Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 15/413, 15/419 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10 der
Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage des
Kollegen Eckart von Klaeden auf Drucksache 15/419 auf:
Geht die Berichterstattung des Nachrichtenmagazins „Der
Spiegel“ vom 10. Februar 2003 über einen „Alternativ-Plan der
Franzosen und Deutschen“ auf Informationen aus der Bundesregierung zurück, und wenn ja, von wem stammen diese Informationen?
Zur Beantwortung dieser Frage steht der Staatsminister Rolf Schwanitz zur Verfügung.
Herr von Klaeden, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Ziel der Bundesregierung ist es, alle Möglichkeiten zu
einer friedlichen Lösung der Irakproblematik zu nutzen.
Der Bundeskanzler wird morgen in seiner Regierungserklärung die Haltung der Bundesregierung und ihr Vorgehen erläutern.
Gemeinsam mit Frankreich und Russland sind wir der
Auffassung, dass die vom Sicherheitsrat einstimmig verabschiedete Resolution 1441 einen Rahmen bietet, dessen
Möglichkeiten noch nicht voll und ganz ausgeschöpft
sind. Wie der Regierungssprecher bereits am Montag
erläuterte, gibt es gemeinsame Überlegungen zwischen
Deutschland und Frankreich, die darauf zielen, das Inspektionsteam unter Leitung von Herrn Blix und Herrn
al-Baradei zu stärken. Erste Vorschläge dazu hat der französische Außenminister de Villepin in der Sicherheitsratssitzung am 5. Februar vorgetragen. Diese wurden vor
dem Hintergrund einer engen Abstimmung zwischen
Deutschland und Frankreich vom deutschen Außenminister Joschka Fischer unterstützt.
Weder ist es Aufgabe der Bundesregierung noch liegt
es im Rahmen ihrer Möglichkeiten, die Frage zu beantworten, auf welche Quellen sich die Berichterstattung in
den Medien im Einzelnen stützt.
Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Herr Staatsminister, ist es zutreffend, dass sich der
Bundeskanzler am Donnerstagabend letzter Woche, also
zwei Tage vor der Sicherheitskonferenz in München, mit
Redakteuren des „Spiegel“ im Kanzleramt getroffen hat
und ihnen dabei seine Vorstellungen zu den von Ihnen erwähnten möglichen Initiativen Deutschlands und Frankreichs erläutert hat?
Herr von Klaeden, der Bundeskanzler trifft sich regelmäßig mit Journalisten. Darunter sind auch Journalisten
des „Spiegel“.
({0})
Herr Staatsminister, ist es zutreffend, dass Außenminister Joseph Fischer und Verteidigungsminister Peter
Struck, die beide an der Sicherheitskonferenz in München
teilgenommen haben, nicht über dieses Gespräch und seinen Inhalt informiert waren?
Herr von Klaeden, das kann ich nicht bestätigen. Es findet zwischen den Ressorts wie auch im Kabinett eine enge
Abstimmung statt. Diese ist gerade in der Irakfrage sehr intensiv und findet mitunter sogar mehrmals täglich statt.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.
Herr Staatsminister, war dieser Plan - man hat von einem Geheimplan gesprochen - so geheim, dass Bundesaußenminister Joseph Fischer wie auch Verteidigungsminister Peter Struck nichts davon wussten? Sie haben von
einer Abstimmung zwischen den Ressorts gesprochen.
Stimmt es, dass man sich dabei am Telefon zum Teil sehr
lautstark äußert?
Herr Koppelin, es kann nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, Äußerungen und Mutmaßungen in Zeitungen zu bewerten oder zu kommentieren.
Ich will noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen
- auch der Regierungssprecher hat dies getan -, dass es
gemeinsame Überlegungen zwischen Deutschland und
Frankreich auf der Grundlage einer gemeinsamen Einschätzung der Situation im Irak gibt. Dies wird von allen
Mitgliedern des Bundeskabinetts mitgetragen.
Die nächste Zusatzfrage hat der Kollege von und zu
Guttenberg.
Herr Staatsminister, wann, in welcher Form und auf
welcher Ebene hat die Kommunikation mit Frankreich
vor, während und nach der Sicherheitskonferenz stattgefunden?
Herr Kollege, wir stehen insbesondere mit Frankreich
in ständigem Kontakt, also nicht nur vor, während oder
nach der Konferenz. Wir haben die feste Absicht - dies ist
insbesondere durch die Vorschläge, die der französische
Außenminister in der Sitzung des Sicherheitsrates am
5. Februar eingebracht hat, und die Unterstützung, die der
deutsche Außenminister dort kundgetan hat, deutlich geworden -, im Interesse einer friedlichen Lösung des Irakkonflikts weiterhin gemeinsam vorzugehen. Dabei haben
wir das Ziel, im Sicherheitsrat, aber auch darüber hinaus,
eine möglichst große Zustimmung für diese Überlegungen zu finden.
Kollege Grindel.
Herr Staatsminister, bezüglich der Frage des Kollegen
von Klaeden, die sich nicht allgemein auf die Pressearbeit
des Bundeskanzlers bezogen hat, frage ich konkret nach,
ob Sie bereit sind, zu bestätigen, dass es am Donnerstag
ein Gespräch des Bundeskanzlers mit mehreren Redakteuren des „Spiegel“ im Kanzleramt gegeben hat.
Es hat am Donnerstag mehrere Kontakte zu Journalisten gegeben. Darunter befanden sich auch Journalisten
des „Spiegel“.
({0})
Herr Kollege Fischer.
Ich frage Sie: Ist die Berichterstattung des „Tagesspiegel“ von gestern falsch, nach der in dem Gespräch mit den
„Spiegel“-Redakteuren am Donnerstagabend die Frage
der Blauhelmeinsätze das erste Mal erörtert worden ist,
und ist es richtig, dass Herr Struck in München erklärt hat,
er habe dies erst aus der Vorabveröffentlichung des „Spiegel“ erfahren?
Herr Abgeordneter, Hintergrundgespräche und das,
was einzelne Zeitungen in ihrer journalistischen Freiheit
interpretieren bzw. berichten, können nicht Gegenstand
der Berichterstattung der Bundesregierung sein.
Ich frage nach. - Sie haben Recht, es ist nicht zulässig,
eine zweite Frage zu stellen.
Nach den Regelungen der Fragestunde ist eine weitere
Zusatzfrage - außer durch den Fragesteller - nicht möglich.
Es liegen keine weiteren Fragen zu dieser Dringlichkeitsfrage vor, sodass ich die Befragung der Bundesregierung zu diesem Punkt abschließe.
Der Kollege von Klaeden möchte einen Geschäftsordnungsantrag stellen.
Herr Präsident, im Namen meiner Fraktion stelle ich
den Antrag, wegen der unbefriedigenden und ausweichenden Beantwortung der Frage durch die Bundesregierung im Anschluss an die Fragestunde eine Aktuelle
Stunde dazu abzuhalten.
Nach den Richtlinien für die Aktuelle Stunde - in diesem Fall geht es um Ziffer 1 b - ist eine sich aus der Fragestunde entwickelnde Aktuelle Stunde unmittelbar im
Anschluss an die Fragestunde durchzuführen. Dies hat zur
Folge, dass die für heute angemeldete Aktuelle Stunde zu
einem anderen Thema nicht stattfinden wird.
Ich rufe nun die Fragen entsprechend der Ihnen bekannt gemachten Reihenfolge auf. Wir kommen zunächst
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Frage 1 des Kollegen Dietrich Austermann wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Marieluise Beck zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Reinhard Grindel
auf:
Treffen die Feststellungen eines Gutachtens der FriedrichEbert-Stiftung zu den bisherigen Wirkungen der Programme der
Bundesregierung gegen Rechtsextremismus - Xenos, Entimon
und Civitas - zu, wonach die Sonderzuwendungen vor allem in
den neuen Ländern für „normale“ Jugendarbeit verwendet werden, für welche die zuständigen Kommunen keine Finanzmittel
mehr ausgeben können - „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom
2. Januar 2003 -, und wenn ja, wie will die Bundesregierung dafür
sorgen, dass die Mittel aus den entsprechenden Programmen künftig zielgerichteter eingesetzt werden?
Gestatten Sie mir vorab eine Bemerkung, weil zu diesem
Komplex eine große Vielzahl von Fragen vorliegt: In der
von der Friedrich-Ebert-Stiftung finanzierten Studie wird
das Aktionsprogramm ausdrücklich begrüßt. Ich zitiere aus
einer Stellungnahme des Autors, die mir vorliegt:
Ziel war und ist es, zur Verbesserung und Verstetigung der Programme beizutragen. Nachdem ein
Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am
2. Januar 2003 dies vorgemacht hat, werden von
interessierter Seite selektiv einige kritische Anmerkungen aufgegriffen, um generelle Zweifel am Nutzen solcher Programme zu streuen. Dies widerspricht den Intentionen der Expertise.
Zu Ihrer Frage: Das Aktionsprogramm, das aus den
drei Teilen Entimon, Civitas und Xenos besteht, zielt auf
die Stärkung der Zivilgesellschaft zur Bekämpfung und
Prävention von rechtsextremistischem, fremdenfeindlichem und antisemitischem Gedankengut. Hauptzielgruppe sind junge Menschen, aber auch Eltern, Erzieher,
Lehrer und andere Multiplikatoren; denn über diese Zielgruppe können langfristig wirkende Einstellungsveränderungen am besten erreicht werden.
Mit dem Aktionsprogramm will die Bundesregierung
im Rahmen ihrer Anregungsfunktion Zeichen setzen.
Dies ist nach Einschätzung der Bundesregierung sichtbar
gelungen. Damit unterscheidet sich diese Zielsetzung von
„normaler“ Jugendarbeit. Sie soll „normale“ Jugendarbeit
nicht ersetzen.
Zusatzfrage des Kollegen Grindel.
Frau Staatssekretärin, die Studie besagt, dass nach den
Erkenntnissen der Wissenschaftler die Sonderzuwendungen vor allem in den neuen Ländern für Projekte der „normalen“ Jugendarbeit verwendet worden sind. Deswegen
möchte ich Sie fragen, wie viele neue Projekte angestoßen
worden sind, die mit einer gewissen Dauerhaftigkeit laufen.
Eine Vielzahl von Projekten läuft in der Regel länger
als ein Jahr. Das ist auch so gewollt; denn der Aspekt der
Nachhaltigkeit steht dabei im Vordergrund. Eine Aufschlüsselung, welche Projekte wann gestartet worden
sind, möchte ich Ihnen schriftlich nachreichen.
Noch einmal: Es ist nicht Sinn des Aktionsprogramms,
„normale“ Jugendarbeit zu ersetzen. Ich möchte hier allerdings ein Problem sehr deutlich benennen. Die Tatsache, dass von den Ländern die Mittel für die allgemeine
Jugendarbeit deutlich zusammengestrichen werden, führt
zumindest bei den Trägern zu der Versuchung, nunmehr
aus anderen Projekten Mittel zu akquirieren. Aber die
Leitvorstellungen und Zielsetzungen der Programme begrenzen diese Möglichkeit eindeutig.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ist dann nach Ihrer Einschätzung
die Feststellung von Herrn Roth falsch, dass es sich im
Wesentlichen um Symbolpolitik handele, da viele Projekte wegen der auch von Ihnen angesprochenen schwierigen Finanzlage der Kommunen gerade in den neuen
Ländern gestrichen werden, weil sie diese nicht mehr kofinanzieren können?
Es handelt sich bei diesen Modellprojekten - das kann
man dem Begriff schon entnehmen - um Modelle. Es ist
keine Förderung der Bundesregierung mit einer Dauer
von fünf, zehn oder 15 Jahren. Das läge auch nicht in der
Kompetenz des Bundes.
In dem Modell ist eine Anschubphase vorgesehen. Es
wird sich zeigen, ob es vor Ort Träger gibt, zum Beispiel
Kommunen, Kirchen, Unternehmen oder Einzelpersonen,
die bereit sind, diese Modelle in ihre Obhut zu nehmen
und damit zu einer Verankerung beizutragen. Wir haben
die Erfahrung gemacht, dass bei einigen Programmen
50 Prozent dieser Projekte dauerhaft übernommen wurden. Bei anderen Programmen gelingt das nicht.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Dümpe-Krüger.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Frau Staatssekretärin, die CDU/CSU unterstellt, in den
neuen Ländern würden Sonderzuwendungen aus dem
Programm „Jugend für Toleranz und Demokratie“ für die
„normale“ Jugendarbeit umgewidmet. Wenn das wirklich
der Fall wäre, müsste dann nicht dringend die Jugendarbeit finanziell besser ausgestattet werden, statt hier die
Idee zu verfolgen, Programme zu streichen?
Ich habe eben schon auf das Problem hingewiesen,
dass angesichts leerer Kassen in Gemeinden und Ländern
die Jugendarbeit sehr geblutet hat - davon war vor allem
die so genannte normale Jugendarbeit betroffen - und
dass es deswegen aus einer Not heraus bei Trägern und
Verbänden die Überlegung gibt, möglicherweise woanders - in diesem Fall beim Bund - Mittel zu akquirieren.
Aber da die Programme in ihrer Zielsetzung sehr genau
umrissen sind, ist dieser Weg verschlossen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie die Studie richtig gelesen haben, werden Sie wie auch die Fragesteller bei der
Frage, ob die Mittel in die allgemeine Jugendarbeit
fließen, die Möglichkeit erkannt haben, dass auch die allgemeine Jugendarbeit mit der Zielsetzung der Programme
in Verbindung gebracht wird. Stimmen Sie mir also zu,
dass die Jugendarbeit in den neuen Ländern auch dadurch
erfolgen kann, dass die Zielsetzungen von Entimon, Xenos
und Civitas übernommen werden, und dass es sich dabei
um etwas Sinnvolles handelt?
Wenn Sie es in dieser Weise und mit dieser Zielsetzung formulieren, ist das richtig. Es sind auch Mittel
an große Träger geflossen. Wenn allgemeine Träger der
Jugendarbeit Projekte durchführen, mit denen sie zum
Beispiel im Sinne von politischer Bildungsarbeit einen
Ansatz verfolgen, mit dem ein demokratisches Gesellschaftsbild gegen Gewalt, Aggression und Fremdenfeindlichkeit erzeugt werden soll, dann sind auch sie berechtigt, an diesen Programmen teilzunehmen. Das ist
sogar gewünscht.
({0})
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Grindel auf:
Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um
sicherzustellen, dass von den Programmen gegen Rechtsextremismus künftig auch Haupt- und Realschüler erreicht werden, die
nach den Ergebnissen des Gutachtens der Friedrich-Ebert-Stiftung als besonders anfällig für Fremdenfeindlichkeit und Extremismus gelten?
Nach den Leitlinien von Entimon, Civitas und Xenos
gehören Haupt- und Berufsschülerinnen und -schüler zu
der Zielgruppe der Programme; denn aus Untersuchungen
ist bekannt, dass es in dieser Gruppe eine besondere Anfälligkeit für Rechtsextremismus gibt.
Zu Entimon ist festzuhalten: Im Rahmen der statistischen Auswertung durch die wissenschaftliche Begleitung
des Programms wurde festgestellt, dass im Vergleich zum
Jahr 2001 im Jahr 2002 die gewünschte Zielgruppe der
Haupt- und Berufsschülerinnen und -schüler überdurchschnittlich stark angesprochen wurde. So wurden in 64 Prozent der Projekte Hauptschülerinnen und -schüler und in
46 Prozent der Projekte Realschülerinnen und und -schüler
erreicht. Insofern konnte mit diesem Programm dem Problem der politischen Bildung, dass von ihr zu wenig Hauptund Realschülerinnen und -schüler erreicht werden, entgegengewirkt werden. Auch in Zukunft wird bei der Förderung der Fokus auf Projekten liegen, die sich an Haupt-,
Real- und Berufsschülerinnen und -schüler wenden.
Lassen Sie mich noch etwas zum Programm Civitas
ausführen. Das Programm Civitas ist nicht vorrangig auf
die Kinder- und Jugendarbeit ausgerichtet, sondern auf
alle Altersgruppen der Gesellschaft, weil Fremdenfeindlichkeit und undemokratische Einstellungen bekanntlich
nicht nur bei jungen Menschen, sondern durchaus in allen
Altersgruppen vertreten sind. Die spezifischen Ausprägungen und das Ausmaß von Rechtsextremismus und
Fremdenfeindlichkeit im Osten Deutschlands verlangten
ein Sonderprogramm in den neuen Bundesländern.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Grindel.
Frau Staatssekretärin, wie stellen Sie sicher - zum Beispiel durch wissenschaftliche Begleitung oder andere
Maßnahmen -, dass gerade gewaltbereite Jugendliche mit
diesem Programm erreicht werden? In der Studie ist
schließlich kritisiert worden, dass das nicht der Fall ist.
Herr Grindel, es ist im Bereich der politischen Bildung
natürlich eine große Herausforderung, ganz zielgerichtet
die Menschen zu erreichen, die man erreichen möchte. Es
hat vonseiten der Regierung Kohl in den Jahren 1992 bis
1994 ein ähnliches Projekt namens AgAG, Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt, gegeben. Zu der
Zeit hat man sich sehr zielgenau auf die Jugendlichen mit
rechtsgerichteter und gewaltorientierter Gesinnung konzentriert. In der Auswirkung hat das durchaus zu großen
kritischen Unsicherheiten geführt, weil man das Gefühl
hatte, dadurch würden im Rahmen der Jugendarbeit die
aggressiven Jugendlichen gestärkt, vielleicht sogar „belohnt“, und auf die anderen werde der Fokus nicht gelenkt. Deswegen orientieren sich die neuen Programme
stärker an einer breiteren Zielsetzung allgemeinen zivilgesellschaftlichen Denkens und Handelns.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Grindel.
Frau Staatssekretärin, stellen Sie damit nicht jede Form
aufsuchender Jugendarbeit infrage? Wo immer problembeladene oder besonders gefährdete Jugendliche speziell
von Jugendsozialarbeit angesprochen werden, handelt es
sich um eine besonders betroffene Gruppe, sodass Ihr Argument im Grunde den völligen Verzicht aufsuchender
Jugendarbeit bedeuten würde, weil man sagt, damit würde
eine Auffälligkeit belohnt. Das geht weit über den Bereich
rechtsextremistischer oder gewaltbereiter Jugendlicher
hinaus.
Herr Grindel, ich bin weit davon entfernt, dass wir in
diesem schwierigen Bereich von politischer Bildung und
allgemeiner Pädagogik und bei der Beantwortung der
Frage, wie wir demokratische und zivile Grundhaltungen
bei jungen Menschen schaffen, den einen Ansatz gegen
den anderen ausspielen. Ich habe engen Kontakt gehabt zu
Projekten im Rahmen dieser akzeptierenden Jugendarbeit
und ich finde, dass es da auch sehr viel Gutes gegeben hat.
Trotzdem besteht die Gefahr, dass der Bereich der
Freundlichen, der Angepassten, der Stilleren aus den Augen verloren wird, und deswegen hat es hier eine Umsteuerung in Richtung allgemeines zivilgesellschaftliches
Denken gegeben. Das bedeutet aber nicht, dass damit der
Ansatz der akzeptierenden Jugendarbeit gänzlich beiseite
geschoben werden sollte.
Frau Griese.
Frau Staatssekretärin, wie beurteilen Sie die Einschätzung der Studie, um die es hier geht, in der deutlich gesagt wird, dass im Vergleich zum früheren
AgAG-Programm „deutliche Vorzüge“ in den jetzt vom
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend geförderten Programmen liegen, da die Kritik
am AgAG-Programm genau die war, dass immer dann,
wenn irgendwo ein rechtsextremer Anschlag verübt
wurde, Geld dorthin gegeben wurde und eben keine
nachhaltige zivilgesellschaftliche Arbeit gemacht wurde, und - wenn ich einen zweiten Teil der Frage mit
„und“ anfügen darf - wie beurteilen Sie die Problematik, dass uns von Trägern aus ostdeutschen Städten, zum
Beispiel in Sachsen-Anhalt, Nachrichten erreichen, dass
mit dem Wechsel der Landesregierung sinnvolle Projekte, die vor Ort zivilgesellschaftliches Engagement
gefördert haben, jetzt auslaufen müssen und nicht mehr
finanziert werden, weil Kommune und Land, in diesem
Fall das Land Sachsen-Anhalt, die Projekte nicht mehr
unterstützen?
({0})
Ihre Frage knüpft an die Frage des Kollegen Grindel
an. Es darf keine Belohnung für auffälliges Verhalten geben. Das ist der prekäre Punkt, wenn wir über akzeptierende Jugendarbeit sprechen, obwohl natürlich der Ansatz
vernünftig ist zu sagen: Wir richten uns an und wir kümmern uns um diejenigen, die gefährdet sind, in diese
Milieus abzugleiten. Die Zielgruppe rechtsextremistisch
gefährdeter Jugendlicher ist durchaus auch in den Leitlinien benannt. Trotzdem ist es richtig, nicht allein dieser
Belohnungsidee zu folgen, sondern jungen Menschen
auch Räume und Möglichkeiten der Vernetzung mit einem zivilgesellschaftlichen und demokratischen Grundgefühl zu bieten, die eigentlich die Hefe für unsere Gesellschaft sein müssen.
