Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich wünsche Ihnen nachträglich alles Gute zum neuen
Jahr und eine erfolgreiche Arbeit in diesem Hause.
({0})
Vor Eintritt in die Tagesordnung ist folgende amtliche
Mitteilung bekannt zu geben: Die Fraktion der FDP hat
mitgeteilt, dass der Kollege Dr. Guido Westerwelle als
ordentliches Mitglied aus dem Vermittlungsausschuss
ausscheidet.
({1})
Als Nachfolger wird der Kollege Jörg van Essen vorgeschlagen.
({2})
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der
Fall. Dann ist der Kollege Jörg van Essen als ordentliches Mitglied des Vermittlungsausschusses bestimmt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen
- Drucksache 15/2318 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Interfraktionell ist vereinbart, dass keine Aussprache
erfolgen soll. - Ich sehe, dass Sie damit einverstanden
sind.
Damit kommen wir gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf
Drucksache 15/2318 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige
Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Lokale Bündnisse für Familie.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, Renate Schmidt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren
und Damen Abgeordnete! Ich habe heute im Kabinett
die Initiative meines Ministeriums zu den lokalen Bündnissen für Familie vorgestellt. Sie wissen, dass sich die
meisten jungen Menschen Familie wünschen, dass sich
aber keine ausreichend große Zahl diesen Wunsch erfüllt. Auch in der Wirtschaft wächst die Erkenntnis, dass
Familienfreundlichkeit betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich gesehen Gewinn bringt.
Familie ist nicht nur in meinen Augen, sondern, wie
ich glaube, auch in den Augen vieler Menschen in allen
Bereichen ein Zukunftsthema. Auch Kommunen profitieren wie die gesamte Volkswirtschaft materiell von
mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit, weil dadurch
der Mut, Kinder zu haben, wächst. Durch die Studien,
die wir im letzten Jahr vorgelegt haben, haben wir dies
nachgewiesen.
Diese Erkenntnisse nützen als abstraktes Wissen wenig. Sie müssen nutzbringend zugunsten von Kindern,
Eltern und der gesamten Gesellschaft umgesetzt werden.
Dies ist unstrittig; denn bei der Geburtenrate liegt
Deutschland heute im weltweiten Vergleich von
207 Ländern auf Platz 185. Die meisten Menschen
Redetext
wünschen sich Kinder. Aber viele erfüllen sich diesen
Wunsch nicht, weil es um die Familienfreundlichkeit in
unserem Land nicht ausreichend gut bestellt ist.
Niedrige Geburtenraten sind aber kein unveränderbares Schicksal, auch nicht in Deutschland. Hier möchte
ich ein Beispiel erwähnen: In der Stadt Laer im Münsterland wurde erreicht, dass die Geburtenrate - verglichen
mit durchschnittlich 8,7 Geburten in Deutschland - auf
13,5 gestiegen ist. - Ich sehe an Ihrem Lächeln, dass
manche meinen, der Bürgermeister hätte sich persönlich
bemüht.
({0})
Nein, das ist nicht der Fall gewesen.
({1})
Er hat sich zwar bemüht, aber in einem anderen Sinne,
Herr Bergner. Dort sind nämlich wirklich exzellente Betreuungsmöglichkeiten geschaffen worden. Die ganze
Kommune hat an ihrer Familienfreundlichkeit gearbeitet.
Dieses Beispiel zeigt: Wir können etwas bewirken,
und zwar dort, wo die Familien leben und wo die Väter
und Mütter arbeiten, nämlich in den Kommunen, die das
Lebens- und Wohnumfeld gestalten, und in den Unternehmen, die die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz
schaffen. Vor Ort können die passenden Lösungen für
Probleme des Alltags gefunden werden. Die Familien
und die Akteure wissen selbst am besten, wo der Schuh
drückt.
Deshalb habe ich das Projekt „Lokale Bündnisse für
Familie“ ins Leben gerufen. Die Zielsetzung dieses
Bündnisses ist die Schaffung von familienfreundlichen
Arbeitszeiten in mehr Betrieben, von mehr familienfreundlichen Betreuungsmöglichkeiten und von familienfreundlicheren Rahmenbedingungen. Dazu sollen
vor Ort konkrete Verabredungen getroffen werden. Dadurch entsteht ein größerer Mut, Kinder zu haben.
Besonders wichtig ist mir die gute Zusammenarbeit
von Bund und prominenten Repräsentanten der Kommunen. Auf der lokalen Ebene soll die Allianz für Familie,
die ich auf Bundesebene ins Leben gerufen habe, ihre
Fortsetzung finden. Deshalb habe ich zusammen mit
starken Partnern aus Gesellschaft und Wirtschaft die Initiative „Lokale Bündnisse für Familie“ begründet. In
diesen lokalen Bündnissen schließen sich die Partner zusammen, die die Rahmenbedingungen für Familie gestalten. Neben Kommunen und Unternehmen sind dies
Vereine, Gewerkschaften, Verbände, Kirchen, freie
Wohlfahrtsträger und natürlich die Familien selbst.
In einigen Kommunen wurden bereits solche Initiativen für Familie gegründet. Sie tragen unterschiedliche
Namen, haben aber meistens die gleichen Zielsetzungen.
Ich möchte zwei dieser Initiativen als Beispiele nennen:
In meiner Heimatstadt Nürnberg hat der Stadtrat die
Kommune mit der Stadtverwaltung, den Stadtratsfraktionen, den Kirchen, Kammern, Gewerkschaften und freien
Trägern vernetzt. Mit diesem Bündnis soll ein familienfreundliches Bewusstsein und ein positives Klima für
Kinder geschaffen werden. Nur eine von vielen Maßnahmen, die bereits umgesetzt werden konnte: Mit familiengerechten Angeboten und günstigen Preisen wird die
Teilnahme von Familien am kulturellen Leben erleichtert.
Damit man nicht immer Beispiele aus Großstädten erwähnt, nun ein zweites Beispiel aus Ostfriesland. Zwei
Landkreise und eine Stadt werden zusammen mit
120 kleinen und mittelständischen Betrieben in einem
kommunen- und betriebsübergreifenden Bündnis tätig.
Eine solche überbetriebliche Verbindung von Firmen
fördert erfolgreich die Berufstätigkeit und Qualifizierung von Frauen mit Kindern durch gezielte Beratung
und Schulung.
Unsere Initiative „Lokale Bündnisse für Familie“
knüpft an solche Beispiele an. Wir wollen bestehende
Bündnisansätze bekannt machen. Sie sollen zur Nachahmung anregen und zeigen, was möglich ist - gemeinsam
und zum gegenseitigen Vorteil. Außerdem unterstützen
wir die Gründung neuer Bündnisse. Unser Ziel ist es,
dass in einem ersten Schritt mindestens 100 solcher
Bündnisse gegründet werden und sich etablieren. Viele
Einzelinitiativen sollen konkrete Verbesserungen vor Ort
herbeiführen und so zu einem familienfreundlicheren
Klima in unserem Land beitragen.
Die wichtigsten Bausteine dieser Initiative sind das
neu gegründete Servicebüro in Berlin und das OnlineHandbuch „Lokale Bündnisse für Familie“.
Bis Ende 2006 bietet das Servicebüro kostenlose Beratung beim Aufbau eines Bündnisses und bei der Verbesserung bestehender Bündnisse an. In Workshops werden die Grundlagen erfolgreicher Bündnisarbeit
vermittelt, damit der Start gelingt. Mitarbeiter des Servicebüros helfen bei der Moderation der Auftaktveranstaltung. Akteure vor Ort erhalten eine Einführung in
Pressearbeit. Ich könnte noch vieles andere nennen. Entscheidend sind immer die jeweiligen Anforderungen der
lokalen Bündnisse. Insofern steht auch das Leistungsspektrum des Servicebüros noch nicht endgültig fest. Es
wird sich parallel zu dieser Initiative entwickeln.
Eine weitere Unterstützung bieten wir mit dem Online-Handbuch „Lokale Bündnisse für Familie“, das man
auf der Homepage der Initiative finden kann. Darin stehen Ideen für ein familienfreundliches Wohnumfeld, Ansätze zur Verbesserung der Kinderbetreuung, Maßnahmen für eine Balance zwischen Beruf und Familie sowie
weitere Anregungen.
Fachlich und wissenschaftlich begleitet wird die Initiative vom Deutschen Jugendinstitut. Die Initiative steht
auch in Kooperation mit der Gemeinnützigen HertieStiftung und der Bertelsmann-Stiftung, die auch über das
Jahr 2006 hinaus an der Verwirklichung des Ziels von
mehr Familienfreundlichkeit arbeiten werden. Die Europäische Union unterstützt das Projekt finanziell.
Die Zusammenarbeit verschiedener Partner macht
den besonderen Charakter dieser Initiative aus. Die Art
und Weise, in der alle an einem Strang ziehen - jeder engagiert sich und steuert seinen Teil zum Ganzen bei -, ist
eine Form der Politik, die hoffentlich weite Kreise zieht.
Die Bundesregierung will aus dem Trend zur Familie
einen Trend zu mehr Kindern machen. Gemeinsam rufen
wir dazu auf, überall in Deutschland solche lokalen
Bündnisse für Familie zu gründen. Wer familienfreundlich handelt, ist ein Trendsetter. Meine Bitte an Sie, die
Abgeordneten: Helfen Sie mit und werben auch Sie für
diese Initiative! Dadurch kann das Ganze nämlich nur
noch erfolgreicher werden.
Ich bitte, zunächst Fragen zu diesem Themenbereich
zu stellen. - Ich habe bereits eine Reihe von Wortmeldungen vorliegen. Zunächst hatte sich die Kollegin
Maria Eichhorn von der CDU/CSU-Fraktion gemeldet.
Frau Ministerin, bereits 1992 hat die unionsgeführte
Bundesregierung die erste Auflage des Buches „Örtliche
und regionale Familienpolitik“ herausgegeben und den
Wettbewerb „Kinder- und familienfreundliche Gemeinde“ ausgelobt.
Es gibt Gott sei Dank etliche lokale Bündnisse. Die
einen nennen es „runder Tisch“ und die anderen „Bündnis für Familie“. Das haben wir, die Unionsfraktion, vor
zwei, drei Jahren in unserem Familienkonzept auch noch
einmal dargestellt. Es ist sicherlich gut, dass diese Initiative vonseiten der Bundesregierung, also von Ihnen, nun
fortgeführt und ausgebaut wird. Man kann sicher einiges
tun, ohne dass es Geld kostet. Ganz ohne finanzielle Unterstützung wird es aber nicht gehen. Das zeigt sich auch
an vielen Initiativen und Projekten in Bayern, die finanziell unterstützt werden. Es gibt aber auch runde Tische,
die bereits seit Jahren ohne finanzielle Unterstützung arbeiten.
Sie haben in Ihrer Presseerklärung gesagt, als Ergebnis könnten Sie sich längere Öffnungszeiten der Kindergärten vorstellen, da es um verbesserte Kinderbetreuungsmöglichkeiten gehe. Das kostet aber Geld, Frau
Schmidt. Darum stelle ich folgende Fragen: Was wollen
Sie tun, damit diese Vorhaben für die Verbesserung der
Kinderbetreuung angesichts der knappen - besser gesagt: der zum Teil katastrophalen - finanziellen Ausstattung der Kommunen tatsächlich zu verwirklichen sind?
Was wollen Sie grundsätzlich tun - zum Beispiel durch
eine kommunale Finanzreform -, um eine Verbesserung
der kommunalen Finanzen zu erreichen?
Sie haben gerade auch noch die Beratung angesprochen. Auch die Beratung kostet Geld.
({0})
Frau Kollegin Eichhorn, ich bitte, nur eine Frage zu
diesem Themenkomplex zu stellen.
Ja. - Es gibt bundeszentrale Träger, wie zum Beispiel
die Arbeitsgemeinschaft der Familienbildungsstätten.
Was haben Sie vorgesehen, damit diese finanziell besser
ausgestattet werden, sodass diese Arbeit vor Ort geleistet
werden kann?
Sehr geehrte Frau Eichhorn, zunächst zum ersten Teil.
Ich glaube, wir wären hier und heute überfordert, wenn
wir die Diskussion zu den Kommunalfinanzen, die zuletzt im Vermittlungsausschuss des Deutschen Bundestages und des Bundesrates geführt worden ist, noch einmal
führen würden. Es wäre schön gewesen, wenn bestimmte weitere Vorschläge von uns zur besseren Finanzausstattung der Kommunen nicht abgelehnt worden
wären. Wir brauchen jetzt nicht mehr nachzukarten, aber
die Konzepte lagen auf dem Tisch.
({0})
Wir sind uns darüber einig, dass natürlich die Möglichkeit bestehen muss, dass die Kommunen tatsächlich
tätig werden. Die Kommunen sind aber nicht alleine verantwortlich. Ich will gerne ein Stück weiter ausholen.
Wie Sie wissen, wollen wir die Kommunen mit den Mitteln, die durch die Verwirklichung des Hartz-Konzeptes
eingespart werden, ab dem Jahr 2005 mit 1,5 Milliarden
Euro jährlich in die Lage versetzen, ihren gesetzlichen
Auftrag zu erfüllen - dieser liegt nun einmal bei den
Kommunen -, die Betreuung für die unter Dreijährigen
bedarfsgerecht auszubauen und mehr Ganztagsplätze in
den Kindertagesstätten einzurichten.
Darüber hinaus muss aber auch die Wirtschaft versuchen, hier ihre Aufgaben zu erfüllen. Wir wissen - Sie haben darauf hingewiesen -, dass es bereits solche kommunalen Bündnisse gibt - bundesweit sind es insgesamt 40 -, die die unterschiedlichsten Namen tragen und
unterschiedlich konzeptioniert sind. Das ist noch zu wenig. Deshalb wollen wir dies ausbauen. Im Rahmen solcher Bündnisse - aber auch darüber hinaus - gibt es Initiativen. Ich nenne zum Beispiel die Initiativen von
kleinen und mittelständischen Unternehmen, die in einer
Kommune eine bestimmte Zahl von Ganztagsplätzen für
die Kinder ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und,
wenn sie von ihnen nicht wahrgenommen werden, auch
für die Kinder anderer Menschen in dieser Kommune bereitstellen.
Ich möchte die Kommunen auch durch Beratung unterstützen. Das Servicebüro ist nicht kostenlos, sondern
wird uns bis zum Jahr 2006 insgesamt 4 Millionen Euro
kosten, ungefähr zur Hälfte durch den Europäischen
Sozialfonds finanziert. Ich möchte aber eines nicht tun:
Ich möchte dadurch nicht die Aufgabenstellung der
unterschiedlichen Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik Deutschland verändern. Es gibt Bundeszuständigkeiten, Länderzuständigkeiten und kommunale Zuständigkeiten. Wir werden nicht versuchen, über lokale
Bündnisse für Familie diese Zuständigkeiten in irgendeiner Art und Weise zu vermischen.
({1})
Die nächste Frage hat die Kollegin Ina Lenke von der
FDP-Fraktion.
Frau Ministerin, was Sie hier als sehr großen Erfolg
verkaufen, ist ganz normale Ministeriumsarbeit. Ich
möchte deshalb etwas anderes ansprechen. In Ministerien muss konzeptionell und ordnungspolitisch gedacht
werden. Da Sie gesagt haben, dass mehr für die Familie
und die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit
getan werden muss, möchte ich Sie auf unser neues
Steuerkonzept verweisen. Wir sind hier Trendsetter;
denn wir fordern die Abschaffung der Steuerklasse V.
({0})
Jeder, der einmal in Steuerklasse V gearbeitet hat, weiß,
dass diese Steuerklasse gestrichen werden muss. Davon
würden Frauen profitieren. Ich würde mich freuen, wenn
Sie uns da unterstützen könnten.
Meine Frage: Wie sieht eigentlich das Konzept zur
Betreuung der unter Dreijährigen aus? Sie haben
versprochen, den Kommunen ab 2004 jährlich
1,5 Milliarden Euro dafür zu geben. Dies haben Sie auf
2005 verschoben. Ich habe heute bisher von Ihnen noch
kein ordentliches Konzept für Kinderbetreuung gehört,
zum Beispiel bei den Tagesmüttern. Sie wissen, dass in
diesem Bereich sehr viel schwarzgearbeitet wird. Noch
einmal: Wie genau ist Ihr Konzept zur Betreuung von
Kindern unter drei Jahren? Wie wollen Sie da ordnungspolitisch und konzeptionell vorgehen?
Frau Lenke, ich bin gerne bereit, auch über die Frage
der Steuerklasse V zu diskutieren. Ich glaube aber, dass
dies weniger mit den lokalen Bündnissen zu tun hat.
Über dieses Problem sollten wir uns einmal im Ausschuss unterhalten. Ich bin mit Ihnen einig, dass die
Einkommensteuerklasse V für manche Frauen eine Benachteiligung darstellt. Das gilt insbesondere für diejenigen, die durchgängig erwerbstätig sind und nicht nur gelegentliche Aushilfstätigkeiten ausüben.
Ich habe dem Finanzministerium vorgeschlagen, dies
im Zusammenhang mit der Abschaffung der Lohnsteuerklassen insgesamt zu machen, die unmittelbar bevorsteht. Mit der Umstellung auf eine elektronische
Bearbeitung können die Einkommen - je nach Größenordnung - entsprechend besteuert werden. In dieser
schwierigen Angelegenheit stehen wir in engem Kontakt
mit dem Finanzministerium.
Zu Ihrer Frage, die nicht unmittelbar mit den lokalen
Bündnissen für Familie zu tun hat: Ich habe Ihnen im
Ausschuss angekündigt und wiederhole es hier, dass es
im Jahr 2004 ein Gesetzgebungsverfahren zum Kinderund Jugendhilferecht in enger Abstimmung mit den
Kommunen und den Ländern geben wird. Auch wenn
dieses Gesetz nicht zustimmungspflichtig ist, wollen wir
ihre Zustimmung erreichen. Wir wollen dafür sorgen,
dass in diesem Gesetz Qualität und Bildungsziele, wie
sie in der Nationalen Qualitätsinitiative festgehalten
sind, die Behandlung der Tagespflege sowie der Bedarf
für die Betreuung der unter Dreijährigen so definiert
werden, dass die Kommunen Spielräume haben, um sich
auf den konkreten Bedarf vor Ort einzurichten. Wir werden aber sicherstellen, dass die 1,5 Milliarden Euro, die
wir zur Verfügung stellen, für diesen Zweck ausgegeben
werden.
Die nächste Frage hat die Kollegin Christel Humme.
Frau Ministerin, zunächst einmal herzlichen Dank für
die Darstellung des Projekts „Lokale Bündnisse für Familie“. Sie haben uns gerade aufgefordert, dieses Projekt
nach allen Kräften zu unterstützen. Ich denke, dies ist
eine der kommenden Aufgaben der Abgeordneten. Von
daher kann ich für uns sagen, dass wir dies mit Sicherheit tun werden.
Ich glaube, das, was auch schon gesagt hat, ist richtig,
nämlich dass es schon einige runde Tische und Aktivitäten gibt, aber nicht flächendeckend. Daher ist zu begrüßen, dass das Ministerium eine Servicestelle einrichten
will, um die Aktivitäten, die vorhanden sind, zu unterstützen und weitere Aktivitäten zu entwickeln.
Wir brauchen in der Tat in den Kommunen und vor
Ort ein stärkeres Bewusstsein für Familie. Da haben wir
noch eine Menge zu tun. Wenn Sie, Frau Ministerin,
vielleicht einmal darstellen könnten, welche Vorteile
- es geht darum, zu transportieren, welche Vorteile die
Unternehmen und die Kommunen haben - dieses Projekt
hat, wäre ich sehr dankbar.
Sehr geehrte Frau Humme, wir haben im letzten Jahr
eine Vielzahl von Studien in Auftrag gegeben und die
Ergebnisse vorstellen können. Die Studien erhärten die
These, dass es Vorteile bringt, wenn wir zu einer besseren Vereinbarkeit von Kindererziehung und Erwerbstätigkeit beitragen. Das ist gut für die Kinder selbst, aber
auch für die Volkswirtschaft insgesamt, insbesondere die
Unternehmen und die Kommunen.
Die DIW-Studie hat deutlich gemacht, dass der Ausbau der Kinderbetreuung einen volkswirtschaftlichen
Vorteil auf allen Ebenen bedeutet. Nun mache ich mir
keine Illusion. Das findet nicht nach dem Motto statt: Ich
investiere und am nächsten Tag habe ich schon die Vorteile. Die Vorteile hat man erst mit einer gewissen Zeitverzögerung. Insgesamt wird aber deutlich, dass mehr
Mütter erwerbstätig sein können, was sie in einem hohen
Ausmaß wollen. Das bedeutet, dass sie unter Umständen
von Sozialhilfeempfängerinnen zu Erwerbstätigen werden, Steuern und Sozialabgaben zahlen und dadurch die
Sozialleistungen, die aufzuwenden sind, gemindert werden.
Es wurde durch eine zweite Studie, die der Prognos
AG bei mittelständischen Unternehmen, deutlich, dass
die Kinderbetreuung und familienfreundliche Arbeitsbedingungen - dafür sind an erster Stelle die Unternehmen
zuständig - betriebswirtschaftliche Vorteile bringen.
Alle diese Studien sind in unserem Ministerium abrufbar. Ich nenne hier nur eine Zahl: Jeder eingesetzte Euro
bringt eine Rendite von mindestens 25 Prozent. Wenn
alle Investitionen in einem Unternehmen eine solche
Rendite hätten, wären die Unternehmen wahrscheinlich
sehr froh.
Wir haben noch eine dritte Studie, nämlich die Studie
von Herrn Rürup zur nachhaltigen Familienpolitik.
Darin wurde noch einmal deutlich, welchen zentralen
Stellenwert für unsere Volkswirtschaft, für unser Bruttosozialprodukt und unser wirtschaftliches Wachstum
der Ausbau der Kinderbetreuung hat. Durch den zusammen mit den Arbeitgeberorganisationen durchgeführten Monitor Familienfreundlichkeit bei insgesamt
10 000 Unternehmen wurde deutlich, dass erstens in einem gewissen Ausmaß ein Umdenken stattfindet, aber
zweitens in 70 Prozent der Unternehmen noch kein Problembewusstsein vorhanden ist.
Das wissen wir jetzt alles. Ich konnte das nur schlaglichtartig beleuchten. Da uns Wissen allein nicht vorwärts bringt, müssen wir schauen, dass wir das Wissen
konkret umsetzen. Dazu dienen gesetzliche Maßnahmen
über diejenigen hinaus, die ich Frau Lenke genannt habe,
nur in begrenztem Ausmaß. Wir haben den Anspruch auf
Teilzeitarbeit und wir haben eine flexible Elternzeit. An
gesetzlichen Maßnahmen wurde in diesem Zusammenhang nahezu alles getan. Trotzdem wird zu wenig umgesetzt. Zu dieser Umsetzung sollen die lokalen Bündnisse
für Familie dienen. Ich sage noch einmal: Das würde
auch zu unserer wirtschaftlichen Prosperität beitragen.
({0})
Ich habe eine größere Zahl von Wortmeldungen.
Wenn Sie sich bei den Fragen wie bei den Antworten
kürzer fassen würden, könnten wir sie alle aufrufen.
Denn wir haben jetzt nur noch 16 Minuten Zeit.
Die nächste Frage hat die Kollegin Renate
Gradistanac.
Frau Familienministerin, ich freue mich sehr, dass Sie
daraus eine Kampagne machen und die Diskussion vor
Ort fördern wollen. Ich glaube, dass sich das von der
letzten Kampagne entscheidet. Ich weiß, dass es einzelne
Bündnisse gibt, allerdings sind sie, glaube ich, in BadenWürttemberg besonders spärlich. Sie sagen, dass
70 Prozent der Unternehmen keine entsprechende Sensibilität besitzen. Das trifft zumindest für Baden-Württemberg zu. Ich komme aus dem Schwarzwald. Dort haben
die Unternehmen noch viel Nachholbedarf.
Sie haben sich mit diesem Thema auch an die Wirtschaft herangewagt. Wie ich höre, sind Sie da sehr erfolgreich. Könnten Sie uns die Partner in der Wirtschaft
und in der Gesellschaft nennen? Ich denke, dass Sie es
geschafft haben, das Engagement in den lokalen Bündnissen vor Ort zu einer Verpflichtung zu machen. Mich
interessiert besonders, ob auch Baden-Württemberg daran beteiligt ist.
Wir führen eine bundesweite Kampagne durch, die
ich initiiert habe. Ich kann übrigens nicht bestätigen,
dass sich in Baden-Württemberg flächendeckend nichts
tut. Angefangen bei den Firmen Weleda und Rösch in
Tübingen könnte ich Ihnen eine ganze Reihe von Unternehmen nennen, die dort bereits heute viel tun. Von der
IHK Heilbronn-Franken ist mir bekannt, dass sie dazu
beitragen will, diese Region zur familienfreundlichsten
Region in Deutschland zu machen. Es freut mich, wenn
solche Wettbewerbe zustande kommen.
Für unser Kuratorium, das die lokalen Bündnisse für
Familie begleitet, haben wir uns auf die Bundesrepräsentanz verständigt. Zu den Beteiligten gehören der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages,
Herr Braun, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Herr Philipp, der Bundesvorsitzende
des DGB, Michael Sommer, und die Hertie-Stiftung.
Besonders wichtig ist mir, dass sehr viele Kommunalpolitiker und -politikerinnen beteiligt sind. Was BadenWürttemberg angeht, ist meines Wissens auch die Oberbürgermeisterin von Heidelberg, Frau Weber, vertreten.
Ich betone aber noch einmal, dass es sich nicht ausschließlich um SPD-Oberbürgermeister und -bürgermeisterinnen handelt; ich habe vielmehr Wert darauf
gelegt, dass die Beteiligung parteiübergreifend erfolgt.
Denn ich möchte, dass sich alle Seiten daran beteiligen.
Es sollte in der Tat ein Wettbewerb zustande kommen,
aber dies im besten Sinne.
({0})
Die nächste Frage hat die Kollegin Rita Pawelski von
der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Ministerin, die Bundesregierung hat schon vor
Jahren mit den Wirtschaftsverbänden eine Vereinbarung
getroffen mit dem Ziel, die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf in den Betrieben zu verbessern. Inwieweit beteiligt sich der Staat als Arbeitgeber an dieser Zielsetzung und inwieweit beteiligt sich der Staat als Arbeitgeber an den lokalen Bündnissen? Denn bei einem lokalen
Bündnis zum Beispiel in Berlin, spielt der Staat als Arbeitgeber eine wichtige Rolle.
Es ist sicherlich richtig - deshalb lege ich auch Wert
darauf -, dass sich vor Ort die Kommunen beteiligen
und in den Bündnissen vertreten sein müssen. Wenn die
Kommunen als staatliche Organe nicht vertreten sind, ist
meiner Ansicht nach das gesamte Vorhaben zum Scheitern verurteilt. Wenn die staatlichen Organe außen vor
blieben, können sie nur Vorschläge machen, die aber sicherlich nicht umgesetzt würden. Ich glaube, dass sich
alle gemeinsam in die Pflicht nehmen lassen müssen.
Wenn ich es richtig verstanden habe, haben Sie danach gefragt, welchen Beitrag der Bund leistet.
({0})
In meinem Ministerium wie auch in anderen Ministerien
sind viele Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von
Kindern und Erwerbstätigkeit, angefangen bei variablen
und flexiblen Arbeitszeitsystemen bis hin zu besseren
Kinderbetreuungsmöglichkeiten, in Angriff genommen
worden. Ich hatte erst kürzlich mit einem strittigen Fall
im Zusammenhang mit einem Betriebskindergarten in
Bonn zu tun, den mein noch dort ansässiges Ministerium
auch für andere Ministerien dort betreibt.
Es gibt bereits eine ganze Reihe von Initiativen. Was
mein Ministerium betrifft, können wir sicherlich sogar
ein Stück weit als Vorbild dienen. Ob das allerdings für
alle gleichermaßen zutrifft, wage ich zu bezweifeln. In
diesem Punkt gebe ich Ihnen Recht. Eine Aktion, wie
wir sie durchführen wollen, kann hier zu einem besseren
Drive führen.
({1})
Die nächste Frage hat die Kollegin Ingrid Fischbach.
Frau Ministerin, ich möchte Ihnen zunächst einmal
für die gute Idee danken, die Betriebe, den Mittelstand
und die Industrie in die Familienpolitik einzubeziehen,
die übrigens seinerzeit schon von der Ministerin Nolte
verfolgt wurde. Sie hat bereits in den 90er-Jahren Wettbewerbe wie die Wahl des familienfreundlichsten Betriebs ausgelobt. Frau Kollegin Gradistanac hätte sich
besser informieren sollen: Diesen Wettbewerb haben
baden-württembergische Betriebe gewonnen. Denn sie
haben diese Idee auf wunderbare Weise aufgegriffen und
deutlich gemacht, dass sich Familienfreundlichkeit für
die Betriebe lohnt und rechnet.
Frau Ministerin, Sie haben gegen Ende Ihrer Ausführungen gesagt, der Trend zur Familie soll ein Trend zu
mehr Kindern werden; dieses würde familienfreundliches Handeln bedingen. Kann ich daraus ableiten, dass
Sie zukünftig bei allen Gesetzgebungsverfahren, die auf
Bundesebene erfolgen, eine Familienfreundlichkeitsprüfung durchführen werden?
Frau Kollegin, ob das eine formale Prüfung sein
muss, stelle ich infrage. Aber dass mein Ministerium,
das unter anderem für Familien und Kinder zuständig ist,
die Gesetzentwürfe der Bundesregierung und des Parlaments daraufhin zu überprüfen hat, wie sie sich auf Kinder, Jugendliche und die Familien insgesamt auswirken,
versteht sich in meinen Augen von selbst. Dazu fühle ich
mich regelmäßig aufgefordert. Gerade im letzten Jahr
hatten wir damit nicht gerade wenig Arbeit.
({0})
Vielen Dank. - Die nächste Frage stellt die Kollegin
Michaela Noll.
Sehr geehrte Frau Ministerin, ich freue mich natürlich
über das Engagement für lokale Bündnisse. Ich habe
aber eine konkrete Frage. Wir alle wissen: „Ohne Moos
nix los!“ Wir wissen außerdem, wie es in den Kommunen aussieht und dass es 40 000 Insolvenzen gibt. In der
Pressemitteilung der Bundesregierung vom 8. Januar
2004 steht: „Sie bezuschusst die Ganztagsbetreuung von
Kindern in Unternehmen.“ - Ich hätte gern dazu eine
Auskunft, wie das in der Praxis aussehen soll; denn ohne
eine entsprechende Finanzierung wird es relativ schwierig sein, die Unternehmen dazu zu bewegen, dass sie
mehr Ganztagsbetreuung für Kinder anbieten.
Das stimmt nicht, Frau Kollegin. Es ist nicht daran
gedacht, dass der Bund das Engagement einzelner Unternehmen bezuschusst. Ich bin aber sehr offen für Vorschläge - teilweise sind sie schon vorhanden, teilweise
müssen sie noch verifiziert werden -, die dazu dienen,
den Großbetrieben zu helfen, die beispielsweise wie
MTU in München Kinderbetreuung in Eigenregie durchführen wollen - für kleine und mittlere Betriebe lohnt
sich so etwas nicht - und die dabei feststellen, dass sie
eine Vielzahl von bürokratischen Hindernissen zu überwinden haben. Wenn sich hier Notwendigkeiten für eine
Gesetzesänderung ergeben, dann sind wir gerne bereit,
diese in Angriff zu nehmen. Das Ganze hat sich aber
noch nicht genügend erhärtet.
Wir denken, wie gesagt, nicht an Zuschüsse durch den
Bund. Ich sage noch einmal: Für Kinderbetreuung und
deren Finanzierung gibt es eine verfassungsmäßig festgelegte Zuständigkeit. Diese liegt bei den Kommunen
und nicht beim Bund. Dass wir dabei helfen, weil wir
das für die Modernisierung unseres Landes für dringend
notwendig halten, ist in meinen Augen schon außergewöhnlich. Aber vor dem Hintergrund, dass Deutschland
in dieser Beziehung Schlusslicht in Europa ist, versteht
sich das meines Erachtens von selbst. Deshalb werden
wir das tun.
Ich glaube, solche Anstöße wie die lokalen Bündnisse
können dazu dienen, dass Unternehmen einsehen, dass
es in ihrem eigenen Interesse ist, hier etwas zu tun. Ich
betone noch einmal: Die Unternehmen, die selber Kinderbetreuungseinrichtungen betreiben, sagen, dass sich
diese Investitionen für sie lohnten; denn unter dem
Strich rechneten sich solche Investitionen dadurch, dass
man an anderen Stellen einen Gewinn habe, zum Beispiel durch geringere Personalbeschaffungskosten und
geringere Krankenstände.
Vielen Dank. - Die nächste Frage stellt der Kollege
Dr. Christoph Bergner.
Frau Ministerin, Sie haben - wie ich meine: aus gutem Grund - die bedrückende Geburtenstatistik zum
Ausgangspunkt Ihrer Ausführungen gemacht. Die negative Geburtenentwicklung hat den Nebeneffekt, dass Familien mit Kindern in unserer Bevölkerung immer mehr
in eine Minderheitenposition geraten. Ich denke insbesondere an großstädtische Siedlungsgebiete, in denen
das bereits gegenwärtig in gravierendem Maße der Fall
ist. Dies hat zur Konsequenz, dass die Interessen von
Familien mit Kindern im demokratischen Willensbildungsprozess eigentlich kaum noch angemessen wahrgenommen werden können, gerade wenn es um Interessenkonflikte geht, in deren Mittelpunkt Kinder stehen.
Jedenfalls besteht die Gefahr, dass die Vertreter dieser
Interessen überstimmt werden.
Frau Ministerin, Sie wissen, dass sich Kolleginnen
und Kollegen dieses Hauses um eine Wahlrechtsänderung bemühen. Auch wenn ich diesen Weg für falsch
halte, denke ich, dass das Problem wichtig ist. Deshalb
frage ich Sie: Zeigen Sie mit Ihrer Initiative auch Wege
auf, mit denen man die Mitwirkungsmöglichkeiten von
Familien mit Kindern im demokratischen Willensbildungsprozess in den Regionen verstärken und verbessern kann?
Herr Kollege Bergner, die lokalen Bündnisse sind genau ein solches Instrument. Vielleicht entwickeln sich
daraus weitere Instrumente. Sie kennen meine Position
zu dem von Ihnen erwähnten Antrag, der in das Parlament eingebracht worden ist. Sie wissen auch, dass das
nicht die Position der Bundesregierung ist. Ich erhoffe
mir aber allein durch eine breite Diskussion über eine
eventuelle Änderung des Wahlrechtes Bewusstseinsveränderungen in der Gesellschaft, die dazu beitragen können, dass man Familien mehr einbezieht.
Für mich ist ein lokales Bündnis für Familien erst
dann vollständig, wenn die Familien selbst und ihre Vertretungen, also Elternbeiräte in Kindertagesstätten, in
Schulen, Familienorganisationen, daran beteiligt sind.
