Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich
begrüße Sie alle herzlich.
Wir setzen unsere Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt II - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2009 ({0})
- Drucksachen 16/9900, 16/9902 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2008 bis 2012
- Drucksachen 16/9901, 16/9902, 16/10426 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({2})
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
Dazu rufe ich den Tagesordnungspunkt II.8 auf:
Einzelplan 04
Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und
des Bundeskanzleramtes
- Drucksachen 16/10404, 16/10423 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Petra Merkel ({3})
Jürgen Koppelin
Roland Claus
Omid Nouripour
Zu diesem Einzelplan liegen drei Änderungsanträge
der Fraktion Die Linke vor.
Wir werden über den Einzelplan 04 später namentlich
abstimmen.
Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, dass wir
im Anschluss an die namentliche Abstimmung über den
Etat des Kanzleramtes den Bundesbeauftragten für den
Datenschutz und die Informationsfreiheit mit Stimmkarte und Wahlausweis wählen werden. Den dafür erforderlichen Wahlausweis können Sie später Ihrem
Stimmkartenfach entnehmen. Die Stimmkarten werden
zu gegebener Zeit von den Saaldienern im Plenarsaal
ausgegeben.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zu diesem Einzeletat dreieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann
können wir so verfahren. Daraus ergibt sich auch eine
relativ übersichtliche angenommene Zeit für die namentliche Abstimmung, die unmittelbar danach folgt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie regieren dieses Land in Zeitlupe. Es ist
höchste Zeit, die Vorspultaste zu drücken, damit in
Deutschland nicht alles einschläft. Ihr Vorgänger wollte
einmal „Politik der ruhigen Hand“ machen. Im Vergleich
zu heute wäre er damit fast ein Zappelphilipp.
({0})
Frau Merkel, Sie haben am Sonntag ein bemerkenswertes Interview gegeben. Mir geht es nicht um die öffentlichen Avancen an uns Liberale. Davon lassen wir
uns nicht einlullen. Sie haben wörtlich gesagt: Wirtschaft ist zum großen Teil auch Psychologie. - Sie haben
vor einer durch Angst angetriebenen Abwärtsspirale gewarnt. Sie sagen im gleichen Atemzug, es werde ein Jahr
schlechter Nachrichten, und Ihr Adlatus Steinbrück
stimmt in die Kassandrarufe gleich mit ein. Fataler geht
es nicht. Vor einem Vierteljahr war Realismus gefragt.
Redetext
Damals hat Schwarz-Rot noch alles schöngeredet. Jetzt,
da die Regierung Zuversicht verströmen müsste, heizt
sie bei den Menschen die Angst an.
({1})
Angesichts solch düsterer Stimmungen halten die Leute
ihr Geld lieber zusammen.
Nicht nur die Opposition sagt: Sie haben die Tiefe
und die Schwere der Wirtschaftslage bis heute nicht erkannt.
({2})
Das sagt man in Frankreich; das sagt man in Großbritannien; das sagt man sogar im Wahlkreis von Herrn
Kauder.
({3})
Jetzt ist handfeste Rezessionsökonomie gefragt. Jetzt
sind die Brot-und-Butter-Themen angesagt. Aber das ist
offensichtlich nicht das Metier dieser Regierung. Wie
man sieht, kann diese Regierung das nicht.
({4})
Die Menschen machen sich wieder Sorgen um ihren
Arbeitsplatz. Es geht inzwischen nicht nur darum, dass
sie Angst haben, dass ihr Erspartes bei der Bank nicht sicher ist, sondern auch darum, dass Zweifel bestehen, ob
sie ihre Kreditzinsen noch pünktlich zahlen können. Als
Reaktion darauf beschließt Schwarz-Rot das Maßnahmenpaket - die Titel sind immer sehr hübsch - „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“. Das
klingt ja putzig. Selbst der Sachverständigenrat der Bundesregierung sagt: Das ist ein Sammelsurium; da haben
die Ressorts zusammengekehrt, was sie schon immer
machen wollten. Es ist aber kein Programm aus einem
Guss, das eine entsprechende Wirkung entfaltet.
({5})
Die Wachstumskräfte hätten Sie schon längst stärken können. In drei relativ guten Jahren haben Sie die
Zeit verplempert, Deutschland fit zu machen. Es war
doch klar, dass dem Aufschwung wieder ein Abschwung
folgt. Auch diese Koalition setzt den Konjunkturzyklus
nicht außer Kraft. Allerdings hat sie keine Vorbereitungen dafür getroffen.
({6})
Der private Konsum dümpelt schon lange. Die Hochsteuerpolitik der Regierung ist dafür verantwortlich. Was
machen Sie? Innerhalb weniger Tage jagt ein Opel-Gipfel den nächsten. Frau Bundeskanzlerin, Sie müssen aufpassen, dass Opel nicht Ihr persönliches Holzmann-Erlebnis wird.
({7})
Die entscheidende Frage ist: Wo ist Schluss mit der Verteilung von Steuergeldern? Die Regierung verfährt frei
nach dem Motto: „Wer will noch mal? Wer hat noch
nicht?“ Man muss in Deutschland nur groß genug sein
und laut genug jammern, dann gibt es Rettungsschirme
in Milliardenhöhe. Die Kleinen werden abgespeist mit
Progrämmchen: ein bisschen mehr Handwerkerrechnungen absetzen, ein bisschen mehr Styropor für die Gebäudesanierung. Nehmen wir einmal Ihre Idee von der
Kfz-Steuer-Befreiung. Sie haben durch die Mehrwertsteuererhöhung die Mittelklassewagen um 600 bis 800 Euro
teurer gemacht. Sie haben die Autofahrer durch Ihre bedenkliche Änderung der Kilometergeldpauschale mit
2,5 Milliarden Euro belastet. Sie erheben 18 Milliarden
Euro Ökosteuer. Denken Sie, dass Sie Menschen dazu
bewegen können, ein neues Auto zu kaufen, wenn sie
200 bis 300 Euro weniger zahlen müssen? Das ist eine
Lachnummer.
({8})
Überhaupt ist bemerkenswert, dass die Bundesregierung mit einer Steuerentlastung von 5 Milliarden Euro
Investitionen und Aufträge in einer Größenordnung von
50 Milliarden Euro initiieren will. Wir haben uns schon
amüsiert, als die Banken von 25 Prozent Rendite geträumt
haben. Was Sie hier vorgaukeln, sind 1 000 Prozent Rendite; Sie gaukeln vor, dass man aus 5 Milliarden Euro
50 Milliarden Euro machen kann. Im Vergleich zu Ihrer
Berechnung sind die Wirtschaftspläne von Lehman
Brothers und Hypo Real Estate noch geradezu solide.
({9})
Wir haben ein klares Antirezessionsprogramm vorgelegt: Vorziehen der vollen steuerlichen Absetzbarkeit
der Krankenkassenbeiträge, Wiedereinführung der Pendlerpauschale, Senkung des Rentenversicherungsbeitrags,
Aussetzen des Gesundheitsfonds - er ist unsinnig - und
Investitionen in die Infrastruktur. Das würde die Wachstumskräfte stärken.
({10})
Karl Schiller wusste noch, dass ein Budget mehr ist,
als einen Ausgleich zu suchen, dass vielmehr Wachstum
und Beschäftigung gefördert werden müssen. Die
Schuhe von Karl Schiller sind für den Finanzminister ein
paar Nummern zu groß. Was Sie machen müssen, ist,
Steuern zu senken, damit die Nettoeinkommen steigen,
damit ein Wachstumsimpuls entsteht. Ihr eigener Wirtschaftsminister sagt: Das wäre das Wirksamste. - Machen Sie es!
Die CDU hat eine neue Idee: Sie will die Steuern in der
nächsten Legislaturperiode senken. Das haben wir schon
einmal gehabt. Damals haben Sie Steuersenkungen versprochen und anschließend die größte Steuererhöhung aller Zeiten durchgeführt. Weshalb sollen die Menschen Ihnen jetzt mehr glauben, Frau Merkel? Senken Sie jetzt die
Steuern! Handeln Sie jetzt, bevor wir tiefer in den Mist
hineingeraten! Sie müssen jetzt handeln.
({11})
Das Wort hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela
Merkel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die internationalen Finanzmärkte sind in diesem Herbst in eine
Krise geraten, wie sie die Welt seit Jahrzehnten nicht erlebt hat. Das betraf auch wichtige deutsche Kreditinstitute. Die Politik hat zu außergewöhnlichen Mitteln greifen müssen. Wir alle haben gespürt, dass hier ein
Lebensnerv unserer Volkswirtschaft in Gefahr geraten
ist. Wir spüren das natürlich umso mehr, weil Deutschland seit jeher eine offene Volkswirtschaft ist. Wir erarbeiten unseren Wohlstand ganz wesentlich auf den Weltmärkten. Es ist deswegen klar, dass wir unsere
Wirtschaft vor den konjunkturellen Folgen der internationalen Finanzkrise nicht abschotten können.
Die Wucht aber, mit der das erfolgt ist, können wir
auch heute noch nicht vollständig abschätzen. Die Politik ist in diesen Wochen und Monaten vor Herausforderungen gestellt, für die es kein Drehbuch gibt. Niemand
von uns kann auf wirklich vergleichbare Erfahrungswerte zurückgreifen. Dies prägt natürlich auch - wie
sollte es anders sein? - die diesjährigen Beratungen zum
Haushalt.
({0})
Wir können nicht alle Entwicklungen voraussagen; das
gehört zur Wahrheit.
({1})
Wir wissen jedoch: 2009 wird ein Jahr schlechter Nachrichten sein. Wir bauen eine Brücke, damit es spätestens
2010 wieder besser wird. Das ist der Ansatz der Bundesregierung, und das ist auch der Ansatz der Mehrheit hier
im Parlament.
({2})
Was ist klar? Klar ist, dass die aktuellen Prognosen
bestenfalls ein marginales Wachstum für das kommende
Jahr voraussagen. Das Bruttoinlandsprodukt wird im
kommenden Jahr um mindestens 27 Milliarden Euro
niedriger ausfallen, als wir alle bis zur Verschärfung der
Finanzmarktkrise durch den Konkurs von Lehman
Brothers erwarten konnten.
Die täglichen Nachrichten, die wir aus der Automobilbranche, aus der Chemie und anderswoher erhalten,
zeigen: Wir stehen vor einer schwierigen Wegstrecke für
Deutschland, für Europa, für alle Industrieländer und für
die Schwellen- und Entwicklungsländer. Zur Dimension
dieser Krise gehört: Es hat selten eine wirtschaftliche
Krise gegeben, die gleichzeitig in den Vereinigten Staaten von Amerika, Europa und Asien stattfand. Das macht
diese ungewöhnliche Herausforderung aus.
Die Bundesregierung wird mit dem Blick nach vorn
das Notwendige tun, auch wenn es natürlich bisherige
Planungen verändert. Außergewöhnliche Umstände erfordern auch besondere Maßnahmen. Dabei gilt: Unser Ziel
ist nicht, die Krise irgendwie zu überstehen, sondern unser
Ziel ist, mit neuen Chancen auf den Weg zu Wachstum
und Wohlstand zurückzukehren. Wir sind überzeugt:
Deutschland ist stark. Ich sage sogar: Deutschland ist
sehr stark. Wir haben weltweit wettbewerbsfähige Produkte. Wir haben einen vitalen Mittelstand. Wir sind
wirtschaftlich so breit aufgestellt wie kaum ein Land in
Europa. Wir haben sorgfältig ausgebildete, leistungsbereite Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir haben
gute Ideen und sind bei vielen Zukunftstechnologien
führend. Wir haben eine vergleichsweise hervorragende
Infrastruktur und eine lebenswerte Umwelt. Auf all das
können wir stolz sein.
({3})
In dieser Krise zeigt sich auch: Die Schritte der Regierungspolitik der letzten drei Jahre waren richtig: die
Reform der Unternehmensteuern, die Verbesserungen in
der Arbeitsmarktpolitik, die Stärkung der Forschungsund Innovationskraft, die Förderung der Umwelttechnologien, der Bürokratieabbau, der im Übrigen ein Entlastungsvolumen bringt, wie es auch eine Unternehmensteuerreform gebracht hat. Wir haben die Finanzen des
Staates konsolidiert. Das alles macht uns stärker, als wir
vor drei Jahren waren.
({4})
Vor allen Dingen - erinnern wir uns doch! -: Wir
Deutsche haben schon in der Vergangenheit große Herausforderungen gemeistert: den Wiederaufbau nach dem
Krieg, den Aufbau in den neuen Bundesländern, einen
Strukturwandel, der aus Agrargebieten und Kohlerevieren
Hightechstandorte gemacht hat, die technologische und
gesellschaftliche Revolution, die zur Wissensgesellschaft führt, nicht zuletzt die jahrelange, zum großen
Teil hausgemachte Stagnation und die Umkehr von einer
Rekordarbeitslosigkeit von 5 Millionen auf heute nur
- immer noch zu viel - 3 Millionen Arbeitslose. All das
sind Erfolge, all das waren Herausforderungen; die haben wir gestaltet, und die haben wir gepackt. Deshalb
werden wir es auch diesmal wieder schaffen.
({5})
All das war jedes Mal ein Beweis für die Lebenskraft
der sozialen Marktwirtschaft. Mit ihrer Hilfe haben die
Menschen, Arbeitnehmer wie Unternehmer, den Wandel
erfolgreich bestanden. Deshalb sind wir jetzt besser vorbereitet auf diese Krise: Wir haben den niedrigsten Stand
der Arbeitslosigkeit seit 16 Jahren, wir haben die
höchste Zahl von Beschäftigten überhaupt - 40,7 Millionen in diesem Herbst -, wir haben einen deutlichen
Rückgang der Lohnzusatzkosten, wir haben ein MaastrichtDefizit von etwa 0 Prozent in diesem Jahr, und wir haben die niedrigste Staatsquote seit der Wiedervereinigung.
Richtig ist: Natürlich wird, weil außergewöhnliche
Umstände eine Antwort brauchen, das Haushaltsdefizit
im kommenden Jahr ansteigen. Jawohl, das tut es. Im
europäischen Vergleich stehen wir trotzdem gut da. Deshalb können wir sagen: Alles in allem sind die öffentlichen Haushalte in Deutschland solide aufgestellt.
Deshalb bleibe ich, auch mit Blick auf die auf uns zukommenden demografischen Veränderungen im nächsten Jahrzehnt, dabei: Das Ziel eines ausgeglichenen
Haushaltes sollte, wenn irgend möglich, in der nächsten
Legislaturperiode erreicht werden. Auch dazu stehen
wir.
({6})
Meine Damen und Herren, beides ist richtig: Wir haben auf der einen Seite Deutschlands grundsätzliche
Stärke und auf der anderen Seite die Dramatik des weltweiten Konjunktureinbruchs. Deshalb braucht es jetzt
vor allem eines: eine Politik des Maßes, der Mitte und
der praktischen Vernunft.
({7})
Das ist das, was wir machen. Dafür brauchen wir Grundsätze, nach denen wir handeln.
({8})
Ich bin der tiefen Überzeugung: Gerade in Krisen muss
man klare Grundsätze und Leitsätze haben, an denen
man sich orientieren kann; und das tut die Bundesregierung.
({9})
Ein erster Grundsatz gilt für den Umgang mit dem Finanzsektor: Der Staat muss dort mit voller Kraft eingreifen, wo die Volkswirtschaft in Gänze und das gesamte
gesellschaftliche Leben unseres Landes in Gefahr geraten. So sehr eine einzelne Bank ein privates Unternehmen ist, so sehr ist das Finanzdienstleistungswesen als
Ganzes ein öffentliches Gut. Es ist nämlich existenziell
für die gesamte Volkswirtschaft. Deshalb war es unumgänglich, in kurzer Zeit mit atemberaubenden Summen
und kürzesten Entscheidungsfristen einzuspringen. Ich
glaube, hier haben die Bundesregierung, der Bundestag
und der Bundesrat sich der Herausforderung gestellt und
gezeigt, dass sie sie bewältigen können.
({10})
Wo stehen wir heute? Es sind Anträge auf Garantien
in Höhe von 100 Milliarden Euro eingegangen. Wir haben insgesamt ein Volumen von 400 Milliarden Euro dafür vorgesehen. Zugleich liegen Anträge auf Rekapitalisierungshilfe in Höhe von 10 Milliarden Euro vor. Sie
erinnern sich: Wir haben hierfür 80 Milliarden Euro vorgesehen. Das heißt also, das Maßnahmenpaket wird
Schritt für Schritt angenommen. Die Entscheidungen,
die zu fällen sind, sind oft nicht einfach. Sie müssen mit
der notwendigen Sorgfalt gefällt werden; denn im Rückblick wird man fragen: Habt ihr das alles richtig entschieden? Gleichzeitig muss natürlich zügig gehandelt
werden.
Weil viele angesichts der 500 Milliarden Euro für die
Banken fragen: „Was habt ihr für uns, die kleinen Unternehmen und die Mittelständler?“, möchte ich an dieser
Stelle noch einmal wiederholen: Wir haben dieses Paket
nicht für die Banken gemacht. Wir haben dieses Paket
für unsere Volkswirtschaft, für die kleinen, mittleren und
großen Unternehmen und für die Sparerinnen und Sparer
gemacht. Das war die erste Aktion zur Rettung unserer
Wirtschaft.
({11})
Wir müssen heute konstatieren: Das Vertrauen zwischen den Banken ist noch nicht wieder so weit hergestellt, wie wir uns das wünschen. Deshalb zwei Zurufe
an die Finanzmarktteilnehmer: Erstens. Man sollte nicht
aus falschem Prestigedenken eine wettbewerbsfähige eigene Kapitalisierung verhindern oder nicht in Anspruch
nehmen.
({12})
Wir haben das Paket gemacht, damit die Banken wettbewerbsfähig bleiben. Zweitens ist es die Pflicht der Finanzinstitutionen, Unternehmen ausreichend mit Krediten zu
versorgen. Beide Aufgaben stehen im Raum und müssen
erfüllt werden.
({13})
Die Folge dieser Finanzmarktkrise ist ein scharfer
Wachstumseinbruch, qualitativ ein ganz anderer Wachstumseinbruch, als wir ihn in einem auslaufenden Konjunkturzyklus gehabt hätten. Diesen qualitativen Unterschied
müssen wir bei unseren Beratungen berücksichtigen,
wenn wir die richtigen Antworten finden wollen.
Das führt mich zum zweiten Grundsatz: Für uns geht
es bei der Wirtschaft um Hilfe zur Selbsthilfe, um das
Bauen von Brücken. Worum es nicht geht, sind dauerhafte Produktsubventionen oder gar die Verhinderung eines notwendigen Strukturwandels.
({14})
Das kann der Staat nicht. Deshalb ist dieser zweite
Grundsatz wichtig.
Das heißt also, unsere Maßnahmen bilden eine Brücke für Investitionen, für Beschäftigung, insbesondere
auch für unsere Fachkräfte, bis der Aufschwung wieder
aus eigener Kraft trägt. Alle Ökonomen sagen uns, diese
Maßnahmen sollten unmittelbar wirksam und zeitlich
befristet sein. Deswegen führen wir zum Beispiel für
zwei Jahre die degressive AfA ein. Wir haben gesagt
- es ist richtig -: bis zur Unternehmensteuerreform eine
degressive AfA, Ersetzung durch die Unternehmensteuerreform und jetzt mit den Abschreibungsmöglichkeiten
zusätzliche Hilfen, befristet auf zwei Jahre.
Wir wissen natürlich auch: Damit eine solche Maßnahme und andere Maßnahmen, die von uns angeregt
werden, überhaupt wirken können, brauchen die Unternehmen eine sichere Kreditversorgung. Diese ist heute
durch die Finanzinstitutionen nicht gewährleistet. Deshalb haben wir gesagt, dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau ein neues Finanzierungsinstrument auflegen
wird, mit dem wir private Investitionen und Betriebsmittel im Umfang von insgesamt 20 Milliarden Euro absichern. Die Ausfallhaftung wird weitgehend von der Kreditanstalt für Wiederaufbau getragen, damit wir den
Banken, Sparkassen und Raiffeisenbanken Risiken abnehmen, die sie zurzeit vielleicht nicht tragen können.
Ich sage hier: Die Anträge können ab Montag gestellt
werden. Das ist in vielerlei Hinsicht wichtig. Vielleicht
ist dies eines der wirksamsten Mittel, um geplante Investitionen in dieser Zeit doch durchführen zu können.
({15})
Wir haben eine weitere Brücke vorgeschlagen: die
Verlängerung des Kurzarbeitergelds. Hier geht es darum,
dass Fachkräfte nicht entlassen werden, dass wir die Zeiten für Qualifizierung nutzen. Die Bundesagentur für
Arbeit wird an genau dieser Stelle ansetzen. Natürlich
war es richtig, dass wir gesagt haben: Wir wollen zusätzliches Personal einstellen, das sich mit der Vermittlung
und mit der Qualifizierung von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern befasst. Gerade auch die KfW-Programme werden an dieser Stelle sehr wichtig sein; denn
wir wissen aus vielen Einzelbeispielen, dass die Unternehmen, die Kurzarbeitergeld in Anspruch nehmen
wollen, die Sozialversicherungsabgaben bezahlen müssen, dies oft nicht aus eigener Kraft leisten können und
deshalb einen Kredit dafür bekommen müssen. Ansonsten würde das Kurzarbeitergeld völlig ins Leere laufen.
Bei dem zweiten Grundsatz und der Frage „Wie helfen wir der Wirtschaft?“ gibt es auch besondere Fälle.
Ein solcher Fall könnte Opel sein. Wir beraten darüber;
wir wissen überhaupt noch nicht, ob hier eine Bürgschaft
in Anspruch genommen werden müsste. Dieses Unternehmen könnte aber allein wegen einer Mutter in den
Vereinigten Staaten von Amerika, die in noch viel größeren Schwierigkeiten ist, in Schwierigkeiten geraten sein.
Wir werden Opel deshalb keine Subventionen geben;
aber ich halte es allemal für legitim, eine Brücke zu
bauen, damit Opel als überlebensfähiger Automobilbauer nicht an den Schwierigkeiten der amerikanischen
Mutter scheitert. Wir werden das vernünftig machen.
({16})
Wir wissen, dass die Automobilbranche - eine
Kernbranche der Bundesrepublik - in einer schwierigen
Situation ist. Deshalb haben wir die Aussetzung der KfzSteuer beschlossen. Deshalb werden wir die Kfz-Steuer
zügigst durch eine CO2-Verbrauch-Steuer ersetzen. Ich
glaube, dass die Bundesregierung die hierfür notwendigen Informationen hat, sodass wir das sehr schnell schaffen können. Wir werden natürlich auch die ökologische
Weiterentwicklung der Automobilbranche fördern, auch
durch Kredite der Europäischen Union bei der Europäischen Investitionsbank. Ich füge hinzu: Wir müssen bei
den anstehenden Klimaverhandlungen in Brüssel, wo
gerade der Trilog mit dem Europäischen Parlament stattfindet, darauf achten, dass wir nicht durch unsinnige
Strafvorschriften im Bereich der CO2-Reduktion am
Ende das wieder einreißen, was wir durch Hilfsmaßnahmen für die Automobilindustrie erreichen. Ich glaube,
hier sind wir auf einem guten Weg.
({17})
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit
den Chancen, die aus der Krise erwachsen, sind für den
Standort Deutschland auch die Kommunikationsnetze
von entscheidender Bedeutung. Ob wir ein moderner
Standort sind, wird sich unter anderem daran erweisen,
ob wir auch in den ländlichen Räumen in absehbarer Zeit
eine vernünftige Breitbandversorgung hinbekommen.
Deshalb sage ich: Lasst uns aus dieser Krise die Chance
machen, dass in drei Jahren jeder Haushalt in Deutschland einen Breitbandanschluss bekommen kann, wenn er
das möchte, ob er sich in einem Ballungsgebiet oder in
einer ländlichen Region befindet!
({18})
Ich weiß von den Betreibern, dass sie bereit sind, zu investieren. Aber das ist ein klassischer Fall, in dem wir
auch die Europäische Union benötigen. Wir brauchen
nämlich einen Regulierungsrahmen, in dem sich diese
Investitionen lohnen. Bevor der Fall eintritt, dass noch in
10 oder 20 Jahren im ländlichen Raum keine Investitionen in diesem Bereich getätigt werden, lasse ich lieber
Wettbewerbsausnahmen für fünf Jahre zu, um die nötige
Versorgung zu erreichen, damit wir nicht nur Autobahnen und Schienenwege, sondern auch Breitbandanschlüsse im ganzen Land haben.
({19})
Die öffentliche Debatte, die in Krisenzeiten naturgemäß dadurch geprägt ist, dass viele um eine Meinungsbildung ringen, zeigt: So hochvermögend die gesamten
Ratschläge sein mögen, sie sind unterschiedlich, wie sie
unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Sachverständigenrat hat uns in seinem Gutachten zu Investitionen aufgefordert
({20})
und steuerliche Maßnahmen für nicht sinnvoll gehalten.
Der IWF warnt uns vor Mehrwertsteuersenkungen. Die
OECD empfiehlt schnelle Investitionen. Die Europäische Union wird heute ein Paket vorschlagen, in dem gerade Mehrwertsteuersenkungen gefordert werden.
Was zeigt das? Es zeigt, dass wir einen Weg - ich
wiederhole es - des Maßes und der Mitte gehen sollten,
der auch für die Situation in der Bundesrepublik
Deutschland maßgeschneidert ist.
({21})
Deshalb werden wir uns zunächst am europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt ausrichten, nach dem erst
einmal die automatischen Stabilisatoren wirken sollen,
und dann werden wir darüber hinausgehen. Die Bundesregierung hat Vorschläge in Bezug auf Verkehrsinvestitionen gemacht, ganz im Einklang im Übrigen mit dem
Sachverständigenrat, der allerdings sehr viel größere
Summen ansetzt. Gespräche mit dem Verkehrsminister
machen deutlich: Die Mittel für zusätzliche Maßnahmen
im Bereich Infrastruktur können im nächsten Jahr verbaut werden.
({22})
Wir werden die Planungen beschleunigen, so gut wir das
können, und dann werden wir weiter in Infrastruktur investieren. Es hat aber keinen Sinn, 10 Milliarden Euro in
den Haushalt einzustellen, um am Ende des Jahres
festzustellen, dass 8 Milliarden Euro nicht verbaut wurden. Deshalb gehen wir realistisch an die Sache heran.
({23})
Wir haben gesagt, dass der Privatisierungskurs fortgesetzt werden wird. Aber bei den augenblicklichen
Kursen an den Aktienmärkten würde eine Privatisierung
bedeuten, Bundesvermögen zu verschleudern. Deshalb
verschieben wir Privatisierungsvorhaben; das ist nicht
als Abkehr zu verstehen.
Zur Wahrheit gehört auch: Staatliches Handeln stößt
in der Wirtschaft an seine Grenzen. Da dürfen wir uns
nichts vormachen. Der Auslandsumsatz der deutschen
Chemie liegt bei gut 55 Prozent. Drei von vier Autos, die
in Deutschland hergestellt werden, gehen in den Export.
Der deutsche Maschinenbau exportiert 75 Prozent seiner
Produkte. Wenn auf dem amerikanischen Markt der Absatz um 30 Prozent einbricht, wie das im Oktober der
Fall war, dann wird deutlich: Wir können nicht alle globalen Trends mit nationalen Mitteln bekämpfen. Vielmehr ist gemeinsames europäisches Vorgehen gefragt.
Eine Investition in den Strukturfonds der Weltbank zur
Ankurbelung von Investitionen in Schwellen- und Entwicklungsländern kann genauso sinnvoll sein wie eine
Maßnahme im eigenen Land. Deshalb wird die Bundesregierung immer ein Vorgehen auf diesen drei Ebenen
- national, europäisch und weltweit - praktizieren.
({24})
Mit Blick auf die jetzt stattfindende Entwicklungsländerkonferenz in Doha sage ich: Wir müssen gerade in
dieser Zeit auch schauen, dass Länder, die auf dem Pfad
des wirtschaftlichen Wachstums waren - die afrikanischen Länder haben in den letzten Jahren mit einem
Wachstum von durchschnittlich etwa 5 Prozent zum
Weltwachstum beigetragen -, jetzt nicht im Stich gelassen werden und damit das Gesamtwachstum auf der
Welt rapide sinkt. Nicht die europäischen Länder waren
die Wachstumstreiber auf der Welt, sondern die Schwellenländer und die Entwicklungsländer. Genau dahin
müssen wir wieder kommen.
({25})
Aber natürlich können wir national einiges tun. Deshalb setzen wir das fort, was wir erfolgreich begonnen
haben: ökologische Gebäudesanierung, Handwerkerbonus und Bauvorhaben bei den Kommunen. An dieser
Stelle will ich noch einmal sagen: Deutschland ist - anders als andere europäische Länder - ein föderaler
Staat. Unsere Maßnahmen sind immer die Summe von
Maßnahmen auf der Bundesebene plus der Länderebene
plus der kommunalen Ebene. Ich weiß, dass viele Bundesländer jetzt zusätzliche Maßnahmen planen. Das ist
auch richtig so. Die Steuereinnahmen der Länder sind
nicht schlechter als die des Bundes. Ich habe die Bitte,
dass die finanziellen Haushaltsspielräume der Kommunen vielleicht etwas mehr genutzt werden,
({26})
damit wir zu dem Punkt kommen, dass notwendige Investitionen vor Ort durchgeführt werden können. Das
kann mehr bewirken als das, was wir von der Bundesebene aus tun können.
({27})
Der Bund stellt in den Jahren 2009 und 2010 rund
32 Milliarden Euro aus dem öffentlichen Gesamthaushalt zur Verfügung. Das allein ist schon mehr als 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit wird die Bundesregierung Investitionen und Aufträge von privaten
Haushalten und Kommunen an Unternehmen in Höhe
von rund 50 Milliarden Euro auslösen. Wir können natürlich den psychologischen Fehler machen, dass wir all
das kleinreden, was wir tun. Ich rate uns nicht dazu.
({28})
Wenn es richtig ist, dass Psychologie eine Rolle spielt,
Herr Brüderle, dann sollten wir die Wahrheit benennen,
aber wir sollten auch das, was wir tun, nach vorne tragen wenn möglich, gemeinsam. Sie können ja sagen, es
reicht nicht. Aber dass Investitionen von 50 Milliarden
Euro nichts sind, kann man nicht sagen. Ich bitte deshalb
darum, dies positiv zu vertreten.
({29})
Heute wird die Europäische Kommission ihre Vorschläge vorlegen. Darüber wird auf dem Rat im Dezember intensiv zu diskutieren sein. Wir haben die Kommission am 7. November gebeten, uns solche Vorschläge zu
machen. Wir werden sicherlich auch eine strittige Diskussion haben. Aber ich glaube, Deutschland liegt absolut im Trend, wenn die Kommission uns nahe legt, dass
wir mindestens 1 Prozent unseres Bruttoinlandproduktes
in konjunkturelle Maßnahmen stecken sollten.
Ich bitte auch darum, dass wir nicht immer sozusagen
in einen Wettlauf um Milliarden verfallen, sondern vielleicht ab und zu darüber nachdenken, dass man auch
ohne Geld manches machen kann. Ich nenne eine flexiblere Handhabung der Strukturfonds, damit es nicht jedes
Jahr Rückflüsse in Milliardenhöhe gibt, nur weil die
Gelder, die die Europäische Kommission bereitstellt, in
Bulgarien, in Rumänien oder in den neuen Bundesländern nicht verbaut werden. Das darf jetzt nicht passieren.
Deshalb ist es richtig, dass die Europäische Kommission
sagt: Wir wollen hier flexibler herangehen, wir wollen
Maßnahmen vorziehen, wir wollen in dieser Phase das
Geld, das wir haben, wirklich ausgeben.
({30})
Wir bitten auch darum - da bin ich mit den Kommissionsvorschlägen noch nicht ganz zufrieden -, dass die
Beihilferegelungen für kleine und mittlere Unternehmen gelockert werden. In der gegenwärtigen Situation
müssen wir unendlich viel Zeit aufbringen, weil alles,
was über 200 000 Euro Förderung liegt, unter die Deminimis-Regel fällt und damit in Brüssel erst langwierig
genehmigt werden muss. Wenn wir diesen Grenzwert für
eine bestimmte Zeit verdoppeln, dann wird der europäische Binnenmarkt nicht zusammenbrechen, aber die mittelständischen Unternehmen werden wieder leichter
investieren können, und staatliche Beihilfen - auch von
der Länderebene - werden besser auf den Weg gebracht
werden können.
({31})
Ich plädiere dafür, dass wir im Sinne eines einheitlichen Energiemarktes dazu übergehen, dass wir unser
Hochspannungsnetz in Europa ausbauen. Dazu gehören insbesondere die verschiedenen Interkonnektoren
zwischen den verschiedenen Ländern. Das könnte neben
dem Ausbau des Breitbandnetzes ein gutes europäisches
Vorhaben sein.
Natürlich werden die Klimaverhandlungen auf dem
Rat im Dezember nicht abgekoppelt von der Diskussion
über die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten Europas
stattfinden können. Ich sage hier ganz eindeutig: Ich
glaube nicht, dass es richtig wäre, die gut begründeten
Klimaziele der Europäischen Union aufzugeben. Bis
2020 20 Prozent Reduktion der CO2-Emissionen und
20 Prozent Anteil an erneuerbaren Energien: Das war
unser Ziel, und das bleibt unser Ziel.
({32})
Wie wir dann im Einzelfall den Auktionshandel mit
CO2-Zertifikaten für die energieintensive Industrie zwischen 2013 und 2020 angesichts der Tatsache, dass es
außerhalb Europas noch kein einziges Zertifikatesystem
in großem Ausmaß gibt, ausstatten, muss verhandelt
werden, und zwar so, dass nicht ökologisch vernünftige
Chemie-, Stahl- und andere Arbeitsplätze aus Europa abwandern, weil wir ein falsches Zertifikatesystem vereinbart haben. Es hat mit der Zielerreichung überhaupt
nichts zu tun, sondern mit dem gesunden Menschenverstand, dass man nicht Arbeitsplätze aufs Spiel setzt,
wenn man solche Maßnahmen macht.
({33})
Wir sind natürlich erfreut, dass der gewählte amerikanische Präsident den Eindruck erweckt, dass er offener
gegenüber dem Klimaschutz ist. Wir haben in diesem
und im nächsten Jahr viel Gelegenheit, das abzuchecken.
Aber wir brauchen natürlich weltweit ein vergleichbares
Wettbewerbsfeld. Ansonsten würden wir unsere Stärken
wirklich schwächen.
Meine Damen und Herren, ein dritter Grundsatz. Uns
geht es vor allen Dingen auch darum, die Mitte in unserem Land zu stärken, das heißt die Arbeitnehmer, die Familien, die engagierten Älteren, den leistungs- und verantwortungsbewussten Mittelstand. Dazu brauchen wir
natürlich wo immer möglich finanzielle Entlastungen
der Menschen. Aber wir dürfen an dieser Stelle auch die
Nachhaltigkeit nicht aus dem Auge verlieren. Ich will
nur daran erinnern: Ein Treiber der jetzigen Krise war
die Tatsache des zu billigen Geldes in den Vereinigten
Staaten von Amerika. Ich will hier nicht verhehlen, dass
ich mir erhebliche Sorgen mache, ob wir durch ein bestimmtes Verhalten in manchen Teilen - dazu gehört
auch Amerika - diesen Trend vielleicht wieder verstärken und in fünf Jahren wieder davorstehen und sagen:
Nun haben wir die gleiche Krise.
({34})
Deshalb plädiere ich an dieser Stelle für den Weg von
Maß und Mitte, der immer der Weg der sozialen Marktwirtschaft war und der sich auf die lange Frist bewährt
hat. Es ist so: Wenn man in den letzten Jahren Amerikaner getroffen hat - das gilt zum Teil auch für Briten -,
dann haben sie sich über unsere knappen Anstiege der
Durchschnittsgehälter lustig gemacht. Dann haben sie
gesagt: Ihr könnt doch ganz andere Renditen machen.
Warum geht ihr nicht in die Vollen? Wir sind nicht in die
Vollen gegangen. Ich gebe zu: Auch die CDU war damals gegen die Mindestbesteuerung. Die Mindestbesteuerung hat sich heute als ein Element herausgestellt,
das zeigt, warum wir in Europa, die Deutschen, keine
Verluste aus Amerika zugeschoben bekommen, sondern
diese eher an andere Länder gehen. Denn man muss hier
auf den Gewinn erst einmal einen Teil Steuern zahlen,
bevor man ihn dann mit den Verlusten verrechnen kann.
Das ist ein klassischer Weg von Maß und Mitte, den ich
aus der heutigen Sicht für richtig halte.
({35})
Deshalb Entlastung wo immer möglich. Wir haben
die Lohnzusatzkosten gesenkt. Aber bitte keine Entlastungen, die das Zeichen der nächsten Steuererhöhung
schon wieder auf der Stirn tragen.
Wir entlasten Familien - ({36})
- Man kann ja mal etwas dazulernen.
({37})
Das soll auch bei der Sozialdemokratie schon vorgekommen sein. Ich finde das nicht so schlimm. Ich möchte
jetzt nur die Aufmerksamkeit für die Familien haben.
Wir entlasten Familien durch die Erhöhung der Kinderfreibeträge und des Kindergeldes. Wir werden die
volle Absetzbarkeit der Aufwendungen für die Krankenversicherung einführen. Das alles wird, wenn es voll
wirksam sein wird, noch einmal eine Entlastung von
14 Milliarden Euro mit sich bringen.
Die Möglichkeit des Wirtschaftswachstums und damit steigender Löhne in diesem Jahr wird dazu führen,
dass die Rentnerinnen und Rentner im nächsten Jahr
eine gewisse Rentensteigerung erwarten können. Die
Höhe kann man nicht voraussagen; aber im Altersvorsorgebericht der Bundesregierung wird gesagt: Das Versorgungsniveau im Alter wird weiter ansteigen, nicht
absinken. Das ist eine ganz wichtige Botschaft an diejenigen, die unser Land aufgebaut haben und die natürlich
auch nicht aus unserem Blickfeld geraten dürfen.
({38})
Ich will dann auch noch sagen, dass sich in den letzten fünf Monaten in der Gesamtdiskussion, die sich massiv verändert hat, natürlich auch die Rolle der Energiepreise dramatisch geändert hat. Was wir im Sommer
sozusagen als Höchstpreise für Energie diskutiert haben,
kann in der augenblicklichen Konjunktursituation als
Entlastungsmoment für die privaten Haushalte gesehen
werden. Deshalb können wir insgesamt davon ausgehen,
dass die Mittel, die für den Binnenkonsum, für den privaten Konsum, zur Verfügung stehen, im nächsten Jahr
um etwa 0,4 Prozent steigen. Das sind knapp 6 Milliarden Euro. Auch das ist etwas, was uns in der jetzigen
Konjunkturschwäche helfen wird.
Es gibt einen vierten Grundsatz - den dürfen wir in
diesen Zeiten nicht aus den Augen verlieren -: Es geht
darum, dass wir uns jetzt besonders anstrengen, dass
Gerechtigkeit und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft erhalten bleiben. Da geht es um langfristige Investitionen, zum Beispiel um Investitionen in Bildung. Ich
will noch einmal daran erinnern, dass wir auf unserem
Bildungsgipfel eine ganz klare Zielmarke gesetzt haben,
die für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands von essenzieller Bedeutung ist. Neben der Tatsache, dass wir bis
2010 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung
und Innovation ausgeben werden - wir sind mit diesem
Haushalt bei fast 2,9 Prozent, also auf einem wirklich erfolgreichen Pfad -, wollen wir bis 2015 10 Prozent des
Bruttoinlandprodukts für Forschung und Bildung ausgeben. Das ist eine anspruchsvolle Quote. Ich sage aber
auch: Das ist eine notwendige Quote.
Wir haben mit der gemeinsamen Qualifizierungsinitiative für Deutschland als Bundesregierung auf allen
Stufen des Bildungslebens neue Impulse gesetzt: von der
frühkindlichen Bildung über Schule, Ausbildung und
Studium bis hin zur berufsbegleitenden Weiterbildung.
Wir haben in Dresden einiges erreicht: Die verbindliche
Feststellung des Sprachvermögens vor der Einschulung
in allen Bundesländern bis 2010 ist eine Verpflichtung
der Bundesländer. Der Bund wird das durch Sprachkurse
für die Eltern von Migrantenkindern flankieren. Es gibt
jetzt eine festgeschriebene Verpflichtung der Länder, die
Zahl der Schul- und Ausbildungsabbrecher zu halbieren.
Wir haben beschlossen, dass die Berufsorientierung an
allen allgemeinbildenden Schulen verbindlich sein wird.
Das ist eine Verabredung zwischen Bund und Ländern,
die es in dieser Weise bisher noch nicht gegeben hat und
die natürlich zeigt, dass Bund und Länder an der Schnittstelle zwischen Schul- und Berufsleben zusammenarbeiten müssen. Für Hauptschulabschlüsse wird eine
vertiefte Berufsorientierung angeboten, und wer seinen
Hauptschulabschluss im normalen Schulgang nicht erreicht, hat einen Anspruch auf Förderung durch die Bundesagentur für einen nachträglichen Abschluss. Wir setzen auf bessere Aufstiegschancen durch bessere
Übergänge, Aufstiegsstipendien und die Öffnung von
Hochschulen für beruflich Qualifizierte nach dem
Motto: Jedem eine Chance geben, aus eigener Kraft weiterzukommen.
Ich darf Ihnen sagen: Ein solches umfassendes Konzept von Bund und Ländern hat es in der Geschichte der
Bundesrepublik noch nicht gegeben. Das war eine richtige Initiative, auch wenn noch nicht alle davon überzeugt sind, dass das der richtige Weg ist.
({39})
Wir haben mit dem Nationalen Integrationsplan einen Prozess angestoßen. Wir können jetzt wirklich sagen
- das hat sich beim dritten Integrationsgipfel gezeigt -:
Von der Kommune über die Integrationsministerkonferenz bis hin zum Bund ist das Thema Integration nicht
mehr irgendein Nebenthema, sondern ein Teil unseres
gesellschaftlichen Engagements, und das ist auch richtig
so.
Die soziale Marktwirtschaft hat nie nur in Sektoren
gedacht, sondern sie hat immer das Zusammenwirken
von Ökonomie, Sozialpolitik und ethischen Grundlagen
im Blick gehabt. Dabei geht es um eine gesellschaftspolitische Dimension, die nach meiner Ansicht in dieser
tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise von außerordentlicher Bedeutung ist. Es muss wieder klarer werden, dass
die soziale Marktwirtschaft eine Ordnung der Verantwortung und des Maßhaltens ist. Nur dann kann der
Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit überhaupt glaubhaft gelebt werden. Deshalb geht es um eine Wirtschaftskultur, in der der unauflösliche Zusammenhang von
Freiheit und Verantwortung gerade von jenen vorgelebt
wird, die über Macht und Einfluss verfügen, von jenen
also, die in besonderem Maße Gestaltungsfreiheit in unserer Gesellschaft haben. Ich bin der festen Überzeugung: Es ist die Aufgabe der Politik - nicht nur der Politik, aber auch der Politik -, diese dringend notwendige
gesellschaftliche Debatte mit neuer Energie voranzutreiben und auch Widerstände dabei in Kauf zu nehmen.
({40})
Wir werden erleben, dass wir bei allen Fehlentwicklungen viele sehr verantwortungsvolle Unternehmer haben, gerade im persönlich haftenden Mittelstand. Wir
haben verantwortungsbewusste, engagierte Bürgerinnen
und Bürger und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Es sind die Bürger und die Arbeitnehmer dieses Landes,
die mit ihrer Leistung den Löwenanteil am Aufschwung
der letzten Jahre erarbeitet haben. Wir können - davon
bin ich fest überzeugt - auf diese Kraft bauen.
Deshalb werden uns diese vier Grundsätze leiten, die
dazu führen, dass wir den Zusammenhalt in der Gesellschaft erhalten, und zwar dadurch, dass wir den Einzelnen stärken, der Wirtschaft Brücken bauen und da, wo
unser Gemeinwesen vollständig in Gefahr ist, mit aller
Kraft eingreifen.
Wir müssen uns natürlich die Frage stellen: Was ist
das Neue in der augenblicklichen Situation? Ich glaube,
wir alle miteinander haben noch nie so deutlich gespürt,
wie sehr die Wirtschaft auf nationaler Ebene, auf europäischer Ebene und auf internationaler Ebene vernetzt
ist. Die schlichte Wahrheit ist: Detroit und Rüsselsheim
liegen eben nicht mehr auf getrennten Kontinenten.
({41})
Sie liegen, was die Krise anbelangt, dicht nebeneinander.
Die Sorgen des Hausbesitzers in Kalifornien und die
Sorgen des Facharbeiters in Ludwigshafen nähren sich
aus ein und derselben Wurzel von Intransparenz und
Maßlosigkeit. Die Hoffnungen dieser Menschen ruhen
auf den gleichen Kräften: einer international geordneten
sozialen Marktwirtschaft.
({42})
Deshalb müssen wir nicht nur unsere nationale Antwort nach den von mir dargestellten Leitsätzen ausrichten, sondern auch die internationale Antwort. Deshalb
war der Finanzgipfel mit den 20 führenden Industriestaaten notwendig. Er war auch ein historisches Ereignis,
weil Menschen mit ganz unterschiedlichen Kulturen,
wirtschaftlichen Entwicklungen und Lebensstandards
zusammengesessen haben und sich ihrer gemeinsamen
Verantwortung bewusst geworden sind. Wir haben dort
nicht nur diskutiert, sondern wir haben auch 50 Maßnahmen beschlossen. Wir werden uns Anfang April wieder
treffen. Die Finanzminister werden diese Maßnahmen
umsetzen, damit sie wirksam werden. Ich kann nur sagen: Wir dürfen angesichts aller Schwierigkeiten der
Wirtschaft nicht vergessen, was die Ursache war, und
wir müssen die Lehren daraus ziehen. Denn wir würden
vor der Geschichte versagen, wenn uns so etwas wieder
passiert. Ungeregelte Märkte führen ins Unglück. Wir
brauchen eine Ordnung auch auf globalem Niveau.
({43})
Wir werden dies im Rahmen der Offenheit unserer
Gesellschaft tun. Offenheit hat Deutschland stark gemacht. Deshalb gibt es die feste Absicht, die Welthandelsrunde noch in diesem Jahr zu einem Ende zu bringen
und die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Denn wir wissen: Nur ein offener und fairer Handel auf
der Welt wird die Wachstumskräfte wieder stärken und
die Sicherheit geben, die wir für die wirtschaftliche Entwicklung brauchen.
An dieser Stelle erleben wir noch etwas anderes, nämlich wie sehr die klassische Sicherheit mit der Sicherheit
des Wirtschaftens heute vernetzt ist. Wenn wir über offene Märkte sprechen, sprechen wir über Transportwege,
über sichere Transportwege. Dann sind wir schnell bei
einem ganz anderen Thema, das sich mit Piraterie und
anderen Fragen beschäftigt, bei dem die Bundesregierung natürlich auch ihre Verantwortung wahrnehmen
wird. Denn was nützt uns ein freier Handel, wenn man
mit einem Schiff nicht dahin kommt, wohin man will?
({44})
So hängen innere und äußere Sicherheit und die Fragen
von sicherem Wirtschaften und Sicherheit insgesamt im
Sinne einer zivilen Sicherheit aufs Engste zusammen,
und die alten Trennlinien passen nicht mehr.
({45})
Deshalb sind wir in Afghanistan engagiert. Deshalb
müssen wir uns mit dem Iran und seinem Nuklearprogramm befassen. Deshalb haben wir die Aufgabe, bei
unseren Entwicklungsanstrengungen nicht etwa nachzulassen, sondern sie zu stärken. Ich glaube, die Bundesrepublik und die Bundesregierung sind mit ihrem Ansatz
der vernetzten Sicherheit auf einem richtigen Weg. Wir
werden diesen Ansatz auch auf dem NATO-Gipfel im
April nächsten Jahres, der in Deutschland und Frankreich gleichermaßen stattfindet, vorantreiben. Rein militärische Aktionen helfen nicht, aber ohne militärische
Aktionen werden wir die Sicherheit auch nicht gewährleisten. Deshalb werden wir für diesen Ansatz werben.
Wir haben dafür schon eine große Mehrheit erhalten.
Meine Damen und Herren, Deutschland und Europa
stehen vor völlig neuen Aufgaben, die wir vor wenigen
Monaten so noch nicht gesehen haben. Es ist eine Stärke
unserer Gesellschaft, dass wir schneller als andere Fehlentwicklungen korrigieren können. Ich bin der Überzeugung, dass es keine andere Ordnung gibt als die der
sozialen Marktwirtschaft, die darauf die richtigen Antworten gibt. Offen für den Wandel, für Innovation, für
die Initiative des Einzelnen, für die Leistungsbereitschaft der Vielen, für die Hilfe für Hilfebedürftige und
für das Verantwortungsbewusstsein aller - das ist das,
was uns leitet. Wenn wir das beherzigen, wenn wir auf
dem Fundament aufbauen, das Deutschland stark gemacht hat, dann werden wir aus dieser Krise gestärkt
hervorgehen.
Herzlichen Dank.
({46})
Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch nach der Diskussion der letzten Wochen bleiben wir dabei: Es handelt sich bei der Finanzmarktkrise
nicht um eine technisch-ökonomische Krise. Es handelt
sich um eine Krise unserer Wirtschafts- und Sozialordnung. Diese Bemerkung bezieht sich nicht allein auf die
Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, sondern auf die Weltwirtschaft.
({0})
Wenn ich von einer Krise der Wirtschafts- und Sozialordnung spreche, dann geht es nicht nur um ökonomisch-technische Vorgänge. Es geht auch um die Wertorientierung der Gesellschaft. Daher ist es zu begrüßen,
dass jetzt auch in anderen Parteien und Fraktionen eine
Debatte darüber beginnt, ob die Wertorientierung der
Gesellschaft in den letzten Jahren überhaupt gestimmt
hat. Wenn beispielsweise wieder die Grundsätze des ehrbaren Kaufmannes beschworen werden, dann kann man
wohl eines sagen: Auf den internationalen Finanzmärkten herrschten vielleicht viele Grundsätze, aber niemals
die Grundsätze des ehrbaren Kaufmannes.
({1})
Wir hatten in den letzten Jahrzehnten die Ausbreitung
einer gesellschaftlichen Philosophie, der Philosophie des
Neoliberalismus. Der Neoliberalismus ist eine Einstellung, eine Art Alltagsreligion. Diese Alltagsreligion beruht auf bestimmten Denkfiguren und auf Denktraditionen, die heute noch lange nicht überwunden sind. Wenn
öffentlich kommentiert wird, der Neoliberalismus sei gescheitert, dann stimme ich dem, bezogen auf die Ergebnisse, zu.
({2})
Ich stimme aber niemals der Auffassung zu, seine
Denktraditionen und seine Denkfiguren seien bereits gescheitert, denn Denktraditionen und Denkfiguren, die
über Jahrzehnte geprägt wurden, können nicht von heute
auf morgen überwunden werden. Deshalb ist die Kernfrage heute die, ob wir denn die Grundsätze und Leitsätze haben, die uns in die Lage versetzen, die jetzige
Krise zu überwinden. Über diese Kernfrage muss heute
debattiert werden.
({3})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eben sehr richtig
darauf hingewiesen, dass man Grundsätze und Leitsätze
haben muss, um eine solche Krise zu überwinden. Wir
sind aber der Überzeugung, dass Sie die falschen Grundsätze und Leitsätze haben und dass Sie daher nicht in der
Lage sind, diese Krise zu überwinden. Das prognostiziere ich hier.
({4})
Ich möchte dies an dem Ergebnis des Gipfels der
G 20 beleuchten. Natürlich war dort die Absicht, zu regulieren. Natürlich hat man näher hingeschaut: Was wird
denn jetzt das Ergebnis dieses Gipfels sein? Natürlich
hat man nicht erwartet, dass dort bereits ein Ergebnis
wie nach dem Gipfel von Bretton Woods vorliegen
würde. Aber es gab zwei Feststellungen, die sehr bedenklich sind und die ich hier werten möchte. Die eine
Feststellung im Hinblick auf die Ordnung der Finanzmärkte ist: Wir müssen weiterhin marktwirtschaftliche
Grundsätze berücksichtigen. Die andere Feststellung ist:
Wir werden weiter am freien Kapitalverkehr festhalten.
Dazu möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Wenn Sie
weiterhin dem Irrtum unterliegen, dass Finanzmärkte genauso wie Gütermärkte zu behandeln seien, dann wird
die Krise nicht überwunden werden können. Wenn Sie
am freien Kapitalverkehr festhalten, dann legen Sie
schon jetzt die Grundlage dafür, dass es in einiger Zeit
die nächste Finanzmarktkrise mit allen Folgen geben
wird. Mit diesem Problem sind wir heute konfrontiert.
({5})
Grundlage dieser Fehlentscheidungen ist aber der
Neoliberalismus. Der Neoliberalismus hat zu der heutigen Krise geführt.
({6})
Der Neoliberalismus beruhte auf drei Prinzipien: Erstens
forderte er die Deregulierung. Heute reden alle von Regulierung. Zweitens forderte er die Privatisierung. Wir
fordern wieder öffentliche Verantwortung für die Bereiche der Daseinsvorsorge. Statt Privatisierung fordern wir
eine Wirtschaftsdemokratie mit Mitbestimmung und Belegschaftsbeteiligung. Das ist ein anderes gesellschaftliches Konzept.
({7})
Drittens und vor allen Dingen forderte der Neoliberalismus die Flexibilisierung. Wir fordern stattdessen Arbeitsplätze - jetzt kommt das Entscheidende; davon war
heute aber noch gar nicht die Rede -, auf deren Grundlage man das eigene Leben planen kann, eine Familie
gründen und auch ernähren kann. Das ist die Herausforderung, über die wir heute sprechen müssen.
({8})
Nun komme ich zum ersten Punkt, zur Deregulierung. Was hat man in den letzten Jahren alles dereguliert! Zunächst wurden die Wechselkurse freigegeben.
Dazu höre ich von dieser Regierung seit Wochen überhaupt nichts. Man hat den Eindruck, als habe sie gar
nicht begriffen, dass wir derzeit weltweit Währungskrisen haben, die auch auf die deutsche Volkswirtschaft zurückschlagen. Wenn es nicht gelingt, diese Währungskrisen einzudämmen, dann werden wir in Zukunft immer
wieder solche Währungskrisen erleben. Ich verstehe einfach nicht, dass die Bundesregierung keine Vorschläge
vorlegt, um diese Krisen zumindest einzudämmen, wenn
nicht gar zu bewältigen.
({9})
Zweitens: Der Kapitalverkehr wurde freigegeben.
Da man daran festhalten will, stellt sich die Frage: Wie
will man bei freiem Kapitalverkehr verhindern, dass
zum Beispiel die Krise einer amerikanischen Großbank
auf die ganze Welt übergreift? Ich war gestern bei einer
Veranstaltung, auf der die These geäußert wurde, dass
man Lehman Brothers pleitegehen ließ, weil man
wusste, dass diese Großbank am intensivsten mit den
Volkswirtschaften anderer Länder verflochten ist.
Ist denn niemand auf die Idee gekommen, dass man
auch Brandschneisen braucht, wenn man einen Flächenbrand verhindern will? Wie sollen diese Brandschneisen
im internationalen Finanzsystem aussehen? Reicht es
aus, ständig nur alte Forderungen, beispielsweise nach
mehr Transparenz und besserer Kontrolle, wiederzukäuen, ohne konkret zu werden?
({10})
Die dritte Deregulierung, die durchgeführt wurde
- sie ist nach wie vor vorhanden -, betrifft die Steueroasen. Sie können auf nationalstaatlicher Ebene so viel
regeln und festlegen, wie Sie wollen. Wenn Sie die Steueroasen weiterhin nicht stilllegen, dann wird es in Zukunft so weitergehen wie in den vergangenen Jahren.
Dann werden Sie nichts erreichen. Ich wundere mich,
dass davon überhaupt nicht die Rede ist.
({11})
- Es ist ziemlich unhöflich, dass auf der Regierungsbank
gequatscht wird, wenn man hier versucht, ein anderes
Konzept vorzustellen; das will ich in aller Klarheit sagen.
({12})
Wir haben im Parlament gewisse Spielregeln.
({13})
Es wäre wünschenswert, dass auch Sie etwas zu
Wechselkursen, freiem Kapitalverkehr oder Steueroasen
sagen würden.
Man hat Ratingagenturen zugelassen, und man hat zugelassen, dass diese Ratingagenturen von denen finanziert werden, die die Nutznießer der Testate sind. Welche
Konsequenz hat man aus der Feststellung, dass dies
schiefgegangen ist, gezogen? Ende der 80er-Jahre wurden bei uns die Prüfmechanismen abgeschafft, die die
Kundinnen und Kunden der Banken davor geschützt haben, dass ihnen ein Vertreter falsche Papiere andreht.
({14})
Welche Konsequenz ziehen wir heute daraus? Vor einiger Zeit hat die Vorgängerregierung ein Gesetz vorgelegt, durch das diejenigen geschützt werden sollten, denen falsche Papiere angeboten wurden. Dieses Gesetz ist
aber auf Druck der Finanzindustrie zurückgezogen worden. Angesichts der schlechten Erfahrungen, die insbesondere alte Leute, denen man Lehman-BrothersPapiere und Ähnliches angedreht hat, gemacht haben,
wäre es an der Zeit, dieses Gesetz jetzt erneut vorzulegen.
({15})
In diesem Zusammenhang geht es um zwei Punkte:
Erstens. Solche Papiere müssen wieder testiert werden,
und zwar von staatlicher Seite, nicht von Agenturen, die
von den Banken bezahlt werden. Zweitens. Was die Verjährungsfrist betrifft, kann man gerade bei Produkten,
die zur Altersvorsorge erworben werden, nicht von einem Jahr ausgehen, sondern man muss eine Verjährungsfrist von mindestens drei, wenn nicht sogar von
zehn Jahren einführen, um die Kundinnen und Kunden
zu schützen.
({16})
In Deutschland wurde auf nationaler Ebene eine
ganze Reihe von Deregulierungsmaßnahmen durchgeführt. Dazu hört man von Ihnen kein einziges Wort. Ihre
ganzen Bekenntnisse zur Regulierung sind völlig unglaubwürdig. Wir haben Sie gefragt: Was haben Sie für
mehr Deregulierung unternommen? Daraufhin haben Sie
eine ganze Reihe von Maßnahmen vorgetragen - aus
Zeitgründen nenne ich nur einige -: die Zulassung der
Hedgefonds, die Zulassung der Verbriefungen und die
Zulassung der Zweckgesellschaften.
Würden Sie eine Lehre aus den jüngsten Entwicklungen ziehen - dass Sie dies nicht tun, ist bedauerlich -,
({17})
dann würden Sie jetzt ankündigen, dass Sie diese Deregulierungsmaßnahmen zurücknehmen. Sonst sind all
Ihre Bekenntnisse zur Regulierung völlig unglaubwürdig. Es wäre das Einfachste von der Welt, diese Gesetze
jetzt einzukassieren, nachdem wir festgestellt haben,
dass diese Mechanismen nicht funktionieren.
Der nächste Punkt ist die Privatisierung. Ich habe die
öffentliche Verantwortung für die Bereiche der Daseinsfürsorge und eine Wirtschaftsdemokratie mit Mitbestimmung und Belegschaftsbeteiligung dagegengestellt. Das
ist ein ganz anderer gesellschaftspolitischer Ansatz.
Sie haben die öffentlichen Einrichtungen in großem
Umfang privatisiert, und die Bundeskanzlerin hat hier
gesagt - deswegen sage ich, dass Sie weiterhin auf der
Basis der Grundsätze des Neoliberalismus operieren -,
dass Sie zum Beispiel bei der Bahn die Privatisierung
fortsetzen wollen. Das heißt, Sie nehmen die Konsequenzen überhaupt nicht wahr; denn Privatisierung bedeutet eine massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Menschen, die in den privatisierten
Unternehmen beschäftigt sind.
({18})
Wenn man diese Konsequenzen nicht wahrnimmt, dann
kann man natürlich weiterhin an diesen Vorstellungen
festhalten.
Das Fatalste war - das möchte ich hier einmal ansprechen - die Privatisierung der Sozialversicherungssysteme. Ich habe bei der letzten Debatte gehört - ich will
das gar nicht an bestimmten Namen abarbeiten -, dass
die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme nichts
mit der Finanzmarktkrise zu tun habe. Wer übersieht,
dass die Ansammlung von Geld in privaten Fonds weltweit eine der Ursachen der Finanzmarktkrise ist, der hat
überhaupt nichts verstanden.
({19})
Diese Privatisierung der Sozialversicherung ist unverzüglich zurückzunehmen - das ist die Forderung unserer
Fraktion -, weil sie nicht nur in Chile, Argentinien oder
den Vereinigten Staaten zu nachteiligen Entwicklungen
führt, wo plötzlich viele ältere Leute mit leeren Händen
dastehen, sondern auch bei uns, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über Gebühr belastet werden
und weil ihnen letztendlich keine sichere Basis für das
Leben im Alter gegeben wird. Deshalb ist die Privatisierung der Sozialversicherungssysteme zurückzunehmen.
({20})
Sie haben die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne beschlossen. Das war nicht die jetzige Mehrheit, sondern das war eine andere Mehrheit. Mittlerweile
hat man dankenswerterweise erkannt - das taucht in einigen Papieren auf -, dass das ein Fehler war. Wenn man
das erkannt hat, dann sollte man aber auch die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehen.
({21})
In einer Welt, in der Private-Equity-Gesellschaften Unternehmen kaufen und wieder verkaufen und in der
Hedgefonds Unternehmen kaufen, ausschlachten und
wieder weiter verkaufen, können wir die Gewinne aus
diesen Verkäufen nicht auch noch steuerfrei stellen. Damit reizen wir diesen Menschenhandel doch gerade erst
an. Deshalb ist die Steuerfreiheit zurückzunehmen.
({22})
Sie haben die Vermögensteuer abgeschafft. Das hat
natürlich Konsequenzen für die Verteilung von Einkommen und Vermögen in unserer Gesamtgesellschaft.
({23})
- Ja.
({24})
- Ich stelle hier fest: Der Kollege Poß ist unschuldig an
der Abschaffung der Vermögensteuer. Er wollte das
nicht. Das war eine andere Mehrheit. Wenn ich das Wort
„Sie“ gebrauche, dann kann ich Sie, Herr Kollege Poß,
nicht immer ausklammern. Ausnahmsweise möchte ich
das hier aber einmal feststellen.
({25})
Das ändert aber nichts an dem Sachverhalt, dass dieser
Wegfall der Vermögensteuer natürlich zu einer ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen in
Deutschland geführt hat.
Herr Kollege Poß, jetzt möchte ich Ihnen dann doch
eine Antwort geben.
({26})
Wenn Sie angesichts dieser Entwicklung die Erbschaftsteuer so regeln, wie sie jetzt geregelt wird, mit dem Ergebnis, dass Milliardäre entlastet werden, dann haben
Sie überhaupt nichts von dem Aufbau und der Liquidität
der internationalen Finanzmärkte verstanden.
({27})
Unter den Bereich Privatisierung fällt auch die Absicht, die Staatsquote sinken zu lassen. Die Bundeskanzlerin war sehr stolz darauf, dass die Staatsquote sehr
niedrig ist. Man kann ja dieser Auffassung sein, aber
dann muss man auch wissen, was es heißt, wenn die
Staatsquote niedrig ist. Frau Bundeskanzlerin, solange
Sie der Meinung sind, eine niedrige Staatsquote sei erstrebenswert, können Sie sich Ihre Bildungsgipfelchen
wirklich sparen; denn eine niedrige Staatsquote bedeutet
nun einmal weniger Geld für Bildung im Vergleich zu
anderen Ländern, die eine höhere Staatsquote haben. Die
Grundrechenarten sollte man in der Regierung doch zumindest noch kennen.
({28})
Eine niedrige Staatsquote bedeutet natürlich auch weniger Leistungen für diejenigen, die soziale Leistungen
beziehen. Das ist nun einmal die Folge einer niedrigen
Staatsquote. Deshalb sage ich: Orientieren Sie sich doch
einmal an den Ländern, die in den Bereichen Bildung
und soziale Sicherung erfolgreich arbeiten. Wenn Sie
einfach nur die internationalen Statistiken zur Kenntnis
nehmen, dann werden Sie feststellen, dass diese Länder
anders an dieses Problem herangehen. Die Entstaatlichung Deutschlands in den letzten Jahren war ein
schwerer Fehler und hat bei vielen Leuten zu Armut geführt. Nehmen Sie das doch endlich einmal zur Kenntnis.
({29})
Diese Entwicklung hin zur Privatisierung - insbesondere verbunden mit der Senkung der Unternehmensteuer, die die Kanzlerin vorhin auch wieder ganz stolz
angeführt hat - hat dazu geführt, dass in Deutschland
teilweise nur 25 Prozent der Gewinne reinvestiert worden sind. Die Frage ist doch: Was ist mit den übrigen
75 Prozent geschehen? Ist Ihnen denn nicht zu vermitteln, dass dies eine der Ursachen dafür ist, dass wir beispielsweise jetzt Unternehmen haben, deren Gewinn
größer ist als der Umsatz? Ist denn nicht klar, dass die
Gelder nicht mehr in die Investitionen gehen, sondern in
die internationale Spekulation? Sie bauen doch das alles
mit auf, ziehen aber nicht die geringste Konsequenz daraus.
({30})
Das ist die Fehlentwicklung, die wir in den nächsten Jahren bitter zu spüren bekommen werden; das prognostiziere ich an dieser Stelle.
Deshalb sagen wir, dieser Privatisierung, die die
Grundlage dafür ist, dass sich die ungleiche Verteilung
von Einkommen und Vermögen dramatisch entwickelt
hat, ist ein anderer Ansatz vorzuziehen: Wir wollen wieder eine stärkere Beteiligung der öffentlichen Hand. Wir
wollen insbesondere eine Wirtschaftsdemokratie, die die
Beschäftigten in weitaus stärkerer Form als derzeit an
den Entscheidungen und an den Erträgen der Unternehmen beteiligt.
({31})
Nun komme ich zu dem größten Flurschaden, den der
Neoliberalismus angerichtet hat - ich meine nicht den
Ordoliberalismus, Herr Kollege Brüderle;
({32})
wenn genügend Zeit da wäre, könnte ich mich dazu äußern -: Das ist die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte.
Dies ist eines der törichtsten und verhängnisvollsten
Wörter, die das Denken und Handeln vieler bestimmt haben und die zu enormen Schäden für viele Menschen in
Deutschland geführt haben. Nun nenne ich diese Schäden.
Erstens. Wer von der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte spricht, der durchlöchert gerne und zuerst einmal
die Tarifverträge mit all den Folgen für das Lohndumping, das wir in Deutschland beklagen.
({33})
Zumindest müsste doch festgestellt werden, dass wir alle
Anstrengungen unternehmen müssen, um wieder einen
geregelten Arbeitsmarkt zu haben, was die Höhe der Bezahlung angeht.
Zweitens. Sie waren stolz auf Mini- und Midijobs,
die eingerichtet worden sind. Das hatte ja vielleicht einmal einen Sinn, als einige Studenten und Pensionäre beschäftigt worden sind, um Zeitungen auszutragen oder
auszuhelfen. Da mag das einen Sinn gehabt haben. Dass
aber einzelne Unternehmen aus Gründen der Lohnkostensenkung jetzt flächendeckend Mini- und Midijobs in
Millionenzahl ausgebaut haben, ist die Ursache dafür,
dass es heute Menschen gibt, die ihr Leben nicht mehr
planen können und die, wenn man so will, schlicht und
einfach aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt werden.
Genau das wollen wir nicht.
({34})
Dies sind falsche Grund- und Leitsätze, mit denen Sie
die Krise niemals bewältigen können.
Der dritte Punkt ist die Leiharbeit. Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Charta der Menschenrechte steht, ein Grundsatz weltweit sei: gleicher Lohn
für gleiche Arbeit. In dem Moment, in dem Sie die Leiharbeit ausufern ließen und zuließen, dass es so gehandhabt wurde, wie es jetzt geschieht, verstießen Sie sogar
gegen die Charta der Menschenrechte. Sie reden von
Werten. Ja, wo ist denn Ihre Wertorientierung an dieser
Stelle? Da wäre ich doch konkret, dann würde man sie
nachvollziehen können. Wer nichts gegen die Leiharbeit
tut und zusieht, wie Hunderttausende Leiharbeiter jetzt
in der Gefahr sind, ihren Job zu verlieren, wobei viele
Tausende ihn schon verloren haben, der hat überhaupt
keine Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise gezogen.
({35})
Das ist das Ärgerliche an dieser Stelle. Warum legen
Sie nicht ein Gesetz vor, um diese Menschen in Zukunft
zu schützen? Was soll denn das ganze Gerede von der
Wertorientierung, wenn Menschen darunter leiden, dass
sie einfach hinausgeworfen werden, weil sie keine
Rechte haben, Sie aber nichts vorlegen, um das zu ändern, obwohl auch die große Mehrheit der Bevölkerung
der Auffassung ist, dass hier etwas geändert werden
muss?