Sie haben außerdem den Rückzug aus der Finanzierung von Landesprogrammen angesprochen. Ich habe mit
großem Bedauern zur Kenntnis genommen, dass dem
Verein „Miteinander“ in Sachsen-Anhalt, der mit 20 verteilten Anlaufstellen vor allen Dingen in der Fläche eine
sehr gute, auf Langfristigkeit angelegte Arbeit geleistet
hat, nun durch die Entscheidung der dortigen Landesregierung die Finanzbasis entzogen wird und deshalb ein
auf Langfristigkeit angelegtes Instrument nunmehr aufhört zu existieren.
Wir kommen zur Frage 4 des Kollegen Martin
Hohmann:
Inwieweit schließt sich die Bundesregierung dem Gutachten
- Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen
Rechts - an, das bei der Vergabe von Bundesmitteln für Maßnahmen gegen Rechtsextremismus - Johannes Leithäuser: „Viel Geld
mit wenig Wirkung“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“
vom 2. Januar 2003 - diese verstärkt in „Problemgebieten“ Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen
Rechts, Seite 10 - eingesetzt sieht, und um welche Gebiete in der
Bundesrepublik Deutschland handelt es sich dabei?
Die von Ihnen zitierte Aussage aus der genannten Studie bezieht sich auf einen besonderen Teil des im Jahre
2001 im Rahmen des Kinder- und Jugendplans des Bundes durchgeführten Programms „Maßnahmen gegen
Gewalt und Rechtsextremismus“. Das ist der Vorläufer
des Programms Entimon. Im Auftrag des BMFSFJ wurden damals alle Jugendämter, in deren Zuständigkeitsbereich sich ein Fördergebiet aus der Bund-Länder-Vereinbarung „Die soziale Stadt“ befindet, angeschrieben und
über die Möglichkeit zum Erstellen von lokalen Aktionsplänen für Toleranz und Demokratie informiert.
Ziel der Förderung war, auf die Entwicklung von Demokratie, Toleranz und Fremdenfreundlichkeit ausgerichtete Handlungskonzepte in und für soziale Brennpunkte
zu implementieren. In Kooperation mit öffentlichen und
freien Trägern der Jugendhilfe, Quartiersmanagement, lokalen Initiativen und vielen engagierten lokalen Akteuren
entstanden somit regionale Handlungskonzepte in 59 von
insgesamt 230 Gebieten aus dem Programm „Die soziale
Stadt“. In 40 Gebieten in den alten Bundesländern und
Berlin ({0}) sowie in 19 Gebieten in den neuen Bundesländern wurden die Konzepte von den Jugendämtern
durchgeführt.
Nach Einschätzung des BMFSFJ entstanden mit den
lokalen Aktionsplänen nachhaltige Finanzierungskonzepte für integriertes Handeln in den sozialen Brennpunkten. Darüber hinaus wurden mit den lokalen
Aktionsplänen Strategien zur Führung eines öffentlichen
Diskurses zu Toleranz und Demokratie entwickelt und in
Aktionen und Maßnahmen mit örtlicher Breitenwirkung
umgesetzt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hohmann.
Verehrte Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade eine
sehr allgemeine Darstellung gegeben. Mich interessiert:
Gab es eine so starke Massierung, dass man von örtlich
genau umgrenzten Problemgebieten sprechen kann? Ich
hätte gern, dass Sie das nicht von der allgemeinen Seite
her beleuchten, sondern die einzelnen örtlichen Bereiche
ansprechen.
Herr Kollege Hohmann, ich habe Ihnen zunächst einmal dargestellt - danach hatten Sie auch gefragt -, wie die
Gebiete ausgewählt worden sind. Grundlage für die Auswahl war, wie gesagt, das Programm „Die soziale Stadt“.
Danach wurden durch die örtlichen Träger - das waren oft
die Jugendämter - die Gebiete genannt, die als problematisch identifiziert waren.
Mir steht die genaue Auflistung zur Verfügung, aus der
hervorgeht, wo welche Programme letztlich gelaufen
sind. Ich möchte Ihnen aber ersparen, die jeweiligen Zahlen aus 16 Bundesländern vorzulesen. Ich schlage vor,
dass Ihnen das schriftlich nachgereicht wird.
Wenn ich darf, möchte ich noch einmal etwas anmerken. - Es wäre vielleicht interessant, die einzelnen
Schwerpunktbereiche darzustellen. Das muss doch möglich sein, wenn Ihnen die genauen Ortsangaben vorliegen.
Wenn das Parlament das ertragen will, bin ich gerne bereit, Ihnen vorzulesen, in welchen Bundesländern welche
Anzahl von Projekten durchgeführt wurde. Wenn Sie das
wünschen, dann mache ich das: in Bayern drei, in Berlin
({0}) fünf, in Berlin ({1}) vier, in Baden-Württemberg
eines, in Brandenburg drei, in Bremen eines, in Hamburg
drei, in Hessen sieben, in Mecklenburg-Vorpommern
fünf, in Niedersachsen vier, in Nordrhein-Westfalen
zwölf, in Rheinland-Pfalz eines, im Saarland keines, in
Sachsen zwei, in Sachsen-Anhalt zwei, in SchleswigHolstein drei und in Thüringen drei.
Frau Kollegin Beck, es haben schon andere Mitglieder
der Bundesregierung mehr Zeit in Anspruch genommen,
um keine Information zu vermitteln, als es Ihnen in kürzerer Zeit gelungen ist, Informationen zu vermitteln.
({0})
Insofern ist es schön, dass das auf diese Weise protokolliert wird.
({1})
Weitere Zusatzfragen zu diesem Punkt liegen offenkundig nicht vor.
Ich rufe Frage 5 des Kollegen Hohmann auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Befürchtungen aus dem
Gutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung - Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts, Seite 15 -,
dass angesichts der Maßnahmenfülle und der eingesetzten öffentlichen Mittel die Gefahr bestehe, dass „gegen rechts“ als Förderkriterium zum „Passepartout“ wird?
Die zitierte Passage aus der genannten Studie wird seitens der Autoren und Autorinnen selbst als Zitat aus gelegentlichen Zeitungsberichten vorgetragen und stellt keineswegs die Meinung der Autoren und Autorinnen dar.
Die von den Autoren und Autorinnen der Studie zu Recht
aufgeworfenen Fragestellungen zur Wirksamkeit von
Förderprogrammen werden nicht auf die Bundesprogramme fokussiert, sondern beziehen sich allgemein auf
die Förderung durch Bund, Länder und Kommunen. In
der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wird ausdrücklich
betont - ich zitiere -:
Positiv ist auch die große Fülle von zusätzlichen Initiativen, Projekten und Maßnahmen, die durch die
Bundesprogramme in diesem gesellschaftlichen
Problembereich ermöglicht worden sind bzw. noch
werden. Sie sind regional breit gestreut und erreichen zahlreiche lokale Initiativen und kleine Träger.
Die angesprochene Gefahr, dass die Programme zum
Passepartout für die Jugendarbeit werden, ist aus Sicht der
Bundesregierung nicht gegeben. Auch die vorliegenden
Leitlinien und Bewilligungsverfahren verhindern das.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben die Vermutung, die
sich aus dem Zitat entnehmen lässt, jetzt praktisch widerlegt. Allerdings ist in dem Gutachten auch zu lesen, dass
der Autor befürchtet, zum Teil werde - jetzt zitiere ich
wieder wörtlich - Symbolpolitik gemacht. Wie verträgt
sich das mit der von Ihnen gerade getroffenen Aussage?
Herr Hohmann, bitte geben Sie mir eine Minute Zeit
zum Blättern. - Ich habe mir die Studie am Wochenende
sehr genau angeschaut
({0})
und möchte noch einmal auf den Stellenwert der Studie
hinweisen. Diese Studie ist nicht Ergebnis eigenständiger
Erhebungen, sondern sie ist eine Auswertung von Literatur. Sie ist so vernünftig und fair, den Stellenwert der einzelnen Aussagen etwas zurückzunehmen. Ich zitiere:
Sie
- also die Studie kann aber keine eigene systematische Untersuchung
anbieten, sondern stützt sich sekundäranalytisch auf
verstreut vorhandenes Wissen und die Informationsbereitschaft von Beteiligten.
Dieses verstreut vorhandene Wissen ist zum Beispiel aus
solchen Zeitungsartikeln zusammengetragen worden.
Das ist aber keine belastbare Evaluation. Ich schlage daher vor, dass wir die Ergebnisse der wissenschaftlich angelegten Evaluation, die ja läuft, abwarten.
Jetzt rufe ich die Frage 6 des Kollegen Stephan Mayer
({0}) auf:
Wie viele Personen bekamen als Angehörige von „Teams“
- Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen
Rechts, Seite 9 - Zuwendungen aus Bundesmitteln für ihre Tätigkeit im Kampf gegen Rechtsextremismus und welche Einstellungsvoraussetzungen wurden dabei zugrunde gelegt?
Herr Abgeordneter Mayer, ich beantworte die Fragen
wie folgt:
Die Aufgabengebiete der mobilen Beratungsteams
sind in den Programmleitlinien für „Civitas“ klar umrissen. Dort sind ebenfalls die Anforderungsprofile für die
ausgewählten Träger fixiert. Die hohen Anforderungen an
die Arbeit der mobilen Beratungsteams erfordern ein besonderes Qualifikationsprofil der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dieser Projekte und eine permanente arbeitsbegleitende Fortbildung, die im Rahmen des Programms
„Civitas“ auch erfolgt.
Folgende Einstellungsvoraussetzungen sind für die
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in mobilen Beratungsteams seitens der Servicestelle „Civitas“ den Trägern vorgegeben worden: Fähigkeit zur selbstständigen Analyse
und Bewertung von kommunalen Prozessen und
Problemstellungen mit rechtsextremem Hintergrund,
fachliche Beratung der verschiedenen Akteure zivilgesellschaftlichen Engagements vor Ort, Entwicklung von
Konzepten und Strategien gegen rechtsextreme Entwicklungen und für zivilgesellschaftliches Engagement in Zusammenarbeit mit örtlichen und regionalen Trägern, Erarbeitung von Konzepten und Initiierung von Projekten mit
Akteuren und Partnern vor Ort.
Nach diesen Einstellungskriterien wurden dann in Hoheit der Träger Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausgewählt. Im Zuge der Verwendungsnachweisprüfung wird
die Einhaltung dieser Einstellungskriterien durch die Servicestelle des Programms „Civitas“ laufend überprüft.
Noch zur Zahl der geförderten Personalstellen, nach
der Sie gefragt haben. 33 Personen werden im Programmbereich „Mobile Beratungsteams“ gefördert.
Zusatzfrage, Herr Kollege Mayer.
Ist es möglich, dass dem Programmbeirat auch Frau
Anetta Kahane angehört, die wegen ihrer Stasiverstrickungen unter anderem nicht die Nachfolge von Frau
Barbara John als Ausländerbeauftragte von Berlin antreten konnte?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration:
Ich weiß, dass Frau Kahane dabei ist. Leider habe ich
den letzten Teil Ihrer Frage nicht verstanden.
Ich wiederhole meine Frage gern. Ist es möglich, dass
dem Programmbeirat Frau Anetta Kahane angehört, die
wegen ihrer Stasiverstrickungen unter anderem nicht die
Nachfolge von Frau Barbara John als Ausländerbeauftragte von Berlin antreten konnte?
({0})
Ich empfehle, dass wir jetzt, nachdem die Frage verständlich formuliert worden ist, Gelegenheit zur ordnungsgemäßen Beantwortung geben. Empörungen sind
danach immer noch möglich.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Frau Kahane ist Mitglied in diesem Beirat. Sie hat viele Jahre lang in den östlichen Bundesländern, wo es sehr viel Nachholbedarf an
demokratischen und zivilgesellschaftlichen Erfahrungen
gibt, gearbeitet. Ich kann nicht bestätigen, dass sie nicht
als Nachfolgerin von Frau John ausgewählt worden ist.
Nach meiner Kenntnis hat die Wahl der Nachfolgerin von
Frau John noch keinen Abschluss gefunden.
Nun rufe ich die Frage 7 auf, die ebenfalls der Kollege
Mayer ({0}) gestellt hat:
Wurden diese Mitarbeiter auf linksextremistische Tätigkeiten
in der Vergangenheit überprüft und, wenn ja, wäre eine linksextremistische Betätigung Ausschlusskriterium für eine Mittelzuwendung?
Wie oben bereits dargelegt, erfolgt die Einstellung der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die Träger. Anhand entsprechender Personalbögen wird die Erfüllung
der fachlichen Anforderungsprofile, die mit der entsprechenden, BAT-ähnlichen Vergütung korrelieren, durch die
Servicestelle von „Civitas“ geprüft. Das Prüfen des Vorliegens polizeilicher Führungszeugnisse ist nicht Aufgabe
der Servicestelle von „Civitas“.
Das ebenfalls oben beschriebene Anforderungsprofil
für die ausgewählten Träger beinhaltet auch, dass anhand
der veröffentlichten Angaben der Verfassungsschutzämter
von der Servicestelle von „Civitas“ geprüft wird, ob
die Träger vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Selbstverständlich wäre eine linksextreme Betätigung sowohl für die Einstellung von Personen als auch für die
Mittelzuweisung Ausschlusskriterium.
Ist es richtig, Frau Parlamentarische Staatssekretärin,
dass von den Mitarbeitern unter anderem eine Veranstaltung unter dem Titel „Beat the fascist insect“ - auf
Deutsch: Zerschlage das faschistische Insekt - abgehalten
und organisiert wurde? Allein der Titel deutet ganz klar
auf eine grundrechtsfeindliche Diffamierung hin.
Diese Veranstaltung ist mir nicht bekannt. Unser Haus
wird das gerne recherchieren.
({0})
Nun hat der Kollege Hohmann das Wort zu einer Zusatzfrage.
Verehrte Frau Staatssekretärin, ich habe dem Internet
entnommen, dass die Organisation „Beat the fascist
insect“ wohl eine Privatorganisation ist. Auf einer Internetseite, die ich mir habe ausdrucken lassen, ist eine
Küchenschabe abgebildet. Man hat dazu aufgerufen, den
Reinerlös einer Veranstaltung an die Amadeu-AntonioStiftung zu überweisen. Diese Stiftung hat wiederum unseren Bundestagspräsidenten als Schirmherrn.
Ich möchte fragen, ob das der Bundesregierung bekannt
ist und wie sie diesen Vorgang gegebenenfalls bewertet.
Mir kommen doch erhebliche Bedenken, wenn ich Revue
passieren lasse, wie zu NS-Zeiten und zu stalinistischen
Zeiten Menschen - auch hier sind ja letztendlich Menschen gemeint - mit Tieren verglichen werden. Der Film
„Der ewige Jude“ ist uns in Erinnerung. Ebenso sind uns
die „räudigen Hunde“, die vor den stalinistischen Prozessen eine Rolle gespielt haben, drohend in Erinnerung. Geht
das, was hier geschieht, vielleicht in dieselbe Richtung?
Wenn ja, was will die Bundesregierung dagegen tun?
Ich habe schon eben sehr deutlich gesagt, dass mir
diese Organisation und dieser Aufruf nicht bekannt sind.
Ich müsste mir das anschauen.
Ich will Ihnen aber sofort konzidieren, dass diese Art,
Menschen mit Tieren zu vergleichen, vollkommen unakzeptabel ist und nicht mehr in die Bandbreite von zivilgesellschaftlichem und demokratischem Verhalten fällt.
Schließlich möchte ich doch festhalten, dass die
Amadeu-Antonio-Stiftung sehr anerkannt ist und in den
östlichen Bundesländern sehr gute Arbeit geleistet hat.
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Dr. Schröder auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung bereit, die als „in Reaktion
auf eine Welle von Anschlägen, die einen rechtsextremistischen
Hintergrund vermuten ließen“ - Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland
Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts, Seite 54 - beschlossenen
Maßnahmen „gegen rechts“ im Hinblick auf die zu vermutende
bzw. teils erwiesene islamistische Urheberschaft der Anschläge
umzuwidmen?
In den letzten Jahren hat die Zahl rechtsextremistischer
Gewalttaten zugenommen. In den Jahren von 1998 bis
2000 hatte sich in dieser Folge der Trend zu einem jüngeren, gewaltbereiteren und aktionistischen Rechtsextremismus verstärkt. Diese Aktivitäten sind aber nicht auf islamische Urheberschaft zurückzuführen. Es gibt da keine
erkennbare Verbindung; ganz überwiegend gingen diese
Aktivitäten auf das Konto junger Menschen deutscher
Herkunft.
Für den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend möchte ich betonen, dass es ein wichtiges Anliegen des Aktionsprogramms
„Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“
ist, das faktische Wissen über andere Kulturen und ein entsprechendes Verständnis für sie sowohl unter Jugendlichen
als auch unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der
Jugendarbeit und Jugendbildung besser zu entwickeln.
Diesem Anliegen dient die Förderung und Weiterentwicklung von inter- bzw. transkulturellen und interreligiösen
Praxiskonzepten mit dem Ziel, einen Beitrag zur Anerkennung unterschiedlicher Kulturen und zur Verständigung
zwischen Angehörigen dieser Kulturen zu leisten. Es ist
nicht beabsichtigt, diese Zielsetzung aufzugeben.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schröder?
Ja. - Es ist ja nun allseits bekannt, dass der Antisemitismus Rechtsextremisten und islamistische Extremisten
eint. Die von der Bundesregierung bisher aufgelegten
Programme zur Bekämpfung von Antisemitismus richten
sich bislang nur an Rechtsextreme. Gedenkt die Bundesregierung denn, in Zukunft ihre Programme auch um die
Zielgruppe der islamistischen Extremisten zu erweitern?
Das allgemeine Programm für zivilgesellschaftliches
Verhalten, für Demokratie und damit gegen Rechtsextremismus, das wir jetzt aufgelegt haben, impliziert selbstverständlich auch die Arbeit - so sie sich denn vor Ort
aufdrängt - mit jungen Menschen, die aus einem islamistischen Denken heraus antisemitisch eingestellt sind. Insofern sehe ich da keinen Widerspruch. Die Hauptzielsetzung ist die Bekämpfung von Rechtsextremismus.
Antisemitismus und Rechtsextremismus aus islamistischem Umfeld wären dann auch Gegenstand dieses Programms.
Zweite Zusatzfrage.
Sie gedenken also in Zukunft nicht, speziell etwas auf
dem Gebiet islamistisch-extremistischen Gruppen zu tun?
Eine spezielle Ausrichtung gibt es nicht; genauso gibt
es zum Beispiel auch keine spezielle Ausrichtung auf jugendliche Spätaussiedler, auch wenn wir wissen, dass sie
oft noch große Schwierigkeiten mit demokratischen
Grundhaltungen haben und immer wieder auch antisemitische Einstellungen aus den Wanderungsländern mitgebracht werden.
Ich möchte noch einmal sagen, dass nach amtlichen
Erkenntnissen allein von Januar bis September 2000
10 000 rechtsextremistisch motivierte Straftaten begangen
worden sind. Das ist eine erschreckend hohe Zahl. Es deutet nichts darauf hin, dass ein deutlich erkennbarer Teil davon aus islamistischer Orientierung heraus begangen worden wäre, sodass ein Spezialprogramm notwendig wäre.
Ich würde wirklich vorschlagen, die gesamte Gesellschaft
in den Blick zu nehmen. Dazu gehören auch die Jugendlichen und Menschen, die islamischen Glaubens sind.
Ich habe nun Wünsche nach Zusatzfragen von den Kolleginnen und Kollegen Dümpe-Krüger, Edathy und
Strobl. Zunächst Frau Dümpe-Krüger.
Frau Staatssekretärin, geben Sie mir Recht, dass in den
neuen Ländern eine Umwidmung der Mittel zugunsten
der Bekämpfung von Anschlägen mit angeblich islamistischem Hintergrund unsinnig wäre, weil es dort bei insgesamt rund 2 Prozent Ausländeranteil überhaupt keine nennenswerten islamistischen Gruppierungen gibt?
Die Zahlen, die Sie für die neuen Bundesländer nennen, sind unabweisbar. In die neuen Bundesländer sind,
anders als in die alten Bundesländer, kaum ausländische
Bürgerinnen und Bürger gewandert, außer vielleicht ehemalige vietnamesische Vertragsarbeitnehmer. Aufgrund
des Fehlens der entsprechenden Population ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich von dort aus Gewalttätigkeit, Aggressivität, Rechtsextremismus und Antisemitismus entwickeln, nicht sehr groß.
Herr Kollege Edathy.
Frau Staatssekretärin, würden Sie mir zustimmen, dass
es vor dem Hintergrund der Zahlen für das Jahr 2002, die
das Bundesinnenministerium mir Anfang der Woche
übermittelt hat, nämlich dass von 12 364 extremistisch
motivierten Straftaten 10 579 in den Bereich des Rechtsextremismus fallen, sehr befremdet, wenn die CDU/CSUFraktion, während hier von einer Umwidmung von Mitteln gesprochen wird, bei den Beratungen des Einzelplans
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend im Haushaltsausschuss im Januar statt einer
Umwidmung beantragt hat, Mittel für Programme zur
Bekämpfung des Rechtsextremismus in Höhe von 20 Millionen Euro zu streichen?
Da drängt sich, Herr Kollege, in der Tat die Erkenntnis
auf, dass es einen gewissen Widerspruch gibt. Angesichts
der Tatsache, dass es in unserer Gesellschaft eine rechtsextremistische Gefahr gibt, wovon wir gemeinsam ausgehen, und angesichts der Debatte um das NPD-Verbot, bei
der diese Gefahr ja auch von Innenminister Beckstein aus
Bayern sehr deutlich gezeichnet wurde, ist der Vorschlag,
die Mittel für diese Programme zu streichen, schwer nachvollziehbar.
