Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kol-
legen, ich begrüße Sie alle herzlich.
Wir setzen unsere Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt II - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2008 ({0})
- Drucksachen 16/6000, 16/6002 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011
- Drucksachen 16/6001, 16/6002, 16/6426 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({2})
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
Dazu rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt II.9 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
- Drucksachen 16/6404, 16/6423 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Petra Merkel ({3})
Roland Claus
Anna Lührmann
Zu diesem Einzelplan liegen zwei Änderungsanträge
der Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor, über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Ich mache darauf aufmerksam, dass wir über diesen
Einzelplan später namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.
Das ist dann etwa auch die Zeit, zu der mit der namentlichen Abstimmung zu rechnen ist.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dank der
Weltkonjunktur ist unser Aufschwung noch stabil. Die
Steuereinnahmen sprudeln. Der Bundesfinanzminister
kann sich freuen. Nur die Menschen freuen sich nicht;
die Deutschen haben das Gefühl, dass der Aufschwung
bei ihnen nicht ankommt.
({0})
Das heutige Jackpot-Fieber wundert mich nicht. Die
Menschen wollen sich ihre Aufschwungsdividende jetzt
selbst holen. Sie sagen sich: Beim Lotto gewinnt vielleicht einer, bei Schwarz-Rot gewinnt keiner.
({1})
Im Vergleich zu Ihrer Politik sehen die Menschen im
Lotto fast schon eine sichere Form der Vermögensbildung.
({2})
Die Regierung befindet sich im Dauerstreit. Die
CDU/CSU wirft der SPD vor, der Wirtschaft und dem
Aufschwung zu schaden. Die SPD wirft der Union Wortbruch und koalitionsuntreues Verhalten vor. Das wird
Redetext
garniert mit Ausdrücken, die der Präsident hier im Parlament nie zulassen würde.
({3})
So sieht es in unserer Bundesregierung aus. Nach zwei
Jahren ist der Wahlkampf zwischen Schwarz und Rot bereits voll im Gange.
({4})
Jetzt streitet sich die Koalition sogar über die Außenpolitik gegenüber China und Russland. Wenn man sich
schon außenpolitisch nicht einigen kann, wie soll es
dann innenpolitisch weitergehen? Immer öfter fallen die
Worte Stillstand und Rückschritt. In den wenigen Punkten, in denen sich die Regierung einigen kann, ist von einer Politik für den Aufschwung nichts zu merken. Im
Gegenteil: Überall setzt die Regierung auf mehr Staat.
Sie gibt mehr aus, sie betreibt interventionistische Politik und macht Märkte kaputt.
Sie könnten den Haushalt bereits jetzt ausgleichen.
Unsere Haushälter haben in mühevoller Arbeit
400 Anträge erarbeitet. Wenn Sie die darin vorgeschlagenen Maßnahmen umsetzen, können Sie fast 12 Milliarden Euro einsparen.
({5})
Das wird ignoriert, weil Sie gar nicht sparen wollen. Sie
gehen in die Vollen, Sie treiben den Haushalt hoch. Sie
haben 47 Milliarden Euro Mehreinnahmen; trotzdem gehen Sie weiter in die Verschuldung hinein. Das ist keine
Politik für die Zukunft.
({6})
Bei Ihnen macht sich eine Staatsgläubigkeit breit.
Die Sozialdemokraten entdecken ihr Programm „Demokratischer Sozialismus“ neu.
({7})
Die Union macht bei einer solchen Politik auch noch
mit. Die Bahnreform kommt aufs Abstellgleis, die Regierung denkt nach Medienberichten über eine Verstaatlichung der Bundesdruckerei nach, und bei EADS steht
die Bundesregierung mehr als kurz davor, politisch Einfluss zu nehmen.
Es ist zu lesen, dass sich die CDU jetzt klarer positionieren und die Reformpolitik fortsetzen will. Der Generalsekretär der Union wirft der SPD dabei vor, den Staat
als gigantische Umverteilungsmaschinerie zu missbrauchen. Das Problem der Union ist aber, dass sie das alles
mitmacht.
({8})
Wir haben jetzt zwei Parteien, die für einen demokratischen Sozialismus sind. Beim Ausgeben sind sie voll
mit dabei, bei der Verkomplizierung sind sie voll mit dabei, und beim Griff in die Kasse der Bundesagentur für
Arbeit sind sie voll mit dabei. Sie haben das Antidiskriminierungsgesetz mitbeschlossen, und Sie haben die
Zinsschranke und die Funktionsverlagerung als Verkomplizierung des Steuerrechts eingeführt. Das führt zu einem Beschäftigungsprogramm für Rechtsanwälte, bringt
aber keine Rechtsklarheit für Investitionen und führt
nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland.
Das ist Ihre gemeinsame Politik.
({9})
Die Bundeskanzlerin hat hier einmal das Lippenbekenntnis abgelegt: weniger Staat, mehr Freiheit. Wir haben mehr Staat. Jedes neue Gesetz, durch das die Handlungsfreiheit der Bürger eingeengt wird, bedeutet mehr
Staat und ist ein Schritt in Richtung mehr Reglementierung und weniger Freiheit.
({10})
Von Freiheit zu reden und das Gegenteil zu tun, ist kein
Fortschritt.
({11})
Mit was beschäftigt sich diese Koalition? Sie beschäftigt sich mit Mindestlöhnen und Höchstgehältern von
Managern. Sie schwankt zwischen Populismus und Protektionismus. Es geht im Streit zwischen dem Finanzund dem Wirtschaftsministerium doch nur noch darum,
welche Variante des Protektionismus Sie betreiben. Die
einen wollen Kapital sammeln, um zu verhindern, dass
Ausländer investieren, die anderen wollen das Außenwirtschaftsgesetz manipulieren, um dies zu verhindern.
Beides ist falsch. Setzen Sie auf den Markt und nicht
auf Reglementierung und Interventionismus! Das ist immer unsere Stärke gewesen.
({12})
Die Mietkosten werden jetzt besteuert. Ich frage
mich, wann Sie anfangen, auch die Personalkosten zu
besteuern.
({13})
Sie sind doch falsch programmiert. Sie denken falsch,
Sie müssten sich anders orientieren. Ich trage hier einmal ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung zu dem, was
Sie machen, vor. In der letzten Woche stand dort wörtlich:
Die Hauptstadt Berlin entwickelt sich mehr und
mehr zum Biotop für wirtschaftspolitische Dummheiten.
Genau so ist es.
({14})
Sie machen es falsch. Draußen in der Welt gibt es
Turbulenzen, Dollarkrise und Finanzmarktkrise. Führt
die wirtschaftliche Entwicklung der USA nur zu einer
Delle, oder gibt es eine Rezession? Wir betreiben keine
Vorsorge dafür. Was wir immer gesagt haben, beweisen
Sie erneut: Große Koalitionen sind nur scheinbar große
Koalitionen. Sie haben große Mehrheiten, sie sind aber
kleinmütig, gehen komische Kompromisse ein und bringen das Land nicht voran. Sie behindern Deutschland.
Das ist die Politik, die Sie hier betreiben.
({15})
Wir werden uns nicht einschüchtern lassen und weiter
mit aller Klarheit wirken. Es muss in Deutschland noch
eine Partei geben, die ihren wirtschaftspolitischen Sachverstand nicht an der Garderobe abgegeben hat.
({16})
Sie folgen dem Mainstream, gehen nach links und laufen
Lafontaine nach.
({17})
Es muss noch jemanden geben, der Ludwig Erhard kennt
und weiß, wie Marktwirtschaft funktioniert.
({18})
Wir wollen Arbeitsplätze schaffen, wir wollen Wachstum erzielen, und wir wollen Fortschritt, damit Demagogen und Rattenfänger in der deutschen Politik keinen
Boden bereitet bekommen, auf dem sie Resonanz finden.
Es geht auch um die demokratische Zukunft Deutschlands.
({19})
Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin, Frau
Dr. Merkel.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ende März haben wir hier in Berlin den 50. Jahrestag der
Römischen Verträge gefeiert. Dabei ist uns allen noch
einmal deutlich geworden, wie lange ein geeintes, in
Frieden und Freiheit verbundenes Europa ein bloßer
Traum war, ein Traum, der aus schmerzlicher Erfahrung
später auf wunderbare Weise Wirklichkeit geworden ist.
Heute - so haben wir es dann in der Berliner Erklärung
geschrieben - sind wir Europäer zu unserem Glück vereint.
Ich sage das, weil in anderen Regionen der Welt ein
friedliches Miteinander der Völker nach wie vor in weiter Ferne liegt. Insbesondere im Nahen Osten sucht die
Weltgemeinschaft - und dies jetzt seit Jahrzehnten nach Möglichkeiten für eine umfassende Friedenslösung. Hierzu einen Beitrag zu leisten, das war ein
Schwerpunkt der zurückliegenden EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands. Das ist und bleibt auch ein Schwerpunkt der gesamten Bundesregierung.
Jetzt scheint es neuen Grund zur Hoffnung zu geben,
dass der Traum eines friedlichen Miteinanders von Israel
und Palästina doch wahr werden könnte. Auch wenn die
Erfahrungen mit früheren Lösungsversuchen einen allzu
naiven Optimismus verbieten: Die Friedenskonferenz in
Annapolis ist die Chance auf einen neuen Verhandlungsprozess, an dessen Ende die Vision einer Zweistaatenlösung mit Leben gefüllt werden könnte. Das ist ein hoffnungsvolles Signal. Der Bundesaußenminister wird
heute noch darüber berichten.
({0})
Es kann uns hier in diesem Parlament nicht ruhen lassen, dass Israel und die gesamte Region in einem unsicheren, instabilen Zustand sind. Ich bekenne mich ausdrücklich zur besonderen historischen Verantwortung
Deutschlands für die Sicherheit und Existenz Israels.
({1})
Das Eintreten für die Sicherheit Israels ist Teil der
Staatsräson Deutschlands und eine Konstante der deutschen Außenpolitik.
Im kommenden Jahr feiert der Staat Israel den
60. Geburtstag seines Bestehens. Noch immer ist die Sicherheit dieses Staates bedroht. Die Führung des Iran
stellt das Existenzrecht Israels in unerträglicher Weise
infrage. Insbesondere das Nuklearprogramm gibt Anlass
zu großer Sorge. Deshalb setzen wir uns mit diplomatischen Mitteln für ein Einlenken des Iran ein. Das heißt:
Bei Nichtkooperation des Iran sind weitere und schärfere
Sanktionen unausweichlich; bei Kooperation wiederum
liegen sehr gute Angebote für den Iran auf dem Tisch.
Damit wir Erfolg haben, sind zwei Dinge unabdingbar:
Entschlossenheit und Geschlossenheit der internationalen Gemeinschaft. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.
({2})
Entschlossenheit und Geschlossenheit brauchen wir
auch bei einem anderen Konflikt, der in ganz besonderer
Weise Europa betrifft, nämlich beim Kosovo. Die Europäische Union hat in Bezug auf die Stabilität auf dem
westlichen Balkan eine ganz besondere Aufgabe. Die
Weltgemeinschaft schaut an dieser Stelle auf uns. Daher
war es richtig, dass wir noch einmal Verhandlungsprozesse eingeleitet haben. Herr Ischinger hat nicht nur unseren Dank verdient, sondern auch unsere gesamte Unterstützung, alles zu versuchen, um hier zu einer
vernünftigen Lösung zu kommen. Ich möchte von dieser
Stelle aus noch einmal an die Vernunft aller Beteiligten
appellieren, einen Weg zu gehen, der für die Stabilität in
Gesamteuropa verantwortlich ist.
Wir werden uns damit auseinandersetzen müssen,
dass wir weiterhin den Einsatz der Bundeswehr innerhalb der NATO-Mission im Kosovo brauchen. Wir werden die rechtlichen Grundlagen dafür immer wieder abchecken, sollten die Verhandlungsprozesse nicht so
erfolgreich sein, wie wir es uns erhoffen. Genauso werden wir uns aber an einer zivilen europäischen Sicherheits- und Verteidigungsmission beteiligen, die das Polizei- und Rechtswesen aufbaut.
Das heißt: Deutschland und die Europäische Union
haben hier allergrößte Verantwortung. Der Bundesaußenminister und ich werden in den kommenden Räten
alles dafür tun, um das, was wir auf dem westlichen Balkan schon geschafft haben, weiterzuentwickeln und zu
einem friedlichen Miteinander zu kommen.
({3})
Diese drei Beispiele - Naher Osten, Iran und Kosovo zeigen genauso wie die anderen Aktivitäten unserer Außenpolitik: Die Außen- und Sicherheitspolitik der Bun13522
desregierung ist immer auf Werten aufgebaut. Sie ist
wertebezogen. Deutsche Außenpolitik findet nicht im
luftleeren Raum statt. Deshalb gilt: Menschenrechtspolitik und das Vertreten ökonomischer Interessen sind zwei
Seiten einer Medaille und dürfen niemals gegeneinander
gestellt werden.
({4})
Das ist auch und gerade die Grundlage dafür, dass wir
uns für faire Handelsbedingungen im Rahmen der Welthandelsorganisation einsetzen. Das ist die Grundlage dafür, dass wir uns für den Schutz geistigen Eigentums einsetzen. Das ist die Grundlage dafür, dass wir auf dem
afrikanischen Kontinent insbesondere eine faire Rohstoffpolitik gegenüber den Ländern betreiben wollen, die
einen wirtschaftlichen Aufschwung brauchen. Das ist
auch die Grundlage, auf der wir eine Novelle zum
Außenwirtschaftsgesetz erarbeiten. Denn es heißt heute
in einer globalen Welt, sich auch um die Sicherung der
eigenen, kritischen Infrastruktur zu kümmern. Das machen die Vereinigten Staaten von Amerika. Das macht
Großbritannien. Das macht Frankreich. Warum soll
Deutschland dies nicht tun? Dies hat mit Protektionismus nichts, aber auch gar nichts zu tun.
({5})
Auf dieser Grundlage haben wir durch unser gemeinsames Engagement in der Koalition das Ansehen
Deutschlands in der Welt in den letzten zwei Jahren gemehrt. Darauf können wir gemeinsam stolz sein.
({6})
Deutschland konnte sein Ansehen und sein Gewicht
auch deshalb mehren, weil wir wirtschaftliche Leistungskraft wieder zurückgewonnen haben. Man sollte
sich keine Illusionen machen: Unsere internationale Reputation und die wirtschaftliche Lage Deutschlands hängen für viele Menschen auf der Welt auf das Engste zusammen. Das wird jetzt im Inland und im Ausland
bestätigt. Die deutsche Wirtschaft zieht die europäische
Wirtschaft wieder mit nach vorne. Wir sind aus der Rolle
des Letzten herausgekommen. Das Wirtschaftswachstum lag im letzten Jahr bei 2,9 Prozent. Dieses Jahr können wir 2,4 Prozent erwarten, nächstes Jahr um die
2 Prozent. Unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit
nimmt zu. Wir sind vom World Economic Forum von
Platz sieben auf Platz fünf hochgestuft worden. Das ist
das Ergebnis der Reformen. Das sind die Erfolge der
Unternehmen. Das sind in ganz besonderer Weise die Ergebnisse der Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.
({7})
Nun wissen wir: Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit allein sind nicht alles. Es ist etwas anderes ganz
wichtig. Aus Wachstum entstehen wieder Arbeitsplätze.
1 Million zusätzliche Arbeitsplätze seit Amtsantritt dieser Regierung! 1 Million weniger Arbeitslose seit Amtsantritt dieser Regierung! Weniger ältere Arbeitslose, weniger Langzeitarbeitslose, mehr junge Menschen, die
eine Chance haben! Der Beschäftigungsaufbau geht
- das sagen auch die Unternehmen - 2008 weiter. Weniger Menschen müssen Angst um ihren Job haben. Das
heißt, es passiert etwas, was wir in diesem Land brauchen, etwas, das man nicht in Euro und Cent berechnen
kann: Der Aufschwung kommt bei den Menschen an, bei
immer mehr Menschen. Das ist eine gute Botschaft für
Deutschland.
({8})
Die Zuversicht der Menschen ist gewachsen, eine Zuversicht, deren Grundlage natürlich mit jedem neuen Arbeitsplatz, mit jeder geglückten Wiedereingliederung in
das Arbeitsleben verbreitert werden kann. Mit anderen
Worten: Die Politik dieser Bundesregierung wirkt. Sie
wirkt schon im dritten Jahr. Das heißt nicht, dass wir
leichtfertig werden dürfen. Das heißt nicht, dass wir uns
auf irgendwelchen Lorbeeren ausruhen dürfen. Es gilt
für uns nur eine Devise: Wir müssen die Grundlagen des
Aufschwungs stärken, um mehr Menschen in diesem
Land Chancen zu geben, die sie allemal verdient haben.
({9})
Dafür gibt es für uns in dieser Bundesregierung einen
zentralen Maßstab: Wir beschließen Maßnahmen, mit
denen weitere Arbeitsplätze geschaffen werden, und unterlassen alles, was Arbeitsplätze gefährdet. Das ist der
Maßstab unseres Handelns.
({10})
Jetzt werden Sie sagen, dass wir darum manchmal in
dieser Koalition ringen. Ja, das tun wir - das gebe ich
ganz freimütig zu -, aber immer in dem Geist, dass wir
Arbeitsplätze schaffen und alles verhindern wollen, was
Arbeitsplätze kostet.
({11})
Wir werden das fortsetzen, weil wir wissen, dass es
Sorgen gibt. Es gibt Fragen, ob die Verwerfungen auf
den internationalen Märkten auch unseren Aufschwung
in Gefahr bringen könnten. Die amerikanische Immobilienkrise, der hohe Ölpreis, der starke Euro, steigende
Lebensmittelpreise - das alles kennen wir. Wir können
nicht versprechen, dass durch die Politik der Bundesregierung diese Risiken nicht eintreten werden. Das wäre
unredlich. Aber ich bin von einem überzeugt, und das ist
die gute Botschaft dieses Jahres: Wir haben genug Stärke
wiedergewonnen, um die Herausforderungen, die vor
uns liegen, wirklich gut bewältigen zu können. Davon
sind wir überzeugt, und in diesem Geist machen wir
Politik.
({12})
Das bestimmt unsere Arbeit für Deutschland, die sich in
fünf Grundsätzen zusammenfassen lässt.
Erstens. Wir wollen die Grundlagen des Aufschwungs stärken. Das bedeutet: Sanierung der Staatsfinanzen. Was haben wir erreicht? Wir werden erstmals
seit der Wiedervereinigung in etwa einen ausgeglichenen Staatshaushalt erreichen.
({13})
Das Haushaltsdefizit des Bundes - ob es Ihnen passt
oder nicht - ist in den letzten zwei Jahren halbiert worden. Die Maastricht-Kriterien werden seit 2006 wieder
eingehalten. An diesen Fakten lässt sich nicht vorbeireden. Sie sind da, sie sind gut, und sie sind richtig.
({14})
Nun gibt es Forderungen - die werden auch hier erhoben -, dass jeder zusätzliche Cent aus konjunkturbedingten Mehreinnahmen in den Abbau der Verschuldung gesteckt werden sollte, unabhängig davon, ob das in den
kommenden Jahren durchzuhalten ist, unabhängig davon, ob der Staat dann noch Gestaltungsspielraum und
Investitionsmöglichkeiten hat. Ich sage freimütig: Genau
das machen wir nicht.
({15})
Stattdessen haben wir uns für einen langfristigen und
verlässlichen Abbaupfad entschieden, der zusätzlichen
Haushaltsspielraum lässt und wonach auf der Basis der
Steuerschätzungen zwei Drittel der Einnahmen in den
Schuldenabbau, aber ein Drittel in Investitionen für die
Zukunft gesteckt werden. Wir sind von diesem verlässlichen Abbaupfad überzeugt. Ich danke dem Finanzminister, ich danke den Haushältern, und ich danke den
Fraktionen für die Kooperation auf diesem Gebiet.
({16})
Wir haben dabei ein ganz klares Ziel vor Augen, nämlich
2011 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu erreichen.
Diesem Ziel fühlen wir uns verpflichtet.
Wir hören auch die Forderungen aus der Opposition,
wir sollten Steuern senken, kostet es, was es wolle.
Meistens fordern das die Gleichen, die vorher das Geld
schon einmal für die Senkung der Neuverschuldung verplant haben.
({17})
Auch hier sagen wir: Wir machen eine verlässliche Steuerpolitik. Das spiegelt sich in zwei Maßnahmen wider,
die wir ergriffen haben: An der Erbschaftsteuer arbeiten
wir noch, die Unternehmensteuerreform ist verabschiedet. Wenn Sie sich den Haushalt für das Jahr 2008
anschauen, dann wissen Sie natürlich, dass sich die Entlastungen für die Unternehmen in diesem Haushalt widerspiegeln. Wir sind überzeugt davon, dass das richtig
ist, weil mehr Investitionen in Deutschland mehr Arbeitsplätze für unser Land schaffen. Deshalb haben wir
uns zu diesem Weg entschlossen.
({18})
Wir wollen, dass Gewinne wieder stärker in Deutschland
versteuert werden, weil es attraktiver ist, sie hier statt im
Ausland zu versteuern. Aber was wir nicht versprechen
können - auch dazu haben wir uns ganz bewusst entschlossen -, ist, dass wir alle Steuergestaltungs- und
Steuervermeidungsmodelle der Vergangenheit überleben
lassen. Das ist nicht im Interesse des Gemeinwohls. Deshalb haben wir an einigen Stellen Bremsen eingezogen.
({19})
Bei der Erarbeitung der Reform der Erbschaftsteuer
- jeder weiß, wie schwierig das nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts geworden ist - wollen wir
vor allen Dingen die Nachfolge innerhalb eines Familienunternehmens erleichtern. Genau das werden wir in den
weiteren Beratungen immer wieder deutlich machen.
Wir wollen sicherstellen, dass diejenigen, die das Rückgrat der Wirtschaft in Deutschland sind - die kleineren
und mittelständischen Betriebe, die Familienunternehmen, die oft über Jahre und Jahrzehnte in Deutschland
ihre Heimat haben -, in einer globalen Welt eine faire,
gute Chance in diesem Lande haben und dieses Land
nicht verlassen müssen. Das ist unser Ziel, und das werden wir durchsetzen.
({20})
Der zweite Grundsatz neben der Sanierung der Finanzen heißt: Grundlagen für mehr Beschäftigung fortentwickeln und dadurch auch mehr Teilhabe für Menschen in diesem Land ermöglichen. Was haben wir
erreicht? Mit 40 Millionen Erwerbstätigen, 40 Millionen
Menschen, die sich ihr Geld verdienen können, haben
wir ein Rekordniveau erreicht. Ich habe es schon gesagt:
Die über 55-Jährigen profitieren jetzt davon. Wir haben
ein Minus von 20 Prozent bei den älteren Arbeitslosen.
Wir kommen endlich wieder in die Situation, zu den
Besseren in Europa zu gehören. Es ist bei der Lebenserwartung, die wir heute haben, doch kein Zustand - darüber sind wir uns hier auch alle einig -, dass Menschen
über 55 keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Deshalb halte ich diese Botschaft für ganz
wichtig.
({21})
Was sind die Ratschläge? Es ist, wie es immer ist: Die
einen sagen, wir könnten eigentlich alle Arbeitsmarktreformen zurücknehmen; denn die Wirkungen zeigen, dass
wir auf dem richtigen Pfad sind. Die anderen sagen, die
Arbeitsmarktreformen seien gar keine echten Reformen;
es müsste alles viel härter zugehen. Ich glaube, dass beides mit der Stimme der Vernunft wenig zu tun hat. Wir
werden deshalb auch nichts von dem machen, sondern
auch hier auf unserem Weg weitergehen.
Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir die
Arbeitslosenversicherungsbeiträge Schritt für Schritt
gesenkt haben. Anfang des Jahres 2008 werden sie sich
innerhalb von zwei Jahren halbiert haben.
({22})
Es ist nicht richtig, dass wir darüber die Solidität der
Finanzen der Bundesagentur außer Acht gelassen hätten.
Wir haben uns vorgenommen - wir haben das in Meseberg als Bundesregierung beschlossen und dafür in der
mittelfristigen Finanzplanung bis 2011 Vorsorge getroffen -, für die Bundesagentur Rückstellungen für die Alterslasten, die auch für eine Bundesagentur entstehen
- davon ist früher nie die Rede gewesen -, zu bilden.
Wir sind froh darüber, dass wir zum ersten Mal sagen
können: Es gibt eine Trendwende bei den Lohnzusatzkosten nach unten. Wir schaffen es, unter 40 Prozent zu
kommen. Das ist eine gute Botschaft, die im Übrigen
zeigt, dass wir erreicht haben, was wir uns in dem Regierungsprogramm vorgenommen haben.
({23})
Wir folgen konsequent dem Prinzip von Fördern und
Fordern. Es hat eine breite Debatte über die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Ältere gegeben. Wir haben eine Einigung gefunden, die der
Tatsache Rechnung trägt, dass Ältere länger brauchen,
um auf dem Arbeitsmarkt wieder vermittelt zu werden.
Ältere erhalten die Chance, besser vermittelt zu werden,
indem wir Eingliederungszuschüsse gewähren, um jedem die Möglichkeit zu eröffnen, wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen. Das, finde ich, ist die gute Botschaft
für die Älteren. Deshalb bin ich außerordentlich einverstanden mit der Reform des Arbeitslosengeldes I.
({24})
Wir müssen in der Rentenpolitik so vorgehen, dass
wir wieder ein Reservepolster anlegen. Die Schwankungsreserve, das heißt die Vorsorge, ist jetzt wieder bei
0,7 Monatsbeiträgen angelangt. Wir wollen sie bis auf
eineinhalb Monatsbeiträge aufbauen.
Ich sage ganz eindeutig: Wir stehen zu der Entscheidung bezüglich der Rente mit 67. Allen Experten, die
glauben, jeden Tag noch etwas Neues sagen zu müssen,
sage ich aber: Die Menschen haben mit uns Verlässlichkeit für die Zukunft bekommen, was die Notwendigkeit
der Rente mit 67 anbelangt. Darüber hinaus gibt es keine
Verunsicherung durch diese Bundesregierung; auch das
ist wichtig.
({25})
Wir werden im nächsten Jahr die Aufgabe haben, die
beschlossene Gesundheitsreform so umzusetzen, dass
die Lohnzusatzkosten auch Ende des Jahres 2008 die
40 Prozent nicht übersteigen. Ich glaube, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Krankenkassen im Rahmen dieser
Gesundheitsreform im Augenblick Schritt für Schritt
wächst.
Ich weiß, viele Menschen machen sich Sorgen: über
den eigenen Job, ob die Rente ausreicht oder ob wirklich
ein Ausbildungsplatz zur Verfügung steht. Genau deshalb sagen wir: Arbeit ist die beste Form der Teilhabe;
Arbeit ist die beste Form der Chancengerechtigkeit.
Die Linie der Bundesregierung ist daher auch für das
nächste Jahr und das übernächste Jahr „Sanieren, Reformieren, Investieren“. Das ist tatsächlich ein Dreiklang,
und zwar ein richtiger, mit dem wir voranschreiten werden.
({26})
Der Aufschwung wird Schritt für Schritt in der Breite
immer mehr spürbar. Das Wachstum des dritten
Quartals 2007 ist zunehmend von der Binnennachfrage
getragen. Die Lohnzusatzkosten sinken, sodass trotz der
Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge der Durchschnittsverdiener im Jahr 2008 netto 270 Euro mehr in
der Tasche haben wird. Das sind die ersten Erfolge der
Politik der Bundesregierung nach der Sanierung des
Bundeshaushalts.
Ich will hier daran erinnern, womit wir begonnen haben: Wir haben mit einem strukturellen Defizit von
50 bis 60 Milliarden Euro begonnen. Faktisch war das
Defizit bei über 30 Milliarden Euro. Dass wir bei
Wachstum, Beschäftigung und Haushaltssanierung heute
so dastehen, wie wir dastehen, ist nur durch den Dreiklang „Sanieren, Reformieren und Investieren“ möglich
gewesen.
({27})
Für all die, die dauernd davon reden, wie viel der
Staat eingreift, ist die wirklich „schlechte“ Nachricht die
vom Sinken der Staatsquote. Welche Zahl zeigt eigentlich besser als die Staatsquote, wie viel Spielräume die
Bürgerinnen und Bürger wieder haben? Im Jahre 2005
lag die Staatsquote bei 46,9 Prozent. Im Jahre 2008 wird
sie bei 43,3 Prozent liegen. Wer einen Vergleich zu den
Staatsquoten der anderen europäischen Länder zieht, der
weiß, dass Deutschland damit gut dasteht und dass wir
damit einen guten Platz haben. Das Sinken der Staatsquote bedeutet nichts anderes, als dass die Menschen
mehr Freiräume haben für das, was in sie in ihrem Leben
selber gestalten wollen.
({28})
Wir werden den Weg für mehr Beschäftigung weitergehen. Wir wollen die Arbeitnehmerbeteiligung in Form
des Investivlohns. Wir wollen die Sanierung der öffentlichen Gebäude voranbringen. Wir wollen die Förderung
der haushaltsnahen Dienstleistungen vereinfachen und
verbessern, weil wir gerade im Bereich der einfachen
Tätigkeiten Chancen für Arbeitssuchende sehen.
Wir werden den Bürokratieabbau vorantreiben. Die
Bundesregierung ist die erste, die jemals nach den Maßstäben des Normenkontrollrats die Informationspflichten
systematisch erfasst hat: Es sind 10 900. Die Bundesregierung hat klar gesagt: Die Bürokratiekosten sollen um
25 Prozent sinken. Sie tritt dafür ein, dass sich derselbe
Prozess auf europäischer Ebene wiederholt. Wir, die
Bundesregierung, haben uns vorgenommen, die Hälfte
der Wegstrecke bis zur Erreichung dieses Ziels bis zum
Ende dieser Legislaturperiode zurückzulegen. Das ist
nachprüfbar, das ist messbar, das ist systematisch. Eine
solche Form des Bürokratieabbaus hat es in Deutschland
noch nicht gegeben, und das ist ein Erfolg der Großen
Koalition.
({29})
Natürlich leitet uns die Frage: Wie bekommen wir
mehr Beschäftigung, aber auch Beschäftigung zu fairen
Bedingungen bei der Entlohnung? Damit meine ich
auch die Frage der Mindestlöhne und alles, was damit
zusammenhängt.
Erstens. Bei der Post sehe ich nach wie vor Möglichkeiten, zu einer Einigung zu kommen.
Zweitens. Obwohl wir unterschiedliche Auffassungen
haben, haben wir mit der Entscheidung, ein Mindestarbeitsbedingungengesetz zu entwickeln und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz im Frühjahr des nächsten Jahres
auszuweiten, die Weichen dahin gehend gestellt, dass
mehr faire Löhne gezahlt werden, ohne dass die Tarifautonomie zerstört wird. Mehr Menschen wird die Chance
gegeben, eine Arbeit zu finden.
Unser Wohlstand lebt ganz wesentlich von der Innovationskraft. Deshalb lautet unser dritter Grundsatz:
Wir wollen den Wohlstand von morgen durch Investitionen in Forschung, in Bildung und in die Familien sichern. Der Etat der Forschungsministerin profitiert von
den hohen Wachstumsraten: plus 8 Prozent. Die Mittel
für die Projektförderung steigen sogar um 16 Prozent.
Wir haben uns nämlich entschlossen, durch den Bundesanteil dazu beizutragen, dass für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben Mittel in Höhe von 3 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts zur Verfügung stehen. Wir geben
dabei nicht einfach mehr Geld in das System, sondern
haben eine Vielzahl neuer Instrumentarien entwickelt,
die wirklich dafür Sorge tragen, dass die Wirtschaft, insbesondere der Mittelstand, ihrer Verantwortung bei Forschung und Entwicklung besser gerecht werden kann.
Deswegen ist die Wissenschaftsunion eine ganz wichtige
Initiative.
Meine Damen und Herren, die Exzellenzinitiative
hat in Deutschland auch im Hinblick auf den Zusammenschluss von Forschungseinrichtungen eine große
Bewegung gebracht. Eine schöne Botschaft, die ich einfach mit einer Gratulation verbinde: Zwei Nobelpreise
für Physik und Chemie in diesem Jahr zeigen: In
Deutschland kann man Spitzenforschung - ({30})
- Lieber Herr Westerwelle, das war natürlich nicht die
Regierung.
({31})
Aber es zeigt doch, dass die Bedingungen dafür, in
Deutschland zu forschen, so sind, dass man auch als
Deutscher in Deutschland und nicht nur als Deutscher in
Amerika einen Nobelpreis bekommen kann. Das ist die
Wahrheit.
({32})
Es ist doch in keinem Interview mit den beiden Nobelpreisträgern versäumt worden, dreimal nachzufragen,
wie oft sie schon darüber nachgedacht hätten, nach
Amerika oder sonst wohin zu gehen. Sie haben jedes
Mal erklärt, die Großforschungseinrichtungen in
Deutschland seien gut. Daran müssen Sie doch nicht
herummeckern; das haben Sie doch zum Teil mit gestaltet. Meine Güte, wirklich!
({33})
Wir sind dabei nicht am Ende. Wir werden den nächsten IT-Gipfel durchführen und für einen Spitzenclusterwettbewerb sorgen. Vor allen Dingen werden wir - das
ist für die Akzeptanz von Forschung und Entwicklung
wichtig - Leuchttürme aufbauen: Spitzenprojekte in den
Bereichen Klimaforschung, Energieeffizienz, Medizin
und Medizintechnik sowie Verkehrsleittechnik.
Je besser die Rahmenbedingungen und Strukturen für
Beschäftigung werden, umso stärker macht sich ein
neues Problem bemerkbar: Wie sieht es aus mit unseren
Fachkräften, mit der Bildungssituation und mit der Ausschöpfung dessen, was wir an menschlicher Kraft in unserer Gesellschaft haben? Deshalb wird auch in den Jahren 2008 und 2009 das Thema Bildung von ganz
besonderer Bedeutung sein. Der Ausbildungspakt in diesem Jahr hat gewirkt. Ich bin deshalb auch dagegen, dass
wir hier Zwangsabgaben miteinander vereinbaren.
({34})
- Mein Gott, wir wissen ja Bescheid.
({35})
In diesem Jahr sind 60 000 neue Ausbildungsplätze
geschaffen worden; die Wirtschaft hat ihre Versprechungen erfüllt. Trotzdem gibt es noch ein riesiges Problem
aus den vergangenen Jahren, weil junge Leute in sogenannten Warteschleifen sind.
({36})
Deshalb müssen wir uns überlegen - dies tun wir auch in
der Bundesregierung -,
({37})
wie wir genau diesen jungen Leuten helfen können; denn
es darf uns kein junger Mensch in diesem Lande verloren gehen, zumal dann nicht, wenn wir anschließend
wieder über Fachkräftemangel sprechen.
({38})
Wir wissen auch über den Zusammenhang von Integration und Ausbildung Bescheid. Wir wissen, was es
für die Notwendigkeit der Integration und den Fachkräftebedarf bedeutet, wenn heute in Großstädten die Hälfte
aller Kinder bei der Einschulung Kinder mit Migrationshintergrund sind. Daher haben wir eine nationale Qualifizierungsoffensive geschaffen, die wir Schritt für Schritt
weiter mit Leben erfüllen werden. Wir müssen und werden auch mit den Ländern über die Schnittstellen zwischen Bildungspolitik der Länder und Ausbildung sprechen; denn es kann nicht sein, dass 80 000 junge
Menschen in Deutschland aus der Schule herauskommen
und nicht in der Lage sind, anschließend eine Ausbildung aufzunehmen, sodass es die erste Aufgabe der
Bundesagentur ist, aus Beitragsgeldern diese jungen
Menschen zu qualifizieren. Auch hier werden wir für
weitere Fortschritte sorgen.
({39})
Wir haben in die Familien investiert - das wird niemand bestreiten -: Elterngeld, Erhöhung der Kinderzulage in der Riester-Rente, um hier mehr Generationengerechtigkeit zu verwirklichen, wesentliche Schritte zum
Ausbau der Kinderbetreuung, Hilfe an die Bundesländer
bei einer Aufgabe, die wir als national wichtige Aufgabe
qualifiziert haben. Aber wir wissen auch, dass uns das
Thema Kinderarmut nicht ruhen lassen kann. Wir wollen, dass niemand wegen der Kinder in die Bedürftigkeit
fällt; deshalb muss der Kinderzuschlag weiterentwickelt
werden.
({40})
- Ja, wegen der Kinder nicht in die Bedürftigkeit fällt,
Frau Künast. So ist es. - Deshalb werden wir den Kinderzuschlag erhöhen und vereinfachen. Das Bundesfinanzministerium wird im Jahre 2008 turnusmäßig den
Existenzminimumbericht vorlegen. Wir werden dann
aber nicht ein ganzes Jahr warten, um zu überlegen, was
wir zusätzlich für Familien tun können, sondern schnell
- im Herbst des Jahres 2008 - daraus die notwendigen
Schlussfolgerungen ziehen und handeln.
({41})
Meine Damen und Herren, wir haben es trotzdem mit
bedrückenden Zuständen zu tun, wenn wir an Kinder in
Deutschland denken. Der Todesfall der verhungerten
Lea-Sophie war ein letztes aufrüttelndes Beispiel. Ich
sage Ihnen an dieser Stelle ehrlich: Ich halte relativ wenig von diesen schnellen Schuldzuweisungen, wer an
welcher Stelle die Verantwortung trägt. Wir stehen vor
einer Situation, in der wir denen, die ihrer Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden können, helfen
müssen, ohne gleich die gesamte Gesellschaft für unmündig zu erklären.
({42})
Um hier im föderalen System die richtigen Antworten zu
finden, bedarf es der Kraftanstrengung aller. Ich bitte darum, keine schnelle, sondern die richtige Antwort zu finden, um den Kindern in Deutschland wirklich zu helfen.
({43})
Es gibt neben der mangelnden Fürsorge für jüngere
Menschen, für Kinder, noch etwas, das bedrückend ist.
Das ist die Vereinsamung und Vernachlässigung älterer
Menschen. Die Pflegereform versucht, auf diese Fragen
eine bessere Antwort zu geben, indem wir verstärkte
Prüfaufträge und Qualitätsberichte über Pflegeheime
einführen, die jeder einsehen kann und über die sich jeder ein Urteil bilden kann, und Kontrollen ermöglichen,
bei denen nicht alles vorher angekündigt wird. Ich
glaube, das ist ein richtiger Schritt. Deshalb ist die Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung richtig, weil
die Pflegeversicherung Menschen in Not, Menschen im
Alter und Menschen, die diese Republik aufgebaut haben, hilft. Diesen Weg werden wir auch weitergehen. Ob
es Alzheimer, Demenzerkrankung oder vieles andere betrifft: Ich glaube, dass wir mit der Pflegeversicherung einen richtigen Schritt gegangen sind.
({44})
Unser vierter Grundsatz lautet, die Zukunft nicht zu
verbauen. Das hat etwas mit Klimaschutz und Energiepolitik zu tun, die unauflösbar zusammengehören. In
wenigen Tagen findet die Bali-Konferenz statt. Selbst
bei kritischster Betrachtung müssen, glaube ich, alle in
diesem Hause anerkennen, dass Deutschland beim Klimaschutz sowohl seine Hausaufgaben gemacht hat als
auch seine internationalen Aufgaben im Rahmen von
G 8 und der EU-Präsidentschaft erledigt hat und wir bei
diesem Menschheitsthema ein Riesenstück vorangekommen sind.
({45})
Der Bundesumweltminister wird mit einem Maßnahmenpaket für nationale Vorhaben, das wir nächste Woche im Kabinett beschließen werden, nach Bali reisen.
Ich will daran erinnern - man kann das heute nachlesen -,
dass Deutschland seinen Verpflichtungen aus dem
Kioto-Abkommen nach allen Voraussagen bis 2012
nachkommen wird. Die Europäische Union ist noch weit
davon entfernt, das zu tun. Ich kann uns nur alle auffordern, in der Europäischen Union diese Diskussion verstärkt zu führen. Denn unsere Vorreiterrolle europäischerseits wird in vielfacher Weise infrage gestellt
werden, wenn wir unsere eigenen Verpflichtungen aus
Kioto in Europa nicht erfüllen. Deshalb wird das auch
eine schwierige Diskussion innerhalb der Europäischen
Union werden.
({46})
Wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen vor uns, sowohl auf der europäischen als auch auf der deutschen
Ebene. Ich glaube, wir müssen es schaffen - auch darum
wird die Diskussion gehen -, die Nachhaltigkeit zu unserem Leitprinzip zu erklären, das heißt Wirtschaftlichkeit,
soziale Verträglichkeit und Umweltschutz immer wieder
in einen vernünftigen Einklang zu bringen. Darüber wird
es im Einzelfall sicherlich auch Diskussionen geben;
aber diesen Pfad der Nachhaltigkeit als den Grundpfad
unserer Politik anzulegen, halte ich für die richtige Weichenstellung für die Zukunft.
Steigende Preise bei Öl, Gas und Strom versprechen,
die Klimadebatte wieder lebendiger zu machen. Ich sage
an dieser Stelle - weil dazu manches geäußert wird -:
Strom und Energie sind nicht zu billig. Die Menschen im
Lande leiden zum Teil darunter. Unsere Ansage muss
sein: mehr Energieeffizienz, mehr Energiesparen, Verbrauch senken. Aber wir müssen auch aufpassen, dass
wir einen vernünftigen Pfad der Energie finden, auch für
unsere nationale Energieversorgung. Ich will nicht verhehlen, dass ich mit einer gewissen Sorge verfolge, welche Formen der Energieversorgung jetzt allesamt auf
den Prüfstand kommen. Wenn wir keine Kohlekraftwerke mehr wollen und zudem die Kernkraftwerke abschalten wollen, was nicht meine Position ist - das ist
bekannt -, dann sehe ich doch erhebliche Probleme für
die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland. Ich
muss ganz ehrlich sagen: Mit mir wird es nicht dazu
kommen, dass man überall in Europa Kohlekraftwerke
baut, in Deutschland die Kernkraftwerke abschaltet und
sich anschließend wundert, dass wir kein Energieerzeugerland mehr sind.
({47})
Wir müssen also die globale Herausforderung sehen.
Das Klimathema ist ein globales Thema. Das entscheidet
sich nicht an der Frage, ob in Saarbrücken oder in Lubmin ein Kohlekraftwerk steht oder nicht, sondern daran,
dass wir international, global zu Reduktionen kommen,
den Verbrauch senken und die Effizienz steigern. Das
muss der Maßstab des Handelns sein.
({48})
Meine Damen und Herren, am Thema Klima sehen
Sie exemplarisch wie wahrscheinlich an keinem anderen
Thema, dass große Herausforderungen der Menschheit
heute nicht mehr dadurch zu lösen sind, dass wir Innenund Außenpolitik als zwei völlig getrennte Bereiche der
Politik behandeln. Vielmehr gehört beides zusammen.
Die Frage, wie das geistige Eigentum international geschützt wird, und die Frage, wie sich auch die Schwellenländer in die Problematik des Klimawandels einklinken und Verantwortung übernehmen, sind genauso
wichtig, und an deren Lösung muss genauso viel gearbeitet werden wie für die Frage, wie wir effiziente Autos
bauen und vernünftige Gebäudesanierung durchführen.
Dies erleben wir nicht nur bei dem Thema Klima und
im gesamten Bereich der klassischen Außenpolitik, sondern natürlich auch bei der gesamten Sicherheitspolitik,
bei der Herausforderung des internationalen Terrorismus
und bei der Frage, wie wir ihn in unserem Lande bekämpfen. Deshalb kommen auch hier internationale Kooperation mit unseren Partnern in der Welt zum Tragen,
die Öffnung Europas - ich erinnere nur daran, dass jetzt
die Grenzübergänge im Rahmen des Schengen-Abkommens auch in Richtung Mittel- und Osteuropa geöffnet
werden - und eine vernünftige Terrorismusbekämpfung
in Deutschland, zu der natürlich auch das Projekt der
Onlinedurchsuchung in unserem Regierungsprogramm
hinzukommt.
({49})
Deshalb heißt der fünfte Grundsatz: Innen- und Außenpolitik sind nicht mehr zu trennen, sondern sie wachsen zusammen, und dies macht unsere Politik aus.
Meine Damen und Herren, nach zwei Jahren können
wir sagen: Der Dreiklang von „Investieren, Sanieren,
Reformieren“
({50})
hat sich bewährt. Weil er sich bewährt hat, bleibt er auch
die Richtschnur der nächsten zwei Jahre unserer Arbeit.
Wir wissen: Nichts von dem, was wir erreicht haben, ist
selbstverständlich. Millionen Menschen auf der Welt stehen jeden Morgen auf und überlegen für sich und ihre
Länder, wie sie ihren Wohlstand verbessern können.
Deshalb wäre es die falsche Antwort - wir können auf
die entsprechenden Fragen auch gar nicht mehr allein als
Deutschland eine Antwort geben -, die Hände in den
Schoß zu legen. Dies ist uns bewusst, aber bewusst ist
uns vor allen Dingen, dass diese Große Koalition einen
Auftrag hat, den Menschen in Deutschland in diesem
globalen Wettbewerb eine gute Perspektive zu geben.
Deshalb werden wir unsere Arbeit fortsetzen: entschlossen, geschlossen, gemeinsam ringend um die richtigen
Antworten, ja, ringend um die richtigen Antworten, aber
mit der Entschlossenheit, für dieses Land etwas zu tun.
Herzlichen Dank.
({51})
Nächster Redner ist Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst
durften wir hier Herrn Brüderle hören. Nur mit zwei Sätzen von ihm will ich mich auseinandersetzen. Sie haben
zum einen der Union unterstellt, auch demokratisch-sozialistisch zu sein. Ich glaube, es hilft nichts: Ich muss
Ihnen irgendwann einmal erklären, was demokratischer
Sozialismus ist.
({0})
- Nicht heute, Herr Kauder; Sie können ganz beruhigt
sein.
Zum anderen haben Sie gesagt, es gebe glücklicherweise eine Partei in diesem Hause, die ihren wirtschaftlichen Sachverstand nicht an der Garderobe abgegeben
hat. Das stimmt: Das ist die Linke. Diesem Satz wollte
ich ausdrücklich zustimmen.
({1})
- Ich wusste, dass Sie sich freuen. Ich wollte Ihnen am
Anfang eine kleine Freude machen. Aber jetzt wird es
anders.
Herr Kollege Gysi, jetzt haben Sie zwei Ankündigungen gemacht, die Sie im Rahmen Ihrer Redezeit nicht
werden abarbeiten können. Darauf mache ich vorsichtshalber aufmerksam.
({0})
Aber ich bitte darum, dass Sie Ihre Zwischenbemerkung nicht auf meine Redezeit anrechnen.
({0})
Frau Bundeskanzlerin, kommen wir einmal zur Außenpolitik. Sie stören sich zum Teil daran, wie China versucht,
Weltmacht zu werden, und Russland versucht, wieder Weltmacht zu werden. Sie vergessen nur, darauf hinzuweisen,
dass der Westen, und zwar in Form der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und anderer Länder, seinen
Anteil daran hat. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Debatten, die wir im Bundestag geführt haben, als man
meinte, Bomben auf Belgrad werfen zu müssen, um Menschenrechte herzustellen.
({1})
- Ich weiß, Sie wollen davon nichts hören.
({2})
Herr Scharping sagte, er werde sich davon nicht durch
ein Veto Chinas abhalten lassen. Verstehen Sie, was das
Problem ist? Jelzin wollte das nicht. Der Premierminister musste mit seinem Flugzeug umkehren, weil ihn keiner zum Gespräch empfing. Was war denn die Schlussfolgerung der beiden Führungen? Die Schlussfolgerung
war eben nicht: Wir ziehen uns bescheiden zurück. Die
Schlussfolgerung war vielmehr: Unser Nein oder unser
Ja hat nur dann eine Relevanz, wenn dahinter auch
Macht steht, nämlich Weltmacht. - Mit dieser Politik haben wir es jetzt zu tun.
({3})
Daran hat doch Deutschland seinen Anteil; das können
wir doch nicht leugnen.
Nehmen wir die Kriegspolitik; Sie haben dazu kaum
etwas gesagt. Ich sage es noch einmal: Sie werden Terrorismus nicht wirksam mit Krieg bekämpfen können.
Krieg erzeugt immer neuen Hass und damit neue Bereitschaft zum Terrorismus.
({4})
Wenn man sich im Übrigen den Irak, Afghanistan und
vor allen Dingen die Drohung der USA in Bezug auf den
Iran ansieht, dann weiß man: Es geht immer auch um
Ressourcen. Es geht um Erdöl und Erdgas. Als ob wir
seit Jahrhunderten nichts dazugelernt hätten! Immer wieder Kriege aus wirtschaftlichen Gründen!
({5})
Eine weitere Sache. Ich bin wirklich sehr für Frauenrechte und froh darüber, dass sich in Afghanistan etwas
verbessert. Aber ich nehme Ihnen Ihre Ehrlichkeit diesbezüglich nicht ab vor dem Hintergrund, dass der König
von Saudi-Arabien hier ist und Sie zu den Frauenrechten
kein einziges öffentliches Wort sagen.
({6})
Dann geht es mir darum, dass die Schweiz jetzt gesagt
hat, sie ziehe ihre Soldaten aus Afghanistan ab. Es gibt
drei Felder - das muss ich Ihnen einmal sagen -, auf denen wir von der Schweiz lernen können. Erstens müssen
dort alle mit einem Erwerbseinkommen Beiträge - dies
bezogen auf ihr vollständiges Einkommen - in die Rentenversicherung einzahlen. Zweitens kennt man in der
Schweiz Volksentscheide, und drittens zieht sie ihre Soldaten ab, weil sie sagt: ISAF dient nicht mehr der Friedenssicherung. - In dieser Hinsicht könnte Deutschland
etwas schweizerischer werden.
({7})
Dann zu den Menschenrechten. Frau Bundeskanzlerin, da hatte ich bei Ihnen wirklich auf eine Änderung
gehofft. Man kann ja unterschiedliche Wege gehen.
Schröder, Schmidt und andere haben immer gesagt: Wir
mischen uns nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ein, vielleicht in internen Gesprächen, aber
nicht öffentlich. - Das ist der eine Weg.
Sie haben in Russland etwas anderes gemacht. Sie haben mit China etwas anderes gemacht. Ein anderer Weg
ist, dass man sagt: Ich spreche das öffentlich an, auch
wenn Putin dabei ist. - Das kann man machen, Frau
Bundeskanzlerin. Aber nun hatte ich gehofft, dass Sie
nicht einseitig sind, und habe darauf gewartet, was Sie
auf der Ranch von Bush sagen. Da haben Sie öffentlich
nichts gesagt, kein Wort zu Guantánamo.
({8})
Ich bitte Sie, Frau Bundeskanzlerin: Guantánamo ist
eine schwere Menschenrechtsverletzung. Da sitzen
Menschen seit Jahren. Sie wissen nicht, wie lange noch.
Sie haben keine Verteidiger. Es gibt für sie kein Recht.
Sie sind rechtlos. Das ist überhaupt nicht hinnehmbar.
Sie werden weder als Kriegsgefangene noch als Beschuldigte behandelt.
Der Höhepunkt waren - das muss ich Ihnen sagen Geheimgefängnisse der CIA in Osteuropa. Sie müssen
sich das einmal vorstellen: Da sitzen Menschen, die gar
nicht wissen, wo sie sind. Sie können keine Briefe an
Angehörige schicken. Es gibt keinen Verteidiger, keinen
zuständigen Richter und keinen zuständigen Staatsanwalt. Sie wissen nicht, ob sie dort ihr Leben lang oder
nur kurze Zeit einsitzen. Sie wissen gar nichts. Hätte ein
untergegangener Staat so etwas gehabt, wir hätten ganze
Kommissionen und Komitees gebildet, um das auszuwerten, und Sie sagen dazu auf der Ranch nicht ein
Wörtchen. Das ist nicht hinnehmbar.
({9})
Das ist die Einseitigkeit, wie ich sie seit Jahrzehnten
kenne. Beim Gegenüber stellt man immer Menschenrechtsverletzungen fest, und bei Freunden schweigt man
dazu. Das ist keine Lösung des Problems. Das ist ein instrumentelles Verhältnis zu Menschenrechten.
({10})
Aber kommen wir zur Innenpolitik. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben den schönen Satz gesagt: „Der Aufschwung kommt bei den Menschen an, bei immer mehr
Menschen.“ Offenbar haben Sie nur Kontakt zu
10 Prozent der Menschen
({11})
und zu 90 Prozent der Menschen nicht. Was glauben Sie,
was die Rentnerinnen und Rentner denken, wenn sie hören, dass der Aufschwung bei ihnen ankommt? Wir hatten gerade eine Rentensteigerung von 0,5 Prozent und
eine Inflation von 3 Prozent. Das macht ein Minus von
2,5 Prozent. Da sind die Rentnerinnen und Rentner aber
begeistert von dem Aufschwung!
({12})
Sie haben auch einen Satz aufgegriffen, den ich schon
von Herrn Kauder kannte. Er hat in der Sendung Hart,
aber fair gesagt: Sozial ist alles, was Arbeit schafft, und
unsozial ist alles, was Arbeit vernichtet. - Sie machen
sich das viel zu einfach. Es gibt auch Arbeit in Unwürde.
({13})
Die ist nicht sozial. Wir brauchen gute Arbeit, wir brauchen Arbeit in Würde. Das ist ein großer Unterschied.
Ich will Ihnen einmal sagen, bei wem alles der Aufschwung nicht ankommt. Fangen wir einmal mit der
Vermögensverteilung in Deutschland an, bei der die
Ungleichheit übrigens unter Ihrer Verantwortung, Frau
Bundeskanzlerin, noch zugenommen hat. 10 Prozent der
Bevölkerung in Deutschland besitzen zwei Drittel des
Vermögens, und zwei Drittel der Bevölkerung besitzen
kein Vermögen. Das waren einmal weniger. Der Reichtum hat zugenommen, und die Armut hat zugenommen.
Wir sind von sozialer Gerechtigkeit weiter entfernt als
zu Beginn Ihrer Koalition. Das ist die Wahrheit.
({14})
2,6 Millionen Kinder leben in Armut. Sie haben keinen Satz dazu gesagt, was Sie dagegen tun wollen.
7,4 Millionen Menschen in Deutschland leben - entweder ausschließlich oder zusätzlich - von ALG II. Die
merken nichts von dem Aufschwung, gar nichts. Darunter sind 1,3 Millionen Aufstocker. Deren Zahl hat zugenommen. Das muss man sich einmal überlegen - Herr
Kauder, Sie sagen, das sei sozial -: Aufstocker sind
Leute, die einen Vollzeitjob haben, aber von dem Lohn
nicht leben können.
({15})
Deshalb müssen sie zusätzlich Sozialleistungen beantragen.
Das ist überhaupt der Gipfel. Sie sagen immer: weniger Staat, mehr Markt. Aber die Risiken der Marktwirtschaft soll der Staat tragen.
({16})
Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssen Steuern
bezahlen, damit wir die Löhne wieder aufstocken. Das
wollen Sie auch noch vertiefen; Sie wollen ja den Kombilohn erst richtig einführen. Ich kann nur sagen: Das ist
unserer Meinung nach ein völlig falscher Weg.
Den gesetzlichen Mindestlohn lehnen Sie ab. Der
würde das beseitigen. Dann wäre klar, was mindestens
gezahlt werden muss. Dann gäbe es keine Aufstocker
mehr, und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssten nicht zusätzlich Mittel zur Verfügung stellen. Aber
das machen Sie nicht, obwohl der Mindestlohn so wichtig wäre. Sie führen ihn nicht einmal bei den Briefzustellerinnen und Briefzustellern ein. Wir haben dafür noch
eine Woche im Dezember Zeit; ich bin sehr gespannt, ob
Sie in dieser Zeit eine Lösung finden.
Sie haben nichts gegen den Verdacht unternommen,
Frau Bundeskanzlerin, dass die beiden Konkurrenzkonzerne, die gerne viel Geld verdienen und an denen Springer beteiligt ist, bei Ihnen vorstellig wurden und gesagt
haben, sie wollten den Mindestlohn nicht. Nun muss ich
Springer einmal verteidigen. Ich verstehe ja, dass sie mit
Billiglöhnen eine hohe Rendite erzielen wollen. Ich verstehe sogar, dass sie Sie anrufen und sagen, dass sie das
gerne weiterhin verdienen wollen. Das Einzige, was ich
nicht verstehe, ist, dass Sie nicht den Mut und die Kraft
haben, zu sagen: Das ist ganz nett, aber wir machen das
nicht; wir werden den gesetzlichen Mindestlohn für die
Briefzustellerinnen und Briefzusteller einführen.
({17})
Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun haben.
Zum Kombilohn sagt selbst der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, dass er lieber einen gesetzlichen
Mindestlohn hätte als die Lohndrückerei über Kombilöhne. Jeder kann sich vorstellen, was in unserer Wirtschaft passiert, wenn Sie per Gesetz regeln, dass Sie den
Rest sowieso immer draufzahlen. Dafür haben wir ja die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Auch die 6,6 Millionen Menschen in Minijobs merken übrigens nichts von Ihrem Aufschwung. Deren Zahl
hat ebenfalls zugenommen. Außerdem sind inzwischen
800 000 Menschen in Leiharbeit. Ich sage Ihnen noch
einmal: Das ist eine moderne Form der Sklaverei.
({18})
Es geht nicht an, dass man zwischen einem Drittel und
der Hälfte von dem verdient, was andere für dieselbe Arbeit verdienen. Ebenso geht es nicht an, dass die Stammbelegschaften schrittweise ausgewechselt werden, weil
sie über die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter unter
Druck gesetzt werden.
({19})
- Wir können ja gerne zu mehr sozialer Gerechtigkeit
kommen: Für die ALG-II-Empfänger haben wir einen
Weihnachtszuschlag beantragt. Aber die christliche Partei sagt natürlich Nein zum Weihnachtszuschlag. Am
24. Dezember werden Sie aber schwülstige Reden halten. Sie hätten Ja sagen müssen zum Weihnachtszuschlag für ALG-II-Empfänger.
({20})
Die Regelsatzerhöhung haben Sie abgelehnt. Die Inflationsrate beträgt 3 Prozent, Sie erhöhen aber trotzdem
nicht den ALG-II-Regelsatz. Die Kindergelderhöhung
haben Sie verschoben. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben
hier die Entscheidung für das Elterngeld und Frau von
der Leyen gewürdigt. Ich muss Ihnen einmal sagen, was
da Übles passiert ist: Die Ärmeren bekamen zwei Jahre
lang 300 Euro Erziehungsgeld pro Monat. Die Bezugsdauer haben Sie jetzt halbiert. Sie haben dafür gesorgt,
dass sie nur ein Jahr lang Elterngeld erhalten. Dafür erhalten die Besserverdienenden bis zu 1 800 Euro Elterngeld pro Monat. Ich sage Ihnen: Das ist die direkteste
Umverteilung von Arm zu Reich, die hier je beschlossen
worden ist.
({21})
Über die Hälfte derjenigen, die Elterngeld beziehen, erhalten nur 300 Euro. Die Bezugsdauer ist aber um zwölf
Monate verkürzt worden. Das hat mit sozialer Gerechtigkeit wirklich überhaupt nichts zu tun.
Zu den Rentnerinnen und Rentnern - ich habe sie
ja schon angesprochen -: Sie haben die Formel verändert. Es gibt keine Beteiligung der Rentnerinnen und
Rentner an der Produktivitätsentwicklung mehr. Auch an
der Lohnentwicklung sind sie kaum noch beteiligt. Wir
haben Nullrunde für Nullrunde gehabt. Real sind das immer Minusrunden, weil es immer Beitrags- und Preissteigerungen gab. Auch in diesem Jahr hatten wir letztlich eine Minusrunde, nichts anderes - das ist doch ganz
klar -, weil die Preise viel stärker steigen als die Renten.
Es geht den Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland
- das sind Millionen Menschen - wieder schlechter. Das
ist die Wahrheit. Und es wird ihnen auch im nächsten
Jahr nicht besser gehen.
({22})
Dann haben Sie noch beschlossen, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre zu erhöhen. Frau Bundeskanzlerin, das
ist doch nichts anderes als eine Rentenkürzung. Sie wollen einfach zwei Jahre lang keine Rente zahlen. Das ist
alles, was dahintersteckt.
({23})
Die SPD hat da mitgemacht.
Kommen wir nun zur Zwangsverrentung. Frau Bundeskanzlerin, ich appelliere noch einmal an Sie: Wir haben in diesem Jahr noch eine Sitzungswoche. Wir können da noch etwas machen. Ich will das so seicht wie
möglich machen.
({24})
Diese Zwangsverrentung ist wirklich nicht hinnehmbar.
Jährlich sollen 120 000 bis 150 000 Menschen zwangsverrentet werden. Diesen Menschen nimmt man die Entscheidungsfreiheit. Einem älteren Menschen von beispielsweise 60 Jahren, der ALG II erhält, sagen Sie: Du
darfst nicht länger ALG II beziehen. Du musst in Frührente gehen, und zwar mit Abzügen, die dein Leben lang
gelten. - Ich halte das für grundgesetzwidrig.
({25})
Ich habe die Auswirkungen an einem Beispiel ausgerechnet: Nehmen wir einen Durchschnittsverdiener, der
40 Berufsjahre hinter sich hat. Er hätte Anspruch auf
eine Rente von 1 051 Euro. Wenn Sie ihn, weil er arbeitslos ist, jetzt zu einer Frühverrentung zwingen und
der höchste denkbare Abzug von 18 Prozent greift - das
entspricht einem Abzug von 190 Euro -, bekommt er
statt 1 051 Euro nur 861 Euro Rente, und zwar auch,
wenn er 88 oder 89 Jahre alt ist. Wenn Sie mit einer
Rente in dieser Größenordnung leben müssten, wüssten
Sie, dass das ein Verlust ist, der einfach nicht hinnehmbar ist. Den Menschen jede Entscheidungsfreiheit zu
nehmen, halte ich wirklich für indiskutabel.
({26})
Ich appelliere noch einmal an Sie: Es gibt noch eine
Sitzungswoche in diesem Jahr. Lassen Sie uns hier eine
Lösung finden. Wir sind diesbezüglich für eine namentliche Abstimmung. Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten können bei diesem Thema nicht mit der
Koalitionsdisziplin kommen. Sie müssen dann jährlich
120 000 bis 150 000 Leuten erklären, warum Sie mit dafür gesorgt haben, dass sie zwangsverrentet werden.
({27})
Noch eine Anmerkung, die das Thema Rente betrifft:
Schröder hat ja noch die Riester-Rente eingeführt. Mit
der Riester-Rente hat man der Wirtschaft im Grunde gesagt: Ihr braucht nicht mehr mitzubezahlen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen das alles alleine
bezahlen.
({28})
- Moment. - Das ist doch ein großes Geschäft für die
privaten Versicherungen. Die privaten Versicherungen
haben sich doch als dankbar erwiesen.
({29})
Die Allianz-Versicherung hat im Juli 2007 an die CSU
60 001 Euro gespendet, an die CDU 60 001 Euro gespendet, an die SPD 60 001 Euro gespendet und - man
höre und staune - an die Grünen 60 001 Euro gespendet.
Herr Westerwelle, was Sie falsch gemacht haben, weiß
ich nicht.
({30})
Sie haben nur 50 001 Euro bekommen. Die Strafe von
10 000 Euro habe ich nicht verstanden. Meine Partei hat
gar nichts bekommen.
({31})
Ich muss Ihnen sagen: Ich bin froh, dass es noch eine
nicht von der Allianz gesponserte Partei im Deutschen
Bundestag gibt.
({32})
Nun kommen wir zu den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern. Der Aufschwung soll ja so stark sein.
Nehmen wir einmal das Pro-Kopf-Einkommen. Ich habe
wirklich gestaunt, als ich die neue OECD-Statistik gelesen habe. Es ist interessant, so etwas zu lesen. Nach dieser neuen OECD-Statistik ist es so, dass wir in Deutschland im Vergleich der 15 alten EU-Mitgliedsländer beim
Pro-Kopf-Einkommen auf Platz 11 liegen. Die OECD
sagt: Im nächsten Jahr überholt uns Spanien; dann liegen
wir auf Platz 12. Darauf sind Sie stolz, Frau Bundeskanzlerin? Das ist wirklich kein Grund, stolz zu sein.
({33})
Die UNO hat gestern eine neue Statistik herausgebracht, in der sie feststellt: Wir sind hinsichtlich der Lebensqualität um einen Platz nach hinten gerutscht. Wir
sind jetzt auf Platz 22. Im Durchschnitt ist die Lebensqualität in Italien, Spanien und den USA höher als in
Deutschland. Das hat die UNO festgestellt, nicht die
Linke. Verstehen Sie? Sie reden hier, als ob in Deutschland alles blühend sei. Davon kann doch gar keine Rede
sein!
({34})
Wir hatten in den letzten zehn Jahren - daran waren
übrigens auch Sie beteiligt; seien Sie von der FDP einmal nicht so laut - in Deutschland einen Reallohnverlust
von 6 Prozent. In denselben Jahren gab es eine Reallohnsteigerung in Frankreich von 10 Prozent, in den USA
von 23 Prozent, in Großbritannien von 24 Prozent und in
Schweden von 29 Prozent. Daher resultiert doch unser
Abstieg im internationalen Vergleich.
Bei uns boomt nur die Exportwirtschaft, nicht die
Binnenwirtschaft. Denn die Kaufkraft ist nicht gestiegen. Was passiert jetzt? Jetzt erleben wir den Verfall des
Dollars. Damit kommt die Exportwirtschaft wieder ins
Schlingern. Sie haben binnenwirtschaftlich nichts vorbereitet, um dafür einen Ausgleich zu haben.
({35})
Jetzt sage ich Ihnen - da werden Sie sich wundern -:
Nicht nur für die armen Schichten in Deutschland besteht eine große Gefahr, sondern auch für die Mittelschicht. Sie zerstören die Schicht der durchschnittlich
Verdienenden, Sie zerstören die Mittelschicht. Ich nenne
Ihnen dafür zwei Beispiele. Das eine Beispiel ist: Sie
wissen, Sie haben den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent gesenkt. Das kostet uns
übrigens jährlich 11 Milliarden Euro. Das sage ich, damit die Leute einmal wissen, auf wie viel Geld Sie da
verzichtet haben. Aber okay, das haben Sie gemacht. Sie
haben die Steuer beim Einkommen allerdings nicht linear gestaltet, sondern es gibt einen sogenannten Steuerbauch. Das heißt, dass die durchschnittlich Verdienenden
stärker in Anspruch genommen werden, weil Sie bei den
Bestverdienenden nachgelassen haben. Damit zerstören
Sie sozusagen die Schicht der Normalverdienenden, die
Mittelschicht.
Ich komme zum zweiten Beispiel. Das betrifft die
Beiträge zur Sozialversicherung, und zwar aus folgendem Grund: Sie alle haben eine Beitragsbemessungsgrenze beschlossen und gesagt: Für ein höheres Einkommen muss man nicht mehr einzahlen. Wenn Sie sagen,
für ein höheres Einkommen müsse man nicht mehr einzahlen, dann müssen Sie beim Normalverdienst den Prozentsatz erhöhen, damit das Geld reicht. Wieder trifft es
die durchschnittlich Verdienenden. Sie müssen auf ihr
ganzes Einkommen Beiträge zahlen, während die Bestund Besserverdienenden nur auf einen Teil ihres Einkommens Beiträge zahlen müssen.
Ich kann Ihnen Punkt für Punkt belegen, wie Sie gerade die durchschnittlich Verdienenden in Deutschland
immer stärker zur Kasse bitten. Auch das hat nicht nur
die Linke festgestellt, sondern die OECD hat jetzt gesagt, dass die niedrigen und die durchschnittlichen Einkommen in Deutschland im internationalen Vergleich
übermäßig stark belastet sind, während die hohen Einkommen im internationalen Vergleich stark entlastet
sind. Das ist das Ergebnis der Politik von Union und
SPD.
({36})
Was hat sich für die Ostdeutschen verbessert? Frau
Bundeskanzlerin, auch Sie sind Ostdeutsche. Gibt es einen einzigen Schritt zur Angleichung der Renten, einen
einzigen Schritt zur Angleichung der Löhne und Gehälter, einen einzigen Schritt zur Angleichung der Arbeitszeiten? Es gibt ihn nicht. Die Transferleistungen sind
vereinbart; das ist okay. Aber davon müsste man - das
will ich nicht machen; ich will es nur ansprechen - jetzt
wieder abrechnen, dass Sie bei den übrigen Fördertöpfen
den Osten immer benachteiligen,
({37})
zum Beispiel bei Wissenschaft und Forschung und auf
anderen Gebieten.
Es gibt noch eine Schwäche. Sie machen nichts für
strukturschwache Regionen, ganz egal ob in Ost oder
West. Die Kommunen strukturschwacher Regionen
brauchen eine Investitionspauschale, damit sie eigene
Wirtschaftskreisläufe in Gang setzen können.
({38})
Kommen wir einmal zu den Steuern, weil darüber
immer diskutiert wird. Uns wird Populismus vorgeworfen. Dazu muss ich Ihnen etwas sagen. Die Körperschaftsteuer haben Sie allesamt von 45 Prozent auf inzwischen ab 1. Januar 2008 15 Prozent gesenkt. Aber
Sie vergessen immer, zu erwähnen, dass die Körperschaftsteuer in Großbritannien 30 Prozent, in Frankreich
33,3 Prozent und in den USA 35 Prozent beträgt.
({39})
Ich habe schon gesagt: Den Spitzensteuersatz haben
Sie von 53 auf 42 Prozent gesenkt.
Ich erwähne noch einmal, dass ein Unternehmen, das
etwas verkauft, eigentlich Steuern auf Veräußerungserlöse zahlen muss. Der Bäckermeister muss heute das
Doppelte zahlen, die Deutsche Bank aber gar nichts
mehr. Diese Steuer haben Sie unter Schröder einfach gestrichen. Damals haben Sie von der Union gemeckert,
wieder eingeführt haben Sie diese Steuer aber nicht.
({40})
Es gibt in Deutschland keine Vermögensteuer, wie es
in anderen Ländern der Fall ist. Es gibt in Deutschland
keine Börsenumsatzsteuer, wie es in anderen Ländern
der Fall ist. Die deutsche Erbschaftsteuer ist lächerlich.
Da ich Beispiele liebe, habe ich einmal Folgendes berechnen lassen: Auf ein Firmenvermögen von 4 Millionen Euro zahlt man in Deutschland eine Erbschaftsteuer
von 168 000 Euro, in der Schweiz zahlt man
262 000 Euro, in Frankreich zahlt man 660 000 Euro, in
den Niederlanden zahlt man 1,2 Millionen Euro, und
- gleich fallen Sie wahrscheinlich um - in den USA
muss man darauf eine Erbschaftsteuer von umgerechnet
1,6 Millionen Euro zahlen. Unsere Erbschaftsteuer ist lächerlich, aber Sie korrigieren daran so gut wie gar
nichts!