Dann gibt es die befristeten Verträge. Meine sehr
geehrten Damen und Herren, das Leben der Menschen
muss planbar sein. Der große Soziologe Richard Sennett
sagte, wenn die Arbeitsverhältnisse so organisiert werden, wie Sie sie organisiert haben, dann führt dies zur
Zerstörung des Charakters
({36})
- stellen Sie sich doch einmal diesem Vorwurf -, weil
das Leben nicht mehr planbar ist, jedes menschliche Leben sich aber in beschützten Bereichen vollziehen muss.
Wer also die Ausweitung der befristeten Arbeitsverträge
zu verantworten hat, weil er an das neoliberale Credo der
Flexibilisierung geglaubt hat, der hat großen Flurschaden bei den Menschen angerichtet und ist mitverantwortlich dafür, dass in Deutschland keine Familien mehr gegründet werden.
({37})
Welcher junge Mensch kann denn noch eine Familie
gründen, wenn er Angst haben muss, dass er in einem
halben Jahr hinausfliegt? Warum sehen Sie diese Zusammenhänge nicht? Warum sehen Sie nicht, wie das ineinandergreift?
Dann sind wir aufgrund dieser verheerenden Arbeitsmarktpolitik, die der falschen neoliberalen Philosophie
geschuldet ist, mittlerweile das Land mit dem größten
Niedriglohnsektor unter den Industriestaaten. Niedriglohnsektor heißt nun einmal: ein Jahreseinkommen von
15 000 Euro oder weniger oder ein Monatseinkommen
von etwa 1 000 Euro. Es lässt sich zwar leicht sagen:
„Das ist immerhin etwas“. Aber dann sollten Sie auch
erklären, wie eine Familie mit zwei Kindern bei solchen
Einkommensverhältnissen gut leben können soll. Das
Entscheidende ist, dass wir das ohne Not getan haben;
denn alle anderen Staaten weisen andere Zahlen auf. Es
ist verwerflich, dass wir die einzigen waren, die den
Niedriglohnsektor so fleißig ausgeweitet haben. Deshalb
müssen Sie endlich etwas tun. Führen Sie endlich den
gesetzlichen Mindestlohn ein, damit wir wenigstens
von unten die Dinge in den Griff bekommen!
({38})
Selbst wenn Sie diese Zusammenhänge nicht sehen,
gilt: Wer bei Leiharbeit, befristeten Arbeitsverträgen und
beim gesetzlichen Mindestlohn nichts tut, hat nichts von
der internationalen Finanzmarktkrise und ihren verheerenden Auswirkungen auf die Volkswirtschaften - auch
in Deutschland - verstanden.
({39})
Dazu gehört auch die Zumutung durch Hartz IV. Die
Zumutbarkeitsklausel hat erwartungsgemäß zum Rutschen der Löhne nach unten geführt. Das haben die Befürworter mittlerweile auch zugegeben. Sie haben zugegeben, dass sie genau das erreicht haben, was sie
wollten. Die Löhne sind in Deutschland immer weiter
gesunken. Das beschäftigt einen vielleicht nicht, wenn
man nicht selbst betroffen ist. Aber es sind viele Menschen davon betroffen, und es werden immer mehr. Deshalb müssen wir diese verhängnisvolle Rutschbahn
schließen.
Wir müssen aufhören, die Menschen zu zwingen, weit
unter ihrer Qualifikation und zu jedem angebotenen
Lohn zu arbeiten. Das ist geradezu eine Einladung, in
Deutschland weiter Lohndumping zu betreiben und den
Niedriglohnsektor immer weiter auszubauen.
({40})
Ursache für die Verwerfungen auf den Finanzmärkten
sind zwei Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft und in
den Volkswirtschaften, zu denen wir - also die Mehrheiten, die diese Gesetze beschlossen haben - wesentlich
beigetragen haben. Das eine ist das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht. Ich habe vorhin die Wechselkurse
angesprochen. Wie soll man zu richtigen Schlussfolgerungen kommen, wenn man das nicht einmal sieht?
Wir sind aufgrund des außenwirtschaftlichen Ungleichgewichtes, zu dem wir mit beigetragen haben und
das dazu geführt hat, dass wir wie Japan in großem
Umfang Exportüberschüsse und Leistungsbilanzüberschüsse haben, als erste gehalten, Konjunkturprogramme aufzulegen, um die Weltwirtschaft zu stabilisieren.
({41})
Warum sehen Sie diese Zusammenhänge nicht? Warum begreifen Sie das nicht? Wir sind als erste dazu verpflichtet, weil wir Waren produziert haben, die im Saldo
eigentlich in anderen Ländern hätten produziert werden
müssen. Das heißt, wir haben Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaftet. Welche Länder sind denn jetzt als
erste gefordert, die Weltwirtschaft zu stabilisieren? Das
sind doch nicht diejenigen, die große Defizite angehäuft
haben, sondern diejenigen, die Überschüsse erzielt haben. Das heißt, Sie versagen an dieser Stelle auf der ganzen Linie, und das wird in Europa so gesehen: von
Frankreich bis in die anderen europäischen Staaten.
({42})
Das zweite Ungleichgewicht besteht bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen. Die jüngsten
Zahlen werden immer eindeutiger. Aufgrund der falschen Philosophie, die Sie vorhin wieder vorgetragen
haben, werden sich die Einkommen und Vermögen immer weiter auseinanderentwickeln. Sie haben ja alles dafür getan: steuerlich und durch Ihre Arbeitsmarktgesetzgebung.
Marktwirtschaft und soziale Marktwirtschaft funktionieren aber nicht ohne ein gewisses Gleichgewicht zwischen Einkommen und Vermögen in einer Volkswirtschaft. Die Ursache für die derzeitige Krise ist auch
darin zu suchen, dass dieses Gleichgewicht empfindlich
gestört wurde. Während eine Minderheit immer höhere
Einkommen und größere Vermögen angesammelt hat,
hat die große Mehrheit mit stagnierenden Löhnen und
stagnierenden Renten zu tun. Das ist eine der Ursachen
für die ökonomische Schwäche, die Deutschland derzeit
aufweist.
({43})
Die Frage, wie man diese Krise bekämpfen kann, ist
sehr einfach zu beantworten. Man muss dort ansetzen,
wo man bisher Fehler gemacht hat. Es ist richtig, dass
Sie die degressive Abschreibung jetzt wieder einführen. Die Linke hat über Jahre dafür gekämpft und entsprechende Anträge eingebracht, die immer wieder abgelehnt wurden. Wir erkennen aber an, dass Sie diesen
Schritt jetzt gehen. Denn dahinter steht die Philosophie,
nicht den spekulierenden, sondern den investierenden
Unternehmer zu belohnen. Aber dazu bräuchte es eine
andere Steuergesetzgebung.
({44})
Es ist auch richtig, dass das Kurzarbeitergeld verlängert wird. Denn das ist eine bessere Lösung als Leiharbeit, bei der die Leiharbeiter wieder entlassen werden,
oder befristete Arbeitsverträge, bei denen die Menschen
sehr schnell wieder auf der Straße stehen.
Das alles ist richtig. Aber dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, jetzt den Banken vorwerfen, sie seien Kaltblüter
im Winter, wirft die Frage auf, warum Sie selbst sich bei
der Bekämpfung der Konjunkturkrise so kaltblütig im
Winter verhalten und die Politik der ruhigen Hand praktizieren. Während China 8 Prozent und die Vereinigten
Staaten 2 Prozent des Bruttosozialproduktes einsetzen,
um die Konjunkturkrise zu bekämpfen, halten Sie mit
0,15 Prozent dagegen und sagen: Vielleicht werden wir
irgendwann etwas anders machen. Das ist nichts anderes
als ein klägliches Versagen. Sie haben die Dimension
nicht erkannt.
({45})
Wir werden dies mit einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit bezahlen müssen, für den Sie persönlich
dann die Verantwortung tragen, und zwar aufgrund der
zögerlichen Bekämpfung der konjunkturellen Krise.
Glauben Sie nicht, dass die anderen Volkswirtschaften aus Leichtfertigkeit mit großen Summen antreten,
um den Einbruch zu bekämpfen! Erinnern Sie sich der
Tatsache, dass wir als Erste verpflichtet sind, ein Konjunkturpaket zu schnüren, um den dramatischen Anstieg
der Arbeitslosigkeit zu stoppen! Ich sage Ihnen - ich
greife Ihren Satz auf -: Es stimmt, dass man diese Krise
nur auf der Grundlage richtiger Grundsätze und Leitsätze bekämpfen kann. Solange aber nach wie vor die
Philosophie des Neoliberalismus mit Deregulierung,
Flexibilisierung, Privatisierung und Senkung der Staatsquote Ihr Handeln bestimmt, so lange werden Sie die
Krise verschärfen und nicht bekämpfen.
({46})
Nächster Redner ist der Kollege Peter Struck für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Debatte über den Bundeshaushalt 2009, die
wir gerade führen, ist, wenn ich richtig gezählt habe, die
56. Debatte, die ich seit 1980 miterlebe. Seit 28 Jahren
bin ich MdB. Pro Jahr gibt es in der Regel eine erste Lesung bei der Einbringung des Haushaltsentwurfs und im
September die zweite und dritte Lesung. Als Mitglied
des Haushaltausschusses, als Erster Parlamentarischer
Geschäftsführer, als Fraktionsvorsitzender und als Minister ist mir der Ablauf einer solchen Debatte überhaupt
nicht neu: Die Regierung und die sie stützenden Koalitionsfraktionen loben sich für die gute Politik. Die Oppositionsfraktionen beklagen die hohen Steuern und die
hohen Schulden, fordern mehr Ausgaben für soziale und
andere Zwecke und versprechen, alles besser zu machen,
wenn der Wähler sie nur ließe. Das ist die Normalität.
In diesem Jahr ist aber die Debatte über den Haushalt
2009 völlig anders. Der gesamte Finanzmarkt ist nach
der ersten Lesung im September dieses Jahres weltweit
wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Ganze
Industrien sind in ihrer Zukunft bedroht. Viele Menschen hierzulande befürchten, in diesen Strudel hineingerissen zu werden. Wer jetzt der Koalition vorwirft, sie
gebe das Ziel der Nullverschuldung auf, blendet die Realität völlig aus. Noch absurder wird es dann, wenn die
Krokodilstränen um den ausgeglichenen Haushalt mit
überhitzten Forderungen nach immer gigantischeren
Konjunkturprogrammen gepaart werden. Mit Leerverkäufen sind die Finanzmärkte gecrasht. Mit Leerversprechen ist der Realwirtschaft überhaupt nicht zu helfen.
({0})
Die Menschen haben ein Recht darauf, von uns zu erfahren, wo der Staat helfen kann und wo er nicht helfen
kann, wo er überfordert ist. Die Reihenfolge der Regierung war genau richtig: Zuerst haben Bundeskanzlerin
Merkel und Finanzminister Steinbrück klargestellt, dass
der Staat für die Sicherheit der Spareinlagen steht.
({1})
Damit hat die Regierung um Vertrauen bei den Bürgern
geworben und verhindert, dass sie massenhaft ihre Konten kündigen und damit den Geldverkehr zum Erliegen
bringen. Umgekehrt: Wenn es nicht eine Instanz gegeben
hätte, die den Sparern Vertrauen geschenkt hätten, hätte
das Abräumen der Konten uns alle das Fürchten gelehrt.
Insofern ist die schnelle Vertrauenserklärung von Kanzlerin und Finanzminister nicht hoch genug einzuschätzen.
In einem zweiten Schritt hat die Regierung einen gewaltigen finanziellen Schutzschirm über die Banken
gespannt, um zum einen das Vertrauen unter den Banken
zu stärken und zum anderen ihre Liquidität bei der Kreditvergabe zu sichern. Diese Finanzoperation und Bürgschaft waren kein Geschenk an wenige abgehobene
Zocker in den Chefetagen deutscher Banken, sondern
ein Sicherheitsnetz für Wirtschaft und Sparer.
({2})
Lassen Sie mich etwas einfügen: Ich bin der festen
Überzeugung, dass die Politik in letzten Wochen viel an
Reputation zurückgewonnen hat, und zwar nicht, weil
wir so gut waren, sondern weil die Menschen gespürt haben, dass es außer ihrem Bankautomaten und ihrem Anlageberater noch etwas anderes geben muss, das für ihre
Daseinsvorsorge eintritt, und das ist in diesem Fall der
Staat.
({3})
Wir haben weltweit eine Renaissance des Staates erlebt. Paradoxerweise war er dort plötzlich besonders
stark und wurde er dort am heftigsten herbeigerufen, wo
er in der Vergangenheit nur noch ein Nachtwächterdasein führen sollte.
Dem Schutzschirm für die Finanzwirtschaft - das war
eine Operation am offenen Herzen - hat die Bundesregierung dank einer Fülle von Initiativen von Vizekanzler
Frank-Walter Steinmeier in einem zweiten Schritt einen
Schutzschirm für Beschäftigung folgen lassen. Das
war eine Reparatur bei laufendem Motor. Will sagen:
Wir haben die Räder nicht neu erfunden, indem wir den
Motor erst einmal ausgestellt und dann neue Techniken
ausgetüftelt hätten; stattdessen haben wir Bewährtes verstärkt und ohnehin Geplantes noch zügiger verabschiedet. Die Regierung und die Koalitionsfraktionen haben
sich nicht damit aufgehalten, nach Etiketten zu suchen,
sondern sie haben Ausschau gehalten, wo sie punktgenau die größte Hebelwirkung für die Entlastung der
Wirtschaft, des Arbeitsmarkts und der Bürgerinnen und
Bürger erzielen konnten. Das hat Erfolg gehabt.
({4})
Die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen fördern in den Jahren 2009 und 2010 Investitionen
und Aufträge von Unternehmen, privaten Haushalten
und Kommunen in einer Größenordnung von rund
50 Milliarden Euro. Ich will einen Satz zu den Kommunen sagen und unterstreichen, was die Kanzlerin dazu
gesagt hat. Ich weiß, dass in manchen Ländern Kommunen über Landesgesetze gehindert werden, die Mittel,
die wir bereitstellen könnten und würden, zu nehmen.
Ich fordere die Innenminister dieser Landesregierungen
auf, diese Schranke zu beseitigen, weil gerade Investitionen im kommunalen Bereich erfolgversprechend wären
und viel bewirken würden. Wir sollten da nicht nachlassen.
({5})
Darüber hinaus gewährleisten Maßnahmen zur Sicherung der Finanzierung und Liquidität von Unternehmen
die Finanzierung von Investitionen im Umfang von gut
20 Milliarden Euro. Zusammen mit den vom Kabinett
am 7. Oktober beschlossenen Initiativen werden allein in
den Jahren 2009 und 2010 Mittel von mehr als
30 Milliarden Euro aus den öffentlichen Gesamthaushalten zur Verfügung gestellt. Das Bündel der Instrumente
ist breit gefächert. Es reicht von der Auflegung eines Innovations- und Investitionsprogramms Verkehr über die
Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms
bis hin zur Entlastung privater Haushalte als Auftraggeber. Herr Kollege Brüderle, das CO2-Gebäudesanierungsprogramm als Styroporprogramm zu bezeichnen,
ist wirklich eine Unverschämtheit. Jeder weiß, welch
große Wirkung das in Bezug auf Energieeinsparung hat.
({6})
Es ist auch besonders wichtig, dass wir beschlossen haben, die privaten Haushalte als Auftraggeber und als
Arbeitgeber steuerlich zu entlasten. Natürlich sind die
Stärkung der Kaufkraft durch die Erhöhung des Kindergeldes und des Wohngeldes genauso wichtig.
Dieses Paket muss im Verbund mit Entscheidungen
gesehen werden, die wir längst getroffen haben. Wir haben durch die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge von 6,5 Prozent auf 3 Prozent und weiter auf
2,8 Prozent dafür gesorgt, dass alle Arbeitnehmer mehr
Netto vom Brutto haben. Ich erwarte an dieser Stelle den
Dank der Arbeitgeber, die uns immer aufgefordert haben, diese Maßnahmen durchzuführen; jetzt, da sie erfolgt sind, werden weitere Forderungen gestellt. Es ist
ein wichtiger Schritt, dass wir die Beiträge zur Arbeits20348
losenversicherung im Laufe der drei Jahre dieser Wahlperiode halbiert haben. Ein Wort des Dankes wäre also
schon angebracht.
({7})
Das sind nämlich insgesamt Entlastungen von mehr als
30 Milliarden Euro für die Arbeitgeber und für die Arbeitnehmer. Wir haben mit dieser Abgabensenkung vor
allem den Beziehern unterer und mittlerer Einkommen
geholfen.
Eines will ich angesichts der aktuellen Debatte in der
Union zu Steuersenkungen auch einmal sagen: Mit
Steuersenkungen erreicht man Haushalte mit niedrigen
Einkommen überhaupt nicht mehr, weil die Hälfte aller
Haushalte - in absoluten Zahlen: 23,5 Millionen Haushalte - überhaupt keine Einkommensteuer zahlen. Es ergibt doch keinen Sinn, weiter über Steuersenkungen zu
reden, wenn eine Unternehmensteuerreform auf den
Weg gebracht worden ist und der Staat in einer finanziellen Situation wie der jetzt vorzufindenden ist. Ich empfehle dringend, die Debatte über Steuersenkungen sein
zu lassen. Das wird nicht möglich sein. Das Geld ist
nicht da.
({8})
Wir werden morgen - die Vorredner haben das teilweise schon angesprochen - nach langem Ringen, wie
ich es in dieser langen Zeit auch noch nicht erlebt habe,
eine Erbschaftsteuer verabschieden, die den Erhalt von
Unternehmen belohnt und den Ländern gleichzeitig
4 Milliarden Euro für Bildung und andere Zukunftsinvestitionen zur Verfügung stellt. Es ist ein großer Erfolg,
dass die Erbschaftsteuer erhalten bleibt, und zwar in dem
von uns festgelegten Umfang.
({9})
Ein Wort zur Bildung. Eine der wichtigsten Bildungsinitiativen für den Arbeitsmarkt der Zukunft geht nicht
von dem Hause Schavan, sondern von dem Hause des
Arbeitsministers aus. Ich rede hier von dem Recht auf
einen Hauptschulabschluss; ein großer Erfolg im Bereich der Bildungspolitik.
({10})
Wenn man weiß, dass von den 3 Millionen Arbeitslosen 500 000 ohne Hauptschulabschluss, überhaupt ohne
einen Schulabschluss sind, dann kann man erahnen, wie
wichtig diese Qualifizierungsoffensive ist. Es darf nämlich nicht sein, dass wir tatenlos hinnehmen, dass die
Hälfte der Langzeitarbeitslosen über keinen Berufsabschluss verfügt. Diese Initiative ist ein großer Fortschritt
für die 500 000 Arbeitssuchenden. Sie ist aber auch ein
geeignetes Instrument, um in Zeiten drohenden Fachkräftemangels die menschlichen Ressourcen und Fähigkeiten zu nutzen.
Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen
der Koalitionsfraktionen - an die möchte ich mich jetzt
einmal besonders richten -, lassen Sie uns doch das
breitgefächerte Bündel an Maßnahmen, das beschlossen
worden ist, nicht kleinreden. Stattdessen sollten wir in
unseren Wahlkreisen intensiv verbreiten, was wir getan
haben. Wir sollten mit den Bürgermeistern, mit den
Landräten darüber reden, was noch möglich ist. Wir
wollten den Kommunen Hilfe geben. Wir wollen auch
den Menschen sagen, was alles durch die Programme
des Bundes noch möglich ist. Wir müssen offensiv und
positiv darüber reden und nicht immer nur feststellen,
was alles noch fehlt. So wird man in der Politik keine Erfolge haben.
({11})
Ich will eine Anmerkung zur ökonomisch-ökologischen Diskussion machen. Es ist doch absurd, in der Diskussion so zu tun, als ginge es etwa in der Automobilindustrie darum, Klimaziele gegen Absatzziele und
Arbeitsplatzverluste auszuspielen. Auf eine solche Debatte - einerseits Klima, andererseits Autos - kann man
sich nur einlassen, wenn man nicht ahnen kann, was von
Amerika auf uns zukommt. Der Wind of Change, der
von Obama ausgeht, wird uns in dieser Frage in den
nächsten Monaten massiv beschäftigen. Obama sagt:
Klima ist das Wichtigste. Man muss sehen, dass daraus
eine große Konkurrenz für Deutschland erwachsen kann,
der wir weder taten- noch hilflos begegnen sollten; vielmehr müssen wir im Bereich des Klimaschutzes etwas
tun. Dazu gibt es gar keine Alternative.
({12})
Wer glaubt, er könne einen Schutzzaun um die Klimavorgaben bauen, der kann seine Autos auf absehbare
Zeit vielleicht nur noch in die Vereinigten Arabischen
Emirate verkaufen. Machen wir uns doch nichts vor: Die
deutsche Autoindustrie war zu sehr von sich überzeugt
und zu gesättigt, um in Sachen CO2-Reduzierung mehr
zu tun.
({13})
Ich bin mir sicher: Unsere Autobauer werden den nötigen Kurswechsel schaffen. Sie haben ihn nur verschlafen. Sie müssen jetzt langsam in die Gänge kommen.
({14})
Ich befürchte, dass sich dieses Abwarten im Falle von
Opel und Ford rächt, weil ihnen die Blaupausen in den
Schubladen fehlen, um gewichtigere Worte bei ihren
Mutterkonzernen in den USA mitreden zu können, wenn
sie nach Obamas Ankündigungen von heute auf morgen
umsteuern müssen. Die Entscheidung der Regierung in
Sachen Opel steht noch bevor; die Kanzlerin hat davon
gesprochen. Da ich unseren Finanzminister kenne, weiß
ich, dass sie bei der Regierung in guten Händen ist. Davon unabhängig bin ich schon erstaunt, wer alles jetzt
nach Hilfe vom Staat ruft und erwartet, dass der Staat es
richten wird.
Peer Steinbrück ist wirklich ein guter, ich sage sogar:
ein sehr guter Finanzminister.
({15})
Er ist aber, erstens, keine Revisionsinstanz für Managementfehler in Deutschland.
({16})
Er ist, zweitens, leider noch viel weniger Weltfinanzminister. Ich weiß nicht, ob er das gern wäre; ich glaube es
nicht. Er minimiert durch sein umsichtiges Verhalten die
Gefahren für Deutschland; aber er kann den anderswo zu
verantwortenden Crash der Weltfinanzen nicht ungeschehen machen. Das könnte er auch nicht, wenn wir
ihm - was er nicht will, was auch ich nicht will - immer
weitere Milliarden für seine internationalen Verhandlungen als Blankoscheck geben würden. Der Finanzminister
ist an diesem Punkt eher ein bescheidener Mensch. Wir
sollten ihm glauben: Am deutschen Finanzwesen wird
der Crash nicht genesen. - Wir können ihm noch so viele
Milliarden mitgeben: Deutsches Geld wird nicht reichen,
um für uns ein Rundumwohlfühlpaket zu schaffen.
Mich beeindruckt im Übrigen eine Fußnote im Weltfinanztheater. Zur Stabilisierung der amerikanischen
Wirtschaft wären zwei Drittel aller weltweiten Spareinlagen vonnöten: von Australien bis Korea, von Japan bis
Argentinien. Deutschlands Sparquote ist zwar hoch
- das wissen wir -, aber auch da wären wir als alleiniger
Spieler hoffnungslos überfordert.
Deswegen finde ich es, drittens, klug, dass die Regierung auf eine enge internationale, vor allem europäische Abstimmung setzt.
({17})
„Enge Abstimmung“ heißt aber nicht, auf nationale
Maßnahmen zu verzichten. Es muss einen Mix aus nationalen Wegen und europäischen Impulsen geben. Klug
abgestimmt, können sie sich gegenseitig verstärken.
Aber nicht jede getroffene nationale Maßnahme empfiehlt sich zum Kopieren in anderen Ländern - zu unterschiedlich sind die wirtschaftlichen Ausgangslagen, zu
verschiedenartig die Betroffenheiten durch den Zusammenbruch der Finanzmärkte. Die Instrumente in einem
postindustriellen Land wie Großbritannien können und
müssen anders aussehen als in stärker industriell geprägten Ländern wie Frankreich oder Deutschland.
Richtig ist aber auch, dass Europa gemeinsame Impulse für Beschäftigung setzen kann. Deshalb halte ich
den von Außenminister Steinmeier vorgeschlagenen
Europäischen Zukunftspakt für Arbeit für sinnvoll und
unterstützungswürdig.
({18})
Ich habe meine sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzendenkollegen in den Parlamenten der Europäischen
Union gebeten, die Vorschläge in ihren nationalen Debatten zu unterstützen; denn wir müssen alles tun, um
die europäischen Möglichkeiten beim Ankurbeln der
Weltwirtschaft optimal zu nutzen und zu stärken. Wenn
uns dies gelingt, liegt in der momentanen Krise auch die
Chance, die Schlagkraft der europäischen Wirtschaft
durch ein sinnvolles Zusammenwirken insgesamt zu
stärken.
Meine Damen und Herren, auf nationaler Ebene sollten wir trotz andersgerichteter Debatten im Augenblick
die Neuordnung der Finanzbeziehungen nicht aus den
Augen verlieren. Gerade die gegenwärtig schwierige
Lage sollte Ansporn sein, dass wir die Föderalismusreform II zu einem erfolgreichen Ende bringen.
({19})
Gemeinsam mit meinem Kovorsitzenden Günther
Oettinger werde ich alles tun, um auf Bundes- und Länderebene ein sinnvolles und praktizierbares Schuldenfrühwarnsystem zu installieren.
Gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen
Situation sollten sich alle Beteiligten fragen - das richten
wir an die Kollegen von der FDP und auch an manche
Kollegen aus der Union -, ob ihre bisherigen Vorschläge
in dieser Lage realitätstauglich gewesen wären. Nach
meinem Verständnis haben die letzten Wochen eher gezeigt, dass eine starre Schuldengrenze von null alle
Handlungsspielräume des Staates verschüttet.
({20})
Insofern kann es sich für die Debatte als Chance erweisen, dass die Arbeit der Kommission erst jetzt in die entscheidende Phase geht. Es muss in diesem Jahr aber
klargestellt werden, wohin die Reise gehen soll. Darüber
müssen wir uns einigen.
Einige wenige Anmerkungen zu aktuellen außenund sicherheitspolitischen Themen will ich doch machen. Wir dürfen - das ist die Lehre aus der Finanzkrise Anarchie und Gesetzlosigkeit auf internationaler Ebene
nicht zulassen. Das gilt nicht nur für das Finanzsystem,
sondern für die internationalen Beziehungen insgesamt.
Vor der Küste von Somalia erleben wir derzeit, welche Folgen es hat, wenn Staaten zusammenbrechen, zu
sogenannten Failed States werden, wenn Regierungen
nicht mehr in der Lage sind, für Recht und Ordnung in
ihrem Hoheitsgebiet zu sorgen. Wir können nicht zulassen, dass diese rechtsfreien Räume von Kriminellen und
Terroristen usurpiert werden. Das kann eine zivilisierte
Gesellschaft nicht dulden.
Es steht für mich deshalb völlig außer Frage, dass die
internationale Gemeinschaft gegen die Piraten vor der
Küste Somalias vorgehen muss.
({21})
Es steht ebenso außer Frage, dass Deutschland sich daran beteiligen muss. Mit Blick auf die nicht ganz einfachen Beratungen innerhalb der Bundesregierung sage
ich aber auch: Wenn wir helfen wollen, Recht und Gesetz auf internationaler Ebene durchzusetzen, dann müssen wir auch selbst sehr genau darauf achten, nach Recht
und Gesetz zu handeln. Ich warne jeden, der rechtsstaatliche Bedenken mit einem Handstreich beiseitewischen
möchte: Wir dürfen uns hier nicht auf eine schiefe Ebene
begeben. Wohin das am Ende führen kann, haben wir am
Beispiel Guantánamo erlebt. Das wollen wir natürlich
überhaupt nicht herbeiführen, meine Damen und Herren.
({22})
Deshalb unterstütze ich ausdrücklich die sorgfältigen
Vorbereitungen einer deutschen Beteiligung an der EUMission zur Pirateriebekämpfung durch die Bundesregierung. Ich unterstütze mit Nachdruck auch den Vorstoß von Außenminister Steinmeier bei den Vereinten
Nationen, die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofes zu prüfen; nach meinem Dafürhalten wäre
dies am Ende wahrscheinlich die beste und auch einfachste Lösung für uns.
({23})
Der Einsatz von Militär zur Bekämpfung von Gewalt
und Terrorismus auf internationaler Ebene ist manchmal
unabdingbar. Das gilt für die Piraten vor der Küste
Somalias ebenso wie für die Terroristen und ihre Unterstützer in Afghanistan. Aber hier wie dort, in Somalia
wie in Afghanistan, gilt: Am Ende werden wir nur erfolgreich sein, wenn wir eine politische Strategie haben,
mit der wir die Ursachen bekämpfen. Wir setzen in Afghanistan deshalb auf eine Kombination von militärischer Absicherung und zivilem Wiederaufbau. Wir werden auch mit Blick auf Somalia intensiv darüber
nachdenken müssen, wie wir politisch zur Stabilisierung
dieses innerlich zerrissenen Landes beitragen können.
Mit Blick auf Afrika insgesamt füge ich eines hinzu
- ich denke viel darüber nach, nicht nur aufgrund der
Fernsehberichterstattung -: Der Kampf gegen die Piraten ist natürlich dringend notwendig. Das ist gar keine
Frage. Aber wir dürfen darüber nicht vergessen, was die
Menschen im Kongo und im Sudan nach wie vor zu erleiden haben. Hier haben wir eine Verpflichtung, meine
Damen und Herren. Wir dürfen dem nicht tatenlos zusehen.
({24})
Wenn es eine Konsequenz aus der Finanzmarktkrise
gibt, dann an erster Stelle die, dass ein starker, handlungsfähiger Staat gerade in Zeiten globaler und offener Märkte des 21. Jahrhunderts wichtiger ist denn je.
Ich finde es erstaunlich, wer in den letzten Wochen und
Monaten nach dem Staat gerufen hat. Gerade die verlangen jetzt Wunderdinge von ihm, die ihn noch vor einem
halben Jahr in die Mottenkiste verbannen wollten.
({25})
Der Staat kann nicht alles regeln. Das weiß ich; das wissen wir alle. Wir sollten aber jedem Allmachtswahn einen Riegel vorschieben und uns vor nicht einhaltbaren
Versprechen hüten.
Aber der Staat kann eines: Er kann und muss für eine
gestaltete soziale Marktwirtschaft sorgen. Er muss dem
Markt einen ethischen und rechtlichen Rahmen geben.
Auch die Bedeutung des ethischen Rahmens ist gerade
im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise besonders
deutlich geworden.
Lassen Sie uns, meine Damen und Herren, die
Chance nutzen, um diesen Rahmen bei allen wieder stärker ins Bewusstsein zu rufen. Ich bin der festen Überzeugung: Deutschland wird aus dieser Krise gestärkt
hervorgehen. Unser Land wird es schaffen.
({26})
Ich erteile das Wort der Kollegin Renate Künast,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben hier eine Rede gehalten, bei der
Sie mit dem Satz „2009 wird ein Jahr schlechter Botschaften“ jetzt schon einmal sicherheitshalber erklärt haben, für was alles Sie selbst nicht verantwortlich sein
werden und was Sie alles nicht tun können. Sie haben
uns hier erzählt, Sie wollten aber in der Zeit der Not eine
Brücke bauen, damit es 2010 besser werde. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Bei Ihrer Rede, Frau Merkel, habe ich
nicht verstanden, wohin die Brücke, von der Sie sprechen, eigentlich führen soll.
({0})
Sie haben hier munter über das Sowohl-als-auch geredet. Schauen wir uns einmal an, wie Ihre Politik in den
Zeiten der Krise aussah. Ich gebe freihand vorneweg zu:
Sie haben an manchen Stellen zeitlich richtig reagiert,
zum Beispiel an dem Sonntag, als Sie und Herr
Steinbrück etwas zu den Sparguthaben gesagt haben.
Das, Frau Merkel, ist aber ehrlich gesagt schon alles. Sie
reden über Brücken, die Sie in die Zukunft bauen wollen. Dann fangen Sie hier an, uns zu erklären, dass Sie
eine Kfz-Steuer-Befreiung für den Porsche Cayenne finanzieren wollen. Diese Brücke führt nicht in die Zukunft, sie geht rückwärts.
({1})
Sie haben hier erzählt, die Bundesregierung werde
das Notwendige tun. Sie wollten hier eine Botschaft von
Maß und Mitte senden. Frau Merkel, „Mitte“ bedeutet
aber noch nicht Bewegung. An dieser Stelle haben Sie
nicht einmal Mut zur Zukunft.
({2})
Herr Kampeter, wenn ich mir anschaue, welche Schritte
Sie in den letzten drei Jahren Ihrer Regentschaft hier
vollbracht haben, dann muss ich sagen: Es gibt für uns
- für die Fraktion der Grünen und für das Land - überhaupt keinen Ansatzpunkt, zu glauben, dass Sie auch nur
eine Ihrer schönen Versprechungen in die Realität umsetzen würden.
({3})
In Ihrer Regierungszeit ist die Schere zwischen Arm
und Reich noch größer geworden; Ihre Vorschläge laufen darauf hinaus, sie noch größer zu machen. In Ihrer
Regierungszeit sind wir bei den Umwelttechnologien
keinen einzigen Millimeter weiter vorangekommen. Im
Gegenteil: Sie sind die Regierung der Ausnahmen.
({4})
Sie loben sich für sinkende Arbeitslosigkeit, für die
Sie und die Regierung aber gar nichts können. Sie hatten
nicht den Mut, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen.
Frau Merkel, Sie sagen hier: „Gerade in Krisen muss man
klare … Leitsätze haben“, es brauche eine „Politik … der
praktischen Vernunft“ und eine ethische Dimension. Sie
können es sich gerne selber schönreden; ich sehe diese
ethische Dimension bei Ihnen nicht. Ich sehe nur: Heute
habe ich wieder eine neue Frau Merkel kennengelernt.
Sie haben sich zum so und so vielten Mal neu erfunden:
auf jedem Parteitag wieder, im letzten Wahlkampf und
jetzt schon wieder. Es gibt gar keinen Grund, Ihnen auch
nur ein Wort zu glauben.
({5})
Frau Merkel, jetzt müsste man den Mut haben, Zukunft zu wagen. Jetzt müsste man den Mut haben, sich
von den alten Lobbyistinnen und Lobbyisten loszusagen.
Wir sehen doch, dass alle Prämissen erodieren, dass die
alte Art des Wirtschaftens so nicht mehr funktioniert
und nicht mehr akzeptiert wird. Mit Konsum und Wachstum geht es so nicht weiter, weil Natur, Menschen, die
Staaten im wahrsten Sinne des Wortes dagegenarbeiten.
Sie haben den Zusammenbruch mit den drei Krisen gesehen. Die Grundlagen des Industriezeitalters sind uns
sozusagen unter den Füßen weggezogen worden. Das
haben Sie quasi selbst organisiert. Frau Merkel, in dieser
Zeit haben wir einen Mangel an Leitplanken, an Regeln,
an Schutz und an internationalen Strukturen. Sie haben
dazu heute nur Allgemeinplätze geboten.
({6})
Frau Merkel, man muss dann auch sagen, dass man
die alten Regeln des Industriezeitalters über Bord wirft,
weil gerade diese Wirtschaftsweise gescheitert ist. Man
darf hier nicht nur über grüne Technologie reden; jedes
Handeln von Ihnen ist im Widerspruch zu dem, was Sie
hier erzählen, Sie tun ständig das Gegenteil.
Wissen Sie, wie der Spitzname von Frau Merkel in
Brüssel lautet? Madame Non. Sie tun nämlich so, als
würden Sie vorangehen wollen; aber am Ende tun Sie
immer wieder das Gegenteil.
({7})
Sie haben hier zu Anfang der Legislaturperiode gesagt:
„Ich will Deutschland dienen.“ Sie haben gesagt, in
Deutschland begännen „neue Gründerjahre“, es gebe
eine „Koalition der neuen Möglichkeiten“ und: „Wir
wollen niemanden zurücklassen.“
Frau Merkel, Sie haben, wenn wir einmal zurückschauen, in diesen drei Jahren Gipfel für Gipfel für Gipfel erklommen und sich inszeniert; aber ich kenne keinen
einzigen Gipfel, bei dem Sie am Ende Ihrer Wanderschaft die andere Seite des Berges erreicht haben. Sie
sind immer mit großem Tamtam und viel Medienaufmerksamkeit den Berg hinaufgestiegen; nachts sind Sie
an der gleichen Seite wieder heruntergegangen. Es hat
sich nichts geändert, trotz der Mehrheiten, trotz der Tatsache, dass Deutschland im konjunkturellen Aufschwung war, trotz der Tatsache, dass Sie den Bürgerinnen und Bürgern tief in die Tasche gegriffen haben, zum
Beispiel bei der Mehrwertsteuer.
Frau Merkel, heute haben wir nicht nur eine Finanzkrise, eine Welternährungskrise und eine Klimakrise,
sondern wir leiden auch darunter, dass Deutschland drei
verlorene Jahre für Reformen hinter sich hat.
({8})
Sie haben keinen Plan. Ich glaube, man kann mit Fug
und Recht sagen: Sie repräsentieren die gesellschaftlichen Beharrungskräfte Deutschlands im Deutschen Bundestag.
Frau Merkel, die Menschen haben Sorgen. Sie sorgen
sich um ihre Jobs, um die Zukunft ihrer Kinder, um die
Auswirkungen des Klimawandels, die einige schon am
eigenen Leib zu spüren bekommen. Und was machen
Sie neben Ihrer hübschen Rede heute? Sie unterhalten
das Land mit den Inszenierungen der koalitionsinternen
Streitigkeiten und der Streitigkeiten zwischen CDU und
CSU. Das zeigt, dass Sie noch nicht wissen, was die Uhr
geschlagen hat.
({9})
Wohin wollen Sie eigentlich? Sie reden über Pläne
und Ziele. Wollen Sie Politik für alle Kinder machen,
oder wollen Sie Steuersenkungen für diejenigen, die viel
brutto haben? Wollen Sie Politik für alle Kinder machen,
indem Sie in Bildung investieren, oder wollen Sie die
Millionärsvillen schützen, wie vor allem die CSU es fordert?
({10})
- Da können Sie gerne zwischenrufen. Das ganze Land
hat es gesehen. Sie haben sich nicht mit der gleichen
Verve um Bildung für alle Kinder in diesem Land bemüht, mit der Sie sich darum bemüht haben, dass die
Villen, die steuerfrei vererbt werden können, einen möglichst hohen Wert haben können.
({11})
Und wir sollen auch noch in Dankbarkeit niederknien,
({12})
dass Sie bei der Erbschaftsteuer überhaupt irgendetwas
entschieden haben, an dessen Wirksamkeit im nächsten
Jahr Sie selber gar nicht glauben. Was sollen eigentlich
die Leute draußen bei dieser Inszenierung innerhalb der
Koalition und der Regierung denken? Sie mögen zwar
zahlenmäßig zurzeit die größte der Fraktionen in diesem
Hause sein; aber die Leute draußen haben nicht das Gefühl, dass Sie sich um ihre Jobs und die Bildung ihrer
Kinder kümmern. Sie kümmern sich nur um sich selbst.
({13})
Wenn ich daran denke, was die selbsternannte Klimakanzlerin in der letzten Zeit alles zum Besten gegeben
und welche Ziele sie für 2050 in die Umlaufbahn geschickt hat, kann ich nur sagen: Da muss man sich schon
einmal entscheiden. Will man wirklich ehrgeizige Klimaziele für 2020 und 2050 setzen? Will man in der Automobilindustrie Jobs durch die Produktion moderner
Autos schaffen, oder will man bei Luxusschlitten mit
390 Gramm CO2-Ausstoß für eine steuerliche Entlastung sorgen? Diese Entscheidung haben Sie bis heute
nicht getroffen.
({14})
Sie sind an dieser Stelle die Partei des Sowohl-als-auch.
Gestern gab es dann eine richtige Lachnummer.
Nachdem Frau Merkel die CSU hinsichtlich der von ihr
gewünschten Steuersenkung vor der Bayern-Wahl hat
am ausgestreckten Arm verhungern lassen - da haben
Sie ja alle gelitten und gedacht, das Ergebnis der Wahl
hätte besser sein können; Ihre gesamte Landesregierung
ist darüber implodiert -, ist nun der Zoff so groß, dass
man sich vor den Neujahrsklausuren noch einmal treffen
muss, um doch wieder über eine Steuerreform zu reden,
damit das Treffen in Wildbad Kreuth nicht wie eine
Atombombe zündet. Was sollen die Leute eigentlich
denken? Ein Plan, eine Strategie für Deutschland, Frau
Merkel, sieht anders aus.
({15})
Im Haushalt haben Sie die Finanzkrise bis zum Ende
geleugnet. Sie rechnen sich die Zahlen heute immer
noch schön. Sie haben die Absicht, einen Haushalt für
morgen vorzulegen; aber in Wahrheit schieben Sie uns
die Zahlen von vorgestern unter. Sie legen einen Haushalt vor, von dem Sie behaupten, es sei ein Haushalt von
morgen; aber dieser Haushalt enthält die Werkzeuge und
Maßnahmen von gestern. Mit den Ideen, die in diesem
Haushalt stecken, werden wir die Zukunft dieses Landes
nicht bauen können.
Sie haben die Vernetzung von Klima, Ernährung und
Finanzkrise bis heute nicht gesehen. Ich muss Ihnen sogar vorwerfen, dass Sie wiederholt nicht nur das Gegenteil von einer Bekämpfung der Krise tun, sondern die
Krise international noch verschärfen.
Schauen wir uns einmal an, was Sie zum Thema
Welternährungskrise in den letzten Monaten gesagt
und getan haben. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes
Doppelbödigkeit. Sie haben bei der ersten Krise, die aufgetreten ist, Krokodilstränen geweint, sich, ganz christlich, Gedanken über die Welternährung gemacht und gesagt, Sie wollten die Menschen retten, die auf dieser
Welt hungern. Was haben Sie dann getan? In diesem
Haushalt ist immer noch nicht genug Geld für die Entwicklungshilfe vorhanden. Sie haben letzten Endes die
alte Agrarlobby bedient und noch Exportsubventionen
für Schweinefleisch hinterhergeworfen. Das Schweinefleisch aus Europa macht aber die Fleischmärkte in
Afrika kaputt, weil die Leute dort ihre Produkte nicht
mehr verkaufen können. Sie haben in Brüssel gegen eine
Reform der Agrarsubventionen und gegen einen Umbau
hin zum Klimaschutz, zur Artenvielfalt und zum Tierschutz gekämpft. Das alles ist das Gegenteil von dem,
was Sie wollten. Das hilft nicht, die Welternährungskrise
zu lösen.
({16})
Sie haben an dieser Stelle gesagt, Sie wollten etwas
für das Soziale und für die Kinder tun. Was tun Sie aber
für Kinder mit Blick auf Kindergärten und Schulen? Ihre
Regierungszeit hat mit der Föderalismusreform begonnen. Sie haben zwar ordentlich auf den Putz gehauen,
aber den Rest an Bundeskompetenzen aufgegeben. Da
haben wir gesehen, wie groß die Macht der Bundeskanzlerin im Vergleich zu den Ministerpräsidenten ist - sehr
klein. Herr Koch hat sich nämlich durchgesetzt. Sie,
Frau Merkel, sind verantwortlich dafür, dass in der Bildungsfrage - das ist die zentrale Frage dieser Gesellschaft, weil wir eine Bildungsgesellschaft sind - nicht
mehr die Möglichkeit besteht, dass Bund und Länder gemeinschaftlich handeln. Sie haben sich an dieser Stelle
schuldig gemacht, weil so die Zukunft unseres Landes
verbaut wird.
({17})
Weil es immer heißt, man müsse im Bildungswesen
auch Spätzündern eine Chance geben, könnte ich jetzt
sagen: Vielleicht ist Frau Merkel ja eine Spätzünderin
und hat erst spät - aber immerhin - verstanden.
({18})
Sie haben einen Bildungsgipfel gemacht, von dem ich
dachte, dass da etwas Neues kommt. Dieser Gipfel ist
aber ebenfalls Sinnbild der Merkel’schen erfolglosen
und sinnlosen Gipfelstürmerei. Es wird zwar über große
Pakete gesprochen - wie auch hier -, aber kein einziger
Euro wird in die Zukunft unserer Kinder investiert. Das
ist nicht zukunftstragend, Frau Merkel.
({19})
Sie haben es nicht einmal geschafft, dafür zu sorgen,
dass die Ministerpräsidenten zusagen, die Einsparung
aufgrund weniger Kinder, also die demografische Rendite, in Zukunft für die Bildung der Kinder einzusetzen.
Stattdessen bieten Sie uns hier und heute eine Kindergelderhöhung an. Diese bieten Sie auch in Brüssel an
nach dem Motto: „Das große Konjunkturpaket Deutschlands enthält unter anderem 10 Euro Kindergelderhöhung.“ So viel Mut muss man einmal haben, 10 Euro
Kindergelderhöhung in ein Konjunkturpaket zu packen
und als große Armutsbekämpfung zu betiteln. Dabei
kann man über diese Erhöhung nur eines sagen: Das
Bundesverfassungsgericht hat Sie mit seiner Rechtsprechung dazu gezwungen - nicht mehr und nicht weniger.
({20})
Sie haben nicht einmal die Frage beantwortet, wie die
Kinder der Ärmsten der Armen von der Erhöhung profitieren. Die 10 Euro Kindergelderhöhung werden nämlich mit den Transferleistungen verrechnet. Das heißt,
diese Kinder haben nichts von einer Erhöhung. Wir wollen, dass uns in diesem Land jedes Kind gleich viel wert
ist. Aber die mit den Transferleistungen verrechneten
10 Euro Kindergelderhöhung bringen uns da keinen
Schritt weiter.
({21})
In einer Zeit des Wandels, wo wir wissen, dass Welternährungskrise, Weltklimakrise und die Finanzkrise zusammenhängen und nur über nationale Grenzen hinweg
gelöst werden können, wo wir sehen, dass die alte Technologie nicht mehr zieht - die Autos stehen bei den
Autokonzernen auf Halde; das gilt besonders für die
USA -, wo wir wissen, dass alle - die Privathaushalte,
der Mittelstand und sogar die großen Konzerne - Sorgen
wegen der Energiekosten haben, muss man Zukunft wagen. Man muss jetzt den Mut haben, nicht mehr in das
Alte zu investieren, sondern auf das Neue zu setzen und
die Jobs von morgen und die Grundlagen der Zukunft zu
schaffen. Sie tun das an keiner Stelle.
Ich will noch auf einige Punkte eingehen und zunächst zum Thema Klima etwas sagen. Frau Merkel, die
Ziele, die Sie nennen, sind gut. Ich war beeindruckt, als
Sie vor der UN gesagt haben, bis 2050 solle der CO2Ausstoß halbiert werden. Bitte schön, fangen Sie an! Wir
brauchen gerade wegen der Finanzkrise eine harte und
scharfe Klimapolitik und eine neue Energiepolitik, weil
wir nur so volkswirtschaftliche Schäden vermeiden und
nur so die Jobs von morgen schaffen können.
Gerade heute lesen wir wieder - die Jahresabrechnungen kommen ja bald auf die Privathaushalte zu -: Die
Strompreise werden sich im nächsten Jahr um mindestens 8,5 Prozent erhöhen. Die Bürgerinnen und Bürger
brauchen keinen Eiertanz, sondern eine wirkliche Veränderung. Dann haben Sie doch den Mut, das Soziale, die
Ökologie und die Ökonomie neu miteinander zu verbinden, diese Prämissen neu zueinanderzubringen und zu
sagen: In Zukunft wirtschaften wir nicht mehr auf Kosten anderer, nicht mehr auf Kosten der Natur. Lassen Sie
uns einen New Green Deal machen, einen neuen Deal,
({22})
der die Gesellschaft anders zusammenfasst und sagt:
Jetzt gehen wir wirklich über die Brücke und verändern
unsere Art zu wirtschaften.
({23})
Dieser New Green Deal wird ja nicht nur von uns vertreten. Obama nennt ihn; der UN-Generalsekretär nennt
ihn. Wir wissen, wie man an dieser Stelle neue Arbeitsplätze organisiert, und zwar nicht mit Spritschluckern,
Herr Kampeter.
({24})
Sie behaupten immer, Ihr Wischiwaschi - Sie machen
eine Reform, sehen aber keine Sanktionen und keine
Grenzwerte vor; also ist es irgendwie wieder keine Reform - sei im Interesse der Wirtschaft. Das ist falsch. Es
ist nicht im Interesse der Wirtschaft und nicht im Interesse der Arbeitsplätze.
Lassen Sie mich einmal die EU Corporate Leaders
Group on Climate Change zitieren. Mitglieder sind so
kleine Unternehmen wie die Allianz, Shell und viele andere. Sie haben diese Gruppe gegründet, um gegen
Merkels Strategie in Europa zu kämpfen. Sie sagen:
Der künftige Wettbewerbsvorteil …
- der EU besteht darin, die europäischen Unternehmen zu ermutigen und in die Lage zu versetzen, an dem für
die nächsten Jahrzehnte in der Weltwirtschaft erwarteten Transformationsprozess mitzuwirken und
sich ihm nicht zu verschließen.
Das sagen selbst die großen Konzerne. Sie sind weiter
als Sie mit Ihren Sprechblasen.
({25})
Ich fordere Sie an dieser Stelle auf: Nehmen Sie endlich in Brüssel den Fuß von der Bremse! Sie kämpfen in
Brüssel immer noch gegen die Einführung von CO2Grenzwerten für Neufahrzeuge. Sie haben sich gerade
noch einmal gegen Sanktionen ausgesprochen. Wenn herauskommt, was die Bundesregierung in Brüssel vertritt,
dann brauchen wir vielleicht gar keine Regelung, weil
die Verbraucher sagen: „Wir kaufen den Scheiß nicht“
({26})
und schneller für Klimaschutz sorgen als Sie mit Ihrem
angeblichen Programm.
({27})
Sie machen sich an dieser Stelle mit Ihrer verbissenen
Salamitaktik auch beim Emissionshandel schuldig.
Dann tun Sie noch so mütterlich, als würden Sie die Interessen anderer Mitgliedstaaten mitvertreten wollen. Ich
sage Ihnen: Wir sehen, was Sie machen. Sie haben keine
Sorge um Polen, sondern sind im Hinblick auf den Großinvestor RWE nicht am Klimaschutz, nicht an der Situation in Polen interessiert, sondern schon wieder nur am
Profit von RWE. So macht man aber keinen Klimaschutz, und so schafft man auch nicht die Jobs der Zukunft.
({28})
Sie haben beim Thema Gerechtigkeit in den letzten
drei Jahren nichts anderes bewirkt als die Tatsache, dass
die Einkommensschere zwischen Arm und Reich in diesem Land noch größer wird. Warum können wir in wenigen Tagen ein Finanzmarktpaket aus dem Boden stampfen, aber bis heute nicht die Regelsätze für Hartz-IVEmpfänger auf 420 Euro erhöhen?
({29})
Wir alle wissen doch: Das Leben ist mit dem heutigen
Regelsatz nicht mehr bezahlbar. Warum reden Sie auf
der einen Seite über ein stärkeres Anschieben der
Konjunktur und des Konsums, sagen auf der anderen
Seite aber nicht, dass Sie mit Progressivmodellen, in
denen die Lohnnebenkosten übernommen werden, oder
durch vereinbarte Mindestlöhne dafür sorgen, dass die
Ärmeren ihr Leben finanzieren können? Dieses Geld
würden sie im Übrigen sofort investieren, und dies
würde zum Konsum beitragen.
({30})
Wieso behaupten Sie hier, Sie würden in die Zukunft
gehen und Brücken bauen wollen, und haben an dieser
Stelle nicht den Mut, zu sagen: „Ab dem nächsten Jahr
investieren wir über den Haushalt Geld in Bildung“? In
diesem Land gehen 20 Prozent der Schülerinnen und
Schüler mit 15 aus der Schule, ohne lesen und rechnen
zu können, also auf Grundschulniveau. Das ist nicht in
Ordnung. Das ist ungerecht. Da antwortet man mit einem Bildungssoli, indem die ganze Gesellschaft die Finanzierung von Kindergärten und Schulen für jedes
Kind und nicht nur für die der Reichen übernimmt.
({31})
Man kann an dieser Stelle nur dankbar sein, dass sich der
Osten dem westdeutschen System schon verweigert hat.
Das Schulsystem im Osten ist eher Vorbild für den Westen. Was machen Sie? Sie finanzieren weder Bildung
noch schaffen Sie mehr Studienplätze.
Mein letzter Punkt: Frau Merkel, Sie haben beim
Thema Gerechtigkeit das Soziale und die Marktwirtschaft angesprochen; so sage ich es einmal. Wir haben
hier in wenigen Tagen ein Finanzmarktpaket aus dem
Boden gestampft. Was aber immer noch fehlt, ist, dass
Sorge dafür getragen wird, dass die Regeln für den
Finanzmarkt endlich so aufgestellt werden, dass die
Kundinnen und Kunden der Banken und Finanzdienstleister, dass das Individuum, dass Otto Normalverbraucher nicht mehr über den Tisch gezogen werden können.
Diesbezüglich haben Sie bisher noch gar nichts geleistet.
({32})
Mehreren Tausenden von Beratungsstellen und Filialen der Finanzdienstleister und Banken stehen nur ungefähr 180 Verbraucherzentralen gegenüber, wo man
eine unabhängige Beratung bekommen kann. Ich frage
Sie: Wie finanzieren Sie die unabhängige Beratung der
Kunden in Zukunft? Wie finanzieren Sie jetzt die Beratung und den Schutz der vielen Opfer, zum Beispiel von
Lehman Brothers? Wann schaffen Sie endlich eine
Finanzaufsicht, die die einzelnen Produkte untersucht
und kontrolliert und die Produkte nur dann zulässt, wenn
sie okay sind? Schaffen Sie Regeln für das Zustandekommen von Verträgen - das brauchen wir - und eine
Beweislastumkehr bei falscher Beratung! Wir brauchen
Haftungsregeln, damit diejenigen, die die Leute ins Unglück „organisieren“, dafür auch privat haften.
Sie tun so, als hätten Sie bei der Finanzmarktkrise
Ihre Hausaufgaben gemacht. Nein, Millionen von Bürgern stehen heute, morgen und übermorgen vor der Citibank oder bei Lehman Brothers und fragen: Wo ist mein
Geld? An der Stelle haben Sie nichts getan. Nur die Banker und die Banken haben Sie geschützt.
({33})
- Ich gebe ja zu, dass die Rede von Frau Merkel hinten
raus ein bisschen besser wurde.
Was macht Frau Mustermann? Sie fragt: Wo ist mein
Geld geblieben? Wer hilft ihr, sich durchzusetzen? Wer
sorgt dafür, dass die Menschen, die mehr Eigenverantwortung für die Zukunft übernehmen sollen, in Zukunft
nicht wieder auf die falschen Finanzdienstleistungen hereinfallen? An dieser Stelle haben Sie nichts getan. An
dieser Stelle zeigt sich aber, ob Sie es mit einer sozialen
und - ich sage - ökologischen Marktwirtschaft ernst
meinen. Eine soziale Marktwirtschaft ist unter den Bedingungen des globalen Handels und der globalen Finanzen nur dann möglich, wenn Sie die Konsumenten, die
Verbraucher wirklich rechtlich schützen.
({34})
Frau Merkel, Sie haben uns am Anfang Ihrer heutigen
Rede erzählt, wie schwer die nächsten Jahre werden. Ich
glaube, dass Ihre Rede über das Jahr 2009 dazu diente,
sich vorab schon einmal zu exkulpieren, dass Sie nichts
tun können. Wir warten darauf, dass es endlich einen
Aufbruch gibt. Wir warten auf neue Bedingungen des
Wirtschaftens. Wir warten darauf, dass man endlich aus
dem Stillstand der letzten drei Jahre ausbricht und die
behaupteten Ziele und Visionen endlich zu den Taten
passen.
({35})
Hören Sie endlich auf, den alten Lobbyismus zu pampern und zu unterstützen! Dieses Land muss losgehen.
Ich sage Ihnen ehrlich: Dieses Land hat eine bessere Regierung verdient, eine, die nicht über Brücken schwadroniert, sondern selber eine Brücke baut, die zukunftsorientierte Politik und keine rückwärtsgewandte macht.
({36})
Ich gebe das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der
CDU/CSU, Volker Kauder.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Dieser Bundeshaushalt gibt in außergewöhnlicher, in ungewöhnlicher Zeit Antworten. Er wurde zu einem Zeitpunkt aufgestellt, als ein paar von denen, die
heute sagen, sie hätten es damals schon gewusst, erkannt
haben wollten, aber viele noch nicht erkennen konnten,
was sich an den Finanzmärkten und in der Folge auch in
der Wirtschaft entwickelt. Diese Regierungskoalition hat
sehr schnell reagiert. Sie hat nicht nur wie Frau Künast
dahergeredet, sondern sie hat konkret gehandelt. Sie gibt
konkrete Antworten auf die Fragen, die die Menschen in
unserer Zeit stellen.
({0})
Dieser Bundeshaushalt, der konkrete Antworten gibt,
trägt dazu bei, die Menschen zu stabilisieren, ihnen Zuversicht zu geben. Frau Künast, was Sie hier gemacht
haben, ist das genaue Gegenteil davon. Ich will Ihnen
einmal sagen, wie die Realität in unserem Land ist. Das
Institut für Demoskopie in Allensbach hat in diesen Tagen die Meinung der Menschen erfragt. Dabei kam etwas ganz anderes heraus. Da sieht man, dass Sie in Ihrer
ideologischen Rede verfangen und meilenweit von den
Menschen in unserem Land entfernt sind, Frau Künast.
({1})
Insgesamt, so das Institut in Allensbach, ist die Stimmung der Bevölkerung von einer großen Skepsis, aber
keineswegs von einer krisengetriebenen Weltuntergangsstimmung geprägt. Nur 27 Prozent sehen den kommenden Monaten mit großen Befürchtungen entgegen,
28 Prozent sehen ihnen mit abwartender Skepsis entgegen, aber 35 Prozent sind nach wie vor optimistisch gestimmt, vor allem die junge Generation. Es gilt, diesen
grundlegenden Optimismus, für den es aufgrund dessen,
was die Regierungskoalition macht, auch Anlass gibt, zu
stärken und ihn nicht mit dümmlichen Reden zu schwächen.
({2})
Es kommt also ganz entscheidend darauf an, die Lage
realistisch einzuschätzen und daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Es kommt darauf an, den Menschen die Wahrheit zu sagen. Dazu gehört, dass die
Finanzkrise natürlich Auswirkungen auf die Wirtschaft
hat. Dazu gehört aber auch, dass wir in diesem Land
nach drei Jahren Regierung Merkel und Großer Koalition stärker sind als zuvor und deswegen diese Herausforderung packen und meistern können.
({3})
Ich kann nur sagen: Es ist gut, dass Merkel und
Steinbrück die Krise managen und nicht Künast und
Lafontaine die Krise in unserem Land meistern müssen.
({4})
Man muss der Führung der Regierung außerordentlich
dankbar sein.
Welche Antworten gibt nun der Bundeshaushalt? Der
Bundeshaushalt zeigt: Wir müssen als Staat, als Land
das tun, was wir tun können.
({5})
Das heißt, wir müssen im nächsten Jahr Investitionen tätigen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Aber es geht nicht
ausschließlich darum, Arbeitsplätze zu erhalten, sondern
auch darum, dass alle Maßnahmen, die wir als Staat ergreifen, darüber hinaus eine Zukunftsperspektive haben.
Die habe ich bei Ihnen total vermisst.
({6})
Unsere Devise lautet: Wir als Staat machen etwas, das
Arbeitsplätze schützt und dafür sorgt, dass wir gestärkt
aus der Krise herauskommen.
({7})
Das heißt, dass wir in dem einen oder anderen Bereich,
wo wir noch etwas machen müssen, wo wir in der Vergangenheit etwas weniger getan haben, weil wir unter
dem Gesichtspunkt der Haushaltskonsolidierung Investitionen nicht in dem Umfang haben tätigen können, wie
wir es uns gewünscht haben, durchaus ein Defizit haben.
Die Bundeskanzlerin hat das angesprochen. Deswegen
ist es richtig, durch konjunkturstärkende Maßnahme einen Impuls zu geben, indem wir Investitionen tätigen
und auslösen. Investitionsorientierte Verschuldung ist
die Antwort in diesem Haushalt. Das ist genau die richtige Antwort. Nicht Schulden für den Konsum, sondern
Schulden für Investitionen, die uns nach der Krise stärker machen, das ist die Antwort, die wir jetzt geben.
({8})
Das sind die Investitionen im Straßenbau. Das sind
die Investitionen über die Fördermittel der KfW, die genannt worden sind. Das sind natürlich auch die Investitionen in die Strukturen der Zukunft, nämlich in das Internet, die wir so dringend brauchen. Es gilt, in dieser
Zeit bei diesen Herausforderungen Kurs zu halten und
den Kurs nicht aus den Augen zu verlieren.
Kurs zu halten heißt: Die Ziele, die wir uns gesetzt
haben, verfolgen wir auch in dieser Situation weiter. Natürlich wollen und werden wir - das ist ein Ziel - unseren Beitrag leisten, den Klimawandel zu bekämpfen. Der
Klimawandel lässt sich nämlich durch Finanzkrise und
Wirtschaftskrise in keiner Weise beeindrucken. Deswegen werden wir Kurs halten.
Frau Künast, es ist überhaupt nicht die Rede davon,
dass wir unsere Ziele aus den Augen verlieren.
({9})
Sie aber haben einfach planlos ein Ziel formuliert, ohne
zu sagen, in welchen Schritten man es erreichen kann,
sodass Arbeitsplätze bestehen bleiben und die Klimaschutzziele erreicht werden. Genau das ist die intelligente Herausforderung, die wir annehmen und auch anpacken.
({10})
Es kommt ganz entscheidend darauf an, dass wir beispielsweise in der Automobilindustrie sowohl das Ziel
des Klimaschutzes als auch des Erhalts von Arbeitsplätzen verfolgen. Ich glaube aber auch, dass wir der Automobilindustrie sagen müssen: Es geht nicht nur darum,
sich Gedanken zu machen, wie wir neue Automobile auf
den Markt bringen können, sondern wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir miteinander Mobilität
produzieren und wie wir auf bestimmte Situationen reagieren. Da halte ich Ansätze, wie wir sie heute erleben,
für völlig richtig: der Einstieg in das Elektroauto, in das
Hybridauto und in neue Konzepte für Bewegung und
Mobilität in unserem Land.
({11})
Genau das sind die richtigen Themen.
({12})
Ich sage auch in Richtung Opel: Überall dort, wo der
Staat hilft, überall dort muss er auch Wert darauf legen,
dass es nicht nur ein „Weiter so“, sondern dass es auch
neue, in die Zukunft gerichtete Ansätze gibt.
({13})
Es geht nicht nur ausschließlich darum, Arbeitsplätze zu
erhalten, sondern auch darum, in dieser Krise ganz besonders Zukunftsaspekte zu stärken.
Wenn wir sagen, wir dürfen unsere Ziele nicht aus
den Augen verlieren, gilt dies natürlich auch für unsere
Haushaltsziele. Ich kann mich manchmal nur wundern,
wenn ich morgens die Zeitungen aufschlage und lese,
was da jeden Tag für neue Vorschläge kommen, gerade
auch von denen, die uns noch vor einigen Tagen und
Wochen gesagt haben, vor allem für die nachfolgende
Generation sei nichts schlimmer als Verschuldung und
wir dürften den Haushalt nicht außer Rand und Band geraten lassen. Deswegen kommt es auch jetzt wieder darauf an, den richtigen Mix aus einer investitionsstimulierenden, akzeptablen Verschuldung und der Erkenntnis zu
finden, dass die Schulden von heute die Steuern von
morgen sind und dass sie eines Tages gezahlt werden
müssen.
Wir werden - darüber sind wir uns in der Koalition einig - kein Wettrennen machen und jeden Tag neue Milliarden auf den Markt werfen, sondern wir werden sehr
genau prüfen, was Sinn macht. Nicht jeden Tag neue
Milliarden anbieten macht Sinn, sondern genau zu überlegen, was wir tun müssen, also Investitionen tätigen und
auslösen, Arbeitsplätze sichern und neue Strukturen aufbauen, aber nicht ein Wettrennen in der Weise veranstalten, dass derjenige, der am meisten fordert, auch am
meisten Applaus in unserem Land erhält.
({14})
Ich bin überzeugt davon, dass wir dieses Ziel des ausgeglichenen Haushalts erreichen können. Wenn wir jetzt
das Richtige tun, dann werden die Antriebskräfte im
nächsten Jahr dazu führen, dass wir wirtschaftlich zwar
kein Wachstum haben, dass wir aber für 2010 wieder
eine Perspektive entwickeln können. All die Befürchtungen, die jetzt laut werden, es würde über das Jahr 2009
hinaus schwieriger, kann ich überhaupt nicht teilen. Ich
bin zuversichtlich, dass das, was wir mit diesem Haushalt in dieser Woche auf den Weg bringen, die Basis dafür ist, dass wir im nächsten Jahr eine Perspektive für
Entwicklung haben werden.
Ich sage Ihnen weiter, dass wir an dem Ziel der Nullverschuldung auch in der Föderalismusreform II festhalten werden. Lieber Kollege Struck, ich bin der Meinung, dass wir das Ziel der Nullverschuldung und die
Möglichkeit von Ausnahmen in besonderen Situationen
ausdrücklich festschreiben sollten. Das, was im Augenblick geschieht, wäre eine solche besondere Situation.
({15})
Ich möchte allerdings nicht, dass die Kriterien für eine
Neuverschuldung so festgesetzt werden, dass man diese
quasi in jeder Situation erfüllt.
({16})
Deswegen fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im
Rahmen der Föderalismusreform II eine Nullverschuldung mit Ausnahmemöglichkeiten, aber keine aufgeweichte Nullverschuldung.
({17})
Wir wollen an unseren Zielen festhalten. Dazu gehört
auch das, was der Kollege Struck angesprochen hat: Wir
müssen uns auch in Zukunft gegen den weltweiten Terror wehren; denn der weltweite Terror hat seine Aktivitäten nicht eingestellt. Deswegen kann ich nur hoffen,
dass der Bundesinnenminister doch noch die notwendige
Zustimmung zu seinem BKA-Gesetz bekommt, sodass
es in Kraft treten kann. Ich hoffe, dass es uns gelingt,
dieses Gesetz, das die Koalition und der Deutsche Bundestag beschlossen haben und das Peter Struck als ein
gutes Gesetz bezeichnet hat, über die Rampe zu heben
und dafür zu sorgen, dass das Bundeskriminalamt, für
das Wolfgang Schäuble zuständig ist, so arbeiten kann,
dass es den Terrorismus wirksam bekämpfen kann.
({18})
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, was geschah,
als die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor einigen Monaten ihre Sicherheitsstrategie vorgelegt hat, in der wir
auch einige Punkte, die für Wirtschaft und Welthandel
wichtig sind, erwähnt haben. Es wurde eine Diskussion
darüber begonnen, was die Unionsfraktion damit eigentlich vorhat. Zum Teil wurde unsere Sicherheitsstrategie
sogar ins Lächerliche gezogen. Wir haben darin einen
Satz formuliert, der heute Allgemeingut ist, über den
man damals aber gestaunt hat: Wir müssen unsere Seehandelswege schützen, weil sie die Voraussetzung dafür
sind, dass auch in Zukunft wirtschaftliche Entwicklung
stattfinden kann.
Vor diesem Hintergrund halte ich es für selbstverständlich, dass wir die Piraterie bekämpfen. Ich bin der
Bundesregierung dankbar, dass sie jetzt schnell handelt,
damit wir uns daran beteiligen können. Es wäre wirklich
ein unmöglicher Zustand, wenn sich alle Länder an der
Bekämpfung der Piraterie beteiligen würden, die Deutschen aber abseits stünden, obwohl auch ihre Schiffe betroffen sind. Ich fordere die Bundesregierung auf, jetzt
schnell Ergebnisse zu erzielen.
({19})
Viele wissen vermutlich gar nicht, dass die Piraterie
kein Randereignis ist. Seit Jahresbeginn wurden auf unseren Seewegen mehr als 90 Schiffe gekapert. Wir erfahren von solchen Vorfällen immer nur dann, wenn es um
große Schiffe geht. Insgesamt sind aber mehr als
90 Schiffe betroffen. Fast 400 Mann Besatzung sind vor
Somalia festgesetzt. Es besteht die zwingende Notwendigkeit, etwas dagegen zu unternehmen.
