Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell wurde vereinbart, die heutige Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
ZP 1 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des
Arzneimittelgesetzes
- Drucksache 15/5656 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter
Rossmann, Dieter Grasedieck, Gesine Multhaupt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Monika Lazar, Volker Beck ({1}), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN: Für ein integriertes EU-Bildungsrahmen-
programm - Mobilität und Austausch für ein zusammen-
wachsendes, innovatives und wettbewerbsfähiges Europa
- Drucksache 15/5675 -
ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich
Krüger, Florian Pronold, Ingrid Arndt-Brauer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge-
ordneten Jutta Krüger-Jacob, Christine Scheel, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Europäische
Finanzmärkte - Integration durch Wettbewerb und
Vielfalt voranbringen
- Drucksache 15/5679 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael
Meister, Heinz Seiffert, Leo Dautzenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms,
Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der FDP: Europäische Finanzmärkte - Integration durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen
- Drucksache 15/5677 ZP 4 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierung
der Versorgung sowie zur Änderung dienstrechtlicher
Vorschriften ({2})
- Drucksache 15/5672 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Von der Frist für die Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Weiterhin wurde vereinbart, die heutige Fragestunde
auf eine Stunde zu beschränken sowie die Tagesordnungspunkte 4 - Verbraucherpolitischer Bericht und 6 - Zukunftschancen für Jugendliche - zu tauschen.
Außerdem soll Tagesordnungspunkt 7 - EU-Waffenembargo gegenüber China - abgesetzt werden. Sind Sie mit
diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung eines Gesetzentwurfs zur Änderung des Arzneimittelgesetzes zu erweitern und diesen
jetzt gleich als Zusatzpunkt 1 ohne Aussprache aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
- Drucksache 15/5656 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/5656 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
Redetext
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/5660 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf.
Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Gitta Connemann
werden schriftlich beantwortet.
Deshalb rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hans
Georg Wagner.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
auf:
Warum hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter
Struck, anlässlich des 50. Jahrestages der Bundeswehr auch
ehemalige Angehörige der im spanischen Bürgerkrieg eingesetzten Legion Condor eingeladen - vergleiche die „Welt“
vom 7. Juni 2005 - und wie viele eingeladene Gäste waren
ehemalige Angehörige der Wehrmacht?
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Lötzsch, am
7. Juni 2005 begann mit einer Auftaktveranstaltung der
offizielle Jubiläumszeitraum zum 50. Geburtstag der
Bundeswehr. Zu dieser Veranstaltung wurden durch den
Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter Struck,
1 123 Repräsentanten aus Staat und Gesellschaft eingeladen, darunter selbstverständlich auch die ehemaligen
Generalinspekteure der Bundeswehr.
Der inzwischen 97-jährige General a. D. Heinz
Trettner gehört zu den Gründervätern der Bundeswehr.
Er wurde, wie alle Offiziere der Bundeswehr mit Vordienstzeiten in der Wehrmacht vom Dienstgrad Oberst
an aufwärts, durch den so genannten Personalgutachterausschuss auf seine persönliche Eignung geprüft. Damit
besteht für das Bundesministerium der Verteidigung
keine Veranlassung, an der Integrität dieser Personengruppe zu zweifeln. Es ist eine Selbstverständlichkeit,
eine Persönlichkeit, die sich um den Aufbau unseres
freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates in besonderer
Weise verdient gemacht hat, zu einer solchen Feier einzuladen.
Die Frage nach der Anzahl eingeladener Gäste, die
ehemals Angehörige der Wehrmacht waren, kann nicht
beantwortet werden, da die Vita der Eingeladenen nicht
eigens abgeprüft wurde. Es ist davon auszugehen, dass
ein Großteil der vor 1931 in Deutschland geborenen
männlichen Bevölkerung - in welcher Form auch immer - Angehöriger der Wehrmacht war.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
wurden vom Bundesminister der Verteidigung auch
Menschen eingeladen, die in den alliierten Armeen oder
bei den spanischen Interbrigadisten gegen den Faschismus und die Wehrmacht gekämpft haben und, wenn ja,
wie viele?
Das ist mir im Einzelnen nicht bekannt. Unabhängig
davon haben wir natürlich auch Offiziere der ehemaligen
Nationalen Volksarmee der DDR eingeladen,
({0})
sofern sie zu dem eingeladenen Kreis gehören durften.
Hier ist keine Unterscheidung getroffen worden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe aber nicht
nach den Offizieren der Nationalen Volksarmee gefragt.
Herr Staatssekretär, Sie wissen wahrscheinlich genauso gut wie ich, dass der Bundeskanzler anlässlich des
60. Jahrestages der Landung der Alliierten in der Normandie in seiner Begleitung auch ehemalige Wehrmachtsangehörige hatte und dass Menschen, die aufseiten der französischen Résistance gekämpft haben, von
der französischen Regierung eingeladen werden mussten, weil sie im Tross des Bundeskanzlers nicht eingeladen waren. Haben Sie keinen Anlass gesehen, aus diesen
Erfahrungen des vergangenen Jahres zu lernen und Menschen, die gegen die faschistische Wehrmacht gekämpft
haben, offiziell einzuladen?
Wir haben dies nicht zum Kriterium gemacht. Wie der
Herr Bundeskanzler seine Delegation zusammenstellt,
ist Sache des Bundeskanzlers. Wir haben das nicht zu
kritisieren. Wir selber haben nach bestem Wissen und
Gewissen die Einladungen zusammengestellt. Das trifft
auch für diejenigen zu, die eingeladen worden sind. Insofern haben wir da souverän gehandelt. Wir waren nicht
der Auffassung, man sollte zusätzliche Einladungen aussprechen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.
Herr Staatssekretär, haben Sie die gleichen Kenntnisse wie ich, dass beim Aufbau der Nationalen Volksarmee ebenfalls ehemalige Soldaten der deutschen Wehrmacht dabei waren?
({0})
Das ist nicht auszuschließen, Herr Kollege Koppelin;
denn solche waren sowohl bei uns dabei als auch auf der
Seite der ehemaligen DDR.
Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Petra Pau auf:
Welchen Umfang hatten bundesweit Personalveränderungen in der Bundeswehr an den Standorten seit 1994 und wie
viele Arbeitsplätze wurden aufgrund des jeweiligen nachfolgenden Stationierungskonzeptes - bitte nach Ländern aufschlüsseln - neu geschaffen?
Frau Kollegin Pau, im April des Jahres 1994 beschäftigte die Bundeswehr insgesamt rund 174 800 zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Wehrverwaltung des
Bundes befand sich zu dieser Zeit in dem Anfang der
90er-Jahre begonnenen Prozess der personellen Umsetzung der Strukturveränderungen im Rahmen der Anpassung an die neuen Streitkräftestrukturen und des Aufbaus einer Wehrverwaltung in den neuen Bundesländern.
Mitte 2000 wurden die Strukturveränderungen durch die
Maßnahmen im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr und Ende 2003 mit den neuen Entscheidungen
zur Transformation der Bundeswehr fortgesetzt.
In diesem Rahmen soll der zivile Bereich der Bundeswehr bis zum Ende des Jahres 2010 auf 75 000 Haushaltsstellen und Dienstposten bzw. Arbeitsplätze reduziert werden. Da Auszubildende, Beamte auf Widerruf
und Teilzeitbeschäftigte keine oder keine ganze Haushaltsstelle in Anspruch nehmen, können mit der Zielgröße von 75 000 Haushaltsstellen voraussichtlich über
80 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt
werden. Derzeit sind rund 122 000 zivile Beschäftigte
bei der Bundeswehr tätig. Dies bedeutet eine weitere Reduzierung des gesamten Personalbestandes im zivilen
Bereich um bis zu 40 000 Menschen. Diese personelle
Entwicklung beruht auf organisatorischen Maßnahmen
mit entsprechenden Arbeitsplatz- und Dienstpostenanpassungen. Die Reduzierung wird sozial verträglich und
ohne betriebsbedingte Kündigungen erfolgen. Ein Anstieg beim Zivilpersonal der Bundeswehr erfolgte nur in
Berlin und Sachsen-Anhalt, nämlich um 570 bzw.
306 Personen. Eine Darstellung der Entwicklung des
Personalbestandes in den Bundesländern im Zeitraum
von 1994 bis 2005 kann zur Verfügung gestellt werden.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Diese Übersicht
würde ich gern erhalten.
Ich hätte eine Nachfrage: Gibt es einen Überblick,
wie viele Arbeitsplätze - bei all den Abbaumaßnahmen,
die Sie beschrieben haben - neu entstanden sind, beispielsweise durch die Stationierung des Eurofighters in
Eine solche Übersicht gibt es nicht, da die im Rahmen
der Konversion weggefallenen Dienstposten bei der
Bundeswehr durch Ländermaßnahmen ersetzt werden
müssen. Sie wissen, Konversion ist Sache der Bundesländer. Man müsste bei den einzelnen Bundesländern abfragen, wie groß der Nettozuwachs an zivilen Arbeitsplätzen gewesen ist. Diese Zahlen sind uns nicht
bekannt.
Danke schön. Dann würde ich gern, wie gesagt, die
angekündigte Übersicht nachträglich erhalten.
Diese bekommen Sie.
Keine weiteren Zusatzfragen? Wir sind damit am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ulrich
Kasparick.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Michael
Kretschmer auf:
Wann ist mit der Ausschreibung des von der Bundesregierung angekündigten Programms „Inno-Profile“, die laut Aussage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
noch vor der Sommerpause 2005 erfolgen soll, zu rechnen?
Herr Kollege Kretschmer, Sie fragen danach, wann
das neue Programm für Ostdeutschland, das wir ausschreiben, im Bundesanzeiger veröffentlicht werden
wird. Das wird am 17. Juni der Fall sein. Es wird vom
Verfahren her wieder so sein wie bei den anderen Projekten auch: Man kann zunächst eine Projektskizze einreichen; das ist bis zum 8. September möglich.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Sie hatten angekündigt, dass die Anträge schon vor der Sommerpause gestellt werden können. Wann ist damit zu rechnen, dass
die ersten Anträge bewilligt werden und tatsächlich mit
der Arbeit begonnen werden kann?
Ich hatte Ihnen die Daten genannt. Die Ausschreibung
wird am 17. Juni 2005 im Bundesanzeiger veröffentlicht. Die Projektskizzen können bis zum 8. September 2005 eingereicht werden. Von unserer Seite aus
sind alle Vorbereitungen dafür getroffen worden, dass
zügig gearbeitet werden kann.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Gibt es für dieses Programm einen Projektträger und
wenn ja, wer ist das?
Wir werden die Außenstelle der PTJ Jülich hier in
Berlin damit beauftragen.
Es gibt keine weiteren Fragen mehr dazu. Damit sind
wir auch am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen
Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf.
Die Frage 6 des Kollegen Dr. Egon Jüttner wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes auf. Die Fragen beantwortet Herr Staatsminister
Hans Martin Bury.
Die Frage 7 des Kollegen Dr. Egon Jüttner wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
Deshalb rufe ich jetzt die Frage 8 der Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch auf:
Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass USGeheimdienste Menschen in Länder entführen, in denen unter
Folter Geständnisse erpresst werden, wie zum Beispiel den
deutschen Staatsbürger Khaled el-Masri - vergleiche „Neues
Deutschland“ vom 7. Juni 2005 -, und wenn ja, was hat die
Bundesregierung gegen dieses Vorgehen der US-Geheimdienste unternommen?
Frau Kollegin Lötzsch, in dem von Ihnen angesprochenen Fall hat die Staatsanwaltschaft München ein
Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen Verschleppung eingeleitet. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Im Zusammenhang mit diesem Verfahren hat die
bayerische Justiz ein Rechtshilfeersuchen an die US-Regierung gestellt. Die Bundesregierung unterstützt dieses
Rechtshilfeersuchen. Weitere Fälle mit deutschen Staatsangehörigen sind der Bundesregierung nicht bekannt.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister,
was hat die Bundesregierung über das, was Sie gerade
beschrieben haben, hinaus unternommen, um die Folter
von deutschen Staatsbürgern durch amerikanische Geheimdienste zu unterbinden? Gibt es zwischen beiden
Ländern Regelungen bezüglich dieser Frage?
Frau Kollegin Lötzsch, ich habe Ihnen eben in meiner
Antwort dargelegt, dass mir weitere Fälle mit deutschen
Staatsangehörigen nicht bekannt sind, sodass ich die Unterstellung in Ihrer Frage zurückweisen muss.
Zum konkreten Fall, nach dem Sie gefragt haben: Die
Bundesregierung hat die US-Regierung um Aufklärung
der Vorwürfe gebeten.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Vielen Dank. - Wie hat die Regierung der Vereinigten
Staaten auf das Ersuchen, aufzuklären, reagiert?
Frau Kollegin Lötzsch, die Kontakte mit der US-Regierung waren vertraulicher Natur und lassen eine öffentliche Erörterung nicht zu.
({0})
Wir sind damit auch am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit auf. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gerd
Andres.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Volkmar Uwe
Vogel auf:
Trifft es zu, dass zum Transport von diskontinuierlich anfallendem regenerativen Strom die Transportkapazitäten
durch den Neubau von 380-Kilovolt-Hochspannungsleitungen erhöht werden und deswegen Schneisen von etwa 75 m
Breite bei einem Flächenverbrauch von circa 1 200 ha über
den Kamm des Thüringer Waldes geschlagen werden sollen,
und wenn ja, hält die Bundesregierung dies für ökologisch
sinnvoll?
Frau Präsidentin, ich würde die Fragen 9 und 10
gerne gemeinsam beantworten, wenn Herr Vogel einverstanden ist.
Ja, das bin ich.
Dann rufe ich zusätzlich die Frage 10 auf:
Welche Alternativen zu dieser Trassenführung prüfen die
Bundesregierung bzw. die beteiligten Einrichtungen?
In der dena-Studie „Energiewirtschaftliche Planung
für die Netzintegration von Windenergie in Deutschland
an Land und Offshore“ vom Februar 2005 wurde das
Konzept zur Netzintegration von Windkraftanlagen in
das elektrische Versorgungssystem vorgelegt. Die für
den Zeitraum 2007 bis 2010 erforderlichen Netzverstärkungen bzw. Netzausbaumaßnahmen sehen eine neue,
140 Kilometer lange 380-Kilovolt-Leitung von Vieselbach nach Redwitz vor.
Aussagen zur Trassenführung sowie zur Technologie
des Leitungsbaus und zum Flächenverbrauch können
von der Bundesregierung nicht getroffen werden.
Die Frage 10 beantworte ich wie folgt: Über die Trassenführung von Hochspannungsleitungen wird im Rahmen der Planungs- und Genehmigungsverfahren entschieden. Diese Verfahren liegen in der Zuständigkeit
der Bundesländer. Antragsteller für solche Leitungen
sind die jeweiligen Netzbetreiber.
Sie haben jetzt vier Zusatzfragen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
besonders in Bezug auf Frage 9 habe ich eine Zusatzfrage: Gelten für den Transport von erneuerbaren Energien andere Umweltverträglichkeitskriterien bei den notwendigen Untersuchungen als zum Beispiel in dem Fall,
in dem es um die Errichtung von Schienentrassen durch
den Thüringer Wald ging? Das betrifft ja gerade auch die
Kammlagen des Thüringer Waldes.
Das ist mir nicht bekannt. Die Frage kann ich Ihnen
nicht beantworten. Ich glaube aber, nicht.
Bitte.
Danke. - Eine weitere Frage in diese Richtung. Halten Sie bzw. die Bundesregierung es für das ökologische
Gleichgewicht der Kammlagen des Thüringer Waldes
für sinnvoll, solche Schneisen oder Trassen zu schlagen,
oder ist unter Umständen die Errichtung von Tunnelbauwerken, wie es auch bei anderen Bahn- und Verkehrsträgern gemacht wird, ökologisch sinnvoller?
({0})
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über
die ökologische Situation der Kammlagen des Thüringer
Waldes vor.
({0})
- Mir liegen keine vor. Einen Vergleich zwischen Stromleitungen, Autobahnen oder Schifffahrtskanälen will ich
hier nicht anstellen. Ich finde, ich habe Ihre Fragen ordentlich beantwortet. Die letzte Frage kann ich nicht beantworten.
Sie haben noch zwei Zusatzfragen.
Sie sprachen davon, dass die Trassenführung und
auch mögliche Alternativen einzig und allein in der Verantwortung der Länder bzw. der zuständigen Einrichtungen liegen. Trotz alledem haben Sie die Möglichkeit,
hier Einfluss zu nehmen. Haben Sie diese Möglichkeit
unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit, sprich: der
Nutzung möglicher Synergieeffekte, geprüft und haben
Sie Empfehlungen ausgesprochen?
Ich weiß von keiner Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Ich habe Ihnen auf Ihre Frage 10 geantwortet, dass
über mögliche Trassen in den Bundesländern entschieden wird. Die Netzbetreiber entscheiden. Sie müssen das
beantragen. Die Landesregierung ist für die Trassenführung zuständig. Wo wir ansonsten was wie beeinflussen,
weiß ich nicht. Damit ist Ihre Frage ordentlich und korrekt beantwortet.
Noch eine Zusatzfrage?
Nein, danke.
Dann hat der Kollege Grund eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Notwendigkeit für den Neubau der 380 000-Volt-Leitung ergibt sich aus dem Energieaufkommen von Windkraftanlagen in Norddeutschland und dem Verbrauch in Süddeutschland bzw. einer
möglichen Speicherung, weil Energie aus Windkraft
nicht kontinuierlich entsteht und eine Speicherung in
Wasserkraftanlagen nötig ist.
Mich interessieren nun die Kosten. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die Kosten für eine
380 000-Volt-Leitung, die sicherlich im zwei- oder dreistelligen Millionenbereich liegen werden - allein in Thüringen geht es um eine Trasse von 140 Kilometern -,
auch die Kosten beinhalten, die nach dem ehemaligen
Energieeinspeisungsgesetz, heute EEG, für den Aufkauf
einer Kilowattstunde aufgewendet werden müssen, oder
werden diese Kosten für die Ableitung der Energie noch
zusätzlich auf den Verbraucher umgelegt werden?
Wie die Betreiber den Bau einer Trasse oder einer
Leitung finanzieren, weiß ich nicht. Das ist deren Angelegenheit.
({0})
- Ich gehe von nichts aus. Ich habe Ihnen doch gesagt:
Ob eine Trasse gebaut wird, ist zunächst Angelegenheit
der Betreiber; sie müssen das finanzieren. Ob sie eine
Trasse aus Atomkraft, aus Wasserkraft, Windkraft oder
dem, was sie sonst an Geschäften betreiben, finanzieren,
entzieht sich meiner Kenntnis.
({1})
Ich finde, ich habe Ihre Frage beantwortet. Aber Sie können gerne noch einmal fragen.
Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Petra Pau auf:
Auf welcher Rechtsgrundlage versuchen Arbeitsgemeinschaften im Zusammenhang mit der Hartz-IV-Gesetzgebung,
Arbeitslosengeld-II-Empfänger dazu zu verpflichten, Eingliederungsvereinbarungen zu unterschreiben, die es ihnen verbieten, zeitlich und räumlich ihren Wohnort zu verlassen, und
wo ist dies genau geregelt?
Der Bundesregierung ist nicht bekannt, dass die Arbeitsgemeinschaften versuchen, Empfänger von Arbeitslosengeld II dazu zu verpflichten, Eingliederungsvereinbarungen zu unterschreiben, die es ihnen verbieten,
zeitlich und räumlich ihren Wohnort zu verlassen. Auch
die aus einer Vielzahl von Besuchen in den Arbeitsgemeinschaften gewonnenen Informationen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit über die Arbeitsweise der Arbeitsgemeinschaften lassen ein derartiges
Verfahren nicht erkennen. Eine solche Vorgehensweise
würde auch nicht der Rechtslage entsprechen.
Im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende
findet eine umfassende Unterstützung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen mit dem Ziel der Integration in Arbeit statt. Insbesondere benennt die Arbeitsgemeinschaft
bzw. der zugelassene kommunale Träger jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen einen persönlichen Ansprechpartner, der ihn bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt umfassend unterstützt. Zu diesem Zweck wird mit
dem persönlichen Ansprechpartner eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen, die das Sozialrechtsverhältnis zwischen dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
und den Trägern der Grundsicherung konkretisiert. Sie
enthält verbindliche Aussagen zum Fördern und Fordern
des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, legt also beiderseitige Rechte und Pflichten fest.
Die Umsetzung der Integrationsanstrengung erfordert es, dass der erwerbstätige Hilfebedürftige in der Regel jeden Werktag für den persönlichen Ansprechpartner
erreichbar ist. Aus diesem Grund enthält die Eingliederungsvereinbarung unter anderem die Verpflichtung des
Arbeitslosengeld-II-Empfängers, werktäglich für den
zuständigen SGB-II-Leistungsträger persönlich an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort erreichbar zu sein und sich nur nach Absprache und mit
Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufzuhalten. Die
Grundlagen für die angesprochenen Pflichten finden sich
in den Mitwirkungsobliegenheiten des ArbeitslosengeldII-Empfängers nach § 2 SGB II.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Danke. - Herr Staatssekretär, finden Sie nicht auch,
dass sich in Ihrer Antwort ein Widerspruch befand, da
Sie im ersten Teil ausführten, dass es eine solche Verpflichtung nach dem Gesetz nicht gibt, Sie aber gleichzeitig wörtlich die Eingliederungsvereinbarung zitierten,
die mir auch von einem Arbeitsuchenden übermittelt
wurde, nämlich dass er sich schriftlich verpflichten
sollte, sich nur nach Absprache und mit Zustimmung des
persönlichen Ansprechpartners außerhalb des zeit- und
ortsnahen Bereichs aufzuhalten - Ortsabwesenheit?
Nein.
Dann wüsste ich gern, wo es im Gesetz geregelt ist,
dass es eine solche Verpflichtung gibt, und wie die Einhaltung dieser Verpflichtung kontrolliert wird.
Ich habe Ihnen die Obliegenheitspflicht nach § 2 mitgeteilt. Dieser § 2 macht es notwendig, dass derjenige,
der gefördert werden soll, werktäglich für den persönlichen Fallmanager erreichbar und ansprechbar ist. Ich
will Ihnen gleich dazu sagen: Ich halte das auch für völlig richtig, damit wir uns überhaupt nicht missverstehen.
Insofern habe ich auch keinen Widerspruch gesehen,
Frau Kollegin: § 2 SGB II, Obliegenheitspflichten des
Hilfebedürftigen.
Die Fragen 12 und 13 der Kollegin Dr. Maria
Flachsbarth werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung
der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung auf. Die
Fragen 14 und 15 der Kollegin Dr. Herta DäublerGmelin werden schriftlich beantwortet, ebenso die
Fragen 16 und 17 des Kollegen Dr. Hans Georg Faust.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Die
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin Angelika Mertens.
Die Frage 18 des Kollegen Klaus Hofbauer und die
Fragen 19 und 20 des Kollegen Henry Nitzsche werden
schriftlich beantwortet. Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Jörg Tauss werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Hellmut
Königshaus auf:
Trifft es zu, dass das von der Deutschen Bahn AG vorgesehene neue Verkehrskonzept für den Raum Berlin nicht nur
in Abweichung vom bisher mit dem Land Berlin vereinbarten
„Pilzkonzept“ die Streichung der Verkehrshalte am Bahnhof
Zoo und am Ostbahnhof vorsieht, sondern zudem die Verlagerung der Ost-West-Fernverbindungen von der Stadtbahn auf
den neuen Nord-Süd-Tunnel, und wenn ja, welche zusätzlichen Zugbewegungen sind dann auf der Anhalter Bahn - bitte
aufgliedern: vor und nach einer Inbetriebnahme der Dresdner
Bahn - zu erwarten?
Herr Kollege Königshaus, die Deutsche Bahn AG hat
mitgeteilt, dass sie nach wie vor zu dem „Pilzkonzept“
steht.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Wie erklärt sich die Bundesregierung dann anders
lautende Presseberichte?
Wir schreiben diese Presseberichte nicht. Daher
müssten Sie vielleicht bei der Zeitung nachfragen oder
andere Quellen in Anspruch nehmen. Ich kann Ihnen nur
das sagen, was uns die Bahn mitgeteilt hat. Soweit ich
die Presse verfolgt habe, hat auch der Berliner Senat das
bestätigt.
Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass
der Senat kritisiert hat, dass Bahnchef Mehdorn ein solches Konzept in Aussicht gestellt habe?
Davon weiß ich nichts.
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Hellmut
Königshaus auf:
Welche Informationen liegen der Bundesregierung über
mögliche Auswirkungen der zusätzlichen Zugbewegungen
hinsichtlich der zu erwartenden Lärmimmissionen an der Anhalter Bahn vor und wo genau werden die maßgeblichen
Grenzwerte, etwa die für die Nachtzeit maßgeblichen
60 dB, dann überschritten?
Das ist eine ganz kurze Antwort: Keine.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Hans-Michael
Goldmann auf:
Ist es nach Auffassung der Bundesregierung zutreffend,
dass auch künftig nach der Annahme der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
auf Bundestagsdrucksache 15/5514 am 2. Juni 2005 durch
den Deutschen Bundestag keine rechtliche Handhabe besteht,
bei festgestellten Alkoholfahrten ausländischer Schiffsoffiziere ein vorläufiges Fahrverbot auszusprechen, und falls
nein, worin wird hierfür die Rechtsgrundlage gesehen?
Lieber Kollege Goldmann, die Antwort ist Nein. Wie
in der Plenardebatte von der Bundesregierung ausgeführt, können die Behörden der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes bzw. die Wasserschutzpolizeibehörden der Länder im Rahmen der Vereinbarung
über die Ausübung der schifffahrtspolizeilichen Vollzugsaufgaben auf den Seeschifffahrtsstraßen im Rahmen
der Gefahrenabwehr nach § 3 Abs. 1 des Seeaufgabengesetzes in Verbindung mit § 55 der Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung gegenüber ausländischen Schiffsoffizieren ein sofort vollziehbares Fahrverbot aussprechen.
Ihre Zusatzfragen bitte, Kollege Goldmann.
Herzlichen Dank für die Antwort, Frau Staatssekretärin. Sie ist aber falsch. Sie können das gerne mit Experten erörtern.
Ich will noch einmal nachfragen. Es geht darum, dass
einem betrunkenen ausländischen Kapitän nicht der Seeführerschein entzogen werden kann. Habe ich Sie richtig
verstanden, dass Sie der Auffassung sind, dass nach dem
Seeaufgabengesetz einem ausländischen Kapitän die
Fahrerlaubnis entzogen werden kann, wie es auch im
Straßenverkehr gegebenenfalls möglich ist? Kann diese
Maßnahme sofort vollzogen werden?
Ja, im Rahmen der Gefahrenabwehr.
Darüber werden wir uns nicht einigen. Es ist nach
meiner Auffassung verkehrt.
Ich habe noch eine Zusatzfrage, Frau Staatssekretärin.
Wenn das der Fall ist, frage ich Sie: Warum haben Sie
das nicht in den Beschluss aufgenommen, den wir im
Deutschen Bundestag diskutiert haben? Warum haben
Sie in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf verwiesen, dass zur Klärung dieses Sachverhalts weitere
Regelungen notwendig sind?
Der Beschluss ist nicht von der Bundesregierung,
sondern vom Bundestag gefasst worden. Wir haben
diese Beschlussfassung begrüßt. Aber vielleicht trägt die
Beantwortung der nächsten Frage zur Klärung bei.
({0})
Dann rufe ich die Frage 26 des Kollegen HansMichael Goldmann auf:
Ist es nach Auffassung der Bundesregierung zutreffend,
dass nur durch eine Änderung des Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetzes oder des Seeaufgabengesetzes eine rechtliche Grundlage geschaffen werden könnte, um vorläufige
Fahrverbote gegen ausländische Schiffsoffiziere aussprechen
zu können, und wenn ja, warum hat die Bundesregierung noch
keinen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt?
Die Bundesregierung prüft auf der Grundlage des genannten Beschlusses des Deutschen Bundestages, inwieweit durch Änderung des Seeaufgabengesetzes über das
Fahrverbot nach § 31 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1
Satz 1 des Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetzes hinaus bei folgenlosen Trunkenheitsfahrten den Schifffahrtspolizeibehörden die Befugnis eingeräumt werden
soll, ein Fahrverbot als Nebenfolge einer Bußgeldentscheidung zu verhängen.
Die Bundesregierung prüft ferner die Möglichkeit, im
Seeverkehr in Anlehnung an entsprechende Regelungen
im Bereich der Binnenschifffahrt vorläufige Maßnahmen
wie die vorläufige Sicherstellung von Fahrerlaubnissen
im Rahmen des völkerrechtlich Zulässigen einzuführen.
Diese Maßnahmen sollen auch für Schiffsoffiziere gelten, die nicht deutsche Staatsangehörige sind.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Geschätzte Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mit
mir überein, dass Sie meine Kritik eben bestätigt haben?
Sie haben nämlich sehr richtig den Unterschied angeführt, der sich aus dem Begriff „folgenlos“ zwischen
dem Seeverkehr und dem Straßenverkehr ergibt. Im
Klartext bedeutet das, dass das, was im Straßenverkehr
erlaubt ist - nämlich einem betrunkenen Autofahrer den
Führerschein zu entziehen, obwohl er folgenlos durch
die Gegend gefahren ist -, im Schiffsverkehr nicht zulässig ist. Sie müssen jetzt zu einer Regelung kommen, die
den Entzug der Fahrerlaubnis ermöglicht, wenn ein Kapitän oder ein anderes Mitglied der Führungsmannschaft
betrunken seinen Dienst verrichtet.
Herr Goldmann, wenn Sie den Antrag gründlich gelesen haben - davon gehe ich aus -,
({0})
dann wissen Sie, dass es uns nicht nur um ein Sanktionsinstrument, sondern auch um ein Präventionsinstrument
geht. Insofern müssen auch folgenlose Trunkenheitsfahrten sanktioniert werden können. Das sieht der Beschluss
vor und wir prüfen, inwiefern eine entsprechende Regelung möglich ist.
Ich glaube aber, dass unsere Auffassungen nicht auseinander liegen. In der geltenden Fassung des SUG geht
es um Trunkenheitsfahrten, bei denen etwas passiert
bzw. der Betrunkene erwischt wird. Uns allen liegt sicherlich an einer präventiven Regelung, damit auch folgenlose Trunkenheitsfahrten geahndet werden können.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Das ist richtig. Unsere Positionen weichen nur deshalb voneinander ab, weil das SUG durch Sie geändert
und damit diese Möglichkeit genommen worden ist.
Wann gedenken Sie, den Rechtsrahmen so abzustecken,
dass auch bei der folgenlosen Trunkenheitsfahrt entweder durch eine Änderung des SUG oder des Seeaufgabengesetzes die Sanktionsmöglichkeit des Sofortvollzugs gegenüber dem ausländischen Kapitän besteht?
Wir sind schon dabei.
({0})
Richtig, Herr Kollege, Sie haben keine Zusatzfrage
mehr, tut mir Leid.
Aber wir gehen im Guten auseinander. Wir können
noch telefonieren, Herr Goldmann.
({0})
- Darin bin ich mir nicht so sicher.
Die Frage 27 des Kollegen Michael Kretschmer wird
ebenfalls schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen 28 und 29 des
Kollegen Bernhard Kaster werden schriftlich beantwortet, ebenso wie die Fragen 30 und 31 des Kollegen
Hartmut Koschyk.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Plenardebatte um
14 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b sowie
Zusatzpunkt 2 auf:
2 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sechzehnter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung
der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2
- Drucksache 15/4995 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({1})
zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina
Reiche, Dr. Maria Böhmer, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Konsequenzen aus dem Studiengebührenurteil
für die Bildungs- und Hochschulfinanzierung
des Bundes
- Drucksachen 15/4931, 15/5592 Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Berg
Katherina Reiche
Monika Lazar
Ulrike Flach
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst
Dieter Rossmann, Dieter Grasedieck, Gesine
Multhaupt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje
Bettin, Monika Lazar, Volker Beck ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für ein integriertes EU-Bildungsrahmenprogramm - Mobilität und Austausch für ein zusammenwachsendes, innovatives und wettbewerbsfähiges Europa
- Drucksache 15/5675 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Edelgard Bulmahn.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! Es ist ungefähr zwei Monate her,
dass wir hier im Bundestag über den unsäglichen Schlingerkurs der CDU/CSU in Sachen BAföG diskutiert haben.
({0})
Es ist mir eine ausgesprochene Freude, Ihnen heute noch
einmal schwarz auf weiß Zahl um Zahl belegen zu können, welch erfreuliche Entwicklung das von uns reformierte BAföG genommen hat.
({1})
Bei unserer Regierungsübernahme, liebe Kolleginnen
und Kollegen, fanden wir eine wirklich katastrophale Situation vor.
({2})
- Wenn Sie darüber lachen, Herr Mayer, ist das erschreckend. Wenn Sie, meine Herren und Damen, es lächerlich finden, dass unter Ihrer Regierungsverantwortung
die Zahl der Studienanfänger dramatisch zurückgegangen war, und zwar insbesondere aus Familien mit niedrigem Einkommen, dann sitzen Sie hier am falschen Platz,
Herr Mayer.
({3})
Wenn das typisch ist für die CDU/CSU, dann kann ich
nur sagen: Gnade Gott!
({4})
Wir haben eine katastrophale Situation vorgefunden,
weil Sie das BAföG wirklich systematisch in Grund und
Boden gewirtschaftet haben.
({5})
Das haben wir alle hier erlebt. Sie haben das BAföG
über viele Jahre gekürzt und die Mittel für andere Dinge
eingesetzt.
({6})
Das hatte Konsequenzen. Ich sage es noch einmal
ausdrücklich: Die Zahl der Studienanfänger - besonders
aus einkommensschwächeren Familien - war dramatisch
zurückgegangen, und zwar gerade in den Bereichen Ingenieurwissenschaften und Naturwissenschaften, wo wir
dringend Nachwuchs brauchen.
Wir haben deshalb, als wir 1998 gewählt wurden und
die Bundesregierung stellten, gesagt: Da müssen wir
wirklich umkehren. Wir brauchen einen Kurswechsel.
Wir müssen jungen Leuten wieder bessere Bildungsund Studienmöglichkeiten schaffen.
({7})
Deshalb haben wir das BAföG grundlegend verbessert.
Wir haben eine grundlegende Reform durchgeführt, die
Ergebnisse zeigt, wie wir heute schwarz auf weiß nachweisen können.
Wir haben ein zweites, mir ebenfalls ganz wichtiges
Ziel erreicht: Wir haben das Vertrauen der Familien und
der jungen Leute in diese Unterstützung der Studienfinanzierung, in diese Förderung wieder zurückgewonnen.
Sie vertrauen wieder darauf, dass sie Hilfe bekommen,
dass sie finanzielle Förderung erhalten. Das ist ein ganz
wichtiger Punkt, auf den ich stolz bin. Daraus will ich
gar keinen Hehl machen.
Im Berichtsraum 2002/2003 - darüber reden wir konnte der Kreis der Geförderten nochmals um
23 Prozent ausgeweitet werden.
({8})
Er liegt nunmehr bei mehr als einer halben Million im
Jahresdurchschnitt. Das bedeutet einen Zuwachs von
fast 50 Prozent seit 1998. Es zeigt, dass es uns wirklich
gelungen ist, Familien zu überzeugen und Jugendliche
an ein Studium heranzuführen und für ein Studium zu
gewinnen,
({9})
die vorher schon aufgegeben hatten und gesagt haben:
Ein Studium kann ich mir einfach nicht leisten.
Das wieder gewonnene Vertrauen in die staatliche
Ausbildungsförderung schlägt sich in einem deutlichen
Anstieg der Studienanfängerzahlen nieder. 1998 begannen knapp 260 000 junge Menschen ein Studium; im
letzten Jahr waren es rund 340 000. Mit 37,5 Prozent lag
die Studienanfängerquote im Jahr 2004 damit so hoch
wie nie zuvor. Aus der 17. Sozialerhebung wissen wir,
dass mehr als zwei Drittel aller BAföG-Geförderten
nach eigenen Angaben ohne BAföG nicht hätten studieren können.
({10})
Anders gesagt: Diese Jugendlichen - zwei Drittel aller
BAföG-Empfänger - hätten keine Chance auf ein Studium gehabt, wenn wir nicht eine grundlegende Reform
des BAföG durchgeführt hätten.
({11})
Ich freue mich ganz besonders, dass gerade Kinder
aus den so genannten - wie es soziologisch so schön
heißt - bildungsfernen Schichten vermehrt ein Studium
aufnehmen. Der Anteil der Studierenden, deren Väter
über einen Hauptschulabschluss verfügen, hat sich im
Zeitraum von 2000 bis 2003 um 5 Prozentpunkte erhöht.
({12})
Die Verbesserung der Chancengleichheit in der Bildung ist also kein frommer Wunsch geblieben, sondern
ist ein konkretes Ergebnis unserer Politik.
({13})
Insbesondere die mit der BAföG-Reform geschaffene
Garantie, dass auch bei einer Vollförderung, also bei einer Höchstförderung, keiner mehr als 10 000 Euro vom
Staatsdarlehen zurückzahlen muss - das BAföG wird ja
zur Hälfte als Zuschuss gezahlt und zur Hälfte als Darlehen gewährt -, hat ganz offensichtlich erheblich zur Akzeptanz des Förderungsinstruments BAföG beigetragen.
Gleichzeitig allerdings - das sehe ich mit großer
Sorge - hat der Anteil der Studierenden aus Familien mit
einem mittleren Einkommen abgenommen. Das heißt
also, dass es auch Familien mit einem mittleren Einkommen nicht leicht fällt, die Kosten für ein Studium aufzubringen. Das gilt besonders, wenn mehrere Kinder studieren. Hier bleibt das BAföG in seiner gegenwärtigen
Struktur als Sozialleistung für diese Familien das wichtigste Instrument der Unterstützung.
({14})
Umso unverständlicher ist es mir da, wie die Opposition - CDU/CSU und auch die FDP - es verantworten
will, die von ihr entfesselte Diskussion über Studiengebühren nun auch noch mit der Forderung zu verknüpfen, das BAföG abzuschaffen;
({15})
denn nichts anderes ist es, wenn man darüber diskutiert,
ob man das BAföG auf Vollkredit umstellt. Das ist nichts
anderes als eine Abschaffung des BAföG.
({16})
Wenn man Jugendlichen zumutet, ihr Studium voll mit
Krediten zu finanzieren, dann stehen sie am Ende vor einem Schuldenberg von mindestens 50 000 bis
60 000 Euro.
({17})
Da kann ich Ihnen nur sagen: Wenn einige Ihrer Kollegen dann auch noch sagen, man würde die Erhebung von
Studiengebühren sozialverträglich abfedern,
({18})
dann finde ich, dass das wirklich unehrlich ist. Diese
Haltung gegenüber den jungen Leuten kann ich eigentlich gar nicht beschreiben.
({19})
Wenn sie am Ende ihres Studiums 50 000, 60 000 oder
sogar 90 000 Euro - so viel ist es bei einer Vollförderung - Schulden hätten,
({20})
dann würden alle Erfolge, die wir in den letzten Jahren
erreicht haben, wieder zunichte gemacht.
({21})
Deshalb sage ich hier an dieser Stelle noch einmal
ganz klar und unmissverständlich: Das BAföG mit seiner jetzigen Struktur - zur Hälfte als Zuschuss und nur
zur Hälfte als Kredit sowie mit der Schuldenobergrenze
von 10 000 Euro - wird mit dieser Bundesregierung erhalten bleiben.
({22})
Die Sozialdemokratische Partei und Bündnis 90/Die
Grünen - für die kann ich das auch sagen - werden daran nicht rütteln lassen.
Im Übrigen haben wir zwar Erfolg: Wir sind jetzt mit
37,5 Prozent endlich ein ganzes Stück näher an unserem
Ziel, dass 40 Prozent eines Jahrgangs ein Studium aufnehmen. Wir liegen damit aber immer noch unter dem
OECD-Durchschnitt von 51 Prozent. Wir alle wissen
doch, dass wir nicht weniger sehr gut qualifizierte junge
Menschen brauchen, sondern dass wir mehr qualifizierte
junge Menschen brauchen, wenn wir unsere Zukunftschancen wahren wollen und wenn vor allem die jungen
Menschen ihre Zukunftschancen wahren wollen.
({23})
Ohne eine gute Qualifikation geht es nicht; das ist die
wichtigste Voraussetzung dafür, dass man ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Das galt für meine Generation genauso, wie es für die jungen Menschen heute gilt.
Deshalb sage ich noch einmal ausdrücklich: Meine sehr
geehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie
sind auf dem falschen Weg. Mit der Einführung von Studiengebühren kann man Studienbedingungen nicht verbessern. Vielmehr laden Sie jungen Leuten da etwas auf,
was sie nicht tragen können.
({24})
Sie sagen, Sie hätten mit nachlaufenden Studiengebühren ein sozialverträgliches Instrument. Das ist aber
nichts anderes als ein Riesenkredit. Das ist wirklich eine
Verhöhnung der jungen Leute.
({25})
Dass inzwischen auch Ihre Länderkollegen gemerkt
haben, dass man so etwas nicht mal einfach so beschließen kann und sich das alles irgendwie von alleine löst,
kann man daran sehen, dass die KMK seit gut einem
Jahr immer noch nicht zu einem Ergebnis gekommen ist.
Von Ihnen wird zwar immer wieder gesagt: „Ja, wir führen Studiengebühren ein“, aber niemand von Ihnen hat
bisher wirklich ein umfassendes Stipendiensystem auf
den Tisch gelegt.
({26})
Kredite sind keine Stipendien. Wenn Sie immer wieder anderes behaupten, dann ist das - das sage ich Ihnen
ganz ausdrücklich - eine Verhöhnung der Leute.
({27})
Kein einziges CDU-regiertes Bundesland hat bisher ein
Stipendienprogramm auf den Tisch gelegt. Sie sind bisher alle Antworten schuldig geblieben - das muss ich Ihnen leider ausdrücklich sagen -,
({28})
obwohl das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt hat: Es ist die Aufgabe der Länder, die Studiengebühren einführen wollen, dafür Sorge zu tragen, dass
die Sozialverträglichkeit gewahrt bleibt.
({29})
Kredite gewährleisten Sozialverträglichkeit nicht.
({30})
- Wenn Sie sagen, das sei dummes Zeug, dann möchte
ich von Ihnen einmal wissen, wie Sie einem Menschen
mit einem normalen Einkommen erklären wollen, dass
90 000 Euro Schulden - über diese Summe reden wir - ({31})
- Zinseszinsrechnung beherrschen Sie nicht. Das weiß
ich, Herr Rachel; das habe ich schon bei vielen Debatten
bemerkt.
({32})
Sie sollten noch einmal einen Grundkurs Mathematik
belegen. Sie müssen das für ein zehnsemestriges Studium wirklich einmal durchrechnen. Sagen Sie den jungen Menschen und den Familien, wie sie das finanzieren
sollen!
Für diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition kann ich nur sagen: Wir werden auch in Zukunft
gewährleisten - dafür stehen wir -,
({33})
dass junge Menschen Bildungschancen unabhängig von
ihrer familiären Herkunft haben und wahrnehmen können. Wir haben auch schon viel dafür getan - dass wissen Sie -, dass unser Bildungssystem besser wird.
Ich bedauere, dass wir die Exzellenzinitiative nicht
schon vor einem Jahr starten konnten;
({34})
das hätte ich mir sehr gewünscht. Seit einem Jahr diskutieren wir darüber. Auch diese Initiative ist ein wichtiger
Schritt, um die Studienbedingungen deutlich zu verbessern.
Die BAföG-Reform war ein Erfolg und auch die Exzellenzinitiative wird ein Erfolg werden.
Vielen Dank.
