Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich und darf Ihnen zu Beginn unserer
Sitzung gleich die erfreuliche Mitteilung machen, dass
der Zusatzpunkt 8, die von der Fraktion Die Linke ursprünglich verlangte Aktuelle Stunde zu deutschen Rüstungsexporten, von der Tagesordnung abgesetzt wird.
Können Sie damit leben?
({0})
- Schwer, aber ich stelle dazu Einvernehmen fest. Dann
ist das so beschlossen.
Dann kommen wir gleich zu dem vereinbarten Zusatzpunkt 7:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat am 9. Dezember 2011
in Brüssel
Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit
Beginn der Krise im Euro-Raum tritt die Bundesregierung dafür ein, die akute Krise zu bewältigen und gleichzeitig die notwendigen Lehren für die Zukunft zu ziehen.
Dabei geht es um nicht mehr und nicht weniger als um
eine Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion. Genau dies, die nachhaltige Stärkung der Wirtschafts- und
Währungsunion, wird das zentrale Thema des Europäischen Rates in der kommenden Woche sein.
Dazu wird Herman Van Rompuy als Präsident des
Europäischen Rates Vorschläge vorlegen. Natürlich können wir heute diese Vorschläge nicht debattieren. Wir
können ihm nicht vorgreifen. Das wird auch jeder verstehen. Aber ich glaube, wir können trotzdem sehr klar
sagen: Was werden die Leitlinien, was werden die Ziele
sein, die wir in der nächsten Woche verfolgen? Die Leitlinien und die Ziele, mit denen die Bundesregierung und
auch ich persönlich in den Rat gehen, können wir heute
Morgen ausführlich und konkret beraten.
Die Bundesregierung hat stets deutlich gemacht, dass
die europäische Schuldenkrise nicht mit einem einzigen
Befreiungsschlag über Nacht zu lösen ist. Es gibt diesen
einen Befreiungsschlag, den einen Paukenschlag nicht.
Es gibt keine einfachen und schnellen Lösungen, schon
gar nicht, wie manche vor jedem Gipfel sagen, den angeblich letzten Schuss. Weder ist das meine Sprache
noch mein Denken.
({0})
Die Bewältigung der Staatsschuldenkrise ist ein Prozess.
Dieser Prozess wird Jahre dauern.
({1})
Wie ist die Lage heute, eine Woche vor dem nächsten
Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs? Einerseits haben wir es mit der schwersten Krise seit Einführung des Euros, wenn nicht sogar in der Geschichte
der europäischen Einigung zu tun. Wir können das in
den täglichen Nachrichten verfolgen. Andererseits ist es
nicht übertrieben, festzustellen, dass wir bereits außerordentlich viel geschafft haben. Der Blick dafür scheint in
diesen Tagen angesichts der täglichen Meldungen etwas
verstellt, aber ich bin zutiefst davon überzeugt.
Erstens. Es herrscht in ganz Europa Einigkeit über die
Ursachen der Krise. Das war bei weitem nicht immer so.
Heute gibt es darüber überhaupt keine Diskussionen
mehr.
({2})
Zweitens. Es herrscht in ganz Europa Einigkeit, dass
genau diese Ursachen bekämpft werden müssen, um die
Krise zu überwinden und nicht von einer Krise in die
nächste zu kommen, die dann noch schlimmer wäre als
die davor. An dieser Stelle ist es mir wichtig, dass wir
uns einmal vor Augen führen, was schon alles passiert
ist. Das bedeutet natürlich auch, dass wir uns vor Augen
führen, welche Aufgaben die Menschen in Spanien, in
Portugal und vor allem in Griechenland zu lösen haben.
Ich füge allerdings hinzu - das wird noch weniger beachtet -: auch diejenigen, die zum Teil nicht zum EuroRaum gehören, die baltischen Staaten, Bulgarien und
Rumänien, wenn man bedenkt, welche Opfer dort von
den Menschen verlangt werden.
Ich glaube, wir machen uns oft keine Vorstellung davon - das können wir vielleicht auch gar nicht -, welchen Beitrag die Menschen in den Ländern, die ich genannt habe, dazu leisten, dass der Euro eine dauerhafte
und stabile Währung wird. Deshalb möchte ich heute
noch einmal meine absolute Hochachtung vor diesen Bemühungen ausdrücken. Denn das ist ein Beitrag zu einem zukunftsfähigen Europa, meine Damen und Herren.
({3})
Drittens. Auf dem Weg, die Ursachen der Krise zu bekämpfen und sie damit auch überwinden zu können, sind
wir in Europa bereits extrem weit vorangekommen. Wer
vor einigen Monaten gesagt hätte, dass wir Ende des
Jahres 2011 sehr ernsthafte und sehr konkrete Schritte
auf dem Weg zu einer europäischen Stabilitätsunion, einer europäischen Fiskalunion und Durchgriffsrechten in
Europa einleiten, der wäre damals noch für verrückt gehalten worden. Jetzt steht genau dies auf der Tagesordnung.
Wir stehen kurz davor. Es gibt noch Schwierigkeiten
zu überwinden, keine Frage. Aber die Notwendigkeit ist
weitgehend anerkannt.
Wir reden nicht mehr nur über eine Fiskalunion, sondern wir fangen an, sie zu schaffen. Ich glaube, das ist
nicht hoch genug einzuschätzen. Marathonläufer erzählen oft, dass ein Marathonlauf ungefähr ab Kilometer 35
besonders anstrengend und schwer werde. Aber sie sagen auch, dass die ganze Strecke geschafft werden kann,
wenn man sich von Beginn an der Größe der Aufgabe
voll bewusst ist und die ganze Aufgabe entsprechend angeht.
({4})
Nicht der, der am schnellsten beginnt, ist zwangsläufig
der Erfolgreichste, sondern der, der weiß, was insgesamt, also für die ganze Strecke, zu beachten ist.
({5})
Wir haben bereits so viel geschafft, wie wir uns das
noch vor einigen Monaten nicht haben vorstellen können. Um jetzt noch weiter voranzukommen, müssen wir
uns dem Kern der Krise stellen: der Einsicht, dass wir es
im Euro-Raum zwar mit einer Staatsschuldenkrise zu tun
haben, vor allem aber auch mit einer Vertrauenskrise.
Es gibt zwei Institutionen, in die das Vertrauen in dieser ganzen Zeit weitestgehend unangetastet geblieben ist,
deren Glaubwürdigkeit unverändert hoch ist. Das sind
zum einen die Gerichte - in Deutschland das Bundesverfassungsgericht, in Europa der Europäische Gerichtshof und zum anderen die Notenbanken, die nationalen Notenbanken sowie die Europäische Zentralbank.
Es ist höchstes Gut unserer Demokratie, die Glaubwürdigkeit und die Vertrauenswürdigkeit dieser beiden
Institutionen, der Gerichte wie der Notenbanken, zu
schützen und zu wahren.
({6})
Das geht, indem man ihr Wesen, also ihre Unabhängigkeit, achtet, und zwar in jede Richtung.
({7})
Deshalb werde ich auch in Zukunft nichts von dem kommentieren, was nationale wie auch europäische Gerichte
und nationale Notenbanken wie auch die Europäische
Zentralbank tun oder lassen. Allerdings ist es natürlich
wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen: Die Aufgabe
der Europäischen Zentralbank ist eine andere als die der
Fed in den Vereinigten Staaten von Amerika und beispielsweise der Bank of England.
({8})
- Da brauchen Sie gar nicht „aha“ zu sagen. Das ist in
den Verträgen festgeschrieben. Die Aufgabe heißt, die
Geldwertstabilität zu sichern. Genau das tut die Europäische Zentralbank; davon bin ich zutiefst überzeugt.
({9})
Den Gerichten und der Zentralbank steht ein Bereich
gegenüber, bei dem in dieser Krise offenkundig geworden ist, dass er leider nahezu jedes Vertrauen verspielt,
verwirkt und fast zerstört hat, und zwar über Jahre hinweg. Das ist - das müssen wir so schonungslos sagen die Politik.
Das begann erstens mit der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion selbst, als Konstruktionsfehler zugelassen wurden, die die Euro-Gruppe erst
schleichend und dann immer offenkundiger eingeholt
haben und jetzt mit voller Wucht einholen. Das geschah
gewiss nicht mit böser Absicht, aber es ist eine Tatsache,
die nicht zu leugnen ist.
Zweitens hat die Politik über die Jahre Vertrauen verspielt, weil sie schon seit Gründung der Wirtschafts- und
Währungsunion die Prinzipien, die im Stabilitäts- und
Wachstumspakt vorgesehen waren, nicht oder nicht vollständig angewandt oder gar aufgeweicht hat. Dass wir
alle in Europa uns jetzt entschlossen haben, endlich damit aufzuhören, das ist die wichtige, ermutigende Zwischenbilanz, die wir heute ziehen können.
({10})
Denn, meine Damen und Herren, wir streiten und ringen in Europa um Einzelheiten, aber nicht mehr um das
Ganze, nicht mehr darum, dass die Politik zur dauerhaften Überwindung der Schuldenkrise das wiederherstellen muss, was sie selbst infrage gestellt hat: ihre Glaubwürdigkeit und ihre Vertrauenswürdigkeit. Sie muss das
tun, indem sie zum einen endlich Wege findet, bereits
beschlossene Maßnahmen einzuhalten und umzusetzen,
und indem sie zum anderen über Veränderungen der
Grundlagen der Zusammenarbeit, zum Beispiel Vertragsänderungen, bereit ist, in Europa eine Fiskalunion
mit starken Durchgriffsrechten zu schaffen, zumindest
im Euro-Raum.
Die Einhaltung bereits beschlossener Maßnahmen gilt
aktuell für die Gipfelbeschlüsse vom 26. Oktober 2011.
Ziel des Ende Oktober 2011 im Deutschen Bundestag
mit großer Mehrheit geschnürten Pakets ist es, eine tragfähige Lösung für Griechenland zu schaffen und zu verhindern, dass die Krise auf andere Euro-Staaten übergreift. Die Finanzminister konnten dabei Anfang der
Woche wichtige Fortschritte erzielen. Die neue Regierung in Griechenland hat sich parteiübergreifend dazu
verpflichtet, das vereinbarte Reformprogramm umzusetzen. Damit war der Weg für die Auszahlung der sechsten
Tranche frei geworden.
Jetzt geht es darum, möglichst bis Ende des Jahres das
neue Programm auch wirklich zu verhandeln. Das
schließt die Beteiligung des Privatsektors mit ein. Ich
will daran erinnern, dass wir in der Sitzungswoche vor
den Sommerferien zum ersten Mal im Grundsatz darüber
abgestimmt haben, dass wir ein neues Griechenland-Programm brauchen. Jetzt nähern wir uns der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten, und ich finde, es ist nicht
zu viel verlangt, dass jetzt endlich alle Akteure versuchen, dieses neue Programm zu verhandeln.
({11})
Auch Italien packt die großen Herausforderungen an
und stellt sich damit als drittgrößte Wirtschaftsnation
Europas seiner Verantwortung für seine eigene gute Zukunft genauso wie für die Zukunft der Euro-Zone insgesamt.
Auf dem Europäischen Rat am 26. Oktober 2011 haben wir außerdem beschlossen, dass systemrelevante
Banken mehr Eigenkapitalpuffer vorhalten müssen. Das
ist notwendig, um das Vertrauen in die Stabilität des europäischen Bankensektors zu stärken. Auch hier hoffe
ich, dass die europäische Bankenaufsicht die Entscheidung jetzt schnell verkündet, damit auch in diesem Bereich Sicherheit entsteht.
Vorgestern haben die EU-Finanzminister darüber hinaus Grundsätze einer koordinierten Vergabe von Liquiditätsgarantien für Banken beschlossen; denn nur wenn
die Refinanzierung von Banken sichergestellt ist, kann
der Bankensektor die Wirtschaft auch ausreichend mit
Krediten versorgen.
Die Verabschiedung der Leitlinien für die EFSF einschließlich ihrer Schlagkraft ermöglicht es uns, die
Wirksamkeit des Euro-Rettungsschirms deutlich zu erhöhen. Auch hier sage ich: Ich rate uns nicht, die EFSF
schlechtzureden, sondern wir sollten mit realistischem
Blick mit der EFSF das machen, was möglich ist, und
dazu haben wir hier in diesem Hause ausführlich beraten.
Weil die gegenwärtige Krise im Euro-Raum vor allem
eine Vertrauenskrise ist, müssen wir neben der Bekämpfung der Ursachen dieser Krise - zu hohe Staatsverschuldung, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit einiger
Euro-Staaten - die grundlegenden Mängel in der Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion beseitigen. Wenn wir das machen, dann zeigen wir im Übrigen,
dass wir nicht nur die Mühen der Krise sehen, sondern
diese Krise vor allem als eine Wende zum Guten, als
eine Chance zur Umkehr begreifen und dass wir tatsächlich aus ihr lernen. Das sind ja ganz einfache Lehren:
Regeln müssen eingehalten werden; ihre Einhaltung
muss kontrolliert werden; ihre Nichteinhaltung muss
Konsequenzen haben. Nationale Eigenverantwortung
und europäische Solidarität bedingen einander.
Meine Damen und Herren, um dies alles vorzubereiten, findet in diesen Tagen eine Vielzahl von Gesprächen
statt. Heute Mittag ist der österreichische Bundeskanzler
bei mir. Mit nahezu allen Kollegen werde ich telefonieren, natürlich genauso mit dem Präsidenten des Rates
und dem Präsidenten der Kommission. Der französische
Präsident hat gestern eine wichtige Rede gehalten. Wir
werden uns Montag abstimmen, mit welcher Haltung
wir zum Rat fahren.
Wir haben vieles erreicht. Wir haben das Defizitverfahren verbessert, soweit dies im Rahmen der geltenden
Verträge möglich war. Sie erinnern sich an das sogenannte Sixpack, das wir hier beschlossen haben. Aber
wir müssen, um wirklich Vertrauen zu bekommen, darüber hinausgehen. Dort, wo wir heute Referenzwerte
haben, brauchen wir künftig rechtsverbindliche Grenzwerte. Politischen Spielraum, wenn es darum geht, festzustellen, ob diese Grenzwerte verletzt worden sind oder
nicht, darf es nicht mehr geben. Es muss wirkliche Automatismen geben.
({12})
Nur so kann Vertrauen, das sechzigmal verletzt wurde,
wiedergewonnen werden.
Euro-Staaten sollen bei der Überwindung ihrer
Schwierigkeiten künftig enger begleitet und wirkungsvoller unterstützt werden. Gleichzeitig brauchen wir effektive Antworten auf fortgesetzte Regelverstöße, damit
wir im Interesse aller eine verantwortungsvolle Haushaltsführung durchsetzen können. Dabei müssen die europäischen Institutionen, vor allem die Europäische
Kommission und der Europäische Gerichtshof, eine
wichtige Rolle spielen. Das geht, ohne dass der Deutsche
Bundestag seine Haushaltshoheit verliert. Denn es geht
darum, Regeln, die wir uns selbst gegeben haben, einzuhalten. Die automatischen Sanktionen bzw. die automatischen Durchgriffsrechte wirken nur dann, wenn genau
diese Regeln verletzt werden. Was innerhalb des gemeinsam vereinbarten europäischen Rahmens geschieht,
wird natürlich auch weiterhin jedem Mitgliedstaat selbst
vorbehalten sein.
Glaubwürdige Durchgriffsrechte sind von einer gemeinsamen europäischen Kontrolle über nationale Einnahmen und Ausgaben zu unterscheiden; ich will das
hier ausdrücklich sagen. Solange das so ist, ist im Übrigen auch eine gemeinsame Haftung für die Schulden anderer nicht denkbar.
({13})
Genau deshalb erledigt sich jetzt auch eine Diskussion
über sogenannte Euro-Bonds. Denn wer immer noch
nicht verstanden hat, dass Euro-Bonds jetzt nicht als
Rettungsmaßnahme gegen die Krise eingesetzt werden
können,
({14})
der hat genau das Wesen dieser Krise nicht verstanden.
({15})
- Herr Trittin, vielleicht darf ich es wiederholen: Wir haben nicht die Absicht, und wir sind davon auch entfernt.
({16})
Es ist auch nach unserem Grundgesetz gar nicht möglich, die Einnahmen und die Ausgaben eines Haushaltes
über eine europäische Institution kontrollieren und bestimmen zu lassen.
({17})
Solange genau dies nicht der Fall ist, haben wir die Situation, dass eine gemeinsame Haftung dem nicht entsprechen würde. Deshalb erübrigt sich die Diskussion
über Euro-Bonds.
Stellen wir uns einmal vor, dass es so etwas gäbe,
dass wir Euro-Bonds gar nicht mehr einzuführen brauchten, weil sie von allein entstehen. Das ist ja gerade das
Interessante daran.
({18})
Deshalb ist die Diskussion jetzt kein Beitrag zur Überwindung der Krise.
({19})
- Für die Grünen scheint das unglaublich lustig zu sein.
Für mich ist es absolut logisch. Aber das ist eben der Unterschied.
({20})
Es geht also darum - das ist ein großer Schritt im
Rahmen der Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion -, die Autorität der Institutionen so zu stärken, dass sie die vereinbarten europäischen Grenzwerte,
konkret die Obergrenze von 3 Prozent und den Abbaupfad bei einem Schuldenstand von über 60 Prozent, tatsächlich durchsetzen können, und zwar ohne Wenn und
Aber. Neben der Forderung nach wirksamen Durchgriffsrechten tritt die Bundesregierung dazu auch für ein
Klagerecht beim Europäischen Gerichtshof ein. Dies ist
umso wichtiger, als die Gerichte - ich sagte es zu Beginn - neben den Notenbanken die Institutionen sind,
deren Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit wegen
ihrer Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme zu
jeder Zeit über jeden Zweifel erhaben waren und sind.
Zentrales Element der neuen Stabilitätsunion, der Fiskalunion, soll also eine neue europäische Schuldenbremse
- so kann man es nennen - für die Mitglieder der EuroZone werden. Weitere Elemente müssen hinzukommen:
Wir müssen stärkere und besser verzahnte Strukturen in
der Euro-Zone schaffen. Fehlentwicklungen müssen frühzeitig erkannt und korrigiert werden, damit Krisen gar
nicht entstehen. Mit dem dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus ESM müssen wir ein schlagkräftiges
Instrument schaffen, das in Notsituationen hilft, Gefährdungen der Stabilität der Euro-Zone insgesamt abzuwenden. Außerdem müssen wir durch weitere Strukturreformen insbesondere auch im Arbeitsrecht der einzelnen
Mitgliedstaaten gemeinsame Maßnahmen einleiten, damit
wir wieder zu mehr Wachstum kommen. Denn natürlich
werden die Menschen den Erfolg unserer Bemühungen
auch daran messen, ob die Arbeitslosigkeit zurückgeht.
Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa ist eines der drängendsten Themen. Deshalb ist Wachstum auch zum Zwecke der Schaffung von Beschäftigung eines der wichtigen
Ziele, allerdings nicht auf Pump, sondern durch die notwendigen Strukturreformen und vernünftige Investitionen
in die Zukunft.
({21})
Meine Damen und Herren, mit einem Wort: Wir müssen die Fundamente der Wirtschafts- und Währungsunion nachhaltig stärken, wir müssen die Konstruktionsfehler, die sich bei der Gründung der Wirtschafts- und
Währungsunion eingeschlichen haben, überwinden und
die Wirtschafts- und Währungsunion vollenden. Das
Ziel ist eine Fiskalunion. Zu ihr gehört beides: eine mit
Durchgriffsrechten durchsetzbare Haushaltsdisziplin ihrer Mitglieder und ein wirksames Instrumentarium für
Krisenfälle. Deshalb führt kein Weg daran vorbei, die
europäischen Verträge zu ändern oder - das wäre die
zweitbeste Lösung - neue Verträge innerhalb der EuroGruppe zu schaffen. Aber wir gehen - ich will das ausdrücklich sagen - mit dem Ziel nach Brüssel, Vertragsänderungen durchzusetzen, und zwar in dem Geist, dass
wir eine Spaltung zwischen Euro-Mitgliedstaaten und
Nicht-Euro-Mitgliedstaaten vermeiden wollen. Das
heißt, wir werden es jedem Nicht-Euro-Mitgliedstaat
freistellen, sich den stärkeren Verbindlichkeiten der
Euro-Zone anzuschließen.
({22})
Denn eine Spaltung kann niemand wollen. Mehr noch:
Auch die Euro-Gruppe muss offen bleiben für jeden, der
mitmachen will. Danken wir zum Beispiel Polen, das immer wieder deutlich gemacht hat: Auch wenn wir den
Euro noch nicht haben, wollen wir an dieser Stelle trotzdem mehr Verpflichtungen eingehen.
({23})
Polen ist zum Beispiel auch Mitglied des Euro-PlusPakts und hat in Gesprächen, die wir kürzlich geführt haben, wieder deutlich gemacht, dass es sich genau auf diesen Weg der Stabilitätsunion hinbewegen will.
Unsere Leitlinien für den Rat in der nächsten Woche
sind also klar. Aber - das ist mir heute Morgen auch
wichtig zu sagen - sie haben nichts mit manchen Ängsten, Sorgen oder Vorhaltungen zu tun, die man momentan lesen oder hören kann, dass Deutschland Europa dominieren oder Ähnliches wolle. Das ist abwegig. Wir
treten - das ist allerdings richtig - für eine bestimmte
Stabilitäts- und Wachstumskultur ein, aber wir tun dies
im europäischen Geiste Konrad Adenauers und Helmut
Kohls.
({24})
Deutsche und europäische Einigung waren und sind
zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das werden wir
nie vergessen.
({25})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, in diesen
Tagen, in denen der Euro fast täglich im Mittelpunkt der
Debatte steht, geraten andere europäische Fragen leider
allzu oft in den Hintergrund. Dies gilt zum Beispiel für
die Erweiterungspolitik, die traditionell auf der Tagesordnung eines Dezemberrates steht, so auch nächste Woche. Die Bundesregierung steht zur EU-Perspektive aller
Staaten des westlichen Balkans. Am Rande des Europäischen Rates werde ich für die Bundesrepublik Deutschland den Beitrittsvertrag mit Kroatien unterzeichnen.
Zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Montenegro hat der Bundestag seine Stellungnahme abgegeben.
Für uns von entscheidender Bedeutung sind hier weitere
Fortschritte Montenegros bei der Festigung von Rechtsstaatlichkeit und der Bekämpfung von Korruption und
organisierter Kriminalität. Wir werden sie einfordern,
aber wir werden Montenegro auch dabei unterstützen,
die Dinge, die zu verbessern sind, wirklich verbessern zu
können.
Der Europäische Rat entscheidet über den Kandidatenstatus von Serbien. Gute nachbarschaftliche Beziehungen und regionale Zusammenarbeit sind über die Kopenhagener Kriterien Teil der EU-Erweiterungspolitik.
Wir möchten langfristig nicht nur Serbien, sondern auch
Kosovo an die EU heranführen und die EU voll funktionsfähig halten. Daher führt der Weg Serbiens in die
EU nur über eine Normalisierung seiner Beziehung zum
Kosovo.
({26})
EU und Bundesregierung haben hierzu frühzeitig Erwartungen in Form von konkreten Schritten formuliert.
Ich bedaure sehr, dass Serbien diesen Erwartungen bislang nicht ausreichend gerecht geworden ist und somit
die Voraussetzungen für die Verleihung des Kandidatenstatus bislang nicht gegeben sind. Serbien muss sich darüber hinaus vorwerfen lassen, in den letzten Tagen zu
einer Atmosphäre beigetragen zu haben, in der deutsche
KFOR-Soldaten im Norden des Kosovo mit Schusswaffen angegriffen und verletzt worden sind. Ich sage: Das
ist nicht akzeptabel.
({27})
Unsere Soldaten leisten dort einen großartigen Dienst,
und für diesen Dienst sind wir ihnen dankbar.
Europa befindet sich mitten in seiner wohl schwersten
Bewährungsprobe. Als deutsche Bundeskanzlerin werde
ich, genauso wie die ganze Bundesregierung, alles dafür
tun, dass Europa stärker aus dieser Bewährungsprobe
hervorgeht, als es in sie hineingegangen ist. Zu viel steht
auf dem Spiel, gerade für Deutschland und die Deutschen. Trotz aller Turbulenzen, die wir in jüngster Zeit
erlebt haben: Der Euro hat sich bewährt. Er ist stabil, er
ist wertbeständiger, als es die D-Mark war, und als Exportnation profitiert Deutschland in besonderem Maße
vom Euro. Aber der Euro ist eben auch weit mehr als nur
eine Währung; denn mit der Wirtschafts- und Währungsunion haben wir eine neue Stufe der Integration in Europa erklommen. Der Euro steht für den Willen Europas,
seine innere Entwicklung zu festigen und sich den Herausforderungen der heutigen Zeit und der Globalisierung gemeinsam zu stellen. Die Zukunft des Euro ist
deshalb untrennbar mit der europäischen Einigung verbunden. Der vor uns liegende Weg ist noch lang, und er
ist auch alles andere als einfach. Aber ich bin überzeugt:
Es ist der richtige Weg. Es ist der richtige Weg, um unser
gemeinsames Ziel zu erreichen: ein starkes Deutschland
in einer starken Europäischen Union zum Wohle der
Menschen in Deutschland und in Europa.
Herzlichen Dank.
({28})
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Frau Bundeskanzlerin, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Ich sage Ihnen bei allem Verständnis, das dieses
Parlament in der bisher schwersten Krise in Europa der
Regierung zugebilligt hat: Sie haben heute wieder über
vieles geredet, auch über Montenegro, am Kern der Sache aber haben Sie vorbeigeredet. Das war bestenfalls
die halbe Wahrheit.
({0})
Ich weiß nicht, zum wievielten Mal, aber Sie haben
heute wieder gesagt, dass nun eine „tragfähige Lösung“
für die akute Finanzkrise vorbereitet wird. Sie wissen es
doch selbst: Noch nie in den letzten 18 Monaten hat das
gestimmt; jedes Mal haben Sie den Menschen in
Deutschland Sicherheit vorgegaukelt, die am Ende keine
war. Keiner, Frau Merkel, wirft Ihnen vor, dass es die
Krise gibt; aber wie Sie mit ihr umgehen, das geht auf
keine Kuhhaut.
({1})
Sie reden von „Stabilität“ - das ist auch notwendig -,
aber die Bilanz der vergangenen Monate sieht doch völlig anders aus: Nichts ist stabiler geworden. Sie haben
eben in Ihrer Regierungserklärung gesagt: „Wir sind
weit gekommen“, das stimmt leider; die Krise Europas
hat sich dramatisch zugespitzt. Immer mehr Menschen
haben das Gefühl, dass das Endspiel für die Währung
angebrochen ist. Nicht die Opposition, nicht wir, sondern die Finanzaufsicht in London und große deutsche
Unternehmen bereiten sich ganz offensichtlich auf Alternativen vor. Sie, Frau Merkel, und diese Regierung sind
nicht die Ursache; aber Wankelmütigkeit und Entscheidungslosigkeit haben dazu beigetragen. Ihre Taktiererei
macht die Lage in Europa nicht stabil. Im Gegenteil:
Diese schwarz-gelbe Koalition, die sich in nichts, aber
auch rein gar nichts einig ist, gefährdet die Stabilität in
Europa. Das ist die Wahrheit; darüber täuschen auch
Fernsehbilder nicht hinweg.
({2})
Frau Bundeskanzlerin, wahr ist doch auch: Bisher haben Sie noch jede Bastion geräumt, die Sie vorher für
uneinnehmbar erklärt haben. Die Halbwertszeit Ihrer roten Linien ist doch immer kürzer geworden. Zuletzt gab
es hier in diesem Haus - wir erinnern uns gut - das Tabu
gemeinsamer europäischer Anleihen; wir alle haben das
noch gut im Ohr. Aber wen überrascht es denn eigentlich
noch, dass ein paar Tage nach der Debatte im Parlament
auf einmal der Testballon steigt, auf dem „Elite-Bonds“
steht! Der Testballon war in der Luft, und die Koalition
war ganz offensichtlich überrascht. Den Kollegen
Brüderle hat das zu ganz großer Kunstfertigkeit veranlasst:
({3})
Er war am Montagmorgen für die Elite-Bonds; am Montagnachmittag war er gegen die Elite-Bonds. Das ist liberale Offenheit, wie wir sie kennen, meine Damen und
Herren.
({4})
Aber das ist mir - ich sage es Ihnen ganz offen - immer noch lieber als das, was Ihr Generalsekretär in einer
solchen wirklich ernsten Situation in Europa sagt; ihm
fiel nichts anderes ein, als zu sagen, er sei überhaupt gegen alle Bonds, auch gegen „James Bonds“.
({5})
So kann man Politik lächerlich machen, meine Damen
und Herren. Das verstehen die Menschen nicht.
({6})
Was ich Ihnen sagen will - ich glaube, Sie merken das
selbst -: So wird das nicht weitergehen, nicht mit diesem
Wankelmut und auch nicht mit einer Strategie „Jeder gegen jeden“ in Europa. Das wird nicht helfen; ich befürchte, das wird uns eher noch weiter in die Sackgasse
führen.
({7})
Wir sind jedenfalls tief überzeugt: Europa kann sich
nur gemeinsam aus diesem Schlamassel wieder herauskämpfen, Griechen, Spanier, Franzosen, Luxemburger,
Holländer, Deutsche, alle gemeinsam, viele andere dazu.
Aber weil Sie das nicht akzeptieren, eskaliert die Krise.
Aus einer kleinen griechischen Schuldenkrise ist
eine vollwertige europäische Seuche geworden.
Das sind nicht meine Worte, sondern die von Joe Nocera
in der New York Times. Er fragt:
Verstehen die Deutschen nicht, dass ein Zusammenbruch der Eurozone, der vor einem Jahr undenkbar war und jetzt vielleicht unvermeidlich ist,
die Deutschen mehr treffen wird als Griechenland?
({8})
Meine Damen und Herren, wir Deutsche retten nicht
die Griechen oder die Italiener; wir retten vor allem uns
selbst, unsere Banken, unser Vermögen, unsere Exportwirtschaft und unsere Arbeitsplätze. Darum geht es in
diesen Tagen.
({9})
Das auszusprechen, verlangt nun wahrhaftig keinen Heldenmut; denn es ist die Wahrheit. Ich bin davon überzeugt: Das von Anfang an zu sagen, Frau Merkel, hätte
auch Ihnen manches einfacher gemacht. Stattdessen haben Sie selbst noch die einsichtigsten, die freundlichsten
und die wohlmeinendsten Nachbarn gegen uns aufgebracht durch penetrante und, wie ich finde, doppelzüngige Schulmeisterei.
({10})
- Sie waren doch selbst beteiligt.
Deutschland hat es doch früher gekonnt, europäische
Meinungsbildung zu prägen. Sie haben eben auf
Adenauer und Kohl hingewiesen. Ich sage: Auch Willy
Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder gehören
dazu.
