Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie recht herzlich, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benen-
nenden Mitglieder des Deutschen Ethikrats
gemäß den §§ 4 und 5 des Ethikratgesetzes
- Drucksache 16/8024 -1)
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen
daher gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für den inter-
fraktionellen Wahlvorschlag auf Drucksache 16/8024? -
Wer stimmt dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? -
Dann ist der Wahlvorschlag mit den Stimmen des ge-
samten Hauses bei Enthaltung des Kollegen Dr. Ilja
Seifert angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Moderni-
sierung der gesetzlichen Unfallversicherung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie an dieser
Befragung nicht teilnehmen können, bitte ich Sie, den
Saal so zu verlassen, dass wir der Bundesregierung trotz-
dem das Wort geben können und die verbleibenden Kol-
leginnen und Kollegen den Ausführungen folgen kön-
nen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundes-
minister für Arbeit und Soziales, Franz Thönnes. - Bitte
schön.
1) Anlage 27
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herzlichen Dank für die Möglichkeit, hier und heute
über eine wichtige Entscheidung des Kabinetts zu informieren. Es geht um den Beschluss zur Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung.
Mit dem Gesetzentwurf, der heute Morgen beraten
und über dessen Einbringung entschieden worden ist,
wird die gesetzliche Unfallversicherung modernisiert
und neu ausgerichtet. Die Organisation wird gestrafft
und an die heutigen wirtschaftlichen Strukturen angepasst. Wirtschaftlichkeit und Effektivität des Systems
werden gesteigert. Sie wissen, dass die Veränderungen
der Wirtschaftsstrukturen es mit sich bringen, dass auf
der einen Seite alte Bereiche wie Bergbau und Stahlindustrie, die wenig Beschäftigte haben, hinsichtlich der
Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung stark belastet werden, was aus der Vergangenheit resultiert, während auf der anderen Seite über die Jahre neue Branchen
mit vielen Beschäftigten entstanden sind, die aufgrund
des geringen Unfallrisikos weniger stark belastet werden.
Wir flankieren die neuen Organisationsstrukturen
deswegen mit einem Lastenausgleich zwischen den gewerblichen Berufsgenossenschaften. Außerdem werden
in dem Gesetzentwurf die Elemente einer Gemeinsamen
Deutschen Arbeitsschutzstrategie geregelt. Der Gesetzentwurf geht zurück auf einen Beschluss des Deutschen
Bundestages aus der vergangenen Legislaturperiode. Der
Auftrag von damals wurde in die Koalitionsvereinbarung einbezogen und somit Teil des Regierungshandelns. In der Koalitionsvereinbarung haben wir uns das
Ziel gesetzt, die Unfallversicherung zu modernisieren
und zukunftssicher zu machen.
Das Vorhaben ist im letzten Jahr in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe intensiv vorbereitet worden. Die Arbeitsgruppe hat ihre Vorschläge im letzten Sommer vorgelegt. In den letzten Monaten ist deutlich geworden,
dass die organisatorischen Maßnahmen im Kern unumstritten sind. Es wurde aber auch deutlich, dass hinsichtRedetext
lich der Leistungsreform erheblicher Abstimmungsbedarf besteht. Aus diesem Grund wurde darauf verzichtet.
Wir haben uns im Herbst in der Koalition darauf verständigt, zunächst die Organisationsreform umzusetzen.
Ein kurzer Überblick über einige Punkte im Gesetzentwurf: Die Organisation der Berufsgenossenschaften
wird durch Zielvorgaben für Fusionen der Unfallversicherungsträger gestrafft. Vorgesehen ist, dass es am Ende
neun gewerbliche Berufsgenossenschaften gibt. Soweit
die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, die zwischenzeitlich gebildet worden ist, hoheitliche Aufgaben
wahrnimmt, wird sie unter Aufsicht gestellt. Die Umsetzung der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie
wird ebenfalls im Gesetzentwurf geregelt. Die Lastenverteilung zwischen den gewerblichen Berufsgenossenschaften wird auf ein neues Fundament gestellt und als
Aufgabe dem Bundesversicherungsamt übertragen.
Das Vermögensrecht der Unfallversicherungsträger
wird hinsichtlich der Betriebsmittel, der Rücklagen und
der Verpflichtung zur Bildung von Altersrückstellungen
mit mehr Transparenz ausgestattet. Die Insolvenzgeldumlage wird in die Einziehung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit eingebunden anstelle des bisherigen Einzugs durch
die Unfallversicherung. Außerdem gibt es Durchführungsregelungen zur Übertragung des Betriebsprüfungsdienstes von der Unfall- auf die Rentenversicherung.
Weite Teile des Gesetzentwurfes haben bei den Sozialpartnern in den zwischenzeitlich durchgeführten Beratungen ein positives Echo hervorgerufen. Wir sind
dem Credo gefolgt, dass wir der Selbstverwaltung bei
der Umsetzung der Fusionen einen Vorrang geben wollen. Die Beschlüsse der Selbstverwaltung zu den Fusionen und zum Lastenausgleich sind im Gesetzentwurf
aufgegriffen worden. Die Neuorganisation, die ich dargelegt habe, wird im Allgemeinen begrüßt. Die Selbstverwaltung ist hinsichtlich der Zielvorgabe zur Reduzierung der Trägerzahl ein gutes Stück vorangekommen.
Es ist auch positiv aufgenommen worden, den Spitzenverband als Verein zu organisieren. Auch der neue
Lastenausgleich hat weitestgehend Zustimmung gefunden. Das neue Vermögensrecht der Unfallversicherungsträger und die Übertragung des Insolvenzgeldeinzugs
sind nicht umstritten.
Weiterer Bestandteil - ich habe ihn genannt - ist die
Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie, mit der
sich Bund, Länder und Unfallversicherungsträger auf ein
gemeinsames und systematisches Vorgehen im Arbeitsschutz verpflichten. Dazu gehören die wichtigen Elemente Prävention und Vorbeugung. Weitere Elemente
der Strategie sind die verbesserte Zusammenarbeit der
Aufsichtsdienste, die Beratung und Überwachung der
Betriebe sowie die Optimierung des Vorschriften- und
Regelwerks. Auch hier gibt es einen breiten Konsens.
Ich greife einen Kritikpunkt auf, der von Wirtschaftsverbänden in den letzten Tagen noch einmal angesprochen wurde. Dieser bezieht sich auf die Betriebsprüfung.
Der Bürokratieaufwand dabei wird bemängelt. Ich sage:
Diese Behauptung ist falsch. Mit dem Zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz ist im letzten Jahr die Betriebsprüfung von der Unfall- auf die Rentenversicherung
übertragen worden. Die Rentenversicherung wird künftig einheitlich und übergreifend für alle Sozialversicherungszweige prüfen. Das Meldeverfahren muss hierzu
entsprechend angepasst werden. Der Normenkontrollrat
hat die Konzeption, die wir erarbeitet haben, im Kern bestätigt. Er hat außerdem festgestellt, dass durch die künftig einheitliche und effizientere Prüfung eine Entlastung
der Arbeitgeber eintritt. Ich denke, damit kann man diese
Kritik widerlegen.
Der Normenkontrollrat hat eine weitere Anregung gemacht: Zur weiteren Entlastung der Wirtschaft sollte der
Lohnnachweis für die Berufsgenossenschaften entfallen.
Dieser Anregung gehen wir weiterhin nach. Allerdings
ist eine Umsetzung nicht sofort möglich. Denn das setzt
voraus, dass die neuen Prüf- und Meldeverfahren in der
Praxis fehlerfrei laufen.
Dieser Gesetzentwurf trifft also im Kern auf breite
Zustimmung und wird mit Sicherheit dazu beitragen,
dass die Organisationsreform der Unfallversicherung diese
wichtige Säule unserer sozialen Sicherung in Deutschland auf ein zukunftssicheres Fundament stellt und damit
zu einer solidarischen Lastenverteilung bei den einzelnen Berufsgenossenschaften beiträgt.
Danke, Herr Staatssekretär. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben
berichtet wurde.
Das Wort hat der Kollege Kurth.
Herr Staatssekretär, ich habe drei Fragen zu den privatisierten öffentlichen und privatisierten kommunalen
Unternehmen. Wie ich gehört habe, soll für den Bund
geprüft werden, ob die privatisierten Staatsunternehmen
den Berufsgenossenschaften zugeordnet werden können;
zumindest im Referentenentwurf war das vorgesehen.
Gibt es schon Anhaltspunkte dafür, wie diese Prüfung
ausfallen wird? Warum sind die privatisierten kommunalen Unternehmen, die ja in Konkurrenz zur gewerblichen
Wirtschaft stehen, nicht konsequent den Berufsgenossenschaften zugeordnet worden? Warum genießen sie im
Bereich der öffentlichen Unfallkassen noch einen Sonderschutz?
Herr Kollege Kurth, Sie wissen, dass wir, weil es sehr
viele rechtliche Streitigkeiten gegeben hat, vor einiger
Zeit ein Moratorium vereinbart haben, in dem wir im
Kern - ich verkürze das jetzt - gesagt haben: Die Zuordnung, die in den einzelnen Bereichen erfolgt ist, bleibt
bestehen. - Damit ist Rechtssicherheit gewährleistet.
Den jetzigen Zustand werden wir beibehalten. Die Unfallkassen von Post und Bahn - die Bahn ist ja noch
nicht privatisiert, sondern nach wie vor ein staatliches
Unternehmen - bleiben erst einmal so organisiert, wie es
derzeit der Fall ist. Auf der weiteren Wegstrecke wird zu
entscheiden sein, in welcher Form Fusionen möglich
sind.
Die nächste Frage stellt der Kollege Haustein.
Herr Staatssekretär, die Unfallkassen bestehen seit
1884. Seitdem genießen sie den Monopolschutz. Wenn
jetzt eine Reform durchgeführt wird, in deren Rahmen
der Leistungsteil ausgegrenzt wird, ist das Ziel dieser
Reform schon verfehlt. Denn die Unternehmer interessiert nur eine Frage: Was sparen wir an Bürokratie und
Geld ein? Wie sieht es in dieser Hinsicht mit Blick auf
die geplante Reform aus?
Ein wesentlicher Punkt, den wir uns vorgenommen
haben und der zu Entlastungen führen wird, besteht darin, dass wir den Lastenausgleich neu regeln. Dadurch
werden knapp 1,5 Millionen der gut 3 Millionen berührten Unternehmen entlastet. In den Branchen, über die ich
gerade gesprochen habe und die in den letzten 10, 20
oder 30 Jahren aufgrund veränderter Wirtschaftsstrukturen entstanden sind, wird es zu geringfügigen Belastungen kommen, weil sie eine größere ökonomische Stärke
haben. In einer solidarisch angelegten Sozialversicherungsstruktur ist das allerdings begründbar und vertretbar. Ein Beispiel: Wenn die Prämie im Einzelhandel von
0,90 Prozent auf 0,96 Prozent steigt, dann ist das, wie
ich denke, durchaus vertretbar.
Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft Fusionen. Wir
gingen von einer Größenordnung von 25 oder 26 Berufsgenossenschaften aus; mittlerweile sind es schon weniger geworden. Wir wollen ihre Zahl bis Ende 2009 auf
ungefähr neun Unfallkassen reduzieren. Durch Fusionen
können Verwaltungskosten und Bürokratiekosten eingespart werden. Mit der Übertragung der Betriebsprüfung
der Unfallversicherungsträger auf die Betriebsprüfung
der Rentenversicherung haben wir diesen Prozess bereits
eingeleitet. Das heißt, es wird weniger Gremien geben,
und die Entscheidungen werden konzentriert.
Im Hinblick auf das Einsparvolumen haben wir keine
Zielvorgabe gemacht. In den Diskussionen über die Frage
der Rechtsform - Stichwort: Körperschaft - haben wir
uns dem Prinzip der Selbstverwaltung angenährt. Der
Wunsch war, dass sie sich in Form privatrechtlicher Vereine organisieren. Daher können auch keine Vorgaben
gemacht werden. Ein Verein hat nicht die Kompetenz,
bei Grundsatz- und Querschnittsaufgaben verbindliche
Entscheidungen zu treffen.
In ihrer Antwort auf eine Anfrage der FDP-Fraktion
- ich glaube, das war im vergangenen Jahr - hat die
Bundesregierung anhand von Beispielen fusionierter Berufsgenossenschaften dargelegt, dass über eine längere
Wegstrecke auch auf sozialverträgliche Weise - dadurch,
dass Stellen nicht neu besetzt worden sind - Personalkapazität eingespart, Verwaltungsgebäude veräußert und
dadurch Effizienzpotenziale freigesetzt werden konnten.
Die nächste Frage stellt der Kollege Kolb.
Herr Staatssekretär, im Rahmen der Ex-ante-Bewertung von Gesetzgebungsvorhaben gibt der Normenkontrollrat, den die Bundesregierung eingesetzt hat, zu jedem Gesetzgebungsvorhaben eine Stellungnahme ab. In
dieser Stellungnahme, so haben wir heute Morgen im
Ausschuss für Arbeit und Soziales erfahren, wurde der
Bundesregierung empfohlen - Sie haben es im Grunde
bestätigt -, anstelle der Übertragung von Prüfkompetenzen - von der Unfallversicherung auf die Rentenversicherung - und damit anstelle von Veränderungen bei den
Meldepflichten die Meldepflichten der Unternehmen gegenüber der Unfallversicherung zu reduzieren.
Meine Frage: Ist es richtig, dass jährlich 56 Millionen
Euro eingespart werden können, wenn die Meldepflichten der Unternehmen gegenüber der Unfallversicherung
reduziert werden? Wenn ja: Wie lange wollen Sie dieses
Parallelverfahren aufrechterhalten und damit den Unternehmen diese vermeidbare Mehrbelastung zumuten?
Ich kann Ihnen diese Zahl nicht auf Punkt und
Komma bestätigen, will aber etwas zu dem Verfahren sagen und dazu, warum wir die Anregung des Normenkontrollrates aufnehmen. Wenn wir diese Meldepflicht vollständig ablösen wollen, ist eine Anpassung der Termine
für die Erhebung der Umlage in der Unfallversicherung
notwendig, da der Lohnnachweis bis zum 11. Februar eines jeden Jahres abzugeben ist, die Jahresmeldung im
Meldeverfahren der Sozialversicherung aber bis zum
15. April eines jeden Jahres. Das führt zu zeitlichen Verlagerungen bei der Betriebsveranlagung und bei der
Durchführung des Lastenausgleichs. Wenn wir das harmonisieren wollen, setzt das voraus, dass wir prüfen, wie
die besonderen Merkmale der Unfallversicherung, die
heute dem Lohnnachweis entnommen werden, zukünftig
an die Unfallversicherung übermittelt werden. Wir reden
hier auch über die Lohndaten der ehrenamtlich Tätigen
und der 400-Euro-Kräfte. Dass diese Prüfaufgabe mit
dem Zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz der Deutschen Rentenversicherung übertragen worden ist, wird
vom Normenkontrollrat begrüßt. Wir brauchen den
Lohnnachweis, bis auf maschinelle Weise mit dem Entgeltabrechnungsprogramm die Daten erzeugt werden
können, die wir brauchen. Wir befinden uns in einer
Übergangsphase, in der wir das Neue und das Alte ein
Stück weit parallel laufen lassen müssen.
({0})
- Bis der erste Durchgang vorbei ist und wir eine gute
Trefferquote haben, um das zu bewerten; das ist die Zielorientierung. Wenn es gut läuft - davon gehen wir aus -,
wird man auf das andere verzichten können.
Das Wort hat der Kollege Gerald Weiß.
Herr Staatssekretär, eines der kennzeichnenden Prinzipien des gewachsenen Systems der Unfallversicherung
ist die Selbstverwaltung. Wir tun gut daran, der Selbstverwaltung Vorrang zu geben, wo immer es möglich ist.
Inwieweit war das Prinzip der Selbstverwaltung für Sie
bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes beherrschend? Inwieweit haben Sie der Selbstverwaltung bei
der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes Raum gegeben?
Herr Kollege Weiß, wir haben in der Bund-LänderArbeitsgruppe über die zukünftige Anzahl der Berufsgenossenschaften im gewerblichen Bereich diskutiert. Es
entspricht einem Beschluss der Selbstverwaltungsorgane, am Ende der Verhandlungen neun Berufsgenossenschaften zu haben. Es gibt Fusionsverhandlungen, die
abgeschlossen sind, es gibt Fusionsgespräche, es gibt
aber auch Prozesse, die zurzeit stocken, wo miteinander
gesprochen werden muss. Die Frage der Umsetzung
liegt jetzt in den Händen der Selbstverwaltung; daran sehen Sie, dass wir der Selbstverwaltung Raum gegeben
haben. Im Moment ist im Gesetzentwurf vorgesehen,
dass der Regierung und damit auch dem Parlament bis
zum 31. Dezember 2008 Bericht zu erstatten ist, wie das
Ganze läuft und wie der Weg bis zum 31. Dezember
2009 aussieht.
Hinzu kommt, dass wir einen sehr engen Diskurs darüber geführt haben, ob das Ganze durch eine Körperschaft organisiert werden soll, die öffentliche Aufgaben
- auch der Organisation - und auch das Verhandeln und
Durchsetzen von Positionen - zum Beispiel von Einsparzielen - übernimmt. Die Position der Selbstverwaltung
war, dass man dafür lieber die Form eines privatrechtlichen Vereins wählen möchte. Dem sind wir am Ende gefolgt.
Weil dort auch die Prävention eine Aufgabe ist und
weil wir dort auch die Aushandlung der Kosten und Verträge mit den Leistungserbringern sowie die Heilmittelverfahren geregelt haben, müssen wir dies allerdings
einer Fach- und Rechtsaufsicht unterstellen. Darüber
gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das ist aber sozusagen die Bedingung für das Zugeständnis, dafür die
Rechtsform eines Vereins zu wählen. Wenn man das eine
haben will, muss man das andere hinnehmen.
Die Körperschaft war im Kern nicht gewollt. Aus
dem Grunde haben wir uns an dieser Stelle auf die
Selbstverwaltung zubewegt. Ich glaube, dass wir damit
eine gute Grundlage für die weitere Arbeit gefunden haben.
Die nächste Frage stellt der Kollege Ilja Seifert.
Herr Staatssekretär, das alles klingt strukturorientiert.
Ich darf einmal auf die Leistungsseite zu sprechen kommen. Bei den Menschen, die Arbeitsunfälle, Wegeunfälle oder dergleichen erlitten haben, gibt es die Befürchtung, dass zukünftig Leistungen eingeschränkt
werden. Können Sie bitte eine Auskunft darüber geben,
was für diejenigen, die Unfälle erlitten haben - also
nicht hinsichtlich derjenigen, die sie verursacht haben -,
auf der Leistungsseite passieren wird?
Im gesamten Verfahren war eine Neugestaltung der
Leistungen angelegt. Die Philosophie dahinter war - so,
wie das im Leben eben ist -, dass diejenigen, die schwerere Unfälle erleiden, am Ende auch stärker entschädigt
werden sollen als diejenigen, die einen leichteren Unfall
haben. Wir haben das intensiv diskutiert - auch mit den
Sozialpartnern - und festgestellt, dass eine Umstellung
von dem einen System in ein neues System zum jetzigen
Zeitpunkt mit einem großen Akzeptanzproblem verbunden wäre.
Auch hinsichtlich dieses Bereichs haben wir ganz klar
und deutlich gesagt, dass es für Menschen, die heute
Leistungen aus der Unfallversicherung beziehen, keine
Verschlechterungen geben wird. Darüber ist draußen
ziemlich viel erzählt worden. Dabei wurden Befürchtungen geweckt, die aber wirklich ausgeschlossen werden
können. Ein neues Leistungsrecht ist nicht Bestandteil
des jetzt eingeleiteten Gesetzgebungsverfahrens.
Es gab ja die Forderung, die Wegeunfälle aus der Unfallversicherung herauszunehmen. Ich weise noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass von uns immer erklärt
worden ist, dass wir das nicht wollen. Gerade in einer
Wirtschaft, die auf die Mobilität der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer angewiesen ist, hat es sich bewährt
und ist es auch für die Zukunft gut so, dass die Beschäftigten darauf vertrauen können, dass sie auch auf dem
Weg von der Arbeit und zu der Arbeit unter den gesetzlichen Schutz der Unfallversicherung fallen.
Das bleibt so. Im Kern wird also nichts berührt. Niemand braucht hier Befürchtungen zu haben. Es gibt in
diesem Gesetzentwurf keine Regelung zum Leistungsrecht.
Die nächste Frage stellt der Kollege Jörg Rohde.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
im Rahmen der Reform der gesetzlichen Unfallversicherung hätte es jetzt auch die Möglichkeit gegeben, die
Schwarzarbeit besser zu kontrollieren bzw. einzudämmen. Es gibt zum Beispiel den Vorschlag, die Verpflichtung zur sofortigen Meldung von Arbeitnehmern einzuführen; zurzeit gilt eine Frist von 14 Tagen. Damit
könnte wirksam kontrolliert werden, wer nun wirklich
arbeiten darf und wer bei einem Unfall entschädigt werden kann. Warum wurde das im Gesetzentwurf nicht aufgegriffen?
Herr Kollege Rohde, Sie schneiden ein Thema aus
dem letzten Abschnitt einer Kleinen Anfrage der FDPFraktion an. Wir haben Ihnen damals gesagt - deswegen
ist es gut, dass Sie das auch jetzt hier hinterfragen -, dass
wir das prüfen. Dieser Prüfungsprozess ist im Kern abgeschlossen. Es ist uns ein großes Anliegen, die
Schwarzarbeit aktiv zu bekämpfen.
Sie wissen, dass hierbei auch das Finanzministerium
berührt ist. In Abstimmung mit dem Finanzministerium
wird es im Hinblick auf die Verschärfung der Meldepflichten, im Hinblick auf den Punkt, den Sie gerade angeschnitten haben, nämlich Sofortmeldungen einzuführen und dies nicht erst wochenlang laufen zu lassen, und
im Hinblick auf andere zu regelnde Bestandteile wahrscheinlich sehr bald eine Änderung in einem weiteren
SGB-IV-Änderungsgesetz geben.
({0})
- Bitte.
Das Wort hat der Kollege Markus Kurth.
Herr Staatssekretär, ich komme auf das Thema zurück, das der Abgeordnete Gerald Weiß angesprochen
hat. Sie haben ausgeführt, Bedingung für den Verzicht
auf die Organisation der Unfallversicherung in Form
einer Körperschaft sei die Übernahme der Rechts- und
Fachaufsicht durch das BMAS gewesen. Für den Bereich
der Prävention wird von den Trägern der Unfallversicherung die Befürchtung geäußert, dass Forschungsschwerpunkte, Praxisprogramme und dergleichen durch das
Ministerium beeinflusst, womöglich sogar unterbunden
werden könnten. Wie reagieren Sie darauf, können Sie
dazu Stellung nehmen?
Herr Kollege Kurth, leider ist im Jahre 2006, verglichen mit 2005, die Zahl der Arbeitsunfälle - auch die
Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle - in verschiedenen Bereichen gestiegen. Wir stellen bei einem relativ guten
Regelwerk des Arbeitsschutzes fest, dass neue Krankheiten, etwa psychische Krankheiten, Belastungen durch
Stress usw., hinzukommen, und diskutieren sehr engagiert über ein Präventionsgesetz. Damit will ich sagen:
Solche Befürchtungen haben keine Grundlage. Vielmehr
ist es unsere Absicht, dazu beizutragen, die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen in einer Industriegesellschaft zu erhalten, die einem ständigen Wandel unterworfen ist und damit natürlich auch Belastungen mit sich
bringt. Dazu dient unser gut ausgebautes System von
Rehabilitationseinrichtungen. Auch die Gemeinsame
Deutsche Arbeitsschutzstrategie soll dazu beitragen; dort
werden wir - Bund, Länder und die Berufsgenossenschaften - darüber zu sprechen haben, wie man zielgerichtet daran geht und wo man Schwerpunkte lokalisiert.
In dieser Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie sind die Berufsgenossenschaften und damit die
Selbstverwaltung - Gewerkschaften und Arbeitgeber mit Sitz und Stimme repräsentiert und können an dieser
Stelle so, wie sie es wollen, einen erheblichen Einfluss
darauf ausüben.
Die nächste Frage stellt der Kollege Kolb.
Herr Staatsekretär, es gibt die umgangssprachliche
Wendung, nichts sei dauerhafter als ein Provisorium. Bezogen auf die Unfallversicherung würde ich sagen:
Nichts ist dauerhafter als ein Moratorium. Dieses Moratorium führt zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen
zwischen den Unternehmen, die den Unfallkassen zugeordnet sind, und jenen Unternehmen, die den gewerblichen Berufsgenossenschaften zugeordnet sind. Gerade
im Baubereich mit seinen extrem hohen Beiträgen zur
Berufsgenossenschaft stellt das ein Problem dar; jedenfalls beobachten wir dies. Gibt es auch nach Feststellung
der Bundesregierung eine Art Absetzbewegung dergestalt, dass private Unternehmen versuchen, sich mit
öffentlichen Unternehmen zusammenzuschließen, um
auf diesem Wege unter das Dach der günstigeren Unfallkassen zu kommen und so Wettbewerbsvorteile zu erzielen? Schließen Sie für den Rest der Legislaturperiode
aus, dass die Moratoriumslösung in einen endgültigen
Zustand überführt wird?
Wir haben mit der heutigen Entscheidung im Hinblick
auf das parlamentarische Verfahren bis auf das Leistungsrecht - dazu habe ich etwas gesagt - den Koalitionsvertrag an dieser Stelle umgesetzt und schaffen damit auch Rechtssicherheit, sodass ich davon ausgehe,
dass es bei der jetzt gefundenen Lösung bleiben wird.
Was Ihre Frage und die mit ihr verbundene kritische Bewertung angeht, dass durch Absetzbewegungen Wettbewerbsvorteile erlangt würden, so kann ich diese nicht bestätigen. Aber ich greife die Frage auf und werde sie in
meinem Hause prüfen lassen. Dann werden wir uns darüber im Dialog weiter austauschen können.
Die bisher letzte Frage zu diesem Themenbereich
stellt der Kollege Haustein.
Herr Staatssekretär, die Gesamtkosten dessen, was die
Berufsgenossenschaften von den Betrieben einziehen,
belaufen sich auf 9,6 Milliarden Euro. 90 Prozent entfallen auf den Leistungsteil, den Sie aber unberührt lassen.
Stattdessen setzen sie nur bei der Verwaltung an. Somit
kann von einer Reform nicht die Rede sein. Ist in dieser
Legislaturperiode noch eine Reform des Leistungsteils
geplant?
Das bestehende gesetzlich geregelte Unfallversicherungssystem, in dem die Arbeitgeber Beiträge zahlen,
hat sich über die Jahre bewährt und reagiert jetzt auf die
strukturellen Veränderungen in unserer Gesellschaft, in
der wir es mit schrumpfenden Branchen und aufgrund
neuer Märkte mit neu entstehenden Industrien und
Dienstleistungsbereichen zu tun haben. Dass wir bzw.
die Selbstverwaltung die Kraft haben, das solidarisch
neu zu regeln, zeichnet dieses System im Kern aus. Es
gibt zwar andere politische Vorstellungen, nach denen
alles privatisiert werden kann, aber damit wäre die Einzelklagemöglichkeit des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber verbunden, was niemand will. Das heißt, dieses System befindet sich - auch bei den Sozialpartnern auf einer guten gesamtgesellschaftlichen Grundlage.
Sie haben die Höhe des Beitragsvolumens genannt.
Die gezahlten Leistungen beziehen sich zum größten
Teil auf die Unfallrenten. Der Verwaltungskostenanteil
liegt bei circa 10 bis 11 Prozent. Bei dem verbleibenden
Volumen ist es durchaus lohnenswert, die Potenziale
durch Fusionen, durch Konzentration der Überprüfungstätigkeit durch die Rentenversicherung auszuschöpfen.
Das würde auch zu einer größeren Erfassungsdichte beitragen, ohne dass - der Kollege Seifert hat danach gefragt - die Leistungsfähigkeit, die Ortsnähe und die Betreuungskompetenz für die Betriebe reduziert würden.
Von daher glaube ich, dass sich die dadurch entstehenden Effizienzpotenziale, die wir meines Wissens in der
Antwort auf Ihre Anfrage anhand der Fusionsergebnisse
in Bayern dargestellt haben, auch bei der Umsetzung des
derzeitigen Gesetzesvorhabens ergeben werden.
Die Erfahrungen aus der Diskussion über ein beabsichtigtes Leistungsrecht zeigen mir sehr deutlich, dass
dafür ein gewisser Zeitraum notwendig ist, in dem man
gelassen und unaufgeregt sehr sachlich darüber diskutieren kann, was wir regeln wollen. Geht es uns um Regelungen, nach denen ein Schadensausgleich geleistet
wird, oder um eine Unfallrente, bei der dann, wenn sie
mit der gesetzlichen Rente zusammenfällt, diese reduziert würde? Dies würden manche Menschen aufgrund
der Anrechnungstatbestände nicht verstehen.
