Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich und wünsche Ihnen einen guten Morgen.
Heute feiert der Kollege Dr. Heinz Riesenhuber seinen 71. Geburtstag. Er ist dennoch hier.
({0})
Lieber Kollege Riesenhuber, ich gratuliere Ihnen im Na-
men des ganzen Hauses und wünsche Ihnen alles Gute.
Ich vermute, dass bei den gestrigen Feierlichkeiten im
anderen Amt in der Parlamentarischen Gesellschaft
schon eine ähnlich stattliche Anzahl von Kolleginnen
und Kollegen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht
hat, Ihnen persönlich zu gratulieren.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Errichtung gemeinsamer
Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder
({1})
- Drucksachen 16/2950, 16/3292 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes ({2})
- Drucksache 16/2921 -
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3})
- Drucksache 16/3642 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Gisela Piltz
Ulla Jelpke
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/3646 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Bettina Hagedorn
Jürgen Koppelin
Roland Claus
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({5})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Petra Pau, Jan Korte, Kersten Naumann und
der Fraktion der LINKEN
Erhaltung des Trennungsgebots - keine
Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des
Bundes und der Länder
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Wieland, Volker Beck ({6}), Silke Stokar von
Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für
die Anti-Terror-Dateien unter Beibehaltung
der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Max
Stadler, Gisela Piltz, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Evaluierung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes präziser gestalten
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Wieland, Volker Beck ({7}), Silke Stokar von
Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Bessere Evaluierung der Anti-TerrorGesetze
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Wieland, Volker Beck ({8}), Jerzy Montag,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Anti-Terror-Gesetze - Zeitliche Befristung
beibehalten und Rechtsschutz der Betroffenen verbessern
- Drucksachen 16/2624, 16/2071, 16/2671,
16/2072, 16/2081, 16/3642 Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Gisela Piltz
Ulla Jelpke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Ralf Göbel für die CDU/CSU-Fraktion.
({9})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
debattieren heute abschließend über zwei wichtige Gesetze, die die Sicherheitsarchitektur in unserem Land
verbessern werden. Zum einen ziehen wir die Konsequenz aus der Evaluierung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes aus der vergangenen Wahlperiode und
verbessern die Möglichkeiten unserer Sicherheitsbehörden zur Bekämpfung des Terrorismus. Zum anderen entscheiden wir heute über die Antiterrordatei, deren Aufbau und Inhalte uns in diesem Hause schon seit Jahren
beschäftigt haben.
Die Gott sei Dank misslungenen Kofferbombenanschläge auf die Regionalzüge in Nordrhein-Westfalen
und Rheinland-Pfalz sowie der vereitelte Sprengstoffanschlag auf ein Verkehrsflugzeug am Flughafen Frankfurt zeigen, wie präsent die Bedrohung durch Terroristen
in Deutschland ist. Wir sind daher gegenüber der Bevölkerung in der Pflicht, ständig zu überprüfen, ob unsere
Sicherheitsbehörden die geeigneten und die erforderlichen Kompetenzen haben, um bereits im Vorfeld solche
Planungen aufdecken und Verbrechen verhindern zu
können.
Schon vor der Anhörung war uns klar, dass wir uns in
einem komplizierten Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit bewegen. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz verpflichtet den Staat, die Menschenwürde zu
achten und zu schützen. Nach dem Verfassungsrichter
Udo Di Fabio setzen sich Freiheit und Sicherheit wechselseitig voraus und stärken sich, wenn beide angemessen zur Entfaltung gelangen. In diesem Rahmen müssen
wir, um mit den Worten von Bundesminister Schäuble
zu sprechen, das Menschenmögliche tun, um Anschläge
auf unser Land und die Menschen in unserem Land zu
verhindern. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit
beiden Gesetzen den Rahmen der Verfassung beachtet
haben und bei der Gewährung des Schutzes für die Bevölkerung in unserem Land einen entscheidenden Schritt
weiter kommen werden. Dies gilt insbesondere für die
gemeinsame Datei.
Ich danke hier zu allererst Herrn Bundesminister
Schäuble,
({0})
dem es nach langen Jahren des Streites gelungen ist, eine
gemeinsame Position der Innenminister zwischen Bund
und Ländern zu erarbeiten. Dies hat die erfolgreiche Arbeit erst ermöglicht.
({1})
Mit der gemeinsamen Datei schaffen wir einen speziellen Informationsverbund der 38 Behörden des
Bundes und der Länder,
({2})
deren Aufgabe die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist. Unter sehr stark einschränkenden Voraussetzungen können weitere Behörden der Länder, denen
dauerhaft die Aufgabe zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus übertragen wird, an diesem Informationsverbund teilnehmen.
Ich denke, dies ist eine sachgerechte Lösung; denn sie
lässt den Ländern Raum für konkrete Ausgestaltungen
ihrer Organisationshoheit. Die Lösung ist auch angemessen; denn die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist eine Aufgabe, die Bund und Länder nur gemeinsam wahrnehmen können, aber auch wahrnehmen
müssen. Nur wenn diese Zusammenarbeit optimal organisiert ist, können wir erfolgreich sein.
Entscheidend für die verfassungsrechtliche Bewertung ist auch, dass durch die gemeinsame Datei keine
neue Datenerhebung stattfindet. Die Personen, die in
diese Datei eingestellt werden, sind bereits aufgrund gesetzlicher Vorschriften in den bestehenden Dateien der
Polizeien und der Nachrichtendienste des Bundes und
der Länder erfasst. Mit der Antiterrordatei versetzen wir
die Sicherheitsbehörden aber erstmals in die Lage, einen
schnellen bundesweiten Überblick über vorhandene Erkenntnisse zu bestimmten Personen oder Vereinigungen
zu erhalten. Die Kenntnis dieser Daten muss dabei für
die Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen
Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland
erforderlich sein.
Mit einem sehr differenzierten System stellen wir sicher, dass die einstellenden Behörden Herr über ihre DaRalf Göbel
ten bleiben und dass die Persönlichkeitsrechte derjenigen, die in diese Datei eingestellt sind, gewahrt bleiben.
So erhält die abfragende Behörde im Fall eines Treffers
nur den Zugriff auf die Grunddaten. Will sie ergänzende
Informationen, so genannte erweiterte Grunddaten zu
dieser Person haben, muss sie mit der einstellenden Behörde Kontakt aufnehmen. Diese einstellende Behörde
entscheidet dann, ob die besonders sensiblen Daten
übermittelt werden.
Soweit besondere Geheimhaltungsinteressen oder
- das ist ein Ergebnis der Anhörung - besonders schutzwürdige Interessen des Betroffenen dies ausnahmsweise
erfordern, kann eine beschränkte oder verdeckte Speicherung erfolgen.
Kritisiert wurde in der Sitzung des Innenausschusses
die Eilfallregelung, wonach die abfragende Behörde unter äußerst eng beschriebenen Voraussetzungen auf die
erweiterten Grunddaten zugreifen darf, wenn die ersuchte Behörde nicht rechtzeitig reagieren kann.
Ich vermag beim besten Willen nicht zu erkennen, wie
man hier zu der Erkenntnis kommen kann, dass der Eilfall
in der Praxis zum Regelfall werden soll. Neben den beschriebenen materiellen Voraussetzungen für diesen besonderen Zugriff haben wir im Gesetz noch erhebliche organisatorische Hürden aufgebaut, die nach meiner
langjährigen Erfahrung in Sicherheitsbehörden gewährleisten, dass ein Missbrauch nicht stattfindet. Ganz davon abgesehen gehe ich bis zum Beweis des Gegenteils
davon aus, dass sich bundesdeutsche Behörden an Recht
und Gesetz halten und ein solches Misstrauen gegenüber
den Sicherheitsbehörden völlig unangebracht ist.
({3})
Nur am Rande will ich noch erwähnen, dass jeder,
wirklich jeder Zugriff auf diese Datei protokolliert werden muss und sowohl die Zugriffsregelungen als auch
die Protokolldaten der Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder unterliegen.
Insgesamt haben wir eine Regelung gefunden, mit der
das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit angemessen austariert wird. Die verfassungsrechtlichen
Anforderungen sind dabei, wie es die meisten wichtigen
Experten bei der Anhörung dargestellt haben, eingehalten. Auch das viel zitierte Trennungsgebot, das es nach
Meinung namhafter Rechtslehrer in der vor 1990 vertretenen Form gar nicht mehr gibt, wäre durch dieses Gesetz nicht verletzt. Es wäre im Übrigen auch geradezu
widersinnig, wenn Nachrichtendienste und Polizei Informationen über extrem gefährliche Personen nicht austauschen dürften. Damit würde ihr verfassungsrechtlicher
Auftrag zum Schutz der Bevölkerung ad absurdum geführt werden.
Abschließend will ich noch auf den Entschließungsantrag der großen Koalition hinweisen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Entwurf eines
Gesetzes zur Umsetzung der verfassungsgerichtlichen
Entscheidung zur Wohnraumüberwachung aus dem
Jahre 2004 für den Bereich der Nachrichtendienste vorzulegen. Wir zeigen damit, dass wir mit der Verfassung
verantwortungsvoll umgehen und die erforderlichen
Maßnahmen zum Schutz der Freiheit und zur Gewährleistung der Sicherheit ergreifen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat nun die Kollegin Gisela Piltz, FDPFraktion.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich zu Beginn klarzustellen: Die FDP
ist für den verbesserten Datenaustausch zwischen den
Sicherheitsbehörden, wenn es um die Bekämpfung des
internationalen Terrorismus geht.
({0})
- Es ist schön, dass wenigstens Sie mir Beifall klatschen.
Die CDU schafft das nicht. - Die FDP unterstützt selbstverständlich die Sicherheitsbehörden im Kampf gegen
den internationalen Terrorismus und hat sich schon seit
langem für eine reine Indexdatei zur Bekämpfung des
internationalen Terrorismus eingesetzt. Dass diese Indexdatei weder in den vergangenen Jahren noch jetzt
realisiert wurde, liegt nicht an uns, sondern an den Länderministern, die von CDU und SPD gestellt werden;
das musste einmal gesagt werden.
({1})
Wir haben bei dem vorliegenden Entwurf allerdings
auch rechtsstaatliche Bedenken.
Zuerst aber ein Wort zum Verfahren - das kann ich
Ihnen nicht ersparen -: Es gab eine kurzfristig anberaumte Anhörung. Diesem Vorgehen haben wir zugestimmt, um diese Datei, von der wir einmal dachten, sie
würde als Indexdatei ausgestaltet, schnell auf den Weg
zu bringen. Die große Koalition hat dann drei Wochen
gebraucht, um am Ende Änderungsanträge, die nicht einmal zwei DIN-A4-Seiten umfassen, vorzulegen.
({2})
Es wurden zwei Berichterstattergespräche angesetzt, die
nicht stattgefunden haben, weil Sie sich immer noch
nicht geeinigt hatten. Besonders schön fanden wir es,
dass wir dann am späten Dienstagabend das entsprechende Fax mit den Änderungsanträgen bekamen. So
konnten wir uns damit in den Fraktionen überhaupt nicht
auseinander setzen.
Interessant ist auch, was die Kollegen im Innenausschuss zu diesem Gesetzentwurf gesagt haben. Herr
Wiefelspütz sagte zum Beispiel, er hätte noch nie so hart
an einem Gesetzentwurf gearbeitet wie an diesem.
({3})
Herr Göbel hat gesagt, es handele sich eigentlich nur um
kleinere Änderungen. Was stimmt denn nun?
Herr Kollege Wiefelspütz, soll ich die Parlamentsärztin unterrichten oder bekommen wir das noch so geregelt?
({0})
Herr Wiefelspütz, wenn das alles ist, was Sie zustande
bringen, dann graut mir vor den nächsten drei Jahren.
({0})
Unsere größten Kritikpunkte sind im Übrigen von den
Sachverständigen bestätigt worden. Bezüglich des Zu-
griffs auf die erweiterten Grunddaten von aa) bis qq)
- so heißt es so schön - haben auch wir verfassungsmäßige Bedenken; denn jede Speicherung und Weitergabe
von Daten ist ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und jeder Eingriff bedarf einer
Rechtfertigung. Wir können aber nicht erkennen, dass
dies hier in jedem Fall gegeben ist. Wir haben insbesondere bei der Religionszugehörigkeit unsere Zweifel.
Auch viele Praktiker haben - das haben sie in der Anhörung bestätigt - ihre Zweifel an der Praktikabilität dieser
erweiterten Grunddaten.
Auch die Anzahl der beteiligten Behörden sehen
wir kritisch. Wir hätten uns gewünscht, dass darüber gemeinsam mit dem Bundestag entschieden wird.
({1})
- Herr Wiefelspütz, es wird nicht besser, wenn Sie so
laut rufen. ({2})
Was Sie jetzt vorgelegt haben, ist lediglich im Einvernehmen mit dem Innenminister beschlossen worden.
Das kann sich ein Parlament nicht bieten lassen.
({3})
Auch zum Freitextfeld haben wir Kritikpunkte. Hier
verlassen Sie aus unserer Sicht die ursprünglich vorgesehene Indexdatei; denn nun dürfen Bewertungen, Hinweise und Bemerkungen hinsichtlich der Grunddaten
und der erweiterten Grunddaten weitergegeben werden.
Das ist erstens vom Aufwand her unpraktikabel - wer
soll das eingeben, wer soll das pflegen? -, zweitens für
den Betroffenen absolut unkalkulierbar - er kann die Daten nicht einsehen und weiß nicht, was an persönlichen
Bewertungen über ihn gespeichert wird - und hat drittens nichts mit Objektivität zu tun, sondern es handelt
sich um eine höchst subjektive Einschätzung, die den
Professor mit drei verdächtigen Studenten oder möglicherweise einen hoch bezahlten Bankdirektor mit drei
verdächtigen Mitarbeitern
({4})
zum Anwärter für diese Datei macht. Von daher lehnen
wir das ab.
({5})
Das Schlimmste aus unserer Sicht ist aber die so genannte Eilfallregelung. Gemeinsam mit dem Freitextfeld birgt sie die Gefahr, dass ausländische Geheimdienste uns ihre Informationen gar nicht mehr
weitergeben. Bisher galt das Opportunitätsprinzip; sie
konnten selbst entscheiden, ob sie Informationen einstellen oder nicht. Das gilt jetzt nicht mehr. Im Eilfall kann
jede Behörde jederzeit auf die Daten zugreifen. Das
heißt, auch jede ausländische Behörde muss damit rechnen, dass eine Behörde, von der sie nicht möchte, dass
sie auf diese Daten Zugriff hat, im Eilfall darauf zugreift.
All das, was Sie, Herr Kollege Göbel, hier zum Eilfall
gesagt haben, kann mich nicht überzeugen. Es gibt mindestens fünf unbestimmte Rechtsbegriffe in Ihrer Vorschrift, die man zunächst auslegen muss. Was da konkret
und präzise geregelt sein soll, kann ich nicht erkennen.
Ganz im Gegenteil, Sie gefährden mit dieser Regelung
die internationale Zusammenarbeit. Für mich und meine
Fraktion macht Terrorismus nicht an der Grenze halt und
hält sich übrigens auch nicht an unsere üblichen Bürozeiten in den Behörden. Mit Blick auf die Eilfallregelung
frage ich mich, wie Sie den internationalen Terrorismus
einschätzen. Es kann doch wohl nicht sein, dass Sie
glauben, dass man einen Eilfall nicht bei allen Sicherheitsbehörden rund um die Uhr bearbeiten könnte.
({6})
Terrorismus müssen wir rund um die Uhr bekämpfen
und nicht nur, wenn der bayerische Verfassungsschutzpräsident meint, dass er einen Notdienst fürs Wochenende braucht. Ich glaube, so kann man den internationalen Terrorismus nicht bekämpfen.
({7})
Frau Kollegin Piltz!
Ich komme zum Schluss - mit einem letzten Gedanken. Wirklich nachdenklich hat mich gestimmt, dass Sie
unseren Änderungsantrag - mit dem Inhalt, dass Informationen, bei denen Tatsachen die Annahme begründen,
dass die unter offensichtlicher Verletzung der Menschenrechte erhoben wurden, nicht gespeichert werden - abgelehnt haben. Es ist schön, wenn Sie sonntags davon reden, dass wir auf das Folterverbot unbedingt Rücksicht
nehmen müssen und unter Folter erhaltene Informationen nicht verwendet werden dürfen. Wenn Sie das bei
der Ausarbeitung eines Gesetzes aber nicht berücksichtiGisela Piltz
gen, dann finde ich das sehr bedenklich. Das lässt tief
blicken auf den Zustand dieser großen Koalition.
Aus all diesen Gründen können wir dieser Antiterrordatei nicht zustimmen. Wir hätten es gerne getan. Wir
haben Ihnen unsere Mitwirkung angeboten; aber Sie haben davon keinen Gebrauch gemacht. Auch das hat mit
parlamentarischem Brauch nichts zu tun.
Vielen Dank.
({0})
Klaus Uwe Benneter ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gesundheitlichen Befindlichkeiten des Kollegen
Wiefelspütz haben wir ja schon erörtert. Aber, Frau Kollegin Piltz, eine gute Speise muss eben heiß auf den
Tisch. Deshalb konnten wir Ihnen vorher nicht noch einmal die Gelegenheit geben, sich den Mund daran zu verbrennen.
({0})
Warum ist Deutschland bisher weitgehend von terroristischen Anschlägen verschont geblieben? Wir hatten
sicherlich Glück. Es lag auch an einer klugen Außenpolitik, aber ebenso an der klugen und vorausschauenden
Politik im Bereich der inneren Sicherheit in den letzten
fünf Jahren.
({1})
An dieser Stelle sollte man ausdrücklich unseren Kollegen Otto Schily erwähnen.
({2})
Man sollte ihm für das danken, was er für die innere Sicherheit in Deutschland geleistet hat. Herzlichen Dank,
Otto Schily!
({3})
Es sind in der Vergangenheit sicher weit mehr als ein
Dutzend Anschläge in Deutschland durch rechtzeitige
Aufklärung verhindert worden. Deshalb ist die Frage zu
stellen, was wir eigentlich mit einer rechtzeitigen Terrorbekämpfung im engeren Sinne leisten. Natürlich
muss Terrorbekämpfung auch die Ursachen angehen und
die Rekrutierung von Terroristen in den Entwicklungsländern verhindern. Terrorbekämpfung im engeren Sinne
bedeutet, dass man rechtzeitig, also wenn Terroraktionen
geplant werden, handelt und nicht hinterher, wenn es sozusagen um das Aufräumen geht.
Der internationale Terrorismus hat seine Vorgehensweise verändert. Deshalb müssen wir unsere Antwort
darauf ändern. Es reicht nicht, alte Maximen um ihrer
selbst willen aufrechtzuerhalten. Statt Wunschdenken
sind hier knallharte, verlässliche Analysen und Bewertungen angebracht. Wir brauchen keine Spekulationen,
sondern empirisch belastbare Bewertungen und Beurteilungen.
({4})
Es ist unsere Aufgabe, die Bürgerrechte zu gewährleisten und zu schützen. Das ist der Grund, warum wir
Terror bekämpfen.
({5})
Es geht hier nicht nur darum, allgemeine Persönlichkeitsrechte und das Recht auf eine freie Entfaltung der
Persönlichkeit zu schützen;
({6})
es geht nicht nur darum, die Informations- und Meinungsfreiheit zu schützen.
({7})
- Ja, aber auch. - Aber erst recht muss das Recht auf
Sicherheit geschützt werden.
({8})
Es ist eines der vornehmsten und wichtigsten Bürgerrechte, das der Staat zu garantieren hat; denn die Bürger
selbst können es nicht. Der Staat ist also gefragt, wenn es
um das Recht auf Sicherheit geht.
({9})
- Das Recht auf Sicherheit steht im gesamten Grundgesetz.
({10})
Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz und
das Gemeinsame-Dateien-Gesetz sind die rechtsstaatliche Grundlage dafür, dass wir verlässliche Informationen für intelligente und rechtzeitige Analysen von Gefährdungssituationen sammeln können. Das ist keine
Wunderwaffe, aber Teil eines sensiblen und klugen
Frühwarnsystems.
Lassen Sie mich nun auf das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz eingehen. Das Terrorismusbekämpfungsgesetz war auf fünf Jahre befristet. Es ging
nun um die Frage, ob dieses Gesetz verlängert werden
sollte oder ob es einfach auslaufen sollte. Es hat in diesem Zusammenhang eine Evaluierung stattgefunden, die
allein vom Zeitablauf gesehen unseren Ansprüchen auf
eine ausreichende Evaluierung nicht genügen kann.
({11})
Gemäß dem Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz
gibt es in fünf Jahren eine neue Evaluierung, aber diesmal - wenn ich das richtig verstanden habe, war das
auch Ihr Anliegen, Herr Kollege Wieland - mit externem
Sachverstand.
({12})
- Es wird kein Alibisachverständiger sein. Er wird vom
Parlament bestimmt werden.
({13})
Das ist schon ein wesentlicher Fortschritt, der eigentlich
Ihrem Anliegen gerecht werden müsste.
({14})
Es gibt keine Ausdehnung auf den Extremismusbereich. Es bleibt dabei, dass es ein Terroristenbekämpfungsgesetz ist. Ich sage ganz deutlich, dass es sich um
terroristische Bestrebungen handeln muss. Extremistische Meinungsäußerungen, auch wenn sie einem nicht
passen, reichen nicht aus, um hier Auskünfte einholen zu
können. Außerdem müssen immer tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, wenn dieses Gesetz in Anwendung
kommen soll.
Uns ist es auch gelungen - darauf bin ich besonders
stolz -, dass, wenn der Zweck der Maßnahme nicht mehr
gegeben ist, alle Betroffenen zu benachrichtigen sind. Es
ist ein ganz wichtiger Punkt in der Demokratie, dass man
das selber nachprüfen lassen kann.
({15})
Was das Gemeinsame-Dateien-Gesetz angeht, wird
oft der Hinweis gegeben, hiermit werde das Trennungsgebot verletzt. Egal ob es ein verfassungsrechtlich geschütztes Trennungsgebot gibt oder nicht, eine Trennung
zwischen Nachrichtendiensten und Polizei ist aus der
Natur der Sache heraus erforderlich. Die Polizei arbeitet
mit anderen Methoden und auf Basis anderer Rechtsgrundlagen als Nachrichtendienste. Nachrichtendienste
haben die Möglichkeit, sehr früh im Vorfeld Ermittlungen zu führen und Informationen einzuholen. Die jeweiligen Informationen haben unterschiedlichen Charakter
und unterschiedliche Belastbarkeiten und stammen aus
völlig unterschiedlichen Quellen. Polizeiquellen müssen
Quellen sein, die auch vor Gericht standhalten können,
während die Quellen der Nachrichtendienste natürlich in
der Regel nicht vor Gericht zu verwerten sind. Aber sie
sind im Kampf gegen den Terror wichtig. Daher ist es
bedeutsam, solche Informationen rechtzeitig einzuholen.
Insofern kann es kein Trennungsgebot für Informationen geben, die die Nachrichtendienste und die Polizeien
betreffen. Das Einzige, was es geben muss - das haben
wir geleistet -, ist eine Trennung zwischen den offenen
Grunddaten und den verdeckt gespeicherten, erweiterten
Grunddaten. Da wurde eine klare Trennung durchgeführt; darauf kann nicht jede Polizeidienststelle einfach
zugreifen.
Auch der Eilfall muss geregelt sein, weil natürlich
denkbar ist, dass jemand nicht zu erreichen ist. Frau Kollegin Piltz, es reicht eben nicht, dass beim Verfassungsschutz der Pförtner oder sonst jemand den Bereitschaftsdienst ausübt.
({16})
Bei den Verfassungsschutzämtern ist es von der Natur
der Sache her so, dass die einzelnen Dienststellen entsprechend voneinander abgeschottet und getrennt sind.
Deshalb nützt es Ihnen nichts, einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst zu haben, wenn Sie die gerade Zuständigen, diejenigen, die Sie für eine verlässliche Information
brauchen, nicht erreichen können.
({17})
Es sollte Ihnen einleuchten, dass man hier eine Eilfallregelung benötigt. Aber auch diese Eilfallregelung ist so
abgesichert, dass sie nicht zum Regelfall wird und kein
Missbrauch erfolgen kann. Nehmen Sie das doch endlich
einmal zur Kenntnis!
({18})
Zu den Kontaktpersonen; davon haben Sie gar nicht
mehr gesprochen.
({19})
Es war ja Ihre Forderung, deutlich zu machen, dass Kontaktpersonen nur dann in eine solche Datei aufgenommen werden können, wenn es sich nicht um zufällige
oder flüchtige Kontakte handelt. Das ist nun ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen worden. Dies
stand schon vorher in der Begründung. Aber weil es Ihr
Anliegen war, dies deutlicher festzulegen, haben wir
diese Regelung in den Gesetzestext aufgenommen.
({20})
Das sollte ein Grund mehr für Sie sein, zustimmen zu
können.
Eines ist ganz wichtig: In dieser gemeinsamen Datei
befinden sich keine neuen Daten. Es sind keine neuen
Übermittlungsvorschriften geschaffen worden. Es bleibt
alles beim Alten. Was bisher von Nachrichtendienst zu
Polizei von Hand zu Hand und von Mund zu Mund weitergegeben werden konnte, wird jetzt in der Weise modernisiert, dass dies auch automatisiert weitergegeben
werden kann. Das ist der einzige Unterschied.
({21})
Dem Abwehrkampf gegen den Terrorismus sind wir es
schuldig, dass wir solche modernen Möglichkeiten nutzen und entsprechend einführen.
Wer zielsichere, belastbare Einschätzungen und Bewertungen abgeben will, braucht diese von uns zu Recht
geschaffenen rechtsstaatlichen Instrumente. Erfolgreiche
Terrorbekämpfung braucht taugliche Mittel für eine erfolgreiche Recherche. Deshalb gibt es diese neuen Gesetze. Sie bauen auf alten, bewährten Regelungen auf,
führen sie weiter und entwickeln sie.
Dem Netzwerk der Terroristen stellen wir ein Netzwerk der Sicherheit entgegen.
({22})
Es ist wichtig, die Informationen möglichst frühzeitig zu
erhalten; denn nur so können wir bei der Terrorbekämpfung Erfolg haben. Die frühzeitige Information ist ein
Grund dafür, dass wir in Deutschland von Terroranschlägen bisher weitgehend verschont geblieben sind.
({23})
Meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
machen Sie den Menschen nicht länger Angst.
({24})
Wir gefährden keine Bürgerrechte, sondern wir wahren
alle Bürgerrechte. Alle Bürgerrechte, auch das Bürgerrecht auf Sicherheit, waren und sind bei uns in besten
Händen. Das wird so bleiben.
Danke schön.
({25})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Jan Korte, Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nicht die Opposition verbreitet Angst, sondern Sie von
der Koalition. Sie sind die wahren Sicherheitspopulisten.
In Ihrer Argumentation gibt es nämlich einen Widerspruch: Auf der einen Seite stellen Sie Berichte vor, mit
denen Sie argumentieren, die Bundesrepublik sei eines
der sichersten Länder auf der ganzen Erde; auf der anderen Seite erzählen Sie aber ununterbrochen, dass wir bedroht sind, malen Bedrohungsszenarien an die Wand,
und erklären immer wieder, dass man neue Maßnahmen
braucht. Das ist ein offensichtlicher Widerspruch.
({0})
Nun zur Antiterrordatei. Ich glaube, dass das, was wir
heute diskutieren, in den Gesamtkontext eingeordnet
werden muss, um überhaupt kenntlich machen zu können, was Sie beabsichtigen. Der Kollege Göbel hat heute
Morgen etwas sehr Entscheidendes gesagt - das trifft
den Kern -,
({1})
nämlich dass Sie an einer völlig neuen Sicherheitsarchitektur arbeiten. Das Problem dabei ist, dass die Balance
zwischen Freiheit und Sicherheit heute abermals zuungunsten der Freiheit gekippt werden soll. Das ist das entscheidende Problem Ihrer neuen Sicherheitsarchitektur.
Es gilt, den Gesamtrahmen zu beachten. Ich erinnere an
das Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit; neben den Haushaltsberatungen wurde über diese hochgradig fragwürdige Angelegenheit abgestimmt. Ich erinnere
an die Vorratsdatenspeicherung. Hochgradig problematische Vorhaben werden von Ihnen durchgeprügelt. All
das bildet den Gesamtkontext. Sie bringen eine neue Sicherheitsarchitektur zulasten der Freiheit auf den Weg.
Das ist wahrlich populistisch und für die Grundrechte
gefährlich.
({2})
Nun zu den heutigen Vorhaben.
Erstens. Selbstverständlich wird hiermit die Trennung von Polizei und Geheimdiensten weiter aufgehoben. Das ist doch gar keine Frage.
({3})
Ich kann nicht oft genug wiederholen, warum es diese
Trennung gibt: Sie beruht auf den Erfahrungen, die wir
in der deutschen Geschichte gemacht haben. Dieses
Thema ist aktueller denn je, weil es auch heute darum
gehen muss, eine unkontrollierbare Machtkonzentration
bei den Sicherheitsdiensten zu verhindern.
({4})
Jede Woche gibt es einen neuen Skandal, weil die Situation offensichtlich nicht mehr kontrollierbar ist. Das ist
unser Problem. Deswegen ist dieses Trennungsgebot aktueller denn je.
Dazu hat der ehemalige BND-Präsident und Staatssekretär Geiger, der nun wahrlich nicht verdächtig ist,
Sozialist, geschweige denn Kommunist zu sein, Treffliches gesagt.
({5})
Er hat in der Anhörung gesagt: Hier sollen personenbezogene Kenntnisse zusammengeführt werden, die von
Behörden erhoben wurden, die organisatorisch zu Recht
getrennt sind, die unterschiedliche Aufgaben und Befugnisse haben. - Darüber gehen Sie einfach hinweg, obwohl das nicht irgendjemand, sondern der ehemalige
BND-Präsident gesagt hat. Recht hat er.
Zweitens. Die erweiterten Grunddaten - Kennwort:
Religionszugehörigkeit - sind schon angesprochen worden. Was soll das? Was hat diese Angabe in der Datei zu
suchen? Hier wird wieder eine Stigmatisierung vorgenommen, die, wie immer, in erster Linie die Migrantinnen und Migranten in diesem Land trifft. Deswegen lehnen wir das ab.
({6})
- Die Vorurteile schüren Sie, nicht wir.
Drittens, das Freitextfeld: Es ist gerade schon einmal
zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die Polizei
aufgrund von Tatsachen und Fakten ermittelt, während
Geheimdienste bekanntermaßen auch aufgrund von Vermutungen agieren und Gesinnungen nachspüren. Es ist
doch völlig logisch, dass es zu Fehlschlüssen mit gegebenenfalls verheerenden Folgen für die Betroffenen
kommen muss, wenn man beides zusammenrührt. Darüber kann man nicht einfach hinweggehen.
Viertens, die Kontaktpersonen - auch dieser Punkt
ist schon genannt worden -: Da haben Sie eine kleine
Änderung vorgenommen. Sie ist aber so vage gehalten,
dass das Kernproblem bleibt. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat es an einem Beispiel gezeigt: Wenn ich
meinen Nachbarn einmal am Kiosk treffe, ist es wohl
kein Problem. Wenn ich ihn aber drei- oder viermal
treffe und mit ihm vielleicht sogar noch einen Kaffee
trinke, dann gerate ich ganz schnell in die Datei hinein.
Das ist das Kernproblem.