({41})
Eine Steuer haben Sie allerdings erhöht - das muss
man Ihnen lassen -: die Mehrwertsteuer.
({42})
Die Mehrwertsteuererhöhung trifft wieder die durchschnittlich Verdienenden, sie trifft die Armen, sie trifft
die Rentnerinnen und Rentner, die Arbeitslosen usw.,
während es die anderen nicht weiter stört.
Nun komme ich auf das Thema Populismus zu sprechen.
({43})
- Für Sie ist soziale Gerechtigkeit populär, für mich
auch. Sie sollten allerdings einmal versuchen, für mehr
soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Das ist das Problem,
über das wir streiten.
({44})
Ich möchte etwas zur durchschnittlichen Steuer- und
Abgabenquote in der EU sagen; ich beziehe mich also
nicht nur auf die Höhe der Steuern. Damit das niemand
vergisst: Diese durchschnittliche Quote, die auch die
Steuer- und Abgabenquote der Slowakei, Polens, Lettlands, Litauens, Estlands, Bulgariens und Rumäniens berücksichtigt, liegt bei 40,8 Prozent. Das wirtschaftlich
stärkste Land der EU, Deutschland, hat eine Steuer- und
Abgabenquote von 36,3 Prozent. Es ist also nicht etwa
so, dass Deutschland an der Spitze liegt, wie man es erwarten würde, sondern wir liegen sogar unter dem
Durchschnitt. Würde Deutschland bei dem, was ich gerade genannt habe, im europäischen Durchschnitt liegen,
dann hätten wir jährliche Mehreinnahmen von
120 Milliarden Euro.
({45})
Damit ließe sich all das bezahlen, was wir vorgeschlagen
haben. Genau das lehnen Sie aber ab.
({46})
Wie ich gehört habe, hat die SPD einen Linksruck
hinter sich,
({47})
weil sie eine geringe Verlängerung der Bezugsdauer des
ALG I beschlossen hat. Ich erinnere daran, dass Union
und FDP einmal eine 32-monatige Bezugsdauer des
Arbeitslosengeldes I eingeführt haben, nicht bloß eine
24-monatige. Wenn die Verlängerung der Bezugsdauer
des ALG I auf 24 Monate einen Linksruck bedeutet,
dann müssen Union und FDP damals wohl linksextremistisch gewesen sein. Vor diesem Ruf will ich Sie aber
in Schutz nehmen!
({48})
Sie haben den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung gesenkt, und zwar zunächst von 6,5 Prozent auf
4,2 Prozent und jetzt von 4,2 Prozent auf 3,3 Prozent;
damit will ich mich heute allerdings nicht näher auseinandersetzen.
({49})
Da nach einem Aufschwung immer ein Abschwung
folgt, möchte ich Sie nur fragen: Was machen Sie im
Abschwung,
({50})
also dann, wenn die Arbeitslosenzahlen wieder steigen?
Ich kann mir schon jetzt vorstellen, dass es in den Debatten, die wir dann führen werden, wieder heißen wird:
Wir können doch die Beitragssätze nicht erhöhen. Wir
müssen also die Leistungen kürzen. - Das, was Sie hier
beschlossen haben, wird sich für die Arbeitslosen wieder
nachteilig auswirken.
({51})
Eine Entwicklung ist mittlerweile allen deutlich geworden - das ist übrigens eine vernünftige Entwicklung -:
Je stärker die Linke ist, desto sozialdemokratischer wird
die SPD.
({52})
Je stärker die Linke ist, desto sozialer und friedenspolitisch engagierter werden die Grünen. Nur bei der Union
erleben wir die umgekehrte Entwicklung: Die CDU hat
für ihren Parteitag einen Leitantrag beschlossen, in dem
gefordert wird:
Herr Kollege Gysi, denken Sie bitte an die Redezeit.
- kein Mindestlohn, keine Einschränkung der Zeitarbeit, keine Einheitsschule! - Frau Bundeskanzlerin, wir
beide haben eine Gemeinschaftsschule besucht. So
schlecht sind wir doch gar nicht ausgebildet!
({0})
Damit haben Sie sich dagegen entschieden, bei der Bildung für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Außerdem
haben Sie sich gegen ein Aufweichen der Rente mit 67
gewandt. Mit anderen Worten: Sie wollen die Armut erhöhen und den Reichtum stärken. Genau das ist nicht unsere Linie. Deshalb bin ich froh, dass es in diesem Hause
eine linke Opposition gibt.
Danke.
({1})
Dr. Peter Struck ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn Politik nur so einfach wäre, wie der Kollege Gysi es gerade dargestellt hat: höhere Rente, weniger Steuern, keine weiteren Abgaben. So kann man Politik nicht machen, Herr Kollege Gysi. So kann sich ein
Land wie Deutschland nicht verhalten.
({0})
Wir haben einmal durchgerechnet, was die Verwirklichung Ihrer Vorstellungen und Ihrer politischen Alternativen zum Haushalt, die Sie auch in den Debatten hier im
Bundestag vorgetragen haben, kosten würde.
({1})
Ich kann Ihnen nachweisen, Herr Kollege Gysi - und
zwar nicht so flach, wie Sie es hier darstellen, sondern
fundiert -, dass die Verwirklichung Ihrer Vorschläge
150 Milliarden Euro Mehrausgaben pro Jahr für den
Staat bedeuten würde. Das ist nicht finanzierbar; das ist
doch völlig klar. Sie versprechen eine Politik nach dem
Motto: „Im Himmel ist Jahrmarkt; ich führe euch alle
hin.“ So kann man unser Land doch nicht regieren. Das
geht nicht.
({2})
Natürlich wären auch wir für eine Rentenerhöhung.
Natürlich wären auch wir dafür, vieles anders und besser
zu machen. Aber es muss auch finanziell möglich sein;
es muss auch darstellbar sein. Das, was Sie hier als Alternative vorlegen, ist keine Alternative.
({3})
Zu zwei Punkten, die Sie mit Recht angesprochen haben, will ich ganz konkret etwas sagen, weil wir darüber
Gespräche führen. Die Koalitionsfraktionen sind mit der
Bundesregierung im Gespräch über eine Neuregelung
der Frühverrentung. Sie haben das Thema angesprochen. Gehen Sie davon aus, dass wir noch in der nächsten Sitzungswoche dazu ein Gesetz beschließen werden,
das den Menschen, die davon betroffen wären, hilft. Die
Koalition ist sich darin einig. Das ist ein großer Erfolg
für unsere gemeinsame Arbeit und auch für den neuen
Arbeitsminister Olaf Scholz, meine Damen und Herren.
({4})
Wir werden Ihnen unsere Entscheidung dazu in der
nächsten Woche mitteilen, und wir werden in der nächsten Sitzungswoche im Bundestag auch eine entsprechende Regelung beschließen.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eine Rede gehalten,
die mir heute sehr gut gefallen hat. Das ist ja nicht immer so.
({5})
- Ich habe es ja gesagt: Es ist nicht immer so. - Trotzdem kann ich es sagen: Ich unterstütze Ihre Politik, so
wie Sie sie dargestellt haben, voll und ganz, wenngleich
wir natürlich in manchen Fragen schon noch Differenzen
haben. Das ist ja auch kein Geheimnis.
Ich will ein Thema offen ansprechen. Wir haben unterschiedliche Auffassungen zum Thema Mindestlohn.
Die SPD ist der Meinung, dass es in Deutschland einen
Mindestlohn geben muss. Sie ist der Meinung, dass jemand, der den ganzen Tag arbeitet, auch davon leben
können muss, ohne Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen.
({6})
- Die Union klatscht nicht. Sie sieht das anders. Das ist
normal in einer Koalition. Wir müssen über bestimmte
Dinge reden, um herauszufinden, wo es Möglichkeiten
für eine Einigung gibt.
Wir hatten eine schwierige Debatte zum Thema Postmindestlohn, die nach dem jetzigen Stand noch nicht beendet ist. Ich gehe davon aus, dass wir in den anstehenden Gesprächen die große Chance haben, doch noch eine
Einigung über einen Postmindestlohn zu erreichen, sodass der Deutsche Bundestag in der nächsten Sitzungswoche beschließen kann, die Briefdienstleister in das
Entsendegesetz aufzunehmen. Das wäre ein Erfolg für
alle, die in diesen Unternehmen beschäftigt sind. Wir haben einen guten Weg verabredet. Davon können wir ausgehen.
({7})
Ich weiß, dass dazu noch Gespräche unter den Beteiligten zu führen sind, aber wir sind auf einem guten Wege.
Die Kanzlerin hat dargestellt, dass eine Reihe von
Branchen beim Arbeitsminister Anträge auf Aufnahme
in das Entsendegesetz stellen können, zum Beispiel das
Bewachungsgewerbe, Zeitarbeitsfirmen, Gartenbaufirmen und viele andere. Ich bin schon der Auffassung,
dass wir eine Regelung finden müssen, um diesen Branchen zu helfen. Es geht ja nicht nur darum - das ist mein
erster Ansatz -, dass die Menschen für die harte Arbeit,
die sie leisten, einen ordentlichen Lohn bekommen, sondern es geht mir auch um die Unternehmen und die Unternehmer, die darunter leiden, dass andere ihnen über
Dumpinglöhne die Aufträge wegnehmen. Es gibt also
ein beiderseitiges Interesse, einen bestimmten gesetzlichen Mindestlohn zu vereinbaren. Wir lassen von diesem Thema jedenfalls nicht ab, meine Damen und Herren, wenn es sein muss, bis zur Bundestagswahl im Jahre
2009.
({8})
Im Bereich des Arbeitsmarktes macht mir ein Problem große Sorgen: die Ausweitung der Leiharbeit in
Deutschland. Wenn ich höre, dass in einem großen Automobilwerk in Ostdeutschland inzwischen 40 Prozent der
Beschäftigten über Leiharbeitsfirmen in dieses Unternehmen gehen, dann ist in Deutschland etwas nicht in
Ordnung.
({9})
Leiharbeit war gedacht als Möglichkeit, in bestimmten
Sondersituationen zusätzliches Personal zu beschäftigen,
mit dem die Firmen nicht dauerhaft belastet sind. Leiharbeit bedeutet aber nicht, dass normale Arbeitsplätze outgesourct werden und die Kollegen die gleiche Arbeit wie
vorher zu schlechteren Bedingungen leisten. Das darf
nicht sein, das wollen wir ändern.
({10})
Wir haben darüber gesprochen, wie lange das
Arbeitslosengeld I gezahlt werden soll. Das ist, wie Sie
wissen, eine schwierige Debatte, auch in meiner Partei
und in meiner Fraktion. Ich will an dieser Stelle ein Wort
zu Franz Müntefering sagen, der heute nicht mehr hier
ist. Ich danke Franz Müntefering, der als Arbeits- und
Sozialminister viel bewegt hat in unserem Land. Ich
glaube, da spreche ich nicht nur für meine Fraktion, sondern auch für viele andere in diesem Haus.
({11})
Die Kanzlerin hat zum Thema Arbeitslosengeld I das
Richtige gesagt. Es ging nach meiner Auffassung auch
darum, dass man zum Beispiel den Menschen, die älter
als 60 Jahre sind und lange eingezahlt haben, das Gefühl
vermitteln muss, dass sie anders behandelt werden als
diejenigen, die weniger eingezahlt haben und jünger
sind. Das heißt, der Übergang von ALG I zu ALG II
sollte nicht so abrupt sein. Wir haben eine Regelung dafür gefunden. Ich hoffe, dass die Menschen das auch in
Anspruch nehmen. Wir wissen genau, dass wir im Augenblick die Chance haben, bessere Vermittlungsmöglichkeiten für ältere Arbeitslose zu erreichen. Die Zahlen
sind genannt worden. Wir sind auf einem guten Weg. Es
war eine schwierige Debatte; aber das Ergebnis, das die
Koalition hier erreicht hat, ist ein gutes Ergebnis. Wir
haben dazu Arbeitsminister Olaf Scholz den Auftrag gegeben, ein entsprechendes Gesetz vorzubereiten. Die
SPD-Fraktion geht davon aus, dass dieses Gesetz eine
solche Wirkung entfaltet, auch rückwirkend, dass die,
die gemeinhin davon betroffen sind, von dieser Verbesserung beim Arbeitslosengeld I etwas haben.
Es gibt einen Kommunalkombi, es gibt viele Förderungsinstrumente. Ich finde es richtig, dass vereinbart
worden ist, dass der Arbeitsminister uns einen Vorschlag
macht, wie man die Zahl der vielen Förderinstrumente
der Arbeitspolitik komprimieren kann. Das Ministerium
ist dabei, und wir werden in Kürze etwas vorlegen. Ein
Kommunalkombi für Kommunen, die eine höhere Arbeitslosigkeit als 15 Prozent haben, ist absolut richtig.
Das hat eine gute Steuerungswirkung, gerade im Osten,
Kollege Gysi. Auch da müssen wir solche Förderungsmaßnahmen ansetzen. Es gibt gar keinen Zweifel, dass
wir das tun werden.
({12})
Wir - auch die Kanzlerin und andere - haben viel
über die Zukunft geredet. Was sind die Zukunftsfragen
des Landes? Ich glaube, die Große Koalition hat wegen
der breiten Mehrheit, die wir hier haben, und wegen ihrer breiten Mehrheit im Bundesrat eine große Verantwortung. Das kann übrigens nicht heißen, dass wir die
nächsten beiden Jahre, weil angeblich alles abgearbeitet
sei, nur Wahlkampf machen. Das würden uns die Menschen nicht verzeihen. Wir sind für andere Aufgaben gewählt worden: etwas für die Menschen in Deutschland
zu tun.
Ich nehme als Beispiel die Kinder. Wir haben hier
eine Menge gemacht, zum Beispiel das Elterngeld eingeführt. Wir diskutieren über den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz
({13})
und werden den Gesetzentwurf von Frau von der Leyen,
der auf dem Weg ist, in Kürze, denke ich, verabschieden.
Es ist ein großer Erfolg, dass wir ab dem Jahr 2011
750 000 Plätze in Krippen haben werden und der Bund
dies mitfinanziert. Normalerweise ist das nämlich keine
Aufgabe des Bundes.
({14})
Wir diskutieren das gerade in der Föderalismuskommission; dazu komme ich noch. Dass wir als Bund bereit
sind, Geld zu geben, damit Eltern einen Rechtsanspruch
auf einen Krippenplatz für ihre Kinder bekommen, ist
ein großer Erfolg.
({15})
Wir führen eine Debatte über das Betreuungsgeld. Ein
Partner in der Koalition will auf jeden Fall ein Betreuungsgeld festlegen, und zwar schon jetzt. Ich sage dazu:
({16})
Es ist völlig klar, dass über die Frage, ob es ein Betreuungsgeld gibt für die Eltern, die ihre Kinder nicht in eine
Krippe geben wollen, im Jahre 2013 entschieden wird nicht in diesem Jahr und nicht im nächsten Jahr. Das
muss klar sein.
({17})
Im Übrigen will ich auch an dieser Stelle noch einmal
darauf hinweisen, dass ich Frau von der Leyens Politik
in vielen Fällen fast hundertprozentig unterstütze, nämlich weil sie die gleiche Politik macht, wie sie Renate
Schmidt gemacht hat.
({18})
Das werden Sie nicht bestreiten, Frau von der Leyen. Ich
glaube, Sie haben bei uns manchmal mehr Unterstützung
als in Ihrer eigenen Fraktion oder in Ihrer eigenen Partei.
Aber das ist ja egal, das Ergebnis zählt, und das ist ein
gutes.
Wir haben in der letzten Koalitionsrunde über einen Erwerbstätigenzuschuss diskutiert und eine Vereinbarung getroffen, dafür aus den Mitteln der Bundesagentur mehr als
1 Milliarde Euro bereitzustellen sowie 200 Millionen Euro
für einen Kinderzuschlag, also besondere Leistungen für
besonders förderungsbedürftige Familien.
Wir haben natürlich über die üblichen Punkte zu diskutieren. Die Opposition sagt, wir müssten das Kindergeld erhöhen. Ein entsprechendes Verfahren gibt es
schon. Eine Frage dazu möchte ich hier aber doch öffentlich stellen - wir sind hier ja in der Öffentlichkeit -:
Ist es sinnvoll, das Kindergeld, wenn es an der Zeit ist,
um 6 Euro oder um 10 Euro zu erhöhen, oder ist es nicht
besser, dieses Geld für besondere Anforderungen, die im
Bereich der Familienförderung entstehen, bereitzustellen? Als Beispiel nenne ich ein Schulpaket. Wir wollen,
dass auch die Kinder von Eltern, von denen wir wissen,
dass sie das Kindergeld nicht für die Zwecke benutzen,
für die es gedacht ist, eine Hilfe erhalten.
({19})
Wir wollen zum Beispiel eine Schulspeisung und ein
Schulpaket ermöglichen, sodass Kinder beispielsweise
auch in die Schule gebracht werden. Darüber werden wir
noch debattieren.
Ich sage nicht, dass manche Eltern nicht mit ihren
Kindern umgehen können. Wie könnte ich das sagen?
Ich weiß aber auch, dass es Situationen gibt, in denen
der Staat zum Beispiel auch über eine solche Maßnahme
regulierend eingreifen muss. Es ist strittig, und wir werden darüber diskutieren. Ich bin aber optimistisch, dass
wir das schaffen.
Zur Nachhaltigkeit und zur Zukunftssicherung gehört
natürlich auch die Finanzpolitik. Das ist gar keine Frage.
Herr Kollege Gysi, was Sie zu den Finanzen gesagt haben, ist schon sehr absurd. Es ist klar, dass wir beim Abbau der Neuverschuldung auf einem guten Weg sind.
Ich möchte wissen, was Sie gesagt hätten - oder was der
Kollege Westerwelle sagen würde, der ja noch reden
wird -, wenn wir nicht eine so geringe Nettokreditaufnahme hätten. Wir sind stolz darauf, dass es mit
Steinbrück und den Haushältern gelungen ist, die Nettokreditaufnahme auf unter 12 Milliarden Euro zu drücken. Das ist ein großer Erfolg. Bis 2011 wollen wir bei
null sein.
({20})
Dass wir die Schulden abbauen müssen, ist doch völlig klar. Wir haben jetzt eine jährliche Zinslast von
43 Milliarden Euro. Man kann nicht wie Gysi und andere, zum Beispiel die FDP - hier sind Sie sich ja einig -,
einfach nur fordern, die Steuern zu senken. Das geht
doch gar nicht. Das ist überhaupt nicht möglich.
({21})
Wir müssen darüber nachdenken, wie wir diese Situation
auch rechtlich in den Griff bekommen.
Sie alle wissen, dass wir in der Föderalismuskommission II über genau diese Frage diskutieren: Wie
können wir eine Schuldengrenze einbauen? - Kollege
Burgbacher ist gerade nicht da, aber ich sehe im Augenblick eine breite Übereinstimmung im Parlament,
dass wir im Zuge der Neuordnung des Art. 115 Grundgesetz hierzu etwas tun werden. Wir als Bundespolitiker erwarten von den Landespolitikern in dieser Kommission, dass eine Regelung hinsichtlich der
Begrenzung der Nettokreditaufnahme, die wir festlegen, möglichst auch auf die Länderhaushalte übertragen wird. Das wäre ein guter Weg. Ob man das schafft,
weiß ich nicht. Kollege Günther Oettinger und ich wollen als Vorsitzende dieser Kommission Anfang des Jahres einen Vorschlag dazu vorlegen.
Zu zwei Bereichen will ich noch etwas sagen. Zunächst zum Thema Klimaschutz. Umweltminister
Sigmar Gabriel macht eine ordentliche Arbeit. Ich hoffe,
dass sich das auch dann auszahlen wird, wenn wir hier
im Parlament über die Umsetzung der Gesetze zu diskutieren haben.
Das KWK, das EEG und andere Gesetze sind vorgelegt worden. Es ist ein bisschen schwer, den Menschen
zu erklären, was das alles heißt. Man kann es meiner
Meinung nach so zusammenfassen: Wenn man eine Veranstaltung zum Thema Klimaschutz durchführt, muss
man betonen, dass das das Zukunftsproblem ist.
Ich will hinzufügen: Wenn ich nicht so alt wäre,
würde ich mir gerne noch einen Traum verwirklichen.
({22})
- Nein, warte einmal ab, was ich sagen will. - Ich würde
die Erde gerne einmal vom Weltraum aus sehen.
({23})
Das Geld dafür habe ich nicht, und das Alter ist auch
schon hoch. Ich kann mich erinnern, dass Gagarin, der
erste Mensch, der im Weltraum war, das auch einmal gesagt hat: Wenn man sich die Erde vom Weltraum aus anschaut, dann fragt man sich schon, warum wir die Erde
durch Klimaverschmutzung und Kriege kaputtmachen.
({24})
Wie gehen wir mit unserem Planeten um?
Deshalb sage ich - das möchte ich deutlich festhalten -: Wir haben gegenüber unseren Enkeln, Urenkeln
usw. eine Verantwortung dafür, dass wir ihnen einen ordentlichen Planeten hinterlassen.
({25})
Das heißt übrigens auch, dass wir heute damit anfangen
müssen, uns einzuschränken. Das ist doch völlig klar.
Die Kanzlerin hat es gesagt: Wir müssen Energie sparen.
Wir müssen effizienter mit Energie umgehen. Wir müssen alternative Energien nutzen. Das alles geht allerdings auch nicht an dem Geldbeutel der normalen Menschen vorbei; überhaupt nicht.
Wir werden Schwierigkeiten mit der Automobillobby
und den Gewerkschaften, die die dort Beschäftigten vertreten, haben, wenn wir jetzt sagen: Ihr müsst andere Autos bauen. - Natürlich müssen wir andere Autos haben.
Wir müssen auch über ein Tempolimit diskutieren. Das
haben wir ja diskutiert. Irgendwann kommt es auch. Da
gebe ich Fritz Kuhn recht: Das kommt irgendwann.
({26})
Es stellt ja wirklich eine Möglichkeit dar, Energie einzusparen. Ich persönlich bin der Auffassung, dass es richtig
ist, das zu machen.
Frau Kanzlerin, Sie haben dankenswerterweise gesagt
- es ist auch gut, dass wir da mit offenen Karten spielen -,
dass wir unterschiedliche Auffassungen zum Thema
Kernenergie haben. Dabei bleibt es auch. Die SPD wird
sich nicht vom Ausstieg aus der Atomenergie abbringen lassen. Er ist unverrückbar. Daran werden wir nicht
rütteln.
({27})
Sie haben eine andere Auffassung dazu. Man muss sehen, ob Sie dann eine andere Regierung bilden können
oder ob wir eine andere Regierung bilden. Auf jeden Fall
bleibt es bei dem Ausstieg aus der Kernenergie. Das ist
im Übrigen auch ein Hinweis darauf, wie man Energiepolitik in Deutschland machen muss: mit Steigerung der
Effizienz, Einsparungen und alternativen Energien.
Zur Außenpolitik nur einige Worte: Weil dieses
Thema aktuell ansteht, danke ich zunächst Außenminister Steinmeier für seine Beteiligung an der AnnapolisKonferenz. Ich glaube, es war wichtig, dass auf Anregung von Herrn Steinmeier Syrien beteiligt worden ist.
Ohne Syrien passiert in dieser Region nämlich gar
nichts; das wissen wir. Das ist ein großer Erfolg, den Sie
erreicht haben, Herr Außenminister.
({28})
Ich beschäftige mich lange Jahre mit Israel. Ich bin auch
Vorsitzender des Gesprächskreises Israel meiner Fraktion und bin oft in diesem Land. Ich glaube, viele Unwägbarkeiten und Gefahren in dieser Region gehen von
diesem ungelösten Konflikt aus. Daran hängt dann alles:
Iran, Irak - Greater Middle East.
Von Präsident Bush ist wieder ein Versuch unternommen worden. Wir begrüßen das. Was Europa bzw.
Deutschland dazu leisten kann, soll es auch leisten, um
diesen Prozess mit zu beschleunigen. Ich bin mir auch
ganz sicher, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin und Herr
Außenminister, das gemeinsam tun werden. Wir, die Koalitionsfraktionen, unterstützen jedenfalls diesen Weg.
Dabei ist völlig klar, dass auch für uns das Existenzrecht Israels überhaupt nicht auf dem Spiel steht - überhaupt nicht, meine Damen und Herren.
({29})
Ich sage: Große Koalition heißt große Verantwortung.
Ja, wofür denn eigentlich? Für die Sicherheit vieler
Menschen.
Was erwarten sie? Sie erwarten Sicherheit vor Krankheit. Was also passiert mit ihnen, wenn sie krank werden? Da haben wir mit der Gesundheitsreform einen
Versuch gemacht. Er ist nicht ganz gelungen. Ulla
Schmidt und ich und andere in meiner Fraktion sagen:
Wir wollen eine Bürgerversicherung. - Die Union sagt:
Wir wollen eine Kopfpauschale. - Der Streit war nicht
zu entscheiden. Trotzdem haben wir mit der Gesundheitsreform einen guten Weg gefunden, die Krankenversicherungsbeiträge zumindest für die nächsten Jahre stabil zu halten.
Was erwarten sie noch? Sie erwarten Sicherheit vor
Arbeitslosigkeit. Dazu habe ich einiges gesagt. Die von
uns vorgelegten Programme können sich sehen lassen,
finde ich. Wir dürfen damit aber nicht aufhören. Natürlich wollen wir um die unter 25-jährigen Arbeitslosen
kämpfen. Dafür werden Programme vorgelegt. Die Anzahl der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss wird ja
immer größer. Auch da werden wir Akzente setzen. Ich
sage zu diesem Bereich: Es ist gut, dass wir einerseits
Geld für die Förderung von Kleinkindern in die Hand
nehmen, andererseits aber auch Geld für besondere Programme wie „U 25“ in die Hand nehmen.
Ich füge gleich an - auch mit einem gewissen Stolz
auf die Leistung zunächst der SPD-Fraktion und anschließend von Frau Schavan -: Dass wir das BAföG erhöht haben, ist auch ein großer Erfolg, der zur Verbesserung der Bildungschancen in Deutschland beiträgt.
({30})
Die Menschen erwarten auch Sicherheit vor der Situation, dass sie zu einem Pflegefall werden.
({31})
Dazu haben wir auch etwas beschlossen. Es wird umgesetzt. Ich habe bei vielen Veranstaltungen zu diesem
Thema gelernt, dass die Kinder, die heute geboren werden - mein jüngstes Enkelkind ist ein knappes Jahr alt -,
eine Lebenserwartung zwischen 80 und 90 Jahren haben vielleicht noch mehr.
({32})
- Ja, Mädchen von 100 Jahren. - Man muss sich doch
auf diese Situation einstellen und darf nicht einfach den
folgenden Satz daneben stellen, den ein befreundeter
Arzt, auf die Frage, was man gegen Demenz und Alzheimer tun könne, als Antwort gab, nämlich: Früher sterben. - Die Entwicklung, dass die Menschen zunehmend
älter werden, fordert die Politik massiv heraus. Wir haben dazu Vorschläge vorgelegt, auch was die Pflegeversicherung angeht. Das können aber nur erste Schritte
sein. Hier müssen wir mehr tun.
Letzter Punkt. Die Menschen erwarten äußere und innere Sicherheit vor Terror. Ich glaube, dass das, was die
Bundeswehr im Ausland - in Afghanistan, Dschibuti
und anderswo - leistet, ein hervorragender Beitrag auch
zur Stärkung der Sicherheit in unserem Land ist. Ich
bleibe bei meinem Satz: Deutschlands Sicherheit wird
auch am Hindukusch verteidigt. Der Satz ist richtig.
({33})
Ich bedauere, dass manche diesen Weg überhaupt nicht
mitgehen können. Was wir in Afghanistan machen, ist
kein Krieg, absolut nicht, Herr Kollege Gysi. Sie müssen
nur mit den Menschen dort reden. Dann wüssten Sie es.
({34})
Ihre Bemerkung zu Jugoslawien und Milošević war ja
nichts anderes als peinlich. Da haben Sie einen ganz
dunklen Fleck auf Ihrer Weste.
({35})
Die Menschen erwarten auch Sicherheit im Innern.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Vor Selbstmordanschlägen ist niemand in Deutschland geschützt. Der
Staat kann nicht neben jeden Menschen jemanden stellen, der kontrolliert. Das ist völlig ausgeschlossen. Das
muss man wissen. Aber wir können natürlich die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, die sicherstellen, dass
wir möglichst viel im Griff behalten. Ich habe überhaupt
keinen Grund, an der Arbeit der Sicherheitsorgane
- Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz, Landeskriminalämter usw. - zu zweifeln. Ich
will diesen Organen das Instrument der Onlinedurchsuchung geben, allerdings unter engen rechtsstaatlichen
Bedingungen. Die Freiheit der Bürger in Deutschland ist
ebenfalls ein hohes Gut, das wir bewahren müssen, wenn
es um die innere Sicherheit geht.
({36})
Herr Schäuble und ich haben lange Debatten über den
Einsatz der Bundeswehr im Innern geführt, auch hier im
Plenum. Ich will deutlich festhalten, Herr Kollege
Volker Kauder: Sie können die Änderung des Art. 87 a
des Grundgesetzes so oft fordern, wie Sie wollen, die
SPD wird die Bundeswehr im Innern nicht einsetzen.
({37})
Das ist ein Thema, bei dem wir kein Einvernehmen erzielen können. Also müssen wir uns damit befassen,
wenn es wieder auf der Agenda steht. Mit uns ist diese
Änderung jedenfalls nicht zu machen.
Ein persönlicher Abschluss: Wir haben jetzt zwei
Jahre Große Koalition hinter uns. Der Anfang war
schwierig, weil die Unterschiede ein bisschen größer
waren, als wir alle gedacht haben.
({38})
Trotzdem kann sich das, was wir in den zwei Jahren geleistet haben, sehen lassen. Unser Land ist auf einem guten Weg. Auf diesem guten Weg werden wir weitergehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({39})
Ich erteile das Wort der Kollegin Renate Künast,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Merkel, Herr Struck, das waren zwei bemerkenswerte
Reden, die sich durch Selbstbeweihräucherung und
ewige Wiederholungen wie bei einer tibetanischen Gebetsmühle ausgezeichnet haben. Sie haben gesagt, wir
seien auf einem guten Weg, und uns erklärt, was Sie
wollen und tun werden. Aber Sie haben nichts Konkretes
gesagt. Sie haben nicht gesagt, wie Sie dieses Land
- auch mithilfe des Haushaltes 2008 - weiter umbauen
wollen. Ein Totalausfall war das heute Morgen.
({0})
Sie haben wiederholt auf den Dreiklang aus Sanieren,
Reformieren und Investieren hingewiesen. Darüber
muss ich wirklich lachen
({1})
angesichts der Tatsachen, dass Sie in zwei Jahren
50 Milliarden Euro mehr Steuern einnehmen, aber die
Neuverschuldung gerade einmal um 28 Milliarden Euro
senken, oder dass die Einnahmen um 2,7 Prozent steigen, aber die Ausgaben um 4 Prozent steigen. Ich habe
zwar keinen Nobelpreis für Mathematik
({2})
und viele draußen auch nicht, aber ich weiß, dass das
nicht Sanieren ist. Sie leben vielmehr über Ihre Verhältnisse und auf Kosten folgender Generationen.
({3})
Das haben Sie, Frau Merkel, dadurch organisiert, dass
Sie am Anfang der Legislaturperiode den Bürgerinnen
und Bürgern durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer ordentlich in die Tasche gegriffen haben. Das verteuerte
den Lebensalltag. Wir alle sehen doch, dass im Augenblick die Teuerungsrate steigt und das Geld immer weniger wert ist. Da können Sie doch nicht behaupten, Sie
seien auf einem guten Weg, oder von Wohlstand für alle
reden. Die Menschen haben faktisch weniger, und Sie
helfen ihnen nicht aus ihrer Lage heraus.
Was mich ärgert, wenn ich den Haushalt betrachte,
ist, dass man keinen Mut hat, an der einen oder anderen
Stelle Subventionen zu streichen.
({4})
In diesem Land werden immer noch Dienstwagen in einer
Größenordnung von bis zu 50 000 Euro subventioniert, es
gibt immer noch Ausnahmen von der Ökosteuer, und es
gibt immer noch den faulen Kohlekompromiss. Sie verstecken sich hinter dem Ruhekissen einer noch funktionierenden Konjunktur, aber saniert wird hier gar nichts.
({5})
Sie haben - das haben die Reden gezeigt - überhaupt
kein gemeinsames Leitbild und gar keine gemeinsamen
Werte. Das Wohin ist gar nicht definiert. Es geht schlicht
und einfach darum, diese Legislaturperiode bis zum
Jahr 2009 irgendwie auszuhalten. Aber in Zeiten der
Globalisierung, des demografischen Wandels, des Klimawandels und anderer existenzieller Fragen haben Sie
nach zwei Jahren nicht einmal eine Vision, wohin dieses
Land soll und wie Sie an das Ziel kommen wollen. Ihr
Motto ist: Weiter so und durchwurschteln.
({6})
Wer sich um dieses Land Gedanken macht, muss sich
die zentrale Frage stellen, wie wir 2010, 2020 oder 2030
leben wollen. Die richtige Antwort darauf gab nicht die
Rede von Herrn Struck als Ergänzung zu der der Kanzlerin. Ich habe in diesen Wochen nur eine wirkliche
Beschreibung von Frau Merkel gelesen, und das war
die in Newsweek. Newsweek hat sie als „Lost Leader“
betitelt, also als „verlorene Führerin“. Sie, Frau Merkel,
sind keine Reformkanzlerin, auch wenn Sie sich hin und
wieder so gerieren. Sie repräsentieren - schade für Herrn
Köhler; dieses Amt war ja eigentlich schon vergeben -,
ein Foto ist schöner als das andere, Sie sagen die Dinge
so schön, Frau Bundeskanzlerin, aber am Ende ist das alles nichts anderes als ganz großes Kino. Dabei bleibt die
Reform des Landes auf der Strecke.
({7})
Ich will Ihnen auch sagen, warum das so ist. Es gibt
immer wieder verbal, in schöne Worte gefasst, eine ganz
große und radikale Aufgabendefinition. Dem folgt aber
am Ende nie eine radikale Praxis, dem folgt nie der angemessene radikale Wandel, der Umbau der Strukturen.
Aber wir wissen: Wenn Sie das Land umbauen und wirklich Klimaschutz betreiben wollen, dann müssen Sie sich
an diesen radikalen Wandel machen, dann müssen Sie
die Oligopole auflösen, und dann müssen Sie eine dezentrale Energiewirtschaft schaffen, sonst erreichen Sie
das propagierte Ziel von minus 40 Prozent nie im Leben.
({8})
Sie wissen doch sehr gut, dass Sie mit der Denkweise
und den Strukturen von gestern oder heute dieses Land
und diese Welt nicht ändern können. Sie müssen den
Mut haben, etwas Neues zu denken: Denken Sie die
CO2-freie Gesellschaft!
({9})
- Dass Sie von der FDP wieder hinter der Zeit sind, weiß
auch ich.
({10})
Bei Ihnen zählt nicht die Zukunft, sondern es zählen
Steuersenkungen für die, die schon haben. - Wir müssen
lernen eine CO2-freie Gesellschaft zu denken, um zu
wissen, wie die Städte funktionieren sollen, wie wir produzieren und wie wir Mobilität herstellen können.
({11})
Frau Merkel hat sich ja mit vielen Beratern umgeben.
Einer der Berater für Klimaschutz ist Professor
Schellnhuber. Der hat nicht weniger gesagt als:
Es geht um die Neuerfindung der modernen Welt.
Der Klimawandel kann nur aufgehalten werden,
wenn sich die Gesellschaften weltweit so radikal
ändern wie zuletzt im 19. Jahrhundert.
Wenn man Schellnhuber, dem Kanzlerinberater, folgen
will, reicht es eben nicht, bei der UN zu sagen, bis 2050
müssen wir die CO2-Emissionen um 50 Prozent reduzieren, sondern dann muss man hier und jetzt anfangen und
den Mut haben, den Vorständen bei den Automobilkonzernen und den Vorständen bei den vier Energieversorgern auch einmal reinen Wein einzuschenken und von
ihnen zu verlangen, sich zu verändern. Sonst ist Ihre Politik ein Potemkinsches Dorf.
({12})
- Wer war denn der Zwischenrufer von der FDP? Wissen
Sie was, kleiner Nachhilfeunterricht: Klicken Sie einmal
im Internet an, welche Forschungsaufträge die Europäische Union vergibt. Dann kommen auch Sie von der
FDP endlich im Jahr 2007 an. Bei allen jetzt ausgelobten
Forschungsaufträgen geht es um „carbon-free society“. Guten Morgen, FDP!
({13})
- Dafür, dass Sie kein Englisch können, kann ich jetzt
auch nichts.
({14})
Aber Verhandlungssprache im Deutschen Bundestag
bleibt Deutsch, Frau Kollegin Künast.
({0})
Diese Regierung baut einen - ({0})
- Wissen Sie was, er kann es immer wieder dazwischenquäken und zicken. Aber mehr als fünf Mal kann ich ihm
nicht sagen, dass alle Welt Aufträge für eine CO2-freie
Gesellschaft ausschreibt. Wenn er dann noch einmal ruft,
können Sie ja mit ihm reden. Ich kann doch nichts dafür,
dass die FDP selbst dieses nicht merkt.
({1})
Diese Kanzlerin geriert sich als Klimaqueen. Aber,
Frau Merkel, wir haben uns gefragt, ob das, was Sie in
Ihren Reden sagen, auch wirklich in den Papieren steht.
In den Papieren vom G-8-Gipfel steht das, was Sie behauptet haben, nicht drin. Die USA haben sich nicht
- das sehen wir auch wieder an ihrem derzeitigen Handeln zu dem bereit erklärt, was Sie behaupten. Es gibt keine
Bereitschaft für ein aktives Vorgehen in einem multilateralen Prozess.
Sie haben, Frau Merkel, wenn Sie über Klimaschutz
reden und große Worte machen, am Ende nur die aktuelle Kostenfrage für die Wirtschaft im Kopf. Wir sagen
aber, in diesem Land muss, wenn es funktionieren soll,
die Wirtschaft auch selber ihren Beitrag leisten. Es kann
nicht sein, dass man regelmäßig Provisionen bekommt,
wenn man Teile der Firma verkauft, wenn man Arbeitsplätze abbaut. Ich meine, ein Vorstandschef sollte nur
Provision bekommen, wenn er - das ist heute schon
technisch möglich! - den Energieverbrauch seines Unternehmens um mindestens 30 Prozent senkt. Das würde
Sinn machen. Das wäre „Eigentum verpflichtet“ in praktischer Anwendung,
({2})
weil es an dieser Stelle die Gemeinwohlbindung gibt.
Die Unternehmen sollten meines Erachtens aufhören,
Lobbyarbeit zu machen, und stattdessen CO2-Ausstoß
und Energieverbrauch senken.
Wenn wir uns jetzt angucken, wie diese Koalition
konkret agiert, dann stellen wir fest: Es gibt bei dieser
Kanzlerin den sozialen und ökologischen Wortbruch,
den sozialen beim Mindestlohn. Ich muss sagen, das,
was Sie da jetzt erzählt haben, reicht mir immer noch
nicht aus, auch wenn Herr Struck andeutet, man sei auf
einem guten Weg.
({3})
Aber beim Klimaschutz opfern Sie sich, Ihre Politik und
dieses Land den Lobbyinteressen. Es reicht nicht aus,
über Klima zu reden und dann nachher einen Deal wie
Herr Glos zu machen: Als Dank für die Schaffung von
ein bisschen mehr Transparenz kämpft er nun in Brüssel
gegen die Trennung von Produktion und Netz bei den
großen Energieversorgern. Aber gerade diese Trennung
wäre ein zentraler Punkt für eine andere Klimapolitik.
Es geht auch nicht, dass man behauptet, eine Reduktion um 40 Prozent vornehmen zu wollen, aber noch
nicht einmal ein Programm dafür vorlegt. Ganz unmöglich ist schließlich, dass der Bundesumweltminister nun
seine Agenten losschickt oder selber fährt, um überall in
der Republik die Leute von Kohlekraftwerken zu überzeugen. Damit machen Sie keinen Klimaschutz!
({4})
Hinzu kommt, dass Frau Merkel Ole von Beust in seinem Bemühen unterstützt, dass von Vattenfall in Hamburg-Moorburg ein neues Kraftwerk gebaut wird, durch
das aber die Emissionen in Hamburg um 40 Prozent erhöht und nicht etwa gesenkt werden. Das ist doch kein
Klimaschutz. Das ist eher eine Versündigung am Klima.
({5})
Wir kennen nur ein klimaschonendes Kohlekraftwerk
in dieser Republik, und zwar das in Ensdorf. Dort haben
die Bürgerinnen und Bürger durch ein definitives Nein
entschieden, dass kein Kraftwerk gebaut wird. Ich kann
die Bürgerinnen und Bürger nur auffordern, zum einen
das zu tun, was die Bürgerinnen und Bürger in Ensdorf
gemacht haben, und zum anderen, den Stromanbieter zu
wechseln. Wenn die Regierung bestimmte Änderungen
nicht herbeiführt, dann müssen die Bürger das selber tun.
({6})
Sie haben in diesen Haushalt trotz vollmundiger Ankündigung keinerlei zusätzliche Mittel für den Klimaschutz eingestellt. Zur Verfügung stehen wie im vorherigen Haushalt nicht mehr als 400 Millionen Euro.
75 Prozent der Mittel sind ohne konkrete Bedingungen
gesperrt. Diese Sperre besteht, um die Möglichkeit zu
haben, Gabriel am Nasenring durch die Republik zu führen, vorneweg durch Herrn Glos, den kurzfristige Wirtschaftsinteressen leiten. Insgesamt haben Sie weniger als
die Hälfte dessen, was man durch die Versteigerung der
Zertifikate einnehmen wird, für Klimaschutzmaßnahmen in den Haushalt eingestellt. Das ist zu wenig.
({7})
Wir brauchen einen Klimaschutzhaushalt. Unser
Vorschlag lautet, dass der entsprechende Haushalt
2,9 Milliarden Euro umfasst. Finanziert werden könnte
dies durch die Einstellung aller Erlöse aus der Versteigerung von Zertifikaten, durch Umschichtungen im Gesamthaushalt und durch die Kürzung von umweltschädlichen Subventionen. So macht es Sinn. Wir könnten mit
einem solchen Paket ab 2011 weitere 33 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Weder durch Ihre Reden noch durch
Ihre Vorschläge - ich habe mich gewundert, dass die
Kanzlerin den Klimaschutz so weit hintanstellt ({8})
kommt es zu Änderungen in der Politik.
Jetzt will ich auf das Thema Sozialpolitik zu sprechen kommen.
({9})
Auch an dieser Stelle nimmt die Koalition keine gemeinsame Analyse vor und trifft keine Festlegung. Ich habe
schon gemerkt, dass die Kanzlerin ein paar Dinge angesprochen hat und dass Herr Struck nachher sagte, man
sei sich nicht einmal bei der Frage des kostenlosen Mittagessens einig. Sie analysieren die Situation in den
Städten nicht. Das vordringlichste Problem in den Städten dieser Republik sind nicht die ALG-I-Empfänger,
sondern die Hartz-IV-Empfänger und deren Kinder, die
in Armut leben, die ohne Frühstück in die Schule gehen
und dort kein Essen bekommen. Es geht um Familien, in
denen Armut Generation für Generation vererbt wird.
Denen haben Sie in Ihrem Haushalt 2008 keine Angebote gemacht.
({10})
Auch an anderen Stellen - dort, wo es um die finanziell
schwachen und die bildungsfernen Schichten geht - machen Sie keine Angebote.
({11})
Nehmen wir einmal die Präventionsstiftung: Es ist
schon auffallend, über welch lange Zeit sich dieser Prozess hinzieht. Dabei wären wegen der Vielzahl von chronischen Krankheiten gerade die Kinder und die Erwachsenen aus den bildungsfernen Schichten auf eine gute
Präventionsarbeit angewiesen. Eine solche Arbeit ist
aber gar kein Bestandteil Ihrer Sozialpolitik.
({12})
Sie halten Sonntagsreden und haben nicht den Mut, auszurechnen, wie hoch Ihre Investitionen sein müssten.
Wir haben auf unserem letzten Parteitag den Beschluss gefasst - dazu ist schon ein Zwischenruf gemacht worden -, dafür einzutreten, dass 60 Milliarden
Euro in den Sozialbereich investiert werden. Wir haben
uns die Mühe gemacht, aufzuzeigen, wie für den Bildungsbereich, für die Infrastruktur, für den Bereich
„Kinder und Familien“ 31 Milliarden Euro aufgelegt
werden können. Wenn dem Folge geleistet würde, läge
Deutschland gerade einmal etwas über dem Durchschnittswert der OECD. Damit wären wir bei den Investitionen für Kinder noch lange nicht so weit wie Dänemark. Wir sagen: Wir brauchen in diesem Land
15 Milliarden Euro für bessere Schulen sowie
16 Milliarden Euro für die Kinder- und Jugendhilfe und
für eine bessere Betreuung. Diese Betreuungsangebote
brauchen wir so schnell wie möglich, am besten jetzt
und nicht erst 2011.
({13})
An der Stelle muss ich Ihnen, Frau Merkel, vorhalten,
dass Sie sich ein bisschen um das Thema herumgedrückt
haben. Wahrscheinlich haben Sie in Anspielung auf aktuelle Todesfälle gesagt, wir brauchten keine vorschnellen Reaktionen. Das ist aber nicht der alleinige Kern dieser Haushaltsfrage. Im Haushalt für das nächste Jahr
muss dafür gesorgt werden, dass die armen Kinder eine
Chance bekommen. Dies bezieht sich sowohl auf Kinder- und Jugendhilfe als auch auf Bildung, und das Geld
muss jetzt her.
({14})
Herr Steinbrück muss die Beratungen der Föderalismuskommission für eine Verbesserung der Bildungsfinanzierung nutzen. Unterstützen Sie die Länder, auch
wenn es eine Landes- und Kommunalaufgabe ist, zum
Beispiel durch frei werdende Mittel aus dem Soli-Zuschlag. Sie könnten dort bis 2019 frei werdende Mittel in
Höhe von 30 Milliarden Euro - ({15})
- Sie werden in den nächsten Jahren systematisch frei.
Bitte informier dich darüber! - Diese Mittel kann und
muss man in diesem Land für die Bildungsfinanzierung
nutzen.
({16})
Ich bin mir sicher: So wie die Menschen bereit waren,
für den Aufbau Ost einen Soli-Zuschlag zu zahlen, so
sind sie auch bereit, einen nächsten Schritt für die Bildung in diesem Land zu tun, damit jedes Kind eine
Chance hat und wir endlich das realisieren, was wir
brauchen: gut ausgebildete, geförderte Kinder.
({17})
Führen Sie eine Bundessteuerverwaltung ein. Damit
könnten Sie 15 Milliarden Euro einnehmen. Auch dies
kann zur Herstellung von Chancengerechtigkeit für alle
genutzt werden.
Wir haben auch beschlossen, dass wir nicht auf spätere Erhöhungen warten wollen, sondern wir wollen,
dass die Existenzsicherung bei Hartz IV jetzt gegeben
sein muss. Deshalb ist es richtig, den Hartz-IV-Satz auf
420 Euro zu erhöhen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als die Summe, die die Wohlfahrtsverbände errechnet haben. Was kann daran falsch sein, meine Damen
und Herren? Wir machen auch entsprechende Finanzierungsvorschläge.
({18})
Zum Schluss will ich ein Wort zur Außenpolitik sagen. Das Problem unserer Außenpolitik ist, dass es weder ein konzertiertes Vorgehen noch Absprachen zwischen dem Außenminister und der Bundeskanzlerin gibt.
Die Konflikte zeigen, dass es kein Konzept gibt: Das
Auswärtige Amt geht in die eine Richtung, die Bundeskanzlerin geht, manchmal sogar ganz klandestin, in die
andere Richtung, und dann kritisiert man sich dafür. Den
Dalai-Lama zu empfangen, es aber nicht abzusprechen
und dadurch öffentliche Kritik auszulösen, ist doch ein
klassischer Fehler gewesen. So macht man keine Außenpolitik zugunsten Tibets, zumindest wirkt sie nicht so.
({19})
Den saudischen Kronprinzen zu hofieren, hinsichtlich
der Situation der Frauen zu schweigen und nichts zu den
Hinrichtungen zu sagen, Frau Bundeskanzlerin, stellt
ebenfalls infrage, ob Sie es mit Ihrer Menschenrechtspolitik wirklich durchgängig ernst meinen.
({20})
Sie sollten hier mit Ihrer Koalitionsnabelschau aufhören
und zu konzertierten Aktionen kommen.
Beim Thema Außenpolitik gibt es nur eine Gemeinsamkeit in diesem Haus; sie betrifft Russland. Ich fordere Sie auf, sich gemeinsam mit der EU für die Freilassung von Kasparow und gegen die Verurteilung anderer
friedlicher Demonstranten einzusetzen.
({21})
Meine Damen und Herren, der letzte Punkt - Frau
Merkel hat ihn wirklich nur kurz gestreift - ist die Innenpolitik. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Innenpolitik geht
anders, als es Herr Schäuble macht. Ich wäre froh, wenn
Frau Merkel an dieser Stelle einmal aktiv würde und
Herrn Schäuble auf den Boden des bewährten Grundgesetzes zurückholte. Mittlerweile kritisieren sogar Verfassungsrichter, dass Herr Schäuble eine Art intellektueller
Lust am antizipierten Ausnahmezustand habe und den
Ausnahmezustand in diesem Land zum Normalzustand
machen wolle. Denken Sie nur an das Internet und das
Handy! Wenn wir zum Beispiel auf China blicken, sagen
wir immer, dies seien Instrumente der Freiheit. Unter
Schäuble sind das Internet und das Handy keine Instrumente der Freiheit mehr; vielmehr werden sie im wahrsten
Sinne zu Wanzen in unseren Wohnungen. Dies wird so
nicht gehen.
({22})
Meine Damen und Herren, wir lehnen diesen Haushalt ab. Er ist die Papier gewordene Darstellung, dass
diese Große Koalition ihren Aufgaben nicht gerecht wird
und keine Ziele hat. Sie doktern ein bisschen herum. Sie
ändern nicht die Wirtschaftsweise und die Strukturen.
Sie haben nicht den Mut zu Verhaltensänderungen. Frau
Merkel, Sie baden in vielen warmen Worten.
Ich glaube, dass man Ihre Politik, auch wenn Sie noch
so sehr den Dreiklang beschwören, nur so beschreiben
kann: Sie sanieren nicht; Sie reformieren nicht.
Hugo Müller-Vogg, der politische Kommunist
({23})
- Entschuldigung, Kolumnist; dieser Versprecher wird
ihn hart getroffen haben - der Bild-Zeitung, der in der
Newsweek Frau Merkel als Politikerin ohne innenpolitischen Kompass bezeichnet hat, hat recht. Dieser Haushalt macht das Land nicht gerechter, sozialer und ökologischer, und er macht dieses Land auch nicht zu einem
Marktplatz für kreative Ideen. Deshalb lehnen wir ihn
ab.
({24})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Peter Ramsauer
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es
ist besonders erbaulich, den Oppositionsreden zuzuhören. Denn in einigen - nicht wenigen - Fällen hat man
den Eindruck, als handele es sich bei den Oppositionsfraktiönchen um Realitätsverweigerer.
Herr Gysi, wenn Sie die Auslandsreisen - insbesondere die USA-Reise - der Bundeskanzlerin kommentieren, dann meint man, Sie wären dabei gewesen.
({0})
Lassen Sie sich eines sagen: In Sachen Menschenrechte
und Durchsetzung von Menschenrechten brauchen Sie
und Ihre Kolleginnen und Kollegen in der linken Fraktion als historische Verlängerung der Kommunisten in
der ehemaligen DDR unserer heutigen Bundeskanzlerin
keinerlei Nachhilfeunterricht zu erteilen.
({1})
Man kann mit geschickter Diplomatie, wie Angela
Merkel sie betreibt, hinter den Kulissen viel mehr für bedrohte Völker und für die Menschenrechte tun, als wenn
man alles gleich an die große Glocke hängt.
({2})
Wir sind nicht an Ihrer sachfremden Hetze, sondern an
effektiver Menschenrechtspolitik interessiert, die die
Kanzlerin und ihr Außenminister betreiben.
({3})
Lassen Sie mich einen anderen Punkt ansprechen. Ich
verstehe nicht - aber vielleicht liegt die Erklärung in Ihrer Ideologie -, dass Sie hier anprangern, dass die Abgabenquote in Deutschland bei 37 Prozent liegt, und eine
wesentlich höhere Quote einfordern. Was soll das? Sie
wollen den Menschen in die Tasche greifen.
({4})
Wir sind stolz darauf, dass wir eine so niedrige Abgabenquote haben, weil wir als Staat den Menschen nur
das abverlangen sollten, was wir für die Erfüllung unserer staatlichen Obliegenheiten brauchen, und keinen einzigen Euro mehr. Es offenbart ein ganz besonderes Verständnis vom mündigen Bürger Ihrerseits, wenn Sie dem
Bürger an den Geldbeutel wollen.
({5})
Lieber Kollege Brüderle, eines habe ich dick, nämlich
meine liberalen Freunde zu kritisieren. Ich möchte aber
etwas klarstellen. Sie haben nur von der Weltwirtschaft
als Lokomotive gesprochen. Es war zwar nicht allein die
Politik der Großen Koalition, die zu den heutigen ausgesprochen guten Befunden auf dem Arbeitsmarkt, beim
Budget, beim Wirtschaftswachstum und in anderen Bereichen beigetragen hat. Es war aber auch nicht allein die
Weltwirtschaft. Die Weltwirtschaft, die Vernunft der Tarifpartner und die Restrukturierungsanstrengungen der
Wirtschaft selber, aber auch die Politik der Großen Koalition und manches, was wir als Union über den Vermittlungsausschuss bei der Agenda 2010 mitbewirkt haben, haben zu dem geführt, mit dem wir heute Gott sei
Dank aufwarten können.
Sehr geehrte Frau Kollegin Künast, Sie hätten doch
gern zumindest ein einziges Mal in Ihrer Regierungszeit
eine solche Halbzeitbilanz oder Bilanz vorgelegt, wie
wir sie heute vorlegen können.
({6})
Sie hätten nichts lieber getan, als einmal eine Zwischenbilanz oder eine Bilanz vorzulegen, nach der Sie die Arbeitslosigkeit innerhalb von zweidreiviertel Jahren um
ein Drittel gesenkt hätten,
({7})
nämlich von 5,1 Millionen auf 3,4 Millionen. Wie hätte
sich Joschka Fischer aufgebläht,
({8})
wenn es zu seiner Zeit ein gesamtstaatliches Defizit
gleich null, also einen ausgeglichenen gesamtstaatlichen
Haushalt, gegeben hätte, wenn in einem wichtigen Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung innerhalb von
einem Jahr plus einem Tag der Beitragssatz halbiert worden wäre und wenn es über 40 Millionen Erwerbstätige
gegeben hätte.
Ich mache, wahrscheinlich genauso wie Sie, die Erfahrung: Wenn man in Gesprächen, bei Versammlungen
draußen an der Basis über diese Dinge spricht, dann bekommt man oft die Gegenfrage gestellt: Warum sagt das
niemand? Warum sagt ihr das nicht? Man kann doch
diese Tatsachen nicht oft genug nennen!
({9})
Frau Künast, als Sie in der Regierung waren, waren Sie
nicht in der Lage, jemals eine solche Bilanz vorzulegen eben weil Sie Ihr Gedankengut in die Regierung eingebracht haben.
({10})
Sie haben im Zusammenhang mit tariflichen Lohnuntergrenzen - andere nennen es Mindestlöhne - von
Wortbruch gesprochen. Ich halte Ihnen entgegen, was
während der Klausurtagung des Kabinetts am 23. oder
24. August dieses Jahres beschlossen worden ist. Dort
heißt es - ich zitiere -:
Im Zusammenhang mit der Liberalisierung der
Postmärkte zum 1.1.2008 wird die Branche der
Postdienstleistungen noch in 2007 in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen, wenn die
Tarifpartner einen entsprechenden gemeinsamen
Antrag stellen.
Dann kommt ein wichtiger zweiter Satz:
Dabei geht die Bundesregierung davon aus, dass
über 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Postbranche tarifgebunden sind.
Ich erkläre hiermit auch für meine Fraktion: Wenn die
Voraussetzungen erfüllt sind, dann werden wir uns
selbstverständlich daran halten. Wo es hier Wortbruch
geben soll, das müssen Sie einmal sagen.
({11})
Frau Kollegin Künast, was Sie sich auf Ihren Parteitagen alles geleistet haben, ist ja auch höchst bemerkenswert. Vor einigen Wochen auf Ihrem Zerwürfnisparteitag
in Göttingen haben Sie sich von der Außenpolitik verabschiedet, die Sie früher betrieben haben und die immer
noch einigermaßen vernünftig gewesen ist. Jetzt haben
Sie sich auch noch von einer einigermaßen pragmatischen Wirtschafts- und Sozialpolitik verabschiedet. Der
Parteiaustritt Ihres Kollegen Metzger spricht Bände; er
ist einer der Letzten, die Vernunft bewahrt haben.
({12})
Ich rufe all diejenigen in Ihren Reihen, die noch einen
Rest von wirtschafts- und sozialpolitischer Vernunft haben, auf, die Grünen nicht zu verlassen. Es wäre schade
drum.
({13})
Umverteilung ist die Überschrift dessen, was Sie beschlossen haben.
({14})
- Das ist zu viel erwartet, Herr Kollege Westerwelle. Es sind Ladenhüter, die Sie zur Finanzierung vorschlagen, wie der Griff in die Taschen der Menschen. Herr
Bütikofer hat gesagt, im Kern gehe es um die Frage, ob
man etwas gegen die soziale Verunsicherung unternehme. Wenn es so ist, dann kann ich nur sagen: Das
Beste gegen soziale Verunsicherung liegt darin, dass wir
Arbeitsplätze sichern und neue schaffen, dass wir für Investitionen in unserem Land sorgen und dass wir solide
öffentliche Haushalte vorlegen. Das dient der Bekämpfung sozialer Verunsicherung.
({15})
Die Überschrift eines Kommentars einer großen deutschen Boulevardzeitung lautet heute: „Die Zahl der Arbeitslosen muss weiter sinken!“ Das ist vollkommen
richtig.
Bütikofer sagt weiterhin, die Sozialpolitik der Grünen
müsse visionär und politisch praxistauglich sein. Dazu
kann ich nur sagen, Frau Künast: Sie ist weder praxistauglich noch visionär. Sie wollen die Partei der Vordenker sein. Ich kann nur sagen: Es ist kein Vordenken, sondern schlicht und einfach fantasielos, wenn man nur
umverteilen will, was andere erwirtschaften.
({16})
Jetzt komme ich auf Franz Müntefering zu sprechen.
Dem Spiegel war ein Zitat zu entnehmen, das ich mir gemerkt habe. Müntefering hat gesagt:
Wer glaubt, soziale Gerechtigkeit definiert sich im
Wesentlichen durch Verteilung, der irrt.
Ich kann nur sagen: Franz Müntefering hat vollkommen
recht.
({17})
Man kann bei so vielen sozialen Utopien wie bei den
Grünen und den Linken nicht oft genug in Erinnerung
rufen, was eigentlich eine Binsenweisheit sein sollte,
nämlich dass der Staat, die öffentliche Hand nur so viel
umverteilen kann, wie vorher von denjenigen erwirtschaftet wurde, die jeden Tag früh aufstehen, malochen
und an der Wertschöpfung in unserem Land mitarbeiten. Deswegen gilt für mich: Wenn umverteilt wird, dann
dürfen diejenigen, die dies erwirtschaften, nicht die
Dummen sein. Die Leistungsträger dürfen nicht die
Dummen in unserem Land sein, weil sie sich sonst verschaukelt vorkommen.
({18})
Wenn umverteilt wird, müssen zunächst die Leistungsträger bedient werden und dann die Bedürftigen. Wir
brauchen einen sauberen Ausgleich zwischen Leistungsgerechtigkeit einerseits und sozialer Gerechtigkeit andererseits.
Noch etwas anderes: Wir können uns einen sozial und
ökologisch starken Staat nur leisten - das haben viel zu
viele einfach vergessen -, wenn wir das dafür Notwendige auch tatsächlich vorher erwirtschaften - nichts anderes. Der Sozialstaat ist nur so stark und unsere sozialen und ökologischen Standards können nur so hoch sein
wie der Gegenwert, den wir vorher erwirtschaften. Die
Kraft, die zur Aufrechterhaltung des Sozialstaates und
zur Einhaltung hoher ökologischer Standards nötig ist,
dürfen wir nicht andauernd durch Gängelung mit Füßen
treten.
({19})
Ich frage vor allen Dingen die Linken: Ist es unsozial,
wenn nach wie vor jeder dritte Euro des Bruttoinlandsprodukts für soziale Zwecke ausgegeben wird? Ist es ungerecht und unsozial, wenn die oberen 50 Prozent der
Einkommensverdiener 92 Prozent des gesamten Steueraufkommens erwirtschaften?
({20})
Ich sage: Dies ist nicht ungerecht. Von Ungerechtigkeit
kann hier überhaupt keine Rede sein. Wer hier von einer
ungerechten Verteilung spricht, ist ein Realitätsverweigerer.
({21})
Wir haben in der ersten Halbzeit dieser Legislaturperiode eine große Fülle von Themen abgearbeitet.
Wenn man das in der Öffentlichkeit, zum Beispiel auf
Versammlungen, anspricht, blickt man oft in erstaunte
Gesichter, weil diese Dinge unglaublich schnell vergessen werden. Ich erinnere an die Genshagener Beschlüsse
des Kabinetts zu Beginn des letzten Jahres, an deren Zustandekommen Volker Kauder, Peter Struck und ich als
Fraktionschefs beteiligt waren. Es war vorbildlich, was
hier im Einzelnen umgesetzt worden ist und welche
Wachstums- und Arbeitsmarktimpulse davon ausgegangen sind.
({22})
Denken Sie an das 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm, an die energetische Gebäudesanierung, die
steuerliche Absetzbarkeit der Beschäftigung in Privathaushalten und der Handwerkerrechnungen. Liebe Frau
von der Leyen, wir alle können stolz darauf sein, dass
wir mit dem Elterngeld Maßstäbe gesetzt haben. Junge
Väter und junge Mütter können sich nun im ersten Lebensjahr eines Kindes zu Hause um ihr Baby kümmern.
Ich wehre mich - ich sage es immer wieder - dagegen, dass dieses Elterngeld und die Basiszahlung, die wir
verabredet haben, als „Herdprämie“ diffamiert oder,
noch schlimmer, als, wie es in einer Zeitung geschehen
ist, „Aufzuchtprämie“ gebrandmarkt werden. Das lasse
ich mir nicht gefallen, weil es eine Beleidigung der jungen Väter und Mütter in Deutschland ist, die sich um
ihre Kinder kümmern.
({23})
Wir halten es für eine ganz besonders große gesellschaftliche Errungenschaft, wenn sich Familien zu Hause
um die Pflege ihrer alten, pflegebedürftigen Familienmitglieder kümmern. Manche krempeln dafür ihr ganzes
Berufsleben um. Wenn aber die Pflege pflegebedürftiger
Familienmitglieder gesellschaftlich erstrebenswert ist,
dann kann es doch zumindest nicht verwerflich sein,
wenn sich junge Väter und Mütter zu Hause um ihre
kleinen Kinder im Vorkindergartenalter kümmern.
({24})
Wenn das verwerflich sein soll, passen diese beiden Vorstellungen nicht zusammen.
Lieber Peter Struck, ich bin dankbar für eine Bemerkung, die Du bzw. die Sie gemacht haben
({25})
- das ist mir so herausgerutscht; warum soll man hier anders reden als im sonstigen Umgang miteinander? -,
nämlich dass wir nicht in diesem oder im kommenden
Jahr ein Betreuungsgeld einführen, dass das also noch
nicht kassenwirksam wird, aber dass wir im Koalitionsausschuss die klare Verabredung, die jetzt so auch im
Gesetzentwurf steht, getroffen haben, das Betreuungsgeld einzuführen, wenn der Rechtsanspruch in Kraft
tritt; das ist im Jahr 2013 der Fall.
({26})
Eine Reihe von anderen Reformen haben wir beschlossen: Rentenreform, Gesundheitsreform, Unternehmensteuerreform. Die Beendigung der Kohlesubventionierung gehört auch dazu. Das ist hochinteressant:
Jahrzehntelang ist von - das gebe ich zu - revierfernen
Ländern, vom Bund der Steuerzahler und von den Wirtschaftsliberalen gefordert worden, dass diese größte Subvention abgeschafft wird. Sang- und klanglos ging das
vor wenigen Wochen im Rahmen der Gesetzgebung hier
bei uns im Haus über die Bühne. Ich habe darüber noch
nicht einmal etwas in den Medien gelesen. Aber auch das
ist ein Beispiel - es war zugegebenermaßen schwierig,
weil es unterschiedliche Interessenlagen gab - für das,
was wir, SPD, CDU und CSU, zusammen fertiggebracht
haben. Ich möchte heute solche Leistungen der Großen
Koalition in Erinnerung rufen. Ein Dank auch an die Vernunft all derer, die davon vielleicht negativ betroffen
sind.
Ob bei der Arbeitslosenversicherung oder in anderen
Bereichen: Ich glaube, wir haben überall, lieber Peter
Struck, faire Kompromisse gefunden. Eines wussten wir
in der Großen Koalition von Anfang an: Wenn wir diese
Große Koalition eingehen, dann müssen wir politikfähig
sein, sonst brauchen wir es nicht zu tun. Wenn wir politikfähig sein wollen, dann müssen wir auch kompromissfähig und kompromissbereit sein. Wir haben uns da
weiß Gott nicht wenig abverlangt; wir haben uns viel abverlangt. Aber es ist ein ständiges Geben und Nehmen.
So ist es in der Politik, genauso wie im Wirtschaftsbereich. Wir sind zu diesen fairen Kompromissen gelangt.
Ein Wort noch zur Außenpolitik, die wiederholt angesprochen worden ist, insbesondere von der Kollegin
Künast. In dieses Jahr fallen die Ratspräsidentschaft in
der Europäischen Union und die G-8-Präsidentschaft.
Da kann man nur eines sagen: Für die Bewältigung dieser herausfordernden Problemstellungen, die mit beiden
Aufgaben verbunden waren - neben all den innenpolitischen Herausforderungen -, eine glatte Eins mit Stern
für die Bundeskanzlerin!
({27})
Sie hat die Europäische Union aus einer schwierigen
Lage herausgeführt mit dem Reformvertrag, der, ungeachtet seiner verbliebenen Mängel, jetzt auf dem Tisch
liegt. In der G 8 wurden klare Zeichen gesetzt. Im Grunde
genommen war nur mit viel Fantasie zu erwarten, dass
Sie, liebe Frau Bundeskanzlerin, in der G 8 plus den fünf
Schwellenländern, die dabei waren, das Begehren nach
einer weltweiten Klimaschutzpolitik endlich mit auf
Rang 1 der weltpolitischen Tagesordnung setzen konnten.
Wenn es die G-8-Gipfel nicht gäbe - das sage ich an
die Adresse der Globalisierungsgegner und der Tausenden von gewalttätigen Demonstranten, die unsere Polizisten in Heiligendamm verhauen wollten und verhauen
haben, was eine Schande ist; das nur als Nebenbemerkung -,
({28})
müsste man diese Gipfel erfinden. Wo sonst, wenn nicht
auf solchen weltweiten Foren, sollte man globale Herausforderungen denn besprechen? Wo sonst, wenn nicht
unter den 8 plus 5 Staaten, die die Substanz dieser Probleme am ehesten erkennen und erörtern können?
Das gilt zum Beispiel für die Frage weltweiter Mindeststandards hinsichtlich sozialer Normen. Gerade
Deutschland als führende Exportnation, die wie kaum ein
anderes Land mit dem rauen Wind globaler Auseinandersetzungen in der Weltwirtschaft konfrontiert ist, hat ein
Interesse an weltweit gültigen Standards im Umweltbereich, an weltweit gültigen Standards für den Umgang mit
Energieressourcen, an weltweit gültigen Fairnessregeln
für den Handel. Wir müssen doch das allergrößte Interesse daran haben, dass vernünftige Lösungen gefunden
werden. Wir brauchen daher nicht weniger, sondern mehr
G 8. Das liegt im ureigenen Interesse Deutschlands.
({29})
In den nächsten zwei Jahren liegt noch viel vor uns.
Ich will die 20 politischen Teilgebiete jetzt nicht im EinDr. Peter Ramsauer
zelnen erörtern; das wäre die reinste Litanei. Unser gemeinsamer großkoalitionärer Freund Hubertus Heil hat
die Union ermahnt. Er hat gesagt: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Union zur Reformbremse wird.“ Ich antworte ihm: Sie aber auch nicht.
({30})
Wir müssen miteinander weiter an Reformen arbeiten.
Wir dürfen auf keinen Fall das tun, was zwei Oppositionsfraktionen wollen, nämlich den Rückwärtsgang einlegen. Wir stellen uns mit Augenmaß und in verantwortungsvoller Weise den Herausforderungen der nächsten
zwei Jahre, damit wir der Erwartung, die die Wählerinnen und Wähler vor zwei Jahren hatten, gerecht werden,
nämlich unser Land nach vorne zu bringen.
Vielen herzlichen Dank.
({31})
Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der FDP-Fraktion,
Dr. Guido Westerwelle.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, bevor ich Ihre Rede gehört habe, habe ich
mir die Freude gemacht, die Rede, die Altbundeskanzler
Gerhard Schröder im September des Jahres 2000 gehalten hat, also zwei Jahre nachdem er ins Amt gekommen
ist, noch einmal durchzulesen.
({0})
Die Lage war der jetzigen sehr ähnlich: gute Konjunktur und ordentliche Staatsfinanzen;
({1})
durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen kamen zusätzlich 100 Milliarden DM - damals gab es noch die
D-Mark - in die Staatskasse. Herr Schröder hat damals
genau so gesprochen, wie Angela Merkel heute im Namen der Regierung spricht und handelt.
({2})
Wenn die Opposition irgendetwas kritisiert, dann redet
sie, so die Bundeskanzlerin, das Land schlecht. Alles
muss zur eigenen Ehre und zum eigenen Lob herhalten.
Das Selbstlob dieser Koalition hatte auch heute penetrante Züge.