Um diese vielen komplizierten Fragen zu regeln, ist
der Zeitraum bis September/Oktober 2009 zu kurz. Ich
glaube, das ist eine große Herausforderung, auf die eine
der nächsten Regierungen - egal in welcher Konstellation - Antworten finden muss.
Ich habe inzwischen weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich. Das Wort hat der Kollege Kolb.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Nachfrage. Die
Bundesregierung hatte sich im Juli 2007 festgelegt. In
ihrer Antwort auf die Fragen 7 und 10 in der Bundestagsdrucksache 16/6085 hatte sie sehr deutlich gemacht,
dass eine Leistungsreform sachgerecht und systematisch
richtig ist. Aus unserer Sicht als Opposition gab es damals den erklärten Willen der Bundesregierung, diese
Reform durchzuführen.
Ich entnehme Ihren Ausführungen, dass auch in diesem Bereich nicht mehr daran gedacht ist, in der restlichen Legislaturperiode etwas zu tun. Sie müssen uns erklären, woran das liegt. Wenn Sie es damit begründen
würden, dass Sie als Große Koalition nicht mehr in der
Lage sind, sich auf Kompromisse zu verständigen, dann
würde ich das akzeptieren. Aber vielleicht gibt es auch
andere Erklärungen dafür, dass der im Jahr 2007 noch
als wichtig erachtete Bereich jetzt nicht mehr geregelt
werden soll.
Herr Dr. Kolb, wir haben damals mit der Umsetzung
des Vorhabens begonnen. Ich habe gerade ausführlich erklärt, dass zur Umsetzung dieses Teilbereichs der Reform auch die Akzeptanz der Betroffenen notwendig ist.
Wir haben mit den Sozialpartnern darüber gesprochen
und deutlich gemacht, dass hinsichtlich des Leistungsrechts letztlich kein Einsparungsgesetz herausgekommen wäre. Vielmehr haben wir darauf hingewiesen, dass
wir die Unfallversicherung bzw. den Schadenausgleich
zielgenauer regeln wollen. Dazu hat es Gespräche und
Debatten gegeben. Die Komplexität des Ganzen hat aber
deutlich gemacht, dass man dafür einen längeren Zeitraum benötigt. Grund dafür sind nicht Diskussionen in
der Koalition. Die Zielorientierung muss dabei bleiben,
das auf den Prüfstand zu stellen, aber nicht um Leistungskürzungen herbeizuführen. Vielmehr geht es darum, das Ganze zielgenauer zu organisieren. Es kann
sein, dass in neu auftretenden Fällen andere Leistungen
erbracht werden als in Fällen in der Vergangenheit. Es ist
durchaus möglich, dass mehr als in der Vergangenheit
gezahlt wird. Wie gesagt, vielleicht werden die schweren
Unfälle beim Schadenausgleich etwas stärker berücksichtigt. Aber das alles ist sehr komplex. Deswegen
glaube ich, dass das in dieser Legislaturperiode keine
Rolle mehr spielen wird.
Das Wort hat der Kollege Markus Kurth.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben in Ihrer Antwort
auf meine Nachfrage zur Prävention die Rechts- und
Fachaufsicht begründet und auf die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie verwiesen. In der Tat könnte
eine solche Rechts- und Fachaufsicht durch den Bund
ein koordiniertes Vorgehen zweier Ministerien, etwa des
Gesundheitsministeriums und des BMAS, ermöglichen.
Insbesondere wäre dann denkbar, die gesetzlichen Krankenkassen in die Präventionsanstrengungen auf der
Ebene der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz einzubeziehen. Aber das ist augenscheinlich nicht der Fall. Warum ist dies nicht der Fall? Schließlich wird die betriebliche Prävention nach dem GKV-WSG für die
gesetzlichen Krankenkassen zu einer Pflichtaufgabe.
Daher läge es nahe, die gesetzlichen Krankenkassen
auch hier einzubeziehen.
Herr Kollege Kurth, wir haben uns in der Arbeitsgruppe auf den Weg der Zusammenarbeit verständigt
und festgelegt, dass Bund und Länder sowie die gewerblichen Berufsgenossenschaften und die Berufsgenossenschaften der öffentlichen Hand, die DGUV, ihre Arbeit
im Rahmen der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz aufnehmen. Ich denke, es sollte dem weiteren Prozess überlassen bleiben, inwieweit mögliche ergänzende Strukturen hinzukommen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das aber
nicht beabsichtigt.
Die nächste Frage stellt der Kollege Brauksiepe.
Herr Staatssekretär, bin ich richtig informiert, dass
der Dachverband der Berufsgenossenschaften die hier
vorgetragene Einschätzung nicht teilt, sondern der Meinung ist, dass die Prävention auch nach einer Organisationsreform gewährleistet ist? Teilen Sie meine Einschätzung, dass eine Leistungsrechtsreform eigentlich
Sache des Parlaments als Gesetzgeber ist und nicht von
der Bundesregierung zu entscheiden ist?
Es gibt mehrere Möglichkeiten, Gesetzentwürfe einzubringen. Letztlich braucht man hier im Parlament die
Zustimmung. Das gilt auch im Hinblick auf eine Reform
des Leistungsrechts. Die DGUV vertritt beim Thema
Fach- und Rechtsaufsicht eine andere Auffassung, genauso wie beim Komplex Prävention. Wir haben uns jedenfalls bewegt und sind gegen eine Körperschaft und
für einen Verein, um Verbindlichkeit herzustellen und
praktisch eine Beleihung in dieser Frage vorzunehmen.
Wenn man dem Ganzen zum Erfolg verhelfen will, ist es
notwendig, hin und wieder zu hinterfragen, was dort gemacht wird, und der Spitze der DGUV die Fach- und
Rechtsaufsicht bei der Prävention zu geben, damit sie
Durchsetzungsmöglichkeiten bei den fusionierten Berufsgenossenschaften hat.
Ich beende nun die Befragung zu diesem Themenbereich. Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung? Das ist nicht der Fall. Ich beende die Befragung der Bundesregierung. Herzlichen Dank Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/7998, 16/8023 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/8023 auf.
Wir kommen zur dringlichen Frage 1 des Kollegen
Jürgen Trittin:
Wie viele Personen für die Teilbereiche Polizei, Justiz und
Zoll sind derzeit insgesamt für die bevorstehende ESVP-Mission - Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik - im
Kosovo benannt und einsatzbereit, nachdem sich Meldungen
über eine zu erwartende einseitige Unabhängigkeitserklärung
des Kosovo am 17. Februar zuletzt mit Aussagen des serbischen Präsidenten auf der Münchner Sicherheitskonferenz am
letzten Wochenende verdichtet haben, und zu welchem Datum
kann das für den ersten Aufwuchs geplante Kontingent von
circa 300 Angehörigen dieser Mission seine Arbeit vor Ort
aufnehmen?
Die dringliche Frage des Kollegen Jürgen Trittin bezieht sich auf den Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts. Zur Beantwortung steht Staatsminister Günter
Gloser zur Verfügung.
Bitte, Herr Staatsminister.
Ich darf Ihnen folgende Antwort geben: Die im Mindestumfang 1 829 internationale Experten umfassende
zivile ESVP-Mission, genannt EULEX-Kosovo, soll im
Kosovo Aufgaben im Bereich Rechtsstaatlichkeit und
Polizei übernehmen und neben Beobachtung, Anleitung
und Beratung auch begrenzte exekutive Befugnisse in
den Bereichen Justiz, Polizei und Zoll wahrnehmen.
Nach derzeitigem Planungsstand wird die Polizeikomponente der Mission 1 400 Polizisten, darunter circa
460 Polizisten in geschlossenen Einheiten, für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung umfassen. Die
Justizkomponente wird 225, die Zollkomponente voraussichtlich 26 internationale Experten umfassen. Hinzu
kommen 112 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den
Stab des Missionsleiters und 66 Verwaltungsexperten.
Der Personalaufwuchs der Mission soll in mehreren
Wellen, beginnend mit dem Leitungspersonal, in einer
viermonatigen Übergangs- und Aufbauphase erfolgen.
Zwei Monate vor der Verantwortungsübernahme von
UNMIK soll die Personalstärke auf circa 300 internationale Experten angewachsen sein. Der genaue Zeitpunkt
des Beginns eines operativen Einsatzes von EULEX-Kosovo sowie die Modalitäten der Verantwortungsübernahme von UNMIK bedürfen noch der Klärung.
Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage. Bitte.
Herr Staatsminister, diese Zahlen stehen schon länger
im Raum. Angesichts der Tatsache, dass fast alle damit
Beschäftigten es für hochwahrscheinlich halten, dass am
17. Februar, also am nächsten Sonntag, die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo erfolgen wird und sich dann
unmittelbar die Frage einer Überführung der internationalen zivilen Präsenz von UNMIK in die ESVP-Mission
stellt, frage ich Sie, wie viele Personen mit Namen,
Adressen und der Bereitschaft, zeitnah diese Aufgaben
wahrzunehmen, tatsächlich hinter Ihren Zahlen stehen.
Herr Kollege Trittin, ich will Ihren Bewertungen und
Beobachtungen, dass bestimmte Entscheidungen anstehen, gar nicht widersprechen. Allerdings bitte ich doch,
auch zu sehen, dass die schon vor langer Zeit geplante
ESVP-Mission unabhängig von anderen Entscheidungen
ist, die möglicherweise in den nächsten Tagen anstehen.
Die EU hat rechtzeitig darüber nachgedacht. Es ist noch
keine Entscheidung über den Beginn dieser Mission gefallen.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Herr Gloser, können Sie die Situation ausschließen,
dass mit der ESVP-Mission im Kosovo das Gleiche passiert wie mit der EUPOL-Mission in Afghanistan, bei
der man sich zwar vorgenommen hatte, bestimmte Sollzahlen zu erreichen, man dann aber wegen eklatanter
Schwierigkeiten bei der Rekrutierung nicht in der Lage
war, diese Zahlen zu erreichen, weil tatsächlich keine
konkreten Personen zur Verfügung standen?
Herr Kollege Trittin, ich weiß - das ist immer deutlich gemacht worden -, dass das eine der größten Herausforderungen der Europäischen Union ist. Deshalb
hat die Vorbereitungsarbeit lange vor der Entscheidung
über den Beginn dieser Mission und die Rekrutierung
des Personals begonnen. Auch die deutsche Seite hat daran mitgewirkt, dass sich entsprechende Personen an
Ausschreibungen beispielsweise für Polizisten und andere Experten beteiligen. Wie das im Einzelnen verläuft
- das werden Sie mir bestimmt zugestehen -, darüber
können wir spekulieren. Ich denke, dass rechtzeitig alle
Maßnahmen getroffen worden sind, damit die Einsatzfähigkeit dann, wenn die Entscheidung getroffen wird,
vorhanden ist.
Eine Nachfrage stellt nun die Kollegin Marieluise
Beck.
Herr Staatsminister, angesichts der Tatsache, dass wir
heute den 13. Februar haben und für den 17. Februar die
Unabhängigkeitserklärung erwartet wird, frage ich:
Können Sie ausschließen, dass es einen Raum der Unsicherheit geben wird, weil sich nicht ausreichend viele
Kräfte für die neue Mission vor Ort befinden werden?
Können Sie hier bestätigen, dass tatsächlich bei allen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union Einigkeit über
das Zustandekommen dieser Mission besteht?
Frau Kollegin Beck, wir haben in den vergangenen
Räten der Außenminister vielfach darüber gesprochen.
Auch im Europäischen Rat am 14. Dezember ist ein Beschluss über eine gemeinsame Aktion gefasst worden.
Es hat in den vergangenen Wochen auch im Rahmen eines schriftlichen Verfahrens Entscheidungen gegeben.
Ich kann der Debatte am kommenden Montag natürlich nicht vorgreifen. Beispielsweise ist aber bereits eine
Entscheidung mit - so glaube ich - allen Stimmen der
europäischen Mitgliedstaaten mit der Ausnahme von Zypern erfolgt.
Zum zweiten Punkt der Frage. Noch einmal: Es ist alles getan worden - vom Ratssekretariat, aber auch von
der Kommission -, um entsprechende Vorbereitungsarbeiten zu leisten, auch im Hinblick auf die Rekrutierung
des Personals.
Ich bitte einfach noch einmal darum, zu berücksichtigen, dass ein Kontext zwischen einer möglichen Unabhängigkeitserklärung und der EULEX-Mission nicht
herzustellen ist, sondern dass die ESVP-Mission schon
vor längerer Zeit angedacht worden ist und es in diesem
Zusammenhang entsprechende Vorbereitungen gibt. Es
bleibt dem Rat der Außenminister am kommenden
Montag vorbehalten, welche weiteren Entscheidungen
zu fällen sind.
Wir kommen damit zur dringlichen Frage 2 des Kollegen Jürgen Trittin:
Wird sich die Bundesregierung im Europäischen Rat der
Außenminister am 18. Februar 2008, vorausgesetzt die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo erfolgt am 17. Februar, für
einen sofortigen Beschluss über den Beginn der ESVP-Mission einsetzen, und wird sie auf ein schnelles Inkrafttreten
hinwirken?
Bitte, Herr Staatsminister.
Meine Antwort auf diese Frage ist: Ich habe bereits
gesagt, dass wir heute nicht darüber spekulieren können.
Die Bundesregierung nimmt auch nicht zu hypothetischen Fragen Stellung.
Noch einmal: Es besteht kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Datum der Unabhängigkeitserklärung und dem Datum der Einleitung der ESVPMission.
Herr Trittin, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatsminister, Sie erlauben, dass ich mich ob
dieser Aussage politisch verwundert zeige. Die Feststellungen hinsichtlich der Anerkennung des Kosovo durch
die Bundesregierung habe ich immer so verstanden, dass
die Bundesregierung eine Anerkennung des Kosovo nur
auf der Basis der Vereinbarungen des Ahtisaari-Planes
erwägen konnte und dass in diesem Zusammenhang die
internationale Präsenz und damit die Umsetzung der
Kernpunkte des Ahtisaari-Planes - sprich: zum Beispiel
Schutz der entsprechenden Minderheiten und der serbischen Kulturgüter - in diesem Prozess eine der politischen Voraussetzungen dafür ist, dass die Bundesregierung überhaupt eine Anerkennung der Unabhängigkeit
des Kosovo erwägt.
Wenn Sie nun erklären, diese Dinge hätten nichts miteinander zu tun, soll ich dann daraus die SchlussfolJürgen Trittin
gerung ziehen, dass die Bundesregierung erwägt, den
Kosovo anzuerkennen, ohne dass sichergestellt ist, dass
die Rahmenbedingungen des Ahtisaari-Planes, zu denen
auch die europäische zivile Sicherheitsmission gehört,
erfüllt sind?
Kollege Trittin, ich habe im Rahmen der Beantwortung der ersten Frage und der Zusatzfragen deutlich gemacht, welche Vorbereitungsarbeiten geleistet worden
sind. Ich habe auch - trotz sich verdichtender Meldungen über eine Entscheidung, die nicht in der Entscheidungsebene der Bundesregierung, sondern des Kosovo
liegt - um Verständnis dafür gebeten, dass nicht schon
jetzt darüber spekuliert werden kann, welche Entscheidungen am kommenden Montag gefällt werden. Ich
habe die verschiedenen Schritte dargelegt, die in den
letzten Wochen in Vorbereitung dieser Mission gemacht
worden sind. Über einen Einsatz dieser Mission ist noch
nicht entschieden worden.
Herr Trittin, Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Herr Staatsminister, ganz einfach: Gedenkt die Bundesregierung die Unabhängigkeit des Kosovo auch dann
anzuerkennen, wenn über die Implementierung einer zivilen europäischen Sicherheitsmission im Kosovo noch
keine Entscheidung getroffen ist, über deren Ausgang ja
- wie Sie sagen - auch nicht spekuliert werden kann?
Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass das nicht allein ihre Entscheidung ist,
sondern dass wir im Rahmen der Europäischen Union
eine gemeinsame Entscheidung treffen wollen. Es wäre
sehr wichtig für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union, dass gemeinsame Entscheidungen getroffen werden. Einzelentscheidungen und Einzelwege der
Nationalstaaten möchte ich nicht vorwegnehmen, sondern es bedarf einer gemeinsamen Erörterung im Außenministerrat am kommenden Montag.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Marieluise Beck das Wort.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, dass zwar
eine politische Entscheidung gefällt worden ist, man
möge gemeinsam anerkennen, dass rechtlich gesehen
aber jede Nation einzeln anerkennt und damit also auch
die Bundesregierung vor dieser Entscheidung steht?
Ich habe Ihnen eben sehr genau zugehört. Sie haben
gesagt: Ich glaube, dass alle außer einem Land dieser
ESVP-Mission zustimmen werden. Könnten Sie bitte
einmal etwas genauer ausführen, was es bedeutet, wenn
eine Regierung lediglich glaubt, statt von realen Verhandlungsergebnissen und Kenntnissen auszugehen?
Sehr verehrte Frau Kollegin Beck, ich habe von dem
Beschluss über die Gemeinsame Aktion gesprochen. Innerhalb der Europäischen Union ist eine Zustimmung erfolgt. Zugestimmt haben alle bis auf ein Mitgliedsland,
das sich konstruktiv enthalten hat. Es sind weitere Entscheidungen, was diese Mission, den Operationsplan
und den Einsatzzeitpunkt angeht, zu treffen. Darüber
sind also noch keine Entscheidungen getroffen worden.
Das ist die eine Seite.
Ein zweiter Punkt ist die Frage der Anerkennung,
wenn es zur Unabhängigkeit kommt. Ich habe vorhin
ausdrücklich gesagt, dass die Bundesregierung wie die
Regierungen vieler anderer Mitgliedstaaten der Auffassung ist, dass in der Europäischen Union eine gemeinsame Entscheidung über die weitere Vorgehensweise getroffen werden sollte. Das schließt nicht aus, dass sich
der eine oder andere Mitgliedstaat davon ausnimmt. Es
bedarf aber noch einer Diskussion im Europäischen Rat
am kommenden Montag, wenn bestimmte Situationen
eintreten. Alles andere wäre aus heutiger Sicht Spekulation.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Dağdelen
das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe eine Frage
bezüglich der ESVP-Mission im Kosovo. Werden diese
Truppen, die keine UN-Mandatierung haben - es gibt
noch nicht einmal eine Mandatierung der Mission im
Kosovo durch den UN-Sicherheitsrat -, vor Ort auch gegen Personen vorgehen können, die gegen die einseitige
Unabhängigkeitserklärung des Kosovo eintreten?
Frau Kollegin, ich hoffe, Sie richtig verstanden zu
haben und diese Frage angemessen beantworten zu können. Es handelt sich hier nicht um den Einsatz von Truppen, sondern um - ich habe das vorhin angesprochen eine zivile Mission, um eine Rechtsstaatsmission, an der
insbesondere Polizei- und Verwaltungsangehörige teilnehmen. Insofern stellt sich die Frage nach der Mandatierung von Truppen im Kosovo nicht.
Sie haben leider keine Möglichkeit zu einer zweiten
Nachfrage.
({0})
- „Leider“ aus der Sicht der Kollegin. - Die dringlichen
Fragen sind damit aufgerufen und beantwortet worden.
Ich danke dem Herrn Staatsminister.
Wir kommen jetzt zu den Fragen auf Drucksache
16/7998 in der üblichen Reihenfolge.
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred
Hartenbach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Hartfrid Wolff auf:
Ist es zutreffend, dass das Bundesministerium der Finanzen in Bezug auf den Referentenentwurf eines Gesetzes zur
Modernisierung des Bilanzrechts, BilMoG, des Bundesministeriums der Justiz Steuerausfälle in Höhe von rund 15 Milliarden Euro befürchtet, und inwiefern will die Bundesregierung konkret den Entwurf eines BilMoG ändern, um das Gesetz wie angekündigt steuerneutral zu halten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege
Wolff, die Zusammenfassung vorweg: Der Gesetzentwurf ist grundsätzlich auf Steuerneutralität angelegt. So
ist es auch in der Begründung des Referentenentwurfs
eines Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes ausgeführt;
falls Sie dazu nachfragen, kann ich es Ihnen hier vorlesen. Daher werden die Vorschläge auch nicht zu Steuerausfällen von 15 Milliarden Euro führen.
In der Begründung zum Gesetzentwurf ist erwähnt,
welche der Regelungsvorschläge unter diesem Gesichtspunkt noch gesondert zu prüfen sind. Dies sind zum Beispiel die vorgesehene Bewertung von Finanzinstrumenten des Handelsbestandes zum beizulegenden Zeitwert
- § 253 Abs. 1 Satz 3 des Entwurfes eines Handelsgesetzbuches - sowie die Möglichkeit der Vornahme einer
außerplanmäßigen Abschreibung für Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, die notwendigerweise nur
zusammen genutzt werden können; ich beziehe mich auf
§ 253 Abs. 3 Satz 5 des Entwurfes eines Handelsgesetzbuches. An dieser Stelle könnten sich Änderungen des
Entwurfs als erforderlich erweisen, um das Ganze steuerneutral zu halten. Es ist nun einmal so, dass Gesetzentwürfe noch geändert werden können. Auch Sie wollen ja
noch etwas zu prüfen haben.
Im Referentenentwurf ist zudem eine Änderung der
handelsrechtlichen Rückstellungsbewertung vorgesehen,
nach der künftige Preis- oder Kostensteigerungen, bei
Pensionsrückstellungen also auch künftige Lohn- und
Gehaltssteigerungen, zu berücksichtigen sind. Darüber
hinaus sollen die Rückstellungen mit von der Bundesbank festzusetzenden Zinssätzen abgezinst werden.
Das Bundesministerium der Finanzen hat geschätzt,
dass diese Änderungen der handelsrechtlichen Rückstellungsbewertung zu Steuerausfällen von mehr als 15 Milliarden Euro führen könnten, wenn sie auch steuerlich
nachvollzogen werden würden. Dies sieht der Referentenentwurf aber gerade nicht vor. Vielmehr soll die steuerliche Bewertung von Pensionsrückstellungen wie bisher
nach § 6 a Einkommensteuergesetz erfolgen; dafür ist
der Kollege Diller zuständig. Die speziellen steuerlichen
Vorschriften für die Bewertung von Rückstellungen sollen inhaltlich nicht geändert werden. Der Referentenentwurf ist demnach schon in seiner bisherigen Fassung in
diesem Punkt steuerneutral. Anders ausgedrückt: Zu
Steuerausfällen in den genannten Höhen würde es nur
kommen, wenn der Referentenentwurf an dieser Stelle
geändert werden würde, was von uns allerdings nicht beabsichtigt ist.
Nachdem Sie mit Datum vom 8. Februar Ihre mündliche Frage eingereicht hatten, haben Sie eine ausführliche
und, wie ich glaube, auch gut nachvollziehbare Antwort
auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hartfrid
Wolff, Dr. Guido Westerwelle und anderer Abgeordneter
der FDP-Fraktion erhalten - schätzungsweise am 11. Februar ist sie bei Ihnen eingegangen -, aus der sich alles
Weitere ergibt. Ich kann sie Ihnen auch gerne vorlesen.
Kollege Wolff, Sie können jetzt entscheiden, ob Sie
den Anregungen des Herrn Staatssekretärs folgen oder
andere Nachfragen stellen wollen. - Bitte, die erste
Nachfrage.
Es ist sehr nett, Herr Staatssekretär, dass Sie sagen,
Sie dächten darüber nach, noch Anpassungen vorzunehmen. Sie haben ferner dargelegt, dass der aktuelle Entwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes insofern
keine Änderungen vorsehe. Von daher würde mich interessieren, ob in Ihrem Nachbarministerium, also dem
Finanzministerium, über weitere steuerliche Anpassungsregelungen nachgedacht wird.
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, weil
ich dafür nicht zuständig bin.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Da das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz schon seit
mehr als zwei Jahren in der Diskussion ist und die Diskussion in der Öffentlichkeit jetzt etwas intensiver geworden ist, würde mich interessieren, inwieweit es eine
Abstimmung zwischen den verschiedenen Häusern, unter anderem mit dem Wirtschaftsministerium oder dem
Finanzministerium, im Hinblick auf die zu erwartenden
und von Ihnen auch angekündigten Bürokratiekosten
- Sie beziffern sie auf 50 bis 75 Millionen Euro für die
Unternehmen - gibt, ob dies auch mit dem Wirtschaftsministerium besprochen worden ist und ob das Wirtschaftsministerium das nach Ihrer Reaktion, die Sie sicherlich abgestimmt haben, ähnlich sieht.
Bei diesem Gesetzentwurf müssen wir mit großer
Sorgfalt und Vorsicht vorgehen. Sie wissen, dass gerade
die mittelständischen Unternehmen große Sorgen haben,
irgendwann bilanzieren zu müssen nach den International Financial - Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
({0})
- Danke schön. Sie sind in dieser Beziehung ja vom
Fach, ich weniger. - Diesen Unternehmen wollen wir
mit der Bilanzierung nach HGB eine gewisse Erleichterung anbieten. Das wird uns damit wohl auch gelingen.
Was nun die Bürokratie anbetrifft, so wird es für die
meisten Unternehmen zu keinen weiteren erheblichen
Kosten kommen, weil sie das, was sie ohnehin ermitteln
müssen, verwenden können und lediglich vielleicht einen anderen Zinssatz ansetzen müssen, was zum Beispiel die Pensionsrückstellungen angeht. Die Bürokratiekosten werden sich in überschaubaren Grenzen halten.
Einerseits müssen möglicherweise zwar zusätzliche Angaben gemacht werden; andererseits aber werden wir mit
dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz eine ganze
Fülle von Erleichterungen schaffen, gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, sodass diese
Unternehmen unter dem Strich einen deutlichen Vorteil
haben werden.
Außerdem war ich schon erstaunt, dass Sie danach
nicht gleich in Ihrer ersten Frage gefragt haben.
Die Möglichkeit zu weiteren Nachfragen besteht an
dieser Stelle nicht. - Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen beantwortet der
Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Britta Haßelmann
auf:
Wie stellt die Bundesregierung bei der Preisgestaltung der
künftigen Partnerschaften Deutschland Gesellschaft, PDG, sicher, dass das Beratungsangebot der Gesellschaft auch für finanzschwache Gebietskörperschaften finanzierbar ist, und
hält die Bundesregierung den Neutralitätsanspruch der Partnerschaften Deutschland Gesellschaft mit der Darstellung auf
der Internetseite www.partnerschaftendeutschland.de für vereinbar, wonach der Vorteil einer Beteiligung privater Unternehmungen darin besteht, dass sie „den Marktaufbau von
ÖPP auch im eigenen Interesse“ - ÖPP: öffentlich-private
Partnerschaften - unterstützen?
Frau Kollegin Haßelmann, Ihre Frage besteht eigentlich aus zwei Frageteilen.
({0})
Im ersten Teil geht es darum, wie die Bundesregierung bei der Preisgestaltung der künftigen Partnerschaften Deutschland sicherstellt, dass das Beratungsangebot
der Gesellschaft auch für finanzschwache Gebietskörperschaften finanzierbar ist. Dazu möchte ich Ihnen antworten: Die Preisgestaltung muss marktgerecht erfolgen,
zum einen wegen des Beihilferechtes der EU und zum
anderen natürlich wegen des Wettbewerbsrechtes. Wir
können also finanzschwachen Kommunen keine karitativen Preise anbieten.
Im zweiten Teil Ihrer Frage geht es darum, ob die Bundesregierung den Neutralitätsanspruch der Partnerschaften Deutschland mit der Darstellung auf der angegebenen
Internetseite für vereinbar hält. Antwort: Zwischen der
Neutralität der Beratungen und der Markterweiterung für
ÖPP besteht kein Widerspruch. Internationale Vergleiche
zeigen, dass mehr wirtschaftliche ÖPP möglich sind, als
es derzeit in Deutschland gibt. Wir haben nur eine Quote
von etwa 2 bis 3 Prozent, in Großbritannien beträgt sie
15 Prozent. Hier ist also noch eine Steigerung um ein
Vielfaches möglich. Wenn die Partnerschaften Deutschland durch neutrale Beratung dazu beiträgt, dass alle
denkbaren Projekte, bei denen ÖPP wirtschaftlich ist
- ich unterstreiche diese Bedingung: Es muss wirtschaftlich sein -, auch als ÖPP realisiert werden, dann profitieren nämlich beide Seiten: zum einen die öffentliche Hand
durch Effizienzgewinne und zum anderen die Privatwirtschaft durch die Erweiterung des Marktes.
Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär Diller, vielen Dank erst einmal für
die Beantwortung meiner Frage. - Ich möchte doch noch
einmal auf Ihre Aussage, man könne keine karitativen
Preise anbieten, eingehen. Sie reden davon, dass diese
Gesellschaft marktübliche Preise nehmen müsse; etwas
Ähnliches steht ja auch in Ihren Veröffentlichungen - ich
zitiere -:
Das Vergütungsmodell der Partnerschaften Deutschland reflektiert ein qualitativ anspruchsvolles Beratungsangebot im mittleren bzw. oberen Preissegment …
Wie kommen Sie nun darauf, dass diese Einrichtung
gerade für finanzschwache Kommunen ein wichtiges Instrument bei der Beratung in Bezug auf ÖPP-Projekte
ist? Ich versuche, mich in die Lage einer Kommune, die
finanzschwach ist, zu versetzen. Sie werben massiv damit, dass die Bundesregierung hier ein Angebot gerade
für finanzschwache Kommunen schafft. Gleichzeitig signalisieren Sie nach außen, dass diese qualitativ hochwertige Beratung nur im oberen Preissegment möglich
ist. Finden Sie nicht, dass da ein Widerspruch besteht?
Nein. Die Qualität der Beratungen, die wir bieten,
wird sehr viele Vorteile, auch für finanzschwächere
Kommunen, haben.
Ihre zweite Nachfrage.
Wie sollen finanzschwache Kommunen ein solches
Angebot überhaupt in Anspruch nehmen können? Sie
heben ja gleich auf die Qualität der Beratungen ab. Ich
selber habe elf Jahre Kommunalpolitik gemacht. Um
überhaupt eine Auftragsvergabe vornehmen zu können,
müssen doch die entsprechenden Finanzmittel für die
Gründung einer Gesellschaft bereitgestellt werden. Erst
nach Abschluss einer solchen Vereinbarung können die
Kommunen Leistungen in Anspruch nehmen, von denen
Sie sagen, sie seien unter Umständen qualitativ hochwertig. Wie kommen Sie vor diesem Hintergrund darauf,
dass eine finanzschwache Kommune, die vielleicht sogar den Regelungen des Haushaltssicherungsgesetzes
unterliegt, eine solche Beratung überhaupt in Anspruch
nehmen kann? Wie kommen Sie darauf, dass die Neutralität gewahrt wird, wenn Sie schon von vornherein eine
Zielvorgabe für den ÖPP-Anteil, der erreicht werden
soll, geben?
Frau Kollegin, ich selbst war ehrenamtlich mehrere
Jahrzehnte kommunalpolitisch tätig. Aus meiner Erfahrung heraus kann ich Ihnen sagen: Wenn eine Kommune
so finanzschwach ist, dass sie noch nicht einmal die Beratung bezahlen kann, dann kann sie sich auch das Projekt nicht leisten.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Haßelmann:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die
Höhe der im Wesentlichen durch Entlastungen beim Wohngeld erzielten Einsparungen der Bundesländer in der Folge
von Hartz IV und die Einhaltung der Zusage seitens der Länder, diese Einsparungen vollständig an die Kommunen weiterzuleiten?
Sie haben das Wort.
Frau Kollegin, diese Frage bezieht sich auf ein anderes Themenfeld.
Zwischen Bund und Ländern bestanden seit Einführung des Arbeitslosengeldes II unterschiedliche Auffassungen über die Höhe der Wohngeldeinsparungen. Aus
Bundessicht ist bei der Berechnung der Wohngeldeinsparungen davon auszugehen, dass die Wohngeldausgaben der Länder ohne das Vierte Gesetz für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt jährlich angestiegen
wären. Dagegen unterstellt die Mehrzahl der Länder,
dass die Wohngeldausgaben des Jahres 2004 unverändert auch in den folgenden Jahren der Vergleichsmaßstab
für die Wohngeldeinsparungen sind. Das ist nach unserer
Auffassung nicht statthaft.
Eine Analyse der Haushaltspläne der Länder nach
Einführung des Arbeitslosengeldes II zum 1. Januar
2005 zeigte, dass die Einsparungen bei den Wohngeldausgaben selbst nach der eben geschilderten Berechnungsmethode der Länder zuerst nicht vollständig an die
Kommunen weitergeleitet wurden. Allerdings gibt es in
vielen Ländern Nachzahlungsklauseln, und es waren
Spitzabrechnungen vorgesehen. Eine konkrete Überprüfung ist aufgrund der zeitlichen Verzögerungen und der
nachträglichen Spitzabrechnungen jedoch allein aufgrund der vorliegenden Haushaltspläne nicht durchführbar.
Eine regelmäßige Überprüfung der Weiterleitungsbeträge ist aus Sicht des Bundes aber zurzeit auch nicht erforderlich, da sich Bund und Länder im Dezember 2006
auf die Festlegung der Beteiligung des Bundes an den
Kosten der Unterkunft für Bezieher von Arbeitslosengeld II anhand einer im Gesetz festgeschriebenen Formel
geeinigt haben und diese Formel bis 2010 anzuwenden
ist. Die vollständige Weiterleitung der Wohngeldeinsparungen ist als Teil der im Zuge der Zusammenlegung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe vom Bund zugesagten Entlastung der Kommunen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro
von großer Bedeutung, da sie zur Stärkung der Investitionskraft und der Möglichkeiten der Kinderbetreuung
der Kommunen beiträgt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Ihrer Einlassung entnehme ich,
dass die Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse über die vollständige Weiterleitung der eingesparten Mittel hat. Sie haben gerade selber das Wort „Spitzabrechnung“ verwendet. Die Weiterleitung war aber Bestandteil der zugesagten Entlastung der Kommunen in
Höhe von 2,5 Milliarden Euro im Rahmen des SGB II;
Sie haben selber darauf verwiesen. Heißt das, die Bundesregierung nimmt Abstand von der Aussage, die Kommunen würden um mehr als 2,5 Milliarden Euro jährlich
entlastet?
Nein, Frau Kollegin, allein schon deswegen nicht,
weil wir uns mit wesentlich mehr als 2,5 Milliarden Euro an den Kosten der Unterkunft beteiligen. Im
Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass die Kontrolle
- was geben die Länder an ihre Kommunen weiter? Was
müssten sie nach ihrer Berechnungsmethode eigentlich
weitergeben? Was müssten sie nach der Methode weitergeben, die wir im Vermittlungsausschuss vereinbart haben? - Sache der jeweiligen Landtage bzw. der kommunalen Spitzenverbände ist, die das gegebenenfalls auch
politisch vertreten müssen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. Bitte.
Vielen Dank, auch Ihnen, Herr Staatssekretär, für die
Beantwortung des ersten Teils der Frage. - Ihrer Antwort
entnehme ich, dass Sie entgegen der Vereinbarung im
Vermittlungsausschuss - bezüglich des gesamten Komplexes SGB II hat es ja in der Tat eine Vereinbarung sozusagen zwischen Bund und Ländern gegeben - keine
Maßnahmen ergreifen wollen, um vonseiten der Bundesregierung zu überprüfen, dass der im Vermittlungsausschuss gefundene Konsens, nämlich die Weiterleitung,
tatsächlich durch Bund, Länder und Kommunen so umgesetzt wird.
Frau Kollegin, ich kann Ihnen versichern, dass wir
weiter im Auge behalten werden, wie die Entwicklung
verläuft. Wir brauchen natürlich auch die Rechnungsergebnisse. Die Jahresrechnungen müssen gedruckt vorliegen, damit wir nachvollziehen können, was beispielsweise die Spitzabrechnung gebracht hat.
Im Übrigen ist festzustellen, dass wir im Gesetz eine
Formel festgeschrieben haben, die wir mit den Ländern
vereinbart haben und die bis 2010 gilt.
Danke, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Ende
des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Finanzen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller.
Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann auf:
Wie erklärt der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, den Widerspruch zwischen seinen Aussagen, dass die deutsche Stahlindustrie der
Forderung der Fraktion Die Linke, die Emissionszertifikate
der deutschen Stahlindustrie zu auktionieren, nur in der Weise
entsprechen kann, die Stahlproduktion in andere Länder zu
verlagern, und dass weitere CO2-Reduktionen in dieser Branche nur „gegen die Physik“ möglich seien ({0}), sowie den Angaben der
Stahlindustrie, die für den Zeitraum von 2012 bis 2020 eine
weitere Senkung der spezifischen CO2-Emissionen der Rohstahlerzeugung mit Fremdstrom um 5 Prozent für gegeben
hält ({1})?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrte Kollegin Enkelmann, den Widerspruch,
den Sie in Ihrer Frage ansprechen, gibt es nicht. Sie müssen nämlich den Gesamtzusammenhang sehen.
Herr Professor Ameling hat in seiner Rede, in der in
Bezug auf Minderungsziele nur sehr wenig Ehrgeiz erkennbar war - es wundert mich deshalb, dass Sie ihn als
Kronzeugen heranziehen -, für die gesamte Branche bis
zum Jahre 2020 eine Minderung von 5 Prozent in Aussicht gestellt. Der Bundesumweltminister hat ausschließlich von der Gichtgasemission gesprochen. Wenn Sie die
Rede lesen, können Sie das nachvollziehen. Bei Fachleuten ist unbestritten, dass es bezüglich Gichtgas nur wenig Spielraum für eine Minderung gibt.
Ganz anders sieht es natürlich aus, wenn man - wie
Herr Professor Ameling - die gesamte Branche nimmt.
Da geht es beispielsweise um Verbesserungen bei der
Elektrostahlerzeugung und um Effizienzverbesserungen
bei Antriebssystemen. Man muss diese beiden Ebenen
auseinanderhalten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, mir tut es außerordentlich leid,
dass Sie jetzt für Ihren Minister die Kastanien aus dem
Feuer holen müssen. Der Minister hat hier in der Aktuellen Stunde behauptet, dass die Senkung von Emissionen
in der Stahlindustrie nur durch Verlagerung der Produktion ins Ausland, das heißt durch Abbau von Stellen in
diesem Land, möglich ist. Er hat in diesem Zusammenhang die Linke als Klimakiller und Jobkiller bezeichnet.
Andere Bereiche der Stahlindustrie sind Selbstverpflichtungen eingegangen. Diese kennen Sie sicher
auch; ich brauche mich also nicht nur auf den einen
Kronzeugen zu berufen. Die Frage ist: Ist der Minister
bereit, sich für die falschen Behauptungen im Bundestag
zu entschuldigen?
Abgesehen davon, dass mir die Linke in der Vergangenheit wahrlich nicht als besonders klima- und umweltfreundlich aufgefallen ist, möchte ich darauf hinweisen,
dass der Bundesumweltminister folgenden Satz gesagt
hat:
… dass diese Unternehmen nur durch eine einzige
Maßnahme ihre Gichtgasemissionen senken können:
- ich wiederhole: Gichtgasemissionen senken können durch den Abbau der europäischen Stahlproduktion, durch die Verlagerung in andere Länder.
Das ist der Satz, um den es geht. Er sagt etwas anderes
aus als der, den Sie zitiert haben.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, mir geht es um die falsche Behauptung insbesondere gegenüber der Linken und um
den Versuch, Wahlkampf zulasten der Linken zu machen. Jetzt kann man sagen, dass dies gründlich danebengegangen ist.
({0})
Der Minister hat angekündigt, vor Betriebsräten von
Stahlunternehmen diese falsche Behauptung zu wiederholen. Meine Frage ist: Ist der Minister bereit, diese Behauptung richtigzustellen?
Verehrte Kollegin Enkelmann, ich habe den Eindruck,
Sie machen Wahlkampf; denn Sie nehmen den Zusammenhang einfach nicht zur Kenntnis. In dem Absatz, von
dem ich gerade geredet habe, spricht der Minister von
der Gichtgasemission. Ich habe den Eindruck, dass Sie
nicht begreifen, um was es geht. Es geht um die europäische Stahlindustrie.
In dem Absatz heißt es weiter, dass kein Facharbeiter
in der Stahlindustrie Grün wählen würde. Bei der Gichtgasemission - das ist die Meinung aller Fachleute - gibt
es kaum noch Senkungsmöglichkeiten. Das heißt aber
nicht, dass es in der Stahlproduktion nicht noch Reduktionsmöglichkeiten gibt. Bitte halten Sie diese beiden
Ebenen auseinander! Dann können wir gut darüber diskutieren.
({0})
Der Kollege Schneider hat das Wort zu einer Nachfrage.
({0})
Herr Staatssekretär, bei allem Verständnis für Ihre
Ausführungen: Ich habe das Protokoll vor mir liegen.
Wir haben doch offensichtlich dasselbe Protokoll. Dort
finden sich zunächst einmal eine Einleitung und dann ein
Angriff auf die Linke; darüber diskutieren wir hier. Dann
lese ich, nachgeschoben, den Teil, auf den Sie sich die
ganze Zeit beziehen. Würden Sie mir zustimmen, dass es
zunächst einmal insgesamt um das Papier der Europäischen Kommission ging? Die Anmerkungen zu den
Gichtgasemissionen sind natürlich nachgeschoben. Jetzt
frage ich mich: Hat der Bundesminister sie deshalb
nachgeschoben, weil er sich an dieser Stelle nicht angreifbar machen wollte, oder ist das hier eine einigermaßen unredliche Veranstaltung?
Für diejenigen, die den Text nicht kennen: Das ist alles in einem Satz formuliert; das kann man nicht als
„nachgeschoben“ bezeichnen. Die Ausführungen werden nur durch ein Komma getrennt. Ein bisschen merkwürdig ist Ihre Argumentation schon. Wenn Sie es nachlesen, stellen Sie fest, dass dies ein Satz im Protokoll ist.
Die Frage 5 des Kollegen Hans-Josef Fell wird
schriftlich beantwortet. Ich danke dem Herrn Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 6
der Kollegin Cornelia Hirsch wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Karin Kortmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Dr. Karl Addicks
auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung in die inhaltliche Entwicklung und Umsetzung der Zimbabwe Economic Development
Strategy, ZEDS, involviert, und sind an die ZEDS politische
Bedingungen an das Mugabe-Regime geknüpft?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich beantworte Ihre
Frage folgendermaßen: Die Bundesregierung ist weder
in die inhaltliche Entwicklung noch in die Umsetzung
der Zimbabwe Economic Development Strategy involviert. Diese Strategie stellt einen Fünfjahresplan der simbabwischen Regierung dar, der Wege aus der derzeitigen
wirtschaftlichen Misere aufzeigen soll. Es handelt sich
damit um ein rein nationales Programm, das federführend vom simbabwischen Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung erarbeitet wird. Daher sind daran auch
keine politischen Bedingungen geknüpft.
Ursprünglich sollte das Papier bereits im Jahr 2007
verabschiedet werden und für den Zeitraum 2008 bis
2012 gelten. Der Plan ist aber bisher nicht von der simbabwischen Regierung verabschiedet worden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin,
gehe ich dann recht in der Annahme, dass Deutschland
die ZEDS weder auf direktem noch auf indirektem Wege
finanziell unterstützt?
Davon gehen Sie zu Recht aus. Wir haben seit dem
Jahr 2000 keine Regierungsverhandlungen mehr mit
Simbabwe geführt. Alle finanziellen Mittel und alle Unterstützungsmöglichkeiten, die wir für die geschundene
Bevölkerung in Simbabwe aufwenden bzw. vorsehen,
leisten wir über die politischen Stiftungen, über die Kirchen und über Nichtregierungsorganisationen. Das geht
nicht über eine Zusammenarbeit mit dem dortigen Staat.
Ihre zweite Nachfrage.
Danke. - Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit,
sicherzustellen, dass die ZEDS nicht der Stärkung des
Mugabe-Regimes dient, auch wenn wir keine finanziellen Beiträge dazu leisten, und, wenn ja, ergreift sie sie?
Ich will es einmal so formulieren: Staatspräsident
Mugabe und seine Regierung haben in den letzten Jahren
immer wieder Programme angekündigt und beschlossen.
Dazu gehört die Kampagne „Mother of All Agricultural
Seasons“. Dazu gehört das „Farm Mechanisation Programme“. Dazu gehört das „Indigenisierungsgesetz“,
aber auch das Gesetzesvorhaben zur Neuordnung der Eigentumsverhältnisse im Bergbausektor. Alle haben sich
letztendlich als Luftblase erwiesen.
Inwieweit die jetzt von Ihnen erfragte Strategie tatsächlich in irgendeiner Form beschlossen wird, geschweige denn Umsetzungscharakter erhält, da sehe ich
noch viele Fragezeichen. Wir werden erst einmal abwarten, wie das weitere Verfahren in der Regierung in Simbabwe sein wird.
Wir kommen damit zur Frage 8 des Kollegen Dr. Karl
Addicks:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem von
den SADC-Staaten - SADC: Southern African Development
Community - auf ihrem Gipfeltreffen in Lusaka im August
2007 angekündigten, an keine politischen Bedingungen geknüpften Economy Recovery Plan für Simbabwe?
Der in der Frage erwähnte angekündigte Plan - so
kann ich Ihre Frage im Namen der Bundesregierung beantworten - ist der Bundesregierung bislang nicht überreicht worden. Deswegen können wir ihn nicht kommentieren.
Ihre erste Nachfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, dass die SADCStaaten mit dem Economy Recovery Plan Simbabwe unterstützen?
Uns ist bekannt, dass es dazu Gespräche gibt, dass
Vereinbarungen getroffen werden sollen. Das bezieht
sich insbesondere auf die marode wirtschaftliche Situation in Simbabwe, die in diesem Plan, soweit ich weiß,
ohne Beschönigungen dargestellt wird. Die finanziellen
Erwartungen an die SADC sind hoch. Inwieweit es zu
einer Umsetzung dieses Planes kommt, kann ich aber
nicht sagen, weil uns dieser Plan, wie gesagt, nicht vorliegt.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Würde die Bundesregierung in dem Fall, dass ihr dieser Plan bekannt würde, Maßnahmen ergreifen, um zu
verhindern, dass auf Umwegen aus der ungebundenen
Finanzhilfe, die die Bundesrepublik Deutschland an einige der SADC-Staaten leistet, zum Beispiel an Mosambik und Südafrika, Finanzmittel von den SADC-Staaten
zur Unterstützung an das Regime in Simbabwe fließen?
Es ist ja bekannt, dass Geld im Gegensatz zu Immobilien
ein sehr mobiles Gut ist. Geldscheine haben keine Farbe.
Ich vermute, dass auf diesem Weg unser - ich möchte
fast sagen - Boykott des Regimes in Simbabwe unterlaufen werden könnte.
Herr Addicks, Sie können sicher sein, dass wir keine
ungebundenen Finanzströme fließen lassen. Wenn wir
SADC unterstützen, dann muss klar sein, für welchen
Bereich und für welche Vorhaben die Mittel genutzt werden. Sie kennen unsere Kritik am Mugabe-Regime. Der
Plan, soweit ich ihn kenne, stellt zwar die marode wirtschaftliche Situation in den Mittelpunkt, zieht daraus
aber keinerlei politische Schlussfolgerungen, sagt nicht,
dass es auch aufgrund des politischen Regimes zu dieser
maroden wirtschaftlichen Situation gekommen ist. Sie
können sicher sein, dass wir keine Mittel über Drittwege,
die wir nicht kontrollieren können, nach Simbabwe leiten.
({0})
- Bitte sehr.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. - Danke, Frau Staatssekretärin.
Die Frage 9 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Uwe Barth auf:
Welche neuen Bundesbehörden hat die Bundesregierung
an welchen Standorten seit Beginn der 16. Wahlperiode angesiedelt, und aus welchen Vorgängerbehörden sind diese gegebenenfalls entstanden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Barth,
Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums des Innern hat am
2. April 2007 die Bundesanstalt für den Digitalfunk der
Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben
ihre Tätigkeit in Berlin aufgenommen. Bis Juni 2007
wurde eine Referenzplattform mit Standorten in Berlin,
Hamburg, Lüneburg, Köln, Stuttgart und München errichtet.
Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums
der Justiz ist entsprechend dem vom Deutschen Bundestag am 20. Oktober 2006 verabschiedeten Gesetz zur
Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamts für Justiz am 1. Januar 2007 das Bundesamt für
Justiz in Bonn gegründet worden. Es hat als Kernbestandteile sämtliche Aufgaben der Dienststelle Bundeszentralregister des Generalbundesanwalts beim
Bundesgerichtshof übernommen, die seit dem Regierungsumzug 1999 ihren Sitz in Bonn hatte. Weiterhin
sind ihm Aufgaben der Dienststelle Bonn des Bundesministeriums der Justiz, die nichtministerieller Natur
waren, übertragen worden. Das Bundesamt für Justiz
nimmt also ganz überwiegend Aufgaben wahr, die bisher
bereits am Standort Bonn angesiedelt waren.
Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums
der Finanzen wurden zum 1. Januar 2006 aufgrund der
Feinplanung des Projekts zur Strukturentwicklung der
Bundesfinanzverwaltung aus den ehemaligen Bundesoberbehörden Bundesamt für Finanzen und Bundesamt
zur Regelung offener Vermögensfragen sowie aus dem
der Zollverwaltung zugehörigen Zentrum für Informations- und Datentechnik in funktionaler Nachfolge die
Bundesoberbehörden Bundeszentralamt für Steuern mit
Sitz in Bonn und Bundesamt für zentrale Dienste und
offene Vermögensfragen mit Sitz in Berlin sowie das
Zentrum für Informationsverarbeitung und Informationstechnik mit Sitz in Bonn eingerichtet.
Die Ergebnisse des Projekts „Strukturentwicklung
Zoll“ sehen eine Straffung und fachliche Neuausrichtung
der Mittelbehörden der Bundesfinanzverwaltung vor.
Mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung
des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze
zum 1. Januar 2008 wurden die Oberfinanzdirektionen
Cottbus, Hamburg, Köln und Nürnberg mit ihren Zollund Verbrauchsteuerabteilungen und der Abteilung „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ sowie die Zoll- und Verbrauchsteuerabteilungen bei den Oberfinanzdirektionen
Chemnitz, Hannover, Karlsruhe und Koblenz aufgelöst.
Zugleich wurden fünf Bundesfinanzdirektionen als neue
Mittelbehörden der Bundesfinanzverwaltung in Hamburg, Potsdam, Köln, Neustadt an der Weinstraße und
Nürnberg errichtet.
Durch Organisationserlass der Bundeskanzlerin vom
22. November 2005 wurde mit Beginn der 16. Legislaturperiode das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit erstem Dienstsitz in Berlin und zweitem
Dienstsitz in Bonn errichtet. Ihm wurden die Aufgaben
des ehemaligen Bundesministeriums für Wirtschaft und
Arbeit sowie des ehemaligen Bundesministeriums für
Gesundheit und Soziale Sicherung übertragen.
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung
der Ressortforschung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am 1. Januar 2008 wurden die bisher
vorhandenen sieben Bundesforschungsanstalten zu vier
neuen Bundesforschungsinstituten zusammengelegt.
Dies ist erstens das Julius-Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, mit Hauptsitz in
Quedlinburg in Sachsen-Anhalt. Es wurde aus der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft und
der Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen sowie Teilen der Bundesforschungsanstalt für
Landwirtschaft gebildet. Zweitens ist dies das FriedrichLoeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, mit Hauptsitz auf der Insel Riems in Mecklenburg-Vorpommern. Es wurde um Teile der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft erweitert. Drittens ist
dies das Max-Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut
für Ernährung und Lebensmittel, mit Hauptsitz in Karlsruhe. Die Bundesforschungsanstalt für Ernährung und
Lebensmittel wurde in Max-Rubner-Institut umbenannt.
Viertens ist dies das Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume,
Wald und Fischerei, mit Hauptsitz in Braunschweig in
Niedersachsen. Dieses Institut wurde aus der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft, der
Bundesforschungsanstalt für Fischerei sowie Teilen der
Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft und der
Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel gebildet.
Schließlich wurde beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 18. August 2006
mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gemäß § 25 Abs. 1 dieses Gesetzes die Antidiskriminierungsstelle des Bundes neu errichtet.
({0})
Sie hat ihren Standort in Berlin.
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen damit erschöpfend beantwortet habe.
Sie haben natürlich die Möglichkeit, trotzdem nachzufragen. - Bitte, Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Herr
Staatssekretär, Ihre Antwort war umfangreich, aber nicht
ermüdend.
({0})
Trotzdem habe ich eine Frage. Im Koalitionsvertrag
wurde bei der Reform der Bundesbauverwaltung vereinUwe Barth
bart, dass das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung und die Bundesbaugesellschaft Berlin in einer
neuen rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechtes
aufgehen. Diese Anstalt hat in Ihrer Aufzählung gefehlt.
Daher möchte ich Sie fragen - daran kann man sehen,
dass man auch in der erschöpfendsten Antwort nicht alles erfassen kann -: Würden Sie mir folgen, wenn ich in
Anbetracht der Liste, die Sie vorgetragen haben, und der
Vorgängerinstitutionen argumentiere, dass auch diese
Anstalt eine neue Behörde ist?
Wenn Sie aus zwei Vorgängerinstitutionen neu errichtet worden ist, müsste sie eigentlich in dieser Liste auftauchen. Wir werden das überprüfen und Ihnen schriftlich mitteilen.
Dies ist ja noch nicht erfolgt; es ist nur eine Frage.
Ist das jetzt Ihre zweite Nachfrage?
Nein.
Gut, dann stellen Sie bitte jetzt die Frage.
Meine zweite Nachfrage lautet: Sie, Herr Staatssekretär, haben - gefühlte - 15 Standorte vorgetragen, an denen verschiedene Behörden jetzt ihren Sitz genommen
haben. Wenn ich das richtig überblicke, sind davon zwei
Behörden aus dem Bereich des BMBF in den neuen Ländern angesiedelt; Sie erwähnten die Standorte Quedlinburg und die Insel Riems in Mecklenburg-Vorpommern.
In dem Abschnitt des Koalitionsvertrages, in dem es
um den Aufbau Ost geht, findet sich unter Punkt 10 die
Formulierung:
Neue Bundeseinrichtungen sollen in den neuen
Ländern angesiedelt werden.
Würden Sie mir zustimmen, wenn ich angesichts der
prozentualen Verteilung der Ansiedlungen zwischen alten und neuen Ländern zu der Auffassung gelange, dass
diese Vereinbarung des Koalitionsvertrages höchstens
unzureichend erfüllt ist?
Nein, da würde ich Ihnen auf gar keinen Fall zustimmen. Wenn Sie meiner Aufzählung genau zugehört haben, werden Sie festgestellt haben, dass die übergroße
Zahl der neu eingerichteten Behörden in einer Zusammenfassung bereits bestehender Behörden bestanden
hat. Oftmals wurde auch die Zahl der Standorte zusammengefasst und so verringert.
Vor diesem Hintergrund ist es, wie ich glaube, logisch, dass Behörden, die bisher für die Erfüllung bestimmter regionaler Aufgaben zuständig waren, in den
Bundesländern neu angesiedelt werden, in denen sie bisher zuständig waren und auch künftig zuständig sein
werden. Die von Ihnen erwähnte Passage des Koalitionsvertrages bezieht sich auf Bundesbehörden, die wirklich
neu angesiedelt werden, also auf Fälle, in denen es einen
Ermessensspielraum gibt, in welchem Bundesland sie
angesiedelt werden.
Bei meiner Antwort auf Ihre nächste Frage werde ich
im Übrigen ein Beispiel nennen, das sich auf die neuen
Bundesländer bezieht, nämlich das künftige Bundespolizeipräsidium.
({0})
Dazu kommen wir noch. Erst einmal hat der Kollege
Volker Beck das Wort zu einer Nachfrage. - Bitte.
Ich möchte von der Bundesregierung wissen, ob sie
plant, einige der „Inschtitute“ in Institute umzubenennen, und ob sich die Standortfrage in diesem Zusammenhang gegebenenfalls neu stellt.
({0})
Herr Staatssekretär, bitte.
Ja, Fasching ist vorbei. Herr Kollege Geis, vielen
Dank für diese Erinnerung.
Die Bundesregierung prüft immer, ob die Standorte
optimal sind. Je nachdem, in welchem Bundesland ein
Institut angesiedelt ist, kann es sich bisweilen auch um
ein „Inschtitut“ handeln.
({0})
Danke für die Beantwortung von Frage 10.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Uwe Barth auf:
Welche neuen Bundeseinrichtungen wird die Bundesregierung bis zum Ende der 16. Wahlperiode errichten, und wo sollen diese ihren Sitz nehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Barth, diese Frage beantworte ich wie
folgt: Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales wird durch das Gesetz zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zum 1. Januar 2009 der Spitzenverband der
landwirtschaftlichen Sozialversicherung als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts mit
Selbstverwaltung errichtet, dessen Sitz durch die Satzung
zu bestimmen ist. Die drei bisherigen Spitzenverbände
- der Bundesverband der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, der Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen und der Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen mit Sitz in Kassel - werden
durch diese Regelung zu einem einheitlichen Spitzenverband zusammengeschlossen.