({11})
Sie hatten miteinander gemein, dass sie ihre historische Aufgabe in Deutschland so verstanden, andere ohne
tägliche öffentliche Belehrungen zu überzeugen und die
kleineren Staaten mit auf den Weg zu nehmen.
({12})
Das ist die Aufgabe, die wir in der Vergangenheit in
Europa erfüllt haben.
({13})
Das ist Teil einer Regierungskunst - das muss ich leider
sagen -, die der deutschen Regierung in diesen Tagen
und Monaten offenbar verloren gegangen ist.
Herr Kauder, in Europa wird jetzt deutsch gesprochen. Ich weiß, dass Sie die Kritik an diesem Satz nicht
besonders ernst nehmen. Aber ich sage Ihnen: Wer Lehrmeister sein will, wer andere zum Sparen auffordert, der
muss wenigstens sein eigenes Haus in Ordnung halten.
({14})
Herr Kauder - auch wenn Sie mir nicht zuhören -, Sie
können nicht den Rest der Welt zum Sparen und zum
Senken von Schulden auffordern und gleichzeitig im eigenen Land überflüssige Steuersenkungen
({15})
und sozial schädliches Betreuungsgeld auf den Weg
bringen
({16})
und am Ende hierzulande die Neuverschuldung erhöhen,
während die anderen sie vermindern sollen. Das fällt
doch überall in Europa auf. Wir führen doch keine
Selbstgespräche. Ganz Europa spricht davon. Ich sage
Ihnen auch, was die anderen Länder davon halten, und
wie sie das nennen: Sie nennen das Heuchelei, Herr
Kauder.
({17})
Jetzt kommt angeblich die Verschärfung des Stabilitätspaktes. Frau Merkel, ich bin wirklich gespannt, was
dieses Mal herauskommt. Ich sage „dieses Mal“, weil jedenfalls ich mich noch gut daran erinnern kann, wie Sie
vor einem Jahr hier in diesem Haus zu gleicher Sache
gesprochen haben. Nur für den Fall, dass das von den
Regierungsfraktionen irgendjemand vergessen hat: Im
September 2010, also vor mehr als einem Jahr, hat Kommissionspräsident Barroso ein Maßnahmenpaket zur
wirtschaftlichen Steuerung vorgelegt. In diesem Maßnahmenpaket wurde eine Regelung zur haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Raum festgelegt. Was
sollte das heißen? Das sollte heißen, dass es nach Feststellung eines übermäßigen Defizits durch die Kommission zu quasiautomatischen Sanktionen kommen soll.
Jetzt fragen wir alle uns doch einmal: Haben Sie das vor
14 Monaten in diesem Hause unterstützt?
({18})
Es kam der Strandspaziergang von Deauville, der ganz
Europa in Empörung versetzt hat. Frau Merkel, Sie und
Präsident Sarkozy waren es doch - und nicht irgendwelche Hallodris -,
({19})
die im Handstreich die automatischen Sanktionen beseitigt haben. So war das, und daran erinnern wir uns.
({20})
Jetzt stehen Sie ein Jahr später hier an diesem Mikrofon und rufen laut: Haltet den Dieb! Von Stabilisierung
keine Spur: Italien infiziert, Frankreich strauchelnd, der
Euro am Abgrund. Ein Jahr später kommen jetzt ausgerechnet Sie heute hierher, um schärfere Sanktionen für
Schuldensünder zu fordern. Glauben Sie denn wirklich,
die Erinnerung ist so kurz? Glauben Sie wirklich, keiner
merkt, was Sie hier für Kapriolen schlagen? Das ist
keine Politik, das ist aus meiner Sicht Schauspielerei.
({21})
Bei allem guten Willen, den wir haben, in der europäischen Sache zu helfen, müssen wir sagen: Es gibt
kein schwarz-gelbes Europa, und es gibt kein rot-grünes
Europa, sondern wir alle zusammen tragen Verantwortung für dieses Europa. Weil das so ist, finde ich, dürfen
wir die Menschen und darf man auch dieses Parlament
nicht hinters Licht führen. Sie werben jetzt für irgendwelche Veränderungen im EU-Vertrag. Einverstanden.
Auch über die Einschaltung des EuGH bei Verstößen gegen Haushaltsvorgaben reden Sie. Ich habe gar nichts
dagegen. Aber Sie können doch nicht so tun, als könnten
Sie damit eine Lösung für akute, buchstäblich täglich,
stündlich dramatisch eskalierende Krisensituationen liefern. Das steckt doch da nicht drin.
({22})
Deshalb glaube ich: Ihr Kalkül ist eigentlich etwas
ganz anderes. Sie warten ab. Sie wollen eigentlich nicht
im Kern der Sache entscheiden. Sie servieren uns so etwas wie Ersatzhandlungen. Im Stillen setzt diese Regierung darauf, dass nicht sie, sondern jemand anders handelt. Sie stehen sozusagen vor dem europäischen Haus.
Das europäische Haus brennt lichterloh, und Sie haben
Angst, sich die Finger zu verbrennen. Sie scheuen die
politische Verantwortung, die Sie tatsächlich haben, und
schieben andere vor, die jetzt Verantwortung tragen müssen.
({23})
Ich kann meine Vermutung, wenn Sie wollen, auch
noch etwas zugespitzter formulieren.
({24})
Ich kann sie zugespitzter formulieren und sagen: In den
hellen Tagesstunden kritisieren Sie die anderen Europäer, die als letzte Rettung stärkere Aktivitäten der Europäischen Zentralbank fordern, und wenn es dunkel wird,
dann beten Sie, dass die EZB weiter Anleihen kauft. Ich
glaube, das steckt im Grunde genommen dahinter.
({25})
Und während das so ist, fluten auch noch zusätzlich die
Notenbanken den Markt mit billigem Geld, um den Absturz abzuwenden. Noch jemand anderes, der handelt.
Herr Altmaier, ich habe Sie heute Morgen im Morgenmagazin erlebt.
({26})
Es geht doch nicht, dass wir uns als Politiker über Kursfeuerwerke an den Börsen freuen. Das geht doch nicht.
Wir müssen doch sagen, was es heißt, wenn solche Kursfeuerwerke durch Geld mal eben ausgelöst werden.
({27})
Wir reden hier nichts herbei. Alle Welt redet darüber
- nur wir hier in diesem Hohen Hause reden nicht darüber -, dass diese Politik des billigen Geldes natürlich
auch Inflationsgefahren steigert. Wir haben die Inflation
nicht, aber die Gefahr wird gesteigert.
Wenn wir über die EZB reden, dann müssen wir den
Menschen doch auch sagen - jetzt ganz ehrlich -: Wenn
die EZB Anleihen kauft, haftet am Ende nicht irgendwer,
sondern es gibt eine gemeinsame europäische Haftung.
Daran kommen wir doch nicht vorbei.
({28})
Wissen Sie, Frau Merkel, deshalb verstehe ich einfach
nicht, warum Sie sich hier hinstellen und sagen: Mit uns
kommt Gemeinschaftshaftung nicht infrage. Sie findet
statt durch Anleihenaufkäufe der EZB, jeden Tag mehr.
Fast 300 Milliarden Euro stehen mittlerweile in der Bilanz. Das ist in dieser Lage ja sogar unvermeidbar. Aber
geben Sie doch endlich zu, dass Sie das heimlich und
nachdrücklich betreiben. Ich finde es einfach nicht in
Ordnung, wenn Sie das leugnen; denn das geht meilenweit an der Wahrheit vorbei.
({29})
Ich weiß, dass das, was wir von der Opposition zu sagen haben, Sie nicht sonderlich kümmert. Sie haben die
Mehrheit hier im Hause. Wenn Sie die Opposition nicht
kümmert, dann vielleicht der Teil der Presse, der Ihnen
politisch näher steht.
({30})
- Ich weiß, dass Ihnen das nicht gefällt. Früher waren
Sie sehr kreativ beim Vortrag von Zeitungslektüre.
({31})
Ich zitiere einen Kolumnisten der Financial Times
Deutschland auf Spiegel Online:
Die Chance auf eine bezahlbare Euro-Rettung ist
vertan - und schuld ist die Bundeskanzlerin.
Angela Merkel wird uns alle ruinieren, weil sie mit
ihrem Zaudern die Krise verschärft.
Das sagt nicht die Opposition, sondern die deutsche
Presse, und das sollte Ihnen zu denken geben.
Vielen Dank.
({32})
Rainer Brüderle ist der nächste Redner für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat,
manche Medien im Ausland sehen die Euro-Zone vor
dem Endspiel. Man hat fast den Eindruck, dass da eine
gewisse Lust am Untergang herrscht. Bei manchen Äußerungen der Opposition habe ich den gleichen Eindruck.
({0})
Ja, es ist Aufgabe der Opposition, die Regierung kritisch
zu begleiten. Aber das, was hier seit einigen Wochen
zum Teil abläuft, stellt Parteitaktik über das Schicksal
Europas. Das ist nicht in Ordnung.
({1})
Ich habe Verständnis dafür, dass die drei möglichen
Kanzlerkandidaten vor dem SPD-Parteitag nervös wie
Rennpferde sind.
({2})
Aber dass sie sich europapolitisch wie Ackergäule benehmen, das ist nicht in Ordnung.
({3})
Selbst Frau Nahles, wie sie uns im Spiegel offenbart,
nervt diese - so nennt sie es - K-Show, die Kanzlerkandidaten-Show der SPD.
({4})
Herr Gabriel machte Anfang der Woche einen BrüningVergleich und warnte die Bundeskanzlerin. Das hat mit
Seriosität und Anstand nichts zu tun; das ist unangebracht. Diese Kanzlerin kämpft engagiert um Europas
Zukunft. Wir stehen hinter ihr.
({5})
Der europäische Gipfel muss und wird den Weg zu einer Stabilitätsunion weisen. Es heißt in manchen Kommentaren: So deutsch war Europa noch nie. Diese Aussage zeigt Respekt, aber auch Vorbehalt vor deutscher
Dominanz. Es geht jedoch nicht darum, ein deutsches
Europa, sondern ein gutes Europa zu schaffen. Das ist
europäischer Patriotismus.
({6})
Die Europäische Union ist das größte Friedensprojekt
aller Zeiten. Der Historiker Michael Stürmer hat die Errungenschaften Europas auf eine ganz einfache Formel
gebracht. Er sagte: Nach dem Krieg machte sich
Deutschland auf den Weg, wieder ruhig zu schlafen, gut
zu essen und nie mehr allein zu sein. - Das ist Axiom
deutscher Politik. Deutschland darf sich nie wieder singularisieren bzw. isolieren. Deshalb ist es gut, dass die
Bundeskanzlerin und der französische Präsident gemeinsam Vorschläge für einen Stabilitätspakt II machen. Sie
müssen das reparieren, was andere deutsche und französische Regierungen leichtfertig beschädigt haben. Darum geht es jetzt.
({7})
Der Gipfel wird die Ausgestaltung der EFSF beschließen. Der Haushaltsausschuss hat die Leitlinien gebilligt. Wolfgang Schäuble hat gute Ergebnisse bei den
Finanzministern erreicht. Das ist eine gute Grundlage für
die Kanzlerin. Der Gipfel wird Vertragsänderungen in
Angriff nehmen. Haushaltsdisziplin in allen Mitgliedstaaten besser zu kontrollieren und notfalls Sanktionen
zu verhängen, das muss das Ziel sein. Das ist der richtige
Weg. Wir, die christlich-liberale Koalition, leben das vor.
({8})
Die OECD hat uns dies wieder bestätigt. Das Wachstum
ist intakt, der Arbeitsmarkt ist robust, die Schulden sind
tragfähig. Das ist gelebte Stabilitätskultur. Das ist ein erfolgreicher Weg. Wenn auch Europa diesen Weg eingeschlagen hätte, dann hätten wir die aktuellen Probleme
nicht.
({9})
Die Opposition will den Euro mit einem links-keynesianischen Programm stabilisieren. Sie setzt auf Umverteilung in Deutschland und Vergemeinschaftung der
Schulden Europas.
Die Grünen haben ihren Steuererhöhungsparteitag
hinter sich, die SPD hat ihren Steuererhöhungsparteitag
vor sich. Mir ist ein Rätsel, wie man einerseits vor einer
Rezession warnen kann und andererseits die Steuern um
30 Milliarden Euro erhöhen will. Das passt nun überhaupt nicht zusammen.
({10})
Das trifft nicht die Superreichen, das trifft den Mittelstand in Deutschland. Sie wissen nicht, dass für weite
Teile des deutschen Mittelstands die Einkommensteuer
Unternehmensteuer ist und dass eine Vermögensabgabe
in die Substanz der Mittelstandsbetriebe eingreift. Ihre
Steuerpolitik ist ein Anschlag auf den deutschen Mittelstand und die deutschen Personengesellschaften.
({11})
Die Grünen wollen vorbehaltlos Euro-Bonds. Sie lassen außer Acht, dass die gegen deutsches und europäisches Recht verstoßen. Normalerweise sind die Grünen
für das Verursacherprinzip. Nur hier bei den Euro-Bonds
setzen sie das völlig außer Kraft. Es sollen nicht diejenigen haften, die keine nachhaltige Haushaltspolitik gemacht haben, sondern es sollen diejenigen haften, die es
richtig gemacht haben. Da soll einmal einer verstehen,
wie das eine kluge Politik sein soll.
({12})
Wir hatten einmal nahezu einheitliche Zinssätze in
Europa. Nur: Die Peripherie - die südeuropäischen Länder - hat sie nicht genutzt. Diese Länder haben weiter
die Schulden erhöht, keine Haushaltsdisziplin geübt.
Jetzt gibt es keine Abwertung nach außen mehr, sondern
nur noch eine innere Abwertung. Das ist schmerzhaft,
aber notwendig. Nur so kann man wettbewerbsfähig
werden.
Griechenland etwa braucht realwirtschaftliche Aufbauhilfe. Hier hat der Bundeswirtschaftsminister erste
Schritte eingeleitet. Der Rösler-Plan
({13})
setzt Schwerpunkte bei erneuerbaren Energien, bei Tourismus und bei der Informationstechnologie.
Italien ist in einer ganz anderen Situation, hat eine andere realwirtschaftliche Stärke. Mit den Vorstellungen
von Herrn Monti, der als EU-Kommissar sehr wohl den
Binnenmarkt vorangetrieben hat und für Wettbewerb
stand, hat es beste Aussichten.
Beim Thema Euro-Bonds eiert die SPD. Mal springt
sie auf, mal springt sie ab. Man kann auch sagen: Die
SPD „sigmar-gabrielt“ sich von Woche zu Woche - mal
rauf, mal runter, nichts ist dabei klar.
({14})
Herr Kollege Brüderle, darf Ihnen eine Kollegin eine
Zwischenfrage stellen?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.
Andere in der SPD setzen auf eine entfesselte Geldpolitik mit allen Inflationsgefahren. Das sind die Genos17576
sen Gerhard Schröder und Peer Steinbrück. Sie wollen,
dass die EZB alles öffnet und „in die Vollen“ geht. Aber
das kann nur in Notsituationen geschehen
({0})
und muss zeitlich begrenzt sein, wie gestern auch Präsident Draghi zu Recht klargestellt hat.
({1})
Eine aktivistische Geldpolitik mit grenzenlosen Aufkäufen wäre fatal und falsch.
({2})
Die Europäischen Verträge untersagen der EZB langfristige Staatsfinanzierungen. Die Europäischen Verträge
verpflichten die EZB zur Preisstabilität, und die Europäischen Verträge gewährleisten die Unabhängigkeit der
EZB. Das ist das Erbgut der Deutschen Bundesbank und
unsere Mitgift für die europäische Zukunftsentwicklung.
Sie können in Japan beobachten, wo es hinführt,
wenn man allzu großzügig, breit und langfristig angelegt
die Geldmenge vermehrt. Sie haben ein Jahrzehnt und
jetzt schon fast die zweite Dekade verloren, in der sie
keinen Aufschwung hatten. Auch die USA kommen
nicht richtig auf die Beine, obwohl die amerikanische
Notenbank, die Fed, fast per Helikopter das Geld in die
amerikanische Landschaft bringt. Greenspan hat 10 oder
15 Jahre lang auf jede Anspannung und jedes Krisenphänomen mit einer sehr lockeren Geldpolitik reagiert. Das
hat möglicherweise nicht die Probleme der Finanzmärkte ausgelöst, aber erheblich begünstigt und verschärft. Hier muss Solidität und eine klare Linie herrschen.
Noch eines ist mir aufgefallen: Es gibt jetzt eine
große Ratingagentur in den USA, die den USA in ihrer
Einstufung ein Jahr Bewertungspause gibt. Wenn ich mir
das „Rating-Stakkato“ der amerikanischen Ratingagenturen zu europäischen Ländern vor Augen führe, dann
kann ich nur sagen: Diese Zahlenkonzerne haben offenbar eine patriotische Ader oder einen politischen Knick
in der Optik. Deshalb ist es höchste Zeit, dass Europa
eine eigenständige Ratingagentur bekommt. Diese Einflussnahme, nur weil man einen Verdacht hat, ist nicht in
Ordnung und nicht fair. Sie muss endlich auch ein Gegengewicht in Europa bekommen.
({3})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zitieren:
Die Bundesregierung muss endlich ihre Blockadepolitik gegen Möglichkeiten aufgeben, Sanktionen
nicht nur bei übermäßigen Defiziten, sondern auch
bei übermäßigen Leistungsbilanzüberschüssen verhängen zu können, um makroökonomische Ungleichgewichte abzubauen.
Das ist ein Beschluss des Parteitages der Grünen.
({4})
Sie setzen konsequent auf die Drosselung deutscher Exportanstrengungen. Sie wollen Deutschland schlechter
und nicht die anderen besser machen. Es war konsequent, dass Sie Herrn Papandreou nach Kiel eingeladen
haben. Das war eine runde Sache.
({5})
Sie wollen, dass deutsche Arbeitnehmer weniger Autos
bauen, dass deutsche Arbeitnehmer weniger Chemieprodukte herstellen und dass deutsche Arbeitnehmer beim
Maschinenbau weniger erreichen. Der ökonomische
Sachverstand der Grünen, Herr Trittin, passt in eine
Plastiktüte. Dafür wollen Sie noch eine Zwangsabgabe
in Höhe von 22 Cent haben. Nichts haben Sie verstanden.
({6})
Klar muss sein: Wer Wachstum schwächt, schwächt
Deutschland. Wer Deutschland schwächt, schwächt Europa. - Wenn Sie das wollen, müssen Sie Ihre Politik
weiter so betreiben. Wir wollen etwas anderes: Wir wollen Wachstum, Arbeitsplätze und eine gute Zukunft für
die europäische Entwicklung.
({7})
Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Also, gelegentlich wird man hier überfordert.
({0})
- Ja, das will ich Ihnen gleich begründen.
Ich muss Ihnen sagen, Herr Brüderle: Wenn Sie den
Begriff „Genosse“ in den Mund nehmen, klingt das widernatürlich.
({1})
Obwohl ich sehr fantasievoll bin, fällt es mir auch sehr
schwer, mir Frau Merkel bei einem Marathonlauf vorzustellen.
({2})
Zum Ernst der Situation zurück: Die Diktatur der Finanzmärkte hat sich verschärft. Sie ist doch nicht abgebaut worden, ganz im Gegenteil. Die Ursachen schildern
Sie falsch, Frau Bundeskanzlerin. Nicht die Staatsverschuldung ist die Ursache der Krise, sondern die Macht
der Banken, der Versicherungen, der Fonds und ihre weltweiten Spekulationen sind die Ursachen der Krise. Genau
das führt zu der hohen Staatsverschuldung. Das ist die
Wahrheit.
({3})
Wenn man hier nicht mitgeht, dann kann man die Ursachen nicht wirksam bekämpfen. Ich sage auch: Frau
Merkel, Sie finden keinen Weg aus der Krise heraus. Im
Gegenteil: Schon die EU-Gipfelbeschlüsse vor sechs
Wochen sind doch überholt. Inzwischen wird auch gegen
Italien, Belgien, selbst gegen Österreich und Finnland
spekuliert. Frankreich muss höhere Zinsen auf seine
Staatsanleihen zahlen. Deutschland versuchte, Staatsanleihen für 6 Milliarden Euro zu verkaufen. Was erreichte
der Bundesfinanzminister? Staatsanleihen in Höhe von
2 Milliarden Euro wurden gekauft, die restlichen 4 Milliarden Euro wollte niemand haben, weil die Zinsen zu
niedrig sind. Es geht um eine andere Konstruktion.
Herr Steinmeier, in einem Punkt widerspreche ich Ihnen. Die Kanzlerin macht schon etwas. Sie gestaltet Europa um - aber völlig falsch. Im Vertrag von Lissabon
gibt es zum Beispiel eine Bestimmung, die die Kontrolle
des Kapitalverkehrs verbietet. Vielleicht sollte man diese
Bestimmung einmal aufheben, wenn man den Vertrag
ändert.
({4})
Aber nun haben die Zentralbanken aus den USA, Japan, der Schweiz, Kanada und übrigens auch die EZB
eingegriffen, und zwar, indem sie den Banken Geld zu
ganz niedrigen Zinssätzen angeboten haben. Das haben
sie natürlich ganz einfach gedruckt. Darauf haben sie
auch hingewiesen. Aber das macht die EZB mit, wenn
ich darauf verweisen darf. Das Problem ist: Die Börsen
jubeln, aber den Menschen in Griechenland und Italien
nutzt das überhaupt nichts. Mit den Interessen von
99 Prozent der Bevölkerung in diesen Ländern hat das
alles gar nichts zu tun. Im Kern geht es um drei Wege,
die beschritten bzw. diskutiert werden. Es ist interessant,
diese Wege genau zu betrachten und Vergleiche anzustellen.
Der erste Weg ist der - Herr Brüderle, hier sind Sie
beleidigt, aber hier hat Herr Gabriel recht -, den Reichskanzler Heinrich Brüning gegangen ist, nämlich durch
drastischen Sozialabbau die Probleme angeblich zu lösen. Genau diesen Weg geht für ganz Europa Frau
Merkel. Das ist ein einziger Skandal.
({5})
Das ist eine verschärfte Agenda 2010, die dort angewandt wird. Die Investitionen werden in Europa zurückgefahren. Ihre Hoffnung ist - jetzt will ich einmal Ihrer
Theorie folgen -: Wenn man Sozialabbau betreibt, die
Renten kürzt, weitere Schikanen gegenüber der Bevölkerung durchführt und sogar noch die Investitionen abbaut, dann werden auch die Staatsschulden geringer.
Wenn die Staatsschulden geringer werden, dann entsteht
wieder Vertrauen bei den lieben großen privaten Banken,
und dann kaufen sie wieder zinsgünstiger Staatsanleihen
auf. - So Ihre Theorie. Das hat mit der Realität allerdings nichts zu tun.
Wie sieht das Ergebnis aus? Das Wirtschaftswachstum in Griechenland ist um 5,5 Prozent gesunken. Fast
überall herrscht Rezession. Nun kommt das Entscheidende - schauen wir uns einmal die Schuldenlast Griechenlands an, lieber Herr Brüderle -: Im Jahre 2010 betrug die Staatsverschuldung Griechenlands 140 Prozent
der Wirtschaftsleistung. Nun beträgt sie 200 Prozent der
Wirtschaftsleistung. Sie ist also um 60 Prozentpunkte
gestiegen. Das ist das Ergebnis Ihres angeblichen Schuldenabbaus. Das Gegenteil kommt dabei heraus, weil der
Weg falsch ist.
({6})
Wenn Sie das Vertrauen der großen privaten Banken
in die Staaten zurückgewinnen wollen, kann ich Ihnen
nur sagen: Auch das schaffen Sie nicht. Die Banken besorgen sich Geld bei der Europäischen Zentralbank und
zahlen dafür 1,25 Prozent Zinsen. Dann sagen sie gegenüber Italien: Italienische Staatsanleihen kaufen wir nur,
wenn ihr über 7 Prozent Zinsen zahlt. - So verdienen sie
dickes Geld und ruinieren die Bevölkerung Italiens. Das
alles ist nicht hinnehmbar. Ihr Weg ist rundum und vollständig gescheitert. Aber Sie halten an Ihrem Irrsinnskurs fest.
Herr Kauder, Sie haben gesagt: Der Weg, den wir gehen, ist ein Weg zu einem deutschen Europa. - Außerdem sagten Sie auf dem CDU-Parteitag: Man spricht
jetzt deutsch. - Gerade in Anbetracht unserer Geschichte
sollten wir solche Sätze wirklich vermeiden.
({7})
Dieser Weg ist politisch, moralisch, historisch, steuerpolitisch und sozial falsch. Außerdem führt das Ganze
zu einem dramatischen Demokratieabbau; dazu haben
Sie, Frau Bundeskanzlerin, und auch Sie, Herr
Steinmeier, keinen Satz gesagt. Das ist doch nicht mehr
hinnehmbar: In Italien und Griechenland werden Technokraten eingesetzt - ohne Wahlen, ohne Veränderung.
Man schickt Regierungen, die man nicht mehr haben
will, einfach nach Hause und setzt irgendwelche Leute
ein, die der EU willkommen sind. Der ehemalige Ministerpräsident Griechenlands sagte zu seiner Bevölkerung,
er wolle sie über den Grundkurs der Politik abstimmen
bzw. sie in einem Volksentscheid darüber entscheiden
lassen. Dafür musste er seine Sachen packen. Das hat
mit Demokratie nichts zu tun. Das ist ein dramatischer
Demokratieabbau, den wir hier erleben.
({8})
Dieser erste Weg ist also falsch und gescheitert. Aber
es gibt einen zweiten Weg; er beschreibt sozusagen das
US-amerikanische Vorgehen, aber nicht nur das USamerikanische, sondern auch das britische. Hier geht es
um die Euro-Bonds. Nun habe ich ja gehört, dass die
Frau Bundeskanzlerin sagte: Jetzt sind Euro-Bonds
falsch. - Sie hat plötzlich das Wort „jetzt“ eingeführt.
({9})
Ich bin gespannt, ob das nächste Woche noch gilt.
({10})
Herr Brüderle hingegen sagt: Das geht überhaupt
nicht, weil das Prinzip von Ursache und Wirkung falsch
angewandt wird. Wir können doch nicht dafür haften,
dass andere Staaten Fehler gemacht haben. - Herr
Brüderle, erklären Sie der Bevölkerung doch einmal Folgendes:
({11})
Wenn die Europäische Zentralbank jetzt Staatsanleihen
aus Italien, Spanien, Griechenland und anderen Ländern
im Wert von 200 Milliarden Euro hat, die nichts mehr
wert sind, und wenn die Europäische Zentralbank den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern der Euro-Zone,
also vornehmlich den deutschen Steuerzahlerinnen und
Steuerzahlern, gehört, wer haftet dann für diese Staatsanleihen? Wir alle zusammen. Sie sagen also, dass Sie
etwas, das längst existiert, nicht wollen. So kann man die
Bevölkerung nicht an der Nase herumführen. Das sage
ich Ihnen ganz klar.
({12})
Die zweite Variante bedeutet natürlich, dass man Geld
drucken muss. Sie haben völlig recht: Das war schon immer US-Politik. Das machen die auch heute. Das macht
auch Großbritannien. Dieser Weg ist nicht ganz so unsozial und nicht ganz so unmenschlich wie der erste. Aber
er führt zu Inflation, also zu Geldentwertung, und damit
letztlich auch zu mehr Armut. Deshalb ist auch dieser
Weg falsch.
Es gibt einen dritten Weg; das ist der, den wir vorschlagen. Sie fürchten ihn aus verschiedensten Gründen;
aber er ist der einzige Weg, der funktionieren könnte. Es
passt Ihnen nicht; aber dieser Weg führt aus der Krise,
und zwar ohne Deflation und ohne Inflation. Was ist zu
tun? Die bedrohten Staaten müssen aus ihrer Abhängigkeit von den großen privaten Banken, Fonds und Versicherungen befreit werden. Das ist der einzig mögliche
Weg.
({13})
Sie allerdings geben den Banken ständig nach. Sie erkennen nicht - oder wollen nicht erkennen -, dass der
Weg, den wir vorschlagen, die einzige Möglichkeit ist.
Wir brauchen eigentlich eine europäische Bank, die
das Geld der Europäischen Zentralbank nehmen und den
bedrohten Staaten zinsgünstige Kredite geben müsste.
Das wäre deshalb eine Lösung, weil die amerikanischen
Ratingagenturen dann machen könnten, was sie wollen.
Sie könnten Griechenland sogar ein „Z“ geben - was es
nicht gibt -, also komplett herabstufen. Wenn Griechenland von dieser europäischen Bank weiterhin zinsgünstige Kredite bekäme - und Italien, Spanien, Portugal genauso -, könnten die Ratingagenturen erzählen, was sie
wollten. Wir hätten dadurch endlich die Unabhängigkeit
dieser Staaten von den großen privaten Banken hergestellt, und genau das brauchen wir.
({14})
Daneben brauchen wir - das ist wahr - einen Schuldenschnitt, aber nicht nur für Griechenland. Übrigens:
Die Banken haben doch einmal etwas von einem Schuldenschnitt von 50 Prozent erzählt. Man hört gar nichts
mehr davon, Frau Bundeskanzlerin. Wie weit ist es denn
eigentlich damit? Beim letzten Mal war das ein großes
Thema, heute sagt keiner ein Wort dazu. Ich will nur sagen: Das fällt auf.
Das alles reicht aber noch nicht. Die großen privaten
Banken sind einfach zu mächtig. Frau Kohl, die in der
ARD immer über die Börse berichtet und bei Herrn
Jauch neben mir saß,
({15})
sagte dort interessanterweise Folgendes: Banken wie die
Deutsche Bank sind so groß, dass keine Regierung es
sich leisten könnte, sie pleitegehen zu lassen, weder eine
linke noch eine rechte Regierung. Das sei gar nicht möglich, sagt sie. Was heißt das denn? Das heißt, wir sind erpressbar. Das heißt, die Deutsche Bank kann machen,
was sie will. Sie würde immer gerettet werden, ganz
egal, ob sich die Regierung rechts oder links nennt oder
es auch ist.
({16})
- Ja, und genau das ist nicht akzeptabel, Herr
Oppermann. - Deshalb muss man diese Banken verkleinern und dann öffentlich-rechtlich gestalten. Es gibt keinen anderen Weg.
({17})
„Öffentlich-rechtlich gestalten“ heißt, sie wie die Sparkassen, die ARD oder das ZDF zu gestalten. Das heißt
nicht, dass der Finanzminister direkt Weisung geben
kann. Eine öffentlich-rechtliche Einrichtung könnte das
Ganze sehr viel besser regeln.
({18})
Die Sparkassen sind nicht unser Problem, sondern die
großen Privatbanken. Deshalb müssen wir einen anderen
Weg gehen. Dann könnten die Banken endlich wieder
Dienstleister der Realwirtschaft und der Bürgerinnen
und Bürger werden und würden sie nicht mehr beherrschen. Die großen Konzerne, die noch etwas herstellen,
also die Realwirtschaft, müssten jetzt eigentlich dazu
aufrufen, die Linke zu wählen, weil wir die Einzigen
sind, die wollen, dass die Banken ihnen wieder dienen
und nicht bestimmen, was sie zu tun haben. Das ist ja
immerhin ein Schritt in eine vernünftige Richtung.