Herr Kollege Strobl.
Frau Staatssekretärin, aufgrund Ihrer Antworten frage ich
Sie, wo Sie für unsere Bevölkerung die größeren Gefährdungspotenziale sehen: bei dem gewaltbereiten Rechtsextremismus oder bei den gewaltbereiten Islamisten?
({0})
Zunächst einmal schlage ich dem Parlament vor, die
Statistiken anzuschauen. Im Bereich des Rechtsextremismus haben wir eine beunruhigend hohe Zahl von Übergriffen und Straftaten. Ich kann Ihnen nicht sagen, dass
das für alle Zeiten so sein wird und dass es nicht auch Gefährdungen aus anderen Quellen geben könnte. Aber Ihrer Bitte, das eine oder andere als größeres Gefährdungspotenzial zu benennen, möchte ich nicht nachkommen.
Ich bin der Meinung, dass alle Tendenzen in dieser Gesellschaft, unsere demokratischen Grundsätze zu verletzen, von uns bekämpft werden sollten.
Herr Kollege Grindel.
Frau Staatssekretärin, Bezug nehmend auf die Frage
des Kollegen Edathy und Ihre Antwort frage ich Sie: Sind
Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Anträge im
Haushaltsausschuss nicht so zu interpretieren sind, dass
wir etwas gegen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus
hätten, sondern so, dass offenbar die Qualität der Programme, um die es hier geht, infrage zu stellen ist und
dass das der Ansatz unserer zahlreichen Fragen und der
Hintergrund dafür war, dass wir der Auffassung sind, dass
die Notwendigkeit dieser Programme fraglich ist?
Ich war in den Beratungen des Haushaltsausschusses
selber nicht dabei. Zunächst einmal scheint es das Faktum
zu geben, dass Sie dort beantragt haben, die Mittel zu
streichen,
({0})
und nicht vorgeschlagen haben, andere Programme aufzulegen, die Ihrer Meinung nach besser wären.
({1})
Sie meinen, dass die Programme „offenbar“ - das war
eben das entscheidende Wort - nicht erfolgreich seien;
aber zumindest diese Studie legt dafür nicht Zeugnis ab.
Deshalb wäre ich bei der Gesamtbewertung etwas vorsichtiger.
Wir sollten uns klarmachen, dass rechtsradikale, antisemitische, undemokratische Einstellungen nicht per
Knopfdruck verändert werden können. Das wissen wir
alle; das wissen Sie und auch wir.
Ich fand in dieser Studie den Satz „Es gibt keine politische Feuerwehr“ sehr vernünftig. Auch die politische
Bildung ist das nicht. Es würde uns gut tun, wenn wir uns
gemeinsam auf den Weg machen würden, Erfahrungen zu
sammeln, wie man Rechtsradikalismus, Radikalismus
überhaupt und undemokratischen Verhaltensweisen am
besten begegnet. Deswegen finde ich es sehr gut, dass
diese Programme wissenschaftlich begleitet werden. Ich
hoffe, dass wir im Laufe der Zeit etwas klarer sehen, wo
die besten Ansatzpunkte sind.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Dr. Schröder auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung angesichts der Kritik an der
„mangelnden Transparenz“ - Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland
Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts, Seite 56 - ihrer Projekte
„gegen rechts“ bereit, Maßnahmen wie die kurzfristige Veröffentlichung von Kriterien für den Auswahlprozess und die Vorlage einer Übersicht über abgelehnte Projekte sowie bislang fehlender
Wirkungsanalysen - Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts, Seite 58 - zu ergreifen?
Die Umsetzung des Aktionsprogramms „Jugend für
Toleranz und Demokratie“ erfolgt auf der Basis von Programmleitlinien. In den Programmleitlinien werden konkrete Zielsetzungen benannt, deren Einhaltung durch die
mit der Programmumsetzung beauftragten Servicestellen
sowohl bei der Projektauswahl als auch bei der Projektauswertung anhand detaillierter Indikatorenkataloge geprüft wird. Darüber hinaus untersuchen die mit der wissenschaftlichen Begleitung der Programme „Entimon“
und „Civitas“ beauftragten Institute - das ist zum einen
das Deutsche Jugendinstitut in Leipzig und zum anderen
das Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld - die Programmebene und die Umsetzungsebene bzw. die Vermittlungsinstanzen und die Projektebene, wodurch sich begründete Aussagen über die
Effekte des jeweiligen Programms machen lassen. Da ist
also noch etwas Geduld angesagt.
Die Informationen zu den Möglichkeiten der Antragstellung ebenso wie zur Programmumsetzung, das heißt
auch die jeweiligen Programmleitlinien, werden auf eigenen Programmwebsites sowie den Websites des BMFSFJ
bzw. des BMWA veröffentlicht. Darüber hinaus informieren die mit der Umsetzung der einzelnen Teilprogramme
des Aktionsprogramms betrauten Servicestellen mittels
Flyern, Mailings und Infoveranstaltungen unter anderem
über die Möglichkeiten der Antragstellung. Gemäß den
Programmzielsetzungen werden mithilfe der Programmbeiräte gezielt Zielgruppen angesprochen, die über das
Aktionsprogramm informiert werden.
Auf den Programmwebsites werden die Programmergebnisse veröffentlicht. Bereits seit 2002 wird darüber hinaus auf der Website der wissenschaftlichen Begleitung
des Programmes „Entimon“, des Deutschen Jugendinstituts, die Datenbank MAREG veröffentlicht, die Auskunft
zu den geförderten Projekten gibt. Außerdem werden den
obersten Landesjugendbehörden regelmäßig Informationen über die Umsetzung des Aktionsprogramms zur Verfügung gestellt. Da sind dann auch die abgelehnten Projekte zu finden, nach denen Sie gefragt haben.
Die Bundesregierung hat in dem „Bericht über die aktuellen und geplanten Maßnahmen und Aktivitäten der
Bundesregierung gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt“ gemäß Ziffer 21 des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom
30. März 2001 ausführlich über die Umsetzung des Aktionsprogramms berichtet.
Zusatzfrage? - Bitte.
Also entnehme ich Ihren Ausführungen, dass Sie mit
der Transparenz, der Evaluierung der Effizienz und der
Effektivität dieser Projekte zufrieden sind und hier nichts
weiter unternehmen möchten?
In dem Gutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung wird
deutlich hervorgehoben, dass es lobenswerterweise gerade
bei dem „Civitas“-Projekt schon in der ersten Phase eine
solche wissenschaftliche Begleitung und Evaluierung gab,
die dann herangezogen werden konnte, um aus den Anmerkungen der Institute Schlüsse zu ziehen und zu lernen.
Auch bei „Entimon“ gibt es diese Begleitung. Ich gehe davon aus, dass das Deutsche Jugendinstitut quer durch alle
gesellschaftlichen Gruppen und über die Parteien hinweg
einen hohen Respekt genießt. Ich glaube, dass die wissenschaftliche Evaluation dort gut aufgehoben ist.
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Dorothee Mantel
auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass im Bereich der
von ihr finanzierten Maßnahmen des „Aufstands der Anständigen“ Mittel und Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und -kontrolle der Projekte fehlen, und, wenn nein, warum nicht?
Frau Kollegin Mantel, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: In der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wird keineswegs pauschal die Behauptung aufgestellt, dass das
Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie“
nicht wissenschaftlich begleitet wird. Vielmehr wird darauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit solcher Programme im Detail schwer nachweisbar ist; darüber haben
wir eben schon gesprochen. Ich möchte an dieser Stelle
wiederum aus der Stellungnahme des Autors der Studie
zitieren, der sagt - ich glaube, das ist eine sehr ehrliche
Herangehensweise -:
Sichere Wege und Instrumente, mit denen mit staatlichen Mitteln erfolgreich in zivilgesellschaftliche
Entwicklungen eingegriffen werden kann, gibt es
nicht.
Es ist schwer, objektiv belastbare Maßstäbe zu entwickeln.
Darüber hinaus werden Forderungen zur Weiterentwicklung der Evaluierungstheorien erhoben, die aus der
Sicht der Wissenschaft nachvollziehbar - Wissenschaft
hat auch ein Eigeninteresse, was durchaus legitim ist -,
aber im Rahmen eines solchen Programmes nicht leistbar
sind. Wenn bei einem solchen Programm ein hoher Anteil
der Mittel zur wissenschaftlichen Begleitung ausgegeben
würde, gäbe es sicherlich ebenfalls - auch von Ihnen kritische Nachfragen.
In den Teilprogrammen „Civitas“ und „Entimon“ des
Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie“ war die wissenschaftliche Begleitung von vornherein
Bestandteil der Programmumsetzung. Die wissenschaftliche Begleitung des Programms „Xenos“ wird gegenwärtig vorbereitet.
Zusatzfrage.
Ist es Auffassung der Bundesregierung, dass schon allein mit der Durchführung von Projekten gegen rechts
Zeichen gesetzt werden und daher eine Qualitätskontrolle
der Projekte nicht mehr notwendig ist?
Nein, das ist nicht Auffassung der Bundesregierung.
Ich habe Ihnen gerade gesagt, dass wir die Evaluierung
und die Begleitung solcher Programme für ausgesprochen
wichtig halten. Politik muss auch lernfähig sein. Es muss
Möglichkeiten geben, Anregungen aus der Praxis aufzunehmen und diese bei der Fortentwicklung von Programmen einfließen zu lassen.
Frau Griese zu einer Nachfrage.
In dieser Studie, über die wir hier sprechen, findet sich
ja durchaus eine Gesamtbewertung. So heißt es zum Programm „Civitas“, es würden - ich zitiere sinnvolle neue Wege beschritten, indem Rechtsextremismus nicht als Jugendproblem, sondern als eines
der ganzen Gesellschaft begriffen wird, und nicht als
psychosoziales Phänomen, sondern als politisches
gefasst wird, dem durch eine Stärkung der Demokratiefähigkeit begegnet werden kann.
Teilen Sie, Frau Staatssekretärin, meine Auffassung, dass
die CDU/CSU ihren Fragen ausschließlich einen Artikel
aus der „Frankfurter Allgemeinen“ vom 2. Januar dieses
Jahres zugrunde gelegt und vergessen hat, sich die differenzierten Betrachtungen der Studie selbst anzusehen?
Denn die Tatsache, dass Rechtsextremismus ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist, dem wir als Demokraten
gemeinsam entgegenzutreten haben, wird doch hoffentlich in diesem Haus nicht bestritten.
({0})
Verehrte Frau Kollegin, die Kollegen der Union haben
mir vorher nicht mitgeteilt, welches Quellenmaterial sie
ihren Fragen zugrunde gelegt haben. Auch ich fände es allerdings sehr gut, wenn die Fragesteller diese Studie sehr
genau läsen - so wie ich das am Wochenende getan habe.
({0})
Frau Kollegin Beck, nun haben Regierung wie Opposition ja jeweils so ihre Vorlieben, was das Vorenthalten
von Eigeninformationen betrifft.
({0})
- Ja, es wurde aber Bezug darauf genommen, dass das Material vorher nicht angekündigt wurde. Das habe ich in der
Geschichte des deutschen Parlamentarismus vielfach mit
wechselseitigen Rollenverteilungen beobachten können.
Nächste Zusatzfrage, Kollege Hohmann.
Frau Staatssekretärin, unsere Fragen lassen erkennen,
dass die Programme dieser Regierung unter einem ganz
bestimmten Blickwinkel durchgeführt werden:
({0})
Es ist der Kampf gegen rechts angesagt. Wir hätten uns
gewünscht, dass man dies in gleicher Weise gegen links
macht.
({1})
Das ist unser gutes Recht. Schließlich gab es in dieser Republik über lange Zeit einen antitotalitären Konsens und
keiner hier in diesem Hause wird wohl sagen, dass das,
was auf der linksextremen Seite geschieht, alles „Pippi
Langstrumpf“ ist.
Wir sind natürlich dafür, dass das Geld, wenn es für
solche Programme ausgegeben wird, zielgerichtet einge1834
setzt wird. Vor diesem Hintergrund zitiere ich aus der Studie, die 83 Seiten hat. Damit möchte ich widerlegen, dass
wir vielleicht nur den Artikel aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gelesen hätten. In der Studie heißt es zu
dem Programm „Civitas“:
Geradezu fahrlässig ist die weitgehend fehlende konzeptionelle Berücksichtigung der besonderen Bedingungen in Ostdeutschland.
({2})
Wie stehen Sie dazu?
Das war auch der Hintergrund meiner ersten Frage:
Gab es besondere Problembereiche? Sie haben eine Aufstellung vorgelesen, aus der ich nicht erkennen konnte,
dass es eine konzeptionelle Berücksichtigung der besonderen Bedingungen in Ostdeutschland gibt.
({3})
Wie stehen Sie zu dem zitierten Satz?
Verehrter Herr Kollege, da scheint mir etwas durcheinander zu gehen. Denn gerade das Programm „Civitas“ ist
ein Programm, das sich ausschließlich an die fünf neuen
Bundesländer richtet. Deswegen bringe ich es im Augenblick logisch nicht zusammen, dass an das Programm „Civitas“ der Vorwurf geknüpft wird, es würde auf die Bedingungen in den fünf neuen Ländern nicht ausreichend
eingehen.
Kollege Koschyk hat sich zu einer Zwischenfrage gemeldet. Danach ist Kollege Edathy an der Reihe.
Frau Staatssekretärin, dem Kollegen Hohmann ging es
nicht darum, die Frage aufzuwerfen, ob das Programm
„Civitas“ nur für die neuen Bundesländer konzipiert worden ist oder nicht. Er hat Sie vielmehr gefragt - ich wäre
Ihnen dankbar, wenn Sie diese Frage beantworten könnten -, wie Sie zu der Aussage in der Studie stehen - ich
wiederhole diese noch einmal -:
Geradezu fahrlässig ist die weitgehend fehlende konzeptionelle Berücksichtigung der besonderen Bedingungen in Ostdeutschland.
Das heißt, der Autor meint - das steht auf Seite 10, Herr
Edathy, wenn Sie es nachlesen möchten -,
({0})
dass die Bundesregierung bei diesem Programm, das sich,
wie Sie, Frau Staatssekretärin, gesagt haben, in erster Linie an die fünf neuen Bundesländer wendet, eine Fehlkonstruktion geschaffen hat und es, wie er sagt, fahrlässig
ist, dass man bei der Ausrichtung des Programms auf die
neuen Länder die besonderen Bedingungen dort nicht
berücksichtigt hat.
({1})
Er begründet das dann noch an einigen anderen Stellen.
Verehrter Herr Kollege, mir wird gerade - denn alles
habe auch ich nicht präsent - ein Auszug aus der Studie
gereicht. Ich zitiere:
Gerade das Programm „Civitas“ ist in seinen Strukturen auf die besonderen Bedürfnisse in den neuen
Bundesländern zugeschnitten.
Vielleicht ist es doch möglich, dass sich auch in solch eine
Studie, an der mehrere Leute arbeiten, einmal ein Widerspruch einschleicht.
Herr Kollege Edathy.
Frau Staatssekretärin, abgesehen davon, dass ich hoffe,
dass Sie meine Hoffnung zu teilen vermögen, dass der
Kollege Hohmann mit seinen Äußerungen nicht etwa
mehr Linksextremismus in Deutschland herbeiwünscht,
den es dann zu bekämpfen gelte - ich denke, die Zahlen
sind da sehr eindeutig -, möchte ich fragen: Teilen Sie mit
mir das Verständnis der Ausführungen von Herrn Roth in
seiner Studie, in der er darauf hinweist, in manchen Regionen in den neuen Ländern hätten wir gerade deshalb
eine besonders schwierige Situation, weil das Ziel der
Stärkung der Bürgergesellschaft das Vorhandensein der
Bürgergesellschaft voraussetzt, und dass er gerade deshalb dafür plädiert, Programme weiter zu schärfen und sie
zu verstetigen, und eben nicht dafür plädiert, etwas wieder in die Schublade zu legen?
Diese Auffassung teile ich. Wir alle wissen, dass - ohne
damit diskriminierende Aussagen gegenüber den neuen
Bundesländern machen zu wollen - in einem Land, in dem
es viele Jahre keine Demokratie gab und damit auch für
Bürgerinnen und Bürger nicht die Möglichkeit, sich in
Demokratie zu üben, zivilgesellschaftliches, bürgerschaftliches und demokratisches Engagement tatsächlich erst
wachsen muss. Auch die Erfahrung damit muss wachsen.
Deswegen finde ich es besonders gut, wenn wir gerade den
Blick auf die Jugend lenken; denn das ist die kommende
Generation. Ihr müssen wir gerade in den bürgerschaftlichen, demokratischen und zivilgesellschaftlichen Bereichen die Möglichkeit geben, Erfahrungen zu sammeln, um
dann schlichtweg zu guten Demokraten zu werden.
Auch der Kollege Fischer erhält die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, dieses Projekt
vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Begutachtungen vom Bundesrechnungshof evaluieren zu lassen?
Ich gehe davon aus, dass der Bundesrechnungshof die
Mittelverwendung dieser Programme sowieso überprüft
- ich wäre sehr erstaunt, wenn er es nicht täte -, denn das
ist bei Geldern, die nach der Bundeshaushaltsordnung
ausgegeben werden, normal.
Nun kommen wir zur Frage 11 der Kollegin Dorothee
Mantel:
Hält die Bundesregierung die beim „Aufstand der Anständigen“ im Vordergrund stehenden medienwirksamen Events wie
Wettbewerbe, Messen und Feste - vergleiche Friedrich-EbertStiftung; Roland Roth: „Bürgernetzwerke gegen Rechts“, Seite 21 für das geeignete Mittel, um eine Sensibilisierung für die Problematik Extremismus zu erreichen?
Es ist nicht so, dass medienwirksame Events im Vordergrund des Aktionsprogramms stehen. In der Regel sind
die Projekte des Aktionsprogramms auf Langfristigkeit
angelegt. Allerdings sind Wettbewerbe, Feste und Events
durchaus ein taugliches Mittel der politischen Bildungsarbeit und zur Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements.
Ich erinnere zum Beispiel an den Victor-KlempererWettbewerb der Dresdner Bank, der in Zusammenarbeit
mit dem „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ mit sehr
großem Erfolg durchgeführt worden ist. Genau dieser
Wettbewerb hat viele junge Menschen motiviert, an den
Ausschreibungen in den Schulen teilzunehmen. Das ist
selbstverständlich ein vernünftiger Weg, der zur politischen Bildung führen kann.
Zusatzfrage.
Welche Altersgruppe muss nach Ansicht der Bundesregierung bei den Projekten gegen rechts im Besonderen
angesprochen werden?
Generell kann man das nicht sagen; denn es ist sehr
eindeutig festzuhalten, dass undemokratische, rechtsextreme oder fremdenfeindliche Einstellungen in allen Altersgruppen in der Gesellschaft zu finden sind. Trotzdem
ist eine Schwerpunktsetzung in Richtung pädagogische
Bildung der Jugend deswegen vernünftig, weil das die
Menschen betrifft, die unsere Gesellschaft bauen müssen.
Deswegen gibt es eine Schwerpunktsetzung bei den Jugendlichen, aber das Programm „Entimon“ konzentriert
sich nicht ausschließlich auf Jugendliche, sondern richtet
sich auch an ältere Menschen. Ich weiß von Ausländerbeauftragten aus Brandenburg, dass dort neue Ansätze gesucht werden. Dazu gehört der Austausch mit Senioren,
die als Großeltern das Denken der Kinder beeinflussen.
Auch das sind vernünftige Wege, die wir ausprobieren
sollten und die sicherlich ihren Beitrag zum Werben für
die Demokratie leisten können.
Ich bedanke mich bei Frau Beck für die Beantwortung
der Fragen.
Zur Beantwortung der weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbereich steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Riemann-Hanewinckel zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 12 der Kollegin Ina Lenke
auf:
Inwiefern stellt das am 31. Januar 2003 vom Deutschen Bundestag in dritter Lesung verabschiedete Erste Zivildienständerungsgesetz ab sofort sicher, dass alle für das Haushaltsjahr 2003
durch den Bund bereits eingegangenen Verpflichtungen in Form
von Einberufungen und verteilten Kontingenten für das gesamte
Haushaltsjahr 2003 vollständig finanziert sind?
Sehr geehrte Kollegin Lenke, mit der angesprochenen
Änderung der Kostenregelung im Zivildienstgesetz wird
der Bundeshaushalt deutlich entlastet und die insgesamt
zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel reichen aus, um
die im Haushaltsjahr 2003 bereits erfolgten Einberufungen und die für spätere Einberufungen in 2003 freigegebenen Kontingente finanzieren zu können.
Zusatzfrage, Frau Lenke.
Ich frage mich, Frau Staatssekretärin, warum es dann
einen Finanzierungsvorbehalt von 20 Prozent gibt. Bis zur
Veröffentlichung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt werden nämlich nur 80 Prozent des Kontingentes an die Träger gegeben und der Finanzierungsvorbehalt bleibt, das
heißt, die Träger werden von Ihnen nicht befriedigt.
Ich befürchte eine längere Wartezeit für Zivildienstleistende. Es sind bereits Bescheide zurückgenommen worden, weil die Kontingente ausgeschöpft sind. Meine Frage
ist, ob Sie sich angesichts dieser hier vorgetragenen Tatsachen nicht anders besinnen; denn dass alles bezahlt
wird, wie Sie das eben vorgetragen haben, stimmt nicht.
