Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag und uns eine
gute und konzentrierte Beratung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
- Drucksache 15/1067 Überweisungsvorschlag:
A. f. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
A. f. Wirtschaft und Arbeit
Interfraktionell ist vereinbart worden, dass eine Aussprache dazu nicht erfolgen soll. - Ich stelle fest, dass
Sie damit einverstanden sind.
Wir kommen damit gleich zur Überweisung dieses
Gesetzentwurfes. Interfraktionell wird vorgeschlagen,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/1067 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Weltweit aktiv - Außenwirtschaftsoffensive der Bundesregierung für mehr
Wachstum und Beschäftigung.
Für den einleitenden fünfminütigen Bericht erteile ich
dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit,
Wolfgang Clement, das Wort.
Das Kabinett hat sich heute mit dem Thema „Außenwirtschaftsoffensive der Bundesregierung“ beschäftigt.
In der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Situation
kommt der Außenwirtschaft eine erhebliche Bedeutung
zu. Gleichzeitig macht die Exportwirtschaft eine besondere Bewährungsprobe durch; ich nenne beispielsweise
den Druck der Währungsentwicklung, die Stabilität des
Euros. Es kommt hinzu, dass jeder fünfte Arbeitsplatz
bei uns in Deutschland - in der Industrie ist es sogar jeder Dritte - mit dem Export zusammenhängt, dass wir
vor der Osterweiterung der Europäischen Union stehen
und in Ost-, Mittelost- und Südosteuropa neue Märkte
bekommen - die Märkte im Erweiterungsbereich Mittelund Osteuropas sind für unsere Wirtschaft schon heute
größer als der gesamte amerikanische Markt -, dass wir
es mit Wachstumsmärkten zu tun haben, die zwar nicht
ganz neu sind, die aber immer mehr an Bedeutung gewinnen - das ist beispielsweise China -, dass es im Internet neue Handelskanäle gibt; das Unternehmen Ebay,
das dort aktiv ist, ist ein interessanter Markt für kleine
und mittlere Unternehmen, übrigens auch für Existenzgründer. Zudem haben wir es auch mit der Entwicklung
im Nahen Osten zu tun, wo wir beginnen müssen, unsere
Wirtschaftsinteressen wahrzunehmen bzw. wo sie stärker wahrgenommen werden müssen.
Eine Außenwirtschaftsoffensive ist an sich nicht neu.
Die „Weltweit aktiv“-Außenwirtschaftsoffensive ist eine
Weiterentwicklung dessen, was wir bisher in der Außenwirtschaft getan haben. Wir wollen uns insbesondere um
kleine und mittlere Unternehmen kümmern. Hinweise
und Anregungen aus der unternehmerischen Praxis nehmen wir gerne auf.
Einiges ist bereits im Gang: Ich nenne als Beispiele
den Verzicht auf Antragsgebühren - für Anträge auf Investitionsgarantien bis 5 Millionen Euro, also für Minimalanträge, muss keine Gebühr mehr bezahlt werden -,
die Ausfuhrpauschalgewährleistung, die besonders einfach gestaltet ist, oder den Fonds für Mittelständler und
Freiberufler aus Ostdeutschland zur Finanzierung von
Machbarkeitsstudien. Wir haben neue Korrespondentenbüros der Bundesagentur für Außenwirtschaft in Tunis
und in Nairobi eingerichtet und haben eine Korrespondentenstelle in Brüssel eingerichtet, in der man sich speziell um die Ausschreibungen der Europäischen Union
kümmert. Wir haben die Auslandsmesseförderung
Redetext
bereits stärker auf kleine und mittlere Unternehmen ausgerichtet.
Wir haben heute im Kabinett besprochen und beschlossen, dass wir uns besonders intensiv um die WTORunde kümmern wollen - das tun wir bereits seit einiger
Zeit mit Nachdruck -, die im September in Cancun Entscheidungen treffen wird. Wir wollen uns um eine Entbürokratisierung der Zollabwicklung kümmern; der Finanzminister wird dies in besonderer Weise tun. Das ist
ein dringendes praktisches Thema für viele Unternehmen. Wir bauen das Netz der Außenhandelskammern,
ob in Asien oder anderen Bereichen, aus und fördern es
weiter. Das Gleiche gilt, wie angekündigt, für das Korrespondentennetz der Bundesagentur für Außenwirtschaft.
Bei der Auslandsmesseförderung werden wir weitere
Schritte gehen. Wir werden immer kleinere, kostengünstigere Messestände fördern. Dadurch können wir auf
mehr Messen vertreten sein und mehr kleine und mittlere
Unternehmen dazu einladen. Den kleinen und mittleren
Unternehmen wollen wir Exportbürgschaften und Investitionsgarantien noch leichter zugänglich machen. Dazu
beschleunigen wir das Verfahren und auch die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung.
Im Export wollen wir insbesondere ökologische Produkte wie erneuerbare Energien fördern. In diesem Jahr
stellen wir immerhin knapp 30 Millionen Euro zur Verfügung, um den Einsatz und Export von erneuerbaren
Energien und Energieträgern zu fördern.
Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit wollen
wir die Kooperation zwischen dem Staat und der Wirtschaft - Stichwort: Public Private Partnership - verstärken. Da Herr Kopper, der eine außerordentlich wichtige
Rolle als Auslandsbeauftragter für die deutsche Wirtschaft gespielt hat, im Juni dieses Jahres ausscheiden
wird, werden wir eine Nachfolgeregelung finden müssen. Wir haben ihm sehr zu danken; er hat diese außerordentlich wichtige Aufgabe mit einem unglaublichen
weltweiten Einsatz für den Standort Deutschland ehrenamtlich wahrgenommen. Wir wollen die gesellschaftliche Struktur etwas verändern und eine Bundesgesellschaft unter dem Namen „Invest in Germany GmbH“
einrichten.
Daneben werden wir das Auslandsengagement der
Bundesregierung so weit verstärken, wie es geht, und
unsere Unternehmen begleiten, wenn sie wünschen, dass
wir als Türöffner im internationalen Waren- und Wirtschaftsverkehr agieren.
Das sind die wichtigsten Akzente. Ich danke Ihnen
sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Gibt es Fragen zu dem vorgetragenen Bericht? - Zunächst Herr Kollege Brüderle, dann Herr Kollege Fritz.
Herr Bundesminister Clement, Ihr Vorgänger hat die
Messeförderung leider zurückgefahren. Sie sagten eben,
Sie würden sie stärker auf kleine und mittlere Unternehmen ausrichten. Erste Frage: Werden Sie das Volumen
wieder erhöhen? Denn die Messeförderung ist eben in
dieser Hinsicht genau das richtige Instrument.
Zweite Frage. Sie sprachen davon, dass Sie eine Koordinierung der außenwirtschaftlichen Aktivitäten vornehmen wollen, indem Sie eine neue Bundesgesellschaft
gründen. Hier sind ja verschiedene Ebenen tätig; wir haben uns heute auch im Wirtschaftsausschuss damit beschäftigt. Zunächst einmal gibt es 16 Bundesländer, die
außenwirtschaftlich aktiv sind. Daneben gibt es eine
Sondergesellschaft für die neuen Bundesländer, eine
Bundesregierung, die ebenfalls aktiv ist, und es gab
Herrn Kopper.
Ich hatte früher schon in anderer Funktion den Eindruck, dass wir uns draußen manchmal schlecht präsentieren; denn ein Investor in Amerika oder ein potenzieller Partner kann nicht zwischen den verschiedenen
Ebenen - 16 präsente Bundesländer und drei aktive Ebenen des Bundes - unterscheiden. Ich weiß, es ist nicht
einfach. Aber gibt es eine Chance, das besser zu koordinieren und zusammenzuführen?
Bei dem dritten Punkt, den Sie genannt haben, ging es
um Public Private Partnership. Dieser Ansatz bietet sicherlich neue Möglichkeiten. Meine Erfahrung bei dem
Versuch, dies im Ausland umzusetzen, war immer, dass
es für die kleinen und mittleren Unternehmen außerordentlich schwierig ist, ins Geschäft zu kommen. Nehmen
wir als Beispiel Chile. Bei Straßen- oder Entwicklungsprojekten will man dort einen Partner für das gesamte
Projekt, welches zum Beispiel die Weltbank finanziert,
und nicht fünf oder zehn verschiedene Partner, zum Beispiel einen Gartenbauer, einen Straßenbauer, einen Brückenbauer usw.
Gibt es neue Überlegungen dazu, wie man die Angebote kleinerer Unternehmen unter der Wahrung ihrer
Selbstständigkeit und der Mittelstandschancen zu einem
Gesamtangebot bündeln kann, sodass man der Nachfrage bei größeren Projekten, wie es sie draußen in der
Welt gibt, stärker entsprechen kann?
Herr Kollege Brüderle, zum ersten Punkt, zur Messeförderung: Mir liegen unsere Finanzdaten im Moment
nicht vor. Wir erhöhen die Zahl der von uns geförderten
Messen, indem wir die Messebeteiligungen reduzieren
und nur noch kleine und mittlere Unternehmen fördern.
Wir gehen davon aus, dass große Unternehmen keine
Förderung benötigen. Wir werden in diesem Jahr an insgesamt 210 Auslandsmessen beteiligt sein. Durch die
Verkleinerung der Standflächen können wir erreichen,
dass zusätzlich 24 Auslandsmessen bedient werden. Wir
werden jedoch noch weiter gehen: Die Mittel werden ein
bisschen erhöht, aber wir stehen noch in den Haushaltsverhandlungen. Ich habe bisher noch keine Übersicht,
wie hoch sie 2004 sein werden.
Die weltweite Koordination des deutschen Auftritts
ist, wie Sie wissen, nicht ganz unproblematisch. Als jeBundesminister Wolfgang Clement
mand, der bisher in einem Land Verantwortung trug,
muss ich natürlich darauf hinweisen, dass der Föderalismus seinen eigenen Wert und seine eigene Bedeutung
hat. Natürlich sind die besonderen Aktivitäten der Länder, wie Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hamburg, außerordentlich wertvoll. Wir haben
zudem die Aktivitäten der ostdeutschen Länder, für die
das IIC eingerichtet wurde und die darüber gefördert
werden.
Das Schöne des deutschen Auftritts ist die Vielfalt,
aber sie besitzt, wie wir beide soeben besichtigen konnten, wegen ihrer Buntheit einen Mangel an Klarheit.
Darüber sind wir mit den Ländern im Gespräch. Was das
IIC angeht, so gehe ich davon aus, dass es mit den Auslandsbeauftragten in Zukunft auf das Engste zusammenarbeitet. Wir beginnen mit der Koordination, sobald wir
die Nachfolge von Herrn Kopper geregelt haben. Das ist
das eine.
Das andere ist: Wir werden die Länder an der „Invest
in Germany“ in Form von Beiräten beteiligen. Ich habe
meinen Kollegen Wirtschaftsministern vorgeschlagen,
im Beirat mitzuwirken, sodass wir die Arbeit koordinieren können. Ich würde nicht darauf drängen, dass die
Länder ihre Aktivitäten reduzieren. In der heutigen Zeit,
in der wir nicht allzu viele zusätzliche Mittel einsetzen
können, ist diese Beteiligung wichtig.
Wir wollen den Auslandsbeauftragten finanziell etwas besser ausstatten. Wir haben in diesem Bereich bisher etwa 2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, denken aber an eine Größenordnung von 10 bis 11 Millionen Euro. Ich muss aber sagen, dass in zwei Tagen ein
Spitzengespräch mit dem Bundesfinanzminister stattfindet. Daher sind diese Zahlen vorläufig. Wir jedenfalls
wollen die Auslandsaktivitäten verstärken und die Arbeit
des Auslandsbeauftragten durch zusätzliche Mittel verbessern. Ich hoffe insgesamt, dass unser Auftreten im
Ausland etwas klarer wird. Aber wir bleiben ein föderaler Staat. Das wird auch im Ausland sichtbar bleiben.
Dies findet auch manchmal Sympathien.
Zum dritten Punkt, zu PPP. Insbesondere das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung koordiniert die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft
in der Form, dass Projekte gefördert werden, an denen
deutsche Unternehmen beteiligt sind. Das ist eine andere
Form von PPP, als wir sie sonst diskutieren. Im Übrigen
sind wir jetzt dabei, die Möglichkeiten von Public Private Partnership in Deutschland durch steuerrechtliche
Voraussetzungen insgesamt zu verbessern. Das ist bis
jetzt noch nicht ausreichend geklärt. Auch von den einzelnen Finanzbehörden in den Ländern werden diese Beteiligungen unterschiedlich bewertet. Hier stehen wir
noch in der Pflicht, dies zu verbessern.
Herr Kollege Fritz.
Herr Minister, heute Morgen war Herr Kopper im
Wirtschaftsausschuss. Dabei hatten wir nicht nur die Gelegenheit, ihm für seine Arbeit zu danken, sondern auch
die Möglichkeit, einige Dinge zu besprechen. Unter anderem ging es um die Rolle der Länder, die Sie gerade
noch einmal positiv bewertet haben.
Richtig aber ist, dass durch mangelnde Kooperation
und Koordination unseres Auftritts Schaden an unserem
Image entsteht; das erfahren wir immer wieder. In Ihrer
Außenwirtschaftsoffensive finde ich zu diesem Bereich
nichts. Dabei wäre es gerade in Zeiten knapper Kassen
für den Bundeswirtschaftsminister jetzt die beste Gelegenheit, zu versuchen, alle Beteiligten an einen Tisch zu
bringen, um ein gemeinsames Konzept zu entwickeln.
Haben Sie das noch vor? Geht es über „Wir reden mal
miteinander“ hinaus?
Nachdem Herr Stolpe beim IIC vorgeprescht war, haben Sie sich jetzt entschlossen, die Arbeit des Büros von
Herrn Kopper neu zu gestalten. Haben Sie langfristig
eine Neuordnung in der Weise vor, ein Marketinginstrument für den Standort Deutschland zu entwickeln und alles andere, auch die besondere Akquise für die neuen
Bundesländer, darunter zu fassen? Wäre das nicht ein
Ziel, das Sie in Ihre Außenwirtschaftsoffensive aufnehmen könnten, weil es sinnvoll ist? Es ist schwierig, weltweit einen Standort zu vertreten und noch Teile dieses
Standorts in gleicher Weise.
Sie haben erfreulicherweise - Ihr Vorgänger hat das
vermutlich gar nicht gekannt - die bfai angesprochen.
Sie ist ein wirkungsvolles Instrument, das mit dem
weiteren Ausbau des Korrespondentennetzes einen
wichtigen Beitrag leisten kann, wenn es uns gelingt,
diese Informationen noch mittelstandsfreundlicher und
die Angebotsverarbeitung für die mittelständischen Unternehmen transparenter zu gestalten.
Da gibt es aber einen Punkt, der heißt Abführung. Ich
meine die Zwangsabführung von 20 Prozent. Diese sind
nach meiner Auffassung auch in Zukunft nicht zu erreichen - schon gar nicht, wenn wir eine Ausweitung der
Angebote anstreben wollen, vermutlich auch nicht mit
dem größeren Korrespondentennetz, wenn Sie nicht
neue Hürden für den Mittelstand durch eine Kostenbeteiligung errichten wollen. Haben Sie vor, in dieser Beziehung etwas zu unternehmen? Das wäre eine Sache, die
bei den Haushaltsberatungen eine Rolle spielen müsste.
In puncto Messeförderung frage ich Sie, ob Sie in Zukunft Großmessen wie Technogerma -
Herr Kollege, es besteht immer die Gelegenheit, nach
dem Bericht der Bundesregierung einzelne Zusatzfragen
zu stellen. Ich bin, wie allgemein bekannt ist, relativ
großzügig. Ich möchte aber vermeiden, dass wir durch
zweimal hintereinander akzeptierte Fragenreihen eine
Präjudizierung schaffen, auf die sich dann alle anderen
berufen könnten.
({0})
Deswegen wäre ich dankbar, wenn sich die Anzahl der
weiteren Fragen in sehr engen Grenzen halten ließe.
({1})
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich habe noch eine
Frage, aber es sieht ganz danach aus, als wenn ich damit
auch die Fragekapazität für unsere Fraktion ausgeschöpft hätte, sodass weitere Fragen nicht zu erwarten
sind.
Dann muss ich darauf aufmerksam machen, dass es
Fragekapazitäten für Fraktionen in der Geschäftsordnung nicht gibt.
({0})
Herr Minister, meine letzte Frage: Bei der Messeförderung gibt es zwei Dinge neben der Tatsache, dass man
sie ausweiten sollte, wenn es sinnvoll ist. Zum einen
wird immer wieder geklagt, dass Gemeinschaftsstände
gar nicht zustande kommen, wenn weniger als zehn Unternehmen beteiligt sind. Sollte man das nicht sinnvollerweise flexibler handhaben und nicht eine solche starre
Grenze einführen?
Meine zweite Teilfrage geht dahin, dass die Europäische Union einmal angemahnt hat, dass eine zweite Förderung desselben Unternehmens unter Beihilfegesichtspunkten fragwürdig sei. Ist das abgewehrt oder können
da Probleme entstehen? Denn wir wissen, dass viele Unternehmen mit einem Auftritt auf einer Messe noch nicht
im Weltmarkt verankert sind.
Was das Verhältnis zu den Ländern angeht, so habe
ich da - ich bitte um Verständnis - eine andere Ansicht.
Ich bin zwar für mehr Klarheit und für eine Koordination.
Ich bin aber schon dafür, dass die Länder ihre Aktivitäten
entwickeln können. Um es ganz offen zu sagen - da bin
ich nicht verdächtig -: Wenn Sie den Auslandsauftritt
Bayerns erleben und den Ruf Bayerns in Amerika betrachten, dann wissen Sie, dass das ein Wert an sich ist.
Warum sollen wir den zurücknehmen? Ich könnte das
auch für Nordrhein-Westfalen sagen. Aber Bayern hat
nun einmal einen hervorragenden internationalen Ruf,
Baden-Württemberg ebenfalls. Ich will jetzt nicht alle
Länder aufzählen.
Das würde ich nicht unterschätzen. Ich glaube, dass
es klug ist, wenn wir das besser koordinieren. Man kann
den Messeauftritt auch optisch besser als bisher gestalten. Aber ich finde, dass sich die Länder dort stark engagieren und dies auch weiterhin tun sollten. Ich könnte
auch nichts anbieten, Herr Kollege. Ich kann nicht anbieten, dass der Bund mehr Geld ausgibt. Das wäre die natürliche Folge, wenn ich den Ländern nahe legen würde,
sich etwas zurückzuziehen. Das würde der Finanzminister nicht mitmachen.
Über das IIC haben wir mit den Wirtschaftsministern
der ostdeutschen Länder gesprochen. Da gibt es jetzt,
wenn ich das richtig sehe, eine einhellige Meinung.
Auch da sprechen wir noch ein bisschen über das Geld.
Ich möchte noch über die Zukunft des Büros des Auslandsbeauftragten bzw. der Auslandsbeauftragten sprechen, und zwar darüber, dies mit dem IIC zu verknüpfen.
Was die Gebühren im Zusammenhang mit der bfai angeht, so können wir diese nicht reduzieren. Ich müsste
eher fragen, ob die Wirtschaft etwas mehr dazu beitragen
kann. Die bfai leistet immer speziellere und bessere Arbeit und liefert immer mehr Informationen. Sie ist, wie
gesagt, jetzt auch in Brüssel präsent, was außerordentlich wichtig für die Information über die Förderinstrumente der Europäischen Union ist. Ich sehe nicht die
Möglichkeit, dass wir dort zurzeit auf irgendeine Weise
zurückgehen könnten.
Wenn Ihre letzte Frage darauf zielt, Messen wie die
Technogerma oder ähnliche einzurichten - so habe ich
Ihre Frage verstanden -, dann antworte ich mit Ja. Es ist
auch der Wunsch der Wirtschaft, dass wir größere Präsentationen dieser Art wieder aufnehmen.
({0})
- Die kenne ich, offen gesagt, nicht. Mir ist das bisher
nicht bekannt. Ich hielte es aber für abwegig, wenn es
nur einen einzigen Messeauftritt geben dürfte. Ein Messeauftritt allein ist keine Förderung, sondern Unterhaltung, also Entertainment.
Ich glaube, dass wir eine gewisse Kontinuität hinbekommen müssen. Daran haben wir ein sehr starkes Interesse, weil es für kleine und mittlere Unternehmen sonst
kaum eine Chance gibt, auf internationaler Ebene tätig
zu werden. Bisher sind unsere kleinen und mittleren Unternehmen auf internationaler Ebene zu wenig vertreten.
Deshalb ist diese Förderung sehr wichtig. Ich sehe auch
nicht, dass sie in irgendeiner Weise einen Beihilfecharakter annimmt.
Gibt es weitere Fragen zu dem Bericht des Bundeswirtschaftsministers? - Das scheint nicht der Fall zu
sein. Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen
Kabinettssitzung oder sonstige Fragen an die Bundesregierung über die schriftlich eingereichten Fragen
hinaus? - Letztere gibt es viele; sie sollen aber offenkundig heute nicht öffentlich vorgetragen werden.
Dann darf ich mich herzlich bei Ihnen bedanken, Herr
Minister, und schließe damit die Befragung der Bundesregierung ab.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/1077 Die Geschäftsbereiche werden in der Reihenfolge
aufgerufen, die Ihnen auf Drucksache 15/1077 mitgeteilt
worden ist.
Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
der Frage steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans
Georg Wagner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
auf:
Trifft es zu, dass Kriegsschiffe der ehemaligen NVA-Flotte
der DDR - die Anfang der 90er-Jahre mit Genehmigung der
Bundesregierung an Indonesien unter der Auflage verkauft
wurden, dass diese Schiffe nur für den Küstenschutz, für die
Sicherung der Seewege gegen Piraterie und gegen den Drogenschmuggel eingesetzt werden; unter anderem die Teluk
Gilimanuk, die früher den Namen Hoyerswerda trug - offenkundig vertragswidrig bei einer vom indonesischen Präsidenten angeordneten Militäroffensive gegen die Unabhängigkeitsbewegung in Aceh eingesetzt wurden, und, wenn ja, was
hat die Bundesregierung gegen diese Vertragsverletzung unternommen?
Sehr geehrte Frau Kollegin Dr. Lötzsch, mit Vertrag
vom 24. November 1992 hat der Bundesminister der
Verteidigung Ex-NVA-Schiffe an Indonesien verkauft.
Die Zweckbestimmung der Schiffe bezieht sich vertragsgemäß auf den Küstenschutz, die Sicherung der Seewege
sowie die Bekämpfung der Piraterie, insbesondere im
Bereich des Drogenhandels. Die genannten Einsatzzwecke haben für Indonesien mit seinen mehr als 14 000 Inseln erhebliche Bedeutung.
Nach ersten Erkenntnissen sind bei der Aceh-Operation
circa 20 indonesische Schiffe im Einsatz, darunter auch
Ex-NVA-Schiffe. Dabei werden die genannten 20 Schiffe
dem Anschein nach unter anderem für Mannschaftstransporte, aber auch für den Transport von Lebensmitteln für die Bevölkerung von Aceh eingesetzt.
Der Bundesregierung ist der konkrete Einsatz von ExNVA-Schiffen zurzeit nicht hinreichend bekannt, um
eine abschließende sachliche und rechtliche Bewertung
vornehmen zu können.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Wie und auf welchem
Weg hat die Bundesregierung davon erfahren, dass die
Schiffe auch zum Transport von Truppen verwendet
werden, und wie gedenkt die Bundesregierung zu einer
„abschließenden Bewertung“ - wie Sie es ausgedrückt
haben, Herr Staatssekretär - dieses Vorgangs zu kommen?
Die Frage, in welchem Umfang die Schiffe auch zum
Transport von Truppen eingesetzt werden, ist zunächst
einmal hypothetisch, weil das der Bundesregierung nicht
hinreichend bekannt ist. Die Sach- und die Rechtsfrage,
die Sie angesprochen haben, müssen noch abschließend
geklärt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ich möchte meine Frage wiederholen, weil ich den
Eindruck habe, dass sie nicht richtig beantwortet worden
ist. Könnten Sie vielleicht etwas präziser ausführen, wie
die Bundesregierung vorgeht, um aufzuklären, in welchem Umfang diese Schiffe vertragswidrig genutzt werden? Und vor allen Dingen: Was will die Bundesregierung tun, um diesen Zustand zu beenden?
Zunächst einmal unterstellen Sie, dass die Schiffe
vertragswidrig eingesetzt worden sind. Hinweise darauf
liegen der Bundesregierung zurzeit nicht vor. Wir stehen
mit unseren Botschaften und Konsulaten in Verbindung,
um zu erfahren, ob vertragsgemäß gehandelt wird oder
nicht.
Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage liegen nicht vor.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Der Kollege
Kretschmer, der zwei Fragen dazu eingereicht hat - dabei handelt es sich um die Fragen 2 und 3 -, befindet
sich noch in einer Ausschusssitzung, wie mir gerade mitgeteilt wurde, sodass wir darum bitten, diese Fragen
schriftlich zu beantworten.
Dies gilt offenkundig auch für die Fragen des Kollegen Marschewski zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, die ich ebenfalls schriftlich zu beantworten
bitte.
({0})
- Herr Kollege Marschewski, wenn Sie Ihr Einzugstempo noch ein klein wenig beschleunigen könnten,
dann bestünde die Möglichkeit, die beinahe schon zur
schriftlichen Beantwortung überwiesenen Fragen noch
mündlich zu beantworten.
Wir kommen zu Frage 4 des Kollegen Erwin
Marschewski:
Inwieweit stimmt die Bundesregierung der Rechtsauffassung zu, wonach Art. 49 Abs. 1 des Vertrages über die Europäische Union, EUV, für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bindend ist, dem Beitrittsgesuchen eines Staates
nur zuzustimmen, wenn dieser die in Art. 6 Abs. 1 EUV festgeschriebenen Grundsätze achtet, und welche eigenen Prüfungen hat die Bundesregierung unternommen, um die Einhaltung der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze in
Bezug auf die Beitrittskandidaten zu überprüfen?
Herr Staatsminister Bury, bitte.
Herr Präsident, ich hatte schon vermutet, dass der
Kollege Marschewski in der Zwischenzeit die Gelegenheit wahrgenommen hat, meine Antwort auf die Kleine
Anfrage der Abgeordneten Bosbach, Marschewski und
anderer vom 8. April zu lesen; denn in dieser Kleinen
Anfrage sind die gleichen Fragen gestellt, die heute erneut eingereicht worden sind. Wenn Herr Marschewski
in der Zwischenzeit die Gelegenheit zum Lesen meiner
Antwort nicht gehabt haben sollte, möchte ich gerne
noch einmal auf die gestellten Fragen antworten.
Nach Art. 49 Abs. 1 des EU-Vertrags ist die Achtung
der in Art. 6 Abs. 1 des EU-Vertrags genannten Grundsätze eine Voraussetzung für die Beitrittsfähigkeit neuer
Mitgliedstaaten. Der Beitrittsantrag wird an den Rat als
Organ der EU gestellt. Dieser beschließt einstimmig
nach Anhörung der Kommission, das heißt, er stützt sich
unter anderem auf deren Bewertung, und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. Nur wenn der Rat
einstimmig zu der Überzeugung gelangt ist, dass ein
Beitrittskandidat die Voraussetzungen für den Beitritt erfüllt, fasst er einen positiven Beschluss über dessen Beitrittsantrag. Die daraufhin erforderliche Anpassung der
Verträge wird durch einen Vertrag geregelt, der von den
Mitgliedstaaten und den Beitrittsländern ratifiziert werden muss. Den Entscheidungen über den Beitritt liegen
jeweils die Analysen der Europäischen Kommission und
auch deren Fortschrittsberichte zugrunde. Diese wurden
von der Bundesregierung sorgfältig geprüft und mit eigenen Erkenntnissen einschließlich der Berichterstattung
der deutschen Auslandsvertretungen abgeglichen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Marschewski.
Herr Präsident! Herr Staatsminister, ich habe natürlich Ihre Antwort gelesen. Weil diese Antwort unvollständig und oberflächlich ist und weil ich meine, dass
das Fragerecht des Parlaments missachtet worden ist,
habe ich die betreffenden Fragen erneut gestellt. Sie haben nur auf Verfahrensfragen und nicht auf das geantwortet, wonach ich gefragt habe. Ich frage deshalb noch
einmal: Was hat die Bundesregierung genau unternommen, wenn sie schon der Auffassung ist, dass Art. 49
und Art. 6 des EU-Vertrags Gültigkeit haben? Ich
möchte wissen, welche konkreten Handlungsschritte die
Bundesregierung in Bezug auf die Verträge unternommen hat.
Herr Kollege Marschewski, ich habe Ihnen gerade
eben - ebenso wie in meiner Antwort auf Ihre Kleine
Anfrage - das Verfahren präzise beschrieben und auch
gesagt, auf welche Erkenntnisse sich die Bewertung
stützt.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, das Verfahren kenne ich natürlich. Ich habe aber gefragt, was die Bundesregierung
ganz konkret getan hat, um zum Beispiel die Tschechische Republik oder andere Länder auf die Verpflichtung
nach Art. 49 und Art. 6 des EU-Vertrags hinzuweisen.
Haben Sie vielleicht gar nichts getan?
Herr Kollege Marschewski, nach dem eben beschriebenen Verfahren sind die Verfahrensbeteiligten, das
heißt auch wir, zu der Auffassung gekommen, dass die
Voraussetzungen für einen Beitritt erfüllt sind.
Ich rufe Frage 5 des Kollegen Marschewski ({0}) auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die fortdauernde Geltung des als „Straffreistellungsgesetz“ bezeichneten, in der
Tschechoslowakei verabschiedeten, Gesetzes Nr. 115 aus dem
Jahre 1946 vor dem Hintergrund der sich aus Art. 49 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EUV ergebenden Verpflichtung
und was gedenkt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund zu unternehmen?
Hinsichtlich des so genannten Straffreistellungsgesetzes, Gesetz Nr. 115, gilt für die Bundesregierung die
deutsch-tschechische Erklärung von 1997, in der die
tschechische Seite die im Zusammenhang mit der Vertreibung stehenden „Exzesse, die im Widerspruch zu elementaren humanitären Grundsätzen“ stehen, bedauert.
Sie bedauert ebenfalls, dass es „aufgrund des Gesetzes
Nr. 115 vom 8. Mai 1946 ermöglicht wurde, diese Exzesse als nicht widerrechtlich anzusehen, und dass infolgedessen diese Täter nicht bestraft wurden“.
Eine Zusatzfrage.
Herr Präsident! Herr Staatsminister, natürlich kenne
ich die Erklärung von 1997, in der die Exzesse bedauert
werden. Da ich aber auch weiß, dass Herr Spidla, der
neue Ministerpräsident, gesagt hat, die betreffenden Dekrete und das Straffreistellungsgesetz, das Verbrechen an
Ungarn und Deutschen für nicht rechtswidrig erklärt,
seien gültig und werden weiter gültig sein, frage ich:
Was tut die Bundesregierung, um eine Änderung zu erreichen?