Diejenigen lokalen Bündnisse, die bisher erfolgreich waren, weisen genau das auf: Nicht nur die Fachleute, die
Kinder- und Jugendhilfepolitiker und Vertreter von
Kammern und Ähnlichem, reden dort miteinander, vielmehr werden die Familien einbezogen.
Ich habe in meinem einführenden Referat gesagt, dass
die Familien am besten wissen, wo sie der Schuh drückt.
Es wäre in meinen Augen falsch, ihre Erfahrungen nicht
einzubeziehen.
({0})
Wenn es keine Fragen außerhalb dieses Themenbereichs gibt, dann können wir die letzten fünf Minuten
nutzen, um die vorliegenden Wortmeldungen abzuwickeln. - Das scheint der Fall zu sein.
Der Kollege Klaus Haupt hat das Wort.
Frau Ministerin, ich begrüße ausdrücklich jede Initiative, die dazu beiträgt, dass Deutschland familien- und
kinderfreundlicher wird. Ich glaube, wir sind uns einig:
Familienfreundlichkeit und Kinderfreundlichkeit kann
man nicht trennen; das eine bedingt das andere.
Das zeigen auch einige Beispiele, die Sie hier angeführt haben. Eine kinderfreundliche Kommune ist
einfach lebens- und liebenswerter. Ich habe bei den Initiatoren - Stichwort Wohnumfeld - einen Mangel festgestellt. Daraus resultiert meine Frage. Ich schließe damit an das an, wonach Herr Bergner gefragt hat. Es ging
ihm um den Einfluss und die Mitentscheidungsrechte
von Familien. Wir beide wissen, dass Kinder laut UNKinderrechtskonvention das Recht haben, bei allen Dingen, die sie betreffen - das umfasst auch das Wohnumfeld -, mitzubestimmen.
Ich frage ganz konkret: Wie kann die Partizipation
von Kindern - darüber wird auch in Ihrem Hause diskutiert - mit der von Ihnen vorgestellten Bewegung vernetzt und gekoppelt werden? Ich frage, weil ganz entscheidend sein wird, dass die betroffenen Kinder dort ein
Mitspracherecht bekommen, wo sie mitentscheiden dürfen.
Herr Kollege Haupt, ich bedanke mich ausdrücklich
für diese noch einmal geäußerte Anregung. Wir haben
den lokalen Bündnissen natürlich nicht im Einzelnen
vorgeschrieben, wie es abzulaufen hat. Ich habe in meinen Eingangsbemerkungen deutlich gemacht: Ich
möchte, dass sich die unterschiedlichsten Formen und
Strukturen etablieren.
Das Servicebüro wird Anregungen wie die von Ihnen
gerade gemachte in die lokalen Bündnisse einspeisen.
Wir werden dort, wo das nicht geschieht, darauf aufmerksam machen, dass Kinder - auch nach der
UN-Kinderrechtskonvention - das Recht haben, die sie
betreffenden Angelegenheiten mitzugestalten. Wir werden dort, wo das nicht von selbst geschieht, den gebotenen Einfluss ausüben, um das umzusetzen, was Sie hier
richtigerweise geäußert haben.
Die nächste Frage stellt der Kollege Andreas Scheuer.
Frau Ministerin, ich mache eine Vorbemerkung, weil
Sie gesagt haben, dass Sie im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe etwas erarbeiten wollen. Wenn Sie der Bundesratsinitiative, die momentan beraten wird, zustimmen
würden, dann könnten wir uns diese Arbeit sparen, weil
sie in enger Abstimmung mit der Praxis und den Kommunen - das hat die Anhörung gezeigt - entwickelt wurde.
Zur Politik von Rot-Grün könnte man sagen: Für alles
eine schöne Kampagne, aber wenig Taten. - So einfach
möchte ich es mir jedoch nicht machen. Trotzdem müssen wir am Image arbeiten. Ich bedanke mich für diese
Initiative. Wir wollen einmal sehen, welche Werbeagentur diese Kampagne durchführen soll! Wir werden auch
auf die Evaluierungskosten, die bei dieser Kampagne anfallen, schauen, damit es nicht wieder eine Selbstbeschäftigung im eigenen Haus wird.
({0})
Wie teilen sich die Kosten für das Servicebüro Berlin
in Höhe von 4 Millionen Euro - Sie haben diese Zahl genannt - auf? Sie haben vom Online-Handbuch „Lokale
Bündnisse für Familie“ und von der Homepage dieser
Initiative geredet. Können Sie das einmal genau aufschlüsseln? Für die Information wäre ich Ihnen dankbar.
Wird ein zusätzliches Gebäude angemietet oder läuft das
im Ministerium ab? Wie hat man sich das Servicebüro in
operativer Hinsicht vorzustellen?
Das Servicebüro hat seinen Sitz in Bonn. Insgesamt
ist ein Finanzvolumen von 4,231 Millionen Euro notwendig. Davon zahlt der Europäische Sozialfonds
2,001 Millionen Euro. Wir werden für das Online-Handbuch insgesamt 85 000 Euro ausgeben. Dem Deutschen
Jugendinstitut, das das ganze Vorhaben begleitet und
damit auch evaluiert, werden dafür insgesamt
296 000 Euro zur Verfügung gestellt werden. Die große
Masse des Geldes geht also in die konkrete Beratung und
Unterstützung der lokalen Initiativen. Wir haben weder
irgendeine Werbeagentur noch sonst jemanden beauftragt, sondern wir wollen versuchen, das Projekt erfolgreich durchzuführen und möglichst viele solcher lokalen
Bündnisse zu installieren.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auch noch
einmal auf das eingehen, was einige Ihrer Kolleginnen
schon gesagt haben. Ja, es stimmt; so eine Idee ist natürlich schon da gewesen. Ich habe mich darüber gefreut.
Man kann doch voneinander lernen. Es ist um Himmels
willen nicht so, dass die Weisheit immer nur auf einer
Seite des Hauses ist. Wenn etwas gut begonnen hat, aber
leider Gottes irgendwo stecken geblieben ist - bundesweit sind es insgesamt nur, meine ich, 40 solcher Initiativen -, dann ist es in meinen Augen an der Zeit, weiterzuhelfen. Ich glaube, dass auf freiwilliger Basis manchmal
Besseres entsteht als durch gesetzliche Vorschriften.
({0})
Die Zeit für die Befragung der Bundesregierung ist
eigentlich abgelaufen. Mir liegen noch drei Wortmeldungen vor. Wenn Sie einverstanden sind, rufe ich die noch
auf; das ginge dann auf Kosten der Zeit für die Fragestunde. Aber die Zahl der Fragen ist heute ohnehin nicht
so groß. - Dann verfahren wir so.
Die nächste Frage hat der Kollege Thomas
Dörflinger.
Frau Ministerin, um der Gefahr vorzubeugen, die der
Kollege Scheuer eben beschrieben hat, nämlich dass das
Ganze ein Selbstbefassungsprogramm für PR-Agenturen
oder auch für Ihr Haus wird,
({0})
muss natürlich ein bisschen „Butter bei die Fische.“
Sie haben von einem Leitfaden für Pressearbeit gesprochen. In einem lokalen Bündnis für Familie, in dem
professionelle Kräfte aus der öffentlichen Verwaltung
und aus Unternehmen sitzen, braucht meines Erachtens
niemand einen Leitfaden für Pressearbeit. Die Leute
wissen, wie das geht. Sogar ein Privatmann kriegt es auf
die Reihe, einen Zeitungsartikel zu schreiben oder ein
Rundfunkinterview zu führen;
({1})
das wird ja ordentlich zusammengeschnitten.
Mir geht es aber noch um etwas ganz anderes, was Sie
eben auch angedeutet haben. Ist denn sichergestellt,
dass, wenn sich aus diesen lokalen Bündnissen für Familie Handlungsbedarf ergibt, der über den eigentlichen
Zuständigkeitsbereich der Kommunen deutlich hinausgeht, der politische Handlungsbedarf, der sich daraus
beispielsweise auf der Bundesebene ergibt, nicht nur dokumentiert, sondern anschließend auch in die Tat umgesetzt wird?
Beispiel: Es wird sich relativ schnell herausstellen,
dass die Betreuungsfrage, die jetzt diskutiert wird, nicht
allein durch die Schaffung von Ganztagseinrichtungen
gelöst werden kann, weil zum Beispiel Kindergärten
sowohl in Unternehmen als auch in der öffentlichen Verwaltung nur ab einer bestimmten Größe möglich sind.
Alles das, was darunter liegt, beispielsweise im ländlichen Raum Gemeinden mit 1 000, 2 000 oder 3 000 Einwohnern, fällt durch den Rost.
Ist also sichergestellt, dass das in der Weise evaluiert
wird und anschließend auch die politischen Konsequenzen daraus gezogen werden?
Herr Kollege Dörflinger, es ist so, wie ich vorhin gesagt habe, nämlich dass wir das bis zum Jahr 2006 ausgelegt haben. Mein hohes Interesse richtet sich darauf,
dann wirklich zu wissen: Erstens. Was hat sich auf der
kommunalen Ebene tatsächlich getan? Das ist der eine
wichtige Aspekt. Zweitens. Welchen Handlungsbedarf
gibt es über die kommunale Ebene hinaus, wie Sie es gerade geschildert haben, auf anderen Ebenen - das können die Länder sein, das kann der Bund sein -, der erfüllt
werden muss, um Verbesserungen für Familien zu erreichen? Daraus müssen dann die Konsequenzen gezogen
werden. Ich bitte um Verständnis dafür, dass das am
Ende und nicht am Anfang geschieht. Wir fangen ja gerade erst mit diesen lokalen Bündnissen an.
Sie haben außerdem gesagt, dass ich von einem Leitfaden für Pressearbeit gesprochen hätte. Das haben Sie
wahrscheinlich falsch verstanden; vielleicht habe ich
mich auch versprochen. Ich habe jedenfalls gemeint:
Wenn es vor Ort gewünscht wird, werden wir unter Umständen auch bei der Presse- und Medienarbeit helfen.
Ich möchte mit diesem Büro vor allem auf die Bedürfnisse der Kommunen und dieser lokalen Bündnisse abstellen und ihnen nichts vorschreiben. Nur wenn wir so
verfahren, wird etwas Vernünftiges daraus.
({0})
Deshalb ist es nicht geplant, einen Leitfaden für Pressearbeit zu erstellen, vielmehr wird es ein Handbuch für
Unternehmen geben, in dem dargestellt wird, wie familienfreundliche Unternehmenspolitik gemacht werden
kann. Das wird gemeinsam mit der IHK erarbeitet; wir
befinden uns da im Moment kurz vor dem Abschluss
und werden es Ihnen dann auch zur Verfügung stellen.
Ich glaube, daraus kann dann wirklich etwas Vernünftiges werden.
({1})
Die nächste Frage hat die Kollegin Hannelore Roedel.
Frau Ministerin, Sie haben in einer Ihrer Presseerklärungen bemerkt, dass es Ihnen gelungen sei, die Wirtschaft miteinzubeziehen; im gleichen Atemzug haben
Sie die Schuld für das familienfeindliche Klima in unserem Land eindeutig der Wirtschaft zugewiesen. Das liegt
mir schriftlich vor. Sie können es ja klarstellen, wenn Sie
es anders sehen. Ist es nicht eher so, dass es die falsche
Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung
den Unternehmen unmöglich macht, irgendwo Geld locker zu machen, das nötig wäre, um für familienfreundlichere Regelungen zu sorgen?
Sehen Sie es nicht auch so, dass Frauen keine Motivation haben, Kinder zu bekommen, weil sie nicht wissen,
wie es später mit der Rückkehr in den erlernten Beruf
aussieht, sie also um ihren Arbeitsplatz fürchten?
Es gibt - das betone ich ausdrücklich - keine familienfeindliche Wirtschaft. Ich habe wirklich sehr engen
Kontakt und gutes Einvernehmen sowohl mit den Präsidenten des BDA, des BDI, des DIHK als auch des
Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Wir führen
kontinuierliche Arbeitsgespräche und unterstützen uns
gegenseitig. Herr Hundt und ich haben gemeinsam - er
war bei dieser Pressekonferenz dabei - den Monitor
Familienfreundlichkeit vorgestellt. Erstmals werden
10 000 Wirtschaftsunternehmen anhand eines Fragebogens mit über 40 Fragen gefragt, wie sie es mit der Familienfreundlichkeit halten, wo sie Hinderungsgründe
sehen usw.
Ihr Zitat bezieht sich wahrscheinlich darauf, dass sich
zwar auf der einen Seite eine zunehmende Zahl von Unternehmen Gedanken über familienfreundliche Arbeitszeiten macht, aber bei immerhin rund 70 Prozent der Unternehmen - darauf dürfte sich wahrscheinlich das Zitat
beziehen; das hat nichts mit der aktuellen wirtschaftlichen Situation zu tun - kein Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass es auch ihre Aufgabe ist, Familienpolitik zu
betreiben. Herr Hundt und ich sehen unsere gemeinsame
Aufgabe darin, dieses Bewusstsein zu wecken. Dazu tragen auch die lokalen Bündnisse bei. Wir werden den Familienmonitor gemeinsam fortschreiben und in regelmäßigen Abständen von zwei bis drei Jahren vorlegen,
damit wir erkennen, ob sich in diesem Bereich etwas geändert hat.
({0})
Die letzte Frage hat die Kollegin Kerstin Griese.
Vielen Dank. - Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir sprechen über die lokalen Bündnisse
für Familie. Ich bin immer noch ganz erschüttert, dass
der Kollege Scheuer meint, mit dem Streichen der Hilfen
für seelisch behinderte Jugendliche, Kinder und junge
Erwachsene könne man mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit erreichen. Unsere Anhörung hat ja das
Gegenteil bewiesen.
({0})
Eine Frage an Sie, Frau Ministerin, zu den lokalen
Bündnissen. Ich finde es gut - das ist ja auch gut gelungen -, dass Sie auf breiter Grundlage eingeladen und
verschiedene Träger wie die Kammern, die Kirchen und
die Wohlfahrtsverbände einbezogen haben. Der Kollege
Tauss ruft dann ja immer von hinten, dass es sich hierbei
auch um ein Männerthema handele. Auch das ist richtig,
sie müssen bei den lokalen Bündnissen für Familie mitmachen. Deshalb beglückwünsche ich Sie zunächst zu
dem guten Auftakt und frage: Wie geht es weiter? Was
haben Sie vor? Was sind die weiteren Schritte nach
diesem Auftakt? Wir alle hoffen und werden sicherlich
gerne dazu beitragen, dass möglichst viele solcher
lokalen Bündnisse gegründet werden. Was planen Sie
also, um dem noch weiteren Nachdruck zu verleihen?
Jetzt müssen natürlich erst einmal weitere entstehen.
Wir werden außerdem mit der geplanten Handreichung
den Unternehmen - das habe ich ja gerade gesagt Wege aufzeigen, wie sie eine familienfreundliche Unternehmenspolitik gestalten können, und ihnen Antwort auf
die Frage geben, was eigentlich dazu gehört. Am
11. Mai 2004, also noch in der ersten Hälfte dieses Jahres, wird in der Dortmunder Westfalen-Halle eine Fachtagung stattfinden, auf der positive Beispiele für Bündnisse, die es bis dahin gibt, aufgezeigt werden. Das
Interesse daran ist, wie sich jetzt schon abzeichnet, groß.
Das wird hoffentlich dazu führen, dass manche Kommunalvertreter - und ich hoffe, auch manche Abgeordnete ihren Stadtrat, ihre Gemeindegremien fragen: Warum
haben wir eigentlich so etwas noch nicht? Warum macht
nicht auch ihr das?
Ich habe die Vorstellung, dass das einen Schneeballeffekt bewirken wird, dass sich weitere etablieren werden, auch über das Jahr 2006 hinaus. Wir beabsichtigen
nicht, das ad infinitum weiterzuführen, sondern hoffen,
dass sich dann andere in diesem Bereich von selber etablieren. Außerdem haben uns die Bertelsmann- und die
Hertie-Stiftung, die beide daran beteiligt sind, zugesagt,
sich auch über das Jahr 2006 hinaus zu engagieren.
({0})
Vielen Dank, Frau Bundesministerin, für Ihre Bereitschaft zu einer ausführlichen Antwort. Die Befragung
der Bundesregierung ist damit beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/2317 Die Fragestunde beginnt diesmal mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Hans Georg Wagner zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 1 des Kollegen Helmut Lamp:
Wie ist zu erklären, dass einerseits der Staatssekretär im
Bundesministerium der Verteidigung Klaus-Günther Biederbick
in einer Mitteilung vom November 2003 zum Konzept zur
Neuordnung der ortsfesten logistischen Einrichtungen, OLE,
den Personalstärkeabbau mit 31 Bundeswehrangehörigen und
186 Zivilbediensteten des Marinedepots 1 Laboe bekannt gegeben hat, dass mir andererseits aber bei einem Informationsbesuch vor Ort die heutige Personalstärke mit insgesamt deutlich weniger als 200 Personen mitgeteilt wurde, und trifft es
weiterhin zu, dass entgegen der in der oben bezeichneten Mitteilung dargestellten „signifikanten Reduzierung“ damit eine
„moderate Anpassung“ beabsichtigt ist?
Herr Kollege Lamp, die Personalzahlen des
Marinemunitionsdepots 1 in Laboe beruhen auf der zurzeit gültigen Stärke- und Ausrüstungsnachweisung, der
so genannten STAN, von circa 290 Dienstposten. Dies
muss nicht der aktuellen Tagesdienststärke im Depot
entsprechen. Für die Zielstruktur waren zunächst die
Planzahlen für die jeweiligen Stärken in der zukünftigen
Depotorganisation gesetzt worden. Nachdem über das
Konzept zur Neuordnung der ortsfesten logistischen Einrichtungen der Streitkräfte entschieden ist, wird nunmehr
der endgültige Personalumfang des Marinemunitionsdepots erarbeitet. Sie können allerdings davon ausgehen,
dass die derzeitige Planzahl für Laboe von 70 militärischen und zivilen Dienstposten, einschließlich der
Feuerwehr, einen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad an Genauigkeit hat. Dies bedeutet, bezogen auf die bis jetzt
gültige STAN, nach derzeitigen Planungen einen Abbau
von circa 220 Dienstposten. Damit handelt es sich nach
unserer Definition um eine signifikante Reduzierung.
Zusatzfragen, Kollege Lamp?
Die Mitteilung aus dem Verteidigungsministerium,
die auch in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist,
musste so verstanden werden, dass das Verteidigungsministerium im Munitionsdepot Laboe 220 Arbeitsplätze
abbauen wollte, obwohl dort nur 185 Leute beschäftigt
sind. Das hat in der Region zu großer Verwirrung geführt. Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass die
Grundlagen für die Berechnung aus der Vergangenheit
stammten. Können für die zukünftigen Planungen der
Bundeswehr insgesamt solche missverständlichen Äußerungen, die in einzelnen Regionen zur großer Aufregung
führen können, ausgeschlossen werden?
Herr Kollege, wenn ich das ausschließen wollte, dann
würde ich die menschlichen Schwächen nicht berücksichtigen. So etwas kann immer einmal passieren. In diesem konkreten Fall ist es so, dass die Iststärke, die Sie
bei Ihrem Besuch vor Ort angetroffen haben, nicht mit
der Sollzahl in Höhe von circa 290 Dienstposten, die wir
zugrunde gelegt hatten, übereinstimmt. Krankheitsfälle
und Abwesenheit durch Urlaub werden in diese Zahl
nicht einbezogen und dadurch entsteht eine solche Differenz. Tatsache ist, dass nach der endgültigen Ausplanung
70 Dienstposten verbleiben werden.
Weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Frage 2 des Kollegen Lamp:
Welche konkreten Planungen hat die Bundesregierung zur
mittelfristigen - bis zum Jahr 2020 - Verwendung und zum
weiteren Ausbau des Marinedepots 1 Laboe?
Lieber Herr Kollege Lamp, das Marinemunitionsdepot 1 in Laboe wird zum 1. April 2004 in „Munitionsdepot Laboe“ umbenannt und mit einer neuen
Stärke- und Ausrüstungsnachweisung in eine neue
Organisationsstruktur umgegliedert. Zum gleichen Zeitpunkt werden dem Munitionsdepot Laboe die Munitionslager Boostedt, Enge-Sande, Kropp, Süderlügum
und Löwen-stedt unterstellt. Hauptauftrag wird zukünftig die Lagerung und Instandhaltung von marineeigentümlicher Munition und die Auf- und Abmunitionierung von schwimmenden Einheiten sein. Darüber
hinausgehende Aussagen bis zum Jahre 2020 sind nicht
möglich.
Keine Zusatzfrage? - Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Achim Großmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Peter Weiß ({0}) auf:
Welche Auswirkungen wird nach Erkenntnissen der Bundesregierung die im Rahmen der von der Europäischen Kommission vorgelegten Europäischen Wachstumsinitiative
- KOM({1}) 690 endgültig - zur Stärkung der Transeuropäischen Verkehrsnetze vorgesehene Baumaßnahme der
Schienenverbindung Dijon-Mulhouse-Müllheim auf das zu
erwartende Schienenverkehrsaufkommen auf der Rheintalbahnstrecke zwischen Basel und Karlsruhe haben?
Herr Kollege Weiß, belastbare Aussagen zur Veränderung des zu erwartenden Schienenverkehrsaufkommens
auf der Eisenbahnstrecke zwischen Basel und Karlsruhe
durch den Bau der Strecke Dijon-Mulhouse-Müllheim
sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, da diese entscheidend vom bisher nicht bekannten künftigen Betriebskonzept der beteiligten Bahnen, also der Société
Nationale des Chemins de Fer Français und der Deutschen Bahn AG, abhängen.
({0})
Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß.
Herr Staatssekretär Großmann, da Sie wissen, dass für
die derzeit laufenden Planungen für das dritte und vierte
Gleis der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel
die Frage der Belastung dieser neuen Gleiskörper eine
große Rolle spielt, möchte ich Sie fragen: Halten Sie es
unter diesen Umständen nicht doch für gerechtfertigt
und notwendig, dass im Rahmen dieser Planungen untersucht wird, wie sich das Vorhaben „Transeuropäische
Netze“, das auf EU-Ebene verabredet worden ist, auf
diese Strecke auswirkt? Damit könnte man den Planern,
aber vor allen Dingen auch den betroffenen Städten und
Gemeinden sowie den Bürgerinnen und Bürgern eine einigermaßen verlässliche Perspektive geben, sodass sie
wissen, was auf sie zukommt.
({0})
Herr Kollege Weiß, diese verlässliche Perspektive ist
ja vorhanden. Das Verfahren ist normalerweise so, dass
sich zunächst einmal die Regierungen dazu bereit erklären, Investitionen in die Schieneninfrastruktur zu leisten.
Die betroffenen Unternehmen - im Falle der SNCF handelt es sich um ein staatliches Unternehmen und im Falle
der DB AG handelt es sich um ein privatisiertes Unternehmen - müssen dann Kriterien aufstellen.
Zurzeit wird in Frankreich das öffentliche Interesse
am Bau des Ostastes für den TGV Rhein-Rhone ermittelt. Nach dem, was wir von den französischen Freunden
hören, soll das Projekt im Jahre 2006 begonnen werden.
Mit einer Fertigstellung ist im Jahre 2012 zu rechnen.
Sie wissen, wie lang die Vorlaufzeiten sind. Wenn der
TGV-Verkehr aufgenommen wird, kommt es - das wissen
auch Sie; das ist von anderen TGV-Strecken bekannt - nur
zu einer überschaubaren Zahl von neuen Verbindungen.
Weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, nach der Ankündigung des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, Herrn Mehdorn, wird die DB AG aufgrund der mangelhaften Mittelzuweisung durch den Bund frühestens ab dem Jahre
2008 in der Lage sein, die Ausbaumaßnahmen auf der
Rheinstrecke zwischen Karlsruhe und Basel in Angriff
zu nehmen. Ist es richtig, dass daher auch für den Planungsprozess eine Verzögerung wahrscheinlich ist? Es
könnte also möglich sein, dass die nach Ihrer Aussage
noch zu erhebenden und zu bewertenden Zahlen in das
Planverfahren zum Ausbau des dritten und vierten Gleises einbezogen werden.
Herr Kollege Weiß, Sie haben gestern eine entsprechende Frage schriftlich eingereicht. Wir geben uns im
Ministerium große Mühe, diese Fragen fundiert zu beantworten. Ich glaube, dass das, was ich Ihnen gerade
gesagt habe, zutrifft, nämlich dass wir bei der TGV-Strecke Rhein-Rhone eine sehr lange Vorlaufzeit haben werden. Wenn diese Strecke in Betrieb sein wird, wird die
Zahl der neuen Verbindungen nur sehr begrenzt sein.
({0})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- das sind die Fragen 4 und 5 - sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Christoph Matschie zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Michael
Kretschmer auf:
Wie unterscheidet sich nach Ansicht der Bundesregierung
eine geplante Eliteuniversität von einer bereits heute bestehenden Hochschule?
Herr Kollege Kretschmer, Ihre Frage nach dem Unterschied zwischen Eliteuniversitäten und den bereits heute
bestehenden Hochschulen will ich wie folgt beantworten: Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen erbringen auch heute überall in Deutschland
in vielen Disziplinen exzellente Leistungen in Wissenschaft und Forschung. Aus Sicht der Bundesregierung
müssen wir auf diese Leistungen aufbauen, damit unsere
Hochschulen mit ihren Spitzenleistungen künftig mit
Universitäten wie Harvard, Stanford, Oxford oder Cambridge Schritt halten können. Solche Spitzenleistungen
können nur im Wettbewerb der stärksten Einrichtungen
entstehen. Die Hochschulen brauchen dafür eine entsprechende Ausstattung und leistungsfördernde Rahmenbedingungen.
Elite misst sich am Output; sie entsteht nur durch
Leistung. Der Maßstab ist eindeutig: Weltspitze in der
Forschung. In der Ausbildung muss eine solche Spitzeneinrichtung in der Lage sein, Spitzennachwuchskräfte
aus dem Ausland anzuziehen.
Zusatzfrage? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Ihrer Meinung nach
mangelhaften Rahmenbedingungen und Ausstattungen
der Universitäten angesprochen und haben ausgeführt,
dass das bei Eliteuniversitäten anders sein soll. Ich hätte
die Frage: Welche Rahmenbedingungen müssen nach Ihrer Vorstellung geändert werden und warum gilt dies nur
für Eliteuniversitäten?
Herr Kollege Kretschmer, ich habe nicht gesagt, dass
veränderte Rahmenbedingungen nur für Eliteuniversitäten gelten sollen. Wir wollen vielmehr den Wettbewerb
zwischen den Universitäten, den Hochschulen, verstärken. Dazu gehört es, dass sich die Rahmenbedingungen
aller Universitäten ändern. Was das im Einzelnen bedeutet, darüber muss mit den Ländern diskutiert werden, die
in dieser Frage eine wichtige Entscheidungskompetenz
haben.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Ich möchte noch einmal nachfragen, Herr Staatssekretär: Es gibt eine ganze Reihe von Rahmenbedingungen, die Sie als Bund selbst ändern können. Dieses
Thema ist sehr hochgekocht worden; Sie selbst haben
sich daran beteiligt. Daher können Sie uns vielleicht sagen, welche Rahmenbedingungen vonseiten des Bundes
Ihrer Meinung nach umgehend geändert werden sollten.
Wir stehen im Moment ganz am Anfang der Debatte
über die Weiterentwicklung unserer Universitätslandschaft. Diese Debatte muss gemeinsam mit den Ländern
geführt werden.
({0})
In den letzten Tagen ist deutlich gemacht worden, dass
die Universitäten mehr Flexibilität und mehr Spielräume
für eigenständige Entscheidungen brauchen. Dazu gehört eine leistungsbezogene Vergütung, für die ja in der
Bundesrahmengesetzgebung Voraussetzungen geschaffen worden sind. Ich hoffe, dass dies in möglichst vielen
Bundesländern aufgegriffen wird.
Ich habe dazu eine ganze Reihe von Wortmeldungen. - Zunächst der Kollege Dr. Christoph Bergner.
Herr Staatssekretär, Kollege Kretschmer hat nach den
Rahmenbedingungen gefragt. Ich möchte mich über die
Berücksichtigung der Ausgangsbedingungen im Rahmen
des Projektes „Eliteuniversität“ erkundigen, wozu meines Erachtens bisher überhaupt keine Auskunft gegeben
wurde. Sie wissen, wir haben in Deutschland erstens eine
Eliteförderung durch die Wissenschaftsorganisationen
Max-Planck-Institut und Deutsche Forschungsgemeinschaft. Sie wissen, wir haben zweitens ein funktional differenziertes Hochschulwesen, das aus Fachhochschulen
und Universitäten besteht. Sie kennen drittens die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Berufsfreiheit gemäß Art. 12 des Grundgesetzes, nach der der
Hochschulzugang prinzipiell offen gehalten werden
muss.
Ich möchte Sie fragen: Wie sind diese drei Gesichtspunkte bei der Idee der Schaffung von Eliteuniversitäten
und der entsprechenden Konzeption berücksichtigt worden?
Herr Kollege, es gibt bisher keine fertigen Konzeptionen. Wir haben vielmehr einen Diskussionsprozess darüber begonnen, wie wir die Rahmenbedingungen der
Hochschulen so weiterentwickeln, dass mehr Wettbewerb entstehen kann und beispielsweise eine stärker leistungsbezogene Vergütung möglich ist. Letztendlich wird
nur in Zusammenarbeit mit den Ländern zu entscheiden
sein, wie sich die Rahmenbedingungen konkret weiterentwickeln lassen. Deshalb halte ich es für falsch, von
vornherein Festlegungen zu treffen, ohne dass über diese
Fragen mit den Ländern ausreichend diskutiert worden
ist.
Die nächste Frage hat der Kollege Axel Fischer.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, Sie stünden am Anfang der Debatte. Dafür, dass Sie am Anfang
der Debatte stehen, haben Sie - so muss ich feststellen schon sehr viel Wind im Zusammenhang mit diesem
Thema gemacht. Man hat fast den Eindruck, es gehe eigentlich gar nicht um Elitehochschulen in Deutschland,
sondern mehr darum, mit welchem Thema man von der
aktuellen katastrophalen Lage ablenken kann, wie man
die Reform der Bundeswehr, über die diskutiert wird,
und die Steuerpolitik zur Seite schieben kann, wie man
im Prinzip von den wichtigen Themen
({0})
- genau, zum Beispiel von der Arbeitslosigkeit; man
könnte beliebig viele Punkte nennen; das will ich aber
nicht; ich will vielmehr eine konkrete Frage stellen ({1})
ablenken kann.
Man hat den Eindruck, dass es vor allem ein Versuchsballon ist. Aber ich versuche trotzdem, eine Frage
zu stellen. Vielleicht haben Sie zu dem einen oder anderen Punkt doch eine Idee oder können bereits mitteilen,
wie Sie sich das vorstellen.
Zum einen möchte ich wissen, welchen Einfluss staatliche Behörden dann auf die Auswahl der Studierenden
haben sollen und ob das überhaupt geplant ist. Zum
zweiten möchte ich wissen, wie Sie in diesem Zusammenhang über Studiengebühren denken.
Zunächst einmal zur Debatte: Wer sie in den letzten
Tagen aufmerksam verfolgt hat, der weiß, dass es eine
ganze Menge wichtiger Stimmen aus der Wissenschaft
gibt, die sagen: Wir brauchen eine Diskussion über mehr
Spitzenleistung und mehr Spitzenuniversitäten und deren Entwicklung in Deutschland. Wir haben ein starkes
Wissenschaftssystem, aber wir müssen es weiterentwickeln. Gerade in der Spitze müssen wir mehr Sichtbarkeit erzeugen.
Deshalb ist es eine notwendige Debatte. Ich verstehe
nicht, warum man etwas Falsches daran finden kann,
wenn wir in diesem Land darüber reden, wie wir mehr
Spitzenqualität erzeugen können. Das ist auch für unsere
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit notwendig.
({0})
Zur Auswahl der Studierenden will ich Ihnen sagen,
dass wir seit einiger Zeit in Gesprächen mit den Ländern
sind, um eine Regelung zu finden, wie die Universitäten
in Zukunft ihre Studierenden vermehrt selbst aussuchen
können. Ich glaube, dass auch das eine notwendige Voraussetzung für die Weiterentwicklung des Hochschulsystems ist.
Zur Gebührenfrage gibt es eine gesetzliche Regelung
im Hochschulrahmengesetz. Dazu gibt es keine neue
Auffassung im Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Die nächste Frage hat der Kollege Dirk Niebel.
Herr Staatssekretär, als der Abgeordnete des Wahlkreises Heidelberg, der schon mit einer Eliteuniversität
hinreichend ausgestattet ist, freue ich mich, dass die
deutsche Sozialdemokratie mittlerweile erkannt hat, dass
wir auch außerhalb des Spitzensportes Spitzenleistungen
in Wirtschaft und Wissenschaft benötigen. Insofern ist
dies ein Lob von mir dafür, dass diese Erkenntnis gewonnen wurde.
Aufgrund Ihrer Antworten habe ich allerdings das Gefühl, dass Sie noch gar nicht so genau wissen, was Sie
machen wollen. Sie haben richtig festgestellt: Elite bildet
sich durch Wettbewerb. Das heißt, die Politik kann Elite
nicht verordnen. Wettbewerb bildet sich aber auch nur
durch Freiheit der Bildungseinrichtungen und durch
Freiheit der Studierenden. Deswegen frage ich ganz konkret: Sind Sie bereit, die Zentrale Vergabestelle für Studienplätze als Studentenlandverschickung abzuschaffen,
den Universitäten das Recht auf freie Auswahl ihrer Studierenden zu geben und auf der anderen Seite den Studierenden das Recht auf freie Auswahl ihrer Hochschule?
Sind Sie bereit anzuerkennen, dass die Hochschulen
dann, wenn sie diese Elitebildung im Wettbewerb mit anderen Einrichtungen erreichen wollen, die Freiheit haben
müssen, im Wettbewerb mit anderen Einrichtungen auch
ihre Gebührenstrukturen so zu organisieren, wie es für
richtig gehalten wird? Zu Deutsch: Zum Beispiel sollte
im Rahmen nachlaufender Studiengebühren, wenn jemand aufgrund einer hervorragenden Qualifikation auch
ein hervorragendes Gehalt bezieht, die Bildungseinrichtung, die diese Qualifikation vermittelt hat, mit einem
Rückfluss von Geldern versehen werden.
Herr Kollege, das war gleich ein ganzes Bündel von
Fragen. Ich will Ihnen insofern eine Antwort geben, als
ich sage: Sie haben Recht, wir brauchen mehr Entscheidungsfreiheit der Hochschulen. Was die Entwicklung
von Spitzenuniversitäten angeht, habe ich eingangs deutlich gemacht, dass wir schon über eine ganze Reihe von
Spitzenleistungen in Deutschland verfügen.
Aber es ist auch klar, dass wir in den internationalen
Rankings mit unseren Hochschulen bisher keine entsprechende Rolle spielen. Deshalb müssen wir unser Leistungspotenzial weiterentwickeln. Dazu gehört für mich
die bessere Zusammenarbeit von Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. In diesem
Bereich müssen wir organisationsübergreifend zu besserer Zusammenarbeit in der Wissenschafts- und Forschungslandschaft kommen.