Frau Kollegin Lenke, Ihre Frage war, inwiefern das
erste Zivildienständerungsgesetz sicherstellt - ({0})
- Sofort geht ja nicht, es muss erst einmal Gesetz werden.
Sie wissen, dass das Gesetz am 1. März 2003 in Kraft treten soll. Sie wissen vielleicht auch, dass mit den Verbänden und den Verwaltungsstellen die Vereinbarung besteht,
im seit Oktober 2002 laufenden Zivildienstjahr vorerst
nur 80 Prozent der Kontingente zu vergeben. Das Zivildienstjahr läuft noch bis zum Oktober 2003 und auch im
Laufe dieses Zivildienstjahres müssen noch Einberufungen möglich sein. Die verbleibenden 20 Prozent sollen bei
In-Kraft-Treten dieses Gesetzes freigegeben werden. Damit ist die Finanzierung der noch ausstehenden Einberufungen von 20 Prozent sichergestellt. Bedingung ist aber
die Kostenabsenkung wie im Gesetz festgeschrieben.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wie wollen Sie dies sicherstellen, wenn das Gesetz etwa aufgrund einer Verzögerung im
Bundesrat erst am 1. Juni 2003 in Kraft tritt?
Dies steht im Moment nicht zur Debatte. In unserem
Gesetzentwurf steht der 1. März. Vom 1. Juni kann überhaupt nicht die Rede sein. Die Debatte im Bundesrat wird
am kommenden Freitag stattfinden, dann sehen wir weiter.
Wir kommen zur Frage 13 der Kollegin Lenke:
In welcher Höhe wird die Bundesregierung über die im Einzelplan 17 des Haushaltes 2003 - Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend - bereits umgesetzten Einsparungen
von 90,676 Millionen Euro hinaus, von denen 80 Millionen Euro
auf die Titelgruppe 03 - Ausgaben für Zivildienstleistende - umgelegt wurden, im Jahr 2003 weitere Einsparungen vornehmen,
die auch den Zivildienst betreffen?
Im zweiten Regierungsentwurf zum Haushalt 2003
sind die entsprechenden Einsparungen in Kap. 1704 vorgesehen. Nach dem Beschluss des Haushaltsausschusses
des Deutschen Bundestages vom 16. Januar 2003 sind
in Kap. 1704 im Haushaltsjahr 2003 zusätzlich circa
9,4 Millionen Euro einzusparen.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wo genau will die Bundesregierung diese 9,4 Millionen Euro einsparen?
Sie werden in Kap. 1704 eingespart. Insgesamt sind es
95,1 Millionen Euro und davon sind 5 Millionen Euro als
globale Minderausgabe ausgebracht worden.
Ich finde, dass Sie die Frage nicht beantwortet haben.
Ich habe gefragt, wo in Kap. 1704 dieser Betrag eingespart werden soll. Sie haben gesagt, dieser Betrag werde
pauschal eingespart. Ich frage Sie, welcher Haushaltstitel
mit diesen Einsparungen belastet wird.
Kapitel 1704 trägt die Überschrift „Bundesamt für den
Zivildienst“. Hier wird insgesamt entsprechend eingespart, und zwar mit der Maßgabe - das wissen Sie -, dass
die Gesetzesänderung am 1. März 2003 in Kraft tritt.
Weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie wollen also in Kap. 1704,
„Bundesamt für den Zivildienst“, neben den 90 Millionen Euro weitere circa 10 Millionen Euro einsparen. Meinen Sie denn, dass Sie als Bundesregierung auch dafür
verantwortlich sind, dass die Wehr- und Zivildienstungerechtigkeit weiter steigt, weil aus Ihrem Haushalt
weniger Zivildienststellen zur Verfügung gestellt werden
können?
Aus unserem Haushalt werden nicht weniger Zivildienststellen zur Verfügung gestellt. Die Zivildienststellen werden so wie bisher in Absprache mit den entsprechenden Verwaltungsstellen mit Zivildienstleistenden
ausgestattet werden.
Innerhalb eines Zivildienstjahres gibt es allerdings
Schwankungen. Diese hängen nicht nur damit zusammen,
in welcher Höhe Gelder zur Verfügung stehen, sondern
vor allen Dingen mit den Planungen der einzelnen Dienststellen und mit den Entscheidungen der einzelnen Zivildienstleistenden, wann sie den Zivildienst im Laufe eines
Haushaltsjahres beginnen wollen. Insofern ist es gut möglich, dass entsprechende Schwankungen innerhalb eines
Zivildienstjahres auftreten können.
Abschließend betone ich: Die 80 Prozent sind bisher sichergestellt. Die 20 Prozent werden, wenn das Gesetz in
Kraft tritt und sich damit einiges im Bereich der Kosten
ändert, bei den Kontingenten ausgegeben. Es wird nichts
gekürzt, die Zahlen werden nicht geändert.
({0})
- Ja.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Schaaf.
Frau Staatssekretärin, müssten die Kontingente, die
jetzt noch freigegeben werden, reduziert werden, wenn
das Erste Zivildienständerungsgesetz nicht zum 1. März
in Kraft tritt, da dadurch die Einsparungen in diesem Bereich weniger hoch ausfallen? Das sollte nach Absprache
mit den Verbänden doch ausdrücklich verhindert werden.
Es ist unser Ziel, dass die Kontingente von 20 Prozent,
die noch ausstehen, wenn es geht, nicht gekürzt werden
müssen. An diesem Ziel hält die Bundesregierung fest.
Wir wollen vor allen Dingen sicherstellen, dass die jungen
Männer an ihrer bisherigen Lebensplanung für dieses Jahr
festhalten können. Aber auch die Dienststellen müssen
weiterhin die Möglichkeit haben, ihre Aufgaben zu erfüllen. Deshalb hoffen wir sehr, dass wir dies mit der entsprechenden Gesetzesänderung erreichen.
Dabei ist aber auch ein anderer Punkt von Bedeutung.
Auch von Ihrer Seite müssten Vorschläge kommen. Davon war bisher nichts zu sehen, Frau Kollegin Lenke. Das
muss einmal gesagt werden. Es liegt im Interesse der Bundesregierung, den Zivildienst in diesem Jahr so weit wie
möglich und so, wie es mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände, mit den jeweiligen
Naturschutzverbänden und mit den kommunalen Spitzenverbänden abgesprochen worden ist, zu erhalten.
Im allerschlimmsten Fall könnte es Absenkungen geben. Das wollen wir nicht. Die Bundesregierung wird alles tun, damit genau das nicht passiert. In diesem Sinne
hoffe ich nach wie vor, dass auch im Bundesrat dieses
Problem gesehen wird und dass der Bundesrat darauf verzichtet, den Vermittlungsausschuss anzurufen, der das
Gesetzesvorhaben lediglich verzögern würde. Das liegt
auch in der Verantwortung der Opposition.
Es liegen keine weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbereich vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur
Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Frau Caspers-Merk zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 14 des Kollegen Gerald Weiß:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob - und wenn ja, in welchem vermuteten Umfang - mit fremden Krankenversicherungskarten auf nicht gesetzliche Weise Leistungen im deutschen Gesundheitswesen in Anspruch genommen werden?
Herr Kollege Weiß, Ihre Frage beantworte ich wie
folgt: Der Bundesregierung liegen keine offiziellen und
insbesondere keine bundesweiten Zahlen zur missbräuchlichen Verwendung der Krankenversicherungskarte vor.
Die von verschiedenen Seiten hierzu in der Öffentlichkeit
verbreiteten Angaben sind bislang Schätzungen. So ist
zum Beispiel die Diskrepanz der Ergebnisse verschiedener Untersuchungen aus Bayern zum Missbrauch der
Krankenversicherungskarte erheblich. Nach Angaben der
Kassenärztlichen Vereinigung Bayern liegt Missbrauch bei
rund 33 000 Versicherten vor. Die AOK Bayern erfasste im
vierten Quartal 2001 dagegen lediglich 641 Krankenversicherungskarten, die durch häufige Inanspruchnahme von
Ärzten und eine hohe Anzahl von Arzneimittelverordnungen auffielen.
Allein diese beiden Beispiele aus nur einem Bundesland machen deutlich, dass keine abgesicherten Zahlen für
die ganze Bundesrepublik vorliegen. Ich bin Ihnen für die
Frage allerdings sehr dankbar, weil sie mir die Gelegenheit
gibt, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass es die Aufgabe sowohl der Krankenkassen als auch der KVen ist, einem vermuteten Missbrauch in jedem Fall entgegenzutreten und die Prüfdichte erheblich zu erhöhen.
Eine der Möglichkeiten wäre beispielsweise, wie es die
AOK Baden-Württemberg bereits tut, ein Lichtbild auf die
Versichertenkarte aufzubringen. Leider hat bei der AOK
Baden-Württemberg - die Bundesregierung hat dieses
Modellprojekt mit veranlasst und gefördert - bislang nur
ein Drittel der Versicherten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Es handelt sich derzeit um 1,2 Millionen
Versicherte. Dies wäre ein weiterer Schritt, um Missbrauch der Krankenversicherungskarte zu beseitigen.
Darüber hinaus will ich an dieser Stelle noch einmal
darauf hinweisen, dass wir mit Hochdruck daran arbeiten,
die Chipkarte intelligenter und damit fälschungssicherer
zu machen. Wir wollen einen Notfalldatensatz - in Anlehnung an den europäischen Notfallausweis - auf der
Chipkarte anbringen, sodass sie auch in Notfällen genutzt
werden kann.
Ich bin gerade Ihnen für diese Fragestellung sehr dankbar; denn ich habe mit großer Verwunderung festgestellt,
dass die CDU/CSU-Fraktion heute bei der Haushaltsberatung im Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Streichungsanträge bezüglich der Unterstützung der elek1838
tronischen Chipkarte vorgelegt hat. Ihre Frage zeigt mir,
dass wir mit der Chipkarte auf dem richtigen Weg sind.
Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß.
Frau Staatssekretärin, halten Sie die Ergebnisse der Untersuchung der Kassenärztlichen Vereinigung in Bayern,
die, wenn ich es so sagen darf, ein intelligentes neues
Rasterverfahren - ein Analyseraster - verwendet hat, für
plausibel? Sie kam zu dem Ergebnis, dass durch die verschiedenen Formen der betrügerischen Inanspruchnahme
der Chipkarte ein enormer Schaden entstanden ist. Als
Stichworte wurden genannt: wandernde Chipkarte, Gesundheitstouristen aus dem Ausland, die die Karten von
Verwandten oder Bekannten in der Bundesrepublik missbräuchlich verwenden, und nicht versicherte Personen, die
die Karten von gesetzlich Versicherten illegalerweise in
Anspruch nehmen. Erscheinen die ermittelten Werte aus
Ihrer Sicht einigermaßen plausibel und stellen sie für Sie
einen Anlass dar, diesen Dingen etwas stringenter und
nachhaltiger nachzugehen?
Herr Kollege Weiß, diese Frage habe ich bereits in meiner Einführung beantwortet. Ich habe Ihnen nämlich deutlich gemacht, dass es Aufgabe der Kassen und der KVen
ist, diesem Missbrauch durch verstärkte Prüfungen zu begegnen. Es handelt sich hier nicht um eine hoheitliche
Aufgabe. Es geht um die Gelder der Beitragszahlerinnen
und -zahler; insofern begrüßen wir alle Maßnahmen, die
zu einer Verstärkung der Prüfdichte führen.
Ich habe Ihnen gerade am Beispiel Bayerns klar gemacht, dass es vonseiten der AOK und der KV Bayern
sehr unterschiedliche Angaben gibt. Ich glaube, dass es
wichtig ist, dass es hier zu einer größeren Datentransparenz und zu einer besseren Zusammenarbeit kommt. Deswegen fördert die Bundesregierung insbesondere die
elektronische Patientenkarte, die Notfalldateien und die
Bemühungen um die Fälschungssicherheit.
Ich bin sehr froh, dass die AOK Niedersachsen im Auftrag aller AOKen der Frage der missbräuchlichen Nutzung der Karten von Toten nachgegangen ist. Sie hat einige Ergebnisse produziert, die uns aufhorchen lassen.
Ihre Frage, ob wir sichere Erkenntnisse für die Bundesrepublik haben, muss ich verneinen. Es gibt einzelne Auffälligkeiten. Durch unsere stark strukturierte Kassenlandschaft und die unterschiedliche Struktur der KVen gibt es
aber keine sicheren Abschätzungen.
Es könnte sein, dass die Schätzung der KV Bayerns,
die auf 100 Millionen Euro für Bayern kommt - dies rechnet sie hoch und spricht von einem Missbrauch in der
Größenordnung von, wenn ich die Zahl richtig im Kopf
habe, 1 Milliarde Euro -, stimmt. Wir können es nicht sicher abschätzen. Die Kassen sagen uns, dass die Zahl darunter liegt. Es ist aber ein Umstand, der uns besorgt
macht. Deswegen werden wir alle Maßnahmen, die zu einer verbesserten Prüfdichte führen, unterstützen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß.
Sie sagen, dass Sie besorgt sind. Ich verstehe Sie aber
richtig, dass Sie jetzt keinen Anlass für gesetzgeberisches
Handeln der Bundesregierung sehen?
Herr Kollege Weiß, wir haben heute im Gesundheitsausschuss die Eckpunkte der Bundesregierung zur Gesundheitsstrukturreform diskutiert. Darunter befindet sich
zum Beispiel die Forderung nach einer elektronischen Patientenkarte, die fälschungssicher ist und mehr Informationen enthält. Insbesondere um diese einzuführen, haben
wir zusätzliche Haushaltsmittel beantragt. Ich bin sehr
froh, dass wir nun zügig an die Umsetzung herangehen.
Unterhalb dessen, was wir in Zukunft wollen, ist es aber
bereits jetzt möglich, dass die Kassen Plausibilitätstests
durchführen und dass die KVen die Prüfdichte erhöhen.
Es liegt auch in unserem Interesse, dass dies auf alle Fälle
erfolgt, um dem Missbrauch deutlich zu begegnen.
Die Fragen 15 und 16 des Kollegen Hofbauer werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Fragen 17 des Kollegen Werner Lensing
auf:
Hat die Bundesregierung vor, das Embryonenschutzgesetz
zu ändern, wie es die Äußerung des Bundeskanzlers, Gerhard
Schröder: „Wir werden zu diskutieren haben, ob man das therapeutische Klonen von einem solchen Verbot ausnehmen kann und
muss“ - EZ, „Evangelische Zeitung Online“ vom 26. Januar
2003 -, nahe legt?
Herr Kollege Lensing, Ihre Frage beantworte ich wie
folgt: Die Bundesrepublik Deutschland hat mit dem Embryonenschutzgesetz ein Gesetz, das mit seinen klaren
Grenzziehungen und seinem hohen Schutzstandard die
Gewissheit bietet, sich den aktuellen Fragen und Befürchtungen mit der notwendigen Sorgfalt und Gelassenheit stellen zu können.
Vor der Entscheidung über die Notwendigkeit weiterer
gesetzlicher Regelungen in diesem Bereich sollte nach
Auffassung der Bundesregierung die Debatte im Bundestag intensiv geführt werden. Die Bundesregierung will
den Ergebnissen dieser Diskussion nicht vorgreifen. Sie
wissen, lieber Herr Kollege, dass es interfraktionelle Anträge zu der Forderung gibt, das Embryonenschutzgesetz
mit seinen Schutzstandards international durchzusetzen.
Deswegen glauben wir, dass intensive parlamentarische
Beratung Not tut.
Zusatzfrage.
Ich möchte gerne zwei Zusatzfragen stellen. Frau
Staatssekretärin, könnten wir uns darauf verständigen,
dass meine Frage, die sich auf die Aussage des Herrn
Bundeskanzlers bezog, durch Ihre Einlassung noch nicht
ausreichend beantwortet worden ist? Aus der Aussage des
Bundeskanzlers geht hervor, dass er sich sehr wohl vorstellen könne, eine bestimmte Form des therapeutischen
Klonens zuzulassen.
Ich glaube, die von Ihnen formulierte Frage lässt sich
nicht so eindeutig aus dem Bruchstück eines Interviews
ableiten. Ich habe Ihnen geantwortet, dass wir mit dem
Embryonenschutzgesetz einen sehr hohen und guten
Schutzstandard haben. Sollten weitere Beratungen erfolgen, muss das Parlament einbezogen werden. An dieser
Antwort möchte ich festhalten.
Sie wissen, dass das Herstellen von Embryonen zu
Forschungszwecken aufgrund § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Embryonenschutzgesetzes, das Klonen von Embryonen nach
§ 6 Abs. 1 des Embryonenschutzgesetzes und der Verbrauch von Embryonen zu Forschungszwecken aufgrund
§ 2 Abs. 1 des Embryonenschutzgesetzes in Deutschland
verboten und unter Strafe gestellt ist. Wir sehen hier keinen aktuellen Handlungsbedarf. Sie wissen, dass wir eine
intensive und ethisch geprägte Diskussion zu diesem Bereich führen. Zudem wurde der Wunsch des Parlaments
nach Einsetzung einer neuen Enquete-Kommission
geäußert. Deswegen werden wir uns mit diesen Themen
ethisch vertretbar in dieser Legislaturperiode befassen.
Ich teile Ihre Auffassung im Hinblick auf den hohen
Schutz, den die Embryonen in Deutschland auch vor dem
Hintergrund des Stammzellgesetzes genießen, das wir in
der vorherigen Legislaturperiode verabschiedet haben.
Gleichwohl habe ich folgendes Problem: Das Klonen
insgesamt ist bekanntlich mit der hohen Achtung der
Menschenwürde universal verbunden. Ich bin der Auffassung, dass man daher nicht zwischen dem so genannten
reproduktiven und dem therapeutischen Klonen unterscheiden kann und darf. Jetzt hört man, dass in der Bundesregierung Überlegungen dahin gehend angestellt werden, sich zwar weiterhin gegen das reproduktive Klonen
zu engagieren, dass man aber dem therapeutischen Klonen einige positive Aspekte - ich will das sehr vorsichtig
ausdrücken - abgewinnen kann. Wie ist das mit der Menschenwürde vereinbar?
Herr Kollege Lensing, es gibt aktuell keinen politischen Handlungsbedarf. Sie sprechen ethische Fragen an,
die einer intensiven Beratung im Parlament bedürfen. Sie
sprechen Grundüberzeugungen eines jeden Abgeordneten
an. Ich erinnere mich an sehr gute Debatten im Parlament,
die darauf zurückzuführen waren, dass wir die Gewissensentscheidung der Abgeordneten respektiert haben.
({0})
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes.
Ich rufe die Frage 33 auf:
Ist die Aussage, dass die Bundesregierung die Zeit bis nächsten Herbst nutzen wird, um gemeinsam mit Frankreich die Beratungen der VN-Arbeitsgruppe so vorzubereiten, dass die Initiative
Aussicht hat, in der Sitzung der Arbeitsgruppe Ende September
nächsten Jahres weitgehende Zustimmung zu finden, wie sie im
Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in
der Ausschussdrucksache 15 ({0}) 38 auf Seite 3 geäußert wurde,
so zu verstehen, dass die Bundesregierung sich aus taktischen
Gründen mit dem Verbot allein des reproduktiven Klonens bei den
in der Drucksache erwähnten weiteren Beratungen der Arbeits-
gruppe der Vereinten Nationen zufrieden geben wird?1)
Zu ihrer Beantwortung steht freundlicherweise der
Staatsminister im Auswärtigen Amt, Hans Martin Bury,
zur Verfügung.
Herr Kollege Lensing, die Bundesregierung sieht die
Notwendigkeit, die deutsch-französische Initiative aktiv
fortzuentwickeln. Sie wird die Zeit bis zur nächsten Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen
nutzen, um gemeinsam mit der französischen Regierung
zu sondieren, auf welche Weise möglichst viele Staaten
von der Notwendigkeit eines schnellen Verhandlungserfolgs über ein weltweit wirksames Verbot des Klonens
von Menschen überzeugt werden können. Die Bundesregierung verfolgt also weiterhin das Ziel, das Klonen von
Menschen auf internationaler Ebene möglichst umfassend
zu verbieten.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. Ihnen ist sicherlich ge-
nauso bekannt wie mir, dass wir bisher große Probleme hat-
ten, mit der gemeinsamen Aktion der Franzosen und der
Deutschen bei der UNO einen Erfolg zu erzielen. Von daher
ergibt sich meine Frage, ob Sie schon inhaltlich oder viel-
leicht sogar in Bezug auf weitere Schritte - ich will nicht den
Begriff „Taktik“ gebrauchen - konkretere Vorstellungen ha-
ben, aus denen hervorgehen könnte, dass wir diesmal im Ge-
gensatz zum letzten Anlauf erfolgreich sein könnten.
Herr Kollege Lensing, wir werden das Vorgehen
zunächst mit dem französischen Partner eng abstimmen
1) siehe hierzu auch Frage 17
und dann gemeinsam mit Frankreich Konsultationen mit
anderen Staaten aufnehmen.
Daraus kann ich noch keinen Anflug von Optimismus
bei Ihnen erkennen, dass wir erfolgreich sein werden. Von
daher - wir müssen in der Politik immer weiter denken ergibt sich die Frage: Was wäre eigentlich, wenn die
deutsch-französische Initiative lediglich ein Verbot des
reproduktiven Klonens erreichen würde? Würden wir uns
mit dieser Situation abfinden oder nach neuen Möglichkeiten suchen, um gegebenenfalls in einer weiteren Aktion das Klonen insgesamt endgültig verbieten zu können?
