relativiert bzw. in
Gang gebracht wird und wir vielleicht gemeinsam eine
andere Grundlage bekommen, um uns mit solchen Themen wie dem heute zur Diskussion stehenden Thema
auseinander zu setzen! Ehe Sie vordergründig in dieser
Weise auftreten, sollten Sie sich meines Erachtens selber
in dieser Frage prüfen und dafür sorgen, dass wir eine
objektive Debatte führen, wobei ich es übrigens für richtig halte, das Für und Wider zu erörtern. Es ist durchaus
richtig, sich in solchen Fragen auseinander zu setzen.
Aber nur so zu tun, als ob Sie als Fraktion einhellig auf
der Seite derjenigen sind, die den Religionsunterricht anbieten,
({13})
reicht nicht aus. Wenn Sie im Übrigen fordern, den Menschen die Entscheidung über den Religionsunterricht zu
überlassen,
({14})
dann ist das doch die Konsequenz: Zur Religionsfreiheit
gehört auch diese Entscheidung.
Von daher glaube ich, dass Sie auf dem falschen
Dampfer sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. Mit einer Aktuellen Stunde wird man diesem Thema nicht im
Entferntesten gerecht. Sehen Sie zu, dass Sie Ihre Position überprüfen. Lassen Sie uns gemeinsam darum ringen, dass diese Überlegungen, wenn sie denn in die Praxis umgesetzt werden, doch noch in eine andere
Richtung gehen, als es bei Parteitagsbeschlüssen oder
Ähnlichem, wie es jetzt von Ihnen inkriminiert wird, der
Fall ist.
Ich persönlich schließe auch nicht aus, dass das, was
zum Beispiel Senator Böger und ich zum Ausdruck gebracht haben - nämlich dass die brandenburgische LöWilhelm Schmidt ({15})
sung viel besser wäre -, immer wieder ins Gespräch gebracht wird.
Kämpfen Sie mit denjenigen darum, die auf diese
Weise ihre Position zu erkennen gegeben haben! Aber
machen Sie es nicht zum Gegenstand einer vordergründigen und, wie ich finde, zum Teil ziemlich heuchlerischen Auseinandersetzung im Plenum des Deutschen
Bundestages!
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Markus Löning für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe
Kollegen! Herr Schmidt, ich will Ihnen ausdrücklich Respekt dafür zollen, dass Sie hier für die SPD in die Bütt
gegangen sind.
({0})
Ich möchte Sie aber gerne fragen - ich bitte Sie, diese Fragen auch Ihren Kollegen zu stellen; dabei nehme ich die
Kollegen Dzembritzki und Schulz ausdrücklich aus -:
Wo sind die Berliner Kollegen, die das zu vertreten haben?
({1})
Wo ist Klaus Uwe Benneter, der Generalsekretär Ihrer
Partei, der an führender Stelle in der Berliner SPD tätig
ist? Wo ist er, wenn wir hier über einen Parteitagsbeschluss der Berliner SPD reden?
({2})
Ich finde es zwar gut, dass der Berliner Kultursenator
von der PDS an dieser Bundestagsdebatte teilnimmt.
Herzlich willkommen! Aber wo ist der zuständige
Schulsenator Ihrer Partei, liebe Kollegen von der SPD?
Warum ist Herr Böger nicht hier?
({3})
Herr Schmidt, ich möchte ausdrücklich hinzufügen:
Wir, die FDP, haben 2001 Koalitionsverhandlungen mit
der Berliner SPD geführt. Ich habe die SPD als eine außerordentlich pragmatische Partei kennen gelernt. Wir
waren uns zwar nicht in allen Punkten einig, aber in vielen, gerade mit Herrn Böger. Aber was die Berliner SPD
nun beschlossen hat - Einheitsschule und staatlich verordnete Werteorientierung -, ist ein Zurück in die 70erJahre. Das ist unerträglich. Damit stellt sich die SPD
selbst völlig ins politische Abseits.
({4})
Ich bin wahrlich kein kalter Krieger, der auf die PDS
schimpft oder einschlägt.
({5})
Ich schätze die beiden Berliner Kolleginnen von der
PDS durchaus. Aber Sie sollten einmal darüber nachdenken, ob es sich hier nicht um Applaus an der falschen
Stelle handelt, wenn die PDS eine Maßnahme begrüßt,
die nichts anderes als den Versuch bedeutet, Kinder von
der Religion zu entfernen und den alten marxschen
Spruch „Religion ist Opium für das Volk“ umzusetzen.
Ich sage Ihnen: Das ist nicht so. Ich bin sicherlich kein
Freund der Kirchen. Aber es steht uns als Staat nicht zu,
die Werte im religiösen Bereich zu bestimmen. Es steht
uns als Staat ebenfalls nicht zu, zu bestimmen, ob Kinder
am Religionsunterricht teilnehmen sollen, ob sie glauben
sollen oder nicht.
({6})
Es steht uns erst recht nicht zu, über einen staatlichen
Werteunterricht zu versuchen, Kindern Religiosität und
Religion oder den Zugang dazu auszureden, Herr
Schmidt.
({7})
- Wenn Sie sagen, dass das unter meinem Niveau ist,
dann stelle ich Ihnen gerne das FDP-Modell vor.
({8})
Wir treten für ein Wahlpflichtfach ein, in dem ein Teil
Ethik sein kann und zu dem auch Religion gehört - alle
Religionen sollen Unterricht abhalten können -, wobei
die Kinder zwischen den verschiedenen Fächern wählen
können. Selbstverständlich gibt es - darin sind wir uns
mit Herrn Böger durchaus einig - Reformbedarf bei der
staatlichen Aufsicht über den Religionsunterricht. Ich
bin nicht dafür, dass religiöse Körperschaften - seien es
die christlichen Kirchen, sei es die Islamische Föderation oder seien es in Zukunft die Zeugen Jehovas - ohne
staatliche Aufsicht Unterricht abhalten. Wir wollen
staatliche Aufsicht. Aber die Kirchen sollen die Möglichkeit und die Schüler sollen die Wahlfreiheit haben,
ihrem Unterricht nachzugehen.
Es ist richtig, dass wir auch von staatlicher Seite Werteunterricht machen müssen. Aber das ist nur begrenzt
möglich; denn was wir als Staat in einem Werteunterricht vermitteln können und was wir auch in anderen Fächern vermitteln sollten, sind die Grundwerte des
Grundgesetzes. Das sind Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die Einhaltung der Menschenrechte.
({9})
Das sind unsere Grundrechte. Darauf muss sich der Staat
bei der Wertevermittlung aber auch beschränken.
({10})
Herr Schulz, ich sage Ihnen eines: Wenn ich mir vorstelle, dass meine Kinder in einer Berliner Schule Unterricht erhalten, in dem Werte vermittelt werden, die per
Parlamentsmehrheit festgelegt worden sind, dann wird
mir schlecht.
({11})
Dann werde ich alles tun, damit meine Kinder an solch
einem Werteunterricht nicht teilnehmen müssen.