({35})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Rachel,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Vorlage des Sechzehnten BAföG-Berichts
will die Bundesregierung zum Anlass nehmen, sich kurz
vor ihrer Niederlage bei der Bundestagswahl ihrer angeblichen Leistungen zu rühmen.
({0})
Die Realität sieht allerdings völlig anders aus.
Die Erhöhung der BAföG-Beträge im Jahr 2001 hat
dazu geführt - das will ich zunächst einräumen -, dass
das Ausgabenvolumen im Bereich der Ausbildungsförderung gestiegen ist. Dies darf allerdings nicht davon ablenken, dass darüber hinaus nichts passiert ist. Es ist
nicht zu einer Anpassung der Fördersätze gekommen,
obwohl die Lebenshaltungskosten gestiegen sind.
({1})
Der Beirat für Ausbildungsförderung, den Sie selbst eingesetzt haben, hat klar gesagt, dass es aufgrund der fehlenden Anhebung von Bedarfssätzen und Freibeträgen
seit 2001 „zu einer schleichenden Aushöhlung des Ausbildungsförderungssystems kommt“.
({2})
Dies ist die Realität der Politik, die Sie als rot-grüne
Bundesregierung zu verantworten haben, meine Damen
und Herren!
({3})
Der Beirat hatte bereits vor Jahren eine Anhebung der
Bedarfssätze und Freibeträge um 3,5 und 4,5 Prozent gefordert. Das haben Sie hinten im BAföG-Bericht versteckt, damit es niemand sieht. Insofern gibt es für Sie
keinen Anlass, Lorbeeren zu ernten. Ich finde es peinlich, dass Sie zu dieser Forderung des Beirats nichts gesagt haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Tauss?
Das will ich uns allen ersparen.
({0})
Statt sich um Ihre Aufgaben zu kümmern, prügeln Sie
in Sachen Studiengebühren auf die Union ein. Frau
Bulmahn, Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Sie haben die Schlappe vor dem Bundesverfassungsgericht erlitten. Sie haben es bis heute nicht für nötig befunden, ein zukunftsweisendes Konzept zur Studienfinanzierung vorzulegen.
Wir als Unionsfraktion haben einen Antrag eingebracht, der schlüssig und ausgewogen ist. Es ist realitätsfern, die Unterfinanzierung der Hochschulen nicht zur
Kenntnis zu nehmen. Zurzeit fehlen den deutschen
Hochschulen nämlich 3 bis 4 Milliarden Euro. Ihre Antwort auf das Fehlen der Mittel ist gewesen, zusätzlich
noch die Hochschulbaumittel zu kürzen. Ich halte dies
für unverantwortlich.
({1})
In Deutschland sind die privaten Ausgaben für Bildung sehr niedrig. Die privaten Ausgaben im tertiären
Bildungsbereich haben in den USA einen Anteil von
1,8 Prozent am Bruttoinlandsprodukt, in Deutschland
liegt die Quote nur bei 0,1 Prozent. Wenn die Hochschulen ihre hervorragende Position in Forschung und Lehre
erhalten und ausbauen wollen, brauchen wir höhere private Bildungsausgaben. Dazu gehören auch - nicht nur,
aber auch - Studiengebühren, jedenfalls dann - das machen wir zur Voraussetzung -, wenn die Hochschulen sie
selber wollen. Nicht die Politik soll ihre Einführung vorgeben, sondern die Hochschulen sollen die Möglichkeit
bekommen, sie einzuführen.
({2})
Auch der Sachverständigenrat und die Experten, die den
von Ihnen in Auftrag gegebenen „Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands“ erarbeiten,
haben Ihnen übrigens deutlich ins Stammbuch geschrieben, dass es richtig ist, den Hochschulen die Möglichkeit
zu geben, Studiengebühren einzuführen, wenn sie es
wollen. Ihre Ideologie aber macht Sie blind. Hören Sie
auf den Rat Ihrer eigenen Fachleute!
({3})
Gesamtgesellschaftlich gesehen wird das auch immer
mehr zu einer Frage der sozialen Gerechtigkeit. Wie sollen wir es denn begründen, dass alle Familien, egal auf
welcher sozialen Stufe sie stehen, Gebühren für die Betreuung der Kinder in Kindergärten und ihre vorschulische Ausbildung zahlen müssen, gleichzeitig aber für
eine Weiterqualifizierung in Form eines Studiums, von
der nachher nur ein kleiner Teil der jungen Leute profitiert, keine Eigenbeiträge verlangt werden? Dies ist gerade auch angesichts der Tatsache problematisch, dass
heute das IAB noch einmal klar erklärt hat, dass Akademiker, also Menschen mit Hochschulabschluss, wesentlich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Insofern ist es also verantwortbar, dass sich in einer
Situation, wo wir Kindergartenbeiträge von allen Eltern
erheben, auch die Studierenden, die nachher bessere Berufschancen haben, mit einem verantwortbaren Betrag
an der Studienfinanzierung beteiligen.
({4})
Nach unserer Auffassung sind allerdings Bedingungen zu erfüllen. Damit Studiengebühren den Effekt, den
wir wünschen, erzielen können, ist es erforderlich, dass
die Einnahmen aus den Studiengebühren zweckgebunden den Hochschulen für die Verbesserung von Lehre
und Studienbedingungen zur Verfügung gestellt werden;
denn die Studierenden müssen auch merken können,
dass sich an ihrer Alma Mater, an ihrer Fachhochschule
oder Hochschule, etwas verbessert, zum Beispiel im Bereich der Betreuung in Form von zusätzlichen Tutorien
und durch eine verbesserte Ausstattung der Hochschulen. Das ist ein konkreter Ansatz, um die Studienbedingungen für die Studenten zu verbessern.
Meine Damen und Herren, die OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ hat deutlich gemacht, dass trotz
Studiengebühren beispielsweise in Australien und Kanada deutlich mehr Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien als in der Bundesrepublik studieren. Dies zeigt, dass
vernünftig abgewogene Studiengebühren ein gutes Instrument sein können.
Wir möchten, dass die Gebühren sozial verträglich
ausgestaltet werden.
({5})
Das kann dadurch geschehen, dass entweder nachlaufende Studiengebühren eingeführt werden, oder dadurch,
dass nach Abschluss des Studiums ein verzinsliches Darlehen in Abhängigkeit vom Einkommen zurückgezahlt
wird.
({6})
Hierbei muss es allerdings eine Obergrenze geben.
({7})
Wir sind der Meinung, dass ein Höchstwert bei den Studiengebühren von 500 Euro pro Semester akzeptabel ist;
denn Qualität darf auch etwas kosten. Bei einem zehnsemestrigen Studium, Frau Bulmahn - hören Sie gut zu -,
entsteht damit für einen Studierenden eine Darlehensschuld von 5 000 Euro.
({8})
Wenn Sie stattdessen Beträge von 60 000 oder
90 000 Euro in die Welt setzen, dann handelt es sich um
nichts anderes als um eine plumpe Fälschung und Irreführung der Öffentlichkeit, die ich in aller Form zurückweise. Es geht in der Realität um 5 000 Euro!
({9})
Auch diese 5 000 Euro soll der Student erst dann zurückzahlen, wenn er tatsächlich einen richtigen Beruf,
also keinen Minijob, gefunden hat, aus dem er ein entsprechendes Einkommen erzielt, sodass er in der Lage
ist, den Betrag von 5 000 Euro zurückzuzahlen. Dies ist
sozial verträglich und angemessen. Wir akzeptieren auch
nicht, dass Sie auf die Angebote der Kreditanstalt für
Wiederaufbau, die sich ja um vernünftige Möglichkeiten
der Finanzierung von Studium und Lebenshaltung in
Form von Kreditangeboten bemüht -
Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr!
Ihre Redezeit ist überschritten.
Gerne. - Wir wünschen uns, dass Sie auf diese Angebote konstruktiv zugehen und sie nicht einfach von der
Hand weisen.
Herr Kollege, ich wäre sehr dankbar, wenn Sie auch
die Konsequenzen daraus ziehen würden.
Mache ich gerne. - Die Union diskutiert, die Regierung blockiert. Dies werden wir im September beenden.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Union - so hört man von Frau Merkel - will
die Bildungspolitik zum Wahlkampfthema machen. Daran ist zunächst einmal nichts auszusetzen.
({0})
In der heutigen Debatte können wir sehen, für welche
Bildungspolitik die Union wirklich steht.
({1})
Es wird sich wieder einmal zeigen, dass Chancengleichheit für sie ein Fremdwort ist.
Ich beginne einmal mit dem Thema BAföG. Wir, die
rot-grüne Koalition, haben die Ausbildungsförderung
zwischen 2000 und 2005 um mehr als 50 Prozent gesteigert. Wir haben die Förderbedingungen erleichtert und
für die Rückzahlung eine Obergrenze von 10 000 Euro
gesetzt. Das bedeutet, heute bekommen mehr Studierende BAföG und der Schuldenberg am Ende des Studiums bleibt überschaubar.
Derzeit erhält jeder vierte Studierende in der Regelstudienzeit eine Förderung. Mehr als zwei Drittel der
BAföG-Geförderten sind auch darauf angewiesen und
hätten nach eigenen Angaben - Ministerin Bulmahn hat
es schon gesagt - ohne BAföG gar nicht angefangen zu
studieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen wir einmal
zurück: Was war vorher, als Union und FDP regiert haben? Ganz klar: Unter Schwarz-Gelb wurde das BAföG
total gegen die Wand gefahren. Die Förderquote ging
massiv zurück. Am Ende der Regierungszeit waren es
kaum noch 16 Prozent der Studierenden, die überhaupt
BAföG bekommen haben.
({2})
- Das war Kohl, genau.
({3})
Ganz klar auch: Unter Schwarz-Gelb wird Studieren
zu einem echten Armutsrisiko.
({4})
Ihr Ziel ist es, flächendeckend Studiengebühren einzuführen, und zwar fast ohne soziale Absicherung. Sie
wollen das BAföG entweder abschaffen oder zulasten
der Studierenden ohne reiche Eltern umbauen. Das Ende
vom Lied: Ein begabter junger Mensch aus ärmeren Verhältnissen könnte in Deutschland nicht mehr studieren,
ohne schon beim Berufseinstieg pleite zu sein; so viele
Schulden würden Sie ihm bis zum Ende seines Studiums
aufhalsen.
Das Ergebnis Ihrer Hochschulpolitik heißt auf den
Punkt gebracht: Studieren nur noch für Reiche. Dabei
geht es doch gerade darum, mehr Menschen den Zugang
zu einem Studium zu ermöglichen. Die Nachfrage nach
akademisch ausgebildeten Menschen in Deutschland
steigt. Eine gute Ausbildung ist für alle jungen Menschen der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit und damit
auch der beste Schutz zur Sicherung unserer Zukunftsfähigkeit.
({5})
Nun zum Antrag der Koalition zum Bildungsrahmenprogramm der EU ein paar Worte. Was will dieser
Antrag? Er unterstützt die Bemühungen der EU, ihre
ehrgeizigen Pläne in der Bildungspolitik umzusetzen.
Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, durch mehr Austausch
von Lehrenden und Lernenden die europäische Integration voranzutreiben und die Wettbewerbsfähigkeit zu
stärken, wie es auch die Lissabon-Strategie vorsieht. Das
ist ein gutes und wichtiges Zukunftsprogramm. Auch
wenn es etwas kosten wird: Das Geld ist sehr gut angelegt. Die Bildungspolitik auf nationaler Ebene muss hier
natürlich nachlegen, damit diese Programme optimal
laufen können. Wir müssen die Bildung in allen Lebensphasen stärken. Die finanziellen Mittel hierfür wollen
wir aus einem konsequenten Subventionsabbau, vor allem aus der Eigenheimzulage, aufbringen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, den
so notwendigen Subventionsabbau haben Sie aus purer
Machtstrategie mit Ihrer Blockadepolitik bislang verhindert. Jetzt wollen Sie mit dem Geld scheinbar Steuersenkungen finanzieren. Deshalb ist es besonders heuchlerisch und geradezu absurd,
({7})
dass Sie kürzlich von der Bundesregierung ein staatlich
gefördertes Bildungssparen und die Einführung eines Erwachsenen-BAföG gefordert haben. Wie wollen Sie
denn das finanzieren - aus Ihren Steuersenkungen? Aus
Ihrer steuersubventionierten Kopfpauschale? Die Wahrheit ist doch: Sie wollen keinen Cent zusätzlich für Bildung ausgeben.
({8})
Frau Merkels Bildungspolitik - das steht fest - ist radikaler Bildungsabbau. Der letzte Beweis hierfür ist, was
Frau Kollegin Professorin Dr. Böhmer für die Union
klargestellt hat: Das Bundesbildungsministerium soll abgeschafft werden. Falls Schwarz-Gelb an die Macht
käme, würde die Bildungspolitik des Bundes stillgelegt.
Sie wollen sich aus der Verantwortung stehlen und die
Bildung komplett den Ländern überlassen. Viele von denen haben schon jetzt größte Mühe, den staatlichen Bildungsauftrag überhaupt zu erfüllen.
({9})
Ich sage Ihnen eines: Mit bildungspolitischen Lippenbekenntnissen führen Sie die Wählerinnen und Wähler
nicht hinters Licht. Kahlschlag lautet die bildungspolitische Devise von Schwarz-Gelb. Das werden wir im bevorstehenden Wahlkampf auch deutlich machen.
({10})
Wir werden mit aller Macht dafür kämpfen, dass der Bildung und Ausbildung junger Menschen weiterhin die
nötige Aufmerksamkeit geschenkt und dafür der nötige
Teil vom Haushaltskuchen abgegeben wird. Diese Ausgaben werden sich bezahlt machen.
Danke schön.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie merken es: Rot-Grün und die Ministerin sind mir auf die
Stimme geschlagen. Ich hoffe, ich kann mich trotzdem
verständlich machen.
({0})
Ich muss wirklich sagen: Die Chuzpe, die wir hier gerade wieder erlebt haben, ist schon bemerkenswert. Eine
offenbar sehr erfolgreiche Koalition hat sich hier eben
wieder vorgestellt - so, als wären Sie nicht kurz vor dem
Zusammenbrechen.
({1})
Sie reden über die Zeit der berühmten Vorgängerregierung - angeblich hat sie versagt -, anstatt über Ihre
Zeit zu sprechen.
({2})
Begreifen Sie es doch endlich: Die Vorgängerregierung
war die erste rot-grüne Regierung - nicht die Regierung
Kohl - und in deren Regierungszeit haben Sie versagt.
({3})
Das können wir gerade im Zusammenhang mit dem
BAföG wunderbar erkennen: Seit 2001 haben Sie die
BAföG-Sätze und die Freibetragsgrenzen nicht mehr angepasst; das ist doch das Problem.
({4})
In dieser Zeit sind die Lebenshaltungskosten gestiegen
- ich will nicht wiederholen, was der Kollege Rachel
hier gesagt hat - und deshalb können wir uns, wenn wir
in diesem Bereich nicht mehr Geld auszugeben vermögen, nur damit behelfen, dass wir uns auf die wirklich
Bedürftigen konzentrieren
({5})
und die Mittel effektiver zu verwenden versuchen.
({6})
Das bedeutet in erster Linie angemessene, also höhere
Bedarfssätze und vor allem kürzere Studienzeiten.
Das Problem ist, dass die Studienbedingungen hier
es nicht ermöglichen - auch das haben Sie ganz wesentlich zu verantworten -, zügig zu studieren.
({7})
Deshalb muss es bei uns wieder zu Verhältnissen kommen, die es möglich machen, kürzer zu studieren. Das
bedeutet natürlich: weniger jobben und auch das Unterbinden von Parkstudien und Ähnlichem. Damit sind wir
bei der Frage der Hochschulfinanzierung.
Aber bevor ich darauf zu sprechen komme, möchte
ich hier eine weitere Chuzpe von Ihnen ansprechen.
Heute Morgen wurde uns Ihr Antrag zum EU-Bildungsrahmenprogramm vorgelegt. Die verantwortliche Ministerin sagt zu diesem Bereich überhaupt nichts. Auch Sie
haben dazu bisher nichts gesagt.
({8})
- Ja. - Dieses Papier umfasst acht Seiten. Angesichts der
knappen Zeit konnte man es nicht einmal richtig durchlesen.
({9})
Nun soll es hier behandelt und anschließend soll darüber
abgestimmt werden. Das ist wirklich eine Frechheit.
({10})
Das entspricht Ihrer Arbeitsweise. Dadurch sind Ihre
handwerklichen Fehler zustande gekommen, weswegen
Sie früher immer nachbessern mussten. Was Sie schreiben, klingt alles ganz gut.
({11})
Es kann aber auch sein, dass darin irgendwelche Finten
stecken. Wir können dem heute nicht zustimmen, weil
wir gar nicht wissen, welche Probleme mit der Annahme
dieses Antrages verbunden sind.
Zurück zur Hochschulfinanzierung. Wir müssen für
mehr Steuerung sorgen und auch das Eigeninteresse der
Studierenden aktivieren, damit sie schneller und konzentrierter studieren, und wir müssen die Bedingungen dafür schaffen, dass sie es auch tun können. Wie ich schon
gesagt habe, darf es keine Scheinstudenten zulasten der
Allgemeinheit mehr geben; diese Studenten belasten natürlich auch diejenigen, die tatsächlich studieren. Wer
sich nur deshalb an einer Universität einschreibt, weil er
so preiswerter mit der S-Bahn fahren kann oder preiswerter krankenversichert ist, der darf das System nicht
belasten.
Studienentgelte sind ein wunderbares Mittel, um dieses Eigeninteresse zu aktivieren. Das bringt für die Zukunft - nachlaufende - Belastungen mit sich. Geld soll
nur bei denjenigen eingetrieben werden, die tatsächlich
bessere wirtschaftliche Verhältnisse erreicht haben. Sie
tun ja so, als ob Sie es hier mit Barbaren zu tun hätten.
Es geht um einen Betrag von maximal 5 000 Euro. Der
Kollege Rachel hat das eben schon dargestellt. Deshalb
ist es geradezu lächerlich, solche Horrorgemälde zu
zeichnen.
({12})
Was wir allerdings brauchen, ist in der Tat, dass diese
Mittel bei den Hochschulen bleiben.
({13})
- Was heißt „Wie?“ Es ist klar, dass Sie es nicht wissen.
Wir werden es Ihnen demnächst vormachen.
({14})
Wir müssen sicherstellen, dass das Geld tatsächlich an
den Hochschulen eingesetzt wird.
({15})
- Genau, wie in Baden-Württemberg. Danke schön für
den Hinweis.
({16})
Es muss weniger Bürokratie geben und die Stellung
der Studierenden als Nachfragemacht muss gestärkt werden. Nur so wird das Interesse der Universitäten geweckt, sich für die Belange der Studierenden wirklich
einzusetzen.
Zu dem Ansatz der KfW für Studienkredite brauche
ich nichts zu sagen. Das begrüßen wir sehr. Wir loben
ausdrücklich die Bundesregierung, dass sie das zulässt,
was ja nicht selbstverständlich ist. Insgesamt ist es ein
guter Ansatz.
Noch eine letzte Bemerkung, Frau Präsidentin. Der
Antrag der Union enthält richtige Ansätze. Wir haben
keinen Zweifel daran, dass das Niveau der Hochschulbaufinanzierung wieder angehoben werden muss. Wir
sind froh, dass Sie von Ihrer Radikalposition, nämlich
der Abschaffung des HRG, abgerückt sind. Sie hätten
eigentlich unseren Antrag, den wir zu diesem Punkt eingebracht hatten, übernehmen können.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss
kommen.
Ich komme zum Schluss.
Wir vermissen aber ein klares Bekenntnis zum
BAföG. Deshalb können wir Ihrem Antrag in dieser
Form nicht zustimmen.
Herr Kollege.
Wir müssen uns daher in diesem Punkt enthalten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Ihnen,
Frau Präsidentin, für Ihre Geduld.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich bin Abgeordnete der PDS.
Wir als PDS lehnen Studiengebühren ab.
({0})
Dafür gibt es soziale und wissenschaftspolitische
Gründe. Die sozialen Gründe liegen klar auf der Hand:
Studiengebühren sind unsozial. Sie belasten finanzschwache Eltern härter als finanzstarke. Nach den Vorstellungen von CDU und CSU sollen alle Studierenden
500 Euro pro Semester zahlen, egal ob sie Söhne oder
Töchter von Bankvorständen oder Briefträgern sind. Das
ist ungerecht.
({1})
Sie geben zwar vor, eine sozialverträgliche Lösung
anzustreben. Doch es gibt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Januar aus keinem CDU- oder
CSU-geführten Land einen wirklich sozialverträglichen
Vorschlag.
({2})
- Sie haben Recht, Herr Tauss. - Sie haben den Eindruck
erweckt, Sie hätten Ihre Vorschläge schon in der Schublade und würden sie nach dem Urteil sofort aus der
Tasche ziehen. Ich finde es erschreckend und verantwortungslos, dass CDU und CSU Studiengebühren offensichtlich ohne eine einzige sozialverträgliche Sicherung
durchpeitschen wollen.
({3})
Es gibt auch wissenschaftspolitische Gründe gegen
Studiengebühren. Die OECD hat eine schöne Übersicht
über die Studienanfängerquote für ausgewählte Länder
vorgelegt: Neuseeland liegt mit 75,8 Prozent auf Platz
eins und Deutschland nur auf Platz 23. Polen liegt auf
Platz vier und Ungarn auf Platz acht. Wir dürfen also den
Zugang zu Bildung nicht durch Studiengebühren verengen, sondern wir müssen den Zugang zum Studium
weiter öffnen. Das ist das Gebot der Stunde.
({4})
In unserem Land studieren nicht zu viele junge Menschen, sondern zu wenige. Hinzu kommt, dass sich die
wenigen Studierenden noch weniger Studienplätze teilen
müssen. Nun argumentiert die CDU/CSU, dass die
Studiengebühren zur Verbesserung der Lehre verwendet
werden könnten. Damit treffen Sie zunächst den Nerv
vieler Studierenden, die mit den Studienbedingungen
nicht zufrieden sind. Doch es ist in Anbetracht der überschuldeten Länderhaushalte völlig klar, dass die Universitäten auch mit Studiengebühren nicht mehr Geld in die
Kassen bekämen. Es wäre ein Nullsummenspiel. Denn
die Studiengebühren würden mit den Landeszuschüssen
verrechnet werden.
Es ist kein Luxus, wenn wir ein studiengebührenfreies Studium fordern. Im Gegenteil: Die Länder mit
den besten Bildungsvoraussetzungen für die nächste Generation werden langfristig ihren Lebensstandard sichern
können.
Ich finde es schon erstaunlich, wie sich alle Parteien
um den Niedriglohnsektor streiten und chinesische Verhältnisse anstreben.
({5})
Wir als PDS sind die Ausnahme. Wir legen den Schwerpunkt auf den Hochlohnsektor. Wir müssen hier in
Deutschland in den Hochlohnsektor investieren. Dort
liegen die Produktivitäts- und Wertschöpfungsreserven
der Zukunft oder - für CDU/CSU-Ohren verständlicher
formuliert -: Studiengebühren sind Gift für den Standort
Deutschland.
({6})
Dass die Niedriglohnpolitik gescheitert ist, sehen wir
tagtäglich im Osten unseres Landes. Gerade im Osten
brauchen wir eine Kehrtwende um 180 Grad. Gerade
dort brauchen wir mehr Studierende, mehr hochqualifizierte Absolventen und mehr Wissenschaft und Forschung.
({7})
- Wenn Sie eine Frage haben, melden Sie sich doch zu
einer Zwischenfrage!
Abschließend möchte ich meiner Freude darüber
Ausdruck verleihen, dass allein die Ankündigung der
Gründung einer größeren Linkspartei in Deutschland
dazu geführt hat, dass in allen anderen Parteien über linkes Gedankengut in Wahlprogrammen nachgedacht
wird.
({8})
Es wäre gut, wenn das auch über den Wahltag hinaus reichen würde.
Vielen Dank.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Berg, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir wollen mehr Studierende und wir wollen, dass mehr
junge Menschen aus finanziell schwachen Elternhäusern
studieren.
({0})
- Das ist gut so. Aber das prägt sich Ihnen anscheinend
nicht ein. Behalten Sie es auch! - Das erreichen wir nur,
wenn wir den Studierwilligen den Weg nicht durch hohe
Kosten verbauen.
({1})
Unsere Überzeugung lautet daher kurz und knapp:
Wir setzen weiterhin auf das BAföG und auf ein gebührenfreies Erststudium.
({2})
Eine Neukomposition der Studienfinanzierung, wie die
Union sie vorhat, ist aus unserer Sicht nichts anderes als
eine Symphonie des Grauens.
({3})
Die CDU/CSU will das BAföG abschaffen und stattdessen ein Kreditsystem installieren. Das heißt, die Studierenden, die von Hause aus zu wenig Geld zum Studieren haben, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren,
müssen einen Kredit aufnehmen.
({4})
Bei einem monatlichen Kredit von 650 Euro über vier
Jahre müsste ein Studierender - das sind noch einmal die
Zahlen der Ministerin - am Ende mehr als 47 000 Euro
zurückzahlen - und das nur im besten Fall, nämlich bei
einem extrem niedrigen Zinssatz von - ich nenne Ihnen
diesen genau - 5,1 Prozent; Sie können das nachrechnen.
({5})
Schon damit wäre die Belastung fünfmal höher als die,
die sich durch das heutige BAföG ergibt. Aber das ist
noch nicht alles: Oben drauf kämen dann noch die
Schulden durch Studiengebühren; denn diese sind in Ihrer Modellrechnung noch gar nicht enthalten.
Führen wir uns doch lieber einmal vor Augen, was
durch das BAföG erreicht wurde.
({6})
- Es stört wahnsinnig, wenn Sie permanent Gegenreden
halten. Das haben wir bei Ihnen auch nicht gemacht. Sie
sollten ein bisschen leiser sein.
({7})
Jeder Vierte der knapp 2 Millionen Studierenden in
Deutschland erhält in der Regelstudienzeit BAföG. Ohne
diese Finanzspritze könnten die meisten der Geförderten
nicht studieren. Das hat die letzte Untersuchung des
Deutschen Studentenwerks gezeigt. Der BAföG-Bericht
macht zudem deutlich: Das Bildungspotenzial aus
finanzkräftigen, bildungsnahen Familien haben wir weitgehend ausgeschöpft. Aber es finden immer noch zu wenige Kinder aus einkommensschwachen, bildungsfernen Familien den Weg an die Hochschule. Es sind genau
11 Prozent.
({8})
Das liegt zum einen daran, dass viele dieser Kinder
gar nicht erst bis zum Abitur kommen. Hier spielen Auswahlmechanismen im Schulsystem eine Rolle, auf die
wir natürlich nicht mit hochschulpolitischen Maßnahmen einwirken können. Aber diejenigen, die es bis zur
Hochschulreife schaffen, können wir hochschulpolitisch
unterstützen.
({9})
Für diese Gruppe ist die finanzielle Unterstützung ein
ganz ausschlaggebendes Kriterium dafür, ein Studium
aufzunehmen. Die HIS-Studie vom März dieses Jahres
wurde eben schon mehrfach zitiert; da können Sie dies
ganz deutlich nachlesen.
Wer das BAföG abschaffen und es durch Kredite
oder Darlehen ersetzen will, der hält diese jungen Menschen von einem Studium ab. Wir wollen genau das
Gegenteil. Deshalb hat die rot-grüne Bundesregierung
das BAföG seit 1998 enorm aufgestockt; die entsprechenden Zahlen haben Sie eben gehört.
({10})
Diese Bundesregierung hat die Bedarfssätze erhöht,
({11})
den Empfängerkreis erweitert und die Rückzahlung auf
maximal 10 000 Euro begrenzt.
Es kamen gerade von der Opposition Zurufe, dass die
Sätze nicht weiter angehoben wurden. Diese Kritik mag
teilweise berechtigt sein. Aber wenn Sie gleichzeitig fordern, das BAföG abzuschaffen, dann ist das geradezu lächerlich.
({12})
- Sie nennen etwas BAföG, was gar kein BAföG ist,
Herr Rachel.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Tauss?
Ja, gerne.
({0})
Frau Kollegin Berg, da Herr Rachel vermutlich
wusste, wie unbequem meine Frage sein würde, und sie
abgelehnt hat, möchte ich Sie an dieser Stelle zu den Bedarfssätzen fragen und nur darauf aufmerksam machen,
dass in Ihrer Auflistung möglicherweise untergegangen
ist - danach frage ich Sie -, dass wir es waren, die dafür
gesorgt haben, dass das Kindergeld nicht mehr auf das
BAföG angerechnet wird, und dass das einer der ganz
entscheidenden Reformschritte war. Könnten Sie uns zu
diesem Thema noch ein paar Erläuterungen geben?
({0})
Ich kann nur bestätigen, was Sie gesagt haben.
({0})
- Ich bestätige, was Herr Tauss gesagt hat. Mehr will ich
dazu eigentlich gar nicht ausführen.
({1})
Unsere Reform hat einen regelrechten Run auf die
Hochschulen ausgelöst. Die Studienanfängerquote ist
von 28 Prozent im Jahr 1998 auf gut 37 Prozent eines
Jahrgangs angestiegen. Sie wollen das jetzt durch eine
große Umstrukturierung zunichte machen. Nach Ihrer
vollmundigen Ankündigung im Januar, jetzt im Eilverfahren Studiengebühren einzuführen, wurde allerdings
schnell klar, dass die Union kein Konzept hat, wie das
sozial abgefedert werden kann.
({2})
Nach einem großen Tusch zum Auftakt machte sich
schnell Ratlosigkeit breit, wie es denn nach der Ouvertüre weitergehen soll. Ihre Sinfonie ist bis heute eine unvollendete. In der Musik tut das dem Werk keinen Abbruch, aber in der Politik kann man mit solchen
Bruchstücken nichts anfangen.
({3})
Es ist wirklich absurd, dass Sie in Ihrer Einfallslosigkeit nun von der Bundesregierung fordern, Ihnen ein
Konzept für die Einführung von Studiengebühren zu entwerfen.
({4})
Das steht in völligem Widerspruch zu dem Verhalten Ihrer Parteifreunde in den Ländern, allen voran Roland
Koch; denn die tun wirklich alles dafür, den Bund hochschulpolitisch komplett auszubremsen, und zwar so
lange, bis sich gar nichts mehr bewegt.
Sehr geehrte Damen und Herren von der Union, es ist
unsere Pflicht, für alle jungen Menschen gleiche Chancen in der Berufsausbildung zu schaffen, und zwar mithilfe einer individuellen Ausbildungsförderung. Das
BAföG abzuschaffen hieße, dass sich der Staat von dieser zentralen sozialen und bildungspolitischen Verantwortung verabschieden würde.
Frau Kollegin, auch Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende. - Die Einführung von Studiengebühren würde die Situation zusätzlich dramatisch verschärfen. Das kann nicht in unserem Interesse sein.
Wir wollen gleiche Chancen sowie mehr Bildung und
Qualifikation für alle. Deshalb brauchen wir das BAföG.
Es ist aus sozial- und bildungspolitischer sowie aus ökonomischer Sicht notwendig.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Vera Dominke, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir debattieren heute über einen Bericht zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge, Vomhundertsätze
und Höchstbeträge nach § 21 BAföG. Nicht ohne Grund
ist in § 35 BAföG die regelmäßige Erstellung dieses Berichts vorgeschrieben. Intention des Gesetzgebers war es
nämlich, durch diese Berichtspflicht sicherzustellen,
dass die Ausbildungsförderung in ihrer Höhe nicht von
den allgemeinen Lebenshaltungskosten abgekoppelt
wird.
({0})
Schließlich sollen diese Leistungen - das wissen alle ausreichen, damit junge Menschen in der Ausbildung
von diesem Geld leben können, wenn sie es denn von
Haus aus nicht haben.
Die Leistungen des BAföG dienen von ihrer Idee her
der staatlichen Herstellung von Chancengerechtigkeit.
Bildung und Ausbildung sollen allen jungen Menschen
offen stehen und Geldnot darf keine Barriere für Bildungschancen sein.
({1})
Wir lesen nun in diesem Bericht, dass die vorgelegten
Daten als solche eine Notwendigkeit der Anpassung der
Leistungsparameter begründen. Einen Absatz davor
steht genau das Gleiche mit Bezug auf den letzten Bericht aus dem Jahre 2003. Aber nichts ist passiert.
({2})
Das Fazit dieser Feststellungen hätte - wenn wir an die
Intention des Gesetzgebers denken - lauten müssen, das
BAföG schon im Jahr 2003 und auch 2005 entsprechend
anzupassen.
({3})
Aber nichts ist passiert.
Stattdessen ruht sich die Bundesbildungsministerin
auf der BAföG-Reform des Jahres 2001 aus, die damals bekanntlich auch von der CDU/CSU-Fraktion mitgetragen wurde.
({4})
Das ist also nicht allein Ihre Reform; vielmehr haben wir
alle sie mitgetragen.
({5})
Einmal ist etwas Gutes gemacht worden, das dann für
alle Ewigkeit ausreichen muss. Gut, dass die Ewigkeit
bald zu Ende ist;
({6})
denn das, Frau Ministerin, ist dürftig.
Die Leidtragenden sind die jungen Menschen, die auf
diese staatliche Unterstützung angewiesen sind. Diese
Unterstützung reicht nun nicht mehr aus, da Sie das
Leistungsniveau vor Jahren eingefroren haben. Die
meisten Studierenden müssen jobben, um sich ihren Lebensunterhalt zu sichern. Das ist nicht im Sinne des Erfinders.
({7})
Frau Ministerin, am stärksten sind übrigens diejenigen
betroffen, die aus sozial schwächeren Schichten kommen. Wenn Sie sich also hier hinstellen und darüber jubeln, dass Sie die Zahl der BAföG-Empfänger erhöht haben,
({8})
so ist das von peinlicher Vordergründigkeit.
({9})
Wenn Sie diese gestiegene Zahl von Leistungsempfängern dann auch noch am ausgestreckten Arm verhungern
lassen,
({10})
indem Sie ihnen die notwendigen Leistungsanpassungen
verweigern,
({11})
dann ist das ein Trauerspiel und eine traurige Nichtleistungsbilanz.
({12})
Sie begründen die Stagnation des Leistungsniveaus
damit, dass das nötige Geld fehlt. Damit haben Sie
Recht; denn diese Bundesregierung hat die Bundesfinanzen heruntergewirtschaftet.
({13})
Aber gerade in dieser Situation - wo Sie merken, dass
Sie es nicht können - müssten Sie doch froh und dankbar
sein, dass die Opposition jetzt Vorschläge auf den Tisch
legt und Ihnen Gespräche darüber anbietet, wie die Ausbildungsförderung auf eine Basis gestellt werden kann,
um für die jungen Menschen wieder Bildungschancengerechtigkeit zu schaffen. Warum verweigern Sie jegliches Nachdenken darüber? Ihr lautstarkes Gezeter - das
durften wir auch heute wieder erleben -, die CDU wolle
das BAföG abschaffen, durchschaut inzwischen jeder als
billige Wahlkampfpanikmache.
({14})
In unserem Antrag geht es uns darum, im Zusammenhang mit den Überlegungen zu Studiengebühren, die wir
übrigens gründlich und nicht, wie Sie, im Hopplahoppverfahren anstellen,
({15})
auch die Ausbildungsförderung wieder auf gesunde
Füße zu stellen und sie in ein Studienfinanzierungssystem einzubinden, das die Bedarfe der jungen Menschen
wirklich abdeckt.
({16})
Frau Ministerin, dem englischen Philosophen Herbert
Spencer wird der Ausspruch zugeschrieben: Das große
Ziel der Bildung ist nicht Wissen, sondern Handeln. In
diesem Sinne haben Sie das Bildungsziel - nicht nur
beim BAföG - verfehlt.
({17})
Nächster Redner ist der Kollege Ernst Dieter
Rossmann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Drei Redner der Opposition haben ihre Auffassung zum
BAföG zum Ausdruck gebracht. Aber ich weiß nicht, ob
Sie sich mit der großen BAföG-Reform schmücken wollen, die diese Ministerin und diese Regierung eingeleitet
haben, oder ob Sie sich von ihr distanzieren wollen.
({0})
Sie ist unzweifelhaft etwas Positives. Aber Kritik und
Lobpreisung, das geht nicht.
Eine der Stellungnahmen, die wir bisher gehört haben, war ehrlich: die der FDP. Die FDP hat erstens gesagt, dass sie Änderungen beim BAföG will. Sie will die
Gewährung der Leistungen insbesondere auf diejenigen,
die in materieller Hinsicht schlechter gestellt sind, konzentrieren. Das heißt, Sie wollen die Leistungen, die andere Gruppen bekommen, kürzen. Das ist eine klare Ansage.
Wir dagegen sagen: Das ist nicht unsere Auffassung
vom BAföG.
({1})
Das BAföG muss zu einer Stärkung derjenigen führen,
die wenig Geld haben, und bis in die Mittelschicht hineinreichen; denn in beiden Bereichen wollen wir Studierende gewinnen und für beide Bereiche, auch für die
Kinderreichen, ist eine ausreichende materielle Grundlage wichtig. Aber die klare Ansage der FDP werden wir
den Studierenden gern erzählen. Wir werden ihnen überall sagen, dass die FDP die Förderung der Mittelschicht,
deren Rückgang sie einmal kritisiert hat, jetzt vollkommen abschaffen will. Diese klare Aussage möchte ich
ausdrücklich würdigen.
Sie, Herr Königshaus, haben zweitens gesagt, dass
Sie der CDU/CSU in Bezug auf das BAföG nicht trauen
und ihrem Antrag deshalb nicht zustimmen.
Eine klare und ehrliche Ansage! Das hat Herr Königshaus gesagt.
({2})
Was sagt das über die CDU/CSU aus? Es sagt, dass eines
klar ist: Die CDU/CSU will das BAföG in der jetzigen
Form nicht,
({3})
obwohl genau die jetzige Form Verbesserungen gebracht hat: in Bezug auf die Zahl der Geförderten; in Bezug auf die Zahl der Studierenden; in Bezug auf die Zahl
derjenigen, die eine Vollförderung bekommen; in Bezug
auf die Zahl derjenigen, die sich einen Auslandsaufenthalt während des Studiums leisten können. Die CDU/
CSU will das BAföG in dieser Form nicht erhalten.
({4})
- Das hat Frau Schavan gesagt, das hat Ihr Staatssekretär
in Niedersachsen gesagt, das wird in Brandenburg von
der CDU so gesagt und dazu gibt es auch in Hamburg
sehr konkrete Vorhaben.
Es ist das Gleiche wie mit den Studiengebühren:
1998 hat Herr Stoiber noch verkündet, Sie wollten keine
Studiengebühren - 2002 war das auf einmal anders.
({5})
Das werden wir Ihnen in Bezug auf das BAföG nicht
durchgehen lassen.
({6})
Sie müssen jetzt schon bekennen, was Sie in Bezug auf
das BAföG wollen, und zwar - das ist klar -: Ihnen fließt
zu viel Geld ins BAföG und es wird Ihrer Meinung nach
an der falschen Stelle eingesetzt. Stattdessen wollen Sie
es einsetzen, um Studienkredite zu finanzieren - für
alle. Es ist genau wie bei Ihrer Kopfpauschale, bei der
Sie auch denken, Sie könnten die Krankenschwester wie
den Chefarzt heranziehen.
({7})
So ist es auch hier: Sie wollen die Niedrigverdienenden
belasten und das allen, also auch den Bestverdienenden,
als Förderung zukommen lassen. Wir sind klar dagegen;
das hat unsere Ministerin deutlich gemacht.
Es gibt zwei Eckdaten in Bezug auf das BAföG, zu
denen Sie sich jetzt äußern könnten. Sie könnten jetzt sagen: Selbstverständlich garantieren wir den Studierenden, dass 50 Prozent der Zuwendungen in Form eines
Zuschusses bleiben; das ist das Entscheidende beim
BAföG. Das könnten Sie jetzt hier sagen. Das wäre eine
klare Aussage, eine klare Perspektive. Es wäre im Sinne
der Reform, die auch Sie damals begrüßt und mitgetragen haben. Sie könnten zum Zweiten sagen: Wir gehen
nicht über eine Darlehensschuld von 10 000 Euro hinaus. Das wären zwei klare Ansagen, mit denen Sie sagen würden: Wir stehen zum BAföG. - Sie sagen es
nicht. Sie wollen es nicht.
({8})
Frau Seib, wenn Sie jetzt mehr sagen wollen als die
zwei Vorredner aus Ihrer Fraktion, dann wären Sie mutig, dann wären Sie so mutig, wie es der CSU-Vorsitzende von der hoffnungsvollen Regierungsmehrheit der
Zukunft erwartet: jetzt klar zu sagen, was man will.
({9})
Weil Sie es nicht sagen, sollen Sie eines sicher wissen:
Wir werden es überall bekannt machen, wir werden es
allen Studierenden, allen Familien sagen - in den Mittelschichten, bei den Arbeitern, bei den Angestellten -:
Wählt CDU, CSU und FDP, dann müsst ihr viel mehr
Geld dafür bezahlen, dass eure Kinder studieren. An den
Hochschulen dürfen sie dann Studiengebühren zahlen
und später werden sie durch das Zurückzahlen großer
Darlehenssummen belastet ({10})
im Übrigen auch dafür, um mitzufinanzieren, was diejenigen bekommen sollen, die es gar nicht nötig haben.
Das werden wir bekannt machen. Das wissen im Übrigen auch schon viele Studierende und das weiß man an
den Hochschulen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Deswegen ist dieses eine gute Stunde. Es ist die
Stunde der Wahrheit für Sie. Es ist eine Stunde, in der
wir eine Wahlauseinandersetzung vorbereiten
Herr Kollege, ich darf Sie noch einmal ernsthaft mahnen.
- und wir sind sicher: Die gewinnen wir.
Danke.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Marion Seib, CDU/CSUFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Es ist natürlich sehr schön, wenn ich
auf solch eine emotionale Rede antworten darf. Ich
möchte das zunächst einmal ganz sachlich tun.
({0})
Zuerst einmal: Ihr rot-grünes Projekt ist offensichtlich
am Ende
({1})
und jetzt lassen Sie den Motor noch einmal im Leerlauf
aufheulen. Ihren Antrag zur integrierten EU-Bildungsförderung, der heute auch hier zu bereden wäre, nur einen Tag vor der Debatte einzubringen, das ist schon verdammt schlechter parlamentarischer Stil.
({2})
Dabei ist die Frage nach einem umfassenden EU-Bildungsrahmenprogramm ein zu wichtiger Punkt - und
Sie hätten sieben Jahre Zeit gehabt -, als dass er jetzt
taktischen Spielereien geopfert werden sollte.
({3})
Ein derartiges Hereinquetschen hat die Sache nicht verdient. Sie agieren heute wieder wie üblich: Sie fangen alles Mögliche an, bringen aber nichts zu Ende, sondern
machen gleich die nächste Baustelle auf; und das auch
noch mit falschen Behauptungen.
({4})
So wichtig einzelne Punkte aus Ihrem Antrag auch
sein mögen - der Antrag kommt zur Unzeit. Offensichtlich befinden Sie sich mental bereits in der Opposition.
Es ist jetzt keine Zeit, neue Forderungen zu stellen. Wir
brauchen jetzt einen ordentlichen Haushaltsplan gerade
auch für den Bereich Bildung und Forschung.
({5})
Wir brauchen diese Bilanz, damit wir wissen, wo überhaupt noch welche Spielräume existieren. Wir wissen
aber schon jetzt: Diese Bilanz wird katastrophal sein.
Sie ruhen sich auf den welken Lorbeeren der BAföGNovellierung von 2001 aus.