Herr Kollege Marschewski, die jetzige Bundesregierung - das gilt im Übrigen auch für alle vorherigen Bundesregierungen - hat die entschädigungslose Enteignung
und Ausbürgerung Deutscher aus der ehemaligen Tschechoslowakei auf der Grundlage der Benes-Dekrete immer für völkerrechtswidrig gehalten. Die deutsche
Rechtsauffassung ist der Tschechischen Republik bekannt. In einer Resolution vom 24. April 2002 erklärt
das tschechische Parlament einstimmig, dass die BenesDekrete konsumiert sind und auf ihrer Grundlage heute
keine neuen rechtlichen Verhältnisse mehr entstehen
können. Auf die Deutsch-Tschechische Erklärung von
1997 habe ich bereits in der vorangegangenen Antwort
hingewiesen.
Wichtig ist mir Folgendes: Gegenstand dieser
Deutsch-Tschechischen Erklärung ist auch die gemeinsame Auffassung, dass beide Seiten ihre Beziehungen
zukunftsgerichtet weiterentwickeln und nicht mit aus der
Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen
Fragen belasten wollen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Marschewski.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir einer Meinung,
dass zukunftsgerichtete Politik auch beinhaltet, sich mit
der Vergangenheit auseinander zu setzen? Ich verstehe
deshalb nicht, dass Herr Spidla einfach sagen kann, diese
Straffreistellungsgesetze zum Beispiel seien gültig, würden weiter gültig sein, möglicherweise mit Konsequenzen, und ich bitte Sie, etwas dagegen zu unternehmen.
Herr Kollege Marschewski, ich stimme Ihnen darin
zu, dass sich zukunftsgerichtete Politik mit der Vergangenheit auseinander setzen muss. Ganz im Geist der
Deutsch-Tschechischen Erklärung will ich Ihnen aber
sagen, dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht den Blick auf die gemeinsame Zukunft verstellen darf.
Zusatzfrage, Herr Koschyk.
Herr Staatsminister, hat denn die Bundesregierung geprüft, ob dieses Straffreistellungsgesetz, das Gesetz
Nr. 115, noch bis heute Wirkungen entfaltet, und, wenn
ja, ob diese mit Art. 49 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6
Abs. 1 des EU-Vertrages in Einklang stehen?
Herr Kollege Koschyk, auch Ihnen muss ich jetzt mit
dem Verweis auf das bereits vorher dargestellte Verfahren antworten. Auch jenseits dieses Verfahrens liegen
uns keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Grundsätze
in den Ländern, die zum 1. Mai 2004 der EU beitreten
werden, nicht eingehalten würden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Rose.
Herr Staatsminister, ist Ihnen die Erklärung des Europäischen Parlaments bekannt, in der es heißt, dass nach
dem Beitritt der Tschechischen Republik alle Bürger der
Europäischen Union auf dem Gebiet des Landes die gleichen Rechte haben, dass In-absentia-Urteile außer Kraft
gesetzt werden, dass das Gesetz Nr. 115 vom 8. Mai
1946 vom Standpunkt moderner Rechtsstaatlichkeit
keine Existenzberechtigung hat, und wie handeln Sie,
wenn Ihnen das bekannt ist?
Welche Handlungsnotwendigkeit leiten Sie aus der
von Ihnen zitierten Erklärung ab?
({0})
Herr Staatsminister, wir führen keine wechselseitige
Befragung durch. Aufgerufen ist die Fragestunde.
({0})
Da bleibt es Ihnen natürlich völlig unbenommen, zu entscheiden, ob überhaupt und, wenn ja, wie Sie eine gestellte Frage beantworten wollen.
Ich kann nur verweisen auf die Antworten auf die bereits mehrfach angesprochene Kleine Anfrage, die sich
mit dem exakt gleichen Sachverhalt und mit den teilweise wörtlich gleichen Fragen befasst, und auf die zuvor auf die Fragen der Kollegen gegebenen Antworten.
Weitere Zusatzfragen zu diesem Komplex liegen
nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Staffelt zur Verfügung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bitte darum, dass ich zu Beginn eine kurze
Einführung zu den Fragen 6 bis 11 der Abgeordneten
Dr. Pfeiffer, Hochbaum und Dr. Kues voranstellen darf.
Im Rahmen der so genannten Länderexamen ist es ein
übliches Verfahren, dass ein vom OECD-Sekretariat erstellter Länderberichtsentwurf nach der Diskussion im
Länderprüfungsausschuss, in dem alle OECD-Länder
vertreten sind, nachträglichen Änderungen unterzogen
wird. Diese dienen der sachlichen Richtigstellung von
Tatbeständen. Änderungen am Berichtsentwurf können
dabei sowohl vom geprüften Land selbst als auch von
den übrigen im EDRC vertretenen Ländern vorgebracht
werden. Gegebenenfalls gewünschte Berichtsänderungen werden vom OECD-Sekretariat in den Berichtsentwurf eingearbeitet und abschließend noch einmal allen
Ländern zur Einsicht- und Stellungnahme vorgelegt.
Auch jetzt sind noch Änderungen am Bericht möglich.
Erst nach Zustimmung aller dort vertretenen Länder
zu dem Berichtsentwurf ist die OECD zur Publikation
autorisiert. Dieses Verfahren lag auch der Erstellung des
Deutschlandberichts zugrunde, auf den sich Ihre Fragen
beziehen. Insoweit treffen die in Ihren Fragen geäußerten Behauptungen, dass Passagen dieses Berichts „auf
Wunsch der Bundesregierung“ gestrichen oder geändert
wurden, nicht zu. Dieser Bericht gibt die Meinung der
OECD wieder. Diese entspricht keineswegs immer auch
der Auffassung der Bundesregierung.
Ich rufe nun die Frage 6 des Abgeordneten
Dr. Joachim Pfeiffer auf:
Teilt die Bundesregierung die Meinung, dass neben der
Steigerung der Flexibilität auch grundlegende Schritte zur
„Senkung der Arbeitskosten“ erforderlich sind?
Herr Präsident, ich möchte die Fragen 6 und 7 gern
gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 7 des Abgeordneten
Pfeiffer auf:
Wenn ja, warum ist diese Passage aus dem Entwurf des
Wirtschaftsberichts Deutschland Januar 2003 der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
OECD, auf deutschen Wunsch hin - vergleiche „Handelsblatt“ vom 28. Mai 2003 - gestrichen worden?
Die Bundesregierung teilt die Auffassung, dass neben
der Steigerung der Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt
grundlegende Schritte zur Senkung der Arbeitskosten
notwendig sind. Der Deutschlandbericht der OECD
weist an mehreren Stellen darauf hin, dass zur Stärkung
der Wachstumskräfte in Deutschland unter anderem
grundlegende Reformschritte auf dem Arbeitsmarkt notwendig sind. Dazu gehört laut OECD vor allem die Erhöhung der Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt.
Die von der Bundesregierung bereits umgesetzten wie
auch die geplanten Strukturreformen - Agenda 2010 tragen zu mehr Wachstum und Beschäftigung bei. Mit
den in der Agenda 2010 vorgesehen Maßnahmen werden
die Arbeitsmärkte durch strukturelle Reformen flexibilisiert, die Lohnnebenkosten gesenkt und die Anreize zur
Aufnahme einer regulären Beschäftigung verbessert. Die
von der Bundesregierung eingeleiteten Reformschritte
werden von der OECD nachdrücklich begrüßt.
Da Herr Staffelt beide Fragen zusammen beantwortet
hat, haben Sie, Herr Pfeiffer, bis zu vier Zusatzfragen.
Herr Kollege Pfeiffer, bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben darauf hingewiesen,
dass es offensichtlich sachlich unterschiedliche Bewertungen durch die OECD und die Bundesregierung gebe.
Mir liegt ein Auszug aus dem „Handelsblatt“ vor, in dem
die OECD-interne Fassung der veröffentlichten Fassung
der Bundesregierung in einer Synopse gegenübergestellt
wird. In der Sache kann ich allerdings weniger inhaltliche Unterschiede erkennen; man versucht vielmehr, die
entsprechenden Passagen mit „Verschleierungslyrik“
mehr oder weniger weichzuspülen, indem man von den
Punkten, die hier aufgelistet sind - Sie haben einige gerade angesprochen -, einfach ablenkt. An diesen Stellen
hat die Bundesregierung einfach falsch oder gar nicht
agiert. Ich kann keinen sachlichen Unterschied feststellen. Man hat einfach versucht, durch Einfügungen und
Streichungen vom eigenen Nichtstun und von falschen
Wegen abzulenken. Teilen Sie diese Auffassung?
Wie ich Ihren Formulierungen entnehme, nehmen Sie
eine streng wissenschaftliche Betrachtung der Politik der
Bundesregierung vor. Wie ich „Kürschners Volkshandbuch“ entnommen habe, sind Sie Diplomkaufmann. Daher kennen wahrscheinlich auch Sie das Institut des Wirtschaftsprüfers. Jedenfalls meine persönliche Erfahrung
ist, dass es, nachdem ein Unternehmen seine Bücher und
damit auch seine inhaltlichen Projekte hat prüfen lassen,
keine einzige Begegnung mit Wirtschaftsprüfern gab, in
denen es nicht auch unterschiedliche Auffassungen und
Kontroversen gegeben hat, die erörtert werden mussten
und die dann zu einem letztendlich vernünftigen, gemeinsam getragenen Bericht geführt haben.
Ich füge an dieser Stelle ausdrücklich hinzu: Die Gelegenheit zur Stellungnahme hatten in diesem Fall nicht
nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern alle anderen Regierungen der OECD-Länder. Um einmal aus dem
Nähkästchen zu plaudern: Beispielsweise vertraten die
Vereinigten Staaten von Amerika oder Belgien unterschiedliche Auffassungen bei der Interpretation des ersten Berichts aus dem Länderreferat Deutschland.
Es ist doch ganz selbstverständlich: Die deutsche
Bundesregierung ist mit einer ganzen Delegation zur
OECD gefahren.
({0})
- Ich glaube, dass sie damit ganz in der Kontinuität aller
Bundesregierungen steht. Als Sie noch regierten, hat
man vielleicht gar nicht gemerkt, dass die OECD etwas
gemacht hat, da man „herumgeschnarcht“ hat.
Wir jedenfalls haben uns mit den Fragestellungen im
Einzelnen auseinander gesetzt. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: die Bewertung der besonderen Lasten, die
die Bundesrepublik Deutschland durch die Vereinigung
zu tragen hat. Dieses Thema wird in internationalen Gremien sicherlich anders bewertet als bei uns. Ich will Ihnen an diesem Punkte nur noch einmal deutlich machen:
Hierbei hat niemand versucht, zu tricksen; vielmehr sind
unterschiedliche Standpunkte ausgetauscht worden. Es
bleibt der OECD die Möglichkeit, den aus ihrer Sicht
richtigen und zutreffenden Bericht zur Beschreibung der
ökonomischen Lage in Deutschland dann zu veröffentlichen.
Zusatzfrage.
Da auch Sie gerade ein Beispiel genannt haben, darf
ich noch einmal zitieren, was die OECD in Bezug auf
die neuen Bundesländer zu berichten vorschlägt:
Das Wachstum in den neuen Bundesländern stagniert derzeit auf niedrigem Niveau und die wirtschaftliche Konvergenz mit den alten Bundesländern ist zum Stillstand gekommen.
Da wir damit jetzt in eine wissenschaftliche Diskussion
eingestiegen sind, sollten wir den Diskurs durchaus weiter pflegen; denn Sie haben daraus gemacht:
Das gesamtwirtschaftliche Wachstum in den neuen
Bundesländern stagniert derzeit auf niedrigem Niveau, und die wirtschaftliche Konvergenz mit den
alten Bundesländern
- jetzt kommt der Höhenflug ist trotz einiger Hochwachstumsnischen im Industriesektor zum Stillstand gekommen.
({0})
Ich meine, das trifft wirklich zu. Mehr kann ich zu
dem Thema nicht sagen. Schauen Sie sich einmal ganz
bestimmte Industriezweige in Ostdeutschland an: Die
leisten nicht nur Hervorragendes, sondern die sind international vernetzt und behaupten sich im internationalen
Wettbewerb. Gleichzeitig haben wir - das muss man einfach sehen - ein paar Kilometer weiter große Probleme
mit der Arbeitslosigkeit. Das bestreitet niemand, vielmehr beschreibt das die Lage richtig.
Eine nur negative Beschreibung der Verhältnisse in
Ostdeutschland wäre schlicht und einfach undifferenziert. Wir alle zusammen müssen Wert darauf legen, dass
wir nicht all das nur negativ beschreiben, was übrigens
die alte Bundesregierung und auch diese Bundesregierung in den letzten zwölf Jahren in Ostdeutschland zuwege gebracht haben.
Dritte Zusatzfrage.
Teilt der Herr Staatssekretär die Auffassung, dass
solche Lyrik, die durchaus in manchen Bereichen positive Zeichen zum Ausdruck bringen kann, vielleicht
auch dazu führen kann, dass die Wahrnehmung der Bevölkerung oder maßgeblicher Kräfte in Deutschland getrübt wird? Ein Beispiel dafür ist ja jetzt der Streik für
die 35-Stunden-Woche in den neuen Bundesländern.
Demzufolge hätten wir nicht nur ein Umsetzungs-, sondern auch ein Erkenntnisproblem. Verhindert das
Weichspülen des Berichts durch die Bundesregierung
nicht eine weitere Erkenntnissteigerung in diesen Bereichen?
Das glaube ich nicht. Mir ist nicht bekannt, dass die
IG Metall bzw. der dortige Arbeitgeberverband, nachdem sie sich im Rahmen ihrer Tarifgespräche nicht haben einigen können, einen Blick in den OECD-Entwurf
geworfen hätten. Vielmehr glaube ich eher, dass für deren Verhalten andere Gründe vorliegen. Bezüglich dieses
Streiks kann man sicherlich zu Recht sehr unterschiedlicher Auffassung sein. Aber diese Dinge jetzt miteinander in Verbindung zu setzen, halte ich für ziemlich weit
hergeholt. Ich bin der festen Überzeugung, dass es sogar
richtig ist, wenn man auch auf die Projekte in Ostdeutschland hinweist, die erfolgreich sind. Das hat auch
eine motivierende Wirkung.
Dass wir Strukturreformen benötigen, das bezweifelt
ja niemand; wir gehen sie ja im Moment an. Genau deshalb ist es, wie ich meine, richtig, wenn die Bundesregierung bei internationalen Institutionen von ihrem
Recht Gebrauch macht, ein ihrer Ansicht nach schief geratenes Bild ein Stückchen zurechtzurücken. Das ist sogar ihre Pflicht.
Letzte Zusatzfrage? - Keine. Weitere Zusatzfragen
hierzu gibt es nicht.
Dann rufe ich die Frage 8 des Abgeordneten
Hochbaum auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass in Deutschland seit zwei Jahren eine „dauernde Beinahe-Stagnation“
herrscht?
Wenn ich darf, möchte ich die Fragen 8 und 9 gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 9 des Abgeordneten
Hochbaum auf:
Wenn ja, warum ist diese Passage aus dem Entwurf des
Wirtschaftsberichts Deutschland Januar 2003 der OECD auf
deutschen Wunsch hin - vergleiche „Handelsblatt“ vom
28. Mai 2003 - gestrichen worden?
Die Bundesregierung bestreitet nicht, dass das
Wachstum in Deutschland unterdurchschnittlich ist. Sie
verweist aber darauf, dass dies bereits seit Mitte der
90er-Jahre der Fall ist. Dies kommt jetzt im OECDWirtschaftsbericht zum Ausdruck. Der Grund für die
Korrektur an dem ursprünglichen OECD-Text hat einen
sachlich-logischen Grund: Die Beinahe-Stagnation in
den letzten zwei Jahren ist vornehmlich wie die weltweite Wachstumsschwäche, die auch die EU erfasst hat,
auf konjunkturelle Entwicklungen zurückzuführen, die
in Deutschland durch die Rezession im Bausektor noch
verschärft wurden.
Wenn die Starrheiten am Arbeitsmarkt Ursache für
die Wachstumsschwäche sein sollen, dann haben sie bereits in den 90er-Jahren und nicht erst in den letzten beiden Jahren das Wachstum gedämpft; denn die Starrheiten am Arbeitsmarkt existieren in Deutschland seit
geraumer Zeit. Sie haben zumindest in den vergangenen
zwei Jahren insgesamt nicht zugenommen. Außerdem
sind sie - auch das ist Ergebnis von Untersuchungen der
OECD, des IWF und von Forschungsinstituten wie beispielsweise des IfW Kiel - keineswegs größer als in anderen großen europäischen Staaten, insbesondere in
Frankreich und Italien. Im Übrigen sorgen die derzeitigen Maßnahmen und Pläne der Bundesregierung im Bereich der Arbeitsmarktpolitik für einen größeren Abbau
von Rigiditäten, als er bis 1998 je von den Vorgängerregierungen in Angriff genommen worden ist.
Zusatzfrage, Herr Kollege Hochbaum.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben erwähnt, dass wir
eine unterdurchschnittlich wachsende Volkswirtschaft
haben. Welcher sachliche Hintergrund ist verantwortlich
dafür, dass es zur Streichung dieser Einschätzung, die
Sie selber gerade bestätigt haben, kam, sodass diese in
der veröffentlichten Fassung nicht mehr zu lesen ist?
Ich will an dieser Stelle noch einmal eine Einschätzung abgeben. Wir haben niemals die Ansicht korrigiert,
dass es nachdrückliche Veränderungen im Bereich des
Arbeitsmarktes geben muss. Dem entspricht auch unsere
Politik. Wir sind aber dagegen, mit Begriffen wie Stagnation und Deflation zu arbeiten. Wir sind der Auffassung, dass zur Kenntnis genommen werden muss, dass
wir, sowohl was die Anregung der Konjunktur als auch
was die Veränderung der Strukturen angeht, auf dem
richtigen Wege sind. Dies wollten wir mit unserer Intervention gegenüber den OECD-Verantwortlichen deutlich
machen.
({0})
Weitere Zusatzfrage? - Nein.
Dann rufe ich Frage 10 des Abgeordneten
Dr. Hermann Kues auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland einen hohen strukturellen Anteil aufweist?
Wenn ich darf, beantworte ich die Fragen 10 und 11
gemeinsam, Herr Präsident.
Dann rufe ich auch Frage 11 auf:
Wenn ja, warum ist diese Passage aus dem Entwurf des
Wirtschaftsberichts Deutschland Januar 2003 der OECD auf
deutschen Wunsch hin - vergleiche „Handelsblatt“ vom
28. Mai 2003 - gestrichen worden?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die derzeit in Deutschland herrschende Arbeitslosigkeit neben
konjunkturellen Faktoren auch auf strukturelle Ursachen
zurückzuführen ist. Die empirische Ermittlung der strukturellen Arbeitslosigkeit ist in der Wissenschaft aus methodischen Gründen äußerst umstritten. Aus diesem
Grund führt die Bundesregierung auch keine entsprechenden Schätzungen durch. Dieser Standpunkt wurde
auch gegenüber der OECD vertreten.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wir sind uns darüber einig, dass
eine wichtige Voraussetzung für gezielte politische Vorschläge ist, dass man nüchtern analysiert. Das ist quasi
eine zwingende Voraussetzung; ansonsten kommt man
plötzlich zu Vorschlägen, bei denen man sich wundert,
dass das Ergebnis, das man damit verbindet, nicht eintritt. Wenn man etwa die Diskussion um die Agenda
2010 in den letzten Wochen verfolgt hat, stellt man fest,
dass über alles Mögliche diskutiert wird, aber nicht mehr
über den eigentlichen Gegenstand, der damit verbunden
ist.
Deswegen frage ich Sie, ob es nicht vielleicht ein generelles Problem ist, dass die Bundesregierung dazu
neigt, sachverständige Bewertung von außen infrage zu
stellen und zurückzuhalten. Ich erinnere Sie daran, dass
Minister Clement im Oktober 2002 sogar allen Wirtschaftsforschungsinstituten öffentlich die Kompetenz
abgesprochen hat, weil sie im Herbstgutachten etwas gesagt haben, was ihm nicht ins Konzept passte. Sie haben
nämlich Zweifel an der Wirksamkeit des Hartz-Konzeptes geäußert. Jetzt weiß keiner mehr genau, was mit
Hartz-Konzept gemeint ist. Ich erwähne das deswegen,
weil wir heute Morgen über die Auswirkung der Personal-Service-Agenturen diskutiert haben. Herr Clement
hat damals gesagt: Ich bin mir nicht sicher, dass die Gutachter wissen, worüber sie genau reden. - Das war im
Oktober 2002. Dann ist berichtet worden, dass es auch
etwa zwischen der Regierung und dem Internationalen
Währungsfonds zu einer Diskussion gekommen ist, weil
der Fonds in einer Studie vor den Gefahren einer Deflation in Deutschland gewarnt hatte. Herr Eichel hat sich
seinerzeit dazu geäußert.
Ich könnte Ihnen viele andere Beispiele dafür zitieren,
dass von außen, von der EU-Kommission, von OECDKommissionen oder Sachverständigen, kritische Anmerkungen gemacht worden sind und Sie entsprechend reagiert haben. Könnte es daher sein, dass die Bundesregierung ein strukturelles Problem bei der Wahrnehmung
hat?
Das kann ich selbstverständlich nicht bestätigen. Ich
will in diesem Zusammenhang vielmehr darauf hinweisen, dass wir wissenschaftliche Arbeiten und insbesondere auch die Aussagen der wirtschaftswissenschaftlichen Institute sehr ernst nehmen.
Wenn Sie sich einmal anschauen, was uns in den letzten drei Jahren an Einschätzungen und Prognosen über
die Entwicklung der Konjunktur und über das Wachstum
geliefert wurde, dann müssen Sie mir konzedieren, dass
wir zumindest die Verpflichtung haben, das, was an Zahlen geliefert wird, kritisch zu hinterfragen. Genau das
war die Absicht von Herrn Clement.
Ich muss Ihnen ganz offen gestehen, dass ich im Gegensatz zu Ihnen sehr wohl weiß, was Hartz bedeutet.
Die Umsetzung dieses Konzepts war ein großer Reformschritt. Dieses Konzept werden wir mit Hartz III und IV
in den nächsten Wochen und Monaten weiterentwickeln.
({0})
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass wir sehr wohl den wissenschaftlichen Rat
ernst nehmen, uns aber auch erlauben, ihn kritisch zu
hinterfragen.
Zweite Zusatzfrage.
Eine kurze Bemerkung zu Ihrer Antwort: Es ist ja so,
dass Herr Hartz es total ablehnt - dazu gibt es eindeutige
Äußerungen von ihm -, dass dieses Konzept mit seinem
Namen verbunden wird.
Nun zu meiner Frage. Nach meinen Informationen
wird in OECD-Kreisen gesagt, Veränderungen an Berichten habe es immer gegeben, aber noch nie in dem
Ausmaß, wie das derzeit der Fall sei.
Ich will einmal Bert Rürup zitieren, der bei Ihnen in
den unterschiedlichsten Funktionen tätig ist und der häufig Erklärungen abgibt. Zu dem deutschen Redigiereifer
sagt er Folgendes:
Kritik aus internationalen Organisationen ist für
eine Regierung besonders schmerzhaft.
Er sagt weiter, dass es bei nationalen Kritikern leichter
sei, diese als interessengeleitet abzutun. Wie beurteilen
Sie diese Aussage von Herrn Rürup?
Ich finde die Aussagen von Herrn Rürup grundsätzlich interessant und höre sie mir an. Sie werden mir aber
sicherlich an dieser Stelle nachsehen, wenn ich mich
nicht jeder seiner Äußerungen anschließe.
In dem Zusammenhang sei noch eines gesagt: Für
mich sind die internationalen Institutionen wie beispielsweise die OECD und der IWF wichtige Einrichtungen,
die ihren Zweck auf internationaler Ebene erfüllen. Aber
nicht umsonst verfügen sie über Länderreferate und
nicht umsonst bedarf es eines eingehenden Dialoges
zwischen den Ländern, die untersucht und beurteilt werden, und diesen Institutionen.
Sie wissen, dass auch in unseren Gesprächen unterschiedliche Auffassungen, unterschiedliche wissenschaftliche Methoden und wissenschaftliche Lehren zum
Ausdruck kommen. Das ist doch ganz normal. Ebenso
normal finde ich es, wenn es einen Diskurs mit internationalen Organisationen über strittige Punkte gibt. Eine
aktive Bundesregierung wird sich in einen solchen Diskurs selbstverständlich einschalten.
Ich hatte das Vergnügen, vor einigen Monaten in den
USA zu sein, als der IWF-Bericht vorbereitet wurde. Zu
diesem Zeitpunkt gab es die Regierungserklärung des
Bundeskanzlers zur Agenda 2010. Diese hat auf den Bericht des IWF zu Deutschland einen ganz erheblichen,
positiven Einfluss ausgeübt. Sie sehen, es gibt eine Dynamik. Wir schalten uns aktiv in die Diskussion ein.
Im Übrigen muss man unseren Standpunkt nicht teilen.
({0})
Dass man das aber - zumindest partiell - getan hat,
spricht wohl dafür, dass auch von der Sache her an den
Argumenten etwas drangewesen sein muss.
Weitere Zusatzfrage.
Wie passt dazu die Rede des Bundeskanzlers, die er
anlässlich der 40-Jahr-Feier des Sachverständigenrates
am 6. Mai, also nach Bekanntgabe der Agenda 2010, gehalten hat? Er hat gesagt:
Wir brauchen gerade in Zeiten, in denen es schwieriger wird, wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen durchzusetzen,
- das stimmt eher mehr Beratung durch unabhängige Gremien
als weniger.
Er sagt weiter:
Beratung durch kompetente Dritte ist für jeden handelnden Politiker eine wertvolle Unterstützung. Das
gilt auch dann, wenn einem die Gutachten nicht in
den Kram passen.
Wie passt das zu Ihrer Stellungnahme?
Ich finde, das ist wieder einmal eine der richtungsweisenden Äußerungen des Bundeskanzlers. Er hat das völlig richtig beschrieben. Fast alle von Ihnen sind wissenschaftlich geschult. Sie wissen doch, wie das geht - das
lernt man doch an den Universitäten -: Die Professoren
A, B, C und D vertreten unterschiedliche Standpunkte,
haben unterschiedliche Sichtweisen, kommen aus anderen Wissenschaftsschulen. Auseinander setzen darf man
sich. Dass es das gibt, ist wichtig. Dass man sich damit
auseinander setzt, ist wichtig. Aber man muss sich nicht
jedem Professor anschließen, der irgendetwas zur Ökonomie in Deutschland, in Europa oder in der Welt sagt.
Darin sollten wir eigentlich übereinstimmen. Das könnte
auch Ihnen irgendwann einmal wieder passieren.
({0})
Eine letzte Zusatzfrage? - Keine mehr.
Eine Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Herr Staatssekretär, wenn wir uns im Hinblick auf die
Bundesregierung das wissenschaftliche Prinzip von Trial
und Error vor Augen führen, dann kommen wir zu dem
Ergebnis: Es gibt wenig Trial, aber ziemlich viel Error.
Wir haben erleben dürfen, dass der Bundesfinanzminister für 2004 angekündigt hat, einen nahezu ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Jetzt hat der Bundeskanzler
am Rande des G-8-Gipfels in Evian erklärt, man werde
wahrscheinlich auch im Jahre 2004 die Maastricht-Kriterien verletzen.
Ich habe dazu zwei Fragen. Die erste Frage ist: Meinen Sie nicht, dass wir in der Haushaltspolitik weiter wären, wenn die Bundesregierung den Analysen der OECD
folgen und nicht versuchen würde, sie umzuinterpretieren? Meine zweite Frage ist: Ist es nicht auch Ihre Ansicht, dass der Deutsche Bundestag für eine solche Mitteilung das richtige Gremium gewesen wäre?
({0})
Da gerade zwei Fragen gemeinsam beantwortet worden sind, besteht zu jeder dieser beiden Fragen die Möglichkeit einer Zusatzfrage.
({0})
Ich denke, dass es sich der Bundeskanzler nicht nehmen lassen wird, diese Position im Zweifel auch hier im
Deutschen Bundestag mit allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages zu erörtern. Der Gipfel in Evian war
natürlich ein besonderes Ereignis, auf dem dazu Stellung
genommen werden musste. Denn ich bin ganz sicher,
dass die Regierungschefs genau über diese Frage gesprochen haben.
Wir wissen ja, dass es in Bezug auf die MaastrichtKriterien zusammen mit den Franzosen, den Briten und
anderen Europäern Überlegungen gibt, in dieser besonderen Situation, in der nicht nur wir Deutsche uns, sondern sich auch die anderen Europäer befinden, ein Stück
mehr Spielraum zu schaffen, damit wir der Konjunktur
entsprechende Impulse geben können. Dies haben wir
im Übrigen hier im Hause schon mehrfach erörtert.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Kopp.
Herr Staatssekretär Staffelt, es ist unbestritten in diesem Hause, dass es möglich sein muss und gewünscht
ist, sich mit Gutachten und wissenschaftlichen Ausarbeitungen auseinander zu setzen; das ist keine Frage. Prognosen, auch Prognosen der Bundesregierung, muss man
in der Tat genauso kritisch hinterfragen.
Insofern stelle ich jetzt an Sie, Herr Staatssekretär,
eine Frage, was die Wachstumsprognosen für das laufende Jahr in Bezug auf unsere Wirtschaft betrifft. Wir
haben immer wieder Korrekturen erlebt. Die letzte Korrektur, die die Bundesregierung vorgenommen hat, betraf die Änderung der Prognose des Wirtschaftswachstums von 1 auf 0,75 Prozent. Ihnen ist sicher bekannt,
dass in der Wirtschaftsfachwelt leider damit gerechnet
wird, dass unser Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr
wahrscheinlich nur noch 0,4 bis 0,5 Prozent betragen
wird. Wie lautet die aktuelle Wachstumsprognose der
Bundesregierung?
Ich kenne keine neue Wachstumsprognose der Bundesregierung über das hinaus, was Sie bereits angeführt
haben.
Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Fritz auf:
Wann wird die Bundesregierung von ihr selbst als „überlegenswert“ erachtete gesetzliche Maßnahmen ergreifen „Handelsblatt“ vom 28. Mai 2003 -, die es ermöglichen, von
kollektiven Tarifverträgen abzuweichen?
Herr Präsident, Herr Kollege Fritz, ich darf die Fragen 12 und 13 wieder zusammen beantworten?
Dann rufe ich auch die Frage 13 des Kollegen Fritz
auf:
Welche konkreten Vorstellungen hat die Bundesregierung
in diesem Zusammenhang?