Was den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz betrifft, ist vorgesehen, im Jahre 2008 das Deutsche Biomasseforschungszentrum am Standort Leipzig,
Sachsen, zu errichten. Wie Sie sehen, nehmen wir den
Koalitionsvertrag sehr ernst, Herr Kollege. Darüber hinaus wurde der Deutsche Verband für Landschaftspflege
e. V. mit Sitz in Ansbach, Bayern, ab dem Jahr 2008 in
die institutionelle Förderung des Bundes aufgenommen.
Im Hinblick auf den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums des Innern ist anzumerken: Im Zuge der
Neuorganisation der Bundespolizei werden keine neuen
Behörden oder Einrichtungen gegründet, sondern bereits
bestehende zum Teil unter neuen Behördenbezeichnungen zusammengefasst. Das künftige Bundespolizeipräsidium mit neuem Sitz in Potsdam vereinigt die bisherigen
fünf Bundespolizeipräsidien und die bisherige Bundespolizeidirektion. Die bisherigen Bundespolizeipräsidien
waren in den alten Bundesländern angesiedelt, das neue
und einheitliche Bundespolizeipräsidium ist in den neuen
Bundesländern, in Brandenburg, angesiedelt. Zugleich
werden die heutigen 19 Bundespolizeiämter in 10 Bundespolizeidirektionen aufgehen. Von den 128 Bundespolizeiinspektionen werden 77 Bundespolizeiinspektionen
erhalten bleiben. Mit Ausnahme von Potsdam werden
sämtliche Behörden, Dienststellen und Einrichtungen ihren künftigen Sitz an bisherigen Standorten der Bundespolizei haben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
ich habe vorhin die Umstrukturierung bzw. Reform der
Bundesbauverwaltung angesprochen. Auf meine Frage,
warum diese neu eingerichtete Anstalt des öffentlichen
Rechts ihren Sitz nicht in Weimar nimmt, wofür es eine
Reihe guter inhaltlicher Gründe gibt - Sie sind nicht zuständig, Sie müssen darauf nicht eingehen -, hat das Bundesbauministerium geantwortet, dass es sich hier nicht
um eine Neugründung, sondern nur um eine Umstrukturierung handele, weshalb diese neue Behörde ihren Sitz
- anders, als es im Koalitionsvertrag steht - nicht in den
neuen Ländern nehmen müsse.
Angesichts der erschöpfenden Liste, die Sie hier vorgetragen haben und die sich auf meine Frage nach neuen
Behörden bezog, bitte ich Sie: Könnten Sie mir die Abgrenzung, die die Bundesregierung zwischen Neugründung und Umstrukturierung vornimmt, darlegen, damit
ich die Gründe für die entsprechenden Entscheidungen
nachvollziehen kann?
Ich biete Ihnen gerne an, dass wir Ihnen diese schriftlich zukommen lassen.
Eine neue Behörde ist beispielsweise die Bundesanstalt für den Digitalfunk. Für diese Aufgabe gab es keine
Vorläuferbehörde, sodass hierfür eine neue Bundesoberbehörde geschaffen worden ist.
Ein anderes Beispiel ist die Reform der Bundespolizei. Hier gibt es bestehende Behörden. Beispielsweise
werden die „Bundespolizeiämter“ in „Bundespolizeidirektionen“ umbenannt. Auch die Zahl der Standorte wird
modifiziert. Dies ist der typische Fall einer Umstrukturierung.
Ihre zweite Nachfrage.
Die Abgrenzung ist mir daran nicht klar geworden,
Herr Staatssekretär. Ich hatte nach neu gegründeten Behörden gefragt, um zu erfahren, was Sie unter neuen Behörden verstehen. Es geht bei der Festlegung des Koalitionsvertrages ja weniger um die Frage, ob eine Behörde
neu gegründet oder ob sie umstrukturiert wird. Vielmehr
geht es um strukturpolitische Entscheidungen. Deshalb
möchte ich noch einmal nachfragen, wie Sie diese Abgrenzung in Zukunft vornehmen wollen, um dem strukturpolitischen Ansatz des Koalitionsvertrages gerecht zu
werden.
Die Abgrenzung wird in jedem Einzelfall geprüft und
vorgenommen, Herr Kollege. Wir sind gerne bereit, sie
Ihnen mitzuteilen und zu erläutern.
Wir kommen damit zur Frage 12 des Kollegen
Dr. Keskin:
Welche aktuellen Erkenntnisse über die Ursachen des
Großbrandes in Ludwigshafen liegen der Bundesregierung
vor, und kann hierbei insbesondere eine politisch motivierte
Brandstiftung ausgeschlossen werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Keskin, ich muss Ihnen mitteilen, dass
die Ermittlung der Ursache des Wohnhausbrandes in
Ludwigshafen dem Land Rheinland-Pfalz obliegt. Zu
Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit eines Landes
fallen, äußert sich die Bundesregierung grundsätzlich
nicht.
Trotzdem kann ich Sie darauf verweisen, dass die
Staatsanwaltschaft Frankenthal und das Bundespolizeipräsidium Rheinpfalz am 12. Februar öffentlich erklärt
haben, dass die Soko „Danziger Platz“ weiter mit Hochdruck an der Aufklärung der Brandursache des verheerenden Feuers vom 3. Februar arbeitet. Mitgeteilt werden könne zurzeit lediglich, dass sich das Feuer nach
derzeitigen Einschätzungen der Sachverständigen aus
dem Kellerbereich heraus entwickelt habe. Die eingesetzten Brandsachverständigen seien damit befasst, die
erforderlichen Untersuchungen zur Klärung der Brandursache unvermindert und uneingeschränkt weiterzuführen. Diese Überprüfungen hinsichtlich aller in Betracht
kommenden Ursachen dürften mindestens noch diese
Woche in Anspruch nehmen. - Weitere Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär Altmaier, in manchen türkischsprachigen Nachrichten wird berichtet, dass es Ansatzpunkte gebe, dass es sich bei diesem Feuer möglicherweise um politisch motivierte Brandstiftung handelt.
Was meinen Sie dazu?
Herr Kollege Keskin, ich bitte um Verständnis, dass
ich noch einmal darauf hinweise, dass die Bundesregierung zu Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit eines
Landes fallen, nicht Stellung nimmt.
Ich glaube auch, dass es politisch klug ist, die Ermittlungen, die von den zuständigen Landesbehörden mit
Unterstützung des Bundeskriminalamtes vorgenommen
werden, abzuwarten und nicht zu einem Zeitpunkt, wo
wir noch keine hinreichenden Erkenntnisse haben, eine
solche Bewertung zu treffen.
Haben Sie eine zweite Nachfrage? - Nein.
Dann rufe ich die Frage 13 des Kollegen Keskin auf:
In welcher Weise werden die Experten aus der Türkei in
die laufenden Arbeiten zur Brandursachenermittlung einbezogen, und welche eigenen Ermittlungsbefugnisse werden ihnen
gewährt?
So leid es mir tut: Auch bei dieser Frage muss ich darauf verweisen, dass dies in die Zuständigkeit des Landes Rheinland-Pfalz fällt.
Haben Sie eine Nachfrage dazu?
Es ist sehr schwierig, zu fragen, wenn Sie permanent
an eine andere Adresse, nämlich an die Landesregierung
Rheinland-Pfalz, verweisen.
({0})
- Es geht nicht um eine Spekulation.
Herr Staatssekretär, die Einbeziehung türkischer Experten wurde in der Öffentlichkeit polemisiert; es wurde
gesagt, dass das nicht angebracht sei. Nun wissen wir
aber, dass es eine enge Zusammenarbeit zwischen den
Polizeibehörden unterschiedlicher Länder gibt. Was ist
die Position der Bundesregierung zu dieser Einbeziehung von türkischen Experten?
Kollege Keskin, das können Sie vielleicht daraus ersehen: Der Bundesinnenminister hat sich zum Zeitpunkt
dieses tragischen Brandes zu politischen Gesprächen in
der Türkei aufgehalten. Der Wunsch der türkischen Regierung, Experten nach Ludwigshafen zu entsenden, ist
an den Bundesinnenminister herangetragen worden. Er
hat diesen Wunsch unmittelbar an die zuständige Landesregierung von Rheinland-Pfalz weitergegeben. Die
entscheidenden Weichenstellungen dafür, dass dies möglich war, sind dann zwischen der rheinland-pfälzischen
Landesregierung und der türkischen Polizei vorgenommen worden. Alle weiteren Details unterliegen der Verantwortung der örtlichen Behörden in Rheinland-Pfalz.
Ich wiederhole mich jetzt, aber es ist nun einmal so: Ich
bitte um Verständnis, dass ich dazu nichts sagen kann.
({0})
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Barth das Wort.
Herr Staatssekretär, ich habe eine ganz kurze Frage
dazu. Ich glaube, der Fall „Marco“ ist uns allen noch gut
in Erinnerung. Hat die Bundesregierung damals das Ansinnen an die Türkei herangetragen, deutsche Experten in
diesem Fall in der Türkei tätig werden zu lassen? Ist Ihnen bekannt, ob schon einmal ein Land mit einem derartigen Ansinnen an die Türkei herangetreten ist? Wissen
Sie, wie eine etwaige Anfrage beantwortet worden ist?
Davon ist mir nichts bekannt.
Damit kommen wir zur Frage 14 des Kollegen Heinz
Schmitt:
Vizepräsidentin Petra Pau
Ist es richtig, dass der Parlamentarische Staatssekretär
beim Bundesminister des Innern Peter Altmaier am 26. Januar
2008 bei einer sogenannten Einweihungsveranstaltung in der
Dienststelle der Bundespolizei Lauterbourg mitgewirkt hat,
bei der es laut Einladung um den „Startschuss für die bundesweit erste deutsch-französische operative Polizeidienststelle“
ging, und welche konkreten Planungen des Bundesministeriums des Innern gibt es hinsichtlich der Dienststelle der Bundespolizei in Lauterbourg?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Schmitt, die Recherchen in meinem Haus haben ergeben, dass der Parlamentarische Staatssekretär Peter
Altmaier am 26. Januar 2008 in Lauterbourg in Frankreich in der Tat an einer gemeinsamen Veranstaltung von
Herrn MdB Ralf Göbel und seinem französischen Kollegen Frederik Reiss teilgenommen hat. Hierbei hat er gegenüber den anwesenden Vertretern der Presse und der
Öffentlichkeit erläutert, dass die Bundespolizei und die
französische Grenzpolizei zukünftig gemeinsam in einem Gebäude am ehemaligen Grenzübergang Lauterbourg untergebracht werden sollen. Bisher hätten die
deutschen und französischen Grenzbehörden unterschiedliche Gebäude an dem ehemaligen Grenzübergang
genutzt, die beide sanierungsbedürftig seien. Die französische Seite beabsichtige, das von ihr genutzte Gebäude
zu modernisieren, und habe der deutschen Seite eine
Mitnutzung angeboten.
Die gemeinsame Nutzung eines Gebäudes sei neben
wirtschaftlichen Gesichtspunkten wie der Reduzierung
der Kosten auch unter einsatzpraktischen Gesichtspunkten für die tägliche deutsch-französische grenzpolizeiliche Zusammenarbeit in diesem regionalen Abschnitt
von einem hohen Mehrwert. Dabei sei von Anfang an
klar gewesen, dass die Einrichtung keine Konkurrenz
zur gemeinsamen Dienststelle in Kehl darstelle.
Ich kann dies noch wie folgt ergänzen: Es handelt
sich bei der Einrichtung dieser Stelle um eine Initiative
der Beschäftigten der Bundespolizei in Bienwald. Durch
diese Initiative, die das Bundesinnenministerium aufgegriffen und umgesetzt hat, wird zum einen der Standort
Bienwald gesichert und aufgewertet; zum anderen kann
man in der Tat davon ausgehen, dass für die operative
Zusammenarbeit der deutschen und französischen
Grenzpolizeien in diesem Raum ein hoher Mehrwert entsteht, weil die Beamtinnen und Beamten unter einem
Dach untergebracht sein und gemeinsame Diensträume
nutzen werden und weil dies dazu führt, dass sie sich in
ihrer täglichen Arbeit absprechen können, wovon wir
eine Verbesserung in der täglichen Arbeit erwarten.
({0})
Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage.
Ich bedanke mich zunächst für die Auskunft. Allerdings wird in der öffentlichen Darstellung der Eindruck
wiedergegeben, es werde eine große gemeinsame operative Dienststelle neu errichtet. Diese Erwartung wird dadurch unterstrichen, dass Sie als Staatssekretär bei diesem Startschuss persönlich präsent waren. Sie haben es
eben sehr optimistisch beschrieben; man könnte die Gemeinsamkeiten aber auch darauf reduzieren, dass die
Teeküche und die Toiletten gemeinsam benutzt werden,
({0})
während die Diensträume immer noch voneinander getrennt sind. An diesem Tag wurden keinerlei dienstliche
und fachliche Absprachen oder Übereinkünfte erzielt.
Hier ist der Eindruck „Much Ado about Nothing“, viel
Lärm um nichts, entstanden.
({1})
Daher bitte ich Sie, dies noch etwas mehr zu konkretisieren.
Sie haben in Ihrem letzten Satz beschrieben, dass dies
kein Konkurrenzbetrieb zur Dienststelle in Kehl sein
solle. Mir geht es also um die Bedeutung dieses Projekts
in der Realität.
Herr Kollege Schmitt, ich habe ausführlich die Äußerungen des Parlamentarischen Staatssekretärs Altmaier
so zitiert, wie sie gemacht worden sind; sie waren unmissverständlich. Für Missverständnisse, die in der
Folge vor Ort entstanden sind, haftet der Staatssekretär
nicht.
Allerdings bin ich schon einigermaßen verwundert:
Wir machen hier etwas, was es im übrigen Bundesgebiet
in dieser Form noch nicht gibt, indem wir die praktische,
alltägliche Zusammenarbeit unter einem Dach organisieren, ohne dafür eine neue Dienststelle zu schaffen. Die
Beschäftigten haben dies ausdrücklich anerkannt und es
ja auch gewollt. Mir liegt ein Brief des Vorsitzenden des
Personalrats bei der Inspektion Kaiserslautern an den
rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten vor, in dem er
sich über bestimmte abwertende Äußerungen, die in dieser Angelegenheit gemacht worden sind, verwundert
zeigt. Wir gehen davon aus, dass dieses Projekt in Bienwald nicht nur für die betroffene Region von Bedeutung
ist und dort die Sicherheit für die Menschen verbessern
wird, und halten es durchaus für denkbar, dass dieses
Projekt, wenn es Erfolg hat, zu einem Modellprojekt für
andere Grenzregionen werden kann.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Frage. Sie verzichten darauf.
Ich rufe nun die Frage 15 des Kollegen Heinz Schmitt
auf:
Vizepräsidentin Petra Pau
Welche Aufgaben werden im Rahmen dieser deutsch-französischen operativen Zusammenarbeit von der Dienststelle
Lauterbourg/Bienwald übernommen, die für den gesamten
Grenzverlauf in der Süd- und Südwestpfalz zuständig ist, und
wie viele neue Personalstellen sind hierfür vorgesehen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Schmitt, auf dem ehemaligen Grenzübergang Lauterbourg ist der Einsatzabschnitt Bienwald
- das wird künftig ein Bundespolizeirevier sein - untergebracht. Dieser Einsatzabschnitt ist ein organisatorisch
unselbstständiger Teil der Bundespolizeiinspektion Kaiserslautern. Die eingesetzten Beschäftigten nehmen wie
grundsätzlich in allen Dienststellen der Bundespolizei
ihre Aufgaben integrativ wahr. Dies bedeutet, dass dort
alle grenzpolizeilichen und bahnpolizeilichen Aufgaben
der Bundespolizei erledigt werden. Zusätzlich werden
im Einsatzabschnitt Bienwald zurückzuführende Personen an die französischen bzw. deutschen Behörden überstellt.
Die Personalstärken werden für die derzeitigen Einsatzabschnitte bzw. künftigen Bundespolizeireviere als
Teilbereiche der Bundespolizeiinspektionen im Organisations- und Dienstpostenplan nicht gesondert ausgewiesen, um einen flexiblen Kräfteeinsatz zu gewährleisten.
Dies gilt auch für die Dienststelle Lauterbourg/Bienwald, die in dieser Hinsicht keine Ausnahme bildet. Vom
Bundespolizeirevier Lauterbourg/Bienwald aus werden
nach Entscheidung der Inspektionsleitung so viele
Kräfte ihren Dienst verrichten, wie die polizeiliche Lage
dies erfordert. Angesichts der bestehenden internen Planungen kann ich Ihnen allerdings mitteilen, dass es erheblich mehr Kräfte sein werden als in der Vergangenheit. Das heißt, der Standort wird durch die neuen
Maßnahmen, die ergriffen worden sind, deutlich aufgewertet.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Könnten Sie sich
vorstellen, nach einem Gespräch mit dem zuständigen
Staatssekretär bei künftigen gewichtigen Anlässen und
Besuchen in der Region auch den örtlichen SPD-Abgeordneten entsprechend zu informieren und einzuladen?
({0})
Es liegt sicherlich im Interesse aller, die vor Ort Verantwortung tragen, eingeladen zu werden, wenn so gewichtige Veränderungen anstehen.
Herr Kollege Schmitt, bei meinem Besuch in Lauterbourg habe nicht ich den Kollegen Göbel eingeladen,
sondern er hat mich eingeladen. Wenn der zuständige
SPD-Abgeordnete ebenfalls auf die Idee kommen sollte,
mich einzuladen, dann würde ich diese Einladung selbstverständlich ernsthaft prüfen.
({0})
Sie verzichten auf die zweite Nachfrage. Dann hat der
Kollege Hans-Kurt Hill das Wort zu einer Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär
Altmaier, da wir nicht nur dieselbe Mundart sprechen,
sondern auch aus demselben Land kommen, das unmittelbar an die französische und die luxemburgische
Grenze anschließt, frage ich Sie: Könnten Sie sich Bestrebungen vorstellen, im Saarland ähnliche grenzüberschreitende Maßnahmen durchzuführen, um insbesondere dann, wenn es um prekäre Einsätze geht, zu
Verbesserungen zu kommen? Das wäre vielleicht ein
schönes „Inschtitut“.
Herr Kollege Hill, aufgrund Ihrer engen landsmannschaftlichen Verbundenheit mit dem Saarland wissen Sie
wahrscheinlich, dass der Bundespolizeistandort Saarland
durch die anstehende Neuordnung der Bundespolizei erheblich gestärkt wird. Das bedeutet, dass dort künftig
nicht nur eine einheitliche Inspektion errichtet wird, sondern dass dort auch so genannte MÜKs stationiert werden, wodurch die Zusammenarbeit mit den französischen Behörden im Grenzraum erheblich verbessert
werden kann.
Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Ich rufe die Frage 16 der Kollegin
Silke Stokar von Neuforn auf:
Hält die Bundesregierung die Vorschläge des EU-Kommissars für Justiz, Freiheit und Sicherheit, Franco Frattini,
Fluggastdaten wie Reisetermin und Reiseroute, E-MailAdressen, Telefonnummern oder Kreditkarteninformationen
für Flüge in die und aus der EU 13 Jahre auf Vorrat zu speichern, für verhältnismäßig und für vereinbar mit dem Recht
der informationellen Selbstbestimmung in Deutschland und
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, EGMR?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich beantworte die
Frage für die Bundesregierung wie folgt: Die Nutzung
von PNR kann ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und anderer schwerer Straftaten wie der organisierten Kriminalität darstellen. Die Bundesregierung begrüßt, dass die Kommission
der Bitte des Rates aus dem Jahre 2004 nachgekommen
ist und einen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über
die Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Strafverfolgungszwecken vorgelegt hat. Eine EU-weite Regelung
ermöglicht, dass die einzelnen mitgliedstaatlichen Behörden sich einander diese Daten im Bedarfsfalle zur
Verfügung stellen.
Die nähere Ausgestaltung des Rahmenbeschlusses
bedarf aber noch sorgfältiger - auch verfassungsrechtlicher - Prüfung und fachlicher Erörterung. Am Ende der
Verhandlungen muss ein Rahmenbeschluss stehen, der
den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht
und die datenschutzrechtlichen Standards der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten erfüllt, aber auch
die Interessen betroffener Luftfahrtunternehmen angemessen wahrt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Auf dem Europäischen Polizeikongress gab es zwei
bemerkenswerte Reden zu den Vorschlägen von Herrn
Frattini: eine von Bundesinnenminister Schäuble, der die
Vorhaben begrüßt, und eine von der Bundesministerin
für Justiz, Frau Zypries, die diese Vorschläge massiv kritisiert. Wer der beiden hat die Auffassung der Bundesregierung auf diesem Polizeikongress vertreten?
({0})
Da ich selbst an dem Polizeikongress nicht teilgenommen habe,
({0})
kann ich die gehaltenen Reden nicht beurteilen. Ich kann
Ihnen allerdings versichern: Die Bundesregierung begrüßt, dass die Kommission der Bitte des Rates aus dem
Jahre 2004 nachgekommen ist und einen Vorschlag vorgelegt hat. Dies hat die Bundesregierung auch bei der informellen Tagung des Rates der Innen- und Justizminister in Brdo in Slowenien vor wenigen Wochen zum
Ausdruck gebracht.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Beide Reden sind in Ihrer ganzen Widersprüchlichkeit im Internet nachzulesen. Wie bewertet die Bundesregierung folgenden Satz der Bundesjustizministerin
Zypries zu den Vorschlägen von Herrn Frattini:
Ich habe ernste Zweifel, ob dieser Vorschlag der
Kommission geltendes Recht werden kann …
Sie vertritt also eine andere Auffassung als Sie. Uns interessiert, ob das Bundesjustizministerium oder das Bundesinnenministerium die deutsche Haltung zu diesem
Fluggastdatenvorhaben vertritt.
Frau Kollegin, die Federführung bei diesem Vorhaben
hat das Bundesinnenministerium; das ist in der Bundesregierung unbestritten. Es gibt in der Bundesregierung
eine abgestimmte Position, die ich Ihnen in meiner Antwort auf Ihre Frage dargelegt habe.
Wir kommen zu Frage 17 der Kollegin Stokar von
Neuforn:
Welche Dateien werden mit welchen Datensätzen von der
Bundespolizei angelegt, um die künftig per automatischen
Zugriff erlangten Reisedaten von 29 Millionen Schiffspassagieren zu erfassen und auszuwerten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Stokar, ich nehme an, dass Sie die
Flugpassagiere meinen.
({0})
- Sie meinen tatsächlich die Schiffspassagiere?
({1})
- Okay, die Seeschiffsdaten. - Es gibt hierzu keine Planungen. Im Übrigen ist es generell so, dass die Frage,
ob, in welcher Hinsicht und in welchem Umfang die
Bundespolizei und/oder andere Sicherheitsbehörden
künftig PNR-Daten nutzen werden, selbstverständlich
erst nach Zustandekommen eines entsprechenden Ratsbeschlusses beurteilt und entschieden werden kann.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Mich erstaunt als datenschutzpolitische Sprecherin
meiner Fraktion Ihre Antwort; denn im Rahmen des Vorhabens zur Änderung der seerechtlichen Vorschriften
wurde genau das, wonach ich gefragt habe, von der Bundesregierung bereits beschlossen, nämlich die Speicherung aller Seereisedaten. Da die Bundespolizei zukünftig
Zugriff auf diese Daten erhalten soll, frage ich noch einmal: Welche Dateien wird die Bundespolizei in diesem
Zusammenhang einrichten, und wie lange und zu welchem Zweck sollen die Daten von Seereisenden bei der
Bundespolizei gespeichert werden?
Ihre Frage bezieht sich auf die Umsetzung des
PNR-Rahmenbeschlusses.
({0})
Zu dessen Umsetzung ist innerhalb der Bundesregierung
noch keine Vorbereitung erfolgt, weil wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht wissen, wie dieser Rahmenbeschluss letztendlich aussehen wird.
Ihre zweite Nachfrage.
Offensichtlich hat der Herr Staatssekretär - wir sind
bei Frage 17 - nicht verstanden, dass meine Fragen betreffend die Schiffspassagiere überhaupt nichts mit PNR
zu tun haben. Das ist ein völlig anderer Vorgang. Ich
frage deswegen noch einmal: Welche Dateien wird die
Bundespolizei im Zusammenhang mit Seepassagieren
aufbauen?
({0})
Ich muss in der Tat einräumen, dass dies auf einem
Missverständnis beruht. Ich schlage Ihnen daher vor, Ihnen die Antwort auf diese Frage schriftlich nachzureichen.
({0})
Die Fragen 18 und 19 des Abgeordneten Jerzy
Montag werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Wolfgang
Wieland auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den vorliegenden Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über die Verwendung von
Fluggastdatensätzen ({0}) zu Strafverfolgungszwecken im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ({1}), wonach ein „striktes Verbot der
Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat“ besteht, und
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ({2}), wonach eine solche Datensammlung eine Verletzung von Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK, darstellt?
Ich verweise zunächst auf meine Antwort auf die
Frage der Kollegin Stokar, dass wir grundsätzlich diesen
Vorschlag der Kommission begrüßen, weil er einer Aufforderung durch den Europäischen Rat der Innen- und
Justizminister nachkommt, die bereits sehr alt ist, nämlich schon über drei Jahre. Im Übrigen habe ich in dieser
Antwort auch deutlich gemacht, dass die einzelnen verfassungsrechtlichen Vorgaben und die Vorgaben internationaler Verträge wie der Europäischen Menschenrechtskonvention selbstverständlich sehr genau im Hinblick
darauf überprüft werden, ob sie mit den vorgelegten Vorschlägen vereinbar sind. Im Übrigen ist es so, dass die
Kommission einen Vorschlag vorgelegt hat, der, wenn
ich ihn richtig beurteile, prima vista an keiner Stelle über
das hinausgeht, was in dem PNR-Abkommen zwischen
der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten
enthalten ist. Dieses Abkommen hat der Deutsche Bundestag vor wenigen Wochen mit sehr großer Mehrheit
ratifiziert.
({0})
Deshalb gehe ich davon aus, dass dieses Abkommen mit
den USA, das keinen verfassungsrechtlichen Bedenken
begegnet ist, auch eine gewisse Ausstrahlung auf die Beurteilung des vorliegenden PNR-Abkommens haben
wird. Dies wird zwischen den Ressorts sorgfältig geprüft, und wir werden Ihnen die Ergebnisse zu gegebener Zeit mitteilen.
Eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, finden Sie es nicht bemerkenswert, dass in Bezug auf den Datenaustausch mit den
USA mehrfach auf Fragen hier aus dem Parlament geantwortet wurde, die USA nötigten uns quasi dazu, weil
es sonst keinen Flugverkehr mehr in die USA gäbe und
wir dort nicht mehr landen dürften? Wieso kommt nun
die EU-Kommission auf die Idee, dasselbe wie die USA
vorzuschlagen - zugegeben, es ist ein Vorschlag -, und
was wird die Bundesregierung tun, um im Dialog das
Ganze schon bei der Entstehung und dann im Arbeitsprozess auf verfassungsgemäße Gleise zu lenken? Bisher
haben Sie nur gesagt, dass Sie es begrüßt haben, dass die
Kommission überhaupt etwas getan hat. Es ist ein sehr
bescheidener Anspruch, sich zu freuen, dass die Kommission überhaupt eine Regung zeigt. Hier gibt es doch
massive Bedenken, dass Europa die Maßnahmen, von
denen wir behaupten, dass sie uns von den USA abgenötigt wurden, dem Rest der Welt auferlegt, sie sogar toppt,
noch mehr Daten erhebt und diese noch länger speichert.
Herr Kollege Wieland, ich halte es für selbstverständlich, dass die Parlamente aller 27 Mitgliedstaaten der
Europäischen Union nur Verträge und Abkommen ratifizieren, von deren Konformität mit dem Verfassungsrecht
sie überzeugt sind, ganz egal welcher Drittstaat mit welchen Argumenten für diese Verträge geworben hat. Es
hat in den zuständigen Ministerien selbstverständlich
auch vor der Ratifizierung des PNR-Abkommens mit
den USA eine umfangreiche verfassungsrechtliche Prüfung gegeben, die so ausgegangen ist, wie ich es Ihnen
eben dargelegt habe. Gleichwohl bedeutet dies für den
vorliegenden Vorschlag, dass wir ihn im Hinblick auf
europäische Datenschutzkultur und Datenschutztradition
noch einmal sehr genau anschauen werden und dass wir
für jede einzelne Bestimmung überprüfen werden, ob sie
erforderlich und geeignet ist, und dass wir dabei die
Rechtsprechung nicht nur des Bundesverfassungsgerichts, sondern auch des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes
selbstverständlich vollumfänglich beachten werden.
Eine weitere Nachfrage.