Auch dazu hat Herr Geiger etwas Treffendes festgestellt:
Wie wird sichergestellt, dass insbesondere Unbeteiligte, ich denke an Kontaktpersonen, nicht allein
schon durch die Tatsache der Speicherung erhebliche Nachteile erleiden?
Auch das haben Sie nicht beantwortet. Es ist ein Skandal, was Sie hier heute vorgelegt haben und wie Sie einfach über die Probleme hinweggehen.
({7})
Ein Verwendungsverbot von Daten, die unter Folter
erlangt wurden - ich erinnere an den Fall Zammar in
Syrien: die „Früchte der Folter“, die es offensichtlich
gibt -, wird von Ihnen nicht aufgenommen. Es gibt ja einen Untersuchungsausschuss, der sich mit diesen Fragen
befasst.
Das sind nur einige Gründe, warum die Linksfraktion
Ihr Gesetz ablehnen wird. Es geht hier, um es einmal
präzise zu sagen, nicht um eine Antiterrordatei, sondern
um eine Verdachtsspeicherdatei. Die lehnen wir ab.
Zum Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz
nur so viel: Nach dem 11. September konnte man angesichts des Schreckens durchaus Verständnis für einige
Maßnahmen haben.
({8})
Allerdings wäre es jetzt, fünf Jahre später, an der Zeit, in
sich zu gehen und zu überprüfen, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde. Es Evaluierung zu nennen,
wenn das Ministerium sein eigenes Gesetz evaluiert, ist
geradezu absurd. Das ist so, als ob sich Produzenten von
Gammelfleisch ein Ökosiegel geben würden. Das ist
keine Evaluierung.
({9})
Hätte man eine unabhängige und kritische Evaluierung
zugelassen, wären uns vielleicht die wöchentlichen Geheimdienstskandale erspart geblieben. Auch das muss
angemerkt werden.
({10})
Ich fasse zusammen. Heute ist wieder einmal ein trauriger Tag für die Grund- und Freiheitsrechte in diesem
Land. Ich habe beim letzten Mal schon gefragt und frage
heute wieder: Bis wohin wollen Sie gehen? Jede Woche
gibt es eine neue Verschärfung des Gesetzes und neue
Eingriffe in die Grundrechte. Wann soll damit Schluss
sein? Das frage ich mich wirklich; denn das ist das Problem. Die Schreierei der SPD hier
({11})
täuscht nur darüber hinweg, dass auch Sie hochgradige
Bedenken an dem haben, was Sie auf den Weg gebracht
haben.
({12})
Sie wissen ganz genau - seit langem wird das bei Ihnen
gemunkelt -, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird.
Abschließend noch einmal kurz zum Verfahren; zum
Inhalt wurde schon einiges gesagt. Dass die Kollegen in
der CDU/CSU so etwas durchpeitschen, überrascht
nicht, weil es dort durchaus einen Hang zu autoritärem
Verhalten gibt
({13})
- Etwas charmanter gesagt, weil ja bald Weihnachten ist:
Sie haben einen Hang zu preußischer Disziplin. - Das
will mich nicht überraschen. Aber dass das in der SPD in
dieser Art und Weise durchgepeitscht wird, verwundert
mich schon, obwohl mich nicht mehr vieles verwundert.
Man hat doch mitbekommen, dass Sie hochgradige Bedenken hatten. Sie sollten überlegen, ob Sie nicht wieder
einmal Ihr Gewissen dem Koalitionszwang entgegenstellen. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Das
Gute an der Linksfraktion ist, dass dort die Fraktionsdisziplin mit dem Gewissen gleichgeht. Das ist das Schöne
an der Linksfraktion. Deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Wieland,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege
Benneter hat eben das Spiel der Koalition mit der Angst
vor Terrorismus, Verbrechen und anderem vorgeführt.
({0})
- Nein, in Wirklichkeit tut es die Koalition. Das ist das
Problem.
({1})
Wir sind gerade hier ganz bedacht und folgen dem
Präsidenten des BKA, Herrn Ziercke. Er sprach von fünf
verhinderten Terroranschlägen seit dem 11. September.
Wenn man Frankfurt am Main dazurechnet, muss man
von sechs verhinderten Terroranschlägen sprechen. Die
wurden durch gute Arbeit - auch ohne Antiterrordatei verhindert.
Der Anschlag von Köln wurde nur durch einen Zufall
verhindert. Nur die falsche Übertragung von Internetbauplänen in die Realität hat dazu geführt, dass wir Köln
heute nicht in einer Reihe mit Madrid und London nennen müssen. Dieser Anschlag hätte auch durch eine Antiterrordatei nicht verhindert werden können. Daher
muss über die Ausgestaltung einer solchen Datei ruhig,
ohne Hektik und ohne dieses Thema als „heiße Kiste“ zu
präsentieren, auf parlamentarischem Wege verhandelt
werden. Wir hatten dazu circa 20 Änderungsvorschläge
gemacht, die FDP genauso viele. Diese Vorschläge haben Sie nicht zur Kenntnis genommen. Sie lagen noch
nicht einmal auf Ihrem Verhandlungstisch.
({2})
Es gibt noch nicht einmal eine ablaufende Frist für diese
Datei.
Daher sage ich: Sie haben sich bewusst von der Opposition abgekoppelt. Nun kommen Sie mit dummen
Schuldzuschreibungen an uns. Sie wollen dieses Thema
jetzt abschließen, diese Diskussion nicht mehr führen
und die Flucht nach vorne antreten. Machen Sie das ruhig, glauben Sie aber nicht, dass wir als Opposition dabei mitmachen und Ihnen zustimmen.
({3})
Sie stellen sich hierhin
({4})
und sagen: Hurra, data habemus! Jetzt haben wir die Datei. Das, was Rot-Grün in sieben Jahren nicht geschafft
hat, haben wir in nur einem Jahr geschafft.
({5})
- Lieber Kollege Binninger, wir sind stolz darauf, dass
wir einen solchen Datenmoloch, wie Sie ihn planen, verhindert haben.
({6})
Auf eine Kurzformel gebracht bedeutet Ihre Datei:
viel zu viele Daten von viel zu vielen Personen aus viel
zu vielen Quellen mit viel zu vielen Zugangsberechtigten. Das ist der Inhalt dessen, was Sie uns vorlegen.
({7})
- Ja, eben. So viele Daten haben wir.
Stichwort: zu viele Daten. Die Nachrichtendienstliche Verbunddatei, NADIS, hat zurzeit einen Bestand von
1 034 514 personenbezogenen Einträgen.
({8})
Beim BKA umfasste allein die Datei „Innere Sicherheit“
mit der Aufgabenstellung der Verhütung und Aufklärung
von politisch motivierten Straftaten, die länderübergreifende, internationale oder erhebliche Bedeutung haben,
sage und schreibe 1 451 605 Datensätze. Solche Datenberge sind bereits vorhanden.
Sie schlagen nun nicht etwa vor - was logisch wäre -,
dass wir diese Datenberge zunächst einmal entrümpeln
und überprüfen, anschließend entscheiden, welche Daten
in die Datei aufgenommen werden, und sie dann zusammenfügen. Stattdessen wählen Sie ein Verfahren, das
eine gesetzliche Verpflichtung vorsieht: Es soll gespeichert werden, ohne dass zuvor eine Prüfung des Altbestandes stattgefunden hat. Das ist wirklich unsinnig. Das
entspricht nicht dem Gebot der Datenknappheit. Auch
hierzu können wir nur Nein sagen.
({9})
Stichwort: zu viele Personen. Herr Fromm vom Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Hoffnung geäußert, dass der Umfang der Datei wohl nicht fünfstellig
wird. Wir sagen: Angesichts dessen, dass diese Datei,
über deren Einführung wir jahrelang diskutiert haben,
({10})
eine absolut stigmatisierende Wirkung haben wird - das
ist gar nicht anders möglich; wer dort dringsteht, wird
als Terrorist gelten -, sollte man sich sehr genau überlegen, wen man in die Datei aufnimmt. Das tun Sie nicht.
Sie definieren noch nicht einmal entsprechende Kriterien.
In der Sachverständigenanhörung kam es doch geradezu zu einer Art heiterem Personenraten, wer wohl in
diese Datei aufgenommen wird: Kommt Peter Handke
rein? Kommt Ahmadinedschad rein?
({11})
- Ja. Von der Linksfraktion wurde auch der Name
Joschka Fischer genannt. ({12})
Muss US-Präsident George W. Bush rein?
({13})
Nach Ihrer Definition müsste jeder, der auf internationaler Ebene die Anwendung von Gewalt befürwortet, geschweige denn tatsächlich Gewalt anwendet, in die Datei
aufgenommen werden. Das geht viel zu weit und ist viel
zu unbestimmt.
Auch zu den Kontaktpersonen möchte ich Ihnen
gerne etwas sagen. Ihr Versuch der Einschränkung ist
untauglich. Die Definition, die Sie zugrunde legen wollen, umfasst das gesamte soziale Umfeld, sofern es dauerhaft ist. Die Ärztin, der Arzt, die Familienangehörigen,
die Anwältin und der Anwalt - für alle besteht das Risiko, in diese Datei aufgenommen zu werden.
({14})
An die Stelle harter Fakten setzen Sie Gesinnungselemente. Ein nachdenklicher Sachverständiger hat darauf
hingewiesen, dass es sich oftmals um Menschen handelt,
die den Schritt vom Meinen zum Handeln noch gar nicht
vollzogen haben. Das alles hat in einer solchen Datei
wirklich nichts zu suchen.
({15})
Stichwort: zu viele Quellen. Der Streit, ob es eine
Volltextdatei oder eine Indexdatei sein soll, ist doch
nicht umsonst erbittert geführt worden! Wir Grüne wollten die Datei - um das deutlich zu sagen -; aber wir
wollten sie immer als Indexdatei, als Fundstellendatei.
Weil jetzt gesagt wird, in den Eilfällen unterstellten wir
als Opposition Missbrauch, stelle ich klar: Wir unterstellen keinen Missbrauch. Aber der Eilfall ist vom Wesen
des Terrorismus her der Regelfall, da ist immer Eile angesagt, die gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben ist
impliziert in der terroristischen Gefahr. Sie wollen doch
nicht im Ernst behaupten, dass, wenn ein Name der Kofferbomber bekannt gewesen wäre, das kein Eilfall gewesen wäre! Natürlich, und so wird es immer sein. Daher
ist das, was Sie heute hier schaffen, im Wesentlichen
eine Volltextdatei. Auch deswegen, Herr Benneter, kann
man sie nur ablehnen.
({16})
Herr Kollege Wieland, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Benneter?
Ja, gestatte ich gerne.
Herr Kollege Wieland, sind Sie in der Lage, zur
Kenntnis zu nehmen,
({0})
dass es im Gesetzestext im Hinblick auf Kontaktpersonen ausdrücklich heißt:
Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte die
Annahme begründen, dass sie …
mit Terrorverdächtigen
in Verbindung stehen und durch sie Hinweise für
die Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus gewonnen werden können …
Das zusätzliche Erfordernis ist, dass
die Kenntnis der Daten für die Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland erforderlich
ist. Satz 1 gilt nur für Daten, die die beteiligten Behörden nach den für sie geltenden Rechtsvorschriften automatisiert verarbeiten dürfen.
Das ist die Definition von Kontaktpersonen in dem Gesetzentwurf. Können Sie das zur Kenntnis nehmen?
Ich nehme das zur Kenntnis. Doch ich habe von dem,
was ich ausgeführt habe, Kollege Benneter, nichts zurückzunehmen. Denn in Ihrer Definition fehlt das Element, dass diese Personen irgendetwas wissen von den
terroristischen Verflechtungen der anderen Person.
({0})
Nein, dass sie etwas wissen müssen, ist keine Voraussetzung für eine Erfassung ihrer Grunddaten; da genügt es,
dass sie objektiv Kontakt haben zu dieser Person.
({1})
Dass sie Kenntnis von deren Gefährlichkeit haben, ist
keine Bedingung. Eine Kontaktperson kann also der
Ehepartner sein, jeder, der nur nicht zufällig Kontakt zu
ihr hat, zum Beispiel auch eine Anwältin oder ein Anwalt,
({2})
mit dem die Person in Geschäftsbeziehung steht. Weil es
hier um nachrichtendienstliche Daten geht, sind wir uns
doch wohl einig, dass auch viele undolose - wie Sie im
Ausschuss sagten -, also absichtslose Kontaktpersonen
dort gespeichert sind. Gerade das Wissen eines Anwaltes
ist sehr interessant für nachrichtendienstliche Kreise.
Würden Sie vielleicht auch dem Kollegen Binninger
die Freude machen?
Ich bin ja zur Gleichbehandlung verpflichtet hier.
Deswegen soll auch der Kollege Binninger fragen dürfen.
({0})
Herr Kollege Wieland, Sie haben gerade behauptet,
dass die Kontaktpersonen nicht wissen müssten über
Terrorismus und deshalb nahezu jeder in diese Datei
kommen könnte. Wären Sie bereit, mir zuzugestehen,
dass im Gesetz etwas anderes steht, nämlich Folgendes
- ich nehme nur den letzten Halbsatz -:
… und durch sie
- es geht um die Kontaktpersonen Hinweise für die Aufklärung oder Bekämpfung des
internationalen Terrorismus gewonnen werden können.
Sie müssen also etwas wissen, sonst kommen sie nicht in
die Datei. Wären Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen
und Ihre Aussagen zu revidieren?
({0})
Nein, das nehme ich nicht zur Kenntnis. Möglicherweise wollten Sie das zum Ausdruck bringen. Aber Sie
haben es nicht zum Ausdruck gebracht.
({0})
Es genügt, dass die Behörden sich vorstellen, dass sie
über die Kontaktpersonen in ihren Ermittlungen weiterkommen. Es steht nicht drin, dass die Kontaktperson irgendetwas wissen muss davon, dass der Hauptverdächtige in Terrorismus involviert ist. Diese Verbindung
haben Sie nicht gewählt. Wir haben Ihnen eine entsprechende Formulierung vorgeschlagen. Aber, Kollege
Binninger, Sie waren ja wenigstens so ehrlich, zu sagen,
dass Sie die noch nicht einmal gelesen haben. Wie sich
jetzt an Ihrer Zwischenfrage zeigt, rächt sich das.
({1})
Stichwort: zu viele Zugriffsberechtigte. Natürlich
hätten wir als Gesetzgeber - da hat die Kollegin Piltz
doch völlig Recht - definieren müssen, wer da rein darf
und wer mitmischen darf bei dieser Datei. Dies geschieht nicht. Das überlässt man dem ehrenwerten Herrn
Schäuble. In seinem Benehmen liegt es, zu sagen, ob die
Polizeidienststelle im schwäbisch-alemannischen Raum,
in Lörrach oder wo auch immer, ebenfalls Zugriff auf die
Datei hat. Das kann nicht befriedigend sein.
Genauso wenig befriedigend ist es, dass es für denjenigen, dessen Daten in dieser Datei gespeichert wurden,
keine Möglichkeit gibt, seine Daten löschen zu lassen.
Vor allen Dingen aber haben Sie unseren Vorschlag verworfen, dass nichts aus dieser Datei an unbefugte Stellen
- insbesondere im Ausland - fließen darf. Gerade nach
den Erfahrungen im Fall el-Masri und in anderen Fällen
wäre aber eine solche gesetzliche Sperre genauso dringend nötig gewesen wie eine Klausel hinsichtlich des
Verbots der Verwertung von unter Folter erlangten Daten, die die FDP vorgeschlagen hat.
({2})
Das alles hätte diesem Hause gut zu Gesicht gestanden
und die Umsetzung der praktischen Erfahrungen und der
Erlebnisse des vergangenen Jahres bedeutet.
In einem geradezu gottvollen Entschließungsantrag
appellieren Sie nun an die Bundesregierung, doch endlich die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Telekommunikationsüberwachung umzusetzen. Warum haben
Sie das nicht selbst in Ihren Gesetzentwurf für ein
Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz eingearbeitet? Dies ist nicht nur ein Wortungeheuer, sondern auch
ein Monstrum an sich und ein Etikettenschwindel: Mit
diesem Gesetz wird die Terrorismusbekämpfung nicht
ergänzt; vielmehr gibt man sämtlichen Nachrichtendiensten alle Instrumente, die zur Terrorismusbekämpfung entwickelt wurden, für die ganz normalen nachrichtendienstlichen Felder, den Kampf gegen den Rechtsund den Linksextremismus, an die Hand. Das hat mit
Evaluierung nichts zu tun und das hat auch damit nichts
zu tun, dass es nötig ist, gegen den Terror vorzugehen.
Sie wollen die Möglichkeiten einfach nur ausdehnen und
die staatlichen Befugnisse ins Uferlose wachsen lassen.
Abschließend zitiere ich Peter Schaar, den Bundesbeauftragten für den Datenschutz.
({3})
- Ja, deswegen werden Sie dem, was er dazu gesagt hat,
auch zustimmen. - Er sagte: Diese Gesetze atmen den
Geist der Überwachungsgesellschaft. - Damit hat er
seine Behörde korrigiert.
({4})
- Warten Sie einmal ab, Herr Wiefelspütz.
Für mich stellen diese Dateien weniger eine gesellschaftliche Frage dar. Der Staat erstellt sie, wir beschließen sie. Deswegen präzisiere ich etwas: Leider atmen
diese beiden Gesetze den Geist des Überwachungsstaates. Wir lehnen sie ab.
Herr Kollege!
Es wäre möglich gewesen, eine gute und datenschutzfeste Regelung zu treffen. Die Vorschläge lagen auf dem
Tisch. Was hier heute geboren werden soll, bedeutet
gleich an zwei Stellen einen rechtsstaatlichen Dammbruch. Dazu sagen wir: Nein.
({0})
Für die Bundesregierung hat nun der Bundesminister
des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man
den Sprechern der Opposition unvoreingenommen zuhört, dann hat man das Gefühl, dass die eigentliche Bedrohung in unserem Lande von den Organen der inneren
Sicherheit ausgeht. Ich glaube, das ist eine etwas verzerrte Wahrnehmung.
({0})
Ich bin mir auch ganz sicher, dass die Bundesrepublik
Deutschland, die Ordnung unseres Grundgesetzes mit einem Überwachungsstaat nun wirklich nichts zu tun hat,
({1})
sondern dass wir uns im Rahmen, in den Grenzen und
auf der Grundlage unserer freiheitlich-demokratischen
und rechtsstaatlichen Verfassung bemühen, in einer Zeit
großer Bedrohungen und Gefahren das Menschenmögliche an Sicherheit zu gewährleisten.
Um nur die letzten Wochen in Erinnerung zu rufen:
Da sind zunächst die fehlgeschlagenen Sprengstoffanschläge auf zwei Regionalzüge Ende Juli in Koblenz
und Hamm. Es waren relativ kleine handwerkliche Fehler, die verhindert haben, dass schlimme Unglücksfälle
passiert sind. Wenige Wochen danach wurde eine
Gruppe von Personen aus drei größeren Städten im
Ruhrgebiet festgenommen, die sich in unmittelbarer
zeitlicher und räumlicher Nähe zu einem Nena-Konzert
so verdächtig verhalten haben, dass ein Anschlag auf das
Konzert angenommen werden musste.
Vor ein paar Wochen hat die Polizei in Osnabrück einen Iraker festgenommen und seine Wohnung durchsucht. Der Beschuldigte hat mutmaßlich vielfach Audiound Videobotschaften von Osama Bin Laden, al-Zawahiri und Mussab al-Sarkawi über das Internet verbreitet
und dadurch den Terrorismus von al-Qaida unterstützt.
Vor zwei Wochen haben BKA und die Landespolizei
neun Wohnungen im Rhein-Main-Gebiet durchsucht. Im
Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Generalbundesanwältin muss dem Verdacht nachgegangen werden,
dass vom Frankfurter Flughafen aus terroristische Anschläge auf eine El-Al-Maschine geplant waren. Das
Verfahren dauert an.
({2})
- Das ist ein anhängiges Verfahren.
Das alles sind Nachrichten aus den letzten paar Wochen. Sie aber tun so, als gehe die Bedrohung von den
Sicherheitsbehörden aus. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden, dass sie
in schwieriger Zeit das Menschenmögliche leisten, um
unsere Sicherheit zu gewährleisten.
({3})
Es ist zwar richtig, dass die Antiterrordatei die geplanten Anschläge auf die Regionalzüge nicht verhindert
hätte.
({4})
- Das spricht nicht gegen die Datei.
Wir müssen ja auch nicht letzten Anschlagsversuch
verhindern, sondern versuchen, den nächsten zu verhindern.
({5})
Die Untersuchungen des amerikanischen Kongresses haben ergeben, dass theoretisch alle notwendigen Informationen vor dem 11. September 2001 vorhanden gewesen
wären, um die Planungen in Bezug auf das World Trade
Center zu erkennen; sie waren nur nicht miteinander verknüpft. Das ist keine Kritik. Aber man muss für die Zukunft daraus lernen. Deswegen haben wir uns nun fünf
Jahre bemüht, die notwendigen Informationen, über die
38 verschiedene für die innere Sicherheit verantwortliche Behörden und Dienststellen von Bund und Ländern
verfügen, so zu verknüpfen, dass wir effektiv präventive
Arbeit leisten können.
Gerade derjenige, der sich für das Trennungsgebot
bzw. für unterschiedliche Aufgabenstellungen von Polizei und Nachrichtendienst einsetzt, darf nicht verhindern, dass die Nachrichtendienste die von ihnen beschafften Informationen den Polizeibehörden zur
Verfügung stellen. Sonst bräuchten wir keine Nachrichtendienste. Das muss vernünftig geregelt sein.
({6})
Ich bin im Übrigen der festen Überzeugung, dass uns
die föderale Ordnung unseres Grundgesetzes eine optimale Voraussetzung für Schutz, Prävention und vorzügliche Polizeiarbeit bietet.
({7})
Wir haben das zuletzt bei der Fußballweltmeisterschaft
erlebt, die nicht so hervorragend verlaufen wäre, wenn
die Polizeien der Länder und des Bundes nicht so erfolgreich und effizient zusammengearbeitet hätten. Aus diesem Grund muss man die Voraussetzung für eine effiziente und vertrauensvolle Zusammenarbeit schaffen.
Eine solche Voraussetzung ist die Antiterrordatei, in der
die Dienststellen, die Polizeien und Nachrichtendienste
von Bund und Ländern ihre Informationen einstellen unter Gewährleistung des notwendigen Datenschutzes,
im Rahmen unserer Verfassung, auf einer einwandfreien
gesetzlichen Grundlage!
Ich bin dankbar, dass wir das geschafft haben, und ich
bin froh, dass wir es im Einvernehmen mit den Ländern
erreicht haben. Nur so ist es möglich; es würde sonst
nicht mehr Sicherheit geben, sondern weniger.
Deswegen möchte ich mich auch beim Bundestag insgesamt und insbesondere bei den Mitgliedern des Innenausschusses und den Kollegen der Koalitionsfraktionen
dafür bedanken, dass es gelungen ist, die Gesetze so
rechtzeitig zu beraten, dass sie rechtzeitig in Kraft treten
können. Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz
muss in Kraft treten; sonst kommen wir in eine Situation, die niemand verantworten kann.
Schon im September waren wir uns weitgehend einig,
dass die Antiterrordatei möglichst ab nächstes Jahr funktionsfähig sein soll. Dazu brauchen wir die gesetzliche
Grundlage. Ich habe schon Anfang September mitgeteilt,
dass ich das Bundeskriminalamt beauftragt habe, sich
entsprechend vorzubereiten, sodass, wenn das Gesetz in
Kraft tritt, es funktionsfähig ist, das muss ja auch umgesetzt werden.
Ich bin auch dankbar dafür, dass wir in den Haushaltsberatungen in der vergangenen Woche die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt haben. Denn auch
das gehört zu den Voraussetzungen, die wir schaffen
müssen.
Es ist, wie gesagt, richtig, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Wenn es aber keine hundertprozentige Sicherheit gibt, dann ist es umso wichtiger, dass
man bei einer anhaltenden, wahrscheinlich sich eher verschärfenden Bedrohungslage durch den internationalen
Terrorismus das Menschenmögliche unternehmen muss,
um so viel Sicherheit wie möglich zu gewährleisten.
Sie haben vorher mit dem Kollegen Benneter darüber
diskutiert, wo das im Grundgesetz steht. Dass der Staat
die Aufgabe hat, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen, ist in der abendländischen Geschichte fast ein Stück
weit konstitutiv gewesen.
({8})
- Herr Kollege, das ist keine Staatszielbestimmung. Das
ist nun wiederum verfassungsrechtlich falsch. Es ist geradezu konstitutiv.
Ich sage Ihnen: Wenn Sie die freiheitliche Ordnung
unseres Landes bewahren wollen - worüber wir uns alle
hoffentlich einig sind -, dann muss der freiheitliche
Rechtsstaat in der Lage sein, den Bürgerinnen und Bürgern ein hinreichendes Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Sonst wird die freiheitliche Ordnung zerstört.
({9})
Wer das untergräbt und wer dafür die notwendigen Mittel verweigert, gefährdet am Ende die Freiheit. Wenn wir
den Kampf gegen den Extremismus - links oder rechts ernst nehmen, darf der Staat kein Nachtwächterstaat
sein, sondern muss in der Lage sein, das Menschenmögliche in einer sich verändernden Welt von Bedrohungen
zu tun. Dafür sind die beiden Gesetze, die wir heute verabschieden, ein wichtiger Baustein.
Dazu gehört aber viel mehr. Deswegen haben wir das
Sicherheitsprogramm aufgelegt, wofür ich sehr dankbar bin. Dazu gehört aber auch, dass wir versuchen, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen nicht den
terroristischen Rattenfängern anheim fallen, und dass
wir immer wieder dafür werben, dass unsere Ordnung
von Freiheit und Toleranz Raum für alle bietet. Aber
eine Ordnung von Freiheit und Toleranz ist für die Menschen nur überzeugend, wenn sie zugleich die notwendige Sicherheit gewährleistet. Dem dienen die beiden
Gesetze. Deswegen bitte ich um Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({10})
Dr. Max Stadler ist der nächste Redner für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schäuble, Sie haben hier völlig zu
Recht die Bedrohungslage eindringlich geschildert. Aber
die FDP war zum Beispiel für eine praxisnahe Lösung
bei der Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste und für
eine Indexdatei, wie sie auch Praktiker gefordert haben.
Also führen wir doch bitte die Debatte hier nicht so, als
ob denjenigen, die für rechtsstaatliche Lösungen eintreten, die innere Sicherheit nicht am Herzen läge. Einen
solchen Gegensatz dürfen wir hier nicht aufbauen.
({0})
Herr Minister Schäuble, es ist doch völlig unstreitig:
Der Staat hat selbstverständlich eine Schutzpflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Aber bei den
Methoden, die er anwendet, ist er an die Grundrechte gebunden.
({1})
Deswegen ist sehr wohl über die Details zu diskutieren.
({2})
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 haben
die Geheimdienste Befugnisse bekommen wie nie zuvor.
Das war in gewissem Umfang sogar notwendig. Aber es
bleibt ein Grundproblem. Geheimdienste versuchen,
schon im Vorfeld Informationen zu gewinnen. Die Polizeiarbeit setzt dagegen bei konkreten Gefahren bzw.
konkreten Verdachtsmomenten an. Geheimdienste erfassen notwendigerweise viele Unschuldige. Deswegen
muss ein Gegengewicht durch eine entsprechende Kontrolle der Geheimdienstarbeit gesetzt werden. Meine
Damen und Herren von der Koalition, Sie wollen heute
die Geltungsdauer der Schily-Gesetze, die 2002 sehr eilig durch das Parlament gebracht wurden, verlängern.
({3})
Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, endlich eine bessere
Kontrolle der Geheimdienste als Gegengewicht einzuführen.
({4})
Es ist mir völlig unbegreiflich, warum Sie die Gelegenheit der heutigen Gesetzgebung nicht nutzen, endlich
auf unsere Vorschläge einzugehen, aus denen hervorgeht, wie die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums besser und effektiver gestaltet werden könnte.
Noch einmal: Wir von der FDP könnten notwendigen
Maßnahmen, die durchzuführen Sie den Geheimdiensten
erlauben wollen, durchaus zustimmen, wenn Sie auf der
anderen Seite bereit wären, die Kontrolle zu verbessern.
Das sind Sie leider nicht.
({5})
Es ist schon gesagt worden, dass die Evaluierung, auf
die Sie sich bei der Verlängerung der Schily-Gesetze berufen, nicht zureichend war. Dem stimme ich völlig zu;
denn diese Evaluierung, die die Frage betrifft, wie sich
die Gesetze in der Praxis ausgewirkt haben, ging einzig
und allein vom Blickwinkel der Anwender aus und hatte
überhaupt nicht im Blick, wie sich die neuen Vorschriften auf die Betroffenen auswirken, zum Beispiel, ob
Menschen in Dateien aufgenommen worden sind, ohne
etwas davon zu wissen, und dann berufliche Nachteile
davon hatten. Das hätte evaluiert werden müssen, wenn
Sie dies zur Grundlage einer Gesetzgebung machen wollen. Auch deswegen können wir nicht zustimmen.
Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Die Koalitionsfraktionen bringen heute einen Entschließungsantrag
ein. Es lohnt sich, ihn wörtlich zu zitieren. Er hat folgenden Text: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen...“ - jetzt fasse ich
zusammen -, der das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff berücksichtigt. Meine
Damen und Herren, das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
Sie regieren seit einem Jahr. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts datiert vom März 2004 und gibt dem
Gesetzgeber auf, dafür zu sorgen, dass der Bereich der
ganz privaten, intimen Lebensführung vom Staat nicht
beeinträchtigt wird. Und Sie fordern heute die Bundesregierung auf, dies künftig bei Gesetzen zu berücksichtigen. Wir sind doch die Volksvertreter. Wir sind der Gesetzgeber.
({6})
Sie hatten ein Jahr Zeit, dies in die heutigen Gesetze einzuarbeiten. Das haben Sie nicht gemacht. Ihr Entschließungsantrag zeigt, dass Ihnen diese Lücke bewusst ist.
Sie machen folgende Politik: Heute beschließen Sie
ein Gesetz, das verfassungswidrig ist, weil es ein Urteil
aus Karlsruhe nicht berücksichtigt; dann sagen Sie: Um
den Grundrechtsschutz kümmern wir uns morgen oder
übermorgen.
Meine Damen und Herren, Sie können nicht erwarten,
dass die Opposition bei einem solchen Verfahren mitmacht.
({7})
Nun erhält auch offiziell der Kollege Dr. Dieter
Wiefelspütz für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist heute ein guter Tag für unser Land, es ist
ein guter Tag für die innere Sicherheit.
({0})
Wir haben heute zwei sehr wichtige Gesetze auf der Tagesordnung, die die innere Sicherheit unseres Landes
nachhaltig verbessern. Ich danke den Kolleginnen und
Kollegen von den Koalitionsfraktionen, dass es uns gelungen ist, heute zeitnah eine Punktlandung vorzunehmen. Zwei wichtige Gesetze werden zum 1. Januar des
kommenden Jahres in Kraft treten können.
({1})
Wir würden heute Morgen eine ganz andere Debatte
führen, wenn die Bomben von Köln und anderswo explodiert wären. Wir haben hier in Deutschland keine
Hysterikerdebatte, was innere Sicherheit angeht, aber
wir sind auch nicht naiv. Terrorismus ist keine Sache, die
nur jenseits unserer Grenzen stattfindet und bekämpft
werden muss. Terrorismus ist eine akute Gefahr in unserem Land, für Männer, Frauen und Kinder. Das ist kein
Irrsinnsszenario, sondern eine ganz konkrete Realität.