({3})
Es wurde damals so getan, als ginge alles auf ewig so
weiter: Die Konsolidierungspolitik hat begonnen! Wir
haben sie in die Tat umgesetzt! Das ist eine Politik, die
diesen Namen wirklich verdient! - Es wurde aber verschwiegen, welche dunklen Wolken am Horizont aufziehen. Genau das machen Sie heute auch. Sie reden nach
zwei Jahren Regierungszeit so, wie Schröder nach zwei
Jahren Regierungszeit gesprochen hat. Wenn das Ihr
Aufschwung ist, dann - das sage ich Ihnen voraus - werden Sie auch haften müssen, wenn es in den nächsten
Monaten oder Jahren abwärtsgeht.
({4})
Etwas mehr Bescheidenheit
({5})
und vor allen Dingen etwas mehr Anerkennung der Umstände, von denen Ihre Politik derzeit getragen wird, wären richtig und angemessen.
({6})
Mindestens genauso spannend ist das, worüber Sie
nicht gesprochen haben. Sie haben nicht über die Kinderarmut, die sich in Deutschland verdoppelt hat, gesprochen.
({7})
Sie haben nicht über das Handwerk gesprochen, das
Umsatzeinbrüche in Höhe von ungefähr 20 Prozent hat.
Sie haben nicht über den Rückgang beim Bau von Einund Zweifamilienhäusern um sage und schreibe etwa
43 Prozent gesprochen. Sie haben nicht über die Neuzulassungen im Kfz-Bereich gesprochen, die mittlerweile
etwa 8 Prozent unter dem Vorjahresniveau liegen.
Sie haben auch nicht über das gesprochen, was jeden
Deutschen bewegt, nämlich die Tatsache, dass wir im
November dieses Jahres eine Preissteigerungsrate in
Höhe von 3 Prozent haben. Wenn es eine soziale Politik
in diesem Lande gibt, dann ist es die, dafür zu sorgen,
dass der Euro auch im Inland etwas wert ist und dass
man sich dafür etwas kaufen kann. Inflation ist unsozial.
Diese 3 Prozent müssten Sorgenfalten auf Ihrer Stirn
hinterlassen.
({8})
Stattdessen schmücken Sie sich hier mit allem, zum
Beispiel mit der Weltwirtschaft. Sie schmücken sich auch
mit Dingen, die wirklich lange vor Ihrer Zeit erreicht
worden sind, beispielsweise mit den Nobelpreisen.
({9})
Es war für mich tief beeindruckend, dass sogar die Nobelpreise jetzt herhalten müssen. Sie werden nämlich als
Zeugnis dafür angegeben, wie toll der Forschungsstandort Deutschland ist. An die Physikerin im Kanzleramt
gerichtet, sage ich: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
den einen Nobelpreis gab es für eine Leistung aus dem
Jahr 1988, den anderen für eine Leistung aus dem Jahr
1981. Entschuldigung, da waren Sie noch nicht Bundeskanzlerin; man mag es nicht glauben, aber es ist so. Frau
Bundeskanzlerin, wenn Sie sich mit den Nobelpreisen
von heute schmücken, dann ist das ungefähr so, als
würde sich die spanische Regierung mit der Entdeckung
Amerikas von vor 500 Jahren auszeichnen wollen. Das
ist wirklich nur noch albern.
({10})
Frau Bundeskanzlerin und meine Damen und Herren
von der Koalition - es macht ja Freude, Ihre Reaktionen
hier zu hören -, ich will nun auf das eingehen, was die
Redner der Regierungsfraktionen hier gesagt haben.
Herr Kollege Ramsauer, weil Sie von „Oppositionsfraktiönchen“ gesprochen haben, wollen wir eines festhalten: In diesem Hohen Hause ist keine Partei kleiner als
die CSU.
({11})
Das wollte ich nur einmal an die Adresse des stellvertretenden Fraktiönchenvorsitzenden sagen.
Ich will an das erinnern, was die Damen und Herren
der Regierungskoalition uns hier alles erzählt haben. Das
hat ja viel Freude gemacht. Sie haben in den ersten zweieinhalb Stunden der Debatte das Hohelied Ihres Erfolges
gesungen. Sie haben gesagt, wie großartig und erfolgreich diese Große Koalition, wie Sie sich selbst nennen,
war. Dann stellt sich aber für den unbefangenen Beobachter eine entscheidende Frage: Wenn das alles so
toll war, warum lesen wir dann jeden Tag in den Zeitungen, dass Sie da raus wollen? Wenn das alles so toll war,
warum bezichtigen Sie sich dann gegenseitig des Wortbruchs und bedenken sich mit allen möglichen weiteren
Beschimpfungen, die man als mitteleuropäisch erzogener Mensch hier gar nicht vortragen möchte? Da ist unter
der Gürtellinie ausgeteilt worden. So brutal - wie Sie in
dieser Regierung - miteinander umgehen, das würde
sich von den Mitgliedern der bescheidenen Opposition
niemand wagen. Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, es gibt doch überhaupt gar nichts mehr
Gemeinsames.
({12})
- Jetzt kommt wieder die Geschichte: Mein Freund
Volker.
({13})
Leute, Leute! Regierung schlägt sich, Regierung verträgt
sich. Mit Verlaub gesagt: Das, was ihr hier abliefert, ist
eine völlig unglaubwürdige Nummer. Jeder Zuschauer
weiß doch: Ihr hasst euch wie die Pest.
({14})
Hier etwas von großem Frieden und großem Erfolg zu
erzählen, ist einfach nur noch albern. Früher haben die
Kanzler gerufen: Ich will da rein. Sie rufen mittlerweile:
Ich will da raus. Mit Verlaub gesagt: Das ist doch nicht
ernst zu nehmen; das ist Kulisse.
({15})
Wenn diese Reformpolitik für die Menschen in
Deutschland wirklich so erfolgreich war, dann stellt sich
doch die Frage: Warum wollen Sie Ihre Reformen in diesen Wochen und Monaten rückabwickeln? Denn das ist
das Ergebnis des Beschlusses des SPD-Parteitages und
Ihrer Beschlussfassungen im Deutschen Bundestag!
({16})
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege Hinsken. Weil Sie gerade dazwischengerufen haben, möchte ich Ihnen ganz
offen sagen: Nachdem der sozialdemokratische Bundeskanzler Schröder im Rahmen der Agenda 2010 marktwirtschaftliche Reformen durch den Deutschen Bundestag gebracht hat, hätte ich mir vor zwei Jahren nicht
vorstellen können,
({17})
dass diese Reformen dann von einer christdemokratisch
geführten Bundesregierung
({18})
rückabgewickelt werden. Das ist verkehrte Welt!
({19})
Herr Hinsken, Ihnen nehme ich ja ab, dass auch Sie das
furchtbar finden.
({20})
Ihr müsst das aber auch einmal sagen! Mannesmut vor
der Königin Throne! Seid ab und zu auch einmal mutig,
Jungs!
({21})
Das, was ihr macht, ist ein Witz.
Lassen Sie uns jetzt einmal über das Sanieren reden;
auch das macht Freude. Ihr Motto lautet ja: Sanieren,
Reformieren, Investieren.
({22})
Zum Reformieren habe ich bereits gesagt: Die
Agenda 2010 wird von Ihnen rückabgewickelt, und das
merkt jeder.
Reden wir also über das Sanieren. Sanieren heißt: solide sein. Man saniert etwas, was schlecht läuft. Meine
Damen und Herren von der Großen Koalition, Sie haben
bei Übernahme der Regierung ein Defizit von 30 Milliarden Euro vorgefunden. Dann haben Sie 50 Milliarden
Euro mehr eingenommen als erwartet. Trotzdem haben
Sie immer noch 12 Milliarden Euro Schulden gemacht.
Sie können nicht mit Geld umgehen! Darüber müssen
wir hier sprechen.
({23})
Früher musste man das immer der SPD vorwerfen.
Mittlerweile muss man diesen Vorwurf aber auch an die
Union richten. Wenn es darum geht, mit Geld umzugehen, dann ist Schwarz ein sehr dunkles Rot;
({24})
insofern hat Herr Müntefering recht. Die Union macht es
nämlich genauso wie die SPD. Sie machen Schulden in
Höhe von 12 Milliarden Euro, obwohl Sie lottogewinnähnliche Mehreinnahmen in Milliardenhöhe zu verzeichnen haben, mit denen kein Mensch gerechnet hat, nicht
einmal wir als geborene rheinische Optimisten.
Deutschland muss wissen, dass Sie 12 Milliarden Euro
Schulden machen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen erfahren: Der Staat hat Geld wie Heu. Aber er verplempert es
zu oft in Bereichen, aus denen er sich lieber heraushalten
sollte. Wer trotz der größten Steuererhöhung in der Geschichte dieser Republik immer noch solche Schulden
macht, der kann nicht mit Geld umgehen. Das trifft nicht
mehr nur auf die Genossen zu, sondern längst auch auf die
schwarzen Genossen, die in diesem Hohen Hause sitzen.
({25})
Sie sagen immer, unser Sparbuch, das 400 Anträge
mit Sparvorschlägen enthält, sei nicht solide, und das alles könnten wir nicht leisten. Deswegen sollten wir einmal über ein paar Dinge reden. Reden wir doch einmal
darüber, wofür Sie Geld ausgeben; denn das ist erstaunlich. Ich hätte gerne folgende Frage beantwortet: Wenn
Sie wirklich sparen wollen - Sie behaupten ja, dass Sie
sparen -, warum beschließen Sie dann in einer Sitzung
des Haushaltsausschusses mal eben und in der Dunkelheit der Nacht, in den Ministerien 74 neue Planstellen
zu schaffen, die mit Personen besetzt werden, die nichts
anderes als Wahlkampf machen sollen?
({26})
Außerdem soll es einen dritten Staatssekretär des
Auswärtigen Amtes geben. Willy Brandt kam mit zwei
Staatssekretären aus, Hans-Dietrich Genscher kam mit
zwei Staatssekretären aus, und Joseph Fischer kam mit
zwei Staatssekretären aus. Schätzen Sie sich denn um so
viel schwächer ein, Herr Außenminister, dass Sie jetzt
einen dritten Staatssekretär brauchen? Das ist doch albern!
({27})
Dann höre ich immer in Anbetracht dieser ganzen
Milliardenbeträge - das macht mich mittlerweile kirre,
und darüber ärgere ich mich auch -, das seien ja alles nur
kleine Summen. Wenn Sie die Summen mit 400 multiplizieren, kommen Sie auf 12 Milliarden. Eine Summe
ergibt sich beispielsweise aus den Kopfstellen. Sie
schaffen 74 Stellen neue Stellen. Das kostet die Steuerzahler jedes Jahr 6 Millionen Euro mehr. 6 Millionen
Euro jedes Jahr mehr, nur damit Sie sich in den Ministerien mit mehr Personal für den Wahlkampf aufrüsten
können.
Wir wollen das einmal übersetzen, meine Damen und
Herren. 3 750 Familien müssen ein ganzes Jahr lang arbeiten, um so viel an Einkommensteuer aufzubringen,
wie Sie in einer einzigen Haushaltsnacht für Ihre Wahlkämpfe mit der Schaffung von Spitzenstellen in den Ministerien verplempert haben.
({28})
3 750 Familien arbeiten in Deutschland ab jetzt für Ihre
Verplemperung von Steuermitteln für Wahlkampfzwecke. Als ob die Parteien nicht finanziert würden!
Meine Damen und Herren, wir wollen auch einmal
über die größeren Beträge reden, beispielsweise über Ihre
Schlacht in Minden, Herr Kollege Kampeter. Jeder meint
ja, es ginge um Hermann den Cherusker. Das ist ein Treppenwitz. Da werden mal eben 1,5 Millionen Euro nach
Minden mit nach Hause gebracht für eine Schlacht, von
der bisher kein Mensch irgendetwas gehört hat.
({29})
Auch wenn Sie dafür zuhause gefeiert werden, Steuergeldverschwendung bleibt es trotzdem. Das wollen wir
an dieser Stelle festhalten.
({30})
- Sie rufen „Beethoven in Bonn“ dazwischen? Wenn Sie
den Unterschied zwischen Ludwig van Beethoven und
Ihrer Pipi-Schlacht in Minden nicht kennen, dann gehen
Sie bitte noch einmal auf die Schule, Herr Kollege.
({31})
Kommen wir zu den größeren Summen, zu den wesentlichen Sachen, weil es ja immer heißt, sie würden sanieren. Nichts sanieren Sie. Ich möchte gerne den Damen und Herren des Deutschen Bundestages und vor
allem natürlich auch der geneigten Öffentlichkeit einmal
vortragen, wie viel zum Beispiel für einen unserer
schärfsten Wettbewerber in der Weltwirtschaft ausgegeben wird.
In der letzten Woche wurde veröffentlicht, dass
China uns mittlerweile auf Platz drei der führenden
Wirtschaftsnationen in der Welt abgelöst hat. China hat
uns als drittstärkste Wirtschaftsnation in der Welt jetzt
überholt. China hat Währungsreserven von ungefähr
1 200 Milliarden Euro. Das ist ungefähr so viel wie die
gesamten Staatsschulden auf allen Ebenen in Deutschland. Trotzdem zahlen wir jedes Jahr, auch in diesem
Jahr wieder, Millionenbeträge an Entwicklungshilfe und
weiterer Hilfe nach China. Wir zahlen reine Entwicklungshilfe in Höhe von 67 Millionen Euro, und wenn man
alle offiziellen Zahlungen an China zusammenrechnet,
zahlen wir insgesamt in diesem Jahr 187 Millionen Euro
nur an China.
Meine Damen und Herren, auch das möchte ich einmal übersetzen. Ganz Oldenburg oder ganz Göttingen
arbeitet ungefähr ein komplettes Jahr nur dafür, dass wir
die Steuermittel bekommen, die wir anschließend nach
China schenken. Sie vertreten die Meinung: Das muss so
sein. - Das ist Ihr gutes Recht; Sie werden das ja auch so
beschließen. Wir sagen Ihnen dazu: Ein Land, das solche
Währungsreserven hat, ein Land, das uns auf Platz drei
der Wirtschaftsnationen in der Welt ablöst, dann auch
noch mit deutschen Hilfsgeldern zu unterstützen, das ist
einfach Irrsinn gegenüber dem Steuerzahler.
({32})
Ganz Osnabrück arbeitet ein ganzes Jahr nur für die Entwicklungshilfe an China. Darüber müssen wir hier reden, das versteckt sich hinter diesen Zahlen.
Meine Damen und Herren, Frau Bundeskanzlerin, wir
und auch Sie in der Koalition sprechen viel über Mindestlöhne und über die Rückabwicklung einiger Teile
der Agenda 2010. Zu den Mindestlöhnen möchte ich
noch eine Bemerkung machen. Herr Kollege Gysi, ich
habe Ihnen mit Interesse zugehört. Es ist immer interessant und auch unterhaltsam, Ihnen zuzuhören; das wollen wir gar nicht bestreiten. Ich persönlich glaube aber,
dass Sie in einem Punkt in Ihrer Einschätzung einen
wirklich massiven Fehler machen. Sie koppeln jedes
Mal die soziale Gerechtigkeit unseres Landes von der
Leistungsgerechtigkeit ab. Sie spielen soziale Gerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit gegeneinander aus.
Wir sagen Ihnen: Wer die Leistungsgerechtigkeit seines
Landes vergisst, der wird die soziale Gerechtigkeit seines Landes verlieren. Das wird zwingend die Folge einer
solchen Politik sein.
({33})
Ich will Ihnen die Zahlen noch einmal nennen, weil sie
auch für unsere Zuschauer wichtig sind: Die oberen
50 Prozent der deutschen Steuerzahler erwirtschaften
etwa 94 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens der Republik. Sie belasten diejenigen, die den
Karren ziehen, immer mehr. Ich sage Ihnen, wer dabei
unter die Räder kommt: die Ärmsten der Armen, die
Schwächsten der Schwachen. Die leiden unter Ihrer Politik.
({34})
Ich will noch eine Bemerkung zu den Mindestlöhnen
machen, weil ich natürlich ahne, Herr Kollege Struck
- nicht nur nach Ihrer heutigen Rede, sondern auch nach
den Reden von gestern -, dass das Ihr tragendes Thema
sein wird. Ich glaube, dass diese Diskussion zu kurz gegriffen ist. Erstens einmal finde ich es nicht in Ordnung,
dass man, wenn man das Fehlen von Mindestlöhnen kritisiert, verschweigt, dass die niedrigen Tariflöhne im Osten immer unten rechts die Unterschrift einer Gewerkschaft tragen. Das wollen wir festhalten!
({35})
Immer, wenn wir hier über Dumpinglöhne sprechen, hat
ein Genosse der Gewerkschaft unten rechts unterschrieben. Bei der Post ist das so, und auch in den anderen
Branchen ist das so. Da ist die Frage doch eine ganz andere, eine ordnungspolitisch fundamentale Frage. Jeder
hier ist der Meinung: Wer ordentlich arbeitet, muss davon auch leben können. Ich bin mit Ihnen der Meinung:
Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, nachlässige Unternehmer oder schwarze Schafe in der Unternehmerschaft quasi noch dafür zu bezahlen, dass sie sich so
schlecht verhalten; darüber sind wir uns völlig einig.
({36})
Nur, wohin führt es, wenn wir als Politiker künftig die
Löhne und die Mindestlöhne festsetzen? Ich sage Ihnen
voraus: Dann werden wir das erleben, was Sie im Kanzleramt am Montag letzter Woche gemacht haben, nämlich Lohnverhandlungen in der Politik. Die Union sagt:
Wir sind bereit, 8 Euro Mindestlohn zuzugestehen. Die
SPD sagt: Unter 9,80 Euro ist mit uns nichts zu machen. Dann sind wir nicht mehr in der sozialen Marktwirtschaft mit Tarifautonomie, wo Vertragsparteien sich einigen müssen, dann machen wir in Wahrheit Lohndiktat.
Mindestlöhne? Maximallöhne, Obergrenzen für Managergehälter? Demnächst vielleicht noch Obergrenzen für
Energiepreise? Mindestpreise für Agrarprodukte? Das
ist mir, offen gestanden, zu viel DDR. Ich bleibe Anhänger der sozialen Marktwirtschaft.
({37})
Frau Bundeskanzlerin, Sie sagen, dass Sie die
Maastricht-Kriterien einhalten. Das ist in der Sache
falsch. Sie halten ein einziges Maastricht-Kriterium ein,
nämlich das Staatsdefizit von 3 Prozent. Die Schuldenstandsquote von 60 Prozent wird mit 63 Prozent unverändert überschritten; auch das muss gesagt werden.
Zur Innenpolitik noch eine Bemerkung. Meine Damen und Herren von der Linken in diesem Hause - damit meine ich auch die SPD; das meine ich nicht polemisch, sondern als Beschreibung der Sitze hier in diesem
Hause -,
({38})
wenn Sie sagen, dass die Leiharbeit besorgniserregend
zunimmt, dann haben Sie eine Entwicklung beschrieben,
die uns - über die Parteigrenzen in diesem Hohen Hause
hinweg - auf Dauer nicht gefallen kann. Nur, wie wir dagegen vorgehen, das unterscheidet uns. Warum nimmt
denn die Leiharbeit zu? Weil unser Arbeitsrecht in Wahrheit immer noch zu starr und zu bürokratisch ist.
({39})
Flexibilisieren Sie endlich! Dann haben Sie auch entsprechend positive Effekte. Bei den Preisen ist genau
dasselbe zu sagen: Es ist wahr, die Preise steigen. Deswegen kommt der Aufschwung bei den Bürgern auch
nicht an. Nur, jemand von der Regierung, der die Preissteigerungen beklagt, obwohl er doch mit Steuererhöhungen ebendiese Preissteigerungen bewirkt, hat kein
Recht, dies zu beklagen.
({40})
Nun sagen Sie, Sie würden den Durchschnittsarbeitnehmer im nächsten Jahr um 240 Euro entlasten. Das
mag ja stimmen. Aber Sie verschweigen, dass Sie zu Anfang dieses Jahres die Arbeitnehmer durchschnittlich um
weitere 1 600 Euro belastet haben. Das ist doch keine
faire Politik.
({41})
Sie nehmen den Bürgern das Schwein vom Hof, geben
ein Kotelett zurück und sagen ihnen: Jetzt seid mal
schön zufrieden! Kein Wunder, dass die Bürger das nicht
mit sich machen lassen wollen.
({42})
Ich will mit einer Bemerkung zu einem Thema schließen, über das wir heute Nachmittag, soweit ich weiß,
und morgen noch lange reden werden, nämlich über die
Innen- und Rechtspolitik. Auch das muss an dieser Stelle
noch angesprochen werden.
Wir erleben nämlich nicht nur mehr staatliche Bevormundung in der Wirtschaft, sondern wir haben in diesen
ersten zwei Jahren der sogenannten Großen Koalition
auch einen atemberaubenden Abbau von Bürgerfreiheiten und Bürgerrechten erlebt. Ich habe nicht die
Absicht, das hier unerwähnt zu lassen, weil ich der festen Überzeugung bin, dass man die Freiheit unseres Landes nicht schützen kann, indem man die Freiheit unserer
Bürger immer mehr aufgibt. Das ist ein schwerer Fehler.
({43})
Ich sage an dieser Stelle: Herr Schäuble setzt in Wahrheit geradezu dramatisiert eine Politik fort, die unter
Rot-Grün mit Herrn Schily begonnen wurde. Auch das
ist ein schwerer Fehler.
({44})
Freiheit muss der Maßstab unserer Republik bleiben.
Freiheit steht an erster Stelle, und zwar nicht die Freiheit
von Verantwortung, sondern die Freiheit zur Verantwortung.
Soziale Marktwirtschaft ist allemal besser als jeder
Weg in Richtung Planwirtschaft oder bürokratische
Staatswirtschaft. Das ist unser Auftrag, und das ist die
geistige Auseinandersetzung, die in diesem Lande überfällig ist.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({45})
Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Poß von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Westerwelle, Sie haben mit Ihrer Rede deutlich gemacht,
dass Ihnen die günstige wirtschaftliche Entwicklung in
unserem Lande missfällt. Ihnen missfallen die Erfolge
am Arbeitsmarkt, obwohl Sie sich doch wie wir über jeden freuen müssten, der Arbeit gefunden hat und jetzt in
Lohn und Brot steht. Über 1 Million Menschen hat in
den letzten Jahren zusätzlich Arbeit gefunden. Was missfällt Ihnen denn daran, Herr Westerwelle?
({0})
Was missfällt Ihnen daran, dass wir bei der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte so erhebliche Fortschritte erzielen konnten? Was missfällt Ihnen daran eigentlich?
Herr Westerwelle, Sie stehen für die „dunklen Wolken“ - das Wort haben Sie selbst benutzt - in der deutschen Politik. Da sollen Sie auch stehen bleiben.
({1})
Der deutschen Bevölkerung ist nicht zuzumuten, dass
Sie aus diesem Schatten auf die politische Sonnenseite
wechseln. Das werden wir im Jahre 2009 hoffentlich
auch verhindern können. Ich werde jedenfalls alles dafür
tun, und ich bin mir sicher, die Sozialdemokratie insgesamt auch.
Mit den Beispielen, die Sie gebracht haben - Zahlenbeispiele von China und anderem -, verzerren Sie die
Wirklichkeit in grotesker Weise. Wer so redet, der kann
nicht verantwortlich Politik gestalten. Das ist die Wahrheit, Herr Westerwelle, und das müssen Sie sich schon
ins Stammbuch schreiben lassen.
({2})
Ich habe es bereits in der ersten Lesung gesagt: Wenn
jemand von uns vor zwei Jahren diese günstige Entwicklung vorhergesagt hätte, dann wäre er oder sie als Phantast bezeichnet worden. Das ist die Wahrheit.
Im Verlauf dieser Woche wird man feststellen können: Wir haben den besten Bundeshaushalt seit 1989.
Das ist die schlichte Wahrheit und ein Grund zur Freude.
Damit leugnen wir vorhandene Probleme nicht. Wir
blenden diese Probleme doch nicht aus. Wenn man wie
Frau Künast oder Herr Westerwelle Kritik übt, dann
sollte man in der Sache aber auch ein bisschen sattelfest
sein.
Frau Künast, Sie haben gesagt, wir würden keine Subventionen abbauen. In dieser Legislaturperiode bauen wir
19 Milliarden Euro an Subventionen ab. Herr Westerwelle
sagte, wir würden 74 Stellen draufpacken. Dabei verschweigt er, dass wir in 2008 fast 2 000 Stellen im Bundeshaushalt abbauen.
({3})
Verschweigen Sie den Menschen das doch nicht! Sie erzählen doch bestenfalls immer nur die halbe Wahrheit.
({4})
Frau Künast sagte, es würden beim Soli Mittel freiwerden. - Wo denn? Wollen Sie als Bundespolitikerin den
Bund weiter belasten und die Länder weiter aus ihrer Verantwortung entlassen? Beim Soli werden in den nächsten
Jahren leider keine Mittel frei. in absehbarer Zeit jedenfalls nicht.
Die Rechnungen, die Sie auf Ihrem Parteitag beschlossen haben, können Sie doch nicht aufstellen. Sie
als Milchmädchenrechnungen zu bezeichnen, wäre noch
gestrunzt. Wie kann man den Menschen denn solche unseriösen Rechnungen präsentieren? Und wie kann man
kritisieren, wir täten nichts für den Klimaschutz?
({5})
Welche Regierung hat denn ein besseres Klimaschutzprogramm beschlossen als die jetzige Regierung? Das
muss man doch sagen, auch in kritischer Rückschau auf
rot-grüne Zeiten.
({6})
Man muss hier doch die Wahrheit aussprechen dürfen,
meine Damen und Herren.
Sofern hier von der Opposition Kritik gekommen ist
- egal ob von Herrn Westerwelle oder Frau Künast -,
war diese Kritik mit politischer Substanz nicht verbunden. Von Herrn Gysi will ich gar nicht erst reden. Er
macht jedes Mal dieselben Luftnummern. Ich glaube
aber, dass die Menschen das zunehmend auch erkennen
werden.
({7})
Frau Künast, die Nettokreditaufnahme 2008 beträgt
11,9 Milliarden Euro. Das ist der niedrigste Wert seit
20 Jahren. Das ist der Fakt. Was sagen eigentlich die
grünen Haushälter zu ihren eigenen Parteitagsbeschlüssen, Frau Künast?
Auch die Konsolidierungsperspektive bleibt bei uns
unverändert. Die Nettokreditaufnahme wird weiter abgesenkt, und zwar bis auf null. Da wird nichts zurückgedreht, Herr Kollege Westerwelle; da wird keine Politik
zurückgedreht, so wie Sie es hier dargestellt haben.
Im Jahre 2008 wäre - das ist richtig - eine etwas
schnellere Rückführung der Nettokreditaufnahme möglich gewesen. Das ist nicht zu bestreiten. Darauf haben
wir aber verzichtet, und zwar aus guten Gründen. Bisher
ist nämlich unsere Strategie, auf der einen Seite zu konsolidieren und auf der anderen Seite Geld für Zukunftsinvestitionen in die Hand zu nehmen, aufgegangen.
Diese Strategie ist - wenn man ehrlich ist - so gut aufgegangen, wie wir es vielleicht selbst nicht erwartet hätten.
Warum sollten wir eine erfolgreiche Strategie in 2008
verändern? Dazu gibt es überhaupt keinen Anlass.
({8})
Wir haben die Steuermehreinnahmen zur Rückführung der Neuverschuldung und in bestimmten Bereichen
zur gezielten Erhöhung von Bundesmitteln genutzt.
Dahinter steht das gemeinsame Verständnis in der Koalition und - zumindest bei mir und vielen anderen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten - auch die Überzeugung, dass gute und vernünftige Budgetpolitik mehr
sein muss als nur die Zurückführung von öffentlichen
Aufgaben und Ausgaben. Peer Steinbrück spricht hier
von „Konsolidieren und Gestalten“. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass eine lediglich fiskalistische Budgetpolitik zu falschen Ergebnissen führt.
Budgetpolitik muss angesichts der aufgebauten hohen
Verschuldung natürlich die öffentliche Kreditaufnahme
abbauen. Sie muss aber auch bestehende Ungerechtigkeiten und große soziale Ungleichheiten verringern. Budgetpolitik muss auch die Wachstumskräfte erhalten und stärken. Sie muss die Mittel für den Kampf gegen die großen
Gefahren für unsere Umwelt bereitstellen. Das tun wir
mit dem Klimaschutzprogramm.
Frau Kollegin Künast, ich würde mich sehr wundern,
wenn sich die Grünen von den von mir gerade dargestellten Zielen distanzieren würden. All das kostet aber
Geld, und zwar viel Geld, das nicht an anderer Stelle eingespart werden kann, es sei denn, wir gingen an solche
Posten wie die Rente, um es offen zu sagen. Aber offenkundig wollen auch Sie das ja nicht.
Wir sind auf einem guten Wege. Nur wenn wir jetzt in
den Klimaschutz investieren, werden wir den nachfolgenden Generationen auch eine lebenswerte Welt überlassen können. Man darf Generationengerechtigkeit
und Nachhaltigkeit nicht allein auf die Reduktion der öffentlichen Verschuldung verengen. Das ist zumindest
nicht unsere Sichtweise.
({9})
Deswegen bekommt der Umweltminister mehr Geld.
Deswegen kann Frau Schavan für die Erhöhung des
BAföG mehr Geld ausgeben. Deswegen haben wir die
Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit erhöht. Deswegen verstärken wir die Verkehrsinvestitionen.
Damit reagieren wir auf drängende Probleme, die für
unsere Zukunft von großer Bedeutung sind. Wir geben
nicht einfach Geld aus. Wir reagieren auf drängende Probleme unserer Gesellschaft, meine Damen und Herren.
({10})
Das ist etwas komplizierter als schwarz-weiß. Man
nennt das Policy-Mix.
({11})
Das ist nicht der Versuch, es allen recht zu machen, sondern die Kunst, verschiedene Politikziele sinnvoll unter
einen Hut zu bekommen.
Auch bei der Föderalismusreform II darf es nicht
dazu kommen, dass mit der angestrebten Modifikation
der Schuldenregel der Verfassung das gerade gefundene
erfolgreiche Gleichgewicht von wirtschaftlicher Impulsgebung, Zukunftsgestaltung und Haushaltskonsolidierung möglicherweise wieder infrage gestellt wird. Eine
Schuldenbremse muss realitätstüchtig sein; wir werden
eine solche bekommen. In diesem Sinne werden wir im
nächsten Jahr die Beratungen in der Föderalismuskommission - hoffentlich mit Ihrer Zustimmung - sicherlich
zu einem guten Ergebnis führen.
Es ist der klare Ansatz der SPD in der Regierungskoalition, immer darauf zu drängen, dass die soziale und
die ökologische Dimension der Politik nicht vergessen
werden. Das geht weit über Haushaltspolitik hinaus.
Franz Müntefering hat das immer genau im Blick gehabt. Noch vor Eintritt in die Koalitionsverhandlungen
mit CDU und CSU hat er ganz wichtige gesellschaftspolitische und sozialdemokratische Essentials durchgesetzt, unter anderem den Erhalt der Tarifautonomie.
Wir sind für die Tarifautonomie, Kollege Westerwelle.
Die Mindestlöhne, die uns vorschweben, untergraben die
Tarifautonomie nicht.
({12})
Sie sind Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Oder
wollen Sie etwa behaupten, dass 22 von 27 Staaten in
der Europäischen Union, darunter auch England, keine
soziale Marktwirtschaft bzw. Marktwirtschaft haben?
Was Sie gerade behauptet haben, ist doch abstrus. Nein,
wir werden in unserem Bestreben nicht nachlassen, zu
verhindern, dass Lohndumping von der Gemeinschaft
der Steuerzahler noch honoriert wird. Das kann ja wohl
nicht sein.
({13})
Franz Müntefering hat, wie gesagt, schon vor Beginn
der Koalitionsverhandlungen Wichtiges für die Arbeitnehmerschaft dieses Landes durchgesetzt. Das gilt auch
für den Erhalt der Steuerfreiheit von Sonn-, Nacht- und
Feiertagszuschlägen. Dafür gebührt ihm der Dank der
gesamten Arbeitnehmerschaft bzw. - das hätte ich früher
so pathetisch gesagt - der gesamten Arbeiterbewegung.
({14})
Vor diesem Hintergrund ist für mich völlig unverständlich, wie Franz Müntefering auf manchem Gewerkschaftskongress behandelt worden ist.
({15})
Es besteht kein Zweifel: Ohne die Sozialdemokraten
würde die Politik einer anderen von Frau Merkel geführten Bundesregierung sicherlich an vielen Stellen anders
aussehen. Das konnte man auch wieder bei der Rede von
Herrn Westerwelle feststellen. Lesen Sie auch den wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Leitantrag für den
CDU-Parteitag in der nächsten Woche!
Wir, die Sozialdemokraten, werden in dieser Koalition nicht zulassen, dass das Thema Mindestlohn auf die
rein betriebswirtschaftliche Dimension reduziert wird.
Es geht beim Mindestlohn um ein zentrales gesellschaftspolitisches und soziales Problem,
({16})
nämlich darum, dass jeder vollzeitarbeitende Mensch
von seiner Arbeit leben können muss. Dafür sollten wir
alle in diesem Hause arbeiten.
({17})
Am anderen Ende der Gehaltsskala sind die Verhältnisse auch nicht in Ordnung. Herr Westerwelle, ich habe
bei Ihnen einen Hinweis auf die pervers hohen Managergehälter und -abfindungen vermisst.
({18})
Ich bleibe dabei: Die Millionenabfindungen für Konzernmanager sind zu hoch. In die Lohnfindung können
wir als Gesetzgeber nicht direkt eingreifen. Es herrscht
Vertragsfreiheit. Aber die Aufsichtsräte, in denen auch
Gewerkschafter sitzen, sollten ermuntert werden, an die
Bemessung der Managergehälter etwas kritischer heranzugehen, als das in den letzten Jahren geschehen ist.
({19})
Es müssen auch keine Bonusprogramme aufgelegt werden. Ich stimme dem Kollegen Gerald Weiß oder auch
dem saarländischen Ministerpräsidenten zu: Wir sollten
die steuerliche Anerkennung viel zu hoher Abfindungen
überprüfen.
({20})
Das hat mit Neid und Populismus nichts zu tun, sehr
wohl aber damit, den Auswüchsen des Raubtierkapitalismus zu begegnen und mehr gesellschaftliches Augenmaß herbeizuführen.
Auch bei der anstehenden Erbschaftsteuerreform ist
ganz deutlich, dass die soziale Dimension und die Gerechtigkeitsfrage eine ganz wichtige Rolle spielen. Eine
Erbschaft bedeutet ganz ohne Zweifel einen Zuwachs an
wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beim Erben. Dies
auch steuerlich zu erfassen - natürlich bei gleichzeitiger
Gewährung angemessener Freibeträge -, ist ebenso ein
Gebot der Gerechtigkeit wie der ökonomischen Vernunft.
Völlig zu Recht hat die OECD unsere Nachbarn in Österreich wegen der Abschaffung der Erbschaftsteuer gerügt;
denn die Kehrseite dieser Wohltat für die ganz Reichen
ist eine übermäßige Belastung des Faktors Arbeit in
Österreich, wohlgemerkt: in Österreich.
({21})
Kurzum: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen die Zeche. Diesen Irrweg werden wir in Deutschland
nicht mitgehen, auch wenn in einigen Köpfen hier im
Saal noch entsprechende Gespenster ihr Unwesen zu
treiben scheinen. Die Eckpunkte für eine Reform der
Erbschaftsteuer, die die Koalition in der Arbeitsgruppe
Steinbrück/Koch erarbeitet hat, sind ein ordentlicher
Kompromiss. Da gibt es jetzt keinen Grund mehr zur
Unruhe, und ich kann nur dringend davor warnen, das
geschnürte Paket in seinen tragenden Elementen nachträglich wieder anfassen zu wollen. Dieses Paket bleibt
zu, und zwar auch unter dem Weihnachtsbaum.
({22})
Die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer werden doch gebraucht. Bildung und Betreuung, um nur zwei Stichworte zu nennen, sind doch wahrlich Zukunftsaufgaben,
für die sich in den Ländern und Kommunen in den kommenden Jahren große Anstrengungen lohnen.
Dass wir Sozialdemokraten unseren Blick aber auch
auf die ökonomischen Rahmenbedingungen richten,
lässt sich vielfach und eindeutig belegen. Ich komme
zum Stichwort Unternehmensbesteuerung. Kollege
Gysi, da geht es nicht um Geschenke für Konzerne oder
für die Wirtschaft, sondern darum, dass wir endlich
Schluss mit dem skandalösen Zustand machen, dass Gewinne von bis zu 100 Milliarden Euro in Deutschland erwirtschaftet und im Ausland versteuert werden. Das
wollen wir ändern. Das ist die Gerechtigkeitslücke, um
die es geht.
({23})
Das ist der Kern unserer Unternehmensteuerreform.
Wir Sozialdemokraten haben außerdem mit Unterstützung der kommunalen Spitzenverbände dafür gesorgt, dass in der Unternehmensteuerreform die Gewerbesteuer verbreitert wurde. Und von dem Kompromiss,
den die SPD-Bundestagsfraktion 2003 herbeigeführt hat,
profitieren die Städte Gott sei Dank bereits seit Jahren.
Schauen Sie sich die Entwicklung der Gewerbesteuer
an! Wenn Sie das kritisieren, dann werden Sie demnächst etwas präziser! Wir können uns aber auch unter
vier Augen darüber unterhalten, damit Sie nicht in jeder
Talkshow immer den gleichen Unsinn erzählen.
({24})
Wir betreiben mit Augenmaß eine Politik der ökonomischen Vernunft. Ich finde es bemerkenswert, dass der
Anteil der Agenda 2010 am aktuellen wirtschaftlichen
Aufschwung von vielen immer öfter und immer stärker
gewürdigt wird. Die vorgebrachte Behauptung, wir würden mit den Weichenstellungen von Gerhard Schröder
brechen wollen, ist eine bösartige und in der Regel taktisch motivierte Unterstellung. Hier soll die SPD aus der
politischen Mitte und in die Nähe der Linkspartei gedrängt werden. Das werden wir aber nicht zulassen.
Vielen Dank.
({25})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen
von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Lieber Kollege Westerwelle, eines vorweg: Wir koppeln
soziale Gerechtigkeit keineswegs von der Leistungsgerechtigkeit ab. Sie haben gesagt, Sie hätten Gregor Gysi
gut zugehört. Ihnen ist entgangen, dass er ausdrücklich
die überdurchschnittliche Belastung der Normalverdiener und der Mittelschicht hier in diesem Hause kritisiert
hat.
({0})
Es ist ganz klar, dass wir soziale Gerechtigkeit nicht von
Leistungsgerechtigkeit abkoppeln.
Jetzt einige Worte zum Kulturhaushalt. Da hat die
Opposition durchaus zu loben: Nach bitteren Sparjahren
gibt es jetzt endlich mehr Geld für die Kultur. Als thüringische Abgeordnete mit Standort in Weimar freue ich
mich besonders über die 45 Millionen Euro, die die
Klassik Stiftung Weimar erhält. Damit kann ein bedeutendes Kulturprojekt Wirklichkeit werden, dem ganzen
Land nützend. Dies gilt auch für die Mehrzahl der übrigen Investitionen.
Eines aber ist für uns angesichts der Abkehr vom bisherigen Kaputtsparen unverständlich: die Unterfinanzierung der Stiftung für das sorbische Volk.
({1})
Deutschland hat sich mit großem Elan für die UNESCOKonvention zum Schutz der Vielfalt von kulturellen
Ausdrucksformen engagiert und sie vor einem halben
Jahr ratifiziert. Da ist es wahrhaft kein gutes Beispiel,
wenn in der innenpolitischen Realität eine Minderheit finanziell ausgehungert wird. Da geht es um den Erhalt einer uralten, identitätsstiftenden Sprache, es geht um
zweisprachige Bildung, den Erhalt eines Theaters, eines
Verlags, eines Instituts. Im Prinzip geht es darum, wie
die Mehrheit mit einer ihrer autochthonen Minderheiten
umgeht. Im Detail geht es um 600 000 Euro. Eine kleine
Summe, wenn man an die 400 Millionen Euro denkt,
aber viel Geld für die sorbischen Kultureinrichtungen,
wenn es ausbleibt. Es gibt nur ein deutsch-sorbisches
Theater. Wenn es schließen muss, geht ein kulturelles
Unikat verloren. Kulturelle Vielfalt in einem reichen
Land sieht anders aus.
({2})
Wir fordern also, dass der Bundeszuschuss auf
8,2 Millionen Euro angehoben wird. Das ist die Summe,
die die Stiftung zur Fortsetzung ihrer Arbeit als unverzichtbar ansieht.
Da das derzeit geltende Finanzierungsabkommen
zum Jahresende abläuft, fordern wir außerdem, dass endlich ein neues Abkommen zustande kommt, mit dessen
Hilfe die Kultur der Sorben gepflegt und erhalten werden kann. Alles andere käme einer Assimilierungspolitik
gleich.
Eine zweite Position innerhalb des Kulturhaushalts
halten wir für unverantwortbar. Schon im vergangenen
Jahr wurden die Mittel der Kulturstiftung des Bundes
um 3 Millionen Euro verringert. Nun sollen für 2008
nochmals 2 Millionen Euro weniger zugewiesen werden.
Als die Stiftung errichtet wurde, wurde ihr zugesichert,
sie jährlich mit 38 Millionen Euro auszustatten. Diese
Zusicherung sollte unbedingt eingehalten werden. Die
Stiftung leistet hervorragende Arbeit, insbesondere da,
wo sie in die kulturelle Bildung unserer Kinder investiert. In diesem Bereich ist noch viel zu tun, gerade für
den Bund. Das ist seit langem ein Anliegen meiner Fraktion. In diesem Sinne bitte ich Sie, unseren beiden Änderungsanträgen zuzustimmen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist an der Zeit, zur Halbzeit der Arbeit dieser
Koalition Zwischenbilanz zu ziehen. Ich glaube, dass die
unionsgeführte Bundesregierung eine erfolgreiche Bilanz vorlegen kann. Mit unserem Land geht es in vielen
Bereichen, beispielsweise auch beim Haushalt, voran.
Die Vorfahrtsregel, die heute beschrieben worden ist,
muss auch für die zweite Hälfte der Legislaturperiode
gelten, nämlich das zu tun, was unserem Land nutzt und
die Menschen nach vorne bringt, und das zu unterlassen,
was den Aufschwung in diesem Land gefährdet. Das,
glaube ich, ist ganz wichtig.
({0})
Wichtig ist auch, noch einmal deutlich auszusprechen, dass der Aufschwung, über den wir hier schon
mehrfach diskutiert haben, bei den Menschen ankommt.
Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland steigt in die
Nähe von 40 Millionen. Noch nie waren in Deutschland
so viele Menschen erwerbstätig. Die Arbeitslosigkeit
sinkt. Wir haben erfreuliche Ergebnisse bei der Erwerbsbeteiligung Älterer am Arbeitsmarkt; diese steigt deutlich an, und die Langzeitarbeitslosigkeit sinkt. Auch der
Ausbildungspakt wirkt. Das heißt, wir haben einen sehr
soliden Anstieg bei den Ausbildungschancen junger
Menschen. Das alles bedeutet viele neue Chancen für
viele Menschen in diesem Land. So lautet die Halbzeitbilanz der Großen Koalition. Das ist höchst erfreulich.
({1})
In dieser Haushaltsdebatte kann man es, glaube ich,
nicht besser ausdrücken, als Uli Schäfer es heute in der
Süddeutschen Zeitung getan hat: „Stabilität lohnt sich.“
Es lohnt sich für die Menschen, dass wir diese Politik in
Deutschland betreiben. Es zahlt sich im Inland wie im
Ausland aus.
Ich erinnere daran, wo wir vor rund zwei Jahren beim
Haushalt standen. Der Staatsbankrott drohte. Das waren
damals die Schlagzeilen in den Zeitungen. Ich erinnere
mich daran - ich weiß gar nicht, ob es in den Koalitionsverhandlungen oder öffentlich war -, dass Peer
Steinbrück gesagt hat, so schlimm, wie es mit den
Staatsfinanzen tatsächlich ist, habe er sich das nicht vorstellen können. Damit hat er eine zutreffende Beschreibung der finanzpolitischen Leistungen der Vorgängerregierung abgegeben.
({2})
Deutschland saß in der Europäischen Union auf der
Anklagebank. Jede Woche wurde aufgrund unserer miesen finanziellen Situation vom Strafverfahren geredet.
Heute, nach zwei Jahren, haben wir das strukturelle Defizit von etwa 60 Milliarden Euro halbiert. Noch im
Frühjahr dieses Jahres haben wir angenommen, dass wir
für den Haushalt 2008 21,5 Milliarden Euro Schulden
brauchen. Wir werden ihn Ende dieser Woche mit
11,9 Milliarden Euro neuen Schulden beschließen.
({3})
Das sind 11,9 Milliarden Euro zu viel. Aber es sind immerhin 10 Milliarden Euro weniger, als wir im Frühjahr
noch gemeinsam zu benötigen glaubten.
Die Staatsquote wird im nächsten Jahr auf das Niveau
von vor der Wiedervereinigung sinken. Damals war
Gerhard Stoltenberg Finanzminister eines noch nicht
wiedervereinigten Deutschlands. Das macht deutlich:
Der Staat zieht sich aus dem privaten Bereich zurück.
Weniger Staatsquote bedeutet mehr Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger. In diesem Sinne ist es ein weiterer
Beleg für den Erfolg der bisherigen Arbeit.
({4})
Unser Ziel, 2011 ohne neue Schulden auszukommen,
wird kritisiert. Als damals, beim letzten Mal, ein
Null-Schulden-Haushalt angekündigt wurde, lautete die
Kritik, ein solcher Haushalt sei unrealistisch. Heute ist
die Opposition der Auffassung, ein solcher Haushalt sei
früher möglich. Das heißt, es wird gar nicht infrage gestellt, dass diese Große Koalition es schaffen kann, ohne
neue Schulden auszukommen. Man mäkelt lediglich an
der Geschwindigkeit herum. Wer hätte das vor zwei oder
drei Jahren angesichts eines drohenden Staatsbankrotts
in diesem Hause eigentlich ernsthaft glauben wollen?
({5})
Ich will an dieser Stelle auch deutlich machen: Entgegen anderslautenden Behauptungen wird es am Ende des
nächsten Jahres 2 400 Stellen weniger in der Verwaltung
des Bundes geben, weil wir unseren Kurs des Stellenabbaus in der öffentlichen Verwaltung konsequent fortsetzen. Wir haben ihn gegenüber dem Regierungsvorschlag
noch verschärft.
Das bedeutet nicht, dass wir in bestimmten politischen Bereichen keine Schwerpunkte gesetzt haben.
Herr Kollege Westerwelle, das ist im Übrigen auch aufgrund von Anregungen der FDP, denen wir folgen konnten - die Koalition hat einen entsprechenden Antrag eingebracht -, geschehen. Deswegen sollten Sie mit Ihren
sehr personalisierten Angriffen in der Sache sehr vorsichtig sein. Sie haben ja auf die Schröder-Rede nach
zwei Jahren seiner Kanzlerschaft verwiesen. Leider haben Sie bei dieser Debatte nicht geredet. Ich möchte Ihnen einmal ins Stammbuch schreiben, was der Kollege
Brüderle damals gesagt hat: Flegelhaftigkeit ist kein Stil
der Politik. - Das will ich hier im Hinblick auf Ihre Rede
einmal in aller Deutlichkeit feststellen.
({6})
Kollege Brüderle von der FDP hat ausgerechnet, dass
vonseiten der Bundesregierung Mehrforderungen in
Höhe von 30 Milliarden Euro - ich sage das mit einem
leichten Augenzwinkern in Richtung Kabinettsränge erhoben worden sind. Wir haben in diesen Haushaltsberatungen keinen Cent draufgelegt; das muss man einmal
deutlich machen. Natürlich gab es Wünsche; aber die
Haushälter dieser Großen Koalition haben Kurs gehalten. Wünsche gibt es immer in dieser Großen Koalition
und auch in kleinen Koalitionen. Aber wie man damit
umgeht, ob man Kurs hält, das ist entscheidend. Wir haben entschieden: Trotz Mehrforderungen in Höhe von
30 Milliarden Euro - das ist die Rechnung der FDP wird dieser Haushalt gegenüber dem Regierungsentwurf
um keinen einzigen Euro aufgestockt. Das ist eine klare
Kante in der Finanzpolitik.
({7})
Zusätzlich ist es uns gelungen, 1 Milliarde Euro weniger
Schulden, als von Steinbrück vorgeschlagen, zu machen.
Ich möchte auf einen Punkt eingehen, der schon angesprochen worden ist, nämlich auf die Kulturpolitik. Wir
sparen nicht um des Sparens willen, sondern wir setzen
auch auf diesem Gebiet Akzente. In den beiden Haushalten, die wir in dieser Woche beraten, wird das größte nationale Kulturinvestitionsprogramm mit einem Volumen
von 400 Millionen Euro auf Kurs gebracht. Das ist ein
wichtiges Signal. Als Beispiel nenne ich die Klassik
Stiftung Weimar oder die Stiftung Preußische Schlösser
und Gärten Berlin-Brandenburg. Dieses Programm ist
ein Angebot an das Land Berlin, nach Abschluss der
Bund/Berlin-Verhandlungen Investitionen in Berlin zu
tätigen. Außerdem ist es ein Angebot an die Stadt Bonn,
für die auch Sie, Herr Kollege Westerwelle, sich eingesetzt haben. Man kann hier nicht einerseits Ausgaben
geißeln und andererseits diejenigen loben, für die man
selber eingetreten ist. Ich finde, diese Art und Weise des
Umgangs miteinander ist einfach unredlich.
({8})
Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages
hat 39 Millionen Euro für den Bau des Festspielhauses
„Ludwig van Beethoven“ bewilligt. Selbstverständlich
ist Beethoven ein nationales Ereignis. Wenn Sie die
Varusschlacht und den Siebenjährigen Krieg durcheinanderwerfen, dann will ich Ihnen das gerne durchgehen
lassen. Aber das eine gegen das andere auszuspielen,
geht nicht. Früher hatten Sie einmal eine „18“ unter dem
Schuh; heute scheinen mir da kleine Karos zu sein.
({9})
So sollte der Umgang zukünftiger Koalitionspartner
nicht sein, die in Nordrhein-Westfalen im Übrigen erfolgreich zusammenarbeiten.
Wir haben in diesem Haushalt Vorsorge für das Stadtschloss getroffen.
({10})
Wir haben deutlich gemacht: Wir wollen den Wiederaufbau des barocken Stadtschlosses, und wir können dafür
einen festen Kostenrahmen ermöglichen. Allerdings
schließen sich Kostenmanagement und kulturelles Bewusstsein in diesem Falle überhaupt nicht aus.
Ein Drittes haben wir in diesem Zusammenhang gemacht: Wir haben für eine Investition in mehrere Aspekte der Moderne - auch des 21. Jahrhunderts - gesorgt
und die Mittel für die Kulturhauptstadt Europas 2010
verstärkt. Dies ist ein wichtiger Beitrag für die kulturelle
Identität unseres Landes im 21. Jahrhundert.
Herr Kollege Kampeter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Börnsen?
Selbstverständlich, Herr Präsident.
Herr Börnsen. - Anschließend bitte ich, zum Schluss
zu kommen.
({0})
Herr Kollege, ich habe bei Ihrer Rede mit Aufmerksamkeit verfolgt, dass Sie die großartigen finanzpolitischen Leistungen meines schleswig-holsteinischen
Landsmanns Gerhard Stoltenberg, die Orientierung auch
für diese Regierung gewesen sind, noch einmal erwähnt
haben.
Sie haben nun den Gedanken aufgegriffen, dass der
Haushaltsausschuss - Sie persönlich, Frau Merkel und
alle anderen Mitglieder - gesagt habe, wir müssten verstärkt in den Kulturstandort Deutschland investieren,
weil wir wüssten, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland dadurch eine stärkere Attraktivität erhält. In diesem
Zusammenhang hat Ihre Vorrednerin mitgeteilt - ({0})
- Ist es richtig, dass sie mitgeteilt hat,
({1})
dass die autochthone Minderheit der Sorben trotz der
Verbesserungen im Kulturbereich schlechter abschneiden? Ist diese Information richtig? Vielleicht können Sie
uns auch noch darüber aufklären, dass in alle Bereiche
der Kultur sehr wohl gerecht und umsichtig investiert
worden ist.
Herr Kollege Börnsen, erstens stimme ich Ihnen zu,
dass die Zusammenarbeit mit der Kollegin Merkel ausgesprochen angenehm ist und in der Sache erfolgreich
voranschreitet. Ich bin in einer etwas schwierigen Situation, da ich hier mit zwei Damen Merkel aus unterschiedlichen Fraktionen zurechtkommen muss.
({0})
Aber bisher ist dies relativ erfolgreich gelungen.
Was die Sorben angeht, halte ich in Beantwortung Ihrer Frage Folgendes fest:
Erstens. Der Bund hat in den vergangenen Jahren für
die sorbische Volksgruppe über seine Verpflichtungen
aus dem Finanzierungsabkommen hinaus zusätzliche
Leistungen an die Stiftung gezahlt. Wir sind weit über
das hinausgegangen, was wir mit den Ländern Brandenburg und Sachsen vereinbart hatten.
Zweitens. Wir haben in einem von allen Fraktionen
unterstützten Antrag eine Aufstockung des Zuschusses
an die Stiftung für das sorbische Volk in Höhe von - ich
habe das jetzt nicht im Kopf ({1})
600 000 Euro beschlossen und dies mit einem klaren
Verhandlungsauftrag an den Staatsminister für Kultur
und Medien verbunden, der einer der erfolgreichsten
Minister dieser Bundesregierung ist, was zu Anfang
dieser Legislaturperiode viele gar nicht glauben wollten. Dies wird aber jetzt an Themen wie der Filmförderung oder der Bundeskulturstiftung deutlich. Der klare
Verhandlungsauftrag besagt, mit den Ländern Sachsen
und Brandenburg ein neues Finanzierungsabkommen
auszuhandeln, in ihm die vielen kritischen Anregungen
des Bundesrechnungshofes und des Bundesverwaltungsamtes aufzugreifen, die die Zusammenarbeit zwischen Bund, Sachsen, Brandenburg und der Stiftung für
das sorbische Volk betreffen, und anschließend dem
Deutschen Bundestag dieses Finanzierungsabkommen
mit der Perspektive einer fairen Lastenverteilung zwischen den Beteiligten vorzulegen.
Als Union und als Große Koalition stehen wir zu unserer Verantwortung für die autochthone Minderheit der
Sorben. Wir haben ein entsprechendes Verhandlungsangebot auch materiell untermauert. Ich halte es für richtig,
dass alle Fraktionen des Deutschen Bundestages zumindest im Haushaltsausschuss diesem Verhandlungsangebot zugestimmt haben, und ich bin zuversichtlich, dass
es Bernd Neumann, unserem Staatsminister für Kultur
und Medien, mit seinem Verhandlungsgeschick und seinem Charme gelingen wird, die Verhandlungspartner zusammenzuführen und mit ihnen gemeinsam zu einem
Ergebnis zu kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke
mich für die gute Zusammenarbeit in diesem Bereich der
Kulturpolitik, aber auch im Bereich der Haushaltspolitik
insgesamt. Das Ergebnis, das am Freitag zur Abstimmung stehen wird, kann sich sehen lassen. Es ist ein weiterer Schritt in Richtung auf ausgeglichene Haushalte
und eine nachhaltige Finanzpolitik. Dies muss ein Markenzeichen nicht nur der Union, sondern auch jeder Regierung sein, an der die Union aktiv beteiligt ist.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin GöringEckardt vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Das ist heute ein schönes Happening.
({0})
- Nein, das meine ich ernst. 400 Millionen Euro mehr
für die Kultur: Darüber kann man sich wirklich freuen.
({1})
Ich gebe allerdings zu: Ich würde mich gerne mitfreuen, ohne dass das Ganze ein Geschmäckle hat. Wenn
man nach 24 Uhr im Haushaltsausschuss etwas einbringt, was schon am nächsten Tag in einer Regionalzeitung als beschlossen dargestellt wird - die Zeitung hat
also schon gewusst, was beschlossen werden wird, bevor
es im Haushaltsausschuss überhaupt auf dem Tisch lag -,
dann hat das für mich ein Geschmäckle. Das ist nicht
sinnvoll.
({2})
Herr Kampeter, ich will Ihnen auch sagen, warum ich
das nicht sinnvoll finde. Sie haben eben die Varusschlacht erwähnt und Herrn Westerwelle belehrt - das ist
in Ordnung; politische Bildung soll es im Deutschen
Bundestag ja auch geben -, aber ich glaube, dass die
Klassik Stiftung Weimar und auch die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten es nicht verdient haben, dass
der Eindruck erweckt wird, man schiebe nachts etwas
über den Tisch nach dem Motto „Für mich Varus und für
dich Goethe“. Das haben sie nicht verdient. Sie sind
mehr wert. Sie sind deutsches Kulturerbe. Das kann man
nicht um Mitternacht verhandeln.
({3})
- Das ist der entscheidende Punkt. Das eine ist der
Haushalt 2008, das andere der Nachtragshaushalt 2007,
mal kurz über den Tisch geschoben. Die Hannoversche
Allgemeine Zeitung hat von einer Kriegskasse geredet.
Ich glaube, das ist keine sinnvolle Haushaltspolitik,
und es ist der Projekte, um die es geht, und unseres kulturellen Erbes nicht würdig. Wir haben etwas anderes
verdient. Sie hätten Ihre Vorschläge eher vorlegen und
deutlich machen können, welche Wichtigkeit das hat,
statt Deals zu verabschieden.
({4})
Ich will an dieser Stelle aber vor allem über einen anderen Punkt reden, den ich noch viel wichtiger finde,
wenn wir in diesem Hause über die Kulturpolitik reden,
und zwar die Erinnerungskultur. Auch bei diesem
Thema sind die Haushaltsberatungen nicht leicht gewesen. Salomon Korn hat während Haushaltsberatungen in
der Zeit darauf hinweisen müssen, dass in der Gedenk13556
stätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald
nur 50 Prozent der Führungen stattfinden können. Das
halte ich für einen absoluten Skandal, wenn es um
Vergangenheitsaufarbeitung und Erinnerungskultur in
Deutschland geht.
({5})
Auch dabei gab es ein langes Hin und Her, ob man
der Gedenkstätte wenigstens 400 000 Euro mehr gewähren sollte. Es hat einer riesigen Anstrengung bedurft,
aber es ist jetzt beschlossen worden. Dafür bin ich froh
und dankbar.
Was die Erinnerungskultur angeht, will ich mit Blick
auf die Zukunft ausdrücklich vorwarnen - in der gleichen Zeit hat nämlich im Kulturausschuss die Anhörung
zur Erinnerungskultur stattgefunden -: Wir können uns
in der Erinnerungskultur keine Schwerpunktverschiebung weg von der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit
leisten. Ich glaube, das gebietet die Verantwortung, die
wir in Deutschland für unsere eigene Geschichte haben.
({6})
Das hat die Anhörung sehr deutlich gemacht. Wenn man
über das Jahrhundert des Totalitarismus und die beiden
deutschen Diktaturen redet, dann sind wir auf dem falschen Weg. Das halte ich für sehr gefährlich in einer
Zeit, in der Neonazis überall in Deutschland versuchen,
sich zu verankern. Ich halte das für gefährlich in einer
Zeit, in der wir einen Neuanfang bzw. einen Neuaufbruch brauchen, gerade weil viele überlebende Zeitzeugen bald nicht mehr da sein werden. Wir brauchen einen
Neuaufbruch für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle für
unser kritisches Geschichtsbewusstsein spielt.
({7})
Es geht nicht an, bei der Zivilgesellschaft zu streichen
und nach dem Motto zu verfahren, an ihrer Stelle werden
es schon die Institutionen in Deutschland machen. Es
geht auch nicht, auf der einen Seite zulasten eines kritischen Geschichtsbewusstseins zu streichen und auf der
anderen Seite davon auszugehen, dass sich die Bedeutung der Gedenkstätten danach bemessen wird, wie wirtschaftlich sie sind. Sprich: Eine Gedenkstätte ist umso
wichtiger, je mehr Besucherinnen und Besucher sie hat.
Auch das hat für mich nichts mit kritischem Geschichtsbewusstsein und mit der Bedeutung zu tun, die wir in
Deutschland aus meiner Sicht mit diesen Gedenkstätten
verbinden müssen.
({8})
Und als Letztes: Wenn es um die Aufarbeitung unserer
DDR-Geschichte in Deutschland geht, macht es keinen
Sinn, so zu tun, als ob es da nur Repression, Anpassung,
Abhängigkeit, Ausgrenzung und Widerstand gegeben hätte.
({9})
- Ganz bestimmt nicht. Ich bin bestimmt nicht die Richtige, der Sie das sagen müssen, dass wir nicht verniedlichen wollen, nein.
Aber der Punkt ist genau, dass wir über das andere
ebenso reden müssen: über Loyalitäten, über ideologische Überzeugung. Nur dann, wenn wir in Gänze darüber sprechen, werden wir nämlich verhindern, dass die
Vergangenheit verniedlicht und bagatellisiert wird. Wem
wir damit einen Gefallen täten, das wissen wir hier im
Hause ganz genau.
({10})
Davor müssen wir auf der Hut sein. Wir haben zwei
wichtige Debatten dazu vor uns. Ich will das an dieser
Stelle wegen der Zeit nur in Stichworten sagen: Das eine
ist die Debatte um das sichtbare Zeichen, das andere die
Debatte um das Denkmal für Einheit und Freiheit. Beides gehört auch in diesem Sinne zusammen, und ich
hoffe sehr, dass wir mit kritischem Geschichtsbewusstsein dafür sorgen, hier nicht eine Schlagseite zu bekommen, die der Geschichtsaufarbeitung, die wir in der Vergangenheit hatten und die wir so dringend brauchen,
zuwiderläuft. Wir stehen hierbei in einer Verantwortung,
die mehr ist, als die Debatte hierzu am heutigen Tag gezeigt hat.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Merkel von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es stimmt, die Haushaltsberatungen in diesem Jahr waren sehr erfreulich.
({0})
Was in diesem Jahr erfreulich war, sind die Fakten, die
hier schon oft genannt worden sind und die ich auch nicht
verschweigen will: Dass die Nettokreditaufnahme erheblich gesenkt werden konnte - von 19,5 Milliarden
Euro auf 14,4 Milliarden Euro in diesem Jahr; im nächsten Jahr soll sie auf höchstens 11,9 Milliarden Euro festgeschrieben werden -, ist ein Erfolg. Dass unser Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, näherrückt spätestens im Jahr 2011 -,
({1})
ist ebenfalls ein Erfolg. Dass die Steuereinnahmen höher
sind als erwartet, ist auch gut, und dass sich die wirtschaftliche Lage verbessert hat - das Zeichen dafür sind
über 1 Million Arbeitsplätze mehr -, ist auch etwas, das
als Erfolg bezeichnet werden kann. Das lassen wir auch
nicht kleinreden.
({2})
Petra Merkel ({3})
Lieber Kollege Kampeter, wer wie Sie nach zwei Jahren Regierungserfahrung glaubt, man müsse nur an einer
Stellschraube drehen, um Erfolg zu haben, der greift
meines Erachtens zu kurz. Dieser Erfolg ist auch darauf
zurückzuführen, dass die rot-grüne Koalition - auch zusammen mit der CDU/CSU im Bundesrat - Reformen in
Gang gesetzt hat, die jetzt Wirkung zeigen. Rot-Grün hat
damit angefangen, die Große Koalition hat dies erfolgreich fortgeführt,
({4})
und das ist auch ein Ergebnis von konsequenter Politik,
auf deren Kontinuität zumindest die Sozialdemokraten
stolz sein können; denn sie war erfolgreich.
({5})
Weniger Schulden zu machen, ist ein richtiges und ein
wichtiges Ziel, das wir auch weiterhin verfolgen. Wichtig ist aber auch, dass es nicht das einzige und alleinige
Ziel ist, sondern ein Mittel, die Notwendigkeit dafür,
wieder Luft zu bekommen, Handlungsspielräume zu erschließen und Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen.
Richtig ist: Haushalts- und Finanzpolitik muss Begehrlichkeiten abwehren können, muss aber auch Impulse
geben.
({6})
Wir schmeißen kein Geld zum Fenster hinaus, sondern
investieren angesichts der stabileren Lage in Bereiche,
die die Stabilität sichern und weiter festigen sollen.
Umso erfreulicher ist es, wenn die Einnahmen höher
sind als erwartet; umso erfreulicher ist, dass wir durch
den Nachtragshaushalt 2007 aufgrund höherer Einnahmen nun auch zusätzliche Mittel hatten, die wir gezielt
einsetzen konnten.
Durch die Steuermehreinnahmen konnten wir mit
dem Nachtragshaushalt wichtige Vorhaben finanzieren
und Schwerpunkte setzen. Mit der Einrichtung eines
Sondervermögens in Höhe von 2,15 Milliarden Euro für
den Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige
konnten wir einen wesentlichen Beitrag für eine zukunftsorientierte Familienpolitik leisten. Das ist ein wesentlicher Schwerpunkt sozialdemokratischer Politik.
({7})
Wir investieren in Köpfe und somit in Zukunft. Das
tun wir auch mit dem Haushalt 2008 durch die Erhöhung
der BAföG-Bedarfssätze um 10 Prozent und der Freibeträge um 8 Prozent.
({8})
Auch das Meister-BAföG steigt. Damit bringen wir
spürbare Verbesserungen und sorgen für mehr Chancengleichheit.
Meine Kolleginnen und Kollegen haben schon darauf
hingewiesen, welche weiteren Schwerpunkte wir im Bereich Bildung und Forschung setzen konnten. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Wir haben den
Etat in den Haushaltsberatungen um 163,3 Millionen
Euro erhöht.
Mein Hinweis auf die anderen Einzelpläne ist noch
nicht zu Ende. Ein Programm, das mir besonders wichtig
ist, weil es auf eine Initiative von uns Haushältern,
Steffen Kampeter, zurückgeht, ist: Im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wird nun ein Programm zur Umsetzung kreativ-wirtschaftlicher Konzepte
neu gestartet. Mit insgesamt 5 Millionen Euro sollen so
kreativ-wirtschaftliche Projekte aus allen Bundesländern
gefördert werden.
({9})
Ich komme jetzt zu einem meiner Etats aus dem Bundeskanzleramt, zum Kulturhaushalt. Neben diesen eben
genannten Investitionen konnten wir in den Kulturhaushalt weitere Mittel einstellen.
({10})
So fließen - das haben Sie von der Opposition schon angemerkt - zusätzliche Mittel in Höhe von 400 Millionen
Euro als Zuschüsse für national bedeutsame Kulturinvestitionen. Auf eines möchte ich an dieser Stelle
ganz besonders hinweisen: Dies geschah im Parlament
und durch das Parlament.
({11})
Dieses Geld kam nicht durch den von mir durchaus geschätzten Herrn Staatsminister in den Haushalt.
({12})
Dass Sie sich, Herr Neumann, über diese Mittel, die Ihrem Etat zugutekommen, freuen, ist verständlich; das tue
auch ich. Sie haben einen unverhofften Geldsegen erhalten, für den Sie nichts tun mussten.
({13})
Die Bereitstellung dieser zusätzlichen Mittel war ein
Wunsch des Parlaments und ist auf eine Initiative des
Parlaments zurückzuführen. - Das war zur Klarstellung
nötig.
({14})
Diese Mittel sind für mich ein gutes Beispiel, wie
Gelder gezielt eingesetzt werden können, um Impulse
und Prioritäten zu setzen. Zunächst einmal sind diese
Zuschüsse für national bedeutsame Kulturinvestitionen
an die Kofinanzierung durch Länder und Kommunen
sowie Private gekoppelt. Das heißt, es fließen mehr Mittel, als wir einstellen.
Teil dieses Programms sind Mittel für die Sanierung
der Staatsoper in Berlin, für die Klassik Stiftung Weimar, die Stiftung Festspielhaus Beethoven in Bonn und
die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten.
({15})
Petra Merkel ({16})
Hier ganz gezielte Investitionen zu leisten, ist uns mit
diesem großen Programm gelungen.
({17})
Alle Mittel sind gesperrt, weil wir im Haushaltsausschuss die Entsperrung der Mittel für alle diese Projekte
erst freigeben werden.
Wir haben auch ein Programm für den Denkmalschutz in Höhe von 40 Millionen Euro aufgelegt.
({18})
Dies wird vielen Ländern und Kommunen zugutekommen. Wir haben gemerkt, dass sich die Länder und Private daran beteiligen. Dies sind Investitionen, die in den
einzelnen Regionen einen Anker setzen. Das schafft zusätzliche Arbeit und kommt dem Mittelstand zugute.
Diese Art der Impulssetzung streben wir an; deswegen
stellen wir diese 40 Milliarden zur Verfügung.
({19})
- 40 Millionen, richtig.
({20})
- Richtig, das kommt vielleicht beim nächsten Mal,
wenn es so weitergeht.
Wir begleiten Projekte, auch solche, die eines sehr
sensiblen Umgangs bedürfen. Das „sichtbare Zeichen“
ist für mich so ein Projekt. Es steckt gerade in den Anfängen und benötigt meiner Meinung nach eine sorgsame
und sensible Begleitung. Als „sichtbares Zeichen“ soll
auf der Grundlage der vom Bonner Haus der Geschichte
konzipierten Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ eine Dauerausstellung in Berlin eingerichtet
werden.
An dieser Stelle erlaube ich mir die persönliche Bemerkung, dass über die derzeit ins Auge gefasste Unterbringung der geplanten Dauerausstellung im Deutschlandhaus noch einmal diskutiert werden muss, und zwar
sowohl im Kulturausschuss als auch im Haushaltsausschuss.
({21})
Dieser Standort muss meiner Meinung nach überprüft
werden. Die SPD-Fraktion war immer der Auffassung,
dass diese Dauerausstellung in die bestehende Museumslandschaft eingebettet werden müsse und die europäische Einbindung von zentraler Bedeutung sei.
Ich gebe Folgendes zu bedenken: Eine räumliche
Nähe des „sichtbaren Zeichens“ zum Landesverband der
Vertriebenen in Berlin im Deutschlandhaus könnte zu
Recht den Verdacht erwecken, dass eine inhaltliche
Nähe zu dem vom Bund der Vertriebenen geplanten Zentrum gegen Vertreibung geschaffen werden soll. Das widerspräche nach meiner Auffassung der Koalitionsvereinbarung. Eine deutliche Abgrenzung des „sichtbaren
Zeichens“ von einem Zentrum gegen Vertreibung - sowohl räumlich als auch inhaltlich - ist - da bin ich sicher für die SPD-Bundestagsfraktion Grundvoraussetzung für
die Umsetzung dieses Projekts. Sie sehen: Es besteht
noch erheblicher Diskussionsbedarf.