({6})
Der vorliegende BAföG-Bericht bejubelt einerseits die
steigenden Zahlen der geförderten Studierenden, andererseits stellt er kleinlaut fest, dass die Bundesregierung
von der notwendigen Erhöhung der Bedarfssätze seit
2003 abgesehen hat. Ich zitiere jetzt:
Aufgrund der starken Belastung der öffentlichen
Haushalte durch die allgemeine wirtschaftliche
Lage, die erheblichen Steuermindereinnahmen sowie die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt hat
die Bundesregierung seinerzeit von Anpassungsmaßnahmen abgesehen.
Diese angespannte Lage bemerken nicht nur die
BAföG-Empfänger, sondern jeder einzelne Bundesbürger spürt sie. Diese angespannte Lage gibt es auch in den
Länderhaushalten. Leidtragende sind hier die Universitäten und ganz besonders die Studenten, die unter großen
Arbeitsgruppen, lückenhaften Bibliotheksbeständen und
veralteten Gerätschaften zu leiden haben.
({7})
Bei einer Gesamtverschuldung der öffentlichen Hand
von 1,4 Billionen Euro ist der finanzielle Gestaltungsspielraum für die Bildungs- und Forschungspolitik denkbar gering.
({8})
Solche Zeiten mit beengten Gestaltungsspielräumen verlangen natürlich nach neuen Lösungen. Selbst im Bericht der Bundesregierung zur technologischen Leistungsfähigkeit fordern die Sachverständigen vehement
die Einführung von Studiengebühren.
({9})
Vor diesen Forderungen hat Rot-Grün in den vergangenen Jahren konsequent die Augen verschlossen.
({10})
Mehr noch: Durch Ihre unverantwortliche Panikmache
verunsichern Sie die Studierenden, Abiturienten und Eltern.
({11})
Noch einmal zur Klarstellung:
({12})
Die CDU/CSU tritt für verträgliche Studiengebühren
ein, die eine konkrete Verbesserung der Lehre und damit
ein schnelleres und effizienteres Studium ermöglichen
und einen früheren Eintritt ins Erwerbsleben zur Folge
haben.
({13})
Damit sind auch finanziell schwache Studierende eingebunden und werden auch Familien aus den mittleren
Einkommensschichten berücksichtigt, die viel zu häufig
aus dem Katalog der BAföG-Bezieher herausfallen.
({14})
Gleichzeitig müssen diejenigen, die finanziell leistungsfähig sind, zur Finanzierung der Hochschule beitragen.
({15})
Ebenso wird einer Fehlentwicklung entgegengesteuert. Bisher tragen Nichtakademiker durch ihre Steuern
bis zu 90 Prozent der Ausbildungskosten für Akademiker.
({16})
Die Kosten der Hochschulbildung übernehmen also
Millionen von Steuerzahlern, die nie eine Hochschule
besucht haben, während der Ertrag den Hochschulabsolventen zugute kommt.
({17})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Studienbeiträge können nur ein erster Schritt hin zu einem effizienteren und besseren Studium in Deutschland sein. Auch
im Bereich der Ausbildungsförderung müssen wir weiter vorausdenken; denn trotz BAföG arbeiten neun von
zehn Studenten während des Studiums.
({18})
Auf dieses Arbeitseinkommen sind die meisten Studenten angewiesen. Häufig führt dies zu langen Studienzeiten und sogar zum Studienabbruch. Aufgrund solcher
Faktoren liegt nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft die Rendite eines Studiums in Deutschland im Durchschnitt nur bei 9 Prozent.
({19})
Zum Vergleich: In Frankreich und in den Vereinigten
Staaten beträgt sie 15 Prozent und in Großbritannien
17 Prozent.
Deswegen tritt die CDU/CSU für eine Weiterentwicklung des BAföG ein.
({20})
Zusätzlich zum BAföG brauchen wir ein Konzept. Wir
brauchen auch Bildungskredite und das Bildungssparen.
Glauben Sie denn allen Ernstes, dass Akademiker mit ihren Gehältern einen Kredit von 5 000 Euro nicht stemmen können?
({21})
Diese können sie über viele Jahre - bis zu zwei Jahrzehnte lang - zurückzahlen. Sie halten unsere akademisch ausgebildete Bevölkerung wirklich für reichlich
unfähig.
({22})
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat bereits den
ersten Schritt getan und bietet ab Oktober einen Studienkredit an. Die Deutsche Bank will mit einem ähnlichen
Angebot nachziehen und die Genossenschaftsbanken
können bereits heute Sofortangebote machen. Dieser
gordische Knoten ist bereits durchgeschlagen. Jetzt
kommt es auf die Weiterentwicklung einer modernen
Studienfinanzierung an. Legen Sie Ihre ideologischen
Scheuklappen ab und arbeiten Sie daran mit!
Herzlichen Dank.
({23})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Überweisung von Tagesordnungspunkt 2 a. Interfraktionell wird die Überweisung
der Vorlage auf der Drucksache 15/4995 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Es sieht so aus, als könnten wir das einvernehmlich
tun. - Dann ist das so beschlossen.
Zum Tagesordnungspunkt 2 b liegt die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 15/5592
zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel vor:
„Konsequenzen aus dem Studiengebührenurteil für die
Bildungs- und Hochschulfinanzierung des Bundes“.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf der Drucksache 15/4931 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich der Stimme? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 2: Abstimmung über
den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/5675 mit dem Titel „Für ein integriertes EU-Bildungsrahmenprogramm Mobilität und Austausch für ein zusammenwachsendes,
innovatives und wettbewerbsfähiges Europa“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist mit der Mehrheit des Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk,
Thomas Strobl ({0}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Bundeswahlgesetzes zur Korrektur der
Grundmandatsklausel ({1})
- Drucksache 15/4718 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3})
- Drucksache 15/5664 Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Thomas Strobl ({4})
Silke Stokar von Neuforn
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich gerne
eine Delegation des griechischen Parlaments auf der Besuchertribüne begrüßen. Wir freuen uns, dass Sie hier
sind, und wünschen Ihnen einen schönen Aufenthalt in
Berlin.
({5})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir reden heute über einen Gesetzentwurf der
Unionsfraktionen mit dem Ziel, die Zahl der Grundmandate von drei auf fünf anzuheben. Ich will gleich vorab
sagen, dass wir diesem Begehren nicht zustimmen werden. Wir haben darüber an anderen Stellen ausreichend
gesprochen. Die Argumente sind relativ einfach zu gewichten.
Wir haben die Grundmandatsklausel nach der Wiedervereinigung Deutschlands nicht verändert. Diese Tatsache ist in den 90er-Jahren Gegenstand eines Wahlprüfungsverfahrens gewesen. 1996/97 hat es dazu eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gegeben,
die den Fachleuten unter den Parlamentariern bekannt
ist. Ich zitiere eine Entscheidung aus dem 95. Band, in
dem das Gericht ausgeführt hat, es sei von Verfassungs
wegen nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber nach
der Vergrößerung des Wahlgebietes durch die Wiedervereinigung Deutschlands die Anzahl der Grundmandate
nicht erhöht hat.
Das ist eine überzeugende Ableitung, die das Verfassungsgericht vorgenommen hat. Dem ist heute von der
Sache her nichts hinzuzufügen. Verfassungsrechtlich ist
es keinesfalls geboten, die Grundmandatsregelung zu
ändern.
Ich räume ein: Es wird verfassungsrechtlich zulässig
sein, weil der Gesetzgeber an dieser Stelle einen weiten
Ermessensspielraum hat. Gleichwohl sage ich: Wir
vonseiten der SPD-Bundestagsfraktion wollen bei der
bisherigen Regelung bleiben, weil jede Veränderung der
Grundmandatsklausel es Parteien, die in der Region
stark sind, erschweren würde, in das Parlament zu kommen. Es ist nicht zu erkennen, welchen Sinn es machen
sollte, das regional starken Parteien durch eine Änderung der Grundmandatsklausel zu erschweren.
Es gibt - dies zum Schluss - noch einen ganz wichtigen Punkt, der gegen diesen Gesetzentwurf spricht: Im
Gesetzentwurf steht, dass das Gesetz - wenn man hier
eine Mehrheit hätte - zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft
treten sollte. Nun wissen wir alle, dass möglicherweise
schon sehr bald vorgezogene Bundestagswahlen stattfinden. Vor diesem Hintergrund ist es nach meiner festen
Überzeugung nicht darstellbar, dass wir solch einen Gesetzentwurf jetzt mit Mehrheit verabschieden. Das hätte
nicht nur ein Geschmäckle, sondern eher den Geruch
von Manipulation.
Ich betone: Das ist sicher nicht die Absicht der Antragsteller gewesen, weil man diese Entwicklung natürlich nicht voraussehen konnte. Nach wie vor steht das
aber so im Entwurf; auch deshalb ist dieses Ansinnen
nicht zu akzeptieren.
Man wird sicherlich in der nächsten Wahlperiode erneut über dieses Thema zu reden haben. Ich glaube, die
überwiegenden Gründe sprechen dafür, dass der Gesetzgeber von seinem Ermessen dahin gehend Gebrauch
macht, es bei der Grundmandatsklausel, die wir jetzt im
Bundeswahlgesetz haben, zu belassen.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Präsidium bedankt sich für die mustergültige Unterschreitung der Redezeit, was so selten vorkommt,
dass das nicht unkommentiert geschehen sollte.
({0})
- Diese Nebenwirkung war weder beabsichtigt noch
würde sie zu einer erneuten Belobigung führen.
Jetzt hat das Wort der Kollege Thomas Strobl für die
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Nach dem an Leidenschaft kaum zu übertreffenden Vortrag des Kollegen Dr. Wiefelspütz
({0})
möchte ich unseren Gesetzentwurf gerne begründen.
Eine Partei kommt nur in den Deutschen Bundestag,
wenn sie entweder mehr als 5 Prozent der Stimmen erhält oder drei Direktmandate erringt. Diese Sperrklauseln - darüber haben wir, so glaube ich, einen ganz großen Konsens hier im Hause - haben sich grundsätzlich
bewährt, weil sie einer Zersplitterung der Parteienlandschaft entgegenwirken. Allerdings besteht seit der
deutschen Einheit eine aus unserer Sicht bedenkliche
Diskrepanz zwischen der Fünfprozentklausel und der so
genannten Grundmandatsklausel, die, wie gesagt, den
Einzug einer Partei dann ermöglicht, wenn sie drei Direktmandate in Deutschland erzielt.
Ich will einige wenige Zahlen nennen: Bei der Wahl
1998 konnten die drei Direktmandate mit 180 000 Stimmen erzielt werden. Um über die Fünfprozenthürde zu
kommen, waren mehr als 2,3 Millionen Stimmen erforderlich. Dies ist eine gewaltige Diskrepanz. Anders gesagt: Um drei Direktmandate zu erzielen, bedarf es
0,6 Prozent der Stimmen, um die Fünfprozenthürde zu
überwinden, sind logischerweise 5 Prozent erforderlich.
Die Proportionierung zwischen Grundmandatsklausel und Fünfprozentklausel stammt aus der Zeit vor der
Einheit Deutschlands. Mit der Wiedervereinigung hat
sich die Anzahl der Wahlberechtigten um ein knappes
Drittel erhöht. Ebenso stieg die Anzahl der Wahlkreise
deutlich an. In der alten Bundesrepublik gab es
248 Wahlkreise. Die Zahl stieg nach der Wiedervereinigung auf 328 an und wurde dann durch die Verkleinerung des Deutschen Bundestages zur letzten Bundestagswahl auf 299 gesenkt, ist aber immer noch deutlich
größer - 51 Abgeordnete - als vor der deutschen Wiedervereinigung. Die Zahl der Grundmandate blieb jedoch unverändert; es sind immer noch drei. Damit klaffen Grundmandatsklausel und Fünfprozenthürde unserer
Auffassung nach unverhältnismäßig auseinander bzw.
- anders ausgedrückt - die Fünfprozentklausel kann
durch die Grundmandatsklausel leicht unterlaufen werden. Daher ist eine Anpassung der Zahl der Grundmandate an die vor der Wiedervereinigung geltenden Verhältnisse nach unserer Auffassung richtig.
Die Rechtsextremisten haben übrigens die Möglichkeit erkannt, verehrter Kollege Dr. Wiefelspütz, an der
Fünfprozentklausel vorbei in den Bundestag einzuziehen.
({1})
Die NPD hat mit Blick auf die Bundestagswahl einen
Strategiewechsel vorgenommen.
({2})
Ich zitiere aus der Zeitung „Die Welt“ vom 30. Mai dieses Jahres:
Thomas Strobl ({3})
Die NPD will bei der vorgezogenen Bundestagswahl über Direktmandate ins Parlament einziehen.
Die Rechtsextremisten peilen nicht mehr das Überspringen der Fünfprozenthürde an. „Wir konzentrieren uns auf den Erfolg durch drei Direktmandate“, sagte der stellvertretende Parteivorsitzende …
Wir möchten auch politisch nicht, dass drei Wahlkreise gewonnen werden und dann plötzlich 40 bis
50 extremistische Abgeordnete für eine Partei im Deutschen Bundestag sitzen, deren Wahlergebnis bei etwa
4 Prozent liegt. Das wollen wir nicht.
({4})
Wir wollen nicht, dass Parteien des rechten Randes
- oder auch des linken, Herr Ströbele - Einzug in den
Deutschen Bundestag halten. Sie müssen sich einmal bewusst machen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
der SPD und den Grünen, um welche politischen Parteien es sich dabei handelt. Das sind schließlich keine
Bürgerrechtsbewegungen; wir reden über extremistische, verfassungsfeindliche und populistische Parteien
des rechten und linken Randes. Deswegen halten wir es
für geboten, die Anzahl der erforderlichen Grundmandate anzuheben, um die Diskrepanz in den Proportionen,
bezogen auf die Fünfprozentsperrklausel, zu verringern.
({5})
Wohlgemerkt: Es geht uns nicht um eine grundsätzliche Änderung oder gar um die Abschaffung der bewährten Regelungen. Wir sind völlig davon überzeugt, dass
die Regelungen im Grundsatz richtig sind. Wir wollen
lediglich eine Anpassung an die Verhältnisse im größer
gewordenen, wiedervereinigten Deutschland. Nicht
mehr, aber auch nicht weniger ist der Inhalt unseres Gesetzentwurfs.
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Josef - ({0})
- Damit werden wir fertig. - Das Wort hat der Kollege
Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Strobl, Sie wollen die Zahl der Grundmandate von drei auf fünf erhöhen. Eine Partei soll erst dann
entsprechend ihrem Stimmenverhältnis in den Deutschen Bundestag einziehen können, wenn sie mindestens
fünf Mandate erringt. Sie haben in diesem Zusammenhang eine Reihe von Zahlen genannt. Zum Beispiel haben Sie angegeben, dass die Zahl der Wahlberechtigten
um 29 Prozent gestiegen sei, wodurch eine höhere Zahl
von Grundmandaten erforderlich werde.
Ich sage Ihnen - Ströbele sagt Strobl -:
({0})
Das ist keine rein rechnerische Aufgabe; es ist keine
Frage der Mathematik, sondern der Demokratie.
({1})
Die Demokratie hängt nicht von solchen Zahlen ab.
Die vielen Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes haben sich bei der bestehenden „Nicht-Regelung“
etwas gedacht. Sie sind gar nicht davon ausgegangen,
dass sich die erforderlichen Stimmenzahlen zur Überwindung von Grundmandats- und Fünfprozentklausel
entsprechen müssen, Sie haben schlicht einen eigenen,
anderen Weg zur Berücksichtigung der Wählerstimmen
einer Partei im Deutschen Bundestag zugelassen. Daran
reden Sie vorbei. Die Zahl der Mandate spielt dabei
keine Rolle.
({2})
Deshalb zielt, wenn ich es richtig sehe, Ihr Antrag auf
Änderung des § 6 des Bundeswahlgesetzes
({3})
auf eine politische Auseinandersetzung. Sie haben das
auch angedeutet: Sie wollen nicht, dass kleinere Parteien, die beispielsweise mit 4,9 Prozent knapp an der
Fünfprozenthürde scheitern, durch das Erringen von drei
Grundmandaten in den Deutschen Bundestag kommen.
Der Stimmenanteil einer solchen Partei soll also keine
Berücksichtigung finden. Sie versprechen sich als große
Partei davon eine komfortablere Mehrheit, möglicherweise sogar die absolute Mehrheit im Deutschen Bundestag. Dieses Ansinnen einer großen Partei kann man
durchaus verstehen. Aber Sie sollten sagen, dass das der
eigentliche Hintergrund ist.
Es geht also nicht um Forderungen nach demokratischer Repräsentation. Sonst müsste man auch darüber
nachdenken, ob die demokratische Legitimation überhaupt noch ausreichend ist, wenn beispielsweise „nur“
70 Prozent, 50 Prozent oder sogar weniger der Bevölkerung zur Wahl gehen und die im Bundestag vertretene
Mehrheit vielleicht nur durch ein Drittel der Wahlbürger
- manchmal ist es noch weniger - legitimiert ist. Ich bin
der Meinung, das ist auch dann der Fall; denn das ist
nicht alleine eine Frage der Zahlen.
Dieser Regelung liegt nämlich ein ganz anderer Ansatz zugrunde, nämlich der - insofern hat das sehr wohl
etwas mit dem Grundgesetz zu tun -, dass eine Partei,
auch wenn sie an der Fünfprozenthürde scheitert,
gleichwohl eine Legitimation erringen kann, in den Bundestag zu kommen. Sie wissen ja, dass die Fünfprozentklausel bei uns umstritten ist. Die Grünen sind immer
dafür gewesen, diese Hürde zu senken, weil sie stets gesagt haben: Das ist zu hoch, man sollte sich mit einer
niederen Hürde begnügen. Aber das ist heute nicht Gegenstand der Diskussion.
Die Grundüberlegung für diese andere Legitimation
ist: Wenn eine Partei in einigen Wahlkreisen so stark ist,
dass sie die Mehrheit der dortigen Bevölkerung repräsentiert, dann soll die Partei insgesamt Berücksichtigung
finden; denn dann vertritt diese Partei so wichtige politische Inhalte, dass diese auch im Bundestag zur Sprache
kommen sollten. Dieser Weg ist richtig, und zwar unabhängig davon, wie groß die Bevölkerung ist und wie
hoch die Zahl der Wählerstimmen für die Grundmandate
- egal, ob drei, vier oder fünf - ist. Wenn eine Partei drei
Grundmandate erringt, zeigt dies, dass die entsprechende
Partei in bestimmten Teilen der Bevölkerung hinreichend stark verankert ist. Nach dem, was der Wählerwille ihr an Stimmen und dementsprechend an Sitzen zubilligt, ist sie deshalb im Bundestag vertreten.
Wir setzen uns deshalb für den Erhalt der drei Grundmandate ein. Wir plädieren aber eher für eine Senkung
der Fünfprozenthürde; denn ich glaube nicht, dass unsere Demokratie gefährdet wäre, wenn noch eine weitere
Partei - die zwar nicht von 5 Prozent der Wähler gewählt worden ist, die aber drei Grundmandate errungen
hat - im Deutschen Bundestag vertreten wäre.
Ihre Intention ist nicht unsere. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Wir meinen, dass wir damit der
Demokratie und den unterschiedlichen Ansätzen der demokratischen Wahl nur Gutes antun.
({4})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Jörg van Essen,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
FDP-Bundestagsfraktion teilt die Auffassung, die vonseiten der SPD-Fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vertreten wird.
({0})
- Das ist so. Manchmal gibt es offensichtlich Gründe,
die dazu führen, dass man selbst bei dieser Koalition zu
einer gleichen Auffassung kommt. Wenn Sie meine Argumente hören, wird es Ihnen vielleicht sogar einleuchten, warum das so ist.
Herr Kollege Strobl, es hat mich sehr überrascht, dass
Sie hier auf das Stimmenvolumen hingewiesen haben,
das notwendig ist, um 5 Prozent der Stimmen auf der einen Seite und drei Grundmandate auf der anderen Seite
zu erreichen. Wie Sie wissen, hat sich das Bundesverfassungsgericht mit diesen unterschiedlichen Stimmenvolumen befasst und eindeutig festgestellt, dass das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Das ist eine
ganz wichtige Aussage, die ich deshalb an den Anfang
meiner Überlegungen stelle.
Natürlich hat es seit der deutschen Wiedervereinigung
Veränderungen gegeben; das weiß ich ebenfalls. Aber
ich bin der Auffassung, dass schon die geltende Hürde
außerordentlich hoch ist. Dass sie so hoch ist, zeigt sich
auch in diesem Hause. Wir haben insgesamt vier Fraktionen, von denen es meiner eigenen nicht gelungen ist,
ein solches Mandat zu erringen, obwohl die Partei offensichtlich Gewicht hat und entsprechende Hürden wie die
Fünfprozentklausel überschreiten konnte.
Herr Kollege van Essen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Strobl?
Selbstverständlich gern.
Ich bedanke mich, Herr Kollege van Essen. - Nur um
Missverständnissen vorzubeugen: Wir haben nie behauptet, die derzeitige Regelung sei verfassungsrechtlich
nicht in Ordnung. Sie haben völlig Recht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dazu geäußert und dem Gesetzgeber einen - ich sage es jetzt einmal mit meinen
Worten - sehr weiten Ermessensspielraum zugewiesen.
Das heißt aber auch, dass wir als Gesetzgeber durchaus
die Möglichkeit hätten, die Zahl der Grundmandate auf
fünf anzuheben. Weder ist also die derzeitige Lage verfassungswidrig, noch ist unser Antrag mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen; wir als Abgeordnete
haben ein gesetzgeberisches Ermessen und in diesem
Rahmen eine politische Entscheidung zu fällen. Ich
frage, ob Sie das zur Kenntnis nehmen, damit wir nicht
aneinander vorbei diskutieren.
Ich hatte nicht das Gefühl, dass wir aneinander vorbei
diskutieren. Mir war nur aufgefallen, dass Sie besonders
intensiv auf diese Diskrepanz hingewiesen haben und
deshalb bei Zuhörern der Eindruck entstehen konnte:
Das kann doch rechtlich nicht stimmen. Es gab eine
Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht und
diese Überprüfung hat klar und eindeutig ergeben, dass
diese Diskrepanz verfassungsmäßig ist.
Sie haben allerdings Recht mit der Feststellung - und
das gestehe ich Ihnen ganz selbstverständlich zu -, dass
wir ein gesetzgeberisches Ermessen haben. Ich versuche
im Augenblick zu begründen, warum wir der Meinung
sind, dass wir von diesem gesetzgeberischen Ermessen
nicht Gebrauch machen sollten. Wir meinen, es sei klug,
das nicht zu tun.
Jetzt würde ich gern in meinen Ausführungen fortfahren. Tatsache ist: Wenn eine politische Gruppierung irgendwo drei Grundmandate erzielt - insbesondere auch
gegen die großen Parteien, die normalerweise in den
Wahlkreisen die Direktmandate erringen -, dann zeigt
das, dass sie ein gewisses politisches Gewicht hat. Für
uns ist das ein ganz wichtiger qualifizierter Minderheitenschutz. Demokratie lebt auch davon, dass Minderheiten sich im Parlament wiederfinden können, wenn
sie ein gewisses Gewicht erreicht haben.
Die Vergangenheit und die bisherige Praxis in der
Bundesrepublik Deutschland zeigen, dass diese Grundmandatsklausel offensichtlich notwendig war. Sie hat
beispielsweise bei der PDS dazu geführt, dass sie 1998
wegen dieser Klausel in einer größeren Stärke in den
Bundestag einziehen und sich hier artikulieren konnte.
Bei der letzten Wahl ist das nicht gelungen. Deshalb gehört es zum Spiel der Demokratie, auch den Kräften, die
in einzelnen Wahlkreisen offensichtlich so viele Menschen für sich begeistern können, dass sie die Mehrheit
der Erststimmen in mindestens drei Wahlkreisen bekommen, die demokratische Mitgestaltungsmöglichkeit zu
geben. Das können auch Parteien des politischen Randes
sein. Dann müssen wir uns politisch mit ihnen auseinander setzen.
Bei meiner letzten Bemerkung geht es, wie auch beim
Kollegen Wiefelspütz, um die Frage des Stils; uns Freien
Demokraten ist das ganz besonders wichtig. Man kann
eine solche Änderung nicht unmittelbar vor einer Bundestagswahl vornehmen, insbesondere dann nicht, wenn
verschiedene Gruppierungen darauf hoffen, über diesen
Weg in den Bundestag zu kommen.
({0})
Das wäre, wie ich finde, schlechter Stil. Das ist Ihnen
nicht vorzuwerfen, weil Sie die neueren Entwicklungen
zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht ahnen konnten.
Dennoch: Auch deshalb sollte man Ihrem Entwurf heute
nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Bundeswahlgesetz sieht zwei Wege vor, über die eine
Partei in den Bundestag einziehen kann. Entweder sie
überwindet mit den Zweitstimmen die Fünfprozenthürde
oder mindestens drei Kandidaten dieser Partei gewinnen
dank der so genannten Erststimmen ihre Wahlkreise direkt. Das Letztere nennt man Grundmandatsklausel.
CDU und CSU wollen sie ändern. Geht es nach ihrem
Willen, müssten künftig mindestens fünf Direktmandate
errungen werden, das heißt, in fünf Wahlkreisen müsste
die jeweilige Kandidatin oder der jeweilige Kandidat die
Mehrheit der abgegebenen Wählerstimmen auf sich vereinigen, damit die so erfolgreiche Partei Mitglied des
Bundestages werden kann. Diesen Vorschlag lehnt die
PDS erwartungsgemäß ab.
Gesine Lötzsch und ich haben jetzt fast drei Jahre
lang als direkt gewählte Abgeordnete hier im Bundestag
gearbeitet. Alle Versuche, unsere Rechte als direkt gewählte Abgeordnete zu stärken und unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern, sind an der Mehrheit des Bundestages gescheitert.
Die Logik, die in diesen Debatten immer wieder gegen uns ins Feld geführt wurde, ist ganz übersichtlich:
Wir zwei seien keine Fraktion und dürften daher auch
nicht die gleichen Rechte wie der direkt gewählte Abgeordnete Ströbele oder der direkt gewählte Abgeordnete
Strobl für uns beanspruchen. Auch diese Logik kippt übrigens in ihr Gegenteil, wenn Sie einmal die Sicht des direkt gewählten Abgeordneten oder aber die Sicht der
Wählerinnen und Wähler, die uns mit Mehrheit in diesen
Bundestag geschickt haben, einnehmen; denn eigentlich
sind diese Wählerinnen und Wähler die Benachteiligten.
Sie werden zweitklassig behandelt und sie würden erneut benachteiligt, wenn Sie sich nun mit Ihrem Antrag
durchsetzten und die Grundmandatsklausel auf fünf direkt gewählte Abgeordnete angehoben würde.
Dies zeigt: Es geht der CDU/CSU nicht um Recht,
sondern doch eher um Ungestörtheit in Zukunft. Das
kann man natürlich nicht in die Begründung eines Gesetzentwurfs schreiben. Also hat die CDU/CSU gemeint,
sie wolle aus der Weimarer Republik Lehren ziehen und
verhindern, dass links- und rechtsextremistische Splitterparteien über die Grundmandatsklausel - Sie nennen sie
in Ihrem Gesetzesentwurf „Trojanisches Pferd“ - in den
Bundestag gelangen. Ich finde das absurd.
Seit 1990 hat nur eine Partei von der Grundmandatsklausel profitiert: Das war 1994 die PDS. Es gab seither
keine andere Partei und es gibt derzeit auch keine andere
Partei, die drei oder mehr Grundmandate gewinnen
könnte und die Fünfprozenthürde mehr oder weniger
knapp verfehlt. Es geht Ihnen also in Wahrheit darum,
den Wählerinnen und Wählern der PDS zu schaden.
({0})
Ich finde, das zeugt von wenig Souveränität, noch dazu
kurz vor einer Wahl, die Sie ja gewinnen wollen, wenn
ich das alles richtig verstehe.
Dass die PDS im Bundestag das nicht unwidersprochen lassen kann, versteht sich. Wir werden aber diesen
Versuch von CDU/CSU, Wählerstimmen konkurrierender Parteien kleinzurechnen, nicht hier in diesem Raum
belassen. Vor allem aber wird die PDS nun erst recht um
mindestens fünf Bundestagswahlkreise kämpfen und gewinnen.
Zum Schluss: Sie hätten es in der Hand gehabt, in dieser knappen Zeit, die uns als 15. Bundestag noch verbleibt, über wichtigere Fragen wie Arbeitsmarktpolitik
oder die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu sprechen - schade eigentlich.
Frau Kollegin Pau, um Missverständnisse bei den Zuhörern auszuschließen, muss ich nun doch darauf hinweisen, dass es nach unserer Verfassung und nach der
Geschäftsordnung des Bundestages ganz sicher keine
unterschiedlichen Rechte für jeweils direkt gewählte Abgeordnete mit oder ohne Fraktionszugehörigkeit gibt.
({0})
Mit Blick auf Redezeiten gibt es ganz gewiss eine Privilegierung von nicht Fraktionen angehörenden direkt gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages.
({1})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die Debatte, die
wir am heutigen Tag führen, könnte angesichts der mit
großer Wahrscheinlichkeit bevorstehenden Bundestagswahl am 18. September nicht aktueller sein. Ich möchte
an dieser Stelle gleich zu Beginn eines festhalten: Dieser
Gesetzentwurf ist von uns zu einem Zeitpunkt eingebracht worden, als noch überhaupt nicht absehbar war,
dass es möglicherweise am 18. September Neuwahlen
geben wird.
({0})
Es geht bei dieser Debatte zum einen darum, wie gerecht und wie pragmatisch unser Bundeswahlgesetz ist.
Es geht aber vor allem auch darum, inwiefern die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit, die Chancengleichheit
der politischen Parteien und der gleiche Erfolgswert von
Stimmen zu wahren sind.
Ich muss schon sagen, ich bringe der Haltung der
FDP eine gewisse Verwunderung entgegen. Sie wissen
doch, dass der PDS 1994 258 000 Erststimmen gereicht
haben, um vier Direktwahlkreise zu gewinnen. Der Erfolgswert einer FDP-Stimme lag damit bei nur einem
Zehntel des Erfolgswerts einer PDS-Stimme.
({1})
Offenbar müssen wir als Unionsfraktion im Vorgriff auf
die spätere schwarz-gelbe Koalition ihre Interessen
schon mit vertreten.
({2})
Es geht um die entscheidende Frage, ob die beiden
Sperrklauseln im Bundeswahlgesetz - daraus ergibt sich,
welche Parteien in den Bundestag einziehen -, nämlich
die 5-Prozent-Klausel und die Drei-GrundmandateKlausel, noch gleichberechtigt sind - vor dem Hintergrund, dass beispielsweise bei der Bundestagswahl 1998
bereits 180 000 Erststimmen ausgereicht haben, um drei
Wahlkreise direkt zu gewinnen, hingegen über 2,3 Millionen Zweitstimmen erforderlich waren, um über die 5-Prozent-Klausel zu kommen, vor allem auch vor dem Hintergrund, dass in allen Wahlkämpfen von allen Parteien
behauptet wird, die Zweitstimme sei die entscheidende
Stimme, die Zweitstimme sei die Kanzlerstimme. Es ist
offenbar doch nicht so. Der Erfolgswert einer Erststimme ist wesentlich höher als der einer Zweitstimme.
Deswegen gilt es, entsprechende Änderungen vorzunehmen.
Lieber Kollege Ströbele, es geht nicht darum, dass die
Union einen Machtanspruch verteidigen will oder unliebsame Parteien sozusagen aus dem Parlament drängen
will, es geht auch nicht darum, dass wir Parteien, die nur
4,9 Prozent der Zweitstimmen erreichen, den Einzug in
den Bundestag verwehren wollen, es geht um die interessante Frage, ob eine Splitterpartei - ich sage das ganz
bewusst -, die gerade mal drei Wahlkreise direkt erringt,
wirklich eine Partei von besonderer politischer Kraft ist,
wie es das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil
vom 10. April 1997 formuliert hat.
({3})
In Deutschland gibt es derzeit 299 Wahlkreise. Drei
Wahlkreise sind also ungefähr 1 Prozent der Wahlkreise.
Ich persönlich gehe nicht davon aus, dass eine Partei, die
nur 1 Prozent der Wahlkreise in Deutschland direkt gewinnt, eine Partei von besonderer politischer Bedeutung
ist.
({4})
Das ist die grundsätzliche Frage, die wir uns stellen müssen.
Ich bin mit dem Bundesverfassungsgericht selbstverständlich der Auffassung, dass die heute geltende Regelung verfassungsgemäß ist. Es geht auch gar nicht darum, erst verfassungsgemäße Zustände zu schaffen.
Nach Auffassung der Union geht es darum, dem Gleichheitsgrundsatz größere Bedeutung beizumessen und
ihm, gerade was den Erfolgswert der Wählerstimmen,
aber auch die Gleichbehandlung der Parteien insgesamt
anbelangt, stärker Geltung zu verschaffen.
({5})
Deshalb ist eine Anpassung der Drei-GrundmandateKlausel unbedingt erforderlich; statt drei sollten es fünf
Grundmandate sein. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass es natürlich auch um die Wahrung der Funktionsfähigkeit des Parlaments geht. Uns allen sind die
schrecklichen Vorkommnisse in der Weimarer Republik
in bester Erinnerung - in Anführungszeichen -, als das
Parlament häufig nicht mehr handlungsfähig war. Auch
beim Parlament in seiner jetzigen Verfassung ist fraglich, ob die Funktionsfähigkeit noch gegeben ist.
Stephan Mayer ({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann
Sie nur auffordern, unseren Gesetzentwurf zu unterstützen, und hoffe auf Ihre Zustimmung.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Änderung des Bundeswahlgesetzes zur Korrektur der Grundmandatsklausel auf Drucksache 15/4718. Der Innenausschuss
empfiehlt auf Drucksache 15/5664, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen?
({0})
Der Gesetzentwurf ist ganz ohne Zweifel mit Mehrheit
angenommen.
({1})
Zur Geschäftsordnung hat sich der Kollege Küster zu
Wort gemeldet. Er erhält selbstverständlich das Wort.
Das ist schön, Herr Präsident. - Weil das unsicher ist,
beantrage ich, dass die Stimmen richtig schön ausgezählt
werden.
Das können wir gerne tun, zumal wir eine übersichtliche Besetzung haben.
({0})
- Es besteht doch gar kein Grund zur Aufregung.
({1})
- Nein, nein.
Wir haben doch hier im Unterschied zu Hammelsprüngen, bei denen die Feststellung der tatsächlichen
Mehrheitsverhältnisse etwas komplizierter ist, eine überschaubare Besetzung. Wir haben jetzt gerade noch einmal nachgezählt. Unter Berücksichtigung auch mancher
Flügeladjutanten, die sich nicht gleich im Blickfeld befanden, ergibt sich als tatsächliches Mehrheitsverhältnis:
19 Ja-Stimmen zu 22 Nein-Stimmen. Damit müsste eigentlich jede weitergehende Ambition des Geschäftsführers der SPD-Fraktion erledigt sein.
({2})
- Da der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD mit
der Feststellung des amtierenden Präsidenten, dass sich
nach genauem Nachzählen eine Mehrheit für die Ablehnung ergeben hat, nicht einverstanden ist, beziehe ich
mich gerne auf die von ihm vermutete Unstimmigkeit im
Präsidium und lasse das Stärkeverhältnis durch Hammelsprung feststellen.
({3})
Wir werden also die Sitzung für einige Minuten unterbrechen und dann den gewünschten Hammelsprung
durchführen. Es gibt dazu ja in dieser Legislaturperiode
nicht mehr ganz so viele Gelegenheiten. Der Hammelsprung gehört offenkundig zu den Aktivitäten, die man
sich von Zeit zu Zeit gönnen muss. Um den Hammelsprung durchführen zu können, müssen alle Mitglieder
des Hauses den Saal verlassen und sich in der bekannten
Weise dieser eindrucksvollen Zeremonie im Foyer aussetzen.
Ich unterbreche die Sitzung.
({4})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Die Schriftführer geben mir das Zeichen, dass die Türen besetzt sind und dass wir mit der Durchführung des
Hammelsprungs beginnen können. Ich eröffne hiermit
die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer an den Türen, mir einmal zu
signalisieren, ob sich noch Kollegen in der Lobby aufhalten. - Ich mache darauf aufmerksam, dass wir in zwei
Minuten die Abstimmung abschließen werden. Darauf
sollten sich bitte sowohl die Fraktionen als auch die
Schriftführer einstellen.
Ich bitte nun die Schriftführer, die Türen zu schließen
und das Abstimmungsergebnis festzustellen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung über den Gesetzentwurf in
zweiter Lesung bekannt. Mit Ja haben gestimmt
157 Mitglieder des Hauses, mit Nein 268.
({0})
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Nach unserer Geschäftsordnung entfällt somit die
weitere Beratung.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die wieder in
ihre Ausschüsse wollen und müssen, den Plenarsaal
möglichst zügig zu verlassen, damit ich den nächsten Tagesordnungspunkt nicht nur aufrufen kann, sondern wir
über das Thema auch unter angemessenen Bedingungen
verhandeln können.
Inzwischen sind auch wieder hinreichend Sitzplätze
für alle vorhanden,
({1})
von denen ich Gebrauch zu machen bitte, weil dies die
Übersicht in der Debatte enorm fördert.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({2}) zu dem Antrag der Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Aufbruch und Perspektiven - Zukunftschancen für Jugendliche in Deutschland stärken
- Drucksachen 15/5255, 15/5394 Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Meckelburg
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Junge gut ausgebildete Menschen sind die Zukunft unseres Landes. Nur so schaffen wir die Basis für
den Erhalt der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland.
Vieles wurde erreicht, aber die Herausforderungen in einer alternden Gesellschaft bleiben groß. Wir brauchen
und haben einen umfassenden Ansatz. Dieser reicht von
verbesserten Betreuungsangeboten für Kleinkinder, dem
Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen bis hin zum Ausbildungspakt und den Arbeitsmarktreformen der letzten
Jahre.
Der Umbau der Bundesagentur zu einem modernen
Dienstleister am Arbeitsmarkt stärkt insbesondere die
Vermittlung. Für die jungen erwerbsfähigen, hilfebedürftigen Menschen unter 25 steht mittlerweile ein Personalschlüssel von 1 : 75 zur Verfügung. Die Zeiten, in
denen sich ein Vermittler um 300 bis 400 junge Menschen kümmern musste, gehören der Vergangenheit an.
({0})
Wir haben das Ziel, die Dauer der Jugendarbeitslosigkeit
bis zum Jahresende auf unter drei Monate zu reduzieren,
vor Augen; das werden wir auch erreichen. Ich füge
hinzu: Die beste Zeit ist natürlich die Zeit ohne Arbeitslosigkeit. Aber drei Monate sind in vielen Fällen die
ganz normale Sucharbeitslosigkeit.
Sie sehen: Die Maßnahmen der Bundesregierung wirken. Von März bis Mai dieses Jahres ist die absolute
Zahl arbeitsloser junger Menschen um mehr als 96 000
gesunken. Das ist mit Abstand der größte Rückgang seit
1997. Deshalb werden wir unsere Politik, die der Jugend
Vorrang und Vorfahrt einräumt, konsequent fortsetzen.
({1})
Junge Menschen brauchen beim Einstieg in das Berufsleben eine echte Chance. Die mit dem Ausbildungspakt bereits im ersten Jahr erzielten Erfolge zeigen, dass
wir auf dem richtigen Weg sind. Die Wirtschaft hat im
letzten Jahr zugesagt, 30 000 neue Ausbildungsplätze
einzuwerben, konnte diese Zahl allerdings mit 59 000
Plätzen übertreffen und fast verdoppeln. Mit dem Sonderprogramm zur Einstiegsqualifizierung Jugendlicher,
mit dem wir den Ausbildungspakt durch einen Zuschuss
des Bundes zur monatlichen Vergütung und die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge flankieren,
konnten wir bereits im ersten Anlauf 17 000 jungen
Menschen eine Chance im Betrieb geben.
Die ersten Erkenntnisse aus der Begleitforschung
stimmen optimistisch, dass diese Brücke in Berufsbildung und Berufsausbildung in vielen Fällen in einen
Ausbildungsvertrag mündet. Im Idealfall kann deshalb
die nachfolgende Ausbildung verkürzt werden. Auch in
diesem Jahr bedarf es des gleichen Engagements aller,
um allen Schulabsolventen, die eine Ausbildung suchen,
eine Chance zu geben. Deshalb appelliere ich an alle Arbeitgeber: Gebt jungen Menschen eine Perspektive und
bildet aus!
({2})
Nur so erhalten die Betriebe die Fachkräfte von morgen
und nur so kann Deutschland seinen Vorteil im internationalen Wettbewerb, den das duale System bietet, konsequent nutzen.
Dass wir auf dem richtigen Weg sind, hat zuletzt auch
der Tag des Ausbildungsplatzes am 30. Mai gezeigt.
An diesem Tag haben die Mitarbeiter der Bundesagentur
für Arbeit bundesweit über 14 000 Ausbildungsplätze
eingeworben. In Industrie, Handel und Handwerk sind
bereits jetzt fast 20 000 neue Ausbildungsverträge registriert.
Um Betrieben, die allein nicht ausbilden können, Hilfestellung zu geben, wird mit dem Programm „Jobstarter“, für das 100 Millionen Euro zur Verfügung stehen,
insbesondere durch die Förderung von Ausbildungsverbünden ein nachhaltiger Beitrag zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze geleistet. Mit der unveränderten
Fortführung des Bund/Länder-Ausbildungsprogramms
Ost mit 14 000 Plätzen begegnen wir der nach wie vor
schwierigen Situation in den neuen Ländern. Gemeinsam werden wir den Ausbildungspakt auch in diesem
Jahr zum Erfolg führen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Rahmen
der Arbeitsförderung stehen in diesem Jahr für junge
Menschen rund 4,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Im
Durchschnitt des Jahres 2004 haben davon 587 000 Jugendliche profitiert. Schwerpunktmäßig werden damit
Berufsvorbereitungs- und Ausbildungsmaßnahmen für
benachteiligte und behinderte junge Menschen finanziert. Die Bundesagentur für Arbeit leistet damit einen
erheblichen Beitrag zur Umsetzung des Ausbildungspaktes, aber auch zur Bewältigung der zweiten Schwelle,
des Übergangs von der Schule in die Ausbildung. Sie
wird ihre ausbildungsfördernden Maßnahmen, wie zugesagt, auf dem Niveau des Jahres 2003 fortsetzen.
Aber ich füge hinzu: Ohne eine bessere Förderung,
die bereits in der Schule beginnen muss, werden wir die
Probleme nicht nachhaltig lösen können. Rund ein Viertel der arbeitslosen Jugendlichen, die Leistungen der
Grundsicherung erhalten, haben keinen Schulabschluss.
Die Bundesagentur für Arbeit und die Träger der Grundsicherung leisten durch ihre aktive Arbeitsförderung
mehr, als ihnen nach der grundgesetzlichen Aufgabenzuordnung zukommt.
Sie finanzieren berufsvorbereitende Maßnahmen einschließlich des Nachholens des Hauptschulabschlusses,
praxisnaher Qualifizierung, Eingliederungszuschüssen
und, als letzte Möglichkeit, der Beschäftigung in Arbeitsgelegenheiten oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Diese Anstrengungen bedürfen der Unterstützung
vieler vor Ort, um zu nachhaltiger Beschäftigung zu führen. Hier kann jeder seinen Beitrag leisten. Der Pakt für
die Jugend darf nicht an unterschiedlichen Vorstellungen
über die richtigen Verwaltungszuständigkeiten scheitern.