Ich kann daher nur dringend an Sie appellieren: Korrigieren Sie diesen Beschluss! Nehmen Sie diesen Beschluss zurück!
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile das Wort der Kollegin Grietje Bettin,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Thema dieser Aktuellen Stunde hat mich doch
einigermaßen verwundert. Gerade Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Union, sind es doch, die sich jede
Einmischung der Bundesregierung in die Landespolitik
wutschnaubend verbitten.
({0})
Sie setzen heute ein schulpolitisches Thema auf die
Agenda, nur weil Sie glauben, daraus politisch Profit
schlagen zu können. Sie werfen damit Ihre föderalen
Prinzipien über Bord, nur weil Sie glauben, hier eine populistische Diskussion aufziehen zu können. Oder soll
der Bundestag in Zukunft auch über Lehrpläne und Bildungsstandards diskutieren?
({1})
- Darüber können wir gerne sprechen.
Wie dem auch sei: Es handelt sich bei der Diskussion
über den Werteunterricht um ein sehr spezielles Berlinproblem, und zwar aus mindestens zwei Gründen:
Erstens. Im Grundgesetz ist der Religionsunterricht
an öffentlichen Schulen als verpflichtendes ordentliches
Lehrfach verankert. Der Staat muss also die erforderlichen Räume zur Verfügung stellen und die Kosten dieses
Unterrichts größtenteils tragen. Der Religionsunterricht
wird laut Grundgesetz in konfessioneller Gebundenheit
vermittelt. Das heißt faktisch: Die Kirchen bestimmen
über den Inhalt mit. Kinder, die nicht konfessionsgebunden sind, müssen in den meisten Bundesländern Ersatzunterricht besuchen, der „Ethik“, „Philosophie“ oder
ähnlich heißt.
Natürlich ist die Frage des Verhältnisses von Religion
und Schule immer umstritten. In Bremen, Brandenburg
und Berlin gilt eine verfassungsrechtliche Ausnahme.
Gerade wegen dieser Ausnahme haben wir jetzt diese
Diskussion hier im Land Berlin.
Zweitens. In Berlin ist die religiöse Vielfalt mit mehr
als 130 Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften
so ausgeprägt wie nirgendwo anders in Deutschland.
Berlin ist eine multireligiöse Stadt. Nur knapp die Hälfte
der Menschen hier ist überhaupt christlichen Glaubens.
In dieser gesellschaftlichen Situation - ich nenne hier
nur die Probleme der Integration und das unschöne Wort
„Parallelgesellschaft“ - stellt sich die Frage: Wie schaffen wir eine allgemeine Wertevermittlung? Darauf als
einzige Antwort zu geben: „Die einen gehen in den Religionsunterricht, die anderen gehen in den Ethikunterricht“, das halte ich für relativ realitätsfern. Es geht darum, den jungen Menschen in dieser Stadt, egal welcher
ethnischen oder weltanschaulichen Herkunft, eine gemeinsame Wertebasis zu vermitteln. Wir brauchen eine
Grundlage für das Leben miteinander und den Respekt
voreinander.
({2})
Die SPD in Berlin reagiert mit ihrem Beschluss auf
dieses schon lange schwelende Problem: In der Schule
müssen die Grundüberzeugungen und gemeinsamen
Werte, die die Gesellschaft überhaupt erst zusammenkitten, in Form gemeinsamer Diskussionen über gesellschaftliche Werte ihren Platz erhalten. Dabei geht es
nicht darum, den Kindern und Jugendlichen einzutrichtern, was wahr und richtig und gut und falsch und
schlecht und böse ist. Diese Überzeugungen kann und
darf der Staat selbst nicht vorschreiben.
Es muss aber gesellschaftliches Ziel sein, dass alle
jungen Menschen mit einem ausgeprägten demokratischen Grundverständnis und mit dem Respekt vor anderen Weltanschauungen die Schule verlassen. Dazu muss
man die Weltanschauungen im Unterricht kennen gelernt
und demokratisches Handeln im Schulalltag erprobt haben.
Schon lange wollen wir Grüne mit dieser Art von
Wertevermittlung alle Kinder und nicht nur die getauften
erreichen. Deshalb sind wir durchaus für ein religionsunabhängiges Fach und eine eigene, damit verbundene
Lehrerausbildung. Deswegen begrüße ich das Vorhaben,
ein verbindliches Unterrichtsfach „Lebenskunde, Ethik,
Religionskunde“ für alle Schülerinnen und Schüler einzurichten. Der Religionsunterricht wird deshalb ja nicht
abgeschafft.
Wir erwarten nun aber vom Berliner Senat, dass die
Voraussetzungen und eine entsprechend gründliche Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für dieses Fach
konsequent geschaffen werden.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, immer wenn es in der Politik um Fragen der Religion geht,
versuchen Sie, einen Alleinvertretungsanspruch in Bezug auf ein christliches Weltbild anzumelden.
({4})
Das haben Sie schon in Bayern mit dem Kruzifix gemacht - nicht ungeschickt übrigens - und das versuchen
Sie heute wieder.
({5})
Da ist es Ihnen auch plötzlich egal, dass der Bundestag
eigentlich gar nicht zuständig ist. Das ist reine Heuchelei. In Sonntagsreden über christliche Werte zu sprechen,
im politischen Alltag aber ein Programm sozialer Kälte
zu fahren - ich sage nur: Änderungen beim Kündigungsschutz, Studiengebühren ohne soziale Absicherung und
Abschaffung des BAföG -,
({6})
das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat nun der Kollege Hermann Gröhe, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass wir an einem Unfallopfer, das wir nachts auf
der Autobahn sehen, nicht achtlos vorbeifahren dürfen,
also ohne zu helfen oder Hilfe zu rufen, wissen wir.
Doch ist es nicht § 323 c Strafgesetzbuch, der diese
Norm in unseren Herzen und Köpfen verankert hat. Vielmehr ist die prägende Wirkung der Überzeugung, dass
mögliche Hilfe zu unterlassen etwas Schlechtes ist, in
unserem Kulturkreis ganz wesentlich jener Geschichte
vom barmherzigen Samariter zu verdanken, die Jesus erzählte. Auch andere für unser Zusammenleben unerlässliche Normen - „Du sollst nicht töten“, „Du sollst nicht
begehren deines Nächsten Hab und Gut“ - sind uns eher
in der klaren Sprache biblischer Gebote als im Wortlaut
der entsprechenden Strafrechtsnormen vertraut.
Unsere Zivilisation lässt sich ohne eine gewisse
Kenntnis jener biblischen Tradition, die sie so nachhaltig
prägt, überhaupt nicht verstehen.
({0})
Übrigens ist die Fähigkeit, über den eigenen Glauben,
zumindest aber über die religiösen Wurzeln der eigenen
Kultur Auskunft zu geben, Voraussetzung für einen Dialog mit Menschen anderer religiöser und kultureller Prägung.