({19})
Das reicht aber auch noch nicht. Wir müssen natürlich
auch eine drastische Regulierung der Finanzmärkte herbeiführen - das gilt auch für öffentlich-rechtliche Banken -, indem wir Hedgefonds, Leerverkäufe etc. verbieten. Ich fand das Interview, das Herr Soros,
Multimilliardär und König der Hedgefonds, dem Stern
gegeben hat, sehr interessant. Er ist dort gefragt worden,
wer eigentlich schuld sei. Das geht auf die Frage der
Frau Bundeskanzlerin zurück. Sie haben ja gesagt, die
Politik sei schuld. Er hat das auch gesagt, aber er hat das
anders begründet. Er wurde gefragt: Sind Sie nicht
schuld? Sie haben doch mit Ihren Leuten weltweit spekuliert. Sie haben das doch herbeigeführt. - Er sagte: Ja,
das stimmt; aber wir sind trotzdem nicht schuld. Schuld
ist die Politik; denn die hat es uns ja erlaubt. Der Mensch
ist von Natur aus gierig; dann sind wir halt, wie wir sind.
Wenn sie es uns verboten hätten, dann hätten wir es ja
nicht gemacht. - Ich finde, das ist das beste Plädoyer dafür, endlich eine Regulierung der Finanzmärkte herbeizuführen.
({20})
Herr Kollege Gysi.
Ich bin gleich fertig, Herr Präsident.
Daneben brauchen wir unbedingt eine Vermögensteuer. Es ist nicht mehr zu akzeptieren, dass die Vermögenden in der Euro-Zone noch nicht einmal mit einem
halben Euro zur Finanzierung der Krise herangezogen
werden. Lassen Sie mich nur ein Beispiel nennen: 2 000
griechische Familien besitzen 80 Prozent des Vermögens
Griechenlands. Die besagte Frau Kohl sagt dazu: Die
kann man aber nicht heranziehen, weil sie ihr Vermögen
schon ins Ausland gebracht haben. - Abgesehen davon,
dass das bei Grundstücken nicht geht, sage ich: Dann
führen wir eben US-amerikanisches Recht ein. Jeder
Staatsbürger und jede Staatsbürgerin haftet für die Steuern in diesem Land, egal wohin sie das Vermögen verschieben. Das wäre doch nicht zu viel verlangt.
({0})
Herr Bofinger, der Wirtschaftsweise der Regierung,
hat gesagt: Ihr Weg führt ins Desaster. - Das stimmt,
Frau Bundeskanzlerin. Sie müssen den Mut haben, endlich die Unterordnung unter die Banken aufzugeben. Sie
müssen den Mut haben, die Banken diesbezüglich zu
entmachten. Nur so kann man übrigens einen Markt und
etwas Soziales herstellen. Die Priorität der Banken muss
endlich überwunden werden. Dann - und nur dann - bekommen wir ein Europa für die Menschen.
({1})
Das Wort erhält nun der Kollege Volker Kauder für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir sind in einer wirklich außergewöhnlichen Situation.
Wir alle müssen uns anstrengen, um Europa aus dieser
Krise und durch diese Krise zu führen. Da hat das deutsche Parlament seine eigenen Positionen und seine eigenen Rechte; denn wir haben miteinander beschlossen
- das wurde nicht von anderen oder von außen durchgesetzt -, dass der Deutsche Bundestag zu beteiligen ist.
Dafür gibt es ganz hervorragende Beispiele. Vor dem
letzten Gipfel haben wir in diesem Haus gemeinsame
Positionen formuliert, Herr Kollege Steinmeier. Wir haben gemeinsam der Bundesregierung den Rücken gestärkt, und wir haben gemeinsam die Bundeskanzlerin
ermutigt, die richtigen Positionen durchzusetzen. Was
ich aber heute von Ihnen gehört habe, ist davon meilenweit entfernt. Sie haben das Rednerpult im Deutschen
Bundestag mit der Bühne auf dem SPD-Parteitag verwechselt, Herr Steinmeier. Das ist nicht in Ordnung.
({0})
Ich muss Ihnen schon sagen: Sie können den früheren
Bundeskanzler Schröder nicht einfach kritiklos in eine
Linie mit den großen Europäern stellen. Schauen wir uns
doch einmal an, was da passiert ist. Bundeskanzler
Schröder sprach 2003 im Ehrenhof des Élysée-Palastes
von einer Achse Berlin-Paris-Moskau. Einen größeren
Schlag als mit dieser Formulierung konnte man gegen
die Einheit in Europa gar nicht machen.
({1})
Dann wurden locker vom Hocker mit fröhlichem Gesicht die Stabilitätskriterien gebrochen. Weil es einem
parteipolitisch in den Kram passte, wurde ein Mitgliedsland, nämlich Österreich, auf unanständige Weise in die
Pfanne gehauen. Das hat mit europäischen Positionen
überhaupt nichts zu tun.
({2})
- Immer langsam! Ich will Ihnen einmal etwas sagen:
Ich war es nicht, der den früheren Bundeskanzler als
großen Europäer eingeführt hat; das waren Sie. Wenn
Sie das machen, dann müssen Sie auch mit den Punkten
leben, an denen offenkundig wird, dass er sich selber
und einige parteipolitische Interessen vertreten hat, aber
nicht die Interessen Europas und schon gar nicht die Interessen Deutschlands. Das muss hier gesagt werden.
({3})
Auf Ihrem Parteitag können Sie solche Sprüche machen;
da sind wir nicht dabei. Aber hier lassen wir Ihnen das
- damit das ganz klar ist - nicht durchgehen.
({4})
Zu Europa. Die Bundeskanzlerin hat heute hier ganz
klar formuliert, dass das, was notwendig ist, um Europa
zu stabilisieren, mit dem bisherigen Instrumentarium
nicht geht. Wir waren uns in unserer gemeinsamen Erklärung einig, dass es einige Dinge gibt, die sich ändern
müssen. Die Position war, dass wir die Europäische
Kommission in die Lage versetzen müssen, Haushalte zu
begutachten und daraufhin Empfehlungen auszusprechen.
({5})
Wir waren uns doch einig, dass wir einen Automatismus
brauchen, damit genau der Fall nicht mehr eintritt, dass
durch politische Entscheidungen Verfehlungen einfach
unter den Tisch gekehrt werden. Dazu braucht man eine
Änderung in den europäischen Verträgen. Wir waren uns
auch darin einig, dass es Sanktionen geben muss, deren
Durchsetzung wir vor dem Europäischen Gerichtshof
einklagen können.
Dies alles, was auch Sie richtig finden und was wir in
unserer gemeinsamen Erklärung gesagt haben, ist doch
nur die Folge davon, dass wir von Anfang an einen festen Grundsatz verfolgt haben: Wir sind solidarisch, aber
Hilfe gibt es nur, wenn die notwendigen Gegenleistungen erbracht werden. - Glauben Sie, irgendjemand in
Europa hätte auch nur einen entscheidenden Schritt gemacht, wenn das gemacht worden wäre, was Sie von Anfang an verlangt haben? Sie wollten Euro-Bonds und
wollten Geld geben; damit wäre für Sie die Sache erledigt gewesen.
({6})
Aber das hätte uns überhaupt nicht weitergebracht.
({7})
Frau Bundeskanzlerin, der Weg, den Sie beschritten haben und den wir von der Koalition immer begleitet haben, ist richtig. Wir sagen: Es gibt Hilfe und Unterstützung, aber es sind auch notwendige Schritte zu gehen.
Ich glaube, dass der bevorstehende Gipfel entscheidende Möglichkeiten bietet. Ich weiß sehr wohl, dass wir
im deutschen Parlament in einem gewissen Zielkonflikt
sind. Die Bundeskanzlerin hat uns gesagt, welche zentralen und wichtigen Punkte auf dem Gipfel besprochen
werden sollen. Da unterstützen wir die Bundesregierung.
Aber klar ist auch, dass wir im Vorfeld nicht jedes Detail, über das verhandelt wird, bis auf Punkt und Komma
festlegen können. Rainer Brüderle hat völlig recht, wenn
er sagt: Wir sorgen für die Leitplanken - diese haben wir
formuliert -, zwischen denen sich die Regierung bewegt,
und dann unterstützen wir die Regierung, damit sie das
erfolgreich zu Ende bringt. - Bislang sagt uns die Erfahrung: Angela Merkel ist dies immer gelungen. Wir wünschen ihr viel Erfolg und Glück für den kommenden
Freitag.
({8})
Dass wir die notwendigen Veränderungen durchsetzen können, zeigt, glaube ich, die Entwicklung in der
letzten Zeit. Herr Gysi, man kann leicht daherreden und
sagen: Da stürzen ganze Regierungen. - Heute lese ich
in den Zeitungen - das mag Sie vielleicht sogar bedrücken -, dass nicht mehr die Opposition entscheidet, ob
eine Regierung im Amt bleibt oder nicht, sondern die Finanzmärkte. Bei uns entscheiden weder die Finanzmärkte noch Sie; das ist ein Glücksfall für uns.
({9})
Es ist doch völlig klar: Wenn eine Regierung ein Land in
eine solche Situation bringt, wie es im Fall Griechenland
geschehen ist, dann muss es eine Veränderung geben,
dann muss eine andere politische Richtung eingeschlagen werden. Das wurde weder von der Europäischen
Kommission noch vom Europaparlament, sondern vor
Ort entschieden.
Zu Herrn Papandreou: Wenn man in einer so schwierigen Situation etwas miteinander vereinbart, dann kann
man nicht überfallartig und über Nacht etwas anderes
machen und alles durcheinanderbringen. Das war das
Problem.
({10})
Dazu hätte ich mir eine kritische Anmerkung der Grünen
auf ihrem Parteitag gewünscht. Aber da wird so getan,
als ob ein Held habe gehen müssen. Nein, hier hat sich
jemand nicht an Vereinbarungen gehalten.
({11})
Schon früher bestand das Problem in Europa darin, dass
man sich nicht an Vereinbarungen gehalten hat. Das
muss sich grundlegend ändern. An Vereinbarungen, an
gemeinsame Regeln müssen wir uns alle halten, weil es
sonst, wie wir gesehen haben, schiefgeht. Das ist die Erfahrung aus unserer Geschichte.
({12})
Wir werden in der nächsten Zeit sicherlich immer
wieder über die Situation in Europa reden. Wir stellen
aber auch fest: Obwohl es Schwierigkeiten gibt und wir
immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert
sind - da widerspreche ich dem einen oder anderen -,
kommen wir Schritt für Schritt voran. Wir müssen vor
allem das Grundübel beseitigen; wir müssen die Schuldenpolitik beenden. Da, Herr Steinmeier, kann ich mich
nur wundern. Wo waren Sie während der Haushaltsberatungen in der letzten Woche?
({13})
Wie kann man von diesem Rednerpult aus - wohl wissend, dass die ganze Welt zuschaut - den Satz sagen,
dass wir in Deutschland bei der Haushaltskonsolidierung
nicht vorankommen?
({14})
Sie müssen woanders gewesen sein. Sie haben wahrscheinlich noch an die Zeit der rot-grünen Politik gedacht. Damals ist es nicht gelungen, bei der Konsolidierung Fortschritte zu machen. Aber wir sind bei der
Haushaltskonsolidierung wirklich hervorragend vorangekommen und geben damit ein Beispiel, wie man es
machen muss. Deswegen sind wir in einer so guten Situation.
({15})
Ich kann zu den Grünen nur sagen - das habe ich auch
in der Haushaltsdebatte getan -: Es ist abenteuerlich,
dass unsere heimische Wirtschaft, also genau diejenigen,
die dazu beigetragen haben, dass wir in Deutschland erVolker Kauder
folgreich sind, nämlich der Mittelstand, aber auch Großindustrie, Automobilindustrie, Maschinenbau, auf Ihrem Parteitag besonders ins Visier geraten ist. Ich sage
es noch einmal: Mit Ihren Fahrradläden werden Sie das
Wirtschaftswachstum nicht ankurbeln, sondern nur mithilfe der mittelständischen Industrie und der Automobilindustrie in unserem Land.
({16})
Im Hinblick auf Europa haben wir einiges erreicht.
Eines sollten wir klar und deutlich sagen - schauen wir
uns einmal die Zahlen auch im Verhältnis zum Dollar
an -: Wir haben zwar eine Staatsschuldenkrise: aber wir
können wirklich froh darüber sein, dass der Euro noch
immer stabil ist. Wer meint, der Euro stehe am Abgrund,
redet Unsinn. Der Euro ist stabil.
({17})
Europa wird sich in Zukunft gut entwickeln, wenn wir so
weitermachen, wie wir das getan haben. Die Verschuldung muss allerdings zurückgeführt werden; das muss
erreicht werden.
({18})
Sie können auch mithelfen, dass die Schuldenbremse
überall eingeführt wird. Das ist ein gutes Instrument, um
auf den rechten Weg zu kommen.
({19})
Herzlichen Dank.
({20})
Jürgen Trittin ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kauder, bleiben wir einfach bei den Fakten. Sie haben
hier letzte Woche einen Haushalt verabschiedet, der eine
höhere Neuverschuldung vorsieht, als wir sie im letzten
Jahr gehabt haben. Sie erzählen dem Rest Europas öffentlich, es solle sparen. Aber Sie selber sind dazu nicht
in der Lage.
({0})
Damit noch nicht genug. Sie erklären auch noch: Wir
wollen so weitermachen. Auf diese zusätzlichen Schulden für das nächste Jahr setzen Sie noch Steuersenkungen auf Pump. Das ist Ihre solide Finanzpolitik. - Das
hat mit Solidität gar nichts zu tun.
({1})
Ich hätte mir gewünscht, lieber Herr Kauder, Sie hätten hier Ihre unseligen Äußerungen vom Parteitag zurückgenommen. Das hat es lange nicht gegeben, dass jemand, der für Deutschland in der Verantwortung steht
- das tun Sie als Vorsitzender einer Koalitionsfraktion -,
in dieser Art und Weise arrogant in Europa herumholzt.
Das geht nicht. Das schwächt Deutschland, das erschwert eine Politik in Europa.
({2})
Ich hätte mir, Frau Bundeskanzlerin, wenn Herr Kauder
dazu nicht in der Lage ist, wenigstens von Ihnen gewünscht, dass Sie klargestellt hätten, dass diese Art und
Weise des Umgangs mit unseren Partnern in Europa
nicht die Position der Bundesregierung bzw. der Bundesrepublik Deutschland ist.
({3})
Ihre Regierungserklärung, Frau Bundeskanzlerin, war
wieder sehr stark von dem Grundprinzip charakterisiert:
Der Weg ist das Ziel. Um das ein bisschen zu bemänteln,
haben Sie das Bild des Marathonläufers bemüht.
({4})
Lassen Sie uns einmal bei diesem Bild bleiben. Das
Wichtigste, was man bei einem solchen Lauf berücksichtigen muss, ist:
({5})
Man sollte sich vorher über die Strecke kundig machen.
Ansonsten geht es Ihnen wie Ihrem Wirtschaftsminister,
der erst in die falsche Richtung rennt und sich dann immer nur im Kreis bewegt.
({6})
Wenn man einen Marathon laufen will, dann muss
man ihn nicht nur zu Ende bringen, sondern man muss
auch anfangen, zu laufen. Das ist aber genau das, was
Sie zurzeit nicht machen. Sie sagen: Wir werden nichts
unternehmen, bevor nicht Vertragsänderungen und Ähnliches vorgenommen werden. Das heißt, Ihr Marathonlauf hat noch gar nicht begonnen. Dies ist in der jetzigen
Situation schlicht und ergreifend fahrlässig.
Die Botschaft, beispielsweise in Richtung Italien, lautet: Bevor überhaupt etwas passiert, soll das Land erst
einmal sparen. Ich will nur kurz darauf hinweisen, was
Italien bevorsteht. Italien muss im nächsten Jahr
370 Milliarden Euro refinanzieren. Das ist mehr als der
Bundeshaushalt. Im Jahr darauf werden es 200 Milliarden Euro sein. Italien muss zurzeit auf dem Markt 8 Prozent Zinsen für seine Refinanzierung zahlen. Glauben
Sie, dagegen könnte man mit irgendeiner staatlichen
Sparpolitik ansparen? Das ist schlicht und ergreifend unmöglich.
({7})
Das sage nicht nur ich, sondern das hat Ihnen auch Ihr eigener Sachverständigenrat ins Stammbuch geschrieben.
Er hat ausgerechnet, was Italien erwirtschaften müsste,
wenn es die Maastricht-Kriterien innerhalb von 20 Jahren
einhalten wollte. Italien müsste jedes Jahr einen Primärüberschuss von 8 Prozent erwirtschaften. Nein, das, was
Sie dem Rest Europas predigen, praktizieren Sie nicht
nur selber nicht, sondern es ist auch eine Auflage, die das
Problem nicht lösen wird. An deren Ende steht das Zerbrechen der Euro-Zone und damit des gemeinsamen Europas.
({8})
Darüber mache ich mir Sorgen. Wollen wir dabei tatenlos zugucken?
Der Kollege Kauder hat sich nicht entblödet, den Vergleich mit der Fahrradproduktion zu bringen. Ich würde
Ihnen raten, lieber Herr Kollege Kauder, die Firma
Daimler zu besuchen und Herrn Zetsche zu fragen, was
er glaubt, was mit seinem Unternehmen passiert, wenn
die Euro-Zone auseinanderbricht und es in der KernEuro-Zone zu einer Aufwertung um 20, 30 oder 50 Prozent kommt. Dann wären die Arbeitsplätze in Untertürkheim und Sindelfingen aber sehr akut in Gefahr. Das
nehmen Sie mit Ihrem Nichthandeln zurzeit billigend in
Kauf. Das ist das Problem, das der Industriestandort
Deutschland hat: Sie sind fahrlässig.
({9})
Hören Sie auf, das deutsche Volk zu belügen! Es ist
eine Lüge, wenn Sie sagen: Sie haften nicht für Anleihen
anderer. Herr Gysi hat recht. Bei der EZB liegen
200 Milliarden Euro Staatsanleihen, für die Deutschland
mit 54 Milliarden Euro haftet. Bei der EZB liegt aber
noch mehr: Sie hat Kredite an die südeuropäischen Banken vergeben. Wir haften zurzeit für 460 Milliarden
Euro davon. - Ich könnte das weiter fortsetzen. Nehmen
Sie nur die Verbindlichkeiten, die diese Staaten bei deutschen Banken haben: 525 Milliarden Euro.
({10})
Das ist die finanzielle Dimension, um die es hier geht.
Wir reden von einer dramatischen Situation, und Frau
Merkel sitzt auf ihrem Stuhl und überlegt sich, ob sie irgendwann die Turnschuhe aus dem Schrank holen soll.
({11})
Nein, jetzt muss gehandelt werden. Das heißt, Italien,
Spanien und die anderen betroffenen Länder müssen
sich refinanzieren können.
({12})
Wenn es mit dem Hebel nicht klappt, dann wird man etwas anderes machen müssen. Frau Merkel ist inzwischen sehr interessiert, was die Euro-Bonds angeht.
Eben hat sie gesagt: Darüber muss man sich jetzt nicht
streiten; sie kommen sowieso.
({13})
Aber wenn sie kommen, dann wird es zu spät sein. Also
müssen wir etwas anderes machen. Selbstverständlich
müssen wir das Volumen für die EFSF vergrößern. Wenn
es mit der Hebelung nicht klappt, geht dies nur über eine
Banklizenz. Dann kann man das politisch steuern. Das
ist vernünftig. Ich sage Ihnen in aller Ruhe: Es ist die
bessere Alternative zu dem, was sonst bleibt,
({14})
nämlich die direkte Finanzierung durch die EZB ohne
jede Sparauflage. Deswegen muss das jetzt kommen.
({15})
Sie brauchen auch einen verlässlichen Pfad zur Tilgung der europäischen Schulden.
({16})
Wir müssen mit dem Schuldenabbau Ernst machen. Ich
rate Ihnen: Lesen Sie das Gutachten Ihrer eigenen Sachverständigen! Da findet sich ein sehr lesenswerter Vorschlag. Herr Schäuble hat gesagt: Ich übernehme Teile
davon. - Aber er übernimmt das Wesentliche nicht. Das
Wesentliche, um die Finanzmärkte von Europa und von
diesem gemeinsamen Euro zu überzeugen, ist, dass klargestellt wird: Dieses Europa steht füreinander ein. Dann
muss auch klargestellt werden, dass jedes Land seinen
Schuldentilgungsverpflichtungen nachkommt. Dafür hat
der Sachverständigenrat mit dem Schuldentilgungsfonds
ein richtiges, ein kluges, ein gutes Modell vorgestellt. So
kommt man aus der Krise heraus, so spart man Geld, so
stellt man finanzielle Solidität wieder her.
({17})
Und schließlich, meine Damen und Herren: Ja, wir
brauchen Vertragsänderungen, aber nicht anstelle jetzigen Handelns, sondern zusätzlich zu diesem Handeln.
Frau Bundeskanzlerin, es war übrigens nicht die Politik, die die Währungsunion geschaffen hat, das war nicht
eine anonyme Macht, sondern das war der Bundeskanzler Helmut Kohl - ich meine mich zu erinnern, Sie waren damals in seinem Kabinett -, es war eine Mehrheit
im Bundesrat, die aus A-Ländern bestand, und es war
auch die grüne Partei. Wir alle haben uns für diese gemeinsame Währung ausgesprochen. Wir haben dies gemeinsam in dem Wissen getan, dass es Defizite gibt.
Denn wir haben gesagt: Nach der deutschen Einheit wollen wir diesen wichtigen Schritt gemeinsam gehen.
Nun geht es darum, diesen Schritt tatsächlich zu gehen und von der Währungs- zu einer Wirtschaftsunion
zu kommen. Nur, Sie haben nichts zum Inhalt gesagt.
Was ist eigentlich mit den Vorschlägen von Nicolas
Sarkozy, der gestern verkündet hat, dieses neue Europa
soll kein institutionelles, kein gemeinschaftliches Europa sein,
({18})
sondern es soll das Europa der Regierungen sein? Er will
sogar das Schengen-Abkommen aufheben, das heißt, er
will die europäische Freizügigkeit abschaffen. Wenn Sie
denn unbedingt über Vertragsänderungen reden wollen,
dann hätte ich dazu ein klares Wort von Ihnen erwartet.
Das, was er vorgeschlagen hat, ist kein gemeinsames Europa.
({19})
Sie müssen jetzt handeln. Spanien und Italien müssen
sich refinanzieren können. Wir brauchen einen tatsächlichen Schuldenabbau durch einen gemeinsamen Schuldentilgungsfonds. Wir brauchen Schritte hin zu einer
echten Wirtschafts- und Währungsunion. Damit müssen
wir klarmachen: Dieses Europa steht zusammen, es hält
zusammen. Das müssen wir in aller Deutlichkeit sagen,
und das müssen wir nicht nur auf Deutsch sagen, das
müssen wir auch auf Griechisch, auf Italienisch und in
allen anderen Sprachen sagen. - So viel zum Abschluss
zu Herrn Kauder.
({20})
Nächster Redner ist der Kollege Hermann Otto Solms
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Man muss zunächst noch einmal daran erinnern,
was die Ursache für die Krise war. Ursache für die Krise
({0})
ist die unmäßige Verschuldungspolitik der Staaten - übrigens Deutschlands genauso wie anderer Staaten -, und
nichts anderes.
({1})
Wer die Krise bekämpfen will, muss die Ursache bekämpfen. Der kann sich nicht nur Gedanken über die Finanzierung dieser Situation machen, wie das eben der
Kollege Trittin gemacht hat. Noch vor kurzem hat er von
Euro-Bonds gesprochen. Dann ist ihm widersprochen
worden; es ist gesagt worden, dass Euro-Bonds zu einer
gesamtschuldnerischen Haftung der deutschen Steuerzahler führen würden. Er hat gemerkt, das ist nicht so
sehr populär. Jetzt redet er von einer Banklizenz. Das ist
aber nichts anderes. Das heißt nämlich, dass die Funktion der Europäischen Zentralbank zur Finanzierung auf
den Fonds übertragen wird, und dann wird eben wieder
Geld geschöpft und so finanziert.
Ich sage noch einmal: Es geht nicht um die Finanzierung der Krise, es geht um die Lösung der Krise. Das ist
das Entscheidende.
({2})
Es ist doch klar, dass die Länder mit hoher Schuldenproblematik nach Rettungsankern suchen und hoffen, die
Deutschen werden das bezahlen. Deswegen ist es richtig,
dass die Bundesregierung und die Kanzlerin Angela
Merkel in Europa wie ein Fels in der Brandung steht und
das ablehnt. Die ganze Koalition lehnt das ab.
({3})
Das sind wir dem deutschen Steuerzahler schuldig, um
ihn zu schützen. Eine andere Alternative gibt es überhaupt nicht.
Herr Kollege Solms, darf Ihnen der Kollege Ernst
eine Frage stellen?
Nein, ich habe nur drei Minuten. Ich möchte jetzt
nicht unterbrochen werden.
({0})
Die Schulden der Unionsstaaten haben heute ein Niveau von etwa 8,3 Billionen Euro, also 8 300 Milliarden
Euro, erreicht. Das sind im Durchschnitt 90 Prozent des
gemeinsamen Bruttoinlandsproduktes;
({1})
zulässig sind eigentlich 60 Prozent. Wenn Sie sich diese
Volumina, diese Dimensionen anschauen, erkennen Sie,
dass Sie dieses Problem nicht in ein oder zwei Jahren lösen können;
({2})
vielmehr müssen diese Schulden auf einem langen Weg
abgebaut werden. Entscheidend ist - das ist wie beim
Marathonlauf -: Sie müssen anfangen, zu laufen.
({3})
Dieses Anfangen - zu laufen - war die Verabschiedung
der Ertüchtigung der EFSF, der Sie ja zugestimmt haben.
Da beginnt der Prozess der Entschuldung, der für die
Staaten bedingt abläuft - das ist nicht wie bei den EuroBonds; da wäre es unbedingt -; das heißt, sie werden gezwungen, für Hilfsleistungen Gegenleistungen zu geben,
nämlich ihre Ausgaben einzuschränken und ihre Wirtschaft zu ertüchtigen.
({4})
Darauf kommt es an. Wenn das gelingt und dieser Weg
Schritt für Schritt, Jahr um Jahr konsequent fortgesetzt
wird - das ist die Aufgabe -, dann wird das Problem ge17584
löst werden und dann wird das Vertrauen der Märkte
ganz schnell zurückkommen.
Einen schnellen, kurzfristigen Weg - das sage ich
auch den Kritikern in den eigenen Reihen; Frank
Schäffler war ja gerade noch da - gibt es nicht. Wer einen solchen Weg gehen will, der riskiert den schnellen
Zusammenbruch der Märkte. Das würde eine weltweite
Finanz- und Wirtschaftskrise auslösen. Dieses Risiko
darf man auf keinen Fall eingehen. Wir müssen den geordneten Weg des Abbaus der Schulden und der Stabilität der Finanzen in den europäischen Staaten gehen.
Dann wird das Vertrauen der Märkte auch wieder zurückkehren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Joachim Poß ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Kauder - er verlässt gerade den Saal -,
({0})
Ihre Äußerung, dass Deutsch gesprochen wird, ist ein
Beleg dieser Krise. Sie zeigt nämlich die Angst vor den
Wählerinnen und Wählern. Aber was nützen Ihnen solche nationalen Töne, wenn Sie damit überhaupt keine
europäische Lösung erreichen können?
({1})
Was nützt Ihnen das?
Die totale Verengung des Blickfeldes auf die Innenpolitik ist das Kennzeichen dieser Koalition.
({2})
- Nein, nein. Das wird weltweit festgestellt: Es gibt eine
totale Verengung auf die Innenpolitik. - Wer sich so verhält, wird dem Ausmaß dieser Krise nicht gerecht.
({3})
Sie starten Angriffe auf die Opposition und wollen
von der katastrophalen eigenen Situation ablenken; denn
Sie in der Koalition stehen ja kurz vor dem Auseinanderbrechen.
({4})
Wenn der Mitgliederentscheid in der FDP nicht so ausfällt, wie es Herr Rösler und die Führung gern hätten,
was ist denn dann mit der Bundesrepublik Deutschland?
Ist dieses Land, das wegen des Zustandes der Koalition
schon jetzt nicht voll handlungsfähig ist, dann in der
größten europäischen Krise gänzlich handlungsunfähig?
Darum geht es auch.
({5})
Bevor Sie gegen uns polemisieren, sollten Sie wirklich überlegen, wie Sie mit gemeinschaftlichem Handeln
Beiträge leisten, diese Krise zu bewältigen. Dazu gab es
in der heutigen Debatte viele kluge Anmerkungen, die
ich aus Zeitgründen gar nicht wiederholen kann. Sie haben also überhaupt keinen Anlass, Herr Kauder, Herr
Brüderle - auch die Kanzlerin -, solche Töne anzuschlagen. Das Spiel, das Sie jetzt spielen, gefährdet letzten
Endes Hunderttausende von Arbeitsplätzen hier in der
Bundesrepublik Deutschland. Das gefährdet eventuell
die Zukunft der Euro-Zone. Darum geht es, wenn Sie
sich nur noch parteitaktisch orientieren. Frau Merkel hat
heute nicht erkennen lassen, dass sie gewillt ist, weiterzudenken und auch Türen zum Nachdenken zu öffnen.
Sie hat wieder nur den Stabilitätskurs betont, den auch
wir für richtig halten; aber er reicht nicht aus. Wo war
denn die Wachstumskomponente? Das war ja quasi nur
als Nachklapp dabei. Das reicht für die größte Volkswirtschaft in Europa und für die politische Führung dieses
Landes lange nicht aus. Frau Merkel, Sie spielen mit den
Interessen der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und darauf müssen wir hier hinweisen.
({6})
Die Krise, mit der wir es zu tun haben, kennen Sie
selbst, und es geht ja weiter. Die Menschen stellen sich
die Frage, ob die Politik der Probleme noch Herr werden
kann. Wir müssen alle aufpassen, dass die Staatsfinanzierungs- und Finanzkrise nicht zu einer Krise von staatlicher Legitimation und der Demokratie wird. Insoweit
wäre es wichtig, dass auch Sie überlegen, wie es gerechter in diesem Lande zugehen kann, als das derzeit der
Fall ist. Das gilt nicht nur für Griechenland, wo die
Frage der Ungerechtigkeit mit Händen zu greifen ist,
sondern auch für die Bundesrepublik Deutschland. Auch
da vergeben Sie Tag für Tag Chancen, die Krise in richtiger Weise anzugehen.
Mich hat mit größter Sorge erfüllt, dass Frau Merkel
hier schon wieder dieselben taktischen Spiele treibt und
aus den letzten zwei Jahren nichts gelernt hat.