({3})
Gemeinsam sollten wir allen jungen Menschen eine
Chance auf Ausbildung oder Arbeit geben.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat nun Kollege Dr. Andreas Scheuer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir debattieren heute über Aufbruch und Perspektiven
der jungen Generation in unserem Land. Wenn man sich
als arbeitsloser Jugendlicher auf der Homepage der
Bundesregierung informieren möchte, um den Aufbruch und die Perspektiven mit klaren politischen Plänen
und Entscheidungen der Politik nachvollziehen zu können, klickt man auf das 20-Punkte-Programm der Bundesregierung. Dann muss man sich über einzelne Punkte
wie beispielsweise das CO2-Gebäudesanierungsprogramm vorarbeiten, um schließlich zu dem Unterunterpunkt „Bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ zu kommen. Dann wieder ein kleiner Spiegelstrich:
Zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit setzt
eine erhöhte Vermittlungsaktivität für unter 25-Jährige ein. Außerdem sollen Ausbildungsverbünde in
Ostdeutschland gefördert werden.
Aus, vorbei, nicht mehr! Jetzt will ich wirklich nicht
allzu ironisch sein, aber dass arbeitslose Jugendliche bei
diesem „handfesten“ Programmpunkt vor Begeisterung
mit Mut und Zuversicht vom Hocker springen, das bezweifle ich.
Deshalb komme ich auf die Entwicklungen der letzten Monate zu sprechen: In der ersten Lesung dieses Antrags von Rot-Grün am 14. April 2005 habe ich in meiner Rede die richtige Prognose abgegeben: Die
Bürgerinnen und Bürger von NRW, vor allem auch die
junge Generation, die junge Bürgerschaft, hat Zukunft,
hat den Wechsel und hat damit die Union gewählt. Damals habe ich noch wildesten Protest auf Ihrer Seite gehört. Heute kommt fast kein Zwischenruf - also ergeben
Sie sich in Ihr Schicksal.
Ganz interessant ist auch, dass bei dieser Debatte vonseiten der Grünen nicht einmal die Mitglieder des zuständigen Jugendausschusses anwesend sind - auch eine
interessante Variante, über Jugend und die junge Generation zu reden.
({0})
- Gut, Herr Ströbele, es heißt „Ausschuss für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend“.
({1})
Die Wahl in NRW hat die politische Landschaft in
diesem Lande verändert: Die Wählerinnen und Wähler,
die Jugendlichen, haben Rot-Grün die rote Karte gezeigt; das rot-grüne Experiment wurde auf Landesebene
endgültig abgewählt und steht auch im Bund vor dem
Aus. Wenn man Ihr Verhalten jetzt beim vorletzten Tagesordnungspunkt sieht, dann wird deutlich, dass Sie
schon bei eigenen Anträgen Ihre Mehrheit anzweifeln auch eine interessante Variante hier im Parlament.
Schon die Ankündigung von Neuwahlen durch
Müntefering und Schröder hat eine Aufbruchstimmung
in unserem Land und bei der jungen Generation ausgelöst. Auch wenn der Bundeskanzler nicht seine mit gewissen Schwierigkeiten behaftete Politik durchbringen
will, bitten wir ihn aus vollem Herzen, wenigstens Neuwahlen in Deutschland umzusetzen, damit wir die Signale im September 2005 auf Zukunft stellen können.
Ich kann
Wählen Sie für die Bundesregierung den Slogan „Wir machen den Weg frei“.
({0})
Jugendliche Bürgerinnen und Bürger sehen das. Ich
habe gerade eine Besuchergruppe, eine zehnte Klasse,
betreut. Wenn man mit ihnen spricht, dann spürt man die
Sorgen dieser jungen Generation. Nun werden wir, die
Opposition, immer dafür kritisiert, dass wir über die
nicht allzu rosige Grundstimmung in Deutschland reden.
Aber das ist die Realität und wir sind nicht im Deutschen
Bundestag, um ein Wunschkonzert aufzuführen, sondern
um Perspektiven und Aufbruch wirklich zu vermitteln.
Dazu fehlt Ihnen die Kraft, meine Damen und Herren
von Rot-Grün. Auf die Fragen „Wo liegt eure Zukunft?“,
„Welche Ausbildung wollt ihr machen?“ hat diese
zehnte Klasse Antworten gegeben, bei denen man spüren konnte, dass zu den prägenden Erfahrungen dieser
Jugendlichen auch diese nicht allzu rosige Grundstimmung, die wir momentan haben, gehört.
({1})
Am Ende von sieben Jahren rot-grüner Regierungsverantwortung versuchen Sie mit Ihrem Antrag „Aufbruch und Perspektiven - Zukunftschancen für Jugendliche in Deutschland stärken“, die Wogen zu glätten, um
noch einmal um letztes Vertrauen bei den Jugendlichen
zu werben. Mit diesem Antrag erreichen Sie genau das
Gegenteil. Hier tritt eine kraftlose, ideenlose und perspektivlose Politik zutage: mit viel Schönreden, viel
Prosa, aber nichts Konkretem. Umso peinlicher ist es,
dass Kollegen im zuständigen Jugendausschuss mit einem Augenzwinkern hinter vorgehaltener Hand bestätigen, dass dieser Antrag nix G’scheites ist, wie man es
auf gut Bayerisch ausdrückt.
({2})
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, ich frage
Sie: Welche Chancen wollen Sie in den Tagen, in denen
Ihr Kanzler um Ihr Misstrauen ringt, vermitteln und um
welches Vertrauen wollen Sie werben? 600 000 arbeitslosen Jugendlichen wird dies nichts helfen. Heute, da die
Entwicklung wissenschaftlich und technisch weitergeht
und immer schneller fortschreitet, müsste die junge Generation mit diesen Chancen, Perspektiven und Herausforderungen, die durch viele Zukunftstechnologien auf
die Zukunft ausgerichtet sind, eigentlich arbeiten können. Das Plus des Standortes Deutschland war immer,
dass wir das, was wir teurer waren, auch ein wenig
schneller, flexibler und besser als die anderen waren.
Das war immer unser Standortvorteil.
Sie schließen die junge Generation von dieser Palette
an Möglichkeiten aus, weil Ihre Politik zukunftsfeindlich ist und weil Sie einen Antrag nur um des Antrags
willen hier einbringen. Er ist ein Sammelsurium von bekannten Behauptungen, Absichtserklärungen und jüngsten Abkommen. Er wird auf nur wenige Worte reduziert:
Die Agenda 2010 wirkt, ihr werdet alle gerettet. Nein,
die junge Generation braucht mehr: mehr an Perspektiven, mehr an Chancen, mehr an Aufschwung und somit
auch ein Mehr an Beschäftigung.
({3})
In Ihrem Antrag steht:
Der Deutsche Bundestag begrüßt und stellt fest,
dass: … die Bundesregierung mit der Agenda 2010
die Voraussetzungen für mehr Wachstum und
Beschäftigung geschaffen und somit die Reformen
am Arbeitsmarkt in ein Gesamtkonzept eingebettet
hat; …
Das ist ein schöner Satz. Wenn ich mir die Zahlen der
Jugendarbeitslosigkeit anschaue, weiß ich aber nicht, ob
Sie die momentane Situation in Deutschland damit richtig einschätzen.
Sehr geehrte Damen und Herren von Rot-Grün, Sie
widersprechen sich am laufenden Band. Der Arbeit suchende Jugendliche kann sich bei Ihnen derzeit gerade
nicht zwischen Heuschrecken und Lohnerhöhungen entscheiden. Er brauchte erst einmal einen Aufschwung,
um in Arbeit zu kommen. Herr Staatssekretär, Sie beweisen das ja: Hier danken Sie den Unternehmern und denen, die ausbilden, und auf der anderen Seite frotzelt Ihr
Fraktionsvorsitzender gegen genau diese, die die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen wollen, und bezeichnet sie als Heuschrecken.
({4})
Vertrauen werden Sie so nicht gewinnen. Der Arbeitsmarkt sieht nicht nur für den Schulabgänger ohne abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung, sondern mittlerweile auch für den Jungakademiker, der sich als
Dauerpraktikant verdingt, nicht rosig aus.
Dies sind die Realitäten der jungen Generation. Mit
Ihrer technologiefeindlichen Politik treiben Sie die gut
Ausgebildeten aus dem Land. Die entscheidenden Zukunftsmärkte werden mit jungen Deutschen erschlossen,
aber leider nicht mehr in Deutschland, sondern dort, wo
dieses Potenzial mit offenen Armen empfangen und
nicht durch eine übermäßige Bürokratie gegängelt wird.
Ich erinnere nur an die heutige Beratung im Ausschuss,
wo es um das Antidiskriminierungsgesetz ging.
Ihr Kollege Schartau spricht von einem pauschalen
Jugendwahn am Arbeitsmarkt. Das geht an der Realität
vorbei. Die Arbeitslosigkeit betrifft alle Generationen
und Bildungsschichten. Eines bestätigen diese Äußerungen aber: Immer, wenn Sie mit Ihrer Allheilwaffe nicht
weiterkommen, gibt es einen, der dem anderen nichts
gönnt: die Jungen den Alten nicht, die Unternehmer den
Arbeitern nicht usw. Sie betreiben immer eine Politik
mit Gegensätzen. Das ist der falsche Weg.
Wir werden herausarbeiten müssen, dass wir in
Deutschland keine Ansammlung von Ich-AGs, die Sie
befürworten, sondern eine Wir-AG Deutschland brauchen, um Deutschland mit einem gesellschaftspolitischen Kraftakt wieder fit zu machen und damit die Abstiegsfahrt unseres Landes nach sieben Jahren Rot-Grün
ins Gegenteil zu verkehren.
({5})
Tatsache ist, dass immer weniger Jugendliche Gelegenheit erhalten, auf dem Arbeitsmarkt Tritt zu fassen.
({6})
Herr Staatssekretär, darüber dürfen auch keine Warteschleifen bei der Berufsvorbereitung hinwegtäuschen.
Es ist viel geschehen, aber es gibt immer noch Warteschleifen. Das kann uns nicht zufrieden stellen. Der eine
Teil scheitert an der von Ausbildungsbetrieben zunehmend beklagten mangelnden Ausbildungsfähigkeit, der
andere Teil an den Fesseln des Arbeitsmarktes. Bündnisse wie der Pakt für Arbeit leisten einen wichtigen Beitrag, einem Teil der Jugendlichen Perspektiven und
Chancen zu geben.
Den ausbildenden Betrieben sei an dieser Stelle ausdrücklich Dank gesagt. Ich bestärke sie in ihren Bemühungen, Jugendliche auszubilden.
({7})
Ich denke, die Vertreter des Mittelstandes als Rückgrat
der Berufsausbildung würden unter besseren wirtschaftlichen Verhältnissen gern mehr ausbilden.
Sehr geehrte Damen und Herren von Rot-Grün, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass in Insolvenz befindliche
Unternehmen auch unter Androhung von Zwang nicht
ausbilden werden und können.
({8})
Die wirtschaftliche Lage muss sich bessern. Damit
werden auch Perspektiven eröffnet. Ein künftiges Fördern und Fordern macht nur Sinn, wenn arbeitsmarktpolitische Maßnahmen mit wirtschaftspolitischen Veränderungen einhergehen und Synergien bilden. Erst dann
wird es möglich sein, den Arbeitsuchenden aller Generationen ein Angebot für Beschäftigung zu machen.
Das jetzt festgelegte Verhältnis von 1 : 75 bei der
Arbeitsvermittlung ist zwar ein guter Anfang. Aber ein
guter Verwalter wird dadurch noch nicht sofort zu einem
guten Vermittler. Protokolle von Arbeitslosen aus dem
Internet - ich kann Ihnen das gerne zur Verfügung stellen -, die ein Beratungsgespräch wiedergeben, vermitteln den Eindruck, man sei im falschen Film. Das, was in
den Protokollen steht, ist teilweise dramatisch.
({9})
Ein junger Akademiker, der das Protokoll eines Beratungsgesprächs im Internet zur Verfügung gestellt hat,
kommt zu dem Schluss: Ich kümmere mich besser selber
um einen Job, weil ich von euch nicht vermittelt
werde. - Es darf nicht sein, dass sich unter den Arbeitslosen eine Stimmung der Perspektivlosigkeit breit
macht. Quantität ist also nicht gleich Qualität. Wir müssen Verschiedenes anpacken.
Frau Bundesministerin Bulmahn hat bei der ersten
Lesung und auch vorhin gesagt: Wer über Jugend und
Zukunft spricht, muss vor allem auch zuhören können. Man muss als Politiker aber auch dorthin gehen, wo man
sich nicht öffentlichkeitswirksam präsentieren kann, zu
den Brennpunkten. Die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben in der Debatte zur Großen Anfrage „Jugend in Deutschland“ das Thema Zukunftschancen auf die Tagesordnung gebracht. Von Ihnen hat
keiner ein Konzept zur Jugendpolitik vorgelegt. Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat dazu eine entsprechende Anfrage eingebracht. Die Antwort auf diese
Große Anfrage enthält sehr viele Allgemeinplätze. Wir
haben nicht danach gefragt, wie das SPD-Parteiprogramm aussieht, sondern was Sie für Perspektiven eröffnen wollen. Das wird in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage „Jugend in Deutschland“ wirklich nicht klar.
Sie brauchen auch keinen Gegensatz zwischen Regierung und Opposition aufzumachen, wenn Sie darüber
diskutieren, wie man die Chancen erhalten will. Regierung und Opposition in diesem Haus unterscheiden sich
darin, dass wir Chancen ausbauen wollen. Diese Perspektive und diese Hoffnung fehlt der jungen Generation
bei Ihrer Politik. Die junge Generation kennt diesen Unterschied genau. Vor der Bundestagswahl werden wir ein
Angebot machen, um Deutschland wieder fit zu machen.
Wir stehen für Eigenverantwortung statt Verstaatlichung,
für Entscheidungsfreiraum statt Bevormundung, für
Werte statt Beliebigkeit, für Strukturreformen statt
Hemmnisse und für Aufstieg statt eines weiteren Abstiegs mit Rot-Grün.
Herzlichen Dank.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Anna Lührmann,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jugendlichen eine Perspektive zu geben heißt, ihnen einen
Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Trotz einiger
eben beschriebener Erfolge sind in Deutschland noch
immer etwa 570 000 Jugendliche ohne Job. Das sind
570 000 Jugendliche zu viel.
Woran liegt es, dass wir dieses Problem noch immer
nicht in den Griff bekommen?
({0})
Dazu hat gestern das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus Nürnberg eine Studie vorgelegt. Aus
dieser Studie geht klar hervor: Je höher die Qualifikation der Menschen ist, umso geringer ist ihr Risiko,
keinen Job zu bekommen. Besonders bei Jugendlichen
ist dies das Problem. Fast die Hälfte aller arbeitslosen
Jugendlichen hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das heißt, Bildung ist der Schlüssel für den Zugang zum Arbeitsmarkt.
({1})
Bildung fängt schon in der Schule an. Deutsche Schulen qualifizieren vor allen Dingen Kinder aus sozial
schwachen Familien momentan nicht ausreichend für
den Arbeitsmarkt.
({2})
In der Schulpolitik braucht es daher vernünftige pädagogische Konzepte, mehr Zeit und auch mehr Mittel. Die
Bundesregierung hat das erkannt; denn mit dem Ganztagsschulprogramm stellen wir 4 Milliarden Euro für
mehr Zeit für die Bildung zur Verfügung.
Die Union hingegen blockiert an allen Ecken und Enden. Dazu drei Beispiele:
Erstens. Mein Heimatland Hessen hat bisher erst
10 Prozent der ihm zur Verfügung stehenden Mittel für
Ganztagsschulen abgerufen.
({3})
Zweites Beispiel: Eigenheimzulage. Wenn Sie der
Abschaffung der Eigenheimzulage schon jetzt zugestimmt hätten, anstatt zu sagen, Sie wollten eventuell irgendwann einmal die Eigenheimzulage - am besten zur
Entlastung der Spitzenverdiener - abschaffen, dann hätten die Länder jetzt 2 Milliarden Euro mehr zur Verfügung und könnten damit 160 000 dringend benötigte
Lehrerstellen schaffen. Das nenne ich Mauern auf Kosten der Zukunft von Jugendlichen.
({4})
Noch ein drittes Beispiel, auch wieder aus meinem
Heimatland Hessen, weil man daran schön sehen kann,
was eine absolute Mehrheit der CDU alles anrichten
kann: Die Hessische Landesregierung hat kürzlich beschlossen, das Erbacher Schloss zu kaufen. Der Kaufpreis beträgt 13,3 Millionen Euro, was Sie vielleicht als
Schnäppchen bezeichnen.
({5})
Das Erbacher Schloss zeichnet sich vor allen Dingen
durch seinen Prunksaal von europäischer Bedeutung mit
kolossalen und abnormalen Hirschgeweihen aus, ein
ganz wichtiger Punkt. Es ist ganz klar: Die Union steht
für Hirschgeweihe und Beton statt für Zukunft, meine
Damen und Herren.
({6})
Nach der Schule - wie wir eine bessere Schulpolitik
machen, habe ich eben erläutert - muss den Jugendlichen ein Ausbildungsplatz angeboten werden. Deswegen hat die Bundesregierung mit der Wirtschaft einen
Pakt für Ausbildung abgeschlossen. Die Bundesregierung hat ihren Teil der Abmachung eingehalten. Statt die
Ausbildungsplatzumlage einzuführen,
({7})
fördert der Staat derzeit über 17 000 Jugendliche mit
Einstiegsqualifizierungsprogrammen. Dieses Jahr will
sie für Ausbildung das Programm „Jobstarter“ in Höhe
von 100 Millionen Euro auflegen. Das tut sie, weil die
Wirtschaft ihren Teil der Abmachung nicht umfassend
einhält. Es fehlen nämlich immer noch 170 000 Ausbildungsplätze in Deutschland.
({8})
Allerdings kommt der Mittelstand seiner Verpflichtung nach. Vor Ort gibt es ganz viele engagierte kleine
und mittlere Unternehmen, die alles tun, um ihren Jugendlichen eine Perspektive zu geben, und die ihrer Verantwortung gerecht werden.
({9})
Wer hingegen wie die Unternehmensverbände ständig
nach weniger Staat und weniger Steuern ruft, gleichzeitig aber keine Verantwortung für die Gesellschaft und für
die Jugendlichen übernehmen will, der lässt die Jugendlichen im Regen stehen.
({10})
Alle Teile der Gesellschaft müssen ihre Verantwortung für Jugendliche übernehmen, die Politik, aber auch
die Wirtschaft, wo sie kann. Eine Zukunftsperspektive
eröffnen wir Jugendlichen vor allen Dingen durch ein
klares Konzept mit einer klaren Prioritätensetzung für
Bildung und Forschung und nicht für Hirschgeweihe
und Beton.
({11})
Deswegen hoffe ich, dass auch nach der Neuwahl
Bundesmittel nicht für unsinnige Dinge wie das Erbacher Schloss, sondern, wie wir es vorhaben, für Ganztagsschulen ausgegeben werden.
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Haupt, FDPFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
Jugendliche sind Ausbildung und Arbeit mehr als nur
Grundlage für ein wirtschaftlich unabhängiges Leben.
Sie haben auch zentrale Bedeutung für die Identitätsfindung, die Selbstverwirklichung und die Selbstbestimmung.
Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist
eine der wichtigsten Aufgaben der Politik. Eine Gesellschaft kann es sich nicht leisten, dass jungen Menschen
der Einstieg in das Arbeitsleben verwehrt bleibt und deren kreatives Potenzial und Arbeitskraft brachliegen.
({0})
Die FDP will Beschäftigung und Ausbildung im ersten
Arbeitsmarkt. Aber wir wissen: Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt sieht für Jugendliche finster aus. RotGrün hat mit Hartz IV nicht nur den Arbeitslosen, sondern auch den Jugendlichen viel versprochen: Jugendliche haben einen Anspruch auf Vermittlung einer Arbeits- oder Ausbildungsstelle. Laut Wirtschaftsminister
Clement sollten alle Jugendliche ein Angebot bekommen, das die Chance bietet, in Ausbildung oder Arbeit
integriert zu werden. Dennoch waren Ende Mai 2005
568 000 Jugendliche unter 25 Jahren ohne Stelle.
({1})
Die Bundesagentur für Arbeit will in diesem Jahr fast
7 Milliarden Euro für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ausgeben. Insgesamt 1 Million Euro will
die Behörde 2005 für Fördermaßnahmen zugunsten von
Frauen und Männern aufbringen, die jünger als 25 Jahre
sind. Kein Jugendlicher soll bis Jahresende länger als
drei Monate arbeitslos sein.
Doch bei den Eingliederungsvereinbarungen hinkt die
BA gnadenlos dem Zeitplan hinterher. Junge Menschen
- vor allem Benachteiligte - brauchen Zugang zu Arbeit
und Beschäftigung. Mehr als zwei Drittel der Betroffenen bringen keine Ausbildung mit; etwa ein Drittel hat
nicht einmal einen Schulabschluss. Die Bundesagentur
für Arbeit scheint jedoch mehr mit sich selbst und dem
Umbau ihrer Verwaltung als mit den jungen Arbeitslosen
beschäftigt zu sein.
({2})
Staatliche Beschäftigungsprogramme oder eine öffentliche Ausbildung über den Bedarf hinaus verschieben das Problem nur, statt es zu lösen. Denn nach dem
Ende der Ausbildung werden viele Jugendliche erneut
arbeitslos, wenn der Staat sie nicht übernehmen kann
und es auf dem privaten Arbeitsmarkt keine Nachfrage
nach ihrer Qualifikation gibt.
Es ist nicht damit getan, immer nur mit heißer Nadel
gestrickte rot-grüne Sofortprogramme für Jugendliche in
die Welt zu setzen. Chancenlosigkeit und Perspektivlosigkeit bilden den Nährboden für rechts- und linksradikale Rattenfänger.
Mich sorgt die Abwanderung gerade junger Hoffnungsträger in den neuen Bundesländern, die zur Vergreisung ganzer Regionen führt. Wir brauchen vielmehr
einen grundlegenden Wandel hin zu Rahmenbedingungen, in denen die Jugendlichen Chancen haben, ihre
Qualifikation, ihr Engagement, ihre Energie einbringen
zu können. Ein wichtiger Schritt ist dabei das von meiner Partei vorgeschlagene einfache, dreigliedrige Steuersystem mit einem Steuersatz von 15, 25 und
35 Prozent.
({3})
- Ihr Lachen beweist, dass Sie die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht erkennen.
({4})
Wir müssen dringend die Voraussetzungen bei den Jugendlichen selbst verbessern. Das geht nur mit einem
Bildungssystem mit flexibleren Strukturen, kürzeren
Ausbildungszeiten und höheren Qualitätsstandards. Sowohl Hochbegabte als auch Lern- und Leistungsschwache müssen gezielter als bisher gefördert werden.
({5})
Es ist höchste Zeit für einen Wechsel, damit die junge
Generation in Deutschland wieder Perspektiven und Zukunftschancen bekommt.
Danke.
({6})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Karin Roth, SPD-Fraktion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit dem
Antrag der Koalition der SPD und des Bündnisses 90/
Die Grünen zu den Zukunftschancen für Jugendliche
wollen wir die Verantwortung des Staates für Bildung
und Beschäftigung der Jugendlichen dokumentieren.
Denn wir wissen, dass Arbeitslosigkeit gerade bei jungen Menschen zum Verlust von Selbstvertrauen und Motivation führt.
({0})
Wir lassen die Jugendlichen eben nicht im Stich; vielmehr haben wir durch unsere Reformen im Bereich Ausbildung und Bildung dazu beigetragen, dass sich die Arbeitsmarktchancen der Jugendlichen verbessert haben.
({1})
Wir haben 100 000 Jugendlichen mit dem von uns eingeführten Rechtsanspruch auf Beschäftigung und Qualifizierung kurzfristig eine neue Chance gegeben. Die
Zahl der jugendlichen Arbeitslosen ist inzwischen niedriger als noch zu Jahresbeginn. Es ist richtig, dass die
Zahl immer noch zu hoch ist. Am Jahresende wird sich
aber zeigen, ob die von uns eingeleiteten Maßnahmen
von den Jugendlichen in Anspruch genommen werden.
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten zum
Beispiel auch eine Änderung des Berufsbildungsgesetzes durchgeführt. Diese Maßnahme war wichtig, um das
duale Ausbildungssystem zu modernisieren und den internationalen Anforderungen und Standards anzupassen.
Das ist für die Jugendlichen, die in diesem Bereich eine
Ausbildung beginnen, sehr wichtig, weil sie nun davon
ausgehen können, dass ihr Ausbildung den europäischen Anforderungen entspricht.
Karin Roth ({2})
({3})
Wir haben mit der Einführung der zweijährigen Berufsausbildung vor allen Dingen auch die Belange benachteiligter Jugendlicher berücksichtigt und gleichzeitig einen anerkannten Berufsabschluss für diese
Personengruppe eingeführt. Auch das ist wichtig, wenn
wir über das Thema „Modernisierung der Berufsausbildung“ reden. Natürlich ist es Besorgnis erregend, dass
45 Prozent der Jugendlichen, die arbeitslos sind, keinen
Berufsabschluss haben. Das bereitet große Sorgen, die
wir gemeinsam teilen. Deshalb müssen wir alles dafür
tun, dass Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekommen und so qualifiziert ausgebildet werden, dass sie ein
Berufsabschlusszeugnis erhalten und nicht gering beschäftigt sind. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger
Punkt.
({4})
An der Schwelle zwischen Schule und Arbeitsleben
brauchen Jugendliche eine Perspektive. Diese geben wir
ihnen. Deshalb sage ich an die Adresse der Wirtschaft:
Die Ausbildungsplätze, die versprochen worden sind,
damit Jugendliche zu Beginn ihres Arbeitslebens nicht
arbeitslos sind, müssen nun zur Verfügung gestellt werden. Mich bedrückt es, dass zum Beispiel nach der neuesten IHK-Befragung 23 Prozent der Unternehmen weniger ausbilden.
({5})
Die Unternehmen haben im Rahmen des Ausbildungspaktes versprochen, genügend Ausbildungsplätze zur
Verfügung zu stellen. Die Wirtschaft ist nun am Zug und
muss ihre Verantwortung wahrnehmen,
({6})
und zwar nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch
für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das ist notwendig.
({7})
Es geht also um die Zukunft der Jugendlichen insbesondere in den neuen Bundesländern. Dort muss etwas
getan werden; darin sind wir uns einig. Die Bundesregierung hat den neuen Bundesländern 86 Millionen Euro
für rund 14 000 Ausbildungsplätze im Bereich der betriebsnahen Ausbildung, aber auch der Verbundausbildung zur Verfügung gestellt. Nun werden wir noch einmal 17 Millionen Euro zur Verfügung stellen, und zwar
nicht nur für die neuen Bundesländer, sondern auch für
die strukturschwachen westdeutschen Bundesländer,
damit Jugendliche einen Ausbildungsplatz erhalten.
({8})
Wir, das heißt die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen, nehmen das Thema Ausbildung also ernst.
Dort, wo es nicht von allein funktioniert, handeln wir,
zum Beispiel durch Sonderprogramme, damit die Jugendlichen nicht auf der Strecke bleiben.
({9})
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur darauf hinweisen, dass die Berufsvorbereitungsmaßnahmen,
insbesondere die Deutschkurse, aber auch die Hauptschulabschlusskurse, wichtige Elemente sind. Das alles
könnte besser sein, wenn unser schulisches Ausbildungssystem besser wäre. Aber das bedeutet: Solange es
nicht so ist, dürfen wir die Jugendlichen nicht im Regen
stehen lassen und müssen solche Maßnahmen anbieten.
Ich halte nichts davon, wenn bestritten wird, dass die
Bundesagentur für Arbeit dafür zuständig ist, mit der
Absicht, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von
6,5 Prozent auf 5 Prozent zu reduzieren und die Fördermaßnahmen zu streichen, wie es Herr Stoiber vor kurzem in einem „Zeit“-Interview gesagt hat. Ich halte sehr
viel mehr davon, den Jugendlichen solche Maßnahmen
zu geben, damit sie zumindest die Chance haben, einen
Ausbildungsplatz zu erhalten. Auf dem Rücken der Jugendlichen bei der Arbeitsmarktpolitik einzusparen halte
ich für eine falsche Politik. Das sollten all diejenigen
wissen, die meinen, die Vorschläge der Opposition seien
die bessere Alternative. Ich meine, dass es für die Jugendlichen und ihre Zukunft verheerend wäre, wenn wir
das zuließen, was in den Programmen von CDU/CSU
und FDP vorgesehen ist.
({10})
Es ist doch klar: Sie sparen zulasten der Jugendlichen,
auf Kosten ihrer Zukunftschancen. Deshalb sollten Sie
bei diesem Thema kleine Brötchen backen.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
auf Drucksache 15/5394 zu dem Antrag der Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Aufbruch und Perspektiven - Zukunftschancen für Jugendliche in Deutschland stärken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/5255 anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die
Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalition
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
({0})
- Nun erfreuen sich beide Seiten noch einmal an den
einstweilen obwaltenden Mehrheitsverhältnissen.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl
({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Probleme mit der Türkei nicht ausblenden
- Drucksachen 15/4496, 15/5665 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Lale Akgün
Reinhard Grindel
Silke Stokar von Neuforn
Interfraktionell ist eine Debattenzeit von 45 Minuten
vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Dr. Akgün von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem
Titel „Probleme mit der Türkei nicht ausblenden“ verfolgt uns schon eine ganze Weile. Der Antragstext hat
sich zwischenzeitlich nicht geändert, wohl aber der
Sachstand zu den angesprochenen Themen.
({0})
Von daher kann ich sehr gut verstehen, dass sich die Kollegen und Kolleginnen der FDP in den Ausschüssen der
Stimme enthalten haben mit der Begründung, Ihr Antrag
sei durch den Zeitablauf nicht mehr auf dem aktuellsten
Stand.
Bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung standen einige Dinge in Ihrem Text, die schlicht falsch sind. Dies
gilt insbesondere für das Thema Staatsangehörigkeit.
Sie behaupten in Ihrem Antrag, türkischstämmige Deutsche würden sich mithilfe der türkischen Regierung
heimlich und illegal eine zweite Staatsangehörigkeit aneignen. Dies ist und bleibt Unsinn.
({1})
Ich bin bei der ersten Lesung des Antrages bereits ausführlich auf den juristischen Sachverhalt eingegangen,
lieber Kollege Koschyk. Ich muss es heute leider noch
einmal tun, damit ganz klar wird, wovon wir hier eigentlich reden.
Richtig ist: Es gibt keine rechtsmissbräuchliche Wiedereinbürgerung.
({2})
Jede und jeder Deutsche hat das Recht, jede Staatsangehörigkeit jedes Staates anzunehmen. Wichtig für die, die
dies tun, ist die Rechtsfolge, die sich für die deutsche
Staatsangehörigkeit daraus ergibt.
({3})
Die Annahme einer ausländischen Staatsangehörigkeit
hat nach § 25 des Staatsangehörigkeitsgesetzes den automatischen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zur
Folge. Diese Regelung oder die Ausnahme von der vorher geltenden Inlandsklausel gilt seit dem 1. Januar
2000, also seit In-Kraft-Treten des von uns initiierten
Staatsangehörigkeitsrechts.
Viele der jetzt Betroffenen haben die Wiedereinbürgerung schon lange vor dem 1. Januar 2000 beantragt, taten dies also in dem guten Glauben, dadurch würden sich
keine rechtlichen Nachteile ergeben. Sie, liebe Kollegen
und Kolleginnen von der CDU/CSU-Fraktion, verwechseln leider die Rechtsfolge und den Tatbestand des
Rechtsmissbrauchs, weil sich der Ausdruck Rechtsmissbrauch dazu benutzen lässt, Menschen in die Nähe krimineller Handlungen zu bringen und die Türkei als Staat
rechtsstaatlich zu diskreditieren.
({4})
Sie unterstellen uns aus reinem Wahlkampfopportunismus, wir würden Probleme ignorieren. Nein, es wurde
und wird gehandelt. Als erste Landesregierung hat die
SPD-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen
vor den Landtagswahlen reagiert und alle ehemaligen
türkischen Staatsbürger, die seit dem 1. Januar 2000
deutsche Staatsbürger geworden waren, befragt, ob sie
zwischenzeitlich eine ausländische Staatsangehörigkeit angenommen hätten. 5 000 Befragte haben daraufhin geantwortet, sie hätten die türkische Staatsangehörigkeit wieder erworben, wodurch sie die deutsche
Staatsangehörigkeit verloren haben. Das war die eine
Seite der Medaille, nämlich Klarheit in die Zahlen zu
bringen.
Die andere Seite der Medaille betrifft jedoch diejenigen, die jetzt nicht mehr Deutsche sind. Auch da ist die
SPD im Bund und in einigen Ländern vorangegangen,
um die Betroffenen dabei zu unterstützen, wieder einen
sicheren Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsstatus zu
erhalten, und um ihnen aufzuzeigen, wie sie ihre eigene
Rechtsunsicherheit beenden können, wie sie eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis und eine
erneute Einbürgerung in die deutsche Staatsangehörigkeit erreichen können.
Im zweiten Punkt Ihres Antrages geht es um eine Zahl
von circa 300 bis 400 Personen, die der türkische Staat
ausgebürgert hat, in der Regel wegen Nichtableistung
des Wehrdienstes. Ich habe auch hierzu bereits beim
letzten Mal betont, dass wir uns völlig einig darin sind,
dass wir diese Art von Ausbürgerung nicht gutheißen.
Sie wissen so gut wie wir, dass zur Lösung des Problems
bereits Konsultationen zwischen der deutschen und der
türkischen Regierung stattfinden und man versucht, hier
eine Lösung zu finden. Unser Bundesinnenminister Otto
Schily hat das Thema gut im Griff. Sie dürfen ganz ruhig
auf ihn vertrauen, so wie wir es auch tun.
Die eigentliche Absicht Ihres Antrages ist jedoch
ganz klar: Sie haben zu dem Zeitpunkt, als Sie den Antrag stellten - drei Tage vor dem Europäischen Rat im
Dezember 2004 -, versucht, auch noch die ausgefallensten Argumentationen zu bedienen, um die Beitrittsfähigkeit der Türkei zu verneinen. Das zeigt sich auch
daran, dass Sie in den Begründungen des Antrags versucht haben, Ihr gesamtes Sammelsurium an Argumenten gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
noch nachträglich unterzubringen. Sie haben nämlich in
der Zwischenzeit gemerkt, dass die ursprünglich im Antrag angesprochenen Themen reine bilaterale und innenpolitische Themen sind, die mit der Beitrittsfrage gar
nichts zu tun haben.
Als Europapolitikerin muss ich mich jedoch mit Ihrer
Haltung zum EU-Beitritt der Türkei grundsätzlich auseinander setzen. Der Europäische Rat im Dezember hat
einstimmig und zu Recht die Aufnahme von ergebnisoffenen Beitrittsverhandlungen beschlossen, mit dem Ziel
der Vollmitgliedschaft, wenn sich im Laufe dieser langwierigen Verhandlungen zeigt, dass alle Seiten ihre
Hausaufgaben gemacht haben.
Ihr so genanntes Konzept, Verhandlungen zu beginnen, als einzig mögliches Ziel aber eine „privilegierte
Partnerschaft“ zu akzeptieren, ist unsinnig und widersprüchlich.
({5})
Es macht keinen Sinn, Beitrittsverhandlungen zu führen,
von denen feststeht, dass sie nicht zum Beitritt führen
sollen. Ich sage aber auch ganz deutlich, dass ich das
Modell der „privilegierten Partnerschaft“ ablehne. Ihr
Kollege Wissmann hat in den letzten Tagen dankenswerterweise konkretisiert, was Sie sich unter „privilegierter
Partnerschaft“ vorstellen: den Ausbau von Wirtschaftsbeziehungen, den Aufbau einer umfassenden Freihandelszone und den Ausbau der Sicherheitspartnerschaft.
Das heißt im Klartext: Es soll eine wirtschaftliche und
militärische Verflechtung der Türkei mit der EU geben,
aber keine Rechte und Pflichten für die Türkei, wenn es
um die Verwirklichung der inneren Einheit Europas, der
institutionellen Strukturen sowie der Menschenrechtsund Sozialcharta geht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, das ist
nicht das Europa, das wir uns vorstellen. Es wäre ein Europa ohne gemeinsame Werte, nur die Verwirklichung
einer reinen Freihandelszone, die wir ja gerade nicht
wollen. Wir sollten diesen Aspekt nicht vernachlässigen,
nachdem gerade in Frankreich und den Niederlanden die
Referenden zur europäischen Verfassung mit einem Nein
endeten, das von vielen damit begründet wurde, dass Europa zu sehr den freien und gemeinsamen Markt betont,
aber keine ausreichende gemeinsame Grundlage für den
sozialen Ausgleich schafft. Dies ändern wir nicht, indem wir die wirtschaftliche Freihandelszone ausbauen,
die politischen Gemeinsamkeiten aber an den Rand
drängen. Deshalb ist die Türkeipolitik dieser Bundesregierung nach wie vor richtig.
({6})
Die EU muss ihre Hausaufgaben machen,
({7})
muss die finanzielle Vorausschau bis 2014 und dann ab
2014 beschließen. Sie muss die Inhalte des Verfassungsvertrages so weit implementieren, dass ihre Strukturen
handlungsfähig bleiben. Spätestens im Jahr 2013 muss
sie die Strukturen ihrer künftigen Agrarpolitik neu festlegen.
Die Türkei wird den Weg der Reformen, innen- wie
wirtschaftspolitisch, konsequent weitergehen müssen.
Wenn im Laufe dieser langen Periode die Beitrittsgespräche erfolgreich abgeschlossen werden, ist es vollkommen richtig, dass die Türkei mit allen Rechten und
Pflichten Vollmitglied wird.
Eine Ablehnung dieser langfristig angelegten Politik
aus populistischen und wahltaktischen Gründen weise
ich zurück.
({8})
Im Übrigen polemisieren Sie nicht nur gegen die Türkei,
sondern auch gegen die bereits zugesagten Beitritte von
Rumänien und Bulgarien, denen alle Staats- und Regierungschefs der EU zugestimmt haben. Sie meinen,
die Gunst der Stunde nutzen zu können, um das Nein der
Verfassungsreferenden für Ihre Zwecke zu missbrauchen.
Ich versuche, mich ganz sachlich mit Ihrem Antrag
auseinander zu setzen und ihn Punkt für Punkt abzuarbeiten. Ich möchte hier aber auch in aller Deutlichkeit
festhalten: Ihnen geht es nicht um die Inhalte, Ihnen geht
es darum, mit dem Thema Türkei und Türken eine Projektionsfläche für gesellschaftliche Ängste aller Art zu
schaffen. Wie ein türkisches Sprichwort sagt: Ihnen geht
es nicht darum, Weintrauben zu essen, Ihnen geht es darum, den Winzer zu verprügeln.
({9})
Ich finde es schäbig, dass Sie sich die Schwächsten der
Gesellschaft als Sündenböcke ausgesucht haben. Haben
Sie doch endlich den Mut, offen zu sagen, worum es Ihnen eigentlich geht!
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat nun der Kollege Hartmut Koschyk,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Rede der Kollegin Akgün hat gezeigt, wie wichtig unser
Antrag ist. Er hat zum einen deutlich gemacht, wie RotGrün mit dem Rechtsproblem und mit dem politischen
Problem illegaler Doppelstaatler in unserem Land glaubt
umgehen zu können. Er wirft zum anderen ein bezeichnendes Licht auf die Politik der Bundesregierung zum
EU-Beitritt der Türkei. Ich sage Ihnen ganz offen, Frau
Kollegin Akgün: Das Ja zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im Dezember 2004, forciert
durch die rot-grüne Bundesregierung, war eine große politische Fehlentscheidung für Europa.
({0})
Rot-Grün hat eine Schicksalsfrage für unser Land entschieden, ohne in aller Klarheit bestehende Probleme in
der Türkei und mit der Türkei benannt, geschweige denn
gelöst zu haben. Warnungen der Politik - ich nenne nur
Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing -, der
Wissenschaft, aber auch der beiden großen Kirchen in
unserem Land hat Rot-Grün ignoriert
({1})
und sich gegenüber Mahnungen und Fakten arrogant abweisend gezeigt.
Wie sehr die Staatsmänner in Europa beim Thema
Türkeipolitik jetzt, nach den Referenden in Frankreich
und den Niederlanden, kalte Füße bekommen, zeigt die
Tatsache, dass im Entwurf des Ratskommuniqués zum
anstehenden EU-Gipfel am Wochenende das Thema
überhaupt keine Erwähnung mehr findet.
({2})
Bei der Lösung der Problematik der illegalen Doppelstaatler hat sich die Bundesregierung in der Sache und
auch gegenüber dem türkischen Staat alles andere als
selbstbewusst verhalten, was die Vertretung berechtigter
deutscher Interessen anbelangt.
Auch die von Ihnen, Frau Kollegin Akgün, gerade propagierten Lösungsvorschläge halte ich nach wie vor für
falsch. Weder die Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit noch Sonderregelungen für türkischstämmige
Deutsche, die wegen der Wiedererlangung der türkischen
Staatsangehörigkeit ihre deutsche Staatsangehörigkeit
verloren haben, wären das richtige Zeichen.
({3})
Der türkische Staat hat den eingebürgerten türkischstämmigen Deutschen in Kenntnis und unter Missachtung unseres Staatsangehörigkeitsrechts die türkische Staatsangehörigkeit wieder zuerkannt. Darüber können und
dürfen wir nicht einfach hinwegsehen.
({4})
Zudem ist es beschämend und bezeichnend, dass die
Bundesregierung erst auf Druck der CDU/CSU überhaupt bereit war, von der Türkei die Herausgabe der Listen mit den Namen der illegalen Doppelstaatler zu verlangen. Es ist auch nicht hinnehmbar, dass sich der
türkische Staat weigert, der Bundesregierung, konkret
dem Bundesinnenminister, die Listen mit den Namen der
illegalen Doppelstaatler herauszugeben.
({5})
Minister Schily war übrigens auch in einer anderen
wichtigen Angelegenheit gegenüber der türkischen Seite
völlig erfolglos. Es ging darum, die unakzeptable türkische Rechtspraxis zu unterbinden, missliebigen türkischen Staatsbürgern, die im Ausland straffällig geworden sind, die türkische Staatsbürgerschaft einfach zu
entziehen, damit sie im Falle einer geplanten Abschiebung nicht in die Türkei zurückgenommen werden müssen. Es ist doch unannehmbar, dass Deutschland auf diesen türkischen Straftätern sitzen bleibt,
({6})
während sich die Türkei ihrer kurzerhand mittels Ausbürgerung entledigt.
({7})
Wenn Sie den Berliner Innensenator einmal gefragt
hätten, welche schweren Straftaten diejenigen begangen
haben, die die Türkei ausbürgert und die deshalb nicht in
die Türkei abgeschoben werden können, dann wüssten
Sie, wie gravierend dieses Problem in Wirklichkeit ist.
Schily hat es angesprochen - das wollen wir honorieren -, aber er hat in dieser Frage gegenüber seinem türkischen Amtskollegen Aksu überhaupt nichts erreicht.
({8})
Dies zeigt, welchen Einfluss die rot-grüne Bundesregierung auf die türkische Regierung hat, nämlich null Einfluss.
Auch sind wir der festen Überzeugung, dass die Bundesregierung mit der Tabuisierung und Verschleppung
dieses Themas den türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in Deutschland, die von dieser Problematik betroffen sind, keinen Gefallen tut. Es mag im ersten Moment zwar unbequem erschienen sein, dass wir mit
unserem Parlamentsantrag auf diese Problematik hingewiesen haben, aber eine Tabuisierung und Verschleppung dieses Themas hat zur Folge, dass es nicht gelöst
wird und dass in der Bevölkerung Vorbehalte aufgebaut
werden.
In einem Punkt können Sie sich sicher sein: Die Bevölkerung in Deutschland will nicht, dass Menschen in
Deutschland an Wahlen teilnehmen, die überhaupt nicht
dazu berechtigt sind, in Deutschland an Wahlen teilzunehmen.