({22})
Ich möchte noch ein Beispiel für den Bereich des Reformierens geben. In diesem Zusammenhang darf ich
auf die Föderalismuskommission II eingehen. Dort
arbeiten wir daran, neue, wirksamere Grenzen und
Begrenzungen der Verschuldung zu definieren und zu
vereinbaren. Wir haben uns vorgenommen, die Finanzbeziehungen und Verwaltungsaufgaben zwischen dem
Bund und den Ländern neu zu ordnen und dadurch Einsparungen zu erzielen.
Ein Bereich, in dem wir meiner Meinung nach tätig
werden können und sollten, ist die Einführung einer
Bundessteuerverwaltung.
({23})
Während der zweiten Expertenanhörung der Föderalismuskommission II wurde deutlich, dass die Einrichtung
einer solchen Bundessteuerverwaltung sehr wohl interessant ist.
Ich halte es für ein gutes und wichtiges Instrument,
durch eine Bundesbehörde Steuern einzuziehen. Entscheidend ist, dass sich dann kein Land herausmogeln
und auf seinem Gebiet Betriebsprüfungen vernachlässigen kann. Kein Bundesland sollte damit punkten, dass es
weniger Mitarbeiter bei der Steuerverwaltung und Steuerprüfung gibt. Sie alle wissen, was das für ein fatales
Signal ist. Laxes Auslegen der Steuergesetze darf nicht
als Standortfaktor genutzt werden.
({24})
Da sage ich als Haushälterin: So nicht!
Neben den gleichen Bedingungen für die Durchführung in den Ländern, die wir durch eine Bundessteuerverwaltung schaffen könnten, gefällt mir besonders ein
charmanter Gedanke: nämlich dass die Effektivitätsgewinne, die Mittel, die man durch Bürokratieabbau beim
Einziehen von Steuern erhält - das sind ungefähr 10 Milliarden Euro -, sowohl dem überschuldeten Bund als
auch den überschuldeten Ländern zugutekommen. Es
gab die Überlegung, dabei auch den Abbau von Altschulden einzubeziehen. Alle würden davon profitieren:
der Bund, die Länder und die Kommunen. Wir sollten
weiterhin darüber nachdenken, ob das nicht ein Weg ist,
den wir gemeinsam gehen können.
Ich hoffe und bin zuversichtlich, dass wir solche Reformen in Angriff nehmen können. Wir haben jetzt aufgrund der Haushaltssituation gute Bedingungen dafür.
Wir haben ein Zeitfenster, das wir nutzen sollten. Ich
hoffe, dass wir gemeinsam in diese Richtung gehen können.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({25})
Das Wort hat die Kollegin Monika Grütters von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
nicht selbstverständlich, dass beim Kanzleramt die Kultur ressortiert. Aber daran sehen wir: Hier geht es um
Grundsätzliches, um die Einsicht nämlich, dass nationale Identität vor allem aus dem Kulturleben eines
Landes wächst, aus dem traditionellen Erbe übrigens
ebenso wie aus der künstlerischen Avantgarde.
Diese Bundesregierung mit Bernd Neumann als
Staatsminister für Kultur und Medien kann eine stolze
und auch, wie es in einer Zeitung stand, fröhliche Zwischenbilanz ziehen.
({0})
Noch nie stieg der Kulturetat so steil an wie seiner, und
noch nie hat eine Bundesregierung die Rolle der Kultur
so eindrucksvoll auch im Haushalt gestärkt wie diese,
lieber Steffen. Seit der Wende gab es übrigens auch
keine Bundesregierung, die die kulturpolitische Rolle
der Hauptstadt so souverän anerkannt hat wie die Regierung Merkel.
Der Kulturetat ist 2006 um 2,1 Prozent gestiegen,
2007 um weitere 3,5 Prozent und jetzt zum dritten Mal
in Folge um 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dass
darüber hinaus im zweiten Jahr seiner Amtszeit ein
nationaler Kulturinvestitionsplan in Höhe von
400 Mil-lionen Euro gelingen konnte, hat Bernd
Neumann zu Recht staunende Bewunderung eingebracht: Vom „Wunder von Bernd“ ist die Rede,
({1})
von Neumanns „Kampfdiplomatie“ und vom „Neumann
im Glück“. Chapeau, Herr Staatsminister, dass dieses
Lob auch noch vom immer nörgelnden Deutschen Kulturrat kommt.
({2})
Das ist doch ein wahrer Ritterschlag.
Ein Glück für uns ist ebenso, dass die CDU/CSU in
Steffen Kampeter einen wahren Kulturfreund als Chefhaushälter hat.
({3})
Das ist auch ein Gewinn für die Kultur in unserem Land,
für deren Bedeutung so das Bewusstsein geschärft wird nicht nur mit der entsprechenden Finanzierung vieler
Maßnahmen, aber eben auch nicht ohne sie. Ich darf zum
Beispiel daran erinnern, dass nach 30 Jahren Hängepartie endlich die UNESCO-Konvention zum Kulturgüterschutz umgesetzt sowie die Übereinkunft zur kulturellen
Vielfalt vom Kabinett verabschiedet wurde. Bernd
Neumann hat - das wissen Sie - die Filmförderung und
mit der EU-Fernsehrichtlinie auch die Zukunftsfähigkeit
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gestärkt sowie die
Deutsche Welle nach langen Jahren der Kürzung endlich
wieder angemessen finanziert.
({4})
Frau Göring-Eckardt, es ist richtig, dass Erinnerungskultur hier eine zentrale Bedeutung hat. Aber ich muss
Sie korrigieren: Bei der Anhörung war es die Mehrheit
der Anzuhörenden, die das Konzept der Regierung zur
Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts unterstützt
hat. Es geht darum, die Unterstützung der Bundesregierung für national bedeutsame Gedenkstätten der NS-Terrorherrschaft zu verstetigen, aber gleichzeitig die Aufarbeitung der SED-Diktatur in angemessener Weise zu
verstärken.
({5})
Das ist von fast allen Anzuhörenden getragen worden.
Hierzu gehört auch - Frau Merkel hat es erwähnt das sichtbare Zeichen gegen Zwangsmigration, Flucht
und Vertreibung. Jetzt, nachdem das Konzept vorliegt,
ist es Sache des Parlaments, dieses wichtige Vorhaben
zum Erfolg zu führen. In diesem Zusammenhang sind
auch die Anstrengungen des Kulturstaatsministers zu
nennen, um in Fragen der Restitution von Kulturgut
möglichst zu bundesweit einheitlichen, moralischen
Maßstäben entsprechenden und transparenten Lösungen
zu kommen. Die Verbesserung der Provenienzrecherche
ist Voraussetzung dafür. Dafür liegt ein neues, solide finanziertes Konzept vor.
({6})
Außer zur Initiative „Ein Netz für Kinder“ oder zum
NRW-Projekt „Jedem Kind ein Instrument“ möchte ich
als Berliner Abgeordnete - sehen Sie es mir bitte nach Folgendes sagen: Bernd Neumann hat - dafür danke ich
ihm - ein großes Herz für die Hauptstadt. Das BodeMuseum wurde im Oktober 2006 wiedereröffnet. Für die
Errichtung des neuen Eingangsgebäudes auf der Museumsinsel sind immerhin zusätzliche Mittel in Höhe
von 73 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden.
({7})
Was lange währt, wird bekanntlich endlich gut. Daher
bin ich zuversichtlich, dass die Verhandlungen des Bundes mit Berlin in Sachen Staatsoper - auch hier geht es
immerhin um 200 Millionen Euro - erfolgreich zu Ende
gebracht werden.
({8})
- Wenn der Senat mitmacht.
Das Bekenntnis zur Kultur ist für uns immer auch ein
Bekenntnis zu den Wertegrundlagen unserer Gesellschaft. Kultur ist kein dekorativer Luxus, den sich eine
Gesellschaft leistet, sondern eine Vorleistung, die, so
meine ich, allen zugute kommt.
({9})
Diese Regierung hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt,
dass sie die Bedeutung der Kultur für die Kulturnation
Deutschland erkannt hat. Daher darf, wie ich meine,
nicht nur die Frankfurter Rundschau unseren Kulturstaatsminister getrost als den „Herbstmeister der Großen
Koalition“ würdigen.
Ich danke Ihnen.
({10})
Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat das
Wort die Kollegin Monika Griefahn von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahren ist es gute Tradition geworden, dass wir im Rahmen der Debatte über den Kanzlerhaushalt auch eine Kulturdebatte führen. Da der
Staatsminister für Kultur und Medien im Kanzleramt residiert, kann der Kulturhaushalt in diesem Zusammenhang besprochen werden.
Der Haushalt des Kulturstaatsministers wurde schon
mehrfach erwähnt.
({0})
Auch vom „Wunder von Bernd“ wurde schon gesprochen. Ich möchte meiner Kollegin Merkel ausdrücklich
zustimmen. Ohne das Bemühen des Staatsministers
schmälern zu wollen, muss ich jedoch sagen: Die Erfolge sind eher ein Wunder des Parlamentes. Das ist unser Job, und das ist unsere Rolle.
({1})
Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle ganz besonders bei den Kollegen im Haushaltsausschuss bedanken, insbesondere bei Petra Merkel. Ohne das Engagement der Haushälter im Ausschuss kann man solche
Projekte nicht auf die Beine stellen. Ganz herzlichen
Dank allen, die dazu beigetragen haben. Petra, ich danke
dir ganz besonders für deinen Einsatz.
({2})
Dieser Geldsegen ist gut angelegt. Mit diesen Mitteln
werden wichtige Investitionen finanziert, die überfällig
sind. Frau Merkel hat die anstehende Sanierung der
Staatsoper in Berlin, das Denkmalschutzprogramm und
anderes erwähnt. In den Haushaltsberatungen war uns
insbesondere die Förderung des Lepsius-Hauses in Potsdam und die Erhöhung der Mittel für das Projekt „Kulturhauptstadt Essen 2010“ wichtig. Das sind Projekte,
die nicht auf der Strecke bleiben sollen.
({3})
Der Denkmalschutz ist uns ein besonderes Anliegen,
weil er auch aus strukturpolitischer Sicht eine große Bedeutung hat. 2003 endete das sogenannte Dach- und
Fachprogramm der Bundesregierung für die neuen Bundesländer. Zwar gab es im Bereich des Denkmalschutzes
weiterhin Bundesfördermittel, sie hatten jedoch keine
Breitenwirkung und entfalteten keine Strahlkraft. Dabei
sind gerade der Denkmalschutz und die Erhaltung des
kulturellen Erbes Bereiche, in denen die Länder bei aller
Kulturhoheit auf die Unterstützung des Bundes angewiesen sind. Viele Gemeinden können die für die Erhaltung
einer Kirche oder eines denkmalgeschützten Fachwerkhauses erforderlichen Mittel nicht aufbringen. Solche
Gebäude sind aber neben den großen Leuchttürmen wie
den preußischen Schlössern und Gärten wichtig, gerade
für die Menschen vor Ort. Deswegen freue ich mich über
dieses Programm ganz besonders.
({4})
Es ist unser Anliegen, diesen Bereich für ganz
Deutschland auszubauen. Dabei sollte man wissen, dass
Denkmalpflege und Denkmalerhaltung auch zentrale
Wirtschafts- und Arbeitsplatzfaktoren sind. In diesem
Bereich sind viele kleine und mittelständische Unternehmen tätig, die oftmals hochgradig spezialisiert sind.
Dadurch bleiben zudem Handwerksberufe erhalten, die
sonst wahrscheinlich aussterben würden, wie zum Beispiel Stukkateure oder Steinmetze. Wie wichtig diese
selten gewordenen Handwerkskünste sind, war bei der
Herstellung der Spiegel im Grünen Gewölbe in Dresden
zu erleben, das vor einem knappen Jahr von der Bundeskanzlerin wiedereröffnet wurde. Hier wurde eine Technik angewendet, die nur noch ganz wenige Experten beherrschen. Deswegen ist es wichtig, dies weiterhin zu
fördern. Wir sind beim Handwerk weltweit Spitze.
({5})
Das heißt, wir stützen mit dem kulturellen Erbe nicht
nur das materielle Erbe, sondern eben auch das kreative
Erbe, das Wissen und die Tradition. Es ist ganz wichtig,
das im Rahmen von Kulturpolitik immer wieder deutlich
zu machen und Spitzentechnologie und Tradition hier
gemeinsam zu verankern. Unsere lebendige Gesellschaft
lebt von dem Wissen und den Fähigkeiten. Wir müssen
diese weitervermitteln. Kulturpolitik ist eben auch immer Bildungs- und Wirtschaftspolitik.
({6})
Kulturpolitik ist gestaltende Politik. Das ist ein wichtiger
Punkt.
Stichwort: Grünes Gewölbe und Dresden. In diesem
Zusammenhang muss ich leider noch eine Randbemerkung machen. Während Deutschland für seinen Denkmalschutz weltweit gelobt und beneidet wird, verspielen
wir gerade beim Streit um die Waldschlösschenbrücke
in Dresden diese Anerkennung. Kompromisse zur Lösung des Streits sind möglich. Der Bund würde diese sogar mit zusätzlichen Mitteln unterstützen. Mittlerweise
gibt es mehr als 20 000 Unterschriften dafür, mit einem
neuen Bürgerentscheid eine Kompromisslösung herbeizuführen und einen Tunnel zu bauen.
({7})
Einzig die Landesregierung in Sachsen hat bisher keine
ernsthaften Bemühungen um einen Kompromiss unternommen. Das finde ich sehr bedauerlich.
({8})
An die Adresse der Bundesregierung möchte ich hinzufügen: Die Bundesrepublik steht hier insgesamt in der
Verantwortung. Denn das schlägt auf uns zurück, übrigens auch auf die anderen Bundesländer
({9})
und auf die, die weitere Anträge auf Kulturerbestandorte
stellen. Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, dass durch
das Fällen von mehr als hundert Jahre alten Eichen unwiderrufliche Tatsachen geschaffen werden. Das sind
übrigens Bäume, die in Sachsen einmalig sind. Hier werden gewachsene Strukturen zerstört. Das ist keine gestaltende, sondern zerstörerische Politik.
({10})
Nun wieder zum Erfreulichen, zu den Steigerungen
im Haushalt 2008. Hier wurden schon die Mittel für die
Gedenkstätten Buchenwald und Dachau erwähnt.
Gedenkstätten sind Lernorte und wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Es ist erfreulich, dass die Besucherzahlen in den Gedenkstätten zunehmen und dass
wir uns über Geschichte informieren. Das spricht für
ihre Arbeit. Jedoch müssen die Gedenkstätten in die
Lage versetzt werden, mit den damit verbundenen Anforderungen umzugehen. Sie müssen mehr Führungen
anbieten und mehr Personal beschäftigen können.
Auch wenn wir jetzt schon Verbesserungen erreichen
konnten, liegen die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Gedenkstättenförderung durch den Bund noch vor uns. Wir diskutieren
darüber; das wurde schon erwähnt. Vorgeschlagen wird
unter anderem, die Gedenkstätten in den westlichen
Bundesländern in die institutionelle Förderung aufzunehmen. Wir als SPD-Fraktion unterstützen dieses Ansinnen sehr.
({11})
Wir müssen uns darüber klar sein, dass im nächsten
Jahr wahrscheinlich zusätzliche finanzielle Mittel dafür
nötig sein werden. Das müssen wir bei den zukünftigen
Haushaltsverhandlungen im Auge haben, damit wir genau diese Lernorte für unsere Kinder und auch andere
Menschen erhalten. Die Kinder werden heute schon
durch entsandte Lehrer unterrichtet. Aber die anderen
Menschen, die in diese Lernorte kommen, haben die
Schwierigkeit, dort keine Führung zu bekommen. Das
müssen wir vorsehen; das ist ganz wichtig.
Es gibt weitere politische Schwerpunktthemen, die
uns im nächsten Jahr beschäftigen werden. Die EnqueteKommission „Kultur in Deutschland“ wird in der nächsten Sitzungswoche ihren Abschlussbericht vorlegen. Wir
werden hier darüber diskutieren. Darin werden viele Bereiche unserer vielfältigen Kulturlandschaft beschrieben,
die sonst eher nicht im Mittelpunkt der öffentlichen
Wahrnehmung stehen. Es ist wichtig, dass sich das im
Haushalt wiederfindet, zum Beispiel in Form der soziokulturellen Zentren, die oftmals im ländlichen Raum
oder in städtischen Schwerpunkten das einzige kulturelle
Angebot darstellen. Hier werden mit wenigen finanziellen Mitteln vielfältige kulturelle Angebote ermöglicht,
die sich stark an den Interessen und Bedürfnissen sowohl
der Bürger als auch der Künstler orientieren.
Diese Arbeit wird an Bedeutung zunehmen. Die
Stärkung der kulturellen Bildung findet in den soziokulturellen Zentren statt; dort wird Kultur als Teil von Integration berücksichtigt. Deswegen müssen wir sie unterstützen. Etablierte Kultureinrichtungen haben eine
wichtige Vorbildfunktion. Daher müssen Einrichtungen
wie Bibliotheken und Musikschulen erhalten werden,
gerade im ländlichen Raum. Diesen wichtigen Aspekt
müssen wir weiterhin im Blick haben.
({12})
Eine grundsätzliche Anmerkung zum Haushalt: Wir
freuen uns über die bereitgestellten Mittel. Wir müssen
uns aber immer fragen: Geben wir das Geld an der richtigen Stelle aus? Welche Ideen und Vorstellungen verbinden wir damit, dass wir für die Erhaltung des kulturellen
Erbes Geld ausgeben? Dabei geht es also um Strukturfragen.
Im Bericht der Enquete-Kommission werden viele
Anstöße zur Lösung der vor uns liegenden Aufgaben gegeben. Es stellt sich die Frage, welche Schwerpunkte wir
in Zukunft beim Einsatz unseres Geldes setzen. Darüber
müssen wir im nächsten Jahr intensiv diskutieren.
Da ich gerade über den richtigen Einsatz des Geldes
spreche, möchte ich die „Initiative Musik“ ansprechen.
({13})
Im Jahr 2008 wird hierfür erneut 1 Million Euro zur Verfügung gestellt, obwohl mit den konkreten Förderprojekten noch nicht begonnen wurde. Wir tun das, weil wir
überzeugt sind, dass wir der Rock-, Pop- und Jazzszene
mit diesem Instrument wichtige Anreize geben können.
({14})
Erste Ziele wie der Spielstättenpreis für Jazzmusik
oder die Tourbusförderung haben wir in dem Antrag,
den wir in den Bundestag eingebracht haben, formuliert.
Es wird höchste Zeit, dass diese nun durch den Aufsichtsrat unterstützt durch Fachleute aus den jeweiligen
Bereichen umgesetzt werden. Zentral ist: Mit 1 Million
Euro wollen wir nicht die bestehende Musikwirtschaft
finanzieren, sondern durch Anreize gerade Nachwuchsprojekten, die es sonst nicht geben würde, eine Chance
geben. So sind die Mittel richtig eingesetzt.
Ich habe mich persönlich sehr darüber gefreut, dass
wir einen Preis für qualitativ hochwertige und kulturell
sowie pädagogisch wertvolle Computerspiele initiiert
haben;
({15})
daran arbeite ich zusammen mit anderen Medien- und
Kulturpolitikern der SPD schon seit vielen Jahren. Jetzt
stellen wir 300 000 Euro zur Verfügung, und die Branche hat zugesagt, sich in einer ähnlichen Größenordnung
zu beteiligen.
({16})
An dieser Stelle möchte ich der Kollegin Petra Merkel
und dem Kollegen Jörg Tauss, die hier besonders engagiert mitgewirkt haben, ganz herzlich danken.
Schon im nächsten Jahr kann eine unabhängige Jury
in verschiedenen Kategorien wie „Kinder- und Jugendspiel“, „Nachwuchs“ oder „Innovation“ Preise für besonders positive Spiele verleihen. Die Preisgelder müssen wieder für die Entwicklung neuer Spiele eingesetzt
werden. So unterstützen wir den Bereich der hochwertigen Computerspiele. Es ist Aufgabe der Kulturpolitik,
Anreize zu setzen und Neues und Kreatives zu fördern.
Das hat auch für die Kulturwirtschaft einen Wert.
Ein Problem haben wir immer noch: die Erforschung
der Wirkung von Medien und ihrer Konzentration. Der
Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung liegt noch immer nicht vor. Wir hoffen, dass wir
darüber im nächsten Jahr diskutieren und konkrete Maßnahmen umsetzen können.
({17})
Kulturpolitik findet natürlich nicht nur im Inland,
sondern auch im Ausland statt. Ein wichtiger Bereich,
der beim Kulturstaatsminister angesiedelt ist, ist die
Deutsche Welle. Ich freue mich, dass wir für die Deutsche Welle 4 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung
stellen konnten. Nun können das arabische Programm
endlich auf acht Stunden pro Tag ausgeweitet und die
Verbesserung von Deutsche Welle TV durch die Kooperation mit ARD und ZDF besser finanziert werden. Dass
das Instrument des internationalen Dialogs wichtig ist,
erlebe ich immer wieder, wenn ich im Ausland bin.
Der einzige Wermutstropfen ist, dass die Abwicklung
teurer Altlasten wie des Senders Nauen noch nicht finanziert werden konnte. Diese Belastung hätte ich der Deutschen Welle gern erspart; denn sie muss in die Zukunft
und darf nicht in die Vergangenheit investieren.
({18})
Die Deutsche Welle ist ein Instrument der Außenpolitik. Gott sei Dank haben wir auch im außenpolitischen
Bereich eine Erhöhung der Mittel erzielen können; an
dieser Stelle möchte ich dem Kollegen Lothar Mark danken, der sich hier besonders engagiert hat. Wir haben
eine Erhöhung der Mittel um 82 Millionen Euro erreicht.
Mit über 40 Millionen Euro werden wir eine Schulinitiative durchführen. 20 Millionen Euro stellen wir für die
„Aktion Afrika“ zur Verfügung, in deren Rahmen Schüleraustausche, Medienarbeit, Stipendien und Kulturprojekte finanziert werden. Ich glaube, das ist sehr sinnvoll
angelegtes Geld. Denn durch jeden Euro, den man in
Bildung, Ausbildung und Dialog investiert, kann man
sich Investitionen in Krisenprävention oder militärische
Einsätze ersparen. Darauf müssen wir unser Augenmerk
viel stärker als bisher richten. Das ist wirklich gut investiertes Geld.
({19})
Beim Goethe-Institut wird ab dem nächsten Jahr die
komplette Budgetierung eingeführt, für die sich Lothar
Mark und ich schon seit zehn Jahren einsetzen. Ich bin
froh, dass kein Goethe-Institut geschlossen werden
musste, sondern dass, im Gegenteil, in Skopje und in den
Golfstaaten sogar zusätzliche Präsenzen eröffnet werden
konnten. Bibliotheken in Bangalore und Mumbai werden ausgebaut und die Sprachangebote vor Ort verbessert.
({20})
Denn es ist uns nach wie vor ein Anliegen, die deutsche
Sprache in anderen Ländern zu vermitteln. Auch das
trägt zum Dialog bei.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Ich bin beim letzten Satz. - Ich freue mich, dass wir
diese Aufwüchse erreicht haben und dass die Kultur
auch im Haushaltsausschuss als wichtig erachtet wird.
Ich hoffe, dass das nächste Jahr in Deutschland ein Jahr
der Kultur und der Kunst und der Kulturschaffenden
werden kann.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der
Ausschussfassung.
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke vor, über die wir zunächst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/7309? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP bei Zu-
stimmung der Fraktion Die Linke und Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/7311? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Der Änderungsantrag ist mit gleichen Stimmenverhält-
nissen abgelehnt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wir kommen damit zur namentlichen Abstimmung
über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung.
Bevor ich die Abstimmung eröffne, möchte ich noch
darauf hinweisen, dass wir direkt im Anschluss an die
namentliche Abstimmung eine Gremienwahl und unmit-
telbar danach noch eine namentliche Abstimmung
durchführen werden. Ich bitte Sie also, hier zu bleiben.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Es feh-
len noch Schriftführer vonseiten der Koalition. - Ich er-
öffne die Abstimmung.
Gleichzeitig gebe ich Ihnen bekannt, dass eine schrift-
liche Erklärung der Kollegin Michalk nach § 31 der Ge-
schäftsordnung vorliegt, die wir zu Protokoll nehmen.1)
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall
zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.
Interfraktionell ist verabredet worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Zusatzpunktes 1 - Nachwahl zu verschiedenen Gremien - zu erweitern. - Damit
sind Sie ganz offensichtlich einverstanden.
Ich rufe damit Zusatzpunkt 1 auf:
Wahlvorschlag der Fraktion der SPD
Wahl eines Mitgliedes des Gemeinsamen Ausschusses gemäß Artikel 53 a des Grundgesetzes
Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitgliedes des Ausschusses nach
Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({0})
Wahl eines Mitgliedes des Parlamentarischen
Kontrollgremiums gemäß §§ 4 und 5 Abs. 4 des
Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle
nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes
({1})
- Drucksache 16/7287 -
Die Fraktion der SPD schlägt auf Drucksache 16/7287
vor, den Kollegen Thomas Oppermann als Nachfolger
für den Kollegen Olaf Scholz erstens in den Gemeinsa-
men Ausschuss nach Art. 53 a des Grundgesetzes, zwei-
tens in den Ausschuss nach Art. 77 Abs. 2 des Grundge-
setzes - Vermittlungsausschuss - sowie drittens in das
Parlamentarische Kontrollgremium zu wählen.
Wir kommen zunächst zur Wahl zum Mitglied des
Gemeinsamen Ausschusses und des Vermittlungsaus-
schusses. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Vor-
schlag mit den Stimmen des ganzen Hauses, ohne
Gegenstimmen und ohne Enthaltungen, angenommen.
1) Anlage 2
Jetzt kommen wir zur Wahl zum Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Hierfür ist laut Gesetz
die Mehrheit der Mitglieder des Hauses erforderlich.
Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Wahlvorschlag
mit der erforderlichen Mehrheit, und zwar mit den Stimmen des gesamten Hauses, angenommen.
Damit ist der Kollege Oppermann in diese Gremien
gewählt.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt IV auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD
Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Vorbereitung eines
registergestützten Zensus einschließlich einer
Gebäude- und Wohnungszählung 2011 ({2})
- Drucksachen 16/5525, 16/6455, 16/6456, 16/6728,
16/7085, 16/7222 Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 9. November
gegen das genannte Gesetz Einspruch eingelegt.
Bevor wir zur Abstimmung über diesen Antrag kommen, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Abstimmungsverfahren: Es ist namentliche
Abstimmung verlangt. Nach Art. 77 Abs. 4 Satz 2 des
Grundgesetzes bedarf die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates, der einstimmig erfolgt ist, einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens aber der
Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages.
Wer den Einspruch zurückweisen will, muss mit Ja stimmen. Bitte achten Sie darauf, dass die Stimmkarte, die
Sie verwenden, Ihren Namen trägt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/7222. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, ihre Plätze erneut einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne
ich die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht
der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, auch hier
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.
({3})
Wir haben das Ziel, jetzt die Haushaltsberatungen
fortzusetzen. Das ist nur möglich, wenn diejenigen, die
an den Beratungen nicht teilnehmen und stattdessen anderen wichtigen Dingen nachgehen wollen, den Raum
verlassen und die anderen sich hinsetzen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt II.10:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
- Drucksachen 16/6405, 16/6423 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Koppelin
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Lothar Mark
Michael Leutert
Zum Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der FDP vor.
Es ist verabredet, zwei Stunden zu debattieren. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als Hauptberichterstatter für den Etat des Außenministers
({0})
- das Thema ist zu ernst für solche Zwischenrufe, Herr
Kollege - möchte ich mich ganz herzlich bedanken: zum
einen für die gute Zusammenarbeit mit den Haushältern,
aber auch mit dem ganzen Haus, zum anderen bei allen
Mitberichterstattern, egal von welcher Fraktion. Ich
glaube, wir haben sehr gute Arbeit geleistet; denn wir
haben vieles gemeinsam angeschoben und gestärkt.
Ich nenne hier einiges, das wir alle gemeinsam getragen und für das wir uns stark gemacht haben, zum Beispiel die auswärtige Kulturpolitik; das Goethe-Institut ist
ein Stichwort, aber auch die deutschen Schulen. Ich will
ausdrücklich auch den Kollegen Mark loben, der sich
hierfür immer sehr engagiert. Wir haben uns auch bemüht, verstärkt Mittel für die Sanierung und Renovierung der deutschen Botschaften zur Verfügung zu stellen. Viele Botschaftsgebäude stammen aus den 50er- und
60er-Jahren und sind jetzt dringend renovierungsbedürftig. Auch das haben wir alle gemeinsam mitgetragen.
({1})
Bevor ich jetzt einige kritische Anmerkungen mache,
will ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich diese
Anmerkungen nicht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Außenministeriums richten, sondern zum einen an den Finanzminister und zum anderen natürlich an
den Außenminister.
Aus Sicht meiner Fraktion kritisch zu sehen ist die
Personalsituation im Auswärtigen Amt. Sie ist, sehr direkt gesagt, äußerst unbefriedigend. Wenn man verlangt,
dass Deutschland eine wichtige Rolle in der Welt spielt,
dann muss man die Botschaften entsprechend mit Personal ausstatten; daran geht kein Weg vorbei. Die Arbeitsbelastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
Botschaften ist immens gewachsen, die Personalausstattung ist gesunken. Wir haben den gleichen Personalstand
wie zum Zeitpunkt der deutschen Wiedervereinigung.
Das entspricht nicht dem, was wir brauchen. Die Herausforderungen sind einfach zu groß. Die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Botschaften ist - das muss ich einfach sagen - an eine
Grenze gekommen. Da gibt es kein Vertun. Hier müssen
wir etwas machen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, in unseren Diskussionen und auch im Ausschuss unterstützen Sie uns; da sind wir uns alle einig.
Wenn es aber ans Eingemachte geht, dann haben wir Ihre
Unterstützung leider nicht. Deswegen sahen wir uns genötigt, einen Änderungsantrag vorzulegen, in dem wir
auf die Personalsituation hinweisen. Wir bitten Sie herzlich, unserem Antrag zuzustimmen. Bitte unterstützen
Sie uns nicht nur mit Worten, sondern in der Abstimmung hier auch mit Taten. Ich wäre Ihnen sehr dankbar,
wenn Sie unserem Antrag zustimmen würden.
({3})
Es gibt einen weiteren Punkt. Wenn wir uns darin einig sind, dass die Botschaften personell knapp ausgestattet sind, dann geht auch kein Weg daran vorbei, zu sagen: Der Abbau von Planstellen und Stellen im
auswärtigen Dienst darf nicht in der bisherigen Form
fortgesetzt werden.
({4})
Wenn wir schon jetzt einen Mangel haben, können wir
nicht noch weiter abbauen.
({5})
Ich möchte die heutige Gelegenheit nutzen, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des gesamten auswärtigen Dienstes meinen Dank und meine Anerkennung für
ihre großen Leistungen auszusprechen.
({6})
Es mag die eine oder andere Kritik geben - so habe ich
es gelesen -, zum Beispiel am Krisenstab. Wenn die
Kritik berechtigt ist, dann ist das zu beheben. Insgesamt
aber leistet unser Krisenstab - unter manchmal erschwerten Bedingungen - ganz hervorragende Arbeit;
das sollte man nicht in der Öffentlichkeit zerreden. Hier
finden sich hoffentlich wieder alle zusammen, unter der
Leitung des Ministers, der bereits im Gespräch angekündigt hat, dass da etwas geschieht. Der Krisenstab hat in
den vergangenen Jahren hervorragende Arbeit geleistet.
Wir sprechen ihm unsere Anerkennung aus.
({7})
Herr Minister, was wir zu kritisieren haben, ist eindeutig; der Kollege Westerwelle hat das vorhin schon
angesprochen. Sie müssen uns heute hier erklären, warum Sie einen weiteren Staatssekretär brauchen. Warum brauchen Sie einen innenpolitischen Berater? Warum brauchen Sie weiteres Führungspersonal? In den
Botschaften wäre mehr Personal notwendig gewesen,
aber doch nicht für Sie für den Wahlkampf. Das ist für
den deutschen Steuerzahler einfach zu teuer. Das sollten
Sie uns erklären.
({8})
Wenn wir in den Botschaften gutes Personal haben
wollen, dann müssen wir es vernünftig bezahlen, auch
unsere Botschafter. Insofern freue ich mich, dass man
zumindest in einem Punkt der FDP gefolgt ist und die
sehr wichtige Botschafterposition in Tel Aviv angehoben
hat. Ich sage der Koalition herzlichen Dank dafür, dass
sie meinem Vorschlag gefolgt ist. Vielleicht sollten wir
uns im nächsten Jahr alle Botschafterstellen angucken.
Man bekommt, gerade in Konkurrenz zur Wirtschaft,
nur dann gute Leute, wenn man sie vernünftig bezahlt,
gerade bei dem Job, den unsere Botschafter machen
müssen.
Ich möchte in aller Kürze noch ein Thema aufgreifen,
zu dem Sie heute ebenfalls Stellung nehmen müssen.
Das ist die Diskrepanz, die ich in Ihren Äußerungen zum
Dalai Lama festgestellt habe. Sie ziehen sich jetzt darauf zurück, dass Sie sie in Ihrer Eigenschaft als stellvertretender Parteivorsitzender gemacht hätten. Auch als
Vertreter der FDP, die mit ihrer Friedrich-Naumann-Stiftung dem Dalai Lama sehr eng verbunden ist, sage ich:
Es kann nicht sein, dass ein Außenminister die Kanzlerin
kritisiert und sich dann darauf beruft, er habe nicht als
Außenminister gesprochen, sondern als stellvertretender
Parteivorsitzender. Ich sage Ihnen ganz offen: Mir ist
eine Kanzlerin lieber, die den religiösen Führer Dalai
Lama empfängt, als ein Kanzler, der Herrn Putin als aufrechten Demokraten bezeichnet.
Herzlichen Dank.
({9})
Lothar Mark spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit Freude kann ich Ihnen heute berichten, dass es
in den Haushaltsberatungen gelungen ist, den Ansatz für
den Haushalt 2008 des Auswärtigen Amtes in der Bereinigungssitzung um zusätzlich 43,4 Millionen Euro anzuheben. Das heißt, in diesem Einzelplan sind nun Mittel
in Höhe von knapp 2,86 Milliarden Euro etatisiert. Im
Vergleich zu 2007 bedeutet dies einen Aufwuchs um
348 Millionen Euro oder um 13,9 Prozent. Die Mittel für
die deutsche Außenpolitik machen damit einen Anteil
am Gesamthaushalt von 1,01 Prozent im Vergleich zu
0,92 Prozent 2007 aus, was angesichts der gestiegenen
internationalen Anforderungen an die Bundesrepublik
seit langem vom Auswärtigen Amt, von meinem
Unionsberichterstatterkollegen Herbert Frankenhauser
und von mir als zuständigem Berichterstatter für die
SPD-Fraktion angemahnt wurde. Damit kommen wir
auch einer Forderung nach, die vom Auswärtigen Ausschuss in den vergangenen Jahren immer wieder erhoben
wurde.
Die mit dem Haushalt 2007 eingeleitete Trendumkehr
bei der Stellenausstattung des Auswärtigen Dienstes
konnte für das Haushaltsjahr 2008 fortgesetzt werden,
lieber Kollege Koppelin.
({0})
Seit Beginn der linearen Stellenkürzungen hat sich eine
Schere zwischen den wachsenden außenpolitischen Aufgaben und der schrumpfenden Personalausstattung aufgetan. Um die Handlungsfähigkeit des Auswärtigen
Dienstes auch in Zukunft sichern zu können, bedarf es einer angemessenen Personalausstattung. Dabei ist hervorzuheben, dass das Auswärtige Amt Anstrengungen unternommen hat, um die eigenen Strukturen zu modernisieren
und zu verschlanken.
({1})
Der Auswärtige Dienst muss für die besten Köpfe in unserem Land weiterhin attraktiv bleiben. Die Forderung
nach einer angemessenen Ausstattung mit Stellen zur
strategischen Postenvorbereitung blieb auch in diesem
Jahr leider unerfüllt. Gerade im Auswärtigen Dienst, wo
die Beschäftigten der Rotation unterliegen, ist die sorgfältige Vorbereitung auf den nächsten Posten unverzichtbar. Angesichts der knappen Stellenlage erfolgt meines
Erachtens eine strategische Postenvorbereitung nicht in
ausreichendem Maße.
Die Aufstockungen der Ansätze für die politischen
Aufgaben mit 21,5 Millionen Euro wie für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik mit 15,6 Millionen
Euro sind das zentrale Ergebnis des Haushaltsaufstellungsverfahrens für 2008.
({2})
Diesem wachsenden Gestaltungsspielraum muss aber
auch ein Zuwachs bei den Betriebsmitteln entsprechen.
Der ODA-Aufwuchs im Haushalt des Auswärtigen Amtes beträgt 272 Millionen Euro. Gemessen an den zusätzlichen Mitteln, die aus dem Bundeshaushalt in den
ODA-Bereich geflossen sind - das sind insgesamt
750 Millionen Euro -, sind das 36,6 Prozent. Damit wird
die langjährige Forderung des Auswärtigen Amtes nach
einer proportionalen Teilhabe an zusätzlichen ODAMitteln erfüllt. Der ODA-Aufwuchs kommt einer Reihe
von Haushaltsposten zugute, zum Beispiel der humanitären Hilfe, der Krisenprävention, dem Stabilitätspakt für
Afghanistan, dem G-8-Afrikaprogramm sowie dem Sonderprogramm Afrika in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik.
({3})
Der Haushalt des Auswärtigen Amtes wird 2008 einen
ODA-Anteil von insgesamt 600 Millionen Euro umfassen.
Viele Aufgabenwahrnehmungen des Auswärtigen Amtes sind für die Entwicklung in verschiedenen Ländern
von großer Bedeutung. Das gilt ganz besonders für die
Wirkung der Kulturarbeit in Entwicklungsländern. Es
ist nur folgerichtig, dass ein ausgewogener Anteil am
ODA-Zuwachs im Bundeshaushalt auf das Auswärtige
Amt entfällt, damit das Gleichgewicht zwischen den sehr
umfassenden wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Maßnahmen sowie den viel geringer angesetzten
Kulturprojekten nicht weiter aus dem Lot gerät. Das be13566
deutet aber nicht, dass das Auswärtige Amt Arbeit des
BMZ übernimmt.
Unabhängig vom Haushalt des Auswärtigen Amtes
möchte ich darauf hinweisen, dass die Budgetierung im
Gesamthaushalt stärker forciert werden müsste. Erfreut
bin ich, dass der Flexibilisierungsgrad und die gegenseitige Deckungsfähigkeit in den einzelnen Titelgruppen im
Gesamthaushalt zugenommen haben.
({4})
Trotzdem will ich anregen, dass der Aufgabenkritik in
allen Ministerien mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.
({5})
Der Titel „Demokratisierungs- und Ausstattungshilfe,
Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte“ wurde
um 2,25 Millionen Euro auf über 20 Millionen Euro erhöht.
({6})
Mit der Aufstockung der Mittel für die Ausstattungshilfe wird das Auswärtige Amt in enger Zusammenarbeit
mit dem Bundesministerium für Verteidigung 2008 in
der Lage sein, die sehr sinnvollen laufenden Projekte
finanziell ausreichend zu unterfüttern. Die Ausstattungshilfe steht für eine besonders effiziente Form der Entwicklungshilfe im Bereich „Auswärtiges Amt und Verteidigungsministerium“.
Der Ansatz „Für humanitäre Hilfsmaßnahmen im
Ausland außerhalb der Entwicklungshilfe“ wurde um
2,2 Millionen Euro auf inzwischen 95,6 Millionen Euro
angehoben. Die Mittel sollen die vom Kabinett bereits
vorgesehenen 10 Millionen Euro für das humanitäre Minenräumen verstärken.
({7})
Wir alle sind uns einig, dass hier in Zukunft noch mehr
getan werden muss.
({8})
Die „Leistungen im Rahmen der Stabilitätspakte
Afghanistan und Südosteuropa der Bundesregierung“
wurden auf 80 Millionen Euro erhöht und in der Bereinigungssitzung für die zwingend erforderliche Intensivierung der Maßnahmen zum Wiederaufbau der Polizei in
Afghanistan um weitere 15,7 Millionen Euro aufgestockt. Als Haushälter bin ich sehr erfreut, dass damit
dem zivilen Aufbau in Afghanistan immer mehr Bedeutung beigemessen wird.
({9})
Im Sinne der Haushaltsklarheit und -wahrheit wurden
die Mittel jetzt auch im auswärtigen Haushalt etatisiert.
Auch das sehe ich als einen Erfolg von Herbert
Frankenhauser, mir und vielen anderen, die im Haushaltsausschuss dafür gekämpft haben.
Die Bundesregierung sollte sich überlegen - hier
spreche ich auch im Namen meines Berichterstatterkollegen Herbert Frankenhauser -, ob sie nicht, wiederum
im Sinne von Haushaltsklarheit und -wahrheit, in Zukunft einen neuen Titel „Friedenskonsolidierung und
Krisenprävention“ einrichten will.
({10})
Dieser sollte unserer Meinung nach mit 1,5 bis 2 Milliarden Euro ausgestattet werden und alle Mittel enthalten, die aus den verschiedenen Ressorts wie AA, BMI,
BMZ und BMVg in diese Aufgaben fließen. Es geht dabei nicht um eine Aufstockung der Mittel, sondern um
eine Bündelung der Bundesgelder in einem Titel. Da das
Auswärtige Amt in dem Bereich die Hauptverantwortung trägt, sollte es mithilfe dieses Haushaltstitels schnell
und strategisch abgestimmt auf verschiedene Krisensituationen und den dringendsten Bedarf reagieren können.
In der Bereinigungssitzung wurde auch der Titel „Gesellschaftspolitische Maßnahmen der politischen Stiftungen“ um 1,7 Millionen Euro erhöht. Mit ihrer operativen
Arbeit ergänzen die Stiftungen seit vielen Jahren die Außenpolitik der Bundesregierung. Das zusätzliche Geld
soll die erfolgreiche Arbeit der Stiftungen unterstützen
und dafür sorgen, dass sie eine verlässliche und berechenbare Planungs- und Finanzierungsgrundlage haben.
Lassen Sie mich hier ein anderes Problem ansprechen:
Die neuen EU-Mitgliedstaaten und Industriestaaten wie
Südkorea und Israel sind keine Partnerländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Die Fortsetzung
der Förderung durch das BMZ birgt die Gefahr, dass unsere Partner sich durch die Einstufung als Entwicklungsländer vor den Kopf gestoßen fühlen. Die Berichterstatter
für das Auswärtige Amt und das BMZ müssen deshalb
mit den Stiftungen darüber reden, ob die Förderzuständigkeit für die neuen EU-Länder und weitere Industrieund Transformationsländer - selbstverständlich einschließlich der Mittelübertragung - künftig in das Auswärtige Amt verlagert werden oder beim BMZ bleiben.
Von den Haushaltsberichterstattern der Koalition
wurde auch der Ansatz „Stipendien, Austauschmaßnahmen und Beihilfen für Nachwuchswissenschaftler, Studierende und Hochschulpraktikanten aus dem Ausland
sowie Betreuung und Nachbetreuung“ um 1 Million
Euro erhöht.
({11})
Diese Investitionen - genau wie die in unsere Auslandsschulen - sind rentierliche Investitionen, weil dadurch
nachhaltige Bindungen an Deutschland entstehen, die
sich nicht nur strategisch und partnerschaftlich, sondern
auch ökonomisch auswirken. Der Ansatz für „Zuwendungen an Schulen im Ausland“ wurde um 3,4 Millionen Euro auf 37 Millionen Euro erhöht.
Bildung ist das Schlüsselthema des 21. Jahrhunderts.
Ein wichtiges Ziel der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik bleiben die Stärkung und der Ausbau des
Netzes deutscher Auslandsschulen einschließlich der
Unterstützung von Neugründungen in strategisch wichtigen und Wachstumsregionen.
({12})
An dieser Stelle ist auch die Initiative „Schulen: Partner
der Zukunft“ des Auswärtigen Amtes zu nennen, für die
nicht nur in diesem Titel, sondern insgesamt zusätzlich
41,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt wurden. Ziel
dabei ist die Etablierung eines erweiterten Netzes von
circa 1 000 Partnerschulen.
Im Sinne von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit werden künftig fast alle dem Goethe-Institut zufließenden Mittel in einem Titel erfasst. Endlich ist ab 2008
auch die weltweite Budgetierung des Goethe-Instituts
gelungen, nachdem das Pilotprojekt Italien erfolgreich
verlaufen ist. Dafür habe ich, seit ich im Haushaltsausschuss für den Einzelplan 05 zuständig bin, gemeinsam
mit meiner Kollegin Monika Griefahn gestritten; ich
wurde jüngst von allen Berichterstatterkollegen unterstützt.
({13})
Die im vergangenen Jahr beschlossene Reform des
Goethe-Instituts als größter AKBP-Mittlerorganisation
ist gemäß Regierungsentwurf nun mit einem institutionellen Förderbeitrag von knapp 120 Millionen Euro pro
Jahr abgesichert. Das Gesamtbudget beträgt jetzt rund
186 Millionen Euro.
An dieser Stelle möchte ich allen Beteiligten sowohl
beim Goethe-Institut als auch im Auswärtigen Amt und
meinem Kollegen Herbert Frankenhauser sehr für ihren
Einsatz im Zusammenhang mit dem 2006 eingeleiteten
Strategie- und Reformkonzept danken, das bereits
erste klar erkennbare Früchte trägt.
({14})
Ich habe viele Einzelpositionen aus Zeitgründen weggelassen.
({15})
Summa summarum ist festzuhalten, dass wir im parlamentarischen Verfahren innerhalb des Einzelplans Mittel
im Gesamtumfang von 13,16 Millionen Euro umgeschichtet haben. Die Aufstockungen in diesem Einzelplan wurden möglich durch Kürzungen bei den Titeln
„Trennungsgeld, Fahrtkostenzuschüsse sowie Umzugskostenvergütungen“, „Öffentlichkeitsarbeit“, „Ständiger
Internationaler Gerichtshof“ - ohne dass wir hier unsere
Aufgaben vernachlässigen; denn ein neuer Zahler ist mit
Japan hinzugekommen - sowie beim Titel „Deutscher
Beitrag im Rahmen der G-8-Initiative zur Abrüstungsund Nichtverbreitungszusammenarbeit“.
Abschließend möchte ich den Haushältern im Auswärtigen Amt und allen uns immer wieder spontan und
gewissenhaft zuarbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem Außenminister und meinen Berichterstatterkollegen Jürgen Koppelin, Herbert Frankenhauser,
Alexander Bonde und Michael Leutert sehr herzlich für
die gute Zusammenarbeit danken. Dank sage ich auch
allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Auswärtigen
Amt für ihre exzellente Arbeit für Deutschland.
Vielen Dank.
({16})
Ich gebe Ihnen jetzt die von den Schriftführern und
Schriftführerinnen ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt, und zwar zunächst zum
Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushalts für das Haushaltsjahr 2008, Einzelplan 04,
Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes: Abgegeben worden sind 578 Stimmen.
Mit Ja haben gestimmt 422 Abgeordnete. Mit Nein haben gestimmt 156 Abgeordnete. Damit ist der Einzelplan 04 angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 576;
davon
ja: 420
nein: 156
enthalten: 0
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Markus Grübel
Manfred Grund
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({7})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({10})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({11})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({12})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Bernward Müller ({15})
Bernd Neumann ({16})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({17})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({19})
Andreas Schmidt ({20})
Ingo Schmitt ({21})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Marion Seib
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({22})
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({23})
Gerald Weiß ({24})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({25})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({26})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({27})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({28})
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({29})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({30})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({31})
Frank Hofmann ({32})
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({33})
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({34})
Dr. Karl Lauterbach
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dirk Manzewski
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({35})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({36})
Michael Müller ({37})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({38})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({39})
Michael Roth ({40})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({41})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt ({42})
Heinz Schmitt ({43})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({44})
Swen Schulz ({45})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({46})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({47})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({48})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({49})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({50})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({51})
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({52})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({53})
Martin Zeil
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({54})
Volker Schneider
({55})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({56})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({57})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Markus Kurth
Undine Kurth ({58})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({59})
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({60})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({61})
Fraktionslose Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Die zweite namentliche Abstimmung hatte den
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
„Zurückweisung des Einspruches des Bundesrats gegen
das Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten
Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011“ zum Gegenstand. Hier wurden ebenfalls
578 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 422,
mit Nein haben gestimmt 50. Es gab 106 Enthaltungen.
Der Antrag ist gemäß Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes
mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 577;
davon
ja: 421
nein: 50
enthalten: 106
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({62})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({63})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({64})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({65})
Dirk Fischer ({66})
Axel E. Fischer ({67})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({68})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({69})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({70})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({71})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({72})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({73})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({74})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Carsten Müller
({75})
Stefan Müller ({76})
Bernward Müller ({77})
Bernd Neumann ({78})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({79})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({80})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({81})
Andreas Schmidt ({82})
Ingo Schmitt ({83})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Marion Seib
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({84})
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({85})
Gerald Weiß ({86})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({87})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({88})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({89})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({90})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({91})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({92})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({93})
Frank Hofmann ({94})
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({95})
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({96})
Dr. Karl Lauterbach
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({97})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({98})
Michael Müller ({99})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({100})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({101})
Michael Roth ({102})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({103})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt ({104})
Silvia Schmidt ({105})
Heinz Schmitt ({106})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({107})
Swen Schulz ({108})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({109})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({110})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({111})
Volker Schneider
({112})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Fraktionslose Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Enthaltung
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({113})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({114})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({115})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({116})
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({117})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({118})
Martin Zeil
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({119})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({120})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Markus Kurth
Undine Kurth ({121})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({122})
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({123})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({124})
Wir kommen zurück zu unserer Debatte.
Ich gebe das Wort Dr. Norman Paech für die Fraktion
Die Linke.
({125})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst möchte ich den Herrn Außenminister sehr
herzlich begrüßen. Alle sprechen von Annapolis, und Sie
sitzen schon wieder hier. Das spricht offensichtlich auch
für die Intensität und die Ausführlichkeit der Verhandlungen dort.
Wonach bemisst sich eigentlich der Erfolg der
Außenpolitik? Nach dem Beliebtheitsgrad, wie ihn Umfrageergebnisse widerspiegeln, oder nach den Einladungen auf die Privatranch von Präsident Bush?
({0})
Nimmt man die Lösung von Konflikten und auch die
Verbreitung des Friedens in der Welt als Maßstab, so ist
die Bilanz eher kümmerlich und geradezu gefährlich.
Herr Außenminister, Sie waren jetzt gerade auf Friedensmission in den USA und haben als Sherpa von Präsident Bush zweifelsohne eine gute Figur gemacht.
Schon seit Wochen versucht man, uns dieses Treffen, das
Gruppenfoto von Annapolis, als Erfolg zu verkaufen.
Eines ist jetzt schon sicher: Diese gigantische Public-Relations-Show wird überhaupt nichts ändern. Keine der
dringlichsten Fragen - ob die Siedlungspolitik, der
Grenzverlauf, der Status von Jerusalem oder die Rückkehr der Flüchtlinge - ist konkret verhandelt worden.
Das ist angesichts der katastrophalen Lebenssituation in
der Westbank und in Gaza beschämend. Das ist auch erbärmlich angesichts der Erfolglosigkeit von 40 Jahren
Politik, die dazu beigetragen hat, die Bildung eines palästinensischen Staates zu verhindern und die auch Israel
überhaupt keinen Frieden gebracht hat.
Weiter östlich, in Afghanistan, geht der Krieg jetzt
bereits in das siebte Jahr. Kein Ende ist absehbar. Auf
den Trümmern der alten Gesellschaft wollen die USA
ein modernes Protektorat errichten; sie nennen das einfach Nation-Building. In dieses Projekt haben sich die
Bundesrepublik und die NATO eingeklinkt. Sie verstricken sich unaufhaltsam und immer mehr in einen völkerrechtswidrigen Krieg. Die Regierungskoalition hat überhaupt keine Perspektive, wie sie aus diesem Desaster
herauskommen will. Stattdessen werden jetzt wieder
Forderungen nach neuen Eingreiftruppen laut. Dabei
gibt es nur eine Alternative: Verhandlungen mit dem
Gegner und ziviler Aufbau.
Ich sage Ihnen: Es gibt keine Bündnispflichten, die es
Ihnen verbieten würden, aus diesem Krieg auszusteigen.
Nehmen Sie die Schweiz - es ist schon erwähnt worden -:
Sie hat sich wegen der Zwecklosigkeit mittlerweile aus
ISAF verabschiedet.
Im Iran steuern Sie direkt auf eine weitere Niederlage Ihrer Politik zu. So viel ist klar: Wenn Sie diese Politik der Sanktionen so verfolgen wie bisher, dann müssen Sie irgendwann Ihr Scheitern eingestehen, da Iran
nicht auf Druck reagieren wird. Oder es kommt zu dem
wiederholt angekündigten Überfall der USA auf den
Iran. Die Linke fordert: Trennen Sie sich von dieser Politik der Drohungen und Sanktionen! Verhandeln Sie ohne
Vorbedingungen, wie Sie es mit Nordkorea getan haben!
Fordern Sie statt Suspendierung der Urananreicherung
scharfe internationale Kontrollen und überzeugen Sie die
USA davon, dem Iran umfassende Nichtangriffsgarantien anzubieten und die alten Sanktionen aufzuheben!
Anderenfalls erhalten Sie das, was Sie immer verhindern
wollten, nämlich eine weitere Nuklearmacht im Nahen
Osten.
Um es deutlich zu sagen: Das Elend Ihrer Außenpolitik sind Ihre Abhängigkeit von den USA und der Verlust
der Eigenständigkeit. Wir haben diese Eigenständigkeit
bei der Weigerung, am Irakkrieg offen teilzunehmen,
einmal aufscheinen sehen. Das war aber nur für kurze
Zeit, und dann ist sie wieder erloschen.
Aber zu der Politik der Drohungen und der Sanktionen gibt es eine Alternative, zu der Sie die Linke auffordert: Koppeln Sie sich von einer Politik ab, die zu immer
mehr Konflikten und immer neuen Kriegen führt, ob im
Nahen und Mittleren Osten, in Afrika oder auch in Europa. Sie reden so viel vom Frieden; aber es kommen
immer mehr Konflikte, mehr Gewalt und auch Kriege
heraus. Unsere Forderung lautet: Entwickeln Sie eine eigene Außenpolitik, die auf der Achtung der Souveränität und der Gleichheit der Staaten sowie auf einer wirklichen Solidarität beruht. Dann wird es auch eine
erfolgreiche und glaubwürdige deutsche Außenpolitik
sein.
Danke sehr.
({1})
Als nächster spricht der Kollege Herbert
Frankenhauser, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Man
kann sich keinen besseren Mitberichterstatter als den
Kollegen Lothar Mark wünschen,
({0})
weil es niemanden gibt, der den Einzelplan 05 exakter
darstellen und erläutern kann.
({1})
Deswegen gratuliere ich ihm auch sehr herzlich dazu,
dass sein altes Anliegen endlich erreicht worden ist, dass
der Anteil des Einzelplans 05 am Gesamtetat die 1-Prozent-Marke überschritten hat.
({2})
Kollege Koppelin, Sie haben möglicherweise nicht
ganz mitbekommen, dass wir in der Personalausstattung
des Auswärtigen Amtes eine gewisse Kehrtwende eingeläutet haben. Ich freue mich, dass Sie in Bälde auch für
den Einzelplan 05 ein Ausgabenbuch dem Hohen Hause
zur Verfügung stellen wollen, das etwa so wie dieses
Kompendium auf Ihrem Pult aussieht; denn in diesem
Einzelplan zeigen Sie sich besonders ausgabenfreundlich, auch wenn Ihr Problem beim Protokoll noch nicht
abschließend gelöst worden ist.
Herr Kollege, möchten Sie denn eine Zwischenfrage
von Herrn Koppelin zulassen? Es machte den Eindruck.
Außerordentlich gerne.
Bitte schön, Herr Koppelin.
Lieber Herr Kollege, da Sie gerade von der Personalsituation sprechen, sind Sie natürlich in der Koalition etwas besser als wir von der Opposition informiert. Wie ist
eigentlich der neueste Stand, was das Personal angeht?
Ich habe den beamteten Staatssekretär, der noch dazukommt, bereits erwähnt. Wie viel Personal geht jetzt
vom Arbeitsministerium in das Auswärtige Amt oder
wird nach dort entliehen? Im Haushaltsausschuss konnte
diese Frage nicht beantwortet werden.
Die Frage ist ganz einfach zu beantworten: Die ganze
Sache ist noch im Fluss.
({0})
Aber sobald es endgültig entschieden sein wird, werden
Sie umfangreich informiert werden, Herr Kollege. Dafür
sorge ich persönlich.
Ich lege Wert darauf, dass insbesondere beim Einzelplan 05 das Parlament über seine Berichterstatter von
seinem Budgetrecht ausgiebig Gebrauch gemacht hat,
was in Laufe der Zeit etwas verloren gegangen war. Ich
spreche lediglich ein paar Themen an, da mir der Kollege Mark nur wenige Nischen gelassen hat.
Herr Außenminister, ich bitte Sie, den zu der G-8-Abrüstungsinitiative geschlossenen Vertrag bezüglich Russlands zu überprüfen, weil wir doch gewisse Erklärungsschwierigkeiten haben. Einerseits stellen wir sehr hohe
Beträge für das Abwracken russischer Atom-U-Boote
zur Verfügung, und andererseits erklärt Russland, neue
bauen zu wollen.
Ich sehe den Aufbau des neuen Europäischen Auswärtigen Dienstes etwas skeptisch; deswegen gab es eine
Sperre beim Personal. Hier wollen wir abwarten, wie es
sich im Laufe des Jahres entwickeln wird.
Erfreulicherweise sind wir mit dem leidigen Thema
Liegenschaftsmanagement, das alle Bauten des Auswärtigen Amtes im Ausland betrifft, etwas vorangekommen, und zwar dahin gehend, dass das Auswärtige Amt
mehr eigene Entscheidungsmöglichkeiten erhalten wird.
Ich bitte Sie aber nachdrücklich, Herr Außenminister,
prüfen zu lassen, ob wirklich jede Bruchbude, die sich
im Ausland deutsche Botschaft nennt, unbedingt unter
Denkmalschutz gestellt werden muss,
({1})
weil im Ausland insbesondere dann, wenn die örtlichen
Behörden schon die Caterpillar-Planierraupen haben
auffahren lassen, völliges Unverständnis herrscht, wie
solche Dinge mit Millionenaufwand wiederhergestellt
werden. Vielleicht könnten wir hier ein gewisses exterritoriales Recht finden. Wir starten auch ein neues Programm, mit dem unsere Botschaften im Ausland mit alternativen Energien umfangreich ausgestattet werden,
um auch dort unsere Leistungsfähigkeit auf diesem Gebiet zu zeigen.
Wir haben den UN-Beitrag für den Sudan, Herr Außenminister, um 49 Millionen Euro erhöht. Dort spielt
sich zwar nach wie vor eine Tragödie ab, aber es kann
auch nicht sein, dass durch erhöhte UN-Gelder den deutschen Nichtregierungsorganisationen das Personal abgeworben wird, weil die UNO wesentlich höhere Gehälter
zahlt.
Ich weise darauf hin, dass die Mittel für die Polizei in
Afghanistan um 15,7 Millionen Euro zusätzlich erhöht
worden sind. Es ist bedauerlich, dass die Türkei immer
noch ein Abkommen blockiert und deshalb die Polizeikräfte direkt unter den Schutz der ISAF-Truppen gestellt
werden. Ich denke, dass in solchen Krisen und Kriegsgebieten die europäischen Ausschreibungsrichtlinien
ebenso in den Papierkorb gehören wie die deutschen
TÜV- und ASU-Vorschriften in Kabul und Umgebung.
({2})
Ich denke, dass wir dabei endlich Nägel mit Köpfen
machen sollten. Letztendlich müsste dann zum Abbau
auch dieser Bürokratie in Brüssel der ehemalige Ministerpräsident Edmund Stoiber eingesetzt werden, der dafür bestimmt die nötige Durchschlagskraft hätte.
({3})
Denn der Rechnungshofbericht hat erneut schwerste
Verstöße im Bereich der Haushaltsführung auf europäischer Ebene festgestellt.
({4})
Möglicherweise liegt es daran, dass uns der Europäische
Rechnungshof in der Erhöhung des Renteneintrittsalters
schon etwas vorausgegangen ist. Ich habe mit großer
Überraschung gelesen, dass viele Mitglieder schon auf
das goldene Rentenalter von 75 Jahren zusteuern.
({5})
Möglicherweise trübt auch das ehrliche Einkommen von
444 444 Euro etwas den Blick, wodurch zu erklären ist,
dass die Kosten des Neubaus für diese Riege älterer Herren von ursprünglich 26 Millionen Euro mittlerweile
schon bei 83 Millionen Euro angelangt sind.
Das ist doch eine sehr erfolgreiche Tätigkeit eines
Rechnungshofes. Vielleicht könnten Sie, Herr Außenminister, bei der Besetzung künftig auch an Personen denken, die zwar nicht unbedingt aus der Jungen Union
kommen müssen, aber vielleicht mittleren Alters sind.
Das würde diesem Gremium sicherlich gut tun. Es gäbe
sicherlich auch den einen oder anderen, der diese Arbeit
für ein geringeres Salär tun würde.
({6})
Wir wissen, dass die Gelder, die der Deutsche Bundestag dem Auswärtigen Amt zur Verfügung stellt, ordentlich verwaltet werden. Vielen Dank, Herr Finanzminister, dass Sie schon in der Kabinettsvorlage Vorsorge
getroffen und nicht alles dem Budgetrecht des Parlamentes überlassen haben.
({7})
Der Vizekanzler und Außenminister, dem wir die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit etwas gekürzt haben - das
betrifft zwar nicht die innerkabinettliche Kritik, aber
vielleicht hilft es trotzdem -, hat in dieser Woche in einem Interview gesagt, es gebe keine Alternative zu dieser Koalition, keine Alternative wäre besser für unser
Land - und ich ergänze: für diesen Haushalt.
Vielen Dank.
({8})
Jetzt hat Marieluise Beck das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es braucht schon einiges, verehrter Herr Koppelin, ehe
man Ihnen zustimmen kann. Aber in diesem Fall muss
man das wirklich tun, was die Frage der Stellenbesetzung und Umwidmung im Auswärtigen Amt anbelangt.
Es ist nicht das erste Mal, dass ein Außenminister
gleichzeitig Vizekanzler ist. Bisher bedurfte aber noch
kein solcher Vizekanzler der Unterstützung eines beamteten Staatssekretärs. Das ist also eindeutig ein Bruch
mit der Tradition des Hauses. Angesichts der Besetzung
- ich kenne den verehrten Kollegen Tiemann, der sich
bisher immer als Arbeits- und Sozialpolitiker hervorgetan hat - erwarten wir gespannt, welches außenpolitische
Feld ihm nun im Auswärtigen Amt übertragen werden
wird.
({0})
Ich habe mich eben an dem scheinbar so harmonischen Bild des Verhältnisses zwischen Ihnen, Herr
Steinmeier, und der Kanzlerin erfreut. Dies sah in den
vergangenen Wochen doch deutlich anders aus, und
zwar öffentlich und für jeden wahrnehmbar. Die Kanzlerin mit ihrer Einladung an den Dalai Lama, die wir richtig fanden, weil es nicht darum geht, sich wegzuducken,
Marieluise Beck ({1})
wenn der chinesischen Regierung etwas nicht passt, ist
dafür von Ihnen öffentlich und deutlich kritisiert worden. Damit sind Sie ihr in den Rücken gefallen. Sie haben das als Schaufensterpolitik bezeichnet.
({2})
Sollen wir jetzt sagen, es sei Schaufensterpolitik gewesen, als Sie das Vorgehen gegen russische Oppositionelle
- zu Recht - gerügt haben? Das war ein deutliches Zeichen, das notwendig war.
Diese Auseinandersetzung schwächt das Renommee
der deutschen Außenpolitik, und in Zeiten, da Deutschland gerade auch innerhalb der Europäischen Union so
gebraucht wird wie derzeit, können wir Derartiges nicht
gebrauchen. Jetzt muss tatsächlich irgendwie eine strategische Gemeinsamkeit entstehen. Ich bin gespannt,
was bei den angesetzten Gesprächen herauskommen
wird.
({3})
Klar sollte für uns sein, dass es gegenüber Ländern
mit gravierenden rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Defiziten klare Worte und Taten aus Deutschland
gibt und dass dies ein unverrückbarer Grundsatz ist. Das
birgt Herausforderungen hinsichtlich der Frage in sich:
Wie gehen wir mit Ländern um, die zunehmend schwierig werden, die sich eher von der Demokratie weg entwickeln, statt in die Richtung zu gehen, die wir erwartet
haben? Dies gilt auch für Russland; wir haben es vor
zwei Wochen hier debattiert.
Wo liegen jetzt die strategischen Antworten jenseits
der Benennung des Dilemmas?
Der erste Schlüssel liegt in Folgendem: Wir alle müssen in der Einschätzung dessen, was in Russland derzeit
passiert, realistischer werden. Die Hoffnung, die wir in
den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gehabt
haben, dass Russland sich geradezu systematisch in
Richtung auf die westlichen Verfassungen und Demokratien zubewegen werde, erfüllt sich nicht.
Dieser Realismus ist sicherlich vernünftig, weil er
uns einen Blick gibt, mit dem wir uns dann, ohne leicht
verträumt zu sein, auf das einstellen können, was sich
derzeit abspielt. Die Entwicklung geht in Richtung eines
autoritären Staates; das ist das Faktum, mit dem wir uns
auseinanderzusetzen haben.
Trotzdem bleibt natürlich dieses Russland ein wichtiger Partner für uns. Wir sind aufeinander angewiesen,
wobei die Betonung bei „aufeinander“ liegt. Nicht nur
wir sind von Russland abhängig; wir sind es in der Energiepolitik, wir sind es in der Klimapolitik, wir sind es bei
der Bewältigung von Krisen von Darfur bis Kosovo und
Iran, wie wir ebenfalls alle wissen. Aber dazu braucht es
Realismus und sicherlich auch sehr viel Gelassenheit
und sehr viel Geduld. Wir müssen nicht gleich alle springen, wenn Herr Putin eine zornige Rede hält, denn Russland braucht auch uns, sowohl als wirtschaftlicher Partner, aber auch, weil Russland ein europäisches Land sein
will. Das heißt, wir müssen Russland bei seinen eigenen
Ansprüchen verpflichtend packen. Es ist Mitglied der
OSZE, es ist Mitglied des Europarates, und es kann
dort nicht teilhaben, um die Standards dort auszuhöhlen. Vielmehr müssen wir Russland immer wieder darauf
verpflichten, diese Standards einzuhalten.
({4})
Diese Standards sind übrigens nicht nur europäische;
zu ihnen gehört auch die UN-Charta. Wenn wir auf diesen Standards beharren - dies an den Kollegen Herrn
Gehrcke -, bedeutet dies nicht, mit dem Zeigefinger auf
Russland zu zeigen, sondern es bedeutet: Wir bleiben auf
dem Boden unserer Werte stehen. Wenn Herr Margelow
jetzt Präsident der PV des Europarates werden will,
muss das ganz deutlich sein. Ein Präsidentenamt kann
nicht dazu da sein, um die PV des Europarates auszuhöhlen. Die Entwicklungen, die wir im Augenblick mit
der OSZE haben, sind sehr bedenklich.
({5})
Wir sollten Russland also innerhalb der Institutionen, in
denen wir uns gemeinsam mit ihm bewegen, beim Wort
nehmen.
Ein zweiter Schlüssel liegt sicherlich im Verhältnis
zu Polen. Wir haben mit den Neuwahlen in Polen eine
große Chance bekommen. Wir sollten die Möglichkeiten, die sich jetzt mit der Ernennung von Herrn
Bartoszewski zum außenpolitischen Berater auftun - wir
alle in diesem Haus respektieren und ehren ihn -,
({6})
nicht verspielen durch die schwierige Debatte über die
Ostseepipeline und noch viel weniger durch die unselige
Debatte über das Zentrum gegen Vertreibung
({7})
und die Form, in der sie geführt wird. In Polen sind wieder sehr viele Gräben aufgerissen worden, die durch jahrelange Verständigung langsam zugeschüttet worden waren. Es ist verheerend. Man kann sich von diesem Platz
nur wünschen, dass endlich ein Schritt in die richtige
Richtung gegangen wird, indem wir uns gemeinsam mit
Polen der schwierigen Thematik der Geschichte annehmen. Wir sollten den Bund der Vertriebenen nicht vorausmarschieren lassen.
({8})
Der dritte Schlüssel ist die Gemeinsamkeit innerhalb
der EU-Politik. Jede Bilateralität, jeder bilaterale Schritt
gibt dem Kreml und Russland die Möglichkeit, uns auseinanderzudividieren. Dies macht uns viel schwächer,
als wir es als ein Raum mit 500 Millionen Bürgerinnen
und Bürgern und mit einer großen Wirtschaftskraft faktisch sind. Auch hinsichtlich eines gemeinsamen Vorgehens in der EU-Politik ist noch viel zu tun.
Wir alle haben heute gehört: Die Einigung zum
Kosovo ist nicht eingetreten. Dies ist nicht wirklich
überraschend für uns. Bei allen vorstellbaren Lösungen,
Marieluise Beck ({9})
von denen wir wissen, dass sie alle mit Problemen behaftet sind, kann nur die Gemeinsamkeit der EU einen
schwierigen Weg aus der verfahrenen Situation zeigen.
Frau Kollegin!
Es kommt auf die Gemeinsamkeit der EU auch bei
den nächsten Schritten, über die in Bezug auf das Kosovo zu entscheiden ist, an.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Frank-Walter
Steinmeier.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordneten! Ich hoffe, man sieht es nicht; aber
ich bin erst vor wenigen Stunden aus Annapolis zurückgekommen. Ich will Sie wahrhaftig nicht mit einem Ergebnisrapport behelligen, zumal Sie das meiste schon
über die Medien zur Kenntnis genommen haben. Weil
aber die Vorberichterstattung so überaus skeptisch war,
gehe ich davon aus, dass Sie vielleicht an einigen ergänzenden Einschätzungen von jemandem interessiert sind,
der das Geschehen vor Ort verfolgt hat.