Mein Eindruck ist, dass wir jetzt das Gespräch mit
den Ländern brauchen, um die Rahmenbedingungen gemeinsam genau zu beschreiben. Diese kann und will der
Bund nicht allein festlegen. Die Hochschulen fallen zu
einem erheblichen Teil in die Kompetenz der Länder.
Deshalb wird es ohne die Länder nicht gehen.
Ich will Ihnen auch Recht geben in der Aussage: Politik kann nicht darüber entscheiden, was Spitzenleistung
oder Elite ist. Das muss sich im Wettbewerb herausbilden. - Für diesen Wettbewerb wollen wir sorgen.
Die nächste Frage hat der Kollege Jens Spahn.
({0})
Herr Staatssekretär, nach dem, was Sie gerade zu der
einen oder anderen Bestimmung des Hochschulrahmengesetzes gesagt haben, könnte man sich fragen, warum
es denn eigentlich eines auf Bundesebene gibt, wenn
doch immer alles in Länderhand liegt.
Meine Frage: Welches Betreuungsverhältnis zwischen Studenten und Lehrern an Hochschulen gibt es
heute und welches Betreuungsverhältnis ist angedacht?
Es muss wohl ein anderes angedacht sein, sonst bräuchten wir die ganze Debatte nicht. Wie wollen Sie Ihre
Pläne vor den vielen Tausend Studenten rechtfertigen,
die an den bereits bestehenden Hochschulen eingeschrieben sind?
Herr Kollege, Sie wissen wahrscheinlich genauso gut
wie ich, dass das Betreuungsverhältnis von Hochschule
zu Hochschule, aber auch von Fach zu Fach sehr unterschiedlich ist. Ich glaube, dass wir auch daran arbeiten
müssen, im Durchschnitt ein besseres Betreuungsverhältnis zu bekommen. Die jetzt stattfindenden Studierendenproteste haben einen ganz realen Hintergrund, nämlich dass die Studienbedingungen nicht in allen Fällen
als ausreichend empfunden werden, weil es in verschiedenen Einrichtungen an entsprechend guten Betreuungsrelationen fehlt.
Deshalb halte ich es für notwendig, an dieser Stelle
den Wettbewerb zwischen den Hochschulen zu verstärken, damit auf diesem Wege insgesamt bessere Studienbedingungen entstehen. Spitze entwickelt sich dann aus
diesem Wettbewerb. Ich bin sicher, dass von diesem
Wettbewerb, der dann entsteht, alle Hochschulen etwas
haben werden, weil sie sich in diesem Wettbewerb weiterentwickeln können.
Die nächste Frage hat der Kollege Uwe Schummer.
Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund der chronischen Unterfinanzierung unserer Hochschulen und dem
Vergleich mit den USA, wo für jeden Studenten aus öffentlichen und privaten Mitteln bis zu fünfmal mehr
Geld ausgegeben wird als in Deutschland und in der Europäischen Union, frage ich Sie: Sehen Sie einen direkten Zusammenhang zwischen der Zahl der Stipendiaten
und den Studiengebühren in den USA sowie der verbesserten Selbstfinanzierung, die dort entsprechend organisiert ist? Wären Sie auch bereit, im Zusammenhang mit
der Schaffung von Eliteuniversitäten das Verbot der Erhebung von Studiengebühren in Deutschland aufzuheben?
({0})
Herr Kollege, Sie haben die Situation in den USA angesprochen. Sie wissen wahrscheinlich auch, dass der
Anteil der Studiengebühren an der Gesamtfinanzierung
der Hochschulen dort sehr unterschiedlich hoch ist. Bei
einer ganzen Reihe von Hochschulen spielen die Gebühren bei der Gesamtfinanzierung der Hochschulen eine
eher untergeordnete Rolle. Ich sage hier noch einmal: Es
gibt zu Studiengebühren eine Regelung im Hochschulrahmengesetz und die Position unseres Ministeriums
dazu hat sich nicht geändert.
Wir sind der Auffassung, dass wir mehr Geld für das
Wissenschafts- und Forschungssystem in Deutschland
brauchen. In Weimar ist die Zielstellung klar beschrieben worden, nämlich im Laufe dieses Jahrzehnts dazu zu
kommen, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Bereiche Forschung und Entwicklung zu lenken. Das ist
eine Herausforderung für die öffentliche Hand, aber
auch für die Industrie, die auch heute zwei Drittel dieser
Ausgaben trägt.
Die nächste Frage hat der Kollege Jörg Tauss.
Lieber Kollege Niebel, ich will jetzt nicht lokalpatriotisch auf die Spitzenuniversität Karlsruhe zu sprechen
kommen, nachdem Sie Heidelberg angesprochen haben.
({0})
Ich will aber immerhin meiner Freude darüber Ausdruck
verleihen, dass die Innovationsoffensive der Bundesregierung und der Koalition bei Ihnen so viel Kreativität
und Interesse auslöst. Ich würde mich freuen, wenn Sie
dort, wo Sie mitregieren, mitziehen und die Rahmenbedingungen verbessern würden. Das wäre sicherlich sinnvoll.
Eines aber - darauf bezieht sich meine Frage - erfüllt
mich gerade unter diesem Gesichtspunkt mit großer
Sorge, gerade wenn ich in den Süden zu den so genannten reichen Bundesländern schaue: Herr Staatssekretär,
wir sind uns sicher darüber einig, dass der bayerische
Weg, an den Hochschulen und Universitäten nach der
Rasenmähermethode in der Breite massiv Geld einzusparen und dies in wenige Spitzenförderungen zu stecken, nichts mit dem zu tun hat, was wir wollen,
({1})
nämlich tatsächlich zu einer Verbesserung in der Breite
zu kommen und dadurch auch mehr Spitze zu gewinnen.
Das muss der deutsche Weg sein. Stimmen Sie mir da
zu?
({2})
Herr Kollege Tauss, ich gebe Ihnen in dieser Frage
Recht. Es kann nicht nur darum gehen, die Spitze stärker
zu fördern. Wir brauchen insgesamt mehr Mittel für das
Hochschulsystem. Das ist auch in den vielen Auseinandersetzungen der letzten Wochen deutlich geworden.
Spitzenforschung braucht übrigens auch in der Breite
eine gute Fundierung, damit sie sich weiterentwickeln
und aus einem möglichst großen Reservoir schöpfen
kann.
Die nächste Frage hat der Kollege Andreas Scheuer.
Herr Staatssekretär, in der Geschichte war der Begriff
„Elite“ im Weltbild von SPD und Bündnis 90/Die Grünen immer ein Pfuiwort. Daher wundert mich jetzt dieser
Schwenk. Ihre Äußerungen zeigen mir, dass man aufseiten der Bundesregierung vielleicht erst hätte nachdenken
und dann den Begriff kreieren bzw. reden sollen.
Meine Frage lautet: Ist vor der Erstellung dieses Konzeptes bzw. der Wahl dieses Begriffes - denn von einem
„Konzept“ kann man bei dem, was Sie uns hier sagen,
eigentlich nicht reden; daher möchte ich nur von der
Klärung des Begriffes sprechen - eine Analyse der großen Finanzbudgets von US-Eliteuniversitäten wie Harvard durchgeführt worden? Hat die Bundesregierung
Vorstellungen davon, welches Finanzbudget eine Eliteuniversität braucht?
({0})
Herr Kollege, natürlich kennen wir die Finanzdaten
von Spitzenuniversitäten, auch die von Harvard, Stanford oder anderen Universitäten. Ich will hier deutlich
machen: Unser Weg ist nicht einfach eine Kopie dessen,
was in anderen Staaten gemacht worden ist. Wir wollen
vielmehr die Bedingungen für die Hochschulen so verändern, dass sich hier stärker Spitzenleistungen herauskristallisieren und dass sich einzelne Hochschulen zu
solchen Spitzenuniversitäten weiterentwickeln können.
Das halte ich für den richtigen Weg. An dieser Stelle
brauchen wir mehr Sichtbarkeit, auch um international
die besten Köpfe anwerben zu können. Das brauchen wir
nicht nur für unsere weitere wissenschaftliche, sondern
auch für unsere wirtschaftliche Entwicklung.
({0})
Deshalb ist es gut, dass wir diese Diskussion jetzt führen.
Herr Kollege, was den Elitebegriff angeht, möchte ich
Ihnen nur sagen, dass sich die Mitglieder der SPD und
wahrscheinlich auch die der Grünen schon immer auch
als Elite empfunden haben.
({1})
Die nächste Frage hat der Kollege Eckart von
Klaeden.
Herr Staatssekretär, dieses Empfinden will ich gar
nicht infrage stellen. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit es mit der Realität übereinstimmt. Aber auch
das ist ein anderes Thema.
In Ihrer vorletzten Antwort haben Sie selbst die Tagung Ihrer Partei in Weimar erwähnt. Dort hat sich Ihre
Staatssekretärskollegin Frau Vogt für die Lenkungswirkung von Studiengebühren ausgesprochen. Auch von
dem so genannten Netzwerk Ihrer Partei, dem Sie angehören, wurde ein entsprechendes Papier verfasst. Namhafte Hochschulpolitiker wie der frühere niedersächsische Hochschulminister Thomas Oppermann haben sich
für die Lenkungswirkung von Studiengebühren ausgesprochen.
Hier interessiert mich einmal Ihre persönliche Meinung, Herr Staatssekretär.
({0})
Vertreten Sie persönlich die Position, die in dem Netzwerk-Papier von einer Reihe jüngerer SPD-Abgeordneter eingenommen wird, oder sind Sie der Ansicht Ihres
Hauses?
Herr Kollege, es ist kein Geheimnis, dass über diese
Frage mit unterschiedlichen Akzenten diskutiert wird
und dass es auch Befürworter von Gebühren gibt. An
dieser Stelle sage ich: In unserem Hause gibt es keine
veränderte Position zu dem, was im Hochschulrahmengesetz festgelegt ist.
({0})
Die vorerst letzte Frage zu diesem Komplex hat der
Kollege Helmut Lamp.
Herr Staatssekretär, Ihre Antworten sind in vielen Bereichen sehr vage. Sie selbst sagen, dass wir ganz am
Anfang der Diskussion stehen. Meine Frage lautet: Hat
es vorab in irgendeiner Form - es drängt sich der Verdacht auf, dass dies nicht der Fall gewesen ist - zwischen dem Bundeskanzler und den zuständigen Fachbereichen der Regierung, und wenn ja, wann, eine
Abstimmung gegeben? Oder ist die Regierung von diesem Schwenk genauso überrascht gewesen wie die Regierungsparteien?
Herr Kollege Lamp, vielleicht wissen Sie, dass die
Diskussion darüber, wie wir auch Spitzenleistungen stärker fördern und sichtbar machen können, schon seit einer Weile geführt wird. Auch in unserem Hause wird
schon seit längerem über solche Fragen nachgedacht und
diskutiert. Deshalb hat es an dieser Stelle auch keine
Überraschung gegeben. Das, was im Rahmen dieser
Klausurtagung öffentlich gemacht worden ist, entspricht
den Vorstellungen, die auch in unserem Hause entwickelt werden.
Das war die letzte Frage zu diesem Komplex. Vielen
Dank, Herr Staatssekretär Matschie.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung
steht der Staatsminister Rolf Schwanitz zur Verfügung.
Ich rufe Frage 7 des Kollegen Dirk Niebel auf:
Wie rechtfertigt die Bundesregierung ihre ablehnende Haltung zur Durchführung des „Bundespressegipfels“ - Skirampe in der Nähe des Bundeskanzleramtes zwischen der
Schweizer Botschaft und der Spree -, der Fortsetzung der im
Sommer sehr erfolgreichen Ich-AG „Bundespressestrand“, für
die notwendige Investitionen bereits getätigt wurden, und
trifft es zu, dass die Haltung der Bundesregierung ausschlaggebend für die Absage des Projekts durch die Senatsverwaltung gewesen ist?
Herr Kollege Niebel, die Antwort lautet wie folgt:
Nach Angaben der Betreiberin handelt es sich um eine
Winterwelt mit Tannenbäumen, Ski- und Schlittenberg,
Après-Ski-Bar und Holzhäusern. Der für die Genehmigung zuständige Berliner Senat hat dieses Projekt abgelehnt. Er hat es aus Gründen des Protokolls, aus sicherheitstechnischen Überlegungen sowie aufgrund der
Angemessenheit des Ortes als nicht genehmigungsfähig
bewertet.
Im Vorfeld dieser Entscheidung hatte der Senat den
Anliegern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. In
dem von ihm mit Vertretern der Verwaltung des Deutschen Bundestages, der Schweizerischen Botschaft, der
Berliner Polizei und des Bundeskanzleramtes geführten
Gespräch wurden diese Aspekte zur Sprache gebracht.
Dazu gehörten auch Aspekte der Sicherheit und des Protokolls, die die Bundesregierung betrafen. Welche der
auch vonseiten der verschiedenen Anlieger diskutierten
Aspekte für die Entscheidung des Senats ausschlaggebend waren, entzieht sich der Kenntnis der Bundesregierung.
Zusatzfrage, Kollege Niebel.
Herr Staatsminister, die „Berliner Zeitung“ hat dieses
Thema am 7. Januar mit der Überschrift „Regierungsviertel bleibt Ski- und rodelfrei“ aufgegriffen. Laut dieses
Artikels waren die Bedenken des Bundeskanzleramtes
Grund für die ablehnende Haltung des Senats - ursprünglich hatte die Genehmigung der Berliner Senatsverwaltung schon vorgelegen und die Schweizerische Botschaft
und der Deutsche Bundestag hatten keine Probleme angemeldet -, dass Lärm von der Skipiste bei Staatsempfängen, beispielsweise wenn die Nationalhymnen gespielt
würden, die protokollarischen Abwicklungen stören
könne. Dies soll der ausschlaggebende Grund dafür sein,
dass für dieses Projekt keine Genehmigung erteilt wurde,
obwohl es im Vorfeld genehmigt wurde und dafür immerhin über 200 000 Euro Sponsorengelder eingeworben
wurden. Ist es richtig, was die „Berliner Zeitung“
schreibt?
Herr Kollege Niebel, Sie wissen, dass die Bundesregierung Pressemeldungen grundsätzlich nicht kommentieren oder bewerten kann. Ich habe mich im Vorfeld der
Beantwortung Ihrer Frage mit dem Vertreter des Bundeskanzleramtes in Verbindung gesetzt und ihn befragt; das
ist in meiner Antwort ja angeklungen. Nicht nur das
Bundeskanzleramt hat im Rahmen seiner Stellungnahme
entsprechende Anmerkungen gemacht. Vier verschiedene Stellen - ich habe sie genannt -, deren Argumente
etwa gleich viel zählen, haben ihre Positionen eingebracht. Insofern will ich das gern korrigieren.
Zweite Zusatzfrage.
Würde die Bundesregierung zur Kenntnis nehmen und
mir den Widerspruch erklären, der darin besteht, dass das
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit in diesem
Sommer mit dem „Bundespressestrand“ als bemerkenswerte Ich-AG geworben hat, dass aber die gleiche IchAG durch Einwendung des Bundeskanzleramtes, die sie
an der Fortsetzung, dem „Bundespressegipfel“, hindert,
in den Ruin getrieben wird?
Kollege Niebel, Ihre Bewertung, die Sie gerade vorgenommen haben, halte ich nicht für sachgerecht. Dass
die Bundesregierung Ich-AGs fördert, liegt in der Natur
der Sache. Sie wissen, dass es dazu groß angelegte Initiativen insbesondere des BMWA gibt.
In diesem Fall kenne ich den Förderstatus der Betreiberin nicht. Insofern kann ich die These, dass es sich um
eine Ich-AG gehandelt hat, nicht bestätigen.
({0})
Ich will aber ausdrücklich sagen, dass man die Beteiligungsrechte von Anliegern nicht deshalb konterkarieren
oder sogar infrage stellen kann, nur weil es sich um eine
Ich-AG handelt.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister
Hans Martin Bury zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Michael
Kretschmer auf:
Welche EU-Agenturen sind derzeit neben den neuen auf
dem Europäischen Rat von Brüssel - 12./13. Dezember 2003 beschlossenen zur Gründung in der Diskussion?
Herr Kollege Kretschmer, über den Ihrer Frage zugrunde liegenden Beschluss des Europäischen Rates in
Brüssel hinaus besteht über die Einrichtung von zwei
weiteren Behörden politischer Konsens. Dabei handelt
es sich um die Agentur zum Schutz der Außengrenzen
und um die Rüstungsagentur.
Daneben gibt es Vorschläge für die Einrichtung weiterer Agenturen, zu deren Einrichtung bisher noch kein
Konsens besteht. Dazu gehören eine Agentur für den
Katastrophenschutz, eine Beobachtungsstelle für Wanderungsbewegungen, ein EU-Gleichstellungsinstitut, eine
europäische Enforcementstelle zur Durchsetzung der
Rechnungslegungsvorschriften und das europäische Kolleg für Sicherheit und Verteidigung.
Generell möchte ich betonen, dass in jedem Einzelfall
zunächst geprüft werden muss, ob eine europäische
Agentur einen Mehrwert bringt. Dabei sind insbesondere
auch Subsidiaritätsgesichtspunkte zu berücksichtigen.
Gerade unter Subsidiaritätsgesichtspunkten ist es aus
Sicht der Bundesregierung nicht erstrebenswert, eine europäische Katastrophenschutzbehörde einzurichten.
Zusatzfrage, Kollege Kretschmer.
Herr Staatssekretär, ich stimme Ihnen ohne Frage zu,
dass es eine dringende Notwendigkeit geben muss, um
eine EU-Agentur einzurichten. Für den Fall, dass sie gegeben ist, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung
der Meinung ist, dass zur Unterstützung der EU-Erweiterung, in deren Rahmen Probleme im Grenzgebiet zu
erwarten sind, die Ansiedlung in den Grenzregionen
sinnvoll ist, und ob die Bundesregierung entsprechende
Pläne verfolgt.
Der Europäische Rat in Brüssel hat einen Grundsatzbeschluss gefasst, Herr Kollege Kretschmer, neue Agenturen prioritär in den neuen Mitgliedstaaten anzusiedeln.
Ich denke, das trägt Ihrem Anliegen Rechnung.
Zweite Zusatzfrage.
Wir haben die Erkenntnis, dass sich die Bundesregierung für die Ansiedlung weiterer Agenturen, beispielsweise der Europäischen Polizeiakademie mit Sitz in
Münster, beworben hat. Können Sie uns dazu etwas sagen?
Kollege Kretschmer, die Polizeiakademie war Bestandteil des Sitzpaketes, über das auf dem ER in Brüssel entschieden worden ist. Wir hatten unsere Priorität
auf die Luftsicherheitsbehörde mit dem Standort Köln
gelegt und haben uns durchsetzen können. Es ist nachvollziehbar, dass ein zweiter deutscher Sitz im Rahmen
dieses Paketes nicht zu realisieren war. Insgesamt können wir mit dem Ergebnis zufrieden sein.
Vielen Dank, Herr Staatsminister Bury. - Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 der Kollegin Tanja Gönner auf:
Sieht die Bundesregierung durch die Risikoprüfung für
private Krankengeldversicherungen bzw. private Krankenversicherungen eine Benachteiligung für behinderte Menschen,
und wenn ja, wie könnte hier Abhilfe geschaffen werden?
Frau Kollegin Gönner, ich darf Ihnen zunächst einmal
herzlich danken, dass Sie diese im Moment in der Öffentlichkeit ebenfalls diskutierte wichtige Frage gestellt
haben.
Ich gebe Ihnen folgende Antwort auf Ihre Frage:
Dass private Versicherungen vor Abschluss eines Vertrages eine Risikoprüfung durchführen, ist sachgemäß.
Dies gilt auch für die in der Frage angesprochenen Versicherungen. Für die Krankenversicherung ist die Risikoprüfung in § 12 des Versicherungsaufsichtsgesetzes ausdrücklich vorgeschrieben.
Die Tatsache allein, dass das Risiko geprüft wird, und
zwar auch dann, wenn sich behinderte Menschen versichern wollen, stellt keine Benachteiligung dar. Eine Benachteiligung kann sich indes ergeben, wenn nach einer
Risikoprüfung gleiche Sachverhalte ungleich behandelt
werden. Vor dem Abschluss der in der Frage genannten
Versicherungen wird die Versicherung insbesondere das
Erkrankungsrisiko prüfen. Ob ein höheres Erkrankungsrisiko besteht, ist eine Frage des Einzelfalls, die insbesondere unter medizinischen Gesichtspunkten zu beantworten ist.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Gönner.
Ich habe eine Nachfrage, bei der ich mir insbesondere
vor dem Hintergrund der letzten Ausführungen nicht sicher bin, ob sie in Ihr Ressort gehört: Wie sieht die Risikoprüfung bei Behinderten bezogen auf die Dinge aus
- ich denke hierbei insbesondere an den Zahnersatz -,
die aus dem Leistungskatalog für die Pflichtversicherten
in der GKV herausgenommen wurden und von den Versicherten somit extra zu versichern sind?
Ich kann nur auf meine Antwort von eben verweisen.
Dabei wird es sich um den gleichen Weg handeln.
Ich kann Ihnen allerdings dazu sagen, dass unser
Haus derzeit prüft, wie man Menschen mit Behinderungen in diesen Fällen gegebenenfalls entgegenkommen
kann.
Zweite Zusatzfrage.
Ich weiß nicht so recht, wie ich mit einem Lob der
Bundesregierung dafür umgehen soll, dass ich eine
Frage stelle, die die Menschen bewegt. - Warum wurde
dieses Thema nicht bereits von der Bundesregierung
vorab aufgenommen, da es ja die Menschen bewegt?
Ich habe Sie für Ihre Frage gelobt, verehrte Frau Kollegin, nachdem die Frage an Herrn Staatsminister
Schwanitz für meine Begriffe nicht unbedingt in dieses
Hohe Haus passte, Ihre Frage hingegen sehr wohl.
({0})
Das von Ihnen angesprochene Problem ist in vielfältiger Art und Weise aufgetreten. Wir prüfen die Sachlage
schon seit längerer Zeit. In der Bundesrepublik Deutschland mit ihrem austarierten Rechtssystem ist es sehr
schwierig, in das Prinzip der Vertragsfreiheit im Privatrecht einzugreifen. Das wird mir Herr Hinsken als langjährig tätiger Selbstständiger sicherlich zugestehen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Herr Kollege
Schockenhoff, dem Präsidenten steht keine inhaltliche
Bewertung von Fragen und Antworten zu. Er ist nur für
den fairen Ablauf zuständig.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur
Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk zur Verfügung.
Wir beginnen mit der Frage 10 des Kollegen Jens
Spahn:
In welchem Umfang kommen nach Kenntnis der Bundesregierung die Kliniken der Verpflichtung nach dem Transplantationsgesetz nach, jeden Hirntoten, der als potenzieller Organspender infrage kommt, an die zuständigen Stellen zu
melden, und wie bewertet die Bundesregierung die derzeitige
Meldepraxis?
Herr Kollege Spahn, Sie haben nach der tatsächlichen
Praxis bei Organspenden und der Umsetzung der Meldepflicht nach dem Transplantationsgesetz gefragt. Im
Jahre 2002 - die Zahlen für 2003 liegen uns Anfang Januar 2004 noch nicht vor - haben nach Angabe der Koordinierungsstelle Deutsche Stiftung Organtransplantation von den 1 400 Krankenhäusern mit Intensiv- oder
Beatmungsbetten in Deutschland 42 Prozent Mitteilung
über verstorbene Patienten, die nach ärztlicher Beurteilung als postmortale Organspender in Betracht kommen,
gemacht. Bundesweit lässt sich dabei eine positive Entwicklung gegenüber den Jahren 1995 bis 1999 feststellen, als die Beteiligungsquote bei durchschnittlich
34 Prozent lag.
Hierbei handelt es sich um die von den Kliniken und
Krankhäusern gemeldeten Zahlen. Für uns entscheidender ist die Zahl der tatsächlich postmortalen Organspender, die nach Klärung der medizinischen und rechtlichen
Voraussetzungen für eine Organspende verbleiben.
Diese Zahl hat sich nach den vorläufigen Zahlen im vergangenen Jahr positiv entwickelt. Sie betrug 1 140 und
lag damit um 10,8 Prozent höher als im Jahre 2002 und
um 6,9 Prozent höher als im Durchschnitt der Jahre 1995
bis 1999. Insoweit können wir hier eine positive Bilanz
ziehen. Richtig ist: Es könnte besser sein. Aber der
Anstieg der Zahl der Organspenden stimmt uns hoffnungsvoll; denn viele Menschen sind auf Organspenden
angewiesen. Deswegen ist es wichtig, die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung zu fördern.
Zusatzfrage, Kollege Spahn.
Frau Staatssekretärin, danke für die Antwort. - Ich
habe eine Frage zu den Sanktionsmöglichkeiten. Mir
liegt ein Zeitungsartikel vor, in dem eine Sprecherin des
Düsseldorfer Gesundheitsministeriums erklärt, dass das
Transplantationsgesetz ein Bundesgesetz sei und keine
Sanktionsmöglichkeiten vorsehe. Das Ganze sei ein politischer Kompromiss: Die Kliniken seien zwar zur Meldung verpflichtet, Sanktionen gebe es aber keine. Wie
bewertet die Bundesregierung diese Aussage und die
Situation, wenn sie denn so ist? Gibt es aus Sicht der
Bundesregierung Handlungsbedarf?
Das Problem ist, dass in unserem föderalen Staat das
Transplantationsgesetz ein Bundesgesetz ist und eine
Meldepflicht umfasst, aber die Länder für die Durchführungspraxis zuständig sind. Die Frage ist, ob man sofort
mit Sanktionen drohen muss oder ob man durch aufsichtsrechtliche Maßnahmen in Form eines Gesprächs,
einer Beratung oder eines Hinweises auf die Meldepflicht nicht mehr erreicht.
In Vorbereitung auf die Beantwortung Ihrer Frage war
es für uns interessant, in unserem Haus nachzuforschen,
ob es regionale Besonderheiten gibt. Wichtig ist, durch
gezielte Maßnahmen und Gespräche mit den Ländern
darauf hinzuwirken, dass die Länder ihre Kliniken - egal
ob Universitätskliniken, Kliniken in privater, kommunaler oder Landesträgerschaft - auf die Meldepflicht hinweisen.
Es ist ganz interessant, dass wir zwei Spitzenreiter bei
der Beteiligung haben, und zwar einmal Bayern mit
49 Prozent und die Region Nord - Bremen, Hamburg,
Niedersachsen und Schleswig-Holstein - mit 47 Prozent.
Wir haben in der Region Ost eine Beteiligung von
33 Prozent. Die Beteiligung ist dort am niedrigsten. Das
zeigt, dass wir einen Aufklärungs- und Handlungsbedarf
in den Ländern haben.
Wir werden Ihre Frage zum Anlass nehmen, in den
Bund-Länder-Koordinierungsgremien - wir haben regelmäßig Treffen - auch dieses Thema anzusprechen. Es
muss mehr auf die Meldepflicht hingewiesen werden.
Die Länder haben eine Mitwirkungspflicht und müssen
von sich aus die betroffenen Kliniken darauf hinweisen,
dass es ein wichtiges Anliegen ist, die Zahl der potenziellen Spender durch die Meldepflicht überhaupt einmal
zu erfassen. Man sieht, dass, wenn die Zahl der Meldungen zunimmt, auch die Zahl der Organspender zunimmt.
Dieser Zusammenhang muss noch einmal klar gemacht
werden.
Ich glaube, Sanktionen sind ein ungeeignetes Mittel.
Wir müssen mit den Bund-Länder-Koordinierungsgremien darauf hinwirken, dass die Länder aktiv für die
Meldungen werben.
Weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.
Dann stimmen Sie abschließend mit mir überein, dass
es, wenn keine Verbesserung aufgrund dieser Gespräche
erreicht wird, zu Sanktionen kommen muss? Denn Sie
kennen genauso gut wie ich viele Fälle, in denen Menschen, auch Kinder, auf Organspenden warten und in denen eine Nichteinhaltung der Meldepflicht mehr als ärgerlich ist.
Herr Kollege Spahn, ich stimme Ihnen ausdrücklich
zu. Wir brauchen in Deutschland ein anderes gesellschaftliches Klima. Es muss klar werden, dass die Organspende notwendig ist und wir sie brauchen, weil viele
Menschen, die auf ein Spenderorgan angewiesen sind,
auf Wartelisten stehen. Wir müssen auch darauf hinwirken, dass das, was wir mit der Meldepflicht wollten, umgesetzt wird. Es handelt sich um ein Umsetzungsproblem. Ich hoffe, dass sich nach den Gesprächen mit den
Ländern die Zahl der Meldungen erhöht. Wir müssen sehen, wie sich das Ganze entwickelt. Aber die Zahl von
knapp über 40 Prozent ist für uns nicht ausreichend.
Dann kommen wir zur Frage 11 des Kollegen Spahn:
Trifft es zu, dass der erweiterte Bewertungsausschuss der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen, der im Dezember 2003 den neuen
Einheitlichen Bewertungsmaßstab, EBM, für den kalkulatorischen Arztlohn - EBM 2000 Plus - verabschiedet hat, keinen
eigenen EBM für Kinder- und Jugendärzte vorgesehen hat,
und, wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen?
Die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben sich im
Dezember 2003 auf die zukünftige allgemeine Struktur
des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs, EBM, geeinigt.
Unter anderem ist vorgesehen, dass die im Einheitlichen
Bewertungsmaßstab aufgeführten ärztlichen Leistungen
nach einzelnen Arztgruppen untergliedert werden. Insgesamt sind im Einheitlichen Bewertungsmaßstab neben
einem Hausarztkapitel diverse Facharztkapitel, so zum
Beispiel ein EBM „Innere Medizin“ und ein EBM „Orthopädie“, vorgesehen.
Für die Kinderärzte ist kein eigenes Kapitel vorgesehen, sondern für diese gilt das Hausärztekapitel des
Einheitlichen Bewertungsmaßstabs. Die grundsätzlich
nur von Kinderärzten, nicht von den übrigen Hausärzten
abrechenbaren Leistungen, zum Beispiel Untersuchungen und Beurteilungen der Entwicklung von Säuglingen,
des Kleinkindes oder von Kindern bis zum vollendeten
sechsten Lebensjahr, sind dabei in zwei gesonderten Unterabschnitten des Hausärztekapitels aufgeführt. Nach
Auffassung der Bundesregierung bestehen keine grundsätzlichen Einwände gegen eine solche EBM-Systematik. Insofern besteht gegenwärtig kein Handlungsbedarf.
Ich will in diesem Zusammenhang darauf hinweisen,
dass es sich hier nicht um gesetzgeberisches Handeln
handelt, sondern die Selbstverwaltung ihrem Auftrag
nachkommt, Vorschläge zu entwickeln. Wenn wir kein
staatliches Gesundheitssystem wollen, dann muss die
gemeinsame Selbstverwaltung Arbeitsaufgaben übernehmen. Wenn die Ergebnisse der Arbeitsaufgaben so
ausfallen, wie sie ausfallen, dann steht es uns nicht zu,
daran etwas zu ändern, wenn wir keine rechtlichen Einwände haben.
Ich finde es ganz interessant, dass immer dann, wenn
jemandem Detailregelungen der Selbstverwaltung nicht
gefallen, staatliches Handeln eingefordert wird. Wenn
wir sagen, dass das Bundesgesundheitsministerium gesetzgeberisch tätig werden muss, kommt von Ihrer Seite
der Vorwurf der Staatsmedizin.
({0}) [SPD]: So ist das leider! -
Jörg Tauss [SPD]: Das sind die Widersprü-
che!)
Man muss sich schon auf eine Richtung einigen.
Zusatzfrage, Kollege Spahn.
Frau Staatssekretärin, ich bin ein großer Verfechter
der Selbstverwaltung und stelle diese nicht infrage.
Gleichwohl machen wir auch Gesetze. In § 73 SGB V
steht, dass Kinderärzte auch an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen können. Das heißt letztlich, dass im
neuen EBM spezielle Maßnahmen für Kinder- und Jugendärzte - über die zwei derzeit geltenden kleineren
Regelungen hinaus - notwendig sind. Ähnlich haben Sie
sich - zumindest im Grundsatz - auch in einer Antwort
auf eine zu einem früheren Zeitpunkt von mir gestellte
Frage bezüglich eines Beschlusses des Deutschen Bundestages hinsichtlich der Kinder- und Jugendmedizin geäußert. Von daher beharre ich darauf. Ich würde auch
gerne Ihre Meinung zu der Möglichkeit der Beanstandung hören, durch die seitens des Ministeriums darauf
hingewirkt werden kann, dass die Kinder- und Jugendärzte in den Katalog aufgenommen werden, zumal derzeit auch die Fachausbildung installiert wird und die
Maßnahme insofern sozusagen ein Pendant hätte.
Wenn wir Zuständigkeiten an die gemeinsame Selbstverwaltung von Krankenkassen und Ärzten delegieren,
die eine Regelung treffen, die unseres Erachtens durchaus eine sinnvolle Möglichkeit darstellt - auch wenn sicherlich eine andere Lösung möglich gewesen wäre -,
dann sehen wir nicht die Notwendigkeit einer Beanstandung. Es kann nicht angehen, dass immer dann, wenn einem Teil der Leistungserbringergruppe die Arbeitsergebnisse der gesamten Leistungserbringergruppe nicht
zusagen, der Gesetzgeber handeln soll.
({0})
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Stimmen Sie mir zu, dass es gleichwohl bei dem mehr
als unangenehmen Zustand bleibt, dass der relativ geringen Zahl von Kinder- und Jugendärzten durch eine anders geartete Mehrheit in der Selbstverwaltung einmal
mehr keine angemessenen Möglichkeiten eingeräumt
werden? Das gilt auch hinsichtlich der im Gesundheitswesen entstehenden Kosten. Denn beispielsweise ist
eine Darmspiegelung beim Kleinkind anders und auch
aufwendiger durchzuführen als beim Erwachsenen. Es
würde auch zu einer dauerhaften Kostensenkung beitragen, wenn eine vernünftige Behandlung honoriert
würde. Stimmen Sie mir zu, dass die bestehenden Regelungen sehr unbefriedigend sind und dass in allen Fragen
der Selbstverwaltung Handlungsbedarf besteht?
Angesichts der durchschnittlichen Einkommen der
unterschiedlichen Arztgruppen stimme ich Ihnen zu,
dass sie ein sehr deutliches Ungleichgewicht aufweisen, da zum Beispiel die Kinder- und Jugendärzte am
Ende der Tabelle stehen, obwohl sie eine sehr wichtige
und auch im Sinne der Prävention notwendige Arbeit
leisten.
Es ist klar - das haben wir auch immer betont -, dass
sich innerhalb der Ärzteschaft etwas bewegen muss.
Aber das Beispiel macht deutlich, dass innerhalb der
Selbstverwaltung, in der in der Regel Konsens und
Kompromisse gesucht werden, nicht immer jedes Einzelinteresse zum Zuge kommt. Die Selbstverwaltung
würde jedoch ad absurdum geführt, wenn sie zunächst
aufgefordert würde, Regelungen zu finden, aber immer
dann, wenn es ihr nicht möglich ist, allen Einzelinteressen Rechnung zu tragen, der Gesetzgeber tätig würde.