({20})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir haben allen Grund, an dieser Stelle nicht nur der Bevölkerung für ihre Vernunft und ihr Augenmaß in dieser Krise
zu danken, sondern auch all denjenigen Dank zu sagen,
die dabei helfen, diese Krise zu überwinden und die das
Rückgrat der deutschen Wirtschaft sind: den mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmern,
({21})
die nicht bei jedem Windstoß umfallen, die ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht entlassen, sondern
überlegen, wie sie auf andere Art und Weise über die
Runden kommen können, und die lieber etwas Geld aus
ihrem Privatvermögen nehmen, als die Leute, die ihre
Firma seit vielen Jahren mit ihnen gemeinsam gestalten,
in die Wüste zu schicken.
Es ist richtig, dass die Regierungskoalition und die
Bundesregierung einen Schwerpunkt darauf legen, die
mittelständischen Unternehmen zu stützen. Ich bin für
die Zusage der Bundeskanzlerin, dass das Programm der
KfW am Montag starten kann, dankbar. Ich hoffe, dass
die Prüfung nicht wie sonst mehrere Wochen oder Monate dauert, sondern dass schnell gehandelt werden
kann, sodass unsere mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmer sagen können: Von dieser Regierung bekommen wir in schwieriger Zeit Hilfe; wir werden dafür sorgen, dass dies auch die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in unseren Firmen spüren.
({22})
In diesen Tagen wird sehr viel über Manager gesprochen. Wir haben allerdings allen Grund, auch denen zu
danken, die ihren Anteil daran haben, dass wir in den
letzten drei Jahren gut vorangekommen sind: den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land, den
Rentnerinnen und Rentnern und den mittelständischen
Unternehmern. Allen dreien, den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern, den Rentnerinnen und Rentnern und
unseren mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmern, dient unser Konzept. Wir haben eine richtige
Antwort auf das, was jetzt auf uns zukommt, und ich
rate, das jetzt umzusetzen und nicht bereits wieder mit
neuen Dingen zu kommen und die Menschen zu irritieren. Ich sage den Menschen in diesem Land: Wir fahren
auf Sicht, und wir reagieren sofort, wenn es notwendig
wird, aber wir geben ihr Geld nicht unnötigerweise aus,
nur um zu zeigen, dass wir als Politikerinnen und Politiker einfach alles können. Das tun wir nicht.
({23})
Verantwortungsbewusst zu handeln, sich selber zu bescheiden und nur das zu tun, was wirklich notwendig ist
und hilft, das ist das Konzept dieser Bundesregierung.
Dafür auch herzlichen Dank an Angela Merkel, an Peer
Steinbrück und an die ganze Bundesregierung.
({24})
Für die FDP-Fraktion gebe ich ihrem Fraktionsvorsitzenden Dr. Guido Westerwelle das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich will zunächst eine Bemerkung an meinen
Kollegen Volker Kauder richten. Was Sie, Herr Fraktionsvorsitzender, lieber Volker, hier am Anfang gesagt
haben, finde ich an einer Stelle sehr schwierig und meiner Meinung nach der Debatte auch nicht angemessen.
Wir befinden uns hier in einer Generaldebatte und
streiten doch nicht über die Qualität von Deutschland,
sondern über die Qualität der Politik der Regierung.
({0})
Wenn die Opposition die Regierung kritisiert, dann redet
sie Deutschland nicht schlecht, sondern wir sind genauso
Patrioten. Ob wir auf der Regierungsbank, in der Opposition oder in den Koalitionsfraktionen sitzen, wir lieben
unser Land. Deswegen wollen wir eine andere Politik,
um das an dieser Stelle klar zu sagen.
({1})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in Ihrer Rede im
Grunde genommen tatsächlich vorgebaut. Sie haben hier
gesagt, 2009 werde das Jahr der schlechten Nachrichten
sein. Das ist natürlich eine politisch vorbeugende bzw.
vorsorgende Erklärung, die hier abgegeben worden ist.
Weil das aber die letzte Haushaltsdebatte sein wird, die
wir in dieser Legislaturperiode führen werden, möchte
ich schon noch einmal an die großen Debatten erinnern,
die wir in den letzten Jahren geführt haben, also an die
letzten drei Haushaltsdebatten, seitdem die sogenannte
Große Koalition im Amt ist. Jedes Mal haben Sie sich
hier hingestellt und gesagt, dass das Ihr Aufschwung ist.
Das war entweder einmal ein Schröder-Aufschwung,
oder es war ein Merkel-Aufschwung. Mit dem Abschwung wollen Sie nichts zu tun haben. Der Aufschwung war Merkel, der Abschwung ist Bush. Das
glaubt Ihnen niemand. Das ist absoluter Unfug.
({2})
Wir brauchen keine Regierung, die vor schwierigen
Zeiten warnt, sondern wir brauchen eine Regierung, die
in schwierigen Zeiten handelt.
({3})
Das ist das Entscheidende, worum es geht. Wir brauchen
auch keine Regierung, die den Deutschen gut zuredet,
sondern die Deutschen brauchen eine Regierung, die
Gutes für sie tut. Das ist das Entscheidende, weshalb wir
das, was Sie uns hier vorgelegt haben, völlig anders bewerten.
Natürlich haben Sie nicht tatenlos herumgesessen. Sie
sind verantwortungsvolle Persönlichkeiten. Wer bestreitet das denn?
({4})
Natürlich haben Sie in Anbetracht einer Krise nicht tatenlos zu Hause gesessen und Däumchen gedreht. Natürlich haben Sie sich abgearbeitet. Das ist doch gar keine
Frage. Wir kritisieren weniger, dass Sie ein Sammelsurium von Maßnahmen gefunden haben. Das Problem
Ihrer Regierung ist, und zwar auch aufgrund der Uneinigkeit in Ihrer Koalition, dass Sie in Wahrheit keinen
gemeinsamen Weg mehr finden können.
Herr Kollege Kauder, Sie sagen, Sie fahren auf Sicht.
Ich sage: Sie stehen mitten im Nebel. Sie fahren auf
Sicht, und Sie wissen nicht, wohin Sie wollen.
({5})
Wer keinen Standpunkt hat, der kann seinem Land
auch keine Orientierung geben. Sie haben keinen gemeinsamen Standpunkt mehr. Das drückt sich hier aus.
Das ist alles aus der Not geboren. Das mit dem Sammelsurium ist ja nicht etwa die Kritik der bösen oppositionellen FDP, sondern das ist das, was Ihnen Ihr eigener
Wirtschaftssachverständigenrat sagt. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung sagt: Sie haben ein sinnloses
Sammelsurium beschlossen.
({6})
- Frau Kollegin Künast, das ist ein wichtiger Zwischenruf, den Sie gerade gemacht haben. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung kritisiert die Bundesregierung, sagt, das, was Sie jetzt in der Krise machen, sei
putzig und ein sinnloses Sammelsurium, und die Antwort der Koalition in Form von Herrn Kollegen Struck
ist: Dann schaffen wir diesen Sachverständigenrat eben
ab.
({7})
Das kennen wir aus der Antike: Man köpft den Boten,
weil einem die Nachricht nicht passt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen
einmal über das reden, womit Sie sich an die Bürger und
Bürgerinnen wenden. Das ist das, was Sie im Augenblick in Anzeigen millionenfach verbreiten: Häkchenpolitik, acht Häkchen. Das ist das, warum sich Deutschland keine Sorgen mehr machen soll. Das sind die viele
Millionen teuren Anzeigen der Bundesregierung, millionenfach herausgegeben von Ihnen auf Kosten der Steuerzahler: Liebe Deutsche, macht euch keine Sorgen. Wir
haben acht Häkchen für euch gefunden. Acht Häkchen!
Grund für diese Häkchenpolitik ist in Wahrheit, dass
immer dann, wenn die SPD in dieser Großen Koalition
ein Häkchen durchsetzen kann, auch die Union eines
durchsetzen möchte. Das ist in Wahrheit das Problem.
Sie lähmen sich. Dabei zeigt sich eines: Große Mehrheiten sind noch lange nicht zu großer Politik fähig. Viel zu
oft ist es nur sehr kleines Karo, was Sie hier fahren.
({8})
Natürlich kommt niemand aus der Opposition auf die
Idee, der Regierung allen Ernstes vorzuwerfen, sie habe
den Abschwung verursacht. Wir werfen Ihnen doch
nicht vor, dass die Krise kommt.
({9})
- Herr Kollege Kampeter, mich für Herrn Kollegen
Lafontaine verantwortlich zu machen, ist ihm und mir
gegenüber sehr ungerecht.
({10})
Ich glaube, das können Sie getrost zurücknehmen.
({11})
Wir werfen Ihnen ja nicht vor, Frau Bundeskanzlerin,
meine Damen und Herren von der Bundesregierung,
dass die Krise da ist. Wir wissen, dass sowohl der Aufschwung als auch der Abschwung sehr viel mit der Weltwirtschaft zu tun hat und dass wir nicht alles beeinflussen können. Wir würden uns auch überheben, wollten
wir diese Illusion bei den Bürgern hervorrufen.
({12})
Aber das Entscheidende ist: Nicht, dass die Krise da
ist, kritisieren wir an der Arbeit der Bundesregierung,
sondern wir kritisieren, dass Sie in guten Zeiten, in den
fetten Jahren für die mageren Jahre nicht vorgesorgt haben und dass Sie jetzt, da die mageren Jahre weiß Gott
vor der Tür stehen - in Wahrheit sind wir mittendrin -,
immer noch nicht beherzt handeln, sondern sich immer
noch mit einer Politik der kleinen Schritte zufriedengeben. Sie merken gar nicht: Ihre Politik der kleinen
Schritte, die einmal von der Großen Koalition als neues
Politikprojekt gelobt wurde, ist eine Politik der eingeschlafenen Füße geworden, weil Sie sich nicht mehr einig sind. Das ist das eigentliche Problem dieser Regierung.
({13})
Nun wird einem Abgeordneten der Opposition - das
gilt für alle, wenn auch mit großen Unterschieden -,
wenn er hier spricht, immer der Vorwurf gemacht - wir
haben ihn eben auch gehört -: Sie reden ja nur, Sie handeln nicht. Was für ein - entschuldigen Sie bitte - banaler Vorwurf! Die Opposition hat immer nur die Macht
des Wortes, und die Regierung hat die Pflicht zur guten
Tat. An beiden muss der Wähler sie messen. So ist es
nun einmal in der Demokratie aufgeteilt.
({14})
Übrigens: Tut mal nicht so, als wärt ihr als Regierungsabgeordnete auf die Welt gekommen. Wir saßen
bis vor drei Jahren noch zusammen. Da habt ihr es auch
nicht gemocht, wenn es immer hieß, ihr redet das Land
schlecht. Also fangt nicht an, so über uns zu reden, nur
weil ihr jetzt drei Jahre auf der Regierungsbank sitzt wer weiß, wie lange noch, meine sehr geehrten Damen
und Herren.
({15})
- Volker, ist geschenkt. Warten wir einmal ab, wie lange
noch! Macht ist ja begrenzt, und es ist nicht ausgemacht,
ob einer Kiesinger wird oder Kohl. Das muss man alles
einmal abwarten. Wie es weitergeht, entscheiden die
Wählerinnen und Wähler.
Meine Damen und Herren, ich möchte an der Stelle
aber nicht nur uns einbringen, sondern ich möchte, wenn
Sie erlauben, noch darauf eingehen, dass es immer heißt,
international sei die Politik der Regierung unumstritten;
das sei alles wunderbar. Das entspricht nämlich nicht
den Tatsachen.
Wenn Sie mit internationalen Gästen zu tun haben,
die uns besuchen und die anschließend von Ihnen besucht werden - weil Sie eine mächtige Frau sind, will ich
die Namen nicht nennen -, dann hört man schon einmal
den Satz: „First she came too late and then she was
wrong“.
({16})
Diese Meinung wird nicht nur in Großbritannien und
in der Europäischen Union vertreten, sondern das konnten alle Deutschen am Montag bei Ihrem Besuch in Paris
am Fernsehschirm verfolgen. Da steht die deutsche Regierungschefin, der ich in Herzlichkeit zugewandt bin
({17})
- ich darf Sie in aller Freundlichkeit bitten, durch Ihr
Raunen keine wirklich absurden Gerüchte in die Welt zu
setzen -,
({18})
neben dem französischen Staatspräsidenten, sie erzählen
in großer diplomatischer Manier, was man immer so tut,
nach dem Motto „Wir sind uns alle einig“, und dann sagt
Frankreichs Präsident Sarkozy - Angela Merkel steht
daneben, und es gefriert ihr das Lächeln -: Wir sind uns
einig, dass wir weitere Maßnahmen ergreifen müssen.
Frankreich arbeitet daran. Deutschland denkt darüber
nach.
({19})
Das sind die internationalen Bewertungen. Frau
Bundeskanzlerin, das war kein Handkuss; das war eine
Ohrfeige.
({20})
Das ist kein petit bisou - geringe Kenntnisse im Französischen habe ich auch -; es ist eine massive Kritik an
dem, was vorgetragen ist.
Es wird immer wieder gesagt, das sei alles nur oppositionelles Gerede. Aber in Europa wird das gemacht,
was von der liberalen Opposition vorgeschlagen wird. In
Wahrheit sind Sie mit Ihrer Politik, die Steuern nicht zu
senken, in Europa die Exoten.
Wenn Sie es immer noch nicht verstanden haben, sollten Sie die Titelseite der Süddeutschen Zeitung von
heute lesen: „Brüssel drängt Merkel zu Steuersenkung“.
Wir wollen eines festhalten: Die Europäer drängen zur
Steuersenkung. Unsere Nachbarländer wollen die Steuern senken. Die Wirtschaftsverbände, Handwerksverbände und Verbraucherverbände in Deutschland wollen
die Steuern senken.
({21})
Der Wirtschaftsminister - unser Quantum Trost in der
Regierung ({22})
will die Steuern senken. Die Ministerpräsidenten Herr
Müller und Herr Seehofer wollen die Steuern senken.
Wir halten Folgendes fest: Die SPD will nicht die
Steuern senken. Die Grünen wollen nicht die Steuern
senken. Die Linkspartei will nicht die Steuern senken.
({23})
Frau Merkel will nicht die Steuern senken. Frau Merkel,
Sie befinden sich in der falschen Gesellschaft. Da müssen Sie wieder raus!
({24})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, Sie lachen jetzt,
({25})
weil Sie sich darüber freuen; denn Sie werden ganz mutig als Heldinnen und Helden der Unionsfraktion nächste
Woche auch einmal für Steuersenkungen stimmen dürfen - folgenlos auf eurem Bundesparteitag. Ihr solltet
aber nicht auf eurem Bundesparteitag nächste Woche für
Steuersenkungen stimmen, sondern im Deutschen Bundestag. Das wäre eure Verantwortung für Deutschland.
({26})
Der Sachverständigenrat und alle anderen empfehlen
das.
Es heißt immer, Deutschland habe kein Geld für Steuersenkungen. Mittlerweile macht sich eine spannende
Argumentation breit. Gehen wir doch einmal im Haushalt der Frage nach, ob wir kein Geld für Steuersenkungen haben. Abgesehen davon sollten wir aber festhalten,
dass die Europäer Steuersenkungen durchführen. Stattdessen erhöhen Sie die Steuern.
Nach dem von Ihnen gefundenen Erbschaftsteuerkompromiss, der mit neun zu elf Stimmen unter
Abwesenheit aller anderen CSU-Abgeordneten in der
Landesgruppe mutig beschlossen wurde, hat Finanzminister Peer Steinbrück einen bemerkenswerten Brief
verfasst. Wir halten zur Erbschaftsteuerreform eines fest
- wie Sie gemerkt haben, formuliere ich diplomatischer,
seitdem wir dort zusammen regieren -: Die Länder um
uns herum reden nicht darüber, wie man die Erbschaftsteuer erhöhen könnte, und sie verkünden auch keinen
Sieg, wie es Herr Steinbrück per Brief an die SPD-Abgeordneten geschrieben hat: Was für ein Erfolg für die Sozialdemokraten!
({27})
Wir haben das Volumen der Einnahmen aus der Erbschaftsteuer erhöht.
({28})
Ich halte fest, dass die Erbschaftsteuerreform ein Erfolg
der Sozialdemokraten in der Koalition ist. Ich finde ihn
aber furchtbar. Gerade deswegen kritisiere ich ihn an
dieser Stelle.
({29})
Was mir nicht einleuchten will, ist die lustvolle
Freude, mit der Sie einen solchen Unfug bei der Erbschaftsteuer mitmachen. Die anderen schaffen die Erbschaftsteuer ab, während wir darüber reden, wie man sie
erhöhen kann. Nun hat man einen großartigen Begriff
gefunden, um der Verfassungswidrigkeit zu entgehen:
die Kernfamilie. Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn
ein Onkel oder eine Tante Nichten und Neffen und wenn
eine Schwester ihrem Bruder etwas vererben will, dann
gilt ein Freibetrag in Höhe von 20 000 Euro. Anschließend werden Steuersätze von 30 bis 50 Prozent erhoben.
Das ist in meinen Augen eine Enteignung durch den
Steuerstaat. Was dort stattfindet, ist unfair. Sie werden
das beschließen. Wie können Sie nur!?
({30})
- Sie haben eine andere Haltung dazu. Das ist auch legitim. Aber Sie erlauben mir, dass ich unsere Haltung dagegenstelle.
({31})
Nehmen wir als Beispiel die Familienbetriebe. Sie
tun so, als wäre alles prima.160 Familienbetriebe sagen:
Um Gottes willen, lasst diesen Murks bei der Erbschaftsteuer! Diese Familienbetriebe haben sich vor zehn Tagen schriftlich an die Bundesregierung gewendet und
gesagt: Wir werden gezwungen sein, ins Ausland abzuwandern. - Das ist aus unserer Sicht ein ganz schwerer
Fehler zulasten der Familienbetriebe. Was machen Sie?
Sie sagen: Wenn man zehn Jahre den ererbten Betrieb
mit derselben Lohnsumme, also mit der gleichen Zahl an
Arbeitsplätzen, die man im Durchschnitt in den letzten
fünf Jahren hatte, fortführt, dann ist man erbschaftsteuerfrei. Das ist absoluter Irrsinn; denn jeder weiß, dass die
wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten zehn Jahren
im Schnitt vermutlich schwächer sein wird als in den
letzten Jahren. Jeder weiß, dass niemand eine solche Garantie für zehn Jahre geben kann. Wir hatten gute fünf
Jahre. Diese sollen nun als Maßstab herhalten. Sie enteignen Familienbetriebe und die betreffenden Familien.
Das ist keine Belohnung der Arbeitnehmer.
({32})
Herr Kollege Kauder sagt an dieser Stelle: Wir bedanken
uns bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für
ihren Fleiß. Was haben Sie getan? Sie haben sich bei den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland
mit der höchsten Steuererhöhung in der Geschichte dieser Republik bedankt. Aus dieser Verantwortung werden
wir Sie nicht entlassen. Sie stehen für höhere Steuern
und höhere Schulden. Solide ist etwas anderes.
({33})
Sie erklären uns ständig, warum Steuersenkungen
- im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern nicht möglich sind. Möglich ist aber Hilfe für einzelne
Unternehmen und Branchen. Das halten wir für falsch.
Natürlich ist es richtig, dass sich die Bundesregierung
mit den Landesregierungen zusammensetzt, wenn ein
solches Drama wie bei Opel passiert. Es ist sicherlich
selbstverständlich - wer will das bestreiten? -, dass man,
wenn man Verantwortung für Zehntausende Bürgerinnen
und Bürger, die um ihre Zukunft bangen, trägt, Gespräche führt und sich darüber Gedanken macht, was zu tun
ist. Täten Sie es nicht, würden wir Sie mit Sicherheit kritisieren. Es ist richtig, dass Sie das tun. Aber die Antwort, die Sie geben, ist falsch. Was werden Sie denn
machen? Heute ruft Opel. Morgen ruft das zweite Unternehmen, das ebenfalls wichtig ist. Übermorgen ruft das
dritte, dann das vierte, das fünfte und das sechste. Es
wird im nächsten Jahr Dutzende Unternehmen geben,
die in ernsthafte Schwierigkeiten gekommen sind. Wollen Sie dann jedes Mal - Unternehmen für Unternehmen, Branche für Branche - sagen: „Dafür stellen wir
als Regierung einen Scheck aus“? Besser wäre es, nicht
die Unternehmen an den Tropf der Subventionen zu hängen, sondern für alle Branchen, für die gesamte Wirtschaft, für alle Bürgerinnen und Bürger durch ein einfacheres und gerechteres Steuersystem mit niedrigen
Sätzen für mehr Dynamik zu sorgen. Das wäre die eigentliche Aufgabe.
({34})
Nun ist von Mitte und Maß die Rede.
Dann reden wir einmal über den Bundeshaushalt
- Mitte und Maß -, der das Schicksalsbuch der Nation
ist. Herr Kollege Steinbrück, Sie sind in der Rede, die
Sie gestern gehalten haben, scharf und bitter gewesen.
Ich möchte Ihnen ehrlich sagen: Einen Vorwurf wie
„Rattenrennen“ an die Opposition zu richten, finde ich
völlig unangemessen. Sie haben Worte wie Rattenrennen
gewählt, gesagt, wir suhlten uns, und Sie haben noch andere Säugetiere genannt, die wir durchs Dorf treiben
würden. Ich muss Ihnen sagen: Das ist Ihre Angelegenheit. Ich finde, so etwas kann man in einer Wirtshausrede sagen, aber hier ist das nicht angemessen. Aber so
ist es halt.
({35})
Herr Kollege Steinbrück, der Punkt ist: Sie hatten eine
riesige Chance. Sie hätten angesichts der genialen drei
letzten Konjunkturjahre ein wirklicher Finanzminister
werden können. Sie hätten ein Finanzminister werden
können, der als der erste Finanzminister seit Jahrzehnten
in die Geschichte eingeht, weil er in guten Jahren mit
seinem Haushalt ohne Neuverschuldung auskommt.
({36})
Sie sind genauso wie Herr Eichel gescheitert. Das erklärt
auch die Aggression, Ihre Angriffe gegen die liberale
Opposition, die wir Ihnen an dieser Stelle aber nicht
durchgehen lassen.
({37})
Sie wissen es doch selber - und das hat nichts mit mangelnder menschlicher Wertschätzung zu tun; wir schlagen vielmehr einen anderen politischen Weg vor -: Sie
setzen in dieser Woche hier im Deutschen Bundestag einen Haushalt durch, der auf einem Wachstum von
0,2 Prozent basiert. Niemand von Ihnen glaubt daran,
dass wir im nächsten Jahr ein Wirtschaftswachstum von
0,2 Prozent haben werden. Jeder von Ihnen weiß, dass
wir das nicht erreichen werden.
({38})
Jeder Kaufmann, der seine Bücher so frisieren würde,
landete vor Gericht. Wir erwarten auch von Ihnen, dass
Sie endlich ehrliche Zahlen vorlegen. Das ist das Mindeste, was man vor Ihrem Abgang verlangen kann.
({39})
73 Milliarden Euro Schulden hat diese Koalition bei
Steuermehreinnahmen von 160 Milliarden Euro gemacht, die sie in dieser Legislaturperiode von den Bürgerinnen und Bürgern bekommen hat. Was wir machen
müssen, ist relativ klar. Was wir mit einem einfachen
Plan - das ist nicht irgendein kleines Häkchenkonzept machen müssten, wäre, dafür zu sorgen, dass wir dem
Abschwung entgegenwirken, indem wir die Kräfte freisetzen, die in unserer Volkswirtschaft schlummern. Dazu
gehört erst einmal die Leistungsbereitschaft unseres
Volkes. Das geht nur, indem sich Leistung lohnt und indem wirklich ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem alle für ihre Leistungen belohnt, alle
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, alle Mittelständler und alle Unternehmer, damit alle wirklich etwas von
ihrer Leistung haben. Ein niedrigeres, einfacheres und
gerechteres Steuersystem müsste jetzt beschlossen werden. Sie werden es niemandem erklären können, auch
nicht auf Ihrem Parteitag, wenn die Union nächste Woche sagt, Deutschland brauche Steuersenkungen. Es gibt
in Anbetracht unserer dramatischen Lage keinen Grund,
damit noch ein Jahr zu warten. Es muss jetzt gehandelt
werden.
({40})
Sie müssten die Bremsen für Investitionen lösen. Ich
will nicht alles aufgreifen, was Frau Kollegin Künast gesagt hat. Ich teile vieles nicht, aber in einem Punkt will
ich ihr ausdrücklich recht geben, nämlich bei der KfzSteuer. Die Kfz-Steuer auszusetzen, ist nun strukturell
überhaupt keine Antwort. Als ob irgendjemand einen
Golf für 19 000, 20 000 Euro kaufen würde, wenn er ein
Jahr lang 109 Euro Steuern spart. Das, was Sie als Nachlass anbieten, handelt jeder normale Bürger im ersten
Verkaufsgespräch unter der Überschrift „Fußmatten“
schon selber aus.
({41})
Das ist absurd, und das wissen auch Sie.
({42})
Das ist sehr weit weg vom Leben. Schauen Sie in die
Gesichter der Bürgerinnen und Bürger! Keiner von den
Bürgerinnen und Bürgern dort oben auf der Tribüne wird
ein einziges Auto kaufen, nur weil Sie 109 Euro für ein
Jahr nachlassen. Absurd ist das. Das weiß jeder.
({43})
Welchen Weg man bei der Kfz-Steuer geht, darüber
müsste gestritten werden. Das tun wir dann auch. Aber
Ihr Vorschlag ist gar nichts. Was wir machen müssten,
wäre, die Bremsen zu lösen, und das gilt insbesondere
für die Investitionen.
Nehmen wir nur einmal die Investitionen im Energiesektor: Wir reden nicht darüber, dass der Staat Geld ausgibt, sondern wir reden nur darüber, dass Energieinvestitionen stattfinden, die sowieso stattfinden müssen,
Investitionen in Leitungsnetze, Gleichstromleitungen,
übrigens auch in den Bau von sauberen und modernen
Kohlekraftwerken, damit wir dreckige und alte abschalten können. Wenn Sie, die Regierung, nur diese Bremsen, die Verwaltungs- und Genehmigungsbremsen in der
Energiewirtschaft, lösen würden, dann müssten Sie keinen einzigen Euro dazutun, und trotzdem würden etwa
20 Milliarden Euro an Investitionen in unsere Volkswirtschaft fließen. Das bedeutete Arbeitsplätze, und das
wäre etwas, was in Deutschland hilft.
Auch das muss ich Ihnen sagen, Frau Bundeskanzlerin: Es ist richtig, dass Sie das Thema Bildung zu einem
zentralen Punkt machen. Das ist doch vernünftig. Übrigens - damit hier nichts missverstanden wird; das gilt
ausdrücklich auch für die beiden Damen im Kabinett,
die in diesem Falle besonders mitwirken -, es ist richtig,
dass das von Ihnen sozusagen mit einem Ausrufezeichen
vertreten wird. Aber tun Sie bitte nicht so, als sei dieser
Bildungshügel ein Gipfel gewesen. Gut, wenn man flach
im Gras liegt, dann ist auch ein Maulwurfshügel ein Gipfel.
({44})
Wenn Sie es ernsthaft als Erfolg, als Durchbruch verkünden, dass Deutschland - das mache ich gar nicht an
Parteien fest; da können wir die Länder völlig zu Recht
einbeziehen; ich sage das, damit wir da einig sind - seine
Bildungsinvestitionen bis zum Jahr 2015 von jetzt
8,9 Prozent auf 10 Prozent steigert, dann sage ich Ihnen:
Sie sind nicht ehrgeizig genug für unser Land. Wer sich
damit zufriedengibt, gibt sich mit zu wenig zufrieden.
Das ist nicht vernünftig.
({45})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben viele Brücken bauen
wollen. Sie haben über alles gesprochen, über AfA, über
Hauptschulen, über Piraterie, über CO2; aber Sie haben
nicht gesagt, wo Deutschland morgen stehen soll. Sie haben sich mit den Themen unserer Zeit nicht wirklich auseinandergesetzt. Nicht wir sind diejenigen, die in der
Minderheit in Europa sind, nur weil wir hier im Deutschen Bundestag in der Minderheit sind, wenn es um
Steuersenkungen geht; vielmehr gibt es in Europa eine
klare Mehrheit. Es ist eine Mehrheit für entschiedene
Politik, für eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger.
Es wird Zeit, dass nicht nur Europa, sondern auch
Deutschland eine solche, eine neue, vernünftige Mehrheit bekommt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({46})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Ludwig Stiegler,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss
sich Sorgen um den Kollegen Westerwelle machen.
({0})
Er denkt immer nur an das eine: also, nicht an Frau
Merkel,
({1})
sondern immer nur an Steuersenkungen. Beim Frühstück, beim Mittagessen und beim Abendessen denkt er
an Steuersenkungen. Er ist besessen von Steuersenkungen. Habt Erbarmen mit ihm!
({2})
Diese Denkweise
({3})
besagt: Wenn jeder für sich selber sorgt, ist für alle gesorgt.
({4})
Das war das Glaubensbekenntnis von Westerwelle, und
genau dieses Glaubensbekenntnis hat die Welt in diese
Katastrophe geführt.
({5})
Lieber Kollege Westerwelle, denken Sie deshalb mehr
an Frau Merkel und weniger an Steuersenkungen.
({6})
Die Haushaltsdebatte im letzten Jahr haben wir noch
gut gelaunt geführt, in diesem Jahr haben wir allerdings
mit den sich überschlagenden Prognosen das Fürchten
gelernt. Das Frühjahrsgutachten, das Septembergutachten
und das Novembergutachten des Weltwährungsfonds - es
war fast wie Hitchcocks Die Vögel, die Schwierigkeiten
sind immer deutlicher geworden. Das belegen auch die
OECD-Gutachten, die Gemeinschaftsdiagnose und der
Sachverständigenrat. Ich muss Peter Struck recht geben:
So wie der Sachverständigenrat heute arbeitet und begutachtet, ist er überflüssig. Was wir da über Konjunktur
und Weltwirtschaft erfahren, haben wir fünfmal anderswo und teilweise besser gelesen. Die Stammtischoder Forschungsergebnisse können auch in anderen Veröffentlichungen publiziert werden. Entweder bekommen
wir hier wirklich einen Rat, oder wir können uns in der
Zukunft diesen teuren Rat schenken.
({7})
Wir haben gesehen, dass die Tendenz nach unten gerichtet ist; je aktueller die Gutachten, desto trüber der Inhalt. Jetzt kann niemand mehr leugnen: Wir sind mitten
in einer Weltrezession. - Was ist noch letztes Jahr von
den Wissenschaftlern geschrieben worden? Decoupling
- Entkopplung - der Entwicklungsländer, der Emerging
Markets oder Europas von der amerikanischen Krise!
Davon ist keine Rede mehr. Wir sind als Exportland
eben nicht abgekoppelt, sondern mittendrin, und unsere
Hauptpartner in der Weltwirtschaft sind in der Rezession.
Das ist ein schwieriger Befund. Aber - um es fast mit
Hölderlin zu sagen - auch das Rettende wächst. Wir
können sehen, dass die Akteure in der Weltwirtschaft
heute - anders als bei der ersten großen Depression - zusammenarbeiten. Das ist ein hohes Gut. Deutschland ist
nicht, wie damals, am Katzentisch, sondern einer der
Hauptakteure. Das bürdet uns Verantwortung auf. Das
gibt uns aber auch Chancen. Deshalb brauchen wir vor
dieser Krise nicht davonzulaufen, sondern wir haben die
Chance, die Krise zu gestalten und zu überwinden.
({8})
Der Internationale Währungsfonds sagt uns deutlich:
Abgestimmtes Verhalten bringt doppelte Wirkung. Man braucht nur die jüngsten Reden zu lesen. Der G-20Gipfel, auf dem auch die Emerging Markets dabei waren, hat gemeinsames Handeln gebracht. Eines habe ich
aber schon festgestellt: Frau Merkel hat „freie Marktwirtschaft“ unterschrieben. Von „sozialer Marktwirtschaft“ war darin nichts zu lesen. Nun stehe ich vor der
Frage: Soll ich sie deswegen tadeln? Aber nachdem das
auch die chinesischen Kommunisten und Lula unterschrieben haben, habe ich festgestellt: Offenbar haben
wir ein neues semantisches Differenzial, unter dem man
alles verstecken kann. Sei’s drum! Man darf nicht deshalb das Richtige unterlassen; man darf nicht an den
Worten kleben. Den Linken sage ich: Ihr müsst euch um
eure chinesischen Freunde kümmern, bevor ihr die
Große Koalition schlagt.
({9})
Wir haben Zusammenarbeit in der Europäischen
Union. Ich hoffe auch, dass die Welthandelsorganisation
wieder aus dem Scheintod aufwacht. Ich danke vor allem Frank-Walter Steinmeier dafür, dass er auch auf
europäischer Ebene gemeinsames Handeln angestoßen
hat. Kein Land kann sich allein aus der Krise ziehen. Nur
dann, wenn alle miteinander handeln, wenn jeder seinen
Beitrag leistet, werden wir gemeinsam aus der Krise
kommen. Das ist ein unglaublicher Fortschritt in der
Weltwirtschaftspolitik, den wir wie unseren Augapfel
hüten sollten.
({10})
Was ist unser Beitrag, den Westerwelle und der Sachverständigenrat „Sammelsurium“ nennen? Die sind der
Tonnenideologie verhaftet. Die können wir zurzeit in
Amerika sehen. Dort besteht aber eine andere Ökonomie. Dort hat man vor ein paar Monaten 150 Milliarden
auf die Bürger abgeworfen. Was ist davon übrig geblieben? Nur die Erhöhung der Staatsschuld ist davon übrig
geblieben, aber kein Wachstumsimpuls. Deshalb ist unser gezielter Ansatz - wir setzen vor allem auf Investitionen und ermuntern die privaten Verbraucher, zu investieren - richtig.
Wir haben primär eine Exportkrise. Diese Exportkrise kann nicht primär mit nationalen Mitteln adressiert
werden. Aber all das, was die Chinesen tun, all das, was
die Japaner tun, und all das, was wir tun, um die Importe
zu steigern, ist ein Beitrag dazu. Langfristig werden wir
unsere Exportabhängigkeit redressieren müssen. Wir
sind zurzeit einen Tick zu exportabhängig, und das Bein
der Binnenwirtschaft ist zu asthenisch.
Wir könnten vielleicht größere Initiativen starten,
wenn wir eine voll entwickelte Bauwirtschaft hätten.
Aber nach dem Rückbau ihrer Kapazitäten kann man
nicht über Nacht Milliarden in diesen Bereich schütten
und denken, dass gleich Millionen marschieren und
Neues bauen. Das dauert vielmehr eine gewisse Zeit.
Angesichts dessen ist es notwendig, anderes zu machen,
zum Beispiel Kurzarbeit zu fördern. Ich danke Olaf
Scholz, dass er den Zeitraum für die Gewährung von
Kurzarbeitergeld verlängert hat.
({11})
Für die deutsche Wirtschaft muss gelten: Kurzarbeitszeiten sind das Trainingslager bzw. die Qualifikationszeiten
für den nächsten Aufschwung. Das ist das Entscheidende. Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung müssen in dieser Zeit stattfinden, statt die Menschen in die
Arbeitslosigkeit zu entlassen. Das ist unser Ansatz.
({12})
Meine Damen und Herren, wir stärken auch die Binnennachfrage. Wir haben gute Lohnrunden hinter uns.
Dank an die Gewerkschaften! Wir haben Gott sei Dank
wieder stabile Preise. Allein der Ölpreis ist um zwei
Drittel gesunken. Das bedeutet aufs Jahr gerechnet einen
Push der Massenkaufkraft von rund 23 Milliarden Euro.
Vor dem Hintergrund von sinkenden Preisen und steigenden Löhnen besteht die Aussicht, dass die Massenkaufkraft im nächsten Jahr steigt, wenn es zugleich gelingt, die Stabilisatoren aufrechtzuerhalten und für ein
Wachstum der Sozialeinkommen zu sorgen. Der Anstieg
des privaten Verbrauchs wird sich also für uns alle positiv auswirken.
Hinzu kommen die privaten Investitionen. Das CO2Gebäudesanierungsprogramm ist das Programm mit dem
größten Hebel. 1 Milliarde Euro, die von der KfW hierfür zur Verfügung gestellt werden, lösen an die 9 Milliarden Euro Investitionen aus, die wiederum für ein höheres Wirtschaftswachstum sorgen. Deshalb ist es Quatsch,
nur auf die eingesetzten Summen zu schauen. Man muss
auch die Hebelwirkung betrachten. Aber dafür sind die
Steuersenkungspolitiker in diesem Hause wohl zu blind.
({13})
Meine Damen und Herren, auch mit der Ausweitung
von Sonderabschreibungsmöglichkeiten fördern wir die
Investitionen. Ich muss allerdings einschränken: Gerade
den kleinen und mittleren Unternehmen werden wir auch
über Kredite helfen müssen. Dabei dürfen wir uns nicht
nur auf die „kaltblütig“ handelnden Banken verlassen.
Von denen fordern wir ja auch Deleveraging, also weniger Kredite, ein stärkeres Risikomanagement und ein
stärkeres Risikobewusstsein. Vor diesem Hintergrund ist
klar, dass nur Staat und Bankenwelt gemeinsam die Mittelständler fördern können. Das wird die Große Koalition zusammen mit der KfW in Angriff nehmen und
auch miteinander durchsetzen.
Wir haben außerdem die privaten Haushalte als Arbeitgeber steuerlich bessergestellt und die Absetzbarkeit
von Handwerkerdienstleistungen erhöht. Das wird bundesweit an vielen Stellen mehr Wachstum und Beschäftigung bringen. Vor allen Dingen wird das dazu führen,
dass Privatleute an ihr Erspartes gehen und es in Haus
und Garten investieren. Es kann nicht sein, dass sich immer nur der Staat verschuldet; vielmehr müssen auch
private Ersparnisse eingesetzt werden, um die Wirtschaftskrise zu überwinden.
({14})
Meine Damen und Herren, wir fordern auch die Länder auf, mitzumachen. Es ist unmöglich, dass bei einer
so zentralen Debatte die Bundesratsbank leer ist. Die
Länder wollen alle nur beim Bund abkassieren. Es kann
aber nicht sein, dass ausschließlich Forderungen an den
Bund gerichtet werden. Auch die Länder stehen in der
Pflicht. So ist zum Beispiel die Universität Regensburg
eine Tropfsteinhöhle. Der Freistaat Bayern könnte da
ohne weiteres 200 Millionen Euro und mehr investieren.
({15})
In Passau und anderen Orten gilt das Gleiche. Ebenso
trifft das auch auf andere Länder zu. Die Länder müssen
also mitmachen; dafür müssen sie auch die Gemeinden
entsprechend unterstützen.
Wir wollen, dass gerade die Städte im Westen und im
Norden, die unter einem Haushaltsdeckel aufgrund ihrer
Schulden leiden, in die Lage versetzt werden, zu investieren. Wir können nicht zulassen, dass die Lebensverhältnisse weiter auseinanderdriften. Lasst uns vielmehr
gemeinsam mit den Ländern den Kommunen in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein oder in den neuen Ländern dabei helfen, dass sie
die notwendigen Investitionen, die sie sofort tätigen
könnten, auch wirklich tätigen können.
({16})
Es wurde schon angesprochen, dass Regulierung als
Investitionsbremse wirkt. Wir sind dagegen, flächendeckend - wie mit der Schrotflinte - Steuersenkungen einzuführen.
({17})
- Ihr würdet gerne breit streuen.
({18})
Wir alle wissen, dass die Sparquote in Deutschland
hoch ist. Die OECD geht in ihrer jüngsten Prognose von
einer Sparquote von über 10 Prozent aus. Diese Ersparnisse bleiben aber liegen. In Deutschland gibt es viel weniger Investitionen, als es die Ersparnisse hergeben würden. Deshalb wird Kapital exportiert, das in zweifelhafte
Anlagen fließt und mit zweifelhaften Infektionen zurückkommt. Steuersenkungen sind also nicht der richtige
Weg. Vielmehr sollte der Staat, wenn er Mittel hat, Investitionen anstoßen, die die Privaten veranlassen, ihren
Teil zu leisten. Es sollten Investitionen getätigt werden,
von denen morgen nicht nur Schulden übrig bleiben.
Konsum über Schulden ist keine gute Idee und geht auf
Dauer nicht gut.
({19})
Investitionen stützen auch die Wirtschaft unserer Exportpartner. Wir müssen kapieren: Wir müssen eine internationale Wirtschaftspolitik betreiben; wir können
nicht nur an Deutschland denken, sondern müssen auch
andere Länder berücksichtigen. Gerade die Länder, mit
denen wir Exportüberschüsse haben, müssen wir in den
Blick nehmen. Wenn wir hier investieren, dann steigt
auch unsere Importquote. Im dritten Quartal beispielsweise ist unsere Importquote gestiegen. Das hilft der
Weltwirtschaft insgesamt.
Schauen wir uns die Rolle des Staates an. Wir haben
gesehen: Mit Marktdisziplin allein funktioniert es nicht;
der Staat muss Regeln setzen und sie auch durchsetzen.
Wir, gerade die SPD, mussten uns jahrelang von den liberalen Egoisten verleumden und verhöhnen lassen: Wir
wollten alles regulieren und die Wirtschaft fesseln. Ihre entfesselte Wirtschaft ist im Straßengraben gelandet. Wir dürfen sie jetzt herausziehen.
({20})
Wir verlangen nicht einmal Dank oder ein Trinkgeld.
({21})
- Das kann man von denen nicht erwarten; denn die haben immer recht. Ultra posse nemo obligatur. Da kann
man nichts machen.
({22})
Wir haben den Staat als „lender and investor of last
resort“. Wenn ich bedenke, was diese stolzen Banker
vorher getrieben haben, ist es schon interessant, wie sie
nun in die sicheren Häfen des Staates einlaufen. Erst haben sie auf den Staat geschimpft und ihn bespuckt. Sie
haben immer gesagt: Was willst du Depp da? - Aber
wehe, es wird eng; dann kommen sie wie die Küken unter die Henne.
({23})
Das ist die Situation: Sie kommen wie die Küken unter
die Henne, und wir müssen den Habicht abwehren.
({24})
Der Westerwelle wird dann wieder sagen: Das ist der
Bundesadler, der einem das Einkommen nehmen will.
Jetzt zur Rolle der Zentralbanken und dazu, was die
amerikanische Zentralbank, aber auch die Europäische
Zentralbank gemacht haben. Die Bilanzen der Zentralbanken sind angeschwollen. Wir werden uns noch umschauen, wenn wir deren Bilanzentwicklung betrachten.
Trotzdem war es nötig, was sie getan haben. Die Fed hat
ihr Pulver weitgehend verschossen. Wir sollten aber die
Bekehrung der Europäischen Zentralbank feiern. Das
sind die Weisen, die vom Irrtum zur Wahrheit reisen.
Deshalb begrüßen wir, dass die Europäische Zentralbank
nicht mehr mit schlechtem Gewissen, sondern optimistisch und vorsätzlich Zinssenkungen beschließt.
({25})
Herr Weber, Herr Trichet und vor allem Jürgen Stark,
willkommen im Klub! Das war eine Bekehrung. Die haben noch im Sommer die Zinsen erhöht, jetzt sind sie dabei, sie zu senken. Im Hause des Vaters ist über einen
reuigen Sünder mehr Freude denn über 100 Gerechte.
({26})
- Genau, es sind nur 99 Gerechte.
({27})
Jawohl! Wo Sie recht haben, haben Sie recht; das muss
ich zugeben. Das kommt selten genug vor. Wenigstens
beherrschen Sie die Bibel. Das ist schon ein Vorteil.
Meine Damen und Herren, der Staat ist der Hüter der
Nachhaltigkeit in Bezug auf Bildung, Forschung, Entwicklung und Klima. Aber jetzt heißt es: We have to
overcome. Nun müssen wir die Krise überwinden. Die
nächsten vier Quartale erfordern unsere gesamte Anstrengung. Die Weltwirtschaft ist nicht nur unser Schicksal, sondern auch ein gestaltbares Geschick. Wir sind
entschlossen, unser Geschick zu gestalten.
Danke.
({28})
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Ramsauer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Von der heutigen Debatte geht unter anderem
eine Botschaft aus: dass wir den Bundeshaushalt 2009 in
einem außergewöhnlich schwierigen konjunkturellen
und weltwirtschaftlichen Umfeld beraten. Aber - ich
habe das schon mehrfach öffentlich betont - bei aller
sorgfältigen und gewissenhaften Betrachtung, Analyse
und Entwicklung von Gegenmaßnahmen dürfen wir
nicht in eine Weltuntergangsstimmung verfallen und
eine Apokalypse heraufbeschwören. Deswegen war es
ausgesprochen wichtig, dass die Bundeskanzlerin heute
an unser Selbstvertrauen appelliert hat, indem sie betont
hat, dass wir Deutsche schon andere gewaltige Herausforderungen in den letzten Jahrzehnten gemeistert haben
und dass wir, wenn wir alles richtig machen, gestärkt aus
dieser Krise hervorgehen werden.
({0})
Herr Kollege Lafontaine, Demagogie hilft hier nicht
weiter. Derjenige, dessen Antwort in Demagogie besteht, versündigt sich an unserem Volk und löst nicht die
Probleme, die wir haben, sondern verschärft sie eher.
({1})
Ich bin deshalb froh, dass der Chef der Bundesagentur
für Arbeit, Weise, in aller Nüchternheit darauf hingewiesen hat - das ist richtig -, dass sich ein schwächeres
Wachstum weniger auf die Arbeitslosenzahlen auswirken wird, als viele befürchten. Bei einem Rückgang der
Wirtschaftsleistungen um 0,5 Prozent, wie wir es im
nächsten Jahr vielleicht erleben werden, werde die Arbeitslosigkeit insgesamt um nur - in Anführungszeichen 130 000 steigen. Ich verstehe das als eine Ermutigung, in
dieser Krise um jeden Arbeitsplatz entschlossen zu
kämpfen.
({2})
Deswegen kommt es jetzt darauf an, dass wir gemeinsam handeln und unserer Wirtschaft einen verlässlichen
Rahmen geben. Das Erste, was wir beschlossen haben
und was Wirkung zeigt, ist das Finanzmarktpaket, mit
dem die Eskalation der Finanzkrise gebrochen worden
ist. Jetzt kommt es unter anderem darauf an, dass die Geschäftsbanken in Deutschland ihrer Verantwortung gerecht werden, nämlich die Wirtschaft mit Geld zu versorgen. Ich sage das vor allen Dingen vor dem Hintergrund,
dass wir mit unserem Impulsprogramm eine Reihe von
zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten gerade für den
Mittelstand schaffen. Es ist wichtig, immer wieder zu
betonen, dass wir das, was wir gemacht haben, nicht nur
für die Banken getan haben und dass für uns jemand
nicht erst dann hilfsbedürftig ist, wenn er im Gewand
und in der Größe von Opel daherkommt, sondern dass
uns jeder Mittelständler genauso am Herzen liegt und
uns diese Arbeitsplätze ebenso wichtig sind. Deswegen
geben wir mit diesem Impulsprogramm kleinen und
mittleren Betrieben hervorragende zusätzliche Investitions- und Finanzierungsmöglichkeiten.
({3})
Ich rufe die Banken in Deutschland auf: Fallen Sie bei
Sicherheitsbewertungen jetzt nicht in das andere Extrem,
sondern helfen Sie mit, die bestehende Krise zu meistern!
Ich möchte darauf hinweisen, was vor 80 Jahren
wahrscheinlich falsch gemacht worden ist. Was zunächst
eine reine Bankenkrise war, ist erst durch eine engstirnige Wirtschaftspolitik zu der gewaltigen Weltwirtschaftsdepression geworden. Wir dürfen diesen Fehler
nicht wiederholen.
Wir müssen - das ist der zweite Punkt - andere
Instrumente wie die Stärkung des Freihandels und das
Wiederbeleben der Doha-Runde nutzen. Dort engagiert
sich unser Wirtschaftsminister Michael Glos gegen Subventionswettläufe zwischen den einzelnen Volkswirtschaften. Ein solcher Wettlauf wäre Gift. Wir brauchen
stattdessen mehr Freihandel. Das hilft einer exportorientierten Nation wie der unsrigen.
({4})
Dritter Punkt. Es ist schon das Spannungsfeld zwischen Klimaschutzzielen auf der einen Seite und den
Wirtschaftsproblemen auf der anderen Seite angesprochen worden. Bei den aktuellen Problemen, die die Autoindustrie im Augenblick hat, können wir nicht einfach
sagen „Weiter so“. Das würde in der augenblicklichen
Situation heißen, dass wir Arbeitsplätze in Deutschland
mutwillig gefährden. Ein Auto wird nicht allein dadurch
umweltfreundlicher, dass es nicht mehr in Deutschland,
sondern irgendwo im europäischen oder außereuropäischen Ausland gebaut wird. Das müssen wir uns vor Augen halten.
Frau Künast, Sie haben an die Bundeskanzlerin den
Vorwurf gerichtet, sie werde in Brüssel „Madame Non“
genannt. Ich bin froh darüber - dafür danke ich Ihnen,
Frau Bundeskanzlerin -, dass Sie, wenn es erforderlich
ist, in Brüssel oder sonstwo in Europa zu den anderen
Staatsführern sagen: Non, das machen wir wegen der
deutschen Interessen nicht mit.
({5})
Wir nehmen zwar Rücksicht auf europäische Interessen,
aber wir, das Parlament und die Bundesregierung, sind
zuerst dazu da, deutsche Interessen zu wahren. Das erwartet auch die Öffentlichkeit in Deutschland von uns.
({6})
Forderungen in Bezug auf Klimaschutz - ja, aber sie
müssen auch erfüllbar sein.
({7})
Dazu gehört auch - ich glaube, da sind wir auf einem
vernünftigen Weg, Herr Bundeswirtschaftsminister -,
dass wir die energieintensiven Industrien von der Versteigerung der Zertifikate ausnehmen müssen.
Ein Wort an Bundesumweltminister Gabriel. Lieber
Herr Gabriel, unsere Position für Arbeitsplätze und Klimaschutz haben Sie bisweilen kritisiert. Aber da kann
ich Ihnen nur zurufen: Was unsere Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner in Brüssel kann, nämlich deutsche
Interessen durchsetzen, das sollten auch Sie gefälligst
können.
({8})
Ein vierter Punkt. Es geht natürlich auch um Steuersenkungen; Herr Kollege Westerwelle, Sie haben darauf
hingewiesen. Es ist keineswegs so, dass davon nicht die
Rede ist. Ich möchte vorlesen, was auf dem CDU-Parteitag
in Stuttgart, der vom kommenden Sonntag bis Dienstag
stattfindet - ich werde selbst als Gast in Stuttgart sein -,
beschlossen werden soll.
({9})
- Hören Sie mir doch zu, lieber Ludwig Stiegler! - Ich
darf zitieren:
Der derzeitige Tarifverlauf führt dazu, dass Lohnsteigerungen oder Überstunden zu wenig bei den
Menschen ankommen. Diese leistungsfeindliche
Wirkung des Steuerrechts werden wir ändern.
({10})
Wir werden den Tarifverlauf so gestalten, dass Gehaltserhöhungen oder Mehrarbeit nicht durch die
kalte Progression minimiert werden, sondern bei
den Arbeitnehmern auch stärker ankommen.
({11})
Dazu kann ich nur sagen: Bravo, CDU-Parteitag!
Vonseiten der CSU haben wir das Notwendige hierzu
schon längst gesagt.
({12})
- Ich beantworte Ihre Zwischenfrage später, Herr Kollege Westerwelle. Denn dann können Sie das Thema
Erbschaftsteuer inkludieren.
({13})
Das Thema Erbschaftsteuer ist in dieser Debatte zu
Recht schon mehrfach angesprochen worden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Frage, wie Erbschaften
- egal ob landwirtschaftlich, betrieblich oder privat steuerlich behandelt werden, ein außerordentlich wichtiger Standortfaktor für Deutschland ist. Denn jeder macht
sich Gedanken darüber, wie in einem Land mit dem Eigentum umgegangen wird. Eine kluge Erbschaftsteuerreform ist auch ein exzellentes Konjunkturprogramm.
Das müssen wir uns immer vor Augen halten.
Ich habe in den vergangenen Monaten und Jahren mit
Entschiedenheit und mit großem Verantwortungsbewusstsein dafür gekämpft, dass im Rahmen einer Erbschaftsteuerreform Eigentum und auch die Leistung respektiert werden, die der Eigentumsbildung vorausgeht.
Ich sage eines klipp und klar: Ich verurteile es aus
voller Überzeugung, wenn jemand die These vertritt,
dass Erben ein leistungsloser Erwerb sei. Nein, Erben ist
kein leistungsloser Erwerb. Erben ist vielmehr zweierlei:
Derjenige, der sein ganzes Leben lang gearbeitet und etwas geleistet hat, der es sich vom Mund abgespart hat,
was er vererbt, soll dies zu vernünftigen Konditionen an
die nächste Generation weitergeben können.
({14})
Derjenige, der einen Familienbetrieb, der über Generationen hinweg besteht, als Erbe übernommen hat, soll
ihn weitergeben können. Er kann ihn an seinem Lebensende nicht mitnehmen. Alle diejenigen, die Eigentum
haben, unter Generalverdacht zu stellen, es zu verscherbeln und es irgendwo auf der Welt zu verjubeln, ist eine
gemeine Anklage gegen all diejenigen, die verantwortungsvoll in unzähligen Familienbetrieben Deutschlands
zusammen mit den dortigen Beschäftigten arbeiten und
Leistung erbringen.
({15})
- Ich bin noch nicht fertig.
({16})
Dazu ist viel zu sagen. Als liberaler Christsozialer
könnte ich mehr zu diesem Thema sagen, als die Formalliberalen dazu überhaupt zu sagen haben.
({17})
Ich stelle steuerpolitisch und grundsätzlich eines fest:
Wir müssen mit der Frage, inwieweit sich der Staat bei
der Weitergabe von Eigentum durch Besteuerung gütlich
tut, sehr sorgfältig umgehen. Wenn sich jemand aus bereits versteuertem Einkommen Eigentum schafft, dann
hat der Staat bei der Weitergabe an die nächste Generation nicht mehr Hand anzulegen. Unsere Maßgabe muss
sein: Respekt vor Eigentum, Respekt vor Leistung.
({18})
Eines gehört noch hierher: die gesellschaftspolitische
Bedeutung des Themas Erben bzw. Erbschaftsteuer.
„Respekt vor Eigentum“ habe ich gesagt. Eigentum ist
die Voraussetzung für Freiheit. Wir wollen nicht den eigentumslosen Staatsbürger; denn dieser kann keine Eigenverantwortung und keine Freiheit haben. Wir wollen
vielmehr den freien Bürger, der für sich selbst sorgt und
nicht am Tropf des Staates hängt.
Eigentum ist die Voraussetzung nicht nur für Freiheit,
sondern auch für etwas, auf das wir im Sozialstaat
Deutschland besonders stolz sind. Es ist nämlich die Voraussetzung für Solidarität. Ohne Eigentum funktioniert
Solidarität nicht. Ohne Eigentum kann es keine SolidariDr. Peter Ramsauer
tät geben. Denn derjenige, der kein Eigentum hat, kann
auch keine Solidarität üben. Eine Gesellschaft ohne Eigentum ist eine Gesellschaft ohne Solidarität und nur
noch eine Mangelverwaltung. Dies wollen wir nicht.
({19})
Deswegen ein klares Ja zum Eigentum, ein klares Ja
zur Leistung, ein klares Ja zur Weitergabe des Eigentums. Dann sind wir auf dem richtigen Weg und schaffen
eine großartige Standortvoraussetzung in schwierigen
wirtschaftlichen Zeiten.
Herzlichen Dank.
({20})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Guido Westerwelle.
An den liberalen Christsozialen gerichtet: Die Rede
hat uns viel Freude gemacht. Jetzt weiß man auch, warum wir in Bayern gut zusammen regieren werden.
Als Zweites möchte ich ansprechen: Sie haben hier,
wie ich finde, sehr klug auf die entscheidenden Sätze aus
dem Leitantrag der CDU hingewiesen, Herr Kollege.
Werden Sie in Ihrer Eigenschaft als Mitglied der Führung der Unionsfraktion dafür eintreten, dass das, was
die CDU auf dem Parteitag mutmaßlich beschließen
wird, noch vor der Bundestagswahl hier im Hohen
Hause beschlossen wird oder danach? Ich richte meine
Frage an den unabhängigen liberalen Christsozialen, der
jetzt aus seinem Herzen keine Mördergrube machen
muss. Reden Sie bitte frei!
({0})
- Nur mal so unter uns. - Bitte!
Herr Kollege Ramsauer, ich habe eine weitere Bitte
nach einer Kurzintervention vorliegen, und zwar vom
Kollegen Ernst. Wollen Sie die Frage des Kollegen
Westerwelle gleich beantworten oder anschließend?
Dann habe ich zwei mal vier Minuten.
Zwei mal drei Minuten.
({0})
Gut. Dann kommt jetzt der Herr Kollege Ernst.
Herr Ramsauer, Sie haben über die Erbschaftsteuer
gesprochen und erklärt, warum es notwendig ist, dass
man das Vermögen an die jeweils nächste Generation
vererben kann. In der bayerischen Verfassung heißt es,
dass die Erbschaftsteuer auch dazu dient - das steht dort
wörtlich -, „die Ansammlung von Riesenvermögen in
den Händen“ von wenigen „zu verhindern.“ Jetzt stelle
ich mir natürlich die Frage - in diesem Zusammenhang
stelle ich sie Ihnen -, wie Sie die Aussage, dass man versteuertes Einkommen - und zwar mehr oder weniger
ohne Begrenzung; so habe ich Sie verstanden - einfach
weitervererben können muss, mit der bayerischen Verfassung in Einklang bringen wollen, die die Ansammlung von Riesenvermögen, die als Folge eines solchen
Vererbens entstehen können, verhindern will.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst zum Kollegen Ernst - ich bedanke mich für die
Gelegenheit, meiner Rede einen Punkt hinzuzufügen,
den ich vorhin aus Zeitgründen nicht mehr darlegen
konnte -: Vererben hat für uns in der CDU und der CSU
sehr viel mit unserem Familienbild zu tun.
({0})
Damit haben Sie und Ihre Partei, Die Linke, vielleicht
Probleme. Unsere Grundüberzeugung hat sich vor langer
Zeit in der bayerischen Verfassung niedergeschlagen.
Wir wollen, dass innerhalb der Familie erbschaftsteuerfrei vererbt werden kann. Das gab es noch nie. Auch
nach dem jetzigen Erbschaftsteuerrecht ist es nicht möglich, dass zwischen Ehegatten sowie Eltern und Kindern
vollkommen erbschaftsteuerfrei, ohne Rücksicht auf den
Wert der Immobilie, vererbt wird.
Jetzt sage ich Ihnen, wer einer der größten Nutznießer
dieser Regelung für den privaten Bereich ist. Sie und
Ihre Parteifreunde haben immer wieder demagogisch auf
irgendwelche imaginären Villen am Starnberger See
oder in meiner Heimat, am Chiemsee oder am Königssee, verwiesen. Ich kenne eine wirkliche Luxusvilla im
Bundesland Saarland.
({1})
Ja, auch das muss man sagen. Hier sitzt er: Ihr Fraktionsmitvorsitzender Lafontaine ist einer der obersten Nutznießer dessen, was die CSU durchgesetzt hat.
({2})
Wir haben auch für Sie aus christlicher Nächstenliebe
und einem ordentlichen Familienbild heraus einen
Schutzschirm gestaltet, den Ihnen Ihre eigene Partei
nicht gönnen würde.
({3})
Sehr geehrter Herr Kollege Westerwelle, zu Ihrer
Frage: Eines haben wir sicherlich schon jetzt geschafft:
Wir haben die Neugier auf den CDU-Parteitag gefördert.
Wie gesagt, wir werden aus geschwisterlichem Zugetansein dort anwesend sein. Wir lernen viel voneinander.
Wichtig ist Ihre Frage, ob diese Steuererleichterungen
vor der Bundestagswahl oder nach der Bundestagswahl
kommen.
({4})
Sie kommen dann, wenn sie erforderlich sind.
({5})
- Entschuldigung, die CDU-Vorsitzende sitzt auf dem
Stuhl der Bundeskanzlerin. Insofern bin ich jetzt sozusagen der Interpret von CDU-Politik, was ich außerhalb
Bayerns oft und gerne bin. Ich habe mir den zehnseitigen
Entwurf des Leitantrages sehr genau durchgelesen. Ich
finde es großartig, dass sich zwei Seiten davon, also
20 Prozent, ausschließlich mit Steuersenkungen befassen. Ich habe das ausgesprochen aufmerksam gelesen.
Das vielleicht Wichtigste ist: Es steht nicht drin, dass die
Steuersenkungen erst nach der Bundestagswahl kommen. Es steht kein Zeitpunkt drin, wann das alles getan
wird. Deswegen bin ich sehr zuversichtlich, dass wir alle
miteinander, CDU und CSU, den richtigen Zeitpunkt für
die richtigen Steuersenkungen festlegen werden.
Vielen herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Petra Merkel, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte eigentlich lieber
nach der Rede von Herrn Kollegen Kauder gesprochen,
weil ich sie angenehm und wohltuend fand. Stattdessen
muss ich jetzt nach Ihnen, Herr Ramsauer, sprechen. Ich
möchte Herrn Röttgen, der sich für die moralischen Fragen innerhalb der CDU/CSU-Fraktion häufig zuständig
fühlt, bitten, sich die Rede von Herrn Ramsauer anzusehen und sie in Bezug auf Gerechtigkeit, Solidarität und
Verantwortung zu analysieren. Das wäre ein gutes Werk.
({0})
Wir hatten wahrlich ungewöhnliche Haushaltsberatungen, und wir befinden uns in einer Situation, die sich
niemand von uns vor einigen Monaten hätte vorstellen
können. Der im Sommer von der Bundesregierung vorgelegte Haushaltsentwurf musste nach der Finanzkrise
auf eine sich abzeichnende Wirtschaftskrise ausgerichtet
werden. Darüber ist gestern und heute viel diskutiert
worden.
Ich möchte ausdrücklich betonen, wie gut, konstruktiv und schnell wir im Haushaltsausschuss zusammengearbeitet haben, als es um die rasche Verabschiedung der
Hilfen zur Stabilisierung der Finanzmärkte ging. Das lief
innerhalb der Großen Koalition gut. Es lief auch gut
durch die Unterstützung aller Oppositionsfraktionen, die
die schnelle Beratung ermöglichten. Dafür herzlichen
Dank! Ich möchte an dieser Stelle auch Peer Steinbrück
danken, der mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Finanzministerium bis in die Nächte hinein die
Vorarbeit geleistet und mit klaren Vorgaben und Regeln
Vertrauen statt unkontrollierbarer Panik erreicht hat.
({1})
Lassen Sie mich Folgendes betonen: Das Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ konnten wir guten Gewissens beschließen,
weil wir vorher einen verantwortungsvollen Sanierungspfad eingeschlagen hatten, und das übrigens seit zehn
Jahren unter sozialdemokratischer Verantwortung. In der
Zeit haben wir Strukturveränderungen durchgesetzt.
({2})
Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist beispielhaft, weil es nach zwei Seiten erfolgreich ist: Es hilft,
zur Senkung der Energiekosten beizutragen, und es
schafft neue Arbeitsplätze. Das sind Strukturveränderungen, die in die richtige Richtung gehen. Der Klimawandel kann nicht warten.
Wir Abgeordnete müssen den Staat gerade jetzt handlungsfähig halten, zur Not auch mit höherer Verschuldung, um Investitionen zu ermöglichen. Wir dürfen in
dieser Zeit den Staat nicht kaputtsparen. Das sage ich
hier auch als Mitglied des Haushaltsausschusses und der
Föderalismuskommission ganz klar und deutlich. Wir
müssen allerdings auch die eingestellten Mittel so effektiv wie möglich zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen einsetzen. Ich habe dafür Beispiele aus meinem Haushalt, dem Haushalt des Beauftragten für Kultur
und Medien, herausgesucht, die zeigen, dass Investitionen in Kultur nicht nur der Bildung dienen, sondern auch
Arbeitsplätze und bleibende Werte schaffen.
({3})
Im Etat des Beauftragten für Kultur und Medien,
dem Etat des BKM, werfen wichtige Jubiläen und wichtige Ereignisse schon jetzt ihre Schatten voraus. Wir
konnten in diesem Jahr den zehnten Geburtstag des Amtes des Beauftragten für Kultur und Medien feiern. Drei
männliche und eine weibliche Beauftragte haben dieses
Amt bislang innegehabt, alle mit ihren Schwerpunkten
und jede und jeder auf seine oder ihre besondere Weise,
die jeweils gut war. Herzlichen Glückwunsch dazu!
({4})
Dass es das Amt des Beauftragten für Kultur und Medien seit 1998 gibt, verdanken wir übrigens dem damaligen Bundeskanzler Schröder. Die Kultur wird von diesem Parlament ganz besonders gut behandelt.
Petra Merkel ({5})
Jetzt komme ich zu dem, was ich vorhin schon angesprochen habe, zu den Investitionen in Kultur, die Arbeitsplätze schaffen. Im Etat des Beauftragten für Kultur
und Medien findet sich das Programm „Anreiz zur Stärkung der Filmproduktion in Deutschland“, für das jährlich 60 Millionen Euro vorgesehen sind, die dazu dienen, die Filmproduktion in Deutschland zu unterstützen.
Dieses Programm ist sehr erfolgreich. Internationale
Filmproduktionen zieht es vermehrt nach Deutschland,
vor allem nach Berlin, aber nicht nur in die Hauptstadt.
Die Bilanz nach den ersten zwei Jahren dieses Anreizprogramms kann sich sehen lassen. Die ersten Schätzungen ergeben, dass für jeden ausgegebenen Euro über
6 Euro zurückkommen. Das nenne ich eine gute Rendite.
({6})
Kultur ist ein Wirtschaftsfaktor. Ich werde mich aber
hüten, Kultur allein darüber zu definieren. Dieser Wirtschaftsfaktor wird allerdings nicht oft genug gesehen.
Ich zitiere in diesem Zusammenhang gern unseren
Finanzminister, der das Maßnahmenpaket mit den Worten beschrieben hat: langfristig sinnvoll, kurzfristig umsetzbar, rasch wirksam. Das sind die Investitionen in
Kultur allemal.
Ein weiteres Beispiel für Investitionen im Kulturbereich ist Folgendes: Wir haben im letzten Jahr mit dem
Nachtragshaushalt 2007 400 Millionen Euro im Kulturetat für Investitionsmaßnahmen verankert, davon 40 Millionen Euro für ein Sonderprogramm Denkmalschutz,
das in diesem Jahr sehr erfolgreich angelaufen ist. Die
erste Tranche haben wir im September im Haushaltsausschuss verabschiedet, die zweite Tranche läuft jetzt, und
eine dritte folgt im nächsten Jahr.
40 Millionen Euro dienen zur Sanierung und Restaurierung von akut vom Verfall bedrohten Denkmälern.
Durch diese 40 Millionen Euro sind weitere 40 Millionen
Euro von den Ländern, Gemeinden oder Privaten lockergemacht worden, die sich zur Hälfte an der Finanzierung
beteiligen müssen. Insgesamt sind es also 80 Millionen
Euro, die gerade kleinen und mittleren Handwerksbetrieben, die an der Sanierung beteiligt sind, zugutekommen.
Die Sanierung, die Rekonstruktion eines Gebäudes, bedeutet an manchen Orten die Steigerung der Attraktivität, vielleicht auch höhere Tourismusraten und dadurch
wieder mehr Arbeitsplätze.
({7})
Ich möchte gerne weitere Bereiche im Kulturetat hervorheben, die deutlich machen, wie sich Investitionen
auszahlen. Das nun folgende Programm befindet sich
zwar nicht in meinem Etat, sondern im Etat des Ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Aber es
geht um den Kulturbereich, und deswegen möchte ich
diesen Punkt erwähnen. Wir haben insgesamt 150 Millionen Euro eingestellt und fördern damit in den nächsten fünf Jahren die UNESCO-Weltkulturerbestätten in
Deutschland. 33 Denkmäler und Denkmalkomplexe in
Deutschland gehören zum Weltkulturerbe. Dieses Förderprogramm soll die Erhaltung und Sanierung der baulichen Anlagen der Weltkulturerbeliste unterstützen.
Stätten im Norden, Süden, Osten und Westen der Bundesrepublik sind hier vertreten.
Wenn ich schon bei einem fremden Etat bin, dann
bleibe ich gleich hier, und es geht weiter mit dem Berliner Schloss bzw. dem Humboldt-Forum. Ebenfalls im
Etat des Ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung wurden 1,5 Millionen Euro eingestellt, die zur
Errichtung einer neuen Stiftung dienen, einer „Stiftung
Berliner Schloss/Humboldt-Forum“.
Viele von uns erwarten sicherlich mit Spannung die
Entscheidung des Wettbewerbs am kommenden Freitag.