Wie Sie wissen, setzt sich die Bundesregierung dafür
ein, für Rahmenbedingungen zu sorgen, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen und damit
ihren Erfolg auf dem Weltmarkt stärken. Nur so kann es
gelingen, neue und zusätzliche Impulse zur Sicherung
und zum Aufbau von Arbeitsplätzen zu geben.
In diesem Zusammenhang halte ich es für wichtig, im
Rahmen der Flächentarifverträge genügend Freiräume
zu schaffen, um auf betriebsspezifische Problemlagen
reagieren zu können und Unterschieden in der Qualifikation der Beschäftigten Rechnung zu tragen. Zur flexiblen
Anpassung der Tarifverträge an die Bedürfnisse der Betriebe und der Arbeitnehmer sind in den letzten Jahren
vermehrt Öffnungsklauseln, Härtefallregelungen und andere Differenzierungsbestimmungen in die Tarifverträge aufgenommen worden. Sie ermöglichen den betrieblichen Akteuren unter bestimmten Bedingungen
beim Einkommen und bei der Arbeitszeit von normierten Standards der Flächentarifverträge abzuweichen und
betriebsspezifische Regelungen zu vereinbaren, insbesondere zur Sicherung von Arbeitsplätzen.
Diese Möglichkeiten der verstärkten Flexibilität innerhalb des bestehenden Tarifvertragssystems sind nach
Ansicht der Bundesregierung der richtige Ansatz, die
Vorteile des Flächentarifvertrages für Arbeitnehmer und
Arbeitgeber mit der notwendigen Flexibilität auf betrieblicher Ebene zu verbinden. Die Tarifvertragsparteien stehen gemeinsam in der Verantwortung, die Flexibilitätsmöglichkeiten im Tarifgefüge weiterzuentwickeln.
Ihre erste Zusatzfrage, Herr Kollege Fritz.
Herr Staatssekretär, der OECD-Bericht enthält einen
deutlichen Hinweis auf die Notwendigkeit, dass die
Möglichkeiten, von kollektiven Tarifverträgen zugunsten von Vereinbarungen zwischen den Beschäftigten und
dem Management eines Unternehmens abzuweichen,
verbessert werden müssen. Die Bundesregierung hat in
der veröffentlichten Fassung in diesem Zusammenhang
die Formulierung „überlegenswert“ benutzt. Deshalb
frage ich Sie noch einmal - Sie haben das noch nicht beantwortet -: Wann werden diese Überlegungen in konkrete Gesetzesvorlagen überführt?
Ich darf darauf hinweisen, dass in Deutschland noch
immer die Tarifautonomie gilt und die Arbeitgeber- und
Arbeitnehmervertretungen die Tarife selbstverständlich
aushandeln. Herr Kollege Fritz, ich möchte darauf verweisen, dass wir bei näherem Hinschauen konzedieren
müssen, dass die in bestehenden Tarifverträgen existierenden Möglichkeiten - auch das ist ein Teil der Wahrheit - bei weitem nicht ausgeschöpft sind. Wir stimmen
in der Auffassung überein, dass darüber hinaus - das stoßen wir an - manches zu tun ist. Die Tarifpartner sollten
aber noch stärker dafür Sorge tragen, dass die Möglichkeiten betrieblicher Regelungen im Rahmen existierender Tarifverträge dort, wo es angebracht und notwendig
ist, ausgeschöpft werden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Formulierung, die Sie der
OECD übermittelt haben, lautet:
Überlegenswert wäre eine Erweiterung des Spielraums für die Lohnfestsetzung auf betrieblicher
Ebene, um so eine bessere Anpassung der Tarifverträge an die Arbeitsmarktbedingungen zu erreichen.
Jetzt sagen Sie hier, das sei Sache der Tarifpartner. Warum haben Sie dann auf den deutlichen Rat der OECD,
die Gesetzgebung in diesem Zusammenhang zu ändern,
mit einem entsprechenden Änderungsvorschlag reagiert?
Ich gehe fest davon aus - das sage ich ausdrücklich -,
dass die Tarifpartner in Fortsetzung der sehr erfolgreichen Tradition der Bundesrepublik Deutschland ein hohes Maß an Verantwortung an den Tag legen müssen.
Das sollte nicht in erster Linie per Gesetz geregelt werden. Ich bin der Auffassung, dass wir die besondere Verantwortung der Tarifpartner in vollem Umfang einfordern sollten.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Niebel auf:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass gemeinnützig
wirkende und nicht auf Gewinn ausgerichtete Unternehmen
nicht als Personal-Service-Agenturen tätig werden können
und Bewerbungen deshalb abgelehnt werden müssen?
Jeder, der eine Personal-Service-Agentur betreiben
will, muss im Besitz einer Verleiherlaubnis nach dem
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sein. Dies gilt auch für
gemeinnützige Einrichtungen. Nach den Vorstellungen
der Hartz-Kommission, auf die das neue arbeitsmarktpolitische Instrument der Personal-Service-Agenturen zurückgeht, sollen diese durch den Verleih der Leiharbeitnehmer Einnahmen erzielen, also gewerbsmäßig tätig
werden.
Gemeinnützige Träger, die bislang als nicht gewerbsmäßige Verleiher aufgetreten sind und deshalb keine
Verleiherlaubnis benötigten, können dies weiterhin tun,
jedoch nicht als Personal-Service-Agenturen. Wollen sie
sich an den Ausschreibungen für eine Personal-ServiceAgentur beteiligen, so müssen sie hierfür Ausgründungen vornehmen.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, Sie stimmen mir wahrscheinlich
zu, dass sehr viele gemeinnützige, meist auch kommunale Beschäftigungsgesellschaften gute Erfolge mit der
Vermittlung gerade besonders schwieriger Personengruppen haben. Dann würde es doch eigentlich auch Sinn machen, wenn solche Gesellschaften als Personal-ServiceAgenturen dieses neue Segment der Arbeitsmarktpolitik
mit übernehmen könnten, ohne dass sie plötzlich von ihrer Gemeinnützigkeit hin zur Gewerbsmäßigkeit abdriften müssten. Würden Sie es nicht für sinnvoll erachten
- im Hinblick auf die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und vor dem Hintergrund, dass die Personal-Service-Agenturen pro Fall einen Zuschuss bekommen, der
natürlich, wenn man nicht auf Gewinn ausgerichtet arbeitet, niedriger sein kann, als wenn man Gewinn machen
muss -, gemeinnützigen Beschäftigungsgesellschaften
die Teilnahme am Wettbewerb der Ausschreibungen für
Personal-Service-Agenturen zu ermöglichen?
Sehr geehrter Herr Kollege Niebel, ich darf auf unsere
Diskussion von vor einer Stunde oder vor zwei Stunden
im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit verweisen. Da
haben Sie ein Beispiel angeführt, das deutlich gemacht
hat, wie schwierig es in diesem Felde mit dem Wettbewerb ist. Es ist ja ganz selbstverständlich: Wenn Sie ein
gemeinnütziges Unternehmen als PSA beauftragen und
arbeiten lassen, das sozusagen gar nicht gewinnorientiert
arbeiten muss, führen Sie damit eine noch größere
Schieflage gegenüber den privaten Zeitarbeitsfirmen
herbei. Deshalb kann ich nur noch einmal sagen: Wir
glauben, dass es denkbar ist, mit Ausgründungen zu arbeiten. Wir wollen ganz bewusst die Beauftragung von
privaten Unternehmen durch die Arbeitsämter auf der
Grundlage der freiwilligen Bildung eines spezifischen
Honorars. Ob dann Probleme rechtlicher Art bei der
Ausgründung entstehen, sodass insgesamt die Gemeinnützigkeit infrage gestellt wäre, ist eine Frage, die wir
natürlich nicht beantworten können; diese Frage muss
letztlich von den Finanzämtern beantwortet werden.
Zweite Zusatzfrage.
Sie stimmen mir offenkundig darin zu, dass die Gefahr der Aberkennung der Gemeinnützigkeit bei einer
Ausgründung natürlich besteht. Stimmen Sie mir tatsächlich dahin gehend nicht zu, dass, wenn eine gemeinnützige Personal-Service-Agentur die Vermittlung übernehmen würde, die Zuschüsse der Bundesanstalt an
diese Personal-Service-Agentur geringer sein könnten
als bei einer gewerbsmäßigen Arbeitnehmerverleihfirma?
Herr Kollege Niebel, ich bin jetzt etwas überrascht.
Darf ich es anders formulieren?
Üblicherweise kommt aus den hiesigen Reihen, die so
nahe an der Regierung, aber nicht in der Regierung sind,
immer der Hinweis darauf, dass alles, was öffentlich ist,
vom Grunde her eigentlich teurer und ineffizient ist.
Es gibt private gemeinnützige Gesellschaften!
Auch diese gibt es. Dennoch: Sie haben den Hauch
des Öffentlichen, während die Privaten das sehr viel besser können.
Ich finde, das ist keine Frage, in der man sich politisch streiten muss. Das Beste, was hier machbar ist und
der Sache dient, soll auch zum Zuge kommen. Vor dem
Hintergrund allerdings ist die jetzige Rechtslage - dazu
habe ich Ihnen eben Auskunft gegeben -, dass gemeinnützige Einrichtungen dieser Art solche Aufträge nicht
in der Form übernehmen können.
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Werner Lensing
auf:
Soll durch die gezielte Besetzung einer „fachkundigen
Stelle“ im Zusammenhang mit der Ausgabe von Bildungsgutscheinen eine Substitution anstelle eines Bundesrahmengesetzes für Weiterbildung geschaffen werden?
Die fachkundigen Stellen sollen künftig im Bereich
der nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch geförderten Weiterbildung Träger und Maßnahmen zertifizieren.
Substituiert wird nach Implementierung des Verfahrens
die derzeitige Anerkennung von Weiterbildungsträgern
und -maßnahmen für die Weiterbildungsförderung durch
die Arbeitsämter. Diese Zulassung wird Voraussetzung
dafür sein, dass die Teilnahme an solchen Weiterbildungsangeboten mit Leistungen der Bundesanstalt für
Arbeit gefördert werden kann. Das Verfahren soll sich
nach einer noch zu erlassenden Rechtsverordnung nach
dem SGB III richten und gilt dementsprechend auch nur
für die Weiterbildungsförderung nach dem SGB III.
Herr Präsident, das war jetzt die Antwort auf
Frage 15. Die Antwort auf Frage 16 erfolgt extra.
({0})
Herr Kollege Lensing, dann können Sie Ihrer Freude
in Form einer Zusatzfrage Ausdruck verleihen.
Herr Präsident, meine Freude wäre besonders groß,
wenn ich zwei Zwischenfragen stellen dürfte.
Ja, aber bitte der Reihe nach.
({0})
Wir wollen das Auffassungsvermögen der Regierung
auch nicht überstrapazieren.
Herr Staatssekretär, mit der Schaffung der „fachkundigen Stelle“ erhofft man sich einen Einfluss auf den
Weiterbildungsmarkt. Daher frage ich Sie: Wer wird eigentlich die „fachkundige Stelle“ überwachen, um Missbrauch bei der Zertifizierung zu verhindern?
Ich gehe davon aus, dass Missbrauch dadurch verhindert wird, dass sich die entsprechenden Arbeitsämter genau anschauen, wer beauftragt wird und wie die Beauftragung im Einzelnen ablaufen wird. Darüber wird es
Erfahrungsberichte und dementsprechend eine Fortsetzung der Beauftragung oder gegebenenfalls Korrekturen
geben.
Zweite Zusatzfrage.
Ich habe im Vorfeld gehört, dass man sich darum bemüht, dass diese „fachkundige Stelle“, die insgesamt etwas unklar definiert ist, kostenneutral arbeitet. Ich kann
mir das aber nicht vorstellen. Daher ergibt sich für mich
die Frage, ob die entstehenden Kosten auf die Weiterbildungsträger abgewälzt werden sollen oder ob man auf
andere vorhandene Strukturen zurückgreifen möchte.
Ich gehe davon aus, dass man im Zuge der Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit und der entsprechenden Arbeitsämter auf andere vorhandene Strukturen
zurückgreifen und dann aus diesem Gesamtpool die entsprechende Kompetenz herausziehen wird.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schummer.
Warum wurden bei der Ausgabe von Bildungsgutscheinen angesichts der schlechten Erfahrungen mit der
Ausgabe von Gutscheinen für eine Arbeitsvermittlung
- es sind wohl nur etwa 5 Prozent überhaupt eingelöst
worden - nicht zuvor Testläufe in ausgewählten Arbeitsamtsbereichen durchgeführt?
Mein Eindruck ist der, dass sich die Lage bezüglich
der Bildungsgutscheine deutlich verbessert hat. Die Träger - das dürfen Sie nicht vergessen - haben Zeit gebraucht, um sich darauf einzustellen. Heute hat - jedenfalls nach meinem Kenntnisstand - das Thema
Bildungsgutscheine nicht mehr die Brisanz, die es noch
zu Beginn der Diskussion hatte. Vergessen Sie bitte
nicht: Wir wollen ausdrücklich Wettbewerb und einen
Prozess, an dessen Ende sich Qualität durchsetzen kann.
Auch das ist ein Teil des Gesamtkonzepts, das wir über
eine Modernisierung des Förderns und Forderns erreichen wollen.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Lensing auf:
Inwieweit sind durch die Einführung der Bildungsgutscheine kleine und mittlere Bildungseinrichtungen dadurch
benachteiligt, dass die Kosten für eine Zertifizierung bzw. Zulassung unabhängig von der Größe der Einrichtung beziffert
werden und überregional tätige Träger sich lediglich für einen
einzigen Durchführungsstandort zuzulassen haben, sodass für
Träger, die nur an einem Ort tätig sind, die gleichen Kosten
wie für bundesweit tätige Träger mit vielen „Filialen“ entstehen?
Derzeit nehmen die Arbeitsämter der Bundesanstalt
für Arbeit übergangsweise noch die Aufgaben der „fachkundigen Stelle“ für die Anerkennung von Weiterbildung wahr. Kosten entstehen den Bildungsträgern in diesem Zusammenhang nicht. Das haben wir im Grunde
schon erörtert.
Das Nähere zum zukünftigen Zertifizierungsverfahren wird in einer Rechtsverordnung geregelt, die das
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und
Forschung erlassen wird. In diesem Zusammenhang
werden auch Notwendigkeit und Umfang von Kostenregelungen geprüft. Dabei geht die Bundesregierung davon aus, dass auch in diesem Bereich die Kosten aufwandsbezogen abgerechnet werden.
Zusatzfrage?
Herr Dr. Staffelt, kann ich Ihre Auskunft so verstehen,
dass Sie nicht glauben, eines Tages vor der Frage zu stehen: Wie gehen wir mit kleinen und mittleren Weiterbildungsunternehmen um, die sich der Zertifizierung stellen müssen? Ich frage das vor dem Hintergrund dessen,
dass ich gehört habe, die Kosten für die Zertifizierung
würden unabhängig von der Größe des Unternehmens
anfallen. Wenn das stimmt, sehe ich die Gefahr, dass
kleine, aber qualifizierte Anbieter nicht zum Zuge kommen können, weil die eigene finanzielle Grundlage dafür
nicht ausreicht und man nicht mit einer Unterstützung
vonseiten des Arbeitsamtes oder von wem auch immer
rechnen kann.
Wir legen dennoch - dessen dürfen Sie gewiss sein großen Wert darauf, dass auch die kleinen Unternehmen
ihre Chance erhalten, wenn sie die entsprechende Qualität liefern.
Zusatzfrage des Kollegen Hochbaum.
Herr Staatssekretär, wann soll die Einrichtung der von
Ihnen so gelobten „fachkundigen Stelle“ abgeschlossen
sein?
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich diese Stelle
ausdrücklich gelobt habe. Aber wenn Sie das sagen,
dann werde ich das wohl gemacht haben. - Wir wollen
die Rechtsverordnung so schnell wie möglich in Kraft
treten lassen und damit eine Regelung für den gesamten
Sektor erreichen.
Zusatzfrage des Kollegen Kretschmer.
Herr Staatssekretär, welche Auswirkungen haben die
Bildungsgutscheine derzeit in der Praxis? Ist es richtig,
dass die Arbeitsämter die Vergabe eines Gutscheins teilweise an die Vorlage einer Einstellungszusage binden,
dass also ein Arbeitnehmer schon bei der Vergabe vorweisen muss, in welchem Unternehmen er später anfangen wird? Ist es richtig, dass es vorkommt, dass Lehrgänge nicht zustande kommen und Bildungsträger
Konkurs anmelden müssen, weil sich auf einem größeren Markt drei oder vier Anbieter tummeln, die jeweils
dieselben Leistungen anbieten, aber zu wenige Anmeldungen vorliegen, um die Kurse letztlich durchzuführen?
Es ist keine Frage, dass es im Zusammenhang mit den
Reformen am Arbeitsmarkt zu Umstrukturierungen auch
in diesem Bereich kommen wird. Das liegt doch auf der
Hand.
Was diese Einzelfälle betrifft, so werden Sie es mir
hoffentlich nicht verübeln, dass ich Ihnen sagen muss,
dass ich das nicht beurteilen kann. Ich bin hier schließlich zur Wahrheit verpflichtet. Ich bin aber daran interessiert, wenn Sie mir von einem solchen Vorfall schwarz
auf weiß berichten könnten, damit wir ihn uns anschauen
und gegebenenfalls überprüfen können. Das wäre, wie
ich denke, ganz in Ihrem Interesse.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Schummer.
Herr Staatssekretär, wie hoch ist zurzeit der Rücklauf
von ausgegebenen Bildungsgutscheinen bei den lokalen
Arbeitsämtern? Haben Sie eine Übersicht darüber?
Das kann ich Ihnen gerne schriftlich nachreichen.
Weitere Zusatzfragen? - Frau Kollegin Connemann,
bitte.
Anzahl und Volumen der Weiterbildungsmaßnahmen
werden von der Bundesanstalt für Arbeit von vornherein
quantifiziert. Inwieweit wird das nach Ihrer Ansicht zu
mehr unnötiger Regulierung führen?
Wir arbeiten gerade daran, dass weniger reguliert
wird, dass sich die Menschen schneller qualifizieren
können und dass Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit
Bedrohte schneller in den Arbeitsmarkt zurückkommen.
Dass es dabei Übergänge gibt, liegt auf der Hand. Aber
wir alle waren uns einig - auch wenn Sie andere Akzente
gesetzt hätten -, dass wir in Deutschland in dieser Frage
besser werden müssen. Daran arbeiten wir. Vor diesem
Hintergrund kann es in Übergangsphasen hier oder da etwas knirschen. Wir glauben aber, dass es große Anstrengungen der Bundesanstalt für Arbeit und der Arbeitsämter wie auch eine hohe Motivation gibt, sich erfolgreich
in den Prozess der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit
einzubringen.
Letzte Zusatzfrage. Herr Kollege Lensing, bitte.
Ich darf, da ich zwei Fragen eingereicht habe, noch
eine weitere Zusatzfrage stellen. Deswegen erlaube ich
es mir, mich noch einmal zu melden.
Ist es richtig, dass lokale Arbeitsämter die Ausgabe
eines Bildungsgutscheins von der Vorlage einer Einstellungszusage abhängig machen oder zumindest abhängig
gemacht haben?
Danach hatte eben Ihr Kollege schon gefragt.
Das war mir durch Ihre Antwort nicht klar geworden.
Es gibt natürlich Einzelfälle. Bitte nehmen Sie mir
nicht übel, dass ich dazu jetzt nichts sagen kann. Ich hatte
Ihren Kollegen darum gebeten, mir Einzelfälle zu schildern. Diese schauen wir uns an und werden Ihnen - das
hatte ich schon angeboten - einen schriftlichen Bericht
dazu geben.
Diesen Bericht hätte ich gerne.
Gut, dann machen wir das so.
Nun kommen wir zur Frage 17 des Kollegen Spahn:
Mit welchen Ausweichreaktionen der Tabakkonsumenten
in Richtung Billigmarken, Schnittware, Schmuggelware oder
Internetanbieter rechnet die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Erhöhung der Tabaksteuer und wie bewertet sie
dabei die rechtlichen Grundlagen für den EU-weiten Internethandel mit Zigaretten?
Die Anhebung der Tabaksteuer soll in drei Stufen erfolgen, wodurch sich der Kleinverkaufspreis einer Packung Zigaretten um insgesamt einen Euro erhöht. Über
die Zeitpunkte und die jeweilige Höhe der Anhebungen
der Tabaksteuer gibt es noch keine abschließende Entscheidung.
Mit der Anhebung der Tabaksteuer wird die Nachfrage nach so genannten Billigmarken - auch Handelsmarken genannt -, so genannter Schnittware - oder auch
Feinschnitttabake - oder anderen preisgünstigeren Alternativen, zum Beispiel aus dem Internethandel, voraussichtlich zunehmen. Eine verlässliche Vorhersage des
Umfangs der Verlagerung des Konsums von Zigaretten
ist allerdings nicht möglich. Der zu erwartenden Verstärkung der Nachfrage nach so genannten Billigmarken
wird durch eine entsprechende Anhebung des Mindeststeuersatzes begegnet werden. Auch im Bereich der
Feinschnitttabake ist eine Anhebung der Steuer vorgesehen.
Hinsichtlich des Internethandels mit Tabakwaren ist
Folgendes zu sagen: Zigaretten, die sich eine Privatperson von einem Händler aus einem anderen Mitgliedstaat
schicken lässt, unterliegen den Bestimmungen über den
gewerblichen Versandhandel, da derjenige, der die Zigaretten versendet oder den Versand durch andere durchführen lässt, ein Gewerbetreibender ist. Aus Sicht des
Versenders dienen die Zigaretten gewerblichen Zwecken. Diese Zigaretten müssen in Deutschland versteuert
werden. Das Verbringen von Zigaretten aus einem anderen Mitgliedsland nach Deutschland ist grundsätzlich
nur dann steuerfrei, wenn die Höchstmenge von
800 Zigaretten nicht überschritten wird und die Zigaretten zu privaten Zwecken versandt werden. Dabei müssen
sowohl Versender als auch Empfänger Privatpersonen
sein.
Erfahrungen aus der zurückliegenden Zeit zeigen,
dass hier eine Klarstellung und Abgrenzung zwischen
dem privaten und dem gewerblichen Verbringen von Tabakwaren innerhalb der Europäischen Union erforderlich ist, die mit der bevorstehenden Änderung der Art. 7
und 10 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates, der so genannten Systemrichtlinie, in Angriff genommen wird.
Ich finde, das war ziemlich ausführlich.
({0})
Das lässt sich jetzt durch Zusatzfragen sicherlich prüfen. - Herr Kollege Spahn.
Das war durchaus ziemlich ausführlich; so habe ich es
mir natürlich auch gewünscht.
Was sagen Sie jedem verantwortungsbewussten Gesundheitspolitiker, der die Ankündigungen von Frau Gesundheitsministerin Schmidt, die Tabaksteuer zu erhöhen, so verstanden hat - so hat es sich auch angedeutet -,
dass dies geschieht, um Anreize zu setzen, in Zukunft
nicht mehr zu rauchen? Man muss sich in diesem Ansinnen jetzt ein wenig konterkariert fühlen, weil Sie ganz
offen sagen - auch gerade noch einmal -, dass Sie die
Tabaksteuer stückweise erhöhen wollen, um die Menschen letzten Endes nur abzuschröpfen. Sie wollen dort
gar keine gesundheitspolitische Wirkung erzielen.
Ich muss hier natürlich darauf hinweisen, dass die
Grundüberlegungen zu den gesundheitspolitischen Fragen noch nicht im Wirtschaftsministerium formuliert
werden. Vor diesem Hintergrund haben wir uns insbesondere mit den Auswirkungen auf die Industrie beschäftigt. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass
eine moderate Anhebung in mehreren Schritten verträglich ist und von der Zigarettenindustrie inzwischen auch
als vertretbar im weitesten Sinne - so möchte ich es bezeichnen - angesehen wird.
Sie können von mir jetzt also nur eine Antwort aus
der Sicht des Wirtschaftsministeriums erhalten. Ich
denke aber, dass à la longue auch der Preis eine Auswirkung hat. Es gibt aber, da will ich ganz offen und ehrlich
sein, sicherlich sehr unterschiedliche Meinungen darüber, inwieweit man über den Preis eine solche Angelegenheit - eine solche Sucht - regeln kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ich bin nicht dafür verantwortlich, welches Ressort
auf meine Frage antwortet. Letzten Endes sprechen Sie
für die gesamte Bundesregierung, wenn Sie mir antworten.
Ich will noch einmal dezidiert nachfragen: Ihre Entscheidung, die Tabaksteuer schrittweise zu erhöhen, ist
vornehmlich aus finanzpolitischen und wirtschaftspolitischen Gründen gefällt worden, weil Sie der Zigarettenindustrie entgegenkommen wollten, und weniger bis gar
nicht aus gesundheitspolitischen Gründen? Habe ich Sie
richtig verstanden?
Nein, ich habe den Standpunkt des Wirtschaftministeriums zum Ausdruck gebracht. Sicherlich gibt es auch
eine ganze Reihe von gesundheitspolitischen Erwägungen. Bitte vergessen Sie nicht, dass insbesondere das Zigarettenrauchen zu einer ganz erheblichen Belastung der
Gesundheitssysteme in unserem Lande führt, sowohl
durch Krankheiten des Bronchialsystems als auch durch
Krankheiten im Koronarbereich. Dass an einer solchen
Stelle angesetzt wird, ist zunächst einmal eine gesundheitspolitische Überlegung, die aber auch in den anderen
Politikfeldern umgesetzt werden musste. Vor diesem
Hintergrund haben wir uns als Wirtschaftsministerium
mit dieser Frage auseinander setzen müssen.
Frau Kollegin Kopp.
({0})
Herr Staatssekretär Staffelt, falls Sie die Frage weitergeben wollen: Ich rauche nicht.
({0})
- Ich glaube nicht, dass sich das noch ergeben wird.
Ich möchte eine Frage nach der Glaubwürdigkeit Ihrer Argumentation stellen und beziehe sie auf die Wirtschaftspolitik, damit Sie antworten können. Wie steht
die Bundesregierung in ihrer Argumentationskette zu der
Tatsache, dass der Tabakanbau auf EU-Ebene noch immer mit 1 Milliarde Euro subventioniert wird? Wie passt
das ins Konzept? Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hätte es, wenn diese Subvention wegfallen würde?
Dass es auf EU-Ebene gerade bei der Förderung von
landwirtschaftlichen Produkten - dazu gehört bekanntermaßen auch die Tabakpflanze - Widersprüche gibt - Herr
Berninger bestätigt mir das gerade, und zwar mit erhobenem Zeigefinger -, steht ganz außer Frage. Ich kann
nicht dementieren, dass es Widersprüche gibt.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Straubinger.
Herr Staatssekretär, ich wohne circa 60 Kilometer
von der tschechischen Grenze entfernt. Tschechien wird
zum 1. Mai des nächsten Jahres in die EU aufgenommen. Glauben Sie nicht auch, dass im Zuge des kleinen
Grenzverkehrs bzw. über Internethandel vermehrt tschechische Zigaretten auf den deutschen Markt gelangen?
Denken Sie daran, möglicherweise Päckchen zu überprüfen, wenn der Verdacht besteht, dass auf diese Weise
tschechische Zigaretten nach Deutschland gelangen?
Ich will an dieser Stelle Ihre Frage erweitern, weil sie
einen ernsten Hintergrund hat.
({0})
- Man muss die Zusammenhänge kennen. Es ist so, dass
die polnische Regierung im Zusammenhang mit dem EUBeitritt erreicht hat, dass die EU-Steuersätze und -richtlinien für Tabak neun Jahre außer Kraft gesetzt sind. Das
heißt, für diesen Zeitraum werden die heutigen Preise - in
Euro umgerechnet -, die weit unter den Preisen der hier
angebotenen Zigaretten liegen, im Wesentlichen Geltung
haben. Da mit dem Beitritt sozusagen die normalen
Richtlinien - ich nannte vorhin die Begrenzung auf vier
Stangen, gleich 800 Zigaretten - gelten würden, müssen
wir dafür sorgen, dass hier keine Schieflage entsteht.
Die Republik Österreich hat mit Tschechien eine Regelung gefunden. Für die nächsten neun Jahre - das ist
der gleiche Fall wie mit Polen - ist von Tschechien nach
Österreich die Mitnahme von nur einer Schachtel erlaubt. Wir müssen uns also mit dieser Frage befassen.
Das Wirtschaftsministerium ist gerade dabei, zu prüfen,
was das für uns bedeutet.
Es gibt hierzu eine Frage des Kollegen Beck.
({0})
- Viele wollen fragen, aber die Geschäftsordnung lässt
jeweils nur eine Zusatzfrage zu.
({1})
- Das kommt in der Fragestunde leider häufiger vor.
Wir können über Ihre Frage in einem persönlichen
Gespräch gerne noch einmal reden. Ich sage Ihnen an
dieser Stelle: Diese Frage wird noch ein Thema sein.
Aber schon heute - das wissen Sie am allerbesten - bestehen bei Benzin und anderen Artikeln im grenznahen
Bereich erhebliche Probleme. Diese gab es aber auch im
Westen unseres Landes, zum Beispiel zwischen
Deutschland und Luxemburg oder zwischen Deutschland und Holland. Wir können nicht alles regeln. Das ist
nicht möglich und auch nicht im Sinne des Erfinders.
Nun Herr Kollege Beck.
Ich bin zu meiner Zwischenfrage gekommen, weil die
Stichwörter Widersprüchlichkeit und Glaubwürdigkeit
fielen. Ich frage die Bundesregierung, wie sie die Kritik
aus der Unionsfraktion an der Erhöhung der Tabaksteuer
vor dem Hintergrund beurteilt, dass allein in den letzten
drei bis vier Monaten zwei Presseerklärungen von der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion abgegeben wurden, in
denen eine Erhöhung der Tabaksteuer gefordert wurde.
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang Glaubwürdigkeit und Widersprüchlichkeit?
({0})
Ich darf nicht mehr so polemisch sein wie auf den Abgeordnetenbänken, sonst würde ich etwas anderes sagen.
Ich bedaure diese Form der Unglaubwürdigkeit der Opposition
({0})
und würde sie bitten, ihre Haltung zu ändern.
Ich hoffe, Herr Staatssekretär, dass Sie trotz Ihrer offensichtlichen Erschütterung noch in der Lage sind, die
letzte der Ihnen heute gestellten Fragen, die Frage 18 der
Kollegin Lötzsch, zu beantworten:
Trifft es zu, dass die Bundesregierung in den Jahren 1999
bis 2003 Lieferungen von Motoren für indonesische Kriegsschiffe erlaubt und diese Lieferungen mit Hermesbürgschaften abgesichert hat, und, wenn ja, in welcher Höhe wurden die
Bürgschaften abgeschlossen?
