Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Umsetzung der Breitbandstrategie der Bundesregierung.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg. - Bitte schön.
Herr Präsident, vielen Dank. - Meine Damen! Meine
Herren! Das Internet ist längst eine Lebensader der Informations- und Wissensgesellschaft; eine Lebensader,
die in vielerlei Hinsicht die Gesellschaft als solche
durchzieht. Leistungsfähige Breitbandnetze sind für
Wirtschaft und Gesellschaft mittlerweile so bedeutend
wie Straßen, Schienen, Flüsse, Kanäle, wie Gas-, Wasser- und Stromverteilnetze geworden. Entsprechend
emotional wird die Debatte in unserer Bevölkerung begleitet.
Die Ausgangslage insgesamt ist gut. Ich möchte nicht
euphorisch werden, aber fast 60 Prozent der Haushalte
nutzen heute Breitbandanschlüsse, und für 92 Prozent
der Haushalte ist mittlerweile ein Breitbandanschluss
mit einer Übertragungsrate von 1 Megabit pro Sekunde
verfügbar. Unser Land liegt damit im internationalen
Vergleich mit anderen großen Volkswirtschaften an der
Spitze. Doch ich sage sehr offen: Wir müssen noch erheblich besser werden. Dies ist kein Ruhekissen, auf
dem wir uns ausruhen können. Insbesondere im ländlichen Raum - ich selbst komme aus dem ländlichen
Raum - ist erheblicher Verbesserungsbedarf gegeben.
Viele Bürgerinnen und Bürger können das Breitbandinternet bislang nicht oder nur eingeschränkt nutzen. Hier
ist über das Wort „Kreativität“ hinaus mehr erforderlich.
Von daher brauchen wir heute Internet überall: in jedem Dorf - mag es in einem oberbayerischen Bergdorf
sein - oder auf jedem Hof auf einer Hallig. Wir brauchen
es schlicht überall. Mehr noch: Wir brauchen morgen die
modernsten Netze, damit die neuesten Entwicklungen
entsprechend genutzt werden können. Die Zahl hochleistungsfähiger Breitbandanschlüsse muss schneller wachsen, um unserem Land zusätzliche Wachstumsimpulse
zu geben. Der Wachstumsaspekt bei dieser Technologie
kann gar nicht überschätzt werden.
In Deutschland wollen wir bis Ende 2010 leistungsfähige Breitbandanschlüsse für alle Haushalte verfügbar
machen. Das ist ein ehrgeiziges Vorhaben; das weiß ich.
Aber vor diesem Vorhaben sollten wir uns nicht wegducken. So ist es auch in der Breitbandstrategie der Bundesregierung vorgesehen, die wir vor 14 Tagen verabschiedet haben: Bis 2014 sollen bereits 75 Prozent der
Haushalte Anschlüsse mit Übertragungsraten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde haben. Möglichst bald
danach sollen solche hochleistungsfähigen Breitbandanschlüsse flächendeckend verfügbar sein.
Der Staat alleine kann das nicht richten. Er soll es
auch nicht richten. Wir werden diese Zahlen und diese
Ziele nur erreichen, wenn wir weiterhin auf Wettbewerb,
Anbieter- und Technologievielfalt bauen. Technologievielfalt heißt auch: Die Ziele der Breitbandstrategie der
Bundesregierung lassen sich nur erreichen, wenn neben
modernen leitungsgebundenen Netzen auch leistungsstarke Funktechnologien mit zum Einsatz kommen.
Hier kommt die Digitale Dividende ins Spiel. Wir haben heute im Bundeskabinett die entsprechende Verordnung verabschiedet. Ich würde Ihnen gerne den Namen
dieser Verordnung ersparen. Ich will dieses Wortungetüm trotzdem ins Spiel bringen: Es ist die Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung. Man muss es erst einmal schaffen, ein solches Wort zu kreieren. Danach wird
die Digitale Dividende künftig vorrangig in die Schließung von Versorgungslücken in ländlichen Bereichen
fließen. Gleich nach der Zustimmung des Bundesrates,
die wir derzeit für Mai dieses Jahres erwarten, kann dann
die bundesweite Vergabe durch die Bundesnetzagentur
anlaufen.
Redetext
Mit dem heutigen Beschluss des Kabinetts setzen wir
Wachstumskräfte frei. Dieser Wachstumsaspekt ist uns
außerordentlich wichtig: für das Internet und - noch
wichtiger - für unsere Volkswirtschaft insgesamt. So setzen wir gerade in der Finanz- und Wirtschaftskrise ein
wichtiges Signal. Wir nutzen die Krise in dieser Hinsicht
als Chance und wollen sie als solche begriffen wissen.
Deutschland soll gerade jetzt moderner werden.
Es wird Potenzial für den flächendeckenden Ausbau
breitbandiger Infrastrukturen und für die Stimulierung
des Wettbewerbs freigesetzt. Dieser Begriff wird in diesem Zusammenhang gerne inflationär gebraucht, erfährt
jedoch immer wieder eine unterschiedliche Konnotation.
Bislang haben wir mit der Stimulierung des Wettbewerbs
gute Erfahrungen gemacht: Intensiver Wettbewerb hat
auf dem Telekommunikationsmarkt doch einiges bewirkt. Ich erinnere nur daran, wie stark die Telefonkosten
in der Vergangenheit zurückgegangen sind. In diesem
Sinne ist das auch eine gute Verbraucherpolitik.
Neben der Nutzung der Digitalen Dividende basiert
unsere Breitbandstrategie auf drei weiteren Elementen:
Zum einen ist das die Nutzung von Synergien beim Infrastrukturausbau. Das heißt konkret, dass vorhandene und
noch entstehende Einrichtungen für die Mitnutzung
durch Telekommunikationsanbieter geöffnet werden müssen. Zum Zweiten müssen die nationale wie die europäische Regulierungspolitik stärker wachstumsorientiert
sein, und zum Dritten sollen finanzielle Fördermaßnahmen nur dort bereitgestellt werden, wo Marktprozesse
nicht in Gang gesetzt werden können.
Ich war gestern auf der CeBIT. Dort traf die Breitbandstrategie der Bundesregierung auf große öffentliche
Resonanz. Natürlich fand über den einen oder anderen
Punkt auch eine Diskussion statt. Ich bin überzeugt davon: Wenn alle an einem Strang ziehen und gemeinsame
Anstrengungen aufbringen - Politik und Unternehmen,
der öffentliche und der private Bereich, Verbände und
Unternehmen, Bund, Länder und Kommunen -, können
wir diese ambitionierten Ziele, deren Umsetzung wir auf
den Weg gebracht haben, erreichen. Vielleicht ist das bei
dem einen oder anderen Punkt sogar früher möglich, als
wir avisiert haben.
Danke schön. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem
Themenbereich zu stellen.
Ich beginne mit Kollegin Petra Sitte.
Herr zu Guttenberg, Sie haben über das grundsätzliche Herangehen der Bundesregierung gesprochen. Das
hat Herr Schauerte vor zwölf Monaten auch schon einmal getan. Er hat gesagt, dass das Problem 2008 gelöst
wäre. Er meinte damals, es wäre gelacht, wenn wir das
Thema nicht in relativ kurzer Zeit - ich sage noch einmal: binnen zwölf Monaten - im Wesentlichen gelöst
hätten. Die Kanzlerin hat in ihrer Neujahrsansprache
Ähnliches versprochen, insbesondere moderne Wege der
Kommunikation auf dem Land. Vorgestern hat sie auf
der CeBIT noch einmal ausdrücklich gesagt, dass in der
Bundesrepublik Deutschland Breitbandanschlüsse privat
entstehen sollen. Ich zitiere wörtlich:
Aber der Staat hat die Aufgabe, diese Entwicklung
der Infrastruktur so zu fördern, die Anreize so zu
setzen, dass wir nicht nur in den Ballungsgebieten
gute Anschlussmöglichkeiten haben, sondern dass
dies flächendeckend und somit auch für die ländlichen Regionen gilt.
Ich komme aus Sachsen-Anhalt. Auch ich weiß also,
wovon ich spreche, nicht nur Sie aus Oberbayern.
({0})
- Oh Gott! Ich entschuldige mich bei allen Oberbayern.
Im Gesetz zum Konjunkturpaket ist keine einzige
Zahl enthalten; jedenfalls ist uns das nicht bekannt. Insofern fragen wir Sie, welche Beträge für 2009 und 2010
seitens des Staates vorgesehen sind, um jene Anreize zu
setzen, von denen die Kanzlerin gesprochen hat.
Frau Kollegin Sitte, herzlichen Dank für die Nachfrage. Zunächst einmal möchte ich sagen, dass der Hinweis auf Oberfranken gestattet sein muss, da es zwischen Oberbayern und Oberfranken den einen oder
anderen Unterschied gibt.
Von Ihrer Seite wurde richtigerweise angedeutet, dass
die Versorgung des ländlichen Raumes einer der Punkte
ist, derer wir uns intensiv anzunehmen haben. In das Konjunkturpaket haben wir unter anderem Infrastrukturmaßnahmen aufgenommen, die insbesondere den Kommunen
zugute kommen sollen. Über den Teil des Paketes, mit
dem diesem kommunalen Aspekt Rechnung getragen
wird, ist eine gewisse Abdeckung möglich. Da Sie aus
Sachsen-Anhalt kommen, möchte ich darauf hinweisen,
dass zu prüfen sein wird, auf welche Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe zurückgegriffen werden kann. Man
wird sich diesbezüglich einbringen können.
Wenn unser Konzept umgesetzt wird, kommen auf den
Steuerzahler selbst - über das Konjunkturpaket hinausgehend - Beträge in einem geringen Millionenbereich zu.
Vor diesen Beträgen muss uns nicht grauen. Das wäre anders, wenn man das Ganze lediglich in die öffentliche
Hand geben würde oder ausschließlich leitungsgebundene Netze nutzen würde und die Funktechnologien nicht
einbeziehen würde.
Kollegin Sitte.
Ich würde gern nochmals nachfragen. Ich nehme zur
Kenntnis, dass Sie bezogen auf das Konjunkturpaket
keine konkreten Zahlen nennen können. Daher frage ich
prinzipiell: Die Kanzlerin spricht davon, Anreize dafür
zu setzen, dass Breitbandanschlüsse für den ländlichen
Raum geschaffen werden. Wie sehen diese aus? Wir wisDr. Petra Sitte
sen, dass die großen Anbieter sagen: Wer gräbt, verliert.
Insofern stellt sich für mich die Frage, wie sich das gestalten soll. Sie haben heute nur eine Verordnung verabschiedet, und zwar für nur ein Segment.
Frau Kollegin Sitte, das eine Segment darf schon hervorgehoben werden. Die Digitale Dividende ist nicht gering zu schätzen. Hierdurch haben wir die Möglichkeit,
gewisse weiße Flecken wirksam und effektiv abzudecken. Ich füge hinzu: Eine gewisse Kommunikationsarbeit wird allerdings noch vonnöten sein, etwa hinsichtlich der Nutzung von Funk. Wir als Bundesregierung
wollen uns nicht nur an dieser Vermittlungsarbeit beteiligen, sondern auch vor Ort Informationen zur Verfügung
stellen.
Bei der Ausgestaltung als solche geht es darum, auf
bereits vorhandene Synergien beim Infrastrukturausbau
zurückzugreifen, die Optionen, die auf kommunaler
Ebene und auf Landesebene gegeben sind, entsprechend
zusammenzuführen und insbesondere die Eigenverantwortung nicht zu vernachlässigen. Es sollte nicht alles an
einer monopolistischen Struktur ausgerichtet werden.
Kollegin Cornelia Behm, bitte.
Herr Minister, vielen herzlichen Dank für Ihren Bericht. Dass Sie heute hier stehen und die Breitbandstrategie der Bundesregierung vorstellen, zeigt, wie groß die
Not ist. Ich erinnere mich heute schamvoll daran, wie ich
vor ungefähr anderthalb Jahren das BMF im Rahmen einer Haushaltsdebatte gescholten habe, dass es Mittel für
die Breitbandversorgung im Rahmen der Entwicklung
ländlicher Räume bereitstellt. Damals habe ich gesagt:
Meine Güte, das ist doch nicht Sache des BMF, sondern
des Wirtschaftsministeriums. Es ist also ein gutes Zeichen, dass Sie hier stehen.
({0})
- Ja, ich bin außerordentlich dankbar, vor allen Dingen
im Interesse der betroffenen Bürgerinnen und Bürger.
Wie sehen die Pläne der Bundesregierung zum Aufbau dieses Infrastrukturatlasses aus? Wir kommen jetzt
von einem Atlas zum nächsten Atlas - das kann durchaus Sinn haben - und zu dem Aufbau dieser Baustellendatenbank. Wie soll das finanziert werden? Welche Kosten entfallen auf den Bund, auf die Länder und auf die
Kommunen? So eine Datenzusammenstellung ist sicherlich nicht für lau zu haben.
Dass die Bundesregierung bereit ist, Fördermittel in
die Entwicklung der Breitbandversorgung zu investieren, ist mit Sicherheit sinnvoll, gerade da, wo Lösungen
geschaffen werden müssen, die im Moment nicht selbsttragend sind. Aber wie halten Sie es mit der Bereitstellung von Fördermitteln für Techniken, die auf der Nutzung von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern
basieren, zum Beispiel Wimax, UMTS oder HSDPA?
Ich frage dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass
das Bundesamt für Strahlenschutz vorsorgliche Maßnahmen zur Verringerung der Strahlung in diesem Bereich
fordert, weil immer noch keine gesicherten Erkenntnisse
über Gesundheitsschädigungen durch hochfrequente
elektromagnetische Felder bei Kindern und Jugendlichen sowie in Bezug auf Langzeitfolgen, also bei einer
Nutzung über zehn Jahre, vorliegen. Werden Sie auch
für diese Technologien Fördermittel bereitstellen?
Vielen Dank, Frau Kollegin. Zunächst zum Infrastrukturatlas: Unsere Zielsetzung ist, dass wir die Bundesnetzagentur beauftragen wollen, bereits im Herbst einen ersten Entwurf dieses Infrastrukturatlasses vorzulegen. In
diesen Atlas sollen unterschiedliche Erkenntnisse einfließen. Es ist ja nicht so, dass jede Erkenntnis gänzlich neu
gewonnen werden muss, sondern man kann auf Erfahrungswerte zurückgreifen, die es auf kommunaler Ebene,
auf Landesebene und auf unternehmerischer Ebene gibt.
Die Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass wir zu diesen Erkenntnissen gelangen, ohne uns in erhebliche finanzielle
Kalamitäten zu begeben. Hier ist auch erkennbar, Frau
Kollegin, dass es zu einer entsprechenden Kooperation
kommen wird. Ich verhehle allerdings nicht, dass der
Wunsch, diesen Zeitrahmen einzuhalten, noch einmal
deutlich gemacht werden darf und kann. Das werden wir
von der Regierungsebene tun. Wir freuen uns über jede
Begleitung auf parlamentarischer Ebene.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, zur Strahlenbelastung
und Ähnlichem: Hier werden die Bundesregierung und
das Bundeswirtschaftsministerium auf entsprechende Information setzen; dies haben wir bereits in die Wege geleitet.
Wir werden nicht nur Informationen über die Möglichkeiten des Internets bereitstellen, sondern wir wollen
auch vor Ort mehr über die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die uns vorliegen, informieren. Dabei wollen wir
auch über die Themen, bei denen möglicherweise in dem
einen oder anderen Punkt noch Dissens besteht, offen
und klar berichten.
Soweit ich weiß, ist es so, dass zwar nicht bei jeder
der genannten Technologien, aber bei denen, die für die
Beseitigung der weißen Flecken - Stichwort: Digitale
Dividende - eine Rolle spielen, von gesundheitsschädlichen Aspekten die Rede ist. Man sollte im Zusammenhang mit den Erkenntnissen, die uns vorliegen, darüber
nachdenken, ob diese Auswirkungen abzufedern sind.
Danke schön. - Kollege Klaus Hofbauer, bitte.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Mir ist es ein Anliegen, der Bundesregierung ein herzliches Wort des Dankes zu sagen. Durch diese Initiative
haben wir, was die Breitbandversorgung insgesamt und
unsere Bemühungen, diese Technik zu fördern, angeht,
einen großen Schritt nach vorne gemacht. Man möge mir
verzeihen, dass ich insbesondere den beiden CSU-Ministern, Frau Aigner und Herrn zu Guttenberg, aber auch
seinem Vorgänger, danken möchte.
({0})
- Erstens brauche ich niemanden zu fragen. Zweitens
haben insbesondere diese beiden Ministerien Gott sei
Dank gut zusammengearbeitet und einiges auf den Weg
gebracht. Man sollte zum Beispiel wissen, dass auch im
Rahmen der GAK Förderungen getätigt werden. Dafür
sind das Landwirtschaftsministerium und das Wirtschaftsministerium zuständig, wie auch für die Gemeinschaftsaufgabe Konjunkturprogramm. Man muss das nur
nachlesen. Dann weiß man, welche finanziellen Möglichkeiten bestehen.
Herr Minister, ich denke, die Rahmenbedingungen
sind optimal. Jetzt geht es um die praktische Umsetzung,
insbesondere um die Umsetzung vor Ort. Dazu möchte
ich drei Anmerkungen machen.
Zunächst möchte ich betonen, dass wir dringend einen Infrastrukturatlas benötigen, und zwar aus einem
einfachen Grund: weil die Verantwortlichen vor Ort zum
Teil gar nicht wissen, welche Glasfaserleitungen überhaupt vorhanden sind. Hier ist eine Kooperation, auch
unter den Kommunen, erforderlich. Wir brauchen eine
interkommunale Zusammenarbeit.
Herr Minister, das zweite Thema, das ich ansprechen
möchte, ist Folgendes: Ich bitte darum, dass die Beibehaltung der Tarifeinheit sichergestellt wird. Es darf nicht
passieren, dass bei den Tarifen wesentliche Unterschiede
zwischen ländlichen Räumen und Ballungsräumen entstehen.
Meine dritte Anmerkung. Wir brauchen die Bereitschaft, intensiver zu kooperieren, auch aufseiten der Telekom. Vor Ort ist in vielen Fällen die Zusammenarbeit
mit der Telekom erforderlich. Manche Entwicklungen
stimmen mich allerdings nachdenklich. Manchmal funktioniert diese Kooperation nicht. Im Großen und Ganzen
haben wir allerdings einen großen Schritt nach vorn gemacht.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Hofbauer. - Der Begriff „Kooperation“ wird sich nicht nur im Hinblick auf
dieses Jahr, sondern auch, was den Gesamtaspekt angeht, zum Schlüsselwort entwickeln. Wir dürfen allerdings nicht nur darüber sprechen, wie wir diese Kooperation auf den unterschiedlichen Ebenen der öffentlichen
Hand gewährleisten können, sondern wir müssen auch
darüber nachdenken, wie sich eine Kooperation der Unternehmen mit ihren Wettbewerbern realisieren lässt.
Das führt mich zum zweiten Aspekt, der mir wichtig
ist. Wir müssen weiterhin eine wettbewerbsorientierte
Politik betreiben; das ist auch in ordnungspolitischer
Hinsicht von Bedeutung. Diesen Ansatz müssen wir mit
dem, was wir im ländlichen Raum erreichen wollen, in
Einklang bringen. Dabei sollten wir vor allem auf Kooperation setzen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen,
dass uns dies gelingt.
Herr Kollege, mit dem Infrastrukturatlas setzen wir an
der gleichen Stelle an. Neben der Kooperation spielen
dabei auch andere Dinge eine Rolle. Geht es beispielsweise um Straßenbaumaßnahmen oder Leerrohrverlegungen, sollte man in der Lage sein, bereits vorhandene
Erkenntnisse zu nutzen bzw. gewonnene weiterzugeben,
damit sie genutzt werden können. In diesem Bereich ist
in den letzten Jahren vieles versäumt worden. Hier
kommt es allerdings auch auf die Offenheit und Kreativität vor Ort an. Diese Ansätze muss man miteinander
verbinden, um am Ende des Tages Erfolg zu haben.
Danke schön. - Kollege Jörg Tauss, bitte.
Herr Minister, nachdem alle gesagt haben, woher sie
kommen, muss auch ich das sagen. Ich komme aus dem
Landkreis Karlsruhe. Dieser ländliche Raum hat ähnliche Probleme. Deshalb schließe ich mich hinsichtlich
der Danksagungen meinen Vorrednern vollinhaltlich an:
Auch ich begrüße die Initiative der Bundesregierung.
In dem ländlichen Raum, aus dem ich komme, herrscht
zurzeit viel Kurzarbeit, gerade in Betrieben der Telekommunikationsbranche. Ein Teil der Strukturen in dieser Branche ist durchaus noch als monopolistisch zu bezeichnen. Meine Frage: Welche Möglichkeiten sieht die
Bundesregierung, das ehrgeizige Ziel, dass bis 2014
75 Prozent der Bevölkerung Anschlüsse mit Übertragungsraten von 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung
stehen, mit Wertschöpfung im eigenen Lande zu verbinden? Ganz konkret: Wie können die Kapazitäten, die im
Moment nicht ausgelastet sind, unter Berücksichtigung
europäischer und anderer ausschreibungsrechtlicher Bedingungen - selbstverständlich auch im globalen Bereich - genutzt werden, um zu Wertschöpfung im eigenen Lande zu kommen?