({8})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Wie
kann man sich in eine Jury berufen lassen, wenn man ein
Gegner des Rekonstruktionsbaus ist? Es gibt klare Vorgaben durch den Bundestagsbeschluss.
({9})
Ich zitiere hier mit Erlaubnis der Präsidentin den Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz im Tagesspiegel
vom 21. November 2008:
Mehrheitsfähig und demokratisch legitimiert ist
einzig die historische Rekonstruktion. Nicht nur,
dass sich die Bürgerinnen und Bürger das Stadtschloss zurückwünschen, das SED-Chef Ulbricht
einst sprengen ließ. Auch der Deutsche Bundestag
hat … 2007 den Wiederaufbau eindeutig beschlossen.
Wir erwarten, dass in dem Wettbewerb die klaren Vorgaben, die der Bundestag beschlossen hat, auch erfüllt werden, egal was einzelne Jurymitglieder derzeit in der
Presse erzählen mögen.
({10})
Die komplexen Baumaßnahmen machen es nötig, hier
eine Struktur zu schaffen, die dieses Projekt begleitet.
Diese neue Stiftung soll nun als Bauherr der zentrale und
verantwortliche Ansprechpartner für alle den Bau und
später den Betrieb betreffenden Angelegenheiten werden. Mit dem Humboldt-Forum sollen die Weltkulturen
ins Zentrum Berlins geholt und in den Dialog mit den
europäischen Kulturen auf der Museumsinsel gesetzt
werden. Die außereuropäischen Sammlungen des Ethnologischen und des Asiatischen Museums in Dahlem sollen in das zukünftige Humboldt-Forum einziehen. Somit
werden die weltbedeutenden Berliner Sammlungen auch
international in den Fokus gerückt.
Die Bundesrepublik Deutschland
- ein Zitat aus dem Bundestagsantrag nimmt somit die historische Chance wahr, in der
Mitte der Hauptstadt ein zukunftsweisendes Signal
ihres kulturellen Selbstverständnisses zu setzen.
({11})
Petra Merkel ({12})
Der Haushalt 2009 ist auch der Haushalt für ein spannendes Gedenkjahr. Manchmal sind Daten gut, um etwas
zu bewegen oder anzustoßen. Als Erstes möchte ich mit
Ihnen auf das Jahr 2010 blicken. Da wird die Region
Ruhr eine der Kulturhauptstädte Europas sein. Wir konnten in diesem Haushalt 5 Millionen Euro zusätzlich zur
Verfügung stellen, um Projekte für die Kulturhauptstadt Ruhr 2010 zu unterstützen. Was besonders wichtig ist: Diese Mittel werden schon 2009 fließen, sodass
die Arbeit konkret losgehen kann. 2010 wird der Bund
13 Millionen Euro geben, also eine Summe von insgesamt 18 Millionen Euro, ohne die Mittel aus der Bundeskulturstiftung, die wir übrigens um 1 Million Euro aufgestockt haben.
Da ich gerade über das Jahr 2010 spreche, kann ich
den Bogen zu einem Projekt schlagen, das mir besonders
am Herzen lag und liegt und für das ich zum Glück viele
begeistern konnte. Nach einem Besuch der Villa
Massimo im Rom vor einigen Jahren habe ich davon geträumt, dass es einen ähnlichen Ort auch in Istanbul geben sollte, einen Ort, an dem deutsche Künstlerinnen
und Künstler aus den unterschiedlichen Sparten - Film,
Literatur, Musik, bildende und darstellende Kunst - eine
Zeit lang leben und arbeiten und dadurch in der manchmal vertrauten, manchmal fremden Metropole Istanbul
neue Impulse für ihre Arbeit erhalten können. Gleichzeitig sind diese Künstlerinnen und Künstler auch Mittler
und schaffen ein weiteres Glied in der Kette der zahlreichen Verbindungen zwischen der Türkei und Deutschland.
Ich konnte meinen Koalitionspartner Steffen
Kampeter sehr schnell für diese Idee gewinnen; ich
glaube, das gilt auch für Gesine Lötzsch, die bei der
Reise nach Istanbul dabei war. Wir haben dort einen Ort
gefunden: die ehemalige Sommerresidenz des deutschen
Botschafters in Istanbul. Der Ort heißt Tarabya; diesen
Namen müssen Sie sich merken.
Diese Idee scheint nun Wirklichkeit zu werden. Natürlich ist dies nicht zuletzt auch der Unterstützung unseres Außenministers Frank-Walter Steinmeier zu verdanken, der dieses Projekt begrüßt hat und es tatkräftig
unterstützt, ebenso wie der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Bernd Neumann.
In den Haushaltsberatungen ist es uns gelungen, diese
deutsche Kulturakademie sowohl im Etat des BKM als
auch im Haushalt des Auswärtigen Amtes zu etablieren
und im Etat des Auswärtigen Amtes schon für das kommende Jahr mit Blick auf die sanierungsbedürftigen
Häuser in Tarabya Baumittel bereitzustellen. Es scheint
alles auf gutem Weg zu sein, damit wir 2010 den Startschuss geben können, in dem Jahr, in dem sowohl Istanbul als auch die Region Ruhr Kulturhauptstädte Europas
sind. Welcher Zeitpunkt wäre passender?
Ich komme auf das Jahr 2009 zurück. Nun geht es
ganz in die Nähe, in die Normannenstraße, Haus 1, in
Berlin. Ich weiß nicht, ob Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen, schon einmal in Haus 1 in der Normannenstraße gewesen sind. Es ist das ehemalige Hauptquartier
des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Dies ist
ein authentischer Ort, der gewiss als solcher erhalten
werden sollte, weil Orte manchmal mehr aussagen und
mehr vermitteln als Bücher und Lehrpläne.
An diesem Ort befinden sich viele Originalschauplätze, zum Beispiel die sogenannte Mielke-Suite. Dieser Ort sagt aber auch viel über die Geschichte, das System der Überwachung und Unterdrückung sowie über
die Diktatur der DDR aus. Vielleicht haben Sie, wie auch
ich, noch die Bilder von fliegenden Akten und Papieren
beim Sturm auf das MfS im Kopf, oder vielleicht kennen
Sie diesen Ort als Kulisse des Films Das Leben der Anderen.
Was tut man mit einem solchen Ort? Was tut man mit
diesem sanierungsbedürftigen Haus, dem dort sehr
engagiert arbeitenden Verein und den Opferverbänden?
Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, ein Konzept für die weitere Nutzung vorzulegen, die Sanierungskosten zu ermitteln - auch vor diesem Hintergrund
ist ein Besuch vor Ort sehr erhellend - und die dafür notwendigen Mittel in den kommenden Jahren in den Haushalt einzustellen. Damit wollen wir sicherstellen, dass
dieser Ort zur Mahnung und zur Aufklärung sowie gegen jegliche Art der Verklärung - Stichwort: Ostalgie beiträgt. Die Geschichte soll gerade jungen Menschen
auf diese Weise buchstäblich vor Ort nahegebracht werden können.
Zum Gedenken an den Mauerfall vor 20 Jahren gehört auch, dass das Parlament die Gelder für den Bau
eines Freiheits- und Einheitsdenkmals kräftig aufgestockt hat. Nun stehen dafür insgesamt 15 Millionen
Euro zur Verfügung. So kann 2009 mit der Errichtung
dieses Denkmals in der Mitte Berlins begonnen werden.
({13})
- Danke. - Wichtig war uns darüber hinaus, dafür zu
sorgen, dass unter Berücksichtigung dieses finanziellen
Rahmens auch eine sichtbare Würdigung des Beitrags
der Bürgerinnen und Bürger der Stadt Leipzig zur Einheit Deutschlands erfolgt.
({14})
Ich komme zum Schluss. Ich bedanke mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen, beim Beauftragten der
Bundesregierung für Kultur und Medien und bei seinen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Börnsen,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Die Kultur gehört zum Etat der Bundeskanzlerin.
Dort ist sie passend eingebunden. Gleichzeitig erfährt sie
dort eine umfassende Förderung.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Petra Merkel, herzlichen Dank für die verständnisvolle Kulturrede, die Sie gehalten haben. Kultur braucht
Verbündete.
({0})
Um mit einem wirklichen Kulturthema zu beginnen:
Die 1. Fußball-Bundesliga verzeichnet jährlich 10 Millionen Besucher. 396 Fußballerbeine sorgen täglich für
Schlagzeilen, und wenn Ballacks Bein keine Beule hat,
dann sind wir mit der Nationalmannschaft auch erfolgreich.
Mit unseren Kulturerfolgen tun wir uns viel schwerer.
Obwohl wir in vielen Bereichen meisterlich - sogar Spitzenklasse - sind, üben wir uns in Bescheidenheit.
10 Millionen Fußballfans - das begeistert. Jährlich besuchen aber 100 Millionen Menschen unsere Museen. Das
ist erst recht eine tolle Botschaft.
({1})
35 Millionen Theatergänger und 35 Millionen Konzert- und Kunsthalleninteressierte haben wir in unserem
Land. Die Beschäftigung mit Kunst und Kultur ist neben
dem Breitensport die größte Bürgerbewegung unserer
Republik. Wir sind eine Kulturnation.
({2})
750 Staats- und Symphonieorchester musizieren in
unserem Land. Nirgendwo auf der Welt gibt es mehr.
Drei von ihnen gehören seit diesem Jahr zu den besten
zehn dieser Welt: die Berliner Philharmoniker, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und die
Sächsische Staatskapelle. Herzlichen Glückwunsch!
({3})
Wir fühlen uns Beethoven, Bach, Brahms und allen anderen großen Komponisten verpflichtet.
Es gibt aber auch 50 000 Chöre und 50 000 Rock-,
Pop- und Jazzbands zwischen Flensburg und Konstanz.
Wir bieten den viertgrößten Musikmarkt der Welt mit einem Umsatz von fast 5 Milliarden Euro. In der Klassik
sind wir die Nummer zwei. Und das Interesse wächst.
Deshalb ist es klug, mit der Bundesinitiative Musik einen weiteren Förderschwerpunkt zu setzen: für den
Nachwuchs, für den Export und für die Integration. Wir
sind ein Musikland, und wir wollen es auch bleiben.
({4})
Wir als Bundesrepublik wollen auch ein Filmland
bleiben und uns weiter nach vorne bringen. Wir wollen
unsere Werte, unsere Sprache und unsere Schauspieler in
den Filmen verwirklicht sehen und Hollywood das Feld
nicht kampflos überlassen. Dadurch wird die Verstetigung der 60 Millionen Euro für den Filmförderfonds gerechtfertigt. Dieser Betrag und weitere 60 Millionen
Euro haben alleine 2008 dazu geführt, dass fast 800 Millionen Euro in die Filmproduktion investiert wurden.
170 Uraufführungen in diesem Jahr: Wir sind ein Filmland im Aufwind.
Seit Beginn der Großen Koalition wird der Kreativstandort Deutschland konzeptionell und gezielt gefördert. In der Kulturwirtschaft gibt es bereits 800 000 Arbeitsplätze, mehr als in der Chemieindustrie und mehr
als im Autobau. Jahr für Jahr wächst sie um 3,5 Prozent.
Jeder dritte Kreative ist selbstständig. Wir treten weiter
für die Förderung des Kreativstandortes Deutschland
ein.
Beachtenswerte Zuwächse erzielt auch der Kulturtourismus. Seit 2000 stieg die Anzahl europäischer Kulturreisender nach Deutschland um 30 Prozent. Nach
Frankreich sind wir das zweitbeliebteste Land. 2007
- im letzten Jahr - bestritten über 1,5 Millionen Mitbürger ihr Einkommen alleine aus dem Kulturtourismus.
({5})
Deshalb war es weise, die Mittel für die Denkmalpflege anzuheben. Durch die 40 Millionen Euro für das
Denkmalschutz-Sonderprogramm ergaben sich bisher 300 Projekte und Investitionen von über 100 Millionen Euro. Durch den Denkmalschutz wird die Geschichte gesichert, werden aber auch Arbeitsplätze
geschaffen.
({6})
Unsere Verantwortung als Parlamentarier geht darüber hinaus. Wir sind auch gegenüber den Künstlern
und den Kreativen selbst in einer Verantwortung. Ihre
soziale Absicherung muss unser Anliegen sein. Für uns
als Union und für alle ist eindeutig und klar: An der
Künstlersozialversicherung wird nicht gerüttelt.
({7})
Es gibt sie seit 1983, seit Helmut Kohls Regierung sie
eingeführt hat, sie ist weltweit beispielgebend geworden
und wird von allen Kulturpolitikern hier mitgetragen.
({8})
Für vier Fraktionen gibt es eine weitere Gemeinsamkeit, sie wollen nämlich mit 35 Millionen Euro gemeinsam für die Realisierung des Gedenkstättenkonzepts
sorgen. Das ist nicht selbstverständlich. Den Freien Demokraten und den Bündnisgrünen danke ich für die Mitwirkung am Gedenkstättenkonzept. Die vier Fraktionen
waren auch bereit, den Protest gegen die Absicht der
Deutschen Post mitzutragen - die jetzt glücklicherweise
aufgegeben worden ist -, die Zwangsvereinigung von
SPD und KPD von 1946 auf einer Silbermünze zu ehren.
({9})
Herr Kollege Börnsen!
Ich komme zum Ende. - Das ist ein Ansinnen ohne
historisches Fingerspitzengefühl.
({0})
In einer weiteren Sache sind wir uns einig - damit
komme ich wirklich zum Schluss -: Der in dieser Legislaturperiode erzielte Kulturerfolg wird von uns laut, von
den meisten jedoch verhalten leise und eher zurückhaltend deutlich gemacht. Er ist mit einem Namen verbunden. Bernd Neumann, dem Staatsminister, gelang es, vier
Mal einen Anstieg seines Haushaltsvolumens zu erreichen
Herr Kollege Börnsen!
- und den Koalitionsvertrag insoweit sogar zu
110 Prozent zu erfüllen.
Danke schön.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin GöringEckardt, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Manches machen wir ja ganz gut in Deutschland, auch weil
wir uns, Herr Westerwelle, so viel darüber streiten, wie
viel Staat wir eigentlich haben wollen. Wie wichtig eine
starke öffentliche Kulturförderung ist, zeigt sich in der
aktuellen Finanzkrise ganz besonders; denn dort, wo
Kultureinrichtungen vorwiegend auf Fundraising oder
private Förderer angewiesen sind, stehen weitaus weniger Gelder zur Verfügung als in Deutschland. Jetzt ist
das kulturelle Angebot gerade dort direkt bedroht.
Würde oder könnte Guido Westerwelle in Deutschland bestimmen, was sich niemand wünschen kann, wären wir heute genau da, wo andere sind, die sich große
Sorgen machen.
({0})
Das gilt natürlich nicht nur für den von den Liberalen
angeblich so geschätzten Kulturbereich.
({1})
In New York zum Beispiel müssen einige Museen nicht
zuletzt deshalb ihr Personal reduzieren oder geplante Ausstellungen ganz und gar abblasen, weil Lehman Brothers
ein wichtiger Förderer von Kultureinrichtungen war.
39 Millionen sind in Häuser wie das Museum of Modern
Art oder Guggenheim, also die großen Häuser in New
York, geflossen.
({2})
Sosehr wir uns natürlich privatwirtschaftliches
Engagement in der Kultur wünschen, so sehr brauchen
wir gerade hierfür einen vernünftig handelnden, starken
Staat.
({3})
Kulturinstitutionen dürfen nicht vom Gutdünken, von
der aktuellen Situation privater Geldgeber oder gar den
Unwägbarkeiten globaler Finanzmärkte abhängig sein;
denn auch hier in Deutschland zeichnet sich ab, dass wegen der Finanzkrise weniger privates Geld in die Kultur
fließen wird. Das wird übrigens erst recht geschehen,
wenn die Bundeskanzlerin, wie sie es in den letzten Tagen - heute nicht, aber in den letzten Tagen - ausführlich
getan hat, darüber redet, was für ein fürchterlich schwarzes Jahr wir vor uns haben.
Wenn das so ist, dann müssen wir aus meiner Sicht
jetzt sehr aufpassen, mit welcher Haltung wir gerade mit
gesellschaftlichen Fragen, mit Bürgerschaftlichkeit und
Engagement in unserer Bürgergesellschaft umgehen.
Viele fragen sich heute: Werde ich, wenn 500 Milliarden
zur Verfügung stehen - wir alle wissen, wie es gemeint
ist; dennoch ist dieses Gefühl vorhanden -, mit meinem
Engagement vor Ort eigentlich noch gebraucht? Die da
oben drehen das ganz große Krisenrad. Werden wir in
dieser Gesellschaft in Zukunft überhaupt noch vonnöten
sein?
Natürlich ist es immer ärgerlich, wenn die eigenen
Anträge zum Haushalt abgelehnt werden; das ist ganz
klar. Aber ich will an dieser Stelle auf eine Haltung aufmerksam machen, die mir Sorge macht. Es sind nämlich
gerade die Projekte abgelehnt worden, bei denen es ganz
besonders um bürgerschaftliches Engagement geht.
Ein Beispiel: Der „Zug der Erinnerung“, der an die
Deportationen mehrerer Hunderttausend Kinder erinnert, wird nun nicht durch Europa fahren, weil die
Summe von 400 000 Euro fehlt. Viele von Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, haben den Zug wahrscheinlich in Ihrem Wahlkreis ganz in der Nähe besuchen können. Der „Zug der Erinnerung“ wird nun nicht mehr fahren. Dabei handelt es sich um eine bürgerschaftliche
Initiative, die sehr viele Jugendliche erreicht hat, die ihnen gezeigt hat, was Erinnerungskultur heute bedeutet,
und die ihnen deutlich gemacht hat, dass sie selbst etwas
tun können und auch etwas tun müssen. Ich finde es
traurig und sehr dramatisch, dass wir das nicht unterstützen.
({4})
Es gibt ähnliche Beispiele. Nehmen wir die ausdrückliche Empfehlung der Enquete-Kommission „Kultur in
Deutschland“, die deutlich gemacht hat, dass wir mehr
Geld für die soziokulturellen Zentren in der Republik
brauchen. Gerade sie gestalten Kultur von unten und
binden Kinder und Jugendliche ein, die sonst keine
Chancen haben. Auch diese Empfehlung wurde abgelehnt. Manchmal hat man das Gefühl, die Ablehnung erfolgt pauschal immer dort, wo es um das Engagement
der Bürgerinnen und Bürger geht.
({5})
Auf der anderen Seite stehen Großprojekte wie das
Freiheits- und Einheitsdenkmal. Ich bin sicherlich die
Letzte, die im Verdacht steht, gegen Freiheit und Einheit
zu sein bzw. gewesen zu sein. Nichtsdestotrotz reicht es
nicht aus, ein Denkmal zu errichten, vor allem dann
nicht, wenn man es auf Biegen und Brechen durchsetzen
will, wenn statt 5 Millionen Euro plötzlich 15 Millionen Euro gebraucht werden, wenn es im Prinzip immer
noch keinen Entwurf gibt - er wird hoffentlich im nächsten Jahr vorliegen, wenn der große Jahrestag begangen
wird - und man es unbedingt auf einen bestimmten Sockel stellen muss.
Ich finde, der Ansatz für das Denkmal ist gut. Freiheit
und Einheit sollten wir zuerst diskutieren. Erst dann können wir ein Denkmal bauen, das den Bürgerinnen und
Bürgern wirklich aus der Seele spricht. Darum muss es
dabei gehen.
({6})
Ich komme zum letzten Punkt. Auch hierbei geht es
um die Frage, welche Prioritäten wir setzen. Wir wissen
genau - das hat auch der Bildungsgipfel deutlich gemacht -, wie wichtig auch kulturelle Bildung ist. „Jedem Kind ein Instrument“ ist ein Projekt, das, glaube
ich, viele von uns als etwas besonders Hervorragendes
ansehen. Der Antrag, dieses Projekt bundesweit zu vernetzen, um es allen Kindern und Jugendlichen zugänglich zu machen, ist abgelehnt worden. Ich finde, wir hätten uns dazu bekennen sollen, dass wir mit kultureller
Bildung und musischer Förderung auch die Kinder erreichen können, deren Eltern sie nicht automatisch in der
Musikschule anmelden und sie dann auch noch einmal
pro Woche dorthin kutschieren.
Frau Kollegin.
Es geht um die Kinder, die diese Chance nicht haben.
Es wäre gut gewesen, wenn wir einen anderen Schwerpunkt gesetzt hätten.
Vielen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Griefahn,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Kollegin Petra Merkel hat schon die wichtigsten Punkte des Kulturhaushalts skizziert. Ich danke
ihr ganz herzlich für die geleistete Arbeit.
({0})
Ich danke auch unserem haushaltspolitischen Sprecher
Carsten Schneider. Denn das Engagement für die Kultur
ist in der SPD-Fraktion sehr groß. Das machen die zusätzlichen Mittel für die UNESCO-Weltkulturerbestätten
deutlich, die diese wirklich benötigen. Ganz herzlichen
Dank dafür, auch den Kolleginnen und Kollegen aus der
CDU/CSU-Fraktion, die mitgeholfen haben, das im Parlament zu erreichen.
Gerade in diesen Zeiten wird deutlich - darauf hat
auch Frau Göring-Eckardt hingewiesen -, wie sinnvoll
staatliche Kulturfinanzierung ist. Kultur ist nämlich
Lebensmittel, prägt die Kreativität und fördert Integration. Sie fördert ein friedliches Miteinander und das Zusammenleben. Kultur ist eine Wurzel unserer Gesellschaft, die einen Grundkonsens herstellt, der nicht durch
das Wirtschaftssystem oder den Finanzmarkt entstehen
kann.
Ich denke, mit diesem Haushalt bekennt sich der
Deutsche Bundestag zu der weitreichenden Bedeutung
von Kultur. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Zeichen.
({1})
Die Kulturstiftung des Bundes, die bereits seit ihrer
Gründung 2002 innovative Projekte mit nationaler und
internationaler Strahlkraft fördert, ist ein Schwerpunkt
unseres Engagements. Die Einschnitte bei der Projektförderung 2007 waren falsch, weil gerade die Projekte
sehr wesentlich sind, um die Bevölkerung mit einzubeziehen. Deswegen bin ich sehr froh, dass im Haushalt
der Jahre 2008 und 2009 wieder 1 Million Euro zusätzlich zur Verfügung steht, damit wir gerade auch solche
Projekte fördern können und nicht immer nur Vorhaben
von bestehenden Institutionen. Herzlichen Dank auch
dafür.
({2})
Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es lohnend ist,
aus den zusätzlichen Mitteln eine Aufstockung des
Fonds Soziokultur vorzunehmen. Das ist eine Empfehlung der Enquete-Kommission. Gerade die Zahl der Projekte im interkulturellen Bereich nimmt zu. Die Zahl der
Anträge steigt. Deswegen ist es sinnvoll, hier mehr Geld
auszugeben. Ich freue mich zudem, dass das Institut für
Kulturpolitik zusätzlich Geld bekommt, um im Auftrag
der Enquete-Kommission eine Evaluation der soziokulturellen Zentren vorzunehmen. So sehen wir, wie die Arbeit weitergeht.
({3})
Die „Ruhr 2010“ bekommt schon 2009 Geld. Das ist
sehr sinnvoll. Ich komme aus dem Ruhrgebiet und weiß
um die dortige kulturelle und soziale Vielfalt sowie um
die vielen verschiedenen Initiativen. Wenn hier tatsächlich Sachen auf den Weg gebracht und verwirklicht werden, dann hat das eine nachhaltige Wirkung; denn im
Ruhrgebiet zeigt sich die Bedeutung des Zusammenlebens sehr stark. Das ist ein sehr guter Punkt.
({4})
Auch das Zusammenleben mit den Sorben ist sehr
wichtig. Das Parlament hat 600 000 Euro mehr genehmigt, sodass die kulturelle Identität der Sorben erhalten
und dafür mehr getan werden kann. Das ist ein positiver
Schritt.
({5})
Initiative Musik. Nach anfänglichen Schwierigkeiten
haben wir das Gefühl, dass hier viel Gutes bewegt wird.
Dafür werden die Mittel erhöht. Damit betreiben wir
aber keine Wirtschaftsförderung. Stattdessen steht in
dem entsprechenden Haushaltsvermerk: „Die Erhöhung
der Mittel dient der Durchführung von Maßnahmen im
Bereich Jazzmusik.“ Es geht nicht darum, ausschließlich
den Stil Jazz zu fördern. Vielmehr geht es um diejenigen,
die in vielen Bereichen auch ehrenamtliche Arbeit leisten, Musiker, Veranstalter und andere Engagierte. Es
geht um ein Förderprogramm für Konzertklubs, Initiativen und Spielstätten, die sich der Livemusik widmen.
Diese kommen sonst zu kurz. Ich finde es sehr gut, dass
wir sie jetzt stärker berücksichtigen können.
({6})
Im nächsten Jahr gibt es sehr viele Gedenktage. Wir
haben in der letzten Sitzungswoche über das Gedenkstättenkonzept gesprochen. Ich bin froh, dass wir die
notwendigen Mittel haben, um vieles von dem, was wir
besprochen haben, zu verwirklichen, und dass wir Geld
für die Errichtung eines Denkmals zur Erinnerung an die
friedliche Revolution von 1989, aber auch für diejenigen, die sich für Freiheit und Einheit eingesetzt haben,
eingestellt haben. Sachsen und insbesondere Leipzig
werden dabei integriert. Wir bekommen beides hin. Sowohl in Leipzig als auch in Berlin soll der Menschen gedacht werden, die sich aktiv eingesetzt haben. Ich bewundere diese Menschen. Ich habe damals, als ich
Bildungsreferentin beim CVJM war, mitbekommen, wie
es in den Kirchen brodelte und was dort los war. Ich
freue mich, dass wir das, was geplant ist, im nächsten
Jahr auf den Weg bringen können. Wir werden im nächsten Jahr sicherlich sehr viel mit den Gedenkveranstaltungen zu tun haben.
Herzlichen Dank an alle, die mitgeholfen haben.
({7})
Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Jörg
Tauss, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vielleicht ist es ganz gut, wenn zum Ende dieser Debatte
ein Kultur-, Forschungs- und Bildungspolitiker wie ich
das Wort bekommt. Damit sind die Prioritäten im Land
richtig beschrieben. - Herr Kauder, ich teile Ihre Freude.
Weil wir gleich den Datenschutzbeauftragten wählen:
Lieber Herr Schäuble, Sie haben in Ihrem Etat noch
keine Stelle gefunden, um diesen zu stärken. Ich bitte Sie
herzlich, nicht nur Pressemitteilungen für den Datenschutz zu verfassen. Stärken Sie den Datenschutzbeauftragten finanziell! Damit machen Sie ihm eine genauso
große Freude wie wir nachher mit seiner Wahl.
({0})
Der Etat für Kultur und Medien ist sicherlich nicht
der größte, aber er ist gut. Wir wollen etwas im Bereich
des Deutschen Presserates tun. Wir werden ihn auch
für den Onlinebereich zuständig machen. Wir werden
die vorhandenen Informationsdefizite im Zusammenhang mit der Pressestatistik in diesem Land beseitigen.
Wir wissen als Medienpolitiker zu wenig über die Verquickungen von medialen Entwicklungen im Fernsehund im Printbereich. Wir setzen mit dem Etat ein entsprechendes Signal; das ist gut so.
({1})
Wir werden last, but not least nicht, wie die Gelben es
mit den Schwarzen in Bayern tun wollen, Computerspiele verbieten - lieber Herr Stadler, da haben Sie kläglich versagt -, sondern wir haben intelligente Lösungen
für diesen Bereich. Wir reden nicht darüber, sondern wir
schaffen ein Netz für Kinder und fördern vernünftige
und gute Computerspiele. Auch das steht in diesem Etat,
für den wir gemeinsam gesorgt haben.
({2})
Ich hätte mir von Herrn Westerwelle - er ist nach seiner fulminanten Rede nicht mehr da - gewünscht, dass
er sich ähnlich wie Banker und Manager verhält, die im
Moment mit Demut durch das Land gehen.
({3})
Aufgeblasen und arrogant verkörpert er weiter die alten
Konzepte bis hin zu den Steuersenkungen, die heute angesprochen worden sind und gegen die niemand etwas
hat. Lieber Kollege Ramsauer, Sie haben es wunderbar
auf den Punkt gebracht. Da sitzt der reiche Lafontaine
und hat eine Villa zu vererben. Ich wünsche Lafontaine
ein langes Leben - politisch natürlich nicht, aber ansonsten schon -, aber wenn er sie vererbt, dann werden Sie
ihm die Erbschaftsteuer erspart haben, wo er sie doch
so gerne zahlen würde. Vielleicht wäre das ein Punkt,
worüber Sie noch einmal nachdenken sollten. Reiche
Leute, die Villen zu vererben haben, sollten einen kleinen Anteil dem Staat zukommen lassen. Das wäre eine
vernünftige Politik.
({4})
Nun hat Herr Westerwelle das Ziel, das zusammen
mit Frau Merkel und Frau Schavan auf dem Bildungsgipfel vereinbart wurde, nämlich 7 Prozent für Bildung
- eine alte SPD-Forderung - und 3 Prozent für den BeJörg Tauss
reich Forschung auszugeben, richtig madig und lächerlich gemacht. Wissen Sie, was das heißt? Wenn wir diese
10 Prozent erreichen würden, hieße das, dass in den
nächsten Jahren pro Jahr durch Bund, Länder, Gemeinden und Wirtschaft 40 Milliarden Euro mehr für den Bereich Bildung zur Verfügung gestellt würden. Das steckt
hinter dem 10-Prozent-Ziel. Herr Westerwelle hat das
madiggemacht. Ich sage Ihnen: Ich werde alle Kerzen in
Altötting aufkaufen und sie in den Kirchen entzünden,
wenn wir das große Ziel erreichen würden, in Bildung
und Forschung voranzukommen.
({5})
Sie haben nichts anderes getan, als darüber zu reden,
wie man die Menschen entlasten soll. Ich bin sehr dafür.
Aber eines muss an dieser Stelle gesagt werden: Seien
wir doch kritisch gegenüber diesen Steuersenkungspropheten. Wir haben in Rheinland-Pfalz etwas geschafft,
was die Menschen wirklich entlastet. Wir werden die
Kindergartengebühren kontinuierlich abschaffen, auch
die Gebühren für das letzte Jahr. Wir erheben keine Steuern in Form von Studiengebühren für Menschen, die ihre
Kinder auf Universitäten schicken. Das sind Entlastungen für die Menschen, die wichtig und besser sind als
manches, was Sie mit Ihrem Gießkannenprinzip vorschlagen.
({6})
Ich sage deshalb ausdrücklich in Richtung FDP - auch
sie kann dazulernen -: Misstrauen wir allen diesen Steuersenkungsexperten! Auch ich bin keiner, der gerne
Steuern zahlt, aber ich bin jemand, der gerne in einem
Staat lebt, wo es Dörfer gibt, in denen es noch Polizei
und Grundschulen gibt, in einem Staat, der eine gute
Verkehrsinfrastruktur aufweist und in dem es Unis gibt,
auf die auch Menschen, die weniger Geld haben, ihre
Kinder schicken können. Ich bin ein Mensch, der gerne
in einem Staat lebt, in dem die Leute ihre Kinder auf
Gymnasien schicken können und in dem die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft wird, die Sie, Frau Flach, nicht
mehr bekämpfen wollen. Wenn Ihre Pläne in die Realität
umgesetzt werden, dann können nur noch die Menschen
im Schwimmbad baden, die sich einen privaten Swimmingpool leisten können. Aus diesem Grunde: Misstraut
diesen falschen Propheten! Ein handlungsfähiger Staat
ist das, was wir brauchen; einen handlungsfähigen Staat
haben wir mit diesem Etat.
Ich danke Ihnen.
({7})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04 - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt - in
der Ausschussfassung. Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst
abstimmen wollen.
Kann bitte jemand das Mikrofon lauter stellen?
({0})
- Nein danke, Herr Tauss, das wäre mir nicht so recht.
Ich möchte gerne ohne Sie verstanden werden.
({1})
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/11042? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist dieser Änderungsantrag bei Zustim-
mung durch die einbringende Fraktion und Gegenstim-
men durch das übrige Haus abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/11048? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Damit ist auch dieser Änderungsantrag bei Zu-
stimmung durch die Fraktion Die Linke, bei Gegenstim-
men durch die Große Koalition und die FDP und bei
Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen1) abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/11049? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Dieser Änderungsantrag ist bei Zustimmung durch die
Fraktion Die Linke und die FDP, bei Gegenstimmen der
SPD, der CDU/CSU und bei Enthaltung von Bündnis 90/
Die Grünen ebenso abgelehnt.
Jetzt kommen wir zur namentlichen Abstimmung
über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Bevor
ich die Abstimmung eröffne, möchte ich nochmals da-
rauf hinweisen, dass wir im direkten Anschluss an diese
namentliche Abstimmung eine Wahl durchführen wer-
den. Ich bitte Sie daher, hierzubleiben. Ich bitte jetzt die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze an den Urnen be-
setzt? - Das ist der Fall. Dann ist die Abstimmung eröff-
net.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der
Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt III auf:
Wahl des Bundesbeauftragten für den Daten-
schutz und die Informationsfreiheit
Die Bundesregierung hat mit Schreiben vom
16. Oktober 2008 Herrn Peter Schaar für die Wahl vor-
geschlagen.
Sie benötigen dazu eine Stimmkarte und Ihren weißen
Wahlausweis. Die Stimmkarten sind hier im Saal erhält-
lich. Ihren Wahlausweis können Sie auch jetzt noch Ih-
rem Stimmkartenfach entnehmen, soweit Sie das nicht
bereits getan haben.
Der Kandidat ist gewählt, wenn er die Stimmen der
Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich ver-
eint. Das heißt, es müssen mindestens 307 Abgeordnete
für ihn stimmen.
Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen,
Zusätze oder Zeichnungen enthalten, sind ungültig.
1) Anlage 2
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Die Wahl ist nicht geheim. Sie können das Kreuz auf
der Stimmkarte deshalb auch an Ihrem Platz machen.
Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen wer-
fen, geben Sie bitte Ihren Wahlausweis bei den Schrift-
führerinnen und Schriftführern ab. Die Abgabe des
Wahlausweises gilt als Nachweis der Teilnahme an der
Wahl.
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer
erneut, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ist das
geschehen? Das scheint mir der Fall zu sein. Dann er-
öffne ich die Wahl.
Konnten jetzt alle, die es wollten, ihre Stimmkarte ab-
geben, oder hat jemand seine Stimmkarte noch nicht ab-
gegeben? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die
Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ih-
nen später bekannt gegeben.1)
Ich würde jetzt gerne die Haushaltsberatungen fortsetzen. - Ich rufe Tagesordnungspunkt II. 9 auf:
Einzelplan 05
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts
- Drucksachen 16/10405, 16/10423 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Jürgen Koppelin
Omid Nouripour
Es ist verabredet, hierüber zwei Stunden zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so
beschlossen.
Wenn hier alle wieder Platz nehmen würden, könnte
ich die Debatte eröffnen. Ich weiß, dass das auch in Ihrem Interesse ist.
Das Wort hat der Kollege Dr. Werner Hoyer für die
FDP-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Da meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushalts-
ausschuss auf Redezeit verzichtet haben und heute für
die FDP nur ein Außen- und ein Europapolitiker reden,
möchte ich zu Beginn auch eine Bemerkung zum Haus-
halt des Auswärtigen Amtes machen.
Wir sind uns einig: Wir brauchen einen gut ausgestat-
teten, gut finanzierten und hochmotivierten Auswärtigen
Dienst. Ich möchte darauf hinweisen, dass in Ihrem
Haus, Herr Minister, doch einige Unruhe herrscht. Es
wäre wichtig, dass Sie sich persönlich darum kümmern.
Erster Punkt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
des Hauses leiden unter einem neuen Beurteilungssys-
tem, was sie in hohem Maße verunsichert, insbesondere
1) Ergebnis Seite 20380 D
weil der Zusammenhang zwischen den Beurteilungen,
die von den Dienstvorgesetzten sauber aufgeschrieben
werden, und den Benotungen, die nachher unter der Beurteilung stehen, nicht erkennbar ist. Dieser Zusammenhang muss hergestellt werden, weil sonst erhebliche Probleme in der Mitarbeiterführung und im Loyalitätsund Vertrauensverhältnis zwischen Führenden und Geführten auftreten.
({0})
Zweiter Punkt. Wir leben im 21. Jahrhundert. Das
müsste sich auch im Umgang mit den Partnerinnen und
Partnern von Angehörigen des Auswärtigen Amtes widerspiegeln. Bis heute gibt es nur mit vier Partnerländern
Gegenseitigkeitsabkommen über die Berufstätigkeit
von Partnerinnen und Partnern im Ausland. Das wird
den gesellschaftlichen Realitäten dieses Jahrhunderts
nicht mehr gerecht.
({1})
Deswegen würde ich mir wünschen, dass das Haus auf
diesem Gebiet mehr Aktivitäten entwickelt.
({2})
- Liebe Frau Kollegin, zunächst einmal ist das Thema
erst in den letzten Jahren wirklich brisant geworden. Außerdem - auch wenn es keiner glauben mag - leitet die
FDP schon seit zehn Jahren nicht mehr das Auswärtige
Amt. Es ist höchste Zeit, dass wir das wieder ändern. Insofern fasse ich Ihren Zuruf als Ermunterung auf.
({3})
Dritter Punkt. Das Kerngeschäft des Auswärtigen
Dienstes findet nun einmal draußen statt; das hat ein
Auswärtiger Dienst so an sich. Deswegen ist es auch aus
gutem Grunde so - wir haben lange dafür gekämpft, dass
das möglich wurde -, dass die Dienstposten im Ausland
von den pauschalen Stellenkürzungen ausgenommen
sind. Ich freue mich, dass das so ist. Aber was passiert
faktisch? Allein in dieser Legislaturperiode sind bereits
140 Dienstposten aus dem Ausland ins Inland verlagert
worden, teilweise mit Begründungen, die nur auf eine
vorübergehende Verlagerung hindeuteten. Hinterher ist
das aber nie wieder rückgängig gemacht worden. Das
heißt, draußen, wo die Arbeit als Serviceleistung für die
Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und unsere ausländischen Partner erbracht werden muss, fehlen diese
Stellen. Es kommt hinzu: Nach der Logik der Regelung
zur pauschalen Stellenkürzung können Stellen, die ins
Inland verlagert worden sind, der pauschalen Stellenkürzung zum Opfer fallen. Das heißt, Sie schießen sich selber ins Knie. Auch hier wäre es wünschenswert, dass
nachgebessert wird.
({4})
Zum Inhalt der Außenpolitik. Die Welt ist in enormer
Unordnung. Nach 1990 ist noch keine neue Weltordnung zustande gekommen; sie wird aber dringend gebraucht. Die einfache Fortschreibung dessen, was im
Kalten Krieg angesagt war, zieht nicht mehr. Ich sage
das ohne Schuldvorwürfe; aber jetzt ist es an der Zeit, zu
handeln. Plötzlich wundern sich so viele, dass völlig
neue Mächte in Erscheinung treten, die ihren Platz einfordern, zum Beispiel im Rahmen von G 20. Im Umgang
mit den großen, aufstrebenden Nationen wird sich zeigen, dass die G 8, nachdem sich die G 20 einmal getroffen hat - ich halte das für eine gute Entwicklung, der wir
uns stellen müssen -, in Zukunft nicht einfach so weitermachen kann.
({5})
Man muss auch darauf Rücksicht nehmen, dass wir es
heute mit Staaten zu tun haben, die 1990 noch zu den
Verlierern zu gehören schienen, aber angesichts ihrer finanziellen Ausstattung aufgrund von Rohstoffvorkommen und anderer Geldquellen heute vor Kraft kaum laufen können.
In dieser Phase verlieren die USA, unser nach wie vor
wichtigster Partner außerhalb Europas, gewissermaßen
ihre Rolle als alleiniger Pol; wir sind in der multipolaren
Welt angekommen. Natürlich stellen die Amerikaner immer noch die stärkste militärische Macht dar; es handelt
sich auch um die größte Volkswirtschaft, die jetzt besonders große Probleme hat. Die USA sind aber nicht mehr
das unumstrittene Leitmodell. Nicht zuletzt haben sie
sich moralisch diskreditiert. Ob wir es wollen oder nicht:
In einer Welt zeitverzugsloser Informationsübermittlung
prägen die Bilder von Guantánamo Bay und Abu
Ghureib das Image Amerikas stärker als die Freiheitsstatue.
In dieser Phase aber - das finde ich so ermutigend definiert sich Amerika gewissermaßen neu, entdeckt
sich selbst. Welche Selbstreinigungskräfte der amerikanischen Demokratie werden da sichtbar! Wir konnten
beobachten, dass Wählerinnen und Wähler sechs oder
sieben Stunden vor Wahllokalen warten, um ihre Stimme
abgeben zu dürfen, während sich unsere Wahlbeobachter
darüber mokierten, dass die Organisation der Wahlen so
schlecht ist. Ich würde mich freuen, wenn ich mir vorstellen könnte, ein Wähler oder eine Wählerin in
Deutschland würde auch nur eine Stunde vor einem
Wahllokal warten, um die Stimme abzugeben, nachdem
man sich vier Wochen vorher aktiv darum bemühen
musste, sich registrieren zu lassen, um überhaupt wählen
zu dürfen, wenn man also nicht einfach ein Postkärtchen
ins Haus bekommt, auf dem mitgeteilt wird, wann die
Wahl stattfindet, gefolgt von der Bitte, einfach mit dem
Personalausweis zum Wahllokal zu kommen und zu
wählen. Wir können auch auf dem Gebiet der Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern, auf dem Gebiet des
Herausholens der Wählerinnen und Wähler aus der
Wahlenthaltung, viel von Amerika lernen.
({6})
Wir müssen manches von der Überheblichkeit abwerfen,
die wir bisweilen gegenüber Amerika zeigen.
Amerika findet zu seinen besten Tugenden zurück,
auch zu den Werten, die das ausmachen, was wir als
„den Westen“ bezeichnen. Der Westen ist hier kein geografisches Konstrukt, sondern eine philosophische
Grundlage, die letztendlich entscheidend auf der Aufklärung fußt. Welch eine Chance für uns Europäer, mit den
amerikanischen Freunden zur gemeinsamen Wertebasis
zurückzukehren und den Westen gewissermaßen neu zu
erfinden! Wir werden die Gemeinschaft der aufgeklärten, rechtsstaatlichen Demokratien noch brauchen.
Nehmen wir also Senator Obama, den neuen Präsidenten, beim Wort. Ich habe manchmal das Gefühl, in
Deutschland und in der Europäischen Union wird eher
abgewartet oder sogar abgewiegelt, nach dem Motto:
Die kochen doch auch nur mit Wasser; es wird im Prinzip genauso weitergehen wie bisher; das ist ein normaler
Regierungswechsel. Nein, das ist es nicht; es ist eine
Veränderung der amerikanischen Politik, die tektonische
Verschiebungen in der Weltpolitik auslösen wird. Wir
werden Fragen beantworten müssen.
Ein enger Berater des künftigen Präsidenten hat am
Freitag bei einer Tagung in Washington gesagt: Liebe
Europäer, geht bitte davon aus, dass der neue Präsident
das, was er sagt, wirklich glaubt, dass er euch damit konfrontieren wird, wenn er mit Fragen auf euch zukommt. Er könnte die Bundesregierung zum Beispiel fragen:
Wie können wir Russland und China besser in die Weltpolitik integrieren? Was könnt ihr beitragen, wenn wir
versuchen, bestimmte Konflikte zu regionalisieren?
Ich nehme nur einmal das Beispiel Afghanistan. Da
wird uns gegenwärtig nicht die Frage gestellt, ob wir
kurzfristig 1 000 Mann mehr oder weniger dorthin schicken. Wir reden mit solchen Diskussionen über Fragen,
die gegenwärtig niemand stellt. Es wird eher um die
Frage gehen: Was können wir tun, um Russland, China,
Pakistan, Indien, die nördlichen Nachbarn Afghanistans
und auch den Iran bei der Lösung von Konflikten zu aktivieren? Das Motto lautet getreu einem alten Spruch
von Dwight D. Eisenhower: Wenn du ein Problem nicht
lösen kannst, mach es größer; denn dann ist auch die
Chance, einen „grand bargain“ anzuzetteln, größer.
Diese Gelegenheit müssen wir jetzt nutzen. Die Amerikaner liefern uns eine hervorragende Vorlage.
Wenn die Amerikaner wieder aktiv werden, und zwar
nicht erst zum Ende der Präsidentschaft von Obama,
sondern jetzt, wenn es darum geht, die Dialogunfähigkeit gegenüber Syrien und dem Iran zu überwinden, werden sie uns fragen: Welche Rolle in der Nahost-Politik
stellt ihr euch eigentlich für die Europäische Union und
für Deutschland vor? - Können wir Beiträge leisten und,
wenn ja, welche? Diese Fragen muss die Bundesregierung beantworten.
Dann stellt sich die Frage: Wie stellen wir uns eigentlich die Zukunft der NATO vor? Ich erinnere an zwei
bemerkenswerte Reden auf der Wehrkundetagung, und
zwar von Frau Bundeskanzlerin Merkel und zuvor von
Gerhard Schröder. In beiden Reden wurde gefordert, die
NATO wieder zur zentralen Plattform des sicherheitspolitischen strategischen Dialogs zu machen. Seither ist bei
dem Thema nichts passiert. Der NATO-Rat ist nach wie
vor eine ziemlich amorphe Veranstaltung. Deswegen ist
es wichtig, dafür zu sorgen, dass die Reduzierung der
NATO auf die militärische Dimension endlich überwunden wird und dass sie in der Richtung weiterentwickelt
wird, wie es schon Harmel gefordert hat: Auf der einen
Seite müssen Vertrauensbildung, Zusammenarbeit, Rüstungskontrolle und Abrüstung und auf der anderen Seite
die Fähigkeit zur ganz konkreten militärischen Verteidigung gestärkt werden. Wir sollten also langsam einen
Harmel-II-Bericht entwickeln. Seine Forderungen sind
nach meiner Auffassung aktueller denn je.
In diesen Zusammenhang gehören auch die Fragen,
mit welchen Abrüstungsinitiativen die Bundesregierung starten will.
({7})
Der Außenminister hat das Thema wiederholt angesprochen, was ich begrüße; aber konkret ist nichts geschehen. Es fehlt zum Beispiel eine klare Positionierung zu
dem Papier, das Sam Nunn, George Shultz, Henry
Kissinger und andere jetzt schon zweimal im Wall Street
Journal verbreitet haben und zu dem sich Barack Obama
bekennt, nicht weil er so naiv wäre, zu glauben, innerhalb kürzester Zeit könne man alle Nuklearwaffen loswerden, sondern weil er der festen Überzeugung ist, dass
man, wenn man sich dieses Ziel setzt, die Chance hat,
angesichts der enormen Überrüstung mit Nuklearwaffen,
insbesondere in Russland und in den Vereinigten Staaten, eine massive Abrüstung zu erreichen, weil er nämlich die Logik begriffen hat, dass Nuklearwaffen in Zeiten des Kalten Krieges - auch aus unserer Sicht - ein
Teil der Problemlösung gewesen sind, während sie in
Zeiten asymmetrischer Konflikte und nicht mehr beherrschbarer Proliferation ein Teil des Problems geworden sind.
Auf diese Fragen müssen wir uns vorbereiten; dazu
erwarte ich Antworten der Bundesregierung. Da höre ich
bisher viel zu wenig. Meine Damen und Herren, die
Amerikaner werden die Hand ausstrecken. Wir müssen
sie ergreifen, und wir müssen wissen, was wir auf die
Fragen antworten wollen.
Vielen Dank.
({8})
Ich komme zu den beiden vorangegangen Abstimmungen zurück.
Ich gebe zunächst das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung zum Einzelplan 04 bekannt: Es wurden
559 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben 415 Kolleginnen
und Kollegen gestimmt, mit Nein 144. Damit ist der
Einzelplan 04 angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 559;
davon
ja: 415
nein: 144
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
({0})
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({7})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({10})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({11})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({12})
Maria Michalk
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann ({15})
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({16})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({18})
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({21})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({24})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({25})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({26})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({27})
Dieter Grasedieck
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({28})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({29})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({30})
Frank Hofmann ({31})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({32})
Josip Juratovic
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({33})
Dr. Karl Lauterbach
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({34})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({35})
Michael Müller ({36})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({37})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({38})
Michael Roth ({39})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({40})
Silvia Schmidt ({41})
Renate Schmidt ({42})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({43})
Carsten Schneider ({44})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({45})
Swen Schulz ({46})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({47})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({48})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({49})
Uwe Barth
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({50})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({51})
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({52})
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({53})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({54})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothée Menzner
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({55})
Volker Schneider
({56})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({57})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({58})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({59})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({60})
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({61})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Grietje Staffelt
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
fraktionslose
Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Ich komme nun zu dem Ergebnis der Wahl des
Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Infor-
mationsfreiheit: Hier wurden 554 Stimmen abgegeben.
Mit Ja haben gestimmt 484, mit Nein 52, 12 haben sich
enthalten, und es gab 6 ungültige Stimmen.1)
Herr Schaar ist anwesend. Ich möchte ihm ausdrücklich die Wünsche des ganzen Hauses und meine persönlichen Glückwünsche überbringen.
({62})
Viel Erfolg bei der Arbeit und vielen Dank für das be-
reits Geleistete!
1) Anlage 3
Damit komme ich zurück zu unserer Debatte über den
Haushalt des Auswärtigen Amtes und erteile das Wort
dem Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier.
({63})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Lage seit Ausbruch der Finanzkrise ist seit
gestern in allen Schattierungen beschrieben worden. Wir
haben über Verantwortung der Politik ebenso wie über
die Grenzen von Politik gesprochen. Aber selbstverständlich reden wir bei all dem nicht nur über Wirtschaft
und Finanzen.
Wenn Gewohntes in schwerste Unordnung gerät,
wenn der aufgewühlte Staub die Orientierung erschwert,
wenn die Menschen den Atem anhalten, weil das Alte
nicht mehr stimmt und die Umrisse des Neuen noch
nicht so richtig erkennbar sind, dann ist wohl vieles in
der Krise; das stimmt. Es ist eine Krise, deren Folgen die
Menschen von New York bis Neuseeland, von Paris bis
Peking durchgeschüttelt hat und noch durchschüttelt und
die - darauf kommt es mir besonders an - eine Neujustierung des weltweiten Machtgefüges erzwingt.
Diese Krise löst aber nicht nur Erschrecken aus, sondern sie befördert - hoffentlich - auch Erkenntnisse, verändert das Bewusstsein und schafft die Bereitschaft für
neues Denken. Dazu gehört vor allen Dingen die Bereitschaft, Lehren aus der Katastrophe zu ziehen, die wir gerade erleben.
Wie in jeder Krise gibt es natürlich Verwerfungen, auf
die Politik reagieren muss und bei denen sich Politik in
die Pflicht nehmen lassen muss. Es gibt aber auch Chancen, und zwar die Chance, Fehler und Fehlentwicklungen der Vergangenheit für die Zukunft zu vermeiden.
Diese Chancen, auf die sich die Politik konzentrieren
muss, dürfen wir gerade jetzt nicht übersehen. Darauf
kommt es an.
({0})
Warum kommt es aus meiner Sicht darauf an? Selten
zuvor haben die Menschen so wie jetzt hautnah erlebt,
dass das 21. Jahrhundert das erste globale Jahrhundert
ist. Jetzt wissen wir, dass die Frage, wie modern chinesische Kohlekraftwerke sind, darüber mitentscheidet, ob
unsere Enkel noch schneebedeckte Gipfel in den Alpen
sehen werden. Seit wenigen Wochen wissen wir auch,
dass das Verhalten von Spekulanten in New York auch
Arbeitsplätze und die Zukunft von Familien in Europa
betrifft.
({1})
Wir wissen auch, dass sich Wachstumsraten in Asien auf
die Frage auswirken, wie viele Autos aus deutscher Produktion verkauft werden. Bei genauem Hinschauen
muss man sagen: Keine dieser Erkenntnisse ist wirklich
neu. Aber sie schärfen das Bewusstsein, dass wir zentrale Fragen der Menschheit in Zukunft wohl nur noch
gemeinsam werden lösen können.
({2})
Wir brauchen ein Verantwortungsbewusstsein, das über
nationale und regionale Nachbarschaft weit hinausreicht.
Politik kann nicht dafür sorgen, dass wir von solchen
Krisen, die wir jetzt erleben, verschont bleiben. Aber wir
können dafür sorgen - das erwarten die Menschen von
uns -, dass unsere Antworten auf die gestellten Fragen
anspruchsvoll sind und dass sie eine langfristige Perspektive in den Blick nehmen. Auf die Außenpolitik angewendet heißt das: Ziel unserer Arbeit muss es sein,
dass wir Schritt für Schritt eine - ich nenne es so - globale Verantwortungspartnerschaft schmieden. Das ist
mühsam; Fortschritte gibt es nicht jeden Tag; das ist Arbeit. Dazu braucht es Ideen, aber auch eine entsprechende finanzielle Ausstattung für die Außenpolitik. Ich
bedanke mich, dass über die Grenzen der Parteien hinweg diese finanzielle Ausstattung vom Deutschen Bundestag gewährt worden ist. Herzlichen Dank dafür.
({3})
Der Haushalt 2009 zeigt aus meiner Sicht, dass die
Zeichen der Zeit erkannt sind, dass wir die Verantwortung unseres Landes in der Welt ernst nehmen und dass
wir für unsere Kultur und für unser Lebensmodell in der
Welt aktiv werben. Ich sage Ihnen: Das muss unser Weg
sein. Ich bedanke mich bei dem Haushaltsausschuss
ganz herzlich für die Unterstützung auf diesem Weg.
Ganz besonders bedanke ich mich natürlich beim Hauptberichterstatter Jürgen Koppelin und bei den Berichterstattern Lothar Mark, Herbert Frankenhauser, Omnid
Nouripour, Michael Leutert und - wir haben die Gründe
gehört, warum er nicht hier sein kann - Alexander
Bonde.
Dass der Haushalt des Auswärtigen Amtes im nächsten Jahr um 5,9 Prozent steigt, ist ein gutes Signal. Dies
ist nicht nur ein gutes Signal für das Auswärtige Amt,
sondern auch für unser Land insgesamt, dessen Rolle
und dessen Engagement auf der internationalen Bühne
mehr gefragt ist denn je. Deshalb ist das ein verantwortungsvoll aufgestellter Haushalt.
({4})
Weil es sonst oft nur am Schluss von Reden und in
der Regel immer nur am Schluss von Debatten erfolgt,
möchte ich ganz besonders Dank sagen für die Unterstützung, die ich bei der Reform und der Neuaufstellung
der auswärtigen Kulturpolitik erfahren habe. Es geht hier
um nicht mehr, aber auch um nicht weniger als um das
Bild, das wir Deutschen von uns selbst im Ausland vermitteln. Das ist in Zukunft besser möglich mit der finanziellen Ausstattung, die wir vorsehen. Das ist eine Frage,
die auch die Zukunft dieses Landes berührt. Deshalb
sage ich herzlichen Dank dafür, dass insbesondere der
Kulturhaushalt in unserem Bereich in den letzten drei
Jahren um jeweils annähernd 10 Prozent angehoben
worden ist. Das gibt Möglichkeiten. Jeder Euro ist da gut
angelegt.
({5})
Auch ich erlebe es zum ersten Mal, dass wir nicht
über die Rettung bzw. Sanierung oder gar über die
Schließung von Goethe-Instituten reden müssen. Zum
ersten Mal sind wir vielmehr wieder in der Situation,
dass wir neue Goethe-Institute fördern und neue entsprechende Programme auflegen können.
Wir werden im Jahre 2009 die Zahl der weltweiten
Partnerschulen auf 1 000 - in vier Jahren um immerhin
600 - erhöht haben. Wir werden mit diesem Haushalt
auch in der Lage sein, den Wissenschaftsstandort
Deutschland in der Welt wesentlich besser zu präsentieren, als das in der Vergangenheit der Fall war. All das
sind Investitionen in die Zukunft dieses Landes und
letztendlich in das, was ich das Wurzelwerk der globalen
Verantwortungsgemeinschaft nenne. Es sind richtige und
notwendige Investitionen.
({6})
Ich denke, wir sind uns einig: Für die Welt von morgen, die noch nicht - Herr Hoyer, Sie haben recht - klar
absehbar ist, deren Konturen sich aber abzuzeichnen beginnen, werden jetzt und nicht irgendwann die Weichen
gestellt. Es ist eine Zeit, in der unsere Prinzipien von
Außenpolitik - Verständigung, Zusammenarbeit und
Dialog - aus meiner Sicht so aktuell sind, wie sie nie zuvor waren. Deshalb müssen wir jetzt ganz besonders intensiv dafür werben.
Was folgt aus all dem für unser Handeln in der Außenpolitik? Drei Dinge: Erstens. Wir setzen nach
schwierigen Tagen, die wir mit Europa in diesem Jahr
hatten, ganz bewusst - das betone ich hier - auf Europa.
Die EU hat sich nämlich, wenn man sich das genauer anschaut, gerade in der Krise der letzten Wochen und des
letzten Sommers sowohl außenpolitisch wie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik als handlungsfähig erwiesen.
Sie hat Stabilität und Verlässlichkeit just in den Momenten ausgestrahlt, als es darauf ankam. Daran sollten wir
uns gelegentlich erinnern, wenn im nächsten Jahr im
Wahlkampf für das Europäische Parlament der eine oder
andere wieder schlecht über Europa denkt.
({7})
Auch beim Weltwirtschaftsgipfel - ich darf daran erinnern; er liegt noch nicht so weit zurück - hat die EU
ihre Führungsrolle am Ende, Frau Bundeskanzlerin,
ganz eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Viele Elemente des Aktionsplanes, die da verabschiedet worden
sind - Regeln, Prinzipien für eine Regulierung und Aufsicht der Finanzmärkte und für Transparenz -, gehen auf
Vorschläge zurück, auf die wir uns in Europa bereits im
Aktionsprogramm ein paar Tage zuvor verständigt haben.
Gemeinsames Handeln ist auch dann gefragt, wenn es
um die Bewältigung der Finanzkrise nicht unmittelbar,
sondern um die Folgen der Finanzkrise für die Realwirtschaft geht. Das, was wir sinnvoll auf europäischer
Ebene bewerkstelligen können - ich unterstreiche das -,
müssen wir gemeinsam und koordiniert miteinander angehen.
({8})
In dieser Krisenzeit wächst ganz offenbar europaweit,
teilweise sogar über Europa hinaus - das spüren wir in
diesen Tagen besonders stark -, das Bewusstsein dafür,
dass diese Europäische Union nicht nur eine starke Gemeinschaft ist, sondern sie auch einen Wert hat und gerade den kleineren Partnern Schutz bietet. Ich höre von
den Iren - das mag den einen oder anderen von uns erstaunen -, dass gerade jetzt, in Zeiten der Krise, in Irland
die Zustimmung zur Europäischen Union wieder steigt.
Für mich ist es ein gutes Zeichen, dass Länder wie
Schweden und Dänemark, in denen der Euro in der Vergangenheit verpönt war und abgelehnt wurde, jetzt darüber nachdenken, ob man nicht doch den Zutritt zur
Eurozone beantragen sollte. Deshalb ist es aus meiner
Sicht weder vermessen noch selbstgerecht, wenn man
gerade jetzt sagt: Inmitten dieser weltweiten Krise gibt
es erste Anzeichen dafür, dass wir vor einer Renaissance
Europas stehen. Das ist gut so, weil wir gemeinsam mit
diesem und in diesem Europa mehr schaffen, als jeder
von uns alleine schaffen würde.
({9})
Zweitens. Wir werden - auch da hat Herr Hoyer recht in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten den ganz
engen Schulterschluss mit den USA suchen müssen. In
Washington steht ab Januar ein Partner zur Verfügung,
mit dem wir - das wissen wir - in vielen Fragen gemeinsame Visionen teilen. Die neue Administration bietet
aus meiner Sicht die Chance - darauf weisen die Gespräche, die wir hatten, hin -, dass wir eine grundlegende Erneuerung des transatlantischen Verhältnisses, auch mit
Vorteilen für uns, wirklich schaffen. Ich denke dabei an
durchaus anspruchsvolle Dinge wie eine gemeinsame
Führungsrolle Europas und der Vereinigten Staaten beim
weltweiten Klimaschutz, auch bei der Abrüstung, Herr
Hoyer, bei der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, bei der Lösung von regionalen Konflikten
und vor allen Dingen bei der - das ist keine ganz leichte
Aufgabe - friedlichen Einbindung jener Spieler auf der
internationalen Bühne, die dort politisch bisher nicht
ausreichend präsent waren und nicht in ausreichendem
Maße politische Verantwortung übernommen haben.
Darauf kommt es im transatlantischen Verhältnis zwischen Deutschland und den USA an.
Ich glaube, wir haben unsererseits aber auch ein darüber hinausgehendes Interesse daran, dass sich die Beziehungen zwischen den USA und Russland entscheidend verbessern, dass eine bessere und belastbare
Grundlage für das Verhältnis gefunden wird. Ich will die
Hoffnung nicht aufgeben, dass das mit zwei Präsidenten
an der Spitze, deren Denkmuster nicht mehr vom Kalten
Krieg geprägt worden sind, gelingt. Da muss mehr möglich sein, als wir in der Vergangenheit erlebt haben. Ich
wünsche mir das sehr und will dafür arbeiten.
({10})
Dahinter stecken gemeinsame Fragen, nicht nur die
Frage, wie wir uns zu Nonproliferationsvorschlägen verhalten, sondern auch die schwierig zu beantwortende
Frage, wie wir uns zu anderen Vorschlägen für eine neue
europäische Sicherheitsarchitektur verhalten. Wie verhalten wir uns bei der Frage der weiteren Annäherung Georgiens und der Ukraine an die NATO? Das wird bereits
in allernächster Zukunft, am Mittwoch der kommenden
Woche, Hauptgesprächsgegenstand beim Treffen der
NATO-Außenminister in Brüssel sein. Ich will mich in
diesem Hohen Haus nicht um eine klare Position herumdrücken. Meine Überzeugung ist und bleibt: Es gibt keinen Grund, jetzt, einige Monate nach dem NATO-Gipfel
im März, über die Beschlüsse von Bukarest hinauszugehen.
({11})
Wir sollten darüber nachdenken, wie man unterstützend
gegenüber Georgien und der Ukraine in den gemeinsamen NATO-Georgien- bzw. NATO-Ukraine-Kommissionen tätig werden kann, aber bei den Beschlüssen vom
März bleiben.
Wenn die USA und Europa wieder stärker an einem
Strang ziehen, dann werden wir auch in Zukunft - da bin
ich mir sicher - großen Einfluss auf die Gestaltung der
politischen Globalisierung haben. Aber dennoch ist aus
meiner Sicht klar - ich hoffe, dass das die allermeisten
hier im Hohen Haus so sehen -: Es wird ganz unzweifelhaft zu globalen Gewichtsverschiebungen kommen. Ich
habe schon vor einigen Monaten angemahnt, aufstrebende Mächte aus Asien, Lateinamerika und Afrika bei
der Gestaltung der globalen Zukunft wesentlich stärker
zu berücksichtigen.
Deshalb - das ist die dritte Schlussfolgerung, die ich
aus der gegenwärtigen Krise ziehe - plädiere ich dafür,
dass wir die Konstruktion der G 8 weiterentwickeln. Wir
haben in Heiligendamm im vergangenen Jahr einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung gemacht.
Wir sollten jetzt die nächste G-8-Präsidentschaft, die Präsidentschaft Italiens, nutzen, um zu Klärungen zu kommen. Jedenfalls ist aus meiner Sicht für alle Staaten, die
ich eben genannt habe, eines unverzichtbar: Ihnen muss
sozusagen der Weg vom Katzentisch der internationalen
Gemeinschaft zum Konferenztisch eröffnet werden. Das
ist nicht nur zum Vorteil dieser Staaten, wie manche
missverständlich meinen, sondern das wird am Ende
auch unser Vorteil sein. Ich bin fest davon überzeugt.
Beim Weltfinanzgipfel in Washington hat sich das schon
gezeigt.
({12})
Afghanistan wird uns im nächsten Jahr aufgrund der
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen dort intensiv
beschäftigen. Natürlich wird es darauf ankommen, dass
wir neben dem militärischen Engagement unser ziviles
Engagement weiter ausbauen. Wir haben dafür vermehrte finanzielle Möglichkeiten. Ich bedanke mich dafür bei den Haushältern. Ich sage auch mit Blick auf das,
was eben schon gesagt worden ist, hier noch einmal ausdrücklich: Es wird nicht ausreichen, sich auf Afghanistan zu konzentrieren. Es ist hoffentlich auch aus meinen
Bemühungen deutlich geworden, dass wir einen regionalen Ansatz verfolgen und dass wir Pakistan, dieses
Schlüsselland für die Stabilität in der Region, von vornherein in die Betrachtung einbeziehen müssen.
({13})
Um es klar zu sagen: Das nächste Jahr wird auch außenpolitisch mit Blick auf die internationale Konfliktsituation kein einfaches Jahr werden. Es wird ein Jahr
der Weichenstellung sein: in Europa, in den transatlantischen Beziehungen, in der Weltwirtschaft und bei der
Gestaltung der neuen globalen Ordnung. Ich sage Ihnen:
Viele schauen mit großen Erwartungen auf uns, die wir
nicht enttäuschen dürfen. Wir teilen die Einsicht, dass in
der Welt von morgen der Einfluss eines Landes nicht so
sehr von seiner Größe abhängen wird und auch nicht von
seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Weltregion,
sondern davon, dass es vernünftige und ausgewogene
Beiträge zur Bewältigung der drängenden Zukunftsaufgaben leistet.
Das wollen wir gemeinsam mit Ihnen tun. Herzlichen
Dank für die bisherige Wegstrecke.
({14})
Für die Linke hat jetzt der Kollege Michael Leutert
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Außenminister, Sie haben soeben den G-8-Gipfel in
Heiligendamm angesprochen. Auf diesem Gipfel wurde
groß angekündigt, dass das Engagement in Afrika verstärkt und eine Afrika-Initiative ins Leben gerufen werden soll. Nun liegt uns heute der Etat vor, und wir können
überprüfen, ob dies entsprechend in Zahlen umgesetzt
wird. Tatsächlich gibt es einen Titel „Afrika-Initiative“,
der mit 33 Millionen Euro untersetzt ist. Uns interessiert
natürlich nicht nur, ob es diesen Titel gibt, sondern uns
interessiert auch, wie dies umgesetzt wird, nach welchen
Kriterien und nach welchen Schwerpunkten.
Man sollte annehmen, dass einer der Schwerpunkte
- wir beobachten die Situation dort jetzt leider wieder in
den Medien - die Demokratische Republik Kongo ist.
Die katastrophale Lage dort ist bekannt. Somit müsste
dies ein Schwerpunkt sein. 2006 gab es in der Demokratischen Republik Kongo schon einen Militäreinsatz, an
dem auch Deutschland mit 780 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr beteiligt gewesen ist. Immerhin
56 Millionen Euro sind damals ausgegeben worden. Zu
diesem Einsatz gab es damals von den Koalitionsfraktionen einen Entschließungsantrag, der zwei Begründungen
lieferte, warum man diesen Einsatz vollziehen sollte. Die
erste Begründung ist eine humanitäre. Es wird von
4 Millionen Vertriebenen gesprochen. Von Gewalt und
Flucht ist die Rede. Es wird von 20 Prozent der Kinder,
die nicht das fünfte Lebensjahr erreichen, von 50 Prozent, die keine Schule besuchen, und von 10 Prozent
Aidswaisen gesprochen. Das aber sind Gründe, die mit
einem Militäreinsatz nicht zu verändern sind. Sie sprechen aber als zweite Begründung sehr wohl eine geostrategische Bedeutung an. Ich zitiere:
Die Demokratische Republik Kongo als drittgrößtes afrikanisches Land ist von strategischer Bedeutung … Kongo hat ein Drittel aller Kupfer- und ein
Zehntel der Kobaltvorkommen, bei Coltan … sind
es 80 Prozent. Daneben gibt es reiche Diamant- und
Goldvorkommen.
Gebracht hat der Einsatz offensichtlich nicht viel, wie
wir heute sehen können. Wieder sind im Ostkongo
250 000 Flüchtlinge zu verzeichnen. Der UN-Generalsekretär spricht derzeit von schwersten Menschenrechtsverletzungen, nicht nur durch Rebellengruppen, sondern
auch durch Regierungstruppen. Im Spiegel-Interview
mit Hans-Ulrich Klose ist sogar von einem Völkermord
à la Ruanda die Rede.
Was passiert nun in der Öffentlichkeit? Das, was wir
bisher kennen: Der Bundespräsident Horst Köhler fordert eine Verstärkung der Truppen im Kongo. Herr Außenminister, ehe Sie sich dieser Forderung anschließen,
sagen wir von den Linken Ihnen, was wir Ihnen schon
2006 gesagt haben: Das ist der falsche Weg.