Im Zeitraum von 1999 bis 2003 sind keine exportkontrollrechtlichen Genehmigungen für die Ausfuhr von
Motoren für indonesische Kriegsschiffe erteilt worden.
Für den Export von Ersatzteilen für Schiffsdieselmotoren ist ein Nullbescheid erteilt worden, da die Ersatzteile
von der Ausfuhrliste nicht erfasst werden und somit
nicht der Genehmigungspflicht unterliegen.
Zwei Voranfragen zur Ausfuhr von Schiffsdieselmotoren sind ebenfalls mit einem Nullbescheid beantwortet worden. Die Remotorisierung von acht Korvetten wurde mit
zwei Ausfuhrgewährleistungen über insgesamt 24,2 Millionen Euro im genannten Zeitraum begleitet.
Zusatzfrage?
Vielen Dank, Herr Präsident. Darf ich mir als Vorbemerkung eine Anregung im Sinne der Zuschauerinnen
und Zuschauer erlauben? Vielleicht könnten auch die
Fragen bekannt gegeben werden, damit die Gäste wissen, worauf geantwortet wird.
Ich darf darauf hinweisen, dass die Fragen ausliegen,
({0})
sodass die Möglichkeit besteht, sich zu informieren.
Das war nur eine Anregung. Vielleicht kann man die
bedenken. Danke schön.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Antwort. Sie
haben erst einmal verneint, um dann doch zu bejahen. Ist
die Lieferung der Ersatzteile im Wert von über 20 Millionen Euro, von denen Sie gesprochen haben, an bestimmte Bedingungen gebunden? Ist in den Lieferverträgen festgelegt, dass diese Ersatzteile nicht in Kriegsschiffe eingebaut werden dürfen?
Ich darf Ihnen sagen, dass die Bundesregierung Anfang der 90er-Jahre 39 Schiffe der Nationalen Volksmarine an Indonesien geliefert hat und dass wir in diesem
Bereich selbstverständlich auch für Ersatzteillieferungen
sorgen. Sie wissen, dass diese Bundesregierung die Exportbestimmungen für Kriegswaffen und Dual-Use-Güter
in besonderer Weise verschärft hat und alle Auslieferungen einer besonderen Überprüfung unterzogen werden.
Insoweit gibt es natürlich Bedingungen, an die die Lieferung von bestimmten Produkten gebunden ist.
Weitere Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ich hatte in meiner ersten Frage
auf den Vorgang, den Sie eben wiederholt haben, Bezug
genommen. Sind nach Meinung der Bundesregierung
Waffenlieferungen gleich welcher Art nach Indonesien
überhaupt zu rechtfertigen, solange dort nicht ein grundlegender Wandel der politischen Verhältnisse stattgefunden hat und solange sich dort nicht die Rolle des Militärs
grundlegend geändert hat?
Sie wissen, dass diese Entscheidungen vom Bundessicherheitsrat bzw. vom interministeriellen Ausschuss
unter Beteiligung des Bundesministers des Auswärtigen,
der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, des Bundeswirtschaftsministers, des Bundesfinanzministers und des Bundeskanzleramtes gefällt werden
und dass vor diesem Hintergrund jedes Land, das nicht
der NATO angehört oder der NATO in Bezug auf seine
innere Struktur gleichzusetzen ist, besonderer Prüfung
unterliegt und dorthin vom Grunde her nicht ausgeliefert
wird, sondern nur nach besonders sorgfältiger Prüfung.
Ich bitte Sie, den Bericht der Bundesregierung zu diesem
Thema zu lesen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der
Parlamentarische Staatssekretär Matthias Berninger zur
Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 19 der Kollegin Mortler
auf:
Wie viele osteuropäische Regierungspraktikanten wurden
nach Kenntnis der Bundesregierung 2002 in der deutschen
Landwirtschaft betreut?
Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Frau Kollegin Mortler, ich beantworte die Frage wie
folgt: Das Bundesministerium für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft hat im Jahr 2002 Weiterbildungsmaßnahmen für 158 junge Nachwuchskräfte im
Agrarbereich aus der Russischen Föderation, der Ukraine
und Weißrussland gefördert. Im Zuständigkeitsbereich des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung wurden 360 Praktikantinnen und Praktikanten weitergebildet.
Darüber hinaus haben einige Länder im Jahr 2002
Praktikumsprogramme durchgeführt. Zu nennen sind Baden-Württemberg mit 166, Bayern mit 175, Brandenburg
mit 70, Nordrhein-Westfalen mit 24, Sachsen mit 52 und
Schleswig-Holstein mit 13 Teilnehmern.
Eine Zusatzfrage.
Damit haben Sie meine erste Frage schon beantwortet.
({0})
Meine Zusatzfrage lautet: Wie bewerten Sie, Herr
Staatssekretär, bzw. die Bundesregierung den Einsatz der
Regierungspraktikanten in der deutschen Landwirtschaft?
Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Die Praktikantenprogramme sind mit dem Ziel ins
Leben gerufen worden, den Kontakt zwischen der Landwirtschaft der Herkunftsländer und der europäischen
Landwirtschaft zu intensivieren. Wir sind nicht das einzige Land, das in diesem Bereich tätig ist. Grundsätzlich
begrüßen wir die Programme, weil sie die Zusammenarbeit der betreffenden Staaten mit den europäischen Ländern intensivieren.
Bekanntlich ist es nicht nur in der ehemaligen DDR,
sondern auch in Osteuropa und in der ehemaligen GUS
zu erheblichen Umbrüchen in der Landwirtschaft gekommen. Wir erhoffen uns von den Praktikantenprogrammen auch einen Beitrag dazu, die Landwirtschaft in
diesen Ländern auf gesunde Füße zu stellen.
Gibt es weitere Zusatzfragen?
Nein.
Dann rufe ich Frage 20 auf:
Zu welchen Bedingungen kann ein osteuropäischer Regierungspraktikant von einem Landwirt beschäftigt werden?
Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Die vom Bundesministerium für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft geförderten Praktikanten
werden auf der Grundlage eines Auswahlverfahrens im
Heimatland ermittelt. Mit den Bewerbern werden AusParl. Staatssekretär Matthias Berninger
wahlgespräche geführt. Wichtigste Auswahlkriterien
sind zum einen ausreichende Deutschkenntnisse sowie
die fachliche und persönliche Eignung; zum anderen ist
für uns die Motivation potenzieller Teilnehmerinnen und
Teilnehmer besonders wichtig.
Während des Aufenthalts in Deutschland erhalten die
Teilnehmer außer der freien Unterkunft und Verpflegung
ein monatliches Taschengeld in Höhe von mindestens
200 Euro. Darüber hinaus sind für die Praktikanten
Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen abzuschließen.
Neben der praktischen Tätigkeit legen wir besonderen
Wert darauf, dass die Lehrgänge von Exkursionen und
anderen Maßnahmen begleitet werden, durch die auch
entsprechende theoretische Kenntnisse vermittelt werden können. In arbeitsrechtlicher Hinsicht erfolgt die
Abwicklung in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt
für Arbeit und der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung.
Zusatzfrage?
Nein, danke.
Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Pau auf:
Welche Erwartungen hat die Bundesregierung an die Landesregierung Brandenburg, um den Erhalt des Standortes
Wusterhausen der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere, BFAV, durch geeignete Vereinbarungen über
die langfristige Nutzung der Liegenschaft zu ermöglichen?
Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Frau Kollegin, die Bundesregierung macht die Entscheidung über die Zukunft der Bundesforschungsanstalt
für Viruskrankheiten der Tiere in Wusterhausen von einer sinnvollen Konzeption dieses gesamten nachgeordneten Forschungsbereichs abhängig. Die Bundesforschungsanstalt ist an drei Standorten vertreten, und zwar
in Jena, auf der Insel Riems und in Wusterhausen. Hinzu
kommt der ehemalige Standort Tübingen, der sich in
Abwicklung befindet.
Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter fachlichen Gesichtspunkten
an den optimalen Stellen arbeiten. Vor diesem Hintergrund geht es uns nicht in erster Linie darum, mit dem
Land Brandenburg über vernünftige Standortbedingungen in Wusterhausen zu verhandeln, sondern darum, mit
den Fachleuten an den drei Standorten ein für die Wissenschaft optimales Konzept auszuarbeiten.
Die Bedeutung der Arbeit der Virusforschung ist in
den vergangenen Tagen noch einmal unterstrichen worden, als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Wusterhausen bei dem Auftreten der Geflügelpest in Nordrhein-Westfalen hervorragende Arbeit geleistet - das
wurde auch von allen Parteien im zuständigen Fachausschuss bestätigt - und damit dazu beigetragen haben, die
Ausbreitung der Geflügelpest in den Griff zu bekommen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, das, was Sie gesagt haben, ist
richtig. Auch mir ist natürlich aufgefallen, dass man unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse und der Leistungen der genannten Einrichtung nicht nur über ein Gesamtkonzept, sondern auch über die Weiterentwicklung
der Einrichtungen dieser Bundesforschungsanstalt nachdenkt. Können Sie bestätigen, dass ein Angebot der Landesregierung Brandenburg zur Sicherung einer langfristigen Nutzung dieser Liegenschaft Ihren Entscheidungsprozess sozusagen positiv beeinflussen würde?
Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Nein, das kann ich deshalb nicht bestätigen, weil ich
gerade bei der Beantwortung Ihrer schriftlich eingereichten Frage das genaue Gegenteil deutlich gemacht habe.
Uns geht es nicht darum, mit dem Land Brandenburg
etwa über die Frage, wie ein solcher Standort herzurichten ist, zu feilschen. Wir machen unsere Entscheidung
vielmehr davon abhängig, ob die Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler am besten in Wusterhausen, in Jena
oder in Riems oder auf diese Orte verteilt arbeiten können; denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser
Bundesforschungsanstalt müssen, wie der Fall der Geflügelpest gezeigt hat, hoch mobil sein. Es ist nicht relevant, an welchem Standort sie arbeiten, sondern ob sie
ein optimales wissenschaftliches Umfeld haben.
Hinzu kommt die Frage der Wirtschaftlichkeit. Wir
sind gezwungen, einen Beschluss des Deutschen Bundestages von 1996 zur Neuordnung des nachgeordneten
Bereichs in unserer Ressortforschung umzusetzen. Damals sind uns wirtschaftliche und personalwirtschaftliche Auflagen gemacht worden, die mit eine Rolle spielen. Aber in Fragen der Neuordnung wollen wir nicht
mit einzelnen Landesregierungen über Standorte feilschen, sondern die optimalen Arbeitsbedingungen für
die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler langfristig
sichern.
Eine weitere Zusatzfrage.
Eine letzte Nachfrage: Bis wann rechnen Sie mit einer
Entscheidung über die Umstrukturierung bzw. ein Konzept? Es geht ja auch darum, Sicherheit sowohl für die
betroffenen Bundesländer als auch für die Beschäftigten
zu schaffen, die sicherlich hoch mobil und motiviert sein
müssen.
Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
In der Vergangenheit hatte sich die Standortentscheidung auf zwei Standorte, nämlich Riems und Wusterhausen, zugespitzt. Durch entsprechende Änderungen
der Zuständigkeiten in dieser Wahlperiode ist der Standort Jena neu hinzugekommen, welcher in die Erwägungen einbezogen wurde. Das führte zu Verzögerungen.
Wir denken aber, dass es im Sinne der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter ist, wenn möglichst bald Klarheit geschaffen wird. Ich gehe davon aus, dass uns das in den
nächsten Monaten gelingen wird. Gleichwohl ist aus unserer Sicht diese Verzögerung sinnvoll, weil wir mit dem
Hinzukommen von Jena als Standort weitere Beiträge
zur Optimierung der Forschungsarbeit leisten können.
Weitere Fragen zu diesem Geschäftsbereich liegen
nicht vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Die
Frage 22 des Kollegen Austermann sowie die Fragen 23
und 24 der Kollegin Connemann werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Großmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Straubinger auf:
Hält es die Bundesregierung - vor dem Hintergrund, dass
sie zur Verwirklichung der dem Transportgewerbe zugesagten Harmonisierung bei Einführung der Lkw-Maut zum
31. August 2003 unter anderem eine Mautabsenkung im Vorgriff auf ein noch mit der EU abzustimmendes Mautermäßigungsverfahren durch Anrechnung in Deutschland gezahlter
Mineralölsteuer vorsieht - für denkbar, dass die Europäische
Kommission im Nachhinein einer Mautanhebung auf die ursprünglich geplante Höhe von durchschnittlich 15 Cent je Kilometer zustimmt, wenn die dadurch erzielten Mehreinnahmen ausschließlich zur Harmonisierung der fiskalischen
Wettbewerbsbedingungen im Interesse des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes verwendet werden sollen?
Herr Kollege Straubinger, die Bundesregierung ist der
Auffassung, dass die Europäische Kommission gegen
eine Anhebung der durchschnittlichen Mauthöhe auf
15 Cent pro Kilometer keine Einwände erheben wird, da
sich dieser durchschnittliche Mautsatz aus den durch
wissenschaftliche Gutachten ermittelten Wegekosten ableitet und damit im Einklang mit der europäischen Eurovignettenrichtlinie steht. In § 11 des Autobahnmautgesetzes für schwere Nutzfahrzeuge ist im Übrigen
geregelt, dass die Mauteinnahmen nach Abzug lediglich
der Ausgaben für das Mautsystem zusätzlich dem Verkehrshaushalt zugeführt und in vollem Umfang zweckgebunden
für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur - überwiegend für die Bundesfernstraßen - verwendet werden müssen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es wurde im Verfahren zum Autobahnmautgesetz auch vereinbart, dass das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe mit 600 Millionen Euro entlastet
werden soll. Wenn aber die Mautgebühr von 12,5 Cent
auf 15 Cent pro Kilometer erhöht wird, dann ist das
deutsche Speditionsgewerbe natürlich benachteiligt. Es
geht ja um die Frage, ob das deutsche Speditionsgewerbe zukünftig eine Entlastung erfahren kann.
Herr Straubinger, dieses Gesetz ist nach Beratung im
Vermittlungsausschuss zustande gekommen. Dem entsprechenden Gesetzentwurf haben Sie persönlich im
Deutschen Bundestag zugestimmt. Daher verwundert
mich Ihre Frage ein bisschen. Dazu müsste ich jetzt eigentlich die Antwort auf Ihre nächste Frage vortragen;
denn Sie haben im Grunde genommen schon die nächste
Frage aufgerufen.
Wir haben in Bundestag und Bundesrat vereinbart
- Sie wissen es -, dass die Bundesregierung die LKWMaut mit der größtmöglichen Harmonisierung begleiten
will. In einem zügigen Verfahren - das ist natürlich vom
Gesetzgebungsgang im Deutschen Bundestag abhängig soll eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt werden. Dabei geht es um das Mautermäßigungsverfahren, das
Mineralölsteueranrechnungsverfahren, die Änderung des
Kraftfahrzeugsteuergesetzes, das Innovationsprogramm
und jede andere geeignete Harmonisierungsmaßnahme
einschließlich der Änderung der Emissionsklassenzuordnung. Die Mauthöhe wurde daher durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats zunächst auf diesen Eingangssatz festgesetzt. Das
bedeutet, dass die Harmonisierungsschritte nach wie vor
angestrebt werden. Es war ein Vorschlag aus den B-Ländern, in umgekehrter Reihenfolge zu beginnen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Harmonisierungserfolge der
Bundesregierung sind nicht so bedeutend. Zu dieser
Auffassung komme ich, wenn ich die Beschlüsse des
Ecofin-Rates betrachte, nach denen Italien und Frankreich die Subventionierung im Güterkraftverkehrsgewerbe bis zum Jahresende 2004 gestattet wird. Mit der
Mauteinführung gibt es weiterhin große Wettbewerbsnachteile für das deutsche Speditionsgewerbe. Berechnungen auf der Grundlage dieser Beschlüsse ergeben,
dass ein 40-Tonnen-Lastzug der Klasse Euro 2, der auf
deutschen Straßen bewegt wird, mit rund 24 362 Euro
im Jahr belastet wird, während ein französischer mit
19 300 Euro bzw. ein italienischer mit 17 400 Euro beMax Straubinger
lastet wird. Deshalb entsteht natürlich eine große Wettbewerbsverzerrung.
Sie haben schon selbst die Befristung dieser Subventionierung angesprochen. Ich darf wiederholen: Diese
Tatbestände waren bekannt, als der Deutsche Bundestag
mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion dieser Regelung zugestimmt hat.
Ich rufe die Frage 26 des Kollegen Straubinger auf:
Teilt die Bundesregierung geäußerte Befürchtungen des
Transportgewerbes, dass bei Einführung der Maut ohne entsprechende Harmonisierung 10 000 deutsche Unternehmen in
ihrer Existenz gefährdet sind und sich deshalb die Zahl der Insolvenzen im Transportgewerbe nach Mauteinführung verdoppeln wird?
Herr Präsident, Herr Straubinger hat diese Frage vorhin schon als Zusatzfrage gestellt. Deshalb habe ich die
Frage bereits beantwortet. Ich müsste mich jetzt wiederholen.
Der Kollege Straubinger kann dazu aber selbstverständlich eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, die Befürchtung des Speditionsgewerbes ist, dass es aufgrund der jetzigen Situation
weitere Insolvenzen bzw. Betriebsschließungen geben
wird. Es wird von einer Anzahl von 10 000 Betrieben
gesprochen. Teilen Sie diese Ansicht?
Ich kann diese Ansicht nicht teilen. Im Übrigen haben
auch der Bundesrat und der Bundestag sie nicht geteilt.
Es ist eine Belastung, die alle betrifft. Jeder, der deutsche
Straßen benutzt - das gilt auch für ausländische Spediteure -, muss diese Belastung tragen.
Weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Die Frage 27 des Kollegen Dirk Fischer ({0})
wird schriftlich beantwortet.
Die Frage 28 des Kollegen Axel E. Fischer ({1}) wird - er hat dazu hier gerade seine Zustimmung gegeben - auch schriftlich beantwortet.
Dann rufe ich die Frage 29 des Kollegen Klaus
Hofbauer auf:
Werden die im Entwurf des Bundesverkehrswegeplans
2003 genannten Projekte „EU-Osterweiterung“ noch ergänzt
bzw. ausgedehnt?
Herr Kollege Hofbauer, der Entwurf des Bundesverkehrswegeplans 2003 enthält alle Vorhaben, die nach
heutiger Einschätzung für die EU-Osterweiterung erforderlich sind.
Die in Tabelle 2 des Ihnen vorliegenden Entwurfs
vom 20. März 2003 dargestellten Projekte der EU-Osterweiterung sind in Verbindung mit dem davor stehenden Text zu sehen. Damit wird deutlich, dass es im Entwurf des BVWP 2003 neben den in dieser Tabelle
aufgeführten Projekten noch weitere Maßnahmen gibt,
die für die EU-Osterweiterung von Bedeutung sind.
Änderungen, die aufgrund der Abstimmungsgespräche mit den Bundesressorts sowie der bilateralen Gespräche gegebenenfalls erforderlich sind, sollen im Kabinettsentwurf berücksichtigt werden.
Zusatzfrage.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, nach welchen Kriterien, insbesondere im Bereich der Nutzen-KostenRechnung, sind die Projekte der EU-Osterweiterung in
den Entwurf aufgenommen worden?
Sie wissen, dass wir die Nutzen-Kosten-Rechnung bei
allen Projekten durchgeführt haben, sofern die Planfeststellung nicht vor dem 31. Dezember 1999 vorgenommen worden ist. Für die EU-Osterweiterung und die
grenzüberschreitenden Verkehrswege gelten natürlich
auch die Bedingungen der Raumordnung und der Raumwirksamkeitsanalyse. Damit stellen wir für die eingestellten Projekte sicher, dass wir uns nicht nur nach dem
Nutzen-Kosten-Verhältnis richten, sondern die Grenzbeziehungen generell als wichtig auffassen und dafür sorgen, dass bei Wasser, Straße und Schiene funktionierende grenzüberschreitende Verkehre aufgebaut werden
können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Inwieweit werden diese Projekte mit den Beitrittsländern bzw. mit den angrenzenden Ländern abgestimmt
und der zeitliche Ablauf des Baus besprochen? Wie erfolgt in diesem Zusammenhang die Abstimmung mit den
Beitrittsländern?
Es ist natürlich von entscheidender Bedeutung, dass
man sich über Trassen, bei denen noch Unklarheiten bestehen, in bilateralen oder trilateralen Verträgen einigt.
Ich kann Ihnen jetzt nicht die ganze Liste „herunterdeklinieren“, aber ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel: Bezüglich der B 178, die wir von der A 4 aus nach Zittau
bauen, hat es mehrere trilaterale Gespräche mit Tschechien und Polen gegeben. Wir haben jetzt eine Vereinbarung darüber getroffen, wo genau der Grenzübergang gebaut werden soll. Somit wissen wir bei der Planung der
B 178, wo wir an der Grenze auf den polnischen Anschluss stoßen. Unmittelbar danach folgt die tschechische Grenze. Das heißt, es handelt sich um eine Straße,
bei der drei Partner zu einer Übereinkunft gekommen
sind.
Bezogen auf Grenzübergänge, die nicht an Bundesautobahnen liegen, gibt es das eine oder andere Problem;
das heißt, wir sind noch mitten in den Verhandlungen.
Die Nachbarn - egal ob Polen oder Tschechien - haben
ein großes Interesse daran, mit uns relativ schnell Vereinbarungen zu treffen. Wenn es in diesem Zusammenhang noch Fragen gibt, dann liegen sie meist nicht auf
deutscher Seite.
Ich rufe die Frage 30 auf, die ebenfalls der Kollege
Hofbauer gestellt hat:
Wird nach Einschätzung der Bundesregierung der Baubeginn der Bundesautobahn A 6 im Abschnitt Amberg
Ost-Pfreimd so frühzeitig erfolgen, dass damit dem steigenden grenzüberschreitenden Verkehrsaufkommen nach der EUOsterweiterung Rechnung getragen wird?
Herr Kollege Hofbauer, ich kann Ihre Frage mit Ja beantworten. Ausgehend von der heutigen Belastung der
Bundesautobahn A 6/Bundesstraße B 14 zwischen Amberg-Ost und Waidhaus von maximal rund 12 000 Kfz
pro 24 Stunden, dem für 2004 vorgesehenen Baubeginn
für den letzten noch fehlenden Abschnitt der Bundesautobahn A 6 von Amberg nach Pfreimd sowie der Gesamtfertigstellung der Bundesautobahn A 6 in 2008 wird
nach Auffassung der Bundesregierung dem zu erwartenden grenzüberschreitenden Verkehrsaufkommen auch
nach der EU-Osterweiterung Rechnung getragen.
Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Strebl auf:
Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung,
um die beiden europäischen Metropolen München und Prag
auf dem Schienenverkehrsweg über Regensburg-Schwandorf-Furth im Wald-Pilsen attraktiv zu verbinden, sodass insbesondere eine Direktanbindung des Münchener Flughafens
gewährleistet ist?
Herr Kollege Strebl, der deutsche und der tschechische Verkehrsminister haben 1995 vereinbart, für den
Schienenfernverkehr zwischen dem Freistaat Bayern
und Böhmen die Verbindung Nürnberg-Marktredwitz-Prag weiterzuentwickeln. Der Raum München
wird über die Neu- und Ausbaustrecke Nürnberg-Ingolstadt-München, die für Geschwindigkeiten bis zu
300 km/h ausgelegt ist, an Nürnberg angeschlossen. Der
Verbindung über Furth im Wald kommt nur noch regionale Bedeutung zu; der Fernverkehr wurde inzwischen
eingestellt. Die Gestaltung des verbleibenden Regionalverkehrs fällt in die Zuständigkeit der Länder.
Zusatzfrage.
Welche Notwendigkeit sehen Sie für den Ausbau der
grenzüberschreitenden Verkehrsinfrastruktur, um das
Verkehrsnetz noch dichter werden zu lassen? Ich meine,
dass wir diesbezüglich insgesamt nicht für die Osterweiterung gerüstet sind. Die Zeit drängt: Am 1. Mai nächsten Jahres wird Tschechien vollwertiges EU-Mitglied.
Im Zusammenhang mit der Osterweiterung wächst
wahrscheinlich auch die Bedeutung des Münchener
Flughafens.
Herr Kollege, ich habe in den letzten Wochen mehrmals solche Fragen zu beantworten gehabt. Ich habe sie
immer folgendermaßen beantwortet: Nennen Sie mir
bitte das Projekt, das aus Ihrer Sicht fehlt. Daraufhin
habe ich nie eine Antwort bekommen. Das heißt, wir
sind der Überzeugung, dass wir im Bundesverkehrswegeplan dafür Vorsorge getroffen haben, das in der Folge
der EU-Osterweiterung zu erwartende Verkehrsaufkommen aufzufangen. Wir haben jetzt bilaterale Gespräche
mit den betreffenden Ländern geführt. Es ist uns ein Projekt in Sachsen genannt worden, bei dem wir die Zuständigkeit für die Baulast mit dem Land Sachsen noch klären müssen. Ansonsten sind wir der Meinung, dass die
eingestellten Maßnahmen ausreichen, um die grenzüberschreitenden Verkehre sicherzustellen. Das betrifft allerdings nur die Aufgabe, die der Bund zu übernehmen hat.
Ich hatte Sie ja darauf aufmerksam gemacht, dass Vereinbarungen bezüglich der Regionalverkehre Sache der
Länder sind, denn wir haben ja aufgrund unserer föderalen Struktur eine ganz klare Aufgabenverteilung.
Weitere Zusatzfrage? - Keine. Dann Herr Kollege
Hofbauer, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben diese Vereinbarung aus
dem Jahre 1995 angesprochen. Glauben Sie nicht, dass
aufgrund der Entwicklungen der letzten zehn Jahre auch
neue Erkenntnisse möglich sind? Insbesondere im Rahmen der Osterweiterung könnte der Verkehr so dramatisch zunehmen, dass ein Grenzübergang für die Bahn
zwischen Bayern und Tschechien nicht ausreicht. Insbesondere weil die Umfahrung über Marktredwitz und
Nürnberg nach München sehr umständlich ist, wird sie
vielleicht gar nicht so angenommen. Haben Sie Zahlen,
wie sich der Verkehr auf dieser Umwegstrecke wirtschaftlich entwickelt? Nach meinen Informationen wird
dieser Umweg, der ja eine Fahrzeitverlängerung von einigen Stunden bedeutet, nicht angenommen, während
die kürzere Strecke über Regensburg-Furth im
Wald-Pilsen brach liegt.
Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen, dass die wesentlichen Gründe für die Entscheidung, die Verkehre
über Marktredwitz und nicht über Furth im Wald zu leiten, die durchgehende Zweigleisigkeit auf deutscher
Seite bis Marktredwitz, die bestehende Streckenelektrifizierung auf tschechischer Seite zwischen Prag und Cheb/
Eger, die Möglichkeit der Bündelung mit dem deutschen
Bedarfsplanvorhaben Ausbaustrecke Karlsruhe-Nürnberg-Leipzig/Dresden und die schon heute vorhandene
Ertüchtigung der Strecke Nürnberg-Marktredwitz für
den Einsatz von Neigetechnikfahrzeugen sind. Die Entscheidung zum Ausbau wurde außerdem im Einvernehmen mit Tschechien getroffen. Das heißt, es gibt ganz
harte Fakten, die zu dieser Entscheidung geführt haben.
Nun gibt es beispielsweise im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans 2003 vonseiten des Freistaates Bayern die Anmeldung des Vorhabens einer Ausbau-/Neubaustrecke Donau-Moldau, wobei der Neubau einer
Schienentrasse einschließlich eines langen Tunnels zwischen Regensburg und Cham vorgesehen wäre. Ich kann
Ihnen mitteilen, dass, bevor darüber entschieden werden
kann, zunächst das Ergebnis der angekündigten und von
der EU-Kommission geförderten Machbarkeitsstudie abgewartet werden muss. Sie sehen also, wir prüfen die
Möglichkeit eines zweiten Korridors. Da laufen aber
noch die Untersuchungen, sodass wir bisher noch nichts
in den Bundesverkehrswegeplan übernehmen konnten,
aber es dauert ja noch ein paar Monate, bis er im Parlament beraten wird.
Jetzt rufe ich die Frage 32 des Kollegen Strebl auf:
Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung
insbesondere im Hinblick auf die EU-Osterweiterung, um den
Schienenverkehr der Bahn zwischen Ostbayern und Böhmen
stärker zu vernetzen?
Die EU-Osterweiterung wird die grenzüberschreitenden Verkehrsströme zwischen Deutschland und Tschechien weiter ansteigen lassen. Der daraus resultierende
Bedarf für den Aus- und Neubau wurde im Bundesverkehrswegeplan 2003 berücksichtigt.
Nach der 1993 in breitem politischen Konsens beschlossenen Bahnreform gehört es zur Aufgabe der Eisenbahnverkehrsunternehmen, marktgerechte Angebote
für den Schienenverkehr zwischen Ostbayern und
Böhmen gegebenenfalls mit Unterstützung der für den
Regionalverkehr zuständigen Stellen zu entwickeln.
Zusatzfrage? - Keine.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Simone Probst zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 33 der Kollegin Kristina Köhler
auf:
Wie lässt sich die Aussage in der Antwort des Staatssekretärs im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Rainer Baake, vom 21. Mai 2003 auf meine
schriftliche Frage in Bundestagsdrucksache 15/1040, das Erreichen des unter dem damaligen Bundeskanzler Dr. Helmut
Kohl beschlossenen Ziels, die CO2-Emissionen Deutschlands
bis 2005 um 25 Prozent gegenüber 1990 zu mindern, sei ein
„Zwischenschritt“ auf dem Weg zur Umsetzung der im KiotoProtokoll genannten Zielsetzung, damit vereinbaren, dass das
von der Regierung Kohl beschlossene Ziel höher gesteckt ist
als das im Kioto-Protokoll für Deutschland festgelegte Ziel?
Sehr geehrte Kollegin Köhler, Sie beziehen sich in Ihrer Frage ja auf eine Antwort auf eine schriftliche Frage.
Deshalb kann ich sie relativ kurz beantworten. Die Antwort auf die Frage, warum wir die politische Absichtserklärung des damaligen Bundeskanzlers Kohl jetzt als politisch wichtigen Zwischenschritt bewerten, lautet, dass
diese Absichtserklärung es möglich gemacht hat, nun im
Rahmen des Kioto-Protokolls zu völkerrechtlich verbindlichen Erklärungen und Reduktionszielen zu kommen, da
wir auch andere Staaten haben überzeugen können, entsprechende Reduktionsverpflichtungen einzugehen.
Zusatzfrage?
Verstehe ich Sie jetzt richtig, dass Sie mit „Zwischenschritt“ meinen, dass damit eine erste Basis geschaffen
wurde, und nicht, dass 25 Prozent ein Zwischenschritt zu
21 Prozent sind?
Wir haben zwei qualitativ völlig unterschiedliche
Systeme. Wir haben auf der einen Seite eine politische
Absichtserklärung, die zweifelsohne sehr mutig war.