Herr Kollege Lensing, ich bin generell optimistisch.
Ich bin auch insbesondere optimistisch, was die Frage angeht, ob wir aus der gemeinsamen Initiative heraus zu einer internationalen Verständigung über ein wirksames
Verbot des Klonens von Menschen kommen. Über einen
möglichen anderen Ausgang der Verhandlungen mag ich
nicht spekulieren.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Für die
Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Angelika Mertens zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 18 des Kollegen Michael
Kretschmer auf:
Trifft es zu, dass polnische Finanzbehörden aufgrund angeblicher Steuerschulden Fahrzeuge deutscher Busunternehmen im
grenzüberschreitenden Personennahverkehr mit der Beschlagnahme bedrohen, und wenn ja, wie reagiert die Bundesregierung
darauf?
Lieber Kollege Kretschmer, nach Informationen der
Bundesregierung soll gegenüber der Verkehrsgesellschaft
Görlitz GmbH, die den grenzüberschreitenden öffentlichen Personenverkehr zwischen Görlitz auf deutscher
Seite und Zgorzelec auf polnischer Seite betreibt, unter
Hinweis auf angeblich bestehende Mehrwertsteuerschulden von polnischer Seite eine solche Beschlagnahme in
Aussicht gestellt worden sein. Hintergrund dürfte ein vom
polnischen Ministerium für Infrastruktur Ende Dezember 2002 an insgesamt 33 deutsche Verkehrsunternehmen
übermitteltes Schreiben sein. Diese betreiben oder betrieben im grenzüberschreitenden Verkehr Omnibuslinien
nach Polen, allerdings bis auf das in Görlitz betroffene
Unternehmen nicht im Nah-, sondern im Fernverkehr.
In dem genannten Schreiben werden die Unternehmen
aufgefordert, ihre Geschäftstätigkeit als mehrwertsteuerpflichtiges Gewerbe bis zum 31. Januar 2003 bei der polnischen Finanzverwaltung anzumelden. Sie sind dieser
Pflicht bisher nicht nachgekommen.
Für den Fall der Fristversäumnis wird im Hinblick auf
das Tätigwerden der polnischen Finanzbehörden darauf
hingewiesen, dass bei Zuwiderhandlungen gegen das geltende polnische Steuerrecht mit der Möglichkeit gerechnet werden müsse, dass die Omnibusse des jeweiligen Unternehmens zur Deckung der festgestellten Steuerschuld
sichergestellt würden.
Die Bundesregierung hat das polnische Ministerium
für Infrastruktur umgehend gebeten, nicht an der zu kurz
bemessenen Anmeldefrist bis zum 31. Januar 2003 festzuhalten bzw. diese Frist deutlich zu verlängern. Außerdem wurde um weitere Aufklärung über das von den deutschen Unternehmen konkret erwartete Vorgehen gebeten.
Eine Reaktion seitens des polnischen Ministeriums für Infrastruktur steht noch aus.
Nach dem Eindruck der Bundesregierung geht es dem
polnischen Ministerium für Infrastruktur zunächst darum,
die Anmeldung der deutschen Unternehmen bei der polnischen Finanzverwaltung durchzusetzen. Danach soll offenbar die Veranlagung zur Mehrwertsteuer erfolgen, die
von Polen für den auf polnischem Gebiet liegenden
Streckenanteil der Omnibuslinienverkehre beansprucht
wird. Bislang ist kein Fall bekannt, in dem es zu den von
polnischer Seite als möglich dargestellten Zwangsmaßnahmen gekommen wäre.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kretschmer.
Sie sehen, dass das ein großes Problem ist, gerade im
Hinblick auf die EU-Osterweiterung und das Zusammenwachsen der Grenzregionen. Deswegen ist der Vorgang
sehr ärgerlich. Es scheint so zu sein - ich möchte Sie bitten, das zu bestätigen oder zu verneinen -, dass es auch an
der deutschen Seite liegt. In der deutsch-polnischen Koordinierungskommission auf Länderebene scheint es Versäumnisse gegeben zu haben.
Diese Versäumnisse sehe ich nicht. In der gemischten
Gruppe, in der die Länder und übrigens auch die Verbände
mitarbeiten, gab es diese Informationen schon im Herbst
2001. Das Gesetz auf polnischer Seite stammt aus dem
Jahr 1993, ist also schon ziemlich alt; die polnischen
Behörden haben es nur nie angewandt. Bei uns wäre das
übrigens gar nicht möglich, weil bei uns bei der Anmeldung auch die Steuerpflicht eintritt.
Es hat zum einen von unserer Seite sowohl aus der gemischten Gruppe als auch aus dem Ministerium Übersetzungshilfen gegeben. Also waren eigentlich alle darüber
informiert, dass irgendwann die Stunde schlägt. Insofern
müssen wir uns nichts vorwerfen. Zum anderen ist dieser
Fall vielleicht auch insofern etwas ganz Besonderes, als es
sich um den einzigen grenzüberschreitend ÖPNV handelt,
der zwischen Deutschland und Polen betrieben wird. Für
den ÖPNV sind natürlich die Länder zuständig. Aber ich
glaube, dass sowohl das Land wie auch der Bund alles getan haben, um hier Informationen zu geben, die man verwenden konnte, die aber wohl nicht verwandt worden sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Eine letzte Frage: Es ist gerade in diesem speziellen
Fall nicht so, dass gegenseitig die Mehrwertsteuer erlassen wird, weil es sich um ein Verfahren handelt, in dem
die Leistungen kooperativ von polnischen Unternehmen
und einem deutschen Unternehmen erbracht werden. Es
ist also vielmehr so, dass beide, sowohl die Polen in
Deutschland als auch das deutsche Unternehmen in Polen,
Mehrwertsteuer zahlen müssen.
Bis jetzt war es so, dass wir für den Verkehr bei uns immer Mehrwertsteuer erhoben haben, während die Polen
das bis jetzt nicht gemacht haben.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Kretschmer auf:
Welche konzeptionellen Vorstellungen bezüglich Inhalt, Organisationsstruktur, Finanzierung und Standort verfolgt die Bundesregierung bei der Gründung eines Osteuropazentrums für Wirtschaft und Kultur?
Die Regierungsparteien haben vereinbart, in dieser
Wahlperiode ein Osteuropazentrum für Wirtschaft und
Kultur einrichten zu wollen. Hintergrund dieser Überlegungen ist die bevorstehende EU-Erweiterung. Die damit
verbundenen Chancen der grenzübergreifenden Zusammenarbeit sollen offensiv genutzt werden. Das Zentrum
soll in Kooperation mit wissenschaftlichen Institutionen,
Einrichtungen der Wirtschaft und kulturellen Vereinigungen zur Stärkung der deutschen Beziehungen zu den Staaten in Mittel- und Osteuropa beitragen. Insbesondere die
neuen Bundesländer haben mit der Erweiterung die
Chance, sich zu einer europäischen Verbindungsregion
mit gutem Zugang zu den Märkten speziell der EU-Erweiterungsstaaten fortzuentwickeln.
Die inhaltliche Aufgabenstellung des Osteuropazentrums und seine Organisationsstruktur bedingen einander.
Die Bundesregierung befindet sich hierzu noch in der Abstimmungs- und Planungsphase, sodass zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Aussagen getroffen werden können. Eine
Entscheidung über den Standort wird erst zum Abschluss
der Überlegungen getroffen werden. Die Finanzierung soll
über den Haushalt des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen sichergestellt werden.
Eine Zusatzfrage.
Es handelt sich um eine wissenschaftliche Einrichtung
und wir wundern uns darüber, dass sie beim Verkehrsministerium angesiedelt wird. In welcher Form wird das Parlament und hier insbesondere der Ausschuss für Forschung und Bildung in die konzeptionelle Planung
eingebunden?
Ich denke, in der üblichen Form. Wir werden, wenn wir
gefragt werden, jedes Mal darüber informieren.
Eine weitere Zusatzfrage.
Eine letzte Zusatzfrage: Frau Staatssekretärin, wann
rechnen Sie mit der Aufnahme der Arbeit dieses Osteuropazentrums?
Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich noch keinen konkreten Monat nennen, weil das Ganze noch nicht so weit gediehen ist.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Kolbe auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass
der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen,
Manfred Stolpe, am 9. Dezember 2002 in Delitzsch auf einer
öffentlichen Kundgebung das Bestehenbleiben des Eisenbahnausbesserungswerkes Delitzsch zugesichert hat, den Schließungsbeschluss vom Sommer 2001 für die Eisenbahnausbesserungswerke
der Deutschen Bahn AG, deren Alleingesellschafter die Bundesrepublik Deutschland ist, und wirkt sie darauf hin, diesen Beschluss für einzelne Standorte auszusetzen bzw. zurückzunehmen?
Herr Kollege Kolbe, anlässlich des Besuchs am 9. Dezember 2002 in Delitzsch konnte von Herrn Bundesminister Dr. Manfred Stolpe nach Absprache mit dem
Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG der
Schließungsbeschluss um zwei Jahre bis zum Jahresende
2005 für ausgesetzt erklärt werden. Der Ministerpräsident
des Freistaates Sachsen sagte bei seinem Besuch in
Delitzsch eine angemessene Unterstützung durch den
Freistaat zu, damit es für Delitzsch eine wirtschaftliche
Perspektive gibt.
Auch von der Landesregierung des Freistaates Sachsen
wird akzeptiert, dass es innerhalb des Bahnkonzerns eine
Straffung der Kapazitäten bei den Ausbesserungswerken
geben muss. Nach Angaben der Deutschen Bahn AG sind
die 18 Ausbesserungswerke nur zu 57 Prozent ausgelastet.
Mit dem Sanierungskonzept des Vorstandes der Deutschen
Bahn AG von Juni 2001 werden die Kapazitäten an den
künftigen Bedarf der Fahrzeuginstandhaltung und -instandsetzung angepasst. Das ist für die Konsolidierung des
Unternehmens unbedingt erforderlich. Die Sanierungsmaßnahmen erfolgen im Konsens mit den Gewerkschaften.
Der Vorstand der Deutschen Bahn AG entscheidet hier
in alleiniger unternehmerischer Verantwortung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Dies entspricht der mit der
Bahnreform herbeigeführten sowie von Bundestag und
Bundesrat mit großer Mehrheit beschlossenen Trennung
der staatlichen Aufgaben von der notwendigen Eigenverantwortlichkeit der Deutschen Bahn AG. Der Bund hat als
Eigentümer in seinem Verhalten gegenüber der Deutschen
Bahn AG die aktienrechtlichen Vorgaben zu beachten.
Nach der aktienrechtlichen Kompetenznorm des § 76 des
Aktiengesetzes leitet der Vorstand die Gesellschaft in eigener Verantwortung; das heißt, er ist in Fragen der Geschäftsführung nicht an Weisungen anderer Organe der
Gesellschaft oder des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen gebunden. Der Schließungsbeschluss kann daher nur vom Vorstand der Deutschen
Bahn AG zurückgenommen werden. Das ist nur für die
Standorte zu erwarten, bei denen ein Investor bereit ist,
das jeweilige Werk zu übernehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kolbe.
Frau Staatssekretärin, ich möchte zitieren, was der
Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe am 9. Dezember
2002 in Delitzsch gesagt hat, und Sie um Stellungnahme
dazu bitten. Manfred Stolpe hat wortwörtlich gesagt:
Wir haben eine klare Zusage, die mir heute früh noch
mal bestätigt worden ist von Herrn Mehdorn, dass er
ganz kurzfristig mit Ministerpräsident Milbradt und
mit mir über Perspektiven nicht nur für ein, zwei
Jahre, sondern über die Perspektiven dieses Standorts reden wird.
Weiter sagte Manfred Stolpe wörtlich:
Aber es bleibt ganz sicher in den nächsten Jahren ein
Werk der Bahn und es wird Aufträge der Bahn haben.
So wurde es am 9. Dezember 2002 vor rund 2 000 Menschen in Delitzsch gesagt. Wie verträgt sich das mit Ihren
Ausführungen im Deutschen Bundestag, dass es sich nur
um einen Aussetzungsbeschluss für zwei Jahre handeln
solle? Ich sehe hier einen eklatanten Widerspruch.
Ich sehe darin keinen eklatanten Widerspruch, weil das
Werk zwei Jahre in den Händen der DB AG bleiben wird.
Sie wissen, dass dieses Werk ausgeschrieben werden soll.
Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Standort mit dem
entsprechenden Auftrag ohne Weiteres erhalten bleibt. In
welcher Regie, ist eine andere Frage.
Eine weitere Zusatzfrage.
Uns allen ist natürlich bekannt, dass die Deutsche Bahn
eine Aktiengesellschaft ist. Aber die Bundesrepublik
Deutschland ist 100-prozentiger Eigentümer; sie ist also
Alleineigentümer. Deshalb frage ich noch einmal: Was
gedenkt die Bundesregierung jetzt zu tun, um das alles zu
begleiten, oder haben Sie schon etwas unternommen bzw.
werden Sie in den nächsten Wochen und Monaten etwas
unternehmen?
Ich weiß nicht, wie lange Sie schon Mitglied des Bundestags sind. Ich muss Ihnen vielleicht erklären, dass die
Bahnreform 1994 beschlossen worden ist.
({0})
- Wenn Sie, Herr Kollege Kolbe, in „Kürschners Volkshandbuch“ vier Sterne neben Ihrem Namen stehen haben,
dann waren Sie schon damals Mitglied des Bundestags
und können sich sicherlich noch daran erinnern, dass beschlossen worden ist, aus der Deutschen Bundesbahn
keine GmbH, sondern eine Aktiengesellschaft zu machen.
Wenn aus der Bundesbahn eine GmbH gemacht worden
wäre, dann gäbe es jetzt einen Geschäftsführer, den man
anweisen könnte, dieses oder jenes zu tun. Das ist aber
nicht der Fall.
Was die Bahnwerke angeht, ist, im Konsens auch mit
den Ländern und den Ministerpräsidenten, gesagt worden, dass sich die Länder und DB AG die jeweiligen Standorte angucken sollen. Minister Stolpe hat hierbei eine, wie
ich finde, sehr erfolgreiche Moderatorenrolle eingenommen. Wir alle sollten uns darüber freuen, dass es mit
Delitzsch weitergeht.
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Manfred Kolbe auf:
Hält es die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Manfred Stolpe,
in seiner Zuständigkeit für den Aufbau Ost für mit der Förderung
des Aufbaus Ost vereinbar, dass die Deutsche Bahn AG alle vier
Eisenbahnausbesserungswerke im Freistaat Sachsen schließen
will und von insgesamt 5 350 abzubauenden Arbeitsplätzen allein
2 341 Arbeitsplätze in Sachsen abgebaut werden sollen?
Zur Zukunft der sächsischen Ausbesserungswerke
fand am 28. Januar 2003 ein weiteres Gespräch beim Vorsitzenden der Deutschen Bahn AG unter Beteiligung von
Herrn Bundesminister Dr. Stolpe und des Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen statt. Dabei wurde die Zusage vom 9. Dezember 2002 bekräftigt und es wurden gemeinsame Maßnahmen zwischen der Deutschen Bahn
AG und dem Freistaat Sachsen zur Erhaltung des Standortes Delitzsch abgestimmt. Zu den Werken Chemnitz
und Zwickau werden die von der Deutschen Bahn AG
eingeleiteten Maßnahmen zur Privatisierung nach Einschätzung des Freistaates positiv bewertet. In den Werken
Chemnitz, Delitzsch und Zwickau waren nach Angaben
der Deutschen Bahn AG am 31. Dezember 2002 noch
1 208 vollzeitbeschäftigte Personen tätig. Das Werk Leipzig/Engelsdorf, in dem überwiegend Güterwagen instand
gehalten worden sind, ist seit 1. Januar 2002 kein Werk
der Deutschen Bahn AG mehr. Es wurde zu diesem Zeitpunkt mit 151 Beschäftigten an die Investorengruppe
Wils/Duroc/Til-Gutzen verkauft.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, vor dem Hintergrund dessen,
dass Ihr Haus für den Aufbau Ost zuständig ist, frage ich
Sie noch einmal: Halten Sie es für sachgerecht, dass alle
vier sächsischen Eisenbahnausbesserungswerke geschlossen werden, und halten Sie es auch für sachgerecht, dass
nach dem Stand der Beschlussfassung von 5 350 Arbeitsplätzen bundesweit allein 2 341, also knapp die Hälfte, in
einem Bundesland, nämlich in Sachsen, abgebaut werden?
Die Bahn modernisiert sich. Wir alle sind uns darüber
einig, glaube ich, dass gerade mit der Modernisierung des
Fuhrparks der Abbau bestimmter Kapazitäten einhergeht.
Dass Sachsen sehr viele Bahnwerke hat, hat mit der Struktur der früheren DDR zu tun. Sie können ganz sicher sein,
dass hier kein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz verlieren
wird; es gibt eine Übernahmegarantie. Insofern: Wir können das eine nicht ohne das andere haben. Die DB AG
- das ist der Auftrag aus der Bahnreform - soll sich konsolidieren und am Markt bestehen können. Dazu gehört
der Personalabbau, der auch in anderen Bereichen stattfindet. Dazu gehört ebenfalls, dass Ausbesserungswerke
geschlossen werden oder von anderen übernommen werden und dann unter anderer Regie weiterbestehen. Wenn
wir ganz ehrlich sind, müssen wir sagen: Das ist der Auftrag, den wir als Politik an die DB AG gegeben haben. Sie
erfüllt ihn. Wenn jetzt davon abgewichen werden soll,
müssen Sie mir sagen, in welcher Form Sie Werke erhalten wollen.
Herr Kollege Kolbe.
Frau Staatssekretärin, den Kern meiner Frage haben
Sie nicht beantwortet. Deshalb stelle ich jetzt fest und
bitte Sie um Zustimmung dazu: Bundesminister Manfred
Stolpe hält diesen einseitigen Abbau bei den Bahnwerken
in einem ostdeutschen Bundesland für regionalpolitisch
ausgewogen und sachgerecht. Ist das so?
Das habe ich in keiner Weise gesagt. Minister Stolpe
war noch gar nicht Minister, als beschlossen wurde, wie
die Bahn damit umzugehen gedenkt. Für jedes Werk haben wir Unterstützung signalisiert, was etwa eine Moderatorenrolle angeht. Die Werke sind zum Teil nicht als
solche erhalten worden, sondern auch in andere Geschäftsbereiche gegangen. Das haben wir in Sachsen genauso gemacht wie in allen anderen Bundesländern. Sie
können also nicht das schließen, was Sie eben gesagt haben. Das ist Ergebnis dessen, was Sie 1994 beschlossen
haben.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christoph
Matschie zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 22 des Kollegen Uwe
Schummer auf:
Wie viele unbesetzte Ausbildungsstellen in den neuen Bundesländern stehen aktuell den nicht untergebrachten Bewerbern
gegenüber und wie gestaltet sich aktuell die Situation für ostdeutsche Hauptschulabsolventen auf dem Ausbildungsstellenmarkt?
Herr Kollege Schummer, der Vergleich von Bewerberzahlen und Ausbildungsstellen ist zu diesem Zeitpunkt
noch nicht aussagekräftig, da sich der Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsstellenmarkt erfahrungsgemäß erst im letzten Quartal des Vermittlungsjahres, das heißt von Juli bis Ende September, vollzieht.
Nach der Ausbildungsvermittlungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit für das Vermittlungsjahr 2002/2003 stehen in den neuen Ländern aktuell - ich beziehe mich auf die
Zahl von Januar - 29 528 unbesetzten Berufsausbildungsstellen 97 977 unvermittelte Bewerber gegenüber.
Herr Kollege Schummer, Sie haben das Wort zu einer
Zusatzfrage.
Stimmt die Information der „Leipziger Volkszeitung“
vom 31. Januar dieses Jahres - dort wird die Bildungsministerin, Frau Bulmahn, zitiert -, dass die im Bundeshaushalt vorgesehene Kürzung beim Ausbildungsplatzsonderprogramm Ost um 12 Millionen Euro vollständig
zurückgenommen wird?
Bund und Länder haben vereinbart, dass dieses Ausbildungsplatzsonderprogramm weiter zurückgefahren wird,
nämlich von derzeit 14 000 Stellen im letzten Ausbildungsjahr auf 12 000 Ausbildungsstellen. Das ist die Planung. Im Moment gibt es Gespräche darüber, diesen
Rückgang nicht zu vollziehen. Das muss aber in den abschließenden Gesprächen über den Haushalt endgültig
geklärt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Vor dem Hintergrund, dass eine Frage mit einer ähnlichen Information zwei Tage vor der Veröffentlichung in
der eben genannten Zeitung im Ausschuss gestellt und
nicht beantwortet wurde, richte ich an Sie folgende Frage:
Ist es üblich, dass Abgeordnete über zentrale Haushaltsfragen des Bundes nicht im zuständigen Ausschuss, sondern über die Presse informiert werden?
Es ist üblich, dass Abgeordnete in den zuständigen
Ausschüssen informiert werden. Ich kann hier gegenwärtig kein Problem erkennen. Die Fragen, die im Ausschuss
gestellt worden sind, sind vonseiten unseres Ministeriums
beantwortet worden.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Schummer auf:
Wie viele ostdeutsche Hauptschulabsolventen sind davon aktuell unversorgt und wie hoch liegt ihr Anteil an den nicht vermittelten Bewerbern?
Unter allen Bewerbern in den neuen Bundesländern - das
sind insgesamt 121 014 Jugendliche - sind 26 577 Hauptschulabsolventen. Das sind 22 Prozent aller Bewerber.