({9})
Deshalb muss dieses Problem gelöst werden. Es macht
keinen Sinn, dass wir jetzt, wie von Ihnen teilweise propagiert, ein einfaches Verwaltungsverfahren zur Wiedererlangung der deutschen Staatsangehörigkeit anbieten. In diesen Fällen kann es kein privilegiertes
Verfahren geben.
Dass Sie sich von Rot-Grün in dieser Frage auch deshalb schwer tun, weil viele von Ihnen nach wie vor als
Regelfall die doppelte Staatsangehörigkeit propagieren,
ist natürlich klar. Auch der Aufruf der Grünen vor der
Landtagswahl in NRW an die von dieser Frage betroffenen Menschen zeigt, dass Sie in dieser Frage dem nachtrauern, was wir durch unsere Unterschriftensammlungen verhindert haben, nämlich dass die doppelte
Staatsangehörigkeit so, wie Sie das ursprünglich wollten, zur Regel wird.
({10})
Wir meinen, wir müssen alles dafür tun, dass sich
neue deutsche Staatsbürger durch die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit voll zu unserem Staat und zu
seiner Verfassungs- und Rechtsordnung bekennen. Die
Einbürgerung muss Ausdruck einer innerlichen Zuwendung zu Deutschland und nicht nur ein oberflächliches
Ritual sein. Daher treten wir für eine Eidesleistung bei
der Einbürgerung ein. Wir fordern vom zukünftigen
deutschen Staatsbürger ein eindeutiges Bekenntnis zur
Werte- und Verfassungsordnung der Bundesrepublik
Deutschland. Mit der Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft erwirbt der einbürgerungswillige Ausländer
kein bloßes Privilegienpaket für seinen Aufenthalt in
Deutschland. Vielmehr muss es um eine dauerhafte Bindung an unser Land, seine Werteordnung, seine Kultur,
aber auch seine Menschen gehen. Deshalb kann eine feierliche Eidesleistung bei der Einbürgerung eine erfolgreich absolvierte Integration unterstreichen.
({11})
Ich will ein Beispiel nennen: Von mangelndem Integrationswillen zeugt zum Beispiel, wenn sich wie jetzt
türkische Organisationen gegen den Bundestag und
seine inzwischen überparteilich eingenommene Haltung
zur Armenienfrage wenden. Für den nächsten Sonntag
ruft nämlich die von den 200 000 in Berlin lebenden
Türken wohl am meisten gelesene türkische Zeitung
„Hürriyet“ zu einer Großdemonstration gegen einen Antrag aller Fraktionen im Deutschen Bundestag auf, in
dem wir einvernehmlich gemeinsam den Genozid an den
Armeniern verurteilen wollen. Zu dieser Demonstration
werden 50 000 Personen erwartet. Wörtlich heißt es in
dem „Hürriyet“-Aufruf:
Wir werden uns den machtpolitischen Interessen
von heute nicht beugen.
Die Demonstration steht unter dem Motto: „Schnapp dir
deine Fahne und mach mit“.
Schnapp dir eine Fahne und mach mit - es wäre ein
gutes Zeichen für den Integrationswillen der türkischen
Gemeinde in Berlin und in Deutschland, wenn „Hürriyet“ seine Leser unter diesem Motto zur Akzeptanz der
Verfassungs- und Rechtsordnung Deutschlands
({12})
und seiner Symbole, aber auch zu einem sachgemäßen
Umgang mit der Armenienfrage aufrufen würde.
Herzlichen Dank.
({13})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Josef Winkler,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
einmal muss gesagt werden, dass es nicht nur um ein
Problem geht, von dem türkische Staatsbürger betroffen sind. Das ist Ihnen, meine Damen und Herren von
der Union, ja völlig entgangen.
({0})
Es ist ja so, dass sich langsam, aber sicher viele türkische Organisationen, aber auch Mitbürgerinnen und Mitbürger von Ihnen kriminalisiert fühlen, und zwar in
Gänze. Sie haben das ja auch eben wieder gezeigt. Sie
vermischen hier Sachverhalte, die nichts miteinander zu
tun haben.
({1})
- Das Ausbürgern von Kriminellen durch die türkische
Regierung und das Verlieren der Staatsbürgerschaft
durch eigenes Verschulden, indem man eine andere
Staatsbürgerschaft annimmt, haben überhaupt nichts
miteinander zu tun. Sie aber vermischen es. Das lehnen
wir ab.
({2})
Betroffen sind zum Beispiel auch Aussiedler aus der
ehemaligen Sowjetunion oder auch jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die aufgrund einer zwischenzeitlichen Niederlassung in Israel die israelische Staatsangehörigkeit erworben haben.
Ich gebe gerne zu - das ist aber kein großer Akt von
Enthüllungspolitik, Herr Kollege Koschyk -, dass die
Grünen schon immer der Meinung waren, dass die generelle Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit
ein integrativer Akt ist. Damit will ich aber überhaupt
nicht entschuldigen, dass - was Sie zu Recht thematisieren - die türkische Regierung hier rechtswidrige Informationen an deutsche Staatsbürger aus der Türkei verteilt und sie über Jahre hinweg zur doppelten
Staatsbürgerschaft ermuntert hat. Das eine hat mit dem
anderen nichts zu tun. Wenn Sie uns Grünen vorwerfen,
wir wollten quasi durch die Hintertür illegal die doppelte
Staatsbürgerschaft einführen, dann kann ich nur sagen:
So nicht! Wir sind zwar weiterhin dafür, dass sie eingeführt wird, aber das muss auf legalem Wege geschehen.
({3})
Unabhängig davon sollte man einmal sachlich überlegen, dass es eine Übergangsregelung für diejenigen Migranten geben sollte, die vor dem In-Kraft-Treten des
neuen Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 ihren
Antrag auf Wiedererwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit gestellt hatten und diese Staatsangehörigkeit
erst nach dem In-Kraft-Treten erhalten haben; auch diese
Fälle gibt es.
Meine Damen und Herren, ich kann hier nur an die
Bundesländer - die wie immer durch Abwesenheit glänzen - appellieren, dem föderalen Durcheinander bei der
Umsetzung des § 38 des Aufenthaltsgesetzes ein Ende
zu bereiten
({4})
und im Interesse der Betroffenen zu agieren. Hier muss
schnell Rechtsklarheit geschaffen werden. Wir brauchen
eine Vereinbarung der Länder zur pragmatischen und unbürokratischen Handhabung der Voraussetzungen des
§ 38 des Aufenthaltsgesetzes und des Assoziationsrechts
in Bezug auf die Türkei. Hier ist nach dem Grundsatz zu
verfahren, dass der aufenthaltsrechtliche Status vor der
Einbürgerung - in den allermeisten Fällen also ein unbefristetes Aufenthaltsrecht - wieder erteilt wird, sodass
die Betroffenen schnellstmöglich wieder eingebürgert
werden können.
({5})
Das ist im Übrigen in einigen Bundesländern - wie Berlin und Schleswig-Holstein, und auch ein schon damals
unionsregiertes ist dabei, nämlich Hessen - bereits so
vorgesehen. Zu kritisieren sind hingegen die Regelungen
in Baden-Württemberg - die wohl dem entsprechen, was
Sie anstreben, Herr Kollege Koschyk -, wo auch die
FDP mitregiert: Dort werden die Migranten, die eine
Wiedereinbürgerung anstreben, rechtlich so behandelt,
als ob sie neu nach Deutschland eingereist seien. Es ist
einfach nicht nachvollziehbar, dass Menschen, die schon
einmal, und zwar unter Umständen vor vielen Jahren, ein
Einbürgerungsverfahren erfolgreich absolviert haben,
jetzt wieder bei Adam und Eva anfangen sollen, dass
quasi überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird,
dass sie über Jahre gute deutsche Staatsbürger waren.
Aber nach diesen Regelungen müssen sie, da sie diesen
Fehler begangen haben - obwohl es bei den allermeisten
gar kein Vorsatz war; schließlich werfen Sie ja der türkischen Regierung vor, dass sie falsche Informationen erteilt hat, und machen die Vorwürfe nicht diesen
Bürgern -, auf Null zurück. Das lehnen wir ab.
({6})
- Es geht nicht um die Delikthaftigkeit dieser Sache,
Herr Kollege Koschyk, sondern darum, dass Sie viele
einzelne Menschen über einen Kamm scheren. Das tun
wir nicht. Es ist integrationspolitischer Nonsens, wenn
Menschen, die mit ihrer Einbürgerung schon vor Jahren
gezeigt hatten, dass sie in unserer Gesellschaft, in
Deutschland, angekommen sind, jetzt rechtlich wieder
als Ausländer behandelt werden und unter Umständen
sogar noch schlechter gestellt werden sollen, als sie es
vor ihrer Einbürgerung waren.
Ich denke, es ist klar, dass es hier ein Problem gibt.
Wir bestreiten das nicht; da gibt es auch keine Tabuisierung, wie Sie eben hier behauptet haben. Der Innenminister hat in dieser Hinsicht bereits verhandelt und wir
wussten um dieses Problem auch schon, bevor Sie uns
darauf hingewiesen haben. Wir haben schon vorher dagegen protestiert; das wissen Sie ganz genau. Deshalb
verwahre ich mich gegen Ihre Vorhalte.
Wir - das kann ich für meine Fraktion und für die
Fraktion der SPD sagen - wollen diese unsere Mitbürger, die da einen Fehler gemacht haben, wieder zurückhaben. Herzlich willkommen zurück in Deutschland!
Dass die Union das ablehnt, ist für mich eine Schande.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion wird sich bei dem Antrag der
CDU/CSU, über den wir gerade debattieren, der Stimme
enthalten.
({0})
Wir wollen damit zum Ausdruck bringen, dass in diesem
Antrag durchaus berechtigte Fragen thematisiert werden,
etwa die wirklich nicht akzeptable Praxis der Türkei,
({1})
eigene Staatsbürger auszubürgern, wenn sie im Ausland
straffällig geworden sind. Das sehen wir genauso wie die
CDU/CSU.
({2})
Wir können diesem Antrag aber nicht zur Gänze zustimmen, weil er zum Teil überholt ist: Er bezieht sich
auf die Aufnahmeentscheidung der Europäischen Union
vom 17. Dezember 2004; insoweit ist er einfach durch
den Zeitablauf überholt. Wir wollen diesem Antrag aber
auch deswegen nicht zustimmen, weil wir glauben, dass
einige innenpolitische Fragen, die von der CDU/CSU
hier zur Debatte gestellt werden, die gesamte Dimension
des Problems des Beitritts der Türkei zur Europäischen
Union nicht erfassen. Dieser Antrag ist nicht geeignet,
eine neue Debatte über den EU-Beitritt der Türkei zu
initiieren.
({3})
Ich verweise auf die klare Haltung der FDP zu diesem
Thema: Wir sind für wirklich ergebnisoffene Verhandlungen über den EU-Beitritt der Türkei. Diese werden
sich voraussichtlich über einen längeren Zeitraum hinziehen, und wenn sie abgeschlossen sind, wird entschieden. Das Ergebnis lässt sich heute nicht vorwegnehmen.
({4})
Natürlich ist es legitim - die CDU/CSU macht dies -,
in der Zwischenzeit einzelne Probleme zu diskutieren.
Durch die von SPD, Grünen und FDP gemeinsam getragene Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im
Jahr 2000 ist eine wirklich schwierige Situation entstanden. Damals ist vor allem auf Wunsch der CDU/CSU an
dem Grundsatz festgehalten worden, dass jeder nur eine
einzige Staatsangehörigkeit haben soll
({5})
und dass die doppelte Staatsangehörigkeit prinzipiell
verboten ist.
({6})
Daraus erwachsen nun praktische Probleme; denn damals ist folgende Regelung geschaffen worden: Deutsche
Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz im Inland haben und
zusätzlich eine ausländische Staatsangehörigkeit erwerben, verlieren mit diesem Erwerb automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Grund für diese Regelung
war natürlich folgender - daran muss man sich einmal erinnern -: Es sollte verhindert werden, dass es entgegen der
mit diesem Gesetz verbundenen Intention zu doppelten
Staatsangehörigkeiten kommt.
Die normale Sanktion bei diesem Regelverstoß - der
Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit - konnte nicht
im Gesetz verankert werden, da ein solches Vorgehen
durch Art. 16 des Grundgesetzes verboten ist. Diese Regelung im Grundgesetz soll deutsche Staatsangehörige
vor Rechtsverlusten schützen. Aus genau diesem Grund
haben wir eine viel weiter gehende Regelung geschaffen,
nämlich die „Fallbeilregelung“, die vorsieht, dass die
deutsche Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit automatisch verloren geht. Es
ist etwas paradox, dass eine Schutzvorschrift - Art. 16
des Grundgesetzes - zu einer eigentlich weiter gehenden
Regelung geführt hat.
Ich wage zu bezweifeln, dass dies der Weisheit letzter
Schluss war;
({7})
wir sehen nämlich, dass diese Regelung den unterschiedlichen Fällen, um die es geht, nicht gerecht wird. Beispielsweise haben Personen vor In-Kraft-Treten der
Neuregelung die türkische Staatsangehörigkeit aus privaten Gründen beantragt, ohne dass eine Stichtagsregelung vorgegeben war. Es ist nicht so, dass diese Menschen ausgebürgert werden - dieser Gedanke kommt in
vielen Briefen an uns zum Ausdruck -; vielmehr haben
sie die deutsche Staatsangehörigkeit schon per Gesetz
verloren.
Aus diesem Grund wäre es klüger, eine Regelung zu
finden, die den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer ausländischen zwar weiterhin
grundsätzlich vorsieht, diesen Verlust aber erst mit einer
feststellenden Verwaltungsentscheidung in Kraft setzt.
Die Rechtsnachteile treffen ja nicht nur einzelne Personen; vielmehr wirkt sich die dadurch entstehende
Rechtsunklarheit auf unser gesamtes Gemeinwesen
nachteilig aus. Schließlich weiß man nicht genau, wer
wahlberechtigt ist und wer nicht, woran viele andere
Rechtsfolgen anknüpfen. Angesichts dessen müsste die
notwendige Klarheit durch die Entscheidung einer Verwaltung hergestellt werden.
({8})
Damit wird in keiner Weise akzeptiert, dass manche
der Betroffenen die geltende Rechtslage bewusst umgehen wollten. Das verkennen wir nicht. Eine solche Haltung wird von uns nicht akzeptiert.
Ich sage zum Schluss aus rein praktischen Erwägungen: Die Menschen, über die wir hier reden, wohnen
schon jahrelang in Deutschland. Wäre es anders, hätten
sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erwerben können. Diese Menschen werden weiterhin - vielleicht ihr
Leben lang - in Deutschland wohnen. Unsere Politik
macht doch nur dann einen Sinn, wenn wir ihnen unabhängig von der Schuldfrage die Möglichkeit geben, die
deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben. Dies
ist aber - ich sage dies in aller Deutlichkeit - nur im
Rahmen der geltenden Vorschriften möglich.
Ich möchte deshalb in dieser Debatte die Gelegenheit
nutzen, an alle Betroffenen zu appellieren, ihre türkische
Staatsangehörigkeit wieder aufzugeben; denn anders
geht es nicht. Unsere Behörden sollten dann die neue
Einbürgerung wirklich schnell durchführen.
({9})
Dies ist die einzig sinnvolle und praxisgerechte Lösung
des Problems.
({10})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Fritz Rudolf Körper.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will
zwei Vorbemerkungen machen. Erstens. Ich halte den
Antrag der CDU/CSU, in dem ein innenpolitisches
Thema behandelt wird, für ein absolut ungeeignetes Mittel, die EU-Tauglichkeit der Türkei infrage zu stellen.
({0})
Zweitens. Ich fand es sehr wohltuend, wie Herr
Stadler mit der Frage der doppelten Staatsangehörigkeit und der damit verbundenen Problematik umgegangen ist. Ich will in Erinnerung rufen, dass im Jahre 1999
ein Ergebnis des damaligen Gesetzgebungsverfahrens
zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts die Einführung der Inlandsklausel war, womit der Regelfall der
doppelten Staatsangehörigkeit weggefallen ist. Lieber
Herr Koschyk, ich sage es ganz unumwunden: Ich finde
es nicht gut, auf welch einseitige Weise Sie mit der
Frage der doppelten Staatsangehörigkeit umgehen. Ich
möchte mir an dieser Stelle den Hinweis erlauben, dass
der überwiegende Teil der Menschen, die als Aussiedler
zu uns kommen, die doppelte Staatsangehörigkeit haben.
Das ist bis heute so.
({1})
Ich sage ganz deutlich: Sie sollten sich nicht in dieser
polemischen Art und Weise mit diesem Thema befassen.
Denn das hilft den ausländischen Mitbürgern in unserem
Lande nicht.
({2})
Zur Frage der Bewältigung aktueller und künftiger Sicherheitsrisiken im Rahmen des islamistischen Extremismus kann ich im Wesentlichen auf Debattenbeiträge
aus dem vergangenen Jahr verweisen. Dass sich durch
den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union diese Risiken verstärken würden, ist eine infame Unterstellung.
({3})
Das Gegenteil ist richtig: Der Beitritt einer säkular verfassten Türkei zur Wertegemeinschaft der Europäischen
Union wäre nach meinem Dafürhalten ein klares Signal
an die islamische Welt, das die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Islamismus wesentlich unterstützen könnte. Allerdings müssen die Ängste der Menschen
in Deutschland und in anderen europäischen Staaten berücksichtigt werden.
Herr Kollege Körper, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koschyk?
Ja.
Bitte, Herr Koschyk.
Herr Staatssekretär Körper, wie bewerten Sie die massiv vorgetragenen Bedenken des Ratsvorsitzenden der
Evangelischen Kirche in Deutschland, aber auch des
Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz im Hinblick auf islamistische Bestrebungen in Deutschland,
was eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU anbelangt?
Ich habe mich in dieser Debatte bei meinen Ausführungen sehr stark auf folgende Punkte konzentriert: auf
die Problematik der türkischen Staatsangehörigkeit, auf
die Gefahr des islamistischen Extremismus und die damit verbundenen Sicherheitsrisiken sowie auf den Gesichtspunkt, dass der Beitritt einer säkular verfassten
Türkei zur Wertegemeinschaft der Europäischen Union
ein klares Signal sein könnte, mit der die von mir erwähnte Auseinandersetzung unterstützt würde. Es ist
wichtig, dass wir das in dieser zum Teil emotional geführten Debatte festhalten und diesbezüglich unseren
Beitrag leisten. Darum bitte ich Sie. Ich denke, dass auch
diejenigen, die Sie hier erwähnt und zitiert haben, dies so
sehen, wie ich es tue.
Meine Damen und Herren, die Menschen dürfen von
der Politik eine nüchterne Analyse und entschlossenes
Handeln erwarten. Davon lassen wir uns leiten, was die
Zusammenarbeit mit der Türkei auf den einzelnen Problemfeldern angeht.
Die Bundesregierung hat - das sage ich im Hinblick
auf Ihren Redebeitrag - die Problematik des Wiedererwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit durch hier
ansässige, eingebürgerte Deutsche türkischer Herkunft frühzeitig erkannt und ist dem mit allen ihr zur
Verfügung stehenden Mitteln entgegengetreten. Mit dem
Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes vom
15. Juli 1999 ist erstmalig der noch vor der Reform mögliche und folgenlose Rückerwerb der früheren Staatsangehörigkeit unterbunden worden; das habe ich vorhin
erwähnt. Durch die Streichung der so genannten Inlandsklausel verlieren seit dem 1. Januar 2000 auch in
Deutschland lebende Deutsche mit dem Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit automatisch ihre deutsche
Staatsangehörigkeit und sind wieder Ausländer, in der
Regel zunächst ohne Aufenthaltsrecht. Über diese
Rechtsfolgen wurden alle seit In-Kraft-Treten dieses
Gesetzes neu eingebürgerten Deutschen informiert.
Als der Bundesregierung die Verschleierungspraxis
türkischer Registerbehörden bekannt wurde, hat sie
sofort gehandelt. Die türkische Regierung hat sich kooperativ verhalten und bereits im März 2004 die einschlägigen Runderlasse ihrer Vorgängerregierungen
aufgehoben und die darauf beruhende Praxis bei den Registerauszügen abgestellt. Auch hat sie die Anzahl der
seit 2000 Rückeingebürgerten mitgeteilt.
An dieser Stelle muss auch klargestellt werden, dass
der Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit und der
Wiedererwerb der früheren Staatsangehörigkeit an sich
nicht rechtsmissbräuchlich sind. Es steht jedem Deutschen frei, eine andere Staatsangehörigkeit zu erwerben.
Es sollte ihm jedoch klar sein, dass damit kraft Gesetzes
automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit verloren
geht, wenn er nicht zuvor eine behördliche Beibehaltungsgenehmigung erhalten hat.
Hat jedoch ein türkischer Familienvater - ich finde es
wichtig, dass wir da ein Stück differenzieren - für sich
und seine gesamte Familie wieder türkische Pässe erworben, kann nicht automatisch unterstellt werden, dass
sich auch Ehefrau und Kinder der rechtlichen Konsequenzen dieses Schrittes bewusst waren. Auch den Personen, Herr Koschyk, die bereits vor dem 1. Januar
2000, als dies noch folgenlos war, einen Antrag auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gestellt
hatten, deren Einbürgerung von türkischer Seite aber erst
nach dem Wegfall der Inlandsklausel erfolgte, ist der
Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nicht vorzuwerfen.
Bei dem Gespräch zwischen den Ministern Schily
und Aksu am 11. April 2005 in Berlin wurde deutlich
gemacht, dass eine gesetzliche Amnestieregelung, die
von türkischer Seite gefordert wurde, nicht infrage
kommt. Denn sachgerechte Lösungen sind bereits nach
dem derzeit geltenden deutschen Recht möglich. Die mit
dem Zuwanderungsgesetz eingeführten Regelungen in
§ 38 des Aufenthaltsgesetzes sind jedoch nicht als Sonderregelungen für den hier betroffenen Personenkreis
türkischer Herkunft geschaffen worden, sondern verhelfen allen ehemaligen Deutschen, die - aus welchem
Grund auch immer - ihre deutsche Staatsangehörigkeit
kraft Gesetzes verloren oder auf sie verzichtet haben, zu
einem Aufenthaltstitel. Bei den Türken gilt zudem die
Besonderheit des Beschlusses des zwischen der EG und
der Türkei bestehenden Assoziationsrates.
Ob anschließend eine erneute deutsche Einbürgerung
möglich ist, richtet sich für alle nach den aktuellen, allgemeinen Einbürgerungsvoraussetzungen, die insbesondere ausreichende deutsche Sprachkenntnisse, der
veränderten Sicherheitslage angepasste Vorkehrungen
gegen Extremisten und die erneute Aufgabe der zwischenzeitlich erworbenen fremden Staatsangehörigkeit
vorsehen.
Zwar hat Innenminister Aksu in dem Gespräch mit
Minister Schily eine Übergabe der Daten der Betroffenen an deutsche Behörden mit Hinweis auf den Datenschutz abgelehnt; wir bemühen uns aber weiter, diese
Personendaten zu bekommen.
Die türkische Seite hat sich bereit erklärt, mit der
Bundesregierung über ein bilaterales Abkommen zum
Austausch von Einbürgerungsmitteilungen zu verhandeln - ich denke, das ist auch wichtig -, das den deutschen Anforderungen besser gerecht wird als das von Ihnen angesprochene Abkommen. Einen entsprechenden
Entwurf wird Minister Schily in Kürze dem türkischen
Innenminister unterbreiten. Die Bundesregierung setzt
weiterhin auf die Kooperation der türkischen Regierung
und wird auch auf Fachebene die Gespräche mit der Türkei fortsetzen.
Auch in der Frage der Ausbürgerungen türkischer
Staatsangehöriger wegen nicht abgeleisteten Wehrdienstes steht die Bundesregierung seit längerem im Gespräch
mit der türkischen Regierung. Sie hat dabei wiederholt
und unmissverständlich klargestellt, dass diese Praxis
für die deutsche Seite inakzeptabel ist, soweit die Rückführung von Personen, die sich unberechtigt in Deutschland aufhalten, hierdurch unmöglich gemacht wird. Ich
denke, diese Position ist klar. Es wurde zugesagt, dieses
Problem in der Türkei durch einen Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Ausbürgerungsvorschrift, der
dem türkischen Parlament bereits zugeleitet worden ist,
zu lösen.
Meine Damen und Herren, Sie sehen also, dass der
Weg der Kooperation und des Dialogs zwischen uns und
der Türkei nicht fruchtlos ist. Er ist zielorientiert und
wird gute Ergebnisse bringen.
In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Ralf Göbel von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ziemlich genau fünf Monaten haben wir uns
hier in erster Lesung mit dem vorliegenden Antrag unserer Fraktion beschäftigt. Zwischenzeitlich ist eine Entscheidung auf EU-Ebene erfolgt; da gebe ich Herrn
Stadler Recht. Der Inhalt des Antrags ist deswegen aber
nicht unrichtig geworden; denn alle drei im Antrag genannten Punkte stellen nach wie vor Probleme dar, die
uns in Deutschland beschäftigen.
({0})
Deswegen ist es richtig, dass wir heute noch einmal über
dieses Thema diskutieren.
Wenn man sich den Verlauf der letzten Debatte vor
Augen führt, kann man erkennen, dass sich einige Redner heute ähnlich verhalten haben. Es wird nämlich weniger auf den Inhalt eingegangen. Vielmehr wird versucht, den Antrag so zu deuten, als werde darin gegen
die Türkei polemisiert, oder gar, wie es der Kollege
Winkler gemacht hat, als werde die türkische Bevölkerung damit kriminalisiert.
({1})
Ich kann dazu nur sagen: Es ist im politischen Wettstreit
nicht fair,
({2})
wenn man die Argumente anderer, die im Übrigen auch
von der Bundesregierung als Problem anerkannt werden,
benutzt, um in der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, hier werde ein Volk kriminalisiert. Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland hat es satt, dass
ein Problem jedes Mal, wenn es offen angesprochen
wird, auf irgendeine Art und Weise ins Hinterstübchen
befördert wird und nicht mehr debattiert werden soll.
Das wollen die Leute in unserem Land nicht mehr.
({3})
Deswegen müssen wir uns mit diesen Punkten noch einmal sehr intensiv beschäftigen.
Die Bundesregierung hat ja eingestanden, dass es sich
hier tatsächlich um Probleme handelt. Die Frau Parlamentarische Staatssekretärin Voigt hat - nicht zu Ihrer
Freude - auf die Frage des Kollegen Strobl
({4})
bestätigt, dass das, was wir in den ersten beiden Punkten
unseres Antrags benannt haben, tatsächlich Probleme
sind und dass sie auch der Bundesregierung Sorge bereiten; denn sie war damals noch weit von einer Lösung
entfernt. Ich frage jetzt: Sind wir der Lösung inzwischen
näher gekommen?
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es etwa
50 000 Menschen, die deutsche Staatsbürger waren und
vom Verlust ihrer Staatsbürgerschaft betroffen sind. In
Nordrhein-Westfalen wurde darauf in Flugblättern, die
man in deutscher, in russischer und in türkischer Sprache
verteilt hat, hingewiesen. Diese Flugblätter waren nicht
ganz ideologiefrei. Auch hätte man sich gewünscht,
dass, da es sich um deutsche Staatsangehörige handelt,
die deutsche Sprache ausreichend gewesen wäre.
Aber die Frage ist - hier setzt meine Kritik an -: Wie
erfährt man überhaupt, wer die Betroffenen sind? Die
Einzige, die in der Lage gewesen wäre, uns exakt darüber zu informieren, wer betroffen ist, wäre die türkische
Regierung gewesen.
({5})
Aber die türkische Regierung hat sich hinter datenschutzrechtlichen Regelungen verschanzt und uns diese
Information bislang verweigert. Das ist noch immer
Stand der Dinge.
Meine jüngste Auskunft vom rheinland-pfälzischen
Innenminister ist, dass man in einem sehr aufwendigen
Verwaltungsverfahren die Register durchschauen, jeden
einzelnen Fall betrachten, auf jeden Einzelnen zugehen
und ein großes Verwaltungsverfahren einleiten müsste.
Da hätte ich mir von unserem Partner Türkei mehr Entgegenkommen erwartet, als es derzeit der Fall ist.
({6})
Ich bin sehr gespannt, wie die von Ihnen, Herr
Körper, genannten Abkommen aussehen werden und ob
dieses Problem einer effektiven Lösung zugeführt wird
oder ob man wieder im Rahmen von Aktionen, Flugblättern und Ähnlichem daran arbeiten muss, dass die Betroffenen selbst auf uns zukommen.
Im Übrigen ist diese Situation auch für die Betroffenen nicht besonders glücklich: Sie sind in Deutschland,
wissen gegebenenfalls nicht, dass sie keine deutschen
Staatsbürger mehr sind, nehmen eventuell an Wahlen teil
und haben einen Rechtsstatus, der ihnen hier Schwierigkeiten bereiten kann. Ich glaube, es gehört zur Pflicht
einer Regierung - vielleicht auch zur Pflicht der Regierung, die die Betroffenen dazu animiert hat, ihre ehemalige Staatsangehörigkeit wieder anzunehmen -, diese
Menschen in die Lage zu versetzen, in Deutschland oder
in der Türkei - je nachdem, wie sie sich entscheiden wieder einen ordentlichen staatsbürgerlichen Status zu
erlangen.
({7})
Deswegen ist es wichtig, dass wir die Bundesregierung nach wie vor fragen: Wie ist der Stand der Dinge?
Wie weit seid ihr gekommen? Was können wir den Menschen, die hier sind, anbieten?
({8})
Das ist der Inhalt unseres Antrages, den ich zu begründen hatte.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Carl Eduard von
Bismarck von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über eine
Reihe von anhaltenden Problemen mit der Türkei, die
große Zweifel an der Bereitschaft der Bundesregierung
aufwerfen, strittige Punkte in unserem bilateralen Verhältnis gegenüber unseren türkischen Freunden offen
und ehrlich anzusprechen und sie auch zu klären. Dies
scheint mir aber vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Türkei
von herausragender Bedeutung zu sein. Denn in unserer
Bevölkerung und in ganz Europa herrschen große
Sorgen und Ängste vor einer Überdehnung und damit
einer Überforderung der EU durch eine Erweiterungspolitik nach dem Prinzip „Augen zu und durch“.
({0})
Wir lösen keine Probleme, indem wir sie ignorieren.
({1})
Übrigens verbessern wir durch eine solche VogelStrauß-Politik auch nicht die Chancen einer wirklichen
Annäherung zwischen der Türkei und der EU. Die in
Frankreich und in den Niederlanden gescheiterten Referenden über den europäischen Verfassungsvertrag haben die Gefahren einer derartigen Europapolitik offen
gelegt. In beiden Ländern wurde doch in Wahrheit nicht
der Verfassungsvertrag abgelehnt, den wir in diesem
Haus aus gutem Grund mit überwältigender Mehrheit ratifiziert haben. Vielmehr haben die Franzosen und die
Niederländer gegen eine Europapolitik gestimmt, die
ihre Befürchtungen ignoriert.
({2})
Wir werden die Bürgerinnen und Bürger nicht für Europa begeistern können, wenn wir, gerade auch mit Blick
auf die Türkei, Probleme und berechtigte Zweifel ignorieren.
Erlauben Sie mir hierzu aus europapolitischer Sicht
einige Anmerkungen. Morgen tritt in Brüssel der Europäische Rat zusammen. Man darf gespannt sein, was uns
der Bundeskanzler zu diesem Thema vortragen wird.
Wie jedenfalls in den letzten Tagen zu hören ist, werden
die Schlussfolgerungen des Gipfels das Thema Türkei
mit dem Mantel des Schweigens bedecken, obwohl die
Verhandlungen mit der Türkei am 3. Oktober dieses Jahres eröffnet werden sollen.
({3})
Ich werte dies als eines von vielen Zeichen, dass in Europa ein Umdenkungsprozess stattfindet. Die Beitrittseuphorie ist einer sachlicheren Debatte gewichen, und das
ist auch so gut.
({4})
Niemand in diesem Haus bestreitet, dass die Türkei
eine europäische Perspektive hat. Diskutiert wird nur,
wie wir diese Perspektive konkretisieren. CDU und CSU
haben sich stets dafür ausgesprochen, einen realistischen
Weg zu wählen, einen Weg, der den Interessen der Türkei, aber vor allem auch den Interessen der EU gerecht
wird. Wir wollen der Türkei nicht die Tür vor der Nase
zuschlagen; aber wir wollen eben auch die vielfältigen
Probleme einer Vollmitgliedschaft der Türkei nicht leugnen.
({5})
Für uns ist klar: Wir halten eine privilegierte Partnerschaft für den besten Weg zur Anbindung der Türkei an
die EU. Wie diese Debatte zeigt, ist die Türkei auf zahlreichen Politikfeldern beileibe noch nicht europareif.
({6})
Lassen Sie uns deshalb auf die Stimme des Realismus
hören und Abstand nehmen von Beitrittsszenarien, die
weder der aktuellen Lage in der Türkei noch den Interessen der EU entsprechen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Herr Kollege von Bismarck, ich gratuliere Ihnen im
Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus-
schusses auf Drucksache 15/5665 zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Probleme mit der
Türkei nicht ausblenden“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 15/4496 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Frak-
tion angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({1})
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Manfred Helmut Zöllmer, Michael Müller
({2}), Waltraud Wolff ({3}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Dr. Reinhard Loske, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung
Verbraucherpolitischer Bericht 2004
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Verbraucherpolitischer Bericht 2004
- Drucksachen 15/4865, 15/4499, 15/5611 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Helmut Zöllmer
Ulrike Höfken
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({4})
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Sören Bartol,
Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer AbgeordVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
neter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Volker Beck ({5}),
Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
zu der Abgabe einer Erklärung durch die
Bundesregierung
Eine neue Ernährungsbewegung für Deutschland
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel
Happach-Kasan, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
zu der Abgabe einer Erklärung durch die
Bundesregierung
Eine neue Ernährungsbewegung für Deutschland
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula
Heinen, Julia Klöckner, Peter H. Carstensen
({6}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Über-, Fehl- und Mangelernährung wirksam
bekämpfen
- Drucksachen 15/3323, 15/3324, 15/3310,
15/3987 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
Ulrike Höfken
Zum Verbraucherpolitischen Bericht liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sie wissen ja, dass es sich hier um eine Berliner Stunde handelt,
deren Berechnungsbasis in dieser Legislaturperiode eine
Stunde à 62 Minuten ist; die Berliner Stunde ist also etwas länger als die Zeitstunde. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Bundesministerin Renate Künast das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben im Bereich Verbraucherschutz bzw. vorsorgender Verbraucherschutz bei den Lebensmitteln in
den letzten Jahren, zum Teil auch mit Zustimmung der
Opposition, eine Neuaufstellung vorgenommen. Sie lief
nach dem Motto „Wissen, was drin ist“. Das war für uns
selbstverständlich: dass die Verbraucher wissen, was in
dem Produkt, das sie kaufen, drin ist.
Heute stehe ich hier und kann in Richtung Opposition
und gerade CDU/CSU ein lautes Bravo rufen; denn
heute hat die Opposition ihr Glanzstück, ihr Meisterstück in Sachen Verbraucherpolitik vollbracht. Sie hat
gerade im Vermittlungsausschuss, als es um das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ging, gezeigt,
was sie meint und was sie darunter versteht, wenn sie
sagt: Wir wollen die Verbraucher informieren. Sie hat
nämlich mal eben dafür gesorgt, dass in diesem Gesetz
der Verbraucherinformationsteil gestrichen wurde.
({0})
Endlich wissen wir, was drin ist, wenn wir CDU „kaufen“.
Ich verstehe eines nicht: Warum wollen Sie nicht,
dass Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, was
drin ist? Warum wollen Sie nicht, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher die notwendigen Informationen
haben, um richtige Entscheidungen - auch preisangemessene Entscheidungen - für sich und ihre Familien
treffen zu können? Das ist das schnelle Ende der „neuen
Ehrlichkeit“. Ich habe jetzt nicht mehr im Kopf, wann
Angela Merkel diesen Satz sprach, sage aber: Eine erschreckend und beeindruckend kurze Halbwertszeit! Das
ist der Beweis, dass es Ihnen überhaupt nicht um neue
Ehrlichkeit geht, sondern um Desinformation. Sie wollen die Verbraucher allein stehen lassen. Das haben Sie
bei Gentechnik gezeigt, das haben Sie bei den Health
Claims gezeigt und das zeigen Sie bei Verbraucherpolitik allgemein.
({1})
Was ich daran beeindruckend finde: dass die CDU/CSU,
die sich gerne als wirtschaftskompetente Partei zeigt, an
dieser Stelle wieder einmal zeigt, dass sie nicht verstanden hat, wie Binnenkonjunktur eigentlich funktioniert.
({2})
- Na ja, es gibt ja Unternehmen, die selbst Sie kritisieren - trotz aller Abtauchversuche von Frau Merkel.
Eine starke Binnenkonjunktur setzt immer voraus,
dass die Verbraucher bei ihren Alltagsgeschäften in der
Lage sind, eine verantwortbare Entscheidung zu treffen.
Sie müssen ein Gefühl von Sicherheit bei der Entscheidung haben, Geld für ein bestimmtes Produkt oder eine
bestimmte Dienstleistung auszugeben.
An dieser Stelle kann man die Verbraucherpolitik als
Chance begreifen, die Konsumfreude zu animieren. Woher kommt es denn, dass wir derartig hohe Spareinlagen
haben und dass gleichzeitig ungeheure Zurückhaltung
besteht, Geld auszugeben?
({3})
Sie können erkennen, dass es auch in diesen wirtschaftlich schwachen Zeiten durchaus Unternehmen in
Deutschland gibt, die mit einer guten und transparenten
Information schwarze Zahlen schreiben. Schauen Sie
sich allein den Bereich E-Commerce an.
({4})
Ich muss Ihnen sagen: Meine These ist, dass sich die
CDU immer noch in der kleinen Welt des 19. Jahrhunderts befindet.
({5})
- Ja. Sie haben sich nämlich immer noch nicht mit den
komplexen Strukturen der Alltagsverträge im 21. Jahrhundert beschäftigt. Sie empfehlen die Marktwirtschaft
aus der Erhard-Zeit.
({6})
Diese Zeit gibt es aber gar nicht mehr. Die Zeit, in der
sich das Geld und die Unternehmen lediglich im nationalen Rahmen bewegt haben, ist doch längst vorbei. Tatsache ist, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher, die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, im Wesentlichen
in ihrem Land leben, während sich das Geld und die Produktion bewegen können. Genau in diesem Zusammenhang empfehlen Sie eine Wirtschaftspolitik aus den
60er- und 70er-Jahren.
({7})
- Ja, doch. Sie alle sitzen hier und tragen Kleidung, die
irgendwo - ich weiß nicht, wo - hergestellt wurde. Insofern sollten eigentlich auch Sie einen Hauch von Bezug
zu diesem Thema haben.
Die Realität sieht so aus, dass wir eine immer größere
Vielzahl von Produkten und Angeboten sowie eine immer größere Anzahl unterschiedlicher Vertrags- und Geschäftsstrukturen haben. Gleichzeitig müssen die Menschen ihr Leben immer mehr in Eigenverantwortung
planen und organisieren. Deshalb geht es an dieser Stelle
definitiv nicht nur um wirtschaftliche Freiheit, sondern
auch um die Verantwortung der Wirtschaft. Verantwortung der Wirtschaft muss an dieser Stelle bedeuten, dass
es Leitplanken gibt. Das ist das gute Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({8})
Es ist schon so: Das Leben im Jahre 2005 entspricht
nicht dem Leben im Jahre 1960 und wir wissen, dass wir
heute, 2005, die Probleme von heute lösen und uns aber
auch auf die Probleme von übermorgen vorbereiten müssen. Die jungen Leute, die hier oben auf der Tribüne sitzen, fragen sich zum Beispiel, wie sie an das Standbein
private Altersvorsorge herankommen. Wofür geben sie
denn ihr Geld aus?
({9})
Sie haben dazu überhaupt nichts geboten außer der Freiheit der Versicherungsvermittler - mehr nicht. Es ging
Ihnen um die Freiheit derer, die eine Provision haben
wollen, und nicht um die Freiheit derer, die hier oben sitzen und sagen: Wenn ich für mein Alter Geld investiere,
will ich dafür auch eine Leistung haben.
({10})
Das unterscheidet uns. Hier zeigen sich der tiefe Graben
zwischen uns und unsere unterschiedlichen Richtungen.
Angefangen bei den Lebensmitteln haben wir die Produktsicherheit erhöht. Auch beim Schutz vor unlauterem
Wettbewerb haben wir Verbesserungen erreicht. Ich
nenne nur die Stichworte Spam und Schlussverkaufsrecht. Im Bereich der Telekommunikation haben wir bei
den 0190er-Nummern - ebenfalls gegen Ihren Widerstand - dafür gesorgt, dass die Verbraucher abgesichert
sind.
({11})
- Mein Gott, jetzt, nach Jahren, sind auch Sie endlich so
weit. Trotzdem darf ich darauf hinweisen, dass Sie eine
Mauer sind, die verhindert hat, dass wir das bereits früher geregelt haben. An Ihre eigenen Aussagen sollten
Sie sich schon noch erinnern.
({12})
Die 0190er-Nummern waren immer ein Vorteil für die
schwarzen Schafe - vielleicht noch für Sexanbieter -,
aber nicht für den Mittelstand und die Verbraucher. Weiterhin nenne ich: vertragliche Informationspflichten bei
Finanzdienstleistungen, Patientenbeteiligung, Datenschutz
und bessere Tarife bis hin zum Kinderhandy. Das alles
sind tatsächlich Verbesserungen.
({13})
- Ja, die Konten der Leute. Jetzt kam wieder der berühmte Zwischenruf der Partei der Besserverdiener. Sie
werden Ihr Image nie los. Wozu brauchen Sie das Bankgeheimnis denn? Sie brauchen es doch nicht für diejenigen, die nur 100 Euro auf dem Konto haben. Sie wollen
das Bankgeheimnis für diejenigen erhalten, die
100 000 Euro oder 1 Million Euro auf ihrem Konto haben. Wir sind aber gegen Steuerhinterziehung.
({14})
Wir haben das Lebensmittel- und Futtermittelgesetz,
das Sie 16 Jahre lang vor sich her geschoben haben, endlich geschaffen. Jetzt gibt es endlich eine durchgehende
Kette vom Futtermittel bis hin zur Ladentheke. Wir
schaffen damit für die Verbraucher mehr Sicherheit bei
den Lebensmitteln, während Sie schon wieder sagen:
Verbraucherinformationen können wegfallen.
Ich weiß schon, dass Sie nachher sagen werden, Sie
wollten ja Verbraucherinformation, sogar mehr als wir.
Dabei werden Sie aber hinter Ihrem Rücken die Finger
überkreuzen; denn danach werden Sie erklären: Das
werden wir später machen, also in 100 Jahren, oder wir
lassen es über Brüssel laufen. - Die Verbraucher wollen
aber nicht 15 Jahre warten, bis diese Angelegenheit in
Brüssel entschieden wird. Sie wollen schon heute Informationen über die Lebensmittel haben, die sie für ihr
Geld kaufen.
({15})
Auch das Thema digitaler Verbraucherschutz ist
wichtig. Nehmen wir zum Beispiel die RFID-Chips, mit
denen Großhandelsunternehmen ihr Warenmanagement
gestalten. Auch bei diesem Thema sind der Handel und
die Wirtschaft längst weiter als die Opposition. Sie haben entschieden: Die Chips sind nur bis zur Kasse lesbar; denn danach geht es um das Recht der Verbraucher
auf Datenschutz, sodass sie nach dem Kauf keine Informationen preisgeben. Das ist eine moderne Verbraucherschutzpolitik. Das entspricht meines Erachtens dem
Grundgesetz, weil das Grundgesetz auch die Aufgabe
hat, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Nicht
nur bei der eigenen Existenz muss Verbraucherschutz so
funktionieren, dass man sich eigenständig und informiert
entscheiden kann.