Wenn Sie diese Rechtsprechung so berücksichtigen
wollen - das strikte Verbot, Datensammlungen auf Vorrat anzulegen, ist ja vor allen Dingen auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zurückzuführen -, kommen Sie dann zu dem Ergebnis, zu dem
auch die Ausschüsse des Bundesrates - wiederum in einem Entwurf; wir sind ja allgemein in Entwurfsstadien gekommen sind?
Ich zitiere aus diesem Entwurf: Vor diesem Hintergrund bestehen aus Sicht des Bundesrates erhebliche Bedenken gegen die in den Art. 5 und 9 des Rahmenbeschlusses vorgesehene anlass- und verdachtsunabhängige
Erhebung und Speicherung von PNR-Daten sämtlicher
die EU-Grenzen überquerender Fluggäste.
Wird die Bundesregierung diese Bedenken zum Anlass nehmen, entsprechend auf die Kommission einzuwirken, oder falten Sie jetzt die Hände und warten auf
den endgültigen Rahmenbeschluss?
Herr Kollege, Sie wissen ganz genau, dass die Bundesregierung in den Gremien und Arbeitsgruppen des
Rates sowie im Rat selbst sehr engagiert am Zustandekommen europäischer Rechtsvorschriften mitwirkt. Dies
war in der Vergangenheit so und hat zu einer sehr erfolgreichen deutschen Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union im Bereich der Innenpolitik beigetragen.
Dies wird bei dem vorliegenden Vorschlag ganz genauso
sein.
Wir kommen jetzt zur Frage 21 des Kollegen
Wieland:
Stimmt die Bundesregierung zu, dass die im vorliegenden
Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über die Verwendung
von Fluggastdatensätzen ({0}) zu Strafverfolgungszwecken vorgesehene verdachts- und anlasslose Speicherung
der Daten von Fluggästen den Weg zu einem Präventionsstaat
bereitet, der die Bürger schon vorbeugend überwacht?
Herr Kollege Wieland, die Unterstellung, dass wir uns
damit auf dem Weg zu einem Präventionsstaat befinden,
weise ich erwartungsgemäß zurück. Im Übrigen, denke
ich, haben wir diese Frage bereits im Rahmen der vorherigen Frage ausführlich diskutiert.
Eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, dass Sie nicht auf dem
Europäischen Polizeikongress waren. Aber Sie sind ja
aufmerksamer Zeitungsleser. Ist Ihnen entgangen, dass
die Formulierung „auf dem Weg in den Präventionsstaat“ exakt die Formulierung der Bundesjustizministerin mit Blick auf dieses Vorhaben ist?
Sie sagen, die Bundesregierung hat sich darauf geeinigt, die Federführung bei diesem Vorhaben liegt beim
Innenministerium. Hierbei soll es aber um Daten zu
Strafverfolgungszwecken gehen. Das steht schon in der
Überschrift des Vorschlags für einen Rahmenbeschluss.
Wie kommt es dann, dass nicht die für Strafverfolgung
zuständige Ministerin die Federführung hat? Darf ich
daraus schließen, dass Sie diese Daten auch für andere
Zwecke, zum Beispiel für nachrichtendienstliche oder
präventivpolizeiliche Zwecke, benutzen wollen?
Welches Ressort bei welchen Vorhaben die Federführung hat, richtet sich danach, auf welche Rechtsgrundlagen aus dem EU-Vertrag die Vorhaben gestützt sind.
Zwischen den Ressorts der Bundesregierung war völlig
unumstritten, dass die Federführung in diesem Fall beim
Bundesinnenministerium liegt. Das war bereits bei dem
Abkommen über Fluggastdaten mit den USA völlig unumstritten der Fall. Insofern gibt es hierbei keinen Dissens innerhalb der Bundesregierung.
Die Formulierung, die Sie in Ihrer Frage verwandt haben - „Weg in den Präventionsstaat“ -, findet sich meines Wissens nicht in der abgestimmten Stellungnahme
der Bundesregierung zu dem vorgelegten Vorschlag der
EU-Kommission. Ich mache sie mir auch ausdrücklich
nicht zu eigen.
Eine weitere Nachfrage.
Nun ist es in unserer freiheitlichen Demokratie immer
noch möglich, dass eine Ministerin Worte wählt, die
nicht mit dem Koalitionspartner abgestimmt waren. Sie
soll - laut Presse - diese Worte in der Pressekonferenz
gewählt haben. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis. Sie
hat damit eine Befürchtung ausgedrückt, die auch wir
haben, nämlich dass wir auch mit Blick auf die weiteren
Vorhaben der Bundesregierung - Mautdaten- und Vorratsdatenspeicherung gibt es schon, anderes ist in der
Mache - auf dem Weg in den Präventionsstaat tatsächlich schon weit fortgeschritten sind.
Ich frage noch einmal: Wollen Sie diese Daten auch
für nachrichtendienstliche und präventivpolizeiliche
Zwecke verwenden?
Ich habe bereits vorhin bei der Beantwortung der
Frage der Kollegin Stokar gesagt, dass dies erst im
Lichte der Ergebnisse der Arbeit in den zuständigen
Ratsarbeitsgremien entschieden werden kann. Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, wie der Beschluss genau aussehen wird. Das gilt sowohl für die
Anzahl der Datensätze als auch für die Frage von Speicherfristen. Über all diese Fragen wird im Laufe der
nächsten Monate diskutiert werden.
Im Übrigen darf ich an dieser Stelle darauf hinweisen,
dass das Thema Fluggastdatenspeicherung seit dem
11. September weltweit diskutiert wird und dass viele
Staaten, auch außerhalb der Europäischen Union, mit
diesem Vorhaben bereits gute Erfahrungen gemacht haben. Das gilt auch für Staaten, deren rechtsstaatliche Traditionen völlig außer Diskussion stehen, beispielsweise
Kanada.
Herr Kollege Wieland, in Großbritannien gibt es seit
einigen Jahren Pilotprojekte zum Thema Fluggastdaten.
Diese Projekte haben dazu geführt, dass Menschenhändlerringe ausgehoben werden konnten, dass verdächtige Personen ermittelt werden konnten und dass es zu
neuen Erkenntnissen bei der Terrorismusbekämpfung
gekommen ist. All dies hat die Kommission in Ihrem
Vorschlag berücksichtigt. Das war der Grund, warum die
Vorgängerregierung - Sie selbst haben ihr zwar nicht als
Person angehört, aber Ihre Fraktion hat sie getragen dieses Projekt im Grundsatz immer unterstützt und sogar
vorangetrieben hat.
({0})
Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Ströbele werden
schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung
der Fragen.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Die Frage 24 des Abgeordneten Fell soll schriftlich
beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 25 der Kollegin Heidrun
Bluhm:
Bei welchen Weltausstellungen und vergleichbaren Veranstaltungen hat die Bundesregierung seit 1980 die Kölnmesse
mit der Organisation, dem Bau und der Gestaltung des deutschen Beitrags beauftragt?
Zur Beantwortung sollte der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung stehen.
({0})
- In meiner Liste steht, Herr Schauerte, dass Sie die
Frage 25 der Kollegin Bluhm beantworten.
Ich muss um Nachsicht bitten. Ich habe keine Information bekommen, um eine Antwort geben zu können.
Ich reiche sie unverzüglich nach. Ich bitte um Entschuldigung.
Ich frage die Kollegin Bluhm: Sind Sie einverstanden,
dass Ihre Fragen 25 und 26 schriftlich beantwortet werden? Wenn nicht, müssten wir sie in einer Woche noch
einmal aufrufen.
({0})
Das ist sehr bedauerlich. Diese Fragen stellen wir
nicht ohne Grund hier im Plenum. Wir wollen, dass sie
öffentlich beantwortet werden.
({0})
Deshalb bin ich mit einer schriftlichen Beantwortung
nicht einverstanden. Herr Schauerte, ich gebe Ihnen aber
eine Frist bis zur nächsten Woche, um die Beantwortung
nachzuholen.
Vielen Dank für das Verständnis. Das kann ja einmal
vorkommen. Frau Bluhm, Ihre beiden Fragen und auch
die Frage 27 des Kollegen Hans-Kurt Hill werden dann
in einer Woche aufgerufen werden. Herr Staatssekretär,
ich bitte, dann vorbereitet zu sein, um diese Fragen zu
beantworten.
({0})
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung. Ist
er da? - Ja, er ist da.
Wir kommen zur Frage 28 des Kollegen Helmut
Lamp:
Wie groß - in Hektar - ist die agrarisch nicht genutzte
landwirtschaftliche Fläche in der EU und innerhalb Europas,
das heißt einschließlich auch der Nicht-EU-Staaten?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage des geschätzten Abgeordneten Helmut
Lamp - ich freue mich, dass er wieder Mitglied dieses
Hohen Hauses ist - wie folgt: Ich kann mitteilen, dass
nach Angaben des Statistischen Amtes der Europäischen
Gemeinschaften 2006 die landwirtschaftlich genutzte
Fläche in der EU der 27 insgesamt 181 Millionen Hektar
betrug. Davon waren 10,8 Millionen Hektar als Brachland ausgewiesen. Dies entspricht einem Anteil von
6 Prozent. Statistisch werden die agrarisch nicht genutzten Flächen innerhalb der landwirtschaftlichen Flächen
einschließlich der konjunkturell stillgelegten Flächen
ohne Anbau von nachwachsenden Rohstoffen als „Brache“ zusammengefasst. Für die übrigen europäischen
Länder liegen uns nur unvollständige Daten vor. Soweit
verfügbar, addieren sich diese zu 5,6 Millionen Hektar
Brachflächen, die überwiegend in der Türkei liegen.
Herr Kollege Lamp, Nachfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, dass vor knapp einem Jahr auf einer Veranstaltung des Landwirtschaftsministeriums von einem Mitglied der estnischen Delegation mitgeteilt wurde, dass nur 60 Prozent der
Landwirtschaftsfläche Estlands, die 1930 bewirtschaftet
wurden, zurzeit bewirtschaftet werden?
Des Weiteren wurde während der Grünen Woche von
hochrangigen Mitgliedern der russischen Delegation
mitgeteilt, dass allein in Russland 22 Millionen Hektar
Brachland sind, also nicht genutzt werden. Ist dies der
Bundesregierung bekannt?
Herr Kollege Lamp, wenn Sie diese Zahlen nennen,
bezweifle ich nicht, dass sie nahe an der Realität liegen;
ich werde dies aber auch überprüfen.
Uns ist aus Gesprächen bekannt, dass in den genannten Staaten Estland und Russland, aber auch in anderen
Staaten in Osteuropa, etwa der Ukraine, noch ein erheblicher Anteil der möglichen landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Tat Brachland ist.
Stimmen Sie mit mir darin überein, dass wir von Flächenknappheit in Europa nicht sprechen können?
„Flächenknappheit“ ist relativ, wenn wir Europa mit
Brasilien oder anderen Staaten vergleichen. Sie nehmen
sicherlich auf den Wettbewerb oder die Konkurrenz zwischen verschiedenen möglichen Nutzungen der landwirtschaftlichen Flächen Bezug. Ich stimme Ihrer Auffassung zu.
Dann kommen wir zur Frage 29 des Kollegen Lamp:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung das Potenzial zur
Ertragssteigerung der landwirtschaftlichen Produktion in Europa bis 2030?
Das ist eine Frage, die man natürlich nicht definitiv
beantworten kann. Wenn wir aus der Vergangenheit auf
die Zukunft schließen, dann sind weitere signifikante Ertragssteigerungen zu erwarten, wie sie in den vergangenen 20 Jahren in ganz erheblichem Umfang möglich waren.
Die Europäische Kommission hat 2007 eine Studie
mit einer Vorausschätzung bis zum Jahr 2020 herausgegeben. Darin kalkulieren die Autoren für den von Ihnen
abgefragten Zeitraum in verschiedenen Szenarien eine
jährliche Wachstumsrate der pflanzlichen und der tierischen Produktion, die zwischen 0,5 und 1 Prozent liegt.
Ich persönlich würde dies für eine sehr zurückhaltende
Schätzung halten.
Nachfrage? - Kollege Lamp.
Damit erübrigt sich meine Nachfrage fast, aber ich
frage trotzdem: Ist diesen Experten nicht bewusst, dass
wir in Deutschland pro Bundesbürger nur 0,2 Hektar zur
Ernährungssicherung brauchen, während in den Bei-
trittsländern dieser Wert über 0,6 Hektar pro Bürger be-
trägt? Hier müssen doch erhebliche Steigerungen mög-
lich sein. Wir haben auch in Mitteldeutschland innerhalb
von zehn Jahren Steigerungen in der landwirtschaftli-
chen Produktion um 50 bis 70 Prozent erlebt. Dieser
Sprung steht in Osteuropa noch aus.
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz:
Wie gesagt, dazu liegen keine genauen Untersuchun-
gen und Szenarien vor. Aber nach der Entwicklung, die
wir in Mitteleuropa, in Deutschland, in Frankreich, in
anderen Staaten, erlebt haben - in den vergangenen
50 Jahren waren erhebliche Ertragssteigerungen pro
Hektar und ebenso im Bereich der tierischen Veredelung
zu verzeichnen; vor 50 Jahren gab es in der Milcherzeu-
gung Durchschnittsleistungen von 2 000 oder 3 000 Li-
ter pro Kuh, heute sind es 7 000 oder 8 000 Liter -, kön-
nen wir abschätzen, welche Sprünge möglich sind. Ich
teile Ihre Einschätzung, auch aus persönlicher Kenntnis
insbesondere der neuen Beitrittsstaaten, aber auch ande-
rer osteuropäischer Staaten wie der Ukraine und Russ-
land, dass dort erhebliche Ertragssteigerungen in der
pflanzlichen und tierischen Produktion möglich sind.
Wir tragen im Übrigen durch Forschungskooperation,
durch intensive Kontakte, durch Austausch und Schu-
lung dazu bei, dass diese Länder ihre Ertragssteigerungs-
potenziale nutzen können.
Weitere Nachfragen gibt es nicht.
Die Frage 30 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann soll
schriftlich beantwortet werden.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatsse-
kretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Die Frage 31 der Kollegin Hirsch soll schriftlich be-
antwortet werden.1)
Wir kommen zur Frage 32 des Kollegen Volker Beck
({0}):
Welche Maßnahmen oder Veranstaltungen oder Veranstaltungsteile des oder für das „Christival 2008“ vom 30. April bis
4. Mai 2008 in Bremen werden aus Mitteln des Bundeshaushalts direkt oder indirekt über welche Träger - Christival e. V.,
Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland e. V., CVJM oder andere - gefördert?
Auf die Frage des Kollegen Beck antworte ich wie
folgt: Das „Christival 2008“ ist ein konfessionsübergreifender Kongress junger Christen in Bremen und ist die
vierte Veranstaltung dieser Art seit 1976. Dieser Kongress möchte junge Christen motivieren und befähigen,
ihre christliche Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrzunehmen. Sie sollen insbesondere zum ehrenamtlichen Dienst in Gemeinden, Kirchen und Gesellschaft ermutigt werden.
Für die Durchführung des Christival-Kongresses junger Christen vom 30. April bis 4. Mai 2008 erhält die
Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der
Bundesrepublik Deutschland, AEJ, einen Zuschuss in
Höhe von insgesamt 250 000 Euro aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes. Die AEJ erhält diese
Mittel als Zentralstelle und leitet sie an den Ausrichter
von „Christival 2008“, Christival e. V., weiter. Der Bundeszuschuss für diese Maßnahme umfasst rund 8 Prozent der kalkulierten Gesamtausgaben. Das Christival
wird gemäß den Richtlinien des KJP für Sonder- und
Großveranstaltungen als Einzelmaßnahme und damit als
Ganzes bezuschusst. Eine gesonderte Förderung von
Maßnahmen, Veranstaltungen oder Veranstaltungsteilen
innerhalb dieser Einzelmaßnahme ist damit wie bei ähnlichen Großveranstaltungen anderer Träger nicht verbunden.
Nachfrage, Herr Kollege Beck?
Ja. - Herr Staatssekretär, es würde mich interessieren,
ob die Bundesregierung irgendeine inhaltliche Schwer-
punktbildung oder inhaltliche Ausrichtung mit der Be-
willigung dieser Förderung beschlossen hat oder dem
Zuwendungsempfänger irgendetwas aufgegeben hat. Sie
selber wissen, dass mehrere Seminare auf diesem Chris-
tival sowohl wegen ihrer humanwissenschaftlichen An-
lage als auch wegen ihrer theologischen Ausrichtung
1) Anlage 9
höchst umstritten sind, auch gerade unter Christinnen
und Christen.
({0})
Vor diesem Hintergrund möchte ich fragen, ob es irgendeine inhaltliche Vorgabe gibt oder ob Sie die öffentliche Kritik an mehreren Veranstaltungsteilen zum Anlass
genommen haben, mit dem Träger über die Ausrichtung
dieser Veranstaltung, soweit sie von der Bundesregierung
gefördert wird, zu reden.
Sie wissen, Herr Abgeordneter Beck, dass dies eine
Großveranstaltung mit, glaube ich, über 250 Foren,
Workshops und Fachveranstaltungen sowie 18 Gottesdiensten ist. Es ist üblich, dass sich die Antragsteller den
Richtlinien des KJP zu unterwerfen haben. Es ist aber
natürlich im Verhältnis zwischen Staat sowie freien Trägern und weltanschaulichen Gruppen so - das gehört
zum Selbstverständnis eines offenen Staates bzw. einer
offenen Gesellschaft -, dass keine Vorgaben hinsichtlich
der einzelnen Wertvorstellungen, die dort vertreten werden, gemacht werden. Wenn es anders wäre, müsste die
Bundesregierung konsequenterweise jedes einzelne Seminarprogramm - Sie wissen ja, wer alles aus dem Kinder- und Jugendplan gefördert wird - genehmigen. Ich
glaube nicht, dass dies der richtige Weg zur Herstellung
eines guten Verhältnisses zwischen Staat und freien Trägern wäre.
Ich habe Ihnen ja ausdrücklich gesagt, dass in diesem
Fall über die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend und über den CVJM gefördert wird. Bei beiden
handelt es sich um anerkannte Träger von Jugendarbeit
in der Bundesrepublik. Ich glaube, dass die Bundesregierung damit den Sorgfaltspflichten absolut Genüge getan
hat.
Es ist richtig, dass ein Seminarteil zum Komplex Homosexualität von den Veranstaltern selbst aus dem Veranstaltungsprogramm herausgenommen worden ist. Das
nehmen wir zur Kenntnis.
Weitere Nachfrage, Kollege Beck?
Ich dachte, die Regierung fände das richtig. Na gut, so
habe ich auch eine neue Erkenntnis gewonnen. - Nur,
damit es klar ist: Es ist überhaupt keine Kritik daran zu
üben, dass der CVJM oder die Arbeitsgemeinschaft der
Evangelischen Jugend für ihre Arbeit und für die Durchführung von Großveranstaltungen finanzielle Förderung
erhalten.
({0})
- Lesen Sie die Geschäftsordnung! Danach sind Vorbemerkungen gestattet. - Trotzdem meine ich: Wenn es öffentliche Kritik an einzelnen Veranstaltungsteilen gibt,
Volker Beck ({1})
die sozusagen kein Betriebsunfall, sondern systematisch
angelegt sind, dann liegt es meines Erachtens in der Verantwortung der Bundesregierung, bezüglich der Ausrichtung nachzufragen und sich das Programm genau anzuschauen. Ihre Fraktion, der Sie früher als Abgeordneter
angehört haben,
({2})
hat bei Civitas und Entimon solche Nachfragen bezüglich der einzelnen Träger aus der Zivilgesellschaft immer gestellt und zuweilen zu Recht bestimmte Punkte
kritisiert. Warum findet hier eine solche Überprüfung
dessen, was wir mit unseren Bundesmitteln fördern, in
keiner Weise statt, und warum fällt das Controlling
durch Ihr Ministerium offensichtlich völlig aus?
Das Controlling fällt in keiner Weise aus. Ich habe gesagt, es gibt Bedingungen und Richtlinien. Das heißt beispielsweise, dass natürlich keine Veranstaltungen mit
verfassungsfeindlichen Tendenzen gefördert werden
können; das ist völlig klar. Ebenso können keine rechtsoder linksextremistischen Veranstaltungen gefördert
werden. Darauf haben wir bei dem Programm gegen
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in der Tat
geachtet. Das war teilweise etwas kompliziert; das will
ich gerne zugestehen, weil es um eine Fülle von Veranstaltungen ging. Das war mit ein Grund, weshalb wir uns
dafür ausgesprochen haben, das ein wenig zu dezentralisieren und in die Verantwortung der Länder zu geben;
denn es ist nicht möglich, das von Berlin aus für jede
einzelne Veranstaltung zu bewerten.
In diesem Fall ist es so, dass wir uns natürlich auf den
Gesamtantrag verlassen, auf die Arbeitsgemeinschaft
der Evangelischen Jugend, auf den CVJM. Die klare
Aussage von dieser Seite sowie die Tatsache, dass dieses
Christival nicht zum ersten Mal stattfindet - es ist schon
die vierte oder fünfte Veranstaltung - und es in der Öffentlichkeit hohe Anerkennung findet, sind ausreichende
Hinweise darauf, dass hier verantwortlich gefördert
wird.
Es gibt eine weitere Nachfrage, und zwar der Kollegin Fischbach.
Herr Staatssekretär, mir liegt eine Stellungnahme des
CVJM vor, aus der ich gerne zitieren möchte:
Der CVJM-Gesamtverband in Deutschland unterstützt das Christival voll und ganz.
Umso mehr bedauern wir die Art und Weise der aktuellen öffentlichen Debatte um das Christival, die
aus den Reihen der Bundestagesfraktion Bündnis 90/Die Grünen angestoßen wurde. An Stelle einer
sachlichen Auseinandersetzung werden engagierte
christliche Gruppen beschimpft und diffamiert.
({0})
Wir vermissen den Respekt gegenüber Andersdenkenden und Andersglaubenden, deren Glaubens-,
Gewissens- und Meinungsfreiheit in gleicher Weise
durch das Grundgesetz geschützt ist wie die der
Kritiker des Christivals.
Wir erwarten von politischen Verantwortungsträgern, dass sie bei aller Schärfe der Auseinandersetzung diese so führen, dass das Zusammenleben von
Menschen unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher ethischer Orientierung in unserer Gesellschaft erleichtert und nicht erschwert wird.
Ich frage Sie: Ist der Bundesregierung diese Stellungnahme bekannt,
({1})
und wie bewertet sie diese?
Der Bundesregierung ist diese Stellungnahme bekannt. Ich habe eben schon auf die Träger verwiesen und
deutlich gemacht, dass diese für uns die Basis einer Bewertung und einer Beurteilung sind, weil das für uns absolut seriöse und verantwortungsvolle Träger sind. Ich
betone ausdrücklich, dass die Ministerin sehr bewusst
die Schirmherrschaft für diese Veranstaltung übernommen hat; denn sie will damit die christliche Kinder- und
Jugendarbeit anerkennen. Ich will grundsätzlich sagen:
Man kann über diese ganz konkreten Dinge diskutieren.
Es geht generell um das Verständnis, das wir von dem
Verhältnis zwischen Staat und freien und kirchlichen
Trägern haben. Ich glaube nicht, dass es Aufgabe des
Staates ist - das ist auch die Meinung der Bundesregierung -, bei jeder einzelnen Veranstaltung bis in die Fußnoten hineinzuverfügen und am besten noch die Gesinnung der Referenten zu überprüfen.
({0})
Es gibt eine weitere Frage des Kollegen Winkler.
Herr Staatssekretär, wenn Ihnen diese Stellungnahme
bekannt ist, dann frage ich Sie - ich kann ja schlecht die
Kollegin Fischbach fragen -, ob Ihnen auch bekannt ist,
dass es dazu eine Antwort gibt, die der kirchenpolitische
Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, nämlich meine
Person, an den CVJM-Gesamtverband gerichtet hat - das
ist ja ein Austausch offener Briefe - und in der unter anderem zum Ausdruck kam, dass wir das zurückweisen
müssen, was der CVJM-Gesamtvorstand beschlossen
und uns als Fraktion vorgeworfen hat, nämlich dass wir
gegen diese christliche Veranstaltung als solche seien
- wir sind überhaupt nicht gegen christliche Großveranstaltungen, auch nicht gegen das Christival -, dass wir
aber verlangen, insbesondere wenn eine öffentliche Förderung, zumindest teilweise, vorliegt, dass diese Veranstaltungen einem Mindestmaß an Qualität unterliegen.
Sie selber haben in der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion darauf hingewiesen, dass Veranstalter zugelassen waren, deren Seminare offensichtlich
nicht dem aktuellen wissenschaftlichen und theologischen Stand entsprachen. Diese haben nach Ihrem nachdrücklichen Hinweis ein Seminar zurückgezogen. Ich
frage Sie: Ist Ihnen das bekannt? Ist die Darstellung des
Christival-Veranstalters richtig, dass er von sich aus das
Seminar zurückgezogen hätte, ohne dass die Bundesregierung interveniert hätte?
Die Reaktion des kirchenpolitischen Sprechers der
Grünen auf die Stellungnahme des CVJM kenne ich
nicht. Aber ich habe einen ganz guten Kontakt zu ihm,
sodass ich davon ausgehe, dass er sie mir persönlich geben kann. Wir werden sie dann ganz sicherlich zu unseren Unterlagen nehmen.
Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Sie die Veranstaltung offenkundig gutheißen. Da die Veranstaltung
von Ihnen insgesamt nicht infrage gestellt wird, scheinen
Sie nichts dagegen zu haben, dass eine Bundesministerin
die Schirmherrschaft dieser Veranstaltung übernimmt.
Da öffentliche Diskussionen geführt werden, ist es richtig, dass es Kontakte mit dem Veranstalter gibt. Der Veranstalter hat von sich aus Konsequenzen bezüglich dieses einen Seminars gezogen.
Ich will ausdrücklich sagen: Das komplexe Thema
Homosexualität in einer Fragestunde seitens der Bundesregierung und seitens des Parlaments zu behandeln, ist
nicht ganz einfach. Sie haben selbst gesagt, dass wir im
Rahmen einer Antwort auf eine Kleine Anfrage sehr differenziert Stellung genommen haben. Es hat eine Fülle
von Anfragen des Kollegen Beck gegeben, die wir alle
beantwortet haben. Wir gehen von der Position aus, die
die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler aus
den jeweiligen Fachdisziplinen seit ungefähr 20 Jahren
vertritt. Das ist für uns die Basis der Bewertung.
Vielen Dank. - Wir kommen dann zur Frage 33 des
Kollegen Volker Beck:
Welche einzelnen Seminare und Themenstellungen sind in
diese Förderung einbezogen bzw. einbezogen gewesen - zum
Beispiel Seminartitel 644: „Homosexualität verstehen“ - Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft; Seminartitel 650:
„Tabuthema: Jungen als Opfer sexuellen Missbrauchs“ - Wüstenstrom e. V.; Seminartitel 642: „Sex ist Gottes Idee - Abtreibung auch?“ - Dr. Markus Arnold, Schwangerschaftskonfliktberater, Die Birke e. V. -, und wie beurteilt die
Bundesregierung diese aus humanwissenschaftlicher Sicht
und unter Gesichtspunkten des Jugendschutzes?
Es gilt das, was ich eben gesagt habe, nämlich dass es
schwer ist, im Rahmen einer Fragestunde differenziert
darauf einzugehen.
Ich sage allerdings auch - wie in der Antwort auf die
vorhergehende Frage -, dass das „Christival 2008“ als
Einzelmaßnahme gemäß der Richtlinie für den KJP als
Ganzes bezuschusst wird, also als Sonder- und Großveranstaltung, dass eine gesonderte Förderung von Maßnahmen, Veranstaltungen und Veranstaltungsteilen innerhalb dieser Einzelmaßnahme damit nicht verbunden
und auch im allgemeinen Zuwendungsrecht - unabhängig von dieser Veranstaltung - nicht üblich ist.
Die einzelnen Seminare und Themenstellungen dieser
Sonder- und Großveranstaltung - das gilt besonders für
die von Ihnen genannten Seminare - waren somit nicht
bekannt. Insofern entziehen sich die genannten Seminare
einer Beurteilung durch die Bundesregierung. Wie eben
schon angedeutet: Das Seminar 644 „Homosexualität
verstehen“ ist aus der Veranstaltungsliste gestrichen
worden.
Nachfrage? - Bitte.
Wie beurteilt die Bundesregierung den Sachverhalt,
dass bei dem Seminar 642 ein Herr Arnold als Schwangerschaftskonfliktberater genannt wird, der in der Tat für
den Verein Die Birke e. V. tätig ist, ein Verein, der vor
zehn Jahren vergeblich beim Sozialministerium in Baden-Württemberg die Anerkennung als Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle betrieben hat? Wie bewertet sie das nicht zutreffende Eigenlob vor dem
Hintergrund, dass diese Institution unter anderem folgende Aussage gemacht hat:
Alle Frauen, die nach der Vergewaltigung „hilfreiche Abtreiber“ gefunden haben, zerbrechen an
gleich zwei Traumata, an dem der Vergewaltigung
und dem der Abtreibung.