Ich kann nur die Kinder- und Jugendärzte auffordern,
sich stärker in den Gremien der Selbstverwaltung zu beteiligen. Vielleicht würde sich dadurch einiges ändern.
Wir kommen jetzt zur Frage 12 der Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch:
Wie hoch ist die durchschnittliche monatliche finanzielle
Belastung eines Krebspatienten, der sich einer ambulanten
Chemotherapie unterziehen muss und der nicht als chronisch
krank gilt, und welches Krankheitsstadium muss ein Krebspatient erreichen, damit er als chronisch krank eingestuft wird?
Frau Kollegin, Sie haben nach den finanziellen Belastungen eines Krebspatienten unter ambulanter Chemotherapie und nach den Bedingungen gefragt, unter denen
ein Krebspatient als chronisch krank eingestuft wird.
Auch dafür gilt - das will ich grundsätzlich festhalten -, dass der Selbstverwaltung auferlegt wurde, klar zu
definieren, wer chronisch krank ist. Denn die im GKVModernisierungsgesetz enthaltenen Zuzahlungsregelungen setzen mit der Deckelung in Höhe von 1 Prozent für
chronisch Kranke und 2 Prozent für alle anderen voraus,
dass hinsichtlich der chronisch Kranken eine klare Regelung besteht.
Die Selbstverwaltung hat uns einen Richtlinienvorschlag für chronisch Kranke vorgelegt, den wir in der Tat
ablehnen mussten. Er muss überarbeitet werden, weil
nach dem in der Richtlinie vorgesehenen Krankheitsbegriff nur diejenigen als chronisch krank gelten würden,
die in die Pflegestufe 2 oder 3 eingestuft sind und für die
mindestens zweimal im Jahr ein Krankenhausaufenthalt
erforderlich war. Das bildet meines Erachtens die tatsächliche Situation von chronisch Kranken nicht ab.
Wir haben im Fachausschuss über dieses Thema gesprochen. Der neue Gemeinsame Bundesausschuss ist
aufgefordert, uns bis zum 31. Januar verbindliche Richtlinien vorzulegen, in denen definiert wird, wer als chronisch krank gilt.
Generell verschlechtert sich für die Versicherten die
Situation bis dahin nicht, weil zu hohe Zuzahlungen von
den Kassen zurückzuerstatten sind. Das heißt, dass zu
viel gezahltes Geld auf keinen Fall verloren ist. Die gemeinsamen Organe der Selbstverwaltung wissen, was
auf sie zukommt. Für uns ist wichtig, dass Klarheit
herrscht.
Aber auch hier gilt: In Deutschland gibt es kein staatliches Gesundheitssystem - wenn es das gäbe, dann
könnten wir alles selbst regeln -, sondern Selbstverwaltungsorgane, in denen die Vertreter der fachlichen Seite,
also der Ärzte, der Krankenkassen, die alles finanzieren,
und der Patientenverbände - das ist eine Neuerung; diese
sind seit dem 1. Januar 2004 mit einer vollen dritten
Bank in den Selbstverwaltungsorganen vertreten - gemeinsam definieren, wer als chronisch krank zu gelten
hat. Ich bin mir sicher, dass es hier zu einer Klarstellung
im Interesse der Patientinnen und Patienten kommen
wird. Auch mir gefällt die Verunsicherung nicht, die dadurch entstanden ist, dass die Selbstverwaltung nicht
umfassend und rechtzeitig gehandelt hat.
Erste Zusatzfrage der Kollegin Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
das Gesundheitsmodernisierungsgesetz ist ja nicht erst
gestern, sondern - im Gegensatz zu den anderen Gesetzen, die auf der von Ihnen hochgelobten und von uns
stark kritisierten Agenda 2010 basieren - bereits kurz
nach der Sommerpause beschlossen worden. Wieso
tauchen jetzt so viele Probleme auf? Wieso ist das Ministerium nicht seiner Pflicht nachgekommen, zu kontrollieren, ob die Gesetze, insbesondere das Gesundheitsmodernisierungsgesetz, so umgesetzt werden, dass
keine Verunsicherung und Probleme für die Patienten
auftreten?
Hierzu sage ich ganz klar: Unmittelbar nachdem das
GKV-Modernisierungsgesetz im Deutschen Bundestag
am 17. Oktober letzten Jahres verabschiedet worden ist,
haben wir die gemeinsamen Gremien der Selbstverwaltung aufgefordert, die Richtlinien zu erarbeiten. Wenn
man genau hinschaut, dann stellt man fest, dass es im
Moment zwei Richtlinien gibt, die zu den meisten Nachfragen Anlass geben, weil hier vieles noch nicht geklärt
ist. Die eine betrifft die Fahrtkosten - auch das haben Sie
in Ihrer Frage angesprochen - und die andere betrifft die
Frage, wer als chronisch krank zu gelten hat. Die Gremien der Selbstverwaltung haben gewusst, was sie zu
tun haben. Wir haben immer auf eine zügige und rechtzeitige Umsetzung der Richtlinien im Jahr 2003 hingewirkt.
Beide Richtlinienentwürfe sind dem BMGS erst Mitte
Dezember letzten Jahres zugeleitet worden. Wir haben
dann im Interesse der Patientinnen und Patienten Verbesserungen und Klarstellungen gefordert. Wenn wir also
gehandelt haben, dann im Interesse der Patientinnen und
Patienten. Verzögerungen haben wir nicht zu vertreten
und zu verantworten. Wir drücken sehr stark auf das
Tempo. Aber auch hier weise ich noch einmal darauf
hin, dass es in Deutschland kein staatliches Gesundheitssystem gibt. Wir mussten uns aber immer vor der Opposition rechtfertigen. Wenn wir gesagt haben, dass wir das
gesetzlich regeln wollten, dann hieß es immer, dass es
ein föderales System und eine Selbstverwaltung gebe.
Wenn dem so ist, dann muss man auch die jetzigen Probleme in Kauf nehmen und die Kritik dort anbringen,
wohin sie gehört. Die Gremien der Selbstverwaltung, in
denen die Ärzte und die Krankenkassen vertreten sind,
haben nicht, wie von Ihnen gefordert, die Richtlinien
rechtzeitig und umfassend vorgelegt. Die Selbstverwaltung steht vor der Bewährung. Wir gehen davon aus,
dass bis Ende Januar dieses Jahres die beiden Richtlinien
vorliegen werden, dass sie nachvollziehbar sind und
Rechtsklarheit bringen.
Zweite Zusatzfrage der Kollegin Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
ich habe in meiner schriftlich eingereichten Frage konkret nach den Kosten für eine ambulante Krebstherapie
gefragt. Bei einer solchen Therapie wird ein ganzer
Cocktail an Medikamenten benötigt, der zum einen aus
verschreibungspflichtigen Medikamenten, die von der
Kasse erstattet werden, und nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten besteht, die nach dem neuen Gesetz
nicht mehr erstattet werden. Ist die Bundesregierung der
Meinung, dass Patienten, die sich einer ambulanten Chemotherapie unterziehen, einzelne Bestandteile des Medikamentencocktails extra bezahlen müssen oder nicht?
Generell gilt, dass niemand durch Zuzahlungen überfordert werden soll. Dem dient die Regelung, dass
höchstens 2 Prozent des Jahresbruttohaushaltseinkommens an Zuzahlungen zu leisten sind und nicht mehr.
Deswegen ist die Frage, wie viel im Einzelfall zu entrichten ist, nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr
- das ist schon jetzt klar -, dass die Summe des Ganzen
bei nicht mehr als 2 Prozent liegen darf. Wenn jemand
nach der neuen Richtlinie als chronisch krank eingestuft
wird, dann liegt die Obergrenze bei 1 Prozent.
Zusätzlich will ich noch zu dem Bereich „OTC, nicht
verschreibungspflichtige Medikamente“ - Sie haben
dies hier angesprochen - Stellung nehmen. Frau Kollegin, das Gesetz enthält in der Tat eine klare Übergangsregelung: Bis zum 31. März dürfen OTC-Präparate zulasten der GKV verschrieben werden, wenn sie
Bestandteil einer Behandlung sind. Für die Zeit danach
erwarten wir - auch das ist dem Bundesausschuss bekannt - eine klare Vorgabe. Wenn OTC-Präparate für
eine leitliniengerechte Behandlung einer schweren Erkrankung notwendig sind - das sind sie in Ihrem Beispiel -, dann können sie nach wie vor verschrieben werden. Hierbei sind wir allerdings auf eine Liste der
Krankheiten und der zu deren Heilung notwendigen Medikamente angewiesen.
Ich fasse zusammen: Bis zum 31. März gibt es im
Prinzip keine Änderung; danach gibt es eine Änderung
im Hinblick darauf, was als schwerwiegende Krankheit
eingestuft wird. Generell gilt die Überforderungsklausel
von 2 Prozent.
Jetzt stellt der Kollege Jens Spahn eine weitere Frage.
Frau Staatssekretärin, darf ich feststellen, dass zwischen Ihrer eben auf die Frage der Kollegin Lötzsch gegebenen Antwort, dass Sie in die Selbstverwaltung eingegriffen haben bzw. etwas beanstandet haben, weil es
Ergebnisse gab, die Sie nicht zufrieden gestellt haben,
und der mir gegebenen Antwort, dass das die Selbstverwaltung macht und dass die Ergebnisse am Ende egal
sind, eine Diskrepanz besteht?
Herr Kollege Spahn, im Protokoll werden Sie keine
Formulierung von mir finden, die besagt, dass uns das
egal ist. Ich habe vielmehr gesagt: Man braucht gute
Gründe, um eine Richtlinie, die die Selbstverwaltung
vorlegt, zu beanstanden. Wenn die Ärzte, die von dem
Einheitlichen Bewertungsmaßstab unmittelbar betroffen
sind, den Gremien angehören und einen Katalog vorlegen, der plausibel erscheint, dann sehen wir keinen
Grund zur Beanstandung.
Wir haben aber Grund, eine Richtlinie zu beanstanden, die von einem Bundesausschuss alten Rechts, in
dem auf der einen Seite nur die Kassen und auf der anderen nur die Ärzte vertreten waren, vorgelegt wurde,
wenn, wie wir meinen, im Sinne der Patienten nicht ausreichend definiert wird, wer chronisch krank ist. Hierbei
müssen wir als Treuhänder der Patienten handeln. Wenn eine Leistungserbringergruppe betroffen ist, dann
hat sie über ein Engagement in der Selbstverwaltung
selbst die Chance, auf die Besserung ihrer Lage hinzuwirken. Das ist ein fundamentaler Unterschied.
Eine weitere Frage stellt die Kollegin Petra Pau.
Frau Staatssekretärin, Sie haben auf die Möglichkeit
der Erstattung nach Überschreiten der 1- oder 2-ProzentGrenze mehrfach hingewiesen. Was soll aber beispielsweise ein Sozialhilfeempfänger machen, der, wie wir inzwischen hinreichend wissen, genau diese Grenze mit
der Zuzahlung von 71 Euro schon überschritten hat, der
aufgrund einer bisher als chronisch eingestuften Erkrankung und einer entsprechenden Behandlung vielleicht
schon jetzt, also in der ersten Hälfte des Januars, 50 Euro
bezahlen musste, ohne die er für den Rest des Monats
seinen Lebensunterhalt bestreiten muss?
Frau Kollegin, wir sind der Auffassung, dass Sozialhilfeempfänger in doppeltem Sinne gleichgestellt sind.
Sie erinnern sich an die Diskussion in diesem Hause, in
der beklagt wurde, dass Sozialhilfeempfänger anders als
Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt werden.
({0})
- Der Vorwurf lautete: Sie werden besser behandelt.
Wir haben mittlerweile dafür gesorgt, dass Sozialhilfeempfänger gleichgestellt werden; sie werden jetzt wie
alle anderen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt. Das heißt, die Struktur ihrer Behandlung ist gleich. Angesichts dessen kann man erwarten,
dass Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit Behandlungskosten übernehmen, wie es alle anderen auch tun müssen.
Wir haben festgelegt - ich halte das für eine faire Regelung -, dass dabei nicht das Gesamtfamilieneinkommen, sondern das Einkommen des Haushaltsvorstands,
also die Transferleistungen, die ein Sozialhilfeempfänger bekommt, zugrunde gelegt wird. Bei chronisch
Kranken handelt es sich um eine Größenordnung von
3,50 Euro pro Monat. Wenn die reguläre Zuzahlungsregelung gilt, dann sind es 7 Euro pro Monat. Ich glaube,
dass das niemanden überfordert; schließlich stehen
damit sämtliche Leistungen, die allen anderen gesetzlich
Versicherten angeboten werden, zur Verfügung.
Die Aufsummierung in einem Monat ist ein Problem,
das die Träger der Sozialhilfe und die Kassen lösen müssen. Wir haben Vorschläge dazu erarbeitet. Der Bund ist
aber, wie Sie wissen, nicht der Träger der Sozialhilfe. In
einzelnen Fällen gibt es pragmatische Lösungen, bei denen auch auf die Überforderungsgrenze Rücksicht genommen wird, sodass nicht in einem Monat alles auf
einmal anfällt.
Die kommunalen Spitzenverbände und die Spitzengremien der Kassen sind in einem Schreiben von uns
ausdrücklich auf diese Problematik hingewiesen worden. Beide Seiten müssen praxisnahe Lösungen vorsehen.
Angesichts dessen, dass man die Sozialhilfeempfänger mit den anderen gesetzlich Versicherten gleich behandelt, sowohl was die Rechte als auch was die Pflichten angeht, halte ich das nicht für eine Überforderung.
Vielen Dank.
Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtsposition von
Augenärzten, die die Verschreibung einer Sehhilfe - Brille
oder Kontaktlinsen - privat abrechnen wollen?
Frau Kollegin Lötzsch, Sie wissen, dass sich dazu
auch Ministerin Ulla Schmidt öffentlich geäußert hat.
Wir haben klargestellt, dass dies eine rechtswidrige Praxis der Augenärzte ist, dass die Ermittlung der Sehschärfe weiterhin Kassenleistung bleibt, dass es also ein
Vorgehen der Augenärzte ist, das weder durch das Gesetz gedeckt noch ethisch zu verantworten ist.
Gerade weil wir in dieser Woche eine Aktuelle
Stunde unter anderem zum Thema Praxisgebühr haben
werden, möchte ich dazu noch eine Bemerkung machen. Eine Argumentation in diesem Zusammenhang
finde ich merkwürdig: Ärztevertreter sagen uns, dass es
das Arzt-Patient-Verhältnis negativ beeinflusst, wenn
man eine Praxisgebühr von 10 Euro verlangt. Gleichzeitig werden ungeniert 25 Euro verlangt, auf die kein
Anspruch besteht. Da muss man bitte schön doch bei
einer Linie bleiben. Es war meines Erachtens unvertretbar, dass versucht wurde, auf kaltem Weg ein Zusatzentgelt für eine Arztgruppe zu erschleichen. Das
war gesetzlich nicht gedeckt. Das ist von uns auch klargestellt worden.
({0})
Zusatzfrage, Kollegin Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
gestern ist bekannt geworden, dass die Kassen im Gegensatz zu den früheren Gepflogenheiten künftig nur
noch die Sehstärkenbestimmung beim Augenarzt, aber
nicht mehr beim Augenoptiker übernehmen wollen. Wie
steht die Bundesregierung zu dieser Haltung der Kassen,
und ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung,
dass eine derartige Praxis eher zur Kostenerhöhung als
zur Kostensenkung im Gesundheitswesen führen würde?
Ich kann dies nicht erkennen. Für uns war entscheidend, dass die ärztliche Leistung nach wie vor erbracht
wird. Bislang ist das Vorgehen der Optiker sehr uneinheitlich. Manche verlangen eine Gebühr, manche verlangen keine. Es gibt keine einheitliche Praxis.
Die Optiker haben diese Leistung früher erbracht, um
Kunden an sich zu binden. Insofern ist jeder Versicherte
aufgefordert, bei seinem Optiker nachzufragen, unter
welchen Bedingungen er diese Leistung erbringt. Uns
liegen keine Erkenntnisse darüber, dass es einen einheitlichen Satz gibt, den die Optiker fordern. Der Markt wird
entscheiden, ob sich eine Gebühr überhaupt durchsetzt.
Für uns ist wichtig, dass es dabei bleibt: Bei der Leistung durch den Arzt handelt es sich um eine Kassenleistung. - Vielfach ist es auch notwendig, dass der Arzt
diese Leistung erbringt. Wenn Optiker eine solche Leistung zusätzlich anbieten, gehört das zum Marktgeschehen. Da muss jeder selbst entscheiden, ob er bereit ist,
dafür etwas auszugeben. Der Wettbewerb wird dazu führen, dass von überzogenen Forderungen, von denen auch
ich gehört habe, Abstand genommen wird.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
die Fragestellung war eigentlich ein bisschen anders. Ich
habe auf Folgendes hingewiesen: Die Krankenkassen
haben bekannt gegeben, dass sie anders als früher, vor
In-Kraft-Treten der Neuregelung, die Kosten für die
Sehstärkenbestimmung beim Optiker nicht mehr übernehmen wollen, also nur noch für eine entsprechende augenärztliche Leistung zahlen wollen. Meine Frage war,
wie Sie diese neue Praxis, die sich von der vorhergehenden Praxis eben unterscheidet, einschätzen.
Frau Kollegin, ich kann Ihnen nur sagen: Es war so
nicht. Es gibt eine neue Rechtssituation. Früher ist für
die Sehhilfe von der Kasse ein Anteil erstattet worden.
Von den Optikern wird jetzt gesagt: Darin war auch ein
Teil für die Ermittlung der Sehschärfe enthalten. - Die
Kassen sehen dies anders. Die Optiker versuchen, eine
Zusatzleistung anzubieten und dafür von den Patientinnen und Patienten eine Gebühr zu erhalten.
Ich kann nur noch einmal sagen: Die Bestimmung der
Sehschärfe durch den Arzt gehört zu den Leistungen, auf
die gesetzlich Versicherte Anspruch haben. Niemand
muss eine Gebühr für eine Leistung entrichten, die er gar
nicht will. Die Optiker fordern eine Gebühr für eine
Leistung, die früher schon keine Kassenleistung gewesen ist; diese Leistung wird auch zukünftig nicht von den
Kassen übernommen werden. Noch einmal: Der Markt
wird mit Sicherheit zu einer Änderung dieser Praxis führen.
Damit kommen wir Frage 14 der Kollegin Petra Pau:
Wie viele Anfragen und Beschwerden sind bei der Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel,
bezüglich des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung eingegangen und auf welche konkreten
Problemstellungen bezogen sich diese?
Frau Kollegin Pau, Sie fragen nach der Zahl der Anfragen und Beschwerden bei der Patientenbeauftragten
und danach, auf welche Bereiche sich diese Beschwerden konzentrieren.
({0})
Als Vorbemerkung möchte ich dazu sagen, dass das
Gesundheits- und Sozialministerium schon vor In-KraftTreten dieses Gesetzes reagiert hat, indem es beispielsweise im Internet die wichtigsten Neuregelungen dargestellt hat. Dieses Internetangebot wurde täglich aktualisiert. Hier wurden auch Fragen und Antworten auf der
Basis von Anfragen der Patientinnen und Patienten wiedergegeben. Diese Internetseite wurde täglich 30 000mal aufgerufen, also sehr rege genutzt. Darüber hinaus
haben wir eine Hotline mit einer einheitlichen kostenlosen Telefonnummer eingerichtet, unter der das BMGS
Auskünfte erteilt hat.
Die Einsetzung einer Patientenbeauftragten der Bundesregierung hat selbstverständlich dazu geführt, dass
zusätzlich auch bei ihr eine Vielzahl von Beschwerden
und Anfragen einging. Die Patientenbeauftragte ist seit
dem 2. Januar im Amt. Es gab täglich mehrere hundert
Anrufe und Faxanfragen; ebenso gingen unzählige E-Mails
ein. All diese werden jetzt von zehn Mitarbeitern - wir
haben die Zahl hausintern aufgestockt, damit die Fragen
schnell bearbeitet werden - beantwortet.
Insgesamt summiert sich das auf einige tausend verschiedene Fragestellungen. Es ist also klar, dass all das
nicht von heute auf morgen abgearbeitet werden kann;
die Anfragen werden vielmehr in der Reihenfolge des
Eingangs beantwortet. Mein Eindruck ist, dass derzeit
die Anzahl der Anfragen tendenziell geringer wird, unter
anderem deswegen, weil jetzt endlich auch die Krankenkassen ihrer Pflicht nachkommen, ihre Versicherten ordnungsgemäß zu informieren.
Es gab im Vorfeld große Probleme, weil einige Kassen falsch, unvollständig oder gar nicht informiert haben. Für uns ist interessant, dass die Spitzenverbände offensichtlich nicht dafür gesorgt haben, dass die
Informationen, wie uns ursprünglich zugesagt, an jede
Geschäftsstelle weitergeleitet wurden. Nur so ist die Diskussion zu erklären, wie wir sie beispielsweise über die
Feiertage erlebten, dass die Barmer Ersatzkasse keine
Sozialhilfeempfänger mehr aufnehme. Es hat sich ja hinterher herausgestellt, dass das so nicht zutrifft und es
sich dabei um eine Einzelmeinung handelte, die rechtlich nicht gedeckt war.
Ich habe die Patientenbeauftragte gefragt, zu welchen
Komplexen die meisten Fragen kommen. Es kristallisieren sich dabei - das sehen wir auch an unserer Hotline drei große Fragenkomplexe heraus: erstens die Chronikerregelungen - ich habe eben noch einmal darauf hingewiesen, dass wir diesbezüglich vom Gemeinsamen
Bundesausschuss bis 31. Januar Klarstellungen einfordern -, zweitens die Fahrtkostenregelungen und drittens
die Praxisgebühr. Bezüglich der Fahrtkostenregelung
wird ebenfalls bis 31. Januar eine Richtlinie vorgelegt.
Bei der Praxisgebühr hat die KBV, die für die Umsetzung ja auch Verantwortung trägt, reagiert, indem sie die
Detailregelungen auf ihrer Homepage veröffentlicht hat,
sodass auch hier die Zahl der Anfragen abnimmt.
Wenn uns eine rechtswidrige Praxis gemeldet wird
- so haben zum Beispiel einzelne Ärzte statt 10 Euro
12 Euro Praxisgebühr verlangt und das mit internen Verwaltungskosten gerechtfertigt -, gehen wir jedem Einzelfall nach.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Pau.
Frau Staatssekretärin, Sie haben schon dargestellt, wo
die Schwerpunkte der Anfragen lagen und in welchen
Bereichen das Informationsbedürfnis am höchsten war.
Zeichnet sich ab, dass die Patientenbeauftragte der Bundesregierung eventuell zum Monatsende Vorschläge unterbreiten wird, wo Nachbesserungs- oder Regelungsbedarf besteht? Wir hören ja im Moment, dass die Frau
Bundesministerin ankündigt, zum Beispiel im Bereich
der gynäkologischen Versorgung, beim Nachfolgerezept
für die Pille, eine Klarstellung vorzunehmen. Zeichnen
sich im Zuge der Tätigkeit der Patientenbeauftragten
weitere Komplexe ab, bei denen dringend nachgebessert
oder etwas klargestellt werden muss?
Frau Kollegin, ich will noch einmal ausdrücklich sagen, dass wir keinen Nachbesserungsbedarf sehen. Solcher ist auch von der Ministerin nicht angekündigt worden. Hier hat sich ein Duktus eingeschlichen, der den
Eindruck erweckt, dass der Gesetzgeber nicht in der
Lage sei, ordnungsgemäß Gesetze zu machen. Dabei ist
es doch so, dass Aufgaben, die wir untergesetzlich an die
Selbstverwaltung delegieren, von dieser nicht wahrgenommen werden. Es gibt keinen Nachbesserungsbedarf,
es gibt einen Umsetzungs- und Klarstellungsbedarf; die
Selbstverwaltung muss endlich ihre Arbeit tun. Dies haben wir eingefordert.
Die Klarstellungen wird es geben. Wo zum Beispiel
Dinge rechtswidrig passieren, muss jemand sagen: Das
ist rechtswidrig! Das haben wir bei den Augenärzten getan, ebenso dort, wo Praxisgebühren ungerechtfertigt erhoben wurden. Dort werden wir tätig und weisen klar
auf die Gesetzeslage hin. Mir ist nicht bekannt, dass die
Patientenbeauftragte die Forderung nach einer Nachbesserung erhoben hätte. Ich halte diese Begrifflichkeit
nicht für angemessen.
Unser Problem liegt darin, dass in einem Gesundheitswesen, das so komplex ist wie das unsere - mit der
Verantwortung für die Fachaufsicht teilweise bei den
Ländern, mit der Verantwortung der Beteiligten in der
Selbstverwaltung -, die Umsetzungsprobleme enorm
sind. Ich bin zwar neu im Feld der Gesundheitspolitik.
Aber ich habe mir von Erfahrenen wie zum Beispiel
Herrn Seehofer, der sich dazu ja heute Morgen im „Morgenmagazin“ auch öffentlich äußerte, sagen lassen:
Diese Umsetzungsprobleme gab es jedes Mal. Sie sind
ärgerlich; aber man muss die Verantwortung dort ansiedeln, wohin sie gehört.
Weitere Zusatzfrage, Frau Pau?
Frau Staatssekretärin, jenseits unserer offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten zum Inhalt des Gesetzes komme ich auf den Komplex der Zuzahlungen und
Härteregelungen zurück. Welchen Rat würde die Patientenbeauftragte oder würden auch Sie einem Rat suchenden Patienten geben, der in folgender konkreter
Lebenssituation ist: Er bezieht Arbeitslosenhilfe, hat
nach Abzug aller feststehenden Kosten für den Lebensunterhalt noch 100 Euro übrig, hat bis zum heutigen
Tag schon 50 Euro für Medikamente ausgegeben, die er
zur Versorgung seiner chronischen Krankheit braucht,
zahlt für weitere Hilfsmittel und entrichtet die Praxisgebühr. Wovon soll er den Rest des Monats und bis zur
eventuellen Erstattung am Ende des Quartals leben?
Frau Kollegin, ich habe eben schon einmal darauf
hingewiesen, dass die Möglichkeit der Befreiung schon
jetzt besteht, wenn jemand überfordert ist. Hier ist natürlich jeweils der Träger der Arbeitslosenhilfe oder der Sozialhilfe aufgefordert, an Lösungen mitzuarbeiten. Das
ist jederzeit bereits möglich; man muss nicht ein ganzes
Jahr Zuzahlungen leisten - das suggerieren Sie ja -, bevor man etwas einreichen und zurückbekommen kann.
Sobald man in die Größenordnung der Überforderung
- 2 Prozent des Bruttoeinkommens - kommt, kann man
sofort zur Kasse gehen und wird für den Rest des Jahres
befreit.
Zusatzfrage, Herr Kollege Spahn.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade schon angedeutet, wie viele Mitarbeiter zurzeit im Ministerium für
die Patientenbeauftragte arbeiten; das resultiert ja jetzt
eher vorübergehend aus dem großen Bauch an Anfragen,
der sich mit dem Jahreswechsel ergeben hat. Wie soll die
Personalausstattung der Patientenbeauftragten in Zukunft aussehen, wie die sachliche Ausstattung? Insbesondere höre ich immer etwas munkeln von Dienstwagen und Chauffeur. Gehört das tatsächlich zur
Ausstattung?
Herr Kollege Spahn, für uns ist entscheidend, dass
wir eine arbeitsfähige Struktur herstellen. Insofern - das
finde ich wichtig - braucht die Patientenbeauftragte
qualifizierte Mitarbeiter. Sie stimmen mir sicher zu, dass
die Patientenbeauftragte eine tragfähige Ausstattung
braucht. Wenn ich mich richtig erinnere, ist ausweislich
des Haushaltsplans vorgesehen, dass die Patientenbeauftragte - wie im Übrigen andere Beauftragte auch; ich als
Drogenbeauftragte habe ebenfalls einen solchen Mitarbeiterstab - sechs Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter zur
Verfügung hat. Klar ist, dass in solchen Leistungsspitzen
wie jetzt ausgeholfen wird und man sich im Interesse der
Patientinnen und Patienten flexibel zeigt.
Ich halte es für ein Riesenproblem, wenn man auf der
einen Seite vorgibt die Funktion solle mit Leben erfüllt
werden, und auf der anderen Seite kritisiert, wenn entsprechende Sachmittel und Personalmittel zu etatisieren
sind. Es ist doch klar: Wenn eine solche Funktion geschaffen wird, muss sie arbeitsfähig sein. Die Erwartung
der Menschen ist: Wenn ich dort anrufe, nimmt jemand
meinen Anruf an und beantwortet kompetent meine Fragen. Deswegen halte ich es für vertretbar, dass die Patientenbeauftragte einen Mitarbeiterstab im Ministerium hat.
Frau Kollegin Lötzsch.
Frau Staatssekretärin, ich möchte an die Fragen meiner Kollegin Petra Pau und an die Fragen nach den
sozialen Härten anknüpfen.
Sie haben bereits vorhin gesagt, Sie erwarten, dass
zwischen den Kassen und den Trägern der Sozialhilfe
Vereinbarungen getroffen werden. Vom Standpunkt der
Regierung ist das eine naheliegende Erwartung. Aber
der betroffene Bürger oder Sozialhilfeempfänger, der nur
wenig Geld hat, ist in den ersten Wochen dieses Monats
mit der Tatsache konfrontiert, dass in vielen Fällen diese
Vereinbarung zwischen den Kassen und den Trägern der
Sozialhilfe offenbar nicht getroffen worden ist. Können
Sie sagen, ob es entsprechende Vereinbarungen zwischen den Trägern der Sozialhilfe und den Kassen gibt?
Ich möchte ferner wissen, ob diese Vereinbarungen
dazu beitragen, dass es erstens nicht zu sozialen Härten
für die Bürger kommt und dass zweitens die Bürger von
den zuständigen Stellen informiert werden und dieses
Durcheinander aufhört.
Frau Kollegin, ich erinnere mich an einen Dankesbrief
Ihrer Kollegin Frau Pau für das Zusenden des Informationspakets zum Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz, das die Bundesregierung allen Abgeordneten zukommen ließ, um sie rechtzeitig und umfassend zu
informieren. Unser Ministerium hat darüber hinaus
- auch das habe ich vorhin gesagt - eine aktuelle Seite
ins Internet gestellt und eine Hotline eingerichtet. Ich
glaube daher, dass wir unserer Informationspflicht umfassend nachgekommen sind.
Die Ministerin, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
unseres Hauses und auch ich selbst als Parlamentarische Staatssekretärin haben mehrere öffentliche Veranstaltungen zu diesem Thema durchgeführt. Ich stand
mindestens drei Zeitungen für die Beantwortung von
Bürgerfragen mehrere Stunden lang zur Verfügung. Wir
haben also versucht, umfassend zu informieren. Aber
diese Information kann nicht nur vonseiten der Bundesregierung erfolgen. Auch die Kassen, die Ärzte und die
Leistungserbringer haben eine Informationspflicht. Das
gilt auch für die Länder, die an diesem Gesetz mitgewirkt haben. Ich meine, dass die notwendigen Informationen geflossen sind. Zur Verunsicherung hat teilweise
beigetragen, dass sie nicht rechtzeitig geflossen sind.
Ich habe vorhin schon das genannt, was noch zu verbessern ist.
Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass jede
Ebene ihre Aufgabe zu erfüllen hat. Es kann nicht angehen, dass einzelne Teile der Selbstverwaltung bestimmte
Aufgaben nicht erledigen oder Maßnahmen blockieren.
Wir haben jetzt zum Beispiel die unbefriedigende Situation, dass es noch einen Streit zwischen den Sozialhilfeträgern und den Kassen gibt. Wir haben die Beteiligten
aufgefordert, die offenen Punkte im Sinne der Patientinnen und Patienten zu regeln. Wir gehen davon aus, dass
dies geschehen wird.
Abschließend will ich sagen: Diese Operation fällt
niemandem leicht, auch uns nicht. Denn wir wissen, dass
die Patientinnen und Patienten belastet werden. Es ist
ebenfalls klar, dass diese Regelungen für viel Unmut
sorgen. Aber man muss sich einmal anschauen, was die
Alternative gewesen wäre. Angesichts der Verschuldungssituation der Kassen wären die Alternative Beitragssatzanhebungen gewesen. Das hätte eine Flucht
derjenigen aus der gesetzlichen Krankenversicherung
bewirkt, die zu einer privaten Krankenversicherung
wechseln können.
Wer die Entsolidarisierung und einen Anstieg der
Lohnnebenkosten nicht will, muss den Mut zu Ausgabenbegrenzungen haben. Auch wenn es unbequem ist,
müssen diese Maßnahmen vertreten werden. Natürlich
haben Sie es einfacher, jedem alles zu versprechen, weil
Sie nicht sagen müssen, woher die gesetzlichen Krankenkassen das Geld nehmen sollen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur
Verfügung.
Die Fragen 15 und 16 der Kollegin Kristina Köhler
({0}), die Fragen 17 und 18 des Kollegen
Hartmut Koschyk sowie die Fragen 19 und 20 des Kollegen Dr. Nobert Röttgen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 21 der Kollegin Petra Pau auf:
Wie viele antisemitische Straftaten wurden im dritten
Quartal 2003 in der Bundesrepublik Deutschland begangen
und wie viele Opfer dieser Straftaten gab es?
Frau Kollegin Pau, im dritten Quartal 2003 wurden
insgesamt 253 antisemitische Straftaten, die dem Phänomenbereich „politisch motivierte Kriminalität rechts“
zugeordnet wurden, gemeldet. Darunter befanden sich
46 so genannte Propagandadelikte und sieben Gewaltdelikte. Bei letzteren handelt es sich um fünf Körperverletzungs- und zwei Widerstandsdelikte. Im dritten Quartal
2003 wurden dabei sechs Personen verletzt. Todesfälle
waren nicht zu verzeichnen.
Zusatzfrage.
Ich gehe sicherlich recht in der Annahme, Herr
Staatssekretär, dass Sie auch auf meine Zusatzfrage wie
immer umfassend vorbereitet sind: Können Sie mir diese
Statistik nach Ländern getrennt vortragen?
Nach Bundesländern?
Ja, nach Bundesländern.
Ich werde meinem Ruf, dass ich hervorragend vorbereitet bin, wieder gerecht und könnte das jetzt im Einzelnen tun. Aber um das Verfahren ein bisschen abzukürzen, bekommen Sie diese Information schriftlich.
({0})
Frau Pau, ich möchte jedoch so viel dazu sagen, dass
aus der statistischen Erfassung keine besonderen
Schwerpunkte in Bezug auf einzelne Bundesländer herauszulesen sind. Das werden auch Sie sehen, wenn Sie
sich diese Zahlen zu Gemüte führen.
Weitere Zusatzfrage?
Ich möchte keine Zusatzfrage stellen, wenn wir, das
Präsidium, der Herr Staatssekretär und ich, darin übereinstimmen, dass diese nachgereichte Information Bestandteil des Stenografischen Berichts wird und nicht
nur zwischen uns beiden ausgetauscht wird.