Ich will niemandem Angst einjagen, aber wer kann in
dieser Sekunde, in der wir zusammen beraten, eigentlich
ausschließen, dass in diesem Volk von 82 Millionen
Menschen an der einen oder anderen Stelle Menschen
beisammensitzen, die planen, Unschuldige in die Luft zu
sprengen?
({2})
- Niemand kann das ausschließen, das ist richtig. - Deswegen haben wir die verdammte Pflicht, das Menschenmögliche zu tun, um die Sicherheit unseres Landes und
unserer Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Das ist
doch eine selbstverständliche Pflicht.
({3})
Ich verstehe gar nicht, wieso man überhaupt ernsthaft
daran zweifeln kann. Wofür haben wir den Rechtsstaat,
wenn es nicht seine vornehmste Pflicht wäre, das Menschenmögliche zu tun, damit seine Bürgerinnen und
Bürger in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben können?
Das ist eine elementare staatliche Pflicht.
({4})
Terrorismus wird in Deutschland im Rahmen des
Rechtsstaates bekämpft. Ich kann mich nicht entsinnen,
dass wir in den letzten Jahren im Bereich der Terrorismusbekämpfung auch nur ansatzweise an die rote Linie
- sie existiert in einem qualifizierten Rechtsstaat in diesem Bereich immer - herangekommen wären.
({5})
Man kann die rote Linie plakativ mit folgende Maßnahmen benennen: Angriffskrieg, Irakkrieg, Guantanamo,
Folter, Rendition, das Verschwindenlassen von Menschen. Das ist die rote Linie, die der bundesdeutsche
Rechtsstaat nie auch nur ansatzweise berührt hat. Das
wird auch in Zukunft so bleiben.
({6})
Es gibt niemanden, der bei uns in Deutschland ernsthaft
Mittel und Methoden wählt, durch die der Rechtsstaat im
Kampf gegen Terrorismus beschädigt und deformiert
wird.
({7})
Wenn wir das täten, würden wir unsere eigenen Grundlagen deformieren.
({8})
- Herr Ströbele, es ist sehr wichtig, dass wir den Terrorismus strikt im Rahmen des Rechtsstaats bekämpfen. Wir betreiben Terrorismusbekämpfung in der Kontinuität der Sicherheitspolitik der vergangenen Jahre.
({9})
Soeben ist ein früherer Innenminister erwähnt worden. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, das segensreiche Wirken des Kollegen Ströbele in den vergangenen
Legislaturperioden zu erwähnen.
({10})
Wir haben heute Gesetze zu verabschieden, die auf dem
aufbauen, was in früheren Jahren verabschiedet worden
ist.
({11})
Herr Kollege Wiefelspütz, der Kollege Ströbele
möchte sich mit einer Zwischenfrage persönlich an der
Würdigung seiner Arbeit beteiligen.
({0})
Diese Gelegenheit sollten wir ihm geben.
Bitte schön, Herr Kollege Ströbele.
Herr Wiefelspütz, Sie reden die ganze Zeit über die
Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Sie sagen,
das sei der Grund für dieses Gesetzeswerk. Können Sie
mir sagen, was die gesetzlichen Vorschriften, die Sie
jetzt einführen möchten, mit Terrorismus und Terrorismusbekämpfung zu tun haben? Entgegen alldem, was
unter Rot-Grün gemacht worden ist, findet hier ein Gesetz, das angeblich im Zeichen des Kampfes gegen den
Terrorismus geschaffen wurde, Anwendung bei rechtsund linksradikalen Bestrebungen. Geben Sie mir Recht,
wenn ich sage: Das ist ein Missbrauch der Bedrohungslage in der Welt für ganz andere Zwecke?
Herr Ströbele, wenn es so wäre, wäre ich auf Ihrer
Seite. Wir haben in einem sehr frühen Stadium, schon
bei Einbringung der Gesetze, in der Koalition sehr intensiv darüber gesprochen. Es gab eine ganz klare Maßgabe: Wir machen Terrorismusbekämpfungsgesetze und
nichts anderes. Bei allen Abgrenzungsschwierigkeiten
gibt es einen großen Unterschied zwischen Extremismus
und Terrorismus.
({0})
Ich sage es mit meinen Worten: Das Spezifische für Terrorismus ist die Bereitschaft, der konkrete Wille zur Gewaltanwendung. Diese Bereitschaft ist beim Extremismus nicht notwendigerweise vorhanden. Deswegen
haben wir diesbezüglich eine klare Trennung vorgenommen, mit einer einzigen Ausnahme - ich sage es summarisch -: Wir schaffen mit diesem Gesetz die Möglichkeit,
mit nachrichtendienstlichen Mitteln gegen einen Hassprediger vorzugehen, der in der Tat zur Gewaltanwendung aufruft oder dessen Agitation dazu führen kann,
dass Menschen Gewalt anwenden.
Wir legen großen Wert darauf, dass es sich bei unseren Gesetzen nicht um Extremismusbekämpfung - den
bekämpft man auf andere Weise - handelt, sondern um
Terrorismusbekämpfung. Schauen Sie sich die Gesetze
bitte genau an! Wenn Sie Fragen haben, dann kommen
Sie zu mir: Ich erläutere sie Ihnen.
({1})
Ich wiederhole: Es handelt sich ausschließlich um Gesetze zur Terrorismusbekämpfung und um nichts anderes.
Herr Kollege Wiefelspütz, Ihr Vorschlag, die Diskussion privat fortzusetzen, ist deswegen besonders liebenswürdig, weil er uns hilft, die vereinbarten Redezeiten
einzuhalten. Gleichwohl hat sich Frau Kollegin Piltz zu
einer Zwischenfrage gemeldet, die Sie vermutlich ebenfalls zulassen möchten.
Selbstverständlich, aus Respekt vor der Kollegin.
Möchte noch jemand eine Zwischenfrage stellen?
({0})
Herr Wiefelspütz, ich glaube nicht, dass Sie die Rolle
des Präsidenten einnehmen sollten.
({0})
- Wenn Sie das möchten, dann müssen Sie das in der
SPD-Fraktion demnächst anders als bisher regeln.
Sie haben auf die Frage des Kollegen eben geantwortet, dass das, was Sie hier vorlegen, einzig und allein der
Terrorismusbekämpfung dient. Wenn es so wäre, dann
wäre es schön. Ich frage mich, wie Sie das mit § 6
- „Weitere Verwendung der Daten“ - des Gemeinsame-Dateien-Gesetzes vereinbaren. Dort steht, dass
diese Daten weitergegeben werden können, wenn „dies
zur Verfolgung einer besonders schweren Straftat oder
zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben, Gesundheit
oder Freiheit einer Person geboten ist …“
Sind Sie der Ansicht, dass die von Ihnen gewählte
Formulierung eine Ausweitung aller bisherigen Definitionen ist und dass damit sogar ein vorübergehendes Unwohlsein gemeint sein kann? Das heißt, dass diese Datei
eben nicht nur zur Bekämpfung des allgemeinen Terrorismus genutzt werden kann.
({1})
Frau Piltz, schönen Dank für die Frage. Es ist völlig
eindeutig. Ich will die Gelegenheit ergreifen, um auf etwas sehr Grundsätzliches einzugehen - Herr Benneter
hat das schon einmal kurz angedeutet -: Was das Gemeinsame-Dateien-Gesetz angeht, war, ist und bleibt
ganz wichtig, dass wir keine neuen Übermittlungsregeln
schaffen. Diese Datei ist nur eine Datei; das ist nur eine
„Computergeschichte“. Die materiellen Regelungen für
Polizei und Geheimdienste, wie sie Informationen zulässigerweise übermitteln dürfen, werden durch das Gemeinsame-Dateien-Gesetz um keinen Millimeter verändert. Schauen Sie sich dieses Gesetz und insbesondere
seine Begründung an! Das war uns ganz wichtig.
Wenn man etwas hätte ändern wollen, beispielsweise
in Bezug auf das Ausland, dann hätte man diese Regelungen ausdrücklich ändern müssen. Genau das haben
wir nicht getan. Folgendes ist ganz wichtig: Es dürfen
ausschließlich bei den Sicherheitsbehörden vorhandene,
legal gespeicherte Daten über die Antiterrordatei vernetzt weitergegeben werden. Das darf aber nur dann geschehen, wenn das materielle Recht dies zulässt. Wir haben daran nichts geändert. Haben Sie das verstanden,
Herr Ströbele?
({0})
- Herr Ströbele wackelte so mit dem Kopf, Frau Piltz;
deswegen habe ich ihn direkt angesprochen.
Aber das wollen Sie doch in einem privaten Gespräch
vertiefen.
Schon zu Beginn der Beratungen war mir sehr wichtig, dass das völlig klar gestellt wird: Wir schaffen keine
neuen Übermittlungsvorschriften, die das materielle
Recht an dieser Stelle verändern.
Kurz und gut, die Gesetze, die wir heute verabschieden, haben Maß und Mitte. Sie bauen auf früheren Gesetzen auf. Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz baut auf einem Gesetz auf, an dem im Jahre 2002
Kollegen wie Herr Ströbele mitgewirkt haben. Wir ergänzen es, indem wir einige unwesentliche Lücken
schließen.
({0})
Dieses Gesetz wird für weitere fünf Jahre in Kraft gesetzt.
Ich möchte noch einige Worte zum Gemeinsame-Dateien-Gesetz verlieren. Herr Minister, mich stört eher,
dass wir diese Datei nicht schon seit zwei oder drei Jahren haben. Nun will ich das hier nicht besserwisserisch
kommentieren oder kritisieren. Ich bin froh, dass wir
dieses Gesetz heute verabschieden können. Ich lege Wert
darauf, hier auf Folgendes hinzuweisen: Diese Antiterrordatei ist gelebter funktionierender Sicherheitsföderalismus. Sie funktioniert nur in konkretem vertrauensvollem Zusammenwirken aller Sicherheitsbehörden
auf der Bundes- und der Länderebene.
({1})
Wir versprechen uns davon eine erhebliche Verbesserung der informationellen Zusammenarbeit, aber nicht in
dem Sinne, dass neues Recht geschaffen wird, sondern
in dem Sinne, dass eine neue Praxis eingeführt wird, sodass es keine Informationspannen gibt, dass man in Bayern das weiß, was man auch in Schleswig-Holstein in
den Akten hat, und man in Berlin die Informationen hat,
die auch im Saarland verfügbar sind. Das ist in der Zukunft eine große Hilfe.
Wir haben es mit zwei Gesetzen zu tun, die mit sehr
viel Augenmaß erarbeitet worden sind, wobei rechtsstaatliche Kriterien eine ganz große Rolle gespielt haben. Deswegen waren die Beratungen auch außerordentlich intensiv. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir
mit diesen Gesetzen keine verfassungsrechtlichen Probleme haben werden; ganz im Gegenteil: Es sind eher
zusätzliche Sicherungen eingebaut worden, von denen
ich hoffe, dass sie in Zukunft auch in anderen Gesetzen
Standard werden. Wir befristen und evaluieren die Gesetze. Wir sehen im Bereich von Bürgerrechten Dokumentationspflichten vor. Ich will an dieser Stelle dem
Bundesdatenschutzbeauftragten Schaar noch einmal ausdrücklich danken - wir haben ihn im Vorfeld der Beratungen intensiv beteiligt -, auf dessen Anregung das eine
oder andere ins Gesetz aufgenommen worden ist. Kurz
und gut: Die Sache ist, wie ich finde, rund und wichtig.
Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Gedanken
ansprechen, die auch hier in der Debatte schon eine
Rolle gespielt haben.
Erstens. Der Gesetzgeber hat bis heute eine außerordentlich wichtige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht berücksichtigt, Herr Dr. Stadler.
({2})
Sie haben die Lücke nicht selbst erkannt, sondern wir
sind - ich sage das durchaus selbstkritisch - in der Anhörung von einigen Sachverständigen darauf aufmerksam gemacht worden. Ich muss Ihnen sagen, dass ich
von mir selbst als Parlamentarier enttäuscht bin, dass uns
das nicht schon früher aufgefallen ist.
({3})
Bei unseren Debatten hat dann die Wand gewackelt. Wir
haben gesehen: Dieses Urteil ist nun schon gut zwei
Jahre alt. Wir haben im Bereich der Strafprozessordnung
Veränderungen vorgenommen, aber in anderen Bereichen noch nicht. Dieses Parlament und diese Bundesregierung, Herr Schäuble, haben allen Grund, das sehr
bald nachzuholen.
Ich will Sie aber auf Folgendes hinweisen, Herr
Stadler: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gilt natürlich. Unsere Verfassungsschutzbehörden
halten sich selbstverständlich - das ist völlig klar und
unzweifelhaft - an diese Entscheidung. Wir werden sehr
bald Gelegenheit haben, zu den spezifischen Fachbereichen, auch zu denen, über die wir heute reden, entsprechende Vorlagen zu erarbeiten. Das ist dringend nötig.
Zweitens. Die Nachrichtendienste gehören nicht an
den Rand unserer Debatte. Sie gehören in das Zentrum
des Rechtsstaats und sie sind Teil der wehrhaften Demokratie. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir auch
hier im Parlament eher zu wenig über Nachrichtendienste reden. Ich denke, dass wir aus Gründen der Tagesaktualität und deshalb, weil wir mit Tagesarbeit zugeschüttet sind, nicht immer über den Tellerrand
hinausschauen. Wir sollten das nächste Jahr nutzen, um
unabhängig von tagesaktuellen Gesetzesvorhaben zu debattieren: über den Stellenwert von Geheimdiensten im
deutschen Rechtsstaat, über die Frage der Notwendigkeit
von Diensten,
({4})
aber insbesondere auch über Fragen von Bürgerrechten,
Kontrollen und Kontrollmechanismen im Parlament.
Die Gesetze in diesem Bereich haben sich in vielen
Schichten über Jahre entwickelt. Ich bin ganz sicher,
dass es mancherlei Widersprüchlichkeiten und vielleicht
auch Systemwidrigkeiten gibt. Es lohnt sich, das einmal
auf Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Das wollen wir vonseiten der SPD-Bundestagsfraktion uns vornehmen und
hoffen auf gute Gespräche mit den Kollegen und Kolleginnen der Koalition, aber auch mit den anderen Fraktionen im Parlament, denen das ein Anliegen ist.
Ich denke, dass wir heute dem Deutschen Bundestag
gute, vernünftige Gesetze, die strikt rechtsstaatlich sind,
zur Beschlussfassung vorlegen. Das Grundgesetz wird
eingehalten, mehr als eingehalten. Die Gesetze tragen
dazu bei, dass es für unsere Bürger noch ein Stück weit
sicherer wird. Sie tragen auch dazu bei, dass die gute Sicherheitsarbeit in Deutschland noch ein bisschen besser
wird.
Wir dürfen uns vor den Herausforderungen angesichts
der Gefahren des internationalen Terrorismus nicht zurücklehnen. Diese Koalition nimmt ihre Verantwortung
im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger wahr.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat nun der Abgeordnete Gert Winkelmeier.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Eine Auszeichnung haben die Innenminister des Bundes
und der Länder für den Gesetzentwurf zur zentralen
Anti-Terror-Datei ja bereits erhalten, den „Big Brother
Award 2006“. Die beiden Hauptgründe für diese eher
zweifelhafte Würdigung sind von Verfassungsrechtlern
wie auch von Datenschützern immer wieder benannt
worden. Das ist zum einen das Trennungsgebot für Polizei und Geheimdienste, das in den vergangenen Jahren
bereits aufgeweicht worden ist. Dieses Trennungsgebot
hat historische Wurzeln. Eine unkontrollierte Machtkonzentration der Sicherheitsapparate und eine neue politische Geheimpolizei sollten verhindert werden.
Jetzt hat die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg
gebracht, mit dem im Eilfall sogar per Knopfdruck das
von Westalliierten aus gutem Grund festgeschriebene
Trennungsgebot ausgehebelt werden kann. Ich sage Ihnen schon heute voraus, dass dieses Gesetz, sollte sich
ein Kläger finden, vor dem Bundesverfassungsgericht
keinen Bestand haben wird. Dem Gesetz zur zentralen
Anti-Terror-Datei wird es genauso ergehen wie dem Gesetz zum großen Lauschangriff und dem Luftsicherheitsgesetz. Es wird von den Bundesrichtern kassiert werden.
Der zweite schwerwiegende Grund, diesen Gesetzentwurf abzulehnen, ist der, dass auch die persönlichen Daten von so genannten Kontaktpersonen erfasst werden.
Es reicht nicht aus, ins Gesetz zu schreiben: „flüchtige
und zufällige Kontakte werden nicht erfasst“, denn letztendlich ist die Definition, was flüchtig und zufällig ist,
Ermessenssache der Behörden und ist im Gesetz nicht
klar geregelt. Da gerät zum Beispiel ein Kioskbesitzer
ins Visier der Terrorfahnder, nur weil sich ein Verdächtiger jeden Morgen die Zeitung bei ihm holt. Oder: Ein
Vermieter wird in die Antiterrordatei eingespeist, weil
ein mutmaßlicher Terrorist in einer seiner Wohnungen
lebt. Hier wird eine Kontaktkriminalisierung aufgebaut,
die keine Grenzen mehr kennt. Ein wirksamer gesetzlicher Datenschutz findet nicht statt.
Die Sammelwut der Bundesregierung und der Nachrichtendienste kennt keine Grenzen. Es gibt schon jetzt
160 Dateien, die dem Kampf gegen den Terrorismus
bzw. der Kriminalität gewidmet sind. Dort sind
60 Millionen Datensätze über Personen oder Personengruppen gespeichert: 60 Millionen Datensätze in einem
Land, in dem 80 Millionen Menschen leben. Das zeigt
die Überwachungshysterie in unserem Lande, die unter
dem Deckmäntelchen der Terrorismusbekämpfung begründet wird.
Es ist sehr einfach, zufällig und unwissentlich in eine
solche Datei zu geraten. Umso schwieriger dürfte es jedoch sein, aus dieser sinnlos aufgeblähten Datei wieder
gestrichen zu werden. Zwar ist das im Gesetz geregelt,
aber es ist auch vor allem eine Ermessenssache der agierenden Behörden.
Die Regelung zu den Kontaktpersonen verstößt in erheblichem Maße gegen das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung. Dieses Recht ist ein hohes Gut in
unserer Gesellschaft und sollte nicht leichtfertig aufs
Spiel gesetzt werden. Die Angst vor möglichen terroristischen Anschlägen ist verständlich. Sie sollte uns aber
nicht blind machen für die Folgen, die ein solches Gesetz für gemeinsame Dateien von Polizei und Geheimdiensten nach sich zöge.
Die Innenministerkonferenz hat dieses Gesetz so gewollt. Die Bundesregierung hat sich dem angeschlossen.
Das heißt aber noch lange nicht, dass die Mitglieder des
Deutschen Bundestages dem folgen müssen.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, wenn schon
die Bundesregierung nicht auf ihre eigenen Fachleute
hört, sollten zumindest wir sie ernst nehmen. Anlässlich
der Anhörung im Innenausschuss am 6. November dieses Jahres warnte der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar - Herr Wiefelspütz, Sie haben diese
Passage nicht zur Kenntnis genommen -:
Gegen diese Gesetzesvorhaben habe ich erhebliche
verfassungs- und datenschutzrechtliche Bedenken.
Wenn die Entwürfe Gesetz würden, wäre dies ein
weiterer Schritt auf dem Weg in eine Überwachungsgesellschaft, in der auch solche Bürgerinnen
und Bürger als Risikofaktoren behandelt werden,
die keinen Anlass dafür gegeben haben.
Auch die kleinen vom Innenausschuss im Entwurf
eingefügten Änderungen werden an diesen grundsätzlichen Bedenken nicht viel ändern. Hier wächst zusammen, was zumindest so nicht zusammengehört. Es ist
vielmehr wichtig, weiterhin am Gebot der Trennung von
Polizeibehörden und Nachrichtendiensten festzuhalten.
Ersparen wir dem Bundesverfassungsgericht unnötige
Arbeit und den Innenministern weitere fragwürdige Ehrungen. Stimmen wir gegen dieses Gesetz!
Vielen Dank.
({0})
Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Wiefelspütz, ich möchte zu dem Geständnis, das Sie hier
gerade abgelegt haben, eine Bemerkung machen.
({0})
Ich fand es nicht nur bemerkenswert, sondern geradezu
erschütternd, dass Sie hier gesagt haben, in der Anhörung sei zum ersten Mal überhaupt bekannt geworden,
dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem
Jahre 2004 nicht nur Auswirkungen auf die Strafprozessordnung hat, sondern auch auf alle anderen Gesetze, in
denen es um Überwachungstechnologien geht. Dass es
sich sogar auf den Bereich der Gefahrenabwehr erstreckt, hat ja das Verfassungsgerichtsurteil zum niederSabine Leutheusser-Schnarrenberger
sächsischen Polizeigesetz, das kurz danach verkündet
wurde, unmissverständlich deutlich gemacht.
Ihren Ausführungen war weiterhin zu entnehmen,
dass Sie die Anträge zur Umsetzung des Urteils, die vor
den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf und nach dem
Urteil eingereicht wurden, nicht zur Kenntnis genommen haben. In diesen Anträgen ging es nie um die Umsetzung einer einzigen Regelung, sondern immer um
eine generelle Umsetzung dieses Urteils in allen Bereichen. Darüber wurde in den vergangenen zwei Jahren in
allen Fachbereichen diskutiert. Hierzu gibt es eine Fülle
von Aufsätzen.
Vor diesem Hintergrund denke ich, dass die einfachen
Aussagen, dieses Gesetz bewege sich voll im Rahmen
des Grundgesetzes, es werde alles beachtet und man sei
sicher, dass nichts passieren werde, nicht zutreffend
sind. Während der ganzen Debatte haben Sie ja eine Erwähnung des Luftsicherheitsgesetzes tunlichst vermieden. Mit diesem Gesetz haben Sie nämlich die rote Linie, die Sie heute aufgezeigt haben, ganz bewusst und
zielgenau übersprungen.
({1})
Es ist umso unverständlicher, dass Sie nun, wo Sie
eine Bürgerrechtsdebatte führen wollen, den Antrag der
FDP, die Vorschrift aus Art. 4 Abs. 4 Europol-Gesetz zu
übernehmen, nicht angenommen haben. In dieser Vorschrift wird doch die rote Linie markiert, die Sie richtigerweise hier auch erwähnt haben, nämlich dass Daten,
die unter Folter gewonnen wurden, nicht verwendet werden dürfen.
All das ist der Hintergrund dafür, dass mich Ihr Geständnis etwas erschüttert hat, lieber Herr Wiefelspütz.
({2})
Zur Erwiderung, Herr Kollege Wiefelspütz.
Erschütterung hin oder her, Frau Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger, ich bin dafür, dass man
Dinge, die uns im Rahmen der Gesetzgebungsberatungen aufgefallen sind, ehrlich anspricht.
Wir diskutieren seit vielen Jahren im Innenausschuss
über Terrorismusbekämpfung, wie Sie ja wahrscheinlich auch im Rechtsausschuss. Ich kenne - ich spreche
jetzt nur von mir - keinen einzigen Beitrag, wo das von
mir eben Gesagte angesprochen worden wäre. Ich stelle
einfach fest: Wir haben uns viel zu viel Zeit genommen.
Während das besagte Urteil Eingang in die Strafprozessordnung gefunden hat, haben wir es in unserem Bereich
noch nicht umgesetzt. Es gilt allerdings und - das ist völlig klar - die Behörden halten sich daran. Ich lege deshalb großen Wert darauf, dass wir nun so rasch wie möglich zur Tat schreiten. Darauf hinzuweisen, ist ein Gebot
der Ehrlichkeit.
Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn wir das unterschlagen hätten, Frau Leutheusser-Schnarrenberger?
Ihre Fraktion ist nicht auf diese Idee gekommen. Wir haben das, nachdem wir es erkannt hatten, aufgegriffen
und gesagt, es muss so rasch wie möglich geändert werden. Ich bitte, wenigstens dieses bei dieser Angelegenheit zu würdigen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Hinweis geben, auch wegen des Gebots der Ehrlichkeit und der
Fairness. Deutsche Behörden dürfen nicht foltern. Es
darf auch kein augenzwinkerndes Einverständnis mit
Folterknechten im Ausland und kein Zusammenwirken
geben.
({0})
Das ist unstreitig; ich glaube, das ist auch hier im Hause
völlig klar. Aber es gibt an einem Punkt einen Dissens
- wenn ich das richtig sehe, ist das, was ich Ihnen jetzt
hier vortrage, auch die Auffassung von Herrn Schäuble;
aber er mag dazu selber Stellung nehmen -: Wenn deutsche Behörden aus dubiosen nachrichtendienstlichen
Quellen Erkenntnisse haben, die für die Gefahrenabwehr in Deutschland von überragender Bedeutung sind,
spielt es keine Rolle, wie diese Erkenntnisse entstanden
sind. Vielfach weiß man das auch nicht. Sie sind dann
nicht gerichtsverwertbar, völlig klar. Kein deutsches Gericht würde solche Informationen verwerten. Aber wenn
es in Deutschland Informationen gibt - möglicherweise
auch, ohne deutsche Beteiligung, auf schändlichem
Wege gewonnene -, dann muss man sie zur Kenntnis
nehmen.
({1})
Alles andere wäre völlig unverantwortlich, Frau
Leutheusser-Schnarrenberger.
({2})
Ich will Ihnen deutlich sagen - möglicherweise ist das
ein Dissens zwischen Ihnen und mir; ich habe über diesen Punkt häufiger auch mit Kollegen debattiert -: Bei
der Gefahrenabwehr in Deutschland wird, wenn es um
Leib und Leben geht, jede Information auf den Tischen
der deutschen Sicherheitsbehörden, die plausibel ist, natürlich verwertet. Wir sollten ehrlicherweise zugeben,
dass darunter auch die eine oder andere Information sein
kann, von der wir nicht wissen, wie sie entstanden ist.
Das ist nun einmal so in dieser Welt. Die deutschen
Behörden haben die Pflicht, Informationen, die sie bekommen haben, aus welchen Quellen auch immer, zu
analysieren und im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu verwerten. Anderes wäre unehrlich. Insoweit gibt es möglicherweise zwischen Ihnen
und mir einen Dissens.
({3})
Da gerade dieser Disput sicher nicht nur für die Kolleginnen und Kollegen, sondern auch für die anwesenden Zuschauer sehr informativ war, habe ich das in einem Zeitrahmen zugelassen, der, woran ich erinnern
möchte, über die Regelungen hinausgeht, die wir in der
Präsident Dr. Norbert Lammert
Geschäftsordnung für Kurzinterventionen und Erwiderungen vorgesehen haben.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält der Kollege Clemens Binninger für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Lange haben wir in Deutschland geglaubt, wir seien nur Rückzugs- oder Ruheraum für Terroristen. Seit den gescheiterten Kofferbombenanschlägen und den entdeckten Planungen für den Anschlag auf
dem Frankfurter Flughafen wissen wir, dass Deutschland
auch Zielgebiet für den Terrorismus ist. Die Bedrohung
ist unmittelbar und real. Wir müssen dagegen etwas unternehmen. Die große Koalition unternimmt mit dem
Sicherheitspaket, das wir heute verabschieden, etwas
und gibt die richtige Antwort. Deshalb ist das ein guter
Tag für die Sicherheit in unserem Lande.
({0})
Wir sind der Bedrohung nicht hilflos ausgeliefert.
Terroristen und ihre Helfer müssen sich im öffentlichen
Raum bewegen, sie müssen telefonieren, sie kommunizieren im Internet, sie tätigen finanzielle Transaktionen;
sie hinterlassen also Spuren. Deshalb ist es umso wichtiger, dass unsere Nachrichtendienste Instrumente und
Befugnisse - und zwar alle Nachrichtendienste die gleichen - erhalten, mit denen sie genau diese Spuren aufspüren können.
Deshalb werden wir heute im Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz den Nachrichtendiensten Befugnisse geben, dass sie bei Post, Bank, Luftfahrtunternehmen
und Telekommunikationsunternehmen Auskunftsrechte
bekommen. Sie können zukünftig online Halterfeststellungen vornehmen und der Zoll kann Geld nicht nur bei
Geldwäscheverdacht, sondern auch bei Terrorismusverdacht sicherstellen.
Wir werden den Personenkreis, auf den diese Instrumente angewandt werden können, auf eine Tätergruppe
erweitern, die man die dritte Generation nennt. Es sind
Täter, wie wir sie in Madrid und London hatten, der so
genannte Homegrown Terrorism. Das ist eine notwendige Änderung, mit der wir der Bedrohungslage die richtige Antwort entgegensetzen. Deshalb sind diese Gesetze so wichtig und notwendig und deshalb ist es gut,
dass wir sie heute beschließen.
({1})
Wir schließen aber auch - daran will ich erinnern eine Sicherheitslücke, die uns die Grünen beim Luftsicherheitsgesetz eingebrockt haben. Sie haben damals
ihrem Koalitionspartner eine maßvolle Verfassungsänderung verweigert und mussten dann aus dem Luftsicherheitsgesetz so viel streichen und es so zurechtmurksen, muss man sagen, dass es nicht mehr
zustimmungspflichtig war.
In dem Luftsicherheitsgesetz gibt es einen Passus, in
dem beispielsweise die Überprüfung von Personen an
Flughäfen geregelt wird. Eigentlich war eine Nachberichtspflicht für alle Sicherheitsbehörden der Länder und
des Bundes vorgesehen. Sie haben nun Folgendes gemacht: Sie haben die Nachberichtspflicht für die Länder
gestrichen. Sie haben auch verhindert, dass die Landesämter für Verfassungsschutz die Erkenntnisse über überprüfte Personen in einer gemeinsamen Datei speichern
dürfen. Damit haben Sie der Sicherheit an deutschen
Flughäfen einen Bärendienst erwiesen. Was Sie im Rahmen der rot-grünen Sicherheitspolitik gemacht haben,
war grüner Murks und unverantwortlich.
({2})
Wir schließen diese Lücke und tragen damit wieder in
einem sehr hohen Maß zur Sicherheit an deutschen Flughäfen bei.
({3})
- Sie haben diese Lücke ganz allein verursacht und müssen aushalten, dass man Ihnen das heute vorhält. Sie haben aus rein ideologischen Motiven gehandelt und haben
die Sicherheit an deutschen Flughäfen diesen Motiven
zum Teil geopfert. Es ist gut, dass wir diese Lücke heute
schließen.
({4})
Wir geben unseren Nachrichtendiensten, aber auch
der Polizei Instrumente an die Hand, um Informationen
zu gewinnen. Die Sicherheitsbehörden brauchen aber
auch ein Instrument, mit dem sie diese Informationen
zusammenführen können. Es gibt eine föderale Sicherheitsarchitektur: 38 Sicherheitsbehörden befassen sich
mit dem Terrorismus. Wir brauchen deshalb, wie gesagt,
ein Instrument, mit dem die Informationen über den Terrorismus zielgenau, sehr schnell und präzise zusammengeführt werden können: die Antiterrordatei. Ich bin
überzeugt, dass diese Datei ein Quantensprung sein
wird, was die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Nachrichtendiensten angeht.