Ihre Verbraucherpolitik ist so ausgerichtet, dass Sie
eigentlich das C aus Ihrem Namen streichen müssten.
Ich sehe gerade, dass Frau Hasselfeldt leider nicht da ist.
Sie hat hier neulich gesagt: Wer soll bewerten, was ethische Aspekte sind? Meine Damen und Herren, wenn
selbst Sie mit dem C im Namen es nicht wissen, dann
kann ich nur sagen: Gute Nacht!
({16})
Wir wissen, dass auch ethische Aspekte bei der verbraucherpolitischen Information eine Rolle spielen. Wir wissen, es geht um Freiheit, aber nicht nur um die Freiheit
der Wirtschaft, sondern auch die Freiheit der Kunden,
wählen und entscheiden zu können. Sie wollen wissen,
was das richtige Produkt ist.
({17})
Es geht um Ehrlichkeit und Wahrheit. Es geht um eine
Wirtschaft, die mit Verbraucherpolitik schwarze Zahlen
schreiben wird.
({18})
Das Wort hat die Kollegin Ursula Heinen von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Frau Ministerin Künast, ich habe in einer
Rede selten so viele nicht ganz richtige Tatsachen gehört
wie heute in Ihrer Rede.
({0})
Ich möchte Ihnen das gerne einmal darlegen.
Fangen wir mit dem Beispiel der 0190er-Nummern
an, deren Verbot Sie sich plötzlich auf Ihre Fahnen
schreiben. Ich weise noch einmal darauf hin: Wenn Sie
öfter einmal in den Ausschuss gekommen wären - Sie
sind nämlich, glaube ich, in dieser Legislaturperiode insgesamt nur zweimal im Ausschuss für Verbraucherschutz gewesen -, hätten Sie auch die Beratungen über
dieses Gesetz mitbekommen.
({1})
Dann hätten Sie erfahren, dass es die CDU/CSU gemeinsam mit der FDP gewesen ist, die in der Frage der
0190er-Nummern Tempo gemacht hat.
({2})
Der zweite Punkt betrifft das Verbraucherinformationsgesetz. Dazu möchte ich etwas über den Hergang in
der parlamentarischen Beratung sagen. Wir haben begonnen, über ein Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch zu sprechen. Sie haben es in erster Lesung eingebracht. Das war aufgrund einer europäischen Vorlage
notwendig. Dazu haben wir richtigerweise nach der ersten Lesung eine Anhörung mit Vertretern von Verbänden
im Ausschuss durchgeführt. Diese haben uns ihre Meinung dazu gesagt und wir haben das aufgenommen.
Kurz bevor dieses Lebens- und Futtermittelgesetzbuch
in die zweite und dritte Lesung kam - das war haarscharf -, wurde ein Abschnitt 11, Verbraucherinformation, in einer Nacht- und Nebelaktion aufgenommen.
({3})
- Ihr Zwischenruf ist völliger Quatsch; denn es ging im
Bundesrat nur darum, zu regeln, wann die Öffentlichkeit
in bestimmten Fällen informiert wird. Es ging nicht um
die Verbraucherinformation.
({4})
Wir haben gesagt: So, wie das Thema Verbraucherinformation in das Gesetz eingebracht wurde, passt es
schlicht und ergreifend nicht hinein.
({5})
Sie hätten Ihre Koalitionsvereinbarung umsetzen und ein
eigenständiges Verbraucherinformationsgesetz vorlegen
sollen, über das man dann in der Breite hätte diskutieren
können. Sie aber fummeln es in irgendein Gesetz hinein,
in das es absolut nicht hineinpasst.
({6})
Ich freue mich,
({7})
dass wir heute in dieser Debatte die Möglichkeit haben
- insofern muss man den Verbraucherpolitischen Bericht
loben -, darüber zu diskutieren, wie das Verbraucherbild
von Rot-Grün auf der einen Seite und wie das Verbraucherbild der Union auf der anderen Seite aussieht.
({8})
Geht es um den selbstständigen Verbraucher, der durch
politisches Handeln, durch Rahmenbedingungen oder
auch Leitplanken, wie Sie es formuliert haben, in die
Lage versetzt wird, eigenständig zu entscheiden, oder
geht es darum - das ist die Politik, die Sie in den vergangenen sieben Jahren gemacht haben -, den Verbraucher
zu bevormunden und ständig mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger vor ihm zu stehen und ihm zu sagen,
was er zu tun oder zu lassen hat?
Ich möchte gerne ein kleines Beispiel aus der oberbergischen Stadt Hückeswagen zitieren, das, als
schaue man durch ein Brennglas, zeigt, was Sie unter
Verbraucherpolitik verstehen. Im April dieses Jahres hat
der Bürgermeister der Stadt Hückeswagen von seiner
belgischen Partnerstadt eine große Menge echter belgischer Schokolade geschenkt bekommen,
({9})
um diese an gemeinnützige Organisationen, an Kindergärten und Altenheime zu verschenken. Es war einfach
eine schöne Idee, im Rahmen der Partnerschaftsbeziehung zwischen den beiden Städten so etwas zu machen.
400 Menschen haben so Schokolade bekommen,
({10})
vorwiegend Kinder und Senioren, die sozial etwas
schwächer gestellt waren. Die Sache kam gut in Hückeswagen an, leider aber nicht in Berlin; denn diese schöne
Aktion in Hückeswagen - ich bin sicher, Sie wissen
noch nicht einmal, wo das ist - nahm das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zum Anlass, dem Bürgermeister einen Brief zu
schreiben.
({11})
Ich möchte gerne aus diesem Brief zitieren:
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, durch Zusendung
eines Zeitungsartikels wurde ich über Ihre Aktion,
zwei Zentner Süßwaren an Schulen und Kindergärten zu verschenken, informiert.
({12})
Sicher ist die Aktion bei den Kindern gut angekommen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass eine
derartige Aktion allen Bemühungen, Übergewicht
bei Kindern vorzubeugen und eine ausgewogene
Ernährung sicherzustellen, entgegenwirkt.
Zum Schluss wird dem Herrn Bürgermeister auch
noch gedroht:
Auf die Frage, ob Süßigkeiten ohne Zustimmung
der Erziehungsberechtigten in Kindergärten und
Schulen verteilt werden sollten, möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen.
({13})
Jetzt frage ich mich: Was geht eigentlich in den Köpfen der Beschäftigten in Ihrem Haus vor? Haben sie
nichts Besseres und nichts Wichtigeres zu tun,
({14})
als einem Bürgermeister zu sagen, was er zu tun und zu
lassen hat?
({15})
Dürfen Kinder keine Schokolade mehr essen? Also
doch: gute Lebensmittel, schlechte Lebensmittel. Das,
was Sie von Ausgewogenheit erzählen, ist kompletter
Quatsch. Ihr Haus weist in diesem Schreiben noch darauf hin, Hückeswagen solle sich gefälligst an den Bewegungsprogrammen des Bundesministeriums beteiligen.
({16})
Ich kann Ihnen sagen: Die Grundschulen in Hückeswagen haben ganz erfolgreich an dem Landesprogramm
„Schulen in Bewegung“ teilgenommen. Daher können
die Kinder dort ab und zu auch einmal ein bisschen
Schokolade essen.
({17})
Ich habe dieses Beispiel deshalb so ausführlich erzählt, weil es zeigt, wie Sie denken und was Sie vorhaben. Sie wollen nämlich die Leute nicht frei entscheiden
lassen, sondern Sie wollen sie bevormunden; Sie wollen
sie ständig in eine Ecke drängen.
({18})
Das finde ich unverschämt. Dieses Verbraucherbild wird
es mit uns nicht geben und ist mit uns nicht zu machen.
({19})
Ich glaube ohnehin, dass Sie in die Geschichte dieser
Republik als größte Ankündigungsministerin aller Zeiten eingehen.
({20})
Was haben Sie denn nicht alles angekündigt und nicht
umgesetzt!
({21})
Wo waren Sie denn bei wichtigen Themen, zum Beispiel
als es um die Energiepreise gegangen ist? Wo waren
Sie, als es um Fahrgastrechte gegangen ist? Sie behaupten, Sie hätten sich
({22})
um die Handys und die Telekommunikation gekümmert.
Es waren aber doch die anderen. Die Federführung lag
doch beim Wirtschaftsausschuss und selbst in Ihren
Fraktionen lag die Federführung bei den Wirtschaftspolitikern und nicht bei den Verbraucherpolitikern.
({23})
Es war doch so, dass Sie das Thema erst dann aufgegriffen haben, als Sie gemerkt haben, dass es pressewirksam
ist.
Ein weiteres Thema - darauf können Sie gleich antworten - sind die Schrottimmobilien.
Sie haben im November groß angekündigt, was Sie
alles tun wollen. Dass die Federführung beim Justizministerium liegt, hat Sie nicht interessiert. Sie haben Ihr
Interview gegeben und gesagt, Sie tun etwas. Das wurde
auch im Bericht angekündigt. Es ist aber nichts geschehen. Was machen Sie in diesem Bereich? Das interessiert
mich wirklich.
Ich komme zum Schluss. Die Wähler bekommen hoffentlich bald die Chance, darüber zu entscheiden, wer
die bessere Verbraucherpolitik macht, wer sie ernster
nimmt, wer sich intensiver kümmert, wer sie nicht bevormundet und ihnen die Freiheit lässt, selbst zu entscheiden, was sie tun und lassen wollen.
Danke schön.
({24})
Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegin Heinen, Sie haben versucht, die
verbraucherpolitische Löwin zu geben.
({0})
Leider enden Sie dabei in politischer Hinsicht wieder als
Bettvorleger.
({1})
Wenn wir hier über die richtigen Konzepte streiten,
dann spielt die Verbraucherpolitik eine wichtige Rolle.
Die Menschen im Lande sollen erfahren, wer der Anwalt
ihrer Interessen ist und wer sie im Stich lässt, indem er
ihre Rechte und Interessen ignoriert. Die Verbraucherpolitik ist in Deutschland unter dieser rot-grünen Bundesregierung ein essenzieller Bestandteil unseres politischen
Handelns geworden. Der Bericht belegt dies eindrucksvoll. Dies ist eine Erfolgsgeschichte dieser Bundesregierung.
({2})
Wir sind den Weg von einem rein reagierenden Verbraucherschutz hin zu einer gestaltenden Verbraucherpolitik gegangen. Unser Ziel ist eine aktive Verbraucherpolitik, die auch eine wichtige Funktion im
Wirtschaftssystem übernimmt.
Verbraucherinnen und Verbraucher können und sollen
selbst entscheiden, liebe Kollegin Heinen, und ihre Entscheidungen auch selbst verantworten. Aber sie können
dies nur, wenn ihnen der Markt Transparenz und Informationen bietet, damit sie ihre Entscheidungen bewusst
treffen können. Sie können dies nur, wenn sie nicht betrogen und über den Tisch gezogen werden.
({3})
Die Verbraucherinnen und Verbraucher benötigen deshalb gesetzlich verankerte Rechte, die sie wirksam
durchsetzen können, damit sie auf gleicher Augenhöhe
als Marktteilnehmer agieren können.
({4})
Unser Ziel ist es, das real existierende Ungleichgewicht zwischen organisierter Anbietermacht und individualisierter Nachfragemacht zu beseitigen. Paul
A. Samuelson, ein bekannter amerikanischer Wirtschafts-Nobelpreisträger, hat es einmal so ausgedrückt:
„Der liebe Gott hat uns zwei Augen gegeben, um Angebot und Nachfrage zu betrachten.“ Nur wer Beides im
Blick hat, kann einen wirksamen Wettbewerb fördern
und gestalten. Eine aktive Verbraucherpolitik ist deshalb
für uns ein zentraler Bestandteil der Wirtschaftspolitik.
Unternehmen, die den Verbraucherschutz nicht ernst
nehmen, verlieren Marktanteile und Arbeitsplätze.
({5})
Lassen Sie mich jüngste Beispiele nennen. Kürzlich
wurde in den USA von Marktforschern ermittelt, dass
sich 39 Millionen Amerikaner vom Onlineshopping zurückgezogen haben, weil sie Angst vor „identity theft“
- also vor Identitätsdiebstahl - hatten.
({6})
In Deutschland sind 250 000 Jugendliche zwischen
15 und 20 Jahren überschuldet. Dabei spielt fast immer
das Handy eine große Rolle. Deshalb bekommt es bei
vielen Eltern ein zunehmend schlechtes Image.
Viele telefonische Mehrwertdienste und Internetangebote wurden und werden zum Teil genutzt, um in dreister Weise Kunden zu betrügen und über den Tisch zu ziehen. Jeder kennt entsprechende Beispiele; die Medien
waren voll davon. Dies bedroht seriöse Geschäftsmodelle und damit Arbeitsplätze in einem Zukunftsmarkt.
Derartige Erscheinungen können und wollen wir
nicht hinnehmen.
({7})
Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode viele Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht - das macht der
Bericht auch deutlich -, sei es das Gesetz gegen den
Missbrauch von Mehrwertdiensterufnummern, das novellierte UWG oder das Telekommunikationsgesetz.
Dies wird auf sehr gute Art und Weise dokumentiert und
dargestellt.
Wir wollen einen Ausgleich zwischen Anbieter- und
Nachfrageseite schaffen. Wir wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher in ihren Rechten stärken. Wir wollen für Information und Transparenz sorgen, dabei aber
die Wirtschaft nicht als Gegner, sondern als Mitstreiter
- wo immer möglich - einbeziehen.
Wir werden auf der anderen Seite nicht zulassen, dass
aufgrund eines unzulänglichen Verbraucherschutzes Verbraucherinnen und Verbraucher abgezockt, gleichzeitig
Geschäftsmodelle beschädigt und ökonomische Zukunftschancen vertan werden. Hier ist staatliches Handeln notwendig. Hier haben wir gehandelt. Das werden
wir auch in Zukunft so machen.
({8})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
kommen ständig - das haben Ihre heutigen Reden wieder deutlich gemacht - mit den gleichen Standardargumenten. Das eine lautet - das verwendet insbesondere
die FDP -: Ein freier Markt regelt sich alleine und trennt
gewissermaßen automatisch die Spreu vom Weizen. Das
andere lautet: Verbraucherschutz belastet die Wirtschaft
und führt zu Überregulierung, mehr Bürokratie und Bevormundung. - Auch wenn Sie diese Argumente dauernd wiederholen, bleiben sie falsch. Der Staat ist in seiner gestaltenden Funktion dort gefordert, wo der Markt
versagt. Es gibt viele Beispiele für Marktversagen.
In Wirklichkeit sind Ihre Argumente nur vorgeschoben und inhaltslos. Sie wollen in Wahrheit keinen wirksamen Verbraucherschutz. Dies haben Sie an vielen
Punkten deutlich gemacht. Das Auseinanderdriften von
Wort und Tat bei Ihnen lässt sich an vielen Beispielen
sehr gut belegen. Das Stichwort „Verbraucherinformationsgesetz“ ist ja hier schon gefallen. In der letzten Legislaturperiode haben wir den Entwurf eines Verbraucherinformationsgesetzes vorgelegt - liebe Frau Heinen,
hören Sie zu! -, das umfassend regeln sollte. Aber Sie
haben diesen Gesetzentwurf im Bundesrat abgelehnt.
({9})
Danach haben Sie uns permanent aufgefordert, in diesem Bereich endlich etwas zu tun. Wir haben dann etwas
getan. Wir haben mit dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch einen neuen Anlauf unternommen. Das
Ergebnis ist: Wieder wird es von der CDU/CSU abgelehnt, und zwar mit gänzlich fadenscheinigen Argumenten. Ich muss Ihrer Parteivorsitzenden einfach Recht
geben: Das Defizit der CDU/CSU in der Verbraucherpolitik ist nicht zu leugnen. Ihr Hauptproblem ist aber: Es
wird immer größer. Es gibt keine einzige vorwärts weisende Idee von Ihnen. Immer wenn es konkret wird,
kneifen Sie.
({10})
Die FDP hat Bedenken gegen alles, was auch nur irgendwie nach Verbraucherschutz aussieht.
Herr Kollege Zöllmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Heinen?
Ich erlaube eine Zwischenfrage.
Bitte, Frau Heinen.
Kollege Zöllmer, könnten Sie dem Parlament bitte
noch einmal erklären, von wem die ersten Initiativen kamen, beispielsweise im Bereich von Spam oder gegen
den Missbrauch bei den 0190er-Nummern etwas zu unternehmen?
Ihr Problem ist: Sie sind zwar sehr groß im Ankündigen; aber im Ergebnis bleibt nichts übrig. Das gilt für
alle von Ihnen hier genannten Fälle.
({0})
Das Interesse der FDP am Verbraucherschutz und an
Verbraucherinformation ist gleich null. Frau Kopp, Sie
haben das zum Beispiel im Zusammenhang mit den
Zigaretten deutlich gemacht. Ihnen geht es nur um die
wirtschaftlichen Interessen. Die Verbraucherinnen und
Verbraucher sind Ihnen vollkommen gleichgültig.
({1})
Das ist ein verbraucherpolitischer Offenbarungseid.
Was Sie von der Bundesregierung auf diesem Politikfeld präsentiert bekommen, ist eine moderne und aktive
Verbraucherpolitik des 21. Jahrhunderts. Das dient den
seriösen Unternehmen, sichert Märkte und Arbeitsplätze
in Deutschland und nutzt den Verbraucherinnen und Verbrauchern.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Lieber Herr Kollege Zöllmer, nicht der Markt versagt,
({0})
sondern die rot-grüne Bundesregierung hat versagt und
ist am Ende.
({1})
Zu dieser letzten Runde mit Frau Künast als Verbraucherministerin
({2})
kann ich Ihnen nur sagen: Sie veranstalten hier eine verbraucherpolitische Märchenstunde, die wirklich kaum
noch zu ertragen ist.
({3})
Herr Kollege Zöllmer, es ist richtig, wenn Sie sagen:
Unternehmen, die Verbraucherschutz nicht ernst nehmen, verlieren Marktanteile. Sehr richtig! Und weil das
so ist, ist jedes seriöse Unternehmen - dazu zählt der
überwiegende Teil der Unternehmen - von sich aus daran interessiert, Verbraucher zu informieren und zufrieden zu stellen,
({4})
damit es Marktanteile behalten und überhaupt existieren
kann.
({5})
Das hat natürlich auch etwas mit der furchtbar desolaten Wirtschaftslage hier in Deutschland zu tun. Frau
Ministerin Künast hat eben von der hohen, inzwischen
zweistelligen Sparquote gesprochen. Gründe dafür sind
die hohe Arbeitslosigkeit und die Unsicherheit der Menschen hinsichtlich ihrer Zukunft, was Bildung, Arbeitsplätze und wirtschaftliche Prosperität betrifft. Die Menschen glauben, sie haben null Chancen. Deshalb bin ich
ziemlich sicher, dass wir dieses Desaster recht bald beenden werden.
Sehr geehrte Frau Ministerin Künast, Sie haben sich
in der zurückliegenden Legislaturperiode als wahre
Aktionskünstlerin dargestellt. Ein paar Beispiele sind
hier schon genannt worden; ich füge noch eines hinzu:
Sie haben vor kurzem in einer Riesenaktion den staunenden Medien Listen mit über 1 000 Inhaltsstoffen präsentiert, die in Zigarettentabaken enthalten sind.
({6})
Das haben Sie als die Sensation verkauft. Auf die Frage
nach der wissenschaftlichen Erprobung dieser Erkenntnisse und den Wirkungen dieser Inhaltsstoffe konnten
Sie jedoch nur sagen: Das müssen wir jetzt erst einmal
prüfen. - Das ist eine tolle Geschichte. Sie haben daraus
eine Riesenshow gemacht, aber der Informationswert für
den Verbraucher war gleich null. Es ist wirklich nichts
anderes als eine große Mogelpackung, denn schließlich
weiß jeder, dass Rauchen nicht nur gefährlich ist, sondern auch tödlich sein kann.
Sie haben immer wieder Riesenlisten vorgelegt und
dem Verbraucher zu sagen versucht, was er tun und wie
er sich verhalten soll; Sie haben Landwirte gegängelt
und gegeißelt; Sie haben Biolandwirte gegen konventionell wirtschaftende Landwirte auszuspielen versucht;
Sie haben gegen Billigkäufe gewettert. Aber Sie haben
beim Thema „Der Staat als Kostentreiber“ keine Aktion
gestartet. Sie haben sich niemals wirklich eingemischt
bei hohen Energiepreisen, die Arbeitsplätze kosten und
Verbraucher und Firmen hoch belasten.
({7})
Sie haben immer mehr Bürokratielasten, die eben auch
Kosten bedeuten, aufgebürdet und sich nicht auf das
wirklich Notwendige beschränkt. Seien Sie versichert:
Die meisten Verbraucher sind erwachsen und selbstbestimmt und wissen selber, was für sie gut und richtig ist.
({8})
Beim Thema Forschung ist vieles nachzuholen.
Wenn ich daran denke, dass sie sogar für Werbeverbote gestritten haben, kann ich Ihnen nur sagen: Legale
Produkte müssen auch beworben werden dürfen oder
aber die Produkte haben vom Markt zu verschwinden.
Den ersten Gesetzentwurf zum Verbraucherinformationsgesetz mussten Sie zurückziehen, weil Sie damit die Behörden der Städte, Gemeinden und Kreise
enorm belastet hätten.
({9})
Die haben Ihnen den Garaus gemacht und haben sich bedankt für immer mehr Belastungen im Zusammenhang
mit Informationen, die für die Verbraucher nur geringen
Nährwert haben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Kümmern Sie sich in Zukunft vermehrt um Bürgerrechte! Kümmern Sie sich darum, dass die Bahn als Dienstleister ihre Kunden im
Schadensfall oder im Beschwerdefall rechtsgleich behandelt! Kümmern Sie sich darum, dass Menschen mit
Behinderungen in unserer Gesellschaft auch als Verbraucher gesehen werden! Kümmern Sie sich darum, dass
Bürgerrechte wieder etwas gelten! Ich erwähne hier nur
das Stichwort „gläsernes Bankkonto“ und denke dabei
nicht an die Inhaber großer Konten. Es geht einfach darum: Wer guckt in die Konten? Wer darf sich hinter dem
Rücken der Kontoinhaber Informationen verschaffen?
Ich bin gegen einen Schnüffelstaat. Ich finde, das ist eine
Verbraucherpolitik, die Verbraucher in höchstem Maße
missachtet, anstatt ihre Interessen zu vertreten.
({10})
Mich beruhigt am heutigen Tag, dass viele Verbraucher Sie längst durchschaut haben und bei Ihrer nächsten
Aktion gelassen bleiben; denn wir wissen: Das ist bald
vorüber. Der September wird den Wechselwind bringen.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anders als
bei der Opposition ist Verbraucherschutz bei der rot-grünen Bundesregierung in guten Händen.
({0})
Wir haben ein schlagkräftiges Verbraucherschutzministerium geschaffen.
({1})
Sie waren dazu nicht in der Lage. Wir haben wichtige
Regelungen zur Stärkung der Verbraucherrechte auf den
Weg gebracht. CDU und CSU hingegen lassen sich einseitig von Lobbyinteressen leiten und treten, wenn es
zum Beschluss kommt, auf die Bremse. Entscheidungen
des Bundestages werden mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat dann wieder zurückgedreht.
({2})
So sieht es aus.
Ich nenne zwei Beispiele aus dem Ernährungsbereich. Erstes Beispiel: nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln. Wir unterstützen auf
EU-Ebene ein Verbot von irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben auf Kinderlebensmitteln.
({3})
Aufdrucke wie „ohne Fett“ oder „mit wertvollen Vitaminen“ haben auf einer Tüte zuckriger Gummibärchen
nichts zu suchen.
({4})
Diese Angaben suggerieren einen positiven Nährwertgehalt - irreführend, meine Damen und Herren; denn bei
Naschzeug ist der hohe Zuckergehalt das Problem. Der
verschwindet auch nicht durch den Zusatz von Vitaminen oder die Reduzierung von Fett. Sie, meine Damen
und Herren von der Opposition, sagen Nein zu unserem
Vorschlag. Warum? Die Lobbygruppen der Ernährungsindustrie intervenierten und zeigten die rote Stoppkarte.
Zweites Beispiel: das Präventionsgesetz. Mit dem
Präventionsgesetz wollen wir die Vorbeugung von
Krankheiten verbessern. Die Verbraucherzentrale bezeichnete den Gesetzentwurf übrigens als Meilenstein.
Ein wichtiger Bereich ist die Prävention von Übergewicht bei Kindern. Die CDU/CSU-regierten Länder signalisierten lange Zeit Zustimmung. Als es dann jedoch
zum Schwur kam: Blockade.
Im Bereich der Finanzdienstleistungen sieht Ihre
Politik nicht besser aus. Erstes Beispiel: Altersvorsorge.
Wir wollen, dass die Menschen für das Alter besser vorsorgen. Mit der Reform des Alterseinkünftegesetzes haben wir 2004 die Weichen gestellt. Betriebliche Renten
und Riester-Renten-Produkte wurden für Verbraucherinnen und Verbraucher attraktiver gemacht.
({5})
Gleichzeitig haben wir das Privileg der Steuerbefreiung
von Kapitallebensversicherungen zusammengestrichen.
Warum war das nötig? Kapitallebensversicherungen sind
kein geeignetes Mittel zur Altersvorsorge. 70 Prozent
der Verträge werden vorzeitig gekündigt. Durch die steuerliche Vergünstigung werden aber die viel wirksameren
Riester-Produkte auf dem Markt benachteiligt. Das
musste geändert werden. Und wieder einmal stießen wir
auf Widerstand bei der Opposition. Warum? Kapitallebensversicherungen sind für Besserverdienende ein interessantes Instrument zur Vermeidung von Steuern.
({6})
Zweites Beispiel: Versicherungsvertragsrecht. In
Deutschland sind viel zu viele Menschen falsch versichert. Dies liegt auch daran, dass sie nicht richtig beraten werden. Mit der Reform des Versicherungsvertragsrechtes wollen wir den Abschluss von Versicherungen
transparenter machen. Unter anderem fordern wir ein
Protokoll der Beratungsgespräche. Dadurch werden falsche Beratungen und unseriöse Angebote aufgedeckt.
Die Position der Union ist hier sehr schwammig. Sie
warten auf grünes Licht aus der Versicherungswirtschaft.
Bedienung von Lobbyinteressen und Blockade wichtiger verbraucherpolitischer Projekte - so, meine Damen
und Herren von der Opposition, machen Sie Politik. Wir
machen das anders. Wir nehmen die Menschen ernst
({7})
und haben trotz des Widerstands der Union für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland sehr viel
auf den Weg gebracht.
({8})
Diese Politik setzen wir fort.
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marlene Mortler von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Jahrelang hat Ministerin Künast den Agrarpolitischen Bericht für ihre verbraucherpolitischen Zwecke, für ihre Propaganda missbraucht. Heute liegt uns
ein eigenständiger Verbraucherpolitischer Bericht vor.
({0})
Ich sage Ihnen eines: Es hat sich nichts geändert; denn
Frau Ministerin ist ihrem Ruf als Verbrauchertäuschungsministerin gerecht geworden.
({1})
Mit diesem Bericht verbinde ich die große Hoffnung,
dass es der letzte Bericht ist, den Sie abliefern. Deutschland braucht nicht nur einen Regierungswechsel;
Deutschland braucht eine Änderung in der Verbraucherpolitik,
({2})
eine Politik, die Verbraucher wirklich und ehrlich informiert und nicht verdummt und nicht gängelt.
({3})
Amtliche Verbraucherpolitik heißt für uns: für Wahrheit und Klarheit sorgen
({4})
und jede amtliche Täuschung vermeiden. Was haben Sie
getan? Sie haben in den Jahren Ihrer Amtszeit EU-Vorgaben im Inland ständig verschärft, haben dem Verbraucher/der Verbraucherin aber bewusst verschwiegen, dass
Lebensmittel mit niedrigeren Standards aus dem EUBinnenmarkt ungehindert auf unsere deutschen Ladentheken kommen.
({5})
Diese nationalen Alleingänge werden im Bericht als
nationale Ergänzungsregelungen umschrieben, ohne
dass sie begründet werden. Warum verschleiern Sie,
Frau Ministerin? Warum nennen Sie das Kind nicht beim
Namen?
Ich habe im Bericht nachgelesen. Auf Seite 13 steht:
Im gemeinsamen Binnenmarkt sind europaweite
Regelungen des Wettbewerbsrechts erforderlich.
... Abweichende nationale Regelungen … werden
nach dem derzeitigen Stand ausgeschlossen …
Warum dann nicht auch europaeinheitliche Standards
in der Lebensmittelproduktion? Die Praxis zeigt doch,
dass die Wirtschaft und die Landwirtschaft jederzeit bereit sind, Lebensmittel mit höheren Standards zu liefern,
wenn der Markt und wenn der Verbraucher dies wünschen,
({6})
aber auf freiwilliger Basis und eigenverantwortlich,
ohne Gängelung.
Ministerin Künast hat in all den Jahren auf Gängelung
gesetzt. Ich nenne das Beispiel: Verfütterungsverbot für
tierische Fette. Das gilt nur in Deutschland.
({7})
Ich nenne das Beispiel: Pflicht zum BSE-Test bereits bei
Rindern ab 24 Monaten, in allen anderen EU-Ländern
erst ab 30 Monaten.
({8})
Das verursacht Kosten. Ich nenne das Beispiel „niedrigere Mykotoxingrenzwerte für Getreide und Getreideerzeugnisse“ oder das Beispiel „niedrige Rückstandsgrenzwerte für Pflanzenschutzmittel“.
({9})
All diese Werte sind in Deutschland wesentlich niedriger.
({10})
Man muss sich das einmal vorstellen: In Deutschland
darf das Fleisch von heimischen Rindern, die älter als
24 Monate sind, nur dann auf den Teller, wenn diese
Tiere entsprechend getestet worden sind.
({11})
Frau Ministerin sagt aber nicht, dass das Fleisch von
französischen Rindern auf unseren Teller kommen darf,
auch wenn dort, wie EU-weit, Tests erst für Tiere ab
30 Monaten vorgeschrieben sind.
({12})
Das ist Verbrauchertäuschung und hat nichts mit Verbraucherschutz zu tun.
({13})
Ministerin Künast propagiert einseitig Freilandhaltung von Legehennen. Sie sagt aber nicht, dass gerade
diese Haltungsform eine stärkere Dioxinbelastung der
Eier mit sich bringt.
({14})
In Wahrheit ist der Ökolandbau für Ministerin Künast
nur Mittel zum Zweck gewesen, denn seit der Einführung des deutschen Biosiegels kommen immer mehr
ausländische Ökoprodukte in unsere Ladenregale.
Frau Kollegin Mortler, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Künast?
Ich müsste leider
({0})
- nein, ich kneife nicht - schon seit 18 Uhr zu einem
wichtigen Termin im Büro sein. Ich bitte um Verständnis.
Frau Künast hätte in den letzten Monaten zum Thema
Ökolandbau längst Stellung nehmen können. Da war
das Thema immer auf der Tagesordnung. Die Bundesregierung hat dazu bewusst geschwiegen, gerade zum
deutschen Biosiegel. Das ist Fakt.
Meine Damen und Herren, seitdem leiden die heimischen Ökobauern an geringeren Erlösen und der Verbraucher tappt immer noch im Dunkeln darüber, wo dieses Ökoprodukt, das das deutsche Biosiegel trägt, denn
nun wirklich herkommt, weil die Kennzeichnung bezüglich der Herkunft nicht eindeutig geregelt ist. Gerade haben wir noch von Ministerin Künast gehört, dass es ihr
darum geht, zu wissen, was drin ist. So viel zur Verbrauchertäuschung.
Frau Kollegin Mortler, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Die Sicherheit heimischer Nahrungsmittel war noch
nie so hoch wie heute. Das bestätigen auch seriöse Wissenschaftler. Trotzdem sind die Verbraucher und die Erzeuger immer wieder gegeneinander ausgespielt worden.
({0})
Die Produkte sind schlecht geredet worden, man hat
Angst erzeugt und Panikmache betrieben und mit Stimmungsmache auch Wählerstimmen eingefangen. Ich bin
aber sicher, der Wähler wird Ihnen das nicht mehr durchgehen lassen.
Für die Union ist Verbraucherschutz
({1})
sehr wichtig, wir setzen aber auf Eigenverantwortung.
Verbraucherschutz hört für uns dann auf, wenn er nur
noch Geld kostet, aber nichts mehr bringt.
Vielen Dank, Frau Kollegin Mortler.
Danke schön.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin
Renate Künast das Wort.
Herr Präsident! Ich muss an dieser Stelle ganz kurz
auf zwei Punkte eingehen: auf die internationalen Grenzwerte bezüglich Pestizideinsatz und auf das Thema Rinder.
Erstens möchte ich klarstellen, dass wir uns in der
Europäischen Union auf einem Weg der Harmonisierung
befinden. In den nächsten Jahren soll es einheitliche
Grenzwerte bezüglich erlaubter Rückstände aufgrund
von Pestizidnutzung in Lebensmitteln geben. Ich sage
ganz klar: Ich bin stolz darauf, dass bei all den Untersuchungen, die von NGOs durchgeführt werden und bei
denen sie immer wieder - im Augenblick zum Beispiel
bei Erdbeeren oder bei Paprika - Rückstände finden oder
Überschreitungen der Rückstandshöchstwerte feststellen, landwirtschaftliche Produkte aus Deutschland nicht
genannt werden.
({0})
Weil es den Markt für diese guten Produkte schon gibt,
meine ich, es wäre falsch, jetzt vor einer europäischen
Harmonisierung die Werte für die deutschen Produkte
hochzusetzen. Das würde am Ende nämlich deren Absatz gefährden. Außerdem glaube ich, dass wir längst ein
Qualitätsniveau erreicht haben, von dem andere noch
träumen.
({1})
Zweitens habe ich den Eindruck, dass Sie aus BSE
nichts gelernt haben. Unsere BSE-Politik, das systematische Bemühen um die Herstellung von Sicherheit, beruht, wenn ich sie einmal mit einer Hose vergleiche, darauf, quasi diese Hose mit Gürtel und Hosenträgern zu
sichern. So haben wir zum einen klar definiert, was Risikomaterialien sind, die nicht verzehrt werden dürfen,
und zum anderen klar geregelt, dass ab dem 24. Monat
getestet wird. Im Ergebnis haben wir so relativ schnell
Verbrauchervertrauen hergestellt. Wenn Sie, liebe Frau
Mortler, am Rednerpult etwas behaupten, dann sollten
Sie versuchen, wenigstens in der Tendenz, Ihre AusfühRenate Künast
rungen auch mit einem Hauch Wahrheit zu versehen.
Diese BSE-Politik ist eine Erfolgsgeschichte. Der Rindfleischmarkt ist ungefähr da, wo er auch vorher war, und
die Rindfleischpreise sind seit Anfang des Jahres um
70 Cent pro Kilo gestiegen. Das ist die Erfolgsgeschichte.
({2})
Ich kann gar nicht glauben, dass ich an der Stelle den
Verbraucherinnen und Verbrauchern sagen soll, dass wir
jetzt die Standards senken, in der Hoffnung, dass sie
dann immer noch einkaufen. Was Sie hier vorgeschlagen
haben, ist für die bäuerlichen Betriebe ein Vernichtungsmodell.
({3})
Frau Kollegin Mortler, zur Erwiderung? - Bitte
schön.
Danke schön.
({0})
- Man hat mir gesagt, dass ich auf alle Fälle auf diese Intervention zu antworten habe; deshalb antworte ich jetzt
pflichtgemäß.
Frau Ministerin, zum Thema Vernichtungsmaschinerie für die Landwirtschaft.
({1})
Ich finde es schon ungeheuerlich, wenn Sie das uns in
die Schuhe schieben. Was haben Sie denn in den letzten
sieben Jahren gemacht? Seit Ihrer Amtsübernahme hat
sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft noch beschleunigt.
Sie sind auch nicht dafür verantwortlich, dass der
Rindfleischpreis gestiegen ist. Dazu haben Sie mit Sicherheit nichts beigetragen.
({2})
Noch einmal zum Stichwort Verbrauchertäuschung.
Meine Intention war, zum Ausdruck zu bringen, dass Sie
immer wieder Ankündigungen gemacht haben, andererseits aber die Verbraucher immer wieder bewusst getäuscht haben.
({3})
Das versteht doch kein Mensch - ich wiederhole es -:
Wenn ein Rind in Deutschland bereits mit 24 Monaten
getestet werden muss, aber zum Beispiel in Frankreich
erst mit 30 Monaten, Fleisch dieses französischen Rindes jedoch trotzdem auf den deutschen Teller darf, dann
ist das ein Widerspruch, den Sie den Verbrauchern nie
erklärt haben und auch nie erklären wollten.
({4})
Zu Ihrem Beispiel mit den Pestiziden, Frau Ministerin. Bereits vor Ihrer Zeit hat die Lebensmittelüberwachung und -kontrolle in Deutschland funktioniert. Das
ist Fakt. Sie sprechen von Harmonisierung. Die Bemühungen um eine Harmonisierung im Bereich der Pestizide und in anderen Bereichen ziehen sich hin. Solange
die Harmonisierung nicht wirklich erreicht ist, hat unsere Land- und Ernährungswirtschaft eklatante Nachteile.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Jella Teuchner von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Sehr geehrte Frau Kollegin Mortler, auch das, was Sie
hier gesagt haben, stimmt - das muss man einfach einmal feststellen - zu 98 Prozent nicht.
({0})
- Viel Glück bei Ihrem Termin im Büro! Einen richtigen
Halbsatz haben Sie gesagt, nämlich: Wir brauchen keinen Regierungswechsel. Das war der einzig richtige Beitrag in Ihrer Rede.
({1})
Mit unserem Verbraucherpolitischem Bericht belegen wir den hohen Stellenwert und die zentrale Bedeutung, die die Verbraucherpolitik in unserer politischen
Arbeit hat. Er zeigt Problemfelder auf und beschreibt
Ziele unserer verantwortlichen und zukunftsorientierten
Politik. Dabei ist für uns ganz klar: Verbraucherinnen
und Verbraucher wollen Informationen, gerade wenn es
um Lebensmittel geht. Pestizide kann man nicht sehen,
Acrylamid nicht schmecken. Verbraucher brauchen Vertrauen in die Lebensmittel. Dafür müssen wir die nötige
Transparenz schaffen. Das ist unsere Aufgabe; die haben
wir angepackt und packen sie weiterhin an.
Wenn ich mir den Antrag der Union anschaue, dann
stelle ich fest, dass dort zu diesem Thema überhaupt
nichts steht. Im Gegenteil, Sie reden von Pseudoinformation, Bevormundung durch Beratungspflichten und
einem Informationschaos. Dabei merken Sie noch nicht
einmal, dass Sie an der Realität total vorbeischreiben:
Sie schwadronieren von einer Vielzahl von Biolabeln.
Haben Sie eigentlich schon bemerkt, dass wir mittlerweile ein funktionierendes, den Verbrauchern bekanntes
und vom Handel akzeptiertes Biolabel haben? Das Biosiegel ist ein Erfolg, ob Sie das akzeptieren oder nicht.
({2})
In Ihrem Antrag steht aber auch rein gar nichts zum
Verbraucherinformationsgesetz. Dabei sind Transparenz
und Vertrauen ohne Information nicht möglich. Behörden sind eben keine Geheimgesellschaften. Die Menschen wollen wissen, was die Behörden bei ihren Kontrollen herausfinden.
({3})
Wenn es um Dinge geht, die die Menschen betreffen,
dann sollten sie auch das Recht auf diese Information haben. Dank Ihrer Taktik und Ihrer Blockade haben sie es
aber nicht. Sie werden es auch in Zukunft nicht haben,
weil Sie, Union und FDP, dies einfach nicht wollen. Sie
können noch so viele Sonntagsreden halten und Schaufensteranträge schreiben: Wenn es zum Schwur kommt,
dann stimmen Sie mit Nein. Das war in der letzten Legislaturperiode so und das ist in dieser Legislaturperiode
wieder so. Union und FDP sind dafür verantwortlich,
dass die Verbraucherinnen und Verbraucher von den Behörden keine Antwort erwarten können. Sie sagen den
Verbraucherinnen und Verbrauchern, die Informationen
über ihre Lebensmittel haben wollen, lapidar: Das geht
dich nichts an. - Es geht sie aber sehr wohl etwas an.
Vertrauen schafft man nur durch Transparenz, und
zwar durch diejenige Transparenz, die wir im Lebensmittel- und Futtermittelgesetz verankern wollten. Union
und FDP haben das wieder herausgestrichen. Das ist das
Ergebnis des Vermittlungsausschusses. Sie, Union und
FDP, wollen keine Transparenz. Sie werden nicht an Ihren Worten gemessen, sondern an Ihren Taten. Das, was
Frau Mortler eben zum Besten gegeben hat, ist das beste
Beispiel dafür.
({4})
Sonntagsreden sind etwas Nettes. Während der Woche lassen Sie die Verbraucherinnen und Verbraucher
aber abblitzen. Sie haben die Verbraucherinformation
wiederholt abgelehnt. Wenn man sich Ihr Schattenkabinett anschaut, dann sieht man, dass Sie vorhaben, sich
von der Verbraucherpolitik ganz zu verabschieden:
({5})
Sie wollen den gesundheitlichen Verbraucherschutz dem
Gesundheitsministerium und den rechtlichen Verbraucherschutz der Justiz unterordnen. Das sind drei Schritte
zurück. Wir werden dafür sorgen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, was sie von Ihnen zu erwarten haben: keine Informationsrechte, keine Unterstützung, einfach gar nichts.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Frau Teuchner, Sie haben eben vom
Schattenkabinett der Union gesprochen: Da wissen Sie
mehr als wir. Die einzigen Schatten, die ich bisher sehe,
sind auf der Regierungsbank.
({0})
- Zum Zeitunglesen: Vielleicht sollte man sich auch informieren.
({1})
- Das haben Sie getan. Wir werden uns darüber nachher
gern unterhalten können. Vielleicht sind Sie einer Ente
aufgesessen; aber das ist mir relativ gleich. Sehen wir
einmal, was nach der Wahl kommt. Ich glaube, Sie werden dann ganz andere Dinge zu bewältigen haben.
Ich möchte auf das Thema BSE-Tests zu sprechen
kommen. Mit Blick auf unsere deutschen Produzenten
möchte ich natürlich, dass vorwiegend deutsches Fleisch
gekauft wird. Frau Künast wie auch Herr Ostendorff haben eben Zwischenrufe gemacht: Man soll gerade deshalb deutsches Fleisch kaufen, weil in Deutschland
BSE-Tests für alle Rinder über 24 Monate bei der
Schlachtung vorgeschrieben sind.
Sie müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass das
Fleisch der deutschen Bauern neben dem Fleisch aus Argentinien oder aus Frankreich liegt. In Frankreich sind
BSE-Tests erst für alle Rinder über 30 Monate bei der
Schlachtung vorgeschrieben. Dadurch kann es viel günstiger als das Fleisch aus Deutschland sein. Wir können
uns das deutsche Fleisch sicherlich leisten;
({2})
aber es gibt außerhalb dieser „heiligen Hallen“ viele
Bürgerinnen und Bürger, die es sich nicht leisten können
und sich überlegen müssen, was sie kaufen. Angesichts
dessen ist es - gerade als Partei der Besserverdienenden - sehr arrogant, zu sagen: Dann kaufen wir das deutsche Fleisch.