Ich will einleitend sagen: Ja, es stimmt, bisher sind
alle Bemühungen um Frieden und Stabilität im Nahen
Osten gescheitert. Das ist richtig. Deshalb sind wir gut
beraten, wenn wir mit Realismus und Augenmaß an die
Bewertung der zukünftigen Prozesse nach der Annapolis-Konferenz herangehen. Das alles ist richtig.
Dennoch sage ich jenseits aller professionellen Routine, die wir gerade auch in der Außenpolitik brauchen:
Wer während der Konferenz einmal einen Blick in das
große Rund der 45 teilnehmenden Staaten werfen
konnte, wer gesehen hat, wie viele Vertreter von Staaten,
die untereinander nicht einmal diplomatische Beziehungen haben, die ihren Kriegszustand nicht beendet haben,
beieinandersaßen, wer sich klarmacht, dass aus den gleichen Gründen, wie eben referiert, viele Vertreter der israelischen Delegation, die zahlreich angetreten war, ihre
arabischen Gesprächspartner überhaupt nicht kannten,
keine Direktgespräche mit diesen geführt hatten und natürlich erst recht kein Beziehungsnetzwerk zu den arabischen Kollegen hatten, wer die wirklich bewegenden
Reden von Präsident Abbas und Ministerpräsident
Olmert hat hören können, der weiß: Diese Konferenz
war alles in allem ein Ereignis jenseits von außenpolitischer Alltagsroutine. Das war gerade nicht diplomatischer Alltag. Bei aller Abgeklärtheit und aller Unübersichtlichkeit der internationalen Konfliktlage, die nicht
zu leugnen ist - auf einige Stichworte komme ich zurück -,
sollten wir die Außergewöhnlichkeit dieses Ereignisses,
Herr Paech, am Ende dennoch wahrnehmen.
({0})
„Wahrnehmen“ heißt ja nicht, schon jetzt daranzugehen,
das Ereignis selbst zu verklären. Es bleibt natürlich dabei: Es gibt auch nach der Konferenz von Annapolis
keine Garantie für das Gelingen - so wenig wie bei früheren Versuchen. Aber - das ist entscheidend - in den
nahöstlichen Friedensprozess ist wieder Bewegung gekommen. Schon das ist gut.
Was den jetzt begonnenen Friedensversuch im Nahen
Osten von früheren Versuchen unterscheidet, sind aus
meiner Sicht fünf Dinge:
Erstens: die Ernsthaftigkeit der Bemühungen beider
Konfliktpartner in Palästina und in Israel. Wenn Sie in
den letzten Wochen genau darauf geachtet haben, konnten Sie feststellen: Die Konfliktpartner haben im Unterschied zu früheren Situationen nicht eine Konferenz
durch Dritte vorbereiten lassen, sondern selbst aktiv
durch Eigeninitiative an der Vorbereitung dieser Konferenz mitgewirkt.
Zweitens. Wer auch immer in Palästina Verantwortung trug, war mit seinen Friedensbemühungen regelmäßig in der Arabischen Liga isoliert. Schauen Sie einmal
genau auf die Teilnehmerzahl: Zum ersten Mal haben
wir bei einem solchen Versuch Unterstützung von der
ganz großen Mehrzahl der arabischen Staaten. Auch das
ist eine Sonderentwicklung.
({1})
Drittens - auch das bitte ich festzuhalten -: Die Großen übernehmen hier wirklich Verantwortung. Wenn ich
„die Großen“ sage, dann meine ich zuallererst die USA,
die mit hohem Risiko - und Respekt von unserer Seite zu einem Zeitpunkt, als man nicht ahnen konnte, wer an
dieser Konferenz teilnehmen wird, an die Vorbereitung
gegangen sind und, was vielleicht noch schwieriger ist,
jetzt in dem Follow-up-Prozess eine Art Mittlerrolle,
Moderatorenfunktion bei den Einzelverhandlungen zwischen den Palästinensern und den Israelis übernehmen
wollen.
Viertens. Was wir für die USA sagen können, gilt im
Augenblick erstaunlicherweise auch für Russland, das
jedenfalls bei diesem Prozess nicht im Abseits stehen
will. Damit meine ich gar nicht so sehr den russischen
Vorschlag, einen Follow-up-Prozess zu organisieren und
in regelmäßigen Zeitabständen immer wieder zu untersuchen, ob der Friedensprozess tatsächlich Fortschritte
macht. Das ist ein Vorschlag, den viele andere, auch wir
Europäer, ebenfalls gemacht haben. Aber neu ist, dass
die Russen in der Nahostkonferenz in Annapolis den
Vorschlag gemacht haben, selbst Verantwortung in diesem Monitoringprozess zu übernehmen und für die
nächste Veranstaltung, die wohl im Frühjahr stattfinden
wird, nach Moskau einzuladen.
Fünftens und letztens ist wichtig, dass es zwar nicht
gelungen ist, in dem gemeinsamen Statement von Palästinensern und Israelis einen Zeithorizont zu vereinbaren,
aber am Ende der Konferenz alle Beteiligten signalisiert
haben, dass sie mit dem Verständnis auseinandergehen,
die Lösung - das heißt die Klärung der offenen Fragen,
die der Zweistaatenlösung entgegenstehen - bis Ende
2008 unter Dach und Fach zu bringen.
Nochmals: Das alles ist noch keine Garantie für das
Gelingen unseres gemeinsamen Bemühens. Aber ich
finde, wir sind weit gekommen, und daran sind viele beteiligt. Ich bin wirklich der Letzte, der so tut, als sei das
an allen Stellen und entscheidend deutscher Einfluss gewesen. Ich sehe unsere Möglichkeiten als europäische
Mittelmacht dort sehr realistisch. Aber von großer Bedeutung ist die Frage: Haben wir die Möglichkeiten wenigstens genutzt? Ich meine, wir haben sie außerordentlich gut genutzt,
({2})
gerade in Verbindung mit unserer Präsidentschaft in der
EU und in der G 8.
Wir haben trotz der tiefen Depression nach der Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hisbollah im
letzten Jahr dafür geworben, dass man einen neuen Versuch unternimmt. Wir haben uns in den Monaten vor Beginn der Ratspräsidentschaft gemeinsam darum bemüht,
dass das Denken über die Revitalisierung des Nahostquartettes wieder möglich wird. Zu Beginn unserer Präsidentschaft in der EU, noch im Januar, hat die erste Sitzung des Quartettes stattgefunden, und wir haben mit
unseren durch die Präsidentschaft vorhandenen Möglichkeiten dafür gesorgt, eine - lassen Sie mich es so sagen - vernünftige Choreografie zu gestalten. Es gab
viele - erinnern Sie sich auch an die Diskussionen hier
im Hause -, die den Außenminister oder die Kanzlerin
gedrängt haben, mal eben eine Nahostkonferenz zu veranstalten. Es gab viele, die das befürwortet haben. Ich
habe auch den europäischen Kollegen immer wieder sagen müssen: Ich bin nicht gegen eine Nahostkonferenz;
aber sie ist nur dann sinnvoll, wenn wir die Israelis und
die Amerikaner mit im Boot haben. Sonst ist das Ganze
eine Veranstaltung zur Gewissensberuhigung der Europäer, aber nichts, was den Menschen vor Ort hilft.
({3})
Insofern war die Zeitplanung durchaus richtig.
Wir haben die Zeit seit Januar genutzt, um wahrhaft
schwierige und schwierig bleibende Partner zu überzeugen, bei diesem Prozess nicht dauerhaft vor der Tür stehen zu bleiben. Ich meine natürlich Syrien. Ich meine
immer noch, dass es zwei Gründe für dieses Werben gab:
Erstens. Ich glaube, dass nachhaltiger Frieden im Nahen
Osten nur dann erreicht werden kann - das ist eine alte
Weisheit -, wenn wir die zentralen Konflikte in eine
endgültige Regelung einbeziehen. Der zweite Grund
kommt einem aus anderen Verhandlungssituationen bekannt vor: Wenn man eine Konfliktregelung haben will,
dann muss man die Zahl der möglichen Spoiler, der
möglichen Störer von außen, möglichst gering halten.
Deshalb habe ich immer gesagt: So schwierig Syrien ist,
so wichtig ist es, Syrien an den Tisch zu holen und dann
zu prüfen, ob es in der Lage ist, sich konstruktiv zu verhalten.
({4})
Ich glaube, diese Beharrlichkeit hat sich gelohnt, weil
sie nachhaltig wirkt. Sie darf aber jetzt noch kein Ende
finden. Wir alle haben nicht nur die Verpflichtung, dafür
zu sorgen, dass die Verhandlungsprozesse weitergeführt
werden, sondern wir alle haben auch die Pflicht - hier
sehe ich vor allem Europa und insbesondere Deutschland in der Verantwortung -, den Menschen in Palästina
zu zeigen, dass Frieden sich lohnt.
({5})
Ich hatte mir vorgenommen, am Schluss dieser Bemerkungen zu Nahost einige Ausführungen als Nachbetrachtung zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu
machen. Das erspare ich mir jetzt. Ich glaube, wir müssen keinen großen Rückblick gestalten. In diesem Hause
ist das Thema vielfach besprochen worden. Abschließend will ich dazu nur sagen: Was das europäische Verfassungswerk angeht, wären wir alle gerne weitergekommen. Ich bin aber mit all denen einig, die sagen: Keiner
hätte erwartet, dass wir nach einem halben Jahr deutscher Ratspräsidentschaft so weit sind. Zwar heißt das
Konstrukt nicht Verfassung, immerhin sind aber mehr
als 90 Prozent des Verfassungstextes Bestandteil der Reformverträge. Zwar heißt der europäische Außenminister nicht Außenminister, sondern weiterhin Hoher Repräsentant, aber er hat gemäß den Verträgen all die
Funktionen, die ihm auch von der Verfassung zugedacht
waren.
Ich mache diese Bemerkung an dieser Stelle, um Ihnen zu danken, meine Damen und Herren. Ich weiß natürlich, dass all dies in Europa nicht gelungen wäre,
wenn wir uns nicht jederzeit der Unterstützung des Deutschen Bundestages gewiss gewesen wären. Am Ende unserer Verhandlungen über den Haushalt sehe ich, dass
sich diese Unterstützung nicht auf die Arbeit der Kanzlerin und des Außenministers im europäischen Gewerbe
beschränkt. Diese Unterstützung zeigt sich auch in den
Zahlen des Haushaltes 2008. Ich glaube in der Tat, dass
die finanzielle Grundlage unserer Arbeit im nächsten
Jahr wesentlich besser sein wird. Dafür ganz herzlichen
Dank!
Ich freue mich insbesondere darüber, dass der Haushaltsansatz für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik um etwa 15 Prozent steigt. Ich freue mich darüber,
dass bei den Mitteln für politische Aufgaben, zu denen
der Stabilitätspakt Afghanistan, der Stabilitätspakt für
Südosteuropa, die humanitäre Hilfe und die Krisenprävention zählen, eine Steigerung um 20 Prozent möglich
ist. All das ist notwendig.
Mit Blick auf Südosteuropa nenne ich das Stichwort
„Kosovo“. Es ist hier schon gefallen, zuletzt in dem Beitrag von Frau Beck. Das ist ein Feld mit großen Herausforderungen. Das wird es auch in Zukunft bleiben. In
den Tagen um Weihnachten herum werden die Herausforderungen noch größer werden. Ich habe mir sehr gewünscht, dass die Troika - Europa, Russland und Amerika - zu einem abschließenden Ergebnis gekommen
wäre. Etwas Substanzielles ist aber nicht gelungen. Das
mussten wir nach den dreitägigen Verhandlungen gestern in Österreich feststellen. Die Hoffnung bleibt, dass
sich die Troika vielleicht auf einen Verfahrensvorschlag
verständigt, der nicht nur uns hier in Deutschland bei
den weiteren Entscheidungen hilft, sondern auch die
eben angemahnte Einheit in Europa bewahren hilft.
Wir können und müssen an dieser Stelle noch einmal
an die Serben und Kosovo-Albaner appellieren - die
Bundeskanzlerin hat es heute Morgen schon getan -: Erinnert euch an das Blutvergießen in den 90er-Jahren. Die
Menschen auf dem Balkan dürfen nicht wieder Opfer
tragischer politischer Fehlentscheidungen und Unverantwortlichkeit werden.
({6})
Wir haben nicht nur während unserer Präsidentschaft in
der Europäischen Union, sondern auch davor und danach dem westlichen Balkan unsere Hand immer wieder
ausgesteckt. Sie bleibt ausgestreckt. Aber das setzt voraus, dass Entscheidungen in der Region mit Vernunft
gefällt werden.
Ich freue mich sehr, dass auch das Verhältnis zu
Polen hier Erwähnung gefunden hat. Ich glaube, dass
wir jetzt in der Tat Möglichkeiten und Voraussetzungen haben, dieses zuletzt nicht beste Verhältnis zwischen den beiden Ländern durchweg zu erneuern. Ich
habe meinen neuen polnischen Kollegen inzwischen
zweimal gesprochen. Ich sehe politisch und persönlich gute Voraussetzungen dafür, dass sich das Verhältnis sehr ordentlich entwickeln wird. Ich glaube,
dass wir die Chance, die sich jetzt bietet, nicht verspielen dürfen; dazu muss ich dieses Haus und uns
selbst nicht ermahnen. Die Chance ist die, dass wir
das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen wieder auf die Stufe stellen, die wir bereits in den 90erJahren erreicht hatten.
({7})
Zu Afghanistan ist nach den vielen Debatten, die wir
in den letzten Wochen und Monaten hier im Hohen Haus
hinter uns haben, nicht mehr viel zu sagen. Es wird eine
der großen Herausforderungen bleiben, ebenso wie der
westliche Balkan und leider auch Regionalkonflikte in
Afrika, zu denen wir uns verhalten müssen, was nicht
heißt, Auslandseinsätzen zuzustimmen. All das wird vor
unserer Tür liegen.
Ich freue mich - lassen Sie mich das zum Abschluss
noch sagen -, dass in diesem Hause sehr sensibel beobachtet wird, dass sich unsere Stellung in der Welt verändert. Ich glaube, es war Herr Westerwelle, der heute
Morgen in seiner Rede
({8})
darauf hingewiesen hat, dass die chinesische Volkswirtschaft die deutsche Volkswirtschaft überholen wird. Er
hat es ein bisschen kritisch unterlegt und gesagt: Macht
etwas dagegen.
({9})
Angesichts des Wachstums der chinesischen Bevölkerung haben Sie, glaube ich, Verständnis dafür, dass von
deutscher Seite aus nur beschränkte Möglichkeiten bestehen, die Dynamik der chinesischen Volkswirtschaft
hinter die unsere zurückzuwerfen.
Wir haben davon auszugehen, dass die Wachstumsregionen - ob Indien oder China - wachsendes ökonomisches Gewicht haben und damit den Anspruch verbinden, wachsendes politisches Gewicht geltend zu
machen. Darauf reagieren einige mit Panik. Ich finde,
dazu gibt es wenig Anlass. Das ist auch nicht geeignet,
die Dinge zu verändern. Wir müssen uns in der Welt, wie
ich immer sage, besser verständlich machen. Dazu gehören auch die Möglichkeiten der auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik. Ich will mich herzlich dafür bedanken,
dass hier zum einen für die Goethe-Institute, zum anderen aber auch für wissenschaftliche Austauschprogramme, für Auslandsschulen und für ein Sonderprogramm in Afrika viele neue Möglichkeiten gegeben
sind.
Ich habe die Konflikte, die vor uns stehen, genannt:
Afghanistan, Iran, Balkan, Kosovo und Regionalkonflikte in Afrika. Das ist viel für die Außenpolitik, auch
für die deutsche Außenpolitik. Ich weiß, dass das alles
nur gemeinsam gelingen wird. Genau das haben wir in
der Großen Koalition in den letzten zwei Jahren bewiesen, auch während der EU-Ratspräsidentschaft. Diese
Gemeinsamkeit wird auch die Haltung der Außenpolitik
der Großen Koalition in den nächsten zwei Jahren kennzeichnen.
Sie sollten sich gar nicht erst so sehr auf den Fall
China einschießen. Die aktuellen Unebenheiten im
deutsch-chinesischen Verhältnis, die es zweifellos gibt,
müssen wir beseitigen. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Ich werde mich daran beteiligen, und zwar ohne
dass Menschenrechte und nationale deutsche Interessen
gegeneinander ausgespielt werden.
Herzlichen Dank.
({10})
Der Kollege Dr. Werner Hoyer hat jetzt das Wort für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, zunächst einmal herzlichen Dank für Ihren Bericht aus Annapolis! Das, was Sie berichtet haben,
ist in der Tat ermutigend. Hoffen wir, dass jetzt das
kleine Fenster der Gelegenheiten für das, was wir uns
alle erhoffen, genutzt werden kann. Soweit Europa, soweit Deutschland dabei eine Rolle zu spielen hat, wünsche ich Ihnen eine glückliche Hand. Im Übrigen: Kompliment für Ihre Kondition! Wenn man - wir alle kennen
das - nach einem Nachtflug, wie Sie ihn gerade hinter
sich haben, im Parlament auftreten muss, ist man bestimmt „überaus fröhlich“.
({0})
Geschlossenheit und Entschlossenheit hat die Bundeskanzlerin von den Europäern und vom Westen verlangt, gerade im Hinblick auf die großen Herausforderungen im Iran und im Kosovo; das ist richtig und
wichtig. Ich wünschte mir, man würde davon auch bei
der Bundesregierung etwas mehr erkennen. Geschlossenheit und Entschlossenheit sind nämlich insbesondere
in der Außenpolitik ein Pfund.
({1})
Die Bundeskanzlerin hat auch darauf hingewiesen,
dass es einen sehr wichtigen Zusammenhang zwischen
wirtschaftlicher Leistung und internationaler Reputation
gibt; ich finde, auch das ist sehr wichtig und richtig. Insofern schwächt der Rollback in der Reformpolitik unseres Landes natürlich auch unser internationales Standing,
unser Ansehen, unseren Einfluss und ökonomisch wie
politisch irgendwann auch unsere Durchschlagskraft.
Das, was im Jahre 2006 geschehen ist, war phänomenal. Das Image Deutschlands hat sich sehr schnell verändert. Das hatte sicherlich mit der Fußballweltmeisterschaft zu tun, aber nicht nur. Auch die ökonomischen
Rahmenbedingungen hatten sich verändert. Im Ausland
hat man gestaunt. Denn plötzlich war die Stimmung in
Deutschland besser als die Lage, etwas, von dem man eigentlich sagt, dass das mit unserem Nationalcharakter
gar nicht vereinbar ist. Aber es ging. Das hat dazu geführt, dass wir Rückenwind für die deutsche Ratspräsidentschaft bekommen haben, zu deren Gelingen wir als
Opposition der Bundesregierung an dieser Stelle gratuliert haben.
Jetzt äußern wir allerdings Kritik. Denn wir müssen
befürchten, dass der deutsche Einfluss zurückgeht, und
zwar aus zwei Gründen: erstens, weil das Vertrauen der
Welt in die Durchhaltefähigkeit Deutschlands bei der
Modernisierung und Dynamisierung unserer Volkswirtschaft und unserer Gesellschaft sinkt, und zweitens, weil
von Geschlossenheit und Entschlossenheit wohl keine
Rede mehr sein kann. Das wird an den Debatten, die wir
über die Situation in China und Russland führen, deutlich; ich könnte dafür noch weitere Beispiele nennen.
Im Übrigen habe ich das, was Herr Westerwelle heute
Morgen mit Blick auf China gesagt hat, völlig anders
verstanden. Wir sollten die Herausforderung, dass China
ein Wettbewerber Deutschlands ist, fröhlich annehmen.
Das heißt umgekehrt aber nicht, dass wir diesen Wettbewerber stärken sollten, indem wir ihm in Bereichen Entwicklungshilfe zahlen, in denen er sie wirklich nicht
braucht. Darum ging es heute Morgen.
({2})
Was die Situation in Russland angeht, möchte ich
von der Bundesregierung eine klare Aussage. Ich
möchte wissen, ob die Neujustierung der Außenpolitik,
die die Bundeskanzlerin ab 2005 erfreulicherweise vollzogen hat, weiterhin gilt und vom Außenminister mitgetragen wird oder ob er in seine Loyalität zu Gerhard
Schröder zurückfällt. Darum geht es.
({3})
Ich würde außerdem gerne erfahren, was nach der
Kraftanstrengung der deutschen Ratspräsidentschaft aus
unserer Rolle in Europa wird. Man hat nämlich das Gefühl, dass die Bemühungen Deutschlands ziemlich erlahmt sind. Ich kann verstehen, dass die Kräfte der Beschäftigten in unseren Ämtern erschöpft sind; denn dort
ist eine Riesenleistung erbracht worden. Dass Deutschland gemeinsam mit Slowenien und Portugal noch immer an der amtierenden Dreierpräsidentschaft beteiligt
ist, davon ist allerdings nur wenig zu spüren. Das mahnen wir an. Bei manchem, was gegenwärtig geschieht,
frage ich mich: Wo ist denn die gestaltende und nicht nur
die begleitende oder gar finanzierende Rolle der Europäischen Union, wenn es um die großen Herausforderungen, die wir gegenwärtig zu bewältigen haben, geht?
({4})
Lassen Sie mich eine Bemerkung zu der grundsätzlichen Frage machen, die die Diskussionen der letzten
Wochen beherrscht hat: interessenorientierte oder wertebasierte Außenpolitik? Das ist manchmal nur schwer
auszutarieren. Sie haben sich eben Gott sei Dank dagegen gewehrt, beides gegeneinander auszuspielen;
({5})
das wäre in der Tat unverantwortlich.
({6})
Vonseiten der Regierung ist in der letzten Zeit allerdings
häufig genug der Eindruck erweckt worden, dass das getan wird.
Der Grad unserer außenwirtschaftlichen Verflechtung und unsere Energieabhängigkeit, die wir übrigens
nicht erhöhen, sondern durch verschiedenste Maßnahmen langsam abbauen sollten,
({7})
sollten uns zur Vorsicht mahnen. Es ist aber unfair und
- ich finde, das ist noch schlimmer - unklug, aktive
Menschenrechtspolitik als Schaufensterpolitik zu diffamieren, erst recht dann, wenn man geschlagene zwei
Tage kollektiver Sprachlosigkeit verstreichen lässt, bevor man zum brutalen Vorgehen der russischen Staatsorgane gegenüber Oppositionspolitikern Stellung be13580
zieht. „Unverhältnismäßig hart“ sei das gewesen, heißt
es in der Presseerklärung des Außenministers. Was
wäre eigentlich „verhältnismäßig hart“ gewesen, wenn
es darum geht, freie Bürger, Oppositionspolitiker und
Medien an der Wahrnehmung ihrer Rechte zu hindern?
Hier geht es übrigens um Rechte, die nicht nur in der
russischen Verfassung, sondern auch in der Schlussakte
von Helsinki verankert sind. Daran zu erinnern, ist
keine unangemessene Haltung gegenüber einem Partner, mit dem man gerne zusammenarbeiten will.
({8})
Natürlich geht es nicht darum, in selbstgerechter Form
Menschenrechte wie eine Monstranz vor sich herzutragen, aber es geht darum, glaubwürdig zu bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gemeinschaft
der aufgeklärten rechtsstaatlichen Demokratien, sozusagen „der Westen“, wir alle haben in den letzten Jahren
erheblich an Glaubwürdigkeit in der Welt verloren aufgrund dramatischer Fehlentscheidungen, die nicht wir,
die aber andere auch für uns mit getroffen haben.
Guantánamo Bay, Abu Ghureib - man könnte eine lange
Liste aufstellen.
Wenn wir für die Attraktivität unseres westlichen Lebensmodells werben wollen, müssen wir uns auch zu unseren Grundüberzeugungen bekennen. Am besten leben
wir sie vor. Am Ende schadet der seinen Interessen, der
seine Grundüberzeugungen versteckt. Da liegt natürlich
auch die Brücke zur Innenpolitik, und das zeigt, wie alles ineinandergreift. Wenn man die Freiheitsrechte im
Inneren opfert, um Sicherheit zu garantieren oder glaubt
zu garantieren, wird man am Ende mit leeren Händen
dastehen.
Ein Wort, Herr Minister, zum Thema Abrüstung. Sie
konnten wegen der Fixierung auf den großen und wichtigen Teil Annapolis heute dazu wenig sagen. Sie haben in
der letzten Zeit wiederholt Ankündigungen zum Thema
Abrüstungspolitik gemacht. Ich kann bisher noch nicht
erkennen, welches konkrete Handeln der Bundesregierung diesen Ankündigungen folgt.
Wir stehen vor einer ganz schwierigen Situation im
Hinblick auf den KSE-Vertrag. Wir dürfen Russland
nicht geradezu noch in die Hände spielen, wenn es sich
von diesen internationalen Vertragswerken mit dem Hinweis darauf verabschiedet, der Westen sei ja noch nicht
einmal bereit, das, was er selber unterschrieben hat, zu
ratifizieren und diejenigen aus der NATO, die gar nicht
erst unterschrieben haben, dazu zu bringen, dieses Vertragswerk zu unterschreiben. Ich bin der Auffassung:
Die Zeit für ein klares Signal durch eine Ratifizierung
des KSE-Vertrages ist reif.
({9})
Ein letztes Wort zum amerikanisch-indischen
Nukleardeal. Hier wird die Bundesregierung Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen haben. Es ist ja ehrenwert, zu
sagen - die Bundeskanzlerin hat das uns gegenüber auch
getan -, das sei vielleicht ein Weg, um die Inder langsam
in die internationalen Abrüstungsvertragswerke hineinzuziehen und auch die Rolle der IAEO für die Inder zu
stärken. Nur wird genau das nicht stattfinden - das haben uns die indischen Kolleginnen und Kollegen klar gesagt -, dass gerade diejenigen, die man noch überzeugen
müsste, wenn sie denn dem Deal zustimmen sollten, sagen:
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Wir machen das nur, wenn es keinen weiteren Schritt
hin zur Internationalen Energieagentur und zu den großen Abrüstungsabkommen gibt.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({0})
Herr Kollege Dr. Andreas Schockenhoff hat jetzt das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will zur Halbzeit der Großen Koalition mit einer
Grundsatzfrage deutscher Außenpolitik beginnen. Seit
der Gründung der Bundesrepublik Deutschland war
deutsche Außenpolitik immer dann erfolgreich, wenn sie
auf einer engen und solidarischen Zusammenarbeit mit
unseren europäischen Partnern aufbauen konnte und
wenn sie zugleich von einem vertrauensvollen Verhältnis
zu den USA bestimmt war. Das sind die beiden Grundpfeiler deutscher Außenpolitik, an denen nicht gerüttelt
werden darf.
({0})
Wann immer eine deutsche Regierung diese Grundlage
infrage gestellt hat, hat es Deutschland und Europa geschadet. Das war zuletzt im Zusammenhang mit dem
Irakkrieg der Fall. Die Folge war: Deutsche Außenpolitik war ohne entscheidenden Einfluss, Europa war gespalten, das transatlantische Verhältnis war durch Misstrauen belastet.
Heute ist die Lage grundlegend anders. Unter der Regierung Merkel/Steinmeier hat Deutschland wieder maßgeblichen Einfluss. In den deutsch-amerikanischen Beziehungen herrscht wieder ein Vertrauensverhältnis. Auf
dieser Grundlage war es möglich, in der Iranfrage Einfluss auf die USA zu nehmen, sodass die Sechsergemeinschaft zusammenblieb und heute eine diplomatische Lösung des Nuklearstreits möglich bleibt. Nicht
zuletzt auf dieser Grundlage konnte die notwendige Kritik an der Situation in Guantánamo geäußert werden.
Europa ist nicht mehr gespalten. Im Gegenteil: Die
EU ist wieder in der Lage, schwierige Zukunftsentscheidungen zu treffen. Die unter deutscher Präsidentschaft
vereinbarten Klimaschutzziele und die erfolgreiche EiniDr. Andreas Schockenhoff
gung auf den Lissabonner Vertrag sind nur zwei Beispiele dafür. Wir hätten dies nicht erreicht, wenn die
Bundeskanzlerin und der Außenminister nicht gegenüber unseren Partnern deutlich gemacht hätten: Sonderwege wird und darf es nicht mehr geben.
Insbesondere in der Politik gegenüber Russland werden unsere EU-Partner, vor allem Polen und die baltischen Staaten, wieder im Geiste der Solidarität und des
Vertrauens einbezogen. In diesem Sinne war der EURussland-Gipfel in Samara wichtig, weil er eine klare
Botschaft aussandte: Die Partnerschaft zwischen der EU
und Russland wird umso erfolgreicher sein, je stärker
Russland die EU als eine Solidargemeinschaft versteht
und je mehr sich die EU auch selbst so verhält. Denn Geschlossenheit der EU ist die unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass wir unser gemeinsames Ziel erreichen:
eine auf den universellen Werten des Europarates basierende strategische Partnerschaft mit Russland. Ich weiß,
dass wir hierfür bei einigen EU-Partnern noch werben
müssen. Aber wenn wir Solidarität zeigen und auf die
Sorgen und Interessen unserer Partner eingehen, dann
werden wir auch dieses Ziel erreichen; davon sind wir in
der CDU/CSU fest überzeugt.
Das gilt auch für die Ostseepipeline. Um es ganz klar
zu sagen: Diese Pipeline liegt im europäischen Interesse,
weil sie für die Energieversorgung Europas unverzichtbar ist.
({1})
Deshalb muss und wird sie gebaut werden. Aber die Zeiten eines Basta-Stils sind vorbei. Niemand setzt die
Energiepartnerschaft mit Russland aufs Spiel, wenn wir
jetzt die Bedenken unserer Partner Schweden und Finnland oder die Sorgen der Balten und Polens auszuräumen
versuchen.
Es ist in der Koalition überhaupt keine Frage: Wir
brauchen die strategische Partnerschaft mit Russland,
nicht nur aufgrund unserer gegenseitigen Energieabhängigkeit, sondern auch zur Lösung von Krisen und Konflikten. Iran und Kosovo sind heute ja schon genannt
worden.
Wir begrüßen es nachdrücklich, dass der Außenminister alle Anstrengungen unternimmt, um den KSE-Vertrag zu wahren. Dass Russland seinen Truppenabzug aus
Georgien ein Jahr früher als geplant abschließen will, ist
ein wichtiges und gutes Signal. Auch in der Frage der
Raketenabwehr gibt es Fortschritte. Was Iran betrifft,
wünschen wir uns, dass Russland seinen Einfluss - den
es zweifelsohne hat - noch stärker wahrnimmt.
Zu Kosovo ist hier schon Stellung genommen worden. Nur kurz fünf Punkte:
Erstens. Wir bedauern sehr, dass die Gespräche der
Troika gescheitert sind. Eine verhandelte Lösung wäre
für alle Beteiligten besser gewesen.
Zweitens. Wir müssen realistisch feststellen, dass es
keinen Sinn macht, weiterzuverhandeln, wenn der Wille
zum Einvernehmen nicht da ist. Herr Ischinger hat wirklich alle Möglichkeiten genutzt; wir haben Grund, ihm
für seine hervorragende Arbeit zu danken.
({2})
Drittens. Die Troika wird ihren Bericht dem VN-Generalsekretär vorlegen. Wenn im Sicherheitsrat keine Einigung möglich ist, gilt, was Herr Solana kürzlich gesagt
hat: Eine Loslösung des Kosovo ohne Billigung des Sicherheitsrates wäre nicht das Ende der Welt.
({3})
Viertens. Kosovo wird eine besondere Herausforderung für uns Europäer, nicht nur mit Blick auf die größtmögliche Geschlossenheit bei der Anerkennung des
Kosovo, sondern vor allem bei der immensen Herausforderung, die beim politischen und wirtschaftlichen Aufbau des Landes zu bewältigen sein wird.
Fünftens. Serbien hat eine klare EU-Perspektive. Darum ist es wichtig, dass Politiker wie Präsident Tadic
und Premier Koštunica ihr Land weiter an die EU heranführen können. Dazu gehören eine baldige Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens und die Liberalisierung des Visaregimes in Verbindung mit einem
Rücknahmeübereinkommen. Gerade die jungen Serben
wollen leichter in die EU reisen können, und ich sehe
keinen echten Grund, warum das nicht möglich sein
sollte.
Die strategische Partnerschaft mit Russland ist
mehr als eine auf gemeinsame Interessengebiete begrenzte Kooperation. Sie ist als eine auf den gemeinsamen Werten des Europarates basierende Partnerschaft
konzipiert. Aufgrund dieser gemeinsamen Werteverpflichtungen haben wir auch das Recht, in angemessener
Form Missstände bei der Demokratie und den Menschenrechten in Russland anzusprechen, so wie es die
Bundeskanzlerin in Samara getan hat. In Wertefragen
kann es keine Kompromisse geben.
Die Rückschläge bei der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, den Menschenrechten und der Meinungsfreiheit
bereiten uns allen hier im Haus große Sorgen. Diese Entwicklungen schaden zuerst Russland selbst; denn wenn
Russland den Wandel zu einem modernen, wettbewerbsfähigen Staat vollziehen will, dann muss es das Potenzial
und die Fähigkeiten seiner Bürger besser und vollständig
nutzen und dann braucht es eine starke und politisch lebendige Zivilgesellschaft.
Gerade das Parlament ist der geeignete Ort für den
Streit um die besten Lösungen. Wenn die Hürden für den
Einzug ins Parlament zu hoch gelegt werden, dann bleibt
ein erheblicher Anteil der Bevölkerung nicht repräsentiert. Leider - auch das muss man sehr deutlich sagen gelingt es den liberalen Oppositionsparteien nicht, ihre
Zerstrittenheit zu überwinden.
({4})
Als würde die Verschärfung des Wahlgesetzes zum
Vorteil der Kreml-treuen Partei „Einiges Russland“ nicht
schon ausreichen, wird diese auch im Fernsehen deutlich
bevorzugt. Das völlig unverhältnismäßige Vorgehen der
russischen Staatsmacht - Sie, Herr Hoyer, und auch der
Außenminister haben das angesprochen - ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Duma-Wahlen nicht fair verlaufen.
Was hat sich denn seit den letzten Wahlen verschlechtert, dass solche Maßnahmen notwendig sein sollen?
Tatsache ist doch, dass sich die Lage im Land gegenüber
der Jelzin-Ära deutlich gefestigt hat. Dass Präsident
Putin eine enorm hohe Zustimmung hat, wäre eher Anlass für eine weitere Öffnung und mehr Toleranz gewesen. Ein Staat, der das gesamte Potenzial der Fähigkeiten
seiner Bürger aktivieren muss, braucht diese Öffnung. Er
braucht mehr und nicht weniger unabhängige Medien
und eine kritische Öffentlichkeit. Sie werden der Modernisierung Russlands nicht schaden, sondern sie fördern.
Meine Damen und Herren, es ist gut, dass die Koalition in all diesen Fragen an einem Strang zieht
({5})
und dass sich die Kanzlerin und der Außenminister
mehrmals mit NGO-Vertretern und Oppositionellen getroffen und die Rückschläge bei der Demokratie und der
Rechtsstaatlichkeit in angemessener Form angesprochen
haben.
Herr Außenminister, Sie haben zuletzt zum Vorgehen
der Staatsorgane in Moskau und Sankt Petersburg gesagt:
Wir bestehen darauf, dass die Freiheit der Berichterstattung und die Meinungsfreiheit in Russland gewährleistet werden.
Herr Hoyer, diese Aussage ist klar und deutlich. Wir alle
bestehen darauf. Das zeigt aber doch auch, wie konstruiert und haltlos die Behauptungen sind, in der Koalition
stimmten die einen für eine Kooperation und die anderen
für eine Konfrontation mit Russland. Herr Außenminister, deshalb freue ich mich, dass wir beide gemeinsam
alles unternehmen, um die Kontakte und Bindungen
zwischen den Menschen in Deutschland und Russland
zu vertiefen und damit unsere Beziehungen auch für
schwieriger werdende Zeiten belastbarer zu machen.
Auf Unterstellungen wie „Schaufensterpolitik“ oder
„Russlandpolitik mit ängstlichem Blick auf die Schlagzeilen der Presse“ sollten wir verzichten. Das sind nicht
nur sachlich falsche Vokabeln, sie helfen auch keinem
von uns in unserem gemeinsamen Bemühen, die Beziehungen zu Russland zu verbessern. Im Gegenteil: Bei
unseren Partnern werden dadurch Irritationen hervorgerufen, die uns allen schaden, erst recht, da weder in der
Sache noch in den Zielen ein Gegensatz besteht. Es wäre
nicht gut, wenn nach außen der Eindruck entstünde, die
Koalitionspartner verfolgten in der Außenpolitik unterschiedliche Ziele oder seien sogar gegeneinander auszuspielen;
({6})
denn dann würden wir genau das verspielen, was wir in
den letzten zwei Jahren gemeinsam wiederaufgebaut haben, verehrter Herr Kollege, nämlich Vertrauen in die
deutsche Politik und Einfluss der deutschen Politik.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Jetzt spricht Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Außenminister, ich glaube schon, dass man die Gefühle nach der Konferenz in Annapolis auf einen Begriff bringen kann. Ich empfinde eine Skepsis des Verstandes und eine Leidenschaft der Hoffnung.
({0})
- Ja, da können Sie auch einmal ein bisschen lernen.
({1})
Skepsis des Verstandes und Leidenschaft der Hoffnung!
Die Hoffnung kann man ganz einfach beschreiben: Solange verhandelt wird, wird hoffentlich nicht aufeinander geschossen.
({2})
Ich möchte - das will ich dazusagen -, dass meine
Freundinnen und Freunde in Israel wieder ohne Furcht in
ein Café gehen können. Und ich möchte, dass sich meine
Freundinnen und Freunde in Palästina einschließlich
Gaza im eigenen Land frei bewegen können.
({3})
Das ist meine Hoffnung in diesem Prozess. Diese Hoffnung will ich ausdrücken. Wenn die Verhandlungen dahin führen - auf welchem Weg auch immer -, dann muss
man sie unterstützen; dann muss man sie vorwärtstreiben; dann muss man sie kritisieren. All das gehört dazu.
Ich glaube, dass es dringend notwendig wird, dass endlich Klarheit über den Endstatus in Israel und Palästina
herrscht.
Die Bundeskanzlerin hat vorhin davon gesprochen
- das fand ich sehr interessant -, dass die deutsche Außenpolitik auf Werte aufgebaut sei.
({4})
Ich halte es seit langem für notwendig, dass wir uns einmal grundlegender über die Philosophie der deutschen
Außenpolitik und damit über Werte auseinandersetzen.
Die Bundeskanzlerin hat zwei Werte genannt: Menschenrechte und ökonomische Interessen. Das ist
- das will ich zugeben - schon einmal ein Fortschritt geWolfgang Gehrcke
genüber Rot-Grün; denn Rot-Grün hat immer nur von
Menschenrechten gesprochen, aber völlig anders gehandelt.
({5})
Die Bundeskanzlerin gibt zumindest zu, dass ökonomische Interessen Politik steuern. Das ist, finde ich, ein
Vorteil in Bezug auf die Wahrheitsfindung.
({6})
Allerdings werden Menschenrechte nach meinem Eindruck mehr und mehr als Argument gebraucht, um ökonomische Interessen zu verschleiern.
({7})
Der ganze Krieg gegen den Terror ist im Kern, wenn
die ganze ideologische Soße einmal weggenommen
wird, nichts anderes als ein Krieg um Naturressourcen
und geostrategische Macht in der Welt. Das ist der Kern
des Krieges gegen den Terror.
({8})
Wenn man mit dieser Politik nicht bricht, wird man andere Probleme nicht lösen können.
Ich will Ihnen eine andere Philosophie der Außenpolitik, wie sie mir und meiner Fraktion vorschwebt, ein
wenig vorstellen. Ich möchte schon, dass endlich einmal
wieder darüber nachgedacht wird, ob eine mit den Worten „Deutschland verweigert den Kriegsdienst und bekennt sich zu sozialer globaler Gerechtigkeit“ umschriebene Philosophie nicht eine andere und, wie ich denke,
bessere Philosophie der Außenpolitik wäre.
({9})
Ein Pfeiler dieser Philosophie der ist für mich, dass
man sich unbedingt dem Völkerrecht und der Charta
der Vereinten Nationen verpflichtet und nicht, wie die
Bundesregierung das tut, funktional mit dem Völkerrecht umgeht. Was Herr Schockenhoff hier zum Kosovo
gesagt hat, war nichts anderes als ein Aufruf zum Bruch
der UN-Resolution 1244 und zum Bruch des Völkerrechtes.
({10})
Das wäre Völkerrecht nach Gutsherrenart, hat aber mit
eigentlichem Völkerrecht überhaupt nichts mehr zu tun.
Ich möchte, dass wir darüber nachdenken, dass man
globale soziale Gerechtigkeit, die für mich Klima- und
Energiepolitik einbezieht, nur dann durchsetzen kann,
wenn man auch klar gegen die Macht der transnationalen Konzerne Politik macht.
({11})
Ohne das geht es einfach nicht. Die Welt ist nun einmal
kein Selbstbedienungsladen für die transnationalen Konzerne und für die USA. Ich bekenne mich ausdrücklich
dazu, dass ich mich darüber freue, wenn in lateinamerikanischen Staaten Energiequellen wieder verstaatlicht
werden. Das halte ich für dringend notwendig.
({12})
Zu einer solchen Außenpolitik würde gehören, dass
man endlich nicht nur über Abrüstung redet - der Außenminister redet häufig darüber; das kritisiere ich gar
nicht; das finde ich sogar notwendig - und sich verbal
dazu bekennt, sondern, um Abrüstung in Gang zu bringen, auch einseitige Abrüstungsvorschläge im eigenen
Land verwirklicht.
({13})
Die Bundesregierung kann damit anfangen, indem sie
fordert, dass endlich die amerikanischen Atomwaffen
aus Deutschland abgezogen werden.
({14})
Schlussendlich: Außenpolitik ist - und das begrüße
ich - Gott sei Dank kein Privileg der Bundesregierung
oder anderer Regierungen mehr. Demokratisierung in
der Außenpolitik heißt, dass die Bevölkerung selbst
- genauso wie das Parlament - über die Außenpolitik
nicht nur mitredet, sondern auch mitentscheidet.
({15})
Das wäre unsere außenpolitische Philosophie.
Herzlichen Dank.
({16})
Jetzt hat das Wort der Kollege Eckart von Klaeden für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Mich hat gerade die außerordentlich erfreuliche
Nachricht ereilt, dass die angesehene Zeitschrift European Voice, ein Produkt aus dem Hause des Economist,
unseren Außenminister zum Diplomaten des Jahres gewählt hat. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Das mag den einen oder anderen den Umstand leichter
ertragen lassen, dass die Bundeskanzlerin von derselben
Zeitschrift zur Regierungschefin des Jahres gewählt
wurde.
({1})
Die Bundeskanzlerin hat vor einigen Wochen den
Dalai Lama im Bundeskanzleramt empfangen. Sie ist
dafür nicht nur von meiner Fraktion, sondern auch von
der demokratischen Opposition dieses Hauses gelobt
worden. Sie hat damit das Wahlversprechen, das die
Sozialdemokraten in den Jahren 1998 und 2002 in den
Tibetwahlprüfsteinen gegeben hatten, eingelöst, nämlich dass ein sozialdemokratischer Bundeskanzler den
Dalai Lama empfangen wird. Gerhard Schröder ist
möglicherweise wegen der Verkürzung der letzten
Wahlperiode dazu nicht mehr gekommen. Jedenfalls
wurden Termingründe angeführt, warum ein solches
Treffen in den sieben Jahren seiner Regierung nicht
stattgefunden hat. Umso erfreulicher ist, dass dieses sozialdemokratische Wahlversprechen nun von der christlich-demokratischen Bundeskanzlerin zur Mitte der Legislaturperiode eingelöst wurde.
({2})
Der Streit, der sich in der Öffentlichkeit daran entzündet hat, hat, glaube ich, auch etwas damit zu tun, wie man
das Verhältnis zwischen Interessen und Überzeugungen in
der Außenpolitik beurteilt. Herr Gehrcke, Sie haben sich
gerade an Ausführungen dazu versucht. Ich will hier deutlich sagen: Wir bekennen uns zu einer wertegeleiteten
Realpolitik. Das heißt, Interessen und Überzeugungen
sind nicht voneinander zu trennen. Wer glaubt, in der Außenpolitik gehe es allein um Interessen, ist ein Zyniker.
Wer glaubt, in der Außenpolitik gehe es allein um Werte,
ist auf dem besten Wege, aus Enttäuschung ein Zyniker zu
werden. Es ist das Wesen nicht nur, aber ganz besonders
der Außenpolitik, dass beides miteinander verbunden ist.
Verletzungen der Menschenrechte sowie der Prinzipien
von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stellen bei weitem nicht nur, aber auch Investitionshindernisse dar. Das
zeigt, wie sehr Prinzipien und Interessen miteinander verbunden sind.
Menschenrechtspolitik braucht den nachhaltigen
Einsatz hinter verschlossenen Türen. Aber ein solcher
Einsatz wird nur dann erfolgreich sein, wenn er von einem glaubhaften öffentlichen Bekenntnis begleitet ist.
({3})
Wer nicht bereit ist, sich öffentlich zu den Menschenrechten in einer freien Gesellschaft zu bekennen und das
an seinem Handeln erkennen zu lassen, der hat nicht nur
nach chinesischem Verständnis sein Gesicht verloren.
Damit leite ich über zur Frage der Asienpolitik, die in
der letzten Zeit auch eine Rolle gespielt hat: Meine Fraktion hat einen Kongress zur Asienpolitik veranstaltet und
dazu ein Papier vorgelegt. Einer der wesentlichen
Punkte dieses Papiers ist, dass wir uns von einem vor allem ökonomisch bestimmten Blick auf Asien lösen und
endlich die politischen, geopolitischen und sicherheitsrelevanten Auswirkungen des Aufstiegs Asiens mitberücksichtigen müssen. Das heißt nicht weniger Ökonomie,
sondern mehr Ökonomie. Das heißt nicht weniger China,
sondern mehr China. Aber es heißt vor allem, dass wir
uns nicht nur auf die Ökonomie und auf China konzentrieren dürfen, sondern dass wir auch die anderen Länder
der Region, insbesondere die demokratischen, stärker in
unseren Fokus rücken müssen. Dazu gehören traditionell
demokratische Länder und Partner wie Japan, Südkorea,
Indien und bestimmte ASEAN-Staaten, aber auch Australien und Neuseeland.
Deswegen finde ich es bedauerlich, dass die Bundesregierung auf dem jüngsten Jubiläumsgipfel der ASEAN
in Singapur nur durch einen Beamten und nicht durch einen Staatsminister vertreten war. Es wäre besser gewesen,
wenn wir dort auch eine politische Repräsentanz gezeigt
hätten; denn wir müssen bei allem Reden übereinander
darauf achten, dass sich der schleichende Prozess der Entfremdung der ASEAN-Staaten von Europa nicht fortsetzt,
sondern in sein Gegenteil verkehrt wird. Dazu gehört zunächst einmal, dass auch solche Treffen angemessen
wahrgenommen werden.
({4})
Das Vorgehen, die Zusammenarbeit mit den Demokratien in Asien zu konstituieren und auszubauen, weil
damit auch in Asien für ein stabileres Umfeld gesorgt
werden kann - dahinter steht im Grunde die Binsenweisheit, dass Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu stabileren politischen Verhältnissen führen -, ist nun als neokonservativ kritisiert worden. Ein
Kollege, der das tut, finde ich, weiß nicht, was neokonservativ ist, und er hat relativ wenig Ahnung von Asien
oder von Außenpolitik. Ihm würde ich empfehlen, ausnahmsweise einmal eine längere Reise nach Asien zu
unternehmen und die Heimreise erst wieder anzutreten,
wenn er sich mit diesen Fragen wirklich beschäftigt hat.
Die neuseeländische Premierministerin Helen Clark jedenfalls, die jüngst in der Stadt war, hat am Montag öffentlich kundgetan, dass sie unsere Analyse und die
Konsequenzen für die Asienpolitik ausdrücklich teilt.
Wir setzen uns für bessere Beziehungen zu China ein.
Wir stehen zur Ein-China-Politik. Wir haben ein Interesse am Erfolg Chinas, und wir befürworten, dass China
eine größere, verantwortungsvolle internationale Rolle
einnimmt. Es ist gerade das Nullsummendenken des
Kalten Krieges, das das eine gegen das andere ausspielen will. Aber dazu gehört auch, dass wir China auf Augenhöhe begegnen und dass wir darauf achten, dass zum
Beispiel der Handel, den wir mit China betreiben, nicht
asymmetrisch verläuft.
Während Chinas Exporte in die Europäische Union
boomen, importieren 1,3 Milliarden Chinesen weniger
aus Europa als 7,5 Millionen Schweizer. Dabei kann es
nicht bleiben. Die beiden wesentlichen Gründe dafür
sind zum einen die künstlich unterbewertete chinesische
Währung und zum anderen der chinesische Protektionismus gegenüber dem Marktzugang europäischer und internationaler Unternehmen. Das kann so nicht weitergehen. Auch das müssen wir ansprechen dürfen, genauso
wie Fragen der Menschenrechte, ohne dass man sich
gleich den Vorwurf einhandelt, neokonservativ zu sein
oder die deutsch-chinesischen Beziehungen zu stören.
Es gibt aber auch eine gute Nachricht, und die will ich
ans Ende stellen. Der Parlamentarische Staatssekretär im
Landwirtschaftsministerium Gerd Müller hat gerade eine
Vereinbarung zur engeren Zusammenarbeit in den Bereichen Lebensmittelsicherheit und Tier- und Pflanzengesundheit unterzeichnet und damit gezeigt, dass es in den
deutsch-chinesischen Beziehungen weitergeht.
Die guten Beziehungen, die auch im chinesischen Interesse sind, werden fortdauern. Wir alle werden uns, unseren Interessen, aber auch unseren Prinzipien folgend,
dafür engagieren, dass sich die Beziehungen zu China
und zu Asien weiter gut entwickeln können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Jetzt hat Kerstin Müller für das Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Schockenhoff hier eher die große Einigkeit der
großen Koalition beschworen
({0})
und Herr von Klaeden die Kontroverse nochmal aufgemacht hat, möchte ich vorweg einige Bemerkungen zur
außenpolitischen Halbzeitbilanz dieser Bundesregierung machen.
Der Generalsekretär der SPD, Hubertus Heil, hat in der
Tat pünktlich zur Halbzeitbilanz - Herr von Klaeden hat
es angesprochen - recht schwere Vorwürfe gegen die außenpolitische Linie der Kanzlerin erhoben. Er wirft ihr
vor, mit der menschenrechtsorientierten Außenpolitik
letztlich eine knallharte Politik der Konfrontation gegen
gleich drei wichtige Partner Deutschlands - China, Russland und Türkei - zu verfolgen. Das sei eine Politik der
„amerikanischen Neokonservativen“. Sie, Herr Außenminister, haben zu dieser Kontroverse heute hier natürlich
nichts gesagt, aber Sie haben der Kanzlerin an anderer
Stelle „Schaufensterpolitik“ in Sachen Menschenrechtspolitik vorgeworfen.
Das ist, finde ich, wirklich starker Tobak. Das macht
vor allen Dingen deutlich, dass nicht nur in der Innenpolitik, sondern auch in der Außenpolitik der Großen Koalition keine klare Linie erkennbar ist. Was gilt denn
nun?
({1})
Ich bitte wirklich darum, dass hier eine Klärung erfolgt
und man nicht so tut, als seien Sie sich in den Grundlinien einig.
({2})
Gilt jetzt also die Symbolpolitik der Kanzlerin oder
eine Politik des sogenannten Dialogs, wie es Herr Heil
genannt hat? Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Gerade in der Menschenrechtspolitik kann Symbolpolitik
eine ganz wichtige Rolle spielen, auch wenn das hier
und da um den Preis wirtschaftlicher Profite geschieht.
Ich meine auch, dass sich deutsche Außenpolitik nicht
auf reine Außenwirtschaftspolitik beschränken darf.
Aber wichtig ist auch, dass danach konsequentes Engagement folgt, also etwas, was den russischen Oppositionellen, den Tibetanern am Ende wirklich hilft.
({3})
Schließlich ist diese Politik nur dann glaubwürdig, wenn
sie nicht doppelten Standards folgt. Man kann nicht einerseits China und Russland laut kritisieren und andererseits zu den Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien schweigen, wenn eine hochrangige Delegation hier
in Deutschland ist. Das ist eben nicht glaubwürdig.
({4})
Ich glaube, wenn diese Linie in der Außenpolitik
nicht geklärt wird, dann wird eines jedenfalls sonnenklar
- das würde ich sehr bedauern -: Es geht nicht mehr um
den besseren Weg in der Menschenrechtspolitik, sondern
es geht ab jetzt nur noch um Wahlkampf.
({5})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine Zumutung
nicht nur für uns, sondern auch für die Wählerinnen und
Wähler.
({6})
Zu Nahost und Annapolis. Ob Annapolis nicht doch
nur ein Fototermin war oder wirklich der Auftakt zu einem ernsthaften Verhandlungsprozess für eine Zweistaatenlösung - wir wünschen uns ja alle, dass es das ist -,
muss wirklich erst noch die Zukunft zeigen. Sicher ist:
Im Moment ist das die einzige Chance für einen Prozess;
da stimme ich Ihnen zu. Sicher ist allerdings auch, dass
beide Parteien, Abbas und Olmert, in ihren Gesellschaften wenig Rückhalt für die Umsetzung substanzieller
Fortschritte haben. In Israel sitzen die Gegner - sie haben sich ja auch sofort zu Wort gemeldet - sogar in der
eigenen Regierung. Die Hamas mobilisiert mit Unterstützung Irans Kräfte gegen eine Friedenslösung. Ich
glaube, deshalb ist es umso wichtiger, dass es schnell
sichtbare Fortschritte - wie man so sagt - on the ground
gibt, also für Abbas in der Siedlungsfrage und für
Olmert in der Frage der Sicherheit.
Die Last der Hauptvermittlung liegt bei den USA.
Leider hat die Bush-Administration die Dinge zu lange
treiben lassen. Sie setzt jetzt doch noch auf eine multilaterale Lösung. Aber der Zeitraum von einem Jahr, den
man sich zum Ziel gesetzt hat, ist sicherlich sehr knapp
bemessen, um sämtliche Kernfragen zu klären. Es wurde
ja gestern angekündigt, dass es dabei um die Frage der
Grenzen, der Siedlungen, die Jerusalemfrage und die
Flüchtlingsfrage geht. Man muss Israel dazu bewegen
- ich glaube, das ist ganz wichtig -, gerade während des
Verhandlungsprozesses klare Signale für einen Siedlungsstopp zu geben. Das ist für die moderaten Kräfte
um Abbas wichtig. Es geht aber auch um den Abbau von
Checkpoints, die Freilassung von Gefangenen. All das
könnte diese stärken.
({7})
Kerstin Müller ({8})
Ein sehr wichtiger Schritt, vielleicht einer der wichtigsten, ist in der Tat die Tatsache, dass Syrien mit am
Tisch saß und hoffentlich auch in der Zukunft sitzt.
({9})
Das war ein Erfolg der deutschen Außenpolitik - das
will ich hier sehr klar sagen -, den wir auch sehr begrüßen.
({10})
Es muss nun gelingen - ich hoffe, dass Sie, Herr Außenminister, da weiter die entsprechende Rolle spielen werden -, dass Israelis und Syrer an einen Tisch kommen.
Die Einbindung Syriens, seine schrittweise Loslösung
aus der Achse mit Iran ist wichtig für die gesamte regionale Entspannung und von absolut zentraler Bedeutung.
Gefragt ist aber auch weiter die EU. Was ist eigentlich
ihre Rolle? Der EU-Aktionsplan war zwar richtig und
gut - das habe ich auch mehrfach im Ausschuss gesagt -,
ich meine aber, er ist nicht ausreichend. Die EU muss
klären, was sie zur Lösung der Kernfragen beitragen
kann, zum Beispiel, indem sie die Palästinenser stärker
beim Aufbau eines effektiven Sicherheitsapparats - da
gibt es ja schon erste Ansätze - oder auch bei der ganz
schwierigen Frage der Flüchtlingsrückkehr unterstützt.
Könnte die EU nicht überlegen, schon jetzt einen Entschädigungsfonds für diejenigen Palästinenser vorzubereiten, die - das wird ja die Mehrzahl sein - nach Israel
nicht zurückkehren können?
({11})
Dabei könnte die Europäische Union eine eigene Rolle
spielen.
Wir erwarten ein aktives Engagement der Bundesregierung im weiteren Verlauf des Annapolis-Prozesses.
Wir werben auch für eine eigenständige Rolle der Europäischen Union dabei.
({12})
Die Situation in Gaza ist ganz klar einer der Stolpersteine. Ohne einen neuen innerpalästinensischen Dialog
mit der Hamas wird es für Gaza und insgesamt keine
friedliche Lösung geben. Das müssen die USA und Israel einsehen. Das hat überhaupt nichts mit Sympathien
für die Hamas zu tun. Ich glaube, wir kommen um diesen innerpalästinensischen Dialog nicht herum; sonst
fliegt uns der gerade gestartete Friedensprozess gleich
wieder um die Ohren.
Wir brauchen Fortschritte im Nahen Osten auch, um
die arabischen Staaten in den diplomatischen Prozess zur
Lösung des Konflikts um das iranische Atomprogramm einzubinden. Dieser Prozess geht im Dezember
auf der Grundlage der Berichte in eine neue Runde. Ich
fordere die Bundesregierung hier dazu auf, weiterhin
konsequent im UN-Sicherheitsrat vorzugehen. Meiner
Meinung nach ist das jetzt das Gebot der Stunde. Gleichzeitig erwarten wir neue Vorschläge für einen Kompromiss bei der Frage der Aussetzung.
Die Geschlossenheit der internationalen Gemeinschaft war bisher das zentrale Instrument. Ich will hier
sehr deutlich sagen: Ich glaube, dass eine Eskalationsrhetorik, wie wir sie von Vertretern der Bush-Administration immer wieder hören, gefährlich und nicht der
richtige Weg ist. Ich bedauere sehr, dass es die Bundeskanzlerin in den USA vorgezogen hat, zu dem leichtsinnigen Sinnieren von Bush über einen dritten Weltkrieg
zu schweigen. Wir hätten hier deutliche Worte erwartet.
Es gibt keine militärische Lösung. Es gibt im Iran-Konflikt nur eine Verhandlungslösung.
({13})
Ein allerletzter Punkt. Wir dürfen im Atomstreit die
iranische Zivilgesellschaft nicht vergessen. Es gibt gerade hier eine ganz harte Repressionswelle. In der Atomfrage gibt es ein ermutigendes Signal aus der iranischen
Zivilgesellschaft: Die Menschenrechtsanwältin und Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi hat eine Friedensgruppe gegründet, die sowohl vom Iran als auch von den
USA die Einhaltung des internationalen Rechts fordert.
Das zeigt meiner Meinung nach: Wir müssen im Atomstreit jede Eskalationsrhetorik zurückweisen. Wir müssen der iranischen Bevölkerung immer wieder glaubhaft
machen: Die UN-Sanktionen sind nicht gegen die iranische Bevölkerung gerichtet.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Nur so können wir das iranische Regime gemeinsam
an den Verhandlungstisch bringen.
Danke.
({0})
Der Kollege Gert Weisskirchen hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde, dass von Annapolis ein ganz ermutigendes
Zeichen ausgeht. Es macht deutlich, dass die Betroffenen, also Palästina und Israel, nicht nur bereit sind, sich
aufeinander zuzubewegen, sondern auch bereit sind, in
bilateralen Gesprächen dafür zu sorgen, dass die wirklichen Konfliktpunkte jetzt angegangen werden können.
Einer dieser Punkte, lieber Kollege Mark und liebe
Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss,
wird sein, dass den 500 Millionen Euro, die allein in diesem Jahr zur finanziellen Unterstützung der palästinensischen Autorität bereitgestellt werden, weitere
500 Millionen Euro hinzugefügt werden, und zwar spätestens am 17. Dezember, liebe Kollegin Müller, wenn
- wohl in Paris - die Pledge-Conference stattfinden
wird. Dort wird darüber nachzudenken sein, wie der BeiGert Weisskirchen ({0})
trag der Europäischen Union aussehen kann, damit die
Chance besteht, dass der Prozess, der jetzt so wunderbar
begonnen hat, Fuß greift und zu einem nachhaltigen
wird.
Es geht jetzt darum, dafür zu sorgen, dass sich das gesamte regionale Umfeld auf den Frieden konzentriert,
nachdem in den letzten sieben Jahren nichts geschehen
ist. Im Gegenteil: In den Regionen, in Palästina sind die
Ängste eher größer geworden. Nicht vergessen werden
darf auch, dass auf Israel Kassam-Raketen abgefeuert
wurden und dort schreckliche Attentate stattgefunden
haben. Diese Gewaltspirale kann jetzt unterbrochen werden. Dies ist allein schon ein ermutigendes Zeichen, das
uns von Annapolis übermittelt wird, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({1})
Wer einmal in die Erklärung geblickt hat, die Olmert
und Abbas abgegeben haben, wird erkennen, was Werteorientierung der Außenpolitik bedeutet. Ich zitiere
daraus nur einen Satz:
Wir bringen unsere Entschlossenheit zum Ausdruck, das Blutvergießen, das Leiden und die Jahrzehnte des Konflikts zwischen unseren Völkern zu
beenden.
Was ist dies anderes als werteorientierte Außenpolitik?
Daran mitzuhelfen, dass die ineinander verhakten
Ängste, die so viel Leid verursacht haben, nun entkrampft werden können und ein Prozess der Entspannung vorangetrieben werden kann, das ist in praxi werteorientierte Außenpolitik, nichts anderes. Wir sollten
nicht über irgendwelche abstrakten Konstruktionen reden. Hier geht es um die Freiheit der Menschen sowie
darum, dass sie ihr Menschenrecht auf die Gestaltung eines unversehrten Lebens wahrnehmen können. Dafür
muss der Frieden so weit wie möglich von außen als Stabilitätsfaktor in die Region hineingebracht werden. Genau dies kann eine werteorientierte Außenpolitik leisten.
Ich füge in aller Deutlichkeit hinzu: Erfunden wurde
dieser Prozess, der zur Roadmap führte, drüben im Außenamt gemeinsam von Joschka Fischer und Gerhard
Schröder. Die Erkenntnis von Condoleezza Rice und
George W. Bush hat darin bestanden, die Grundelemente
der Roadmap aufzunehmen und eine Roadmap plus zu
entwerfen. Dies ist werteorientierte Außenpolitik in der
Kontinuität der rot-grünen Koalition und der gegenwärtigen Koalition. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst
uns dies nicht vergessen.
({2})
Ich komme nun zu einem weiteren Bereich werteorientierter Außenpolitik. Schauen Sie sich bitte einmal die
Artikel an, die heute Erhard Eppler in der Süddeutschen
Zeitung und Herbert Kremp in der Welt veröffentlicht haben. Wenn man beide Artikel sehr genau liest und ihre
Argumente auf den Kern reduziert, dann wird man Folgendes feststellen: Beide sagen, dass China und Russland - Herbert Kremp spricht auch von Indien - die neue
Machtkonstellation darstellen. Erhard Eppler spricht hier
von der multipolaren Weltordnung der Zukunft.
In der Tat, lieber Kollege von Klaeden, müssen wir
uns darüber verständigen, was diese neue Dynamik in jener östlichen Region für uns bedeutet. Darauf gibt
Erhardt Eppler eine klare und, wie ich finde, überzeugende Antwort: Wenn wir Europäer überhaupt eine
Chance haben wollen, in dieser neuen Mächtekonstellation unsere europäische Auffassung von Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit als ein Denkmodell durchzusetzen, dann müssen wir eine neue außenpolitische Debatte
führen und darüber nachdenken, welchen eigenständigen
Beitrag wir für ein neues Selbstverständnis von Außenpolitik leisten können. Nur so werden wir Europäer - wir
können es nur gemeinsam - in dieser neuen Konstellation überhaupt eine Stimme haben.
Ich bitte darum, dass wir im Auswärtigen Ausschuss
oder wo auch immer diesen Punkt ganz bewusst konzeptionell aufnehmen. Hier spielen nämlich Fragen der
Menschenrechte, der Freiheit und des Friedens eine ganz
zentrale Rolle. Hans-Dietrich Genscher und Klaus
Kinkel in der Phase der Entspannungspolitik sowie
Joschka Fischer und jetzt Frank-Walter Steinmeier haben dazu einen eigenständigen europäischen Beitrag geleistet. Der historische Beitrag muss jetzt wieder aufgegriffen und an die neuen Erfordernisse angepasst
werden. Die wesentliche Erkenntnis aus der Zeit des
Kalten Krieges ist, dass die damalige Formel „Wandel
durch Annäherung“ im Osten Europas zu Freiheit und
zur Einhaltung der Menschenrechte geführt hat.
({3})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich komme zum Schluss. - Es käme jetzt darauf an,
eine neue Formel zu erfinden. Ich finde, dass der Außenminister an diesem Punkt konzeptionell richtig sagt, es
komme jetzt auf die Annäherung durch die Verflechtung
der Gesellschaften, der Ökonomien und der Menschen
untereinander an. Das ist die neue Aufgabe einer europäischen Außenpolitik.
({0})
Jetzt hat der Kollege Michael Link das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Auch
die FDP schließt sich pflichtschuldig gerne dem Glückwunsch zur Wahl zum Diplomaten bzw. zur Regierungschefin des Jahres durch European Voice an. Ich kann
mich allerdings nicht des Eindrucks erwehren, dass nur
Michael Link ({0})
das erste Halbjahr ausgezeichnet worden ist. Für das
zweite Halbjahr muss ich für meine Fraktion leider feststellen, dass sich der Bundesaußenminister und die Regierungschefin deutlich unter Wert verkaufen. Das klang
in fast allen Redebeiträgen an; selbst in den Beiträgen
der Koalitionsfraktionen schimmerte durch, dass die Unterschiede zwischen diesen beiden Fraktionen immer
deutlicher werden.
Unsere Partner in der EU und außerhalb fragen sich
bei den oftmals zwischen CDU/CSU und SPD bzw.
Kanzleramt und Auswärtigem Amt auseinanderlaufenden Stellungnahmen, was eigentlich Wahlkampf und
was die deutsche Position ist. Das kann im deutschen Interesse nicht so weitergehen.
({1})
Mit der Russlandpolitik und der Chinapolitik sind
schon entsprechende Beispiele genannt worden. Herr
Weisskirchen hat das Thema Veränderung durch Verflechtung erwähnt. Was dieses Thema angeht, kann ich
nur viel Spaß wünschen. Ich bin sehr gespannt auf die
Äußerungen seitens der CDU/CSU-Fraktion, wie man
russlandpolitisch an diesem Thema weiterarbeiten will.
Ich sehe intern sogar noch eine Verschärfung der Probleme.
({2})
Wir können noch andere Beispiele nennen. Was das
sehr wichtige Thema Türkei angeht, stelle ich fest, dass
es in der Regierungskoalition leider fast diametral entgegengesetzte Positionen gibt. Das Ergebnis ist, dass wir
leider in diesem Bereich die Entwicklung in Brüssel
nicht mitbestimmen, sondern andere die Debatte bestimmen. Das kann und darf nicht so weitergehen, vor allem
deshalb, weil angesichts einer nach oben hin entwicklungsfähigen portugiesischen Präsidentschaft - wir haben nicht mehr viel Zeit, wir hätten von dieser Präsidentschaft mehr erwartet - dringend erforderlich wäre, dass
Deutschland gemäß seinem Gewicht aktiv bleibt und das
Wort Triopräsidentschaft mit Leben füllt.
Ich denke, wir alle haben uns unter Triopräsidentschaft etwas mehr vorgestellt. Wir wissen zwar, dass das
nicht über Nacht möglich ist - es ist die erste Triopräsidentschaft -, aber wir hoffen, dass Deutschland zumindest unter der so wichtigen slowenischen Präsidentschaft
wieder eine stärkere Rolle spielen wird. Das ist notwendig; denn gerade die Ratifizierung und viele andere
wichtige Themen sind noch lange nicht über dem Berg.
Um nur das Beispiel der EU-NATO-Kooperation zu nennen: Dies ist ein harziges und schwieriges Thema, das
vielen nicht gefällt, aber wir brauchen diese Kooperation
dringend.
Wir brauchen die Fortentwicklung der Berlin-PlusVereinbarung. In diesem Bereich liegt vieles im Argen.
Auch hier ist in der Diskussion Führerschaft aus Berlin
gefordert. Man kann viel entwickeln, auch wenn man
nicht die EU-Präsidentschaft innehat.
Es hat gute Tradition, auch das Thema EU-Haushalt
kurz anzusprechen. Es ist sehr wichtig, dies zu thematisieren, weil im nächsten Jahr zwei wichtige Entscheidungen anstehen. Sie betreffen zum einen die Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses - diese Entscheidung
ist eher technisch, aber, weil es um sieben Jahre und um
immerhin 20 Milliarden Euro pro Jahr aus Steuermitteln
geht, doch wichtig - und zum anderen das sehr wichtige
Thema Revision des EU-Haushalts 2008/2009.
Hierbei sollten wir als Bundestag dringend unsere
neuen Rechte und die bis April laufende Konsultationsphase der Kommission nutzen und offiziell Stellung nehmen. Wir sollten diese Phase nicht verstreichen lassen,
und wir sollten uns dann über die schwierige Frage unterhalten, wie wir uns zu der Forderung Ihrer Kollegen
aus CDU und SPD im Europäischen Parlament nach einer neuen Eigenmittelquelle in Form einer EU-Steuer
stellen. Darauf bin ich schon gespannt.
Die SPD hat beschlossen - ich habe diesen wunderschönen Parteitagsbeschluss mitgebracht -, für weniger
Zuweisungen aus dem nationalen Haushalt und den
langfristigen Aufbau einer neuen Eigenmittelquelle zu
plädieren. Das ist nichts anderes als die Art von EUSteuer, die leider auch der konservative Berichterstatter
des Europäischen Parlaments Lamassoure anstrebt. Es
ist dringend erforderlich, dass sich der Bundestag hierzu
äußert. Ich bin sehr gespannt, wie sich CDU und SPD
bei diesem Punkt verhalten werden.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Wir von
der FDP werden bei den wichtigen Themen des
Jahres 2008 europapolitisch Kurs halten. Das gilt für den
EU-Haushalt, bei dem wir uns klar gegen eine EUSteuer aussprechen, und natürlich für die Ratifizierung
des neuen EU-Vertrags, wo wir an der Seite der Bundesregierung stehen; dieser Vertrag muss zügig ratifiziert
werden.
Vielen Dank.