Ich will das an einem konkreten Beispiel aus der
Sachverständigenanhörung deutlich machen. BKA-Präsident Ziercke hat auf meine Frage, wie lange eine Antwort auf eine LKA-Anfrage dauert, ob irgendein Nachrichtendienst in Deutschland irgendwelche Erkenntnisse
über eine terrorverdächtige Person hat, geantwortet: Das
kann schon einmal Tage, vielleicht sogar Wochen dauern. - Tage oder Wochen! Wir reden hier aber über Terrorismusbekämpfung. Mit der Antiterrordatei wird es
keine Tage oder Wochen, sondern nur noch wenige Sekunden dauern, bis ein LKA weiß, ob Erkenntnisse vorliegen. Das ist nicht nur ein großer Gewinn für die Sicherheit der Menschen in diesem Lande, sondern auch
ein großer Gewinn für die Zusammenarbeit der
38 Sicherheitsbehörden. Diese Zusammenarbeit ist unverzichtbar. Deshalb ist es richtig, dass wir heute die Antiterrordatei beschließen.
({5})
Die Antiterrordatei ist quasi das elektronisch gebündelte Wissen von 38 - so könnte man sagen - Spezialeinheiten. Sie ist keine neue Datenerhebung, sondern
die praxisgerechte Verwendung bereits erhobener Daten.
Sie bedeutet keine Missachtung des Trennungsgebotes,
sondern eine sinnvolle Zusammenführung von Wissen,
das bei den Nachrichtendiensten und bei der Polizei vorliegt. Die Antiterrordatei verhindert eine tagelange oder
wochenlange Warteschleife. Sie gibt dringend benötigte
Antworten und wichtige Informationen in Sekundenschnelle.
Ich will auf einen Kritikpunkt, der vorhin genannt
wurde, eingehen. Auf den Vorwurf der FDP, wir würden
mit dieser Antiterrordatei die internationale Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden gefährden, muss
ich sagen: Ganz im Gegenteil! Wenn jemand in den letzten Wochen und Monaten die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden sehr gefährdet hat, indem er ihre Arbeit in der
Öffentlichkeit sezieren wollte, dann waren es Sie im
BND-Untersuchungsausschuss. Das müssen Sie sich
vorhalten lassen.
({6})
Um die Empörung etwas abzukürzen, will ich sagen:
Ich bin sehr dafür, dass Missstände aufgeklärt werden
und dass man Fehlern nachgeht. Aber Sie müssen schon
zugeben, dass nach der mehrmonatigen Arbeit des Ausschusses nichts Wesentliches herausgekommen ist. Sie
stören sich auch an der Tatsache, dass der Ausschuss
häufig geheim tagt. Er tut dies aus guten Gründen; denn
die Information über die Arbeit der Sicherheitsbehörden
und der Nachrichtendienste muss geheim sein, ansonsten
wären es keine Nachrichtendienste mehr. Ihre Kritik, wir
würden die internationale Zusammenarbeit gefährden,
ist daher fehl am Platze.
({7})
Die große Koalition schafft etwas, an dem sich RotGrün, aber auch andere Innenpolitiker in den letzten fünf
Jahren vergeblich versucht haben: Wir werden heute
eine Antiterrordatei beschließen. Deshalb ist der heutige
Tag nicht nur ein guter Tag für die Sicherheit in unserem
Land; er ist auch ein besonderer Tag für die Innenpolitiker - für Bundesinnenminister Schäuble, für die Landesinnenminister und vor allen Dingen für die Innenpolitiker der großen Koalition -, die dieses Gesetz erarbeitet
haben.
Herzlichen Dank.
({8})
Nun erhält für eine letzte Kurzintervention der Kollege Ströbele das Wort.
Herr Kollege, Sie haben versucht, den Grünen etwas
zuzuschieben, was den Grünen nicht zugeschoben werden darf.
Erstens. Die an dem zunächst vorgelegten Entwurf eines Luftsicherheitsgesetzes vorgenommenen Änderungen sind seinerzeit nicht etwa von den Grünen gefordert
worden. Das war kein Vorschlag der Grünen, keine Gesetzesänderung der Grünen, sondern eine des damaligen
Bundesinnenministeriums,
({0})
dem die Grünen bekanntlich nicht vorstanden.
Zweitens. Der Grund für diese Änderungen war nicht,
dass die Grünen oder die Koalition das so wollten; wir
hätten diese Änderungen gerne unterlassen. Der Grund
war, dass die Länder, vor allem die von der Union dominierten Länderregierungen, klar erklärt haben, dass sie
die vorgesehene Evaluierung und Mitteilungspflicht
nicht unterstützen. Das heißt, wir haben, damit das Gesetz nicht insgesamt infrage gestellt wurde, lediglich
darauf Rücksicht genommen, was die Länder damals gefordert haben. Wenn irgendwo eine Schuld bestand,
dann lag diese bei den von der Union dominierten Ländern.
({1})
Drittens. Auch nach Wegfall der Bestimmungen, die
ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehen waren, war
es keineswegs so, dass die Länderverfassungsschutzämter oder andere Länderbehörden daran gehindert wurden, den Bundesbehörden ihre Informationen über die
Sicherheit an Flughäfen mitzuteilen und sie zu evaluieren. Sie sind nach den Ländergesetzen auch ohne dieses
Gesetz dazu verpflichtet, alle Informationen, die etwas
über eine Gefährdung der Sicherheitslage bzw. eine Gefahr für die Bevölkerung aussagen, weiterzugeben.
Viertens. Sie verschweigen, dass das Beispiel, das Sie
immer wieder nennen, der Vorfall auf dem Frankfurter
Flughafen, nicht realistisch ist. Denn es lag Gott sei
Dank keine konkrete Gefährdung vor. Das ergibt sich
schon daraus, dass von den zunächst Festgenommenen
alle bis auf einen inzwischen aus der Haft entlassen worden sind. Der eine ist nicht etwa wegen dieses Vorwurfs
in Haft geblieben, sondern deswegen, weil er eine alte
Strafe wegen einer ganz anderen Angelegenheit zu verbüßen hat.
Das heißt, aus vier Gründen ist das, was Sie gesagt
haben, völlig daneben gewesen.
({2})
Möchten Sie noch erwidern? - Bitte schön, Herr Kollege Binninger.
Herr Präsident, vielen Dank, dass Sie mir diese Gelegenheit geben.
Herr Kollege Ströbele, ich will festhalten, dass Sie
mit an der Regierung waren. - Das ist Fakt eins.
({0})
Fakt zwei. Sie haben das Gesetz hier beschlossen und
tragen insofern auch die Verantwortung. Zwischen der
ersten und der zweiten bzw. dritten Lesung wurden in
dem Entwurf eines Luftsicherheitsgesetzes Streichungen
vorgenommen, die hinterher zu einer Sicherheitslücke
geführt haben. Sie haben mit zugestimmt. Sie haben dieses Gesetz im Parlament verteidigt. Daher tragen Sie die
Verantwortung.
Fakt drei. Sie erzeugen immer den Eindruck, als ob
verhinderte Anschläge nur eine Lappalie seien; Sie haben das gerade wieder versucht. Dazu muss ich an die
Adresse der Grünen, falls Sie das immer noch nicht begriffen haben, sagen: Die Menschen in diesem Land
haben keine Angst vor Datenbanken der Sicherheitsbehörden; sie haben keine Angst vor Videokameras der Sicherheitsbehörden. Sie haben vielmehr Angst vor Anschlägen. Wir tun etwas, um Anschläge zu verhindern,
und Sie nicht.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehör-
den und Nachrichtendiensten des Bundes und der Län-
der. Hierbei handelt es sich um die Drucksachen 16/2950
und 16/3292. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3642,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in die-
ser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -
Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koali-
tion gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen in
zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist
der Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheiten, mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi-
tion, angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Innenausschuss erstens, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 16/2921 zur Ergänzung
des Terrorismusbekämpfungsgesetzes in der Ausschuss-
fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Dann ist auch dies mit gleichen Mehrheiten in
zweiter Beratung so beschlossen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -
Auch dieser Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehr-
heiten angenommen.
Tagesordnungspunkt 26 b. Wir setzen die Abstim-
mung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschus-
ses auf Drucksache 16/3642 fort.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss zweitens, eine Entschließung anzuneh-
men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Be-
schlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/2624 mit dem Titel „Er-
haltung des Trennungsgebots - keine Errichtung ge-
meinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrich-
tendiensten des Bundes und der Länder“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Dann ist diese Beschlussempfehlung
mit breiter Mehrheit gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/2071 mit dem Titel „Schaffung einer gesetzli-
chen Grundlage für die Anti-Terror-Dateien unter Beibe-
haltung der Trennung von Polizei und Nachrichtendiens-
ten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Be-
schlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/2671 mit dem Titel „Evaluierung
des Terrorismusbekämpfungsgesetzes präziser gestalten“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die
Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Unter Nr. 6 seiner Beschlussempfehlung wird die Ab-
lehnung des Antrages der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/2072 mit dem Titel
„Bessere Evaluierung der Anti-Terror-Gesetze“ empfoh-
len. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die
Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Abschließend empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 7
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antra-
ges der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/2081 mit dem Titel „Anti-Terror-Gesetze -
Zeitliche Befristung beibehalten und Rechtsschutz der
Betroffenen verbessern“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich der Stimme? - Damit ist die Beschlussempfeh-
lung mit breiter Mehrheit gegen die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis e auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU, der Abgeordneten Christel RiemannHanewinckel, Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Sascha
Raabe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD, der Abgeordneten Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Daniel Bahr ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie
der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe,
Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Welt-Aids-Tag 1. Dezember 2006 - Die besondere Verantwortung für Entwicklungsländer
unterstreichen
- Drucksache 16/3610 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens
Spahn, Annette Widmann-Mauz, Peter Albach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Peter
Friedrich, Elke Ferner, Dr. Carola Reimann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Maßnahmen zur Bekämpfung von HIV/Aids
in Deutschland
- Drucksache 16/3615 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl
Addicks, Hellmut Königshaus, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Missfallen an der südafrikanischen Aids-Politik betonen und weitere deutsche Entwicklungszusammenarbeit an Bedingungen knüpfen
- Drucksache 16/3097 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({4}), Birgitt Bender, Irmingard ScheweGerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Gemeinsam gegen Aids - Verantwortung und
Solidarität stärken
- Drucksache 16/3616 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({5})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({6})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl
Addicks, Hellmut Königshaus, Dr. Werner
Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Den Südsudan beim Wiederaufbau unterstützen und vor AIDS bewahren
- Drucksachen 16/586, 16/2364 Berichterstattung:
Abgeordnete Hartwig Fischer ({7})
Gabriele Groneberg
Hüseyin-Kenan Aydin
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Vorab möchte ich eine kleine Regieanweisung geben:
Mit Blick auf das vereinbarte Ende der heutigen Plenardebatte bitte ich darum, von nicht dringend erforderlichen Zwischenfragen und Kurzinterventionen abzusehen, weil die vereinbarte Gesamtdebattenzeit sonst
schwer einzuhalten ist.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg für die SPD-Fraktion.
({8})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben auf dieser Welt seit 25 Jahren ein neues Problem.
Heute denken wir daran besonders; denn heute ist Weltaidstag. Vor 25 Jahren begann alles sehr langsam und
keiner konnte so richtig ahnen, dass die Aidserkrankung,
die HIV-Infektion und ihre Folgen, heute eine der
häufigsten Todesursachen auf einigen Kontinenten unseres Globusses ist. In Afrika sterben die meisten 15- bis
50-Jährigen an Aids. Wir haben in der Zwischenzeit viel
darüber diskutiert. Wir haben viel unternommen. Es gibt
weltweit viele Anstrengungen, dieser Seuche Herr zu
werden.
Aber Aids hat viele Gesichter. Dem müssen wir Rechnung tragen. Die Koalition hat deshalb zwei Anträge zu
Aids eingereicht. Wir haben uns darüber unterhalten, ob
das denn der richtige Weg ist, ob wir uns nicht auf einen
einzigen Antrag einigen können. Wir haben dann beschlossen: Nein, das entspricht dem Problem. Aids hat
eben zwei Gesichter. Diese sind unterschiedlich, zum
Beispiel in Deutschland und in Afrika.
Während sich in Deutschland überwiegend Männer
infizieren - sie werden zum Glück bei uns behandelt,
trotzdem sterben noch viele; 600 waren es im letzten
Jahr -, so sind es in Afrika überwiegend Frauen, die Opfer von HIV/Aids werden und leider viel zu selten behandelt werden können. Sie sterben in großer Zahl. Täglich sind es weltweit 8 000 Menschen, die durch Aids
den Tod finden, die allermeisten in Afrika. Eine Trendwende ist hier nicht zu erkennen. Während in Deutschland Aids überwiegend ein männliches Gesicht hat und
mit Sexindustrie und Lifestyleelementen verknüpft ist,
während in Deutschland jeder, der Behandlung benötigt,
behandelt wird, so geht Aids in Afrika mit Armut, Ahnungslosigkeit, Gewalt gegen Frauen, Hilflosigkeit und
fehlendem Zugang zu Therapie einher. Sie bestimmen
dort das Gesicht dieser Seuche.
Deshalb muss auch das, was wir dagegen unternehmen wollen, in Deutschland und in Afrika verschieden
sein. Wir müssen völlig unterschiedliche Strategien entwickeln. Das spiegelt sich eben in den beiden vorliegenden Anträgen wider. In Deutschland sahen wir bisher
über viele Jahre eine etwa gleich hohe Infektionsrate. Jedes Jahr infizierten sich etwa 2 000 Menschen. Im letzten Jahr und auch im ersten Halbjahr dieses Jahres waren
es etwa 13 Prozent mehr. Das heißt, es gibt erstmals wieder eine Zunahme der HIV-Infektionen. Es wird mit
Sicherheit auch zu einer Zunahme der Zahl der Aidserkrankten kommen. Wir werden uns auch in Deutschland im Kampf gegen Aids mehr anstrengen müssen.
Ich bin froh, dass diesen Erfordernissen auch im
Haushalt 2007 entsprochen wurde. Der Haushalt des Gesundheitsministeriums wurde um 3 Millionen Euro aufgestockt. Nachdem er viele Jahre entsprechend der Neuinfektionsrate bei 9,2 Millionen Euro lag, wurden jetzt
13,2 Millionen Euro eingestellt. Ich denke, das ist notwendig. Wir müssen sehr gezielt, zum Beispiel in Gefängnissen und dort, wo Sex gewerblich angeboten wird,
wo man sich trifft und Lifestylesex gedankenlos betrieben wird, mehr für Prävention tun. Wir müssen hier aufklären und auch in Deutschland wieder aktiver werden.
({0})
Weltweit ergibt sich jedoch eine völlig andere Perspektive. Denn Aids ist in Bezug auf Entwicklungsländer ein Querschnittsthema. Aids kann nicht nur als
medizinisches Problem, als Problem der einfachen medizinischen Prävention, gesehen werden. Es ist bekannt,
dass viele Menschen in Entwicklungsländern nicht lesen
können, ahnungslos sind und gar keine Chance haben, zu
erfahren, wie sie sich anstecken könnten oder wie sie
sich schützen sollten. Dort ist es so, dass Menschen verhungern und es sich nicht leisten könnten, Präservative
zu kaufen, weil sie vielmehr versuchen, von zum Teil
weniger als 1 Euro pro Tag eine ganze Familie zu ernähren. Das sind völlig andere Verhältnisse als bei uns.
Ich glaube, dass es gut ist, dass wir dieses Thema, die
weltweite Ausbreitung der Seuche, international angehen. Deutschland kann einen Beitrag leisten. Aber unser
Beitrag wird dann besser, wenn wir kooperieren, koordinieren und mit anderen Ländern gemeinsam diese Aufgabe in Angriff nehmen. Wir werden eine wichtige Rolle
spielen. Wir werden innerhalb der EU Koordinierungsarbeit zu leisten haben. Wir werden auch innerhalb der
G-8-Staaten Verantwortung übernehmen müssen.
Das sollte allerdings auch darin zum Ausdruck kommen, dass wir auf internationaler Ebene mehr Geld investieren. Ich bin froh, Ihnen mitteilen zu können - das
ist einen Rückblick wert -, dass Deutschland seine Ausgaben zur Bekämpfung von HIV/Aids von 30 Millionen Euro im Jahre 1998 auf gegenwärtig immerhin
400 Millionen Euro erhöht hat.
Diese Ausgaben setzen sich wie folgt zusammen: Wir
zahlen in den Global Fund ein und stützen ihn darüber
hinaus durch Schuldenumwandlungen. Das macht insgesamt 137 Millionen Euro aus. In bilaterale und multilaterale Projekte investieren wir weitere 263 Millionen
Euro. Dabei handelt es sich um Projekte, die neben dem
Global Fund existieren, um Projekte der Weltbank und
um andere multilaterale Projekte.
Gott sei Dank gibt es inzwischen weltweit auch sehr
wichtige und potente private Spender. So leisten zum
Beispiel die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung und die
Clinton-Stiftung sehr segensreiche Beiträge nicht nur zur
Bekämpfung von Aids, sondern auch zur Bekämpfung
anderer Seuchen wie Malaria und Tuberkulose und
weiterer Erkrankungen, die in den Entwicklungsländern
ebenfalls viele Todesopfer fordern.
Es wäre gut, wenn auch die deutsche Industrie, die
nicht gerade schwach ist und von der weltweiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit lebt, mehr tun würde. Wir
sagen, dass wir Exportweltmeister sind, und klopfen uns
auf die Schulter. Aber angesichts der international bedeutenden Rolle Deutschlands muss man darauf aufmerksam machen, dass wir auch eine große Verantwortung tragen.
Leider muss ich zugeben: Ich schäme mich ein bisschen, dass wir es nicht geschafft haben, die Entwicklungsländer mit der Quote zu unterstützen, die wir uns
vorgenommen hatten. Dieses Gefühl habe ich auch deshalb, weil ich in der Nähe Skandinaviens wohne und mit
Neid zur Kenntnis nehmen muss, wie viel mehr man in
diesen Staaten für die Entwicklungsländer tut; das gilt
erst recht, wenn man die finanziellen Möglichkeiten dieser Länder mit unseren vergleicht. Wir dürfen also nicht
locker lassen. Unser Kurs stimmt. Wir haben in diesem
Jahr mehr als bisher getan und uns für die Entwicklungsländer eingesetzt. Aber es gibt noch sehr viel mehr zu
tun.
({1})
Wenn ein Mensch an einer Immunschwächekrankheit
leidet, versucht sein Körper vergeblich, etwas abzuwehren, was für ihn gefährlich werden könnte. Wenn diese
Schädigung stärker wird, stirbt er daran. Auch unser
Globus leidet an neuen Krankheiten wie Marktdominanz, Desintegration und anderen Globalisierungsfolgen. Diese Krankheiten müssen wir abwehren. Dafür
müssen wir zunächst ihre Ursachen erkennen. Wir müssen erkennen, dass dadurch auch die Erforschung und
die Entwicklung neuer Medikamente eine Rolle spielen.
Wir müssen sehr schnell sehr viel leisten. Wenn wir es
nicht schaffen, die Prozesse zur Abwehr dieser Seuche
zu organisieren, dann wird dieses Problem bald so groß
sein, dass es unbeherrschbar wird.
Die Vereinten Nationen haben sich vorgenommen, bis
zum Jahr 2015 eine weltweite Wende herbeizuführen.
Dabei müssen wir helfen. Angesichts des Engagements,
das alle UN-Mitgliedstaaten in New York, Toronto und
Genf zum Ausdruck gebracht haben, bin ich zuversichtlich, dass wir HIV/Aids besiegen können.
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegen Karl Addicks, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir behandeln heute, am Weltaidstag, verschiedene Anträge, die sich mit der Bekämpfung von Aids befassen. Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist, einen interfraktionellen Antrag zustande zu bringen. Das
ist für mich über die Parteigrenzen hinweg ein wichtiges
Zeichen der Verbundenheit im Kampf gegen Aids.
({0})
Zwar sind in Deutschland und in Westeuropa insgesamt Erfolge zu verzeichnen. Aber leider scheinen diese
Erfolge bei einigen zu Sorglosigkeit zu führen. Die Zahl
der Neuinfektionen ist deutlich gestiegen. Deshalb
möchte ich an dieser Stelle alle auffordern, wieder mehr
auf ihren Schutz zu achten.
({1})
In Osteuropa breitet sich das Virus rasant aus, ganz
zu schweigen vom afrikanischen Kontinent, auf dem
Aids inzwischen die Gestalt einer wahren Pest angenommen hat. Weltweit gibt es 40 Millionen Infizierte, davon
fast 25 Millionen in Afrika. In diesem Jahr starben daran 3 Millionen Menschen. Seit der Entdeckung von
Aids vor 25 Jahren gab es insgesamt bereits fast 25 Millionen Tote.
Das sollte uns deutlich vor Augen führen, dass unsere
bisherigen Anstrengungen im Kampf gegen Aids nicht
ausreichen. Wir müssen noch mehr tun. Frau Ministerin,
mit den bescheidenen Mitteln, die in Ihrem Haushalt für
die Bekämpfung von Aids im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt werden,
können wir nicht zufrieden sein.
({2})
In drei der acht MDGs geht es um Gesundheit. Aber wir
geben gerade einmal 8 Prozent des Etats des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung für gesundheitsbezogene Ziele aus. Auch
im entwicklungspolitischen Teil der Koalitionsvereinbarung kommen diese Ziele ganz klar zu kurz; deutlicher
will ich jetzt nicht werden. Doch eines ist klar: Das kann
nicht so bleiben, vor allen Dingen weil immer noch erst
ein sehr kleiner Teil der Infizierten, insbesondere in
Afrika, mit den überlebenswichtigen antiretroviralen
Medikamenten behandelt wird.
Eine Heilung von Aids ist leider noch lange nicht
möglich. An Impfstoffen wird geforscht; aber auch hier
ist eine Intensivierung notwendig. In einigen Ländern
Afrikas ist durch Aids die Lebenserwartung stark gefallen, zum Beispiel in Namibia von früher einmal 65 Jahre
auf heute 40 Jahre. Das ist eine der drastischsten Zahlen.
Die Feminisierung von Aids nimmt zu. Die Zahl der
Aidswaisen in Afrika ist Legion. Wir hätten gerade vor
der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands und der G-8Präsidentschaft Deutschlands ein deutliches Zeichen setzen können. Neben mehr Geld wäre auch ein effizienterer Einsatz der knappen Mittel sehr wichtig.
An dieser Stelle möchte ich zu unserem Antrag zur
südafrikanischen Aidspolitik kommen. Wir geben den
Südafrikanern im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit jedes Jahr 19 Millionen Euro für die Bekämpfung
von Aids. Doch wir müssen hören, dass in Südafrika
75 Prozent der 15- bis 24-Jährigen nicht wissen, wie sie
sich vor Aids schützen sollen. Ein Minister sagt öffentlich, dass er sich durch Duschen nach dem Sex schützt.
Statt eine umfassende Kampagne in den Medien zur
Aufklärung über Aids zu machen, hat die südafrikanische Regierung zugelassen, dass die antiretrovirale Therapie diffamiert wird und dass den Leuten weisgemacht
wird, mit Vitaminen und Mineralstoffen könne man sich
vor Aids schützen.
({3})
- Ja! - Und so etwas finanzieren wir indirekt im Rahmen
unserer finanziellen Zusammenarbeit!
({4})
Ich sage das hier und heute, weil die Bundesregierung
unser Missfallen an der südafrikanischen Aidspolitik
bisher nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht hat.
Deshalb sollten Sie unserem Antrag zustimmen. Ich
denke, wir müssen hier Klartext reden: Das kann so
nicht bleiben, bei aller Liebe!
({5})
Bitte, Herr Kollege Wodarg.
Ich darf noch einmal daran erinnern: Ursprünglich
war im Interesse des Grünen-Parteitages vereinbart, bis
13 Uhr mit der Tagesordnung zu Ende zu sein. Wir werden jetzt etwa bei 14.30 Uhr liegen. Es wird durch Zwischenfragen, Kurzinterventionen und Redezeitüberschreitungen deutlich verlängert.
Ich erteile dem Kollegen Wodarg das Wort zu einer
Zwischenfrage.
({0})
Herr Kollege Addicks, in Ihrem Antrag fordern Sie,
dass wir keine Unterstützung gewähren sollten, wenn die
südafrikanische Regierung nichts gegen die Kampagne
von Herrn Rath unternimmt. Meinen Sie nicht, dass es
falsch ist, die Leidenden, die jetzt noch von dem profitieren, was wir tun, zu Geiseln zu machen, auch wenn Sie
in der Sache Recht haben?
Sie haben unsere volle Unterstützung, wenn es darum
geht, diesen Herrn Rath zu verurteilen, der in Südafrika
sein Unwesen treibt und behauptet, er habe die allein
mögliche Lösung gefunden, und der einfach alles missachtet, was in der Wissenschaft Konsens ist.
Wir haben Flugblätter bekommen, auf denen die FDP
und auch Sie zum Ziel von Angriffen geworden sind, auf
denen Sie persönlich diffamiert und bedroht worden
sind. Auch deshalb habe ich mich zu Wort gemeldet: Wir
nehmen Sie in Schutz; ich drücke Ihnen ausdrücklich
meine Solidarität aus. Ich finde es wichtig, dass wir hier
als Haus zusammenstehen und nicht zulassen, dass
Wahrheit so verdreht wird. Wir dürfen nicht zulassen,
dass mit Diffamierungen versucht wird, notwendige
Hilfe zu verhindern.
({0})
Danke, Herr Kollege Wodarg, dass Sie darauf hinweisen und mich in Schutz nehmen. Selbstverständlich ist
dieser unser Antrag nicht gegen die Betroffenen in Südafrika gerichtet. Wir wollen mit diesem Antrag nur erreichen, dass die Bundesregierung ihr Missfallen an dieser
Politik öffentlich deutlich kundtut.
({0})
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal dazu aufrufen, dass alle ihre Verantwortung im Kampf gegen Aids
übernehmen - auch die kirchlichen, die religiösen Autoritäten. Ich begrüße die Überlegungen des Vatikans zur
Verwendung von Kondomen. Ich fände es wirklich
gut, wenn man Kondome zum Schutz gegen Aids endlich freigeben würde. Ich frage mich manchmal: Wo leben wir eigentlich? Das hätte schon lange passieren müssen!
({1})
Ich denke, dass die Tabuisierung und die Marginalisierung von Aidsinfizierten endlich aufhören müssen;
denn ansonsten werden wir der Seuche nicht Herr. Aids
wird nun einmal in erster Linie durch menschliche
Sexualität und erst in zweiter Linie durch Körperflüssigkeiten übertragen. - So steht es leider in dem gemeinsamen Antrag. Das ist genau die Sprache der Tabuisierung,
die wir nicht sprechen sollten.
Ich schließe heute mit einem Wort des Dankes an all
diejenigen, die bisher ihr Scherflein zum Kampf gegen
Aids beigetragen haben. Besonders möchte ich auch allen danken, die in den NGOs diesen Kampf gegen Aids
führen. Ihnen gelten unser Dank und unsere Unterstützung.
Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Ich erteile Kollegin Sibylle Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Aids ist keine Krankheit nur in den Entwicklungsländern. Aber keine anderen Länder leiden so unter Aids
wie die Entwicklungsländer. Besonders betroffen ist der
afrikanische Kontinent.
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf folgende dramatische Entwicklung lenken:
Waren vor zehn Jahren nur 12 Prozent aller Infizierten
weltweit Frauen, so sind es heute fast 50 Prozent. In
Subsahara-Afrika sind es sogar 60 Prozent. Mehr als
30 Prozent aller Schwangeren im südlichen Afrika sind
mit HIV infiziert. Weltweit werden pro Jahr 2 Millionen
HIV-positive Frauen schwanger. In den Entwicklungsländern hat eine schleichende Feminisierung stattgefunden. Aids hat ein weibliches Gesicht bekommen.
Einer der Gründe für diese schlimme Entwicklung
liegt meiner Meinung nach vor allem in der Tatsache begründet, das HIV/Aids auch mit der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichbehandlung von Frauen zu tun
hat; denn HIV/Aids ist mehr als nur ein medizinisches
Problem. Diese Krankheit umfasst gesellschaftliche,
politische und kulturelle Dimensionen. Sie hat etwas mit
althergebrachten Strukturen und mit sexueller Gewalt zu
tun.
Ein wichtiges Potenzial der HIV/Aids-Bekämpfung
wird nicht ausreichend genutzt. Ich denke an den Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit. Dieser Begriff umfasst weit mehr als nur die reine Familienplanung. Die sexuelle und reproduktive Gesundheit
betrifft alle Aspekte des uneingeschränkten körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens in Bezug
auf Sexualität und Fortpflanzung. Der Gesundheit von
Frauen wird dabei besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
1994 fand in Kairo zu diesem Thema die Konferenz
über Bevölkerung und Entwicklung, ICPD, statt. In Anwesenheit der Vertreter von mehr als 170 Staaten und
über 3 000 Nichtregierungsorganisationen hat sich ein
Paradigmenwechsel in der Bevölkerungspolitik vollzogen. Es wurde ein Aktionsprogramm verabschiedet, mit
dem neue Richtlinien für die internationale Bevölkerungspolitik festgelegt wurden, die auch für den Kampf
gegen Aids enorm wichtig sind.
Bis zum Jahre 2015 soll dadurch allen Menschen der
Zugang zur Aufklärung und Familienplanung, zur Gesundheitsversorgung rund um Schwangerschaft und Geburt sowie zum Schutz vor HIV/Aids ermöglicht werden; denn das zentrale Problem war zu jener Zeit und ist
es auch heute noch, dass in vielen Entwicklungsländern Frauen kein selbstbestimmtes Leben führen können: Sie können nicht frei entscheiden, ob sie schwanger
werden, sie können nicht entscheiden, wie oft sie
schwanger werden, sie haben keinen Zugang zu Verhütungsmitteln und sie haben keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Das zu ändern, ist eine unserer wichtigsten
Aufgaben. Wenn wir dies nicht schaffen, können wir
auch den Kampf gegen HIV/Aids in den Entwicklungsländern niemals gewinnen.
({0})
Es gibt einen engen wechselseitigen Zusammenhang
zwischen Gesundheit und Entwicklung in den armen
Regionen dieser Welt: Ohne Gesundheit keine Entwicklung, ohne Entwicklung keine Gesundheit. Die reproduktive Gesundheit ist ein wesentlicher Teil der Gesundheit.
Auch mit den Millenniumszielen wurde der sexuellen und reproduktiven Gesundheit eine zentrale Bedeutung eingeräumt. Drei der acht Millenniumsziele betreffen direkt die reproduktive Gesundheit: Ziel 4 sieht die
Senkung der Kindersterblichkeit vor, Ziel 5 die Senkung
der Müttersterblichkeit und Ziel 6 die Bekämpfung von
HIV/Aids.
Zu Recht werden für die Eindämmung der schrecklichen Entwicklung von HIV/Aids enorme Anstrengungen
unternommen. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass wir
dadurch Vorhaben bei der reproduktiven Gesundheit vernachlässigen. Diese beiden Bereiche schließen sich nicht
aus. Im Gegenteil: Sie ergänzen sich nach dem Motto
„Das eine tun und das andere nicht lassen“.
Die eher technische Unterscheidung zwischen HIV/
Aids und reproduktiver Gesundheit wird mittlerweile
- wie ich finde, völlig zu Recht - regional und international stark kritisiert.
({1})
Denn in der Praxis ist diese Unterscheidung kaum möglich: Ist ein Kondom für die Verhütung von HIV oder für
die Verhütung einer Schwangerschaft gedacht? Ich
denke, für beides.