Wenn das möglich ist, ist das kein Problem.
Es war bisher einmal möglich und einmal nicht. Des-
halb möchte ich das klargestellt wissen.
Ich sehe überhaupt keine Probleme, schon gar nicht
dann, wenn alle darin übereinstimmen, dass es sinnvoll
wäre, diese Information allen zugänglich zu machen.1)
Ich rufe jetzt die Frage 22 des Kollegen Ernst
Hinsken auf:
Aus welchen Gründen will der Bundesminister des Innern,
Otto Schily, die Eröffnungsfeier der Fußballweltmeisterschaft
2006 nach Berlin verlegen, obwohl das Eröffnungsspiel in
München ausgetragen wird - vergleiche „Süddeutsche Zei-
tung“ vom 20./21. Dezember 2003 -, und wie hoch sind die
dadurch entstehenden Kosten?
Herr Kollege Hinsken, ich darf Ihre Frage wie folgt
beantworten: Der Deutsche Fußball-Bund hat als Aus-
richter der WM 2006 gegenüber dem Veranstalter FIFA
zugesagt, unmittelbar vor dem Eröffnungsspiel im Sta-
dion im üblichen Rahmen eine Eröffnungszeremonie zu
veranstalten. Diese Zusage steht nicht infrage.
Ganz unabhängig davon wird darüber nachgedacht,
ob sich Deutschland nicht der Welt wie beispielsweise
nach dem Vorbild der Olympischen Spiele 2000 in Syd-
ney und der Fußball-WM 1998 in Frankreich einen Tag
vor dem Eröffnungsspiel mit einer ansprechenden Feier
als weltoffenes, gastfreundliches und interessantes Gast-
geberland präsentieren sollte. Insofern geht es nicht da-
rum, eine Feier von München nach Berlin zu verlegen,
sondern um die Frage, ob es neben der Eröffnungszere-
monie vor dem Eröffnungsspiel im Stadion eine zusätzli-
che Veranstaltung geben soll, um die herausragende
Chance zu nutzen, dass die Welt auf unser Land blickt.
Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass es überhaupt
keinen Anlass zu Streit geben muss und dass die Verant-
wortlichen bzw. die Entscheidungsträger diese Konzep-
tion mittragen und befürworten. Dies sind im Übrigen
Konzeptionen, wie wir sie bei den Beispielen, die ich Ih-
nen genannt habe, erlebt haben.
Zusatzfrage, Herr Kollege Hinsken.
1) Anlage 7
Herr Staatssekretär Körper, was hat den Bundesinnenminister Schily überhaupt bewogen, zu sagen, dass die
Eröffnungsfeier der Fußballweltmeisterschaft 2006 hier
in Berlin stattfinden soll, und ist Ihnen und Herrn Schily
bewusst, dass es viel Verdruss gegeben hat, dass man
sich ärgert und dass hiermit ein Novum eingeführt werden würde, wie wir es bei einer Fußballweltmeisterschaft noch nie gehabt haben?
Herr Hinsken, es kommt immer darauf an, ob man jemanden wie beispielsweise den Herrn Bundesinnenminister Otto Schily richtig verstehen will oder ob man
ihn vielleicht bewusst falsch verstehen will, um ein Konfliktthema in die Welt zu setzen. Es ging ihm bei seinen
Überlegungen lediglich darum, ob wir beispielsweise
nach dem Vorbild der Olympischen Spiele in Sydney
oder nach dem Vorbild der Fußballweltmeisterschaft
1998 in Frankreich eine besondere, von dem Eröffnungsspiel losgelöste Einstiegsfeier vorsehen sollten.
Dazu hat er den Gedanken geäußert - im Übrigen auch
wieder an dem Beispiel der Fußballweltmeisterschaft in
Frankreich orientiert -, diese Feierlichkeit in der Hauptstadt, also hier in Berlin, stattfinden zu lassen. Ich
glaube, wer die Entwicklung dieser Dinge kennt, kann
nicht gut nachvollziehen, dass darüber irgendein Streit
entsteht.
({0})
- Nein, der Streit ist überhaupt nicht vorhanden. Vielleicht bei Herrn Hinsken, aber ansonsten nicht.
Das wird sich durch die weitere Zusatzfrage des Kollegen Hinsken klären.
Das glaube ich auch.
So ist es, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, was,
meinen Sie, könnten wir unternehmen, sodass auch der
Oberbürgermeister von München, Herr Ude, in der Lage
ist, Herrn Schily richtig zu deuten, und sich nicht sorgenvoll an die FIFA und an Herrn Blatter wenden muss,
weil er nicht bereit ist, ohne weiteres hinzunehmen, was
hier vom Zaun gebrochen wird? Wann ist im Übrigen
das erste Gespräch zwischen Herrn Schily und Herrn
Blatter geführt worden?
Herr Hinsken, es gibt einen alten Grundsatz: Es ist
besser, miteinander zu reden als übereinander. Es ist
schlecht, wenn man miteinander über Pressemeldungen
verkehrt. Ich denke, es ist wichtig, dass man die Dinge
anspricht. Es ist ganz aktuell und vielleicht auch Ihnen
bekannt, dass Herr Blatter und Herr Beckenbauer an
Herrn Ude geschrieben und entsprechend klargestellt haben, worum es geht. Ich bin sicher, wenn die Fakten so
zur Kenntnis genommen werden, hat auch der Oberbürgermeister von München keinerlei Einwendungen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
ich knüpfe gleich an Ihren guten Rat, lieber miteinander
als übereinander zu sprechen, an und frage Sie, ob Sie
mit mir der Meinung sind, dass es im Interesse aller Mitglieder des Deutschen Bundestages - auch der bayerischen - sein müsste, dass möglichst viele bedeutende
Veranstaltungen in Berlin - immerhin Hauptstadt der
Bundesrepublik Deutschland - stattfinden sollten?
Liebe Frau Kollegin, wissen Sie, die Betrachtungsweisen sind unterschiedlich und immer besonders davon
motiviert, wo jemand seinen Wohnsitz und sein Arbeitsumfeld hat. Ich habe damit Erfahrung. Insbesondere beziehe ich mich dabei auch auf die nachher anstehende
Aktuelle Stunde, deren Thema sich nicht vom Sachkonzept ableiten lässt, sondern eher dadurch bestimmt wird:
Wer kommt woher? Ich denke, das ist keine objektive
Herangehensweise.
({0})
- Habe ich etwas Falsches gesagt?
({1})
- Ja, es wird auch davon bestimmt, wer wohin kommt.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Roedel.
Herr Staatssekretär, nachdem die Planungen für das
Ereignis, das so nun doch nicht in Berlin stattfinden
wird, vielleicht woanders schon lange laufen und da die
Presse oft nicht die Wahrheit sagt, frage ich Sie direkt:
Wie ist denn die Finanzierung dieses Ereignisses, das
vor der Eröffnungsfeier stattfinden soll, geplant? Darüber hat sich Ihr Minister sicherlich schon Gedanken
gemacht.
Frau Kollegin, das ist übrigens die nächste Frage, die
mir der Abgeordnete Hinsken gestellt hat. Hinsichtlich
der Finanzierungsfrage muss man step by step vorgehen.
Es war bisher überhaupt nicht klar, ob die FIFA, die
letztendlich Entscheidung zu treffen hat und auch die
Verantwortung dafür zu tragen hat, so ein Konzept - eine
solche besondere Veranstaltung zur Eröffnung dieses
sportlichen Großereignisses in Berlin - umsetzen will.
Wenn wir diese Entscheidung kennen und dieses Konzept steht, dann werden wir auch für die entsprechende
Finanzierung sorgen.
Frau Kollegin Kaupa.
Herr Staatssekretär, Herr Beckenbauer hat sich ja bereits zu den Gesprächen mit und über Schily geäußert
und dazu gesagt: Wer zahlt, schafft an. Sie haben sich
jetzt nicht festgelegt, wo das Geld herkommt. In der Zeitung stand, dass Sie es durch den Münzverkauf finanzieren wollen. Von den Mitteln aus dem Münzverkauf sind
dem Sport 30 000 Euro zugesagt worden. Alles, was zusätzlich eingenommen wird, bleibt insgesamt im Staatssäckel.
Es gibt auch ein Gremium von Abgeordneten, das
über diese Gelder bestimmt. Dabei geht es um kulturelle
Veranstaltungen. Handelt es sich hierbei um eine kulturelle Veranstaltung? Für wen ist sie? Für eine Elite? Für
besondere Leute, die ihren Arbeitsplatz - wie vorhin angesprochen - nicht in München, sondern in Berlin haben
und vielleicht nicht nach München fahren wollen? Die
Eröffnungsfeier ist eigentlich für diejenigen gedacht, die
den Start der Fußball-EM erleben wollen.
Noch allgemein gefragt: Welche weiteren zentralistischen Ideen hat die Bundesregierung im Bereich des
Sports, um das föderale System der Bundesrepublik weiter auszuhöhlen?
Liebe Frau Kollegin, jetzt könnte ich eigentlich mit
Franz Beckenbauer antworten: Schau’n wir mal, wie es
weitergeht. Ihr Redebeitrag jedoch veranlasst mich, ein
paar Bemerkungen zu diesem Thema zu machen. Ich
glaube, dass die Frage, wie unser Land beispielsweise
ein sportliches Großereignis organisiert und sich in diesem Zusammenhang auch entsprechend präsentiert, ganz
wesentliche Rückschlüsse darüber zulässt, wie wir dieses Ereignis angehen. Ich denke, dass dieses Land, dass
die Menschen in Deutschland und dass auch diese Bundesregierung voll hinter dieser Fußballweltmeisterschaft
stehen und dass wir dieses Ereignis entsprechend organisieren wollen.
Ich halte den Zungenschlag, den Sie mit Ihrer Frage
an die Bundesregierung hinsichtlich mehr Zentralismus
in die Debatte gebracht haben, nicht für gut. Ich denke,
wir haben ein paar ganz gute Vorbilder. Ich nenne hier
insbesondere Frankreich, das uns 1998 gezeigt hat, wie
man eine Eröffnungszeremonie direkt vor dem Eröffnungsspiel durchführt. Eine schöne Eröffnungsfeier beispielsweise einen Tag vor dem Eröffnungsspiel stünde
diesem Ereignis gut zu Gesicht. In Frankreich gab es
beispielsweise keine Debatte darüber, ob diese Feier in
Paris stattfinden sollte oder nicht. Ich glaube, auch wir
sollten eine solche Debatte nicht führen. Diese Art von
Einstieg in dieses fußballerische Ereignis hier in Berlin
halte ich für überhaupt kein Problem.
Zur Frage der Finanzierung habe ich meine Meinung
gesagt. Das werden wir in einem weiteren Schritt entsprechend festlegen.
Nun rufe ich die Frage 23 des Abgeordneten Ernst
Hinsken auf:
Aus welchen Haushaltstiteln will die Bundesregierung,
falls die Eröffnungsfeier in Berlin stattfindet, diese finanziell
unterstützen?
Vielleicht ist den angedeuteten Überlegungen zur Finanzierung ja noch etwas hinzuzufügen.
Herr Präsident, nein, dem ist nichts hinzuzufügen. Ich
hatte die Antwort schriftlich wie folgt fixiert: Die Frage
des erforderlichen Aufwandes ist im Hinblick auf
Frage 22 noch nicht abschließend geklärt.
Herr Kollege Hinsken.
Herr Staatssekretär, Sie wurden vorhin dafür so gelobt, dass Sie immer so gut vorbereitet sind.
({0})
Halten Sie es denn für angemessen, mit Aussagen an die
Öffentlichkeit zu treten, ohne zu überlegen, was das
Ganze kostet? Ist Ihnen denn überhaupt bewusst, dass
der kleine Mann überhaupt keine finanziellen Möglichkeiten hat, um von der Eröffnungsfeier zur Fußballweltmeisterschaft hier in Berlin zum Eröffnungsspiel nach
München und dann wieder zurück zu fahren? Wir aber
wollen alle Menschen mit dabeihaben. Das soll ein großes Highlight des Jahres 2006 werden.
Deshalb würde mich interessieren, wo der Haushaltsansatz ist. Aus welchen Töpfen wollen Sie diese Eröffnungsfeier hier finanzieren? Ich rufe noch einmal ins
Gedächtnis, dass Franz Beckenbauer gesagt hat: Wer
zahlt, schafft an. Wenn die Bundesregierung das will, anschafft und auch bezahlt, sollte sie auch - so weit irgend
möglich - meinem Wunsch nachkommen.
Lieber Herr Kollege Hinsken, ich glaube, dass jeder
die Entscheidung treffen kann, ob er zur Eröffnungszeremonie vor dem Eröffnungsspiel nach München oder zur
Eröffnungsfeier nach Berlin, zu beidem oder vielleicht
zu einem WM-Spiel in Kaiserslautern geht. Das muss
man sich dann überlegen. Herr Kollege Kelber, das sage
ich deshalb, weil ich dorthin den kürzesten Anfahrtsweg
habe.
Sie sollten schon darauf achten, alle Austragungsorte
vollständig zu nennen; sonst entstehen die nächsten
Herr Vizepräsident, da ich neben dem Austragungsort
für das Eröffnungsspiel und dem für das Endspiel nur
noch einen weiteren genannt habe, hoffe ich auf Ihr Verständnis.
Langer Rede kurzer Sinn: Herr Hinsken, ich glaube,
dass die Konzeption richtig ist. Die Verantwortlichen haben sich so entschieden. Das ist auch gut so. Jetzt werden wir für die Durchführung dieses Konzeptes organisatorisch und finanziell sorgen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist denn die Bundesregierung bereit, das, was sie in finanzieller Hinsicht für Berlin in
Aussicht gestellt hat, auch für München in Aussicht zu
stellen, nachdem jetzt doch die Konzentration auf München vorgenommen wird? Das kostet einige Millionen.
Ist die Bundesregierung in der Lage und auch bereit, die
Mittel zur Verfügung zu stellen und hier keinen Unterschied zwischen München und Berlin zu machen?
({0})
Das, was jetzt durch den Zwischenruf des Kollegen
Bosbach deutlich geworden ist, ist die viel wichtigere
Frage. Hinsichtlich des Titelgewinns jedoch lassen wir
uns überraschen.
Herr Hinsken, ich gehe davon aus, dass es zu einer
objektiven und sachgerechten Umsetzung dieses Konzepts sowohl in organisatorischer als auch in finanzieller
Hinsicht kommen wird.
Die letzte Frage hat Frau Kollegin Kaupa.
Stimmt der Ablauf der Entscheidungsfindung, wonach das WM-OK und das Bundesinnenministerium
miteinander einen Beschluss fassen müssen, der dann
aber von der FIFA abgesegnet werden muss, dass sie
also das letzte Wort hat? Wird es denn, wenn die FIFA
Nein sagt, nicht gemacht?
Wenn Sie sich Gedanken machen, was Sie vorhaben,
dann müssen Sie doch auch geplant haben, was es kosten
wird. Man kann doch nicht ins Blaue hinein planen. Irgendwann wird man doch auch einmal eine Rechnung
aufstellen. Ihnen werden doch Zahlen vorliegen. Wenn
Sie sie haben, legen Sie sie uns bitte vor.
Frau Kollegin, das letzte Wort hat die FIFA. Sie entscheidet darüber, ob diese Konzeption realisiert wird.
Ich sage Ihnen: Wenn diese Konzeption auf dem Tisch
liegt, wird auch finanziell für ihre Durchführung gesorgt.
Herr Kollege Körper, nachdem nun nahezu alle Fragen zu den Rahmenbedingungen des Eröffnungsspiels
mindestens angesprochen, wenn nicht geklärt sind,
bleibt nur die Frage nach dem Ergebnis dieses Spiels.
Ich gehe davon aus, dass uns die Bundesregierung rechtzeitig unterrichtet, sobald dazu eine Vereinbarung getroffen worden ist.
Das werden wir tun, Herr Präsident.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit auf. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo
Schlauch zur Verfügung.
Ich rufe Frage 24 der Kollegin Roedel auf:
Trifft es zu, dass Auszubildende der deutschen Agenturen
für Arbeit mit Billigung der Bundesagentur für Arbeit, BA,
regelmäßig mit einem Dienstwagen zu ihren Seminaren gebracht werden, um Kosten zu sparen, und, wenn ja, wurden in
die Vergleichsberechnung zwischen Dienstwagennutzung und
der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auch die Personalkosten für die Fahrer eingerechnet?
Sehr geehrte Frau Kollegin Roedel, ich beantworte
Ihre Frage wie folgt: Es trifft nicht zu, dass Auszubildende zu ihren Seminaren regelmäßig mit einem Dienstwagen gebracht werden. Nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit sind ihre Dienststellen gehalten, für
die erforderlichen Dienstreisen ihrer Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter zu Aus- und Fortbildungsveranstaltungen die insgesamt kostengünstigste Variante einzusetzen. Dabei sind nicht nur die unmittelbaren Kosten zu
berücksichtigen, sondern auch mittelbare Faktoren wie
die Anbindung an Netze des ÖPNV oder die zeitliche
Lage der Veranstaltung.
Diese Grundsätze gelten auch für die Teilnahme von
Auszubildenden an Aus- und Fortbildungsveranstaltungen. Stets ist eine Prüfung, bezogen auf die jeweilige
Veranstaltung, vorzunehmen. Diese einzelfallbezogene
Prüfung erfasst sinnvollerweise nur die zusätzlich anfallenden Kosten. Die Nutzung eines Dienstwagens mit
Fahrer ist dabei auch dann günstiger, wenn andere Fahrten nicht durchzuführen sind, der Kraftfahrer also nur in
Bereitschaft steht und das Fahrzeug ansonsten ungenutzt
bleiben würde. Die Bundesagentur strebt einen möglichst hohen Auslastungsgrad vorhandener Ressourcen
an. Kosten wie die Fixkosten des ansonsten nicht genutzten Fahrzeuges oder die anfallenden Personalkosten
des Fahrers werden beim Kostenvergleich mit öffentlichen Verkehrsmitteln daher nicht in die Berechnung einbezogen.
Ihre Zusatzfrage, Frau Roedel.
Dann stimmt also die Aussage eines Arbeitsamtdirektors, dass gerade Behörden mit großem Einzugsbereich
auf ihren Fuhrpark zurückgreifen? Hier kommt es dann
wohl im Einzelnen auf die Berechnungen an. Denn erst
haben Sie mir erklärt, so würde grundsätzlich nicht verfahren. Dann haben Sie Stellung dazu genommen, welche Berechnungen angestellt werden. Das habe ich nicht
ganz verstanden.
Ihre Frage lautete, ob es zutreffe, dass Auszubildende
regelmäßig zu Fortbildungsveranstaltungen chauffiert
würden. Dazu habe ich gesagt, dass das nicht zutrifft.
Vielmehr werden Einzelfallprüfungen durchgeführt. Im
Einzelfall kann das günstiger oder angemessen sein.
Diese Möglichkeit wird deshalb nach Bedarf wahrgenommen.
Keine weitere Zusatzfrage. Dann rufe ich Frage 25,
ebenfalls von Frau Roedel, auf:
Wie hoch sind die Kosten, die für öffentliche Verkehrsmittel bzw. Dienstwagen inklusive der Kosten für die Fahrer aufgewendet werden müssen?
Sie fragen nach den Vergleichskosten einerseits bei
Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und andererseits bei
Nutzung von Dienstwagen. Hierzu teilt die Bundesagentur Folgendes mit - deshalb beantworte ich Ihre Frage
auch in diesem Sinne -: Ein bundesweiter Vergleich der
Kosten, die für öffentliche Verkehrsmittel bzw. für
Dienstwagen mit Fahrer anfallen, ist nicht möglich. Für
Dienstfahrten liegen die direkten und indirekten Kosten
pro Fahrzeug und Kilometer bei 0,31 Euro, und zwar auf
der Basis von 21 615 844 Kilometern Fuhrparkgesamtfahrleistung im Jahr 2002, unabhängig von der Anzahl
der zu befördernden Personen. Hierin sind die Kosten
für Kauf, Leasing, Unterhalt sowie die Personalkosten
für die Disposition des Fuhrparks enthalten. Nicht enthalten sind jedoch die Personalkosten der Berufskraftfahrer, da die Dienstfahrzeuge sowohl von den Berufskraftfahrern als auch von den Dienstreisenden selbst
gefahren werden.
Bei Bahnreisen wendet die Bundesagentur unter Berücksichtigung von Rabatten 0,15 Euro pro Kilometer
und Person in der zweiten Klasse auf.
Da niemand eine weitere Zusatzfrage stellen möchte,
rufe ich die Frage 26 des Kollegen Dr. Christoph
Bergner auf:
Welche Kosten verursachen die aktuellen Ausschreibungen der BA bzw. der Landesarbeitsämter zur Durchführung von Maßnahmen nach § 37 a bzw. § 48 Drittes Buch
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Sozialgesetzbuch, zum Beispiel durch Abordnung von Mitarbeitern aller Agenturen für Arbeit zur Auswertung der Angebote, Anmietung von gesonderten Räumlichkeiten für diese
Auswertung, Versendung aller notwendigen Unterlagen, Bearbeitung der Bieteranfragen?
Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Bergner, Ihre Frage
beantworte ich wie folgt: Für die Verwaltungskosten zur
Durchführung der Ausschreibungen zur Beauftragung
von Dritten mit der Vermittlung sowie der Ausschreibungen von Trainingsmaßnahmen auf regionaler bzw.
zentraler Basis wurden keine Erhebungen und separaten
Erfassungen vorgenommen. Zusammenfassend kann jedoch davon ausgegangen werden, dass im Vergleich zu
den bislang in den Arbeitsämtern abgewickelten Verfahren keine zusätzlichen Kosten entstanden sind und entstehen werden. Zusätzliche Räumlichkeiten zur Auswertung der Angebote wurden nicht angemietet. Durch die
Vielzahl der eingegangenen Angebote und Anfragen der
Bieter sind lediglich zu vernachlässigende Mehrkosten
bei Versandabfertigung und Porto entstanden.
Zurzeit werden die Angebote ausgewertet. Die Erteilung von Zuschlägen wird bis Ende Januar vorbereitet.
Bereits jetzt kann festgestellt werden, dass es durch Bündelung und bessere Standardisierung bei mindestens vergleichbarem Qualitätsstandard im Vergleich zu den bisher von den Agenturen für Arbeit in Auftrag gegebenen
Maßnahmen zu § 48 SGB III Einsparpotenziale in zweistelliger Millionenhöhe gibt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Bergner.
Herr Staatssekretär, leider können wir nun nicht über
Zahlen sprechen. Es stellt sich aber die Frage nach der
Effizienz des gewählten Verfahrens. Die Landesagenturen bzw. Landesarbeitsämter - um beim alten Terminus zu bleiben - sind angehalten, die Ausschreibung unter dem Kriterium vorzunehmen, den billigsten Anbieter
auszuwählen. Die örtlichen Arbeitsämter, die diese Aufgabe bisher wahrgenommen haben, werden anschließend
daran gemessen, welche Effizienz sie in der Vermittlungsarbeit erreichen. Damit führen Sie einen Interessenkonflikt herbei. Halten Sie es für wirklich für einen
geeigneten Weg, die Zuständigkeiten so zu entkoppeln,
dass das Kriterium der Effizienz bei der Vermittlung
nachrangig ist?
Das Kriterium der Effizienz bei der Vermittlung wird
nicht als nachrangig behandelt. Wir fragen selbstverständlich nach, wie erfolgreich die Vermittlung ist und
welche Kosten dabei anfallen. Mehr Details hierzu beinhaltet aber meine Antwort auf Ihre zweite Frage. In dieser werde ich nämlich aufzeigen, welches Instrumentarium diejenigen, die sich bewerben, anwenden wollen,
um die Vermittlung möglichst effizient durchzuführen.
In diesem Fall bin ich auf die Antwort auf meine
zweite Frage gespannt.
Dann rufe ich die Frage 27 des Kollegen Bergner auf:
Inwiefern hält die Bundesregierung die Ausschreibungen
im Bereich des Landesarbeitsamtes Sachsen-Anhalt/Thüringen angesichts der jeweiligen gewählten Losgrößen für gesetzeskonform, etwa hinsichtlich der „Mittelstandsklausel“ des
§ 5 Nr. 1 der Verdingungsordnung für Leistungen/Teil A?
Diese Frage hat das Thema Effizienz zum Inhalt. Ich
beantworte sie daher wie folgt: Die Größe der Lose bei
den zurzeit laufenden Ausschreibungen wurde nicht statisch festgelegt. Ihre Festlegung wurde vielmehr sowohl
von inhaltlichen und wirtschaftlichen Überlegungen als
auch von regionalen Gesichtspunkten beeinflusst. Es
wird also auch das Kriterium der Regionalität berücksichtigt. Mit Vertretern der jeweiligen Regionaldirektionen wurde gemeinsam die Losbildung auch unter Beachtung der vom Gesetzgeber in § 97 Abs. 3 des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen festgeschriebenen
Interessen des Mittelstands vorgenommen. Mehrere
Agenturen für Arbeit wurden nur in Ballungsräumen
bzw. regional definierten Wirtschaftsräumen im Losverbund zusammengefasst. Fachlich-inhaltliche Aspekte
wurden ebenso berücksichtigt.
Für kleine Anbieter - jetzt komme ich zur Effizienz
der Anbieterseite - sind Bietergemeinschaften der Weg,
um Lose zu erhalten. Vielerorts bestehen vorwiegend im
Bereich der beruflichen Weiterbildung bereits Trägerverbünde und andere Bildungsnetzwerke. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass entsprechende Kommunikationsstrukturen bei den Trägern vor Ort vorhanden
sind und genutzt werden. Rückmeldungen zu den laufenden Ausschreibungen zeigen, dass Angebote auf die
Lose in ausreichender Anzahl eingehen und die Angebote in erheblichem Umfang durch Bietergemeinschaften eingereicht wurden.
Im Bezirk der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt/
Thüringen wurden zu § 37 a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch 34 Lose gebildet. Daraufhin wurden insgesamt 227 Angebote, an denen die Bietergemeinschaften einen Anteil von 80 Prozent hatten, abgegeben. Zu
§ 48 SGB III wurden 21 Lose gebildet, auf die
228 Angebote, an denen die Bietergemeinschaften einen
40-prozentigen Anteil hatten, eingegangen sind.
Durch diese Zahlen wird bestätigt, dass die Vergabe
nach Losen berücksichtigt und diese Vorgehensweise
vom Wettbewerb angenommen wurde.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, damit wir wissen, über welche
Größenordnung wir bei dieser Ausschreibung sprechen,
möchte ich bezüglich der Ausschreibung zu
§ 37 a SGB III gern den Umfang eines Loses nennen.
Bei Los 7 handelt es sich um 84 Maßnahmen für
1 344 Teilnehmer in mindestens 13 Standorten in Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Es stellt sich nun tatsächlich die Frage, wie mittelständisch organisierte Bieter hiermit zurechtkommen.
Sie verweisen auf die Bietergemeinschaften. Ich möchte
Sie fragen, ob Sie es wirklich für die hohe Schule des
Vergaberechts halten, wenn mittelständische Bildungsträger mit Konkurrenten der gleichen Branche - das
schließt diese spezielle Branche ein - eine Bietergemeinschaft unter Offenlegung ihrer Kalkulationsgrößen und
Bildungskonzepte bilden müssen.
Ich kann Ihnen nicht beantworten, was die hohe
Schule des Vergaberechts ist. Ich kann Ihnen nur sagen
- darauf rekurrieren Sie ja -, dass die Vergabekammer
für dieses Verfahren gerügt worden ist. Die Vorgehensweise wurde vom Bundeskartellamt aber legitimiert, das
heißt, die Vergaberichtlinien wurden eingehalten.
({0})
Ich glaube, wenn 80 Prozent der Angebote durch Bietergemeinschaften eingereicht werden, dann kann man
davon sprechen, dass sich das Verfahren bei den Anbietern durchgesetzt hat. Somit ist es marktkonform und
sinnvoll.
Eine weitere Zusatzfrage.
Nur zur Verständigung bezüglich der Bietergemeinschaften: Sind Sie bereit, zu akzeptieren, dass die Bietergemeinschaften unter den gegebenen Bedingungen Notgemeinschaften sind?
Ich glaube nicht, dass es Notgemeinschaften sind. Ich
denke, es ist sinnvoll, dass sich Anbieter, die verschiedene Angebote haben, zusammenschließen und ein gemeinsames Angebot abgeben.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich rufe nun Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu dem von
Bundesminister Schily verkündeten Umzug
des Bundeskriminalamtes ({0}) zur Zentralisierung aller operativen Einheiten des BKA in
Berlin
Diese Aktuelle Stunde wurde von der Fraktion der
CDU/CSU verlangt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Wolfgang Bosbach, CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion lehnt die Absicht des Innenministers, die bewährte dezentrale Organisation des BKA
zu zerschlagen und das Bundeskriminalamt in Berlin zu
zentralisieren, entschieden ab.
({0})
Das gilt sowohl für die komplette Schließung des Standortes Meckenheim als auch für die geplante Verlagerung
verschiedener Abteilungen der BKA-Zentrale von Wiesbaden nach Berlin.
Es mag sein, Herr Minister, dass es den einen oder anderen vernünftigen Grund für eine Verlagerung bestimmter Abteilungen und Aufgaben des BKA nach Berlin gibt.
({1})
Aber aus polizeifachlicher Sicht gibt es überhaupt keine
Notwendigkeit, das BKA überwiegend nach Berlin zu
verlagern; denn bei der notwendigen Abwägung aller
maßgeblichen Gesichtspunkte sprechen wesentlich mehr
Argumente gegen als für die geplante Zentralisierung in
Berlin.
({2})
Darüber hinaus widersprechen die Pläne des Herrn
Schily nicht nur Sinn und Zweck des Berlin/Bonn-Gesetzes. Sie sind auch ein Schlag ins Gesicht aller Betroffenen, die den Standortgarantien geglaubt und sich hierauf auch in ihrer persönlichen Lebensplanung verlassen
haben.
({3})
Die Art und Weise, wie der Innenminister mit den betroffenen Mitarbeitern umgeht, wie er sie vor gut einer
Woche Knall auf Fall vor vollendete Tatsachen gestellt
hat, ist unerträglich. Das ist Politik nach Gutsherrenart,
mit der man Mitarbeiter nicht motiviert, sondern völlig
demoralisiert.
({4})
Genau das ist das Letzte, was wir uns in dieser höchst
angespannten Sicherheitslage erlauben können. Wenn
Herr Schily glaubt, mit Umzügen quer durch die Republik und einer Zentralisierung in Berlin mehr Sicherheit
produzieren zu können, dann irrt er. Die Investitionen am
neuen Standort, die Umzüge selber, aber auch die notwendigen Sozialpläne werden viele Hundert Millionen
Euro verschlingen. Angesichts der desolaten Finanzlage
des Bundes ist das ein völlig unverantwortliches Vorhaben. Dieses Geld sollten wir lieber in eine optimale Ausund Fortbildung der Mitarbeiter und in modernste Technik zur Verbrechensbekämpfung investieren. Dann hätten wir tatsächlich einen Sicherheitsgewinn.
({5})
Die Pläne des Innenministers führen nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu mehr Verunsicherung gerade derjenigen, auf deren Engagement wir in ganz besonderer
Weise angewiesen sind. Wir brauchen keine verstärkte
politische Einflussnahme auf die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden. Sie allerdings - das muss ich zugeben wäre in Berlin leichter möglich als an den Standorten
Wiesbaden oder Meckenheim.
({6})
Aber gerade das spricht nicht für, sondern ebenfalls gegen die geplante Zentralisierung.
Mir kann keiner erklären, wieso es in einem Zeitalter
modernster Informations- und Kommunikationstechniken nicht möglich sein soll, die jetzige dezentrale und
auch der föderalen Struktur unserer Bundesrepublik entsprechende Standortverteilung beizubehalten. In einem
Zeitalter, wo Informationen, Meinungen, Zahlen, Daten
und Fakten in Sekundenbruchteilen rund um den ganzen
Globus gehen, soll es angeblich nicht mehr möglich sein,
die dezentrale Struktur aufrechtzuerhalten. Stattdessen
soll es nunmehr notwendig sein, die Sicherheitsbehörden
hier in Berlin zu zentralisieren.
Eine effiziente Sicherheitspolitik, Herr Minister, ist
nicht in erster Linie eine Frage des Standortes einer Behörde, sondern die Folge richtiger politischer Entscheidungen. Deshalb fordern wir den Innenminister auf,
seine fatale Fehlentscheidung zu korrigieren und seine
Umzugs- und Zentralisierungspläne umgehend aufzugeben.
Danke fürs Zuhören.
({7})
Das Wort hat nun der Kollege Frank Hofmann, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ehemaliger Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes möchte
ich an dieser Stelle dem Bundeskriminalamt meinen
Dank abstatten. Der hohe Stellenwert, den das Bundeskriminalamt in der nationalen und internationalen Kriminalitätsbekämpfung hat, hat zu einem entsprechend guten Ruf geführt. Dies hat seine Ursachen in der
Kompetenz aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diesen hohen Stellenwert hätte es nicht gehabt, wenn sie
immer nur Dienst nach Vorschrift gemacht hätten. Vielmehr haben sie immer Dienst nach Sicherheitsbelangen
gemacht. Die Zahl der Überstunden, die jedes Jahr dort
geleistet werden, geht an die 200 000. Das zeigt, das
Amt ist motiviert.
Die jeweilige Sicherheitslage stellt an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besondere Herausforderungen,
die sie immer gemeistert haben. Sie haben sie auch immer bei Umzügen gemeistert. Sie wissen genau, dass die
Abteilung Terrorismus in den 70er-Jahren neu entstanden und das Bundeskriminalamt mit dieser ausgebaut
worden ist, dass ein Umzug stattgefunden hat
({0})
und dass das Bundeskriminalamt immer wieder gute Arbeit geleistet hat. Die wird es auch künftig leisten können.
({1})
Die dienstlichen Notwendigkeiten, verstärkt in Berlin
tätig zu werden, stehen außer Zweifel. Die Gewerkschaft
der Polizei spricht von einigen Bereichen, die von
besonderer politischer Bedeutung sind. Das heißt nicht
Politikberatung, sondern Unterstützung durch Politik,
damit man international Fälle lösen kann, an denen
Deutsche beteiligt sind. Ich erinnere an den Fall in der
Wüste von Algerien. Dazu ist es notwendig, dass man in
Berlin arbeitet. Ich halte es für wichtig, das einzubeziehen.
({2})
Es kann nicht alles beim Alten bleiben. Man muss auf
die Sicherheitslage, die Kosten und auch die sozialen
Belange achten. Herr Bosbach,
({3})
Sie haben immer eine neue Sicherheitsarchitektur gefordert. Im Innenausschuss wird ständig davon gesprochen,
ein Amt für Homeland Security möglicherweise auch in
Deutschland einzurichten. Da ist alles unter einem Dach.
Jetzt aber sagen Sie, alles müsse dezentral bleiben.
({4})
Sie betreiben Populismus. So kann es nicht gehen.
({5})
Den Zentralisierungswahn betreiben Sie mit dieser Sicherheitsphilosophie. Wir versuchen, eine sachgerechte
Politik zu machen. Das gilt für auch unseren Minister.