({7})
- Nein, diese Rede ist gerechtfertigt, weil von Frau
Merkel keine neuen Signale kommen, und wenn, dann
dienen diese Signale nur dem Selbstschutz. Sie tastet
nicht die Unabhängigkeit der EZB an. Wie edel! Aber
das ist ja ihr Selbstschutz. Deswegen schaut sie zu, wie
die EZB jetzt handelt. Das ist nämlich der Hintergrund
dieser Äußerung von Frau Merkel.
({8})
Es besteht die Gefahr einer Politik der verbrannten
Erde, in Europa wie auch bei Ihren eigenen Leuten, bei
Ihren Anhängern und in der eigenen Koalition. Die eigenen Leute wissen eben auch immer weniger, wofür Sie
stehen, Frau Merkel, und was Ihre Überzeugungen sind.
Unbestritten ist bei Ihnen die Stabilitätsunion, und darüber hinaus kommt von Ihnen überhaupt nichts mehr.
Wenn Sie auf Helmut Kohl verweisen: Bei aller Kritik
an Helmut Kohl glaube ich, dass sich Helmut Kohl in
dieser Krise anders, angemessener verhalten hätte, als
Sie das tun.
({9})
Ein Letztes. Herr Kauder, Sie haben Gerhard
Schröder angesprochen. Gerhard Schröder hat die Aktion damals gemacht, um das Aufkommen des Rechtsradikalismus hier in Europa zu bekämpfen. Dass das dringend notwendig ist, können wir in diesen Tagen
beobachten.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Meister für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen vor einer einmaligen Herausforderung in der Weltgeschichte: Das Problem, dass wir eine Währungsunion hatten, die in Turbulenzen kam, dass dabei Landesgrenzen überschritten
wurden und dass es dabei keine Zentralregierung an der
Spitze gab, ist noch nicht vorgekommen. Deshalb gibt es
auch kein Drehbuch zur Bewältigung dieser Krise, und
deshalb möchte ich zunächst seitens meiner Fraktion der
Bundeskanzlerin und der Bundesregierung ein riesiges
Kompliment dafür machen, dass wir uns bisher auf diesem Neuland so gut bewegt haben und dass wir einen
klaren Plan haben, wie wir diese Krise bewältigen wollen.
({0})
Es ist schon merkwürdig, Herr Steinmeier, dass Sie
hier von Ihrem rot-grünen Expertentum sprechen. RotGrün ist nicht die Lösung, sondern eine wesentliche Ursache dieser Krise.
({1})
Griechenland ist unter Ihrer Zustimmung gegen jegliche
ökonomische Vernunft beigetreten. Der Stabilitätspakt
wurde von Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier
und Hans Eichel gegen jegliche Vernunft aufgeweicht.
({2})
Die Deregulierung der Finanzmärkte, die in Spanien
und Irland ins Elend geführt hat, wurde von der rot-grünen Regierung betrieben und befürwortet. Sie sind die
Ursache, aber nicht die Lösung des Problems. Mit Ihren
Behauptungen machen Sie hier reine Innenpolitik.
({3})
Wir stehen vor einem historischen Einschnitt, weil
wir zum ersten Mal öffentlich darüber diskutieren, dass
Staaten in Zukunft ein Risiko darstellen. Bisher wurde
die Philosophie vertreten: Staaten sind immer solvent,
Staaten zahlen immer ihre Schulden, und Staatsanleihen
sind kein Risiko. Wir ändern das jetzt und kommen
dazu, dass Märkte Staatsanleihen richtig bepreisen sollen. Damit beginnt eine neue Zeitrechnung. Wir müssen
diesen Übergang vernünftig gestalten. Wir müssen aufpassen, dass wir bei dem Übergang von der alten zu der
neuen Philosophie, die die richtige ist, nicht verunglücken. Deshalb ist es richtig, dass wir uns in Zukunft
nicht mehr abhängig machen. Aber allen Rednern der
linken Seite des Hauses sei gesagt: Unser Problem ist
nicht die Abhängigkeit von Banken, unser Problem ist
die Abhängigkeit von zu vielen Schulden. Deshalb brauchen wir eine andere Schuldenkultur. Wir brauchen weniger Schulden und damit weniger Abhängigkeit der
Menschen. Das zu ändern, muss das Ziel unserer Politik
sein.
({4})
An der Stelle geht die Bundesregierung richtig voran.
Wir sparen auf der Ausgabenseite - keine höheren Ausgaben -, und wir haben, was die Einnahmen betrifft, unsere Erwartungen für das nächste Jahr gesenkt. Dazu
will ich sagen: Auch das zeugt von einer anderen Kultur.
Unter Rot-Grün hatten Sie einen Finanzminister, der jeden seiner Haushalte auf Kante genäht und uns dann am
Jahresende erklärt hat, dass es leider schiefgegangen ist
und die Schulden gestiegen sind. Mir ist ein Finanzminister Wolfgang Schäuble, der am Anfang konservativ
plant und dann seine Planungen positiv übertrifft, lieber
als jemand, der uns erklären muss, dass es schiefgegangen ist. Deshalb machen wir weiter mit dieser richtigen
Kultur.
({5})
Auf europäischer Ebene sollte man die möglichen Alternativen kennen und abwägen. Herr Kollege Poß hat
eben kritisiert, wir würden zu viel Innenpolitik machen,
und dann hat er eine innenpolitische Rede gehalten. Wir
stehen klar zu Europa, wir wollen Europa. Wir stehen
klar zum Euro, und wir wollen den Euro nicht nur dauerhaft, sondern wir wollen ihn auch als stabile Währung.
Dafür treten wir ein. Dafür begeben wir uns nicht in innenpolitische Scharmützel, sondern wir stellen die richtigen Weichen für die Zukunft Europas und für die Zukunft eines stabilen Euro.
({6})
Wie sehen denn die Alternativen aus? Wir glauben
nicht, dass wir unter den jetzigen Rahmenbedingungen
eine gemeinsame Haftung für die Schulden aller Mitgliedsländer verantworten können. Das setzt die falschen
Anreize, weil dann diejenigen, die seit jeher das Schuldenmachen gewohnt waren, auch in Zukunft auf Kosten
anderer leben werden. Deshalb würde das - da hat die
Kanzlerin recht - die Krise nicht lösen. Das wäre eine
Scheinlösung und würde die Krise über die Zeit ver17586
schlimmern. Deshalb Nein zu einer Haftungsgemeinschaft.
({7})
Wenn ich einen stabilen Euro auf Dauer will, dann ist
die absolute Grundlage dafür eine unabhängige Zentralbank. Wer das Postulat einer unabhängigen Zentralbank
vertritt, der kann als Politik nicht andauernd Entscheidungen der Zentralbank kommentieren, kluge Aufforderungen an sie richten und dergleichen mehr tun.
({8})
Wer Unabhängigkeit will, darf sie nicht nur fordern, sondern muss sie auch leben. Das heißt, Frau Merkel, wir
müssen uns an der Stelle der Kommentare enthalten und
akzeptieren, dass die Notenbank auf gesetzlich klar geregelter Grundlage ihre Aufgabe für einen dauerhaft stabilen Euro wahrnimmt.
({9})
An der Stelle will ich auch klar sagen: Ich verstehe
nicht, was Herr Gysi formuliert hat. Er hat gesagt, dass,
wenn die Zentralbank aktiv würde, das zu Armut führen
würde. Das verstehe ich. Er hat aber auch gesagt, das
wäre die weniger unsoziale Lösung. Ich aber bin der
Meinung: Wenn die Zentralbank so massiv intervenieren
würde und am Ende das die Lösung wäre, dann wäre das
die unsozialste Lösung, die es gibt; denn die Menschen,
die sich nicht wehren können, würden von der Inflation
getroffen. Deshalb müssen wir auch dieses verhindern.
({10})
Was ich vom kommenden Freitag erwarte, ist Folgendes: dass wir eine klare Definition bekommen, wie die
Integration der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa
ausschauen soll. Dabei muss nicht jeder das Gleiche tun.
Wir wollen nicht die Kultur von 2 000 Jahren in Europa
egalisieren, sondern wir wollen uns auf gemeinsame
Ziele verständigen und diese dem Subsidiaritätsgedanken entsprechend umsetzen. Das Umsetzen muss aber
beaufsichtigt werden - Stichwort: Monitoring -, und es
muss geprüft werden, ob die Ziele erreicht werden. Ich
hoffe, dass wir uns miteinander am kommenden Freitag
auf einen solchen Satz von Vertragsänderungen klar und
deutlich verständigen können.
({11})
Wir haben gelernt, dass es nicht reicht, sich inhaltlich
einig zu sein. Wir müssen uns auch darüber im Klaren
sein: Wie sieht der Fahrplan aus? Dieser Fahrplan muss
im Verfahren unumstößlich eingehalten werden. Nur so
können wir Vertrauen schaffen, das wir dringend brauchen, um langfristig an den Märkten tatsächlich wieder
anleihefähig zu sein.
Ein kleiner Einschub, Herr Trittin. Sie haben erwähnt,
dass sich die Italiener und Spanier momentan nicht die
hohen Zinsen leisten können. Ich halte dieses Argument
für absolut unsinnig.
({12})
Wichtig ist, dass wir dauerhaft langfristige Stabilität erreichen. Wenn einer einmal einen Tag ein bisschen höhere Zinsen zahlt, ist das doch kein Problem. Die Frage
ist, wo der Zinssatz dauerhaft liegt. Deshalb müssen wir
uns um nachhaltige Stabilität bemühen. Kurzfristige Aktivitäten helfen nicht.
({13})
Ich würde mir wünschen - schon seit zwei Jahren -,
dass die Europäische Kommission an dieser Stelle eine
viel stärkere Rolle spielt und in diesem Sinne aktiv wird.
Ich bedauere, dass wir von dieser Stelle sehr oft Vorschläge hören, die eigentlich nicht dem klaren Kurs für
mehr Stabilität und mehr gemeinsame europäische Zukunft entsprechen. Ich habe hier den Wunsch, dass wir
nicht nur auf unsere Bundeskanzlerin blicken, sondern
vielleicht auch eine etwas stärkere, richtigere Rolle der
EU-Kommission einfordern.
({14})
Man möge mir nachsehen, dass ich kein Mitglied der
Exekutive, sondern Parlamentarier bin. Ich möchte, dass
das stärker integrierte Europa auch ein demokratisches
Europa ist. Wir haben darum gekämpft, dass es bei allen
Maßnahmen, die wir zur Stützung der Währung und der
Gemeinschaft eingeleitet haben, eine starke Beteiligung
des Deutschen Bundestages gab. Wenn wir Europa stärker integrieren, müssen wir jetzt auch darum kämpfen,
dass Parlamente und Abgeordnete eine demokratische
Legitimierung und Kontrolle der neuen Prozesse sicherstellen können, und zwar nicht nur mit Blick auf Karlsruhe, sondern mit Blick darauf, dass das Ganze, was wir
tun, Akzeptanz in der Bevölkerung unseres Landes finden muss.
In diesem Sinne hoffe ich, dass unsere Bundeskanzlerin am kommenden Freitag erfolgreich ist, nicht nur für
die Regierung und die Koalition, sondern für Deutschland und eine gute Zukunft Europas.
Danke schön.
({15})
Das Wort hat nun Stefan Müller für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, es schadet nicht, wenn man diese Debatte nach
einer Regierungserklärung auch einmal dazu nutzt, darauf hinzuweisen, dass es beim Euro - bei allem, über
Stefan Müller ({0})
das wir im Augenblick im Zusammenhang mit dem Euro
diskutieren - nicht nur um unsere gemeinsame Währung
geht, sondern um ein ganz zentrales Projekt der europäischen Integration. Von den Römischen Verträgen bis zur
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und zur Europäischen Union, vom einheitlichen Binnenmarkt bis zu dieser gemeinsamen Währung ist die europäische Integration eine Erfolgsgeschichte, auf die wir alle, die in
diesem Haus einen Beitrag dazu geleistet haben, zu
Recht stolz sein können.
({1})
Die europäische Integration hat sich auch deswegen
als Erfolgsgeschichte erwiesen, weil sie die Grundlage
dafür war, diesen alten Kontinent neu zu ordnen. Wenn
die europäische Integration früher die Antwort auf die
Geschichte war, auf das, was über Jahrhunderte auf diesem Kontinent passiert ist, dann muss man heute feststellen, dass die europäische Integration die Antwort auf
die Herausforderungen der Zukunft ist, die uns noch bevorstehen. Denn die aktuelle Krise zeigt, dass angesichts
einer zunehmenden Zahl grenzüberschreitender Probleme die klassischen Nationalstaaten an ihre Grenzen
stoßen. Wir nutzen die Euro-Krise, die Staatsschuldenkrise, zu Recht dazu, uns Gedanken zu machen: Was
sind denn die Aufgaben der europäischen Ebene? Was
müssen die Aufgaben der europäischen Ebene sein? Was
aber sind Aufgaben, die die Mitgliedstaaten auch in Zukunft alleine lösen können?
Die wirtschaftliche und politische Globalisierung
zwingt geradezu zu mehr Zusammenarbeit und stellt uns
vor die Frage, wie wir Wohlstand und soziale Sicherheit
auch in Zukunft aufrechterhalten können. Sie stellt uns
auch vor die Frage, ob wir in Europa, damit auch
Deutschland, einfach nur einen Sitzplatz auf der Tribüne
haben oder ein aktiver Mitspieler in der internationalen
Politik sein wollen.
Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass die europäische Integration immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt worden ist. Es ist in der Vergangenheit
immer gelungen, diese Herausforderungen, diese Krisen
zu bewältigen. Es ist in der Vergangenheit immer dann
am besten gelungen, wenn Deutschland als größtes Mitgliedsland die Impulse gesetzt hat. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass wir auch diese Krise meistern können, weil Deutschland vorangeht, weil Deutschland
gemeinsam mit Frankreich Impulse setzt und weil diese
Bundesregierung an dieser Stelle Verantwortung zeigt.
({2})
Es ist darauf hingewiesen worden: Bei dieser Krise
geht es eben nicht um eine Krise des Euro. Es ist keine
Euro-Krise, sondern es ist eine Staatsschuldenkrise.
Diese Staatsschuldenkrise ist nicht einfach so über Nacht
entstanden, sondern sie ist über Jahrzehnte entstanden,
weil alle Euro-Länder über Jahrzehnte mehr Geld ausgegeben haben, als sie vorher eingenommen hatten, und
weil die Defizite mit immer neuen Schulden finanziert
worden sind. Erst dadurch ist die Abhängigkeit von Investoren und den Finanzmärkten entstanden.
Genauso wenig wie die Staatsschuldenkrise über
Nacht entstanden ist, genauso wenig lässt sie sich von einem Tag auf den anderen lösen. Damit befassen wir uns
seit nunmehr fast zwei Jahren. Wir sorgen auf der einen
Seite dafür, dass die Länder, die Hilfe brauchen, auch
Hilfe bekommen - wir haben gemeinsam Hilfspakete geschnürt und Rettungsschirme aufgespannt -, auf der anderen Seite müssen wir dafür sorgen, dass die Grundprobleme, die überhaupt erst zu dieser Staatsschuldenkrise
geführt haben, beseitigt werden. Das Grundproblem dieser Krise ist nun einmal die zu hohe Staatsverschuldung.
Ein weiteres Grundproblem ist das mangelnde Vertrauen
der Finanzmärkte und der Investoren, auf deren Geld wir
angewiesen sind, um unseren Staat aufrechtzuerhalten.
Dieses Vertrauen ist verloren gegangen.
Mit den Hilfsmaßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben, stellen wir die Zahlungsfähigkeit der Krisenländer sicher - das ist richtig -, aber wir leisten mit
den Hilfsmaßnahmen noch sehr viel mehr: Wir verhindern damit eine flächendeckende Ansteckung anderer
Länder. Wir sorgen mit unseren Maßnahmen dafür, dass
dem Ausfall eines Landes nicht der Ausfall mehrerer
Länder nachfolgt und dass am Ende - wir sprechen von
Staatsinsolvenzen - die Euro-Zone insgesamt nicht auseinanderbricht. Gerade das ist in deutschem Interesse,
und deswegen übernimmt Deutschland Verantwortung.
({3})
Wir tun ein Weiteres: Wir stellen nicht nur die Zahlungsfähigkeit der Krisenländer sicher und verhindern
nicht nur eine flächendeckende Ansteckung, sondern wir
sorgen auch dafür, dass das europäische Bankensystem
nicht zusammenbricht. Vor wenigen Jahren standen wir
vor der Situation, dass Banken kurz vor dem Zusammenbruch waren. Wir waren uns weitgehend darüber einig,
was das für Deutschland bedeuten würde. Nur, eines
muss deutlich gemacht werden: Wir retten nicht die Banken, wir retten nicht Organisationen, sondern wir retten
die Spareinlagen der Anleger und Kunden der Banken.
Auch deswegen übernimmt Deutschland Verantwortung.
({4})
Die Krisenbewältigung kann nur gelingen, wenn wir
das verlorengegangene Vertrauen der Finanzmärkte zurückgewinnen. Es geht nicht um Spekulanten und Zocker,
sondern es geht in erster Linie um Institutionen, die Geld
von Kleinanlegern einsammeln und dieses Geld international anlegen. Die Rückgewinnung dieses Vertrauens
wird nur gelingen, wenn die Märkte und die Investoren
von der Glaubwürdigkeit der Konsolidierungsprogramme
überzeugt sind. Es wird nur gelingen, wenn sie davon
überzeugt sind, dass die Haushaltspolitik solide und auch
nachhaltig ist. Wir werden ferner das Vertrauen nur zurückgewinnen, wenn die Investoren von der Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Zone überzeugt sind.
Zur Rückgewinnung dieses Vertrauens gehört, dass
die europäische Ebene Überwachungsrechte bekommen
muss, dass es Durchgriffsrechte, Sanktionsrechte und ein
Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof geben
Stefan Müller ({5})
muss. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum bei allerlei Vertragsverletzungen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof eingeleitet werden können, aber wenn
es darum geht, solide Finanzen zu gewährleisten, ein
Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH verwehrt
ist. Deswegen muss man an dieser Stelle etwas verändern.
({6})
Das Vertrauen werden wir dann zurückgewinnen,
wenn auch andere Länder dem deutschen Beispiel folgen
und eine Schuldenbremse verfassungsrechtlich verankern. Das Ziel ist nicht, einfach nur weniger Schulden zu
machen, sondern das Ziel ist, irgendwann keine Schulden mehr aufzunehmen, und das Ziel ist, irgendwann
von den Schulden wieder etwas zurückzubezahlen. Deswegen muss Schluss sein mit der Verschuldungskultur
der vergangenen Jahrzehnte. Wir brauchen eine europäische Stabilitätskultur.
Dazu werden Euro-Bonds nicht wirklich einen Beitrag leisten können. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Euro-Bonds lösen für Europa kein Problem. EuroBonds würden aber für Deutschland neue Probleme
schaffen. Sie würden den Konsolidierungsdruck auf die
Länder der Euro-Zone eher vermindern. Im Ernstfall
würde das auch die Finanzkraft Deutschlands übersteigen, und es würde zu einer gesamtschuldnerischen Haftung führen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines geht
nicht: dass in Europa alle feiern bis zum Umfallen und
Deutschland die Zeche bezahlt. Da werden wir nicht
mitmachen. Deswegen lehnen wir diese gesamtschuldnerische Haftung ab.
({7})
Die Staats- und Regierungschefs werden Ende nächster Woche über weitere Schritte entscheiden. Frau Bundeskanzlerin, wir haben volles Vertrauen in Sie. Sie haben unsere Unterstützung bei Ihrer harten Haltung gegen
Gemeinschaftsanleihen und bei der Unabhängigkeit der
Europäischen Zentralbank. Wir sind auf dem richtigen
Weg, um den Euro, diese gemeinsame Währung, wieder
zu stabilisieren.
Herzlichen Dank.
({8})
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kollegen Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ich will zum Schluss der Debatte etwas zum
Thema Erweiterung sagen. Die Bilder, die uns seit Tagen
aus Nordkosovo über Unruhen, Barrikaden und verletzte
NATO-Soldaten erreichen - zuletzt 19 Bundeswehrsoldaten einschließlich des Kommandeurs -, zeigen beispielhaft, welche Herausforderungen auf dem Weg, die
Situation im gesamten westlichen Balkan zu stabilisieren, noch vor uns liegen. Wir werden dieses Ziel mit
Entschiedenheit und Geduld erreichen, wenn wir aus den
Fehlern der Vergangenheit lernen. Das beste Beispiel dafür ist Kroatien. Der Beitrittsvertrag mit Kroatien wird
beim EU-Gipfel unterzeichnet werden. Das macht deutlich, dass die Westbalkanländer die Standards der EU erfüllen können, das heißt insbesondere Rechtsstaatlichkeit, eine funktionierende Justiz, Pressefreiheit usw.
Unter diesen Voraussetzungen liegt die Integration
weiterer Staaten des westlichen Balkans in europäische
Strukturen in unserem Interesse, wenn dies zu einem
Mehrwert für die Stabilität der Europäischen Union führt
und wenn zum anderen die Handlungsfähigkeit der EU
nicht beeinträchtigt wird. Das sind zwei unverzichtbare
Voraussetzungen.
Aber wir müssen auch sehen: Es gibt eine klare Erweiterungsmüdigkeit und gar den Ruf: „Nach Kroatien
ist Schluss mit der Erweiterung!“ Dass wir heute diese
Skepsis, diese Ablehnungshaltung haben, hat viel mit
drei krassen europapolitischen Fehlentscheidungen von
Rot-Grün zu tun.
({0})
- Ja, leider muss man das immer wieder sagen.
Erstens war die Erweiterung der Euro-Zone um Griechenland die falsche Entscheidung.
({1})
Ja, diese Fehlentscheidung, die wir damals bekämpft haben, hat viel mit der Erweiterungsmüdigkeit zu tun. Die
Menschen sagen doch: Nun kümmert euch erst einmal
um den Euro, und denkt nicht schon wieder an die
nächste Erweiterung! Das hat etwas mit dieser krassen
Fehlentscheidung zu tun.
({2})
- Wie bitte? Wer war denn damals gegen die Aufnahme
Griechenlands? Natürlich hat Rot-Grün das im Rat in
Brüssel und hier im Deutschen Bundestag durchgesetzt,
und jetzt wollen Sie sich einen schlanken Fuß machen,
indem Sie sagen, Sie haben nichts damit zu tun. So kurz
ist das Gedächtnis bei Ihnen inzwischen geworden.
({3})
Zweitens war die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eine falsche Entscheidung.
({4})
Heute sehen wir, dass wir in derselben Zeit, in der wir
mit Kroatien 35 Verhandlungskapitel abgeschlossen haben, mit der Türkei nur ein einziges Kapitel vorläufig
beenden konnten. Der Fehler war, dass Rot-Grün nicht
sehen wollte, dass die Türkei wichtige Kriterien des
EU-Vertrages nicht erfüllen kann oder nicht erfüllen
will. Klar war das aber schon damals.
({5})
Jetzt stehen wir vor dem Dilemma, dass die Türkei ab
Juli nächsten Jahres, wenn Zypern die EU-Präsidentschaft übernimmt, den Verhandlungsraum verlassen
wird; so jedenfalls hat es Präsident Erdogan angekündigt. Das aber wird zu einer massiven Entfremdung in
unserem Verhältnis zur Türkei führen. Das kann in einer
Situation, in der wir aufgrund von Entwicklungen im
nördlichen Afrika, im Nahen Osten, aber auch mit Blick
auf den Iran eine deutlich engere und abgestimmte Zusammenarbeit mit der Türkei brauchen, nun wirklich
nicht in unserem Interesse sein.
({6})
Drittens hat die verfrühte Aufnahme von Bulgarien
und Rumänien, die von Rot-Grün damals durchgedrückt
wurde, zu einem grundsätzlichen Misstrauen geführt, ob
die Länder dieser Region die Standards insbesondere im
Rechtsstaatsbereich überhaupt erfüllen wollen und ob
die EU ihnen das abverlangt, ehe sie beitreten. Dieses
Misstrauen muss ausgeräumt werden.
({7})
Ich halte jede Diskussion über einen Schengen-Status für
Bulgarien und Rumänien für völlig verfrüht. Ehe die
Rechtsstaatssituation in diesen beiden Ländern nicht wesentlich besser geworden ist, kann es keinen SchengenStatus und auch keinen Schengen-Teilstatus für diese
Länder geben.
({8})
Deshalb ist es gut, dass ab sofort die Beitrittsverhandlungen mit künftigen Mitgliedsländern wie beispielsweise Montenegro nicht erst mit den einfacheren Kapiteln, sondern mit den schwierigsten Kapiteln begonnen
werden, nämlich mit den Fragen der Rechtsstaatlichkeit
und des Justizsystems. Zudem haben wir gestern Abend
beschlossen, dass diese Kapitel bis zum Ende der Verhandlungen nicht geschlossen werden und dass keine
neuen Kapitel geöffnet werden, ehe nicht grundlegende
Voraussetzungen im Bereich von Rechtsstaatlichkeit und
Justiz geschaffen wurden. Das sind wichtige Lehren und
Konsequenzen aus den Fehlern der Vergangenheit.
Ein Wort zu Serbien: Wir sind entschieden dagegen,
dass Serbien jetzt den Kandidatenstatus erhält. Jeder
weiß, dass Belgrad erheblichen Einfluss auf die Serben
in Nordkosovo hat. Wir kennen die deutlichen Appelle
von Präsident Tadic an die Serben dort, die Gewalt zu
beenden und die Barrieren abzubauen, aber wir müssen
feststellen, dass dies nicht geschieht, dass sich die Situation sogar zuspitzt.
Ein Zweites. Im Februar 2008 wurde im Zusammenhang mit der Anerkennung des Kosovo ein Brandanschlag auf die deutsche Botschaft verübt. Bis heute, also
fast vier Jahre danach, ist dieser Vorgang nicht aufgeklärt, gibt es keine Gerichtsverfahren oder gar Urteile.
Das können wir als Deutscher Bundestag nicht ignorieren.
Wenn nicht einmal grundlegende rechtsstaatliche Verpflichtungen eingehalten werden, dann können wir einem Land doch nicht einen Kandidatenstatus geben. Das
ist nicht nur eine Frage unserer Glaubwürdigkeit, sondern auch eine Frage, wie weit wir in der Bevölkerung
Akzeptanz für eine verantwortliche Erweiterungspolitik
gewinnen.
Ich sage abschließend für meine Fraktion: Ja zur Unterzeichnung des Beitrittsvertrages mit Kroatien, Nein
zu einem Schengen-Status für Rumänien und Bulgarien,
ehe dort nicht die rechtsstaatlichen Bedingungen erfüllt
sind, Ja zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit
Montenegro unter den gestern beschlossenen Voraussetzungen und Nein zu einem Kandidatenstatus für Serbien
zum jetzigen Zeitpunkt.
Ich wünsche der Bundesregierung beim Europäischen
Rat viel Erfolg.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge der Fraktion Die Linke. Entschließungsan-
trag auf Drucksache 17/8017. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen?- Enthaltungen? - Der Entschließungs-
antrag ist mit den Stimmen von vier Fraktionen gegen
die Stimmen der Linken abgelehnt.
Entschließungsantrag auf Drucksache 17/8018. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Entschließungsantrag ist mit den gleichen Mehr-
heitsverhältnissen wie zuvor abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 34 a bis c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Monika Lazar, Ekin Deligöz, weiterer
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Führungspositionen umsetzen
- Drucksache 17/7953 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Ekin Deligöz, Monika
Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur geschlechtergerechten
Besetzung von Aufsichtsräten
- Drucksache 17/3296 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 17/6527 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Eva Högl
Jens Petermann
Ingrid Hönlinger
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Christel Humme,
Caren Marks, Petra Crone, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Quotenregelung für Aufsichtsräte und Vorstände gesetzlich festschreiben
- Drucksachen 17/4683, 17/6527 Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Eva Högl
Jens Petermann
Ingrid Hönlinger
Über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen sowie über die Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD
werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Renate Künast
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 60 Jahre
Grundgesetz, und wir haben noch immer keine Gleichstellung erreicht. Wir haben nicht einmal erreicht, dass
die Reihen heute bei dieser Debatte bei allen Fraktionen
voll besetzt sind.
({0})
- Schauen Sie einmal, bei uns sind die Reihen bis ganz
nach hinten besetzt. Da sind fast alle da. Das ist nicht allen Fraktionen gelungen.
60 Jahre Grundgesetz - damals im Parlamentarischen
Rat waren von 61 Mitgliedern 4 Frauen: Elisabeth
Selbert, Frieda Nadig, Helene Weber und Helene
Wessel. Die haben durchgesetzt, dass es im Grundgesetz
heißt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
({1})
Im Übrigen - das will ich einmal lobend erwähnen - hat
sich damals auch Helene Weber von der CDU, die anfangs sehr skeptisch war, mit eingesetzt und ihre eigene
Fraktion von diesem Gleichberechtigungssatz überzeugt.
({2})
Man kann also sagen: Frauen haben den Anstoß gegeben
und den Mut gehabt, bei der Gleichberechtigung tatsächlich weiter voranzugehen. Es waren übrigens auch die
Frauen und niemand sonst, die dann erkämpft haben,
dass im Arbeitsrecht oder im Familienrecht eine Gleichstellung eingeführt wurde. Denken Sie einmal daran: Es
hat bis Ende der 70er-Jahre gedauert, bis der Mann nicht
mehr automatisch Haushaltsvorstand war; und es hat ungefähr genauso lange gedauert, bis ein Mann nicht mehr
einfach den Arbeitsvertrag seiner Frau kündigen konnte.
Das alles hat nicht gereicht. Wir brauchten nach der
deutschen Einheit eine Grundgesetzänderung, die dazu
geführt hat, dass jetzt nach dem Gleichberechtigungssatz
folgender Satz im Grundgesetz steht:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.
„ … und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“!
({3})
Darum geht es jetzt. Was vor 60 Jahren 6,8 Prozent
Frauen durchgesetzt haben, müsste doch heute im Bundestag, in dem die 204 Frauen - wenn alle anwesend wären - 32,3 Prozent ausmachen, möglich sein. Alle reden
von Hebelung. Vielleicht sollten 204 Frauen des Deutschen Bundestags auch einmal eine Hebelung bewirken,
({4})
zum Beispiel bei der Gleichstellung in Aufsichtsräten
oder auch in Vorständen, was dann erst der Anfang wäre.
Ich meine, wir sollten unsere Stärke nutzen. Die Männer dürfen und sollen natürlich mitstimmen. Wir müssen
unsere zahlenmäßige Stärke als Frauen aber auch nutzen,
um jetzt die nötigen Schritte für eine echte Gleichstellung hinzubekommen. Wir müssen Vorbild sein. Es wird
nicht von alleine gehen. Wenn man einen Brief an die
Vorstände und Aufsichtsräte der DAX-Unternehmen
schreibt, fällt einem beim Durchblättern der Adressen
und Anreden auf, dass man überhaupt nur eine Frau findet - bei Henkel. Vielleicht ist es morgen oder nächste
Woche schon wieder anders, dann kommt eine neue und
die andere ist wieder gegangen. Das ist kein Schneckentempo, das ist Faultiertempo!