Unter den noch nicht vermittelten Bewerbern sind
20 076 Hauptschulabsolventen. Das sind 20,5 Prozent aller unvermittelten Bewerber.
Auch in diesem Jahr wird der Vermittlung von Hauptschulabsolventen besondere Aufmerksamkeit zu widmen
sein. In den zusätzlichen Länderprogrammen werden
Hauptschulabsolventen als besondere Zielgruppe berücksichtigt.
Eine Zusatzfrage.
Bestätigen Sie die Aussage von Bundesminister Clement
in der Bundestagsdebatte vom 30. Januar, wonach 51 Prozent der Betriebe in den neuen Bundesländern derzeit
nicht ausbildungsberechtigt sind? Mit welchen Maßnahmen gedenken Sie die Ausbildungsfähigkeit der Betriebe
im dualen System zu stärken?
Ich kenne die Aussage, auf die Sie soeben verwiesen
haben, nicht und kann dazu deshalb weder etwas Bestätigendes noch etwas Dementierendes sagen.
({0})
Eine zweite Zusatzfrage.
Wie hoch ist die Zahl der Ausbildungsabbrecher im
Schnitt und in welchem Zeitraum wird die Bundesregie-
rung differenzierte und arbeitsmarktfähige zweijährige
Ausbildungsberufe oder Ausbildungsmodule mit Teilab-
schlüssen gesetzlich ermöglichen? Ist Ihnen bekannt, dass
eine solche Gesetzesinitiative von den Wirtschaftspoliti-
kern der SPD bereits formuliert ist?
Zu den Abbrecherquoten liegen mir jetzt keine Zahlen
vor, da sie nicht Gegenstand der Frage waren. Ich bin aber
gern bereit, Ihnen diese Zahlen, soweit sie uns zur Verfü-
gung stehen, nachzureichen.
Was die Gestaltung der Ausbildung angeht: In diesem
Jahr wird eine Novelle des Berufsbildungsgesetzes vor-
bereitet. Alle damit im Zusammenhang stehenden Fragen
werden im Rahmen der Beratung dieser Novelle vom Par-
lament diskutiert und beschlossen werden.
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Dr. Bergner auf:
Wie viele Bewerber für eine Lehrstelle gibt es aktuell Ende Ja-
nuar 2003 in den neuen Bundesländern, die sofort eine Lehrstelle
antreten möchten, aber unversorgt sind?1)
Herr Dr. Bergner, am 30. September 2002 gab es in den
neuen Ländern 10 203 unvermittelte Bewerberinnen und
Bewerber, denen 882 unbesetzte Ausbildungsplätze ge-
genüberstanden. Daneben gab es zu diesem Zeitpunkt
rund 7 900 Plätze aus den verschiedenen Sonderprogram-
men, die noch nicht eingesetzt waren. Das betrifft Pro-
grammplätze im Bund-Länder-Sonderprogramm 2002, in
den ergänzenden Länderprogrammen sowie in dem ab
dem 1. Februar 2003 erneut einsetzbaren Jugendsofort-
programm.
1) siehe hierzu auch Frage 52
Durch die Nachvermittlungsaktivitäten der Bundesanstalt für Arbeit sank die Anzahl der Ende September noch
nicht vermittelten Bewerber und Bewerberinnen bis zum
31. Dezember 2002 um 5 428 oder rund 53,2 Prozent auf
4 775. Zum Vergleich dazu: Ende Dezember 2001 waren
es 3 309. Für diese Jugendlichen waren 269 betriebliche
Ausbildungsplätze, über 600 Programmplätze des BundLänder-Sonderprogramms und der Länderprogramme sowie bis zu maximal 2 100 außerbetriebliche Plätze nach
Art. 4 des Jugendsofortprogramms verfügbar. Ende Januar 2003 waren noch 4 215 Bewerber und Bewerberinnen unvermittelt. Die Bundesanstalt für Arbeit wird den
verbliebenen Jugendlichen ein weiteres Angebot machen.
Herr Kollege Bergner.
Herr Staatssekretär Matschie, darf ich fragen, wie sich
diese Zahlen im Vergleich zu denen der Vorjahre darstellen, und geben Sie mir vor dem Hintergrund dieser Zahlen Recht, dass Überlegungen zur Rückführung von Ausbildungsplatzsonderprogrammen unangebracht sind?
Herr Kollege, ich habe Ihnen ja die Vergleichszahl von
Ende Dezember 2001 genannt. Wir hatten Ende Dezember 2002 noch 4 775 unvermittelte Bewerberinnen und
Bewerber, Ende Dezember 2001 waren es 3 309, das heißt
etwas weniger.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage kann ich sagen: Die
Rückführung des Ausbildungsplatzsonderprogramms ist
mit den Ländern verabredet gewesen. Hier gab es ja eine
längerfristige Planung, die über mehrere Jahre ging. Im
Moment ist im Gespräch, dass diese Rückführung so, wie
sie geplant war, nicht stattfinden soll. Die Gespräche darüber sind aber noch nicht abgeschlossen; auch die Haushaltsberatungen für diesen Bereich sind ja, wie Sie wissen, noch nicht abgeschlossen.
Weitere Zusatzfrage.
Können Sie bestätigen, dass in den Verhandlungen über
die Rückführung des Ausbildungsplatzsonderprogramms
die betroffenen Bundesländer unterschiedliche Positionen
einnehmen?
Ich kann Ihnen zum gegenwärtigen Verhandlungsstand
keine Auskunft geben, bin aber gern bereit, noch einmal
zu recherchieren, wie im Moment der Stand der Verhandlungen ist, und Ihnen dann gegebenenfalls im Ausschuss
die entsprechenden Auskünfte zu geben.
Zusatzfrage des Kollegen Fuchtel.
Wie verträgt sich eigentlich diese jetzt gerade so breit
dargestellte Sachlage mit den Zusicherungen in Ihrem
Wahlprogramm, dafür zu sorgen, dass die Jugendlichen
einen Ausbildungsplatz bekommen werden?
({0})
Es ist nach wie vor Ziel der Bundesregierung, allen, die
ausgebildet werden wollen, auch einen Ausbildungsplatz
zur Verfügung zu stellen. Sie wissen selbst, dass in allererster Linie die Wirtschaft dafür verantwortlich ist, dass
die notwendigen Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, um die
Wirtschaft dabei zu unterstützen, aber auch um zusätzliche Ausbildungsmöglichkeiten zu finanzieren. Das wird
auch in Zukunft so bleiben.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Kretschmer.
Was unternimmt die Bundesregierung denn jetzt, wenn
es nicht dazu kommt, dass das Ausbildungsplatzprogramm aufgestockt wird, wie es zwar in der Zeitung steht,
aber offensichtlich doch nicht der Fall ist, weil die Länder
ja nun der Meinung sind, man solle das kürzen - für Sachsen kann ich das nicht bestätigen, da hat man uns genau
das Gegenteil gesagt; aber wir können im Ausschuss gerne
darüber sprechen -, um für eine verbesserte Ausbildungsplatzsituation gerade in den neuen Bundesländern, aber
mittlerweile auch in den alten Bundesländern zu sorgen?
Die Bundesregierung ist im Moment unter anderem in
Gesprächen mit der deutschen Wirtschaft über die Frage,
inwieweit die Wirtschaft noch mehr Ausbildungsplätze
zur Verfügung stellen kann. Ich bin mir auch sicher, dass
Ihnen nicht entgangen ist, dass beispielsweise Herr Hundt
öffentlich zugesichert hat, dass die deutsche Wirtschaft
bereit wäre, eine Ausbildungsplatzgarantie abzugeben.
Er hat dann einige Bedingungen auch in Richtung der Gewerkschaften formuliert. Das zeigt, dass in der Wirtschaft
durchaus das Potenzial vorhanden wäre, allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen.
Darüber hinaus gibt es verschiedene Programme der Bundesregierung, zum Teil gemeinsam mit den Ländern, beispielsweise ein spezielles Programm, bei dem Lehrstellenentwickler Unternehmen helfen, weitere Lehrstellen
anzubieten.
Wir sind damit am Ende der für die Fragestunde vorgesehenen Zeit. Ich schließe die Fragestunde.
Die Fraktion der CDU/CSU hat zur Antwort der Bundesregierung auf die eingebrachte Dringlichkeitsfrage
eine Aktuelle Stunde verlangt. Diesem Verlangen ist nach
Anlage 5 I 1 b unserer Geschäftsordnung stattzugeben,
und zwar unmittelbar im Anschluss an die Fragestunde.
Deshalb rufe ich als neuen Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Irakpolitik
Als erster Redner erhält der Kollege Eckart von
Klaeden für die CDU/CSU das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Präsident! Meine Damen und
Herren Kollegen! Die Aufregungen um die Veröffentlichung im „Spiegel“ über einen angeblichen Alternativplan von Deutschland und Frankreich zeigen: Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler, ist mit
ihrem Latein am Ende.
({0})
Deutschland steckt in der schwersten außen- und sicherheitspolitischen Krise seit Bestehen der Bundesrepublik.
Sie haben gleich mehrere Fehler auf einmal gemacht.
Mit Ihrem Hinweis, einen deutschen Weg zu gehen, haben
Sie das zarte Pflänzlein der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in Europa zertreten. Mit Ihrer Verweigerung der erforderlichen und erwünschten Unterstützung
der Türkei im NATO-Rat am Montag gefährden Sie die
Bündnisfähigkeit Deutschlands. Sie erhöhen mit Ihrer absoluten Weigerung, an einer von der UN sanktionierten
Maßnahme gegen den Irak teilzunehmen, die Notwendigkeit und die Gefahr einer Entwaffnung Saddam Husseins
mit militärischen Mitteln und Sie schwächen die Vereinten Nationen und machen sie lächerlich,
({1})
indem Sie die völkerrechtliche Beweislast umkehren;
denn durch Ihren Vorschlag, Blauhelme in den Irak zu
schicken, erwecken Sie den Eindruck, die Vereinten Nationen und nicht Saddam Hussein müssten nachweisen,
dass er die Massenvernichtungswaffen, deren Existenz
ihm nachgewiesen wurde, vernichtet hat.
Das ist der vorläufige Höhepunkt einer außen- und sicherheitspolitischen Geisterfahrt, die nicht das Ziel hatte,
Saddam Hussein zu entwaffnen und den Frieden im Nahen Osten - oder was Sie dafür halten - zu bewahren, sondern allein das Ziel, die Bundestagswahl am 22. September zu gewinnen und Gerhard Schröder wieder an die
Macht zu bringen.
Den ersten Fehler haben Sie auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung, der Auftaktveranstaltung am 5. August letzten Jahres, begangen, indem der Bundeskanzler
erklärt hat, Deutschland werde sich an einer Maßnahme
gegen den Irak nicht beteiligen, selbst wenn der UN-Sicherheitsrat sie beschließen würde.
({2})
Niemand hat von Deutschland eine militärische oder finanzielle Beteiligung verlangt. Das Einzige, was von
Deutschland erwartet wurde, war die politische und moralische Unterstützung einer Drohkulisse gegen Saddam
Hussein innerhalb der Vereinten Nationen. Diese Drohkulisse haben Sie entscheidend geschwächt.
({3})
Den zweiten Fehler hat der Bundeskanzler begangen,
als er die Bundesjustizministerin nach ihrer Äußerung am
19. September letzten Jahres, in der sie George Bush und
das Vorgehen gegen den Irak mit Adolf Hitler und dessen
Handeln verglich, nicht sofort entlassen hat.
({4})
Der Bundeskanzler hat einen Brief an den amerikanischen
Präsidenten geschrieben, in dem er den Eindruck erweckt
hat, diese Äußerung sei gar nicht gefallen. Er ist nicht auf
den ungeheuerlichen diplomatischen Affront eingegangen, sondern hat die plumpe Ausrede der Ministerin vor
der Bundespressekonferenz wiederholt und damit den
Eindruck erweckt, der amerikanische Präsident fühle sich
zu Unrecht persönlich beleidigt.
Der dritte Fehler geschah am 10. Januar dieses Jahres,
als der Bundeskanzler UN-Botschafter Pleuger öffentlich
maßregelte, der lediglich die Position des Außenministers
zur Frage einer weiteren UN-Resolution vorgetragen hatte.
Der vierte Fehler geschah am 27. Januar in Goslar, als
Gerhard Schröder von dort dem Außenminister, der sich in
New York aufhielt, in den Rücken fiel und unwidersprochen zuließ, dass sein damaliger Kronprinz Sigmar Gabriel
({5})
den Vereinigten Staaten unterstellte, sie wollten junge
Menschen für Öl in den Krieg schicken. Gabriel unterstellte damit nur niedere, ökonomische Motive und der
daneben stehende Bundeskanzler applaudierte und widersprach nicht.
({6})
Den fünften Fehler haben Sie begangen, als der Bundeskanzler am Donnerstag - der Staatsminister hat das auf
eine entsprechende Frage des Kollegen Grindel zugestehen müssen - gegenüber „Spiegel“-Redakteuren seinen
unausgegorenen Plan über den Einsatz von UN-Blauhelmen im Irak angesprochen hat. Er hat seine Minister zur
Sicherheitskonferenz nach München geschickt, ohne sie
vorher zu informieren.
({7})
Die Folge war ein peinlicher Eiertanz für die Bundesrepublik Deutschland. Bereits am Sonntag hat die französische Verteidigungsministerin die gemeinsame Initiative,
über die im „Spiegel“ berichtet wurde, dementiert und
dazu gesagt: Die Deutschen wollten sich wieder ins Spiel
bringen, sich also aus der selbst verschuldeten Isolation
befreien. - Damit haben Sie den „Spiegel“, der am Montag
erschien, schon am Sonntag zu Altpapier gemacht.
Der sechste Fehler, den Sie begangen haben, ist,
dass Sie der Türkei, einem Land, das Sie in die Europäische Union aufnehmen wollen, die erforderliche und
gewünschte militärische Unterstützung verweigert haben.
({8})
In der Außen- und Sicherheitspolitik hat es noch nie einen solchen Schaden für die Bundesrepublik Deutschland
gegeben.
Als Letztes möchte ich mich an die Grünen wenden:
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, noch
profitieren Sie von dem Sinkflug der Sozialdemokraten.
Noch wandert ein Teil der sozialdemokratischen Wähler
zu Ihnen. Aber Außenminister Fischer hat immer wieder
eine öffentliche Desavouierung ertragen müssen. Jedes
Mal, wenn er sich bemüht hat, wieder ein Türchen in
Richtung Vereinte Nationen oder USA zu öffnen,
({9})
hat der Bundeskanzler in öffentlichen Stellungnahmen
diese Tür wieder zugeschlagen. Die Bedeutung der Worte
vom Koch und vom Kellner ist nie so deutlich geworden
wie bei dieser Desavouierung des Außenministers durch
den Bundeskanzler.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Frau Präsidentin, ich bin bei meinem letzten Satz. Mich würde es nicht wundern, wenn Fischer, wenn er
nicht endlich dazu bereit ist, zu einem Wechsel beizutragen, als Schröders Pudel in die Geschichte Deutschlands
eingehen wird.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Markus Meckel, SPDFraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege von Klaeden, wir haben
nicht deswegen einen Kanzler, damit er Latein kann, sondern damit er regiert, Schaden vom deutschen Volke abwendet und sich für den Frieden einsetzt. Genau das tut
unser Kanzler.
({0})
An seiner Seite - nicht im Zwist, sondern in Übereinstimmung mit ihm - tut dies übrigens auch der deutsche
Bundesaußenminister.
({1})
Einen Zickzackkurs sehe ich nicht bei dieser Bundesregierung, sondern bei der Opposition im letzten halben
Jahr.
({2})
Denn ich erinnere mich an die Diskussion im letzten Sommer, als Herr Stoiber kurz nach Herrn Schröder klar gesagt hat: Wir wollen uns nicht beteiligen. Er ist weit darüber hinausgegangen. Er hat sogar infrage gestellt, ob die
Amerikaner in Deutschland liegende Basen nutzen und
ihnen Überflugrechte gewährt werden könnten. Das hat
Stoiber im letzten Sommer infrage gestellt. Vergessen Sie
bitte nicht, dass dies so war! Herr Schmidt, Sie sollten sich
an die Worte Ihres Vorsitzenden erinnern.
({3})
In einem wichtigen Punkt hatte Herr Stoiber Recht. Er
hat am letzten Sonnabendmorgen in München erklärt,
dass es wichtig sei, den Inspektoren auf der Grundlage der
Resolution 1441 mehr Zeit zu geben und diese Resolution
wirklich zu nutzen. Das ist unsere Position.
({4})
Dafür hat sich Herr Stoiber in seinem Eingangsstatement
unmittelbar nach der Rede von Herrn Rumsfeld eingesetzt.
({5})
- Sie haben Recht. Er hat seine Position geändert. In seiner Rede am Abend hat er Herrn Rumsfeld zugestimmt.
Ich spreche ja von den Schlangenlinien. Dies sollten Sie
in Erinnerung behalten.
({6})
Sie sprechen von einem Geheimplan; das ist der Anlass
für diese Aktuelle Stunde gewesen. Sie meinen, den
„Spiegel“ bzw. entsprechende Hinweise retten zu müssen.
Es hat nie einen Geheimplan gegeben.
({7})
Es hat auch nirgendwo geheime Verhandlungen gegeben.
Es gibt die Bemühungen der deutschen Regierung, gemeinsam mit anderen Mitgliedern des Sicherheitsrates
dafür zu sorgen, dass der Weg der Resolution 1441 weiter
verfolgt wird - so lange, bis die Inspektoren selber klar sagen, dass das bisher Beschlossene keine Chance mehr hat.
Bisher weisen alle Signale der Inspektoren in die gegenteilige Richtung. Sie waren letzte Woche in Bagdad. Nach
all dem, was wir bisher vernehmen konnten - der Bericht
wird ja erst am kommenden Freitag vorgelegt werden -,
gibt es Fortschritte. Das heißt nicht, dass dies schon genügen würde. Aber offensichtlich sieht man die Chance
- das ist auch unsere Position -, dass es sich lohnt, die
Inspektionen weiterzuführen.
Deutschland und Frankreich versuchen gegenwärtig
- mit Unterstützung Russlands -, auf dieser Grundlage
weiterzumachen, und sagen: Man sollte überlegen, inwieweit es sinnvoll und möglich ist, die Inspektionen zu verstärken und auszubauen.
({8})
Diese Überlegung, die der französische Außenminister
schon in der letzten Sicherheitsratssitzung geäußert hat,
knüpft übrigens an eine Frage an, die man schon vor der
Verabschiedung der Resolution 1441 gestellt hat - auch
aufseiten der Amerikaner und der Briten -: Inwieweit
ist eine militärische Komponente zur Absicherung der
Inspektionen sinnvoll? Über diese Frage, die dann später
nicht weiter verfolgt worden ist, kann man durchaus streiten; das letzte Urteil sollte in meinen Augen den Inspektoren selbst zukommen. Heute als Anhängsel von Blauhelmen zu reden halte ich selbst für nicht so sinnvoll.
({9})
Es ist aber ohnehin nicht wesentlicher Bestandteil dieses
Vorschlages. Es geht lediglich darum, die Inspektionen zu
verstärken und zu überlegen, mit welchen Methoden dies
geschehen kann. Klar ist: Sie brauchen Zeit.
In Richtung der Opposition will ich noch eines sagen
- meine Redezeit geht zu Ende -: Der europäische Zusammenhalt ist wahrhaftig stark geschwächt. In der letzten Woche hatten die europäischen Außenminister eine gemeinsame Position gefunden. Leider ist dieser Konsens von
Teilen Europas durch eine Aktion - die Erklärung der Acht
-, die von anderen inszeniert war, aufgebrochen worden.
({10})
Ich halte es für sehr problematisch, wenn sich Ihre Fraktion dem anschließt. Darüber wird auch morgen zu diskutieren sein. Fragen Sie bitte Ihren Kollegen im Europäischen Parlament Elmar Brok, fragen Sie die griechische
Präsidentschaft, was sie davon halten, wenn der europäische Zusammenhalt an dieser Stelle verlassen wird.
({11})
Wir halten das für ein großes Problem.
Ich danke Ihnen.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Immerhin, Herr Kollege Meckel, war dieser Geheimplan
so geheim und derart nicht existent, dass der Bundesminister der Verteidigung in München auf meine Frage dazu
geantwortet hat, zwar könne er dazu nichts sagen, aber der
Bundeskanzler werde am Donnerstag in seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag dazu Stellung nehmen.
({0})
Was ist denn nun?
München war wieder einmal ein wirklich faszinierendes Erlebnis, eine tolle Konferenz. Wir empfangen dort
jährlich sehr viele hochkarätige Gäste aus aller Welt.
({1})
Ich fürchte, in Zukunft werden wir uns auf die Rolle des
Gastgebers reduzieren müssen und nicht mehr als ernsthafte Gesprächs- und Verhandlungspartner zur Kenntnis
genommen werden.
({2})
Es kann doch nicht sein, meine Damen und Herren, dass
die Konferenz in München bereits fünf, sechs Stunden
läuft und erst dann, aufgrund einer von Agenturen verbreiteten Vorabmeldung des „Spiegel“, die Frage gestellt
werden kann: Was ist an dieser Initiative eigentlich dran?,
während die beiden Verteidigungsminister, die gerade gesprochen haben, der französische und der deutsche, sowie
offenbar weite Teile des Auswärtigen Amtes über die Angelegenheit nicht informiert sind.