Vielen Dank, Herr Kollege Tauss. Ich habe bei meiner
vorherigen Antwort nicht umsonst auf den Begriff
„Wettbewerb“ Wert gelegt. Ich glaube, dass wir diesem
Begriff Tiefe verleihen können. Es muss allerdings gewährleistet sein, dass wir die Ziele erreichen. Der eine
oder andere glaubt, das ist nur mit einem Bezugspunkt
herzustellen. Ich glaube, dass man das auffächern kann.
Man muss allerdings im Blick behalten, was sich in der
Regulierungspraxis darstellen lässt und was sich im Rahmen der Verantwortung, die die Bundesnetzagentur
trägt, darstellen lässt.
Wenn wir über das Arbeitsplatzpotenzial sprechen, ist
anzumerken, dass es interessante Zahlen gibt. Einer Erhebung zufolge wird damit gerechnet, dass der Wachstumsmarkt Breitbandinternet in Europa in den nächsten
fünf Jahren bis zu 2 Millionen neue Arbeitsplätze realisieren könnte. Diese Perspektive wollen wir nicht abschneiden.
Meine Frage bezog sich allerdings auf die Hersteller
der Systeme.
Auch im Hinblick auf die Hersteller der Systeme
kann der Begriff des Wettbewerbs nicht ausgeklammert
werden.
Kollege Hans-Joachim Otto, bitte.
({0})
Der Kollege Tauss hat recht: Ich komme aus dem
ländlichen Bereich: aus Frankfurt am Main. Deswegen
möchte auch ich Dank und Anerkennung für die Breitbandstrategie der Bundesregierung zum Ausdruck bringen. Sie enthält viel Sinnvolles. Vieles wird präziser gefasst, als es bisher der Fall ist. Das ist gut so.
Sehr gut ist auch, dass Sie in Ihrem mündlichen Vortrag mehrfach das Wort „Wettbewerb“ benutzt haben. Ihnen persönlich - das will ich einmal sagen - traue ich
durchaus zu, dass Sie das durchsetzen: Breitbandstrategie mit Wettbewerb. In der Breitbandstrategie der Bundesregierung stehen allerdings zwei Dinge, die mich
beunruhigen. In „Maßnahme 8: Zusätzliches Geld für Infrastrukturaufbau“ ist der Vorschlag enthalten, dass die
Kommunen Leerrohre verlegen lassen. Ist der Weg, die
Gemeinden Telekommunikationsinfrastruktur bauen zu
lassen, richtig? Sollten das nicht lieber, wie bisher,
schwerpunktmäßig private Unternehmen machen?
Mein Hauptkritikpunkt betrifft Maßnahme 10. Ich
frage Sie, Dr. zu Guttenberg: Wofür brauchen wir neue
„Eckpunkte über die regulatorischen Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung moderner Telekommunikationsnetze“? Man ahnt, was dahintersteckt, wenn man
die Unterpunkte sieht:
Angemessene Eigenkapitalverzinsung für den Fall
einer Entgeltregulierung …
und
Ökonomische und rechtliche Planungssicherheit …
Dahinter verbirgt sich der große Anbieter, der noch Vorteile aus seiner Monopolzeit hat. Die Deutsche Telekom
legt seit langem Wert darauf, dass man ihr den Wettbewerb vom Hals hält. Sie will neue Infrastruktur aufbauen, aber nur, wenn ihr der Wettbewerb vom Hals gehalten wird.
Sie haben gesagt, Sie wollen den Aufbau der Infrastruktur durch Wettbewerb erreichen. Meine konkrete
Frage: Warum sollen dann neue „Grundzüge einer
wachstums- und innovationsorientierten Regulierung“
festgelegt werden? Haben wir solche Grundzüge nicht
bereits?
Es gibt manche, Herr Kollege Otto, die das aufgrund
der bestehenden Regulierung ebenfalls infrage stellen.
Deswegen - um das noch einmal zu betonen - ist der
grundsätzliche Ansatz in meinen Augen nicht falsch. Ich
glaube, dass die Richtigkeit des Ansatzes, Planungssicherheit zu ermöglichen, angesichts der de facto bestehenden Lücken bei der Breitbandversorgung nicht von
der Hand zu weisen ist. Diese Forderung kann man in
einem solchen Papier durchaus einmal aufstellen. Dies
ist in diesem Sinne auch geschehen.
Der Wettbewerbsaspekt ist betont worden. Diesen Aspekt müssen wir zugleich aber mit unserer Zielsetzung
abwägen. Sollte irgendwann der Eindruck nicht nur entstehen, sondern sich auch manifestieren, dass das Wettbewerbsprinzip in seiner reinen Form gänzlich zum
Hemmschuh würde, müssten wir alle uns an der tatsächlichen Maßnahmenfestigkeit ausrichten. Aber ich bleibe
dabei: Ich halte diesen grundsätzlichen Ansatz für richtig, und er verschwindet aus diesem Papier nicht. Sie haben zwei Punkte genannt, die dies darstellen.
Das zusätzliche Geld von der öffentlichen Hand ist
tatsächlich additiv zu sehen. Zunächst einmal - so steht
es auch in diesem Papier - wollen wir alles ausgeschöpft
sehen, was in dem Miteinander von Privat- und Eigeninitiative möglich ist. Nur dort, wo es notwendig und geboten ist, werden wir entsprechend einsteigen. Dies gilt
etwa für den von Ihnen genannten Aspekt: Wenn eine
Kommune eine Straßenbaumaßnahme vornimmt und es
um Leerrohre geht, dann wäre draußen kaum noch zu erklären, dass man dies einer anderen Ebene übertrüge, zumal es im Zweifel auch nicht mit erheblichen Mehrkosten verbunden ist.
({0})
Wir haben noch eine ganz lange Liste von Fragestellern.
Nur noch eine ganz kurze Frage! - Herr Bundeswirtschaftsminister, können Sie ausschließen, dass die Bundesregierung der Bundesnetzagentur konkrete Vorgaben
macht, um neue Eckpunkte für diese regulatorischen
Rahmenbedingungen zu setzen? Ist die Netzagentur völlig frei, wird sich das Ministerium in keiner Weise einschalten?
Es ist Ihnen bekannt, dass die Bundesnetzagentur in
diesem Sinne nicht weisungsgebunden ist.
Kollegin Diana Golze, bitte.
Danke schön. - Sehr geehrter Herr Minister, Bestandteil der Breitbandstrategie ist es, bis 2010 jedem Haushalt eine Verbindung mit einer Übertragungsgeschwindigkeit von 1 Megabit pro Sekunde zur Verfügung zu
stellen. Wie begründen Sie dies vor dem Hintergrund,
dass inzwischen schon 80 Prozent der Haushalte über
Anschlüsse mit 2 Megabit pro Sekunde und mehr verfügen? Halten Sie die Sicherstellung einer Versorgung mit
nur 1 Megabit pro Sekunde wirklich für eine ambitionierte Zielsetzung?
Zweite Frage: Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, dass zum Beispiel Großbritannien und Frankreich planen, einen Breitbanduniversaldienst einzuführen, und gibt es Überlegungen der Bundesregierung in
diese Richtung?
Nein, einen Universaldienst unterstützen wir nicht.
Hierzu haben wir auch keine weiteren Überlegungen angestellt, zumal dessen Einführung unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht sehr einfach wäre. Wir haben dies
auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten einer genauen Prüfung unterzogen. Diesen Ansatz teilen wir also
nicht.
Was die Frage nach den 1 Megabit oder 2 Megabit
pro Sekunde oder wie viel auch immer anbelangt, so
freuen wir uns natürlich grundsätzlich über jede höhere
Geschwindigkeit. De facto gibt es aber, wie vorhin
schon betont, noch immer weiße Flecken, in denen sogar
von 1 Megabit pro Sekunde derzeit nur geträumt werden
kann. Dort wollen wir bis 2010 einen Mindeststandard
erreicht haben. Ich spreche bewusst von einem Mindeststandard. Dort, wo sich die Möglichkeit ergibt, zugunsten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit höhere Geschwindigkeiten zu erreichen, wird dies gern gemacht.
Aber zunächst einmal ist dieser Mindeststandard als eine
erste Zielmarke zu erfüllen, um bis 2014, wie wir festgelegt haben, in eine ganz andere Sphäre vorstoßen zu können.
Kollegin Grietje Staffelt, bitte.
Herr Minister, die Kolleginnen und Kollegen haben
schon Kritik am Mindeststandard 1 Megabit pro Sekunde deutlich gemacht, weshalb ich mich auf den Hinweis beschränke, dass so die digitale Spaltung in unserem Land nicht wirklich aufgelöst werden wird. Insofern
hoffen wir auf weitergehende Bestrebungen.
Meine Frage bezieht sich auf frei werdende Rundfunkfrequenzen. Hat die Bundesregierung die verbindliche Zusage aller Bundesländer und deren zuständigen
Institutionen, dass die frei werdenden Rundfunkfrequenzen an die Mobilfunkdiensteanbieter abgegeben werden?
Wir haben eine erfreuliche Nachricht seitens der Bundesländer. Anderenfalls hätte ich vorhin nicht davon gesprochen, dass wir davon ausgehen, dass wir bereits bei
der Bundesratssitzung im Mai einen entsprechenden Beschluss werden herbeiführen können. Wir hätten heute
die Digitale Dividende nicht im Kabinett erörtert, wenn
wir diese Signale der Bundesländer nicht erhalten hätten.
Es gibt natürlich einige Folgeprobleme, bei denen
jetzt das eine oder andere noch im Detail zu lösen ist.
Beispielsweise gibt es eine ganz interessante Fußnote,
die bei eigenen Parteitagen oder bei Musikveranstaltungen vielleicht einmal plötzlich relevant werden könnte.
Es geht darum, dass für die freien Mikrofone, mit denen
dort gearbeitet wird, genau der gleiche Frequenzbereich
genutzt wird. Wir sind dabei, hierfür einen anderen Frequenzbereich nutzbar zu machen. Auch hier ist eine
weitgehende Einigkeit hergestellt.
Die eine oder andere Nuance bedarf also noch einer
entsprechenden Schärfung, aber wir sind hier auf einem
erstklassigen Wege. Ich freue mich, dass wir auch mit
den Bundesländern so schnell zu einer zügigen Einigung
gekommen sind.
Danke schön. - Kollege Martin Dörmann.
Herr Minister, auch ich begrüße die Breitbandstrategie der Bundesregierung ausdrücklich. Den Dankesworten meines Kollegen Hofbauer möchte ich noch hinzufügen, dass ich auch Vizekanzler Steinmeier sehr herzlich
dafür danke, dass das ins Konjunkturpaket II aufgenommen wurde.
({0})
Er hat sich nämlich besonders dafür und übrigens auch
dafür eingesetzt, dass das auch auf europäischer Ebene
ein wichtiges Thema ist.
({1})
Das werde ich gleich auch noch in einer Frage aufgreifen.
Ich möchte noch einmal betonen: Herr Minister, Sie
haben hier gesagt, dass wir in erster Linie darauf setzen
müssen, dass die Unternehmen innerhalb des Wettbewerbs die Investitionen erbringen, die für die Verwirklichung der ehrgeizigen Ausbaupläne notwendig sind. Das
sind zweistellige Milliardenbeträge. Ich glaube, wir alle
stimmen hier überein: Wenn es Möglichkeiten gibt, dass
nicht der Steuerzahler das zu bewerkstelligen hat, sondern dass die Unternehmen das machen können, dann ist
das nur zu begrüßen. Vor diesem Hintergrund unterstreiche ich das, was Sie gesagt haben, dass wir nämlich gerade im Bereich der Regulierung, und zwar sowohl der
nationalen als auch der europäischen Regulierung, einen
Rahmen brauchen, der auf Wachstum und Investitionen
ausgelegt ist. Weil von einigen hier in Zweifel gezogen
worden ist, dass das ein ganz wichtiges Thema ist, will
ich das noch einmal betonen.
Der praktische Hintergrund ist nämlich Folgender: In
den ländlichen Räumen rechnet sich heute die Investition für die Unternehmen in vielen Fällen nicht, weil der
Rahmen eben so ist, wie er ist. Die Telekom hat im letzten Jahr zwar 400 Gemeinden neu angeschlossen, aber
es bringt eben nicht überall Gewinn; denn sonst würde es
ja überall gemacht werden. Deshalb brauchen wir einen
entsprechenden Rahmen.
Mit meinen Fragen beziehe ich mich auch auf die
europäische Ebene, weil wir alle wissen, dass sie für die
Rahmengesetzgebung zuständig ist, die gerade aktuell
diskutiert wird.
Gestern erreichte uns die Mitteilung, dass die britische Regulierungsbehörde Ofcom das britische Telekommunikationsunternehmen BT zukünftig mit einem
flexiblen Regulierungsrahmen ausstatten möchte, wenn
es Investitionen in neue und schnelle Breitbandnetze tätigt. Das ist eine Zielsetzung, die ich in der Breitbandstrategie in gewisser Weise - aber nicht bezogen auf ein
einzelnes Unternehmen - durchaus wiederfinde. Gleichzeitig blockiert aber die britische Seite Vorschläge auch
seitens der Bundesregierung, mit denen auf stärkere Investitionsanreize im Regulierungsrahmen auf europäischer Ebene gesetzt wird.
Deshalb meine Fragen an Sie, Herr Minister:
Erstens. Inwieweit gibt es diesbezüglich möglicherweise eine Meinungsänderung auf britischer Seite? Wie
kommen wir hinsichtlich des Regulierungsrahmens auf
europäischer Ebene weiter?
Zweitens. Ich habe das Beispiel BT aus Großbritannien angesprochen. Gehen Sie davon aus, dass auch
durch die Eckpunkte der Bundesnetzagentur ein Rahmen
geschaffen wird, aufgrund dessen die Investitionstätigkeit sozusagen auch an dieser Stelle verstärkt werden
kann?
Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Zunächst einmal zu
den Hintergründen der Entscheidung in Großbritannien:
Ich kann sozusagen nicht jede Windung des geistigen
Prozesses des gestrigen Tages und dessen, was dort im
Vorfeld gelaufen ist, von außen nachvollziehen. Hinsichtlich dieser Frage werde ich allerdings das Gespräch
mit den britischen Kollegen suchen, gerade auch vor
dem Hintergrund, dass wir uns in Brüssel und auf nationaler Ebene nicht diametral unterschiedlich verhalten,
sondern dass hier auch auf europäischer Ebene eine
Schlüssigkeit erreicht wird. Da wir heute schon über
Kommunikationsnetze sprechen: Das ist etwas, was wir
am ehesten durch die Verstärkung der Kommunikation
auch auf politischer Ebene darstellen können und sollten.
Es gibt in diesen Tagen viele Möglichkeiten und
Optionen, mit den Briten ins Gespräch zu kommen. Ich
bin morgen in Brüssel. Möglicherweise ergibt sich dort
auch schon die Möglichkeit, das Thema einmal anzureißen.
Ich bitte Sie, die zweite Frage noch einmal schnell zu
stellen.
({0})
Ich habe gerade ein Beispiel dafür genannt, wie auf
britischer Ebene Investitionsanreize für investierende
Unternehmen konkret gesetzt werden. Gehen Sie davon
aus, dass auf der nationalen Ebene hier in Deutschland,
eventuell auch in den Eckpunkten der Bundesnetzagentur, Entsprechendes vorzusehen ist?
Ich bin nicht mit der Gabe der Prophetie gesegnet.
({0})
- Sehr schade, Herr Kollege Otto. - Ich habe vorhin
schon einmal darauf hingewiesen, dass sich die Optionen des Durchgriffs der Bundesregierung auf die Bundesnetzagentur in den Grenzen zu halten haben, die
gezeichnet sind. Von daher werden jetzt Gespräche stattfinden. Dann werden wir sehen, in welcher Form sich
das darstellt.
Kollegin Gudrun Kopp, bitte.
Vielen Dank. - Herr Minister, ich setze in Fragen des
Wettbewerbs auf Sie und wüsste gerne, wie ich mir das
vorstellen soll. Wenn ich mich recht erinnere, hat die
Bundeskanzlerin in einer ihrer letzten Reden von einem
Gesamtvolumen von 160 Millionen Euro für den Ausbau des schnellen Internets gesprochen. Heute war von
dieser Zahl nicht die Rede. Gibt es jetzt eine andere Strategie?
Gehen wir einmal von einer Summe X aus. Heißt das
konkret vor Ort - ich komme aus dem ländlichen Raum -,
dass diese Summe im Rahmen eines eingeschränkten
Vergabeverfahrens den Anbietern für den Ausbau zugeteilt wird? Denn wir wollen den Wettbewerb stärken,
statt Sonderkonditionen für einen großen Marktanbieter
zu schaffen.
Mich stört des Weiteren - ich möchte wissen, ob Sie
diese Ansicht teilen -, dass immer wieder von Glasfaserverlegung die Rede ist, obwohl wir wissen, dass eine flä22362
chendeckende Glasfaserverkabelung der Bundesrepublik
in etwa 50 Milliarden Euro kosten würde. Das kann
doch nicht wahr sein. Wir müssen sehr gezielt auf der
Grundlage einer verlässlichen Datenbasis zum Ausbau
kommen.
Mein Nachbarkreis Höxter in Nordrhein-Westfalen
- ein sehr ländlicher Bereich - hat durch eine Universität
erfassen lassen, was an schnellem Internet vor Ort gewünscht wird. Sie hat sehr dezidiert fantastisch verlässliche Daten für diesen Bereich vorgelegt, die besagen,
dass schon 1 Megabit pro Sekunde beim Ausbau des
schnellen Internets eine Unterversorgung darstellt. Meinen Sie nicht, dass man gerade dann, wenn man einen
zukunftsgerichteten Ausbau vornimmt, nicht so niedrig
ansetzen sollte, sondern als Mindestkriterium mit 2 Megabit pro Sekunde beginnen müsste?
Vielen Dank für die Nachfrage, Frau Kollegin Kopp.
Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass das Ausbauvorhaben, das von unserer Seite auf den Weg gebracht
worden ist, als Prozess zu sehen ist. Wir müssen zunächst einmal - ich glaube, das ist der maßgebliche
Punkt - die flächendeckende Versorgung erreichen. Das
entspricht der Erwartungshaltung in der Bevölkerung.
Ich kann nur wiederholen, dass das erst der Anfang ist
und wir viel mehr erreichen wollen. Ich spreche auch
nicht von 2 Megabit im Jahr 2014, sondern es geht um
50 Megabit in 75 Prozent der Haushalte. Wir haben als
Zielsetzung, auch das flächendeckend weiter auszubauen. Von daher sind die 2 Megabit eine erste ehrgeizige Minimumzielsetzung. Was in Ihrer unmittelbaren
Nachbarschaft offensichtlich in bewundernswerter
Weise dargestellt wurde, ist genau das, was wir für einen
Infrastrukturatlas brauchen. Wir sind alle aufgefordert,
mit dazu beizutragen, dass ein solcher Atlas erstellt werden kann, indem die entsprechenden Erfahrungswerte
mit eingebracht werden. Vielleicht ist mein Haus bereits
damit befasst. Es ist aber wichtig, dass wir über diesen
Ansatz Kenntnis erlangen.
({0})
- Einer Ausschreibung gegenüber bin ich unter Wettbewerbsgesichtspunkten zunächst einmal nicht negativ eingestellt. Aber Sie haben das Gesamtvolumen benannt,
um das es geht. Angesichts der von Ihnen genannten
50 Milliarden Euro können wir, glaube ich, in der Phase,
in der wir uns gerade befinden, nur von einer Illusion
sprechen, das von staatlicher Seite begleiten zu wollen.
Insofern komme ich zu dem Punkt zurück: Wir wollen das ausschöpfen, was privatwirtschaftlich, durch
kommunalen Einsatz und auf den unterschiedlichen Ebenen möglich ist bzw. additiv dort herangehen, wo es
nicht anders möglich ist. Wir werden die Maßnahmen,
die im Wettbewerb möglich sind, durchführen. Ob das
überall durch Ausschreibung gelingt, wird sich zeigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rechne mit Ihrer
Zustimmung, wenn ich die Zeit für die Regierungsbefragung etwas verlängere. Es gibt noch eine ganze Reihe
von Fragestellern. Das geht zulasten der Fragestunde,
wie Sie wissen.
Jetzt hat Kollegin Veronika Bellmann das Wort.
Herr Minister, Sie haben den Infrastrukturatlas angesprochen und ihn mit Versäumnissen beim Ausbau des
schnellen Internets auch in den Kommunen in Zusammenhang gebracht, die aufgearbeitet werden sollten.
Vielleicht ist Versäumnis nicht das richtige Wort. Zumindest lässt sich ein Versäumnis mit dem finanziellen Hintergrund erklären, den der Ausbau der Breitbandversorgung hat. Ich bin deshalb sehr froh, dass zumindest
Sachsen einen Teil der Mittel des Konjunkturpakets II,
das 65 Prozent für Bildungsaufgaben und 35 Prozent für
die Infrastruktur vorsieht, für die Verbesserung der
Breitbandversorgung nutzen kann. So viel zum finanziellen Hintergrund.