({5})
Das dreifingrige Faultier ist auf dem Boden noch langsamer als die Schnecke. Es würde ungefähr noch einmal
ein halbes Jahrhundert dauern, bis die Frauen in allen
Wirtschaftsbereichen gleichberechtigt vertreten wären.
Wir können heute sagen: Es hat jahrelang viele Treffen und Termine gegeben, und die deutsche Wirtschaft
und die Wirtschaftsbosse haben im Oktober dieses Jahres ihre Chance verpasst. Wer eine Vorlage erstellt, deren
Umsetzung freiwillig ist und die von Frauen im Management handelt, dabei aber vergisst, die Aufsichtsräte und
Vorstände überhaupt zu erwähnen, den kann man an dieser Stelle definitiv nicht ernst nehmen. Das ist ein Affront.
({6})
Wenn Josef Ackermann sagt, mehr Frauen würden
das Leben schöner und bunter machen, wenn er über solche Dinge diskutiert,
({7})
- das stimmt -, könnten wir ihm zurufen: Herr
Ackermann, jetzt, wo Sie sich nicht mehr trauen, für den
Aufsichtsrat zu kandidieren, ist ja ein Platz für eine Frau
frei. Dann wird auch dieser Aufsichtsrat schöner und
bunter.
({8})
- Und besser! - Das könnte die Deutsche Bank auch vertragen. Wenn Daimler-Chef Zetsche davor warnt, er
müsse Männer entlassen, damit dann Frauen zum Zuge
kommen, kann man nur sagen: beschämend.
Wir haben es als Frauen doch nicht nötig, zu erklären,
warum es zum Beispiel für die Aufsichtsräte eine Frauenquote oder besser eine Geschlechterquote geben muss,
die besagt, dass mindestens 40 Prozent aller Funktionen
von Frauen oder Männern besetzt werden müssen. Warum haben wir es nicht nötig? Weil erstens das Grundgesetz sagt, dass wir vom Bundestag her aktiv darauf hinwirken müssen, und weil ich zweitens keinen einzigen
Mann kenne - auch nicht in der Wirtschaft -, der es für
nötig befindet, uns zu erklären, warum es in diesen Jobs
eine Männerquote von 99 Prozent gibt.
({9})
Insofern sollte Gleichheit herrschen.
Herr Fuchs von der CDU ist gerade dabei, durch ein
Schreiben - das offensichtlich an alle Koalitionsabgeordneten ging - berühmt zu werden, in dem er den schönen Satz formuliert hat, die Unternehmen sollten bei der
Besetzung von Posten nicht dazu gezwungen werden,
aus sachfremden Kriterien zu entscheiden und die Qualifikation der Bewerber außer Acht zu lassen. Dem kann
man nur entgegnen: Erstens. Die Umsetzung des Grundgesetzes von der Theorie in die Realität ist nie ein sachfremdes Kriterium.
({10})
Zweitens. Bei den Bewerbern die Qualifikation außer Acht
lassen? Anders herum ist es doch ein Problem! Warum
stellen die Unternehmen in Führungspositionen immer
noch überproportional Männer ein, wo doch die Frauen einen viel höheren Prozentsatz an Uniabschlüssen haben und
dazu bessere Noten?
({11})
Die Zukunft heißt: Nach Qualifikation einstellen, und
nicht einfach immer nur Männer finden. Wir wissen:
Auch die Bundesgremien müssen ran. Dass die Bundesagentur für Arbeit einer der letzten Orte reiner Männerherrlichkeit ist, ist auf Dauer auch nicht mehr zu erklären.
({12})
Die Frauen, die wir brauchen, sind da. Wir haben eine
überfraktionelle Fraueninitiative, wozu ich nur sage: Ich
wünsche, dass daraus etwas erwächst. Wir haben Aktionärinnen, die auf Hauptversammlungen gehen und dort
ihre Rechte einfordern. Wir haben einen Unternehmerinnenverband, der eine Datenbank mit 500 hervorragend
qualifizierten Frauen führt. Wir haben so viele Organisationen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns jetzt nicht
die Zeit verplempern. Der Großteil der Aufsichtsräte
wird im Frühjahr 2013 neu bestellt. Wir müssen also vor
diesem Zeitpunkt die Herren zwingen, Frauen für die
Aufsichtsräte und andere Gremien zu finden. Deshalb
bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf und
unserem Antrag zu. Wann, wenn nicht jetzt?
({13})
Das Wort hat nun Stephan Harbarth für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
befassen uns heute in der Tat mit einem Thema von großer gesellschaftspolitischer Tragweite. Es geht um die
gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft. Das ist ein Thema, das gemeinhin
unter dem Schlagwort Frauenquote in Aufsichtsräten
und Vorständen geführt wird.
Wir in unserer Fraktion - nach meiner Überzeugung
alle Fraktionen im Deutschen Bundestag - sind uns im
politischen Ziel einig: Wir möchten den Anteil von
Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft ausbauen.
Dass Frauen in den Führungsgremien der deutschen
Wirtschaft heute unterrepräsentiert sind, ist leider traurige Tatsache.
({0})
Wir sind uns deshalb einig, dass wir die erforderlichen
Weichen stellen müssen, um mehr Frauen in verantwortliche und führende Positionen unserer Wirtschaft zu
bringen. Ich bin im Übrigen sehr dafür, dass der Staat in
seinem Bereich, etwa im Bereich öffentlicher Unternehmen, mit gutem Beispiel vorangeht, um den Frauenanteil
zu erhöhen.
Ich nenne Unternehmen wie beispielsweise die Deutsche Bahn, die Deutsche Post und viele andere mehr.
Hier können wir als Staat, wie ich meine, ein positives,
ein vorbildhaftes Zeichen setzen.
({1})
Gerade in Zeiten des demografischen Wandels können wir es uns, auch unter dem Gesichtspunkt ökonomischer Vernunft, weniger denn je leisten, auf so hervorragende Potenziale unserer Gesellschaft zu verzichten. Wir
beobachten weltweit einen Kampf der Unternehmen, der
Wirtschaftseinheiten um die besten Köpfe. Deshalb müssen wir auch aus ökonomischer Klugheit alles tun, um
den oft schwierigen Spagat zwischen Familie und Beruf
bzw. Karriere besser bewältigen zu können.
Hier stehen sowohl Politik als auch Wirtschaft in der
Pflicht, vor allem die Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter voranzutreiben. Vieles ist hier in der Vergangenheit unter unionsgeführten Bundesregierungen seit 2005 vorangebracht
worden.
({2})
So sind zahlreiche familienpolitische Maßnahmen, etwa
das Elterngeld, der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen oder die bessere steuerliche Absetzbarkeit
von Kinderbetreuungskosten, durchgesetzt worden. All
dies erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
({3})
Wie sieht die Situation heute aus? Obwohl Frauen
heute in vielen Bereichen sogar häufiger als Männer ein
Studium absolvieren und hervorragende Noten erzielen
und obwohl sie ebenso hochqualifiziert sind wie Männer,
sind sie in den Führungspositionen der deutschen Wirtschaft und vor allem im Topmanagement, in Aufsichtsräten und Vorständen, deutlich unterrepräsentiert. So ist der
Frauenanteil im Management von Unternehmen mit
mehr als 20 Millionen Euro Jahresumsatz in den letzten
15 Jahren lediglich von 3 Prozent auf 6 Prozent gestiegen. In Unternehmen mit mehr als 1 Milliarde Euro Jahresumsatz liegt der Frauenanteil im Topmanagement aktuell bei nur 3,5 Prozent. Im Management von DAXUnternehmen beträgt der Frauenanteil 9,5 Prozent, in ihrem Topmanagement gar nur 3 Prozent. Es ist allerdings
nicht so, Frau Kollegin Künast, dass nur Henkel weibliche Vorstände vorweisen kann. Es gibt noch einige weitere Unternehmen wie BASF und Daimler.
({4})
Aber es sind uns noch immer entschieden zu wenige.
Dass Handlungsbedarf besteht, liegt auf der Hand.
Deshalb sind wir nicht verschiedener Meinung, wenn es
um die Frage geht, ob gehandelt werden muss. Auch wir
in der Unionsfraktion sind der klaren Überzeugung:
Auch Art. 3 des Grundgesetzes, in dem der Gesetzgeber
verpflichtet wird, auch in tatsächlicher Hinsicht auf die
Beseitigung von Ungleichbehandlungen zwischen Männern und Frauen hinzuweisen, gebietet ein Tätigwerden.
Es geht um die Frage: Wie werden wir tätig?
Die Vorlagen der Opposition, der Antrag der SPD, der
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen, setzen auf eine gesetzlich vorgegebene starre Quotenregelung. Wir als
christlich-liberale Koalition wollen hingegen, wie in der
Koalitionsvereinbarung festgelegt, über den von der
Bundesregierung vorgelegten Stufenplan mit flexibler
Quote das Ziel eines höheren Frauenanteils in Führungspositionen erreichen.
({5})
Wir setzen mit dem Stufenplan auf ein abgestuftes Verfahren, das ohne gesetzgeberische Überregulierung auskommt.
({6})
SPD und Grüne setzen dagegen auf staatlichen Zwang.
Nach unserer Überzeugung macht nur der Stufenplan
den erfolgversprechenden Versuch, zu einer gesamthaft
angelegten Konzeption zu kommen, die die Ursachen
der Unterrepräsentierung von Frauen in Führungsgremien der deutschen Wirtschaft bekämpft, die maßgeschneiderte und passgenaue Lösungen anbietet, die ohne
umfassende staatliche Eingriffe auskommt und die deshalb am Ende auch zu besseren Ergebnissen führen wird.
Die erste Stufe zielt auf die Schaffung der Voraussetzungen und die Verbesserung der Rahmenbedingungen
für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen im Erwerbsleben und speziell in Führungspositionen ab. Dazu
zählt die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
beispielsweise durch die Einführung flexiblerer Arbeitszeiten.
({7})
Die zweite Stufe setzt auf die Implementierung von
transparenten freiwilligen Selbstverpflichtungen für die
deutsche Wirtschaft,
({8})
um öffentlichen Druck zu entfalten und die Tätigkeit von
Frauen in Führungspositionen weiter voranzutreiben.
Gerade damit unterscheiden wir uns von dem unverbindlichen Plänchen, das Rot-Grün im Jahr 2001 verabschiedet hatte und das von vornherein zum Scheitern verurteilt war.
({9})
Erst in der dritten Stufe wird die gesetzliche Verpflichtung zur Selbstverpflichtung, die sogenannte Flexiquote,
eingeführt. Sie ist auf die Förderung von Frauen in Leitungsgremien in der Privatwirtschaft und im öffentlichen
Dienst ausgerichtet. Sie greift erst dann, wenn die Unternehmen selbst es bis zu einem bestimmten Stichtag im
Jahr 2013 nicht geschafft haben, den Anteil von Frauen
in Aufsichtsräten und Vorständen zu verdreifachen.
Die dann vorgesehene flexible Quote für Unternehmen soll so ausgestaltet sein, dass sich die Unternehmen
selbst eine quantifizierbare Zielvorgabe für die Aufsichtsrats- und Vorstandsbesetzung setzen, die innerhalb
einer bestimmten Frist erreicht werden soll. Mithilfe einer solchen Regelung können die Unternehmen auf die
spezifische Situation ihrer jeweiligen Branche und ihres
jeweiligen Unternehmens wesentlich flexibler reagieren
als mit dem starren Instrument, das die Opposition vorschlägt.
Wenn die Politik mit der Betrachtung der Wirklichkeit
beginnt, dann müssen Sie feststellen, dass der Frauenanteil in vielen Bereichen sehr unterschiedlich ausgeprägt
ist. Im Dienstleistungsbereich liegt der Frauenanteil unter
allen Beschäftigten bei 57 Prozent, im verarbeitenden
Gewerbe bei nur 25 Prozent. Ist es dann wirklich sachgerecht, in beiden Bereichen genau den gleichen Schwellenwert vorzusehen? Ist es wirklich sachgerecht, dass ein
Unternehmen mit einem Frauenanteil von 70 Prozent in
der Belegschaft im Aufsichtsrat die gleiche Quote haben
muss wie eines mit einem Frauenanteil von 10 Prozent?
Das wird sich wohl schwerlich sagen lassen.
Wer den Anteil von Frauen in Führungspositionen
etwa im Bereich Maschinenbau, aber auch in vielen anderen Bereichen langfristig erhöhen möchte, der kann
nur Erfolg haben, wenn der Anteil an Frauen auch unter
den Maschinenbaustudenten zunimmt. Deshalb brauchen wir auch insoweit ein gesamthaftes Konzept und
die richtigen Weichenstellungen in der Wissenschaftsund in der Schulpolitik.
Mit der Flexiquote setzen wir auf Transparenz, auf
Flexibilität und auf öffentlichen Rechtfertigungsdruck
für Unternehmen. Dies schafft man mit einer starren
Quote, wie sie die Opposition möchte, nicht.
So unzufrieden wir mit dem Status quo sind, so sehr
stellen wir fest, dass sich einiges in die richtige Richtung
entwickelt hat. In der ersten und in der zweiten Führungsebene von rund 300 000 Unternehmen hat sich der
Frauenanteil in den letzten acht Jahren von 10 Prozent
auf 20 Prozent verdoppelt. Die Personalplanung in vielen Unternehmen macht deutlich, dass ein positiver
Trend, ein Umdenken, in Gang gekommen ist, von dem
wir uns häufig erhoffen würden, dass es noch wesentlich
schneller funktionieren würde. Wir haben positive Beispiele erlebt, zum Beispiel bei der Deutschen Telekom.
Die Liste ließe sich fortsetzen, etwa, um Unternehmen
ohne öffentliche Beteiligung zu nennen, um Merck und
ThyssenKrupp.
Die Anträge, die uns heute vorliegen, sind aber nicht
nur in ihrer grundsätzlichen Anlage - staatlicher Zwang
statt flexibler, passgenauer Lösung -, sondern auch in ihren Einzelheiten falsch.
Der Antrag der SPD zielt beispielsweise auf eine Regelung für alle Aktiengesellschaften ab. In Deutschland
gibt es 16 000 Aktiengesellschaften. Nur 1 000 Aktiengesellschaften in Deutschland sind überhaupt börsennotiert. Die meisten dieser börsennotierten Aktiengesellschaften sind übrigens kleine Unternehmen. Aktiengesellschaften mit fünf oder zehn Mitarbeitern sind in
Deutschland keine Seltenheit. Häufig haben Aktiengesellschaften nicht fünfköpfige Vorstände, sondern ihre
Vorstände bestehen aus einer einzigen Person. Hier zu
sagen, alle Aktiengesellschaften müssten eine Frauenquote einführen, geht auch in der handwerklichen Umsetzung sicherlich über das Ziel hinaus.
({10})
Wenn Sie sich den Antrag der Grünen ansehen, dann
stellen Sie fest: Er ist in der handwerklichen Ausarbeitung dem der SPD sicherlich deutlich überlegen.
({11})
Er orientiert sich sehr stark an den Schwellenwerten im
Bereich der Mitbestimmung. Wenn man eine Frauenquote einführen möchte, dann ist das aus meiner Sicht
der richtige Ansatz.
Im Mitbestimmungsrecht gibt es abgestufte Kategorien zur Abgrenzung von großen, mittleren und kleinen
Unternehmen.
({12})
Deshalb ist es im Kern richtig, an die Schwellenwerte
des Mitbestimmungsrechts anzuknüpfen.
Ich halte es im Antrag der Grünen allerdings für nicht
richtig, dass man börsennotierte Aktiengesellschaften generell erfassen möchte. Ist es eigentlich sachgerecht, eine
börsennotierte Aktiengesellschaft mit 50 Mitarbeitern
strenger zu behandeln
({13})
als ein nicht börsennotiertes Unternehmen mit 300 oder
400 Mitarbeitern? Wohl kaum!
Es ist richtig: Als Konsequenz einer Börsennotierung
muss es bestimmte Zusatzpflichten geben. Sie sind aber
sicherlich primär im Bereich der Rechnungslegung und
im Bereich „zusätzliche Informationen für Anleger“ und
nicht im Bereich „zusätzliche gesellschaftpolitische
Pflichten“ angesiedelt. Deshalb appelliere ich, dass man
sich in der künftigen Diskussion - wir werden die Diskussion fortsetzen - noch stärker an den etablierten
Schwellenwerten im Bereich der Mitbestimmung orientiert.
({14})
Wir dürfen festhalten: Die vorgelegten Entwürfe sind
in ihrer Grundanlage „staatlicher Zwang statt flexibler
Lösungen“ falsch.
({15})
Sie sind in ihren Details nicht überzeugend und deshalb
nicht zustimmungsfähig. Meine Fraktion wird sie daher
ablehnen.
Herzlichen Dank.
({16})
Das Wort hat nun Eva Högl für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir haben hier vor fast genau einem Jahr, am 3. Dezember 2010, den Gesetzentwurf der Grünen in erster Lesung beraten. Was ist in diesem einen Jahr eigentlich
geschehen? Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben nichts, aber auch gar nichts dafür getan, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen
erhöht wird.
({0})
Deswegen war es ein verlorenes Jahr für die Frauen in
Deutschland und in der privaten Wirtschaft.
Hier geht es heute nicht um die Details, Herr
Harbarth. Darüber können wir uns in einer zweiten
Runde unterhalten. Heute geht es vielmehr um die Frage,
ob wir verbindliche, gesetzlich festgelegte Frauenquoten
in großen deutschen Unternehmen wollen.
({1})
Ich möchte Ihnen einige gute Gründe für die Quote
darlegen und auch ein paar fürchterliche Vorurteile widerlegen.
Stichwort „Freiwilligkeit“. Wir überlegen im Deutschen Bundestag vor der Verabschiedung eines Gesetzes
jedes Mal sehr genau und sehr gründlich, ob es wirklich
erforderlich ist. Wir wollen keine Regelung aller staatlichen Bereiche. Es kann auch keine Rede davon sein,
dass es hier nur um staatlichen Zwang geht. Wir haben
2001 unter Rot-Grün eine freiwillige Vereinbarung mit
der deutschen Wirtschaft mit dem Ziel der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in Führungspositionen geschlossen. Wir haben ernsthafte und klare Festlegungen
getroffen. Aber wir stellen fest: Es hat nichts, aber auch
gar nichts gebracht.
({2})
Ich sage es ganz deutlich: Unsere Geduld ist jetzt am
Ende. Im Deutschen Bundestag haben wir den klaren
Handlungsauftrag, als Gesetzgeber tätig zu werden. In
Art. 3 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes steht:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.
Dieser Tatbestand ist hier gegeben.
({3})
Noch eines ist mir ganz wichtig. Wir haben im Bundestag ganz häufig notwendige Entscheidungen zu treffen, die wir zwar für richtig halten, die aber unbequem
sind. Wir können nicht immer auf die Mehrheitsmeinung
in der Bevölkerung hören. Aber bei diesem Thema schadet es nicht, wenn wir einmal hören, was die Bürgerinnen und Bürger dazu sagen. Dann können wir nämlich
feststellen, dass eine große Mehrheit, insbesondere der
Jüngeren und der Frauen, ganz ausdrücklich für gesetzliche Vorgaben in Form von Frauenquoten für die Wirtschaft ist. Sollte uns das nicht zu denken geben?
({4})
Das dümmste Argument, welches mir in der Debatte
immer unterkommt, ist, dass mit Frauenquoten ungeeignete Frauen auf Spitzenpositionen kommen.
({5})
Das ist wirklich das allerdümmste Argument. Angesichts der Tatsache, dass 85 Prozent der Aufsichtsratsposten und 97 Prozent der Vorstandsposten mit Männern
besetzt sind, kann man doch nicht ernsthaft glauben, das
habe irgendetwas mit der Qualifikation der betreffenden
Person zu tun.
({6})
Die Auswahl bei der Besetzung dieser Positionen erfolgt
einzig und allein nach dem Geschlecht. Das sind alles
Quotenmänner. Ich will noch eines dazu sagen: Wenn jemand ernsthaft der Auffassung ist, es handele sich um
ein Ergebnis der Bestenauswahl, dann muss ich fragen:
Was ist das für ein verheerendes Signal an alle Frauen in
unserem Land?
({7})
Genauso dumm ist die Auffassung, Frauen wollten
nicht in Führungspositionen. Wir wissen alle ganz genau, wie das läuft: Frauen werden überhaupt nicht in den
Blick genommen, Frauen werden in ihrer Karriere nicht
unterstützt, Frauen werden nicht gefragt. Ja, manchmal
ist es für Frauen auch unangenehm und nicht attraktiv,
die Einzige in einem Männergremium zu sein. Es stimmt
auch, dass manchmal die Frauenkarrieren an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf scheitern. Auch das ist
richtig. Daraus kann man aber nicht den Schluss ziehen,
die Frauen wollten keine Führungspositionen einnehmen.
({8})
Ebenso wenig kann man sagen, Frauen wollten keine
Quotenfrauen sein, sondern nur wegen ihrer Leistung
befördert werden.
Was heißt das im Umkehrschluss? Worauf ist der geringe Anteil von Frauen in Führungspositionen zurückzuführen, etwa darauf, dass die Frauen nicht gut genug
sind? Das wollen wir im Deutschen Bundestag doch
nicht ernsthaft behaupten. Gleichzeitig wird damit unterstellt, dass 97 Prozent der Männer um ein so Vielfaches
besser sind als die Frauen. Das ist großer Quatsch.
({9})
Frauen wollen Führungspositionen. Frauen können
es. Eine Quote sorgt dafür, dass die exzellenten Frauen,
die es überall in unserem Land, in allen Bereichen unserer Gesellschaft gibt, endlich auf die Plätze kommen, die
ihnen zustehen.
({10})
Wir brauchen genau dieses Signal an die Frauen. Wir
brauchen das Signal: Liebe Frauen, da sind Plätze in der
deutschen Wirtschaft, auf die ihr kommt. Ihr werdet in
den Blick genommen. Ihr könnt es schaffen. - Wir brauchen das Signal an die Betriebe: Schaut euch die Frauen
an. Gebt ihnen eine Chance! - Die Betriebe werden aufgefordert, sich stärker als bisher anzustrengen, sich zu
öffnen und Frauen in den Blick zu nehmen; das tun sie
bisher nicht. Das halte ich für ganz entscheidend bei der
Diskussion über die Frauenquote.
({11})
Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf; Herr Harbarth, Sie haben
das angesprochen. Wir kennen die Argumentation: Wir
verbessern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und
dann läuft das schon. - So läuft das überhaupt nicht. Erstens tut die Bundesregierung überhaupt nichts für eine
Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
sowie der Bedingungen für Frauen.
({12})
Mit dem Betreuungsgeld - das muss an dieser Stelle
auch gesagt werden - werden Signale sogar in die falsche Richtung und falsche Anreize gesetzt.
({13})
Zweitens. Wir wissen ganz genau: Wenn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein entscheidendes Problem darstellte, dann säßen in den Toppositionen unseres
Landes viele kinderlose Frauen. Das ist aber nicht der
Fall. Frauen werden nicht diskriminiert, weil sie Kinder
haben oder Probleme mit der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf haben. Vielmehr werden bestimmte Positionen nicht mit Frauen besetzt, egal ob sie Kinder haben
oder nicht. Das ist das Problem.
({14})
Drittens. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass
sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eher verbessert, je mehr Frauen in Spitzenpositionen tätig sind.
Dann wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein
ganz entscheidendes Kriterium sein. Frauen in Spitzenpositionen werden dazu beitragen, dass wir da den Turbo
einschalten und sich alles zum Besseren verändert.
Das alles sind gute Gründe für Frauenquoten in Vorständen und Aufsichtsräten.
Ich möchte noch etwas anderes ansprechen, das ich
persönlich für den Tiefpunkt der frauenpolitischen Debatte halte, nämlich den Vorwurf an all diejenigen, die
sich für Frauenquoten einsetzen, sie wollten Rollenbilder vorschreiben, und das im 21. Jahrhundert. In dem angekündigten Buch Danke, emanzipiert sind wir selber
von Bundesministerin Schröder soll es um diese Rollenbilder gehen.
({15})
Ich persönlich bin der Auffassung, dass es zynisch ist,
denjenigen, die sich für Frauenquoten in der Wirtschaft
und insbesondere in Vorständen einsetzen, zu unterstellen, dass sie Frauen ein bestimmtes Rollenbild vor17596
schreiben wollen. Was wir wollen, ist Wahlfreiheit, und
zwar für alle Männer und für alle Frauen.
({16})
Ich sage bewusst: Wir haben keine Wahlfreiheit, wenn
97 Prozent der Vorstände und 85 Prozent der Aufsichtsräte mit Männern besetzt sind. Das ist keine Wahlfreiheit. Das hat mit Rollenbildern überhaupt nichts zu tun.
({17})
Wir, der Gesetzgeber, sind gefordert, Wahlfreiheit zu
ermöglichen. Wir müssen die notwendigen gesetzlichen
Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass alle Männer
und alle Frauen Wahlfreiheit haben, egal ob sie Kinder
haben oder nicht, egal welchen individuellen Lebensentwurf - mit oder ohne Beruf und Karriere - sie haben.
Wir wollen Wahlfreiheit. Dafür brauchen wir jetzt - das
haben die letzten zehn Jahre gezeigt - verbindliche, gesetzliche Frauenquoten für die deutsche Wirtschaft.
({18})
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, ich rate Ihnen: Geben Sie bitte Ihr ideologisch motiviertes Nein, das nicht von Sachargumenten gegen die
Frauenquote getragen ist, auf. Sie wissen, wie das mit
der Aufgabe von Positionen geht. Wir haben es bei der
Atomkraft erlebt. Wir erleben es in der Euro-Krise, wo
gute Vorschläge erst abgelehnt und dann doch umgesetzt
werden. Wir kennen das von den Mindestlöhnen.
Ich fände es ganz toll, wenn Sie jetzt auch in diesem
Punkt unsere Vorschläge übernehmen würden. Ich bin da
ganz uneitel: Wenn Sie gute Vorschläge von der SPD
übernehmen, dann ist es mir ganz egal, von wem die
Vorschläge im Endeffekt kommen. Entscheidend ist,
dass wir hier gute Politik machen. Wenn Sie sich entscheiden können, heute dem Gesetzentwurf der Grünen
und dem Antrag der SPD für eine Quotenregelung für
Aufsichtsräte und Vorstände zuzustimmen, dann wäre
das sicherlich ein gutes Signal.
Ich fordere Sie auf: Geben Sie sich heute einen Ruck!
Stimmen Sie in der namentlichen Abstimmung für Quoten in Vorständen und Aufsichtsräten. Es gibt viele gute
Argumente dafür. Sie sind in der bisherigen Debatte
schon deutlich geworden. Stimmen Sie mit uns! Seien
Sie mutig: Für die Gleichberechtigung von Frauen und
Männern!
Herzlichen Dank.
({19})
Das Wort hat nun Nicole Bracht-Bendt für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin nicht bei Ihnen, Frau Högl. Was Sie
eben gesagt haben, hat mich nicht überzeugt.
({0})
Zum wiederholten Male sprechen wir heute über die
Frage, was die Politik tun kann, damit mehr Frauen in
Aufsichtsräte und Vorstände einziehen. Am Mittwoch
gab es auf Initiative von Frauen aus allen Fraktionen
zum ersten Mal eine gemeinsame Veranstaltung mit Expertinnen von außen. Dieser gemeinsame Vorstoß war
wichtig. Wir Frauen hier im Plenum haben alle das gleiche Ziel: Wir wollen gleiche Karrierechancen für Frauen
wie Männer. Allerdings gehen wir Liberale einen anderen Weg als Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen in der
SPD-Fraktion und bei den Bündnisgrünen. Wir Liberale
halten eine starre Quote für nicht geeignet und für unverhältnismäßig. Eine Quote greift zu kurz. Für diese Mammutaufgabe ist viel mehr nötig.
({1})
- Hören Sie doch bitte einmal zu.
Sie behandeln jede Aktiengesellschaft wie ein Großunternehmen. Dabei sind nur 800 bis 1 000 davon börsennotiert. Mehr als 90 Prozent der Unternehmen in
Deutschland sind mittelständisch. Diese Betriebe haben
ein echtes Problem mit Ihrer Quotenforderung.
({2})
Gleiches gilt für die vielen Familienunternehmen, die
wir haben. Es kann doch nicht vom Geschlecht der
Nachkommen abhängen, ob ein traditioneller Familienbetrieb weiter aufrechterhalten werden kann.
({3})
Im Übrigen stehen gerade Familienunternehmen mit
rund 20 Prozent Frauen in Führungspositionen gut da.
({4})
Auf der anderen Seite haben große Unternehmen vor allem im technischen Bereich schon heute Nachwuchssorgen. Das können Sie nicht ignorieren. Wir können jedenfalls feststellen, dass der Wandel auch ohne staatlich
verordnete Zwangsquote schon im Gange ist, und zwar
in allen Bereichen.
In der Wirtschaft und in der Industrie sind alle unter
Druck, sich ein frauenfreundliches Image zu geben. In
einer Pressemitteilung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie vom Juni dieses Jahres heißt es:
Aus demographischen und wirtschaftlichen Gründen liegt eine stärkere Beteiligung von Frauen in
der Unternehmensführung im ureigenen Interesse
der Unternehmen. Die daraus resultierenden vielfältigen Maßnahmen von Unternehmen zur Steigerung
des Frauenanteils zeigen bereits deutliche Erfolge:
Der BDI nennt konkrete Zahlen. Demnach ist ein
neuer Höchststand von weiblichen Chefs mit 27,7 Prozent erreicht. In Betrieben mit bis zu 49 Mitarbeitern
sind 35 Prozent der Führungspositionen von Frauen besetzt. Der Frauenanteil bei Führungskräften bis 39 Jahre
liegt bei 38 Prozent.
Aber auch bei den DAX-30-Unternehmen gibt es
Fortschritte. Knapp 40 Prozent der von Aktionären bei
Einzelwahlen von DAX-30-Unternehmen in der Hauptversammlungssaison 2011 gewählten Aufsichtsräte waren Frauen.
({5})
Der Frauenanteil auf der Kapitalseite der DAX-30-Aufsichtsräte hat sich von 2009 bis 2011 von 4,8 Prozent auf
10,9 Prozent im Jahr 2011 mehr als verdoppelt. Eine
letzte Zahl: Mit einem Frauenanteil von 15,4 Prozent in
den Gesamtaufsichtsräten der DAX-30-Unternehmen
liegt Deutschland über dem europäischen Durchschnitt
der Frauenanteile in Boards von nur 11 Prozent.