({3})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Kollegin Erika
Steinbach das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Deutsche Außenpolitik muss natürlich Interessenpolitik sein. Wer aber glaubt, dass deutsches Interesse
sich nur an vollen Auftragsbüchern orientieren darf, der
irrt wirklich fundamental. Geld stinkt nicht, pecunia non
olet, heißt es leider häufig genug sehr lapidar. Geld
schreit auch nicht, wenn es auf dem Rücken gequälter
Menschen verdient wird. Wir in diesem Hause haben
aber die Verpflichtung, diese Schreie zu hören.
Auch eingehaltene Menschenrechte liegen im deutschen Interesse. Bei deren Verletzung sollten die internationalen Spielregeln, nach denen man sich zu richten hat,
für alle deutlich gemacht werden. Das ist auch im Interesse der deutschen Wirtschaft; das will ich ganz deutlich sagen. Denn wer Menschenrechte verletzt, der verletzt auch ohne Hemmungen andere Regeln - Stichwort:
Produktpiraterie. Wir müssen Menschenrechte immer
wieder von allen einfordern, die sich mit uns einlassen:
gegen Einschüchterungen, gegen Verheißungen anderer
Vorteile, gegen Versuchungen. Um aber glaubwürdig
Menschenrechte durchzusetzen, muss man die Falschspieler dieser Welt an ihre Verpflichtung auf die Regeln
der UNO erinnern und schließlich auch ihre Verfehlungen benennen.
({0})
Es nützt doch nichts, so zu tun, als bemerkte man die
gezinkten Karten der anderen nicht. Das Risiko muss auf
der Seite der Menschenrechtsverletzer liegen. Ihre
Stärke gegen die Schwachen und Hilflosen zu Hause
muss am Ende aber auf dem diplomatischen Parkett ihre
Schwäche sein. Das funktioniert aber nur dann, wenn die
Vertreter der demokratischen Werte und der Menschenrechte willens sind, dies auch öffentlich und gemeinsam
deutlich zu machen.
Genau das hat deutsche Außenpolitik zu leisten, und
die Bundeskanzlerin tut das nachdrücklich, sehr offensiv
und vorbildlich.
({1})
Sie weiß um die Schwäche herrschender Unrechtssysteme, denn sie kennt die Schwäche solcher Systeme aus
persönlicher Erfahrung und weiß auch, an welchen
Punkten man nicht nachgeben darf.
Deshalb, Herr Außenminister, seien auch Sie beherzt,
wenn es um die Verteidigung der Menschenrechte geht
und um die Forderungen derjenigen, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sind. Gerade eine
aufrechte Haltung erzielt Wirkung beim Gegenüber.
Werte sind letzten Endes mächtiger als Geld.
Der Dalai Lama ist die Inkarnation der Friedfertigkeit und der Gewaltlosigkeit. Ihn in der deutschen
Hauptstadt zu empfangen, war in der Tat ein richtiges
Zeichen, und dafür gebührt der Bundeskanzlerin unser
aller Respekt. Einen solchen Mann empfängt man nicht
verschämt im Hinterstübchen, sondern, wie es Angela
Merkel getan hat, vor aller Welt im Kanzleramt. Das war
richtig, und das war ein Zeichen nach außen.
({2})
Von daher habe ich durchaus ziemlich fassungslos die
offene Kritik des Altbundeskanzlers Schröder zur
Kenntnis genommen, mit dem Empfang des Dalai Lama
habe die Kanzlerin chinesische Gefühle verletzt, und er
sei unglücklich über das Verhalten seiner Nachfolgerin.
Er sollte doch einmal nach den Gefühlen derjenigen fragen, die in China in Lagern für die ganze Welt schuften
und billig das produzieren, was hier verkauft wird. Er
sollte diejenigen befragen, die wegen der Olympischen
Spiele aus ihren Häusern vertrieben wurden. Er sollte die
Christen fragen, die ihren Glauben nur geheim leben
können - wenn sie dem Staat nicht willfährig sind.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Weisskirchen?
Gerne.
Frau Kollegin Steinbach, wie bewerten Sie, dass der
vormalige Bundeskanzler Gerhard Schröder - Sie haben
ihn eben erwähnt - den Menschenrechtsdialog mit China
dadurch befördert hat, dass unter seiner Kanzlerschaft
Jürgen Habermas nach China gereist ist und dort in unterschiedlichen Debatten an Universitäten genau diesen
Gedanken kontrovers mit einer ganzen Reihe von Mitstreitern und Mitdiskutanten dargestellt hat?
Ich stelle fest, dass dies in der Weltöffentlichkeit nicht
wahrgenommen wurde.
({0})
Aber ich stelle auch fest, dass der Empfang des Dalai
Lama durch die Bundeskanzlerin Merkel überall auf
dem Globus deutlich wahrgenommen wurde. Gerhard
Schröder hat sich geweigert, den Dalai Lama im Kanzleramt zu empfangen. Das ist ein Signal.
({1})
Es geht nicht nur darum, dass ein ehemaliger Bundeskanzler der jetzigen Regierungschefin im Ausland derart
in den Rücken fällt, sondern auch darum - Herr Kollege
Weisskirchen, letzten Endes denken Sie nicht anders darüber -, dass damit all denjenigen Menschen und Organisationen, die sich weltweit für die Menschenrechte engagieren, ein Schlag ins Gesicht versetzt wird. Dies
schmerzt doch diejenigen, die sich tagtäglich ehrenamtlich für andere einsetzen.
Ich bin sehr dafür, dass wir über das Wie in der Menschenrechtspolitik eine ernsthafte Debatte führen. Aber
eine solche ernsthafte Debatte kann nur gelingen, wenn
wir in Deutschland gemeinsam vorgehen und wenn diese
Diskussion nicht von vornherein erschwert wird.
Herr Außenminister, Sie sind ein liebenswürdiger und
freundlicher Mensch. Deshalb kann ich mir vorstellen,
dass es schon schwerfällt, Ihrem früheren Chef öffentlich entgegenzutreten, wenn er die Kanzlerin ins Visier
nimmt. Ich hätte mir schon gewünscht, Sie hätten dazu
lieber gar nichts gesagt.
({2})
Autoritäre Regime, die Menschenrechte missachten, sind selten verlässliche Partner; das können wir
deutlich feststellen. Daher kann ich - erst recht vor
dem Hintergrund der leidvollen europäischen Erfahrungen im 20. Jahrhundert - jeden vor einer neuen Politik
des Appeasement nur ausdrücklich warnen; denn am
Ende zahlen nämlich wir alle den Preis. Dann werden
uns die fehlenden Menschenrechte teuer zu stehen
kommen.
({3})
Das Wort hat nun Kollege Hakki Keskin für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Kritik der Linken an der Europäischen Union und vor allem am EU-Reformvertrag wird nicht selten als eine antieuropäische Haltung verstanden. Dies ist eine nicht akzeptable, vielleicht sogar gewollt falsche Interpretation.
Deshalb möchte ich hier unterstreichen: Selbstverständlich sind wir für die Europäische Union, weil wir
den Frieden und die freundschaftlichen Beziehungen vor
allem der europäischen Integration verdanken, weil die
EU durch den Wegfall der Binnengrenzen und Grenzkontrollen engere Beziehungen ermöglicht und Reisemöglichkeiten bequemer gestaltet hat und weil die EU
den Bürgern durch Harmonisierungsmaßnahmen beim
Verbraucherschutz und insbesondere durch das Antidiskriminierungsgesetz zumindest ein bestimmtes Maß an
Schutz gewährt hat.
Die berechtigten Erwartungen der Menschen an die
EU gehen jedoch viel weiter. Sehr große Teile der Bevölkerung in den EU-Staaten wollen zu Recht keine EU,
in der eine Rette-sich-wer-kann-Mentalität im Geiste der
neoliberalen Politik zur Rechtsgrundlage wird.
Sie wollen keine EU, in der eine Laisser-faire-Politik
die sozial Benachteiligten in der Gesellschaft zunehmend an den Rand der Gesellschaft drängt. Sie wollen
keine EU, in der eine permanente Umverteilung von unten nach oben stattfindet. Sie wollen keine EU, in der die
Arbeitslosigkeit zu einer Dauerkrankheit der EU-Länder
wird. Sie wollen keine EU, in der fehlende Mindeststandards für Lohn-, Steuer- und Sozialdumping missbraucht
werden. Sie wollen keine EU, in der knapp die Hälfte der
Haushaltsmittel - das waren im Jahr 2007 42,7 Milliarden Euro - für Subventionen in die Landwirtschaft
fließt, damit unter anderem die preisgünstigeren Produkte aus den Entwicklungsländern keinen Zugang in
den Markt der EU finden.
Was wollen die meisten Menschen in der EU? Sie
wollen neben einem friedlichen vor allem ein soziales
Europa.
({0})
Sie wollen, dass der Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme EU-weit als Verfassungswerte anerkannt
und durch die Politik umgesetzt werden. Sie wollen die
Einführung von sozialen, steuerlichen und ökologischen
Mindeststandards, damit die soziale Gerechtigkeit als
gesellschaftspolitisches Ziel nicht verloren geht. Sie
wollen, dass die Europäische Zentralbank eine Finanzpolitik für mehr Wachstum und Beschäftigung verfolgt.
Sie wollen, dass es keine Marktbeherrschung und keinen
Marktmissbrauch gibt, wie wir sie in jüngster Zeit im
Energiesektor beim Erdöl, Erdgas und Strom beobachten. Sie wollen keine Privatisierung der Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie die des öffentlichen
Nahverkehrs und der Bahnen, der Wasserversorgung und
der Energie. Sie wollen, dass die EU nicht militärisch,
sondern mit präventiven und zivilpolitischen Strategien
und Maßnahmen zu der Lösung von Konflikten wie auf
dem Balkan, in Afrika und überall in der Welt einen
maßgeblichen Beitrag leistet.
Ich komme zum Schluss. Die EU steht auch nach der
deutschen Ratspräsidentschaft vor dem ungelösten Zypern-Problem. Dieser Konflikt spielt auch in den Beziehungen der EU zur Türkei eine wichtige Rolle. Die Zypern-Frage müsste mit Bewegung aller Seiten friedlich
gelöst werden. Dabei darf vor allem die Wiedervereinigung der Insel nicht aus den Augen verloren werden.
Ich danke Ihnen.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegen Thomas Bareiß, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lassen Sie mich zum Schluss dieser Debatte betonen, wie erfolgreich gerade die Europapolitik der Bundesregierung in den letzten zwölf Monaten war; das war
aber nicht selbstverständlich. Ich habe zur Vorbereitung
des heutigen Tages noch einmal die Reden der letzten
Haushaltsdebatte hervorgeholt. Damals wurde klar und
deutlich gesagt, vor welch schwieriger Situation wir
standen und welch hohe Erwartungen es gab. Jetzt zeigt
sich, wie viel wir erreicht haben.
Am 13. Dezember dieses Jahres werden die Staatsund Regierungschefs in Lissabon den EU-Grundlagenvertrag unterzeichnen. Gerade heute sollte darauf hingewiesen werden, dass dies nicht möglich gewesen
wäre, wenn unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel in
der Nacht vom 22. Juni 2007 in Brüssel nicht für diesen
Vertrag gekämpft hätte. Das kann man nicht oft genug
sagen.
({0})
Natürlich gibt es Punkte - der Außenminister hat es
gesagt -, die wir uns anders gewünscht hätten: Symbole
wie eine Flagge und eine Hymne, auch ein gemeinsamer
Wertekanon. Wir haben dennoch enorm viel erreicht.
Jetzt gilt es, diesen Vertrag umzusetzen. Am 1. Januar
2009 wird der Grundlagenvertrag in Kraft treten. Ich
würde mir wünschen, dass Deutschland vorangeht und
den Vertrag schnell ratifiziert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird ihren Teil tun, damit wir im Parlament
in den ersten drei Monaten des kommenden Jahres vorankommen.
Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen, der in
den letzten sechs Monaten sehr erfolgreich behandelt
wurde. Klimaschutz ist ein Erfolgsthema der deutschen
EU-Ratspräsidentschaft geworden. Die EU hat sich unglaublich ambitionierte Ziele gesetzt. Deutschland geht
mit gutem Beispiel voran. Wie wir gestern in der Financial Times lesen konnten, hat Deutschland in den letzten
15 Jahren den CO2-Ausstoß um mehr als 16 Prozent reduziert. Demgegenüber stieg der Ausstoß in Frankreich
um fast 6 Prozent,
({1})
Spanien hat sogar mehr als 60 Prozent draufgelegt. Ich
glaube, es ist richtig, dass die Bundeskanzlerin, Angela
Merkel, diese Woche betont hat, dass auch die anderen
EU-Staaten verpflichtet sind, Klimaschutzmaßnahmen
durchzuführen und die entsprechenden Klimaschutzziele
anzustreben.
Klimaschutz ist das eine, Energie- und Rohstoffsicherheit sind das andere. In den nächsten Jahren werden wir einen enorm hohen Rohstoffverbrauch haben.
Allein in Europa wird der Gasbedarf in den nächsten
25 Jahren um 80 Prozent steigen. Diesen enormen Zuwachs müssen wir decken. Wir müssen schauen, woher
wir Gas und Öl bekommen. Deshalb werden europäische
Projekte wie die Nabucco-Pipeline enorm an Bedeutung
gewinnen. Lieber Kollege Michael Link, auch das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland
ist ganz zentral und muss die Aufmerksamkeit unserer
Politik erfahren.
Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass einige Anmerkungen zum Thema Galileo machen. Das System, das
als Alternative zum amerikanischen GPS gedacht ist,
muss zum Lackmustest der europäischen Industrie-,
Wirtschafts- und Forschungspolitik werden. Es wird insgesamt etwa 3,4 Milliarden Euro kosten. Nach heutigem
Stand wird es mit Mitteln aus dem EU-Haushalt finanziert werden. Für mich ist das die zweitbeste, man kann
auch sagen: drittbeste Lösung. Es ist aber wichtig, dass
wir dieses Zukunftsprojekt auf europäischer Ebene realisieren. Bei der morgigen Verkehrsministerkonferenz
wird es darum gehen, dass deutsche Firmen eine faire
Chance erhalten, an diesem Projekt beteiligt zu werden.
Wir nehmen unseren Verkehrsminister in die Pflicht.
({2})
Die globalen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte können aber nicht in Europa allein gelöst werden.
Europa braucht weitere Partner. Der europäische Binnenmarkt, der ein Erfolgsmodell ist, muss erweitert werden.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht in der Vertiefung der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen eine
enorme Zukunftsperspektive. Die USA und Europa sind
wirtschaftlich stark miteinander verflochten. 40 Prozent
des globalen Welthandels laufen über diese beiden Kontinente. Ich glaube, es muss unser aller Anliegen sein,
diese wirtschaftlichen Potenziale zu nutzen - im Interesse der Menschen und der Wirtschaft.
Wir haben zwar viel erreicht, es gibt aber noch viel zu
tun. Wir müssen die Menschen beim Thema Europa mitnehmen.
({3})
Wir brauchen konkrete Handlungsfelder, um den Menschen zu zeigen, dass Europa etwas bewirken kann.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05
- Auswärtiges Amt - in der Ausschussfassung. Hierzu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor,
über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag auf Drucksache 16/7313? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Wer stimmt nun für den Einzelplan 05 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Einzelplan ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.11 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
- Drucksachen 16/6413, 16/6423 Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Kahrs
Bartholomäus Kalb
Dr. Gesine Lötzsch
Zum Einzelplan 14 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der FDP vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir am
Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kollegin Elke Hoff, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan geht nunmehr in sein siebtes Jahr, und eine politische Lösung für diesen Konflikt liegt für uns alle erkennbar in weiter Ferne. Obwohl die Auslandseinsätze
der Bundeswehr inzwischen deren wichtigste Aufgabe
darstellen und sie die Hauptlast der außenpolitischen
Entscheidungen zu tragen hat, wird den Soldatinnen und
Soldaten im Einsatz wieder nicht die Ausrüstung zur
Verfügung gestellt, die sie dringend benötigen. Damit ist
dieser Verteidigungshaushalt erneut ein Armutszeugnis
für diese Bundesregierung.
({0})
Alles bleibt beim Alten. Zu viele Großprojekte werden an der Einsatzrealität vorbei beschafft oder neu auf
den Weg gebracht, sodass keinerlei Spielräume gewonnen werden können, um planerisch sinnvoll nachzusteuern. Weil aber die Bundeswehr ihre Handlungsfähigkeit
im Einsatz erhalten muss, hat die FDP in den Haushaltsberatungen eine Vielzahl von konstruktiven Änderungsanträgen gestellt.
Wir haben unter anderem beantragt, bei der Beschaffung des Transportflugzeuges A400M die Stückzahl
von 60 auf 49 zu reduzieren. Wir haben weiterhin beantragt, eine angemessene Reduzierung des dritten Loses
des Kampfflugzeuges Eurofighter bzw. dessen Weiterveräußerung an Dritte zu prüfen. Wir haben außerdem
beantragt, die Beteiligung am Entwicklungsprogramm
des Raketenabwehrsystems MEADS zu beenden, den
Feldlagerschutz umfassend zu verbessern, den durch die
Bundesregierung ermittelten Bedarf an geschützten
Fahrzeugen unverzüglich zu berücksichtigen und den Investitionsstau in den Bundeswehrkasernen West zügig
zu beseitigen.
({1})
Das alles haben Sie mit Koalitionsmehrheit abgelehnt.
Bei SPD- und Unionsfraktion scheint darüber hinaus
die linke Hand leider nicht zu wissen, was die rechte tut.
Während alle Fachpolitiker im Verteidigungsausschuss
aus gutem Grund beschlossen haben, unverzüglich ein
effektives und am Markt verfügbares Schutzsystem gegen Sprengfallen zu beschaffen und trennungsgeldberechtigten Soldatinnen und Soldaten mit Wohnung am
Dienstort das Trennungsübernachtungsgeld für die gesamte Dauer eines Auslandseinsatzes von vier Monaten
zu zahlen, haben Ihre Haushaltspolitiker diesen wichtigen Vorhaben die Zustimmung verweigert. So bleibt alles, wie es ist.
({2})
Der Steuerbürger zahlt im Jahr 2008 pro Tag beinahe
doppelt so viel für die Kostensteigerungen beim Eurofighter wie im gesamten Jahr 2008 für die Beschaffung
von überlebenswichtigen Störsendern. Das ist unverantwortlich, da Sprengfallen die tagtägliche Bedrohung für
das Leben unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz
sind.
Herr Minister, ziemlich genau vor einem Jahr versuchten Sie den Eindruck zu erwecken, die Störsender
für die geschützten Fahrzeuge würden unverzüglich beschafft. Sie haben in einem Schreiben an mich vom
29. Januar dieses Jahres in Aussicht gestellt, dass der
Bedarf für den Einsatz in Afghanistan schon ab der ersten Jahreshälfte 2007 gedeckt werden soll. Was ist seither geschehen? Zur Erprobung wurde für jeweils drei
Fahrzeugtypen ein Probeexemplar bestellt. Momentan
befinden sich einige wenige Störsender im Zulauf. Erst
ab 2009 werden der Bundeswehr erwähnenswerte Stückzahlen zur Verfügung stehen. Das ist nicht akzeptabel.
({3})
Wenn das, was im Einsatz benötigt wird, Priorität haben
soll, muss dies unverzüglich beschafft werden.
Ähnlich unbefriedigend ist immer noch die Ausstattung im Einsatz mit geschützten Fahrzeugen. Auch hier
tut der Minister öffentlich immer so, als sei alles zum
Besten. Sie haben behauptet, dass auf dem Markt verfügbare Fahrzeuge mit höherem Schutzniveau über den einsatzbedingten Sofortbedarf in erheblichem Umfang beschafft werden. Die Anzahl der Fahrzeuge, deren
Schutzwirkung unterhalb des geforderten Schutzstandards liegt, sollte kontinuierlich verringert werden, und
sie sollten durch geschützte Fahrzeuge ersetzt werden.
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine
Anfrage hat jedoch ergeben, dass heute weniger geschützte Fahrzeuge in Afghanistan im Einsatz sind als
im November 2006. Nach Abzug des Mungo verbleiben
117 Fahrzeuge im Einsatz, die nach Ihrer Definition den
Schutzanforderungen genügen. Das sind gerade einmal
20 Prozent der in Afghanistan insgesamt eingesetzten
Fahrzeugflotte.
Sie wissen, dass das Patrouillenfahrzeug Wolf keinen
ausreichenden Schutz bietet und deshalb schnellstmöglich durch ein Nachfolgemodell abgelöst werden muss.
Das war auch das erklärte Ziel der Bundesregierung.
Leider hat man für den Wettbewerb in dieser Fahrzeugklasse Kriterien festgelegt, die niemand erfüllen kann.
Die Entscheidung über ein Nachfolgefahrzeug musste
daher erst einmal ausgesetzt werden, sodass die Bundeswehr mindestens ein weiteres Jahr verliert, bis geeignete
Fahrzeuge beschafft werden können.
Herr Minister, nehmen Sie die Einsatzrealität endlich
zur Kenntnis! Sonst wird Ihre Bilanz am Ende dieser Legislaturperiode noch düsterer ausfallen als Ihre magere
Halbzeitbilanz zum jetzigen Zeitpunkt.
({4})
Ein Ehrenmal fernab von Parlament und Öffentlichkeit
und ein Weißbuch, das in der Schublade verstaubt, reichen als Erfolgsbilanz für dieses Amt leider nicht aus.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegin Susanne Jaffke, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Hoff, ich werde auf das, was Sie gesagt
haben, nicht näher eingehen. Eines muss ich Ihnen allerdings sagen: Das, was die FDP von sich gibt, ist zum
Teil ein Widerspruch in sich. Auf der einen Seite wollen
Sie 148 Millionen Euro einsparen; dazu haben Sie im
Haushaltsausschuss viele Anträge gestellt. Auf der anderen Seite beklagen Sie, was alles nicht getan wird; das ist
so übrigens auch nicht richtig. Ihre Kritik halte ich für
nicht gerechtfertigt.
({0})
Gestatten Sie mir zu Beginn meiner Ausführungen
ein persönliches Wort des Dankes. Ich möchte mich bei
den Mitarbeitern des BMVg insgesamt und vor allen
Dingen bei den Mitarbeitern der Haushaltsabteilung bedanken, die allen Berichterstattern in gewohnter Zuverlässigkeit die gewünschten Informationen zeitnah zur
Verfügung gestellt haben. Danken möchte ich ganz persönlich auch dem aus dem Amt scheidenden Staatssekretär Dr. Eickenboom,
({1})
der aus vielen Verwendungen, unter anderem als Sekretär des Haushaltsausschusses, die freundlichen Macken
der Haushälter gut kennt und daher oft schon im Vorfeld
anstehender Beschaffungsvorhaben durch intensive, offene Information so manche Woge zwischen den Entscheidern in der Regierungskoalition und in der Opposition zu glätten half.
An dieser Stelle möchte ich kurz auf einen netten Artikel hinweisen, der gestern in der Financial Times
Deutschland erschien. Er hatte die Überschrift „Die
heimlichen Herrscher des Geldes“. Jedem, der diesen
Artikel noch nicht gelesen hat, empfehle ich ihn; ich
hoffe, ich muss nicht fürchten, Schleichwerbung zu machen. Auch wenn einige Kollegen aus den Haushaltsgruppen darin explizit beschrieben werden, muss ich sagen: Das, was in diesem Artikel steht, stimmt. Es ist ja
nicht immer so, dass das, was in den Zeitungen steht, zutrifft; diesmal ist es so.
Im Zusammenhang mit den personellen Veränderungen sage ich Herrn Wolf meinen Glückwunsch, der von
Staatssekretär Eickenboom die Funktion des neuen Abteilungsleiters Haushalt übernimmt. Dadurch ist sichergestellt, dass es auch in Zukunft eine solide Zusammenarbeit zwischen den Berichterstattern zum Einzelplan 14
im Haushaltsausschuss und dem BMVg geben wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Etat, dem Einzelplan 14 für 2008 und dem
41. Finanzplan ist eine gute und tragfähige Grundlage
geschaffen worden, um den Prozess der Anpassung und
Modernisierung der Bundeswehr weiter zu gestalten. Der
heute zu beschließende Etat der Bundeswehr, die eine
Armee zur Landesverteidigung und eine Armee im Einsatz ist, beträgt nach intensiver parlamentarischer Beratung einschließlich der Versorgungsausgaben 29,45 Milliarden Euro. Damit steigt der Etatansatz gegenüber dem
Regierungsentwurf um 142 Millionen Euro. Das ist für
Haushälter keineswegs selbstverständlich; denn eigentlich sollten wir in unserer Funktion sparen. Dennoch sind
diese Umschichtungen und Erhöhungen aufgabengemäß
und gerechtfertigt. Ich danke allen Kollegen im Ausschuss, die diese Notwendigkeiten akzeptiert und mitgetragen haben.
({2})
Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur
einige wenige ausgewählte Schwerpunkte benennen, für
die dieser Etat parlamentarisch gestaltet wurde.
Zuerst ist die Erhöhung des Wehrsoldes um 2 Euro
pro Tag zu nennen. Sie wird ab 1. Januar 2008 gelten
und die Attraktivität der Bundeswehr weiter steigern.
({3})
Seit neun Jahren ist das Einkommen der Personengruppe
der Grundwehrdienstleistenden und der freiwillig länger
dienenden Wehrpflichtigen nicht mehr gestiegen. Die
Große Koalition realisiert die Erhöhung nun, und - wie
ein geflügeltes Wort sagt - das ist auch gut so.
({4})
Als zweiten Schwerpunkt möchte ich das Sonderprogramm „Sanierung der Kasernen West“ nennen. Damit sollen durch zusätzlich 116 Millionen Euro gezielt
große und kleine Baumaßnahmen realisiert werden, was
ein durchaus ehrgeiziges Ziel ist. Sicher sind immer
noch größere Summen vorstellbar oder wünschenswert.
Aber alle Summen, die bewilligt werden, müssen auch
realisierbar sein. Wer weiß, dass bei Baumaßnahmen mit
den jeweiligen Landes- oder Staatshochbauverwaltungen zusammengearbeitet werden muss, der weiß auch,
wie schwierig die Umsetzung ist und dass wir in unserem Handeln nicht ganz unabhängig sind.
Als dritten Schwerpunkt lassen Sie mich bitte kurz
die realisierten Großvorhaben benennen, die unsere
Bundeswehr im Einsatz dringend benötigt. Es sind dies
die Beschaffungsprojekte zur Satellitenkommunikation
zur Sicherstellung der Führungsfähigkeit, SATCOM
Bw 2, genauso wie die Entscheidungen für den dringend
benötigten geschützten Transportraum. GTK Boxer und
Puma seien dabei exemplarisch benannt. Die Ausstattung der Marine mit Fregatten der neuesten Generation
kann hier ebenso benannt werden wie die getroffene Entscheidung zur Beschaffung dringend benötigter Luftfahrzeuge, vor allen Dingen der Hubschrauber, die für
unsere Soldaten im Einsatz besonders wichtig sind.
Ich würde mir an dieser Stelle - es sei gestattet, das
hier öffentlich anzumerken - ein wenig mehr Termintreue der Industrie wünschen, mit der wir Verträge abschließen. Da gibt es noch Verbesserungsbedarf, und ich
hoffe, dass sich die Industrie das einmal hinter die Ohren
schreibt.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, planmäßig geht nun
auch der Strukturumbau in der zivilen Verwaltung der
Bundeswehr voran. Die Zielstruktur für 2010 von 75 000
zivilen Dienstposten nimmt Gestalt an. Der Personalabbau geschieht sozialverträglich. Die Bundeswehr leistet
damit auch weiterhin einen aktiven Beitrag nicht nur zur
Entbürokratisierung, sondern vor allen Dingen zur Personalrückführung beim Bund insgesamt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie gewohnt
möchte ich mich auch für die Zusammenarbeit mit meinen jungen Kollegen Berichterstattern - ich schließe den
Kollegen Koppelin ausdrücklich ein - bedanken.
({6})
Sie war wie immer sehr kollegial, wenn auch nicht immer harmonisch. Aber das liegt wohl auch in der ausgeprägten Persönlichkeitsstruktur einiger Kollegen. Ich
danke allen noch einmal.
Abschließend möchte ich bemerken: Der Etat des
Bundesverteidigungsministeriums weist in die richtige
Richtung, auch wenn die Herausforderungen für die
nächsten Jahre nicht geringer werden. Er verdient die
Zustimmung des gesamten Hauses.
({7})
Das Wort hat nun Kollegin Inge Höger, Fraktion Die
Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus Sicht
der Fraktion Die Linke weist dieser Verteidigungshaushalt nicht in die richtige, sondern in die völlig falsche
Richtung. Aus unserer Sicht ist es kein Verteidigungs-,
sondern ein Rüstungshaushalt. Er führt keinen einzigen
Schritt in Richtung einer friedlicheren Welt. Im Gegenteil, die Militarisierung der Außenpolitik, die hier finanziert werden soll, führt unser Land auf einen globalen
Kollisionskurs.
Hermann Hesse schrieb im Rückblick auf seine Zeit:
An einen Krieg dachte niemand, man rüstete nur so
für alle Fälle …
Wer Frieden will, der muss auch den Frieden vorbereiten. Wer aufrüstet, kann nicht glaubhaft für Frieden und
Abrüstung werben.
Ein anderes Zitat. Gustav Heinemann analysierte treffend:
Der Frieden ist der Ernstfall.
Eine glaubwürdige Vorbereitung auf den Ernstfall Frieden kann die Linke in dem vorliegenden Haushalt nicht
erkennen. Entsprechend setzt die Linke in ihrem Entschließungsantrag zum Einzelplan 14 deutlich andere
Akzente, die ich kurz erläutern will:
Erstens. Bei Haushaltsberatungen ist immer wieder
die Rede von sparen und Schulden abbauen. Aber bei
diesem Einzelplan, dem drittgrößten Einzelplan, wird
kräftig draufgesattelt.
({0})
Weitere Ausgabensteigerungen sind mit den Verträgen
vorprogrammiert. In 2008 wollen Sie für Ihren Einsatzhaushalt insgesamt 29,3 Milliarden Euro. Nach NATOKriterien wären es gar 31,7 Milliarden Euro. Die Linke
fordert, den Aufwuchs von 911 Millionen Euro rückgängig zu machen sowie die bisherige Höhe des Rüstungshaushaltes um 10 Prozent zu reduzieren.
({1})
Insgesamt sehen wir ein Einsparpotenzial von mindestens 3,9 Milliarden Euro.
Zweitens. Die Planungen für sogenannte Rüstungsinvestitionen im Bundeswehrplan 2008 machen klar, dass
die beschlossenen Projekte das vorgesehene Finanzvolumen auf Jahre hinaus binden. Bis 2012 sollen laut Bundeswehrplan die Rüstungsinvestitionen von 6 Milliarden Euro auf 8 Milliarden Euro jährlich steigen. Der
Schwerpunkt der Ausgaben liegt dabei auf Mobilität, vor
allem auf der sogenannten Wirksamkeit im Einsatz. Für
die Verbesserung der Mobilität sind in den nächsten
Jahren 15 Milliarden Euro vorgesehen, allein 9 Milliarden Euro für den Airbus A400M. Für die Wirksamkeit
im Einsatz sind sogar 50 Milliarden Euro eingeplant.
Im Verhältnis dazu erscheinen die 4 Milliarden Euro,
die für Überlebensfähigkeit und Schutz eingeplant sind,
beinahe bescheiden. Der Schutz der Soldaten spielt offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle. Wirklicher
Schutz ist technisch auch nicht machbar. Er ist nur politisch zu gewährleisten. Beenden Sie die Auslandseinsätze und holen Sie zum Beispiel die Soldatinnen und
Soldaten aus Afghanistan zurück!
({2})
Drittens. Bei den Aufrüstungsprojekten geht es um
die Vorbereitungen für globale Kriegs- und Besatzungspolitik. So wird etwa die Marine durch neue Korvetten
und Fregatten für viel Geld auf aggressive Einsätze vorbereitet. Auch der Eurofighter, ein Projekt aus Zeiten der
Blockkonfrontation, ist reine Geldverschwendung. Nun
wird auch noch in seine Umrüstung investiert. Bei der
Mehrrollenfähigkeit geht es um die Befähigung zu Flächenbombardements - mit Friedenspolitik hat dies definitiv nichts zu tun.
Viertens. Für Auslandseinsätze sind im Haushalt
600 Millionen Euro eingeplant. Dieser Ansatz kann, wie
wir in den letzten Jahren gesehen haben, schnell auf
1 Milliarde Euro steigen. Die Linke lehnt diese Art der
militärischen Weltordnungspolitik grundsätzlich ab.
({3})
Die frei werdenden Mittel sollten in die Bekämpfung der
Armut und Unterentwicklung investiert werden; das
wäre endlich effektive Sicherheitspolitik.
Fünftens. Der Einzelplan 14 ermöglicht die fortgesetzte Investition in eine verfehlte Bündnispolitik. Statt
die Vereinten Nationen und das Völkerrecht zu stärken,
wird die deutsche Rolle im Rahmen der NATO und der
militärischen Komponente der EU gestärkt. Die NATO
ist kein Friedensbündnis. NATO-Kampftruppen ebenso
wie EU-Battle-Groups sind Instrumente einer militärischen Außenpolitik. Die Linke fordert deswegen die BeInge Höger
endigung der deutschen Beteiligung an der NATOResponse-Force und an den EU-Battle-Groups.
({4})
Dazu gehört die Schließung der entsprechenden Trainingseinrichtungen wie des Gefechtsübungszentrums bei
Magdeburg.
Sechstens. Anstatt sich um zivile Ausbildung und Arbeitsplätze für junge Menschen zu kümmern, nutzen Sie
deren Perspektivlosigkeit aus, wenn es darum geht,
junge Soldaten zu rekrutieren. Nicht zufällig entscheiden
sich junge Jugendliche aus ökonomisch schwachen Regionen überdurchschnittlich häufig für eine längere Verpflichtung bei der Bundeswehr. Die Bundeswehr kooperiert immer stärker mit den Arbeitsagenturen. Die Linke
kritisiert, dass man in den Agenturen mit Argumenten
wie „Dieser Job ist krisensicher“ wirbt. Ein Arbeitsplatz
in der Rüstungsindustrie kostet die Steuerzahler 150 000
bis 200 000 Euro pro Jahr. Mit diesem Geld ließen sich
deutlich mehr und vor allen Dingen sinnvollere zivile
Arbeitsplätze schaffen. Auch die 600 Millionen Euro,
die jährlich für die Wehrpflicht ausgegeben werden, sind
besser in zivile Ausbildungsprogramme investiert.
({5})
Siebtens. Bei den Angehörigen der Bundeswehr
wurde in den letzten Jahren massiv eingespart. Die Bundeswehr ist überdimensioniert. Wir wollen Strukturveränderungen aber nicht auf Kosten der Soldatinnen und
Soldaten durchführen. Die Linke fordert deshalb die
Rücknahme der sozialpolitischen Kürzungen, zum Beispiel beim Weihnachts- und Urlaubsgeld. Zudem soll die
Ost-West-Tarifangleichung auch für die Berufssoldatinnen und -soldaten, die Soldatinnen und Soldaten auf Zeit
und die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch
im Haushaltsjahr 2008 umgesetzt werden.
({6})
Achtens. Früher oder später folgt aus der Rüstungsproduktion für die eigene Armee auch der Rüstungsexport, um diesen Wahnsinn rentabel zu gestalten. Das
jüngste Beispiel dafür ist der Hightechpanzer Puma,
durch den der Haushalt in den nächsten Jahren mit mindestens 3,4 Milliarden Euro belastet wird. Die Rüstungsindustrie träumt bereits davon, ihn zu einem Exportschlager zu machen, wie früher den Leopard. Die Linke
fordert einen sofortigen und vollständigen Stopp der
Rüstungsexporte.
Neuntens. Neue Waffensysteme brauchen wir nicht.
Erforschung, Entwicklung und Erprobung von Rüstungsgütern kann sich unser Land sparen. Das bleibt
auch so, wenn Rüstungsforschung und -entwicklung zukünftig über die Europäische Verteidigungsagentur abgewickelt werden. Die politische Kontrolle wird dabei
immer schwieriger. Der Zuschuss für die Europäische
Verteidigungsagentur muss komplett gestrichen werden.
({7})
Um die globale Kriegsgefahr einzudämmen, brauchen
wir ernsthafte Bemühungen um eine gerechte Verteilung
der Ressourcen der Welt. Die Bundesregierung beteiligt
sich stattdessen am militärischen Wettlauf um die knapper werdenden fossilen Energieträger. Durch die Unterstützung der US-Kriegspolitik, durch Drohungen gegen
den Iran und durch eigene militärische Beiträge in geostrategisch sensiblen Regionen trägt die Bundesregierung zur Ausbreitung der Unsicherheit auf dieser Welt
bei. Kein Land wird durch die Fähigkeit, andere zu bedrohen, sicherer.
({8})
Wir brauchen endlich eine weltweite entschiedene
Abrüstungsinitiative. Wir können und müssen hier beginnen, in Deutschland, in der Europäischen Union und
in der NATO. Die Linke fordert die Bundesregierung
dazu auf, mit eigenen deutlichen Abrüstungsschritten ein
glaubwürdiges Beispiel dafür zu geben.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun Kollege Johannes Kahrs, SPDFraktion.
Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kameradinnen und Kameraden! Wir sprechen heute über den Verteidigungshaushalt. Vorher
möchte ich aber noch eine kurze Anmerkung zu meiner
Kollegin Höger machen. Frau Kollegin, ich habe nichts
dagegen, dass man andere Meinungen vertritt. Im Gegenteil: Dafür sind wir hier. Das ist auch zu respektieren
und in Ordnung. Sachlich sollten sie allerdings richtig
sein:
Erstens. Die Anschaffung der neuen Korvetten, von
denen Sie reden, ist nicht in dieser und nicht in der letzten, sondern in der vorletzten Legislaturperiode besprochen und beschlossen worden.
Zweitens. Wir sind das Land in Europa und in der
NATO, das am meisten Geld für den Schutz der Soldatinnen und Soldaten ausgibt. Sie können alle Etats vergleichen. Deswegen habe ich diese Anmerkung von Ihnen nicht wirklich verstanden.
Drittens. Wir sind das Land, das am meisten Geld in
die Aus- und Weiterbildung sowie Qualifizierung der
Soldaten seiner Armee investiert, damit sie auch nach
Abschluss ihrer Bundeswehrzeit - nach vier, acht oder
zwölf Jahren - Chancen auf dem zivilen Arbeitsmarkt
haben. Es geht also um Qualifikation und Ausbildung.
Die Bundeswehr bildet in großem Maße aus. Ich finde,
das muss man zumindest einmal anmerken, weil wir Sozialdemokraten stolz darauf sind.
({0})
- Ich schließe die Kollegen des Koalitionspartners gleich
mit ein. Wunderbar.
({1})
- Okay, ich schließe auch die Kollegen von den Grünen
mit ein. Sie haben hier sieben Jahre lang unter Rot-Grün
alles mitgemacht. Vielen Dank.
({2})
Das freut die Linke.
({3})
- Sie von der FDP haben nun überhaupt nichts gemacht.
Nachdem ich hier nun die Noten verteilt habe, schlage
ich vor, dass wir zur Sachebene kommen. Das Volumen
des Verteidigungshaushalts ist um über 1 Milliarde Euro
gestiegen. Im Finanzplan waren bereits Steigerungen in
Höhe von 300 Millionen Euro vorgesehen. Der Finanzminister hat noch einmal 600 Millionen Euro draufgelegt. Vielen Dank, Peer! Zusätzlich hat der Haushaltsausschuss dann noch - die Kollegin Jaffke hat es
inhaltlich begründet - 142 Millionen Euro draufgepackt.
In der Sache ist das richtig und gut.
Wir haben dafür gesorgt, dass die Betriebsausgaben
weiter gesenkt werden und die Personalausgaben weiterhin rückläufig sind.
Es gibt aber einen Mehrbedarf bei der Materialerhaltung. Darum machen wir uns ernsthafte Sorgen. Insbesondere liegen die Wartungsausgaben für Luftfahrzeuge
derzeit bei über 1 Milliarde Euro. Es kann auf Dauer
nicht sein, dass moderne Flugzeuge deutlich wartungsintensiver sind als jahrzehntealte Flugzeuge. Damit muss
man sich beschäftigen.
Die Ausgaben im Bereich Betreiberlösung verdoppeln sich. Das liegt insbesondere an HERKULES, dem
IT-Projekt der Bundeswehr.
Der Anteil der verteidigungsinvestiven Ausgaben
steigt in diesem Haushalt auf 23,5 Prozent. Das ist gut,
richtig und notwendig.
Ein Großteil des Geldes wird für den Schutz der Soldaten verwendet. Das ist hier bereits angesprochen worden. Der Schutz der Soldaten durch ihre Ausstattung mit
dem besten Gerät ist richtig und notwendig.
({4})
Über den Bereich Infrastruktur haben wir - insbesondere auch auf Anregung des Wehrbeauftragten - in den
letzten Wochen und Monaten hier diskutiert. Wir haben
als Haushälter mehr Geld in die Infrastruktur investiert.
Jetzt geben wir für große Baumaßnahmen 500 Millionen
Euro aus - das ist ein Plus von 88 Millionen Euro -, für
kleine Baumaßnahmen 230 Millionen Euro - das ist ein
Plus von 43 Millionen Euro - und für die Unterhaltung
von Grundstücken und Anlagen 450 Millionen Euro; das
ist ein Plus von 62 Millionen Euro, die der Haushaltsausschuss zusätzlich bewilligt hat.
Das halte ich für richtig, wichtig und gut. Wir müssen
dafür sorgen, dass unsere Soldaten in Deutschland anständig untergebracht sind, damit das Ganze auch etwas
mit Attraktivität zu tun hat.
({5})
Ich würde gerne noch einen Punkt ansprechen, der
mich besonders ärgert. Es gibt den Titel „Einsatzbedingter Sofortbedarf“. Darin kommen die schönen Worte
„Einsatz“, „sofort“ und „Bedarf“ vor. Dieser Titel wird
vom Ministerium seit Jahren abgesenkt und nicht ganz
abgerufen. In der Truppe im Einsatz versteht das niemand. Von den Kollegen im Verteidigungs- und im
Haushaltsausschuss versteht das auch kaum einer.
Die Vorschriften für den Einsatzbedingten Sofortbedarf sind inzwischen fast so kompliziert wie die Regelungen für die normalen Beschaffungsvorgänge. Das
halten wir für falsch. Einsatzbedingter Sofortbedarf
sollte dafür da sein, schnell und kurzfristig reagieren zu
können, wenn bei der Truppe im Einsatz etwas benötigt
wird.
({6})
Die Argumentation „Die Truppe ist schon seit Jahren
im Einsatz; jetzt muss man gucken, dass der normale
Weg auch funktioniert“ ist zwar schön, entspricht aber
nicht der Realität. Ich bin sicher, dass das Parlament diesen Punkt mit dem Ministerium noch einmal intensiv
diskutieren wird. Es kann nicht angehen, dass hier dreistellige Millionenbeträge nicht genutzt werden. Das haben wir uns nicht dabei gedacht, als wir den Einsatzbedingten Sofortbedarf zu rot-grünen Zeiten geschaffen
haben.
Ich möchte mich ganz besonders mit der Attraktivität des Soldatenberufes auseinandersetzen. Bundeswehr geht nun einmal nicht ohne Soldaten, auch wenn
man im Ministerium manchmal ein anderes Gefühl hat.
({7})
Der Soldatenberuf muss auch in Zukunft attraktiv bleiben. Das bedeutet, dass verschiedene Maßnahmen wichtig
sind. In diesem Zusammenhang kann man sich zwar auch
mit Zivilbeschäftigten befassen. Das tun wir auch. Man
darf aber nicht vergessen, wofür die Bundeswehr da ist.
Die Zivilbeschäftigten sind für die Bundeswehr da. Wir
brauchen Soldaten. Diese müssen wir wiederum auch
werben können. Dafür muss die Bundeswehr attraktiv
sein.
In diesem Zusammenhang gibt es vier Punkte, die ich
wichtig finde.
Erstens. Wir haben hier im Parlament dafür gesorgt,
dass der Wehrsold um 2 Euro pro Tag erhöht wird. Das
ist richtig und gut. Es weist in die richtige Richtung.
Mittelfristiges Ziel muss es aber sein, dass die Bezahlung der Soldatinnen und Soldaten an die Gehaltsstrukturen der Bundespolizei angepasst wird. Otto Schily hat
hier Wegweisendes geschaffen. Ich finde, wir können
uns bei der Bundeswehr an ihm orientieren. Otto …
find’ ich gut.
({8})
Zweitens. Mit Personalentwicklung und Personalführung sollten wir uns als Parlament etwas mehr beschäftigen. Der Wehrbeauftragte hat diesen Punkt auch
aufgegriffen. Wenn ein Soldat weiß, dass er eine bestimmte Chance auf eine Karriere in den Streitkräften
hat, dass er auf eine Laufbahn hinarbeiten kann und dass
er Planungssicherheit hat, und weiß, was die Bundeswehr mit ihm vorhat und welche Qualifikationen er erhalten kann, dann fühlt er sich wohler. Er braucht eine
Berufsperspektive. Das, was die Personalplanung in der
Bundeswehr zurzeit macht, hat viel mit gutem Willen zu
tun, allerdings auch relativ viel mit Planwirtschaft.
Ich finde, dass man auch auf die Bedürfnisse der Soldatinnen und Soldaten eingehen muss. Dafür gibt es
schließlich moderne IT. Vielleicht kommen wir da alle
zusammen. Planbarkeit ist wichtig.
({9})
Des Weiteren haben sich viele Zustände in der Bundeswehr geändert. Früher hatten wir die Truppe in der
Fläche. Das bedeutete, dass überall Kasernenanlagen
vorhanden waren. Die Soldaten, insbesondere die
Dienstgrade, wohnten zu Hause und kamen zum Dienst
in die Kaserne. Das hat sich heute geändert. Die Bundeswehr hat viele Standorte geschlossen. Die Dienstgrade
- Unteroffiziere mit und ohne Portepee, Offiziere - haben ihren Lebensmittelpunkt außerhalb der Kaserne
- dort arbeitet in der Regel ihre Frau; die Kinder gehen
zur Schule - und pendeln. Das häufige Versetzen wird
nicht mehr zum Anlass genommen, umzuziehen. Darauf
muss sich die Bundeswehr einstellen. Das heißt, die Infrastruktur ist besonders wichtig. Auch nicht kasernenpflichtige Soldatinnen und Soldaten wohnen oft in der
Kaserne und pendeln am Wochenende. Die Infrastruktur
ist dafür häufig nicht vorhanden. Viele Feldwebel- und
Offizierswohnheime wurden geschlossen. Die noch vorhandenen sind in einem bedauerlichen Zustand. Ich
glaube, dass wir sehr viel tun müssen, um die Kasernen
attraktiver zu machen. Offizierswohnheime - OHGs und
UHGs - müssen deutlich besser ausgestattet werden;
denn die Dienstgrade, Unteroffiziere mit und ohne Portepee, Offiziere und die Mannschaften wohnen dort. Die
Infrastruktur muss entsprechend angepasst werden.
Wenn man sich anschaut, wie es bei der Bundeswehr
läuft, können einem die Haare zu Berge stehen. Derzeit
ist vor Ort entweder ein S-3-Offizier oder ein anderer
Beauftragter für die Infrastruktur zuständig. Wenn die
Betreffenden nicht gerade im Auslandseinsatz sind oder
sich mit Vorbereitungen für NATO Response Force und
EU Battle Groups befassen, können sie sich darum kümmern. Dann muss man sich mit dem Infrastrukturstab
und der Wehrbereichsverwaltung auseinandersetzen.
Alle Stufen müssen durchlaufen werden, einmal die Leiter rauf und runter. Auch das Bundesfinanzministerium
will bei jeder Baumaßnahme mitreden. Danach geht es
an die Landesbauverwaltungen; es gibt gute und andere.
Das alles dauert ewig. Der Soldat vor Ort hat noch nicht
einmal das Recht, die Baustelle in seiner Kaserne zu betreten, weil er nicht derjenige ist, der die Baumaßnahme
leitet. Der ganze Vorgang dauert bei großen Baumaßnahmen rund fünf Jahre. Das ist indiskutabel; das muss geändert werden. Wir müssen die Vorgänge straffen. Das
muss schneller gehen. Die Zustände in der Truppe müssen - ich nenne Schwarzenborn als Beispiel - deutlich
verbessert werden. Der Wehrbeauftragte hat dazu viel
vorgetragen.
Es reicht aber nicht, die Strukturen zu straffen,
schneller zu bauen und intensiver auf die Bedürfnisse
der Soldaten einzugehen. Vielmehr müssen auch die
Vorschriften geändert werden, die teilweise noch aus
den 50er- oder 60er-Jahren stammen. Wie viele Quadratmeter sollen einem Soldaten zustehen? Im Rahmen des
von uns genehmigten Projektes HERKULES kommt
kein einziger privater Internetanschluss für die Soldaten
vor. Soll es etwa attraktiv sein, dass vier, fünf oder sogar
sechs Dienstgrade, Zeitsoldaten, auf einer Stube wohnen, weil sie erst am Wochenende nach Hause fahren?
Das funktioniert überhaupt nicht. Teilweise wurde neues
Mobiliar - statt Olympia Buche-Dekor - angeschafft.
Aber das passt nicht in die Räume. Das kann überhaupt
nicht angehen. Die Struktur muss verändert werden.
Gleichzeitig müssen die Standards an das heutige Niveau angepasst werden. Am besten sollte man auch drei
Tage im Voraus denken. Es kann nicht angehen, dass es
Kasernen ohne Handyverbindung gibt. Da fragt man
sich, in welcher Zeit die Verantwortlichen leben. Das
müssen wir verändern.
Ich habe mir letztlich ein paar sanierte Anlagen in einer Kaserne angeschaut. Beispiel Sanitärbereich: Früher
gab es lange Tröge. Wenn man sich dort nach dem Zähneputzen den Mund ausgespült hat, dann hatten die
Nachbarn rechts und links noch etwas davon. Da diese
Tröge auf dem Markt nicht mehr vorhanden sind, hat die
Wehrverwaltung sie neu herstellen lassen, damit es diese
wunderbaren Tröge baugleich noch einmal gibt. Ich
kenne keinen anderen, der diese Dinger nutzt. Aber die
Bundeswehr lässt sie für viel Geld neu herstellen. Diese
Tröge kosten „nur“ das Elffache von dem, was normale
Waschbecken kosten.
({10})
Hier muss man prüfen und dringend etwas verändern.
Kollegin Jaffke hat es dankenswerterweise schon getan. Ich möchte - weil er Sozialdemokrat ist - dem
Staatssekretär Eickenboom herzlich danken, der unter
Peter Struck und dann unter Minister Jung hervorragende Arbeit geleistet hat.
({11})
Wir haben ihn mit einer Serenade verabschiedet. Ich
glaube, dass die Zusammenarbeit beispielgebend war.
Ich gehe davon aus, dass die Zusammenarbeit mit seinem Nachfolger ähnlich gut sein wird. Diese Zusammenarbeit sowie die Zusammenfassung von Rüstung
und Haushalt waren segensreich. Deswegen, Peter, noch
einmal herzlichen Dank von uns.
Des Weiteren müssen wir uns die Ausrüstung und die
Strukturen genau anschauen.
Wir beschaffen teilweise kleine Stückzahlen und Losgrößen, die unwirtschaftlich sind. Das ist der Fluch der
kleinen Zahl. Das ist Manufakturarbeit und Handarbeit;
das macht das Ganze teurer. Man muss sich einmal überlegen, inwieweit man zu privaten Vorfinanzierungen
kommt und wie man damit das Gerät eher in die Truppe
bekommt. Es kann aber auch nicht angehen, dass Monopole ausgenutzt werden. Wir wollen zurzeit den Bau eines Einsatzgruppenversorgers in Auftrag geben. Wir haben vier Werften angeschrieben und dachten, es gäbe
vier Angebote. So etwas nennt sich Wettbewerb. Wir haben aber nur ein Angebot einer Arge bekommen, in der
sich alle vier Werften zusammengeschlossen haben. Das
ist bestimmt eine wunderbare Sache für alle Beteiligten,
aber garantiert nicht für den Steuerzahler.
({12})
Deswegen sollte man sich überlegen, wie man einen
richtigen Wettbewerb veranstaltet. Der kommt allen Beteiligten zugute. Das sage ich als Hamburger, der auch
maritime Interessen hat. Deswegen bitte ich das Ministerium darum, das noch einmal zu prüfen. Ich glaube, dass
private Vorfinanzierungen nicht zu Schattenhaushalten
führen dürfen - wie es in verbündeten Ländern wie
Großbritannien und Frankreich der Fall gewesen ist -,
die einem dann auf die Füße fallen. Auch wenn es nicht
modern ist, muss man einfach einmal das Loblied auf die
Kameralistik singen. Da weiß man wenigstens, wo man
bei all den Problemen, die man hat, steht. Wenn man es
schafft, die Kameralistik gängiger zu machen, haben wir
alle etwas davon.
Ich möchte mich ganz herzlich bei den Kolleginnen
und Kollegen Jaffke, Kalb, Koppelin, Lötzsch und
Bonde bedanken. Ich will weder die Linke noch die Grünen oder die FDP von dem Lob ausnehmen. Wir alle
sechs arbeiten hervorragend zusammen. Ich möchte
mich ganz herzlich beim Minister bedanken. Herr Jung
macht seine Arbeit hervorragend. Wir hatten am Anfang
leichte Einstiegsprobleme, aber jetzt kriegen wir das gut
hin. Ihre Staatssekretäre sind fantastisch, auch wenn sie
keine Sozialdemokraten sind.
({13})
Ich bedanke mich insbesondere bei der Truppe für die
wertvollen Hinweise, die mir solche Reden erlauben.
Vielen Dank. Glückauf.
({14})
Das Wort hat nun Kollege Alexander Bonde, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
waren ganz erstaunt über so viel koalitionäre Eintracht,
die in diesen Schlussworten dokumentiert worden ist.
Gleichwohl muss man die Untertöne beachten und das
Gesagte mit der Regierungsarbeit des angesprochenen
Ministers vergleichen. Herr Minister Jung, wir haben vor
elf Wochen hier in erster Lesung den Haushalt 2008 besprochen. Ich habe damals gesagt, dass Ihr Einzelplan in
Zahlen gegossener Stillstand ist. Auch im Laufe der
Haushaltsberatungen hat sich an diesem Urteil nichts geändert. Man kann den Einzelplan mit den Worten zusammenfassen: Ein weiteres verschenktes Jahr, weiteres verschenktes Geld. - Wenn Sie mir den flapsigen Ausdruck
erlauben: Der Verteidigungshaushalt ist die Schnarchnase unter den Einzelplänen des Bundeshaushalts.
({0})
Wir fragen uns schon, was mit einem der größten Einzelpläne, die der Bundeshaushalt kennt, passiert ist und
welche Linien Sie in zweijähriger Tätigkeit eigentlich
hinterlassen haben. Bei den notwendigen Strukturreformen arbeiten Sie noch an vielen Baustellen, die Ihr Vorgänger eröffnet hat. Es ist aber nicht erkennbar, dass Sie
den Umbau der Streitkräfte entscheidend beschleunigen.
Überall dort, wo Strukturreformen notwendig wären, ist
Fehlanzeige oder pflichtschuldiges weiteres Vorantreiben - allerdings mit ausbremsenden Tendenzen - dessen,
was Sie vom Vorgänger übernommen haben, zu verzeichnen.
Die Auslandseinsätze sind nicht die Priorität Ihres
Handelns. Die Beschaffungen erfolgen mehr nach dem
Prinzip „Wünsch Dir was“, als dass die Frage nach der
sinnvollen Gestaltung einer Armee angesichts der Herausforderungen, denen sie bei ihren Einsätzen heute gegenübersteht, gestellt wird. Sie haben es geschafft, in diesem Einzelplan 1 Milliarde Euro einfach versickern zu
lassen, ohne dass erkennbar neue Akzente gesetzt worden wären. Ich finde, man muss sich die Beschaffungen
genauer anschauen. Es ist bereits angesprochen worden,
dass von den großen Beschaffungen kaum eine im Zeitplan und praktisch keine technisch auf der Höhe ist. Aber
bei allen ist klar, dass sie teurer werden. Bei den kleinen
Beschaffungsprojekten reden wir immer über kleine
Stückzahlen zu hohen Preisen. Wo die Truppe im Auftrag
der UN notwendige Einsätze durchführt, trifft eine
Hiobsbotschaft nach der anderen ein.
Gucken wir uns einmal die Projekte an, Herr Minister! Sie geben sich ja immer bewusst industriefreundlich,
wobei wir den Eindruck haben, dass Industriepolitik bei
Ihnen inzwischen die Dimension hat: Scheck unterschreiben und warten, was da kommt; denn Koordination und Auseinandersetzungen mit der Industrie - gegebenenfalls auch das Einklagen dessen, was Sie als
Auftraggeber einfordern müssen - finden nicht statt.
Gehen wir die Projekte also durch! Unterstützungshubschrauber NH-90: massive Verzögerungen, technische Schwierigkeiten. Transportflieger A400M: Kein
Mensch weiß, wann er kommt und ob er jemals fliegt.
Was den Infanteristen der Zukunft angeht, so lesen wir
gerade in den Zeitungen, wie er in der Truppe ankommt.
Beim Dingo 2 hört man allenthalben Klagen. Beim
Mungo haben Sie es nicht geschafft, der Truppe zu erklären, für was er eingesetzt werden soll. Das Ergebnis
sehen wir jetzt mit dem Abzug aus Afghanistan. Was die
Logistik in der Bundeswehr betrifft, so lesen wir allentAlexander Bonde
halben, wie lange es dauert, eine Schraube von Bonn
nach Kabul zu transportieren.
Da haben Sie uns nun in den Zeitungen mit Ankündigungen überrascht, man wolle bei der Logistik privatisieren. Ich will an der Stelle offen sagen: Wir hätten von
Ihnen erwartet, dass Sie das Parlament informieren, dass
wir als Berichterstatterinnen und Berichterstatter bei so
gravierenden Veränderungen informiert werden und
nicht von fertigen Projekten aus der Zeitung erfahren,
für die die Bieterkonsortien offensichtlich auch schon
alle feststehen. Auch da scheinen Sie nicht wirklich auf
den Erfolg gepolt zu sein; denn der ist bekanntermaßen
schwierig zu erreichen, wenn man solche gravierenden
Dinge am Parlament vorbei angeht.
({1})
Ich will noch einmal die Frage, welche Industriepolitik Sie eigentlich machen, sehr deutlich ansprechen. Sie
sind ja sehr stolz darauf, dass Sie die Beschaffungen unter einer industriepolitischen Linie sehen, also dabei davon ausgehen, was gut für die deutsche Industrie ist. Ich
finde, Sie vergessen dabei zunehmend die Frage: Was ist
eigentlich gut für die Bundeswehr und für das, was sie
tut? Vor allem vergessen Sie die Frage: Was ist eigentlich gut für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler?
Wenn ich mir die Fregatten angucke, die Sie zu exorbitanten Preisen gerade beschafft haben, und wenn ich
mir andere Strukturprojekte angucke, dann habe ich den
Eindruck, dass am Ende immer ein möglichst hoher
Scheck steht, den der Minister ausstellt.
Ich habe die große Befürchtung, dass Sie auch beim
A400M wieder nicht die Verhandlungsmacht nutzen, die
Sie als Auftraggeber im Dienste des Bundeshaushalts
nutzen müssen. Wir lesen jeden Tag Meldungen darüber,
wie schwer dieses Projekt vorankommt. Wir wissen alle
genau: Es sind im Vertrag Vertragsstrafen vorgesehen,
und es gibt seitens des Bundes die Möglichkeit, vom
Vertrag zurückzutreten. Jetzt hören wir allenthalben,
dass die Firma sondiert, ob es nicht Möglichkeiten gäbe,
durch Akzeptieren beispielsweise eines neuen Auslieferungsplans solche Strafzahlungen zu vermeiden.
Deshalb fordere ich Sie auf, Herr Minister, hier einmal klar und deutlich zu sagen: Beabsichtigen Sie, auf
solche Interessen der Industrie einzugehen? Können wir
von Ihnen erwarten, dass Sie auf die Vertragsvorteile, die
der Bund und der Steuerzahler an dieser Stelle haben,
eingehen werden? Stehen Sie zu dem Vertrag? Werden
Sie bei Verzögerungen die notwendigen Zahlungen einfordern? Gehen Sie auf Forderungen der Industrie ein,
ihr entgegenzukommen? Ich will von Ihnen dazu eine
klare Ansage haben. Wir reden hier über viele Millionen
Euro, und Sie dürfen nicht glauben, in dieser Frage am
Parlament vorbei Entscheidungen treffen zu können.
({2})
Ich will abschließend sagen: Es ist wieder ein verschenktes Jahr, was die Reform der Bundeswehr angeht.
Wir reden wieder über verschenkte Gelder. In Ihrem Einzelplan können ohne eine Veränderung der Struktur und
ohne eine Gefährdung der Auslandseinsätze 1,4 Milliarden Euro eingespart werden. Die Bundeswehr ist, wenn
man es sich genau anguckt, nicht unter-, sondern überfinanziert. Mit jedem Euro, den Sie zusätzlich hineinstecken, werden alte Strukturen zementiert, die auf Dauer
Kosten verursachen. Ich glaube, Mut zur Reform wäre
das, was wirklich anstünde. Das wäre richtig für den
Steuerzahler, und es wäre richtig für die Truppe.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat nun Bundesminister Franz Josef Jung.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Bonde, wissen Sie, was Sie gerade hier alles aufgezählt haben? Wenn man in ein Amt
als Minister kommt, dann erbt man das eine oder andere.
All die Verträge, auf deren Erfüllung wir jetzt warten
und bei denen es Zeitverzögerungen in den Projekten
gibt - von Tiger über NH-90 bis MH-90 -, sind von Ihnen quergeschrieben worden. Wir müssen jetzt dafür
sorgen, dass die Vertragsvoraussetzungen erfüllt werden,
damit wir möglichst rechtzeitig die Objekte bekommen,
die Sie unter anderen Bedingungen bestellt haben. Diesen Vorwurf müssten Sie eigentlich an Ihre eigene
Adresse richten, und deshalb gebe ich ihn an Sie zurück.
({0})
Noch ein Wort zur Opposition. Frau Kollegin Hoff,
Sie haben hier gefordert, eine Halbzeitbilanz vorzulegen.
Dem will ich gerne Rechnung tragen. Als diese Bundesregierung ins Amt kam, hat niemand daran gedacht, dass
wir noch nicht einmal ein Jahr später einen neuen Einsatz im Kongo und - zur Gewährleistung des Waffenstillstands - einen Einsatz vor der Küste des Libanon
durchzuführen haben. Wie Sie wissen, schreitet die Zeit
sehr schnell voran.
Ich darf auf Folgendes hinweisen: Der Einsatz im
Kongo hat zur Gewährleistung der demokratischen
Wahlen stattgefunden. Über 9 000 Menschen haben für
500 Parlamentssitze kandidiert. Die dortige Infrastruktur
entspricht nicht der in Deutschland. Dieses Land ist
6,6-mal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland.
Wir haben den Rückfall in den Bürgerkrieg verhindert,
und unsere Soldaten waren Weihnachten wieder zu
Hause. Der Einsatz, den die Bundeswehr in diesem Land
im Rahmen dieser europäischen Mission geleistet hat,
war sehr erfolgreich.
({1})
Zur Halbzeitbilanz gehört ein Blick auf den Einsatz
vor der Küste des Libanon. Wir haben erst heute über
die Perspektive der Friedenskonferenz debattiert; der
Außenminister hat hier berichtet. Ohne dass die Waffen
schweigen, hätte eine solche Friedenskonferenz keine
Aussicht auf Erfolg. Die Bundeswehr leistet deshalb
auch dort einen wichtigen Beitrag. Damals ist die israelische Seeblockade aufgehoben worden. Wir haben über
10 000 Schiffe kontrolliert. Es wird gewährleistet, dass
auf See kein Waffenschmuggel stattfindet. Das ist eine
wichtige Voraussetzung dafür, dass der Waffenstillstand
anhält. Ich wiederhole: Die Bundeswehr leistet hier
ebenfalls einen wichtigen Beitrag zu einer friedlichen
Entwicklung in dieser Region.
({2})
Ich möchte beim Thema Halbzeitbilanz bleiben. Was
den Afghanistan-Einsatz angeht, ist der Aspekt „Beseitigung der Fähigkeitslücke Aufklärung mit den Tornados“
in den Blickpunkt gerückt. Wir haben die Luftaufklärung
erfolgreich auf den Weg gebracht.
Sie haben despektierlich über das Weißbuch 2006 gesprochen. Es gab in der Bundesrepublik Deutschland seit
1994 kein Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands
und zur Zukunft der Bundeswehr mehr.
({3})
Unsere Grundstrategie der vernetzten Sicherheit - ohne
Sicherheit keine Entwicklung und ohne Entwicklung
keine Sicherheit - ist mittlerweile die Strategie der gesamten NATO. Wir operieren mit dieser Gesamtstrategie
in Afghanistan. Sowohl dieses Weißbuch als auch unser
Einsatz in Afghanistan und die damit verbundene Strategie sind Erfolge unserer Politik.
({4})
Ich kann meine Aufzählung fortsetzen. Wir haben die
zivil-militärische Zusammenarbeit in diesem Jahr neu
aufgebaut. Darin werden die föderalen Strukturen abgebildet. Zum Schutz Deutschlands gibt es 470 Verbindungskommandos. Sie werden im Wesentlichen von den
Reservisten gestellt, die einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung der Bundeswehr leisten. Wir haben gerade
gemeinsam mit sieben Bundesländern eine Übung
durchgeführt, bei der es hervorragend funktioniert hat.
Die Bundeswehr leistet damit einen wichtigen Beitrag
zum Schutz Deutschlands. Auch dafür bin ich unseren
Soldatinnen und Soldaten sehr dankbar.
Sie haben die Wehrpflicht erwähnt. Wir, die Koalition, haben entschieden, dass wir an der Wehrpflichtarmee festhalten. Dieser Grundsatz ist übrigens auch im
Weißbuch beschrieben. Wir haben entschieden, dass
6 500 Wehrpflichtige mehr eingezogen werden, weil wir
dem Kriterium der Einberufungsgerechtigkeit Rechnung
tragen wollen.
({5})
So werden 80 Prozent der Wehrpflichtigen eines Jahrgangs einberufen.
({6})
Ich bin diesem Parlament dankbar, dass es ermöglicht,
dass wir den Wehrsold um 2 Euro pro Tag erhöhen. Die
Wehrpflichtigen, die ihren Dienst für die Allgemeinheit
leisten, haben diese Unterstützung nämlich verdient.
({7})
Ich erwähne das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz.
Mit dem Einsatzversorgungsgesetz wurde eine wichtige
Grundlage für die Versorgung geschaffen. Wir haben die
Rechtslage dahin gehend ergänzt, dass diejenigen, die in
gefährlichen Einsätzen verwundet und anschließend gesundheitlich wiederhergestellt werden, einen Anspruch
auf Weiterbeschäftigung in der Bundeswehr haben. Das
entspricht der Fürsorgepflicht des Staates. Dieses Parlament hat eine gute Entscheidung getroffen, als es den
Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung beschlossen
hat.
({8})
Sie haben in despektierlicher Weise das Ehrenmal erwähnt. Für diejenigen, die im Einsatz für die Bundeswehr ihr Leben gelassen haben - insgesamt geht es um
2 600 Angehörige der Bundeswehr -, hier in Berlin an
dem Platz, der für die Bundeswehr steht, ein würdiges
und ehrendes Andenken zu schaffen, halte ich für eine
richtige und wichtige Entscheidung. Deshalb werden wir
sie auch umsetzen.
({9})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Hoff?
Wenn es nicht von meiner Redezeit abgeht, ja.
Ja, das ist ja bekannt.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Sie hier die Gelegenheit nutzen, Ihre Halbzeitbilanz aufzupolieren.
({0})
Aber ich bitte Sie, mir anhand dessen, was ich über das
Ehrenmal oder das Weißbuch gesagt habe, im Einzelnen
darzustellen, was daran despektierlich sein soll.
Sie haben in Ihrer Schlussbemerkung aus meiner
Sicht relativ despektierlich von einer mageren Bilanz gesprochen und dies auch im Zusammenhang mit dem Ehrenmal getan. Das Ehrenmal stellt keine magere Bilanz
dar, sondern es ist eine richtige Entscheidung für die
Bundeswehr und die Tradition, in der sie steht.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen letzten Punkt erwähnen. Wir werden jetzt beschließen - dafür bin ich den Berichterstattern im Haushaltsausschuss
sehr dankbar -, über 1 Milliarde Euro mehr in den Verteidigungshaushalt einzustellen. Diese Mittel brauchen
wir aber auch, um unseren Auftrag zu erfüllen.
Wenn ich alle Punkte, die ich Ihnen genannt habe, zusammenzähle und dann diese Halbzeitbilanz in die Fußballsprache übersetze, dann kann ich nur sagen: Es steht
9 : 0 für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in
Deutschland.
({1})
Mit diesem Haushalt schaffen wir die Voraussetzungen,
den Anpassungs- und Modernisierungsprozess weiter
voranzutreiben, die Schutzfunktion für unsere Soldatinnen und Soldaten weiter zu erhöhen und einen Beitrag
zur Fortentwicklung der wehrtechnischen Industrie zu
leisten, bei der es auch um Arbeitsplätze hier in Deutschland geht. Mit diesem Haushalt gewährleisten wir mehr
Investitionen. Zum ersten Mal können die Personalausgaben auf unter 40 Prozent gesenkt werden. Wir werden
ein Sanierungsprogramm „Kasernenunterkünfte West“
auflegen, weil ich es für notwendig und richtig erachte,
dass wir dann, wenn wir von unseren Soldatinnen und
Soldaten Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft erwarten, auch die sozialen Rahmenbedingungen so gestalten, dass es attraktiv ist, weiterhin in der Bundeswehr
tätig zu sein.
({2})
Meine Damen und Herren, ich will noch einen weiteren Punkt aufführen. Die Bundeswehr ist eigentlich der
größte Sportförderer in der Bundesrepublik Deutschland. Von den elf Goldmedaillen, die in Turin erzielt
worden sind, wurden neun von Bundeswehrsoldaten erzielt.
({3})
Deshalb halte ich es für gut und bin dem Haushaltsausschuss dankbar, dass wir die Chance haben, jetzt
noch 120 weitere Soldaten in die Sportförderung einzubeziehen.
({4})
Damit werden wir eine Perspektive für die Olympischen
Spiele in Peking und in Vancouver haben. Weil auch damit das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland zusammenhängt, halte ich es für richtig und gut, dass wir
die Sportförderung in dieser Weise ausbauen können.