({3})
Frau Künast, Sie haben in der Debatte über den Verbraucherpolitischen Bericht 2004 ein Resümee dessen
gezogen, was Sie in Ihrer Regierungszeit zum Verbraucherschutz gemacht haben. Dabei ist mir eines aufgefallen: Sie haben gar nichts zu den Energiepreisen gesagt.
Wenn jemand von hohen Energiepreisen betroffen ist,
dann sind es doch wohl alle privaten Haushalte, die kleinen wie die großen Familien. Mich wundert es schon,
dass die Verbraucherministerin nichts zu den steigenden
Energiepreisen gesagt hat. Stattdessen treten Sie, Frau
Künast - das mag auch interessant sein -, für nachhaltiges Waschen ein.
({4})
Es herrscht also Stille im Ministerium zu den steigenden Energiepreisen. Ich kann mir schon vorstellen, warum Sie dazu nichts gesagt haben. Zum einen hat Minister Clement Ihnen verboten, sich dazu äußern. Zum
anderen wissen Sie natürlich, dass der Bumerang zurückkommen kann. Innerhalb Ihrer Regierungszeit sind
beispielsweise die Stromkosten aufgrund der staatlichen
Belastungen von 2,2 Milliarden Euro um mehr als das
Fünffache auf 12 Milliarden Euro gestiegen. Weil dies
gegen die Interessen der Verbraucher ist, halten Sie bei
diesem Thema den Mund und reden beispielsweise lieber über Schrottimmobilien.
Es gibt noch ein zweites Kabinettstück. Schauen wir
uns einmal das Werbeverbot für Zigaretten an. Die EU
beschloss ein Werbeverbot für Zigaretten. Auf der einen
Seite wetterte Minister Clement dagegen und zog sogar
vor den Europäischen Gerichtshof. Auf der anderen
Seite möchten Sie zeitgleich im nationalen Alleingang
ein Werbeverbot erwirken. Es ist schon interessant, dass
Sie sich alle Möglichkeiten offen lassen wollen. Es wäre
aber schon gut, Sie würden Ihre Arbeit besser koordinieren.
({5})
Die Schwächen in der Koordinierung zeigen sich beim
Thema Ernährung noch gravierender. Dazu haben wir
heute nur relativ wenig von Ihnen gehört. Verbraucherschutzministerium und Gesundheitsministerium wissen
nicht, wer die Zügel in die Hand nehmen soll. Es gibt
teure Doppelstrukturen. Das Gesundheitsministerium
legt ein Programm im Zusammenhang mit Ernährung für
rund 2 Millionen Euro auf. Ihr Ministerium, Frau Künast,
gibt wiederum 9 Millionen Euro für Aufklärungskampagnen und Wettbewerbe im Zusammenhang mit Übergewicht aus. Das Familienministerium wiederum legt ein
Projekt „Qualitätssicherung in Beratung und ambulanter
Therapie von Frauen und Mädchen mit Essstörungen“
auf. Das eine Ministerium lässt Broschüren drucken und
das andere Ministerium hat ähnliche Broschüren schon
einmal über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verteilen lassen. Trotzdem sagen Sie, Sie hätten
nicht genug Geld.
Dass Übergewicht und Fettleibigkeit ein Problem
sind, sind wir uns ja einig. Wir brauchen einheitliche
Strategien. Es muss auch ressortübergreifend zusammengearbeitet werden. Frau Ministerin Künast, es bringt
nichts, wenn Sie mit PR-Kampagnen vorpreschen und
alles an die große PR-Glocke hängen, wenn andere Ministerien ähnlich verfahren. Wir müssen bei der Ernährungsberatung und Ernährungsaufklärung in Deutschland unsere Aktivitäten endlich bündeln.
Apropos Alleingang. Frau Künast, wir erinnern uns
noch an Ihr Buch „Die Dickmacher“. Ich habe bis heute
nicht verstanden, wie unter diesem Titel Ihr Konterfei
auf den Buchdeckel gedruckt werden konnte. Ihr Buch
hat eine Auflage von 30 000, aber es ist - mit Verlaub ein Rohrkrepierer geworden. Zu diesem Schluss kommt
man, wenn man bei den Buchhandlungen und beim Verlag nachfragt. Die Fachleute auf dem Gebiet der Ernährung haben den Inhalt Ihres Buches angegriffen.
Frau Künast, Sie sind eine Freundin des Bücherschreibens. Zurzeit suchen Sie einen Autor zum Thema
Wein und Riesling. Dieses Thema macht sich ganz gut.
Ich weiß, Stuart Pigott hat abgesagt. Aber es gibt noch
eine gute Autorin in Köln. Sie stürzen sich immer auf
Themen, die sich gut für PR eignen.
Wir sind der Meinung, dass man die Gesundheitsaufklärung und die Ernährungsaufklärung ganzheitlicher sehen muss und dass man die Plattform etwas neu
justieren muss. Es sollen hinsichtlich der Gewichtsprobleme nicht nur die Kinder und die Jugendlichen angesprochen werden, sondern auch die Erwachsenen.
({6})
Die Erwachsenen müssen mit gutem Beispiel vorangehen.
({7})
Ich möchte Sie zum Schluss noch bitten, nicht nur das
Übergewicht im Fokus zu haben. Es gibt auch die
Untergewichtigen sowie die Fehl- und Mangelernährten. In meine Sprechstunde kam eine Mutter, deren
Tochter magersüchtig ist. Auch das Problem der Magersucht müssen wir neben dem Problem des Übergewichts
bei Kindern im Auge behalten. Dieses ist ein psychosoziales und pädagogisches Problem, das eindeutig zu
wenig beachtet wird. Ich weiß, dass man damit keine
Wahlen gewinnen kann. Wir müssen uns aber dennoch
darum kümmern. Wir brauchen nicht nur eine Bauernbefreiung, sondern auch eine Verbraucherbefreiung.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 15/5611 zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/
Die Grünen zum Verbraucherpolitischen Bericht 2004.
Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis des Verbraucherpolitischen Berichts 2004 auf Drucksache 15/4499, den
Entschließungsantrag auf Drucksache 15/4865 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/5678. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und Enthaltung
der FDP-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 15/3987. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Entschließungsantrages der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/3323 zu der Erklärung durch die Bundesregierung mit dem Titel „Eine neue Ernährungsbewegung für
Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der
FDP-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Entschließungsantrags der Fraktion der FDP auf
Drucksache 15/3324 zu der genannten Erklärung durch
die Bundesregierung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und
der FDP-Fraktion angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3987 die
Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/3310 mit dem Titel „Über-, Fehl- und
Mangelernährung wirksam bekämpfen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist wiederum
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU-Fraktion und FDP-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Berichts des Petitionsausschusses
({0})
Bitten und Beschwerden an den Deutschen
Bundestag
Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des
Deutschen Bundestages im Jahr 2004
- Drucksache 15/5570 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Vorsitzende des Petitionsausschusses, Dr. Karlheinz
Guttmacher von der FDP-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Rund 230 000 Bürgerinnen und Bürger haben sich im Berichtsjahr 2004 an den Petitionsausschuss gewandt. Dies ist eine beachtliche Steigerung
gegenüber den Vorjahren. Sie macht deutlich, welches
Vertrauen dieser Ausschuss in der Bevölkerung hat.
In fünf Minuten eine angemessene Bewertung der Arbeit des Petitionsausschusses vorzunehmen ist für mich
als Vorsitzenden unmöglich. Deswegen verweise ich an
dieser Stelle auf den schriftlichen Bericht, der dem Bundestag vorliegt und den die Bürgerinnen und Bürger im
Internet nachlesen oder aber beim Sekretariat des Petitionsausschusses anfordern können.
Bei allem Verständnis für die Zwänge der derzeitigen
parlamentarischen Situation: Ich finde, das Parlament
sollte sich künftig auch hier im Plenum für die Sorgen
und Nöte der Bürger wieder mehr Zeit nehmen.
({0})
Festzuhalten bleibt jedenfalls: Der Petitionsausschuss ist der politische Seismograph der Nation. Die
großen Themen in der Politik spiegeln sich auch in der
Arbeit des Petitionsausschusses wider. Allein im Gesundheitsbereich war bei den Neueingaben eine Steigerung um fast 150 Prozent auf mehr als 4 000 Einzelpetitionen zu verzeichnen. Aber auch zum Beispiel bei
Themen im Zusammenhang mit der gesetzlichen Rentenversicherung oder dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz gab es beachtliche Zuwächse.
Aus der Bandbreite der Eingaben möchte ich einen
Einzelfall herausgreifen: Es hat mich besonders gefreut,
dass im Berichtsjahr 2004 Bürger, die Hilfsgüter in Krisengebiete transportieren, aufgrund einer Änderung des
Mautgesetzes von der Autobahnmaut befreit wurden.
Dies war vorher nur für professionell arbeitende Hilfsorganisationen vorgesehen. Die Arbeit des Petitionsausschusses, so meine ich, hat dazu beigetragen, dass bürgerschaftliches Engagement jetzt in angemessener
Weise durch den Staat unterstützt wird. Das zeigt, dass
ein Bürgerbrief eine Gesetzesänderung herbeiführen
kann. Der Petitionsausschuss nimmt jede Eingabe ernst,
nicht nur solche, die von einer Reihe von Unterschriften
begleitet werden.
In 19 Sitzungen hat sich der Petitionsausschuss dem
enormen Arbeitsanfall gestellt und entsprechend den Zuwächsen beim Posteingang erheblich mehr Petitionen
abschließend behandelt als in den Jahren zuvor. Allein
die Zahl der Beschlussempfehlungen an das Plenum
konnte um 40 Prozent gesteigert werden.
Dies war nur durch eine gute fraktionsübergreifende
Arbeit der Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss
möglich. Sie hat dazu geführt, dass in circa 90 Prozent
der Fälle ein einheitliches Votum gefunden werden
konnte. Hierfür möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen meinen allerherzlichsten Dank
sagen. Ich möchte mich aber auch bei dem Ausschussdienst sehr herzlich bedanken, ohne den diese Arbeit
nicht hätte bewältigt werden können.
({1})
Ich kann nur hoffen, dass die dort vorhandenen Ressourcen zumindest erhalten bleiben. Wir haben uns im Petitionsausschuss gerade in letzter Zeit mehr Aufgaben
gestellt. Dazu ist es erforderlich, dass wir im Ausschussdienst personell gut besetzt sind.
Wer den Sumpf trockenlegen will, darf damit nicht
die Frösche beauftragen; wir kennen diesen alten
Spruch. Mit dem Petitionsausschuss haben wir ein effizientes Instrument, Bürgerbeschwerden nachzugehen.
Beauftragte der Bundesregierung können diese Arbeit
nicht in gleicher Weise erfüllen; denn sie sind Teil der
Exekutive, ihnen fehlt die Unabhängigkeit eines parlamentarischen Gremiums.
Es sei gestattet, noch einen kurzen Blick in die Zukunft zu werfen. Der Petitionsausschuss stellt sich den
Herausforderungen moderner Medien. Ab dem 1. September 2005 wird es für die Bürgerinnen und Bürger
möglich sein, sich mit einer E-Mail an den Petitionsausschuss zu wenden. Zugleich wagen wir den Einstieg in
das Zeitalter des elektronischen Parlaments. Als zusätzliches Angebot wird es möglich sein, Petitionen ins Internet zu stellen und öffentlich darüber zu diskutieren.
Damit werden wir noch bürgerfreundlicher; denn der
Zugang zum Petitionsausschuss wird noch einfacher. So
stärken wir Elemente der direkten Demokratie.
Zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung: Dies
ist der letzte Bericht, den ich als Vorsitzender des Petitionsausschusses zu verantworten habe. Ich danke allen
Kolleginnen und Kollegen, die mir die Arbeit im Petitionsausschuss sehr leicht gemacht haben.
({2})
Das Plenum bitte ich, den Ausschuss ernst zu nehmen, auch dann, wenn wir nicht gerade eine Debatte
zum Jahresbericht führen. Allen Bürgerinnen und Bürgern rufe ich zu: Haben Sie weiter Vertrauen in die Arbeit unseres Ausschusses, auch dann, wenn wir Ihnen
möglicherweise in Einzelfällen nicht helfen können!
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Uwe Göllner von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein
altes deutsches Sprichwort will uns weismachen, dass
der Prophet im eigenen Land nichts gilt. Im letzten Berichtsjahr war der Herr Vorsitzende in unserem Auftrag
in Québec, wo sich die Vorsitzenden der Ombudsräte,
die Ombudsleute und die Vorsitzenden der Petitionsausschüsse trafen. Dort ist ihm wiederholt gesagt worden,
dass unser System der parlamentarischen Petitionsarbeit
als vorbildlich gilt. Also gilt der Prophet außerhalb des
eigenen Landes wohl eine ganze Menge.
Dass dieses Sprichwort nur sehr eingeschränkt Geltung hat, zeigt sich daran, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes den Petitionsausschuss seit seinem
Bestehen im Jahr 1949 ausgesprochen ernst nehmen,
dass sie ihn annehmen und sich mit ihren Sorgen und
Nöten an ihn wenden. Das verdeutlicht allein die Zahl
der Eingaben, die im letzten Jahr an den Petitionsausschuss herangetragen wurden: Es waren 17 999 Eingaben. Auch wenn sich dahinter viel mehr Bürgerinnen
und Bürger verbergen - der Vorsitzende hat darauf hingewiesen -, ist diese Zahl beachtlich.
Als jemand, der schon ein paar Jahre Mitglied des Petitionsausschusses ist - ich glaube, ich bin seit sechs Jahren dabei; das ist für den Petitionsausschuss schon eine
ungewöhnlich lange Zeit -, will ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes herzlich
danken. Die Mitarbeiter meines Büros sagen mir, dass
sie immer dann, wenn es notwendig ist, vom Sekretariat
angemessen bedient werden, sodass es mir möglich ist,
denjenigen, die sich an mich wenden, immer sachgerecht
und gut informiert zu antworten.
Ich möchte ein paar Zahlen - die man fast seismographisch nennen kann - anführen, die dem Bericht zugrunde liegen: Es gab 17 999 Eingaben; dahinter stehen
50 000 Bürgerinnen und Bürger. Das sind 15 Prozent
mehr als im vorigen Berichtsjahr. Dabei muss man aber
auch sehen, dass es immerhin 18 Prozent weniger waren
als zehn Jahre zuvor. Die Entwicklung verläuft also in
einem ständigen Auf und Ab. In den ersten Regierungsjahren der rot-grünen Koalition hatten wir sogar einen
Stand erreicht, der vor dem Stand der Wendezeit lag,
also vor dem von 1990. Das werte ich natürlich als Zeichen der guten Politik, die wir gemacht haben und mit
der die Bürgerinnen und Bürger zufrieden waren.
({0})
Eine letzte interessante Zahl aus dieser Statistik
möchte ich noch nennen: Knapp 10 Prozent aller Eingaben erfüllten nicht die verfassungsmäßigen Voraussetzungen einer Petition. Dennoch sind sie angenommen
worden. Sie sind eine Art Stimmungsbarometer für das,
was die Menschen in unserem Lande bedrückt, für ihre
Nöte, Anregungen und Hoffnungen. Diese sollten wir
ernst nehmen; denn ich glaube, aus dem Dialog mit den
Bürgerinnen und Bürgern über das Petitionswesen kann
man eine ganze Menge lernen. Das hat zum Beispiel bei
mir dazu geführt, dass ich schon so lange Mitglied des
Petitionsausschusses bin; denn dadurch kommt es zu einer gewissen Verwurzelung, die man als Abgeordneter
sehr leicht zu verlieren geneigt ist.
Wie vital der Petitionsausschuss seiner Arbeit im letzten Jahr nachgekommen ist, zeigt sich an folgenden Fakten: den Ortsterminen, der Teilnahme an Messen, der
engen Zusammenarbeit mit den Beauftragten der Petitionsausschüsse der Landtage, den Delegationsreisen unserer Mitglieder nach Bulgarien, Rumänien, Tschechien
und Kanada, unserer Teilnahme an internationalen Tagungen des Petitionswesens und den Empfängen ausländischer Delegationen hier in Berlin, die aus Usbekistan,
aus China, aus vielen afrikanischen Staaten, aus der
Ukraine, den Niederlanden, Ägypten, Jordanien, Kuwait
und vom Balkan kamen.
Ich will Ihnen von einer Petition erzählen, die aus
meinem Wahlkreis kommt und an der man sieht, dass
man auch als Wahlkreisabgeordneter durchaus etwas davon haben kann: Von der Umgehung einer Autobahn, die
mit einer Ortsumgehung verbunden wurde, war ein
Kleingartenverein tangiert, der in seiner 60-jährigen Geschichte schon dreimal durch öffentliche Planungen verlegt worden war. Daraufhin wandte man sich an mich.
Ich habe dem Verein empfohlen, eine Petition an den
Deutschen Bundestag zu richten, weil der Bundesverkehrsminister an dieser Umgehungsstraße auf bestehender Rechtsgrundlage Lärmschutz und Spritzschutz angebracht hatte und nicht bereit gewesen war, zugunsten des
Vereins von diesen Vorschriften insoweit abzurücken,
dass das Vereinsleben an diesem Ort hätte weitergeführt
werden können. Im Wege der Petition ist es dann gelungen, dies durchzusetzen, und das hat auch nur relativ
kurze Zeit, weniger als ein halbes Jahr, gedauert. Die
Bürgerinnen und Bürger haben den Petitionsausschuss
als etwas erlebt, was ihnen weiterhilft. Ich glaube, wir
alle sind gut beraten, wenn wir, obwohl es in den nächsten Monaten ja etwas zugespitzt zugehen wird, miteinander so umgehen, dass diejenigen, die den Herbst „überleben“, auch im 16. Deutschen Bundestag so angenehm
zusammenarbeiten, wie das im Petitionsausschuss in den
letzten Jahren möglich war.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat der Kollege Günter Baumann von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Grundrecht nach Art. 17 Grundgesetz, Petitionen an den Deutschen Bundestag zu richten, kommt,
denke ich, in der heutigen Zeit eine besondere Bedeutung zu. Ich bedauere es deshalb sehr, dass wir in diesem
Jahr nur 30 Prozent der Zeit, die wir im letzten Jahr hatten, zur Verfügung haben, um darüber sprechen zu können. Dass heute Abend nicht gerade die attraktivste Sitzungszeit ist, sehen wir ja auch an der Teilnehmerzahl.
Meine Vorredner sagten bereits: fast 18 000 Petitionen im Jahr 2004, mit denen sich Bürger mit Bitten und
Beschwerden an den Deutschen Bundestag, den Ort der
Gesetzgebung, gewandt haben. Das ist ein deutlicher
Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Auch diesmal ist der
Anteil der Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Bundesländern prozentual wieder am höchsten. Gerade in
den neuen Bundesländern gibt es, auch 15 Jahre nach der
deutschen Einheit, leider immer noch zahlreiche besondere Problemfelder, die aus Sicht der Petenten noch
nicht befriedigend gelöst werden konnten.
Die gewachsene Zahl der Petitionen hat dem Ausschussdienst wieder besonders viel abverlangt. Deshalb
möchte ich an dieser Stelle wie meine Vorredner den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes für ihre fleißige und sachkompetente Arbeit ganz
herzlich danken.
({0})
Ich möchte mich aber auch bei allen Kolleginnen und
Kollegen des Ausschusses bedanken, die über Fraktionsgrenzen hinweg weitgehend gut zusammenarbeiten. Wir
haben gemeinsam eine ganze Reihe von Petitionen für
unsere Bürger bearbeiten und klären können. Ein besonderer Dank gilt auch unserem Ausschussvorsitzenden,
Karlheinz Guttmacher, der mit hoher Sachkompetenz die
Ausschusssitzungen geleitet hat.
({1})
Nur durch das kollegiale Miteinander war es möglich,
unzähligen Bürgern in unserem Lande zu helfen oder zumindest weitestgehend entgegenzukommen.
Ich bedaure, dass sich in den letzten Wochen das
Klima im Ausschuss etwas verschlechtert hat. Wir haben
zum Beispiel bei Petitionen zum SED-Unrecht keine
gemeinsame Linie mehr gefunden. Ich hätte mir das gewünscht, gerade weil wir morgen den 17. Juni begehen.
Selbst Kompromissangebote oder kleinere Zeichen, die
wir hätten setzen können, waren nicht möglich. Ich
denke, wir haben hier das Petitionsrecht nicht mehr voll
genutzt.
In den beiden letzten Sitzungen hat die rot-grüne Ausschussmehrheit in Abkehr von bisherigen Zeitplänen
Entscheidungen über drei Initiativen herbeigeführt, mit
denen sich der Ausschussdienst und auch wir Abgeordneten seit Ende letzten Jahres beschäftigt haben. Die
CDU/CSU-Fraktion hat die Vorschläge ernsthaft geprüft
und sich entschieden, sinnvolle Änderungen gemeinsam
mit der Regierungskoalition mitzutragen. Meine Fraktion hat dem Verfahren der Einreichung von E-MailPetitionen ab 1. September 2005 zugestimmt. Ich
denke, angesichts der steigenden Zahl von privaten Internetanschlüssen und der Weiterentwicklung der technischen Ausstattung vieler Haushalte haben wir hier eine
vernünftige Sache beschlossen. Der Ausschuss hat hierfür ein zuverlässiges Verfahren ausgearbeitet; auch dafür
ganz herzlichen Dank. Unsere Forderungen nach hinreichender Sicherheit sind dabei zuverlässig erfüllt worden.
Auch einem Modellversuch, Petitionen im Internet unterzeichnen zu können, haben wir heute zugestimmt.
Dagegen haben wir im Hinblick auf die Privilegierung von Massenpetitionen, die die Koalition heute gegen uns durchgesetzt hat, schwerwiegende Bedenken:
Wir befürchten nicht vertretbaren verwaltungstechnischen Aufwand. Art. 17 Grundgesetz ist ein Grundrecht
für jedermann, also für jeden einzelnen Bürger; er stärkt
die Teilhabe des Einzelnen. Ein Anhörungsrecht für
Massenpetitionen, zum Beispiel ab 50 000 Unterschriften, gibt, denke ich, einen falschen Anschein besonderer
Bürgernähe.
({2})
Tatsächlich werden dadurch Millionen von Bürgern, die
es organisatorisch niemals schaffen, eine solche MassenGünter Baumann
petition einzureichen, vor den Kopf gestoßen und faktisch benachteiligt.
({3})
Meine Vermutung - in Anführungsstrichen - lautet:
Diese Veränderung wird im nächsten Deutschen Bundestag bestimmt keinen Bestand haben.
Der Petitionsausschuss sollte sich aus meiner Sicht
intensiver mit dem Beauftragtenunwesen beschäftigen, welches in der letzten Zeit ziemliche Ausmaße angenommen hat. Angesichts einer kaum überschaubaren
Zahl öffentlicher und privatwirtschaftlicher Schlichtungsstellen, Ombudseinrichtungen und spezieller Beauftragter in unserem Lande ist es für die Bürger immer
schwieriger, zu entscheiden, an welche Adresse sie sich
mit ihren Begehren wenden und wo sie am sinnvollsten
Hilfe erhalten können.
Die CDU/CSU-Fraktion betrachtet die Entwicklung
des Beauftragtenwesens im Bereich der Bundesregierung und deren organisatorische und stellenmäßige Ausstattung sehr kritisch. Während es in den letzten Jahren
im Bereich vieler Ausschüsse zu einem Stellenabbau gekommen ist - auch beim Petitionsausschuss musste man
das zur Kenntnis nehmen -, gibt es beim Beauftragtenwesen einen beträchtlichen Stellenaufwuchs. Ich denke,
die Bedeutung des Art. 17 Grundgesetz - ich habe es
mehrmals gesagt - und die parlamentarische Bearbeitung von Bitten und Beschwerden sollten im Mittelpunkt
stehen. Mit all unseren Möglichkeiten sollten wir dafür
sorgen, dass es in unserem Land zu keiner Untergrabung
unserer parlamentarischen Arbeit im Petitionsausschuss
durch das Beauftragtenwesen kommt.
({4})
Mein Resümee: Der Petitionsausschuss als Gremium
des Deutschen Bundestages kann die Probleme der Bürger immer noch am besten parteiübergreifend lösen. Leider gibt es einige Fälle, bei denen wir in der letzten Zeit
keinen Konsens gefunden haben. Als Beispiel möchte
ich nennen, dass es nicht möglich war, die Ungleichbehandlung der Alleinerziehenden, die Leistungen
nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erhalten, und der
Alleinerziehenden, die einen Unterhaltsanspruch nach
BGB haben, zu beseitigen. Das ist bedauerlich, weil das
für die Alleinerziehenden, die Leistungen nach dem
UVG erhalten, eine Ungleichbehandlung bedeutet; sie
werden benachteiligt. Dafür gibt es eigentlich keine
Rechtfertigung. Das ist eine widersprüchliche Familienpolitik. Ich denke, das ist ein Schlag ins Gesicht von allein erziehenden Müttern. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.
({5})
Zum Abschluss noch ein positives Beispiel: Mehrere
Jahre lang haben wir gemeinsam gegen die Regierung
und die Deutsche Post darum gekämpft, dass nach über
zehn Jahren wieder ein Postleitzahlenbuch aufgelegt
wird. Wir haben den Erfolg jetzt mit allen Mitteln erreicht. Ich denke, in den nächsten Wochen werden wir
das neue Buch in den Händen halten. Wir können damit
vielen Bürgern helfen, die keinen Internetanschluss und
keine Möglichkeit haben, diese Zahlen irgendwoher zu
erhalten. Es gibt bald ein neues Buch.
Ich denke, das letzte positive Beispiel zeigt eindeutig:
Der Petitionsausschuss kann den Bürgern im Land helfen. In vielen Fällen gelingt das. Er ist ein Mittel, das
Vertrauen in die Demokratie zu stärken. Wir sollten diesen Dienst am Bürger in unserer Gesellschaft auch in
Zukunft mit gleichem Einsatz fortsetzen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Josef Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Keine Skandale, relativ wenig Gezänk, kein
Hollywood, sondern eine solide und erfolgreiche Arbeit - das ist der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, und zwar parteiübergreifend.
({0})
Damit das so ist, braucht man einen sehr guten Ausschussvorsitzenden. Dafür möchte ich mich ganz
herzlich bei Ihnen persönlich bedanken, Herr
Dr. Guttmacher. Ich bedanke mich im Namen meiner
Fraktion sehr herzlich für die gute Zusammenarbeit.
({1})
Mein ganz besonderer Dank gilt natürlich auch den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ausschussdienst
unter der Leitung von Dr. Rakenius für ihre fleißige und
kompetente Zuarbeit. Auch bei den allermeisten Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen kann ich mich
für die gute und sachliche Zusammenarbeit im Sinne der
Bürger bedanken.
Einen Wermutstropfen - Herr Kollege Baumann, Sie
haben eben schon damit angefangen, etwas Wasser in
den Wein zu gießen - muss ich am Ende meiner Rede allerdings doch noch aufgreifen. Die Hauptverantwortlichen für diesen großen Erfolg des Petitionsrechts und
auch des Petitionsausschusses sind natürlich unsere Bürgerinnen und Bürger. Die Zahl wurde bereits genannt: Es
waren knapp 18 000 Petitionen. Unter vielen Petitionen
stehen natürlich mehrere Unterschriften, manchmal sogar viele Tausend, Herr Baumann. Wir behandeln sie natürlich alle gleich gut und gleich ordentlich.
({2})
Bei jeder zweiten Petition konnte etwas für den Petenten
erreicht werden; das ist ausdrücklich zu begrüßen. Ich
begrüße es auch, dass die Bürgerinnen und Bürger das
Recht, das sie haben, so nutzen, wie sie es möchten:
manchmal alleine, manchmal mit mehreren, manchmal
getragen durch eine Organisation und manchmal durch
Privatpersonen. Es ist ausdrücklich nicht festgelegt, dass
eine Beteiligung von Verbänden untersagt ist.
Wir sind also ein Magnet für gute Ideen, für Reformund Verbesserungsvorschläge der Bürgerinnen und Bürger. Damit die Anziehungskraft dieses Magneten Petitionsrecht noch größer wird, haben wir die Weiterentwicklung des Petitionsrechts mit Unterstützung der FDP
auf den Weg gebracht. Teilweise hat uns auch die Union
unterstützt, aber in den meisten Fällen haben wir gegen
den Widerstand der Union gehandelt.
({3})
Es stimmt nicht, Herr Kollege Baumann, dass Sie den
Vorschlag, Petitionen per E-Mail zuzulassen, unterstützt haben. Im Protokoll des Ausschusses können Sie
nachlesen - ich nehme an, hier ist Ihnen ein bedauerlicher Irrtum unterlaufen -, dass die Unionsfraktionen gegen die Zulassung von E-Mail-Petitionen gestimmt haben. Das ist auch Teil meiner Abschlussbemerkung.
Darin gehe ich auf eine Pressemitteilung ein, die Sie
heute übers Netz geschickt haben.
Wir haben die Vorgaben unseres Koalitionsvertrages
erfüllt, teilweise - das betone ich noch einmal - mit Unterstützung der Opposition. Wir haben die Stärkung von
Massenpetitionen durchgesetzt. Wir haben die doch etwas antiquierte Auslegung des Petitionsrechts, wonach
eine Petition unbedingt eigenhändig unterzeichnet sein
muss, im Zeitalter von E-Mail und Internet geändert.
Man darf im Internet auch die Petition eines anderen unterstützen. All das ist modern. Ich finde es etwas lachhaft, dass sich die Union dem verschlossen hat.
({4})
Ich komme nun zu einer Meldung, die 18.05 Uhr von
der Deutschen Presse-Agentur verbreitet wurde. Die
glatte Unwahrheit, durch die sich diese Meldung auszeichnet, verbuche ich jetzt einmal als Irrtum Ihrerseits.
Darin steht, dass Sie die Einführung von E-Mail-Petitionen unterstützt haben. Allerdings ist es schon relativ heftig, was Sie uns vorwerfen. Darüber habe ich mich geärgert. Deswegen muss ich das hier jetzt ausbreiten.
({5})
- Lassen Sie mich das erst ausführen. Sie können ja hinterher eine Kurzintervention machen. Ich werde Sie dafür ausreichend beschimpfen, Herr Kollege Baumann.
Der erste Punkt ist: Sie werfen Rot-Grün vor, dass wir
dem Petitionsrecht einen Bärendienst erwiesen hätten.
Der zweite Punkt: Mit diesem Beschluss würde das Petitionsgrundrecht für die einzelnen Bürger entwertet. Dazu
muss ich in aller Kürze, weil sich meine Redezeit dem
Ende nähert, etwas sagen. Sie als Unionsfraktionen betrachten die Arbeit im Petitionsausschuss offensichtlich
als Strafe - das muss im Protokoll des Deutschen Bundestages einmal vermerkt werden -; denn viele Ihrer
Landesgruppen ziehen im Halbjahres- oder Jahrestakt
ihre Mitglieder zurück, weil die Arbeit angeblich unzumutbar und zu hart sei.
({6})
- Die Begründung können Sie ja gleich noch nennen.
Dadurch kommt es zu erheblichen Zeitverzögerungen.
In Wirklichkeit schränken Sie das Petitionsrecht des einzelnen Bürgers täglich ein, weil Sie Ihre Kolleginnen
und Kollegen aus dem Petitionsausschuss abziehen.
({7})
Das führte in etlichen Fällen zu monatelangen Verzögerungen. Das muss hier einmal gesagt werden.
Ich denke, Sie sollten diese Art des Umgangs mit dem
Petitionsrecht einstellen. Hören Sie auf, uns, weil wir
das Petitionsrecht erweitern und etwas intelligenter gestalten wollen, indem wir auf die modernen Medien eingehen, vorzuwerfen, dass wir das Petitionsrecht einschränken. Wir haben neue Möglichkeiten geschaffen
und keine einzige abgeschafft. Es tut mir Leid, dass ich
das in dieser Form sagen muss. Aber Sie waren es, der
über den Ticker eine solche Pressemitteilung herausgeschickt hat.
Herzlichen Dank.
({8})
Nun hat sich der Kollege Baumann, wie ausdrücklich
erwünscht, für eine Kurzintervention zu Wort gemeldet.
Dabei mache ich den Kollegen Winkler darauf aufmerksam, dass die Ankündigung von Beschimpfungen eigentlich zu präventiven Ordnungsrufen führen müsste,
worauf ich nur aus ausgeprägter persönlicher Sympathie
verzichte.
({0})
Bitte schön, Herr Kollege Baumann.
Herr Präsident! Kollege Winkler, wir haben im Petitionsausschuss fast drei Jahre gut und sachlich zusammengearbeitet. Vor etwa drei Wochen kam eine etwas
andere Stimmung auf. Warum das bei Ihnen so ist, mag
dahingestellt sein.
({0})
Dadurch kam es zu einer Reihe unsachlicher Diskussionen.
Es ist nachzulesen, dass ich im Obleutegespräch der
Möglichkeit, eine Petition per E-Mail einzureichen, eindeutig zugestimmt habe. Im Ausschuss haben Sie vor
der Abstimmung eine unsachliche Diskussion begonnen.
Daraufhin haben wir uns der Stimme enthalten, aber wir
haben nicht dagegen gestimmt. Sie haben in den darauf
folgenden Tagen eine falsche Pressemitteilung
gestreut. - Es müsste im Protokoll nachlesbar sein. Ich
bitte Sie, doch zur Sachlichkeit zurückzukehren.
({1})
Herr Kollege Winkler.
Danke, Herr Präsident, auch für die unterbliebene Ermahnung. - Herr Kollege Baumann, wir können uns darüber streiten. Dann werden wir das Protokoll halt im
nächsten Jahresbericht nachreichen. Ich unterstreiche,
dass wir lange und gut zusammengearbeitet haben, aber
in diesem Fall - das muss ich sagen - hat die Union anders abgestimmt. Zumindest haben Sie nicht zugestimmt,
({0})
was Sie eben in Ihrer Rede gesagt haben. Ich habe das
Protokoll nicht nachgelesen, aber ich habe ja gesehen,
dass Sie dagegen gestimmt haben.
({1})
Wenn das als Enthaltung gewertet worden sein sollte,
dann ist es gut. Jedenfalls haben Sie nicht zugestimmt.
Eine Enthaltung ist doch wohl eine recht schwache Form
der Zustimmung, oder, Herr Baumann?
Wer hier eiert, das ist eine ganz andere Frage. Wir von
der Koalition haben klar im Koalitionsvertrag gesagt,
dass wir das Petitionsrecht erweitern wollen und die
Bürger mehr Möglichkeiten haben sollen. Das haben wir
beschlossen. Ich bleibe dabei: Die Union hat nicht zugestimmt.
({2})
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Karl Addicks für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vor kurzem hat der Petitionsausschuss seinen
Jahresbericht an den Herrn Bundestagspräsidenten übergeben. Mehr als 15 000 Einzelpetitionen wurden im
Jahr 2004 abschließend bearbeitet, eine gewaltige Zahl,
die im Vergleich zu den Vorjahren noch deutlich zugenommen hat. Darin spiegeln sich auch die hausgemachten Wirtschaftsprobleme wider, die auch und vor allem
auf die Sozialgesetzgebung durchschlagen und die diese
Bundesregierung zu verantworten hat.
Im Gegensatz zur Bundesregierung hat der Ausschussdienst eine hervorragende Arbeit geleistet; ich
sage es an dieser Stelle noch einmal. Dafür möchte ich
allen Ausschussdienstmitarbeitern ganz herzlich danken.
Deutschland hat mit dem Art. 17 des Grundgesetzes
die Voraussetzung für ein bestens funktionierendes Petitionswesen. Darauf kann man auch schon einmal stolz
sein. Uns allen erscheint es zwar als selbstverständlich,
doch nicht überall auf der Welt genießen die Menschen
solch ein Grundrecht, das auch wirklich etwas bewirken
kann und schon vieles bewirkt hat. Das sollten wir erkennen und wir sollten darauf achten, dieses Recht zu
nutzen, zu pflegen und auch zu erweitern. Das Petitionsrecht bietet den Bürgern wahrlich eine Möglichkeit mitzuwirken, den Gesetzgeber aufmerksam zu machen, ja,
ihm auch einmal auf die Finger zu klopfen. Dies umso
mehr, als wir ein Plebiszit in unserer Verfassung nicht
haben. Leider konnten wir Liberale uns bisher mit unserem Wunsch nach mehr plebiszitären Elementen nicht
durchsetzen.
Nicht ganz zufrieden sind wir mit der Gestaltung des
Petitionsrechts im europäischen Verfassungsvertrag.
Ich meine das jetzt nicht als generelle Kritik; aber gerade
ein geeintes Europa müsste für die Probleme seines Souveräns mehr Gehör zeigen können, als dies gegenwärtig
der Fall ist. Aber wir wollen das positiv sehen. Das ist
eine Chance für Europa, sich weiter zu entwickeln.
Bei der konkreten Arbeit als Abgeordneter im Petitionsausschuss ist man dann gut, wenn man sich in die
Lage der Leute versetzen kann, deren Anliegen man als
Berichterstatter bearbeitet. Das haben wir im Ausschuss
wohl alle getan. Dennoch sind wir nicht immer einer
Meinung gewesen. Das liegt in der Natur der Sache.
Aber wir konnten doch häufig etwas bewirken, konnten
Ungerechtigkeit abschaffen, konnten die Eingaben der
Petenten aufgreifen und die Resultate in die Gesetzgebung einbringen.
Ein Wort an meine Landsleute von der Saar: Das
Saarland hat mit Baden-Württemberg bundesweit die
wenigsten Eingaben. Machen Sie ruhig häufiger Gebrauch von Ihrem Petitionsrecht, auch was die Bergschäden betrifft!
({0})
Das Ziel bleibt natürlich eine Änderung des Bundesberggesetzes, sprich: Der Bergbau unter bewohntem Gebiet
muss endlich aufhören. Ich beziehe mich da auf eine Petition aus meinem Wahlkreis, die leider keinen Erfolg
hatte. Allerdings ruht unsere Hoffnung hier auf einer anderen Bundesregierung.
({1})
Vielen Dank noch an meine Kollegen vom Petitionsausschuss für die im Großen und Ganzen doch gute und
einvernehmliche Zusammenarbeit.
Vielen Dank für Ihrer aller Aufmerksamkeit.
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele LösekrugMöller für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ich stelle mir Folgendes vor:
Wir behandeln den Jahresbericht 2005. Es ist Donnerstag, 10 Uhr, und wir haben hinreichend Zeit,
({0})
darüber zu reden, was unsere Arbeit so bedeutsam
macht. Ich lege mein ganzes Vertrauen in jene Mehrheit
- ich glaube zu wissen, wie die Mehrheit beschaffen sein
wird; die jetzige wird nämlich bestehen bleiben -, dass
wir das endlich einmal hinbekommen. Dieses Vorwort
wollte ich meiner kurzen Rede vorausschicken.
Als Nächstes schließe ich mich meinen Vorrednern an
und danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Petitionsausschusses. Wir haben gut und zuverlässig zusammengearbeitet. Das ist sicherlich einen großen Dank
wert.
({1})
Es wurde schon hinreichend dargestellt, dass im
Jahr 2004 mehr Petitionen eingegangen sind und von
uns bearbeitet wurden als in den Vorjahren. Ich denke, es
ist völlig klar: In einer Gesellschaft, die sich in einem so
starken Wandel befindet wie unsere und in der so viele
Reformen erforderlich sind, müssen das Parlament und
die Bürgerinnen und Bürger in einen stärkeren Dialog
eintreten. Das schlägt sich auch in der Zahl der Petitionen nieder.
Für uns ist jede Petition gleich wichtig. Das galt in
der Vergangenheit; das trifft heute zu und das wird auch
künftig der Fall sein, lieber Herr Kollege Baumann. Uns
erscheint kein Anliegen zu groß oder zu klein, keine
Bitte zu laut oder zu leise und keine Beschwerde zu
kompliziert, erst recht nicht zu einfach. Das haben wir
unter Beweis gestellt.
Dass wir uns dabei bei Ministerien und Behörden
nicht gerade Sympathien verschaffen oder unsere Beliebtheit steigern, ist logisch. Wir knüpfen oftmals an einen Leidensweg von Bürgern und Bürgerinnen an, die
mit ihrem Wunsch nicht durchdringen konnten und mit
ihrem Anliegen keinen Erfolg hatten. Aber wir nehmen
diesen Weg gerne auf uns. Wir freuen uns wie alle über
jeden Erfolg und sind meines Erachtens auch in scheinbar hoffnungslosen Angelegenheiten sehr hartnäckig.
Deshalb leisten wir gute Arbeit.
Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben es geschafft, einer gehörlosen jungen Frau eine angemessene
Ausbildung zukommen zu lassen, indem wir uns dafür
eingesetzt haben, dass ihr ein Gebärdendolmetscher zur
Seite gestellt wurde. Soviel zum Thema „laute und leise
Bitten“. Es ließen sich noch zahlreiche weitere Beispiele
anführen.
Aber wir stoßen auch in manchen Fällen an unsere
Grenzen. Ich glaube, darin stimmen wir überein, Herr
Dr. Addicks. Zum Beispiel konnten wir es einer Chinesin - eine praktizierende Falun-Gong-Anhängerin nicht ermöglichen, in Deutschland zu bleiben. Solche
Fälle betrüben uns. Ich denke, wir werden in Zukunft
viel tun müssen, damit wir auch in solchen Einzelfällen,
bezogen auf bestimme Fragestellungen, mehr helfen
können, als es zurzeit der Fall ist.
Sind wir ein parlamentarischer Leuchtturm oder ein
Ventil, um Dampf abzulassen? Letzteres Bild wurde von
Adenauer herangezogen. Ich gebe zu, dass ich mich lieber als Leuchtturm als ein Ventil sehe; denn als Leuchtturm habe ich den Überblick und biete Orientierung.
({2})
Orientierung haben wir auch in Bezug auf die
Modernisierung des Petitionswesens gegeben, wie bereits angeklungen ist. Wir von Rot-Grün haben, um endlich auf die Höhe der Zeit zu kommen, drei Änderungen
in Gang gebracht. Wir haben - auch mit großer fachlicher Unterstützung des Ausschussdienstes - unsere Verfahrensgrundsätze geändert. Ich will das an dieser Stelle
nicht im Einzelnen erläutern. Ich halte alle drei Änderungen für richtungweisend und sinnvoll.
Dass der Opposition dann aber in entscheidenden Fragen der Mut fehlte, ist nicht neu; das kennen wir schon
aus anderen Zusammenhängen.
Für uns heißt das, dass wir in der Ausweitung des Petitionsrechts das Internet ab 1. September in einer angemessenen Weise nutzen können. Ich finde das Klasse
und bin sehr stolz darauf. Das gebe ich zu.
({3})
Ich will abschließend festhalten, dass wir zwar vieles
in Übereinstimmung geregelt haben, aber nicht alles.
Wenn ich in die Vergangenheit zurückblicke, dann
möchte ich - das meine ich ehrlich - unserem derzeitigen Vorsitzenden großen Respekt zollen und Dank sagen. Er hat das schwierige Handling immer zum Wohle
von Petenten hinbekommen. Ich meine, sein heute angeführtes Beispiel, dass jemand, der einen Sumpf trocken
legen will, nicht die Frösche beauftragen dürfe, zeigt,
wie liebenswert er auch Kritik formulieren kann.
Ich sehe das mit den Fröschen aber etwas anders. Ich
glaube nicht, dass alle grün sind; ich kenne auch sehr
viele rote Frösche. Ich bin überzeugt davon: Genauso
wie es in der Vergangenheit schwarze und gelbe Frösche
gab, wird es in Zukunft bei den Beauftragten bunt sein.
Hier lernen wir alle den Unterschied zwischen den Ämtern, die eine Regierung zu vergeben hat, und dem, was
das Parlament tut. Ich bin ganz optimistisch: Wir, der
Petitionsausschuss, bleiben sicherlich gut und nahe an
den Bürgerinnen und Bürgern.