Ich habe eine Frage zu dem Thema „digitale Dividende“. Im Vorfeld der Beschlussfassung dazu gab es
eine seltene Einigkeit von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern. Sie haben sich zusammengesetzt, um
über alle frei werdenden Frequenzen zu sprechen, und
sind an die Staatskanzleien herangetreten. Ich weiß
nicht, wie viele weitere eher unnütze Fernseh- und
Rundfunkprogramme ins Auge gefasst wurden. Auf jeden Fall bin ich sehr froh, dass Sie sich, wie Sie vorhin
dargelegt haben, mit den Bundesländern ins Benehmen
setzen konnten und frei werdende Frequenzen für die
Breitbandversorgung verwendet werden können. So viel
zum Thema „digitale Dividende“.
Ich habe es vorhin akustisch nicht ganz verstanden:
Haben Sie schon etwas zum Zeitpunkt der Frequenzvergabe gesagt, oder ging es nur um den Zeitpunkt der Bundesratsbefassung? Es wäre schön, wenn Sie das wiederholen könnten. Ich weiß, dass einige Pilotversuche
sowohl in Brandenburg als auch in Mecklenburg-Vorpommern laufen. Demnächst soll auch in Sachsen ein
Pilotversuch starten, in dessen Rahmen insbesondere die
Störsignale, die offenbar von Nachrichtensendern kommen, untersucht werden. Vielleicht können Sie dazu
noch etwas sagen.
Vorhin wurde kurz der EU-Regulierungsrahmen angesprochen. Ich möchte nicht auf diesen Rahmen eingehen, sondern die etwas nebulösen Aussagen der EU zur
Verbesserung der Breitbandversorgung und der Infrastruktur ansprechen. Die Bundesseite ist relativ detailliert. Zwar sagt die EU, dass sie die Breitbandversorgung
fördern will. Aber bislang kann man sozusagen nicht
richtig in die Tiefe schauen. Welche Erkenntnisse können Sie uns dazu vermitteln?
Frau Kollegin Bellmann, die bisherigen Erkenntnisse
versetzen auch mich nicht in glühende Euphorie. Aber es
handelt sich um Bestandteile, die in vertiefende Gespräche - auch in Brüssel - einfließen werden. Solche Gespräche suche ich gezielt. Das muss und wird in den
nächsten Wochen geschehen.
Zu den von Ihnen angesprochenen Versäumnissen.
Ich möchte nicht missverstanden werden: Es geht mir im
Zusammenhang mit den Versäumnissen bei den Infrastrukturmaßnahmen nicht darum, mit dem nackten Finger auf die Kommunen zu deuten und Schuldzuweisungen vorzunehmen. Vielmehr haben wir noch nicht alles
gemacht, was wir mit Blick auf den Infrastrukturatlas
tun können. Wir könnten bessere Erkenntnisse bekommen, wenn wir uns der Gegebenheiten vor Ort sicher
wären. Das ist man in der Regel auf kommunaler Ebene.
Ich bitte daher seitens der Bundesregierung, die Kräfte
zu bündeln und diesen Atlas - das ist ein sehr ehrgeiziges Vorhaben - bis zum Herbst dieses Jahres zu erarbeiten. Zumindest sollte es im Herbst eine erste Vorlage
geben. Das darf auf keinen Fall auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden.
Ich greife Ihre Frage nach dem Zeitpunkt auf; das ist
wichtig. Sie haben auf die Pilotprojekte hingewiesen.
Diese sollte man nicht außer Acht lassen. Nun gibt es
unterschiedliche Einschätzungen, bis wann das umsetzbar ist. Ich höre aus meinem Hause, dass man zumindest
2010 mit einem Beginn, was die weißen Flecken angeht
- darüber müssen wir Klarheit gewinnen -, rechnen
kann.
Kollegin Enkelmann, bitte.
Der Infrastrukturatlas ist bereits von mehreren Seiten
angemahnt worden. Gehe ich recht in der Annahme, dass
die Bundesregierung über den tatsächlichen Istzustand
der Versorgung nicht Bescheid weiß? Ich frage das aus
folgenden Gründen: Sie sprechen die ganze Zeit von
ländlichen Räumen und dünnbesiedelten Gebieten. Aber
selbst in der Nähe von Ballungsräumen wie Berlin gibt
es Orte wie Fredersdorf-Vogelsdorf und AhrensfeldeBlumberg, die sehr schlecht ausgestattet sind. So gibt es
Gewerbegebiete und Unternehmen, die keinen Zugang
zum schnellen Internet haben. Wir brauchen also dringend einen Infrastrukturatlas. Stimmt es, dass die Bundesregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt über die
Lage nicht ausreichend informiert ist?
Frau Kollegin Enkelmann, ich würde die Notwendigkeit eines Infrastrukturatlasses nicht betonen, wenn ich
diese Notwendigkeit nicht erkannt hätte. Die Erkenntnisse, um die es hier geht und die wir erlangen wollen,
kann die Bundesregierung aber nicht eben aus dem Ärmel schütteln. Vielmehr kommt es dabei auf Kooperationsbereitschaft auf unterschiedlichen Ebenen an.
Da ist die kommunale Ebene ebenso gefragt wie unternehmerische Kenntnisse, die wir natürlich auch mit
einbeziehen müssen, obwohl wir wissen, dass es nicht
immer einfach ist, auch in diesem Bereich den Kenntnisstand zu erreichen, den wir brauchen. All das ist zusammenzuführen, damit wir wirklich die Gewissheit darüber
erlangen, wo die unterschiedlichen Defizite bestehen.
Wir haben zwar mittlerweile die tollsten Karten, auf denen grob weiße Flecken aufgezeichnet sind. Diese werden aber der notwendigen Differenzierung vor Ort nicht
gerecht.
Der Infrastrukturatlas wird in seiner Zielsetzung auch
deswegen ambitioniert auf den Weg gebracht, um in der
Zusammenarbeit aller Ebenen, die über Kenntnisse verfügen, zu diesem Lückenschluss - oder wie auch immer
man das bezeichnen will - kommen zu können. Zumindest gilt dies für die Erkenntnisgewinnung.
Kollege Uwe Barth, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, es ist in
den Ausführungen verschiedentlich auf das Konjunkturpaket II hingewiesen worden. Sie haben es eingeführt.
Im Rahmen einer Frage vonseiten der SPD ist ausdrücklich dem Außenminister gedankt worden. Ich finde, Sie
könnten an der Stelle auch einmal der Gesundheitsministerin danken.
({0})
In dem Zusammenhang habe ich immer ein bisschen
den Eindruck, dass wir der Versuchung, der Verlockung
der großen Zahlen erliegen. Es ist von 50 Milliarden
Euro die Rede. Das ist viel Geld.
Ich habe meiner Zeitung vom Wochenende eine Liste
entnommen, die aufzeigt, wie sich das Geld aus dem
Konjunkturpaket II auf die einzelnen Gemeinden verteilt. Da gibt es eine Gemeinde - ich werde den Namen
jetzt nicht sagen, weil ich dem Bürgermeister nicht Unrecht tun will; er kann ja nichts dafür -, die aus dem
Konjunkturpaket II 2 719 Euro bekommt. Mit dem Eigenanteil von 680 Euro sind es rund 3 400 Euro. Davon
fließen 65 Prozent in die Bildung. Dann bleiben ungefähr 1 000 Euro übrig.
({1})
Welche Effekte, welche nennenswerten Impulse, Herr
Minister, erwarten Sie denn für diese Gemeinde im ländlichen Raum - sie ist offenkundig Ziel- und Problemgebiet -, selbst wenn wir annehmen, dass diese 1 000 Euro
insgesamt in den Ausbau der Breitbandversorgung fließen?
Herzlichen Dank für die Frage, Herr Kollege. Ich darf
trotzdem darauf hinweisen, dass wir das richtige Plenum
für diese Frage nutzen sollten, und das richtige Plenum
für diese Frage wäre das des Landtages.
({0})
- Ja, es ist doch so. Denn hier reden wir über einen Verteilungsschlüssel, der nicht vom Bund festgelegt wird.
Vielmehr spielt sich die Verteilung der Mittel auf der
Landesebene ab.
({1})
Deswegen müssen wir hier vorsichtig sein, dass wir
nicht eine direkte Schuldzuweisung in Richtung Bund
konstruieren, die aufgrund des Verteilungsschlüssels woanders angesiedelt ist.
Als letzte Fragestellerin zu diesem Themenbereich erteile ich Kollegin Pawelski das Wort.
Herr Minister, ich komme aus der CeBIT-Stadt Hannover und habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie als
neuer Wirtschaftsminister nicht nur die weltgrößte Computermesse eröffnet haben, sondern dass Sie sich sehr
viel Zeit genommen haben, um sich an den Ständen kundig zu machen. Schließlich spielt das Thema Breitbandverkabelung auf dieser Messe eine große Rolle.
Da wir jetzt viel über die Kosten der Breitbandverkabelung gesprochen haben, frage ich einfach einmal
nach dem Nutzen. Welchen volkswirtschaftlichen Nutzen erwarten Sie von einer flächendeckenden Versorgung mit Breitbandanschlüssen vor allem für den ländlichen Raum vor dem Hintergrund, dass die jetzt immer
noch vorhandenen weißen Flecke durchaus Standortnachteile für den ländlichen Raum bedeuten?
Herzlichen Dank, Frau Kollegin Pawelski. - Zunächst
darf ich darauf hinweisen, dass - gottlob! - die Bundeskanzlerin die CeBIT eröffnet hat.
({0})
- Ich war dabei und habe insbesondere entsprechenden
kalifornischen Avancen Tribut gezollt.
Die Impulse seitens dieser Breitbandstrategie gerade
für den ländlichen Raum erwarte ich vor allem deshalb,
weil ich dem ländlichen Raum nicht ansatzweise seine
Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft absprechen will
und weil wir alles zu unternehmen haben, dass sich diese
Punkte nicht nur auf die Ballungsräume konzentrieren.
Wenn wir über Wachstumspotenziale sprechen, dann
meinen wir damit Potenziale, die wir nicht lediglich auf
die Metropolen konzentrieren sollten, sondern die in
meinen Augen gerade in diesem Land auch im ländlichen Raum liegen könnten. Wettbewerbsfähigkeit desselben ist der eine Punkt.
Der zweite Punkt ist folgender: Ich habe vorhin schon
einmal bescheiden darauf hingewiesen, dass vielerlei
Experten einen erheblichen Schub in Richtung Arbeitsplätze in diesem Sektor in den nächsten Jahren erwarten
und dass man dieser Tage in gewisser Weise beruhigt sehen kann, dass sich die Informations- und Telekommunikationsbranche als sehr krisenresistent zeigt. Wenn all
das in einen vernünftigen Zusammenhang gebracht wird,
dann kann man sich davon schon Wachstumsimpulse
versprechen.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung. Herzlichen Dank, Herr Minister.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/12074, 12093 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß unseren
Richtlinien zunächst die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/12093 auf.
Ich rufe die dringliche Frage 1 auf:
Welche konkreten Maßnahmen werden von Opel/General
Motors Europe, GM Europe, in den Bereichen Arbeitsplätze,
Standorte, Finanzbedarf, Unternehmensstruktur, Produktportfolio sowie Patentrechte im am Wochenende vorgelegten Zukunftsplan des Unternehmens vorgeschlagen, um die Zukunft
der Adam Opel GmbH zu sichern?
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium Dagmar Wöhrl zur
Verfügung. Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Dückert, wir hatten schon heute Morgen im Wirtschaftsausschuss Gelegenheit, uns sehr intensiv mit diesem
Thema auseinanderzusetzen. Ich will nichtsdestoweniger auch für die Kolleginnen und Kollegen, die heute
Morgen nicht im Wirtschaftsausschuss gewesen sind,
Ihre Frage beantworten: Bei der Vorstellung des Konzepts diese Woche wurden auch die in Ihrer Frage erwähnten Punkte angesprochen. GM Europe schließt
Werkschließungen in Europa nicht aus, will diese aber
durch Einsparverhandlungen mit der Arbeitgeberseite
möglichst verhindern. Dies wird zurzeit mit dem Betriebsrat diskutiert. GM Europe spricht von einer Reduzierung der Strukturkosten in Höhe von 1,2 Milliarden
Euro und einer nötigen Unterstützung durch Bund und
Länder in Höhe von 3,3 Milliarden Euro. Opel soll nach
den Überlegungen von GM Europe integraler Bestandteil des GM-Konzerns bleiben, aber eine größere Eigenständigkeit erhalten. Damit stellt sich die Frage eines
eventuell nötigen Abschottungskonzepts, das wir heute
Morgen hier diskutiert haben, welches ein Abfließen von
Geldern in die USA wirksam verhindern soll. Seitens
GM wird eine Unterstützung in Höhe von 3 Milliarden
Euro in Form von Sacheinlagen in Aussicht gestellt. Bei
dem Konzept bleibt allerdings unklar, inwieweit der
amerikanische Mutterkonzern diese Unterstützung verbindlich zugesagt hat - konkrete Aussagen sind nötig.
Auch bleibt fraglich, ob dies nur über buchungstechnische Maßnahmen stattfinden soll oder mehr damit verbunden ist. Ferner bleibt die Frage offen, wie verlässlich
solche Zusagen sind, solange die Zukunft von GM in
den USA noch ungeklärt ist. Nach Aussage von Opel/
GM Europe will das Unternehmen bis 2011 wieder proParl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl
fitabel werden. Dies soll durch eine innovative Modellpolitik sowie durch Restrukturierungsmaßnahmen erreicht werden. Die weitere Nutzung der Patente durch
Opel/GM Europe soll möglich sein. Die Gefahr, dass
GM nach dem amerikanischen Insolvenzrecht Chapter 11
anmeldet - das hatten wir heute Morgen diskutiert -, ist
weiterhin nicht ausgeschlossen. So benötigt GM offensichtlich noch weitere Hilfen in Milliardenhöhe, um den
Bankrott zu vermeiden. GM ist von der amerikanischen
Regierung aufgefordert worden, bis Ende März einen
umfassenden Sanierungsplan auf den Tisch zu legen.
Weiterhin hat sich das US-Finanzministerium das Eigentum an den geistigen Schutzrechten als Sicherheit abtreten lassen.
Kollegin Dückert, bitte.
Schönen Dank, Frau Staatssekretärin. Sie haben heute
Morgen im Ausschuss in Ihrem schriftlichen Bericht
darauf hingewiesen, dass Ihr Haus den Zukunftsplan, der
vorgelegt worden ist und der über 150 Seiten umfasst,
erstens kennt und zweitens sehr detailliert prüft. Ich will
nachfragen, weil mich eines heute Morgen irritiert hat:
Ist es richtig, dass dieser Plan, den Sie jetzt im Detail
prüfen, nicht mit dem GM-Mutterkonzern abgestimmt
ist, sondern nur ein Zukunftsplan ist, der zunächst einmal ohne Abstimmung vorliegt?
GM kennt den Zukunftsplan. Er ist auch grundsätzlich - ich sage das so explizit - gebilligt worden, aber
GM hat nicht gesagt, wie weit das Unternehmen bereit
ist, unter anderem GM Europe in die Eigenständigkeit zu
entlassen. Der Umfang ist also nicht klar und deutlich
benannt worden.
Eine weitere Nachfrage, bitte.
Wenn das in dem Zukunftskonzept offengelassen
wird, ist es dann gleichwohl richtig - dies ist uns beispielsweise vom Ersten Vorsitzenden der IG Metall,
Berthold Huber, und von Klaus Franz, dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Adam Opel AG, in einem
Brief mitgeteilt worden -, dass dieses Konzept, dieser
Unternehmensplan, eine grundsätzliche Wachstumsannahme beinhaltet, die die Gewerkschaften selber als
konservativ einschätzen? Ist es richtig, dass eine solche
Wachstumsannahme diesem Konzept zugrunde liegt?
Wenn ja, wie beurteilen Sie das angesichts der bekannten
Tatsache, dass es im gesamten Automobilbereich Überkapazitäten in Höhe von 30 Prozent gibt? Ist in diesem
Konzept die Entwicklung von Zukunftsmodellen, von
kleinen Modellen, von neuen Antriebstechniken enthalten oder nicht? Was ist mit der anscheinend vorhandenen
Es wird in diesem Papier von einer Wachstumsprognose ausgegangen. Wie ich vorhin erwähnt habe, geht
man davon aus, dass man bis 2011 wieder profitabel ist.
Man spricht natürlich auch von beschleunigten Produkterneuerungen, von neuen Antriebstechniken und von
Restrukturierungsmaßnahmen. Wie gesagt, sind das alles Annahmen.
Dieses Papier ist heute Morgen im Bürgschaftsausschuss vorgestellt worden. Dieser Ausschuss wird sich
mit den Gegebenheiten dieses Papiers - uns liegt ein umfangreiches Dolument vor - sehr detailliert und ganz explizit auseinandersetzen. Er wird auch Fragen behandeln, die Sie hier zu Recht gestellt haben, etwa: Wie soll
die Produktentwicklung zukünftig aussehen? Auch wird
er den vielen offenen Fragen in anderen Bereichen nachgehen.
Eine weitere Nachfrage dazu vom Kollegen Ströbele.
Ich habe noch eine Nachfrage zu dem letzten Thema.
Ist davon auszugehen, dass dieser Plan, der Ihnen vorgelegt worden ist, mit dem Betriebsrat und den Gewerkschaften abgestimmt worden ist? Wenn das so ist, wie
erklärt sich dann, dass in öffentlichen Äußerungen seitens der Arbeitnehmervertreter immer wieder gesagt
wird, es dürfe dabei keine betriebsbedingten Kündigungen geben und es dürften keine Arbeitsplätze verloren
gehen, obwohl den heutigen Nachrichten zu entnehmen
war, dass der Chef von GM Europe erklärt hat, dass
3 000 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen?
Nach unserer Kenntnis werden Gespräche mit den
Betriebsräten geführt bzw. sind schon geführt worden.
Nach den Aussagen, die uns gegenüber von der Firmenleitung - nicht vom US-Mutterkonzern, sondern von
GM Europe - gemacht worden sind, ist es auf jeden Fall
notwendig, dass die Restrukturierungsmaßnahmen einen
Arbeitsplatzabbau beinhalten.
Eine letzte Nachfrage dazu stellt die Kollegin
Dağdelen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Frau Wöhrl, ich
komme selbst aus Bochum und arbeite mit dem Betriebsrat der Opel-Werke in Bochum intensiv zusammen.
Gedenkt die Bundesregierung, die den vorliegenden
Plan von GM Europe prüft und anschließend bewertet,
in der Zwischenzeit selbst einen Plan, ein Konzept zu erstellen, mit dem sie in die Verhandlungen mit General
Motors Europe gehen kann? In der Vergangenheit wurde
gesagt, die Bundesregierung habe Arbeitsgruppen einge22366
richtet. Was ist das bisherige Ergebnis dieser Arbeitsgruppen? Erwägt die Bundesregierung, ein eigenes Konzept, einen eigenen Plan zu erstellen?
Die Bundesregierung wird kein eigenes Konzept erstellen; denn der Staat ist nicht der Unternehmer. Hier ist
das Unternehmen gefordert, uns ein Zukunftskonzept
vorzulegen, welches aufzeigt, dass Opel zukunftsfest ist
und dass auch die Arbeitsplätze erhalten werden können.
Der Plan, der momentan vorliegt, entbehrt dieser Grundlage. Es sind noch zu viele Fragen offen, als dass gesagt
werden könnte, hier wäre eine betriebwirtschaftliche und
förderfähige Basis gegeben.
Wir werden die offenen Fragen zusammenstellen,
auch mithilfe des Bürgschaftsausschusses, und werden
noch einmal an das Unternehmen herantreten mit dem
Ziel, dass die Fragen beantwortet werden. Um nur einige
zu erwähnen: Es ist vollständig offen, wie die Unternehmensstrategie zukünftig, auch im Verbund, aussehen
soll. Es ist vollkommen offen, welche Mehrheitsbeteiligung die Mutter an der Tochter zukünftig haben möchte.
Wir werden also kein eigenes Konzept auf den Tisch
legen - das betrifft nicht nur Opel; das betrifft auch andere Unternehmen -; das ist nämlich nicht unsere Aufgabe als Staat.
Danke schön. - Ich rufe die dringliche Frage 2 der
Kollegin Dückert auf:
Werden mögliche Hilfsmaßnahmen seitens der Bundesregierung für die Adam Opel GmbH und GM Europe mit anderen europäischen Staaten koordiniert und auf Europarechtskonformität überprüft?
Frau Staatssekretärin, Sie haben weiterhin das Wort
zur Beantwortung.
Danke, Herr Präsident. - Ich beantworte die dringliche Frage 2 wie folgt: Die Bundesregierung wird, sobald
sich konkrete Maßnahmen zugunsten des Unternehmens
abzeichnen, mit der Europäischen Kommission offiziell
Kontakt aufnehmen, um sicherzustellen, dass eventuelle
Beihilfen auch europarechtskonform sind. Die Bundesregierung ist natürlich weiterhin im Gespräch mit den
Mitgliedstaaten, in denen es Produktionsstätten von General Motors Europe gibt. Der Minister hat sich persönlich mit den Ministerpräsidenten der einzelnen Länder
kurzgeschlossen - das vielleicht nur noch als Ergänzung -, und er wird jetzt bei seinem Besuch in Brüssel
dieses Thema noch einmal mit betroffenen Mitgliedstaaten erörtern.