Auf der anderen Seite haben wir von Bundestag und
Bundesrat gemeinsam das Kioto-Protokoll ratifiziert.
Wir haben völkerrechtsverbindliche Klimaschutzziele
vereinbart, die sich nicht auf nur ein Treibhausgas
beziehen, sondern, wie Sie wissen, auf sechs Treibhausgase, und die deshalb völlig andere Implikationen
haben. Denken Sie zum Beispiel an die Fluorkohlenwasserstoffe oder an die halogenierten Kohlenwasserstoffe. Dadurch wurden völlig andere Auswirkungen
beispielsweise auf die Chemiepolitik, auf Kühlstoffe,
auf Bauschäume erzielt, die auch ihren Beitrag zum Klimaschutz in Deutschland geleistet haben.
Deshalb freue ich mich, dass wir bei der Ratifizierung
des Kioto-Protokolls einen Konsens haben und alle Anstrengungen unternehmen wollen, um die Klimaschutzpolitik weiter voranzutreiben.
Weitere Zusatzfrage?
Ja. - Dies begrüßen wir natürlich. Aber dem kann ich
entnehmen, dass das kohlsche Ziel aufgegeben wurde.
Nein, wir haben eine andere qualitative Basis. Wir haben ein verpflichtendes völkerrechtliches Ziel, das sich
auf sechs Treibhausgase bezieht. Auf der anderen Seite
haben wir es mit unserem anspruchsvollen Programm
- verknüpft mit der Frage, was Deutschland und was die
EU übernimmt - geschafft, andere Staaten davon zu
überzeugen, Klimaschutz zu betreiben. So wie es das
maßgebliche Ziel der Bundesregierung ist, in diesem
System alle Treibhausgase im Blick zu haben, hoffe ich,
dass das auch für den Deutschen Bundestag gilt, wie wir
es hier miteinander verabredet und beschlossen haben.
Ich rufe jetzt die Frage 34 der Kollegin Köhler auf:
Wird die Bundesregierung das Klimaschutzziel der Regierung Kohl, die CO2-Emissionen bis 2005 um 25 Prozent gegenüber 1990 zu mindern, erreichen können oder hält die Bundesregierung lediglich das niedriger angesetzte Kioto-Ziel, die
Treibhausgasemissionen in der 1. Verpflichtungsperiode 2008
bis 2012 um 21 Prozent gegenüber 1990/1995 zu reduzieren,
für erreichbar?
Die Antwort auf die Frage nach dem Erreichen des
Klimaschutzzieles knüpft an meine vorige Antwort an.
Für uns ist die Lastenteilung innerhalb der EU maßgeblich. Alle Prognosen und Trends, die uns bisher vorliegen, gehen davon aus, dass die Bundesrepublik Deutschland das im Rahmen des Kioto-Protokolls völkerrechtlich
vereinbarte Ziel erreichen wird. Wir müssen uns aber
sehr anstrengen, denn es wird keinen Selbstlauf geben;
wir werden noch weitere Maßnahmen auf den Weg bringen müssen.
Dann nutze ich jetzt noch einmal die Möglichkeit zur
Nachfrage. Sie sagten, das Kioto-Ziel sei ein qualitativ
anderes - da stimme ich Ihnen zu - und es sei für Sie das
maßgebliche. Kann ich dem entnehmen, dass das KohlZiel für Sie nicht mehr maßgeblich ist?
({0})
Sie können das einfach nicht vergleichen. Unsere Klimaschutzpolitik ist um ein Vielfaches anspruchsvoller.
Sie beschränkt sich nicht allein auf ein Segment. Ich
habe vorhin Ausführungen zur Klimaschädlichkeit in anderen Bereichen gemacht. Wenn wir es schaffen, Russland dazu zu bewegen, das Kioto-Protokoll zu ratifizieren, kommen wir beim Klimaschutz einen großen Schritt
weiter. Auf der anderen Seite muss man das System, das
wir jetzt haben, sehen. Sie sprachen von den Zielen. Ich
denke, man muss die gesamte Klimaschutzpolitik betrachten. Das Programm, das wir jetzt haben, wird mit
seiner Vielfalt und der Implikation bezüglich der Industrie international als vorbildlich angesehen. Es hat in den
letzten Jahren sehr große Fortschritte gegeben, auch
dank des Konsenses im Deutschen Bundestag.
Deshalb sage ich: Für uns ist Kioto maßgeblich. Sie
wissen, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen als Fortführung dieses Zieles vereinbart haben, sofern die EU bereit ist, ihre Treibhausgase bis
2020 um 30 Prozent zu reduzieren, ein Reduktionsziel
von 40 Prozent anzustreben.
Das ist mir bekannt. Aber wenn Sie sagen, dass das
Klimaschutzziel der Bundesregierung sehr viel weit gehender sei, da es qualitativ anders sei, dann können Sie
doch auch sagen, dass das kohlsche Ziel für Sie somit
nicht mehr maßgeblich ist.
Wir haben eine völlig andere Situation. Bundeskanzler Kohl hat auf einer Konferenz eine politische Absichtserklärung abgegeben, die ich gar nicht hoch genug
bewerten kann. Wir sind dank dieses politischen Zwischenschritts dahin gekommen, völkerrechtsverbindliche Klimaschutzziele zu vereinbaren. Diese Ziele verfolgen wir weiter. Das ist ein Maßstab, den wir von
Bundestag und Bundesrat gemeinsam geschaffen haben.
Die Fragen 35 und 36 des Kollegen Ernst Hinsken
werden schriftlich beantwortet.
Damit schließe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich bedanke mich, Frau Staatssekretärin, für
die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung
steht Herr Staatsminister Rolf Schwanitz zur Verfügung.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich rufe die Frage 37 des Kollegen Eckart von
Klaeden auf:
Aus welchem Grund behauptet die Bundesregierung in der
Fragestunde am 21. Mai 2003 - Plenarprotokoll 15/45, Seite
3741 C - bezüglich der dort genannten Leuna/Minol-Akten,
weder die Originale noch Kopien zu haben, obwohl das Bundeskanzleramt bzw. das Bundesministerium der Finanzen
- Bundestagsdrucksache 14/9300, Seiten 812, 821 - dem
1. Untersuchungsausschuss der 14. Wahlperiode mindestens
19 Ordner solcher Akten - eventuell als Kopie - zur Verfügung gestellt haben?
Herr von Klaeden, ich bitte um Verständnis, dass aufgrund der Komplexität der Frage und des Themas meine
Antwort etwas länger ausfällt.
Ich hatte schon darauf hingewiesen - ich tue das hier
und heute gerne noch einmal -, dass die Originalakten
bis zum Abschluss des Privatisierungshauptvertrages
und zur nachträglichen Genehmigung desselben fehlen.
Für den Zeitraum bis 1992/93 sind heute nur sechs rekonstruierte Kopienbände vorhanden. Diese Kopienbände sind chronologisch chaotisch zusammenkopiert
und enthalten überwiegend minderwertiges Schriftgut.
Sie beziehen sich zu jeweils drei Bänden auf die Aktenreihen Tr 3 NA 4 und Tr 3 NA 5.
Zum Hintergrund dieses Befundes muss ich etwas
weiter ausholen, damit Sie mich nicht wieder missverstehen, Herr von Klaeden. Die Akten Tr 3 NA 4 „Leuna
Minol“ und Tr 3 NA 5 „Elf Aquitaine“ wurden am
28. Dezember 1993 bzw. am 1. Februar 1994 aus der ursprünglichen Akte Tr 3 NA 1 „Leuna Minol“ ausgegründet. Dies geschah erst nach Bildung des Treuhanduntersuchungsausschusses der 12. Legislaturperiode.
({0})
Es ist nicht mehr feststellbar, auf wessen Anweisung
die Ausgründungen erfolgten und welchen Umfang die
ursprüngliche Akte Tr 3 NA 1 hatte. Die Akte Tr 3 NA 1
wurde bei Ausgründung in „Chemische Industrie“ umbenannt. Sie enthält heute kein Leuna-Schriftgut mehr,
sondern befasst sich allgemein mit der Lage der Großchemie in den neuen Ländern.
Die ursprüngliche Stellkarte der Akte Tr 3 NA 1, die
über den Umfang der Akte hätte Aufschluss geben können, ist nicht mehr vorhanden. Dies ist ein beispielloser
Vorgang. Die Karte konnte trotz umfangreicher und aufwendiger Suche nicht wiedergefunden werden. Es entspricht auch nicht dem üblichen Vorgehen bei der Begleitung Parlamentarischer Untersuchungsausschüsse,
Vorgänge aus- oder umzugründen.
Die jeweils ersten drei Bände der ausgegründeten Aktenreihe Tr 3 NA 4 und Tr 3 NA 5 wurden im Sommer
1994 an den Untersuchungsausschuss übersandt. Diese
sechs Bände betrafen den Zeitraum bis zum Abschluss
und zur Genehmigung des Hauptvertrages. Diese dem
Untersuchungsausschuss „Treuhand“ in der 12. Legislaturperiode im Original vorgelegten sechs Bände der so
genannten Leuna-Akten „Leuna Minol“ und „Elf Aquitaine“ im Original - also Tr 3 NA 4 und Tr 3 NA 5, jeweils Band 1 bis Band 3 - sind verschwunden. Ebenso
verschwunden sind die so genannten C-Kopien, die als
Sicherungskopien im Bundeskanzleramt verblieben waren.
Über den Verlust dieser sechs Originalbände hinaus
ist fraglich, was mit dem Schriftgut geschah, das dem
Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung unterliegt
und deshalb dem Untersuchungsausschuss nicht zur Verfügung gestellt wurde. Der Umfang dieses Schriftgutes
ist unbekannt.
1997 wurde im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss der 13. Legislaturperiode der Verlust
der sechs Originalbände im Kanzleramt bemerkt. Bei
dem Bemühen um Aktenrekonstruktion fand man im
BMF einen weiteren Kopiensatz und verwendete ihn zur
Rekonstruktion. Diese Kopien, die möglicherweise den
dem Bundestag vorgelegten Originalakten entsprechen,
sind chronologisch chaotisch, überschneiden sich und
sind lückenhaft. Sie enthalten überwiegend minderwertiges Schriftgut und können in der vorliegenden Form zu
keinem Zeitpunkt das eigentliche Arbeitsmaterial gewesen sein.
({1})
Der Umfang des nicht mehr vorhandenen und auch
1994 dem Untersuchungsausschuss der 12. Legislaturperiode nicht übersandten Aktenmaterials lässt sich nur
vermuten. In Vermerken aus der Zeit 1993/1994 über
den Umfang der Leuna-Akten ist von „15 m“ und von
„59 Aktenordnern“ und einige Zeit später von „mehr als
100 AB“ die Rede. 100 Aktenbände würden in etwa
15 Metern entsprechen. Diese sicherlich interpretationsbedürftigen Indizien lassen in ihrer Gesamtheit ein respektables Leuna-Konvolut des Bundeskanzleramtes erwarten und nicht nur sechs unstrukturierte Kopienbände
mit fast durchgängig minderwertigem Schriftgut.
Ich möchte ergänzen, dass das Kanzleramt die entsprechenden Untersuchungsausschüsse in der 12. und auch
in der 13. Legislaturperiode regelwidrig nicht auf die
Zurückhaltung von Akten hingewiesen hat. Auch die
Umgründungen und der Aktenverlust bzw. der damit korrespondierende Rekonstruktionsversuch in der 13. Legislaturperiode wurden vor dem Parlament verborgen.
Über den möglichen Sinn der Ausgründungen gibt es
nur Mutmaßungen. Die zuständigen Beamten erklärten
dazu übereinstimmend, sie hielten auch rückblickend die
Differenzierung in zwei Aktenreihen Tr 3 NA 4 und
Tr 3 NA 5, also für Leuna/Minol und Elf Aquitaine, für
unschlüssig, zumal in der Folgezeit die Zuordnung der
einzelnen Vorgänge zu der einen oder anderen Akte zufällig gewesen sei.
({2})
Ein sachlicher Grund für die Ausgründung ist nicht er-
sichtlich. Sie entspricht auch nicht dem üblichen Vorge-
hen bei der Begleitung Parlamentarischer Untersu-
chungsausschüsse.
3940 C) D)
Die weiteren Bände der ausgegründeten Vorgänge
Tr 3 NA 4 und Tr 3 NA 5, also ab Band 4, sind ebenfalls
unvollständig: Die Akte „Leuna-Minol“, also Tr 3 NA 4,
hat erhebliche Zeitlücken. Zwischen Band 5 und Band 6
dieser Akte besteht eine zeitliche Lücke von Juni 1996
bis Februar 1997, die nicht nachvollzogen werden kann.
Die Akte weist heute zusätzlich zu den drei geschilderten Kopienbänden sechs weitere Bände im Original auf.
Sie läuft bis in das Jahr 2000.
Von der Akte „Elf Aquitaine“, also Tr 3 NA 5, ist
Band 5 verschwunden. Anscheinend wurden die
Bände 4 und 5 verändert und zusammengeheftet. Der
verbliebene Band 4 enthält eine Lücke vom 26. Mai
1994 bis zum 4. August 1995 und endet am 6. Mai 1996.
Der Zeitraum von Juni 1996 bis Februar 1997 ist also in
beiden Akten nicht dokumentiert.
Die Originalakten weiterer sieben Privatisierungsvorgänge, die dem Untersuchungsausschuss gleichzeitig mit
den Leuna-Akten im Original vorgelegt worden waren,
sind verschwunden. Dies betrifft die Vorgänge Bagger-,
Bugsier- und Bergungsreederei, Grimmener Hähnchen,
Baukombinate ELBO, Deutsche Seereederei Rostock,
Interhotel, Motorradwerke Zschopau und Mitteldeutsche
Kali. Von diesen Akten sind lediglich Kopien vorhanden, die im Kanzleramt vor Abgabe an den Untersuchungsausschuss hergestellt worden waren. Bei keinem
der im Kanzleramt heute vorhandenen Kopienbände ist
gesichert, dass sie den ursprünglichen Akteninhalt vollständig enthalten.
Abschließend kann ich zu Ihrer Frage, also zu den
19 Aktenbänden, die dem Untersuchungsausschuss der
14. Legislaturperiode vorlagen, feststellen: zwölf Bände
sind rekonstruierte Kopienbände in doppelter Ausfertigung, davon jeweils sechs identische Bände aus dem
Bundeskanzleramt und sechs aus dem BMF. Sechs
Bände sind fortlaufende Bände aus der Reihe Tr 3 NA 4.
Ein Band ist ein fortlaufender Band aus der Reihe
Tr 3 NA 5.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, insbesondere der Vorgang „Grimmener Hähnchen“ ist wirklich ein unglaublicher Skandal. - Scherz beiseite.
Versichern Sie, dass Ihre hier vorgetragene umfangreiche Darstellung, detailliert und abschließend ist? Haben Sie diese Darstellung der Staatsanwaltschaft mitgeteilt?
Herr von Klaeden, Sie können sicher sein, dass das,
was ich Ihnen hier mitgeteilt habe, selbstverständlich
Gegenstand unserer Mitteilung an die Staatsanwaltschaft
sein wird und insbesondere Gegenstand der Stellungnahme sein wird, die in Kürze fertig gestellt sein wird
und übergeben wird.
(
(
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie erklären Sie es sich, dass die
Staatsanwaltschaft in ihrem vorläufigen Abschlussvermerk zu der Einschätzung gekommen ist, dass die von
Ihrem Haus zu diesem Komplex erhobenen Vorwürfe in
strafrechtlicher Hinsicht nicht zutreffend sind?
Herr von Klaeden, ich will keine Wertung vornehmen. Ich habe allerdings noch gut in Erinnerung, dass
die Überzeugungskraft unserer Argumente so stark war,
dass die Staatsanwaltschaft Bonn bereits nach der ersten
Stellungnahme ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat.
Ich bin für Ihre Frage im Plenum des Deutschen Bundestages sehr dankbar, weil in der Öffentlichkeit, in einigen Artikeln und Berichten, ab und zu sehr wohl der
Eindruck erweckt wurde, es habe überhaupt keinen Aktenverlust gegeben. Dieser Auffassung bin ich mit meiner detaillierten Aussage heute eindeutig entgegengetreten.
Wir kommen zur Frage 38 des Kollegen Eckart von
Klaeden:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass der frühere Chef des
„Die ,Bundeslöschtage“ hat es nie gegeben“, und wie bewertet
sie unter diesem Gesichtspunkt die Äußerung des Ermittlungsführers im Disziplinarverfahren, Dr. Burkhard Hirsch, vor
dem 1. Untersuchungsausschuss der 14. Wahlperiode, der von
„Bundeslöschtagen“ im Bundeskanzleramt gesprochen hat?
Herr von Klaeden, die Bundesregierung kommentiert
grundsätzlich keine Pressemeldungen.
Sie sprechen in Ihrer Frage das frühere Amt von Bundesminister a. D. Hombach an: Ich darf Sie daran erinnern, dass Bundesminister a. D. Hombach von Oktober
1998 bis Juni 1999 Chef des Bundeskanzleramtes war.
Die Datenlöschungen ereigneten sich vor Amtsantritt
von Bundesminister a. D. Hombach.
Die neue Hausleitung des Bundeskanzleramtes wurde
auf Dokumentationslücken in den Akten des Bundeskanzleramtes erst sehr viel später aufmerksam, nämlich
im Herbst 1999. Auslöser war eine schriftliche Frage des
Bundestagsabgeordneten Friedhelm Julius Beucher aus
dem September 1999. Herr Beucher erkundigte sich
nach der Vollständigkeit der Leuna-Akten des Bundeskanzleramtes. Diese Frage war Anlass einer ersten
Nachschau, die dann, wegen des auffälligen Zustandes
der Leuna-Akten, zu Verwaltungsermittlungen führte.
Die Verwaltungsermittlungen wurden später, nämlich im
Dezember 1999, auf alle Gegenstände des am 2. Dezember 1999 eingesetzten Parteispendenuntersuchungsausschusses ausgeweitet.
Bei der Suche nach den vermissten Akten wurde der
Versuch unternommen, über das IT-System des Bundeskanzleramtes Teile der Akten zu rekonstruieren. Dabei
wurde festgestellt, dass das IT-System in den betroffenen
Abteilungen einen erheblich unterproportionalen Anteil
von Textdateien mit einem Erstellungsdatum vor November 1998 aufwies. Dies begründete den erstmaligen
Verdacht, dass zentrale Löschungen hierfür die Ursache
sein könnten. Dies führte zu disziplinarrechtlichen Vorermittlungen gegen unbekannt, später zu förmlichen
Disziplinarverfahren und zur Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Bonn.
Der gesamte geschilderte Vorgang spielte sich viele
Monate nach dem Ausscheiden von Bundesminister
a. D. Bodo Hombach aus dem Bundeskanzleramt ab.
Bundesminister a. D. Hombach kann deshalb zur Frage
der Aktenfehlbestände und Datenlöschungen im Bundeskanzleramt nicht aus eigener Anschauung berichten.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, erlauben Sie mir zunächst einmal
die Vorbemerkung, dass Ihre Schilderung, insbesondere
hinsichtlich der Disziplinarverfahren, unvollständig ist.
Die betroffenen Mitarbeiter des Kanzleramts, denen
diese Vorwürfe gemacht worden sind, haben zum Zwecke der Selbstreinigung und zum Nachweis, dass die von
Ihnen geschilderten Vorwürfe nicht zutreffend sind, gegen sich selbst Disziplinarverfahren beantragt.
All diese Dinge sind dem früheren Chef des Bundeskanzleramtes, Bodo Hombach, bekannt gewesen. Wie
erklären Sie sich, dass er trotzdem zu der Einschätzung
kommt - Zitat vom 20. Mai 2003 -: „Die ‚Bundeslöschtage‘ hat es nie gegeben“?
Herr von Klaeden, ich verwahre mich gegen Ihre Darstellung, ich hätte das unvollständig dargestellt.
({0})
Ich habe nicht über die Art und Weise der Einleitung der
Disziplinarverfahren gesprochen, sondern in diesem Zusammenhang lediglich die Durchführung und die Ermittlungen erwähnt.
Zum Zweiten will ich noch einmal darauf hinweisen
- ich habe das bei der Beantwortung der Frage bereits
getan -, dass es Bundesminister a. D. Hombach aufgrund des Ablaufs der Ereignisse - Löschung der Daten
vor Antritt der neuen Hausleitung des Bundeskanzleramtes auf der einen Seite und Bekanntwerden eines solchen
Vorganges nach Abschluss seiner Amtstätigkeit auf der
anderen Seite - nicht möglich war, von den Ereignissen
persönlich Kenntnis zu nehmen.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Hat die Bundesregierung denn, um sich dessen zu
vergewissern, dass Herr Hombach - angeblich - keine
Ahnung von den Vorgängen hatte, so wie Sie sie gerade
geschildert haben, mit ihm Kontakt aufgenommen, um
eine Stellungnahme zu dem vorläufigen Abschlussvermerk anzufertigen?
Nein, der Beginn und das Ende seiner Amtstätigkeit
stehen außer Zweifel.
({0})
Ich rufe Frage 39 der Kollegin Andrea Voßhoff auf:
Billigt die Bundesregierung die durch den Vorermittlungsführer Dr. Burkhard Hirsch erfolgte Belehrung des circa fünf
Jahre zuvor aus dem öffentlichen Dienst ausgeschiedenen
ehemaligen Beamten im Bundeskanzleramt, Rainer Ohler, als
möglichen Beschuldigten eines Disziplinarverfahrens eingangs der von Dr. Burkhard Hirsch durchgeführten Zeugenvernehmung - vergleiche Leserbrief von R. O., „Frankfurter
Allgemeine Zeitung“ vom 20. Mai 2003 - und, falls ja, aufgrund welcher Vorschriften ist ein Disziplinarverfahren gegen
einen aus dem öffentlichen Dienst Ausgeschiedenen rechtlich
möglich?
Frau Kollegin Voßhoff, wie bereits in der Antwort der
Bundesregierung vom 4. Dezember 2000, Bundestagsdrucksache 14/4915, auf Frage 33 der Kleinen Anfrage
erläutert, sind Beschuldigte im disziplinarrechtlichen
Vorermittlungsverfahren nicht bekannt. Dementsprechend wurde auch die von Ihnen konkret angesprochene
Person nicht als Beschuldigter belehrt.
Bitte schön, Ihre Zusatzfragen.
Sie wissen, Herr Staatsminister, dass ich mich in meiner Frage auf einen Leserbrief einer der als Zeugen vernommenen Personen berufen habe. Ich frage Sie jetzt in
diesem Zusammenhang: Haben Sie sich, insbesondere
zur Vorbereitung Ihrer Antwort heute, dieses Protokoll
einmal angesehen und durchgelesen und darin einen - in
dem Leserbrief behaupteten - schriftlichen Belehrungsvermerk gefunden?
Wie ich Ihnen in meiner Antwort bereits angedeutet
und noch einmal in Erinnerung gerufen habe, ist dieser
Vorgang kein neuer Vorgang gewesen. Bereits in der
Kleinen Anfrage wurde dieser Vorgang von Ihrer Fraktion kritisch hinterfragt. Deswegen hat es damals eine
Überprüfung - und zwar nicht nur anhand von Protokollen, sondern auch anhand von Aussagen derjenigen, die
an der Vernehmung teilgenommen haben - gegeben.
Deswegen steht auch diese Einschätzung außer Zweifel.
Herr Staatsminister, ich denke, Sie haben auf meine
Frage nicht geantwortet. Ich habe gefragt, ob Sie sich
das Protokoll einmal angesehen haben und dort einen
entsprechenden Belehrungsvermerk gefunden haben, der
ja mündlich von dem als Zeugen vernommenen Herrn O.
behauptet wird.
Ich darf noch einmal anfügen, dass dieser Vorgang
geprüft worden ist - übrigens nicht nur wegen Ihrer
Kleinen Anfrage. Die von Ihnen genannte Person hat damals ihrerseits Dienstaufsichtsbeschwerde eingeleitet,
wie Ihnen vielleicht bekannt ist. Auch diese ist natürlich
entsprechend abgearbeitet und übrigens negativ beschieden worden. Insofern haben wir keinen darüber hinausreichenden Prüfungsbedarf.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Herr Staatsminister, haben Sie sich diese Protokolle
angesehen - ja oder nein?
Herr von Klaeden, leider wurde ich schon in der letzten Fragestunde mit vier Fragen zu diesem Sachverhalt
konfrontiert, die alle explizit von der Bundesregierung in
der Antwort auf die besagte Kleine Anfrage beantwortet
worden sind. Ich habe daher die Vermutung, dass in Reihen der Fragesteller die Kenntnis bezogen auf die Antwort auf diese Kleine Anfrage nicht mehr präsent ist, sodass ich glaube, dass da der eigentliche Nachholbedarf
besteht.
({0})
- Es bestand kein Bedarf, diese Protokolle abermals zu
prüfen, weil sie bereits im Vorfeld dieser Frage geprüft
worden waren.
({1})
Ich rufe die Frage 40 der Kollegin Andrea Voßhoff
auf:
Billigt die Bundesregierung die Widerstände des Vorermittlers Dr. Burkhard Hirsch gegen die Anwesenheit des Rechtsanwalts, der den zur Zeugenvernehmung von Dr. Burkhard
Hirsch geladenen Rainer Ohler als Zeugenbeistand begleitete
- vergleiche Leserbrief von R. O., „Frankfurter Allgemeine
Zeitung“ vom 20. Mai 2003 - und gegebenenfalls weshalb ist
der insoweit für die Aufsicht zuständige Chef des Bundeskanzleramtes, Staatssekretär Dr. Frank-Walter Steinmeier, nicht
eingeschritten?
Frau Voßhoff, Widerstände von Bundestagsvizepräsident a. D. Dr. Burkhard Hirsch gegen die Anwesenheit
eines bevollmächtigten Rechtsanwalts im Zusammenhang mit der Vernehmung der von Ihnen angesprochenen Person sind der Bundesregierung nicht bekannt.
Zu Beginn der konkret von Ihnen angesprochenen Vernehmung war zunächst unklar, in welcher Funktion eine
Begleitperson an dem Gespräch teilnehmen sollte. Bundestagsvizepräsident a. D. Dr. Hirsch hat deshalb darauf
hingewiesen, dass bei Vernehmungen nach § 26 BDO die
Teilnahme von nicht vom Vorermittlungsverfahren betroffenen Personen nicht vorgesehen ist. Der Betroffene
hat danach seine Begleitperson zu seinem Rechtsbeistand bestellt. Die Begleitperson hat dann in dieser Eigenschaft an der Vernehmung teilgenommen. Von Widerstand durch Dr. Hirsch gegen die Teilnahme eines
Rechtsanwalts kann daher keine Rede sein.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, aufgrund Ihrer Ausführungen
frage ich Sie erneut: Haben Sie Ihre Kenntnis aus Ihrer
persönlichen Einsicht in das Protokoll oder hat der Chef
des Bundeskanzleramtes, Steinmeier, das Protokoll im
Zusammenhang mit dem Leserbrief noch einmal eingesehen, um zu dieser Feststellung zu kommen, die Sie
hier eben getroffen haben?
Es hat nicht nur eine Einsichtnahme in die notwendigen Unterlagen, sondern auch intensive Gespräche gegeben, übrigens gerade auch mit der Person, die seitens des
Bundeskanzleramtes an diesem Gespräch beteiligt war.
Durch wen hat es die Einsicht in die Protokolle gegeben?
Durch die dafür zuständige Mitarbeiterin. Das notwendige Gespräch ist durch mich erfolgt.
Die Fragen 41 und 42 des Kollegen Bernhard Kaster
werden schriftlich beantwortet.
Ich schließe damit den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Herr Staatsminister, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Jens Spahn
auf:
Welchen finanziellen Anteil trägt die Bundesrepublik
Deutschland an den Kosten für Europol relativ zu anderen beteiligten Staaten und wie hoch ist im Vergleich dazu der Anteil deutscher Mitarbeiter bei Europol?
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
({0})
- Herr Kollege Spahn, ich habe Ihre Frage 43 aufgerufen.
({1})
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Frau Präsidentin, ich beantworte die Frage wie folgt:
Europols Haushalt für das Jahr 2003 ist mit
55 Millionen Euro veranschlagt. Diese Kosten werden
durch Haushaltsbeiträge der Mitgliedstaaten gedeckt.
Der durch den Bund zu leistende deutsche Anteil liegt
bei 23,82 Prozent. Das sind in absoluten Zahlen
13,2 Millionen Euro.
Die Zahl der bei Europol beschäftigten Bediensteten
wuchs auf mittlerweile 311 Mitarbeiter an, das heißt, das
ist im Haushalt 2003 festgelegt. Der deutsche Personalanteil beläuft sich auf 27 Europol-Bedienstete und drei
nationale Experten. Damit hat Deutschland einen Anteil
von circa 9 Prozent des gesamten Europol-Personals und
liegt mit anderen großen EU-Mitgliedstaaten gleichauf.
Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Frankreich liegt bei
8 Prozent, Italien bei 7 Prozent, Großbritannien bei
11 Prozent und Spanien bei 6 Prozent.
Dessen ungeachtet setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die Zahl und Qualifikation der deutschen Bewerberinnen und Bewerber zu erhöhen. Vorgesehen ist unter
anderem eine enge Zusammenarbeit mit den Bundesländern.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Ich entschuldige mich für meine Unaufmerksamkeit.
Herr Staatssekretär, ist es so, wie mir von einigen
deutschen Mitarbeitern von Europol geschildert wurde,
dass es für eine spätere Karriere oder eine weitere Verwendung dieser Beamten in Deutschland eher hinderlich
denn förderlich ist, dass sie Dienstzeiten bei Europol gehabt haben? Stellt sich damit nicht die Frage, ob wir es
nicht vielmehr - wie zum Beispiel in Frankreich - eher
zu einer Art Pflicht oder Karrierevorbedingung machen
müssten, dass Beamte auch in internationalen Organisationen gedient haben?
Es wäre schade, wenn es so wäre, wie Sie es aus Gesprächen erfahren haben. Dass die Stellenbesetzungen
auf EU-Ebene aus deutscher Sicht sehr wichtig sind, hat
die Bundesregierung unterstrichen, indem sie sich dieses
Themas deutlich angenommen hat. Es darf nicht dazu
kommen, dass beispielsweise ein Einsatz auf EU-Ebene
- das gilt nicht nur für Europol-Beamte, sondern auch
für andere Bereiche - nach der Rückkehr karriere- und
laufbahnschädigend ist.
Der Kollege Spahn verzichtet auf seine zweite Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 44 der Abgeordneten
Hannelore Roedel auf. - Sie ist jedoch nicht anwesend.
Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Ich rufe die Frage 45 der Kollegin Petra Pau auf:
Treffen Hinweise der Dozentenvertretung des Fachbereichs Deutsch als Zweitsprache der Volkshochschule Neukölln zu, nach denen durch Planungsfehler des Bundesamtes
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die weitere Finanzierung der Sprachkurse im Jahr 2003 gefährdet ist, und,
wenn ja, wie soll der weitere Betrieb des Sprachkursprogramms der Berliner Volkshochschulen im Bereich Deutsch
als Zweitsprache - das für die Integrationsarbeit eminent
wichtig ist - im Jahr 2003 aufrechterhalten werden?
Ich beantworte die Frage wie folgt: Die Hinweise der
Dozentenvertretung der VHS Neukölln, die sich nur auf
die bisher vom Sprachverband Deutsch e.V. durchgeführten Sprachkurse beziehen, treffen nicht zu. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in
Nürnberg führt seit dem 1. Januar 2003 die Sprachkurse
für Ausländerinnen und Ausländer durch. Von Planungsfehlern kann keine Rede sein. Für die Durchführung von
Sprachkursen stehen im Bundeshaushalt für das Jahr
2003 insgesamt 22,8 Millionen Euro zur Verfügung. Davon wurden 4 Millionen Euro für die Abwicklung der in
2002 begonnenen und weit in das Jahr 2003 hineinreichenden Kurse bereitgestellt. Weiterhin sind in Abzug zu
bringen 1,534 Millionen Euro für die institutionelle Förderung und Abwicklung des Sprachverbandes Deutsch
e.V., der, wie Ihnen bekannt ist, zum 30. September 2003
aufgelöst wird, sowie circa 488 000 Euro für das GoetheInstitut, das sich der Qualifizierung der Kursleiter annimmt.
Für die Bewilligung neuer Sprachkurse in 2003 verbleiben dem Bundesamt somit 16,8 Millionen Euro, von
denen bis zum 15. Mai dieses Jahres bereits 8,7 Millionen
Euro für begonnene Kurse verausgabt wurden. Es stehen
somit noch genügend Mittel für den Beginn neuer
Sprachkurse im Jahr 2003 zur Verfügung. Ich will aber
hinzufügen, dass im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel wie schon in den vergangenen Jahren mit Sicherheit nicht alle beantragten Sprachkurse bewilligt werden können.
Frau Kollegin Pau, Ihre Zusatzfragen bitte.
Herr Staatssekretär, wenn das, was Sie dargestellt haben, zutreffend ist, wie erklären Sie sich dann, dass
50 Prozent der beantragten Maßnahmen nicht bewilligt
wurden? So wurde ich - ich spreche wieder vom Beispiel Neukölln - zumindest von den Dozenten unterrichtet. Dabei gehen sie sogar davon aus, dass die Zahl an
Maßnahmen, die sie beantragt haben, noch weit unter
dem Bedarf liegt.
Wie man sich gut vorstellen kann, kann nicht alles,
was wünschenswert ist und man gerne möchte, finanziell
abgedeckt werden. Aber vielleicht ist folgender Hinweis
ganz wichtig: Mit In-Kraft-Treten des Haushaltsgesetzes
zum 6. Mai konnten neue Projekte bewilligt werden.
Man muss sehen, inwieweit sich der neue Bewilligungstermin auf die Bewilligung der Anträge auswirkt. Ich
gehe davon aus, dass sich das Thema erheblich relativiert.
Sie verzichten, wie ich sehe, auf Ihre zweite Zusatzfrage.
Die Fragen 46 und 47 des Kollegen Hartmut Koschyk
werden schriftlich beantwortet. Das gilt auch für die Fragen des Kollegen Dietrich Austermann und der Kollegin
Gerlinde Kaupa zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Finanzen.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich schließe
die Fragestunde und unterbreche die Sitzung bis etwa
15.40 Uhr. Anschließend kommen wir dann zur Aktuellen Stunde.
({0})
Ich eröffne die Sitzung wieder und rufe den
Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Forderungen aus Union und FDP zum Verzicht auf Schuldenerlasse und zur Eintreibung
von Schulden im Ausland
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Führende Politiker der Union, Herr Merz und Herr
Wissmann,
({0})
haben in der letzten Woche verlangt, unsere Forderungen
gegenüber Partnerländern einzutreiben und auf Schuldenerlasse auch gegenüber den ärmsten Entwicklungsländern zu verzichten.
({1})
Ich finde das ein unerträgliches und im Übrigen auch
absolut unchristliches Verhalten, das allen internationalen Vereinbarungen ins Gesicht schlägt.
({2})
Es widerspricht auch den erneuten Vereinbarungen des
G-8-Gipfels in Evian. Wir würden uns, wenn wir diese
Forderungen umsetzten, international absolut isolieren.
Wir stehen zu den Verpflichtungen der Entschuldungsinitiative. Das möchte ich genauso betonen, wie dies
auch der Bundeskanzler auf dem Kirchentag getan hat.
({3})
Schwerer noch: Wer die Entschuldungsinitiative für
die ärmsten, hoch verschuldeten Entwicklungsländer infrage stellt, nimmt in Kauf, dass in den Entwicklungsländern die Bekämpfung der Armut wieder zurückgeht, weniger Kinder in die Schule gehen können, mehr Kinder
an verdorbenem Trinkwasser sterben und die Müttersterblichkeit zunimmt.
({4})
Ich frage: Wollen Sie das verantworten? Schämen Sie
sich nicht?
({5})
Auf dem Kirchentag hat der Kardinal aus Honduras, der
Präsident der lateinamerikanischen katholischen Kirchen, Deutschland für diese Solidarität ausdrücklich gedankt. Deshalb sage ich: Wer so etwas fordert und meint,
damit in populistischer Weise billig Stimmungen bedienen zu können,
({6})
dem muss eine klare Absage erteilt werden.
({7})
Die Entschuldungsinitiative ist eine Gemeinschaftsinitiative zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern, der Zivilgesellschaft und vor allem der Kirchen.
Sie ist ein Beispiel - so hat es damals Bischof Kamphaus
genannt - für die Globalisierung von Solidarität. Sie hat
deutlich zur Verbesserung der Lebenssituation Hunderttausender von Menschen in Entwicklungsländern beigetragen. Die durch die Entschuldung frei werdenden Mittel werden zur Armutsbekämpfung eingesetzt.
Die vorliegende Zwischenbilanz, bei allen Problemen
angesichts der weltwirtschaftlichen Entwicklung, spricht
eine deutliche Sprache. Insgesamt ist der Anteil von Investitionen in Bildung und Gesundheit am Bruttoinlandsprodukt bei den ärmsten hoch verschuldeten Entwicklungsländern von 5,9 Prozent im Jahr 1999 auf
9,3 Prozent im Jahr 2003 gestiegen.
({8})
Das bedeutet konkret, dass für eine große Zahl von Menschen die Gesundheitsversorgung und die Nahrungsmittelversorgung verbessert wurden und für Tausende von
Kindern der Zugang zur Schule erleichtert wurde. Das
werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, doch nicht ernsthaft rückgängig machen
wollen. Wir stehen zu unserer Verantwortung.
({9})
Darüber hinaus haben wir mit der Entschuldungsinitiative und mit der Verpflichtung der betroffenen Länder,
die frei werdenden Mittel zur Armutsbekämpfung einzusetzen, auch wichtige Demokratisierungsprozesse in
Gang gesetzt. Durch die Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Erarbeitung der nationalen Armutsbekämpfungspläne haben diese Gruppen in vielen Ländern
eine vollkommen neue gesellschaftliche Stellung und
mitgestaltende Rolle bekommen. Damit leisten sie einen
Beitrag zur Demokratie in ihren Ländern. Das ist extrem
wichtig.
({10})
Genauso wichtig, fast noch wichtiger, ist, dass wir es mit
der erweiterten Entschuldungsinitiative geschafft haben,
die Strukturanpassungsprogramme des IWF endlich zu
stoppen, die in früheren Jahren aus Mitteln der Entwicklungspolitik, vor 1998 aus dem Haushalt dieses Ministeriums, finanziert worden sind und mit ihren absurden
Ratschlägen dazu beigetragen haben, die Entwicklungsländer ärmer zu machen. Wir haben das beendet und das
ist gut. Deshalb werden wir die Entschuldungsinitiative
fortsetzen.
({11})
Es geht im Übrigen nicht nur um arme hoch verschuldete
Entwicklungsländer. Was würde eigentlich passieren,
wenn wir von Brasilien, wo Präsident Lula momentan
alle Anstrengungen zur Bekämpfung des Hungers unternimmt, verlangen würden, auf einen Schlag die Schulden an uns zurückzuzahlen?
({12})
Das wäre im Übrigen auch ökonomisch absurd.
({13})
Denn ein exportorientiertes Land wie Deutschland hat
schließlich ein Interesse daran, dass weltweit Kaufkraft
existiert, damit Menschen Produkte auch aus Deutschland kaufen können. Es ist also eine Absurdität, die hier
gefordert wird.
({14})
Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zur Entschuldung eines Landes sagen, das nicht zu den ärmsten hoch
verschuldeten Entwicklungsländern gehört, bei dem ich
aber stolz darauf bin, dass wir zu einem partiellen Schuldenerlass haben beitragen können, und zwar ist das Serbien unter Zoran Djindjic. Als Zoran Djindjic als Ministerpräsident damals die Diktatur Milosevic abgelöst hat,
hat er die Industriestaaten angefleht, einen Schuldenerlass zu ermöglichen, damit das Land wieder auf die Füße
kommt. Wir haben Zoran Djindjic Beistand geleistet und
einen partiellen Schuldenerlass ermöglicht. Ich bin stolz
darauf, dass wir diesem Mann auf seinem Weg zur Demokratie haben helfen können.
({15})
Ich würde mich schämen, wenn ich das nicht damals mit
großem Engagement durchgesetzt hätte. Denn angesichts der Hypothek der aus der Diktatur Milosevics
stammenden Schulden war klar, dass die Bevölkerung
dieses Landes sonst auf dem Weg zur Demokratie dramatische Enttäuschungen erleben würde.
Im Übrigen möchte ich daran erinnern, dass auch
Deutschland - vor 50 Jahren durch das Londoner Schuldenabkommen - durch eine Entschuldung von der internationalen Gemeinschaft Unterstützung erhielt, die unserem Land half, auf die Beine zu kommen. Wie können
wir da anderen Ländern diese Chance verweigern?
Angesichts der Tatsache, wie sehr die Menschen in
den Entwicklungsländern von der Entschuldung profitieren, kann das Fazit nur lauten: Die Entschuldung war
bisher ein Erfolg und muss im Interesse der Menschen in
den Entwicklungsländern fortgeführt werden. Denn wir
haben vielen Menschen neue Hoffnung und Perspektiven gegeben.
Wer jetzt fordert, einen Schritt zurückzugehen - und
zwar hinter den breiten gesellschaftlichen Konsens, der auf
dem Kirchentag immer wieder deutlich geworden ist -,
handelt unchristlich und lädt gegenüber den Menschen in
den Entwicklungsländern Schuld auf sich.
({16})
Lassen Sie mich zum Schluss eines betonen - wie es
auch der Bundeskanzler bei der Eröffnung des Kirchentages in der vergangenen Woche getan hat -: Die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Entwicklungsländern und deren Entschuldung liegen auch in unserem
Interesse, weil sie zu unserer eigenen Sicherheit beitragen. Denn wie Willy Brandt vor vielen Jahren zu Recht
festgestellt hat: Auch wir werden auf Dauer nicht in
Frieden leben können, wenn es Regionen in der Welt
gibt, in denen Menschen in tiefster Armut leben.
Deshalb fordere ich Sie auf: Nehmen Sie diese unsinnigen Vorschläge zurück und tragen Sie dazu bei, dass
der in unserem Land und auch in diesem Parlament bestehende Konsens in der Entschuldungsinitiative erhalten bleibt.
Vielen Dank.
({17})
Herr Kollege Weiß, Sie haben bei der Rede der Ministerin meines Erachtens einen sehr üblen Ausdruck verwendet, der nicht dem parlamentarischen Sprachgebrauch entspricht.
({0})
Ich bitte Sie sehr herzlich, ihn zurückzunehmen und sich
bei der Ministerin dafür zu entschuldigen.
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege
Matthias Wissmann, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul hat bewusst versucht ich weiß nicht, welche Taktiken sich dahinter verbergen -, Äußerungen einiger unserer Kollegen falsch wiederzugeben. Ich zitiere wörtlich, was ich gesagt habe:
Natürlich ist zu berücksichtigen, dass es vielen
Ländern schlechter geht als der Bundesrepublik.
Aber nicht jeder der zahlreichen Schuldnerstaaten
ist ein Entwicklungsland. Gerade in der Wirtschaftskrise hat die Bundesregierung die Pflicht,
auf die pünktliche Rückzahlung von Schulden zu
achten.
({0})
Ich stehe zu jedem Wort. Wir befinden uns zurzeit
- das haben Sie sicherlich heute Morgen in Ihrem Chefgespräch mit dem Bundesfinanzminister über den Haushalt gehört - in der schwierigsten Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte.
({1})
Wir müssen jeden Euro dreimal umdrehen. Wir müssen mit dem Bürger über die Frage reden, was wir uns
noch leisten können. Deswegen meine ich, dass wir in
einer solchen Lage Fall für Fall und Staat für Staat prüfen müssen, worin unsere zwingenden entwicklungspolitischen Ziele vor allem zugunsten der Ärmsten der Armen - zu denen ich mich bekenne - bestehen und an
welcher Stelle wir bei der Durchsetzung der Interessen
der Bundesrepublik Deutschland und auch der Steuerzahler konsequenter sein müssen.
({2})
Frau Ministerin, bei diesem Thema bleiben auch Ihnen Korrekturen Ihres bisherigen Handelns nicht erspart.
Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben im vergangenen Jahr Bolivien Schulden in Höhe von 335 Millionen Euro erlassen. Nach allem, was wir wissen, gibt es
keine einzige konkrete und überzeugende Vereinbarung
im Zusammenhang mit diesem Schuldenerlass, durch
die Strukturreformen in der dortigen Wirtschafts- und Finanzpolitik ermöglicht werden, die den Menschen wirklich helfen würden.
({3})
Wir haben doch immer wieder bekräftigt, dass ein
Schuldenerlass erfolgen sollte, wenn eine Aussicht besteht, dass sich die Lage grundsätzlich zum Positiven ändert. Ich kann aber bei diesem Beispiel nicht erkennen,
dass sich eine solche Perspektive eröffnet hat.
({4})
Sollten wir angesichts der Tatsache, dass in diesem
Jahr eine Neuverschuldung von über 40 Milliarden Euro
zu erwarten ist - die Zahlen werden wöchentlich höher -,
nicht ganz genau überlegen, an welcher Stelle wir mit
unserer Entschuldungsstrategie ansetzen? Sollten wir
nicht ganz genau überlegen, wo Schuldenerlasse geboten
sind und wo nicht?
So sehr ich - wie Sie alle - für eine enge Zusammenarbeit mit Russland bin, muss ich doch fragen - es war
nicht die Union, sondern es waren viele kritische Kommentatoren, die zuerst diese Frage aufgeworfen haben -,
ob der Erlass der Forderungen an Russland wirklich gut
war. Die Forderungen an Russland aus dem Transferrubel betrugen umgerechnet 15 Milliarden DM. Weil der
Bundesfinanzminister einen schnellen, kleinen Zufluss
für seinen Haushalt wollte, hat sich die Bundesregierung
bereit erklärt, 500 Millionen als Abgeltung der gesamten
Schulden zu vereinbaren. In den vorangegangenen Jahren ging es um eine ähnliche Regelung mit anderen ehemaligen RGW-Staaten wie Polen, Tschechien, Rumänien, Bulgarien und Kuba. Die Quote, die damals bei der
Entschuldung erreicht worden ist, war wesentlich höher.
Im Falle Russlands betrug sie 6,5 Prozent und im Falle
der anderen ehemaligen RGW-Staaten 16,7 Prozent.
Wenn man das umrechnet, dann stellt man fest, dass es
sich um 800 Millionen Unterschied handelt.
Ich bitte die Bundesregierung vor diesem Hintergrund
dringend: Reden Sie nicht in pauschalen Theorien und
scheinbar wohlklingenden moralischen Grundsätzen
über dieses Thema. Entscheiden Sie vielmehr von Fall
zu Fall! Wir bekennen uns zur Moral einer auf die Ärmsten der Armen gerichteten sinnvollen Entwicklungspolitik, die Umstrukturierung beinhaltet. Wir bekennen uns
aber in einer Situation, in der jeder Euro zweimal umgedreht werden muss, auch dazu, das Interesse des Steuerzahlers wahrzunehmen.
({5})
Ich glaube, das vergangene Wochenende hat gezeigt,
dass wir mit unseren Anregungen gar nicht so falsch liegen. Die Finanzminister der G-8-Staaten haben beim
Weltwirtschaftsgipfel nämlich ausdrücklich vereinbart,
dass es in Zukunft eine stärkere Fall-zu-Fall-Betrachtung
geben soll, dass man also von den Schemata der bisheriMatthias Wissmann
gen Entschuldungsstrategien abweichen will, um stattdessen stärker das jeweilige Land zu betrachten. Ich verstehe
das so, dass man auch stärker auf Umstrukturierung in den
betreffenden Ländern achten muss; denn Entschuldung
macht doch nur dann Sinn, wenn im Innern eines Landes
eine Neuordnung stattfindet, die dazu führt, dass das,
was man gegeben hat, auf einen guten und nicht auf einen schlechten Boden fällt. So muss man wirtschaftlich
und entwicklungspolitisch denken.
({6})
Ich fordere die Bundesregierung auf: Machen Sie es
sich nicht so einfach. Gehen Sie mit dem Geld der Steuerzahler sorgsam um. Gehen Sie Land für Land vor. Befolgen Sie nicht irgendwelche leeren Glaubenssätze,
sondern setzen Sie eine sinnvollere Entwicklungspolitik
auch gegen Widerstände durch!
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Scheel,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Wissmann, die Aussagen, die Sie, Friedrich Merz
und Herr Brüderle gemacht haben, finde ich richtig schäbig.
({0})
Herr Merz hat beispielsweise gesagt, Deutschland könne
sich Schuldenerlasse nicht mehr leisten. Eichel solle
Schulden eintreiben. Herr Brüderle hat gemeint, wir sollten nicht länger den großzügigen Spendieronkel spielen.
({1})
Herr Wissmann, Sie als CDU-Wirtschaftsexperte haben
gefordert, die Regierung solle sich anstrengen, Außenstände einzutreiben.
({2})
Ich kann dazu nur sagen: Sie alle drei sind ziemlich
trübe Wirtschaftsexperten,
({3})
und zwar deswegen, weil man in Fachkreisen nur den
Kopf über Sie schüttelt.
({4})
Ich sage Ihnen auch gleich, warum. Es ist völlig klar,
dass das, was Sie am Wochenende betrieben haben, populistische Manöver gewesen sind. Ich frage mich: Ist
das von Unwissenheit geprägt - dann haben Sie keine
Ahnung - oder ist das Absicht, um in der Bevölkerung
den Eindruck zu vermitteln, als verschenkten die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen an die 52 Milliarden Euro - diese Zahl wird ja immer genannt -, die an
Krediten ans Ausland vergeben worden sind? Das ist völliger Quatsch!
Ich beweise es Ihnen an zwei Beispielen. Die HIPCInitiative ist eine multilaterale Gemeinschaftsaufgabe.
Wir leisten einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der
Armut in den ärmsten Ländern, aber selbstverständlich
- man muss das auch einmal andersherum sehen - haben
auch wir etwas davon. Wenn dort Entwicklung und
Wohlstand sind, wenn dort mehr Bildung ist, dann trägt
das auch zu unserer eigenen Sicherheit bei.
({5})
Auch wir haben Wirtschaftsbeziehungen mit diesen
Ländern, die nicht zu unterschätzen sind. Deswegen
macht es Sinn, hier so vorzugehen. Was die Ministerin
als neuen Weg dieser Regierung beschrieben hat - gegenüber der alten Entwicklungspolitik von Ihnen, die
sehr viele Fehllenkungen bewirkt hat -, ist völlig richtig.
({6})
Nun zu der Gespensterdebatte, die Sie ausgelöst haben.
({7})
Von absoluter Unkenntnis zeugt ja, wie das nach Ihrer
Meinung mit der Krediteintreiberei funktionieren soll.
Erstens ist es so, dass Kreditverbindlichkeiten des Auslands gegenüber der Bundesrepublik wie alle anderen
Kreditverträge auch an Laufzeiten und Raten gebunden
sind.
({8})
Nur bei einem Bruchteil ist die Laufzeit überschritten.
({9})
Zum Zweiten ist klar, dass der Bund solche Kredite selten selbst vergibt. Vielmehr wird in der Regel die KfW
tätig. Nur ein Minianteil ist im Bundeshaushalt.
({10})
Die Finanzierung läuft über den ganz normalen Kapitalmarkt und nicht über den Bundeshaushalt.
({11})
Zum Dritten sind die Außenstände des Auslands gegenüber dem Bund im Vergleich zu den gesamten Außenständen des Auslands gegenüber Deutschland gering.
Ich nenne nur einmal das Stichwort Auslandsanleihen;
vielleicht haben Sie davon schon einmal etwas gehört.
({12})
Jetzt noch zu dem Punkt, den Sie im Zusammenhang
mit Russland angesprochen haben.
({13})
Das ist eine Debatte, bei der deutlich wird, dass Sie sich
im Vorfeld anscheinend überhaupt nicht informiert haben. In irgendwelchen Sonntagszeitungen standen Zahlen, die fern jeglicher Realität sind.
({14})
Was den Schuldenerlass gegenüber der Russischen
Föderation betrifft, haben wir
({15})
die klare Situation, dass die Transferrubelschulden dem
Grund und der Höhe nach immer bestritten waren. Zwölf
Jahre lang gab es keine Einigung. Zwölf Jahre lang ist
- um das einmal so zu sagen - kein Rubel geflossen.
({16})
Herr Putin und Herr Schröder haben einen Schlussstrich
gezogen.
({17})
Seit man sich nach zwölf Jahren Ihrer Untätigkeit in diesem Zusammenhang endlich auf einen Betrag verständigt hat,
({18})
werden diese Kredite von der Russischen Föderation
laufend getilgt.
({19})
Ich muss Ihnen auch Folgendes sagen: Als wir in
Deutschland das Problem mit dem Hochwasser gehabt
haben, gab es aus Anlass dieser schwierigen Situation
eine frühere Tilgung vonseiten dieses Landes. Sich so
hinzustellen und so zu tun, als ob die Russen keinen einzigen Rubel herüberschöben,
({20})
ist schlicht und ergreifend eine Unverschämtheit. Seitdem sich die beiden Staatschefs geeinigt haben, wird
ganz vernünftig getilgt. Hören Sie auf, solche Nebelkerzen zu werfen! Hören Sie auf, in der Bevölkerung solche
falschen Eindrücke zu vermitteln! Das schadet Deutschland insgesamt und nicht nur Ihnen.
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Scheel, ein paar Oberschlaumeier aus den Reihen von
Grün-Rot haben gedacht: Wir machen einmal etwas
Oberschlaues und unterstellen der FDP Herzlosigkeit.
Aber der Schuss ist - wie so oft bei Ihnen - nach hinten
losgegangen. Die Oberschlaumeier waren nämlich intellektuell offensichtlich nicht in der Lage, Zitate richtig
zuzuordnen.
({0})
Ich lese Ihnen einmal vor, was ich gesagt habe - ich
mache es ganz langsam, damit auch Sie, Frau Scheel,
und die Schlauberger aus Ihren Reihen es verstehen; ich
wiederhole meine Aussage -:
Wenn Finanzminister Eichel schon bei der Schuldenpolitik versagt, darf er nicht auch beim Einfordern der deutschen Außenstände versagen. Die Regierung steuert auf eine Neuverschuldung von
40 Milliarden Euro zu. Da kann sie bei
- ich betone wirtschaftlich gesunden Staaten nicht länger den
großzügigen Spendieronkel spielen.
({1})
Ich habe kein Wort zum Schuldenerlass und kein Wort
zu Entwicklungsländern gesagt. Wenn Sie so etwas behaupten, dann belegen Sie das! Alles, was Sie, Frau
Scheel, hier gesagt haben, ist unredlich und heuchlerisch.
({2})
Ich wiederhole: Ich habe von wirtschaftlich gesunden
Staaten gesprochen. Was Sie machen, das ist politische
Brunnenvergiftung.
({3})
Einigen von Ihnen fehlen offensichtlich grundlegende
Kulturfähigkeiten; Lesen ist nicht Ihre Stärke und Rechnen schon gar nicht. Wer zwei Jahre hintereinander die
Maastricht-Kriterien verfehlt, der ist eben nicht mehr in
der Lage, richtig zu rechnen. Mit dem politischen Geschick ist es bei Ihnen noch schlechter bestellt.
Die Oberschlaumeier bei Ihnen haben noch weitere
kapitale Schnitzer gemacht. Ich zitiere noch einmal:
Wenn ein Land perspektivisch seine Schulden bedienen kann, dann muss es dies auch machen.
Diese Aussage stammt nicht von mir, sondern von Herrn
Eichel. Er hat das am 14. April dieses Jahres in der „Berliner Zeitung“ wörtlich erklärt. Herr Eichel hat das mit
Blick auf den Irak gesagt. Er und andere sind nicht bereit, dem Irak die Schulden zu erlassen; man hat sich auf
eine Stundung geeinigt. Ich will das gar nicht bewerten.
Eine Bewertung überlasse ich den Oberschlaumeiern
von Grün-Rot. Meiner Ansicht nach erfüllt der Irak das
Kriterium eines wirtschaftlich gesunden Staates derzeit
nicht.
Finanzminister Eichel hat auf die Frage, ob er ernsthaft damit rechnet, dass der Irak Deutschland die AltRainer Brüderle
schulden in Höhe von 4 Milliarden Euro zurückzahlt,
wörtlich geantwortet: „Ich kriege das, und zwar komplett.“
({4})
Der Titel dieser Aktuellen Stunde zeigt eines: Sie fallen
Ihrem eigenen Finanzminister doch wieder einmal in den
Rücken.
({5})
Grün-Rot hat Herrn Eichel offenbar zum Abschuss freigegeben.
Dabei spielen die laufenden Haushaltsberatungen natürlich eine Rolle. Wir konnten heute in der Zeitung lesen, dass der Etat von Frau Wieczorek-Zeul ordentlich
gerupft werden soll. Mit dieser Aktuellen Stunde soll der
angeschlagene Kollege Eichel wohl weiter demontiert
werden. Ich warte auf den nächsten Auftritt von Herrn
Eichel hier. Sein Abgang wird sicherlich im wahrsten
Sinne des Wortes „oskarreif“ sein.
Sie wollen mit dieser Aktuellen Stunde von Ihrer
Chaospolitik, von der immer höheren Arbeitslosigkeit
und vom Schuldenchaos ablenken. Dieses Vorgehen ist
durchsichtig und substanzlos. Sie werden die Arbeitslosenzahlen für den Mai präsentiert bekommen.
({6})
- Morgen werden sie vorliegen. - Sie werden dann erneut die Quittung für Ihre verheerende Politik bekommen. Wie falsch Ihre Politik ist, werden Sie an den Zahlen ablesen können.
Sie haben Ihre Regierungszeit seit der Bundestagswahl verschwendet. Am 14. März wollte der Bundeskanzler - so war es groß angekündigt - eine historische
Regierungserklärung abgeben. Seitdem ist kein einziger
Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt worden. Auf Regionalkonferenzen und Sonderparteitagen betreiben Sie
grün-rote Nabelschau, statt Ihre Aufgabe zu erfüllen. Sie
sind gewählt worden - leider haben Sie eine Mehrheit
bekommen -, um zu handeln, zu entscheiden und nicht,
um Nabelschau zu betreiben, interne Diskussionen zu
führen und das Land weiter in eine falsche Richtung treiben zu lassen.
({7})
Sie erfüllen Ihre Aufgabe nicht. Jeden Tag wird von
Ihnen eine neue steuerpolitische Sau durchs Dorf getrieben: Frau Simonis will die Mehrwertsteuer erhöhen;
Ulla Schmidt spricht von Mehreinnahmen durch eine Erhöhung der Tabaksteuer in Höhe von 4 Milliarden Euro;
Herr Schreiner möchte, dass die Vermögensteuer wieder
eingeführt und dass die Erbschaftsteuer erhöht wird. Sie
inszenieren diese steuerpolitische Kakophonie perfekt.
({8})
Sie sorgen für eine totale Verunsicherung der Bürger
in diesem Land, die nicht mehr wissen, ob sie ihr Geld
ausgeben sollen oder nicht. Sie tragen die politische Verantwortung für die steigende Arbeitslosigkeit. Was Sie
hier in Bezug auf die FDP vorgetragen haben, war verlogen und durch nichts belegbar. Frau Scheel, Sie sollten
sich für Ihren Auftritt schämen und entschuldigen. Was
Sie hier betreiben, ist politische Brunnenvergiftung.
({9})
Erfüllen Sie endlich Ihre Aufgabe und veranstalten
Sie keine Show! Sie haben die Regierungsmehrheit. Degradieren Sie das Parlament nicht zu einer heuchlerischen Quasselbude, wie Sie es durch Ihre Beiträge getan
haben! Sie haben dazu beigetragen, das Ansehen des
Parlaments weiter zu beschädigen. Das können Sie, regieren können Sie nicht.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Kortmann,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde, es ist schon ein besonderes Lehrstück der Unionspolitik, was uns hier geboten wird.
({0})
Während nämlich die Entwicklungspolitikerinnen und
-politiker der Union noch im Ausschuss über Schuldentragfähigkeit, Finanzierungsmodelle für Entwicklung
und Auswirkungen der HIPC-Initiative diskutieren, sagt
ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Merz der
„Bild am Sonntag“, wo es langgehen soll.
Da Sie heute so vieles von dem leugnen, was gesagt
wurde, trage ich Ihnen einmal das Zitat vor.
({1})
- Ich kenne den Unterschied zwischen FDP und Union,
schaue aber freundlicherweise auch Herrn Brüderle an. Herr Merz hat gesagt:
Angesichts der hohen Schuldenlast ausländischer
Staaten bei der Bundesrepublik Deutschland können wir uns Schuldenerlasse nicht mehr leisten. Dafür ist die Lage der deutschen Staatsfinanzen zu
dramatisch. Weitere Zusagen für große Kredite im
Ausland müssen so lange unterbleiben, bis die deutschen Staatsfinanzen wieder konsolidiert sind.
Ich habe von der Union weder - ({2})
Es muss auch geprüft werden,
({3})
welche Länder ihre Schulden schnell zurückzahlen
können.
({4})
Bis heute, Herr Kampeter, sind Sie eine Erklärung schuldig geblieben, was damit gemeint ist. Es gibt keine Pressemitteilung und kein Dementi. Herr Merz redet hier
heute nicht und bezieht dazu auch nicht Stellung. Ich
sehe nur einen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden,
der an den Fachpolitikern vorbei eine Diskussion eröffnet, die uns allen unseliges Leid bringt.