Ich komme zum Schluss. Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU, ich glaube, es bleibt
so: Ein Ja ist ein Ja, ein Nein ist ein Nein und eine Enthaltung bleibt eine Enthaltung, egal was man später sagt.
(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen]
[CDU/CSU]: Das hätten wir ohne Sie nicht gewusst! Danke für die Belehrung!
- Herr Kauder, den Eindruck hatte ich ebenfalls. Deshalb schien es mir geboten zu sein, darauf hinzuweisen:
Keine Kante an einer Enthaltung macht daraus ein Ja.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Holger Haibach für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist mir eigentlich zu viel, die ganze Diskussion
noch einmal aufzurollen. Aber was der Kollege Winkler
über den Wechsel meiner Kolleginnen und Kollegen gesagt hat, ist erstens falsch und lässt zweitens eine andere
Interpretation zu. Im Petitionsausschuss sind zehn Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Sieben davon
sind seit Beginn der Legislaturperiode dabei. Aber Sie
haben den Eindruck erweckt, als hätten wir gewechselt
wie andere Leute täglich ihre Unterhosen. Bei uns sind
natürlich einige Landesgruppen, zum Beispiel die Bayern, vertreten, die sehr viele Abgeordnete haben. Bei uns
soll jeder in den Genuss kommen, im Petitionsausschuss
zu arbeiten.
({0})
Denn das Petitionsrecht ist ein großes Recht und beileibe
keine Selbstverständlichkeit.
Welch hohes Gut das Petitionsrecht tatsächlich ist,
habe ich in Palästina gelernt. Ich bin dort letztes Jahr gewesen und habe vor Vertretern der palästinensischen Regierung und des Legislativrates über die Arbeit und die
Erfahrung mit dem deutschen Petitionsrecht gesprochen,
weil man dort so etwas wie die Einrichtung eines Petitionsbüros plant. Dabei ist mir klar geworden - das ist
mir auch deutlich gesagt worden; das ist schon angeklungen -, dass das deutsche Petitionsrecht sowie die
Art und Weise, wie wir damit umgehen, Vorbildcharakter für viele haben. Wenn wir das Petitionsrecht, dieses
hohe Gut, das keine Selbstverständlichkeit ist, weiterentwickeln wollen, dann müssen wir sehr vorsichtig sein
und genau darauf achten, was wir bewirken, wenn wir
Änderungen herbeiführen.
({1})
Jedenfalls scheint mir, dass in Deutschland vom Petitionsrecht sehr rege Gebrauch gemacht wird, einmal
mehr, einmal weniger; das ist schon angeklungen. Ich
finde es spannend, zu sehen, dass sich sehr viele Menschen für Dinge einsetzen, die nichts mit ihrem persönlichen Umfeld zu tun haben. Das reicht von Fragen betreffend das Umweltrecht bis hin zu Informationsfragen.
Manche Petitionen beschäftigen sich beispielsweise mit
Genitalverstümmelungen bei Frauen und Mädchen in
Afrika oder mit der Aufarbeitung historischen Unrechts
im damaligen Osmanischen Reich. Diese Petition ist immerhin von 45 000 Menschen aus ganz Europa unterstützt worden.
Das zeigt aus meiner Sicht zweierlei: Zum einen
stimmt das Gerede über die Ichbezogenheit unserer Gesellschaft zumindest nicht zu hundert Prozent. Zum anderen erfüllt der Petitionsausschuss neben seinem ursprünglichen Zweck noch eine andere Funktion, nämlich
Fragen aufzuwerfen und Probleme anzusprechen, für die
es woanders vielleicht kein Forum gibt. Weil wir diese
zusätzliche Funktion offensichtlich haben, weil wir Vorbild für viele Einrichtungen ähnlicher Art sind und weil
unser Ausschuss ganz offensichtlich den Ruf genießt
- das habe ich zumindest im Ausland so vernommen -,
nicht parteipolitisch, sondern in der Sache zu entscheiden, tun wir bei aller Notwendigkeit zur Veränderung
und bei allem verständlichen Willen zur öffentlichen
Darstellung gut daran, unsere Glaubwürdigkeit dadurch
zu erhalten, dass wir das, was ich das „hohe Gut“ genannt habe, wirklich hochhalten und es nicht durch unbedachte Änderungen oder durch Parteipolitik diskreditieren.
Bisher hatte ich meistens den Eindruck, dass dem
auch so ist. Ich will nur hoffen, dass möglicherweise etwas stürmischere Zeiten diesen Eindruck nicht verwischen.
Herzlichen Dank.
({2})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Sibylle Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie bitte folgenden Fall einfach einmal auf sich
wirken. Sie bearbeiten eine Petition und stellen fest: Der
Petent hat Recht. Da ist etwas passiert, was nicht in Ordnung ist. Ihr Votum lautet: Wir überweisen den Fall an
die Bundesregierung zur Erwägung. Bei weiterem Nachschauen stellen Sie fest: Der Ausschussdienst hat Ähnliches wie Sie festgestellt und votiert auch, zur Erwägung
zu überweisen. Auch die Berichterstatterin der Regierungskoalition - Frau Marks, Sie wissen, worum es
geht ({0})
kommt nach einigen klärenden zusätzlichen Informationen zu der Erkenntnis: Jawohl, dem Petenten ist Unrecht
geschehen, ihm muss geholfen werden. Das Votum: zur
Erwägung an die Bundesregierung. Die Abstimmung im
Petitionsausschuss - logischerweise einstimmig -: Die
Petition soll der Bundesregierung zur Erwägung überwiesen werden.
Fazit: Alle Prüfungen, sowohl die der Ausschussmitarbeiter als auch die aller Berichterstatter sowie aller
Ausschussmitglieder, haben ergeben: Diesem Petenten
muss geholfen werden. Die Regierung muss aufgefordert
werden, Entsprechendes in die Wege zu leiten. Und dann
passiert das Unfassbare: Die Regierung sieht keinen
Handlungsbedarf.
({1})
- Herr Präsident, ich beantworte die Frage gern.
Bitte schön. Wir machen gerade einen Modellversuch, ob Debatten notfalls auch ohne Beteiligung eines
amtierenden Präsidenten funktionieren.
({0})
Bitte schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank. - Frau Pfeiffer, Sie haben eben behauptet, mein Votum habe in diesem Fall gelautet, dass dem
Petenten Unrecht widerfahren sei. Dem möchte ich in aller Deutlichkeit widersprechen. Ich habe in Übereinstimmung mit Ihnen dahin gehend votiert, dass der Fall dem
entsprechenden Ministerium zur Erwägung überwiesen
werden sollte. Das ist auch geschehen.
Meine Frage: Wie kommen Sie angesichts der Antwort des Ministeriums zu der Feststellung, dass eine einstimmige Überweisung an das Ministerium automatisch
dahin gehend zu interpretieren ist, dass dem Petenten
Unrecht widerfahren ist?
Weder noch; das ist nicht das Thema. Darin, liebe Kollegin Marks, besteht genau unsere Aufgabe: zu erkennen,
welchen Petenten in der Sache - obwohl unter Umständen vom geltenden Recht gedeckt - Unrecht getan worden ist, zum Beispiel weil Angaben nicht stimmten, weil
Behörden sich falsch verhalten haben, weil Ämter widersprochen haben, obwohl die Fristen eingehalten wurden.
Unsere Aufgabe ist es, solches Unrecht - und zwar nicht
im juristischen Sinne - zu erkennen und zu korrigieren.
Ich denke, das ist eine schöne Aufgabe.
({0})
Ich komme zurück zu meinem Fall. Ich hatte ausgeführt, dass die Bundesregierung trotz allem also keinen
Handlungsbedarf sieht. Das stimmt mich ziemlich traurig, weil in einem Fall, wie ich ihn eben näher erläutert
habe, mir der Petent Leid tut. Obwohl alle feststellen,
dass gehandelt werden muss, handelt die Bundesregierung nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das Ergebnis
unserer Arbeit so aussieht, dass wir einstimmig der Meinung sind, etwas müsse abgestellt werden, aber trotzdem
nichts getan wird, dann arbeiten wir so gut wie umsonst.
Wenn das Ergebnis unserer Arbeit nicht anerkannt wird,
dann können wir uns alle Diskussionen und die Bearbeitung der Akten sparen.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache und nutze gern die Gelegenheit, sicher im Namen des ganzen Hauses, allen Mitgliedern des Petitionsausschusses für eine Arbeit zu
danken, die im Unterschied zu manchen anderen Aufgabenfeldern weniger auffällig, aber ganz besonders wichtig ist.
({0})
Das verdient gerade bei einer solchen Gelegenheit festgehalten zu werden.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen
({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe
Beckmeyer, Klaus Brandner, Dr. Michael
Bürsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert
Schmidt ({2}), Anja Hajduk, Volker
Beck ({3}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Investitionskräfte stärken - Neue Impulse
für Wachstum und Beschäftigung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer
({4}), Dietrich Austermann, Eduard
Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Notwendige Investitionen in die deutsche
Verkehrsinfrastruktur bereitstellen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Friedrich ({5}), Joachim Günther ({6}),
Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Infrastrukturinvestitionen erhöhen - Neue
Wege bei Finanzierung und Betrieb der
Bundesfernstraßen
- Drucksachen 15/5340, 15/5325, 15/5338,
15/5650 Berichterstattung:
Abgeordnete Uwe Beckmeyer
Horst Friedrich ({7})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Diese
benötigen wir nicht, weil die Kollegen Uwe Beckmeyer,
Georg Brunnhuber, Renate Blank, Albert Schmidt und
Horst Friedrich ihre Reden zu Protokoll geben.1) Somit
muss ich die Aussprache nicht eröffnen und kann gleich
zu den Beschlussempfehlungen kommen.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 15/5650 unter Nr. 1 die Annahme
1) Anlage 14
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
des Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/5340 mit dem
Titel „Investitionskräfte stärken - Neue Impulse für
Wachstum und Beschäftigung“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich der Stimme? - Das Erste war die Mehrheit,
die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
15/5325 mit dem Titel „Notwendige Investitionen in die
deutsche Verkehrsinfrastruktur bereitstellen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Beschluss-
empfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der FDP auf der Drucksache 15/5338 mit
dem Titel „Infrastrukturinvestitionen erhöhen - Neue
Wege bei Finanzierung und Betrieb der Bundesfernstra-
ßen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Mit leichten
Variationen im Abstimmungsverhalten ist diese Be-
schlussempfehlung mit Mehrheit angenommen.
Nun rufe ich die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hans-Ulrich Krüger, Florian Pronold, Ingrid
Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Jutta
Krüger-Jacob, Christine Scheel, Kerstin Andreae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Europäische Finanzmärkte - Integration
durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen
- Drucksache 15/5679 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, Leo
Dautzenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms,
Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang Gerhardt und
der Fraktion der FDP
Europäische Finanzmärkte - Integration durch
Wettbewerb und Vielfalt voranbringen
- Drucksache 15/5677 Auch hier ist eine halbstündige Aussprache vorgesehen. - Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Hans-Ulrich Krüger für die SPD-Fraktion das
Wort.
({8})
Ich danke für den Trost vorab, Herr Dautzenberg.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich freue mich, dass wir mit unserem rot-grünen Antrag heute eine Magna Charta der europäischen
Finanzmarktintegration beraten können. Dies hat
Deutschland als größte Volkswirtschaft in Europa redlich verdient.
Durch die Umsetzung des FSAP auf europäischer
Ebene sind verbesserte Rahmenbedingungen geschaffen
worden, welche die europäischen Finanzmärkte und den
Finanzplatz Deutschland vorangebracht haben und weiter voranbringen werden. Gerade Deutschland ist einer
der bedeutendsten Produktionsstandorte für Finanzdienstleistungen in Europa. Der heutige Antrag trägt entscheidend dazu bei, unser Gewicht bei unseren Partnern
in der EU angemessen einzubringen. Die Integration der
europäischen Finanzmärkte stärkt auch ganz besonders
die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland,
sie fördert Wirtschaftswachstum und führt letztlich auch
zu mehr Arbeitsplätzen.
Klar ist aber auch: Von einem mündigen und informierten Bürger kann bei der komplexen Vielfalt von Finanzprodukten nicht der gleiche Wissensstand erwartet
werden wie bei einem Einkauf im Supermarkt. Unsere
Aufgabe wird es daher sein, dafür zu sorgen, dass die Interessen der Finanzmarktakteure in einem angemessenen
Verhältnis zueinander stehen. Somit gewährleisten wir
mit unserem Antrag einen effektiven und leistungsfähigen Verbraucherschutz.
Dies wird offenbar, wie ich den Zwischenrufen entnehme,
({0})
von den Fraktionen der FDP und der CDU/CSU so nicht
mitgetragen. Ansonsten wären bestimmte Dinge nicht
erklärbar.
Im Einzelnen begrüßen wir im Basel-II-Prozess, dass
es nach langwierigen Verhandlungen gelungen ist, einen
tragfähigen Rahmen für die Eigenkapitalanforderungen
international tätiger Banken zu schaffen. Auch die sehr
ausgewogene Lösung zur bankenaufsichtsrechtlichen
Behandlung von Krediten an die mittelständische Wirtschaft ist hier zu nennen. Nun kommt es im Wesentlichen darauf an, diese Verhandlungserfolge bei der EUUmsetzung zu sichern.
Der Zugang der Bevölkerung und der Unternehmen
zur Vielfalt der modernen Finanzdienstleistungen ist zu
garantieren. Es bestehen hier auf EU-Ebene durchaus
noch Schwierigkeiten beim grenzüberschreitenden elektronischen Vertrieb sowie bei der Zulassung der grenzüberschreitenden Kontoeröffnung durch das Internet.
Hier muss durch die EU-weite Umsetzung der bereits
vorhandenen Richtlinien eine Vereinfachung für die Verbraucher und letztlich auch für die Banken geschaffen
werden. Beide Gruppen werden dieses Angebot dankend
annehmen und sich entsprechend verhalten.
Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem die deutsche
Finanzindustrie zu den Champions zählt, ist der der
Erst- und Rückversicherungsunternehmen. Damit die
Marktstellung dieser Unternehmen nicht gefährdet wird,
gilt es, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, zu sichern und zu fördern.
({1})
Im Hinblick auf die vorzuhaltenden Eigenmittel und anzuwendenden Berechnungsverfahren dürfen diese Unternehmen nicht überfordert werden. Gleiches gilt auch
in Bezug auf unnötige bürokratische Hindernisse. Ausdrücklich begrüßen wir, dass die von der EU geplante
Verschärfung der Solvenzvorschriften für Rückversicherungen für das Lebensrückversicherungsgeschäft kein
Thema mehr ist.
Zur Regulierung von Ratingagenturen hat der Deutsche Bundestag bereits im Jahr 2004 beschlossen, internationale Verhaltensregeln zu fördern. Erfreulich ist,
dass die in dem Beschluss formulierten Forderungen bei
der Arbeitsgruppe der Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden Gehör gefunden haben und im Entwurf
eines Wohlverhaltenskodex für Ratingagenturen berücksichtigt sind. Wir werden in den kommenden Jahren sehr
genau prüfen, wie die Entwicklung auf dem Ratingmarkt
vorangeht, und gegebenenfalls auch Vorschläge für eine
europäische Lösung unterbreiten.
In der jüngeren Vergangenheit ist das eher kurzfristig
angelegte Engagement einiger Hedgefonds zu Recht infrage gestellt worden. Wie die „Wirtschaftswoche“ aktuell titelt, drohen dem mit 1 000 Milliarden US-Dollar
Eigenkapital ausgestatteten Markt der Hedgefonds
Schieflagen, die das weltweite Finanzsystem ins Wanken
bringen können. Das muss ein deutliches Warnsignal
auch an die deutsche Politik sein.
({2})
Es ist deshalb notwendig, alles dafür zu tun, dass internationale Hedgefonds die gleiche Sicherheit bieten
wie deutsche. Mit dem Investmentmodernisierungsgesetz ist es gelungen, moderne Bedingungen für Hedgefonds zu schaffen,
({3})
die für die europäische Regulierung von Hedgefonds
wegweisend sein müssen.
So gibt es bei uns strenge Zulassungsprüfungen und
es wird eine ständige Aufsicht über das Management
verlangt. Es bleibt daher darauf zu achten, dass es zu einem ausgewogenen Ausgleich zwischen Anlegerschutz
und Entwicklungsmöglichkeiten für den Kapitalmarkt
kommt. Hierbei muss allerdings zusätzlich über Transparenzgebote und Offenlegungspflichten diskutiert werden. Auch dieses Anliegen sollte von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition - so meine Bitte -,
in Gänze mitgetragen werden, sodass ich Sie auffordern
möchte: Ziehen Sie Ihren gleich lautenden Antrag zurück!
({4})
- Sie haben gleich die Möglichkeit, etwas dazu zu
sagen. - Stimmen Sie unserem Antrag zu! Das ist konsequenter.
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Thema
„Clearing and Settlement“ verlieren. Für uns ist es sehr
wichtig, dass bestehende und funktionierende Marktstrukturen nicht durch Maßnahmen aufgrund vorgeschobener Wettbewerbsargumente in Mitleidenschaft gezogen werden und dass vor einem Tätigwerden der
Kommission eine Kosten-Nutzen-Analyse erfolgt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie wissen, ist
mit Beschluss des Europäischen Parlaments vom
31. Mai 2004 das Lamfalussy-Verfahren auf die gesamte EU-Finanzmarktrechtsetzung ausgeweitet worden. Was wir mit unserem Antrag aufgreifen und angreifen, ist die nach wie vor mangelnde demokratische
Legitimation der so genannten Level-3-Committees im
Rahmen des Lamfalussy-Verfahrens. In Deutschland haben wir ein gutes Forum geschaffen, auf dem gemeinsame Aufsichtsstandards entwickelt werden. So muss
die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen bezüglich
ihrer Mitarbeit in den Level-3-Ausschüssen dem Bundesministerium der Finanzen berichten, welches wiederum dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages
Bericht erstattet. Langfristig muss aber ein demokratisch
legitimiertes System einer europäischen Finanzaufsicht
etabliert werden, das Aufsichtskonvergenz garantiert.
Der vorliegende Antrag ist mit allen vorgetragenen
Grundsätzen und Überlegungen insgesamt ein würdiges
Arbeitsprogramm für die EU-Finanzmarktintegration
und die Rolle Deutschlands in diesem Prozess. Es ist daher schade, dass dieser Antrag von Rot-Grün nicht einstimmig von allen Fraktionen dieses Hauses verabschiedet werden kann.
({5})
Gleichwohl ist der Tag der Einbringung unseres Antrags
ein guter Tag für Deutschland und, ich denke, auch ein
guter Tag für Europa.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Krüger, all das,
was Sie vorgetragen haben, war in der Tat Inhalt unseres
gemeinsamen Antrages. Aber gerade die kritischen
Punkte, die dazu geführt haben, dass Ihre Partei und die
Grünen ausgestiegen sind, haben Sie im Grunde genommen nicht erwähnt und erläutert.
({0})
Vielmehr haben Sie nur darauf abgestellt, was wir bis zu
einem bestimmten Zeitpunkt gemeinsam erarbeitet hatten. Dass wir heute über zwei unterschiedliche Anträge
diskutieren, zeigt, wie kaputt die rot-grüne Koalition
wirklich ist. Es herrschen Chaos, Konzeptionslosigkeit
und Konfusion.
({1})
Das sieht man an der Entstehungsgeschichte der beiden
vorliegenden Anträge.
Lieber Herr Kollege Krüger, man kann das, was Sie
zu den einzelnen Schwerpunkten unserer beiden Anträge
vorgetragen haben, voll unterstützen.
({2})
Bis vor zwei Wochen gab es nämlich einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen. Er beruhte insbesondere
auch auf umfassenden Vorarbeiten der Union. Wir fühlen uns natürlich geehrt, wenn Sie in der Einleitung zu
Ihrem Antrag davon sprechen, er stelle geradezu eine
Magna Charta für den europäischen Finanzmarkt dar.
Vielen Dank.
({3})
Sie aber haben die Umsetzung erschwert und sind von
der eigenen Fraktion über den Tisch gezogen worden,
({4})
als es darum ging, die Bestimmungen zum Verbraucherschutz neu zu formulieren.
({5})
Wie war jetzt die zeitliche Abfolge? Unser Antrag
„Europäische Finanzmärkte - Integration durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen“ stammt vom letzten
Jahr. Am 16. Dezember 2004 gab es darüber im Plenum
die erste Debatte. Trotz des inkompetenten Vortrages Ihres Kollegen Pronold waren wir bereit, gemeinsame Berichterstattergespräche zu führen, die man normalerweise nach dem Vortrag des Kollegen Pronold so nicht
geführt hätte. Ziel der Berichterstattergespräche war es,
gemeinsame Positionen des Deutschen Bundestages zum
Wohle des Finanzplatzes Deutschland in einem integrierten Finanzplatz Europa zu formulieren; denn Finanzmarktgesetzgebung war für uns Volkswirtschaftler
immer sehr bedeutend und ist nach unserer Auffassung
nicht für den politischen Streit geeignet. Dieser Vorstellung haben wir in der Vergangenheit, wenn auch manchmal nach langem Ringen, immer entsprochen.
Im Zusammenhang mit der Finanzmarktgesetzgebung will ich auch einmal die Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums und die Kollegen von SPD und Grünen loben, die dazu beigetragen haben, dass wir diesen
gemeinsamen Status gehalten haben und in den letzten
drei Jahren vorzeigbare Ergebnisse erzielt haben.
Am 24. Mai, dem Tag der letzten Berichterstattergespräche, hatten wir uns auf einen Kompromiss geeinigt. Die Grundlagen für diesen gemeinsamen Status haben Kollege Krüger, Frau Krüger-Jacob, Kollege
Wissing, meine Wenigkeit und Kollege Fahrenschon gemeinsam erarbeitet. Sie haben alle Punkte genannt.
Schwerpunkte waren Basel II, die Bankenstruktur in
Europa, Regelungen für das Retailbankengeschäft,
Schaffung eines Rechtsrahmens für Zahlungsverkehr in
einem einheitlichen Zahlungsraum, Solvency II für das
Versicherungswesen, Regulierung der Ratingagenturen
und der Hedgefonds, Clearing und Settlement, Bewertung des Lamfalussy-Verfahrens - dabei waren wir der
Auffassung, dass der demokratische Prozess darin gestärkt werden muss und es nicht einzelnen Spezialisten,
die durch nichts demokratisch legitimiert sind, überlassen werden darf, nachher Regulierungen vorzunehmen und eben auch die Zusammenarbeit zwischen Bundestag
und Europäischem Parlament.
Was ist aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in
der Zwischenzeit passiert? Die Finanzpolitiker von SPD
und Grünen sind in der eigenen Fraktion niedergestimmt
und bloßgestellt worden.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Sie sind
im Grunde fast schon zu bedauern, dass dies so geschehen ist.
Zwei weitere Punkte möchte ich in diesem Zusammenhang noch festhalten: Erstens. Wir werden uns für
die kommende Legislaturperiode merken, dass die Zusammenarbeit bei Finanzmarktthemen von Ihrer Seite
unnötigerweise aufgekündigt worden ist.
({7})
Zweitens ist es schon ein Bubenstück, wenn man den
gesamten Antrag, der überwiegend von uns konzipiert
worden ist, übernimmt und nur bei den Themenbereichen Verbraucherschutz, Hedgefonds und Bankenstruktur Verschärfungen vornimmt.
({8})
Es ging darum, dass wir ein - das ging mit auf Ihre
Formulierung zurück, Herr Krüger - angemessenes
Verbraucherschutzniveau haben wollen, weil wir wissen, dass zwischen Anbieter und Nachfrager ein gesunder Interessenausgleich bestehen muss. Je höher der Verbraucherschutz angesiedelt wird, desto teurer wird er für
den Verbraucher. Wenn Sie da so hohe Hürden aufbauen,
schließen Sie von vornherein automatisch Produkte aus,
die es für die Verbraucher sonst auf dem Markt gäbe.
Nicht akzeptabel ist „hohes Verbraucherschutzniveau“.
Ihre Verbraucherschützer mögen damit zufrieden gestellt
worden sein; aber das kann an sich nur eine hohle Phrase
sein.
({9})
Zweitens zur Konsolidierung des Bankenmarktes.
Wir haben klar postuliert, dass unsere Bankenstruktur
- das berühmte Dreisäulenmodell - in der Vergangenheit
sehr positiv, auch international, auf unsere Volkswirtschaft gewirkt hat. Ebenso haben wir postuliert, dass
sich die Politik, was die zukünftige Struktur anbelangt,
hier sehr reserviert verhalten sollte. Nicht die Politik
sollte hier maßgebend sein, sondern die Strukturen müssen sich bei den Banken selber und über die Eigentümer
entwickeln. Als Bund haben wir in Bezug auf die Bankenstruktur vom rechtlichen Rahmen her auch nur die
Möglichkeit, über § 40 KWG, wo es um den Schutz der
Sparkassen von der Bezeichnung her geht, Einfluss zu
nehmen. Sonst ist diese eine Säule, der öffentliche Bereich, zum größten Teil Länderrecht. Dieses Recht ist in
den Bundesländern unterschiedlich ausgeprägt. Die
Eigentümer der Institutionen sollten von sich aus über
Strukturveränderungen befinden. Da sollte sich die Politik tunlichst nicht einmischen.
Wenn Sie diese Position streichen, dann bekunden Sie
damit, dass Sie doch politisch Einfluss auf die zukünftige Struktur nehmen wollen. Es ist für uns eine Grundsatzfrage, wenn solche Veränderungen in einem bisher
gemeinsamen Papier vorgenommen werden sollen. Deshalb kann das von unserer Seite nicht gutgeheißen und
mitgetragen werden.
Dann fordern Sie, dass manche Produkte und manche
Vorhaben im Bankenbereich einer stärkeren Aufsicht
unterzogen werden. Wir haben die BaFin als Allfinanzaufsicht.
({10})
Sie ist geschaffen worden, um den gesamten Finanzmarkt Deutschlands - den Bankenbereich, den Versicherungsbereich, den Wertpapierbereich - zu beaufsichtigen. Was wollen Sie da - nach all den Diskussionen, die
wir, gerade auch in Bezug auf die BaFin, geführt haben,
bis hin zu Fachgesprächen mit Vertretern der Kreditwirtschaft und der BaFin, nach allem, was in dem Bereich
schon erreicht worden ist - an Aufsicht noch toppen?
Teilweise muss man eher feststellen, dass für die Entwicklung der Märkte schon zu viel Regulierung existiert.
Der dritte Punkt betrifft die Hedgefonds. Mit Recht
haben Sie darauf hingewiesen - deshalb kann ich das
relativ kurz machen -, dass wir den Bereich der
Hedgefonds mit dem Investmentmodernisierungsgesetz
national rechtlich gut geregelt haben. Es war immer das
Bestreben sowohl der Kreditwirtschaft, der Finanzmarktseite, als auch - durch konstruktives Handeln - des
Bundesfinanzministeriums, hier eine gemeinsame
Grundlage zu finden. Wenn jetzt wieder mehr Regulierung verlangt wird, dann wäre es sinnvoll, wenn der Herr
Bundeskanzler sich dafür einsetzen würde, den Maßstab,
den wir jetzt national gefunden haben, zumindest auch
europaweit und sogar international einzuführen. Das
muss unser allgemeines Anliegen sein und nicht mehr
Regulierung auf nationaler Ebene, was Sie mit Ihren Änderungen erreichen wollen. Das wäre der falsche Weg.
({11})
- Doch, Ihr Antrag enthält die Forderung nach zusätzlichen Regulierungen in unserem Land; wir teilen diese
Auffassung nicht. - Wir wären wirklich ein großes Stück
weiter, wenn diese Produkte hier produziert würden. Wir
sollten uns gemeinsam dafür einsetzen, dass unsere Basis auch die Basis auf europäischer und internationaler
Ebene ist.
({12})
Da Sie von einer anderen Diskussion - Stichwort „Kapitalismuskritik“ - eingeholt worden sind: Wir sollten die
Behinderungen in Deutschland nicht wiederum zum
Maßstab machen.
Man hat Vorgänge bei der Deutschen Börse AG zum
Anlass genommen, Hedgefonds zu kritisieren. Es gab in
manchen Bereichen Missstände. Diese Missstände müssen wir abstellen. Die Vorgänge bei der Deutschen
Börse AG taugen aber gerade nicht als Beispiel für das
stark kritisierte Wirken der Hedgefonds. Die Hedgefonds haben ihren negativen Einfluss dort gar nicht geltend gemacht; vielmehr war ihre Beteiligung normal.
Empörender ist - das sollte uns Anlass zur Kritik
geben -, dass der Aufsichtsrat - ihm gehören auch Gewerkschaftsvertreter an - Abfindungsverträge mit Vorstandsvorsitzenden, die keinem Maßstab standhalten, zu
verantworten hat. Ich wiederhole: Gewerkschaftsvertreter haben daran mitgewirkt. Wenn Sie das in die Kapitalismuskritik einbeziehen, dann wären wir einen großen
Schritt weiter.
Ich komme zum Schluss. Mit dem Antrag, den wir
gemeinsam mit der FDP vorgelegt haben, ist eine gute
Grundlage für eine Magna Charta - so haben Sie es genannt - geschaffen. Sie haben das Ganze durch Ihre einseitigen, überzogenen Forderungen in Bezug auf Verbraucherschutz und Regulierung von Hedgefonds
- Stichwort „Bankenstruktur“ - konterkariert. Deshalb
können wir dem Antrag von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen nicht zustimmen; wir bleiben bei unserem Antrag. Es wäre für die Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen gut, ihren Finanzpolitikern
zu folgen; denn sie waren auf dem richtigen Weg.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat nun die Kollegin Jutta Krüger-Jacob,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gemäß dem Titel des vorliegenden Antrags muss es unser
gemeinsames Ziel sein, Integration durch Wettbewerb
und Vielfalt der europäischen Finanzmärkte voranzubringen. Wie ich Ihren Ausführungen entnehme, besteht
hierüber noch immer Einigkeit, auch wenn die intensiven Bemühungen aller Mitwirkenden letztendlich nicht
zu einem interfraktionellen Antrag geführt haben, was
ich persönlich bedauere.
({0})
Nicht zuletzt wegen einer gemeinsamen Zielsetzung
konnten gemäß dem 1999 verabschiedeten EU-Aktionsplan für Finanzdienstleistungen bislang mehr als zwei
Drittel der Maßnahmen zur Integration der europäischen
Finanzmärkte abgearbeitet werden. Auch mit der Umsetzung in nationales Recht liegen wir sehr gut im Zeitplan:
Wir haben die Hälfte der Vorhaben hierzu im deutschen
Recht implementiert; der Rest ist in Bearbeitung.
Die europäischen Finanzmärkte zählen zu den führenden und leistungsfähigsten der Welt, auch wenn die
rechtliche und tatsächliche Integration noch Divergenzen zeigt. Noch immer kann sich kaum ein Bürger
vorstellen, eine nicht deutsche Lebens-, Unfall- oder
Haftpflichtversicherung abzuschließen oder für seine
Baufinanzierung ein ausländisches Produkt auszuwählen. Es wird unsere Aufgabe sein, diese Lücke durch
Förderung von Transparenz zu schließen.
Wir müssen den Implementierungsprozess vorantreiben, weitere Hemmnisse beseitigen, gesetzliche Regelungen vereinfachen und dabei den Anlegerschutz stärken. Die deutsche Finanzwirtschaft hat aufgrund der
Größe der nationalen Volkswirtschaft, der modernen
technischen Infrastruktur und der gut ausgebildeten Mitarbeiter beste Voraussetzungen, um neue Standards in
Europa entscheidend mitzubestimmen.
Der Finanzmarkt ist ein Schlüsselfaktor für Wachstum und Arbeitsplätze unserer Volkswirtschaft. Trotzdem besitzt Deutschland vor allem im Bereich der
Finanzdienstleistungen noch Wachstumspotenzial: Das
durchschnittliche Finanzvermögen pro Haushalt beträgt
bei uns 37 000 Euro, während es in den Niederlanden
bei 67 000 Euro und in Großbritannien bei 93 000 Euro
liegt.
({1})
Angesichts der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und der dadurch bedingten voraussichtlich zurückgehenden Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungssysteme wird auch hier eine höhere individuelle
Sparleistung nötig werden.
Bedarf besteht ebenso für die Unternehmen, die den
Wandel vollziehen müssen, weg vom klassischen Bankkredit hin zu einer stärker kapitalmarktorientierten Unternehmensfinanzierung. Die Marktkapitalisierung ist in
Deutschland bei weitem nicht so fortgeschritten wie in
anderen europäischen Ländern. Mit derzeit lediglich
39 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen wir zum
Beispiel weit hinter Spanien mit 76 Prozent.
Bei all unseren Bemühungen müssen wir stets auch
die Interessen des einzelnen Bürgers im Auge behalten.
Quasi jeder von uns ist vom Finanzmarkt betroffen, sei
es als Arbeitnehmer, Aktionär, Bankkunde oder Versicherungsnehmer, sei es beim Aufbau von Vermögen für
Investitionen oder die Altersvorsorge. Gemessen an der
Bedeutung der Märkte für den einzelnen Bürger müssen
wir ein hohes Verbraucherschutzniveau anstreben - ein
Aspekt, den keine Fraktion unterschätzen sollte, da nur
die Sicherheit aller Marktteilnehmer zur Stabilität des
gesamten Finanzwesens führt.
Aus diesem Grund müssen wir auch darauf hinwirken, europaweit einheitliche Aufsichtsstrukturen zu
schaffen. Das heißt nicht unbedingt eine singuläre Aufsichtsbehörde; wichtiger sind harmonisierte, zusammenwirkende Aufsichtsstrukturen, wie wir sie bei den Finanzkonglomeraten durchgesetzt haben.
Vor dem Hintergrund eines Anspruchs auf Sicherheit
und Transparenz, dessen hohen Stellenwert die Diskussionen der letzten Wochen deutlich gemacht haben, ist
für uns die Regulierung von Hedgefonds ein wichtiges
Anliegen. Mit dem Investmentmodernisierungsgesetz
haben wir Regelungen geschaffen, die wegweisend für
eine europäische Regulierung sind. Wir müssen gerade
angesichts der jüngsten Ereignisse und dem Finanzvolumen, das Hedgefonds zwischenzeitlich verwalten, darauf
achten, dass für diese Fonds eine gemeinsame europäische Regulierung aufgebaut wird, und zwar im Einklang
mit effizienten Entwicklungsmöglichkeiten für den Kapitalmarkt und den Anlegerschutz.
Danke schön.
({2})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Volker Wissing
für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass Rot-Grün heute den Antrag zu den europäischen
Finanzmärkten gegen die Stimmen der Opposition in
den Deutschen Bundestag einbringt, sagt viel über den
Zustand der Regierungskoalition aus.
({0})
Seit Beginn der Kapitalismusdebatte wird der finanzpolitische Sachverstand von Rot-Grün immer mehr zurückgedrängt. Ich darf daran erinnern: Wir hatten ein abgestimmtes Papier.
({1})
Alle Fraktionen im Finanzausschuss waren sich einig,
bis Ihre Verbraucherschützer über das Papier hergefallen
sind.
({2})
Es ist doch geradezu bezeichnend, dass das Leitbild
eines mündigen Verbrauchers, der sich selbstständig
informieren und eigenverantwortlich entscheiden kann,
in Ihrem Antrag nicht mehr vorkommt. Das Leitbild von
SPD und Grünen ist doch offenbar nicht der mündige
Verbraucher, sondern der von Rot-Grün bevormundete
Verbraucher. Rot-grüner Verbraucherschutz gaukelt den
Menschen eine Sicherheit vor, die es auf den Finanzmärkten nicht gibt. Ihr Verbraucherschutz ist kontraproduktiv.
Sie haben den Hinweis gestrichen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger selbstständig informieren und eigenverantwortlich entscheiden müssen. Ich frage mich:
Was haben Sie eigentlich für ein Bild von den Menschen
in unserem Land?
({3})
Kein staatliches Handeln kann Eigenverantwortung und
mündige Entscheidungen der Bürgerinnen und Bürger
ersetzen.
({4})
Ich frage mich, wie lange es noch dauert, bis sich diese
Erkenntnis bei Ihnen endlich durchsetzt.
Für die FDP steht Verbraucherschutz - wie bei
Ihnen - im Vordergrund. Aber er besteht für uns nicht
darin, gebetsmühlenartig das Wort Verbraucherschutz zu
wiederholen und in Anträge zu schreiben. Wer für die
Verbraucher etwas tun möchte, muss sie offensiv informieren und auf Gefahren hinweisen.
Auch an anderer Stelle sind Ihre Änderungen bemerkenswert. Es war unter den Finanzpolitikern aller Fraktionen Konsens, dass Konsolidierungsprozesse auf den
Finanzmärkten - Herr Kollege Dautzenberg hat das
Thema schon angesprochen - eine Voraussetzung für
Wachstum und neue Arbeitsplätze sind. Wir waren uns
auch einig, dass diese Prozesse von der Politik nicht behindert werden sollten. Auch diesen Satz kann ich in Ihrem Antrag nicht mehr finden.
Was soll denn das für ein Signal sein? Planen Sie Interventionen à la Holzmann auf den europäischen Finanzmärkten? Wir sind gespannt, wie Sie Konsolidierungsprozesse in diesem Bereich aufhalten wollen. Mit
einem neuen Staatsinterventionismus werden Sie keine
Arbeitsplätze schaffen. Wachstum erreicht man mit dem
Markt und nicht gegen den Markt.
({5})
Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von RotGrün, mag zwar zu der Heuschreckenrhetorik passen,
die Sie in die politische Debatte gebracht haben. Er ist
aber kein mutiger Schritt nach vorne. Er ist ein Schritt
zurück. Er ist kein Schritt hin zu einem wettbewerbsfähigen Finanzplatz Europa. Deswegen haben nicht Sie,
Herr Kollege Krüger, die Magna Charta eingebracht,
sondern die CDU/CSU und die FDP.
({6})
Ihr Antrag ist Ausdruck rot-grünen Bedenkenträgertums.
({7})
- Wir haben die Menschen nicht vergessen.
({8})
Sie haben vergessen, dass die Menschen mündige Bürger sind und nicht von Ihnen bevormundet werden wollen.
Unser Antrag ist besser. Wir haben die Nase vorn.
({9})
Zum Schluss dieser Debatte erhält das Wort die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anträge der Opposition und der Koalition stimmen in weiten Teilen überein; das ist richtig. An einigen Punkten
gehen die Forderungen an den europäischen Finanzmarkt jedoch deutlich auseinander.
({0})
Wir wollen im Gegensatz zur Opposition auf EUEbene ein hohes Verbraucherschutzniveau schaffen.
({1})
Wir werden auf keinen Fall zulassen, dass gute Standards in Deutschland dem Ziel eines gemeinsamen
Finanzmarktes geopfert werden.
({2})
Warum ist eine gute Verbraucherpolitik in Europa
wichtig?
Erstens. Verbraucherschutz fördert den Wettbewerb.
Er macht die Vorgänge auf dem Markt transparent und
verständlicher. Unseriöse Anbieter haben dann deutlich
geringere Chancen.
Zweitens. Von einem gemeinsamen Finanzmarkt für
die Menschen in Europa sind wir noch weit entfernt.
Grenzüberschreitende Angebote werden nur zögerlich
wahrgenommen. Warum? Es fehlt das Vertrauen. Wenn
sich die Menschen darauf verlassen können, dass überall
in der EU das gleiche hohe Verbraucherschutzniveau
gilt, wird sich das Vertrauen in den gesamten Binnenmarkt zum Nutzen aller entwickeln.
EU-weite Finanzdienstleistungen sind deshalb bei uns
Verbraucherschutzpolitikerinnen und -politiker in den
Fokus gerückt. Wir haben wichtige Pflöcke eingeschlagen, um Transparenz, Vergleichbarkeit und Informationsmöglichkeiten für Verbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern. Ich nenne als Beispiele die
Richtlinien zum Fernabsatz von Finanz- und Wertpapierdienstleistungen.
({3})
Hier wurden klare Verfahrensregeln und Informationspflichten europaweit eingeführt. Diesen Weg werden wir
weiterverfolgen.
Zum Thema Hedgefonds. Bundeskanzler Gerhard
Schröder und Franz Müntefering haben es deutlich gemacht: Mächtige Spekulanten gefährden unsere soziale
Marktordnung.
({4})
Hedgefonds spielen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Über ihre Sonderrechte können sie mit wenig
Eigenkapital große Summen an Fremdkapital bewegen.
Weltweit verwalten mehr als 8 000 Hedgefonds etwa
1 Billion Dollar. Die Kapitalmenge von Hedgefonds
nimmt schnell Größenordnungen an, mit denen die
Fonds den gesamten Finanzmarkt beeinflussen und Unternehmen durch Aktienkäufe unterwandern können.
Das passiert auch. Ich nenne ein Beispiel: Hedgefonds und andere Spekulanten haben sich in das deutsche Industrieunternehmen IWKA, ein gesundes Unternehmen mit rund 15 Prozent Kapitalrendite, eingekauft
und den Vorstand zum Rücktritt gezwungen.
({5})
Geplant ist nun eine weitreichende Zerschlagung der
Unternehmensstruktur, und dies, obwohl das Unternehmen Gewinn gemacht hat. Was dies für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet, kann man sich sehr lebhaft vorstellen.
Die große Gefahr ist die Intransparenz, mit der sich
die Fonds auf dem Markt bewegen. Deshalb ist es richtig, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder die Offenlegungspflichten für Hedgefonds europaweit und international verschärfen will.
({6})
Konkret heißt dies, dass Meldepflichten bei der Aktienleihe und beim Erwerb wesentlicher Beteiligungen an
Aktienunternehmen eingeführt werden sollen. Wir unterstützen dies mit unserem Antrag.
In den USA, dem Land des „ungezügelten Kapitalismus“,
({7})
ist man da übrigens schon ein Stück weiter. Dort gibt es
diese Meldepflichten bereits. Bei Hedgefonds sind also
nicht die USA, sondern ist die EU der unregulierte
Markt. Das, meine Damen und Herren, muss sich
schnellstens ändern - im Interesse europäischer Unternehmen, europäischer Arbeitsplätze und des europäischen Finanzmarktes. Deshalb haben wir unseren Antrag
eingebracht. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben die Chance, unserem Antrag zuzustimmen. Tun Sie es doch einfach! Tun Sie etwas für den Finanzplatz in Europa!
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Jetzt können wir
einmal sehen, wer welchen Empfehlungen zum Abstimmungsverhalten folgt.
Zusatzpunkt 3 a: Wir stimmen zunächst ab über den
Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 15/5679 mit dem Titel
„Europäische Finanzmärkte - Integration durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen“. Wer stimmt für diesen
Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der
Stimme? - Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der
Antrag angenommen.
Zusatzpunkt 3 b: Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 15/5677 mit dem Titel „Europäische Finanzmärkte - Integration durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer enthält sich? - Wer stimmt dagegen? - Der Antrag ist
abgelehnt.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 4 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung
der nachhaltigen Finanzierung der Versorgung sowie zur Änderung dienstrechtlicher
Vorschriften ({0})
- Drucksache 15/5672 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Hierzu war eine halbstündige Debatte vorgesehen.
Die Kolleginnen und Kollegen Siegmund Ehrmann,
Clemens Binninger, Hannelore Roedel, Silke Stokar von
Neuforn und Dr. Max Stadler sowie für die Bundesregie-
rung der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf
Körper geben ihre Reden zu Protokoll.1)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/5672 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an den
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor-
schläge? Dies ist eine der letzten Gelegenheiten, Streit
anzufangen. - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.
1) Anlage 15
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. Juni, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen allen und auch den Gästen auf der
Besuchertribüne noch einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.