({5})
Wenn ich dies alles zusammenfasse, dann komme ich
zu dem Ergebnis, dass wir mit diesem Haushalt gerade
in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf einem
guten Wege sind. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Unterstützung, damit die Bundeswehr ihren Einsatz für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger sowie für Frieden, Recht und Freiheit in Deutschland und darüber
hinaus weiterhin leisten kann.
Herr Minister, wenn Sie Ihre Redezeit verlängern
wollen, dann können Sie noch eine Nachfrage zulassen.
Bitte sehr.
Herr Verteidigungsminister, ich hatte in meiner Rede
eine Frage gestellt, die ich Ihnen erneut stellen möchte:
Haben Sie im Zusammenhang mit den Verzögerungen
beim Projekt A400M vor, weiterhin auf die im Vertrag
festgehaltenen Verzugsstrafen, die die Firma dem Bund
im Falle eine Verzuges zu leisten hat, bzw. auf ein Kündigungsrecht des Bundes zu bestehen?
Herr Kollege Bonde, zunächst einmal sollten wir,
denke ich, alle Anstrengungen unternehmen - ich habe
gerade bei der Verabschiedung von Staatssekretär
Eickenboom noch einmal mit Tom Enders darüber gesprochen -, damit der A400M möglichst fristgerecht geliefert wird. Denn wir brauchen den A400M gerade im
Hinblick auf die Fähigkeitslücke im Lufttransport dringend.
Da ich auf spekulative Fragen generell keine Antwort
gebe, will ich nur noch einen Satz hinzufügen: Wir verhalten uns vertragsgemäß. Das schließt auch das ein, was
Sie angesprochen haben. Ich hoffe und wünsche aber,
dass wir den A400M noch fristgerecht geliefert bekommen, weil wir ihn im Hinblick auf den Lufttransport und
die Unterstützung dringend brauchen.
Sie wissen, dass wir zum Beispiel auch in Darfur vor
neuen Aufgaben stehen. Deshalb wäre ich dankbar,
wenn wir den A400M fristgerecht geliefert bekommen.
Besten Dank.
({0})
Das Wort hat nun Kollegin Birgit Homburger, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir heute den Verteidigungshaushalt diskutieren,
dann sollten wir auch darüber sprechen, dass die überwiegende Zahl der Soldatinnen und Soldaten nach wie
vor ihren Dienst im Inland verrichten. Wir haben aber inzwischen auch nahezu 8 000 Soldatinnen und Soldaten,
die in acht verschiedenen Auslandseinsätzen von Afgha13602
nistan bis zum Horn von Afrika Dienst tun. Ich denke,
die Soldatinnen und Soldaten verdienen für die hohe
Leistungsbereitschaft und auch die vorbildliche Pflichterfüllung in ihrem Einsatz den Dank des ganzen Hauses.
Ich schließe in diesen Dank auch die Polizisten und die
zivilen Aufbauhelfer mit ein.
({0})
Wir haben in den letzten Wochen eine Reihe von Diskussionen geführt. Wir haben insbesondere mehrfach
über Afghanistan diskutiert. Obwohl es hier im Hause
ein unterschiedliches Abstimmungsverhalten gab, hatte
ich den Eindruck, dass wir uns in einem Punkt einig waren: Wir wollen, dass der Wiederaufbau im Mittelpunkt
steht bzw. ins Zentrum gerückt wird.
({1})
Das haben wir auch gemeinsam beschlossen.
Vor diesem Hintergrund habe ich kein Verständnis für
die Debatte, die in den letzten Tagen aus der Koalition
heraus öffentlich geführt wurde und in der plötzlich eine
schnelle Eingreiftruppe für ganz Afghanistan mit robustem Mandat gefordert worden ist. Ich finde, dass diese
Diskussion einen völlig falschen Schwerpunkt setzt. Wir
führen diese Diskussion zur Unzeit. Es ist geradezu eine
Aufforderung an die NATO-Partner, an Deutschland
weitere militärische Anforderungen zu stellen. Ich stelle
ausdrücklich fest: Solche Diskussionen führen zu nichts
anderem als zur Verunsicherung in der Öffentlichkeit,
aber auch innerhalb der Bundeswehr. Deshalb bitte ich
Sie: Machen Sie endlich Schluss damit, ständig neue
Vorschläge in die Öffentlichkeit zu tragen, und gehen Sie
das an, was wir gemeinsam beschlossen haben! Konzentrieren wir uns auf das, was tatsächlich gemacht werden
muss! Ich glaube, damit haben wir wahrlich genug zu
tun.
({2})
Das gilt für den Wiederaufbau wie auch für die Militärausbildung und die Polizeiausbildung.
Ich will das Thema Polizeiausbildung noch einmal
ansprechen, Herr Minister, weil die Bundeskanzlerin
heute Morgen in ihrer Rede gesagt hat, dass man sich
auch an einer Polizeimission auf dem Balkan beteiligen
wolle. Ich mache darauf aufmerksam, dass derzeit weder die Europäische Union noch die Bundesrepublik
Deutschland ihren Aufgaben bei der Polizeiausbildung
in Afghanistan gerecht geworden ist.
({3})
Was zugesagt wurde, ist bisher nicht geliefert worden.
Die notwendige Unterstützung ist nicht gegeben worden.
Es ist ein einziges Desaster.
Wenn Sie mit uns der Auffassung sind, Herr Minister,
dass die Polizeiausbildung - auch als Flankierung bzw.
im politischen Zusammenhang - immer wichtiger wird,
dann muss man in Deutschland endlich klare Rahmenbedingungen für die Entsendung von Polizisten ins Ausland schaffen.
({4})
Herr Verteidigungsminister, Sie haben festgestellt,
dass der Einsatz im Kongo ein Erfolg war. Sie haben den
Einsatz im Kongo ja noch einmal besonders erwähnt.
Das hat mich nun einigermaßen überrascht.
({5})
Vor allen Dingen hat mich überrascht, dass Sie hier gesagt haben: Wir haben den Rückfall in den Bürgerkrieg
verhindert. - Wenn man sich die Situation in der Demokratischen Republik Kongo in den letzten Monaten anschaut, kommt man zu dem Schluss, dass diese Situation
niemanden befriedigen kann. Es gibt Tausende von
Flüchtlingen. Es gibt Kämpfe im Osten. Alles, was vielleicht ein bisschen befriedet war, ist wieder aufgeflammt. Als Einziges hat man erreicht, dass die Wahlen
durchgeführt wurden. Aber ansonsten gibt es bis heute
keine Stabilisierung der Demokratischen Republik
Kongo. Der Zustand ist so wie vor dem Einsatz der Bundeswehr.
({6})
Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal etwas deutlich machen, auch für meine Fraktion: Wer Soldatinnen und Soldaten in einen Auslandseinsatz schickt,
der muss dafür Sorge tragen - der Auffassung sind wir -,
dass es dann auch zu einer politischen Flankierung
kommt, und zwar zu einer dauerhaften politischen Flankierung; ein Konzept muss dahinterstehen. Das war dort
nicht der Fall.
({7})
Herr Minister, Sie haben vom Einsatz-Weiterverwendungsgesetz gesprochen. Das hat unsere Unterstützung.
Sie haben von der Wehrsolderhöhung gesprochen. Die
ist dank des massiven Drucks aus diesem Parlament Gott
sei Dank jetzt realisiert worden. Meine Fraktion hat als
Erste einen Antrag dazu gestellt.
({8})
Es steht jetzt das Dienstrechtsneuordnungsgesetz
zur Debatte. Ich möchte Sie bitten, Herr Minister, darauf
Einfluss zu nehmen. Wenn das Dienstrechtsneuordnungsgesetz so kommt, wie es jetzt geplant ist, dann
wird es zu einer massiven Benachteiligung der Soldatinnen und Soldaten führen. Es wird die Attraktivität der
Bundeswehr weiter verringern. Vor diesem Hintergrund
bitte ich Sie: Ändern Sie den Entwurf in den Beratungen
noch ab! So kann er jedenfalls die Zustimmung der FDPBundestagsfraktion nicht finden.
({9})
Es bleibt im Übrigen beim Thema „Attraktivität der
Streitkräfte“ noch einiges zu tun. Herr Minister, vor wenigen Tagen hat Ihr Haus eine Studie des SozialwissenBirgit Homburger
schaftlichen Instituts der Bundeswehr veröffentlicht, wonach eine hohe Attraktivität der Bundeswehr als
Arbeitgeber gegeben sei. Ich zitiere:
Trotz des geringen Wissensstandes wird die Bundeswehr dennoch als attraktiver Arbeitgeber angesehen.
Herr Minister, als im April dieses Jahres der Deutsche
Bundeswehr-Verband aufgrund einer Befragung von
45 000 Soldatinnen und Soldaten ein völlig anderes Bild
gezeichnet hat, haben Sie erklärt, dass dies überhaupt
keine vernünftige Grundlage für eine Diskussion sei. Sie
haben seinerzeit erklärt, dass das nicht ausreiche. Ich
möchte Ihnen sagen, dass die Studie, mit der Sie im Augenblick in der Öffentlichkeit arbeiten, auf der Basis der
Befragung von 2 224 Personen erstellt wurde. Ich
möchte herzlich darum bitten, dass jetzt auch einmal von
Ihrer Seite auf die Bundeswehr zugegangen wird. Es
kann nicht hingenommen werden, dass Schönfärberei
und auch ein bestimmtes Schönreden hier Platz greifen.
Man sollte diese Studie des Deutschen Bundeswehr-Verbands als Stimmungsbarometer ernst nehmen und in der
Bundeswehr umsteuern.
({10})
Herr Minister, ich habe eine abschließende Bitte. Wir
als FDP-Fraktion sind gern bereit, in diesem Hause Ihre
Arbeit weiterhin konstruktiv zu begleiten, wenn es um
das Wohl der Bundeswehr geht.
({11})
Aber ich bitte darum, dass die Informationspolitik Ihres
Hauses gegenüber dem deutschen Parlament zukünftig
verbessert wird. Wir haben erst gestern wieder erlebt - in
dieser Woche übrigens schon zweimal -, dass die Öffentlichkeit Dinge erfährt, bevor wir sie erfahren. Das ist
keine gute Zusammenarbeit. Gestern wurde veröffentlicht, dass die verloren gegangenen Daten beim Zentrum
für Nachrichtenwesen der Bundeswehr wieder rekonstruiert sind. Das ist ein Erfolg, den dieses Parlament erkämpft hat. Man sollte den entsprechenden Bericht dann
zunächst einmal dem Deutschen Bundestag zuleiten und
nicht erst der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Kollege Rainer Arnold für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der
Einzelplan 14 für das nächste Haushaltsjahr ist ein angemessener Haushalt. Er ermöglicht, was in Bezug auf die
Transformation geleistet werden muss. Gleichzeitig ordnet er sich in die Gesamtsituation ein; Haushalte müssen
konsolidiert werden. Insofern ist er ein Stück weit
schwierig - wie andere Etats auch.
Auch wir möchten dem scheidenden Staatssekretär
Eickenboom ein ausdrückliches Dankeschön sagen. Er
hat unglaubliche Verdienste um die Arbeit für diesen
Haushalt und die Ausstattung der Bundeswehr erworben.
({0})
Ebenso ein Dankeschön an die beiden Haushälter der
Koalition: an Frau Jaffke und den Kollegen Johannes
Kahrs. Ich denke, bei Johannes Kahrs hat man gemerkt,
dass ein Haushälter nicht immer nur auf das Sparen
schaut - das ist wichtig; das tut ihr -, sondern dass er
gleichzeitig - das ist gut für die Bundeswehr - auch eine
ganze besondere Affinität zur Sicherheitspolitik und zu
den Bedürfnissen der Frauen und Männer bei der Truppe
hat. Danke für diese Arbeit!
({1})
Zur Halbzeit dieser Legislaturperiode möchte ich auf
die anstehenden Arbeiten und Aufgaben eingehen. Es
bleibt dabei: Die Auslandseinsätze stehen selbstverständlich im Mittelpunkt der Debatten.
Frau Homburger, was Sie hier zum Kongo gesagt haben, ist einfach nicht richtig. Natürlich gab und gibt es
ein Konzept. Die Vereinten Nationen haben für die dortigen fast 17 000 Soldaten ein Konzept. Deutschland hat
dabei für eine bestimmte Phase, nämlich zur zusätzlichen Absicherung des Wahlkampfes und zur Durchführung der Wahlen, einen wichtigen konzeptionellen Beitrag geleistet.
({2})
Ich möchte zunächst allen Soldatinnen und Soldaten
den Dank für ihr Engagement in den Einsatzgebieten
aussprechen und daran erinnern, dass es durchaus Soldatinnen und Soldaten gibt, die nicht immer im Mittelpunkt stehen, zum Beispiel die Frauen und Männer, die
für Deutschland in Georgien oder in Äthiopien wichtige
Missionen erfüllen.
({3})
Diese Koalition, Herr Minister, hat die Transformation der Bundeswehr zu Recht im Koalitionsvertrag fortgeschrieben; denn die bestehenden Ansätze sind allesamt richtig. Gleichzeitig glaube ich, dass wir nach
15 Jahren Auslandseinsätzen immer wieder genau
schauen müssen: Sind Veränderungen und neues Lernen
tatsächlich notwendig?
Zunächst bleibt richtig, dass wir auch zukünftig Krisen nicht nur militärisch begegnen werden und begegnen
dürfen, sondern umfassend zu reagieren haben und vor
allen Dingen alles tun sollten, um im Vorfeld Spannungen zu entschärfen. Richtig bleibt auch, dass Konflikte
dort bekämpft werden müssen, wo sie tatsächlich entste13604
hen. Richtig bleibt auch, dass zivil und militärisch abgestimmte, gemeinsame Ziele verfolgt werden müssen.
Nachsteuern heißt aber: Die Transformation ist
nichts Bewahrendes und Statisches. Den Istzustand weiter zu stabilisieren, würde nicht ausreichen. Ich möchte
dies an ein paar Beispielen erläutern. Wir alle wissen,
Deutschland will nicht allein in der Welt agieren. Wir
sind vielmehr fest in den jeweiligen Bündnissen verankert. Aber zu beiden wichtigen Säulen in den Bündnissen, zur NRF, zur NATO Response Force, und zur
Battle-Group, gibt es natürlich ganz erheblichen Klärungsbedarf. Deutschland hat seine Fähigkeiten verlässlich eingebracht. Wir merken aber im Augenblick, dass
dies parallel zur Einsatzlast kaum zu schultern ist. Ich
glaube schon, dass beide Organisationen, die NATO und
die EU, sehr sorgsam diskutieren sollten, ob beides
gleichzeitig überhaupt sinnvoll geleistet werden kann.
Ein Weiteres im Zusammenhang mit der Transformation. Wir merken im Augenblick, dass die Trennung zwischen Stabilisierungs- und Eingreifkräften eher künstlich
ist. Die Übergänge sind - das sehen wir in Afghanistan
jeden Tag - eher fließend. Auch über diese Frage muss
in den nächsten Jahren sorgsam diskutiert werden.
Die Frage, ob die Haushaltstitel richtig gewichtet
sind, wurde schon angesprochen. Es lohnt sich schon,
sich einmal den Etat für 2008 anzuschauen. Zwei Drittel
der Beschaffungen sind für die Eingreifkräfte und nicht
für das vorgesehen, was wir in erster Linie erfüllen: Stabilisierungsaufgaben. Das hat etwas mit gebundenen
Mitteln aus der Vergangenheit zu tun; da hat der Minister
völlig recht.
Ich sage aber deutlich - denn das Beispiel A400M
wurde angesprochen -: Wir gehen nicht mehr davon aus,
dass dieses Flugzeug pünktlich zum vorgesehenen Termin geliefert wird. Wir erwarten aber von der Industrie
- da muss der Minister verhandeln -, dass es zu keinen
weiteren Verzögerungen kommt. Selbstverständlich
sollte die Bundesregierung aus unserer politischen Sicht
alles tun, ihre Rechte wahrzunehmen und Schadensersatz einzufordern. Dieses Flugzeug ist für die Einsätze
innerhalb des Bündnisses dringend notwendig.
({4})
Zu diesem Nachjustieren gehört auch: Wir sehen im
Einsatzalltag an vielen Stellen, wie knapp gerade Spezialisten - ob Piloten, spezielle Ärzte und viele andere
mehr - sind. Ich denke, wir brauchen eine Debatte darüber, ob man nicht verstärkt darangehen sollte, diese
Fähigkeiten zusätzlich auszubilden. Das Schmerzhafte
muss dabei mit diskutiert werden: Das wird immer nur
gehen, wenn an anderer Stelle etwas weggeschnitten
wird. Wir möchten Sie, Herr Minister, ermuntern, diese
schwierige Debatte mit anzustoßen.
Das nächste Beispiel betrifft die Ausstattung. Dazu
hat Johannes Kahrs schon einiges gesagt. Die Hauptkritik der Soldaten in den Einsatzgebieten bezieht sich nicht
darauf, dass ihre Ausstattung schlecht wäre. Sie ist nicht
schlecht im Vergleich zu unseren Verbündeten. Die
Hauptkritik lautet: Warum geht es so langsam, und warum haben wir gelegentlich so unsinnige Vorschriften
und bürokratische Abläufe? - Wir brauchen keine erdbebensicheren Container, und wir können mehr handelsübliches Material verwenden. Wir brauchen auch keine
Abgassonderuntersuchung bei allen Fahrzeugen in
Afghanistan und vieles andere mehr. Ich glaube, diese
Regeln passen nicht zu den Einsätzen.
Wir begrüßen sehr, Herr Minister, dass zunehmend
die militärischen Voraussetzungen der Uniformträger bei
der Führung von Auslandseinsätzen gebündelt wurden
und wohl auch weiter gebündelt werden. Ich denke aber,
dass die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr diesem
Prinzip in einer neuen Organisationsstruktur folgen müssen. Wir sollten über querschnittliche Verantwortung für
Auslandseinsätze auch bei den zivilen Mitarbeitern
nachdenken. Dabei geht es nicht nur um die Organisation, sondern am Ende auch darum, wie zufrieden die
Frauen und Männer sind, die in der Bundeswehr im Alltag ihre Arbeit leisten.
Das letzte Beispiel, bei dem meiner Meinung nach
weiter gedacht werden muss, ist die Wehrpflicht; der
Herr Minister hat es angesprochen. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien steht, dass die Wehrpflicht
weiterzuentwickeln ist. Wir sind ein verlässlicher Koalitionspartner und stehen zu dem Beschluss, dass die
Wehrpflicht die richtige Entscheidung ist. Das ist überhaupt keine Frage.
({5})
Es ist gut, wenn der Minister sich Gedanken macht, ob
die Wehrpflicht auch rechtlich Bestand hat, wenn die
Dienstgerechtigkeit gefährdet ist. Man kann ein Jahr
oder zwei Jahre 6 000 zusätzliche Soldaten heranholen.
Aber das darf nicht strukturbildend werden. Es muss die
Frage beantwortet werden: Was tun sie, haben sie eine
sinnvolle Beschäftigung? Außerdem ist die Frage zu beantworten: Wie werden sie bezahlt? Wenn das längerfristig zulasten der Anzahl der Zeit- und Berufssoldaten
geht, ist das exakt der falsche Weg. Dann ist es auch
keine Weiterentwicklung der Wehrpflicht, sondern eine
Rückentwicklung.
Ich bitte die Union, vor dem Hintergrund der Vorgabe, dass es bei der Wehrpflicht bleibt, mit uns noch
einmal darüber zu diskutieren, ob nicht gerade wir in
dieser Großen Koalition die Chance nutzen sollten, ein
Konzept für eine Weiterentwicklung der Wehrpflicht zu
entwickeln, das auch in der nächsten Legislaturperiode,
wie immer die Konstellationen dann aussehen mögen,
trägt. Das wäre eine typische Aufgabe für eine Große
Koalition. Wenn wir das nicht gemeinsam leisten, wird
die Wehrpflicht möglicherweise in der nächsten Legislaturperiode viel stärker unter Druck geraten, als wir uns
das insgesamt wünschen. Wir stehen weiterhin zur
Wehrpflicht. Aber wir wollen sie weiterentwickeln, indem wir die Freiwilligkeit stärken, sodass wir am Ende
aufgrund des attraktiven Angebots der Bundeswehr
keine jungen Menschen zum Wehrdienst zwingen müssen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt ansprechen. Ich wünsche mir sehr, dass wir eine stärkere
gesellschaftliche Debatte um deutsche Verantwortung
- nicht um Interessen, wie manche hier verkürzt meinen in der Welt führen. Dann wäre auch die linke Geisterdiskussion, dass wir Kriegstreiber seien, sehr schnell aus
der Welt zu schaffen. Sie isolieren sich und unser Land
in der Welt. Denken Sie einmal darüber nach, was die
Skandinavier tun. Sie tun dasselbe wie die Deutschen;
und sie sind wirklich friedliebende Völker wie wir Deutsche auch. Diese Debatte hätte nicht nur für die Gesellschaft einen wichtigen Wert, sondern auch für die Soldaten, die uns, wenn wir sie besuchen, in erster Linie
fragen: Warum sind wir hier? Was tut die Politik, während wir hier für Stabilität sorgen? Was geschieht in diplomatischer Hinsicht? Was ist mit dem zivilen Aufbau?
- Diese Fragen der Soldaten werden umso drängender, je
länger die Einsätze dauern. Deshalb brauchen wir diese
Diskussion.
Ich würde mir sehr wünschen, dass wir uns in der Koalition darauf verständigen, dass auch wir Parlamentarier
noch stärkere Impulse für solche gesellschaftlichen Debatten geben, dass wir nicht immer nur über Auslandseinsätze im Einzelnen diskutieren, sondern auch im
Grundsatz über Deutschlands Verantwortung in der
Welt.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Winfried Nachtwei, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
kann direkt an die Ausführungen des Kollegen Arnold
anschließen und mit dem weitermachen, was heute ansteht: Nach zwei Jahren sollte man versuchen, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Ich will allerdings keine Insiderdiskussion führen, auch wenn die Versuchung sehr groß
ist.
Es bleibt dabei - ich habe das vor Ort auf dem Balkan, in Afghanistan, vor der Küste Libanons und anderswo erfahren -, dass die Bundeswehrangehörigen
professionell und wirksam zur Eindämmung großer Gewalt beitragen. Sie tun das im Auftrag der Vereinten Nationen und im Auftrag dieses Bundestages. Dafür ist ihnen und ihren Angehörigen, die indirekt beteiligt sind,
ausdrücklich zu danken.
({0})
Zugleich können wir aber feststellen - das gilt vor allem seit dem letzten Jahr -, dass die Auslandseinsätze
der Bundeswehr zunehmend an Akzeptanz verlieren.
Vor einigen Wochen hat das Institut für Demoskopie Allensbach Zahlen veröffentlicht, nach denen der Anteil
der Bevölkerung, der diese Auslandseinsätze ablehnt,
von 2005 bis 2007 von 34 auf 50 Prozent gestiegen ist.
Die Bevölkerungsumfrage des Sozialwissenschaftlichen
Instituts der Bundeswehr kommt zu etwas niedrigeren
Werten und äußert sich etwas zurückhaltender, es stellt
aber eine ähnliche Tendenz fest. Diese Tendenz spüren
wir, die Mitglieder der verschiedenen Parteien, auch in
unseren Wahlkreisen.
Herr Minister, was ist Ihre Reaktion darauf? Wie verhalten Sie sich angesichts dieses objektiv vorhandenen
Vertrauensverlustes gegenüber der Politik und der Bundesregierung? Sie haben uns einen Brief geschrieben,
Ihre Zwischenbilanz nach zwei Jahren Politik im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich. Dort steht im Hinblick
auf dieses Problem der folgende Satz: „Deshalb werbe
ich für einen breiten Dialog.“ Persönlich, sozusagen bilateral, kaufe ich Ihnen das ab. Die Frage ist nur, ob es
tatsächlich einen politischen Dialog gibt.
Seit 2006 können wir feststellen - das gilt für die Mitglieder der verschiedenen Fraktionen ebenso wie für
andere -, dass über die Wirksamkeit von Auslandseinsätzen, die Kriterien für Auslandseinsätze und die Probleme im Zusammenhang mit den großen, komplizierten
State-Building-Projekten auf multinationaler Ebene insgesamt immer stärker diskutiert wird. Vorschläge hinsichtlich der Kriterien kamen vom Kollegen
Schockenhoff, von der CSU-Landesgruppe und von
Volker Perthes, also von der Stiftung Wissenschaft und
Politik. Auch im Friedensgutachten der fünf Friedensforschungsinstitute wurden Vorschläge geäußert.
Vor wenigen Wochen hat die Evangelische Kirche in
Deutschland eine Friedensdenkschrift vorgelegt, in
der sie, ausgehend vom Verständnis eines gerechten
Friedens, eine Ethik rechtserhaltender Gewalt entwickelt. Diese Friedensdenkschrift markiert Grenzen des
Rechts auf Selbstverteidigung. Es wäre sehr interessant
gewesen, wenn das Parlament diesen Aspekt in der Diskussion über die Fortsetzung der Operation Enduring
Freedom stärker berücksichtigt hätte. Diese Operation
- wir gehen in das siebte Jahr - bezieht sich ja ausdrücklich auf ein geradezu endlos definiertes Selbstverteidigungsrecht.
In dieser Denkschrift wird auch die ethische Fragwürdigkeit - das ist zu bescheiden formuliert -, die ethische
Illegitimität des Drohens mit Atomwaffen festgestellt.
Was bedeutet das für die fortgesetzte nukleare Teilhabe
der Bundesrepublik Deutschland? Was bedeutet das angesichts der Tatsache, dass Sie, Herr Minister, weiterhin
von Tornadobesatzungen verlangen, dass nukleare Einsätze geübt werden?
({1})
Das ist endgültig nicht mehr zumutbar.
({2})
Wie steht es nun um das spannende Angebot eines
konstruktiven Dialogs? Ich habe den Eindruck, dass Sie
und Ihr Haus nur Monologe, aber keinen politischen
Dialog führen.
({3})
Sie haben den umfassenden Ansatz und die vernetzte Sicherheitspolitik mit dem Weißbuch mehr in
den Mittelpunkt gestellt. Das ist ausdrücklich zu befürworten; das ist notwendig. Sehen wir uns aber einmal an:
Das auf der NATO-Ebene in verschiedenen Komitees zu
verankern ist das eine. Das ist natürlich notwendig. Aber
wie sieht es am Boden aus? Wie sieht da die Umsetzung
aus? Ich will ein Beispiel dazu nennen: Sicherheitssektorreform, Polizeireform. Wir mussten in der vorherigen
Woche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lesen,
was Ihr Kollege Innenminister Schäuble dazu gesagt hat.
Ich zitiere:
Mehr deutsche Polizisten zur Ausbildung der afghanischen Kollegen lehnte er indes ab - was die
Anforderungen an die Polizisten betreffe, seien die
Amerikaner dazu besser in der Lage.
({4})
Solche Worte - das muss ich sagen - sind eine ausdrückliche Kapitulation vor dem, was gerade in Afghanistan
notwendig ist.
({5})
Sie sabotieren ausdrücklich den umfassenden Ansatz,
der wohl insgesamt von der Bundesregierung vor sich
hergetragen wird. Ich muss sagen: Dieser umfassende
Ansatz muss im Kabinett anfangen, damit er nicht nur
Schall und Rauch bleibt.
Danke schön.
({6})
Kollege Kurt Rossmanith hat das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Wir befinden uns jetzt im vierten Jahr nach
der grundlegenden Entscheidung zur Transformation
unserer Streitkräfte. Unser Ziel ist weiterhin, die Einsatzfähigkeit zu verbessern und dauerhaft auf entsprechend hohem Niveau zu halten. Denn die Vorgaben, das
heißt den Auftrag, haben unsere Soldatinnen und Soldaten von uns, also von der Politik, erhalten.
Logischerweise geht Derartiges nicht, wenn man die
entsprechenden Mittel nicht bereitstellt. Gute und lobende Worte allein machen diejenigen, die es gewohnt
sind, harten Dienst zu leisten, unsere Soldatinnen und
Soldaten, nicht glückselig.
({0})
Deshalb wurde im Haushalt für den Bundesminister
der Verteidigung - sprich: für die Streitkräfte - schon im
Vorfeld, im Regierungsentwurf des Haushaltes 2008, annähernd 1 Milliarde Euro zusätzlich vorgesehen. Ich darf
mich bei allen Kolleginnen und Kollegen sowohl im
Verteidigungsausschuss als auch im Haushaltsausschuss
dafür bedanken, dass wir es dann noch geschafft haben
- ich glaube, die Notwendigkeit ist unbestritten -, zusätzlich rund 150 Millionen Euro auf diesen Plafond
draufzusetzen, und zwar für die Modernisierung der
Flugbereitschaft, die nicht nur den Soldaten, sondern
unter anderem auch der Bundesregierung und dem Bundestag zugutekommt, aber auch für die Fortsetzung des
Tornadoeinsatzes, wofür noch einmal zusätzlich
38 Millionen Euro erforderlich waren.
Herr Bundesminister Jung, Sie sind schon auf einen
wesentlichen Sympathieträger unserer Streitkräfte eingegangen. Das sind die Soldatinnen und Soldaten in den
Stützpunkten unserer Spitzensportler. Ich freue mich,
dass es möglich war, auch hier noch 3,5 Millionen Euro
einzubringen, um damit rund 800 Spitzensportlerinnen
und Spitzensportlern der Bundeswehr eine entsprechende Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Vancouver und Peking zu ermöglichen.
({1})
Wir kommen mit dieser Steigerung um über
1 Milliarde Euro - ermöglicht durch die Beschlüsse des
Haushaltausschusses und des Verteidigungsausschusses unserer Aufgabe nach, die Investitionen zur Stärkung
der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sowie der Verbesserung der Unterbringung unserer Soldaten entsprechend
fortzuführen. Kollege Kahrs hat schon auf den momentanen Zustand der Unterbringung bzw. auf die vorhandenen Mängel hingewiesen. Außerdem haben wir zusätzliche Gelder für militärische Beschaffungen
bereitgestellt. Ich gehe davon aus, dass diese Vorhaben
heute in zweiter Lesung und am Freitag in dritter Lesung
bestätigt werden.
Frau Homburger, das, was Sie zum Einsatz im
Kongo gesagt haben, war leider Humbug;
({2})
denn Sie sind nicht auf die Konsequenzen eingegangen.
Im Kongo haben unsere Soldaten vereint mit unseren
Partnern Hervorragendes geleistet und schon im Vorfeld
ein Riesenchaos verhindert. Es fanden demokratische
Wahlen statt, deren Ergebnis akzeptiert wurde.
({3})
Das, was Sie gesagt haben, hätte zur Konsequenz gehabt
- dies haben Sie nicht zum Ausdruck gebracht -, dass
wir in einem Land wie dem Kongo, in dem die eine oder
andere Rebellengruppe Unruhe stiftet, ständig Streitkräfte hätten stationieren müssen. Ich glaube, das wollte
niemand.
Die jetzige Situation im Kongo ist für afrikanische
Verhältnisse relativ stabil.
({4})
Hier bitte ich um etwas mehr Ehrlichkeit; die afrikanischen Verhältnisse kann man nämlich nicht mit den Verhältnissen bei uns vergleichen. Selbstverständlich müssen wir uns bemühen, die Lage im Kongo weiter zu
verbessern und zu stabilisieren, und natürlich, Kollege
Bonde, können wir in Anbetracht dessen, was dort derzeit geschieht, nicht glücklich sein.
({5})
Im Namen meiner Fraktion und sicherlich auch im
Namen der gesamten Koalition sage ich allen Soldatinnen und Soldaten, die im Ausland oder in Deutschland
ihren Dienst tun, meinen Dank. Sie leisten einen Dienst
für Freiheit und Frieden. Hier sollten wir es nicht bei
Worten belassen, sondern diese Überzeugung auch dadurch zum Ausdruck bringen, dass wir dem Haushalt des
Bundesministers der Verteidigung, dem Einzelplan 14,
geschlossen zustimmen.
Herzlichen Dank.
({6})
Jetzt erteile ich das Wort Kollegin Ulrike Merten,
SPD-Fraktion.
({0})
Den fliegenden Wechsel oben bemerkend, sage ich
jetzt: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jede Debatte über den Haushalt
ist ein Ringen um die richtigen Schwerpunktsetzungen.
Ich glaube, dieser Haushalt ist uns wirklich gelungen;
obwohl schon einige wichtige Punkte genannt worden
sind, will ich sie noch einmal kurz ansprechen.
Wir planen eine Erhöhung des Wehrsolds; der
Dienst in der Bundeswehr wird also durch einen materiellen Anreiz attraktiver gestaltet. Im Zusammenhang
mit dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz schaffen
wir ein erhebliches Maß an Sicherheit für die im
Auslandseinsatz versehrten Zeitsoldaten, Reservisten,
Beamten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Im
Rahmen des Projekts Schützenpanzer Puma haben wir
uns mit den wichtigen Fragen der Ausrüstung und des
Schutzes der Soldaten im Einsatz beschäftigt. Das Infrastrukturprogramm West ist hier schon mehrfach erwähnt worden.
Um die Modernisierung der Streitkräfte und die Bereitstellung der für den Einsatz unverzichtbaren Ausrüstung zu gewährleisten, müssen wir - das wissen wir
nicht erst seit heute - nach neuen Wegen suchen, um die
Investitionen zu erhöhen und die Effizienz der eingesetzten Mittel zu steigern. Daher möchte ich den Schwerpunkt meiner heutigen Ausführungen bei der Reduktion
der Betriebsausgaben setzen und auf unsere erfolgreiche Arbeit auf dem Gebiet der öffentlich-privaten Partnerschaft eingehen.
Im Rahmen des Transformationsprozesses hat die
Bundeswehr in den letzten Jahren in großem Umfang
Geräte und Systeme aus der Nutzung genommen, die sie
angesichts ihrer neuen Struktur nicht mehr benötigt. So
wurde in den letzten drei Jahren nicht nur die Anzahl der
Panzer und Schützenpanzer mehr als halbiert, sondern es
wurde auch eine Vielzahl anderer Geräte und Systeme
ausgemustert.
Um unsere Betriebs- und insbesondere die Materialkosten weiter zu reduzieren und dadurch noch mehr
Raum für die Konzentration der Bundeswehr auf ihre
Kernaufgaben zu schaffen und auch um die Zielstruktur
beim Umfang des Zivilpersonals im Transformationsprozess zu erreichen, müssen wir diesen Weg entschlossen weitergehen.
({0})
Die Bundeswehr als Armee im Einsatz kann nicht
mehr alle sie betreffenden Aufgaben selbst erledigen.
Sie muss sich mit dem zur Verfügung stehenden Personal auf die Fähigkeiten konzentrieren, die auf dem Markt
nicht zur Verfügung stehen. Dafür braucht sie leistungsfähige Unterstützung, auch auf dem Wege von Privatisierungen. Hinzu kommt: Die Bundeswehr hat es im
Vergleich zu anderen mit besonders kostenintensiven
und langfristigen Investitionen auf der einen Seite und
mit besonders hohen Know-how-Anforderungen auf der
anderen Seite zu tun.
Die Bundeswehr hat deshalb seit 1999 ihre Anstrengungen zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und des
Innovationspotenzials sowie zur Erschließung privaten
Kapitals bei allen Unterstützungsaufgaben erheblich vergrößert. Mit fast 1,5 Milliarden Euro pro Jahr für die Kooperationsfelder und Betreiberverträge steht die Bundeswehr im Übrigen an der Spitze der öffentlich-privaten
Partnerschaften in Deutschland. Auf diesem Weg leisten die GEBB und die im Bundesverteidigungsministerium eingerichtete Abteilung Modernisierung eine wertvolle und unverzichtbare Arbeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, erst in der
letzten Woche hat die IT-Gesellschaft in Meckenheim
ihren endgültigen Sitz bezogen. Ich kann den vielen
positiven Stimmen nur beipflichten: HERKULES hatte
einen guten Start.
({1})
Nach weniger als einem Jahr hat das Projekt HERKULES mit der BWI nun sein Domizil gefunden und kann
mit Jahresbeginn die Integrationsphase starten. Dann
wird die Migrationsphase abgeschlossen sein, in der
800 Soldaten, 400 Siemens- und IBM-Angestellte und
1 550 gestellte zivile Angehörige der Bundeswehr - sicher auch so manchen kulturellen Unterschied überwindend - ihren neuen Arbeitsplatz für die nächsten Jahre
eingenommen und die zivile, die weiße IT-Infrastruktur
übernommen haben. Dazu wurden an 1 784 Standorten
Bestandsaufnahmen durchgeführt und bestehende Verträge der Bundeswehr mit mittelständischen Unternehmen in Drittverträge migriert.
Obwohl das gesamte ÖPP bis 2014 läuft, soll die Erneuerung der IT - sprich: die Installation von 140 000
PCs und Servern, 300 000 Festnetztelefonen und 15 000
Mobiltelefonen - bereits 2010 abgeschossen sein.
Vielen Mitgliedern des Verteidigungs- und auch des
Haushaltsausschusses war es übrigens bei der Entscheidung über HERKULES besonders wichtig, dass kleine
und mittlere Unternehmen am Vertragsvolumen partizipieren. Zwar war eine Mittelstandskomponente von
30 Prozent im Vertrag enthalten, doch war sie aus unserer Sicht zu wenig spezifisch. Der Haushaltsausschuss
drängte daher erfolgreich auf ein konkretes Mittelstandskonzept und auf jährliche Berichte des BMVg.
Nicht zuletzt hat uns der Koalitionsvertrag aufgegeben, die Möglichkeiten der verschiedenen Betreiber- und
Kooperationsmodelle weiterzuentwickeln und noch bessere gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um
das vorhandene Effizienzpotenzial zu nutzen und speziell die Bundeswehr von Aufgaben zu entlasten. Die
kritische Überprüfung ist hier selbstredend mit eingeschlossen.
Nach meiner Auffassung haben wir mit der Kooperation mit der Wirtschaft den richtigen Weg beschritten.
Künftige Herausforderungen werden insbesondere ein
effektives Controlling und ein exaktes Haushaltsgebaren
sein sowie die auch vom Bundesrechnungshof konstatierte Möglichkeit des Verlustes bestimmter Fähigkeiten
und Kompetenzen. Das genannte Risiko der Monopolbildung sehe ich bislang hingegen weniger.
Doch ich will keinen Hehl aus meiner persönlichen
Meinung machen, dass immer dann, wenn wir durch Eigenoptimierung Unterstützungsleistungen wirtschaftlicher erbringen können, wir diesen Weg gehen sollten.
Bei jedem neuen ÖPP-Projekt ist allerdings immer wieder abzuwägen, für welche Produkte spezielle Bundeswehrlösungen notwendig sind und wo handelsübliche
Lösungen den größeren Nutzen bringen. Konkret bei
HERKULES ist die Verantwortung der Bundeswehr berechtigterweise wesentlicher Vertragsbestandteil. Schon
während der Projektlaufzeit ist die Bundeswehr jederzeit
in der Lage, unter bestimmten Bedingungen die unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.
Wir sind nicht nur mit diesem Projekt auf dem richtigen Weg, sondern auch mit anderen eingeleiteten Projekten, weil sie helfen, den notwendigen zusätzlichen Spielraum zu erarbeiten. Was im Verteidigungsbereich
möglich ist, kann beispielgebend für andere Politikbereiche sein. Ich glaube, es lohnt sich, sich dies genau anzuschauen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Bernd Siebert, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu Beginn meines Redebeitrags halte ich es für unverzichtbar, mich bei den Soldatinnen und Soldaten sowie
den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundeswehr zu bedanken, die unter zum Teil sehr gefährlichen Rahmenbedingungen ihre Aufgaben im Einsatz erfüllen und so als Botschafter Deutschlands unser
Ansehen in der Welt aufwerten.
({0})
In diesen Dank möchte ich ausdrücklich die Reservisten
einbeziehen; denn sie werden bei den Diskussionen sehr
häufig vergessen.
({1})
Unsere Soldaten sind gut ausgebildet, sie sind engagiert,
sie sind motiviert, und sie leisten etwas Besonderes;
denn das Ansehen unseres Landes im Ausland wird gemehrt.
Mein Dank richtet sich - das möchte ich in diesem
Zusammenhang deutlich machen - auch an die Soldatinnen und Soldaten sowie an die zivilen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in der Heimat; denn nur weil sie ihre
Leistung ordentlich erbringen, sind unsere Soldaten im
Einsatz überhaupt in der Lage, das zu leisten, was sie
leisten. Sie halten ihnen den Rücken frei.
({2})
Ihnen allen galt und gilt unsere besondere Aufmerksamkeit. Daher haben wir in der Großen Koalition gemeinsam mit der Bundesregierung und natürlich insbesondere mit Minister Franz Josef Jung in den letzten
zwei Jahren Projekte zur Verbesserung der Ausrüstung
und des Einsatzumfeldes auf den Weg gebracht. Wir haben über die Einzelheiten eben schon diskutiert.
An dieser Stelle möchte ich mich kurz mit dem auseinandersetzen, was Frau Hoff vorhin gesagt hat. Frau
Hoff hat ein Bild geschildert, das ich mit der Realität
nicht in Einklang bringen kann.
Sie hat uns aufgefordert, mehr zu tun. Ich denke, wir
haben im Rahmen des Möglichen vieles getan. Wenn
hier aber gleichzeitig ein Antrag gestellt wird, die Mittel
im Kapitel „Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung“ - genau
der Bereich, für den, wie ich kritisiere, nicht genügend
da ist - um 185 Millionen Euro zu kürzen,
({3})
stelle ich mir schon die Frage, welche Linie Sie in Ihrer
Fraktion verfolgen: Wollen Sie mehr fordern, oder wollen Sie einsparen?
({4})
Wir haben den Zulauf bzw. die Beschaffung moderner
Ausrüstung und geschützter Fahrzeuge vorangetrieben.
Oberstes Ziel war es, unsere Soldaten im Einsatz mit
dem bestmöglichen Gerät und dem höchsten Schutz ausBernd Siebert
zustatten und zugleich dafür Sorge zu tragen, dass die
Soldaten zu Hause auch entsprechend damit üben können.
Herr Kollege, die Kollegin Hoff würde gerne eine
Zwischenfrage stellen.
Ich bin der letzte Redner zu diesem Einzelplan. Ich
verzichte auf Zwischenfragen, weil ich die Rede im Zusammenhang vortragen möchte.
({0})
Darüber hinaus haben wir beispielsweise die soziale
Situation der Soldatinnen und Soldaten nach einem Einsatzunfall mit dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz
grundlegend verbessert, dankenswerterweise mit einer
breiten parlamentarischen Mehrheit hier in diesem
Hause.
Aber nicht nur die genannten Einzelprojekte machen
unsere erfolgreiche Bilanz deutlich, auch die vorgesehene Finanzlinie für die nächsten drei Jahre gibt Anlass
zur Zuversicht; denn wir reden jetzt über eine Steigerung
von über 1 Milliarde Euro für das Jahr 2008. Ich bin mir
sicher, dass der investive Anteil am Einzelplan 14 aufgrund der insgesamt geplanten Steigerung um rund
2 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren deutlich
erhöht werden kann. Ich denke, damit ist unsere Forderung, die wir hier bei der Haushaltsdiskussion vor einem
Jahr vorgetragen haben, in diesem Jahr umgesetzt worden. Wer aber glaubt, dass damit alle Risiken beseitigt
sind, der wird sich irren. Der von einer breiten politischen Mehrheit befürwortete Transformationsprozess
der Bundeswehr ist zwar politisch gewollt und politisch
umgesetzt, in der Praxis aber natürlich noch nicht vollständig vollzogen. Hierzu bedarf es weiterer Anstrengungen.
Erwähnen will ich die dringend notwendigen Investitionen in Material und Ausrüstung - deswegen haben
wir die Haushaltsmittel erhöht - sowie in die Infrastruktur der Kasernen in den alten Bundesländern.
Hier muss ohne Wenn und Aber Abhilfe geschaffen werden. Es ist unsere Pflicht, unsere Staatsbürger in Uniform auch nach den Standards der heutigen Zeit unterzubringen. Letztlich ist dies auch ein wichtiger Beitrag für
die Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr und ein
Zeichen der Wertschätzung gegenüber unseren Soldaten
und Soldatinnen.
Darüber hinaus muss auch die von mir bereits erwähnte durchgängige Ausstattung der Truppe mit modernem und einsatztauglichem Gerät zügig fortgeführt
werden. Dies wird auf der Zeitachse immer noch zu sehr
gestreckt. Wir müssen allerdings nicht immer - das sage
ich ausdrücklich wegen der Diskussionen der letzten
Tage - eine 100-Prozent-Lösung umsetzen, deren
Verwirklichung meist viel Zeit in Anspruch nimmt. Die
90-Prozent-Lösung, die aber unter Umständen sofort
verfügbar ist, bietet schnell immer noch mehr Schutz als
eine Lösung, die erst in einigen Jahren verfügbar ist.
Mir ist klar, dass dieses Ziel nicht durch das monotone Einfordern größerer Finanzmittel erreicht werden
kann. Vielmehr muss die Bundeswehr auch weiterhin
alle Möglichkeiten zu einer effizienten Erschließung der
ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen. Mit den Beteiligungsgesellschaften und der Auslagerung von Leistungen, die nicht zum Kernauftrag zählen, wurde der
richtige Weg beschritten. Mit der nun angestrebten Auslagerung logistischer Leistungen sind wir - davon bin
ich zutiefst überzeugt - ebenfalls auf dem richtigen Weg.
Neben diesen erfolgreichen Modellen muss jedoch über
weitere Alternativen nachgedacht werden. Es ist aus
meiner Sicht bedauerlich, dass die alternative Finanzierung von militärischer Ausrüstung immer wieder an den
Einwänden einiger Bedenkenträger - so nenne ich sie scheitert. Dies ist ein Themenbereich, der in den nächsten Jahren auf der politischen Tagesordnung bleiben
wird. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass mit dem
vorliegenden Haushaltsentwurf der Bundesregierung
eine solide Finanzplanung für die Bundeswehr ermöglicht wurde. Konzeptionell ist die Finanzierung des Verteidigungshaushaltes stimmig. An dieser Stelle ein Dank
an die Haushälter und den Finanzminister, der dies gemeinsam mit den Haushältern ermöglicht hat.
Wichtig bleibt auch weiterhin die Anpassung der Finanzlinie an die Anforderungen der Bundeswehr.
Durch den eingeschlagenen Weg - die Anpassung der
Finanzlinie, die Beschränkung der Bundeswehr auf die
Kernfähigkeit und das Ausschöpfen der Möglichkeiten
einer alternativen Finanzierung - kann eine solide Finanzbasis für die Beschaffung von Gerät und zur Herstellung moderner Infrastruktur geschaffen und damit
letztendlich zur Attraktivität der Bundeswehr beigetragen werden.
Zum Schluss meines Redebeitrages möchte ich mich
noch einmal ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit
mit den Kollegen eigentlich aller Fraktionen im Verteidigungsausschuss bedanken. Es ist schon etwas Besonderes, wie sachlich die Diskussionen in der Regel geführt
werden, aber insbesondere möchte ich mich bei den Sozialdemokraten und bei meinem Koalitionspartner
Rainer Arnold bedanken, mit dem wir eine hervorragende Zusammenarbeit pflegen.
Als Ausdruck dieser guten Zusammenarbeit darf ich
die für Januar 2008 geplante Erhöhung des Wehrsoldes
um 2 Euro pro Tag erwähnen, die wir gemeinsam auf
den Weg gebracht haben. Die erste Erhöhung seit 1998
ist aus meiner Sicht eine notwendige Voraussetzung für
die Akzeptanz des Wehrdienstes bei jungen Menschen in
unserem Land und trägt damit zum notwendigen Erhalt
der Wehrpflicht bei.
Vielen Dank.
({1})
Ich gebe dem Kollegen Koppelin das Wort zu einer
Kurzintervention.
Schade, dass Sie meiner Kollegin Hoff nicht die Möglichkeit zur Zwischenfrage gegeben haben, Herr Kollege, vor allem, da Sie sie persönlich angesprochen haben.
Ihr ganzer Beitrag hat mich sehr gewundert. Ich habe
den Eindruck, dass Sie nicht allzu gründlich in den
Haushaltsentwurf geguckt haben. Sonst hätten Sie hier
nicht eine solche Rede halten können.
Ich stelle fest, dass Sie die mehr als 1 Milliarde Euro,
die Sie angeblich zusätzlich bekommen haben, loben.
Sie feiern das ab und erklären, was man mit diesem Geld
alles machen könne. Sie haben allerdings völlig vergessen, dass der Bundeswehr im Haushalt 2007 allein durch
die Erhöhung der Mehrwertsteuer so viel Geld weggenommen worden ist, dass wir in diesem Haushalt ein
Riesendefizit hatten. Das müssen Sie erst einmal ausgleichen. Im Moment haben Sie noch gar nichts zum
Verteilen. Allein durch Ihre Erhöhung der Mehrwertsteuer ist bei der Bundeswehr richtig abkassiert worden;
das sind fast 700 Millionen Euro. Darauf hätten Sie eingehen können.
Sie hätten auch auf andere Dinge eingehen können.
Der Einzelplan 14 zeugt nicht von Haushaltsklarheit
und -wahrheit. Das merken Sie jedes Mal, wenn es zu
Auslandseinsätzen kommt und zusätzliche Leistungen
erbracht werden müssen. Dann kommt die „Aktion Klingelbeutel“ des Verteidigungsministers; dann sammelt er
überall Geld ein. Hätten Sie sich einmal den Haushaltsentwurf angeschaut, dann hätten Sie die vielen Haushaltsvermerke gesehen. In diesem Fall hätten Sie hier
nicht eine solche Rede gehalten. So, wie dieser Haushalt
aufgestellt ist - das habe ich in der letzten Haushaltsdebatte schon gesagt -, müssten Sie dem Verteidigungsminister eigentlich das Geld geben und sagen: „Mach damit, was du willst“; denn der von ihm aufgestellte
Haushalt hat nichts mit Haushaltsklarheit und -wahrheit
zu tun. So müssen Sie auch unsere Anträge sehen.
Ich bedauere sehr, dass Sie überhaupt eine solche
Rede gehalten haben. Sie sollten in den Haushaltsentwurf schauen.
({0})
Herr Kollege Siebert, Sie können antworten.
Herr Kollege Koppelin, auch mit Ihrer Bemerkung
wird das, was Ihre beiden Kolleginnen vorhin vorgetragen haben, nicht richtiger.
({0})
Ich denke, dass wir mit der Erhöhung der Haushaltsmittel außerordentlich viel Richtiges und Sinnvolles getan haben. Wir haben nämlich zunächst dafür Sorge getragen, dass unsere Soldaten im Einsatz mehr Schutz
erhalten. Damit haben wir die erste Pflicht gegenüber
unseren Soldaten erfolgreich umgesetzt.
({1})
Viele andere Aufgaben liegen natürlich noch vor uns.
Wir wollen selbstverständlich auch neue Entwicklungen
in Gang setzen. Das wollen Sie auch; so jedenfalls habe
ich Frau Hoff vorhin verstanden.
Vor diesem Hintergrund will ich einmal zitieren, was
Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben, damit es jeder
weiß:
Der Bundestag wolle beschließen:
Im Kapitel 14 20 - Wehrforschung, wehrtechnische
und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung - ist bei Titel 551 11 - Wehrtechnische Entwicklung und Erprobung - der Mittelansatz von
550 Mio. Euro um 185 Mio. Euro auf 365 Mio.
Euro zu reduzieren.
Dies widerspricht dem, was Frau Hoff vorhin vorgetragen hat.
({2})
Weiterhin steht dort:
Bei der Verpflichtungsermächtigung erfolgt eine
Absenkung um 200 Mio. Euro auf 427,6 Mio. Euro.
({3})
Ich stelle fest, dass mit der von Ihnen vorgesehenen
Absenkung die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr nicht
ausgeweitet, sondern reduziert wird. Nichts anderes wollen Sie mit Ihren Anträgen.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den
Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf
Drucksache 16/7314? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalition bei Gegenstimmen der Opposition abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 14 ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.12 auf:
Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
- Drucksachen 16/6419, 16/6423 Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Bonde
Iris Hoffmann ({0})
Michael Leutert
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Zu dem Einzelplan 23 liegt ein Entschließungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir
am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen
werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache Eineinviertelstunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Hellmut Königshaus,
FDP-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie mich mit einem Glückwunsch beginnen. Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, Sie hatten vor einer Woche Geburtstag. Dazu gratulieren wir Ihnen ganz herzlich. Es
war nicht irgendein Geburtstag, sondern ein Geburtstag,
an dem die meisten Menschen normalerweise in den Ruhestand gehen. Keine Angst, ich will keine platten Sottisen, sondern Ihnen ein ernst gemeintes Kompliment machen! Ich kenne kaum einen anderen Ressortchef, der so
energisch für seine Ziele kämpft und sie so unbeirrt
durchsetzt.
({0})
Das wird auch in dem Aufwuchs deutlich, den Ihr Haushaltsansatz erfahren hat. Es sind immerhin satte 15 Prozent. Kompliment!
({1})
Was die Ziele angeht, sind wir uns in der Regel einig.
Nur der Weg trennt uns manchmal ein bisschen.
({2})
Dennoch oder gerade deshalb ist es schmerzhaft, dass
mit diesem Haushaltsansatz wieder falsche Weichenstellungen verbunden sind.
Schon wieder und mehr denn je setzen Sie, Frau Ministerin, auf die weithin unbefriedigende Budgethilfe,
die oft auf verschlungenen Pfaden über internationale Institutionen - Weltbank, EEF usw. - an fragile Staaten
und nicht selten an korrupte Regime fließt. Eine echte
Verwendungskontrolle ist dann natürlich nicht möglich.
Wir haben noch immer - ich weiß, dass ich das oft anspreche; aber man muss es immer wieder tun, weil es um
viel Geld geht - keine Kontrolle über die Mittelverwendung des Europäischen Entwicklungsfonds, keine parlamentarische Kontrolle - diese haben wir sowieso nicht,
weil kein Parlament dafür zuständig ist - und auch keine
wirksame Kontrolle durch die Bundesregierung, Frau
Ministerin. Es gibt offenbar noch nicht einmal einen
ständigen deutschen Vertreter in den Steuerungsgremien,
der Kontinuität bei der Aufsicht gewährleisten würde.
Sie sind dort offenbar „blind“.
Das kann so nicht weitergehen. Mit einer geringfügigen Kürzung dieses Einzelpostens hatten die Haushälter
bereits einen ersten Warnschuss vor den Bug abgegeben
- diesen sollte man ernst nehmen -, in der Bereinigungssitzung mit der Kürzung der Weltbankmittel noch einen
zweiten. Ich bin sicher: Wenn wir uns die von den Haushältern formulierten Sorgen nicht zu Herzen nehmen,
dann wird der nächste Schuss als volle Breitseite mitschiffs landen.
({3})
Lassen Sie uns diese Mahnzeichen aufgreifen. Wie gesagt, wir streiten ja nicht über die Ziele, sondern über die
Wege dorthin. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die
Mittelverwendung.
Der entscheidende Kritikpunkt für die FDP ist die falsche Schwerpunktsetzung in der Entwicklungspolitik.
Über die Schwellenländer hat Guido Westerwelle am
Beispiel Chinas in der „Elefantenrunde“ heute Morgen
gesprochen; ich kann es deshalb kurz machen. Wir fördern mit riesigen Beträgen weiterhin Länder, die es eigentlich nicht nötig haben. Wir zahlen Südafrika
56 Millionen Euro, China 67,5 Millionen Euro - das ist
übrigens ein Aufwuchs im Vergleich zum Vorjahr - und
Indien 64 Millionen Euro. Die gesamten ODA-Mittel,
einschließlich dessen, was aus anderen Haushalten
kommt, betragen noch ein Vielfaches davon, im Falle
Chinas 187 Millionen Euro. Dabei haben diese Länder
das weiß Gott nicht nötig.
Wenn wir die Devisenreserven allein von China betrachten, dann stellen wir fest, dass es mehr ist, als heute
Morgen angenommen wurde, nämlich 1,411 Billionen
Dollar. Hinzu kommen die 138 Milliarden Dollar von
Hongkong, über die die Zentralregierung entscheidet.
Ich will das nur einmal in Erinnerung rufen: Allein aus
den Zinseinkünften dieser Devisenreserven kann das
Land in neun Stunden die Mittel, die wir im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen, erwirtschaften. Und Sie glauben, Sie könnten damit Einfluss nehmen? Ich halte das für falsch; denn dieses Geld
fehlt natürlich in anderen Ländern. Das Geld, das wir für
China ausgeben, können wir zum Beispiel nicht Niger
oder Bangladesch geben.
({4})
Wer braucht die größte Unterstützung zurzeit, auch
im deutschen Interesse? Das ist Afghanistan. Was erhält
Afghanistan? Sie sprechen von einem Aufwuchs. Ich
kann den im Haushaltsplan nicht unmittelbar feststellen;
das ist ziemlich unübersichtlich. Im Februar letzten Jahres haben Sie uns mitgeteilt, Sie hätten die Hilfe um
20 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro aufgestockt.
Jetzt stehen 70 Millionen Euro im Haushaltsplan. Fragt
man nach, wo die Differenz ist, dann wird auf das Auswärtige Amt verwiesen. Im Haushaltsplan für das Auswärtige Amt stehen - das ist richtig - 55 Millionen Euro.
Wie viel es aber vorher war, wird verschwiegen. Vermutlich ist dort keine Aufstockung erfolgt. Wir konnten das
nicht ganz nachvollziehen. Das zeigt einmal mehr, dass
die künstliche Trennung von AA und BMZ auch in diesem Punkt zulasten der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit geht.
Weil wir gerade beim Organisatorischen sind: Frau
Ministerin, was macht eigentlich die Institutionenreform? Was macht die Zusammenführung von KfW Entwicklungsbank und GTZ?
({5})
Was ist mit „weltwärts“? Soll die Organisation wirklich
ohne gesetzliche Grundlage entstehen? Es wird einfach
ein Konzept aus der Handtasche gekramt, und dann ist
„weltwärts“ da. Die Haushälter bewilligen 70 Millionen
Euro, und dann fangen die an, zu arbeiten. Niemand hier
im Parlament kennt irgendwelche Rahmenbedingungen.
Frau Ministerin, bitte sagen Sie uns, wohin Sie wollen.
Aus Ihrem Haushaltsplan ist das jedenfalls nicht ersichtlich.
Ich danke Ihnen.
({6})
Ich gebe das Wort der Kollegin Iris Hoffmann, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ist in dieser Legislaturperiode nach wie vor
einer der am stärksten wachsenden Einzelpläne im gesamten Bundeshaushalt. Mit einer Steigerung von über
14 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf weit mehr als
5 Milliarden Euro wird 2008 mit Abstand das bisher
beste Jahr in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Blicken wir zurück, können wir feststellen, dass der
Haushalt seit dem Jahr 2000 um 1,4 Milliarden Euro
angewachsen ist. Diese dynamischen Mittelzuwächse
verdeutlichen, welchen Stellenwert die Entwicklungszusammenarbeit in der Politik der Bundesregierung inzwischen hat. Das ist ein Erfolg, der vor allem der Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zu verdanken ist.
({0})
Auch wenn wir gelegentlich verschiedene Meinungen
haben, sind wir im Ziel und in der Sache nicht auseinander, geht es doch darum, unseren finanziellen Verpflichtungen gerecht zu werden und die Millenniumsentwicklungsziele umzusetzen. Unser Anliegen ist es, das Thema
Entwicklungspolitik nicht nur auf der politischen Agenda
nach vorne zu bringen, sondern auch in die Köpfe und
Herzen der Menschen zu tragen, um die Akzeptanz in der
Öffentlichkeit noch weiter zu erhöhen.
Auch in diesem Jahr wurden eindeutige Schwerpunkte
bei der Verteilung der zusätzlich zur Verfügung stehenden Mittel gesetzt. Herausheben möchte ich die verstärkten Anstrengungen zum Kampf gegen Aids, Malaria
und Tuberkulose. Hierfür werden im kommenden Jahr
500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
({1})
Davon gehen allein 200 Millionen Euro an den GFATM,
den globalen Fonds zur Bekämpfung dieser drei Krankheiten. Damit werden diese Mittel gegenüber dem Vorjahr um 130 Prozent erhöht.
Auch die Barmittel für die Weltbank und den Europäischen Entwicklungsfonds wachsen deutlich an, bedingt
durch Abrufe von Verpflichtungen, die wir bereits in vorangegangenen Haushaltsjahren eingegangen sind.
Für die Weltbank und die Afrikanische Entwicklungsbank werden Ende dieses Jahres durch die Bundesregierung höchstwahrscheinlich Neuzusagen von insgesamt
deutlich mehr als 2 Milliarden Euro gemacht. Auch hierfür sind im vorliegenden Haushalt bereits entsprechende
Verpflichtungsermächtigungen eingestellt worden.
Auch die Mittel der finanziellen Zusammenarbeit,
also der KfW, werden kräftig aufgestockt. Auf sie entfällt mit etwa 300 Millionen Euro fast die Hälfte der gesamten Etaterhöhung. Erklärtes Ziel des Bundesministeriums ist es, mit den zusätzlichen Mitteln vor allem die
Bereiche Zinssubventionen und Programmorientierte
Gemeinschaftsfinanzierungen bzw. Budgethilfen weiter
systematisch auszubauen. Auf Letzteres komme ich später noch zurück.
Bei aller gebotenen Konzentration auf die großen
multi- und bilateralen Organisationen war ich doch etwas
überrascht darüber, dass es der Bundesregierung trotz der
hohen Zuwächse wie im vergangenen Jahr größtenteils
nicht möglich war, die zivilgesellschaftliche Entwicklungszusammenarbeit angemessen am Aufwuchs des
Haushalts zu beteiligen.
Der Haushaltsausschuss hat hier die Forderungen und
Anregungen der Kolleginnen und Kollegen aus dem
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aufgegriffen und die Mittel für verschiedene
zivilgesellschaftliche Organisationen maßvoll angehoben. Dazu gehören beispielsweise die Arbeiterwohlfahrt
International, das DGB-Bildungswerk, das Kolpingwerk, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die
Alexander-von-Humboldt-Stiftung und nicht zuletzt die
vielen ehrenamtlich tätigen privaten Vereine und Nichtregierungsorganisationen.
({2})
Budgethilfen, also direkte Zuschüsse zum nationalen
Haushalt der Entwicklungsländer, sowie Sektorprogramme und Korbfinanzierungen - in Deutschland unter
dem Begriff „Programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierung“ zusammengefasst - haben in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit zunehmend an
Bedeutung gewonnen. Die Bundesregierung folgt diesem Trend und hat die Mittel für diese Instrumente in den
letzten Jahren stark erhöht. Bis Ende 2006 waren bereits
Programme mit einem Gesamtvolumen von über 1,1 Milliarden Euro zugesagt oder umgesetzt. Zielgröße für
Neuzusagen im nächsten Jahr sind 400 Millionen Euro,
und bis 2010 will das Ministerium mindestens zwei Drittel seiner bilateralen Entwicklungszusammenarbeit im
Rahmen programmbasierter Ansätze abwickeln.
Iris Hoffmann ({3})
Angesichts dieser Zahlen war es nur natürlich, dass
das Thema Budgetfinanzierung in den diesjährigen
Haushaltsberatungen eine hervorgehobene Rolle gespielt
hat. Die Haushälter der Koalition haben sich bereits auf
ihrer Klausurtagung Anfang September intensiv mit diesem Thema beschäftigt und haben später auch gemeinsam mit der Parlamentarischen Staatssekretärin Karin
Kortmann kritisch diskutiert. Dabei sind uns durchaus
die möglichen Vorteile von Budgethilfen deutlich geworden. Beispielhaft möchte ich die bessere Geberharmonisierung, eine Stärkung der Eigenverantwortlichkeit
der Partnerregierungen und sinkende Transaktionskosten
nennen. Insbesondere aus haushalterischer Perspektive
dürfen aber die Nachteile keineswegs außer Acht gelassen werden. Hier geht es insbesondere um makroökonomische Risiken durch die großen Kapitalzuflüsse über
Budgethilfe sowie verschiedene treuhänderische Risiken, etwa durch Fehlverwendung der Mittel oder mangelnde Qualität der durchgeführten Maßnahmen.
Ob am Ende die Vor- oder Nachteile überwiegen,
lässt sich zumindest im Moment noch nicht mit Sicherheit sagen, da es bislang nur relativ wenige empirische
Untersuchungen zu den Wirkungen der Budgethilfe gibt.
Eine erste Langzeitevaluierung aus dem Jahre 2006, die
im Auftrag der OECD durchgeführt wurde, bewertet
zwar die Budgethilfe in fünf von sieben untersuchten
Ländern grundsätzlich positiv, kann aber empirisch
kaum eine Wirkung auf das zentrale Ziel der Armutsminderung nachweisen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Addicks?
Nein, ich würde gerne im Zusammenhang vortragen.
Die Experten, die in der kürzlich durchgeführten Anhörung des Entwicklungshilfeausschusses zu Wort kamen, stellten zwar fest, dass Budgethilfe letztlich alternativlos ist, hielten aber auch mit Kritik nicht hinter dem
Berg.
Ich möchte an dieser Stelle nicht zu sehr ins Detail
gehen. Ich denke, Budgethilfen können zur Umsetzung
der internationalen Agenda in der Entwicklungszusammenarbeit beitragen, aber sie sind ein sehr komplexes
und abstimmungsaufwendiges Instrument. Sie sind sicherlich kein Allheilmittel, sondern vielmehr ein entwicklungspolitisches Instrument neben anderen. Denn
erst durch die Kombination von Budgethilfen und klassischen Projekten in der Zusammenarbeit mit einem Land
können wichtige Synergieeffekte erzielt werden. Hierbei
ist es wichtig, dass der Ausbau von Budgethilfen nicht
zulasten von Capacity-Development-Maßnahmen geht,
weil sie gerade dazu dienen, Budgethilfen und andere Investitionen der finanziellen Zusammenarbeit vorzubereiten und nachhaltig in Wert zu setzen.
Zudem - ich denke, da sind wir uns alle einig - sind
Budgethilfen grundsätzlich nur in solchen Ländern sinnvoll, die reformwillig und reformfähig sind und sich an
demokratischen und rechtsstaatlichen Normen orientieren.
({0})
Der Bundesrechnungshof prüft gegenwärtig die
deutsche Budgethilfe. Er wird seinen Bericht voraussichtlich Ende Februar 2008 vorlegen, sodass er im März
im Haushaltsausschuss beraten werden kann. Angesichts
der Unsicherheiten, mit denen die Budgethilfe bis dato
noch behaftet ist, halte ich es durchaus für sinnvoll, im
Sinne einer wohlwollenden, aber kritischen Begleitung
alle Neuzusagen in diesem Bereich einer Einzelprüfung
zu unterziehen.
({1})
Dieses Vorgehen haben die Haushälter der Koalition übrigens bereits Ende Oktober im Berichterstattergespräch
mit dem Ministerium angekündigt. Mir ist es wichtig,
hier zu betonen, dass dadurch keine Mittel gekürzt sind.
Auch alle Zusagen, die bereits gemacht wurden oder bis
Ende des Jahres gemacht werden, sind davon nicht betroffen.
Ich komme zum Schluss. Der Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ist auf einem guten Weg, und das gilt nicht
nur angesichts des Aufwuchses für 2008, sondern auch
für die Verstetigung des Aufwuchses in der mittelfristigen Finanzplanung.
Herzlichen Dank.
({2})
Ich gebe das Wort der Kollegin Heike Hänsel, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der Entwicklungsetat 2008 wird massiv erhöht:
um 670 Millionen Euro. Das begrüßen wir natürlich.
Aber die Politik der Bundesregierung bleibt - das muss
man ganz klar sagen - gegenüber der Mehrheit der Menschen in den Ländern des Südens entwicklungsfeindlich.
Ob Kriegseinsatz in Afghanistan, Rüstungsexportpolitik,
G-8-Politik, Agrar- und Handelspolitik, Energie- und
Ressourcenpolitik: Es fehlt eine Ausrichtung, die friedens- und entwicklungsfördernd ist.
Ich komme konkret auf Afghanistan zu sprechen.
Die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit werden
auf 120 Millionen Euro erhöht. Aber das Verhältnis von
Militär- und Entwicklungsausgaben liegt immer noch
bei fünf zu eins. Sie halten in Ihrer Ausrichtung an der
zivil-militärischen Zusammenarbeit fest, die von vielen
Entwicklungsorganisationen massiv kritisiert wird. Die
Bundeswehr ist mit ihrer Beteiligung am Krieg in Afghanistan ein Teil des Problems und nicht der Lösung,
und deshalb fordern wir nach wie vor den Abzug der
Bundeswehr aus Afghanistan.
({0})
Jetzt möchte ich etwas zu den Rüstungsexporten sagen; dieses Thema kam in der heutigen Debatte nämlich
viel zu kurz. Der Rüstungsexportbericht 2007 besagt
ganz klar: Der Rüstungsexport boomt nach wie vor. Die
Genehmigungswerte, vor allem für die Gruppe der ärmsten Entwicklungsländer und der Schwellenländer, sind
höher als im Vorjahr. Hinzu kommt, dass davon verfeindete Staaten wie Indien und Pakistan betroffen sind.
Zum Beispiel in Pakistan werden mit Lizenz der deutschen Firma Heckler & Koch aus Baden-Württemberg
Gewehre produziert, die jetzt zur Bekämpfung Oppositioneller in Pakistan eingesetzt werden. An Indien sollen
120 Eurofighter verkauft werden. Zur Bekämpfung der
Armut in Indien sind die damit verbundenen Kosten im
Haushalt aber nicht vorhanden; von „Armutsbekämpfung“ sollte man im Zusammenhang mit diesen Mitteln
daher nicht mehr sprechen.
Für uns ist ganz klar: Wir lehnen Rüstungsexporte in
Krisenregionen ab, auch was die Kleinwaffen angeht.
({1})
Wir wissen: Über 90 Prozent der Kriegsopfer sind auf
den Einsatz von Kleinwaffen zurückzuführen. Wir halten diese Politik der Rüstungsexporte für verantwortungslos und entwicklungsfeindlich.