Kollegin Dückert, bitte.
Ist es richtig, dass in den vorliegenden Zukunftsplänen an das Modell einer europäischen Aktiengesellschaft
gedacht ist?
Ich möchte jetzt nicht Details dazu nennen, was in dem
Papier vorgesehen ist. Fakt ist, dass wir EU-rechtlich bestimmte Vorgaben zu beachten haben, gerade wenn es um
Bürgschaften gehen sollte. Wir haben natürlich zu prüfen,
ob die Voraussetzungen gegeben sind. Sie wissen, dass
die bis 2010 befristete Regelung für Bürgschaften am
27. Februar dieses Jahres genehmigt worden ist. Auch dafür müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein.
Das Unternehmen darf vor dem 1. Juli 2008 nicht in
Schwierigkeiten gewesen sein. Die Schwierigkeiten müssen durch die Finanzmarktkrise verursacht worden sein
und dürfen nicht struktureller Natur sein. Die Bank muss
bereit sein, beim Kredit 10 Prozent der Haftung zu übernehmen. Falls das nicht gegeben sein sollte, kommen die
EU-Regelungen für Rettungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen zur Anwendung; dann brauchen wir eine
Einzelgenehmigung von Brüssel.
Hinsichtlich eines Zusammenschlusses, wie Sie ihn
angesprochen haben, müssen noch Gespräche mit den
einzelnen Ländern stattfinden, in denen es Standorte von
General Motors Europe gibt. Diese Gespräche sind noch
nicht sehr weit gediehen.
Eine weitere Nachfrage?
Ich habe noch eine weitere Nachfrage. - Sie haben
vorhin zu Recht auf das gravierende Problem hingewiesen, dass Opel im Moment überhaupt keine Patente besitzt, weil die in den USA liegen. Wenn man über eine
Trennung von General Motors nachdenkt, wird man einsehen: Das ist für die zukünftige Ausrichtung von Opel
natürlich problematisch. Sie haben auch darauf hingewiesen, dass die US-amerikanische Regierung diese Patente offenbar als eine Art Garantie beansprucht.
Schließe ich richtig, wenn ich sage, dass die Möglichkeit
einer Rückübertragung der Patente nach Europa, zu Opel
hin damit ausgeschlossen ist bzw. dass Sie als Wirtschaftsministerium diese Lösung ablehnen, weil das natürlich etwas kostet?
Sie sprechen diese Problematik zu Recht an. Für uns
wäre es sehr wichtig, dass die Patente hier auch weiterhin genutzt werden können. Vor zwei Jahren sind sie an
die Muttergesellschaft übertragen worden. Wir müssten
natürlich auch ausschließen, dass die 3,3 Milliarden
Euro, die als notwendig erachtet werden, dafür verwendet werden, diese Patente zu bezahlen. Dann fände nämlich ein Abfluss des Geldes nach Amerika statt, was wir
eben nicht wollen. Wir wollen, dass das Geld hier bei
uns eingesetzt wird.
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Zusätzlich ist noch die Frage zu klären - das haben
Sie zu Recht angesprochen -, wie man mit dem Problem
der Absicherung umgeht. Die amerikanische Administration hat sich ja die Patente als Sicherheit abtreten lassen.
Sie sehen, es gibt viele offene Fragen, die vom Unternehmen noch nicht zur Zufriedenheit beantwortet worden sind.
Kollegin Dağdelen zu einer weiteren Nachfrage.
Frau Wöhrl, wird sich die Bundesregierung bei der
EU-Kommission, wenn diese das Beihilferecht eng auslegen will - Herr Verheugen hat ja bereits verlautbaren
lassen, dass man das müsste -, dafür einsetzen, dass
auch im Falle einer Hilfe für Opel in Form einer Staatshilfe oder einer Staatsbürgschaft durch die Bundesregierung das Beihilferecht wie beim Rettungsschirm für die
Banken generös ausgelegt wird?
Ich glaube, es ist jetzt erst einmal wichtig, dass eine
Bank gefunden wird. Es geht ja nicht nur darum, eine
Bürgschaft zu übernehmen. Vielmehr brauchen Sie auch
eine Bank, die das verbürgt. Es ist uns nicht bekannt,
dass zurzeit irgendeine Bank bereit ist, einen Kredit zu
gewähren.
Auch mangelt es noch am Engagement des Unternehmens, sich um einen Investor zu kümmern. Das reicht
bisher nicht aus. Es ist nicht Aufgabe des Staates, auf Investor- oder Bankensuche zu gehen. Auch in diesen Fragen muss das Unternehmen erst selbst tätig werden.
Danke schön, Frau Staatssekretärin. - Es gibt keine
weiteren Nachfragen.
Dann können wir jetzt zu den Fragen auf Drucksache
16/12074 in der üblichen Reihenfolge kommen.
Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Kirsten Tackmann
werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zur Frage 3 der Kollegin Inge
Höger:
In welchem Umfang sind Verträge für wehrtechnische Beschaffungen im Rahmen des Konjunkturpaketes II geplant
bzw. wurden bereits abgeschlossen?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung.
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Höger,
Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Das Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland sieht die Errichtung eines Sondervermögens „Investitions- und Tilgungsfonds“ vor. Innerhalb dieses
Sondervermögens sind 2 Milliarden Euro für unmittelbare Bundesinvestitionen aller Ressorts, damit auch des
Bundesministeriums der Verteidigung, vorgesehen.
Diese Gelder werden der Zweckbestimmung des hierzu
erstellten Wirtschaftsplans entsprechend für Bauten,
Ausrüstungen und die Ressortforschung des Bundes verwendet.
Der Anteil des BMVg für den Bereich des Investitions- und Ausstattungsbedarfs beläuft sich auf 226 Millionen Euro. Einen entsprechenden Überblick über die
geplanten Maßnahmen - ich sage: geplanten Maßnahmen - hat Staatssekretär Wolf den Berichterstattern des
Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages zum
Einzelplan 14 sowie den Obleuten des Verteidigungsausschusses bereits in einem Schreiben von Mitte Februar
dieses Jahres bekannt gegeben. Diese Maßnahmen dienen der Zweckbestimmung des Gesetzes, namentlich der
schnellen Umsetzbarkeit in den Jahren 2009 und 2010
mit dem Ziel der Ankurbelung der Binnenkonjunktur
und der Sicherung heimischer Arbeitsplätze.
Darüber hinaus berücksichtigen die identifizierten
Maßnahmen auch den Auftrag der Streitkräfte. Dementsprechend sind unter anderem die Beschaffung weiterer
geschützter Fahrzeuge, von Feldlagerkomponenten sowie von Material für die Sanität im Einsatz vorgesehen.
Auf diese Weise werden die Lebensbedingungen unserer
Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten verbessert und der Schutz, wo notwendig, verstärkt. Die Beschaffung weiterer geschützter Straßentankfahrzeuge
dient darüber hinaus der Verbesserung der Einsatzlogistik.
Ich weise allerdings darauf hin, dass diesbezügliche
Verträge noch nicht abgeschlossen sind und dass beabsichtigt ist, nach Inkrafttreten des Gesetzes mit den erforderlichen Ausschreibungen zu beginnen.
Kollegin Höger, Sie haben Gelegenheit zur Nachfrage.
Ich habe eine Nachfrage zu den Zahlen. Die von Ihnen
genannten 226 Millionen Euro entsprechen den Angaben, die Herr Kossendey anlässlich meiner schriftlichen
Frage gemacht hat. Es existieren aber sehr widersprüchliche Zahlen. Mir liegt zum Beispiel eine Liste aus dem
BMVg vor, aus der hervorgeht, dass 256 Millionen Euro
für Beschaffung geplant sind. Gestern gab es eine Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik, auf
der Staatssekretär Dr. Wichert gesagt hat, die Liste - ich
vermute, er meinte die mir vorliegende Liste, nach der es
256 Millionen Euro sind - sei noch längst nicht vollständig; weitere Beschaffungsprojekte könnten durch das
Ministerium angemeldet werden. Der für gewöhnlich gut
informierte Behörden-Spiegel schreibt gar, dass 1 Milliarde Euro für Beschaffung im Rüstungsbereich zur Verfügung stehen. Was stimmt nun?
Frau Kollegin, ich darf erstens vorweg sagen, dass ich
mich sehr darüber freue, dass mein Kollege Parlamentarischer Staatssekretär Kossendey, der heute seinen Geburtstag feiert, nun auch von Ihnen ein Geburtstagsgeschenk erhalten hat, nämlich indem Sie bestätigen, dass
beide Staatssekretäre gleiche Zahlen nennen; denn das
deutet doch auf eine gute Abstimmung im Bundesministerium der Verteidigung hin.
({0})
Das werde ich ihm anschließend mit Ihrer Erlaubnis
auch gerne persönlich übermitteln.
Zum Zweiten will ich sagen, dass ich Ihre Frage nachvollziehen kann. Ich habe sie nicht zu bewerten; aber es
ist verständlich, dass solche Fragen gestellt werden.
Denn bei der Aufteilung der Mittel aus diesem Konjunkturprogramm werden sehr viele Dinge antizipiert und als
bereits entschieden angesehen. So sind wohl auch die
unterschiedlichen Zahlen zu verstehen, die aus den bekannten, gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen - die ab
und zu feststellen müssen, dass sie so gut gar nicht unterrichtet sind, wie sie manchmal tun - kommen. Die
1 Milliarde Euro ist mit Sicherheit nicht zutreffend. Man
muss allerdings einbeziehen, dass im Rahmen der energetischen Gebäudesanierung auch eine Ausdehnung des
Kasernensanierungsprogramms vorgesehen ist, und zwar
in einer erheblichen Größenordnung. Das ergibt dann
immer noch nicht 1 Milliarde Euro, aber insgesamt wohl
doch 250 Millionen Euro. Ich nenne nur die Größenordnung, konkrete Zahlen liegen mir im Augenblick nicht
vor; ich kann sie schriftlich nachliefern. Wenn solche
Vorhaben nicht einbezogen werden, kommt man auf andere Zahlen, und dann ist es nachvollziehbar, dass es ein
unterschiedliches Verständnis gibt. Die Liste mit der
Übersicht der Vorhaben, die wir gegenwärtig in der Planung und Bewertung haben, die also noch nicht abgeschlossen sind, weist in der Summe in der Tat
256 Millionen Euro aus. Ich weise aber darauf hin, dass
konkrete Zahlen erst dann genannt werden können,
wenn die Verträge wirklich geschlossen sind. Dazu wird
selbstverständlich eine frühzeitige Information der betreffenden Ausschüsse, insbesondere des Haushalts- und
des Verteidigungsausschusses, stattfinden.
Eine weitere Nachfrage?
Ich habe noch eine weitere Nachfrage. - Geben Sie
mir recht, dass es sich überwiegend um bereits geplante
Beschaffungsprojekte handelt, also um Projekte, die eigentlich nicht der Intention des Konjunkturprogramms
entsprechen, und dass darüber hinaus Beschaffungsprojekte im Rüstungsetat in Höhe von über 25 Millionen
Euro dem Verteidigungs- und dem Haushaltsausschuss
vorgelegt werden müssen, sodass man hier den Eindruck
haben kann, dass die demokratische Willensbildung in
den Ausschüssen umgangen werden soll?
Dem letzten Eindruck kann ich nur widersprechen.
Die demokratische Willensbildung soll nicht beeinträchtigt werden. Das Haushaltsrecht ist in jedem Falle gewährleistet. Allerdings liegt der Haushaltsvollzug, der
eine Angelegenheit der Exekutive, des Ministeriums, ist,
in unserer Zuständigkeit. Bei den angedachten Vorlagen
gibt es zwei oder drei sogenannte 25-Millionen-EuroVorlagen, die im Haushaltsausschuss noch einmal gesondert beraten werden müssen.
Hierbei handelt es sich insbesondere um die Beschaffung von Gerätschaften für die Marine sowie um die Beschaffung von Beobachtungs- und Aufklärungsfahrzeugen.
Es sind keine völlig neuen Überlegungen, die zu
neuen Programmen und zur Entwicklung neuer Produkte
führen. Die Entwicklungszyklen im militärischen Bereich sind derart lang, dass mit der Entwicklung neuer
Produkte die Vorgabe des Konjunkturprogramms, nämlich schnell und sichtbar Arbeitsplätze und Investitionen
in unserem Lande zu unterstützen, nicht erfüllt werden
kann. Es handelt sich also nicht um neu zu entwickelnde,
sondern um zusätzliche Projekte und Programme, bei
denen es um die Deckung eines Mehrbedarfs oder die
Durchführung von längerfristig geplanten Vorhaben
geht.
Danke schön.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Der Parlamentarische Staatssekretär Hermann Kues
steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Jörg Tauss auf:
Ist es die Auffassung der Bundesregierung oder die Auffassung des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, BMFSFJ, dass die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zu den technischen
und rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen von Sperrverfügungen „einseitig ausgelegt und zudem interessegeleitet“ sei
oder sogar als „unterirdisch“ zu bewerten sei, und aufgrund
welcher Erkenntnisse kommt die Bundesregierung bzw. das
BMFSFJ zu dieser Einschätzung?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte zunächst
zum gegenwärtigen Sachstand etwas sagen, bevor ich im
Einzelnen auf die Frage eingehe.
Seit dem 23. Januar tagt unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend eine Arbeitsgruppe, die aus Vertretern des Bundesinnenministeriums, des Bundeswirtschaftsministeriums, des Bundeskriminalamtes, des Bundesamtes für
Sicherheit in der Informationstechnik und der acht großen deutschen Internetprovider sowie der Verbände
BITKOM, eco und FSM besteht. Ziel und Auftrag der
Arbeitsgruppe ist es zunächst, einen Vertrag zwischen
dem Bundeskriminalamt und den Zugangsprovidern
über die Zusammenarbeit bei der Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten im Internet zu
erarbeiten.
In diesem Zusammenhang haben sich in den Medien
wiederholt kritische Stimmen gemeldet, die sich zum
Teil auf Aussagen im Gutachten des Wissenschaftlichen
Dienstes - Sie sprechen in Ihrer Frage passenderweise
von einer „Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes“ - zum Thema Sperrverfügungen gegen Internetprovider stützen. Dabei wird häufig übersehen, dass die in
dem Gutachten geäußerten rechtlichen Bedenken nicht
die derzeit angedachte Vorgehensweise in der Sache betreffen.
Das Gutachten bezieht sich auf Sperrverfügungen gegen Internetprovider. Die derzeitigen Aktivitäten der
beteiligten Bundesressorts sind hingegen auf den Abschluss freiwilliger vertraglicher Vereinbarungen zwischen den Internetprovidern und dem Bundeskriminalamt gerichtet. Das Gutachten ist somit - ungeachtet der
nach Auffassung der beteiligten Bundesressorts teilweise unzutreffenden Feststellungen - im Hinblick auf
das angestrebte Verfahren überwiegend nicht einschlägig
und zielführend und somit auf den beschriebenen Sachverhalt nicht anwendbar.
Sie kennen das Gutachten, Herr Kollege Tauss. Die
Ministerin hat Ihnen angeboten, mit Ihnen im Einzelnen
über die verschiedenen Zusammenhänge zu reden. Sie
müssen das Angebot nur annehmen. Das Gutachten besteht aus 27 Seiten. Neun Seiten enthalten Begriffsbestimmungen. Es folgen eine umfängliche Darstellung
der Geschichte des Internet und ein Hinweis auf mögliche chinesische Verhältnisse. Wir glauben, dass diese
Darstellung dem Ziel nicht Rechnung trägt, dass die gegenwärtig geführte Debatte auf eine freiwillige Vereinbarung hinauslaufen soll und dass diejenigen, die solche
Seiten betreiben, geächtet werden.
Kollege Tauss, bitte.
Herr Staatssekretär, ungeachtet der Tatsache, dass wir
uns in der Bekämpfung von Kinderpornografie sicherlich einig sind, und ungeachtet der Frage, ob das von Ihrem Haus vorgeschlagene Verfahren technisch und
rechtlich realisierbar ist, möchte ich hervorheben, dass
sich meine Frage auf die Behauptung Ihres Hauses bezieht, dass die Studie „einseitig ausgelegt und zudem interessegeleitet“ sei. Ich frage als Parlamentarier - ganz
egal, wer regiert -, ob es wirklich die Auffassung der
Bundesregierung ist, dass der Wissenschaftliche Dienst
des Deutschen Bundestages, der eine hohe Reputation
hat, interessegeleitet ist. Von welchen Interessen reden
Sie hier? Das ist der Gegenstand meiner Frage.
Wenn Sie sagen würden, Sie nähmen dieses Urteil zurück, dann hielte ich das für gut. Wenn Sie sagen, dass
die Bundesregierung der Auffassung sei, dass der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages interessegeleitet sei, dann müssen wir darüber reden. Dies ist
der Inhalt meiner Frage. Es geht nicht um die anderen
Punkte, die Sie angesprochen haben und über die wir an
anderer Stelle diskutieren.
Es ist zunächst gut, dass wir uns in der Sache im Prinzip einig sind.
Übrigens, mit der Ministerin treffe ich mich jederzeit.
Ich möchte nur nicht das Ergebnis vorher in einer Pressemitteilung lesen. Vielleicht könnten wir uns darauf
verständigen. - Aber das nur am Rande.
Die Dinge entwickeln sich ja Gott sei Dank weiter. Insofern gibt es etwas Neues zu berichten. Die Entwicklung ist sehr positiv - hoffentlich auch in Ihrem Sinne.
Was das Gutachten angeht - Sie haben es mit Sicherheit gelesen -: Es ist zwar im Januar 2009 veröffentlicht
worden. Die gesamte Entwicklung jedoch, die es seit
Oktober/November des vergangenen Jahres gibt, wird
überhaupt nicht aufgegriffen. Vor dem Hintergrund, dass
immerhin in fünf Ländern seit 2004 das AccessBlocking angewandt wird, ist es schon ein Problem, dass
diese Fragestellung überhaupt nicht aufgegriffen wird.
Deswegen glauben wir, dass dies eine sehr verkürzte
Darstellung ist, die für das, was wir vorhaben, nicht zielgerichtet ist. Es ist aber die Basis für Pressemeldungen
gewesen. Wir haben die Beobachtung gemacht, dass das,
was wir vorhaben und was andere Länder längst mit großem Erfolg praktizieren, wehtut. Dahinter stehen Interessen. Ich sage nicht, dass sie vom Wissenschaftlichen
Dienst bewusst aufgenommen worden sind; das liegt mir
fern. Aber die Art der Darstellung ist zumindest verkürzt.
({0})
Zweite Nachfrage.
Wir können gerne über die Wirksamkeit dieser Maßnahme in anderen Ländern diskutieren. Ich halte dies für
weiße Salbe, die in Wirklichkeit verhindert, dass wir tatsächlich zu einer effektiven Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern in diesem Bereich kommen. Das ist
aber ein anderer Punkt.
Sie sagen, das Gutachten sei interessegeleitet: Welche
Interessen vertritt nach Ihrer Auffassung der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages?
Ich würde das dem Wissenschaftlichen Dienst in seiner Gesamtheit nicht unterstellen.
({0})
Ich sage nur: Aufgrund dessen, wie das Gutachten formuliert ist, aufgrund der Tatsache, dass es den geringsten
Anforderungen nicht genügt - ich erwarte von einem
Gutachten zumindest, dass auch die Diskussion der letzten Monate dargestellt wird -, dass wichtige Studien, die
es auf diesem Gebiet unstrittig gibt - Sie sind ja Fachmann auf diesem Gebiet -, nicht aufgegriffen werden
und man zu völlig falschen Schlussfolgerungen kommt,
fragt man sich schon, ob bestimmte Interessen eine viel
zu große Rolle gespielt haben, weil sie eben schief dargestellt werden.
Eine weitere Nachfrage der Kollegin Stokar von
Neuforn.
Herr Staatssekretär, ich habe versucht, im europäischen Bereich eine Studie zu finden, die tatsächlich auf
einer wissenschaftlichen Grundlage beruht - wir alle
sind uns einig, dass wir uns auf einer guten wissenschaftlichen Grundlage schlaumachen bzw. informieren
sollten -, die belegt, ob es bisher in irgendeinem europäischen Land aufgrund von Sperren einzelner Internetseiten gelungen ist, die Verfügbarkeit von Kinderpornografie insgesamt zu verringern. Ich sage dies vor folgendem
Hintergrund: Ich habe mich in den letzten Tagen im Rahmen der CeBIT nochmals bei Providern schlaugemacht.
Alle haben mir bestätigt, dass es nach wie vor innerhalb
von Sekunden möglich ist, eine gesperrte Seite - diese
Sperrung wird der Öffentlichkeit als Erfolg präsentiert auf anderem Wege wieder zur Verfügung zu stellen. Gibt
es eine Studie, die den Erfolg solcher Sperrungen belegt?
Sie wissen, dass wir dazu verschiedene Anfragen,
auch schriftlich, beantwortet haben, im Einzelnen bezogen auf die Länder, die immer beispielhaft genannt werden, unter anderem Norwegen, aber auch Dänemark,
Schweden, Finnland, Italien und Großbritannien.