Der zunehmende religiöse Analphabetismus in unserem Land ist daher nicht allein eine Angelegenheit der
Kirche; er bedroht vielmehr die Grundlagen unseres Gemeinwesens, an deren Pflege der Staat ein großes eigenes Interesse haben muss.
({1})
Zu Recht hat daher das Bundesverfassungsgericht
1995 formuliert - ich zitiere -:
Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend
gewährleistet und sich damit selber zu religiösweltanschaulicher Neutralität verpflichtet, kann die
kulturell vermittelten und historisch verwurzelten
Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht abstreifen, auf denen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruht und von denen auch die Erfüllung
seiner eigenen Aufgaben abhängt. Der christliche
Glaube und die christlichen Kirchen sind dabei, wie
immer man ihr Erbe heute beurteilen mag, von
überragender Prägekraft gewesen. Die darauf zurückgehenden Denktraditionen, Sinnerfahrungen
und Verhaltensmuster können dem Staat nicht
gleichgültig sein.
Doch es ist nicht Gleichgültigkeit, auf der die faktische Abschaffung des evangelischen und katholischen
Religionsunterrichts,
({2})
den heute 114 000 Schülerinnen und Schüler in Berlin
besuchen, beruht. „Religions- und Kirchenfeindlichkeit“
hat Richard Schröder als Motiv für die rot-rote Politik
ausgemacht.
({3})
Robert Leicht formuliert unmissverständlich:
In der Berliner SPD ({4}) hat
sich ein starr betoniertes Milieu alt-marxistischer
und vulgär-materialistischer Kirchenfeindlichkeit
erhalten.
({5})
Der Marxismus und der Materialismus haben zwar
ziemlich abgedankt, aber die Religionsfeindlichkeit
ist geblieben.
({6})
Es ist diese Kirchen- und Religionsfeindlichkeit, die
Rot-Rot in Berlin die Religionsfreiheit von 114 000 Schülerinnen und Schülern und das Erziehungsrecht ihrer Eltern missachten lässt. Es ist diese Kirchen- und Religionsfeindlichkeit, auf deren Grundlage sich der rot-rote Senat
nun selbst zum Weltanschauungsmonopolisten aufschwingen will.
({7})
Warum merken eigentlich so wenige Berliner Sozialdemokraten, in welche Tradition sie sich damit begeben?
({8})
Überall spüren wir: Orientierung tut Not. Orientierung setzt die Möglichkeit voraus, Überzeugungen kennen zu lernen, damit man eigene Überzeugungen entwickeln kann. Solche Überzeugungen aber entstehen nicht
im Niemandsland der Gleichgültigkeit, sondern in der
Begegnung mit einer gelebten Glaubensüberzeugung.
Deshalb kann ein staatlich verantworteter Werteunterricht allenfalls die Ergänzung eines konfessionell verantworteten Religionsunterrichts im Rahmen eines Wahlpflichtfaches sein.
({9})
Aber man hat sich noch viel mehr vorgenommen. So
hat die PDS-Fraktionsvorsitzende in Berlin dem neuen
Schulfach die Aufgabe zugedacht, den Kindern beizubringen - Zitat -, ihre Herkunftsreligion zu relativieren.
Entchristlichung von oben - die PDS bleibt ihren Wurzeln treu!
({10})
Die SPD macht da mit. Weil dies eine Grundsatzfrage
für unsere Gesellschaft ist, Herr Schmidt, muss sie hier
diskutiert werden.
Ihre heutige Diskussionsverweigerung in Bezug auf
Präsenz und Rednerzahl ist das Eingeständnis eigener
Schwäche,
({11})
die schon dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Bundes-SPD nicht einen entsprechenden Landesparteitagsbeschluss verhindern konnte
({12})
und sich nur mit dürren Worten davon distanziert hat.
({13})
Es ist offenkundig, dass Ihnen die Zurückdrängung
der Religion im öffentlichen Raum kein vordringliches
Problem zu sein scheint. Bundeskanzler Schröder hat ja
schon bezüglich des Verzichts auf die Anrufung Gottes
bei der Ableistung seines Amtseides
({14})
- hören Sie sich ruhig einmal die entsprechende Begründung an - erklärt: Religion ist Privatsache. - Wer so redet, hat nichts vom geistesgeschichtlichen Beitrag des
Christentums zu unserer politischen Ordnung verstanden. Dem darf man die Zukunft unseres Gemeinwesens
nicht länger anvertrauen.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat die Kollegin Christa Nickels,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist richtig, Bildungspolitik und auch Religionsunterricht
sind Ländersache. Sie, Herr Kollege Schmidt, sagten,
man solle die Kirche im Dorf lassen. Berlin wäre dann
unser Bundeshauptstadtdorf.
({0})
Berlin hat aber eine ganz besondere ausstrahlende Wirkung.
({1})
Ich habe auch meiner Kollegin Grietje Bettin schon
gesagt: Die Bremer Klausel, die man hier in Berlin bisher so ausgestaltet hatte, dass es keinen Werte- und keinen Religionsunterricht als Pflichtfächer gibt, sollte man
besser durch Inhalte füllen. Das ist, wie ich glaube, mittlerweile Konsens. Spätestens nach dem 11. September
haben wir begriffen, dass es gut ist, wenn in Schulen ein
wertebezogener Unterricht erteilt wird, der Schülerinnen
und Schüler vor Fundamentalisten jeglicher Art feit und
sie miteinander ins Gespräch bringt. Darum begrüße ich
erst einmal, dass hier Ethikunterricht eingeführt wird.
Wenn man allerdings diesen Schritt geht, dann ist es
nicht nachvollziehbar, dass man den Religionsunterricht
als Werteunterricht minderer Güte und noch nicht einmal
als ein Wahlfach in einem Wahlpflichtbereich einführt,
sondern nur als freiwilliges Zusatzangebot vorsieht, was
man als Privatvergnügen machen kann.
({2})
Es kann nicht sein, dass man Ethikunterricht einführt,
Religionsunterricht aber sozusagen als Zaungast ansieht
und wie eine Bastel-AG behandelt. Das ist unsäglich. Ich
glaube auch, Hermann Gröhe, dass es bundesweit bekannt ist, dass die Kirchen und die Religionsgemeinschaften generell im Rahmen der Subsidiarität wertvolle
Dienste für die Zivilgesellschaft leisten.
({3})
Auch wir Grünen sind in den Bundesländern verschieden an dieses Problem herangegangen und haben
unterschiedliche Beschlüsse gefasst, insbesondere auch
vor dem Hintergrund, Hermann, dass wir uns hierzulande stärker pluralisieren und säkularisieren. In Brandenburg gibt es zum Beispiel maximal 20 bis 30 Prozent
konfessionell gebundene Kinder, welcher Art auch immer. Es kann sich auch um muslimische Kinder handeln
oder um Anhänger der Zeugen Jehovas, die mittlerweile
als Religionsgemeinschaft anerkannt sind. Es erhalten ja
immer mehr Religionsgemeinschaften den Status einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts und können damit
gleiche Rechte wie die beiden großen Konfessionen in
Anspruch nehmen. Vor diesem Hintergrund finde ich es
richtig, wenn man sagt, wir wollen all denjenigen, die
sich nicht weltanschaulich oder konfessionell gebunden
fühlen, einen ordentlichen, guten Werteunterricht geben,
in dem sie die anderen Religionen, deren Weltanschauungen und auch die Grundwerte, die uns alle tragen, kennen lernen, nämlich die Grund- und Menschenrechte.