({3})
Das ist eine Düpierung all derjenigen, die dorthin gekommen sind, um mit uns als Partner ernsthaft über Sicherheitspolitik zu reden.
({4})
Wir werden über den Irak hier sicher noch oft - vor
allem auch morgen - sprechen, aber heute steht etwas
anderes im Vordergrund, nämlich die Frage, wie wir mit
solchen Themen umgehen.
({5})
Es ist die Frage, sehr verehrte Frau Kollegin Roth, ob der
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland auf dem
Altar innenpolitischen Taktierens die Bündnisfähigkeit der
Bundesrepublik Deutschland geopfert hat. Darum geht es.
({6})
Wenn man dann in einer Situation, in der ein NATOPartner unter Druck gerät, die notwendige Hilfe verweigert, dann schlägt man einen Nagel in den Sarg des
Bündnisses,
({7})
dem wir sehr, sehr viel in unserer deutschen Geschichte
zu verdanken haben.
({8})
Das Kernprinzip der NATO ist tiefe Integration. Tiefe Integration setzt voraus, dass man bereit ist, sich voneinander abhängig zu machen, weil man dann nur noch gemeinsam militärisch agieren kann. Sie setzt voraus, dass
man die Kraft hat, zu gemeinsamen Entscheidungen zu
kommen, und sich nicht durch Vorfestlegungen von vornherein daran hindert, Einfluss auf das zu nehmen, was am
Ende gemeinsame Entscheidung ist.
({9})
Deswegen ist die Bundesrepublik Deutschland von
Bundeskanzler Schröder schlicht und ergreifend in die
Irrelevanz geführt worden. Der Bundesminister des Auswärtigen weiß das auch ganz genau. Die Bundesregierung
wird in dieser Aktuellen Stunde erstaunlicherweise nicht
Stellung nehmen. Ich frage mich, wie lange der Außenminister diesen Kurs eigentlich noch mittragen kann.
({10})
Wie glaubwürdig ist unser Bekenntnis zum Multilateralismus, wenn wir von vornherein sagen: „Egal, was der
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen entscheidet, wir
nicht!“? Wie glaubwürdig ist eigentlich unser Bekenntnis
zur NATO und wie glaubwürdig ist unser Bekenntnis zu
dem, was wir uns gemeinsam - zumindest bisher - als
gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik erhofft haben? Die ESVP ist bereits tot, bevor wir
die ersten ernsthaften Schritte in ihre Richtung gemacht
haben. Das wird man der Bundesregierung eines Tages
anrechnen müssen.
({11})
Kluge Außenpolitik besteht darin, Optionen zu schaffen, immer wieder neue zu öffnen und nicht vorzeitig Optionen zu schließen.
({12})
Genau gegen eine solche Grundregel der internationalen Politik hat die Bundesregierung, hat insbesondere
der Bundeskanzler verstoßen. Die Bundesrepublik
Deutschland hat international erheblichen Schaden genommen.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Ludger Volmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin
schon seit einigen Jahren in diesem Parlament. Aber ich
habe noch nie eine Aktuelle Stunde erlebt, die so überflüssig war wie die heutige.
({0})
Sie ist der Sache nach überflüssig.
({1})
Morgen wird der Bundeskanzler dazu eine ausführliche
Regierungserklärung abgeben.
({2})
Auch der Außenminister wird sich in aller Ausführlichkeit
dazu äußern. Da kann über alles dem Grunde nach und so
intensiv wie nötig diskutiert werden.
Ich frage mich: Warum weichen Sie heute auf Nebenthemen aus, zum Beispiel auf die Frage, wie über diese
außerordentlich komplizierte und differenzierte Angelegenheit am Wochenende in der Presse berichtet wurde?
Natürlich kann man darüber reden, wie die Berichterstattung ist. Man kann darüber reden, ob es richtig ist, nach
einer Recherche, bei der man dieses und jenes Element
über Konsultationen, Ideen und Beratungen zusammengetragen hat, diesen dann den Stempel „deutsch-französischer Geheimplan“ aufzudrücken und einen solchen Plan
- gäbe es ihn wirklich - mit dieser Aktion sofort zu torpedieren. Man kann darüber reden, aber das, glaube ich,
ist das absolute Nebenthema.
Ich frage mich, mit welchem Maßstab Sie diese Kritik
vorbringen. Ich könnte es verstehen, wenn jemand, der
wie wir, wie Rot-Grün bzw. die Bundesregierung, intensiv daran arbeitet, den Frieden zu sichern,
({3})
kritisch einwenden würde: „Ihr macht das nicht optimal
und eure Kommunikationsstrategie hat manchmal Fehler.“ Eine solche Kritik würden wir uns anhören und dann
würden wir versuchen, das zu verbessern. Aber das ist
nicht Ihr Maßstab.
({4})
Sie haben einen völlig anderen Maßstab. Sie wollen keine
bessere Friedenspolitik, sondern Sie haben hinter der Kritik an der Bundesregierung monatelang ihre eigene Haltung verborgen,
({5})
und zwar deshalb, weil Sie keine eigene hatten. Sie waren
voller interner Widersprüche zwischen CDU und CSU.
Auch heute noch kommen CSU-Abgeordnete zu uns und
sagen: „Macht bloß weiter, wir werden in unserer Fraktion rasiert.“ Das hören wir immer wieder.
({6})
Jetzt, nach den Landtagswahlen, hat Ihre Parteivorsitzende endlich die Wahrheit aufgedeckt. Die CDU, so hat
sie gesagt, steht hinter George Bush, das heißt, die CDU
ist für eine Politik, durch die - so ist die Einschätzung
aller Experten - eine militärische Eskalation kaum noch
in letzter Minute zu stoppen ist.
({7})
Unsere Politik, die Politik der Koalition und der Bundesregierung, zielt darauf, die letzten Chancen zu nutzen,
das letzte kleine Fenster zu nutzen, um den Ausbruch des
Krieges zu verhindern.
({8})
Wenn es darum in der internationalen Politik geht, bleibt
nur noch ein Skandal an diesem Wochenende und über
diesen muss geredet werden.
({9})
Der Skandal ist, dass die CDU/CSU in dem Moment, in
dem die Bundesregierung und die Koalition versuchen,
den Frieden zu retten, sagt: Wir sind für die kriegerische
Option.
({10})
Das ist der Skandal.
({11})
Wenn Sie sagen, Sie seien für das Bedrohungsszenario,
für die Androhung eines Krieges, dann müssen Sie auch
sagen: Wir sind willens, ihn zu führen und daran teilzunehmen.
({12})
Ich erwarte von Frau Merkel, dass sie morgen, wenn
der Bundeskanzler seine Regierungserklärung abgibt und
unsere Friedenspolitik darstellt,
({13})
ihre Strategie aufdeckt, sodass wir sie genauso intensiv
und kritisch diskutieren können, wie Sie unsere Politik
unter die Lupe genommen haben. Das gehört zu einem offenen und ehrlichen Diskurs.
Wir lassen Ihnen nicht mehr durchgehen, dass Sie sich
durch Kritteleien an einzelnen Elementen der rot-grünen
Politik vor einer klaren Stellungnahme drücken, weil Sie
Angst vor fundamentalem Zwist in den eigenen Reihen
und davor haben, sich selber zu isolieren.
({14})
Es mag ja sein, dass Rot-Grün und die Bundesregierung
in bestimmten Phasen dieser Diskussion
({15})
allein dazustehen schienen, aber urplötzlich - aus Ihrer
Sicht sogar überraschend - waren wir in einer Allianz mit
Frankreich.
({16})
Einen Tag später war Russland dabei. Nun sieht alles danach aus, dass China dieser Initiative beitreten wird. Es
zeichnet sich die Mehrheit im Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen für die Verlängerung der Mission von Blix und
el Baradei ab.
({17})
Ich möchte von Ihnen morgen eine klare Aussage
hören: Sind Sie für den Versuch, die Mission von Blix und
el Baradei zu verlängern, oder wollen Sie Ihre Option einer direkten militärischen Eskalation sofort umsetzen?
Wir verlangen morgen ein klares Wort von Frau Merkel.
Danke.
({18})
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Kollege Volmer, ich habe meine Zweifel daran, ob
der Bundesaußenminister die Informationspolitik am Wochenende wirklich als Nebensache empfunden hat. So wie
ich ihn kennen gelernt habe, hat er sich aufgeregt, und
zwar mit Recht.
({0})
Denn im „Spiegel“ am Montag war nicht nur etwas
über den deutsch-französischen Geheimplan zu lesen,
sondern unter der Überschrift „Beziehung mit Knacks“
auch eine Geschichte über massive Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundeskanzler und dem Außenminister,
({1})
und das ausgerechnet, nachdem, wie jetzt bestätigt, am
Donnerstagabend Gerhard Schröder im Kanzleramt mit
„Spiegel“-Redakteuren gesprochen hat.
So etwas ist kein Zufall. Wer die Artikel gelesen hat,
kann nur zu einer Schlussfolgerung kommen:
({2})
Hier ist gezielt durchgestochen worden, und zwar vom
Chef persönlich. Schröder hat Fischer mal wieder zeigen
wollen, wer Koch und wer Kellner ist. Es geht in Wahrheit um taktische Winkelzüge, es geht allein um innenpolitische Ränkespiele.
({3})
Es ist offenbar völlig gleichgültig, ob außenpolitischer
Schaden entsteht. Das ist der Geist von Goslar und das ist
ein Ungeist.
({4})
Ein besonders jämmerliches Bild hat der Bundesverteidigungsminister abgegeben, der in der Tat am Wochenende vor einer teuflischen Alternative stand: Gebe ich zu,
dass ich keine Ahnung habe, oder glaube ich dem „Spiegel“? Sozialdemokraten entscheiden sich in der Regel für
die zweite Alternative.
({5})
Struck am Samstag zu Blauhelmen: „Da ist was dran.“
Struck am Sonntag zu Blauhelmen: „Zum Umfang kann
ich nichts sagen.“ Struck am Montag zu Blauhelmen:
„Das entspricht nicht der Realität.“ Meine Damen und
Herren, wir haben es hier mit einem Abgrund an Unwissenheit zu tun.
({6})
Der Kollege Gernot Erler hat dazu sehr einfühlsam gesagt: „Solche Pläne können nur in sehr kleinem Kreis besprochen werden. Da kann nicht jeder über alles Bescheid
wissen.“
({7})
Ich weiß nicht, wer zu dem kleinen Kreis gehört hat. Der
Bundesaußenminister jedenfalls nicht und auch nicht der
Bundesverteidigungsminister,
({8})
obwohl es immerhin um den Blauhelmeinsatz von Bundeswehrsoldaten ging. Das ist ja keine Kleinigkeit. Der Außenminister wird vom „Spiegel“ und nicht vom Bundeskanzler
informiert. Politiker mit Charakter würden angesichts einer
solchen Behandlung anfangen, sich zu überlegen, ob sie
dem Kanzler nicht die Brocken vor die Füße werfen.
({9})
Zumindest hätte der Außenminister, Frau Kollegin Roth,
zu diesem deutsch-französischen Geheimplan sagen können: Forget it! Zumindest das hätte er sagen können.
({10}): Hat der Herr Glos Ihnen das alles
aufgeschrieben?)
Bevor wir jetzt zu viel Mitlied mit dem Verteidigungsminister bekommen, muss man darauf hinweisen, dass wir
jetzt sehen, was passiert, wenn wichtige Regierungsämter
nicht nach fachlichen Gesichtspunkten, sondern ausschließlich nach parteitaktischem Kalkül besetzt werden.
Herr Struck hat eben wie ein Fraktionsvorsitzender,
wie ein braver Parteisoldat, und nicht wie ein verantwortungsbewusster oberster Dienstvorgesetzter unserer Bundeswehrsoldaten reagiert,
({11})
der sich an Fakten orientiert und auch einmal den Mut hat,
zu widersprechen, wenn Pläne vorgelegt werden, die
fachlich sehr fragwürdig sind.
({12})
Auch in meinem Wahlkreis machen sich die Menschen
wegen der Entwicklung im Irak Sorgen. Ich glaube, dass
es vielen Bürgern nicht leicht fällt, sich zwischen all den
Resolutionen, den Plänen, dem Sicherheitsrat, dem
NATO-Rat, den Beistandspflichten und den Inspekteuren
zurechtzufinden. Die Menschen wollen jetzt politische
Führung. Sie wollen Orientierung. Sie haben es nicht verdient, dass man mit ihren Sorgen politische Geschäfte
macht wie der, der diesen angeblichen Alternativplan im
„Spiegel“ platziert hat. Dies ist ein fragwürdiger Regierungsstil, der mit den Menschen spielt.
({13})
Ich finde es richtig, dass meine journalistischen Berufskollegen nicht nur solche angeblichen Alternativpläne
transportieren, sondern jetzt auch aufdecken, welche Interessen dahinter stecken, wenn ihnen solche Pläne verkauft werden.
Es ist gut, dass wir heute nachlesen können, was der
Bundeskanzler am Montag der SPD-Fraktion gesagt hat.
Er hat gesagt, an der Irakfrage entscheide sich vieles für
die SPD und auch für ihn.
({14})
Nein, es geht nicht um die Sicherheit seines Kanzlerstuhls, sondern um die Sicherheit der Menschen gerade
auch in unserem Land. Es geht um nationale Interessen
und nicht um Machterhalt. Wir müssen in der Debatte die
Maßstäbe mal wieder zurechtrücken.
({15})
Joschka Fischer hat am Wochenende - da wusste er
von seinen Mitarbeitern bereits, was am Donnerstag im
Kanzleramt zwischen Schröder und dem „Spiegel“ gelaufen war - auf der Münchner Konferenz gesagt: „Auch die
Deutschen müssen zugeben, dass sie nicht immer die
Weisheit mit Löffeln gefressen haben.“ Gerade mit Blick
auf die Bundesregierung muss man sagen: Wo der Mann
Recht hat, hat er Recht.
({16})
Herr Kollege Grindel, ich gratuliere Ihnen recht herzlich zu Ihrer ersten Rede hier in diesem Hohen Hause und
wünsche Ihnen alles Gute.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Uta Zapf, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich muss sagen, ich bin schockiert, ich bin tief erschüttert
({0})
über die Art und Weise, wie Sie bei dem so ernsten Thema
„Krieg und Frieden“ hier sitzen, lachen und verdammte
Späße machen und ganz offensichtlich überhaupt nichts
kapiert haben.
({1})
- Sie können noch so viel brüllen. Angesichts dessen, dass
jemand wie Herr Glos sagt: „außenpolitisches Dilemma
ohne Beispiel“, „Spaltung Europas“, „Schädigung der
NATO“ - Frau Merkel sagt: „Verantwortungslosigkeit“ -,
sage ich Ihnen: Diese Regierung versucht mit allen Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen,
({2})
einen Krieg abzuwenden.
({3})
- Das glaube ich sehr wohl, lieber Herr Merz.
({4})
Wenn Sie ab und zu auch andere Zeitungen lesen würden, dann kämen Sie nicht auf die idiotische Idee, dass dies,
wie der „Spiegel“ zitiert hat, ein Geheimplan gewesen sei.
({5})
Frankreich hat diesen so genannten Geheimplan am 5. Februar im Sicherheitsrat vorgetragen.
({6})
Herr Fischer hat daneben gesessen.
({7})
- Das hat er nicht dementiert. Herr Fischer hat daneben gesessen und hat zum großen Entsetzen von Herrn Powell genickt und so deutlich gemacht, dass er den Plan gut findet.
({8})
Am 11. Februar ist in der „Times“ der volle Wortlaut der
Vorschläge erschienen, die am 10. Februar Blix und
el Baradei übergeben worden sind. Sie nennen dies eine angebliche Alternative, Herr von Klaeden. Das ist keine angebliche Alternative; es ist vielmehr ein sehr kluger Plan.
({9})
Herr Blix und Herr el Baradei haben gesagt, sie bräuchten zum einen mehr Zeit. Diese Initiative ist richtig, da dadurch den Inspektoren mehr Zeit gegeben wird. Sie haben
zweitens noch intensivere Inspektionen gefordert. Dann
ist der Plan wiederum richtig, denn er gewährt eine höhere
Zahl von Inspektionen. Darüber hinaus werden weitere
Rahmenbedingungen geschildert, die mit einer besseren
Ausstattung mit Technologie und ähnlichem zu tun haben.
({10})
- Von Blauhelmen steht überhaupt nichts darin. Ich sage
Ihnen, woher der Vorschlag des Einsatzes von Blauhelmen kommt:
({11})
Deren Einsatz ist in einem Konzept der Carnegie Foundation der Amerikaner aufgetaucht und ist im Sicherheitsrat auch diskutiert worden.
({12})
Der Einsatz von Blauhelmen ist in diesem Bereich als
nicht dienlich befunden worden.
({13})
- Ich kann doch nichts dafür, wenn Journalisten des
„Spiegel“ unseriös berichten, Herrgott noch mal!
({14})
Sie wissen doch ganz genau, wie diese Berichte entstehen.
Da wird zusammengemischt, was überhaupt nicht zusammengehört.
({15})
Meine Damen und Herren, wir müssen, weil wir alle
wissen, welche Folgen kriegerische Auseinandersetzungen in dieser Region haben werden, alles daran setzen,
diesen Krieg zu vermeiden. Gleichzeitig müssen wir erreichen, dass Saddam Hussein nachweislich keine Massenvernichtungswaffen besitzt.
({16})
Ich glaube, dass dazu dieser von Ihnen so lächerlich gemachte Alternativplan in der Tat ein Weg wäre.
({17})
Ich hoffe, dass dieser Plan eine Chance bekommt, damit
der Frieden in unserem Land und der ganzen Welt gewahrt
bleibt.
Es gibt doch eine Diskussion darüber, welche Folgen
dies alles in der Region hat und welche Folgen es insgesamt
in der Auseinandersetzung um den Terrorismus und in der
Frage, ob es die Antiterrorkoalition sprengt, hat. Welche
Folgen hat das zum Beispiel in Bezug auf die islamische
Welt? Wir provozieren einen Kulturkampf, den wir eigentlich vermeiden wollen. Wir müssen alles nutzen, was uns
zur Verfügung steht, wir müssen eine Politik der Prävention
betreiben. Das ist der Weg, den wir gehen müssen.
Noch eine Anmerkung. Herr Volmer hat bereits darauf
hingewiesen, wie der Grundsatz dieser Regierung lautet.
Sehen Sie einmal in die Koalitionsvereinbarung hinein.
Zur wirtschaftlichen Frage. Sie in der Opposition wissen doch, dass ein solcher Krieg weltwirtschaftliche Auswirkungen hat, die wir uns überhaupt noch nicht vorstellen können. Auch das ist vielleicht ein Grund, dem
Frieden eine Chance zu geben. Diese Chance haben wir
durch den Einsatz der Inspektoren und durch die jetzt
möglichen Überflüge über Irak. Ich glaube, es ist nicht
verantwortungslos, eine solche Initiative zu unterstützen.
Im Übrigen: Es gibt gerade einmal vier Länder im
Sicherheitsrat, die dem ablehnend gegenüberstehen. Die
anderen Länder stehen einer solchen Strategie positiv gegenüber. Ich hoffe, dass die Diskussionen im Sicherheitsrat jetzt und nach dem 14. Februar dazu führen werden,
dass wir diese Chance wirklich nutzen.
Danke schön.
({18})
Nächster Redner ist der Kollege Christian Schmidt,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Kollegin Zapf, ich empfehle Ihnen, die Beurteilung der Gesichtsausdrücke zukünftig zu unterlassen,
sonst fiele mir zur Ernsthaftigkeit der Diskussion, der
Form der Diskussion und des Zustandes manches ein, was
ich über Rot-Grün hier aber nicht sagen will.
({0})
- Ich muss schon sagen: Allein das Erhellende des unsäglichen Beitrags des ausgeschiedenen Staatsministers aus
dem Auswärtigen Amt macht diese Debatte schon hörens-,
lesens- und erlebenswert.
({1})
Diese Form kann nur so bezeichnet werden, wie es HansUlrich Jörges im neuen „Stern“ getan hat. Er sagt: „Sie
bringen die Weltordnung ins Wanken. Amateure, Dilettanten zuweilen, die ihre Kugeln übers diplomatische
Parkett donnern wie Bowlingspieler und dann staunend
zuschauen, welche Kegel sie umgerissen haben.“ Das ist
die Ernsthaftigkeit. Es geht um den Frieden.
Frau Zapf, nach den ganzen Legendenbildern hat es einen Geheimplan nicht gegeben. Zugegeben: Er war für
Sie sicherlich so geheim, dass Sie ihn nicht gekannt haben. Es stimmt ja vielleicht, dass es keinen Geheimplan
gegeben hat. Sie müssen sich dann aber schon entscheiden. Der Bundesverteidigungsminister - nicht irgendein
von Ihnen neuerdings angegriffener „Spiegel“-Journalist hat in einem Interview mit Reuters am 9. Februar auf die
Frage, ob die Initiative Blauhelme mit einschließt, Folgendes geantwortet - ich zitiere -:
Struck bestätigte auch, dass die deutsch-französische
Initiative den Einsatz von UNO-Blauhelmsoldaten
zur Entwaffnung Iraks vorsieht.
({2})
Er schloss zudem eine deutsche Beteiligung daran
nicht aus. Es sei unklar, wie viele Blauhelmsoldaten
die UNO nach Irak entsenden würde, wenn ein solcher Beschluss gefasst werde, sagte er.
Struck sagte ferner, dass unter ihrer Aufsicht die Massenvernichtungswaffen des Landes zerstört werden sollten.