({0})
Aufgrund der Aussagen auch der Polizei dieser Länder wissen wir, in welchem Umfange Zugriffe tatsächlich gesperrt werden. Ich behaupte überhaupt nicht, dass
das Gesamtproblem damit gelöst wird; das sagt auch niemand. Aber ich glaube schon, dass wir einen Zugriff erheblich erschweren. Nach den mir geläufigen Angaben
ist es so, dass 70 Prozent derjenigen, die auf diese Seiten
zugreifen, keine Schwerstkriminellen sind. Diese wissen
auch nicht ohne Weiteres, wie man diese Sperrungen
umgehen kann. In diesen Fällen lohnt sich die Mühe, zumindest das zu tun, was andere Länder offenkundig erfolgreich getan haben. Wir sind dabei in guten Gesprächen.
Mich wundert die Schieflage in der gegenwärtigen öffentlichen Debatte. Dabei wird von vornherein gesagt:
Das könnt ihr aus technischen Gründen nicht. Außerdem
muss man die rechtliche Seite im Auge behalten. - Deswegen haben wir gesagt, dass wir in mehreren Schritten
vorgehen. Zunächst einmal muss darüber gesprochen
werden, wie eine technische Lösung aussehen kann. Dabei sollen die Provider mit überlegen, was sie auch tun.
Zumindest sind sie alle der Auffassung gewesen, dass
eine Lösung im Prinzip möglich ist.
Die Verbände tun sich etwas schwerer. Das hat auch
eine Anhörung in einem Fachausschuss ergeben. Zu dieser Anhörung waren interessanterweise nur die Verbände
eingeladen. Diese sagen, dass eine Lösung möglich ist
und dass sie sie mit uns gemeinsam entwickeln. Wenn
das gelingt, muss man parallel Eckpunkte für eine rechtliche Regelung erarbeiten. Natürlich muss man auch sehen, dass es nicht zu Schadensersatzforderungen kommt.
Aber das ist eine Phantomdiskussion. Uns ist aus anderen Ländern nicht bekannt, dass es dort auch nur in einem einzigen Fall eine Schadensersatzforderung gegeben hätte. Das haben wir Ihnen bereits mitgeteilt.
Vor diesem Hintergrund ist es so: Wenn wir meinen,
dass es Hebel gibt - meinetwegen auch nur beschränkte -,
um hier anzusetzen, dann sollten wir diese zunächst nutzen. Damit sind wir noch nicht am Ende, weil gegenwärtig noch verhandelt wird. Aber wir sind auf einem guten
Wege.
Wir kommen damit zur Frage 5 des Kollegen Tauss:
Ist es die Auffassung der Bundesregierung oder die Auffassung des BMFSFJ, dass eine Sperrung von strafrechtlichen
Inhalten, die auf ausländischen Servern bereitgehalten und
nicht anders verfolgt werden können, aufgrund einer freiwilligen Vereinbarung zwischen dem Bundeskriminalamt und den
Internetprovidern erfolgen könne, oder teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass dies allenfalls auf einer gesetzlichen Grundlage und in einem rechtsstaatlichen Verfahren
denkbar ist?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich will noch einmal ausdrücklich sagen, dass man
sich bei dem Spitzengespräch, das am 13. Januar dieses
Jahres zwischen Minister Schäuble, Ministerin von der
Leyen und Minister Glos und Vertretern der großen deutschen Internetanbieter stattgefunden hat, auf ein zweistufiges Verfahren geeinigt hat. Um zügig zu einer Sperrung kinderpornografischer Inhalte im Internet zu
gelangen, soll die Sperrung zunächst auf der Grundlage
von verbindlichen Vereinbarungen zwischen den Internetanbietern und dem Bundeskriminalamt erfolgen.
Dann soll in einem zweiten Schritt in einem klar zeitaufwendigeren Verfahren eine auf den Bereich Kinderpornografie bezogene, in der Wirkung allerdings zwingende
gesetzliche Regelung gefunden werden. Der Vertrag ist
so, wie er jetzt angedacht ist, weitaus mehr als eine
Selbstverpflichtung. Es handelt sich vielmehr um eine
verbindliche Vereinbarung zwischen jedem einzelnen
Provider und dem Bundeskriminalamt.
Nach Auffassung der an der Arbeitsgruppe beteiligten
Ressorts ist die Sperrung kinderpornografischer Inhalte
auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages
in Verbindung mit den für die Vertragsbeziehungen der
Internetanbieter mit ihren Kunden geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen möglich. Wie man diese Regelung einbezieht, wie man das handhabt, wie das künftig gesetzlich organisiert wird, ist derzeit noch offen und
Teil der Verhandlungen.
Kollege Tauss.
Herr Staatssekretär, ungeachtet der Tatsache, dass dieses Gespräch und sein Ergebnis offensichtlich unterschiedlich interpretiert werden, möchte ich nachfragen.
Es war übrigens nicht so, dass zu dieser Anhörung nur
Fachverbände eingeladen waren, sondern es war in großem Umfang juristischer Sachverstand bis hin zum Bundeskriminalamt vertreten, damit man der Problematik
gerecht werden konnte. Es war mit Ausnahme des BKA
die einhellige Auffassung der Beteiligten, dass es einer
gesetzlichen Grundlage bedürfe und dass eine rein vertragliche Gestaltung zur Lösung des Problems nicht ausreiche.
Ich frage Sie: Ist es die Meinung der Bundesregierung, dass zur Lösung dieses Problems eine einfache
Vertragsgestaltung genüge? Wenn ja: Warum wurde
nicht das BMJ einbezogen, beispielsweise bei den Verhandlungen der Bundesregierung?
Ich habe Ihnen eben gesagt, welche Ressorts in erster
Linie beteiligt waren, weil sie in erster Linie zuständig
sind. Natürlich wird das BMJ bei allen rechtlich relevanten Sachverhalten einbezogen. Das ist auch gegenwärtig
der Fall. Das würde im Endeffekt auch dann geschehen,
wenn man eine vertragliche Regelung gefunden hätte.
Teilt das BMJ die Auffassung, dass eine einfache vertragliche Gestaltung genügt?
Ich äußere mich hier für die Bundesregierung und
nicht für ein einzelnes Ressort.
Nun gut, aber zur Bundesregierung gehört ja auch das
BMJ.
Es ist normal, dass es im Laufe des Prozesses zwischen den einzelnen Ressorts immer wieder Diskussionen darüber gibt, wie die Dinge zu gewichten sind. Das
wird auch hier der Fall sein.
Danke. - Es gibt zwei weitere Nachfragen in diesem
Zusammenhang. Zunächst Kollegin Stokar von Neuforn
und dann Kollege Ströbele.
Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen: Wir
alle sind uns darin einig, dass wir Kinder schützen wollen.
({0})
Ich sehe aber nicht, dass ein einziges Kind geschützt
wird, indem eine Seite im Internet gesperrt wird, wenn
die Aufnahmen des Kindes weiterhin auf anderen Seiten
weltweit kursieren. Das ist eine Illusion.
Meine Frage an die Bundesregierung lautet - ich begrüße den Staatssekretär aus dem BMI -: Wir Abgeordnete bekommen zwar nicht alle Informationen, sie sind
aber im Internet frei verfügbar, so auch der Entwurf des
Vertrages zwischen BKA und den Providern vom
19. Februar. Da das überhaupt nicht zum Aufgabenbereich des BKA gehört, sondern zum Aufgabenbereich
des LKA, frage ich mich, auf welcher Rechtsgrundlage
das BKA einen Vertrag abschließen will. Das BKA ist
über sieben Jahre alt und geschäftsfähig. Das kann aber
nicht die Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe sein.
Die nachfolgende Frage lautet: Selbst wenn das BKA
einen Vertrag außerhalb des BKA-Gesetzes abschließen
kann, was ich bezweifele, dann ist das BKA nicht leistungsfähig, weil das BKA-Gesetz keine rechtliche
Grundlage für die Erfüllung dieses Vertrages bietet. Ich
verstehe dieses merkwürdige Konstrukt nicht. Können
Sie es mir erläutern?
Das ist kein merkwürdiges Konstrukt. Das ist eine
Anlehnung an Regelungen, die es in anderen europäischen Ländern gibt, was wir ansonsten auch tun. Darüber müsste man im Einzelnen diskutieren. Ich habe angeboten, dass wir darüber im Detail reden können.
Wir haben uns im Ausland Informationen geholt. Ich
will nicht verhehlen, dass die Frage, ob man das regeln
kann, in Deutschland viel zu lange negativ beantwortet
worden ist. Andere Länder haben uns gezeigt, dass dies
möglich ist. Das ist ganz offenkundig. Die Möglichkei22372
ten, die wir haben - wir werden im Einzelnen zu prüfen
haben, wie die Konstruktion auszusehen hat -, wollen
wir nutzen; denn die Zahlen, die uns über die verhinderten Zugriffe in Ländern wie Norwegen vorliegen, sind
aussagekräftig. Wenn man diese Zahlen auf Deutschland
übertragen könnte - Sie können dann immer noch sagen,
dass das Problem dadurch weltweit betrachtet nicht gelöst wird; das ist ganz unstrittig -, wäre das eine erhebliche Irritation.
({0})
Ich glaube vor allen Dingen, dass eine öffentliche Debatte darüber absolut hilfreich wäre. Ich bestreite nicht,
dass wir das gleiche Anliegen haben. Wir müssen uns
aber genau überlegen, wie der rechtliche Rahmen auszusehen hat. Das ist nicht unkompliziert.
Wir haben ein zweistufiges Verfahren vor. Wir wollen
erstens Absprachen treffen und mit den Internetprovidern
vertragliche Regelungen treffen, was sie bereits zugestanden haben. Sie haben auch eingestanden, dass das
ein Problem ist. Das ist schon eine ganze Menge. Im
nächsten Schritt soll - das ist wesentlich komplizierter;
das habe ich bereits dargelegt - der rechtliche Rahmen
für ein Verbot geschaffen werden. Das ist ein weites
Feld. Insofern kann ich die Frage zum jetzigen Zeitpunkt
nicht beantworten.
Nun Kollege Ströbele.
Herr Staatssekretär, Sie beantworten die Fragen nicht.
({0})
Der Kollege Tauss und die Kollegin Stokar haben doch
eine klare Frage gestellt, nämlich: Beabsichtigt die Bundesregierung, diese freiwilligen Vereinbarungen zwischen BKA und Providern auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen? Ja oder nein? Wenn nein: Warum nicht?
Ist das nicht erforderlich? Das können Sie doch beantworten, oder Sie können sagen, dass Sie es nicht wissen.
Ich habe klar gesagt, dass wir zweistufig vorgehen.
Als Erstes schließen wir vertragliche Vereinbarungen.
({0})
Da ist nicht von gesetzlichen Regelungen die Rede; das
habe ich auch klar gesagt.
({1})
Im zweiten Schritt geht es - weil es viel zeitaufwendiger
und komplizierter ist - um klare gesetzliche Regelungen.
({2})
Es gibt zwei weitere Fragen. Kollegin Pau und dann
Kollege Singhammer.
Ich komme auf die Frage der Kollegin Silke Stokar
von Neuforn zurück. Mir ist sehr wohl bekannt, dass in
anderen Ländern andere Rechtssysteme und andere Gesetze gelten. Sie hat aber nach der Grundlage des Vertrags des BKA mit den Internetprovidern gefragt. Ich
würde gerne wissen, auf welcher Grundlage ein solcher
Vertrag geschlossen wird. Hier sind - wenn überhaupt eindeutig die Landeskriminalämter zuständig.
({0})
Wir können nur im Rahmen der gegenwärtigen rechtlichen Regelungen eine Antwort finden. Ich habe ja gesagt, dass wir später über gesetzliche Regelungen nachdenken werden. Es wird nicht so sein, dass wir jetzt
einen Vertrag schließen, für den es keine Rechtsgrundlage gibt. Da können Sie ganz beruhigt sein.
Kollege Singhammer.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass alle
wirksamen und technisch möglichen legalen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Kinderpornografie
im Internet zu bekämpfen
({0})
- woanders auch, aber jetzt sind wir beim Internet -,
dass sich alle bisherigen Maßnahmen als wenig wirksam
herausgestellt haben und es deshalb an der Zeit ist, die
guten Erfahrungen anderer Staaten zu übernehmen, und
dass es kaum mehr jemand in Deutschland verstehen
würde, wenn man mit Hinweis auf Bedenken, wie sie
hier vorgetragen worden sind, nichts unternehmen würde
und letztlich als Staat mit der Botschaft, dass wir leider
nichts tun können, weil es ein globales Phänomen ist,
dastehen würde?
({1})
Stimmen Sie mir zu, dass dies der erste wirksame, effektive und gangbare Weg ist, den wir beschreiten müssen?
Wir haben viele Jahre - auch auf internationalen Konferenzen - über dieses Problem diskutiert und es beklagt.
Es werden offenkundig - ich sage es ganz drastisch auch Kleinstkinder systematisch ausgebeutet und missbraucht. Wenn wir jetzt auch aufgrund der Erfahrungen
in anderen Ländern meinen, Hebel zu haben, und sagen,
dass wir jetzt das machen, was uns möglich ist, dann hat
das Unterstützung verdient. Man braucht keine gespenstische Diskussion darüber zu führen.
Über rechtliche Einzelheiten werden wir in Ruhe reden, wenn es so weit ist. Wir wollen aber zunächst einmal etwas auf den Weg bringen, von dem wir meinen,
dass es unter den Bedingungen, die es bei uns gibt, möglich ist. Wir sind da sehr zuversichtlich. Andere Länder
haben uns geraten, diesen Weg endlich zu beschreiten.
Nicht mehr und nicht weniger machen wir gegenwärtig.
Danke schön. - Wir kommen zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Die Frage 6 des Kollegen Peter Hettlich wird schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung.
Ich rufe Frage 7 des Kollegen Seifert auf:
Welche Gründe gab es für die Bundesregierung, das Kriterium der Barrierefreiheit nicht als Voraussetzung für die Bereitstellung von Mitteln des Bundes für Investitionen zum
Ausbau der Infrastruktur und von Bildungseinrichtungen im
Rahmen des Konjunkturpaketes II vorzuschreiben, obwohl
dies - auch mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention und den im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und
SPD festgeschriebenen „Paradigmenwechsel“ - nicht nur von
Behindertenorganisationen und der Fraktion Die Linke, sondern auch von sachkundigen Vertreterinnen der Koalition wie
der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Karin Evers-Meyer ({0}), und der behindertenpolitischen
Sprecherin der Fraktion der SPD, Silvia Schmidt ({1})
({2}), gefordert wurde?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Werter Kollege Seifert, ich beantworte die Frage wie
folgt: Die Bundesregierung hat von einer Festschreibung
des Kriteriums „Barrierefreiheit“ als Voraussetzung für
die Bereitstellung von Bundesmitteln für Investitionen in
Bildung und Infrastruktur abgesehen, weil dies auf Bundes- bzw. auf Landesebene im Wesentlichen bereits
durch entsprechende Regelungen zur Berücksichtigung
von Barrierefreiheit bei Neubauten und größeren Umbauten gewährleistet ist. Zusätzliche, überwiegend sich
doppelnde Regelungen für diesen Bereich wurden auch
im Hinblick auf eine zügige Umsetzung der Maßnahmen
für nicht erforderlich gehalten.
Im Übrigen sind innerhalb der geplanten Verkehrsinvestitionen des Konjunkturpaketes II im Programm
„Personenbahnhöfe“ Maßnahmen zur Herstellung der
Barrierefreiheit ausdrücklich genannt. Hierdurch sollen
gezielt Investitionen an bestehenden Bahnhöfen zur Verbesserung der Barrierefreiheit gefördert werden. Der
Bund wird daher im Rahmen der ihm aufgrund der föderalen Finanzverfassung eingeräumten Kompetenzen
möglichst weitgehend die barrierefreie Umsetzung der
beschlossenen Verkehrsinvestitionen fördern.
Kollege Seifert, bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Sie wissen so gut
wie ich, dass zwar in den Landesbauordnungen vorgeschrieben ist, dass bei größeren Umbauten und bei Neubauten Barrierefreiheit herzustellen ist, dass diese Vorschrift aber oftmals nicht eingehalten wird. Da die
Durchführung infrastruktureller Maßnahmen durch das
Konjunkturprogramm II sogar noch beschleunigt wird,
ist die Gefahr, dass das Prinzip der Barrierefreiheit dabei
wieder nicht berücksichtigt wird, sehr groß. Insofern ist
es sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Barrierefreiheit ein besonderes Kriterium der Nachhaltigkeit ist.
Ein neu gebautes barrierefreies Gebäude wird schließlich nicht so schnell wieder abgerissen.
Herr Kollege Seifert, in allen Bundesländern gibt es
Gleichstellungsgesetze. Ich gehe davon aus, dass wir gemeinsam mit den Verbänden der Menschen mit Behinderungen und im Rahmen des politischen Diskurses, den
wir führen, darauf achten, dass das Prinzip der Barrierefreiheit überall dort, wo jetzt Investitionen getätigt werden, umgesetzt wird.
Auch in den Papieren des Bundesverkehrsministeriums zur Umsetzung des Konjunkturprogramms II wurde
ausdrücklich gefordert, dass die Prinzipien der Barrierefreiheit bei den energetischen Investitionen, die in solchen
Gebieten, die sich außerhalb der Städtebauförderungsgebiete befinden, getätigt werden, Berücksichtigung finden
sollen. Auch unser Haus hat Abgeordnete aufgefordert,
sich in ihren Wahlkreisen dafür einzusetzen, dass die
Prinzipien der Barrierefreiheit bei der Umsetzung dieser
Maßnahmen mitberücksichtigt werden. Hier haben wir
das gleiche Anliegen.
Eine weitere Nachfrage?
Ja. Ich habe noch eine Nachfrage, Herr Präsident.
Bitte.
Das, was Sie sagten, ist der springende Punkt: Wenn
wir alle wirklich das gleiche Anliegen haben, dann verstehe ich nicht - vielleicht können Sie mich aufklären -,
warum Sie die dringenden Warnungen Ihrer eigenen Behindertenbeauftragten und der behindertenpolitischen
Sprecherin der SPD-Fraktion und, wenn die Ihnen nicht
reichen, die Forderung des Landes Rheinland-Pfalz, dass
die Barrierefreiheit im Hinblick auf das Konjunkturprogramm II als Kriterium gelten müsse, nicht zur
Kenntnis nehmen.
Offensichtlich ist es notwendig, den Verantwortlichen
immer und immer wieder zu sagen: Ihr könnt nicht erst
irgendetwas basteln und es hinterher umbauen bzw. die
Barrierefreiheit sozusagen im Nachhinein einbauen, sondern ihr müsst die Prinzipien der Barrierefreiheit von
vornherein berücksichtigen. - Darauf muss man immer
wieder hinweisen, in der Hoffnung, dass dies eines Tages eine Selbstverständlichkeit ist. Dieser Tag scheint
aber noch sehr weit entfernt zu sein.
Kollege Seifert, wir beide stehen auf der gleichen
Seite, wenn es darum geht, bei der Umsetzung der Maßnahmen auch dafür Sorge zu tragen, dass durch die Investitionen, die getätigt werden, letztlich auch Barrierefreiheit hergestellt wird. Jeder spürt, wie ungeduldig die
Kommunen auf Regeln warten, nach denen die Mittel
vor Ort verwendet werden können.
Wir haben vereinbart, auf diese Prinzipien hinzuweisen, aber keine doppelten Regelungen zu treffen. All das
ist nämlich schon in den jeweiligen Bauvorschriften und
Gleichstellungsgesetzen der Länder geregelt. Wir appellieren an die Verantwortlichen, die Prinzipien der Barrierefreiheit zu berücksichtigen. Das tun wir übrigens auch
bei den Veranstaltungen, die wir im Rahmen der Umsetzung der UN-Behindertenkonvention unter anderem
zum Thema Barrierefreiheit durchführen.
Wir kommen zu Frage 8 des Kollegen Seifert:
Welche Erkenntnisse und Schlussfolgerungen zieht die
Bundesregierung aus dem Gespräch der Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel mit den Vertreterinnen und Vertretern des
Deutschen Behindertenrates, DBR, am 10. Februar 2009 im
Bundeskanzleramt?
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Seifert, ich beantworte die Frage wie
folgt: Im Mittelpunkt des Gesprächs der Bundeskanzlerin mit den Vertreterinnen und Vertretern des Deutschen
Behindertenrates und der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen standen aktuelle behindertenpolitische Themen, unter anderem die
Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes, die
Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe, die Hilfsmittelversorgung und das UN-Übereinkommen über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Die Vertreterinnen und Vertreter des Deutschen Behindertenrates haben die Gelegenheit genutzt, der Bundeskanzlerin zu den verschiedenen Themen ihre Anliegen und ihre Erwartungen vorzutragen. Eine Erkenntnis
war dabei, dass in Deutschland der Anteil behinderter
Kinder, die gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern die
Schule besuchen, im europäischen Vergleich gering ist.
Daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, obliegt allerdings
in erster Linie den Bundesländern; sie sind für die schulische Bildung zuständig.
Kollege Seifert.