({5})
- Ja, es ist doch so. Herr Merz hat wieder seine finanzpolitische Kompetenz in den Sand gesetzt und Ihnen und
Ihrer Fraktion bezüglich globaler Verantwortung und der
Fähigkeit zu nachhaltiger Gestaltung ein Armutszeugnis
ausgestellt. Beides besitzen Sie nach wie vor nicht.
Nehmen wir das Beispiel, das Herr Wissmann ansprach, nämlich Bolivien, eines der ärmsten Länder der
Welt. 1996 wurden im Rahmen von HIPC I Bolivien
Schulden in Höhe von 760 Millionen US-Dollar erlassen. Im Rahmen von HIPC II im Jahre 2001 kamen noch
einmal 1,3 Milliarden US-Dollar hinzu. Die gehen in die
Armutsbekämpfung und fördern somit ein humanes, soziales und auch wirtschaftliches Wachstum. Wir haben
einen konditionierten Schuldenerlass, das heißt, das
Geld zirkuliert nicht frei im Land,
({6})
sondern ist an bestimmte Programme und Aufgaben gebunden.
({7})
- Lesen Sie es nach! Ich habe nur wenig Zeit. Hören Sie
mir zu! Ich schicke Ihnen meine Rede aber selbstverständlich auch gerne zu.
({8})
- Machen Sie sich bitte bei den Fachpolitikern Ihrer eigenen Fraktion sachkundig, wenn Sie es selber nicht
wissen.
({9})
Die erlassenen Schulden gehen zu 70 Prozent - das ist
Gesetzeslage in Bolivien - in die Munizipien, die Landkreise. Sie werden dort für Schulen, Bildung, Gesundheitsversorgung und für produktive Infrastruktur verwendet. 20 Prozent gehen in das Bildungsministerium für
Lehrer, Bau von Schulen und Lehrmaterial und 10 Prozent gehen an das Gesundheitsministerium. Durch die
Umwandlung von Schulden kann der bolivianische Staat
dafür in den kommenden Jahren jährlich 100 Millionen
US-Dollar zur Verfügung stellen. In Bolivien ist es in
Form eines nationalen Dialogs mit der katholischen
Kirche, mit Bauern, Frauen, Stadtteilorganisationen,
Gewerkschaften und Kleinproduzenten gelungen, die
Partizipation der Bevölkerung einzuleiten und ein Armutsstrategiepapier zu entwickeln, worüber nicht allein
auf Regierungsebene verhandelt wurde.
Mit den Armutsreduzierungsprogrammen hat man
sich für Bolivien bis zum Jahre 2015 in der Tat sehr ehrgeizige Ziele gesetzt,
({10})
nämlich Senkung der Armutsgrenze und der extremen
Armut, Steigerung der Lebenserwartung und der Schulverweildauer. Dies kann aber nur Erfolg haben, wenn
gleichzeitig - ich hoffe, dass Sie das wenigstens einsehen
und uns da unterstützen - wirtschaftliches Wachstum gefördert wird - das heißt auch Öffnung der Märkte -, die
öffentlichen Ausgaben auf armutswirksame Bereiche
konzentriert, institutionelle Reformen eingeleitet und
Maßnahmen zur Dezentralisierung verstärkt werden sowie eine Erhöhung der staatlichen Einnahmen durch Verbesserung des Steuersystems und der Finanzkontrolle erfolgt.
Drei Komponenten, nämlich die Wachstumsförderung, die Schuldentragfähigkeit und die Armutsreduzierung müssen hier Hand in Hand greifen. Das sind Ziele,
die zum Überleben von Millionen von Menschen international vereinbart wurden. Daraus ergibt sich auch die
Frage, ob wir uns verantwortungsvoll und glaubwürdig
an der sozialen Gestaltung der Globalisierung beteiligen
oder ob wir Friedrich Merz mit seinem dumpfen Populismus wie dem Rattenfänger von Hameln hinterherlaufen wollen.
({11})
Wenn Sie das nicht so sehen, dann erwarte ich, dass
die Union gleich, wenn wir mit dem bolivianischen
Bischof Abastoflor zusammensitzen, das zurücknimmt,
was Friedrich Merz gesagt hat.
Ich bitte Sie sehr herzlich: Schmücken Sie sich zukünftig nicht mit falschen Tüchern und falschen Slogans. Wir kämpfen für das, was mit der Erlassjahr-Kampagne eingeleitet worden ist. Vielleicht hat Ihr Kollege
Kues ganz Recht: Das C wird in der Union doch wieder
sehr klein geschrieben.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sage
auch und gerade als Entwicklungspolitiker: Bei 4,5 MilDr. Christian Ruck
lionen Arbeitslosen, einer dramatischen Wirtschaftskrise, einem außer Rand und Band geratenen Bundeshaushalt, einer Rekordnettoneuverschuldung, auf die wir
zutreiben, und 52 Milliarden Euro Außenständen ist,
Frau Kortmann, die Frage nicht nur legitim, sondern
auch berechtigt: Wie können wir durch eine Verbesserung unseres Schuldenmanagements auch zu einer Verbesserung der eigenen miserablen Wirtschaftslage in
Deutschland beitragen? Diese Frage ist nicht etwa unchristlich, sondern unchristlich und unkollegial ist, wie
Sie hier mit Kollegen aus unserer Partei und aus der FDP
umgehen. Dafür sollten Sie sich schämen und nicht wir.
({0})
Es ist traurig, dass diese entscheidenden Fragen von
der Opposition gestellt werden und nicht von den Regierungsparteien. Es ist auch traurig, dass Sie, Frau Scheel
- wir haben die Aktuelle Stunde nicht beantragt, sondern
Sie -, mit einem Sturm im Wasserglas und dieser Phantomdebatte davon ablenken wollen, dass Sie den Bundeshaushalt an die Wand fahren, dass auch die entwicklungspolitischen Ziele dadurch gefährdet sind, dass der
BMZ-Haushalt Jahr für Jahr reduziert wird und dass
auch Ihre Entschuldungsinitiative mit schweren Mängeln behaftet ist.
({1})
- Danke für den Hinweis.
Die entwicklungspolitische Komponente, die Sie hier
hochziehen, ist doch wirklich ein Popanz; denn weit
mehr als die Hälfte der Schulden, um die es geht, sind
nicht Schulden der Entwicklungsländer. Ein großer Teil
der verbliebenen Schulden sind Schulden der Schwellenländer, von Ländern, die von sich selbst behaupten, dass
sie großartige Zukunftsperspektiven haben, und zwar zu
Recht, wie China und Brasilien. Bei diesen Ländern
muss man doch, wie Herr Wissmann völlig zu Recht angeschnitten hat, von Fall zu Fall entscheiden, ob Schulden erlassen werden und wie Schuldenmanagement betrieben wird.
Der klassische Fall ist der Irak. Jeder von uns weiß
doch, dass wir den Leuten im Irak helfen müssen. Aber
das heißt noch lange nicht, dass wir dem Irak als zweitgrößtem potenziellen Erdölexporteur der Welt die Schulden erlassen müssen,
({2})
sondern wir brauchen ein vernünftiges Schuldenmanagement, durch das wir unser Geld wiederbekommen und
der Irak auf die Beine kommt.
({3})
- Ich bin der Meinung, Zwischenrufe sollte nur jemand
machen, der von der Materie etwas versteht.
Sie haben das Stichwort Bolivien und weitere Stichwörter angesprochen. Ich halte es für vollkommen legitim, wenn wir auch darauf hinweisen, dass unsere Steuerzahler das Recht haben, zu verlangen, dass wir ihr
Geld nicht langfristig zum Fenster hinausschmeißen,
({4})
und zwar in einer Situation, in der den Kommunen das
Wasser bis zum Hals steht und viele Bürger in unserem
Lande sparen. Sie tun auch der Entwicklungspolitik keinen Gefallen, Frau Ministerin, sondern bringen sie in
Misskredit, wenn Sie den Eindruck erwecken, dass wir
nicht behutsam, engagiert und effizient mit dem uns anvertrauten Geld umgehen.
Das gilt auch für HIPC. Wir haben die Initiativen der
Kirchen doch gemeinsam unterstützt. Wir haben gesagt,
dass auch wir eine Entschuldung in vielen Fällen als eine
Art Neuanfang für notwendig halten. Aber das war ganz
gezielt kein Blankoscheck für weitere Misswirtschaft,
sondern wir haben Bedingungen daran geknüpft, zum
Beispiel ein Mehr an guter Regierungsführung oder ein
Mehr an Mitteln für die Armutsbekämpfung. Es ist völlig evident, dass es gerade in diesem Bereich Schwierigkeiten gibt. Das sagt doch nicht nur die Opposition. Fragen Sie zum Beispiel Misereor oder fragen Sie Bischof
Abastoflor, der heute hier ist und der über die Lage Boliviens sehr engagiert und sehr kompetent Auskunft geben
kann. Auch er wird Ihnen sagen, dass vieles von dem,
was wir eigentlich wollten, nicht eingetreten ist, weil die
Konditionierung eben nicht gestimmt hat.
Aber es gibt noch andere Fälle, die viel problematischer sind. Ich nenne beispielsweise Ruanda, Uganda
und Burkina Faso, die auch zu dem Kreis der Länder gehören, die entschuldet werden. Angesichts der äußerst
dubiosen Rolle dieser drei Länder muss man sich wirklich fragen, ob hier die Konditionierung gegriffen oder
komplett versagt hat.
({5})
Diese Fragen muss man stellen dürfen. Man muss jedes
Land einzeln betrachten und dann von Fall zu Fall entscheiden, was geschehen soll.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ja. Ich plädiere dafür, dass Sie sich an die eigene Nase
fassen und dass Sie nicht von Ihrem nochmals schlechter
werdenden Haushalt ablenken. Greifen Sie unsere Vorschläge auf und arbeiten Sie konstruktiv daran mit, das
Schuldenmanagement und die Lage der Bevölkerung in
der Dritten Welt zu verbessern!
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Thilo Hoppe vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Kollegin Kortmann hat bereits ihren Schal gezeigt.
Ich möchte am liebsten einen Kochtopf auspacken, einen
großen Kochlöffel nehmen und damit Krach schlagen
({0})
- in alle Richtungen -, wie das 5 000 Menschen auf dem
Ökumenischen Kirchentag im Rahmen der ErlassjahrKampagne getan haben. Sie sind nicht nur von Oscar
Rodriguez, dem Bischof aus Honduras, der schon erwähnt wurde, unterstützt worden, sondern auch von
Margot Käßmann, der Bischöfin der größten evangelischen Landeskirche Deutschlands. Ich möchte gerne mit
Krach schlagen, nicht für weniger, sondern für deutlich
mehr Schuldenerlass. Zum Glück weiß ich, dass man mit
den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und
von der FDP im AWZ über dieses Thema seriös diskutieren kann und dass sie sich nicht zu populistischen Äußerungen hinreißen lassen.
Schulden im Ausland einzutreiben klingt populär und
ist nicht von vornherein ein absurder Gedanke.
({1})
Aber wir müssen fragen, wie es in den Ländern aussieht,
die davon betroffen sind.
({2})
Sie haben gesagt, dass Sie nicht die Entwicklungsländer
meinen, sondern Länder wie Russland, die in der Lage
sind, ihre Schulden zurückzuzahlen. Aber als Beispiel
haben Sie Länder wie Bolivien, Uganda und Ruanda genannt.
({3})
Sie müssen an dieser Stelle ganz klar und deutlich sagen,
welche Länder Sie wirklich meinen.
Die Frage muss doch erlaubt sein, wie diese Schulden
zustande gekommen sind. Es wird der Eindruck erweckt,
die Länder hätten über ihre Verhältnisse gelebt, seien mit
dem Geld verschwenderisch umgegangen und könnten
nicht wirtschaften.
({4})
Wenn man die Situation in vielen dieser Länder genau
analysiert, dann wird man feststellen, dass auch falsche
Rezepte von außen - ich nenne Strukturanpassungsmaßnahmen des IWF -, zum Teil fehlgeleitete Entwicklungshilfe sowie dubiose Bankengeschäfte zu dieser Situation beigetragen haben. Die Länder des Westens
haben sozusagen daran mitgedreht und von der Schuldenfalle kräftig profitiert.
({5})
Würden wir jetzt aussteigen und weniger Schuldenerlass gewähren, dann würde das - die Ministerin hat
schon ausdrücklich darauf hingewiesen - zu katastrophalen Folgen führen. Es würde beispielsweise dazu
führen, dass mehr Kinder erkranken und mehr Menschen
hungern würden.
({6})
- Das ist nicht zynisch, sondern in vielen Ländern der
Welt Realität.
Ich will daran erinnern, dass Deutschland selber vom
großzügigen Schuldenerlass profitiert hat. Im Rahmen
des Londoner Schuldenabkommens wurden Deutschland
30 Milliarden DM Schulden erlassen. Die Schuldendienstquote wurde damals auf 1 bis 3,4 Prozent der Exporterlöse reduziert. Das war eine wichtige Voraussetzung für den Neuanfang, für die Stabilisierung unseres
Landes und für die Stabilisierung der Demokratie.
Wenn wir einen wirksamen Beitrag für mehr Frieden
und Stabilität in der einen Welt leisten wollen, dann sollten wir uns für eine deutliche Ausweitung der Entschuldungsinitiative einsetzen. Dass HIPC in einigen Fällen
nicht erfolgreich war, lag daran, dass die Schuldentragfähigkeit der betroffenen Länder teilweise falsch eingeschätzt wurde und die verbliebenen Restschulden zu
hoch waren. Es ist zu fordern, dass die Schuldendienstquote auf 5 Prozent gesenkt wird. Nur so haben diese
Länder eine Chance, sich aus diesem Kreislauf, dieser
Falle überhaupt zu befreien.
Natürlich müssen wir über die Konditionierung, über
Veränderungen nachdenken,
({7})
aber nicht über ein stärkeres, heftigeres Eintreiben. Wir
dürfen dort nicht heftiger als die Gerichtsvollzieher auftreten. Wir müssen vielmehr realistisch beurteilen, welche Restschulden diese Länder aufgrund der veränderten
Wirtschaftsbedingungen überhaupt tragen können.
({8})
Diese Maßnahmen müssen von einem internationalen
Insolvenzrecht flankiert werden. Auf der Frühjahrstagung der Weltbank und des IWF hat es leider keine Fortschritte gegeben. Das lag nicht an Deutschland, sondern
an der Blockadehaltung der USA. Wir brauchen ein internationales Insolvenzrecht, und zwar im Sinne eines
fairen und transparenten Schiedsverfahrens.
({9})
Unsere Forderung geht in die Richtung, dass dort nicht
allein der IWF als Hauptgläubiger das Sagen haben darf,
sondern dass es ein wirklich faires und transparentes
Schiedsverfahren zu sein hat.
Nur Forderungen, die in diese Richtung weisen, führen weiter. Dabei geht es nicht um Großzügigkeit oder
um Mitmenschlichkeit, sondern um gleiche Chancen,
gleiche Rechte, gleiche Lebensperspektiven für alle und
auch um bessere Chancen für unsere Wirtschaft. Wenn
wir Weltmeister im Exportieren sein und bleiben wollen,
dann brauchen wir Kunden, die wir fair behandeln und
mit denen wir fair handeln können.
Danke schön.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Lothar Binding,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, das Motiv
für die Forderungen aus den Reihen der CDU/CSU ist
das schlechte Gewissen.
({0})
- Ich zitiere diese Forderungen gleich. - Denn wir sind
ja Schuldnerland im eigenen Land. Angenommen, wir
hätten die Schulden, die bis 1998 aufgelaufen sind, nicht
zu bedienen: Kann sich jemand vorstellen, was heute in
diesem Land los wäre, wenn wir diese Zinslast nicht zu
bedienen hätten?
({1})
- Das ist eine völlig alte Kamelle. - Das Problem dabei
ist nur, dass die Verantwortlichen heute operativ nicht
mehr greifbar sind. Darin liegt das eigentliche Problem.
({2})
Es gibt außer denjenigen, die hier sitzen, nur einen,
der sich wirklich kümmert: Das ist Hans Eichel. Dafür
sollten Sie ihm dankbar sein.
({3})
Kollege Wissmann sagt, nicht alle Schuldnerländer
seien Entwicklungsländer. Das stimmt. Aber ist es nicht
gerade deshalb umso wichtiger, sich international mit
Krediten und Risikoabschirmungen zu engagieren? Herr
Merz sagt, Schuldenerlasse könnten wir uns nicht mehr
leisten.
({4})
- Nicht aber! - Die Frage ist natürlich, ob wir uns die
Forderungen von Herrn Merz, die sich daraus ableiten
lassen, noch leisten können.
Eigentlich wollte ich jetzt etwas zu internationalen
Verflechtungen,
({5})
zu ethisch-moralischen Gesichtspunkten sowie zu sozialen, kulturellen und humanitären internationalen Aufgaben sagen. Mir ist aber im Haushaltsausschuss ein Antrag von der CDU/CSU in die Hände gefallen, der sich
unter anderem so zitieren lässt:
Entwicklungspolitik ist jedoch genauso ein wichtiges Instrument zur Förderung der Stellung Deutschlands in der Welt. Sie befördert den fruchtbaren
Kulturaustausch, stimuliert die Hochschul- und
Wissenschaftskooperation, intensiviert die wirtschaftlichen Beziehungen und stärkt so auch unsere
Wirtschaft auf wichtigen Zukunftsmärkten.
({6})
Um wie viel stärker gilt das für Länder, die ihre
Schuldendienste korrekt bedienen? Was würden die internationalen Handelsvertretungen sagen, wenn wir
plötzlich Ihrem Vorschlag nachkommen würden? Das
wäre international in vielfältiger Hinsicht ein absolutes
Fiasko.
({7})
Aber die CDU/CSU präzisiert sogar. Sie fordert die
Regierung zu etwas auf. Ich zitiere erneut:
Dieser Herausforderung muss die deutsche Politik
gerecht werden, indem sie den Bereich … mit mehr
finanziellen Mitteln und qualitativ mit mehr Effizienz und Kohärenz stärkt.
Eigentlich hat uns genau das dazu veranlasst, diese Aktuelle Stunde zu beantragen. Wir wollen zeigen, dass die
Richtung Ihrer Ideen falsch ist. Es gibt nämlich keine
ungebundenen Kredite, keine nicht konditionierten Kredite und keine direkten Kredite.
Wie funktioniert das eigentlich? - Ein deutsches Unternehmen bietet Produkte an oder realisiert international
große Projekte. Der Käufer oder Abnehmer - gelegentlich sind das Staaten - bezahlt den Auftrag mit einem
Kredit, den eine deutsche Hausbank organisiert. Die
Aufgabe des Staates ist die Risikoabschirmung für einen
solchen Kredit. Jetzt frage ich mich: Was würden die
Unternehmen denken, wenn wir Ihrem Vorschlag nachkämen? - Das würde international einen ökonomischen
Schaden anrichten, den Sie, auch aus der Opposition heraus, gegenüber Deutschland nicht verantworten könnten.
Wir haben aktuell einen Ermächtigungsrahmen von etwa
130 Milliarden Euro und ein Entschädigungsrisiko - das ist
eine rein rechnerische Größe - von 75 Milliarden Euro.
Alle wissen, dass dieses Risiko nicht eintreten wird;
denn wir müssen drei Fälle unterscheiden:
Lothar Binding ({8})
Erstens. Die Kredite werden mit Zins und Tilgung bedient. Man muss sich fragen, warum ein Kreditgeber
Kredite kündigen sollte, die mit Zins und Tilgung bedient werden und international große wirtschaftliche Dynamik erzeugen, was für die deutsche Volkswirtschaft,
die international stark verflochten ist, von großer Bedeutung ist.
Zweitens. Bei Liquiditätsproblemen gab und gibt es
die Möglichkeit der Umschuldung in langfristige Kredite. Dies geschah - das ist ein sehr gutes Beispiel - Anfang der 90er-Jahre bei den Krediten Russlands. Seither
bedient Russland die Kredite mit Zins und Tilgung sehr
korrekt. Dadurch werden Handelsbeziehungen aufrechterhalten. Russland ist übrigens einer der größten Energielieferanten Deutschlands. Diese Lieferungen sind für
die deutsche Wirtschaft essenziell.
Drittens. Es gibt Länder - das stimmt -, die in die absolute Zahlungsunfähigkeit geraten.
In allen drei Fällen macht selbst die Überprüfung
langfristiger Kredite keinen Sinn, weil sie ökonomisch
schädlich wäre. Damit würden wir einen Vertrauensverlust in ein Exportland erzeugen, den keiner in diesem
Raum wirklich verantworten kann.
Wie verfahren wir? Ich will es technisch beschreiben:
Wir verfahren nach den Konditionen des Pariser Clubs.
Bei hoch verschuldeten Ländern verfahren wir nach den
Houston-Konditionen, bei stark verschuldeten Ländern
nach den Neapel-Konditionen sowie bei hoch verschuldeten und ärmsten Ländern nach den Köln-Konditionen.
Dieses Verfahren ist human, international verantwortungsbewusst, ökonomisch sinnvoll und gut für Deutschland.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Conny Mayer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch und gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, also in Zeiten, in denen wir uns zurzeit befinden,
muss es erlaubt sein, die Ausgaben auf den Prüfstand zu
stellen und kritisch zu hinterfragen, wie wir unsere Steuergelder ausgeben.
({0})
Ich freue mich deshalb, dass ein Presseartikel zum
Thema Auslandsschulden zum Anlass genommen wird,
den Schuldenerlass kritisch zu diskutieren. Ich wundere
mich aber, dass der Opposition vorgeworfen wird, sie
werfe mit Nebelkerzen. Sie sagen, wir sollten uns schämen. Im Grundsatz sind wir uns doch in Sachen Entschuldung einig. Es muss aber legitim sein, zu überlegen, wie das Thema Entschuldung richtig angegangen
werden kann und wo Defizite bestehen, was Entschuldung leisten kann und was nicht.
({1})
Eine große deutsche Sonntagszeitung verweist unter
der Überschrift „So viel schuldet uns das Ausland“ auf
über 52 Milliarden Euro und untermalt das sehr plastisch
mit Grafiken. Ich frage mich, warum Sie versuchen, die
Finanz- und Entwicklungspolitiker der Opposition gegeneinander auszuspielen, anstatt sich als Bundesregierung zu fragen, welchen Beitrag Sie für eine nachhaltige
Entwicklungspolitik und Entschuldung leisten können.
({2})
Fragen Sie sich, welchen Beitrag die Bundesregierung
leisten kann, um den Menschen besser als bisher zu erklären, dass wir schon aus Eigeninteresse entschulden
müssen!
Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Weltbank hat
aufgezeigt, dass ein Zusammenhang zwischen Armut
und Bürgerkriegen besteht. Politische Instabilität in den
betroffenen Ländern kann auch für uns in Deutschland
eine Bedrohung unserer Sicherheit und unserer wirtschaftlichen Interessen bedeuten. Auch Entwicklungsländer sind potenzielle Wirtschaftspartner.
({3})
- Es freut mich ja, dass auf Ihrer Seite geklatscht wird.
Was ist denn das Ziel von Entschuldung, meine sehr
verehrten Damen und Herren? Das Ziel ist, die am wenigsten entwickelten Länder, die ärmsten Länder dieser
Welt - von denen sprechen wir jetzt bei der Entschuldung - zu unterstützen und aus dem Teufelskreis von
Überschuldung, Schuldentilgung, Zinszahlungen und immer weiterer Verschuldung herauszuholen und um - das
ist entscheidend - die Mittel frei zu haben für nachhaltige
Entwicklung, für Armutsbekämpfung, für eine Verbesserung der Situation bei Bildung und Gesundheit und für
den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen.
Entschuldung muss ein Dreiklang sein: erstens Konditionierung, zweitens Kontrolle und drittens die Frage
nach den Konsequenzen, wenn es nicht funktioniert.
({4})
Konditionierung: Welche Bedingungen gibt es, um
entschuldet zu werden? Wie wird erreicht, dass Schuldenerlass nicht die eigenen Anstrengungen der Entwicklungsländer unterläuft, sondern im Gegenteil einen Anreiz für eigene Anstrengungen in dem Bereich bietet?
Kontrolle: Wie werden Entschuldungsprozesse überwacht? Wie wird gewährleistet, dass Geld wirklich zur
Armutsbekämpfung eingesetzt wird und nicht zur Unterstützung der verfehlten Politik von Regierungen? Auch
das gibt es.
({5})
Conny Mayer ({6})
Wie wird die Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der
Erarbeitung der Armutsbekämpfungspläne gewährleistet?
Der dritte Punkt ist die Frage nach den Konsequenzen: Welche Sanktionsmöglichkeiten haben wir denn bei
Verstößen gegen die Armutsbekämpfungspläne und beispielsweise bei der Nichtbeachtung von Good Governance?
Nur dann, wenn die Bundesregierung Antworten auf
all diese Fragen hat, dient Entschuldung dem von mir
eingangs beschriebenen Ziel.
Lassen Sie mich noch eine Schlussbemerkung machen. Ich wünsche mir, dass wir in diesem Hohen Hause
nicht versuchen, Entwicklungspolitiker und Finanzpolitiker gegeneinander auszuspielen. Das ließe sich, über
Fraktionsgrenzen hinweg, auch machen mit Entwicklungs- versus Gesundheits- und Forschungspolitikern
oder Agrarpolitikern. Ich wünsche mir, dass wir uns hier
im Hohen Hause konstruktiv mit dem Thema „Entschuldung und Entwicklungspolitik“ auseinander setzen.
Vielen Dank.
({7})
Frau Kollegin Mayer, ich gratuliere Ihnen recht herzlich zu Ihrer ersten Rede hier in diesem Hohen Hause.
Ich wünsche Ihnen persönlich und politisch alles Gute.
({0})
Nächster Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Kollegin Mayer, auch ich gratuliere Ihnen
zu Ihrer ersten Rede im Plenum des Deutschen Bundestages. Ich darf Ihnen bestätigen: Sie haben den sachlichsten Beitrag aus Ihrer Fraktion geliefert.
({0})
Alles andere, was bisher von Ihrer Fraktion gekommen
ist, war leider Schaumschlägerei.
({1})
Frau Mayer, Sie haben auf den Artikel hingewiesen,
der kürzlich in der „Bild“-Zeitung erschienen ist und in
dem Zitate von Herrn Merz, Herrn Wissmann und Herrn
Brüderle gebracht worden sind. In diesem Artikel wurden die 52 Milliarden Euro an Auslandsforderungen dargestellt, die Deutschland hat. Dann kommt natürlich, wie
Herr Brüderle vorhin noch einmal klargestellt hat, die
Unterstellung, die Bundesregierung gehe lax damit um,
verteile großzügig und verzichte zulasten der deutschen
Steuerzahler. Herr Brüderle drückte das so aus, dass die
Bundesregierung den großen Spendieronkel spiele.
({2})
52 Milliarden Euro: Der größte Posten in dieser
Summe sind Forderungen, die Deutschland an Russland
und andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion hat. Der
Schuldenerlass für diese Länder - ich finde, man kann
ihn aus politischer Sicht rechtfertigen - ist damals, 1989/
90 und in den Folgejahren, sehr großzügig gewährt worden. Es ist damals auch sehr viel in Form von Geschenken an die Sowjetunion gegangen. Deutschland hat beispielsweise zu einem großen Teil den Rückzug der
Roten Armee aus Deutschland finanziert; das beanstande
ich überhaupt nicht. Die damals rund 100 Milliarden DM,
die der Sowjetunion bzw. deren Nachfolgestaaten als Kredite gewährt worden sind, sind Forderungen zu durchaus
marktüblichen Konditionen. Allerdings hat sich dann herausgestellt, dass Russland in der Folgezeit nicht immer
in der Lage war, die Zahlungen fristgemäß zu leisten.
Deswegen hat es bezüglich des Löwenanteils - international abgesprochen - Schuldenstreckungen und Umschuldungen insbesondere vom Pariser Club gegeben.
Herr Wissman hat noch auf eine besondere Verbindlichkeit der Sowjetunion hingewiesen, die zwischen
Deutschland und Russland immer strittig war, weil Ihre
Regierung, Herr Wissmann, es zwischen 1989 und 1998
nicht fertig gebracht hat, den Charakter dieser Forderungen zu klären und eine Verständigung herbeizuführen.
Ich spreche von den so genannten Transferrubelverbindlichkeiten der Sowjetunion gegenüber der DDR. Umgekehrt gab es die Position der Sowjetunion, die Forderungen an die DDR hatte und diese verrechnen wollte. Jetzt
rechnen Sie einmal in Transferrubel bewertete strittige
Forderungen in Euro um! Viel Vergnügen!
({3})
Jedenfalls ist Ihnen das in Ihrer Regierungszeit nie gelungen. Sie haben auch keinen ernsthaften Versuch unternommen.
({4})
- Da gab es aber D-Mark und andere konvertible Währungen.
({5})
Herr Wissman hat sich jetzt hingestellt und gesagt: Da
diese Bundesregierung mit Russland vereinbart hat, hier
einen Schlussstrich zu ziehen,
({6})
etwas, was zwischen Gläubigern und Schuldnern gemacht werden muss, wenn es offensichtlich keine von
beiden Seiten akzeptierte Klarheit gibt, müsse man sich
irgendwie verständigen. Russland hat dann eine Größenordnung von einer halben Milliarde Euro akzeptiert und
diesen Betrag ganz überwiegend bezahlt.
({7})
- Was heißt „6 Prozent“? Sagen Sie mir doch einmal,
wie viel die strittigen 6,5 Milliarden Transferrubel in
Euro wert sind!.
({8})
Sie haben diese Verständigung zwischen 1990 und 1998
nicht geschafft. Spielen Sie also jetzt nicht den Schlaumeier.
({9})
Ich finde, alles Übrige muss man davon trennen. Das,
was im Rahmen der Entschuldung von besonders hoch
verschuldeten armen Entwicklungsländern geschehen
ist, ist nie bilateral, sondern immer gemeinsam mit anderen Industrieländern gemacht worden. Wir haben im Übrigen nur Kredite solcher Länder einbezogen, die seit
längerer Zeit notleidend sind.
Herr Kollege Spiller, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Banken machen in solchen Situationen etwas anderes.
Sie streichen den Kredit und nennen das Wertberichtigung, und zwar in sehr viel größerem Stil. Wir haben
eine sehr korrekte Verfahrensweise gewählt und haben
uns nichts vorzuwerfen.
({0})
Die Bevölkerung ist besser informiert, als Sie glauben.