({6})
Das Innenministerium hat in der Folge des
11. September 2001 die Notwendigkeiten kriminalpolizeilicher Art aufgezeigt und besonnen reagiert. Diese besonnene Kriminal- und Sicherheitspolitik werden wir
fortführen.
({7})
Frank Hofmann ({8})
Für uns war die Kommunikation zwischen dem Ministerium und dem Bundestag schwierig. Es wäre sinnvoll
und hilfreich für uns gewesen, wenn eine bessere Kommunikation bestanden hätte. Nachher sind wir aber alle
schlauer.
Wir stimmen dem Minister zu,
({9})
- Sie können überhaupt nicht zuhören -, dass es eine ergebnisoffene Diskussion über die beste Antwort auf die
Sicherheitslage geben muss.
({10})
Dies ist Aufgabe der Führung des Bundeskriminalamtes
gemeinsam mit der Personalvertretung unter besonderer
Berücksichtigung der föderalen, finanziellen und sozialen Aspekte.
Verwunderung möchte ich gegenüber der Position der
FDP zum Ausdruck bringen. In ihrem Antrag heißt es:
Eine räumliche Umstrukturierung des Bundeskriminalamtes zu diesem Zeitpunkt ist denkbar ungeeignet.
Wenn Sie in den Plenarsaal schauen, dann stellen Sie
fest, dass die FDP vor allem durch Abgeordnete aus
NRW und weniger durch Innenpolitiker vertreten ist.
Die sitzen etwas weiter hinten.
({11})
Ich frage Sie: Wenn nicht jetzt, wann muss denn darüber
nachgedacht werden? Soll man erst warten, bis es zu einem Anschlag in Deutschland kommt? Wir alle wissen,
dann wird mit heißer Nadel gestrickt. Schnelligkeit geht
dann oftmals vor Sorgfalt. Nein, so geht es nicht.
Heute können wir ergebnisoffen, ohne Sicherheitseinbußen das Richtige tun. Das hat der Minister erkannt. Ich
sehe es als gemeinsame Aufgabe des BMI, der Innenpolitiker und der Fachleute im BKA an, alles zu tun, das
Bundeskriminalamt so zu organisieren, dass auch künftig angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen eine gute Arbeit zum Schutz der Bevölkerung, zum
Schutz der Bürgerinnen und Bürger geleistet werden
kann. Dazu bedarf es der Loyalität der Angehörigen des
Bundeskriminalamtes und der Fürsorgepflicht des
Dienstherrn. Darauf werden wir achten.
Vielen Dank.
({12})
Für die FDP-Fraktion erteile ich dem Kollegen
Dr. Max Stadler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! An meinem Tonfall werden Sie bemerken, dass ich
aus Bayern komme und nicht aus Nordrhein-Westfalen.
({0})
Trotzdem sage ich: Das Bundeskriminalamt hat bisher
hervorragende Arbeit geleistet. Das kann und soll so
bleiben an den Standorten Meckenheim, Wiesbaden und
Berlin.
({1})
Auch als Oppositionspartei hat die FDP die Politik
des Ministers Schily immer konstruktiv begleitet. Erst
diese Woche haben wir Ihnen zugestimmt, Herr Schily,
und Ihnen Unterstützung für Ihre Pläne zur Modernisierung des öffentlichen Dienstes zugesagt. Die Unterstützung kann sich aber nur auf vernünftige Entscheidungen
beziehen. Was den Umzug und die Zentralisierung des
Bundeskriminalamts anbelangt, melden wir entschiedenen Widerspruch an.
({2})
Unser Widerspruch bezieht sich sowohl auf das Verfahren, wie die Entscheidung getroffen worden ist, als
auch auf den Inhalt der Entscheidung. Das Verfahren
war ein Dekret von oben herab. Dieser Stil, ohne mit den
Betreffenden zu sprechen und ohne sich mit dem Parlament ins Benehmen zu setzen, ist nicht akzeptabel, auch
wenn es sich um eine Exekutiventscheidung des Ministers handelt.
({3})
Wer die besseren Argumente hat, kann von Anfang an
offen informieren und diskutieren. Das ist aber in diesem
Fall nicht geschehen.
Herr Minister Schily, gestatten Sie mir eine kleine Polemik. Ihnen haftet seit vielen Jahren das Etikett der Toskanafraktion an;
({4})
ob zu Recht oder zu Unrecht, weiß ich nicht. Ich glaube,
mit diesem Verfahren sind Sie leider - wenn auch zu Unrecht - auf dem besten Weg, noch einer anderen Assoziation Vorschub zu leisten, nämlich der Erinnerung an
Niccolò Machiavelli, den Theoretiker der Machtpolitik
aus der Renaissance. Ich glaube, eine solche Assoziation
ist nicht das, was Sie erstreben. Ich habe Sie bisher eher
so verstanden, dass Sie sich gerne als ein Förderer der
Künste und Wissenschaften wie Cosimo de’ Medici sehen, der als Pater Patriae - Vater des Vaterlands - bezeichnet wurde. Aber patriarchalische Entscheidungen
passen eben nicht mehr in die Moderne.
({5})
Ich komme zum Inhaltlichen: Wenn Sie die besseren
Argumente gehabt hätten, dann hätten Sie, wie gesagt,
offen über Ihr Vorhaben informieren können. Aber was
die Arbeit des Bundeskriminalamts angeht, hat die Praxis auch nach dem 11. September gezeigt, dass die sich
durch die schwieriger gewordene Sicherheitslage ergebenden Herausforderungen gemeistert worden sind. Infolgedessen trägt derjenige, der für eine Verlegung des
Bundeskriminalamts nach Berlin plädiert, die Beweislast
dafür, dass dieser Umzug und die damit verbundene
Zentralisierung notwendig sind.
({6})
Wir sind schließlich nicht in der Situation, dass diese
Behörde neu zu schaffen und zunächst über ihren künftigen Standort zu entscheiden wäre. In diesem Fall hätte
die Behörde ihren Sitz durchaus in Berlin bekommen
können. Aber die Behörde existiert bereits und sie arbeitet erfolgreich. Wer ihren Sitz verlegen will, muss begründen, warum das zwingend erforderlich ist. Eine solche zwingende Notwendigkeit sehen wir nicht.
({7})
Darin liegt auch ein Unterschied zum Umzug des
Bundesnachrichtendienstes. Bei diesem konnte man
durchaus anderer Meinung sein. Aber - das wissen
wahrscheinlich viele nicht - ein Großteil der Arbeit des
Bundeskriminalamts besteht nicht in der Beratung der
Bundesregierung, die vor Ort erfolgen muss. Vielmehr
besteht ein Großteil der Arbeit aus reiner Ermittlungstätigkeit und der Zusammenarbeit mit den Landespolizeien und mit Europol, die von jedem Standort in der
Bundesrepublik - das heißt, auch in Meckenheim oder in
Wiesbaden - mit demselben Erfolg geleistet werden
kann.
({8})
Der Begriff der Staatssicherheit, die nach Berlin kommen soll, verleitet viele dazu, zu glauben, es gehe dabei
um die Bewachung von Gebäuden, Regierungsbehörden
und Ähnlichem. Dabei handelt es sich aber um nichts anderes als die Aufklärung von terroristischen Aktivitäten
und den Schutz vor terroristisch Anschlägen, die zur polizeilichen Ermittlungsarbeit gehören und auch in der
Zuständigkeit der Polizeien bleiben sollen.
Ich möchte einen letzten Gesichtspunkt erwähnen.
Zurzeit gibt es eine Föderalismuskommission, in der wir
gemeinsam darüber diskutieren, welche zusätzlichen
Kompetenzen den Ländern eingeräumt werden sollen.
Es bildet einen Widerspruch dazu, wenn eine dezentral
arbeitende, bewährte Behörde - wenn auch eine Bundesbehörde - nach Berlin geholt werden soll. Dafür gibt es
keine Notwendigkeit.
({9})
Das Wort hat nun die Kollegin Silke Stokar von
Neuforn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
großes Verständnis für die Proteste der BKA-Bediensteten, die es in den vergangenen Tagen auf Betriebsversammlungen und öffentlichen Demonstrationen gegeben
hat. Ich wünsche von dieser Stelle aus viel Mut und viel
Erfolg für die am Samstag geplanten Demonstrationen
an den Standorten. Wir, die Fraktion der Grünen, werden
das Unsrige dazu beitragen.
({0})
- Es ist doch schön, dass ich dem BKA einmal viel Erfolg für eine Demonstration wünsche; das hat doch auch
etwas.
So, wie die Umzugspläne für das BKA entwickelt
wurden und wie sie den Bediensteten zur Kenntnis gegeben wurden, kann man mit Menschen nicht umgehen.
({1})
Es ist insbesondere dieser Politikstil, den ich hier angreifen möchte. Wir, das Parlament, geben dem öffentlichen
Dienst sonst andere Botschaften. Wir sind der Meinung:
Demokratie lebt von Beteiligung und einen modernen
Staat kann man nur mit kreativen und kritischen Bürgerinnen und Bürgern schaffen. Wir wollen den öffentlichen Dienst modernisieren und reformieren. Dies ist nur
mit offenen Diskussionen und offenen Konzepten möglich. Veränderungen dürfen in einem modernen Staat
nicht von oben verordnet werden, sondern sie sollten gemeinsam mit den betroffenen Mitarbeitern vorgenommen werden. So stellen wir uns die Reform des öffentlichen Dienstes vor. Ich verstehe deshalb sehr gut, dass
erwachsene Menschen, die erst aus der Presse von den
Umzugsplänen erfahren haben - der Umzug würde einen tiefen Eingriff in ihre persönliche Lebensplanung
bedeuten - und die eine hoch qualifizierte Arbeit leisten,
auf den Betriebsversammlungen deutlich gemacht haben: So lassen wir mit uns nicht umspringen!
({2})
Von dem Geheimplan „Umzug des BKA nach Berlin“
haben auch wir, das Parlament, erst aus den Medien erfahren. Die erste Überschrift, die ich im Flugzeug in einer deutschen Zeitung gelesen habe, lautete: BKA zieht
für 500 Millionen Euro nach Berlin um.
({3})
Welche politischen Botschaften sind das eigentlich, die
im neuen Jahr vermittelt werden sollen? Wie soll ich
denn die Sparpolitik, die ich in meinem Wahlkreis tapfer
verteidigt habe und die ich auch für richtig gehalten
habe - ich habe den Menschen gesagt, dass die öffentlichen Kassen leer sind und dass wir kein Geld mehr für
die Erfüllung wichtiger Bildungsaufgaben und sozialer
Aufgaben haben -,
({4})
weiterhin glaubwürdig vertreten, wenn man über die
Medien erfährt, dass offensichtlich 500 Millionen Euro
übrig sind und ohne Beteiligung des Parlamentes einfach
ausgegeben werden sollen? Auch wir, die Fraktion der
Grünen, lassen mit uns so nicht umspringen.
({5})
Wir halten das einen Tag vor der Sitzung des Innenausschusses vorgelegte Konzept für nicht hinreichend
begründet. Es hat keine Priorität. Wir kennen aus vielen
anderen Ressorts nachvollziehbare Argumente für gewünschte Umzüge nach Berlin, die Ministerien betreffen. Ich wünsche mir - auch das gehört zur Teamarbeit
im Kabinett dazu -, dass wir ein Gesamtkonzept erarbeiten. Für mich jedenfalls ist der Umzug von Teilen der
Ministerien, die zwei Dienstsitze haben, nach Berlin vernünftig
({6})
und hat Priorität vor dem Umzug von Bundesämtern in
die Hauptstadt.
({7})
Für mich ist das, was jetzt vorgeschlagen worden ist,
ein verfehlter Start in das neue Jahr.
({8})
Ich kann den Innenminister nur bitten und auffordern,
Folgendes zu beherzigen: Ergebnisoffen heißt für uns,
von vorne zu beginnen und den Diskurs mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu suchen. Ich habe bereits
mit einigen BKA-Bediensteten über das vorliegende
Konzept gesprochen und bin zu dem Schluss gekommen, dass die sachlichen Einwendungen nachvollziehbar
sind. Natürlich hat die Exekutive bestimmte Aufgaben
zu erfüllen. Aber die Bereitstellung von Haushaltsmitteln ist Aufgabe des Parlaments. Ohne parlamentarische
Beteiligung und ohne den Neubeginn einer Konzeptentwicklung - vielleicht reicht es ja aus, wenn eine kleine
Einheit von zusätzlich etwa 100 BKA-Bediensteten nach
Berlin zieht - wird es keinen offenen Diskurs geben. Ergebnisoffen heißt für mich aber nicht: Wir beruhigen
jetzt die Gemüter, um später doch das zu machen, was
wir in der Schublade haben.
Danke schön.
({9})
Bevor ich der Kollegin Kristina Köhler für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort erteile, weise ich darauf hin,
dass die Redezeit von Mitgliedern des Hauses nach den
Bestimmungen unserer Geschäftsordnung weder durch
die Aufforderung „Aufhören!“ verkürzt noch durch die
Aufforderung „Zugabe!“ verlängert werden kann.
({0})
Bitte schön, Frau Köhler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! „In meinem Ministerium darf jeder das tun, was
ich will.“ So tönte laut „Spiegel“ unser Bundesinnenminister am vergangenen Montag in Bad Kissingen.
({0})
Mit derselben Selbstverständlichkeit eines absolutistischen Herrschers verfahren Sie auch mit den Beamten
des BKA, frei nach der Devise: Das BKA bin ich.
Noch nicht einmal Ihre eigene Kabinettskollegin, die
Wiesbadener Abgeordnete Heidemarie Wieczorek-Zeul,
zu informieren hielten Sie für nötig, geschweige denn
die örtlichen MdBs, andere Abgeordnete oder die Innenpolitiker der eigenen Partei, der SPD. Ich frage mich, ob
die Tatsache, dass der Herr Wiefelspütz mittlerweile bei
den Grünen sitzt, schon eine erste Konsequenz daraus
ist.
({1})
Politischer Stil ist offensichtlich keine Stärke unseres
Bundesinnenministers. Was aber viel schwerer wiegt, ist,
dass die getroffene Entscheidung einer Kosten-NutzenAnalyse nicht standhält und dass der Bundesinnenminister zu einer solchen Kosten-Nutzen-Analyse - zumindest
bisher - offensichtlich auch nicht bereit war. In Ihren
Stellungnahmen, Herr Bundesinnenminister, gehen Sie
nämlich ausschließlich auf den vermeintlichen Nutzen
ein. Man muss aber, wenn man eine Entscheidung trifft,
immer Nutzen und Kosten bedenken und man darf nur
dann handeln, wenn der Nutzen die Höhe der Kosten
übersteigt; ansonsten ist eine solche Veranstaltung nicht
zu rechtfertigen.
Zum Nutzen möchte ich nur Folgendes sagen - Herr
Bosbach hat dazu schon einiges ausgeführt -: Sie glauben, dass die Bündelung mehrerer Behörden in einer
Stadt zu einer effizienteren Zusammenarbeit führt. Das
mag vor 20 Jahren ein gewichtiges Argument gewesen sein. In einer Zeit aber, in der es schneller geht,
eine E-Mail von Meckenheim nach Berlin zu schicken,
als vom ersten in den zweiten Stock zu laufen, gilt ein
Kristina Köhler ({2})
solches Argument nur noch sehr begrenzt, Herr Innenminister.
({3})
So viel zu dem Nutzen.
Kommen wir nun zu den Kosten, von denen bei Ihnen
keine Rede ist.
Erstens. Die Höhe der direkten finanziellen Kosten
liegt bei 600 Millionen Euro. Diese Summe würde zur
Terrorismusbekämpfung wesentlich mehr beitragen,
wenn man sie beispielsweise in die dringend benötigte
Ausstattung der Polizei mit digitalen Kommunikationsmitteln und nicht in einen Umzug investierte.
({4})
Zweitens. In eine Kosten-Nutzen-Analyse einfließen
müssen selbstverständlich auch die sozialen Kosten.
2 000 Mitarbeiter und ihre Familien müssen ihr soziales
Umfeld verlassen und nach Berlin ziehen. Pikant ist beispielsweise, dass in Wiesbaden noch vor zwei Jahren
BKA-eigene Wohnungen privatisiert und den BKA-Mitarbeitern zum Kauf wärmstens empfohlen wurden. Jetzt,
zwei Jahre später, heißt es eben: Ab nach Berlin!
Fast alle Mitarbeiter sind darüber verzweifelt. Ich lese
mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten nur zwei Sätze aus
den zahlreichen Briefen vor, die mich in den letzten Tagen erreicht haben:
Die Stimmung in dieser Behörde ist kaum zu beschreiben. Gestandenen Kriminalbeamten treibt es
bei diesem Thema die Tränen in die Augen.
Herr Bundesinnenminister, wie motiviert werden diese
Mitarbeiter in den nächsten Jahren sein?
({5})
Drittens - dieser Punkt gehört ebenfalls auf die Kostenseite -: der Verlust an Motivation und Kompetenz.
Vor allen Dingen ältere und erfahrene Mitarbeiter werden über Härtefallregelungen einen Umzug nach Berlin
vermeiden können. Unsere BKA-Beamten sind so gut,
dass sich die freie Wirtschaft sehr um sie bemühen wird.
Von heute auf morgen werden dem BKA also eine
Menge hochkompetenter Kräfte verloren gehen. Herr
Minister, auch das können wir uns zurzeit nicht leisten.
Viertens: die sicherheitspolitischen Kosten. Durch einen Umzug wird die Sicherheit in Deutschland bis 2008
schwer beeinträchtigt.
({6})
- Ist ja gut!
({7})
Statt islamische Terroristen aufzuspüren oder die organisierte Kriminalität zu bekämpfen werden die Mitarbeiter damit beschäftigt sein, Umzugskisten ein- und
auszupacken, neue Mitarbeiter einzuarbeiten und sich
mit den neuen Strukturen vertraut zu machen. Auch das
können wir nicht verantworten.
({8})
Um eines klarzustellen: Niemand verschließt sich
notwendigen strukturellen und organisatorischen Veränderungen
({9})
- wenn Sie das scheinheilig finden, ist das Ihre Sache;
die 2 000 Mitarbeiter finden das, glaube ich, nicht
scheinheilig -, aber ein Umzug, der 600 Millionen Euro
kostet, der den Umzug von 2 000 Mitarbeitern und Familien bedeutet, der die Arbeit des BKA beeinträchtigen
wird und der mit einem kaum verkraftbaren Kompetenzverlust verbunden sein wird, ist eindeutig überdimensioniert. Die Kosten stehen in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem Nutzen. Deswegen appelliere ich an Sie, Herr
Bundesinnenminister: Nehmen Sie diese unsinnige Entscheidung zurück!
({10})
Das Wort hat nun der Kollege Gerold Reichenbach,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Köhler, es fehlt meines Erachtens ein bisschen an Glaubwürdigkeit,
({0})
wenn die Szenarien, die Sie eben zu Recht beschrieben
haben, nun ausgerechnet aus einer Fraktion kommen, die
bei jeder Talkshow immer mehr Flexibilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einfordert. Es sind
nicht Sozialdemokraten, die dies so tun.
({1})
Ich gestehe Ihnen zu: Grundlage muss eine ausführliche Kosten-Nutzen-Analyse sein. Aber genau das, was
Sie dem Minister vorwerfen, haben Sie gemacht. Sie haben sozusagen per Schreiben einer Rede Ihre KostenNutzen-Analyse auf die Größe von Umzugskartons und
auf die Behauptung reduziert, dass so komplizierte Dinge
wie Organisation von Fahndung und Kommunikation in
einem schwierigen Erkenntnisgewinnungs- und Fahndungsprozess auf E-Mail-Format zu reduzieren wären.
Das ist nicht so und das wissen auch alle.
Es ist unbestritten, übrigens auch beim Personalrat,
dass es einer stärkeren Verzahnung am Standort Berlin
bedarf. Es ist unbestritten, übrigens auch in Ihren Reihen, Herr Bosbach, jedenfalls immer dann, wenn es um
die Theorie geht, dass es aufgrund der veränderten Sicherheitslage - das ist keine Kritik an den bestehenden
funktionierenden Strukturen; es geht darum, dass wir
uns an geänderte Bedingungen anpassen müssen - einer
stärkeren Verzahnung bedarf.
({2})
Nun wird dieser Prüfungsprozess eingeleitet. Auch
mir wäre es lieber gewesen, wenn die Art und Weise der
Information eine andere gewesen wäre; da spreche ich
auch für meine hessischen Kollegen. Wenn Sie sich hier
aber hinstellen und kritisieren - hier sitzt auch der Innenminister Bouffier -, dann muss ich Ihnen sagen: Ich
hätte mir gewünscht, dass Sie und Ihre hessischen Kollegen die Maßstäbe, die Sie hier propagiert haben, bei der
Umstrukturierung der hessischen Ämter - dabei geht es
ebenfalls um Tausende von Beschäftigten; da werden
6 000 Plätze abgebaut ({3})
an sich selber angelegt hätten.
({4})
Dort verteidigen Sie die Gutsherrnart des Innenministers. Viele Betroffene haben es morgens aus dem Internet
oder per E-Mail erfahren oder wurden von der Presse angerufen.
({5})
Ihre Worte in allen Ehren, aber die Glaubwürdigkeit
fehlt; denn dort, wo Sie selbst den Innenminister stellen,
praktizieren Sie genau das Gegenteil.
({6})
- Herr Bosbach, hören Sie doch mit dem Dazwischenrufen auf! Das dürfen Sie bei Frau Christiansen. Da bekommen Sie mehr Aufmerksamkeit. Das geht hier im
Parlament nicht.
({7})
- Wenn Sie auf dem Niveau agieren, dann haben Sie
schlechte Argumente.
Es ist unbestritten, dass bei solchen Umstrukturierungsprozessen aus sozialpolitischen Gründen eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Personal besteht. Darauf
werden wir als Sozialdemokraten auch achten. Es gibt
Familien, die da gebunden sind. Es gibt Menschen, die
Häuser haben. Es gibt Partnerschaften und Ehen, in denen auch der Partner beruflich eingebunden ist, sodass
man nicht so einfach verlagern kann. Davon unberührt
bleibt die Tatsache, dass es eine Residenzpflicht gibt.
({8})
Auf der anderen Seite müssen wir aber auch die fachliche Seite in die Abwägung einbeziehen. Auch wenn
man mit sicherheitsfachlichen Aspekten argumentiert,
muss bei einem Umstrukturierungsprozess, wenn er
denn nötig ist, auch darauf geachtet werden - da haben
Sie Recht -, ob wirklich jeder Arbeitsplatz aus Sicherheitsgründen verlagert oder anders vernetzt werden muss
oder ob nach der Kosten-Nutzen-Analyse auch im Sinne
dessen, was hier gesagt worden ist - Motivation, Reibungsverluste - die Entscheidung umgekehrt ausfallen
muss. Das gestehen wir zu. Aber in diesen Prozess muss
eingetreten werden. Der Minister hat ausdrücklich zugesagt, dass er diesen Prozess einleitet und von Anfang an
durchführt.
In diesem Sinne werden auch wir um jeden Arbeitsplatz kämpfen und nachhaken, ob es wirklich notwendig
ist, ihn zu verlagern. In diesem Sinne werden wir dafür
kämpfen, dass möglichst viele Arbeitsplätze in Wiesbaden bleiben. Wir stellen uns aber nicht hier hin und beurteilen dies schon anhand der Größe von Umzugskartons
und der Menge der E-Mails.
Die außerdem aus Wiesbaden zu hörende Argumentation - der hessische Innenminister hat dies ja auch gesagt -, dass dies nur der Einstieg in den Ausstieg sei und
eine Gesamtverlagerung stattfinde, entbehrt jeglicher
Grundlage. Am Standort Wiesbaden wird nicht gerüttelt
werden. Das können Sie allein daran sehen, dass für
70 Millionen Euro ein Neubau für die kriminaltechnische Abteilung am Standort Wiesbaden errichtet wird.
Das heißt, dass Wiesbaden auch weiterhin ein wichtiger
Standort des Bundeskriminalamtes bleiben wird.
({9})
Wir sind dankbar, dass der Minister dies deutlich gemacht hat.
Wir werden den weiteren Prozess mit den Personalvertretungen und mit anderen begleiten und fachlich genau die Abwägung treffen, die Sie eingefordert, aber offensichtlich schon längst auf einer weniger fachlichen
Ebene getroffen haben.
({10})
Das mag politisch legitim sein. Ich sage Ihnen nicht nur
aus Gründen der Fürsorgepflicht, sondern auch aus
Gründen der Sicherheit dieses Vorgehen zu. Ich kann
Ihnen versichern, dass meine Kollegin Heidemarie
Wieczorek-Zeul und die anderen hessischen Kollegen
- Sie fragten ja danach - natürlich auch mit den hessischen Landtagskollegen dafür kämpfen und sich weiterhin dafür einsetzen werden, dass der Hauptsitz in Wiesbaden bleibt. Das sind wir unserem Selbstverständnis als
hessische Wahlkreisabgeordnete auch schuldig. Für uns
gibt es hier aber nicht wie für Sie nur ein alles oder
nichts, sondern wir wollen ernsthaft, ehrlich und ergebnisoffen prüfen.
({11})
Ergebnisoffenheit muss vor diesem Hintergrund für uns
alle gelten. Das heißt natürlich auch, dass wir in diesen
Prozess die Interessen des Standortes einbringen. Das
gilt sowohl für mich wie auch für Heidemarie
Wieczorek-Zeul. Da können Sie sicher sein, Frau
Köhler.
({12})
Das Wort hat nun der Kollege Professor Pinkwart,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die FDP-Bundestagsfraktion spricht sich gegen
den von Bundesinnenminister Otto Schily geplanten
Umzug des Bundeskriminalamtes von Wiesbaden und
Meckenheim nach Berlin aus. Die Planungen, meine Damen und Herren - das haben die Redebeiträge ja eindrucksvoll gezeigt -, wurden dilettantisch vorbereitet,
sind sachlich nicht geboten, finanziell untragbar, demotivierend für die Mitarbeiter und mit dem Prinzip der dezentralen Aufgabenwahrnehmung in unserem föderalen
Gemeinwesen nicht vereinbar.
({0})
Meine Damen und Herren, innere Sicherheit ist gerade in Zeiten weltumspannenden Terrorismus ein hohes
Gut.
({1})
Wesentlicher Erfolgsfaktor für Sicherheit sind motivierte
Sicherheitskräfte. Voraussetzung für Motivation ist das
Vertrauen der Bediensteten in die Führung. Herr Schily,
Ihr Haus hat mit den Geheimplänen zur Verlagerung des
BKA ohne Not genau dieses Vertrauen der Beamtinnen
und Beamten grob fahrlässig aufs Spiel gesetzt.
({2})
Ich zitiere hierzu Herrn Zachert, Ex-BKA-Chef:
Jetzt wird aber ohne angemessene Rückkopplung
mit der Belegschaft, quasi in einer Hauruck-Aktion,
nach Berlin gestartet, die Verwerfungen und betriebsinterne Störungen zum Beispiel im dienstlichen Arbeitsablauf nach sich ziehen wird. Und dies
in einer höchst sicherheitsempfindlichen Zeit.
Ich darf in dem Zitat fortfahren:
Wer das Amt kennt, weiß, dass eine Mannschaft,
die mit existenziellen Sorgen und familiären Problemen zu tun hat, den Kopf für einen bedingungslosen Einsatz bei der Terrorismusbekämpfung nicht
frei hat.
Damit ist doch klar - das wurde gerade auch im Haushaltsausschuss deutlich, in dessen Sitzung Herr Schily
freundlicherweise einige Antworten gegeben hat -: Sicherheitsfragen gehen vor Standortfragen. Aber dann
muss eben auch der klare Beweis erbracht werden, dass
ein derartiger Umzug, wie er hier offensichtlich im Hauruck-Verfahren geplant wird, mehr Sicherheit bringt, als
wir sie gegenwärtig - in der bisherigen Struktur - in diesem Lande vorfinden. Genau diesen Beweis haben Sie
nicht vorgelegt, Herr Schily, auch nicht im Haushaltsausschuss.
({3})
Wir wissen, dass die überwiegende Mehrzahl der Mitarbeiter - rund 80 Prozent - an den genannten Standorten, auch in Meckenheim, bundesweit flächendeckende
Ermittlungsarbeiten durchführen. Das heißt, sie können
sie von allen Standorten aus durchführen. Das Entscheidende ist, dass eine hinreichende Koordination aller für
Sicherheitsfragen zuständigen Institutionen in diesem
Land sichergestellt ist. Dabei geht es nicht nur um das
BMI. Es geht auch und insbesondere, wie Herr Zachert
dargelegt hat, um den Generalbundesanwalt und andere
Einrichtungen der inneren Sicherheit. Auch andere Länder, die sehr zentral organisiert sind, haben in den letzten
Jahren keinen zwingenden Beweis dafür geliefert, dass
die Zentralität von Einrichtungen mehr Sicherheit bringt.
({4})
Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Bundesregierung, unterstützt durch die Opposition, hat in den letzten
Jahren für sich in Anspruch genommen - ich denke, zu
Recht -, dass in Deutschland alles für die innere Sicherheit geleistet worden ist, dank der hochmotivierten Mitarbeiter auch mit großem Erfolg.
({5})
Herr Schily, Sie haben für Ihr Vorhaben auch im
Haushaltsausschuss in keiner Weise Kosten konkretisieren können, obwohl schon ein halbes Jahr an allen Betroffenen vorbei geplant worden ist. Ich sage hier: Wenn
Sie nach einer halbjährigen Planung weder den Nutzen
hinreichend präzisieren können noch die Kosten quantifizieren können, dann handelt es sich hier nicht nur um
einen Geheimplan, sondern letztlich nur um eine unausgegorene Planung. Diese unausgegorene Planung hat nur
eines, was für sie spricht: Man kann sie ganz schnell
wieder in die Schublade legen, Herr Schily.
({6})
Dazu fordern wir Sie hiermit auf. Denn es gibt weder einen klar belegten Nutzen noch sind die Kosten geklärt
noch ist klar, wie die Mitarbeiter bei einem solchen Umzug, der sich über einen langen Zeitraum hinzieht, motiviert für Sicherheit in diesem Land sorgen sollen.
Nehmen Sie diese Pläne vom Tisch! Hören Sie auf
das, was von allen Fraktionen hier gesagt worden ist!
Tragen Sie weiterhin dazu bei, vernünftig für Sicherheit
in diesem Land zu sorgen!
({7})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Loske,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Einstweilen müssen Sie noch mit mir vorlieb nehmen,
lieber Kollege.
Herr Präsident! Ich spreche hier natürlich für mich;
das ist vollkommen klar. Aber ich gebe zu - um die Karten offen auf den Tisch zu legen -: Ich komme aus Nordrhein-Westfalen und Meckenheim ist von dem Ort, an
dem ich lebe, nicht mehr als 15 Kilometer entfernt.
({0})
- Keine Schande; das finde ich allerdings auch.
Ich möchte in meiner Rede drei Fragen aufwerfen und
versuchen, sie auf der Basis unseres heutigen Kenntnisstandes zu beantworten: Ist der BKA-Umzug sachlich
geboten? Ist er finanziell vertretbar, ist also die KostenNutzen-Analyse, von der schon so viel die Rede war,
ausgewogen? Ist der Umzug mit dem Prinzip der Dezentralität - oder, wie es gerade hieß, mit dem Prinzip der
dezentralen Aufgabenwahrnehmung - von Bundesbehörden vereinbar? Das sind die drei Fragen, die uns interessieren sollten.
Bevor ich zu diesen Fragen im Einzelnen komme,
will ich ein paar Worte zum Verfahren sagen und eine
deutliche Kritik zum Ausdruck bringen. Es ist für uns als
Parlamentarier nicht akzeptabel, von derart weitreichenden Entscheidungen aus der Zeitung zu erfahren. Da
hätte ich mir vom Innenminister schon mehr Offenheit
erwartet.
({1})
Obwohl ich mir nicht anmaßen will, für die BKAMitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sprechen - wie
käme ich dazu? -, bin ich doch der Meinung, dass BKAPräsident Kersten gut daran getan hätte, mit den Personalräten vorher darüber zu sprechen statt nachher. So,
wie es geschehen ist, ist das kein besonders guter Stil;
das muss man einmal ganz klar sagen.
({2})
Zu den Fragen im Einzelnen: Ist der BKA-Umzug von
der Sache her geboten? Ist er finanziell vertretbar? Ist er
mit dem Prinzip der dezentralen Aufgabenwahrnehmung
vereinbar? Vom BMI wird argumentiert - das werden wir
gleich vom Herrn Minister selber noch hören -, die Konzentration der drei Standorte auf einen, nämlich Berlin,
sei im Wesentlichen geboten, um den Abstimmungsaufwand zu reduzieren und personalwirtschaftliche Handlungsspielräume zu gewinnen. Das habe ich jedenfalls so
gelesen.
Die Frage ist, ob diese Argumente wirklich stichhaltig
sind. Wir meinen: nein. Das BKA arbeitet mit dem Bundesinnenministerium in Berlin und in Bonn, mit dem
Generalbundesanwalt in Karlsruhe und mit den Polizeibehörden der Länder zusammen. Wiesbaden und
Meckenheim liegen da ziemlich genau in der Mitte. Aus
geographischen Gründen und aus Gründen der Kooperation - das gilt erst recht im Zeitalter des Internets - ist
nicht zwingend nachvollziehbar, warum ein Komplettumzug stattfinden soll.
({3})
Im Gegenteil: Man kann sogar argumentieren, dass eine
gewisse Distanz zum Machtzentrum Berlin höchst vernünftig ist.
Darüber, ob die aktuelle Bedrohungslage einen Umzug nach Berlin nahe legt oder eher die volle Konzentration auf die anstehenden Aufgaben sinnvoll ist, kann
man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Aber die
Lebenserfahrung zeigt, dass bei einem Umzug die Kraft
und die Aufmerksamkeit mehr auf den Umzug als auf
andere Dinge gelenkt wird. Wer auf der Umzugskiste
sitzt, der kann sich kaum auf seine Arbeit konzentrieren.
Das ist eigentlich eine triviale Feststellung.
({4})
In Meckenheim und in Wiesbaden wird gut gearbeitet.
Ein Umzug wäre daher - das kann man ohne weiteres sagen - nicht unbedingt motivationsfördernd. Das sehen
nicht nur die Personalräte und die Gewerkschaft der Polizei so, sondern auch wir.
Bleibt die dritte und letzte Frage, nämlich die Frage
nach den Kosten. Exakte Zahlen sind bislang nicht bekannt. Das Innenministerium hat, soweit ich weiß, keine
eigenen Zahlen präsentiert. Der Presse war zu entnehmen, die Kosten würden sich auf etwa eine halbe Milliarde Euro belaufen. Das ist eine Menge Holz. Man
muss sich schon fragen, wofür man das Geld in diesen
Zeiten ausgibt. Uns fallen in der Tat andere Dinge ein,
zum Beispiel die Integration von Zuwanderern. In Berlin
- das ist ein weiteres Beispiel - streiken die Studenten,
weil den Berliner Universitäten jedes Jahr 70 Millionen
Euro fehlen. Mit dieser halben Milliarde Euro könnten
wir sieben Jahre lang diese Defizite ausgleichen. Das
wäre doch auch ein schönes Ziel.