Diese Bilanz ist noch nicht befriedigend - darin sind
wir uns einig -, doch ein erkennbarer Schritt in die richtige Richtung. Es ist dringend notwendig, gemeinsam
die gesellschaftlichen, politischen und betrieblichen
Rahmenbedingungen so zu verändern, dass Führungsaufgaben auch tatsächlich von Frauen und Männern in
gleicher Weise wahrgenommen werden können. Hierfür
sind der fortgesetzte Wandel der Unternehmenskulturen,
die Steigerung des Frauenanteils in MINT-Studienfächern und der bedarfsgerechte Ausbau der Kinderbetreuung für alle Altersklassen notwendig. Das sehen Sie ja
anders.
Ich möchte noch etwas zu Norwegen sagen. Das ist ja
immer noch Ihr großes Vorbild. Sie behaupten, die
Zwangsmaßnahme habe den Frauenanteil in Führungspositionen insgesamt gestärkt. Das ist eine Illusion. Eine
Sozialstudie der London School of Economics kommt zu
dem ernüchternden Schluss, dass Norwegens 40-Prozent-Quote keinen Einfluss auf den Frauenanteil gehabt
hat. Der Erfolg dieser Maßnahme ist rein symbolisch.
({6})
Quotenbefürworterinnen tun immer so, als wäre die
Bundesregierung in Sachen Frauenförderung bisher tatenlos gewesen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Selbst die
EU-Kommissarin Viviane Reding spricht immer von den
Ländern, die eine Quote eingeführt haben, und den Ländern, die auf den Governance Kodex setzen. Voriges Jahr
wurde bei uns der Governance Kodex geändert und die
angemessene Berücksichtigung von Frauen in Aufsichtsräten und Führungspositionen aufgenommen. Das ist viel
mehr, als Sie immer behaupten.
Damit hat die Bundesregierung unter Beweis gestellt,
dass es ihr mit der Gleichstellung von Frauen in Führungspositionen ernst ist. Natürlich hat das auch Sanktionswirkungen. Die Justizministerin nimmt die Wirtschaft in die Pflicht.
Ich bin sicher, dass der politische Druck auch ohne
Zwangsquote die Wirtschaft zum Handeln gebracht hat.
Eon, Karstadt oder Daimler haben im Zuge der Selbstverpflichtung im Oktober interessante Frauenförderprogramme vorgelegt. Kluge Programme ändern aber nichts
an der Tatsache, dass wir ein Umdenken in Verbindung
mit anderen Strukturen in Gesellschaft und Arbeitsprozessen brauchen. Ich denke, darin sind wir uns einig.
Ein Stichwort ist die viel zitierte Präsenzpflicht. Wir
müssen wegkommen von der Meinung, nur in den Büros, in denen bis spätabends Licht brennt, wird effizient
gearbeitet. Frauen brauchen sich nicht zu verbiegen;
denn die frauenspezifischen Eigenschaften wie Flexibilität und Teamorientierung sind in Führungspositionen gefragt. Das haben wir auch vorgestern Abend gehört.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist und
bleibt ein ganz wesentlicher Baustein auf dem Weg zu
einer veränderten Kultur ohne Quote. Ich halte mich da
an die renommierte Daniela Weber-Rey, die für eine
Kultur - hören Sie bitte zu! - aus Kindern, Krippe und
Karriere wirbt.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat nun Yvonne Ploetz für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Stellen wir uns kurz vor, in Deutschland wären Männer
und Frauen tatsächlich gleichgestellt. Dann wäre es
möglich, Kinder zu erziehen und trotzdem problemlos
Karriere zu machen. Wenn es um Führungspositionen
geht, würden Frauen nicht mehr gesagt bekommen: Ihr
wollt ja eigentlich gar nicht in die oberen Etagen. Nein, es wäre selbstverständlich, dass Frauen auf dem
Chefsessel Platz nehmen statt im Vorzimmer. Erzieherinnen würden am Ende des Tages gemeinsam mit ihren
männlichen Kollegen den Kindergarten zusperren und
wären zufrieden, weil sie angemessen bezahlt würden
und ihr Beruf gesellschaftlich angesehen wäre.
Nun wissen wir alle: Der Alltag in Deutschland sieht
ein bisschen anders aus. Aber zum Glück gibt es sehr
viele mutige Frauen, die tagtäglich für ihre Rechte
kämpfen. Sie können sich auf das deutsche Grundgesetz
berufen. Es kann hier nicht oft genug zitiert werden. Darin heißt es seit 1949 in Art. 3 Abs. 2:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat
fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf
die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
({0})
Dazu gehört all das, was ich gerade gesagt habe, und
noch viel mehr.
Wenn wir jetzt über die Quote und die Initiativen von
SPD und Grünen reden, sollten wir im Hinterkopf behalten, dass Gleichstellung nicht nur bedeutet, Frauen den
Weg in die Führungsetagen zu ebnen, sondern Frauen
und Männern überall, in allen gesellschaftlichen und sozialen Bereichen, die gleichen Rechte zuzugestehen.
({1})
Die Quote ist für uns ein wichtiges Mittel; sie ist nicht
das Ziel. Sie kann aber ein Türöffner zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft sein. Diese wird von Frauenministerin Schröder und der von ihr vorgeschlagenen
Flexiquote nicht erreicht.
({2})
Diese Quote lauert bereits im Hintergrund, während wir
hier debattieren. Kurz zur Erläuterung: Die Flexiquote
ist eine Selbstverpflichtung der DAX-Unternehmen. Die
Höhe legen die Männer in den Chefetagen selbst fest.
Was ist das Ergebnis der bisherigen Selbstverpflichtung? „DAX-Konzerne bremsen Regierung aus“, hat die
Süddeutsche Zeitung im Oktober dieses Jahres treffend
zur Frauenquote getitelt.
Es gibt einige positive Beispiele, die auch schon genannt wurden, wie Allianz, Bayer, die Commerzbank
und die Deutsche Telekom. Andere Unternehmen möchten sich gerne fünf Jahre Zeit lassen und eine Quote von
20 Prozent oder weniger erreichen. Das wird mit uns
nicht funktionieren.
({3})
Wir wissen, dass der Frauenanteil in den vergangenen
zehn Jahren in den Vorständen der DAX-Unternehmen
gerade einmal von 2,5 auf 3,7 Prozent gestiegen ist. Das
ist eine Verbesserung um 1 Prozentpunkt in zehn Jahren.
Das kann für uns für die Zukunft nur heißen: Wir geben
den Unternehmen nicht noch einmal zehn Jahre Zeit,
nicht zu handeln, sondern wir brauchen jetzt eine gesetzlich festgelegte Frauenquote.
({4})
Ihre Flexiquote ist ein Symbol für die Biegsamkeit
und die Flexibilität des politischen Rückgrats dieser Regierung in der Frauenfrage.
({5})
Es geht auch anders. Das hat das Beispiel Norwegen
gezeigt. Ich möchte ganz kurz darauf hinweisen, dass
dort die Quote am Anfang genauso leidenschaftlich umkämpft war wie bei uns - mit ähnlichen Argumenten.
Heute, zehn Jahre später, ist sie absolut unstrittig. Sie ist
gesellschaftlich akzeptiert, und die Unternehmen sind
damit erfolgreich.
Dieser Blick auf Norwegen zeigt uns in Bezug auf die
vorliegenden Initiativen Folgendes: SPD und Grüne haben recht: Die Quote muss auch über die 30 DAX-Unternehmen hinaus gelten und natürlich nicht nur für die Privatwirtschaft, sondern selbstverständlich auch für den
öffentlichen Dienst. Das schließt auch die Bundesbehörden mit ein. Frau Schröder, die Selbstverpflichtung
scheint noch nicht einmal in Ihrem eigenen Haus zu
funktionieren. Es gibt in Ihrem Ministerium nicht eine
Staatssekretärin, und nur eine von fünf Abteilungsleiterstellen ist mit einer Frau besetzt. Gerade Sie sollten doch
mit einem positiven Beispiel vorangehen!
({6})
Ja, es muss eine festgeschriebene Quote geben. Über
die Höhe sind wir uns allerdings noch nicht einig. Wir
finden, es gibt keinen Grund, sie bei 30 oder 40 Prozent
festzusetzen, da der Anteil der Frauen in der Gesellschaft doch 50 Prozent und mehr beträgt. Außerdem haben wir gerade jetzt die am besten ausgebildete Frauengeneration aller Zeiten in der Bundesrepublik. Wenn die
Quote wirklich eine Abbildung der Gesellschaft sein
soll, wenn sie den Rechten der Frauen Geltung verschaffen soll, dann muss die Hälfte aller Posten den Frauen
gehören.
({7})
Dennoch, selbst wenn die Hälfte aller Spitzenpositionen mit Frauen besetzt wäre, bedeutet das noch lange
nicht, dass die Frauen dann auch den gleichen Lohn für
die gleiche Arbeit erhalten würden. Das ist derzeit nicht
der Fall. Ich finde, das ist einer der wunden Punkte in
dieser Diskussion. Denn hier setzt sich das fort, was auf
den unteren Ebenen beginnt: die ungleiche Bezahlung
von Frauen und Männern, die ungleich verteilte Arbeit
bei Frauen und Männern und auch die ungleiche Wertschätzung der Arbeit von Frauen und Männern. Wir
müssen all diese Ungleichheiten zusammen angehen.
({8})
Eine emanzipatorische Frauenpolitik muss sich um
die Frauen in Chef- und Führungsetagen bemühen, und
sie muss auch und insbesondere die Frauen im Blick haben, die in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, die keine Erwerbsarbeit haben, die arm sind trotz
Arbeit und die auch im Alter arm sein werden. Es gibt
eine ausreichende Zahl von Lösungsvorschlägen vonseiten der Linken, von den deutschen Frauenverbänden. Eigentlich müssen Sie diese Vorschläge nur aufnehmen.
Wir jedenfalls sind weiterhin an der Seite all der
Frauen, die für ihre Rechte kämpfen, und werden gemeinsam mit ihnen für ihre Rechte kämpfen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun Elisabeth Winkelmeier-Becker für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Über die Anträge der Opposition führen wir jetzt seit
vielen Monaten, fast schon seit einem Jahr, eine angeregte parlamentarische Diskussion. Wir führen eine öffentliche Diskussion unter Beteiligung vieler Verbände.
FidAR, der Deutsche Juristinnenbund und der Verband
deutscher Unternehmerinnen haben sich an die Spitze
der Bewegung gesetzt. Das hat Druck erzeugt; das
Thema wurde in den Unternehmen auf die Tagesordnung
gesetzt. Es wird jetzt nicht mehr unter „Verschiedenes“
behandelt, sondern die Unternehmen widmen sich dem
mit einem ganz anderen Ernst.
Von den Headhuntern hören wir, dass es inzwischen
keinen Vorschlag mehr geben darf, in dem nicht mindestens ein oder zwei qualifizierte Frauen enthalten sind.
Die eine oder andere Erfolgsmeldung hören wir auch.
Mir ist wichtig, dabei darauf hinzuweisen, welchen
Beitrag die Koalition, besonders auch die Unionsfraktion, in dieser Diskussion leistet. Dieses Thema ist in unserem Koalitionsvertrag an prominenter Stelle verankert.
Wir haben eine Frauenministerin, die sich um dieses
Thema jedenfalls mit großem Engagement kümmert.
({0})
- Ich will hier das Spektrum der Diskussionen in meiner
Fraktion darstellen. Wir haben schon öfter darüber gesprochen, und ich habe hier schon vorgestellt, was die
Gruppe der Frauen der Unionsfraktion dazu konkret entwickelt hat.
In Summe zeigt das meines Erachtens deutlich, dass
auch die Union dieses Thema ernsthaft angeht. Wer
glaubt, dass wir bis zum Ende dieser Legislaturperiode
abwarten, ohne dass sich an dieser Stelle etwas tut, der
hat den Schuss nicht gehört.
({1})
Ich habe die Vorstellungen der Gruppe der Frauen
schon öfter präsentiert, und ich habe auch keinen Hehl
daraus gemacht, dass das auch meine Wunschvorstellungen sind. Wir stellen uns im Hinblick auf die Aufsichtsräte in mitbestimmten Unternehmen eine Regelung mit
einem verbindlichen Zeitrahmen vor, die einen Mindestanteil von Frauen und Männern - das nur zur Beruhigung einiger Kollegen - in Höhe von 30 Prozent festlegt.
Auch für die Vorstände wäre es ganz wichtig, etwas zu
tun. Da steht das operative Geschäft im Vordergrund. Allerdings hat man da stärker den Konflikt mit dem Eigentumsschutz auszutragen. Ich glaube, an dieser Stelle
wäre die Flexiquote ein sehr guter Ansatz.
({2})
Wir reden über einen Mindestanteil von 30 Prozent.
Das ist nicht als Ziel zu verstehen, sondern als die Größenordnung, mit der sich die Strukturen, die den momentanen Zustand zementieren, ändern können. Wird diese
Größenordnung erreicht, können wir ein anderes Klima
herstellen. Diese Quote ist moderater, und sie ist letztlich
konsensfähiger. Daher vertreten wir an dieser Stelle diese
Linie.
Ich möchte diese Diskussion noch nutzen, um diejenigen, die Vorbehalte gegen eine Quote haben, ein bisschen aus der Reserve zu locken.
({3})
Ich glaube, wir brauchen einen mehr oder weniger sanften Druck. Ich weiß, dass nicht jeder Skeptiker ein Problem damit hat, wenn Frauen in Führungspositionen stehen. Das erschließt sich mir aus Gesprächen mit meinen
Kollegen.
Viele denken - teilweise auch junge Frauen -, dass
sich das Ganze von allein regelt. Man sagt: Wir sehen
die zunehmende Karriereorientierung der Frauen; wir sehen den hohen Anteil an Akademikerinnen - davon war
schon die Rede -; die Strukturprobleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die sicher eine Rolle
spielen, gehen wir an. Und dann wird gesagt: Zum Teil
kämen im geringen Anteil an Frauen in Führungspositionen die Lebensentscheidungen der Frauen selbst zum
Ausdruck.
Ich selbst bin in diese Diskussion nicht mit einer festgefügten Meinung gegangen. Wenn man sich schlichtweg mit den Fakten auseinandersetzt, dann sieht man:
Sie sprechen für sich. Man kommt nicht daran vorbei, zu
konstatieren, dass es Strukturen sind, die den Frauen hier
entgegenstehen.
({4})
Auch wenn wir unterschiedliche Lebensentwürfe, unterschiedliche Schwerpunkte haben, auch wenn ein Ungleichgewicht in einem gewissen Maße unvermeidlich
erscheint, darf es bei den Aufsichtsräten keinen
Frauen-Männer-Anteil von 10 : 90 und bei den Vorständen von 3 : 97 geben. Das ist durch nichts zu rechtfertigen, egal was an landläufigen Argumenten vorgebracht
wird.
({5})
Wird sich das von allein regeln? Schauen wir, welche
Erfahrungen wir in den vergangenen zehn Jahren mit
freiwilligen Regelungen gemacht haben: Es gab eine
Steigerung im unteren einstelligen Bereich. Wenn wir in
diesem Tempo weitermachen, dann dauert es in der Tat
noch an die 50 Jahre, bis wir bei akzeptablen Größenordnungen sind.
Lassen Sie mich noch auf die Ursachen eingehen.
Wählen Frauen die falschen Berufe? Wählen sie die falschen Studienfächer? Das anzunehmen, hat eine gewisse
Plausibilität. Wenn man genau hinschaut, dann erkennt
man aber: Die Bedeutung der MINT-Berufe wird an dieser Stelle grob überschätzt. 25 Prozent der Mitglieder
von Vorständen und Aufsichtsräten der DAX-Unternehmen sind in MINT-Berufen ausgebildet worden. Circa
60 Prozent ihrer Mitglieder kommen aus den Bereichen
Jura, Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft. Gerade in
den Führungsgremien der Banken, in denen genau dies
die richtige Qualifikation ist, sind besonders wenige
Frauen vertreten.
Das zeigt: Frauen besuchen seit Jahren und Jahrzehnten die relevanten Ausbildungsgänge und sind in den relevanten Berufsgruppen vertreten; dennoch tut sich an
dieser Stelle nichts. Ich selbst habe vor 30 Jahren Jura
studiert. Daher weiß ich, dass damals genauso viele
Frauen wie Männer angefangen haben. Sie haben auch
mindestens genauso gute Examina gemacht. Aber auf
dieses Reservoir ist bei der Besetzung von Vorständen
nicht zurückgegriffen worden. Das spricht schlichtweg
für sich.
({6})
Wieso brauchen wir nun mehr Frauen in Führungspositionen? Dies ist zum einen gut für die Unternehmen,
und es ist zum anderen gerecht, wenn Frauen gleiche Zugangsmöglichkeiten zu verantwortungsvollen, interessanten und lukrativen Positionen haben. Beide Aspekte
haben nicht nur unmittelbar Auswirkungen auf die Akteure, also auf die Frauen, die in die Vorstände kommen,
und auf die Unternehmen, die diese Positionen haben,
sondern damit einher geht auch eine Vorbildfunktion mit
Ausstrahlungswirkung auf alle Ebenen und Bereiche unserer Wirtschaft.
Zur wirtschaftlichen Seite: Es gibt genügend Studien,
auch ganz aktuell eine McKinsey-Studie, die zeigen,
dass gerade in den Jahren der Krise die Unternehmen mit
Frauen in Führungspositionen signifikant bessere wirtschaftliche Ergebnisse erzielt haben,
({7})
nicht - das wäre vermessen - weil Frauen grundsätzlich
besser sind.
({8})
- Gut. Man kann es auch so stehen lassen. - Vielmehr
bringen sie einen anderen, ausgewogenen Ansatz hinein.
Das macht das Team insgesamt erfolgreicher, und das
darf man sich doch nicht entgehen lassen. Hinzu kommt
- davon war schon die Rede - der demografische Wandel. Angesichts dessen ist es doch dumm, wenn sich ein
Unternehmen auf die Hälfte des Talentpools beschränkt
und nicht überall nach den besten Köpfen schaut.
Aber wenn wir uns die Auswahlmechanismen anschauen, müssen wir konstatieren, dass es gar nicht die
Möglichkeit gibt, sich zu qualifizieren, somit auch keine
Möglichkeit, sich zu bewerben und zu reüssieren. Berufungen erfolgen nämlich schlichtweg durch die Aufsichtsräte. Da liegt es in der Natur der Sache, dass sich
die immer gleichen Auswahlmechanismen perpetuieren.
Die Aufsichtsräte wählen die Vorstände, die Aufsichtsräte schlagen der Hauptversammlung passgenau die
Kandidaten für das nächste Mal vor.
Thomas Sattelberger, Personalvorstand bei der Telekom, hat in einem Interview gegenüber dem Spiegel auf
die Frage, ob sich denn Qualität durchsetze, gesagt:
Die Entscheidungen fallen ebenso durch Seilschaft,
Treuebonus, Netzwerke, strategisches Platzieren
von Vertrauten und Vitamin B wie durch Qualität.
Ich will ganz gewiss niemandem, der in einer solchen
Position sitzt, die Qualifikation absprechen. Aber solche
Strukturen schließen Frauen und genauso auch Männer
aus, die nicht ins Schema passen; diese sind schlicht
gleichheitswidrig.
({9})
Die Unternehmen, um die es hier geht, haben Bedeutung für die ganze Volkswirtschaft und für viele Menschen, seien sie Anteilseigner, Mitarbeiter oder Kunden.
Deshalb haben wir als Politiker auch die besondere Verantwortung, das nicht nur dem eigenen Geschmack der
Unternehmen zu überlassen, sondern auch gestaltend
einzuwirken, Vorgaben zu machen und die Verbindlichkeit mit sanftem Druck zu erhöhen. Die Frauen, die sich
qualifizieren, die diese Verantwortung übernehmen wollen, die in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen,
haben das verdient. Es gibt den Pool beim Verband der
Unternehmerinnen; es gibt also wirklich genügend Talente, die diese Positionen einnehmen könnten.
Wir brauchen jetzt schnell eine Regelung. Deshalb
bin ich froh, wenn bald vom zuständigen Familien- und
Frauenministerium eine Diskussionsgrundlage vorgelegt
wird.
({10})
Ich denke, dass wir eine Zielvorgabe von 30 Prozent in
einem angemessenen Zeitrahmen brauchen. 30 Prozent
bis 2018 - das wäre realistisch. Dies ist ein Vorschlag,
mit dem wir uns auseinandersetzen sollten.
({11})
Wir brauchen diese Vorgabe jetzt. Das wäre fair gegenüber den Unternehmen; denn im Jahr 2013 steht eine
Vielzahl an Aufsichtsratswahlen an.
Wir müssen den Unternehmen jetzt sagen, worauf sie
sich einrichten müssen, damit sie die Vorbereitungen
treffen. Wer bis 2018 30 Prozent Frauen in den Gremien
haben will, der muss sich jetzt sputen und die Suche beginnen.
({12})
Deshalb geht mein Appell, meine Ermunterung und
meine Zusage dahin, alle Schritte, die in diese Richtung
gehen, zu unterstützen.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat nun Christel Humme für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Winkelmeier-Becker, das war eine mutige Rede.
Leider konnte ich von meinem Platz aus sehen, dass die
Ministerin in keiner Weise zugehört, sondern ihre Akten
bearbeitet hat. Das ist die Realität.
({0})
Dabei haben wir alle - das haben wir heute in allen Reden gehört - dasselbe Ziel, nämlich die Zahl der Frauen
in Führungspositionen zu erhöhen. Ich denke mir, es ist
Zeit, endlich auch gesetzliche Regelungen zu treffen.
Unser Antrag ist an dieser Stelle sehr klar. Wir wollen
eine gesetzliche 40-Prozent-Quote für Aufsichtsräte und
Vorstände festlegen, und wir wollen auch wirksame
Sanktionen. Das ist unser Konzept.
({1})
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen von den Grünen,
wir stimmen auch Ihrem Gesetzentwurf zu; denn Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf diese verbindliche Quote
und wirksame Sanktionen vorgesehen. Sie haben außerdem einen Antrag gestellt - den finde ich sehr gut -, mit
dem Sie diesen Gesetzentwurf noch um eine Regelung
für die Vorstände erweitern. Das ist wunderbar. Damit
können wir in der parlamentarischen Debatte vielleicht
dem Ziel näher kommen, das wir heute alle formuliert
haben, und ein gutes Gesetz weiterentwickeln. Ich
glaube, das ist ein guter Ansatz. Darum bitte ich heute
alle, dem zuzustimmen.
({2})
Frau Högl hat es schon gesagt: Dieses Jahr ist ein verlorenes Jahr. Es ist nicht nur ein verlorenes Jahr, sondern
es ist auch ein Jahr der Gipfel, nicht nur der europäischen Gipfel, sondern auch der Quotengipfel.
Den ersten Quotengipfel hatten wir im März 2011.
Damals hatte die Ministerin von der Leyen noch eine
verbindliche Quote gefordert. Sie ist total gescheitert,
und zwar an der FDP, an dem Streit mit ihrer Kollegin
Frau Schröder und letztlich an dem Veto der Kanzlerin.
Ein zweiter Gipfel musste her. Im Oktober dieses Jahres - das ist noch nicht so lange her - gab es den zweiten
Gipfel.
({3})
- Nein, aber von uns gibt es gute Vorschläge. Wir brauchen keinen Gipfel. - Auf dem zweiten Gipfel wollte die
Ministerin Schröder den Vertretern der DAX-Unternehmen ihre Flexiquote erklären und schmackhaft machen.
Das Ergebnis war niederschmetternd. Die am Spitzengespräch beteiligten Personalvorstände der Unternehmen
verpflichteten sich - man muss jetzt genau hinhören -,
lediglich ihren jeweiligen Frauenanteil an Führungspositionen anhand eigener unternehmensspezifischer Vorgaben zu erhöhen. Was Führungspositionen sind, definieren sie aber nicht. Das bestätigt auch eine Antwort der
Bundesregierung. Ich lese sie vor und bitte, genau hinzuhören:
Die Zielvorgaben unterscheiden sich dabei sowohl
nach Höhe als auch nach Basisgröße. Es fehlt … an
einer einheitlichen Definition des Begriffs „Führungsposition“.
Das heißt doch übersetzt, dass die Führungsmänner in
den Unternehmen jetzt machen können, was sie wollen.
Das ist meiner Ansicht nach nicht das, was wir als SPD
uns unter Fortschritt vorstellen.
({4})
Schauen wir uns doch einmal genauer an, was in diesem Papier „Frauen in Führungspositionen“ steht. Einige
Unternehmen sagen, sie legen sich auf überhaupt keine
Zielgröße fest. Andere Unternehmen wollen eine Quote
irgendwo zwischen 12 und 35 Prozent. Unklar ist, was
sie damit meinen. Meinen sie eine Quote, eine Zuwachsrate, deutschlandweit oder weltweit, im ganzen Konzern? Niemand weiß es genau. Aber was wir genau wissen, ist: Die Vorstände und die Aufsichtsräte kommen
nicht vor und sind nicht gemeint.
({5})
Frau Ministerin, ich sage es eigentlich ungern, aber es
ist tatsächlich so: Sie haben sich ganz schön an der Nase
herumführen lassen. Denn wie wollen Sie die Einhaltung
so ungenauer Zielvorgaben eigentlich hinterher kontrollieren und die Ergebnisse vergleichen? Wer nichts Kon17602
kretes fordert, bekommt auch nichts Konkretes vorgelegt - das war die nüchterne Kritik Ihrer Kollegin und
Ministerin Frau von der Leyen. Dem ist nichts hinzuzufügen, dem stimmen wir zu.
({6})
Der letzte Freitag zeigt eigentlich, dass Sie es nicht
wirklich ernst meinen. Am letzten Freitag gab es im
Bundesrat eine Initiative der rot-grünen Landesregierung
Nordrhein-Westfalens, ein Gesetz in den Bundestag einzubringen. Sie haben mit Ihren Stimmen dieses Gesetz
von Rot-Grün abgelehnt. Wo ist da das ernsthafte Bemühen, für die Frauen etwas nach vorne zu bringen? Ich
sehe es nicht.
({7})
Es ist klar, dass wir eine verbindliche gesetzliche Regelung brauchen; wir brauchen eine verbindliche Quote.
Darum werden wir, die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, zu gegebener Zeit ein entsprechendes Gesetz vorlegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, ich gehe davon aus, dass wir dann da auch Ihre
Zustimmung erhalten.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, richtig ist aber
auch, dass wir nicht nur in der Privatwirtschaft eine
Quote bzw. eine verbindliche Regelung brauchen, sondern auch in den Unternehmen, die vom Bund geleitet
werden, oder auch in den Gremien der Politik.
({8})
Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion vom 24. November - so alt ist
sie noch nicht - hat ganz eindeutig gezeigt, dass es keine
paritätische Besetzung der Gremien gibt; es gibt sogar
Gremien, in denen nur Männer vertreten sind. Ich
glaube, auch hier müssen wir darüber diskutieren, ob wir
nicht eine verbindliche Quote brauchen, sowohl für Bundesunternehmen als auch für Gremien der Politik.
Frau Schröder, Sie haben angekündigt, dass Sie ein
Gesetz vorlegen wollen. Heute steht im Ticker, dass es
noch in der Schublade liegt.
({9})
Wir sind gespannt, wann das Gesetz, das auch die Bundesunternehmen einschließt, das Licht der Welt erblicken wird.
({10})
Wir wissen nur, dass die FDP bisher verhindert, dass dieses Gesetz die Schublade verlässt.
Ich denke, wir haben viel zu tun. Wenn uns die Festschreibung einer verbindlichen Quote wichtig ist, können wir heute Solidarität zeigen, indem wir alle dem Gesetzentwurf der Grünen sowie unserem Antrag
zustimmen. Ich fordere Sie dazu auf.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun Marco Buschmann für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bin jetzt seit zwei Jahren Mitglied dieses Hohen
Hauses.
({0})
Wir sprechen nun zum vierten Mal im Plenum über die
Zwangsquote.
({1})
Ich würde Sie bitten, einfach zu akzeptieren, dass uns
das Ziel eint, gleiche Karrierechancen für Frauen und
Männer zu schaffen, und dass wir uns alle dafür einsetzen.
({2})
Es geht einzig und allein um die Frage, ob Sie ein taugliches Instrument vorschlagen.
({3})
Sie schlagen heute wieder ein untaugliches Instrument vor. Das wissen Sie auch; sonst hätten Sie dieses ja
während Ihrer eigenen Regierungszeit umgesetzt. Das
Instrument, zu dessen Umsetzung Sie uns hier wieder
drängen wollen, ist auch deshalb untauglich, weil es sich
auf eine ganz kleine Gruppe beschränkt.
({4})
Sie reduzieren nämlich den Begriff Führungskraft auf
die Organe von Kapitalgesellschaften und die Geschäftsleitungen mitbestimmter Unternehmen.
({5})
In Anbetracht dieses Befundes frage ich Sie ernsthaft:
Glauben Sie, mit diesem Minielitenprojekt irgendetwas
an der gesellschaftlichen Realität in diesem Land ändern
zu können?
({6})
Das möchte ich Sie ernsthaft fragen.
({7})
Glauben Sie denn wirklich, mit aggressiver Konfrontation würde mehr erreicht als mit intelligenter Kooperation?
Ich möchte Sie bitte einmal mit dem zahlenmäßigen
Befund hinsichtlich des Gipfels vom 17. Oktober dieses
Jahres konfrontieren.
Herr Kollege, gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Weil ich keine neuen Aspekte erwarte, mache ich das
nicht.
({0})
- Hören Sie bitte einmal zu! Sie behaupten ja immer, wir
hätten nichts erreicht.
({1})
Vertreter der Regierung haben mit den DAX-Konzernen
am 17. Oktober 2011 im Wege der freiwilligen Selbstverpflichtung mehr erreicht, als Sie mit Ihren Zwangsquotenvorschlägen erreichen können.
({2})
Demnach wird der Anteil von Frauen in Führungspositionen bis 2020 bis auf 35 Prozent steigen: bei Adidas
auf bis zu 35 Prozent, bei der Lufthansa auf bis zu
30 Prozent.
({3})
Da kann man doch nicht sagen, es sei nichts passiert.
Das gilt vor allen Dingen deshalb, weil der Begriff
Führungskraft viel weiter gefasst ist und sich nicht auf
das Placebo „Organe von Kapitalgesellschaften“ beschränkt.
({4})
Das ist nämlich das Erfreuliche an dieser Vereinbarung.
So sagt zum Beispiel Volkswagen, dass die eigenen Zielvorstellungen nicht nur für die paar Personen im Vorstand und im Aufsichtsrat gelten, sondern für die untere,
mittlere und obere Führungsebene gleichermaßen.
({5})
Infineon will seine Vorgaben auf oberer und mittlerer
Führungsebene verwirklichen. Auch Henkel hat sich das
Ziel gesetzt, die eigenen Zielvorgaben im gesamten Managementbereich umzusetzen. Das geht viel weiter, als
wenn man sich nur auf ein paar Personen im Vorstand
und im Aufsichtsrat kapriziert.
