Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
alle.
Dem Kollegen Wolfgang Wieland, der am vergangenen Sonntag seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, möchte
ich im Namen des Hauses nachträglich und in Abwesenheit ganz besonders herzlich gratulieren.
({0})
Es findet sich in der Fraktion sicher jemand, der ihm
diese besonders herzlichen Grüße in angemessener
Weise überbringt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
FDP und DIE LINKE:
Haltung der Bundesregierung zu den Konsequenzen aus dem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts zum Mindestlohn für Briefdienste
({1})
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({2})
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD
Chancen der Charta der Vielfalt nutzen
- Drucksache 16/8502 Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat
ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({3})
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 381 zu Petitionen
- Drucksache 16/8505 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 382 zu Petitionen
- Drucksache 16/8506 -
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 383 zu Petitionen
- Drucksache 16/8507 -
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 384 zu Petitionen
- Drucksache 16/8508 -
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8})
Sammelübersicht 385 zu Petitionen
- Drucksache 16/8509 -
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 386 zu Petitionen
- Drucksache 16/8510 -
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 387 zu Petitionen
- Drucksache 16/8511 -
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 388 zu Petitionen
- Drucksache 16/8512 -
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 389 zu Petitionen
- Drucksache 16/8513 ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktion der FDP
Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der
IKB Deutsche Industriebank AG durch Nutzung der Stimmrechte der KfW Kreditanstalt
für Wiederaufbau verhindern
- Drucksache 16/8493 ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Markus Kurth und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Lokale Entscheidungsspielräume und passgenaue Hilfen für Arbeitssuchende sichern
- Drucksache 16/8524 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz
Lanfermann, Birgit Homburger, Daniel Bahr
({14}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Entbürokratisierung der Pflege vorantreiben Qualität und Transparenz der stationären
Pflege erhöhen
- Drucksachen 16/672, 16/6836 Berichterstattung:
Abgeordneter Willi Zylajew
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem ist vorgesehen, den Tagesordnungspunkt 14
abzusetzen und an dieser Stelle den Tagesordnungspunkt 8
aufzurufen. Darüber hinaus sollen der Tagesordnungspunkt 7 an den Platz des Tagesordnungspunktes 11 rücken, der Tagesordnungspunkt 11 an den Platz des
Tagesordnungspunktes 9 und der Tagesordnungspunkt 9
an den Platz des Tagesordnungspunktes 7. Ich denke,
das alles haben Sie jetzt voll drauf.
({15})
Sollte es Irritationen geben, stehen wir für ergänzende
Auskünfte gerne zur Verfügung.
Schließlich mache ich auf drei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Die in der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesenen nachfolgenden Gesetzentwürfe sollen
zusätzlich dem Finanzausschuss ({16}) zur
Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
- Drucksache 16/8150 überwiesen:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({17})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Finanzausschuss
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum begünstigten Flächenerwerb nach § 3 Ausgleichsgesetz und der
Flächenerwerbsverordnung ({18})
- Drucksache 16/8152 überwiesen:
Haushaltsausschuss ({19})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Finanzausschuss
Der in der 148. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung ({20}) zur Mitberatung
überwiesen werden.
Erste Beratung des von den Abgeordneten Birgit
Homburger, Martin Zeil, Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einsetzung eines
Nationalen Normenkontrollrates
- Drucksache 16/7855 überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({21})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? -
Das scheint der Fall zu sein. Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007
- Drucksache 16/8300 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({22})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Präsident Dr. Norbert Lammert
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Ausweitung und Stärkung der Rechte des
Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union
- Drucksache 16/8489 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({23})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
c) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes ({24})
- Drucksache 16/8488 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({25})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Dr. Hakki
Keskin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Intransparenz beenden - Eine lesbare Fassung
des Reformvertrags schaffen
- Drucksache 16/7446 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({26})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Auch
das ist offensichtlich einvernehmlich. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.
({27})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Jean Monnet, einer der Gründungsväter Europas, hat in seiner Erinnerung folgenden Satz geprägt:
Wer auf ein Vorhaben verzichtet, weil er nicht die Gewissheit hat, dass sich die Dinge nach Plan entwickeln,
ist zur Untätigkeit verdammt.
Vor einem Jahr hatten wir immer noch ein großes Vorhaben, aber - daran erinnere ich - alles andere als Gewissheit, vielleicht sogar ganz im Gegenteil. Das Projekt
einer Vertragsreform - damals noch Verfassungsreform
genannt - galt nach den verlorenen Referenden in Frankreich und in den Niederlanden als gescheitert. Ich erinnere auch daran, dass unsere Entschlossenheit, sich dieser
resignierten Haltung entgegenzustellen, auf ungläubige,
ja manchmal sogar entmutigende Reaktionen traf; über
Begebenheiten dieser Art habe ich bei anderen Gelegenheiten hier im Parlament bereits berichtet.
Allerdings: Untätigkeit konnten wir uns, konnte sich
Europa nicht leisten. Wir konnten sie uns angesichts der
wachsenden Herausforderungen, die die sich rasant wandelnde Welt für Europa darstellte, nicht leisten. Der
weltweite wirtschaftliche Wettbewerb mit aufstrebenden Handelsmächten wie China und Indien, der Klimaschutz und die Energiepolitik, all das sind Stichworte,
die diese Herausforderungen beschreiben. Wir konnten
uns auch deshalb keine Untätigkeit leisten, weil die gescheiterten Referenden und die nachfolgende Krise eine
Krise für das Selbstverständnis Europas bedeuteten. Ich
füge hinzu: Wir wollten uns auch keine Untätigkeit leisten. Denn wir hatten den Anspruch, die Europäische
Union demokratischer und transparenter zu machen.
Heute, kaum mehr als ein Jahr nach dem Beginn unseres Vorhabens, liegt Ihnen der Entwurf eines Gesetzes
zur Ratifizierung des Vertrags von Lissabon vor. Das ist
zuallererst ein Beleg für die Erneuerungskraft Europas
und für das Verantwortungsbewusstsein, das alle Mitgliedstaaten im vergangenen Jahr an den Tag gelegt haben.
({0})
Es ist auch ein Beweis für den engen Schulterschluss
zwischen Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag:
Bundesrat und Bundestag haben die Bemühungen der
Bundesregierung um eine Wiederbelebung des Reformprozesses vom Anbeginn an engagiert und konstruktiv
unterstützt. Dafür und für die exzellente persönliche Zusammenarbeit meinen ganz herzlichen Dank und den
Dank der Bundesregierung!
Uns einte in den Diskussionen der letzten Monate das
gemeinsame Ziel, die Substanz des Verfassungsvertrages zu erhalten. Dieses Ziel haben wir erreicht, auch
wenn wir auf dem Weg zu diesem Ziel Abstriche machen mussten; darüber haben wir in diesem Hohen Haus
bei anderer Gelegenheit gesprochen. Sie wissen, dass es
nur um den Preis dieser Abstriche möglich war, das Ergebnis zu erzielen, das Sie kennen und das nach meiner
festen Überzeugung für Europas Legitimation, für seine
Glaubwürdigkeit und vor allen Dingen für Europas
Handlungsfähigkeit entscheidende Fortschritte bringt.
Wir haben uns auf den Reformvertrag geeinigt. Jetzt
kommt es darauf an, dass er wie geplant in Kraft tritt und
ab Januar 2009 möglichst schnell mit Leben erfüllt wird.
Dazu gehört die innerstaatliche Umsetzung, insbeson15838
dere die konkrete Ausgestaltung der besseren Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente.
Wir haben - die Ausschüsse des Deutschen Bundestages waren intensiv daran beteiligt - die verschiedenen
Optionen für die Umsetzung der mit dem Reformvertrag
neu eingeführten Instrumente abgewogen. Am Ende
stand die uns verbindende Überzeugung, dass es am besten ist, wenn wir die verstärkten Mitwirkungsrechte von
Bundestag und Bundesrat in einem sogenannten Begleitgesetz niederlegen. Sie wissen auch, flankiert wird dieses Begleitgesetz durch eine behutsame Anpassung des
Grundgesetzes, die eine allgemeine Ausweitung und damit eine verfahrensmäßige Harmonisierung der Minderheitenrechte im Bundestag zum Inhalt hat. Ich glaube,
das ist insgesamt eine sinnvolle, eine angemessene Lösung, der wir hoffentlich alle zustimmen können.
({1})
Sie wissen, dass Malta, Ungarn, Slowenien, Frankreich und Rumänien den neuen Vertrag bereits angenommen haben. Sie wissen auch, dass die Ratifizierungsverfahren in anderen Mitgliedstaaten noch einige
Hürden zu nehmen haben; ich denke hierbei nicht nur an
die Volksbefragung, an das notwendige Referendum, das
in der zweiten Juniwoche in Irland stattfinden wird. Ich
hoffe, dass am Ende in den Mitgliedstaaten die Weichen
so gestellt sind, dass der Vertrag wie geplant zum
1. Januar 2009 in Kraft treten kann. Ich glaube, wir können die Umstände in anderen Staaten günstig beeinflussen, indem wir die Ratifizierung in Deutschland - mit
Ihrer Unterstützung natürlich - bis zum 23. Mai abschließen. Ich glaube, es wäre ein gutes Signal, das auch
in anderen Ländern - sicherlich auch in Irland - in der
Diskussion Wirkung zeigen kann.
Lassen Sie uns das Vorhaben, das wir vor einem Jahr
gemeinsam begonnen haben, jetzt auch gemeinsam zu
einem guten Ende führen.
Ich danke Ihnen sehr.
({2})
Für die FDP-Fraktion erhält der Kollege Markus
Löning das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Dieser Reformvertrag ist
ohne Zweifel ein wichtiger Schritt nach vorne, hin zu
mehr Handlungsfähigkeit und Gemeinsamkeit der Europäer. Die Europäische Union hat schon immer Stagnationsphasen und dynamische Phasen erlebt. Ich will
Ihnen, Frau Bundeskanzlerin und Herr Bundesaußenminister, an dieser Stelle ausdrücklich die Anerkennung der
Freien Demokraten dafür aussprechen, dass Sie unter Ihrer Präsidentschaft die Phase der Stagnation überwunden haben.
({0})
Meine Damen und Herren, Sie haben den Rahmen gesteckt. Die Portugiesen haben die Einigung über den
Text herbeigeführt. Jetzt kommt es darauf an, dass der
Vertrag ratifiziert wird. Wir sind nicht mit allem glücklich, was erreicht worden ist. Aber eines ist klar: Der
Vertrag macht die Europäische Union demokratischer,
transparenter und handlungsfähiger.
({1})
Dem Europäischen Parlament wird eine ganze
Reihe von neuen Rechten eingeräumt. Es wird an allen
wesentlichen Teilen der Gesetzgebung - im Inneren und
im Rechtsbereich, in der Landwirtschaft, im Verkehr und
bei den Strukturfonds - beteiligt und erhält zudem ein
sorgfältig ausgestaltetes Haushaltsrecht.
Bei der Wahl des Kommissionspräsidenten wird das
Europäische Parlament dem Bundestag gleichgestellt;
auch wir wählen den Chef der Exekutive. Ich weise an
dieser Stelle auch darauf hin, dass das Europäische Parlament bei der Anhörung und Bestätigung der Kommission bessergestellt wird und mehr Rechte haben wird als
der Deutsche Bundestag. Denn wir hören die Minister
nicht an; auch wird die Regierung nicht durch uns bestätigt. An dieser Stelle ist ein deutlicher Fortschritt der Demokratie zu verzeichnen.
Auch die doppelte Kontrolle ist ein Schritt hin zu
mehr Demokratie in Europa. Sie ist ein Schritt zu einer
Union der Länder, aber auch der Bürger. Mit der doppelten Mehrheit werden die Bevölkerungsmehrheiten und
Bevölkerungsgrößen der Länder angemessen abgebildet.
Das ist für das große Land Deutschland mit 80 Millionen
Einwohnern ein wichtiger Schritt nach vorne zu mehr
Demokratie in Europa.
({2})
Europa wird rechtsstaatlicher gestaltet. Es wird durch
Mehrheitsentscheidungen handlungsfähiger und erhält
eine Rechtspersönlichkeit. Die Europäische Union kann
endlich der Europäischen Menschenrechtskonvention
beitreten. Ich hoffe, dass das auch unmittelbar nach der
Ratifizierung erfolgen wird.
Des Weiteren erhalten wir eine Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik. Eines muss vor Beginn der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik festgestellt
werden: Sie muss den Geist der Union atmen. Sie kann
nicht so gestaltet werden, wie es sich der Präsident unseres Nachbarlands Frankreich vorstellt, nämlich dass sich
einige wenige große Staaten zusammenschließen und
vorangehen. Wir brauchen zwar dynamische Gruppen,
die vorangehen. Aber jedes Vorangehen von Gruppen
muss inklusiv sein. Nichts darf als exklusiv empfunden
werden. Die Großen dürfen sich nicht gegen die Kleinen
zusammenschließen. Die Staaten des Südens dürfen sich
nicht zusammenschließen und die Staaten des Nordens
ausschließen. Der Westteil Europas darf sich nicht gegen
den Ostteil zusammentun. Europa gehört zusammen. Jedes Zusammengehen in einzelnen Politikfeldern bedarf
einer sorgfältig austarierten Gruppe derer, die vorangehen.
Ich halte es für außerordentlich wichtig, das von Anfang an klarzumachen: Wir sind für eine dynamische
Entwicklung, aber nur gemeinsam und im europäischen
Geist.
({3})
Lassen Sie mich noch einige Worte zu den Punkten
sagen, die leider nicht ganz gelungen sind. Es wird immer postuliert, dass die nationalen Parlamente eine stärkere Rolle bekommen sollen. Wir bekommen nun das
Recht der Subsidiaritätsrüge. Wir sollen innerhalb von
acht Wochen eine Mehrheit innerhalb des Parlaments
herstellen. Obwohl die Frist nun um ein Drittel länger ist
als ursprünglich vorgesehen, wissen Sie genauso gut wie
ich, wie lang parlamentarische Wege sind und dass es
daher außerordentlich schwierig sein wird, so schnell
eine Mehrheit herzustellen. Ich glaube, die Rolle des
Deutschen Bundestages wird - genauso wie die der anderen nationalen Parlamente - vielmehr darin bestehen,
dass wir unsere Rechte, die uns zustehen, aktiv wahrnehmen. Das ist eine Aufforderung insbesondere an die Koalitionsfraktionen, in Zukunft mit mehr parlamentarischem Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gegenüber
der Regierung aufzutreten. Wenn wir das nicht tun, nutzen uns alle Rechte nichts. Dann sind sie noch nicht einmal das Papier wert, auf dem sie stehen.
({4})
Im wirtschaftlichen Bereich gibt es einige Punkte, die
nicht so ausgefallen sind, wie wir Liberale uns das gewünscht hätten. Deutschland ist mit der Unabhängigkeit
der Bundesbank immer sehr gut gefahren und hat deswegen großen Wert darauf gelegt, dass die Rolle der Europäischen Zentralbank entsprechend festgelegt wird.
Nun ist sie vielleicht nicht faktisch, wohl aber symbolisch dadurch ein bisschen abgewertet worden, dass sie
keinen eigenen Artikel mehr hat. Man kann und muss
dem entgegensteuern. Uns muss klar sein: Das darf nicht
den Einstieg in einen Paradigmenwechsel in der Währungspolitik bedeuten. Die EZB und ihre Unabhängigkeit müssen weiter Toppriorität in der deutschen Politik
haben.
Der Verzicht auf Symbole mag ein Preis sein, den wir
zahlen mussten, um Einigkeit herzustellen. Dennoch
sollten wir daran denken, dass sich die Bürger mit
Europa identifizieren wollen. Dazu brauchen wir Symbole. Deswegen begrüßen wir es, dass wir weiterhin
Symbole im Bundestag verwenden.
({5})
Lassen Sie mich zum Thema Wettbewerb noch ein
paar Sätze sagen. Wettbewerb wurde aus dem Zielekanon gestrichen und abgestuft. Aber Wettbewerb ist
mehr als ein Mittel der Wirtschaftspolitik. Wettbewerb
ist ein Ordnungsmittel einer freien Gesellschaft. Wenn
ich sehe, dass soziale Ziele, die immer staatliches Handeln nach sich ziehen, nach vorne gerückt sind, während
der Wettbewerb abgestuft ist, dann sehe ich im Hintergrund einen Paradigmenwechsel, der mir als Liberalen
nicht gefällt. Europa ist auch immer eine Union der
freien Bürger gewesen. Ein Grundwert Europas ist immer gewesen, dass die Freiheit des Einzelnen zählt, dass
es sich um freie Gesellschaften handelt, in der das Individuum einen sehr hohen Stellenwert hat. Wir müssen in
den nächsten Jahren unser Augenmerk darauf richten,
dass nicht zu viel staatliches Handeln aus Europa quasi
über uns kommt.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Mit dem Vertrag
von Lissabon wird ein wichtiger Schritt gegangen. Damit können wir Europa nach vorne bringen. Wir Freien
Demokraten werden den Vertrag ratifizieren; denn wir
denken, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen. Danach wird es an der Zeit sein, europäische Politik wieder
mit Substanz zu betreiben, zum Wohl der Europäerinnen
und zum Wohl der Europäer.
Vielen Dank.
({6})
Dr. Andreas Schockenhoff ist der nächste Redner für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Europa ist in den letzten Jahren durch den Beitritt von
zwölf weiteren Staaten nicht nur größer geworden. Es ist
auch politisch stabiler geworden. Wir haben es nicht nur
geschafft, die widernatürliche politische Teilung zu
überwinden, sondern auch zusammenzuwachsen. Dass
die Europäische Union in einer so extrem schwierigen
und völkerrechtlich nicht eindeutigen Frage wie der Anerkennung des Kosovo zusammengeblieben ist, dass sie
sich geschlossen für die ESVP-Rechtsstaatsmission eingesetzt hat und den Aufbau des Kosovo angeht, zeigt
doch, dass wir auf dem Weg zu einer handlungsfähigen
Sicherheitsunion sind.
Ich nenne dieses Beispiel, weil die vielen wichtigen
Verbesserungen durch den Lissaboner Vertrag nur dann
die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Europäischen Union wirklich stärken werden, wenn auch der
politische Wille da ist, trotz unterschiedlicher Interessen
zu einem gemeinsamen Handeln zu kommen. Genau darin liegt die politische Bedeutung dieser beiden Ereignisse, der Einigung auf den Lissaboner Vertrag und der
Geschlossenheit in der Kosovo-Frage. Die EU hat ihre
Ambitionen unterstrichen, eine politische Union, eine
Sicherheitsunion, ein maßgeblicher Akteur der interna15840
tionalen Politik zu sein. Die Einigung auf den Lissaboner Vertrag ist der Ausdruck des politischen Willens, die
dafür erforderlichen Schritte der Vertiefung nachzuholen
und den Prozess der politischen Integration fortzusetzen. Ich sage eines ganz offen: Angesichts der globalen
Herausforderungen haben wir dazu keine Alternative.
Entweder sind wir in der Lage, bei der Bewältigung der
globalen Herausforderungen unsere Interessen gemeinsam zu vertreten, indem wir handlungsfähiger werden,
oder wir lassen uns von anderen vorgeben, welche Rolle
wir zu spielen haben.
Dass Europa erneut zusammengefunden und sich auf
diesen Vertrag geeinigt hat, ist maßgeblich ein Erfolg der
deutschen EU-Präsidentschaft. Es war eine große Leistung unserer Bundeskanzlerin, selbst die widerspenstigsten Partner zu überzeugen. Dafür danken wir ihr.
({0})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird diesen Vertrag ratifizieren. Auch wenn nicht alle Wünsche erfüllt
wurden, ist es ein guter Vertrag. Er stärkt die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Europäischen
Union: In 40 weiteren Politikbereichen gehen wir von
der Einstimmigkeits- zur Mehrheitsentscheidung über,
mit der doppelten Mehrheit wird künftig die Blockademöglichkeit eingeschränkt, und die EU-Kommission
wird deutlich verschlankt, was einen Beitrag zum Bürokratieabbau darstellt.
Es gibt mehr Kontinuität und Sichtbarkeit nach innen
wie nach außen durch den Präsidenten des Europäischen
Rates und durch den Hohen Beauftragten für Außenund Sicherheitspolitik. Wir sollten bei der umgangssprachlichen Bezeichnung „EU-Außenminister“ bleiben.
({1})
Henry Kissinger hat vor vielen Jahren gefragt, welches
denn die Telefonnummer von Europa sei. Jetzt haben wir
sie endlich. Das ist wichtig für den Dialog mit unseren
globalen Partnern USA, Russland, China und Indien. Es
ist aber auch für die Identifikation unserer Bürger mit
der EU und ihrer Politik wichtig.
Die nationalen Parlamente werden durch das Recht
der Subsidiaritätseinrede und der Subsidiaritätsklage gestärkt. Je größer die Europäische Union wird, desto
wichtiger ist es, dass sie sich auf ihre Kernaufgaben konzentriert: auf die globalen, länderübergreifenden Herausforderungen. Sie soll aber nicht für Fragen zuständig
sein, die auf nationaler oder regionaler Ebene besser geregelt werden können. Die Europäische Kommission hat
immer wieder Gesetzgebungsvorschläge gemacht - ich
denke hier etwa an die Antidiskriminierungspolitik -,
bei denen eine Zuständigkeit der EU kaum zu erkennen
ist.
({2})
Als nationale Parlamente haben wir jetzt die Chance, dafür zu sorgen, dass die EU-Politik wieder bürgernäher
wird. Dann müssen wir unsere Rechte aber auch nutzen
und die im Begleitgesetz geschaffenen Kontrollmöglichkeiten anwenden: im Inneren gegenüber unserer eigenen
Bundesregierung und nach außen, indem wir uns mit den
anderen nationalen Parlamenten zügig koordinieren.
Wie wichtig es ist, die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Europäischen Union zu stärken, zeigen die Herausforderungen, die wir zu bewältigen haben. Ich nenne drei Beispiele:
Erstens. Unsere wachsende Energieabhängigkeit macht
es dringend erforderlich, die vor einem Jahr beschlossene Energieaußenpolitik endlich in die Praxis umzusetzen.
({3})
Dieses Thema wird heute und morgen beim EU-Gipfel
angesprochen werden. Wenn wir in unseren Beziehungen gegenüber Dritten wie Russland weitermachen wie
bisher - als Beispiele nenne ich nur den Einstieg Ungarns und Bulgariens bei „South Stream“ -, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn wir eines Tages ein
Spielball russischer Gaspolitik werden.
Gasprom - das lässt sich an den Aktivitäten ganz klar
absehen - hat eine europäische Strategie, Europa hat sie
noch nicht; sie ist aber dringend erforderlich. Wir können uns eine fragmentierte, an bilateralen Verhandlungen orientierte Politik, die uns alle nur schlechter stellt,
nicht mehr länger leisten. Wir brauchen eine Energiesicherheitsunion.
({4})
Das heißt erstens, dass Energieversorgungssicherheit
ein geschlossenes Auftreten gegenüber Dritten erfordert.
Das heißt zweitens, dass wir eine Kultur der Energiesolidarität brauchen, dass wir also bei Versorgungsproblemen solidarisch füreinander einstehen. Das schließt natürlich ein, dass wir gleiche Bevorratungsstandards
haben. Es kann nicht angehen, dass die Bundesrepublik
für 120 Tage Gas vorhält, während andere EU-Partner
überhaupt keine Bevorratung haben. Das heißt drittens,
dass wir unsere technologische Überlegenheit im Energiebereich, also Energieeffizienz, Energieeinspartechnologien und Klimaschutz, viel stärker in die Verhandlungen einbringen müssen.
In diesem Zusammenhang - das ist das zweite Thema kurz ein Wort zur Klimapolitik. Der Klimawandel wird
immer mehr zu einem Sicherheitsrisiko. Es wäre sträflich, ihn nur als ein Umwelt- und Energieproblem zu betrachten. Wenn es nicht gelingt, den Klimawandel zu bewältigen, dann werden sich die Folgen des Klimawandels
in anderen Regionen direkt bei uns in Europa auswirken,
zum Beispiel durch Flüchtlingsbewegungen, aber auch
indem wir in Konflikte um Wasser, Land und Nahrung hineingezogen werden. Wir müssen unbedingt die im letzten Jahr beschlossenen Emissionsreduktionsziele erfüllen, wir müssen erreichen, dass unsere Partnerländer, dass
die Schwellen- und Entwicklungsländer mehr als bisher
für den Klimaschutz tun, und wir brauchen einen europäischen Ansatz zur Konfliktprävention und zum Krisenmanagement, um den durch den Klimawandel hervorgerufenen Herausforderungen zu begegnen.
Ein drittes Thema: Wir müssen möglichst bald die
Verhandlungen mit Russland über ein Folgeabkommen
zum Partnerschafts- und Kooperationsabkommen beginnen. Die Energiethematik wird dabei eines der wichtigen
Themen sein, aber auch Themen wie Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und Ausbau der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit müssen vorangebracht werden. Der künftige Präsident Medwedew hat
dazu bemerkenswerte Reden gehalten und Aussagen gemacht, die wir begrüßen. Wir hoffen, dass er sie in die
Tat umsetzt; sonst wird er das selbstgesteckte Ziel einer
umfassenden Modernisierung von Wirtschaft, Staat und
Gesellschaft in Russland nicht erreichen. Ich sage aber
auch, dass wir ein klares Interesse an einem politisch
und wirtschaftlich modernen Russland haben. Deswegen
sollten wir Medwedews Modernisierungsvorhaben unterstützen und nicht nur als Zuschauer begleiten, zumal
Russland uns braucht. Dadurch haben wir Einfluss. Dabei werden wir Medwedew und seine wiederholte Betonung von Rechtsstaatlichkeit, freien Medien und einer
starken Zivilgesellschaft beim Wort nehmen. Das tun wir
beispielsweise dadurch, indem wir einfordern, dass das
Gesetz über Nichtregierungsorganisationen geändert
wird. Das ist ein bürokratisches Monstrum, das dem
Staat nach wie vor viel Raum für Willkür bietet.
Alle drei Themen - Energie, Klima, Russland - werden Schwerpunkte auch der französischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr sein. Diese Herausforderungen zeigen, wie wichtig es ist, dass der deutschfranzösische Motor rundläuft. Deutschland und Frankreich waren seit Beginn der europäischen Einigung der
Motor des Einigungsprozesses und werden es auch weiterhin sein. Wann immer sich Deutschland und Frankreich nicht einig waren, lief nichts in der Europäischen
Union; wenn sie sich einig waren, kam die Europäische
Union voran. Deshalb begrüßen wir, die CDU/CSU, es
außerordentlich, dass es Ihnen, liebe Frau Bundeskanzlerin, vor wenigen Tagen gelungen ist, mit Präsident
Sarkozy in Hannover eine europäische Lösung für das
Projekt einer Union für das Mittelmeer zu vereinbaren.
Alles andere wäre ein Rückschlag gewesen.
({5})
- Die politische Bewertung der Europapolitik durch die
Bundeskanzlerin und durch den französischen Präsidenten ist einheitlich, und das ist das Entscheidende. Wir
werden sehen, was dabei herauskommt.
({6})
Wir brauchen eine starke französische Präsidentschaft,
die sich frühzeitig mit Deutschland abstimmt.
Für die Europapolitik ist es wichtig, die mittleren und
kleinen Staaten frühzeitig einzubinden. Das ist bei
26 Partnerstaaten oft mühsam und nicht immer einfach;
aber die deutsche Präsidentschaft hat gezeigt, dass es
möglich ist. Nichts ist kontraproduktiver für Europa, als
wenn die großen eine Politik über die Köpfe der mittleren und kleinen Staaten hinweg betreiben.
Ich fasse zusammen: Der Lissabonner Vertrag ist ein
guter Vertrag, der Europa voranbringen wird.
Vielen Dank.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Professor Dr. Lothar
Bisky, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Niederländer und Franzosen haben in Referenden die ursprüngliche EU-Verfassung abgelehnt. Sie wollten eine
Verfassung für Europa
({0})
- ja, das war gestern, aber man darf sich daran erinnern -,
aber sie wollten keinen Sargdeckel für den Sozialstaat;
sie wollten nicht, dass Aufrüstung und eine gescheiterte
Wirtschaftspolitik Verfassungsrang erhalten.
({1})
Es gibt weitere Gründe.
Die Regierenden verordneten sich eine Denkpause,
aus der sie bis heute nicht herausgefunden haben. Das
Ergebnis: Die Europäerinnen und Europäer bekommen
jetzt einen Vertrag, in dem erneut Aufrüstung und eine
gescheiterte Wirtschaftspolitik die Grundrichtung bestimmen.
({2})
Der Konventspräsident Giscard D’Estaing sagte, der
Vertrag von Lissabon sei ein alter Brief in einem neuen
Umschlag.
({3})
Ich frage mich: Fürchten sich die Regierenden vor den
Europäern, oder haben die Europäerinnen und Europäer
Grund, sich vor diesem Vertrag zu fürchten?
({4})
Bis heute liegt kein lesbarer Vertrag vor. Wir alle
brauchen einen Steuerberater; wahrscheinlich werden
wir alle auch einen Europaberater brauchen. Ohne europäische Öffentlichkeit gibt es keine europäische Demokratie.
({5})
Sicher: Mit dem europäischen Bürgerbegehren wird
mehr direkte Demokratie in Europa eingeführt; soziale
Bewegungen erhalten von der EU ein Gestaltungsinstrument. Das begrüßen wir ausdrücklich. Es ist aber ein
Armutszeugnis, dass es bei einem so einschneidenden
Vertragswerk zu einer eklatanten Missachtung des Volkswillens kommt. Darum fordert die Linke Volksabstimmungen in allen EU-Ländern,
({6})
am besten am selben Tag, damit Europa auf der Zustimmung seiner Menschen aufbauen kann.
({7})
Wir sehen durchaus Verbesserungen gegenüber dem
Vertrag von Nizza: Die Charta der Grundrechte wird
rechtsverbindlich. Künftig soll eine soziale Querschnittsklausel zur Prüfung aller Rechtsakte auf ihre Sozialverträglichkeit gelten. Die Vielfalt der Daseinsvorsorge und
der vorrangigen Kompetenz der Mitgliedstaaten wird anerkannt. Europol kommt unter parlamentarische Kontrolle. Haushaltsrechte des Europäischen Parlaments
werden gestärkt.
({8})
Bei internationalen Handelsabkommen wird ein parlamentarisches Vetorecht eingeführt. Und: Die Mitbestimmungsrechte des Europäischen Parlaments werden von
20 auf 80 Politikbereiche erweitert.
({9})
Die ursprüngliche Idee der europäischen Integration
war es, Frieden durch Abhängigkeit zu schaffen.
Heute wird überdies eine politische Antwort auf die Globalisierung gesucht. Wir stehen vor den Herausforderungen des Klimawandels, der Energiesicherheit und der
Friedenssicherung durch Kooperation. Der Vertrag von
Lissabon wird diesen Herausforderungen nicht gerecht.
({10})
Bei allem Positiven: Es fehlt ihm an Zukunftsfähigkeit.
Wir bedauern, dass Sozialstaatlichkeit nicht zu den Werten der EU gehört und soziale Marktwirtschaft an Wettbewerbsfähigkeit gekoppelt ist. Marktradikalismus lehnen wir ab; das wissen Sie.
({11})
Eine Lehre aus der europäischen Geschichte lautet:
Wir dürfen Freiheit und Gerechtigkeit nie wieder trennen.
({12})
Wir müssen sie zusammen denken.
Meine Damen und Herren von der Koalition, mit dem
Vertrag von Lissabon schaffen Sie eine Aufrüstungsverpflichtung.
({13})
Ich zitiere den Direktor der EU-Verteidigungsagentur,
Alexander Weis. Im Handelsblatt vom 27. November
2007, auf Seite 7, hat er das Jahr 2008 zum Jahr der Aufrüstung erklärt. Ich frage Sie: Wer bedroht Europa
heute?
({14})
Wir als Linke meinen: Wir brauchen weder Innenminister, die in unsere Computer kriechen, noch darf sich Europa durch Raketen spalten lassen.
({15})
Was wir brauchen, sind viele Jahre der Abrüstung.
({16})
Wozu brauchen wir eine ständige strukturierte Zusammenarbeit? Möchte die EU ihre Battle-Groups innerhalb
von wenigen Tagen überall in die Welt verlegen? Wollen
die Europäer die strenge Bindung an die UN-Charta lösen?
({17})
Nur wer meint, immerzu stark zu sein, kann sich die
Missachtung des Völkerrechts leisten.
({18})
6 000 Afrikaner - junge Frauen, junge Männer, Kinder - sind allein im vergangenen Jahr bei dem Versuch
ertrunken, europäisches Festland zu erreichen. Es ist zynisch, die Heimat dieser Menschen mit Waren zu überfluten, ihre Sehnsucht nach einer Perspektive aber im
Mittelmeer zu ertränken.
({19})
Ich will deutlich sagen: FRONTEX ist eine humanitäre
Katastrophe. Wir alle sind aufgefordert, dies zu überwinden.
({20})
- Frau Künast, Sie sind gleich dran, dann können Sie das
alles sagen. Es gibt keinen Grund zur Aufregung.
Die Linke möchte eine Verfassung für Europa, die auf
den besten europäischen Traditionen aufbaut: ein soziales, ein wohlhabendes und ein friedliches Europa.
({21})
Die Bundesregierung hat sich redlich bemüht, die europäischen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Solidarität
zu stutzen. Das halten wir für falsch. Deshalb lehnen wir
den „Basta!“-Vertrag von Lissabon ab.
Ich danke Ihnen.
({22})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Rainder Steenblock,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon ein Schritt in die richtige Richtung, dass
auch die Linke in diesem Bundestag verstanden hat - das
erkenne ich auch an, Kollege Bisky -: Dieser Vertrag
macht die Zukunft Europas demokratischer und transparenter; er stärkt die Beteiligung der europäischen Bürgerinnen und Bürger deutlich. All das ist anscheinend Konsens in diesem Haus. Das ist gut so - das sage ich auch
ganz deutlich in Ihre Richtung, Herr Bisky -; das ist,
finde ich, ein Schritt in die richtige Richtung.
({0})
Wir als Grüne in diesem Haus haben immer gesagt:
Natürlich wäre es richtig gewesen, über die europäische
Verfassung damals ein Referendum zu veranstalten und
damit ein Votum in ganz Europa herbeizuführen. Unsere
Debatte über die Vor- und Nachteile von Referenden ist
aber sehr viel differenzierter als das, was Sie mit Ihrer
Forderung nach Referenden auf nationaler Ebene hier
populistisch einbringen. So einfach ist das nicht.
({1})
Mich ärgert es manchmal schon, wie schnell einige
Leute vom autoritären Zentralismus zur direkten Demokratie und Basisdemokratie übergewechselt sind.
({2})
Ich glaube, dass zwei Fragen wichtig sind, weil sie
die Menschen in diesem Land bewegen. Die Menschen
machen sich Gedanken über die Frage: Kann die Europäische Union unsere zentralen Zukunftsfragen lösen?
({3})
Die Fragen der Sicherheit und der ökonomischen Zuverlässigkeit sind mit Blick auf die Erreichung der Ziele
der Menschen in Europa berechtigt, auf sie muss man
eingehen. Ich will dies noch einmal sehr deutlich sagen:
Herr Bisky, Sie haben den marktradikalen Neoliberalismus wieder angesprochen. Wenn Sie sich diesen Vertrag
einmal genau anschauen würden, so würden Sie sehen,
dass man jedes dieser Argumente widerlegen kann. Unter anderem gibt es die soziale Querschnittsklausel in
Art. 5 des Vertrages. Dort steht:
Bei der … Durchführung ihrer Politik und ihrer
Maßnahmen
- und zwar aller Politiken der Europäischen Union trägt die Union den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung
der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen
Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung
und des Gesundheitsschutzes Rechnung.
Das sind zentrale soziale Erfordernisse, die in dieser
Verfassung wie in keiner anderen als Querschnittsaufgabe für alle Politikfelder enthalten sind. Als oberstes
Ziel steht in Art. 2 Abs. 3 unter dem Stichwort „soziale
Ziele“: Die EU
bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und
Männern …
Ich will das gar nicht alles vortragen. Diese zentralen
sozialen Ziele sind in keiner anderen Verfassung Europas so intensiv integriert wie in diesem Vertrag.
Schließlich gibt es auch noch die Grundrechtecharta,
die in zentralen Teilen ebenfalls diese sozialen Grundrechte beschreibt, die nicht nur für die Staaten, sondern
auch für die Organe der Europäischen Union relevant
sind. In diesem Zusammenhang zitiere ich aus der Bezirkszeitung Die Linke. Friedrichshain-Kreuzberg vom
5. Februar dieses Jahres:
({4})
Die Charta der Grundrechte ist das modernste Grundrechtedokument überhaupt. - Das steht in diesem lesenswerten Blatt. Das ist richtig, das unterstützen wir.
({5})
Das hat Frau Kaufmann geschrieben, die Abgeordnete
der Linken, die für sie auch im Konvent war.
Vielleicht noch ein Wort zum Militarismus. Wenn
man in diesem Vertrag nachliest, was dort zur Sicherheits- und Friedenspolitik steht, dann sieht man: Im
Vertrag ist als allererstes Ziel in Art. 2 Abs. 1 verankert:
Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und
das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.
Weiter heißt es dann:
In ihren Beziehungen zur übrigen Welt … leistet
[sie] einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler
nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern … sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze
der Charta der Vereinten Nationen.
Hier ist die Friedenspflicht internationaler Politik noch
einmal verankert.
Auch in dem Kapitel zur Außen- und Sicherheitspolitik werden vorrangig, vor den militärischen Konfliktlösungsmöglichkeiten, die zivilen Möglichkeiten genannt.
All das steht in dieser Verfassung. Deshalb unterstützen
wir diesen Vertrag für die Zukunft Europas. Er spiegelt
genau unsere Werte wider.
({6})
Als Vertreter der Grünen sage ich hier denjenigen, die
dieses Europa sozialer machen wollen: Wir brauchen
mehr soziale Gerechtigkeit, und wir brauchen weitere
Initiativen.
({7})
All denjenigen, die dieses Europa - das bezieht sich auf
die Sicherheitspolitik - mit seinen zivilen Konfliktlösungsmöglichkeiten aktiver, attraktiver und auch handlungsfähiger machen wollen, sage ich: Auch Sie haben
die Grünen an Ihrer Seite. Das ist überhaupt keine Frage.
Dieser Prozess muss weitergehen. Ich sage aber auch
sehr deutlich: Diejenigen, die die Grundwerte der Europäischen Union instrumentalisieren wollen, um daraus
ihr parteipolitisches Süppchen zu kochen, werden unseren entschiedenen Widerstand finden.
Vielen Dank.
({8})
Der nächste Redner ist der Kollege Michael Roth,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am gestrigen Tag hat das Europäische Parlament feierlich seinen 50. Geburtstag begangen. Das Europäische
Parlament macht deutlich, in welch dynamischem Prozess der Verfassungsgebung innerhalb der Europäischen
Union wir uns bewegen.
Wie klein und bescheiden hat der Parlamentarismus
in Europa begonnen - mit einem beratenden Gremium.
Jetzt haben wir es, auch dank des Vertrages von Lissabon, mit einem parlamentarischen Organ zu tun, das in
fast allen Politikbereichen, für die die Europäische
Union verantwortlich zeichnet, mit dem Rat gleichberechtigt ist. Damit wird deutlich: Die Europäische Union
ist eine Union nicht allein der Staaten, nicht allein der
Regierungen; vielmehr ist sie eine Union der Bürgerinnen und Bürger, der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Dafür haben wir viel, lange, intensiv und mühsam
gearbeitet; es ist ein Erfolg, auf den wir alle gemeinsam
stolz sein können.
({0})
Eine zentrale Aufgabe der Europäischen Union ist es,
sich mit einer demokratischen und gleichzeitig sozialen
Antwort auf die Risiken und die Chancen der Globalisierung zu positionieren. Da sei die kritische Frage erlaubt,
ob das, was wir institutionell, auch mit dem Vertrag von
Lissabon, auf den Weg bringen konnten, ausreicht, um
die EU im globalen Wettbewerb so zu positionieren, dass
sie den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger vollumfänglich gerecht werden kann. Ich befürchte, dass die
Fortschritte, die wir erzielen konnten, noch nicht ausreichen. Aber auch das sollte uns nicht in Pessimismus verfallen lassen, weil wir alle wissen, dass auch mit dem
Vertrag von Lissabon die Verfassungsgebung in der Europäischen Union nicht an ein Ende gekommen ist. Die
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, nicht nur
hier im Parlament, halten an dem Ziel fest: Wir wollen
eine Verfassung für die Europäische Union. Wir wollen,
dass die Union der Bürgerinnen und Bürger weiter gestärkt wird und dass auch der Parlamentarismus in der
Europäischen Union noch stärker gefestigt wird, als das
mit dem Vertrag von Lissabon erfreulicherweise der Fall
ist.
({1})
Wir müssen zur Kenntnis nehmen - ob uns das passt
oder nicht -, dass das Fundament gemeinsamer Überzeugungen innerhalb der Europäischen Union brüchiger
geworden ist. Mit einer EU der 27 ist es schwierig geworden, so voranzukommen, wie es die Bürgerinnen und
Bürger von uns erwarten. Die Suche nach dem kleinsten
gemeinsamen Nenner ist mit 27 natürlich schwieriger als
mit sechs, acht oder auch mit 15 Partnern. Dennoch können wir hier im Bundestag zufrieden sein. Ein langer
Weg kann hoffentlich endlich zu einem erfolgreichen
Abschluss gebracht werden. Erinnern wir uns kurz: Der
Weg hat, damals noch unter deutscher Präsidentschaft
- Ratspräsident war Gerhard Schröder -, mit dem Konvent zur Erarbeitung der Grundrechtecharta begonnen.
Das war das Startsignal für die Verfassungsdebatte. Deswegen sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten besonders stolz auf das, was wir in den vergangenen Jahren und Monaten erzielen konnten.
Michael Roth ({2})
({3})
Was ist aber jetzt zu tun? Wir alle wissen: Der Vertrag
von Lissabon macht die Europäische Union nicht automatisch besser. Aber es besteht jetzt eine Chance, dass
wir in bestimmten Politikfeldern vorankommen. Das
zentrale Momentum scheint für mich zu sein, dass wir
das europäische Sozial- und Gesellschaftsmodell ausbauen, stärken und intensivieren. Hier ist die Europäische Union noch nicht so weit, wie sie eigentlich sein
müsste. Die Bürgerinnen und Bürger wollen, dass bei
der Lösung von sozialen Problemen, bei der Schaffung
von neuen und zukunftsweisenden Arbeitsplätzen die
Europäische Union nicht Teil des Problems, sondern Teil
der Lösung ist. Hier muss die Europäische Kommission
in noch stärkerem Maße als bislang das europäische Sozialmodell in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten rücken.
Wir als Deutscher Bundestag haben diesen Prozess sehr
aufmerksam und sehr kritisch zu begleiten.
({4})
Ebenso wichtig ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir in außen- und sicherheitspolitischen
Fragen zu einem neuen Gemeinsinn kommen. Hier haben die großen Mitgliedstaaten Vorbild zu sein. Deswegen ist das, was auch unser französischer Partner in den
vergangenen Monaten geliefert hat, besorgniserregend.
Es kann nicht angehen, dass man mit dem Kopf durch
die Wand will, dass man beispielsweise mit der Mittelmeerunion einen Vorschlag auf den Weg bringt, der eher
spaltet denn vereint. Wir müssen das gemeinsame Fundament in der Außen- und Sicherheitspolitik stärken.
Wir können nicht mit dem Finger auf Tschechien oder
andere kleinere Mitgliedstaaten zeigen, wenn gerade die
großen Mitgliedstaaten - Deutschland, Frankreich,
Großbritannien - nicht mit gutem Beispiel vorangehen.
Diese Glaubwürdigkeit darf von uns erwartet werden.
Wenn wir hinsichtlich unserer Überzeugungen nicht
glaubwürdig sind, können wir auch nicht mit dem Finger
auf andere, wie die Vereinigten Staaten von Amerika
oder Russland, zeigen.
Wir brauchen daher keine großen Solisten in der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Wir
brauchen Teamspieler und die Bereitschaft zum Kompromiss. Denn weltweit besteht die Erwartungshaltung
an die Europäische Union: Tragt dazu bei, dass Konflikte präventiv oder mit zivilen Mitteln gelöst werden!
Tragt zu einem anderen Sicherheitsmodell - als dem zur
Zeit global dominierenden - bei! Die Europäische Union
sollte diesen Erwartungen gerecht werden.
({5})
Wir brauchen - das betrifft jetzt einen anderen zentralen Politikbereich der Europäischen Union - eine neue
Balance zwischen Sicherheit und Freiheit. Die EU
begreift sich als Raum der Sicherheit, der Freiheit und
des Rechts. Ich habe bei einigen Gesetzesinitiativen und
-vorstößen der EU-Kommission mitunter den Eindruck,
dass man die Rechte der Bürgerinnen und Bürger zulasten einer vermeintlichen Sicherheit opfert. Es muss deutlich werden, dass wir innerhalb der Europäischen Union
nicht einseitig auf Sicherheitsmodelle setzen, die beispielsweise von den Vereinigten Staaten von Amerika
propagiert werden. Ich halte zum Beispiel die Vorschläge zur Fluggastdaten-Speicherung für inakzeptabel.
Darüber müssen wir noch einmal reden.
({6})
Das ist nicht unsere Vorstellung von einem sicheren und
freiheitlichen Europa der Bürgerinnen und Bürger.
({7})
Wir müssen vor allem unsere eigene Rolle als Parlament neu justieren. Der Vertrag von Lissabon eröffnet
den nationalen Parlamenten neue Chancen der Mitverantwortung und der Mitwirkung. Es bleibt aber dabei:
Die zentrale Aufgabe des Deutschen Bundestages ist es,
Regierungshandeln innerstaatlich zu kontrollieren. Die
Bundesrepublik Deutschland wird im Rat von der Bundesregierung vertreten. Hier müssen wir kontrollieren
und versuchen, Einfluss zu nehmen.
({8})
Oftmals gibt es Missverständnisse in Deutschland,
was die Subsidiarität angeht. Subsidiarität ist ein
Instrument; aber wir dürfen mit der Keule der Subsidiaritätskontrolle oder -rüge nicht all das, was uns möglicherweise politisch missfällt, zerschlagen. Wir brauchen
die politische Auseinandersetzung. Wir müssen uns
frühzeitig in den Gesetzgebungsprozess der Europäischen Union einbringen. Subsidiaritätsrüge und -kontrolle sind sicherlich wichtige Instrumente. Wir müssen
aber dafür sorgen, dass es innerhalb der Europäischen
Union keine neuen Blockaden gibt, sondern konstruktive
Mitgestaltung. Hier stehen wir im Wort.
({9})
Herr Kollege Roth.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.
Es muss uns darum gehen, auch durch personalpolitische Entscheidungen, die in den nächsten Jahren und
Monaten zu treffen sind, die Gemeinschaftsinstitutionen
der Europäischen Union zu stärken. Wir brauchen nicht
mehr intergouvernementales Handeln,
Herr Kollege, Sie sprechen auf Kosten Ihrer Fraktionskollegen.
- sondern eine starke Kommission und ein starkes
Parlament. Deshalb bleibt es beim Slogan der deutschen
Ratspräsidentschaft: Die EU gelingt nur gemeinsam.
({0})
Das Wort hat der Kollege Florian Toncar, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Europa ist ein Projekt der Freiheit. Grenzen fallen; Menschen aus unterschiedlichen Ländern kommen zusammen. Jeder Europäer darf sich in ganz Europa frei entfalten. Die Unionsbürgerschaft gewährt ihm im ganzen
Unionsgebiet das Recht dazu.
Vor diesem Hintergrund finde ich es ein bisschen
schade, dass diese Errungenschaften in Ihrer wenig inspirierenden Rede, Herr Kollege Bisky, nicht gewürdigt
worden sind. Ich glaube, dass Sie einen eher öden Vortrag über alle Vorurteile - seien sie auch noch so platt -,
die es über Europa gibt, gehalten haben. Das wird Europa nicht gerecht.
({0})
Europa stärkt nämlich nicht nur unsere Wettbewerbsfähigkeit - das tut es zweifelsohne -, sondern Europa
fördert insgesamt die gegenseitige Toleranz von Menschen unterschiedlicher Herkunft, die Fähigkeit, sich auf
Menschen anderer Kulturen, anderer kultureller Herkunft einzulassen. Ich glaube, dass diese Fähigkeit, andere Kulturen zu verstehen und auf andere Menschen
einzugehen, eine der Schlüsselqualifikationen im Zusammenhang mit der Globalisierung insgesamt ist. Europa liefert sie uns gratis, und dafür sollten wir etwas
dankbarer sein.
({1})
Dieses Europa wird mit dem Lissabonner Vertrag
wieder handlungsfähig - das ist gut. Denn wir haben
sehr lange über Verfahren und die Verfassung gestritten.
Aber das ist ja auch der Weg, den man gehen muss, um
die bestehenden Probleme anzupacken.
Ich möchte einen Bereich als Beispiel nennen, in dem
wir sehr viel zu tun haben werden, den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa. In 27 Mitgliedsländern der Europäischen Union herrscht Bewegungsfreiheit. Das ist großartig, aber das macht mehr
Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten und mehr
Koordination auf europäischer Ebene notwendig.
Der Lissabonner Vertrag vertieft die bestehende Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik. Das
zentrale Prinzip sowohl im zivilrechtlichen als auch im
strafrechtlichen Bereich ist das Prinzip der gegenseitigen
Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Art. 81
und 82 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Auf der einen Seite ist also die gegenseitige Anerkennung zwingend vorgesehen. Auf der anderen Seite fehlt es aber immer noch an
Mindestvorschriften für ein faires Strafverfahren, für Beschuldigtenrechte und Datenschutz in ganz Europa. Aus
unserer Sicht kann es nicht angehen, dass einerseits die
gegenseitige Anerkennung sehr weit geht, aber andererseits die Beschuldigtenrechte und Verfahrensrechte dem
nicht gerecht werden. Daran muss gearbeitet werden.
({2})
Denn wer gleichzeitig von Freiheit, Sicherheit und Recht
spricht, der muss alle diese Werte schützen und nicht die
einen mehr und die anderen weniger.
Natürlich ist der Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention ein wichtiges Signal, das die FDPBundestagsfraktion seit vielen Jahren gefordert hat.
Auch die Verbindlichkeit der Grundrechtecharta ist
wichtig für den Grundrechtsschutz in Europa. Aber für
die gegenseitige Anerkennung ist beides nicht ausreichend. Die EMRK gilt in ganz Europa für alle Mitgliedstaaten schon sehr lange. Trotzdem gibt es noch deutliche Unterschiede bei den Standards in den
Strafverfahren. Die Grundrechtecharta wird für europäisches Recht gelten, aber nicht bei Strafverfahren auf nationaler Ebene. Das bedeutet, dass wir in dem neuen Vertrag - wenn er in Kraft tritt - zwingend von der
Ermächtigung Gebrauch machen und die angesprochenen Verfahrensgarantien auf europäischer Ebene schnell
weiter harmonisieren müssen, wenn wir die gerichtlichen Entscheidungen gegenseitig anerkennen wollen.
({3})
Ich möchte noch eine Bemerkung zum Thema Subsidiarität machen. Das ist ein Thema, auf das wir mehr
achtgeben müssen. Früher war völlig klar: Europa hat
eher ein Defizit bei den Kompetenzen. Heute sind die
Kompetenztitel des Vertrages sehr weitgehend. Jetzt
geht es um eine sinnvolle Abgrenzung dessen, was eher
dezentral, regional, auf nationalstaatlicher oder europäischer Ebene gelöst werden soll. Dieses Prinzip muss
ernst genommen werden. Es ist eine der Schlüsselfragen
bei der Weiterentwicklung der Europäischen Union, wie
viel regionale Vielfalt noch möglich und erlaubt ist und
in welchen Bereichen es gar keine andere Möglichkeit
gibt, als europaweit einheitliche Regelungen zu treffen.
In den letzten Jahren hat es immer wieder Versuche
gegeben, EU-Kompetenzen auszudehnen, die wir als
wenig sinnvoll erachtet haben. Es gab beispielsweise
den Streit um das Thema Bodenschutz. Im Strafrecht gab
es immer weiter reichende Kompetenzen, die zum Teil
nicht einmal auf einer klaren vertraglichen Grundlage
beruht haben. Jetzt liegen Vorschläge für eine Ausweitung des Antidiskriminierungsschutzes in Europa auf
dem Tisch. Wir glauben, dass wir das Subsidiaritätsprinzip in diesen Bereichen in Zukunft strikter anwenden
und besser beachten müssen.
({4})
Die Kompetenztitel dieses Vertrages und auch die Formulierung des Subsidiaritätsprinzips in Art. 5 des EUVertrages sind nicht besonders klar. Sie lösen diesen
Konflikt nicht, sondern machen es nötig, dass wir diesen
auch im Vertrag angelegten Konflikt bei jeder einzelnen
Sachfrage wieder von Neuem austragen und ausdiskutieren. Dieses Parlament sollte sich das Recht herausnehmen, sehr selbstbewusst zu sagen: Es gibt Bereiche, in
denen man uns die Regelungskompetenz nicht wegnehmen muss, weil sie auch auf nationaler Ebene sehr vernünftig geregelt werden können.
({5})
Von diesem Recht muss der Bundestag Gebrauch machen.
Ein weiterer Punkt ist: Der Europäische Gerichtshof
hat bisher bei allen Kompetenzfragen eine große Zurückhaltung an den Tag gelegt und gesagt: Wir entscheiden das nicht; wenn die Regierungen im Rat sagen, dass
etwas auf europäischer Ebene geregelt werden muss,
dann wird es schon so sein. - Diesen Beurteilungsspielraum möchte ich dem Rat nicht mehr zugestehen. Ich
glaube, dass der Europäische Gerichtshof nicht darum
herumkommen wird, eine klare Doktrin zu entwickeln,
wie er das Subsidiaritätsprinzip anwendet. Ich verbinde
mein positives Votum zum Vertrag mit der klaren Erwartung, dass der Gerichtshof das tun wird und auch meine
Rechte als Mitglied eines nationalen Parlaments durch
konsequente Anwendung des Vertrages schützt.
({6})
Ich gebe dem Kollegen Gunther Krichbaum, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Gerade in letzter Zeit höre ich vermehrt, wir hätten statt
eines Vertrages lieber eine Verfassung gehabt. Manche
trauern jenen Bestandteilen hinterher, die jetzt nicht
mehr im Vertrag enthalten sind. Ich kann nur davor warnen, dieses Werk kleinzureden. Wir befinden uns heute
in der ersten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zum
Vertrag von Lissabon. Wir beginnen damit den Ratifizierungsprozess. Die Abstimmung darüber hier im Parlament wird im Ergebnis einen Quantensprung für die
Entwicklung in Europa bedeuten.
({0})
Ich höre darüber hinaus, der Text sei nicht lesefreundlich. Mit diesem Text wurde nie der Anspruch verfolgt,
den Literaturnobelpreis zu erringen. Ich kenne kaum jemanden in Deutschland, der mir erklären kann, wie der
Motor eines Autos funktioniert. Die meisten setzen sich
ins Auto und wollen damit fahren. So ist es auch mit Europa. Nicht die Details dieses Vertrages müssen interessieren, sondern der Umstand, dass wir uns damit in Europa nach vorne bewegen.
({1})
- Verehrter Herr Bisky, es bleibt natürlich Ihnen überlassen, einen Steuerberater zu konsultieren, um den Vertragstext zu verstehen. Dieser Umstand lässt allerdings
tief blicken.
({2})
Es ging darum, in Europa Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Diese Handlungsfähigkeit haben wir
zurückgewonnen. Wir haben die Strukturen verschlankt.
Wir verringern die Zahl der Kommissare. Obwohl möglicherweise weitere Staaten der EU beitreten werden,
wird die Zahl der Parlamentarier begrenzt. Wir haben
mehr und mehr sogenannte Mitentscheidungsverfahren
des Parlaments bzw. Mehrheitsentscheidungen statt des
zähen Einstimmigkeitsprinzips. Diese Aufzählung
könnte man beliebig fortsetzen.
Zunächst musste das Fundament, auf dem Europa
aufgebaut wurde, ein Haus mit sechs bzw. zwölf Mitgliedstaaten tragen. Mittlerweile wohnen in diesem Haus
27 Mitgliedstaaten. Das Fundament hat daher nicht mehr
getragen. Dies gilt erst recht, wenn möglicherweise mit
Kroatien noch ein 28. Mitglied hinzukommt. Diesem
Umstand müssen wir Rechnung tragen.
Hier haben wir den entscheidenden Schritt nach vorne
getan. Wir haben insgesamt zu mehr Transparenz gefunden. Die demokratische Teilhabe wird gestärkt, sodass
erstmalig der Deutsche Bundestag und auch die Bundesländer mehr Mitsprachemöglichkeiten haben. Um es im
Klartext zu sagen: Daraus erwächst auch ein hohes Maß
an Verantwortung für uns Parlamentarier. Das geht bis in
die einzelnen Fachausschüsse hinein. Wir können es uns
mit dem Thema Europa nicht mehr so leicht wie in der
Vergangenheit machen. Europa strahlt sehr viel stärker.
Diesem Umstand müssen wir noch stärker Rechnung tragen, als dies in der Vergangenheit der Fall war.
Wir reden sehr häufig über die Grundpfeiler. Dazu gehören auch unsere Errungenschaften wie Frieden und
Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das müssen wir auch an einem Tag wie heute erwähnen, das können wir nicht oft genug tun. Für mich ist es neben der
zweifelsohne historischen Errungenschaft des jetzigen
Lissabon-Vertrages wichtig, dass wir im Sinne der Bürger auch über andere europäische Errungenschaften
sprechen. Das sind für mich der Wettbewerb und die Regelungen in diesem Wettbewerb. Immerhin verdanken
wir diesen Regelungen einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt. Wir haben den Euro. Gerade in
diesen Tagen muss man den Bürgern aufzeigen, wie
wichtig genau diese Errungenschaft ist. Ich will nicht
wissen, was in Deutschland an den Tankstellen los wäre,
wenn wir unseren starken Euro nicht hätten. Schließlich
wird der Ölpreis auf Dollarbasis abgerechnet. Auch der
oft herbeigeschriebene Einbruch im Export ist nicht eingetreten, weil wir 70 Prozent unseres Exports innerhalb
der Europäischen Union abwickeln und deswegen nicht
so anfällig sind. Das sind Dinge, die wir dem Bürger begreiflich machen müssen; denn das verdeutlicht jedem,
dass er die Existenz und Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes auch Europa zu verdanken hat. So werden die
Dinge greifbar und plastisch.
({3})
Ein zweiter Punkt, den ich in diesem Zusammenhang
erwähnen möchte, weil er meiner Ansicht nach noch
nicht ausreichend gewürdigt worden ist, ist die Erweiterung des Schengen-Raums. Es ist auch das Verdienst
unseres Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble, dass
man trotz Bedenken in der Öffentlichkeit darauf hingewirkt hat, dass sich die Menschen in Europa begegnen
können. Das ist wichtig; denn davon profitieren die Bürger in Europa. Ich hätte mir gewünscht - mit dieser Bemerkung möchte ich zum Schluss kommen -, dass jene,
die sich gegen den Vertrag von Lissabon wenden, die
möglicherweise sogar vor das Bundesverfassungsgericht
ziehen werden - das sage ich, weil ich aus meinem Herzen keine Mördergrube machen möchte -, dieser Debatte
beigewohnt hätten; denn der eigentliche Ort der Auseinandersetzung ist der Deutsche Bundestag. Die parlamentarische Willensbildung vollzieht sich nämlich nicht
in den Kolumnen irgendwelcher Tageszeitungen, sondern hier, im Deutschen Bundestag. Daher hätte ich mir
die Anwesenheit dieser Abgeordneten ganz besonders
gewünscht.
Ich denke, wir machen einen großen Schritt in die
richtige Richtung. Wenn wir darauf schauen, was wir in
den letzten 50 Jahren erreicht haben, wenn wir die Errungenschaften und Fortschritte sehen und in die Zukunft projizieren, dann wissen wir, vor welch großer Zukunft wir stehen; dann wird uns aber auch klar, welche
Fantasien uns manchmal guttäten.
Vielen Dank.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Ulrich,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Krichbaum, bisher hat nur einer angekündigt, vor
das Verfassungsgericht zu ziehen, und der gehört Ihrer
Fraktion an. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion muss
ihre Hausaufgaben machen. Machen Sie es aber bitte
nicht wie die SPD in Hessen: Mobben Sie ihn bitte nicht.
Lassen Sie die demokratische Möglichkeit, nach Karlsruhe zu gehen, zu.
({0})
Unser Leben wird immer stärker von der Europäischen Union bestimmt. Bis Januar 2009 sollen alle EULänder den Vertrag von Lissabon ratifizieren. Die Völker Europas - das hat mein Kollege Lothar Bisky schon
deutlich zum Ausdruck gebracht - sollen aber nicht mitbestimmen, wie die Grundlagen der Europäischen Union
gestaltet werden, obwohl dadurch das Leben und Arbeiten der Bevölkerung grundlegend verändert werden. Der
Vertrag von Lissabon - ich möchte das wiederholen festigt die undemokratische, neoliberale und militärische
Entwicklung der Europäischen Union.
({1})
Herr Steenblock, das, was Sie hier gesagt haben,
zeigt, wie sehr sich die Grünen zum Schlechteren verändert haben.
({2})
Wer zu völkerrechtswidrigen Kriegen die Hand hebt,
wer in Jugoslawien, im Kosovo mitgemacht hat, hat natürlich kein Problem damit, zu dieser EU-Verfassung Ja
zu sagen. Wer als Grüner kein Problem mit dem Krieg
hat, muss zu einem solchen Vertrag natürlich Ja sagen.