Das begrüße ich sehr.
Ich sage aber noch einmal: Ich verstehe nicht, dass
Berlin, wenn es, statt sich auf die Bremer Klausel zu berufen, einen Schritt weiter geht, den konfessionellen Unterricht nicht gleichberechtigt und auf einer Augenhöhe
mit dem Werteunterricht implementiert.
({4})
Ich denke, dass das von den Kirchen zu Recht als Herabwürdigung angesehen wird, ganz abgesehen von den anderen guten Gründen, die hier schon genannt wurden,
warum man nicht so vorgehen sollte.
Natürlich verstehe ich es und halte es auch für richtig,
wenn man sagt, dass Kinder in Zeiten von Säkularisierung und Pluralisierung in gewissen Themenbereichen
gemeinsam unterrichtet werden. Da gefällt mir der Vorschlag von Kardinal Sterzinsky und Bischof Huber, den
sie Anfang der 90er-Jahre im Zusammenhang mit dem
erbitterten Streit um LER gemacht haben und der mir
jetzt schon fast ein wenig visionär erscheint, nämlich einen Wahlpflichtfachbereich mit konfessionellem Unterricht und Ethikunterricht einzurichten, aber mit fest verabredeten gemeinsamen Unterrichtseinheiten, wo alle
Schülerinnen und Schüler integrativ unterrichtet werden.
Das ist leider bis heute nicht umgesetzt worden. Man
hätte jetzt die Gelegenheit dazu. Damit hätte Berlin etwas Beispielhaftes für ganz Deutschland einführen können. Denn alle Bundesländer, selbst Bayern, das ja noch
immer sehr katholisch ist, bekommen durch die Säkularisierung und Pluralisierung zunehmend Probleme.
Wenn man die Kinder nicht ohne Werteunterricht aufwachsen lassen will, wäre ein Modell, wie die beiden es
vorschlagen, richtig und zukunftsweisend.
({5})
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Meine Kollegin Grietje Bettin hat gesagt, Integration sei sehr wichtig. Das stimmt. Aber ich glaube, gerade im Sinne der
Integration sollten wir es ermöglichen, dass Kinder verschiedenster Religionsgemeinschaften das Recht auf ein
Pflichtfach an ihrer Schule erhalten, wo Religionsunterricht in Deutsch, auf dem Boden des Grundgesetzes und
mit didaktisch-methodisch ordentlichen und guten Curricula, die von der Schulbehörde in didaktisch-methodischer Hinsicht - nicht in Bezug auf den Glaubensinhalt begutachtet worden sind, stattfindet.
({6})
Das ist ein wesentliches Recht, durch das den Kindern
im Sinne der Integration die Möglichkeit gegeben wird,
ihren eigenen Glauben im Schulunterricht kennen zu lernen.
({7})
Zum Schluss: Ich werde den Verdacht nicht los, dass
hier zwar von beiden Seiten teilweise klassenkämpferisch diskutiert wird, dass aber möglicherweise der
schnöde Mammon mehr wiegt als die hohen Werte, die
man immer bemüht. Jeder weiß, dass im Rahmen der Säkularisierung und Pluralisierung zunehmend auch andere
Religionsgemeinschaften - ich erwähnte es schon; zum
Beispiel die Zeugen Jehovas und verschiedene muslimische Religionsgemeinschaften - den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhalten. Wenn Religionsunterricht ein ordentliches Unterrichtsfach sein
soll, dann müssen natürlich die Religionslehrer an den
Universitäten ordentlich ausgebildet und dann bezahlt
werden. Das kostet Geld. Ich kann verstehen, dass viele
mit Blick auf Schulen, an denen Religionslehrer zehn
verschiedener Konfessionen unterrichten müssten, diese
Lehrer lieber zum Beispiel für den Deutschunterricht
einsetzen wollen. Aber das ist kein Argument dagegen,
den Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach
einzuführen. Ich bitte die Religionsgemeinschaften,
Ökumene in den islamischen, den christlichen und den
anderen Religionsgemeinschaften vielleicht ein bisschen
weiter zu denken. Das wird in den alten und neuen Bundesländern teilweise schon getan. Die Alternative, wenn
man aus der Bremer Klausel herauswachsen will, kann
aber nicht sein, den Religionsunterricht nicht gleichberechtigt an den Tisch zu setzen, sondern an den Katzentisch zu verbannen.
({8})
Thomas Rachel ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Lieber Herr Bischof Huber! Die Kraft des
christlichen Glaubens, die Johannes Paul II. den Frauen
und Männern der Solidarnosc gegeben hat, war der Anfang vom Ende des Kommunismus in Polen.
({0})
Die Kraft des christlichen Glaubens, die die katholische
und die evangelische Kirche den Bürgerrechtlern und
Widerstandsgruppen in der DDR gegeben hat, besiegelte
das Ende des real existierenden Sozialismus.
({1})
Wir wissen es alle: Die Wiedervereinigung Deutschlands
wäre ohne die Kirchen niemals friedlich verlaufen. Das
Wachs der Kerzen verstopfte die Waffen der Stasi
({2})
und die Gebete der Gläubigen öffneten die Tore und Türen zur Freiheit. Die christlichen Wertvorstellungen waren und sind es, die unserer Demokratie Stabilität verleihen.
({3})
Nun sollte man meinen, dass diese Erkenntnis über
die Parteigrenzen hinweg anerkannt ist. Aber das ist ein
Irrtum. Die SPD hat die Absicht, die Kirchen aus dem
öffentlichen Leben herauszudrängen.
({4})
Wie ist es sonst zu verstehen, dass der Parteitag der
Hauptstadt-SPD beschließt, die Kirchen aus dem Schulunterricht zu jagen?
({5})
Waren die Bedingungen für den freiwilligen Religionsunterricht in Berlin aufgrund der SPD-Politik schon
schwer genug, soll jetzt ein für alle verbindlicher staatlicher Werteunterricht eingeführt werden, der keine Abwahlmöglichkeit zulässt. Die SPD fällt mit dieser kirchenfeindlichen Politik nicht nur hinter ihr eigenes
Godesberger Programm zurück, sondern bricht auch mit
der nach 1945 gefassten demokratischen Einsicht, dass
der Staat nicht selbst monopolistisch die Werte vermitteln kann, von denen er lebt.
({6})
Die Bildungsarbeit der Kirchen in der Schule ist ein
die Demokratie in unserem Land erhaltender Wert. Dies
wird von der SPD als wertlos erachtet.