({0})
Die Frage hinsichtlich der humanitären Situation ist
nämlich, was bis jetzt getan wurde. Da muss man als
Antwort verzeichnen: nichts oder nicht viel. Ein Jahr
nach dem Kongo-Einsatz 2007, an dem die Bundeswehr
beteiligt war, sind die Mittel für finanzielle und technische Zusammenarbeit auf dem Stand null. Mittlerweile
sind die Mittel wieder hochgefahren worden. Für nächstes Jahr sind insgesamt 28 Millionen Euro veranschlagt.
Um das aber zu vergleichen: Für ganz Afrika wird vom
BMZ 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt.
Nun ist natürlich die Frage: Was wird vom Auswärtigen Amt getan? Ich hatte den Titel „Afrika-Initiative“
mit 33 Millionen Euro angesprochen. Leider müssen wir
feststellen, dass im Mittelpunkt erstens die Stärkung der
afrikanischen Sicherheitsarchitektur und zweitens der
Ausbau der Fähigkeit afrikanischer Länder zum Einsatz
in Friedensmissionen steht. 10,5 Millionen Euro der Mittel werden für den Aufbau der „African Standby Forces“,
15,5 Millionen Euro für den Polizeiaufbau und 7 Millionen für die Grenzsicherung ausgegeben.
({1})
Die Funktionsfähigkeit der Polizei der Demokratischen
Republik Kongo wird extra benannt. Falsch ist, dass
auch hier wieder nicht im zivilen Sektor investiert wird,
sondern eben nur im Sicherheitssektor.
Um es deutlich zu sagen: Uns Linke interessiert - der
Kongo ist jetzt das Beispiel -: Welche Strategie verfolgt
die Bundesregierung und damit auch das Auswärtige
Amt? Ist es entweder die Sicherheit zur Absicherung
wirtschaftlicher Aktivitäten, also geostrategische Aspekte, oder ist es tatsächlich die Linderung des Leides in
Afrika, also die nachhaltige Beendigung von humanitären Katastrophen? Die Zahlen, die ich hier genannt habe,
sprechen eine eindeutige Sprache, nämlich zugunsten
der geostrategischen Variante. Exakt dies lehnen wir ab.
Deshalb können wir diesem Etat auch dieses Jahr
wieder nicht zustimmen.
Danke.
({2})
Für die CDU/CSU spricht an dieser Stelle der Kollege
Herbert Frankenhauser.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wenn
die großen Felder der Außenpolitik erörtert werden, ist
es für einen Überraschungsgast aus dem Haushaltsausschuss immer schwierig, noch etwas beizutragen.
Schließlich befinden wir uns nach der Tagesordnung in
der Haushaltsdebatte. Aber ich will Sie nicht mit Details
aus dem Einzelplan des Auswärtigen Amtes langweilen,
erlaube mir aber, kollegial auf einige Dinge hinzuweisen, weil wir hie und da - nicht oft genug, aber zuweilen
schon - von unserem parlamentarischen Recht Gebrauch
machen, den Regierungsentwurf zu verändern und besondere Schwerpunkte zu setzen.
({0})
- Wir haben den schon. - Ich freue mich, dass den meisten Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen auch
die Oppositionsfraktionen zugestimmt haben. Das wird
sie aber nicht davon abhalten, letztlich wieder dagegenzustimmen.
({1})
Wir haben die humanitären Minenräummaßnahmen
höher dotiert. Wir haben auch die Ausstattungshilfe, auf
die der Haushaltsausschuss besonders großen Wert legte
- der Verteidigungsminister nimmt das bitte zur Kenntnis -, höher dotiert. Außerdem haben wir 100 Millionen
Euro für Afghanistan und Umgebung bereitgestellt - der
Herr Außenminister hat schon darauf hingewiesen -,
und zwar 50 Millionen Euro in bar und 50 Millionen
Euro als Verpflichtungsermächtigungen. Allerdings haben wir diese Mittel mit einer Sperre versehen, Herr Außenminister. Sie werden nur unter der Maßgabe zur Verfügung gestellt, dass die Bundesregierung ein noch
besser abgestimmtes Programm über das Vorgehen in
Afghanistan vorlegt.
({2})
- Es gibt innerhalb der Koalition immer die Möglichkeit
zur Steigerung, Herr Kollege.
({3})
Wir meinen, dass der Erfolg aufgrund der hohen Anzahl von mittlerweile über 100 Einzelmaßnahmen insbesondere im zivilen Bereich möglicherweise nicht mehr
gewährleistet ist.
({4})
Wir sind der Meinung, dass der Krieg in Afghanistan
nicht gewonnen werden kann, wenn wir nicht auch die
Menschen dort gewinnen.
({5})
Darüber hinaus haben wir die Mittel für die Schulen im
Ausland erneut höher dotiert.
Jetzt wende ich mich an die „überfüllte“ Bundesratsbank.
({6})
Ich halte es für ein nicht hinnehmbares Vorgehen, dass
sich die Finanzminister der Länder per Beschluss aus der
anteiligen Finanzierung der Lehrkräfte, die an den deutschen Auslandsschulen tätig sind, zurückziehen wollen.
({7})
Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen, beim
Ministerpräsidenten und beim Kultusminister ihres Bundeslandes dafür zu werben, dass dies nicht getan wird.
Schließlich werden diese Schulen auch von den Kindern
der von Unternehmen aus allen deutschen Bundesländern ins Ausland entsandten Arbeitskräfte besucht; nicht
alle von ihnen kommen aus der Bundeshauptstadt. Sonst
müssten wir darüber nachdenken, die Eltern der betroffenen Schüler mit einem besonderen Obolus zu belegen.
Das würde den Druck in den einzelnen Bundesländern
vielleicht erhöhen.
Apropos Schulen. Trotz der schwierigen Haushaltslage war es unser Anliegen, das deutsche Auslandsschulwesen wegen seiner besonderen Bedeutung zu stärken.
So ist es uns gelungen, dafür zu sorgen, dass die deutsche Schule in Madrid, die die örtlichen gesetzlichen
Vorgaben längst nicht mehr erfüllt, neu gebaut wird.
({8})
Wir haben auch sichergestellt, dass eines der Leuchtturmprojekte unserer ausländischen Kulturarbeit, das
Deutsche Archäologische Institut in Rom, ordentlich
„zwischenuntergebracht“ wird und die bisherigen Räumlichkeiten adäquat saniert werden.
({9})
Ich möchte noch zwei Punkte inhaltlicher Art ansprechen. Erstens möchte ich an die Innenpolitiker appellieren, unsere Visavergabepraxis zu überdenken.
({10})
Ein Beispiel: Das deutsche Konsulat in Petersburg stellt
mittlerweile nur noch etwa 40 000 Visa pro Jahr aus, der
Schengen-Mitgliedstaat Finnland hingegen 140 000. Ich
muss sagen: Unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten ist das für einen Haushälter nicht zu erschließen. Wie
die Sicherheit besonders gewährleistet wird, wenn dann
Leute mit einem finnischen Visum in Deutschland einreisen, weiß ich nicht. Möglicherweise gibt es aber Innenpolitiker, die mir das erklären können.
({11})
Ich denke jedenfalls, dass das auch nicht die alleinige
Aufgabe des Auswärtigen Amtes ist, das sich bei einer
Änderung der Praxis schließlich wieder in einem Untersuchungsausschuss wiederfindet und vom Parlament kritisiert wird. Ich bin der Meinung, das Parlament sollte zu
einer abgestimmten Meinung darüber kommen, wie wir
das künftig, weil wir das offensichtlich nicht europäisch
regeln können - jeder Schengen-Staat verhält sich ja,
wie er lustig ist -, national regeln, und zwar so, dass die
Menschen, die in Deutschland Geschäfte machen wollen, nicht erst zu den Finnen gehen müssen, um mit weniger Aufwand nach Deutschland einreisen zu können.
Diese lachen uns ja aus. Ich halte das für nicht akzeptabel.
({12})
Weil wir gerade von der Europäischen Union sprechen: Sie wissen, dass ich bei jeder meiner Haushaltsreden einen kleinen Hinweis auf die doch sehr, sehr solide Haushaltspolitik gebe.
({13})
Die Europäische Kommission hat jetzt überraschenderweise festgestellt, dass in Bulgarien ein bestimmtes
System der Zuwendungsempfänger besteht. Das konnte
vorher natürlich niemand wissen.
({14})
Jetzt wurde ein Teil der Mittel gesperrt, aber es gibt noch
andere Möglichkeiten der kreativen Geldschöpfung aus
europäischen Töpfen.
In Rumänien gibt es zum Beispiel für die Rodung
von Weinbergen eine Prämie von etwa 4 000 Euro pro
Hektar. Selbstverständlich gibt es auch Mittel für die
Neuanpflanzung. Diese belaufen sich auf 10 000 bis
12 000 Euro pro Hektar. Im Sinne der Vereinfachung
gab es rumänische Familien - ich glaube, in Italien heißen sie Familien -, die den kleinen Weinbauern ihre
Weinberge abgekauft und sie in großem Stile zunächst
gerodet und danach neu bepflanzt haben, bis sie gemerkt
haben, dass der Aufwand viel zu groß ist. Jetzt wird einfach mitgeteilt, dass gerodet worden ist, und nach Ablauf
einer gewissen Zeit wird der Europäischen Kommission
gesagt, dass neu angepflanzt worden ist. Ohne großen
Aufwand kommt man also an den Fördertopf heran.
Jetzt weiß ich nicht, ob wir auch in Deutschland so etwas anwenden könnten. Dadurch könnten unsere etwas
knappen Haushaltsmittel merklich erhöht werden.
({15})
Ich wäre ausgesprochen dankbar, sehr geehrter Herr Außenminister, wenn Sie einem solchen Blödsinn Einhalt
gebieten könnten.
Zum Abschluss habe ich an Sie in Ihrer Eigenschaft
als Botschafter des Bieres die Bitte, die Überlegungen in
der Europäischen Union, Warnhinweise auf Bier- oder
Weinflaschen zu verordnen, endgültig im Papierkorb
verschwinden zu lassen.
Vielen Dank.
({16})
Jürgen Trittin hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Frankenhauser, bei dem kritischen Unterton Ihrer Rede
frage ich mich, ob die Frage hinsichtlich des Weinberges
in erster Linie vielleicht an den Kollegen Jung gerichtet
gewesen ist.
({0})
Wir haben ja eine paradoxe Situation: Eigentlich
freuen wir uns alle, dass Barack Obama in den USA die
Wahl gewonnen hat. Ich finde es aber erstaunlich, was in
Teilen der veröffentlichten Meinung geäußert wird. Es
wird jetzt darüber philosophiert - bevorzugt von jenen
Kommentatoren, die uns eigentlich damals schon mit in
den Irak schicken wollten -, was nun alles Schreckliches
auf uns zukommt, weil Barack Obama Präsident wird.
Man macht das vor allen Dingen an der Frage fest, ob
und inwieweit es Forderungen hinsichtlich zusätzlicher
deutscher Soldaten geben wird. Ich will an dieser Stelle
eines sagen: Ich bewerte diesen Wechsel bzw. diese
Wahl positiv, und wir sollten uns wirklich genau auf
diese positive Seite konzentrieren.
Wir werden mit Barack Obama zum ersten Mal eine
Administration haben, mit der wir über die Strategie und
das Vorgehen in Afghanistan überhaupt reden und verhandeln können. Ich finde, diese Chance sollten wir als
Bundesrepublik Deutschland nutzen.
({1})
Das wird allerdings, liebe Bundesregierung, eines voraussetzen, nämlich dass man da, wo man Zusagen in
Bezug auf Afghanistan gemacht hat, auch tatsächlich liefert, also Schluss macht mit der - um den Kollegen
Frankenhauser noch einmal zu zitieren - zerstreuten - so
haben Sie gesagt - Aufbauhilfe in Afghanistan. Dann
muss man auch Schluss machen mit einer Politik, die
200 Polizisten verspricht und gerade einmal in der Lage
ist, 72 zu liefern. Das wird nicht mehr gehen. So wird
man die Chancen, die sich aus dem Wechsel in den USA
ergeben, nicht nutzen können.
({2})
Es ist überhaupt mein Eindruck: Das, was aus den
USA herüberkommt, erwischt diese Koalition eigentlich
zu einem sehr schlechten Zeitpunkt. Während dort über
Wandel, Veränderung und Optimismus geredet wird, hat
man sich hier sozusagen schon im Vorwahlkampf eingemauert. Die Kanzlerin und der Vizekanzler streiten darüber, wer am besten Opel retten kann. Frank-Walter hat
hier im Bundestag inzwischen eine Tonalität angeschlagen wie sonst nur auf dem SPD-Parteitag.
({3})
Das schlägt sich auch in der Außenpolitik nieder. Was
ist eigentlich aus den Schwerpunkten des Bundesaußenministers geworden? Was ist aus dem Schwerpunkt Abrüstung geworden? Was ist aus dem Anspruch geworden, zu mehr Multilateralität bei der Bewältigung
globaler Krisen auf den Finanzmärkten, bei der Energieaußenpolitik und im Umgang mit dem Klimawandel zu
kommen? Wie geht die Bundesrepublik Deutschland mit
den häufiger werdenden Krisen um, die aus solchen Risiken und Konflikten erwachsen, die Staaten zerfallen
lassen?
Ich finde, die Bilanz ist - mit Verlaub - nicht überzeugend. Schauen wir uns die Abrüstung an. Sie haben bei
verschiedenen Gelegenheiten gesagt, das ist einer der
Schwerpunkte. Aber gleichzeitig hat diese Bundesregierung dafür gestritten, dass es Ausnahmen beim Verbot
von Streumunition gibt. Ich finde, das geht nicht zusammen. Man kann nicht Abrüstung predigen und Ausnahmen für Streumunition einklagen.
({4})
Nehmen wir ein anderes Beispiel, die Nichtverbreitungspolitik. Wir alle wollen nicht, dass der Iran in den
Besitz von Atomwaffen kommt. Dafür bedarf es eines
soliden und festen Nichtverbreitungsregimes. Was macht
diese Bundesregierung? Ihr ist es wichtiger, das außenpolitische Erbe von George W. Bush zu sichern, und sie
hilft im letzten Moment der Lieferung von Nuklearmaterial an Indien über die Hürde. So sorgt man nicht für bessere Nichtverbreitung, sondern so begünstigt man Verbreitung.
({5})
Oder nehmen wir die Äußerungen dieser Bundesregierung zu der Frage, wie man mit dem Aufbau eines
Raketenabwehrsystems umgeht, das offensichtlich innerhalb der EU eine spaltende Wirkung entfaltet und unser Verhältnis zu Russland beschädigt. Gibt es da eigentlich eine konsistente Position beider Teile dieses
Hauses? Ich kann das nicht erkennen.
({6})
Wo ist denn Ihr Vorstoß im Zusammenhang mit dem
KSE-Vertrag gewesen? Wir haben uns alle über Herrn
Putin erregt. Aber wo ist eigentlich Ihr Vorschlag gewesen als Zeichen der Bereitschaft, das hier einzubringen
und zu ratifizieren? Warum halten Sie, wenn Sie es ernst
meinen mit Abrüstung und Nichtverbreitung, für
Deutschland weiterhin an der nuklearen Teilhabe fest?
Das passt doch alles nicht zusammen.
({7})
Herr Bundesaußenminister, Sie haben gesagt, Europa
und die USA wollen beim Klimaschutz zusammen eine
Initiative ergreifen und Führung übernehmen. Ja, es
stimmt: Die Probleme dieser Welt werden nur mit Indien, China, Russland und all diesen Staaten sowie einer
starken EU gelöst werden können. Aber wenn ich mir
angucke, was in den letzten Tagen beim Klimaschutz
passiert ist, so muss ich sagen: Ich bin da sehr skeptisch
geworden. Zum ersten Mal haben wir eine Chance, mit
einer kommenden Administration tatsächlich über ein
völkerrechtlich verbindliches Abkommen zu reden. Was
aber passiert in der Bundesregierung? Sie diskutieren
den ganzen Tag darüber, wie man die Klimaschutzziele
in der Europäischen Union aufbohren, aufschrauben und
abschwächen kann. Das ist das Gegenteil von Führung.
({8})
Um es ganz konkret auszudrücken - die Bundeskanzlerin weiß das genau -: Es wird nur dann einen Beitrag
der USA zum Klimaschutz geben, wenn es in den USA
gelingt, ein Cap-and-Trade-System - also ein Emissionshandelssystem - auf den Weg zu bringen. In der Situation
diskutiert man hier in Europa, das Emissionshandelssystem nicht nach dem Grundprinzip der Auktionierung zu
gestalten, sondern die Emissionsrechte gratis zu vergeben.
Es wird aber in den USA kein solches System geben,
wenn wir in Europa nichts Entsprechendes liefern. Ohne
ein solches System in den USA wird es nicht gelingen,
China, Indien und andere Schwellenländer in ein internationales Klimaabkommen einzubeziehen. Das ist Ihre
Verantwortung. Sie müssen zu Hause, in Europa liefern,
damit Sie global etwas bewegen können.
({9})
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung. Bezüglich
des Iran werden wir sicherlich über viele Chancen verhandeln. Wir nutzen übrigens die Chancen, Herr Bundesaußenminister, die sich aus der inzwischen wieder
leicht positiven Entwicklung im Irak ergeben. Wir hatten
gute Chancen, in Kurdistan etwas zu machen. Ich vermisse Ihre Initiativen in diesem Bereich.
Ich will mit Blick auf die Auseinandersetzung noch
einen Punkt ansprechen, der gerade für Europa wichtig
ist. Es wird auch mit Barack Obama Interessenkonflikte
geben. Die Haltung der USA beispielsweise zu Georgien ist eine andere als die vieler Europäer. Aber weil
unsere Interessen berührt sind, erwarte ich in einer solchen Frage von Ihnen, dass Sie öffentlich sagen, worum
es uns geht, statt an dieser Stelle wegzutauchen.
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie klarmachen, dass
die leichtfertigen Versprechungen aus der NATO heraus
und das abenteuerliche Vorgehen, das dann ein entsprechendes Vorgehen Russlands zum Beispiel in Georgien
ausgelöst hat, etwas reduziert werden sollten, statt zum
Weitermachen zu ermuntern.
({10})
Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Wir haben
mittlerweile 7 000 Soldatinnen und Soldaten im Ausland stationiert, die dort übrigens in der Regel UNmandatiert und zunehmend UN-kommandiert in Stabilisierungseinsätzen tätig sind. Ich finde, dass diese Soldatinnen und Soldaten eine Antwort auf die Frage verdienen, nach welchen Kriterien sie entsandt werden. Sie
haben in Ihrem Weißbuch angegeben, es gehe um vernetzte Sicherheit und darum, diese effizient auf den Weg
zu bringen.
Stellen Sie sich einmal der Wirklichkeit! In Wirklichkeit fehlen regelmäßig die zivilen Partner, und die Soldatinnen und Soldaten müssen regelmäßig die zivilen Aufgaben mit übernehmen. Ich glaube, dass wir diesen
Zustand nicht weiter akzeptieren können.
Etwas Weiteres ist notwendig. Wenn wir so etwas machen, dann brauchen die Menschen, die dort für die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinten Nationen tätig sind, klare und unzweideutige Rechtsgrundlagen.
Was ist das Prinzip für das Engagement der Bundesrepublik vor dem Horn von Afrika? Es gibt die NATO und
die „Coalition of the Willing“. Die einen jagen Piraten;
die anderen jagen Terroristen. Man muss froh sein, dass
sie sich nicht gegenseitig jagen.
({11})
- Das ist so. - Es soll eine EU-Mission hinzukommen.
Ich stimme mit Ihnen völlig überein, dass es eine Aufgabe der internationalen Gemeinschaft ist, die Handelswege zu sichern. Ich glaube, dass es auch eine Verantwortung der internationalen Gemeinschaft ist, dafür Sorge zu
tragen, dass die Schiffe des Welternährungsprogramms,
von denen die Versorgung von 3,5 Millionen Somalis abhängig ist, durchkommen.
Aber wenn man zu dieser Verantwortung steht, dann
muss man hier für Klarheit sorgen. Klarheit kann nur so
aussehen, Herr Außenminister: Beenden Sie die Berufung auf OEF am Horn von Afrika! Hören Sie auf, eine
neue Existenzberechtigung der NATO hineinzuinterpretieren! Sorgen Sie für ein einheitliches Kommando bzw.
ein einheitliches Mandat! Es gibt eine UN-Resolution
und einen Beschluss des Europäischen Rates. Sorgen Sie
dort für eine einheitliche EU-Mission! Das ist der richtige Weg, statt mit diesem Nebeneinander weiterzumachen.
({12})
Ich füge hinzu: Sie müssen das mit politischen Initiativen begleiten. Dieser Konflikt wird nicht auf See, sondern am Ende nur in Afrika, im Land selber, gelöst
werden können. Es stimmt mich daher sehr misstrauisch
- wenn ich das sagen darf -, dass Sie bisher weitgehend
abgetaucht sind, wenn es um den Kongo ging. Sie haben
es bislang für nicht nötig befunden, hier politische Initiativen zu entwickeln. Das ist aber nötig, gerade wenn man
einer größeren Verantwortung gegenüber unserem Nachbarkontinent Afrika gerecht werden will.
({13})
Die Orientierungslosigkeit der Bundesregierung in
der Außenpolitik kann man in drei Punkten festhalten.
Genauso wie die Linkspartei bekennen Sie sich zum Primat der Vereinten Nationen. Aber Sie scheuen die Konsequenzen, was man im Kongo leider beobachten kann.
({14})
Sie sprechen von einer Stärkung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, vermeiden es aber, sich dem
Zielkonflikt zu stellen, was das für die Rolle der NATO
bedeutet. Sie bekennen sich zwar zur transatlantischen
Freundschaft, reden aber nicht offen mit Ihren Freunden,
wenn es um Kerninteressen Europas geht. Hier wird in
der Tat nur noch Stillstand produziert. Ich finde, dass es
sich lohnt, diesen Stillstand zu überwinden. Aber ich befürchte, dass das erst nach der Großen Koalition möglich
sein wird.
({15})
Als Nächster hat das Wort der Kollege Lothar Mark
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will auf die Ausführungen von Jürgen Trittin
nicht im Detail,
({0})
lediglich auf die letzten drei Punkte pauschal eingehen.
Das Auswärtige Amt und der Minister des Auswärtigen
betreiben sehr wohl eine klar definierte Außenpolitik im
Interesse der Bundesrepublik Deutschland, der Europäischen Union, der Vereinten Nationen und der Menschlichkeit. So viel dazu.
({1})
Als Haushälter, der zusammen mit Herbert
Frankenhauser in der Koalition für den Etat des Auswärtigen Amtes zuständig ist, will ich nun doch gern etwas
zum Haushalt sagen. Der Haushalt des Auswärtigen
Amtes hat in diesem Jahr die 3-Milliarden-Grenze überschritten, Herr Minister. Das ist ein besonderes Ereignis.
Im letzten Jahr hatten wir uns noch darüber gefreut, dass
die 1-Prozent-Marke, gemessen am Gesamthaushalt,
überschritten wurde. Die Überschreitung der 3-Milliarden-Grenze bedeutet, dass diese Marke nun deutlich
übertroffen ist. In Zukunft muss sichergestellt werden,
dass dieser Entwicklungsprozess weitergeht.
Angesichts der internationalen Verantwortung
Deutschlands muss ein weiterer Zuwachs in diesem
Haushalt - auch prozentual - in den nächsten Jahren sichergestellt werden; denn es kann nicht sein, dass wir
immer mehr Verantwortung übernehmen, aber dann
- hierin stimme ich mit Jürgen Trittin überein - knauserig sind, wenn es darum geht, die notwendigen Mittel zur
Verfügung zu stellen. Den höchsten Zuwachs im Haushalt des Auswärtigen Amtes weist in diesem Jahr - das
wurde schon angesprochen - erneut die auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik mit 68 Millionen Euro
auf.
({2})
50 Millionen Euro davon gehen auf die erhöhte ODAZuweisung zurück, 10 Millionen Euro auf den Finanzpakt Forschung und Entwicklung. Dies ist eine sehr
glückliche Konstellation.
Bei den ODA-Mitteln will ich nur darauf hinweisen,
dass wir nach derzeitigen Berechnungen 0,37 Prozent erreicht haben. Wir müssen bis zum Jahr 2010 0,5 Prozent
und bis zum Jahr 2015 0,7 Prozent erreichen. Jeder kann
sich ausrechnen, welche Aufwüchse hier noch notwendig sind. Dabei hat der Anteil beim Auswärtigen Amt
glücklicherweise zugenommen. Der Anstieg geht also
nicht allein auf das BMZ zurück.
Die zusätzlichen Mittel in Höhe von 20 Millionen
Euro im Rahmen des Stabilitätspakts für Afghanistan
und Südosteuropa wurden von meinem Koalitionskollegen bereits erwähnt. Ich glaube, dass es ganz wichtig
ist, darauf hinzuweisen, dass diese Mittel ganz gezielt
auch für das Umfeld von Afghanistan und für die Grenzregion zwischen Afghanistan und Pakistan eingesetzt
werden müssen; aber auch an den Irak ist in diesem Zusammenhang zu denken. Dies sind wichtige Investitionen, die eine klare außenpolitische Orientierung und
Verantwortung zeigen.
Mit weiteren 20 Millionen bzw. 10 Millionen Euro
haben wir die Maßnahmen zur Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung, unter anderem
mit Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Ausbildung
und berufliche Schulung sowie Stipendien, erhöht. Auch
dies weist exakt in die Richtung, dass wir hier mehr Verantwortung übernehmen müssen. Diese Aufstockung
wird, so glaube ich, von uns allen sehr begrüßt; denn wir
haben in der Vergangenheit immer wieder beklagt
- Herbert Frankenhauser hat das angedeutet -, dass hier
nicht immer konzeptionell zusammengearbeitet wurde.
Durch den Druck, den wir mit der Sperre beabsichtigen,
wird diese Zusammenarbeit mit Sicherheit verstärkt werden. Das wird zum Wohle der Menschen in den betroffenen Regionen beitragen.
Ich will einzelne Beispiele für Erhöhungen nennen,
die noch nicht von meinem Kollegen erwähnt wurden.
Wir haben für die politischen Stiftungen im Bereich des
Auswärtigen Amtes einen Zuwachs von 2,5 Millionen
Euro erreicht. Ich glaube, dies ist sehr wichtig, weil die
politischen Stiftungen einen ganz besonderen Stellenwert haben und eine exzellente Hilfe für den Aufbau deLothar Mark
mokratischer Strukturen der jeweiligen Länder leisten, in
denen sie vertreten sind.
({3})
Ich glaube, dass dies für die Zivilgesellschaft und für die
volkswirtschaftlichen Entwicklungen sehr bedeutsam
ist.
Ich will auf einen weiteren Punkt hinweisen. Die humanitäre Minenräumung spielt bei uns immer eine
sehr große Rolle. Die Bundesrepublik Deutschland hat
sich seit 1992 mit 166 Millionen Euro an dieser humanitären Minenräumung beteiligt. Das ist nicht überwältigend viel, aber wenn man diese Summe zu den Beiträgen anderer Länder in Bezug setzt, ist das unendlich viel.
Wir sind bisher in 38 Ländern engagiert gewesen. Ohne
Frage sind auch in den kommenden Jahren weitere internationale Anstrengungen nötig, um die durch die
Ottawa-Konvention vorgegebenen völkerrechtlichen
Verpflichtungen einzuhalten. 156 Länder haben bisher
die Ottawa-Konvention ratifiziert, 38 weitere Länder haben sie unterschrieben. Dennoch: Deutschland sollte
meines Erachtens mehr Druck auf die USA - das ist sofort ein Thema, Herr Minister -, Russland, China, Indien
und Pakistan ausüben, der Konvention endlich beizutreten. Deutschland sollte mit dafür sorgen, dass europäische Staaten, zum Beispiel England auf den Falklandinseln, ihren Verpflichtungen zur Räumung nachkommen.
({4})
Ein großer Erfolg unter anderem des „Aktionsbündnis
Landmine“ ist es, dass Antipersonenminen inzwischen
weltweit geächtet sind und legal nicht mehr hergestellt
werden dürfen.
Ich komme noch zu einigen Aussagen zur auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Herbert
Frankenhauser hat ihren Stellenwert bei uns sehr deutlich aufgezeigt, insbesondere den des deutschen Auslandsschulwesens. Ich will darauf hinweisen, dass wir
mit unserem Außenminister auch in der zurückliegenden
Zeit ganz klare Akzente gesetzt haben. Wir haben 2007
gesagt, dass das Goethe-Institut auf eine neue Basis gestellt und gesichert werden müsse. 2008 haben wir dann
das deutsche Auslandsschulwesen verstärkt unterstützt,
und 2009 wird die internationale Außenwissenschaft besonders von uns gefördert. Ich muss nicht im Einzelnen
aufzeigen, welche Bedeutung dies für uns haben wird.
Zum bereits angesprochenen Versorgungszuschlag für
deutsche Lehrer im Ausland will ich nur folgenden Hinweis geben: Wenn ab 2010 die deutschen Bundesländer
nicht mehr ihren Teil des Versorgungszuschlags übernehmen, dann würde dies bedeuten, dass der Bund, also
das Auswärtige Amt, mit über 20 Millionen Euro zusätzlich belastet würde oder 200 Lehrerstellen im Ausland
abgebaut werden müssten. Dies kann nicht gewollt sein.
Wir sollten mit allen Kräften versuchen, dies zu verhindern.
({5})
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema „auswärtige
und internationale Sportbeziehungen“ sagen. Wir haben im parlamentarischen Verfahren eine Erhöhung um
500 000 Euro erreicht. Damit soll die Vorbereitung der
Universiade und der Olympischen Winterspiele in München erleichtert werden, und damit sollen Trainingslager
für Teilnehmer aus Entwicklungsländern mit finanziert
werden. Ich danke in diesem Zusammenhang der Kollegin Dagmar Freitag und dem Kollegen Dr. Peter
Danckert sehr herzlich für die engagierte Zusammenarbeit.
Ich will noch kurz auf ein Thema eingehen, das bei allen Haushaltsberatungen mein Lieblingsthema ist: Budgetierung. - Staatssekretär Karl Diller ist nicht zusammengezuckt. Ich weise auf dieses Thema sehr gern hin,
weil ich das Finanzministerium loben will. In diese Thematik ist nämlich wirklich Bewegung gekommen. Mit
den Goethe-Instituten ist in diesem Bereich eine internationale Präsenz gewährleistet. Meine Bitte an Sie wäre,
dass Sie vom Haushaltsverfahren her die Mittlerorganisationen insgesamt mit den neuen Steuerungselementen
wesentlich stärker vertraut machen, weil nur damit eine
Effizienzsteigerung der Arbeit erreicht werden kann.
Zum Schluss möchte ich dem Haushaltsreferat des
Auswärtigen Amtes danksagen, insbesondere Herrn
Wolfgang Dold und Herrn Ralf Mildebrath,
({6})
die immer sofort alles geliefert haben, was wir bei ihnen
angefordert haben. Das war also eine ganz tolle Zusammenarbeit. Ich danke auch Dr. Frank-Walter Steinmeier,
unserem Außenminister, den Staatsministern Gernot
Erler und Günter Gloser sowie dem früheren Staatssekretär Georg Boomgaarden und den jetzigen Staatssekretären Peter Ammon und Reinhard Silberberg. Danken will ich aber auch Herbert Frankenhauser und den
anderen Berichterstatterkollegen.
Ganz am Schluss will ich Gert Weisskirchen danksagen. Er hat als Sprecher der SPD-AG „Außenpolitik“
sehr kooperativ und konstruktiv mit mir als Haushälter
zusammengearbeitet. Ich wiederum habe eine genauso
enge Zusammenarbeit mit Herbert Frankenhauser gepflegt. Dies ist ein Beispiel dafür, wie man gut zusammenarbeiten kann.
({7})
Ich möchte noch darauf hinweisen, dass wir die finanziellen Mittel nicht nur erhöht, sondern bei einzelnen Titeln auch ganz gewaltig abgesenkt haben. Bis auf die
50 Millionen Euro, die mittlerweile mehrfach erwähnt
wurden, ist alles in diesem Haushalt gedeckt finanziert.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Michael Georg Link hat jetzt das Wort für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Vorredner und auch die, die nach mir sprechen
werden, werden es mir nachsehen, wenn ich sage, dass
der eigentliche Höhepunkt heute für mich als Europapolitiker nicht diese Debatte ist, sondern das Urteil des
tschechischen Verfassungsgerichts, das am heutigen
Tage die Vereinbarkeit des Vertrags von Lissabon mit
der tschechischen Verfassung erklärt hat.
({0})
Das ist ein wirklicher Erfolg und ein Hoffnungsschimmer für den Vertrag von Lissabon, den wir uns gewünscht und für den wir gekämpft haben. Ich würde
mich freuen, wenn dieses Urteil - man kann es bald
nachlesen - dazu führte, dass man sich bei der Linkspartei vielleicht noch einmal überlegt,
({1})
ob es in dem wichtigen vor uns liegenden Jahr der Europawahlen - der Bundesaußenminister hat es vorhin angesprochen - nicht sinnvoller wäre, für die EU einzutreten, anstatt sich gegen sie zu profilieren.
({2})
In der Haushaltsdebatte soll traditionell auch auf den
EU-Haushalt eingegangen werden. Ich komme gleich
dazu, will aber, weil „Tschechische Republik“ gefallen
ist, noch ein Wort dazu verlieren.
Die Tschechische Republik hat heute einen positiven
Akzent gesetzt. Ich glaube, in der Tschechischen Republik kommt einiges in Bewegung. Es wäre sehr wichtig
- das ist eine Erwartung an die Bundesregierung, die wir
sehr klar formulieren -, mit der Tschechischen Republik
und mit Polen, diesem so wichtigen Partner, neue Lösungen in der Frage der Raketenstationierung zu finden weg von einseitigen, an EU und NATO vorbei geplanten
Maßnahmen.
({3})
Hier hat die Bundesregierung eine Riesenchance, das zu
erreichen. Auf diesem Wege werden wir sie gern unterstützen, wenn sie ganz konkrete Maßnahmen ergreift.
Der EU-Haushalt ist erwähnt worden. Herr
Frankenhauser, ich fürchte, Sie haben mit Ihren Bemerkungen heute - ich denke etwa an das schöne Beispiel
von den bulgarischen Verrechnungsmethoden - einige
erst auf Ideen gebracht. Leider ist genau das die Art von
EU, die wir nicht wollen. Aber eine Institution wie die
EU, die über 80 Prozent ihrer eigenen Mittel für Subventionen ausgibt, provoziert solche Mechanismen regelrecht. Damit will ich nichts herbeireden. Aber damit
wird, wie gesagt, die Fantasie geweckt in der Frage, wie
man denn Mittel noch besser abschöpfen könnte. Deshalb begrüßen wir von der FDP ganz ausdrücklich, dass
die Kommission hier auch einmal Zähne gezeigt und
Gelder für Bulgarien gestrichen hat.
({4})
2009 wird uns nicht nur den klassischen Jahreshaushalt der EU bringen; das Jahr wird uns auch die Vorlage
der Kommission über den zukünftigen EU-Haushaltsrahmen bringen; er soll voraussichtlich im März vorgelegt werden. Uns besorgt sehr, dass Frankreich jetzt eine
Initiative angekündigt hat - es gibt einige ganz aktuelle
Agenturmeldungen zu Präsident Sarkozy -, nach der die
Agrarpolitik möglichst noch während der französischen
Ratspräsidentschaft in der ersten Säule - Direktzahlungen - festgeschrieben werden soll. Hierzu will ich für
die FDP klipp und klar sagen: Wir werden auf keinen
Fall akzeptieren, dass bereits jetzt, lange bevor die
nächste finanzielle Vorausschau wirklich verhandelt
wird, in einem Bereich Fakten geschaffen werden sollen,
der - Herr Frankenhauser hat es mit guten Beispielen belegt - sehr fehleranfällig ist. Es muss klar sein: Die Verhandlungen über die finanzielle Vorausschau gehören
dorthin, wo das vorgesehen ist, nämlich zunächst in den
Rat, vorbereitet auch im Bundestag, und sie müssen vor
allem zeitlich richtig eingeordnet werden, eben nicht bereits in diesem Jahr. Hier sollten wir der französischen
Präsidentschaft, die im Krisenmanagement sicherlich
viel Gutes erreicht hat, klar entgegentreten.
({5})
Es hat uns gefreut, dass die Bundesregierung bei den
Verhandlungen über den Haushalt 2009 der EU klare
Kante gezeigt hat, über lange Zeit hinweg, was das
Thema Übersetzungsregime angeht. Das ist ein wichtiger Punkt. Der Bundestag hat immer wieder darum gebeten, dass man an dem Thema dranbleibt. Uns würde
interessieren, ob es jetzt tatsächlich konkrete Verbesserungen gibt. Inzwischen wurde dem 2009er-Haushalt im
Rat Zustimmung signalisiert, aber über konkrete Verbesserungen beim Übersetzungsregime haben wir leider
nichts gehört. Ich denke, dazu werden wir von der Bundesregierung noch konkrete Informationen bekommen.
Es gibt heute in der FAZ einen schönen Artikel mit
dem Titel „Der Aufschwung kann nicht warten“. Es ist
ein Namensartikel von der Frau Bundeskanzlerin und
Staatspräsident Sarkozy. Darin wird von einer flexiblen
Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspakts der
EU gesprochen. Das nehmen wir als Liberale mit Misstrauen zur Kenntnis.
({6})
Was heißt das? Was wird da vorbereitet? Punktuell kann
man in Krisenzeiten sicherlich über vieles reden, aber
wir als Liberale werden das Gefühl nicht los, dass PräsiMichael Link ({7})
dent Sarkozy die Finanzkrise nutzt, um das Thema Wirtschaftsinterventionismus wieder auf die Tagesordnung
zu bringen und dort auch zu belassen. Wir werden einen
klaren Kurs dagegen fahren.
({8})
Auch seine Versuche, die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank im Zuge der europäischen Vertragsrevision zu beschneiden, haben zumindest wir noch
nicht vergessen. Wir müssen aufpassen, dass es nicht
wieder in diese Richtung geht.
Die Kommission hat heute ihr konkretes Konjunkturprogramm vorgestellt. Es umfasst nun plötzlich
200 Milliarden Euro, nicht nur 130 Milliarden Euro. Es
sind 70 Milliarden Euro mehr, als es noch gestern sein
sollten. Wir warten auf die Erklärungen. Es ist sicherlich
noch zu früh, sich endgültig eine Meinung darüber zu
bilden; aber wir sind schon sehr gespannt darauf, welche
Erklärungen dazu gegeben werden. Ich kann mich des
Eindrucks nicht erwehren, dass in der Kommission auch
in diesem Bereich der Aktionismus teilweise etwas zu
weit getrieben wird.
({9})
Wenn es darum geht, Maßnahmen der Strukturpolitik
bzw. insbesondere des Kohäsionsfonds vorzuziehen, lassen wir durchaus mit uns reden. Wenn es aber um eine
Aushöhlung des Kreditaufnahmeverbots der EU oder gar
um einen Einstieg in eine EU-Steuer geht, zum Beispiel
durch Abzweigen gewisser Erlöse aus dem CO2-Zertifikatehandel für die EU, sind wir der Meinung, das geht
ganz eindeutig in die falsche Richtung.
({10})
Eine EU-Steuer, in welcher Form auch immer, ist nämlich aus unserer Sicht kontraproduktiv.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss: Steuern
und EU sind ein wichtiger Punkt, der uns auf jeden Fall in
den nächsten Jahren beschäftigen wird. Die Kommission
schlägt in ihrem heute vorgestellten Programm erneut
vor, vermehrt reduzierte Mehrwertsteuersätze einzuführen und generell die Mehrwertsteuersätze zu senken. Hier
hat die Bundesregierung die große Chance, zu einem
positiven Image der EU beizutragen.
Es wurde heute gesagt, dass wir die Europawahlen
nicht nutzen sollten, um Europa schlechtzureden. Wir als
FDP werden das niemals machen, weil für uns die EU
ein enormes Friedensprojekt ist.
({11})
Herr Kollege.
Die EU muss aber auch lernen, bescheidener zu sein,
wenn es um die Besteuerung und Belastung der Bürger
geht. Die Bundesregierung hat hier als wichtiges Mitglied
im Rat eine enorme Chance, durch die Aufgabe ihres Verhinderungskurses bezüglich der ermäßigten Mehrwertsteuersätze ein ganz klares proeuropäisches Zeichen zu
setzen.
Vielen Dank.
({0})
Der Kollege Eckart von Klaeden hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich glaube, es ist doch angebracht, noch ein paar
Worte zu der Rede des Herrn Kollegen Trittin zu sagen.
({0})
Er ist ja mit seiner selbstgestellten Aufgabe, die Bundesregierung für so ziemlich alle negativen Entwicklungen
in der internationalen Politik verantwortlich zu machen,
grandios gescheitert.
({1})
Das wäre dann nicht besonders bedauerlich, wenn er hier
nicht Dinge behauptet hätte, die sich nur dann so darstellen lassen, wenn man wesentliche Fakten unter den
Tisch fallen lässt.
Das gilt zum Beispiel für die Frage des amerikanisch-indischen Nukleardeals.
({2})
Sie haben ja behauptet, dies würde unsere Möglichkeiten, den Iran wieder zur Einhaltung des internationalen
Rechts zu bewegen, beeinträchtigen. Der wesentliche
und qualitative Unterschied zwischen den Ländern Indien und Iran ist, dass Indien nicht Unterzeichner des
Nichtverbreitungsvertrages ist und deswegen auch nicht
gegen ihn verstoßen hat bzw. gegen ihn verstoßen kann,
während der Iran Unterzeichner des Nichtverbreitungsvertrages ist und fortwährend gegen ihn verstößt.
({3})
Nichtsdestotrotz hat der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Behörde erklärt, dass die einstimmige Genehmigung der Lieferung von zivilem Nuklearmaterial an Indien und die Kooperation mit Indien in
diesem Bereich Indien näher an den Nichtverbreitungsvertrag heranführt und deswegen eine Stärkung des
Nichtverbreitungsvertrages darstellt.
({4})
- Das müssen Sie Herrn al-Baradei fragen. Aber vielleicht stellen Sie eine Zwischenfrage,
({5})
wenn Sie noch weiteres Informationsbedürfnis haben;
ansonsten geht das nämlich alles von meiner Redezeit
ab.
Al-Baradei hat davon gesprochen, dass das den NPT
stärkt und Indien mit seinem Verhalten auch ein Beispiel
dafür geben kann, wie andere Staaten, die den NPT nicht
unterzeichnet haben, an dieses Regime herangeführt
werden können. Wenn Sie aber die Heranführung
Indiens an den NPT durch die einstimmige Genehmigung der Nuclear Suppliers Group für einen so großen
Fehler halten, dann frage ich mich in der Tat, warum die
Bundesregierung, in der die Grünen den Außenminister
stellten, mit der G-4-Initiative auch Indien in den Weltsicherheitsrat bringen wollte. Es macht doch keinen
Sinn, ein Land in den Weltsicherheitsrat bringen zu wollen, das angeblich durch seine Politik die Nichtproliferation gefährdet, aber zugleich verhindern zu wollen, dass
es an den NPT herangeführt wird. Das ist keine konsistente Position.
({6})
Nun zu dem, was Sie zum KSE-Vertrag gesagt haben.
({7})
Die Behauptung, es habe von der Bundesregierung, insbesondere vom Außenminister, keine Initiative gegeben,
die Ratifizierung des KSE-Vertrages möglich zu machen, ist entweder ein Zeichen von Unkenntnis oder von
Bösartigkeit.
({8})
Denn es hat gerade vom Auswärtigen Amt mehrere Initiativen gegeben, eine Ratifizierung Zug um Zug möglich zu machen. Der KSE-Vertrag wurde deswegen nicht
ratifiziert, weil sich Russland nach wie vor nicht an die
Verpflichtungen hält, die es 1999 in Istanbul eingegangen ist.
({9})
Herr Kollege Trittin, das unter den Tisch fallen zu lassen, ist wirklich keine Position, die man als redlich bezeichnen kann.
({10})
Ihre Unterstellung, Ihre Behauptung, der im August
in Georgien geführte russisch-georgische Krieg sei eine
Folge der Beschlüsse von Bukarest, ist nun wirklich
nichts als die Wiedergabe russischer Propaganda.
({11})
- Doch, das haben Sie gesagt.
({12})
Herr Trittin, die Position, die Sie hier vertreten haben,
ist in Ihrer eigenen Fraktion, selbst bei den Mitgliedern
des Auswärtigen Ausschusses, höchst umstritten. Dass
der Krieg zwischen Russland und Georgien genauso wie
die internationale Finanzkrise und die Wahl des US-Präsidenten allerdings zu den Ereignissen gehören, die unsere Außenpolitik in den nächsten Monaten und Jahren
nachhaltig bestimmen werden, ist hier von den Vorrednern schon angesprochen worden.
Der kommende Wechsel in der amerikanischen
Außenpolitik hat sich nicht erst am 4. November 2008
mit der Wahl von Barack Obama abgezeichnet. Vielmehr
geschah das schon während der Kampagne. Denn auch
die Republikaner haben mit John McCain auf einen Kandidaten gesetzt, der für den Wechsel steht. Es war eine
noble Geste, die auch folgerichtig war, dass McCain
Obama noch in der Wahlnacht zum Sieg gratuliert und
ihm seine Unterstützung angeboten hat. Ich finde, es ist
ebenso nobel wie beeindruckend gewesen, wie Obama
in seiner Rede diese Geste erwidert und seinerseits den
außen- und sicherheitspolitisch versierten McCain um
Rat und Unterstützung gebeten hat.
({13})
Denn Obama steht vor großen Herausforderungen. Es
handelt sich um eine dreifache Herausforderung, die eigentlich nur mit der in der Zeit von Franklin D.
Roosevelt zu vergleichen ist:
Erstens muss Obama versuchen, eine ökonomisch tief
verunsicherte sowie eine politisch und sozial polarisierte
amerikanische Gesellschaft zu versöhnen.
Zweitens muss er den von vielen innerhalb und außerhalb der USA perzipierten wirtschaftlichen und außenpolitischen Niedergang und den damit einhergehenden
angeblichen Verlust amerikanischer Führungskraft stoppen und umkehren.
Schließlich muss er das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten - auf Neudeutsch gesagt:
die Soft Power der USA - wiederherstellen.
Bereits im Wahlkampf hat sich Obama sowohl als
Idealist als auch als Pragmatiker gezeigt. Dabei hat er
ein gutes und ausgewogenes Verhältnis zwischen den
Notwendigkeiten amerikanischer Führungsstärke einerseits und den Grenzen amerikanischer Führungsstärke
andererseits gefunden.
Das bringt die Europäische Union ins Spiel. Denn
auch nach seiner Wahl sind die Probleme, die heute
schon angesprochen wurden, nicht weniger komplex und
nicht einfacher zu lösen. Deswegen erwarte ich auch keinen radikalen Wandel in der amerikanischen Europapolitik. Vielmehr gehe ich davon aus, dass Obama an die
Zeit der zweiten Administration von George Bush und
an die von Clinton anknüpfen wird, wenn es um die
Frage geht, so viel Multilateralismus wie möglich und so
wenig Unilateralismus wie nötig einzusetzen. Wenn es
zu der von vielen vorhergesagten oder angekündigten
Berufung von Hillary Clinton zur Außenministerin
kommt, dann wird diese personelle Anknüpfung ganz
besonders deutlich werden.
Wir haben in unserem Koalitionsvertrag von dem
Prinzip des effektiven Multilateralismus gesprochen.
Das Prinzip des effektiven Multilateralismus lässt sich
wie folgt am besten erklären: Einerseits müssen die Vereinigten Staaten von Amerika zu multilateralem Handeln
bereit sein. Andererseits müssen aber auch wir bereit
sein, unser außenpolitisches Handeln nicht allein am
Verfahren, sondern auch an seinen Ergebnissen, also seiner Effizienz, messen zu lassen.
Es gibt von Niklas Luhmann das schöne Wort, dass
Demokratie Legitimation durch Verfahren sei. Aber in
der Politik kommt es eben wesensnotwendig nicht nur
auf die Legitimation durch das Verfahren, sondern auch
auf die Legitimation durch den Erfolg an. Wenn wir in
unserer Außenpolitik diese neue Chance der transatlantischen Zusammenarbeit im Wesentlichen nur dazu nutzen
würden, auf Verfahrensfragen und nicht auf den Erfolg
abzustellen, dann würden wir in den USA wieder diejenigen stärken, die die Forderung nach multilateralem
Vorgehen als eine Ausrede der Europäer diffamieren, sie
wollten eigentlich nichts tun.
Es gibt also eine ganze Reihe von Handlungsfeldern,
wo wir relativ schnell die Initiative ergreifen müssen.
Wir sollten - da stimme ich dem Kollegen Hoyer zu nicht abwarten, was die neue amerikanische Administration vorschlägt und wo sie uns zur Kooperation einlädt,
sondern die nächsten Wochen und Monate unsererseits
nutzen, um auf die neue Administration zuzugehen und
die Punkte zu nennen, die aus unserer Sicht besonders
wichtig sind.
An erster Stelle steht in der Tat die Bewältigung der
iranischen Nuklearkrise. Dabei müssen wir deutlich machen, dass wir in dem Fall, dass Iran nicht bereit ist, die
neuen Gesprächsangebote der amerikanischen Administration anzunehmen, zu schärferen Sanktionen bereit
sind. Es ist damit zu rechnen, dass die Double-TrackStrategie, die die Europäer und die Amerikaner schon
bisher gemeinsam vertreten haben, in beiden Richtungen
ausgeweitet wird: stärkere Gesprächsangebote auf der
einen Seite, aber eben auch die Bereitschaft zu stärkeren
Sanktionen auf der anderen Seite.
Außerdem geht es um die Stabilisierung des Irak. Es
geht um unser Engagement in Afghanistan, um das gemeinsame Ziel, eine dauerhafte Stabilisierung des Landes zu erreichen. Es geht um eine aktivere Rolle Europas
bei der Lösung des Nahostkonfliktes. Da ist zu hoffen,
dass Obama nicht den Fehler seiner beiden Vorgänger
wiederholt,
({14})
sich erst zum Ende seiner Amtszeit dieses Konfliktes anzunehmen, sondern das, was er verändern will, verändert, aber die Initiative einer Nahostfriedenskonferenz,
wie sie mit dem Annapolis-Prozess begonnen worden
ist, weiter fortsetzt.
({15})
Schließlich ist - auch das ist hier schon angesprochen
worden - die Bekämpfung der alten Geißel Piraterie ein
Thema, über das wir voraussichtlich im Dezember diskutieren und wozu wir ein entsprechendes Mandat im
Bundestag verabschieden werden.
Es gibt also ein großes Feld der Kooperation zwischen den USA und Europa. Das gilt nicht zuletzt für die
Russlandpolitik. Unsere Aufgabe muss es jetzt sein, unsere eigenen Vorstellungen vorzutragen und so viel wie
möglich davon bei der Entstehung der Konzeption der
neuen amerikanischen Administration einzubringen. Das
ist dann möglich, wenn für uns klar ist, dass Einfluss und
Einsatz zwei Seiten einer Medaille sind.
({16})
Jetzt spricht für die Fraktion Die Linke Wolfgang
Gehrcke.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich hatte mir eigentlich gewünscht und hatte erwartet,
dass wir, weil wir es mit einer neuen Situation zu tun haben, die ja auch beschrieben worden ist, hier die Chance
haben, über Grundlinien der Außenpolitik miteinander
zu diskutieren.
({0})
Ich hatte eigentlich auch gedacht, dass Sie, Herr Außenminister, uns eine Neuorientierung der deutschen Außenpolitik zumindest anhand von einzelnen Punkten vorstellen. Was Sie beschrieben haben, waren die Faktoren,
die die neue Lage ausmachen. Aber Sie haben nicht beschrieben, was die Neuorientierung beinhaltet.
({1})
Das halte ich für einen großen Mangel. Entweder hat die
Bundesregierung keine solche Neuorientierung, oder sie
ist nicht in der Lage, sie zu beschreiben.
Die Faktoren sind wenig umstritten. Ich rufe noch einmal einige in Erinnerung: die weltweite Finanzkrise, drohende Staatsbankrotte - davon ist noch gar nicht gesprochen worden -, die militärischen Konflikte und Kriege im
Irak und in Afghanistan, im Kaukasus und im Nahen Osten, Hunger- und Armutskatastrophen - auch darauf muss
aufmerksam gemacht werden -, die Endlichkeit von
Energiequellen, der drohende Klimakollaps und anderes
mehr. Es kann vor dem Hintergrund dieses Tableaus nicht
angehen, dass die deutsche Außenpolitik sagt: Wir handeln im Grundsatz so, wie wir bisher gehandelt haben.
({2})
Das ist keine Konzeption. Ich hätte gedacht, dass Sie ein
bisschen mehr liefern würden. Es muss nicht meine Zustimmung finden; aber Ideen könnten anregend sein.
Ich möchte zumindest ein paar Punkte benennen, von
denen ich glaube, dass eine kategorische Kurswende
notwendig ist. Ich denke, der Deutsche Bundestag wird
irgendwann einmal die Kraft haben, zu sagen, dass die
Politik des Krieges gegen den Terror gescheitert ist.
({3})
Wir werden irgendwann einmal - nicht in dieser Legislaturperiode - die Kraft haben, festzustellen, dass es falsch
war, dass sich Deutschland an den Kriegen in Afghanistan und im Irak beteiligt hat. Das einzige Ergebnis dieser
Kriege sind Zehntausende Tote und Hunderttausende
Menschen auf der Flucht.
Ein weiteres Ergebnis dieser Politik ist, dass die
Hochrüstung einen gigantischen Umfang angenommen
hat. Jährlich wird über 1 Billion US-Dollar für Rüstung
verschwendet, das heißt, in Krieg und Mord umgesetzt.
Auch das muss man hier einmal aussprechen.
({4})
Ich glaube, man kann sich darin einig sein, dass die
Zeit einer unipolaren Weltordnung ihrem Ende entgegengeht. Die USA waren weder politisch, sozial, ökonomisch noch moralisch in der Lage, die von ihnen beanspruchte Rolle eines Weltpolizisten auszufüllen. Jetzt ist
es notwendig, gegenüber dem neuen amerikanischen
Präsidenten deutlich zu machen, dass es um keine neue
Runde im Kampf um die Vorherrschaft in der Welt gehen kann und gehen darf, sondern dass wir es mit einer
Neuregelung der internationalen Beziehungen zu tun
haben. Die Basis, die dafür unbedingt notwendig ist,
sind für mich das Völkerrecht ohne Abweichungen und
globale soziale Gerechtigkeit. Sicherheit im umfassenden Sinne kann nur bedeuten, dass man gleichberechtigt
miteinander und nicht gegeneinander handelt. Das ist die
politische Richtung, die man einschlagen muss.
Ich gebe zu, dass die Forderung nach einer neuen
Weltordnung für mich immer etwas Bedrohliches hatte.
Aus den USA kam die Forderung nach einer Neuaufteilung der Welt. Die Welt braucht in der Tat eine neue
Ordnung. In diesem Zusammenhang finde ich es sehr interessant, was der ehemalige Außenminister Herr
Genscher jüngst in einer Rede dazu gesagt hat. Er benutzte den Begriff „Weltnachbarschaftsordnung“, der
mir sehr sympathisch ist. Die Linke ist so frei, diesen
vernünftigen Begriff zu übernehmen und zu benutzen.
({5})
Wenn man über eine Weltnachbarschaftsordnung
nachdenkt, dann kommt man zu dem Schluss, dass das
Verhältnis EU-USA-Russland neu ausbalanciert werden
muss. Wir müssen einen Rückfall in Zeiten des Kalten
Krieges verhindern. Deswegen muss man klar sagen:
Ukraine und Georgien werden nicht in die NATO aufgenommen; die NATO wird nicht erweitert. Man muss außerdem völlig klar sagen: Deutschland ist dagegen, dass
in Polen und Tschechien Raketensysteme stationiert
werden.
({6})
Sie reden immer um eine klare Bestimmung herum.
Bei Ihren Ausführungen besteht das Problem, dass man
sie so oder so verstehen kann. Sie können das als „diplomatisch“ bezeichnen. Aber es hat aus meiner Sicht mit
Klarheit in der Politik wenig zu tun.
Ich habe nie verstanden - damit will ich zum Schluss
kommen -, warum die deutsche Außenpolitik nicht die
Initiative des russischen Präsidenten für eine neue Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zumindest aufgegriffen hat, der gesagt hat, die NATO habe
sich überlebt und solle durch ein nichtmilitärisches Sicherheitssystem in Europa ersetzt werden. Man muss es
ja nicht so umsetzen, aber man muss darüber miteinander reden und verhandeln. Das würde signalisieren, dass
man bereit ist, sich den neuen Bedingungen in der Welt
zu stellen.
({7})
Aber da kommt von Ihrer Seite nichts.
({8})
Bislang wollten Sie sich, Herr Außenminister, nicht
mit den USA anlegen. Im Moment wissen Sie nicht, was
Obama machen will. Das verunsichert Sie. Ich glaube,
Ihre Reden werden etwas deutlicher werden, wenn der
Kurs der amerikanischen Regierung klar wird. Ich will
Ihnen aber ehrlich sagen: Passen Sie auf, dass Sie nicht
zu einem Ankündigungsminister werden, auf dessen Ankündigungen nie reale Politik folgt.
Schönen Dank.
({9})
Jetzt spricht Gert Weisskirchen für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme dem Außenminister ausdrücklich zu,
der sehr klar gesagt hat, dass das Jahr 2009 zu einem Jahr
der globalen Verantwortungsgemeinschaft werden
wird. Deutschland wird innerhalb dieser Gemeinschaft
eine konstruktive Rolle spielen und dazu beitragen, dass
die Krisenmomente, die wir gegenwärtig erleben, bewältigt werden, sodass wir aus dieser großen internationalen
Krise herausfinden. Ich bin ganz gewiss: Die drei
Schwergewichte dieser Regierung - die Bundeskanzlerin, der Finanzminister und der Außenminister - werden
maßgeblich dazu beitragen, dass die drei großen Krisen,
vor denen wir stehen, beherrscht werden können.
Die erste Krise ist die internationale Finanzkrise. Die
zweite, in der wir uns bereits gegenwärtig befinden, ist
die internationale Wirtschaftskrise. Auf eine, die uns erst
bevorsteht, möchte ich hinweisen - wir sollten unser Augenmerk darauf richten -: Das ist die zu befürchtende
humanitäre Krise; denn am meisten unter diesen Krisen
werden diejenigen leiden müssen, die die Schwächsten
Gert Weisskirchen ({0})
auf dieser Erde sind, insbesondere in Schwarzafrika oder
in anderen Regionen dieser Erde. Ich glaube, dass es unsere gemeinsame große Aufgabe ist, diesen drei Krisen
konstruktiv zu begegnen und dafür zu sorgen, dass nicht
die Schwächsten dieser Erde am schlimmsten unter den
Krisenmomenten zu leiden haben.
({1})
Das ist in der Tat unsere gemeinsame Aufgabe. Deswegen ist das Wort von der globalen Verantwortungsgemeinschaft so wichtig und richtig.
Was bedeutet das denn, liebe Kolleginnen und Kollegen? Schauen wir uns doch einmal an, wie die Situation
in Schwarzafrika ist. Ich erinnere nur an ein einziges
Detail - man kann es heute in der Neuen Zürcher Zeitung nachlesen -: In Schwarzafrika haben es jetzt zwei
Länder - Kenia und Ghana - nicht schaffen können, Obligationen in Höhe von 800 Millionen Dollar für sich
selber zu akquirieren. Das ist ein schreckliches Signal,
ein Zeichen dafür, dass diese Länder leider als Allererste
in Schwarzafrika unter die Räder geraten können.
Was auch immer der IWF beschließen wird oder im
Rahmen des Mandats beschlossen wird, das die G 20 mit
Blick auf Ende März nächsten Jahren erteilt haben: Wir
müssen ein deutliches Signal aussenden. Denn wenn es
so ist, dass wir eine globale Verantwortungsgemeinschaft auf dieser Erde entwickeln wollen und wir uns dabei konstruktiv verhalten wollen, dann kommt es darauf
an, dass diejenigen Länder und Menschen, die am gefährdetsten sind, eine Chance haben, mit uns gemeinsam
durch diese drei Krisen hindurchzusteuern. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.
({2})
Ich möchte nur zwei Details nennen: 40 Prozent der
gesamten Weltbevölkerung leben - man muss sich das
wirklich vor Augen führen - von 2 Dollar pro Tag und
1 100 Millionen Menschen von 1 Dollar pro Tag. Wir
gehören zum reichen Gürtel dieser Erde. Natürlich stehen auch wir vor schwierigen Auseinandersetzungen
und vor Konfliktlagen, durch die wir hindurchsteuern
müssen. Aber wenn es uns nicht gemeinsam gelingt, die
Millenniumsziele, die von Kofi Annan formuliert wurden und die sich das ganze Haus angeeignet hat, Schritt
für Schritt zu realisieren, dann wird das dazu führen,
dass die Armut dieser Erde eben nicht bis zum Jahr 2015
um die Hälfte verringert werden kann. Es besteht immer
noch die Chance, dass wir das schaffen. Aber wir schaffen es nur dann - ich bin dankbar, Herr Außenminister,
dass Sie sich diesen Zielen verpflichtet fühlen -, wenn
wir diese Verantwortung für unsere Außenpolitik ernst
nehmen. Die Haushälter haben dafür gesorgt, dass eine
materielle Grundlage für eine konstruktive Außenpolitik
sichergestellt worden ist. Ich danke ausdrücklich dafür,
dass die Haushälter das für das Jahr 2009 geschafft haben.
({3})
Ban Ki-moon hat sich gerade an die G 20 mit der
dringenden Bitte gewandt, dass die Chance genutzt wird,
die wir jetzt haben. Sie besteht darin, dass eine technologische Revolution, eine Effizienzrevolution, vorangetrieben wird, die dafür sorgt, dass wir vom Öl und vom
Gas, also von den nicht erneuerbaren Energieträgern, unabhängiger werden. Diese Chance ist jetzt gegeben. Wir
können diese Chance nur nutzen, wenn wir unsere materiellen Ressourcen jetzt nicht durch einen Subventionswettlauf oder durch - pardon - falsche keynesianische
Instrumente - es gibt gute und es gibt nötige - aufbrauchen. Ich sage ausdrücklich: Das, was Obama gestern
vorgeschlagen hat, ist durchaus ein vernünftiger Ansatzpunkt. Nicht nur Obama, sondern auch die Europäische
Union und China haben das vorgeschlagen. Ich finde
diesen Vorschlag durchaus sinnvoll. Wir befinden uns
nämlich tatsächlich in einer keynesianischen Situation.
Nur, wir wissen auch, was nach Keynes am Ende herauskommen kann, wenn es schwierig wird - Stichwort:
Moral Hazard -: Aus einer verfehlten Subventionspolitik
können ökonomisch unvernünftige Konsequenzen gezogen werden. Das muss verhindert werden.
Der Klimawandel wartet aber nicht. Wir müssen jetzt
die richtigen Instrumente in die Hand nehmen, mit denen
wir die drei großen Herausforderungen, vor denen die
Erde steht, vor denen wir alle stehen, gemeinsam bewältigen können: Das erste Instrument ist die „grüne Revolution“. Das heißt, wir müssen die Technologiebasis unserer Industriegesellschaften verändern.
Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass die Armut
bekämpft werden kann. Insbesondere der Teil der
Menschheit, der Abnehmer unserer Produkte werden
kann, muss Marktteilnehmer werden können. Das heißt,
alle Handelsbarrieren sind abzubauen und der freie Handel durchzusetzen. Das sind die beiden größten Aufgaben.
Unsere dritte Aufgabe bzw. unser drittes Instrument:
Deutschland muss im internationalen Zusammenspiel
eine konstruktive Rolle spielen. Die Bundeskanzlerin
und der Außenminister müssen das realisieren, was hier
gesagt worden ist: Erstens muss die Doha-Runde positiv
vorankommen, und zweitens muss sich Deutschland
konstruktiv verhalten, um in der globalen Verantwortungsgemeinschaft eine zentrale Rolle spielen zu können. Ich bin sicher, im Jahr 2009 wird das gelingen.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Rainder Steenblock
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Viele von uns haben in dieser Haushaltswoche festgestellt, dass die politische und ökonomische Kraft der Europäischen Union zur Bewältigung der aktuellen Krise
dringend notwendig ist, dass wir diese Kraft brauchen
und die Bürgerinnen und Bürger Europas - das zeigen
alle Umfragen - auf die Kraft der Europäischen Union
vertrauen, dass sie darin ein Lösungsinstrument sehen,
das über die Möglichkeiten der Nationalstaaten hinausgeht.
Das ist insbesondere für die Debatte über den Lissabon-Vertrag wichtig; denn die Handlungsfähigkeit der
Europäischen Union, die die Menschen von der EU erwarten, damit solche Krisen auch auf struktureller Ebene
überwunden werden können, wird durch den LissabonVertrag verbessert. Das wissen alle. Die Handlungsfähigkeit und die demokratischen Kontrollmöglichkeiten
Europas werden durch den Lissabon-Vertrag gestärkt.
Deshalb ist es ein gutes Signal, dass das tschechische
Verfassungsgericht heute grünes Licht für Tschechien
gegeben hat. Damit sind wir der Stärkung der Handlungsfähigkeit Europas einen Schritt näher gekommen.
Das ist wichtig. Das sollten wir begrüßen.
({0})
Allerdings war es für mich sehr befremdlich - gestatten Sie mir, das einmal zu sagen -, dass der Präsident
Tschechiens das Verfassungsgericht seines Landes gestern noch einmal aufgefordert hat, in seinem Sinne zu
entscheiden, weil die Souveränität des Landes gefährdet
sei.
({1})
Heute hat das Verfassungsgericht aber gesagt - das zeigt
die demokratische Kultur Tschechiens -: Es ist uns völlig egal, was der Präsident sagt; wir entscheiden nach
den Gesetzen dieses Landes.
({2})
Das ist ein wichtiges Signal. Die Tatsache, dass der
Präsident, der die Souveränität seines Landes immer
hochhält, heute gesagt hat: „Ob ich jetzt unterschreibe?
Wollen wir erst einmal abwarten, ob die Iren unterschreiben“, er seine Entscheidung über die Ausübung zentraler
Souveränitätsrechte also von der Entscheidung eines anderen Landes abhängig macht, zeigt seine politische Gesinnung. Auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt
werden.
({3})
Ich möchte mich an die Haushaltspolitiker wenden
und mich einmal ganz herzlich bedanken. Herbert
Frankenhauser, aber auch der Kollege Mark und andere
haben schon deutlich gemacht, dass die Aufstockung
dieses Haushaltes, gerade was die auswärtige Kulturpolitik angeht, ein sehr positives Signal ist. Rot-Grün hat
damit in der vergangenen Legislaturperiode begonnen.
Die Große Koalition hat diesen Weg fortgesetzt. Ich
halte das für eine der - im wohlverstandenen Sinne besten Interessenwahrnehmungen Deutschlands, die wir
in unserer auswärtigen Politik machen können. Dafür
noch einmal herzlichen Dank an das Ministerium und
den Minister.
({4})
Ich habe eine zweite Bitte. Kollege Frankenhauser,
das, was Sie über die Europäische Union gesagt haben,
ist richtig. Ich bitte Sie, sich noch einer anderen Frage
im Haushaltsbereich zuzuwenden, die mir große Sorge
bereitet. Das ist die Hilfe für Georgien. Wir sind uns
hier völlig einig, dass dieses Land unabhängig von der
Schuldfrage, die in einem anderen Zusammenhang geklärt werden muss, Unterstützung braucht. Den Wiederaufbau des Landes wollen wir. Aber wir geben jetzt Hilfen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro; das sind fast
40 Prozent eines Haushalts dieses Landes. Wir wissen
genau, was passiert, wenn wir in so kleine Länder solche
Summen geben,
({5})
nicht nur hinsichtlich der Absorptionsfähigkeit dieser
Länder - das können sie nicht absorbieren -, sondern
auch hinsichtlich der Preissteigerung, der inflationären
Tendenzen durch so viel Geld, das von außen kommt.
Wenn dieses Geld, wie es im Augenblick aussieht, sozusagen nur in Haushaltsbeihilfen fließt, das heißt nicht in
gezielte Maßnahmen, dann ist das natürlich auch ein
Programm zur Wiederankurbelung der Korruption in
Georgien. Ich glaube, dass wir - Deutschland gibt
34 Millionen Euro - ein großes Interesse haben, zu kontrollieren, was mit diesem Geld passiert.
({6})
Wir brauchen Transparenz und sollten es nicht zulassen,
dass dieses Geld allgemein in den Haushalt fließt. Vielmehr sollte es für konkrete Maßnahmen ausgegeben
werden. Das ist meine Bitte an den Haushaltsausschuss.