Schade, dass die Grünen sich so sehr zum Schlechteren
verändert haben.
({3})
Die Niederländer und die Franzosen haben die ursprüngliche EU-Verfassung abgelehnt. Sie wollten zwar
eine Verfassung, aber nicht Sozialabbau, Aufrüstung und
eine neoliberale Wirtschaftsordnung mit Verfassungsrang.
({4})
Herr Bundesaußenminister, Sie sind nebenher stellvertretender Vorsitzender einer sogenannten Volkspartei.
Vor wenigen Monaten hat die SPD in Hamburg ein
Grundsatzprogramm beschlossen, in dem steht, dass
man für den demokratischen Sozialismus eintritt. Wer
das in ein Programm schreibt, aber zu einer neoliberalen EU-Verfassung Ja sagt, begeht einmal mehr Wortbruch, in diesem Fall gegenüber der eigenen Partei.
Wortbruch wird zum Tagesgeschäft der SPD.
({5})
Nach den gescheiterten Volksabstimmungen haben
sich die Regierungen eine Denkpause verordnet. Es
wurde eine Pause des Denkens. In den Expertengesprächen während der letzten Wochen konnten wir feststellen, dass 90 Prozent des EU-Verfassungsvertrages in
dem Vertrag von Lissabon steht. Das zeigt, dass die Behauptung, es handele sich nicht mehr um eine Verfassung, ein undemokratischer Putsch der EU-Regierungen
war; denn 90 Prozent von dem, was damals darin stand,
steht jetzt in den Verträgen.
({6})
Das ist eine Ignoranz gegenüber der Bevölkerung, insbesondere Frankreichs und der Niederlande.
Sie wollen keine Volksabstimmungen und auch keine
Öffentlichkeit,
({7})
weil die Regierung mit ihrer nur auf Wirtschaftsinteressen ausgerichteten Politik gescheitert ist. Wir hoffen,
dass dieser Vertrag in Irland abgelehnt wird. Nur dann
besteht noch die Chance für ein friedliches und soziales
Europa. An die Bevölkerung Irlands sage ich: Gehen
Sie zur Wahl und stimmen Sie mit Nein!
Die soziale Spaltung in den EU-Ländern nimmt immer mehr zu. Das ist kein Zufall, sondern Folge von politischen Entscheidungen. Das Europa der herrschenden
Eliten will seine unsoziale und neoliberale Politik jetzt
vertraglich absichern. Statt europäische Mindestlöhne,
das Verbot der Privatisierung von öffentlichem Eigentum und Mindestsozialstandards umzusetzen, wird die
offene und freie Marktwirtschaft im Vertrag festgeschrieben.
({8})
Dies bedeutet den Abbau von Schutzrechten für die Beschäftigten, Dumpinglöhne und auch Steuerdumping.
Diese Wirtschaftsordnung widerspricht den Interessen
der Bevölkerungsmehrheit. Sie dient nur den Banken,
Konzernen und Wohlhabenden.
({9})
Wer Armut und Prekarisierung bekämpfen will, muss
den Vertrag von Lissabon ablehnen.
({10})
Die Grundfreiheiten führen derzeit zur Unfreiheit
der Arbeitnehmer. Der EuGH hat auf Grundlage der geltenden europäischen Verträge die erfolgreichsten Wirtschafts- und Sozialmodelle Europas angegriffen. In
Finnland und Schweden wurde das Streikrecht mit der
Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit ausgehebelt. Der Europäische Gewerkschaftsbund und die dänischen Gewerkschaften fordern daher, den Vertrag von
Lissabon nicht zu ratifizieren.
({11})
Wenn der Gerichtshof die Grundfreiheiten der Unternehmen höher bewertet, bedeutet dies, dass Aufträge künftig
nur noch an Mindestlöhne gekoppelt werden dürfen. Damit werden Mindestlöhne zu Höchstlöhnen. Das ist doch
pervers, das ist Gleichmacherei auf niedrigstem Niveau.
Sie schaffen eine Aufrüstungsverpflichtung. Der Vorsitzende der EU-Verteidigungsagentur hat das der FAZ
mitgeteilt. Im Protokoll über die zuständige strukturelle
Zusammenarbeit entmachten Sie die Parlamente. Die
EU möchte ihre Battle Groups - zu Deutsch: Schlachtverbände - innerhalb von wenigen Tagen überall in die
Welt verlegen können.
({12})
Wir fordern eine Verfassung für Europa, die an die
besten europäischen Traditionen anknüpft. Wir wollen
ein soziales und wohlhabendes Europa, ein Europa als
Friedensmacht, ein Europa des Völkerrechts. Sie wollen
ein Europa der Nokias, der Zumwinkels,
({13})
der Konzerne und des Finanzkapitalismus.
Herr Kollege.
Ich komme zum Ende. - Die Menschen wollen Ihr
Europa nicht. Deswegen lehnen wir den Vertrag von Lissabon ab.
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Ulrich, es war schon bezeichnend, dass Sie sich,
als Herr Krichbaum unzweifelhaft den leider abwesenden Peter Gauweiler angesprochen hat, angesprochen
gefühlt haben.
({0})
Darüber sollten Sie einmal nachdenken.
({1})
Ich glaube, wenn Sie darüber nachdenken, kommen Sie
vielleicht zu dem Ergebnis, dass Sie einmal der Frage
nachgehen sollten, wie es dazu kommen konnte, dass ein
Vertreter Ihrer Fraktion hier erklärt hat, der Vertrag von
Lissabon sei hinsichtlich der Demokratie, der Beteiligung von Parlamenten und vieler anderer Punkte ohne
Zweifel besser als der Vertrag von Nizza. Wenn Sie hier
sagen, Sie möchten, dass die Iren dafür abstimmen, dass
der schlechtere Vertrag, der Vertrag von Nizza, in Kraft
bleibt, dann zeugt das nicht von europapolitischer
Kenntnis,
({2})
sondern davon, dass Sie die Dinge nicht zu Ende gedacht
haben. Das zeugt auch davon, dass in Ihrer Partei der
Prozess, zu einer proeuropäischen Haltung und einem
Bekenntnis zu Europa zu kommen und den Nationalismus zu überwinden - dieser nationalistische Gedanken15850
gang ist der Hintergedanke der Klage von Herrn
Gauweiler -, noch ein ganz langer Weg ist.
({3})
Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Verfassung müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern klarmachen, worum es dabei geht. Dabei sollten wir uns davor
hüten, das Vorhandene schönzureden. Wir sollten uns
aber auch davor hüten, die Diskussion mit einfachen Populismen zu begleiten. Für das eine wie das andere gibt
es Beispiele.
Heute kann man in der Financial Times ein Beispiel
der letzteren Art lesen. Der Vorsitzende der CDU/CSUFraktion, Herr Kauder, bediente die Vorurteile der anderen Sichtweise auf Europa unter der Überschrift
„Schluss mit den Anmaßungen“.
({4})
Genauso wie das Bild der Linken von einem militarisierten Europa falsch ist, ist Ihr Bild, Herr Kauder, eines Europas, das sich ständig neue Kompetenzen anmaßt und
Richtlinien vorschlägt, ein falsches.
({5})
Der Vorwurf von Herrn Kauder ist, dass vor der Erstellung von Richtlinien eine Einbeziehung der Bürger
durch den Prozess der Konsultationen stattfindet. Wenn
es etwas gibt, bei dem man von Europa lernen kann,
dann ist es die offene Art und Weise, in der die Kommission ihre Richtlinien vor der Verabschiedung in öffentlichen Konsultationen zur Schau stellt.
({6})
Davon könnten Sie noch etwas lernen. Dafür sollte man
Europa loben! Was ist das eigentlich für ein Bild, das Sie
da zeichnen?
Wir streiten im Rahmen eines gemeinsamen Gesetzentwurfs zusammen mit Ihnen - in dem Punkt sind wir
einer Meinung - dafür, auch einer Minderheit des Deutschen Bundestages das Recht einzuräumen, im Zweifel
dagegen klagen zu können, wenn Kompetenzen überschritten werden.
({7})
Aber interessant sind dann immer die Beispiele, die ihnen zu angeblichen Kompetenzüberschreitungen einfallen.
({8})
Das wichtigste Thema diesbezüglich war für Sie über
Wochen und Monate hinweg offensichtlich, dass es in
Wien eine Agentur für Menschenrechte gibt. Früher hat
es zwar schon Tausende Agenturen gegeben, ohne dass
Sie sich gerührt haben.
({9})
aber als es um eine Agentur für Menschenrechte ging,
haben Sie angefangen, das zu kritisieren.
Ein anderes Beispiel sind die von Ihnen als ständig
ausufernd beklagten Regelungen zur Antidiskriminierung. Das ist ein Punkt, an dem Sie Europa nicht nur
schlecht verkaufen, sondern den Gedanken auf den Kopf
stellen. Wenn es etwas gibt, das man aus den Plebisziten
in Frankreich und den Niederlanden lernen kann, dann
ist es, dass die Menschen Europa nicht mehr als einen
Schutz vor den Gefährdungen und Verunsicherungen
aufgrund der Globalisierung begriffen haben. Der Versuch, einheitliche Standards zur Antidiskriminierung in
Europa zu schaffen - das hat auch etwas mit Wettbewerbsgerechtigkeit zu tun -, bedeutet doch nichts anderes, als den Bürgerinnen und den Bürgern Schutz vor den
Anforderungen der Globalisierung und Sicherheit zu
vermitteln. Das ist eine der Herausforderungen für
Europa.
({10})
Letzte Bemerkung: Man darf es sich auch in anderer
Hinsicht nicht zu leicht machen. Nur weil jemand sagt,
dass es aufgrund des Klimawandels und der Ressourcenknappheit ein Sicherheitsproblem geben wird, ist das,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, noch
keine Forderung nach einer Militarisierung der EU. Ich
empfehle, einfach einmal nachzulesen, was jemand wie
Solana zu dieser Frage sagt. Er schlägt zum Beispiel vor,
EU-Kapazitäten aufzubauen im Hinblick auf Beobachtung und Frühwarnung über Konfliktprävention und Krisenbewältigung bis hin zum Katastrophenschutz. Es ist
doch genau der richtige Ansatz, nicht nachzusorgen,
sondern durch Prävention und Ursachenbekämpfung das
Entstehen gewaltsamer Konflikte aufgrund solcher Risiken zu unterbinden.
Herr Kollege.
Das ist es, was sich in dem Vertrag von Lissabon, in
der neuen Grundrechtecharta ausdrückt,
Herr Kollege Trittin.
- und deswegen sagen wir Ja zu diesem Vertrag.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Kauder.
Herr Kollege Trittin, zunächst einmal begrüße ich,
dass Ihre Fraktion dem Vertragswerk zustimmt und damit ein klares Bekenntnis zu Europa abgibt. Wir haben
in diesem Vertrag genau geregelt, wofür Europa zustänVolker Kauder
dig ist und wofür Europa nicht zuständig ist. Außerdem
haben wir im Rahmen der Föderalismusreform in
Deutschland genau festgelegt, wofür der Bund zuständig
ist und wofür die Länder zuständig sind. Daher kann
nicht jedes Mal, wenn man meint, dass in einem bestimmten Fall der Bund zuständig sein sollte, in die
Kompetenzen der Länder eingegriffen werden.
Ich habe in meinem Namensbeitrag ausdrücklich gesagt:
Beim Natur- und Verbraucherschutz, im Arbeitsrecht und in der Sozial- und Familienpolitik mag es
unterschiedlichen Handlungsbedarf geben. Aber
- jetzt kommt der entscheidende Satz; Sie können davon
ausgehen, dass dies auch die Meinung meiner Fraktion
ist nicht jedes Problem ist ein Auftrag für die Kommission, immer tätig zu werden, wenn sie glaubt, etwas
besser regeln zu können als die Mitgliedstaaten.
({0})
Im weiteren Verlauf meines Artikels habe ich gesagt:
Nicht überall sind einheitliche europäische Lösungen automatisch richtig.
Gerade Sie, Herr Trittin, müssten diesen Satz unterschreiben können. Oder sind Sie etwa der Meinung, dass
wir in Europa zu einheitlichen Auffassungen in der
Energiepolitik kommen sollten, beispielsweise bei der
friedlichen Nutzung der Kernenergie?
({1})
Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie endlich dieser Ansicht wären. Denn bei diesem Thema vertreten Sie eine
ganz andere Auffassung als die Mehrheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Wir sollten uns an diesem Punkt aber nicht streiten.
Es geht schlicht und ergreifend darum, dass die Menschen in vielen Fällen den Eindruck haben, Europa sei
meilenweit von ihnen entfernt.
({2})
Ich will ein Europa, das auch die Herzen der Bürgerinnen und Bürger bewegt, nicht nur ihre Köpfe.
({3})
Deswegen ist es richtig, Europa den Menschen näherzubringen, nicht den Bürokraten. Das war die Botschaft
meines Beitrags.
({4})
Herr Kollege Trittin.
({0})
Lieber Herr Kollege Kauder, manchmal muss man
aufpassen, welche Beispiele man anführt. Ein schönes
Beispiel, das Sie erwähnt haben, ist die Föderalismusreform in Deutschland. Ich habe noch gut in Erinnerung, was hier geschehen ist. Sie haben eine Föderalismusreform beschlossen, deren erklärtes Ziel darin
bestand, sicherzustellen, dass es künftig keine Finanztransfers des Bundes an die Länder mehr geben wird,
beispielsweise für Ganztagsschulen.
({0})
Dann stellte Ihre Ministerin Frau von der Leyen fest - übrigens zu Recht -, dass es bei der Kinderbetreuung in
Deutschland ein Defizit gibt. Daher mussten Sie einen
Weg vorbei am Grundgesetz und an der von Ihnen gerade erst getroffenen Regelung finden, um das dafür
dringend benötigte Geld bereitstellen zu können.
Was lehrt uns dieses Beispiel? Sollte man einem solchen Vorgehen auf europäischer Ebene nacheifern? Ich
glaube, nein. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Es gibt
Dinge, die man gut auf europäischer Ebene regeln kann,
und es gibt Dinge, die man besser vor Ort regeln kann.
({1})
Wir sind diejenigen, die an dieser Stelle für ein hohes
Maß an Dezentralität plädieren.
({2})
Wir geben uns aber nicht dem Irrtum hin, dass das
möglich ist, indem man schlanke und einfache Regelungen trifft, wie Sie es im Rahmen der Föderalismusreform
versucht, aber schlecht gemacht haben. Was man
braucht, sind Mechanismen, die dann, wenn es zu einem
Konflikt kommt, greifen. Das ist auch der Grund, warum
wir die zur Subsidiaritätsklage einer Minderheit getroffene Regelung mittragen.
Am Ergebnis kommen auch Sie nicht vorbei: Es ist
mit der Idee eines gemeinsamen Binnenmarktes überhaupt nicht zu vereinbaren, dass wir wichtige Parameter
des Binnenmarktes - ein Beispiel sind die Steuern - dauerhaft weiterhin entweder national oder nur im Konsens
regeln können. Das ist ein Defizit dieses Vertrages, übrigens ein Defizit, das auch Ihre Fraktion immer kritisiert
hat. In Anbetracht der Situation, dass eine vergemeinschaftete europäische Regelung ein Defizit hat, sollten
Sie nicht permanent davon reden, Europa würde alles
„kleinregulieren“.
({3})
Was die Energiepolitik angeht, mache ich mir übrigens gar keine Sorgen. Über dieses Thema sollten Sie
einmal mit Ihren österreichischen Parteifreunden von der
ÖVP diskutieren.
({4})
Dann werden Sie das Echo auf Ihre Vorschläge bekommen.
Ich gebe Ihnen ein anderes schönes Beispiel: Sie sollten einmal darüber nachdenken, ob Ihre Form der Verweigerung einer Regelung europäisch korrekt ist. Wie
kann es sein, dass Deutschland das einzige Land ist,
Herr Kollege Trittin, Ihre drei Minuten sind verbraucht.
- das darauf verzichtet, zu regeln - Frankreich, die
Beneluxstaaten, Großbritannien machen es uns vor -,
was jemand verdienen muss? Deutschland geht, was die
Beschäftigung angeht, einen nationalen Sonderweg, mit
dem wir permanent Lohndumping aus Steuermitteln finanzieren. Das ist nicht akzeptabel.
({0})
Zu einer weiteren Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Kauder das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Trittin, ich möchte nur auf einen Ihrer Punkte eingehen. Sie haben das Beispiel der
Kinderkrippen angesprochen.
({0})
Es ist durchaus richtig, dass man über die Kompetenzzuweisung sprechen muss. Aber dann muss die Europäische Kommission bereit sein, sich mit uns zusammenzusetzen und sich mit uns zu einigen, wie wir es mit den
Ländern gemacht haben. Dann können wir den Vorschlag miteinander umsetzen. Aber die Europäische
Kommission setzt sich nicht mit uns zusammen, sie kündigt einfach an, was sie machen will. Hier unterscheidet
sie sich von unserer Vorgehensweise.
({1})
Herr Kollege Trittin, Sie dürfen noch antworten; aber
dann beenden wir dieses Gespräch.
Lieber Kollege Kauder, ich muss Ihnen Nachhilfe geben.
({0})
Es ist doch so: Die Kommission macht Vorschläge, sie
hat das alleinige Initiativrecht in Europa. Diese Vorschläge haben keinerlei Rechtsverbindlichkeit, es sei
denn, der Rat und, in den meisten Fällen, das Parlament
stimmen dem zu. Das heißt, wir haben genau den Zustand, dass in Europa seit geraumer Zeit ohne Zustimmung der Mitgliedstaaten nichts geht.
({1})
Was Sie gerade belegt haben, ist das alte Vorurteil
über Europa. Das können wir nicht durchgehen lassen.
({2})
Nicht die Kommission ist Europa, wir sind Europa; das
ist die Wahrheit.
({3})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Carl-Christian
Dressel, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ohne
jetzt eine Replik geben zu wollen, möchte ich anknüpfen
an das, was Herr Trittin gesagt hat: Gerade wenn man
mit Vorurteilen gegenüber Europa aufräumen will, gerade wenn man darstellen will, dass Europa etwas ist,
was jeden angeht, muss man feststellen: Der Vertrag von
Lissabon ist ein wichtiger Schritt, weil Europa mit diesem Vertrag transparenter, effizienter und vor allem demokratischer wird.
({0})
Wir erleben auch einen weiteren wichtigen Entwicklungsschritt: Nachdem sich die Europäische Union
schon einige Zeit als Raum der Freiheit, der Sicherheit
und des Rechts versteht, sind jetzt in Art. 2 des EU-Vertrages die Werte aufgeführt, auf die sich die Union stützt,
Werte wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und die
Achtung der Menschenwürde. Für eine Gemeinschaft,
die ursprünglich als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet wurde, ist diese Entwicklung zu einer
Wertegemeinschaft etwas, was mit uns Sozialdemokraten der überwiegende Teil des Hauses nur gutheißen
kann.
({1})
In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen
werden, dass durch den Vertrag von Lissabon die Charta
der Grundrechte für die Institutionen der EU erstmals
Rechtsverbindlichkeit erhält. Ich wage aber vorauszusagen: Wenn die Charta der Grundrechte gegenüber den
Institutionen der EU gilt, dann wird sich im Sinne eines
Jus Communae Europaeum auch eine Entwicklung in
die nationalen Verfassungsräume abzeichnen, so wie es
jetzt schon ein fruchtbares Miteinander im deutschen
Verfassungsraum auf Bundes- und Länderebene gibt.
Gleichzeitig wird im Rahmen der Stärkung der nationalen Parlamente allerdings auch das Europäische Parlament weiter gestärkt. Dies haben wir als Parlamentarier
seit Jahren gewünscht. Das gilt sowohl für uns als auch
für die Kolleginnen und Kollegen des Europäischen Parlaments. Wir können uns erfreut darüber zeigen, dass gerade diese Fortschritte während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Jahre 2007 beschlossen worden sind.
Zu den Fortschritten gehört auch, dass die Opposition
im Deutschen Bundestag mehr Rechte erhält, oder - wie
es Nikolai Fichtner in der Financial Times Deutschland
formuliert hat - „Mehr Macht für Opposition im Bundestag“. Es besteht die Möglichkeit, dass die Opposition,
wenn sie über ein bestimmtes Quorum der Mitglieder
des Deutschen Bundestages verfügt, gegen europäische
Vorhaben mit der Subsidiaritätsklage vorgehen kann.
Ich denke, dieses Oppositionsrecht ist beispielhaft und
fraktionsübergreifend begrüßenswert.
({2})
Wir hoffen, dass wir mit der heutigen Debatte den Ratifizierungsprozess beschleunigen können. Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf am 19. Dezember 2007
beschlossen. Ich gehe davon aus, dass gerade von der
deutschen Ratifizierung eine besondere Signalwirkung
ausgeht. Wir wollen, dass der Ratifizierungsprozess in
allen Mitgliedstaaten - an die „Linken“ gerichtet füge
ich hinzu: inklusive Irland - zügig und positiv verläuft,
damit der Vertrag zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft
treten kann.
Was wir als Bundesrepublik Deutschland dazu beitragen können, das tun wir auch. Neben der Ratifikation
des Vertrages von Lissabon und der Verabschiedung des
sogenannten Begleitgesetzes müssen wir unser Grundgesetz behutsam anpassen, um die Ziele zu erreichen,
die wir mit dem Begleitgesetz verfolgen:
Erstens. Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Grundgesetzes sieht vor, durch die Einfügung eines
Abs. 1 a in Art. 23 das Recht des Bundestages und des
Bundesrates auf Erhebung der Subsidiaritätsklage im
Grundgesetz zu verankern und im Rahmen des Oppositionsschutzes die Pflicht des Bundestags einzuführen,
auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Erhebung
der Subsidiaritätsklage zu beschließen.
Zweitens. Das Mehrheitsprinzip wird in einzelnen
Fällen modifiziert, sodass wir im Begleitgesetz in Einzelfällen die Zweidrittelmehrheit anstelle der im Hause
üblichen einfachen Mehrheit festschreiben können.
Drittens. Durch eine Änderung von Art. 45 des
Grundgesetzes wird der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur Wahrnehmung der
Rechte ermächtigt, die dem Deutschen Bundestag in den
vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt werden.
Viertens. Um einen Gleichklang im Rahmen des Oppositionsschutzes, der im System des Grundgesetzes für
die Bundesrepublik Deutschland angelegt ist, zu gewährleisten, wird das für Normenkontrollanträge maßgebende Quorum nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 Grundgesetz
von einem Drittel auf ein Viertel angepasst, wie es schon
bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen vorgeschrieben ist und wie es auch künftig bei der Erhebung
der Subsidiaritätsbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof geregelt wird.
Das ist ein vernünftiger und rechtssicherer Weg, der
sich in der Tradition unseres Parlaments und seines Vorgängers befindet. Am 8. September 1948 hat Carlo
Schmid im Parlamentarischen Rat ausgeführt - ich zitiere -:
… daß die drei Staatsfunktionen Gesetzgebung,
ausführende Gewalt und Rechtsprechung in den
Händen gleichgeordneter, in sich verschiedener Organe liegen, und zwar deswegen in den Händen
verschiedener Organe liegen müssten, damit sie
sich gegenseitig kontrollieren und die Waage halten
können.
Dieses von Carlo Schmid definierte Ideal können wir
durch den EU-Reformvertrag auf die europäische Ebene
ausweiten; denn die Möglichkeit einer verbesserten gegenseitigen Kontrolle auf europäischer wie auf nationaler Ebene ist gegeben. Lassen Sie uns ein fraktionsübergreifendes Signal für dieses Ziel aussenden. Ich
wünsche, dass jede demokratisch und wahrhaft europäisch gesinnte Fraktion in diesem Haus den vorgelegten
Gesetzentwürfen zustimmt, sodass wir Einstimmigkeit
erreichen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Silberhorn,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das erklärte Ziel des Vertrages von Lissabon ist
es, die Europäische Union der 27 Mitgliedstaaten handlungsfähiger und demokratischer zu machen. Diesem
Ziel kommen wir, wie ich meine, ein gutes Stück näher.
Mehr Handlungsfähigkeit wird durch die Vereinfachung
der Entscheidungsprozesse erreicht, beispielsweise
durch die Ausweitung der Beschlüsse mit qualifizierter
Mehrheit, aber auch durch die institutionellen Veränderungen. Das ist in einer erweiterten Europäischen Union
unabdingbar. Mehr Demokratie schaffen wir durch eine
Stärkung der Parlamente, sowohl durch eine Aufwertung
des Europäischen Parlaments, das in vielen Fällen am
Mitentscheidungsverfahren beteiligt wird, als auch
durch eine stärkere Beteiligung der nationalen Parlamente. Beides, mehr Handlungsfähigkeit und mehr Demokratie, bedingen aber auch einander. Wenn man die
Handlungsfähigkeit der Europäischen Union stärken
will, dann erfordert das geradezu, dass man auch mehr
Demokratie schafft, und zwar dadurch, dass man die Beteiligungsrechte des Europäischen Parlaments wie der
nationalen Parlamente stärkt. Ich glaube, das ist ein
wichtiges Signal des Vertrages von Lissabon.
Über die Instrumente, die den nationalen Parlamenten
an die Hand gegeben werden - die Subsidiaritätsrüge
und die Subsidiaritätsklage -, haben wir mehrfach debattiert. Ich bin nach wie vor skeptisch, ob der sehr hohe
formale Aufwand der Subsidiaritätsrüge - innerhalb von
acht Wochen muss eine Stellungnahme abgegeben werden und ein bestimmtes Quorum der nationalen Parlamente erreicht werden - gerechtfertigt ist. Wir werden
bei der Wirkung der Subsidiaritätsrüge sehr genau hinsehen müssen. Nach meiner Einschätzung liegt ihre Wirkung weniger in den einzelnen Verfahren als im Allgemeinen darin, dass wir mit diesem Instrument eine
höhere Sensibilität der nationalen Parlamente für europäische Politik schaffen können. Aber wir können damit
umgekehrt auch eine höhere Sensibilität der europäischen Institutionen für die Belange der nationalen Parlamente erreichen. Mit wesentlich mehr Hoffnung sehe ich
die Subsidiaritätsklage, die wir - völlig zu Recht - im
Deutschen Bundestag als ein Minderheitenrecht eines
Viertels der Mitglieder des Hauses ausgestalten. Das ist
die einzig sachgerechte Lösung. Das haben auch die Expertengespräche im Europaausschuss ergeben.
Vor diesem Hintergrund werden sich auch die Rolle
der Kommission und die Rolle des Europäischen Gerichtshofs verändern müssen. Die Europäische Kommission wird sehr viel genauer als bisher begründen müssen,
warum sie auf europäischer Ebene aktiv wird. Herr
Trittin, hier muss in der Tat mit mancherlei Anmaßung
Schluss sein, die die Europäische Union bislang im Rahmen der Kommission begeht; denn die Interpretation des
Subsidiaritätsprinzips kann nicht sein, dass es immer
dann besser ist, wenn die Europäische Union tätig wird.
Das haben wir an der Bodenschutzrichtlinie gesehen.
Hier wird die Tätigkeit der Europäischen Union damit
begründet, dass in einem Fluss die Flussablagerungen
flussabwärts die Grenze überschreiten könnten. Es
grenzt schon an Absurdität, mit einem solchen Argument das Tätigwerden auf europäischer Ebene zu begründen.
Die Europäische Kommission wird sich künftig sehr
viel mehr anstrengen müssen. Es reicht eben nicht aus,
darauf zu verweisen, dass es besser ist, etwas auf europäischer Ebene gemeinsam zu regeln. Die Europäische
Kommission muss vielmehr auch darlegen, dass eine bestimmte Materie durch die Mitgliedstaaten nicht ausreichend geregelt werden kann. Insoweit setze ich manche
Hoffnung auf den Europäischen Gerichtshof. Ich wünsche mir, dass sich der Europäische Gerichtshof zum
Partner der Parlamente entwickelt; denn die Instrumente,
die uns der Vertrag von Lissabon zuweist, bedeuten ein
Stück Mitverantwortung der nationalen Parlamente für
die europäische Politik. Die Mitverantwortung der nationalen Parlamente muss dazu führen, dass die bislang
recht exekutivlastige Rechtsetzung in der Europäischen
Union ein Stück weit parlamentarisiert wird, und zwar
durch die bessere Beteiligung des Europäischen Parlaments wie der nationalen Parlamente.
Dies wird sich am Ende selbstverständlich auch in der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs niederschlagen müssen. Es ist dessen Verantwortung, dafür zu
sorgen, dass das Subsidiaritätsprinzip justiziabel wird
und mit Inhalten ausgestattet wird. Eine wirksame Kompetenzbegrenzung muss auch in der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs zum Tragen kommen. Außerdem muss ein gewisses Verständnis dafür entwickelt
werden, dass nicht jedes Tätigwerden eines Ministers im
Ministerrat mit der parlamentarischen Mehrheit gleichzusetzen ist, der dieser Minister zu Hause verpflichtet
ist. Da kann es durchaus Unterschiede geben. Deswegen
ist die Wahrung der Handlungsspielräume der nationalen
Parlamente unsere Aufgabe als Wächter des Subsidiaritätsprinzips und zugleich eine Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs, dies in seiner Rechtsprechung ebenfalls zu berücksichtigen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
in der Umsetzung des Vertrages von Lissabon Regelungen gefunden, die europaweit Maßstäbe setzen. Es
kommt uns darauf an, dass wir unsere neuen Instrumente
aus dem Vertrag von Lissabon im Bundestag wirkungsvoll wahrnehmen und gleichzeitig gegenüber der eigenen Bundesregierung eine starke Mitwirkung des Bundestages verankern.
({1})
Dass dies gelungen ist, ist für viele Kolleginnen und
Kollegen die Voraussetzung dafür gewesen, dem Vertrag
von Lissabon am Ende zustimmen zu können. Die Kompetenzübertragung, die wir auf die europäische Ebene
vornehmen, wird durch eine stärkere Mitwirkung des
Bundestages auf nationaler Ebene gewissermaßen kompensiert. Das bedeutet eben eine stärkere Mitwirkung
nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch gegenüber der eigenen Regierung.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Hier wird dem Bundestag nicht nur eine Kontrollfunktion, sondern auch eine konstruktive Rolle, eine gestaltende Funktion, eingeräumt. Im Ergebnis wird dies
dazu beitragen, dass europäische Politik auf höhere Akzeptanz stoßen kann, wenn sie durch die Parlamente der
Mitgliedstaaten in größerem Umfang als bisher mitgetragen und gestaltet wird.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Axel Schäfer, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist die Stunde des Parlaments. Mit einem gewissen Stolz können wir feststellen, dass wir, die übergroße
Mehrheit in diesem Hause, mit dem Lissabon-Vertrag
die Gemeinschaft demokratischer, bürgernäher und damit auch parlamentarischer machen.
({0})
Damit haben wir ein Stück des Weges abgeschlossen,
den seit 45 Jahren die Christdemokraten, Liberalen und
Sozialdemokraten im Bundestag - seit 25 Jahren auch
die Grünen - gegangen sind: einen gemeinsamen europäischen Verfassungsbogen zu spannen, der für die Politik tragfest ist, die unser Land auch mit unterschiedlichen Regierungskonstellationen in der Europäischen
Union macht.
Bei dieser parlamentarischen Debatte ist der Linkspartei eine Frage zu stellen. Die Linkspartei muss heute
entscheiden, für welche Tradition sie steht: für die Tradition, die mit der jungen Arbeiterbewegung und Teilen
des liberalen Bürgertums 1848, also vor genau 160 Jahren, begonnen hat, als in der Bürgerlichen Revolution
das vereinte Europa ein Schlagwort war, oder für die
Tradition der KPD von vor genau 60 Jahren, Nein zum
Grundgesetz zu sagen. Vor dieser Entscheidung stehen
Sie heute. Für uns ist unsere Entscheidung deshalb so
wichtig, weil wir mit dem neuen Vertrag von Lissabon
so etwas wie ein Grundgesetz für das 21. Jahrhundert in
Europa schaffen. Das Nein der Linkspartei dazu heißt
eben, dass sie sich auf eine kommunistische Tradition
stützt, die nicht unsere Tradition ist. Dies muss hier ganz
deutlich gemacht werden.
({1})
Wir hatten eine Expertenanhörung - es gab eine außergewöhnlich spannende und kritische Diskussion -, an
deren Ende uns alle Experten, egal von welcher Fraktion
sie vorgeschlagen worden sind, gesagt haben: Wir empfehlen euch, für diesen Vertrag zu stimmen. - Keiner hat
gesagt, wir sollten gegen den Lissabon-Vertrag stimmen.
({2})
- Das gilt selbst für eure Experten. Der Einzige, der anderer Meinung war, war ein Abgeordneter der Linkspartei aus dem Europäischen Parlament. - Wenn Sie sagen,
dass der Entwurf des Lissabon-Vertrages ein Putsch der
Regierung sei, dann zeigen Sie nur eines: Sie sind auf
Bundesebene europapolitisch nicht handlungsfähig.
({3})
Besser gesagt: Sie sind auf Bundesebene, was Europa
anbelangt, untauglich. Das ist die ganz klare Feststellung, die wir hier treffen müssen.
({4})
Eines geht bei dieser Diskussion, die Gott sei Dank
vielfältig war und bei der sich nicht nur breiter Jubel
Bahn gebrochen hat, natürlich auch nicht, nämlich dass
wir unehrlich über die schwierige Dialektik zwischen
Bürgerinteressen und Parlamentarismus reden. Wir haben die gesamte Diskussion über den Verfassungsvertrag, die jetzt mit dem Lissabon-Vertrag endet, acht Jahre
lang öffentlich geführt. Wir hatten Anhörungen und Veranstaltungen, wie es sie nie zuvor in der europäischen
Geschichte gegeben hat. Es sind wahrscheinlich Millionen E-Mails an den Konvent gegangen, in denen Vorschläge, Meinungen und berechtigte Kritik geäußert
wurden. Das alles ist von den Parlamenten aufgenommen worden und in den Diskussionsprozess eingegangen. Das Resultat ist letztendlich der Kompromiss, der
möglich war zwischen denen, die in Europa ein Stückchen weitergehen wollen, und denen, die eher ein Stückchen zögerlich sind. Am Ende haben aber alle gesagt:
Dieser Vertrag muss parlamentarisch ratifiziert werden.
Ich hätte es gut gefunden - das sage ich ganz offen -,
wenn es dem Konvent gelungen wäre, ergänzend zur
parlamentarischen Ratifizierung an einem Tag Volksabstimmungen in Europa anzusetzen. Dann hätte man, wie
es in der Schweiz der Fall ist, ratifiziert, wenn die Mehrheit der Staaten - in der Schweiz sind es die Kantone und die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger dafür gestimmt hätten. Das ist leider nicht gelungen. Hier haben
wir im Rahmen des Verfassungsprozesses tatsächlich ein
Defizit, das wir ruhig einräumen können. Aber eines
geht natürlich überhaupt nicht, nämlich dass diejenigen,
die die Verfassung sowieso nicht wollen, sich dafür aussprechen, dass die Bürger abstimmen, aber nicht um der
Abstimmung willen, sondern deshalb, damit dieses Europa verhindert wird. Dagegen sind wir allerdings.
({5})
Lasst uns auch, weil wir von der Selbstverpflichtung
des Parlaments, unserer Selbstverpflichtung für die zukünftige Arbeit reden, offen ansprechen: Jawohl, es gibt
Unterschiede zwischen den Parteien; es gibt auch Unterschiede innerhalb der jetzigen Großen Koalition. In Zukunft wird es auch in diesem Hause einen spannenden
Wettbewerb bei der Diskussion über die europäische Dimension von Politik geben. Wir reden hier nicht über
Europa, sondern über die Handlungsebene, die wir zusätzlich zur nationalen Ebene unbedingt brauchen. Es
wird sich die Frage stellen, ob diese Debatte über Europa
durch die Hoffnungsträger oder eher durch die Bedenkenträger bestimmt wird. Ich sage für meine Fraktion: Wir waren, wir sind und wir bleiben die Partei der
europäischen Hoffnungsträger. Wir haben im Grundgesetz formuliert, dass wir dieses vereinte Europa wollen,
um dem Frieden in der Welt zu dienen. So haben es
Axel Schäfer ({6})
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit über
140 Jahren formuliert. Das ist unsere Verpflichtung, und
deshalb werden wir diesem Vertrag zustimmen.
({7})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Ulrich.
Lieber Kollege Axel Schäfer, ich kann die Nervosität
der Sozialdemokratie angesichts der Umfragen, die unsere beiden Parteien demnächst auf gleicher Höhe sehen,
und angesichts der Tatsache, dass die sozialdemokratische Partei unter die 20-Prozent-Marke fällt, sehr gut
verstehen.
Ich frage mich wirklich, wie du es nennst, dass es in
Frankreich und den Niederlanden Volksabstimmungen
gab, die Bevölkerungen mit Nein gestimmt haben, nun
90 Prozent dessen, was im ursprünglichen Entwurf
stand, im jetzigen Verfassungsvertrag enthalten ist und
jetzt die Regierungen nichts Besseres zu tun haben, als
darauf zu achten, wie man möglichst jeder Volksabstimmung aus dem Weg gehen kann, um die Verträge durchzubringen. Wie nennst du das? Ist das das demokratische
Modell, das du für Europa willst? Wir nennen das ganz
bewusst einen Putsch; denn hier haben die Regierungen
versucht, die Völker zu entmachten.
({0})
Das ist Fakt; man kann nicht darum herumreden.
Zweitens. Du sagst, dass wir nicht in Europa angekommen sind. Ich sage ganz bewusst: Wir sind stolz darauf, dass wir, die Linke, nicht Ja sagen zu einem Europa,
in dem die Armut wächst, in dem die Schere zwischen
Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Wir wollen nicht zulassen, dass im Mittelmeer Menschen ertrinken, weil sie nicht nach Europa gelassen werden. Zu diesem Europa sagen wir ganz bewusst Nein. Wir wollen
ein Europa der Bürgerinnen und Bürger. Damit sind wir
in Europa angekommen; ihr seid auf dem Weg, nur Kapitalinteressen zu vertreten.
({1})
Herr Kollege Schäfer, Sie können erwidern.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist bedauerlich, dass man Volksabstimmungen immer
nur dann heranzieht, wenn sie negativ verlaufen sind. Im
Jahr 2005 gab es in Spanien und Luxemburg Referenden, bei denen sich eine Mehrheit für die Verfassung
aussprach. Es wäre gut, wenn das zur Kenntnis genommen würde.
({0})
Es hilft überhaupt nicht weiter, wenn Sie ständig
Dinge wiederholen, die überhaupt nichts mit der Verfassung zu tun haben, sondern lediglich mit der Frage, wie
wir letztlich auf einem gemeinsamen Fundament unterschiedliche Politik gestalten. Die Politik der Sozialdemokratischen Partei weicht etwas von der Politik der anderen Parteien ab; aber das Fundament ist das gleiche.
Lieber Kollege Ulrich, es hilft auch überhaupt nicht
weiter, wenn Sie immer wieder auf Frankreich hinweisen, ohne dabei zu erwähnen, dass Ihre Parteifreunde
dort zusammen mit der Front National, den Rechtsextremisten, dieses Europaprojekt bekämpft haben; das muss
hier deutlich gesagt werden.
({1})
Solche Partner wie die Front National wollen wir nicht
haben.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Hermann Gröhe, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In dieser Debatte ging es im Kern um die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union und um mehr Transparenz. Wenn kurz vor Ende in einer Kurzintervention der
Fortschritt, der mit dem Vertrag von Lissabon verbunden
ist, mit dem Wort „Putsch“ belegt wird, dann zeigt das
einfach, dass mancher das Friedenswerk Europa bis
heute nicht begriffen hat.
({0})
Ich möchte zum Abschluss dieser Debatte ein innenpolitisches Thema ansprechen: die behutsame Verfassungsänderung, die wir ebenfalls heute auf den Weg
bringen. Wie bei anderen europäischen Weichenstellungen, etwa im Zusammenhang mit dem Vertrag von
Maastricht, ist auch heute eine Anpassung verfassungsrechtlicher Bestimmungen aus unserem Grundgesetz erforderlich. Es hat sich die Überzeugung durchgesetzt,
dass die Minderheitenrechte unseres Parlaments, die wir
in der letzten Legislaturperiode einfachgesetzlich - mit
einem Begleitgesetz - geregelt haben, einer sicheren
verfassungsrechtlichen Grundlage bedürfen. Ein Minderheitenrecht ist immer auch eine Abkehr vom Mehrheitsprinzip; deswegen bedarf es einer entsprechenden
Verankerung im Grundgesetz.
Mit der Subsidiaritätsklage wird die Möglichkeit eröffnet, zu prüfen, ob Bestimmungen des sekundären Gemeinschaftsrechts gegen eine Norm des primären Gemeinschaftsrechts, nämlich das Subsidiaritätsprinzip,
verstoßen. Mit anderen Worten: Es geht dabei um die
Frage, ob die EU ihre Kompetenzen überschreitet. Die
Tatsache, dass die EU dies selbst im Vertragswerk regelt,
macht deutlich, dass der Konflikt, auf den unser Fraktionsvorsitzender hingewiesen hat, von existenzieller
Bedeutung ist. Es muss immer darum gehen, sauber abzugrenzen: Wo liegen die Kompetenzen der EU? Wo liegen die Kompetenzen der Mitgliedstaaten?
Bei der Subsidiaritätsklage als einem Minderheitenrecht ging es um die Frage: Wollen wir die Regelung, die
wir in der letzten Wahlperiode beschlossen haben, ins
Grundgesetz aufnehmen, nämlich das Recht einer Fraktion, Klage zu erheben, verbunden mit der Möglichkeit,
dies mit einer Zweidrittelmehrheit zu verhindern? Wir,
die Koalition, haben uns dagegen entschieden und den
Oppositionsfraktionen einen anderen Vorschlag unterbreitet. Wir hätten es für systemwidrig gehalten, de facto
materielles Geschäftsordnungsrecht des Bundestages in
die Verfassung aufzunehmen; denn damals wurde in erster Linie ein qualifiziertes Antragsrecht einzelner Fraktionen geschaffen. Mit dem Vorschlag, auf den sich die
Große Koalition, FDP und Grüne jetzt verständigt haben, knüpfen wir an Vorschläge der Unionsfraktion aus
der letzten Wahlperiode an, nach denen die Subsidiaritätsklage bzw. das damit verbundene Minderheitenrecht
im Parlament als wirkliches Minderheitenrecht qualifiziert und nach denen auch damals schon eine Parallelisierung zum Verfahren der Normenkontrollklage vorgesehen werden sollte. Außerdem nehmen wir Anliegen
aus der Opposition und Anregungen des Bundestagspräsidenten im Hinblick auf die Gestaltung des Minderheitenrechts im Parlament auf.
Wir haben dies in folgender Weise zusammengeführt:
Parallel zum Verfahren zur Normenkontrolle können 25 Prozent der Mitglieder des Deutschen Bundestages - dies
entspricht der Regelung, nach der 25 Prozent der Mitglieder auch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verlangen können - darauf bestehen, dass der
Bundestag eine Subsidiaritätsklage einreicht. Anders als
beim Verfahren zur Normenkontrolle, die im Namen dieser 25 Prozent der Mitglieder erhoben wird, führt im
Falle der Subsidiaritätsklage der Deutsche Bundestag als
Ganzes das Verfahren. Deswegen ist es richtig, dass im
Begleitgesetz die folgende Regelung getroffen wird:
Wenn mindestens 25 Prozent der Mitglieder des Hauses
keine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips sehen, dann
können sie dies in der Klageschrift zum Ausdruck bringen.
Parallel dazu wird durch die Verfassungsänderung
Weiteres auf den Weg gebracht. Ich nenne die Stärkung
des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union und die Möglichkeit, durch ein Zustimmungsgesetz Abweichungen vom Mehrheitsprinzip
dann vorzusehen - aber auch nur dann -, wenn in den
vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union Bundestag und Bundesrat besondere Rechte zugewiesen
werden. Es kann also keineswegs um Ausnahmen vom
Mehrheitsprinzip allgemein in Angelegenheiten der Europäischen Union gehen. Es ist gut, dass dies in der Gesetzesbegründung ausdrücklich festgehalten wird.
Heute nimmt sich der Deutsche Bundestag einmal
mehr selbst in die Pflicht, der europäischen Politik durch
die Verankerung europapolitischer Entscheidungen in
den nationalen Parlamenten mehr demokratische Legitimation zu verleihen. Dies ist ein guter und wichtiger
Schritt. Dass wir dies durch die beiden demokratischen
Oppositionsfraktionen und durch die Große Koalition
hier in so großer Gemeinsamkeit einbringen können,
lässt mich hoffen, dass wir diese behutsame Verfassungsänderung nach einer zügigen Diskussion in einer
gemeinsamen Beschlussfassung auf den Weg bringen
können.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/8300, 16/8489, 16/8488 und 16/7446
an die in der Tagessordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des
Wehrsoldgesetzes ({0})
- Drucksache 16/8188 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({1})
- Drucksache 16/8470 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Siebert
Birgit Homburger
Paul Schäfer ({2})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/8471 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Kahrs
Susanne Jaffke-Witt
Roland Claus
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Unverzügliche Erhöhung des Wehrsoldes
- Drucksache 16/5970 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll der Wehrsold
rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres um 2 Euro pro
Tag erhöht werden. Die letzte Erhöhung des Wehrsoldes
erfolgte vor neun Jahren, und zwar um 1 DM pro Tag.
Die Wehrpflichtigen leisten einen wichtigen Dienst für
die Sicherheit unseres Landes, aber auch für die Gewährleistung von Sicherheit, beispielsweise bei der Unterstützung der Auslandseinsätze. Ich denke deshalb,
dass sie eine Erhöhung verdient haben.
({0})
Ich will Folgendes unterstreichen: Wenn man den
Durchschnitt betrachtet, dann stellt man fest, dass die
Wehrpflichtigen rund 250 Euro pro Monat erhalten. Das
ist noch nicht einmal ein 400-Euro-Job.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb war
es auch unter dem Aspekt der Attraktivität des Wehrdienstes geboten, dass wir damals entschieden haben,
dass die Wehrpflichtigen sowohl das Weihnachtsgeld als
auch das Entlassungsgeld weiterhin erhalten, dass wir
jetzt aber auch bereit sind, den Wehrsold um 2 Euro pro
Tag zu erhöhen. Dies entspricht aus meiner Sicht der
Ableistung der Dienstpflicht und damit auch einer angemessenen finanziellen Ausstattung. Daher bitte ich Sie
um Ihre Unterstützung für die Erhöhung des Wehrsoldes.
({1})
Wir brauchen die Wehrpflichtigen der Bundeswehr.
Wir brauchen sie für die Unterstützung unserer Aufgaben und unseres Einsatzes für den Frieden. Wir brauchen
sie aber auch zum Schutz Deutschlands, auch und gerade
im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Ich
denke beispielsweise an die Bewältigung der Hochwasserkatastrophe und an andere Ereignisse. Hier haben die
Wehrpflichtigen einen wichtigen Beitrag geleistet. Sie
gewährleisten die Sicherheit Deutschlands. Deshalb,
denke ich, ist es richtig, an der allgemeinen Wehrpflicht
festzuhalten.
Die Wehrpflicht gewährleistet die Verbindung zur Gesellschaft. Sie verkörpert die Armee in der Demokratie.
Als die Wehrpflicht eingeführt wurde, hat der damalige
Die … Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie. Es geht um den Dienst des freien Bürgers für
die Gemeinschaft der freien Bürger.
Die Wehrpflicht hat sich für die Bundeswehr innerhalb
ihrer 50-jährigen Tradition bewährt. Deshalb denke ich,
dass es richtig ist, wenn wir in Zukunft an der Wehrpflicht festhalten.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Bild
der Bundeswehr vom Staatsbürger in Uniform und zum
Thema der inneren Struktur- und Personalanpassung.
Herr Kollege Nachtwei, auch Sie wissen: Wir haben
rund 60 000 Wehrpflichtige im Jahr. Davon verpflichten
sich 25 000 freiwillig weiter. Ich denke, das ist eine
wichtige Frage der Strukturentwicklung der Bundeswehr. Die Sicherheit unseres Landes wird im Wesentlichen durch unsere Gesamtkonzeption mit jetzt rund
250 000 Soldatinnen und Soldaten gewährleistet. Darunter sind 60 000 Wehrpflichtige. Ich füge hinzu: Wir haben durch meine Entscheidung, jährlich 6 500 mehr
Wehrpflichtige einzuberufen, gewährleistet, dass wir
jetzt 79,1 Prozent derjenigen, die tauglich sind, für den
Wehrdienst einberufen. Das hat auch etwas mit Wehrgerechtigkeit zu tun. Deshalb halte ich diesen Weg für richtig.
({1})
Kollege Nachtwei, ich denke, die Attraktivität des
Dienstes verlangt eine angemessene finanzielle Ausstattung. Deshalb bitte ich Sie hier im Deutschen Bundestag,
der Erhöhung des Wehrsoldes um 2 Euro pro Tag zuzustimmen. Das ist im Interesse der Gewährleistung der
Dienstpflicht richtig. Es ist auch richtig im Interesse der
Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Damit ist
dies auch im Interesse der Bundeswehr. Ich bitte Sie um
Ihre Zustimmung zu dieser Wehrsolderhöhung.
Besten Dank.
({2})
Ich gebe das Wort der Kollegin Birgit Homburger,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als ich mich auf diese Debatte vorbereitet habe, habe ich
überlegt, was man für 2 Euro bekommt. Für 2 Euro bekommen Sie ein Päckchen Butter, ein Glas Marmelade,
500 Gramm Nudeln, eine Packung Wunderkerzen oder
ein USB-Kabel für den PC. Ich zähle dies auf, um zu sagen: 2 Euro sind nicht gerade üppig. Dessen sollten wir
uns bewusst sein, wenn wir heute die Erhöhung des
Wehrsoldtagessatzes um 2 Euro beschließen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Herr Minister
hat es angesprochen: Hinzu kommt, dass diese Erhöhung
längst überfällig ist. Die letzte Erhöhung um 1 DM erfolgte zum 1. Januar 1999. Seither hat ein Grenadier einen Tagessold von 7,41 Euro. Ich glaube, das ist wirklich nicht angemessen.
({0})
Wir sind der Auffassung, dass, solange die allgemeine
Wehrpflicht besteht, diejenigen, die ihrem Dienst und ihrer Pflicht nachkommen, wenigstens eine einigermaßen
nachvollziehbare Anerkennung erhalten sollten. Deshalb fordert die FDP seit langem die Erhöhung des
Wehrsolds. Wir haben im letzten Jahr, am 4. Juli, einen
Antrag dazu eingereicht. Eine solche Erhöhung war
lange umstritten, obwohl sie gerade einmal knapp
0,2 Prozent des gesamten Verteidigungshaushalts ausmacht. Wenn die Wehrpflichtigen wirklich die Bedeutung haben, die der Verteidigungsminister hier eben beschrieben hat, dann hätte man ihnen diese Anerkennung
schon früher geben müssen.
({1})
Wir haben uns dann, und zwar über alle Fraktionen
hinweg, im Laufe der Haushaltsberatungen im letzten
Jahr auf eine Wehrsolderhöhung verständigt und diese
im Bundeshaushalt eingestellt. An dieser Stelle möchte
ich sehr deutlich sagen, dass ich von dem Engagement
der Wehrdienstleistenden beeindruckt war. Sie haben
sich massiv engagiert. Herr Ahammer, der Beisitzer der
Grundwehrdienstleistenden beim Deutschen Bundeswehr-Verband, hat beispielsweise eine Petition eingereicht, und die Wehrdienstleistenden haben die Erhöhung zu einem Thema auf ihrer Bundestagung gemacht.
Die Tatsache, dass diese jungen Männer das Thema so
engagiert aufgegriffen haben, hat auch politischen Druck
erzeugt. Heute zeigt sich, dass politisches Engagement
sich rentiert, dass es richtig ist, sich politisch zu engagieren. Es ist auch der Erfolg der Grundwehrdienstleistenden, dass heute diese Erhöhung beschlossen werden
kann.
({2})
Betrachtet man die Erhöhung um 2 Euro einmal genauer, dann stellt man fest, dass, wenn man die Inflation
herausrechnet, faktisch nur eine Erhöhung um 1 Euro
übrigbleibt. Deswegen bleibt zu hoffen, dass die nächste
Anpassung nicht wieder neun Jahre auf sich warten lässt.
Denn wenn die Inflation weiterhin ähnlich verläuft, wäre
man dann im Jahr 2017 wieder auf dem Stand von 1999.
Das wird der Bedeutung der Wehrpflichtigen überhaupt
nicht gerecht.
({3})
Allerdings - hier unterscheidet sich die Einschätzung
der FDP-Bundestagsfraktion erheblich von der des Bundesverteidigungsministers - müssen wir uns dann vielleicht gar nicht mehr über einen Wehrsold unterhalten.
({4})
Ich möchte anlässlich dieser Debatte darauf aufmerksam
machen, dass zwischenzeitlich nur noch 17 Prozent eines Jahrgangs wirklich Wehrdienst leisten. Insgesamt
leisten circa 60 Prozent eines Jahrgangs weder Wehrnoch Zivildienst. Vor diesem Hintergrund kann von
Wehrgerechtigkeit schon lange nicht mehr gesprochen
werden, sondern nur noch von Wehrungerechtigkeit.
({5})
Es ist auf Dauer nicht akzeptabel, dass die einen dienen, während die anderen verdienen. Angesichts der Tatsache, dass sich die Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz gewandelt hat und sich damit ganz anders darstellt
als noch vor einigen Jahren, sollten wir uns der Debatte
um die Wehrpflicht annehmen. Die Wehrpflicht - das
hat schon Roman Herzog gesagt - ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie für die Aufrechterhaltung der äußeren
Sicherheit unabdingbar notwendig ist. Wenn wir uns die
sicherheitspolitische Lage Deutschlands anschauen,
dann sehen wir, dass das heute nicht mehr der Fall ist. Es
hat sich deutlich geändert. Vor diesem Hintergrund muss
diese Debatte geführt werden.
({6})
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren,
tritt die FDP-Bundestagsfraktion für eine Aussetzung
der Wehrpflicht ein. Wir sind der Auffassung, dass man
sich den Gegebenheiten stellen muss, dass die Bundeswehr zukunftsfähig gemacht werden muss und dass eine
Umstrukturierung erfolgen muss, um den zukünftigen
Herausforderungen gerecht zu werden. Ich sage aber
auch für meine Fraktion: Solange es die allgemeine
Wehrpflicht gibt, werden wir uns immer für die Interessen der Wehrpflichtigen einsetzen.
Vielen Dank.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Peter Bartels,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegin Homburger, der feste Wille der Koalitionsfraktionen ist, dass es nicht bei dieser Erhöhung des Wehrsoldes bleibt.
({0})
Nach neun Jahren nehmen wir - Gott sei Dank - wieder
einmal eine Erhöhung vor. Auch nach meinem Gefühl ist
ein bisschen viel Zeit vergangen.
Eine Erhöhung um 2 Euro - das entspricht einer Erhöhung um 25 Prozent - hört sich nicht nach viel an.
Aber wir reden hier in der Tat nicht über Gehälter, sondern über den Wehrsold. Er musste allerdings dringend
angehoben werden; denn in der Zwischenzeit sind die
Tariflöhne nach den Zahlen der Hans-Böckler-Stiftung
um 20 Prozent gestiegen. Eine Erhöhung war also dringend geboten.
Schon die letzte Erhöhung 1999 um 1 DM war knapp
bemessen. Damals hatte die SPD beantragt - ich war
noch nicht Mitglied des Bundestages -, eine Erhöhung
um 2 DM durchzuführen. Vielleicht sollte man in Zukunft nicht mehr so lange bis zur nächsten Erhöhung
warten und es sich damit ersparen, in einer gewaltigen
Aktion eine Erhöhung durchzuführen. Man sollte die Erhöhung des Wehrsolds lieber an lineare Erhöhungen, die
es für Angehörige des öffentlichen Dienstes auf anderem
Wege gibt, koppeln. Das haben die Wehrpflichtigen verdient.
({1})
Ich bin sehr froh, dass wir gegen den Widerstand der
Haushälter - nicht alle in diesem Haus waren zunächst
willens, Geld in die Hand zu nehmen - eine Erhöhung
um 2 Euro statt einer Erhöhung um 1 Euro durchsetzen
konnten. Dass dies möglich ist, ist das Ergebnis der Anstrengungen der „Verteidiger“ in beiden Koalitionsfraktionen. Wir sind froh, dass wir auch die FDP und die
Grünen dabei an unserer Seite haben.
Wir fragen uns natürlich immer, ob das Geld, das wir
der Bundeswehr zur Verfügung stellen, richtig angelegt
ist. Wir ziehen nun zusätzliche Wehrpflichtige ein - die
zugrunde liegenden Probleme wurden schon angesprochen; auch der Minister hat dies getan -, um den Aspekt
der Wehrgerechtigkeit zu beachten. Diese 6 700 zusätzlich eingezogenen Wehrpflichtigen kosten mehr Geld. Es
kann eigentlich nur - um mit Bismarck zu sprechen - ein
„System der Aushilfen“ sein. Das ist zwar nicht schlecht.
Aber wir sollten zu einer anderen Systematik und zu einer intelligenten Weiterentwicklung der Wehrpflicht
kommen, damit wir sie bewahren. Wir sollen unter den
neuen Bedingungen mehr Freiheit und mehr Freiwilligkeit gewährleisten. Dazu wird mein Kollege Maik
Reichel nachher noch einiges sagen.
Ich will zur Attraktivität der Bundeswehr noch ein
paar Worte verlieren. Durch die Erhöhung des Wehrsoldes wird der Dienst in der Bundeswehr substanziell nicht
wirklich attraktiver.
({2})
Das ist ein kleines Element. Aber es gibt auch andere
Aspekte, die für Wehrpflichtige heute zumindest genauso wichtig, wahrscheinlich noch wichtiger, sind. Das
ist zunächst einmal die Planbarkeit des Zeitpunkts für
den Dienstantritt. Wann wird man gezogen? An welchem Ort wird man stationiert? Es geht auch darum, inwieweit den Wünschen der Wehrpflichtigen Rechnung
getragen wird. In welchem Bereich können sie tätig werden?
Wenn man mit Wehrpflichtigen spricht, erfährt man,
dass die Ausgestaltung des Dienstes nicht immer zufriedenstellend ist. Es gibt auch das Problem der Unterforderung. Wir sind der Meinung, dass Wehrpflichtige in
der Bundeswehr gefordert werden wollen und können.
Wir wollen, dass Wehrpflichtige nicht nur Handlangertätigkeiten ausführen, sondern in verantwortlicher Weise
Dinge tun können, die ihrem Ausbildungsstand entsprechen. Die Ausgestaltung des Dienstes - weg vom Gammeldienst, über den wir schon vor 25 Jahren diskutiert
haben - bleibt ein Thema für die Bundeswehr, auch
wenn sie heute weniger Wehrpflichtige für die Aufrechterhaltung ihres Dienstbetriebes braucht.
Ein weiteres Thema wäre der Zustand der Unterkünfte. Diesbezüglich haben wir allerdings schon einiges auf den Weg gebracht. Das Sonderprogramm für die
Sanierung der Kasernen ist für die Attraktivität des
Dienstes ein wichtiger Punkt.
Der Minister hat es schon angesprochen: Dass 50 Prozent der Zeit- und Berufssoldaten aus der Gruppe der
Grundwehrdienstleistenden gewonnen werden - sie wissen also nicht schon vorher, dass sie diesen Beruf für
längere ergreifen wollen; sie tun dies, weil sie die Bundeswehr kennengelernt haben -, ist ein Beleg dafür, dass
wir erstens die Wehrpflicht brauchen und dass zweitens
der Wehrdienst attraktiv sein muss. In der Bundeswehr
muss man die Erfahrung machen, dass es sich lohnt, dabei zu bleiben.
Wenn wir über die Zukunft der Wehrpflicht reden,
dann müssen wir uns in diesem Zusammenhang auch die
Frage stellen, wie sinnvoll es ist, dass der Wehrdienst innerhalb von neun Monaten absolviert wird. Wenn wir im
Rahmen der Weiterentwicklung der Wehrpflicht zu einem anderen, intelligenteren Modell übergehen, dann
muss dieser Zeitraum noch einmal auf den Prüfstand
gestellt werden. Zwölf Monate - solange dauern andere
vergleichbare Dienste; und so lange hat der Wehrdienst
früher auch über eine lange Zeit gedauert - sind sicherlich eine planbarere Größe als die Untergrenze von neun
Monaten, die zurzeit besteht.
({3})
Aber für viele kommt die Grenze von neun Monaten ja
auch gar nicht zum Tragen; viele leisten freiwillig einen
längeren Wehrdienst ab.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zur generellen
Attraktivität des Wehrdienstes machen. Der Bundeswehrverband hat unter seinen Mitgliedern entsprechende
Umfragen durchgeführt. Über die Repräsentativität dieser Umfragen kann man sicherlich streiten; aber die Tatsache, dass die Ergebnisse in eine bestimmte Richtung
tendieren, muss uns doch dazu bringen, auch über das
nachzudenken, was über die Wehrpflicht an sich hinausgeht, nämlich die Attraktivität des Wehrdienstes für Zeitund Berufssoldaten. Denn was diese Soldaten über den
Wehrdienst sagen, wirkt sich darauf aus, wie attraktiv
die Bundeswehr in der Gesellschaft und in der Generation derjenigen, die in die Bundeswehr nachrücken,
wahrgenommen wird. Wenn das Signal aus der Bundeswehr ist: „Es lohnt sich nicht, Wehrdienst zu leisten, ich
würde das meinen eigenen Kindern nicht empfehlen“,
dann ist das ein Problem. Wir müssen daran arbeiten,
dass die Berufe der äußeren Sicherheit von den materiellen Bedingungen, von der Planbarkeit und der Familienfreundlichkeit her ähnlich attraktiv werden, wie es die
Berufe der inneren Sicherheit - Polizei - in den vergangenen Jahren nach und nach geworden sind. In diesem
Bereich hat die Bundeswehr Nachholbedarf. Wir werden
das Ministerium bzw. die Bundesregierung dabei unterstützen, in diesem Bereich mehr zu tun.