Allen Frauen aber, die ihr Kind bekommen haben,
gelingt es in weit besserem Maße, die ungeheure
und furchtbare Erfahrung der Vergewaltigung zu
verarbeiten.
Wie beurteilen Sie ein solches Auftreten in einem Seminar, bei dem man davon ausgehen muss, dass junge
Frauen und junge Männer, die dieses Seminar besuchen,
einem dogmatischen Verständnis dieses schwierigen
Themas begegnen und ihnen keine offenen und nach bestimmten Standards festgelegten Beratungen - diese
müssen sich an der ratsuchenden Person ausrichten und
nicht an der Ideologie der Beratungsstelle - angeboten
werden, dass also Jugendliche, die sich vielleicht noch in
Selbstfindungsprozessen befinden, solch einseitigen,
ideologischen Präsentationen ausgesetzt sind und sich
dagegen nicht hinreichend wehren können?
Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass
Die Birke e. V. eine private Initiative für Frauen im
Schwangerschaftskonflikt ist, die das Ziel hat, ungeborenes Leben zu schützen und individuelle Alternativen zur
Abtreibung zu erarbeiten. Die Schwangerschaftskonfliktberatung durch Die Birke e. V. ist staatlich nicht anerkannt. Sie stellt demnach auch keine Beratungsscheine
aus. Schriftmaterialien von Birke e. V. ist zu entnehmen,
dass sie den Schutz des ungeborenen Lebens sehr hoch
bewertet - mit entsprechenden Konsequenzen.
Ich sage ausdrücklich, dass es den staatlichen Finanzier, den Zuschussgeber - es handelt sich um einen Zuschuss von 8 Prozent -, völlig überfordern würde, wenn
er bei Großveranstaltungen - stellen Sie sich zum Beispiel Kirchentage vor - einzelne Aussagen in Workshops
überprüfen würde. Ich glaube nicht, dass das die Aufgabe der Bundesregierung ist.
Weitere Nachfrage? - Bitte.
Mir ist im Zusammenhang mit dem Zuwendungsrecht
durchaus eine andere Praxis im Hinblick auf andere Träger, die mit Ihrem Haus zu tun haben, bekannt. Da ringt
man monatelang um Antragstexte; da geht es sehr um
das Detail. Aber vielleicht ändert sich das ja jetzt alles
angesichts des Christivals.
Ich wollte Sie im Zusammenhang mit dem anderen
Seminar fragen, ob Sie es wirklich für verantwortbar
halten, dass eine Homosexuellenheilungsorganisation
wie Wüstenstrom e. V. ein Seminar über das Thema des
sexuellen Missbrauchs an Jungen durchführt, vor dem
Hintergrund, dass diese Organisation die These vertritt,
dass durch sexuellen Missbrauch auch Homosexualität
entstehen könnte und dass das eine der möglichen Schädigungen ist. Ich meine nicht, dass das schwierige
Thema des sexuellen Missbrauchs und des Schutzes der
Kinder und Jugendlichen davor bei einem solchen Träger gut aufgehoben ist. Wären Sie bereit, unter Gesichtspunkten des Jugendschutzes, für den Sie nicht nur bei
Kinderbüchern zur Aufklärung über Religion und Atheismus zuständig sind, sondern auch bei dem Thema, wie
wir Jugendliche vor Scharlatanerie und psychologischen
Defekten durch solche Berater schützen, zu überprüfen,
ob dieses Seminar tatsächlich mit Geldern des Ministeriums bzw. der Regierung gefördert werden soll und
kann?
Herr Abgeordneter, ich möchte zunächst einmal sagen: Zu der Frage, wie detailliert man einzelne Veranstaltungen, die sich aus der Förderung eines bundesweiten Trägers ergeben, seitens des Ministeriums und der
Bundesregierung bewerten sollte, habe ich einiges gesagt. Ich glaube, man braucht dazu ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Staat und privaten Trägern.
Man muss ein gewisses Vertrauen entwickeln. Das gilt
im Übrigen auch für unsere Programme gegen Rechtsund Linksextremismus. Auch dort ist es notwendig, dass
eine Vertrauensbasis entsteht. Die haben wir ausdrücklich zu dem Träger, der hier die Verantwortung übernommen hat.
Zur Organisation im Einzelnen liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Wenn es Sachverhalte
gibt, die gegen Jugendschutzregelungen verstoßen, müssen sie selbstverständlich geahndet werden. Aber das
wäre nicht Aufgabe der Bundesregierung.
Jetzt gibt es eine Nachfrage des Kollegen Norbert
Geis.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, dass es
bei der Beurteilung der Frage, wie man Homosexualität
behandeln soll, unterschiedliche Auffassungen geben
kann, auch die Auffassung, dass man durch eine Therapie vielleicht eine Änderung dieser Haltung hervorrufen
kann?
({0})
- Ich darf doch in Ruhe fragen. Ich stelle nur eine Frage.
Was haben Sie eigentlich gegen Fragestellungen? Lassen
Sie mich doch in Ruhe die Frage stellen!
Ich wiederhole die Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, dass es unterschiedliche Auffassungen zu Fragen
der Behandlung von Homosexualität gibt und ist es richtig, wenn eine solche Auffassung als „Scharlatanerie“
oder „Ideologie“ bezeichnet wird, wie das Herr Beck getan hat?
Herr Abgeordneter Geis, ich habe eben schon gesagt,
dass sich unsere Bewertung an dem orientiert, was sich
in den letzten ungefähr 20 Jahren in der Fachwelt - Psychiatrie, Psychotherapie und Psychologie - durchgesetzt
hat, nämlich dass Homosexualität keine psychische
Krankheit ist.
({0})
Wir können feststellen, dass der überwiegende Teil der
Fachwelt Homosexualität nicht als pathologisch zu beurteilende Störung ansieht.
({1})
Ich weiß aber auch, dass es unterschiedliche Auffassungen zum Thema Homosexualität gibt. Ich habe eben gesagt, dass der überwiegende Teil dieser Auffassung ist.
Es gibt aber auch andere Auffassungen.
({2})
Beispiele dafür sind hier ja eben auch genannt worden.
Ich denke aber nicht, dass es Aufgabe der Bundesregierung ist, dies im Einzelnen zu bewerten.
Die Zeit für die Fragestunde ist eigentlich abgelaufen.
Es gibt aber noch zwei weitere Zusatzfragen, die wir
noch abwickeln wollen, nämlich von dem Kollegen
Winkler und der Kollegin Stokar von Neuforn. Danach
kommen wir zur Aktuellen Stunde. - Bitte, Herr
Winkler.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, in
Ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage haben Sie geschrieben:
Die Bundesregierung vertritt weder die Auffassung,
dass Homosexualität einer Therapie bedarf, noch
dass Homosexualität einer Therapie zugänglich ist.
Wir haben gefragt, ob das die Auffassung der Bundesregierung insgesamt ist. Da dies Ihre Antwort auf unsere
Frage war, kann ich doch davon ausgehen, dass die Bundesregierung keine Veranstaltung für förderungswürdig
hält und in Zukunft auch nicht fördern wird, bei der solche Angebote gemacht werden. - Das ist die erste Frage.
Die zweite Frage lautet: Wie wollen Sie sicherstellen,
dass bei Ihrem partnerschaftlichen Umgang mit den Organisationen, die Sie genannt haben - dagegen spricht
grundsätzlich nichts -, in Zukunft darauf geachtet wird,
dass solche Seminare gar nicht erst in das Programm
aufgenommen werden?
Ich habe Ihnen gesagt, dass wir uns an der Meinung
der überwältigenden Mehrheit der Fachleute der unterschiedlichen Disziplinen, die ich genannt habe, orientieren. Ich sage ausdrücklich: „überwältigend“. Es gibt
auch andere Meinungen;
({0})
das ist klar. Die hat es immer gegeben. Diese Einschätzung hat sich in den letzten 20 Jahren aber durchgesetzt.
Das erklärt auch den Satz in der Antwort auf die Kleine
Anfrage.
Ich glaube, dass diese Diskussion zeigt, wo es Probleme geben kann und wir deutlich machen, wie wir damit umgehen. Ich meine, dass man diesen Hinweis nicht
allen, die Zuwendungen des Bundes erhalten, förmlich
mitteilen muss. Ich gehe davon aus, dass man entsprechend handelt. Das ist letztlich die Basis des ganzen
Kinder- und Jugendplanes. Wir fördern auch Gruppen,
die dem einen oder anderen vielleicht nicht gefallen.
Herr Beck stellt dazu häufiger Anfragen. Er kennt sich
da im Einzelnen aus. Wir fördern eine Bandbreite von
Veranstaltungen, weil wir davon ausgehen, dass das zu
einem pluralistischen Staat dazugehört. Ich glaube, dass
es gut ist, wenn man die Aufgaben des Staates auf der einen Seite sieht und auf der anderen Seite die Verantwortlichkeit der einzelnen freien, kirchlichen und sonstigen
Träger.
Jetzt folgt die Frage der Kollegin Stokar von Neuforn.
Ist der Bundesregierung bekannt, dass wir zwischenzeitlich ein Antidiskriminierungsgesetz bzw. ein, wie es
heute heißt, allgemeines Gleichbehandlungsgesetz haben? Ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung,
dass man auch auf solchen Veranstaltungen, die hauptsächlich Kinder und Jugendliche ansprechen, aktiv für
dieses Diskriminierungsverbot eintreten muss und dass
die pluralistische Gesellschaft dort ihre Grenzen hat, wo
die Diskriminierung von Minderheiten ganz offensichtlich beginnt?
Der Bundesregierung ist natürlich bekannt, dass wir
ein Antidiskriminierungsgesetz haben. Ich sage aber
ausdrücklich, dass das im Umkehrschluss nicht heißen
kann, dass wir den freien Trägern, die im Rahmen des
Kinder- und Jugendplanes tätig sind, sagen, welche Meinungen vertreten werden dürfen und welche Meinungen
nicht vertreten werden dürfen.
({0})
Da gibt es auch umgekehrt eine Grenze, die ich für wichtig halte. Sie führt im Endeffekt zu den Verhaltensweisen, die ich hier erläutert habe.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich beende die Fragestunde. Die nicht beantworteten
Fragen werden entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Aussage der Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel am 28. November 2007 „Der Aufschwung kommt bei den Menschen an“ und
die wirkliche Situation in Deutschland
({0})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für den Antragsteller das Wort dem Kollegen
Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Bundeskanzlerin sagt es kurz und bündig: „Der Aufschwung kommt bei immer mehr Menschen an.“ Das
klingt sehr schön.
({0})
Das Problem ist nur, dass die Bürgerinnen und Bürger,
von denen die Kanzlerin spricht, ihre eigene Situation
völlig anders sehen.
({1})
Nach einer Umfrage des Stern erklären vier von fünf Befragten, dass sie weder persönlich noch in ihrem Bekanntenkreis etwas von der wirtschaftlichen Erholung
merken. Das muss man sich einmal vorstellen: Die
Kanzlerin sagt, der Aufschwung komme bei den Menschen an, und die bekommen es nicht mit.
({2})
Darüber muss man doch einmal reden. Ich will das Urteilsvermögen der Bundeskanzlerin nicht infrage stellen,
aber wenn 83 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sagen, dass der Aufschwung an ihnen vorbeigeht, dann hat
mindestens eine Seite ein ganz erhebliches Wahrnehmungsproblem. Alles spricht dafür, dass dieses Problem
im Bundeskanzleramt anzusiedeln ist.
({3})
Wenn schon kaum jemand zu finden ist, bei dem der
Aufschwung wirklich ankommt, dann sollten wir uns
einmal mit der Frage beschäftigen, bei wem der Aufschwung in Deutschland nicht ankommt. Ganz offensichtlich kommt der Aufschwung bei den Beschäftigten
nicht an.
({4})
Die Bundesregierung antwortet auf eine Anfrage der
FDP, dass die Gehälter 2007 im Vergleich zum Vorjahr
um 1,3 Prozent gestiegen sind. Das ist aber nicht einmal
ausreichend, um die Inflationsrate von 2,2 Prozent auszugleichen. Die Bilanz ist ein Minus von 0,9 Prozent. Im
Verbraucherpreisindex, meine Damen und Herren von
der Großen Koalition, sieht man, dass die Preise für
Nahrungsmittel um 7,5 Prozent, im Bildungswesen um
33,5 Prozent, für saisonabhängige Nahrungsmittel um
13,9 Prozent und für Haushaltsenergie, Strom und Gas,
um 9,2 Prozent gestiegen sind.
({5})
Wir können festhalten: Bei den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern ist der Aufschwung nicht nur nicht angekommen, sondern sie haben praktisch weniger in der
Lohntüte als vorher.
({6})
Das Gleiche gilt für die Sparbücher. Die Spareinlagen
der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger werden immer geringer. 2003 hatten die Bürgerinnen und Bürger
noch 502 Milliarden Euro auf der hohen Kante, 2007
waren es 440 Milliarden Euro. Das ist ein Rückgang um
12,5 Prozent. Fazit: Auch bei den Sparbüchern der Bürgerinnen und Bürger ist der Aufschwung offensichtlich
nicht angekommen.
({7})
- Sie fragen, was das beweist, Herr Kollege. Das beweist, dass die Bürgerinnen und Bürger aufs Ersparte zurückgreifen müssen, weil Sie ihnen mit Steuererhöhungen so sehr in die Tasche greifen, dass sie ihren
Lebensunterhalt mit dem Verdienten nicht mehr bestreiten können. Das heißt das ganz konkret.
({8})
Nun zu den Rentnerinnen und Rentnern. Wir stellen
fest: Die Renten wurden 2007 um sage und schreibe
0,54 Prozent angehoben. Das ergibt inflationsbereinigt
unter dem Strich ein Minus von 1,66 Prozent.
({9})
- Herr Braukspiepe, es gibt ein Minus bei den Renten.
Man kann leicht reden, der Aufschwung sei angekommen. Man muss nur aufpassen, dass man die Menschen
in Deutschland mit solchen Reden nicht verhöhnt.
({10})
Die Rentnerinnen und Rentner zählen offensichtlich zu
den 83 Prozent der Bevölkerung, die von einem Aufschwung nichts, aber auch rein gar nichts spüren.
({11})
Der Einzige, bei dem der Aufschwung so richtig angekommen ist, ist der Staat. Der Bund kann sich für das
Jahr 2007 über Steuermehreinnahmen in Milliardenhöhe
freuen.
({12})
Aber die zusätzlichen Steuereinnahmen des Bundes,
Herr Brauksiepe, sind nichts anderes als die Mehrbelastungen der Bürgerinnen und Bürger.
({13})
Wenn Sie mich fragen, ob mich das stört, antworte ich:
Ja, es stört die FDP, dass die Bürgerinnen und Bürger
durch Ihre Politik immer mehr belastet werden. Allein
im Januar 2008 mussten die Bürgerinnen und Bürger
10,3 Prozent zusätzlich an den Staat abführen. Ja, das
stört die FDP, und zwar ganz massiv; das kritisiere ich an
dieser Stelle ausdrücklich.
({14})
Die Zahlen zeigen eines ganz klar: Der Staat beansprucht den gesamten Aufschwung für sich. Das kann
man mit Recht als unfair bezeichnen. Die Bürgerinnen
und Bürger gehen bei CDU/CSU und SPD nämlich nicht
nur leer aus, sondern sie zahlen sogar ganz ordentlich
drauf.
In Wahrheit haben Sie durch Ihre maßlosen Steuererhöhungen dafür gesorgt, dass der Aufschwung nicht
bei den Menschen ankommen kann. Sie haben die Mehrwertsteuer und die Versicherungsteuer erhöht und die Eigenheimzulage gestrichen. Sie haben den Sparerfreibetrag und die Pendlerpauschale erheblich gekürzt.
Solange die Bürgerinnen und Bürger netto weniger Geld
in der Tasche haben, zählen sie zu den Verlierern und
nicht zu den Gewinnern des Aufschwungs.
Sie haben es selbst in der Hand, dafür zu sorgen, dass
der Aufschwung bei den Menschen in Deutschland ankommt. Ich kann Ihnen nur zurufen: Senken Sie die
Steuern, und sorgen Sie dafür, dass die Menschen netto
mehr Geld zur Verfügung haben. Mit Schönwetterreden
der Bundeskanzlerin ist den Menschen in Deutschland
nicht geholfen. Sie sollten sie ernst nehmen. Es ist nicht
hinnehmbar, dass die Menschen immer weniger Geld in
der Tasche haben, die Bundesregierung die Situation
aber so darstellt, als würden sie am Aufschwung teilhaben. Eine solche Politik ist unfair. Tun Sie etwas für die
Menschen, und hören Sie auf, Schönwetterreden zu halten!
({15})
Das Wort hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Rheinland gibt es das Sprichwort - Herr Hoyer, Sie kennen es -: Man muss auch gönnen können. - Sie von der
FDP tun sich mit dem Gönnen schwer;
({0})
das können wir heute erleben. Das Problem ist nicht,
dass Sie der Koalition ihre Erfolge nicht gönnen; wir haben nie gesagt, dass wir für den Aufschwung alleine verantwortlich sind. Dass Sie aber die großartige Leistung
der Menschen in diesem Land, durch die dieser Aufschwung erst ermöglicht wurde, schlechtreden, ist sehr
schade.
({1})
Sie sollten einmal zur Kenntnis nehmen, welche Entwicklung in den letzten Jahren in Deutschland stattgefunden hat. Im Jahr 2006 hatten wir ein Wirtschaftswachstum von knapp 3 Prozent, das sich in einem
Rückgang der Arbeitslosenzahlen und in einer Erhöhung
der Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse um jeweils rund eine halbe Million niedergeschlagen hat. Damals haben Sie gesagt: Dafür waren
die Fußball-WM und der Klinsmann-Effekt verantwortlich. Außerdem war der Winter mild. Nach der Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2007 wird diese positive Entwicklung zu Ende sein.
Was ist im Jahr 2007 geschehen? Das wirtschaftliche
Wachstum betrug wiederum knapp 3 Prozent. Es begann
ein solider Aufschwung, der auch den Arbeitsmarkt erreichte. Die Zahl der Arbeitslosen ist heute um 1,2 Millionen geringer als zu Beginn der Regierung Merkel.
Darüber hinaus ist die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse um fast 1 Million gestiegen. Der Aufschwung ist bei den Menschen angekommen, und es wurden mehr Arbeitsplätze geschaffen, und
das trotz Ihrer Kassandrarufe. Das ist die Realität in diesem Land.
({2})
Mittlerweile gehen in Deutschland 40 Millionen
Menschen einer Erwerbstätigkeit nach. Außerdem können wir ein Plus bei der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse verzeichnen. Der
Aufschwung kommt auch den älteren Menschen zugute.
Das im Rahmen der Lissabon-Strategie zur Beschäftigung Älterer formulierte Ziel, das bis zum Jahr 2010 erreicht werden sollte, haben wir schon jetzt erreicht.
Auch die Langzeitarbeitslosen profitieren vom Aufschwung. Pro Monat fanden durchschnittlich 3 Prozent
der Langzeitarbeitslosen einen neuen Arbeitsplatz; das
ist der höchste Wert seit 1998. Die Lohn- und Gehaltssumme ist im vergangenen Jahr um 3,1 Prozent gestiegen. Seit den 70er-Jahren ist es in Aufschwungphasen
nicht mehr gelungen, die zuvor aufgebaute Arbeitslosigkeit vollständig abzubauen. Zum ersten Mal seit circa
30 Jahren gelingt es uns jetzt, die Arbeitslosenzahlen
deutlicher zu senken, als sie vor dem Aufschwung gestiegen waren. Das sind nicht zu bestreitende Erfolge unserer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die Sie zur
Kenntnis nehmen sollten.
({3})
Unsere Politik hat auch dazu geführt, dass wir heute
eine bessere Haushaltssituation haben. Herr Wissing,
das, was Sie in diesem Zusammenhang gesagt haben, ist
Ausdruck Ihrer völligen Hilflosigkeit. Bei früheren Regierungen haben Sie sich zu Recht beschwert, wenn
Haushaltslöcher auftauchten; das haben auch wir getan.
Heute stimmen die Einnahmen der öffentlichen Haushalte, und die Neuverschuldung wurde auf null zurück14858
geführt. Nun beklagen Sie sich, dass der Staat Steuereinnahmen hat. Seien Sie doch froh, dass es möglich ist, die
öffentlichen Haushalte in Deutschland auszugleichen,
damit unsere Kinder und Kindeskinder keine zusätzlichen Schulden zurückzahlen müssen. Das ist doch ein
Erfolg für unser Land. Warum beschweren Sie sich über
ausgeglichene Staatshaushalte? Das, was Sie uns hier
bieten, ist peinlich.
({4})
An dieser Stelle möchte ich Sie auf die Prognosen der
Wirtschaftsforschungsinstitute für das nächste Jahr hinweisen. Sie besagen, dass die Arbeitslosenzahlen um
330 000 sinken und 280 000 Personen eine neue Beschäftigung finden werden. Der Sachverständigenrat hat
prognostiziert - das können Sie nachlesen -, dass die
Löhne und Gehälter im nächsten Jahr stärker steigen
werden als die Inflationsrate und dass die Erwerbstätigkeit weiter zunehmen wird.
Niemand von uns bestreitet, dass es in diesem Land
Probleme gibt. Niemand von uns bestreitet, dass die Verbraucherpreise in einigen Bereichen rasant nach oben
gehen, zum Beispiel die Lebensmittelpreise und die
Treibstoffpreise. Die Frage in der politischen Auseinandersetzung muss aber lauten: Was ist Ihre Alternative,
was ist Ihr Handlungskonzept? Wir sind dafür, dass die
Menschen am Aufschwung teilhaben, auch durch höhere
Löhne. Wir wissen genau: Die Verteilungsspielräume für
höhere Löhne sind umso größer, je besser die wirtschaftliche Entwicklung ist. Wir begrüßen es, dass die Verteilungsspielräume zugunsten der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer heute größer sind als je zuvor. Nur, die
Löhne festsetzen, das sollen die Tarifvertragsparteien
machen. Wir können lediglich die besten Voraussetzungen für höhere Löhne in Deutschland schaffen.
({5})
Sie reden immer von der Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Versicherungsteuer. Herr Wissing, die
Preistreiber bei uns in Deutschland sind nicht die Versicherungsprämien. Wenn heute das Barrel Rohöl über
100 Dollar kostet, dann hat das seine Auswirkungen auf
die Heizölpreise und die Spritpreise. Haben Sie eine Alternative? Wollen Sie eine Preisdeckelung einführen,
wollen Sie administrativ festlegen, dass der Preis für
Heizöl bzw. Benzin einen bestimmten Betrag nicht überschreiten darf? Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
nicht liberale Politik, das ist Irrsinn. Tun Sie zumindest
das, was Sie tun können: Stimmen Sie in Zukunft nicht
mehr dagegen, wenn wir Sozialversicherungsbeiträge
senken! Wir haben den Arbeitslosenversicherungsbeitrag auf 3,3 Prozent gesenkt; doch Sie waren dagegen.
Früher haben Sie die Rentenformel mit uns verteidigt.
Was ist denn Ihre Alternative zu dieser Rentenformel?
Wollen Sie eine Rente nach Inflationsausgleich? Jeder
weiß: Langfristig fahren die Rentner besser damit, wenn
sich die Renten, wie es immer vorgesehen war, nach den
Löhnen und Gehältern entwickeln. Das haben Sie selbst
einmal so gesehen.
Ein letzter Satz: 1999 hat Ihre Kollegin Irmgard
Schwaetzer die rot-grüne Bundesregierung kritisiert,
dass sie 2000 einen Inflationsausgleich für die Rentner
beschlossen hat statt einer Rentenerhöhung, die sich an
der Einkommensentwicklung orientiert. Frau Schwaetzer
hat gesagt, das sei nicht hinzunehmen. Es kam ein Zwischenruf des Kollegen Dr. Heinrich Kolb, Rentenpolitik
nach Kassenlage sei das. Das war damals Ihre Kritik.
Was wollen Sie denn jetzt: Rentenerhöhung nach Rentenformel oder Rente nach Kassenlage? Sie ändern Ihr
Konzept, wie es Ihnen gerade passt.
Wir stehen für eine solide, konsequente Politik, die
den Menschen nützt und dafür sorgt, dass die Menschen
am Aufschwung teilhaben.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ein wenig gewundert habe ich mich schon, dass
eine Aktuelle Stunde mit diesem Titel von der FDP beantragt wurde.
({0})
- Sie waren doch gerade dran.
Ich habe mich deshalb gewundert, weil im Tagesspiegel noch vor kurzem von Herrn Westerwelle zu lesen
war, dass SPD und Grüne den Linken hinterherlaufen
würden und das wie die Geschichte von Hase und Igel
enden würde. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir bereits am 24. Januar 2008, bei der Aussprache zum Jahreswirtschaftsbericht, darauf hingewiesen haben, dass es
eine Frechheit ist, bei sinkenden realen Löhnen, bei sinkenden realen Renten und bei sinkenden sozialen Leistungen von Aufschwung zu reden. Es freut mich, dass
die FDP von der Linken lernt.
({1})
Umso mehr freut es mich natürlich, dass Sie uns nachlaufen. Herzlich willkommen im Klub!
({2})
Ja, es gab einen Aufschwung, und nicht nur für den
Staat. Es gab einen Aufschwung für die, die Einkommen
aus Unternehmertätigkeit oder Vermögen haben. Diese
Einnahmen sind 2006 und 2007 um 7,2 Prozent gestieKlaus Ernst
gen und werden 2008 um 5,6 Prozent steigen. Die Deutsche Bank hat vor kurzem ein Ergebnis von 8,7 Milliarden Euro vermeldet. Es gibt also eine Gruppe, die hier
hervorragend lebt und an diesem Aufschwung partizipiert: Das sind die Aktienbesitzer, vor allem die, die
große Pakete halten, und das sind insbesondere die Vorstände, also Ihr Klientel. - Ich weiß nicht, warum Sie
sich so beschweren, meine Damen und Herren.
({3})
Ich möchte darauf hinweisen, dass es für die Arbeitnehmer im Gegensatz dazu eben keinen Aufschwung
gibt. Die Reallöhne sinken weiter. Aufgrund der Angaben des Statistischen Bundesamtes vom 25. Januar 2008
wissen wir, dass die tariflichen Gehälter der Angestellten
im letzten Jahr um 2,0 Prozent und die tariflichen Löhne
der Arbeiter um 2,5 Prozent gestiegen sind. Gleichzeitig
sind die Verbraucherpreise - Angabe vom 31. Januar
2008 - um 2,7 Prozent gestiegen. Ich kann Ihnen also
nur sagen: Bei den Arbeitnehmern kommt nichts an.
Ich kann Ihnen auch sagen, dass bei denen, die bei
BenQ oder Nokia ihren Job verlieren und künftig mit Arbeitslosigkeit rechnen müssen, auch nichts ankommt.
Genauso wissen wir, dass auch bei denen nichts ankommt, die von Minilöhnen leben müssen. Wir wissen
also, dass der Aufschwung an einem großen Teil der
Bürger, zum Beispiel auch an den Kindern, tatsächlich
vollkommen vorbeigeht. Dass man trotz der Tatsache,
dass sich die Zahl der Kinder, die in Armut leben, in den
letzten zwei Jahren - seit der Einführung von Hartz IV verdoppelt hat, von einem Aufschwung in Deutschland
redet, kann ich nur noch als zynisch bezeichnen.
Ich kann Ihnen von der Sozialdemokratie nur sagen:
Sie sollten einmal darüber nachdenken, ob das noch Ihre
Position ist. Sie sagen, dass es in Deutschland aufwärtsgeht, während die Kinder zunehmend in Armut geraten,
während die Arbeitnehmer keine Lohnerhöhung erhalten
und während insbesondere auch die Rentner seit Jahren
damit fertig werden müssen, dass ihre Renten real sinken, weil sie nicht erhöht werden. Die Steigerung um einen Prozentpunkt, über die jetzt debattiert wird, würde
auch wieder nur eine Erhöhung weit unter der Preissteigerungsrate bedeuten. Mit Ihrer Politik klauen Sie den
Rentnern die Rente. Das ist nicht positiv, das ist negativ
und kein Aufschwung.
({4})
Nach einer Umfrage in Spiegel online fürchten
72 Prozent der Rentner, dass sie ihren Lebensstandard
im Alter trotz aller Maßnahmen, die sie getroffen haben
- trotz Ihrer Riester-Rente und Ähnlichem -, künftig
nicht mehr halten können.