({7})
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Thema ansprechen, das ich wichtig finde. Ich glaube, dass diese Finanzkrise die Chance bietet, einen großen Partner östlich
von uns, der zum Teil mit uns zusammen, aber nicht immer mit uns zusammen Politik macht, nämlich Russland, sozusagen wieder ins Boot zu ziehen. Die Finanzkrise hat Russland und denen, die eine - ich sage es
einmal so - eher national-chauvinistische Politik betreiben, deutlich gemacht, dass die Kooperation mit den Europäern dringend geboten ist, um all die gravierenden
Probleme, die auf die Russische Föderation zukommen,
lösen zu können.
Dass wir im Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens wieder anfangen zu verhandeln, ist
ein guter Schritt. Ein gutes Signal ist auch, dass Putin
deutlich gemacht hat, dass der WTO-Beitritt Russlands
etwas positiver sein könnte, als es in den letzten Monaten dargestellt worden ist. Wir brauchen die russische
WTO-Mitgliedschaft, um das PKA umzusetzen. Dies
halte ich für wichtig. Mir wäre es allerdings auch lieb,
wenn der russische Präsident in diesem Zusammenhang
seine Definition von Einflusszonen um dieses Land zurücknehmen würde. Die ehemaligen Sowjetrepubliken
sind selbstständige Staaten,
({8})
und sie entscheiden selber über ihre Zukunft. Das ist in
unserem Interesse. Das gehört zusammen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Alois Karl von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Haushaltstitel des Außenministers umfasst lediglich 1 Prozent des Gesamthaushaltes. Dies ist also
kein Megathema, könnte man sagen. Viele der Ausgaben
gehen in die Finanzierung der Auslandsvertretungen,
sind also nicht operativ. Viele Ausgaben sind Beiträge
zur Finanzierung internationaler Organisationen, zum
Beispiel des Internationalen Strafgerichtshofes, oder
zum humanitären Minenräumen. Es finden sich also
vielfältige humanitäre Aspekte in Ihrem Haushalt, Herr
Außenminister. Diese Aspekte werden nicht nur im Auswärtigen Ausschuss behandelt, sondern auch im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe.
In diesem Zusammenhang trifft es sich gut, dass es
heuer, 2008, im Zusammenhang mit den Menschenrechten ungewöhnlich viele Termine gibt, an die erinnert
werden sollte. Wir haben sie nicht besonders gefeiert.
Dennoch möchte ich - sozusagen als Fußnote dieser
Haushaltsdebatte - darauf hinweisen, dass vor 160 Jahren, im Dezember 1848, in der Frankfurter Nationalversammlung erstmals ein „Gesetz, betreffend die
Grundrechte des deutschen Volks“ beschlossen worden
ist. Heute ist uns das natürlich geläufig. Damals wurde
schon nach drei Jahren das Gesetz über die Grundrechte
wieder aufgehoben.
In wenigen Tagen begehen wir ein weiteres historisches Datum: Vor etwa 60 Jahren wurde die Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte von den Vereinten Nationen verabschiedet. Diese Erklärung der Menschenrechte dient der Achtung und Förderung der Grundrechte
für alle ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache, Religion usw. Aber auch soziale Grundrechte finden
sich in dieser Erklärung, zum Beispiel das Recht auf Arbeit und das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard. Auch unsere heutige Politik lässt sich danach beurteilen, ob diese Grundrechte in der Innenpolitik wie in
der Außenpolitik implementiert sind.
Vor zehn Jahren hat der Bundestag beschlossen, einen
eigenen Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre
Hilfe einzurichten.
({0})
Die Parteien haben dem dadurch Rechnung getragen,
dass sie renommierte Vertreter in den Ausschuss geschickt haben, zum Beispiel Norbert Blüm, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP oder Claudia
Roth, die den Vorsitz übernommen hat. Seit 160 Jahren
stehen wir in einer guten Tradition. Die Menschenrechte
sind Richtschnur auch unserer Außenpolitik geworden.
Die Kolonialpolitik prägte für viele Jahrhunderte die
Außenpolitik. Das ist heute Gott sei Dank zu Ende. Dennoch können wir feststellen, dass viele Länder oder sogar Kontinente der Erde oft ihrer Schätze und Bodenschätze und damit ihres Reichtums beraubt werden. Die
weltweit geltenden Menschenrechte verbieten das.
Trotzdem schauen wir oft genug weg. Fairer Handel ist
nirgendwo auf der Welt Allgemeingut geworden. Fairer
Handel statt des dummen Schlagworts „Geiz ist geil“
würde Hunderttausenden von Kleinbauern weltweit helfen, ihre kodifizierten Menschenrechte zu erringen, und
ihnen so ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Es
ist auch Aufgabe unserer Außenpolitik, das weltweit zu
implementieren.
({1})
In Westeuropa ist Krieg kein Mittel der Machtpolitik.
Dennoch sehen wir in Georgien, im Kongo und in Darfur im Sudan, dass dort das Gegenteil der Fall ist.
Die Menschenrechte stehen in weiten Teilen der Erde
in gar keiner Weise im Mittelpunkt der Politik. Die Unterstützung der Menschenrechte wäre aber auch für unsere eigene Politik in Europa bzw. in Deutschland wichtig. Wir, die wir im Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe tätig sind, wissen, dass dies immer das
Bohren dicker Bretter bedeutet. Wir können nicht wegschauen, wenn wir in den Fortschrittsberichten lesen,
dass in den EU-Staaten Rumänien und Bulgarien kaum
Fortschritte zu verzeichnen sind und dass in diesen Ländern Korruption und organisierte Kriminalität immer
noch an der Tagesordnung sind. Sehr geehrter Herr Außenminister, hier wären klare Worte oft besser als diplomatische Verbrämungen.
({2})
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die
Zustände in der Türkei eingehen. Die Glaubensfreiheit
steht dort eben nicht unter staatlichem Schutz, weder im
negativen noch im positiven Sinne. Unsere Außenpolitik
darf nicht vorgaukeln, dass Länder in die Europäische
Union aufgenommen werden, die die Grundsätze der
Menschenrechte nicht achten.
Ein anderes Thema: Die USA haben bald eine neue
Regierung. Ich denke, dass die deutsche Außenpolitik
das Thema Guantánamo nicht außer Acht lassen darf.
Die deutsche Außenpolitik muss hier einen deutlichen
Standpunkt einnehmen. Guantánamo ist eine unerträglich klaffende Wunde in der Menschenrechtspolitik weltweit. Hier haben wir unsere Aufgaben.
({3})
Wir müssen auch über den Skandal im Irak sprechen.
Wir erleben heute eine der weltweit größten Christenverfolgungen aller Zeiten. Es ist ein Skandal, dass
200 Millionen Christen auf der Welt in 50 Ländern verfolgt werden. Wenn im Irak davon gesprochen wird, dass
ein Bereich „christenfrei“ ist, dann weckt dieser Duktus
und dieser Sprachgebrauch in Europa und insbesondere
in Deutschland ganz schmerzliche Erinnerung.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die deutsche
Außenpolitik muss auch künftig all ihre Möglichkeiten
einsetzen, um den universell geltenden Menschenrechten zur Achtung zu verhelfen. Der Einsatz hierfür lohnt
sich. Deutschland steht auf diesem Feld seit mehr als
160 Jahren in einer guten Tradition. Diese gilt es fortzusetzen. Möglichkeiten dazu gibt es für unsere Außenpolitik weltweit genug. Hierfür wünschen wir Ihnen alles
Gute und viel Glück, sehr geehrter Herr Außenminister.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Diether Dehm von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin hat heute früh in ihrer Haushaltsrede die
Notwendigkeit deutlich gemacht, die Praxis der EU-Beihilfekontrolle vorübergehend zu lockern und die Grenzen, ab wann die bürokratischen Kontrollen der EUKommission beginnen, anzuheben. Das ist richtig, aber
zu kurz gedacht.
Herr Steinmeier hat gesagt - als ich das hörte, habe
ich meinen Ohren nicht getraut -, Politik könne Krisen
nicht verhindern. Herr Steinmeier, das ist eine Kapitulation. Diese Krise wurde hauptsächlich durch die
marktradikale Ausrichtung der EU verursacht.
({0})
Ihre Folgen können nicht ohne einschneidende Änderungen im Bereich der EU bewältigt werden.
Die EU-Kommission tut gegenwärtig zwar so, als
handele sie bei der Subventionskontrolle flexibel und
schnell. Aus ihrem aktuellen Bericht über staatliche Beihilfen vom 17. November dieses Jahres geht aber hervor,
dass Flexibilität und Zügigkeit nur kurzfristig praktiziert
und die staatlichen Einflüsse und Regulierungen schnell
zurückgenommen werden sollen.
Angesichts der Erfahrungen mit dieser Krise ist es erforderlich, die konkrete Praxis der EU-Kommission bei
der Beihilfekontrolle und die Art. 87 bis 89 des EG-Vertrages radikal zu korrigieren. Die Einordnung der
Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse - auf Deutsch: die Daseinsvorsorge - in Wettbewerbsrecht und Beihilfekontrolle ist rückgängig zu machen. Art. 86 des EG-Vertrages darf nicht so bleiben, wie
er ist.
Zum Fall Opel. Die Bundesregierung hat grundsätzlich Hilfe zugesagt. Die taz schrieb am 18. November
dieses Jahres:
Sorge bereitet der Bundesregierung besonders die
Frage, wie verhindert werden kann, dass die von
Opel angeforderte Bundesbürgschaft … nicht in die
USA abfließt.
Wie das verhindert werden kann, bleibt offen.
({1})
Schließlich gibt es noch die vom Europäischen Gerichtshof in seinem unseligen Urteil gegen das VW-Gesetz häufig beschworene Kapitalverkehrsfreiheit. In
Art. 56 des EG-Vertrages heißt es, es seien - Zitat alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs … zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.
Ich wiederhole: Auch Beschränkungen gegenüber dritten Staaten sind verboten. Der ursprüngliche EWG-Vertrag war an dieser Stelle übrigens nicht so strikt neoliberal ausgerichtet. Dort hieß es in Art. 67 noch:
Soweit es für das Funktionieren des Gemeinsamen
Marktes notwendig ist, beseitigen die Mitgliedstaaten untereinander … alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs in bezug auf Berechtigte, die in den
Mitgliedstaaten ansässig sind, …
Die jetzige Regelung darf daher nicht bestehen bleiben.
Herr Trittin, Sie wollen mich fragen, warum wir zugestimmt haben. Selbstverständlich stimmen wir immer zu,
wenn es um Belegschaften geht. Trotzdem muss die
Frage beantwortet werden - in der taz wurde sie zu
Recht aufgeworfen -, was zu tun ist, damit das Geld, das
über Bürgschaften mobilisiert wird, nicht in die USA abfließt. Sie können Ihre Frage aber gerne stellen.
({2})
Ich wäre Ihnen für jede Redezeitverlängerung dankbar.
Die aktuelle Finanzkrise beruht auf der Einkommensdiskrepanz zwischen Arm und Reich. Aus hohen und
übermäßig stark gestiegenen Einkommen fließen Gelder
in spekulative Anlagen. Wegen der mangelnden Kaufkraft der abhängig Beschäftigten und der Rentnerinnen
und Rentner fehlt es an Binnennachfrage zur Belebung
der Realwirtschaft. Der Europäische Gerichtshof hat mit
seinem Rüffert-Urteil zum Vergabegesetz des Landes
Niedersachsen verboten, für anständige Arbeit eine anständige tarifliche Bezahlung zu verlangen. Das ist ein
Skandal. Um solche Urteile zu verhindern, muss das EUVergaberecht geändert werden.
Wir brauchen im EU-Primärrecht sofort eine sogenannte soziale Fortschrittsklausel; dies wird auch von
den Gewerkschaften gefordert. Insgesamt bedarf es einer
grundlegenden Revision des EU-Vertragsrechts, weg
vom Neoliberalismus der geltenden Verträge, zum Beispiel des gescheiterten Vertrags von Lissabon. Durch die
Entscheidung des irischen Volkes haben wir diese
Chance bekommen. Nutzen wir sie!
Die Frau Bundeskanzlerin hat heute Morgen die
Grundwerte beschworen. Die Grundwerte der EU, die
Kapitalfreiheit und der unverfälschte Wettbewerb, haben
zur aktuellen Spekulationsblase und damit zu dieser
Krise geführt. Was Europa jetzt vor allem braucht, ist die
Verwirklichung eines Grundwerts, nämlich des Grundwerts der Solidarität.
({3})
Das Wort hat der Kollege Kurt Bodewig von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
kennen diese Debatte aus dem Europaausschuss, und eigentlich kennen wir dies auch hinsichtlich des Verfassungsvertrags. Lieber Kollege Dehm, das ist die gleiche
Irrhaltung; denn auch dort lehnen Sie etwas ab, dessen
Umsetzung dazu führen würde, dass wir Europa sozialer
gestalten. Ich glaube, das ist inkonsequent.
({0})
Ich hätte eben spontan nicht die Frage gestellt, was zu
tun ist, sondern ich hätte gefragt: Was denn nun? Die
Doppelbödigkeit haben Sie mit Ihrem eigenen Abstimmungsverhalten natürlich beschrieben. Ich glaube, Politik muss gestalten.
Es gibt ein schönes Buch von Enzensberger über einen demokratischen General in der Weimarer Zeit, nämlich Hammerstein oder der Eigensinn. Er sagt: „Angst
ist keine Weltanschauung“. Genau das ist diese Auseinandersetzung. Ich kann etwas dramatisieren, was zur
Verunsicherung führen und die Sparquote in Deutschland noch weiter hochtreiben kann, oder ich kann sagen:
Politik hat die Aufgabe, mit Augenmaß klare Aktivitäten
zu entfalten, die zur Wiedergewinnung des Vertrauens
geeignet sind.
({1})
- Das heißt, dass wir gehandelt haben.
Wer hätte sich denn vor zehn Jahren vorstellen können, dass die Europäische Union in allen wichtigen
Industrieländern Europas in einer relativ kurzen Zeit abgestimmte Krisenpakete zur Stabilisierung der Finanzmärkte bewirken kann?
({2})
Es waren doch die USA, die Lehman Brothers bewusst
in den Konkurs haben gehen lassen. In den USA gab es
die Theorie: Lassen wir Lehman Brothers in Konkurs
gehen, dann wird das disziplinierend wirken. Genau das
Gegenteil erfolgte. Deswegen ist diese Politik auch
falsch.
Ich finde es richtig, dass der Bundesaußenminister
- ich danke ihm dafür - mit einem Neun-Punkte-Programm ausdrückt, dass wir in Europa etwas tun müssen,
das über das, was ist, hinausgeht. Das ist die Chance,
Europa zu gestalten: Die Markenzeichen Deutschlands
- erneuerbare Energien und die Energieeffizienz - sind
voranzubringen, Breitbandnetze usw. Ein neues Energienetz, durch das die Teilung Ost- und Westeuropas aufgehoben wird, auch das ist eine Aufgabe.
Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, zum Beispiel Kreditprogramme. Es muss die Frage beantwortet
werden, was man tun kann. Wir brauchen spezifische
Kreditprogramme, die funktionieren. Wir haben auch ein
Konjunkturprogramm, nämlich aufgrund des Sinkens
dieser extrem hohen, spekulativen Energiepreise. Auch
das wird sich auswirken. Genau diese Politik müssen wir
vorantreiben. Deswegen glaube ich, dass es richtig war,
europäische Impulse zu geben.
Auf eines will ich aber hinweisen: Es müssen abgestimmte nationale Programme sein. Ich möchte der
Kommission nicht einen Batzen Geld - ein paar Milliarden Euro - hinlegen und sagen: Schaut einmal, was jeder
Kommissar in seiner Zuständigkeit gerade verwenden
kann. Das wäre falsch. Wir haben die Verpflichtung, zu
gestalten, und wir werden das tun.
Mir ist noch etwas anderes sehr wichtig. Ich bedanke
mich bei den Haushältern. Auch ich finde die Schulpartnerschaften und die Tatsache toll, dass wir die
Schulen weiter unterstützen und das Thema deutsche
Sprache weiterhin als Thema in der Europäischen Union
behandeln. Es war eine große Leistung der Haushälter,
die Mittel dafür um über 10 Prozent zu erhöhen. Ich
glaube, das ist sehr hilfreich.
({3})
Wir brauchen darüber hinaus aber natürlich auch die
politischen Initiativen. Die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks war wichtig und richtig. Das darf aber nicht
dazu führen, dass wir etwa den Dialog mit Russland unterbrechen. Das Beispiel NATO hat doch genau gezeigt,
wie falsch es ist, Dialogstrukturen zu unterbrechen.
Russland zieht sich dann aus der militärischen Zusammenarbeit zurück. Eine neue Ost-West-Konfrontation
können wir nicht zulassen.
Ich nenne ein nächstes Thema, nämlich die Ostseepolitik. Herr Außenminister, ich glaube, dass es richtig
war, das zu reaktivieren, und dass das ein ganz wichtiges
Feld ist. Es ist eine dynamische Region und das einzige
europäische Binnenmeer. Es gibt Streitpunkte, zum Beispiel die Pipeline. Ist aber die Alternative zur Pipeline
- etwa aus schwedischer Sicht -, dass dann vielleicht
800 LNG-Schiffe pro Jahr durch die Ostsee, eines der
sensitivsten Meere, fahren?
Das zeigt eigentlich auch, dass wir einen Interessensausgleich nur über Dialoge erreichen können. Das dient
gerade Polen und den baltischen Staaten, aber natürlich
auch der Energieversorgung in Westeuropa.
({4})
- Herr Löning, das ist nicht zynisch, sondern ein Ausdruck dafür, dass man gemeinsame internationale Probleme nur durch Kooperation lösen kann. Durch einen
Rückfall in die alte Ost-West-Konfrontation werden die
Probleme verschärft und nicht gelöst.
({5})
Ich freue mich auch - das ist gerade aktuell -, dass in
Tschechien dieses Verfassungsgerichts-Urteil gefällt worden ist und dass Präsident Klaus, ein Euroskeptiker, unterlegen ist. Ich hoffe, es wird ihm eine Lehre sein. Aber
es wäre ein sehr deutliches Signal für Irland, wenn ratifiziert würde; dies würde den irischen Prozess befördern.
In Irland gab es eine dubiose Unterstützung der LibertasBewegung. Das kam aus irgendwelchen Quellen. Das
hat ja in Irland zu einer Reaktion geführt. Nur noch
39 Prozent lehnen den Vertrag ab. Aber es gibt noch Unentschiedene. Ich glaube, es wird in Irland im zweiten
Anlauf gelingen, diesem wichtigen Vertrag, der die
Handlungsfähigkeit Europas sicherstellt, zum Durchbruch zu verhelfen. Ich jedenfalls freue mich darauf. Wir
unterstützen die Iren in ihren Bemühungen.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Veronika Bellmann von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ein wesentlicher Verantwortungsbereich des Auswärtigen Amtes ist neben der Außenpolitik
die Europapolitik. Wir debattieren heute schon die ganze
Zeit darüber, vor welch große Herausforderungen uns
die finanz- und wirtschaftspolitische Situation stellt. Wir
müssen uns fragen: Wo agieren wir? Wo reagieren wir?
Welche neuen Fragen gibt es, und welche neuen Antworten müssen wir geben? Das gilt insbesondere auch für
die Europäische Kommission. Ich denke hierbei an die
Beihilfeproblematik. Welche Strenge wird die Kommission an den Tag legen und welche Maßstäbe gibt es für
die Einhaltung einer verantwortlichen Haushaltsdisziplin, wenn die Nationalstaaten ihre Schutzschirme für
die Aufrechterhaltung ihrer Wirtschafts- und Finanzordnung aufspannen?
Welche Antworten gibt die Europäische Gemeinschaft auf die Frage der Ausgestaltung der Klimaschutzprogramme, der Regelung der CO2-Emissionen für Kfz,
für energieintensive Industrien unter den Bedingungen
der weltweiten Rezession? Was wird aus der LissabonStrategie für Wachstum und Beschäftigung - nur noch
ein Rettungspaket? Welche Aufgaben bekommen unter
den geänderten Vorzeichen die europäischen Banken?
Was die Europäische Zentralbank angeht, so muss
man sich fragen, wieso sich das deponierte Bankengeld
ausgerechnet jetzt auf das 500- bis 1 000-Fache gegenüber normalen Zeiten beläuft? 240 Milliarden Euro liegen dort. Ich hoffe nicht, dass ausgerechnet die Staatsgelder, die zur Rettung der Banken initiiert worden sind,
dort deponiert werden.
Was wird mit der Europäischen Investitionsbank?
Reichen die Darlehen in Höhe von 480 Millionen Euro,
die wir bisher für Kredite, für Bildung, Forschung und
Innovation hatten? Was wird mit dem Zusammenschluss
mit der Osteuropabank? Da ist viel fortschrittliches,
kreatives, vor allem aber überlegtes und schnelles Handeln gefragt, aber auch das Halten von Maß und Mitte
sowie, wie die Kanzlerin heute Morgen so treffend sagte,
auch praktische Vernunft.
({0})
Das fällt der EU in vielerlei Hinsicht schwer, vor allem
wenn es um die Einhaltung ihres Kompetenzrahmens
und des Subsidiaritätsprinzips bei den vielen Richtlinien, Mitteilungen und Verordnungen geht. Hier wünsche
ich mir - genauso wie Sie, Herr Außenminister - eine Renaissance Europas, nämlich eine Rückbesinnung auf die
Kernaufgaben.
({1})
Ich nenne als Beispiel die EU-Mitteilung zum Aktionsrahmen für die Bekämpfung der Finanzkrise. Maß,
Mitte und Vernunft gelten natürlich zuallererst bei den
Managergehältern. Aber müssen sie deswegen gleich europaweit geregelt werden?
Ich gehe in einen anderen Politikbereich und beziehe
mich auf die Forderung nach dem sozialen Europa. Ein
künftiges soziales Europa kann vieles aus dem deutschen
Sozialstaatsmodell übernehmen. Unsere Standards sind
mit Sicherheit in vielen Bereichen beispielgebend. Ich
denke an die Mitbestimmung, aber ich denke auch an
das Thema Antidiskriminierung.
Es liegt die fünfte Antidiskriminierungsrichtlinie auf
dem Tisch. Die vorhergehenden sind noch nicht einmal
auf ihre Wirkungsweise hin endgültig überprüft oder
evaluiert, da liegt schon die fünfte auf dem Tisch. Der
Geltungsbereich soll auf alle Bereiche außerhalb von
Beruf und Beschäftigung erweitert werden. Das ist ein
ziemlich starker Eingriff auch in die Vertragsfreiheit. Da
habe ich größte Bedenken, ob das überhaupt der Rechtsetzungskompetenz der EU entspricht.
Ein anderes Beispiel ist die von der Gemeinschaft erlassene Verordnung zur Abgabe von Nahrungsmitteln an
Bedürftige. Sie wurde 1987 eingeführt und regelte, dass
Überschussbestände - sogenannte Interventionsbestände für Nahrungsmittelhilfe freigegeben werden können.
Der Anteil dieses Überschusses ist stetig zurückgegangen. Deshalb wurden die Nahrungsmittel zugekauft.
Nach der neuen Richtlinie sind Nahrungsmittel im
Wert von 500 Millionen Euro vorgesehen, die aus dem
Agrarhaushalt kommen. Das heißt, Mittel aus dem
Agrarhaushalt werden für ein fachfremdes Programm
verwendet. Es hat sicherlich niemand etwas gegen Hilfe
für Bedürftige. Aber wir haben etwas dagegen, wenn
eine rein sozialpolitische Maßnahme in die Regelungskompetenz der EU fällt.
({2})
Ich nenne ein weiteres Beispiel: das sogenannte
Schulobstprogramm. Mit diesem Programm für eine
kostenlose Abgabe von Obst und Gemüse an Schulen
soll ein politischer und finanzieller Rahmen geschaffen
werden, um den Obst- und Gemüseanteil an der Ernährung von Kindern dauerhaft zu erhöhen. Das Ziel der gemeinsamen Marktorganisation soll die Steigerung des
Obst- und Gemüseverbrauchs sein.
Dazu gibt es fünf flankierende Maßnahmen, die sich
wie ein Rundumsorglospaket lesen. Am Ende kommt
dann noch heraus, dass diese Richtlinie in die Lehrpläne
der Schulen eingreifen soll. Lehrpläne von Schulen fallen aber nicht in die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten, sondern sind in unserem föderativen System in
Deutschland eindeutig Sache der Länder. Da hat die EU
weiß Gott nichts zu suchen.
Die Einhaltung des Kompetenzrahmens und des Subsidiaritätsprinzips ist meiner Ansicht nach sehr wichtig,
nicht nur für die Akzeptanz der EU im Allgemeinen,
sondern auch hinsichtlich der Haushaltsrelevanz sowohl
für Deutschland als auch für die EU. Dabei gilt es, nicht
nur nach Brüssel zu blicken - meine Vorredner haben
schon darauf hingewiesen - und auf die Europäische
Kommission oder das Europäische Parlament zu
schimpfen, sondern die Kritik richtet sich auch an die
Regierungen der Mitgliedstaaten. Denn diese haben im
Europäischen Rat ein gewaltiges Wörtchen mitzureden.
Dabei möchte ich auch die deutsche Regierung in die
Pflicht nehmen und deutlich auf die Beteiligung des Parlaments hinweisen.
Die EU ist immer noch ein Staatenbund; sie ist kein
Bundesstaat. Insofern gilt es, sich auf ein vernünftiges
Maß der Regulierung und Aufgaben zu beschränken.
Das mag schwer sein, vor allen Dingen, wenn sich jeder
immer wieder in seiner Wichtigkeit bestätigt fühlen will.
Aber die Selbstbeschränkung gilt nicht nur für die Akteure des Finanzmarktes. Dabei mag uns eine Volksweisheit trösten, die unsere Zukunft so trefflich beschreibt:
Kein Vormarsch ist so schwer wie der Weg zurück zur
Vernunft.
In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Als letztem Redner zu diesem Einzelplan erteile ich
dem Kollegen Erich Fritz von der CDU/CSU das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sie warten sicherlich alle mit großer Spannung auf
den letzten Beitrag in dieser Debatte.
({0})
Trotzdem will ich versuchen, ein neues Thema in die
Debatte einzuführen.
Ich will nur kurz auf die Aussage von Herrn Trittin
eingehen, er vermisse die deutliche Sprache bei der Bundesregierung. Ich erinnere mich an ein Interview eines
früheren Außenministers, in dem ich diese deutliche
Sprache bewundert habe. Er kam aus Tschetschenien,
hatte mit Putin gesprochen und wurde gefragt, was er
von der Menschenrechtssituation in Tschetschenien
halte. Herr Fischer antwortete: Herr Putin spricht blendend deutsch. Das war seine Antwort auf diese Frage.
Da lobe ich mir die Bundeskanzlerin und den Bundesaußenminister, die dort, wo es richtig und notwendig ist,
ein deutliches Wort sagen
({1})
und dort, wo Pragmatismus angebracht ist und Gesprächsbereitschaft erst hergestellt werden muss, auf eine jeweils
geeignete Weise vorgehen und der Versuchung widerstehen, Außenpolitik für populistische Auseinandersetzungen zu missbrauchen. Denn Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit müssen ein Markenzeichen der
deutschen Außenpolitik bleiben. Dafür steht diese Bundesregierung.
({2})
Die Finanzkrise wächst sich zu einer Wirtschaftskrise
aus. Wer sich in diesen Tagen die OECD-Nachrichten
über den vermutlichen wirtschaftlichen Rückgang in den
wichtigen Industrieländern, zum Beispiel in den USA,
vor Augen führt, weiß, dass schwere Zeiten kommen.
Wer die Prognosen für die Schwellenländer betrachtet,
der kann vermuten, dass auch dort nicht alles ohne gravierende Veränderungen ablaufen wird. Herr Professor
Weisskirchen hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die
Gefahr in den Ländern, in denen die Hoffnung besteht,
aus der Armut herauszukommen, und es gute Beispiele
gibt, denen die Menschen nacheifern, am größten ist,
dass Entwicklungen abgeschnitten werden, und dass diejenigen, die noch nicht in das Weltwirtschaftssystem integriert sind wie das Afrika südlich der Sahara, am meisten unter der derzeitigen Entwicklung zu leiden haben.
Es wurde gesagt, 2009 sei ein Jahr der Neuorientierung des internationalen Systems. Entscheidend wird
sein, ob die bestehenden Institutionen im Kern geeignet
sind, Antworten auf die Frage zu geben, wie eine neue
Ordnung aussehen soll, ob eine Gruppe bestimmter Institutionen und Länderorganisationen auf der Basis von
Vertrauen und gemeinsamen Interessen geeignet ist oder
ob es regionale Strukturen sind, die sich verstärken lassen. Ich glaube, dass wir in Kooperation über den Atlantik hinweg - dazu wurde bereits viel gesagt - die Chance
haben, Pfeiler für eine neue Ordnung zu setzen. Diese
Pfeiler werden das Gebäude aber nicht tragen, wenn die
Schwellenländer nicht dabei sind und wenn diejenigen,
die nach einer kurzen Schwächephase aufgrund des Rohstoffverkaufs wieder zu reichen Ländern geworden sind,
nicht ebenfalls ihren Beitrag dazu leisten.
In der jetzigen Situation zeigt sich, wie gut wir als
Europäer beraten waren, zu sagen: Eine wichtige Reform ist - am liebsten durch einen Verfassungsvertrag die Herstellung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit der Europäischen Union.
({3})
Dieses Ziel zu verfolgen, dafür zu werben, ist deshalb so
wichtig, weil nur eine wirklich handlungsfähige Europäische Union zusammen mit einem neuen Partner in
den USA wesentliche Beiträge leisten und es ermöglichen kann, dass im Umfeld unseres Lebensraumes, in
Zentralasien und im Nahen Osten, Konfliktlösung betrieben wird.
Mir liegt noch etwas anderes am Herzen. In diesen
Zeiten stellt sich die Frage, woran sich künftig die Weltpolitik orientieren soll. Diese Frage wird oft gestellt,
wurde aber bis heute nicht richtig beantwortet. Was ist
eigentlich Global Governance? Wer sind die Beteiligten? Woher kommen die Impulse, die ein neues Regelsystem - das muss entstehen - den Menschen als Möglichkeit zur Lösung von Zukunftsaufgaben plausibel
macht? Wenn wir über internationale soziale Marktwirtschaft und Nachhaltigkeit sprechen, dann geht es immer
um die Frage, wie man eine effektive Wirtschaft, die den
Menschen möglichst überall Wohlstand bringt, mit dem
Schutz der Ressourcen und der natürlichen Lebensgrundlagen, sozialer Verantwortung, Entwicklungschancen für diejenigen, die noch nicht so weit sind, und der
Durchsetzung der Menschenrechte und demokratischer
Ordnungen verbinden kann.
({4})
Die jetzige Situation eröffnet auch Chancen; denn
man muss vieles neu reflektieren und auf neue Beine
stellen. Man muss einen Weg finden, eine solche Ordnung herzustellen, sowie Global Governance aus der
Diskussion an den Hochschulen und in Initiativen herausholen und zum Gegenstand der internationalen Politik machen.
Herr Außenminister, für das, was Sie sich in der deutschen Außenpolitik vorgenommen und hier überzeugend
dargelegt haben, wünschen wir alle Ihnen eine glückliche Hand.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt - in der Ausschussfassung.
Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der Ausschussfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.10 auf:
Einzelplan 14
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Verteidigung
- Drucksachen 16/10413, 16/10423 Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke-Witt
Bartholomäus Kalb
Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
Zum Einzelplan 14 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Außerdem liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor,
über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung
abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibt
es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und bitte, die Gespräche
auf der Regierungsbank einzustellen, damit wir uns der
ersten Rednerin widmen können. Jetzt hat die Kollegin
Elke Hoff das Wort, und sie hat die Aufmerksamkeit des
Plenums.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Wir beraten heute in letzter Lesung über den Verteidigungshaushalt. Kurz nachdem wir das heute abschließend tun, steht der nächste Einsatz der Bundeswehr im
Ausland an. Wir werden, wie es der Presse zu entnehmen ist, noch in diesem Jahr über den Einsatz der Marine zur Bekämpfung der Piraterie am Horn von
Afrika abzustimmen haben. Sehr geehrter Herr Minister
Jung, wir bedauern wirklich sehr, dass es, nachdem sie
sich jetzt so viele Jahre hervorragend in Auslandseinsätzen betätigt und das beste Bild für unser Land hinterlassen hat, wieder nicht gelungen ist, die Bundeswehr mit
einer klaren Marschrichtung und unter klaren rechtlichen
und finanziellen Rahmenbedingungen in diesen Einsatz
zu schicken.
({0})
Das ist etwas, was wir nicht nachvollziehen können.
({1})
Spätestens mit der Vorlage des Weißbuches im
Oktober 2006 war klar, dass eines der wesentlichen
Ziele auch dieser Bundesregierung die Sicherung der
Transportwege und auch die Bekämpfung der Piraterie
sein wird. In dieser Zeit hätte die Möglichkeit bestanden,
den notwendigen rechtlichen Rahmen für unsere Soldatinnen und Soldaten zu setzen. Wir diskutieren heute
über den Haushalt. Ich habe bis heute nicht gehört, welche Kosten auf den Einzelplan 14 zukommen werden
bzw. ob die finanziellen Mittel, die für diesen Einsatz
aufzuwenden sind, aus dem allgemeinen Haushalt bezahlt werden. Ich hoffe, dass wir heute von Ihnen, Herr
Minister - Sie werden noch dazu reden -, erfahren, wie
dieser zusätzliche Einsatz finanziert werden wird.
Die Last, die wir der Bundeswehr inzwischen mit den
unterschiedlichsten Auslandseinsätzen aufbürden, ist
enorm. Zu Recht wird uns auch von unseren Soldatinnen
und Soldaten häufig genug die Frage gestellt, welche
deutschen Interessen denn in den verschiedenen Einsatzgebieten vertreten werden sollen und welche Rolle die
Bundeswehr dabei spielt. Zudem ist die BundesregieElke Hoff
rung bis heute die Antwort auf eine grundsätzliche Frage
schuldig geblieben, die sich auch auf die Verteilung der
Finanzen im Haushalt auswirkt. Entsenden wir die Bundeswehr nach Afghanistan zu ihrem bedeutendsten Einsatz nun in einen militärischen Einsatz mit einer zivilen
Aufbaukomponente oder in einen zivilen Aufbaueinsatz
mit einer militärischen Komponente? Ein Blick in die
bisherigen Haushalte spricht für die erste Variante. Nach
wie vor steht das Geld, das wir für den Militäreinsatz in
Afghanistan ausgeben, in keinem ausgewogenen Verhältnis zu den Mitteln für den zivilen Wiederaufbau.
({2})
Wenn sich aber inzwischen alle Akteure darüber einig
sind, dass eine erfolgreiche Aufstands- und Terrorismusbekämpfung in Afghanistan allein militärisch nicht zu
erreichen ist, sollten wir endlich damit aufhören, der
Bundeswehr fast die gesamte Last aufzubürden. Wir
müssen vielmehr endlich dafür Sorge tragen, dass das
gemeinsame Ziel, nämlich die Menschen vor Ort auf unsere Seite zu bringen, auch erreicht werden kann. Wenn
beispielsweise der zügige Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte der Weg zu einer absehbaren Beendigung
des Einsatzes sein soll, muss schon jetzt die Frage beantwortet werden, wie der afghanische Staat zukünftig
überhaupt in der Lage sein soll, diese Sicherheitskräfte
zu finanzieren. So wie es jetzt aussieht, ist es ein unmögliches Unterfangen. Auch dieses Thema wird uns in den
Haushaltsdebatten wieder einholen.
Wenn ein Comprehensive Approach, wie von Ihnen,
Herr Minister, zu Recht in jeder Ihrer Reden angedeutet,
tatsächlich der Schlüssel zum Erfolg sein soll, warum
verabschieden wir dann hier im Deutschen Bundestag
nicht auch ein gemeinsames Mandat für die Auslandseinsätze,
({3})
mit dem allen beteiligten Ressorts der finanzielle und inhaltliche Handlungsrahmen gesetzt wird?
({4})
Wir als Parlament hätten wirklich die Möglichkeit,
diese Einsätze noch mehr als bisher zu unterstützen.
Warum soll es nicht möglich sein, die Basis für den Wiederaufbau in Afghanistan mit all seinen vernetzten Maßnahmen und Projekten festzulegen, wenn es inzwischen
sogar möglich ist - wie im Mandat zur Operation Enduring Freedom geschehen -, die Einsatzbedingungen bis
auf Längen- und Breitengrade festzulegen? Warum soll
es dann nicht auch möglich sein, die konkreten Ziele für
den Wiederaufbau in Afghanistan mit all seinen vernetzten Maßnahmen und Projekten festzulegen? Warum
sollte das, was wir beispielsweise in der Regionalplanung in Deutschland seit langem erfolgreich praktizieren, nicht auch in den Regionen Afghanistans möglich
sein - unter einer umfassenden Einbeziehung der lokalen
Bevölkerung, mit dem gezielten Aufeinanderabstimmen
aller Maßnahmen? Das zwingt nicht nur die Ressorts zu
einer gemeinsamen Strategie, sondern auch uns Parlamentarier, über den jeweiligen fachlichen Horizont hinauszublicken und ein Gefühl für die Möglichkeiten,
aber auch für die Grenzen des jeweils anderen Fachgebiets zu bekommen.
({5})
Durch eine Ausrichtung auf ein gemeinsames Mandat
wird auch der Einsatz aller finanziellen Ressourcen,
über die wir entscheiden, klarer und effizienter. Wir
könnten unseren Bürgern - diese Fragen werden uns gerade im nächsten Jahr besonders beschäftigen; das kann
man heute in jeder Veranstaltung feststellen - besser als
bisher Rede und Antwort über die konkreten Fortschritte
und über die Verwendung der Gelder stehen.
Diplomatisches Können, geduldiger ziviler Aufbau
mit Zielen, die auch erreicht werden können, Respekt
vor der spezifischen Kultur des Gastlandes, Einbeziehung aller regionalen Akteure in einen politischen Prozess, die umfassende Förderung der demokratischen
Kräfte, die ständige Überprüfung der eigenen Strategien
und vor allem eine klare Zuordnung persönlicher Verantwortung würden unseren gemeinsamen Anstrengungen
mehr Dynamik und damit auch mehr Erfolg verleihen als
bisher
({6})
und mittelfristig auch etwas Druck vom Verteidigungshaushalt nehmen. Es ist eine gemeinsame Aufgabe. Ich
bin der Meinung, wir müssen unsere Bundeswehr hier
ein Stück weit entlasten, zumal wir wissen, dass es allein
militärisch nicht zu bewerkstelligen ist.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst-Reinhard Beck
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Hoff, zu Beginn vielleicht zwei Sätze zu
Ihnen.
({0})
- Es können auch drei sein, Ernst; das ist richtig.
({1})
Zunächst einmal: Ich bin sehr dafür, dass wir das, was
Sie am Schluss verlangt haben - gemeinsam für Sicherheit und Frieden zu sorgen -, als gemeinsame Aufgabe
begreifen und dabei viel stärker ressortübergreifend zusammenarbeiten. Diese Anregung nehme ich gern auf.
Ernst-Reinhard Beck ({2})
Im Übrigen war im Verteidigungsausschuss vor kurzem
die Frau Parlamentarische Staatssekretärin im BMZ
Kortmann zu Gast. Die entsprechenden Ansätze sind
vorhanden; sie sind ausbaufähig. Ich glaube, dass unsere
Arbeit in die richtige Richtung gehen wird. Daher wäre
hier durchaus einmal Beifall vonseiten der Opposition
möglich.
Ich muss Ihnen aber auch widersprechen. Ich finde, es
ist schon ein starkes Stück, wenn Sie den Minister beschuldigen, das Mandat im Hinblick auf die Piraterie
nicht vorbereitet zu haben. Ich habe an sämtlichen Sitzungen des Verteidigungsausschusses teilgenommen:
Wir haben das Thema Piraterie im Grunde das gesamte
Jahr hindurch besprochen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind nun einmal so, wie sie sind. Im Augenblick müssen die Rahmenbedingungen auch international erst noch geklärt werden. Darüber, wer was dazu
beiträgt, welche Aufgaben und welches Mandat es gibt,
wird im Augenblick auf der internationalen Ebene verhandelt. Dieses Parlament wird damit befasst werden,
wenn es so weit ist - ich hoffe, möglichst bald -, wenn
wir hier wirklich über Sachfragen diskutieren können.
Liebe Frau Hoff, möglicherweise ist es in der Opposition manchmal so, dass man besonders herausgefordert
wird und bestimmte Detailfragen hoch aufhängt, sie so
diskutiert, als ob sie das Allerwichtigste wären, und dass
man darüber im Grunde das Ganze etwas aus dem Auge
verliert.
({3})
- Der Gesamtansatz, liebe Frau Kollegin Homburger, ist
im Grunde völlig klar: Es geht um die Sicherung von
Seewegen.
({4})
Es geht um die Bekämpfung von internationaler Kriminalität.
({5})
- Ja natürlich; wir sind dabei. Auf Wunsch wird gehext,
und Unmögliches wird sofort erledigt.
({6})
Ich bitte Sie sehr, hier auf dem Boden der Realität zu
bleiben.
Ich möchte auf den Einzelplan 14 zurückkommen. Einen Punkt sollte man vielleicht von vornherein sehen:
Wir sind in der Gefahr, auch bei den Etatberatungen,
Einzelprobleme, Einzelfragen und einzelne Beschaffungen in den Mittelpunkt zu stellen, wenn Attentate oder
andere punktuelle Ereignisse stattgefunden hatten. Beim
Einzelplan 14 oder beim Haushalt generell geht es aber
darum, die weiter reichende Fragestellung nicht aus dem
Auge zu verlieren: Was ist notwendig? Was ist für die
Sicherheitsvorsorge dieses Landes wichtig? Welchen
Beitrag gibt es? Was sind die langfristigen Weichenstellungen? Welche Ressourcen und welche Instrumente
müssen wir unseren Streitkräften dafür zur Verfügung
stellen? Das sind Fragen, die weit über den Tag, auch
weit über eine Aktion gegen Piraten in Somalia hinausreichen, die grundsätzliche Bedeutung für die Zukunft,
für den Frieden und für die Sicherheit unseres Landes
haben.
Ich möchte bei den Haushaltsberatungen zunächst
einmal einen Dank aussprechen. Ein Dankeschön geht
an die Haushaltsabteilung des Bundesministeriums der
Verteidigung und auch an die Kollegen im Haushaltsausschuss, die dieses wichtige und komplizierte Zahlenwerk
erarbeitet haben.
Haushaltspläne sind in Zahlen gegossene Politik eines
Ressorts. Dazu brauche ich nichts weiter auszuführen.
Um es für unsere Fraktion vorweg festzustellen: Mit
dem vorliegenden Entwurf für den Haushalt 2009 schaffen wir eine tragfähige Grundlage für die weitere
Modernisierung und Anpassung der Bundeswehr.
({7})
Der Verteidigungshaushalt für das kommende Jahr
hat ein Volumen von 31,2 Milliarden Euro. Die Steigerung gegenüber dem Haushalt 2008 beträgt 1,7 Milliarden Euro. Ich möchte einen Aspekt hervorheben, nämlich dass die Steigerung der investiven Ausgaben auf
immerhin 24,4 Prozent - über 600 Millionen Euro nahezu ausschließlich militärischen Beschaffungen zugute-kommt. Das ist auch richtig so. Es ist ein wichtiger
Schritt in Richtung Modernisierung unserer Streitkräfte.
Diese Steigerung ist hoch, wenn man die schleichende Reduzierung der letzten Jahre bedenkt; sie ist
aber nicht zu hoch, wenn man die gestiegenen Anforderungen betrachtet. Eine dieser gestiegenen Anforderungen ist in der Tat das vor der Tür stehende neue Mandat
Atalanta, mit dem zusammen mit den europäischen Partnern die Piraterie am Horn von Afrika bekämpft werden
soll.
Die Erhöhung des Verteidigungshaushalts um 5,9 Prozent ist insbesondere den gestiegenen Gehältern, der Erhöhung des Wehrsolds geschuldet. Sie lässt aber gleichzeitig Spielraum für eine Verbesserung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte und für eine Verbesserung der
Infrastruktur, zum Beispiel im Rahmen des Programms
„Kasernensanierung West“. Für 2008/09 werden immerhin 300 Millionen Euro in eine Vielzahl von Bauprojekten investiert. Herr Minister, ich bin froh, dass diverse
Truppenbesuche diese Entscheidung beschleunigt haben,
gebe aber zu bedenken, dass angesichts dieser Sanierung
das Stationierungskonzept beibehalten werden sollte. Es
wäre nicht vermittelbar, wie ich meine, wenn eben erst
mit hohem Finanzaufwand renovierte Standorte aufgelöst würden. Ich sage dies ganz bewusst mit Blick auf
die heute in der Presse aufgeflammte Diskussion um den
Standort der Deutsch-Französischen Brigade.
Hierzu vielleicht noch einige Bemerkungen: Ich halte
die Deutsch-Französische Brigade nicht nur für ein politisches Symbol der deutsch-französischen Kooperation,
sondern über den Symbolcharakter hinaus halte ich sie
auch für das Kernstück des Eurocorps und für ein bewährtes, in der Zwischenzeit in der militärischen Wirklichkeit angekommenes Instrument der europäischen Sicherheitspolitik. Deshalb glaube ich, dass wir dieses
Instrument nicht aufs Spiel setzen sollten, insbesondere
Ernst-Reinhard Beck ({8})
nicht durch Diskussionen über die Standortfrage. Ich erinnere daran, Herr Minister, dass Sie in Immendingen
ausdrücklich eine Garantie für den Standort Immendingen abgegeben haben. Auch dies setzt, wie ich glaube,
ein bisschen den Rahmen für die weiteren Gespräche.
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Wettbewerb um die besten Köpfe unserer Gesellschaft besteht
die Bundeswehr in der Frage der Nachwuchsgewinnung. Wenn wir an die Einsatzbereitschaft und die Leistung unserer Soldaten hohe Anforderungen stellen, müssen wir auch die entsprechenden Rahmenbedingungen
schaffen. In der Vergangenheit wurde damit begonnen;
dies bleibt aber auch eine wichtige Herausforderung für
die Zukunft. Mit dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz,
dem Einsatzversorgungsgesetz und dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz haben wir eine Reihe von wichtigen
gesetzlichen Schritten getan.
Die finanziellen Verbesserungen, die wir beschlossen
haben - ich erinnere nur an die Leistungen, die wir jetzt
etwa KSK-Soldaten gewähren, aber auch bestimmten
Gruppierungen wie den Rettungsmedizinern und den Piloten -, sind bei aller Problematik, Herr Kollege Kahrs,
die Insellösungen mit sich bringen, richtig und zielführend. Über die Tatsache, dass man dadurch strukturelle
Ungerechtigkeiten im System weiter verschärft, bin ich
mir schon im Klaren.
({10})
Ich glaube aber, dass wir im Augenblick keine andere
Lösung haben, um bestimmten Notlagen abzuhelfen.
Zur Attraktivitätsförderung gehört auch eine verbesserte Familienbetreuung und soziale Fürsorge des
Dienstherrn. Das Programm zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst beinhaltet ein gutes und zukunftsweisendes Konzept. Dies ist aber, wie ich vielfach höre, finanziell nicht so unterfüttert, wie wir es uns wünschen.
Manchmal wird mir aber auch gesagt: Das Geld ist zwar
da, aber es gibt noch nicht das richtige Konzept, um den
speziellen Anforderungen der Bundeswehr gerecht zu
werden. Es reicht ja nicht, einen Kindergarten in der Kaserne einzurichten. Vielmehr muss gesehen werden, dass
15 000 Soldatinnen Dienst tun und über gewisse, manchmal auch längere Zeiträume Familien auseinandergerissen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich hängt die Motivation der
Truppe nicht nur von finanziellen Anreizen ab. Hohe
Motivation und Leistungsfähigkeit unserer Soldaten
können wir nur erwarten, wenn wir sie ernst nehmen und
die Realitäten, die der Einsatz mit sich bringt, offen ansprechen. Ich denke manchmal, dass wir nicht nur eine
Transformation der Strukturen, sondern auch eine Transformation der Begriffe und des rechtlichen Rahmens
brauchen, in dem wir uns bewegen. Hier verweise ich
besonders darauf, dass wir Rechtsschutz für unsere Soldaten brauchten. Es ist ja erstaunlich, dass die Bundeswehr schon seit 50 Jahren besteht, ohne dass diese Frage
überhaupt aufgetaucht ist.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich bin sehr froh, dass wir dies in einer, wie ich
meine, guten Form gelöst haben.
Ich weiß, Herr Präsident, meine Redezeit geht zu
Ende.
Nein, sie ist zu Ende.
({0})
Ich möchte dennoch zum Schluss zwei Dinge sagen:
Ich bedanke mich auch im Namen meiner Fraktion für
die Leistungen der Soldaten im Einsatz. Ich bedanke
mich ganz besonders - das wird häufig vergessen - für
die Leistungen der Reservisten, die zu Hause und im
Einsatz einen wichtigen Beitrag leisten.
({0})
Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass wir
uns angesichts der neuen territorialen Strukturen nahezu
ausschließlich auf Reservisten verlassen. Sie sind Teil
unserer Sicherheitsvorsorge. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön.
Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre große Geduld.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Inge Höger von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle sieben Sekunden stirbt ein Kind unter zehn Jahren an Hunger. Durch Hunger sterben viel mehr Menschen als
durch alle Kriege auf dieser Welt. Armut bedroht Sicherheit und Demokratie weltweit. Armut ist eine der Hauptursachen für Bürgerkriege und Krisen in der Welt. Armutsbekämpfung ist deshalb für uns alle das A und O.
Armutsbekämpfung entscheidet über die Zukunft unserer Kinder. Armutsbekämpfung ist Friedenspolitik.
({0})
Der Verteidigungshaushalt, den die Große Koalition
vorgelegt hat, steht nicht für Friedenspolitik. Es handelt
sich um einen Aufrüstungshaushalt. Er zielt auf die Teilnahme an Kriegen.
({1})
- Ich weiß, das Wort hören Sie nicht gerne. Sie reden lieber von Missionen, von Einsätzen und von einem Einsatzhaushalt.
Viele Soldaten sind da längst deutlicher geworden:
„Wir befinden uns in einem Krieg“, so beschrieb der
scheidende Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Herr
Gertz, die Lage der Bundeswehr in Afghanistan.
({2})
- In dieser Frage stimme ich ihm zu.
Die in Ihrem Einsatzhaushalt vorgesehenen Ausgaben
ermöglichen sowohl die Vorbereitung als auch die
Durchführung von Kriegen. Damit gerät Deutschland
immer tiefer in eine politische und auch finanzielle
Sackgasse. Anstatt angesichts der globalen Finanzkrise
endlich umzusteuern, geben Sie noch mehr für Rüstung
aus. Der militärische Wahnsinn wird zusehends teurer.
Deutschland will nächstes Jahr nach den Kriterien der
NATO 33,5 Milliarden Euro für militärische Zwecke
einsetzen. Hinsichtlich der Militärausgaben liegt Deutschland damit unter allen Ländern dieser Welt auf Platz 6 ein trauriger Spitzenplatz.
({3})
Bei der Entwicklungshilfe hingegen dümpelt Deutschland nur auf Platz 12 der 22 OECD-Geberstaaten.
Für die Linke ist verantwortungsvolle Außenpolitik
etwas ganz anderes.
({4})
Die sogenannten Rüstungsinvestitionen sollen im Jahr
2009 erneut wachsen, dieses Mal um 540 Millionen Euro.
Die größte Verschleuderung von Steuergeldern stellt
nach wie vor der Eurofighter dar.
({5})
Die Gesamtkosten summieren sich inzwischen auf
22 Milliarden Euro. Die Kosten für dieses Kampfflugzeug sind nach wie vor ein aktuelles Thema. Der Vertrag
über die dritte und letzte Lieferung 68 weiterer Eurofighter ist noch nicht unterschrieben. In den nächsten Monaten ist mit einer Entscheidung zu rechnen.
Es geht dabei um viel Geld. Etwa 120 Millionen Euro
kostet nur eines dieser Kampfflugzeuge. Insgesamt geht
es um über 8 Milliarden Euro. Herr Jung, ich sage Ihnen:
Noch ist der Ausstieg aus diesem Irrsinn möglich.
({6})
Um skandalöse Geldverschwendung geht es auch bei
einem anderen Projekt, dem Schützenpanzer Puma. Einschließlich Bewaffnung soll es etwa 5 Milliarden Euro
kosten. Sie sagen, mit dem Puma solle die Schlagkraft
der Bundeswehr in weltweiten Einsätzen erhöht werden.
Ich sage: Mit Verteidigung hat das nichts zu tun. Die
Linke fordert: Lassen Sie die Hände weg vom Puma!
({7})
Auch der Militärtransporter Airbus A400M verschlingt mit insgesamt 9,3 Milliarden Euro unglaubliche
Summen. Hier gibt es Verzögerungen in der Produktion.
Nutzen Sie diese Chance, um aus diesem Projekt auszusteigen!
Kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Argument, Abrüstung würde Arbeitsplätze gefährden. Das ist Blödsinn. Rüstungsausgaben sind ein denkbar schlechtes Investitionsprogramm. Wenn Sie nur wollen, können Sie
diese Politik ändern. Mit dem Geld für einen Arbeitsplatz in der Rüstungsindustrie könnte man fünf Krankenschwestern oder vier Lehrerinnen bezahlen.
Noch zynischer ist es, die Rüstungsindustrie durch
zahllose Genehmigungen für Rüstungsexporte zu fördern. Die Bundesrepublik liegt inzwischen als Rüstungsexporteur weltweit an dritter Stelle. Es ist zynisch, weltweit Waffen zu verkaufen und dann den Friedensengel
zu spielen.
({8})
Die Linke sagt: Das ist ein gefährliches Spiel mit dem
Feuer. - Wir wissen gesichert, dass deutsche Waffen im
Kaukasus- und auch im Libanon-Krieg eingesetzt wurden. Anschließend schicken Sie dann Soldatinnen und
Soldaten in diese Regionen. Das mag zwar manches
schlechte Gewissen beruhigen. Die Konflikte lassen sich
aber mit Militär nicht lösen. Denken Sie eigentlich auch
daran, dass durch deutsche Waffen Menschen sterben?
Ich sage: Deutschland braucht ein durch und durch ziviles Zukunftsinvestitionsprogramm. Nur durch einen
Ausstieg aus der Hochrüstung bleibt genügend Geld für
eine vernünftige Investitionspolitik in Deutschland und
für eine verantwortungsvolle Außenpolitik übrig.
({9})
Mein Kollege Paul Schäfer hat bereits bei der ersten
Lesung dieses Haushaltes erläutert, wie die Lage von
Kranken oder Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern mit den Geldern des Verteidigungsetats konkret
verbessert werden könnte.
Fakt ist aber auch, dass es Projekte der Bundeswehr
gibt, die nicht nur Geld kosten, sondern direkt Arbeitsplätze vernichten. Ich sage nur: Bombodrom. Nach etwa
zwei Dutzend verlorenen Gerichtsprozessen hält die
Bundeswehr immer noch an ihrem Plan fest, auf dem
Gelände wieder militärische Übungen durchzuführen.
Der Lärm durch Tiefflüge und Explosionen wird einen
weiteren Ausbau des Tourismus in der Region unmöglich machen. Ich war gerade letzte Woche in der Region
und habe mir von der Tourismusindustrie erklären lassen, dass bestehende Projekte in dem Fall in der Zukunft
nicht weitergeführt werden können. Die existierenden
Arbeitsplätze und Investitionen werden durch den geplanten massiven Übungsbetrieb mit bis zu 1 700 Einsätzen im Jahr bedroht. Die Linke sieht darin eine Kriegserklärung an die gesamte Region und lehnt die
militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide als
Übungsplatz ab.
({10})
Im Übrigen gratuliere ich den Bürgerinitiativen gegen
das Bombodrom von ganzem Herzen zu dem RegineHildebrandt-Preis, den sie gerade erhalten haben.
({11})
Wer Frieden will, braucht Aufklärung und Bildung.
Eine Investition in Bildung ist auf jeden Fall eine kluge
Zukunftsinvestition. Eine Grundbildung für alle Kinder
dieser Welt würde laut UNESCO 11 Milliarden Dollar
im Jahr kosten. Das entspricht der Summe, die Deutschland für die dritte Tranche des Eurofighters ausgeben
will. Natürlich wird Deutschland diese Kosten nicht dauerhaft alleine tragen können. Aber was spricht eigentlich
dagegen, wenigstens in einigen Ländern damit anzufangen? Bildung statt Rüstung, das ist Armutsbekämpfung.
Auch eine gute Gesundheitsversorgung gehört für alle
Menschen dieser Welt zu den Grundrechten. Die Weltgesundheitsorganisation, WHO, rechnet mit etwa 25 Euro
pro Kopf und Jahr für eine Basisgesundheitsversorgung.
Für Afghanistan wären das insgesamt etwa 750 Millionen Euro. Das entspricht in etwa den Zusatzkosten für
den Einsatz der Bundeswehr in den nächsten 14 Monaten in diesem Land.
Die Linke verfolgt ein klares Ziel: Wir wollen den
Ausstieg aus den militärischen Strukturen, die einen Angriffscharakter haben. Wer Eurofighter für Flächenbombardements umrüstet oder Fregatten für die Seekriegsführung bestellt, der verabschiedet sich von einem rein
defensiven Verteidigungsbegriff. Friedens- und Sicherheitspolitik sieht aus Sicht der Linken anders aus.
So wie das internationale Bündnis gegen das NATOJubiläum 2009 glauben auch wir, dass eine friedliche
Welt möglich ist. Deshalb unterstützt die Linke die Proteste gegen die NATO.
({12})
Ich schließe mich dem Aufruf des Protestbündnisses an.
Um unsere Vision einer friedlichen Welt zu erreichen,
lehnen wir militärische Antworten auf globale und regionale Krisen ab. Sie sind Teil des Problems und nicht der
Lösung.
({13})
- Genau. - Wir weigern uns, unter dem Terror von
Atomwaffen zu leben, und widersetzen uns einem neuen
Rüstungswettlauf. Wir müssen die Militärausgaben reduzieren und die dadurch frei werdenden Ressourcen zur
Befriedigung menschlicher Bedürfnisse einsetzen.
Ich denke, die NATO hat in diesen Ländern keinen
Krieg zu führen. Es gibt kein überzeugendes Argument
für Kriege und für diesen Rüstungshaushalt.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs von der
SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr
Präsident! Wenn man sich die Zahlen im Haushalt anschaut, versteht man nicht, was die Kollegin Höger eben
von sich gegeben hat.
({0})
Sie hat gesagt, Armutsbekämpfung ist Friedenspolitik.
Das ist vollkommen richtig. Wenn man sich anschaut,
was Frau Wieczorek-Zeul als Entwicklungshilfeministerin tut und welche Aufwüchse es in ihrem Etat gibt, sieht
man, dass sich das auch im Haushalt widerspiegelt. Jeder
weiß, dass Entwicklungshelfer und Organisationen, die
Hilfe, Unterstützung und Nahrungsmittel bringen, nur
dann in die betreffenden Länder kommen können, wenn
sie geschützt werden, wenn dort ein Zustand herrscht,
der es möglich macht, dass überhaupt geholfen werden
kann.
({1})
- Ich bin relativ bereit, mit Ihnen inhaltlich darüber zu
diskutieren. Aber wenn Sie plumpe Parolen bringen,
habe ich auch eine auf Lager. Sie haben ja eben über die
Kyritz-Ruppiner Heide als Truppenübungsplatz gesprochen. In der Vergangenheit hat die SED, die später erst
zur PDS und dann zur Linkspartei wurde, den Laden betrieben, und in der Zeit sind jedes Jahr 20 000 scharfe
Einsätze geflogen worden. Vielleicht sollten Sie erst einmal Ihre Geschichte aufarbeiten und hier nicht laufend
Unsinn erzählen.
({2})
- Wie lautet der Spruch? Getroffene Hunde bellen.
Der Verteidigungshaushalt hat ein Volumen von ungefähr 31 Milliarden Euro. Das sind 1,6 Milliarden Euro
mehr als im letzten Haushalt. Diese Anhebung ist deswegen zielführend, weil es viel Bedarf gibt, der sich aus
den Personalkosten, der Wehrpflicht und dem AVZ ergibt.
Sie erlauben, dass ich die eine oder andere Zahl anführe; anscheinend bin ich hier der einzige Haushälter,
der in dieser Debatte spricht. Die Kosten für Materialerhaltung sind in diesem Jahr konstant geblieben; sie
liegen bei circa 2 Milliarden Euro. Trotzdem werden wir
gerade in diesem Bereich mit zahlreichen Problemen
konfrontiert. Ich glaube, dass wir Haushälter dem Ministerium stärker als bisher empfehlen müssen, ein Augenmerk auf diese Kosten zu legen. Denn besonders im Bereich der Materialerhaltung haben wir Probleme. Das
gilt nicht nur für die Fregatten F 122, sondern auch für
alle anderen Bereiche. Ich glaube, hier müssen wir in
Zukunft mehr tun. Wir brauchen eine tragfähige Lösung.
Die Kosten für Infrastruktur steigen leicht auf
950 Millionen Euro und die Kosten für Beschaffung auf
5,2 Milliarden Euro. Die Privatisierungsvorhaben, die
Betreiberlösungen, kosten uns 1,5 Milliarden Euro pro
Jahr. Auch hier müssen wir jedes Jahr neu überprüfen, ob
es die wirtschaftlichste Lösung ist. Die Personalausgaben
steigen von 11,5 Milliarden auf über 12 Milliarden Euro.
Dieser Aufwuchs ist vor allem auf die Besoldungs- und
Tarifverbesserung, den AVZ und die Erhöhung des
Wehrsoldes zurückzuführen. Wir Sozialdemokraten haben uns dafür starkgemacht. Ich glaube, dass es gut war,
dass die Koalition diese Erhöhungen durchgesetzt hat.
({3})
Mit dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz haben wir
einen kleinen Schritt in Richtung Verbesserung der Besoldung gemacht. Diese Verbesserung kommt allerdings
nur einigen zugute; nur Ärzte und Transportpiloten profitieren davon. Im Einzelfall kann man dies begründen;
denn in diesen Bereichen gibt es besorgniserregende Abwanderungstendenzen. Aber letzten Endes ist es nur ein
finanzielles Pflaster, mit dem man den Rohrbruch nicht
beheben kann. Wir haben bei der Bundeswehr, was ihre
Attraktivität angeht, ein strukturelles Problem. Das hat
auch etwas mit der Besoldung des Personals zu tun. Dieses Problem bekommen wir nicht allein mit dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz in den Griff.
Herr Minister, ich habe manchmal den Eindruck, im
Verteidigungsministerium wartet man gespannt auf das
nächste Leck, das sich demnächst auftut, um dann mit
geringstmöglichem Aufwand eine bestimmte Gruppe zufriedenzustellen und in dem jeweiligen Einzelfall zu helfen. Ich glaube, dass das auf Dauer nicht trägt. Wir Sozialdemokraten sollten uns ein Konzept überlegen - das
sollte die Koalition insgesamt tun -, wie wir auf die
Lage am Arbeitsmarkt reagieren und die jungen Frauen
und Männer gewinnen können, die die Bundeswehr eigentlich braucht.
Unter Rudolf Scharping wurden die ersten Schritte in
die richtige Richtung unternommen, was die Veränderung
bei den Strukturen angeht. Die Besoldungsstufen A 1
und A 2 wurden abgeschafft. Diejenigen, die sich im öffentlichen Dienst auskennen, wissen, dass es die Besoldungsstufen A 1 und A 2 sonst nirgendwo gibt. Ich
glaube, dieses strukturelle Problem muss man in der
nächsten Legislaturperiode einmal angehen. Es hilft
nämlich nicht, nur einigen zu helfen. Ich persönlich kann
mir vorstellen - darüber diskutieren wir zurzeit -, dass
man in der nächsten Legislaturperiode die Besoldung in
zwei Schritten strukturell ändert. Wir müssen nicht immer neue Dienstgrade und neue Schulterklappen erfinden, sondern man muss dafür sorgen, dass die vorhandenen Dienstgrade mit höheren Besoldungsstufen unterlegt
werden.
Das würde bedeuten: Die Besoldungsstufen A 3, A 4
und A 5 werden nach A 6 angehoben, danach A 6 nach
A 7, A 7 nach A 8, A 8 nach A 9, A 9 nach A 10, A 10
nach A 11 und A 11 nach A 12. An dieser Stelle kann
man aufhören. Diese Anhebung ist notwendig, weil wir
in diesem Bereich grundlegende Probleme haben. Wir
haben zu rot-grünen Regierungszeiten einmal versucht,
alle Hauptleute von A 11 auf A 12 anzuheben - Herr
Kollege Nachtwei nickt -, aber das Ministerium hat dies
nur zur Hälfte umgesetzt. Nur Kompaniechefs wurden
von A 11 auf A 12 gesetzt. Das war ein Problem, weil
das zu vielen Ungerechtigkeiten und zu großer Unzufriedenheit innerhalb der Truppe geführt hat. Deswegen
muss man diesen Schritt einmal komplett durchführen.
Anders bekommt man es nicht hin. Das kostet Geld.
Aber wenn man sich anschaut, dass die Kosten in Höhe
von 250 Millionen bzw. 260 Millionen Euro, die da entstehen, in mehreren Schritten anfallen, so kommt man zu
dem Ergebnis, dass dies, bei einem Aufwuchs von
1,6 Milliarden Euro allein in diesem Jahr, durchaus
machbar ist.
Das Ganze hat das Ziel, dass man eine Besoldungsstruktur bekommt, die der der Bundespolizei zumindest
gleicht. Ich weiß, dass man in der Union vielleicht
Freunde findet, die da mitgehen. Der Präsident des Reservistenverbandes hat geklatscht; vielleicht kann man
entsprechend verhandeln, sodass man das in der nächsten Legislaturperiode hinbekommt.
({4})
Das Thema Rechtsschutz ist uns wichtig. Herr Minister, Sie haben in den letzten Wochen einen diesbezüglichen Missstand beseitigt, und das ist gut so. Ich finde
das sehr vernünftig. Das haben Sie gut hinbekommen.
Ich finde es immer gut, wenn Anregungen der Haushälter vom Ministerium so schnell aufgegriffen und umgesetzt werden. Das erfüllt uns Haushälter mit einem gewissen Stolz. Der Kollege Kalb müsste jetzt klatschen.
({5})
- Er tut es. Wunderbar! - Es ist gut, wenn Haushälter ihren Einfluss nutzen und dies für die Soldaten so umgesetzt wird. Wichtig ist, dass der Bundeswehrverband an
unserer Seite gestanden hat, dass man dies zusammen
mit dem Bundeswehrverband gemacht hat. Deswegen
gebührt dem Bundeswehrverband, den Kolleginnen und
Kollegen und dem Ministerium, Herr Minister, unser
herzlicher Dank, dass da so schnell etwas geregelt
wurde.
({6})
Was die Ausrüstung angeht: Wir haben sehr viel für
den Schutz der Soldaten getan. Das geschützte Transportfahrzeug Eagle IV ist beschafft worden. Es geht
eben nicht immer nur darum, wie es uns die Linken glauben machen wollen, dass man teures Kriegsgerät beschafft, sondern vor allen Dingen auch darum, dass man
die Soldaten mit Gerät in den Einsatz schickt, das größtmöglichen Schutz bietet.
({7})
Das gilt übrigens auch für den Puma. Ich glaube, das hat
höchste Priorität.
Wichtig ist allerdings, dass auch die Industrie das
nicht für einen kurzen Sprint hält, um wieder einmal einen Auftrag zu ergattern. Das hat vielmehr etwas mit
Marathonläufen zu tun. Man muss langfristig planen, um
vernünftigen Schutz hinzubekommen, sodass er, wenn er
gebraucht wird, auch vorhanden ist. Ich glaube, diejenigen, die dies betrifft, wissen das.
Die unglaubliche Vielfalt an Fahrzeugen, die wir in
den Streitkräften haben - Duro, Mungo, Yak, Eagle IV,
Dingo -, spricht da Bände. Wenn jede Teilstreitkraft ihr
eigenes Fahrzeug fordert, dann hat man sowohl bei der
Logistik als auch bei der Instandhaltung riesige Probleme. Ich kann das im Einzelfall immer verstehen. Aber
dann bestellen wir 44 Fahrzeuge davon, 60 Fahrzeuge
davon und 80 Fahrzeuge davon. Als Haushälter sage ich:
Das ist der Fluch der kleinen Zahl. Das ist Manufakturarbeit. Die Dinger werden immer teurer. Das heißt, wenn
man etwas will, muss man sich eine Plattform aussuchen, davon die richtige Menge bestellen und schauen,
dass die Teilstreitkräfte damit auskommen und es vernünftig machen. Nur dann können auch Verbesserungen
eingearbeitet werden. Nur dann lohnt es sich, ein Modell
weiterzuentwickeln.