Heute geht es um 2 Euro. Der Antrag der FDP-Fraktion ist damit sozusagen auf freundliche Art und Weise
erledigt.
({4})
Ich bin froh, dass wir hier gemeinsam eine Debatte führen, die in die gleiche Richtung führt. Wir haben zwar
unterschiedliche Argumente; aber wir alle wollen, dass
die Wehrpflicht für die jungen Wehrdienstleistenden
- auch die Zivildienstleistenden - materiell ein kleines
bisschen attraktiver, dass die Besoldung angemessener
wird. Ich bin froh, dass wir dafür heute die Zustimmung
des Hauses in dieser Breite erhalten. Schönen Dank.
({5})
Der nächste Redner ist der Kollege Paul Schäfer,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es
um die Entlohnung abhängig Beschäftigter geht, hat die
Linke klare Positionen. Wir sagen: Man muss davon leben können. - Deshalb reden wir über den gesetzlichen
Mindestlohn. Wir reden darüber, dass ständig steigende
Lebenshaltungskosten ausgeglichen werden müssen Stichwort „Inflationsausgleich“. Wir reden davon, dass
die Arbeitnehmer am Produktivitätsfortschritt teilhaben
sollen, um ihren Lebensstandard zu steigern.
Den letzten Aspekt können wir getrost beiseitelassen;
denn jetzt reden wir über den Wehrsold. Wir reden über
einen Inflationsausgleich und eine Aufstockung des
Wehrsolds, der zuletzt vor neun Jahren und seitdem nicht
mehr erhöht wurde. Allein wenn man bedenkt, wie sehr
die Lebenshaltungskosten gestiegen sind, dann muss
man zu dem Schluss kommen, dass diese Anpassung
längst überfällig und völlig gerechtfertigt ist. Solange es
die Wehrpflicht gibt, muss man auch über Wege nachdenken, wie eine Dynamisierung des Wehrsolds erreicht
werden kann; denn sonst wird vielleicht in zehn Jahren
wieder die gleiche Situation bestehen.
({0})
Wir stimmen diesem Gesetz also zu, vor allem, weil es
auch den Zivildienstleistenden zugutekommt, deren
Leistungen man an dieser Stelle einmal würdigen sollte.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.
Winfried Nachtwei ({1})
Ist der Sold auskömmlich? Es ist schon gesagt worden: In den ersten drei Monaten gab es bisher 222 Euro
Sold, künftig werden es 282 Euro sein. Man muss natürlich berücksichtigen, dass Unterkunft, Verpflegung,
Dienstkleidung etc. gestellt werden. Aber es ist nicht üppig, was für die Wehrdienstleistenden herauskommt. Das
ist nur zu rechtfertigen, wenn man berücksichtigt, dass
es sich um eine kurze Lebensspanne handelt, in der sich
die Grundwehrdienstleistenden in dieser Situation befinden, nämlich neun Monate. Für diese ist es oft keine produktive Zeit; denn sie bringt sie beruflich nicht weiter.
Deshalb liegt unser Vorschlag zu einer deutlichen Anhebung des Entlassungsgeldes weiter auf dem Tisch.
Gegenwärtig sind es 690 Euro. Das ist, so scheint es uns,
ein sehr geringer Betrag. Wir schlagen nicht eine Aufstockung von 10 oder 20 Euro vor, sondern wir meinen
- darüber muss man dann diskutieren -, die Aufstockung
könnte so hoch sein, dass der Betrag vierstellig wird. Um
den Übergang von der Wehrpflicht in den Beruf oder in
eine weitere Ausbildung zu erleichtern, wäre das sinnvoll.
({2})
Aber es gilt generell, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Die Wehrpflicht, über die wir hier reden, ist nicht mehr
zeitgemäß.
({3})
Der heutige Wehrdienst, der nur eine kleine Minderheit
erfasst, der sogenannte Auswahlwehrdienst, ist überaus
ungerecht. Nehmen Sie nur einmal einen Geburtsjahrgang. Vom Geburtsjahrgang 1983 haben 62 000 junge
Männer ihren Wehrdienst geleistet, das sind 14 Prozent
dieses Altersjahrgangs. Das ist die allgemeine Wehrpflicht. Das kann überhaupt nicht sein.
Die Wehrpflicht als eine Art Zwangsdienst ist nur
durch eine bestimmte Sicherheitslage zu begründen, also
durch eine spezielle militärische Bedrohungs- und Gefährdungslage. Diese ist aber nicht mehr gegeben. Deshalb sollte man mit der Wehrpflicht schleunigst aufhören.
({4})
Im Übrigen weiß die Bundeswehr gar nicht so richtig,
was sie mit den Wehrpflichtigen anfangen soll. Die
Beispiele, wie Unterforderung und Unzufriedenheit, sind
genannt worden. Ich habe mehrfach gefragt, wofür die
Wehrpflichtigen eingesetzt werden sollen. Eine konkrete
und präzise Antwort bekommt man auf diese Frage
nicht. Die Bundeswehr interessiert sich für die Wehrpflichtigen nur insoweit, als man aus ihnen Menschen
für den weiteren militärischen Dienst rekrutieren will.
Paul Schäfer ({5})
Es gibt bezeichnenderweise keine Studien über die
Erwartungshaltung und Situation der Wehrpflichtigen.
Es gibt dazu im Bericht des Wehrbeauftragten verstreute
Hinweise. Aber ansonsten spielen die Wehrpflichtigen
keine Rolle. Das muss man sich der Ehrlichkeit halber
einmal einfach eingestehen. Hier muss man klar sagen:
Diese Menschen sind nur eine Rekrutierungsreserve,
aber ansonsten haben wir mit ihnen nichts zu tun. Ich
finde, das wird den Wehrpflichtigen, die neun Monate
oder etwas mehr ihres Lebens dafür opfern, nicht gerecht.
({6})
Leider nicht nur an dieser Stelle bedeutet die Große
Koalition Stillstand. Die Frage der Wehrpflicht wird immer wieder vertagt, obwohl die meisten hinter vorgehaltener Hand den Wehrdienst für nicht mehr up to date halten. Diesen Zustand müssen wir beenden. Gerade mit
Blick auf die Bundestagswahl 2009 ist es mehr als überfällig, mit dem Anachronismus Wehrpflicht Schluss zu
machen. Dabei geht es natürlich auch um die Ersetzung
der Zivildienstleistenden in den Bereichen Gesundheit,
Pflege und Altenbetreuung. Die Arbeit dort wollen wir
anders organisieren. Hier werden vor allem gut ausgebildete und qualifizierte Fachkräfte gebraucht, nicht die Zivildienstleistenden als Nothilfsmaßnahme, wie wir es
gegenwärtig haben. Es ist an der Zeit, die Wehrpflicht
aufzuheben.
Danke.
({7})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Winfried Nachtwei,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen begrüßt ausdrücklich die heute zu beschließende Erhöhung des
Wehrsolds. Dies verdient Anerkennung für die Verteidigungspolitiker der Koalition, die die Haushaltspolitiker
und das Ministerium dazu gebracht haben, zuzustimmen.
Mein Glückwunsch geht aber vor allem an die organisierten Vertreter der Wehrpflichtigen.
Im Juni 2006 beschloss das Parlament der Wehrpflichtigen des Deutschen Bundeswehr-Verbandes genau
diese Forderung nach 2 Euro mehr Wehrsold. Diese Forderung wurde dann Anfang vorigen Jahres als Petition
mit damals 4 750 Unterschriften in den Bundestag eingebracht; inzwischen sind es 29 000 Unterzeichner. Das
sollte man in der Tat ansprechen; Frau Kollegin
Homburger hat das vorhin ebenfalls getan. Die beiden
besonderen Fürsprecher dieses Anliegens, nämlich
Andreas Ahammer und Stephan Nachtigall, haben hierbei eine hervorragende Überzeugungsarbeit geleistet. In
der Tat können diese jungen Leute anhand dieses Beispiels sagen: Es lohnt sich, für eine Sache zu kämpfen,
man kann auch etwas erreichen. Deshalb geht mein
Glückwunsch an diese beiden jungen Menschen.
({0})
Zugleich muss ich mein Bedauern darüber aussprechen, dass es überhaupt dieses Druckes bedarf und dass
es zu dieser Erhöhung erst so spät gekommen ist. RotGrün hatte bis 2005 Verantwortung.
({1})
Das heißt, meine Worte sind auch eine Kritik an der fehlenden Bereitschaft der damaligen Koalition, dies umzusetzen.
Im Gesetzentwurf heißt es:
Das konsequente Festhalten an dem Bestehen der
allgemeinen Wehrpflicht verpflichtet dazu, den jungen Soldaten, die … einen wichtigen Dienst für unser Land erbringen, nach neun Jahren eine Anpassung des Wehrsolds zu gewähren.
Diese Formulierung scheint mir ironisch gemeint zu
sein.
({2})
Angesichts der enormen Verzögerung der anstehenden
Wehrsolderhöhung und der schon mehrfach angesprochenen geringfügigen „Höhe“ des Wehrsoldes wird einem klar, dass das das nicht wirklich ernst gemeint sein
kann. An dem Umgang der Politik mit dem Wehrsold
zeigt sich de facto eine Geringschätzung der Wehrpflichtigen.
Die Bundesregierung nimmt für sich in Anspruch, an
der allgemeinen Wehrpflicht festzuhalten. Herr Minister, dafür verwenden Sie bei der Bundeswehr allerdings
alle möglichen Tricks. Einige Belege dafür: Vor zehn
Jahren wurden 13,3 Prozent der Wehrpflichtigen als untauglich gemustert. Vor fünf Jahren waren es 16,9 Prozent. Und wie viele waren es im ersten Halbjahr des letzten Jahres? 42,2 Prozent! Einen solchen Niedergang der
Gesundheit und des körperlichen Zustandes junger Männer gibt es wahrhaftig nicht.
({3})
Daran sieht man, wie hier manipuliert wird und wie es
um die Glaubwürdigkeit der Aussage „Wir halten an der
allgemeinen Wehrpflicht fest!“ steht. Dieses sogenannte
Festhalten ist zutiefst unglaubwürdig. Abgesehen davon
ist es auch sicherheitspolitisch ein Anachronismus.
Wie unglaubwürdig diese Aussage ist, hat sich - das
ist interessant - auch am vergangenen Montag bei der
Kommandeurtagung der Bundeswehr gezeigt. Kanzlerin und Minister bekannten sich dort ganz selbstverständlich - das gehört sozusagen zum Redenarsenal von
Ministern und Kanzlern - zur allgemeinen Wehrpflicht.
({4})
- Jawohl. ({5})
Welches Echo kam von den Generalen, die sicherlich die
stärkste Gruppe der Sympathisanten der allgemeinen
Wehrpflicht darstellen? Keine Hand rührte sich - im Unterschied zu der Kommandeurtagung vor drei Jahren.
Als der Bundespräsident damals ein Bekenntnis zur allgemeinen Wehrpflicht abgelegt hat, gab es kräftigen Beifall - jetzt aber nicht mehr. Das heißt, die Generale kaufen Ihnen Ihr Bekenntnis schlichtweg nicht mehr ab.
({6})
Zurück zum Wehrsold. Der heutige Beschluss zur
Wehrsolderhöhung ist, wie gesagt, erfreulich. Er ist aber
kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Vonseiten der Opposition, aber auch vonseiten der SPD ist bereits gesagt
worden, dass eine Dynamisierung der Anpassung und
Entwicklung des Wehrsoldes eine Selbstverständlichkeit sein müsste. Bis zur nächsten Wehrsolderhöhung
dürfen nicht noch einmal neun Jahre vergehen. Ich
meine aber, dass es so oder so keine neun Jahre dauern
wird; denn vorher wird die in der Tat völlig unglaubwürdige Wehrpflicht durch ein sinnvolles System einer Freiwilligenarmee abgelöst. Da bin ich mir sehr sicher. Diesbezüglich habe ich die Unterstützung der Opposition und
erheblicher, „heimlicher“ Teile der Koalition.
Danke.
({7})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Bernd Siebert,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach den bisherigen Reden kann man eines sicherlich
festhalten: Der heutige Tag ist ein guter Tag für die
Wehrpflichtigen.
({0})
Ich glaube, der heutige Tag ist auch ein guter Tag für die
Bundeswehr insgesamt.
Mit dem vorliegenden Wehrsoldänderungsgesetz ist
das Bundesministerium der Verteidigung einer Initiative
der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der SPD,
gefolgt. Der Wehrsold wird, rückwirkend ab dem 1. Januar 2008, um 2 Euro pro Tag erhöht. Für dieses wichtige Zeichen danke ich ausdrücklich dem Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, der diese
Initiative aus dem Herbst des Jahres 2007 aufgenommen
und entscheidend dazu beigetragen hat, dass diese Initiative Erfolg hatte und haushalterisch umgesetzt werden
konnte.
({1})
Wir waren und sind gemeinsam der Auffassung, dass
unsere Wertschätzung für die Wehr- und Ersatzdienstleistenden für alle in unserer Gesellschaft sichtbar sein
muss. Eine Erhöhung um 2 Euro ist nicht nur ein klares
Zeichen, ein Signal, sondern auch eine substanzielle Verbesserung für die Grundwehrdienstleistenden. Denn wir
konnten nicht vom Erhalt der allgemeinen Wehrpflicht
sprechen, ohne entsprechende Taten folgen zu lassen.
Darum werte ich diese vom Verteidigungsausschuss einstimmig beschlossene Erhöhung des Wehrsoldes - es ist
übrigens die erste seit dem 1. Januar 1999; das ist schon
mehrfach erwähnt worden - als deutliches Bekenntnis
zur allgemeinen Wehrpflicht - ich sage das an dieser
Stelle bewusst -, jedenfalls für die Fraktion der CDU/
CSU.
({2})
Es ist schon mehrfach auf die 2 Euro hingewiesen
worden. Frau Kollegin Homburger hat darüber philosophiert, was sie wert sind. Im Monat sind das immerhin
60 Euro. 222,30 Euro im Monat werden auf 282,30 Euro
erhöht.
({3})
Dies ist eine Steigerungsrate, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bei der Erhöhung des Wehrsolds noch nicht gegeben hat. All die Äußerungen, dass ein viel zu langer Zeitraum zwischen der
letzten Erhöhung und der heutigen ist, sind mit Recht
vorgetragen worden. Das ist überhaupt keine Frage.
Aber ich will das gar nicht weiter bewerten. Denn das,
was in den Jahren dazwischen passiert ist, spricht für
sich selbst.
Herr Nachtwei, Sie haben auf eine Veranstaltung und
auch auf die beiden jungen Rekruten Andreas Ahammer
und Stephan Nachtigall hingewiesen, die sich im Bundeswehr-Verband in entscheidender Weise der Aufgabe
gewidmet haben, dazu beizutragen, den Wehrsold zu erhöhen. Ich will aus einer Zeitung des Bundeswehr-Verbandes zitieren, wo sie über eine Veranstaltung, bei der
auch Sie anwesend waren, schreiben: Es ist ein großer
Moment in der Geschichte des Deutschen BundeswehrVerbandes. Die Abgeordneten Rainer Arnold und Bernd
Siebert halten den von ihnen in der Sitzung unterzeichneten Antrag auf Wehrsolderhöhung in die Kamera und
damit in das Publikum hinein.
Wir haben großen Beifall erhalten, und die Leute haben sich gefreut. Das war genau die Absicht, die wir damals hatten,
({4})
nämlich dazu beizutragen, Anerkennung in der Öffentlichkeit für diese notwendige Maßnahme zu finden.
({5})
Die Wehrpflichtigen leisten in der Bundeswehr einen
nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Einsatzbereitschaft. Sie leisten meiner Ansicht nach einen sehr verantwortungsvollen Dienst. Sie stellen - ebenfalls sehr
verantwortungsvoll - einerseits den reibungslosen Heimatbetrieb der Streitkräfte sicher, andererseits sind die
vielen freiwillig Längerdienenden das Rückgrat der
Truppe in den Auslandseinsätzen. So darf dieser persönliche Beitrag, den die jungen Bundesbürger für das Gemeinwohl Deutschlands erbringen, nicht unterschätzt
werden. Auch das gehört in diese Debatte. Die Wehrpflicht ist ein Zeichen der Solidarität mit der Gemeinschaft und schafft nachhaltige Sicherheit für Deutschland. Der Dienst des Einzelnen in der Gemeinschaft im
Rahmen der Wehrpflicht ist ein wichtiger Dienst und
trägt zur Sicherheit von uns allen bei.
({6})
Die Erhöhung des Wehrsolds darf nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr ist sie ein weiterer Beitrag zu
einem ganzen Strauß an Maßnahmen zur Verbesserung
der Lage der Bundeswehr als Armee im Einsatz. Ich darf
daran erinnern, dass wir im Jahre 2007 das Personalanpassungsgesetz und das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz beschlossen haben. Wir beraten im Moment über das
Wehrrechtsänderungsgesetz, das wir hier wahrscheinlich
nächste Sitzungswoche beschließen werden. Das Dienstrechtsneuordnungsgesetz befindet sich ebenfalls in der
Pipeline. Wir werden in besonders intensivem Maße darum kämpfen, dass die Interessen der Soldaten beim
Dienstrechtsneuordnungsgesetz berücksichtigt werden.
Natürlich ist auch - das sage ich in aller Deutlichkeit eine adäquate Unterbringung zum Wohlbefinden der
Soldatinnen und Soldaten notwendig, wenn sie ihre
schwere Aufgabe erledigen. Wenn wir es mit der Wehrpflichtarmee und der Fürsorge für sie wirklich ernst meinen - und das tun wir -, müssen wir für moderne und angebrachte Wohnverhältnisse in unseren Kasernen
sorgen. Das haben wir in den neuen Bundesländern seit
der Wiedervereinigung in den vergangenen Jahren meiner Meinung nach vortrefflich geschafft.
Aber der finanzielle Mangel und die dringend notwendige Rettung der Ostkasernen haben die Kasernen
im Westen aus dem Fokus verschwinden lassen. Deshalb
war die Entscheidung des Ministers richtig, im Herbst
2007 ein Sonderprogramm in Höhe von 650 Millionen
Euro aufzulegen, um die Verhältnisse in den Westkasernen deutlich zu verbessern. Auch das muss man in diesem Zusammenhang deutlich erwähnen.
({7})
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die Entscheidung für die Erhöhung des Wehrsoldes, die zur Verbesserung der Verhältnisse der Soldaten beiträgt, ist eine
wichtige Entscheidung. Die Soldaten haben diese Unterstützung verdient. Sie haben in der Vergangenheit besondere Leistungen erbracht und haben im Rahmen von
Auslandseinsätzen das Ansehen Deutschlands deutlich
verbessert. Deswegen sollten wir diese Entscheidung
heute umsetzen. Ich bitte ganz eindringlich um Zustimmung für dieses Gesetz.
Herzlichen Dank.
({8})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Stinner von der FDP-Fraktion das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Da diese Debatte sicherlich in die deutschen
Geschichtsbücher eingehen wird, möchte ich um der historischen Wahrheit willen noch einmal die Fakten auf
den Tisch legen. Herr Siebert, Sie haben das Hohelied
auf die Koalition gesungen. Es ist richtig, dass Sie am
Ende des Tages zugestimmt haben. Aber ich möchte der
Öffentlichkeit und der Geschichte nicht den Fakt vorenthalten, dass es die Fraktion der Freien Demokratischen
Partei im Deutschen Bundestag war, die den entsprechenden Antrag eingebracht hat.
Ich möchte weiterhin zur Kenntnis geben, dass Ihre
Fraktion, sehr verehrter Herr Siebert, zunächst sehr zögerlich war und den Wehrsold nur um 1 Euro erhöhen
wollte. Dass Sie sich unseren guten Argumenten letztendlich nicht verschließen konnten, spricht für Sie; das
sollte öfter so sein. Das andere musste aber auch gesagt
werden.
({0})
Es gibt keine Erwiderung. - Dann hat der Kollege
Maik Reichel von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dieses Thema um diese Tageszeit zu besprechen, scheint nicht nur wegen der 2 Euro wichtig gewesen zu sein. Die Erhöhung um 2 Euro war notwendig.
Das haben alle Redner bekräftigt, und auch der einstimmige Beschluss hat das gezeigt. Bei diesem Einvernehmen soll es auch bleiben, unabhängig von Schuldzuweisungen im Hinblick darauf, wer am Anfang zugestimmt
hat oder nicht.
Unsere Bundeswehr hat es verdient, dass wir nicht
nur heute über die Wehrpflicht, die Wehrpflichtigen oder
auch die Bundeswehr an sich reden. Deshalb wünsche
ich mir auch mehr Debatten zu diesen Themen. Ich
denke, dass die Erhöhung um 2 Euro, über die wir heute
reden, von allen getragen wird und allen ein Herzensanliegen war. Auch der Wehrbeauftragte des Deutschen
Bundestags sitzt hier im Raum. Er hat in fast jedem seiner Berichte, meistens im Vorwort, darauf hingewiesen,
dass ihm das ein wichtiges Anliegen war. Dieses haben
wir aufgegriffen.
Ich plädiere dafür, eine gesetzliche Regelung zu
schaffen, die es erübrigt, alljährlich, alle zwei oder gar
nur alle neun Jahre über eine Wehrsoldanhebung reden
zu müssen. Kollege Siebert hat das Dienstrechtsneuordnungsgesetz angesprochen. Im Hinblick darauf
wünsche ich mir, dass die Soldatinnen und Soldaten insgesamt nicht schlechter und nicht besser gestellt werden
als alle anderen Beamtinnen und Beamten, für die dieses
Gesetz gelten soll. Auch das ist ein großer Wunsch im
Hinblick darauf, dass wir im Rahmen des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes noch einiges bewegen wollen.
Wir hatten eine Debatte, die von der Ausstattung der
Bundeswehr über die Kasernen bis hin zur Sinnhaftigkeit oder Nichtsinnhaftigkeit der allgemeinen Wehrpflicht reichte. Gerade in der heutigen Zeit und bei der
aktuellen Sicherheitslage kann man - das ist von mehreren Seiten angedeutet worden - über den letztgenannten
Punkt reden.
Natürlich hat sich die Bedrohungslage in Deutschland und in Europa nach 1990 völlig verändert; hier sind
wir uns alle einig. Die Gefahr eines konventionellen
Krieges im Herzen Europas, der wir uns vorher ausgesetzt sahen, besteht heute nicht mehr; denn mittlerweile
ist Deutschland, wie es immer wieder heißt, umgeben
von Freunden. Dazu tragen EU und NATO bei, auch mit
ihren Erweiterungen in Richtung Osten. Diesen veränderten Bedingungen passt sich die Bundeswehr an. Auch
die Wehrpflicht ist daher neu zu bewerten.
Das Ende des Kalten Krieges bedeutet allerdings
nicht das Ende jeglicher Bedrohung für die Sicherheit
Deutschlands und Europas. Wenn wir nur einige Jahre
zurückschauen, stellen wir fest: Die Konflikte auf dem
Balkan, quasi vor unserer Haustür, aber auch die Anschläge vom 11. September 2001 haben uns sehr deutlich vor Augen geführt, dass es in unserer Welt neue und
nach wie vor schreckliche Bedrohungen gibt. Tiefgreifende Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage
sind vor allem kurzfristig nicht auszuschließen. Deshalb
ist es notwendig und wichtig, dass wir die Landesverteidigung auch weiterhin stets gewährleisten können.
Die Koalition, dieses ganze Haus und natürlich auch
meine Fraktion werden daran sehr intensiv mitwirken.
Denn unsere Soldatinnen und Soldaten, ob Wehrdienstleistende oder länger Dienende, leisten in allen Bereichen einen ehrenvollen, hervorragenden und sehr engagierten notwendigen Dienst, sowohl im Inland als auch
im Ausland. Dafür möchte ich ihnen an dieser Stelle unseren herzlichsten Dank sagen.
({0})
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee; das soll
sie auch bleiben. Dieses Thema ist gerade von vielen
Rednern der Opposition angesprochen worden. Die SPD
hat eine intelligente Weiterentwicklung unserer Wehrverfassung vorgeschlagen. Darum muss es gehen. Die
vollständige Deckung des Bedarfs der Bundeswehr wollen wir durch freiwillige Wehrdienstleistende sicherstellen. Auch das ist ein Thema, über das wir miteinander
reden werden, insbesondere auch mit unserem Koalitionspartner.
Die Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr muss in
angepasster Form gewährleistet sein. Dazu haben wir einige Vorschläge unterbreitet. Wir wollen, dass sich die
jungen Männer entscheiden können, ob sie den Wehrdienst oder einen Ersatzdienst machen wollen; vorher
sollen sie aber alle Stufen, die wir kennen, durchlaufen,
auch die Musterung. Darüber werden wir in diesem
Hause entscheiden müssen.
Im Jahre 1978 - das ist also schon 30 Jahre her - hat
das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass man
bei der Entscheidung zwischen Wehrpflichtarmee und
Freiwilligenarmee nicht nur die sicherheitspolitischen
Bedingungen berücksichtigen, sondern auch wirtschaftspolitische Erwägungen, die gesellschaftspolitischen
Rahmenbedingungen und allgemeinpolitische Aspekte
abwägen muss. In diese Phase sollten wir eintreten, um
die Bundeswehr weiterhin attraktiv zu gestalten.
Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass die Bundeswehr noch attraktiver werden muss. Mit der Erhöhung des Wehrsolds um 2 Euro pro Tag tragen wir dazu
sicherlich ein wenig bei. Sollte man die Idee des Freiwilligendienstes aufgreifen, muss hier allerdings noch
ein bisschen mehr getan werden. Dabei werden finanzielle Aspekte eine Rolle spielen, aber auch verschiedene Vergünstigungen. Darüber müssen wir nachdenken.
Da sich die sicherheitspolitischen Bedingungen auf
der Welt verändern, muss sich auch die Bundeswehr verändern. Sie muss sich der Situation anpassen. Daher
werden wir auch darüber diskutieren müssen, welche intelligenten Möglichkeiten es gibt, um die Wehrpflicht zu
ersetzen.
Wir stehen dazu, dass die allgemeine Wehrpflicht, die
wir kennen, ein wesentlicher Bestandteil unserer Überlegungen ist; hier stimmen wir dem zu, was der Minister
gesagt hat. Unsere Fraktion will aber ihre Weiterentwicklung. Über die verschiedensten Möglichkeiten, die
es dazu gibt, müssen und werden wir reden. Das wird in
Zukunft unser Anliegen sein. Die Einführung eines Freiwilligendienstes ist ein erster Schritt in diese Richtung.
Ich bitte das gesamte Hohe Haus, daran im Interesse
unserer Bundeswehr, der Soldatinnen und Soldaten und
des Ansehens der Staatsbürger in Uniform mitzuwirken,
anstatt Grabenkämpfe auszutragen. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich freue mich auf die allgemeine Zustimmung in diesem Hause.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Sechzehnten
Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes. Der Ver-
teidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/8470, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/8188 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5970 mit dem Titel
„Unverzügliche Erhöhung des Wehrsoldes“. Wer stimmt
für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen bei Zustimmung der Oppositionsfraktionen abge-
lehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b so-
wie Zusatzpunkt 2 auf:
29 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl, Kristina
Köhler ({0}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Fograscher, Klaus Uwe Benneter,
Dr. Michael Bürsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Verbot des Vereins „Collegium Humanum“
sowie des „Vereins zur Rehabilitierung der
wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“
prüfen und bestehende Gemeinnützigkeit aberkennen
- Drucksache 16/8497 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Petra Pau, Kersten Naumann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Keine Ausweitung der Inlandseinsätze der
Bundeswehr
- Drucksache 16/6036 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD
Chancen der Charta der Vielfalt nutzen
- Drucksache 16/8502 Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 30 a bis
30 q sowie den Zusatzpunkten 3 a bis 3 i. Es handelt sich
um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine
Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 a auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Hopfengesetzes
- Drucksache 16/8153 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3})
- Drucksache 16/8397 Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt Segner
Dr. Gerhard Botz
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Hopfengesetzes. Der Ausschuss
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8397, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/8153 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 b auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu der Entschließung vom
8. Juli 2005 zur Änderung des Übereinkommens vom 26. Oktober 1979 über den physischen Schutz von Kernmaterial
- Drucksache 16/8151 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
- Drucksache 16/8486 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein
Christoph Pries
Angelika Brunkhorst
Sylvia Kotting-Uhl
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu
der Entschließung vom 8. Juli 2005 zur Änderung des
Übereinkommens vom 26. Oktober 1979 über den phy-
sischen Schutz von Kernmaterial. Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8486,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/8151 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 c bis 30 g auf:
c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 8. September
2006 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Trinidad und Tobago
über die Förderung und den gegenseitigen
Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 16/8251 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({5})
- Drucksache 16/8520 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 1. August
2006 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Madagaskar über die
gegenseitige Förderung und den gegenseitigen
Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 16/8252 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({6})
- Drucksache 16/8520 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
e) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. November 2006 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Guinea über
die gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 16/8253 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({7})
- Drucksache 16/8520 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
f) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 5. Februar
2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Bahrain über die
Förderung und den gegenseitigen Schutz von
Kapitalanlagen
- Drucksache 16/8254 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({8})
- Drucksache 16/8520 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
g) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. Mai
2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Sultanat Oman über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 16/8255 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({9})
- Drucksache 16/8520 Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
Wir kommen zur Abstimmung über die Entwürfe von
Gesetzen zu den Verträgen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Trinidad und Tobago, der
Republik Madagaskar, der Republik Guinea, dem
Königreich Bahrain und dem Sultanat Oman über die
Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen, Drucksachen 16/8251 bis 16/8255. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter
Buchstaben a bis e seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/8520, die Gesetzentwürfe anzunehmen.
Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich über
diese fünf Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen. - Es
gibt keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich bitte diejenigen, die diesen Gesetzentwürfen zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Die Gesetzentwürfe sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 h auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Internationalen Übereinkommen von
2001 über die Beschränkung des Einsatzes
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
schädlicher Bewuchsschutzsysteme auf Schiffen ({10})
- Drucksache 16/8154 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({11})
- Drucksache 16/8503 Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 2001 über die Beschränkung
des Einsatzes schädlicher Bewuchsschutzsysteme auf
Schiffen, AFS-Gesetz. Der Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8503, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/8154 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 i auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({12}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl,
Rainder Steenblock, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Antifoulingabkommen unverzüglich ratifizieren
- Drucksachen 16/5777, 16/8498 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Heinz Schmitt ({13})
Angelika Brunkhorst
Sylvia Kotting-Uhl
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Antifoulingabkommen unverzüglich ratifizieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8498, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5777 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 j auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 373 zu Petitionen
- Drucksache 16/8385 Sammelübersicht 373 auf Drucksache 16/8385. Wer
stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Sammelübersicht 373 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 k auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 374 zu Petitionen
- Drucksache 16/8386 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 374 ist ebenfalls einstimmig
angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 l auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 375 zu Petitionen
- Drucksache 16/8387 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 375 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 m auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 376 zu Petitionen
- Drucksache 16/8388 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 376 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 n auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 377 zu Petitionen
- Drucksache 16/8389 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 377 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 o auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 378 zu Petitionen
- Drucksache 16/8390 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 378 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 p auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 379 zu Petitionen
- Drucksache 16/8391 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 379 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 q auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 380 zu Petitionen
- Drucksache 16/8392 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 380 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 a auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 381 zu Petitionen
- Drucksache 16/8505 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 381 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 b auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23})
Sammelübersicht 382 zu Petitionen
- Drucksache 16/8506 Sammelübersicht 382 auf Drucksache 16/8506. Wer
stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Sammelübersicht 382 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 c auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24})
Sammelübersicht 383 zu Petitionen
- Drucksache 16/8507 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 383 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 d auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 384 zu Petitionen
- Drucksache 16/8508 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 384 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 e auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 385 zu Petitionen
- Drucksache 16/8509 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 385 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 f auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({27})
Sammelübersicht 386 zu Petitionen
- Drucksache 16/8510 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 386 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 g auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({28})
Sammelübersicht 387 zu Petitionen
- Drucksache 16/8511 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 387 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 h auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({29})
Sammelübersicht 388 zu Petitionen
- Drucksache 16/8512 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 388 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen bei
Gegenstimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die
Linke angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe Zusatzpunkt 3 i auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({30})
Sammelübersicht 389 zu Petitionen
- Drucksache 16/8513 -
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Sammelübersicht 389 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Verbraucherpolitischen Bericht vorlegen
- Drucksache 16/8499 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({31}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Moderne Verbraucherpolitik fortführen und
weiterentwickeln
- Drucksachen 16/684, 16/8398 Berichterstattung:
Abgeordnete Julia Klöckner
Hans-Michael Goldmann
Nicole Maisch
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Nicole Maisch von Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin,
gute Verbraucherpolitik lebt von Transparenz. Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen wissen, was drin
ist. Umso unverständlicher ist es unserer Fraktion, dass
die Bundesregierung den Bürgerinnen und Bürgern sowie dem Parlament die Transparenz hinsichtlich ihrer
verbraucherpolitischen Tätigkeit vorenthält.
({0})
Seit dem Jahr 2004 wurde kein verbraucherpolitischer
Bericht mehr vorgelegt, obwohl regelmäßige Berichte
zugesagt wurden. Die Bundesregierung und insbesondere Herr Minister Seehofer haben die Pflicht, ihre verbraucherpolitischen Ergebnisse, Vorhaben und Ziele offenzulegen, um sie der demokratischen Kontrolle zu
unterwerfen. Wenn dies trotz Ihrer eigenen Ankündigung nicht geschieht, ist offensichtlich: Sie haben keine
verbraucherpolitischen Erfolge vorzuweisen, die Sie dokumentieren können. Ihre Bilanz ist dünn. Deshalb halten Sie sich zurück.
({1})
Ich werde Ihnen ein paar Beispiele nennen, um meine
Ausführungen zu erhellen. Thema Fahrgastrechte: Seit
über einem halben Jahr wird ein Gesetzentwurf zu den
Fahrgastrechten den Kunden der öffentlichen Verkehrsmittel versprochen. Doch Justiz- und Verbraucherministerium können sich offensichtlich nicht einigen. Klar ist:
Die Überlegungen der Bundesjustizministerin sind für
die Verbraucherinnen und Verbraucher unzureichend.
Herr Minister Seehofer wird nicht müde, immer wieder
vollmundig mehr Entschädigungen anzukündigen. Aber
wo sind die Erfolge? Wo sind die konkreten Gesetze?
Wann werden wir im Ausschuss darüber beraten können? Wann werden die Verbraucherinnen und Verbraucher mit verbindlichen Fahrgastrechten rechnen können?
Von Herrn Seehofer höre ich seit Monaten, alles sei auf
einem guten Weg. Der Weg ist das Ziel - das gilt vielleicht für Yogalehrerinnen. Aber in der Verbraucherpolitik ist nicht der Weg das Ziel. Vielmehr müssen konkrete
Ergebnisse erzielt werden.
({2})
Zweites Beispiel sind die Lebensmittelskandale:
Mehrere Gammelfleischskandale haben im vergangenen
Jahr unser Land erschüttert und Verbraucherinnen und
Verbraucher zutiefst verunsichert. Wir schlittern von einem Gammelfleischskandal zum nächsten.
({3})
Das liegt vielleicht auch daran, dass die Bundesregierung die Strukturen in der Fleischindustrie nicht in der
Art und Weise angeht, wie es aus verbraucherpolitischer
Sicht wünschenswert wäre. Immer wieder wird vor Lobbyisten eingeknickt. Der Verbraucherminister sollte aber
an der Seite der Lebensmittelkonsumenten stehen und
beispielsweise ein Verbraucherinformationsgesetz vorlegen, das seinen Namen auch verdient.
({4})
Die Liste der Beispiele ließe sich ellenlang fortsetzen.
In den Stellungnahmen der Verbraucherzentralen und
natürlich in den Anträgen der grünen Fraktion können
Sie nachlesen, was alles noch abzuarbeiten ist. Die Umbenennung des Hauses Seehofer war Programm. Der
Verbraucherschutz steht nur noch an dritter und damit
letzter Stelle Ihrer Arbeit.
({5})
Das finde ich schade; das war zu anderen Zeiten besser.
Da stand der Verbraucherschutz nämlich an erster Stelle.
({6})
Moderne Verbraucherpolitik, meine Damen und Herren, sieht anders aus: Sie ist Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gefahren.
({7})
Wo gesundheitliche und wirtschaftliche Gefahren drohen - seien es Pestizide im Essen oder Anlagebetrug -,
muss der Staat seine Aufsichtspflicht und Kontrollfunktion wahrnehmen. Eine Orientierung am Vorsorgeprinzip
statt Einknicken vor Lobbyinteressen - so sieht vernünftige Verbraucherpolitik aus.
({8})
Aber vernünftige Verbraucherpolitik setzt auch auf
Verbrauchermacht. Unser Ziel sind informierte und
selbstbestimmte Verbraucherinnen und Verbraucher, die
mit ihren Kaufentscheidungen ihre Macht auf dem
Markt ausüben können. Nachhaltiger Konsum und das
Verändern der Welt mit dem Einkaufsbeutel sind möglich, wenn man die politischen Rahmenbedingungen dafür schafft.
({9})
In der grünen Regierungszeit haben wir vorgemacht, wie
dies geht.
({10})
Die Fair-Trade-Kampagne, das Biosiegel, unser Engagement gegen Gentechnik sind nur drei Beispiele, wie Verbraucherpolitik richtig funktioniert.
In dieser Woche begehen wir den Weltverbrauchertag; doch die Arbeit dieser Bundesregierung stagniert.
({11})
Grund zum Feiern haben die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Jahr nicht.
Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gefahren
schützen, ihre Stellung gegenüber Unternehmen stärken,
ihre informationelle Selbstbestimmung garantieren und
zugleich funktionsfähigen Wettbewerb und nachhaltigen Konsum fördern - dafür steht grüne Verbraucherpolitik, und dafür stehen unsere Anträge.
({12})
Das Wort hat die Kollegin Uda Heller von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe
Kollegin Maisch, Ihnen ist offensichtlich nicht bekannt,
dass in wenigen Wochen der nächste verbraucherschutzpolitische Bericht erscheint; er wird am 23. April im Kabinett vorgelegt werden, sodass die parlamentarischen
Beratungen noch vor der Sommerpause erfolgen können.
Dieser Bericht ist schon nach dem neuen Berichtswesensystem ausgerichtet, wozu gehört, mit längeren Berichtszeiträumen bessere Bewertungen vorzunehmen. Es geht
uns nicht wie der ehemaligen Verbraucherschutzministerin Künast darum, mit jährlichen Berichten ohne konkrete
Aussagen ständig Wirbel zu veranstalten.
({0})
Die Umstellung des Berichtswesens auf größere Berichtszeiträume ändert nichts daran, dass man natürlich
auch weiterhin entsprechende Daten und Fakten abrufen
kann.
Wenn ich mir den vorliegenden Antrag von Bündnis 90/
Die Grünen mit der Forderung nach Berichterstattung
anschaue, fühle ich mich in die Zeiten zurückversetzt,
als die Verbraucherschutzpolitik noch die typisch grüne
Handschrift von Frau Künast trug. Damals wurden fünf
Jahre lang medienwirksame Inszenierungen geboten,
viele Worte und viel Wind gemacht. Substanziell wurde
nicht viel umgesetzt, und wirkliche Erfolge konnte man
nicht vorweisen.
Der jetzige Verbraucherschutzminister steht für klare
Zielvorstellungen, nicht für Worte. Wir setzen auf Taten.
({1})
Betrachte ich die verbraucherpolitischen Erfolge von
Minister Seehofer, kann ich nur feststellen: Es sind viele
gute Ergebnisse für den Verbraucherschutz erzielt worden.
Unter konstruktiver Oppositionsarbeit verstehe ich
nicht, die Bundesministerien unnötig mit der Erstellung
von Berichten zu belasten. Das sind reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die die Ministerien und Fachabteilungen von der eigentlichen Sacharbeit abhalten.
({2})
Minister Seehofer kann bereits nach zweieinhalb Jahren eine eindrucksvolle Bilanz vorweisen. Gestern hat
das Kabinett die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift über
Grundsätze zur Durchführung der amtlichen Überwachung der Einhaltung lebensmittelrechtlicher, weinrechtlicher und tabakrechtlicher Vorschriften“, AVV RÜb, beschlossen.
({3})
Damit sind weitere wichtige Elemente aus dem 13-PunkteProgramm für Lebensmittelsicherheit umgesetzt. Kernstück der AVV RÜb sind Verbesserungen bei der Lebensmittelüberwachung und die Behebung von Mängeln, die
bei Gammelfleischskandalen offenkundig wurden. So
gelten nun das Vier-Augen-Prinzip bei der Betriebskontrolle, die vorrangige Probeentnahme beim Hersteller
oder Importeur und der Abgleich der Ergebnisse aus den
Betriebskontrollen mit denen der risikoorientierten Probeentnahmen.
({4})
Der entscheidende Erfolg der Maßnahmen der AVV
RÜb ist, dass sich die Lebensmittelsicherheit für den
Verbraucher deutlich verbessert.
Auch die berechtigte Forderung der Wirtschaft nach
Bürokratieabbau steht auf unserer Agenda.
({5})
Denn schließlich wollen wir die Nahrungsmittelproduktion in unserer Heimat behalten und die Vielfältigkeit
unserer Nahrungsmittel bewahren. Ich denke, das ist für
uns ein ganz wichtiges Anliegen.
({6})
Mit der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes im
Februar wurde ein weiterer entscheidender Beitrag für
ein hohes Maß an Transparenz bei der Lebensmittelkennzeichnung geleistet.
({7})
Erstmals ist für den Verbraucher ganz klar zu erkennen, ob tierische Produkte gentechnikfrei sind oder
nicht.
Ein weiterer verbraucherpolitischer Erfolg ist der im
vergangenen Herbst verabschiedete Aktionsplan gegen
Allergien. Angesichts der Tatsache, dass insgesamt
40 Prozent aller Deutschen eine Anfälligkeit für Allergien in sich tragen und die Zahl seit Jahren ansteigt, war
es dringend geboten, die Situation von Allergikern zu
verbessern. Der Aktionsplan setzt insbesondere auf eine
umfassende Information der Bevölkerung und auf die
Unterstützung durch Wirtschaft und Forschung. Es geht
auch darum, neue wissenschaftliche Erkenntnisse über
allergene Stoffe zu erlangen und die zunehmende Ausbreitung von Allergien einzudämmen.
Außerdem wurden wichtige Reformen der Forschungseinrichtungen durchgeführt, um bessere Voraussetzungen
für eine leistungsfähige und international wettbewerbsfähige Spitzenforschung zu schaffen.
({8})
Kernstück ist die Konzentration auf die vier Bereiche
Pflanze, Tier, Ernährung und Lebensmittel sowie ländliche Räume, Wald und Fischerei. Die bisher sieben Bundesforschungsanstalten wurden zu vier Bundesforschungsinstituten zusammengefasst. Die bestehenden 71 Institute
an 35 Standorten werden nun auf 49 Institute an 21 Standorten konzentriert. Einer davon ist in der Nähe meines
Wohnortes, in Quedlinburg.
({9})
Mit einer neuen, schlankeren Verwaltungsstruktur können wir nun das hohe Niveau der Bundesforschung erhalten und diese an die Weltspitze heranführen.
Ein ganz wichtiges Anliegen der Bundesregierung ist
die Verabschiedung des Präventionsgesetzes zur Unterstützung einer gesunden Lebensführung und zur Vorbeugung von Krankheiten. Anfang April wird der Referentenentwurf im Kabinett vorgelegt.
({10})
Wir halten es für ganz wichtig, den Gedanken der Prävention deutlich ins öffentliche Bewusstsein zu rücken,
allein schon um die Folgen der demografischen Entwicklung bewältigen zu können und unser Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren. Mit dem Nationalen Aktionsplan für Ernährung und Bewegung ist dieses
Ziel angegangen worden, und mit der Verabschiedung
des Präventionsgesetzes noch in dieser Wahlperiode
wird dieser Schwerpunkt des gesundheitlichen Verbraucherschutzes gesetzlich verankert sein.
({11})
Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum
Jahr 2020 das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der
deutschen Bevölkerung nachhaltig zu verändern. Im parlamentarischen Beratungsprozess erwarten wir auch von
den Oppositionsparteien, dass sie dieses so wichtige Anliegen nicht zerreden, sondern tatkräftig unterstützen.
Dass die Bundesregierung in Sachen Lebensmittelkennzeichnung gute Arbeit leistet, zeigt die Tatsache,
dass bei der anstehenden Novelle der EU-Kennzeichnungsverordnung für den gesamten Binnenmarkt das
deutsche Modell favorisiert wird. Die Angabe der zentralen Elemente „1 plus 4“ mit der Kalorienzahl plus Gehalt an Fett, Zucker, gesättigten Fettsäuren und Salz
stößt bei der EU-Kommission auf gute Resonanz. Diese
in Deutschland bisher freiwillige Nährwertkennzeichnung erfüllt offensichtlich die Anforderungen an eine
verbindliche, einheitliche Lebensmittelkennzeichnung
für die gesamte Europäische Union.
Zum Schluss möchte ich Napoleon Bonaparte zitieren:
Es gibt Diebe, die nicht bestraft werden und dem
Menschen doch das Kostbarste stehlen: die Zeit.
Das haben Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, mit diesem Antrag getan.
({12})
Das Wort hat der Kollege Hans-Michael Goldmann
von der FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir beschäftigen uns heute zeitökonomisch
mit zwei Anträgen der Grünen.
({0})
Der erste Antrag mit dem Titel „Verbraucherpolitischen
Bericht vorlegen“ wird von uns nachdrücklich unterstützt. Wir wollen eine politische Diskussion darüber
führen, was uns die Verbraucherpolitik wert ist und welchen Stellenwert wir ihr geben wollen. Ich halte die Veröffentlichung eines entsprechenden Berichts für dringend geboten.
({1})
Liebe Frau Kollegin Heller, es stimmt schlichtweg
nicht, dass in diesem Bereich gute Arbeit geleistet wird.
Ich möchte das an zwei Beispielen verdeutlichen:
Erstens. Gestern haben wir im Ausschuss erlebt, dass
Sie den Tagesordnungspunkt, bei dem Sie Ihre Vorstellungen zum Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch
unterbreiten wollten, abgesetzt haben. Wir sind aber in
Sorge darüber, dass es bei der Rückverfolgbarkeit von
möglichen Skandalen in diesem Bereich das eine oder
andere Problem geben kann. Es stellt sich schon die
Frage: Warum musste der Punkt abgesetzt werden?
Wahrscheinlich weil Sie sich nicht einig sind. Es ist sehr
bedauerlich, wenn der Minister nicht die Kraft hat, hier
eine klare Position zu beziehen.
Zweitens. Auf der Anuga in Köln erklärte der Minister, die kleinen und mittelständischen Betriebe könnten
sich darauf verlassen, dass es zu einer freiwilligen Deklaration kommt. Die Betriebe haben sich auf den Weg
gemacht, die Deklaration einzuführen, weil die Grünen
sonst sagen würden, dass die Wirtschaft wieder nichts
tut. Was passiert im Nachhinein? Auf einmal stellen Sie
fest - das ist hier letzte Woche vom Staatssekretär verkündet worden -, man müsse die Bürger befragen, wie
man das regeln soll. Dann wundern Sie sich darüber,
dass niemandem Ihre verbraucherpolitische Botschaft
zur Kennzeichnung klar ist und dass keiner weiß, wie es
weitergehen soll. Ich denke, das ist ein Grund dafür, dass
Sie keinen Bericht vorlegen: Sie haben Ihre Position
dazu schlicht und ergreifend nicht gefunden.
({2})
Auch in anderen Bereichen sind Sie nicht ganz so
munter, wie Sie behaupten. Was ist beim Cold Call passiert? Wo bleiben Ihre parlamentarischen Initiativen?
Was ist beim Thema Kreditverkäufe und Veräußerung
von Krediten passiert? Wo sind Ihre parlamentarischen
Initiativen?
({3})
Gestern saß der Verbraucherschutzminister neben der
Justizministerin; aber inhaltlich hat er fast nichts gesagt.
Gerade angesichts des Weltverbrauchertags am kommenden Wochenende hätte schon etwas mehr Butter bei
die Fische gemusst. Da ist von Ihnen wirklich nicht viel
auf den Weg gebracht worden.
({4})
Ihre verbraucherpolitischen Taten lassen sehr zu wünschen übrig. Es wäre gut, wenn das in einer intensiven
parlamentarischen Auseinandersetzung deutlich würde.
Frau Heller, Sie kritisieren, dass die Grünen damals
nichts gemacht haben. Das ist unverständlich. Minister
Seehofer erklärt bei bestimmten Gelegenheiten durchaus, dass er die Künast’sche Politik in vielen Bereichen
fortsetzen möchte. Auch darüber müssen wir eine Diskussion führen.
Nun zu Ihnen, liebe Kollegin Maisch. Ich darf Ihnen
sagen - ich bin schon etwas länger im Parlament -: Das
haben Sie prima gemacht. Sie haben über eine Sache geredet, die für uns alle einen hohen Stellenwert hat; aber
Sie haben über Ihren zweiten Antrag überhaupt nicht geredet. Das war clever; denn der Antrag ist von 2006. Es
ist ein bisschen peinlich, wenn man 2008 über Anträge
von 2006 redet.
({5})
Der Antrag ist aber nicht nur, was das Zeitfenster angeht,
peinlich, sondern auch, was die inhaltliche Klarheit angeht. Sie sagen in diesem Antrag eigentlich gar nichts:
Sie beschreiben bestimmte Dinge; aber wieso Sie bestimmte Forderungen stellen, wird überhaupt nicht deutlich.
Es wird nur eines deutlich: Sie verfolgen ein völlig
anderes Verbraucherleitbild als wir Liberale. Ich sage
vorweg: Wir geben nicht auf; wir setzen nach wie vor
darauf, den Verbraucher zu informieren, ihm die Chance
zu Informationen zu eröffnen. Der Verbraucher ist auch
gehalten, sich Wissen anzueignen. Dafür müssen wir
dem Verbraucher Informationen zur Verfügung stellen.
({6})
Dann aber, wenn sich der Verbraucher Wissen angeeignet hat, möchten wir ihn allein frei entscheiden lassen.
({7})
Wir möchten nicht wie Sie von oben herab Verbote aussprechen. Die Verbotspolitik, die Sie in diesem Punkt betreiben, ist mit unserem Leitbild eines mündigen, informierten Verbrauchers überhaupt nicht in Einklang zu
bringen. Ich glaube, auch damit müssen wir uns auseinandersetzen.
({8})
Wir sollten uns an dieser Stelle einigen. Wir werden
unsere gesellschaftlichen Entwicklungen nicht durch
Verbote, Gesetze und Verordnungen regulieren können.
({9})
Dies führt dazu, dass es bis zu einem gewissen Grade
Gesellschaftssport wird, so etwas zu umgehen.
Wir müssen erstens darauf setzen, dass der Verbraucher - das habe ich bereits gesagt - informiert ist. Zweitens müssen wir Anreize geben, damit der Verbraucher
diese Informationen dann auch klug nutzt. In Ihrem Antrag wird mit keinem Wort von einem solchen Anreizsystem, einem Eigeninitiativesystem, einem Eigenverantwortlichkeitsdenken, einer Wettbewerbsorientierung
oder einer Marktöffnung gesprochen. Deswegen ist es
ein schlechter Antrag, den wir entschieden ablehnen.
({10})
Herr Goldmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Maisch?
Ja, gerne.
Danke, Herr Präsident. - Lieber Herr Goldmann, der
heutigen Ausgabe der Welt konnte ich entnehmen, dass
Sie beim Thema „Unerlaubte Telefonwerbung“ strengere Verbote und schärfere Maßnahmen fordern. Wie
passt das zu Ihren Ausführungen zur Verbotsrepublik?
Wir stoßen bei bestimmten Punkten natürlich an eine
Grenze, an der der Gesetzgeber gefordert ist. Da sind wir
uns doch völlig einig.
({0})
Ich könnte das an Beispielen verdeutlichen, aber ich mache es mir ein bisschen leichter.
Wir sind uns doch darüber einig, dass der Verbraucher
auf den Produkten Kennzeichnungen braucht. Das ist
doch gar kein Thema. Ein Mensch, der allergische Reaktionen zeigt, muss doch wissen, ob ein Produkt etwas
enthält, was ihn gefährdet. Darauf sollten wir uns aber
beschränken. Wir sollten dem Verbraucher nicht sein
Konsumverhalten vorschreiben - so machen Sie das -,
sondern wir sollten dem Verbraucher die Informationen
geben, die er benötigt.
Wenn es dann im Marktgeschehen einen Anbieter
gibt, der diese Situation missbraucht, dann muss der Gesetzgeber einschreiten und klipp und klar sagen: Das
darfst du nicht! - Mit dem sogenannten Cold Call haben
Sie einen der Bereiche angesprochen, in dem jemand
den freien Markt aushebelt und nicht auf Wettbewerb,
sondern auf Missbrauch von Wettbewerb setzt.
Ich bin auch dafür, dass Menschen, die mit Gammelfleisch handeln, bestraft werden. Das ist gar keine Frage.
Es geht um die Gewichtung.
({1})
Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen;
dann können wir, glaube ich, sehr schnell wieder zum
Konsens finden. - Wir sollten das noch einmal aufgreifen, was der Kollege und Staatssekretär Müller letzte
Woche angesprochen hat: Verbraucherbildung. Lassen
Sie uns über unsere peb-Initiativen und anderes mehr
darauf hinwirken, dass Verbraucherbildung oder überhaupt Verbraucherinformation auch in den Ländern einen höheren Stellenwert erhält! Dafür muss es nicht unbedingt ein neues Fach wie Hauswirtschaftskunde
geben. Das kann durchaus in vielfältige Angebote, die
bereits gemacht werden, integriert werden. In diesen Angeboten sollte das dann aber auch stattfinden, damit der
Verbraucher für sich eine kluge Marktteilhabe verwirklichen kann.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Am 15. März, am
kommenden Samstag, ist Weltverbrauchertag. Es ist gut,
dass wir heute zwei Debatten zum Verbraucherschutz
führen.
Kollegin Maisch, was Ihren Antrag angeht, kann ich
mich nur meinem Kollegen von der FDP anschließen.
Der Antrag ist wirklich dünn. Darauf werde ich in meinen Ausführungen noch zurückkommen.
Wie können Sie hier das Verbraucherinformationsgesetz ansprechen? Ich war damals mit in der Regierungskoalition. Wir haben das unter Rot-Grün nicht hinbekommen.
({0})
Alles das, was wir jetzt in dieser Regierung geschafft haben, ist ein großer Schritt nach vorn.
({1})
Die Februar-Ausgabe des afg-reports der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke e. V. hat sich mit
dem Thema Nährwertkennzeichnung befasst. Besonders
spannend fand ich, dass dort ein Etikett eines Erfrischungsgetränks abgedruckt wurde. Dieses Beispiel
zeigt auf hervorragende Art und Weise, warum wir als
SPD eine verbindliche Kennzeichnung wollen, die einfach ist und schnelle Orientierung gibt: Verbindliche Angaben, verbindliche Bezugsgrößen und eine leichte Erkennbarkeit, das sind die Ziele, die wir verfolgen.
Erfüllt das dort vorgestellte Etikett diese Vorgaben?
Ich kann nur sagen: bei weitem nicht. Das Getränk wird
in 1-Liter-Flaschen oder in 0,5-Liter-Flaschen abgefüllt.
Die Nährwertangaben werden aber auf einen Viertelliter
bezogen. Diese Angaben sind einfarbig unten links auf
dem Etikett zu finden. Wir wissen also: 17 Prozent des
Tagesbedarfs an Zucker sind gedeckt, wenn wir einen
Waltraud Wolff ({2})
Viertelliter trinken. So weit, so gut. Wirklich auffallend
sind diese Angaben aber nicht. Was im Gegenzug auffällt, ist etwas ganz anderes. Im Zentrum dieses Etiketts
ist ein großes Wort, nämlich „Wellness“ zu lesen. Erwarten Sie bei einem Wellnessgetränk in einem Glas vier
Stück Würfelzucker? Ich nicht. Ich kenne diese Flasche
aus dem Beispiel nicht.
({3})
Ich habe sie nicht gesehen. Ich weiß aber, die Abteilung
Konsumentenpolitik der Arbeiterkammer in Wien hat im
Jahr 2006 eine Erhebung zum Zuckergehalt von Erfrischungsgetränken gemacht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Wellnessgetränke reichlich Zucker enthalten,
insbesondere im Vergleich zu Mineralwasser. Sie fragen
sich nun, warum ich mit Mineralwasser vergleiche. Der
Vergleich drängt sich förmlich auf, weil die Etikettengestaltung von Wellnessgetränken und Mineralwasser sehr
ähnlich ist. Ich glaube, hier liegt ein entscheidender
Punkt. Die Nährwertkennzeichnung konkurriert hier mit
der Gestaltung eines Produkts. Wir brauchen aber eine
Kennzeichnung, die sich genau in dieser Konkurrenz bewegt und bewährt und die eine Orientierung schafft, und
zwar verbindlich, klar und leicht erkennbar.
({4})
Wenn ich Apfelsaft trinke, dann weiß ich: Damit
nehme ich sehr viel mehr Zucker zu mir. Mir ist natürlich klar, dass die Zusammensetzung der Ernährung entscheidend ist. Ich bin aber sicher, dass wir beim Einkauf
eine gute Orientierung haben, wenn wir innerhalb einer
Lebensmittelgruppe vergleichen können. Genau das leistet die Ampel, die wir von der SPD favorisieren.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dem Antrag der
Grünen wird auf das Leitbild des selbstbestimmten und
auch des informierten Verbrauchers verwiesen. Ich
denke, wir können diesem Verbraucher durchaus zumuten, eine Kennzeichnung wie die Ampel zu interpretieren. Was ich ihm - dem Verbraucher - und uns allen
eigentlich nicht zumuten will, ist das, was uns die Lebensmittelindustrie hier bietet. Die Angaben werden auf
beliebige Portionsgrößen bezogen. Die Portionsgrößen
müssen aber keinerlei Bezug zu dem Packungsinhalt haben oder mit ihm im Zusammenhang stehen. Was nützt
die Kennzeichnung eines einzelnen Chicken Nugget in
einer ganzen Packung mit Chicken Nuggets?
({6})
Oder was nützt der Bezug auf einen halben Liter in einer
ganzen Flasche?
Werden wir also demnächst mit dem Taschenrechner
losziehen müssen? All das informiert nicht. Das verwirrt
mehr, und da macht die SPD nicht mit.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Grünen führen
in ihrem Antrag eine Vielzahl von ungebundenen Einzelmaßnahmen auf. Es fehlt eine klare Strategie. Verbraucherpolitik bleibt auf diese Weise letztlich ein Reparaturbetrieb für die anderen Politikbereiche.
({8})
- Wir haben eine ganz klare Strategie hin zur Verbraucherinformation. Fakt ist: Einfache Kennzeichen orientieren, können aber natürlich nicht die ganze Komplexität eines Produkts erfassen. Was ist also zu tun? Erstens
die Einführung einer einfachen Kennzeichnung und
zweitens Verbraucherbildung, die das A und O ist. Diese
muss in der Schule beginnen, da sind wir uns alle einig.
Nur so bauen wir für die Zukunft Kompetenz auf. Die
Kennzeichnung kann so auch in das allgemeine Leben
übernommen werden. Lassen Sie uns hier gemeinsam zu
einem wirklich schlüssigen Konzept kommen!
Wir alle, auch die Zuschauer dort oben, wollen unser
Leben leben und unsere Zeit nicht mit dem Lesen von
Kleingedrucktem verbringen. Außerdem wollen wir im
digitalen Zeitalter sorglos einkaufen und sicher im Netz
surfen können. Vor allem aber wollen wir sicher sein
können, dass wir mitbekommen, wenn wir einen Vertrag
abschließen. Im gesundheitlichen Verbraucherschutz haben wir ein klar definiertes Vorsorgeprinzip. Das werden
wir für den wirtschaftlichen Verbraucherschutz auch entwickeln. Sonst laufen wir nämlich der technischen Entwicklung immer hinterher. Das ist ein Rennen, das wir
nicht gewinnen können, wenn wir nicht grundsätzlich
die Spielregeln definieren.
Gestern haben Bundesjustizministerin Zypries und
Verbraucherschutzminister Seehofer hier ein Maßnahmenpaket gegen unerlaubte Telefonwerbung vorgestellt.
Zur unerlaubten Telefonwerbung gibt es ja eigentlich
schon Regelungen, nämlich im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Aber es halten sich nicht alle daran.
Ich glaube, jeder von uns kennt diese Anrufe, und der
eine oder andere hat auf diese Art und Weise schon einen
Vertrag abgeschlossen, den er gar nicht abschließen
wollte. Das darf in Zukunft nicht mehr möglich sein.
Ausnahmeregelungen beim Widerspruch werden gestrichen, und weitere wichtige Schritte werden unternommen. Wenn man den Telefonanbieter wechselt, bekommt
man einen schriftlichen Nachweis.
Verbraucherpolitik ist an dieser Stelle ganz klassische
Verbraucherschutzpolitik. Denn das, was wir erlebt haben, ist reine Abzocke, zum Teil von renommierten Unternehmen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Diese Dinge darf es in Zukunft im Rahmen einer vernünftigen Verbraucherschutzpolitik nicht mehr geben.