Der Bundestagspräsident ist mit seiner Warnung vor
einer erneuten Verdrängung der Religion aus der Schule
- wie in der DDR - gescheitert und von Wowereit demagogisch abgekanzelt worden.
({7})
Die Wowereits und die Müllers sind es, die mittlerweile
in ihrer Partei den Ton angeben. Dieser richtet sich
schrill und unerträglich gegen die christlichen Stimmen
in diesem Rechtsstaat.
({8})
Wer sich in einer globalisierten Welt orientieren will,
der braucht verlässliche Wertmaßstäbe. Religion ist eine
eigenständige Dimension menschlichen Lebens. Die
Schüler haben ein Grundrecht auf Religionsfreiheit. Das
muss auch dort gelten, wo SPD und PDS Hand in Hand
regieren und neben einer Einheitsschule auch ein Einheitsfach Wertekunde durchsetzen wollen. Wer soll dieses Fach eigentlich unterrichten? Ach ja, wahrscheinlich
die alten Staatsbürgerkundelehrer früherer Zeit. Und die
Inhalte? Vielleicht gibt es noch einige Bücher aus der
Vergangenheit.
Kein Wunder, dass bei dieser Perspektive ein Aufschrei durch dieses Land geht. Die Menschen spüren instinktiv, dass etwas falsch läuft. Als Christen wollen wir
dies stoppen.
({9})
Wowereit und Co. wollen den Staat selbst als Wertevermittler etablieren. Gerade mit Blick auf Berlin muss
man sagen: Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht.
Im Gegensatz zu SPD und PDS sind wir der festen
Überzeugung, dass der freiheitliche, der demokratische,
der weltanschaulich neutrale Staat keine Kompetenz hat,
Vorgaben zu machen. Zu unseren demokratischen
Grundprinzipien gehört nämlich die Wahlfreiheit. Dies
gilt auch für den Religionsunterricht. Alles andere bedeutet eine staatliche Weltanschauungsdiktatur.
({10})
Um eines deutlich zu sagen: Der Religionsunterricht
ist kein Privileg der Kirchen. Nein, es handelt sich um
ein Freiheitsrecht der Eltern und Kinder.
Worum geht es eigentlich bei dem einvernehmlichen
Handschlag von SPD und PDS in Berlin? Die Antwort
hat der Theologieprofessor und SPD-Fraktionsvorsitzende in der ersten frei gewählten Volkskammer,
Richard Schröder, gegeben. Er nennt als Motiv Religions- und Kirchenfeindlichkeit und sagt ferner:
Religionsunterricht, auch der christliche, gilt als gefährlich.
An diesem Punkt sind wir in Berlin inzwischen gelandet.
Ich finde, das ist eine Schande.
({11})
Der Landesvorsitzende der Berliner SPD, Michael
Müller, macht aus seinem Fünfjahresplan zur Verdrängung der Kirchen aus der Schule kein Geheimnis. Er
sagt, dass der staatliche Werteunterricht einen Teil der
Schüler mittelfristig aus dem Religionsunterricht herausziehen werde und dass man dann - so freut sich Herr
Müller - weniger Zuschüsse an die Religionsgemeinschaften zu zahlen brauche.
({12})
Wenn dies nicht eine klare Ansage zum Kulturkampf ist,
dann weiß ich nicht, was je unter Kulturkampf zu verstehen war.
({13})
Es wird höchste Zeit, dass aus der deutschen Hauptstadt andere Signale in dieses Land gesendet werden. Es
wird Zeit, dass die Hauptstadt endlich die Schulbildung
bekommt, von der ganz Deutschland seit Jahrzehnten
profitiert. Dies geht nur mit den Kirchen und nicht gegen
sie. Das war, ist und bleibt die Überzeugung der Christlich Demokratischen Union Deutschlands.
Herzlichen Dank.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Günter Nooke, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Was am vergangenen Wochenende auf dem Parteitag der
Berliner SPD passierte, war ein Rückfall in die ideologischen Grabenkämpfe der 70er-Jahre: staatlich verordneter Werteunterricht ab der 7. Klasse, Verbannung des Religionsunterrichts an den Rand der Stundentafel und die
Einheitsschule bis zur 10. Klasse als bildungspolitische
Perspektive für das 21. Jahrhundert.
Der Schaden für Berlin und für Deutschland kann
nicht dadurch eingegrenzt werden, dass im Plenum die
SPD kneift und sich Herr Schmidt irgendwie ein bisschen davon distanziert.
({0})
Man könnte fast Mitleid mit Ihnen haben.
Am Samstag gab es in der Tat einen gefährlichen
Rückschritt. Es waren keineswegs wertneutrale Sozialdemokraten, sondern weltanschauliche Atheisten - schlimmes antikirchliches und antireligiöses Fußvolk der SPD,
zu dem wohl inzwischen auch der Regierende Bürgermeister Wowereit gehört -,
({1})
die sich im Hinblick auf diesen Beschluss durchgesetzt
haben. Ihre SPD ist außer Rand und Band geraten.
({2})
Es ist beschämend, welche Leute sich dort durchsetzen
konnten, gegen den versammelten Sach- und Fachverstand des zuständigen Bildungssenators, des katholischen Bundestagspräsidenten, des Kanzlers, des SPDBundesvorsitzenden, der ehemaligen Bundesministerin
für Familie und Jugend und viele ehrlich besorgte christliche Sozialdemokraten.
({3})
In was für einer Partei, meine Damen und Herren von
den Sozialdemokraten, sind Sie eigentlich? Was sind
denn nun die Inhalte Ihrer Partei? Es geht doch völlig an
den Interessen, die Sie hier vertreten, vorbei, wenn es
dort drunter und drüber geht. Es gibt in Ihrer Partei keine
Führung, keine Autorität, keinen Anstand.
({4})
Sie sind schlicht orientierungslos und haben - so könnte
man sagen - die Werte vergessen.
({5})
- Hören Sie einmal zu! Jetzt geht es inhaltlich weiter. Das kommt heraus, wenn man versucht, die Frage, wie
Werte in die Gesellschaft kommen, ohne Transzendenz
und persönliches Glaubenszeugnis zu beantworten.
Dann geht es in der Partei drunter und drüber.
Der - noch - Regierende Bürgermeister Wowereit hat
gesagt:
Wertevermittlung ist nicht nur eine Aufgabe der
Kirchen. Es ist auch eine wichtige Aufgabe des
Staates.
Dafür erhielt er großen Beifall.
Doch genau darin liegt der Irrtum Ihrer Partei. Welche
Lehrer sollen denn diese „staatliche Weltanschauungsdiktatur“, wie die „FAZ“ schrieb, unterrichten? Wenn
der Staat Werte vermitteln und dafür Lehrer einstellen
soll, dann müssen Sie sagen, wie Sie diese Lehrer auswählen. Sind es Christen, sind es Religionskundelehrer
oder sind es die überzeugten Atheisten vom Humanistischen Verband, der vor kurzem sein 100-jähriges Jubiläum im Willy-Brandt-Haus der SPD hier in Berlin feierte?