Auf solche Tricksereien wie die, die Sie über die „Bild“Zeitung verbreiten, werden die deutschen Bürgerinnen
und Bürger nicht reinfallen.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Steffen Kampeter,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Als ich vorhin den Redebeitrag von Frau
Wieczorek-Zeul gehört habe, habe ich gedacht, dass sie
die Gutmütigkeit der Regierung etwas losgelöst von den
wirtschaftlichen Realitäten beschreibt.
Aber lassen Sie uns in unser Land blicken. Wir nähern uns in diesem Jahr mit 40 Milliarden Euro der
höchsten Neuverschuldung seit der Wiedervereinigung.
Dies beruht vor allen Dingen auf erheblichen Steuerausfällen durch die falsche und verfehlte Regierungspolitik,
aber auch auf Mehrausgaben wegen der hohen Arbeitslosigkeit. Allein bei der Bundesanstalt für Arbeit sind es
in diesem Jahr zusätzlich 10 Milliarden Euro, bei der Arbeitslosenhilfe sind es zusätzlich 2 Milliarden Euro.
({0})
Alle Schätzungen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt
vorgenommen werden, scheinen offensichtlich noch von
wirtschaftlichem Optimismus und Wachstumsannahmen von einem drei viertel Prozentpunkt geprägt zu
sein. In dieser weltwirtschaftlich wie national wirtschaftlich schwierigen Zeit kann es doch nur sinnvoll sein, in
allen Bereichen dafür zu sorgen, das Geld, das uns die
Bürgerinnen und Bürger anvertraut haben, mit dem Maximum an Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu verwenden. Selbstverständlich müssen wir in dieser Situation unserer Verantwortung für Deutschland
nachkommen und die Frage stellen, warum wir die
Schulden, auf deren Rückzahlung wir einen Rechtsanspruch haben, deren dazugehörigen Vertragslaufzeiten
abgelaufen sind und die zur Rückerstattung an die Bundesrepublik Deutschland anstehen, nicht einfordern. Das
sind wir der Bevölkerung schuldig.
({1})
Das, was Sie, Frau Bundesministerin, hier gesagt haben, nämlich dass wir Verträge kündigen wollen, ist bar
jeder Realität. Das ist eine üble Verleumdung der Position, die die Herren Merz und Wissmann für die CDU/
CSU in dem Artikel dargelegt haben.
({2})
Es ist eine Tatsache, dass fällige Schuldenaußenstände in einem Umfang von rund 3,2 Milliarden Euro
von der Bundesregierung nicht eingetrieben werden. Der
Staatssekretär aus dem Finanzministerium, Herr Diller,
muss uns gleich Rede und Antwort stehen, warum das
Finanzministerium, das für die höchste Nettokreditaufnahme nach der Wiedervereinigung in Höhe von knapp
40 Milliarden Euro verantwortlich ist, 3,2 Milliarden
Euro an ausstehenden Schulden nicht einfordert, wie wir
es vorgeschlagen haben.
({3})
Wie wichtig uns dieses Thema ist, können Sie daran
sehen, dass wir extra die Sitzung des Haushaltsausschusses unterbrochen haben, um dieser Debatte folgen zu
können. Das zeigt: Wir haben Interesse an dieser Politik.
Nahezu die gesamte Haushaltsarbeitsgruppe der CDU/
CSU ist anwesend. Die nur vereinzelt anwesenden Haushälter der Sozialdemokraten machen deutlich, dass für
das Geld der Steuerzahler bei CDU/CSU offensichtlich
mehr Interesse besteht als bei der Regierungskoalition.
({4})
Ein Wort zu Russland. Der Kollege Spiller hat sehr
zutreffend die Situation hinsichtlich des Transferrubels
dargelegt. Tatsache ist: Es war ein politisch motivierter
Schuldenerlass ohne Gegenleistung. Sie haben beim
Transferrubel eine Vergleichsquote für Russland angesetzt, die sich von den Quoten der übrigen ehemaligen
RGW-Staaten unterschied. Sie haben Russland ohne Not
politisch bevorteilt, und zwar zulasten des Steuerzahlers.
Was noch viel schlimmer ist: Sie haben keine Gegenleistung gefordert. Auch aus der SPD-Fraktion sind kritische Fragen gekommen, zum Beispiel, warum Sie die
Klärung der Beutekunstfrage nicht mit der Transferrubelfrage verbunden haben. Sie hatten nicht die Kraft
dazu. Sie wollten einfach Schulden ausbuchen und sich
als der gute Mensch aus dem Kanzleramt darstellen. Das
ist eine Politik, die nicht im nationalen Interesse der
Bundesrepublik Deutschland liegt.
({5})
Einige Worte zu Bolivien. Wir haben Sie, Frau Ministerin, in der vergangenen Woche im Haushaltsausschuss
anderthalb Stunden befragt, warum Sie knapp 300 Millionen Euro unkonditioniert nach Bolivien gegeben haben. Es geht nicht darum, dass wir prinzipiell gegen einen Schuldenerlass seien. Aber wir fragen uns, ob wir
uns einen unkonditionierten Schuldenerlass leisten können.
Es gibt in der bolivianischen Gesellschaft über diesen
unkonditionierten Schuldenerlass derzeit eine große Diskussion. Die Bolivianer wollen Ihr Geld eigentlich gar
nicht, weil es zur Abdeckung der Haushaltskrise in Bolivien dient. Dieses Geld wird Ihrem Entwicklungshilfeetat gutgeschrieben, aber in Bolivien versickert es, weil
Sie schlampig verhandelt und keine Konditionen an diesen Schuldenerlass geknüpft haben. Jetzt steht die bolivianische Gesellschaft Kopf und Sie verkaufen das auch
noch als eine Wohltat dieser rot-grünen Bundesregierung. Das nenne ich zynisch, Frau Bundesministerin.
Das kann man so nicht stehen lassen.
({6})
Unsere Grundposition ist klar: In wirtschaftlich
schwieriger Lage muss man jeden Cent zweimal umdrehen. Man darf nicht schlampig verhandeln. Man muss
zusehen, dass man mit dem Geld der Bürger sorgsam
und sparsam umgeht und dass man Außenstände eintreibt. Das ist die Position der Entwicklungspolitiker, der
Haushaltspolitiker und der CDU/CSU insgesamt. Darin
lassen wir uns von niemandem überbieten.
Herzlichen Dank.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Sascha Raabe, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kampeter, auch mit Verweis auf die angeblich hohe Anzahl Ihrer Haushaltskollegen sage ich Ihnen: Ihre Rede beweist, dass Quantität keine Qualität ersetzt und Lautstärke keine Argumente.
({0})
Wir haben heute schon ein paar sachliche Beiträge
von Ihrer Seite gehört, nämlich von Ihren Kolleginnen
aus dem Entwicklungshilfeausschuss, zum Beispiel von
Frau Mayer. Ich glaube, wir sind uns durchaus einig,
dass es in einer fachlichen und sachlichen Diskussion
und in einem solchen Kontext ganz normal ist, dass man
sich über die Frage unterhält, wie die Entschuldung konditioniert vonstatten gehen und man die Entwicklungsziele im Auge behalten kann.
Aber Herr Brüderle, Herr Wissmann und Herr Merz - er
ist jetzt leider nicht da - kommen als erfahrene Politiker in
der Öffentlichkeit mit platten Sprüchen daher und erzählen etwas vom „Spendieronkel“. Darüber hinaus sagt
Herr Merz, dass die Schuldenerlasse gestoppt werden
sollen - dies in einer Phase, da wir beim Kirchentag öffentlich darüber diskutiert haben, was das für die Ärmsten dieser Welt bedeuten würde. Das ist kein missverstandener Beitrag, wie Sie es so gerne mit Empörung
darstellen wollen nach dem Motto, Sie hätten das nicht
so gemeint.
({1})
Es ist so ähnlich, wie Sie es auch innenpolitisch in der
Zuwanderungsdebatte immer wieder machen. Hier
schieben Sie den ausländischen Mitbürgerinnen und
Mitbürger oft und gerne eine gewisse Verantwortung für
die hohe Arbeitslosigkeit zu. Aber immer dann, wenn
Sie auf gewisse Redebeiträge festgenagelt werden, sagen
Sie, dass das alles nicht so gemeint gewesen sei.
({2})
- Herr Brüderle, wenn Sie zuhören würden, würden Sie
mehr verstehen.
({3})
Ich bin beunruhigt, wenn Schulklassen, die mich als
Abgeordneten besuchen, fragen, warum wir als Deutsche armen Ländern Kredite geben sollen, obwohl wir
doch selbst so hoch verschuldet sind. Das zeigt mir, dass
Ihre Rhetorik hier schon wirkt. Ich glaube, wir müssen
endlich einmal erkennen, dass wir als Industrieland eine
große Verantwortung dafür tragen, dass es zu dieser Verschuldung gekommen ist.
({4})
Sie reden immer von der Notwendigkeit, mit Steuergeldern sorgfältig umzugehen. Ich möchte daran erinnern, dass die Industrieländer mehr als 300 Milliarden
US-Dollar im Jahr für Agrarsubventionen ausgeben. Das
ist das Sechsfache dessen, was sie an öffentlicher Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen. Durch die Zölle,
die wir den Entwicklungsländern auferlegen, gehen ihnen doppelt so viele Einnahmen verloren, wie sie durch
die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit erhalten.
An diesem Punkt möchte ich die Kollegen von der
Union einmal an die Diskussion eines Antrages hier im
Bundestag erinnern, bei dem es um Agrarsubventionen
ging. Sie haben das blockiert. Deswegen kann ich Sie
nur auffordern, mit Steuergeldern richtig umzugehen.
Die Agrarsubventionen müssen zurückgefahren werden,
damit die ärmsten Länder ihre Lebensgrundlage wieder
selbstständig erwirtschaften können.
({5})
Aus meiner Sicht ist es daher unabdingbar, dass wir
nicht mit dem Finger auf die Ärmsten der Armen zeigen.
({6})
- Das haben Sie getan. Sie haben diesen Eindruck in der
Öffentlichkeit vermittelt und es auch nicht richtig gestellt.
({7})
- Ich bin kein Verdreher. - Hier steht, dass wir uns die
Schuldenerlasse nicht mehr leisten können. Wir werden
uns nicht, wie Herr Kampeter sagt, aus Verpflichtungen
zurückziehen. Auch im Rahmen der HIPC-Initiative sind
wir multilaterale Verpflichtungen eingegangen. Herr
Merz sagt, dass wir uns davon verabschieden müssen.
Das würde einen Ausstieg aus deutschen Verpflichtungen bedeuten. Das können und dürfen wir nicht tun, weil
wir eine Verantwortung für diese eine Welt haben.
({8})
In diesem Sinne kann ich nur noch einmal an Sie appellieren: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass
die Welthandelsbedingungen für die Entwicklungsländer
so verbessert werden, dass diese nicht mehr von Almosen abhängig sind! Sie werden langfristig keine Kredite
mehr von uns brauchen, wenn wir ihnen faire Chancen
auf dem Weltmarkt bieten. Ich glaube, darauf sollten wir
unsere Anstrengungen richten.
Wir sollten keinen dumpfen Populismus bedienen,
nach dem Motto: Deutschland geht es schlecht, weil wir
den Ärmsten der Armen Schulden erlassen. Das wäre sicherlich eine Art und Weise, die der Debatte nicht gerecht würde.
({9})
- Sie sollten vielleicht einmal Ihre eigenen Zitate überdenken - in der „Bild“-Zeitung stand das so - und Herrn
Merz, der heute nicht da ist, fragen; er hat das nicht richtig gestellt. Ansonsten glauben Sie doch auch immer alles, was in der „Bild“-Zeitung steht.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat bei aller Rhetorik gezeigt: Es gibt
keinen Beleg dafür, dass wir es mit der Entschuldung
von Entwicklungsländern nicht ernst meinen; das wollen
Sie uns unterstellen. Das Gegenteil ist der Fall. Deswegen können wir, Frau Kollegin Kortmann, das „C“ in unserem Parteinamen weiterhin groß schreiben.
({0})
Schon zu Zeiten von CDU/CSU-geführten Bundesregierungen hat Deutschland einen maßgeblichen Beitrag
geleistet, um die ärmsten und am höchsten verschuldeten Länder der Welt von Schuldenlasten zu befreien, für
die sie die Zins- und Tilgungsleistungen ohnehin nicht
mehr erbringen konnten, die eine entwicklungsorientierte Politik verhindert und die Ärmsten der Armen zu
den Hauptleidtragenden der Hochverschuldung gemacht haben. Deswegen ist es richtig, eine solche Entschuldungspolitik weiterzuführen. Dazu bekennen wir
uns auch.
Die finanziellen Mittel dazu wird Deutschland aber
nur aufbringen können, wenn zum einen Schluss mit der
katastrophalen Finanz- und Wirtschaftspolitik der rotgrünen Koalition ist
({1})
und wenn zum anderen - darauf haben unsere Kolleginnen und Kollegen zu Recht hingewiesen - Schuldnerländer, die durchaus über beachtliche eigene Einkommensquellen verfügen, wie zum Beispiel Russland aus Öl und
Erdgas, diese auch zur Rückzahlung fälliger Schulden
verwenden.
Über die Grundsätze der Entschuldungspolitik brauchen wir uns eigentlich nicht zu streiten. Aber ich habe
nach dieser Debatte den Eindruck: Das Wie einer richtig
betriebenen Entschuldung ist strittig.
Erstens. Wenn einem der ärmsten Länder der Welt die
Schulden erlassen werden, dann erwartet der deutsche
Steuerzahler, um dessen Geld es geht, genauso wie die
armen Familien in Bolivien oder in der Sahelzone, die
unter dem Existenzminimum vegetieren, dass das durch
die Entschuldung frei gewordene Geld nicht in den Taschen irgendwelcher Despoten für Prestigeobjekte oder
Kriegsabenteuer à la Ruanda oder Uganda im Kongo
verschwindet, sondern für Armutsbekämpfung, Bildung,
Gesundheit, Umwelt- und Ressourcenschutz eingesetzt
wird.
({2})
Deshalb darf und kann es keine Entschuldung ohne
konkrete Konditionen und ohne Bedingungen geben,
({3})
die eine entwicklungsorientierte Politik tatsächlich gewährleisten. Wenn aber, wie konkret geschehen - das
Peter Weiß ({4})
Entschuldungsabkommen für Bolivien auf dem G-8-Gipfel
ist bereits angesprochen worden -, diese rot-grüne Bundesregierung Entschuldungsabkommen abschließt, in
denen von solchen Bedingungen und Konditionen kein
Jota die Rede ist, dann handelt sie fahrlässig und konterkariert die eigentliche Intention der Entschuldungspolitik.
({5})
Wir wollen, dass das geändert wird.
({6})
Zweitens. Jeder sieht ein, dass es unsinnig ist, einem
der ärmsten Länder der Welt Entwicklungshilfegelder
zur Verfügung zu stellen und ihm gleichzeitig per Zinsund Tilgungszahlungen die gleiche Summe wieder wegzunehmen. Deswegen braucht richtig gemachte Entwicklungshilfe Entschuldung. Doch was Rot-Grün jetzt
macht,
({7})
ist nicht mehr Entwicklungshilfe und Entschuldung, sondern Entschuldung statt Entwicklungshilfe.
({8})
Ich will Ihnen die von der Bundesregierung bekannt
gegebenen Zahlen vorlesen: Bei der Berechnung der offiziellen deutschen Entwicklungshilfe, der so genannten
ODA-Quote, ist der Beitrag der deutschen Entwicklungszusammenarbeit von 3,32 Milliarden Euro in 2001
auf 2,78 Milliarden Euro in 2002 gesunken.
({9})
Der Beitrag Deutschlands zur EU-Entwicklungshilfe ist
von 985 Millionen Euro auf 956 Millionen Euro gefallen. Die so genannte ODA-Quote von ohnehin nur lächerlichen 0,27 Prozent des Bruttonationaleinkommens
konnte nur gehalten werden, weil man den Erlass von
Handelskrediten binnen eines Jahres von 23 Millionen
Euro auf 630 Millionen Euro und den Erlass von Krediten aus der finanziellen Zusammenarbeit von 171 Millionen Euro auf 455 Millionen Euro steigerte. Damit hat
man in der Statistik den deutschen Beitrag zum Schein
hochgerechnet, aber bei den ärmsten Ländern der Welt,
bei den an Hunger und Armut leidenden Familien
kommt aus Deutschland weniger denn je an.
({10})
Beim Kölner G-7-Gipfel hat diese Bundesregierung
versprochen, Schulden zu erlassen und die Entwicklungshilfe zu erhöhen. Dieses Versprechen hat sie gebrochen. Schulden statt Entwicklungshilfe - das ist genau
das Gegenteil von dem, was die Kirchen auf dem Kirchentag gefordert haben, was die Erlassjahr-Kampagne
und viele Menschen bei uns und in den Ländern des Südens zu Recht fordern.
Wir fordern Sie auf: Hören Sie auf, im Deutschen
Bundestag Scheindebatten zu führen.
({11})
Hören Sie auf damit, Politik zur Schönung der Statistik
zu machen. Beseitigen Sie doch endlich die immer größer werdende Diskrepanz zwischen dem, was Sie und
vor allem die Frau Ministerin öffentlich ankündigen, und
dem, was Sie tatsächlich machen.
Herr Kollege Weiß, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Machen Sie Entschuldung richtig, mit klaren Konditionen und mit und nicht statt Entwicklungshilfe.
Vielen Dank.
({0})
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte
Schulte, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Opposition und Regierung sollten in einer funktionierenden Demokratie tatsächlich pfiffig miteinander streiten
und eloquent soll es auch noch sein, damit es den Zuhörern Spaß macht. Aber was sich dieser merkwürdige,
forsche Kollege, Herr Merz, dabei gedacht hat,
({0})
sich ein Thema auszusuchen, mit dem er für die große
Exportnation Deutschland nur Schaden anrichten kann,
das frage ich mich. Ich vermute, er ist aus Feigheit heute
nicht hier.
({1})
Er hat sich - und das nach dem Ökumenischen Kirchentag - in diesem Artikel erdreistet - ich komme noch darauf zurück -, die weitere Rückführung der Verschuldung ärmerer Länder als negativ zu bezeichnen. Es
waren diese Regierung und diese Ministerin, die die Entschuldung an Bedingungen geknüpft haben.
({2})
- Sicher stimmt das. Herr Kampeter, ich komme gleich
zu Ihnen. Wir kommen gleich auf die Arbeitsgruppe
Haushalt zu sprechen. Darauf können Sie sich verlassen.
Natürlich müssen wir mit dem Geld der Steuerzahler
sorgfältig umgehen und auf jeden Fall dafür sorgen, dass
es nicht rausgeschmissen wird. Wer aber die Verarmung
großer Bevölkerungsgruppen in hoch verschuldeten
Staaten der Dritten Welt noch verstärkt, der straft sich
selbst. Denn wenn diese Länder noch mehr destabilisiert
Brigitte Schulte ({3})
werden, werden wir am Ende noch mehr Geld zur Verfügung stellen müssen.
({4})
Angesichts dessen, was Sie sich heute hier geleistet haben, kann man es nicht anders verstehen.
({5})
Die G-8-Staaten haben am Wochenende den Internationalen Währungsfonds aufgefordert, früher auf internationale Finanzkrisen zu achten. Dem stimme ich ausdrücklich zu.
({6})
- Das sind doch nicht wir. Es ist den Leuten doch erzählt
worden, wie unkonditioniert das getan worden ist.
Der Internationale Währungsfonds muss aber noch
stärker angepasst an die jeweilige Situation eines Landes
agieren. Er muss die Staaten besser betreuen, damit sie
nicht in die Misere geraten. Denn dann kostet uns das
noch mehr Geld. Die Forderung nach einer besseren
Überwachung und einer Fortsetzung der Entschuldung
teile ich.
Nun komme ich zur CDU/CSU. Es liegt dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages seit wenigen
Tagen eine Drucksache vor, die er jedes Jahr bekommt.
Das ist der Jahresbericht 2002 nach §§ 10 bis 14 des
Haushaltsgesetzes 2002 über die vorgenommenen Gewährleistungen an den Haushaltsausschuss des Bundestages.
({7})
- Ich bin doch nicht so blöde wie Sie. Das nehme ich zurück. Ich entschuldige mich bei Steffen Kampeter in der
Sache.
Der Bericht ist VS-Vertraulich. Herr Merz oder einer
von Ihnen muss ihn in der Hand gehabt haben, denn ein
Sozialdemokrat oder ein Grüner wird nicht zitiert. Weil
er oberflächlich ist, hat er nur eine Zahl herausgenommen, die ich jetzt auch nicht vorlese. In dem Bericht der
„Bild am Sonntag“ stehen Zahlen, die beweisen, dass die
Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Jahr 2001
noch behutsamer mit bestimmten Krediten umgegangen
ist.
Die gesamten Zahlen stimmen nicht. Sie sollten dem
Kollegen vielleicht bei der Lektüre behilflich sein, Herr
Austermann. Die Zahlen sind willkürlich ausgewählt
worden. Richtig ist vielmehr das Gegenteil: Die Bundesrepublik Deutschland geht - das muss man ihr lassen mit dem Geld der Steuerzahler vorsichtig um.
Der Kollege Merz sollte angesichts der Tatsache, dass
er aus einer Drucksache hat zitieren lassen - oder dass
Sie diese weitergegeben haben -, die den Zusatz „VSVertraulich“ trägt, rote Ohren bekommen. Vielleicht
kommen wir anschließend in der Ausschusssitzung, die
wir im Moment unterbrochen haben, noch einmal darauf
zu sprechen.
Und nun kommt es: In der Drucksache steht, dass die
Bundesrepublik Deutschland den finanziellen Rahmen
für die wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht voll ausschöpft, weil sie bei der Kreditvergabe besonders sorgfältig vorgeht. Das gilt übrigens auch für die Entwicklungshilfe.
Es gibt noch eine weitere Drucksache, die Sie auch
nicht erwähnt haben. Aus dieser Drucksache, die uns
heute vorliegt, geht hervor, dass der Haushaltsausschuss
im Jahr 1974 unter einer sozialliberalen Regierung - ich
war seinerzeit noch nicht Mitglied des Haushaltsausschusses - beschlossen hat, dass er über Ausfuhrgewährleistungen des Bundes von grundsätzlicher Bedeutung
zu unterrichten ist.
Derzeit gibt es fünf neue Ausfuhrgeschäfte. Man
sollte vielleicht in diesem Zusammenhang die deutsche
Industrie darüber informieren, dass die CDU und die
FDP darauf hinarbeiten, dass wir diese für die deutsche
Wirtschaft interessanten Aufträge nicht mehr vergeben
sollen. Angesichts der Tatsache, dass wir eine vernünftige internationale Wirtschaftspolitik betreiben, haben
Sie ein Eigentor geschossen und unserem Land geschadet, indem Sie in dem gemessen an der Einwohnerzahl
größten Exportland der Welt eine solche Debatte begonnen haben. Ich wünsche mir zwar auch, dass die Verschuldung den Betrag von 30 Milliarden Euro nicht
übersteigt. Aber wenn Sie kühn von einer Neuverschuldung in Höhe von 40 bis 50 Milliarden Euro in diesem
Jahr sprechen, so muss ich erwidern: Das entspricht
nicht der Wahrheit.
Frau Kollegin Schulte, schauen Sie bitte einmal auf
die Uhr!
Ich komme sofort zum Ende, Frau Präsidentin. - Von
Wahrheitsliebe bei Ihnen kann auch in diesem Fall nicht
die Rede sein.
Ich danke Ihnen.
({0})
Letzter Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär
Karl Diller.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es war schon beeindruckend für mich, zu erleParl. Staatssekretär Karl Diller
ben, was von den Finanzpolitikern und den Wirtschaftspolitikern vorgetragen wurde. Die Entwicklungshilfepolitiker der FDP sind gar nicht erst angetreten, weil ihnen
die Äußerungen von Herrn Brüderle hoch peinlich sind.
({0})
Seitens der CDU/CSU war es beeindruckend, dass
sich die Entwicklungshilfepolitikerin Frau Mayer völlig
anders geäußert hat als Herr Wissmann und andere.
({1})
Ich möchte eines betonen, Herr Brüderle und Herr
Wissmann: Lautstärke im Parlament und persönliche
Verunglimpfungen politisch Andersdenkender, die Sie
sich seit neuestem angewöhnen,
({2})
sind nicht geeignet, eine gewisse Kultur zu ersetzen. Sie
sind sicherlich nicht für das verantwortlich, was die
„Bild“-Redaktion an dem besagten Sonntag im Zusammenhang mit Ihren Zitaten publiziert hat. Aber ich hätte
gerne von Ihnen gehört, dass Sie sich von dem, was die
„Bild“-Zeitung aus Ihren Zitaten gemacht hat, deutlich
distanzieren.
({3})
Denn die „Bild“-Zeitung hat eine einfache Schlussfolgerung gezogen: Die zusätzlichen Kredite, die in diesem Haushaltsjahr aufgenommen werden müssen, könnten wir uns doch schenken, wenn wir einfach unsere
Außenstände in anderen Ländern eintreiben würden.
({4})
Eine solche Politik sollte eigentlich weit unter Ihrem und
Herrn Wissmanns Niveau liegen, Herr Kollege Brüderle.
({5})
Die Bundesregierung steht zu dem von ihr gewährten
Schuldenerlass gegenüber ausländischen Staaten. Denn
diese Schuldenerlasse betreffen fast ausschließlich die so
genannten HIPC-Länder. Dabei handelt es sich um hoch
verschuldete arme Länder überwiegend in Afrika.
Auf die besondere Situation in diesen Ländern haben
die im so genannten Pariser Club zusammengeschlossenen Gläubigerländer mit der auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Köln im Jahre 1999 entwickelten Schuldeninitiative der G-7-Staaten reagiert. 90 Prozent der Schulden
der insgesamt 42 HIPC-Länder werden erlassen.
Deutschland und andere Gläubigerländer stocken den
gewährten Schuldenerlass auf 100 Prozent auf. Dies bedeutet, dass die USA, Japan, Italien, Frankreich, Großbritannien, aber auch Länder wie die Schweiz und die
Niederlande die gleichen Umschuldungskonditionen und
den gleichen Schuldenerlass gewähren wie unser Land.
({6})
Die Schuldenpolitik ist international in hohem Maße
abgestimmt. Deutschland könnte sich aus einem international gefundenen Konsens auch gar nicht lösen. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls erwähnenswert, dass
bereits beim G-7-Gipfel von Lyon, Herr Kollege
Wissmann von der Union, als Vorläufer der HIPC-Initiative ein Schuldenerlass in Höhe von 80 Prozent vereinbart wurde. Damals hieß der Bundeskanzler Kohl.
Einen Schuldenerlass gibt es - das ist besonders zu
unterstreichen - auch nicht willkürlich, sondern nur nach
den Vorgaben und Bestimmungen des Haushaltsrechts.
Ich möchte einen Blick auf die Allgemeinen Bewilligungen in Kapitel 23 02 werfen. Dort heißt es:
Die Bundesregierung
- vom Parlament beschlossen wird ermächtigt, sich ... am Schuldenerlass zugunsten von hoch verschuldeten armen Entwicklungsländern ({7}) zu beteiligen und auf Forderungen
der Finanziellen Zusammenarbeit zu verzichten ...
Des Weiteren ist die Bundesregierung ermächtigt - das
ist Ziffer 1.3 -, sich am
Verzicht auf Forderungen aus der Finanziellen Zusammenarbeit in Höhe von insgesamt bis zu
100 Millionen Euro nach Prüfung im Einzelfall zu
beteiligen, wenn das Schuldnerland dadurch frei
werdende Mittel in Abstimmung mit der Bundesregierung für Vorhaben zum Schutz und zur Erhaltung der Umwelt, zur Armutsbekämpfung sowie für
Bildungsmaßnahmen einsetzt.
({8})
- „Konditioniert“ macht die heutige Bundesregierung es
durch Vereinbarungen im IWF, während Ihre damalige
Regierung - Herr Kampeter, das ist Ihnen eine Stunde
lang in der Sitzung des Haushaltsausschusses in der letzten Sitzungswoche erklärt worden - unkonditioniert
Schuldenerlass betrieben hat. Das muss hier deutlich gesagt werden.
Soweit die Aussicht auf Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit bei einem Staat gegeben ist, gewährt die
Bundesregierung übrigens keinen Schuldenerlass. Das
war entgegen manchen anders lautenden Behauptungen
auch im Falle Russlands so. Nun möchte sich der Kollege Weiß von den Kollegen Brüderle und Wissmann dadurch unterscheiden, dass er ein Land nennt, bei dem wir
noch in diesem Jahr die Schulden möglichst schlagartig
eintreiben sollen. Herr Wissmann hat gar kein Land genannt. Er hat uns lediglich aufgefordert: Überlegt einmal, ob es Länder gibt, bei denen ihr Schulden eintreiben
könnt! Herr Brüderle hat dazu gar nichts gesagt. Herr
Weiß hat auf Russland verwiesen. Herr Weiß, ich darf
Ihnen mitteilen, dass ich in der letzten Wahlperiode sowohl im Haushaltsausschuss als auch im Ausschuss für
die neuen Bundesländer ausführlich über die Verhandlungspositionen der russischen Regierung und der Bundesregierung und auch darüber berichtet habe, dass diese
ziemlich weit auseinander lagen und dass ein großes
Problem für die heutige Bundesregierung bei den damaligen Verhandlungen mit Russland darin bestand, dass
die Bundesregierung unter Helmut Kohl mit der Sowjetunion einen Vertrag über die Transferrubelregelung in
der Weise geschlossen hatte, dass der Schuldner Russland von sich aus überhaupt keinen Anlass hatte, sich in
dieser Frage auch nur einen Millimeter zu bewegen.
({9})
Wer damals einen solchen Vertrag abgeschlossen und
gebilligt hat, der darf sich heute nicht aufspielen und sagen, dass wir das schlecht gehandhabt hätten.
({10})
Mit Russland ist kein Schuldenerlass, sondern sind
ausschließlich Streckungen der Rückzahlungsfristen für
die so genannten Altschulden vereinbart worden. Das
sind Schulden aus bundesgedeckten Forderungen, die
Russland von der ehemaligen Sowjetunion übernommen
hat. Diese Schulden sind im Wesentlichen bis 2016 zurückzuzahlen und bis dahin, meine Damen und Herren
von der Union und der FDP, marktüblich zu verzinsen.
Russland bedient diese Schulden, wie in den Umschuldungsabkommen vereinbart. Letztes Jahr hat es sogar
vorzeitig Schulden getilgt.
Deswegen sage ich Ihnen: All das, was Sie an einem
Wochenende angerichtet haben, war ein verheerender
Eindruck Ihrer eigenen Konzeptionslosigkeit in der hier
zur Diskussion stehenden Frage.
({11})
Deswegen wäre es mannhaft gewesen, sich heute im
Deutschen Bundestag für diese Veranstaltung vom Wochenende zu entschuldigen.
({12})
Stattdessen haben Sie rumgeeiert, aber so sind Sie halt.
({13})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. Juni 2003,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.