Ich habe es schon einmal gesagt: Die Grünen haben in
ihrem Antrag viele Einzelmaßnahmen vorgeschlagen.
Wir wollen ein gemeinsames Konzept. An dieser Stelle
können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.
Waltraud Wolff ({0})
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Karin Binder von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! Ein
Schelm, wer Böses denkt bei der Überlegung, warum die
Grünen wohl ihren umfangreichen Forderungskatalog
zwei Jahre in der Schublade gehalten haben.
({0})
Warum wurde er nicht 2006 behandelt, nachdem er bereits am 15. Februar 2006 eingebracht worden war? Hatten Sie möglicherweise die Befürchtung, dass dann zu
oft gefragt worden wäre, warum Sie diese Dinge nicht
schon in Ihrer Regierungszeit angepackt haben?
({1})
Es gibt aber glücklicherweise noch einen zweiten Antrag. Ich denke, er ist berechtigt. Wir brauchen dringend
einen verbraucherpolitischen Bericht. Ich freue mich,
dass er nun im April kommen soll. Von daher können
alle wunderbar zustimmen. Da sind wir uns einig: Der
Bericht ist fällig; wir brauchen ihn.
({2})
Ich hoffe doch inständig, dass in diesem Bericht etwas mehr steht als das, was wir in der Regel über die Tagespresse erfahren.
({3})
Herr Seehofer ist auf jeden Fall ein Fachmann, wenn es
darum geht, sich marketingmäßig in den Medien in
Szene zu setzen, und bringt auch gut rüber, welche großen Projekte er auf der Liste stehen hat. Das Problem ist
nur: Außer den Überschriften kommt sehr oft lange Zeit
erst einmal nichts, und wenn dann etwas kommt, ist das,
zumindest aus meiner Sicht, leider sehr unzulänglich.
({4})
Von daher wäre ich an diesem Bericht sehr interessiert, der außer den Überschriften möglichst viele Umsetzungsvorschläge enthalten sollte. Sehr interessieren
würde mich dann natürlich auch, zu erfahren, was nach
der Umsetzung passiert ist: Wurden die Vorhaben, die
auf Bundesebene in Gang gesetzt wurden, von den Ländern aufgenommen? Und wie wurden sie von den Ländern umgesetzt? Wir können hier nämlich wunderbare
Gesetze beschließen; das nützt aber nichts, wenn am
Ende niemand zuständig und verantwortlich ist, diese
tatsächlich in die Praxis umzusetzen. Ich denke dabei
nur an Themen wie die Lebensmittelkontrolle. Es ist
wunderbar, wenn wir hier Gesetze dazu beschließen.
Wenn aber die Länder die entsprechenden Stellen abbauen und letztendlich niemand mehr diese Kontrolle
ausüben kann, dann haben wir ein Problem. Dafür gibt
es wirklich genügend Beispiele, zum Beispiel Stuttgart,
meine Heimatstadt. Dort gibt es circa 11 000 Betriebe,
die zu kontrollieren wären. Es gibt aber in Stuttgart maximal, wenn ich es richtig im Kopf habe, 18 Lebensmittelkontrolleure. Die schaffen im Jahr, wenn überhaupt,
die Hälfte dieser Betriebe. Ich denke, das ist deutlich zu
wenig. Von daher muss es eine wesentlich intensivere
Zusammenarbeit mit den Ländern geben.
({5})
Vor mehr als zwei Jahren schon, im Dezember 2005,
hat Herr Seehofer in seiner Regierungserklärung einige
vollmundige Sätze gesagt.
Er sagte:
Ich denke, zwei Leitbilder müssen uns führen:
Zum einen das Leitbild des mündigen Verbrauchers!
Zum zweiten, unsere Skepsis einer totalen Ökonomisierung unserer Gesellschaft gegenüber!
Er führte als Beispiel das Verbraucherinformationsgesetz
an:
Das Verbraucherinformationsgesetz wird hierzu ein
erstes Beispiel geben: denn damit wollen wir den
mündigen Bürger stärken und diejenigen Unternehmen stärken, deren Leistungen und Produkte ohne
Beanstandung sind.
({6})
Frau Heller, Sie hatten den Bürokratieabbau angesprochen. Ich frage Sie daher: Warum wurde mit dem
Verbraucherinformationsgesetz ein solches Bürokratiemonster geschaffen?
({7})
Die Menschen müssen jetzt zu einer Behörde gehen, um
eine Auskunft zu erhalten, die sie auf direktem Wege
von einer Firma doch viel leichter erhalten können.
({8})
Das Problem ist, dass die Firma diese Auskunft nicht erteilen muss. Wenn die Bürger dann zu der Behörde gehen und sich eine Auskunft geben lassen, dann kann es
sein, dass sie bis zu 500 Euro Gebühren zahlen müssen.
({9})
Die entsprechende Gebührenordnung ist gerade in Arbeit. Es werden also Gebühren fällig, wenn man Rechte
nach dem Verbraucherinformationsgesetz in Anspruch
nimmt.
({10})
Gebühren bis zu 500 Euro sind für viele Menschen
eine viel zu hohe Hürde, um darüberzuspringen. Eine
solche Ausgabe können sich viele Menschen nicht leisten. Es kommen möglicherweise noch Kosten für Auslagen hinzu. Aus meiner Sicht ist dieses Gesetz deshalb
schon heute ein Auskunftsverhinderungsgesetz.
({11})
Wenn Herr Seehofer dem, was er in seiner Antrittsrede damals angesprochen hat, gerecht werden will,
dann muss er schnell von dem Schmusekurs mit der
Wirtschaft abrücken. Er sollte sich vielmehr an dem orientieren, was für die Verbraucherinnen und Verbraucher,
also für die Menschen, wichtig ist, und nicht an dem,
was für die Wirtschaft wichtig ist.
({12})
Das ist aber im Moment wohl seine erste Maßgabe.
Vor diesem Hintergrund sage ich frei nach Bertolt
Brecht: Wer A sagt, muss nicht zwangsläufig B sagen.
Er kann auch erkennen, dass A falsch war.
({13})
Es wäre also gut, hier entsprechende Korrekturen anzubringen.
Danke schön.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Vertreter
und sehr geehrte Vertreterinnen der Bundesregierung!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Binder, wir wollen in dieser Debatte über das wichtige Thema Verbraucherpolitik diskutieren. Es war aber nicht die Rede davon,
Verbraucherverunsicherung zu betreiben und Unwahrheiten in die Welt zu setzen.
Ich will ganz kurz auf das Verbraucherinformationsgesetz eingehen. Hier geht es darum - das hat meine
Kollegin Waltraud Wolff vorhin richtigerweise in Form
eines Zurufs konstruktiv angemerkt -, dass man unabhängige Informationen von Behörden erhält. Diese Informationen kosten keine 500 Euro, auch wenn Sie das
immer und immer wieder betonen. Das Verbraucherinformationsgesetz ist nach dem gleichen Muster wie das
Informationsfreiheitsgesetz aufgebaut. Bei der Berufung auf dieses Gesetz mussten in etwas mehr als
100 Fällen Auskunftsgebühren, die höher als 50 Euro lagen, gezahlt werden. Es handelte sich aber niemals um
500 Euro. So wie Sie die Verbraucherinnen und Verbraucher verunsichern, kann man nur hoffen, dass Sie für immer in der Opposition bleiben werden.
({0})
Ich komme jetzt zu den Grünen. Ich finde es in Ordnung, dass wir über Verbraucherpolitik reden. Aber es
muss Hand und Fuß haben.
({1})
Wir lesen Ihre Anträge, obwohl es manchmal ein bisschen Mut und Überwindung erfordert. In Ihrem Antrag
„Verbraucherpolitischen Bericht vorlegen“ schreiben
Sie:
Das Arbeitsprogramm und der Grad der Zielerreichung wurden von der Bundesregierung seitdem allerdings nicht dokumentiert.
Das ist falsch. Denn die Halbzeitbilanz des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, in der man sich intensiv mit dem Verbraucherschutz beschäftigt, liegt vor. Die Grünen sind
sicherlich auch firm darin, das Internet zu nutzen. Im Internet kann man sich stundenlang mit verbraucherpolitischen Themen beschäftigen, weil es zu diesem Thema
viele Dokumente gibt. Dieser Punkt Ihrer Kritik ist also
nicht zutreffend.
Sie schreiben weiter:
Transparenz heißt aber auch, die wichtigen verbraucherpolitischen Projekte der Bundesregierung offenzulegen und einer demokratischen Kontrolle zu
unterwerfen.
({2})
Du lieber Himmel! Als wäre hier etwas unter Verschluss
gehalten worden! Frau Maisch, ich weiß nicht, wo Sie
Mittwoch morgens in einer Sitzungswoche sind.
({3})
Wir sind jedenfalls im Ausschuss. Dort erstattet uns die
Bundesregierung sehr oft Bericht über die aktuellen verbraucherpolitischen Themen.
Ich kann ja einmal den Bericht hochhalten, den sie am
23. Januar 2008 im Ausschuss vorgestellt hat. Dieser
„Bericht der Bundesregierung über die verbraucherpolitischen Schwerpunkte sowie konkrete verbraucherpolitische Initiativen und Maßnahmen der Bundesregierung
für das Jahr 2008“ umfasst an die zehn Seiten, ist sehr
ausführlich, beschäftigt sich intensiv mit der Thematik
und ist übrigens an alle Fraktionen, auch an Ihre, verschickt worden. Knapp einen Monat später, am 20. Februar 2008, wurde ein weiterer ausführlicher Bericht der
Bundesregierung vorgelegt. Dort wird berichtet, welche
Dinge in der Abstimmung sind, bei welchen Themen
noch Diskussionsbedarf besteht und in welchen Bereichen bereits etwas erreicht worden ist. Dort steht auch
- auch dieser Bericht ist allen Fraktionen schriftlich
zugegangen -, dass der verbraucherpolitische Bericht
der Bundesregierung noch vor der Sommerpause vorliegen wird. Mittlerweile haben Sie ja schon gehört, dass
dieser Bericht noch im April vorgelegt wird.
Insofern erübrigt sich Ihr Antrag; er ist absolut obsolet. Sagen Sie doch einfach, dass es Ihnen nur darum
geht, wieder einmal im Plenum zu reden. Wir machen da
gerne mit; das ist kein Problem.
({4})
Meine Kollegin Frau Heller hat es vorhin gesagt: Reden
ist das eine, aber Handeln ist das andere.
({5})
- Ich komme noch darauf zu sprechen. - Den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung ist es wichtiger, die Kapazitäten und Energien in etwas zu investieren, das den Verbraucherinnen und Verbrauchern hilft.
Welchen Sinn und Zweck verfolgten denn die verbraucherpolitischen Berichte damals unter Ihrer Ministerin,
Frau Künast? Das war doch reine Selbstdarstellung.
({6})
Frau Künast hat damals vieles angesprochen, doch verändert hat sie letztlich nichts. Sie hat ein verbales Wohlfühlprogramm aufgelegt.
Ich habe mir die verbraucherpolitischen Berichte und
die Debatten, die wir mit Frau Künast geführt haben,
noch einmal angeschaut. Sie hat damals zum Beispiel
die sogenannten Schrottimmobilien sehr gegeißelt, aber
sie hat nichts dagegen unternommen. Dann hat sie viel
von einem Verbraucherinformationsgesetz gesprochen.
Fünf Jahre lang hat die vorherige Regierungskoalition
versucht, ein solches Gesetz zu erarbeiten, aber sie hat
keines verabschiedet. Und wie sehr hat sie über unlautere Telefonwerbung geklagt! Aber auch dazu hat sie
keinen Gesetzentwurf vorgelegt.
({7})
- Wo Sie jetzt dazwischenrufen, wir hätten das im Bundesrat blockiert: Ich darf Sie daran erinnern, dass die
Vorlage, die Frau Künast Herrn Clement als damaligem
Wirtschaftsminister vorgelegt hat, mitnichten so weitreichend war wie das Gesetz, das wir jetzt verabschiedet
haben.
Wir haben die Verbraucherrechte gestärkt. Und nur
dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, interessieren sich
doch die Bürgerinnen und Bürger. Sie interessieren sich
doch nicht dafür, was eine Regierung oder eine Ministerin oder ein Minister in ein Papier schreibt. Die Leute
draußen haben keine Zeit zum Lesen, sondern sie stehen
mitten im Leben und müssen arbeiten. Deshalb müssen
sie spüren, dass wir uns um sie kümmern. Wir machen
das nicht, indem wir bunte Berichte vorlegen.
({8})
Das Thema Bürokratieabbau wurde vorhin bereits angesprochen. Wir legen Wert darauf - das haben wir gegenüber der Bundesregierung auch angekündigt -, dass
wir diesen Bericht alle vier Jahre bekommen; und er
wird auch kommen.
Ich möchte ganz konkret hervorheben, was wir in dieser Legislaturperiode, die ja lange noch nicht zu Ende
ist, erreicht haben:
Wir haben einen Aktionsplan gegen Allergien aufgelegt. Das heißt, dass Allergiker - in der Bundesrepublik
betrifft das 30 Prozent der Bevölkerung - besser informiert werden, zum einen über ein Internetportal, das das
Ministerium eingerichtet hat, zum anderen auf den Verpackungen von Lebensmitteln.
Das Verbraucherinformationsgesetz habe ich schon
erwähnt.
Der grenzüberschreitende Verbraucherschutz hat endlich eine Lobby gefunden. Zusammen mit dem BVL,
dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, haben wir klare Regelungen getroffen,
damit grenzüberschreitender Verbraucherschutz umgesetzt wird. Es ist wichtig, dass Gesetze und Rechte
durchgesetzt werden.
Weiter haben wir im Versicherungsbereich und im
Bereich der Überschuldung von Verbrauchern einiges
geregelt. Dank des reformierten Versicherungsvertragsgesetzes müssen Verbraucher informiert werden, bevor
sie etwas unterschreiben. Sie werden sogar an Überschüssen beteiligt. Auch im Verbraucherinsolvenzrecht
sind wir weitergekommen - Stichwort Kontopfändungsschutz. Davon hat Frau Künast landauf landab gesprochen, aber sie hat nie gehandelt.
({9})
Es ist wichtig, dass Verbraucherinnen und Verbraucher ein Konto haben, um am gesellschaftlichen Leben
teilnehmen zu können.
Wir haben uns für die Senkung der Roaminggebühren
eingesetzt.
Wir sorgen dafür, dass im Internet - damit beschäftigt
sich gerade die Bundesregierung - niemand in Kostenfallen tappt, indem es erst zu einem sogenannten Extraklick kommen muss, bevor ein Vertrag abgeschlossen
wird.
Auch haben wir dafür gesorgt, dass es über Telefonwerbung nicht mehr dazu kommen kann, dass Jugendliche ohne ihr Wissen ein teures Abonnement abschließen.
Das ist wahre Verbraucherpolitik. Bürgerrechte und
Verbraucherrechte gehören zusammen. Verbraucherrechte sind Bürgerrechte. Wir nehmen die Bürgerinnen
und Bürger ernst. Wir wissen, dass sie einen Willen haben. Wir wissen auch, dass die Bürgerinnen und Bürger
Informationen zur Entscheidung brauchen.
({10})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es schade, dass die meisten meiner Vorrednerinnen und Vorredner nicht dem üblichen Ritual widerstehen konnten, dem politischen Gegner jedes
grundsätzliche Interesse am Thema abzusprechen. Da
wird behauptet, dass in der Regierungszeit der anderen
nie etwas umgesetzt wurde oder dass das, was in den Reden gesagt wurde, nicht ernsthaft gemeint war. Mit einem solchen Stil werden wir nicht überzeugen. Wir sollten uns nach wie vor um jedes einzelne Thema
kümmern. Ich glaube, dass sowohl in der Zeit bis 2005
als auch in der Zeit nach 2005 im Verbraucherschutz
wichtige Dinge umgesetzt wurden. Das kann man in den
einzelnen Themenfeldern erkennen.
Zunächst einmal sollte man sich über das Ziel des
Verbraucherschutzes verständigen. Ich finde es gut, dass
wir das Bild vom mündigen Verbraucher und der informierten Verbraucherin teilen. Dass das für einen modernen Verbraucherschutz nicht ausreicht, ist aber auch klar.
Wir müssen mithilfe des Ordnungsrechts erzwingen, das
Angebote vergleichbar werden. Wir haben zum Beispiel
Regeln festgelegt, wie bei Krediten Zinssätze und verdeckte Kosten dargestellt werden müssen.
Wir müssen verhindern, dass eine so starke Marktmacht entsteht, dass Wahlfreiheit nur noch auf dem Papier steht, weil ein Monopol auf einem Markt herrscht.
Wir müssen Regelungen merkbar machen; auch das
ist wichtig. Man kann natürlich hochkomplexe Regelungen festlegen, die dann aber nur noch wenige für sich in
Anspruch nehmen können. Man darf den mündigen Verbraucher und die informierte Verbraucherin nicht so
missbrauchen, dass man von ihm bzw. ihr verlangt, zu
einem wandelnden Lexikon oder einem wandelnden Taschenrechner zu werden. Das hat zum Beispiel Auswirkungen auf die Frage, wie ich die Kennzeichnung bei
Lebensmitteln vornehme.
({0})
Schließlich kommen Gesetze und Ordnungsrecht
überall dort zum Tragen, wo der Schutz der Gesundheit
im Vordergrund steht. In diesem Bereich darf es eben
nicht mehr möglich sein, alles Mögliche anzubieten,
sondern ein bestimmter Standard muss von vornherein
durchgesetzt werden.
Herr Kollege Kelber, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?
Ja. Ich hatte die Frage zu einem späteren Zeitpunkt erwartet, aber ich erlaube sie auch schon gerne jetzt.
Angeregt durch das Stakkato der Kollegin Klöckner,
bei der ich überlegt habe, ob ich ihr durch eine Frage zu
mehr Redezeit verhelfen sollte, aber mich nicht mehr
rechtzeitig gemeldet habe, möchte ich nun Sie, Herr
Kelber, fragen, ob Sie der Auffassung sind, dass das Verbraucherinformationsgesetz noch erheblich zu verbessern ist. Beispielsweise erfüllt es ja nicht die Aufgabe,
die kriminellen Machenschaften in der Fleischindustrie
tatsächlich einzudämmen und so die schwarzen Schafe
auszusortieren, wie das Minister Seehofer einst versprochen hatte.
Schwierig beim Verbraucherinformationsgesetz sind
auch die Regelungen zu den Gebühren und zur Auskunftspflicht. So werden unglaublicherweise Betriebsgeheimnisse von Unternehmen so stark geschützt, dass der
Verweis auf „sonstige wettbewerbsrelevante Informationen“ ausreicht, um den Informationsanspruch der Bürgerinnen und Bürger, die eigentlich ab Mai die Gelegenheit
haben sollen, Auskünfte zu bekommen, einzuschränken.
({0})
Sind Sie also der Auffassung, dass dieses Verbraucherinformationsgesetz, so wie es die SPD immer gefordert
hat, bald verbessert werden sollte und insbesondere beim
Thema Lebensmittelkennzeichnung - das hat auch Frau
Wolff schon dargestellt - eine deutliche Verbesserung
nötig ist und dass Minister Seehofer das mitbedenken
sollte?
Frau Kollegin Höfken, für Statements ist normalerweise die Redezeit gedacht.
({0})
Sie müssen sich eben beim nächsten Mal innerhalb Ihrer
Fraktion durchsetzen.
Natürlich beantworte ich gerne Ihre Frage, die Sie mir
wahrscheinlich auch deswegen gestellt haben, weil Sie
meine Aussagen zum Verbraucherinformationsgesetz
aus den Veröffentlichungen kennen. Daher wissen Sie,
dass ich das Verbraucherinformationsgesetz zunächst
einmal für einen großen Schritt nach vorne halte. Wir
sollten die Verbraucherinnen und Verbraucher ermuntern, es zu nutzen, und ihnen nicht von vornherein Angst
machen.
({1})
Wir sind aber darüber hinaus der Meinung, dass es Aspekte gibt, die nach einer gewissen Zeit überprüft werden
müssen. Das ist eine Aufgabe, an die wir herangehen
müssen. Die Gebührenfrage ist unserer Ansicht nach
nicht die wichtigste Frage. Wir sehen in der in diesem
Gesetz festgelegten Gebührenordnung keine Schlechterstellung gegenüber dem Informationsfreiheitsgesetz, das
wir in der Zeit von Rot-Grün gemeinsam umgesetzt haben. Ich hoffe, dass die Beamtinnen und Beamten die
Verbraucherinnen und Verbraucher auf die Gebühren,
mit denen zu rechnen ist, aufmerksam machen werden.
Trotzdem fände ich es schön, wenn wir eines Tages auch
über so etwas wie die Erstellung von Kostenvoranschlägen in diesem Bereich reden könnten.
Was ist zu überprüfen, eventuell zu verbessern? Die
erste Frage ist, ob bezüglich der Abwägung zwischen
Betriebsgeheimnissen und dem Wunsch nach Herstellung von mehr Öffentlichkeit das Gesetz konkretisiert
werden muss. Die zweite Frage ist, ob wir eine Ausweitung auf andere Bereiche, zum Beispiel auf die Dienstleistungen, vornehmen müssen. Die dritte Frage ist, ob
wir für eine aktivere Rolle des Staates schon bei der Veröffentlichung von Informationen sorgen müssen. Das
sind die Elemente, über die man ein Jahr nach Einführung dieses Gesetzes sprechen sollte.
({2})
- Frau Höfken, das war meine Antwort. Ich denke, sie
war mehr als ausreichend, auch wenn sie nicht ganz so
lang war wie Ihr Statement.
Wenn wir unsere Vorstellung von Verbraucherschutz
und der Rolle der Verbraucherinnen und Verbrauchern
mit der Wirklichkeit vergleichen, dann werden die einzelnen Aufgaben der Verbraucherschutzpolitik deutlich.
Ein Punkt, um den wir uns gegenwärtig kümmern,
auch wenn die Federführung nicht bei unserem Ausschuss liegt, ist das Scoring bei Krediten. Die erste Frage
hierzu lautet: Warum bieten Banken Kunden einen Kredit zu einem anderen Prozentsatz an als zu dem, mit dem
sie werben, bzw. wie kommt es, dass sie sogar Kredite
gänzlich verweigern, weil das Risiko zu hoch sei? Die
zweite Frage hierzu lautet: Welche Daten werden verwendet? Können wir ausschließen, dass Daten, auf die
ich persönlich überhaupt keinen Einfluss habe, zum Beispiel die Wohnumgebung, mein Alter und Ähnliches, zu
Diskriminierungen führen? Es ist also notwendig, das
Scoring gesellschaftlich zu kontrollieren. Es geht nicht
darum, das Scoring abzuschaffen. Es liegt nämlich
durchaus im Interesse aller Bankkunden, dass Kreditausfälle nicht zu häufig auftreten. Es ist aber sicherzustellen, dass beim Scoring nur die Daten verwendet werden,
die gesellschaftlich akzeptabel sind. Außerdem müssen
die Verbraucherinnen und Verbraucher darüber informiert werden, warum ihnen bestimmte Angebote vorenthalten werden, damit sie aktiv darauf hinwirken können,
bessere Angebote zu erhalten. Das ist ein Bereich des
Verbraucherschutzes, in dem wir vorankommen wollen.
Über das Thema der Kennzeichnung hat die Kollegin
Wolff bereits gesprochen. Vor kurzem haben wir uns auf
das „Ohne Gentechnik“-Siegel geeinigt. Das wurde von
allen Verbraucherschutzverbänden als großer Durchbruch dargestellt.
({3})
Ich glaube, wir brauchen langfristig auch noch mehr
klare Kennzeichnungen, ohne die Verbraucherinnen und
Verbraucher dadurch zu überfordern. Es geht zum Beispiel um die soziale Verantwortung bei der Herstellung
von Produkten, also um Fragen der Art und Weise und
des Ortes der Produktion. Das hat ja Auswirkungen auf
die Entstehung oder den Abbau von Arbeitsplätzen. Den
Verbraucherinnen und Verbrauchern müssen hier Vergleichsmaßstäbe geboten werden, damit sie in ihre Kaufentscheidung auch gesellschaftliche Umstände einbeziehen können.
Sie haben ganz aktuell mitbekommen, dass Justizund Verbraucherschutzministerium einen gemeinsamen
Vorschlag hinsichtlich der Werbeanrufe vorgelegt haben.
Es geht dabei sowohl um die Werbeanrufe, die schon
heute, nach geltendem Recht, illegal sind, als auch um
die, mit denen auf Basis einer schon bestehenden Geschäftsbeziehung etwas erreicht werden soll. Ich finde es
gut, dass wir die Regelung hinsichtlich der illegalen Anrufe weiter verschärft haben: Künftig ist die Rufnummerunterdrückung nicht mehr erlaubt. Die heutige Technik
macht es möglich, die Nummer desjenigen, der die Rufnummerunterdrückung aktiviert hat, nachzuvollziehen.
So kann das Bußgeld klar zugeordnet werden. Außerdem regeln wir klar, unter welchen Bedingungen ein
Vertrag am Telefon abgeschlossen werden kann. Ich
meine aber, dass man über das Ziel hinausschießt - ich
meine nicht die Abgeordneten aus der Koalition -, wenn
man grundsätzlich eine schriftliche Vereinbarung fordert. Das nützt nichts, denn es würde bedeuten, dass man
nicht einmal eine Pizza oder ein Taxi per Telefon bestellen kann. Das wollen wir nicht.
Uns geht es um Folgendes: Bei einem Zeitschriftenbezug kann ich sagen, dass ich diese Zeitung nicht haben
will, und den Vertrag widerrufen. Bei Verträgen mit
Strom- oder Telefonanbietern und bei bestimmten Bankdienstleistungen bekomme ich aber nichts Schriftliches
in die Hand, obwohl die Dienstleistung beginnt. Für solche Fälle verlangen wir in Zukunft eine schriftliche Bestätigung, weil der Verbraucher sein Recht auf Widerruf
sonst nicht wahrnehmen kann. Dadurch werden wir eine
Unart, die Einzug gehalten hat, innerhalb kürzester Zeit
abwürgen. Ich halte das für einen großen Schritt in Sachen Verbraucherschutz.
({4})
Die Richtlinie der Europäischen Union zu den Fahrgastrechten werden wir in Deutschland zum frühestmöglichen Zeitpunkt umsetzen. Ich halte es für wichtig, dass
wir eine Form wählen, die erstens für angemessene Entschädigung der Betroffenen sorgt, zweitens den Druck
erhöht, auf der gesamten Verkehrskette für Pünktlichkeit
zu sorgen, und drittens merkbar ist. Das heißt, wir sollten im Fernverkehr nicht eine Regelung treffen, die wir
nach wenigen Jahren, wenn die europäische Richtlinie
verbindlich wird, nicht mehr aufrechterhalten können.
Vielmehr sollten wir sie möglichst nah an der Richtlinie
orientiert gestalten. Wir sollten überall dort, wo es möglich ist, im Fern- und Nahverkehr vergleichbare Regelungen vorsehen. Ich möchte die Verbraucherin oder den
Verbraucher sehen, die oder der unterscheidet, zu welchem Geschäftsbereich ein Zug gehört. Wenn man nur
diese Kriterien ansetzt, kann man deutlich über das
hinausgehen, was sich der Hauptbetreiber, die Deutsche
Bahn AG, heute so an Verbraucherinnen- und VerbrauUlrich Kelber
cherrechten in seinem Bereich wünscht. Das Gute ist:
Die Politik wird die Bedingungen festlegen und nicht die
Deutsche Bahn AG.
({5})
Ganz aktuell führen wir eine Diskussion über einen
Informantenschutz im Bereich von Lebensmitteln. Ich
danke Herrn Goldmann dafür, dass er die Presse im
Laufe des heutigen Tages auf diesen Bereich aufmerksam gemacht hat. Ich bin mir sicher, dass wir sehr
schnell für einen deutlichen Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sorgen werden, die die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, dass der Betrieb, in
dem sie arbeiten, illegal handelt oder sogar Gesundheit
und Leben der Verbraucherinnen und Verbraucher gefährdet. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
müssen geschützt werden. Eine entsprechende Regelung
brauchen wir noch im ersten Halbjahr 2008.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8499
mit dem Titel „Verbraucherpolitischen Bericht vorlegen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Moderne Verbraucherpolitik fortführen und weiterentwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8398, den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/684
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung
der Fraktion Die Linke.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer,
Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Walter Riester, Dr. Sascha
Raabe, Gabriele Groneberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Entwicklungs- und Schwellenländer verstärkt
beim Aufbau und bei Reformen von sozialen
Sicherungssystemen unterstützen und soziale
Sicherung als Schwerpunkt der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit implementieren
- Drucksachen 16/7747, 16/8484 Berichterstattung:
Abgeordnete Sibylle Pfeiffer
Dr. Karl Addicks
Ute Koczy
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Es gibt
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Walter Riester von der SPDFraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
freut mich sehr, auf welch breite Zustimmung dieser Antrag, den wir heute beschließen wollen, während der Beratung in den Fachausschüssen und in der Rückkoppelung mit dem Ministerium bei den Vorfeldorganisationen
der Entwicklungsarbeit - der GTZ und der KfW - und
auch bei vielen Nichtregierungsorganisationen gestoßen
ist. Warum ist die Zustimmung so groß? Ich glaube, vor
allem deswegen, weil erkannt wird, dass Armutsbekämpfung in den Entwicklungs- und Schwellenländern
langfristiger und nachhaltiger Strukturen bedarf, die die
Menschen in die Lage versetzen, die großen Lebensrisiken wie Krankheit, Altersarmut und die generelle Verbreitung der Armut selbst zu bewältigen.
Ich möchte auf einige Argumente eingehen, die ich
im Verlauf der Debatte gehört habe und die mit dem Antrag eigentlich nichts zu tun haben, sondern aus unserer
eigenen, zu engen Sichtweise der Thematik entstanden
sind.
Es geht natürlich nicht darum, sozusagen den Schatten Bismarcks über Afrika zu legen oder Diskussionen
über das Gesundheitswesen oder die Riester-Rente, die
wir hier in Deutschland haben, in Lateinamerika oder in
Asien anzustoßen. Nein, es geht darum, zu erkennen,
dass sich die Voraussetzungen in den Ländern, über die
wir sprechen, ganz gravierend von den Voraussetzungen
bei uns in Deutschland unterscheiden und wir deswegen
Ansatzpunkte brauchen, die jenen Voraussetzungen gerecht werden.
In allen diesen Ländern können wir aber sehen, dass
die ursprünglich von den Familien getragene Sicherung
zunehmend zerbricht, keine strukturellen Alternativen
da sind und deswegen dauerhafte Armutsminderung
kaum angegangen werden kann. Die Voraussetzungen
sind aber nicht in allen Ländern gleich. Einerseits haben
wir Länder, in denen es kaum Krankenhäuser gibt und
kaum Pflegepersonal vorhanden ist. Andererseits haben
wir Länder wie beispielsweise Südafrika - das habe ich
schon in der ersten Debatte gesagt -, die sozusagen
Leuchttürme des entwickelten Gesundheitswesens
vorzuweisen hatten und haben - so wurde die erste Herztransplantation in Südafrika durchgeführt -, in denen es
aber gleichzeitig eine massenweise Unterversorgung der
Bevölkerung gibt.
Im Laufe der Diskussion kam auch die Frage auf, was
Altersarmut in Ländern bedeutet, in denen über 50 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre alt sind. Das bedeutet vor allem, dass wir uns vergegenwärtigen müssen,
was bei dieser einseitigen Bevölkerungszusammensetzung geschieht, wenn die starke Altersgruppe der Jungen
in einem Prozess, den wir uns nur wünschen können,
nämlich dem der Wohlstandsmehrung, in der Alterspyramide nach oben wandert und es keinen Geburtenüberschuss mehr gibt: In 30 bis 40 Jahren - das ist für die
Vorsorge in Altersvorsorgesystemen eine sehr kurze
Zeit - wird es in diesen Ländern damit ein riesiges Problem geben. Wenn wir das aber jetzt schon erkennen, ist
es enorm wichtig, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir in diesen Ländern mit einzelnen Projekten
für die Menschen entsprechende Strukturen entwickeln
können. Das geht allerdings nicht schnell und auf wohlfeile Art. Aber wenn es uns gelingt, in den nächsten drei
bis vier Jahren mit sechs oder sieben solcher Modellprojekte die Menschen in den Ländern selbst zu bewegen,
dann sind wir schon sehr weit und einer Antwort auf die
oben gestellte Frage nahe.
Ich will auf die Budgetförderung, die wir im Hinblick
auf die Entwicklungszusammenarbeit teilweise kontrovers diskutieren, eingehen. Wir müssen mit den in der
Regierung Verantwortlichen und den Parlamentariern eines solchen Landes darüber diskutieren, dass mit den
Mitteln der Budgetförderung eine Verbreiterung der
Strukturen vorgenommen wird. Auf diese Weise entsteht
hier eine ganz andere politische Dimension. Ich kann
mir aber auch vorstellen, dass wir ganz neue Kooperationen haben werden.
Ich habe mich sehr gefreut, als ich vor kurzem gelesen habe, dass die GTZ derzeit in Indien in Kooperation
mit der WHO und der ILO ein Projekt durchführt, bei
dem es insbesondere darum geht, zu lernen, welche
Strukturen sich auf dem informellen Arbeitsmarkt entwickeln. Noch mehr hätte ich mich gefreut, wenn es eine
Kooperation mit SEWA gegeben hätte, der größten Frauenorganisation Indiens, die große Erfahrungen in diesem
Bereich hat. In unserer Diskussion im Ausschuss hat die
Kollegin Koczy zu Recht darauf hingewiesen, das dies
ein zentraler Ansatzpunkt ist. Denn die familiäre Sicherung ist im Regelfall über die Frauen gelaufen. Und
Frauen können auch auf den informellen Arbeitsmärkten
die Strukturen weiterentwickeln, die notwendig sind, um
diese Sicherung aufzubauen.
Ich kann mir aber auch andere Kooperationen vorstellen, so könnten in Deutschland mit denjenigen Ministerien, die Erfahrungen in bestimmten Bereichen haben,
wie das Gesundheitsministerium und das Arbeitsministerium, aber nicht die spezifische Erfahrung des BMZ,
wie es in Entwicklungsländern aussieht, kohärente Herangehensweisen entwickelt werden.
Meine nächste Überlegung. Wenn wir solche Modellprojekte durchführen, dann wäre es interessant - dazu
habe ich gerade auch mit Blick auf Indien geraten -, im
Rahmen solcher Kooperationen auch Fachleute aus anderen Bereichen einzubeziehen, die mehr Erfahrungen
mit dem informellen Arbeitsmarkt haben als wir. Ich
finde, dieses Projekt beinhaltet viele Ansätze, die verdeutlichen können, dass durch Entwicklungsarbeit eine
nachhaltige Struktur aufgebaut werden kann und dass sie
nicht in der „Caritas-Haltung“, die wir häufig erleben
- das ist nicht wertmindernd gemeint -, verharren muss.
Lassen Sie mich ein Beispiel anführen und kurz auf
die Situation in Malawi zu sprechen kommen. In ganz
Malawi gibt es nur vier Krankenhäuser. Allerdings werden dort sehr große Anstrengungen unternommen, um
Menschen als Ärzte oder Pflegepersonal zu qualifizieren. Anschließend arbeitet dieses qualifizierte Personal
aber zum größten Teil in Großbritannien und Schottland.
Bei meinen Besuchen in Afrika habe ich mehrfach den
erschütternden Satz gehört: In Manchester gibt es mehr
in Malawi medizinisch ausgebildetes und qualifiziertes
Personal als in ganz Malawi. - Gleichzeitig stellen wir
fest, dass in Malawi sehr engagierte Ärzte der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ arbeiten. Ich denke, diese
Strukturen müssen aufgebrochen werden.
Manchmal habe ich das Gefühl: Das Hauptproblem
der HIV/Aids-Bekämpfung besteht nicht darin, dass
Geld fehlt, sondern darin, dass die personellen und strukturellen Voraussetzungen mangelhaft sind. Um diese
Geißel zu bekämpfen, müssen die Bedingungen verbessert werden.
In einer interessanten Untersuchung, die von der ILO
durchgeführt wurde, kam man zu dem Ergebnis: Wenn
man im Senegal und in Tansania 3 Prozent des jeweiligen Bruttosozialproduktes in eine Grundsicherung gegen
Altersarmut und in eine Grundsicherung für Kinder investieren würde, dann könnte die Armut in beiden Ländern um 40 Prozent reduziert werden.
({0})
Ich kann nicht beurteilen, ob das stimmt.
({1})
Daran wird aber deutlich, dass es ein vielversprechender
Ansatz ist, diese Mittel in Strukturen zu investieren, die
nachhaltige Wirkungen haben
({2})
und den Menschen die Möglichkeit eröffnen, die Armut
selbst zu bekämpfen.
({3})
Wenn dieser Kerngedanke richtig ist, dann verspreche
ich mir davon sehr viel. Ich finde es toll, dass das zuständige Ministerium seine breite Unterstützung zugesagt
hat, wenn es darum geht, diesen Ansatz in der Entwicklungsarbeit schwerpunktmäßig zu verfolgen. Das BMZ
ist auf InWEnt zugegangen und hat gesagt: Wir möchten
einen Workshop organisieren, in dessen Rahmen wir die
Beteiligten zusammenführen. - Ich fände es angesichts
der unterschiedlichen Voraussetzungen gut, wenn auch
die Beauftragten des Ministeriums für die jeweiligen
Länder ihre Fachkompetenz einbringen, damit wir besser beurteilen können, in welchen Ländern die Voraussetzungen, um diesen Prozess zu unterstützen, am ehesten erfüllt sind.
Ich habe mich in meinem Redebeitrag bewusst auf die
Frage konzentriert: Welche konkreten Maßnahmen können aus diesem Antrag abgeleitet werden? Häufig stelle
ich nämlich fest: Wir beschließen einen Antrag und gehen sofort zum nächsten aktuellen Thema über.
({4})
Ich denke aber, wenn wir uns auf etwas verständigen - in
den Fachausschüssen haben wir bereits eine Verständigung erzielt -, dann muss das für die Menschen auch
praktische Folgen haben.
({5})
Lassen Sie mich zum Schluss einen sehr zugespitzten
Gedanken formulieren. Ich kann mir vorstellen, dass wir
in der einen oder anderen Frage selbst Lernende sind.
Wir erleben, wie der Arbeitsmarkt in Deutschland ausfranst - mittlerweile gibt es 7 Millionen 400-Euro-Jobber - und dass wir mit den bisherigen Instrumenten
kaum noch Antworten geben können. Ich verspreche mir
solche Antworten nicht von den Menschen in den Entwicklungsländern, die überwiegend im informellen Arbeitsmarkt arbeiten; aber ich denke, wir kommen auf
eine Ebene, bei der man davon sprechen kann, dass wir
auf gleicher Augenhöhe lernen. Hier können wir möglicherweise Erfahrungen einbringen. Auf jeden Fall müssen wir wegkommen von einer Betrachtung, die davon
ausgeht, dass das eine Land Geberland, das andere Nehmerland ist. Wir müssen gemeinsam Lösungen für die
großen Herausforderungen entwickeln.
Herzlichen Dank.
({6})
Den Beitrag des Kollegen Dr. Karl Addicks von der
FDP-Fraktion nehmen wir zu Protokoll, weil er gegen-
wärtig zu meiner Rechten als Schriftführer tätig sein
muss.1)
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hüseyin Aydin von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war
schon bei der ersten Beratung im Januar auffällig, wie
positiv die Rednerinnen und Redner der Regierungs-
koalition zu dem vorliegenden Antrag Stellung bezie-
hen. Dieser Antrag ist notwendig geworden. So heißt es
im Antrag selbst, dass soziale Aspekte in der Entwick-
1) Anlage 2
lungszusammenarbeit jahrelang vernachlässigt worden
seien. Das ist ein starkes Stück; denn wie will man Hunger und extreme Armut nachhaltig bekämpfen, ohne
dass man die sozialen Aspekte in den Mittelpunkt rückt?
({0})
Hier gibt es offenbar eine Schieflage. Ich fasse diese
Schieflage wie folgt zusammen: Zum einen werden sozialpolitisch ausgerichtete Entwicklungsprogramme systematisch durch marktradikale Außenwirtschaftspolitik,
Handelspolitik konterkariert; wir haben dies des Öfteren
thematisiert. Zum anderen leidet die deutsche Entwicklungspolitik an ihrer in sich widersprüchlichen Ausrichtung. So werden durch die deutsche Entwicklungspolitik
in einem Land wie Vietnam die berufliche Bildung und
das Gesundheitswesen in ländlichen Räumen gefördert
- was wir begrüßen -; aber diese Maßnahmen bleiben
bruchstückhaft, da die durch Entwicklungsgelder massiv
unterstützte Ausrichtung auf die Förderung der Privatwirtschaft alles andere in den Hintergrund treten lässt.
Mit der Entwicklungspolitik wird letztendlich versucht,
den deutschen Konzernen dabei zu helfen, einen Fuß in
die Tür zu bekommen. Dies ist kein Einzelfall, dies ist
symptomatisch.
Zumindest im Gesundheitsbereich kann die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit mit einigen vielversprechenden Projekten aufwarten. Damit man in diesem Bereich vorankommt, müssen die Anstrengungen, wie es
Walter Riester am Beispiel Malawi dargestellt hat, beim
Personal ansetzen. Wie es im Antrag festgestellt wird, ist
die Abwanderung von medizinischen Fachkräften insbesondere für Schwarzafrika ein riesiges Problem.
Herr Kollege Aydin, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Eid?
Selbstverständlich.
Bitte schön, Frau Eid.
Sie sagten, dass die Entwicklungskooperation hauptsächlich dazu dient, dass Konzerne einen Fuß in die Tür
bekommen. Können Sie mir sagen, was daran unredlich
sein soll, wenn deutsche Firmen dazu beitragen, dass in
Ländern der Dritten Welt bzw. in Schwellenländern Arbeitsplätze geschaffen werden und die Menschen ein
Einkommen haben? In manchen dieser Länder sind
70 Prozent der Bevölkerung Jugendliche unter 20 Jahren; der Kollege Riester hat darauf hingewiesen. Was ist
daran zu kritisieren, wenn auch deutsche Firmen Arbeitsplätze schaffen und diesen Menschen eine Zukunftsperspektive geben? Die Firmen zahlen vor Ort
Steuern. Die Staaten haben damit ein Einkommen, mit
dem sie wiederum Schulen bauen können und ein Gesundheitssystem aufrechterhalten können. Was ist daran
zu kritisieren?
({0})
Frau Kollegin, ich möchte Ihnen am Beispiel Kenia
deutlich machen, warum die Linke hier starke Kritik übt.
Über Infrastrukturprogramme und die Handelsliberalisierung wurden in Kenia viele staatliche Unternehmen
privatisiert. Es wurden Sonderwirtschaftszonen eingerichtet, in denen den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen nicht einmal das im Land geltende Recht zugute
kommt. Die Beschäftigten arbeiten in den Sonderwirtschaftszonen 45 Stunden in der Woche für 2 Dollar am
Tag. Ich habe nichts dagegen, dass die betroffenen Firmen gefördert werden.
({0})
Ich bin aber dagegen, dass sie aus dem Topf für Entwicklungszusammenarbeit gefördert werden. Die in diesem Bereich zur Verfügung stehenden Mittel sollten vor
allem für soziale Aufgaben eingesetzt werden, um Armut nachhaltig zu bekämpfen und Gesundheitsstrukturen zu schaffen.
({1})
Um soziale Sicherungssysteme aufbauen zu können,
müssen wir unsere Kraft vor allem darauf konzentrieren,
dass mehr medizinische Fachkräfte in die Drittweltstaaten entsandt werden.
Ich komme zu einem weiteren Kernbereich: die Daseinsvorsorge. In diesem Bereich gibt die deutsche Entwicklungspolitik ein überaus bescheidendes Bild ab. Vor
allem beim Aufbau von Systemen zum Schutz vor Altersarmut und Arbeitslosigkeit herrscht totale Flaute. In
diesem Bereich fordert der Antrag ein grundsätzliches
Umsteuern. Genau deshalb unterstützen wir ihn.
Es gibt Stimmen, die das für utopisch erklären. Manche meinen, in wirtschaftlich schwächeren Ländern
könne keine Rentenversicherung funktionieren. Das ist
Unsinn. In vielen Schwellenländern gab es gut funktionierende Rentensysteme, die erst unter dem Druck der
Weltbank mit ihren Privatisierungsprogrammen kaputt
gemacht wurden. So wurden beginnend mit Chile im
Jahr 1981 unter dem Druck der Weltbank in zwölf lateinamerikanischen Ländern die öffentlichen Rentensysteme
zurückgefahren und durch Systeme privater Vorsorge ersetzt. Das nutzte - wie auch in Deutschland - nur denjenigen, die sich das leisten konnten, und den Versicherungskonzernen.
({2})
Jüngst zog Guillermo Perry, Chefökonom der Weltbank für Lateinamerika, eine ernüchternde Bilanz. Er
stellte fest, dass in den lateinamerikanischen Ländern, in
denen es ein privates Rentensystem gibt, heute mehr als
die Hälfte der Arbeitnehmer von jeglicher Altersvorsorge ausgeschlossen sind. Ich frage mich deshalb, wen
die Weltbank bekämpft: die Armut oder die Armen?
Insofern stelle ich in Ergänzung zum Antrag fest: Die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit braucht in der
Tat eine grundsätzlich neue Ausrichtung. Aber das muss
ihr Wirken in den multilateralen Institutionen wie der
Weltbank mit einschließen.
({3})
Es ist absurd, wenn in der bilateralen Zusammenarbeit
auf den Aufbau kostenloser Gesundheitsvorsorge gesetzt
wird, aber die Vertreter der Bundesregierung in der Weltbank und im IWF auf die Senkung staatlicher Sozialausgaben drängen.
Genauso absurd ist es, wenn die Bundesregierung in
der EU die Verschärfung des Patentrechts fordert und so
die überlebenswichtige Versorgung von Aidspatienten
mit bezahlbaren Präparaten erschwert.
Ein weiterer Schritt ist - er wäre im Übrigen völlig
kostenlos -, dass Deutschland endlich die Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert.
({4})
Das würde das richtige Signal an die Partnerländer aussenden. Schließlich gibt es in armen Ländern, in denen
mehr als drei Viertel der Bevölkerung in der Schattenwirtschaft arbeiten, für die allermeisten Beschäftigten
keine medizinische Grundversorgung, keine Arbeitslosenversicherung und keinen Mutterschutz.
Herr Kollege Aydin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, endlich
zu handeln und zumindest das IAO-Übereinkommen 177
über Heimarbeit zu ratifizieren.
({0})
Wenn heute die Umsetzung des Antrags beschlossen
werden sollte, dann werden wir als Fraktion Die Linke
die weiteren Schritte beobachten und auch weiterhin
konstruktiv-kritisch die Arbeit der Bundesregierung begleiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Aydin, ich kann es mir nicht verkneifen
- nur zur Information -: Privatisierung bedeutet nicht Investition. Dazwischen besteht ein riesengroßer Unterschied. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Natürlich kann man lange darüber diskutieren, ob man die Wirtschaftsförderung in den
Entwicklungsländern im BMZ oder vielleicht im Wirtschaftsministerium ansiedeln sollte. Ich verstehe aber
nicht, warum gerade von Ihrer Seite Kritik kommt; denn
die Kontrolle staatlicher Gelder in den Entwicklungsländern geht nur über das BMZ und nicht über das WirtSibylle Pfeiffer
schaftsministerium. Darüber sollten Sie sich im Klaren
sein.
Lieber Kollege Aydin, warum betreiben wir eigentlich Entwicklungszusammenarbeit? Wir wollen, dass
sich die betreffenden Länder wirtschaftlich so stabilisieren, dass sie irgendwann eigene soziale Sicherungssysteme finanzieren können. Sie wollen nur Gelder verteilen, und zwar vom Staat auf den Staat zu den Menschen.
Auf diese Art und Weise gibt es nirgendwo eine Entwicklung. Das funktioniert so nicht. Bei Ihrer Rede hatte
ich den Eindruck, dass es Ihnen gar nicht um die Unterstützung des Aufbaus sozialer Sicherungssysteme in den
Entwicklungsländern geht, sondern um irgendeine ideologische Debatte. Sicherlich können wir irgendwann
eine allgemeine Debatte führen. Aber Sie haben das Problem offensichtlich nicht erkannt.
({0})
Ich komme nun auf die Unterstützung des Aufbaus
sozialer Sicherungssysteme in den Entwicklungsländern
zu sprechen. Das ist alles andere als ein abstraktes Nischenthema. Dieses Thema hat etwas - lieber Kollege
Aydin, hör mir zu;
({1})
denn das ist das Wichtigste - mit Menschenwürde und
Menschenrechten zu tun; darüber reden wir. Wir müssen
uns vergegenwärtigen, dass 80 Prozent der Menschheit
in sozialer Unsicherheit leben. Das heißt, dass diese
Menschen den größten Lebensrisiken wie Alter, Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit und Tod des Ernährers
schutzlos ausgeliefert sind. Die Folgen sind allerdings
alles andere als abstrakt. Im Gegenteil: Sie sind bittere
Realität. Es besteht ein Zusammenhang zwischen fehlender sozialer Sicherheit und Armut. Dass die Hälfte
der Menschen weniger als 2 Dollar pro Tag zum Leben
hat, hängt auch damit zusammen.
Die Armutsbekämpfung ist die zentrale Aufgabe
deutscher Entwicklungspolitik. Da die Ursachen für Armut komplex sind, müssen auch die Lösungsmöglichkeiten sehr vielschichtig sein. Ich bin fest davon überzeugt,
dass die Verankerung von sozialen Sicherungssystemen
einen wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung in den
Entwicklungsländern leistet. Lieber Kollege Aydin, das
ist die Botschaft unseres Antrags: Systeme der sozialen
Sicherung bedeuten vorbeugende und ausgleichende
Maßnahmen gegen Notlagen, die der Einzelne ohne
fremde Hilfe nicht bewältigen kann. Das heißt aber auch
Hilfe zur Selbsthilfe.
Fehlende soziale Sicherungssysteme erschweren es
den Menschen, aus der Armut herauszukommen. Fehlende soziale Sicherungssysteme sind aber oft der
Grund, dass Menschen in Armut geraten, zum Beispiel
wenn sie krank sind und unter Umständen ihr ganzes
Vermögen für Medikamente und Pflege aufbrauchen.
Diesen Kreislauf gilt es aufzubrechen. Der Aufbau sozialer Sicherungssysteme ist für die Entwicklungsländer lebenswichtig.
({2})
Aus Sicht der Armen ist ein fehlendes Sozialsystem
ein Hauptproblem. Das hat eine Untersuchung der Weltbank im Jahre 2000 ergeben. Mehr als 1,3 Milliarden
Menschen haben keinen Zugang zu einer ausreichenden
Gesundheitsversorgung. Jährlich fallen mehr als 100 Millionen Menschen neu in die Armut, zum Beispiel weil
sie nicht krankenversichert sind und keine Versicherung
gegen Krankheitskosten haben. Die arme Bevölkerung
in den Entwicklungsländern ist in einem regelrechten
Teufelskreislauf. Sie ist in einer Krankheits-ArmutsFalle gefangen. Weil die Menschen arm sind, sind sie
krank. Weil sie krank sind, werden sie noch ärmer.
({3})
- Das ist eigentlich nicht Teil unseres Antrags. Aber ich
kann es gerne erklären. Wenn alle Zeit haben, habe ich
nichts dagegen. Es dauert eine Dreiviertelstunde.
In diesem Zusammenhang reden wir über das Solidarsystem in den Großfamilien. Manchmal stehen wir daneben und stellen fest, dass dieses Sozialsystem so, wie es
dort in den Großfamilien funktioniert, bei uns auch einmal funktioniert hat. Aber selbst dort lösen sich diese
traditionellen Strukturen auf. In den Entwicklungs- und
Schwellenländern wird die Zahl der Großfamilien immer
kleiner. Grund hierfür sind als Erstes die Wanderarbeiter,
aber auch Flüchtlings- und Migrationsströme, die vor allen Dingen durch Bürgerkriege, Vertreibung sowie, liebe
Freunde, durch HIV/Aids ausgelöst werden.
Es gibt dort keine staatlichen sozialen Sicherungssysteme, wie wir sie uns vorstellen. Aber es gibt dort Ansätze solcher Systeme, wenn auch nicht mit den Begrifflichkeiten, wie wir sie hier kennen. Für die Menschen in
den Entwicklungsländern sind Arbeitslosenversicherung, Unfallversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung, Hinterbliebenenversicherung usw.
Fremdwörter. Dort, wo es die Idee eines solchen Systems gibt, profitiert eine kleine elitäre Minderheit davon,
zumeist im militärischen Bereich, in der staatlichen Verwaltung und Ähnliches. Aber der größte Teil der Menschen ist davon ausgeschlossen. So haben beispielsweise
lediglich 10 Prozent aller Afrikaner Zugang zu sozialen
Sicherungssystemen.
Aus eigener Erfahrung - aus deutscher, aber auch aus
europäischer Erfahrung - wissen wir, dass soziale Sicherungssysteme und wirtschaftlicher Erfolg eines Landes
keine Gegensätze sind. Im Gegenteil, es ist nachweisbar,
dass soziale Sicherungssysteme einen positiven Einfluss
auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes haben.
Dies haben wir nach der Industrialisierung selbst erlebt.
Das wirtschaftliche Wachstum in den Entwicklungsländern kann im Übrigen durch die Einrichtung der sozialen Sicherungssysteme gefördert werden. Aus eigener
Erfahrung wissen wir auch, dass sich ein eigener Wirtschaftszweig mit den sozialen Sicherungssystemen beschäftigt. Aber wirtschaftliches Wachstum allein garantiert den Entwicklungsländern noch keine nachhaltige
Entwicklung. Manche der sich rasant entwickelnden
Schwellenländer wie China sind mit ihren sozialen Si15886
cherungssystemen einfach nicht nachgekommen; die
wirtschaftliche Entwicklung und die Entwicklung der
sozialen Sicherungssysteme sind nicht parallel gelaufen.
Weil die Entwicklung gerade in diesem Land völlig disparat verlief, ergeben sich große Probleme.
Soziale Sicherungssysteme sind auch im Zusammenhang mit politischer Stabilität zu sehen. Ich mache dies
an Kindern deutlich, die Aidswaisen sind. Sie sind Gewalt und Folter ausgesetzt, leben auf der Straße und haben keine Heimat. Gelegentlich werden sie von Alten
betreut, die selber über keinerlei soziale Sicherung verfügen. Wenn sie schon nicht die Mittel haben, sich selbst
zu ernähren, wie sollen sie sich dann um Aidswaisen
kümmern können? Dies birgt einen riesigen sozialen
Sprengstoff in sich, wie wir aus Deutschland wissen. Die
vernachlässigten und verwahrlosten Kinder und Jugendlichen in unserem Land sorgen sehr wohl für Instabilität
in unserer Gesellschaft. Nun müssen wir uns vorstellen,
was in Subsahara-Afrika, wo mehr als 12 Millionen Kinder und Jugendliche als Aidswaisen leben, geschehen
wird, wenn sie erwachsen werden. Sie haben keine Aussicht auf Bildung und damit auch keine Aussicht darauf,
sich in der Zukunft selbst zu versorgen. Was bleibt ihnen
denn? Sofern es überhaupt diese Möglichkeit gibt, bleibt
jungen Mädchen der Weg in die Prostitution. Im Übrigen
bleiben jungen Menschen der Weg in Kriminalität oder
die Wanderschaft.
Was bedeutet es für Frauen, wenn sie sozial nicht abgesichert sind? Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Erbrecht. Frauen können oft kein Land
erwerben. Das Landeigentum geht im Fall des Todes des
Ernährers auf dessen Familie über, nicht auf die Frau.
Auch das hat etwas mit sozialer Sicherung zu tun. Zwei
Drittel der Ärmsten der Welt sind Frauen. Jährlich sterben 600 000 Frauen an Komplikationen während der
Schwangerschaft und der Geburt. Das würde hier nie geschehen, weil die Frauen hier versichert sind, zur Vorsorge gehen können und wir sie nicht mit ihren Krankheiten alleine lassen. Wir sehen zu, dass sie betreut
werden und dass vor allen Dingen diese Betreuung finanziert wird.
Wir alle haben uns den Millenniumsentwicklungszielen verschrieben. Vier dieser Ziele beziehen sich auf die
Armut. Es geht um die Halbierung der Zahl der Menschen, die arm sind und hungern, die Verringerung der
Kindersterblichkeit, die Verbesserung der Gesundheit
der Mütter und die Bekämpfung von Aids und Malaria.
All diese Themen betreffen die sozialen Sicherungssysteme. Es geht nicht darum, dass wir in den Entwicklungsländern unser „tolles“ Versicherungssystem anpreisen und fordern, dieses zu übernehmen, sondern es geht
darum, auf der bestehenden Kultur und den bestehenden
Systemen aufzubauen und uns unter Berücksichtigung
der Mentalitäten für das Erreichen der Millenniumsziele
einzusetzen. Es geht nicht darum, etwas vorzuschreiben,
sondern darum, die Menschen zu unterstützen. Das ist
Ziel und Zweck des Antrags.
({4})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Thilo Hoppe vom Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor einigen Monaten hat das IFPRI-Institut
aus Washington eine sehr bemerkenswerte Studie vorgelegt, in der es sich sehr differenziert mit der Lage der extrem Armen auseinandergesetzt hat. Wir wissen, dass es
beim Erreichen der Millenniumsziele je nach Sektor, je
nach Teilziel, Fortschritte und Rückschritte gibt. Vor allem aufgrund der wirtschaftlichen Erfolge Chinas ist
global gesehen die Zahl der extrem Armen - dazu zählt
man alle Menschen, die mit weniger als 1 Dollar pro Tag
auskommen müssen - zurückgegangen. Paradoxerweise
ist aber gleichzeitig die Zahl der ultraextrem Armen - ein
eigenartiges Wort - und der Hungernden gestiegen. Man
muss diese Größenordnung sehr differenziert betrachten.
Das liegt einerseits daran, dass in vielen Regionen dieser
Welt Kleinbauern, die auch vorher schon finanziell gesehen arm waren, von ihrer Scholle vertrieben wurden.
Während sie sich vorher mit ihrer Hände Arbeit zumindest noch haben ernähren können, mussten sie jetzt großen Bergbauprojekten, Staudämmen, Palmölplantagen
und der Sojafront weichen. Sie sind jetzt zusätzlich
hungrig, weil sie sich nicht mehr selber ernähren können. Die IFPRI-Studie belegt aber andererseits auch sehr
eindrucksvoll, dass nicht nur der Verlust der eigenen
Scholle für die Kleinbauern ein Grund war, dass sie in
die Gruppe der ultraextrem Armen gefallen sind, sondern in ganz vielen Fällen schlicht und einfach Krankheit und das Fehlen eines Minimums an sozialer Absicherung. 130 Millionen Menschen zählen zu diesen
ultraextrem Armen, die mit weniger als 50 US-Cent auskommen müssen, nearly nothing.
Die Studie macht deutlich, dass diese Gruppe fast
überhaupt keine Chance hat, sich aus eigener Kraft aus
ihrer prekären Lage zu befreien, dass aber ein Minimum
an Sozialhilfe oder Krankenversicherung gereicht hätte,
um diesen Absturz in die Hoffnungslosigkeit zu verhindern. Nicht nur IFPRI, sondern auch viele NGOs und
kirchliche Hilfswerke wie „Brot für die Welt“ und Misereor machen schon seit geraumer Zeit darauf aufmerksam, dass diese Gruppe der Allerärmsten kaum von der
staatlichen Entwicklungszusammenarbeit erreicht und
auch von den jeweils nationalen Regierungen sträflich
vernachlässigt wird. Sie fallen also in doppelter Hinsicht
durch den Rost.
Im Falle von Kriegen, Bürgerkriegen und Naturkatastrophen wird Nahrungsmittelhilfe benötigt; sie stellt immer nur eine begrenzte Nothilfe dar. Über dieses Thema
diskutieren wir morgen.
Um die Lage der extrem Armen strukturell zu verbessern, bedarf es, weil 80 Prozent der Hungernden auf dem
Land leben, einerseits größerer Investitionen in den ländlichen Sektor - ich wiederhole gebetsmühlenartig, dass
hier Kurskorrekturen notwendig sind - und andererseits
- darüber reden wir heute - eines Aufbaus tragfähiger soThilo Hoppe
zialer Sicherungssysteme. Dabei muss man zuallererst
die Zielgruppe der extrem Armen und Hungernden in
den Favelas, den Slums der wachsenden Megastädte, und
auf dem Land im Blick haben.
Ich bin dem Kollegen Walter Riester sehr dankbar,
dass er dieses Thema nach vorne bringt. Wir unterstützen diesen Antrag. Ich freue mich, dass vier von fünf
Fraktionen - die Koalition, die Grünen und die Linken den Antrag unterstützen; die FDP tanzt in diesem Punkt
leider aus der Reihe. Einen Antrag zu veröffentlichen
und tolle Forderungen aufzustellen, ist das eine; es
kommt aber darauf an - das haben Sie gesagt -, sie umzusetzen. Dabei sind uns drei Forderungen besonders
wichtig.
Kollegin Koczy hat schon auf einen der Punkte hingewiesen - Sie haben das aufgegriffen -: die besondere
Rolle der Frauen für das Absichern der Familie, des
Clans und des Gemeinwesens. Ähnlich wie bei der Frage
des Mikrofinanzwesens muss bei der Entwicklung eines
sozialen Sicherungssystems die Rolle der Frau im Mittelpunkt stehen.