Die Programme der reproduktiven Gesundheit sind in
vielen Städten und Dörfern der Entwicklungsländer bereits lange etabliert, oft wesentlich länger als die Einrichtungen zur HIV-Bekämpfung. Sie haben in der Bevölkerung einen guten Ruf und werden akzeptiert. Ich
finde, wir sollten diese Programme nutzen.
Maßnahmen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Bekämpfung von HIV/Aids sind zwei Seiten einer Medaille.
({2})
Sogar die WHO betont mittlerweile, welche Bedeutung
die Vernetzung dieser Maßnahmen hat, um insbesondere
die Weiterverbreitung dieser fürchterlichen Krankheit zu
verhindern. Ich glaube, diese Aussage dürfen wir nicht
ignorieren.
HIV/Aids wird in den Entwicklungsländern zum
überwiegenden Teil durch heterosexuelle Kontakte übertragen. Die diesjährige Weltaidskonferenz in Toronto hat
erneut die enorme Bedeutung der HIV-Prävention belegt. Nur damit keine Missverständnisse aufkommen:
Ich bin sehr wohl für die Förderung von Behandlung. Ich
glaube, dass Prävention und Behandlung zusammengehören. Aber vor allem bei Aids gilt: Vorbeugen ist immer besser als Heilen.
({3})
Von ausschlaggebender Bedeutung ist, dass Frauen
selbstbestimmt über die Prävention entscheiden können.
Nur so sind sie nicht dem Willen ihres Partners ausgeliefert. Prävention darf nicht allein in den Händen der Männer liegen. In diesem Zusammenhang sind Femidome
von großer Bedeutung. Mikrobizide können von großer
Bedeutung werden. Beides kann selbstbestimmt und
ohne die Zustimmung des Mannes genutzt werden.
Die Marktreife von Mikrobiziden wird aber frühestens im Jahr 2010 erwartet. Es ist zu begrüßen, dass das
BMZ die Mikrobizidforschung unterstützt.
({4})
Kondome bleiben nach wie vor das wichtigste Verhütungsmittel. Leider stehen Männern zum Beispiel in
Afrika nicht genügend Kondome zur Verfügung: Pro
Jahr sind es nur sechs bis acht Kondome pro Mann. Wer
sich in Afrika auskennt, weiß, was das bedeutet.
({5})
Ermutigend ist hingegen, was aus dem Vatikan zu hören ist. Kollege Addicks hat schon darauf hingewiesen.
Ich denke, es ist wichtig, dass dort offensichtlich ebenfalls ein Umdenken begonnen hat. Die derzeit einzige
wirklich wirksame Vorbeugung gegen Aids ist das Wissen darüber, wie man sich vor Ansteckung schützen
kann. Wissen rettet Leben.
({6})
Sexualaufklärung umfasst immer auch Aidsaufklärung und ist ein wichtiger Teil der Prävention. Gerade
junge Leute - insbesondere junge Frauen - müssen deshalb über Aids aufgeklärt werden.
Ich fasse zusammen: Erstens. Gerade in Entwicklungsländern hat Aids ein weibliches Gesicht. Besonders
der Schutz von Mädchen und Frauen muss im Kampf gegen HIV/Aids eine noch größere Rolle spielen.
({7})
Zweitens. Wir müssen auf internationaler Ebene darauf bestehen, dass die Rechte der Frauen gestärkt werden. Wir leisten dort mithilfe unserer Entwicklungsministerin Unterstützung. Ich halte es für den richtigen
Weg, in den einzelnen Ländern die Frauen stärker in
Aidsbekämpfungsprogramme mit einzubinden.
Drittens. Der Zugang zu Mitteln der Familienplanung
und zu finanzierbaren Medikamenten muss verbessert
werden.
Viertens und letztens. Vor allem die Trennung von
HIV/Aids-Bekämpfung und sexueller und reproduktiver
Gesundheit ist nicht zu rechtfertigen. Beide gehören zusammen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch allen Berichterstattern im AwZ für die sehr konstruktive Zusammenarbeit sowie meinen Vorstandskollegen aus dem Parlamentarischen Beirat der Deutschen Stiftung
„Weltbevölkerung“ danken. Ich denke, wir haben vor allem bei diesem wichtigen Thema gezeigt, dass wir sehr
wohl in der Lage sind, gemeinsam anzupacken.
({8})
Bei der Erarbeitung des fraktionsübergreifenden Antrags haben wir festgestellt, wie wichtig einerseits und
wie umfassend andererseits dieses Thema ist und wie
wenig wir letztendlich auf den vielen Seiten unseres Antrags untergebracht haben.
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegin Monika Knoche, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Aids ist keine Schande. Aids ist auch keine Seuche. In Deutschland kann man das auf jeden Fall sagen.
Ich möchte an dieser Stelle einer Frau danken, der wir
im Zusammenhang mit einer aufgeklärten, sehr zivilisierten und kulturvollen Aidspolitik viel zu verdanken
haben. Es ist Ihre Kollegin Frau Dr. Rita Süssmuth, die
als Gesundheitsministerin sehr viel dazu beigetragen hat,
dass wir dieses aufgeklärte Verständnis haben.
({0})
Ich möchte Ihnen aber auch sagen, dass ich es in diesem
Zusammenhang überhaupt nicht nachvollziehen kann,
warum Sie in kleinkarierter Weise die Linke aus diesem
Diskurs heraushalten wollen und uns nicht zur Erarbeitung des gemeinsamen Antrages eingeladen haben.
({1})
Dass wir in Deutschland mit dieser Problematik sehr
gut zurechtkommen, führe ich maßgeblich auf das starke
zivilgesellschaftliche Engagement und insbesondere
auf das Engagement der homosexuellen Gruppen zurück, die viel dazu beigetragen haben, dass wir einen
sehr entwickelten Stand auch in der medizinischen Versorgung und Forschung haben. Auch unser Gesundheitswesen hat bislang viel dazu beigetragen, dass alle HIVInfizierten und Aidserkrankten die volle Sachleistung erhalten, dass wir also ein sehr hohes Versorgungsniveau
haben.
Obwohl dem so ist und wir wissen, dass einigen HIVInfizierten und Aidskranken, die spritzdrogenabhängig
sind, sehr gut geholfen werden könnte, wenn weiterhin
Heroinsubstitution betrieben würde - auch ein wichtiges
Thema, das wir heute nicht außen vor lassen sollten -,
({2})
bin ich der Auffassung, dass die Welt vor der Gefahr
steht, den Kampf gegen Aids zu verlieren. In Europa ist
das nicht so, genauso wenig in Nordamerika. In Lateinamerika sind viele wichtige Initiativen gestartet worden.
Aber insbesondere in Afrika besteht die Gefahr, dass
wir - ich sage bewusst „wir“, weil wir alle dafür Verantwortung tragen - den Kampf gegen Aids verlieren.
In diesen Tagen wird darüber gesprochen, dass sich
der G-8-Gipfel des Themas HIV/Aids annimmt. Ich
wünsche mir eher, dass in diesen Fragen die UN und insbesondere die UNAIDS gestärkt werden und mehr Verhandlungskompetenz bekommen und dass der Global
Fund von deutscher Seite sehr stark finanziell gefeatured
wird.
({3})
Das ist leider nicht der Fall. Wenn wir aber schon beim
G-8-Gipfel sind, möchte ich sagen: Dorthin gehört auch
die Frage, um die es im Hinblick auf Afrika zentral geht.
Es geht um das TRIPS-Abkommen, um die Verweigerung des Zugangs zu Medikamenten. Noch immer unterliegen über 70 Prozent der HIV-Medikamente und
Aidsmedikamente dem Patentschutz. Es ist den betroffenen Menschen und den Regierungen nahezu unmöglich,
unter diesen Kautelen eine adäquate und vor allen Dingen kostengünstige Aidsbehandlung durchzuführen.
Hier muss eine radikale Revision, ein Umdenken in der
Patentschutzpolitik stattfinden. Sonst kann das Problem Aids nicht bewältigt werden.
({4})
Natürlich muss auch der IWF genannt werden, wenn
wir schon die Welt ins Auge fassen; denn vieles, was die
betroffenen Staaten im Rahmen ihrer medizinischen Infrastruktur nicht leisten können, hat mit dem Staatszerfall und der Deregulierungspolitik zu tun. Ich habe insbesondere in einigen afrikanischen Ländern, die ich
besucht habe - ich nenne nur Namibia als Beispiel, für
das Deutschland eine besondere historische Verpflichtung hat -, gesehen, dass die NGOs, die oftmals die Einzigen sind, die Maßnahmen ergreifen können, häufig ein
Nebeneinander von Hilfsmaßnahmen pflegen und dass
eine konzertierte staatliche Gesundheitspolitik und
eine entsprechende Versorgungsinfrastruktur nicht möglich sind. Auch in dieser Hinsicht sollten die Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker stärker
darauf achten, wie die NGOs im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt werden können, damit
der staatlichen Gesundheitsversorgung die Priorität zukommt, die sie haben sollte.
({5})
Die vielen HIV/Aids-Waisen - dazu ist schon vieles
gesagt worden, was ich nicht zu wiederholen brauche zeigen, dass im Gegensatz zu Europa und Nordamerika,
wo die Krankheit im Wesentlichen homosexuelle Menschen und Spritzdrogenabhängige betrifft, in Afrika Aids
hauptsächlich bei Heterosexuellen auftritt. Das hängt
auch damit zusammen, dass die Stellung der Frau völlig
anders ist als bei uns. Viele Sexualpraktiken, die zur
Übertragung des Virus beitragen, sind in die Kultur integriert. Das darf bei der Aufklärung nicht tabuisiert werden. Die mitunter brutale männliche Sexualität im afrikanischen Raum muss zum Thema gemacht werden,
damit Präventionsstrategien überhaupt greifen können.
Wenn Frauen über sexuelle Praktiken nicht selbst entscheiden dürfen, dann ist es schlichtweg nicht möglich,
dass sie sich schützen.
({6})
Darauf muss bei der Aufklärung besonderer Wert gelegt werden. Sonst können Präventionsstrategien nicht
erfolgreich sein. Auch wenn wir den schwangeren
Frauen mit Medikamenten helfen können, die Übertragung des Virus während der Geburt zu vermeiden, so besteht immer noch das Problem, dass die Frauen nicht die
Kraft und nicht die gesellschaftliche Stellung haben, ihren Schutz beim Sexualverkehr durchzusetzen. Die Gefahr der Reinfektion besteht nach wie vor, weil die
Frauen keine sexuelle Autonomie haben. Diese Probleme sollten wir im Zusammenhang mit Afrika im
Auge behalten.
Eine tragische und üble Entwicklung findet in Osteuropa statt, insbesondere im Baltikum und in der
Ukraine. In Osteuropa gibt es einen regen männlichen
Sextourismus, der insbesondere von spritzdrogenabhängigen jungen Frauen profitiert. Diese werden Sexarbeiterinnen und sind Opfer des organisierten Menschenhandels. In diesem Milieu breitet sich HIV massiv aus.
Diesem Problem müssen wir Europäerinnen und Europäer uns stellen; denn das passiert nicht im fernen Russland oder hinter einem eisernen Vorhang, sondern direkt
hinter unseren Grenzen. Die gewissenlosen Praktiken
beim Sextourismus sind ursächlich für die Ausbreitung
der Infektionen in heterosexuellen Kreisen verantwortlich. Frauen, die sich nicht wehren können, sind hier die
Opfer.
({7})
Machen wir uns die Dramatik bewusst. Es werden immer mehr heterosexuelle Menschen mit dem HIV-Virus
infiziert. In Deutschland sind es vorwiegend junge
schwule Männer, die aufgrund der guten medizinischen
Versorgung schon vergessen haben, dass es sich bei Aids
um eine tödliche Erkrankung handelt. Wir haben noch
einiges zu tun. Ich möchte Ihnen sagen: Lassen Sie die
ideologischen Barrieren beiseite! Schließen Sie emanzipatorische linke Kräfte ein! Wir haben einen guten Draht
auch zu jungen Menschen.
({8})
Es ist gut, wenn wir alle im Hause zusammenstehen.
Lassen Sie uns das in Zukunft so handhaben.
Danke.
Ich erteile das Wort Kollegin Ute Koczy, Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Weltaidstag, ein Tag, an dem die Welt gemahnt ist, nicht nur innezuhalten, sondern auch zu handeln, gemeinsam zu handeln; denn Aids ist Gegenwart,
jederzeit, überall. Deshalb ist es auch gut, dass es neben
vier weiteren einen interfraktionellen Antrag gibt, der
die gemeinsame Verantwortung für Entwicklungsländer unterstreicht. Noch besser wäre es aber gewesen, die
Linken einzubeziehen und angesichts der Sachlage großkoalitionäre Taktikspielchen hintanzustellen.
({0})
HIV/Aids ist eine Krankheit, deren Bekämpfung
mehr braucht als nur Information. Der Kampf gegen
Aids kann nur da gewonnen werden, wo es gelingt,
menschliche Verhaltensweisen zu verändern. Das ist die
größte Herausforderung. Deshalb ist es so wichtig, ohne
moralischen Zeigefinger und mit unverstelltem Blick
quer zu patriarchalen, heterosexuellen Traditionen die
Verbreitung von HIV/Aids zu bekämpfen.
Wir haben gehört, welche enormen Schäden, welch
unermessliches Leid diese Krankheit anrichtet - und das
in einer so kurzen Zeit; erst vor 25 Jahren wurde das
HIV-Virus entdeckt. Bitter ist: HIV/Aids ist inzwischen
weiblich geworden. In Afrika, südlich der Sahara, infizieren sich überproportional viele Frauen und Mädchen mit dem Virus, zum einen, weil sie biologisch anfälliger sind, und zum anderen, weil sie ganz einfach
weniger Rechte haben, weil sie es schwer haben, sexuelle Praktiken einzufordern, die sie schützen, weil sie
nicht sagen können: He, du, nimm ein Kondom! Dazu
haben sie nicht die Rechte. Letztlich verweigert ihnen
diese Rechtlosigkeit auch den Schutz gegenüber ihrer
Person oder gegenüber ihrer Familie. Deswegen müssen
wir daran arbeiten, dass sich das verändert.
({1})
Weltweit liegt die Lebenserwartung von Frauen im
Durchschnitt circa fünf Jahre höher als bei Männern. In
Simbabwe ist das anders. Dort hat das HIV/Aids-Virus
inzwischen zu einer der weltweit niedrigsten Lebenserwartungen geführt; dort werden Frauen im Schnitt nur
noch 34 Jahre alt, sie sterben drei Jahre früher als Männer.
Wir müssen uns fragen: Berücksichtigen die Methoden der Aidsbekämpfung die Bedürfnisse von Frauen
und Mädchen? Nein, sie tun es zu wenig. Frauen brauchen einen besseren Zugang zu Informationen über die
Krankheit und ihre Übertragungswege. Es gibt einfach
zu wenig frauenkontrollierte Methoden der HIV/AidsPrävention. Auch das muss geändert werden.
({2})
Das Beispiel Kenia zeigt ja, dass es funktioniert. Dort
sind die Prävalenzraten unter jungen, schwangeren
Frauen in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen.
Wie hat man das geschafft? Man hat Informationen weitergegeben; man hat dazu aufgefordert, das Sexualverhalten zu verändern. Jetzt kennen mehr junge Menschen
das Risiko; weniger junge Menschen gehen die Risiken
ein; mehr junge Menschen benutzen Kondome. Also
kann sexuelle Aufklärung viel bewirken.
Kommen wir nun zu Uganda. Dort zeigt sich, dass es
eine negative sexuelle Aufklärung geben kann. Es gab
einmal eine positive Entwicklung in Uganda; sie hat sich
verändert. Jetzt deuten die Zahlen darauf hin, dass die
Fortschritte, die dort festgestellt werden konnten, wieder
verloren gingen, und zwar deswegen, weil sich die Nutzung von Kondomen im außerehelichen Geschlechtsverkehr verringert hat. Wie konnte es dazu kommen? Neue
Studien von Menschenrechtsorganisationen verdeutlichen, dass Uganda seine HIV-Präventionsstrategie in
eine neue Richtung lenkt. Warum tut man das? Nicht aus
eigenem Antrieb, sondern auf Druck von Gebern, insbesondere der USA. Die USA binden ihre Unterstützung
für Prävention zunehmend an moralisch-religiöse Kriterien, leider mit Erfolg. 2004 hat das ugandische Gesundheitsministerium in einer Rückrufaktion sämtliche von
der Regierung kostenlos verteilte Kondome zurückgeholt. Wir sehen also, dass es in diesen Ländern auch moralisch-religiöse Kriterien gibt, die nichts mit dem
Kampf gegen Aids zu tun haben, sondern von einer anderen Strategie zeugen.
({3})
Darunter haben insbesondere auch Homosexuelle zu
leiden, deren Menschenrechte ohnehin in vielen Ländern
eingeschränkt und missachtet werden. In über 75 Ländern ist Homosexualität strafbar. Doch wenn Menschen
wegen ihrer Liebe ins gesellschaftliche Abseits gedrängt
werden, wenn Homosexualität tabuisiert wird, dann ist
eine wirksame Aidsprävention unmöglich. Auch daran
müssen wir im internationalen Kampf gegen Aids arbeiten.
({4})
Ein weiterer Punkt. Es gibt seit zehn Jahren in den Industrieländern antiretrovirale Medikamente. Diese
Medikamente können HIV/Aids nicht heilen, aber sie
verringern ganz deutlich das Leid der Krankheit und ermöglichen es Menschen mit HIV/Aids, weiterzuleben.
Gerade für Menschen in Entwicklungsländern wäre es
wichtig, dass sie Zugang zu diesen Medikamenten bekämen. Den haben sie aber nicht. Ja, es hat Verbesserungen
gegeben. Aber die Versorgungslücke bleibt immens.
Bestenfalls eine von zehn Afrikanerinnen bzw. Afrikanern und eine von sieben Asiatinnen bzw. Asiaten erhielten letztes Jahr diese dringend benötigte Therapie. Der
Grund war auch, dass diese Medikamente zu teuer sind.
Auch daran werden wir arbeiten müssen; denn das ist ein
Skandal.
Weiterer Handlungsbedarf besteht in der pharmazeutischen Forschung. Wir brauchen endlich einen Aidsimpfstoff und wir brauchen Medikamente, die in ihrer
Form und in ihren Eigenschaften den Bedürfnissen von
Menschen in Entwicklungsländern gerecht werden, zum
Beispiel durch kindgerechte Dosierungen.
Ich komme zum letzten Punkt, zum Geld. Ja, es hat
noch eine Steigerung im Haushalt gegeben.
({5})
Doch gemessen an den Bedürfnissen und an der Finanzierungslücke sind solche kleinen Steigerungen noch
lange nicht ausreichend.
({6})
UNAIDS und die WHO schätzen, dass zur Finanzierung
der unmittelbaren Maßnahmen der HIV/Aids-BekämpUte Koczy
fung im Jahr 2007 noch eine Lücke von 8 Milliarden
Dollar besteht.
Nächstes Jahr gibt es besonders gute Gelegenheiten,
den Kampf dagegen aufzunehmen. Deutschland wird die
Präsidentschaft der G 8 haben. Die Staaten der G 8 haben das Versprechen abgegeben, einen universellen Zugang zu Medikamenten zu ermöglichen. Wir wollen hoffen, dass sie das auch tun. Deutschland ist nächstes Jahr
auch Gastgeber einer Konferenz zur Wiederauffüllung
des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Deutschland zahlt im Jahr 2007
- das ist anzuerkennen - 87 Millionen Euro in diesen
Fonds. Doch angesichts der Finanzierungslücke von
5,9 Milliarden US-Dollar und angesichts der wirtschaftlichen Möglichkeiten ist das viel zu wenig.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen mehr
tun. Packen wir es an! Wir haben dazu nächstes Jahr die
Chance.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Rolf Schwanitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte mich zunächst bei Ihnen allen herzlich dafür bedanken, dass Sie dem Thema HIV/Aids
nicht nur heute, sondern auch in den vergangenen Jahren
im Deutschen Bundestag einen so hohen Stellenwert zukommen ließen. Das gilt auch im Hinblick auf die in dieser Debatte vorgelegten Anträge. Ich glaube, dass das
Zusammenstehen über Parteigrenzen, über gesellschaftliche Grenzen hinweg ein Stück weit den Erfolg der
Strategie Deutschlands in den vergangenen Jahren ausgemacht hat. Ich möchte, dass das in der Zukunft so
bleibt.
({0})
Ende 2006 leben bei uns etwa 56 000 Menschen mit
HIV und/oder Aids. 15 Prozent davon sind Frauen. Die
Zahl der Neudiagnosen in diesem Jahr liegt, geschätzt,
bei 2 700. Dieses Betroffenheitspotenzial ist im Hinblick
auf die internationale, auch auf die europäische Dimension dieser Pandemie vergleichsweise niedrig. Ich will
ausdrücklich sagen: Für uns ist jeder Einzelne, jede, die
sich in Deutschland neu infiziert, eine Person zu viel.
Der Anstieg der Anzahl der Neuinfektionen muss uns
Anlass sein, unsere Anstrengungen nicht zurückzunehmen; vielmehr müssen wir uns auch auf nationaler
Ebene auf diese neuen Anforderungen einstellen.
({1})
Die Bedingungen haben sich verändert. Das ist der
Grund dafür, dass die Bundesregierung ihr Gesamtkonzept bereits 2005 erweitert hat. Wir haben einen
Aktionsplan ausgearbeitet. Den nationalen Teil dieses
Aktionsplans haben wir mit den wichtigsten gesellschaftlichen Akteuren, mit Experten, mit den Ländern
und mit den kommunalen Spitzenverbänden bereits abgestimmt. Eine interministerielle Arbeitsgruppe ist eingesetzt worden, die eine wichtige Rolle bei der Umsetzung und bei der Koordination dieses Aktionsplans
spielen wird. Wir werden den Aktionsplan im Frühjahr
nächsten Jahres, aller Voraussicht nach im Februar 2007,
vorlegen und damit eine wichtige neue Etappe einleiten
können.
({2})
Gleichzeitig hat der Deutsche Bundestag in seinen
Haushaltsberatungen entschieden - verschiedene Redner
haben es angesprochen -, die Mittel für die Aidsaufklärung im Jahr 2007 um 3 Millionen Euro auf insgesamt
12,2 Millionen Euro aufzustocken. Ich sage ausdrücklich noch einmal: Herzlichen Dank! Ich glaube, das ist
ein wichtiges und notwendiges Signal, das wir in der Tat
brauchen.
({3})
Prävention steht für uns im Zentrum der Aidsbekämpfung. Neben den Jugendlichen der jeweils neuen Generation, für die man ganz offensichtlich immer wieder mit
Prävention und Information tätig werden muss, bleibt
eine wichtige zentrale neue Gruppe, um die wir uns
kümmern und der wir uns zuwenden müssen: die Gruppe
der Migrantinnen und Migranten. Dort Prioritäten zu
setzen, ist, glaube ich, richtig. Alle Menschen, die in
Deutschland leben, sollen unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund den gleichen Zugang zu Information,
Prävention und Beratung haben und müssen durch geeignete Strategien der Aufklärung erreicht werden. Notwendig ist übrigens ein besonderes Eingehen darauf in
den Fortbildungsteilen für medizinisches Personal und
vor allem für Ärzte. Das muss in der nächsten Zeit gewährleistet werden.
In Deutschland sind vor allem Männer, die Sex mit
Männern haben, von der Epidemie am stärksten betroffen. 70 Prozent der Neuinfektionen entfallen auf diese
Gruppe. Wir müssen das sehr aufmerksam beobachten
und darauf reagieren, dass hier eine gewisse Präventionsmüdigkeit eingetreten ist und dass hier eine größere
Risikobereitschaft erkennbar ist. Deswegen will ich auch
anlässlich dieser Debatte noch einmal ausdrücklich betonen: Trotz der großen Fortschritte, die wir im medizinischen Bereich bei der Bekämpfung von HIV und Aids
erreicht haben, ist dies keine normale chronische Krankheit. Sie darf nicht als solche missverstanden werden.
({4})
Jede Einschränkung bei Beratung und Thematisierung
dieses wichtigen Problems in den Medien, ob privat oder
öffentlich-rechtlich, ist falsch und hat negative Konsequenzen im Schutzverhalten vieler.
({5})
Die Bundesregierung ist sich der internationalen Verantwortung, die mit dem Thema HIV und Aids verbunden ist, sehr wohl bewusst. Weltweit besteht die Gefahr
- verschiedene Redner haben bereits darauf aufmerksam
gemacht -, dass die rasante Ausbreitung von HIV und
Aids alle Anstrengungen, die zur Eindämmung dieser
Seuche unternommen worden sind, wieder zunichte
macht. Im Jahr 2005 betrug die Zahl der Aidstoten
2,8 Millionen. Nicht nur im afrikanischen Bereich sind
die Zahlen besorgniserregend, sind die Todesraten
erschreckend und mahnen zum Handeln; auch im osteuropäischen und asiatischen Bereich ist das so. Beispielsweise ist der Umstand zu nennen, dass die Behandlungsrate der Infizierten in Osteuropa bei sage und
schreibe nur 5 Prozent liegt. Wir müssen hier also mehr
tun, meine Damen und Herren. Qualifikation des Personals ist sicherlich eine richtige Reaktion. Der Kampf gegen Stigmatisierung und gegen Benachteiligung der Betroffenen ist das zentrale Thema.
Lassen Sie mich noch etwas zu dem sagen, was Sie
vorhin ausgeführt haben, Herr Dr. Addicks. Ich stimme
Ihnen zu, was die Frage angeht, welche Erwartungen wir
an die katholische Kirche haben. Es gibt auch Mut machende Signale und wir hoffen, dass sie endlich umgesetzt werden. Bezogen auf die deutliche Ansprache der
Bundesregierung gegenüber Verantwortlichen in Südafrika, gegenüber der dort ihr Unwesen treibenden
Dr. Rath Health Foundation usw. ist nichts zu bemängeln. Sowohl die Ministerin Wieczorek-Zeul als auch
das Auswärtige Amt und meine Ministerin lassen keine
Gelegenheit aus, in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, wie wir die Dinge sehen, und zu betonen, dass ein
Umsteuern dringend erforderlich ist.
({6})
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Meine Damen und Herren, wir werden HIV/Aids zu
einem zentralen Thema unserer Präsidentschaft im
nächsten Jahr machen. Es ist wichtig. Deswegen richtet
man zu Recht Erwartungen an uns.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Detlef Parr, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf dem
Weg zum Bahnhof Friedrichstraße fällt den Passanten
eine große Werbefläche ins Auge, die auf den ersten
Blick auf eine Fernsehserie hinzuweisen scheint:
geliebt in Berlin - infiziert mit HIV - Täglich neue
Folgen!
Ein eindrucksvoller Hinweis auf wachsenden Leichtsinn in unserer Gesellschaft! Zunehmend werden die Risiken unterschätzt, die vor allem im intimen Umgang
miteinander liegen, aber nach wie vor auch Drogenabhängige betreffen. Migranten kommen als neue, wachsende Gruppe hinzu.
Die aktuellen Zahlen - ich will sie hier nicht wiederholen - belegen die Sorglosigkeit, die sich auch in
Deutschland eingeschlichen hat. Die Teilnahme an Barebacking-Partys zum Beispiel ist kein harmloses Spiel,
sondern bedeutet für manche Russisches Roulette.
Es ist eben nicht richtig, dass HIV-Infektionen mittlerweile heilbar sind. Die Antiretroviraltherapie kann
nur mildernd wirken. Das muss über eine risikospezifische Aufklärung vor Ort immer wieder deutlich vermittelt werden, zum Beispiel in der Schule bei Kindern und
Jugendlichen, insbesondere bei Mädchen und in der
„Szene“, in Jugendtreffs, Diskos oder Bars.
Ich möchte an dieser Stelle den zahllosen lokalen
Aidshilfen danken, die ehrenamtlich einen unschätzbaren Dienst am Nächsten leisten, vorbildlich für eine Verantwortungs- und Teilhabegesellschaft, wie wir Liberalen sie uns wünschen.
({0})
Wir begrüßen auch die Aufstockung der Finanzmittel
für Aufklärungsmaßnahmen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Haushalt 2007. Damit setzt
die Bundesregierung ebenso richtige Akzente wie die
privaten Krankenversicherungen, die die Bundeszentrale
mit immerhin über 3 Millionen Euro jährlich unterstützen, und viele andere private Initiativen.
Meine Damen und Herren, dabei dürfen wir den Weg
der informativen Aufklärung mit dem Ziel der Stärkung
der Eigenverantwortung nicht verlassen. Wer wie im Antrag der großen Koalition die Verschärfung des Strafrechts bei ungeschütztem Sex bereits Infizierter fordert,
setzt auf Repression und damit auf das am wenigsten geeignete Mittel. Das lehnen wir Liberalen ab.
Und wer wie die Grünen klammheimlich so ein wichtiges Projekt wie die kontrollierte Heroinabgabe an
Schwerstabhängige als Spiegelstrich zur Abstimmung
stellt, kann auch nicht mit unserer Unterstützung rechnen, ebenso wenig wie bei einem Bleiberecht für HIVInfizierte.
({1})
Jetzt sind wir gespannt, was aus dem von Herrn
Schwanitz gerade beschriebenen Aktionsplan wird. Es
ist schon etwas seltsam, wenn die Koalitionsfraktionen
die Bundesregierung zur baldigen Umsetzung auffordern
müssen. Wir schließen uns diesem Petitum aber sehr
gerne an.
Gut, dass sich alle Fraktionen nicht nur am Weltaidstag einig sind, dass wir auch national den Kampf
gegen diese heimtückische Immunschwächekrankheit
entschlossen weiterführen müssen. Nur im engen Schulterschluss haben wir eine Chance auf Erfolg. Niemand
von uns will und darf die Betroffenen im Stich lassen.
Und das ist auch gut so.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegen Jens Spahn, CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
dankbar, dass es gelungen ist, dass wir heute am Weltaidstag in der Debatte im Deutschen Bundestag deutlich
machen, wie sehr wir gemeinsam - zum Teil auch mit
unterschiedlichen Positionen; dazu komme ich gleich,
Herr Kollege Parr - dafür eintreten, in der Welt, in
Europa, aber auch in Deutschland mit Prävention und
guter Behandlung der Betroffenen das Bestmögliche für
alle zu erreichen.
Dabei ist es so, dass wir zum ersten Mal seit Jahren
im Deutschen Bundestag über die Entwicklung von
HIV/Aids in Deutschland debattieren. Meine Kollegin
hat gerade schon die Position zur Entwicklungshilfe und
zur Situation in Afrika und Osteuropa thematisiert. Von
daher möchte ich mich auf die deutsche Situation konzentrieren.
Wir können konstatieren, dass die Präventionsarbeit
in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren wie in
kaum einem anderen Land der Welt erfolgreich war. Wir
haben mit die niedrigsten Infektionsquoten, die es gibt.
Wir haben sehr gute, auch ehrenamtliche Arbeit vor Ort,
sehr gute Strukturen mit den Aidshilfen, der Aidsstiftung
und den vielen Verbänden, die sich engagieren.