({6})
Oder sind es sogar die Staatsbürgerkundelehrer der
DDR, die reaktiviert werden, wie Wolfgang Thierse auf
dem Parteitag befürchtete?
Der Beschluss der Berliner SPD zur Schulpolitik geht
weit über das bekannte Maß an politisch-ideologischer
Anmaßung hinaus. Er greift in den Kern unserer europäisch gewachsenen deutschen Kulturnation ein. Was
uns im Innersten zusammenhält, ist nicht im Synkretismus der Religionen, nicht im Idealismus eines „Edel sei
der Mensch, hilfreich und gut“ und erst recht nicht im
Karneval der Kulturen zu finden. Meine Damen und
Herren von der Koalition, der Beschluss der Berliner
Parteifreunde ist sogar beängstigend für mich; denn sie
glauben, man könne ernsthaft und glaubhaft über Werte
reden, ohne selber welche zu haben.
({7})
Unser Grundgesetz lässt uns mit dem Gottesbezug in
der Präambel nicht im Unklaren. Wir haben für den Gottesbezug auch in der europäischen Verfassung gekämpft,
weil die jüdisch-christliche Tradition für unsere Kultur
konstitutiv ist. Im Wertepflichtfach der Berliner SPD
wird ein allgemeines Palaver angestimmt und jeder muss
daran teilnehmen. Sie wollen ein gesellschaftliches Miteinander und verleugnen zugleich den religiösen Kern
des Christentums, der unser Land immer noch zusammenhält, auch wenn das viele vergessen haben.
({8})
Wer aber Religion wirklich verstehen will, muss
Glauben existenziell erfahren können. Man muss ihn erfahrbar machen. Die Berliner SPD verdrängt den Religionsunterricht aus den Schulen - und das in einer Zeit,
in der wir beim Begräbnis von Papst Johannes Paul II.
erleben, welche Anziehungskraft gelebter Glaube und
damit Religion heute wieder verstärkt haben.
({9})
Papst Johannes Paul II. hat deshalb so viele Menschen
und Vertreter aller großen Religionen nach Rom gezogen, weil er als gläubiger Christ überzeugte.
Der Berliner SPD sind aber nicht nur die Werte, sondern - das ist noch schlimmer - auch die Maßstäbe für
die Werte abhanden gekommen.
({10})
Nur vor diesem Hintergrund ist solch ein Beschluss zu
verstehen und in seiner zerstörerischen Wirkung für die
Gesellschaft richtig zu bewerten. Sie wollen integrieren;
aber sie wissen nicht, wo hinein sie integrieren wollen.
Sie wollen tolerant sein; aber sie merken gar nicht mehr,
dass es ihnen deshalb so leicht fällt, tolerant zu sein, weil
sie nichts mehr zu verlieren haben. Wenn sich der
Mensch keiner Wahrheit verpflichtet weiß, geht er in die
Irre. Wenn sich der Staat einer Wahrheit verschreibt,
wird er totalitär. Denn Wahrheit ist an sich intolerant;
aber sie muss tolerant vertreten werden.
Der Beschluss der Berliner - im Grunde: Westberliner - SPD ist der deutschen Hauptstadt unwürdig. Das
alte Westberlin konnte als Frontstadt des freien Westens
als vorgeschobenes Bollwerk im Sowjetblock nur deshalb überleben, weil der Westen zu seinen Werten der
Freiheit und Selbstbestimmung stand. Das freie Berlin
wurde von außen materiell am Leben erhalten und militärisch verteidigt. Dagegen wurden die Werte des Westens schon zu Mauerzeiten von der Berliner SPD verraten. Jetzt knüpfen die Berliner Sozialdemokraten an
diese Verleugnung der eigenen Werte an. In der Konfrontation zum Kommunismus, der christliche Werte ablehnte und bekämpfte und im Grunde ja eine Heilslehre
war, wurde das eigene Wertefundament immer mehr vergessen. Mit dem Einzug der 68er-Ideologen in die Schulen
({11})
wurde das dann weiter beschleunigt. Jetzt sind Sie wieder dort angekommen, wo Sie in den 70er-Jahren schon
einmal waren.
({12})
Herr Kollege!
Einen Abschlusssatz noch. - Ich kann Ihnen nur empfehlen - sagen Sie das bitte den Berliner Parteifreunden -,
({0})
dieses Vorhaben fallen zu lassen. Es schadet uns allen.
Wenn Ihnen das egal sein sollte, dann sage ich Ihnen
noch etwas anderes: Dieses Vorhaben, auch das Vorhaben der Einführung einer Einheitsschule bis zur zehnten
Klasse, schaden Ihrer Partei; das wird Sie im nächsten
Wahljahr viele Tausend Stimmen kosten.
({1})
Ich glaube, das ist nicht in Ihrem Interesse.
({2})
Herr Kollege!
Uns geht es hierbei um mehr. Kämpfen Sie mit uns
gemeinsam!
Danke schön.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
aktuelle Streit dreht sich scheinbar um ein neues Unterrichtsfach an Berliner Schulen. Die SPD nennt es Werteunterricht; die PDS spricht vom interkulturellen Dialog.
({0})
Der wiederum reduziert sich eben nicht auf eine Unterrichtsstunde; er ist vielmehr Teil eines größeren Anliegens.
({1})
Dabei geht es um zwei grundlegende Fragen: Wie
lässt sich das gesellschaftliche Miteinander in Berlin
künftig besser gestalten? Und: Welchen Beitrag können
die Schulen dazu leisten? Es geht also um die Zukunft
einer Metropole, die für dreieinhalb Millionen Berlinerinnen und Berliner aus über hundert Nationen Heimstatt
ist - mit und ohne Gott.
({2})
Andersherum: Hie und da und auch heute ja wieder
ist von einem Feldzug gegen die Kirchen die Rede. Ich
habe keinen in Berlin getroffen, der das will. Wer die
Geschichte des Grundgesetzes und einschlägige Gutachten kennt, weiß auch: Es gibt mit diesem Beschluss auch
keinen Verfassungsbruch, wie Wolfgang Thierse und andere es vermuten.
Die PDS möchte, dass Berlin eine weltoffene Hauptstadt der Kultur und des Wissens wird.
({3})
Die Berliner SPD will das auch. Deshalb arbeitet die rotrote Koalition unter anderem an einer weit reichenden
Schulreform.
({4})
Ein kleiner, aber nicht unwichtiger Baustein ist dabei
dieses neue Unterrichtsfach.
({5})
Die PDS war und ist für eine Trennung von Staat und
Kirche; das ist nicht neu. Aber darum geht es bei dem
aktuellen Streit um dieses Unterrichtsfach nicht.
Denn was sind denn nun die Hauptkontroversen?