Ich kann nur sagen: All das, was Sie hier getan haben,
führt nicht dazu, dass die Bürger in diesem Lande von
Aufschwung reden können.
Sie kennen sicher die Umfrage im ARD DeutschlandTrend vom Dezember 2007, wonach 81 Prozent der Bürger die Frage, ob sie das Gefühl haben, vom Aufschwung zu profitieren, mit Nein beantwortet haben.
Herr Brauksiepe, Sie stellen sich hier fast schon guruhaft hin.
({5})
- Guruhaft, also wie ein Guru. Das sind die, die glauben,
die Menschen hinter sich herlaufen lassen zu können.
({6})
Wenn Sie glauben, dass die Menschen das, was Sie sagen, angesichts dieser Realität noch glauben, dann glauben Sie auch noch an den Weihnachtsmann.
Ich kann Ihnen nur sagen: Bei Ihnen, und zwar bei allen, bedeutet es offensichtlich schon einen Aufschwung,
wenn einer einen Meter unter der Wasseroberfläche gelebt hat und jetzt auf 50 Zentimeter unter der Wasseroberfläche aufsteigt. Er ersäuft dann aber immer noch.
Die soziale Lage ist für viele in Deutschland ein Problem. Sie haben das noch nicht begriffen.
Ich danke fürs Zuhören.
({7})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Klaus Brandner.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir diskutieren heute auf Antrag
der FDP-Fraktion über die Haltung der Bundesregierung
zur Situation der Rentner und Pensionäre unter Berücksichtigung der Aussage der Bundeskanzlerin Angela
Merkel am 28. November 2007 „Der Aufschwung kommt
bei den Menschen an“.
Meine Damen und Herren, die Kanzlerin hat recht.
({0})
In Deutschland profitieren immer mehr Menschen vom
Aufschwung. Sie profitieren von der robusten Konjunktur und vor allem von der guten Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt. Wir müssen dafür sorgen, dass alle vom
Aufschwung profitieren. Die Voraussetzungen dafür sind
gut.
Im Januar waren 1,35 Millionen Menschen weniger
arbeitslos als noch vor zwei Jahren. Gleichzeitig verzeichneten wir ein Rekordhoch bei den Erwerbstätigen
- rund 40 Millionen - und bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten - rund 27 Millionen. Die Entwicklung kann weitergehen; denn die Bundesagentur für
Arbeit meldet circa 1 Million offene Stellen.
Im Rahmen dieser Entwicklung wird niemand zurückgelassen, auch diejenigen nicht, die es schwerer als
andere haben, Arbeit zu finden: die Jüngeren nicht, die
Älteren nicht, die Menschen mit Behinderungen nicht
und auch die Langzeitarbeitslosen nicht.
({1})
Sie alle profitieren von der Entwicklung, zum Teil sogar
weit überdurchschnittlich. All das ist auch ein Erfolg einer guten Arbeitsmarktpolitik. Dabei bleiben wir weiter
ehrgeizig.
Die Beschäftigung sichern und ausbauen, das ist der
Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe, und das ist die
beste Grundlage, damit unsere sozialen Sicherungssysteme dauerhaft auf festen Beinen stehen.
({2})
Damit sorgen wir dafür - ich sage es in aller Deutlichkeit -, dass der Aufschwung ankommt. Denn richtig ist:
Nur dann, wenn die Menschen Arbeit haben, entsteht
Einkommen, und nur dann, wenn die Löhne steigen,
können auch die Renten steigen. Richtig ist auch, dass
die Renten langsamer als die Löhne steigen müssen, damit künftige Generationen nicht überfordert werden.
Aus diesem Grund gibt es eindeutige und verlässliche
gesetzliche Regelungen, nach denen die Rentenanpassung berechnet wird.
({3})
Sie haben sich bewährt. Es wäre verantwortungslos, daran herumzumäkeln und eine Politik nach Kassenlage zu
machen.
({4})
Es täten alle in diesem Hause gut daran, die Menschen
nicht zu verunsichern, sondern die komplizierten Zusammenhänge der Rentenberechnung zu erläutern.
Wir haben die Finanzierung der Rente dadurch gestärkt, dass die gesetzliche Rentenversicherung durch
Steuerbeiträge von versicherungsfremden Leistungen
befreit worden ist. Es ist also eine sichere Finanzierungsgrundlage geschaffen worden. Wie Sie alle wissen, sind
die Beiträge zur Sozialversicherung deutlich gesenkt
worden. Die FDP, die diesen Antrag auf eine Aktuelle
Stunde gestellt hat, hätte durchaus eine Aktuelle Stunde
mit dem Titel „Endlich sind wir langfristig bei einem Sozialversicherungsbeitrag von unter 40 Prozent angekommen“ beantragen können. Dies haben Herr Kolb und
Kollegen hier beinahe jahrzehntelang gebetsmühlenartig
vorgetragen.
({5})
Jetzt sind wir so weit, und ich würde es gutheißen, wenn
man solche Erfolge auch dann, wenn man in der Opposition ist, einmal anerkennen würde.
({6})
Wir sind der Auffassung, dass Vertrauen in die soziale
Sicherung nur dann gegeben ist, wenn die Verlässlichkeit bezüglich ihrer Finanzierungssysteme in der Gesellschaft erhalten bleibt.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass zum
1. Juli 2007 die Renten um 0,54 Prozent erhöht wurden.
Das war keine Riesensumme - dies kann niemand behaupten -, aber es war die erste Rentenerhöhung seit
2003 überhaupt. Ich gehe davon aus, dass es im Jahre
2008 wieder eine Rentenerhöhung geben wird, auch
wenn wir noch nicht wissen, in welcher Höhe sie erfolgen wird, weil noch keine verlässlichen Zahlen zur Rentenberechnung vorliegen. Aber es wird eine Erhöhung
geben, und dies steigert das Vertrauen in die gesetzliche
Rente.
Deswegen sage ich ganz offen, Herr Wissing: Mit einer so geringen Erhöhung werden die Bürger nicht verhöhnt; vielmehr trägt es zur Glaubwürdigkeit bei, dass
wir die Rentenformel nicht nach Kassenlage verändern.
Wer will, dass unser Sozialstaat auf verlässlichen Beinen
steht, muss mithelfen, dass die Grundzüge der sozialen
Sicherung erläutert und die Menschen nicht verunsichert
werden.
({7})
Eines kann man jetzt schon sagen: Die 20 Millionen
Rentnerinnen und Rentner in Deutschland können sich
darauf verlassen, dass wir jede Erhöhung - wirklich jede
Erhöhung -, die sich nach der Rentenanpassungsformel
ergibt, ohne Wenn und Aber an sie weitergeben.
Die gute wirtschaftliche Entwicklung zahlt sich letztlich aus, weil die Rentenfinanzen und damit die Beiträge
stabil bleiben.
({8})
Von Ende 2005 bis Ende 2007 ist die Nachhaltigkeitsrücklage um 10 Milliarden Euro gestiegen. Aktuell beträgt die Rücklage drei Viertel einer Monatsausgabe.
Dies bedeutet, dass der Beitragssatz bis 2010 konstant
gehalten werden kann. Danach wird er nach den Modellrechnungen des Rentenversicherungsberichts sogar gesenkt werden können.
Ich bin der FDP-Fraktion dankbar, dass sie die heutige Aktuelle Stunde beantragt hat, da sie Gelegenheit
bietet, noch einmal mit einem von der FDP-Fraktion ansonsten verbreiteten Mythos aufzuräumen. Die FDP
läuft nämlich durch das Land und verkündet gebetsmühlenartig, der Mindestlohn sei schlecht für die Menschen
und deshalb abzulehnen.
({9})
Gerade der Blick auf die Rentenanpassungsformel beweist, dass das Gegenteil richtig ist. Der Mindestlohn
nützt den Menschen, und zwar allen: den Unternehmen,
die fair bezahlen, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die einen Lohn erhalten, der dem wahren Wert
ihrer Arbeit entspricht, und den Rentnerinnen und Rentnern, die sich über höhere Renten freuen können. Ich
sage es gerne noch einmal: Anständige und faire Löhne
- das heißt heute eindeutig höhere Löhne - führen dazu,
dass auch die Renten steigen und regelmäßig erneut steigen können.
Mindestlöhne sind gut für die Renten, und zwar in
zweierlei Hinsicht: Der Arbeitnehmer, der mehr verdient, zahlt mehr in die Rentenkasse und erwirbt für sich
persönlich entsprechend höhere Rentenansprüche. Nehmen wir zum Beispiel einen Wachmann, für den sich bei
einem Mindestlohn von 7,50 Euro inklusive einer RiesterRente eine Altersversorgung von rund 1 000 Euro ergäbe. Das ist deutlich mehr, als die Wachleute bekommen, die heute mit einem Minilohn von 5,20 Euro pro
Stunde und als Rentner mit etwa einem Drittel weniger
auskommen müssen als diejenigen, die sich auf einen
gesetzlichen Mindestlohn verlassen können. Das bedeutet, dass die Gefahr, bedürftig zu sein - sei es während
oder nach dem Arbeitsleben -, mit einem Mindestlohn
zweifelsfrei abnimmt.
Zusammenfassend lässt sich deshalb feststellen: Unsere Politik für mehr Arbeit und für Mindestlöhne ist ein
wichtiger Beitrag dazu, dass immer mehr Menschen,
auch die Rentnerinnen und Rentner, vom Aufschwung
profitieren.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Staatssekretär Brandner, ich kann zwar
verstehen, dass Sie der FDP keine große Flexibilität zutrauen, aber sie kann auch durchaus spontan sein. So hat
sie das Thema dieser Aktuellen Stunde geändert. Es geht
nicht mehr ausschließlich um die Rente, sondern um die
Aussage der Kanzlerin „Der Aufschwung kommt bei
den Menschen an“.
({0})
Ich finde es im Übrigen interessant, dass dieses
Thema von den Steuerexperten der FDP gesetzt wurde.
({1})
Ich hatte immer den Eindruck, dass für Sie eher das
Motto gilt: Wenn jeder an sich selber denkt, dann ist
auch an jeden gedacht. Jetzt haben Sie das Thema soziale Gerechtigkeit aufgebracht, und ich glaube, dass das
ein ernstes Thema ist, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.
({2})
Die Bundeskanzlerin begründet Ihre Aussage „Der
Aufschwung kommt bei den Menschen an“ mit den sinkenden Arbeitslosenzahlen. Diese sind, wie Sie wissen,
zu weiten Teilen auch Ergebnis der Reformen, die die
rot-grüne Bundesregierung durchgeführt hat. Solche Reformen wirken sich bekanntlich immer mit einer zeitlichen Verzögerung aus.
Es ist zwar gut, dass die Arbeitslosenzahlen sinken,
aber es gibt immer noch 3,5 Millionen Menschen ohne
Arbeit. 10 Prozent der Jugendlichen jedes Jahrgangs erreichen keinen Schulabschluss. 350 000 Menschen unter
25 Jahren haben keine berufliche Perspektive. Wir haben
zudem das skandalöse Problem, dass 2,5 Millionen Kinder in Armut leben. Angesichts dieser Tatsachen müssen
wir uns fragen, welche Maßnahmen geeignet sind, diesen Menschen zu helfen, damit sie an dem von Ihnen angesprochenen Aufschwung teilhaben können.
({3})
Was sind Ihre Lösungen? Sie bezeichnen die Senkung
der Lohnnebenkosten als eine effiziente Maßnahme. Wir
meinen, dass Sie die Lohnnebenkosten nicht effizient
gesenkt haben. Wenn Sie die Lohnnebenkosten senken
wollen, dann sollten Sie das von uns vorgeschlagene
Progressivmodell anwenden. Senken Sie die Lohnnebenkosten im unteren Einkommensbereich! Denn das ist
unser Problem. Die Jobs in diesem Einkommensbereich
sind zu teuer. Mit der Senkung der Lohnnebenkosten in
diesem Bereich wird es nicht nur für Arbeitgeber interessanter, Jobs in diesem Bereich anzubieten, sondern es
wird vor allem auch für Arbeitnehmer interessanter,
diese Jobs anzunehmen, weil für sie mehr übrig bleibt.
Deswegen müssen Sie sich bei der Senkung der Lohnnebenkosten diesem Ansatz öffnen. Senken Sie die
Lohnnebenkosten im unteren Einkommensbereich!
Dann bleibt für die Menschen mehr übrig.
({4})
Sie haben recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass die
Inflation die Steigerung der Löhne und die Rentenanpassung aufgefressen hat. Echte Verlierer sind die Hartz-IVEmpfänger; denn die Anpassung des Arbeitslosengelds II steht noch aus.
Nehmen Sie als Beispiel die Energiekosten. Die steigenden Energiepreise stellen ein riesengroßes Problem
dar. Gleichzeitig steigen die Gewinne der Energieversorgungsunternehmen. Deswegen müssen Sie sich mit dem
Wettbewerb auf den Energiemärkten befassen. Wenn Sie
aber wollen, dass die ALG-II-Empfänger faktisch keine
Verlierer sind, dann müssen Sie die Regelsätze an die gestiegenen Kosten anpassen. Das muss Ihre Antwort sein,
wenn Sie wollen, dass der Aufschwung bei allen Menschen ankommt.
({5})
Wir müssen aber nicht nur die Bekämpfung der Armut, sondern auch die Schaffung von Arbeitsplätzen thematisieren. Einer der Punkte, in denen wir Ihnen Versagen vorwerfen, ist der Fachkräftemangel. Wir haben das
Problem 100 000 nicht besetzter Stellen. Aber Sie weigern sich, die Einkommensschwelle für ausländische
Zuwanderer zu senken. Nach wie vor müssen ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein jährli14862
ches Einkommen in Höhe von 85 000 Euro nachweisen,
wenn sie zu uns kommen wollen. Diese Einkommensschwelle ist zu hoch. So werden wir die notwendige qualifizierte Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt
nicht ermöglichen.
({6})
Wenn Sie dort ideologische Vorbehalte haben, dann
befassen Sie sich wenigstens mit den Hochschulen. Die
Union führt in einem Land nach dem anderen Studiengebühren ein. Die Rückmeldegebühren, Studiengebühren
und andere anfallende Kosten betragen in Niedersachsen
750 Euro pro Semester. Was ist das Ergebnis? Erstens.
Zunehmend weniger junge Leute studieren.
({7})
Zweitens. Es betrifft vor allem junge Menschen, deren
Eltern wenig Geld haben und die es sich nicht leisten
können. Was sagt Frau Schavan? Wenn sie könnte,
würde sie überall Studiengebühren einführen. Prima! Ich
sage Ihnen: Der Fachkräftemangel von heute ist nichts
im Vergleich zu dem von morgen. Sie müssen in der Bildungspolitik umsteuern.
({8})
Frau Kollegin Andreae, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Wenn Sie tatsächlich wollen, dass der Aufschwung
bei allen Menschen ankommt, dann betreiben Sie eine
zielgerichtete Bildungspolitik und eine Politik zugunsten
der Bezieher niedriger Einkommen. Passen Sie die Regelsätze beim ALG II an! Dann haben Sie vielleicht die
Chance, dass der Aufschwung nicht nur bei einem Teil
der Bevölkerung, sondern bei allen ankommt.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Max Straubinger von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die
Bundeskanzlerin hat recht: Der Aufschwung kommt bei
den Menschen an. Vor allen Dingen sollten die Kolleginnen und Kollegen von der FDP das endlich registrieren.
Wir werden Ihnen in dieser Aktuellen Stunde Nachhilfeunterricht geben und die Fakten ins Gedächtnis rufen.
Man kann auch der deutschen Öffentlichkeit nicht oft
genug klarmachen: 2006 betrug das Wirtschaftswachstum knapp 3 Prozent. 2007 betrug das Wirtschaftswachstum ebenfalls knapp 3 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen ist mittlerweile um 1,5 Millionen zurückgegangen.
2007 ist die Zahl der Bedarfsgemeinschaften, die der sozialen Unterstützung in unserem Land bedürfen, im Vergleich zu 2006 dank der Politik dieser Bundesregierung
um über 150 000 gesunken. Das sind die Erfolge dieser
Bundesregierung.
({0})
Das zeigt, dass der Aufschwung bei den Menschen ankommt; denn wenn 150 000 Bedarfsgemeinschaften weniger zu verzeichnen sind, dann bedeutet das neue Zukunftschancen und Zukunftsperspektiven für mindestens
150 000 Menschen.
({1})
Sie müssen nicht mehr durch den Sozialstaat unterstützt
werden, weil sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen
und dementsprechend für die Zukunft vorsorgen können.
({2})
Es ist ebenfalls bemerkenswert - Kollege Brauksiepe
hat bereits darauf hingewiesen -: Ausweislich der volkswirtschaftlichen Bilanz 2007 haben die Sozialversicherungsträger sowie Bund, Länder und Gemeinden erstmals seit langem einen Überschuss zu verzeichnen.
Wenn die Kolleginnen und Kollegen der FDP sagen, der
Nutznießer sei der Staat, dann frage ich die Kolleginnen
und Kollegen der FDP: Wer ist denn der Staat? Der Staat
sind doch wir alle, der Staat sind die Bürger in unserem
Land. Letztendlich ist es doch entscheidend, dass wir mit
einer Politik des Wachstums ausgeglichene Ergebnisse
erreichen.
({3})
Darüber sollten wir uns freuen. Wir sollten diese Leistung loben und nicht in Misskredit bringen, wie es die
FDP versucht.
({4})
Die FDP hat vieles kleingeredet, auch die schmerzlichen und schwierigen Entscheidungen, die die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen zum Beispiel
in puncto Mehrwertsteuererhöhung herbeigeführt haben.
Die Arbeitsplätze gingen verloren, hat die FDP sehr
frühzeitig kundgetan. Das Gegenteil ist der Fall. Die
Wirtschaft werde stagnieren, und es werde keinen Aufschwung geben. Das Gegenteil ist der Fall.
({5})
Unsere Rezepte, gepaart mit Reformen in unseren sozialen Sicherungssystemen und am Arbeitsmarkt - ich erinnere an das Fordern und Fördern und das Umsetzen der
Hartz-IV-Gesetze -, haben letztendlich den Erfolg gebracht, und sie sorgen für Zukunftschancen für die Menschen in unserem Land.
({6})
Wir können uns auch darüber freuen, dass wir entgegen der Politik, die seinerzeit Rot-Grün betrieben hat,
({7})
zum Beispiel in der Gesundheitspolitik jetzt ein Ende der
Verschuldung der Krankenkassen erreichen. Das ist ein
gemeinsamer Erfolg. Ich glaube auch, dass es wirklich
bemerkenswert ist, dass wir jetzt mehr Rücklagen in der
Rentenkasse und damit mehr Nachhaltigkeit haben.
Noch 2005 hat der Bundesfinanzminister die Zahlung
des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung vorziehen müssen, um die Rentenzahlungen sicherzustellen.
Das ist der Erfolg dieser Bundesregierung innerhalb von
zwei Jahren. Das hätte uns niemand zugetraut. Darüber
sollten wir uns freuen.
({8})
Dieser Aufschwung ist im ganzen Land angekommen. Die Kollegin Maria Michalk hat mich vorhin darauf hingewiesen, in der Stadt Bautzen seien im vergangenen Jahr 1 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Das
zeigt, dass der Aufschwung nicht nur in boomenden
Wirtschaftsregionen des Westens festzustellen ist, sondern auch im Osten, und es zeigt, der Aufschwung
kommt bei den Menschen an.
Zusätzlich haben wir die Senkung der Lohnnebenkosten erreicht. Am 31. Dezember 2006 hatten wir noch einen Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 6,5 Prozent.
Mittlerweile beträgt der Arbeitslosenversicherungsbeitrag nur noch 3,3 Prozent. Das ist eine Entlastung der
Unternehmen und trägt zur Wettbewerbsfähigkeit der
Unternehmen bei. Das bedeutet aber vor allen Dingen
eine Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land in einem Umfang von fast
25 Milliarden Euro. Das heißt, dass der Aufschwung
beim Bürger ankommt.
({9})
Ich sage aber auch: Wir sind noch nicht am Ende unserer Reformpolitik.
Aber am Ende Ihrer Redezeit, Herr Straubinger.
({0})
Ein Satz noch, Herr Präsident.
Das bedeutet, dass wir auch die Leistungsträger in unserem Land entlasten müssen. Dafür stehen wir.
({0})
Ich sage auch ganz offen: Lohnpolitik kann keine Sozialpolitik ersetzen. Wir werden uns damit sicherlich noch
auseinandersetzen müssen. Entlastung für die Leistungsträger ist angesagt, um den Aufschwung zusätzlich zu
stärken und die Arbeitsplätze zu sichern.
({1})
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Herr Präsident, danke für die Geduld.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach den Reden von etwa der Hälfte der Redner, die hier
ans Pult getreten sind, kann man festhalten: Diese Aktuelle Stunde war und ist bitter nötig.
({0})
Es kann und darf nicht unwidersprochen im Raum stehen bleiben, dass die Regierung eine Entwicklung
schönzeichnet, die sich aus Sicht der weit überwiegenden Mehrheit der Bürger vollkommen anders darstellt.
({1})
Weil Sie uns gleich wieder vorwerfen werden, wir
würden alles miesreden, schauen wir uns doch einmal
an, was uns die Bundesregierung auf folgende Frage in
der Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion geantwortet hat:
„Bei wie vielen Menschen ist nach Ansicht der Bundesregierung der Aufschwung angekommen, und wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung?“ Ich will
vorausschicken: In unserem Lande leben etwa 80 Millionen Menschen.
Die Bundesregierung antwortet: „Bei über 900 000 Menschen ist der Aufschwung seit 2005 direkt in der Form
einer Beschäftigung angekommen.“ Dazu will ich sagen:
Wir freuen uns über jeden Einzelnen, der eine neue Beschäftigung gefunden hat, nachdem er zuvor in Arbeitslosigkeit gewesen ist.
({2})
Aber das ist nur etwa 1 Prozent der Bevölkerung.
Weiter wird in der Antwort auf diese Frage darauf
hingewiesen, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgesenkt worden seien.
({3})
- Herr Kollege Brauksiepe, wir waren gegen den Plan
der Koalition, weil wir weitergehende Senkungsspielräume gesehen haben, weil wir das, was die Bundesregierung getan hat, für nicht ausreichend gehalten haben.
({4})
Ich finde es schon ziemlich dreist, dass die Bundesregierung in der Antwort auf diese Kleine Anfrage die
Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge isoliert
anführt und gleichzeitig verschweigt, dass die Rentenversicherungs- und Krankenversicherungsbeiträge erhöht worden sind und der Pflegeversicherungsbeitrag erhöht werden wird. So etwas schreibt vielleicht die
Propagandaabteilung des Konrad-Adenauer-Hauses oder
des Willy-Brandt-Hauses, aber doch nicht die Bundesregierung.
({5})
Als dritte Position wird angeführt: „Über die Konsolidierung der Haushalte profitieren zudem auch nachkommende Generationen von wirtschaftlichem Wachstum …“
({6})
Wir finden es sehr gut, wenn die Verschuldung des Staates auf null reduziert wird. Aber wenn man wie Sie, Herr
Kollege Brauksiepe, sagt, dass wir im letzten Jahr eine
Neuverschuldung hatten, dann muss man sich auch fragen lassen, warum man für 2008 noch einmal eine Neuverschuldung von 12 Milliarden Euro einplant, wo dieses Ziel so sehr unterstrichen wird.
({7})
Die FDP hat in den Haushaltsberatungen des Deutschen Bundestages ein Sparbuch mit über 400 Vorschlägen eingebracht, nach denen es möglich gewesen
wäre, auch 2008 einen ausgeglichenen Haushalt zu fahren. Das ist doch der richtige Weg. Also: Wenn schon,
dann richtig, und nicht so halbherzig, wie es die Koalition vorgemacht hat.
({8})
Nein, der Aufschwung kommt nicht bei den Bürgern,
bei den Menschen in diesem Land an, sondern er kommt
im Staatssäckel an. Das möchte ich deutlich betonen. In
den drei Jahren von 2005 bis 2007 - ich rechne das Jahr
2005 mit dazu - sind die Einnahmen des Staates - alle
Ebenen - insgesamt um rund 110 Milliarden Euro gestiegen. Die Bruttomehreinnahmen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Lande lagen bei
40 Milliarden Euro. Netto verblieben sind 16 Milliarden
Euro. Das ist ein Verhältnis von 110 : 16. Im Verhältnis
1 : 6 profitieren die Menschen bzw. profitiert der Staat
vom Aufschwung. Das ist die Realität. Nicht der Bürger,
sondern der Staat profitiert überproportional vom Aufschwung und vom steigenden Einkommen der Bürger.
Diese Tatsache treibt uns als FDP sehr wohl um.
({9})
Hier ist auch gesagt worden, wir müssten bessere Voraussetzungen für höhere Löhne schaffen; dann werde
alles besser. Da warne ich Neugierige. Da ist die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage
auch in diesem Zusammenhang sehr bezeichnend. Unter
Ziffer 6 ist nämlich in einer Tabelle aufgeführt, wie hoch
die Grenzsteuerbelastung der Menschen in diesem
Lande ist. Diese Zahlen empfehle ich einmal zur Lektüre. Das Paradoxe ist, dass diejenigen, die einen niedrigen Grenzsteuersatz haben, in der Regel aber noch
unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegen, bei
Lohnerhöhungen zusätzlich mit den Sozialversicherungsbeiträgen beaufschlagt werden. Sie haben damit
prozentual in der Summe sogar noch höhere Abgaben als
diejenigen, die über der Beitragsbemessungsgrenze liegen, einen Grenzsteuersatz von 45 Prozent Lohn- bzw.
Einkommensteuer plus Solidaritätszuschlag plus Kirchensteuer haben und auch schon mehr als die Hälfte einer Bruttolohnerhöhung an den Staat abführen müssen.
Das ist nicht zielführend. Sie lächeln den Menschen ins
Gesicht und sagen Ihnen, wir wollen, dass ihr höhere
Löhne bekommt, aber insgeheim steckt die Hand schon
in der Hose und im Portemonnaie der Bürgerinnen und
Bürger dieses Landes. Das ist eine unlautere Politik, die
Sie betreiben.
({10})
Zum Thema Mindestlohn und zum Thema Rentner:
Es ist wohlfeil, zu sagen: Wenn nur die Löhne hoch genug sind, dann werden auch die Rentner profitieren. Ich
sage: Höhere Löhne sind dann gut, wenn sie durch einen
Produktivitätszuwachs gedeckt sind. Höhere Löhne, die
gesetzlich verordnet werden, aber nicht durch einen Produktivitätszuwachs gedeckt sind, führen zu einem Arbeitsplatzverlust und werden sich am Ende nicht in höheren, sondern in niedrigeren Renten auswirken. Das ist
die Wahrheit, die hier auch einmal ausgesprochen werden muss.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese bewusste Vernachlässigung von Wahrheit in der Antwort, die Sie uns
auf die Kleine Anfrage gegeben haben, werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Die Mehrheit der Menschen in diesem Land ist längst so weit, dass sie diese
Aussage der Bundeskanzlerin durchschaut hat. Das ist
auch gut so. Wir werden in Zukunft nicht nachlassen.
Da, wo Sie versagen, wo Sie die Konjunktur nicht stützen, sondern mit Ihrer Politik prozyklisch dazu beitragen, dass Konjunktur abflacht, werden wir Sie nicht aus
der Verantwortung entlassen. Wir werden Sie stellen und
treiben. Dessen dürfen Sie sicher sein.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Grotthaus von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch
beide Beiträge der FDP-Fraktion zieht sich ein roter Faden: Abbau notwendiger staatlicher Interventionsmöglichkeiten da, wo soziale Probleme in der Gesellschaft
entstehen.
({0})
Arbeitnehmerinteressen werden von Ihnen nur ganz kurz
beleuchtet. Gleich danach diskutieren Sie über die Senkung der Steuern derjenigen - Sie führen diese Diskussion permanent, seitdem ich hier im Deutschen Bundestag bin -, bei denen der Aufschwung tatsächlich viel
stärker als bei den normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in dieser Gesellschaft angekommen ist.
({1})
Es ist gerade schon gesagt worden, wie sich die Vermögens- und Unternehmenseinkommen in den letzten
zwei Jahren, projiziert auf das Jahr 2008, entwickelt haben: Sie sind um 19,6 Prozent gestiegen. Die Arbeitnehmerentgelte sind dagegen nur um 7,0 Prozent gestiegen.
Wenn Sie richtig und fair diskutiert hätten, dann hätten
Sie eigentlich sagen müssen: Ja, wir wissen, dass es in
dieser Gesellschaft prekäre Arbeitsverhältnisse gibt; ja,
wir wissen, dass es in dieser Gesellschaft nicht die Lohnzuwächse gibt, die die Schere zusammenführen, statt sie
weiter auseinandergehen zu lassen. Sie hätten uns an Ihrer Seite, wenn Sie mit uns gemeinsam für einen Mindestlohn kämpften, und Sie hätten uns auch an Ihrer
Seite, wenn Sie einmal etwas zu den Lohnzuwächsen in
der Industrie gesagt hätten.