Ich erwähne das deshalb so ausdrücklich, weil den gut
qualifizierten Frauen in Deutschland eben nicht geholfen
ist, wenn man nur ein paar Dutzend Topmanagerinnen
mit einer Zwangsquote für Organe von Kapitalgesellschaften beglückt. Vergleichen wir einmal Ihren Vorschlag mit unseren Erfolgen: Was wäre die Folge, wenn
man Ihr Modell auf die DAX-30-Gesellschaften übertragen würde? Die Zahl der Vorstandsmitglieder und Aufsichtsräte in den DAX-30-Konzernen beträgt rund 480
Personen. Selbst wenn man die Hälfte dieser Positionen
per Zwangsquote mit Frauen besetzen würde, hätte man
gerade einmal etwas für die Karriere von 240 Frauen in
Deutschland getan.
({6})
Setzt man das in Bezug zu den etwa 15 Millionen weiblichen Erwerbstätigen in Deutschland, dann ergibt sich
ein Anteil von 0,0016 Prozent. Sie verändern so nichts
an der gesellschaftlichen Realität.
({7})
Nimmt man dann noch an, dass es zu Doppel- und
Triplemandaten in Aufsichtsräten kommen wird - wie
die Erfahrungen mit der Zwangsquote in Norwegen zeigen -, sinkt dieser kaum messbare Anteil noch weiter.
Ihr Vorschlag geht damit an den Chancen Millionen gut
ausgebildeter Frauen in unserem Land vorbei. Sein Effekt ist eine Quantité négligeable. Sie betreiben nur
Symbolpolitik, um sie ins Schaufenster zu stellen, aber
ändern nichts.
({8})
Nicht einmal den Lucky Few, die von Ihrem homöopathischen Instrument profitieren können, wird das
wirklich etwas bringen.
({9})
Wir wissen doch schon heute, was passiert, wenn die
Zwangsquote aggressiv und konfrontativ gegen die Unternehmen durchgedrückt wird: Keine einzige Gesellschaft wird erfolgreiche Vorstände und Aufsichtsräte
feuern, nur weil sie Männer sind. Man wird die Quote
dann über die Aufblähung von Gremien erfüllen.
({10})
Plötzlich gibt es dann Vorstandspositionen für Corporate
Social Responsibility oder Ähnliches, die mikroskopische Budgetverantwortung tragen werden. Das ist kein
Beitrag für eine Gleichberechtigung bei den Karrierechancen von Männern und Frauen in unserem Land.
({11})
Diese Fakten erkennen Sie im Grunde doch auch an.
Daher sprechen auch Sie immer von einem Hebeleffekt.
({12})
Als ob automatisch etwas nach unten durchsickern
würde, nur weil man oben an der Spitze etwas getan hat!
Ihr Argument lautet:
({13})
Seien erst einmal genug Frauen in den wenigen Top-positionen, würden diese schon dafür sorgen, dass alles
besser wird.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Pronold?
Auch da erwarte ich keinen Erkenntnisgewinn. - Ein
solcher Hebeleffekt ist jedoch bloß ein Mythos; denn die
sozialwissenschaftliche Forschung hat ihn widerlegt.
Meine Kollegin Bracht-Bendt hat auf die Forschungsergebnisse von Catherine Hakim von der London School
of Economics hingewiesen. Frau Hakim hat untersucht,
was in Norwegen passiert ist. Haben die Frauen in Toppositionen dafür gesorgt, dass in nachgeordneten Führungsebenen mehr Frauen verantwortliche Positionen
bekommen? Frau Hakim hat es wissenschaftlich untersucht und festgestellt, dass nichts dergleichen passiert
ist.
({0})
Der Anteil der Frauen in diesen Positionen unterhalb des
Vorstands ist sogar gesunken. Laut der Forschungsergebnisse von Frau Hakim steht Norwegen diesbezüglich heute sogar schlechter da als Deutschland.
Lange Rede, kurzer Sinn:
({1})
Die jüngste Selbstverpflichtung der DAX-30-Unternehmen bewirkt deutlich mehr; denn wegen des in diesem
Konzept enthaltenen weiten Begriffs von Führungskraft
werden Tausende von Führungspositionen erfasst. Das
Beispiel zeigt: Die Mehrheit aus Union und FDP hat in
den letzten zwei Jahren mehr konkrete Erfolge erzielt als
Sie zu den Zeiten, in denen Sie Regierungsverantwortung getragen haben.
({2})
Das ist es, was Ihnen so wehtut. Das ist es, was Sie so
aggressiv macht.
({3})
Wir sind auf einem guten Weg in Richtung Gleichberechtigung bei den Karrierechancen. Durch Ihren Vorschlag einer Zwangsquote werden wir uns davon nicht
abbringen lassen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat nun Barbara Höll für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Buschmann, viel konnte man von Ihnen
ja nicht erwarten. Das wird klar, wenn man sich Ihre
Fraktion im Bundestag anschaut: Mit Mühe und Not hat
man einen Frauenanteil von 25 Prozent erreicht. Bei der
CDU sind es nicht einmal 20 Prozent. Sie sollten erst
einmal in Ihren eigenen Reihen anfangen.
({0})
Man hat den Eindruck, da ist so etwas wie ein Männerbündnis, das nach dem Motto arbeitet: Wir verhindern
das bei uns und helfen euch in der Wirtschaft, damit das
genau so weitergeht.
({1})
Ich bin - das muss ich wirklich sagen - ein bisschen
enttäuscht, dass die Frau Ministerin in dieser Debatte gar
nichts zu sagen hat.
({2})
Sie hat inhaltlich eben nichts zu sagen, und deshalb
schweigt sie lieber.
({3})
Gestern Abend habe ich den Taxifahrer, der mich
nach Hause gefahren hat, gefragt, ob er etwas von der
Diskussion über eine Quote für Frauen in Führungsetagen gehört hat. Er sagte: Nein. - Ich fragte ihn, was er
davon hält. Er sagte: Klar können die Frauen das machen, die können es doch. - Ich: Was denken Sie denn,
woran es liegt? - Er: Die Kerle sind einfach zu verbohrt.
Drei klare Antworten!
({4})
Ich glaube, der Mann hat recht. Aber man muss es
noch ein bisschen aufdröseln: Sicher, ganz viele Menschen in unserem Land bewegt die Lage der Frauen. Sie
bewegt der Umstand, dass Frauen in Minijobs wegDr. Barbara Höll
gedrückt werden, dass Frauen wenig verdienen - sie
würden am meisten von einer Mindestlohnregelung profitieren -, dass insbesondere Alleinerziehende von Armut bedroht sind und dass Frauen wissen, dass sie im
Alter ganz geringe Renten erhalten werden. Das bewegt
ganz viele Menschen. Viele Menschen sagen aber auch,
dass wir in der Wirtschaft etwas tun müssen. So wie von
unten etwas getan werden muss, muss auch von oben gedrückt werden, damit sich etwas verändert. Deshalb ist
es notwendig, dass wir hier darüber reden.
({5})
Es ist inzwischen unstrittig und nachgewiesen - das
wurde hier schon gesagt -, dass unter betriebswirtschaftlichen Aspekten die Unternehmen am besten funktionieren, die eine geschlechtergemischte Führung haben, die
also weder reine Frauenführungen noch reine Männerführungen haben, sondern in etwa gleich viele Frauen
und Männer in Führungspositionen haben. Dafür gibt es
verschiedene Ursachen: Es gibt unterschiedliche Strategien zur Konfliktlösung. Es gibt unterschiedliche Blicke
auf das, was für ein Unternehmen wichtig ist.
Ich formuliere es einmal ein bisschen drastisch: Sie
erinnern sich vielleicht alle noch daran, dass es vor etwa
einem Jahr einen ziemlich großen Skandal gab. In der
Bild stand ganz groß: Extra-Vergütung der Mitarbeiter
einer deutschen Versicherung in Ungarn in Form eines
Sexurlaubs. Stellen Sie sich einmal vor, auch in diesem
Unternehmen wären auf allen Ebenen Positionen mit
Männern und Frauen gleichermaßen besetzt gewesen.
Glauben Sie, dann wäre das zustande gekommen?
({6})
Glauben Sie, die Frauen hätten es als Auszeichnung
empfunden, dass sie in ein Bordell gehen sollen? Glauben Sie, dass die Frauen im Vorstand einer solchen Art
und Weise der Vergütung zugestimmt hätten? Niemals,
sage ich Ihnen.
({7})
Ich habe natürlich nachgeschaut: Auch in diesem Unternehmen sind nur drei Frauen im Aufsichtsrat, bei
20 Mitgliedern; eine Frau ist im Vorstand, eine einzige.
Aber ich sage Ihnen: Eine Frau alleine ist nicht in der
Lage, die Verhältnisse zu ändern. Bei solchen Verhältnissen wird eher diese Frau verändert. Viele Frauen zusammen können aber die Verhältnisse ändern. Deshalb brauchen wir die Quote.
({8})
Die freiwillige Selbstverpflichtung ist offenkundig
gescheitert. Das bringt nichts. Sie fordern immer mal
wieder: Mehr Frauen in die Politik! Das bringt nichts. Es
passiert nichts. Auch in der Wirtschaft passiert nichts.
Der Taxifahrer gestern sagte: Die Männer sind zu verbohrt. Worum geht es denn? Interessanterweise bekommen die wenigen Frauen, die es geschafft haben, die in
den Führungsetagen sitzen, im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen weniger Gehalt, weniger Sonderzahlungen, weniger Boni. In erster Linie geht es schlicht und
ergreifend um Geld, Prestige, Einfluss und Macht. Die
Männer sind nicht bereit, all dies abzugeben. Sie werden
das nicht freiwillig abgeben. Wir können nur gesetzlich
dagegen vorgehen.
Wir haben aktuell die Situation, dass wir die bestausgebildete Generation von Frauen haben, diese aber an
eine gläserne Decke stoßen. Das ist ein wichtiger Aspekt. Wir müssen über Arbeitszeiten, über fehlende
frauenspezifische Weiterbildungsmöglichkeiten, über
absurde Mobilitätsanforderungen und über die absurde
Anforderung, im Arbeitsleben ständig verfügbar zu sein,
reden. Wir brauchen eine menschlichere Arbeitswelt.
Diese menschlichere Arbeitswelt kommt Männern wie
Frauen entgegen.
({9})
Dafür brauchen wir tatsächlich, angefangen bei den Führungsebenen, eine 50-Prozent-Quote. Wir brauchen, nebenbei gesagt, auch viel mehr Männer in den derzeit
typischen Frauenberufen. Dann bekommen wir eine Gesellschaft und eine Arbeitswelt, die allen Menschen zugutekommt und in der alle ihr Leben wesentlich besser
gestalten können.
({10})
Ich sage Ihnen: Auch wenn Sie heute die beiden vorliegenden Anträge - wir unterstützen sie - ablehnen, ist
ein weiterer Antrag im parlamentarischen Gang, nämlich
unser Antrag „Geschlechtergerechte Besetzung von Führungspositionen der Wirtschaft“. Das wird die nächste
Etappe; denn wir werden nicht aufgeben, an dieser Sache gemeinsam zu arbeiten.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat nun Ekin Deligöz für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass wir heute über die Frauenquote diskutieren, ist ja
kein Selbstzweck. Es geht hier nicht nur um Rollenbilder. Klar ist: Es gibt Herausforderungen in dieser Gesellschaft, die wir meistern müssen, zum Beispiel den Fachkräftemangel oder - darüber haben wir heute Morgen
geredet - die Finanzkrise. Diese Herausforderungen
können wir nur bewältigen, wenn Männer und Frauen
gemeinsam Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen. Weil wir Entscheidungen gemeinsam
treffen wollen, diskutieren wir heute über die Frauenquote.
Sie werden jetzt sagen: Dann sollen die Frauen sich
doch beteiligen, wenn sie es wollen. Das ist doch ganz
klar und einfach. - Wenn wir uns die Besetzung der Vorstände und der Aufsichtsräte anschauen, stellen wir aber
fest, dass das, was in dieser Gesellschaft eigentlich
selbstverständlich sein sollte, eben nicht selbstverständlich ist. Es ist nicht klar, es ist nicht so einfach. Deshalb
diskutieren wir hier heute über die Frauenquote.
({0})
Es geht nicht nur darum, dass der weibliche Blick auf
die Dinge berücksichtigt wird - Frau Höll, ich gebe Ihnen recht; das sollte so sein -, sondern es geht auch darum, dass die Herausforderungen so kompliziert sind,
dass wir die Besten der Besten in dieser Gesellschaft
brauchen, um die entsprechenden Entscheidung zu treffen. Wir brauchen Sachverstand, wir brauchen die Kapazitäten, und wir brauchen die Kenntnisse. Im Moment ist
es so, dass in den Entscheidungsgremien nur Männer,
möglicherweise die besten, ausgesucht werden
({1})
und nicht die Besten der Gesellschaft. Zu den Besten der
Gesellschaft gehören nun einmal Frauen dazu. Sie stellen die eine Hälfte der Bevölkerung. Erst, wenn tatsächlich die Besten der Besten gesucht werden, können wir
davon reden, dass die Potenziale in diesem Land genutzt
werden. Ehrlich gesagt: Wenn wir das nicht tun und wir
uns nur auf die eine Hälfte der Gesellschaft beschränken,
dann werden nicht die Besten ausgewählt, sondern nur
die Zweitbesten. Das, was Herr Buschmann hier in seiner Rede vorgetragen hat, bestätigt genau diese These.
({2})
Wenn wir Frauen in verantwortungsvollen Positionen
haben wollen, dann bringt dies mit sich, dass Frauen sich
behaupten müssen. Gerade wir Politikerinnen wissen
doch, was es heißt und wie schwierig es ist, sich in einer
männerdominierten Welt zu behaupten. Umso wichtiger
ist es, dass sich die Abgeordneten hier im Bundestag zusammen für eine Quote einsetzen und diese durchsetzen.
Das ist unser Auftrag. Ich fände es sehr schade, wenn die
Entscheidung heute von parteipolitischen Überlegungen
bestimmt würde.
Frau Winkelmeier-Becker, Sie kennen die Argumente. Sie haben mit ihrer Argumentation absolut recht.
Es sollte eine Frage des Gewissens sein, sich für die andere Hälfte der Gesellschaft zumindest genauso stark
einzusetzen.
({3})
Ich lade Sie dazu ein, mit uns genau das zu tun und diese
Frage nicht unter die parteipolitischen Räder kommen zu
lassen. Womöglich entspricht der jetzt vorliegende Vorschlag nicht Ihren Vorstellungen. Ich und meine Fraktion
sind aber gerne bereit, mit Ihnen an einem Kompromiss
zu arbeiten. Warum? Wir haben jetzt ein Zeitfenster bis
zum Jahre 2013. Wenn wir etwas in dieser Gesellschaft
bewegen und verändern wollen, müssen wir dieses Zeitfenster nutzen. Wenn es sich schließt, werden wir die
nächsten zehn Jahre hier sitzen und abwarten müssen,
bis sich womöglich wieder eine Möglichkeit ergibt. Das
dauert mir zu lange. Das dauert auch für diese Gesellschaft zu lange. Wir müssen deshalb jetzt handeln und
nicht später.
({4})
Ich denke, es wäre wieder einmal an der Zeit, dass
Frauen gemeinsam Verantwortung im Parlament übernehmen. Frauen haben in diesem Parlament vieles bewegt, angefangen bei dem Gewaltschutzgesetz bis hin
zum Embryonenschutzgesetz und zur Patientenverfügung. Wir haben es immer geschafft, einen anderen
Blick auf die Dinge zu werfen. An dieser Stelle ist es
wieder an der Zeit, wenn sie nicht fast schon wieder vorbei ist. Deshalb eilt es. Lassen Sie uns uns gemeinsam an
einen Tisch setzen und gemeinsam ein Gesetz machen!
Lassen Sie uns in diesem Land etwas bewegen! Eine Alternative dazu haben wir nicht.
({5})
Das Wort hat nun Dorothee Bär für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mich persönlich ärgert es sehr, dass wir diese Debatten im Deutschen
Bundestag immer noch führen müssen.
({0})
Mich ärgert es auch deswegen, weil wir das Jahr 2011
schreiben und ich es nicht für möglich gehalten habe,
dass wir uns 2011 noch über solche eigentlich selbstverständlichen Dinge unterhalten müssen, wie dass wir
mehr Geschlechtergerechtigkeit in diesem Land brauchen.
({1})
Wir hatten in dieser Woche eine gemeinsame Aktion
aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Es
waren Kolleginnen aller sechs Parteien sowie Journalistinnen und Mitarbeiterinnen da. Es herrschte eine sehr
positive und sehr angenehme Stimmung. Es hat mich
dazu gebracht, zu erkennen, dass wir gemeinsam zu Ergebnissen kommen können, wenn wir versuchen, es konsensual zu lösen. Liebe Kollegin Högl, ich fand den Anfang Ihrer Rede ganz hervorragend. Ich fand es etwas
schade, dass Sie gegen Ende verbal so aufgerüstet haben.
Sie sind bei Twitter charmanter als im Plenum. Ich hätte
mich einfach gefreut, wenn wir so konsensual gemeinDorothee Bär
sam hätten arbeiten können, wie das zum Beispiel mit
Ihrer Kollegin Ziegler der Fall ist,
({2})
weil es wichtig ist, dass wir uns gemeinsam an einen
Tisch setzen und uns überlegen, diese Schritte zu gehen.
Wir sind weiter als noch vor einigen Jahren. Ich
glaube, dass sich keiner unserer männlichen Kollegen
- egal von welcher Partei hier im Bundestag - irgendwo
hinstellen und bestreiten kann, dass die Zustände, die wir
hier beklagen, so sind, wie sie sind.
({3})
Da sind wir auf jeden Fall weiter. Man kann sagen, dass
es noch nicht reicht. Da bin ich bei Ihnen. Ich sage aber
zumindest für meine Fraktion, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass einer meiner Kollegen mit einer anderen
Einstellung zu Hause in seinem Wahlkreis oder auch bei
der Frauen-Union einen Stich machen könnte.
Das gilt vielleicht nicht für die Piraten. Der Vorsitzende hier in Berlin hat gesagt, dass es bei den Piraten
deswegen so wenige Frauen gebe, weil die sich nicht
trauten, vor vielen Menschen zu reden. Ich glaube, da
sind wir insgesamt schon wesentlich weiter.
Es ist mehrfach zitiert worden, dass wir Bildungsgewinnerinnen und Karriereverliererinnen sind. Selbstverständlich, lieber Kollege Buschmann, muss man diesen
Mangel an weiblichen Vorbildern gerade an der Spitze
deswegen beheben, weil weibliche Vorbilder wichtig
sind, weil diese talentierte Frauen nachziehen müssen,
die wiederum selbst Vorbilder sein müssen.
({4})
Die Zahlen und Fakten für das 21. Jahrhundert sind
ungeheuerlich. Ich werde heute Abend bei einem Jubiläum der Frauen-Union sprechen dürfen. Sieht man sich
an, was die Frauen in meiner Partei, in der CSU, schon
1981 festgeschrieben haben, muss man sich schon fragen, was in den letzten 30 Jahren eigentlich passiert ist.
Hier geht es nicht nur um die letzten zehn Jahre, in denen es nicht so gelaufen ist, wie wir uns das vorgestellt
haben. Da gebe ich Ihnen recht. Leider Gottes kann man
auch die Reden von vor 30 Jahren eins zu eins heute
noch halten.
({5})
Ich möchte nicht, dass wir diese Potenziale weiter
vergeuden, sondern dass wir unser Bewusstsein schärfen. Mittlerweile haben viele meiner Kolleginnen, aber
auch Kollegen - das haben Sie heute mitbekommen,
Kollegin Winkelmeier-Becker hat schon gesprochen, die
Kollegin Rita Pawelski wird gleich im Anschluss noch
sprechen -, auch innerhalb meiner eigenen Arbeitsgruppe, in der ich übrigens mehr männliche als weibliche Mitglieder habe, die klare Auffassung: Wir sehen
keine Lösung mehr, die ohne Gesetze auskommt.
({6})
Wir müssen uns, auch das ist angesprochen worden,
fairerweise auch selbst beim Wort nehmen. Wir müssen
im öffentlichen Dienst wesentlich besser werden. Wir
müssen uns bei der Novellierung des Bundesgremienbesetzungsgesetzes damit auseinandersetzen. Den Beschluss der Gruppe der Frauen hat die Kollegin
Winkelmeier-Becker auch schon zitiert. Danach soll der
Frauenanteil in Führungspositionen und Aufsichtsräten
30 Prozent betragen. Dass wir uns über die Details noch
austauschen wollen - wie es auch von der Kollegin
Humme angesprochen wurde -, das ist klar. Ich glaube,
dass die vielzitierte gläserne Decke zwar vorhanden,
aber nicht unüberwindbar ist. Wenn wir uns gemeinsam
an diese Aufgabe machen, dann ist sie überwindbar, weil
wir gemeinsam etwas bewirken können.
Ich habe einem meiner Kollegen versprochen, ihn zu
zitieren, nämlich den Kollegen Josef Göppel von der
CSU. Er wird nicht direkt mit Frauenpolitik in Verbindung gebracht, ist aber bei jeder Debatte anwesend und
steht voll hinter uns. Der Kollege hat gesagt: „Ich bekomme lieber von der Fraktionsspitze einen Anpfiff als
von meinen vier Töchtern.“
({7})
Lieber Josef, ich finde das ganz hervorragend. Das ist
der richtige Weg. Ich wünsche allen ganz viele Töchter,
Mütter, Tanten und Cousinen; denn es ist wichtig, den
Menschen zu sagen, dass es im Jahr 2011 nicht mehr so
weitergeht wie bisher.
Der Druck muss aufrechterhalten werden. Ich persönlich wünsche mir einen starken Druck. Elisabeth
Winkelmeier-Becker hat von sanftem Druck gesprochen.
Ob er sanft sein muss, weiß ich nicht. Er muss aber auf
jeden Fall so beschaffen sein, dass er zielführend ist.
Ich hätte mir gewünscht - das ist keine Kritik, sondern nur die offene Bitte - dass die SPD-Spitze es genauso wie die Grünen heute geschafft hätte, eine namentliche Abstimmung zu vermeiden. Das wäre für uns
alle wesentlich leichter gewesen. Vielleicht hätte man
den Kollegen Oppermann kurz herausholen und mit ihm
reden können, ob er seinem Herzen nicht noch einen
Stoß geben kann.
Es wäre nämlich schön gewesen, wenn Sie gesagt hätten: Okay, wir bringen nicht die Kolleginnen in Schwierigkeiten, die eigentlich eine gemeinsame Lösung anstreben. Ich möchte nicht, dass ich Ihre beiden Anträge
heute ablehnen muss. Das tut mir im Herzen weh, weil
ich nicht möchte, dass am Schluss nur aus formalen
Gründen keine gemeinsame Lösung zustande kommen
kann. Mir geht es wirklich um die Sache.
({8})
Frau Kollegin.
Einen Moment, Herr Präsident!
({0})
Mir geht es wirklich um die Sache. Deswegen hätte ich
mich einfach darüber gefreut. - Jetzt freue ich mich,
wenn der Kollege Beck meine Redezeit verlängert.
Bitte schön.
Nur eine Bemerkung zur Klarstellung: Wenn Sie gewollt hätten, dass Sie nicht in diese vertrackte Lage
kommen, wäre es Ihnen möglich gewesen, die Anträge
zurückzuüberweisen. Das wäre aber natürlich nur gegangen mit einem klaren Signal, dass wir zwischen den
Fraktionen gemeinsam an einer gesetzlichen Lösung arbeiten. Das hätten Sie haben können. Davon haben Sie
keinen Gebrauch gemacht.
({0})
- Die Geschäftsordnung sieht vor, dass man Zwischenbemerkungen machen und Zwischenfragen stellen kann.
Herr Brüderle, Sie sind lang genug hier im Haus.
({1})
Ich will nur klarmachen, dass wir zu gemeinsamen
Gesprächen über eine gesetzliche Lösung bereit sind.
Das setzt aber voraus, dass ein Verhandlungsauftrag von
Ihrer Fraktionsführung vorliegt. Wir können auch einen
Gruppenantrag stellen. Ich glaube, im Haus hat die Position, die wir als Grüne vorschlagen, längst eine Mehrheit.
({2})
Herr Kollege Beck, vielen Dank für Ihre Zwischenbemerkung. Das wäre meines Erachtens aber nicht notwendig gewesen, weil ich Ihnen von hier aus meine Mitarbeit anbiete. Wir wollen gemeinsam zu einer Lösung
kommen. Das hätte man heute vielleicht etwas eleganter
machen können.
({0})
Das heißt aber nicht, dass dieser Auftrag nicht klar erkannt ist.
Ich freue mich, wenn wir jetzt weitermachen und mit
vielen Kolleginnen und Kollegen interfraktionell eine
Berliner Erklärung erarbeiten, in der wir unser gemeinsames Ziel festlegen. Denn ich möchte nicht, dass sich
die Töchter von Josef Göppel - sollten sie eines Tages
Bundestagskolleginnen von uns sein - noch mit diesen
Themen auseinandersetzen müssen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Elke Ferner für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Zunächst möchte ich Frau Winkelmeier-Becker und Frau
Bär für ihre Redebeiträge danken,
({0})
weil ich denke, dass wir auf dieser Basis - auch wenn
Sie heute wegen des Fraktionszwangs nicht so abstimmen können, wie Sie vielleicht gerne abstimmen möchten - vielleicht doch noch in dieser Wahlperiode wenigstens zu einem Einstieg in eine gesetzliche Regelung
kommen, die den Namen auch verdient hat.
Dass Frauen in deutschen Führungs- und Aufsichtsgremien auch im 21. Jahrhundert Mangelware sind, ist
kein Naturgesetz. Dagegen können Mann und Frau etwas tun. Man muss das nur wollen.
({1})
Die Wirtschaft hat in den letzten zehn Jahren ihre
Chance gehabt. Ich verhehle nicht, dass ich vor zehn
Jahren zu denjenigen in meiner Fraktion gehört habe, die
gegen eine freiwillige Vereinbarung waren. Es ist leider
das eingetreten, was wir damals befürchtet haben: Sie
hat null bewirkt. Ich finde, das waren zehn vergeudete
Jahre und zehn Jahre zu viel, in denen viele Platzhirsche
in den Chefsesseln sitzen geblieben sind und in denen
viele junge, qualifizierte Frauen nicht dahin gekommen
sind, wo sie hingehören, nämlich an die Spitze bzw. in
die Aufsichtsräte von Unternehmen. Daran müssen wir
jetzt etwas ändern.
({2})
Ich denke, dass die letzten zehn Jahre eigentlich allen
die Augen geöffnet haben müssten, dass Freiwilligkeit
nicht zu mehr Gleichstellung führt. Dass wir uns im internationalen Vergleich schämen müssen, ist leider auch
wahr, weil sich in den letzten zehn Jahren nichts bewegt
hat. Andere Länder sind viel weiter. Das Beispiel Norwegen kennen wir alle. Es gibt dort verbindliche gesetzliche Regelungen, und sie wirken. Sie haben die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht nur in den
Unternehmen bzw. Aufsichtsräten, sondern auch in der
Gesellschaft insgesamt verbessert.
Ich sage Ihnen: Wer nach diesen Erfahrungen immer
noch der Meinung ist, man könne es den Unternehmen
selber überlassen, für Frauenförderung zu sorgen, der ist
nicht von dieser Welt, Frau Schröder.
({3})
Das müssten Sie eigentlich gelernt haben. Wenn Sie den
Oppositionsrednerinnen schon nicht zuhören, dann sollten Sie wenigstens Ihren eigenen Fraktionskolleginnen
zuhören. Ich fand es ziemlich ungehörig,
({4})
wie demonstrativ desinteressiert Sie eben auf der Regierungsbank gesessen haben, als Ihre Fraktionskolleginnen
geredet haben.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gleichstellung
musste immer erkämpft werden; das ist leider auch heute
noch so. Deshalb dürfen wir es nicht den Blockierern
überlassen, die Blockade zu beseitigen, sondern wir
müssen das selbst in die Hand nehmen. Wir im Deutschen Bundestag müssen dafür sorgen, dass wir den Einstieg in die Gleichstellung von Frauen und Männern hinbekommen, nicht nur was die Führungspositionen in der
Wirtschaft betrifft, sondern auch im Hinblick auf die
Führungspositionen in Forschung und Lehre,
({6})
in der Verwaltung, in Körperschaften des öffentlichen
Rechts und in Gremien, die der Bund zu besetzen hat.
({7})
Ich glaube, wir haben eine parlamentarische Mehrheit
für dieses Anliegen.
({8})
Dieses Anliegen wird auch von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt.
Ich appelliere daher an die Fraktionsführungen von
Union und FDP - in Ihrer Fraktion gibt es ja wahrscheinlich auch die eine oder andere vernünftige Kollegin -: Heben Sie den Fraktionszwang auf,
({9})
wie wir es auch bei anderen Gelegenheiten schon gemacht haben, und lassen Sie uns aus der Mitte des Parlaments eine Regelung erarbeiten, mit der wir den Einstieg
in die Verbesserung der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen hinbekommen!
Ich finde - das kann ich Ihnen leider nicht ersparen,
Frau Schröder -, die Art und Weise, wie Sie sich als zuständige Ministerin verhalten, ist wirklich ein Trauerspiel.
({10})
Sie sind die für Frauen zuständige Ministerin. Sie sind
die zuständige Ministerin, die dieses Thema eigentlich in
Angriff nehmen müsste. Aber was machen Sie? Sie stehen auf der Seite der Blockierer in der Wirtschaft. Sie
blockieren, anstatt Gas zu geben, Sie sitzen im Bremserhäuschen, und Sie erweisen den Frauen in diesem Land
einen Bärendienst.
({11})
Wir haben unsere Eckpunkte vorgelegt. Es wird ein
Gesetzentwurf folgen. Das heißt, wir werden noch weitere Gelegenheiten haben, über dieses Thema hier im
Parlament zu diskutieren. Vielleicht haben sich bis dahin
auch die Fraktionsführungen von Union und FDP dazu
durchgerungen, den Fraktionszwang an dieser Stelle
endlich aufzuheben, damit wir aus der Mitte des Parlament zu einer Lösung kommen können, die die Frauen in
unserem Land weiterbringt.
Schönen Dank.
({12})
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Kollegin
Rita Pawelski für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ein deutsches Sprichwort
lautet: Mit Zank und Streit kommt man nicht weit. - Das
gilt auch im Hinblick auf das Anliegen, mehr Frauen in
Führungspositionen bzw. in Aufsichtsräte und Vorstände
zu bringen. Zank und Streit haben wir eigentlich nicht
mehr nötig, weil wir uns in so vielen Punkten einig sind;
das dachte ich zumindest bis Mittwochabend. Da führten
wir ein Gespräch, an dem Frauen aus allen Fraktionen
und aus der Wirtschaft, Journalistinnen bzw. Frauen, die
in den Medien arbeiten, und Vertreterinnen anderer Bereiche teilgenommen haben.