Nichtsdestotrotz müssen wir neue Entwicklungen
- ich möchte auf einige eingehen - zur Kenntnis nehmen. Da ist zum Ersten das Risikobewusstsein meiner
eigenen Generation. Meine Generation hat das große
Sterben der 80er-Jahre nicht mitgemacht, hat die Debatten Süssmuth, Gauweiler - all die Kontroversen, die es
damals gegeben hat - nicht mitgemacht. In vielen Werbungen wird suggeriert, dass es Heilung gäbe, obwohl es
am Ende nur Linderung gibt. Gerade diese Entwicklung
macht sehr deutlich, dass Prävention immer wieder neu
ansetzen muss, immer wieder neue Gruppen und nachwachsende Generationen erreichen muss. Darauf müssen wir unsere Arbeit ausrichten.
({0})
Zweitens haben wir die Entwicklung - das wurde
schon angesprochen -, dass Infektionen auf entsprechenden Partys bzw. Veranstaltungen, die im Internet angeboten werden, bewusst in Kauf genommen werden. Hinter
unserem Vorschlag, Herr Parr, zu prüfen, ob dagegen
strafrechtlich vorgegangen werden kann, steht nicht die
Absicht - das sage ich ausdrücklich -, Einzelne zu kriminalisieren oder strafrechtlich zu verfolgen.
({1})
Es geht vielmehr darum, wie in Österreich kommerzielle
Angebote von solchen Partys, für die mit dem Slogan
„Sex ohne Kondom“, und zwar mit HIV-positiven und
-negativen Partnern, geworben wird und für die auch
Eintrittsgelder verlangt werden, zu unterbinden. Deshalb
hat die Koalition beschlossen zu prüfen, was da möglich
ist.
({2})
Ich bin nämlich nicht bereit zuzuschauen, wie über Eintrittsgelder und auf andere Weise Geld mit der Ausrichtung solcher Veranstaltungen verdient wird. Von daher
möchten wir prüfen, welche Handhabe es gibt, dagegen
entsprechend vorzugehen.
Eine dritte Entwicklung, die wir zur Kenntnis nehmen
müssen - auch diese ist schon angesprochen worden -,
ist die Zunahme der Infektionszahlen bei Migranten
und insbesondere bei Migrantinnen, also Frauen, die
erst in Deutschland von ihrer Infektion erfahren. Hier
gibt es große Probleme vor allem deswegen, weil in dem
kulturellen Umfeld, aus dem sie kommen, dieses Thema
oft tabuisiert ist. Da darf uns, Frau Kollegin Knoche
- Sie sprachen ja überwiegend von der dramatischen
Entwicklung in Afrika -, auch die Entwicklung in Osteuropa und Russland nicht ruhen lassen. In manchen
Ländern, die ja direkt vor unserer Haustür liegen, hat die
Entwicklung eine solche Dynamik angenommen, wie es
sie in der Anfangszeit von Aids in Afrika gab. So hat die
Infektionswelle vor 20, 25 Jahren auch in Afrika auf
niedrigem Niveau begonnen, aber dann sind die Infektionszahlen in die Höhe geschnellt. Das Gleiche erleben
wir leider im Moment auch in Russland und einigen anderen osteuropäischen Ländern. Gerade deswegen, weil
das direkt vor unserer Haustür geschieht, stehen wir in
der Verantwortung, gemeinsam mit den betroffenen Ländern Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
({3})
Eine vierte Entwicklung ist bei der Forschung zu
verzeichnen. Die dort erzielten Erfolge sind zunächst
einmal sehr positiv zu sehen. Es gibt kaum einen anderen Bereich, in dem es innerhalb von 25 Jahren - man
überlege sich einmal, was seit Entdeckung des Virus alles möglich geworden ist - so viele Erfolge in der Pharmaforschung gegeben hat. Das hatte im Übrigen auch
Auswirkungen auf andere Forschungsbereiche wie die
Vakzineforschung, die Erforschung von Diagnostika
usw. Es wurden da viele Erkenntnisse gewonnen und es
fielen viele Nebenprodukte ab, die uns in anderen Bereichen weiterhelfen.
Dass es gelungen ist, die Lebenserwartung von HIVInfizierten und Aidskranken zu erhöhen, stellt uns im
Übrigen vor ganz neue Herausforderungen. Bei einem
Gespräch mit Vertretern der Aidsstiftung, die ja unter anderem auch das Ziel hat, Aidskranken eine letzte Reise
zu finanzieren, wurde mir gesagt, manche hätten zum
zehnten Mal ihre letzte Reise beantragt, weil es die medizinische Entwicklung möglich gemacht hat, länger zu
leben. Das bringt aber auch neue Herausforderungen für
die Sozialarbeit und die medizinische Forschung mit
sich. So gibt es jetzt ältere HIV-Infizierte, die seit zehn,
15 oder gar 20 Jahren mit dieser Infektion leben und dadurch ganz neue Krankheitsbilder und soziale Situationen erleben, mit denen wir uns auseinander setzen müssen.
Ich möchte die Erfolge, die die Pharmaindustrie in
der Forschung erzielt hat, einmal mit Blick auf die sonst
übliche Pharmaschelte - auch mir ist klar, dass da nicht
alles sauber läuft und es viele Bereiche gibt, über die wir
diskutieren müssen - hervorheben: Wenn es die Pharmaforschung nicht gäbe, wären wir bei der Behandlung von
HIV und Aids bei weitem noch nicht da, wo wir heute
stehen. Auch das sollte man an der einen oder anderen
Stelle in der Diskussion berücksichtigen.
({4})
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Forschungsförderung des Bundes hinweisen, auf die auch
im Antrag der Koalitionsfraktionen eingegangen wird.
Zum einen geht es um Grundlagenforschung, zum anderen aber um die Frage der Anwendungsforschung. Hier
ist insbesondere ein Projekt zu nennen, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird:
Das Kompetenznetzwerk HIV/Aids hat eine Kohorte
von 14 500 Patienten, die regelmäßig betreut werden,
bei denen geschaut wird, wie deren Entwicklung verläuft, und die entsprechend unterstützt werden. Gemeinsam müssen wir mit der Wirtschaft, die hier auch in der
Verantwortung steht, und der Wissenschaft schauen, wie
es gelingen kann, dieses Projekt, aus dem auch weltweit
wichtige Erkenntnisse gewonnen werden können, fortzuführen.
({5})
Die neuen Entwicklungen, die ich gerade genannt
habe, spiegeln sich - es ist schon gesagt worden - in den
auch in Deutschland steigenden Zahlen wider. Das
Ganze befindet sich natürlich noch immer auf einem
niedrigen Niveau; aber jede Zahl ist eine zuviel. Wir hatten im Jahr 2001 etwa 1 500 Neuinfektionen; im Jahr
2006 werden es etwa 2 700 Neuinfektionen sein, was
eine Steigerung von fast zwei Dritteln innerhalb kürzester Zeit bedeutet. Wenn wir uns dieser Herausforderung
nicht stellen würden - was wir unter anderem durch eine
Erhöhung der Mittel in dem Bereich um immerhin ein
Drittel tun -, würde sich diese Dynamik fortsetzen und
dann kämen noch ganz andere Dimensionen auf uns zu.
Deswegen ist es richtig, früh darüber zu reden und diesen neuen Entwicklungen angemessen zu begegnen.
({6})
Hinsichtlich der Entwicklung der Präventionsarbeit
und der Frage, was zu tun ist, nehme ich alle in die Verantwortung. Es gibt immer noch einige, auch bei den
Aidshilfen, die, wie gesagt, gute Arbeit geleistet haben,
die sich aber weigern, sich mit dem neuen Phänomen der
Partys und der Internetportale, wo Entsprechendes angeboten wird, offensiv auseinander zu setzen, die meinen,
das liege in der Verantwortung des Einzelnen und es sei
schwer, da etwas zu unternehmen. Es geht nicht darum
- ich sage es noch einmal -, Menschen zu kriminalisieren oder zu stigmatisieren. Aber auch die Aidshilfen
müssen die Entwicklung anerkennen und sich bei ihrer
Arbeit entsprechend offensiv damit auseinander setzen.
({7})
Abschließend möchte ich noch zwei kurze Bemerkungen machen. Ich finde es richtig und wichtig, dass
wir heute diese Debatte führen, weil HIV auch in
Deutschland immer noch mit Stigmatisierung verbunden
ist. Es ist nun einmal eine andere Krankheit als etwa
Krebs, die auch mitten in der Gesellschaft ein Thema ist;
das sieht man daran, wie in den Medien damit umgegangen wird. Über HIV/Aids hingegen wird - natürlich weil
es infektiös ist, im Übrigen aber auch, weil es mit einer
Moral- und Schuldfrage, die leider oft reflexartig gestellt
wird, verbunden ist - ganz anders diskutiert.
Auf der Aidsgala hat einer der Redner berichtet, dass
er einen schwer kranken Aidskranken im Krankenhaus
besucht und dessen Hand genommen hat, woraufhin derjenige sagte: Sie sind der Erste seit Wochen, der meine
Hand nimmt; alle anderen haben Angst, mich zu berühren. Das hat mich sehr berührt. Ich glaube, gerade eine
Debatte wie die heutige kann helfen, dass genau das
nicht mehr passiert.
Danke schön.
({8})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Volker Beck.
Herr Kollege, Sie haben gesagt, es gehe nicht um eine
Kriminalisierung. Gleichzeitig spricht die Koalition in
ihrem Antrag von einem Prüfauftrag für strafrechtliche
Regelungen in dem Kontext von Bareback-Partys und
Bareback-Profilen im Internet. Ich glaube, der Erfolg der
deutschen Aidspräventionspolitik in der Vergangenheit vorhin ist der Name Rita Süssmuth genannt worden lag gerade darin, dass wir auf Aufklärung, Information
und das verantwortliche Handeln der Bürgerinnen und
Bürger in unserem Lande gesetzt haben. Darauf sollten
wir weiter setzen.
Wir haben gegenwärtig beim Thema Aufklärung und
Information natürlich Defizite. Wir haben in der Aidsprävention nicht nachvollzogen, was für die sexuelle
Kontaktaufnahme, gerade in der Gruppe der Homosexuellen, heute das Internet bedeutet. Die Kontaktaufnahme hat sich von konkreten Bars an Orte in der virtuellen Welt verlagert. Die Aidshilfen nutzen noch nicht
Volker Beck ({0})
die personalkommunikativen Möglichkeiten, die das
Medium Internet bietet.
Wir müssen bei der Aufklärung dem Wandel entsprechen. Es hat überhaupt keinen Sinn, dass wir bestimmte
Phänomene durch Kriminalisierung in den Untergrund
treiben und damit den Einfluss auf die Menschen und
den Zugang zu ihnen völlig verlieren.
Herr Kollege, so lange es aus diesem Haus Interventionen gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium
und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
gegen die Verbreitung bestimmter Broschüren der Aidshilfen, auch über das Internet, gibt, die explizit über sexuelle Verhaltensweisen sprechen - die vielleicht nicht
jedem hier im Hause gefallen und nicht dem guten Geschmack entsprechen - und die die Menschen, die das
praktizieren, aufklären, wie sie sich schützen können, so
lange uns der gute Geschmack mehr wert ist als die
Frage, wie die Menschen umfassende Kenntnis darüber
erlangen, wie sie sich schützen können, so lange ist es
heuchlerisch, wenn wir gleichzeitig über Strafrecht reden.
({1})
Die Koalition hat trotz des positiven Ergebnisses der
Studie über die Heroinabgabe an Schwerstabhängige
nicht den Mut, endlich eine Regelversorgung auf den
Weg zu bringen. Stattdessen lässt sie das Modellprogramm praktisch auslaufen, indem keine Neuzugänge zu
dem Programm mehr möglich sind, obwohl alle Fachleute sagen, dieses Programm habe sich bewährt; es
würde denjenigen Menschen, die HIV-positiv sind, helfen, ihre Gesundheit zu stabilisieren, und es würde diejenigen Menschen, die nicht HIV-positiv, aber schwerstabhängig sind, davor schützen, sich mit HIV zu infizieren.
Ich finde es daher doppelt heuchlerisch, dass wir in diesem Zusammenhang gleichzeitig über das Strafrecht reden.
({2})
Kollege Spahn.
Herr Kollege Beck, man würde sich wünschen, Ihre
Fraktion hätte Ihnen zu diesem Thema Redezeit zugestanden; denn Sie haben im Grunde genommen eine
Rede gehalten, durch die alle Themen in diesem Zusammenhang abgedeckt wurden.
Zum Ersten. Wir erkennen in unserem Antrag die erfolgreiche Präventionsarbeit in Deutschland, die insbesondere von den Aidshilfen seit 25 Jahren geleistet wird,
ausdrücklich an und wollen, dass ihre Arbeit weitergeht.
Das habe ich in meiner Rede klar und deutlich gesagt.
({0})
Zum Zweiten. Es geht nicht um die Frage des guten
Geschmacks. Die einzige Broschüre, in der es, soweit
ich weiß, um das ging, worüber Sie geredet haben, enthielt Zitate von Vertretern der Aidshilfe, es sei halt so,
dass es auf Partys Sex ohne Kondom gebe. Wir sind aber
nicht bereit, dies zu akzeptieren.
({1})
Wir wollen vielmehr, dass mit Prävention und Aufklärungsarbeit dafür gesorgt wird, dass das nicht mehr der
Fall ist.
Nun zum Thema Strafrecht. Ich habe vorhin deutlich
gesagt: Es geht mir nicht darum, Einzelne zu kriminalisieren. Es geht vielmehr darum, gegen diejenigen vorzugehen, die damit Geld verdienen, dass sie gewerbliche
Angebote machen, bei denen sich Menschen infizieren
können. Wir wollen aber nicht gegen diejenigen vorgehen, die sich dabei infizieren. Diesen Unterschied habe
ich vorhin deutlich gemacht.
({2})
Im Übrigen habe ich in den letzten Wochen heftige
Auseinandersetzungen unter anderem mit der Barmer
Ersatzkasse geführt - die Frau Staatssekretärin weiß es -,
was das Nachverfolgen angeht. In einem Zweizeiler an
jemanden, der sich kurz zuvor mit HIV infiziert hatte,
wollte man von ihm wissen, bei wem er sich infiziert
habe. Wir sind vehement dagegen vorgegangen und setzen uns dafür ein, dass so etwas nicht mehr passiert. Insofern lasse ich mir von Ihnen an dieser Stelle nicht etwas anderes unterstellen.
({3})
Zum Schluss zum Thema Heroinabgabe.
({4})
Wir haben ein gutes Angebot für Schwerstabhängige.
Sie tun so, als gäbe es für Schwerstabhängige in diesem
Land kein entsprechendes Angebot.
({5})
- Ich rede von dem bestehenden regulären Angebot. - Es
gibt Spritzentausch und eine Methadonversorgung auf
einem - richtigerweise - sehr hohen Niveau. Sie tun aber
so, als gäbe es keine Angebote für Schwerstabhängige.
({6})
Wir von der Union sagen: Wenn sich einige mit dem
gleichen Engagement, mit dem sie für die Abgabe einer
der härtesten Drogen, die es gibt, kämpfen, für die
Methadonabgabe und für den Ausstieg aus der Sucht bei
Schwerstabhängigen einsetzen würden,
({7})
dann würden wir in diesem Bereich wesentlich mehr erreichen können. Das würde ich mir von Ihnen wünschen.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegin Christel RiemannHanewinckel, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte jetzt um Aufmerksamkeit für das, was ich
Ihnen sagen möchte.
({0})
Ich möchte Sie bitten, mit mir einen Blick auf die
Gruppen weltweit zu werfen, die in einer ganz besonderen Art und Weise von HIV/Aids betroffen sind. Wir haben viel gehört über das Ausmaß und die Auswirkungen
der Aids-Pandemie. Ich möchte vor allen Dingen Ihren
Blick auf die Kinder und die Jugendlichen lenken. Sie
wissen, dass vor allen Dingen junge Menschen auf die
unterschiedlichste Art und Weise von Aids bedroht sind.
Junge Menschen, die Mutter oder Vater werden wollen
und die für die Kindererziehung einstehen wollen, sind
für die soziale Sicherung und das wirtschaftliche Leben
in ihrem Land und in ihrer Gesellschaft unentbehrlich.
Wir haben schon gehört, dass die Frauen überdurchschnittlich stark betroffen sind - und das nicht nur in
Afrika, sondern auch in Osteuropa und in Zentralasien.
Immer wieder sind sehr junge Frauen und sogar Mädchen entweder durch bestimmte Sexpraktiken oder auch
dadurch, dass ihnen Gewalt angetan wird, massiv von
Aids betroffen.
Wir verfügen inzwischen über ziemlich genaue Zahlen; sie sind dramatisch. Es gibt inzwischen weltweit
14 Millionen verwaiste Kinder, deren Vater oder Mutter
- oder beide Elternteile - an Aids gestorben sind. Diese
Zahl übersteigt die Zahl der Kinder und Jugendlichen in
Deutschland um 2 Millionen. Was das bedeutet, kennen
wir aus verschiedenen Sendungen im Fernsehen und Berichten in Zeitungen.
Ich finde es in der heutigen Debatte besonders wichtig, auf die Gruppe aufmerksam zu machen, die zum Teil
noch nicht aidsinfiziert ist, und zu sehen, was das für unsere Arbeit bedeutet. Denn auf Kinder und Jugendliche
kommt nicht nur eine mögliche Aids/HIV-Infizierung
zu. Sie werden vielmehr doppelt und dreifach eingeengt.
Armut, Hunger, Gewalt, Stigmatisierung und Aids begünstigen sich in diesen Ländern immer gegenseitig.
Kinder und Jugendliche, denen die Eltern, Verwandte,
Lehrerinnen und Lehrer sowie Ärztinnen und Ärzte und
andere Personen im medizinischen Bereich einfach wegsterben, verlieren jegliche Zukunft und jede Lebensperspektive. Sie werden ausgegrenzt; sie können oft
nicht zur Schule gehen. Sie müssen Verantwortung übernehmen, der sie oft überhaupt noch nicht gewachsen
sind, indem sie ihre Geschwister großziehen. Ihnen droht
Kinderarbeit, weiterhin sexuelle Ausbeutung und dann
auch immer wieder die HIV-Infektion.
Wenn wir Politikerinnen und Politiker heute in
Deutschland über dieses Thema reden, dann ist es mir
besonders wichtig, dass wir diese Kinder, obwohl sie
Schutz und Begleitung brauchen, nicht nur als hilflose
Opfer ansehen. Wir müssen sie langfristig und umfassend unterstützen, damit sie sich selbst helfen und ihre
eigene Lebenssituation verändern können. Dazu gehören
eben nicht nur Prävention und Aufklärung in Deutschland, sondern vor allen Dingen in den Ländern, wo es
schon Millionen verwaiste Kinder gibt. Bildung, Aufklärung und Prävention sind aus meiner Sicht für diese
Gruppe die wichtigsten Wege, die eingeschlagen werden
müssen, um überhaupt eine Chance zu haben, aus dieser
Krise herauszukommen.
({1})
Bei allen Maßnahmen, die wir ergreifen, und bei allen
Verpflichtungen, die wir international eingehen und eingegangen sind, muss dieser Zusammenhang aus meiner
Sicht immer wieder im Mittelpunkt stehen. Schätzungen
zufolge wird die Zahl der Aidswaisen bis zum Jahre
2025 auf rund 25 Millionen ansteigen. Wenn wir es so
weit kommen lassen, dann haben wir kaum noch Chancen, wirklich etwas zu tun. Deshalb ist es jetzt an der
Zeit und notwendig, mit entsprechenden Projekten, Programmen und Überlegungen einzusteigen.
Das heißt im Moment, dass wir Verwandte und Familien, vor allem aber auch die Großmütter, die Aidswaisen aufgenommen haben bzw. für sie sorgen, stärken
müssen. Wir müssen für einen universellen Zugang zu
Pflege, Behandlung und Medikamenten sorgen, um die
Lebenserwartung erkrankter Eltern zu verlängern. Wir
müssen vor allen Dingen auch darauf drängen, dass,
wenn es um infizierte Kinder geht, endlich kindgerechte
Aidsmedikamente entwickelt bzw. die Medikamente, die
wir jetzt haben, entsprechend weiterentwickelt werden.
Die Kinder, die für andere Kinder sorgen müssen - das
ist der wichtigste Punkt -, haben in der Regel kein Geld
zur Verfügung. Deshalb müssen diese Medikamente für
Kinder zu angemessenen Preisen abgegeben werden. Da
sind dann wirklich alle gefragt.
({2})
Jungen und Mädchen muss der Schulbesuch ermöglicht werden und es muss altersgerecht über HIV/Aids
aufgeklärt werden. Bis heute haben zwei Drittel aller Jugendlichen in den so genannten Entwicklungsländern
kein Wissen darüber, wie sie sich vor Aids schützen können.
({3})
Mädchen und Frauen muss ihr Recht auf sexuelle
Selbstbestimmung vermittelt werden; das haben die
Kollegin Pfeiffer und andere sehr deutlich ausgeführt.
Sie brauchen politische Teilhabe, um mitentscheiden zu
können, wie es in der Prävention und der Begleitung derer, die betroffen sind, weitergehen kann.
({4})
Sowohl Männer als auch Frauen brauchen Zugang zu
Verhütungsmitteln, zu Diensten der Familienplanung
und der Schwangerschaftsvorsorge sowie zu PräventionsChristel Riemann-Hanewinckel
maßnahmen zur Verhinderung von Mutter-Kind-Übertragungen.
Die Regierungen der betroffenen Länder brauchen
Unterstützung, um ihre Verantwortung im Kampf gegen
Aids wahrnehmen zu können. Wir haben aber schon
weltweite Vereinbarungen, die vor allem Kinder und Jugendliche schützen sollen. Ich erinnere an die UN-Kinderrechtskonvention, die auch Deutschland unterzeichnet hat. Diese Konvention schreibt fest, dass Kinder
Rechte haben und nicht bloß Adressaten von Hilfeleistungen sind.
({5})
Mehr als die Hälfte der 40 in dieser Konvention formulierten Kinderrechte werden durch die Auswirkungen
der Epidemie mit Millionen von Aidswaisen ganz unmittelbar verletzt. Wenn wir uns auf diese Rechte beziehen
und international entsprechend handeln, dann setzen wir
nicht nur die UN-Kinderrechtskonvention um, sondern
lassen den betroffenen Kindern und Jugendlichen weltweit das zukommen, was ihnen zusteht: nicht nur Kinderrechte, sondern vor allem das Recht auf Leben.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/3610, 16/3615, 16/3097 und 16/3616
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 27 e: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 16/2364
zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Den
Südsudan beim Wiederaufbau unterstützen und vor
AIDS bewahren“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 16/586 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der
Linksfraktion und der Grünen gegen die Stimmen der
FDP angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und b sowie
Zusatzpunkt 4 auf:
28 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder
Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Forderungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft - Ratspräsidentschaft für eine
zukunftsfähige EU nutzen
- Drucksache 16/3327 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hellmut
Königshaus, Dr. Karl Addicks, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007 zur
Reform der Entwicklungszusammenarbeit der
Europäischen Union nutzen
- Drucksache 16/2833 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen,
Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Justizpolitische Agenda für die deutsche EURatspräsidentschaft 2007
- Drucksache 16/3622 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten
erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Rainder Steenblock, Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen, das Wort.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Bundesregierung hat gestern Mittag
ihr Programm für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft
veröffentlicht. Die vorliegenden Anträge bieten eine
gute Gelegenheit, darüber zu diskutieren.
Die bündnisgrüne Fraktion hat diesem Haus einen
sehr umfassenden Antrag zur Beratung vorgelegt, der
die Anforderungen enthält, die nach unserer Auffassung
erfüllt sein müssen, um die EU-Ratspräsidentschaft erfolgreich gestalten zu können. Es ist ein bisschen traurig,
dass der Zeitplan, den die Regierung gesetzt hat, dazu
führt, dass wir in diesem Hause, im deutschen Parlament, in den Ausschüssen und im Plenum, im Grunde
nicht genug Zeit haben, um die EU-Ratspräsidentschaft
auch von der Seite des Parlaments her vorzubereiten.
Das bedauern wir sehr. Wir finden das gerade vor dem
Hintergrund der Vereinbarung zwischen Bundestag und
Bundesregierung kontraproduktiv, in der man sich da7128
rauf verständigt hat, dass man während der deutschen
EU-Ratspräsidentschaft die Frage klären will, wie man
in Europa zu einer besseren Kooperation kommen kann.
({0})
Lassen Sie mich zu den Inhalten kommen - es sind
vier Punkte -, die für uns wichtig sind:
Der erste, historisch vielleicht wichtigste Punkt ist,
dass die Bundesregierung während ihrer Präsidentschaft
einen Ausweg aus der Verfassungskrise weisen muss.
Wir stehen vor dieser Verantwortung. Es zeichnet sich
ab, dass die Bundesregierung den Weg der Geheimdiplomatie beschreitet und der Öffentlichkeit und dem Parlament keine Auseinandersetzung über die Verfassung und
über die Möglichkeiten, wie wir aus dieser Krise herauskommen können, anbieten will. Ich will hier sehr deutlich sagen, dass ich das für falsch halte.
Europa braucht mehr Öffentlichkeit und mehr Transparenz. Wenn wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen wollen, müssen wir mit ihnen diskutieren und nicht
hinter verschlossenen Türen Lösungen erarbeiten, von
denen wir glauben, dass sie gut sind. Wenn wir die Kommunikation mit den Bürgern nicht schaffen, dann wird
dieser Weg - genau wie Nizza - scheitern. Deshalb appellieren wir an die Bundesregierung, sich zu öffnen und
eine öffentliche und transparente Debatte über die europäische Verfassung in diesem Lande zu führen.
({1})
Der zweite für uns zentrale Punkt ist, dass Europa vor
dem Hintergrund des Klimawandels - er ist unbestritten
und wir erhalten jeden Tag dramatische neue Meldungen
dazu - dringend eine nachhaltige Energie- und Klimapolitik braucht. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ist
gefordert, hier voranzugehen. Wir stellen fest, dass in
dem Programm zur EU-Ratspräsidentschaft wichtige
Punkte angesprochen sind. Aber es reicht nicht aus, zu
den notwendigen, zentralen Punkten zu sagen, dass sie
wichtig sind. Wenn man fragt, wie es umgesetzt werden
soll, erhält man die Antwort: Das ist wichtig. Wir brauchen konkrete und ambitionierte, aber auch verbindliche
Ziele hinsichtlich der erneuerbaren Energien. Wir brauchen innerhalb der EU, wenn sie Vorreiter für den Klimaschutz sein soll - das unterstützen wir alle -, die Verpflichtung, bis 2020 30 Prozent der Treibhausgase
einzusparen. Solche zentralen Ziele sind wichtig.
({2})
Es ist doch absurd, dass der Luftverkehr, der Klimaschädling Nummer eins unter den Verkehrsmitteln, immer noch steuerlich hoch subventioniert wird. Wir brauchen die Einbeziehung des Luftverkehrs in Kioto II, in
den Emissionshandel. Auch das ist ein wichtiges energiepolitisches Ziel.
({3})
Wir brauchen Wettbewerb. Wir alle im deutschen
Parlament reden immer von Wettbewerb. Wenn wir uns
die Energiemärkte ansehen, erkennen wir, dass wir im
Energiebereich keinen Wettbewerb haben. Wer diesen
Energiewettbewerb - auch im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher - will, der muss die Marktmacht
der Monopole begrenzen. Das ist die zentrale Herausforderung in der Wettbewerbspolitik.
({4})
Abschließend zum Thema Energie: In diesem Jahr bestehen nicht nur die Römischen Verträge seit 50 Jahren,
sondern auch Euratom. Dieser 50. Geburtstag wäre eine
sinnvolle Möglichkeit, den Euratom-Vertrag endlich zu
beerdigen und ihn feierlich aufzulösen.
({5})
Die Privilegierung von Atomenergie im Rahmen von
Euratom - es ist für Länder, die sich von der Atomenergie verabschiedet haben, zwingend, über ihre Beiträge
im Rahmen der EU immer noch den Ausbau der Atomenergie zu finanzieren - ist absurd. Wir wollen das beenden. Das ist für die deutsche Bundesregierung sicherlich
ein wichtiger Punkt.
({6})
- Ja, das machen wir gerne.
Der dritte Punkt ist die Außen- und Sicherheitspolitik. Nach den jüngsten Waffenstillstandsabkommen und
Vereinbarungen ist es gerade für Nahost wichtig, dass
die deutsche Bundesregierung ihre Verantwortung und
die historischen Chancen nutzt, um die Roadmap neu zu
beleben. Deshalb glauben wir, dass der Bereich Nahost
eine der großen Herausforderungen ist.
Die zweite ist sicherlich die Ostpolitik. Hier brauchen
wir eine kohärente Politik. Wir brauchen eine Zentralasienstrategie und auch Verhandlungen mit Russland.
Außerdem brauchen wir die Schwarzmeerkooperation.
Die Länder von der Ukraine über den südlichen Kaukasus bis Aserbaidschan müssen in das Konzept der drei
Räume der neuen Ostpolitik integriert werden. Wir sagen auch: Es geht nicht nur um wirtschaftliche Interessen. Wenn man über diese Regionen spricht und mit ihnen Nachbarschaftsassoziationsabkommen abschließen
will, dann stehen für uns Fragen zu Demokratie und
Menschenrechten genauso im Vordergrund wie die wirtschaftliche Kooperation.
({7})
Der vierte Punkt. Wir brauchen angesichts des Flüchtlingsdramas an den Südgrenzen der EU eine verantwortungsvolle europäische Migrations- und Asylpolitik.
Dass im Atlantik und im Mittelmeer Hunderte von Menschen beim Versuch, nach Europa zu kommen, ertrinken,
kann nicht hingenommen werden. Wir brauchen konkrete Lösungen für dieses Problem. Dafür muss die Bundesregierung Verantwortung übernehmen.
Wir unterstützen die Bundesregierung sehr, wenn es
darum geht, konkrete Ziele für die weitere Integration
Europas zu erreichen. Aber wir brauchen die Bundesregierung nicht - so stellt es sich hier dar - als zögerlichen Moderator eines Integrationsprozesses, sondern wir
brauchen eine kraftvolle Präsidentschaft mit konkreten
Zielen. Die Bürgerinnen und Bürger in Europa wollen,
dass man ihnen diesen Weg weist. Sie wollen an dieser
Diskussion beteiligt werden.
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit deutlich überzogen.
({0})
Ich komme zu meinem letzten Satz. - Ich glaube, unsere einzige Chance, die Menschen zurückzugewinnen,
besteht darin, konkrete Wege aufzeigen und keine allgemeinen Wolkenkuckucksheime zu beschreiben.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Steffen Reiche, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Selten ist eine EU-Ratspräsidentschaft so gut vorbereitet
worden
({0})
und selten gab es zugleich so hohe Erwartungen. Das
zeigt zweierlei: das Vertrauen in Deutschland und die
Tiefe der Krise der Europäischen Union. Die Europäische Union ist nicht so weit, wie sie sein könnte und sein
müsste, um die Interessen der Europäer zu vertreten, ihren Wohlstand zu gewährleisten und ihn für die Zukunft
zu sichern. Gäbe es auf europäischer Ebene und weltweit
weniger Probleme, dann könnten wir uns gewiss weniger Europa leisten. Da die Herausforderungen aber sehr
groß sind, brauchen wir mehr Europa, als wir zurzeit haben.
Ich bin dankbar dafür und habe großen Respekt davor, dass die deutsche Regierung schon jetzt klar sagt,
dass sie die Verfassung befürwortet, und dass sie Vorschläge erarbeitet hat, wie sie auf den Weg gebracht werden kann.