Zur Blauhelmtruppe sagte er: Wir könnten uns daran
schon beteiligen.
({3})
Am 10. Februar sagte Bela Anda - das muss die Veranstaltung gewesen sein, auf der er immer nach unten geblickt
hat; er wollte nicht nach oben schauen, weil er nicht ins
Auge der Journalisten blicken wollte - auf die Frage - ({4})
- Die Sache ist wirklich zu ernst, als dass Sie sie wie das
325-Euro-Gesetz behandeln können.
({5})
Wir waren hier. Ihr Bundeskanzler ist in einer Woche viermal - also fast jeden Tag - mit einer jeweils anderen Er1854
klärung daher gekommen, weil er nicht wusste, von was
er redete. Er hat den Finger in den Wind gesteckt. Ich behaupte, dass die Themen - es ging zunächst um die
Arbeitsplätze, heute geht es um den Frieden in der Welt nicht seine erste Priorität haben. Er will in die Presse und
in die Medien; er will Stimmung machen. Das ist für einen Bundeskanzler unerträglich.
({6})
Auf die Frage, ob dazu ein Blauhelmeinsatz notwendig
sei, erklärte der Regierungssprecher Bela Anda, die Frage
stelle sich nicht, weil es darum gehe, dass der Irak vollständig zu kooperieren habe. Lassen Sie nicht nur die
Weltöffentlichkeit, sondern auch uns darüber eine Minute
nachdenken. Was sagt der Regierungssprecher? Der Bundeskanzler hat es übrigens wortgleich im „Stern“-Interview wiederholt.
({7})
Er sagt: Also schloss ich messerscharf, dass nicht sein
kann, was nicht sein darf; denn - damit hat er Recht - nach
der Resolution 1441 und 16 anderen Resolutionen hat er
zu kooperieren. Allein, Herr Bundeskanzler, Herr Regierungssprecher, die Realität ist eine andere - deswegen
gibt es 16 Resolutionen -: Herr Saddam Hussein kooperiert nicht.
({8})
- Ich gebe zu, dass ich das schlecht beurteilen kann, der
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann dies aber sehr
wohl.
({9})
- Wollen Sie bitte einmal die Resolution 1441 lesen! Wollen Sie bitte die Öffentlichkeit ernsthaft darüber informieren, was ist!
({10})
- Mit Ihnen da hinten rede ich gleich überhaupt nicht.
Sie fragen, was ich will. Wir sind uns alle darüber einig, dass es ideal wäre, wenn Saddam Hussein, ohne dass
ein Schuss fällt oder eine Kugel fliegt, seinen Verpflichtungen, die seit dem Jahre 1990 sehr genau dokumentiert
sind, nachkommen würde - nach Auffassung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, das ist unsere Vertretung der Weltgemeinschaft, gefährdet er aber den Weltfrieden - und bereit wäre, ein Quasi-Protektorat in seinem
Land zuzulassen. Wenn Sie das jemals gewollt haben,
dann haben Sie das mit der Art und Weise, in der dieser so
genannte Plan, bevor er überhaupt zu Ende gedacht war,
mit all seinen Widersprüchen in der Öffentlichkeit dargestellt wurde - ich erinnere an das Beispiel mit der Bowlingkugel -, kaputtgemacht. Deswegen behaupte ich: Mit
der Politik, die Sie machen, bringen Sie uns der militärischen Auseinandersetzung näher als dem Frieden.
({11})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Mogg, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich denke, dass dieses Haus es verdient hätte, dass wir
über die Fragen von Krieg und Frieden in großer Ernsthaftigkeit miteinander diskutieren.
({0})
Sehr geehrter und geschätzter Kollege Schmidt, wir kennen uns lange genug, sodass ich Ihnen sagen kann: Ich
finde es schwer erträglich, wie Sie sich um Polemik
bemühen.
({1})
Es ist in den Redebeiträgen der Kolleginnen und Kollegen sehr viel über die inhaltlichen Fragen diskutiert worden, über einen deutschen bzw. einen europäischen Ansatz
zu einer friedlichen Lösung des Irakproblems. Ich möchte
zwei Punkte herausarbeiten, die mich persönlich in dieser
Diskussion sehr bewegen. Es geht um Angriffe vonseiten
der Opposition. Ich halte es für falsch, dass Sie wider besseres Wissen fortgesetzt behaupten, die deutsche Regierung und die Koalition seien ins Abseits geraten.
({2})
Eine große Mehrheit der Deutschen teilt unsere Haltung. Im Übrigen wird unsere Haltung auch von einer
Reihe von Mitgliedern Ihrer Partei geteilt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition.
({3})
Eine wachsende Zahl in der europäischen Bevölkerung ist
unserer Ansicht.
({4})
Auch in den USA gibt es jenseits der Intellektuellen und
Künstler viele Menschen, die anders denken als ihre Regierung. Diese Haltung setzt sich auch im Senat und im
Repräsentantenhaus fort.
({5})
Christian Schmidt ({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
wir befinden uns - vielleicht nehmen Sie dieses Argument
besonders ernst - in Übereinstimmung mit der Haltung
des Papstes. Vielleicht können Sie einmal nachlesen, was
er zum Irakkonflikt gesagt hat.
({7})
- Ich habe gerade die Künstler und Intellektuellen genannt. Nicht weit von diesem Hohen Haus entfernt kann
man mit diesen Menschen über ihre Haltung zu diesen
Fragen diskutieren.
Es ist mir auch ein großes Anliegen, in diesem Hause
Ihren Vorwurf zu diskutieren, Deutschland stünde nicht zu
seinen internationalen Verpflichtungen. Das ist abgrundtief falsch. Als ich 1998 Mitglied des Verteidigungsausschusses wurde, standen deutsche Soldaten schon in Bosnien. Nach vier Jahren stehen deutsche Soldaten nicht nur
in Bosnien, sondern auch im Kosovo, in Mazedonien, am
Horn von Afrika, in Kuwait und Afghanistan tragen sie
Verantwortung für den Frieden und für die Menschen. Das
sind nur die wichtigsten Engagements der Bundesregierung und der Bundeswehr.
Deutsche Soldaten bewachen amerikanische Einrichtungen in Deutschland.
({8})
Wir stehen zu unserer Verantwortung im Kampf gegen
den internationalen Terrorismus. Das tut nicht nur der
Bundeskanzler, sondern das tun auch der Außenminister,
der Innenminister und der Verteidigungsminister. Der
Bundeskanzler hat in diesen Fragen - Sie werden sich an
diese Diskussion erinnern - das gezeigt, was man in den
USA Leadership nennt. Vielleicht beziehen Sie auch das
einmal in Ihre Überlegungen ein.
({9})
Wir leisten wesentliche Beiträge zur Stabilisierung
demokratischer Strukturen auf dem Balkan und auch in
Afghanistan. Es soll an dieser Stelle - das zu betonen darf
ich mir als Mitglied des Verteidigungsausschusses erlauben - nicht unerwähnt bleiben, dass diese internationalen
Engagements der Bundesrepublik Deutschland von deutschen Soldaten und ihren Familien einen höchstpersönlichen Beitrag abverlangen. Wir diskutieren auch in anderen Zusammenhängen über diesen Beitrag, den die
Soldaten und ihre Familien ganz persönlich zu leisten haben
({10})
und den wir als Parlament ihnen abverlangen. Lassen Sie
es mich deshalb folgendermaßen zusammenfassen: Streiten Sie mit uns gemeinsam für eine nicht militärische und
friedliche Lösung und für eine Entwaffnung des Irak!
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas
Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion.
Liebe Frau Kollegin Mogg, Sie haben mehr Stil in unserer Diskussion über Krieg und Frieden angemahnt und
meinten, dieses Thema verdiene etwas mehr Ernsthaftigkeit. Dass dabei etwas schief gelaufen ist, ist offensichtlich allen klar. Aber die Frage ist doch, ob das Thema
Krieg und Frieden instrumentalisiert wird, um damit
Wahlkampf zu machen. Jetzt sind wir noch eine Stufe
weiter: Jetzt wird das Thema Krieg und Frieden instrumentalisiert, um innerhalb der Regierung und der Koalitionsfraktionen persönliche Grabenkämpfe auszutragen.
({0})
Die Art und Weise, wie Sie das dargestellt haben, ist
peinlich. Wenn ich Ihre Rede zusammenfasse, Frau Kollegin Zapf, dann haben Sie festgestellt: Es gibt keinen
Plan, aber dieser Plan war sehr gut.
({1})
Viele Vorredner haben auf das, was in München geschehen ist, Bezug genommen. Zunächst kam die Agenturmeldung. Der Bundesverteidigungsminister bestätigte,
dass es diesen Plan gibt. Von Senatoren aus den Vereinigten Staaten nach diesem Plan gefragt, sagte er: Ja, es gibt
den Plan, aber ich kann jetzt noch nichts dazu sagen; das
wird der Bundeskanzler am nächsten Donnerstag in seiner Regierungserklärung machen.
Der Bundesaußenminister weiß offensichtlich von
nichts, lässt aber durch seine Mitarbeiter streuen, dass er
über den Ablauf nicht amüsiert ist. Im Flugzeug auf dem
Weg nach Kabul erzählt Struck dann doch Einzelheiten
- der Kollege Grindel hat es vorhin bereits dargelegt -,
weil er über die Veränderungen in Berlin noch nicht informiert war.
Herr Erler, Sie haben in dem Sender „Phoenix“ festgestellt, dass es keinen Plan gegeben hat,
(Gernot Erler [SPD]: Keinen Geheimplan, habe
ich gesagt! - Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist etwas anderes!
- keinen Geheimplan -, sondern der „Spiegel“ habe seine
Informationen beliebig aus der Politik der Vereinten Nationen der vergangenen 15 Jahre zusammengetragen.
Frau Zapf, Sie haben wörtlich gesagt, der „Spiegel“
habe unseriös berichtet. Es gibt in der Tat nur zwei Alternativen: Entweder haben die „Spiegel“-Redakteure unseriös berichtet oder aber die Bundesregierung hat unseriös
gehandelt.
({2})
Das wollen wir herausbekommen. Wir wollen wissen, ob
es in Deutschland Journalisten gibt, die mit einem solchen
Berufsethos und auf eine so unseriöse Art und Weise mit
der Frage Krieg und Frieden umgehen.
Sie haben gesagt, Herr Meckel, es sei schade, dass es
in Europa mangelnde Solidarität gebe und dass leider acht
Staats- und Regierungschefs aus der Reihe getanzt sind
und sich in einer Erklärung mit der Politik der Vereinigten Staaten solidarisiert haben.
({3})
Die Unsolidarität bestand doch aber darin, dass Deutschland und Frankreich den Eindruck erweckt hatten, sie
sprächen für Europa, sie könnten Europa majorisieren.
Später hat Deutschland den Eindruck erweckt, es spräche
für Frankreich. Frankreich hat sich umgehend, noch bevor
der „Spiegel“ veröffentlicht wurde, distanziert. Es gab ein
offizielles Dementi. Warum aber hat Frankreich den Geheimplan dementiert, wenn es einen solchen Plan nicht
gegeben hat?
({4})
Der Außenminister hat vor zweieinhalb Jahren in der
Humboldt-Universität in Berlin eine bemerkenswerte Rede
über die künftige Integration Europas gehalten. Er hat vor
allem auch darüber gesprochen, wie wichtig es ist, dass Europa außenpolitisch handlungsfähig wird. Herr Außenminister, es ist das Ergebnis Ihrer Politik, dass Europa gespalten ist und als außenpolitischer Akteur keine Rolle spielt.
Im Gegenteil: Wir haben große Rückschritte in die Zeit vor
Ihrer Rede in der Humboldt-Universität gemacht.
({5})
Herr Volmer, Sie betreiben seit Jahren eine bloße Friedensrhetorik. Das bezeichnen Sie als Politik.
Politik ist aber das, was man aktiv für den Frieden tut,
({6})
und nicht das, was man über den Frieden redet. Sie gehören zu einer Generation mit einer Geisteshaltung, die
sich abgefunden hat mit dem Kalten Krieg,
({7})
die sich seinerzeit mit der Erpressbarkeit durch sowjetische Raketen abgefunden hat.
({8})
Sie sind vor 20 Jahren Sturm gelaufen gegen den NATODoppelbeschluss.
({9})
Sie zeigen eine Geisteshaltung, die sich mit der Zweiteilung Europas abgefunden hatte. Sie waren für zwei deutsche Staaten und haben es als gegen den Frieden gerichtete aggressive Politik bezeichnet, die Wiedervereinigung
zu wollen.
({10})
In genau der gleichen Geisteshaltung finden Sie sich heute
ab mit der Erpressbarkeit durch Massenvernichtungswaffen in den Händen von Terroristen und Diktatoren.
({11})
Wenn Sie für Multilateralismus sind, wenn Sie für
den Frieden sind, dann ist es höchste Zeit, die Autorität
der Vereinten Nationen wieder herzustellen, die dadurch
schwer beschädigt ist, dass man zwar Resolutionen will,
die Umsetzung der Resolutionen aber als Aggression bezeichnet. Sie verwechseln denjenigen, der seit Jahren
massiv gegen den Frieden vorgeht, mit dem, der den Frieden wiederherstellen will.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Strobl,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Zapf hat auf meinen Zwischenruf „Lügt der ‚Spiegel‘?“ uns wissen lassen: Der „Spiegel“ hat die Unwahrheit geschrieben.
({0})
Die Frage ist nur, warum der Bundesverteidigungsminister zunächst die Berichte des „Spiegel“ bestätigt hat. Das
ist auch eines der Probleme, derentwegen wir heute diese
Aktuelle Stunde beantragt haben.
({1})
Das ist aber nicht das eigentliche Problem, sondern das
eigentliche Problem besteht darin, dass der deutsche Bundeskanzler offensichtlich lieber mit „Spiegel“-Redakteuren redet
({2})
als mit den Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion. Das ist im Übrigen nichts Neues. In früheren Zeiten
war es auch schon so, als der Bundeskanzler sich wichtigen Problemen der Wirtschaftspolitik und der Arbeitsmarktpolitik zugewandt und Sie über den „Spiegel“ aufgeklärt hat, beispielsweise über Hartz, Rürup oder Gerster.
Diese Tatsache, liebe Kolleginnen und Kollegen, will
ich zum Anlass nehmen, einmal etwas zum Selbstverständnis von Ministern, aber auch von Abgeordneten zu
sagen. Artikel 38 Abs. 1 des Grundgesetzes besagt: Abgeordnete sind nur ihrem Gewissen unterworfen. Da wundere ich mich schon, wenn 50 Jahre Staatsräson auf dem
Marktplatz von Goslar preisgegeben werden,
({3})
Thomas Strobl ({4})
wenn in einer Rotweinrunde mit „Spiegel“-Redakteuren
deutsche Außenpolitik gemacht wird.
({5})
Der Außenminister schweigt dazu - ich hoffe, er kriegt
kein Magengeschwür -, der Verteidigungsminister schwadroniert daher und die SPD-Fraktion pariert, einer wie der
andere - mit wenigen Ausnahmen, Herr Kollege Erler und
Herr Kollege Klose.
({6})
Parlamentarier sollten sich nicht wichtiger nehmen, als
sie sind, Frau Kollegin Roth.
({7})
Aber sie sollten sich etwas wert sein. Und dann sollte man
nicht so verfahren, wie Sie hier mit sich verfahren lassen. Die SPD-Fraktion gleicht einem Plenum politischer
Pygmäen, aber Abgeordnete, die sich etwas wert sind,
stellen sich anders dar.
({8})
Eigentlich könnte die Opposition Freude am Dilettantismus der Bundesregierung haben.
({9})
Die Landtagswahlen geben ja auch durchaus Anlass zur
Freude. Aber, Herr Kollege Erler, die Sache ist schon zu
ernst, als dass man nur Freude daran haben kann. Die innenpolitischen Probleme sind riesengroß, 4,5 Millionen
Arbeitslose, beim Wirtschaftswachstum Schlusslicht in
der Europäischen Union und, und, und.
Aber fast noch schlimmer ist, dass dieser Bundeskanzler jetzt auf dem Feld der Außenpolitik weiter dilettiert,
um die innenpolitischen Probleme zu übertünchen. München ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Die außenpolitischen Kapriolen und die Beliebigkeit des Bundeskanzlers sind ebenfalls nicht zu überbieten. Das Problem
für die Bundesrepublik Deutschland ist nicht, dass der
Bundeskanzler seinen Bundesaußenminister zum Deppen
macht und dass er ihm den diplomatischen Boden unter
den Füßen wegzieht - manchmal habe ich den Eindruck,
Herrn Fischer hat es auch die Hosen ausgezogen; jedenfalls steht er ohne Hosen da, was ein wenig erfreulicher
Anblick ist -,
({10})
sondern ist der riesengroße außenpolitische Schaden, der
unserem Land entsteht, weil in der Außenpolitik beliebig
weiter dilettiert wird.
({11})
Bundesaußenminister Fischer, der ja, wenn ich mich
richtig erinnere, einmal Ihr Chef war, Herr Volmer,
({12})
hat an dieser Stelle einmal gerufen - ich glaube, er hat damals den Bundeskanzler gemeint -: Avanti dilettanti! Das
möchte ich wiederholen: Avanti dilettanti!
({13})
Besten Dank.
({14})
Letzter Redner in dieser Debatte ist Karl-Theodor
Freiherr von und zu Guttenberg, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Auch nach dieser Debatte wird deutlich, dass die
letzte erkennbare Tradition unserer derzeitigen Außenpolitik das taumelnde Beschreiten von Sonderwegen
bleibt. Kalt lächelnd und lediglich einem innenpolitischen
Kalkül unterworfen, werden Sonderwege zum diplomatischen Prinzip erhoben, allerdings zu einem Prinzip verantwortungslosen Handelns, wie es in der Nachkriegsgeschichte beispiellos ist.
({0})
Mit einem Handstreich werden die Autorität, die Handlungsfähigkeit und das Vertrauen internationaler Bündnisse unterwandert und erlangen Begriffe wie „Isolation“
und „Irrelevanz“ bitterste Tagesaktualität.
({1})
Die Sonderwege, die Sie, Frau Roth, beschreiten, führen
vorbei an der unverzichtbaren transatlantischen Freundschaft,
({2})
vorbei an der engen Partnerschaft und der bisherigen gegenseitigen Verlässlichkeit innerhalb der NATO und vorbei an den Bestrebungen, eine gemeinsame europäische
Außenpolitik zu etablieren. Die enge Partnerschaft mit
den Vereinigten Staaten und eine verlässliche europäische
Zusammenarbeit werden auf dem Altar der Verhöhnung
gewachsener außenpolitischer Strukturen dieses Landes
geopfert.
({3})
Die Außendarstellung des vergangenen Wochenendes ist letztlich nur ein weiterer Gipfel der diplomatischen Geisterfahrten. Angesichts dessen darf
man fragen, wo der Bundesaußenminister sitzt. Ich
glaube, er bleibt willfähriger Beifahrer, bevor er sich
nicht entsprechend von den Dingen distanziert, über die
man von Dritten erfährt, dass sie ihm eigentlich nicht
passen.
({4})
- Richtig, ein Geisterfahrer.
({5})
Herr Volmer, das alles erinnert mich an eine Geisterfahrt
ohne Rückspiegel - Sie hätten nur einen Rückspiegel,
wenn Sie auch historische Errungenschaften und Zusammenhänge erkennen würden -, ohne Bremse und mit
durchgetretenem diplomatischen Gaspedal, den größten
außenpolitischen Unfall - Stichwort „NATO“ - kühl kalkulierend. Dieses Kalkül mag bei einigen seine Wurzeln
in den 68er-Jahren haben.
({6})
Dabei wird ein Tonfall an den Tag gelegt, der sich, Frau
Roth, nahtlos in die Diktion einiger während der Debatte
über den NATO-Doppelbeschluss einreiht.
({7})
Kollege Schockenhoff hat mit seiner Beschreibung der
nahezu ideologischen Stufenleiter Recht: Man hat sich
mit der deutschen Teilung, mit der Erpressbarkeit durch
Massenvernichtungswaffen und letztlich mit der Spaltung
der NATO und der Europäischen Union sowie mit dem
Zusammenbrechen bzw. zumindest mit der Schwächung
der Vereinten Nationen abgefunden.
({8})
Sehr interessant ist, was die zwangsläufige Folge wäre,
Frau Roth, wenn Sie aus innenpolitischem Kalkül zu einer klaren Verweigerung des notwendigen Beistands in
Bündnissen kämen. Die Folge wäre eine Renationalisierung unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Das stünde
nun wirklich im Widerspruch zu allem, was Deutschland
nach 1945 aus der Geschichte gelernt haben sollte und gelernt haben muss. Zum Scheitern verurteilte Aktionismen
wie die vom vergangenen Wochenende vermögen diese
Gefahr auch nicht aufzuheben.
In Ihrer Koalitionsvereinbarung - das ist schon eine
Weile her - steht mehrfach, die Bundesregierung setze auf
internationale Zusammenarbeit und auf multinationale
Organisationen.
({9})
Der Staub der Zeitgeschichte hat sich erstaunlich schnell
auf dieses große Werk gelegt ({10})
ein diplomatischer Steinbruch, in dem die Regierung täglich aufs Neue scheinbar spielerisch neues Dynamit in die
Hand nimmt, ohne sich dabei an irgendwelche Spielregeln zu halten.
Herzlichen Dank.
({11})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. Februar 2003,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.