Zweitens. Wichtig ist: Wir können nicht stellvertretend für die Partnerländer Sozialhilfeträger sein; so ist
der Antrag nicht gemeint. Die Partnerländer dürfen nicht
von finanziellen Transfers der Geberländer abhängig
werden. Vielmehr geht es darum, wirklich tragfähige soziale Sicherungssysteme aufzubauen. Hier bietet sich
Versicherungsunternehmen kein attraktiver Markt; denn
die Zielgruppe, auf die wir uns konzentrieren sollten,
kann kaum Eigenbeiträge leisten und kaum etwas anlegen. Dieser Zielgruppe ist der Aufbau eines Kapitalstocks - in anderen Ländern gelingt das - nicht möglich.
Drittens. Es ist entscheidend, zwei Dinge miteinander
zu verbinden - Kollegin Eid hat das gesagt -: Um die
Partnerländer auf der einen Seite in die Lage zu versetzen, die sozialen Sicherungssysteme selber zu finanzieren; muss man ihnen auf der anderen Seite beim Aufbau
von Steuersystemen unter die Arme greifen. Die Steuersysteme müssen sozial gestaffelte, progressive Steuersätze vorsehen. Es ist ein Skandal, dass in vielen Ländern die reichen Eliten überhaupt nicht zur Finanzierung
sozialer Sicherungssysteme herangezogen werden.
({0})
Natürlich weiß man: Wenn man entsprechende Vorschläge in den Regierungsverhandlungen vorbringt, löst
das nicht bei allen Partnerregierungen Begeisterungsstürme aus. Vielleicht muss man in diesem Punkt das
Prinzip der Ownership ein wenig infrage stellen. Man
muss klarstellen: Wenn die Entwicklungszusammenarbeit, wie es der Aktionsplan vorsieht, noch stärker menschenrechtsorientiert sein soll - dazu gehören auch die
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte -, dann dürfen wir es den Partnerländern nicht
durchgehen lassen, dass die Ärmsten der Armen vernachlässigt oder vergessen werden.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD mit dem Titel „Entwicklungs- und Schwellenländer
verstärkt beim Aufbau und bei Reformen von sozialen Sicherungssystemen unterstützen und soziale Sicherung als
Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit implementieren“. Der Ausschuss empfiehlt auf
Drucksache 16/8484, dem Antrag zuzustimmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Linken und
Bündnis 90/Die Grünen ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das deutsche Filmerbe sichern
- Drucksache 16/8504 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Wolfgang Börnsen.
({1})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Filmhit des Jahres 1950 trug den Titel Der
Theodor im Fußballtor. Leicht, locker, amüsant und komödiantisch spielte Theo Lingen den Tor-Lehmann und
schaffte eine kleine Freude in einer an Not reichen Nachkriegszeit.
({0})
Sein Filmsong, schlicht und schelmisch, wurde ein Gassenhauer. Einige haben ihn noch im Ohr:
({1})
Der Theodor, der Theodor,
Der steht bei uns im Fußballtor.
Wie der Ball auch kommt,
Wie der Schuss auch fällt,
Der Theodor, der hält!
({2})
Wolfgang Börnsen ({3})
Doch gehalten hat der Olli Kahn der Notzeit den entscheidenden Elfmeter nicht. Denn Der Theodor im Fußballtor kommt nicht mehr vor. In keinem Archiv ist dieser Kultspielfilm mehr aufzutreiben. Dieses Schicksal
teilt Theo mit gut einem Drittel des deutschen Filmkulturerbes. Verloren, verlegt, vergessen - ein Stück Filmerbe ist unwiderruflich auf der Strecke geblieben. Ein
Land, das seine Filme verliert, verliert auch Teile seiner
Erinnerung und seiner Identität.
({4})
Was bei Büchern und Musik eindeutig geregelt ist, hat
auch für den Film zu gelten. Da sind wir uns mit unserer
Kollegin Claudia Roth und den anderen Fraktionen einig:
({5})
Es muss eine Hinterlegungspflicht geben, und zwar nicht
nur für den öffentlich geförderten Film, sondern auch für
die mehr als 2 500 Dokumentar- und Kurzfilme, die bei
uns jährlich gedreht werden.
Im Entwurf für das neue Filmförderungsgesetz hat
der von uns hochverehrte Staatsminister Bernd
Neumann die Archivierungspflicht für den Bund fest
verankert - vorausschauend, wie er eben ist. Die seit
2004 praktizierte Auflage zur Archivierung geförderter
Filme erhält damit Rechtskraft.
Anerkennung verdient auch die Bereitschaft der Produzenten, durch eine freiwillige Selbstverpflichtung
Filmkopien zu sichern. Allein im Bundesarchiv sind
150 000 Spiel- und Dokumentarfilme hinterlegt. Erfasst
und gesichert wird seit 1895, registriert aber erst seit
2004. Eine zentrale Erfassung aller Filme gibt es bisher
nicht. Dazu muss es aber kommen.
({6})
Es gibt bei uns in Deutschland allein zehn größere öffentliche Filmarchive bzw. -museen, dazu kleinere und
Privatsammlungen. Es existieren keine genauen Angaben über die Gesamtzahl der seit 113 Jahren hinterlegten
Kopien. Wir haben versucht, zu ermitteln. Dorothee Bär
und andere wissen es schon: Wir kommen auf über
208 000 Filme, die in Deutschland in Archiven und Museen erfasst sind. Das ist doch ein großartiger Kulturschatz.
({7})
- Ja, einzeln.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt daher die
Initiative der Bundesregierung, durch eine Datenbank
für Übersicht in einem föderalen System zu sorgen. Das
ist nicht zum Nulltarif zu machen. Allein das Bundesarchiv rechnet für die Filmsicherung mit Kosten in Höhe
von 2,1 Millionen Euro jährlich. Die Kosten für die Umkopierung der im Hinblick auf die Haltbarkeit risikoreichen Zellulosenitratfilme sind dabei genauso berücksichtigt wie die Kosten für Maßnahmen beim instabilen
Trägermaterial Acetat. Die Registrierung allein reicht ja
nicht. Das Filmgut braucht Bestandssicherung.
Wer hinter die Kulissen schaut -
Herr Kollege, möchten Sie, bevor Sie hinter Kulissen
schauen, noch eine Zwischenfrage des Kollegen Grund
zulassen?
Aber selbstverständlich.
({0})
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege
Börnsen, teilen Sie meine Einschätzung, dass kostbare
Filme nicht nur archiviert und hinterlegt werden müssen,
sondern ab und zu auch wieder der Öffentlichkeit gezeigt werden sollten, etwa im Fernsehen? Teilen Sie in
diesem Zusammenhang meine Freude darüber, dass der
Mitteldeutsche Rundfunk heute Abend gegen 23 Uhr
den Film „Karbid und Sauerampfer“ aus dem Jahre 1963
zeigt, in dem der jetzt leider verstorbene Schauspieler
Erwin Geschonneck eine herausragende Rolle spielt?
({0})
Herr Kollege Grund, herzlichen Dank für die zutreffende Nachfrage.
({0})
Manfred Grund hat recht. Wie gesagt, wir haben inzwischen ein großartiges Filmarchiv. Es geht aber um die
10 Prozent, die wir noch nicht erfasst haben. Wir leisten
uns zu wenige Wiederholungen. Wir leben von der Aktualität. Traditionspflege und das Erfassen von Kultfilmen
gehört in einem verbesserten Verfahren dazu. Manfred,
du hast gerade einen solchen Kultfilm genannt. Das ist
ein großartiger Film mit einer großartigen schauspielerischen Leistung. Meine Kollegen werden dazu beitragen,
dass die heutige Debatte vielleicht die Sensibilität erhöht, damit wir zu einer verstärkten Aufnahme von Traditionsfilmen kommen. Das würde ich mir sehr wünschen.
Jetzt kommen wir auf die Kulissen zurück. Es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass Bund und Länder einen beachtlichen finanziellen Beitrag zur Erhaltung
des Filmbestandes leisten. Mehr Zusammenarbeit wäre
jedoch wünschenswert. Der vom BKM eingeleitete Beitritt Deutschlands zur Europäischen Konvention zum
Schutz des audiovisuellen Erbes wird diese SicherungsWolfgang Börnsen ({1})
arbeit stabilisieren und stärken. Als eine der großen europäischen Filmnationen können wir den Verlust von weiteren Filmen nicht akzeptieren, da sind wir uns alle einig.
Ein weiteres Eigentor von Theodor im Fußballtor darf es
nicht geben. Ob man nun David oder Götz oder wie auch
immer in den alten traditionsreichen Filmen heißt - es
muss darauf Wert gelegt werden, dass auch die letzten
10 Prozent der noch nicht ermittelten und erfassten Filme
ins Archiv kommen.
Die neue erweiterte Filmpolitik der Bundesregierung
macht nicht nur zuversichtlich, was die Stabilisierung
der Mittel für die Filmförderung angeht. Die 60 Millionen Euro, die jährlich allein durch den Deutschen Filmfonds eingesetzt werden, sind klug eingesetzte Gelder.
Sie stärken den Filmstandort Deutschland und sind eine
Anerkennung der Leistung der Filmschaffenden. Wir erkennen jedoch an, dass die Bundesregierung für sehr viel
mehr sorgt. Sie fühlt sich im neuen FFG und im Bundesarchivgesetz verantwortlich dafür, die Zukunft des Kulturguts Film zu garantieren. Dieser Bereitschaft sollte
unsere gemeinsame Zustimmung gelten.
({2})
Ich gebe zu, dass ich sehr gespannt darauf bin, ob wir
am Ende dieser Debatte eine „Best of“-Liste oder einen
Kanon von Filmen haben werden, ausgewählt vom
Deutschen Bundestag. Zu diesem Zweck gebe ich jetzt
der Kollegin Dr. Claudia Winterstein das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte mit einem Zitat von Charlie Chaplin
beginnen:
({0})
Filmemacher sollten bedenken, dass man ihnen am
Tag des Jüngsten Gerichts all ihre Filme wieder
vorspielen wird.
Die meisten deutschen Filmemacher brauchen diesen
Zeitpunkt aufgrund der teils massiven Lücken in unseren
Filmarchiven allerdings nicht zu befürchten. Seit der Geburt des Kinos am Ende des 19. Jahrhunderts wurden
Filme lange Zeit als bloße Unterhaltung angesehen, die
nach ihrer kommerziellen Verwertung letztlich wertlos
wurden. Hollywood hat in den 30er- und 40er-Jahren
ganze Lastwagenladungen an Filmen einfach in den Pazifik gekippt. Inzwischen gibt es in den USA ein verbindliches System der Archivierung, und auch in
Deutschland setzt sich die Erkenntnis durch, dass Filme
mehr sind als Unterhaltung. Der Film ist als Kunstform
ein wichtiger Bestandteil des kulturellen und historischen Erbes unseres Landes und verdient daher unseren
besonderen Schutz.
({1})
Die Tatsache, dass wir hier einen interfraktionellen
Antrag beraten, zeigt, dass wir in der Analyse der Situation und im Ziel einig sind: Die Archivierung von filmischen Werken ist in Deutschland ungenügend, und wir
brauchen neue Standards, um unser Filmerbe auch dauerhaft zu schützen. Herr Börnsen hat ein sehr schönes
und passendes Beispiel gebracht.
Die entscheidende Frage ist nun: Wie organisieren
wir die Filmarchivierung? Der Antrag nennt einige
wichtige Punkte, lässt aber auch einige Fragen offen. Da
ist nämlich zunächst einmal zu klären: Was wollen wir
archivieren? Wir müssen uns zwischen kompletter und
selektiver Archivierung entscheiden. Einige sagen, alles,
was als bewegtes Bild daherkommt, ist als ein einzigartiger Bestandteil des kulturellen Erbes zu begreifen und
somit archivierungswürdig. Das hieße aber, dass wir
auch sämtliche Werbespots, Videospiele, Handy- und Internetfilmchen oder auch gewisse andere Filme
({2})
- das überlasse ich deiner Fantasie - aufheben müssten.
Das ist aber nicht zu leisten. Eine allzu umfängliche Archivierung ist schlichtweg nicht finanzierbar, weder
durch die Produzenten noch durch den Staat. Wir müssen also Kriterien für die Bedeutung oder die Qualität eines Filmes festlegen. Auf jeden Fall sollte die Pflicht der
Archivierung nicht wie bisher nur dann greifen, wenn
ein Film öffentlich gefördert wird; denn selbstverständlich sind auch nicht geförderte Filme Teil des Filmerbes.
({3})
Wenn wir also auswählen, dann nach Kriterien mit dem
Ziel des Bewahrens und Weitergebens des Filmerbes.
Ich denke, dass eine Expertenkommission sinnvolle
Kriterien erarbeiten könnte. In den USA funktioniert
dieses System. Bereits seit 1942 sammelt hier die Library of Congress Kinofilme, die nach einem Kriterienkatalog archiviert werden.
Die nächste Frage lautet: Wer soll archivieren? Hier
bieten sich aus meiner Sicht zwei Lösungen an:
Erstens. Wir schaffen eine bundeseinheitliche Regelung analog zu dem Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek bei Büchern. Seit 1969 gibt es hier die Pflicht
zur Hinterlegung eines Exemplars. Das Filmarchiv des
Bundesarchivs könnte bei dieser Regelung die Funktion
der Nationalbibliothek übernehmen. Die zweite Möglichkeit wäre ein Bund-Länder-Abkommen, in das die
Archive der Länder mit einbezogen werden. Aber hier
ist dann vor allen Dingen die Einheitlichkeit der Archivierung sicherzustellen. In dieser zentralen Frage erwarte ich einen klaren Vorschlag von Ihnen, Herr Staatsminister.
Schließlich müssen wir auch die Frage klären: Wie
wollen wir archivieren? Die Experten sagen uns, dass es
für eine langfristige Archivierung nicht ausreicht, nur
eine Kopie des Films aufzubewahren. Die meisten Länder, in denen die Hinterlegungspflicht gefordert ist, sehen die Abgabe des Originalnegatives an das Archiv vor.
Aber eine solche Forderung berührt natürlich auch ganz
massiv die Interessen der Produzenten. Schließlich ermöglicht nur das Original die Herstellung von Kopien in
beliebiger Zahl und damit die kommerzielle Verwertung.
Insofern könnte ein Kompromiss sein, dass geregelt
wird, dass zunächst eine Kopie abgegeben und später
das Original hinterlegt wird.
Hier könnte langfristig auch die technische Entwicklung durch die Digitalisierung hilfreich sein. Früher oder
später wird sich die Filmwirtschaft auf einen einheitlichen digitalen Standard einigen. Das wird vor allen Dingen für die Archivierung einfacher und billiger.
Auch müssen wir sicherstellen, dass der Eigentümer
die Rechte an seinem Material behält, wenn er es im Archiv deponiert.
Meine Damen und Herren, der Antrag ist ein erster
wichtiger Schritt zur Sicherung des deutschen Filmerbes. Ich hoffe, ich habe durch meine Aussagen deutlich
gemacht, dass wir über diesen interfraktionellen Konsens hinaus natürlich noch viele Fragen zu klären haben.
Daher sollten wir im Kulturausschuss die noch offenen
Fragen in einer Anhörung mit Experten aus der Filmwirtschaft und den Institutionen, die sich mit dem Filmerbe befassen, erörtern.
({4})
Ich jedenfalls hoffe auf eine fruchtbare Diskussion und
eine gute Lösung zum Schutz des Filmerbes.
({5})
Die Kollegin Angelika Krüger-Leißner ist die nächste
Rednerin für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin dankbar für die heutige Debatte zum
Filmerbe; denn das ist auch eine gute Gelegenheit, darauf hinzuweisen, wie wichtig das Filmschaffen für unser nationales kulturelles Gedächtnis ist. Ich denke, das
wird bei uns immer noch unterschätzt. Nicht nur die
überlieferten Bücher und Schriften gilt es zu bewahren
und zu pflegen; es sind gerade die bewegten Bilder, die
einen besonders lebendigen Eindruck von zurückliegenden Epochen und Gesellschaften vermitteln.
Dass dem Film eine andere Wertschätzung als dem
Buch entgegengebracht wird, liegt vor allem daran, dass
der Film im Vergleich zum Buch ein sehr junges Medium ist. Erst vor gut 100 Jahren hat die Stummfilmzeit
begonnen. Aber es liegt auch daran, dass sich der Film
seine Anerkennung erst erobern musste. Die Anerkennung als eigene Kunstform ist für den Film immer noch
keine Selbstverständlichkeit.
Aus der Erfahrung meiner Arbeit in der Filmförderungsanstalt kann ich berichten, dass wir uns in der
Filmförderung bemühen, der ganzen Bandbreite des filmischen Schaffens gerecht zu werden. Denn der gut gemachte Unterhaltungsfilm hat genauso seine Berechtigung wie der Arthouse-Film mit künstlerischem
Anspruch, wie ein Dokumentarfilm, der das Brennglas
auf einen Ausschnitt unserer Wirklichkeit legt, oder wie
der Kurzfilm eines Hochschulabsolventen. Im Rückblick
erkennen wir: Erst das ganze Spektrum des Filmschaffens spiegelt die Zeit, den Zeitgeist und die Gesellschaft
wider, in der diese Filme entstanden sind.
({0})
Auf internationaler Ebene gab es bereits 1980 eine Initiative der UNESCO, die mit einer entsprechenden
Richtlinie die Bedeutung des audiovisuellen Erbes befördern wollte. Ich erinnere daran: Am 27. Oktober ist
UNESCO-Tag des audiovisuellen Erbes. Seit 2001 gibt
es die Konvention des Europarats für den Schutz des audiovisuellen Erbes. Ich begrüße an dieser Stelle ausdrücklich, dass die Bundesregierung den Beitritt
Deutschlands zu diesem Übereinkommen derzeit vorbereitet. Im Juni dieses Jahres erwarten wir einen Bericht
der EU-Kommission zum Filmerbe. Ich denke, damit
sollten wir uns beschäftigen. Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Auf internationaler Ebene ist bereits
einiges passiert.
Lassen Sie mich nun einen Blick auf das deutsche
Filmerbe werfen. Seit den Anfangstagen der bewegten
Bilder hat sich bei uns ein großer Filmstock angesammelt.
Die CDU/CSU-Fraktion hat die Filme sogar gezählt. Wir
haben in Deutschland besondere Einrichtungen, die sich
um die Archivierung kümmern. Im Bundesarchiv ist ein
eigenes Filmarchiv untergebracht. Es gibt zudem die Stiftung Deutsche Kinemathek, die sich um das Filmerbe bemüht. Die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung verwaltet
die Filme der NS-Zeit. Das Filmschaffen der DDR wird
von der DEFA-Stiftung gepflegt. Wir wissen, dass es auch
auf Länderebene entsprechende Bemühungen gibt.
Das scheint alles ganz beachtlich zu sein. Aber wenn
man genau hinschaut, dann muss man sagen, dass es mit
dem Filmerbe nicht zum Besten steht. Das wird besonders deutlich, wenn wir es mit dem Buch-Archivwesen
vergleichen. Lassen Sie es mich so formulieren: Es gibt
zwei Aufgaben, die bei der Archivierung zu leisten sind:
Erstens. Der gesamte Bestand muss gesichert werden.
Zweitens. Es muss gewährleistet sein, dass die Gegenwartsproduktion an Filmen lückenlos erfasst wird - und
nicht nur die geförderten, sondern alle Filme. Im Buchwesen gibt es seit langem entsprechende Vorkehrungen
und Verpflichtungen. Im Filmbereich steht so etwas
noch aus.
Ich komme nun zu den Problemen bei der Archivierung. Zum einen ist das herkömmliche Speichermedium,
nämlich das Material der Filmrollen, für Verfallsprozesse besonders anfällig. Der Aufwand für die Sicherung
ist entsprechend groß. Einige Filmwerke sind akut gefährdet, auf immer verloren zu gehen. Zum anderen gibt
es keine einheitlichen Vorschriften zur Abgabe an die
Filmarchive. Frau Winterstein hat es richtig gesagt: Wir
brauchen verbindliche Qualitätsstandards, die wir bisher
aber nicht haben - weder für die abzugebenden Archivexemplare noch für die Verfahren bei der Archivierung
und Konservierung.
Ich bin froh, dass die von mir geschilderten Probleme
von der Bundesregierung bereits erkannt worden sind
und die entsprechenden Bemühungen angelaufen sind.
Ende des vergangenen Jahres - ich denke, die Mitglieder
des Kulturausschusses erinnern sich - hat Kulturstaatsminister Neumann dem Ausschuss ausführlich über
seine Vorhaben zur Sicherung des Filmerbes berichtet.
Gesetzlich fixiert werden soll das im Rahmen der anstehenden Novelle des Bundesarchivgesetzes. Wir begrüßen diese Anstrengungen und wollen sie unterstützen.
Ich glaube, mit unserem Antrag können wir sie ein Stück
vorantreiben. Das scheint mir notwendig zu sein. Angesichts der Bedeutung des Themas ist das aber nur ein
erster Schritt.
Ich möchte auf zwei Punkte hinweisen, die weit über
die eigentlichen Fragen der Archivierung hinausgehen.
Erstens ist ein gesichertes Filmerbe auch für den Fortbestand unserer Kinolandschaft in der Fläche von existenzieller Bedeutung. Zweitens - das steht damit in Zusammenhang -: Ohne gesichertes Filmerbe können wir
unserem kulturellen Bildungsauftrag nicht gerecht werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich ein brandaktuelles Thema ansprechen: Die Kinos stehen vor einem radikalen technologischen Umbruch zur digitalen Filmvorführung. Statt der herkömmlichen Filmrolle werden nur
noch digitale Bildträger, die man ganz einfach in einer
Handtasche transportieren kann, zum Einsatz kommen.
Kaum ein Kino wird es sich leisten können, daneben
auch die herkömmliche Vorführtechnologie vorzuhalten.
Deshalb sind gerade die kleinen Programmkinos und die
kommunalen Kinos darauf angewiesen, dass das historische Filmmaterial auch in digitaler Form zur Verfügung
steht. Das ist eine Herausforderung. Das gilt übrigens
genauso für die Verleihfirmen, die sich auf diesen Bereich spezialisiert haben.
Die Umkopierung des historischen Materials auf digitale Träger ist also nicht nur eine Frage der Sicherung,
sondern zugleich auch eine Frage der Bereitstellung, damit wir unserem Auftrag zur Vermittlung von Filmkultur
und Filmgeschichte gerecht werden können.
Selbstverständlich ist damit auch die Frage der Finanzierung der entsprechenden Maßnahmen aufgeworfen,
die - das will ich ausdrücklich anmerken - im vorliegenden Antrag zu kurz kommt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die digitale Umrüstung der Kinos wird derzeit im Rahmen der Novellierung des Filmförderungsgesetzes verhandelt. Sobald wir
hier klarer sehen - in den nächsten Monaten wird das der
Fall sein -, werden wir uns der Notwendigkeit der digitalen Umkopierung historischen Materials zuwenden
müssen. Dieser Weg scheint mir unausweichlich zu sein.
Ich möchte an dieser Stelle anregen - ich glaube, auch
Frau Winterstein hat das gemacht -, dass wir uns im Vorfeld der Novelle des Bundesarchivgesetzes im Rahmen
einer großen Anhörung im Ausschuss mit all diesen Fragen beschäftigen. Dies sollten wir zum Anlass nehmen,
die umfassende Bestandsaufnahme aus dem Jahr 2005
zum Stand der Filmarchivierung und zur Verbreitung des
nationalen Filmerbes in Deutschland, die vom Kinematheksverbund erstellt wurde, zu aktualisieren. Das
scheint mir notwendig zu sein.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich freue mich,
dass wir bei diesem für mich wichtigen Thema den Anfang gemacht haben. Ich freue mich ebenfalls, dass wir
auch in dieser filmpolitischen Frage das bewährte Einvernehmen, das wir schon oft im Ausschuss für Kultur
und Medien praktiziert haben, fortsetzen können.
Ich danke Ihnen.
({1})
Der Kollege Dr. Lothar Bisky spricht jetzt für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzgeber hat es lange versäumt, sich ausreichend mit
dem deutschen Filmerbe zu beschäftigen.
({0})
Ich freue mich, dass von der Fraktion der Grünen das
Filmerbe nun zum Beratungsgegenstand im Bundestag
gemacht wird. Ich freue mich auch, dass sich andere
Fraktionen dem Antrag angeschlossen haben. Das ist
gut.
Völlig zu Recht betonen Sie in Ihrem Antrag, dass
Filme aller Art „Gedächtnisarchive“ sind, die „einen besonderen Zugang zu vergangenen Epochen“ und „zum
Alltagsleben der Menschen“ schaffen. Diesen Reichtum
gilt es zu sichern. Auch der Kulturstaatsminister verschließt sich dieser Problemlage nicht. Das begrüße ich
namens der Fraktion Die Linke ausdrücklich.
Ich möchte Ihnen zwei Vorschläge unterbreiten: Erstens. Nachdem besonders viele Stummfilme und frühe
Tonfilme archivarisch bereits verloren sind, muss die gegenwärtig sinkende Quote der Archivierung von Spielfilmen aus der Bundesrepublik gestoppt und eine verbindliche Abgaberegelung getroffen werden. Es reicht
nicht, nebulös von „archivwürdigen Filmen der Gegenwartsproduktion“ zu sprechen, sondern ich meine, alle
Filme müssen in diese Regelung einbezogen werden,
egal welcher Qualität sie sind. Da bin ich Ihrer Meinung.
Denn schließlich sind auch die zu rein kommerziellen
Zwecken gedrehten Filme irgendwann Dokumente über
die Zeit, in der sie gedreht wurden - selbst wenn sie
dann lediglich als Anschauungsmaterial für schlechte
Beispiele herhalten müssten.
({1})
Als Ort der Archivierung kommt meiner Meinung
nach vor allem das Bundesarchiv-Filmarchiv infrage.
Vielleicht wäre es derzeit auch möglich, einzelne Verluste an Filmen über die Recherche in den Fernseharchiven, also im Deutschen Rundfunkarchiv, im ZDF-Archiv
und in den Archiven der Landesrundfunkanstalten, aufzufangen. Ich schlage darum vor, eine Arbeitsgruppe zu
bilden, die die Sendelisten aus West und Ost seit Beginn
der Fernsehübertragungen durchgeht, um gezielt nach
Material von verschollen geglaubten Filmen zu suchen.
Ich denke, dies ist im Interesse der cineastischen Nachwelt und zukünftiger Historikerinnen und Historiker ein
guter Vorschlag.
Zweitens. „Das deutsche Filmerbe sichern“ heißt immer auch, das deutsche Filmerbe der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wenn die Filme im BundesarchivFilmarchiv aufbewahrt werden, dann ist die verantwortungsvolle Aufgabe der Erbesicherung auch mit der
Pflicht dieser Institution verbunden, auf Nachfrage abspielfähige Kopien zur Verfügung zu stellen oder herzustellen. Was nützt uns ein hoffentlich bald gesichertes
Filmerbe, wenn es niemand zu sehen bekommt? Die
neue Fassung des vorliegenden Antrages berücksichtigt
diese Tatsache; das ist gut so. Hier ist nicht nur das Bundesarchiv-Filmarchiv gefordert. Vor allem die drei für
den deutschen Film zuständigen Stiftungen müssen hier
tätig werden. Die unterschiedliche Handhabung der Stiftungen bei der Zugangsmöglichkeit zu Filmen sollte übrigens nach Ansicht der Linken im Rahmen eines Antrages vereinheitlicht werden. Dabei ist aus demokratischer
Sicht besonders die Nivellierung der Nutzungsgebühren
von Bedeutung.
Meine Damen und Herren, der Schutz des nationalen
Kulturerbes ist nach meiner Meinung nicht ohne zusätzliche Belastungen der öffentlichen Haushalte zu realisieren. Wie Sie dieses Kunststück ansonsten fertigbringen
wollen, weiß ich nicht; aber vielleicht gelingt es Ihnen
ja. Mittelfristig wird der Platz in den Archiven für die
Lagerung der Filme nicht mehr ausreichen. Auch für Beschäftigte braucht man mehr Geld; denn die Mitarbeiterdecke wurde in den vergangenen Jahren bei wachsenden
Aufgaben nicht aufgestockt.
Wenn wir also in absehbarer Zeit das deutsche Filmerbe sichern und gleichzeitig den Interessierten einen
einfacheren Zugang zum Filmerbe verschaffen würden,
hätten wir viel gewonnen. Ich kann Ihrem Antrag zustimmen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Die Kollegin Claudia Roth spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist ein wirklich gutes und positives Signal, dass wir
uns heute in großer Gemeinsamkeit mit der wichtigen
Frage des Schutzes des Filmerbes beschäftigen, uns dafür einsetzen und engagieren. Ich möchte mich bei allen
dafür bedanken, dass unsere Initiative so unbürokratisch
und so unmittelbar aufgegriffen worden ist.
({0})
Wenn wir die bei der Filmarchivierung offenen Fragen angehen, dann tun wir das nicht unreflektiert. Archivierung meint ja nicht Sammeltrieb oder blindes Habenwollen, sondern meint eine Verpflichtung, die
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen
betrifft. Filme sind Gedächtnisarchive. Sie sind Ausdruck unserer Geschichte und schaffen Zugänge zu historischen und fiktiven Orten, zu Hoffnungen und Träumen,
zu Vergessenem und Verdrängtem. Filmarchivierung
meint an erster Stelle Erhalt und Erschließung eines unvorstellbaren künstlerisch-historischen Reichtums, eines Reichtums, der für uns ganz eigene Lebens- und Erfahrungsmöglichkeiten beinhaltet, Möglichkeiten, mit
denen wir Gegenwart und Zukunft immer wieder neu zu
sehen lernen und uns in Zukunft erinnern können.
Wie bereits gesagt, leider ist schon sehr viel von unserem Filmerbe - das weiß kaum jemand - verloren gegangen. Von den frühen Stummfilmen ist nur noch ein
Bruchteil vorhanden. Kollege Wolfgang Börnsen hat einen späteren Film genannt: Der Theodor im Fußballtor.
Es ist eigentlich unvorstellbar, dass so wichtige Filmwerke wie zum Beispiel Die Abenteuer eines Zehnmarkscheines von Friedrich Murnau überhaupt nicht mehr
auffindbar sind. Andere müssen mühsam aus Versatzstücken rekonstruiert werden, um sie jetzt vor dem Verschwinden zu bewahren.
Auch viele Filme der Gegenwartsproduktion gehen
verloren, insbesondere solche, für die es keine Verpflichtung zur Abgabe eines Archivexemplars gibt. Das betrifft die Filme - Frau Kollegin Winterstein, ich glaube,
Sie haben das angesprochen -, die ohne öffentliche Förderung entstanden sind, aber gleichwohl archiviert werden sollten, weil sie Teil des wichtigen künstlerischen
Erbes sind.
({1})
Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 1969 eine
Pflichtabgabe für das geschriebene Wort, für Bücher beschlossen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auch
für den Bereich des Films eine generelle Pflichtabgabe
brauchen.
({2})
Wir brauchen auch eine nationale Filmografie; ich
glaube, auch das ist unstrittig. Wir müssen dokumentieren, wie reich Deutschland an Filmproduktionen war
Claudia Roth ({3})
und ist. Diese Datenbasis ist Voraussetzung für eine
weltweite, systematische Suche nach verschollenen Filmen, damit die Lücken in der Archivierung geschlossen
werden können, soweit das überhaupt noch möglich ist.
Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass das Europäische
Übereinkommen zum Schutz des audiovisuellen Erbes
sehr bald ratifiziert wird. Es ist klar, dass die Ratifizierung dieses Übereinkommens die Verpflichtung beinhaltet, das dort festgelegte Schutzniveau zu garantieren.
Die Novellierung des Archivgesetzes ist eine gute
Chance, die rechtliche Grundlage für die Filmarchivierung weiterzuentwickeln. Ich freue mich auf eine spannende Expertenanhörung im Kulturausschuss. Ich
glaube, dass der Ausschuss mit einem solchen Gespräch
wichtige, neue Anstöße geben kann.
Ich denke, dass es neben dem, was wir in dem vorliegenden Antrag behandeln, sinnvoll wäre, die Videokunst
in die Überlegungen einzubeziehen. Hier ist eine ganz
eigene, eine neue, eine junge, sehr innovative und einflussreiche Kunstform entstanden, über deren archivarischen Schutz und Erfassung wir dringend nachdenken
müssen.
({4})
Vom BKM kommen Signale, dass die Aufgaben, die
wir in dem heutigen Antrag beschreiben, ohne den Einsatz zusätzlicher öffentlicher Mittel zu bewältigen sind.
Ich bin sehr erwartungs- und hoffnungsfroh, dass sich
mit überschaubaren Mitteln vieles erreichen lässt. Ich
glaube aber ebenso wie die Kollegin Krüger-Leißner,
dass es zusätzliche Aufgaben gibt und uns der Schutz
des Erbes einiges wert sein muss. Ich weiß, dass Bernd
Neumann sich mit Nachdruck in diese Debatte einbringt.
Dafür bin ich ihm dankbar. Er hat parteiübergreifend
eine starke Lobby hinter sich. Lieber Kollege Neumann,
wir lassen nicht locker. Wenn wir es schaffen, das große,
hohe, spannende und aufregende Kulturgut Film zu
schützen, dann wäre das ein großer Erfolg.
Danke schön.
({5})
Die Kollegin Dorothee Bär spricht jetzt für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das
Bundesarchiv hat im letzten Jahr die Aktion „Vier Minuten für das deutsche Filmerbe …“ gestartet. Dasselbe gilt
jetzt für mich und meine Rede: Vier Minuten für das
deutsche Filmerbe.
({0})
Unsere heutige Debatte wird aufgezeichnet und - Gruß
an Phoenix - hoffentlich auch live und komplett übertragen. Nun könnte man sagen, dass es ausreichen würde,
nur den Ton aufzunehmen. Natürlich reicht das nicht;
denn dann würde keiner sehen, wie viele Kollegen heute
anwesend sind und wie aufmerksam alle zuhören, die
Redner hätten dann kein Gesicht, und ob der Redner
wild gestikuliert, älter oder jünger ist, könnte niemand
sehen, und man könnte auch nichts damit verbinden. Das
zeigt, dass wir mit Bildern, vor allem mit bewegten Bildern, sehr viel verbinden. Erinnern wir uns an die Aufnahmen aus Berlin aus dem Jahr 1989, als die ersten
Mauerspechte sich Stücke aus der Mauer brachen, als
das erste Element mit einem Kran herausgehoben wurde,
als die Menschen zu Hunderten auf die Mauer kletterten.
Das sind Bilder, die wir in unserem Leben nie mehr vergessen werden. Diese Bilder veranschaulichen nicht nur
uns, sondern vor allem unseren Kindern und Enkeln, was
für ein großer Tag der 9. November 1989 für Deutschland war.
Genauso verhält es sich mit den Filmen aus den jeweiligen Epochen. Sie erzählen nicht nur eine Geschichte oder geben eine Handlung wieder, sondern spiegeln - einige Kollegen haben das schon angesprochen den Zeitgeist wider, zeigen, welche Vorstellungen die
Menschen in einer bestimmten Zeit hatten, wie sie sich
gekleidet haben, wie sie gelebt haben und wie sie miteinander umgegangen sind. Deswegen ist es von ganz großer Bedeutung, das für uns und vor allem für die nachkommenden Generationen zu erhalten.
({1})
Ich freue mich sehr, dass der Antrag von vier Fraktionen gleichermaßen getragen wird. Daran zeigt sich, dass
wir uns einig sind. Darüber hinaus sind wir uns auch mit
unserem Staatsminister einig, der immer wieder betont,
wie wichtig ihm die Erhaltung des deutschen Filmerbes
ist. Vom Bund werden daher nicht nur die Stiftung Deutsche Kinemathek und das Deutsche Filminstitut gefördert, sondern Mitte Februar hat unser Staatsminister
auch angekündigt, dieses Jahr die Novellierung des Bundesarchivgesetzes umzusetzen. Darin ist eine Pflichthinterlegung von Filmen beim Bundesarchiv vorgesehen.
Schließlich kann uns der Status quo nicht befriedigen, da
derzeit nur ein Drittel aller uraufgeführten deutschen
Spielfilme den Weg ins Bundesarchiv finden.
Die letzte Passage meiner Rede habe ich einer meiner
Lieblingspräsidentinnen gewidmet,
({2})
weil sie versprochen hat, am Ende dieser Debatte eine
Liste der wichtigsten genannten Filme anzufertigen. Nur
für Sie, Frau Göring-Eckhardt: Stellen Sie sich vor, wir
dürften nur einen von drei Filmen archivieren und
müssten uns heute beispielsweise einigen, ob „Good
Bye, Lenin!“, „Das Leben der Anderen“ oder „Sonnenallee“ archiviert werden sollte. Ich glaube, dass für die
Debatte darüber, welcher der drei der wichtigste Film in
diesem Bereich ist, eine halbe Stunde nicht ausreichen
würde. In diesem Sinne bin ich jetzt sehr gespannt auf
die Zusammenfassung unserer Präsidentin.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe
auf weitere gute Beratungen.
({3})
Sie hat mir dafür 41 Sekunden übrig gelassen. Das
reicht natürlich nicht. Wir werden die Filme nicht gegeneinander ausspielen, schon gar nicht drei Filme, die die
DDR-Zeit betreffen. Wir müssen das wahrscheinlich gesamtdeutsch betrachten.
Nichtsdestotrotz wird interfraktionell die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8504 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Koppelin, Rainer Brüderle, Dr. Karl Addicks,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der
IKB Deutsche Industriebank AG durch Nutzung der Stimmrechte der KfW Kreditanstalt
für Wiederaufbau verhindern
- Drucksache 16/8493 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
({0})
- Ein kleiner Personalwechsel ist bei den Filmpolitikern
natürlich immer mit der entsprechenden Show verbunden. Das muss schon sein.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Deutsche Industriebank, IKB genannt, wird am
27. März dieses Jahres eine ordentliche Hauptversammlung durchführen. Über die KfW hält der Bund zurzeit
mehr als 43 Prozent an der IKB. Deshalb ist es, glaube
ich, notwendig, dass wir uns auch hier im Plenum darüber unterhalten, wie diese Hauptversammlung ablaufen soll, und vor allem darüber, wie dort über die KfW
abgestimmt werden soll.
Auf der Hauptversammlung der IKB wird über die
Entlastung des Vorstandes und des Aufsichtsrats abgestimmt. Ausweislich der Tagesordnung sollen die Mitglieder des Vorstandes für das Geschäftsjahr 2006/2007
bis auf eine Ausnahme nicht entlastet werden. Ausweislich der Tagesordnung sollen die Mitglieder des Aufsichtsrats der IKB jedoch alle entlastet werden. Wenn
der Vorstand der IKB für die Jahre 2006/2007 nicht entlastet werden soll - wir finden: zu Recht -, warum wird
dann der Aufsichtsrat entlastet? Denn Aufgabe eines Aufsichtsrats ist doch - da schaut man einmal ins Gesetz -:
Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen. Der Aufsichtsrat kann die Bücher und Schriften
der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände einsehen und prüfen. Der Aufsichtsrat hat zu bestimmen,
dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen.
Vereinfacht gesagt: Ein Aufsichtsrat ist keine Kaffeerunde im kleinen Kreise, sondern nimmt eine sehr
verantwortungsvolle Aufgabe wahr. Dafür gibt es für
den einen oder anderen, der im Aufsichtsrat sitzt, die
entsprechende Vergütung. Diese Aufgaben sind nach
meiner Meinung sehr verantwortungsvoll. Nach unserer
Auffassung ist der Aufsichtsrat der IKB nicht in allen
Bereichen seiner Aufsichtspflicht nachgekommen.
({0})
Lassen Sie es mich ganz drastisch formulieren: Jeder
Falschparker bekommt ganz schnell einen Strafzettel.
Wenn aber unter den Augen eines Aufsichtsrats Milliardenbeträge verbrannt werden, dann wird ihm Entlastung
erteilt, obwohl aufgrund der Beteiligung der KfW an der
IKB große Teile dieser Milliardenbeträge vom Steuerzahler aufgebracht werden müssen.
Mein Kollege Hermann Otto Solms hat hier am
15. Februar gesagt, dass letztlich 6 Milliarden Euro öffentlicher Mittel durch die IKB-Krise verbrannt wurden.
Es geht darum, wer dafür verantwortlich ist. Wir als FDP
wollen keine Bauernopfer - etwa in Gestalt von Frau
Matthäus-Maier - sehen. Aber es gibt Verantwortung,
und diese liegt zuerst einmal beim Bundesfinanzminister; denn er ist Aufsichtsbehörde über die KfW, die an
der IKB beteiligt ist. Außerdem sitzt ein Vertreter des
Bundesfinanzministeriums im Aufsichtsrat der IKB.
({1})
- Allerdings, Frau Präsidentin, muss ich sagen, dass es
wirklich erschütternd ist, dass kein Mitglied der Regierung bei der Diskussion eines solches Themas anwesend
ist.
({2})
Ich habe fast den Eindruck, die Regierung sei zurückgetreten. Das wäre natürlich erfreulich.
({3})
Nicht einmal ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums
ist anwesend.
({4})
- Da kommt der Herr Staatssekretär Schauerte.
Jetzt kommt er angestürmt.
Dennoch ist das bei einem so wichtigen Thema schon
ein merkwürdiger Umgang mit dem Parlament.
({0})
Ich wiederhole: Die Verantwortung hat der Bundesfinanzminister. Außerdem sitzt im Aufsichtsrat der IKB
ein Vertreter des Bundesfinanzministeriums. Verantwortlich ist zudem der gesamte Aufsichtsrat der IKB
selbst.
Heute konnte man in den Medien lesen, dass Wirtschaftsminister Glos erhebliche Bedenken hat, den IKBAufsichtsrat am 27. März zu entlasten.
({1})
Ich hätte in dieser Debatte ganz gerne einmal Äußerungen vonseiten des Wirtschaftsministeriums von diesem
Pult aus gehört. Es hat sich aber kein Vertreter des Wirtschaftsministeriums zu Wort gemeldet.
({2})
Der Bundesfinanzminister will den Aufsichtsrat entlasten. Warum er das will, kann man sich vorstellen.
Warum äußert sich dann aber kein Vertreter des Bundesfinanzministeriums in dieser aus unserer Sicht sehr
wichtigen Debatte? Zumal - das kann ja noch auf uns
zukommen - der Anteil der KfW an der IKB vielleicht
auf über 50 Prozent steigen muss. Das aber würde bedeuten, dass der deutsche Steuerzahler die Regressforderungen zum Beispiel aus Amerika, sollte ihnen stattgegeben werden, zu bezahlen hat. Im Hinblick darauf wäre
es doch wirklich an der Zeit, dass auch das Bundesfinanzministerium sich an dieser Stelle zu dem Thema
äußert.
({3})
Die Regierung bleibt uns in der letzten Sitzungswoche vor der Hauptversammlung der IKB die Antwort
schuldig, wie sie mit dem Aufsichtsrat der IKB umgehen
will. Wenn öffentliche Gelder in der Weise verbrannt
werden, wie es in den letzten Monaten durch die IKBKrise geschehen ist, dann ist auch der Deutsche Bundestag als Anwalt der Steuerzahler gefragt. Es waren öffentliche Gelder, die in die IKB hineingepumpt worden sind.
Eine Weisung der Bundesregierung an die KfW, den
Aufsichtsrat auf der Hauptversammlung der IKB nicht
zu entlasten, wäre aus unserer Sicht ein deutliches
Signal.
({4})
Es wäre ein Signal an alle, die öffentliche Gelder in Landesbanken verbrannt haben, ein Signal an alle, die Mitglied in einem Aufsichtsrat sind und diese Aufgabe ernst
zu nehmen haben, ein Signal an die Bürgerinnen und
Bürger, an die Steuerzahler, dass das Vernichten öffentlicher Gelder Konsequenzen hat. Schließlich sollte es allen, die sich, in welcher Funktion auch immer, daran beteiligt haben, ebenfalls ein deutliches Signal sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich
habe in den letzten Tagen die eine oder andere Äußerungen von Ihnen zur IKB gelesen. Heute können Sie hier
die Standhaftigkeit beweisen, die Sie draußen in den
Medien im Hinblick auf KfW und IKB immer verkündet
haben.
({5})
Zum Schluss möchte ich ganz deutlich sagen, dass es
mit den Freien Demokraten keine weiteren öffentlichen
Gelder für die IKB geben wird. Das gilt auch, falls es
Regressansprüche gegen die IKB über die KfW geben
sollte. Wir haben schon teilweise geholfen, aber es wird
keine weiteren öffentlichen Gelder für die IKB geben.
Das sind wir den deutschen Steuerzahlern schuldig. Die
Banken und Aufsichtsräte müssen mit dem Problem
selbst fertig werden.
Wir sind der Auffassung, dass der Aufsichtsrat der
IKB nicht entlastet werden sollte. Deswegen bitten wir
darum, heute sofort darüber abzustimmen.
({6})
Der Kollege Dr. Hans Michelbach hat jetzt das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Das Rettungspaket für die IKB war richtig; denn
eine Pleite hätte das Ansehen des Finanzplatzes
Deutschland stark beschädigt. Es wäre aber falsch, über
die Vorgänge bei der IKB einen Mantel des Schweigens
zu hüllen. Ich glaube, wir alle hier im Hause sind uns einig, dass die Vorgänge um die IKB schonungslos aufgeklärt werden müssen; denn der Finanzmarkt lebt vom
Vertrauen. Vertrauen schafft man aber nur durch Transparenz.
({0})
Außerdem hat jeder Steuerzahler nach der Starthilfe
einen Anspruch auf umfassende Information. Wir müssen schnellstmöglich klären, welche Fehlentscheidungen
der Vorstand getroffen hat, welche Geschäfte zur IKBKrise geführt haben, welche Rolle bei diesen dubiosen
Geschäften der IKB-Aufsichtsrat gespielt hat und welche Verantwortung all diejenigen tragen, die zu diesem
finanzpolitischen Super-GAU beigetragen haben. Diese
Fragen müssen wir im Interesse der Steuerzahler beantworten.
({1})
Wer hat zum Beispiel wann, wo und weshalb gegen die
Bankenregeln oder gegen Aufsichts-, Informations- und
Offenlegungspflichten verstoßen?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zunächst
sollten wir eine sachgerechte Bestandsaufnahme vornehmen. Lassen Sie mich auf die Geschäftstätigkeit auf dem
Subprime-Hypothekenmarkt in den USA und auf deren
Folgen eingehen. Wie wir alle wissen, ist die IKB Ende
Juli 2007 aufgrund ihres starken Engagements und negativer Entwicklungen auf dem sogenannten SubprimeHypothekenmarkt in den USA in eine ernsthafte Schieflage geraten, deren Auswirkungen die gesamte deutsche
Kreditwirtschaft belastet haben.
Die KfW hat zur Vermeidung von Verlusten aus dem
eigenen bankdurchgeleiteten Fördergeschäft und zur Abwendung einer schweren Krise des Finanzmarktes auf
Drängen der Finanzaufsicht, des Bundesfinanzministers
eine Risikoabschirmung für die IKB vorgenommen. Die
zu übernehmenden Risiken wurden damals auf 3,5 Milliarden Euro geschätzt. In diesem Zusammenhang ist die
KfW unmittelbar in eine Kreditlinie der IKB über
8,1 Milliarden Euro eingetreten.
Leider hat sich bestätigt, dass die damaligen Bewertungen falsch und die Ausfälle wesentlich höher waren.
Im Februar dieses Jahres musste bereits das dritte Rettungspaket geschnürt werden. Aus dem Bundeshaushalt
wurden Steuermittel in Höhe von 1,2 Milliarden Euro
überwiesen. Niemand weiß heute ganz genau, was noch
kommt. Schon allein deshalb kann man nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen.
Zur sachgerechten Bestandsaufnahme gehört auch die
Überprüfung der Beihilfen durch die Europäische
Union. Hier kann aus Brüssel noch die eine oder andere
sehr negative Nachricht auf uns zukommen. Dieses Risiko ist sehr hoch zu gewichten. Daraus ergibt sich für
mich, dass der Staat bzw. die staatliche KfW die IKB
möglichst schnell, vielleicht im Rahmen einer Paketlösung, verkaufen sollte, damit die Risiken im Interesse
der Steuerzahler minimiert werden. Das hielte ich für
richtig.
Ich befürchte aber, dass die IKB angesichts der vorhandenen Probleme vielleicht gar nicht veräußerbar ist.
Eine Veräußerung wird durch die Milliardenklage gegen
die IKB aus den USA zumindest erschwert. Insbesondere die Anleiheversicherer haben Regressforderungen
gegenüber der IKB. Deswegen plädiere ich ausdrücklich
dafür, dass sich der Staat aus den privaten Banken zurückzieht. Es gehört nicht zur ordnungspolitischen Linie
des Staates, private Banken zu stellen und im privaten
Bankgeschäft tätig zu sein. Vielmehr müssen wir den
privaten Banken Freiraum für eine marktwirtschaftliche
Lösung des Problems verschaffen. Um die Risiken im
Hinblick auf den Bundeshaushalt zu verringern, sollte
man daher - das wiederhole ich - eine Paketlösung aus
IKB und KfW IPEX-Bank schnüren.
Natürlich hat das Parlament bei dieser Bestandsaufnahme auch zu prüfen, welche Auswirkungen dies auf
die KfW und auf die Mittelstandsförderung im Rahmen
des ERP-Sondervermögens hat.
Der Bundesrechnungshof hat in seinem Gutachten
deutlich gemacht, dass wir im Zusammenhang mit der
Neuordnung sicherstellen müssen, dass ein Jahresbetrag
von 590 Millionen Euro plus Inflationsrate, also etwa
630 Millionen Euro, für die Mittelstandsförderung und
für den Erhalt des ERP-Sondervermögens zur Verfügung
steht. Dies ist für uns eine wesentliche Frage; denn wir
wollen natürlich keinen Schaden für die Mittelstandsförderung hinnehmen.
({2})
Die FDP hat einen Antrag gestellt, die Entlastung von
Vorstand und Aufsichtsrat der IKB zu verhindern. Wir
brauchen dringend ein Gutachten, in dem untersucht
wird, ob der IKB-Vorstand oder der IKB-Aufsichtsrat
seine Pflichten verletzt hat, ob er versagt hat. Ein
Schnellschuss wäre aber falsch. Solange wir die Fakten
nicht kennen, sollten wir uns vor einer Vorverurteilung
des Aufsichtsrates hüten. Vom Bundesfinanzminister
und von der Vorstandssprecherin der KfW haben wir erfahren, dass der Aufsichtsrat der IKB vom Vorstand gezielt belogen wurde. Solange wir nicht das Gegenteil
beweisen können, können wir nicht sagen: Der Aufsichtsrat hat Schuld auf sich geladen.
Schon aufgrund der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen die Verantwortlichen der Mittelstandsbank
IKB wegen des Verdachts der Untreue und des Verstoßes
gegen das Aktiengesetz ist eine Entlastung des Vorstandes der IKB zum gegenwärtigen Zeitpunkt zurückzustellen.
Herr Kollege Michelbach, Herr Koppelin würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich dachte mir, dass Herr Koppelin deswegen aufgestanden ist. Bitte schön.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass es ein Gutachten gibt, in dem das Verhältnis von Vorstand und Aufsichtsrat der IKB untersucht wurde? Wie Sie sagen: Es
mag Lügen gegeben haben; aber eine totale Nichtinformation des Aufsichtsrates ist ausgeschlossen.
Sind Sie nicht auch der Auffassung, dass auf der
Hauptversammlung die Entscheidung über eine Entlastung vertagt werden sollte? Es wird ja vorgeschlagen,
die Entscheidung über die Entlastung eines der Vorstandsmitglieder zu vertagen; den anderen will man die
Entlastung versagen. Man könnte doch auch die Entscheidung über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder vertagen.
Wenn ich darauf hinweisen darf: Die KfW sitzt in diesem Gremium; sie ist mit 43 Prozent an der IKB beteiligt. Sie braucht eine Entscheidung - von uns. Oder sagen Sie mir, wie der Bundesfinanzminister oder der
Bundeswirtschaftsminister die KfW anweisen werden!
Herr Kollege Koppelin, wir sind gar nicht so weit auseinander. Ich möchte nur verhindern, dass es in irgendeiner Form zu parteitaktischen Intrigenspielen kommt, wie
sie uns teilweise unterstellt werden. Dieses Thema ist
nämlich viel zu ernst und viel zu problembehaftet, auch
für den Finanzmarkt, als dass wir in irgendeiner Form
Vorverurteilungen vornehmen dürften. Wir sollten nicht
aus einem Gutachten irgendwelche Schlüsse ziehen, die
wir noch gar nicht ziehen können.
Ich meine, dass es am besten wäre, wenn Sie, Herr
Kollege Koppelin, Ihren Antrag heute zurücknähmen.
Wir brauchen das Sondergutachten von Pricewaterhouse-Coopers zur Rolle des Aufsichtsrates, damit wir
Fakten haben, die wir bewerten können. Auf dieser
Grundlage wären wir sicherlich alle bereit, unsere
Schlüsse zu ziehen und die Angelegenheit sachgerecht
aufzuklären; darum geht es ja letzten Endes.
({0})
Der Aufsichtsrat hat die Tätigkeit des Vorstands zu
überwachen; das ist richtig. Die bisherigen Aussagen
waren: Der Vorstand hat den Aufsichtsrat gezielt belogen. Es gibt keinen Gegenbeweis.
Wir sind bereit, uns einer Sonderbegutachtung zu
widmen und daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Zum heutigen Tag wäre es, meine ich, falsch, dem
FDP-Antrag zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({1})
Der Kollege Dr. Herbert Schui hat jetzt das Wort für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
der Vorstand und der Aufsichtsrat der Industriekreditbank nicht entlastet werden, dann ist das nach Einschätzung der Wirtschaftszeitungen eine Voraussetzung dafür,
gegen die Deutsche Bank zu klagen und Schadenersatz
zu verlangen. Deswegen kann die Linke dem FDP-Antrag zustimmen. Es spricht alles dafür, dass die Deutsche
Bank der IKB Subprime-Wertpapiere verkauft hat, obwohl sie wusste, dass sie faul sind, und dass sie gleichzeitig der IKB Kreditlinien gekürzt hat, wodurch die
Schwierigkeiten der IKB weiter akzentuiert wurden.
Diesem Übermaß an unternehmerischer Initiative muss
die Rechtsprechung Grenzen setzen.
Eine Klage wäre der Versuch, den privaten Sektor wenigstens nachträglich umfangreicher an der Sanierung
der IKB zu beteiligen, als dies gegenwärtig der Fall ist.
Die Idee ist gut; sie stammt den Wirtschaftszeitungen
zufolge von Minister Glos. Das Motiv ist wahrscheinlich, Minister Steinbrück in die Pfanne zu hauen. Aber
lassen wir die Motivforschung beiseite.
Bei der Sanierung der IKB, die eine private Einrichtung ist, hat sich der öffentliche Sektor übermäßig stark
beteiligt. Der private Sektor, also die Banken, sind mit
rund 1,3 Milliarden Euro an der Sanierung beteiligt, der
öffentliche Sektor, die KfW und die Sparkassen sowie
das Finanzministerium über den Bundeshaushalt, mit
derzeit 7,2 Milliarden Euro. Der endgültige Betrag wird
allerdings wesentlich höher ausfallen.
Begründet wird die Eilfertigkeit der staatlichen Stellen - die KfW eingeschlossen - damit, dass, so Minister
Steinbrück, eine Erschütterungsdynamik für den gesamten Finanzplatz Deutschland vermieden werden musste.
({0})
Man kann vermuten, dass BDI-Präsident Jürgen Thumann
als Mitglied des Verwaltungsrates der KfW der Mehrheit
dieses Gremiums diese apokalyptischen Untergangsvorstellungen einpflanzen konnte. Der Einzige, der Herrn
Thumann durchgehend widerstehen konnte, war Herr
Lafontaine.
({1})
Manche konnten ab und an seinen Einflüsterungen widerstehen. Auch Mitglieder der FDP konnten - wie es
scheint - nicht immer widerstehen. BDI-Präsident
Thumann will sicherlich Schaden vom privaten Sektor
abwenden. Warum ihm aber die beteiligten Ministerien
und die KfW folgen, rechtfertigt einmal mehr die Frage,
wer in diesem Land in der Politik den Ton angibt.
({2})
Die Minister Glos und Steinbrück und Frau MatthäusMaier als Chefin der KfW sollten sich nicht mit der Erschütterungsdynamik für den Finanzplatz herausreden.
Sie haben strategisch versagt. Sie hätten die Einleger bei
der IKB wesentlich stärker an den Verlusten der Bank
beteiligen können. Die Strategie besteht darin, klarzustellen, dass der Staat den Bankrott der IKB in Kauf
nimmt, dass er aber die Gläubiger der IKB, die ihre Einlagen nicht abschreiben können, vor dem Konkurs rettet,
indem er ihnen langfristige Nachrangdarlehen zur Verfügung stellt. Da die IKB sehr viele Einleger hat, ist die
Wahrscheinlichkeit gering, dass diese Nachrangdarlehen
in großem Umfang hätten in Anspruch genommen werden müssen. Sie können das im Einzelnen in meinem
Kommentar in der Financial Times Deutschland vom
26. Februar 2008 nachlesen. Wenn diese Drohung glaubwürdig gemacht worden wäre, hätten die privaten professionellen Einleger mehr zur Sanierung der IKB beitragen müssen. Dann stünden wir nicht vor der Situation,
dass wieder einmal ein privates Institut die Gewinne privatisiert, während man für die Verluste die Allgemeinheit aufkommen lässt.
Vielen Dank.
({3})
Herr Kollege Schui, normalerweise müsste ich Zwischenrufe von der Regierungsbank rügen. Darauf verzichte ich aber, weil ich vermute, dass es eine Ehrerwei15898
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
sung zu Ihrem heutigen Geburtstag war. Herzlichen
Glückwunsch!
({0})
Der Kollege Jörg-Otto Spiller hat das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! So wie der FDP-Antrag formuliert ist, erfordert
er ein paar Bemerkungen, die das Selbstverständnis des
Deutschen Bundestages betreffen. Welches ist die Kernaussage Ihres Antrages? Der Bundestag stellt fest: Die
Bundesregierung hat direkt und über den Verwaltungsrat
indirekt den Vorstand der KfW anzuweisen, wie die
Stimmrechte der KfW auf der Hauptversammlung der
IKB verwendet werden sollen. Das heißt, der Bundestag
fordert die Bundesregierung auf, sie möge den Vorstand
der KfW im Verwaltungsrat oder direkt auffordern, der
Vorstand der KfW solle auf der Hauptversammlung der
IKB Deutsche Industriebank wie folgt von den Stimmrechten Gebrauch machen.
({0})
Das sind drei, vier Ableitungen; über die genau Zahl
lässt sich streiten. Im Jargon der Finanzmärkte gesprochen: Die FDP liebt Derivate.
Ich kann es aber nicht bei einer solchen ironischen
Bemerkung belassen; denn es berührt das Gefüge unserer demokratischen Institutionen. In einer parlamentarischen Demokratie gibt es nicht nur das Prinzip der Gewaltenteilung, sondern auch Gewaltenverschränkung.
Im Grundgesetz ist das nicht ganz präzise definiert. Das
ist vermutlich weise. Aber es gibt auch keine Beliebigkeit, Herr Kollege Koppelin. Ich möchte aus dem sehr
lesenswerten Beitrag von Udo Di Fabio zur Gewaltenteilung in Band II des Handbuches des Staatsrechts zitieren:
Die Verschränkung von Teilgewalten bedeutet nicht
Verzicht auf Unterscheidbarkeit und Ordnung. Es
geht um das geordnete, durchaus verstetigte Zusammenspiel bei grundsätzlich getrennten Aufgaben und Verantwortungsbereichen.
Soll das Parlament die Entscheidung treffen, wie auf einer Hauptversammlung einer Bank, an der der Bund
über mehrere Stufen indirekt beteiligt ist, abgestimmt
werden soll, und zwar in diesem Fall über das Instrument des Verwaltungsrates der KfW? Herr Koppelin, das
ist keine Gewaltenverschränkung, sondern verschroben.
({1})
Herr Spiller, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin zu?
Ja.
Bitte schön.
Herr Kollege, da ich kein Jurist bin, frage ich Sie:
Habe ich Sie richtig verstanden, dass wir, der Deutsche
Bundestag, eine solche Entscheidung nicht treffen, wohl
aber 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung stellen dürfen,
damit die marode IKB Deutsche Industriebank gerettet
werden kann? Hier sind wir aufgefordert, mitzumachen.
Aber alles andere darf nur die Regierung. Oder wie darf
ich das verstehen?
Es ist so zu verstehen, dass das Parlament die Regierung kontrolliert, aber nicht jede Einzelentscheidung, die
die Regierung verantworten muss - auch gegenüber dem
Deutschen Bundestag -, abnimmt, und zwar aufgrund
unzureichender Informationen.
({0})
Ich frage Sie, Herr Koppelin, wie Sie persönlich es in
Zukunft handhaben wollen, wenn der Bundestag Ihnen
Aufträge erteilt. Der Bund ist im Verwaltungsrat der
Kreditanstalt für Wiederaufbau mit 14 Sitzen vertreten:
Sieben Sitze hat die Bundesregierung, sieben weitere
Sitze der Bundestag. Von den sieben Vertretern des Bundestages gehören derzeit vier den Koalitionsfraktionen
und drei den Oppositionsfraktionen an; ein Vertreter sind
Sie. Wenn nun der Deutsche Bundestag mit Mehrheit beschließt, wie seine Vertreter im Verwaltungsrat der KfW
zu entscheiden haben, werden Sie - das ist offenbar Ihre
Vorstellung - künftig an Mehrheitsentscheidungen des
Deutschen Bundestages gebunden sein.
({1})
Dies ist nicht meine Vorstellung von Parlamentarismus.
({2})
Herr Koppelin, seien Sie sicher, wir werden unsere freiheitliche Ordnung gegen Angriffe der FDP zu schützen
wissen.