({5})
Ich fasse meine Argumente zusammen. Uns leuchtet
der Komplettumzug des BKA nach Berlin nicht ein.
Zwingende Gründe für diesen Umzug können wir nicht
erkennen. Im Gegenteil: Wir sehen in dem geplanten
Umzug eher Nachteile, vor allen Dingen Nachteile für
die betroffenen Regionen. Wir fordern den Bundesinnenminister deshalb auf, die Planung entweder zurückzunehmen oder bessere Argumente vorzulegen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU - Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das sieht aber gar nicht gut aus!
Das Wort hat der Kollege Nobert Röttgen, CDU/ CSU-Fraktion. Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Wo bleibt jetzt Frau Wieczorek-Zeul?)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben eine ergebnisoffene Prüfung zugesagt.
({0})
Wir nehmen Sie beim Wort und nehmen Ihre Ankündigung ernst.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass es keine Niederlage ist, wenn man sich korrigiert und durch Argumente zu einer anderen Einsicht und Meinung kommt.
({1})
- Es wäre etwas Neues. Aber es würde von meiner Seite
keine Häme geben. Im Dienste der Sache setzen wir darauf, dass Sie Argumenten zugänglich sind.
({2})
Auch wenn es schwer fällt - man muss sich disziplinieren -, will ich in den fünf Minuten meiner Rede in
dieser Debatte meine Argumente ohne Schärfe vortragen. Darin liegt die Chance, eine andere Entscheidung
im Innenministerium zu bewirken.
Ich möchte zunächst über den Maßstab der Entscheidung sprechen; es sind diesbezüglich schon viele Gesichtspunkte angeführt worden. Ich finde, der Maßstab
dieser Entscheidung sind die Sicherheitserfordernisse
der Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Das ist der Maßstab, mit dem die Entscheidung beurteilt
werden muss.
({4})
Allerdings wird diese Frage nicht abstrakt „Wenn es
noch kein Bundeskriminalamt gäbe, wären wir dann der
Auffassung, dass der richtige Standort Meckenheim,
Wiesbaden oder Berlin wäre?“ gestellt. Aus föderalen
und funktionellen Gründen wäre ich der Auffassung,
dass eine Zentralisierung falsch wäre. Aber das ist eine
theoretisch-abstrakte Frage und nicht die konkrete
Frage, die Sie zu beantworten haben.
Wir haben, wie Sie, Herr Bundesinnenminister, selbst
sagen, ein exzellent funktionierendes Bundeskriminalamt. Es stellt sich also nicht die abstrakte Frage „Wenn
es noch kein Bundeskriminalamt gäbe, wo würden wir
es ansiedeln?“, sondern die konkrete Frage „Was bringt
der Umzug, mit dem eine Zentralisierung verbunden ist,
und was bedeutet er für die Aufgabenerfüllung des Bundeskriminalamts?“. Dabei muss man die Situation berücksichtigen, die nicht nur durch die Entscheidung
selbst, sondern auch durch den Stil der Entscheidungsfindung und der Entscheidungsverkündung hervorgerufen wurde. Meine These ist, dass dieser Umzug - nach
meiner Ansicht kann man das auf diesen Punkt reduzieren - eine Schwächung des Bundeskriminalamtes und
damit eine Schwächung der inneren Sicherheit in
Deutschland bedeuten würde.
({5})
Ich möchte dafür einige Gründe nennen:
({6})
Es wird beim Bundeskriminalamt - dort arbeiten kompetente Experten - einen Aderlass geben.
({7})
Viele von ihnen - gerade die besten - aus den wirtschaftsstarken Regionen Köln/Bonn und Rhein-Main
werden diesen Umzug nicht mitmachen. Sie werden in
diesen Regionen eine andere berufliche Perspektive finden.
Sie werden Jahre brauchen - das sage ich Ihnen aus
der Erfahrung mit Umzügen auch in die andere Richtung -, bis Sie das Expertenwissen, die Fähigkeiten und
die Kompetenz dieser erfahrenen Polizisten wieder bei
neuen Kräfte aufgebaut haben. Sie werden das Bundeskriminalamt über Jahre schwächen.
({8})
Die jetzige Entscheidung und deren Stil haben die
Motivation im Bundeskriminalamt auf den Nullpunkt
gebracht. Darüber werden sicherlich auch Sie sich nicht
freuen. Ich glaube, auch Sie werden in Ihrer bisherigen
Amtszeit und darüber hinaus nicht erlebt haben, dass der
Amtsleitung einer Behörde - hier einer Sicherheitsbehörde - in der Breite sowie drastisch und eindeutig artikuliert von der Belegschaft das Vertrauen entzogen worden ist.
({9})
Es ist ein einzigartiger Fall, wenn Polizisten, Experten
und Beamte, die alle ihre Pflichten kennen, in der Öffentlichkeit erklären: Wir entziehen der Amtsleitung des
Bundeskriminalamtes das Vertrauen. - Dieses Desaster
haben Sie angerichtet.
Wenn Sie in dieser konkreten Situation - ich spreche
nicht von abstrakten Fragestellungen - mit dem Kopf
durch die Wand wollen, dann werden Sie die angerichtete
Demotivierung ebenfalls über Jahre hinweg fortsetzen
bzw. perpetuieren. Dies ist eine Schwächung des Bundeskriminalamtes in einer angespannten Sicherheits- und
Bedrohungslage. Das ist nicht zu verantworten.
({10})
Ein weiteres Argument stimmt: Wenn es zu einem
Umzug von 2 000 Beschäftigten kommt - bei Einzelnen
fallen die Belastungen des Umzuges nicht auf -, dann
wird sich dies ebenfalls auf die Funktionsfähigkeit des
Amtes auswirken. Wenn eine so hohe Zahl von Beschäftigten nicht den Kopf frei hat, sondern mit dem Umzug,
dem Hausverkauf, dem Schulwechsel der Kinder und
dem Berufswechsel des Ehepartners beschäftigt ist,
wenn das also ein Massenphänomen ist, schwächt das
die Funktionsfähigkeit.
({11})
- Ich spreche gerade von Erfahrungen aus Behördenumzügen in die andere Richtung. Nehmen wir diese Erfahrungen doch auf! - Auch das ist also eine Belastung im
Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Bundeskriminalamtes.
({12})
Ich komme zum letzten Punkt - er ist schon häufiger
genannt worden -: Der Umzug kostet rund eine halbe
Milliarde Euro. Das sind über 1 Milliarde DM; dieser
Betrag ist für die Menschen noch immer plastischer. Sie
können dieses Geld nicht durch Verschuldung aufbringen, sondern nur dadurch, dass Sie es aus der Investition
in die materielle Sicherheit abzweigen. Das ist nicht verantwortbar im Hinblick auf die materielle Sicherheit und
den überschuldeten Haushalt und nicht veranwortbar gegenüber den Beamten und der Bevölkerung. Den Beamten wird das Weihnachtsgeld gekürzt und das Urlaubsgeld gestrichen; auch bei den Bürgern werden
Leistungen gekürzt.
Herr Kollege!
Ich komme zum Schluss
Das müsste er eigentlich sein.
- er ist es auch -: Herr Minister Schily, Sie haben
schriftlich geantwortet. Das Bundeskriminalamt mit seinen mehr als 5 000 Mitarbeitern gehört zu den effektivsten Sicherheitsbehörden. Als Teil der Bundespolizei genießt es national und international hohe Anerkennung.
({0})
Wir sind der Auffassung - das ist die tragende Begründung -: Nur wenn dieser Umzug unterbleibt, wird das
BKA das bleiben, was es ist: eine effektive Sicherheitsbehörde mit internationaler Anerkennung. Darum sollten
Sie Ihre Haltung korrigieren.
({1})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael
Hartmann, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach diesem Weltuntergangsszenario, das uns Kollege Röttgen eben an die Wand gemalt hat, ist es vielleicht gut und richtig, deutlich darauf hinzuweisen, dass
das Bundeskriminalamt mit seinen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern in schwierigen Lagen und auch in der Situation eines Umzugs einen hervorragenden und engagierten Dienst für die innere Sicherheit leistet. Sie können
doch nicht unterstellen, dass deren Motivation verschwunden ist, nur weil ein Umzug stattfindet. Dafür
sind die Leute dort viel zu gut!
({0})
Die Belastungen sind nach dem 11. September 2001
noch größer geworden. Die Situation ist nicht einfacher
und die Arbeit der Menschen dort ist auch nicht ungefährlicher geworden. Deshalb haben wir, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundeskriminalamtes zunächst einmal Dank zu sagen. Ich hoffe, dass uns das bei
allem Streit, den wir heute führen, eint.
Wenn wir diesen Dank aussprechen, müssen wir uns
bewusst machen, dass jede Entscheidung, die getroffen
wird, - das geht an beide Seiten des Hauses - sehr sorgfältig abgewogen werden muss und dass wir pfleglich
mit dem Vertrauen umgehen müssen, das uns übertragen
wurde. Deshalb war es vielleicht vonseiten der Opposition nicht immer glücklich und richtig, so zu argumentieren, wie es geschehen ist. Es ist nicht verantwortungsvoll, in einer zweifelsohne schwierigen Situation Öl ins
Feuer zu gießen, statt eine sachliche Debatte zu führen.
({1})
Wir haben sauber und klar abzuwägen. Das bedeutet,
dass ein Zitat von Ihnen, Herr Kollege Stadler, richtig
war. Machiavelli ist mit Recht ein höchst umstrittener
politischer Philosoph. Aber er hat gesagt, dass zur Sicherung und Gewährung des innergesellschaftlichen Friedens ein funktionierender Staat mit einer funktionierenden Polizei notwendig ist. Diese Motivation treibt den
Innenminister bei seiner Entscheidung an, die er jetzt aus
seiner Organisationshoheit heraus getroffen hat.
Wir haben natürlich auf der einen Seite genau zu gewichten, wie es den Menschen geht, die im Bundeskriminalamt beschäftigt sind, deren Familien in der Region
Michael Hartmann ({2})
wohnen - ob nun in Meckenheim oder in Wiesbaden -,
die ihr Häuschen gebaut haben, die dort in Vereinen engagiert sind, die dort ihre Kinder in die Schule schicken
etc. Das muss geschehen. Aber auf der anderen Seite ist
in Rechnung zu stellen, welchen Status dies hat in einer
Situation, in der die Herausforderung durch den internationalen Terrorismus, durch die organisierte Kriminalität
und vieles andere mehr so groß ist wie noch nie. Vor diesem Hintergrund kommen wir zu dem Ergebnis, dass so
viel Umzug wie nötig erfolgen muss und dass so viel an
den Standorten bleiben muss, wie möglich ist. Das ist
unsere Devise.
({3})
- Das heißt - ich beantworte das gern, Herr Bosbach -,
dass kein Mensch gesagt hat - der Bundesinnenminister
nicht, die SPD-Fraktion nicht, lokale Kolleginnen und
Kollegen nicht -, dass der Standort Wiesbaden völlig
zerschlagen werden soll. Eine ganze Menge bleibt da.
Wenn der Bundesinnenminister gelegentlich kritisiert
wird, er sei gar keiner Argumentation und gar keinem rationalen Diskurs zugänglich, so beweist gerade das, was
in diesen Tagen geschehen ist, das Gegenteil. Denn Otto
Schily war gestern in Meckenheim und in Höchst, um
mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Wiesbaden
zu reden. Man hört ja auf Ihrer Seite gern nur das, was
man hören möchte. Ich habe heute mehrfach mit Kolleginnen und Kollegen, die dort arbeiten, gesprochen. Die
haben gesagt: Otto Schily hat eine prima Figur abgegeben, ist auf unsere Argumente eingegangen und ist bereit, alles auf den Prüfstand zu stellen, was notwendig
ist, um das Ganze sozialverträglich abzufedern.
({4})
In dieser Manier soll weiter verfahren werden.
({5})
Sie, Herr Bosbach haben im Übrigen angedeutet
- wenn auch nur versteckt in einem Nebensatz gleich zu
Beginn der Debatte -, dass es durchaus gute Gründe
gibt, eine Verlagerung vorzunehmen. Tatsächlich gibt es
die. So schön es auch mit E-Mail und Videokonferenzen
ist; auch in Ihren Reihen sitzen genügend Polizeipraktiker und -taktiker, die genau wissen, dass man in bestimmen Situationen durch keine Videokonferenz und durch
keine E-Mail das ersetzen kann, was notwendig ist,
wenn eine Gefahrensituation auf internationaler Ebene
abgewehrt werden muss. Dann muss man miteinander
reden, an einem Tisch sitzen und diplomatische Verhandlungen führen. Das geht nicht elektronisch. Das ist
moderne Kriminalpolitik!
({6})
Wir sollten uns darauf verständigen, dieses Feinkonzept, das uns der Minister vorlegen wird, genau anzusehen. Wir als SPD-Fraktion wollen das engagiert und offensiv begleiten.
({7})
Außerdem wollen wir dafür sorgen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anständig behandelt werden. Ich
darf in Richtung der Kollegin Wieczorek-Zeul als Mainzer Abgeordneter sagen - die Rivalität zwischen den
Städten ist ja bekannt -: Wir wollen, dass das BKA auch
weiterhin in Wiesbaden steht.
({8})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ralf Göbel, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Der Kollege Hartmann hat eben aus seiner
Sicht überzeugend begründet, warum der Umzug notwendig ist.
({0})
Ich empfehle dem Kollegen Hartmann, den gleichen
Vortrag vor dem Kabinett von Ministerpräsident Beck zu
halten, der gestern mit seinem gesamten Kabinett diesen
Umzug als völlig überflüssig bezeichnet hat. Damit
könnten Sie der Landesregierung von Rheinland-Pfalz
ein bisschen nachhelfen.
({1})
Der Umgang des Ministers Schily mit einem so sensiblen Thema wie der Verlagerung von Einheiten des
BKA und der Schließung des Standortes Meckenheim
zeugt von einem Führungsverständnis, das aus meiner
Sicht anachronistisch ist. Dass die Kollegen aus dem Kabinett, die Regierungskoalition und die eigene Fraktion
von ihm über diesen Plan nicht informiert wurden, zeigt
der gesamten deutschen Öffentlichkeit, welche Wertschätzung er diesem Personenkreis entgegenbringt. Das
soll aber nicht unser Problem sein. Das ist Ihr Problem.
({2})
Dramatischer - auch in den Folgen - ist die Wirkung,
die dieses Vorgehen nach Gutsherrenart auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BKA hat. Sie werden
vom Minister häufig - und zu Recht - für ihre Arbeit gelobt, die sie für uns alle gerade in dieser schwierigen Zeit
leisten. Wenn es aber um die ureigensten Bedürfnisse der
Mitarbeiter geht, nämlich um ihre Zukunftsplanung, um
die Frage, ob sie an ihrem Wohnort bleiben können, ob
sie ihre sozialen Beziehungen verändern müssen, kurz:
um die Lebensplanung, dann werden sie auf eine Art und
Weise behandelt, die wir eigentlich in unserer Republik
für nicht mehr möglich gehalten haben. Dieser Umgang
mit den Mitarbeitern ist völlig unangemessen.
Und dass ausgerechnet ein Minister der Sozialdemokraten den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Personalvertretungen so missachtet, wirft
auch ein bezeichnendes Bild darauf, welche Wertschätzung die Personalvertretung in diesem Ministerium genießt.
({3})
Herr Reichenbach, wenn es stimmt, was Sie sagen,
dass nämlich fast alles unbestritten sei, dann frage ich
mich, wie es zu diesen Personalversammlungen und diesen Demonstrationen kommen konnte. Der Schaden jedenfalls, der entstanden ist, der Vertrauensverlust gegenüber dem Minister und der Amtsleitung sowie der
Motivationsverlust der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
ist gewaltig. Er ist - wenn man die Menschen wirklich
kennt - auch nicht einfach dadurch zu beseitigen, dass
man sagt: Jetzt drehen wir das Rad wieder zurück, fangen von vorn an und tun so, als ob nichts gewesen wäre.
Der Schaden ist eingetreten und es wird ein sehr schwieriger Prozess werden, wenn es überhaupt gelingt, das
Vertrauen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder
zu gewinnen, indem sie in diese Umzugsplanung eingebunden werden.
({4})
- Ich glaube nicht, dass es da große Hoffnung gibt.
Im Übrigen - der Kollege Röttgen hat schon darauf
hingewiesen - sind bis heute Morgen bei der rheinlandpfälzischen Landesregierung 150 Bewerbungen von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BKA eingegangen.
({5})
Das wäre für Rheinland-Pfalz sicherlich eine gute Sache.
Für das BKA ist das jedoch eine schlimme Entwicklung.
Denn das zeigt, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eine hohe Kompetenz besitzen, mittlerweile
nach anderen Jobs umschauen. Das schwächt die Behörde entscheidend.
({6})
Noch zur fachlichen Seite: In dem Konzept, das uns
sehr kurzfristig zugegangen ist, ist davon die Rede, dass
lediglich operative und ermittlungsunterstützende Einheiten nach Berlin verlagert werden, natürlich ohne genau zu sagen, was unter ermittlungsunterstützenden Einheiten zu verstehen ist. Ich denke aber - damit komme
ich zu den Polizeipraktikern, die angesprochen worden
sind -, dass auf lange Sicht auch die Erkennungsdienste
und die Kriminaltechnik nach Berlin gehen werden. Es
macht wohl keinen Sinn, wenn die von den operativen
Einheiten hier in Berlin sichergestellten Asservate per
Shuttlebus nach Wiesbaden zur erkennungsdienstlichen
Behandlung und kriminaltechnischen Analyse und später wieder zurück geschickt werden müssen. Der Polizeitaktiker wird sehr schnell sagen, dass das völliger Unsinn ist und folglich auch die Erkennungsdienste und die
Kriminaltechnik nach Berlin wandern müssen. So werden gewiefte Polizeitaktiker - man kennt ja seine Kollegen - immer eine Begründung dafür finden, warum die
Einheiten, die zunächst in Wiesbaden verblieben sind,
nun nach Berlin müssen.
Ich sehe diesen ersten Umzugsschritt als einen Schritt
an, der am Ende dazu führen wird, dass das gesamte
Bundeskriminalamt zentral in Berlin angesiedelt sein
wird. Ich kann den Minister nur auffordern, diese unselige Entscheidung zurückzunehmen und zu versuchen,
den angerichteten Schaden so weit wie möglich zu begrenzen.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat nun die Kollegin Ulrike Merten, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte nicht die Begriffe Weltuntergang und Geheimpläne bemühen. Allerdings ist die Entscheidung der letzten Woche in Meckenheim und in Wiesbaden schon wie
eine Bombe eingeschlagen.
({0})
Dies war auch deswegen der Fall, weil sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BKA in der Vergangenheit,
als sie nachgefragt hatten - ich habe keinen Zweifel daran, dass das so gewesen ist -, auf die Zusicherung von
Herrn Kersten verlassen haben,
({1})
dass der Standort Wiesbaden sowieso nicht infrage gestellt werde, dass aber auch der Standort Meckenheim
gesichert sei. Das, was für Meckenheim geplant war und
was sich bis zum Ende letzten Jahres durch Versetzungen noch verstärkt wurde, hat durchaus für die Richtigkeit dieser Aussagen gesprochen.
Insofern möchte ich an dieser Stelle sagen: Ich finde,
dass die Empörung und auch der Unmut der betroffenen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr als verständlich
sind, sind doch weder Personalvertretungen noch Abteilungsleiter in diese Überlegungen einbezogen worden.
({2})
Ich möchte ganz deutlich sagen: Formale Entscheidungskompetenz ist die eine, Fürsorgepflicht und soziale
Verantwortung des Dienstherrn gegenüber den Beschäftigten die genauso wichtige, andere Seite der Medaille.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beschäftigten
haben ihren Protest und ihren Unmut bekundet. Aber wir
machten es uns zu leicht, wenn wir das mit der Annahme
abtäten, wir hätten es hier lediglich mit umzugsunwilligen, unflexiblen Beamten bzw. Bundesbediensteten zu
tun.
({4})
Vielmehr haben wir es mit Beschäftigten zu tun, die in
teilweise jahrzehntelangem Dienst in der Ermittlungstätigkeit oder im Personenschutz kreuz und quer durch
dieses Land gezogen sind. Sie haben dies auf sich genommen und wollen es auch in Zukunft tun.
({5})
Es ist bereits gesagt worden - ich bitte, dies nicht zu
leicht zu nehmen -, dass durch die Unsicherheit solch
umfänglicher Planungen die Konzentration nicht auf die
nötige fachliche Arbeit ausgerichtet werden kann. Das
heißt nicht, dass wir es mit Leuten zu tun haben, die
nicht willig sind. Ich glaube, dass das Argument der
Sicherstellung der bundespolizeilichen Arbeit in dieser
sicherheitspolitisch höchst schwierigen Zeit, durchaus
ernst zu nehmen ist. Hier möchte ich ausdrücklich die
Bekämpfung der Terrorismusgefahr als ein wichtiges
und anerkanntes Ziel einbeziehen.
Bei meinen Gesprächen habe ich nicht den Eindruck
gewonnen, dass es bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Meckenheim Unverständnis geben würde,
ginge es lediglich um eine Verstärkung des Standortes
Berlin, also um Aufgaben, die wirklich an den Regierungssitz bzw. an das Auswärtige Amt gebunden sind.
Aber ist es nicht so, dass Zielfahndungen zum Beispiel
im Bereich der organisierten Kriminalität nicht schwerpunktmäßig in und um Berlin herum stattfinden,
({6})
sondern eher im Ballungsraum von Rhein und Ruhr, also
in den Städten Düsseldorf, Köln, auch in Bonn und im
benachbarten westlichen Ausland wie zum Beispiel Belgien?
({7})
Ist es nicht so - ich formuliere das als Frage und maße
mir gar nicht an, in diesem Punkt kompetent zu sein -,
dass in einem föderativen Bundesstaat, den wir alle wollen, auch bei der Verteilung der Dienststellen auf mehrere Standorte die zweifelsohne notwendige Sicherheit
mithilfe moderner Technik gewährleistet werden kann?
Ich glaube, dies sollte streng geprüft werden, und den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - ich bin Ihnen, Herr
Minister, sehr dankbar, dass Sie das gestern deutlich gemacht haben - sollte signalisiert werden, dass Sie bereit
sind, diese Entscheidung noch einmal ergebnisoffen zu
überdenken. Das ist nicht nur für die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes, sondern auch
für die Menschen in der Region wichtig. Sie bekommen
sonst nämlich das Gefühl, dass das Bonn-Berlin-Gesetz,
auf das sie sich verlassen haben, Stück für Stück ausgehöhlt werden soll.
({8})
Das darf nicht geschehen. Die Sicherheit des Bonn-Berlin-Gesetzes hat dieser Region gut getan. Sie braucht
diese Sicherheit auch weiterhin. Wir wollen mithelfen,
dass dieser Prozess, der in den letzten Jahren positiv gestaltet werden konnte, auch in Zukunft einen guten Fortgang findet.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich erteile nun das Wort dem hessischen Minister des
Innern, Herrn Staatsminister Bouffier.
Volker Bouffier, Staatsminister ({0}):
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ihre
Absicht, Herr Kollege Schily, das Bundeskriminalamt in
Berlin zu zentralisieren, kam für die Länder völlig überraschend und ist aus unserer Sicht unverständlich. Eine
Verlagerung ist für die Länder nicht akzeptabel. Das gilt
für alle Länder und nicht nur für das Land Hessen, für
das ich spreche; darin bin ich mir sicher. Wir lehnen eine
Zentralisierung aus fachlichen Gründen und aufgrund
unserer föderalen Struktur ab.
Ich spreche hier als Innenminister eines Landes, das
durch die vorgesehene und von Ihnen verkündete Verlagerung wesentlicher Teile des Standortes Wiesbaden
nach Berlin besonders betroffen ist. Ich spreche aber
auch im Namen vieler, wenn nicht sogar aller meiner
Kollegen. Vielem, was in dieser Debatte gesagt wurde,
kann ich zustimmen; Frau Kollegin Merten, unter Ihren
Beitrag kann ich zum Beispiel einen Haken machen.
({1})
Eine Facette wurde in dieser Debatte bisher aber noch
nicht aufgegriffen: Wir dürfen uns nicht nur mit der
Frage der Rolle des Bundes beschäftigen. Es muss auch
um die Frage gehen - Kollege Röttgen hat das auf den
Punkt gebracht -, was erforderlich ist, um die innere Sicherheit in dem Maße gewährleisten zu können, dass
sich die Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen können. Das ist die Kernfrage.
({2})
Darum kann sich nicht alleine der Bund kümmern. Im
Gesetz über das Bundeskriminalamt kommt das zum
Ausdruck. Die Überschrift dieses Gesetzes lautet:
Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten.
({3})
Staatsminister Volker Bouffier ({4})
Aufgrund dessen kann eine Entscheidung darüber - ich
weiß nicht, ob ein Kollege sie gekannt hat; ich habe sie
der Presse entnommen -, wie das Kernstück der kriminalpolizeilichen Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland arbeitet, nicht unabhängig von der Frage gesehen
werden, wie Bund und Länder zusammenarbeiten.
Es geht um mehr als nur um die Frage, die bisher diskutiert wurde. Es darf nicht um Eitelkeiten gehen. Kollege Schily, es ist doch unbestritten: Es gibt Gremien, in
denen wir, gerade angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage, die nicht erst seit zwei Monaten so ist, vertrauensvoll sprechen und uns austauschen können, ohne
die Befürchtung zu haben, dass darüber am nächsten Tag
in der Zeitung zu lesen ist. Ich bedauere sehr, dass Sie
nicht die Gelegenheit wahrgenommen haben, diese
Frage in diesem Gremium mit den Kollegen zu ventilieren und gemeinsam mit uns - auch wenn Betroffenheit
besteht - die Frage zu klären, was zwingend ist, um
diese Aufgabe zu erfüllen. Ich bedauere, dass Sie das
nicht getan haben. Dadurch haben Sie ein Stück Vertrauen verspielt.
Jedes einzelne Land muss warnend den Finger heben.
Es wurde das Bonn-Berlin-Gesetz genannt. Im Rahmen
dieser Debatte haben wir uns nach langen Diskussionen
einvernehmlich darauf verständigt, wie die bundesstaatlichen Organe und die entsprechenden Behörden in der
Bundesrepublik platziert werden sollen. Jeder hat gegeben, von jedem wurde genommen, aber am Schluss
wurde ein Ergebnis erreicht. Man hat sich darauf verlassen, dass dies definitiv ist.
Wenn die Bundesregierung dieses Übereinkommen
nun einseitig aufkündigt, dann muss allen klar sein, dass
das nicht das Problem von Nordrhein-Westfalen, Hessen
oder Bayern alleine ist; das betrifft alle Länder. Sie werden die Frage stellen, wie verlässlich die Vereinbarungen
sind, die zwischen Bund und Ländern getroffen wurden
und ob sie auch in Zukunft gelten. Diese Verlässlichkeit
wurde erschüttert.
({5})
Ich unterstreiche alles, was hier hinsichtlich der Probleme der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesagt
wurde, aber auch vieles mehr. Es ist doch unbestritten,
dass hier in Berlin besondere Aufgaben - auch bezüglich
der Führung der Sicherheitsbehörden - angesiedelt sein
müssen. Man wird aber doch fragen dürfen, ob das den
Umzug von 2 000 Mitarbeitern erfordert. Es geht hier ja
nicht um Spezialisten, die in einer bestimmten Situation
vor Ort unmittelbar am Tisch sein müssen. Wer wollte
das bestreiten? Jeder, der ein wenig von öffentlicher Verwaltung versteht - das ist kein Vorwurf -, der wird nicht
widersprechen können, wenn ich sage, dass es unbestritten eine hohe Anforderung an die Sicherheitsgewährleistung gibt.
Herr Kollege, mit Ihrer Verkündung sorgen Sie dafür,
dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ganz nebenbei auch die Bürger verunsichert sind und man sich
in dieser Behörde mit einem guten Teil seiner Kraft mit
der eigenen Zukunft und der Organisation und nicht mit
den eigentlichen Aufgaben, die das Bundeskriminalamt
leisten muss, beschäftigen wird. Das kann doch niemand
ernsthaft bestreiten.
({6})
Diese Nachteile liegen auf der Hand. Was sind nun
die zwingenden Gründe, die die Nachteile so stark überwiegen lassen, dass man zu der Entscheidung kommen
muss eine Verlagerung vorzunehmen? Ich kann diese
zwingenden Gründe bisher nicht erkennen. Wenn es sie
gibt, dann müssen sie hier oder an anderer Stelle - dies
hier ist aber das Parlament - vorgetragen werden.
({7})
Lassen Sie uns dann darüber diskutieren.
Ich begrüße es durchaus, dass Sie gestern in Höchst
und wohl auch in Meckenheim gesagt haben, Sie wollten
die Entscheidung ergebnisoffen prüfen. Das ist in Ordnung. Gestatten Sie mir aber folgende Bemerkung, Herr
Kollege: Über die Begründung bin ich schon erstaunt.
Sie haben - so war es jedenfalls in der Presse zu lesen polizeifachliche Fragen genannt, die Sie jetzt prüfen
wollen. Wenn es in einer solchen Situation irgendetwas
gibt, das vorher geprüft werden muss, dann sind das polizeifachliche Fragen.
({8})
Ich bin in der Tat erstaunt darüber, dass Ihnen dies in einer Weise vermittelt wurde, die den Sachverhalt nicht
vollkommen trifft. Es gibt Annahmen, die man so interpretieren kann. Es ist aber noch nicht zu spät.
Im Ergebnis ist doch Folgendes festzuhalten: Zwingende fachliche Gründe sind bisher nicht belegt. Ihre
Änderungsabsicht beinhaltet zumindest die Gefahr, dass
sich die innere Sicherheit eher verschlechtert als verbessert. Durch sie wird das föderale Strukturelement der
Bundesrepublik und - das ist mir besonders wichtig die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Bund und
Ländern untergraben. Nach diesem Vorgang kann man
sich nicht darüber wundern, wenn dieses Vertrauen infrage gestellt wird. Ganz nebenbei gesagt würde es auch
eine ganze Menge Geld kosten, Geld, das wir im Bereich
der inneren Sicherheit ganz sicher für andere Dinge gut
gebrauchen könnten.
Herr Kollege, Sie haben jetzt Gelegenheit, sich zu äußern.
({9})
- Nein, das ist keine Großmut. Damit Sie das verstehen:
Die Geschäftsführer haben sich hinreichend bemüht,
festzulegen, ob nun er zuerst redet oder ich. Das war für
mich kein Thema.
({10})
Eines möchte ich am Schluss des Debatte wirklich
deutlich machen: Es ist bereits ein beachtlicher Schaden
eingetreten. Das kann niemand ernsthaft bestreiten.
({11})
Staatsminister Volker Bouffier ({12})
Unsere Aufgabe und die des zuständigen Bundesinnenministers ist es, weiteren Schaden zu vermeiden. Tun Sie
das klug! Aus der Sicht des Landes Hessen ist diese Zentralisierung in der Sache nicht begründet und sie schadet
unserem gemeinsamen Anliegen. Wir haben allen Anlass, uns auf die gemeinsamen Sicherheitsaufgaben zu
konzentrieren, nämlich die Herausforderungen des Terrorismus sowie der organisierten Kriminalität und vieles
mehr. Dies fordert unsere ganze Kraft. Meines Erachtens
geht die jahrelange Beschäftigung des zentralen Kernstücks kriminalpolizeilicher Arbeit in dieser Republik
mit sich selbst damit überhaupt nicht einher.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat nun der Bundesinnenminister Otto
Schily.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Ich bin ja schon dankbar dafür, dass der Kollege Röttgen
hier einen sehr sachlichen Beitrag gehalten
({0})
und einen richtigen Satz an den Anfang gestellt hat. Es
entspricht meiner Grundauffassung, dass Standortfragen
nach Sicherheitskriterien entschieden werden und sich
nicht umgekehrt die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben an bestehenden Standortstrukturen orientieren
darf. - Diesen Satz können wir alle unterschreiben.
({1})
Die Frage ist, welche Konsequenzen wir daraus ziehen.
Ich will daran erinnern, dass beispielsweise der
Standort Meckenheim damals deswegen gewählt wurde,
weil die Sicherungsgruppe Bonn in der Nähe der Regierung sein sollte. Das ist konsequent. Das haben wir bekanntlich in Berlin realisiert.
({2})
- Es ist erfreulich, dass auch Sie das als gelungen ansehen.
Ich will an dieser Stelle auf Folgendes hinweisen: Da
Sie hier alle Schreckensszenarien an die Wand gemalt
haben, wie schlimm es sei, wenn Umzüge stattfänden,
erinnere ich in diesem Zusammenhang daran, dass inzwischen 300 Polizeivollzugsbeamte umgezogen sind.
Ich wüsste nicht, dass dadurch große Sicherheitseinbußen entstanden wären und dass sich die Beamten der Sicherungsgruppe, deren Arbeit ich sehr zu würdigen weiß
und bei denen ich mich bedanke, nur mit Umzugsfragen
beschäftigt hätten. Dies sage ich, damit diese Schreckensszenarien aus Ihren Köpfen verschwinden.
Wenn wir nicht in der Lage sind, eine wichtige Behörde wenigstens in Bereichen zu verlagern, dann frage
ich: Wie ist es eigentlich mit dem Leistungsvermögen
unserer Gesellschaft bestellt? Das ist der Punkt. Dauernd
wird über Mobilität und Flexibilität gesprochen. Wenn
sich diese Frage aber einmal im öffentlichen Dienst
stellt, dann heißt es auf einmal: Das geht auf gar keinen
Fall.
Sie haben Recht, Herr Kollege Röttgen: Die Beweislast trägt derjenige, der eine Veränderung vornehmen
will. Darüber kann man in aller Ruhe streiten. Herr Kollege Bouffier meint, ich hätte eine ergebnisoffene Prüfung unter dem Vorzeichen polizeifachlicher Argumente
nur deshalb in Aussicht gestellt, weil mir jetzt erst eingefallen sei, dass ein paar polizeifachliche Gesichtspunkte
zu berücksichtigen seien. Für so töricht, lieber Kollege
Bouffier, sollten Sie weder mich noch die Amtsleitung
des Bundeskriminalamtes halten. Die gesamte Amtsleitung hat in ihrer Bewertung die polizeifachlichen Gesichtspunkte sehr sorgfältig geprüft. Ich habe am
6. Januar noch einmal zusammen mit allen Herren, nicht
nur mit dem Präsidium, sondern mit allen Abteilungsleitern, gesprochen. Alle unterstützen dieses Konzept.
Darüber hinaus kam es zu einer Diskussion mit der
Belegschaft. In der Diskussion sind aus der Mitarbeiterschaft des Bundeskriminalamtes durchaus beachtenswerte polizeifachliche Gesichtspunkte zusätzlicher Art
vorgetragen worden. Ich wäre absolut schlecht beraten,
wenn ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Prüfung dieser polizeifachlichen Gesichtspunkte verweigern
würde. Diese ergebnisoffene Prüfung werde ich durchführen. Das halte ich für eine selbstverständliche Pflicht.