Stattdessen fordern Sie Steuererleichterungen. Sie
müssen doch genau in Erinnerung haben, wem diese
Steuererleichterungen dienen. Eine vierköpfige Familie
zahlt bei einem Einkommen von 35 000 bis 36 000 Euro
einschließlich Kindergeld heute gar keine Steuern. Das
heißt, dieser Familie stehen im Monat etwa 3 000 Euro
zur Verfügung.
({2})
Dennoch fordern Sie hier Steuererleichterungen. Jetzt
frage ich mich: Für wen wollen Sie diese Steuererleichterungen? Doch nicht für diejenigen, von denen Sie hier
- zumindest am Rande - behaupten, dass der Aufschwung bei ihnen nicht angekommen ist.
({3})
Was Sie wollen, ist ein Abbau des Staates in Bezug
auf Sozialleistungen. Im Ausschuss für Arbeit und Soziales haben wir heute Ihren Antrag behandelt. In diesem
Antrag steht: Abbau von bestehenden Regelungen des
Kündigungsschutzes; gesetzliche Mindestlöhne ablehnen; Verkürzung der Bezugszeiten für das Arbeitslosengeld nicht zurücknehmen. Außerdem steht dort: Ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit niedrigen Sätzen
entwickeln.
({4})
An diesem Punkt sagen wir immer wieder: Mit uns
nicht! Dies bedeutet nämlich den Abbau von staatlichen
Lenkungsmöglichkeiten, und dies lassen wir Ihnen nicht
durchgehen.
({5})
- Es ist gut so, dass wir so wenig zusammenkommen.
Die Wählerinnen und Wähler haben unsere Haltung honoriert und nicht Ihre. Die Wählerinnen und Wähler
wussten genau, warum sie das getan haben.
({6})
Damit Sie sich noch ein wenig echauffieren, will ich
Ihnen jetzt sagen, wie sich die Anzahl der Erwerbstätigen in den zurückliegenden zwei Jahren, also zwischen
2005 und 2007, verändert hat - eigentlich wollte ich das
nicht tun; aber es macht mir jetzt Spaß -: Es gab ein Plus
von 900 000.
({7})
Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist um 700 000 gestiegen. Die Anzahl der registrierten Arbeitslosen ist um 1,1 Millionen gesunken; das ist
ein Minus von 22,3 Prozent.
({8})
Die Anzahl der Langzeitarbeitslosen ist um 200 000 gesunken. Das ist ein Minus von 17,3 Prozent.
Jetzt sagen Sie wiederum: Der Aufschwung kommt
nicht da an, wo er eigentlich hingehört. Ich sage Ihnen:
Der Aufschwung muss sich in den Taschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wiederfinden.
({9})
Er darf sich nicht ausschließlich bei denjenigen wiederfinden, die in den letzten drei oder vier Jahren davon
profitiert haben, dass sich das Kapital ohne Arbeit vermehrt hat.
Wir sind uns über Folgendes im Klaren: Wenn man
detailliert hinschaut, ist feststellbar, dass Menschen mit
Vermittlungshemmnissen noch Probleme haben.
({10})
Deshalb sind auch gruppenspezifische Programme aufgelegt worden. Auffallend ist aber auch die Zunahme
prekärer Arbeitsverhältnisse. Deswegen wiederhole ich:
Es ist notwendig, das Mindestarbeitsbedingungsgesetz
und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu novellieren.
Sie reden davon, dass dieser Aufschwung sich in den
Taschen aller Menschen wiederfinden sollte.
({11})
Deshalb hoffe ich, dass Sie noch in diesem Jahr an unserer Seite stehen und mit dafür sorgen werden, das Geld
so umzuverteilen, dass die breite Masse profitiert und
nicht immer Ihre Klientelpolitik betrieben wird.
({12})
Das Wort hat der Kollege Peter Weiß von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Vertreter der Oppositionsfraktionen scheinen sich
nie in ihren Wahlkreisen blicken zu lassen.
({0})
Mir begegnen zu Hause Menschen, die endlich wieder
Arbeit gefunden haben, die zu den über 1 Million Menschen gehören, die nicht mehr in Arbeitslosigkeit sind.
Ich kenne Firmen, die Arbeitsplätze schaffen, wo junge
Leute tolle neue Jobs finden. Gegenüber diesen Menschen und gegenüber diesen Firmen ist es unverantwortlich und unverschämt, den Aufschwung in der Art und
Weise niederzureden, wie das hier passiert.
({1})
Vielleicht sollten Sie lieber nicht irgendwelche Magazine und Umfragen lesen, sondern sich einmal die konkrete Lohnabrechnung eines Arbeitnehmers vom Januar
2008 anschauen.
({2})
Für die Sozialversicherung wird darin nämlich weniger abgezogen als noch im Vorjahr, weil wir von der
Großen Koalition es geschafft haben, binnen zweier
Jahre den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von
6,5 auf 3,3 Prozent zu senken.
({3})
Das ist ein Entlastungsvolumen von insgesamt 25 Milliarden Euro. Das ist Aufschwung pur.
({4})
Über zwei Jahre lang ist im Plenum des Deutschen
Bundestages von der Opposition bezweifelt worden, sogar mit Häme bezweifelt worden,
({5})
dass es die Große Koalition schaffen würde, die Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent zu senken.
({6})
Der Punkt ist: Wir von der Großen Koalition haben es
geschafft und unser Versprechen eingelöst.
({7})
Vor über zwei Jahren, im Herbst 2005, hat die Deutsche Rentenversicherung zur Auszahlung der Renten einen Sonderkredit des Bundes gebraucht. Heute hat die
Rentenversicherung in Deutschland wieder ein Plus. Sie
kann die Renten sicher auszahlen und hat sogar noch
eine Nachhaltigkeitsrücklage von 11,7 Milliarden Euro
oder 0,74 Monatsausgaben aufgebaut. Die Rente ist
heute sicherer als vor zwei Jahren. Auch das ist ein Ergebnis des Aufschwungs in unserem Land.
({8})
Klar ist aber auch: Es besteht überhaupt kein Anlass,
jetzt die Hände in den Schoß zu legen. Eine konsequente
Politik für mehr Wachstum und Beschäftigung ist der
einzige Weg, damit die Bürgerinnen und Bürger auch für
sich persönlich eine positive Zukunftsperspektive erkennen können. Es gibt meines Erachtens eine Gruppe von
Menschen, die in ganz besonderer Weise eine Leistung
für die Zukunft unseres Landes erbringt: die Familien
mit Kindern. Deswegen ist es richtig, dass die Große Koalition die Leistungen für Familien verbessert hat; ich erwähne das Elterngeld und die Kinderbetreuung. Es ist
auch richtig, dass wir den Familien, die durch Preissteigerungen in besonderer Weise belastet sind, mit einer
Kindergelderhöhung helfen wollen, ihre Erziehungsleistung für die Zukunft unseres Landes besser zu erbringen.
({9})
Wenn die FDP nun beklagt, dass aufgrund der guten
Konjunktur und der guten Beschäftigungslage die Steuereinnahmen steigen, was ja erfreulich ist,
({10})
dann ist das wirklich eine peinliche Klage. Wenn wir den
erhöhten Handlungsspielraum des Staates dazu nutzen,
gerade unseren Familien mit Kindern zusätzlich unter
die Arme zu greifen, mehr in Bildung und Forschung,
aber auch in Betreuung zu investieren, dann ist das eine
gute Investition, eine Investition für den Aufschwung
und nicht das Gegenteil.
({11})
Ich habe gedacht, es würden von der Opposition heute
ein paar konkrete Vorschläge dazu kommen, was man
über das hinaus, was die Große Koalition bereits getan
hat, machen könnte, um den Aufschwung für die Bürgerinnen und Bürger spürbar zu machen.
({12})
Nur, davon war in dieser Debatte an keiner einzigen
Stelle die Rede.
({13})
Schlechtreden war das einzige Motto der Rednerinnen
und Redner der Opposition.
Peter Weiß ({14})
Deswegen möchte ich den Bürgerinnen und Bürgern
in diesem Land sagen:
({15})
Diese Debatte hat erneut bewiesen: Für den Aufschwung, für mehr Wachstum und Beschäftigung stehen
Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Große Koalition. Von der Opposition, so wie sie sich heute aufgeführt hat, ist nichts zu erwarten.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat der Kollege Gregor Amann von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Reden der Kollegen von FDP, Grünen und
Linken zeigen: Es sind harte Zeiten für Oppositionspolitiker.
({0})
Deutschland befindet sich in dem stärksten Wirtschaftsaufschwung, den wir seit Jahren erleben. Da ist es selbst
für einen Oppositionspolitiker schwierig, noch ein Haar
in der Suppe zu finden.
Ihre Reden erinnern mich an eine Geschichte, die ich
hier gerne erzählen möchte: Ein Junge geht im Winter
Schlittschuh fahren. Seine Mutter hat ihn mit einem warmen Anorak, mit einer Wollmütze, Handschuhen und einem festen Schuhwerk ausgestattet. Während er auf dem
zugefrorenen See Schlittschuh fährt, bricht er plötzlich
ins Eis ein und fällt ins Wasser. Zum Glück ist ein Spaziergänger in der Nähe, der heraneilt, ihn aus dem Wasser zieht, ihn rettet, ihn klatschnass zur Mutter zurückbringt und ihn mit den Worten übergibt: „Ihr Junge hat
viel Glück gehabt. Wenn ich nicht in der Nähe gewesen
wäre, dann wäre er jetzt wahrscheinlich nicht mehr am
Leben.“ Was ist die Reaktion der Mutter? Sie sagt: „Und
wo ist die Wollmütze, die ich ihm heute Morgen mitgegeben habe?“
({1})
Ihre Reden von heute kann man in dem einen Satz zusammenfassen: Wo ist die Wollmütze?
({2})
Ja, wir leben in Deutschland nicht im Paradies. Es
gibt Probleme und Sorgen, die wir ernst nehmen müssen
und um die wir uns kümmern müssen.
({3})
Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich. Das
liegt auf der einen Seite daran, dass immer noch zu viele
Menschen zu Niedriglöhnen arbeiten müssen.
({4})
Deswegen treten wir Sozialdemokraten auch für Mindestlöhne ein. Es liegt auf der anderen Seite daran, dass
die Spitzenverdiener immer mehr verdienen. Außerdem
gibt es zu viele Kinder, die in Armut leben. Schließlich
müssen wir uns mit steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen beschäftigen. Auch bei der sozialen Durchlässigkeit unserer Bildungssysteme stehen wir im internationalen Vergleich schlecht da.
Realität ist aber auch, dass wir im Jahre 2006 ein
Wirtschaftswachstum in Höhe von 2,9 Prozent, im Jahre
2007 in Höhe von 2,7 Prozent hatten. Dieses Jahr wird
es, so wird vorausgesagt, um die 2 Prozent liegen, und
das trotz des teuren Euro und der Bankenkrise in den
USA. Die deutsche Wirtschaft ist im vergangenen Jahr
wieder Exportweltmeister geworden. Die Zahl der Erwerbstätigen ist auf über 40 Millionen gestiegen. Das ist
ein historischer Rekord. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten - das ist ganz wichtig - erreicht inzwischen fast die 27-Millionen-Marke. Auch
das ist ein Rekord. Die Arbeitslosenzahl ist auf etwa
3,4 Millionen zurückgegangen. Das sind immer noch zu
viele Arbeitslose, aber es ist der stärkste Rückgang in einem Jahr in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zum ersten Mal seit 30 Jahren - Herr Brauksiepe
hat schon darauf hingewiesen - ist die Arbeitslosigkeit
stärker gesunken, als sie im Abschwung zuvor gestiegen
war.
({5})
Anders als in der Vergangenheit kommt die wirtschaftliche Dynamik nun zunehmend auch den Menschen zugute, die mit besonderen Schwierigkeiten auf
dem Arbeitsmarkt konfrontiert sind: den Älteren, den
Langzeitarbeitslosen und den Geringqualifizierten. Die
Zahl der Langzeitarbeitslosen ist von 2005 auf 2007 um
17 Prozent zurückgegangen. Die Erwerbsquote der über
54-Jährigen ist im selben Zeitraum um 6,5 Prozent angestiegen. Die Zahl der Ausbildungsplätze nimmt zu; dadurch geht der Bewerberüberhang bei den Berufsausbildungsstellen zurück. Die solide Finanzpolitik dieser
Koalition hat ermöglicht, dass jetzt zum ersten Mal ein
ausgeglichener Bundeshaushalt in erreichbare Nähe gerückt ist.
({6})
Aber angesichts dieser Erfolge, Herr Kollege, höre ich
von der Opposition immer nur: Wo ist die Wollmütze?
({7})
Das Wort hat der Kollege Peter Rauen von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle hier
im Hause, von der linken Seite bis zur rechten Seite, sind
dafür verantwortlich, dass der Aufschwung bei den
Menschen ankommt.
({0})
Deshalb stehen wir auch in der Verantwortung, eine Politik zu machen, die zu mehr Wachstum führt, und zwar
zu einem Wachstum, das Arbeitsplätze sichert und Arbeitsplätze schafft. Über die Methoden können wir streiten. Aber dass wir glaubwürdig bleiben und dass man
uns abnimmt, das Beste zu wollen, hängt davon ab, wie
ernsthaft wir hier diskutieren und wie wir miteinander
umgehen.
Ich habe eine Bitte an die FDP: Stellen Sie sich einmal vor - ich hoffe, Ihre Vorstellungskraft reicht dazu
aus -, Sie wären so, wie Sie jetzt hier sitzen, 2005 in die
Regierungsverantwortung gekommen.
({1})
- Ich glaube, das sollte man schon ertragen. Denn es ist schon wichtig, darüber nachzudenken,
was uns die Menschen zutrauen können. Sie können uns
zutrauen, dass wir ein paar volkswirtschaftliche Daten
beleuchten, die sich unter der Regierung von SPD und
CDU/CSU in der Tat erstaunlich gut entwickelt haben.
Wir hatten beim Bruttoinlandsprodukt in den letzten
zwei Jahren, also 2006 und 2007, einen Zuwachs von
179 Milliarden Euro zu verzeichnen. In den vier Jahren
vorher, also von 2001 bis 2005, betrug dieser Zuwachs
lediglich 131 Milliarden Euro. Das heißt, wir hatten in
den letzten zwei Jahren ein Drittel mehr Zuwachs beim
Bruttoinlandsprodukt als in den vier Jahren vorher.
Ein Zweites. Die Bruttolöhne sind in den letzten zwei
Jahren um 43 Milliarden Euro gestiegen. Herr Kolb, ich
glaube, Sie sprachen eben von 42 Milliarden Euro.
43 Milliarden Euro ist die exakte Zahl. In den vier Jahren vorher sind die Bruttolöhne um ganze 24 Milliarden Euro gestiegen.
({2})
- Darauf will ich hinaus; ich komme gleich noch darauf. - Was mich selbst erschreckt hat, war Folgendes:
Die Bruttolohnsteigerung von 43 Milliarden Euro bedeutete eine Nettosteigerung von nur 17 Milliarden
Euro. In den vier Jahren vorher erwuchsen aus der Bruttosteigerung von 24 Milliarden Euro auch nur 12,7 Milliarden Euro netto, obwohl wir 2004 und 2005 eine Reduzierung des Grundfreibetrages und 2005 eine Absenkung des Eingangssteuersatzes hatten. Über dieses
Thema sollten wir nachdenken; ich komme gleich noch
einmal darauf zurück.
Von 2001 bis 2005 lag der Finanzierungssaldo des
Gesamtstaates - Herr Dr. Wissing, ich gehe jetzt nicht
nur auf den Bund ein, sondern auf Bund, Länder, Gemeinden und die sozialen Kassen - im Schnitt mit
76 Milliarden Euro jährlich im Defizit. In den Jahren
2002, 2003, 2004 und 2005 haben wir jeweils die
Maastricht-Kriterien gerissen. 2006 haben wir sie endlich einmal wieder eingehalten; 2007 stand da eine
schwarze Null.
({3})
Herr Kolb, um das klarzustellen: Der Kollege
Brauksiepe hat von der Null im Zusammenhang mit dem
gesamtstaatlichen Finanzierungssaldo gesprochen; er hat
sich nicht nur auf den Bund bezogen. Diese schwarze
Null ist im Prinzip hervorragend, wenn man bedenkt,
dass die Länder, die Gemeinden und vor allem die sozialen Kassen ein Plus zu verzeichnen haben, was eigentlich die Voraussetzung dafür ist, dass man hoffen kann,
dass durch mehr Beschäftigung und Beitragssenkungen
bei den Menschen netto mehr ankommt.
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten - das ist aus meiner Sicht das Maß aller Dinge; die
Leute zahlen Steuern und Beiträge, um unseren Staat zu
finanzieren - hat sich in den letzten zwei Jahren, also
2006 und 2007, um 600 000 erhöht, während sie in den
vier Jahren vorher um 1,655 Millionen zurückgegangen
war. Das heißt, hier ist es zu einer Trendwende gekommen, die hoffen lässt, dass bei anhaltend guter Konjunktur - dazu müssen wir natürlich Vernünftiges beitragen auch weiterhin der Zuwachs bei den Menschen ankommt.
Ich möchte eines sagen, weil mich das persönlich bewegt. Ich spreche jetzt nicht von den Arbeitern in
Deutschland, deren Einkommen am unteren Rand liegen,
sondern von den Facharbeitern, von denen, die 14, 15,
16, 17, 18 Euro Stundenlohn haben, im Prinzip die Leistungsträger unserer Gesellschaft. Da stelle ich mir schon
die Frage: Wie kann es sein, dass bei einem Bruttolohnzuwachs von 43 Milliarden Euro nur 17 Milliarden Euro
bei den Menschen ankommen?
({4})
Darüber sollten wir uns unterhalten, CDU/CSU, SPD,
FDP und auch mit den Linken. Wir reden seit Jahren darüber, dass es beim Steuertarif einen Inflationsausgleich
geben muss. Wir reden seit Jahren darüber, dass es einen
Tarif auf „Rädern“ geben muss. Ich habe das noch einmal genau nachgeschaut. Dass nur 17 Milliarden Euro
bei den Menschen ankommen, hat mit der kalten Progression zu tun, also mit Geldern, die eigentlich nicht
dem Staat gehören, sondern den Menschen. Wir sollten
endlich, und zwar möglichst bald, gemeinsam einen
Steuertarif mit dem Ziel machen,
({5})
dass netto mehr bei den Menschen ankommt.
({6})
- Wir verweigern uns überhaupt nicht. Darüber wird hier
seit Jahren geredet. Wir sollten darüber wirklich einmal
nachdenken.
({7})
- Jetzt lasst doch einfach mal die Schreierei sein! Wir
werden doch wohl darüber reden können.
Herr Kollege Rauen, wir sind in der Aktuellen
Stunde, und Ihre Zeit ist schon seit Längerem abgelaufen.
Herr Präsident, vielen Dank für den Hinweis.
Meine Bitte ist, gemeinsam zu überlegen, wie wir es
erreichen können, dass netto mehr bei den arbeitenden
Menschen, bei den Leistungsträgern ankommt.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Andreas Steppuhn von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich das Thema der Aktuellen Stunde gesehen
habe, habe ich mich gefragt, warum die FDP eine Aktuelle Stunde mit einem solchen Thema beantragt hat.
({0})
- Ich habe meine eigene Erklärung. - Es gibt für mich
nur die Erklärung, dass in Hamburg demnächst Wahlen
sind und die FDP ihr Wahlergebnis besser gestalten will.
So braucht man also noch ein paar Stimmen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Eigentlich hätte ich erwartet, dass Herr Haustein uns
etwas über den Aufschwung in Sachen Räuchermännchen aus dem Erzgebirge erzählt.
({1})
Bei dieser Gelegenheit hätte er sicher davon gesprochen,
dass der Aufschwung seine Ursache in niedrigen Löhnen
hat. Wenn Sie es ernst damit meinen, dass alle in
Deutschland vom Aufschwung profitieren sollen, dann
müssten Sie aber eigentlich höhere Löhne fordern
({2})
und für starke Gewerkschaften eintreten.
({3})
Aber all das tun Sie nicht. Deshalb finde ich die Beiträge, die Sie von der FDP hier abliefern, schon ein wenig unehrlich.
({4})
Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Ich war am
Montagmorgen zu früher Stunde bei mir im Wahlkreis in
einem Stahlwerk zu Besuch. Dort hat die IG Metall einen Warnstreik durchgeführt, um 8 Prozent höhere
Löhne zu fordern. Die Beschäftigten haben dazu ein
Transparent draußen aufgehängt, auf dem geschrieben
stand, dass das Unternehmen am Standort Ilsenburg, das
zur Salzgitter-Gruppe gehört, im Jahr 2007 einen Gewinn nach Steuern von 244 Millionen Euro eingefahren
hat. Umgerechnet bedeutet dies, dass jeder der Beschäftigten 244 000 Euro Gewinn nach Steuern erwirtschaftet
hat. Da frage ich mich schon, warum dieser Arbeitgeber
nicht bereit ist, höhere Löhne zu zahlen. Auch die FDP
müsste dieses Vorhaben begrüßen.
({5})
Meine Damen und Herren von der FDP, mir ist klar,
dass die Situation bei Herrn Haustein im Erzgebirge mit
Blick auf die Räuchermännchen vielleicht ein bisschen
schwieriger ist als anderswo in der Republik.
({6})
Die Situation in Ostdeutschland ist so, dass nach wie vor
die Löhne um durchschnittlich 30 Prozent niedriger sind
als in Westdeutschland. Angesichts der Niedriglöhne,
von denen man fast nicht leben kann, frage ich mich
schon, warum dies nicht ein Ansatzpunkt für eine Diskussion ist. Herr Haustein, Sie müssen mir doch recht
geben, dass die Tatsache, dass es in Ostdeutschland niedrige Löhne gibt, nichts mit der Produktivität der Unternehmen und der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu
tun hat. Es gäbe in diesem Bereich durchaus Möglichkeiten, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom
Aufschwung profitieren können. Die Gewerkschaften
müssten im Rahmen der Tarifautonomie entsprechende
Vereinbarungen mit den Arbeitgebern aushandeln.
Wir Sozialdemokraten sagen: Die Zeit ist reif; der
Aufschwung ist da. Es geht beschäftigungspolitisch in
Deutschland voran. Meine Damen und Herren von der
FDP, Sie haben früher den Aufschwung immer folgendermaßen definiert: Wenn die Bilanzen und die Gewinne
gut sind, dann ist der Aufschwung da. - Wir sehen es anders: Wenn es beschäftigungspolitisch in Deutschland
vorangeht, dann ist der Aufschwung da. Dann ist auch
die Zeit gekommen, höhere Löhne für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu vereinbaren. Ich hoffe, dass in
diesem Jahr die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
Deutschland lohnpolitisch von der guten wirtschaftlichen Situation profitieren werden.
Das Thema Mindestlohn ist schon angesprochen
worden. Wenn wir es ernst meinen damit, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland vom
Aufschwung profitieren sollen, dann heißt das flächendeckende Mindestlöhne für alle in Deutschland. Ich
weiß, unser Koalitionspartner tut sich da an der einen
oder anderen Stelle immer noch etwas schwer. Aber wir
werden das gemeinsam hinkriegen. Die Mindestlöhne
werden mit einer, wie ich hoffe, großen parlamentarischen Mehrheit kommen.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat die Kollegin Doris Barnett von der SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
Aufschwung zu sorgen, ist und bleibt für uns eine ständige Herausforderung und Aufgabe, ebenso wie für Gerechtigkeit zu sorgen. Meine Herren von der FDP,
schauen Sie einmal nach Rheinland-Pfalz: Für welchen
Aufschwung haben wir dort ganz ohne FDP-Wirtschaftsminister gesorgt!
({0})
Dass gerade die FDP meint, sich derjenigen annehmen
zu wollen, die der Aufschwung ihrer Meinung nach noch
nicht erfasst hat, um so nahe bei den Menschen zu sein,
überrascht schon etwas. Für diese Menschen haben Sie
bisher doch weder Tarif- noch Mindestlöhne, sondern
höchstens Marktlöhne im unteren Segment im Sinn und
meinen, damit deren prekäre Lage in Wohlstand verwandeln zu können. Die FDP als Partei der kleinen Leute so kurz vor der Wahl; das glauben Sie doch selbst nicht.
({1})
Aufschwung findet dann statt, wenn die Rahmenbedingungen ringsherum stimmen, und zwar nicht nur hier
in Deutschland. An diesen Bedingungen haben wir hart
gearbeitet. Die Reformen greifen, und die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.
({2})
Die Arbeitslosigkeit ist von 10,6 Prozent im Jahr 2006
auf 8,2 Prozent im Jahr 2007 zurückgegangen. Über
1 Million Menschen sind nicht mehr auf staatliche Leistungen angewiesen und zahlen zum großen Teil in das
System der sozialen Sicherung ein und stärken es. Damit
war es möglich, die Lohnzusatzkosten von 41,4 auf
39,7 Prozent zu senken, obwohl bei der gesetzlichen
Krankenversicherung und der Pflegeversicherung Kostensteigerungen zu verzeichnen waren, es dort aber keinesfalls zu Leistungskürzungen gekommen ist.
Auch die Bruttolöhne haben zugelegt, wenn auch nicht
in dem von uns erhofften Umfang. Nichtsdestotrotz hat
das natürlich wieder zu Nachfragesteigerungen im Inland
von 1,1 auf 1,4 Prozent von 2006 auf 2007 geführt. Am
deutlichsten merkt die Gesellschaft, dass es einen Aufschwung gibt - das müsste auch die FDP merken -,
({3})
an den Steuereinnahmen, die nicht nur von den Arbeitnehmern kommen, sondern sogar von den Unternehmen
- wenn auch nur in geringem Umfang - beigetragen
werden. Im Januar 2008 lagen sie um 10,3 Prozent über
denen vom Vorjahr. In der Tat, der maximale Grenzsteuersatz beträgt 45 Prozent. Aber haben Sie vergessen,
dass er zu Ihrer Zeit 53 Prozent betragen hat?
Unser Ziel war und ist, den Aufschwung für alle hinzubekommen. Das haben wir noch nicht ganz erreicht.
Aber der Aufschwung für viele - das kann noch nicht
einmal die FDP bestreiten - ist da. Damit geben wir uns
aber nicht zufrieden. Im Gegenteil, jetzt gilt es erst recht,
alles daranzusetzen, dass unser Konjunkturmotor trotz
der internationalen Probleme weiter rund läuft.
Dabei ist es durchaus sinnvoll, Steuergelder in die
Hand zu nehmen, auch wenn die FDP so etwas, also
Subventionen, nur in von ihr ausgewählten Fällen zugestehen würde. So haben wir uns im Unterausschuss
„Regionale Wirtschaftspolitik“ gegen die Senkung der
GA-Mittel ausgesprochen und dies auch durchgesetzt.
Denn jetzt, da auch in bisher wirtschaftlich schwächeren
Regionen unseres Landes Investitionen erfolgen, da
Menschen mit innovativen Ideen Unternehmen gründen
und Mitarbeiter einstellen, müssen wir weiter unterstützend wirken. Den Schwung, der im Land ist, dürfen wir
nicht verlieren.
Die Familien- und die Bildungspolitik sind dabei für
uns Sozialdemokraten die Grundlage einer Wirtschaftspolitik, die auf einen Abbau der Arbeitslosigkeit und
mehr Chancengerechtigkeit zielt. Das gelingt nicht über
Nacht; das wissen wir selbst. Allerdings haben wir die
Weichen richtig gestellt. Wir müssen und werden es
durch frühzeitige und umfängliche Bildungsmaßnahmen
schaffen, dauerhaft viel mehr Menschen an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben zu lassen, sie in Arbeit zu bringen. Teilhabe sehe ich nicht im Niedriglohnsektor, weil man sich sonst nach der Sinnhaftigkeit der
Bildungsausgaben fragen könnte. Billiglöhne helfen weder beim Schuldenabbau noch lösen sie die Frage der
Generationengerechtigkeit noch stärken sie die Konjunktur.
Was wir brauchen, sind gut ausgebildete, hochproduktive und gut bezahlte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die am Wirtschaftsgeschehen teilhaben. Aber
genauso brauchen wir anständig verdienende, motivierte
und innovative Selbstständige und Unternehmer. Sie alle
zusammen sind die Garantie für sozialen Zusammenhalt
und bleibenden Aufschwung. Den Aufschwung robust
zu halten, damit er bei möglichst allen ankommt, ist die
Herausforderung, der wir uns stellen und die wir, so
finde ich, bisher recht gut gemeistert haben.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. Februar 2008,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.