Deswegen würde ich mich freuen, wenn das Ministerium darauf achtet, dass die Instandsetzungs- und Logistikkette nicht aufgebläht wird. Dieser Fluch der kleinen
Zahlen wird uns verfolgen. Wir als Haushälter müssen
da ein bisschen nachhelfen.
Ich finde es manchmal schwer, nachzuvollziehen
- das ist vorhin schon angesprochen worden -, was mit
dem NH 90, dem Tiger, dem A400M und anderen passiert. Ich hoffe, dass die Kosten für die späte Auslieferung nicht auf die Steuerzahler abgewälzt werden. Ich
gehe davon aus, dass die Verträge eingehalten werden.
Ich glaube nicht, dass wir als Steuerzahler letztendlich
dafür geradestehen sollten. Deswegen bitte ich, insbesondere auch beim A400M für das Einhalten der Verträge zu sorgen.
Wir haben schon viel über die Infrastruktur gesprochen. Ich habe hier häufig über Schwarzenborn geredet.
Ganz ehrlich, Herr Minister, ich möchte Sie noch einmal
darum bitten: Es funktioniert noch immer nicht so richtig. Wir brauchen immer noch fünf Jahre für eine große
Baumaßnahme und drei Jahre für eine kleine. Wenn man
es schaffen würde, in der Kette der Instanzen etwas zusammenzulegen, dann bekäme man das irgendwie hin.
Noch immer gehen Bauanträge über viel zu viele
Schreibtische. Es gilt immer noch der Spruch: Viele Köche verderben den Brei. Historische Informationen kann
man beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt in
Potsdam oder beim Militärarchiv in Freiburg archivieren. Die sollten nicht die Realität bestimmen. Wir müssen die Vorschriften ändern. Wir müssen dafür sorgen,
dass zivile und militärische Vorgänge zusammengelegt
werden. Es darf nicht fünf Jahre an einem Gebäude gearbeitet werden.
Wenn es dann nicht anders klappt, dann sollten wir
uns in der Großen Koalition einmal über den Art. 87 b
des Grundgesetzes unterhalten und diese Sache grundsätzlich angehen. Herr Minister, ein bisschen Schwung,
ein bisschen Mut! Wir helfen Ihnen dabei.
({8})
Ich berufe mich da auf meinen Fraktionsvorsitzenden
Peter Struck, der das schon mehrfach gesagt hat. Peter
Struck war einmal ein hervorragender Verteidigungsminister, genauso wie er jetzt ein hervorragender Fraktionsvorsitzender ist. Man muss ja auch einmal am
Rande erwähnen, dass wir ihm vieles zu verdanken haben.
Wir schaffen es immer noch nicht, in den Liegenschaften, in den Stuben für die Soldaten, die dort wohnen, Internetanschlüsse zu verlegen. Und dann wird
noch gesagt, das habe etwas mit Sicherheitsproblemen
zu tun. Bei aller Freundschaft: Das kann doch wohl nicht
angehen. Es gibt Standards im 21. Jahrhundert, die einfach eingehalten werden müssen. Ich glaube, dass man
das machen muss.
({9})
Eine abschließende Bemerkung sei mir erlaubt: Wir
haben im Haushaltsausschuss über die Privatisierung
der ortsfesten Logistik diskutiert. Wir haben gesagt:
Wir können das, was zurzeit im Ministerium läuft, nicht
nachvollziehen. Mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD haben wir das Projekt mit einer Sperre versehen,
weil wir den Vorgang kritisch sehen. Ich glaube, dass es
wichtig ist, über die Frage zu diskutieren, ob man privatisiert oder den Beschäftigten, den Zivilangestellten und
den Soldaten, die Chance gibt, mit zusätzlichen Mitteln
für Infrastruktur ein optimiertes Eigenmodell hinzubekommen. Das würde aber bedeuten, dass man veraltete
Vorschriften abschafft, die Handlungsspielräume erweitert, dass man den Angestellten und den Soldaten in den
Depots sagt: „Es geht weiter, es gibt keine ungewisse
Zukunft, wir kriegen das gemeinsam hin“ und man die
Betroffenen nicht ständig gegen die Wand laufen lässt.
Wenn diejenigen, die privatisieren wollen, mit ihren
Vorschlägen gegen das optimierte Eigenmodell antreten
sollen, dann muss flächendeckend erst einmal ein optimiertes Eigenmodell vorliegen. Aber das ist nicht der
Fall. Wenn man das nicht hat, kann man auch keinen
Ausschreibungssieger dagegen antreten lassen. Man
muss das optimierte Eigenmodell erst einmal drei Jahre
lang laufen lassen. Dann muss man schauen, wie es
wirkt. Wenn eine Privatisierung günstiger ist, kann man
dann ja darüber nachdenken. Ich glaube das aber nicht.
Ich glaube, dass die Beschäftigten das hinbekommen
können, wenn man die Vorschriften entschlackt und ihnen Geld in die Hand gibt, sodass sie die Möglichkeit
haben, vor Ort etwas zu entscheiden. Ich würde es gut
finden, wenn wir ein optimiertes Eigenmodell mit den
notwendigen Investitionen einführen und den Mitarbeitern eine Chance geben würden.
Herr Minister, ich glaube, wenn Sie Ihren Mitarbeitern eine Chance geben, schaffen wir das. Das heißt
nicht, dass ich prinzipiell gegen Betreiberlösungen oder
Privatisierungen bin. Ich finde aber, man muss auch über
folgende Frage diskutieren können: Warum soll man den
Beschäftigten der Bundeswehr, ob Soldaten oder
Zivilbeschäftigten, nicht die Chance geben, das optimierte Eigenmodell auszuprobieren? Wir sollten ihnen
die Möglichkeit geben.
Glaubt denn jemand ernsthaft, dass wir nach zehn
Jahren eine Exitstrategie haben, dass man eine privatisierte Basislogistik zur Bundeswehr zurückholen kann?
Das glaubt doch keiner. Das heißt, man wäre dem Preisdiktat ausgeliefert. Ich finde, dass wir den Kompaniechefs, den Bataillons- und Brigadekommandeuren die
Gewissheit geben müssen, dass sie nicht nur Schnittstellen verwalten. Wir haben schon unendlich viel privatisiert.
Herr Minister, geben Sie den Mitarbeitern eine
Chance im Wettbewerb unter fairen Bedingungen! Wir
werden Sie dabei unterstützen. Die CDU hat in einer
Pressemitteilung begrüßt, dass sie die Privatisierung gestoppt hat. Wenn wir das gemeinsam hinbekommen, ist
das umso besser. Ich glaube, dass wir das hinbekommen
werden. Wir werden eine attraktive Bundeswehr haben,
für die wir die Menschen gewinnen können, mit vernünftiger Infrastruktur und vernünftiger Bezahlung, eine
Bundeswehr, in der die Menschen die Chance haben,
ihre Arbeit sinnvoll zu gestalten.
Vielen Dank. Glück auf!
({10})
Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der ersten Lesung dieses Haushaltsentwurfs hat Kollege
Bonde kritisch zu verschiedenen Einzeltiteln Stellung
bezogen, vor allem zu einigen sehr fragwürdigen und besonders teuren Rüstungsprojekten. Ich möchte zu einem
anderen Punkt Stellung nehmen.
Herr Minister, Sie stellen seit mehr als zwei Jahren
den Begriff der vernetzten Sicherheit immer wieder in
den Vordergrund. Dieser ist bekanntlich in die entsprechenden Dokumente der NATO eingegangen. Internationale Krisenbewältigung im Auftrag der Vereinten Nationen ist Auftrag und Einsatzrealität der Bundeswehr.
Uns ist bekannt, dass heutige Konflikte militärisch
nicht zu lösen sind, erst recht nicht durch militärische
Siege, sondern nur durch das Zusammenwirken der verschiedenen diplomatischen, militärischen, polizeilichen
und zivilen Akteure. Deshalb ist der Ansatz der vernetzten Sicherheit in der Tat eine Schlüsselvoraussetzung für
erfolgreiche Krisenbewältigung und Gewaltminimierung.
Der Anspruch ist richtig. Wie steht es um die Wirklichkeit? Ich nenne als erstes Beispiel eine Mission, die
wir vor zwei Jahren durchgeführt haben. In diesen Tagen
jährt sich zum zweiten Mal die Wahl von Joseph Kabila
zum Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo.
Dass die Wahl damals überraschend friedlich ablief, war
unter anderem der damaligen EU-Mission zu verdanken.
Aber was ist aus diesen Hoffnungstagen geworden? Im
Ostkongo tobt weiterhin, gerade gegen die Zivilbevölkerung und vor allem gegen Frauen, exzessive Gewalt.
Dort herrscht seit vielen Monaten eine Hölle auf Erden.
Alle, die dort waren, haben das gesehen. In der letzten
Zeit, seit August, ist die Gewalt im Osten wieder eskaliert. Es droht tatsächlich der Rückfall in den großen
Kongo-Krieg.
Gestern wurde der neueste Bericht von Human Rights
Watch zu den Menschenrechtsverletzungen der kongolesischen Regierung veröffentlicht. In dem Zusammenhang wird von Staatsterrorismus gesprochen. Von
Zerquetscht
die Gegner! - Weit mehr als 500 Menschen sind diesem
staatlichen Terrorismus zum Opfer gefallen.
Wir müssen feststellen: Der Entwaffnungsprozess, die
Reform des Sicherheitssektors, der Aufbau der Polizei
und die Reform der Armee - diese wichtigen Ansätze
der Europäischen Union sind gescheitert. Wir alle erinnern uns noch an die sehr großen Worte von vor zwei
Jahren über die sicherheitspolitischen Interessen Europas und die humanitäre Verantwortung. Ja, sie waren
richtig. Aber offenkundig waren sie von der Staatengemeinschaft, von der Europäischen Union und auch von
der Bundesregierung nicht ernst gemeint. Ich muss feststellen, dass die Staatengemeinschaft, die Europäische
Union und die Bundesregierung die fantastische Zivilgesellschaft, die im Kongo lebt und arbeitet, politisch im
Stich gelassen haben und dass der Kongo zu einem politisch-moralischen Desaster einer Sicherheitspolitik mit
umfassendem Anspruch geworden ist.
Zweites Beispiel: Afghanistan. Manche mögen erleichtert sein, dass das Afghanistan-Mandat jetzt verlängert wurde. Aber das ist kein Grund zum Ausruhen. Auf
der einen Seite wissen wir, also diejenigen, die mehr mit
Afghanistan zu tun haben, welche Fortschritte es in der
Tat gibt. Sie sind unverkennbar und eindeutig; das sollte
man nicht unter den Scheffel stellen.
({0})
Auf der anderen Seite werden die Warnzeichen schlimmer und beunruhigender. Ich nenne als Beispiel nur die
Sicherheitsvorfälle, also Anschläge, Gefechte und Raketenüberfälle. Die Zahl der Sicherheitsvorfälle hat sich
gegenüber dem Vergleichszeitraum des vorigen Jahres
verdoppelt. Fast noch wichtiger ist die Frage, wie die
Stimmung im Lande ist, wie es um Angst und Einschüchterung steht. Hier bekommen wir verschiedene
Meldungen, die zeigen, dass Angst und die Distanz zu
den Internationalen eindeutig zunehmen.
Schließlich lautet der Auftrag von ISAF, ein sichereres Umfeld zu schaffen. Inzwischen ist die Tendenz in
weiten Landesteilen leider gegenläufig. Im nächsten Jahr
müssen wir wegen der Wahlen mit einer Verschärfung
der Situation rechnen. Die Frage an die Bundesregierung
lautet: Was tut sie zusammen mit ihren Partnern, um
diese negative Dynamik aufzuhalten und möglichst umWinfried Nachtwei
zukehren? Ich appelliere ausdrücklich an Sie: Nutzen Sie
die relative Winterruhe, um neue ressortübergreifende
Initiativen und Anstrengungen zu entwickeln, und warten Sie nicht darauf, bis Obama bzw. die neue US-Administration kommt, die zwar neue Chancen bietet, aber
auch Ansprüche stellen wird.
({1})
Der Ansatz der vernetzten Sicherheit muss sich in
Strukturen und Fähigkeiten abbilden. Aber wie sieht das
konkret aus? Ein gemeinsames integriertes Lagebild bei
Krisenengagements - Fehlanzeige. Gemeinsame Planung
im Vorfeld - Fehlanzeige. Gemeinsame Wirkungsanalysen als Antwort auf die Frage, was dabei herauskommt Fehlanzeige. Hie und da gibt es zwar eine Evaluation,
aber keine gemeinsame Wirkungsanalyse.
Mit der Bundeswehrtransformation wird das ehrgeizige Ziel verfolgt, dass in einigen Jahren bis zu
14 000 Soldaten gleichzeitig bei bis zu fünf Stabilisierungseinsätzen über längere Zeit eingesetzt werden
können. Wenn von Stabilisierungseinsätzen die Rede ist,
dann stellt die Staatsaufbauunterstützung einen zentralen Bereich dar. Das bekommt man nicht einfach mit
gutem Willen hin oder indem man bei einer Telefonkonferenz verschiedene Polizeidienststellen fragt, wer denn
mal Zeit hat bzw. wer entbehrlich ist. Nein, so geht es
nicht. Vielmehr muss man sukzessive entsprechende Fähigkeiten aufbauen und besonders qualifiziertes Personal
zur Verfügung stellen, das schnell einsatzbereit ist.
Die EU hat in diesem Zusammenhang bemerkenswerterweise sogenannte zivile Planziele 2008 und 2010 für
zentrale Bereiche der Unterstützung des Staatsaufbaus
aufgestellt. Wir haben in diesem Zusammenhang bei der
Bundesregierung nachgefragt, wie das auf bundesdeutscher Ebene aussieht. Denn wenn die EU so etwas
macht, dann müssen doch auch wir solche Planziele entwickeln. Aber Fehlanzeige! Das hält man nicht für notwendig.
Der umfassende Ansatz von vernetzter Sicherheit
wird von Ihnen, Herr Minister Jung, im Mund geführt.
Mir ist aufgefallen, dass die Bundeskanzlerin in der ersten Beratung des Haushaltes und auch heute diesen Begriff ebenfalls aufgenommen hat. Von anderen Ressortministern - ich habe das genau beobachtet - werden Sie
mit diesem Anspruch beschwiegen. Das muss man so
feststellen.
Was folgt daraus? Der Ansatz umfassender vernetzter
Sicherheit ist offenbar in der Bundesregierung nicht angekommen. Das ist nicht nur ein fundamentaler Mangel,
sondern das verdunkelt zugleich die Chancen der Tausenden von Diplomaten, Soldaten, Polizisten und Entwicklungshelfern, die sehr verdienstvolle und gute Arbeit in den Krisenregionen leisten, erfolgreich tätig zu
sein. Dazu sind wir verdammt noch mal verpflichtet.
({2})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Franz Josef
Jung.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Nachtwei, gestatten Sie mir eine
kleine Vorbemerkung, bevor ich auf den Haushalt zu
sprechen komme. Ich finde, dass wir in Bezug auf
Afghanistan unser Licht nicht unter den Scheffel stellen
sollten. Ich verwende bewusst diesen von Ihnen gebrauchten Ausdruck. Wir haben im Jahre 2003 als Erste
begonnen, die vernetzte Sicherheit in Afghanistan zu
realisieren. Wir haben die Wiederaufbauteams in Kunduz und in Faizabad gegründet. Wir haben die Dinge
weiter fortentwickelt. Wir haben dafür gesorgt, dass es
einen gemeinsamen, internationalen Konsens gibt. Ich
stimme Ihnen zu, dass das für Gesamtafghanistan noch
besser implementiert werden muss. Aber wir haben bei
uns beispielsweise nicht nur die Abstimmung auf Staatssekretärsebene, sondern haben auch den Einsatzführungsstab, in dem auch die anderen Ressorts entsprechend tätig sind, sodass wir gerade auf diesem Gebiet
weiterkommen. Wie Sie wissen, haben wir auch den Anteil für den Bereich Entwicklung in Afghanistan in diesem Jahr auf 170 Millionen Euro erhöht. Deshalb finde
ich, dass es richtig und klug ist, dass wir diese Strategie,
die wir auch im Weißbuch als Bundesregierung einheitlich beschlossen haben, in Afghanistan umsetzen. Denn
nur so werden wir erfolgreich sein.
({0})
Jetzt zum Haushalt. Ich denke, wir haben mit diesem
Haushalt eine gute Grundlage dafür geschaffen, dass unsere Bundeswehr weiterhin einsatzfähig und leistungsfähig bleibt, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten gut
ausbilden und gut ausrüsten können und dass sie auch in
Zukunft eine positive Motivation für ihren schwierigen
Einsatz haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, da wir jetzt
über eine Erhöhung der Mittel um 1,7 Milliarden Euro,
für die ich dankbar bin, sprechen, sollten wir auch zur
Kenntnis nehmen, dass die Herausforderungen für die
Bundeswehr enorm gestiegen sind. Beispielsweise ist
nicht jedermann in unserem Land bewusst, dass ich in
diesem Sommer mit dem 17. Einsatzkontingent den
250 000 Soldaten der Bundeswehr in einen Auslandseinsatz geschickt habe.
Daran wird, wie ich finde, deutlich, welch enorme
Herausforderungen auf die Bundeswehr zukommen, sei
es durch unseren Einsatz in Afghanistan, sei es durch unseren Einsatz auf dem Balkan, also im Kosovo und in
Bosnien-Herzegowina, sei es durch unseren Einsatz vor
der Küste des Libanon, sei es durch unseren Einsatz unter OEF-Mandat am Horn von Afrika oder die Operation
Active Endeavour im Mittelmeer, sei es durch unsere
Einsätze im Sudan, in Darfur, oder in Georgien. Eine
weitere Herausforderung, über die gegenwärtig diskutiert wird und auf die wir uns notwendigerweise vorbereiten müssen, ist die Mission zur Piraterie vor der
Küste Somalias.
({1})
- Ja, gegen die Piraterie.
Frau Kollegin Hoff, zu diesem Thema möchte ich
noch Folgendes sagen: Die Verteidigungsminister haben
darüber auf europäischer Ebene diskutiert. Dabei habe
ich gespürt, dass diese Frage nicht nur in Deutschland
der rechtlichen Klärung bedarf. Ich halte es für notwendig und richtig, dass wir einen klaren Operationsplan,
klare Einsatzregeln und eine klare Rechtsgrundlage für
das Handeln unserer Soldatinnen und Soldaten haben.
Dafür zu sorgen, ist unser Bestreben. Auf dieser Grundlage werden wir dann das Parlament bitten, einem solchen Einsatz zuzustimmen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dass die
Einsatzfähigkeit und Leistungsfähigkeit der Bundeswehr
groß sind. Dann ist es auch notwendig, dass wir die
sozialen Rahmenbedingungen für unsere Soldatinnen
und Soldaten den Anforderungen an sie einigermaßen
anpassen. Das tun wir mit dem vorliegenden Haushalt.
Was heißt das? Das heißt, dass wir den Tarifvertrag
für den öffentlichen Dienst jetzt auch auf unsere Soldatinnen und Soldaten und auf die zivilen Mitarbeiter der
Bundeswehr übertragen. Das ist eine kluge Entscheidung, stellt für den Verteidigungshaushalt allerdings eine
enorme Belastung dar. Dennoch halte ich es für notwendig, dafür zu sorgen, dass auch unsere Soldatinnen und
Soldaten und die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr an
dieser Entwicklung teilhaben.
Wir verfügen über eine Armee, die - wenn ich das so
sagen darf - gegenseitig ausgebildet und ausgerüstet
worden ist. Die Bundeswehr hat sich nach der deutschen
Einheit, die wir zum Glück erreicht haben, in hervorragender Art und Weise integriert. Heute haben wir nicht
nur eine Bundeswehr für unser gesamtes Vaterland, sondern wir leisten auch einen Beitrag dazu, dass innerhalb
der Bundeswehr die Angleichung der Ost- an die
Westbesoldung vorgenommen wird. Das ist, wie ich
denke, eine gute Grundlage, die wir mit diesem Haushalt
beschließen.
({3})
Meine Damen und Herren, es findet auch eine strukturelle Entwicklung statt. Dieser Haushalt enthält
7 000 Beförderungsmöglichkeiten. Dabei wurde auch
die Situation berücksichtigt, dass unsere Soldatinnen
und Soldaten in einer Gefahrensituation besonders gefordert sind. Es ist richtig, dass wir darüber hinaus eine
Erhöhung des Auslandsverwendungszuschlags vornehmen. Natürlich geht es nicht nur um das Finanzielle; das
ist klar. Wer aber einen riskanten Auftrag - denken Sie
nur an den Einsatz in Kunduz - in hervorragender Art
und Weise erfüllt, der sollte dafür auch einen entsprechenden Auslandsverwendungszuschlag erhalten.
({4})
Auch den Wehrsold konnten wir um 2 Euro pro Tag
erhöhen; dafür bin ich dankbar. Im Rahmen der Dienstrechtsneuordnung haben wir außerdem, wie vom Kollegen Kahrs bereits angesprochen wurde, Stellenzulagen
berücksichtigt: eine Stellenzulage für die Spezialkräfte,
eine Stellenzulage für die Transportpiloten und eine Stellenzulage für die Ärzte.
Ich stimme Ihnen aber in einem Punkt natürlich zu:
Dabei geht es nicht nur um die Stellenzulage, sondern
ich habe sowohl den Inspekteur Sanitätsdienst als auch
den Inspekteur der Luftwaffe gebeten, dass wir noch
über gemeinsame Veränderungen von Rahmenbedingungen sprechen, um dadurch eine zusätzliche Attraktivitätssteigerung zu erreichen; denn es ist sinnvoll und
notwendig, dass wir auch in Zukunft hervorragendes und
fachlich qualifiziertes Personal in der Bundeswehr haben. Dieses brauchen wir zur Erfüllung unseres Auftrags,
und deshalb kommen die Stellenzulage, aber auch die
Veränderung von Rahmenbedingungen hinzu, um eine
potenzielle Personalnot in Zukunft wirkungsvoll verhindern zu können.
({5})
Es wurde angesprochen, dass wir den Rechtsschutz
für unsere Soldatinnen und Soldaten verbessert haben,
dass wir das Kasernensanierungsprogramm West durch
diesen Haushalt ebenfalls weiter vorantreiben - ich
würde mir wünschen, dass auch dort das eine oder andere vielleicht noch ein Stück zügiger geht; das ist sofort
zugestanden - und dass wir auch dem Kriterium der
Vereinbarkeit von Familie und Dienst unseren Blick
zuwenden; denn es sind jetzt 15 000 Soldatinnen in der
Bundeswehr. Dies ist mit Sicherheit ein Gewinn für die
Bundeswehr, und ich glaube, dass wir dem Kriterium der
Vereinbarkeit von Familie und Dienst, wie wir es in der
Dienstvorschrift Innere Führung auch formuliert haben,
hier in Zukunft konkreter Rechnung tragen sollten.
({6})
Dazu gehört dann auch der investive Anteil. Natürlich
werden wir durch diese Auslandseinsätze herausgefordert, aber ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin
heute noch froh darüber, dass wir bereits Ende des
Jahres 2006 entschieden haben, nur mit geschützten
Fahrzeugen in Afghanistan zu fahren. Wie viele Soldaten haben überlebt, weil sie im Dingo oder im Fuchs gefahren sind? Wir haben jetzt rund 700 geschützte Fahrzeuge in Afghanistan. Wir haben den ursprünglich
geplanten Anteil von 30 Dingos auf 100 Dingos erhöht.
Das hat auch etwas mit Kosten zu tun.
Deshalb werbe ich auch um Verständnis dafür, dass
wir, wenn wir den Schutz für unsere Soldatinnen und
Soldaten verbessern wollen, dafür auch die notwendigen
finanziellen Grundlagen brauchen. Mit diesem Haushalt
werden die Grundlagen dafür gelegt.
({7})
Ich finde, all diese Punkte gehören zusammen. Durch
sie wird die notwendige finanzielle Grundlage dargestellt, die benötigt wird, damit die Bundeswehr ihren
Auftrag zum Schutz unserer Interessen - sei es im Rahmen der Auslandseinsätze, sei es zum Schutz Deutschlands und zur Gewährleistung von Frieden, Recht und
Freiheit - auch in Zukunft weiterhin erfüllen kann. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Haushalt.
Besten Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir heute über den Haushaltsansatz 2009 sprechen, dann sprechen wir auch über die Bilanz von drei
Jahren Verteidigungspolitik unter Verteidigungsminister
Jung.
({0})
Wenn ich mir diese Bilanz anschaue, dann kann ich
zunächst einmal sagen, dass es in der Zwischenzeit mehr
Auslandseinsätze gibt. Gleichzeitig haben wir die Situation, dass die Zahl der Fragen der Soldatinnen und
Soldaten über die Perspektiven dieser Einsätze zugenommen hat. Dem muss man sich auch stellen.
Das bedeutet, dass vor allen Dingen die diplomatischen und politischen Anstrengungen vor allem zur
Flankierung immer dann drastisch ausgeweitet werden
müssen, wenn man die Bundeswehr in einen Einsatz
schickt. Das ist etwas, was wir ganz augenfällig bei dem
Einsatz im Kongo zu verzeichnen haben. Der Kollege
Nachtwei hat das angesprochen. Herr Minister, ich sage
aber auch hinsichtlich Afghanistan: Wir haben die Mandate gerade wieder beschlossen, und ich habe ein bisschen den Eindruck, dass jetzt Funkstille herrscht.
Mit dem Militär allein werden wir die Herausforderungen dort nicht bewältigen. Deswegen ist es wichtig,
in Afghanistan vor allen Dingen die nichtmilitärischen
Mittel zu forcieren. Sie haben es selbst gesagt: Es geht
jetzt um die Umsetzung des vernetzten Ansatzes. Genau
diese Umsetzung muss gelingen. Das heißt: Jetzt müssen
bei der Ausbildung von Militär und Polizei die notwendigen Anstrengungen unternommen werden. Jetzt müssen die Weichen dafür gestellt werden, dass im Frühjahr
die Umsetzung des verstärkten Wiederaufbaus tatsächlich gelingt.
Jetzt entscheidet sich, ob wir Erfolg haben werden
oder ob die Situation in Afghanistan noch schwieriger
wird. Jetzt, Herr Minister, muss gehandelt werden, nicht
erst vor der nächsten Mandatsentscheidung und auch
nicht erst vor der Wahl.
({1})
Der zweite Punkt, auf den ich eingehen möchte, ist
folgender: Wenn ich Ihre Amtszeit und auch dieses Jahr
betrachte, dann habe ich das Gefühl, es gibt ein - ich formuliere es einmal positiv - etwas angestrengtes Verhältnis zum Parlament. Oft genug erleben wir, dass wir
Informationen nicht erhalten, sondern dass zunächst
einmal irgendwie die Presse informiert wird. Jetzt haben
wir wieder eine solche Situation. Im Zusammenhang mit
der Diskussion über ein neues Mandat zur Pirateriebekämpfung vor Somalia erfahren wir aus der Zeitung,
dass Sie offensichtlich 1 400 Soldaten dorthin schicken
wollen. In der Rede, die Sie hier gehalten haben, sind Sie
darauf nicht eingegangen.
Im Übrigen haben Sie im Rahmen der Haushaltsberatungen auch nicht die Frage beantwortet, wie dieser zusätzliche Einsatz denn finanziert werden soll. Hierzu
sage ich für meine Fraktion ganz deutlich: Wir sind nicht
bereit zu akzeptieren, dass das wieder alles aus dem Einzelplan 14 erwirtschaftet werden muss und damit zulasten von Ausbildung und Ausrüstung der Soldaten im
Einsatz geht. Das kann nicht sein, Herr Minister.
({2})
Wenn ich mir die Diskussion um die Piraterie vor
Somalia anschaue, dann frage ich mich, warum Sie eigentlich nicht handeln. Ich zitiere den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Kossendey, der in Focus-Online
gesagt hat:
Es geht darum, dass wir unsere Verpflichtungen, die
wir im Seerechts-Übereinkommen übernommen
haben, von denen machen lassen, die das auch können.
Er meinte damit die Bundeswehr. Die Bundeswehr, die
deutsche Marine, ist vor Ort, Herr Minister. Sie ist vor
Ort im Rahmen von OEF und der Standing NATO Maritime Group. Warum darf die deutsche Marine sich eigentlich nicht an dem beteiligen, was alle Partnernationen dort machen? Es gibt eine einfache Antwort: weil
Sie die Marine nicht lassen. Die rechtlichen Voraussetzungen für einen solchen Einsatz sind längst vorhanden.
Wir haben das Seerechts-Übereinkommen Mitte der
90er-Jahre ratifiziert. Das ist Bestandteil von Art. 25 des
Grundgesetzes, antwortet die Bundesregierung, also Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts und damit unmittelbar gültig. Ich sage Ihnen, Herr Minister: Es ist nicht
hinnehmbar, dass die Bundesregierung unsere Soldatinnen und Soldaten vor Ort im Hinblick auf die Kolleginnen und Kollegen aus anderen Nationen immer wieder in
schwierige Situationen bringt. Die Bundesregierung blamiert die Bundeswehr bis auf die Knochen. Wir fordern
Sie auf: Machen Sie endlich Schluss damit und geben
Sie den Soldatinnen und Soldaten vor Ort eine klare
Handlungslinie.
({3})
Herr Präsident, ich komme zum Schluss und fasse zusammen: Es gäbe zu diesem Etat noch viel zu sagen.
({4})
Bevor die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wieder fragt,
weil sie nicht auf die Abstimmung warten kann, sage
ich: Wir haben auch in diesem Jahr wieder die falsche
Schwerpunktsetzung im Etat moniert. Der Vorwurf der
falschen Schwerpunktsetzung gilt auch für die Politik
der letzten drei Jahre. Es waren drei verlorene Jahre.
({5})
Deswegen können Sie nicht davon ausgehen, dass wir
diesem Etat zustimmen.
({6})
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Merten von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben im Laufe dieser Debatte auch über die Rahmenbedingungen gesprochen, die sicherstellen, dass die Bundeswehr, die sich um die Besten bemühen muss, dies
auch tun kann.
Das personelle Eignungsprofil unserer Soldaten
wird künftig durch die Beherrschung militärischer Fähigkeiten, durch moralisch-ethische Integrität, geistige
Flexibilität und lebenslanges Lernen gekennzeichnet
sein. Sprachkenntnisse, interkulturelle und soziale Kompetenz, Innovationsfähigkeit, technisches Verständnis,
Leistungs- und Einsatzbereitschaft, psychische und physische Belastbarkeit sind dabei wichtige Voraussetzungen, die die Soldatinnen und Soldaten erfüllen müssen.
Dabei wissen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Der Geburtenrückgang wirkt sich mittlerweile deutlich
auf das Bewerberaufkommen für einen Dienst in den
Streitkräften aus. Im Ergebnis wird der demografische
Wandel fast unvermeidlich zu einer Umkehrung der
Wettbewerbsposition führen. Qualifizierte Arbeitskräfte
werden in wenigen Jahren ein knappes Gut sein. Deshalb
sind schon heute erhebliche Anstrengungen und neue
Konzepte erforderlich, um in Zukunft ausreichend qualifizierten Nachwuchs für die Streitkräfte zu gewinnen.
Zum Konzept der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Familie und Dienst ist schon einiges gesagt
worden. Deshalb will ich mich auf eine Bemerkung beschränken, die mir sehr wichtig erscheint. Ich glaube,
der Mentalitätswandel wird von allen - sicherlich auch
von den Soldatinnen und Soldaten - positiv vermerkt.
Wenn aber über diesen Mentalitätswandel hinaus etwas
erreicht werden soll, dann brauchen wir sicherlich auch
eine stärkere finanzielle Ausstattung als bisher.
Wir stehen aber nicht nur in den eben genannten Bereichen in der Nachwuchsgewinnung vor großen Herausforderungen, sondern das gilt auch für die zivilen
Beschäftigten der Bundeswehr. Die Zielstruktur sieht
bis 2010 75 000 Stellen vor. Momentan sind wir von
den 75 000 Stellen noch sehr weit entfernt.
Gleichzeitig ist schon heute ein Fehl von 600 Ingenieurinnen und Ingenieuren im Rüstungsbereich festzustellen. Deshalb müssen wir den Beschäftigten im zivilen Bereich der Bundeswehr mit klaren Strukturen und
Stellenplänen Verlässlichkeit und Planbarkeit bieten. Gerade den Nachwuchskräften aus dem Ingenieurbereich,
die überall begehrt sind, muss die Bundeswehr attraktive
Angebote machen.
({0})
Wir haben Anfang des Jahrzehnts ein Attraktivitätsprogramm mit der Neuordnung der Laufbahn, der Anhebung der Eingangsbesoldung und den zahlreichen Angeboten der zivilberuflichen Aus- und Weiterbildung
aufgelegt. Damit wurde ein wichtiger Eckpfeiler für die
Gewinnung junger bildungsorientierter und engagierter
Männer und Frauen für den freiwilligen Dienst in der
Bundeswehr geschaffen. Die Möglichkeit, zu Beginn der
Dienstzeit in der Bundeswehr eine Berufsausbildung zu
absolvieren, wird von sehr vielen jungen Menschen genutzt. So stehen seit einigen Jahren ständig circa
10 000 Soldatinnen und Soldaten in der beruflichen Ausbildung.
Jedes Jahr verlassen circa 25 000 ausgebildete Soldatinnen und Soldaten die Bundeswehr, häufig mit einer
während der Dienstzeit erworbenen Qualifikation auf
der Meisterebene. Deswegen glaube ich, dass die Fähigkeiten, die in der Bundeswehr erworben werden, auch
später für die Wirtschaft von unschätzbarem Wert sind.
Wenn wir eine ausreichende Zahl von Bewerbern für
den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr wollen, aus
der die Besten ausgewählt werden können, dann müssen
sich jedes Jahr circa 50 000 junge Menschen bewerben.
Angesichts der demografischen Entwicklung müssen wir
aus meiner Sicht aber schon heute darüber nachdenken,
wie wir diesen jährlichen Bedarf reduzieren können. Es
wird uns nichts anderes übrig bleiben.
Langfristige Planbarkeit und eine qualitativ hochwertige Berufsausbildung sind starke Argumente für eine
Karriere bei der Bundeswehr auf allen Laufbahnebenen.
Ein Weg, um dies zu realisieren, besteht zum Beispiel
darin, dass die Mannschaftsdienstgrade die Möglichkeit
erhalten, sich bis zu zwölf Jahre als Zeitsoldat zu verpflichten.
Der Bundestag hat im letzten Jahr aus dem Bericht
über den maroden Zustand der westdeutschen Kasernen Konsequenzen gezogen. Die Haushaltsmittel für
den Bauunterhalt und für Baumaßnahmen wurden deutlich erhöht. Darüber hinaus wurde ein Infrastruktur-SonUlrike Merten
derprogramm „Sanierung Kasernen West“ für die Sanierung und Modernisierung westdeutscher Kasernen
verabschiedet. Hierfür sind für den Zeitraum 2009 bis
2011 weitere 542 Millionen Euro eingeplant. Dabei wird
schrittweise ein neuer Unterbringungsstandard realisiert
- das wird höchste Zeit -, der den geänderten Anforderungen der Bundeswehr an eine zeitgemäße Unterbringung Rechnung trägt. Auch das gehört zur Attraktivität.
({1})
Darauf wurde bereits hingewiesen, aber ich möchte
das wiederholen: Es ist sehr bedauerlich, dass die Planungskapazitäten der Bau- und Liegenschaftsbetriebe
der Bundesländer in einigen Wehrbereichen nicht ausreichend sind, sodass die bereitgestellten Mittel für die Sanierung und Modernisierung 2008 nicht genutzt werden
konnten. Ich hebe das hervor, damit klar wird, dass das
Parlament seine Hausaufgaben gemacht hat. Weiterhin
dringlich bleibt, dass die Modellversuche zum Bau der
Pendlerappartements realisiert werden, um der großen
Zahl von Soldatinnen und Soldaten, die nicht mehr an den
neuen Standort umziehen - diese Zahl steigt ständig -,
eine angemessene Unterkunft zur Verfügung zu stellen.
Eine bedrohungsgerechte und moderne Ausrüstung
ist insbesondere für die Auslandseinsätze von großer
Bedeutung. Darüber haben wir nicht nur heute das eine
oder andere gehört. Mir haben die verantwortlichen
Kommandeure versichert, dass sie mit der Ausrüstung
im Einsatz sehr zufrieden sind. Wenn ein neuer Bedarf
auftritt, wird dieser im Rahmen des einsatzbedingten Sofortbedarfes - auch kurzfristig - gedeckt. Aufgrund des
erreichten hohen Ausstattungsgrades der Auslandskontingente haben sich die Ausgaben in Höhe von fast
400 Millionen Euro im Jahr 2003 auf 105 Millionen
Euro im letzten Jahr reduziert. An dieser Stelle darf man
zu Recht den Mitarbeitern des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung für ihre kompetente und
schnelle Arbeit bei der kurzfristigen Beschaffung für die
Auslandseinsätze danken. Allerdings sehe ich die Notwendigkeit, in Zukunft neben dem Ankauf auf dem
Markt verfügbarer Produkte langfristig stärker anforderungsgerechte Eigenentwicklungen in unsere Überlegungen wieder einzubeziehen. Auf einen dieser Aspekte hat
Kollege Kahrs - aus meiner Sicht zu Recht - hingewiesen.
Bei der Gewährleistung der Sicherheit unseres Landes sind wir darauf angewiesen, leistungsfähige Männer
und Frauen für den Dienst in der Bundeswehr zu gewinnen. Dazu gehört - machen wir uns nichts vor - auch
und in erster Linie eine auskömmliche Besoldung. In
den letzten Jahren haben wir mit mehreren gesetzlichen
Nachbesserungen die Voraussetzungen für die Steigerung der Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften
geschaffen; darauf wurde bereits mehrfach hingewiesen.
Wir sind im Rahmen des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes wichtige Schritte gegangen, um die drohende Abwanderung und Abwerbung qualifizierter Kräfte aus der
Bundeswehr zu verhindern. Wenn wir uns aber auch in
Zukunft um die Besten bemühen wollen, wird am Ende
ein Gesamtkonzept stehen müssen, um die Attraktivität
der Bundeswehr nachhaltig und langfristig zu steigern.
Gerade Fachärzte, erfahrene Piloten und IT-Personal
- um nur einige zu nennen - sind nicht auf die Arbeitsplätze in der Bundeswehr angewiesen, sondern könnten
auch draußen in der Wirtschaft attraktive Arbeitsplätze
finden. Deswegen sollten wir die Zeit nutzen, die wir haben. Ich glaube, alle haben die Notwendigkeit erkannt.
An einer Steigerung der Attraktivität müssen wir weiter
arbeiten. Wir dürfen nicht vergessen: Dies wird Geld
kosten. Ohne Geld in die Hand zu nehmen, wird es nicht
gelingen, ein Gesamtkonzept auf den Weg zu bringen.
Ich will mich an dieser Stelle sehr herzlich bei den
Soldaten, den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
sowie ihren Familien für den Dienst im Ausland bedanken.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Als letzter Redner zum Einzelplan 14 hat das Wort
der Kollege Hans Raidel von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lassen Sie mich nur einige ganz kurze Anmerkungen zu dem Haushalt machen.
Wir im Parlament tragen die Verantwortung für die
Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, und wir haben
gleichzeitig die Fürsorgepflicht. Daraus ergeben sich
drei Themenbereiche, auf die sich unsere besondere Verantwortung erstreckt. Erstens. Reichen die Mittel aus,
um Personal und Ausstattung weiterzuentwickeln?
Zweitens. Kann die Bundeswehr in den laufenden und
möglichen künftigen Einsätzen erfolgreich bestehen?
Drittens. Ist die Bundeswehr auch künftig attraktiv genug, um qualifiziertes Personal in ausreichender Zahl zu
gewinnen? Vor diesem Hintergrund muss jeder, der diesen Haushalt objektiv beurteilt, feststellen: Der Haushalt
entwickelt sich in die richtige Richtung. Wir können
viele Notwendigkeiten, die hier schon dargestellt worden
sind, zum Beispiel Lohn-, Gehalts- und Wehrsolderhöhungen, abdecken. Die Verteidigungsinvestitionen steigen um rund 620 Millionen Euro. Der Investitionsspielraum für die Einsatzfähigkeit, also die militärischen
Beschaffungen, erweitert sich um rund 600 Millionen
Euro.
Wir sind hier auf einem guten Wege, aber wir sind natürlich noch nicht am Ziel. Das weiß jeder, der sich mit
den Einzelheiten beschäftigt. Wir drücken alle die Daumen, dass die wirtschaftliche Entwicklung die Nachhaltigkeit, die im Wehretat gefordert werden muss, nicht
stört. Wir reden heute über den Haushalt 2009, aber wir
wissen nicht, wie die Entwicklung im nächsten Jahr sein
wird. Möglicherweise werden die wirtschaftlichen Verhältnisse andere Maßnahmen erfordern. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir die Nachhaltigkeit besonders
im Auge behalten und bei den Beschaffungen auch auf
die Modernisierung achten. Trotz aller positiven
Argumente stellen wir fest, dass viele Beschaffungen erst
bis zum Jahre 2015 oder zu einem noch späteren Zeitpunkt realisiert werden können. Das heißt, dass der Spielraum, den wir im Haushalt haben, nach wie vor eng ist.
Gleichwohl plädiere ich sehr dafür, dass wir uns der
Verantwortung stellen. Das heißt in erster Linie: Wir
stimmen diesem Haushalt zu; denn ohne diese Grundlage sind alle anderen Vorstellungen nur schöne Reden.
Wer sich der Zustimmung zum Haushalt entzieht, kann
zwar über die Verantwortung für die Bundeswehr reden,
er zeigt aber, dass er nicht willens und bereit ist, sie zu
tragen. Wir stellen uns dieser Verantwortung und stimmen diesem Haushalt zu.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung - in der
Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag
auf Drucksache 16/11054? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der
Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschussfassung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 14 ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.11 auf:
Einzelplan 23
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
- Drucksachen 16/10419, 16/10423 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen Borchert
Iris Hoffmann ({0})
Jürgen Koppelin
Alexander Bonde
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann können wir so
verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Hellmut Königshaus für die FDPFraktion das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser
Haushaltsentwurf sieht einen deutlichen Aufwuchs vor.
Darüber freuen wir uns, wenngleich sich dieser Aufwuchs in verschiedenen Einzelplänen wiederfindet: in
dem des Auswärtigen Amtes, in dem des BMU, in dem
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung usw.
Die zunehmende Zersplitterung im Entwicklungsbereich ist aber zugleich beängstigend. Ich glaube, das ist
eines der Hauptprobleme dieses Haushalts.
Generell sind bei dieser Koalition - das kann man
hier sagen - Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit im
Moment nicht mehr eindeutig zu erkennen. In diesem
Punkt ist Herr Gabriel mit seinem Einzelplan 16 deutlich
ehrlicher. Er sagt nämlich: „… enthält Elemente der Außenwirtschaftsförderung“, obwohl er eigentlich nur Umweltpolitik betreiben will. Aber bei allen Ansätzen, die
etwas mit dem Thema Entwicklung zu tun haben, ist die
von mir angesprochene Zersplitterung feststellbar.
Ärgerlich ist auch: Immer mehr Mitglieder der Bundesregierung drängen in die Bereiche anderer Ressorts,
auch und gerade in dieses. Ich weiß nicht, ob das gewollt
ist. Ich weiß nicht, ob die Ministerin das sogar befürwortet. Auf jeden Fall verstärkt dies ein Problem, über das
die OECD immer wieder geklagt hat, nämlich die Zersplitterung: Herr Gabriel redet zwar weltweit von Klimapolitik, macht aber in weiten Bereichen Entwicklungspolitik. Ähnlich agieren Frau Schavan wegen der
Forschung und Herr Glos wegen der Wirtschaftsförderung usw. Alles wird als ODA-anrechenbare Entwicklungsmaßnahme getarnt.
Dieses Durcheinander setzt sich natürlich in den Institutionen fort. Ich will jetzt gar nicht von den Durchführungsorganisationen reden. Frau Ministerin, vielleicht
sagen Sie nachher einmal etwas dazu, ob diesbezüglich
noch vor Ende der Legislaturperiode etwas geschieht.
Dieses Durcheinander findet auch in den Ministerien
selbst statt. Die Ministerin - Sie, Frau Wieczorek-Zeul richtet praktisch ein Neben-Auswärtiges-Amt ein. Herr
Steinmeier richtet im Auswärtigen Amt ein NebenKanzleramt ein, und die Kanzlerin richtet im Kanzleramt
ein Über-Auswärtiges-Amt und ein „Über-Ministerium
für alles“ ein. All diese Institutionen, all diese Ministerien machen große Versprechungen und lassen sich anschließend weltweit gegeneinander ausspielen. Das können wir überall beobachten. Ich glaube nicht, dass das
Deutschland und der deutschen Politik guttut. Ich glaube,
das müssen wir beenden.
({0})
Wenn wir über den Einzelplan 23 reden, dann reden
wir eben nur über ein Stück der Wahrheit. Dabei müssen
wir aber eines sehen: In schwierigen Zeiten - es sind
schwierige Zeiten - müssen wir natürlich genauer hinsehen, wofür das Geld des Steuerzahlers ausgegeben werden soll. Da muss ich schon die Frage stellen: Was passiert eigentlich mit Ländern, mit Partnern, die erkennbar
unfreundlich, also gegen Deutschland, handeln?
Was soll im Falle Ruanda geschehen? Ich habe selbst
gesagt: Ruanda ist von seinen Institutionen her und von
der Art, wie die Administration dort aufgebaut wurde,
eigentlich ein gutes Beispiel. Zu diesem Land sage selbst
ich: Da kann man auch mit Budgethilfe herangehen.
Aber was machen wir mit einem solchen Land, wenn es
unseren Botschafter hinauswirft? Was machen wir mit
einem solchen Land, wenn es ganz offensichtlich auf
verschiedenen Ebenen an den Massakern mitwirkt, die
jetzt schon wieder im Kongo ausbrechen? Warum bekommen wir darauf keine Antwort?
Was ist mit dem Kosovo, wo wir mit unseren Institutionen ausgespielt werden? Auch dorthin fließen 23 Millionen Euro. Wollen wir da einfach weitermachen? Wie
soll das aussehen? Wir müssen uns tatsächlich Gedanken
darüber machen, wie wir mit so etwas umgehen. Das
hatten wir vorher noch nicht. Vielleicht hören wir dazu
etwas.
Immerhin hat sich seit der ersten Lesung in einem
sehr viel bewegt: Das ist der Bereich China. Frau Ministerin, die Bundesregierung hat unserem starken Drängen
auf Einschränkung bzw. Einstellung der Finanzhilfen für
China nachgegeben. Das ist doch ein Erfolg.
({1})
Aber es wird Sie nicht wundern, dass wir das nicht als
Endpunkt sehen. Es gibt noch andere Länder, zum Beispiel Indonesien, Indien, Brasilien und Mexiko, die inzwischen eine relative wirtschaftliche Stärke erreicht haben, sodass sie mittlerweile am G-20-Gipfel teilnehmen
und dort unentbehrlich sind. Wir können doch nicht so
tun, als wäre dort nichts passiert. Diesen Ländern haben
wir in diesem Haushalt 260 Millionen Euro zugesagt.
Wir müssen uns noch einmal darüber unterhalten, ob das
so bleiben kann, ob die klassische Nehmerposition beibehalten werden soll oder ob wir diese Länder nicht lieber an die Hand nehmen sollten, um mit ihnen gemeinsam zu marschieren. Zum Beispiel kann und soll es in
Teilbereichen ganz konkret passieren, dass wir mit Indien in Afrika aktiv werden, sodass dort deren Erfahrungen, gekoppelt mit unserem Geld, zur Geltung kommen.
Was wollen wir bei den Ländern machen, die sich
Dinge leisten, die wir uns selbst nicht leisten können,
aber bei uns am Finanztropf hängen? Wie mein Kollege
Markus Löning schon vor einigen Jahren gesagt hat - das
gilt heute immer noch -: Es kann doch nicht sein, dass
ein Land aufrüstet und Taikonauten in den Weltraum
schickt, die Armutsbekämpfung im Land aber uns überlässt. Das werden wir unseren Steuerzahlern auf Dauer
nicht erklären können.
({2})
Das Geld fehlt dann an anderer Stelle. Das Thema
Afghanistan ist schon angesprochen worden. Immerhin
hat die Einstellung der Finanzhilfe für China unter dem
Strich ganz offenkundig zumindest dazu geführt, dass
Spielräume entstanden. - Ich sehe das Signal, Frau Präsidentin; ich komme gleich zum Schluss. - Dass das
Geld, welches dort eingespart wird, in Afghanistan zusätzlich verwendet werden kann, begrüßen wir natürlich
sehr.
Es bleiben Probleme. Die Budgethilfe - ich habe es
eben angesprochen - ist und bleibt ein Problem. Noch
ein anderes Problem muss bewältigt werden. Es kann
nicht mehr hingenommen werden, dass die Europäische
Union beim Europäischen Entwicklungsfonds immer
mehr aufstockt. Allein für das nächste Jahr sind es rechnerisch über 800 Millionen Euro. Es kann nicht sein,
dass das ohne parlamentarische Kontrolle geschieht. Wir
verlangen eine endgültige Änderung. Das ist ein Grund
dafür, dass wir Sie auffordern - Sie alle, meine Damen
und Herren -, insoweit eine konsequente und harte Haltung gegenüber der Kommission einzunehmen.
({3})
Die Entwicklung beim Haushalt geht in die falsche
Richtung. Es soll wieder mehr Geld für falsche Entwicklungspolitik gegeben werden. Deshalb werden wir den
Haushalt ablehnen.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für die
Aufmerksamkeit und Ihnen, Frau Präsidentin, für Ihre
Geduld.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Iris Hoffmann für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Auch dieses Jahr
konnten wir die Beratungen über den Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung mit einem sehr guten Ergebnis abschließen.
Die Mittel für den Einzelplan wachsen gegenüber dem
Vorjahr wiederum deutlich an und werden in 2009 auf
über 5,8 Milliarden Euro steigen.
Damit verstetigen sich der positive Trend und die dynamische Entwicklung der Mittel für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Seit 2005 ist es uns gelungen, die Mittel um nahezu 50 Prozent zu steigern. Das
sind fast 2 Milliarden Euro mehr als im Jahr 2005. Gerade im Vergleich zur Entwicklung des Gesamthaushalts
unterstreichen diese Zahlen, dass wir den Koalitionsvertrag ganz konsequent umsetzen und die Entwicklungszusammenarbeit in dieser Legislaturperiode zu einem der
zentralen Politikfelder der Großen Koalition gemacht
haben.
Mit den zusätzlichen Mitteln werden im multilateralen Bereich insbesondere die Beiträge zur Weltbank - sie
erhält gegenüber dem Vorjahr fast 30 Prozent mehr - und
zum Afrikanischen Entwicklungsfonds erhöht. Gleichzeitig werden durch entsprechende Verpflichtungsermächtigungen die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass in
2009 weitere signifikante Neuzusagen für den multilateralen Bereich gemacht werden können, unter anderem für
die Klimainvestitionsfonds unter dem Dach der Weltbank,
({0})
Iris Hoffmann ({1})
den Asiatischen Entwicklungsfonds und den Internationalen Fonds für Landwirtschaftliche Entwicklung.
Wir weiten aber auch den Spielraum der staatlichen
bilateralen Entwicklungszusammenarbeit deutlich aus.
Allein die Finanzielle Zusammenarbeit wird im kommenden Jahr fast 230 Millionen Euro mehr Barmittel zur
Verfügung haben. Die Verpflichtungsermächtigungen
werden sogar um gut 300 Millionen Euro erhöht. Damit
wurden seit 2005 sowohl die Barmittel als auch die Verpflichtungsermächtigungen der Finanziellen Zusammenarbeit um mehr als 80 Prozent gesteigert.
Zudem sind im parlamentarischen Verfahren die Rahmenbedingungen für die Finanzielle Zusammenarbeit erleichtert worden. Die Haushaltsvermerke und Erläuterungen wurden so angepasst, dass zukünftig unter
bestimmten Voraussetzungen auf den Abschluss völkerrechtlicher Verträge verzichtet werden kann.
Diese Maßnahmen ermöglichen es, die Initiativen des
G-8-Gipfels in Heiligendamm inhaltlich und finanziell
auf breiter Grundlage fortzusetzen. Mit ihnen werden
vor allem die innovativen Instrumente der finanziellen
Zusammenarbeit wie Zinssubventionen, Programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierung oder auch länderübergreifende Vorhaben gestärkt.
Insbesondere die länderübergreifenden Ansätze wie
beispielsweise der regionale Mikrofinanzfonds für
Afrika werden zukünftig im Rahmen der Umsetzung der
Paris-Deklaration eine noch größere Bedeutung erfahren. Da sich diese Instrumente von der sogenannten klassischen bilateralen Finanziellen Zusammenarbeit unterscheiden, ist für sie im Haushalt 2009 ein neuer, ein
eigener Titel ausgebracht worden.
Sehr geehrte Damen und Herren, gerade angesichts
der zunehmenden Programmorientierung in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit ist auch ein Ausbau der Technischen Zusammenarbeit absolut unabdingbar. Nur durch den Aufbau von Kapazitäten in den
Partnerländern lassen sich beispielsweise Budgethilfen
vernünftig vorbereiten, begleiten und nachhaltig in Wert
setzen. Getreu dem Motto: „Man kann nicht das eine
wollen, ohne das andere zu tun“, wurde deshalb in den
parlamentarischen Beratungen der Titel „Technische Zusammenarbeit“ gegenüber dem Regierungsentwurf verstärkt. Der Barmittelaufwuchs erreicht mit knapp 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr zwar bei weitem nicht die
Steigerungsraten der Titel der Finanziellen Zusammenarbeit oder der Weltbank, aber ich denke, mit den nun
zur Verfügung stehenden Geldern und den erhöhten Verpflichtungsermächtigungen lässt sich vernünftig umgehen und arbeiten.
Wie in den vergangenen Jahren war es auch bei den
diesjährigen Haushaltsberatungen unser Anliegen, dass
die kleineren Programme und die zivilgesellschaftliche
Entwicklungszusammenarbeit angemessen an der positiven Entwicklung des Einzelplanes partizipieren. Es wurden unter anderem die Mittel für die entwicklungspolitische Bildung, die Förderung der Sozialstruktur, die
politischen Stiftungen, die Entwicklungspartnerschaften
mit der Wirtschaft und die kirchliche Entwicklungszusammenarbeit verstärkt.
({2})
Zwei Beispiele für die gute und wichtige Arbeit dieser Organisationen und Institutionen möchte ich heute
herausgreifen. Zunächst zum DGB Bildungswerk.
Wenn Sie sich den Haushalt des Einzelplans anschauen,
liebe Kolleginnen und Kollegen, werden Sie feststellen,
dass das DGB Bildungswerk namentlich nicht erwähnt
wird. Es ist einer der Träger des Titels „Förderung der
Sozialstruktur“. Dennoch ist die Arbeit des Bildungswerkes wichtig für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere mit seiner Konzentration auf
Projekte zur Durchsetzung von Kernarbeitsnormen, Arbeitnehmerrechten und internationalen Standards im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Es ist deshalb ein Erfolg,
dass maßgeblich auf Bestreben des Parlaments - das
sollte hier angemerkt werden - der Baransatz für das
DGB Bildungswerk seit 2005 weit mehr als verdoppelt
werden konnte.
({3})
Für 2009 werden die Mittel für das Bildungswerk auf
2,6 Millionen Euro angehoben. In dieser Richtung sollte
es in den kommenden Jahren weitergehen.
Als zweites Beispiel möchte ich kurz den Zivilen
Friedensdienst ansprechen. Der Zivile Friedensdienst
hat sich als ein wichtiges Instrument der Bundesregierung zur zivilen Krisenprävention in Ländern wie dem
Sudan, Afghanistan oder Nepal bewährt. Die durch ihn
entsandten Friedensfachkräfte vermitteln bei Konflikten
und leisten einen ungemein wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau und zur Versöhnung. Folgerichtig wird der Zivile Friedensdienst nun ausgebaut, sein Profil geschärft
und seine Wirksamkeit noch weiter verbessert. Das spiegelt sich auch in der Mittelausstattung wider. Für 2009
wird der Baransatz um 60 Prozent erhöht.
({4})
Abschließend möchte ich noch auf ein Instrument unserer Entwicklungszusammenarbeit zu sprechen kommen, das mir persönlich sehr am Herzen liegt: den entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts“.
Durch „weltwärts“ bietet sich uns die große Chance,
junge Menschen für die Notwendigkeit von Entwicklungszusammenarbeit zu sensibilisieren. „weltwärts“ ermöglicht es, Begriffe wie internationales Engagement,
Solidarität oder die Idee von der Einen Welt persönlich
zu erfahren und bewusst zu leben. Diese Erfahrungen,
die die Jugendlichen durch ihren Einsatz in einem unserer Partnerländer machen, können in ihrer Bedeutung für
die Akzeptanz von Entwicklungszusammenarbeit bei
uns in Deutschland nicht hoch genug eingeschätzt werden.
({5})
Es freut mich deshalb sehr, dass „weltwärts“ sowohl
von den Freiwilligen als auch von den Entsendeorganisationen sehr gut angenommen wird und sich im ersten
Iris Hoffmann ({6})
Jahr seines Bestehens absolut positiv entwickelt hat. Die
Bilanz nach acht Monaten kann sich sehen lassen: Bereits
mehr als 200 Organisationen haben einen Antrag auf Anerkennung als Entsendeorganisation gestellt, 164 wurden
schon zugelassen. Knapp 2 500 der 3 000 eingereichten
Anträge auf Einsatzplätze wurden anerkannt. Mehr als
10 000 junge Leute haben sich für einen Einsatz beworben, über 1 500 sind ausgereist. Die ersten Teilnehmer
sind bereits zurückgekehrt. - Ich kann die Lektüre der
Erfahrungsberichte auf der Homepage von „weltwärts“
eigentlich nur jedem wärmstens empfehlen und nahelegen.
Der Freiwilligendienst ist also auf einem guten Weg
und wird planmäßig weiter ausgebaut. Die Barmittelansätze für das kommende Jahr wollen wir dementsprechend um 20 Prozent anheben.
({7})
Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen: Für das
Jahr 2009 ist der Entwicklungshaushalt gut aufgestellt.
Aber es ist ganz klar, dass wir uns auf diesen Erfolgen
nicht ausruhen dürfen und werden, sondern dass wir gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen müssen, damit diese Entwicklung in den kommenden Jahren unter
den erschwerten gesamtwirtschaftlichen Bedingungen
fortgesetzt werden kann. Ich bin davon überzeugt, dass
wir nicht nur im Interesse unserer Partnerländer, sondern
auch in unserem eigenen Interesse alles daransetzen
müssen, die Entwicklungszusammenarbeit weiter voranzubringen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Hüseyin Aydin für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Der Etat des Entwicklungsministeriums soll im
Jahr 2009 gegenüber dem letzten Jahr um 12 Prozent
steigen. Allerdings bleibt es bei einer ODA-Quote von
0,37 Prozent. Damit wird nicht, wie von Frau Merkel in
Heiligendamm vollmundig versprochen, die Anhebung
der Entwicklungshilfe bis zum Jahre 2010 auf 0,51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erfolgen. Das wurde verkündet, aber nicht eingehalten. Das zeigt, wie wichtig
bzw. - genau genommen - unwichtig Ihnen die Entwicklungshilfe ist.
({0})
Sie könnten, wenn Sie wollten. Das zeigt die Höhe
der Bürgschaften zur Rettung der Banken. Derzeit hungern 932 Millionen Menschen auf der Welt. 23 Milliarden Euro pro Jahr wären nötig, um dieses Problem zu lösen, sagte Jacques Diouf, der Generaldirektor der UNOrganisation für Ernährung und Landwirtschaft. Das
Rettungspaket der Regierungen Deutschlands, Englands
und Frankreichs hat ein Volumen von 1 330 Milliarden
Euro. 1,7 Prozent des Aufkommens aus dem Rettungspaket dieser drei Länder würden ausreichen, um den
Hunger in der Welt zu beseitigen. Anders ausgedrückt:
Mit der Bürgschaft für die Banken, die Milliarden Euro
verzockt haben, könnten 57 Jahre lang der Hunger beseitigt, eine Grundbildung für alle gesichert und die sozialen Sicherungssysteme aufgebaut werden.
Südlich der Sahara sterben jeden Tag 14 000 Kinder
an Unterernährung und Durchfall. Das sagt der aktuelle
UNICEF-Bericht. Wer soll der Bundesregierung eigentlich noch glauben, dass Armutsminderung und Erreichung der Millenniumsziele eine Priorität der deutschen
Außenpolitik sind? Aber: Dafür steigen die Ausgaben
für militärische Auslandseinsätze. Allein für die ISAF
hat der Steuerzahler bis heute 2,7 Milliarden Euro ausgegeben. Mit der Erhöhung des deutschen Kontingents von
3 500 auf 4 500 Soldaten werden die Kosten in den kommenden Jahren noch einmal deutlich steigen. Aber für
die Entwicklungspolitik und den zivilen Aufbau hat die
Regierung im Jahr 2008 nur 170 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. In diesem Winter werden wieder 70 Prozent der afghanischen Bevölkerung hungern. „Wo Hunger herrscht, kann Friede nicht Bestand haben“, sagte
Willy Brandt bereits im Jahre 1980. Solange in Afghanistan Krieg herrscht, wird es keine dauerhafte stabile
Entwicklung und damit auch keine Befriedung der Menschen geben.
Nach wie vor lebt die sogenannte Erste Welt auf Kosten der Entwicklungsländer.
({1})
Dort haben sich zu Beginn des Jahres 2008 die Preise für
die lebensnotwendigen Grundnahrungsmittel wie Reis
und Mais in nur drei Monaten bis zum Vierfachen erhöht. Am 9. November 2006 - relativ zu Beginn der
Großen Koalition - sagte die Ministerin:
Wir wollen Lösungen mit dem Markt, nicht gegen
den Markt, mit den Menschen in den betroffenen
Ländern, nicht gegen diese Menschen.
Die Menschen in den ärmsten afrikanischen Ländern
können Ihnen kein Wort glauben, Frau Ministerin. Sie
sehen, dass das Elend zu- statt abnimmt, und das ist
skandalös.
Die Ursachen der Ernährungskrise sind schon lange
bekannt. Sie ist auf jahrelang versäumte Agrar- und
Handelspolitik zurückzuführen. Mit den Abschlüssen
der EPAs sind Afrikas lokale Märkte weiter bedroht. Die
Industriestaaten subventionieren ihre Landwirtschaft mit
jährlich rund 268 Milliarden Euro; das ist rund viermal
so viel, wie sie für Entwicklungshilfe ausgeben. Für ein
europäisches Rind werden 2,50 Euro pro Tag an Subventionen ausgegeben. Das tägliche Einkommen der meisten afrikanischen Männer und Frauen liegt unter 1 Euro.
Lokales Geflügel ist in Kamerun fast 1 Euro teurer als
das europäische Dumpinghuhn. Weil Europäer nur
Hähnchenbrust kaufen, werden die Überreste an afrikanische Importeure verscherbelt. Die Subsahara-Länder
werden mit französischem Billiggeflügel zugeschüttet,
sodass die eigene Geflügelproduktion nicht mithalten
kann. Dadurch sind allein im Jahr 2004 120 000 Jobs
verloren gegangen.
Die neoliberale Politik von Rot-Grün, aber auch von
Schwarz-Rot hat die risikoreichen Hedgefonds immer
noch nicht verboten. Als eine der ersten parlamentarischen Initiativen im November 2005 hat die Linke den
Antrag gestellt, die Hedgefondszulassung zurückzunehmen. Die Koalitionsparteien lehnten den Antrag mit dem
Hinweis ab, bei richtiger Regulierung könnten diese
Fonds die Finanzmärkte stabilisieren. Das war eine folgenschwere Fehleinschätzung, wie sich heute zeigt. Die
Rede der FDP von den „positiven Effekten“ der Hedgefonds wirkt heute zynisch und realitätsfern. Sehen Sie
sich die Nahrungsmittelpreise an, die Millionen von
Menschen in den Hunger getrieben haben!
Die Länder des Südens verlieren nach groben Schätzungen pro Jahr mindestens 383 Milliarden Euro durch
Kapitalflucht und Steueroasen. Das ist ein Vielfaches
der Entwicklungshilfe der OECD-Staaten im Jahr 2007.
Auch die Asiatische Entwicklungsbank beteiligt sich an
mehr als 40 Private-Equity-Fonds, zum Teil mit Sitz auf
den Cayman-Inseln. Dies geschieht mit deutscher Beteiligung. Im Mai dieses Jahres forderte die Linke einen sofortigen Stopp der Beteiligung von ADB-Geldern an
Offshorefonds. Wir fordern: Alle intransparenten Fonds
auf den Cayman-Inseln müssen sofort geschlossen werden.
({2})
Die Kontrolle des Finanzmarktes ist das A und O.
„Deutschland als verantwortungsbewusster Partner in
Europa und der Welt“, so steht es im Koalitionsvertrag
der Bundesregierung, und die hat hier aus meiner Sicht
versagt. Die Realität zeigt ein klares Bild.
In unseren Haushaltsanträgen fordern wir eine nachhaltige Veränderung der Prioritäten der Entwicklungspolitik:
Erstens. Die bilaterale Finanzielle Zusammenarbeit
soll mit mindestens 30 Prozent für soziale Sicherungssysteme, für eine Stärkung der Geschlechtergerechtigkeit und für die Grundbildung der Partnerstaaten gebunden werden. Die Sicherstellung einer obligatorischen,
gebührenfreien und qualitativ guten Grundbildung für
alle Kinder bis 2015 ist ein weiteres erklärtes Millenniumsziel und damit auch Ihr Ziel. Fakt ist jedoch: Der
deutsche Beitrag zur Grundbildung stagniert bei
120 Millionen Euro. All dies haben wir übrigens auch in
unserem Antrag „Entwicklung braucht Bildung - Den
deutschen Beitrag erhöhen“ deutlich dargelegt.
Zweitens. Die Mittel für die bilaterale Technische
Zusammenarbeit sollen zu mindestens 30 Prozent für
ländliche Entwicklung gebunden werden. Die Nahrungsmittelkrise der letzten Monate hat gezeigt, wie notwendig eine radikale Wende in der Agrarpolitik ist. Im Mittelpunkt müssen Kleinbauern und Kleinbäuerinnen und
angepasste Technologien stehen.
Drittens fordern wir mehr finanzielle Mittel für die
Agrarforschung. Insbesondere Forschungen für angepasste Technologien und der Einsatz erneuerbarer Energien in der Landwirtschaft sind notwendig. Auch die
Förderung der Nutzung von indigenem Wissen ist entscheidend. Daher fordern wir die Aufstockung der internationalen Agrarforschung auf 25 Millionen Euro. Dabei
sollen mindestens 50 Prozent der Mittel für die Unterstützung der Agrarforschung in afrikanischen Staaten
gebunden werden.
Die Linke will die lokalen Märkte vor allem in den
afrikanischen Ländern stärken und die Ernährungssouveränität sicherstellen. Die ODA-Quote muss langfristig
real steigen; das ist unbestritten.
Die Linke hat Vorschläge für alternative Finanzquellen wie Flugticketsteuer und internationale Devisensteuer gemacht, um zusätzliche Mittel für Entwicklungsprojekte zur Verfügung stellen zu können. Die FDP
lehnte unseren Antrag auf eine Flugticketsteuer 2006 mit
dem Hinweis auf „einen Mangel an sinnvollen Projekten“ ab. Behaupten Sie das heute immer noch angesichts
der katastrophalen Ernährungssituation in der Welt? Die
SPD wollte im Jahr 2007 eine Erhöhung der ODA-Quote
auch ohne zusätzliche Finanzmittel erreichen. Auch das
hat wohl nicht funktioniert, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Die CDU/CSU wiederum konstatierte, die Flugticketsteuer in Frankreich gehe nicht weit
genug und sei daher auf Deutschland nicht anwendbar.
Ein weiter gehender Vorschlag der CDU/CSU liegt heute
immer noch nicht vor.
Wenn Sie zukunftsfähiges Denken bewiesen hätten,
wäre die Situation heute weniger fatal - für die Menschen hier und in den armen Ländern. Entwicklungspolitik ist für die Linke Friedenspolitik, die sich auf Konfliktprävention, die Achtung des Völkerrechts und die
Einhaltung der Menschenrechte stützt.
In einem Punkt möchte ich der Ministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul beipflichten. Sie hat in einem Interview
mit der taz im Jahr 2005 gesagt:
Aber die Strukturen des Welthandels machen die
Bemühungen oft zunichte. Man muss zum Beispiel
endlich den Agrarexportsubventionen ein Ende machen. Da hat sich die CDU/CSU immer gedrückt.
Die SPD leider auch, Frau Ministerin.
({3})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Jochen Borchert das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zum Abschluss der Haushaltsberatungen 2009 möchte
ich mich sehr herzlich bei meiner Kollegin und Mitberichterstatterin Iris Hoffmann bedanken. Unsere Zusammenarbeit in den letzten vier Haushaltsberatungen war
immer sehr offen und konstruktiv. Liebe Iris, herzlichen
Dank für die gute Zusammenarbeit.