({3})
Das Ende der Antwort auf seine Zwischenfrage
konnte Herr Koppelin fast nur im Sitzen entgegennehmen. Ab jetzt läuft die Redezeit weiter.
({0})
Ich komme auf die Formulierung zurück: Der Deutsche Bundestag stellt fest, die Bundesregierung habe anzuweisen. Der Antrag ist ziemlich locker aus der Hüfte
formuliert. Er ist uns ja auch sehr kurzfristig vorgelegt
worden. Eine verantwortungsbewusste Politik, Herr
Koppelin, sieht auch in so schwierigen Fragen anders
aus.
Ich erwarte, dass Sie die Freiheit behalten, sich im
Verwaltungsrat der KfW so zu verhalten, wie Sie es persönlich für richtig halten und wie Sie es Ihrer Fraktion
gegenüber rechtfertigen können. Aber ich erwarte nicht,
dass Sie sich Mehrheitsentscheidungen des Deutschen
Bundestages unterwerfen.
({0})
Warum, frage ich Sie, soll, wenn sich der Bundestag
an die Verwaltungsratsmitglieder der KfW wendet, zwischen den sieben Vertretern des Bundestages und den
sieben Vertretern der Bundesregierung unterschieden
werden? Ich sage einmal, was wir erwarten: dass die sieben Vertreter der Bundesregierung mit einer Stimme
sprechen.
({1})
Es mag sein, dass das in den Medien nicht immer geschieht. Aber wenn die Bundesregierung in einem Entscheidungsorgan einer Institution auftritt, dann ist unsere
Erwartung, dass alle Minister, die dort ein Mandat haben, zumindest bei Abstimmungen eine einheitliche Linie vertreten.
({2})
Nun möchte ich noch ein paar Bemerkungen zur IKB
machen. Ich selbst kann nicht beurteilen, ob der Aufsichtsrat der Industriekreditbank vom Vorstand dieser
Bank systematisch hinters Licht geführt worden ist. Es
gibt einen entsprechenden Hinweis; Herr Kollege
Michelbach kennt ihn sicherlich auch. Schon vor geraumer Zeit, nämlich im Herbst, gab es die Pressemitteilung, dass Pricewaterhouse-Coopers eine Sonderuntersuchung bei der IKB hinsichtlich der Information
durchgeführt habe, die der Aufsichtsrat vom Vorstand
bekommen hat. Die damalige Aussage - ich kenne das
nur aus der Pressemitteilung - war, der Aufsichtsrat habe
keine reelle Chance gehabt, durch das, was der Vorstand
von sich aus darüber gesagt hat, zu erfahren, wie es tatsächlich um die Bank stand. Ich will solche Urteile von
Wirtschaftsprüfern nicht überbewerten; denn ein anderes
- zumindest früher - hochrenommiertes Wirtschaftsprüfungsinstitut, die KPMG, hatte der IKB noch im Juni
2007 bescheinigt, alle Risiken seien korrekt erfasst und
ausgewiesen worden. Ich will den Wirtschaftsprüfern
nicht zu viel Ehre angedeihen lassen. Das Vertrauen in
diese ist arg beschädigt.
({3})
Ich möchte, dass die Entscheidung auf der Hauptversammlung der IKB nach sorgfältiger Prüfung durch die
Bundesregierung und die KfW erfolgt. Ich glaube schon,
dass Sie mit dem Ansatz recht haben, dass, weil der
Steuerzahler inzwischen beteiligt ist, die Bundesregierung mit der KfW gemeinsam eine Linie finden muss.
Aber ich rate, dass wir es bei der Verantwortungsteilung
belassen. Wir werden uns genau mit dem zu befassen haben, was uns die Bundesregierung berichtet. Aber Ihren
Antrag, Herr Koppelin, werden wir ablehnen.
({4})
Die Kollegin Christine Scheel hat jetzt das Wort für
das Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich gehe davon aus, dass alle ein sehr großes Interesse
daran haben, dass lückenlos aufgeklärt wird. Ich gehe
davon aus, dass alle ein Interesse daran haben, dass die
Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden. Ich gehe
auch davon aus, dass die Bundesregierung selbstverständlich ein sehr großes Interesse daran hat, dass in diesem Zusammenhang nichts verschleiert, beschönigt oder
unter den Tisch gekehrt wird.
Wir erleben einen Streit zwischen zwei Ministern,
zwischen Herrn Glos und Herrn Steinbrück. Der Abgeordnete Spiller hat gerade gesagt, dass die sieben Vertreter der Bundesregierung im Verwaltungsrat der KfW mit
einer Stimme sprechen sollten. Wir hoffen, dass sie das
tun. Sie haben auch die Verantwortung dafür, dass Schadensbegrenzung stattfindet. Ich sage von dieser Stelle
aus auch: Jeder politische Streit schadet dem Verkauf der
IKB.
({0})
Das muss man deutlich sagen; denn es gilt hier, Schadensbegrenzung vorzunehmen, und nicht, die IKB durch
bestimmte Debatten zu destabilisieren.
Im Antrag der FDP wird die Forderung erhoben, der
alte Vorstand solle nicht entlastet werden. Ich meine, es
ist sonnenklar, dass dann, wenn die Staatsanwaltschaft
ermittelt, der alte Vorstand nicht entlastet werden kann.
Weiterhin fordert die FDP, auch der Aufsichtsrat solle
nicht entlastet werden. Ich wünsche mir, dass die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats unterschiedlich behandelt werden. Man muss sich anschauen, wer involviert
sein könnte. Es geht, um es ganz klar zu sagen, um den
Aufsichtsratsvorsitzenden der IKB, Herrn Dr. Ulrich
Hartmann, der zugleich Mitglied des Aufsichtsrats der
Deutschen Bank und dessen Präsidiums und, wie wir
wissen, Aufsichtsratsvorsitzender der Eon AG ist. Es
geht auch um den stellvertretenden Vorsitzenden und
vielleicht ein, zwei andere Personen. Ich wünsche mir,
dass man hier sehr differenziert vorgeht und vielleicht zu
dem Ergebnis kommt, einige Personen in diesem Aufsichtsrat nicht zu entlasten.
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Was wäre denn
die Konsequenz, wenn sich herausstellte, der Aufsichtsrat hätte seine Pflichten verletzt. Es gibt ein Gutachten
von PwC; das ist ein 400 Seiten starkes Sondergutachten. Wir wissen nicht genau, was darin steht. Ich möchte
erst einmal wissen, inwieweit der Vorstand den Aufsichtsrat der IKB angelogen hat. Das ist ein Vorwurf, der
in dem Gutachten analytisch untersucht werden musste.
Ich finde, wir sollten hier beide Ministerien in die Pflicht
nehmen, diesen Punkt gemeinsam auszuwerten und uns,
dem Bundestag, zu berichten, wie die Ergebnisse aus ihrer Sicht zu bewerten sind.
({1})
Aus den Überlegungen der FDP müsste man die Konsequenz ziehen, dass alle, die in Aufsichtsräten von Kreditinstituten in Deutschland saßen zu der Zeit, als man
mit faulen US-Immobilienkrediten nicht richtig umgegangen ist und sich verzockt hat, nicht entlastet werden
dürfen.
({2})
Das gilt für die West-LB, die Sachsen-LB, die BayernLB und eine große Zahl von weiteren Banken. Deutschlandweit dürfte keiner dieser Aufsichtsräte entlastet werden.
Zum letzten Punkt: Schadenersatzklagen. Im Moment
klagt jeder gegen jeden. Ich halte es für richtig, dass
diese Schadenersatzklagen geprüft werden, und zwar
nicht nur von der BaFin, sondern auch von den Instituten. Es muss geprüft werden: Inwieweit gibt es ein berechtigtes Interesse von Aktionärsvertretern und Aktionärsvertreterinnen, die behaupten, das Geld der Anleger
sei verbrannt worden? Kann eventuell Geld von den
Banken - zum Beispiel von der Deutschen Bank - zurückgefordert werden? Darüber müssen wir diskutieren.
Diese Fragen sind legitim; aber ich finde, man muss hier
mit Augenmaß vorgehen. Wir brauchen eine lückenlose
Aufklärung, aber auch eine Schadensbegrenzung. Beides
erreicht man nicht mit einem politischen Spektakel und
mit Intrigen; das muss klar sein.
Frau Kollegin Scheel!
Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über Ihren Antrag enthalten.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8493 mit dem Titel
„Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der IKB
Deutsche Industriebank AG durch Nutzung der Stimm-
rechte der KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau verhin-
dern“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Für den Antrag haben die Fraktionen
der FDP und Die Linke gestimmt. Gegen den Antrag ha-
ben die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD ge-
stimmt. Enthalten hat sich die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz
Meyer ({0}), Peter Bleser, Julia Klöckner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Elvira
Drobinski-Weiß, Dr. Rainer Wend, Doris Barnett,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Sicheres Spielzeug für unsere Kinder
- Drucksache 16/8496 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
EU-Spielzeugrichtlinie modernisieren und Verbraucherschutz ausbauen
- Drucksache 16/7837 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Federführung strittig
Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Franz Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion.
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz müssen beim
Spielzeug Hand in Hand gehen. Spielwaren sind nicht irgendwelche Güter; die Endverbraucher sind Babys und
Kleinkinder. Wenn Verletzungen, Erstickungen, Vergiftungen oder Hörschäden drohen, dann macht Spielzeug
keinen Spaß, sondern Angst. Kinder sind gesundheitlich
besonders empfindlich und gefährdet. Deshalb darf es
bei diesen Produkten keinerlei Risiken geben.
Ich begrüße, dass die EU-Kommission auf die Skandale im Zusammenhang mit Importspielzeug reagiert
hat. Wenn bis zu 39 Prozent der untersuchten Produkte
„Made in China“ Grund zu Beanstandungen geben, zeigt
dies, wie dringend etwas dagegen getan werden muss.
Die Überarbeitung der 20 Jahre alten SpielzeugrichtliFranz Obermeier
nie, also die Neufassung der EU-Spielzeugrichtlinie, ist
das richtige Signal.
Aus meiner Sicht gibt es allerdings auch einige Kritikpunkte. Die derzeitigen Vorschläge der Europäischen
Kommission zum Richtlinienentwurf müssen von deutscher Seite noch aktiv diskutiert und mitgestaltet werden. So heißt es im Entwurf:
Die Mitgliedstaaten sehen davon ab, die Kennzeichnung der Übereinstimmung mit den Bestimmungen dieser Richtlinie durch eigene Vorschriften
zu regeln, die eine Bezugnahme auf eine andere
Konformitätskennzeichnung als die CE-Kennzeichnung vorsehen, oder heben solche Vorschriften auf.
Das heißt im Klartext: Es soll nur noch die CE-Kennzeichnung geben.
({0})
Was bedeutet das für uns? Die CE-Kennzeichnung bestätigt dem Hersteller die Konformität seines Produktes
mit den zutreffenden EG-Richtlinien und die Einhaltung
der darin festgelegten wesentlichen Anforderungen. So
weit, so gut. Verantwortlich für diese Kennzeichnung ist
aber in der Regel der Hersteller des Produktes selbst.
Das ist sicher oft gut und richtig, aber - wie wir gesehen
haben - leider nicht immer.
Hier liegt der Unterschied zu unserer bisherigen deutschen Regelung. Ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist das
deutsche GS-Zeichen, welches sich oft als weiterer Aufkleber auf einem Produkt befindet.
({1})
Es ist ein Meilenstein des Verbraucherschutzes, denn
hier prüfen unabhängige Dritte - etwa der TÜV - und
nicht nur der Hersteller selbst ein Produkt auf seine Sicherheit. Die Prüfkriterien bei GS sind für alle Produkte
einer Kategorie gleich. Auch wer einmal geprüft worden
ist, kann sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen; denn
es gibt Überprüfungen, ob die Baumuster auch in der
weiteren Produktion eingehalten werden. Das gibt den
Verbrauchern noch mehr Sicherheit vor Gesundheitsgefahren.
Es hat sich gezeigt, dass das GS-Prüfzeichen auch für
die Hersteller Vorteile hat; denn es ist zum Markenzeichen für deutsche Qualitätsprodukte geworden. Das
konnte man besonders feststellen, als Spielzeuge aus
chinesischer Herstellung wiederholt in die Schlagzeilen
geraten sind. Da erhöhte sich die Nachfrage nach deutschem Spielzeug deutlich. „Made in Germany“ wird einmal mehr weltweit geschätzt. Auch aus der Sicht des
Wirtschaftspolitikers gibt es also keinen Gegensatz zwischen neutralen Qualitätsprüfungen im Sinne des Verbraucherschutzes und den Interessen der Wirtschaft.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, im weiteren Verlauf der Beratungen gegen ein Verbot nationaler
Sicherheitszeichen und für die Beibehaltung des GS-Zeichens in Deutschland einzutreten.
Ich gehe noch ein Stück weiter: Statt über die Abschaffung des GS-Gütesiegels sollten wir über ein europaweites unabhängiges Prüfzeichen für die Produktsicherheit nachdenken. Das Gütezeichen sollte von einer
objektiven dritten Stelle verliehen werden. Dann hätte
der europäische Verbraucher eine einheitliche Orientierung. Es muss so gestaltet werden, dass es auch die Warenflüsse aus der ganzen Welt nach Europa erfasst, die
Importe. Niemand hat ein Recht, gefährliche Waren in
Verkehr zu bringen, erst recht nicht solche, die für Kinder bestimmt sind.
({2})
In dem Zusammenhang lasse ich auch nicht gelten, dass
solche neutralen Prüfungen mit zusätzlichen Kosten zu
Buche schlagen. Die Gesundheit ist ein kostbares Gut.
Sie muss es uns wert sein.
Es ist richtig, dass die chemischen Sicherheitsanforderungen bei Kinderspielzeug einheitlich geregelt werden
sollten. Kinder sind besonders verletzbar. Allerdings ist
das Chemikalienrecht für Kinderspielzeug nur mit Einschränkungen brauchbar - hier setzt meine Kritik an -;
denn die Grenzwerte darin sind für völlig andere Anwendungsbereiche festgelegt worden. So wird auf den Gehalt
des jeweiligen Stoffes abgestellt, nicht aber auf dessen
Freisetzung insgesamt. Wir alle wissen, dass Kinder ihr
Spielzeug oft so gern mögen, dass sie es glatt verspeisen.
Sie leben in engstem und in langem Körperkontakt mit ihren Lieblingsspielzeugen. Dabei werden Stoffe freigesetzt.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Das ist etwas ganz anderes als bei Lebensmittelverpackungen oder Ähnlichem. Wenn es also um die Gesundheit unserer Kinder geht, dann darf es keine Kompromisse geben. Das ist die Zielrichtung unseres Antrags.
Herzlichen Dank.
({0})
Der Kollege Hans-Michael Goldmann hat jetzt das
Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Kollege Obermeier, ich will es gleich vorweg
sagen: Wir müssen uns über Ihren Schlusssatz unterhalten. Es bleibt zu fragen, ob das, was Sie in Ihrem Antrag
zum Ausdruck bringen, und das, was auf europäischer
Ebene gemacht wird, nicht doch ein Kompromiss ist, der
in der Sache nicht hilft. Darauf komme ich nachher
noch.
Lassen Sie mich berichten. Ich habe vor kurzem auf
eine Informationsseite geschaut, die RAPEX heißt. Darauf soll man sich darüber informieren, was an akuten
Verbraucherinformationen vorliegt. Wissen Sie, was ich
dort in der letzten Woche gefunden habe? Ich habe dort
einen Warnhinweis für eine Weihnachtslichterkette aus
China gefunden. Daran kann man sehen, wie aktuell die
Informationen im Moment sind, die dem einzelnen Verbraucher zur Verfügung gestellt werden. Ich will doch
hoffen, dass wir uns in dieser Frage einig sind.
({0})
- Liebe Kollegin, ich glaube, ich habe das nicht so recht
verstanden. Vielleicht stellen Sie eine Zwischenfrage.
Ich finde es nicht witzig, wenn die Information zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem das Produkt schon lange
benutzt wird. Wir wollen dies nicht überhöhen, aber es
kann durchaus sein, dass ein Kind beim Spielen eine solche Lichterkette in den Mund nimmt. Deshalb meine ich,
wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die Information der Verbraucher auf europäischer Ebene besser
wird. Ich denke, hier sind wir alle - auch die Bundesregierung - gefordert.
Bei Spielzeug ist es im Grunde genommen wie mit
Lebensmitteln: Niemand möchte solche Produkte ohne
Vertrauen in die Sicherheit und in die Unbedenklichkeit
kaufen. Dieses Vertrauen wurde bei Spielzeug durch
vielfältige Skandale im letzten Jahr schwer angeschlagen. Wir alle erinnern uns an die dramatische Rückrufaktion zum letzten Weihnachtsfest für bestimmte
Spielzeuge.
Verantwortlich für die Sicherheit von Spielzeugen ist
natürlich der Hersteller. Gerade bei Spielzeug liegt es im
Interesse der Hersteller, den verunsicherten Käufer von
seinen Produkten zu überzeugen. Hier haben wir ein
wichtiges Signal: Das ist das GS-Zeichen. Es garantiert
dem Käufer, dass das Produkt durch eine unabhängige
Stelle geprüft wurde. Damit vermittelt es dem Verbraucher Sicherheit. Die Einigung des Europäischen Parlaments, nationale freiwillige Kennzeichen wie GS vorläufig zu erhalten, war ein guter und wichtiger Beitrag der
europäischen Ebene.
Lieber Kollege Obermeier, die Überarbeitung der EUSpielzeugrichtlinie trägt diese Zielsetzung jedoch nicht;
denn die europäische Ebene fällt hinter den Standard von
GS zurück und landet im Grunde genommen bei dem
CE-Zeichen.
({1})
Ich glaube, hier sollten wir uns gemeinsam einig sein.
Das CE-Zeichen lässt zum Beispiel, wie der TÜV sagt,
Grenzwerte für Blei oder Arsen in Farben zu, die nicht
mehr akzeptabel sind. Es lässt Weichmacher und
krebserregende Stoffe zu; das ist absolut nicht akzeptabel. Deswegen reichen das CE-Zeichen und somit auch
die europäische Zielsetzung nicht aus. Wir brauchen GS.
Dafür sollten wir gemeinsam kämpfen.
({2})
Ich habe Ihre Anträge intensiv gelesen. Liebe Freunde
von Bündnis 90/Die Grünen sowie von der CDU/CSU
und der SPD, vielleicht habe ich Sie nicht richtig verstanden. Ich habe den Eindruck, dass Sie eine betriebsunabhängige Prüfung von Spielzeugen vor dem Inverkehrbringen fordern. Das klingt sinnvoll; denn so kann
der Hersteller das CE-Zeichen nicht einfach auf seine
Ware kleben. Vielmehr hat dann eine Prüfung stattgefunden. Dann ist aber nicht das GS-Zeichen auf der Ware,
sondern das CE-Zeichen. Ich glaube, wir sind uns einig,
dass dieses CE-Zeichen nicht trägt. Deswegen sind meiner Meinung nach die Anträge von CDU/CSU und SPD
sowie Bündnis 90/Die Grünen nicht ausreichend.
Ich will aber ausdrücklich betonen, dass es nicht darum geht, dass jemand von der FDP oder sonst jemand
Recht bekommt. Hier geht es einzig und allein darum,
auf europäischer Ebene eine Norm zu finden, die den
Ansprüchen, die die Verbraucher und vor allen Dingen
die „konsumierenden“ Kinder haben - Sie haben ja eindrucksvoll beschrieben, was Kinder zum Teil mit ihren
Spielsachen und ihren Lieblingstieren machen -, und
höchsten Sicherheitsstandards Rechnung trägt.
({3})
Deswegen lassen Sie uns gemeinsam darauf hinarbeiten. Ich will einige Fixpunkte kurz benennen: niedrigste
Grenzwerte, soweit das überhaupt möglich ist; das GSZeichen als freiwilliges Prüfsiegel; mit diesem freiwilligen Deklarationszeichen kann man dann in den Wettbewerb treten; Informierung darüber, dass die Produkte eines Herstellers die Kriterien einer GS-Kennzeichnung
erfüllen und dass er mit dieser Qualität in den Markt hineingeht; deutliche Verbesserung des RAPEX-Portals
und am besten ein gemeinsames Rückrufportal von Herstellern und Importeuren. Ich halte das wirklich für notwendig, gerade weil für viele Spielwaren der Produktionsort in China liegt. Machen wir uns gemeinsam auf
den Weg, um eine gute Lösung zu finden!
Herzlichen Dank.
({4})
Die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß hat jetzt das
Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Messer, Gabel,
Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht.“ Wer von uns
kennt nicht diesen Spruch, der uns vor gefährlichen Gegenständen schützen soll? Eltern halten Kinder von diesen Gegenständen fern.
Doch wie sieht es mit Kinderspielzeug aus? Giftiges
Barbiezubehör, Blei in Lokomotiven und Kinderlätzchen, Drogen in Bastelsets, das waren die Skandale, die
uns kurz vor Weihnachten in Atem hielten. Aber nicht
nur zur Weihnachtszeit kann das Spielen für Kinder gefährlich sein. Das zeigt ein Blick auf die Seiten des europäischen Warnsystems RAPEX; der Kollege Goldmann
hat gerade schon darauf hingewiesen. Dort sind 14 gefährliche Spielzeuge aufgeführt - die Lichterkette habe
ich jetzt nicht darauf gefunden, Herr Goldmann -, und
das bereits zur Hälfte des Monats März. Dazu gehören
zum Beispiel der Spiel-Lkw „Trailblazer“, bei dem
große Vergiftungsgefahr besteht, und ein Spielfernglas
chinesischer Machart, ebenfalls giftig. Es gibt einen
Spiel-Lkw mit Blöcken, die verschluckt werden und somit zum Ersticken führen können. Es gibt die giftigen
Plastikschnüre „Scoubidou“ und vieles mehr.
Die Liste wird sicher noch länger; denn, wie gesagt,
der März ist leider noch nicht herum. Aktuell ist davon
auszugehen, dass Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre in
diesem Jahr mit Spielzeug bis zu einem Wert von durchschnittlich 53 Euro rechnen können. Es wird weiterhin
Spielzeug auf den Markt kommen.
Zu viel Blei in der Farbe, gefährliche Weichmacher
im Kunststoff, Magnete, die sich lösen und geschluckt
werden können, zu laute Spielzeughandys, die das Gehör
schädigen können, all dies gehört nicht in Kinderhände
und noch weniger in Kindermünder.
Weil Blei eine tragende Rolle in den Spielzeugskandalen gespielt hat, kurz etwas zu den möglichen Auswirkungen: Blei schädigt die Blutbildung, wirkt schädigend
auf die Nieren und auf das Nervensystem, kann bei Kindern zu psychomotorischen Störungen, zur Verminderung des IQ und der Gedächtnisleistung führen und ist
erbgutschädigend.
Ich zitiere:
Wo es um die Gesundheit … unserer Kinder geht,
darf es keine Kompromisse geben. … Punkt.
({0})
Dieses Zitat von Industriekommissar Verheugen bringt
im wahrsten Sinne des Wortes die Problematik auf den
Punkt. Leider entspricht der Vorschlag der EU-Kommission diesem Ansinnen nicht.
({1})
So enthält der Vorschlag zwar ein Verwendungsverbot
für krebserregende, erbgut- und fortpflanzungsschädigende Stoffe, die man auch k/e/f-Stoffe nennt. Dieses
Verwendungsverbot gilt allerdings nur dann, wenn die
Konzentrationsgrenzwerte entsprechend den Regelungen im Chemikalienrecht überschritten werden. Sie haben richtig gehört: im Chemikalienrecht. Damit wird der
Gehalt des jeweiligen Stoffes im Produkt als entscheidend angesehen. Für die Sicherheit der Kinder ist aber
doch wichtig, wie viel von dem jeweiligen Giftstoff aus
dem Spielzeug freigesetzt wird;
({2})
denn am Spielzeug wird gelutscht, gekaut oder es wird
gar verschluckt. Das heißt, das Chemikalienrecht bringt
uns hier nicht weiter. Im Gegenteil: Es zeigt eine deutliche Verschlechterung des geltenden Schutzniveaus für
Kinderspielzeug auf.
({3})
Zum Vergleich: Der für Lebensmittelverpackungen
derzeit zulässige Grenzwert für Vinylchlorid - das ist ein
Stoff, den wir in PVC, Isolierungen und Weichmachern
finden - ist mit 1 Milligramm pro Kilogramm tausendfach niedriger als der nach Chemikalienrecht zulässige
Grenzwert. Vinylchlorid führt übrigens zur Schädigung
der Leber, Speiseröhre, Milz und Haut und wird als
krebserzeugend eingestuft.
Auch bei den Duftstoffen springt der Vorschlag der
EU-Kommission zu kurz: 38 sollen verboten werden;
26 Stoffe dürfen aber weiter verwendet werden, wenn
sie denn gekennzeichnet sind. Man stelle sich das einmal
vor.
Kontraproduktiv ist auch das im Kommissionsvorschlag erneut vorgesehene Verbot nationaler Prüfzeichen; dies ist schon verschiedentlich ausgeführt worden.
Die Entscheidung des Europäischen Parlaments und des
Rates vom Februar 2008 beinhaltet eine generelle Beibehaltung nationaler Sicherheitszeichen, mit denen wir sehr
gute Erfahrungen gemacht haben. Dieses unabhängige
Prüfzeichen gibt den Eltern Orientierung und garantiert
ihnen Sicherheit. Unser Prüfzeichen hat sich bewährt.
Wir brauchen kein entsprechendes EU-einheitliches
Prüfzeichen.
({4})
Ich habe bereits gesagt, dass Kinder besonders
schutzbedürftig sind. Deshalb wollen wir, dass Kinderspielzeuge wie Lebensmittel behandelt werden und den
sogenannten Lebensmittelbedarfsgegenständen gleichgestellt werden.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, Frau Präsidentin.
Mit Kampagnen wie „Du bist Deutschland“ wird für
eine kinderfreundlichere Gesellschaft geworben. Ich
denke, wir müssen mit Prüfzeichen dafür sorgen, dass
Spielzeuge kindgerechter werden. Maxim Gorki hat gesagt: „Das Spiel ist der Weg der Kinder zur Erkenntnis
der Welt, in der sie leben.“ Damit die Kinder diesen Weg
beschreiten können, bitte ich Sie herzlich darum, unseren Antrag zu unterstützen.
Vielen Dank.
({0})
Die Kollegin Karin Binder hat nun das Wort für die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Alle Jahre wieder werden vor Ostern - nicht nur vor
Weihnachten - viele Kinderspielzeuge gekauft. Aber
nach wie vor haben wir das Problem, dass viele Spielzeuge nicht sicher sind. Ich freue mich darüber, dass wir
im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sehr große Einigkeit darüber erzielt haben, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht und
dass das deutsche GS-Zeichen als Prüfsiegel unbedingt
erhalten werden muss.
Als Linke gehen wir natürlich noch etwas darüber hinaus. Wir wünschen uns, dass das GS-Zeichen nicht nur
auf freiwilliger Basis, sondern verbindlich und verpflichtend eingeführt wird. Da man auf EU-Ebene nun
eine gemeinsame Linie finden will, ist der Zeitpunkt gekommen, dieses Thema anzugehen. Ich denke, sicheres
Spielzeug darf nicht nur denen vorbehalten sein, die den
entsprechenden Geldbeutel haben.
({0})
Die geprüften Spielzeuge erfüllen sehr hohe Qualitätsanforderungen; damit sind sie in der Regel aber teurer. Das
Problem ist also, dass sich diejenigen, die nur einen kleinen Geldbeutel haben, mit dem Spielzeug begnügen
müssen, das mit dem CE-Zeichen gekennzeichnet ist.
Wie wir alle wissen, bedeutet dies nicht viel. Ich halte
sehr viel davon, die Verantwortung der Hersteller zu
stärken. Aber nach wie vor gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Wir haben in den vorangegangenen Beiträgen schon
gehört, welche Gefahren Blei, das in Billigspielzeugen
zu finden ist, mit sich bringt. Blei hat im Spielzeug
nichts verloren, und Spielzeug, das Blei enthält, muss
verboten werden. Auch ein niedrigerer Grenzwert hilft
da nicht weiter; denn die Gefahr ist trotz allem vorhanden, wie uns Experten und Wissenschaftler bestätigen.
Blei muss also raus aus Spielzeug.
Auch andere Stoffe wie giftige Weichmacher haben
nichts im Spielzeug verloren. Ein Spielzeug mit solchen
Inhaltsstoffen muss anders konzipiert oder verboten werden. Mir ist es allemal lieber, wenn ein Spielzeug vom
Markt genommen wird, als dass ein Kind möglicherweise Schaden daran nimmt.
Ein anderes Thema, das in dem Antrag der Regierungskoalition keine Rolle spielt, ist das der Umweltund Sozialstandards in den Herstellerländern. Ich meine,
auch darüber müssen wir im Rahmen der Diskussion
über die EU-Spielzeugrichtlinie reden. Denn ich gehe
davon aus, dass die Einführung von Sozialstandards erstens zu einer Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen in den Herstellerländern beitragen könnte und
zweitens die Qualität der erzeugten Produkte steigern
würde.
({1})
Bei vielen Dingen sind wir uns ja einig. Aber es ist mir
wichtig, dass wir in dieser Debatte auch über diese Themen reden, wenn wir wollen, dass alle Spielzeuge sicherer werden. Es geht darum, präventiv, im Sinne des Vorsorgeprinzips, zu handeln und im Zweifelsfall unsicheres
Spielzeug zu verbieten. Ich halte sehr viel davon, für
Spielzeug in diesem Zusammenhang die gleichen Werte
wie für Lebensmittelverpackungen anzusetzen, um es sicher zu machen; denn Spielzeug wird ja nun einmal auch
in den Mund genommen.
Ich hoffe, dass die vorliegenden Anträge relativ rasch
beraten werden und dass wir nicht erst wieder vor Weihnachten noch einmal über dieses Thema diskutieren
müssen. Ich hoffe vielmehr, dass die Anträge rasch verabschiedet werden und das Spielzeug, das dann auf dem
Markt ist, sicher ist.
Vielen Dank.
({2})
Jetzt spricht Nicole Maisch für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In den vergangenen Monaten haben die vielen
Rückrufaktionen für Spielzeug gezeigt, dass zum Teil erschreckende Sicherheitslücken bei der Produktsicherheit
im Spielzeugbereich bestehen. RAPEX, das Schnellwarnsystem der Europäischen Union, verzeichnet seit
Jahren einen Anstieg von Produktwarnungen. Zum
Nachdenken bringen sollte uns, dass davon nicht nur
Billigprodukte, sondern auch die Erzeugnisse namhafter
Markenhersteller betroffen waren. Auch wenn Eltern
mehr Geld in die Weihnachtsgeschenke für ihre Kinder
investiert haben, konnten sie sich nicht sicher sein, dass
das, was unter dem Weihnachtsbaum lag, sicher war.
Auch Markenqualität ist im Spielzeugbereich im Moment also keine Garantie für ungiftiges und sicheres
Spielzeug.
Auffällig häufig betroffen waren Kinderartikel und
Elektrogeräte aus chinesischer Produktion. Das ist nicht
verwunderlich, wenn man bedenkt, dass 61,7 Prozent
des Spielzeugs, das wir importieren - 80 Prozent werden
insgesamt importiert; einiges wird ja auch noch in
Deutschland hergestellt -, aus China importiert wird. Allerdings waren knapp 40 Prozent der untersuchten Produkte, die wir aus China importiert haben, mit Sicherheitsmängeln behaftet.
Vor dem Hintergrund globalisierter Warenströme
greifen die alten Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr. Es
zeigt sich ganz deutlich: Auf europäischer Ebene, aber
auch hier in Deutschland besteht Handlungsbedarf.
({0})
Im Mittelpunkt der Kritik im Kontext der Spielzeugskandale stand die späte und schlechte Informationspolitik der verantwortlichen Stellen. Wir haben schon oft
über RAPEX gesprochen; es ist nicht geeignet, um Verbraucherinnen und Verbraucher ausreichend zu informieren.
({1})
- Ich denke, man braucht etwas Besseres, zum Beispiel
ein Portal - so etwas wie www.rückruf.de -, wo Informationen verbraucherfreundlich in unterschiedlichen
Sprachen aufgearbeitet werden. Das wäre, glaube ich,
besser als das, was RAPEX im Moment bietet. RAPEX
ist eine gute Grundlage, aber man sollte weiter daran arbeiten.
({2})
Auch das bisher völlig unzureichende CE-Kennzeichen
- dazu wurde schon viel gesagt - ist als Sicherheitssiegel
nicht geeignet; das will es ja auch nicht sein.
Nach 20 Jahren des Bestehens der Spielzeugrichtlinie
braucht es dringend neue Regelungen - vor allem zu den
Giftstoffen in Spielzeugen. In diesem Zusammenhang
sind allergene Duftstoffe - ich finde es sehr gut, dass Sie
im Koalitionsantrag auf die Duftstoffe eingehen -, aber
auch Weichmacher und andere Stoffe genannt worden.
Von Kindern kann man nicht erwarten, dass sie Produkte
sachgemäß anwenden. Kinder stecken Dinge in den
Mund, die nicht dazu geeignet sind. Deshalb sind sehr
strenge Qualitäts- und Sicherheitsvorschriften notwendig.
({3})
Bündnis 90/Die Grünen begrüßen das Engagement
der Bundesregierung für das deutsche Sicherheitssiegel
GS. Aber wir weisen auch darauf hin, dass insbesondere
im Bereich der besonders sensiblen Verbraucherprodukte, also der Produkte für Kinder, ein verbindliches
Sicherheitssiegel angeordnet werden müsste. Wir fordern Sie auf, sich dafür auch auf europäischer Ebene zu
engagieren.
({4})
Wir weisen darauf hin, dass die mangelhafte Rückverfolgbarkeit in Produktions- und Handelsketten ein
Problem ist, das man angehen muss. Daran muss grenzüberschreitend gearbeitet werden. Die Öffentlichkeitsarbeit müsste - ich habe es schon im Kontext von RAPEX
erwähnt - verbessert werden und verbraucherfreundlicher gestaltet werden. Es müsste schneller gehen. Das
Beispiel der Lichterkette ist gut; Weihnachten ist jetzt
vorbei.
({5})
- Dann suchen Sie vielleicht noch einmal ganz genau.
Wir möchten der Bundesregierung sagen: Sie haben
den Rückhalt des Parlaments, sich für mehr Spielzeugsicherheit einzusetzen. Wir haben weitere Vorschläge gemacht. Ich glaube, zusammen mit den Forderungen der
Grünen ist der Koalitionsantrag eine ganz gute Basis
({6})
für ein verbraucherfreundliches Paket für mehr Sicherheit.
({7})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Julia Klöckner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Vertreterinnen
und Vertreter der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Frau Maisch, herzlichen Dank für die Bewertung, dass unser Antrag eine gute Grundlage ist.
Wenn es um die Sicherheit unserer Kinder geht, dann darf
es kein Augenzudrücken und keine Ausnahmen geben.
Eines ist auch klar: Krebserregende und allergieerzeugende Stoffe haben nichts in Kinderspielzeug zu suchen.
Im Deutschen Bundestag geht es uns darum, klarzumachen, dass diejenigen, die fahrlässig mit der Gesundheit
unserer Kinder spielen, keine Entschuldigung verdient
haben und dass wir sie hart sanktionieren.
({0})
Es ist in der Tat sehr erschreckend, welche Stoffe in
Kinderspielzeug gefunden worden sind. Jeder meiner
fünf Vorredner hat zum Beispiel die RAPEX-Liste erwähnt. Schauen wir einmal, welche Schlagzeilen und
Presseartikel es zu diesem Thema in den vergangenen
Monaten gab: Bleihaltige Farben in Spielzeugautos, verschluckbare Magnetteile an Plastikpuppen, gefährliche
Chemikalien in Bastelsets bestimmten leider allzu oft
diese Schlagzeilen. Schlagzeilen entstehen aber nur
dann, wenn etwas Neues bekannt geworden ist. Wenn
sich jedoch etwas wiederholt, dann bekommen wir das
nicht mehr zu lesen.
Kollege Goldmann und Frau Drobinski-Weiß haben
die Liste von RAPEX dabei. Es ist erschreckend, was in
dieser Liste steht: Bei insgesamt 55 Meldungen wird für
29 Produkte vor Verletzungs- und Erstickungsgefahr gewarnt. 11 Produkte bergen Vergiftungsgefahr in sich. Bei
einigen Produkten wird aufgrund eines hohen Anteils an
Chemikalien die Gesundheit beeinträchtigt und werden
sogar Hörschäden hervorgerufen.
Eines muss klar sein: Ganz gleich, wie viel Produkte
in Deutschland kosten, sie müssen sicher sein.
({1})
Darauf müssen sich die Verbraucherinnen und Verbraucher verlassen können. Selbst unter dem Aspekt „Geiz
ist geil“ und selbst wenn die Tatsache, dass Qualität ihren Preis hat, unbestritten ist, muss klar sein: All das,
was auf den deutschen Markt kommt, muss unbedenklich sein. Unsere Bürgerinnen und Bürger müssen sich
darauf verlassen können, dass wir, der Staat, die richtigen Rahmenbedingungen setzen, damit sie in Ruhe und
sorglos einkaufen können. Dieses Vertrauen - so muss
man ehrlich sagen - ist in den vergangenen Wochen und
Monaten verloren gegangen.
({2})
Selbst zum Beispiel die Firma Mattel, ein Markenproduzent, hat eine Rückrufaktion für über 20 Millionen Puppen, Figuren und andere Produkte gestartet. Mich erschreckt, dass selbst Markenproduzenten, in die wir
hohes Vertrauen hatten, Produkte zurückrufen mussten.
Mich erschreckt das, auch wenn diese Firmen nicht vorsätzlich gehandelt haben,
({3})
sondern gelinkt worden sind. Wir haben erfahren, dass
sowohl in Amerika als auch in Australien Kinder mit
hochgradigen Vergiftungen in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten und einige sogar gestorben sind.
Damit darf man auf keinen Fall spielen, auch nicht,
wenn jemand ein Interesse daran hat, seine Marge zu erhöhen. Das muss klar sein. Das ist die Haltung der
Union, der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, des BMELV
und unserer Bundesregierung.
({4})
Eines möchte ich kritisch anmerken: Auffälligerweise
wurden über 80 Prozent der beanstandeten Produkte aus
China und anderen asiatischen Ländern importiert. Warum hat man sie dort produzieren lassen? Natürlich, weil
sie dort zu günstigeren Preisen produziert werden können. Es gehört zur Wahrheit, dass Produkte, die günstiger sind, weil sie unter anderen Umwelt-, Verbraucherschutz- und Sozialstandards hergestellt worden sind,
trotzdem ihren Preis haben. Die Gesundheit unserer Kinder ist ein Preis, der uns definitiv zu hoch ist. Nicht mit
uns!
({5})
Da sich meine Redezeit dem Ende zuneigt, möchte
ich abschließend das unterstützen, was meine Kolleginnen und Kollegen zuvor bereits gesagt haben: Wir sind
dafür, dass das GS-Zeichen, das für „geprüfte Sicherheit“ steht, das besagt, dass eine präventive Prüfung
stattgefunden hat, europaweit eingeführt wird. Es kann
nicht sein, dass wir das wegen der Harmonisierung in
Europa aufgeben müssen. Ich möchte nicht in einem Europa leben, in dem die Gesundheit weniger zählt als die
Harmonisierung.
({6})
Der Kollege Jürgen Kucharczyk hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Volksmund sagt: Wenn Kinder spielen, sind sie gesund. Jedem
Kind sind die Neugier und die Lust, zu spielen, angeboren. Ein Großteil der Entwicklung der kognitiven und
motorischen Fähigkeiten findet durch Spielen statt. Dabei gehen unsere Kinder mit allen Sinnen vor: Sie sehen,
hören, riechen, schmecken und greifen. Was aber, wenn
die Spiele krankmachen? Was, wenn Eltern ihre Kinder
nicht mehr sorglos dem Spiel überlassen können?
Der Titel des Koalitionsantrags klingt wie eine Selbstverständlichkeit. Die Realität ist leider eine andere. Ein
amerikanischer Spielwarenhersteller hat im vergangenen
Jahr 20 Millionen Produkte zurückrufen müssen, weil
sie Bestandteile enthielten, die für die Gesundheit der
Kinder gefährlich sind. Schauen wir auf die RAPEXWarnliste im Internet, dann stellen wir fest, dass es weitere Beispiele gibt. Rund 80 Prozent des Spielzeugs auf
dem europäischen Markt werden aus Fernost importiert.
China ist der Hauptlieferant.
Die letzten Rückrufaktionen haben deutlich gemacht,
dass das Spielzeug den heutigen Sicherheitsanforderungen des europäischen Marktes nicht entspricht. Die häufigsten Gefahren für unsere Kinder sind: Verletzungen,
Erstickungen, Vergiftungen und Hörschäden. Kurzum:
Diesen Gefahren muss, wo immer es geht, begegnet werden.
Daher ist es gut, dass sich die EU mit der EU-Spielzeugrichtlinie dieses Themas endlich angenommen hat.
Das ist ein richtiger Schritt, der zum Ziel hat, krebserregende, erbgutschädigende oder fortpflanzungsgefährdende Stoffe in Spielzeug zu verbieten. Die Richtlinie
legt jedoch nicht fest, dass das Spielzeug von diesen
Stoffen frei sein muss. Daher legen wir einen Koalitionsantrag vor. Die SPD-Fraktion fordert: Diese Stoffe, die
unsere Kinder und deren Kinder gefährden können, haben in Spielzeug nichts verloren.
({0})
Keine Grenzwerte, sondern null Toleranz. Das gilt
selbstverständlich auch für alle allergieerzeugenden
Stoffe.
In der Richtlinie bestehen aber auch an anderer Stelle
Ungereimtheiten: Die Erziehungsberechtigten wissen
um die Unmöglichkeit, einem Baby oder Kleinkind begreiflich zu machen, dass das Lieblingsspielzeug nicht in
den Mund zu nehmen ist. Wenn die Richtlinie kein Augenmerk auf die Freisetzung der gefährlichen Stoffe im
Mund legt, können die Auswirkungen fatal sein. Spielzeug aus Kunststoff ist deshalb mit Lebensmittelgegenständen gleichzusetzen.
({1})
Was kompliziert klingt, heißt im Grunde: Spielen ist
für Kinder so essenziell wie Trinken und Essen. Daher
gebührt dieser Handlung ein ebenbürtiger Schutz.
({2})
Was hat es nun mit dem CE- und dem GS-Zeichen auf
sich? Beides sind Zeichen für die Produktsicherheit nach
geltenden Normen. Das GS-Zeichen an Spielzeug bedeutet, dass eine vom deutschen Staat autorisierte Prüfstelle das Produkt Spielzeug nach geltenden Normen
überprüft hat. Die CE-Kennzeichnung wird von Herstellern in Eigenverantwortung angebracht.
Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung am Zeichen „Geprüfte Sicherheit“ festhält und sich dafür einsetzt, es europaweit zur Geltung zu bringen. Eine Abschaffung dieses Zeichens würde nicht nur die
Spielzeugsicherheit verschlechtern. Solange keine effizienten und nachhaltigen EU-Siegel existieren, müssen
die nationalen Bestand haben.
Unsere Forderung nach einer präventiven Prüfung aller Spielzeuge durch unabhängige Dritte folgt dieser Logik und ist die Konsequenz. Dafür bitte ich um breite
Unterstützung.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8496 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7837 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
drei Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen, aber unter umgekehrtem Vorzeichen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Herbert
Schui, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Privatisierungsfolgen seriös bilanzieren - Privatisierungen aussetzen
- Drucksachen 16/3914, 16/5565 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({1})
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Bernhard Brinkmann, SPD-Fraktion, das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der
Drucksache 16/5565 gibt es eine Beschlussempfehlung
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke „Privatisierungsfolgen seriös bilanzieren - Privatisierungen aussetzen“.
Wenn man sich das Abstimmungsverhalten in den Ausschüssen anschaut, sowohl im federführenden Ausschuss als auch in den mitberatenden Ausschüssen, dann
ist die Lage völlig klar: Dieser Antrag ist abzulehnen.
Ich darf gleich am Beginn meiner Ausführungen zum
Ausdruck bringen, dass wir diesen Antrag ablehnen werden. Ich will das auch begründen.
Man kann den Eindruck haben, als wäre das, was bisher privatisiert worden ist, nicht seriös bilanziert. Diesen
Eindruck muss ich aber mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Man sollte einmal einen Blick in die Bundeshaushaltsordnung werfen und noch einmal Revue
passieren lassen, was anschließend in Berichten zum
Ausdruck gebracht wird. In der Bundeshaushaltsordnung heißt es:
Bei Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit
und Sparsamkeit zu beachten. Diese Grundsätze
verpflichten zur Prüfung, inwieweit staatliche Aufgaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten durch Ausgliederung und
Entstaatlichung oder Privatisierung erfüllt werden
können.
Dies macht deutlich, dass der Antrag der Fraktion Die
Linke schon allein aus diesem Grund völlig verfehlt ist
und keine Zustimmung finden kann.
Privatisierungspolitik muss auch ein ordnungspolitisch vorrangiges Ziel sein. Die Privatisierung muss konsequent weitergeführt werden.
Ich will jetzt einmal auf die Durchsichtigkeit des Antrags der Linken eingehen. Wir kennen die Größenordnung der Privatisierungserlöse aus den Jahren 2007 und
2008. Als Beispiel nehme ich einmal die 9,2 Milliarden
Euro aus dem Jahr 2007. Wenn diese nicht in die Kasse
des Bundes fließen, stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten es gibt, das auszugleichen. Es gibt nur zwei.
Eine Möglichkeit wäre, die Einnahmen zu erhöhen.
({0})
Bernhard Brinkmann ({1})
Dazu gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen.
Im Hinblick auf die Mehrwertsteuererhöhung gibt es
eine bestimmte Strategie der antragstellenden Fraktion.
Zum einen lehnt sie diese ab. Aber bei der Gegenfinanzierung von Ausgabewünschen wird zum Teil ein bestimmter Betrag der Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung ins Spiel gebracht. Das ist wenig seriös und
entspricht nicht einer soliden und nachvollziehbaren
Haushaltspolitik.
Die andere Möglichkeit wäre, in der gleichen Größenordnung auf der Ausgabenseite einzuschneiden. Da widersprechen Sie, die Linken, sich mit den Anträgen, die
Sie allein zum Bundeshaushalt 2008 gestellt haben,
selbst. Sie fordern nämlich ein Bündel von Ausgabensteigerungen in einer Größenordnung von circa 150 Milliarden Euro.
({2})
Jährliche Mehrausgaben im Bundeshaushalt in Höhe von
150 Milliarden Euro bei einem Gesamtvolumen von
roundabout 280 Milliarden Euro würden bedeuten, dass
die Nettokreditaufnahme nicht bei rund 11 Milliarden
Euro, sondern bei 160 Milliarden Euro liegen würde. Allein deshalb müssten weitere Ausgaben veranschlagt
werden, die sich aus einer exorbitant ansteigenden Zinsbelastung ergeben würden.
Wenn Sie einen solchen Antrag präsentieren, müssen
Sie auch Lösungsvorschläge unterbreiten. Ich bin gespannt, was im Laufe der halbstündigen Debatte an Lösungsvorschlägen vonseiten der Fraktion Die Linke unterbreitet werden wird.
Ich will auf einen weiteren Grund hinweisen, weshalb
wir Privatisierungserlöse benötigen. Ich will diesbezüglich nicht missverstanden werden. Aber es gab bis zur
Wiedervereinigung unseres Vaterlandes eine staatliche
gelenkte Planwirtschaft, in der der Staat alles geregelt
hat und in der es keine Privatisierungen gab. Wohin das
geführt hat, ist deutlich geworden, als beim ersten gemeinsamen Haushalt die Eröffnungsbilanz aufgestellt
wurde. Es wird außerdem anhand der Sonderkosten der
deutschen Einheit deutlich, die unsere Volkswirtschaft
jedes Jahr durch ihre Leistung finanziert; man kann gar
nicht oft genug darauf hinweisen, dass wir darauf zu
Recht stolz sein können. Das sind im Schnitt zwischen
50 und 60 Milliarden Euro, woraus eine Zinsbelastung
resultiert, die aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht geringer sein könnte, wenn wir diese Sonderlasten nicht
tragen müssten. Ich füge hinzu: Wir tragen sie gern, und
wir sind die einzige Volkswirtschaft auf der Welt, die seit
der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes Sonderkosten in dieser Größenordnung - sehr gerne - trägt.
Ich komme zum Schluss. Die Ausschussberatungen
zu diesem Tagesordnungspunkt haben zu einem klaren
Ergebnis geführt. Der Antrag wurde von allen Fraktionen, bis auf die antragstellende Fraktion, abgelehnt. Ich
bitte Sie, heute entsprechend zu beschließen, weil die
Privatisierungsfolgen bisher seriös bilanziert worden
sind und in den nächsten Jahren weitere Privatisierungserlöse für den Bundeshaushalt erzielt werden müssen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat nun Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Titel Ihres Antrags hört sich sehr schön an. Sie
fordern, die Privatisierungsfolgen zu bilanzieren. An
diesem Punkt kann Ihnen die FDP ohne Weiteres zustimmen. Jede Bilanz, die zeigt, was Privatisierung gebracht
hat, ist eine gute Bilanz. Hier kann man ruhig mehr ins
Detail gehen. Damit habe ich kein Problem.
Ich bin mir sicher - das gilt auch für meine Fraktion -,
dass dann, wenn man eine solche Bilanz erstellen würde,
auch herauskommen würde, dass manches nicht gut gelaufen ist. Ich würde mir wünschen, dass auch Sie einmal eine Bilanz der 40 Jahre DDR ziehen würden, und
zwar vollständig.
({0})
Das tun Sie aber gerade nicht. Sie tun das, was Sie immer tun, und behaupten: Alles, was privat ist, ist des
Teufels und schlecht. Sie finden auch immer ein Argument, warum jede Privatisierung letztlich doch schlecht
war.
Interessant ist der zweite Teil des Titels Ihres Antrags;
denn hier wird die Richtung, in die Sie wollen, schon
viel deutlicher. Dort heißt es: „Privatisierungen aussetzen“. Sie wollen die Privatisierungen aussetzen, bis die
geforderte Bilanz vorgelegt worden ist. Wenn es nach Ihnen ginge, sollte man kommunale Krankenhäuser nicht
mehr privatisieren, sondern sie lieber weiter Schulden
machen lassen und dafür sorgen, dass der Staat die Versorgung nicht mehr auf Dauer gewährleisten kann oder
aber sie in der Weise sicherstellt, in der dies früher in der
DDR geschehen ist: Man hat ein Krankenhaus, aber die
Qualität ist mies. Hauptsache ist, das Krankenhaus ist in
Staatshand. Was Sie wirklich wollen - das sagen auch
Ihre beiden großen Fraktionsvorsitzenden Lafontaine
und Gysi immer wieder -,
({1})
ist klar und deutlich: Sie wollen einen anderen Staat.
Ich habe mich gefragt: Wann ist eigentlich wieder einmal ein Jubiläum? Ich habe herausgefunden: In diesem
Monat ist, wenn man die einzige sogenannte Volksabstimmung in der DDR von 1968 berücksichtigt, das 40jährige Jubiläum der Verfassung von 1968. Diese Verfassung ist in verschiedenen Büchlein, die man in diesem
Lande übrigens nicht heimlich kaufen muss, sondern öffentlich kaufen kann, nachzulesen. Ich möchte zitieren,
was in der Verfassung der Deutschen Demokratischen
Republik zum Thema Wirtschaft stand - das ist vielleicht auch für die Zuhörer interessant, damit sie erfahOtto Fricke
ren, was diese Partei, von der angeblichen sozialen Gerechtigkeit einmal abgesehen, eigentlich will -:
Die Bodenschätze, die Bergwerke, Kraftwerke, Talsperren und großen Gewässer, die Naturreichtümer
des Festlandsockels, Industriebetriebe, Banken und
Versicherungseinrichtungen, die volkseigenen Güter, die Verkehrswege, die Transportmittel der Eisenbahn, der Seeschifffahrt sowie der Luftfahrt, die
Post- und Fernmeldeanlagen sind Volkseigentum.
Privateigentum daran ist unzulässig.
In Art. 14 Abs. 1 der DDR-Verfassung hieß es:
Privatwirtschaftliche Vereinigungen zur Begründung wirtschaftlicher Macht sind nicht gestattet.
Darum geht es Ihnen. Sie wollen alle Macht beim
Staate. Ich kann für meine Fraktion nur sagen: Wir wollen die Macht, die notwendig ist, beim Staate, und die
übrige Macht bei den Bürgern. Darum geht es uns.
({2})
Ich bin gespannt, was geschehen wird, wenn meine
Fraktion demnächst einen Gesetzentwurf einbringt, der
eine Änderung des Grundgesetzes vorsieht; denn ich
weiß, dass auch die Fraktion Die Linke hier etwas plant.
Im Grundgesetz ist immer noch Art. 15 enthalten, der
Sozialisierungen ermöglicht. Dieser Artikel erlaubt dem
Staat, in enteignender Weise Einfluss auf die Industrie zu
nehmen. Ich bin gespannt, wie sich Union und SPD, aber
auch die Grünen an dieser Stelle verhalten werden. Ich
würde mich freuen, wenn wir diesen Artikel aus unserer
Verfassung streichen würden, ohne dabei allerdings den
Eigentumsartikel zu verändern.
({3})
- Wie ich merke, sind Sie getroffen. Daran wird deutlich: Das ist die Richtung, in die Sie wollen.
Nun zur Frage: Wie sieht das eigentlich aus, wenn
sich der Staat an der Industrie beteiligt? Wir haben vorhin kurz über die IKB diskutiert. Wollen Sie eigentlich
auch keine Privatisierung der IKB? Wollen Sie, dass der
Staat die IKB behält? Wollen Sie, dass er Steuermittel in
Milliardenhöhe, die dann nicht mehr für Hartz-IV-Empfänger, für gesetzlich Krankenversicherte oder für Rentner zur Verfügung stehen, weiter in die IKB hineinbuttert?
({4})
Das wollen Sie sicherlich nicht. An dieser Stelle passt es
Ihnen dann doch wieder nicht, wenn sich der Staat an
Privateigentum beteiligt. Genau daran wird deutlich:
Das, was Sie machen, ist Körnchenpicken. Sie wollen
nur eine vermeintliche Gerechtigkeit. Tatsächlich
kommt es aber immer nur darauf an, was Ihnen gerade
vor die Flinte kommt.
({5})
Ich frage mich: Wenn Sie es wirklich ernst meinen
würden und eine so starke Fraktion und Partei wären,
wie Sie es immer vorgeben
({6})
- ich weiß, dass das nicht der Fall ist; das ist auch okay -,
welches Ziel würden Sie dann eigentlich dort, wo Sie
Regierungsverantwortung übernommen haben, verfolgen? Sehen Sie sich einmal an, was Ihre Partei in Mecklenburg-Vorpommern oder in Berlin, wo Sie mit der SPD
an der Regierung sind, getan hat: Selbst im Wohnungsbereich haben Sie privatisiert.
Man kann also nur sagen: Ihr Antrag ist lächerlich. Es
geht Ihnen um einen anderen Staat, um einen Staat wie
den, der zum Glück untergegangen ist. Meine Fraktion,
meine Partei, die Leute, die mich gewählt haben, meine
Familie und ich wollen nicht in so einem Staat leben.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat nun Jochen-Konrad Fromme, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Titel ihres Antrags - „Privatisierungsfolgen seriös bilanzieren“ - will die Linke unterstellen,
dass bisher unseriös privatisiert worden sei.
({0})
Das muss ich entschieden zurückweisen. - Mit Ihrem
Zuruf bestätigen Sie meinen Eindruck.
({1})
Weiter heißt es im Titel des Antrags der Linken: „Privatisierungen aussetzen“. Sie wollen keine Privatisierungen, weil es Ihnen um Ideologie geht. Immer da, wo es
um Ideologie geht, sollte man das sagen, damit die Menschen das erkennen. Für meine Fraktion ist Privatisierung keine Frage der Ideologie, sondern eine Frage der
Arbeitsteilung. Denn es stellt sich doch die Frage, was
zu den Aufgaben des Staates gehört und was nicht. In
der Beantwortung dieser Frage unterscheiden wir uns
fundamental:
({2})
Die Sozialisten meinen, der Staat könne alles besser, die
Gesellschaft wisse am besten, was für den Einzelnen gut
ist. Ihnen wäre es am liebsten, wenn die Leute ihren
Lohn zu 100 Prozent beim Finanzminister ablieferten
und Sie ihn dann verteilten.
({3})
Das stößt bei uns auf völliges Unverständnis. Sie haben
aus der Geschichte offensichtlich nicht gelernt.
({4})
- Zur deutschen Einheit komme ich noch. - Wie war es
denn unter dem Regime, als der Staat alles gemacht hat?
Der Staat ist zusammengebrochen, er hat sich ver15910
schluckt, er kann sich eben nicht um alles kümmern. Es
ist besser, wenn der Einzelne eigenverantwortlich entscheidet. Dann muss man dem Einzelnen aber die
Chance auf Eigentum, auf Erträge, auf Lohn lassen.
Damit für die Zuschauer deutlich wird, worüber wir
uns unterhalten: Fraport AG, Expo 2000, Duisburger Hafen, Höhenklinik in Davos, Bergmannssiedlungsvermögen, Gästehaus Petersberg - der Staat hat bzw. hatte, aus
welchen Gründen auch immer, viel Eigentum, das er eigentlich nicht braucht.
({5})
Deshalb ist es selbstverständlich, dass man die Bewirtschaftung denen überlässt, die das besser können.
Sie haben eben die deutsche Einheit angesprochen.
Natürlich müssen wir viel Geld aufwenden.
({6})
Mit der Wiedervereinigung hat das aber nichts zu tun
- die war ein Federstrich im Grundgesetz; das hat nichts
gekostet -; das hat vielmehr damit etwas zu tun, dass wir
mit 40 Jahren Sozialismus aufräumen müssen.
({7})
Sie haben sich von Ihren Vorgängern, die einen Trümmerhaufen hinterlassen haben, nicht distanziert.
({8})
Dieses Regime war menschenverachtend, es hat eine kaputte Umwelt und eine marode Wirtschaft hinterlassen.
Die Beseitigung dieser Hinterlassenschaften ist es, die so
viel Geld kostet. Ich sage es noch einmal: Es war nicht
die Wiedervereinigung, sondern es ist das Aufräumen
von 40 Jahren Sozialismus, das uns diese Kosten beschert. Und Sie scheinen aus der Geschichte nicht gelernt zu haben.
Was könnten wir alles Gutes anfangen, wenn wir die
43 Milliarden Euro Zinsen, die mindestens zur Hälfte
auf die Beseitigung dieser Trümmer zurückgehen, nicht
aufwenden müssten!
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bulling-Schröter von der Linksfraktion?
Aber gerne.
Sie haben über unsere Vergangenheit gesprochen. Ist
Ihnen bekannt, dass über die Hälfte der Mitglieder der
Fraktion Die Linke nicht in der DDR, sondern in den alten Bundesländern geboren ist?
({0})
Ich zum Beispiel komme aus Bayern, aus einem Land, in
dem die Bayerische Landesbank gerade 1,9 Milliarden
Euro mit Immobilienfonds verzockt hat.
({1})
Jetzt könnten Sie sagen: Das ist sozialistische Planwirtschaft. Aber ich glaube, die Kollegen der CSU würden
heftig widersprechen.
Frau Kollegin, ich bin Ihnen sehr dankbar für die
Zwischenfrage. Sie geben mir nämlich Gelegenheit, auf
Ihr Verhalten aufmerksam zu machen.
({0})
In Niedersachsen und Hamburg haben kürzlich Landtagswahlen stattgefunden. Mir ist eine Fernsehreportage
erinnerlich, in der aus dem Wahlkampf berichtet wurde.
Ich beantworte gerade Ihre Zwischenfrage. Bleiben
Sie bitte so lange stehen. Es geht nämlich zulasten meiner Redezeit, wenn Sie sich setzen.
({1})
- Ich beantworte die Frage nach dem Verhalten der Linken.
Sie haben DKP-Mitglieder in Ihre Listen aufgenommen, weil Sie verhindern wollten, dass sich die Stimmen
für die Linken teilen. Als man Ihnen auf die Schliche gekommen ist, haben Sie die betreffende Dame in Niedersachsen schnell aus der Fraktion geworfen. Sie führen
die Menschen hinters Licht. Weil Sie sich so verhalten,
sind Sie mit diesen in einen Topf zu werfen, auch wenn
Sie nicht alle in der DDR geboren sind. Man muss nicht
in der DDR geboren sein, um dieses Gedankengut zu haben.
({2})
Dabei bleibe ich, solange Sie sich nicht von DKP-Angehörigen distanzieren.
Sie haben kein Programm veröffentlicht, damit man
nicht dahinter kommt, dass Sie nach wie vor dieses Gedankengut pflegen. Machen Sie doch den Menschen
nichts vor!
Warum sind Privatisierungen notwendig? Ich nenne
das Beispiel Telekom.
({3})
Als die Telekom ein Staatsbetrieb war, gab es noch das
Dampftelefon in Schwarz mit Bakelit
({4})
und als Sonderausführung in Weiß. Man musste jede Anschlussdose extra beantragen. In der heutigen Zeit der
IT-Kommunikation, in der es täglich neue Geräte gibt,
ist das nicht mehr vorstellbar.
({5})
Weil wir die Telekom privatisiert und den Prozess dem
Markt übergeben haben, haben wir heute eine moderne
IT-Wirtschaft.
Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Staat nicht
alles machen kann, sondern dass man es demjenigen
überlassen sollte, der es am besten kann. Das ist mal der
Staat mit seinen hoheitlichen Aufgaben und mal die
Wirtschaft.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage
des Kollegen Schui?