({1})
Lieber Kollege Steenblock, Sie wissen doch: Wenn man
diese Vorschläge jetzt an die Öffentlichkeit bringen
würde, dann würden sie zerredet. Es geht darum, sie mit
den Regierungen der anderen Länder abzustimmen, damit sie dieser Roadmap im nächsten Halbjahr zustimmen
und sie mittragen.
({2})
Manch einer denkt, die Regierung gehe hier ein großes Risiko ein. Das stimmt. Aber das Risiko, das damit
verbunden wäre, wenn die Verfassung nicht ratifiziert
würde, ist für Europa noch größer und folgenreicher. Die
Bundesregierung hat auf diesem Weg die Unterstützung
meiner Fraktion und, wie ich denke, auch die Unterstützung aller anderen Fraktionen, die die Krise Europas realistisch einschätzen.
All das, was die PDS fordert - vieles davon durchaus
zu Recht -, ist nur mit der Verfassung möglich. Wir wissen das. Es ist mir ein Rätsel, wie man das nicht begreifen kann. Vielleicht ist es Zynismus: Es mag ja sein, dass
Sie dieses Instrument deshalb nicht haben wollen, damit
Sie weiterhin über das klagen können, was Sie ohne dieses Instrument nicht bekommen können.
Ein weiteres zentrales Thema der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird die Energiefrage sein. Hier wünsche ich mir eine größere Bereitschaft von Regierung
und Parlament, Schritte in Richtung Binnenmarkt zu gehen. Die Entwicklung zur Europäischen Union begann
mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl,
der Montanunion. Die Kohle ist der Hauptenergieträger.
Als Steinkohle reicht sie für 171 Jahre, als Braunkohle
für 234 Jahre.
Wir brauchen einen Energiebinnenmarkt und nicht
27 Teilmärkte. Die Entscheidung über den Energiemix
- das ist ganz klar - verbleibt bei den Nationen. Das hat
auch der Präsident der Europäischen Kommission, Herr
Barroso, in der gestrigen Ausschusssitzung deutlich gemacht. Von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sollte
das klare Signal ausgehen: Deutschland ist bereit, im
Energiebereich Schritte in Richtung Integration zu machen und Kompetenzen an die Europäische Union abzugeben.
Die Ergebnisse des Berichts von Sir Nicholas Stern,
der über das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung,
also auch mit europäischen bzw. deutschen Mitteln, abgesichert worden ist, sollten uns in diesen Fragen zur
Vernunft bringen. Wir brauchen einen gemeinsamen
Energiebinnenmarkt.
({3})
Wer Europa gestalten will, muss wacher sein und tiefer träumen als andere. Deutschland ist von Freunden
umzingelt.
({4})
Leider ist das Projekt der Europäischen Verteidigungsunion im Jahre 1954 gescheitert. Im Rahmen der EURatspräsidentschaft haben wir jetzt, wie ich denke, die
Zeit und die Möglichkeit, das Angebot zu machen,
Schritte in Richtung größerer militärischer Integration
zu gehen, mit dem Ziel, die einzelnen nationalen Armeen durch eine europäische Armee zu ersetzen, über
deren Einsatz natürlich das Europäische Parlament zu
entscheiden hätte.
({5})
Steffen Reiche ({6})
Aufgrund der neuen Struktur würde sich dann auch die
Diskussion über die Wehrpflicht, die, wie ich finde, von
vielen falsch angegangen wird, erübrigen.
Wenn man das Memorandum des belgischen Ministerpräsidenten Guy Verhofstadt liest, stellt man fest, dass
dieser Vorschlag schon von verschiedenen Regierungen
gemacht worden ist. Einer seiner sechs Vorschläge zielt
ganz zentral auf dieses Thema.
Es hat lange gedauert, bis in Europa eine gemeinsame
Währung eingeführt wurde. Die Währungsfrage gehört
nun wirklich zum Kernbestand der Rechte der Nationen.
Es dauerte von Willy Brandts Vorschlag im Jahre 1970
bis zum Jahr 2002. Erst dann wurde der Euro eingeführt.
Wir könnten auf einem solchen Weg viel Geld sparen
oder mit dem gleichen Geld mehr Sicherheit für uns und
andere erlangen. Deshalb sollte auch über diese Frage
während unserer EU-Ratspräsidentschaft geredet werden.
Europa ist auch, ja vor allem Kultur. Das ist die Seele
Europas. Doch diese Seele muss auch leben. Die Begeisterung für Europa ist außerhalb Europas oft größer als
bei uns. Deshalb brauchen wir eine bessere Präsentation
Europas auf den anderen Erdteilen. Diese sollte nicht
durch nationale Kulturinstitute, sondern durch europäische Erasmus-Institute, die die Kulturen Europas in der
Welt präsentieren, erfolgen.
Unsere Verantwortung in der und für die Welt können
wir als weltweit größter Entwicklungshilfegeber besser
wahrnehmen, wenn wir die Erfahrungen Europas aus
zwei Weltkriegen und einem Marshallplan zur Entwicklung umsetzen, also tun, was Radermacher mit seiner
„Global Marshall Plan Initiative“ seit Jahren vorschlägt:
Schritte zu mehr Integration gehen. Vielleicht gibt es
auch in dieser Richtung Anregungen vonseiten der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.
({7})
Ich hoffe und wünsche - und glaube auch -, lieber
Herr Steenblock, dass wir eine starke, kraftvolle deutsche EU-Ratspräsidentschaft und im Ausschuss eine
gute Begleitung haben werden.
Ich wünsche uns jetzt einen frohen ersten Advent!
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Hellmut Königshaus,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte für die FDP-Fraktion der Bundesregierung und
der Bundeskanzlerin eine glückliche Hand bei der EURatspräsidentschaft wünschen.
({0})
Denn große Aufgaben stehen ihr bevor und es gibt große
Erwartungen. Herr Reiche, Sie haben angekündigt, dass
irgendwann noch Vorschläge kommen werden. Das ist
nicht ganz so schön. Wir hoffen, dass wir mit unseren
Handreichungen, mit unseren Anträgen ein bisschen behilflich sind. Unser Vorgehen ist schon etwas konkreter
als das, was Sie hier angekündigt haben und was wir von
der Bundesregierung bisher gehört haben.
({1})
Der Antrag der Grünen ist leider keine Hilfe. Allein
ihn zu lesen, dauert schon relativ lang. Herr Steenblock
hat ihn euphemistisch als „sehr umfassend“ bezeichnet.
Deshalb bin ich sehr froh, dass ihm von vornherein eine
Minute mehr Redezeit zuerkannt wurde, als ihm eigentlich zustand, damit er ihn erklären konnte. Jetzt haben
wir wenigstens etwas zu einigen Schwerpunkten gehört.
Ansonsten war es nur ein Griff in den Wühltisch von Befindlichkeiten.
({2})
Die Anträge der FDP zeigen konkrete Problem- und
Handlungsfelder auf. Ich denke, das wird hier hilfreich
sein. Das gilt speziell für die justizpolitische Agenda.
Die Kriminalitätsbekämpfung kann in Zukunft nicht
wie bisher nationalstaatlich angegangen werden. Wir haben durch den Wegfall der Grenzen eine Bewegungsfreiheit der Kriminellen. Dieser haben wir noch nicht in
angemessenem Umfang eine Bewegungsfreiheit der Kriminalitätsbekämpfung entgegengesetzt. Europäischer
Haftbefehl und Europäische Staatsanwaltschaft sind die
Stichworte. Wir müssen dabei darauf achten, dass wir
auch die Rechte der Beschuldigten auf dem gebotenen,
gewohnt hohen Niveau gewährleisten. Wir müssen ferner
sicherstellen - leider ist das nicht selbstverständlich -,
dass auch im Zeichen des internationalen Terrorismus
die Strafverfolgung im europäischen Rahmen Aufgabe
der Justiz und der von ihr kontrollierten Polizei bleibt
und nicht zur Aufgabe der Geheimdienste und anderer
Organisationen wird.
({3})
Ein zweiter wichtiger und drängender Punkt bleibt die
Reform der europäischen Entwicklungspolitik. Hier
haben wir die größte Chance, etwas zu verändern, und
hier besteht auch großer Bedarf; darüber haben wir oft
gesprochen. Die Entwicklungspolitik braucht eine klarere Zielbestimmung, als wir sie heute haben. Die europäische Entwicklungszusammenarbeit muss ihre Rolle
innerhalb der verschiedenen bilateralen Aktivitäten der
Mitgliedstaaten finden.
({4})
Der Europäischen Union steht für die Entwicklungszusammenarbeit der unbegreifliche Betrag in Höhe von
22 Milliarden Euro zur Verfügung, eine Summe, die man
sich kaum vorstellen kann. Nach unserem Eindruck - ich
glaube, man kann das auch belegen - wird dieser Betrag
vorrangig nach bisherigem Muster verteilt, nach GeHellmut Königshaus
sichtspunkten der Besitzstandswahrung und konfliktscheu gegenüber denen, die davon traditionell profitieren. Das muss aufhören. Ich glaube, durch die
Präsidentschaft haben wir die Möglichkeit, entsprechende Weichenstellungen vorzunehmen.
({5})
Ich will einige Beispiele nennen: Der Europäische
Entwicklungsfonds, über den wir schon mehrfach gesprochen haben, muss in den EU-Haushalt integriert und
damit der parlamentarischen Kontrolle des Europäischen Parlaments unterstellt werden.
({6})
Trotz verschiedener Gegenargumente - teilweise Scheinargumente - wie unterschiedliche Beitragsbemessungen
und Ähnliches müssen wir die parlamentarische Kontrolle sicherstellen; denn es ist das Geld des Steuerzahlers.
({7})
Allein dafür zahlen wir in Zukunft über 700 Millionen Euro pro Jahr. Wie gesagt: Über die Vergabe wird
nicht im Europäischen Parlament, sondern in Gremien
entschieden, wo wir kaum wirkliche Kontroll- und Einflussmöglichkeiten haben. Wir haben festgestellt, dass
das BMZ wechselnde Vertreter aus seinem Fachreferat
- also aus einer unteren Fachebene - in diese Entscheidungsgremien entsendet. Das reicht bei einem solchen
Betrag nicht. Mitwirkung und Kontrolle müssen wieder
die Rolle spielen, die sie immer dann spielen müssen,
wenn mit dem Geld der Steuerzahler umgegangen wird.
Es ist somit auch kein Wunder, dass auf diesem Weg
auch Entwicklungsmaßnahmen in den überseeischen
Ländern und Gebieten, also die territorialen Besitztümer
der EU-Mitgliedstaaten, mitfinanziert werden. EU-Kommissar Louis Michel, der kürzlich im AwZ-Ausschuss
darüber gesprochen hat, hat dies völlig zu Recht verurteilt. Er sagte aber: Solange das politisch so beschlossen
ist, kann das nicht geändert werden. - Wir müssen politisch beschließen, dass wir das ändern.
({8})
Wir haben in diesem Bereich auch kein Problembewusstsein, weil alles unter das Primat der ODA-Quote
gestellt wird. Nach meinem Eindruck ist es im Wesentlichen egal, was mit abfließendem Geld wirklich geschieht, solange das ODA-anrechnungsfähig ist. Das
kann aber nicht der Sinn sein. So kann man mit dem
Geld des Steuerzahlers nicht umgehen.
({9})
Das Problembewusstsein, das hier besteht, konnten
wir kürzlich erkennen, als ein leitender Mitarbeiter aus
dem BMZ sagte: Was regen Sie sich eigentlich darüber
auf? Es geht hier doch schließlich nur um 300 Millionen
Euro für diese überseeischen Gebiete. - Diese Grundhaltung müssen wir brechen und beseitigen. So geht das
nicht.
({10})
- Das sage ich nachher.
Den übermächtigen Drang der EU-Kommission zur
Budgethilfe müssen wir bändigen; denn der Anteil der
Budgethilfe - das wurde bereits angekündigt - soll in
Zukunft steigen. Die Ministerin ist gerade leider nicht
da. Welche katastrophalen Dinge mit der Budgethilfe bewirkt werden, haben wir vorhin am Beispiel Südafrika
gesehen. Die Ministerin hat sich darüber aufgeregt, dass
mein Kollege Addicks sagte, die Aidsstiftung von
Dr. Rath, die verheerende Wirkungen hat, werde mit
BMZ-Mitteln unterstützt. Das ist aber völlig richtig. Das
Ganze wird nämlich über die Budgethilfe via südafrikanische Regierung finanziert. Das müssen wir beenden.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
zu wenig getan, um all dies zu korrigieren. Die EU-Ratspräsidentschaft bietet jetzt Gelegenheit, das zu beenden
und mit einer straffen Führung in die Zukunft zu gehen.
Herr Präsident, erlauben Sie mir noch, den Grünen
gute Beratungen in Köln zu wünschen, damit sie in Zukunft hier eine bessere Politik machen.
Wünschen dürfen Sie.
Ihnen, Herr Präsident, und uns allen wünsche ich einen besinnlichen ersten Advent.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Gunther Krichbaum,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den Antrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen in die Hand nimmt, dann
merkt man, dass es mit strammen Schritten auf Weihnachten zugeht. Darin wurden nämlich 92 Punkte aufgelistet. Dies zeigt, dass die Erwartungshaltung bezüglich
der deutschen Ratspräsidentschaft sicherlich sehr groß
ist.
({0})
Hier ist jedoch Realismus gefordert; denn die Ratspräsidentschaft dauert keine sechs Jahre, sondern lediglich
sechs Monate.
In enger Abstimmung mit den nachpräsidierenden
Ländern Portugal und Slowenien hat die Bundesregie7132
rung hier die Schwerpunkte definiert und benannt. Ich
denke, wir sollten an dieser Stelle der finnischen Ratspräsidentschaft Dank aussprechen, die sehr engagiert
gearbeitet hat und insbesondere im Bereich der Nachbarschaftspolitik und in der Politik für die nördliche Dimension eigene Akzente setzen konnte. Wir werden am
1. Januar den Staffelstab übernehmen.
Lassen Sie mich einige Aspekte der deutschen Ratspräsidentschaft näher beleuchten. Ich halte es für eines
der wichtigsten Ziele, dass wir die europäische Verfassung voranbringen. Sie muss gefördert werden; denn sie
ist letztlich die Gebrauchsanweisung für Europa, die wir
dringend benötigen.
Die alten Strukturen des Europa der Zwölf bieten uns
keine Antworten für ein Europa der 27 bzw. - wenn es
zu einem Beitritt Kroatiens und anderer Staaten kommt der 28 oder mehr. Deswegen brauchen wir eine vernünftige Handlungsgrundlage. Notwendig sind die Neuordnung der Institutionen und vor allem klare Kompetenzabgrenzungen. Wie das Ganze letztlich genannt wird
- ob Vertrag, Verfassung oder Gesetz -, ist zweitrangig.
Es geht vor allem darum, dass wir einen entscheidenden
Schritt nach vorne kommen.
({1})
Ich kann Ihnen in keiner Weise beipflichten, Herr
Kollege Steenblock, wenn Sie sagen, es finde keine
öffentliche Auseinandersetzung über die europäische
Verfassung statt.
({2})
Wir bekommen als Abgeordnete zu keinem anderen
Thema mehr Informationen und Positionspapiere von
Verbänden, Bürgern und anderen zugeschickt. Es läuft
doch bereits eine rege öffentliche Diskussion.
({3})
Wer hier so auf die Bundesregierung schaut, der muss
- damit hat der Kollege Steffen Reiche völlig Recht auch berücksichtigen, dass wir letztlich alle mit ins Boot
bekommen müssen. Es reicht nun einmal nicht, wenn
nur 18 Mitgliedstaaten den Vertrag ratifiziert haben - einige von ihnen durch Volksabstimmung -; letztlich müssen alle dem Vertrag zustimmen. Eventuell müssen noch
hier und da Kompromisse gefunden werden, aber mit der
europäischen Verfassung - ich denke, darin sind sich zumindest die großen Parteien einig - ist im Grunde schon
ein Kompromiss gefunden worden.
Wir brauchen Akzente für die Wirtschaft und die soziale, aber auch ökologische Zukunft. Auch das wurde
völlig zu Recht festgestellt. Ein Schlagwort ist allerdings
wieder etwas in den Hintergrund getreten, und zwar die
Lissabonstrategie. Hier müssen im Rahmen der EURatspräsidentschaft wichtige Akzente gesetzt werden. In
diesem Zusammenhang besteht Handlungsbedarf.
Die Ziele sind ehrgeizig; es gibt kein Wenn und Aber.
Ich denke, wir müssen mit Maßnahmen zugunsten einer
besseren Rechtsetzung, der Förderung von Forschung
und Innovation und der Weiterentwicklung des europäischen Sozialmodells die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Selbstverständlich muss das auch von
entsprechenden Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz begleitet werden.
Was die Fortschritte hinsichtlich der Europäischen
Union als Raum der Freiheit, Sicherheit und des
Rechts angeht, hat die Bundesregierung ihre Schwerpunkte benannt. Wir haben bereits heute Morgen eine,
wie ich meine, gute Debatte zu diesem Thema geführt.
Wir müssen bei unserem Ziel, innerhalb der Europäischen Union offene Grenzen zu schaffen, auch mehr Sicherheit anstreben.
({4})
Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns. Deswegen muss die polizeiliche Zusammenarbeit verstärkt
und illegaler Migration wirksam begegnet werden. Zudem muss die Rechtssicherheit der Bürgerinnen und
Bürger weiter verbessert werden.
Lassen Sie mich abschließend auf einen zentralen
Punkt zu sprechen kommen, und zwar die Außen- und
Sicherheitspolitik. Auch hierbei geht es um verschiedene Aspekte. Bei der Entwicklung auf dem westlichen
Balkan ist es leider zu Stillständen gekommen. Ich
denke zum Beispiel an den Stillstand beim Reformprozess in Bosnien-Herzegowina. Hier brauchen wir dringend neue Impulse. Diese Länder brauchen unsere Unterstützung. Sie werden es nicht alleine schaffen. Die
Kooperation Serbiens mit dem Internationalen Strafgerichtshof muss weiterhin angemahnt werden, damit wir
auch hier im Rahmen der Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen weiterkommen.
Das neue Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland wurde schon angesprochen. Auch in
diesem Zusammenhang stehen bekanntlich zurzeit sehr
schwierige Verhandlungen an. Allerdings - ich denke,
dass wir hier mit einer Stimme sprechen können - ist es
erforderlich, dass wir Solidarität mit Polen üben und im
Stillen auf Polen einwirken und uns um Kompromisse
bemühen. Aber wir dürfen auch nicht zulassen, dass
Russland die Europäische Union mit verschiedenen bilateralen Abkommen diversifiziert. Wir wollen keine Aufsplitterung. Die Europäische Union muss im eigenen Interesse mit einer Stimme sprechen.
({5})
- Herr Kollege Tauss, ich widerspreche an dieser Stelle
nicht. Wie ich bereits sagte, müssen wir auch auf unsere
polnischen Freunde und Partner einwirken; denn letztlich muss man sich fragen, welcher Grund eine Verschiebung des gesamten Prozesses rechtfertigt. Hier bin ich
mit Ihnen sicherlich völlig einer Meinung.
Wir brauchen eine Neuausrichtung der europäischen
Nachbarschaftspolitik. Ich denke hier insbesondere an
unsere östlichen Nachbarländer. Die Grenzen werden
sich nach dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien verändern. Damit meine ich auch Länder, die manchmal geGunther Krichbaum
wissermaßen im Schatten der öffentlichen Diskussion
stehen, wie die Republik Moldau. Solche kleineren Länder brauchen unsere Unterstützung und Solidarität.
Am 1. Januar 2007 wird die EU um Bulgarien und
Rumänien erweitert. Diese weitere Erweiterungsrunde
ist - ich darf wohl sagen, dass wir uns darüber freuen sicherlich erforderlich. Aber wir müssen darauf achten,
dass die Standards eingehalten werden. Wir haben bereits in der letzten europapolitischen Debatte gefordert,
dass die Schutzklauseln in den Bereichen konsequent
greifen, in denen die Voraussetzungen nicht erfüllt werden; das erwarten wir.
({6})
Die Schutzklauseln müssen mit dem 1. Januar 2007 wirken; denn es gibt noch immer bestimmte Defizite im
Justizbereich der Beitrittsländer. Man muss sich fragen,
was tatsächlich passieren muss, damit die Schutzklauseln greifen. Wir dürfen vor diesem Hintergrund nicht
zulassen, dass deutsche Staatsbürger - wenn auch nur
theoretisch für eine juristische Sekunde - nach Bulgarien
ausgeliefert werden. Hier müssen wir um der Glaubwürdigkeit der Europäischen Union willen konsequenter
auftreten. Ich glaube, dass das verstanden wird. Das ist
auch im Hinblick auf den Fortgang der Türkeidebatte
wichtig. Die CDU/CSU ist der Auffassung, dass wir hier
eine Atempause brauchen, wenn sich abzeichnet - so
sieht es im Augenblick aus -, dass das Ankaraprotokoll
nicht implementiert wird.
({7})
Lassen Sie mich abschließend sagen: Die deutsche
Ratspräsidentschaft bietet die große Chance, die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Europäischen Union zu fördern. Wir unterstützen die Bundesregierung in ihren Bemühungen. Wir haben gerade vor
dem Hintergrund des markanten Datums „50 Jahre
Römische Verträge“ die Chance, die Europäische
Union und ihre Bedeutung nach vorne zu bringen. Sie
war in den letzten 50 Jahren ein Garant für Demokratie,
Friedenssicherung, Wohlstand, Freiheit und Recht.
Wenn ich sehe, was in den letzten 50 Jahren gelungen
ist, dann ist mir vor den Fragen der Zukunft, insbesondere vor der Globalisierung, nicht bange. Hierauf ist die
Europäische Union, ein integriertes Europa, die beste
und glaubwürdigste Antwort.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Alexander Ulrich, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
werden uns in der nächsten Sitzungswoche nochmals intensiv mit Europa und der deutschen Ratspräsidentschaft
befassen. Aber die Grünen brauchten heute 30 Minuten
zum Warmlaufen. Wir wollen es ihnen gönnen.
Die Erwartungen an die Bundesregierung sind riesengroß; das wurde hier schon mehrmals erwähnt. Die Erwartungen an die große Koalition waren vor einem Jahr
ebenfalls riesengroß. Was daraus geworden ist, wissen
wir alle. Angesichts der Vorbereitung der deutschen EURatspräsidentschaft und der Diskussionen im Europaausschuss können wir schon heute davon ausgehen, dass
die Völker Europas Mitte 2007, wenn der Stab an Portugal weitergereicht wird, ähnlich enttäuscht feststellen
werden, dass diese Ratspräsidentschaft keine großen
Fortschritte erzielt hat.
Die Europäische Union befindet sich in einer schweren Krise. Auch das wird nicht bestritten. Krisen haben
aber auch etwas Positives. Man kann aus den Fehlern
lernen und das Nein der Franzosen und Niederländer zur
Verfassung als Chance für eine soziale, friedliche und
demokratische Europäische Union nutzen. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme finden ihren Ausdruck in der Identitätskrise der EU. Die EU verfügt
über kein gemeinsames Leitbild. Es dominiert leider
auch bei der deutschen Bundesregierung immer noch die
Vorstellung vom freien Markt, der alles regeln soll, als
Kern des ganzen Projekts.
Europa und die deutsche Ratspräsidentschaft stehen
jetzt vor einer strategischen Entscheidung von historischer Bedeutung. Der erste mögliche Weg besteht darin,
dem eingeschlagenen Weg in die Sackgasse weiter zu
folgen; die Folgen wären ein weiterer Vertrauensverlust
bei den Menschen und vermutlich ein Anstieg der Zahl
sozialer Konflikte und politischer Spannungen. Der
zweite und bessere Weg setzt die Kraft und Bereitschaft
zur Neuorientierung in der Europapolitik voraus. Er setzt
an den beiden Hauptmängeln des bisherigen Modells an,
der fehlenden sozialen Dimension und der Demokratielücke. Die Leitlinie einer solchen Strategie hieße mehr
soziale Sicherheit und Verantwortung und mehr Beteiligung und Demokratie. Ein erster Schritt wäre ein alternativer Verfassungsvertrag, der die neoliberalen wirtschafts- und finanzpolitischen Vorgaben des jetzigen
Entwurfs zurücknimmt. Diese alternative Verfassung
könnte man dann 2009 bei den Europawahlen in allen
Ländern zur Abstimmung stellen.
Herr Reiche, ich gehe davon aus, dass Sie in den Ausschusssitzungen nicht nur körperlich anwesend sind.
Deshalb wissen Sie, dass wir die Verfassung nicht als
solche ablehnen, sondern dass wir immer gesagt haben,
dass es darauf ankommt, was in der Verfassung steht.
Deshalb wollen wir eine Alternative zum jetzigen Verfassungsentwurf. Zu sagen, die Linke sei gegen eine Verfassung, entspricht schlicht und einfach nicht der Wahrheit.
({0})
Zum Antrag der Grünen. Herr Steenblock, ich gehe
davon aus, dass Sie selbst ein schlechtes Gewissen haben, weil Sie diesen Antrag unterschrieben haben.
({1})
Wer in seiner Regierungszeit völkerrechtswidrige Kriege
und einen Sozialabbau in einem bisher nicht gekannten
Ausmaß mitverantwortete, macht sich unglaubwürdig,
wenn er von einer friedlichen und sozialen Union schwadroniert.
({2})
Den Antrag der Grünen könnte man als Antrag auf Aufnahme in die große Koalition verstehen. Ich gehe aber
davon aus, dass weder die SPD noch die CDU/CSU die
Koalition um die Grünen erweitern möchten. Wir, die
Linke, wollen keinen weiteren Ausbau der militärischen Strukturen in Europa, wie es die Grünen wollen,
sondern wir wollen die zunehmende Militarisierung Europas stoppen. Wir fordern deshalb die Abschaffung der
schnellen Eingreiftruppe und der Battlegroups mit dem
Ziel, auf eine strukturelle Nichtangriffsfähigkeit der EU
hinzuwirken.
({3})
Die Grünen sind von Ihrem Anspruch, eine Friedenspartei zu sein, weit abgekommen, wie dieser Antrag beweist.
Wir haben gestern die Chance gehabt, im Europaausschuss mit dem Kommissionspräsidenten Barroso zu
diskutieren. Was er zur EU-Verfassung gesagt hat, war
mehr als enttäuschend. Wenn Herr Krichbaum und Herr
Reiche sagen, es sei Ausdruck der Zurückhaltung der
Diplomatie, jetzt keine Vorschläge zu machen, ist das
nur das Eingeständnis, dass man keine Vorstellungen
hat, wie die EU-Verfassung zu retten ist. Das ist ein Armutszeugnis für die deutsche Bundesregierung.
({4})
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Wodarg,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte die Bundesregierung dazu beglückwünschen,
dass sie eine klare Zielvorstellung formuliert hat und
dass sie sehr wohl weiß, welche Ziele sie auch in Bezug
auf die europäische Verfassung verfolgen wird. Ich
denke, wir sind verpflichtet, das Mögliche so schnell wie
möglich anzugehen.
({0})
Es ist richtig, dass die Bevölkerung in Europa mehr als
Wirtschafts- und Handelsregelungen erwartet. Es gibt einen Konflikt zwischen Handelsregelungen und zum Beispiel ethischen Werten in der Politik und der Entwicklungspolitik.
In der Entwicklungspolitik gibt es eine Reihe von
Verlierern, die auch Verlierer der Handelsabkommen
sind. Wir wissen, dass wir uns wegen der Agrarförderung der Europäischen Union eigentlich gegenüber den
Entwicklungsländern schuldig machen!
({1})
Wir wissen, dass wir hier etwas ändern müssen. Das
weiß die Bundesregierung auch. Ich freue mich sehr,
dass sie ausdrücklich in ihr Programm geschrieben hat,
dass sie in der Wirtschaftspolitik entwicklungspolitische
Prioritäten setzen und ihre Verantwortung wahrnehmen
will.
Ich möchte auf einen Punkt, der mir sehr wichtig ist,
zu sprechen kommen. Ich meine den Zugang zu Medikamenten. Auch in dieser Hinsicht hat die Europäische
Union eine riesige Verantwortung. Es gibt den Plan
- darüber bin ich sehr froh -, die Zeit bis 2016 zu nutzen
und in den Least Developed Countries, in den am wenigsten entwickelten Ländern, Medikamente herzustellen, die nicht dem Patentschutz - Stichwort TRIPS - unterliegen. Auf diese Weise darf man Medikamente
herstellen und die Pharmaindustrie kann das nicht
blockieren. Das ist gut so und das müssen wir nutzen.
Wir müssen Länder ausfindig machen, die das können;
wir müssen sie fördern, damit überall Medikamente zur
Verfügung stehen.
Wir haben über Aids gesprochen. Nur 1,6 Millionen
Menschen bekommen Medikamente, aber 6 Millionen
brauchen Medikamente. Mehr als 4 Millionen Kranke
bekommen sie nicht und sterben - letztlich aus wirtschaftlichen Gründen. Ich will Ihnen ein Erlebnis, das
für mich ein Schlüsselerlebnis war, nicht vorenthalten.
Ich war bei der Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation in diesem Mai dabei. Da ging es um
die Vogelgrippe und einen Impfstoff dagegen. Es gab einen Antrag aus Kenia - unterstützt von Thailand -, der
verlangte, dass dieser Impfstoff, wenn er denn hergestellt werden könnte, keinen Patentschutz erhalten sollte.
Denn wenn die Vogelgrippe tatsächlich käme, wäre es
eine Seuche, die weltweit viele Menschen das Leben
kosten würde. Da darf es keine Priorität für Monopole
geben; da darf es keine Blockaden geben. Ein Impfstoff
muss dann schnell von möglichst vielen produziert werden und er muss allen zur Verfügung stehen.
({2})
Die Amerikaner saßen am Tisch und haben gesagt: No.
Es ist wichtiger, dass das Geschäft läuft und dass unsere
großen pharmazeutischen Unternehmen ihre Patentrechte wahrnehmen können, als dass überall in der Welt
Impfstoff hergestellt werden kann. - Das geht nicht; das
können wir nicht tolerieren. Das ist Geschäftemachen
mit dem Leben Tausender von Menschen.
({3})
Zum Glück laufen jetzt bei der WHO entsprechende
Verhandlungen. Da wird auch die Europäische Union
mit verhandeln. Ich bitte die Bundesregierung, in dem
Sinne, wie ich das hier angedeutet habe, zu verhandeln.
Es ist klar: Erfinder müssen belohnt werden; Forschung
muss sich lohnen. Mit guten Forschungsergebnissen soll
man auch Geld verdienen dürfen. Aber es darf nicht zur
Bildung strategischer Monopole kommen, die dazu führen, dass Medikamente Menschen vorenthalten werden,
die von diesen Medikamenten abhängig sind und die
ohne sie sterben würden.