Wenn das Gespräch, wie Sie sagen, wichtig gewesen
sei, kann ich nicht verstehen, wieso weder auf der Internetseite der Bundeskanzlerin noch auf den Internetseiten
der Bundesregierung ein einziger Hinweis auf dieses Gespräch zu finden ist. Wenn man nachschaut, was die
Bundeskanzlerin am 10. Februar gemacht hat, erfährt
man, dass sie an einer Veranstaltung zum 50-jährigen Jubiläum des Vorlesewettbewerbs des Börsenvereins des
Deutschen Buchhandels teilgenommen hat, nicht aber,
dass sie mit Vertretern der Behindertenorganisationen,
die sich im Deutschen Behindertenrat zusammengeschlossen haben, über so wichtige Dinge wie die UNOBehindertenrechtskonvention und die Umsetzung der
Gleichstellungsgesetze gesprochen hat. Insofern muss
man sich schon fragen, welchen Stellenwert dieses Gespräch für die Bundeskanzlerin und für die Bundesregierung insgesamt hat.
Es hat einen sehr hohen Stellenwert: Es weist nach,
dass wir am Dialog mit den Verbänden der Menschen
mit Behinderung interessiert sind. Diesen Dialog führen
die Vertreterinnen und Vertreter unseres Hauses kontinuierlich, zu verschiedensten Zeiten und über die verschiedensten Themen. Es obliegt dem jeweils zuständigen
Verantwortlichen, der die Gespräche führt, darüber zu
entscheiden - und zwar in Absprache mit den Beteiligten -, ob Veröffentlichungen über solche Gespräche und
Unterredungen erfolgen. Ich bin nicht darüber informiert, welche Verabredungen in diesem Fall getroffen
wurden.
Eine weitere Nachfrage?
Es ging in meiner Frage auch um die Schlussfolgerungen, die die Bundesregierung aus diesem Gespräch
zieht. Wir alle wissen, dass die Legislaturperiode endlich
ist. Deswegen die Frage: Was will die Bundesregierung
tun, um ein Aktionsprogramm zur Umsetzung der Anforderungen der UNO-Konvention auf den Weg zu bringen, bevor das deutsche Volk eine neue Regierung beauftragt?
Herr Kollege Seifert, ich habe am vergangenen
Dienstag bei der UN in New York die von diesem Haus
ratifizierte Urkunde der UN-Behindertenrechtskonvention überreicht. Sie tritt damit nach 30 Tagen in Kraft.
Wir arbeiten bereits jetzt in Kontinuität daran, die Inhalte dieser Konvention in Deutschland bekannter zu
machen, und zwar nicht nur bei denjenigen, die diese
Konvention ursächlich angeht, nämlich bei den Menschen mit Behinderung. Wir brauchen einen Dialog von
Politik und gesellschaftlichen Institutionen.
In diesem Zusammenhang will ich die Initiative „inklusive Bildung“ nennen. Im Mai findet eine große
Fachkonferenz statt, zu der der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz, eingeladen hat. Im Rahmen dieser Fachtagung wollen wir mit Wissenschaftlern,
mit Vertretern der Bundesländer und mit Vertretern der
Organisationen der Menschen mit Behinderung darüber
sprechen: Wie sieht es in Deutschland aus? Was können
wir für „inklusive Bildung“ tun? Was ist aufzuholen?
Bei „inklusive Bildung“ geht es darum, dazu zu kommen, dass die Kinder im Prinzip von Anfang an gemeinsam aufwachsen und gemeinsam lernen. Sie sollen dadurch ein Miteinander erfahren, sollen Kompetenzen
und Fähigkeiten erwerben. Es soll zu einer Selbstverständlichkeit werden, dass man gemeinsam aufwächst
und lernt und damit auch das Leben gestaltet. Das ist ein
zentraler Punkt.
Ein zweiter Punkt sind die Fachkonferenzen, die von
der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung durchgeführt werden. Es sind an die acht im ersten Halbjahr.
Bis Ende März werden sie abgeschlossen sein. Dabei
geht es auch darum, für das zu werben, was wir gerade
im Bundestag beschlossen haben: unterstützte Beschäftigung. Wie bekommen wir es hin, dass junge Menschen
aus Förderschulen in den ersten Arbeitsmarkt hineinkommen? Wie gestalten sich bei uns die Bedingungen für
eine zwischen den Berufsbildungswerken und den Betrieben verzahnte Berufsausbildung? Wie setzen wir die
Initiative „Jobs ohne Barrieren“ weiter um? Am Montag
hat gerade eine Veranstaltung in Leipzig dazu stattgefunden; eine weitere Veranstaltung wird in etwa sechs Wochen stattfinden. Wir sind also permanent dabei, die Botschaften aus der UN-Behindertenrechtskonvention in
Deutschland flächendeckend zu vermitteln und dafür zu
werben, dass das, was in dieser Konvention steht, von
den Menschen aufgenommen wird. Wir beide wissen,
dass es manchmal Barrieren im Kopf gibt, die es in unserem Land erschweren, eine Selbstverständlichkeit im
Umgang mit Menschen mit Behinderungen zu erzeugen.
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, diese Barrieren abzubauen.
Ergänzend diskutieren wir darüber, ob uns ein Aktionsplan dabei helfen kann, der im ersten Halbjahr Fahrt
aufnehmen, aber so konzipiert sein wird, dass er über die
Bundestagswahl hinausreicht.
Die Frage 9 der Kollegin Zimmermann zur Frist für
die Ausstellung von Schwerbehindertenausweisen wird
schriftlich beantwortet. Dasselbe gilt für die Fragen 10
und 11 der Kollegin Bunge zur Kohleveredlung in
Borna-Espenhain. - Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Hans-Josef Fell
auf:
Hat die Bauverzögerung des EPR - neuer europäischer
Kernreaktor - in Finnland zu sicherheitstechnischen Mängeln
des Atomkraftwerks geführt, und welche Kostensteigerungen
und Strafzahlungen zeichnen sich nach dem bisherigen Stand
des Wissens bei dem Bauprojekt ab?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Fell, ich
beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bundesregierung
liegen im Zusammenhang mit der Bauverzögerung des
EPR in Finnland keine offiziellen Informationen über sicherheitstechnische Mängel des Kernkraftwerks vor.
Eine eigenständige Bewertung des Projekts durch die
Bundesregierung ist allein aufgrund der Datenlage nicht
möglich.
Zu Kostensteigerungen des Bauprojekts und Strafzahlungen hat die Bundesregierung keine Informationen,
die über das hinausgehen, was in allgemein zugänglichen Quellen wie der Presse bereits bekannt ist.
Herr Kollege Fell.
Frau Staatssekretärin, verzeihen Sie mir, wenn ich
sage, dass diese Antwort natürlich sehr ernüchternd ist,
weil die Presse voll von den Problemen beim finnischen
Reaktor ist. So sind wohl eine Kostensteigerung von
über 2 Milliarden Euro und ein Bauverzug von über drei
Jahren zu erwarten. Auch sind Sicherheitsmängel in großen Mengen vorhanden. Beispielsweise soll die Bodenplatte nicht ordnungsgemäß betoniert sein, und es soll
Sicherheitsmängel am Druckwasserbehälter geben. Daher frage ich nach, ob dies der Bundesregierung nicht
Anlass genug sein müsste, sich hier sachkundig zu machen. Immerhin handelt es sich bei diesem Europäischen
Druckwasserreaktor um das Flaggschiff, aus dem man
die Renaissance der Atomenergie herleitet. Dieser erste
Bau führt aber in Wirklichkeit schon zu einem finanziellen Desaster, wie man jetzt am Gewinneinbruch von
Areva sieht. Insofern bin ich erstaunt, dass die Bundesregierung diesen Fragen nicht nachgeht, zudem es in Teilen der Bundesregierung immer noch heißt, es sei wichtig, mit der Atomenergie weiterzumachen.
Es ist Aufgabe der finnischen und nicht der deutschen
Atomaufsichtsbehörden, diesen Fragen nachzugehen.
Dass es zu enormen Kostensteigerungen und Bauverzögerungen gekommen ist, hat offensichtlich auch etwas
damit zu tun, dass Aufsichtsbehörden auf Sicherheitsmängel hinwiesen, die zu Nachbesserungen geführt haben. Diese Frage zu klären ist aber, wie gesagt, Aufgabe
der finnischen und nicht der deutschen Behörden.
Bitte.
Frau Staatssekretärin, nach meiner Auffassung sind in
hohem Maße deutsche Interessen berührt. Immerhin ist
mit Areva auch die Firma Siemens dort beteiligt, weshalb Siemens ähnlich wie Areva wohl mit einem großen
finanziellen Problem zu kämpfen hat. Zugleich ist die
Bayerische Landesbank mit einem 2-Milliarden-Billigkredit beteiligt. Insofern ist die Frage für die Bundesregierung doch sicherlich relevant - zumal in einer Zeit, in
der wir ohnehin mit wirtschaftlichen Nöten zu kämpfen
haben -, ob hier nicht zusätzliche Belastungen auf die
deutschen Steuerzahler, ein deutsches Unternehmen oder
andere zukommen. Besteht also nicht doch ein hinreichendes Interesse für die Bundesregierung, sich hier
sachkundig zu machen?
Herr Kollege Fell, Sie können sicher sein, dass die
Bundesregierung die Entwicklung in Finnland mit Interesse beobachtet. Aber es ist das unternehmerische Risiko der Unternehmen, die sich beim Bau dieses Reaktors
engagieren. Wenn es zu Verzögerungen und Strafzahlungen kommt, dann werden sie dieses unternehmerische
Risiko tragen müssen.
Sie wissen, dass zumindest ein Teil der Bundesregierung gerade auch aus den Entwicklungen in Finnland
durchaus den Schluss zieht, dass ein weiterer Bau von
Atomkraftwerken - gerade in Deutschland - nicht nur
aufgrund des technischen Risikos, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen und wegen des finanziellen Risikos nicht verantwortbar ist.
Wir kommen zur Frage 13 des Kollegen Hans-Josef
Fell:
Welche Konsequenzen hat der Verfall der CO2-Zertifikatspreise für den Bundeshaushalt im Allgemeinen und die einzelnen aus dem Verkauf der CO2-Zertifikate gegenfinanzierten
Förderprogramme im Besonderen?
Herr Kollege Fell, diese Frage beantworte ich wie
folgt: Der Preis der Berechtigungen ist im Verlauf der
letzten Monate deutlich gesunken. Im Jahr 2008 lag der
Durchschnittspreis für CO2-Zertifikate bei 23,55 Euro.
Dieser Preis ist insbesondere wegen des Rückgangs des
Wirtschaftswachstums inzwischen deutlich gesunken.
Anfang 2009 lag der Durchschnittskurs der verkauften
Berechtigungen bei 11,30 Euro. Im vergangenen Haushaltsjahr hat der Bund aus dem Verkauf von Berechtigungen Einnahmen in Höhe von 932 Millionen Euro erzielt. Im laufenden Haushalt sind die Einnahmen mit
900 Millionen Euro veranschlagt. Ob in dieser Höhe tatsächlich Einnahmen erzielt werden können, ist abhängig
von der weiteren Preisentwicklung.
Auf die in 2009 laufenden Klimaschutzprogramme
der Bundesregierung, die unter anderem mit den Einnahmen aus dem Zertifikateverkauf finanziert werden, hat
diese Entwicklung keine Auswirkungen. Die hierfür jeweils erforderlichen Ausgabeermächtigungen sind im
Bundeshaushalt veranschlagt.
Die derzeit niedrigen Preise sind im Übrigen primär
eine Folge der Konjunkturkrise. Sie bilden nicht den
Maßstab für die weitere Entwicklung. Deshalb bin ich
zuversichtlich, dass sich die Einnahmen schon bald wieder erhöhen werden.
Kollege Fell, bitte.
Gestatten Sie mir noch eine klarstellende Nachfrage:
Obwohl viele der neuen Programme - vor allem des
Umweltministeriums - mit den Einnahmen aus dem
Emissionshandel finanziert werden und die Mittel aufgestockt werden konnten, sagen Sie, dass es auch bei einem Rückgang der Einnahmen keinerlei Abstriche bei
den Ausgaben geben wird, die mit diesen Programmen
verbunden sind. Alle Mittel für die Förderprogramme
bleiben also in ihrer ursprünglichen Höhe erhalten?
Das ist richtig. Das haben Sie richtig verstanden, ja.
Danke schön.
Damit kommen wir zur Frage 14 der Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl:
Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung des
Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, die Bevölkerung dürfe gewiss sein, dass
die Bundesregierung versuchen wird, die Energieversorgungsunternehmen von der moralischen Mitverpflichtung zu
überzeugen, sich an den Kosten für die Sanierung und Schließung des Atommülllagers Asse II zu beteiligen ({0}), und
ist die Bundesregierung grundsätzlich der Auffassung, dass
sich die Energiewirtschaft an den Sanierungs- und Schließungskosten des Atommülllagers Asse II beteiligen sollte?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Sehr geehrte Frau Kotting-Uhl, diese Frage beantworte ich wie folgt: 20 Prozent der Abfallgebinde, die in
der Schachtanlage Asse II eingelagert sind, stammen unmittelbar aus Atomkraftwerken der Energieversorgungsunternehmen. Das entspricht 3 Prozent des radioaktiven
Gesamtinventars. Ein großer Teil der in der Asse eingelagerten Abfälle stammt aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe, also aus einer öffentlichen Einrichtung.
90 Prozent des radioaktiven Inventars und knapp 50 Prozent der eingelagerten Gebinde in der Asse stammen aus
dem Betrieb der WAK. In dieser ursprünglich als Pilotanlage für die kommerzielle Wiederaufarbeitung konzipierten Anlage wurden in den Jahren 1971 bis 1991
überwiegend Brennelemente wiederaufbereitet, die zu
einem großen Teil aus Reaktoren der Energieversorgungsunternehmen stammten. Bei der Wiederaufarbeitung sind Betriebsabfälle, Arbeitsmaterialien, Handschuhe und Ähnliches angefallen. Diese Sekundärabfälle
wurden von der WAK an die Asse abgeliefert. Damit haben etwa zwei Drittel der insgesamt in der Asse eingelagerten Aktivität ihren Ursprung in der Radioaktivität von
Brennelementen, die von Energieversorgungsunternehmen zur Wiederaufarbeitung an die WAK geliefert wurden. Einlieferer der Abfälle war aber die WAK und damit eine öffentliche Einrichtung. Hinzu kommen die
Gebinde, die direkt von den Kernkraftwerken angeliefert
wurden. Das entspricht insgesamt etwa 40 Prozent der in
der Schachtanlage Asse II eingelagerten Gebinde.
Es ist in der Bundesregierung unstreitig, dass es keine
rechtliche Handhabe gibt, den Verursachern der in der
Asse eingelagerten Abfälle 30 Jahre später rückwirkend
neue Gebühren aufzuerlegen. Die Frage, ob sich die
EVUs wegen der beschriebenen Umstände an den Kosten der Stilllegung der Asse beteiligen sollten, obwohl
sie rechtlich nicht dazu herangezogen werden können,
wird innerhalb der Bundesregierung unterschiedlich beurteilt.
Nachfragen? - Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin Klug, vielen Dank für die Antwort. Ich bin mit der Zahl, die Sie angegeben haben,
nicht ganz einverstanden, und ich glaube auch, dass sie
dem widerspricht, was wir schon dem in Plenardebatten
vielfach zitierten Inventarbericht von 2002 entnehmen
können. Sie haben gesagt, dass sich 40 Prozent des radioaktiven Potenzials - darum geht es schließlich; wie
viele Gebinde es sind, ist völlig nachrangig; es geht nicht
um das Volumen, sondern um das radioaktive Potenzial,
das in der Asse eingelagert ist - auf den Atommüll zurückführen lassen, der von den Atomkraftwerken in die
Wiederaufarbeitungsanlage und von da aus in die Asse
gebracht wurde.
In dem Inventarbericht wird der Atommüll, der in die
WAK und von da aus in die Asse gebracht wurde, genau
aufgelistet. Das ist einer der wenigen Berichte, in dem
das wirklich dargelegt ist. Ansonsten haben wir Begleitscheine, die nicht allzu viel hergeben. Aus dem Inventarbericht lässt sich leicht errechnen, dass allein 70 Prozent
des letztendlich in der Asse vorhandenen radioaktiven
Potenzials aus dem AKW Obrigheim - mithin ursprünglich von dem heutigen Energieversorger EnBW - stammen.
Minister Gabriel hat zum Beispiel gegenüber dem
Abgeordneten Christoph Pries geäußert: „Dass wir versuchen werden, die EVU von der moralischen Mitverpflichtung zu überzeugen, da dürfen Sie gewiss sein.“
Dabei geht es sicherlich auch um eine Kostenbeteiligung. Es gibt auch andere Zitate, die klarmachen, dass es
einen politischen Willen gibt, die EVU an den Kosten zu
beteiligen.
Oft wird darauf verwiesen, dass es nach 30 Jahren
nicht mehr möglich ist, einen Anspruch zu begründen.
30 Jahre sind angesichts der Gefahren, die von Atommüll ausgehen, bei dem es um Zeitspannen von bis zu
1 Million Jahre geht, in denen die öffentliche Hand die
Lagerung überwachen muss, ein so lächerlich kurzer
Zeitraum, dass wir es meiner Meinung nach nicht moralisch vertreten können, dass danach der Anspruch der öffentlichen Hand endet.
Deshalb frage ich Sie, was Sie zu tun gedenken. Gibt
es Bemühungen der Bundesregierung oder von Teilen
der Bundesregierung, wenn es - wie bei AKW-Fragen
allgemein üblich - unterschiedliche Auffassungen gibt,
mit den EVU ins Gespräch zu kommen und sie zu einer
Beteiligung zu bewegen?
Frau Kollegin Kotting-Uhl, wir müssen zwei Dinge
unterscheiden: Das eine ist die rechtliche Situation und
das andere die moralische Bewertung. Die rechtliche Situation habe ich eben beschrieben. Es gibt keine rechtliche Handhabe, Einlieferer der Asse nachträglich zu einer
Kostenbeteiligung heranzuziehen. Sie wissen, dass das
Bundesumweltministerium und der Bundesumweltminister sehr wohl die Frage bejahen, ob es eine moralische
Verpflichtung und Verantwortung der Energieversorgungsunternehmen gibt, auf deren Brennelemente die
Abfälle zurückgehen, die in der Asse eingelagert wurden. Nicht die Brennelemente selbst wurden dort eingelagert, sondern Abfälle, die bei der Wiederaufarbeitung
der Brennelemente entstanden sind, eingelagert von einer staatlichen Einrichtung. Nichtsdestotrotz geht die
Radioaktivität auf die Aktivität von bzw. auf Brennelemente aus kommerziell betriebenen Atomkraftwerken
zurück. Deshalb bejaht der Bundesumweltminister die
moralische Verantwortung, und deshalb hat er mit den
EVUs Kontakt aufgenommen und diese Frage aufgeworfen.
Zur Klarstellung der Zahlen, die ich eben schon einmal vorgetragen habe, will ich Anteile, wer was eingeliefert hat, in Prozenten erläutern. Ich habe vorgetragen,
dass 3 Prozent des radioaktiven Gesamtinventars direkt
von Atomkraftwerken, von den Energieversorgern, und
etwas mehr als zwei Drittel des radioaktiven Inventars
über den Umweg der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe eingeliefert wurden, sodass die Energieversorgungsunternehmen und die Atomkraftwerke für etwa
70 Prozent des radioaktiven Inventars verantwortlich
sind. Das sind die Zahlen aus dem auch von Ihnen erwähnten Bericht.
Weitere Nachfrage.
Danke schön, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin
Klug, ich spitze es ein bisschen provokativ zu, aber ich
glaube, das hat in dieser Gemengelage seine Berechtigung.
Was die AKW-Betreiber angeht, stelle ich noch einmal Obrigheim heraus; auch Gundremmingen hat sehr
viel in die Wiederaufbereitungsanlage gebracht. Die
WAK hat zehn Jahre lang keine Gebühren für die Einlagerung des Atommülls in der Asse verlangt. Drei Jahre
waren die Gebühren sehr gering. Stimmen Sie mir zu
- antworten Sie nicht nur mit Nein; ich bitte um eine etwas ausführlichere Antwort -, dass es sich hier um eine
„Waschanlage“ für Atommüll der Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe handelte? Was halten Sie von diesem Begriff?
Entscheidend für die Bewertung, wer für die Abfälle
in der Asse verantwortlich ist, ist die Frage, wer dort
eingeliefert hat. Eingeliefert hat in diesem Fall die Wiederaufbereitungsanlage. Das Eigentum an den Brennelementen und den Abfällen, die bei der Wiederaufbereitung der Brennelemente in der Wiederaufbereitungsanlage
entstanden sind, ist auf die Wiederaufbereitungsanlage
übergegangen. Mit der Ablieferung der Abfälle ist das
Eigentum an die Asse übergegangen. Deshalb gibt es
keine rechtliche Möglichkeit, im Rückgriff diejenigen,
die einst für die Abfälle verantwortlich waren, zu einer
Kostenbeteiligung heranzuziehen. Das ist die rechtliche
Bewertung dieser Frage. Diese ist in der Bundesregierung unstreitig.
Jetzt hat die Kollegin Dorothée Menzner eine Frage.