Gerne.
({0})
- Das müssen Sie schon mir überlassen. Es ist Ihr Risiko, wenn Sie meine Antwort nicht ertragen können.
({1})
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass der technische
Fortschritt in den staatlichen Telefongesellschaften
ebenso rasch erfolgt ist wie bei der privatisierten Deutschen Telekom?
({0})
Offensichtlich hat der technische Fortschritt nichts mit
den Eigentumsverhältnissen zu tun.
Herr Kollege, ich darf Sie daran erinnern, dass nach
der Wiedervereinigung 1990 in Erfurt immer noch die
Telefonvermittlungsanlage aus den 20er-Jahren in Betrieb war,
({0})
während man in der Bundesrepublik schon drei Technikgenerationen weiter war. Ich erinnere mich durchaus
noch an die Zeiten der staatlichen Telekom, als vieles
nicht möglich war. In Amerika gab es in jedem Zimmer
ein Telefon; bei uns musste man 4 000 oder 5 000 Euro
für eine Telefonvermittlungsanlage aufwenden, die in
dieser Form gar nicht nötig war. Der rasante technische
Fortschritt hat erst eingesetzt, seit die Telekom am Markt
agiert.
({1})
Sie stellen einseitig den Arbeitsplatzabbau nach Privatisierungen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Es ist
zwar bitter, wenn Arbeitsplätze wegfallen, aber es ist
eine völlig normale Entwicklung, dass sich Altes überlebt und durch Neues ersetzt werden muss. Insofern ist
jeder Strukturwandel mit einem Abbau verbunden. Entscheidend ist, dass die Politik Impulse gibt, damit in größerem Umfang Neues entsteht.
Man wird aber keinen volkswirtschaftlichen Fortschritt erreichen, wenn man sich an etwas festklammert.
Dann gerät man gegenüber anderen Volkswirtschaften
ins Hintertreffen. Das schadet letzten Endes allen. Denn
nur eine leistungsfähige Volkswirtschaft kann die notwendigen Mittel auch für Problemgruppen aufbringen.
Insofern sollten Sie viel stärker berücksichtigen, wer
was besser kann. Das ist effektiv und kommt den Menschen zugute.
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu der Tatsache, dass Sie es ablehnen, mit der SED gleichgesetzt zu
werden. Immerhin haben Sie Markus Wolf als Ehrenmitglied in Ihre Partei aufgenommen. Sie haben alle früheren DDR-Größen als Ehrenmitglied aufgenommen.
({2})
Das ist doch Ausdruck von Identität. Denn wenn man etwas anderes will, stellt man doch nicht das in den Fokus,
was man ablehnt.
Sie wollen den Menschen mit Ihrem Antrag etwas
völlig anderes vorspiegeln, als Sie in Wahrheit wollen.
Sie wollen einen anderen Anschein erwecken. Sagen Sie
doch den Menschen, dass Sie für eine Staatswirtschaft
und für die Abschaffung des Eigentums sind! Das tun
Sie aber nicht, weil Sie wissen, dass die Menschen Sie
dann nicht wählen werden. Weil Ihr Antrag eine ganz andere Politik verrät als das, was Sie den Menschen zeigen,
werden wir ihn ablehnen.
({3})
Das Wort hat nun Herbert Schui für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte
große Lust, all diese Reden zu kommentieren.
({0})
- Nein, ich habe meinen eigenen Text. Ich kann mir doch
die Stichworte nicht von Ihnen geben lassen. Kann man
Art. 15 GG überhaupt ändern?
({1})
- In Ordnung, wir werden das später sehen.
Meine Damen und Herren von der SPD, die gegenwärtigen Probleme bei den öffentlichen Finanzen lassen
sich nicht durch Privatisierung lösen; denn irgendwann
gibt es nichts mehr zu privatisieren. Man muss an die
Steuergesetzgebung heran. Ich darf daran erinnern, dass
1960 der effektive Steuersatz auf das Haushaltseinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen bei
20 Prozent lag. Hätten wir jetzt 20 Prozent, hätten wir
70 Milliarden steuerliche Mehreinnahmen.
({2})
Meine Damen und Herren von der FDP, Sie haben
völlig recht: Es geht darum, wie viel Staat wir tatsächlich brauchen. Wir sind der Meinung, dass wir ein gemischtwirtschaftliches System brauchen. Die entscheidende Frage ist, wie viel Staat genau wir nun brauchen.
Der öffentliche Sektor, das öffentliche Unternehmen, ist
ein Instrument der Politik.
({3})
Wer privatisiert, gibt Macht aus der Hand, verkauft sein
Werkzeug. Das kann man auch folgendermaßen ausdrücken: Privatisierung „schwächt die Demokratie, weil sie
der öffentlichen Hand unverzichtbare Gestaltungsmöglichkeiten für das Gemeinwohl entzieht“. Das stammt
aus dem Regierungsprogramm der SPD in Hessen.
({4})
Was hat Privatisierung bislang gebracht? Wir fordern
in unserem Antrag, die Erfahrungen zu bilanzieren, die
man über einen langen Zeitraum damit gemacht hat. Beispiel Post: Von 1997 bis 2007 hat die Post die Zahl ihrer
Annahmestellen von 15 300 auf 12 600 verringert. Nicht
zuletzt deswegen - es gibt auch andere Gründe; manches
hat seine Ursache auch in der technologischen Entwicklung - ist die Beschäftigung gesunken. Es gibt nun
130 000 Arbeitsplätze weniger. Die Dividende ist dagegen von 2000 bis 2007 von 300 Millionen Euro auf rund
1 Milliarde Euro angestiegen. Ebenfalls angestiegen ist
die Vergütung für Zumwinkel.
({5})
- Er wollte auch eine Höchststeuer; das war sein Problem. Deswegen ist er jetzt ein medienwirksamer Schausteller bei der Inszenierung sozialer Gerechtigkeit durch
die Koalition.
({6})
Seine Bezüge sind von 1,7 Millionen Euro im Jahre
2003 auf 4,24 Millionen Euro im Jahre 2007 gestiegen.
({7})
- Stimmt, Zumwinkel war in der richtigen Gewerkschaft. Deswegen hat das geklappt.
({8})
Gestiegen sind auch die Preise für Postdienstleistungen. Was macht das Unternehmen mit den Gewinnen,
die im Unternehmen verbleiben? 2003 kauft Zumwinkel
für 1 Milliarde Euro den US-Expressdienst Airborne.
Diese Beteiligung bringt bis heute keinen Gewinn.
Morgan Stanley beziffert den Verlust, der seit 2003 aufgelaufen ist, auf 7 Milliarden Euro. Weiter: Für
5,5 Milliarden Euro kauft die Post das britische Logistikunternehmen Exel, um sich, wie es heißt, endgültig die
Spitzenposition unter den internationalen Logistikkonzernen zu sichern. Die entscheidenden Fragen lauten:
Wer trägt die Verluste? Wer finanziert die Übernahmen?
Wozu eigentlich ist die Post da? Muss sie eine internationale Spitzenposition haben, oder reicht es aus, wenn sie
zuverlässig und preisgünstig Postgut befördert?
({9})
Ich glaube, auf die Zustimmung der SPD können wir
mit unserem Antrag rechnen, was den zweiten Halbsatz
seines Titels „Privatisierungen aussetzen“ angeht; denn
mittlerweile hieß es auf dem Parteitag der SPD in Hamburg zum Thema Bahnprivatisierung:
Private Investoren dürfen keinen Einfluss auf die
Unternehmenspolitik ausüben.
({10})
In ihrem Regierungsprogramm für Hamburg schreibt die
SPD, Herr Brinkmann:
Wir werden mit den Privatisierungen Schluss machen.
({11})
Im Regierungsprogramm der SPD für Hessen heißt es:
… Privatisierung öffentlicher Infrastrukturen liegt
weder im Interesse der Allgemeinheit noch im langfristigen Interesse der Kommunen. … Sie wird
teuer … und schwächt die Demokratie.
({12})
Angesichts dieser Zitate: Schluss mit den Wortbrüchen, meine Damen und Herren!
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede
kommen.
Danke. - Das sind die Einsichten von 84 Prozent der
Bevölkerung: Schluss mit der Privatisierung. Ich kann
mir nicht vorstellen, dass die Mehrheit des Bundestages
die Auffassung von 16 Prozent der Bevölkerung, die für
weitere Privatisierungen sind, gutheißen wird.
Vielen Dank.
({0})
- Nein, Sie haben Probleme, ich habe keine.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Otto Fricke.
({0})
Herr Kollege Schui, während ich, als ich aus der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vorgelesen habe, einiges Nicken bei Ihnen und Ihrer Fraktion
festgestellt habe, haben Sie eine Nachfrage zu der für
uns alle jetzt geltenden Verfassung, dem Grundgesetz,
gestellt. Ich möchte Sie schlicht darauf hinweisen, dass
der Art. 15 änderbar ist, da in Art. 79 Abs. 3 unseres
Grundgesetzes steht:
Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche
die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.
Nicht 1 bis 20, wie Sie wahrscheinlich vermutet haben,
sondern 1 und 20!
Wollen Sie darauf reagieren, Kollege Schui? - Er
winkt ab. Dann erteile ich Kollegen Alexander Bonde,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
hoffe, der Kollege Fricke gibt die Nebeneinkünfte aus
Rechtsberatung der Linksfraktion ordnungsgemäß beim
Bundestagspräsidium an.
({0})
Nach dieser Debatte müssen wir sagen, dass ein Beitrag zu einer differenzierten Bewertung von Privatisierung und Outsourcing sowie von öffentlich-privater
Partnerschaft hier nicht stattgefunden hat. Vielmehr haben wir wieder einen ideologischen Kampf erlebt, bei
dem man sich nicht die Mühe macht, die notwendigen
Differenzierungen vorzunehmen und zu fragen, was wir
heute an hoheitlichen Aufgaben brauchen, die der Staat
ausübt, und was private Akteure und die Gesellschaft
besser als der Staat organisieren können.
({1})
Sie haben hier auf eine eher an den Haaren herbeigezogene Berichtsbitte verwiesen und eine Aussetzung
jeglicher Form dieser Projekte verlangt. Wenn ich mir
den Beteiligungsbericht der Bundesregierung anschaue,
dann kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie ernsthaft der
Auffassung sind, dass all das, was heute der Staat macht
- das geht bis hin zum bereits genannten Duisburger Hafen -, auch von Ihrer Fraktion ernsthaft als dringende
Staatsaufgabe angesehen wird. Ich mache es einmal an
einem platten Bild deutlich: Ich halte es für richtig, dass
der Bundestag nicht selber kocht, sondern dass in unserer Kantine Menschen von Firmen stehen, die davon etwas verstehen.
({2})
Diesen Anspruch muss man an staatliches Handeln insgesamt stellen.
Sie zeichnen ein Schwarz-Weiß-Bild von Privatisierungen und stellen sich nicht den notwendigen Differenzierungen. Spannend wird es, wenn man das, was Sie
hier an gravierenden Auswirkungen für Arbeitsplätze
und an glorreichen Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter
öffentlicher Betriebe schildern, mit der Realität Berlins
vergleicht. So manche Töne, die ich jetzt im Zusammenhang mit dem BVG-Streik höre, passen nicht zu der Beschreibung der segensreichen Wirkungen der öffentlichen Hand, die Sie hier gepredigt haben, Herr Professor
Schui.
({3})
Ich finde, wir müssen wieder eine ernsthafte Diskussion darüber führen, in welchem ordnungspolitischen
Rahmen der Staat aktiv sein muss
({4})
und wann wir Überlegungen zur Privatisierung deshalb
entgegentreten müssen. Die Bahnprivatisierung ist offenkundig eine Privatisierung, der kein solches ordnungspolitisches Konzept zugrunde liegt. Hier plant die
Bundesregierung die Verschleuderung von Staatsvermögen, und die Bevölkerung hat wenig davon; sie wird
vielmehr am Ende die Zeche zahlen. Aber Sie verschließen sich in Ihrem Antrag einer derartigen differenzierten
Betrachtung, wann eine Privatisierung sinnvoll ist und
wann nicht. Insofern schwächen Sie eher die Position
derjenigen, die kritisch hinterfragen, an welcher Stelle
Private und an welcher Stelle der Staat Aufgaben übernehmen sollen.
({5})
Sie machen das bewusst; denn Sie kommen immer zu
dem Ergebnis, dass der Staat der Akteur ist, der die Probleme lösen kann. Ich glaube, Sie liegen da schief. Das
werden wir wahrscheinlich nicht mehr mit Ihnen klären
können. Sie haben noch einen harten Lernprozess vor
sich, bevor Sie ähnliche Regierungsprogramme schreiben wie die, aus denen Sie gerade zitiert haben.
Sie lenken mit Ihrem Antrag allerdings von einem
weiteren Problem ab, über das wir im Zusammenhang
mit der Privatisierung sprechen müssen. Eigentlich
müssten wir darüber diskutieren, ob die Bundesregierung eine klare Leitlinie beim Umgang mit der Privatisierung hat. Die hat sie nicht. Sie hat sie weder bei der
Bahnprivatisierung noch bei der Frage, was eigentlich
die zentralen Aufgaben staatlichen Handelns sind. Sie
benutzt Privatisierung vielmehr als Tarnkappe, sie kaschiert mit den Privatisierungserlösen den Sachverhalt,
dass sie auch in guten Zeiten die strukturellen Defizite
des Haushalts trotz Rekordeinnahmen bei den Steuern
vergrößert. Die Privatisierungserlöse betrugen 2007
4,5 Milliarden Euro, und trotzdem betrug das strukturelle Defizit 18,8 Milliarden Euro. Im Jahr 2008 werden
die Privatisierungserlöse bei 10,7 Milliarden Euro liegen, aber trotzdem wächst das strukturelle Defizit um
weitere 4 Milliarden Euro an. Darüber müssten wir eigentlich mit der Bundesregierung streiten. Ich bedaure,
dass Ihr Antrag, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen
von der Linksfraktion, dazu keinen Beitrag geleistet hat.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit
dem Titel „Privatisierungsfolgen seriös bilanzieren - Privatisierungen aussetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5565, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3914
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke, im Übrigen mit den Stimmen des Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchführung der Verordnung ({0})
Nr. 1907/2006 ({1})
- Drucksache 16/8307 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
- Drucksache 16/8523 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Heinz Schmitt ({3})
Eva Bulling-Schröter
Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/8521 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Andreas Weigel
Ulrike Flach
Michael Leutert
Anna Lührmann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Heinz Schmitt, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor 15 Monaten hat die Europäische Union
eine grundlegende Neuordnung des Chemikalienrechts
auf den Weg gebracht. REACH heißt die Verordnung,
die im Juni 2007 in Kraft getreten ist. REACH gilt für
alle Mitgliedsländer der EU und ist nun Zug um Zug
umzusetzen. Das Kürzel steht für Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien, die in Europa hergestellt oder dorthin importiert werden. Die Anforderungen an die Information über diese chemischen Stoffe
werden umso größer, je höher das Produktionsvolumen
der jeweiligen Chemikalie ist. Je höher das Risiko, das
bei einem Stoff erwartet wird, umso größer ist auch der
Aufwand für Tests und für eine Bewertung.
Besonders risikoreiche Stoffe müssen nun zugelassen
werden, auch wenn sie schon lange in Verkehr sind. Mit
diesem Ansatz erreichen wir einen komplett neuen Umgang mit Chemikalien. Der Umgang wird sicherer und
transparenter. Wir erhalten mehr Klarheit über die Risiken, die von den einzelnen Chemikalien ausgehen können. Auch in Deutschland wird der Schutz umfassender,
da künftig nicht nur neu entwickelte Chemikalien unter
die Verordnung fallen. Auch die sogenannten Altstoffe,
die bereits seit Jahren am Markt gehandelt werden, werden nun von den neuen Regeln erfasst. Das ist ein ganz
wichtiger Unterschied zur heute geltenden Praxis; gegenwärtig werden nur neue Stoffe einer vergleichbar
strengen Prüfung unterzogen. Damit wird der Schutz der
menschlichen Gesundheit und der Umwelt deutlich verbessert.
Der 1. Juni 2008 ist also ein wichtiger Stichtag bei der
Umsetzung der neuen Verordnung. An diesem Tag startet der zentrale Mechanismus von REACH. Dann beginnt die Registrierung, Bewertung und Zulassung in der
Praxis. Die Unternehmen müssen nach einem vorgelegten Zeitplan alle Chemikalien anmelden, die in den Regelungsbereich von REACH fallen. In den Monaten seit
Inkrafttreten der Verordnung - wir haben hier schon
mehrfach darüber diskutiert - gab es noch viel Aufklärungsbedarf in einzelnen Branchen und bei einzelnen
Unternehmen. In diesem Implementierungsprozess konnten viele Fragen geklärt werden; es konnten auch Befürchtungen ausgeräumt werden. Mit Blick auf einige
beteiligte Unternehmen und auf deren im Vorfeld geäußerte Horrorszenarien kann man sogar sagen - ich sage
das gerne -: Aus Konfrontation ist Kooperation geworden.
Ich möchte an dieser Stelle allen Beteiligten - den zuständigen Abteilungen und Referaten, den Stellen im
Bundesumweltministerium und den zuständigen Bundesbehörden - meinen Dank für die Zusammenarbeit in
den zurückliegenden Jahren aussprechen.
({0})
Die zuständigen Fachleute haben sich vorbildlich und
nachhaltig für ein Gelingen von REACH eingesetzt. Unternehmen, die sich mit spezifischen Problemen an das
Ministerium gewandt haben, haben dort geduldige und
konstruktive Unterstützung erfahren. Dies hat dazu beigetragen, dass mittlerweile die Akzeptanz von REACH
bei den zunächst eher skeptisch eingestellten kleineren
und mittleren Unternehmen eindeutig gestiegen ist. Das
ist Grund genug, allen zu danken.
Heinz Schmitt ({1})
Der Hintergrund der heutigen Debatte ist das REACHAnpassungsgesetz. Zwar ist REACH bereits geltendes
europäisches Recht; trotzdem müssen auch wir in
Deutschland das bisherige Chemikalienrecht an die
neuen Bestimmungen anpassen. Zum Beispiel müssen
etliche Vorschriften aus dem Chemikaliengesetz gestrichen werden, die aufgrund von REACH überflüssig und
überholt sind.
Außerdem muss geregelt werden, welche Stellen die
neuen Aufgaben und Anforderungen gemäß der REACHVerordnung übernehmen. Mit dem Umweltbundesamt,
dem Bundesinstitut für Risikobewertung sowie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin werden
die gleichen deutschen Stellen mit der Chemikaliensicherheit betraut sein wie heute. Künftig kommt eine
Bundesstelle für Chemikalien hinzu. Diese ist für die
Bewertung gemäß der Verordnung zuständig. Sie wirkt
an der Einstufung und Kennzeichnung der Stoffe mit.
Sie wird die Auskunftsstelle des Bundes für Fragen zu
REACH sein. UBA, BfR, BAuA und die Bundesstelle
für Chemikalien werden der Europäischen Chemikalienagentur in Helsinki zuarbeiten und damit einen europaweit einheitlichen Umgang mit Chemikalien sicherstellen.
Natürlich müssen wir bei all den neuen Aufgaben, die
auf die zuständigen Behörden zukommen, auch dafür
sorgen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Der zusätzliche Personalbedarf wird auf ungefähr 117 Stellen im gehobenen
und höheren Dienst geschätzt.
Schließlich wird dafür gesorgt, dass die Verordnungen eingehalten werden: Abweichungen von den neuen
Rechtsnormen werden mit Strafen und Bußgeldern belegt. Das sollte aber die Ausnahme sein. Mit Strafen allein - das wissen wir aus vielen Bereichen - kann man
eine Einhaltung nicht erreichen. Wir setzen vor allem auf
die Bewusstseinsbildung; die Strafen sollten das allerletzte Mittel sein. Dennoch können drastische Bußgelder
verhängt werden, wenn gegen Abgabevorschriften der
neuen Verordnung verstoßen wird. Das Bußgeld kann
bis zu 200 000 Euro betragen; so sieht es auch der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum REACH-Anpassungsgesetz vor. Wer extrem gegen REACH verstößt,
muss gar mit einer Freiheitsstrafe rechnen: Es drohen bis
zu 5 Jahre Freiheitsstrafe, wenn durch einen Verstoß das
Leben oder die Gesundheit eines anderen oder fremde
Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden.
Mit den Neuregelungen soll auch ein Beitrag zur Bekämpfung von Gefahren durch den Terrorismus geleistet
werden. Sie alle werden sich sicherlich noch an die Verhaftung von drei jungen Männern im September letzten
Jahres erinnern, die unter Verdacht stehen, Terroranschläge geplant zu haben. Sie hatten zwölf Fässer mit
750 Kilogramm Chemikalien beschafft, aus denen man
Sprengstoff hätte herstellen können. Die neuen Vorschriften sollen also den Zugang zu Chemikalien, aus
denen Gifte oder Sprengstoffe hergestellt werden können, erschweren. Auch die Händler werden in die Pflicht
genommen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um eine
unerlaubte Verwendung zu verhindern.
In wenigen Wochen wird die systematische Erfassung
von mehr als 30 000 Chemikalien, die jetzt schon auf
dem Markt sind, beginnen. Wir werden in wenigen Jahren mehr Informationen über die Eigenschaften und Risiken der chemischen Stoffe haben, die bei uns gehandelt
oder verwendet werden.
Nicht nur auf europäischer Ebene - REACH gilt für
den europäischen Markt -, sondern auch auf internationaler Ebene wird daran gearbeitet, bis zum Jahre 2020 einen
sicheren Schutz im Umgang mit Chemikalien zu erreichen. Dies wurde auf dem Umweltgipfel im Jahre 2002 in
Johannesburg beschlossen. Auf internationaler Ebene betrachten viele die Umsetzung von REACH als mögliches
Vorbild für einen weltweiten Umgang mit Chemikalien.
Ich weiß, dass viele kritisieren - das werden wir sicherlich in den Folgereden noch hören -, es seien bei der
Umsetzung zu viele Kompromisse eingegangen worden;
ich kenne diese Debatte aus dem Ausschuss. Ich möchte
aber darauf hinweisen, dass es ein Kompromiss zwischen Parlament und Rat war, der auf den letzten Metern
noch hätte scheitern können. Ich denke, dass der gefundene Kompromiss ein guter Kompromiss ist. Er trägt
beiden Seiten Rechnung, der Wirtschaft und den Anwendern, aber in besonderem Maße natürlich auch den Verbrauchern und dem Umweltschutz. Es wurde vieles aufgenommen, und dies bringt eindeutige Verbesserungen
im Umgang mit Chemikalien mit sich.
Eigentlich ist der heutige Tag ein guter Tag, und ich
freue mich sehr, dass wir in den letzten zwei bis drei Jahren - anfangs gegensätzlich, aber dann immer mehr gemeinsam - zusammengearbeitet, viele Anforderungen
und Einwände beachtet, eine gute Lösung gefunden und
am Schluss zu REACH ein gutes Gesetz gemacht haben.
Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der
im Jahr 2006 beschlossenen REACH-Verordnung ist
ein entscheidender Schritt für eine europaweite Chemikalienpolitik gemacht worden. Die FDP-Fraktion hat
das Anliegen von REACH immer unterstützt, nämlich
eine europäische Chemikalienpolitik zu schaffen, die
Umwelt und Gesundheit effektiv schützt.
Leider ist REACH nicht in dem Maße unbürokratisch
und mittelstandsfreundlich ausgestaltet worden, wie wir
uns das gewünscht hätten.
({0})
REACH ist eine enorme Herausforderung für die chemische Industrie, aber auch für die nachgelagerten Wirtschaftszweige. Die Vorgaben zur Registrierung, Risiko15916
bewertung und Kommunikation in der Produktkette sind
sehr komplex. 100 Seiten Verordnung und über
3 000 Seiten Leitlinien machen die Umsetzung von
REACH zu einer Herkulesaufgabe für kleine und mittlere Unternehmen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass
die nationalen Vorschriften die Betroffenen nicht noch
weiter belasten, sondern möglichst entlasten.
({1})
Der vorliegende Entwurf eines REACH-Anpassungsgesetzes steht nach unserer Ansicht in grundsätzlichem
Einklang mit den Vorgaben der REACH-Verordnung. Das
Anpassungsgesetz ist auch notwendig, um die deutsche
Rechtslage in diesem Bereich anzupassen. Allerdings bestehen bei einigen Vorschriften begründete Zweifel, ob es
tatsächlich eine Eins-zu-eins-Anpassung ist. Diese Zweifel konnten auch durch die Änderungsanträge der Koalition nicht ausgeräumt werden.
({2})
Die konkrete Ausgestaltung der nationalen Auskunftsstelle muss sich in der Praxis erst noch bewähren. Nach
dem Gesetzentwurf soll diese Funktion von der Bundesstelle für Chemikalien übernommen werden. Sie soll
Hersteller, Importeure und nachgeschaltete Anwender beraten. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass Wege gefunden
werden, um bei der Ausgestaltung der Auskunftsstelle Erfahrungen und Kompetenzen sowohl der Unternehmen
als auch der Behörden gleichermaßen einzubeziehen;
denn die Hilfe für Unternehmen bei der Umsetzung von
REACH kann die Auskunftsstelle nur leisten, wenn sie
über ausreichenden Praxisbezug verfügt.
({3})
Aus Sicht der FDP-Fraktion - das sage ich ganz deutlich - ist die Durchführung dieses Gesetzgebungsverfahrens allerdings zu kritisieren. Die Koalitionsfraktionen
haben am Montag zahlreiche Vorschläge eingebracht,
die umfangreiche Änderungen und Verschärfungen bei
Strafvorschriften und Ordnungswidrigkeiten vorsehen.
Diese haben zunächst einmal nichts mit REACH zu tun.
Tatsächlich ist die Strafzumessung für die unterschiedlichen und zum Teil neuen Strafvorschriften für das Parlament in so kurzer Zeit nicht wirklich zu überblicken.
Dies gilt insbesondere für die Frage, ob die Höhe der
Strafzumessung in einem sinnvollen Verhältnis zu anderen Vorschriften und Strafhöhen des Strafrechts steht.
Mal eben im Ausschuss auf Initiative des BMI Strafvorschriften zur Terrorismusabwehr vorzulegen, ist aus unserer Sicht mehr als fraglich.
({4})
Wenn der Innenminister Vorschriften im Chemikaliengesetz ändern will, weil er meint, dies sei zur Terrorabwehr
sinnvoll, dann sollte er das in einem transparenten Gesetzgebungsverfahren zur Terrorabwehr tun und nicht
mal eben in der Umweltgesetzgebung zur Chemikalienverordnung.
({5})
Insgesamt bewerten wir diesen Gesetzentwurf als notwendig. Wir werden uns aber aufgrund der genannten
Kritikpunkte insbesondere hinsichtlich der strafrechtlichen Vorschriften bei der Abstimmung enthalten.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Ingbert Liebing, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Europäische Chemikalienverordnung REACH war eines der größten Gesetzgebungsvorhaben der EU in den vergangenen Jahren und
schwierig genug zu einer gemeinsamen Lösung zu
bringen. Dies ist aber vor zwei Jahren gelungen, nicht
zuletzt dank des Einsatzes unserer Bundeskanzlerin
Angela Merkel mit ihrem politischen Gewicht in Europa.
({0})
REACH ist abgeschlossen. Jetzt geht es um die Anpassung des deutschen Chemikalienrechts an die Vorgaben
der REACH-Verordnung. Einer Umsetzung von REACH
in deutsches Recht bedarf es nicht, da REACH als Verordnung unmittelbar wirkt. Jetzt geht es um die Anpassung
unseres nationalen Rechts. Dafür liegt mit dem REACHAnpassungsgesetz ein guter Entwurf vor, den wir heute
beschließen sollten.
Es geht im Wesentlichen um die Schaffung von Regelungen, die bestimmen, welche Behörden für welche
nach der REACH-Verordnung zugewiesenen Aufgaben
zuständig sein sollen und wie der Informationsaustausch
zwischen den Behörden geregelt werden soll. Ferner
geht es um die Frage, welche Straf- und Bußgeldbewehrungen im Falle von Verstößen gegen REACH fällig
werden, und es geht um die Aufhebung überflüssiger
Vorschriften des deutschen Chemikalienrechts.
Bei der Ausgestaltung dieser Regelungen müssen wir
zuallererst dafür sorgen, dass die Umsetzung von REACH
in der Praxis so schlank wie möglich erfolgt.
({1})
REACH muss in Deutschland für unsere Unternehmen
so praktikabel wie möglich umgesetzt werden, und bei
der Umsetzung von REACH muss der Aufwand für den
reinen Verwaltungsvollzug so gering wie möglich gehalten werden. Wir dürfen in unserem eigenen Verantwortungsbereich keine neuen und zusätzlichen Belastungen
für die Unternehmen, die REACH umzusetzen haben,
schaffen. Das allein ist schon schwer genug. Dieser Zielsetzung ist die Bundesregierung bei der Erarbeitung des
REACH-Anpassungsgesetzes gefolgt, und sie hat einen
gelungenen Entwurf vorgelegt.
Der Gesetzentwurf garantiert, dass die Kernbereiche
der REACH-Verordnung, die zum 1. Juni dieses Jahres
in Kraft treten, in Deutschland in der Praxis umgesetzt
werden können. Bestimmte Punkte können und müssen
vorläufig noch offen bleiben. Dies gilt für die Punkte,
bei denen REACH erst später greift. Vonseiten der Länder wurde vereinzelt kritisiert, dass der vorliegende Entwurf nicht dazu dient, REACH gleich vollständig umzusetzen. Gerade mit Blick auf diese Kritik sage ich
ausdrücklich: Für uns ist das REACH-Anpassungsgesetz
nur ein notwendiger, aber bedeutsamer Zwischenschritt
auf dem Weg zu einer vollständigen Anpassung des
deutschen Rechts an europäisches Recht. Weitere Anpassungen und Rechtsharmonisierungen werden und
müssen noch folgen.
Da die Grünen den Gesetzentwurf gleich sicherlich
noch kritisieren werden
({2})
- wir haben ja gestern im Ausschuss dazu einiges gehört,
zum Beispiel, man müsse auch Regelungen zur Nanotechnologie in dieses Gesetz aufnehmen -, möchte ich
ausdrücklich feststellen: Diese Kritik geht am Thema
völlig vorbei.
({3})
Beim REACH-Anpassungsgesetz geht es ausschließlich
um Rechtsanpassungen, nicht um neue materielle Regelungen. Die Änderungen, die bereits zum jetzigen Zeitpunkt vollzogen werden, betreffen vor allem Regelungen
bei den Zuständigkeiten, beim Vollzug und bei den
Sanktionen. Herr Kollege Schmitt hat dazu in der Sache
bereits einiges erläutert. Für mich ist entscheidend, dass
es neben der engen Abstimmung bei der Zuständigkeitsregelung zwischen Bund und Ländern gleichzeitig im
Sinne einer pragmatischen und kooperativen Strategie
darum geht, dass die betroffenen Betriebe ihre Erfahrungen aus der täglichen Praxis mit in die Umsetzung einfließen lassen können.
Ein weiteres aus unserer Sicht zwingend notwendiges
Regelungsanliegen zum jetzigen Zeitpunkt stellen die
Sanktionsnormen dar. Es ist gut, dass im Gegensatz zu ursprünglichen Planungen in der überarbeiteten und jetzt
vorliegenden Fassung einige Straftatbestände durch Bußgelder ersetzt wurden. Die Komplexität der REACH-Verordnung stellt unsere Unternehmen vor allem zu Beginn
der Umsetzung vor eine gewaltige Herausforderung. Da
wäre es aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt, aus Fahrlässigkeit begangene Fehler gleich mit übermäßiger Härte zu
verfolgen.
Im Zusammenhang mit den Sanktionsnormen möchte
ich an dieser Stelle noch auf die Änderungsanträge der
Koalitionsfraktionen eingehen, die wir in dieser Woche
vorgelegt haben. Der Kollege Kauch hat sie zum Anlass
genommen, anzukündigen, dass er dem Gesetzentwurf
nicht zustimmen, sondern sich der Stimme enthalten
werde. Ich vermute einmal, lieber Herr Kollege Kauch,
Sie sind uns dankbar für diese Änderungsanträge. Damit
haben Sie jedenfalls einen Grund, unserem Gesetzentwurf nicht zustimmen zu müssen. Wenn wir nicht noch
diese Änderungsanträge geliefert hätten, hätten Sie offenbar kein Negativargument in der Hand gehabt; in Ihrer Rede jedenfalls war das die einzige Begründung dafür, dass Sie nicht zustimmen wollen.
Wir halten es, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Situation, für richtig, den Aspekt der Straftatbestände
im Sinne der Terrorismusbekämpfung mit einzubeziehen. Was jetzt im Zusammenhang mit dem REACH-Anpassungsgesetz machbar ist, das sollte man regeln. Lieber Herr Kollege Kauch, die Tatsache, dass Sie sehr
dezidiert das ablehnen, was das Bundesinnenministerium initiiert hat, zeigt, dass es sehr wohl möglich war,
in diesen Tagen die eine Änderung, um die es geht, sachgerecht zu prüfen.
({4})
Die bereits erwähnten Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten, die sich direkt auf die REACH-Verordnung beziehen, bleiben von diesen Änderungsanträgen
völlig unberührt.
Insgesamt handelt es sich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf um einen überzeugenden Wurf. Dieser Einschätzung haben sich im Übrigen auch die Länder in ihrer
Stellungnahme zum REACH-Anpassungsgesetz angeschlossen. Sie haben ausschließlich Änderungspunkte benannt, denen die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung im Wesentlichen zugestimmt hat und die wir als
Koalitionsfraktionen ebenfalls übernommen haben. Insgesamt gewährleistet das REACH-Anpassungsgesetz eine
möglichst schlanke und praxisnahe Umsetzung ins deutsche Recht.
({5})
Meine Damen und Herren, mit sehr viel größerer
Sorge verfolge ich jedoch die Praxis der Umsetzung von
REACH selber. Offensichtlich wird doch ein deutlich
höherer Aufwand bei Bund, Ländern und Unternehmen
in der Praxis ausgelöst, als ursprünglich einkalkuliert
war. Bei aller Wertschätzung für unseren Koalitionspartner möchte ich dem Kollegen Schmitt gerne sagen: Bei
mir kommen andere Rückmeldungen aus der Wirtschaft
und aus den Verbänden an, als Sie es dargestellt haben.
Dies wird auch beim beabsichtigten Personalaufwand
deutlich, der bei Bundes- und Landesbehörden entsteht.
Allein auf Bundesebene geht man derzeit davon aus, dass
wegen REACH - nicht wegen des heute zu beschließenden REACH-Anpassungsgesetzes, sondern wegen der europäischen Verordnung selbst - 116 zusätzliche Stellen
benötigt werden, in den Ländern jeweils 7 bis 16, also insgesamt 250 bis 300 zusätzliche Stellen allein in den Behörden, die die Wirtschaft durch Gebühren bezahlen
muss. Hinzu kommt der zusätzliche Personalaufwand in
der Wirtschaft selber.
Das gleiche Bild ergibt sich auch bei der Europäischen Chemikalienagentur, die in Helsinki aufgebaut
werden soll. Auch hier scheint es so zu sein, dass der
Personalbedarf deutlich höher liegt, als ursprünglich veranschlagt. Statt ursprünglich 50 bis 100 Stellen, von denen damals die Rede war, geht man heute von bis zu
500 Stellen aus. Dabei wurde die Einrichtung der Agentur gerade damit begründet, auf nationaler Ebene den
Verwaltungsvollzug zu vereinfachen und Personal einzusparen. Nun scheint der Personalbedarf auf europäischer,
nationaler und regionaler Ebene zu explodieren.
Mit Bürokratieabbau hat das alles nichts mehr zu tun.
Dabei hätte alles aber noch viel schlimmer kommen können, wenn sich die EU-Kommission oder die damalige
rot-grüne Regierung mit ihren ursprünglichen Plänen
durchgesetzt hätte.
({6})
Die Union hat erfolgreich dafür gekämpft, den ursprünglich vorgelegten REACH-Entwurf von völlig unpraktikablen Forderungen an die europäischen Unternehmen
zu befreien, übermäßige Belastungen abzubauen und
den Aufwand verhältnismäßig zu gestalten.
({7})
Da können Sie krakeelen, soviel Sie wollen, Frau
Bulling-Schröter: Die Änderungen halten wir für richtig.
({8})
Bei allen Erleichterungen, die wir im Interesse der europäischen Unternehmen im REACH-Gesetzgebungsprozess durchgesetzt haben, ist dennoch zu sagen, dass
der Umfang und die Komplexität des neuen Chemikalienrechts in der Praxis besonders für kleine und mittlere
Unternehmen eine gewaltige Hürde darstellen. In diesen
Betrieben gibt es oftmals nur eine Person, die sich mit
REACH befasst. Das kann dort nicht funktionieren.
Ich möchte keine neue Grundsatzdebatte über REACH
auslösen. Wir sollten aber auf jeden Fall die Umsetzungspraxis von REACH genau im Auge behalten. Wir müssen darauf achten, dass vereinbarte schlanke Verfahren
tatsächlich eingehalten werden - national sowieso, aber
auch in europäischer Verantwortung.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Liebing von der Regierungskoalition hat in der ersten Lesung stolz verkündet, dass die verabschiedete EUChemikalienverordnung REACH
deutlich die Handschrift deutscher Interessen trägt
und deshalb von der CDU/CSU-Fraktion begrüßt
wurde.
({0})
Er hat das Ganze heute noch getoppt, indem er den Erfolg allein Frau Merkel zugeschoben hat. Ich denke, da
hat Herr Liebing nur zur Hälfte recht. Denn es war die
Handschrift der Chemiekonzerne, also die von Bayer,
Schering oder anderer,
({1})
und nicht die der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({2})
Deutschland hat nicht nur daran mitgewirkt, sondern
massiv Einfluss genommen. Herr Liebing, das haben Sie
ja jetzt zugegeben.
Aus einem weitgehend fortschrittlichen Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission ist im Brüsseler
Gesetzgebungsverfahren ein im Wesentlichen an den Interessen der Chemieindustrie ausgerichtetes Gesetz geworden. Aktiv waren nicht nur die Konzernvertreter in
den Lobbygängen.
({3})
Mitgewirkt an der Verwässerung hat vor allem eine
große Allianz von Vertretern der Bundesregierung und
von EU-Spitzenbeamten aus Deutschland. Hinzu kamen
Abgeordnete von Union, SPD und FDP im EU-Parlament. Wer es nicht glaubt, der braucht nur die entsprechenden Unterlagen zu lesen.
({4})
Wie Sie wissen, befinden sich auf dem EU-Markt
etwa 100 000 sogenannte Altstoffe, die vor 1981 auf den
Markt kamen. Sie alle wurden nie vernünftig darauf getestet, welche Wirkung sie auf Gesundheit und Ökologie
haben. Diesen Zustand sollte REACH beenden. Doch
mit der neuen Chemikalienverordnung müssen nun lediglich 12 000 der relevanten 30 000 Altstoffe mit mehr
als einer Tonne Jahresproduktion gründlich überprüft
werden. Das ist zwar besser als nichts; aber mit dem
Rest läuft der Großversuch an Mensch und Umwelt einfach weiter.
Zudem wird die Industrie eben nicht verpflichtet, alle
gefährlichen Stoffe zu ersetzen. Selbst wenn Alternativen vorhanden sind, können krebserregende, fortpflanzungsschädigende und andere gefährliche Chemikalien
weiter vermarktet und in Alltagsprodukten verwendet
werden. Lediglich langlebige, sich in der Natur anreichernde Chemikalien sollen ausgetauscht werden, sofern
es für sie Alternativen gibt. Wir alle halten das für sehr
betrüblich. Auch für die Umsetzung von REACH sehen
wir hierbei Probleme.
({5})
Denn es müssen ja beispielsweise noch die Grenzwerte
für jene Stoffe festgelegt werden, die sich in der Umwelt
und der Nahrungskette anreichern. An diesen entscheidet sich, welche Stoffe in Zukunft verpflichtend ersetzt
werden müssen. Das Beispiel der aktuellen PestizidstuEva Bulling-Schröter
die von Greenpeace zeigt jedoch, wie lax in Europa mit
Substanzen und Grenzwerten umgegangen wird.
Was das Anpassungsgesetz selbst betrifft, so teilen
wir die Bedenken des BUND. Insbesondere die Einbeziehung der Nanostoffe ist unbefriedigend geregelt. Dabei bleiben wir, und darüber müssen wir noch einmal
diskutieren.
({6})
Diese Stoffe sind kleiner als ein Millionstel Meter. Man
kann diese Stoffe mit einem optischen Mikroskop gar
nicht erkennen, so klein sind sie. Und sie sind extrem reaktionsfreudig. Aus diesem Grund müssten natürlich
Stoffe in ihrer nanoskaligen Erscheinungsweise - so
nennt man das - extra überprüft werden. Dazu gibt es im
Gesetz aber leider keine Regelungen.
({7})
Überdies gibt es noch gar keine nanospezifischen Testverfahren.
({8})
Ein Moratorium des Einsatzes solcher Stoffe, wie es der
BUND fordert, wäre darum nur konsequent. Hier muss
nachgebessert werden, spätestens im Zuge des UGB.
Dann können Sie zeigen, dass es Ihnen ernst ist.
({9})
Aus diesen Gründen und aufgrund unserer grundsätzlichen Kritik an REACH werden wir uns bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf enthalten.
Zum Schluss, meine Damen und Herren: Wir wollen
keine Arbeitsplätze vernichten. Wir wollen, dass in
Deutschland zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen.
({10})
- Das tun wir eben nicht. - Wer Giftstoffe herstellt, der
muss sich auch darum kümmern, wie es den Menschen
geht, die in den Betrieben arbeiten. Das ist auch zu deren
Nutzen.
({11})
- Sie bauen die Feindbilder auf. - Wir wollen eine gesunde Umwelt und zukunftsfähige Arbeitsplätze. Wir
wollen gesetzliche Mindestlöhne einführen. Dafür stehen wir. Und wir lassen uns nicht immer wieder von Ihnen sagen, dass wir Arbeitsplätze vernichten wollen.
({12})
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Sylvia KottingUhl von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe nicht streitende Kolleginnen
und Kollegen! Wir entscheiden heute über ein Anpassungsgesetz, dessen Sinnhaftigkeit gar nicht bezweifelt
werden kann und das der Debatte von daher eigentlich
kaum wert ist. Aber das, woran wir anpassen, ist es: die
europäische Chemikalienverordnung. Deren Sinnhaftigkeit ist zwar ebenfalls unbezweifelbar, aber sie erfüllt ihren eigenen Anspruch überhaupt nicht. Das ist sehr wohl
noch einmal eine Debatte wert; zumal das Verfehlen dieses Anspruches nicht zuletzt dem deutschen Umweltminister und der deutschen Kanzlerin anzulasten ist.
Willfährig die Kurzfristinteressen der chemischen Industrie einklagend, wurde vom damals gerade selbsternannten Innovationsminister nicht nur der anvisierte
Schutz von Umwelt und Gesundheit geschmälert, sondern auch auf Innovationsdruck auf die Chemieindustrie
und langfristige Wirtschaftschancen, die in einer nachhaltigen Chemiewirtschaft lägen, verzichtet.
„No data - no market“ sollte der Kernsatz von
REACH sein. Entkernt könnte man die jetzt real existierende Verordnung bezeichnen. Sozusagen als Entschädigung zur beabsichtigten Erfassung von Altstoffen wurden die Anforderungen an die Zulassung von Neustoffen
dereguliert - ein hoher Preis, wenn man sich ansieht,
was aus der Registrierung von Altstoffen tatsächlich geworden ist.
({0})
Krebserregende, fruchtbarkeitsschädigende, hormonell
wirksame Chemikalien werden wir weiterhin auf dem
Markt finden, auch wenn sichere Alternativen existieren.
({1})
Ursprünglich beabsichtigt war ein Zwang zur Substitution - jetzt wird von den Produzenten nur noch eine
Erklärung verlangt, dass sie ihre Chemikalien „angemessen kontrollieren“ können. Wahrlich ein großer Fortschritt! Aber selbst das, was der Industrie jetzt abverlangt wird, ist - auch wenn wir das anders sehen natürlich immer noch zu viel. Ich will hier klar sagen,
dass ich nachvollziehen kann, wenn die Industrie jede
Chance und jeden Fürsprecher nutzt, um sich von Ansprüchen finanzieller und bürokratischer Art zu entlasten. Was ich aber nicht verstehe, ist, dass sich ausgerechnet Umweltpolitiker zu diesen Fürsprechern machen
({2})
und dass sie die Debatte um das Anpassungsgesetz nutzen, um auf die Bürokratie hinzuweisen und schon einmal anzukündigen, dass man im Sinne von Bürokratie15920
abbau die Regelungen von REACH noch einmal
überprüfen werde.
({3})
Verehrte Kollegen Umweltpolitiker, wer glaubt, eine
Gesellschaft, die sich mit 100 000 Chemikalien umgibt,
könne den Umgang damit durch ein paar Federstriche regeln, irrt nachhaltig. Der Regelungsbedarf wird aufgrund
weiterer risikobehafteter Entwicklungen nicht unbedingt
geringer; darauf können Sie sich schon einmal einstellen.
({4})
Ja, ich habe gestern im Umweltausschuss die Nanotechnologie erwähnt. Treffe ich auf Praktiker, die die
Nanotechnologie bereits anwenden, und frage sie, wie
sie verantworten können, etwas auf den Markt zu bringen, dessen Risiken noch nicht erforscht sind und das
überhaupt noch nicht geregelt ist, dann verweisen sie auf
REACH. Entgegen Ihrer gestrigen Antwort, Frau Staatssekretärin, haben die Praktiker recht, Herr Liebing; denn
im Bericht der Bundesregierung vom 30. August 2007
zum Rechtsrahmen für Anwendungen der Nanotechnologie heißt es:
Grundsätzlich fällt auch die Regulierung von Nanomaterialien unter REACH.
Weiter heißt es:
… für nanopartikuläre Substanzen besteht keine gesonderte Anmeldepflicht, sofern die gröber strukturierten oder gelösten Substanzen bereits registriert
sind.
So geht es natürlich nicht; denn die Nanotechnologie
fußt ja gerade darauf, dass die Stoffe ihre Eigenschaften
bei Nanopartikelgröße verändern.
Soll die Nanotechnologie über REACH geregelt werden, dann wäre es das Mindeste, zusätzlich zur jetzigen
Mengenschwelle in REACH eine Partikelzahlschwelle
für nanopartikuläre Substanzen einzuführen. Selbstverständlich müssen alle nanopartikulären Substanzen angemeldet werden. Das hätte die Bundesregierung tun
sollen, bevor sie uns diesen Entwurf eines Anpassungsgesetzes vorgelegt hat.
({5})
Wir werden einem Gesetzentwurf, der eine Anpassung an eine von uns höchst kritisch bewertete Verordnung vorsieht, nicht zustimmen können.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines REACH-Anpassungsgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/8523, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/8307 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung
der Oppositionsfraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen
wie in der zweiten Beratung angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den
Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Thea Dückert, Dr. Gerhard Schick, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Beschäftigungspotenziale bei den Dienstleistungen
- Drucksachen 16/4817, 16/6746 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Thea
Dückert, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sind davon überzeugt, dass in der Entwicklung der Beschäftigungspotenziale im Dienstleistungsbereich eine
große Zukunft liegt. Die Regierung hätte aufgrund unserer Großen Anfrage die Chance gehabt, sich damit wirklich konstruktiv auseinanderzusetzen und zum Beispiel
als Erstes die Dienstleistungslücke, die wir in Deutschland nachgewiesenermaßen haben, zu identifizieren. In
Ihrer Antwort leugnen Sie aber, dass es diese gibt.
({0})
Sie hätten die Möglichkeit gehabt, zu sagen, wo und wie
wir in Deutschland die bestehende Dienstleistungslücke
im Sinne einer positiven Entwicklung im Beschäftigungsbereich schließen könnten. Aber auch da Fehlanzeige!
({1})
Sie erwähnen Fakten, zum Beispiel, dass sich die Erwerbstätigkeit seit 1970 in diesem Bereich verdoppelt
hat und dass mittlerweile 70 Prozent aller Beschäftigten
im Dienstleistungsbereich tätig sind.
Man sollte sich aber auch damit auseinandersetzen,
dass wir im europäischen Vergleich nur im Mittelfeld
liegen. Frankreich, England, Luxemburg und andere
Länder liegen nämlich vor uns. Dieses Faktum allein
müsste Grund genug sein, einen Aufbruch in Deutschland in Angriff zu nehmen. Es gibt jedenfalls keinen
Grund, sich, wie Sie das tun, selbst zu loben.
({2})
Beim Export von Dienstleistungen gilt die gleiche
Diagnose: Ja, unsere Exportzahlen sind gut; wir sind Exportweltmeister. Gerade vor diesem Hintergrund ist es
aber doch beschämend, dass unser Saldo im Bereich
Dienstleistungen negativ ist: Hier importieren wir nämlich mehr, als wir exportieren. Auf diesem Gebiet sind
wir eine Schnecke in Europa. Ich hätte erwartet, dass die
Bundesregierung sagt, wie wir von einer Schnecke zum
Rennpferd für Europa werden können.
({3})
Sie schlagen Maßnahmen vor und verweisen dabei
auf Ihren Koalitionsvertrag. Wen wundert das? Er enthält eine lange Liste von Maßnahmen. Genauso lang ist
aber die Liste mit falschen Schwerpunktsetzungen. Insgesamt ist das so zu beurteilen: Eine Liste, aber kein
Konzept. Sie geben nur ein Wundermittel an: Ihre Hightech-Strategie. Wenn man sich diese Strategie einmal genau anschaut, stellt man aber fest, dass von den 14 Milliarden Euro, die für die Hightech-Strategie vorgesehen
sind, gerade einmal 50 Millionen Euro für den Bereich
Dienstleistungen und Dienstleistungsforschung vorgesehen sind. Das entspricht 0,36 Prozent. Das ist kein Wundermittel. Dieses Wundermittel ist ganz offensichtlich
ein Placebo.
({4})
Das ist schade; denn gerade an der Schnittstelle zwischen technologischer Forschung und der Entwicklung
wissensbasierter Dienstleistungen wäre noch viel zu tun;
hier liegen viele Beschäftigungspotenziale. Sie haben
eine rückwärtsgewandte Sichtweise. Sie orientieren sich
allein an technischen Lösungen und materiellen Produkten. Es fehlt aber an Ideen für die Beantwortung der
Frage, wie die Technik an die Frau und an den Mann gebracht werden kann. Der Dienstleistungsbereich bleibt
hier völlig außen vor. Im Übrigen fehlt auch eine Technikfolgenabschätzung.
Ich will Ihnen an dem Bereich „Energie/Klima“ zeigen, wie rückwärtsgewandt Ihr Vorgehen ist und was Sie
alles verschlafen. Sie sagen, dass Sie mit der HightechStrategie einen Schwerpunkt auf das Thema Energie/
Klima legen. Sie setzen sich aber nur mit herkömmlichen Technologien auseinander. Es geht vor allen Dingen um Investitionen in fossilbefeuerte Kraftwerke. Ich
frage Sie: Gibt es einen Ansatz für Forschung in dem
Bereich zukunftsfähiger Kraftwerke? Virtuelle Kraftwerke zum Beispiel bieten die Möglichkeit, große Kraftwerke zu ersetzen. Sie könnten das leisten, was wir in
Zukunft brauchen: eine dezentrale Energieversorgung.
Das wäre auch wichtig, um in Sachen Klimaschutz voranzukommen. Aber: Fehlanzeige! Dabei wäre das eine
nach vorn gewandte Strategie.
({5})
Sie sagen selbst, dass der Umweltbereich ein Beschäftigungssektor par excellence ist. Wir haben bereits
1,5 Millionen Beschäftigte im Umweltsektor. Das BMU
verweist darauf, dass im Umweltsektor 950 000 Menschen im Dienstleistungsbereich beschäftigt sind und die
Zahl der Arbeitsplätze im Bereich Umwelttechnik exorbitant steigen wird. Sie setzen sich aber nicht mit dem
Problem auseinander, dass wir unsere Marktstellung nur
halten können, wenn diese Umwelttechniken mit modernsten Dienstleistungen unterlegt werden. Wir werden
unsere Marktstellung in Europa nicht halten können,
wenn wir in diesem Bereich weiter so selig schlafen, wie
das die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große
Anfrage tut.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss. - Es ist ein Jammer, dass die
Dynamik, die dem Beschäftigungsfeld Dienstleistungen
innewohnt, von Ihnen weder im Umweltbereich noch im
Pflege- oder Sozialbereich erkannt wird. Sie schreiben,
dass Sie -
Nicht mehr zitieren, Frau Kollegin. Sie müssen zum
Ende kommen.
Ich zitiere nicht mehr und komme zum Ende, Herr
Präsident. - Wie gesagt, ich glaube, es ist deutlich geworden, dass es ein Jammer ist, dass Sie sich mit den
neuen Entwicklungen nicht auseinandersetzen. Wir werden Ihnen da auf die Sprünge helfen. Ich hoffe, hier zu
diesem Thema zukünftig gute Debatten führen zu können.
Vielen Dank, Herr Präsident.
({0})
Das Wort hat nun Kai Wegner für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Dückert, ich möchte mich zu Beginn meiner Rede ganz
herzlich bei Ihnen und Ihrer Fraktion, bei der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, dafür bedanken, dass sie diese
Große Anfrage gestellt haben:
({0})
zum einen, weil Sie einen wichtigen Bereich der deutschen Wirtschaft, nämlich den Dienstleistungssektor, der
schon lange nicht mehr zentraler Gegenstand einer
Debatte in diesem Hause war, zum Thema machen, und
zum anderen, weil Sie mir die Möglichkeit geben, die
eine oder andere Maßnahme, die die Bundesregierung
positiv umgesetzt hat, zu erklären.
({1})
Liebe Frau Dückert, nachdem ich Ihre Rede gehört habe,
glaube ich, dass da auch noch ein bisschen Nachholbedarf besteht. Deswegen will ich Ihnen einiges erklären.
Ich teile Ihre Einschätzung, dass gerade der Dienstleistungssektor in Deutschland eine große Zukunft haben
wird. Folgerichtig reagieren die Große Koalition und
insbesondere die Bundesregierung auf Ihre Große Anfrage mit Fakten. Ich hatte das Gefühl, dass Sie kritisiert
haben, dass die Bundesregierung mit Fakten auf Ihre
Anfrage reagiert. Ich muss Ihnen sagen, dass ich es immer sehr gut finde, wenn die Bundesregierung mit Fakten unterlegt, welche Maßnahmen sie erfolgreich umgesetzt hat, liebe Frau Dückert.
({2})
Öffentliche und private Dienstleister erwirtschaften
heute rund 70 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes
und beschäftigen mehr als 72 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland. Der Dienstleistungssektor nimmt
damit eine herausragende Stellung in unserer Volkswirtschaft ein. Als Berliner, liebe Frau Dückert, habe ich den
Strukturwandel quasi vor meiner Haustür erlebt. In den
letzten Jahren sind zahlreiche neue Beschäftigungsverhältnisse im Dienstleistungsbereich entstanden. Leider
Gottes sind aber auch überproportional viele Beschäftigungsverhältnisse in der Industrie weggefallen.
Obwohl es zweifelsohne einige Länder gibt, die eine
noch höhere Beschäftigungsquote im Dienstleistungssektor aufweisen, kann ich darin keine Schwäche unserer Wirtschaft oder gar eine Dienstleistungslücke erkennen. Vielmehr zeigt dies doch, liebe Frau Dückert, eine
unserer Stärken in der deutschen Wirtschaft. Denn dank
unserer traditionell starken Industrie sind im internationalen Vergleich überdurchschnittlich viele Menschen in
Deutschland im industriellen Bereich beschäftigt. Darüber hinaus sollten wir allesamt nicht vergessen, dass
die Industrie gerade auch für den Dienstleistungssektor
ein ganz wichtiger Auftraggeber ist und bleiben muss.
({3})
Daran wird nur zu deutlich, dass ein Mehr an Beschäftigung im Dienstleistungssektor zu einem guten
Stück immer noch von einer guten Industriepolitik abhängig ist. Wer also in der Stärke unserer Industrie vermeintlich eine Schwäche des Dienstleistungssektors und
unserer Volkswirtschaft sieht, zieht die falschen Schlüsse.
Denn genau das Gegenteil ist der Fall.
({4})
Obwohl wir vor diesem Hintergrund mit der derzeitigen Situation zufrieden sein könnten, geben wir uns als
Große Koalition mit dem bisher Erreichten nicht zufrieden. Denn gerade in einem so dynamischen Bereich wie
dem Dienstleistungssektor stehen wir vor großen Chancen und Herausforderungen. Eine dieser Herausforderungen stellt sich im Bereich von Bildung und Wissenschaft.
Sie sind nicht nur die wichtigsten gesellschaftlichen Ressourcen für eine moderne Wirtschaft, sondern auch
Grundlage wissensintensiver Dienstleistungen. Diese
machen heute bereits, Frau Dückert, 30 Prozent unserer
Wertschöpfung aus und nehmen eine Schlüsselfunktion
für Wirtschaft und Beschäftigung in unserem Land ein.
Mit der Hightech-Strategie antwortet die Bundesregierung auf diese zentrale Herausforderung. Sie bündelt
nicht nur die Kräfte in unserer Gesellschaft für mehr Innovationen, sondern fördert in einem eigenen Handlungsfeld den Dienstleistungssektor. Ziel ist es, in der Dienstleistungswirtschaft und Dienstleistungsforschung die
gleiche Exzellenz zu erreichen, die unsere Industrie bereits heute besitzt. Hierbei sind wir auf einem guten
Wege. Schon heute liegt Deutschland, gemessen am Anteil der gesamten Wertschöpfung, international auf einem der Spitzenplätze und deutlich über dem europäischen Niveau, Frau Dückert.
Nicht nur bei Bildung und Forschung hat die Große
Koalition gemeinsam mit der Bundesregierung die Weichen für die Zukunft gestellt, auch schlummernde Beschäftigungspotenziale wurden aktiviert.
Das Potenzial der Kulturwirtschaft ist in dieser Legislaturperiode erstmalig klar benannt worden. Damit sich
unternehmerisches als auch künstlerisches Potenzial voll
entfalten kann, wurden die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen.
Im Feld der sozialen Dienstleistungen haben wir mit
dem Ausbau der Kinderbetreuung in zweifacher Hinsicht Maßstäbe gesetzt. Zum einen entsteht infolge des
Ausbaus in diesem Bereich ein zusätzlicher Bedarf an
- geschätzt - 65 000 Erzieherinnen und Erziehern sowie
47 000 Tagespflegepersonen. Zum anderen schaffen wir
durch neue Angebote der Kinderbetreuung die Voraussetzung für eine Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit in
unserem Land und leisten damit einen ganz wichtigen
Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
({5})
Neben den sozialen Dienstleistungen sind an dieser
Stelle auch die haushaltsnahen Dienstleistungen zu nennen. Insbesondere bei Familien, bei älteren Menschen
und bei Alleinstehenden besteht diesbezüglich ein wachsender Bedarf. Die Bundesregierung hat durch eine Verbesserung der steuer- und arbeitsmarktrechtlichen Rahmenbedingungen nicht nur die Privathaushalte entlastet,
sondern vor allem für einen signifikanten Beschäftigungsaufbau gesorgt. Das Unternehmen „Privathaushalt“ floriert in unserem Land.
({6})
Auch beim Tourismus sind wir auf einem guten Weg,
bestehende Potenziale dieser Branche verstärkt zu nutzen. Gerade im Bereich der Gastronomie und der Hotellerie wurde vieles unternommen, was sich heute bereits
in einem Zuwachs an Arbeitsplätzen widerspiegelt.
Auch beim Export von Dienstleistungen gehören wir
in vielen Branchen zu den weltweit führenden Nationen.
Infolge der europäischen Dienstleistungsrichtlinie wird
sich die Position der deutschen Dienstleister nochmals
verbessern. Der damit verbundene Ausbau des Binnenmarktes für Dienstleistungen wird auch in Deutschland
zu neuen Wachstums- und damit zu neuen Beschäftigungschancen führen. Auf internationaler Ebene wird
diese Entwicklung zusätzlich durch den Abbau von Handelsbarrieren im Rahmen der WTO und von zwischenstaatlichen Handelsabkommen flankiert. Damit sind die
Weichen für ein nachhaltiges Wachstum beim Export
von Dienstleistungen gestellt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch in diesem Jahr können wir auf den Dienstleistungssektor als
Jobmotor in unserem Land zählen. So rechnet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag mit einem zusätzlichen Beschäftigungsaufbau in der Größenordnung
von rund 200 000 Arbeitsplätzen. Das belegt, dass die
Große Koalition die richtigen Rahmenbedingungen für
den Dienstleistungssektor gesetzt hat.
({7})
Der eingeschlagene Weg muss jetzt konsequent weitergegangen werden, um die Innovations- und Investitionsbereitschaft der Unternehmen zu fördern. Hierzu
gehören vor allem ein weiterer Bürokratieabbau, eine
vernünftige Unternehmensteuerreform und geeignete
Rahmenbedingungen für bessere Finanzierungsmöglichkeiten der mittelständischen Betriebe in Deutschland.
({8})
Die Große Koalition wird in diesem Sinne und im Interesse der Menschen in unserem Land die Beschäftigungspotenziale des Dienstleistungssektors weiterhin
fördern und stärken.
Liebe Frau Dückert, ich würde mich sehr freuen,
wenn wir aufgrund der besonderen Bedeutung dieses
Bereichs das verwirklichen könnten, was Sie am Ende
Ihrer Rede angedeutet haben, nämlich gemeinsam für
das Ziel von mehr Beschäftigung in diesem Bereich zu
kämpfen. Sie von den Grünen sind herzlich dazu eingeladen, die Große Koalition und die Bundesregierung auf
ihrem vernünftigen Weg zu unterstützen.