({2})
Jetzt möchte ich etwas zur G-8-Politik sagen. Noch
nie wurde auf einem G-8-Gipfel so viel über Entwicklung und die Probleme Afrikas geredet wie dieses Jahr in
Heiligendamm. Wenn man sich die Ergebnisse anschaut,
erkennt man aber, dass sie sehr mager sind. Selbst die
Entwicklungsorganisationen haben in einem Bericht von
dem sogenannten „60-Milliarden-Bluff“ gesprochen. Es
wird jetzt mehr Geld investiert - das stimmt -, zum Beispiel in den globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids
und Malaria. Das schlägt sich im Haushalt nieder: Die
entsprechenden Mittel werden verdoppelt. Wenn wir uns
aber die konkrete Politik anschauen, dann stellen wir
fest, dass beim G-8-Gipfel der Patentschutz massiv vorangetrieben wurde, obwohl er verhindert, dass die Menschen in Ländern des Südens einen verbesserten Zugang
zu billigen Medikamenten bekommen. Daran zeigt sich,
dass diese Politik völlig kontraproduktiv zu dem ist, was
formuliert wird. Damit stellen Sie das Patentrecht über
das Recht auf Gesundheit.
({3})
Auch im Rahmen der Energiepolitik und des Klimaschutzes sind die Ergebnisse der G-8-Gipfels völlig unverbindlich geblieben, obwohl die Auswirkungen des
Klimawandels zuallererst die Menschen in den Ländern
des Südens betreffen. Es gibt zwar mehr Geld für die
Weltbank, was hier richtigerweise schon erwähnt wurde;
aber die Vergabepolitik der Weltbank führt dazu, dass
nach wie vor zu mehr als 90 Prozent große Erdöl-, Erdgas- und Staudammprojekte finanziert werden, aber nur
zu 4 Prozent regenerative Energien. Die Bundesregierung hat Einfluss in der Weltbank; sie hat dort Sitz und
Stimme. Daher kann ich Sie nur auffordern: Nehmen Sie
Ihre Verantwortung wahr, und setzen Sie sich für die
Förderung regenerativer Energien ein, wenn Sie es mit
dem Klimaschutz ernst meinen!
({4})
In diesem Zusammenhang brauchen wir dringend ein
Moratorium, was die Förderung von Agrotreibstoffen
angeht. Der Anbau der hierfür benötigten Pflanzen in
vielen Ländern des Südens wie Brasilien, Kolumbien
und Indonesien fördert eben nicht Klimaschutz und Entwicklung, sondern gefährdet Ernährungssouveränität
und trägt zu massiven Menschenrechtsverletzungen bei,
wie ich es in Kolumbien selbst gesehen habe.
({5})
Auch bei der Handelspolitik sind die Weichenstellungen in unseren Augen fatal. Sie wird hauptsächlich
auf europäischer Ebene festgelegt, auch mit Einfluss der
Bundesregierung. Die neue Strategie der EU eines „globalen Europas“ formuliert ganz klar eine aggressive
Handels- und Marktöffnungspolitik für europäische
Konzerne, die sich auch auf die Wirtschaftsbeziehungen
zu den Ländern des Südens negativ auswirkt. Dies erleben wir ganz aktuell in den Verhandlungen über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den AKP-Staaten.
Wir sagen ganz deutlich: Wir wollen die sogenannten
EPAs in dieser Form nicht. Ende des Jahres wird sich
entscheiden, was dabei herauskommt. Ich fordere Sie,
Frau Wieczorek-Zeul, auf, sich auf alle Fälle dafür einzusetzen, egal wie diese Verhandlungen ausgehen, dass
es vonseiten der Europäischen Union keine Zollerhöhungen für Produkte aus den Entwicklungsländern gibt, die
die EPAs nicht unterzeichnet haben. Ich halte es nicht für
verantwortbar, hier zu Zollerhöhungen zu kommen.
Freihandel ist kein Beitrag zur Entwicklung. Wir wollen
andere, solidarische Wirtschaftspartnerschaftsabkommen.
({6})
Ich komme zum Schluss: Mehr Geld allein bedeutet
nicht automatisch mehr Entwicklung. Wir setzen uns für
eine aktive zivile Friedenspolitik, eine gerechte Handelspolitik und die Umstellung des Weltenergiesystems ein,
das ist für uns der beste Beitrag zu Entwicklung.
Danke.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Arnold Vaatz, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sollten nun zur Sachlichkeit
zurückkehren. Dazu gehört, zunächst einmal zu erwähnen, dass wir im Deutschen Bundestag nicht die Entwicklungshelfer vor Ort sind. Vielmehr haben wir die
Aufgabe, die Rahmenbedingungen für deren Einsatz zu
schaffen, zu denen der Einzelplan 23 gehört.
Wenn wir diesen Einzelplan beschlossen haben, dann
gibt es den höchsten Zuwachs, den ein Entwicklungshilfehaushalt jemals im Deutschen Bundestag erfahren hat.
({0})
Frau Wieczorek-Zeul, ich gratuliere Ihnen dazu. Sie haben enorm daran gearbeitet. Aber Sie müssen natürlich
auch zugeben, dass es schon sehr hilft, wenn aus dem
Kanzleramt ein bisschen Rückenwind hinzukommt. In
der Zeit von Rot-Grün war dies offenbar nicht so einfach
möglich.
({1})
Die Quantität spricht für sich: Ein Aufwuchs von
667 Millionen Euro erhöht den Gesamtetat auf
5,2 Milliarden Euro. Zusammen mit den Mitteln in anderen Bundesressorts steigen die deutschen ODA-Ausgaben auf 9 Milliarden Euro. Das ist eine stolze Summe
und ein klares Signal. Auf diese Art und Weise kommen
wir unseren internationalen Verpflichtungen Schritt für
Schritt nach. Allerdings kann und wird sich unser entwicklungspolitisches Engagement nicht in einer bloßen
Erhöhung der Entwicklungshilfegelder erschöpfen.
Ich glaube, dass gegenüber Jeffrey Sachs’ Ansatz eines Takeoff infolge einer massiven Zufuhr von ausländischem Kapital große Skepsis angebracht ist.
({2})
Dieser Zufluss von äußerem Kapital muss in den Zielländern gerade nicht den erwünschten dauerhaften
Wachstumsschub auslösen. Wenn lediglich die in einem
Land zirkulierende Geldmenge erhöht wird, aber sich
sonst nichts ändert, bedeutet das nichts anderes, als dass
die Inflation in diesen Ländern angeheizt wird. Das dürfen wir nicht zum Preis der Verschuldung im deutschen
Staatshaushalt erkaufen.
({3})
Aus diesem Grunde müssen wir an dieser Stelle Vorsicht
walten lassen. Inflation in armen Ländern schädigt die
Ehrlichen und Armen mehr als die Reichen und Korrupten. Das muss man so feststellen.
Entscheidend wird sein - Frau Ministerin, hier haben
Sie unsere uneingeschränkte Unterstützung -, wie effizient und effektiv das EZ-Geld eingesetzt wird. Darüber
sind wir dem Steuerzahler Rechenschaft schuldig. Wir
werden ihm auch Rechenschaft ablegen.
({4})
Das Rechnungshofgutachten ist in Auftrag gegeben.
Um die öffentliche Akzeptanz unserer Entwicklungshilfe auch in Zukunft zu sichern, halte ich es für sehr
richtig, dass dieser Sperrvermerk bis zu dem Zeitpunkt
erhalten bleibt, an dem das Gutachten des Bundesrechnungshofes vorliegt, damit wir uns auf sicherem Terrain
befinden, was die Effizienz unseres Mitteleinsatzes betrifft.
({5})
Die Budgethilfe ist in den letzten Jahren stark ausgeweitet worden, Frau Koczy. Gerade diese Tatsache
macht es notwendig, zweifelsfrei ihre Wirkungen zu beschreiben, damit der Bürger das nachvollziehen kann.
Frau Hoffmann, ein internationaler Trend ist gut und
schön,
({6})
aber er ist kein Argument dafür, etwas uneingeschränkt
mitzumachen. Deshalb mahne ich: Gemach, gemach!
Wir wollen Effizienz, und wir wollen, dass denjenigen,
die von uns Geld erhalten, maximale Hilfe zuwächst.
({7})
Es ist im Übrigen auch falsch, Budgethilfe als ein inhaltliches Thema zu betrachten. Ich glaube, die Budgethilfe ist letzten Endes eine Verfahrensweise. Wir dürfen
doch nicht den Weg mit dem Ziel verwechseln.
({8})
Aus diesem Grund sollten wir rational an das Thema herangehen. In der Öffentlichkeit wird oftmals kritisiert,
dieser Sperrvermerk hindere beispielsweise die Unterstützung Südafghanistans. Dieser Satz ist gleich in dreifacher Hinsicht falsch. Denn erstens ist die Budgethilfe
bei weitem nicht das einzige Instrument, das wir dort anwenden.
({9})
Zweitens bedeutet gerade die Budgethilfe die Übertragung von Verantwortung an die lokale Regierung. Wenn
die Regierung entscheidet, sie nicht in Südafghanistan,
sondern irgendwo anders in Afghanistan einzusetzen,
dann müssen wir das ebenfalls akzeptieren. Sie ist eben
kein zielgenaues Förderinstrument.
({10})
Drittens hat sich der Haushaltsausschuss durchaus das
Recht vorbehalten, in dringenden Fällen die Sperre aufzuheben.
({11})
Auch das halte ich für richtig, weil man auf diese Weise
flexibel bleibt. Wir haben das gut gemacht.
Wir sollten, wie gesagt, sehr genau überlegen, wie wir
in Zukunft multilaterale Instrumente einsetzen.
Im Zusammenhang mit Afghanistan betrachte ich
Ihre Totalkritik an der Afghanistan-Politik als absolut
deplatziert, Frau Hänsel, und zwar aus folgendem
Grund: Sie ist friedensfeindlich, weil sie die Argumente
der Terroristen anheizt und diese ermutigt, den Krieg
verschärft fortzuführen.
({12})
Solche Argumente entfesseln erst die Kämpfe dort,
({13})
und sie tragen dazu bei, dass das Leben von deutschen
Entwicklungshelfern und Soldaten gefährdet statt gesichert wird.
({14})
Auch unser Drängen auf Good Governance haben
wir schon mehrfach beteuert, und dabei soll es auch bleiben. Wir müssen von unseren Zielländern erwarten, dass
es tatsächlich eine klare Ausrichtung auf Good Governance gibt, dass die Länder reformwillig und reformfähig sind und dass die Ursachen, die zu den Entwicklungsnachteilen geführt haben, sich nicht immer weiter
verfestigen. Das muss das Kernziel unserer Entwicklungspolitik sein.
({15})
Frau Ministerin, es ist notwendig, noch kurz auf die
Reformvorhaben in Ihrem Ministerium einzugehen. Ich
halte das für sehr wichtig. Wir müssen die Vorfeldreform
vorantreiben. Das bedeutet, dass wir das ernst nehmen,
was uns dazu geraten worden ist. Ich darf dazu an das
Rechnungshofsgutachten erinnern. Ich halte es für sehr
wichtig, dass die TZ organisatorisch bereinigt wird und
zunächst GTZ, InWEnt, DED und CIM zusammengeführt werden. Wenn wir das vollzogen haben, müssen
wir als Nächstes überlegen, wie wir FZ und TZ stärker
miteinander verzahnen.
({16})
Dabei haben Sie unsere volle Unterstützung, Frau Ministerin.
Auf uns wartet ein interessantes neues Jahr. Ich
denke, wir können in dieser Legislaturperiode zusammen noch sehr viel erreichen.
Vielen Dank.
({17})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Alexander Bonde,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Saal hier merken wir alle, was es an unterschiedlichen Konzeptionen gibt und was auch an Streit innerhalb
der Koalition, zwischen den Koalitionsfraktionen und
dem Haus, zwischen dem Haushaltsausschuss und dem
Fachministerium in der Luft liegt. Uns als Grünen ist es
wichtig, Ihnen an dieser Stelle das Signal zu geben: Wir
müssen schon aufpassen, dass wir bei technischen Fragestellungen und inhaltlichen Bewertungen, bei denen
wir auseinanderliegen, nicht Schäden anrichten, die in
der Dimension über das hinausgehen, was tatsächlich
Streitwert ist.
({0})
Ich will in diesem Zusammenhang die Bundesregierung auffordern, der Forderung des Haushaltsausschusses schnell nachzukommen, was den Bericht zu den Evaluationsmöglichkeiten in Bezug auf freiwillige Beiträge
an internationale Organisationen angeht, damit die Irritationen schnell aus der Welt geschafft werden
({1})
und wir die Möglichkeit haben, dieses wichtige Instrument für humanitäre Hilfe, Konfliktprävention, multilaterale Entwicklungszusammenarbeit und vieles andere
anzuwenden. Gerade dann, wenn man, wie wir Grüne,
auf multilaterale und internationale Organisationen setzt,
muss man ein Interesse daran haben, mit geklärten Evaluationsverfahren inhaltlich bewerten zu können, was
passiert. Wir erwarten von Ihnen also, dass Sie den berechtigten Forderungen aus dem Parlament jetzt zügig
nachkommen und damit die unschöne Situation beenden.
Erfreulich in diesem Einzelplan ist natürlich die Aufstockung um 667 Millionen Euro. Sie machen damit - das
gestehen auch wir aus der Opposition Ihnen gerne zu - einen guten Schritt in Richtung der Einhaltung der Verpflichtungen, was die ODA-Ziele angeht. Sie kommen
damit aber natürlich nicht an die Dimensionen heran, die
Sie eigentlich bräuchten, um die Verpflichtungen zu erfüllen, und das wissen Sie auch.
({2})
Wenn wir das mit dem Einzelplan 14 vergleichen, den
wir vorher diskutiert haben, stellen wir fest: Dort reden
wir über fast das Doppelte dessen, was hier mobilisiert
werden konnte. Nichtsdestotrotz, das schmälert die Bedeutung dieses Schrittes nicht.
Eine Sorge wollen wir bei dieser Diskussion sehr
deutlich formulieren. Dieser Aufwuchs ist wie der ganze
Haushalt der Koalition dem Surfen auf einer guten Konjunkturwelle geschuldet. Die Frage ist: Woher kommen
eigentlich die Mittel, um den Stufenplan zu erfüllen,
({3})
wenn die Konjunktur einmal nicht mehr in dieser Dimension zusätzliche Steuereinnahmen generiert?
Ich will deshalb die neuen Finanzierungsinstrumente anmahnen, etwa die Ticket-Tax, das französische
Vorbild. Selbst die CDU in Baden-Württemberg hat sie
inzwischen zur Forderung erhoben; von dort hätten wir
das als Letztes erwartet.
({4})
Ich glaube, dass in diesem Bereich eine deutliche Bewegung der Koalition ansteht, weil Sie genau wissen, dass
die Ziele, denen wir uns gemeinsam zu Recht verschrieAlexander Bonde
ben haben, aus dem Bestehenden nicht erreicht werden
können.
({5})
Die Ticket-Tax ist deshalb besonders spannend, weil sie
noch bei einer zweiten wichtigen Thematik eine Lenkungswirkung entfalten kann, nämlich beim Klimaschutz. Sie ist ein klassisches Win-win-Instrument.
({6})
Tatsache ist, dass der Klimaschutz eine der großen Herausforderungen für Ihr Haus darstellt, sehr geehrte Frau
Ministerin.
Das UNDP schreibt in dem Bericht über die menschliche Entwicklung - wir haben es gelesen -, der Klimawandel habe in bisher unbekanntem Maß Auswirkungen
für den Kampf gegen die Armut. Sie haben diese These
in vielen Medienberichten unterstützt.
In dem Haushaltsplan, über den wir heute diskutieren,
wird dieser Schwerpunkt allerdings nicht gesetzt. Sie
können nicht einmal benennen, an welchen Stellen eigentlich zum Klimaschutz beigetragen wird. Unsere
Anfrage, in welchem Umfang Ihr Haushalt zu Klimaschutzmaßnahmen beiträgt und in welchem Umfang zusätzliche Mittel in diesem Bereich zur Verfügung gestellt
werden, blieb unbeantwortet, weil Ihr Haus nicht einmal
in der Lage war, zu identifizieren, was innerhalb der Entwicklungszusammenarbeit in diesem Bereich passiert.
Insofern haben Sie die Aufgabenstellung, den Beitrag,
den die Entwicklungszusammenarbeit für den Klimaschutz leistet, zu definieren und die in den Medien propagierte Schwerpunktsetzung in Maßnahmen und im
Mitteleinsatz zu konkretisieren.
Natürlich spielt unsere Interaktion mit den Schwellenländern, denen als Emittenten eine entscheidende Bedeutung bei der Frage zukommt, ob wir unsere Klimaregeln einhalten können, die wir uns gemeinsam auf
internationaler Ebene setzen, eine große Rolle. Auch da
werden Sie mit uns in den nächsten Wochen und Monaten und bei der Aufstellung eines nächsten Haushaltes
sehr viel intensiver über die Verantwortung, die Ihr Haus
im Bereich des Klimaschutzes hat, diskutieren müssen.
In der gesamten Diskussion über den Klimaschutz
müssen wir leider auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, die hierbei eine entscheidende Rolle spielen muss, sagen: Da hat diese Bundesregierung von den
Ankündigungen bis zur Umsetzung der Maßnahmen ihre
Hausaufgaben noch nicht gemacht. Wir werden Ihnen,
Frau Ministerin, da weiterhin sehr genau auf die Finger
schauen.
({7})
Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will, weil es mehrfach angesprochen worden ist, ein
Wort zur sogenannten Budgethilfe sagen, die sehr unterschiedlich ist. Beispielsweise läuft der Weltbankfonds in
Afghanistan - er wird von der Weltbank kontrolliert und
überprüft - unter dem Titel „Budgethilfe“. Ich will an
dieser Stelle aber sagen: Getreu dem, was wir in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD festgelegt haben, fließt Budgethilfe nur an Länder mit einer
verantwortlichen Regierungsführung. An korrupte Regime fließt keinerlei Budgethilfe. Da können Sie ganz sicher sein.
({0})
Ich glaube, es ist hier nicht der Ort, um über die Technik im Einzelnen zu diskutieren. Wir alle sind doch der
Meinung, dass die Geber in diesem Bereich kohärenter
und abgestimmter verfahren müssen. Ich will Ihnen dazu
ein Beispiel nennen: In den wirklich armen Ländern, die
der Finanzierung bedürfen - Mali, Senegal, Burkina Faso,
Niger und Tschad -, gibt es rund 600 Entwicklungsprojekte von jeweils unterschiedlichen Gebern. Diese erfordern pro Trimester einen Zwischenbericht. Das ergibt
2 400 Berichte jährlich, die dann den jeweils zuständigen Ministerien in dem betreffenden Land vorgelegt
werden müssen. Es kommen 1 000 Missionen hinzu, die
das evaluieren. Ehrlich gesagt, das Ziel muss doch sein,
dass die Mittel in diesen Ländern schnell zur Armutsbekämpfung eingesetzt werden. Es kann doch nicht sein,
dass eine Zersplitterung stattfindet und den Ländern zusätzliche Verwaltungsarbeit entsteht. Deshalb ist es notwendig, andere Instrumente zu entwickeln. Das ist unter
anderem die Budgethilfe, aber nur unter anderem.
({1})
Damit wollte ich einfach einmal deutlich machen,
worum es geht. Es geht darum, Schwierigkeiten zu vermeiden, und zwar im Interesse der Menschen in den betroffenen Ländern. Es geht nicht um die Technik im Einzelnen.
Ich bin der EKD für ihre neue Denkschrift dankbar,
in der zum Ausdruck gebracht wird: Wirksame Friedenspolitik heute heißt: Abbau von Gewalt, Ausbau der internationalen Rechtsordnung, die Förderung weltweiter sozialer Gerechtigkeit. Es wird auch gesagt, dass die
Entwicklungspolitik in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle spielt.
Ich bin allen Kollegen für deren Unterstützung dankbar, übrigens auch den Kollegen der FDP. Herr
Königshaus, das Ringen mit Ihnen hält ja jung, wie Sie
mir dankenswerterweise einmal gesagt haben.
({2})
Insofern halten Sie mich immer in Aktion; das ist okay.
({3})
- Ja, wer hätte das gedacht; aber so ist es.
Wir sind ja alle der Meinung, dass Entwicklungszusammenarbeit im 21. Jahrhundert eine wichtige Form
der Friedenspolitik ist. Es lohnt sich, sich dafür zu engagieren, und es ist wunderbar, dass wir die Mittel insgesamt so deutlich aufgestockt haben. Wir halten nämlich
Wort, Frau Hänsel. Sie haben gesagt, dass die Ergebnisse
von Heiligendamm mager gewesen seien und dass es
kein Follow-up gegeben habe. Ich bin dafür, dass die
Aufstockung der Mittel ehrlich zur Kenntnis genommen
wird. Wir haben gesagt, dass es für Official Development Assistance 750 Millionen Euro mehr geben wird,
und das setzen wir in diesem Haushalt um.
({4})
Nehmen Sie das doch zur Kenntnis! Das ist mehr - das
sage ich ausdrücklich -, als es in den Jahren zuvor jemals gab, und es ist die höchste Steigerung. Diese ist
aber - das sage ich in Richtung aller Kolleginnen und
Kollegen - in den nächsten Jahren durchaus übertreffbar.
Wir haben ja das Ziel, bis 2010 einen Anteil der Entwicklungshilfe von 0,51 Prozent am Bruttosozialprodukt
zu erreichen.
Zweitens wurden in Heiligendamm 60 Milliarden
Dollar für die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria
und Tuberkolose zugesagt. In Anwesenheit von Kofi
Annan und mit seiner Unterstützung haben wir im September dieses Jahres 10 Milliarden US-Dollar für die
Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose
eingeworben. Wir halten also Wort und setzen das praktisch um, was wir beschlossen haben. Bitte nehmen Sie
das einfach zur Kenntnis!
Jetzt geht es auch darum, dass wir in Bali Wort halten. Sie haben das hier angesprochen, Herr Bonde. Alle
Informationen vom Weltklimarat und von der UN-Entwicklungsorganisation, die gestern ihren Bericht vorgelegt hat, machen deutlich, dass der Klimawandel die Anstrengungen zur Verringerung der Armut dramatisch
beeinträchtigen kann und die menschliche Entwicklung
langfristig und in manchen Bereichen auch kurzfristig
bedroht. Von der Zunahme klimabedingter Katastrophen
von 2000 bis 2004 waren - das macht dieser Bericht
deutlich - über 262 Millionen Menschen betroffen, davon 98 Prozent in den Entwicklungsländern. Sie tragen
also die Hauptlast des Klimawandels. In dem Bericht
wird das so beschrieben: Wenn die Menschen in der sich
entwickelnden Welt pro Kopf im gleichen Maße CO2Emissionen produziert hätten wie die Menschen in Nordamerika, so brauchten wir die Atmosphäre von neun Planeten, um mit den Konsequenzen fertig zu werden.
Die Europäische Union hat heute 500 Millionen Euro
an kostengünstigen Krediten für China zur Verfügung
gestellt. Die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den großen Schwellenländern - Brasilien,
Indien, China - ist von strategischer Bedeutung. Das
wurde auch vonseiten der Weltbank durch Präsident
Zoellick unterstrichen.
({5})
Ich will das noch einmal sehr deutlich machen. Barroso
hat gesagt, das ist auch eine Frage des Überlebens. Ich
sage an die Adresse der FDP: Der Weitblick von
Zoellick und Barroso sollte für Herrn Westerwelle Anlass sein, seine eigene Blindheit in Bezug auf unseren
Etat zu überwinden.
({6})
Die Empfehlungen von Westerwelle und der FDP kämen Deutschland teuer zu stehen. Jede Woche nimmt
China ein Kohlekraftwerk in Betrieb. Die CO2-Emissionen müssen aber gering gehalten werden, in unserem eigenen Interesse. Deutsche Firmen haben da ein riesiges
Know-how und sind auf dem chinesischen Markt wunderbar positioniert.
({7})
Lassen Sie uns also zu einer Win-win-win-Situation beitragen: Wir tun etwas für den Klimaschutz, wir tragen
dazu bei, dass die CO2-Emissionen in China gemindert
werden, und wir tun etwas für deutsche Unternehmen.
Da sind Sie doch auch sonst nicht so pingelig. Seien Sie
doch froh, dass ich endlich auch in diesem Bereich aktiv
Unterstützung leiste!
({8})
Hier wird nichts verschenkt. Manchmal habe ich das
Gefühl, dass das - von manchen, nicht von allen in der
FDP - nur vorgeschoben wird, um davon abzulenken,
dass sich die FDP von dem 0,7-Prozent-Ziel bei der Entwicklungspolitik entfernt hat.
({9})
Deshalb versucht man, die Entwicklungspolitik madig
zu machen.
Zum Haushalt. Herr Bonde, kein Ministerium trägt
stärker zum globalen Klimaschutz bei als mein Haus:
({10})
Auf bilateraler Ebene stellen wir rund 800 Millionen
Euro zur Verfügung. Multilaterale Projekte fördern wir
mit weiteren 100 Millionen Euro. In Afrika unterstützen
wir die Förderung der erneuerbaren Energien - kostengünstig - mit 20 Millionen Euro. Insbesondere in Afrika,
das die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels
zu spüren bekommt, das für den Klimawandel zwar in
keiner Weise verantwortlich ist, aber die Konsequenzen
tragen muss, müssen die erneuerbaren Energien gefördert werden.
Zum Klimagipfel in Bali. Weltbankpräsident
Zoellick und ich werden in Bali präsent sein, um deutlich zu machen, dass die Fragen, die dort erörtert werden, auch mit Entwicklungspolitik zu tun haben. Es darf
doch nicht sein, dass ein Teil der Entwicklungsländer
gute und weitgehende Regelungen verhindert. Deswegen wird die Verknüpfung von Klimaschutz und Entwicklungspolitik einer unserer Schwerpunkte sein. Es ist
klar, dass erstens eine radikale Reduzierung der Emissionen in den Industrieländern notwendig ist. Zweitens
muss der Ausbau einer nachhaltigen EnergieinfrastrukBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
tur in den Entwicklungs- und Schwellenländer unterstützt werden. Drittens ist die Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel
notwendig. Viertens müssen die Entwicklungsländer
beim Schutz von Wäldern unterstützt werden. Man muss
immer wieder daran erinnern, dass die Entwaldung für
einen Anstieg der globalen CO2-Emissionen um rund
20 Prozent verantwortlich ist. Den Wald zu schützen, ist
also ein Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen.
Fünftens wird es um eine innovative globale Finanzarchitektur zur Finanzierung von Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen gehen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine Verbindung von Entwicklungs- und Klimaschutzfragen brauchen. Der Klimawandel ist in der Tat die größte Sicherheitsgefährdung in diesem Jahrhundert. Deshalb sollten
wir unsere Kräfte im Kampf gegen den Klimawandel,
gegen die Armut und den Hunger bündeln. Ich freue
mich, dass ich eine breite Unterstützung in diesem
Hause habe. Ich danke Ihnen sehr dafür.
Danke sehr.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Koppelin,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, ich habe mich sehr gefreut, noch ein Argument zu hören, warum die FDP notwendig ist: um Sie
jung zu halten. Das hat mir sehr gut gefallen. Nachträglich noch einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag!
Nach dieser Rede nehme ich Ihnen ab, dass Sie in den
Bereichen, über die Sie hier gesprochen haben, unglaublich engagiert sind. Das wissen wir, und davor haben wir
Respekt. Ich darf aber darauf hinweisen - das fiel mir
bei Ihrer Rede auf -, dass Sie nur von Entwicklungszusammenarbeit sprechen. Der Einzelplan 23 bezieht sich
aber auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
({0})
Die wirtschaftliche Zusammenarbeit kommt bei Ihnen
jedes Mal zu kurz.
({1})
Der Etatentwurf und die Aufstockungen sind zwar
durchaus zu begrüßen, aber der Etatentwurf hatte eine
Schieflage. Der Kollege Königshaus hat darauf hingewiesen, dass die Schwerpunkte teilweise falsch gesetzt
worden waren. Ich will aber ausdrücklich sagen, dass ich
den Abgeordneten, die in der Koalition für den
Einzelplan 23 zuständig sind, und den Mitgliedern des
Haushaltsausschusses - ich glaube, der Kollege Bonde
war teilweise auch dabei - ausgesprochen dankbar dafür
bin, dass wir es geschafft haben, den Haushaltsplan ein
bisschen zurechtzurücken. Das muss man anerkennen.
Ich denke, das war ein Erfolg.
Ich gebe zu, dass die FDP bei der Weltbank gerne etwas mehr gestrichen hätte. Worum geht es? Es geht gar
nicht um die Weltbank. Es geht auch nicht um die anderen internationalen Organisationen. Frau Ministerin, Sie
haben gesagt, dass Ihr Ministerium die Berichte erhält.
Es geht darum, dass das Parlament, dass der Geldgeber
- das sind wir, nicht die Regierung - besser informiert
wird und von diesen Berichten hört. Sonst hat man den
Eindruck, dass man Millionen und Abermillionen Euro
dorthin gibt und nie eine Resonanz bekommt. Da kann
Ihr Haus noch einiges aufarbeiten, wenn Sie meinen,
dass wir da falsch liegen. Aber nach dem bisherigen Informationsstand hatten wir als Haushaltsausschuss keine
Kenntnisse von diesen Dingen.
({2})
Nun möchte ich Kollegen Bonde direkt ansprechen.
Er sagte, für den Klimaschutz sei zu wenig getan worden. Das mag ja sein. Ich finde aber, dass er eines vergisst. Ich fand - ich stehe dazu -, dass zum Beispiel ein
großes Verkehrsprojekt für Saigon ein Riesenbeitrag
zum Klimaschutz ist. Das ist meine Auffassung dazu.
({3})
- Sie haben es noch gar nicht. Das ist dummes Zeug Entschuldigung, ich nehme das zurück. Das war ein falscher Zuruf: Das Ganze wird ausgeschrieben, und dann
wird man sehen. An der Ausschreibung kann sich
Siemens beteiligen. Warum sollte sich Siemens nicht daran beteiligen? Für das korrupte Verhalten von Obermanagern sollten die Mitarbeiter von Siemens nicht abgestraft werden. Das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit.
({4})
Frau Ministerin, Sie haben die Zusammenarbeit mit
China angesprochen. Warum gilt das, was Sie für China
sagen, nicht auch für andere Länder? Da sind Sie radikal
und sagen: Bei Vietnam kommt das nicht infrage. - Bei
China kommt es infrage. Das müssen Sie uns einmal erklären. Sie können uns Berichterstatter ja gerne einmal
einladen; das gab es noch nicht.
({5})
Ich würde das Angebot annehmen. Dann könnten Sie
uns erklären, warum Sie das so einseitig sehen.
Es gibt etwas, das Sie überhaupt nicht mehr erwähnen. Ich habe das auch in meinem letzten Beitrag gesagt.
Ich bin auf Ihrer Seite, wenn es um die Konzentration
in der Entwicklungshilfe geht. Ich glaube, dass wir uns
in vielen Etats verzetteln. Der eine weiß nicht, was der
andere tut. Ich hoffe, dass es zumindest Abstimmungen
gibt. Alle Ministerien, die mit dem Bereich Entwicklungshilfe zu tun haben, müssen wieder einmal zusam13620
menkommen. Das fehlt mir. Ihr Ansatz, über die Konzentration der Entwicklungshilfe zu sprechen, war
richtig. Aber dann muss das bitte auch so sachlich geschehen, dass keiner von vornherein den Eindruck hat,
dass es das Ziel sei, dass seine Organisation auf jeden
Fall zerschlagen werden soll.
Ich bin dankbar, dass wir da als Haushaltsausschuss
mithilfe des Rechnungshofes geblockt haben. Frau Ministerin, ich will nicht zu sehr in die Tiefe gehen, aber
Sie brauchen nur heute die Zeitungen aufzuschlagen,
dann sehen Sie, in welch schwieriger Situation im Augenblick die KfW ist. Sie haben gedacht, Sie könnten
der GTZ die KfW zuschlagen. Ich bin sehr froh, dass wir
da geblockt haben. Ich weiß nicht, wie die Diskussion
sonst weitergegangen wäre.
Ich gebe offen zu: Ich und die FDP haben einen umfangreichen Wunschkatalog. Ich könnte mir vieles vorstellen. Wir haben einen Antrag gestellt, der mir ein persönliches Anliegen ist - das will ich sagen -: Wie
können wir mit jungen Menschen in den Entwicklungsländern digitale Solidarität - so haben wir das genannt haben, damit sie Zugriff auf Informationsquellen bekommen? Dies steht auf dem Wunschzettel. Da könnte man
noch mehr machen; es ist eine Empfehlung.
Auch Demokratisierung halte ich für dringend geboten. Wir dürfen da nicht nachlassen und müssen unsere
ganze Kraft mit der GTZ und wem auch immer einsetzen. Wie gesagt: Unser Wunschkatalog ist umfangreich.
Vielleicht haben wir einmal Gelegenheit, über all diese
Dinge zu sprechen. Darüber würde ich mich freuen.
Die Schieflage dieses Etats ist geblieben. Vieles ist
verbessert worden, aber die Schieflage ist geblieben.
Frau Ministerin, suchen Sie den Kontakt zum Parlament
und zum Haushaltsausschuss. Vielleicht läuft dann zukünftig das eine oder andere besser. Ich bin - das will ich
ganz offen sagen, auch wenn wir dem Etat nicht zustimmen - den beiden Abgeordneten der Koalition im Haushaltsausschuss dafür dankbar, wie sie mit der Opposition
eingebunden gearbeitet haben. Der Beifall bei den Sozialdemokraten hat gezeigt, dass Sie dieses Ergebnis inzwischen akzeptieren.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ein Blick auf den Einzelplan 23 des Haushaltes für das
Jahr 2008 bedeutet für mich Dreierlei: erstens Dank,
zweitens Freude und drittens Nachdenken. Danken
möchte ich zunächst einmal im Namen der Kollegen aus
der Arbeitsgruppe AWZ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aber auch im Namen aller den Helfern und Mitarbeitern der Durchführungsorganisationen, den NGOs
und der Bundeswehr, allen, die für uns vor Ort in vielen
Ländern der Welt ihre Arbeit verrichten. Ich denke, ihnen gehört unser aller Dank.
({0})
Entwicklungspolitik umfasst einen Bogen von weltweiter Solidarität mit den Ärmsten der Welt bis hin zu
gerechtfertigtem Eigeninteresse. Der indische Wirtschaftswissenschaftler Coimbatore Prahalad sagte
hierzu:
Wer in den ärmsten Teil der Weltbevölkerung investiert und dabei Rendite erzielt, hilft nicht nur
sich, sondern auch den Armen.
({1})
Zweitens. Freude empfinde ich, weil der Haushalt des
BMZ von allen Ressorts den größten Zuwachs zu verzeichnen hat. Das ist gut so; denn der Entwicklungspolitik kommt eine wachsende Bedeutung zu. Entwicklungspolitik ist Teil der Außenpolitik und der Verteidigungsund Sicherheitspolitik. Sie ist Innenpolitik und Friedenspolitik. Diese wachsende Bedeutung wird anerkannt und
verdeutlicht. Sie spiegelt sich in diesem Haushalt wider.
Freude empfinde ich auch darüber, dass die Erhöhung
der Mittel für meine Begriffe und nach Auffassung der
Mitglieder der Arbeitsgruppe AWZ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an einigen richtigen und wichtigen Positionen vorgenommen wurde, unter anderem bei Kirchen
und Stiftungen. Das sind zwei ausgesprochen wichtige
Akteure der deutschen EZ. Freude empfinde ich als zuständige Berichterstatterin auch über den Mittelaufwuchs beim Global Fund und beim UNFPA.
Mein dritter Punkt heißt: Nachdenken. Wenn ein
Haushalt vorliegt, fordert das geradezu zum Nachdenken
heraus: zum Nachdenken über Strukturen, über Prioritäten, über regionale und sektorale Schwerpunkte und über
einen sinnvollen, effizienten und kohärenten Einsatz der
Mittel.
Es ist prima, dass die Gebergemeinschaft dem Global
Fund jetzt so viel Geld für den Kampf gegen HIV/Aids,
Tuberkulose und Malaria zur Verfügung gestellt hat.
Man muss sich allerdings genau überlegen, welche Verwendung die enormen zusätzlichen Mittel finden. Ich
hoffe, dass die Vergabekriterien nicht aufgeweicht werden, um einen schnelleren Mittelabfluss zu ermöglichen.
Das wäre fatal, handelt es sich hierbei doch um eine
Quasi-Budgetfinanzierung. Meines Wissens hat das
Board des GFATM aber jüngst beschlossen, mehr Mittel
für Aufklärung und Verhütung, für Genderprojekte, für
die sexuelle und reproduktive Gesundheit und für die Familienplanung zur Verfügung zu stellen. Dies begrüße
ich ausdrücklich. Das ist der richtige Weg.
Ich bin sehr froh, dass die Große Koalition die Mittel
für den UN-Bevölkerungsfonds erhöht hat. Gerade im
Bereich der Frauengesundheit leistet der UNFPA segensreiche Arbeit - ein sichtbares Zeichen, dass die
Stärkung der Frauen ein wichtiger Bereich unserer Entwicklungspolitik ist.
({2})
Nachdenken sollten wir auch über Folgendes:
Deutschland gibt viel Geld für multilaterale Organisationen aus, vor allem für die Bekämpfung von HIV/Aids.
Deshalb stellt sich für mich die Frage, ob wir beim
Thema „Gesundheit in den Entwicklungsländern“ in unserer bilateralen Zusammenarbeit einen anderen bzw. einen weiteren Schwerpunkt setzen sollten. Ich meine damit die sogenannten vernachlässigten Krankheiten wie
Lepra, die Schlafkrankheit, die Flussblindheit und das
Dengue-Fieber.
70 Prozent der weltweit 600 Millionen behinderten
Menschen leben in den Entwicklungsländern. Die wirtschaftlichen Folgen von Krankheiten und Epidemien
spielen dort eine große Rolle. Die Armutsbekämpfung
ist für das Erreichen der MDGs wichtig. Der Erfolg oder
Misserfolg der Entwicklungszusammenarbeit wird am
Erreichen der MDGs gemessen. Dem Thema Gesundheit
kommt dabei eine sehr große Bedeutung zu; schließlich
beziehen sich drei der sechs Ziele auf dieses Thema.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Aufwuchs im
Haushalt des BMZ ist sehr erfreulich, bedeutet aber eine
noch größere Verantwortung. Wir müssen daran arbeiten, in unserer bilateralen Zusammenarbeit noch mehr
Effizienz und Kohärenz zu erreichen. Dies erfordert
mehr Sorgfalt bei der Mittelverwendung und klarere
Schwerpunktsetzungen.
({3})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Hüseyin Aydin,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Etat
des Entwicklungshilfeministeriums soll im Jahre 2008
um über 14 Prozent steigen. Das ist kein Grund zum Jubeln.
({0})
Das ist überfällig.
({1})
Denn der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttoinlandsprodukt liegt real bei 0,27 Prozent.
({2})
In Schweden liegt er bei über 1 Prozent. Deshalb muss
die schwedische Regierung diesen Wert im Gegensatz
zur Bundesregierung, die die eigene Entwicklungshilfebilanz um über ein Drittel aufbläht, nicht schönreden.
In der Frankfurter Rundschau war zu Recht von einem großen Bluff die Rede. So werden hierzulande
längst abgeschriebene Altschulden des Saddam-Regimes
verbucht, ohne dass damit heute ein einziger zusätzlicher
Euro im irakischen Haushalt zur Verfügung stünde.
Noch absurder: Wenn sich ein in Deutschland lebender Tunesier an der Ruhr-Universität Bochum
einschreibt, dann erscheint auch das in der Bilanz der
Bundesregierung als erfolgreiche deutsche Entwicklungshilfe. Wir sprechen hier nicht von Peanuts. Insgesamt werden 750 Millionen Euro als sogenannte Studienplatzkosten verbucht. Nur eine Minderheit unter den
Geberländern der OECD macht von diesem Trick Gebrauch. Länder wie Großbritannien oder Schweden verzichten ganz darauf. Die deutsche Regierung aber ist in
diesem Zusammenhang Spitze. Liebe Ministerin, ist eine
solche Rechenführung Ausdruck einer guten Regierungsführung, wie wir sie von afrikanischen oder anderen Ländern verlangen?
({3})
Die Linke sagt: Entwicklungspolitik muss mehr als
eine PR-Veranstaltung und auch mehr als Wirtschaftspolitik sein, Herr Koppelin. Sie muss sich daran messen
lassen, ob sie zur Erreichung der Millenniumsziele in
den armen Ländern beiträgt. Entgegen allen Beteuerungen kommen wir gerade in diesem Bereich nur sehr ungleichmäßig voran. Wir werden im Jahre 2015 feststellen: Wir haben die Ziele nicht erreicht.
Ich nenne einige Zahlen für den Haushaltsplan 2008:
Die Aufstockung des multilateralen globalen Fonds zur
Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria wurde
bereits erwähnt. Sie wird von uns voll unterstützt. Frau
Ministerin, Sie können sich sicher sein, dass die Linke
Sie bei der Erreichung der Ziele und auch bei der Umsetzung tatkräftig unterstützt.
Die Zusagen für Gesundheit innerhalb der bilateralen
Zusammenarbeit sinken von 108 Millionen auf 65 Millionen Euro. Grundbildungsvorhaben stagnieren. Selbst
bei großzügiger Berechnung kommen wir auf lediglich
120 Millionen Euro. Mittelzusagen bei Wasser und Umwelt sinken. Der Zusagerahmen für Wirtschaftsreform
und Marktwirtschaft - Herr Koppelin, in Ihrem Sinne hingegen verdoppelt sich auf 423 Millionen Euro. Mit
der Förderung von nachhaltiger Entwicklung hat das aus
unserer Sicht nichts zu tun.
({4})
Diese Zahlen belegen vor allem eines: die tiefgreifende
Inkohärenz der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Dies zeigt sich auch im eigenen Hause. Ich spreche von
der lange diskutierten Reform der Institutionen. Ja, wir
brauchen eine gemeinsame eigenständige Entwicklungsagentur aus GTZ und KfW-Entwicklungsbank. Dahinter
stehen sowohl die Fraktionen von SPD und Grünen als
auch die Linke. Das können Sie sofort anpacken und umsetzen. Es passiert aber nichts. Das Bundesministerium ist
nach dem Eingeständnis seines Staatssekretärs zu
schwach, um sich gegen die Verselbstständigung der
Durchführungsapparate zu behaupten. Das ist aus meiner
Sicht ein ganz erbärmliches Schauspiel.
Die Linke hat in den Haushaltsberatungen das Ersuchen nach mehr Mitarbeitern im Entwicklungshilfeministerium unterstützt. Ich hoffe, dass wir damit die Position der politischen Führung im Ministerium gegenüber
den Bankern in den Durchführungsorganisationen entscheidend stärken.
({5})
Lassen Sie mich noch eines hinzufügen. Das deutsche
Entwicklungshilfeministerium hat kein Monopol auf die
Beschönigung harter Interessenpolitik. Die EU-Kommission ist noch schlimmer. Im Vorfeld des EU-AfrikaGipfels in Lissabon redet sie von Partnerschaft. Tatsächlich ist es jedoch reine Erpressung, wenn die EU-Kommissare Mandelson und Michel die Unterzeichnung neoliberaler Marktöffnungsabkommen mit der angedrohten
Kürzung von Entwicklungshilfegeldern erzwingen wollen.
Im gemeinsamen Strategiepapier mit der Afrikanischen Union lesen wir viel von der Förderung der Investitionsbedingungen in Afrika.
Herr Kollege.
Doch die überfällige Ratifizierung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation bleibt
ein Nichtthema.
Herr Kollege.
Ich komme zum Schluss.
Ich bitte darum.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte im Zusammenhang mit dem EU-Afrika-Gipfel auf einen letzten Punkt
hinweisen.
Nein, Herr Kollege.
Heute wird über Nuklearabkommen und über Kernenergie in Afrika diskutiert. In Afrika braucht man keine
Atomenergie. Dort hat man genug Sonne. Lassen Sie uns
die alternativen Energien in Afrika fördern, aber nicht
die Kernenergie!
({0})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Sascha Raabe,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man die Redebeiträge der Opposition gehört hat - auch den meines in der Sacharbeit im Ausschuss durchaus geschätzten Kollegen Herrn Aydin -,
muss man in der Tat sagen: Sie haben recht, Herr Aydin,
für Sie, für die Opposition, ist der Haushalt kein Grund
zum Jubeln. Denn schon in den letzten beiden Jahren hatten wir eine Steigerung von mehr als 300 Millionen Euro,
von über 8 Prozent. In diesem Jahr haben wir sogar eine
Steigerung von 14 Prozent: 750 Millionen Euro mehr gibt
es. Es ist richtig: Sie können da nicht jubeln. Aber wir
können jubeln, und die Menschen in den Entwicklungsländern können sich freuen, dass es uns gelungen ist, so
einen Aufwuchs im Haushalt zu bekommen. Das sollte
uns alle stolz machen, und das können Sie von der Opposition nicht schlechtreden.
({0})
In diesem Sinne sind auch Ihre Zahlenspielereien zu
verstehen. In den letzten Jahren haben Sie kritisiert, die
Entschuldung von Entwicklungsländern sollte nicht auf
die ODA-Quote anrechenbar sein. Dennoch hat das vielen Kindern in Afrika geholfen, zur Schule zu gehen.
Jetzt nörgeln Sie, dass die Kosten für Studienplätze angerechnet werden. Es gibt aber sehr viele Menschen aus
Entwicklungsländern, die froh sind, dass sie bei uns die
Chance haben, eine Ausbildung zu bekommen, und die
zum Teil wieder zurück in ihr Heimatland gehen und
dort dafür sorgen, dass eine nachhaltige Entwicklung
möglich ist. Ich finde, man darf nicht das eine gegen das
andere ausspielen. Alle Instrumente, die wir anwenden,
sind sinnvoll. Die Mittel, die wir jetzt haben, werden
auch in Zukunft sehr helfen.
Natürlich ist es so, dass die 9 Milliarden Euro im
kommenden Haushalt, die insgesamt als öffentliche Entwicklungszusammenarbeit anrechenbar sein werden,
eine Menge Geld sind. Wir brauchen und wollen ja noch
mehr, nämlich das Doppelte bis 2015. Da ist zu Recht
die Frage zu stellen, wie man das als Entwicklungspolitiker vor den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern rechtfertigt.
Unser Fraktionsvorsitzender, Peter Struck, hat heute
Morgen gesagt, er wäre gerne einmal Astronaut, um sich
den Blauen Planeten von oben anschauen zu können.
Dann würde er sich fragen: Was machen wir eigentlich
mit unserer Erde und mit den Menschen, die auf ihr leben? Warum zerstören wir die Umwelt, warum müssen
durch Kriege Menschen leiden, sterben? Warum leben so
viele Menschen in Hunger und Armut?
({1})
Ich glaube, man muss gar nicht ins Weltall fliegen; es
reichen ein paar Flugstunden zu unserem Nachbarkontinent Afrika. Da sieht man wirklich eine andere Welt. Ich
war, wie viele Kolleginnen und Kollegen in unserem
Ausschuss, in diesem Jahr in Afrika, unter anderem in
Kenia, Mosambik und Malawi. Es ist in der Tat gut,
Deutschland einmal zu verlassen und einen Blick auf die
Welt außerhalb zu werfen. Ganz Afrika mit seiner rund
1 Milliarde Menschen steht nicht mehr Einkommen zur
Verfügung als den etwa 20 Millionen Einwohnern von
Bayern und Niedersachsen.
Wenn wir in Deutschland über Probleme reden - sie
sind tatsächlich da -, zum Beispiel sagen, es sei ein Problem für uns, dass wir eine älter werdende Gesellschaft
haben, die Rente mit 67 sei ein Problem, und es sei
schlimm, dass unsere Kinder eine Lebenserwartung von
95 bis 100 Jahren haben, dann will ich dem entgegnen:
Man muss einmal mit den Menschen in Malawi sprechen, wo die Lebenserwartung bei durchschnittlich
39 Jahren liegt. Man erfährt dort Armut und Elend; aber
man erfährt auch Hoffnung. Woher kommt diese Hoffnung? Sie kommt aus dem Stolz, dass es in vielen Ländern gelingt, dass die Menschen sich selbst helfen, dass
es - das wird oft vergessen, wenn wir nach Afrika blicken - in vielen Ländern positive Entwicklungen gibt.
Diese Menschen sagen: Wir wollen etwas verändern, wir
wollen die Ärmel hochkrempeln.
Es gibt viele gute Entwicklungszusammenarbeitsprojekte von der GTZ, von der KfW, von unseren Durchführungsorganisationen, aber auch von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Ich glaube, alle, die wir im
Ausschuss sind - egal welcher Partei wir angehören -,
haben viele beeindruckende Beispiele erlebt, dass Menschen als Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer ins Ausland gegangen sind, unter schwierigen Bedingungen arbeiten und die Menschen dort aus Hunger
und Elend befreien können, ihnen eine Chance geben.
Wenn man in die hoffnungsvollen Gesichter dieser Menschen blickt, sieht man, wie sie trotz ihres Elends und ihrer Armut dankbar und froh sind über die Hilfe, die ihnen gegeben wird. Deshalb sollte das nicht
schlechtgeredet werden.
({2})
In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung habe
ich neulich einen Artikel über Rupert Neudeck, der
durchaus seine Verdienste hat, gelesen. Auch Verdienste
in der Vergangenheit rechtfertigen aber nicht einen solchen Schwachsinn, den er da gesagt hat, nach dem
Motto: Was haben 40 Jahre staatliche Entwicklungszusammenarbeit denn überhaupt gebracht?
({3})
Man muss sagen: Die Mittel, die wir als Politiker im
Haushalt zur Verfügung stellen, dienen einem guten
Zweck. Sie haben eine Wirkung vor Ort. Ich glaube, wir
müssen deshalb auch bis zum Jahre 2015 weiter dafür
werben, mehr Mittel zu bekommen, damit wir noch
mehr Menschen helfen können.
({4})
Auch im Wirtschaftsbereich müssen wir natürlich
etwas tun; denn es ist klar, dass Menschen nicht allein
mit Geld aus Hunger und Armut befreit werden. Das gilt
sowohl für die WTO als auch für die Verhandlungen der
Europäischen Union mit den karibischen, afrikanischen
und pazifischen Staaten.
Horst Köhler hat neulich in seiner Berliner Rede gesagt - ich zitiere -:
Zum Beispiel subventionieren die Industriestaaten
allein ihren Agrarbereich mit fast einer Milliarde
US-Dollar pro Tag. Den afrikanischen Staaten
geben sie eine Milliarde Dollar Agrarhilfen - pro
Jahr. … Auch Europa errichtet Handelsbarrieren
gegen die Entwicklungsländer, überschwemmt
sie … mit Lebensmitteln zu Dumpingpreisen und
zerstört damit dort die Erwerbs- und Lebensgrundlagen der bäuerlichen Gesellschaften.
Deshalb bin ich froh, dass wir eine Ministerin haben,
die, seit sie das Ressort übernommen hat, nicht nur die
wichtigen Projekte der Entwicklungszusammenarbeit
weiter in den Vordergrund stellt und betreibt, sondern
auch die globale Strukturpolitik ganz stark nach vorne
rückt und sich mit vollem Einsatz im Kabinett kohärent
dafür einsetzt, dass Deutschland in Europa im Rahmen
der Handelspolitik eine andere Rolle spielt. Wenn unsere
europäischen Partnerländer es zuließen, würden wir
gerne mehr machen. Ich nenne hier einmal die Franzosen und andere agrarlobbyistische Staaten.
Wir als Entwicklungspolitiker werden bei den Verhandlungen mit den afrikanisch-karibisch-pazifischen
Staaten federführend dafür sorgen, ein Wirtschaftsabkommen auf Augenhöhe und ein partnerschaftlich faires
Abkommen abzuschließen.
Herr Kollege.
Ich glaube, dass wir dort auf einem guten Weg sind,
wenn wir mit diesen Haushaltsmitteln weiterhin gute
Projekte direkt unterstützen, aber auch für eine Weltwirtschaft sorgen, in der sich die Menschen selbst fair am
Handel und an der Wirtschaft beteiligen können. Deshalb bitte ich um Unterstützung für diesen Haushalt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich gebe dem Kollegen Thilo Hoppe, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zum Allgemeinen und Grundsätzlichen habe ich in der
ersten Lesung schon einiges gesagt. Deshalb kann ich es
mir jetzt in der Kürze der Zeit erlauben, nur einige Konflikte und Herausforderungen anzureißen, die in der Debatte bisher zu kurz gekommen sind.
Erstens: Klimaschutz. Die Ministerin hat die Herausforderungen schon treffend dargestellt. Wir stehen kurz
vor der Klimakonferenz von Bali. Ein ganz wichtiger
Bereich ist der Schutz der Tropenwälder. Ich weiß,
dass das auch dem Kollegen Ruck sehr am Herzen liegt.
Um Ihrer Frage zuvorzukommen: Mit dem, was unter
Rot-Grün dort erreicht wurde, bin ich nicht zufrieden.
Da muss noch kräftig draufgesattelt werden.
Sir Nicholas Stern hat es ausgerechnet und beziffert:
Wir brauchen 15 Milliarden Dollar pro Jahr für einen effektiven Tropenwaldschutz. Das macht deutlich, wie riesig die Herausforderung ist. 20 Prozent der CO2-Emmissionen resultieren allein aus der Zerstörung der
tropischen Regenwälder. Deshalb ist es absolut notwendig, dort sehr viel mehr zu tun. Wir haben das in mehrere
Anträge für einen Klimaschutzhaushalt hineingeschrieben. Wir sehen, dass es ermutigende Ansätze gibt, aber
das reicht bei weitem nicht aus.
({0})
Notwendig sind auch Pilotprojekte, damit die finanzielle Kompensierung und Honorierung von vermiedener Entwaldung weiterentwickelt werden kann. Dort
steckt der Teufel im Detail, und es ist sehr schwierig, die
richtigen Instrumente zu finden, mit denen keine falschen Anreize geschaffen werden. Die Einbeziehung des
Tropenwaldschutzes in ein Kioto-II-Abkommen und in
den Clean-Development-Mechanism ist notwendig. Hier
muss es viel mehr Rückenwind geben.
Zweitens. Der Bereich Bio- oder Agrartreibstoffe
hängt damit zusammen. Heike Hänsel hat deutlich auf
die negativen Erscheinungen in Indonesien hingewiesen.
Sie sind wirklich himmelschreiend und müssen gestoppt
werden. Daraus kann aber nicht gefolgert werden - für
Indonesien natürlich schon -, die Entwicklung jetzt einfach anzuhalten. Durch ein Moratorium für fünf Jahre
wird das Ganze nicht aufgehalten.
Es ist notwendig, sich jetzt ganz schnell einzuklinken,
mit Hochdruck den Ausbau der Biotreibstoffe mit ökologischen und sozialen Leitplanken zu versehen und ein
Zertifizierungssystem hochzuziehen, das nicht nur die
einzelnen Plantagen im Blick hat, sondern auch die Verdrängungsmechanismen.
({1})
Deshalb bin ich sehr froh, dass es nach langer Zeit erstmals wieder gelungen ist, für den 23. Januar 2008 eine
gemeinsame Anhörung von drei Ausschüssen - Agrarausschuss, Umweltausschuss und Entwicklungsausschuss - anzusetzen, auf der genau dieses Thema beleuchtet werden soll. Hier wird es um die Fragen gehen,
wie die Biotreibstoffe so ausgebaut werden können, dass
es nicht zulasten der Hungernden und zulasten des Klimas geht, wie Klimaschutzeffekte genutzt werden können und welche Leitplanken eingezogen werden müssen.
Zum Schluss - die Zeit läuft ab - möchte ich den
Konflikt ansprechen, der hier immer zwischen den Zeilen zum Ausdruck kam. Herr Kollege Koppelin hat
mehrfach eingefordert, dass die Ministerin mehr auf das
Parlament hören und das Parlament ernster nehmen soll.
({2})
- Ja, natürlich. - Zum Parlament gehört aber nicht nur
der Haushaltsausschuss, sondern natürlich auch der entsprechende Fachausschuss.
({3})
In vielen Konfliktpunkten kommen unsere Ausschüsse
zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Auch das muss
hier einmal diskutiert werden und sollte auch in allen
Fraktionen offener diskutiert werden.
({4})
Ich nenne einige Konfliktpunkte:
Erstens. Zum Thema Budgetfinanzierung haben wir
eine große Anhörung durchgeführt, die nicht zu dem Ergebnis kam, dass dies alles schlecht ist und die Mittel dafür gesperrt werden sollten.
Zweitens. Auch beim Thema multilaterale und bilaterale Entwicklungszusammenarbeit sind wir zu einer
anderen Bewertung gekommen und können die Verteidigung der anachronistischen Zweidrittel-/Eindrittelregelung nicht verstehen.
Drittens. Ich bin der FDP dankbar, dass sie eine Anhörung ansetzen möchte, die sich mit der Frage befasst,
wann Außenwirtschaftsförderung sinnvoll und legitim
ist und wann sie Missbrauch von Steuergeldern darstellt,
etwa wenn ein einzelnes Unternehmen den Zuschlag bekommt.
({5})
Wenn Sie das genannte Projekt von Siemens als Klimaschutzmaßnahme verkaufen wollen, muss auf Folgendes
hingewiesen werden: Es wird so oder so realisiert; wenn
nicht von Siemens, dann von einem anderen Konsortium.
({6})
Das Vorhaben, Steuermittel dafür aufzuwenden, damit
ein deutsches Unternehmen den Zuschlag bekommt, hat
ein Vertreter von Transparency International schon einmal vorsichtig als Staatskorruption bezeichnet. Ich denke
also, dass eine Diskussion zwischen Außenwirtschaftsförderern und Entwicklungspolitikern dringend notwendig ist.
Das Ganze wird auch nicht dadurch besser, dass jetzt
ein Neben-Entwicklungsminister, nämlich Herr Glos,
({7})
Projekte der finanziellen Zusammenarbeit am BMZ vorbei realisiert. Da möchten wir noch ganz große Fragezeichen setzen.
({8})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Jochen Borchert, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich denke, viel deutlicher als in diesem Haushalt hätte das Bekenntnis Deutschlands zu seiner Verantwortung für die Bekämpfung der weltweiten Armut und
für die Entwicklungszusammenarbeit nicht ausfallen
können. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben bewiesen, dass die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ziele weiter im Mittelpunkt ihrer Arbeit
stehen.
Die Mittel für den Einzelplan 23 sind überproportional gestiegen. Noch nie wurde Entwicklungszusammenarbeit so intensiv diskutiert und gefördert. Die Bundeskanzlerin nutzt ihren außenpolitischen Einfluss immer
wieder, um sehr nachdrücklich sowohl entwicklungspolitische als auch menschenrechtspolitische Akzente zu
setzen.
({0})
Die Ministerin verfügt heute über einen Etat, der knapp
1,3 Milliarden Euro über dem letzten der alten Bundesregierung aus dem Jahr 2005 liegt. Das ist ein Anstieg
von gut 33 Prozent in drei Jahren. Ich halte das für ein
positives Signal. Unkenrufe sind da völlig fehl am Platz.
Sehr geehrte Frau Ministerin, herzlichen Glückwunsch
zu diesem Etat!
({1})
Mehr als 14 Prozent Steigerung im Haushalt 2008,
eine dreieinhalb Mal höhere Wachstumsrate im Vergleich zum Gesamthaushalt, das ist - ich wiederhole
mich gern - ein überaus positives Signal. Damit macht
Deutschland unmissverständlich klar, dass die Betonung
der Entwicklungspolitik kein Lippenbekenntnis ist. Gut
700 Millionen Euro Aufwuchs - das ist alles andere als
ein Lippenbekenntnis. Das ist ein Bekenntnis zu unserer
Verantwortung.
Für den Erfolg von Entwicklungszusammenarbeit ist
ganz entscheidend, dass Sie die Zivilgesellschaft mit
einbinden und sie - auch finanziell - an dem positiven
Trend beteiligen; denn eine gute Öffentlichkeitsarbeit,
die Präsenz dieses Themas in der Gesellschaft ist, wie ich
denke, dem Engagement der zivilgesellschaftlichen Initiativen geschuldet. Deshalb haben wir bei den diesjährigen Haushaltsberatungen wieder zugunsten zivilgesellschaftlicher Organisationen umgeschichtet, allerdings in
Maßen. Denn auch hier muss gelten: Qualität geht vor
Quantität. Die Mittel müssen sinnvoll eingesetzt werden.
Die Planung braucht einen gewissen Vorlauf. Ein plötzlicher Geldregen wäre nicht hilfreich.
Wenn man sich den Regierungsentwurf des Einzelplans ansieht, fällt einem deutlich auf: Die Erhöhung
von gut 700 Millionen Euro kommt hauptsächlich vier
Titeln zugute.
Erstens profitieren die Vereinten Nationen davon. Bei
den Mitteln für den GFATM gibt es eine Erhöhung um
113 Millionen Euro auf nunmehr 200 Millionen Euro.
Das ist eine Steigerung um 125 Prozent. Dies zeigt, dass
wir unsere Zusagen von Heiligendamm ernst nehmen.
Ich bin der Ansicht, dass wir unserer Verantwortung bei
der Bekämpfung der drei schlimmsten Immunkrankheiten - Aids, Tuberkulose und Malaria - damit sehr deutlich gerecht werden. Das wird auch zukünftig so sein.
Wir müssen aber genau hinsehen, wie diese Mittel in den
Ländern eingesetzt werden und ob der Einsatz wirklich
überall zweckentsprechend und effizient ist.
({2})
Denn ein solcher Aufwuchs ist auch für eine Organisation wie den GFATM nicht leicht zu schultern. Hierauf
werden wir unser Augenmerk richten müssen.
Zweitens. Ein weiterer Schwerpunkt liegt bei der
Weltbank. Sie ist ein weiterer multilateraler Geber, der
von der Erhöhung profitiert. Hier handelt es sich um
planmäßige Abrufe unserer Verpflichtungen aus früheren Jahren. Auch hier spiegelt sich das deutsche Engagement in der Entschuldungsinitiative wider.
Neben dem Europäischen Entwicklungsfonds profitiert dann auch noch die Finanzielle Zusammenarbeit
mit einem Plus von knapp 300 Millionen Euro. Das ist
ein Aufwuchs von gut 26 Prozent. Dies ist ein wichtiges
Signal, ein wichtiges Instrument zur Erreichung unserer
entwicklungspolitischen Ziele. Hier können wir mit bilateralen Mitteln ganz gezielt und mit großem Hebel deutsche Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit
setzen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Koczy?
Aber gern.
Bitte, Frau Koczy.
Danke sehr. - Herr Kollege Borchert, Sie sprachen
von einer Erhöhung der Mittel für die Weltbank und dem
Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung. Nun wissen wir, dass der ursprüngliche Entwurf
der Regierung mehr Mittel vorsah und der Ansatz für die
Weltbank von den Haushältern der Koalitionsfraktionen
um 100 Millionen Euro gekürzt wurde. Wie rechtfertigen Sie das vor dem Hintergrund der sechs Herausforderungen, die global bewältigt werden müssen, von denen
Robert Zoellick, der neue Weltbankpräsident, gesprochen hat? Er ist ja sogar, weil er wohl schon etwas ahnte,
hierhin gereist, um über dieses Thema zu diskutieren.
Warum haben Sie sich trotz seiner guten Argumente entschieden, die Mittel zu kürzen?
Frau Kollegin, ich habe eben von den Barmittelansätzen gesprochen. Diese haben wir nicht verringert. Vielmehr gibt es hier einen deutlichen Aufwuchs zugunsten
der Weltbank. Ich denke, dies darf man dann hier auch
ausführlich erwähnen. Das, was Sie ansprechen, sind
Veränderungen bei Verpflichtungsermächtigungen, auf
die ich gleich im Detail eingehen werde. Ich denke, auch
hier haben wir im Haushaltsausschuss eine verantwortungsvolle Entscheidung getroffen.
({0})
Wichtig ist der verantwortungsbewusste Umgang mit
Steuergeldern. Der Bundesrechnungshof prüft bei der
Budgetfinanzierung - genauso wie in anderen Bereichen -,
ob Steuergelder sparsam und effizient eingesetzt werden.
Herr Kollege Hoppe, Sie haben erklärt, dass in der Anhörung des Fachausschusses zur Budgetfinanzierung
festgestellt worden sei, dass nicht alles schlecht sei. Das
haben wir nicht erklärt. Wir haben im Haushaltsausschuss auch nicht gesagt, dass hier gespart werden soll.
Wir haben lediglich darauf hingewiesen, dass wir die
Prüfung des Bundesrechnungshofes im Bereich der
Budgetfinanzierung unterstützen.
({1})
Denn wir tragen gegenüber dem Bürger die Verantwortung dafür, dass die Mittel effizient eingesetzt werden.
Deswegen haben wir einen Teil der Mittel für finanzielle
und technische Zusammenarbeit bis zur Vorlage des Berichtes des Bundesrechnungshofes zur Budgetfinanzierung gesperrt.
Damit die Dimensionen deutlich werden: Bei der finanziellen Zusammenarbeit sind von 1,4 Milliarden Euro
40 Millionen Euro gesperrt - das sind weniger als 3 Prozent -, und bei der technischen Zusammenarbeit sind
von 730 Millionen Euro 6,5 Millionen Euro gesperrt das ist weniger als 1 Prozent.
({2})
Wenn dann erklärt wird, die 2007 mit Afghanistan
geschlossenen Regierungsverträge könnten nicht erfüllt werden, so ist zu sagen, dass die Zusagen von 2007
von dieser Sperre nicht betroffen sind. Ich sehe auch für
die Verhandlungen 2008 keine konkrete Gefahr. Die Regierungskonsultationen werden erst Anfang des Jahres
2008 beginnen. Sollte es wider Erwarten vor der generellen Aufhebung der Sperre, das heißt vor Februar oder
März - wir werden über die Aufhebung ja im Frühjahr
beraten -, zu einem Abschluss der Regierungsverhandlungen kommen, so wird der Antrag auf Entsperrung der
Mittel im Haushaltsausschuss sicher eine genauso große
Mehrheit finden wie die Zustimmung zur zivilen Hilfe
für Afghanistan hier im Parlament.
Aber wir werden Risiken und Chancen und die Rahmenbedingungen der Budgethilfe weiter diskutieren
müssen. Ich denke, neben dem effizienten Einsatz der
Mittel müssen die Vorteile der Budgethilfe schon erheblich sein, wenn wir auf die sonst mögliche Hebelwirkung
bei der finanziellen Zusammenarbeit verzichten wollen.
({3})
Wir haben noch an einer anderen Stelle gesperrt, nämlich bei den freiwilligen Beiträgen an internationale Organisationen.
({4})
Diese Sperrungen werden aber in Kürze aufgehoben
werden können, und zwar für den Einzelplan 05 und den
Einzelplan 23, nämlich dann, wenn sich die Häuser mit
dem Bundesrechnungshof über die Art der Evaluierung
geeinigt haben.
Frau Kollegin, Sie haben darauf hingewiesen, dass
zurzeit Verhandlungen über die Wiederauffüllung bei der
Weltbank laufen. Wir haben die VE von 1,9 Milliarden
um 100 Millionen Euro abgesenkt und diesen Betrag auf
die technische und finanzielle Zusammenarbeit verteilt.
({5})
Man muss sehen, dass zu Beginn der Verhandlungen drei
Szenarien diskutiert wurden, nämlich eine Aufstockung
von IDA 15 im Vergleich zu IDA 14 um 10,4 Prozent,
20 Prozent oder 30 Prozent. Im März hatte man sich in
Paris auf eine Aufstockung um 20 Prozent verständigt.
Dafür reichen die Verpflichtungsermächtigungen bei vergleichbaren Rahmenbedingungen aus, die jetzt im Haushalt stehen. Wir werden jetzt abwarten müssen, zu welchen Ergebnissen die Verhandlungen Anfang Dezember
führen.
Die Verhandlungen erfolgen unter Parlamentsvorbehalt.
({6})
Das ist nicht nur in Deutschland so. Wir wollen die
wichtige Arbeit der Weltbank weiter unterstützen, und
dazu gehört natürlich ein ausreichender finanzieller Beitrag. Den werden wir auch leisten. Grundlage unserer
Entwicklungspolitik ist aber die Kombination von bilateraler und multilateraler Zusammenarbeit. Beide Bereiche leisten ihren spezifischen Beitrag zur Erreichung der
Millenniumsziele.
({7})
Ich begrüße, dass die Weltbank in ihrem Weltentwicklungsbericht jetzt das Thema ländliche Entwicklung
wieder stärker betont und in den Mittelpunkt rückt. Auch
wenn sich hier schon die ersten Kritiker zu Wort gemeldet haben, so herrscht Einigkeit darüber, dass ländliche
Entwicklung ein Schlüsselfaktor für die nachhaltige Bekämpfung von Armut, Krankheit und Hunger ist. Deswegen begrüße ich den Trend, der in diesem Bericht
deutlich wird. Wir haben gerade in diesem Bereich einen
großen Hebel zur Bekämpfung des Hungers.
({8})
Ich begrüße den neuen Freiwilligendienst des BMZ,
der im Haushalt mit 25 Millionen Euro finanziert wird.
Wenn wir es jungen Menschen erleichtern, Erfahrungen
in der Entwicklungszusammenarbeit zu machen, dann
werden diese jungen Menschen, die zwischen sechs und
24 Monate als Entwicklungshelfer gearbeitet haben,
wenn wir es richtig anstellen, die besten Botschafter für
die Entwicklungszusammenarbeit sein. Dies ist eine gute
Chance, die Akzeptanz und die Unterstützung in der Bevölkerung hierfür zu erhöhen.
({9})
Ich will abschließend auf einen weiteren Beschluss
im Haushaltsausschuss aufmerksam machen. Von vielen
Seiten haben wir immer wieder gehört, dass der Außenauftritt des BMZ einheitlicher gestaltet werden müsse
und dass selbst die staatliche EZ nicht mit einem einheitlichen Logo auftritt.
({10})
Zuletzt kam dieser Ruf aus dem BMZ selbst. Demnach
lag nichts näher, als genau dies durch einen parlamentarischen Beschluss sicherzustellen. Deswegen haben wir
beschlossen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, in der
staatlichen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit ausschließlich mit einem einheitlichen Logo
nach außen aufzutreten, damit Projekte und Programme deutlich als Projekte/Programme Deutschlands gekennzeichnet werden. Die Durchführungsorganisationen sind als solche kenntlich zu machen.
Sehr geehrte Frau Ministerin, ich bedanke mich bei
Ihnen und Ihrem Haus für die intensive Zusammenarbeit, für die offene, gelegentlich auch kontroverse Debatte. Ich möchte mich bei meiner Kollegin Iris
Hoffmann sehr herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken und danke allen übrigen Berichterstattern für die
konstruktive Zusammenarbeit im Kreis der Berichterstatter.
Ich darf Sie alle herzlich bitten, dem Einzelplan 23 in
der vom Ausschuss beschlossenen Form zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in der Ausschussfassung.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 23 ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 29. November
2007, 9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen allen einen wunderschönen
Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.