Danke. - Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade ausgeführt, dass die Energiewirtschaft aus Ihrer Sicht bzw.
aus Sicht der Bundesregierung im Hinblick auf die Kosten der Abfälle, solange die Abfälle in der Asse sind,
nicht weiter zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Wir alle warten auf den Optionenvergleich, um entscheiden zu können, ob eine teilweise oder vollständige
Rückholung der Abfälle aus der Asse geboten ist. Wie
stellt sich für die Bundesregierung im Fall einer teilweisen oder vollständigen Rückholung die Frage nach der
Kostenbeteiligung der Energiewirtschaft dar? Werden
auch diese möglichen Kosten komplett vom Steuerzahler
zu tragen sein, oder ist aus Ihrer Sicht hier die Option gegeben, die Verursacher zur Kasse zu bitten?
Ich kann mich nur wiederholen: Es gibt keine rechtliche Handhabe, die Energieversorgungsunternehmen zur
Finanzierung der Stilllegung der Asse, unabhängig davon, welche Option am Ende umgesetzt wird, heranzuziehen. Das Bundesumweltministerium ist der Meinung,
dass es eine moralische Verpflichtung gibt. Deshalb gibt
es dazu Gespräche mit den Energieversorgern. Aber das
Atomgesetz, in dem diese Frage eindeutig geklärt ist,
bietet nicht die Möglichkeit, die Energieversorgungsunternehmen zur Kostenbeteiligung heranzuziehen.
Jetzt hat der Kollege Hans-Josef Fell eine Frage.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie sagen, es gebe keine
rechtliche Handhabe für die Bundesregierung, die Verursacher, also die Atomkonzerne, an der Finanzierung der
Beseitigung der Folgen des Desasters in der Grube Asse
zu beteiligen, dann kann ich das nachvollziehen, wenn in
der Forschungseinrichtung alles so gewesen wäre, wie es
ursprünglich gedacht war. Nun hatten aber die Atomkonzerne großen Druck ausgeübt, dass die öffentliche Hand
eine Forschungseinrichtung und damit die Wiederaufbereitungsanlage finanziert, um sich dieser Lasten zu entledigen. Es ist ein unglaubliches Privileg, dass die öffentliche Hand über Jahrzehnte einem gut verdienenden
Konzern die Last, Forschung zu betreiben, abgenommen
hat. Zudem wurde Atommüll in der Einrichtung, die eigentlich nur zu Forschungszwecken gedacht war, sozusagen reingewaschen, um sich seiner kostengünstig zu
entledigen. Ist das nicht ein Sachverhalt, der über eine
moralische Verpflichtung hinausgeht und im Nachhinein
in eine Art Missbrauchstatbestand der Atomkonzerne,
die sich über Jahrzehnte eines billigen Entsorgungswegs
bedient haben, überführt werden könnte?
Herr Kollege Fell, man kann natürlich über die Frage
diskutieren, ob diejenigen, die Nutznießer der Wiederaufbereitungsanlage und der Forschungseinrichtung in
Karlsruhe waren, dann, wenn Jahrzehnte später Probleme auftreten, die auf ihre Abfälle zurückzuführen
sind, zur Kostenbeteiligung herangezogen werden können. Über diese Frage muss man politisch diskutieren.
Es gibt aber im Rahmen der Gebührenordnung für die
Asse keine Möglichkeit, solche Rückgriffe zu organisieren und jemanden finanziell heranzuziehen. Es ist eine
politische Frage, ob man die Energieversorgungsunternehmen, die Nutznießer solcher Einrichtungen waren
und die zurzeit mit abgeschriebenen Atomkraftwerken
Geld verdienen, dann, wenn der öffentlichen Hand Kosten entstehen, weil man bestimmte Risiken möglicherweise unterschätzt hat, zur Kostenbeteiligung heranzieht. Das ist eine politische Frage, die zwar beantwortet
werden muss, aber nicht durch eine Gebührenordnung
für die Asse gelöst werden kann.
Danke schön. - Wir kommen jetzt zu Frage 15 der
Kollegin Kotting-Uhl.
Inwiefern kann die Bundesregierung die Aussage von
Eckbert Duranowitsch bestätigen, seinem Exarbeitgeber und
ehemaligen Betreiber des Atommülllagers Asse II - Helmholtz-Zentrum München, vormals GSF - seien im Zusammenhang mit der Arbeit im Atommülllager Asse II mindestens sechs Todesfälle unter den Mitarbeitern bekannt
({0}), und gegebenenfalls welche näheren Informationen liegen der Bundesregierung in diesen Fällen hinsichtlich
schwerer Erkrankungen bzw. möglicher Todesursachen vor?
Frau Kollegin Kotting-Uhl, diese Frage beantworte
ich wie folgt:
Der Bundesregierung und dem Bundesamt für Strahlenschutz sind aus Zeitungsberichten mehrere Erkrankungsfälle ehemaliger Beschäftigter der Schachtanlage
Asse bekannt. Diese Erkrankungsfälle hat das BfS zum
Anlass genommen, ein „Gesundheitsmonitoring Asse“
zu starten. Mit dem Gesundheitsmonitoring sollen für
alle derzeitigen und für alle ehemaligen Beschäftigten
der Schachtanlage Asse II Strahlenexpositionsprofile erstellt werden. Diese und umfangreiche Arbeitsanamnesen
sind dann die Grundlage für gutachtliche Stellungnahmen zur Verursachungswahrscheinlichkeit berufsbedingter Erkrankungen.
Das BfS wird Auskünfte aus dem „Gesundheitsmonitoring Asse“ allen Betroffenen, den Unfallkassen bzw.
Berufsgenossenschaften und Ermittlungsbehörden unter
Beachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen erteilen.
Dem Bundesamt liegen derzeit keine Kenntnisse darüber vor, dass frühere Mängel im Strahlenschutz in der
Asse zu Gefährdungen für die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geführt haben. Eine Gesamterhebung aller Erkrankungsdaten von ehemaligen und
derzeitigen Beschäftigten der Asse ist wegen der Zahl
der Beschäftigten und der aufgrund der Krebsstatistik in
Deutschland in dieser Gruppe zu erwartenden Fallzahlen
aus statistisch-epidemiologischen Gründen nicht sinnvoll. Somit entfällt auch eine datenschutzrechtliche
Rechtfertigung zur Erhebung entsprechender Gesundheitsdaten.
Das „Gesundheitsmonitoring Asse“ ersetzt kein berufsgenossenschaftliches Anerkennungsverfahren auf Berufskrankheit. Dieses wird unabhängig vom „Gesundheitsmonitoring Asse“ auf Antrag von der zuständigen
Unfallkasse bzw. der Berufsgenossenschaft geführt.
Aber bei Bedarf und auf Antrag werden die Erkenntnisse
des BfS in diesen Verfahren natürlich zur Verfügung gestellt.
Nachfragen, Frau Kollegin Kotting-Uhl? - Bitte
schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin
Klug, kann die Bundesregierung mittlerweile Aussagen
ehemaliger Mitarbeiter dahin gehend, dass zum Beispiel
in der Asse Lauge in Eimern weggetragen wurde oder
dass man mit dem Boot zu bestimmten Messstellen über
Laugensümpfe fahren musste, entweder bestätigen oder
entkräften?
Das sind alles Fragen, die im Zuge der Sichtung von
Akten derzeit vom Bundesamt für Strahlenschutz überprüft werden.
Weitere Nachfrage?
Ja. Danke schön. - Eine zweite Nachfrage: Hat die
Bundesregierung den ehemaligen Asse-Betreiber über
die neu erlangten Informationen von ehemaligen Mitarbeitern informiert? Und wenn ja, welche Vorwürfe
konnte der ehemalige Betreiber gegebenenfalls entkräften? Welche hat er bestätigt?
Es finden derzeit Untersuchungen statt. Das Bundesamt für Strahlenschutz ist erst seit Anfang Januar Betreiber der Asse. Die Unterlagen und Akten sind erst nach
diesem Zeitpunkt dem Bundesamt für Strahlenschutz
übergeben worden. Es werden derzeit Akten gesichtet
und überprüft.
Ihre Frage nach konkreten Mitarbeitern kann ich Ihnen nicht beantworten. Allerdings werden Befragungen
von ehemaligen Mitarbeitern durchgeführt, um bestimmte
Sachverhalte noch genauer aufzuklären. Diese Arbeiten
werden derzeit vom BfS durchgeführt.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Wir kommen
zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung steht zur Verfügung Herr Staatsminister
Dr. Gernot Erler.
Die Fragen 16 und 17 sollen schriftlich beantwortet
werden.
Wir kommen somit zu Frage 18 des Kollegen
Wolfgang Gehrcke, der anwesend ist:
Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zur Forderung des US-Präsidenten Barack Obama, die Anzahl der in
Afghanistan stationierten Soldaten bedeutend zu erhöhen,
ein?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Gehrcke,
meine Antwort lautet wie folgt:
Die US-Regierung unter Präsident Barack Obama hat
bislang keine konkreten Forderungen an die Bundesregierung gerichtet, die Anzahl der in Afghanistan stationierten Soldaten zu erhöhen.
In der NATO wird derzeit über einen Truppenaufwuchs zur Absicherung der diesjährigen Präsidentschaftswahlen in Afghanistan diskutiert.
Die Bundesregierung hat frühzeitig gemeinsam mit
den Partnern in der Nordregion Afghanistans die Anforderungen geprüft und entsprechende Planungen in die
Wege geleitet.
Nachfragen? - Herr Gehrcke.
Herr Staatsminister, wir hatten heute schon im Ausschuss die Gelegenheit, über diese Fragen zu reden. Ich
möchte nachfragen: Der kommende NATO-Gipfel hat
nicht nur eine Riesenbedeutung, weil einer 60-jährigen
Geschichte gedacht werden soll. Ich finde, 60 Jahre sind
zu viel; aber das ist meine Auffassung. Ist die Bundesregierung bereit, in einer Regierungserklärung vorzustellen, welche politischen und strategischen Fragen sie
selbst auf dem NATO-Gipfel einbringen will?
Herr Kollege Gehrcke, diese Frage führt jetzt ziemlich weit von Afghanistan weg. Ich möchte Ihnen aber
sagen, dass wir uns natürlich sehr konkret auf diesen
NATO-Gipfel vorbereiten, nicht nur deshalb, weil er teilweise in Deutschland stattfindet, sondern auch, weil wir
die Aufgabe, nach 60 Jahren ein neues strategisches
Konzept für die NATO zu entwickeln, angesichts der aktuellen Herausforderungen, die es gibt, sehr ernst nehmen. Sie können sicher sein, dass wir auch unsere inhaltlichen Beiträge für die Formulierung dieses Mandates
rechtzeitig erarbeiten werden.
Zweite Nachfrage? - Bitte.
Herr Staatsminister, so weit ist das gar nicht von Afghanistan weg; denn im Zentrum des NATO-Gipfels
werden das neue strategische Konzept und Afghanistan
stehen. Deswegen, so finde ich, muss man dezidiert
nachfragen, damit die Bundesregierung ihre Position
hier im Parlament, das ein Mitspracherecht hat, öffentlich macht. Ich frage Sie also noch einmal: Gibt es derzeit in der Bundesregierung eigene Überlegungen, solche Fragen wie die Beendigung der Stationierung der
amerikanischen Atomwaffen in Deutschland, wie die
Erstschlagsdoktrin oder wie die Aufhebung des Bündnisfalles zur Debatte zu stellen?
Herr Kollege, noch einmal: Natürlich wird auch Afghanistan auf der Tagesordnung des NATO-Gipfels stehen. Aber Sie haben eben selber deutlich gemacht, dass
es sich bei dem strategischen Konzept um eine sehr viel
breitere Anlage handelt. Ich kann nur sagen: Sie sind der
Souverän, Sie sind Abgeordneter, und Sie können natürlich jederzeit Fragen an die Bundesregierung richten,
zum Beispiel nach dem Konzept, was Sie aber in dieser
Fragestunde nicht gemacht haben. Sie können die Bundesregierung auffordern, hier im Hohen Haus ihre Position darzulegen. Ich bin ganz sicher, dass die Bundesregierung dieser Aufforderung auch nachkommen wird.
Danke schön, Herr Staatsminister.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter
Altmaier zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Gehrcke auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich für das Recht von Demonstrantinnen und Demonstranten, ihren Protest gegen die
Politik der NATO zeit- und ortsnah während der Gipfelveranstaltungen in Baden-Baden und Straßburg zum Ausdruck zu
bringen, einzusetzen?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Gehrcke,
wie Sie sich denken können, geht die Bundesregierung
selbstverständlich davon aus, dass die Bürgerinnen und
Bürger ihre verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungs- und Demonstrationsrechte wahrnehmen können.
Ich muss allerdings erläuternd das Folgende hinzufügen:
Wie Sie als Mitglied des Hohen Hauses vermutlich
selbst wissen, ist mit der Föderalismusreform vom
28. August 2006 die Gesetzgebungskompetenz für das
Versammlungsrecht auf die Länder übergegangen. Das
heißt, dass die Länder nunmehr sowohl für die Gesetzgebung als auch für den Gesetzesvollzug zuständig sind.
Es ist somit Aufgabe der Länder, die Voraussetzungen
für eine wirksame Verwirklichung der Versammlungsund Demonstrationsfreiheit zu schaffen. Die Entscheidung, in welcher Weise und mit welchen Prioritäten
diese Verfassungspostulate bei den Demonstrationen im
Bundesland Baden-Württemberg zu erfüllen sind, obliegt somit logischerweise den zuständigen Behörden
des Landes Baden-Württemberg. Ich gehe davon aus,
dass dort wie auch in allen anderen Bundesländern in
Übereinstimmung mit den grundgesetzlichen Vorgaben
und Verbürgungen verfahren wird.
Soweit Sie sich auf die Versammlungen in Straßburg
bezogen haben, ist zu sagen, dass diese natürlich nicht in
den Schutzbereich des deutschen Versammlungsrechts
fallen; vielmehr ist über die Zulässigkeit von Demonstrationen nach französischem Recht von den französischen Behörden zu entscheiden.
Eine Nachfrage des Kollegen Gehrcke.
({0})
Meinen Sie mich? Ich, ja. Ich weiß nicht, ob der Herr
Staatssekretär auch demonstriert; aber das ist nicht die
Fragestellung.
Ich habe einen anderen Ausgangspunkt. Die rechtliche Lage ist klar. Die Bundesregierung müsste doch ein
großes Interesse daran haben, mit diesem NATO-Gipfel
- auch in Kooperation mit Frankreich - zu signalisieren,
dass man offen ist und dass man möchte, dass alle Menschen, die es wollen, sich friedlich, das heißt gewaltfrei,
versammeln können, und das nicht außerhalb der Städte,
sondern vor Ort. Eine Erklärung der Bundesregierung,
dass sie nicht nur das Recht der NATO, sich zu versammeln, achtet, sondern auch das Recht der Demonstranten, gegen die NATO zu demonstrieren, würde ihre
Wirksamkeit nicht verfehlen. Ich frage Sie, ob Sie bereit
sind, eine solche Erklärung in der Öffentlichkeit abzugeben.
Wenn Sie eine solche Frage stellen, Herr Kollege
Gehrcke, dann müssen Sie eigentlich Anhaltspunkte dafür haben, dass die Wahrnehmung des Versammlungsund Demonstrationsrechtes nicht gewährleistet ist. Die
Bundesregierung hat großes Vertrauen in die zuständigen Behörden des Landes Baden-Württemberg, die eine
jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit diesen wichtigen Grundrechten haben. Deshalb haben wir weder
Weisungen noch Empfehlungen noch Erklärungen abzugeben; vielmehr gehen wir selbstverständlich davon aus
- ich wiederhole es -, dass das Versammlungs- und Demonstrationsrecht der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet ist.
Eine weitere Nachfrage. Bitte, Herr Gehrcke.
Genau diese Kenntnis und diese Sorgen bringen mich
dazu, diese Fragen zu stellen. Ich habe gehört, dass in
Baden-Baden „Rote Zonen“ eingerichtet werden, also
Zonen, die demonstrationsfrei bleiben sollen, dass die
Brücke von Kehl nach Straßburg gesperrt und dass in
Straßburg jeglicher Personennahverkehr für drei Tage
eingestellt werden soll. Es wird ein sehr schwieriges
Klima geschaffen. Deswegen lege ich Wert darauf, dass
Sie mit einer solchen Erklärung die Situation entspannen
und dass Sie nicht zur Eskalation, zu gegenseitigen Aggressionen beitragen.
Herr Kollege Gehrcke, nach den Informationen, die
der Bundesregierung vorliegen, ist in den derzeitigen
Planungen sehr sorgfältig abgewogen zwischen dem Demonstrationsrecht und der Notwendigkeit beispielsweise
die Brücke, die Sie angesprochen haben, für einen bestimmten, zeitlich sehr eng begrenzten Zeitraum zu sperren, wenn dort eine Veranstaltung stattfindet; ich komme
darauf bei der Beantwortung der Frage Ihrer Kollegin
Höger zurück. Eine solche Sperrung ist im Übrigen auch
bei früheren Anlässen geschehen, und sie geschieht laufend. Ich kann darin keine Einschränkung des Demonstrations- und Versammlungsrechts erkennen.
Eine weitere Zusatzfrage stellt die Kollegin Dağdelen
von der Fraktion Die Linke.
Lieber Herr Altmaier, die Europäische Union und
auch die Bundesregierung betonen immer wieder den
Wert der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen
Union. Wie hält es die Bundesregierung damit, dass das
Schengener Abkommen in diesem Fall ausgesetzt werden soll, dass die Grenze zwischen Kehl und Straßburg
sozusagen geschlossen werden soll? Ist das das Bild der
Freizügigkeit, das die Bundesregierung, Frankreich und
damit auch die Europäische Union uns, den Bürgerinnen
und Bürgern, vermitteln möchte?
Frau Kollegin Dağdelen, Sie haben völlig Recht, dass
es durch das Schengener Abkommen sowie durch den
Einsatz dieser Bundesregierung und ihrer Vorgängerregierungen gelungen ist, die Bewegungsfreiheit von Millionen von europäischen Bürgerinnen und Bürgern ganz
erheblich auszuweiten. Die letzte Erweiterung liegt gerade einmal etwas länger als ein Jahr zurück; damals
wurden die Kontrollen an den Grenzen zu den neuen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Wesentlichen aufgehoben, mit Ausnahme von Bulgarien, Rumänien und Zypern. Dies alles ist ein großer Erfolg für die
Bewegungsfreiheit in Europa.
Da Sie im Innenausschuss häufiger Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren, wissen Sie allerdings genauso gut wie ich, dass im Schengener Abkommen die
Möglichkeit vorgesehen ist, eine zeitlich befristete Wiedereinführung von Grenzkontrollen vorzunehmen. Davon wird in einem sparsamen Umfang, aber durchaus
hin und wieder Gebrauch gemacht. Eine solche Situation
hatten wir beispielsweise bei der Fußballweltmeisterschaft. Eine solche Situation hatten wir auch bei dem
G-8-Gipfel in Heiligendamm. Das hat mit dazu beigetragen, den gewaltfreien Ablauf von Demonstrationen und
Kundgebungen wesentlich zu befördern. Inwieweit in
dem in Rede stehenden Fall von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, muss nach der Lage vor Ort entschieden werden. Es ist aber keinesfalls außergewöhnlich, und es wäre auch nicht das erste Mal.
Vielen Dank. - Ich rufe die Frage 20 der Kollegin
Inge Höger auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich dafür einzusetzen,
dass die Europabrücke - E 52/B 28 - zwischen Kehl und
Straßburg am Samstag, dem 4. April 2009, nicht geschlossen
wird, um damit sicherzustellen, dass das Recht von aus
Deutschland anreisenden Demonstrantinnen und Demonstranten, sich an der internationalen Großdemonstration gegen den
NATO-Gipfel in Straßburg zu beteiligen, nicht eingeschränkt
wird?
Das ist eine Frage, die sich nahtlos in diesen Kontext
einfügt. Deshalb muss ich auch Ihnen sagen, dass die
Streckenführung für angemeldete Demonstrationszüge
und gegebenenfalls der Erlass behördlicher Auflagen
dazu grundsätzlich dem einsatzführenden Land - damit
dem Land Baden-Württemberg - obliegen. Sofern länderübergreifende Demonstrationszüge stattfinden werden,
also mit Überschreiten der Grenze von Deutschland nach
Straßburg, ist zusätzlich eine Abstimmung mit der französischen Präfektur angezeigt.
Dem Bundesministerium des Innern liegen nach dem
derzeitigen Sachstand keine Anhaltspunkte dafür vor,
dass die Europabrücke aus einsatztaktischen Gründen
grundsätzlich geschlossen werden soll. Eine Ausnahme
bildet lediglich die temporär eng begrenzte Sperrung am
Morgen des 4. April 2009 aus Sicherheitsgründen.
Lassen Sie mich dazu das Folgende noch sagen: Während des Programmhöhepunktes - das ist das Überschreiten der gegenüber der Europabrücke liegenden Passerelle
des deux Rives über den Rhein - haben die gastgebenden
Länder Deutschland und Frankreich die Sicherheit der
internationalen Staatsgäste aus über 30 Delegationen zu
gewährleisten. Dazu ist unter anderem für einen eingeschränkten Zeitraum der Zugang zu der Europabrücke zu
kontrollieren. Nach diesem Veranstaltungspunkt, der
nach den derzeitigen Planungen etwa in der Zeit von
9 Uhr bis 10.30 Uhr stattfinden wird, werden Demonstrationszüge die Europabrücke voraussichtlich überschreiten können, wenn auch aus den obengenannten
Gründen eben zeitversetzt.