Wie ich sehe, läuft mir die Zeit rasend schnell davon.
({3})
Ich kann in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung steht,
nicht auf alle Gesichtspunkte eingehen; das ist völlig unmöglich. Ich versichere Ihnen, dass wir die polizeifachlichen Argumente mit großer Sorgfalt prüfen werden, und
zwar ergebnisoffen.
Herr Kollege Bouffier, ich möchte Ihnen Folgendes
sagen: Ich wüsste nicht, dass mir Landesregierungen
ihre Entscheidungen zu Technik und Ausrüstung mitteilen würden, dass ich also an Entscheidungen der Landesregierungen beteiligt würde. In der Föderalismuskommission reden wir zwar über die unterschiedliche
Zuordnung von Verantwortungen. Das Bundeskriminalamt jedoch fällt eindeutig in Bundesverantwortung. Bei
allem Verständnis bitte ich darum, dass es in Bundesverantwortung bleiben wird.
Es werden gerne Vergleiche angestellt. Ich habe wieder das Wort „Zentralisierungsüberlegungen“ gehört.
Dankenswerterweise hat man wenigstens das Wort
„Zentralisierungswahn“ vermieden.
({4})
- Das kommt noch, wenn Sie es schon ankündigen.
Die Debatte hier unterscheidet sich übrigens ganz augenfällig von der sachlichen Atmosphäre in den beiden
Ausschüssen. Das will ich auch einmal sagen. Das ist
eine Erfahrung, die man macht. Bei manchen Reden
weiß ich, wie sie wirken sollen. Die sind einer sachlichen Diskussion nicht unbedingt zuträglich.
Ich will Sie fragen, Herr Kollege Bouffier: Wie sieht
es denn in den Ländern aus? Wo sind denn dort die Landeskriminalämter? - Die sind mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg überall in den
Landeshauptstädten. Ein Redner hat in der Debatte das
FBI angesprochen.
({5})
Es stimmt, dass das FBI mehrere Standorte hat. Aber
schauen Sie sich einmal den Standort des FBI in Washington an. Dann wissen Sie, wie die Größenordnungen
sind. Man muss also vorsichtig sein.
Man sollte Herrn Dr. Kersten, der wirklich ein verdienstvoller Präsident ist, für dessen Leistung ich mich
herzlich bedanke - das sollte hier von uns allen gemeinsam gewürdigt werden -, nicht unterstellen, dass er
leichtfertig solche Überlegungen anstellt.
({6})
Dies geschieht vielmehr aus der Sorge,
({7})
dass wir mit der Bedrohung der Sicherheit unseres Landes durch den islamistischen Terrorismus in eine neue
Situation gekommen sind. Er sagt, dass es deshalb neue
Notwendigkeiten gibt. Man hat seinerzeit aus sehr vernünftigen Überlegungen heraus in Meckenheim zu der
Sicherungsgruppe die Terrorismusbekämpfungseinheiten gestellt. Kommunikationseinrichtungen gab es schon
damals, wenn auch nicht in der allermodernsten Form.
Damals hat man gesagt, dass man die unmittelbare Zusammenarbeit brauche. Der jetzige Ansatz von Herrn
Dr. Kersten ist, dass die Grenzen zwischen der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der des Terrorismus verschwimmen und dass wir heute bei der Kriminalitätsbekämpfung eine ganzheitliche Betrachtungsweise
haben, die es notwendig macht, operative Kompetenzen
zu bündeln und Synergieeffekte bei der Bekämpfung
moderner Kriminalitätsformen zu erzielen. Ferner müssen wir eine effektive und der Lage angepasste Steuerung erreichen und eine personalwirtschaftlich zeitnahe
und fachlich kompetente Reaktion auf besondere Situationen ermöglichen.
({8})
Dabei spielt das hohe Aufkommen von Hinweisen im
terroristischen Bereich - wir haben das im Innenausschuss erörtert - eine große Rolle.
({9})
- Ich habe Ihnen doch auch zugehört, Herr Koschyk. Sie
können sich gleich dazu noch äußern.
Es sind nach dem 11. September 2001 24 000 Hinweise eingegangen. Hören Sie sich doch wenigstens einmal die Argumentation von Herrn Dr. Kersten in diesem
Zusammenhang etwas ausführlicher an. Diese Fragen
müssen sehr sorgfältig durchdacht werden. Das werden
wir auch im Weiteren tun.
Wir haben zunächst einmal ein Grundkonzept vorgelegt. Es war von vornherein - das habe ich auch dem
Personalrat gesagt - in Aussicht gestellt, in die Beratungen über eine Feinplanung einzutreten. Wir haben ein
Gespräch mit dem Personalrat verabredet, in dem wir
- da bin ich zuversichtlich - zu guten Ergebnissen kommen.
Selbstverständlich haben Sie Recht, wenn Sie sagen
- das tat auch Herr Röttgen -, man müsse sorgfältig darauf achten, dass im Zuge solcher Planungen nicht Verwerfungen in dem Amt entstünden, die die Motivation
beeinträchtigen könnten. Als Grundforderung stelle ich
allerdings schon, dass auch ein Beamter in der Lage sein
muss, sich auf Veränderungen einzustellen.
({10})
Das gehört zum Beamtenverhältnis.
({11})
Man kann nicht einfach sagen: Das lehne ich ab. Man muss aber Verständnis dafür haben, dass es Familien gibt, die Eigentum vor Ort erworben haben, dass
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Lebenspartner haben,
die ihren Arbeitsplatz dort haben, und man muss berücksichtigen, dass diese minderjährige schulpflichtige Kinder haben. Es wäre nicht in Ordnung, wenn das von meinem Ministerium oder der Amtsleitung nicht
berücksichtigt würde. Wenn man Loyalität von den Beamtinnen und Beamten erwartet - da nehme ich den Satz
von Frank Hofmann auf -, die vorzügliche Arbeit für die
Sicherheit unseres Landes leisten, dann muss der Staat
umgekehrt auch seine Fürsorgepflichten wahrnehmen.
Das ist meiner Ansicht nach eine pure Selbstverständlichkeit.
Meine Bitte an Sie ist, keine falschen Informationen
bis hin zu übertriebenen Summen hinsichtlich der Kosten in Umlauf zu bringen und nicht den Verdacht zu äußern, der mit der Realität nichts zu tun hat, nämlich es
gehe um Politikberatung oder - noch schlimmer - um
politische Beeinflussung. Ich kann Ihnen vielmehr einige Lagen darstellen - in der Kürze der zur Verfügung
stehenden Zeit vermag ich das allerdings nicht -, in denen eine sehr enge Kooperation auch mit den Führungsspitzen der Ministerien - das beschränkt sich nicht auf
das Bundesministerium des Innern; vielmehr gehören
das Auswärtige Amt, das Bundesjustizministerium wie
auch, ganz zentral, das Bundeskriminalamt und durch
die Verlagerung des BND auch diese Einrichtung dazu bestanden hat.
Herr Minister!
Ich weiß, Herr Präsident. Ich sehe Ihr Signal und ich
sehe auch, dass mir der Kollege von der FDP-Fraktion
nicht weiter zuhören will. Das kann ich verstehen.
({0})
- Ja, ich weiß.
Weil die Zusammenhänge in einem solchen Rahmen
nur sehr unzureichend dargestellt werden können, biete
ich Ihnen an, mich Ihnen - notfalls auch in öffentlicher
Sitzung - in den Fachausschüssen zur Verfügung zu stellen. Dann können wir über alle diese Fragen sehr sachlich und mit dem gebotenen Ernst reden. Ich bin froh
darüber, dass die Personalvertretung eine faire Debatte
ermöglicht hat.
Lassen Sie mich mit Folgendem schließen: Unabhängig von der Frage, wie die unterschiedlichen Größenordnungen der Standorte beurteilt werden oder ob ein
Standort geschlossen werden soll, ist von allen anerkannt worden, dass eine stärkere Präsenz des Bundeskriminalamtes in Berlin notwendig ist. Das ist ein erfreulicher Sachverhalt, der auch aus den Beiträgen der
Kolleginnen und Kollegen des Bundeskriminalamtes in
Wiesbaden sehr deutlich geworden ist. Das ist ein guter
Ausgangspunkt, um zu vernünftigen und letztlich konsensualen Ergebnissen zu kommen.
Ich bedanke mich.
({1})
Bevor ich dem Kollegen Hartmut Koschyk das Wort
erteile, weise ich darauf hin, dass nach den Regelungen
unserer Geschäftsordnung für die Durchführung von Aktuellen Stunden dann, wenn ein Mitglied der Bundesregierung, des Bundesrates oder einer ihrer Beauftragten
länger als zehn Minuten sprechen, § 44 Abs. 3 unserer
Geschäftsordnung Anwendung findet, wonach auf Antrag einer Fraktion oder 5 Prozent der Mitglieder des
Hauses dazu die allgemeine Aussprache eröffnet wird.
Diesen Antrag hat die FDP-Fraktion gerade gestellt. Ich
weise darauf hin, weil es möglicherweise auch Folgen
für die anderen Fraktionen haben könnte.
Nun erteile ich dem Kollegen Hartmut Koschyk das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Schily, ich bedauere es sehr, dass Sie trotz
deutlicher Überziehung Ihrer Redezeit diese Parlamentsdebatte nicht genutzt haben, um auch nur ein überzeugendes Argument für die Megaverlagerung des BKA
von den Standorten Wiesbaden und Meckenheim nach
Berlin vorzubringen.
({0})
Ich will deutlich sagen, werte Kolleginnen und Kollegen: Ich habe großen Respekt vor den Reden der Frau
Kollegin Merten und der Vertreter der Grünen, weil sie
sich in dieser Frage nicht in eine falsche Koalitionsräson
einbinden lassen, sondern die begründeten Bedenken gegen diese Entscheidung auch hier im Parlament artikulieren.
({1})
Herr Minister, die Entscheidung war hinsichtlich der
Fürsorgepflicht und des Führungsstils miserabel. Sie ist,
was die polizeifachliche Begründung angeht, auch nach
Ihrer Rede nicht stichhaltig; sie ist mehr als fragwürdig
und im Hinblick auf das in dieser Zeit erforderliche Kostenbewusststein völlig unverantwortlich.
Herr Minister, damit Sie nicht meinen, in eine falsche
Richtung an uns appellieren zu müssen, versichere ich
Ihnen: Natürlich sind auch wir der Auffassung, dass Beamtinnen und Beamte gerade im Sicherheitsbereich mobil und flexibel sein müssen. Gerade diese Beamtinnen
und Beamten haben aber auch Anspruch auf Verlässlichkeit des Dienstherrn.
Herr Minister, nach den Informationen, die mir vorliegen, wurde in den Personalversammlungen an den
drei Standorten des BKA sowohl im Juni als auch im
November 2003 von der Amtsleitung bekundet, dass
diese drei Standorte in vollem Umfang erhalten bleiben
sollten. Das soll auch in der Sitzung des Hauptpersonalrates im BMI am 17. Dezember 2003, also kurz vor
Weihnachten, von einem Vertreter des BMI bekräftigt
worden sein.
({2})
Herr Minister, so lautet die Information, die mir zugegangen ist. Wir haben Sie auch in der heutigen Sitzung
des Ausschusses danach gefragt. Aber weder Sie noch
Herr Kersten haben etwas dazu gesagt. Sie sollten die
entsprechenden Vorwürfe endlich einmal ausräumen.
Herr Minister, gerade am Standort Meckenheim sind
bis in das letzte Jahr hinein Verstärkungen vorgenommen worden, zum Beispiel in der Abteilung Staatsschutz. Dafür sind Kollegen aus Wiesbaden und Berlin,
aber auch aus der Ausbildung heraus für den Standort
Meckenheim angeworben worden. Des Weiteren ist dort
neues Logistikpersonal eingestellt worden. Hinzu
kommt, dass erst Ende letzten Jahres ein neues, funktionsfähiges Führungs- und Lagezentrum in Meckenheim in Betrieb genommen worden ist. Es geht um Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Man darf einen
solchen Megaumzug nicht in einer geheimen Arbeitsgruppe, in der Amtsleitung und im Ministerium quasi
hintenherum planen und die Menschen erst einmal ruhig
stellen, weil man mit dem großen Schock bis nach Weihnachten wartet. Das ist ein unverantwortlicher Führungsstil. Herr Minister, ich hätte mir gewünscht, dass Sie
dazu etwas gesagt hätten.
({3})
Dass räumliche Nähe von Entscheidungsträgern keine
Gewähr für bessere Kommunikation und Kooperation
ist, zeigt gerade diese Entscheidung. Herr Minister
Schily, die anderen Minister, die mit Ihnen am Kabinettstisch sitzen, haben von dieser Entscheidung, die
auch sie betrifft, erst aus der Zeitung erfahren, ebenso
wie der Koalitionspartner. Trotz großer räumlicher Nähe
kommuniziert und kooperiert man also nicht so, wie das
notwendig wäre.
Ich möchte deutlich sagen: Wir sehen in dieser Entscheidung ein Stück Methode. Herr Minister, ich möchte
nicht von Zentralisierungswahn sprechen. Aber ist es
richtig, den gesamten BND mit 5 000 Mitarbeitern nach
Berlin umziehen zu lassen und dafür 1 Milliarde Euro
aufzuwenden, jetzt 2 000 Mitarbeiter des BKA nach
Berlin zu holen und dafür 500 Millionen Euro aufzuwenden sowie den Führungsstab der Streitkräfte von der
Bonner Hardthöhe nach Berlin zu verlagern? Die Menschen haben das Recht, dass das, was Politik als Anspruch formuliert, etwas länger gilt. Wir haben im Berlin/Bonn-Gesetz den Geist der föderalen Verteilung von
Einrichtungen beschworen. Herr Minister Bouffier hat
außerdem auf die unabhängige Föderalismuskommission verwiesen. Herr Minister Schily, viele Menschen
glauben Ihnen nicht mehr, wenn Sie sagen: Aber am
Standort des Bundesamtes für Verfassungsschutz in
Köln will ich nicht rütteln.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die jetzige Entscheidung noch einmal auf den Prüfstand gestellt wird und dass wir deutlich machen, dass wir angesichts der Kommunikationsmöglichkeiten unserer Tage
auch mit dislozierten Sicherheitsbehörden in Deutschland die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger hinreichend gewährleisten können, dass wir also keine Zentralisierung von Sicherheitsbehörden in Berlin brauchen.
Herzlichen Dank.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte gern Ihr
Einverständnis dazu feststellen, dass die Redner in der
nun beginnenden Debatte wieder nur fünf Minuten Redezeit haben. - Das ist der Fall.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Reichenbach für
die SPD-Fraktion. - Wie ich gerade sehe - ich denke,
wir alle sind hinreichend flexibel -, spricht nun der Kollege Wiefelspütz für die FDP-Fraktion.
({0})
- Entschuldigung, natürlich für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Herr
Westerwelle, ich halte von Liberalität in der SPD sehr
viel. - Ich hätte mir gewünscht, dass wir an dieser Stelle
über andere Dinge reden. Ich hoffe sehr, dass wir zur Behandlung wichtiger Fragen, auch der Sicherheitspolitik,
nicht solche Anlässe brauchen. Ich bin der Auffassung,
dass in diesem Land eine ganze Menge passieren muss.
Es gibt jetzt eine Föderalismuskommission, in der ich
selbst mitwirken darf. Ich sage Ihnen: Wir müssen in
diesem Land eine ganze Menge verändern, damit wir
alle miteinander besser aufgestellt sind.
Es macht auch Sinn - wenn ich das sage, dann nehme
ich keine Ergebnisse vorweg -, darüber nachzudenken,
ob - ich sage das mit allem Respekt vor der großartigen
Leistung unserer Polizeibeamtinnen und unserer Polizeibeamten, der Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, des Verfassungsschutzes und des Innenministeriums - die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik
Deutschland optimal ist. Wir müssen bereit sein, zu Entscheidungen zu kommen. Ich bin der festen Auffassung,
dass das nur in einem fairen Dialog mit allen Beteiligten
möglich ist.
Das darf allerdings nicht zerredet werden und man
muss auch zu Ergebnissen kommen können. Ich sage es
einmal etwas pathetisch - ich habe den größeren Teil
meines Berufslebens im öffentlichen Dienst verbracht -:
Ich arbeite dort, wo dieser Staat, mein Land, mich
braucht und nicht dort, wo ich das Land brauche. Das
gilt jedenfalls vom Grundsatz her.
({0})
Wir müssen uns selbstverständlich um die Menschen
kümmern. Das heißt, dass wir uns in erster Linie nicht
um die Führungsetage, sondern um die vielen kleineren
und mittleren Bediensteten kümmern, die in der Tat Verlierer von Umzugsentscheidungen sein können.
Ich bin der festen Überzeugung, dass man das, worüber wir hier heute sprechen, etwas anders hätte einstielen
können. Ich bitte um Verständnis: Ich habe den Eindruck, dass der Bundesinnenminister die Botschaft verstanden hat und - das müssen wir hier nicht großartig
vertiefen - das korrigiert hat, was er selbst für korrekturbedürftig hält und was auch wir für korrekturbedürftig
gehalten haben. Dass Sie versuchen, das offensiv anzupacken, das gehört zu der Veranstaltung, die wir parlamentarische Demokratie nennen. Das respektieren wir.
Jetzt muss aus dieser Sache etwas Gutes gemacht
werden. Ich betone ausdrücklich: Am Anfang und am
Ende müssen die Sicherheitsbelange der Bundesrepublik
Deutschland stehen. Wir, Rot-Grün mit diesem Bundesinnenminister, machen einen guten Job im Bereich der
inneren Sicherheit.
({1})
Das werden wir auch weiterhin machen.
Ich sage Ihnen, Herr Grindel: Ich kenne keinen Fachmann in Deutschland, der bestreitet, dass wir den Standort Berlin in Sachen BKA stärken müssen. Ich will gar
nicht vorwegnehmen, was hier noch diskutiert und entschieden werden muss. Es ist eine Exekutiventscheidung. Wir alle miteinander wollen mitreden und wir
wollen informiert werden; das ist völlig klar. Die Botschaften sind hier wechselseitig angekommen. Die Führungsetage des BKA muss hier, in Berlin, gestärkt werden; das ist doch wohl völlig klar.
Ebenso ist klar, dass zumindest ein wichtiger Teil der
operativen Seite des Bundeskriminalamtes nach Berlin
gehört. Vom Fachlichen her kann man das doch ernstlich
überhaupt nicht bestreiten. Die Mitarbeiter müssen in die
Umzugsentscheidung allerdings einbezogen werden. Es
muss in der Tat nachgewiesen werden, warum die Strukturen so und nicht anders verändert werden müssen. Diesen Prozess organisieren wir gemeinsam unter der Verantwortung dieses sehr bewährten und hervorragenden
Bundesinnenministers Otto Schily. Wir werden über
diese Fragestellung hier erneut - zeitnah - zu reden haben.
Ich bitte darum, dass wir alle miteinander jede Art
von Heuchelei auf diesem Sektor unterlassen. Das Bundeskriminalamt ist kein Landeskriminalamt, Herr Minister Bouffier.
({2})
Ich halte sehr viel von der guten Zusammenarbeit, die
der Bundesinnenminister immer wieder rühmt. Sicherheit in Deutschland wird gemeinsam von Bund und Ländern, und zwar unabhängig vom Parteibuch, organisiert.
Das funktioniert im Großen und Ganzen ganz hervorragend. Herr Bouffier, es ist aber unsere verdammte
Pflicht, immer wieder und aufs Neue zu fragen: Welchen
Veränderungsbedarf gibt es in dieser Gesellschaft? - Reformen können doch wohl nicht immer nur bei anderen
und nie bei einem selber durchgeführt werden. Auch die
Sicherheitsarchitektur ist uns anvertraut worden. Wir
müssen immer bereit sein, zu überlegen, was wir auf diesem Sektor besser machen können.
Allerdings ergeht die herzliche Bitte, dass die Menschen mitgenommen werden, ernst genommen werden
und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Das
ist das Ergebnis dieser Debatte. Das garantieren wir.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
({3})
Nun erteile ich dem Kollegen Willsch, CDU/CSUFraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Wiefelspütz, selbstverständlich haben Sie
Recht damit, dass wir Veränderungen in unserer Gesellschaft brauchen. Aber der Grundsatz muss doch sein,
dass wir nur dann etwas verändern, wenn die Aussicht
besteht, dass es hinterher besser wird. Es kann doch
nicht die Veränderung um ihrer selbst willen angestrebt
werden.
({0})
In dieser Hinsicht, Herr Innenminister, war das, was
Sie vorgetragen haben, mehr als dürftig. Es ist kein entscheidender Punkt vorgetragen worden, der dafür gesprochen hätte, dass all das, was noch zum 50-jährigen
Jubiläum des BKA gesagt worden ist und was an Lob für
die erfolgreiche Arbeit des BKA ausgesprochen ist,
nicht mehr gilt und dass die Arbeit durch die einschneidenden Maßnahmen, die Sie vorsehen, in irgendeiner
Weise verbessert werden könnte. Weil Sie verändern
wollen, müssen Sie den Beweis dafür antreten, dass das
Neue besser sein wird als das, was wir heute haben. Wir
haben erheblichen Anlass, zu vermuten, dass es zu einer
Verschlechterung kommt, zumindest für die Übergangsphase, unseres Erachtens aber darüber hinaus noch sehr
viel länger. Darauf geben Sie nicht die richtigen Antworten, weder im Ausschuss noch hier.
({1})
- Heute Mittag war er bei uns im Haushaltsausschuss.
Wir haben auch dort schon einen kleinen Strauß ausgefochten.
Es ist bemerkenswert, mit welcher Lässigkeit Sie über
die eher zur Nachdenklichkeit anregende Bemerkung
des hessischen Innenministers hinweggegangen sind,
dass die Arbeit des Bundeskriminalamtes die Basis der
Länderpolizeien braucht, weil es über keine Fußtruppen
verfügt. Das Bundeskriminalamt kann nur arbeiten,
wenn eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den
Länderpolizeien und den entsprechenden Behörden gegeben ist. Dass Sie die mit der Art und Weise, in der Sie
hier vorgehen, nicht befördern, ist doch wohl augenfällig.
Ich will nur noch eine Bemerkung zu Ihrem Umgang
mit den Mitarbeitern machen; das habe ich im Ausschuss
schon kurz angesprochen. - Bis in den Dezember hinein
auf Personalversammlungen und gegenüber Personalräten geradezu Bestandsgarantien auszusprechen oder zumindest zuzulassen, dass man so verstanden wird - ich
will nicht ausschließen, dass Sie das anders gemeint haben, die Mitarbeiter es aber dann so aufgenommen haben, wie sie es mir erzählt haben -, um ihnen dann kurz
nach Weihnachten, am 5./6. Januar, dies wie einen kalten
Lappen um die Ohren zu hauen und zu sagen: „Was gestern erklärt worden ist, gilt alles nicht mehr“, das ist ein
menschenverachtender Führungsstil,
({2})
den ich wirklich nur zurückweisen kann. So bin ich noch
nie, in welchem Verantwortungsbereich auch immer, mit
Mitarbeitern umgegangen.
Ich möchte einen Appell an jene aus den Koalitionsfraktionen richten, die sich hier mutig geäußert haben
und diese Entscheidung von Schily nicht einfach exekutieren wollen. Der Innenminister gibt sich jetzt ein wenig
flexibel, biegsam, aber er hat deutlich gesagt, dass er
jetzt über Feinplanungen spricht, aber die Grundentscheidung nicht mehr infrage stellt.
({3})
- Herr Innenminister, an dem anderen Ort, an dem wir
heute miteinander gesprochen haben, nämlich im Ausschuss, haben Sie gesagt: nicht die Grundentscheidung,
sondern die Feinplanung. - Deshalb sage ich all denen,
die Bedenken gegen diese Entscheidung haben, auch Ihnen, Frau Wieczorek-Zeul, die Sie nicht den Mut hatten,
heute hier zu sprechen:
({4})
Lassen Sie sich nicht einlullen! Er will diese Entscheidung durchexerzieren, schon allein aus grundsätzlichen
Erwägungen. Lassen Sie sich nicht einlullen, sondern
geben Sie mit uns gemeinsam Acht! Die innere Sicherheit in unserem Land muss uns das wert sein.
({5})
Die Mitarbeiter an beiden Standorten, die in den vergangenen Jahren hervorragende Arbeit geleistet haben,
({6})
haben es verdient, dass wir uns als Parlament für sie einsetzen
({7})
und damit den Beweis dafür antreten, dass das, was wir
bei Jubiläen sagen, nicht nur schöne Worte sind, sondern
auch Konsequenzen hat. Wir als CDU/CSU-Fraktion jedenfalls werden für die innere Sicherheit und an der
Seite der Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes stehen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({8})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Christian
Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Willsch, auch ich gehöre zu denen, die
schon immer die Meinung vertreten haben und sich jetzt
auch in der Öffentlichkeit dahin gehend geäußert haben,
dass ein Komplettumzug des Bundeskriminalamtes nach
Berlin eine falsche Entscheidung wäre. Übrigens habe
ich mich auch bereits gegen einen Komplettumzug des
Bundesnachrichtendienstes nach Berlin gewandt. Das
habe ich immer deutlich gesagt. Das sage ich auch hier.
({0})
Ich halte es nicht für sinnvoll, die zusätzliche Debattenzeit dazu zu nutzen, all das, was in den anderthalb
Stunden vorher schon gesagt wurde, zu wiederholen,
sondern die zusätzliche Debattenzeit sollte eigentlich
dazu dienen, auf das einzugehen und uns damit zu befassen, was der Minister, dem wir die zusätzliche Debattenzeit zu verdanken haben, gesagt hat.
({1})
Das will ich tun. Deshalb wiederhole ich die Argumente,
die vorher schon gebracht wurden, nicht noch einmal.
Ich sehe nun ein erhebliches Entgegenkommen des
Ministers in zweifacher Hinsicht. Das sage ich jetzt nicht
nur für mich, sondern auch für diejenigen aus meiner
Fraktion, die Sie von der Opposition vorhin so gelobt haben, nämlich für die Kollegin Stokar und den Kollegen
Loske, die unsere kritischen Punkte hier vorher in aller
Deutlichkeit klar gemacht haben. Wir haben den Minister nämlich so verstanden, dass er sich hier ganz eindeutig dahin gehend festgelegt hat, dass er das weitere Prozedere mit den Vertretern des Personalrats erörtern und
in diesem Sinne die Fragen, die offen sind, lösen will.
Dafür sind wir ihm dankbar. Diese Anregung bzw. dieses
Versprechen nehmen wir gerne auf, weil auch wir uns
gegenüber den Leuten des Personalrats verpflichtet fühlen, deren Rechte hier im Deutschen Bundestag zur Geltung zu bringen.
({2})
Für mich ist es durchaus eine außergewöhnliche Situation,
({3})
dass sich Vertreter des Personalrats des Bundeskriminalamtes - also nicht irgendeiner Behörde - mit mir in Verbindung setzen, um dieses Problem zu besprechen. Ich
habe deren Anliegen nicht nur deshalb von Anfang an
ernst genommen, weil auch ich die Bedenken des Personalrats hinsichtlich des Umzugs teile - meine Bedenken
gehen noch darüber hinaus -, sondern auch deshalb, weil
es ganz wichtig ist, wie der Personalrat diese Frage sieht
und wie das Vertrauen der Beschäftigten - der Personalrat ist ja nur die Vertretung der Beschäftigten - in die
Amtsleitung sichergestellt werden kann, damit ein
solches Amt, das die Sicherheit in der Bundesrepublik
Deutschland mit garantieren soll, übrigens auch die
Sicherheit der einzelnen Abgeordneten und der Mitglieder der Bundesregierung, wirksam arbeiten kann. Um
das zu erreichen, müssen wir mit denen zusammenarbeiten.
Weiterhin sind wir froh darüber, dass der Bundesinnenminister gesagt hat, dass die in der Öffentlichkeit genannten Kosten für diesen Umzug nicht die realistischen
und richtigen Zahlen sind. Somit muss bei der jetzt anstehenden Entscheidung seine Aussage, dass ein Umzug
nicht 500 Millionen Euro bzw., wie es der Kollege
Röttgen formuliert hat, 1 Milliarde DM kosten wird, beachtet werden und zugleich muss sie dann auch gemeinsam mit dem Personalrat getroffen werden.
An Diskussionen auf dieser Grundlage wollen wir uns
beteiligen. So wollen wir erreichen, dass maßvoll und allein an der Sache orientiert diskutiert und letztendlich
auch entschieden wird. Somit sind Teilumzüge, wie sie
bereits geschehen sind, möglich, aber zu einem kompletten Umzug, der hier heute immer wieder als Schreckensbild an die Wand gemalt wurde und heute immer wieder
zu Recht kritisiert worden ist, wird es nicht kommen.
Deshalb schließe ich meine Ausführungen mit der
Aussage, dass wir dem Innenminister dankbar sind,
({4})
dass er eine sachbezogene Rede gehalten hat und nicht
eine Rede, die er aufgrund der vielen Angriffe, denen
sein Amt und auch die Leitung des Bundeskriminalamtes ausgesetzt waren, hier hätte halten können. Wir gehen auf dieses Auf-uns-Zugehen ein und wollen die Sache mit ihm gemeinsam zu einer vernünftigen Lösung
bringen. Ich bedauere, der Opposition mit dieser meiner
Rede nicht mehr gedient haben zu können - vielleicht
beim nächsten Mal wieder.
Danke sehr.
({5})
Als letztem Redner erteile ich dem Kollegen Guido
Westerwelle, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ströbele, Sie haben gesagt, was für
eine verkehrte Welt das sei, dass die Beamten des Bundeskriminalamtes sich genötigt gesehen hätten, sich mit
Ihnen in Verbindung zu setzen.
({0})
- Oder sich veranlasst gesehen haben. - Wenn sich Beamte des Bundeskriminalamtes schon an den GrünenAbgeordneten Ströbele wenden, dann müssen sie sehr
verzweifelt sein; davon ist auszugehen.
({1})
Herr Minister Schily, interessant ist nicht, dass Sie gesprochen haben, sondern interessant ist, dass Sie in Ihrer
- das meine ich nur auf die Länge bezogen - überzogenen Rede nichts gesagt haben. Man merkt, dass auch Sie
gemerkt haben: Sie haben keine Mehrheit in diesem
Hause.
({2})
Das hat die eine Seite des Hauses klar formuliert, das haben die Grünen gleich am Anfang der Debatte klar formuliert und es ist Ihnen auch von der Seite der Sozialdemokraten durch die Blume mehr oder weniger gesagt
worden.
Was Sie jetzt angetreten haben, ist ein Rückzugsgefecht. Da wir nicht nur über das reden wollen, was in den
letzten ein bis anderthalb Stunden gesagt worden ist,
sondern auch über das, was jetzt auf uns zukommen
wird, will ich Ihnen Folgendes sagen: Herr Kollege
Wiefelspütz, wie immer haben Sie als braver Soldat Ihrer Fraktion hier gesprochen und versucht, dem eigenen
Minister eine Brücke zu bauen. Aber wenn das so zu
verstehen sein sollte, dass Sie in Wahrheit die Oppositionsparteien auffordern, an der Feinplanung mitzuarbeiten
({3})
und die Grundsatzentscheidung nicht infrage zu stellen,
dann werden Sie sich in diesem Hause mit Sicherheit
auch weiterhin mit dieser für Sie sehr pikanten und unangenehmen Problematik auseinander setzen müssen.
({4})
- Das Wort „ergebnisoffen“ heißt nicht, dass es noch um
die Art und Weise und die Zeitachse des Umzugs geht,
sondern es heißt, dass die Grundsatzentscheidung, die
der Minister verkündet hat, durch dieses Haus infrage
gestellt wurde. Das ist das Ergebnis der heutigen Debatte.
({5})
Herr Minister, es ist schon ein starkes Stück, dass Sie
hier über zehn Minuten reden und nicht ein einziges
Argument vortragen, warum Sie, wie Sie im Haushaltsausschuss gesagt haben, 400 Millionen Euro - Steuergelder - ausgeben wollen für einen Umzug, den Sie hier
augenscheinlich gar nicht fachlich begründen wollen,
möglicherweise weil Sie es nie gekonnt haben.
({6})
Einen solchen Umgang mit Steuergeldern in Deutschland kann man mit Sicherheit nicht akzeptieren und nicht
verantworten.
Interessant ist übrigens nicht nur, wer in dieser Debatte gesprochen und nichts gesagt hat, sondern interessant ist auch, wer in dieser Debatte nichts gesagt hat,
weil er nicht gesprochen hat.
({7})
Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, Sie tun einem schon
Leid.
({8})
- Ich höre Sie, aber ich hätte Sie gerne hier als Rednerin
gehört.
({9})
Das ist ja ein Heldenmut, den Sie da hinten zeigen, zurückgezogen auf die letzten besetzten Bänke, im Schutze
Ihrer Lieben. Das ist mit Sicherheit zu wenig.
({10})
In der Presse die große Philippika zu starten, aber hier
nicht den Mut zu haben, die eigenen Interessen, die des
eigenen Wahlkreises, die der eigenen Region - wie Sie
es definiert haben - zu vertreten, das ist für eine Bundesministerin ganz schön zurückhaltend, um andere Worte
zu vermeiden.
({11})
Interessant ist übrigens auch, wer auf der Bundesratsbank sitzt und wer dort nicht sitzt. Das Land Hessen ist
hier vertreten. Man kann zu der Regierung stehen, wie
man will; ich stehe als Liberaler in Opposition zu dieser
Regierung.
({12})
Interessant ist aber auch, dass die nordrhein-westfälische
Regierung es nicht einmal für nötig hält, die Interessen
des eigenen Bundeslandes hier im Deutschen Bundestag
zu vertreten. Das ist - dies will ich als Nordrhein-Westfale hinzufügen - schändlich.
({13})
Zum Schluss, Herr Bundesinnenminister. Es stimmt
nicht, dass Beamte keine Veränderungsbereitschaft zeigen würden.
({14})
Dieser Reflex ist unfair gegenüber Menschen, die schon
aufgrund ihrer Arbeitszeiten, ihren Arbeitsorten und der
Gefahr, die ihre Tätigkeit mit sich bringt, mehr Flexibilität zeigen als die meisten, über die hier regelmäßig zu
sprechen ist.
({15})
Die Beamten des Bundeskriminalamtes sind veränderungsbereit. Sie arbeiten zu Zeiten, zu denen andere
Menschen nicht arbeiten, und sie setzen sich Gefahren
aus, denen sich die allermeisten Menschen niemals aussetzen müssen.
({16})
Denen mangelnde Veränderungsbereitschaft vorzuhalten
ist in meinen Augen schon ein starkes Stück.
({17})
Es geht nicht um mangelnde Veränderungsbereitschaft. Es geht vielmehr darum, dass Sie keinen einzigen
fachlichen Grund vortragen konnten, warum
400 Millionen Euro Steuergelder ausgegeben werden
sollen. Sie sind mit Ihrem Plan gescheitert. Das ist das
Ergebnis dieser Debatte.
({18})
Ich schließe die allgemeine Aussprache im Anschluss
an die Aktuelle Stunde.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 15. Januar 2004,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.