Am weitesten geht der Vorwurf, die Schule sei weder
fähig noch berechtigt, ein Unterrichtsfach anzubieten,
bei dem es auch um Werte geht. Ich finde das grundfalsch. Die Schule ist dazu sogar verpflichtet, wenn sie
das Grundgesetz und ihren kulturellen Auftrag ernst
nimmt.
({6})
Andere kritisieren: Ein solcher Unterricht wäre unverbindlich und beliebig. Richtig ist: Er bindet niemanden an einen bestimmten Glauben. Das ist aber auch
nicht Aufgabe der Schule und des Staates, sondern das
ist Anliegen der Kirchen und der Religionsgemeinschaften
({7})
und zum Schluss ist es Privatsache.
Wieder andere sagen, man solle wenigstens wählen
können. Ich halte das nach wie vor für ein schwaches
Argument; es geht übrigens zulasten der Kirchen. Denn
was wäre das für ein interkultureller Dialog, wenn ausgerechnet die Jugendlichen fehlen, die den Glauben ihrer
Religion authentisch vertreten können?
({8})
Schließlich lautet ein weiteres Argument: Der Staat
raube den Kirchen die Jugend, weil diese - schulisch
überlastet - dem Religionsunterricht fernbleiben könnte.
Ich finde das wenig selbstbewusst. Wir sollten uns die
Situation einmal ansehen: In Berlin nehmen Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht vorwiegend
während der Grundschulzeit teil. Das neue Fach beginnt
aber erst ab Klasse sieben. Warum soll es nicht möglich
sein, Kindern in der Grundschulzeit zu vermitteln, dass
Religionsunterricht auch über Klasse sieben hinaus einen Wert hat, und ihn so zu einem Bedürfnis zu machen?
({9})
All das gehört zu einer sachlichen Debatte, ebenso
wie die Tatsache, dass Religionsunterricht in Berlin natürlich auch weiterhin staatlich gefördert wird. Mir ist jedenfalls kein Beschluss zur Abschaffung der staatlichen
Förderung bekannt. Wir sollten entsprechend den Geboten unseres Glaubens und des Grundgesetzes mit Toleranz weiter für die beste Lösung streiten.
({10})
Das Wort erhält nun Katherina Reiche, CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eckhard
Fuhr schrieb in der „Welt“:
Im Einsteinjahr wartet der rot-rote Senat mit einer
Relativitätstheorie der besonderen Art auf. Die
SPD-PDS-Koalitionäre wollen in den Schulen einen für alle verpflichtenden Werteunterricht einführen, in dem die Schüler lernen sollen, daß Wertvorstellungen relativ sind.
Ich setze hinzu: Ich fühle mich in der Tat fatal an den
sozialistischen Staatsbürgerkundeunterricht erinnert. Mit
Wehmut muss ich konstatieren, dass Berlin wieder dort
gelandet ist, wo es bereits vor 15 Jahren einmal war. Die
PDS gemeinsam mit den Sozialdemokraten setzt durch,
dass ausnahmslos alle Schüler an einem vom Staat diktierten, angeblich wertneutralen Unterricht teilnehmen
müssen,
({0})
in dem eben keine verbindlichen Werte vermittelt oder
über unsere christlichen Wurzeln nachgedacht wird.
Die Sozialdemokraten wollten von jeher einen Staat,
der stark ist, und Bürger, die schwach sind, weil man sie
bevormundet und ihre Wahlfreiheit beschneidet. Rotrote Kaderschulweisheit wird nun staatlich verordnet
und in einem Zeitgeistgebräu vermengt, das angeblich
wertanschaulich neutral ist.
({1})
Was ist eigentlich wertanschaulich neutral? - Etwa, dass
gegen den Elternwillen ein bunter religiöser Warenkorb, in
dem sich jeder nach Lust und Laune bedienen kann, in
die Schulen geschüttet wird? Ist es neutral, die eigene
Herkunft zu relativieren und eine routinemäßige unkritische Offenheit gegenüber allem Fremden mechanisch
einzuimpfen? Glaubt man in Berlin allen Ernstes, so die
umstrittene Islamische Föderation aus den Grundschulen
entfernen und fundamental-islamistische Tendenzen bekämpfen zu können? Mir scheint vielmehr, in Berlin
kommt oktroyierter Atheismus im Deckmäntelchen der
weltanschaulichen Neutralität daher.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD,
Sie begeben sich in der Tat auf verfassungsrechtliches
Glatteis. Sowohl in der Berliner Landesverfassung als
auch im Grundgesetz gibt es Anhaltspunkte für die Verankerung des Religionsunterrichts. Das Grundgesetz ist
gerade in der Frage der Religion und des Gottesbezugs
eine ganz bewusste Antwort der Verfassungsväter und
-mütter auf die Erfahrungen von Diktatur und Religionslosigkeit. So sieht es auch das Bundesverfassungsgericht. Ich möchte gern aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995 zitieren:
Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend
gewährleistet ..., kann die kulturell vermittelten und
historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und
Einstellungen nicht abstreifen, auf denen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruht und von denen
auch die Erfüllung seiner eigenen Aufgaben abhängt.
Es heißt weiter:
Das gilt in besonderem Maß für die Schule, in der
die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft vornehmlich tradiert und erneuert werden.
Die SPD und die Kommunisten sagen, sie wollen
Toleranz statt Wahlfreiheit. Das ist für mich ein Paradoxon; denn es ist intolerant, die Wahlfreiheit zu versagen.
({3})
Rot-Rot will Integration statt Religion; sie gibt eindeutig
dem Fremden und Multikulti den Vorrang vor dem Wissen um die eigene kulturelle Identität und Herkunft.
Wir sind in Brandenburg im Streit um LER - das ist
die Abkürzung für Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde - und dem Religionsunterricht einen weiten Weg
gegangen. Ich persönlich bin als Christin und Mutter
über diesen Weg nach wie vor unglücklich. Verglichen
mit Berlin muss ich nun aber sagen, es hätte noch
schlimmer kommen können.
Nachdem auch in Brandenburg alle Kinder zunächst
einen verpflichtenden Unterricht LER belegen mussten,
traf im Jahr 2001 das Bundesverfassungsgericht ein vermittelndes Urteil. Es wertete den Religionsunterricht auf
und das Land entschied, dass sich Kinder von LER befreien lassen können, wenn sie den Religionsunterricht
belegen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird der Religionsunterricht in Brandenburg zwar
immer noch stiefmütterlich behandelt, aber die Teilnehmerzahlen am Religionsunterricht steigen und dort, wo
Religionsunterricht angeboten wird, sinkt die Beteiligung an LER.
({4})
Im Jahr 2003 veröffentlichte das Bildungsministerium
Brandenburg eine LER-Studie; ein vernichtendes Urteil,
denn darin heißt es: Im Hinblick auf die Wirksamkeit
von LER wird man skeptisch sein bzw. die Ziele realistischer formulieren müssen.