Nachfrage?
Ja, ich habe eine Nachfrage. - Am 4. April soll auch
ein Sonderzug aus Nordrhein-Westfalen nach Kehl fahren; die Menschen wollen sich dem Demonstrationszug
über die Europabrücke anschließen. Denen, die den Zug
anmieten wollen, ist von der Bahn gesagt worden, dass
dieser Sonderzug schon vor Kehl, nämlich in Appenweier - das ist 16 Kilometer von Kehl entfernt -, gestoppt werden soll und nicht weiterfahren darf. Wissen
Sie etwas davon, und werden Sie sich im Sinne des Demonstrationsrechts dafür einsetzen, dass dieser Zug bis
nach Kehl fahren darf?
Diese Information ist mir zugegebenermaßen neu. Ich
werde mich aber gern sachkundig machen und Ihnen gegebenenfalls berichten.
Weitere Nachfrage, Frau Höger?
Nein. - Ich danke Ihnen und hoffe, noch einmal davon zu hören.
Danke schön. - Haben Sie eine Nachfrage dazu? Bitte, Herr Ströbele.
({0})
Danke, Herr Präsident. - Ich frage nicht danach, ob
ich mein Fahrrad mitnehmen darf, sondern ich frage Sie:
Wer ist nach Ihrer Auffassung für diese Brücke zuständig, Deutschland oder Frankreich?
Das hängt vom genauen Verlauf der Grenze in diesem
Bereich ab.
({0})
Herr Kollege Ströbele, da wir in diesem Abschnitt über
mehrere Hundert Kilometer Grenze verfügen, werden
Sie es mir nachsehen, dass ich Ihnen nicht für jede einzelne Brücke sagen kann, ob die Grenze vor Beginn der
Brücke, am Ende der Brücke oder in der Mitte der Brücke verläuft. Ich bin aber überzeugt, dass die örtlichen
Behörden, sowohl die in Straßburg wie auch die in Kehl,
dies sehr genau wissen.
Im Übrigen entspricht es meiner Wahrnehmung, dass
wir in den letzten Jahren eine Kultur der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden über die Grenzen hinweg
entwickelt haben, die in vielen Fällen auch über das hinausgeht, was offiziell gefordert wird, und in deren Rahmen man sich einfach abspricht und gegenseitig informiert. Ich habe großes Vertrauen darin, dass dies gerade
auch in Kehl und in Straßburg funktionieren wird, weil
dieser Bereich seit vielen Jahren ein symbolischer Ort
für die deutsch-französische Freundschaft und die europäische Integration ist.
({1})
- Gern.
Wir kommen zur Frage 21 des Kollegen Sarrazin:
Welche Verhandlungsposition vertritt die Bundesregierung
in den derzeit auf europäischer Ebene laufenden Verhandlungen zu den praktischen Leitlinien für FRONTEX-Einsätze
bzw. zum Schengener Grenzkodex generell und insbesondere
im Hinblick auf die Geltung des Refoulement-Verbotes aus
Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und der
Genfer Flüchtlingskonvention auf hoher See?
Zu Ihrer Frage, Herr Kollege Sarrazin, kann ich Ihnen
sagen, dass die Bundesregierung ausdrücklich das Anliegen der Kommission unterstützt, anerkannte Standards
des Völker- und Europarechts in die Leitlinien einzubeziehen und damit zu mehr Klarheit und Vorhersehbarkeit
bei gemeinsamen Einsatzmaßnahmen der Mitgliedstaaten unter der Ägide von FRONTEX zu kommen. Die beabsichtigten Regelungen müssen in Übereinstimmung
mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und
der Genfer Flüchtlingskonvention stehen.
Nachfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, im Anschluss an Ihre Ausführungen möchte ich fragen, wie die Bundesregierung derzeit
die Aussicht auf Erfolg des Komitologieverfahrens einschätzt. Das ist ja Voraussetzung, damit wir zu solchen
einheitlichen Rechtsgrundlagen kommen.
Sie wissen, dass dieses Verfahren relativ neu ist. Die
Kommission hat sich im Mai des Jahres 2007 erstmals
zur Überwachung der Seegrenzen geäußert. Damals hat
sie die Festlegung unverbindlicher Leitlinien vorgeschlagen. Sie hat dann, nachdem es mehrere Expertentreffen gegeben hat, ihre Auffassung geändert und beabsichtigt jetzt, bindende Regelungen zur Überwachung
der Seegrenzen in dem von Ihnen genannten Komitologieverfahren festzulegen. Dazu gab es am 23. und 24. Februar eine konstituierende Ausschusssitzung. Bei dieser
Ausschusssitzung hat sich eine Reihe von Mitgliedstaaten - es waren nach meiner Kenntnis insgesamt fünf gegen eine verbindliche Regelung ausgesprochen.
Deutschland hat die Kommission unterstützt, wie ich es
Ihnen eben auch schon mitgeteilt hatte. Es wird nun darauf ankommen, in den nächsten Wochen und möglicherweise Monaten die Bedenken dieser fünf Länder zu
überwinden. Deutschland hat vor, sich aktiv an der Debatte zu beteiligen.
Zweite Nachfrage? - Bitte.
Ist es so, dass das Refoulement-Verbot aus Art. 3 der
Europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention auf hoher See einer der
Knackpunkte dieser Verhandlungen ist? Wie steht die
Bundesregierung in den Verhandlungen einerseits zu
dieser Regelung? Wie gedenkt die Bundesregierung andererseits im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen,
das gemeinsame Ziel, nämlich europäische Rechtsgrundlagen, die für alle gelten, trotzdem zu erreichen?
Ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass wir möchten,
dass unter anderem die Genfer Konvention in die verbindlichen Leitlinien aufgenommen wird. Alles andere
würde keinen Sinn machen. Das bedeutet natürlich, dass
man auch das Refoulement-Verbot aufnimmt und dort
verankern muss.
Davon unabhängig ist allerdings die Frage, die unter
Völkerrechtsexperten sehr umstritten ist, nämlich inwieweit dieses Verbot auch eine exterritoriale Wirkung entfaltet. Über diese Frage wird man möglicherweise auch
im Rahmen des Komitologieverfahrens diskutieren. Ich
kann Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, wie die
Lösung aussehen wird. Die Bundesregierung hat dazu
allerdings immer eine klare Auffassung vertreten. Diese
hat sie auch im Europaausschuss und im Innenausschuss
des Deutschen Bundestages dargelegt, auch wenn sie Ihnen im Ergebnis wahrscheinlich nicht allzu viel Freude
gemacht hat. Wir werden diese Diskussionen mit allen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union führen. Ich
hoffe, dass man zu einer entsprechenden Lösung kommt.
Ich will der Klarheit halber noch einmal sagen:
FRONTEX-Operationen sind, wenn es denn zu diesen
kommt, Operationen von nationalen Schiffen, nationalen
Hubschraubern usw. unter der Ägide von FRONTEX.
Jedes Land, das sich an diesen Einsätzen beteiligt, also
auch die Bundesrepublik Deutschland - sie hat ja beispielsweise einen Hubschrauber nach Malta geschickt -,
muss dann in seinem Verantwortungsbereich völlig unabhängig von dem Zustandekommen einer verbindlichen
europäischen Leitlinie Sorge dafür tragen, dass die internationalen Übereinkommen, die es gezeichnet hat, voll
und ganz eingehalten werden. Dies kann ich für die Bundesregierung und für die Bundesrepublik Deutschland
für die Vergangenheit und auch für die Zukunft zusagen.
Das stand nie außer Zweifel. Im Übrigen sind alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union Signatarstaaten.
Wir haben dem Vorschlag der Kommission, dies nun
noch einmal in verbindlichen Leitlinien zu regeln, unter
anderem auch deshalb zugestimmt, weil wir glauben,
dass man damit einen Beitrag zu mehr Rechtsklarheit
schaffen kann. Aber die Verpflichtungen bestehen schon
heute und sind schon heute einzuhalten.
Jetzt habe ich noch eine Frage der Kollegin Dağdelen.
Lieber Herr Altmaier, Sie haben gerade von den Expertensitzungen gesprochen, die es zu dem Entwurf der
Leitlinien gegeben hat, insbesondere hinsichtlich der
Frage der exterritorialen Wirkung des Refoulement-Ver22384
bots der Genfer Flüchtlingskonvention. Weil in der Antwort der Bundesregierung auf die schriftliche Frage einer Kollegin von mir im Monat Februar - 2/48 - die
Ergebnisse der Expertensitzungen aber nicht benannt
werden, möchte ich gerne wissen: Was waren denn die
Ergebnisse der Expertensitzungen?
Ich habe auf die Frage des Kollegen Sarrazin eben
schon ausgeführt, dass wir in den Expertensitzungen am
23. und 24. Februar zunächst einmal darüber diskutiert
haben, ob es gegebenenfalls eine verbindliche Regelung
geben soll oder nicht. Wenn ja, soll sie im Schengener
Grenzkodex verankert werden. Die Meinungen der Mitgliedstaaten sind bislang noch nicht auf einer Linie; fünf
Mitgliedstaaten haben sich dagegen ausgesprochen.
Diese Diskussion wird man erst einmal fortführen müssen, um zu einer möglichst breiten Übereinstimmung zu
gelangen, zumal es ganz wichtig ist, dass in den notwendigen Konsens vor allen Dingen diejenigen Staaten eingebunden werden, die als Mittelmeeranrainer von den
Flüchtlingsströmen besonders betroffen sind und sich an
den FRONTEX-Operationen beteiligen. Nur dann macht
eine solche gemeinsame Festlegung Sinn.
Wir sind zwar fast am Ende der Zeit für die Fragestunde, ich lasse aber noch die nächsten zwei Fragen zu.
Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Silke Stokar von
Neuforn auf:
Welches Einsatzkonzept liegt bislang für die Auslandseinsatzhundertschaft der Bundespolizei in Sankt Augustin vor?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, es liegt
noch kein Einsatzkonzept vor. Dieses wird derzeit zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Bundespolizeipräsidium abgestimmt. Zurzeit sind noch keine
konkreten Einsätze festgelegt. Sie wissen ja, dass die
Aufstellung dieser Einsatzhundertschaften Teil der Reform der Bundespolizei ist und dass wir diese Reform
mit der notwendigen sozialen Rücksichtnahme schrittweise umgesetzt haben. Wir befinden uns immer noch in
diesem Umsetzungsprozess.
Nachfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, im Intranet der Polizei gibt es bereits die Aufforderung an die Bundespolizei, sich auf
eine Auslandseinsatzhundertschaft zu bewerben, für die
es nach Ihren bisherigen Ausführungen kein Konzept
gibt. Stimmt meine Information, dass bei der Vorgabe
der Konzepterstellung ausdrücklich gefordert wird, dass
diese Auslandseinsatzhundertschaft auch im Rahmen sogenannter robuster Mandate einsatzbereit sein und dann
auch Teil eines europäischen Gendarmerieverbundes
werden soll?
Einen europäischen Gendarmerieverbund gibt es derzeit nicht. Es gibt eine Reihe von Staaten, die sich als
Einzelstaaten zur sogenannten EGF, European Gendarmerie Force, zusammengeschlossen haben.
({0})
An diesem Zusammenschluss ist Deutschland, wie Sie
wissen, nicht beteiligt. Das möchte ich der Klarstellung
halber sagen. In dem Statut dieser EGF ist festgelegt,
dass zur Teilnahme gehört, dass die entsprechenden Verbände über einen militärischen Status verfügen.
Auch wenn die Einsatzkonzeption noch nicht endgültig abgestimmt ist, kann ich Ihnen aber an dieser Stelle
schon sicher sagen, dass der Einsatz der Auslandseinsatzhundertschaft nicht unter militärischem Kommando
erfolgen wird. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Es
wird dabei bleiben - das sage ich vorausschauend -, dass
die Teilnahme dem Grundsatz der Freiwilligkeit unterliegen wird. Wir planen nach wie vor, diese Kräfte in
einem sicheren Umfeld einzusetzen. Das heißt, es geht
bei diesen Einsätzen insbesondere um Beratung, Anleitung, Unterstützung, Trainingsunterstützung und natürlich um die Wahrnehmung exekutiver Aufgaben gemäß
den internationalen Mandaten. Das bedeutet, dass sich
die Einsätze im Wesentlichen im bisherigen Rahmen bewegen werden. Schon in der Vergangenheit war es im
Einzelfall möglich, die von Ihnen angesprochenen Aufgaben zu übernehmen. Dies geschah allerdings nicht im
Rahmen eines militärischen Statutes.
Weitere Nachfrage?
Dass es nicht im Rahmen eines militärischen Statutes
möglich ist, ist eine Selbstverständlichkeit. Denn ich
gehe nicht davon aus, dass Sie verfassungswidrige Einsatzkonzepte erstellen.
Sie haben meine Frage nach dem robusten Mandat
nicht direkt beantwortet. Neben dem Prinzip der Freiwilligkeit muss auch die Mandatierung beachtet werden.
Geben die Beamten, die sich heute für einen Einsatz in
der Auslandseinsatzhundertschaft bewerben, eine Blankozustimmung zu allen möglichen Einsätzen, oder können sie auf der Grundlage von Einsatzmandat und von
Einsatzgebiet selber neu über ihre Teilnahme an dem
Einsatz entscheiden?
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Es ist immer die Frage, was man unter einem robusten
Mandat versteht. Wenn Sie darunter Einsätze in einem
unsicheren Umfeld verstehen, dann sage ich Ihnen klar
und deutlich: Solche Einsätze sind nicht vorgesehen.
Wenn Sie darunter verstehen, dass überhaupt keine exekutiven Aufgaben wahrgenommen werden können, dann
sage ich Ihnen genauso deutlich: Auch das ist nicht der
Fall. Im Rahmen internationaler Mandate wird auch die
Übernahme exekutiver Aufgaben zulässig sein, wie dies
auch schon in der Vergangenheit geschehen ist.
Der Grundsatz der Freiwilligkeit - das habe ich vorhin schon gesagt - bleibt weiterhin bestehen. Natürlich
muss man erwarten, dass jemand, der sich freiwillig für
die Teilnahme an einem bestimmten Einsatz meldet, daran auch teilnimmt. In der Vergangenheit hat es diesbezüglich nie Probleme gegeben. Auftretende Schwierigkeiten konnten zwischen den Vorgesetzten und den
betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelöst
werden.
Eine weitere Frage der Kollegin Petra Pau.
Herr Staatssekretär, mir ist die Organisationsform dieser Auslandseinsatzhundertschaft nicht ganz klar geworden, obwohl Sie und der Bundesinnenminister sich in
den Jahren 2007 und 2008 sehr viel Mühe gegeben haben, meiner Kollegin Stokar von Neuforn, den anderen
Innenpolitikern und auch mir zu erklären, dass der im
Organisationskonzept Bundespolizei vorgesehene Auslandspool nur eine technische Zusammenfassung ist und
nicht etwa eine zusammengestellte Truppe von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten bedeutet, die in einen
Auslandseinsatz geschickt werden.
Aus Ihren Ausführungen ist mir noch nicht klar geworden, wie dieser Charakter und wie vor allen Dingen
die Grundsätze der Freiwilligkeit bezogen auf den einzelnen Einsatz und nicht pauschal auf den Auslandseinsatz, der von Ihnen bestimmt wird, und bezogen auf die
Rückkehr an den entsprechenden Dienstort - also entweder bei der Bundespolizei oder bei den Polizeien der
Länder - gewahrt werden. Sie haben viel Mühe darauf
verwendet, uns gegenüber zu betonen, dass es nicht eine
geschlossene Einheit gibt, die für Auslandseinsätze vorgesehen ist.
Das macht auch deshalb keinen Sinn, weil sich die betroffenen Beamtinnen und Beamten nicht permanent im
Auslandseinsatz befinden werden. Es wird vielmehr
punktuell Auslandseinsätze geben. Sie werden immer
wieder von diesen Auslandseinsätzen zurückkehren und
dann im Inland ihren Dienst tun.
Das haben wir bei der Aufstellung dieser Hundertschaften berücksichtigt. Sie sollen nämlich am Standort
Sankt Augustin aufgestellt werden. Dies ist deshalb
wichtig, weil wir dort einen bedeutenden Bundespolizeistandort haben und es im Bereich Sankt Augustin ein
ausgesprochen breites Spektrum an Anschlussverwendungsmöglichkeiten für die betroffenen Bundespolizistinnen und Bundespolizisten gibt, sodass sie dann ihrer
ganz normalen Inlandsverwendung nachgehen können.
Worin liegen der Vorteil und der Fortschritt im Vergleich zur bisherigen Situation, den wir mit der Aufstellung der Auslandshundertschaften erstreben wollen? Das
ist ganz einfach: Wir haben damit einen Pool von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei, die wir in der
Zeit zwischen Auslandseinsätzen ganz gezielt auf diese
Auslandseinsätze vorbereiten können. Das betrifft die
Sprachschulung. Das betrifft den Umgang mit Auslandseinsätzen im Hinblick auf Beratungs- und Schulungstätigkeiten, die ausgeübt werden. Wir haben damit eine
wesentlich zielgenauere Vorbereitung, als dies bei dem
bisherigen Verfahren der Fall ist und möglich ist.
Dann kommen wir zur Frage 23 der Kollegin Stokar
von Neuforn:
In welchen konkreten Krisengebieten sollen die Bundespolizisten eingesetzt werden, die sich auf die Ausschreibung
für die Auslandseinsatzhundertschaft in Sankt Augustin bewerben?
Herr Präsident, ich bitte um Entschuldigung: Ich hatte
das schon mit beantwortet. - Es sind zurzeit keine konkreten Einsätze vorgesehen. Sobald sich dies ändert,
werden wir Sie selbstverständlich darüber informieren.
Die Frau Kollegin Stokar von Neuforn hätte die Gelegenheit, noch zwei Nachfragen zu stellen.
Herr Präsident, danke. Ich möchte diese zwei Nachfragen auch stellen.
Afghanistan gilt für die Bundespolizei und die Polizeien der Länder als sicheres Einsatzgebiet. Bisher ist
die Polizei dort nicht bewaffnet operativ eingesetzt.
Meine Frage zielt auf das robuste Mandat. Wird diese
Auslandseinsatzhundertschaft darauf vorbereitet, dass
sie in sicheren Einsatzgebieten wie Afghanistan bewaffnet eingesetzt wird, das heißt, Teile der polizeilichen
Aufgaben in Afghanistan wahrnehmen soll, die ja andere
sind als hier in Deutschland?
Frau Kollegin Stokar, ich habe vorhin gesagt, dass die
neuen Auslandseinsatzhundertschaften im Rahmen internationaler Mandate selbstverständlich auch exekutive
Aufgaben übernehmen können. Das bedeutet aber nicht,
dass solches im Hinblick auf Afghanistan vorgesehen
ist. In Afghanistan sind wir in zweifacher Hinsicht enga22386
giert. Zum einen nimmt Deutschland an der europäischen Polizeimission EUPOL mit einer Reihe von Polizistinnen und Polizisten des Bundes und der Länder teil.
Zum anderen führen wir in Afghanistan derzeit ein bilaterales deutsches Polizeiausbildungsprojekt durch, bei
dem wir ebenfalls in erheblicher Weise personell engagiert sind. In beiden Fällen ist ein robustes Mandat nicht
vorgesehen.
Weitere Nachfrage, bitte.
Diese Auslandseinsatzhundertschaft, die es noch
nicht gibt und an deren Einsatzkonzept Sie arbeiten, ist
ja ein Projekt des BMI, das in die Zukunft gerichtet ist.
Es gibt wohl vom Auswärtigen Amt die Zusage an Amerika, dass Deutschland seine Polizeiaufbauarbeit in Afghanistan intensivieren wird. Deswegen meine konkrete
Nachfrage: Müssen die Polizeibeamten, die sich heute
freiwillig melden, ohne dass ein Einsatzkonzept oder ein
Einsatzgebiet definiert ist, damit rechnen, dass sie in Afghanistan unter anderen Einsatzbedingungen als heute
eingesetzt werden?
Wenn sich jemand für eine Auslandseinsatzhundertschaft meldet, dann müssen wir zunächst einmal davon
ausgehen, dass er sich bewusst ist, dass der konkrete Einsatz dieser Hundertschaft nicht für alle Zeiten im Voraus
zu bestimmen ist, sondern sich nach ganz konkreten Mandaten im Rahmen der Europäischen Union, der Vereinten
Nationen oder anderer internationaler Organisationen
richten wird. Dies bedeutet aber nicht, dass keine Lösungen gefunden werden, wenn sich im Einzelfall Schwierigkeiten ergeben und der betreffende Soldat aus dieser
Auslandseinsatzhundertschaft ausscheiden möchte.
({0})
- Ach so, Entschuldigung. Ich meinte, der einzelne Polizist oder die einzelne Polizistin.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir haben jetzt die Fragestunde um annähernd zehn
Minuten überzogen.
({0})
Deswegen bitte ich die Kollegin Petra Pau um Verständnis dafür, dass wir ihre beiden Fragen nicht mehr aufrufen können.
Die Fragestunde ist damit beendet. Die noch offenen
Fragen werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, den 5. März 2009, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.