Herzlichen Dank!
({9})
Das Wort hat nun Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, es ist richtig: Die Antworten auf die Große Anfrage, die die Grünen initiiert haben, bringen sehr deutlich zum Ausdruck, dass das Beschäftigungspotenzial
gerade im Dienstleistungsbereich enorm ist, aber längst
nicht in dem Maße ausgeschöpft wird, in dem dies möglich wäre.
Das beginnt schon damit, dass die Bundesregierung,
als die Dienstleistungsrichtlinie auf EU-Ebene verhandelt wurde, viel zu zögerlich und viel zu protektionistisch vorgegangen ist. Für diese Zögerlichkeit und diese
Ängstlichkeit, auch im Hinblick auf die Freizügigkeit
auf dem europäischen Markt, findet man in der Antwort
auf die Große Anfrage wirklich Belege. Natürlich hat die
Bundesregierung auch mit Daten und Fakten geantwortet. Aber ihre Antworten sind zum Teil sehr mager.
({0})
Das Potenzial des Dienstleistungsbereichs ist enorm.
In diesem Sektor werden 70 Prozent des deutschen BIP
erwirtschaftet. Angesichts dessen kann man sagen: Das
ist wirklich ein Riesenpfund. Mit mehr Marktöffnung
und weniger Marktabschottung könnte man hier noch
eine ganze Menge erreichen.
Eines finde ich erstaunlich: Die Bundesregierung hat
in ihrer Antwort zumindest an einer Stelle eingestanden,
dass es zwischen der Öffnung des europaweiten Handels
mit Gütern und der Öffnung des europaweiten Handels
mit Dienstleistungen kaum Unterschiede gibt. In diesem
Bereich handelt die Bundesregierung aber zu wenig.
Selbstverständlich sind industrielle Arbeitsplätze genauso wichtig wie Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich; gar keine Frage. Im zuletzt genannten Sektor ist
allerdings viel mehr zu tun.
Ich frage mich, warum die Bundesregierung nicht
mehr Mut zu Freizügigkeit und Marktöffnung gezeigt
hat. Ein Beispiel dafür sind die Regelungen zu Saisonarbeitern und Erntehelfern. Wir haben es hier mit einem
Gesetz zu tun, das korrigiert worden ist. Die Quote der
Helfer für die Ernte von Obst und Gemüse wurde auf
300 000 Arbeitnehmer gesenkt. Die restriktive Regelung, dass osteuropäische Erntehelfer nur vier Monate
im Jahr in Deutschland arbeiten dürfen, entspricht nicht
dem, was EU-weit üblich ist. Andere Länder wie die
Niederlande, Großbritannien, Irland und Spanien sind
viel weiter vorgeprescht und haben die Öffnung des
Marktes über das ganze Jahr hinweg vereinbart.
({1})
Ich habe in meinem eigenen Wahlkreis erlebt, dass
Spargel- und Erdbeerfelder mittlerweile sogar plattgepflügt werden, weil es einfach nicht genügend Erntehelfer gibt, die den nötigen Ertrag gewährleisten könnten.
({2})
In diesem Bereich verlieren wir also auch Ertrags- und
Beschäftigungspotenzial; das sei nur als ein Beispiel erwähnt.
({3})
Was tut die Bundesregierung stattdessen, und zwar
sehr ausgiebig? Die Bundesregierung konzentriert sich
vor allem auf das Thema „gesetzliche Mindestlöhne“
und sucht darin ihr Heil.
({4})
Passend zu unserer heutigen Debatte kam gestern eine
Studie des Ifo-Instituts,
({5})
des Instituts der deutschen Wirtschaft, des HWWI und
des DIW in Berlin auf den Markt, in der sehr deutlich
zum Ausdruck kommt, dass eine gesetzliche Lohnuntergrenze - in Deutschland wird eine Lohnuntergrenze von
7,50 Euro avisiert - für die Beschäftigung kontraproduktiv wäre. Die Institute haben nachgewiesen, dass dies
insbesondere im Dienstleistungsbereich ein enormes Beschäftigungspotenzial kosten würde, sollte die Bundesregierung hier eine gesetzliche Lohnuntergrenze einziehen.
Durch die bewährten Transfers - dabei handelt es sich
wohlgemerkt um staatliche Transfers - zur sozialen Absicherung werden in Deutschland bereits heute Bruttostundenlöhne von 4 bis 5 Euro für Alleinstehende und
von bis zu 10 Euro für Verheiratete mit Kindern gezahlt.
Hinzu kommen Zusatzzahlungen zur Sicherung des sozialen Existenzminimums für ALG-II-Bezieher.
Wie Sie sehen, wäre es viel besser, wenn Sie sich an
dieser Stelle nicht auf die Diskussion über die Einführung von Mindestlöhnen beschränken würden. Vielmehr
sollten Sie dafür sorgen, dass Deutschland ein vernünftiges, gerechtes und einfaches Steuersystem bekommt.
Gegenwärtig ist es so, dass der Konsum durch die Mehrwertsteuererhöhung und viele andere Ihrer Maßnahmen
ausgebremst und dadurch die Schaffung von Arbeitsplätzen behindert wird.
({6})
Sie sollten durch vereinfachte Regelungen, die eine
wirkliche Freizügigkeit und eine Öffnung des Marktes
gewährleisten, für mehr Beschäftigung in Deutschland
Sorge tragen. Das wäre den Beschäftigten in Deutschland zuträglich. Es würde uns als Exportnation Nummer
eins gut zu Gesicht stehen, wenn wir an dieser Stelle
voranschreiten würden, statt uns in Ängstlichkeit und
Protektionismus zu ergehen. Ich wünschte mir von der
Bundesregierung viel mehr Mut zur Veränderung.
Danke sehr.
({7})
Das Wort hat nun Klaus Barthel, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Grünen sind dafür gelobt worden, dass sie ihre Große
Anfrage auf die Tagesordnung gebracht haben. Es zeigt
sich aber, Frau Dückert, dass Ihren Fragen ein System
fehlt: Bei 236 Fragen sehen Sie doch selber den Wald
vor lauter Bäumen nicht. Ein Drittel Ihrer Fragen erübrigt sich, weil man die Antwort in Datenbanken nachlesen kann,
({0})
zum Beispiel beim Statistischen Bundesamt. Darüber hinaus muss man feststellen, dass Sie sich in Details verzetteln und nicht zum Kern der Probleme kommen.
Frau Dückert, Sie haben beklagt, dass die Bundesregierung zu Energiedienstleistungen nichts gesagt hat.
Wenn Ihnen dieser Bereich so wichtig ist, warum haben
Sie ihn dann nicht in einer Ihrer 236 Fragen angesprochen? Sie haben sich ja auch sonst durch alle möglichen
Bereiche gearbeitet. Warum soll die Bundesregierung etwas zu Energiedienstleistungen sagen, wenn danach
nicht gefragt wurde?
({1})
Sie haben nach der Zahl der Arbeitsplätze in den einzelnen Dienstleistungssektoren gefragt. Die Zahl verschleiert mehr, als sie aussagt. Sie fragen nicht, was das
eigentlich für Arbeitsplätze sind - sozialversicherungspflichtige oder Minijobs, Teilzeit oder Vollzeit -, wie die
Arbeitsbedingungen aussehen und wie sich der jeweilige
Bereich über die Zeit entwickelt hat. Das ist doch der
Kern der Dienstleistungsdebatte, die wir zu Recht führen.
({2})
Warum hinterfragen Sie nicht,
({3})
warum das Arbeitsvolumen gesamtwirtschaftlich seit
1990 sinkt, während im Dienstleistungsbereich, in dem
das Arbeitsvolumen leicht steigt, die Zahl der Beschäftigten überproportional, nämlich um 15 Prozent, zugenommen hat? Es ist doch mit den Händen zu greifen,
Frau Dückert! Doch es scheint Sie nicht zu interessieren
- auch jetzt nicht -, dass der Dienstleistungssektor der
Bereich ist, in dem sich Prekarität, Minijobs und Leiharbeit massiv ausbreiten.
({4})
Spannenderweise geschieht diese Prekarisierung und
Marginalisierung, diese Entwicklung zu einem Niedriglohnsektor gerade nicht in den Bereichen, die sich dem
internationalen Wettbewerb stellen müssen, gerade nicht
in den Bereichen, in denen es Druck durch die Globalisierung gibt.
({5})
- Hören Sie doch einmal zu, anstatt dazwischenzurufen! In der industriellen Exportwirtschaft entwickeln sich die
Arbeitsbedingungen relativ günstig. Die nicht verlagerbaren Dienstleistungen - vom Friseur bis zu den Bodenverkehrsdiensten an Flughäfen - sind es, die von Niedriglohnverhältnissen geprägt sind.
({6})
Deswegen müssen wir heute einiges klären. Der Hinweis der Bundesregierung darauf, dass der hohe Anteil
der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor sowie der
Anteil, den die Dienstleistungen an der Wertschöpfung
der Gesamtwirtschaft haben, nichts über eine mögliche
Dienstleistungslücke aussagt, ist richtig. Internationale
Vergleiche, wie Sie sie wieder bemüht haben, sind gefährlich. Zum Beispiel hat die neoliberale Rosskur in
den 80er- und 90er-Jahren in Großbritannien den Dienstleistungsanteil der dortigen Volkswirtschaft enorm gesteigert. Der Grund dafür war aber nicht etwa eine erfolgreiche Expansion der Dienstleistungen, sondern der
beispiellose Niedergang der britischen Industrie, von
dem sich die britische Volkswirtschaft bis heute nicht erholt hat.
({7})
In Großbritannien haben wir nach wie vor eine Monostruktur von Finanzdienstleistungen und Erdöl. So konnten wir seinerzeit beobachten, wie die Kneipen in der
Londoner City auf die Anschaffung von Spülmaschinen
verzichtet haben, weil genügend Billigarbeitskräfte verfügbar waren, die bereit waren, mit der Hand zu spülen.
Deindustrialisierung und Lohndumping, das kann nicht
die Vision von einer Dienstleistungsvolkswirtschaft sein.
({8})
Wir können und wollen in Zukunft nicht davon leben,
uns gegenseitig die Haare zu schneiden. Eine Gesellschaft kann aber auch nicht davon leben, sich gegenseitig Devisen, Versicherungsverträge, Aktien, Derivate
und Hypothekenpfandbriefe zu verkaufen.
({9})
Deswegen ist es notwendig, dass die Bundesrepublik ein
starker Industriestandort bleibt. Trotz aller Erfahrungen
mit Siemens, Nokia und wie sie alle heißen eilen wir von
Exportrekord zu Exportrekord. Wenn das Statistische
Bundesamt im vorigen Jahr es nicht schwarz auf weiß
belegt hätte, dann hätte ich es selbst kaum geglaubt: Unsere Exportwirtschaft hat im vergangenen Jahrzehnt
nicht nur immer mehr Waren ins Ausland verkauft, sondern auch die Zahl der Arbeitsplätze erhöht. 1995 waren
5,9 Millionen Menschen in der Exportwirtschaft tätig;
2006 waren es bereits 8,3 Millionen.
Der Wert unserer Warenexporte stieg um das Doppelte bzw. sechsmal so schnell wie die Binnennachfrage.
Leider liegt der Warenexportweltmeister Deutschland
beim Dienstleistungsexport nur an dritter Stelle.
({10})
Was den Export angeht, stoßen wir auf ein zentrales
Problem dieser Debatte, nämlich auf die fehlenden statistischen Grundlagen zur Erfassung dessen, was wir
heute diskutieren. Wenn heute ein deutsches Unternehmen eine Anlage oder eine Maschine ins Ausland verkauft, dann ist es vor allen Dingen deswegen erfolgreich,
weil es unter anderem auch die Reparatur, Wartung, Instandhaltung, Nachrüstung und Beratung mitverkauft.
Diese arbeitsintensiven und qualifizierten Dienstleistungen tauchen aber nicht in der Statistik auf, weil sie zumindest größtenteils mit dem Preis der Maschine verrechnet werden.
({11})
Die Bundesregierung weist in ihren Antworten mehrfach
auf derartige Defizite in der Statistik hin und macht deutlich, dass wir dabei sind, sie zu beheben.
Diese statistischen Defizite führen - zusammen mit
unserem männlich dominierten Arbeitsbegriff - dazu,
dass die Bedeutung, die Dienstleistungen schon heute als
Voraussetzung für den ökonomischen Erfolg haben, systematisch unterschätzt wird. Aufgrund dieser Tatsache
werfen viele Sachverständige - auch Frau Kopp von der
FDP hat sich heute leider ähnlich geäußert - immer noch
die Dienstleistungen mit Jobs im Niedriglohnsektor bei
niedriger Produktivität und Qualifikation in einen Topf.
({12})
Wenn Ihnen nichts anderes zur Dienstleistungswirtschaft einfällt, als die Obstpflücker als Zukunftsthema
zu diskutieren, dann haben Sie als Wirtschaftspartei versagt.
({13})
Notwendig ist in erster Linie, die Dienstleistungsforschung voranzutreiben, die Dienstleistungsstatistik zu
verbessern
({14})
und den Dienstleistungssektor als Innovationstreiber zu
begreifen.
({15})
Es gibt eine Reihe von Beispielen wie Energiedienstleistungen, Verkehr, Bildung und Betreuung, auf die ich
aus Zeitgründen nicht näher eingehen kann.
({16})
Die schrittweise Durchsetzung von Ganztagsschulen und
Kinderbetreuung beweist die volkswirtschaftliche und
gesellschaftliche Bedeutung einer solchen Innovation.
Bessere Bildung und Betreuung in Verbindung mit der
Teilnahmemöglichkeit von Frauen am Erwerbsleben
sind Beispiele für einen solchen dienstleistungsgetriebenen sozialen Innovationsprozess, der gleichzeitig die
Voraussetzung für den Erfolg der Industrie und auch der
technischen Innovation ist.
Auch zur Gesundheit und Pflege ließe sich viel ausführen. Wenn wir nichts gegen die Angst vor dem Alter
und vor Hilfsbedürftigkeit tun und denjenigen nicht helfen, die in finanzieller und menschlicher Not leben, dann
wird es nicht zu einer zukunftsorientierten und optimistischen Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft
kommen, die auch den Kindern und Enkelkindern zugute kommt.
Deswegen sind langfristig der Aufbau von Strukturen,
die Qualifizierung von Menschen und die Schaffung von
Arbeitsplätzen mit guten Arbeitsbedingungen in diesem
Bereich notwendig.
({17})
Man darf also Dienstleistungen nicht als Abfallprodukt und Restgröße der Industriegesellschaft begreifen,
sondern muss sie als eigenen innovativen und innovationstreibenden Bereich sehen.
Die Dienstleistungen werden aber nur dann zum Jobmotor - damit komme ich zum letzten Punkt -, wenn sie
im Bewusstsein und in der Qualität gezielt aufgewertet
werden. Dienstleistungsarbeit muss gute Arbeit sein und
darf sich nicht zum Niedriglohnsektor weiterentwickeln.
({18})
Gerade deswegen braucht der Dienstleistungssektor einen Mindestlohn. Frau Kopp, darauf zu setzen, dass die
helfenden Berufe zum Beispiel nicht streikfähig sind und
man deswegen mit Erzieherinnen, Krankenschwestern
und Behindertenbetreuern machen kann, was man will,
ist schlicht zynisch.
({19})
Zu einer tragfähigen Strategie und zur Sicherung guter Löhne gehören in diesem Zusammenhang Qualifikation und eine gute Ausbildung. Für viele zukunftsträchtige Berufe im Dienstleistungsbereich gibt es aber bisher
keine adäquaten Ausbildungen. Es besteht ein Dschungel aus Sonderausbildungen schulischer Art. Das duale
System muss deswegen dahin gehend reformiert werden,
dass für Dienstleistungsberufe gezielter und systematischer ausgebildet wird. Sie müssen in das duale System
aufgenommen werden, solange es nicht um akademische
Anforderungen geht.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Es ist völlig richtig, dass die Bundesregierung den
Dienstleistungssektor in den Kontext ihrer Innovationspolitik und ihrer Hightech-Strategie für Deutschland einordnet, wie es in der Antwort auf die Frage 14 beschrieben wird, und dabei die Ziele Innovation, Qualität,
Qualifikation und attraktive Arbeitsverhältnisse in den
Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellt.
({0})
Das Wort hat nun Barbara Höll, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Große Anfrage der Grünen zeugt nicht nur von lobenswerter Umsicht und viel Fleiß. Sie legt vor allem den
Finger auf wunde Punkte der gegenwärtigen Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik. Leider haben Sie es versäumt, in Ihrer Anfrage nach der Art der Jobs zu fragen,
die in den letzten Jahren im Dienstleistungssektor entstanden sind und zum Wachstum der Beschäftigtenzahlen in diesem Bereich beigetragen haben, sowie nach deren sozialer Ausgestaltung. Dennoch wird wie in einem
Brennglas in den Antworten der Bundesregierung deutlich, welche erheblichen Defizite existieren: einerseits
nach wie vor und trotz des Aufschwungs eine hohe Sockelarbeitslosigkeit und andererseits brachliegende Beschäftigungspotenziale, die zwar bekannt sind, bei denen
die Politik aber nichts dafür tut, dass sie ausgeschöpft
werden.
Mit Recht fragen die Abgeordneten der Grünen, warum
die Bedeutung des Dienstleistungssektors in Deutschland
im europäischen Vergleich relativ gering ist, obwohl gerade hier beträchtliche Beschäftigungspotenziale für die
Zukunft liegen. Nimmt man allein die aus der demografischen Entwicklung resultierenden neuen Herausforderungen, stellt man fest, dass hierin große Chancen für
mehr Beschäftigung und gute Arbeit sowie ein besseres
Leben stecken. Ein aus beschäftigungspolitischer Sicht
besonders zukunftsträchtiger und arbeitsintensiver Bereich sind zum Beispiel die häuslichen und stationären
Pflegedienstleistungen. Der demografische Wandel führt
zu einem steigenden Bedarf auf diesem Gebiet und damit zu mehr Beschäftigung. Die Bundesregierung und
die Große Koalition verpassen es jedoch leider, das
Potenzial, das in diesem Bereich liegt, auszuschöpfen.
Einerseits betreibt die Bundesregierung durch die Privatisierung von Pflegedienstleistungen passiven Arbeitsplatzabbau. Andererseits verhindert sie die Entstehung
neuer Arbeitsplätze durch die Förderung und Subventionierung der Pflege innerhalb der Familie. Ein Blick auf
die skandinavischen Länder, vor allem auf Schweden,
kann hier helfen. Dort wird eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik betrieben. Der Staat übernimmt als Arbeitgeber eine Schlüsselrolle bei der Produktion sozialer
Dienstleistungen.
Will man dieses Potenzial für den Arbeitsmarkt erschließen, muss ein neues Denken in die BeschäftiDr. Barbara Höll
gungs- und Arbeitsmarktpolitik Einzug halten. Der
Markt kann es, wie man bereits heute sieht, nicht mehr
richten. Zugegebenermaßen handelt es sich um komplexe gesellschaftliche Prozesse im Spannungsfeld zwischen Ausbildungs- und Weiterbildungsträgern, Unternehmen und öffentlichen Institutionen. Sie betreffen
nicht nur die Ermittlung neuer Ausbildungs- und Weiterbildungsprofile und deren Umsetzung in entsprechende
Lehrinhalte. Völlig neue Anforderungen ergeben sich für
eine an öffentlichen Interessen orientierte Arbeitsmarktpolitik mit relativ genauen qualitativen und quantitativen
Parametern, mit territorial zu berücksichtigenden Verteilungen von Arbeitskräften und mit neuen Finanzierungserfordernissen für die Sicherung von Weiterbildungsprozessen.
Wichtig sind also Qualifizierung und Weiterbildung
der im Dienstleistungssektor beschäftigten Personen.
Doch gerade hier fehlt ein verstärktes Engagement der
Bundesregierung. Sie äußert zwar den Willen, durch
Qualifizierung der Beschäftigten niedrige Entlohnung
und prekäre Arbeitsverhältnisse zu überwinden, jedoch
geht sie in ihren Antworten und in ihrer Politik nicht darauf ein, wie dies geschehen soll. Mehr noch, sie schafft
sogar prekäre Beschäftigungsverhältnisse, indem sie geringfügige Beschäftigung als solche fördert. Frau Kopp
hat die Zahlen genannt. Es ist katastrophal, wenn man
von seiner Hände Arbeit nicht leben kann und auf Transferleistungen angewiesen ist. Deshalb ist ein gesetzlicher
Mindestlohn erforderlich.
({0})
Nicht zuletzt geht es um wichtige soziale Aspekte, für
die es gesellschaftliche Orientierungen geben muss. In
den vergangenen zwei Jahren ist deutlich geworden,
dass der wirtschaftliche Aufschwung gerade im Dienstleistungssektor zu einer hohen Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse geführt hat. So sind fast 50 Prozent der Gebäudereiniger Minijobber, die zusätzlich auf Hartz IV
angewiesen sind. Der Minijob als Sprungbrett zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung hat sich als
Illusion erwiesen. Häufig ist es umgekehrt: Sozialversicherungspflichtige Stellen werden in Minijobs umgewandelt.
Frau Höll, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. - Um die Arbeitsbedingungen im Dienstleistungssektor ist es häufig
schlecht bestellt. Wir brauchen hier eine neue Politik, die
die gegebenen Möglichkeiten ausnutzt. Dafür brauchen
wir aber auch einen entsprechenden Wechsel.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten HansJoachim Fuchtel, Eckart von Klaeden, Norbert
Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika
Griefahn, Lothar Mark, Dirk Becker, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Erneuerbare Energien wie Solarenergie, Geothermie, Wind- und Wasserkraft für die Energieversorgung deutscher Einrichtungen im
Ausland einsetzen - für Klimaschutz und
Nachhaltigkeit
- Drucksachen 16/7489, 16/7910 Berichterstattung:
Abgeordnete Erich G. Fritz
Marina Schuster
Jürgen Trittin
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe Monika
Griefahn für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben verbliebenen Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute
eine Initiative beschließen können, mit der wir viel mehr
erreichen, als vielleicht offensichtlich wird. Mit unserem
Koalitionsantrag wollen wir dazu beitragen, dass zukünftig erneuerbare Energien für die Energieversorgung
der deutschen Vertretungen im Ausland stärker eingesetzt werden. Das kann Solarenergie oder Geothermie
sein; wir setzen auch auf mehr Wind- und Wasserkraft
sowie - das ist besonders wichtig - auf Maßnahmen zur
Energieeffizienz wie Kraft-Wärme-Kopplung oder KraftKälte-Kopplung.
Wir fordern nicht nur Botschaften und Konsulate,
sondern auch Mittlerorganisationen wie das GoetheInstitut oder deutsche Schulen auf, bei Neubauten oder
Sanierungen erneuerbare Energien einzuplanen und zu
nutzen. Besonderen Wert legen wir darauf, dass Architekten bei ihren Planungen darüber nachdenken, wie
man das ganze Gebäude energietechnisch sinnvoll gestalten kann. Zu diesem Zweck sollen zwei Programme
mit den entsprechenden Geldern zur Verfügung stehen.
Das ist zum einen das Sanierungsprogramm für deutsche
Vertretungen im Ausland, zum anderen das 120-Millionen-Euro-Programm der Bundesregierung zur energetischen Sanierung von Bundesliegenschaften.
Wenn ich sage, dass wir mit dieser Initiative viel mehr
erreichen, als vielleicht offensichtlich wird, dann meine
ich damit Folgendes: Dieser Beitrag zum Umweltschutz
im Ausland ist ebenso wichtig wie das, was wir bei uns
in Deutschland machen. Allerdings hat es den Nachteil,
dass es im eigenen Land weitaus weniger wahrgenommen und deshalb leicht vernachlässigt wird. Dabei gibt
es viele Länder, in denen Klimaschutz durch alternative
Energien besonders leicht möglich ist. Ägypten zum
Beispiel hat rund 300 Sonnentage im Jahr. Ich brauche
Ihnen nicht zu erzählen, wie ertragreich dort eine Solaranlage sein kann. Angesichts der zahlreichen sichtbaren
Zeichen, die der Klimawandel bereits jetzt überall auf
der Welt hinterlässt, dürfen wir als Deutsche unsere
Möglichkeiten im Ausland nicht ungenutzt lassen.
Zusammen mit meinem Kollegen Hans-Joachim
Fuchtel habe ich auf unseren letzten Reisen als Mitglied
der Interparlamentarischen Union und natürlich auch in
den Fachausschüssen die Notwendigkeit dieses umweltpolitischen Engagements sehr deutlich erfahren.
Ich erwähnte eben Ägypten. Anlässlich einer Konferenz, die wir im Rahmen unserer auswärtigen Kulturpolitik in Kairo veranstaltet haben, besuchten wir das
Goethe-Institut, das gerade einen Neubau plant. Auf die
Frage, ob denn dort auch eine Solarenergieanlage geplant sei, wurde geantwortet, das sei nicht der Fall, da
Strom in Ägypten subventioniert werde und der Bau
ohne Solaranlage somit günstiger sei. Das ist ein falscher
und kurzsichtiger Weg.
({0})
Wir fordern mit unserer Initiative das nötige Umdenken,
auch von den deutschen Einrichtungen im Ausland und
damit auch vom Bundesrechnungshof, der immer die
billigste Bauvariante fordert. Nein, die deutschen Einrichtungen im Ausland sollten gar nicht anders handeln
dürfen, als sich für erneuerbare Energien zu entscheiden.
Deshalb müssen wir als Parlament den Ministerien Auflagen in dieser Hinsicht machen.
Es geht uns mit dem Programm nicht in erster Linie
um die Energiesituation in den einzelnen Ländern. Vielmehr sollen die Planer wissen, dass wir von ihnen eine
besonders nachhaltige und energetische Bauweise erwarten, egal wie billig zurzeit der Strom vor Ort ist. Das
kann sich ganz schnell ändern. Auch dafür gibt es genug
Beispiele.
In meinen Augen sprechen drei grundlegende
Gründe ganz klar für diese Initiative: erstens der Klimaschutz, zweitens unsere Vorbildfunktion - wenn wir uns
auf G-8-Treffen und europäischen Gipfeln immer für
den Klimaschutz einsetzen, dann müssen wir überall auf
der Welt zeigen, dass wir es ernst meinen - und drittens
der Aspekt der Wirtschaftsförderung. Der erste Grund,
der Klimaschutz, ist der wichtigste. Klimaschutz bedeutet Schutz des eigenen Lebens und der eigenen Gesundheit. Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee hat vor wenigen Tagen gerade in Deutschland die zweite Phase der
Informationskampagne zur Finanzierung der CO2-Gebäudesanierung gestartet. Viele haben sicherlich schon
am Hauptbahnhof die Litfaßsäulen mit den lustigen roten Strickmützen gesehen, die auf die Möglichkeiten der
Energieeinsparung bei der Sanierung von Wohnraum
aufmerksam machen. Ich finde, das ist ein ganz tolles
Förderprogramm, mit dem inzwischen schon weit über
eine halbe Million Wohnungen hier in Deutschland gefördert wurden.
Das, was wir hier im Inland für den Klimaschutz leisten, sollten wir auch bei unseren eigenen Gebäuden im
Ausland tun. Dazu gehört die energetische Gebäudesanierung genauso wie die Nutzung erneuerbarer Energien,
zum Beispiel durch Solardächer auf Goethe-Instituten.
Wie gesagt: Es gibt etliche Länder, die geografisch viel
bessere Ausgangssituationen für die Nutzung erneuerbarer Energien haben als wir.
Ich bin deshalb so überzeugt, dass wir in diesen Bereich viel Geld und Herzblut investieren sollten, weil wir
mit regenerativen Energien und der entsprechenden
Technik viel erreichen können. Ist nicht die Tatsache,
dass man mit Solarenergie nicht nur heizen, sondern
auch kühlen kann, besonders vielversprechend? Schließlich nutzen auf der Welt viele Leute jede Menge Energie
für Klimaanlagen und andere Kühlvorrichtungen. Fachleute sagen, dass effiziente solarthermische Kühlsysteme
helfen, die Stromkosten um bis zu 70 Prozent zu reduzieren. Das sollte jeden Zweifler überzeugen. Neben solchen Anlagen ist es ebenso wichtig, bereits bei der Konzeption eine energiesparende und effiziente Bauweise im
Blick zu haben. Es ist eine Herausforderung für Architekten, Ästhetik und Energieeffizienz zusammenzubringen. Auch das gehört dazu; denn nicht immer hilft nur
das dem Klimaschutz, was man auf den ersten Blick sehen kann.
Der zweite Grund für die Initiative ist die Vorbildfunktion, die wir auch in anderen Ländern mit einer solchen Initiative haben werden. Die Vertretungen Deutschlands im Ausland sind immer auch ein Symbol und
Referenzobjekt für unser Land, unsere Kultur, unsere
Werte und unsere Vorstellungen. Sie sind stark von Menschen frequentiert, die für Neues offen sind, die sich für
Deutschland interessieren und alles, was sie erfahren, international weitergeben. Wenn Gäste in ein Goethe-Institut kommen, dann stoßen sie in der Bibliothek auf deutsche Literatur, in den Sprachkursen auf deutsche
Sprache und in den Gesprächsrunden und Veranstaltungen auf deutsche Kultur. Wir wollen, dass diese Gäste
auch sehen, dass wir in Deutschland für einen guten und
nachhaltigen Umgang mit der Umwelt eintreten. Wir
können und sollten vor Ort zeigen, dass es für jeden ganz
verschiedene Möglichkeiten gibt, sich für die effizientere Nutzung von Energie einzusetzen. Das ist eben auch
ein Teil der deutschen Gesellschaft und Kultur, die unsere Gäste kennenlernen können. Nicht umsonst wundern sich viele Besucher, die wir in Deutschland haben,
oftmals über unsere penible Art, Müll zu trennen oder
das Licht auszuschalten, wenn wir nicht im Raum sind,
was in anderen Ländern noch nicht so üblich ist. Um genau das weiterzugeben, ist es uns auch wichtig gewesen,
bei den zu installierenden Anlagen gleich die Möglichkeiten der Besichtigung und Vorführung zu berücksichtigen. Besucher der Botschaften sollen mehr über die Solaranlage auf dem Dach der Botschaft erfahren können,
sie inspizieren und die Vorteile der Technik auch selber
sehen können.
Damit bin ich beim dritten Grund unserer Initiative:
die Werbung für unsere Wirtschaft. Deutschland gehört
zu den führenden Nationen, wenn es um Umweltschutz,
Energieeffizienz, erneuerbare Energien und die damit
verbundene Technik geht. Das sollten wir auch in unseren Auslandsvertretungen in aller Welt zeigen. Damit
machen wir ein Stück weit Werbung für diesen wichtigen Wirtschaftszweig. Immerhin arbeitet in Deutschland
schon eine Viertelmillion Menschen in diesem Bereich;
sie haben einen sicheren Arbeitsplatz. Bis 2020 sollen
100 000 zusätzliche Stellen geschaffen werden.
Ich glaube, wir sind mit dieser Initiative auf einem
guten Weg. Jetzt kommt es nur darauf an, dass die Vertretungen vor Ort von der Möglichkeit Gebrauch machen, die diese Neuregelung bietet. Ich bitte Sie ganz
herzlich: Machen Sie auf Ihren Reisen in den Schulen, in
den Botschaften und bei den Partnerorganisationen auf
diese Möglichkeit des Klimaschutzes aufmerksam und
werben Sie dafür!
In diesem Jahr haben wir eine große Initiative für den
Ausbau des Netzes der deutschen Schulen gestartet. Die
Zahl der Partnerschulen soll auf 1 000 erhöht werden.
Dafür stehen 40 Millionen Euro extra zur Verfügung. Ich
hoffe, dass wir immer, wenn wir vor Ort über entsprechende Projekte reden, wenn Gebäudesanierungen anstehen bzw. Gebäude neu angemietet oder gebaut werden sollen, dafür werben, dabei die richtige Technik zu
nutzen. Damit können wir in diesen Ländern sehr viel
für diesen Bereich tun.
Jeder von Ihnen - jeder von uns - kann im Rahmen
seiner Reichweite und Möglichkeiten für mehr Anlagen
zur Gewinnung erneuerbarer Energien auf deutschen
Gebäuden im Ausland werben. Nicht nur im Parlament,
sondern auch beim Klimaschutz ist oft viel detaillierte
Kleinarbeit nötig. Wenn aber jeder einen kleinen Teil
beiträgt, dann schaffen wir zusammen etwas wirklich
Großes. Ich freue mich, dass wir heute diesen Antrag
verabschieden können.
Herzlichen Dank für die Unterstützung.
({1})
Der Kollege Harald Leibrecht hat jetzt das Wort für
die FDP.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In dem von der Koalition vorgelegten Antrag stehen
viele wichtige und richtige Dinge. Keine Frage: Der Klimawandel ist eine der zentralen Herausforderungen für
die globale Entwicklung des 21. Jahrhunderts, und zwar
nicht nur in ökologischer, sondern auch in gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und möglicherweise auch in sicherheitspolitischer Hinsicht. Ja, Deutschland soll, wie
alle hochindustrialisierten Länder, an der Spitze jener
stehen, die sich für Klimaschutz einsetzen. Dazu gehören natürlich auch der Einsatz regenerativer Energien
und Fortschritte bei der Energieeffizienz.
({0})
Ich kann vollkommen nachvollziehen, dass man dafür
Zeichen setzen will, erst recht, dass wir mit deutschem
Know-how für uns und für deutsche Unternehmen werben wollen.
Trotzdem muss man sich doch allen Ernstes die Frage
stellen, ob mit diesem Antrag wirklich die richtigen
Schwerpunkte gesetzt werden. Es gibt, wie wir alle wissen, bei den deutschen Einrichtungen im Ausland eine
Reihe ernsthafter Strukturprobleme, insbesondere im
Bereich der personellen, der räumlichen und der materiellen Ausstattung. Diese Probleme gefährden vielerorts
die Leistungsfähigkeit unseres diplomatischen Dienstes,
mit allen damit zusammenhängenden negativen Auswirkungen auf die Serviceleistungen für deutsche Bürger im
Ausland.
({1})
Zudem schwächen sie die Fähigkeit, unsere Interessen in
der Welt durchzusetzen.
Wir, die FDP-Fraktion, haben im Auswärtigen Ausschuss schon mehrfach den Antrag gestellt, endlich die
pauschalen Stellenkürzungen im Bereich des Auswärtigen Amtes zu beenden. Minister Steinmeier beziffert die
dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten mit 1,6 Millionen Euro pro Jahr. Leider lehnt die Koalition unsere
Vorschläge immer wieder ab.
({2})
Heute werden Sie allen Ernstes einen Antrag annehmen,
der im Bundeshaushalt ein Vielfaches der Kosten verursachen, aber in der Sache der erwähnten Strukturprobleme zu keiner Verbesserung führen wird.
({3})
Ich bin mir nicht sicher, ob es Absicht gewesen ist,
dass der Haushaltsausschuss bei diesem Antrag gar nicht
erst mitberaten hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, Sie fordern in Ihrem Antrag,
… bei allen Gebäuden des Bundes im Ausland wie
Botschaften, Konsulaten, deutschen Schulen, GoetheInstituten, EZ-Büros und anderen höchste Standards der Energieeffizienz umzusetzen und bei
Wärme-/Kälte- und Stromerzeugung regenerative
Energien zu nutzen.
Wir sprechen also über nicht weniger als mindestens
228 deutsche Auslandsvertretungen, 147 Goethe-Institute, 117 Auslandsschulen; hinzu kommt das, was im
Antrag als „andere“ bezeichnet wird.
Wenn das wirklich umgesetzt würde, wäre man ganz
schnell im dreistelligen Millionenbereich plus Folgekosten, ohne dass hierdurch die Effizienz und Effektivität
der Arbeit unserer Auslandsvertretungen verbessert
würde. Man muss ernsthaft die Frage stellen, ob dies die
richtige Schwerpunktsetzung ist, ob es nicht dringendere
Probleme gibt.
Dabei kann man bei den deutschen Einrichtungen im
Ausland durchaus auch über bauliche Fragen sprechen.
Jeder von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, kennt
deutsche Auslandsvertretungen und deren Probleme.
Hier einige Beispiele: In der deutschen Botschaft in
Accra gib es zurzeit keine getrennten Damen- und Herrentoiletten mehr, weil einer der Räume als Computerraum genutzt werden muss; das ist der einzige klimatisierte Raum dort. Oder nehmen Sie die Visastelle in
Moskau! Dort sind seit Jahren Großraumbüros in engen
Wohncontainern untergebracht, weil das Kanzleigebäude asbestverseucht ist. Im Sommer ist es unerträglich
heiß und im Winter bitterkalt. Stünde die deutsche Vertretung in Belgrad in Deutschland, wäre sie wegen fehlenden
Tageslichts, lausiger Beleuchtung, völlig unzureichender Brandschutzmaßnahmen und Arbeitssicherheitsmängeln längst geschlossen.
Es gibt noch mehr Beispiele. Wir wissen um die Defizite bei der Erdbebensicherheit einer Reihe von deutschen Auslandseinrichtungen in entsprechend gefährdeten Regionen. In deutschen Auslandsschulen können
viele bauliche Verbesserungen nur durch massives privates Engagement der Eltern bewerkstelligt werden.
Ob es angesichts solcher Zustände wirklich das richtige Zeichen ist, wenn wir einen - durchaus sinnvollen dritten und vierten Schritt vor dem ersten machen, da
habe ich meine Zweifel.
({4})
Zudem bin ich schon heute darauf gespannt, mit welchen konkreten Vorschlägen zur Umsetzung dieses Antrags die Bundesregierung bei den nächsten Haushaltsverhandlungen auf uns zukommen wird.
Ich danke Ihnen.
({5})
Der Kollege Hans-Joachim Fuchtel hat jetzt das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal den Kollegen
Leibrecht beruhigen, der gesagt hat, dass der Haushaltsausschuss nicht vertreten sei: Er steht hier, vertreten
durch mich, vor Ihnen.
({0})
Ich sage Ihnen auch, dass wir diesen Antrag gerade
aus Gründen der Effizienz befürworten. Er kann im Übrigen zwei Schicksale erleiden: Entweder landet er in der
Registratur, oder es wird wirklich etwas gemacht. Wir
von der Koalition werden gemeinsam dafür sorgen, dass
etwas gemacht wird.
Deutschland ist ein Hightechland. Wir alle wissen,
dass der Klimaschutz ein wichtiges Thema ist und dass
wir im Bereich der Energietechnologien führend sind.
Wenn wir das sind, dann sollten wir es mehr zeigen.
({1})
Deswegen sage ich Ihnen: Jede Auslandsvertretung und
jede Botschaft soll eine Energiebotschaft werden.
({2})
Die Grundidee ist exzellent. Alle sind dafür - sogar
die Grünen.
({3})
Sie hätten auch schon auf die Idee kommen können, als
wir einen grünen Außenminister hatten.
({4})
So müssen wir es machen.
Der FDP sage ich: Weil sie gerade keinen Außenminister stellt, würde sie mit der Idee gern noch ein bisschen warten, bis sie den Außenminister mal wieder
stellt. Aber so lange können wir mit dem Thema nicht
warten.
Und wenn ich sage, dass die Grundidee exzellent ist,
dann darf ich hinzufügen: Sie stammt von mir.
({5})
Der Feinschliff stammt allerdings von der Kollegin
Griefahn und den Umweltpolitikern. Sie haben sich ein
bisschen über das Thema unterhalten, bis sie erkannt haben, dass man dafür Geld in die Hand nehmen muss. Wir
haben uns aber, wie üblich in dieser Koalition, zusammengerauft und sind zu einem guten Ergebnis gekommen.
Wenn der Klimawandel die zentrale Herausforderung
des 21. Jahrhunderts ist, dann liegt es doch auf der Hand,
dass man erneuerbare Energien wie Solarenergie, Geothermie, Wind- und Wasserkraft für die Energieversorgung deutscher Einrichtungen im Ausland einsetzt und
damit ihre Priorität unterstreicht.
Die Plattformen dafür sind die deutschen Einrichtungen im Ausland. Ich sage sehr ernst: Die Bundesrepublik
Deutschland muss und wird durch ein klares Bekenntnis
zur Klimaschonung und zu Effizienzkriterien beim Bau
und beim Umbau von deutschen Vertretungen im Ausland effektvoll für den Klimaschutz werben. Das ist die
Idee. Jetzt wird mit dem Antrag begonnen. Die 228 Botschaften und Generalkonsulate, die wir haben, sind aus
unserer Sicht 228 Chancen, mit denen wir diese Situation durch positive Beispiele und durch die Demonstration der heutigen Möglichkeiten verbessern können.
Lieber Herr Staatsminister, Sie müssen zuhören und
sollten nicht nur in den Akten lesen.
({6})
Wir beauftragen die Bundesregierung hiermit, eine
größtmögliche Zahl an Gebäuden des Bundes im Ausland mit modernen Anlagen auszustatten. Die dafür zuständigen Minister werden gebeten - sagen Sie das bitte
den nicht anwesenden Kollegen! -, dies nicht im stillen
Kämmerchen zu tun, Sie werden gebeten, dies nicht als
geheime Staatsaktion durchzuführen, und Sie werden gebeten, daraus keine Doktorarbeiten zu machen, sondern
sichtbar zu handeln.
({7})
Wir wollen nicht nur bessere Bedingungen schaffen,
sondern wir wollen mit dieser Maßnahme einen völlig
neuen Dialog eröffnen. Das haben Sie bisher vergessen.
Sie haben hier ein bisschen flach gespielt. Jetzt kommt
der Überbau dieser Maßnahme.
({8})
Wir wollen, dass auf diese Weise die Klimaschutzziele
auf völlig neue und anschauliche Weise in die Welt hinausgetragen werden. Das ist das Ziel. Wir erwarten also
Demonstrations- und Referenzbeispiele.
({9})
- Ich werde das Mittelständlern erzählen, denen gegenüber Sie immer behaupten, dass Sie Mittelstandspolitik
machen, wenn Sie hier sagen, das interessiere niemanden. Ich kenne viele Mittelständler, die sich um Aufträge
im Ausland bemühen. Wir werden sie alle mit diesen
Maßnahmen unterstützen.
({10})
Das sagt ein Vertreter der FDP. Das hätte ich zu dieser
Stunde nicht erwartet.
Wir erwarten also Demonstrations- und Referenzbeispiele. Wir wollen damit auch die bereits geschaffene
Exportinitiative Erneuerbare Energien des Bundeswirtschaftsministers unterstützen, und wir möchten, dass die
deutsche Wirtschaft auf dem Gebiet der regenerativen
und alternativen Energiegewinnungssysteme durch diese
Maßnahme eine konkrete Unterstützung erfährt. In deutschen Botschaften können künftig Planer, Architekten
und Ingenieure zusammengeführt werden, um sie auf
neue Technologien und deren Anwendungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen. Ich denke dabei nicht unbedingt an Hightechländer in Europa, aber an Länder in
Afrika, in Asien oder an Staaten auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion. Dort sind solche Beispiele sicher
sehr wichtig und können ungeheuer viel bewirken. In
diese Richtung müssen wir gehen.
Es können Foren des Machbaren entstehen; denn was
nicht zur Tat wird - auch das ist wichtig -, das hat keinen Wert. Hier wird etwas durch konkrete Beispiele zur
Tat. Solch eine Maßnahme bringt natürlich auch weitere
Anforderungen mit sich. Künftig muss es zu den Grundkenntnissen eines Diplomaten gehören, dass er auch ein
paar Worte zum Klimaschutz sagen kann. Das ist gar
nicht so falsch, wenn das damit intendiert wird.
Wir erwarten, dass die Energiekonzepte auch für Besucher sichtbar dargestellt werden. Das ist bereits gesagt
worden. Wir erwarten, dass in den Eingangsbereichen
der Botschaften und Residenzen Modelle aufgestellt
werden und dass es auch Führungen für das Publikum
gibt. Wir erwarten, dass für unsere deutschen Technologieanbieter Fachveranstaltungen in neuer Dimension ermöglicht werden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Hier
wird das Ganze auch greifbarer.
Vielleicht können wir uns doch noch verständigen.
Sie haben sich im Ausschuss ja auch nicht dagegen ausgesprochen, sondern sich nur enthalten.
({11})
Ich habe gemerkt, dass Sie im Prinzip auch dafür sind,
dass Sie als Opposition aber ein bisschen dagegen sein
müssen.
Meine Damen und Herren, das Thema kann auch in
einer neuen Dimension als Botschaft herausgearbeitet
werden. Vor diesem Hintergrund sage ich nochmals:
Jede Botschaft muss eine Energiebotschaft werden.
Dem Auswärtigen Amt sage ich Folgendes: Wir haben erst kürzlich über den Rechnungsprüfungsausschuss
und andere Gremien neue Handlungsmöglichkeiten für
Baumaßnahmen eröffnet und dem Auswärtigen Amt
mehr Kompetenzen gegeben. Mit der heutigen Initiative
geben wir dem Auswärtigen Amt neue Handlungsmöglichkeiten für ein Anliegen, hinter dem inzwischen nahezu das ganze Haus steht. Angesichts dessen wird das
Auswärtige Amt auch verstehen, dass hier gehandelt
werden muss. Wenn das ganze Haus hinter der Sache
steht, scheitert es auch nicht an den Finanzen. Es kann
zum einen auf das ohnehin bestehende Sanierungsprogramm zurückgegriffen werden; zum anderen steht ein
Programm mit 120 Millionen Euro zur energetischen Sanierung von Bundesliegenschaften bereit. Ich bin mir sicher, dass weitere erforderliche Mittel und Wege für
diese Investitionsmaßnahme gefunden werden, wenn wir
das in diesem Haus wollen.
Wir erwarten von der Bundesregierung eine schnelle
Umsetzung. So wie man in Berlin einmal die Gropiusbauten und die Siemensstadt zum Vorzeigen geschaffen
hat, so müssen wir jetzt draußen in der Welt etwas auf
diesem neuen Sektor schaffen. Wir erwarten ein flexibles Vorgehen durch intelligente Vergabekonzepte für
die Wirtschaft. Ein solches Vorgehen wird der Bedeutung dieses Anliegens gerecht. Jede Botschaft kann eine
Energiebotschaft werden. Das ist gut für Deutschland
und gut für die Welt.
({12})
Monika Knoche spricht jetzt für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Gestatten Sie, Herr Fuchtel, dass
ich Ihnen Folgendes sage: Mir hat Ihr Hinweis auf das
Wirken des ersten grünen Außenministers in seinem
Amt sehr gut gefallen. Auch ich hatte den Eindruck, dass
ihm dieses Thema sozusagen schnurzegal war.
({0})
Gemessen an den immensen Herausforderungen des
Klimawandels, meine Damen und Herren, nimmt sich
dieser Antrag dann aber doch recht bescheiden aus. Sie
müssen keine Sorge haben: Wir sagen nicht Nein dazu.
Ich frage aber: Wieso müssen wir heute überhaupt darüber
reden, wo doch seit 2007 eine neue Energieeinsparverordnung gilt, für die 120 Millionen Euro bereitgestellt worden sind? Gerne sind wir den Regierungsfraktionen als
Opposition behilflich, diese Mittel aufzustocken; da haben Sie unsere volle Unterstützung.
({1})
Sie haben recht: Deutschland soll im Ausland ein gutes Beispiel geben. Wenn man aber im Ausland überzeugen will, muss man auch im Inland ein gutes Beispiel geben, auch im Rahmen der deutschen Außenpolitik. Der
Klimafrage angemessen wäre es, Sie würden sich erstens
zum Beispiel bei der Weltbank konsequent für eine
Energiewende einsetzen. Die Weltbank, in der unsere
Regierung mitbestimmt, hat aber gerade in den letzten
Jahren ihre Investitionen in Projekte mit fossiler Energie
enorm gesteigert, während die Investitionen in regenerative, erneuerbare Energien stagnieren. Bei der Weltbank
muss Deutschland also für einen Politikwechsel sorgen,
damit sich in den Schwellenländern eine nachhaltig ökologische Entwicklung vollziehen kann.
Überzeugend wäre zweitens, in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit nicht die falsche Infrastruktur
und Verkehrspolitik auf der Basis von Ölverbrauch zu
fördern. Vernünftig wäre es drittens, in Deutschland keines der 26 geplanten neuen Kohlekraftwerke zu bauen
und den ÖPNV massiv auszubauen; das ist notwendig.
All das trägt dazu bei, dem Klimawandel im eigenen
Haus zu begegnen. Denn 60 Prozent der Ölimporte gehen in den Verkehr.
({2})
Probleme sind hier zu lösen; es darf nicht stattdessen auf
die anderen Länder verwiesen werden.
({3})
Klimaziele können nur erreicht werden, wenn man in
der Energie- und Verkehrspolitik Abschied nimmt vom
Wettbewerb, der nichts in ökologische Bahnen lenken
kann. Wir brauchen einen lenkenden Staat, um die Innovationen, die für ein neues Energiezeitalter erforderlich
sind, überhaupt bewerkstelligen zu können.
In Ihrem kleinmütigen Antrag verwenden Sie großmundige Worte:
Deutschland versteht sich als Vorreiter im Klimaschutz.
Verstehe ich das richtig? Hat nicht Frau Bundeskanzlerin
Merkel gerade erst für das größte Klimakillerkraftwerk
Deutschlands in Neurath den Grundstein gelegt? Ist es
nicht die Bundeskanzlerin gewesen, die in der EU daran
mitgewirkt hat, dass keine verbindliche Reduktion des
CO2-Ausstoßes für Autos verabschiedet wurde?
({4})
All das muss man erwähnen, da Sie in Ihrem Antrag
schreiben:
Handeln überzeugt oft mehr als Worte.
Diese Regierung hat, was die eigene Praxis angeht, nicht
das geleistet, was für den Klimaschutz erforderlich ist.
Noch ein Wort zu den Botschaften und Residenzen;
ich kenne einige alte und neue. Für künftige Gebäude
muss gelten: Die berühmtesten Architekten auszuwählen, kann nicht das maßgebliche Kriterium sein. Vielmehr muss sich die Architektur des 21. Jahrhunderts zeigen: Diese kann nur eine Ausrichtung auf Null-EnergieBauten sein. Da geht der Weg lang.
({5})
Übrigens: Manches Bauen im Ausland könnte an die
traditionsreiche Architektur angelehnt werden, die entstand, als es noch keine Klimaanlagen gab. In vielen
Kulturen wurde eine funktionale, repräsentative und ästhetisch hochstehende Architektur geschaffen, die sich in
die Umweltgegebenheiten ökologisch einfügt. Daraus
könnte man lernen.
Nach dieser Debatte hoffe ich sehr, dass Leute in der
Jury des Auswärtigen Amtes oder wo auch immer sitzen,
die der Bedeutung der Ökologie bei Architekturwettbewerben den ersten Platz einräumen.
Danke schön.
({6})
Jetzt hat die Kollegin Uschi Eid für Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Um es
gleich vorwegzusagen: Meine Fraktion stimmt dem Antrag der Koalition zum Einsatz erneuerbarer Energien in
deutschen Einrichtungen im Ausland zu. Genau das - und
nicht erneuerbare Energien in Deutschland - ist das
Thema, Frau Knoche. Ich glaube, Sie haben das Thema
verfehlt.
({0})
Ich freue mich, dass nun auch die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag feststellen, dass der Klimawandel
die Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist.
({1})
Konsequenterweise sind wir gefordert, umfassende und
nachhaltige Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen,
und zwar im Inland und auch im Ausland.
Deutschland ist einer der größten Energieverbraucher
weltweit und gleichzeitig eines der bedeutendsten Industrieländer. Wir stehen in der Verantwortung, Vorreiter einer klimagerechten Lebens- und Wirtschaftsweise zu
sein. Denn wir können nicht von anderen Ländern rasches Handeln für den Klimaschutz einfordern und verlangen, dass sie internationale Klimaschutzabkommen
erfüllen, ohne selbst mit gutem Beispiel voranzugehen und zwar zu Hause, aber auch im Ausland, wo auch immer deutsche Vertretungen und Institutionen angesiedelt
sind.
({2})
Seit Rot-Grün nimmt Deutschland mit seiner Erneuerbare-Energien-Politik im Ausland eine wichtige Vorbildfunktion ein. Die Wachstumsraten der letzten Jahre
haben dem gesamten Sektor zu einem einzigartigen wirtschaftlichen Aufschwung verholfen. Die deutsche Windund Solarindustrie ist weltweit führend.
({3})
Diese Tatsache muss sich auch bei unseren eigenen Auslandseinrichtungen widerspiegeln.
({4})
Die Nutzung regenerativer Energien in allen Gebäuden des Bundes im Ausland ist unerlässlich. Solaranlagen auf den Dächern von deutschen Botschaften, Konsulaten, deutschen Schulen, Goethe-Instituten, GTZ- und
DED-Büros sind energieeffizent und stellen darüber hinaus Demonstrationsobjekte deutscher technologischer
Errungenschaften dar.
({5})
Ein modernes Deutschlandbild lässt sich nämlich
nicht nur durch außenkulturpolitische Instrumente wie
Dialogforen, Kunstkooperationen oder die Förderung
der deutschen Sprache vermitteln, sondern gerade auch
durch den Einsatz moderner Umwelttechnologien in eigenen Gebäuden. Wir sind nicht glaubwürdig, wenn wir
vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern erneuerbare Energien anpreisen, unsere Botschaften, GTZBüros und Goethe-Institute vor Ort aber keinerlei Vorbildwirkung durch die Nutzung von Solarenergie, Geothermie, Wind- oder Wasserkraft oder Kraft-WärmeKopplung haben.
({6})
Gerade in vielen afrikanischen Staaten ist man der
Ansicht, sich nur dann an das Industriezeitalter annähern
zu können, wenn man in Großkraftwerke mit fossilen
Brennstoffen oder sogar in Atomkraft investiert, wie es
zum Beispiel gerade Namibia tut. Wir müssen durch den
Einsatz regenerativer Energien - je nach örtlichen Gegebenheiten - zeigen, dass Gewinnung und Einsatz erneuerbarer Energien modern, zukunftsträchtig und auf technologischem Spitzenniveau sind und sich darüber hinaus
auch rechnen; denn sie sind billiger als das immer teurer
werdende Importöl.
Wichtig ist auch, dass die in dem Antrag angesprochenen Projekte einen Bezug zu den Verhältnissen in den
jeweiligen Ländern haben. Nur so haben sie auch einen
Demonstrationseffekt. Stellen Sie sich vor, der deutsche
Botschafter in Burkina Faso weiht am 3. Oktober, unserem Nationalfeiertag, die Solaranlage auf dem Dach seiner Residenz ein und erklärt, wie viel Kosten er im Vergleich zu seiner Ölheizung langfristig spart. Oder der
GTZ-Experte serviert bei einem Seminar für Bauern im
Norden Vietnams ein Essen, das mithilfe einer Biogasanlage auf dem GTZ-Gelände - das Biogas wurde aus
tierischen Fäkalien aus der Umgebung gewonnen - gekocht wurde.
({7})
- Genau so ist es.
Oder die DEDlerin hat jeden Abend Licht in ihrer
Stube weit draußen in den Steppen der Mongolei und
kann dank ihres Solar-Home-Systems fernsehen und bügeln. Oder stellen Sie sich vor, die nun neu zu eröffnenden Goethe-Institute in Angola oder Tansania würden als
Niedrigenergiehäuser konzipiert. Das alles, Frau Präsidentin, ist möglich. Deswegen ist dieser Koalitionsantrag der richtige Schritt in die richtige Richtung.
Danke schön.
({8})
Vielen Dank. Ich habe es jetzt auch verstanden.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses zum Antrag der Fraktionen von
CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Erneuerbare Ener-
gien, wie Solarenergie, Geothermie, Wind- und Wasser-
kraft, für die Energieversorgung deutscher Einrichtun-
gen im Ausland einsetzen - für Klimaschutz und
Nachhaltigkeit“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/7910, den An-
trag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Druck-
sache 16/7489 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
der Linken bei Enthaltung der FDP-Fraktion ohne Ge-
genstimmen angenommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b
auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer
Brüderle, Martin Zeil, Gudrun Kopp, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der FDP einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkun-
gen
- Drucksache 16/8405 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Martin Zeil, Gudrun
Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Mehr Dynamik und mehr Wettbewerb für die
deutsche Volkswirtschaft - Entflechtungsregelung in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und europäisches Recht integrieren
- Drucksachen 16/4065, 16/5946 Berichterstattung:
Abgeordneter Albert Rupprecht ({1})
Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die Kollegin-
nen und Kollegen Nüßlein, Hempelmann, Zeil, Lötzer
und Dückert.1)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/8405 an den Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie vorgeschlagen. Gibt es dazu
weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so
beschlossen.
Damit kommen wir zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf
Drucksache 16/5946 zu dem Antrag der Fraktion der
FDP mit dem Titel „Mehr Dynamik und mehr Wettbe-
werb für die deutsche Volkswirtschaft - Entflechtungsre-
gelung in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkun-
gen und europäisches Recht integrieren“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
der FDP-Fraktion auf Drucksache 16/4065 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Ge-
genstimmen! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von FDP und Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen.
1) Anlage 3
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
regelung des Verbots der Vereinbarung von
Erfolgshonoraren
- Drucksache 16/8384 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Hier haben die Kolleginnen und Kollegen Gehb,
Strässer, Dyckmans, Nešković, Wieland und Hartenbach
ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 16/8384 an den Rechtsausschuss
vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie Zusatzpunkt 5 auf:
16 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Katja Kipping, Kornelia Möller, Dr. Barbara
Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Innovative Arbeitsförderung ermöglichen -
Projektförderung nach § 10 SGB III zulassen
- Drucksachen 16/3889, 16/5167 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Markus Kurth und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Lokale Entscheidungsspielräume und passge-
naue Hilfen für Arbeitsuchende sichern
- Drucksache 16/8524 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Hier geben die Kolleginnen und Kollegen Peter
Rauen, Gabriele Lösekrug-Möller, Jörg Rohde, Katja
Kipping und Brigitte Pothmer ihre Reden zu Protokoll.3)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/5167, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3889 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der FDP angenommen.
Zusatzpunkt 5. Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 16/8524 an den Ausschuss für
Arbeit und Soziales vorgeschlagen. Sie sind damit ein-
verstanden? - Dann ist so beschlossen.
2) Anlage 4
3) Anlage 5
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Einfuhrverbot für den gentechnisch veränder-
ten Mais MON810 anordnen und den Verkauf
von MON810-Saatgut stoppen
- Drucksachen 16/7835, 16/8399 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Hier haben Dr. Max Lehmer, Elvira Drobinski-Weiß,
Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Kirsten Tackmann und
Ulrike Höfken ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8399, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/7835 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der FDP gegen
die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Jens Ackermann,
Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Mahnungen des Sachverständigenrates ernst
nehmen - Mehr Freiheit wagen
- Drucksachen 16/7112, 16/8263 Berichterstattung:
Abgeordneter Laurenz Meyer ({5})
Es ist vereinbart, die Reden der Kollegen Dr. Michael
Fuchs, Reinhard Schultz, Rainer Brüderle, Dr. Herbert
Schui und der Kollegin Kerstin Andreae zu Protokoll zu
geben.2)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/8263, den Antrag
der FDP auf Drucksache 16/7112 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstim-
1) Anlage 6
2) Anlage 7
men? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalition, des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken gegen die Stimmen der FDP angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Hans-Kurt Hill, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Eon-Netz in die öffentliche Hand übernehmen
- Drucksache 16/8494 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({6})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Es ist hier vereinbart, die Reden der Kolleginnen und
Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer, Rolf Hempelmann,
Gudrun Kopp, Ulla Lötzer und Kerstin Andreae zu Pro-
tokoll zu geben.3)
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 16/8494 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Damit sind Sie einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich komme zu Tagesordnungspunkt 20:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina
Herlitzius, Markus Kurth, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Erwerbsarmut verhindern - Einkommen stärken - Wohngeld jetzt verbessern
- Drucksache 16/8053 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Hierzu haben die Kolleginnen und Kollegen Gero
Storjohann, Sören Bartol, Patrick Döring, Heidrun
Bluhm und Bettina Herlitzius ihre Reden zu Protokoll
gegeben.4)
Es ist verabredet, die Vorlage auf Drucksache 16/8053
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. - Damit sind Sie ebenfalls einverstanden.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke
Hoff, Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Medizinische Versorgung der Bundeswehr an
die Einsatzrealitäten anpassen - Kompetenz-
3) Anlage 8
4) Anlage 9
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
zentrum für posttraumatische Belastungsstö-
rungen einrichten
- Drucksache 16/7176 -
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul
Schäfer ({8}), Inge Höger, Monika Knoche,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Adäquate Behandlungs- und Betreuungskapazitäten für an posttraumatischen Belastungsstörungen erkrankte Angehörige der Bundeswehr
- Drucksache 16/8383 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({9})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Bereits zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die
Kolleginnen Monika Brüning, Petra Heß, Elke Hoff,
Inge Höger und der Kollege Winfried Nachtwei.1)
Hierzu ist ebenfalls verabredet, die Vorlagen, die auf
den Drucksachen 16/7176 und 16/8383 zu finden sind,
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. - Damit sind Sie wiederum einverstanden.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Ute Koczy, Ulrike Höfken, weiterer
1) Anlage 10
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Keine EU-Exportsubventionen für Schweinefleisch in Entwicklungsländer
- Drucksache 16/8404 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({10})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Zu Protokoll gegangen sind die Reden der Kollegin-
nen und Kollegen Anette Hübinger, Dr. Sascha Raabe,
Manfred Zöllmer, Hellmut Königshaus, Heike Hänsel
und Thilo Hoppe.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8404 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Wir sind jetzt am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 14. März 2008, 9 Uhr,
ein.
Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und den
restlichen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.