({4})
Das gilt für Aids; das gilt aber auch für viele Armutskrankheiten. Aufgrund der Forschungsförderung über
Patente werden bestimmte Medikamente gar nicht mehr
entwickelt; denn es lohnt sich nicht. Arme Leute können
keine teuren Medikamente kaufen. Allerdings haben
arme Leute andere Krankheiten als reiche Leute. Wenn
wir hier Forschungsförderung betreiben wollen, wenn
wir hier wirtschaftliche Regelungen aufstellen wollen,
wenn wir geistiges Eigentum schützen wollen, dann
müssen wir das so machen, dass auch an diesen Krankheiten geforscht wird. Auch dafür haben wir eine große
Verantwortung. Ich freue mich, dass die Erfahrungen aus
der Entwicklungspolitik in unsere Programmatik für die
EU-Ratspräsidentschaft einfließen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/3327, 16/2833 und 16/3622 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und des
Finanzausgleichsgesetzes
- Drucksache 16/3269 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Zweiten Buches Sozialge-
setzbuch und des Finanzausgleichsgesetzes
- Drucksache 16/3572 -
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0})
- Drucksache 16/3677 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Karl Schiewerling
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/3678 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine
Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Bundesweite Mindeststandards für angemes-
senen Wohnraum und Wohnkosten für Bezie-
herinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II
- Drucksachen 16/3302, 16/3677 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Karl Schiewerling
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und des Finanzaus-
gleichsgesetzes nicht in seine Beschlussempfehlung mit
einbezogen. Dieser Gesetzentwurf soll heute nicht ab-
schließend beraten werden. - Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden. Dann verfahren wir so.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und teile mit, dass wegen
des Parteitages der Grünen die Rednerinnen und Redner
ihre Reden zu Protokoll geben. Es sind dies: Angelika
Krüger-Leißner, SPD-Fraktion, Jörg Rohde, FDP-Frak-
tion, Karl Schiewerling, CDU/CSU-Fraktion, Katja
Kipping, Fraktion Die Linke, der Parlamentarische
Staatssekretär Franz Thönnes, Markus Kurth für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und Max
Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion. Damit schließe
ich die Aussprache.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Gesetzentwurf zur Änderung des Zweiten Buches So-
zialgesetzbuch und des Finanzausgleichsgesetzes,
Drucksache 16/3269. Der Ausschuss für Arbeit und So-
ziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/3677, den Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD bei Ablehnung der Fraktion Die Linke und
1) Anlage 2
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Enthaltung der Fraktionen der FDP und des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie
zuvor angenommen.
Tagesordnungspunkt 29 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf
Drucksache 16/3677 zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Bundesweite Mindeststandards für
angemessenen Wohnraum und Wohnkosten für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/3302
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/
CSU, SPD und FDP bei Ablehnung der Fraktion Die
Linke und Stimmenthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({3}), Christoph Waitz, Jens
Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
National bedeutsames Kulturgut wirksam
schützen
- Drucksache 16/3137 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Hans-Joachim Otto, FDP-Fraktion, das Wort.
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als letzten Tagesordnungspunkt debattieren wir heute ein
Thema, dessen Bedeutung nicht nur den kulturpolitischen Bereich erfasst und sensibel gehandhabt werden
muss. Die Irritation, ja Empörung über die Umstände des
Verlustes der „Berliner Straßenszene“ von Ernst Ludwig
Kirchner reißen nicht ab. Die Furcht geht um, es könnten
zahlreiche weitere Exponate aus öffentlichen Sammlungen verschwinden.
Lassen Sie mich eingangs eines klarstellen. Die moralische Verpflichtung Deutschlands, ungeachtet aller Verjährungsfristen NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu restituieren, darf von niemandem und in keiner
Weise in Zweifel gezogen werden. Wir bekennen uns zu
unserer Selbstverpflichtung aus den Washingtoner
Grundsätzen von 1998 ohne Wenn und Aber. Aber wir
müssen auch - um den Gedanken der Restitution nicht in
Misskredit zu bringen - Vorkehrungen gegen eine neu
entstandene Restitutionsindustrie - darunter sind einige
schwarze Schafe - treffen, die mit dem noblen Ansinnen
ziemlich ungeniert Geschäfte macht und damit den fairen und gerechten Interessenausgleich zwischen den
Museen und den Erben, den die Washingtoner Grundsätze fordern, erschwert, wenn nicht gar hintertreibt.
({0})
Was ist zu tun? Zuallererst ist die Provenienzrecherche zu stärken. Die Zweifel und Verdächtigungen hinsichtlich der Herkunft der Exponate müssen so schnell
wie möglich beseitigt werden. Diese Unsicherheiten sind
der Humus professioneller Restitutionsforscher, die sich
von den Opfererben fürstlich entlohnen lassen, manchmal mit mehr als 50 Prozent des Erlöses.
Was viele übersehen, ist, dass bereits die Washingtoner Grundsätze als zentrale Forderung die Identifizierung der einschlägigen Kunstwerke, also die Provenienzforschung, enthalten. Doch dabei dürfen wir unsere
Museen nicht länger allein lassen. Es geht um Zusatzkosten von vielen Millionen Euro und es geht um spezifische Kenntnisse, die nicht in jedem kleineren Haus
vorhanden sind. Ich begrüße es deshalb sehr, dass die
Kulturstiftungen des Bundes und der Länder bereits konkrete Projekte zur Förderung der Provenienzforschung in
Angriff genommen haben. Ich hoffe sehr, dass dieses
Projekt durch die Kürzungen, die in letzter Sekunde
durch den Haushaltsausschuss zulasten der Bundeskulturstiftung für 2007 verfügt worden sind, nicht gefährdet
wird.
({1})
Ein ganz wichtiger Ansatzpunkt ist auch eine Stärkung der so genannten Limbach-Kommission, die 2003
zur Umsetzung der Washingtoner Grundsätze eingerichtet wurde. Dass deren Konstruktion nicht optimal ist,
zeigt schon die Tatsache, dass sie bisher überhaupt erst
einmal tätig werden konnte - bezeichnenderweise im
spektakulären Kirchner-Fall nicht. Der Fehler dieser
Kommission liegt schon darin, dass sie nur im Falle eines übereinstimmenden Antrags beider Seiten tätig werden darf. Sie können sich vorstellen: Manche haben kein
Interesse daran, dass eine Kommission tätig wird.
Dass dies auch anders und besser gehen kann, haben
unsere Nachbarn, die Franzosen, gezeigt. Auch wenn ich
nicht verkenne, dass es in der Frage der NS-Raubkunst
natürlich fundamentale Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich gibt, lohnt doch der Blick ins
Nachbarland, um zu sehen, wie man dort mit ähnlichen
Fragen umgeht. Die Franzosen haben eine zentrale, mit
Fachleuten und Richtern besetzte Kommission eingerichtet, die nicht nur - wie bei uns in Deutschland - berät, sondern die alle in Frankreich gestellten Restitutionsanträge prüft und eine Empfehlung zur Rückgabe
oder zur Zahlung einer Entschädigung ausspricht. Interessanterweise lautet das Votum in den meisten Fällen
übrigens nicht „Herausgabe des Bildes“; vielmehr werHans-Joachim Otto ({2})
den andere Lösungen wie Dauerleihgabe oder finanzierte Entschädigung vorgeschlagen. Bei 2 500 Anträgen
ist keine einzige Empfehlung in Zweifel gezogen worden; alle Empfehlungen sind akzeptiert worden.
Sehr interessant ist die Tatsache - das hat mir der Präsident dieser Kommission, der sich gestern in Berlin aufgehalten hat, gerade bestätigt -: Es gibt in Frankreich
keinerlei Aktivitäten der Restitutionsindustrie. Das ist
für diese Herren und Damen dort offensichtlich nicht so
attraktiv wie in Deutschland.
Wir müssen das französische Modell nicht eins zu
eins übernehmen, aber es lohnt sich sehr, dieses Modell
genauer anzusehen, um möglicherweise einen Weg zu
finden, die deutsche beratende Kommission, die
Limbach-Kommission, zu stärken.
Wir müssen uns auch Gedanken über einen Feuerwehrfonds machen, der es Museen ermöglicht, rasch
und unkompliziert Geld für den Rückkauf eines restituierten Kunstwerks zu erhalten.
Zum Abschluss möchte ich noch kurz auf einen weiteren Aspekt unseres Antrags eingehen, den Schutz national wertvollen Kulturguts. Die Bundesregierung unternimmt alle Anstrengungen - das gilt jetzt auch für den
Bundestag -, das national wertvolle Kulturgut anderer
Staaten zu schützen und die UNESCO-Konvention von
1970 in Musterschülermanier weit über das von der
Konvention geforderte Maß hinaus in nationales Recht
umzusetzen. Während das nationale Kulturgut anderer
Staaten dann mustergültig geschützt sein wird, mehren
sich leider die Fälle, in denen die Abwanderung unserer
national bedeutsamen Kunstwerke droht oder schon erfolgt ist. Es ist deshalb wichtig, dass künftig auch Kulturgüter in öffentlichen Sammlungen in das Verzeichnis
national wertvollen Kulturguts aufgenommen werden.
Aber anders als im Ausführungsgesetz zum UNESCOAbkommen - darüber müssen wir reden - sollte das etwas weitergehend sein. Ich finde, dass man auch dem
Kulturstaatsminister ein Antragsrecht geben sollte.
Wir müssen also den Grundgedanken der UNESCOKonvention auch innerhalb Deutschlands ernst nehmen,
nicht zuletzt gegenüber solchen Trägern öffentlicher Gewalt, die national bedeutsames Kulturgut zur Sanierung
öffentlicher Kassen veräußern wollen. Leider, meine Damen und Herren, besteht hierfür zunehmend Veranlassung.
Vielen Dank.
({3})
Ich erteile das Wort Kollegin Monika Grütters, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Kollege Otto, mir drängt sich ein bisschen der Verdacht auf, als wollten Sie auf den letzten Drücker am
Freitag mit Ihrem Antrag noch schnell nicht nur das national bedeutende Kulturgut schützen - jetzt hört er nicht
mal zu -,
({0})
sondern ebenso schnell auf den fahrenden Zug der Koalition aufspringen. Gut gemacht, was die Taktik angeht;
keine Frage. Aber viele Ihrer Ideen sind natürlich bereits
entwickelt worden. Also beraten wir heute in klassischer
Oppositionsmanier ein Thema, das von der Bundesregierung und natürlich auch im Parlament - Sie haben selbst
gesagt: Die UNESCO-Konvention ist bei uns schon
lange auf der Agenda - sehr wohl bearbeitet wird;
Hauptsache, wir haben auch hier noch einmal darüber
gesprochen.
Sie haben natürlich in einem Recht. Es lohnt sich immer, über national bedeutsames Kulturgut zu sprechen,
besonders dann, wenn es bedroht ist oder zumindest bedroht zu sein scheint. Damit es sich lohnt, Herr Otto, haben Sie ganz viele Aspekte in Ihren Antrag hineingemischt: den Schutz ausländischen nationalen Kulturguts,
den Schutz unseres nationalen Kulturguts und die aktuelle Praxis der Restitution von NS-Raubkunst. Den
Verkauf von Kulturgütern haben Sie auch noch erwähnt.
({1})
Ich finde, dass Ihr Gemisch aber manchmal ein wenig
schal schmeckt.
Nun zur Sache, zu den drei Forderungen in Ihrem Antrag. Sie möchten das Verzeichnis national wertvollen
Kulturguts aktualisieren und vervollständigen lassen.
Unseres Erachtens ist das Verzeichnis aktuell; denn alle
von den Ländern gemeldeten Eintragungen werden direkt in das Gesamtverzeichnis national wertvollen Kulturguts übernommen.
({2})
- Nein. Vollständigkeit kann nur erlangt werden, wenn
die Länder auch Kenntnis von dem Kulturgut haben, was
bei Privatbesitz natürlich schwierig ist.
({3})
- Nein, Auskunftsrechte der Länder gibt es nicht. Auch
eine Offenbarungspflicht der Eigentümer ist mit dem
Grundgesetz kaum in Einklang zu bringen.
Außerdem möchten Sie, dass es eine Entschädigung
für die Wertminderung gibt, die mit der Eintragung in
das Verzeichnis verbunden ist, weil die Verwertungsmöglichkeiten erschwert würden. Aber das ist kaum
finanzierbar.
Heikler finde ich da schon Ihre Forderung, die Handreichung und die Gemeinsame Erklärung in Bezug auf
Restitutionsfragen zu überarbeiten. In der Tat - da haben
Sie natürlich Recht - hat die Restitution des KirchnerBildes „Berliner Straßenszene“ die Kunstwelt zu Recht
aufgewühlt, weil das sehr strittig ist. Ob diese Rückgabe
aber hätte verhindert werden können, wenn die Hand7138
reichung anders lauten würde, weiß ich nicht. Diese Inkunabel des Expressionismus in die Liste nationalen
Kulturguts der Bundesrepublik aufzunehmen - das überlegen Sie ja; wir haben das der Presse entnommen -,
wäre sehr fragwürdig. Man könnte es uns als Trick auslegen, wenn wir das Depotgut in deutschen Museen in
die Liste aufnehmen; man könnte meinen, wir täten dies,
nur um es vor dem Verlust zu schützen.
Wir müssen uns meiner Meinung nach hüten - das haben Sie zu Recht gesagt -, diesem knallhart kommerzialisierten Restitutionshandel, an dem vor allem amerikanische Anwaltskartelle zu verdienen scheinen, mit einer
Einschränkung unserer moralischen Verpflichtung zu begegnen. Diese Gegenüberstellung ist natürlich außerordentlich schwierig. Eine Aushöhlung der moralischen
Verpflichtung darf es aber gerade in Deutschland nicht
geben, so sinnvoll möglicherweise der Blick auf Nachbarländer ist. Deutschland hat hier natürlich eine singuläre Stellung, weil wir das Volk der Täter waren.
Ob ein Feuerwehrtopf finanzierbar wäre, mit öffentlichen oder privaten Mitteln, ist angesichts der Summen,
die bei den Versteigerungen erzielt werden, schwer zu
beantworten; das wissen Sie. Eher sollte man meiner
Meinung nach ahnungslosen Staatssekretärinnen, die
meinen, sie könnten jenseits der Öffentlichkeit solch
schwer wiegende Fälle meistern, das Handwerk legen.
Frau Kisseler hat die Limbach-Kommission nicht einmal
angerufen. Aber im Kabinett eines Herrn Wowereit
wurde die Betreffende zu allem Überfluss auch noch zur
Chefin der Senatskanzlei befördert.
Um derart unprofessionelles Treiben künftig zu unterbinden, wäre eine bessere Dokumentation, also die Provenienzforschung, tatsächlich eine wichtige Voraussetzung für einen sachgerechteren Umgang mit kritischen
Restitutionsfällen. Deshalb hat der Staatsminister bereits
die Initiative ergriffen und Museumsfachleute zu einer
Konferenz über diese Fragen eingeladen. Ein Termin mit
der Jewish Claims Conference wird folgen. Das ist der
richtige Rahmen, um mögliche Verbesserungen der
Handreichung - durch Experten und nicht durch die
Politik - zu erarbeiten.
({4})
Für die Provenienzforschung müssen Gelder bereitgestellt werden. Das, Herr Otto, ist in der Tat wieder unsere
Aufgabe, die des Parlaments.
({5})
- Ja, das tun wir auch.
Sehr verehrter Herr Kollege, die CDU/CSU-Fraktion
wird Ihren Antrag trotzdem ablehnen. Erstens vermischt
er uns zu viele Sachverhalte zum Schutz nationalen Kulturguts. Außerdem greifen wir den Ergebnissen der
durch den Staatsminister initiierten Gespräche mit Fachleuten ungern vor, auch nicht mit einem solchen
Antrag - bei allem Verständnis für die ein wenig im
Schatten der Regierung stehende Opposition. Die Fachleute werden uns sicher wertvolle Hinweise für ein politisches Handeln liefern.
Ich danke Ihnen.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegin Lukrezia Jochimsen,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Hinsichtlich des Antrages, den die FDP eingebracht hat, müssen
aus meiner Sicht zwei Probleme getrennt voneinander
betrachtet werden: erstens die Rückgabeverpflichtung
Deutschlands für Kunstgegenstände, die zwischen 1933
und 1945 ihren jüdischen Besitzern auf vielfältige Weise
entzogen wurden, und zweitens das hässliche Geschäft
mit dem Erbe, sobald es in die Hände seiner rechtmäßigen Besitzer zurückgelangt ist.
Im ersten Problemkreis wird uns nun auch die Dimension des NS-Unrechts vor allem im Bereich der Kunst
drastisch und deutlich vor Augen geführt. 50, 60 Jahre
lang haben wir gar nicht gewusst - und wissen es zum
Teil immer noch nicht -, wie sehr wir uns gerade auch an
der Kultur unserer jüdischen Bürger bereichert hatten.
Der zweite Problemkreis, lieber Herr Otto, geht uns
Politiker eigentlich gar nichts an. Wir können es zwar
bitter und sogar empörend finden, wenn Glanzstücke aus
unseren Museen verschwinden und in London oder New
York zu Schwindel erregenden Summen versteigert werden, aber in diesem besonderen Fall ist Besitz eben Besitz und im Zeitalter der gerade von der FDP sonst so begrüßten Globalisierung müssen wir hinnehmen, dass die
Gier des Marktes nach Museumsware regiert.
National bedeutsames Kulturgut wirksam zu schützen
beginnt damit, dass Museen endlich in die Lage versetzt
werden, Provenienzforschung zu betreiben; da haben
Sie vollkommen Recht. Jahrzehntelang ist das aber von
uns versäumt worden. Nach der Washingtoner Erklärung, welche die Bundesrepublik immerhin vor acht Jahren unterzeichnet hat,
… sollten alle Anstrengungen unternommen werden, Kunstwerke, die als durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückerstattet identifiziert wurden, zu veröffentlichen,
um so die Vorkriegseigentümer oder ihre Erben
ausfindig zu machen.
Auch sollten danach Vorkriegseigentümer und ihre Erben ermutigt werden, ihre Ansprüche anzumelden. - Von
dieser Politik war eben in den letzten Jahren nichts zu
verspüren. Hätte zum Beispiel das Brücke-Museum
rechtzeitig entsprechend gehandelt, hätten sich vielleicht
geldgierige Anwälte nicht auf den Weg gemacht, um den
Deal zu drehen.
Im FDP-Antrag wird gefordert, die Handreichung,
die aufgrund der Washingtoner Erklärung für den UmDr. Lukrezia Jochimsen
gang mit Rückgabefällen erstellt wurde, zu überarbeiten,
um
die Balance zwischen den Interessen der Alteigentümer und den Anliegen der Museen … neu zu justieren.
Da werde ich sehr hellhörig; denn es gibt gleich einen
Vorschlag dazu, wie zu justieren sei, beispielsweise
durch eine Haltefrist von zehn Jahren. Was ist damit gemeint? Dem rechtmäßigen Eigentümer wird zwar nun
das Bild, das ihm vor 70 Jahren entzogen wurde, zurückgegeben, aber dann soll er bitte schön noch zehn Jahre
warten, bis er es verkaufen kann. Das ist doch eine Zumutung sondergleichen. Im FDP-Antrag heißt es weiter,
die neue Balance der Interessen sei im „Geiste der
Washingtoner Erklärung“ herzustellen. Ich habe keinen
Satz über eine solche zehnjährige Haltefrist in der
Washingtoner Erklärung gefunden.
Der zweite Vorschlag, national wertvolles Kulturgut
in ein staatliches Verzeichnis aufzunehmen, welches ein
Ausfuhrverbot enthält, kann doch nicht allen Ernstes
für zurückzugebende Kunstgegenstände, die zwischen
1933 und 1945 ihren Besitzern entzogen wurden, gelten.
Das hieße: Ja, es ist Ihr Bild, wir geben es Ihnen zurück,
es muss aber in Deutschland bleiben. - Auf die NS-Beschlagnahmung folgte die Ausfuhrsperre.
Dann heißt es im FDP-Antrag:
In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob
und inwieweit Privateigentümer für eventuelle
Wertminderungen zu entschädigen sind, die ihnen
durch die Eintragung in diese Verzeichnisse entstehen …
Das ist mir, ehrlich gesagt, einfach zu viel des Zynismus.
Über diesen Antrag werden wir im Ausschuss wohl
noch kräftig streiten. Im Grunde genommen glaube ich,
dass uns gar nichts anderes bleibt, als ihn abzulehnen.
({0})
Die Kollegen Steffen Reiche ({0}) und Katrin
Göring-Eckardt haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.1)
Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Dorothee Bär,
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Selbstverständlich werde ich meine Rede bei diesem
wichtigen Thema nicht zu Protokoll geben.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wollen un-
ser Kulturgut wirksam schützen. Deswegen ist für mich
1) Anlage 3
und die gesamte CDU/CSU-Fraktion der Inhalt des Titels Ihres Antrags eine Selbstverständlichkeit.
({1})
Genauso ist es für uns aber eine Selbstverständlichkeit,
dass Deutschland aufgrund der historischen Vergangenheit gegenüber jüdischen Familien eine besondere Verantwortung hat und eine besondere Sensibilität beweisen
muss. Die Frage der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut ist deshalb äußerst kompliziert. Diese Kunstwerke hängen häufig in Museen und
werden von zahlreichen Menschen täglich betrachtet.
Wir alle können von diesen Kunstwerken viel über unsere Geschichte lernen. - Herr Kollege Otto, wenn Sie
mir zuhören würden, würden Sie vielleicht auch verstehen, wie wir uns im Anschluss an diese Debatte zu Ihrem Antrag entscheiden werden.
({2})
Natürlich sind die Eigentumsansprüche zu respektieren. Dazu gibt es die so genannte Washingtoner Erklärung von 1998. Gleichzeitig besteht aber ein öffentliches
Interesse - ich würde sagen: unser aller Interesse -, diese
wertvollen Kulturgüter für die Öffentlichkeit zu erhalten
und weiterhin zugänglich zu machen. Auch unsere Museen
haben ein Interesse daran. Deshalb wurde unter der früheren Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta
Limbach, eine Kommission für die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter eingesetzt. Dieses hochrangig besetzte Gremium, in dem unter anderem
Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, die Juristin
Jutta Limbach und die ehemalige Bundestagspräsidentin
Professor Rita Süssmuth sitzen, vermittelt im Falle einer
Uneinigkeit zwischen der Bundesregierung bzw. anderen öffentlichen Institutionen der Bundesrepublik und
den ehemaligen Eigentümern der Kunstwerke oder deren
Erben.
Fernab der rechtlichen Frage allerdings entscheidet
diese Kommission und nimmt die moralische Bewertung
vor. Dies sind harte Entscheidungen, die umso härter
treffen, wenn wertvolle Gemälde mit hohem Preis auf
anderen Auktionen versteigert werden.
({3})
Das sind Dinge, die man beklagen kann. Trotzdem müssen wir nach wie vor mit hoher Sensibilität mit diesem
Thema umgehen.
Wir müssen aber auch realisieren, Herr Kollege Otto,
dass durch diese Regelung bereits mehr als 1 000 Kunstwerke ohne große Diskussion geräuschlos zurückgegeben worden sind.
({4})
An zwei, drei spektakulären Fällen entzündet sich nun
eine Diskussion. Diese Fälle stellen aber nicht das gesamte Vorgehen infrage.
({5})
Wichtig ist für uns, dass solche Rückgaben besser
vorbereitet werden. Durch die Forschung nach der
Herkunft von Kunstwerken erkennt man die Probleme,
die auf einen zukommen. Man löst das Problem dann im
Einzelfall.
Die FDP fordert eine Unterstützung dieser Forschung.
Die Bundesregierung wird das prüfen. Sie fordern in Ihrem Antrag,
die Balance zwischen den Interessen der Alteigentümer und den Anliegen der Museen ... neu zu justieren.
Diese Balance, Herr Kollege Otto, wird unter anderem
durch die Arbeit der Kommission hergestellt.
({6})
Sie fordern eine Überarbeitung der Handreichung
für die Museen. Unser Kulturstaatsminister hat eine solche Überarbeitung jedoch bereits angekündigt. Eine eigens dafür gegründete Arbeitsgruppe wird diese Arbeit
übernehmen.
Ihr Antrag ist vielleicht in einigen Punkten richtig,
aber doch überholt. Deswegen besteht für uns kein
Grund zur Zustimmung zum jetzigen Zeitpunkt.
Vielen herzlichen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mit derselben Eingangsbemerkung wie die Kollegin Bär beginnen: Auch
ich halte es für richtig, dass wir diese Debatte führen.
Nichtsdestotrotz halte ich die Art und Weise, in der wir
es jetzt tun, für nicht in Ordnung. Wir haben die Vereinbarung getroffen - ich hoffe nicht, dass wir das einmal
wegen der FDP tun müssen -, dass mit Rücksicht auf
den Parteitag der Grünen heute um 13 Uhr Plenarende
ist.
({0})
Wir haben darüber hinaus vereinbart, dass wir um
13 Uhr mit dem Kulturausschuss nach Sachsenhausen
fahren. Aus diesem Grunde fühle ich mich unwohl, zumal mein Kollege Reiche seine Rede im Vertrauen auf
getroffene Absprachen zu Protokoll gegeben hat. Ich
will das nur in aller Klarheit sagen; darüber sollten wir
uns in aller Freundschaft noch einmal unterhalten.
Ansonsten ist natürlich richtig, dass wir hier eine interessante Debatte haben. Die Linke wird marktwirtschaftlich radikal und die FDP stellt sich gegen den internationalen Kunstmarkt. Ich will das jetzt auf diesen Punkt
verkürzen; aber daran zeigt sich schon, wie spannend die
Diskussion ist, die wir miteinander zu führen haben.
In der Tat gibt es eine Reihe von Punkten - da möchte
ich jetzt ausnahmsweise gar nicht so hässlich zur FDP
sein, wie ich normalerweise geneigt bin -, die im Antrag
der Bundesregierung bereits aufgegriffen sind - liebe
Frau Kollegin Grütters, Sie haben es angesprochen -,
und andere Punkte, bei denen wir parteiübergreifend zu
einer Einigung kommen könnten. Die Frage, ob wir hier
zu einer gemeinsamen Initiative kommen, ist für mich
zunächst einmal offen; natürlich gilt das nicht für Ihren
Antrag, wie er heute aussieht. Aber wie gesagt, auf dieser Basis kann man sich sicherlich über das eine oder andere unterhalten.
Ich glaube, dass dem Schutz national bedeutsamen
Kulturguts höchster Stellenwert eingeräumt werden
muss; das ist klar. Einige Vorgänge sind angesprochen
worden. Aber es gibt ja auch einige andere Vorgänge, die
uns - zumindest mich als Baden-Württemberger - im
Moment sehr beunruhigen. Ich weise an dieser Stelle
darauf hin, dass wir in Baden-Württemberg gerade eine
Diskussion darüber führen, dass Kunstgegenstände - es
handelt sich hier um den zentralen Schatz aus den Klöstern, den wir nicht nur in Baden, sondern aus ganz
Europa gesammelt haben - dem internationalen Kunstmarkt zur Verfügung gestellt werden sollen, um einen
Beitrag zur Sanierung des Schlosses Salem des Hauses
Baden zu leisten. In diesem Zusammenhang gibt es eine
ganze Reihe von höchst merkwürdigen Vorgängen.
({1})
Unter anderem wollte die baden-württembergische Landesregierung ein Kunstwerk, das bereits im Besitz des
Landes ist, für 8 Millionen Euro vom Haus Baden zurückkaufen. Man bezahlt also für ein Kunstwerk, das einem schon gehört, 8 Millionen Euro und gibt dieses
Geld an Dritte weiter.
Wir können also offensichtlich nicht mehr davon ausgehen - ich glaube daher, dass die Initiative des Kulturstaatsministers an dieser Stelle richtig ist -, dass das, was
heute teilweise seit Jahrhunderten im öffentlichen Besitz
und Eigentum ist, noch geschützt ist. Können wir uns eigentlich noch darauf verlassen, dass das, was in öffentlichen Museen vorhanden ist, tatsächlich dort bleibt, oder
müssen wir damit rechnen, dass diese Dinge Gegenstand
von Spekulationen werden?
({2})
Frau Kollegin Jochimsen, ich habe die FDP an dieser
Stelle in der Tat nicht so verstanden, dass sie den internationalen Kunstmarkt nicht mehr wolle. Ich glaube, wir
alle bekennen uns dazu.
Ich war vor einiger Zeit in einem anderen Zusammenhang an der Universität von Harvard. Das war sehr
spannend.
({3})
- Ein Neffe von mir hat dort gelehrt. Ich habe daher ganz
gute Beziehungen dorthin.
({4})
Nur wenige wissen, dass diese Universität ein unglaublich faszinierendes Museum hat. Insbesondere befinden
sich dort Gegenstände der so genannten entarteten
Kunst, die dadurch gerettet worden sind.
Ich habe aufgrund unserer Diskussion in Harvard gefragt, ob man dort bereit wäre, Kunstgegenstände zu verkaufen. Man hat mir geantwortet, es sei völlig ausgeschlossen, dass etwas, das im Bestand von Harvard ist,
veräußert würde. Es ist eine unabänderliche Tatsache,
dass diese Gegenstände dort bleiben. Das ist auch so fixiert.
Ich habe mich dann an unsere Debatte erinnert. Es ist
meines Erachtens dringend erforderlich, dass wir uns
auch über die Frage unterhalten, ob die Liste der geschützten Kulturgüter, wie sie im Moment angelegt ist
- in diesem Zusammenhang ist das Vorkommnis aus Baden-Württemberg ein trauriges Beispiel - noch ausreichend ist. An dieser Stelle muss eine erweiterte Diskussion geführt werden.
Ich bin froh - wir haben entsprechende Vorbereitungen schon in der letzten Legislaturperiode getroffen -,
dass der Kulturstaatsminister diese Diskussion aufgegriffen hat. Ich denke, dass wir etwas Vernünftiges auf
den Weg bringen werden. Ich sage noch einmal: Ich
würde mich freuen, wenn dies parteiübergreifend möglich wäre, auch unter dem Gesichtspunkt - ich zitiere
einmal ausnahmsweise die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ von heute -: „Kulturgut ist kein Spielzeug“. Dem
stimme ich ausdrücklich zu.
({5})
Es wird in diesem Lande zunehmend der Eindruck erweckt, als sei Kulturgut - egal ob in Baden-Württemberg
oder anderswo - beliebige Dispositionsmasse für die Sanierung von Haushalten oder eines bankrotten Adelshauses. Diesen Eindruck darf Deutschland nicht vermitteln,
zumal wir uns mit Blick auf Kriegsgebiete empören, wie
dort mit Kulturgütern umgegangen wird. Damit kein
Missverständnis besteht: Selbstverständlich ist das, was
im Irak mit Kulturgütern geschieht, eine Katastrophe.
Aber für mich ist es ebenso eine Katastrophe, dass bei
uns im tiefsten Frieden aufgrund fiskalischer Zwänge
mit Kulturgütern so umgegangen wird, als seien sie
Spielzeug.
({6})
Ich freue mich auf die Diskussion. Ich will einmal
nett zur FDP sein und betonen, dass sie einen kleinen
Beitrag zu dieser Debatte geliefert hat. Den größeren
Beitrag haben natürlich wieder wir geleistet. So ist es
halt im Leben. Damit muss sich die FDP abfinden.
Schönes Wochenende.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3137 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Kornelia Möller, Cornelia
Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Ausbildungsplatzlücke schließen - Vorschlag
des DGB aufgreifen
- Drucksache 16/3540 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und teile mit, dass alle
Reden zu Protokoll gegeben worden sind, und zwar die
Reden der Kollegen Werner Dreibus, Fraktion Die
Linke, Michael Hennrich, CDU/CSU-Fraktion, Patrick
Meinhardt, FDP-Fraktion, Dieter Grasedieck, SPD-
Fraktion, und Brigitte Pothmer, Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen.1)
Damit kann ich die Aussprache schließen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3540 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. Dezember 2006, 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein
freundliches Adventswochenende.