Genauso will ich mich aber auch bei den Kollegen der
anderen Fraktionen bedanken. Ich denke, die diesjährigen Beratungen haben wieder gezeigt, dass die Kollegen
im Haushaltsausschuss über die Fraktionsgrenzen hinweg ein großes Interesse an der Entwicklungszusammenarbeit haben und sich engagiert dafür einsetzen.
({0})
Für diese gute und erfolgreiche Arbeit möchte ich mich
bei allen sehr herzlich bedanken.
Unser Dank gilt aber auch Ihnen, Frau Ministerin,
und Ihrem Hause. Auf unsere vielfältigen Fragen haben
wir immer ausführliche und offene Informationen bekommen. Das machte uns die Arbeit leichter, Ihre gelegentlich schwerer. Vor allem machte es Ihnen und Ihrem
Haus mehr Arbeit. Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit. Der Ministerin gilt aber auch Dank dafür,
dass sie sich so engagiert für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einsetzt, und das auch, wenn
es um die hart umkämpften Haushaltsmittel geht.
Unterstützt durch unsere Bundeskanzlerin, der die
Entwicklungszusammenarbeit am Herzen liegt, ist der
Etat des BMZ während der Großen Koalition um gut
50 Prozent gestiegen. Das sind rund 2 Milliarden Euro
mehr als im letzten Etat der rot-grünen Regierung. Ich
erspare es mir, jetzt auf die Argumente der Linken einzugehen. Ich denke, das lohnt nicht.
({1})
Einschließlich der Mittel in anderen Etats stehen der
Bundesregierung insgesamt fast 2,6 Milliarden Euro
mehr für die Entwicklungspolitik zur Verfügung als noch
im Jahr 2005.
({2})
Ich denke, das ist überaus erfreulich, stellt uns aber auch
vor einige Herausforderungen. Denn die zusätzlichen
ODA-Mittel sind nicht nur im Einzelplan 23 veranschlagt. Auch im Etat des BMU und des Auswärtigen
Amtes sind die ODA-Mittel stark angewachsen. Auch
im Forschungsministerium sind Mittel für die wirtschaftliche Zusammenarbeit etatisiert.
Diese Diversifizierung darf nicht zu einer Zersplitterung der EZ führen. Wer mit ODA-Mitteln arbeitet,
muss die entwicklungspolitische Ausrichtung gewährleisten. Das bedeutet, es muss einheitliche Verfahren und
Richtlinien für den Einsatz dieser Mittel geben. Es kann
nicht sein, dass innerhalb der Bundesregierung unterschiedliche Regeln für den Umgang mit ODA-Mitteln
herrschen. Das würde der Entwicklungszusammenarbeit
und unserem internationalen Ansehen schaden. Ich
denke, nie war Kohärenz in der Entwicklungspolitik der
Bundesregierung so wichtig wie heute; denn Entwicklungspolitik ist eine echte Querschnittsmaterie und ein
wichtiger Baustein unserer internationalen Politik, unserer globalen Strukturpolitik. Die Beratungen im Haushaltsausschuss haben auch gezeigt, Herr Kollege
Königshaus, dass die Bundesregierung dies erkannt hat
und dass sie mit der Abstimmung zwischen den Ministerien eine kohärente Politik sicherstellen wird.
({3})
Da greife ich gerne Ihre Kritik auf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf zwei Themenschwerpunkte möchte ich eingehen: Afrika und die ländliche Entwicklung.
Nicht erst seit dem G-8-Gipfel in Heiligendamm steht
Afrika im Fokus der Entwicklungszusammenarbeit.
Auch hier gab es ein klares Bekenntnis der Kanzlerin
und der Ministerin, die Hilfe für Afrika massiv aufzustocken. Dies geschieht völlig zu Recht, sind doch die
Probleme auf dem afrikanischen Kontinent am schwierigsten. Aber man darf dabei die anderen Regionen nicht
vernachlässigen, vor allem die Länder, die auf einem erfolgreichen Entwicklungspfad sind. Gerade diese Länder
brauchen unsere Unterstützung jetzt am nötigsten, um
möglichst schnell völlig unabhängig von unserer Hilfe
zu werden. Dies muss doch das eigentliche Ziel unserer
Arbeit sein.
({4})
Auch die Schwellenländer brauchen da unsere Unterstützung, natürlich eine angepasste Hilfe. Es kann nicht
die gleiche Unterstützung sein.
({5})
Da geht Ihre Kritik ins Leere. Natürlich ist die Unterstützung in den Schwellenländern der Situation angepasst.
Mit genau angepassten Maßnahmen wollen wir ihnen
helfen, den Weg weiterzugehen und am Ende völlig unabhängig von unserer Hilfe zu werden.
({6})
Auch wenn Afrika im Fokus steht, leben - dies dürfen
wir nicht vergessen - zwei Drittel aller absolut Armen
auf dem asiatischen Kontinent. Dies gerät leicht aus dem
Blickfeld, wenn nur das Wachstum und die technologische Entwicklung in einigen asiatischen Ländern die Debatte bestimmen.
Lassen Sie mich zu Afrika zurückkommen, vor allen
Dingen zu Afrika südlich der Sahara. Staatskrisen, bewaffnete Konflikte, Naturkatastrophen, HIV/Aids, Verschuldung, Kapitalflucht, unausgewogene Regelungen
des Welthandels, dies sind nur einige Aspekte, die die
Entwicklung der Gesellschaften und der Wirtschaft in
diesen Ländern hemmen. Die momentane Antwort der
Gebergemeinschaft darauf ist: mehr Geld. Darüber
lässt sich trefflich streiten. Es gibt auch Fachleute und
Betroffene, die der Meinung sind: Afrika braucht nicht
mehr Geld, sondern mehr Bildung, mehr Wissen, mehr
Beratung.
({7})
Worüber man aber trefflich streiten kann, ist die
Frage, wie die Partnerländer das Geld bekommen sollen.
({8})
Im Mittelpunkt dieser Diskussion steht vor allen Dingen
die Budgethilfe. Sie wissen, dass es über Fraktionsgrenzen hinweg Befürworter und Kritiker dieses entwicklungspolitischen Instrumentes gibt. Beide Seiten haben
gute Gründe. Je nachdem, wie die Situation und die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie, der
Rechtsstaatlichkeit, der Haushaltskontrolle, der Schattenhaushalte, der Korruption und weiterer Kriterien, die
wir unter Good Governance zusammenfassen, beurteilt
werden, kommt man zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Das BMZ hat Good-Governance-Kriterien für die
Vergabe der Budgethilfe entwickelt. Wir unterstützen
dieses Vorgehen, und wir erwarten, dass diese Kriterien
strikt eingehalten werden, auch dann, wenn es manchmal
unbequem wird.
({9})
Es geht dabei nicht darum, dass wir unsere Hilfe für
diese Länder kürzen wollen. Die Entscheidung dreht
sich einzig und allein um die Wahl des Instrumentes. Wir
müssen die Situation vor Ort sehr genau überprüfen, um
herauszufinden, welches das richtige Instrument ist.
Grundsätzlich bin ich der Meinung: Solange wir noch
keine belastbaren Ergebnisse über die Budgetfinanzierung haben, sollten sich sowohl die Exekutive als auch
das Parlament die Mühe machen, jeden Einzelfall zu betrachten und dann zu entscheiden.
({10})
Lassen Sie mich bei der Wahl der Instrumente noch
auf einen anderen Aspekt hinweisen, der bei den diesjährigen Haushaltsberatungen wieder ein Thema war: die
Aufteilung zwischen multilateraler und bilateraler Hilfe.
Ich halte unsere Arbeit bei den wichtigen multilateralen
Organisationen für wichtig. Ich halte es aber für genauso
wichtig, unsere bilaterale staatliche Hilfe und die Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Gruppen zu stärken. Wir haben in den vergangenen Jahren in diesem Bereich in der parlamentarischen Beratung immer wieder
Veränderungen vorgenommen. Vor allem haben wir uns
immer wieder darum bemüht, die Etats der zivilgesellschaftlichen Gruppen so zu gestalten, dass sie am allgemeinen Etataufwuchs teilhaben. Vor allem Kirchen und
Stiftungen leisten eine wichtige Entwicklungszusammenarbeit, und sie sollten an diesen Steigerungen beteiligt werden.
({11})
Sie können in Bereichen tätig werden, in denen es der
staatlichen Hilfe, aber auch den multilateralen Organisationen eben nicht in diesem Umfang möglich ist. Deshalb brauchen wir eine starke bilaterale EZ und starke zivilgesellschaftliche Gruppen.
({12})
Sie werden verstehen, dass ich dem Thema „ländliche Entwicklung“ besonders verbunden bin. Nicht nur
meine Nähe zu diesem Thema, sondern auch seine Aktualität und Bedeutung lassen mich hier einen Schwerpunkt setzen. 75 Prozent der ländlichen Bevölkerung in
Entwicklungsländern leben in extremer Armut. Gleichzeitig sollen aber ländliche Räume die Ernährung für die
gesamte Bevölkerung sicherstellen. In den letzten Jahren
war die ländliche Entwicklung - damit meine ich auch
Ernährungssicherung, Agrarforschung und Agrarsubventionen - von anderen Themen wie HIV/Aids und Klimaschutz verdrängt worden, sowohl auf der nationalen
Ebene als auch bei uns. Deshalb habe ich es begrüßt,
dass die Weltbank die ländliche Entwicklung wiederentdeckt hat und die Fachpolitiker einen Antrag dazu in
Vorbereitung haben. Ich unterstütze diesen Antrag voll.
Auf diesem Gebiet besteht großer Handlungs- und
Nachholbedarf. Das muss sich auch im Haushalt widerspiegeln. Die Welternährungskrise zeigt deutlich, dass
wir viel mehr investieren müssen, um nicht entscheidende Entwicklungsfortschritte zu gefährden. Die steigende Nachfrage steht einem stagnierenden oder sogar
sinkenden Angebot gegenüber. Diese Entwicklung gilt
es zu bremsen und umzukehren. Hinter diesem Trend
stehen unterschiedliche Ursachen: steigende Bevölkerungszahlen, verschlechterte Anbaubedingungen durch
Klimaveränderungen, zunehmende Naturkatastrophen
und die damit verbundenen Ernteausfälle, konkurrierende landwirtschaftliche Erzeugnisse - Energie aus
nachwachsenden Rohstoffen steht in Konkurrenz zur
Produktion von Lebensmitteln -, der zunehmende Wohlstand in den Schwellenländern führt ebenfalls zu einer
Verknappung von Getreide durch andere Essgewohnheiten.
Die Steigerung der Not- und Übergangshilfe ist richtig und notwendig. Aber genauso wichtig sind Investitionen in die Ursachenbekämpfung. Die Agrarforschung
ist ein wichtiges Instrument, um Ertragssteigerungen in
der Land-, Fischerei- und Forstwirtschaft zu entwickeln,
sodass sie auf die speziellen Bedingungen der Entwicklungsländer zugeschnitten sind. Gerade hier brauchen
wir mehr Mittel. Wir haben bei den diesjährigen Haushaltsberatungen einstimmig den Ansatz für die Agrarforschung um 3,5 Millionen Euro aufgestockt, um einmal
mehr klarzumachen, dass die Nahrungsmittelkrise mehr
Augenmerk bedarf. 75 Prozent der in ländlichen Gebieten Lebenden sind von absoluter Armut bedroht. Deren
Unterstützung und deren positive Entwicklung sind
Schlüsselfaktoren für die Erreichung des ersten Millenniumziels, die Zahl der in Armut Lebenden zu halbieren.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Blick auf
die aktuelle Finanzkrise werfen. Die letzten Wochen haben uns dramatisch vor Augen geführt, dass auch die
Finanzmärkte global vernetzt sind und wir uns weder abschotten können noch abschotten dürfen. Die Finanzkrise wird uns auch in der Entwicklungspolitik vor neue
Herausforderungen stellen. Deshalb brauchen wir die
Solidarität der Gebergemeinschaft. Die Herausforderungen sind gewaltig. Wir stehen einer globalen Krise gegenüber. Umso wichtiger ist es, nun auch eine globale
Verantwortung zu übernehmen. Die ersten wichtigen
Entscheidungen zur Bekämpfung der Finanzkrise sind
national und international getroffen worden. Nun wird es
wichtig sein, unsere Partnerländer trotz einer drohenden
Rezession nicht im Stich zu lassen. Ziel muss es sein, die
Herausforderungen der Finanzkrise ohne Einschränkungen für die Entwicklungsländer zu bewältigen.
({13})
Wir haben eine globale Verantwortung und dürfen
uns jetzt nicht hinter den Herausforderungen der Finanzkrise verstecken. Deshalb plädiere ich dafür und unterstütze Sie, Frau Ministerin, gern darin, dass wir an der
Fortschreibung der Steigerungsraten bei den ODA-Mitteln dringend festhalten müssen. Denn Entwicklungspolitik ist keine Einbahnstraße. Sie ist eine Investition in
die Zukunft der Entwicklungsländer und in die Zukunft
Deutschlands.
Herzlichen Dank.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Thilo Hoppe für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Borchert, Sie sind gerade stark auf die
ländliche Entwicklung eingegangen. Da sprechen Sie
mir aus dem Herzen.
({0})
Das möchte ich mit Nachdruck unterstützen. Ich habe
dieses Thema jetzt nicht besonders herausgegriffen, weil
wir höchstwahrscheinlich in der nächsten Woche über
zwei oder drei Anträge zur ländlichen Entwicklung diskutieren werden.
In einem Punkt möchte ich Ihnen aber widersprechen.
Sie haben einen Gegensatz zwischen der Unterstützung
für ländliche Entwicklung und Maßnahmen gegen den
Klimawandel aufgebaut. Dies muss konsequent zusammengebracht werden. Auch Sie wissen: Die Art und
Weise, wie Landwirtschaft betrieben wird, kann entweder ein Beitrag zum Klimaschutz sein, wenn sie denn angepasst ist, oder kann das Klimaproblem verschärfen.
Einerseits sollen mehr Gelder für ländliche Entwicklung
bereitgestellt werden - das ist absolut richtig und gut -,
aber wir sehen mit Sorge, dass andererseits Programme
angeschoben werden nach dem Motto: Wir düngen die
Welt mit Stickstoffdünger, wir überziehen die Welt mit
Pestiziden und Insektiziden.
({1})
Dies kann ein Beitrag sein, der die Klimakatastrophe sogar verschärft. Wir brauchen also eine angepasste grüne
Revolution im doppelten Sinne, auch eine ökologische
grüne Revolution.
({2})
Wenn man die Summen auf sich wirken lässt, über die
von diesem Pult und in diesem Haus in den letzten Tagen
und Wochen im Rahmen der Finanzmarktdebatten und
im Rahmen der Debatten über die Konjunkturprogramme diskutiert wurde, dann fällt es ein bisschen
schwer, jetzt in die Detailarbeit zu gehen und über die
vergleichsweise kleinen Summen des Einzelplans 23 zu
diskutieren. Ich möchte eine Relation herausgreifen. In
der Koalition wird allen Ernstes darüber diskutiert - es
ist nur eine Idee -, jedem Beschäftigten in Deutschland
500 Euro zu schenken, die dann aber bitte ganz schnell
ausgegeben, konsumiert werden sollen, um die Konjunktur anzukurbeln.
({3})
Wir diskutieren im Entwicklungsausschuss über ein
Fünftel der Menschheit, über Menschen in Entwicklungsländern, die mit 350 Dollar im Jahr auskommen
müssen und damit ihre Familien durchbringen müssen.
Wir befinden uns in einer Zeit ungeheurer Turbulenzen auf den Finanzmärkten, die zunehmend die Realwirtschaft erfassen. Präsident Lula hatte leider nicht
recht, als er sagte, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer von dieser Krise verschont bleiben würden.
Die ärmsten Staaten befürchten, dass die ODA-Zusagen
nicht eingehalten werden, dass die Gelder gekürzt werden. In Japan und vielen anderen Ländern sind solche
Tendenzen schon zu beobachten.
Bedrückend ist die Befürchtung, dass durch die Finanzkrise die Bekämpfung des Klimawandels, des Hungers und der extremen Armut ins Abseits gedrängt wird.
An diesem Wochenende findet die Internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Doha statt.
Aber über diese Konferenz liest man in den Zeitungen
fast nichts. Sie ist jetzt schon ein bisschen ins Abseits
gedrängt worden. Deshalb ist es enorm wichtig, dass
man jetzt alle Kraft in diese Konferenz steckt. Von dieser
Konferenz muss das folgende Signal ausgehen: Wir sind
uns unserer Verantwortung bewusst. Wir werden gemeinsam mit den Entwicklungs- und Schwellenländern
Auswege aus der Krise suchen. Wir werden die gemachten Zusagen tatsächlich einhalten.
Schaut man sich einmal an, was Deutschland international zugesagt hat, dann wirkt die zugegebenermaßen
erfreuliche Steigerung im Haushalt 2009 nicht wirklich
überzeugend. Um dem Zwischenruf zuvorzukommen,
der an dieser Stelle häufig kommt,
({4})
dass unter der rot-grünen Regierung die Steigerungsraten viel geringer waren, geben wir das zu und bedauern das auch. Es lag aber nicht an uns Grünen.
({5})
Auch das muss man nicht ständig wiederholen.
Wir müssen auch daran erinnern: Wenn die Bundesregierung, wie die Ministerin immer wieder beteuert, im
nächsten Jahr tatsächlich 0,51 Prozent des Bruttonationalprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit einsetzt, dann müssten im nächsten Jahr 3 Milliarden Euro
draufgesattelt werden. Das kann man ganz einfach ausrechnen. Das ist keine Unterstellung. Aus Budgetmitteln
alleine werden diese Summen nicht kommen.
Deshalb muss ich den Dreiklang wiederholen. Wo
bleiben Ihre innovativen Finanzierungsinstrumente?
({6})
Wir brauchen Entschuldung, wir brauchen die Flugticket-Tax, und wir brauchen die Finanztransaktionssteuer. Sie berufen sich einzig und allein auf die Erlöse
aus dem Zertifikatehandel. Dafür sind 120 Millionen
Euro eingestellt.
({7})
Wo aber sind die Steigerungsraten? Das ist alles Spekulation. Dafür gibt es noch nicht einmal Beschlüsse.
Noch bleiben Sie den Beweis schuldig, dass Sie dieses
Ziel tatsächlich erreichen können und erreichen werden.
Meine Fraktion hat Änderungsanträge zum Entwicklungsetat eingebracht. Ich möchte bei dieser Gelegenheit
ein Protokoll, das zirkuliert, berichtigen, das einen Fehler enthält. In dem Bericht des Haushaltsausschusses
steht, FDP und Grüne hätten Anträge eingebracht, die zu
Senkungen der Haushaltstitel führen, um die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu entlasten. Das ist ein
ausdrücklicher Fehler, der auch an die Öffentlichkeit gelangt ist. Die Grünen haben Anträge eingebracht, die
Mehreinnahmen bzw. Steigerungen in Höhe von 450 Millionen Euro vorsehen. Die FDP hat ein dickes Kohärenzproblem. Sie hat im Entwicklungsausschuss Anträge
eingebracht, die Steigerungen in Höhe von 34 Millionen
Euro vorsehen. Das ist richtig so. Aber Ihr Haushälter,
Herr Koppelin, hat Streichungen von 450 Millionen
Euro beantragt. Da geht es also weit auseinander.
Der Bericht trifft auf die FDP zu, aber nicht auf die
Grünen. Wir sind für Steigerungen in Höhe von 450 Millionen Euro und wissen, es müsste eigentlich noch mehr
sein. Aber unsere Haushaltspolitiker wollten eine solide
Gegenfinanzierung vorlegen, die sofort umsetzbar ist.
({8})
Wir haben das genau ausgerechnet. Die Flugticket-Tax,
die man sofort umsetzen kann - in Frankreich hat es
auch keinen Volksaufstand gegeben; dort ist es praktiziert worden -, würde genau den Steigerungsraten, die
wir beantragt haben, entsprechen.
({9})
Die Finanzmarktkrise - der Fastbankrott vieler Länder - hat uns vor Augen geführt, dass eine andere Diskussion, die wir mehrfach angestoßen haben, jetzt aktueller denn je ist: die Einführung eines internationalen
Insolvenzrechtes. Aber von der Bundesregierung gibt es
keinerlei Initiativen, die in diese Richtung gehen. Vielleicht führt die Diskussion in Doha in eine andere Richtung und gibt Anstöße.
({10})
Es ist immer wieder zu beobachten, dass es gute Positionen aus den Entwicklungsministerien gibt, die aber
von anderen Häusern wieder kassiert werden. Ich erinnere an die unselige Diskussion über die EU-Milliarde.
Zunächst hatte Frau Kommissarin Fischer Boel und dann
Kommissionspräsident Barroso angesichts der dramatischen Welternährungskrise vorgeschlagen, 1 Milliarde
Euro unverbrauchter Mittel aus dem Agrarhaushalt zur
Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern in den Entwicklungsländern umzuwidmen.
({11})
In Accra gab es zu Recht Riesenbeifall, auch von der
Ministerin, die dafür gekämpft hat. Aber Herr Seehofer
und jetzt Frau Aigner fanden, es ist notwendig, dass die
deutschen Bäuerinnen und Bauern dieses Geld zurückbekommen bzw. die europäischen Bauern das Geld behalten dürfen; denn sie bekommen ja auch nur 54 Milliarden Euro jährlich an Subventionen.
({12})
- Der Vorschlag des Kommissionspräsidenten Barroso
war abgestimmt und rechtlich einwandfrei. ({13})
In der Präambel zur EU-Agrarpolitik steht, dass sie
auch Beiträge zur Sicherung der Welternährung leisten
soll. Würde man das Geld den Kleinbauern in den Entwicklungsländern geben, wäre das ein Beitrag entsprechend der Präambel.
({14})
Dies wurde - wie gesagt - von der Entwicklungsministerin direkt unterstützt, aber von Herrn Seehofer bzw. von
Frau Aigner - auch Herr Steinbrück war dagegen - einkassiert. Was jetzt in Europa geschieht - dass man diese
1 Milliarde Euro zur Verfügung stellt, sie aber aus dem
Entwicklungsetat nimmt, also aus Geldern, die ohnehin
vorgesehen waren -, ist ein plumper Etikettenschwindel.
({15})
Das sind keine zusätzlichen Gelder. Das ist eine Täuschung der Öffentlichkeit. Man sollte diese Niederlage
eingestehen.
({16})
Da ich meine Redezeit bereits weit überschritten
habe,
({17})
komme ich zum Schluss. Ihre Ankündigungen waren
gut. Das, was im Entwicklungsetat tatsächlich enthalten
ist, ist aber viel zu dünn.
({18})
Für die Bundesregierung hat nun Frau Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Um beim letzten Punkt anzufangen: Im Rat der Wirtschafts- und Finanzminister ist beschlossen worden, dass
1 Milliarde Euro zur Bekämpfung des Hungers in der
Welt zur Verfügung gestellt werden.
({0})
Dieses Geld wird zwar nicht dem Topf entnommen, der
dem einen oder anderen einem lieber gewesen wäre. Es
handelt sich aber um zusätzliche Mittel.
({1})
Außerdem wurden die Mittel für die Nothilfe aufgestockt. Ich finde, wir sollten uns nicht über die Frage
streiten, aus welchem Topf dieses Geld gekommen ist.
Sondern: Es ist ein Signal der Solidarität mit den hungernden Menschen in der Welt. Das ist das Wichtige,
und das sollten wir deutlich machen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich
bei allen Beteiligten bedanken, bei Iris Hoffmann, bei
Herrn Borchert, bei Herrn Koppelin, bei allen anderen,
die daran mitgewirkt haben, und natürlich auch bei
Herrn Bonde und Herrn Leutert.
({3})
Sie haben in dieser Diskussion in immer wieder unterschiedlichen Facetten deutlich gemacht, dass wir unsere
Verpflichtungen in der Entwicklungspolitik einhalten.
Mit diesem Haushalt tun wir das.
Wir lösen unsere Verpflichtungen ein, zum Beispiel
bei der Hilfe für Afrika. Allen Unkenrufen zum Trotz ist
es gelungen, das Volumen der Mittel, die für Afrika bereitgestellt werden, zu verdoppeln. Über 50 Prozent der
Mittel, die wir für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen, gehen nach Afrika. Das
ist ein wichtiges Signal.
Außerdem haben wir die Gelder für den Globalen
Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und
Malaria deutlich aufgestockt. Wir haben zusätzliche Mittel für den Wiederaufbau Afghanistans, den Klimaschutz
und die Biodiversität bereitgestellt.
Besonders wichtig ist - diese Bemerkung richte ich
an Herrn Borchert -, dass wir auch zusätzliche Mittel für
die ländliche Entwicklung und die Ernährungssicherung
aufgebracht haben. Die Mittel für die Nothilfe haben wir
drastisch aufstocken müssen. Gleichzeitig haben wir
auch den Verhandlungsrahmen für die Wiederauffüllung
des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung um 75 Prozent auf bis zu 47,5 Millionen Euro
aufgestockt.
({4})
Ich finde, es ist ein wichtiges Signal, dass wir beim
Kampf gegen Hunger und Armut in der Welt nicht nachlassen. Dafür danke ich Ihnen allen. Das sind ganz konkrete Schritte für den Frieden und für die Verbesserung
des Lebens der Menschen.
Lassen Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen, der
uns allen am Herzen liegt - in einer der Plenardiskussionen der letzten Sitzungswoche haben wir über dieses
Thema schon gesprochen -: die Entwicklung im Osten
des Kongo und die Gewalt gegen Frauen. Das, was dort
geschieht, sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit;
das müssen wir ganz deutlich sagen.
({5})
Die Regierung des Kongo ist verpflichtet, der Gewalt
Einhalt zu gebieten. Aber es ist genau umgekehrt. Auch
ein Teil der Regierungstruppen begeht solche Gewalttaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie alle
militärischen Gruppen in dieser Region. Es ist notwendig, dass die kongolesische Regierung alles unternimmt,
um die Täter vor Gericht zu stellen;
({6})
sie sind schließlich namentlich bekannt. Wenn sie das
nicht tut, dann hat die internationale Gemeinschaft die
Verpflichtung, die Täter vor den Internationalen Strafgerichtshof zu stellen
({7})
und damit deutlich zu machen, dass es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt. Luis MorenoOcampo, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes, hat gesagt, er sei bereit, diese Anklage tatsächlich zu erheben.
({8})
Die internationale Gemeinschaft darf nicht zulassen,
dass wieder Massaker und Massenvergewaltigungen
stattfinden. Wir haben die Verpflichtung, die Menschen
zu schützen, Stichwort „Responsibility to Protect“.
({9})
Ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich persönlich
angesichts der Eskalation der Brutalität den Vorschlag
des Bundespräsidenten befürworte, europäische Soldaten in diese Region zu entsenden.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Diskussion
ist mehrfach angesprochen worden, dass die große Gefahr besteht, dass sich die Finanzkrise, die Ernährungskrise und die Auswirkungen des Klimawandels so zu einer globalen weltweiten Wirtschaftskrise kumulieren,
dass sich in den Entwicklungsländern eine schwere humanitäre Krise entwickelt. Durch die Finanzmarktkrise,
die in den USA ihren Anfang genommen hat, wurden
schon jetzt 40 Millionen Menschen mehr in die Armut
gedrängt. Jeder Prozentpunkt weniger Wachstum führt
zu 20 Millionen armer Menschen mehr.
Die Kanzlerin hat heute Morgen deutlich gemacht
- dafür bin ich ihr außerordentlich dankbar; alle Sprecher haben das hier auch gesagt -, dass es in unserem ureigensten Interesse ist, dass Entwicklungsländer und
Schwellenländer nicht tiefer in die Rezession geraten;
denn sie waren bisher die wichtigsten Wachstumsmotoren in dieser Welt. Wir haben ihnen gegenüber unsere
Verpflichtungen.
Der G-20-Finanzgipfel war ein erster wichtiger Schritt.
Wir brauchen aber - ich hoffe, dass das bei der Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in Doha, die am
Freitag beginnt, auch deutlich wird - das, was ich einen
Global New Deal für das 21. Jahrhundert nennen
möchte, mit dem auf ein kooperatives Weltmodell gesetzt wird. Dazu gehört aus meiner Sicht eine Reihe von
Elementen:
Erstens. Zuverlässige internationale GovernanceStrukturen. Die Entwicklungsländer müssen ein wirkliches Mitspracherecht haben. Afrika braucht seinen festen Platz im Kreise der G 20 - oder welcher Nummer
auch immer -, und zwar nicht am Nebentisch, sondern
mit vollen Mitwirkungsrechten.
({11})
Zweitens. Die Zivilgesellschaft muss den Global New
Deal mitgestalten. Nur so kann es ein Pakt werden,
durch den die Menschen tatsächlich beteiligt werden.
Drittens. Es ist zentral und notwendig - das ist hier
immer wieder deutlich geworden -, massiv in die Landwirtschaft der Entwicklungsländer, in den Klimaschutz,
in die Anpassung an den Klimawandel, in erneuerbare
Energien und in die Infrastruktur der Entwicklungsländer zu investieren.
Viertens. Wir dürfen keinen Kasinokapitalismus mehr
zulassen. Wir müssen zuverlässige Regeln für die globalen Finanzmärkte schaffen. Weltbank und IWF müssen
zu soliden Stabilitätsankern werden.
Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, dass wir,
Herr Hoppe, alle Möglichkeiten mobilisieren für die Finanzierung der Millenniumsentwicklungsziele, zu denen
wir stehen.
All das zeigt: Auf der Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in Doha, die jetzt stattfindet, muss eine
schwierige Arbeit in schwierigen Zeiten geleistet werden. Ich zähle diese Konferenz zu den wichtigsten seit
der Millenniumserklärung 2000. Seit Jahren sind wir auf
dem Weg. Die Konferenz in Monterrey im Jahre 2002
wurde zum Meilenstein der Entwicklungsfinanzierung.
Ich sehe die Gefahr, dass der eine oder andere - nicht bei
uns, aber anderswo - die Konferenz in Doha nicht als
nächsten Meilenstein, sondern als Ausfahrt nutzen will.
Ich sage: Wir stehen zu unseren Zusagen zur Steigerung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit.
Diese Aussage werde ich dort für Deutschland und für
die deutsche Bundesregierung machen.
({12})
Wir werden aber auch andere Mittel mobilisieren
müssen. Mit einem International Tax Compact können
wir helfen, faire und effektive Steuersysteme aufzubauen, und der Steuerflucht entgegenwirken. Wir können die Mittel aus dem Emissionshandel einsetzen, die
im Haushalt 2009 auch schon deutlich steigen. Soweit
ich das sehe, wird die Idee auch in den USA aufgegriffen. Daneben müssen wir - das ist mehrfach deutlich geworden - Mittel für Investitionen in die Landwirtschaft
- besonders in Afrika - mobilisieren. Da wir in Doha tagen, gibt es auch einen gewissen Anlass dafür, dass sich
die arabischen Fonds an der Finanzierung dieser Investitionen in die Landwirtschaft beteiligen. Ich glaube, das
wäre ein richtiges und gutes Signal.
({13})
Ich komme zum Schluss. Albert Einstein hat einmal
gesagt: Es gibt keinen Fortschritt auf dieser Welt, solange es noch ein unglückliches Kind gibt. - Wir alle
wissen, wie viele Millionen unglückliche, hungernde
Kinder es gibt, deren Schicksal uns niemals gleichgültig
sein darf.
Die Millenniumsentwicklungsziele, denen wir uns
alle verpflichtet fühlen, tragen mit dazu bei, dass wir
Fortschritt erreichen, dass wir globale Verantwortung
wahrnehmen und so auch Frieden befördern.
Ich bedanke mich für die große Unterstützung und Ihr
Engagement. Wir werden an diesen Fragen weiter dranbleiben.
Vielen Dank.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Karl Addicks für
die FDP-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir haben in dieser Woche die letzte
Haushaltsdebatte in dieser Legislaturperiode. Bald ist ja
auch Weihnachten. Daher möchte ich als Abgeordneter
gerne ein paar Wünsche an die künftige Regierung richten.
Ich wünsche mir - ich glaube, da werden mir einige
folgen - eine neue Schwerpunktsetzung in der Entwicklungspolitik, die vor allem auch im Haushalt ihren Niederschlag findet. Zum Beispiel brauchen wir dringend
mehr Mittel für die Agrarforschung. Das ist heute Abend
schon gesagt worden. Ich wünsche mir auch mehr Mittel
für Wirtschaftspartnerschaften, vor allem im Bereich der
Gesundheit.
Der Anstieg bei den Haushaltsmitteln ist sehr zu begrüßen, aber er ist in Zeiten der Finanzkrise natürlich
nicht selbstverständlich. Umso größer ist die Leistung zu
schätzen, die dahintersteckt. Das verpflichtet uns als Politiker, mit diesen Mitteln noch zielbewusster und verantwortungsvoller umzugehen. In diesem Zusammenhang wünsche ich mir eigentlich auch eine grundlegende
Änderung in der Entwicklungszusammenarbeit. Die internationale Gemeinschaft und auch die Bundesregierung haben in den letzten Jahren die Entwicklung des
ländlichen Raumes sträflich vernachlässigt. Das haben
der Kollege Borchert und die Frau Ministerin heute
schon angesprochen. Die Mittel sind 20 Jahre lang kontinuierlich gekürzt worden. Wir haben seit Jahren gepredigt, dass die Entwicklung des ländlichen Raumes eine
der Uraufgaben von Entwicklungspolitik überhaupt ist.
In dem Weltbankbericht, der uns vorgestellt worden
ist, ist das kritisiert worden, und es ist aufgezeigt worden, welchen Entwicklungseffekt man hätte erzielen
können, wenn man etwas getan hätte. Ich habe das hier
schon mehrfach gesagt und brauche es eigentlich nicht
zu wiederholen. Ich schaue dabei immer den Kollegen
Raabe an. Ich habe es damals im Ausschuss so gesagt,
wie ich es hier gesagt habe. Sie haben dazu gesagt, der
Addicks will wohl am liebsten jedem eine Schaufel in
die Hand drücken. Ich wiederhole es heute: Es sollte unsere Aufgabe sein, jedem Menschen in den Entwicklungsländern eine Schaufel in die Hand zu drücken - das
meine ich im übertragenen Sinne -, damit er in die Lage
versetzt wird, sich und seine Leute selbst zu versorgen.
({0})
Da haben wir leider wertvolle Jahre ungenutzt verstreichen lassen, und das angesichts von mehr als einer
Milliarde hungernder und unterernährter Menschen.
In diesen Zusammenhang passt sehr gut unsere Forderung nach Grüner Gentechnik, die wir gerade in der
Entwicklungszusammenarbeit brauchen. Ich weiß, das
gefällt den Kollegen von den Grünen gar nicht. Wir halten es für einen Luxus, darauf zu verzichten. Auf Stickstoffdünger zu verzichten, halten wir ebenfalls für einen
großen Luxus. Es ist eine deutsche Erfindung, Stickstoff
aus der Luft zu binden. Für das Haber-Bosch-Verfahren
- Sie erinnern sich an die Chemiestunde, Herr Kollege
Hoppe - wurde deutschen Forschern damals der Nobelpreis verliehen. Sie aber wollen das mal eben so kippen.
Das halte ich insbesondere im Hinblick auf die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern für einen ganz
großen Fehler.
({1})
Immerhin ist in der gemeinsamen Arbeitsgruppe zur
Nahrungsmittelsicherheit im Bundeskanzleramt ein Papier verfasst worden, dass diese Vorschläge zumindest in
die Überlegungen einbezogen werden. Wir können nur
hoffen, dass sich das auch in der Politik des BMZ fortsetzt.
Im BMZ gibt es leider ein Basisproblem: Was die
Frau Ministerin nicht will, das wird einfach nicht gemacht. Bei aller Liebe, Frau Ministerin: Sie sträuben
sich seit Jahren
({2})
- es ist ja bald Weihnachten - gegen eine Zusammenarbeit mit der Wirtschaft.
({3})
Gestern war eine Delegation vom BDI hier. Ganze vier
Kollegen waren dabei. Es gab einen äußerst interessanten Vortrag. Vom BMZ habe ich da leider überhaupt niemanden gesichtet.
Auch unsere Anhörung hat gezeigt: Wirtschaftliche
Zusammenarbeit genießt bei Ihnen leider keine Priorität.
Die Erkenntnis, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit
eine Basis für die Entwicklung eines Landes ist, hat doch
bei der Namensgebung des Ministeriums Pate gestanden. Warum erkennen Sie nicht den Wert, den eine Verzahnung von wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Außenwirtschaftsförderung haben könnte?
({4})
Mein größter Wunsch an eine neue Bundesregierung
wäre ein Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit; denn er ist notwendig. Ich erinnere an
den Bonner Aufruf, den wir in weiten Teilen unterstützen.
({5})
Auch Sie, Frau Ministerin, sollten die Erkenntnisse aus
diesem Aufruf unterstützen, in dem namhafte Fachleute
zu Wort gekommen sind. Das sollte man zur Kenntnis
nehmen, statt es einfach beiseitezuwischen und zur Tagesordnung überzugehen.
Wir sollten die Gelegenheit nutzen, um eine ehrliche
Debatte über Fehlentwicklungen in der Entwicklungszusammenarbeit zu führen. Ich bin davon überzeugt, dass
wir von der Armutsbekämpfung wegkommen müssen.
So gut sie auch ist, ist die Armutsbekämpfung im Grunde
eine symptombezogene Therapie. Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen. Wir brauchen eine kausale
Therapie, die an der Basis der Wertschöpfungsketten
ansetzt - das wurde schon alles zigmal herunterdekliniert -:
Dazu gehören Kleinhandel, Kleingewerbe, Handwerk
und Landwirtschaft. Wir haben in Europa eine historische Erfahrung gemacht, wie Entwicklung verläuft. Warum setzen Sie das nicht um?
({6})
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist fast abgelaufen. Gestatten Sie gleichwohl noch eine Zwischenfrage des Kollegen Riester?
Okay. Bitte, Herr Riester.
Herr Kollege, können Sie mir zustimmen, dass wir
gestern bei dem von Ihnen erwähnten Gespräch mit dem
BDI informiert worden sind, dass dieser Gesprächskreis
vom BMZ mit 52 000 Euro finanziert wird und ein Mitarbeiter des BMZ abgeordnet ist, um diesen Kreis zu koordinieren? Wenn Sie mir zustimmen, dann korrigieren
Sie bitte das, was Sie gerade gesagt haben.
({0})
Herr Riester, darin stimme ich Ihnen gerne zu. Aber
was wollen Sie mit 52 000 Euro, die gestern genannt
wurden und die Sie jetzt ins Spiel bringen? Sie müssten
schon 52 Millionen Euro daraus machen. Dann wird
vielleicht ein Schuh daraus.
({0})
- Ich meine nicht nur den Arbeitskreis. Das wissen Sie
doch, Herr Riester. Aber okay, ich stimme Ihnen insoweit zu.
Frau Ministerin, Sie fahren demnächst als Gesandte
des UN-Generalsekretärs nach Doha. Meinen herzlichen
Glückwunsch dazu. Das ist schön für Sie. Ich wünsche
Ihnen, dass Sie dort meine Forderung, die ich eben dargestellt habe, propagieren. Denn in der Entwicklungszusammenarbeit brauchen wir nicht nur mehr Geld. Mehr
Geld wäre schön und gut, aber am dringendsten brauchen wir in der Entwicklungszusammenarbeit mehr
Qualität und vor allen Dingen mehr Effizienz.
Vielen Dank.
({1})
Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Hartwig Fischer.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Phoenix überträgt direkt aus dem Parlament, aber nicht
die Sendung „Wünsch dir was“, lieber Karl Addicks.
({0})
Wir sind gewählt worden, um politische Schwerpunkte
zu setzen. Wir können auch den einen oder anderen
Wunsch äußern, wie es Herr Hoppe getan hat, der mehr
Haushaltsmittel anmahnt. Er gehört genau wie ich seit
2002 dem Parlament an und hat in seiner Rede zugegeben, dass heute alles besser ist. Die Grünen haben damals politische Verantwortung getragen und entsprechende Anträge gestellt, aber sie haben sich nicht
durchsetzen können.
Die Grünen haben sich in der Koalition sicherlich an
die Vereinbarung gehalten, wie auch wir es heute tun.
Aber wir haben - das hat Jochen Borchert deutlich gemacht - die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit
innerhalb von drei Jahren verdoppelt und kommen damit
dem Ziel, die MDGs zu erreichen, erheblich näher als
andere.
({1})
Lieber Kollege Hoppe, wir haben die Emissionszertifikate als alternatives zusätzliches Finanzierungsinstrument.
({2})
Wir werden sehen, was sich in den nächsten drei bis vier
Jahren daraus entwickelt. Dass diese Mittel nicht insgesamt in unseren Haushalt fließen, bedaure auch ich außerordentlich.
({3})
Ich würde diese Mittel auch lieber in unserem Haushalt
sehen, als dass zu viel für andere Haushalte wie dem des
BMU oder des AA abgezweigt wird.
Wir hatten noch nie eine Bundesregierung, die uns in
ihrem Haushaltsentwurf für das Parlament so viele Mittel zur Verfügung gestellt hat und uns damit ermöglicht
hat, so viele internationale Verpflichtungen zu übernehmen. Sie hatte damit die Möglichkeit, nicht nur im multilateralen, sondern auch im bilateralen Bereich die Zusammenarbeit weiter zu verstärken. Sie hat erreicht, dass
NGOs, Stiftungen und Kirchen ihre Mittel aufgestockt
haben. Ich werde noch auf Beispiele von Kirchen eingehen, die die Entwicklungspolitik für die Menschen und
mit den Menschen vor Ort sehr attraktiv gestalten.
Wir sind materiell richtig aufgestellt. Das ist angesichts der Situation, in der wir uns befinden, gut. Wer
aber nicht den Anspruch an sich selbst stellt, noch besser
zu werden - damit meine ich nicht nur das Materielle,
sondern auch die Art und Weise, wie wir aufgestellt sind -,
hat schon ein Stück seines Gestaltungsspielraums in der
Politik aufgegeben. Wir können gemeinsam sicherlich
noch mehr tun, als eine Länderliste aufzustellen. Wir haben das gemacht, um besser Schwerpunkte setzen und
Hartwig Fischer ({4})
uns mit der EU abstimmen zu können. Aber ich möchte
auch, dass die Erkennbarkeit deutscher Entwicklungszusammenarbeit nach außen durch Schwerpunktsetzungen
verbessert wird.
({5})
Ich finde, daran können wir gemeinsam arbeiten. Dabei
sollten wir uns an anderen Geberländern orientieren.
Ich will als Beispiel die kanadische Entwicklungsagentur CIDA nennen. Die Kanadier betreiben eine
vernetzte Außenpolitik der verschiedenen Ressorts. Es
geht nicht darum, ob unsere Ressorts CDU/CSU- oder
SPD-geführt sind. Entscheidend ist vielmehr, dass die
Kanadier erheblich vernetzter und kohärenter zusammenarbeiten, als das bei uns geschieht, und damit einen
anderen Auftritt nach außen gerade in der Entwicklungszusammenarbeit haben. Ich bin der Überzeugung, dass
das der richtige Weg ist, damit Deutschland auch in den
multilateralen Einrichtungen mehr Gewicht bekommt,
damit wir neue Schwerpunktsetzungen mitbestimmen
können und nicht Getriebene von bestimmten Entwicklungen werden. Das ist einer der Ansatzpunkte, den wir
nach meiner Meinung in der Großen Koalition noch verstärken müssen.
({6})
Das Gleiche gilt für die EU. Ich glaube, dass diese
Vorgehensweise uns die Chance gibt, innerhalb der EUGremien Themen verstärkt zu bestimmen. Ich nenne ein
Beispiel - hier müssen wir die Ministerin gemeinsam
mit den anderen Ressorts unterstützen -, das uns alle
umtreibt. Wir waren vor einiger Zeit mit einer Delegation auf den Kapverden, im Senegal und in Benin. Damals gab es den riesigen Wunsch - das gilt für ganz
Afrika -: Helft uns, ein Satellitensystem aufzubauen,
mit dem wir unsere Gewässer überwachen können, damit unsere Gewässer nicht von Fremden überfischt werden! Stellt uns zu den zwei Patrouillenbooten, die uns
Portugal gegeben hat, weitere zur Verfügung, damit wir
diejenigen überwachen können, die den Kokainhandel
von Südamerika bzw. Lateinamerika aus über die Kapverden als Einfallstor zu Europa abwickeln und vor der
westafrikanischen Küste Migrantenhandel betreiben, bei
dem viele Menschen ertrinken! Das ist ein gemeinsames
Projekt, bei dem die EU nach meiner Überzeugung die
Meinungsführerschaft übernehmen muss. Denn was
nutzt der Aufbau von Entwicklungsprojekten, wenn die
Menschen die eigene Lebensgrundlage, zum Beispiel
beim Fischen, verlieren?
({7})
Ich will auf die Schwerpunkte eingehen. Wir sind
dankbar, dass die ländliche Entwicklung zu einem
Schwerpunktthema gemacht wird. Das ist genau der
richtige Zeitpunkt. Aber, Frau Ministerin, es gibt einen
Punkt, über den wir in der Koalition ernsthaft diskutieren müssen; ich sage das angesichts meiner Kenntnisse
von Afrika. In jedem Land, in dem wir in den letzten
Jahren gewesen sind - das wird jeder, der dabei gewesen
ist, bestätigen, egal welcher Fraktion er angehört -, wurden wir gefragt, warum wir uns weitestgehend aus der
Bildungsarbeit zurückgezogen haben. Ich wünsche,
dass wir bei den Verhandlungen - auch mit den Europäern - dafür sorgen, dass der Bereich der beruflichen
Bildung ein Schwerpunkt wird. Hier geht es noch einmal
um die Frage nach der Erkennbarkeit. Jedes Unternehmen versucht, einen Markenkern herauszuarbeiten, anhand dessen es identifiziert wird. Ich weiß, dass im
Augenblick über die regenerativen Energien als Markenkern diskutiert wird, weil wir dort gut sind. Das ist im
Hinblick auf die ländliche Entwicklung wichtig. Aber
der Bildungsbereich ist von existenzieller Bedeutung in
der Zusammenarbeit.
Ich greife das auf, was Westdeutschland und die DDR
früher gemacht haben; das kann man noch heute sehen.
Damals handelte es sich um einen Kampf gegeneinander, der zeigen sollte, wer besser ist. In Angola beispielsweise trifft man heute die Eliten, die damals in Westoder Ostdeutschland ausgebildet wurden. Auf diese können wir zurückgreifen. Wir müssen deshalb die Bildungspolitik wieder zu einem Schwerpunkt machen. Das
gilt auch im Hinblick auf die Verhandlungen auf der
europäischen Ebene.
({8})
Noch einmal zur beruflichen Bildung: Wenn wir uns
auf die Länder konzentrieren, in denen wir berufliche
Bildung betreiben, und diese mit Mikrofinanzprogrammen unterstützen, dann wird die Konsequenz sein, dass
die Menschen über eine technisch-gewerbliche oder
kaufmännische Ausbildung aus dem informellen in den
formellen Bereich überführt werden. Wir haben doch
Projekte gesehen, in denen eine Person von jemandem,
der selbst nicht ausgebildet war, dazu ausgebildet worden ist, mit einem Schraubenzieher ein Kfz zu reparieren. Diese Person hat einen Kredit in Höhe von 15 Euro
erhalten und dafür Schraubenzieher und Schraubenschlüssel gekauft. Denselben Mann haben wir nach vier
Jahren wiedergesehen. Er hatte nach vier Jahren den Anspruch auf einen Kredit von 10 000 Euro, weil er in der
Zwischenzeit immer die kleinen und mittleren Kredite,
die er aufgenommen hatte, abbezahlt hatte. Diese Person
hat in den letzten zwei Jahren bereits acht Leute ausgebildet, sie hat jetzt acht Angestellte, und einige der Ausgebildeten machen sich ihrerseits selbstständig. Das ist
nachhaltige Entwicklung, auf die wir meiner Meinung
nach setzen müssen.
({9})
Lassen Sie mich noch einmal zu den NGOs kommen.
Ich bin mit Kollegin Riemann-Hanewinckel - ich
glaube, auch Frau Pfeiffer war dabei - in Äthiopien gewesen. Dort haben wir uns ein integriertes Projekt des
Evangelischen Entwicklungsdienstes angesehen, in dem
in den Bereichen Wasser, Gesundheit, Bildung und ländliche Entwicklung gearbeitet wurde. Wir haben erlebt,
dass sich die Lebenssituation insbesondere der Frauen,
aber auch der Familien insgesamt in vier Jahren deutlich
verbessert hat. Das war kein Projekt der staatlichen
Hartwig Fischer ({10})
Zusammenarbeit, sondern ein integriertes Projekt. Wir
müssen uns auf Sektoren konzentrieren, aber für solche
Projekte der NGOs oder der Kirchen sind die Mittel angebracht, wenn die Projekte so durchgeführt werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich eines sagen: In
einem kleinräumlichen Bereich hat man erreicht, dass
das elende Thema Beschneidung offen angesprochen
wurde. In dieser Region wurden in der Folge die Mädchen nicht mehr beschnitten, weil man durch Argumentation überzeugt und den Menschen durch Bildungs- und
Gesundheitsangebote geholfen hat.
({11})
Die Redezeit ist leider immer zu kurz. Deshalb lassen
Sie mich ein Thema, das eigentlich viel mehr in den Mittelpunkt gehört und das Sie bei meiner Rede erwartet haben, ansprechen. Es betrifft die Regionen Darfur und
Kongo. Über Darfur wird im Augenblick nicht viel geredet, weil die Fernsehbilder von der Situation im Kongo
beherrscht werden. Das wird in einem Vierteljahr wieder
anders sein. Dann wird Darfur wieder im Vordergrund
stehen, und es geht immer so weiter. Wir haben letzte
Woche über das Thema gesprochen. Die UN sind bei
diesen beiden Mandaten in einer absoluten Glaubwürdigkeitskrise. Die UN haben gestern zum internationalen
Tag für die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen aufgerufen. Wenn man das tut, dann muss man auch das Mandat in Darfur und das Mandat im Kongo konsequent umsetzen.
({12})
Frau Ministerin, ich glaube, das ist einer der Punkte,
bei denen ich mit einigen Personen nicht übereinstimme.
Man kann jetzt nach einer europäischen Battle-Group rufen. Ich bin der Letzte, der sich nicht für Artemis und die
Bundeswehreinsätze bei der Wahlüberwachung eingesetzt hätte. Aber wir haben ein MONUC-Mandat, das
insbesondere deshalb ein zahnloser Tiger ist, weil es in
dem Mandat heißt, dass MONUC die kongolesische Armee bei der Entwaffnung der Milizen und Rebellen unterstützt. Mit dieser kongolesischen Armee kann ich
keine Entwaffnung vornehmen. Das muss Aufgabe der
MONUC sein. Gestern wurde in Diskussionen gesagt, es
handele sich um eine zusammengewürfelte Truppe. Die
Militärs dort - 16 475 an der Zahl - sind aus 18 Ländern.
Das mag man als zusammengewürfelt ansehen. Aber alleine aus vier Ländern kommen 11 300 Soldaten. Die Inder, die Pakistaner, die Südafrikaner und die Uruguayer
haben dort hervorragende Leute. Ich will das Licht auch
der anderen fünf wichtigen afrikanischen Länder nicht
unter den Scheffel stellen. 80 Prozent der Soldaten kommen aus neun Ländern. Wir müssen diese Truppe weiter
technisch ausstatten, und wir müssen sie in die Lage versetzen, ihren Auftrag dort umzusetzen.
({13})
- Wir haben zwölf Zivilisten. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch wir uns stärker im zivilen Bereich
engagieren können. Aber die deutsche Bundeswehr kann
nicht an jeder Stelle eingesetzt werden. Erst muss die
MONUC ihren Auftrag mit ihren Möglichkeiten umsetzen.
Frau Präsidentin, ich sehe das Zeichen, dass meine
Redezeit zu Ende ist. - Ich bedanke mich bei allen, die
an diesem Haushalt mitgearbeitet haben. Ich wünsche
uns bei der Umsetzung viel Erfolg und hoffe auf die entsprechenden Schwerpunktsetzungen im Laufe des kommenden Haushaltsjahres.
Vielen Dank.
({14})
Letzter Redner ist der Kollege Sascha Raabe für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Wir haben jetzt das Jahr 2008. 1998 hat
unsere Ministerin ihr Amt übernommen. Wir haben neulich im Rahmen einer Veranstaltung unserer Arbeitsgruppe einen Rückblick gehalten und überlegt, was in
den letzten zehn Jahren geschehen ist. Diese Haushaltsdebatte ist vielleicht für viele Kollegen die letzte in dieser Legislaturperiode. Manche treten nicht wieder an
oder werden nicht wieder gewählt.
Bei uns sind mittlerweile fast 10 Milliarden Euro
ODA-anrechnungsfähig; davon entfallen fast 6 Milliarden Euro auf den Einzelplan 23. Wir sind weltweit der
zweitgrößte Geber für Entwicklungszusammenarbeit.
Ich glaube, das ist etwas, worauf wir alle gemeinsam
stolz sein können.
({0})
Wir haben in diesem Jahr schon wieder einen Mittelzuwachs in zweistelliger Millionenhöhe in diesem Bereich. Wie gesagt, brauchen wir ihn angesichts der
Armut in dieser Welt und der Millenniumsziele, die wir
noch erreichen müssen, wirklich unbedingt. Wir haben
die Mittel für die Nichtregierungsorganisationen seit
1998 mehr als verdoppelt. Herr Dr. Addicks, wir haben
seit 1998 3 000 Public-Private-Partnerships geschaffen.
Was Sie in Ihrer Rede gesagt haben, das stimmt nicht.
Obwohl ich Sie persönlich schätze, muss ich sagen: In
Ihrer Rede war so viel Unfug - darauf muss ich noch ein
paarmal zu sprechen kommen -; das war unterirdisch
und grottenschlecht.
({1})
Wir haben den Zivilen Friedensdienst neu geschaffen.
Wir sorgen jetzt für eine Mittelsteigerung von fast
60 Prozent. Wir haben den politischen Stiftungen in den
letzten Jahren umfangreiche Mittel zur Verfügung gestellt; im nächsten Haushalt werden es noch einmal
10 Millionen Euro sein.
Manchmal wird gefragt: Wo sind die Erfolge der Entwicklungspolitik sichtbar? Darauf möchte ich antworten:
Wir haben es mit den politischen Stiftungen zum Beispiel
in Lateinamerika - neben anderen Stiftungen ist die
Friedrich-Ebert-Stiftung dort sehr stark und erfolgreich und mit dem, was das BMZ und die Durchführungsorganisationen machen - Schwerpunkte sind Demokratisierungsprozesse, öffentliche Verwaltung, Partizipation - geschafft, dass alle Länder dieses Kontinents, der noch vor
10 oder 15 Jahren von Militärputschen in vielen Ländern
gekennzeichnet war, demokratisch gewählte Regierungen haben. Wir haben es zum Beispiel in einem Land
wie Kolumbien, das sehr fragil ist, über unsere Konfliktprävention, über Friedensprozesse, aber auch über die
Mittel, die wir dort in den Rechtsstaat, in die Justiz, investieren, geschafft, dass dort Missstände aufgedeckt
werden, dass Generäle und Politiker, auch hochrangige,
vor Gericht gestellt werden.
Wir haben es mit unserer Entwicklungshilfe geschafft, dass in vielen Ländern sogar Personen, die früher für uns gearbeitet haben - sei es der Generalstaatsanwalt in Kolumbien, sei es Alberto Acosta, ehemaliger
Präsident der verfassunggebenden Versammlung in
Ecuador -, heute in verantwortlichen Positionen sind.
Lateinamerika ist mittlerweile wirklich demokratisch.
Ohne jetzt überheblich sein zu wollen, glaube ich sagen
zu können: Das ist mit ein kleiner Erfolg dessen, was wir
hier an Entwicklungszusammenarbeit geleistet haben.
({2})
Das ist sowieso ein Markenzeichen der Entwicklungspolitik, seit Heidemarie Wieczorek-Zeul dieses
Ressort leitet, seitdem es also sozialdemokratisch geführt wird. Wir haben eben auch die globale Strukturpolitik zum Thema gemacht, Herr Dr. Addicks. Zu dem,
was Sie immer wieder hinsichtlich der Schaufeln sagen
- Stichwort „Projektitis“, unter der wir all die Jahre zuvor gelitten haben -: Was hat es in den letzten Jahren genutzt, für Hühnerzuchten und für andere kleinteilige
landwirtschaftliche Bereiche Geld ausgegeben zu haben,
wenn die entsprechenden Hühner zum Beispiel durch die
Agrarpolitik der WTO gar nicht verkauft werden konnten?
Wir werden deshalb auch für ein gerechtes Welthandelssystem sorgen müssen, das Menschen nicht nur die
Möglichkeit gibt, Hühner zu halten und Landwirtschaft
zu betreiben, sondern auch, sie zu fairen und gerechten
Preisen zu verkaufen. Das ist ganz wichtig. Erst jetzt, wo
die Weltmarktpreise von Agrargütern wieder hoch sind,
ist es richtig, wieder verstärkt in Landwirtschaft zu investieren. Aber ich sage Ihnen auch: Bei bald 9 Milliarden Menschen werden wir nur mit Subsistenzlandwirtschaft sicherlich nicht weit kommen; vielmehr ist
ländliche Entwicklung für uns umfassend.
Herr Kollege, darf ich Sie kurz unterbrechen?
Ja.
Frau Pfeiffer möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Aber gerne.
Lieber Kollege Raabe, eigentlich wollte ich darauf
nicht eingehen. Aber nachdem Sie es jetzt zum dritten,
vierten oder fünften Mal wiederholt haben, möchte ich
Sie fragen: Stimmen Sie mir zu, dass der Aufwuchs im
BMZ nicht seit dem Tag existiert, an dem Frau
Wieczorek-Zeul Ministerin wurde, sondern seit dem
Zeitpunkt, an dem ein Wechsel im Kanzleramt stattgefunden hat? Erst dann hatten wir einen Aufwuchs in diesem Einzelplan.
Liebe Kollegin Pfeiffer, ich finde es jetzt ein bisschen
kleinlich, zu schauen, in welchem Jahr es welche Mittelaufwüchse gab. Ich habe mit Blick auf die Leistungen,
die wir seit 1998, liebe Kollegin Pfeiffer, hier eingeführt
haben, darauf hingewiesen, dass wir globale Strukturpolitik betrieben haben, zum Beispiel, indem wir die
Mittel für zivilgesellschaftliches Engagement verdoppelt
haben. Natürlich gab es auch große Steigerungen, seitdem unsere Ministerin im Amt ist. Unter Bundeskanzler
Helmut Kohl ist die ODA-Quote auf, ich glaube, 0,26 heruntergefahren worden. Wir haben sie unter Rot-Grün
auf 0,36 oder 0,38 gesteigert. Jetzt haben wir sie weiter
erhöht. Dank der Initiative der Ministerin haben wir in
Köln die Entschuldungsinitiative auf den Weg gebracht.
({0})
- Ich bin mit der Antwort noch nicht fertig. - Dadurch
ist es gelungen, über 29 Millionen Kinder in Afrika wieder in die Schule zu bringen.
Die Ministerin ist immer noch, zu Recht, mit voller
Kraft im Amt. Wenn es in den letzten zwei, drei Jahren
kräftige Steigerungen gegeben hat, dann ist das - das
muss man doch sagen - der Fachministerin geschuldet.
({1})
Wir freuen uns aber, dass wir es nach so vielen Jahren
geschafft haben, liebe Frau Pfeiffer, auch die Kollegen
der CDU/CSU davon zu überzeugen, dass mehr Mittel
zur Verfügung gestellt werden müssen.
({2})
- Nein, ich beantworte Ihre Frage noch.
({3})
Selbst Ihre Kanzlerin - den Satz möchte ich Ihnen noch
als Antwort geben - haben wir überzeugen können, dass
bei der WTO die Umwelt- und Sozialstandards ins Regelwerk aufgenommen werden müssen, was wir unter
Rot-Grün schon immer gefordert haben.
({4})
Es freut uns, dass jetzt endlich auch die Kanzlerin unseren Anregungen folgt. Wir freuen uns, dass Sie mit im
Boot sind.
Jetzt bin ich mit der Antwort fertig.
({5})
Sehr schön. Erst jetzt tickt die Uhr hier weiter.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich war
beim Bereich der globalen Strukturpolitik stehen geblieben. Natürlich gehört die Klimaschutzpolitik zu den
Aufgaben der Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben
uns auch um die globalen Zukunftsfragen zu kümmern.
Herr Königshaus, Sie haben kritisiert, dass wir mit Indonesien, Brasilien und Indien noch Entwicklungszusammenarbeit betreiben. Ich frage mich manchmal, warum
Sie mit dem Kollegen Klimke immer dorthin fahren,
wenn am Ende doch kein Lerneffekt eintritt.
({6})
Indien ist ein Land, in dem 350 Millionen Menschen
von weniger als einem Dollar am Tag leben. Es ist das
Land mit den meisten extrem Armen.
Herr Kollege, jetzt muss ich Sie noch einmal unterbrechen. Der Kollege Königshaus hätte auch noch eine
Zwischenfrage.
Sehr gern.
({0})
Je länger die Redezeit ist, desto klarer wird, was er
nicht weiß.
({0})
Da machen Sie es mir ja sehr leicht.
Bevor Sie in dieser Art fortfahren, will ich Ihnen einfach eine Frage stellen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass ich mich nicht gegen die Zusammenarbeit
mit den genannten Ländern ausgesprochen habe? Ich
habe vielmehr gesagt: Wir müssen sie an die Hand nehmen und mit ihnen gemeinsam diese Politik betreiben,
und zwar auch gegenüber Dritten. Insbesondere habe ich
das Beispiel Indien genannt, wo tatsächlich die Bereitschaft vorhanden ist, gemeinsam zu handeln. - Sind Sie
bereit, das zur Kenntnis zu nehmen? Dann können Sie
Ihre Suada fortführen.
({0})
Herr Königshaus, wenn Sie mir die Gelegenheit zur
Antwort geben: Das ist das Spiel, das Sie schon immer
auch mit China gespielt haben. Jedes Mal, wenn wir Sie
konkret darauf festgenagelt haben, wenn wir Ihnen aufgezeigt haben, warum wir auch mit China noch Entwicklungszusammenarbeit, zum Beispiel im Klima- und
Energiebereich, betreiben sollten - oder mit Indien oder
mit anderen Ländern, Indonesien etwa, wo wir den Tropenwald schützen -, haben Sie erklärt, Sie hätten das so
gar nicht gesagt.
({0})
In jedem Zeitungsinterview sagen Sie - das kann ich
hier zitieren -, 260 Millionen Euro sollten nicht mehr
gegeben werden. Ihr Fraktionsvorsitzender Westerwelle,
Herr Kollege Königshaus, hat in jeder Haushaltsberatung angeprangert, dass wir mit diesen Ländern Entwicklungszusammenarbeit betreiben.
({1})
Wenn wir Sie dann konkret darauf hinweisen, was wir
dort tun, dann werden Sie immer ganz schnell kleinlaut
und sagen: Das alles sollte man schon machen. - Jetzt
erklären Sie, ausgerechnet Sie - das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen -: Wir wollen das mit
den Ländern dort gemeinsam machen.
Das ist mit Ihnen manchmal wie mit einem kleinen
Schulkind. Man muss immer wieder erklären, was Budgethilfe eigentlich bedeutet. Wir erklären Ihnen jedes
Mal wieder, dass Budgethilfe, wenn sie gut konditioniert
ist, dazu führt, dass die Eigenverantwortung der Partnerländer gestärkt wird. - Würden Sie mir zuhören, Herr
Königshaus? Aber Sie begreifen es ja auch beim zehnten
Mal nicht, glaube ich; dann ist es eigentlich egal, und
dann können Sie sich weiter mit anderen unterhalten.
Sie kritisieren auf der einen Seite, dass wir Budgethilfe geben, fordern aber auf der anderen Seite, dass wir
mit den Partnerländern gemeinsam Projekte durchführen. Das machen wir längst. Wir sind da schon ein paar
Quantensprünge weiter als Sie. Wenn wir die Klimaprobleme lösen wollen, Herr Königshaus, dann müssen und
werden wir weiterhin mit Indonesien zusammenarbeiten,
wo die größten verbliebenen Tropenwälder sind. Fast
18 Prozent des CO2-Ausstoßes stammen aus der Rodung
von Regenwäldern. Gerade in Indonesien werden wir
weiter Tropenwaldschutz brauchen.
Herr Kollege Königshaus, Sie müssen sich einmal eines überlegen - ein bisschen Mathe, die Grundrechenarten haben Sie bestimmt drauf -: In den Ländern leben
fast 2 Milliarden Menschen, nämlich 1,75 Milliarden.
Wenn Sie die 260 Millionen Euro einmal zu dieser Zahl
ins Verhältnis setzen, werden Sie feststellen, dass wir pro
Kopf in diesen Ländern wesentlich weniger aufwenden
als pro Kopf in den afrikanischen Ländern.
({2})
Sie werden auch feststellen, Herr Königshaus, dass
wir ohne diese Länder, in denen in den nächsten Jahren
das größte Bevölkerungswachstum stattfinden wird, unsere Klimaprobleme nicht lösen können.
({3})
In dem Sinne: Hören Sie doch einfach einmal zu. Nehmen Sie die entsprechenden Erfahrungen von den Reisen
mit, und erzählen Sie hier nicht immer das Gegenteil von
dem, was Sie dort erfahren haben.
Die Frage ist, wie ich glaube, jetzt beantwortet.
({4})
Ich könnte auch noch zehn Minuten weiterreden, aber
für Sie, Herr Dr. Addicks, werden zwei mal zwei immer
fünf sein. Sie werden es einfach nicht begreifen.
({5})
Nachdem Sie, Herr Dr. Addicks, sich hier mehr Mittel
für Gesundheit gewünscht haben und Sie gefordert haben, den Kleinbauern dadurch zu helfen, dass man ihnen
eine Schaufel in die Hand gibt, verstehe ich nicht, dass
Sie dann am Ende die Dreistigkeit hatten - ich habe
wirklich gedacht, Sie hätten sich davon schon längst distanziert; man unterschreibt ja manchmal auch irgendeinen Blödsinn -, noch einmal den Bonner Aufruf zu zitieren und sogar zu sagen, Sie seien stolz darauf, dass
Sie den unterschrieben haben.
({6})
Sie sind der entwicklungspolitische Sprecher der FDPBundestagsfraktion. Als solcher unterschreiben Sie einen Aufruf, in dem steht:
Politische Beschlüsse, die Entwicklungshilfe für
Afrika zu verdoppeln, sind unvernünftig und gefährlich.
Wer so etwas sagt, der ist nicht nur unvernünftig, der ist
auch dumm und zynisch. Das möchte ich Ihnen, Herr
Dr. Addicks, einmal sagen.
({7})
Wer selbstgefällig in der ersten Reihe sitzt und sagt, dass
wir den ärmsten Menschen, die vor Hunger und Armut
sterben, nicht mehr Geld, nicht mehr Hilfe zur Selbsthilfe geben sollen,
({8})
und unterschreibt, dass es unvernünftig sei, die Hilfe für
Afrika zu verdoppeln, dem kann ich nur sagen: Wenn
man Menschen, die hungern, das Brot wegnimmt, wenn
man Menschen, die hungern, sozusagen ihre Schaufel
wegnimmt, mit der sie Nahrungsmittel anbauen könnten,
wenn man Menschen, die hungern, nicht mehr helfen
möchte, indem man einen so dümmlichen Aufruf mit unterschreibt, Herr Dr. Addicks, und darauf auch noch
stolz ist, dann ist jeder Konsens unter Entwicklungspolitikern aufgehoben.
({9})
Für jemanden, der so etwas unterschreibt - das tut mir
wirklich leid -, habe ich kein Verständnis.
({10})
An dieser Stelle sollten Sie vielleicht auch noch einmal darüber nachdenken, ob Sie sich in der Vorweihnachtszeit nicht dazu durchringen könnten, zu sagen,
dass auch die Menschen in Afrika unsere Solidarität verdient haben, insbesondere über Maßnahmen unserer
Durchführungsorganisationen und der Nichtregierungsorganisationen. Vor diesem Hintergrund sollten wir alle
dem Haushalt zustimmen. Manche von uns sollten sich
vielleicht auch noch einmal überlegen, ob es nicht wirklich bitter ist, wenn man einen Aufruf unterschreibt, der
es für unvernünftig hält, den Menschen in Afrika zu helfen.
In diesem Sinne: Stimmen Sie unserem Haushalt zu.
({11})
Damit tun Sie den Menschen in den ärmsten Ländern einen großen Gefallen.
Danke.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23
- Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - in der Ausschussfassung. Hierzu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/11052? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 23 in der Ausschussfassung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 23 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. November
2008, 9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und
schließe die Sitzung.