Der Bericht spricht dem Fach LER ganz klar die Integrationsfähigkeit ab. Die Lehrer sind bei der Vorgabe,
Ethik, Lebensgestaltung und Religion gleichberechtigt
nebeneinander unterrichten zu müssen, offensichtlich
überfordert. Der Bericht stellt fest, dass religiöse Inhalte,
insbesondere christliche, nur zu einem geringen Teil behandelt werden.
In den Religionsmodulen hat das Judentum den größten Umfang. Die Kinder lernen wenig über den Islam,
geschweige denn etwas über das Christentum. Durch
LER gelingt es nicht, den Schülern die angebotenen
Werte so nahe zu bringen, dass sie diese auch verinnerlichen.
Auch bei der Wahl der Schulbücher hat man sich in
Brandenburg alle Mühe gegeben.
({5})
Menschen, die zu DDR-Zeiten zum Klassenkampf aufriefen, die das Selbstbewusstsein der sozialistischen Persönlichkeit betonten und den Sozialismus bzw. Kommunismus als einzigen Weg beschrieben, um die freie
Entwicklung von Individuen zu verwirklichen, haben ein
Lehrbuch geschrieben, das noch heute im LER-Unterricht genutzt wird. Deshalb, meine Damen und Herren,
muss man aufpassen, was in Berlin passiert.
Ich schließe mit Karsten Voigt, der gesagt hat:
Es wäre gut, wenn die SPD im vereinigten Berlin
auch in Bezug auf ihre Einstellung gegenüber den
Kirchen endlich im vereinigten Deutschland ankäme und den Berliner religionspolitischen Sonderweg aufgäbe.
({6})
Letzte Rednerin in dieser Aktuellen Stunde ist die
Kollegin Dorothee Mantel, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wiederum
unternimmt die SPD einen Anschlag auf unsere christlich-abendländischen Grundwerte.
({0})
Die Berliner Eltern werden bevormundet und die Berliner Schüler in ein Pflichtfach „Werteunterricht“ gezwungen.
({1})
Durch die zusätzlichen Unterrichtsstunden wird der Religionsunterricht an den Rand gedrängt. Was hinter diesem Vorstoß steckt, ist offenkundig: Die rot-dunkelrote
Landesregierung versucht, die christliche Erziehung und
Lehre aus dem Unterrichtsplan zu verbannen. In Berlin
wird systematisch versucht, eine wertelose, staatsfixierte
Generation heranzuziehen.
({2})
Ein Staat, in dem das schon einmal versucht wurde, ist
1989 Gott sei Dank gescheitert.
({3})
Berlin ist das einzige Bundesland in Deutschland, in
dem es in den Schulen verboten ist, unser christliches
Kreuz auch nur als Schmuckstück zu tragen.
({4})
Nun soll Berlin auch das einzige Bundesland werden, in
dem die Schüler in einen rein staatlichen Werteunterricht
gezwungen werden. - Ich bin Katholikin und Christin;
mir ist das Kreuz näher als ein Kopftuch.
({5})
Die rot-dunkelrote Landesregierung läuft neuen Ideen
hinterher und wirft dabei traditionelle Werte über Bord.
Diese Entwicklung ist unerträglich. Sie aber schauen dabei einfach zu. Mein Rat an Berlin ist, sich nicht nur allgemein am Schulsystem Bayerns zu orientieren, sondern
sich bei der Vermittlung von Werten und Religion ganz
konkret ein Beispiel an Bayern zu nehmen.
({6})
Ein wichtiges Symbol für das Bekenntnis zu Werten und
Religion sind die Kruzifixe in den bayerischen Klassenzimmern. Mir tut es in der Seele weh, zu wissen, dass die
Schüler in allen anderen Bundesländern darauf verzichten müssen.
Die rot-dunkelrote Landesregierung in Berlin ist offensichtlich der Meinung, dass man auf Werte und Weltanschauung verzichten kann. Unter dem Deckmantel
„Werteunterricht“ werden unsere traditionellen Werte
aus der Schule verbannt. Stattdessen will der rot-dunkelrote Senat bestimmen, was richtig und was falsch ist.
Eine wertentleerte Erziehung halte ich nicht nur für
unerträglich, sondern auch für gefährlich; denn durch
diese staatliche Bevormundung wird den Schülern die
Möglichkeit genommen, ihre eigenen Wurzeln kennen
zu lernen. Ich muss schon sagen, dass der Weg, auf dem
wir uns befinden, gefährlich ist. Denn in Deutschland ist
die Situation momentan so, dass der 10-jährige Mohammed genau weiß, wofür seine Werte und seine Religion
stehen,
({7})
dass aber der 10-jährige Maxi dies mittlerweile nicht
mehr weiß. Jetzt versuchen Sie, dem 10-jährigen Maxi
auch noch seinen Religionsunterricht wegzunehmen.
({8})
In Zeiten, die immer schwieriger werden, braucht unser Land ein gemeinsames Wertefundament, allerdings
keines, das von Politikern ideologisch nach Gutdünken
vorgegeben wird. Aber, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen, eigentlich dürften wir uns über diesen Vorstoß
aus Berlin nicht wundern; denn er passt zu unserer Bundesregierung, die die Abschaffung des 3. Oktober als
Feiertag forderte
({9})
und ständig versucht, christliche Feiertage abzuschaffen
und dafür muslimische Feiertage einzuführen.
({10})
- Sie können nicht einmal Zitate richtig lesen. Aber ich
hätte auch nichts anderes von Ihnen erwartet.
({11})
Was ist von einer Regierung zu halten, von der sich
über die Hälfte der Kabinettsmitglieder weigert, bei ihrem Amtseid die Formel „so wahr mir Gott helfe“ zu
verwenden?
({12})
Was sich die rot-dunkelrote Landesregierung mit diesem
Vorschlag anmaßt, zeigt auch die Äußerung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, der gesagt hat, Werte
zu unterrichten sei Aufgabe des Staates. Aber welcher
Staat kann festlegen, welche Werte unterrichtet werden
müssen, welche falsch sind, welche richtig sind?
Ich möchte mich auch bei der Kirche bedanken, mit
der wir sehr gut zusammenarbeiten. Kirche und Staat
müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass unsere Kinder einen Unterricht erhalten, der die christlich-abendländische Tradition unseres Landes vermittelt. Ich
möchte als Katholikin besonders Bischof Huber danken,
der sich gemeinsam mit Kardinal Sterzinsky dafür stark
macht, dass die katholische und die evangelische Kirche
hier zusammenstehen und notfalls auch vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.
({13})
Zum Schluss noch ein Wort an den Kanzler - vielleicht können Sie es an ihn weiterleiten, Herr Staatssekretär Körper -: Scheinheilig beim Papstbegräbnis stehen, aber untätig zusehen, wie die Berliner Genossen
den Religionsunterricht abschaffen - das passt nicht zusammen!
({14})
Vielleicht richten Sie ihm aus, dass an dieser Stelle ein
Machtwort angebracht wäre.
Vielen Dank.
({15})
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit zugleich am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf
morgen, Donnerstag, den 14. April 2005, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.