Wir haben eine Linie dafür abgesteckt, wie wir überfraktionell und überparteilich in Verbindung mit Frauen
aus der Wirtschaft, aus den Medien, aus den Verbänden,
eben mit allen Frauen, in dieser Frage weiterkommen
wollen. Diese Basis wurde von den Frauen der SPD leider verlassen. Das tut mir leid.
({0})
Ich bin enttäuscht darüber, dass Sie für heute eine namentliche Abstimmung durchgesetzt haben, wohl wissend, dass Sie uns damit zwingen, in eine Richtung zu
stimmen, in die wir eigentlich nicht wollen. Sie verstehen das Geschäft gut; Sie wissen, was das bedeutet.
Was bedeutet das aber für die Frauen, die eigentlich
mit Ihnen zusammenarbeiten wollen? Sollen wir morgen
oder übermorgen dann sagen: Wir haben zwar so gestimmt, aber nun reden wir wieder anders? Das schadet
der Sache. Sie haben damit der Sache geschadet.
({1})
Wir glauben, dass Ihnen der Streit und persönliche Eifersüchteleien wichtiger sind als die gemeinsame Sache.
Sie haben uns damit sehr geschadet.
({2})
Meine Damen und Herren, wir alle sind uns doch eigentlich darin einig - ich versuche jetzt, die Gemeinsamkeiten zusammenzufassen -, dass die Chefetagen in den
Unternehmen - vor allem in den Unternehmen mit staatlicher Beteiligung -, in den Behörden und auch die Gremien weiblicher werden sollen. Die jetzige Situation ist
nicht akzeptabel. Ich glaube, hier stimmen uns sogar
sehr viele Kollegen zu. Wir wollen und wir werden es
nicht länger hinnehmen, dass Frauen in den Vorständen
der 200 größten deutschen Unternehmen gerade einmal
zu 3 Prozent und in den Aufsichtsräten zu rund 11 Prozent vertreten sind.
Es ist richtig: Wir reden seit über einem Jahr darüber.
Ich habe viele Gespräche mit Vorständen zu diesem
Thema geführt. Dabei habe ich immer wieder „Wir haben keine Frauen“ oder „Die Frauen wollen diese Verantwortung nicht übernehmen“ gehört. Was ist das für
eine Arroganz, wenn man sagt: Von den vielen gut ausgebildeten Frauen sind nur sieben Frauen in der Lage, in
dem Vorstand eines deutschen DAX-Unternehmens mitzuarbeiten?
({3})
Ich muss sagen: Eine solche Überheblichkeit, die sich
hier einige leisten, ist schlimm und frauenfeindlich. So
etwas dürfen wir uns nicht leisten.
({4})
Bei mir hat sich der Eindruck verstärkt, dass Frauen
sehr konkret aus diesem Personalkarussell herausgehalten werden: aus den Chefetagen, aus den Vorständen, aus
den Aufsichtsräten. Das verstößt eindeutig gegen unser
Grundgesetz. Dort heißt es in Art. 3 Abs. 2: „Männer
und Frauen sind gleichberechtigt“. Ich wundere mich,
dass noch keine Frau dagegen geklagt hat; denn an dieser Stelle wird das Grundgesetz mit Füßen getreten.
({5})
Ich betrachte jetzt einmal nicht die oberste Führungsebene, sondern die Ebenen zwei und drei. Dort beobachte ich einen zarten Prozess des Umdenkens. Das
zeigt mir: Der politische Druck der letzten Jahre hat Wirkung gezeigt.
Auf Veranlassung unserer Ministerin Kristina
Schröder haben sich erstmalig die Personalvorstände der
DAX-30-Unternehmen getroffen. Das gab es noch nie;
das muss man deutlich sagen. Es ist grundsätzlich gut,
wenn sich die Personalvorstände unserer DAX-30-Unternehmen Gedanken über die Frauen in ihren Unternehmen machen.
Es ist doch eigentlich klar: Sie brauchen die Frauen in
ihren Unternehmen. Die demografische Entwicklung ist
katastrophal. Wir brauchen Fachleute, und zwar nicht
nur im unteren Bereich, sondern auch oben. Das hat man
anscheinend erkannt, und man hat angeboten, dass man
sich Ziele steckt. Diese Ziele erfüllen aber nicht alle.
Manche bleiben hinter den Erwartungen zurück, die ich
in sie gesetzt habe.
Das Wichtigste ist aber: Bei dem Gespräch wurde
nicht über Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen gesprochen. Es ist klar: Personalvorstände können darüber
nicht beschließen; denn darüber entscheiden die Aufsichtsräte und die Hauptversammlungen. Das ist nicht
ihre Sache, also müssen wir auf der anderen Ebene weiterarbeiten.
Jetzt rede ich einmal in Richtung der rechten Seite des
Hauses. In unserem Koalitionsvertrag haben wir, die
christlich-liberale Koalition, vereinbart, den Anteil von
Frauen in Führungspositionen im Rahmen eines Stufenplans maßgeblich zu erhöhen. Das begrüße ich ausdrücklich. Alle drei Parteien haben ihre Unterschrift unter den Koalitionsvertrag gesetzt. Aber zu einem
Stufenplan gehört, dass man auch irgendwann die erste
Stufe in Angriff nimmt und darlegt, wie sie aussehen
soll.
({6})
Da helfen die Versprechen der Unternehmen nicht weiter. Wir sind hier der Gesetzgeber, und wir müssen handeln.
({7})
Ich bitte Sie: Trauen Sie sich! Auch andere Länder in
Europa haben sich getraut. Ich nenne noch einmal Norwegen. Mit Blick auf die hier schon zitierte Untersuchung muss man allerdings fragen, wer sie in Auftrag
gegeben hat. Der damalige norwegische Wirtschaftsminister, der die Quotenregelung umgesetzt hat und mit
dem ich vor kurzem gesprochen habe, erklärte mir seine
Beweggründe, warum er diesen Schritt für notwendig
hielt. Seine Antwort war: Das war kein feministischer
Schlachtruf. Auch die Fairness gegenüber Frauen hat
weniger eine Rolle gespielt. Es waren knallharte wirtschaftspolitische Interessen.
Das zeigt auch die Studie von McKinsey, die ganz aktuell veröffentlicht wurde. - Herr Präsident, ich bin sofort fertig.
Frau Kollegin, ich wollte Sie nur fragen, ob Sie eine
Zwischenfrage zulassen wollen, mit der Sie Ihre Redezeit verlängern können?
Nein, wir wollen jetzt abstimmen. Entschuldigung.
Dann kommen Sie bitte zum Schluss.
Nach dieser Studie erzielen Firmen mit der größten
Vielfalt im Vorstand - also mit Frauen und jüngeren
Männern - 53 Prozent höhere Kapitalrenditen und
14 Prozent höhere Betriebsergebnisse als Firmen mit geringerer Vielfalt. Das zeigt ganz klar: Mit Frauen in der
Spitze lässt sich ein Unternehmen noch viel erfolgreicher führen. Das sind Argumente, die eigentlich auch
unseren Wirtschaftspolitikern einleuchten müssen.
Frauen sorgen für mehr Umsatz und für mehr Kapitalzufluss. Also müssten Frauen doch dringend und sofort
eingestellt werden.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Meine Damen und Herren, Politik ist das Bohren
dicker Bretter; das wissen wir. Wenn es um Frauenpolitik geht, sind die Bretter aber besonders dick. Ich habe
immer den Eindruck: Männer bohren mit einer Black &
Decker, und wir Frauen bekommen nur einen rostigen
Handbohrer. Aber wir bohren weiter. Das verspreche ich
Ihnen.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Ziegler.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau
Pawelski, ich wollte an Sie vorhin eine Frage stellen. Ich
mache das jetzt im Rahmen einer Kurzintervention.
Wir waren uns auf dem Weg, den Sie beschrieben haben, alle sehr einig. Ich war froh darüber, dass wir es
über die Fraktionsgrenzen hinweg geschafft haben, das
Ziel zu formulieren, das uns eint, auch wenn die Wege
unterschiedlich sind. Die FDP zieht einen anderen Weg
vor. Die Mehrheit der Frauen im Parlament sagt jedenfalls, dass wir eine gesetzliche Regelung brauchen.
Könnten Sie vielleicht Ihre Kritik an dem Verfahren,
sprich an der namentlichen Abstimmung, überwinden?
Sie könnten doch sagen: Es läuft, wie es läuft, aber angesichts des Ziels, dem wir uns als Frauen verpflichtet fühlen, schauen wir über diese Schwierigkeiten hinweg. So
verhindern Sie, dass die Männer sagen: Seht einmal, die
Frauen bekommen es einfach nicht hin.
Kollegin Pawelski, bitte.
Kollegin Ziegler, wir waren in der Tat auf einem guten Weg. Ich war sehr froh, dass es auch außerhalb der
Politik genug vernünftige Menschen gibt, die gemeinsam und überparteilich an einem Ziel arbeiten wollen.
Durch diese namentliche Abstimmung zwingen Sie uns
aber in eine Position, die wir eigentlich nicht vertreten.
Wir haben darüber gesprochen, und wir haben uns auf
Sie verlassen. Ich bin daher doppelt enttäuscht, dass alles, was Sie zugesagt haben, nicht eingehalten wird.
({0})
Ich danke da auch Herrn Beck, der sich dafür eingesetzt
hat, dass die namentliche Abstimmung heute entfällt.
Wir werden an dem Ziel weiterarbeiten; denn das Ziel
ist für uns wichtiger als der Streit.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7953 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur geschlechtergerechten Besetzung von
Aufsichtsräten. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchsta-
be a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6527,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/3296 abzulehnen. Wir stimmen nun
über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Bitte denken Sie
daran, dass wir anschließend eine weitere namentliche
Abstimmung durchführen werden. Zu Tagesordnungs-
punkt 34 liegt eine ganze Reihe schriftlicher Erklärun-
gen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsord-
nung vor.1)
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre
Plätze einzunehmen. - Das ist offensichtlich erfolgt.
Dann eröffne ich die erste namentliche Abstimmung.
Ich stelle pflichtgemäß die Frage: Haben alle anwe-
senden Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? -
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das offensichtlich
so. Damit schließe ich die erste namentliche Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen.2)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der
Fraktion der SPD mit dem Titel „Quotenregelung für
Aufsichtsräte und Vorstände gesetzlich festschreiben“.
Der Ausschluss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/6527, den Antrag
der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4683 abzuleh-
nen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung
auf Verlangen der Fraktion der SPD namentlich ab. Sind
alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die zweite namentliche Abstimmung.
1) Anlagen 2 bis 5
2) Ergebnis Seite 17613 D
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte für
die zweite namentliche Abstimmung eingeworfen? -
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmun-
gen werden Ihnen später bekannt gegeben.1)
Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation
- Drucksache 17/7374 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0})
- Drucksache 17/7993 Berichterstattung:
Abgeordnete Mechthild Heil
Dr. Erik Schweickert
Nicole Maisch
Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Weiterhin liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Kein
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Bundesministerin Ilse Aigner das Wort.
({1})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sicherheit gewährleisten und Selbstbe-
stimmung ermöglichen - das ist die Zielrichtung meiner
Verbraucherpolitik, die Zielrichtung der christlich-libe-
ralen Verbraucherpolitik.
Wer Verbraucherinnen und Verbraucher stärken und
sie nicht bevormunden will, der sollte neben dem Schutz
vor allem für eines sorgen, nämlich für Transparenz. Das
Ziel ist vorgegeben. Wir gehen entschlossen Schritt für
Schritt voran.
Einen wesentlichen Schritt in diese Richtung gehen
wir mit der Novellierung des Verbraucherinformations-
gesetzes. Bürgerinnen und Bürger erhalten Auskunft
über das, was die Behörden und Ämter wissen; insbe-
sondere erhalten sie Informationen über Rechtsverstöße
1) Ergebnis Seite 17616 A
bei Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs. Das ist der Kern des Gesetzes.
Die SPD hat das in der Großen Koalition damals mit
beschlossen. Wir haben damals gemeinsam beschlossen,
das Gesetz zu evaluieren. Weniger als ein Jahr nach
Abschluss der Evaluierung haben wir heute, am 2. Dezember 2011, die zweite und dritte Lesung. Durch die
Novellierung macht die christlich-liberale Koalition das
Verbraucherinformationsgesetz noch besser, und zwar
zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({0})
Es soll einfacher, wirksamer
({1})
und noch bürgerfreundlicher werden. Wir machen es
einfacher,
({2})
indem wir die Antragstellung per E-Mail erleichtern,
({3})
Fristen streichen und das Antragsverfahren verkürzen.
Kurz und unbürokratisch - das ist das Motto.
Wir machen es wirksamer, indem wir den Anwendungsbereich ausdehnen; denn für Verbraucher ist es
schlicht nicht einzusehen, warum sie über Produkte wie
Lebensmittel und Textilien Auskunft erhalten sollen,
über Produkte wie Haushaltsgeräte, Möbel oder Spielzeug aber nicht.
({4})
Auch das sind Gegenstände des täglichen Lebens.
({5})
Hier soll das Verbraucherinformationsgesetz künftig
wirken.
({6})
Ich gebe Ihnen ein zeitgemäßes praktisches Beispiel.
Jetzt steht Weihnachten vor der Tür. Es werden sehr
viele Lichterketten verkauft. Die Gewerbeaufsichtsämter
überprüfen solche Lichterketten zum Beispiel darauf, ob
Kabel überhitzt sind oder Brände ausgelöst werden können. Über die Erkenntnisse sollen die Verbraucher informiert werden, wenn sie bei den Behörden nachfragen.
Das ist ein weiterer Fortschritt in diesem Bereich.
Wir können und wollen auch nicht alle Bereiche ins
VIG einbeziehen. Bei Finanzprodukten etwa gibt es
keine Messwerte, die objektiv feststellbar sind. Bei Finanzprodukten ist das Risiko häufig die zweite Seite der
Medaille; die erste sind die höheren Zinsen. Wer will in
welchem Bereich wie davor warnen? Manche Menschen
sind bereit, ein höheres Risiko einzugehen. Umso wichtiger sind eine gute, individuelle Beratung und eine gute
Verbraucherbildung. Deshalb verpflichten wir gerade die
Banken zu dem sogenannten Beipackzettel und den Beratungsprotokollen.
Vorgestern haben wir im Kabinett den Beschluss zur
Umsetzung des europäischen „Bruders“, der Prospektrichtlinie, in nationales Recht gefasst, und zwar genau in
unserem Sinne. Das sind keine Fragen des VIG, sondern
des Anlegerschutzes. Auch hier setzen wir auf Transparenz und Information.
({7})
Schließlich machen wir das VIG auch bürgerfreundlicher, indem wir die Kosten für die Bürgerinnen und Bürger senken. Schon im heutigen System entstehen keine
hohen Kosten. Interessant ist in diesem Zusammenhang
übrigens, dass Frau Künast seinerzeit in ihrem ersten
Entwurf für alle Anfragen - für die kleinen und für die
großen - die volle Kostendeckung vorgeschlagen hat.
({8})
Bei uns sind künftig alle Anfragen bis 250 Euro kostenfrei. Aber wir ziehen natürlich auch irgendwo eine
Grenze, die sich am Verwaltungsaufwand orientiert. Ich
denke, das ist nur gerecht. Denn sonst muss der Steuerzahler die Rechnung zahlen.
({9})
Das VIG ist auch ein Teil meines Aktionsplanes, mit
dem wir die Konsequenzen aus dem Dioxinskandal zu
Anfang des Jahres ziehen und die gesamte Kette vom
Futtertrog bis ins Ladenregal auf den Prüfstand gestellt
haben. Wir stellen mit dem VIG klar: Grenzwertüberschreitungen sind kein Geheimnis. Messergebnisse bei
Stoffen wie Dioxin, für die es Grenzwerte gibt, sind kein
Geheimnis. Auch die Lieferkette ist bei Rechtsverstößen
kein Geheimnis.
Mir ist wichtig, dass die Verbraucher auf der Basis
des VIG künftig schnell und möglichst umfassend informiert werden müssen. Rezepturen hingegen sind ausdrücklich ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis. Sie
müssen nicht offengelegt werden. Das haben wir auch
klar im Gesetzentwurf verankert.
({10})
Unser Aktionsplan ist übrigens zu weiten Teilen umgesetzt. Es waren zehn Punkte. Alles, was vom Bund geregelt werden konnte, ist erfolgreich geregelt worden.
Wo der Bund federführend war und die Möglichkeit
dazu hatte, haben wir dies gemeinsam mit den Ländern
zügig abgehandelt.
Gemeinsam handeln: Das will ich auch bei den Vorschlägen des Bundesrechnungshofes zur Organisation
des gesundheitlichen Verbraucherschutzes. Dieser Bericht wurde übrigens von mir in Auftrag gegeben. Ich
werde Vorschläge machen, wie wir gemeinsam mit den
Ländern Fortschritte machen können, etwa bei den einheitlichen Standards, der einheitlichen Überwachung
und beim Krisenmanagement.
Ich appelliere an die Länder, sich zu beteiligen, und
ich gehe davon aus, dass mich auch die Opposition in
diesem Hohen Haus dabei nachdrücklich unterstützt. Ich
appelliere an die Oppositionsparteien, bei ihren zuständigen Länderministern um Unterstützung zu werben.
Die ersten Äußerungen dazu waren nicht sehr erfolgversprechend.
({11})
Meine Damen und Herren, wir haben mit dem VIG
gute Erfahrungen gemacht. Sicher, es gab im Vorfeld
auch Bedenken vonseiten der Wirtschaft. Aber in der
Realität haben sich diese nicht bewahrheitet. Das breite
Heer der seriös wirtschaftenden Unternehmen in
Deutschland braucht keine Sorgen zu haben. Im Gegenteil: Es kann vielmehr damit rechnen, letztendlich vom
Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu profitieren.
Die christlich-liberale Koalition setzt nach wie vor
verstärkt auf Transparenz zugunsten der Verbraucher.
Wir stärken die Unternehmen durch größeres Verbrauchervertrauen. Wir machen das VIG mit Augenmaß
noch schlagkräftiger. Das VIG ist ein gutes Gesetz, und
wir machen es heute noch besser.
({12})
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, gebe ich Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelten Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmungen bekannt.
Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Entwurf
eines Gesetzes zur geschlechtergerechten Besetzung von
Aufsichtsräten -: abgegebene Stimmen 525. Mit Ja haben gestimmt 236, mit Nein haben gestimmt 281, Enthaltungen 8. Der Gesetzentwurf ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 524;
davon
ja: 235
nein: 281
enthalten: 8
Ja
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Lothar Binding ({0})
Bernhard Brinkmann
({1})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Garrelt Duin
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({2})
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({3})
Hubertus Heil ({4})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({5})
Frank Hofmann ({6})
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({7})
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({8})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({9})
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({10})
Michael Roth ({11})
Marlene Rupprecht
({12})
Axel Schäfer ({13})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({14})
Werner Schieder ({15})
Ulla Schmidt ({16})
Carsten Schneider ({17})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({18})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Harald Koch
Jan Korte
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Paul Schäfer ({19})
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({20})
Cornelia Behm
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({21})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({22})
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({23})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({24})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({25})
Dirk Fischer ({26})
Axel E. Fischer ({27})
Klaus-Peter Flosbach
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Olav Gutting
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({28})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({29})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({30})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({31})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({32})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({33})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({34})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({35})
Patrick Schnieder
Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({36})
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Thomas Strobl ({37})
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({38})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marcus Weinberg ({39})
Peter Weiß ({40})
Sabine Weiss ({41})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Klaus-Peter Willsch
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({42})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Holger Krestel
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({43})
Michael Link ({44})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({45})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({46})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({47})
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({48})
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Maria Flachsbarth
Josef Göppel
Monika Grütters
Nadine Schön ({49})
Elisabeth WinkelmeierBecker
FDP
Sylvia Canel
Helga Daub
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses: abgegebene
Stimmen 524. Mit Ja haben gestimmt 286, mit Nein haben gestimmt 236, Enthaltungen 2. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 524;
davon
ja: 286
nein: 236
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({50})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen
({51})
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({52})
Dirk Fischer ({53})
Axel E. Fischer ({54})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({55})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({56})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({57})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({58})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({59})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({60})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({61})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({62})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({63})
Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({64})
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Thomas Strobl ({65})
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({66})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marcus Weinberg ({67})
Peter Weiß ({68})
Sabine Weiss ({69})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({70})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Reiner Deutschmann
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Holger Krestel
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({71})
Michael Link ({72})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({73})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({74})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({75})
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({76})
Nein
CDU/CSU
Josef Göppel
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Lothar Binding ({77})
Bernhard Brinkmann
({78})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Garrelt Duin
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({79})
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({80})
Hubertus Heil ({81})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({82})
Frank Hofmann ({83})
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({84})
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({85})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({86})
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({87})
Michael Roth ({88})
Marlene Rupprecht
({89})
Axel Schäfer ({90})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({91})
Werner Schieder ({92})
Ulla Schmidt ({93})
Carsten Schneider ({94})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({95})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Harald Koch
Jan Korte
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Paul Schäfer ({96})
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({97})
Cornelia Behm
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({98})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({99})
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({100})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Enthalten
FDP
Sylvia Canel
Helga Daub
Wir setzen die Aussprache fort. Das Wort hat die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß von der SPD-Fraktion.
({101})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Frau Aigner, Sie gestatten - und erwarten wahrscheinlich auch -, dass ich heute einiges Wasser in den von Ihnen eben dargebotenen Wein gieße.
({0})
Denn wenn wir heute Ihren Vorschlägen zum sogenannten Verbraucherinformationsgesetz zustimmen würden,
dann hätten wir eine Chance vertan. Das heißt, Sie hätten
sie vertan.
({1})
Sie hätten die Chance vertan, mehr Transparenz für die
Verbraucherinnen und Verbraucher in dieser Legislaturperiode zu erreichen. Das ist fatal. So werden nun also
die Verbraucherinnen und Verbraucher bis zum Jahr
2013 warten müssen, bis wir dann unter einer SPD-geführten Bundesregierung endlich ein Verbrauchergesetz
auf den Weg bringen, das diesen Namen auch verdient.
({2})
Mit dem von uns initiierten Entschließungsantrag
vom Jahr 2006 haben wir eine Überprüfung des Gesetzes
nach zwei Jahren festgeschrieben. Die in der Praxis gemachten Erfahrungen sollten ausgewertet und zur Verbesserung des VIG genutzt werden. Das ist ein Verbrauchercheck, den wir grundsätzlich für alle politischen
Vorhaben fordern.
Die Überprüfung hat eindeutig gezeigt: Das VIG, das
Sie hier so preisen, ist überhaupt nicht verbraucherfreundlich. Das ist sogar noch freundlich formuliert. Wir
denken, Verbraucher müssen leicht, verständlich und
schnell erfahren können, was in und hinter Angeboten
auf dem Markt steckt. Das VIG hätte dafür ein wichtiger
Baustein sein können.
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU und von der FDP, sind leider die notwendigen Änderungen nicht angegangen. Weiterhin gibt es
keinen Auskunftsanspruch für Verbraucherinnen und
Verbraucher gegenüber den Unternehmen. Weiterhin gilt
das VIG nicht für Dienstleistungen. Ich denke, gerade in
einer Zeit, in der Finanzdienstleistungen eine wichtige
Rolle spielen, ist das ein großes Manko.
({3})
Die Kostenregelung bringt sogar Verschlechterungen
gegenüber dem alten VIG. Bisher waren nämlich alle
Anfragen zu Rechtsverstößen kostenfrei, und jetzt sollen
kostendeckende Gebühren verlangt werden können,
wenn der Verwaltungsaufwand für Anfragen zu Rechtsverstößen 1 000 Euro überschreitet. Damit werden natürlich wichtige Multiplikatoren abgeschreckt, beispielsweise die Umwelt- und die Verbraucherverbände,
({4})
aber auch kritische Journalisten.
Behörden können die Bearbeitung von Auskunftsanliegen verweigern, wenn dadurch die ordnungsgemäße
Erfüllung ihrer Aufgaben beeinträchtigt würde. Welche
Spielräume sich dadurch auftun, das überlasse ich Ihrer
Fantasie.
Proben - hören Sie bitte zu - müssen nun von mindestens zwei unabhängigen Laboren untersucht werden.
Das wird doch ganz gewiss nicht dazu führen, dass die
Bekanntgabe von Ergebnissen beschleunigt wird. Das alles ist nicht nur zu kurz gesprungen, sondern geht auch
noch in die falsche Richtung. Aber die Regierungskoalition scheint sich heute sowieso auf diesem Weg zu befinden: auf dem Weg in die falsche Richtung.
({5})
Wir brauchen also eine neue Transparenzkultur in
Deutschland. Wir brauchen alltagstaugliche und verbrauchergerechte Informationsmaßnahmen. Diese müssen als Chance begriffen und zur Selbstverständlichkeit
werden und dürfen nicht länger als Behinderung, als
Pranger oder gar als eine Gefahr für den Markt bezeichnet werden. Egal ob es um Nährwertampeln, um Offenlegungspflichten für Unternehmen, um ein Restaurantbarometer oder um die Veröffentlichung aller amtlichen
Überwachungsergebnisse geht: Das VIG könnte könnte! - zu dieser Transparenzkultur einen wichtigen
Beitrag leisten. Doch das, was Frau Aigner hier vorlegt,
verfehlt dieses Ziel.
Aber, werte Kolleginnen und Kollegen, Frau Ministerin, noch haben Sie eine Chance. Wir haben Ihnen mit
unserem Entschließungsantrag Vorschläge vorgelegt,
wie das VIG doch noch verbraucherfreundlich gestaltet
werden kann. Sie müssen einfach nur zustimmen. Wir
wollen die Behörden nämlich verpflichten, Untersuchungsergebnisse von sich aus zu veröffentlichen. Wir
wollen eine gesetzliche Grundlage für das sogenannte
Restaurantbarometer und die verstärkte Nutzung aktiver
Informationsmöglichkeiten. Wir fordern die Bundesregierung auf, ein Gesamtkonzept für Verbraucherinformationen vorzulegen und dabei sicherzustellen, dass Informationspflichten verständlich, nützlich und auch
anwendbar sind. Wir wollen die Anbieter zur Information der Verbraucher verpflichten und den Auskunftsanspruch der Verbraucherinnen und Verbraucher auf sämtliche Produkte und Dienstleistungen ausweiten. Wir
wollen die Ausschluss- und Beschränkungsgründe im
VIG eingrenzen. Wir wollen dieses Gesetz verbraucherfreundlich reformieren.
({6})
Wir freuen uns auf Ihre Unterstützung.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Erik Schweickert.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Liebe Elvira DrobinskiWeiß, du hast vorhin gesagt, ihr trätet dafür ein, dass
2013 - euer Wahlerfolg vorweggenommen - die nötigen
Korrekturen vorgenommen würden. Du hast am 11. Mai
2006 in deiner Rede zur Einbringung des VIG gesagt
- darf ich dich einmal daran erinnern? -:
Wir wollen dafür sorgen, dass dieser Wagen namens Verbraucherinformation Räder bekommt, damit er fahren kann.
({0})
Verbraucher und Verbraucherinnen müssen Zugang
zu allen Informationen haben, die ihnen eine bewusste Auswahl von Produkten und Dienstleistungen ermöglichen und eine eigenverantwortliche
Marktteilnahme gewährleisten.
({1})
Wenn das so ist, dann frage ich mich schon, warum
ihr es uns überlassen habt, den an euch selbst gestellten
Anspruch zu erfüllen. Ihr seid als Tiger gesprungen und
als Bettvorleger gelandet; denn man hat noch nicht einmal die Produktinformation geregelt.
({2})
Wir brauchen Verbraucherinformationen, die unbürokratisch und transparent sind. Denn nur ein aufgeklärter
Verbraucher ist auch ein mündiger Verbraucher. Wenn
ein Verbraucher eine Entscheidung für oder gegen einen
Kauf treffen muss, dann braucht er ausreichende Informationen. Dabei geht es um Produkte und auch um Inhaltsstoffe von Lebensmitteln. Die Lebensmittelkrise
- Stichwort: Dioxinvorfälle, Ehec - hat gezeigt: Wir
müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher schnell
warnen können.
Mehr Transparenz, bessere und schnellere Informationen sowie wirklich weniger Bürokratie, das waren die
Ziele bei unserer Novellierung des Verbraucherinformationsgesetzes. Meine Damen und Herren, liebe Verbraucherinnen und Verbraucher, die christlich-liberale Koalition hat hier wieder einmal geliefert.
({3})
Der vorliegende Gesetzentwurf trägt diesen Zielen nämlich umfassend Rechnung. Wir haben dieses Relikt aus
vergangenen Tagen - ich bin gerade darauf eingegangen überarbeitet. Die Evaluierung des alten Gesetzes hat gezeigt, dass es ein Gesetz von gestern war. Lassen Sie mich
vier Punkte anführen, die belegen, welche Schwachstellen
es gab.
Erstens. Es gab nur sehr wenige Anfragen: 487; ich
war einer derjenigen, die eine solche Anfrage gestellt haben. 66 Prozent dieser Anfragen kamen nicht einmal von
Verbraucherinnen und Verbrauchern, sondern von Journalisten und Fachverbänden.
Zweitens. Die Antragstellung war außerordentlich bürokratisch. Man wusste nicht, ob die Antragsbearbeitung
etwas kostet. Es wurden zwar 80 Prozent aller Anfragen
kostenfrei bearbeitet, aber ich wusste es vorher nicht.
Drittens. Dazu kam, dass der Anwendungsbereich des
VIG auf den Bereich der Lebensmittel beschränkt blieb,
obwohl man wohl etwas anderes wollte.
Viertens. Das VIG hat sich in der Praxis im Hinblick
auf die aus den verschiedenen Lebensmittelskandalen
- Dioxinvorfälle, Ehec-Ausbreitung - zu ziehenden
Konsequenzen nicht als tauglich erwiesen. Wir gestalten
dieses Gesetz jetzt umfassender, transparenter, bürgernäher und unbürokratischer; denn wir weiten den Informationsanspruch aus. Für den Verbraucher ist es wichtig,
möglichst viel zu wissen. Wenn ihm der Föhn am Kopf
explodiert oder wenn er feststellt, dass ein Lebensmittel
ungenießbar ist, dann hat er künftig die Möglichkeit, die
nötigen Informationen zu bekommen.
Wir fördern auch die schnelle Verbraucherinformation bei Grenzwertüberschreitungen und Verstößen gegen das Lebensmittelgesetzbuch. Das heißt, die Behörden haben mit dem VIG jetzt endlich die Grundlage,
künftig zeitnah zu veröffentlichen und bei Verstößen für
Verbraucherschutz zu sorgen. Das ist insbesondere dann
relevant, wenn Gefahren für die menschliche Gesundheit
bestehen.
({4})
- Zu der komme ich gleich, Herr Kelber. - Wir machen
es unbürokratischer, weil die Anträge künftig per Telefon oder per E-Mail gestellt werden können. Es entsteht
mehr Transparenz bezüglich der Gebühren; denn ich
weiß künftig, ob es mich etwas kostet. Seien wir einmal
ehrlich: Ein Verwaltungskostenaufwand bis zu 250 Euro
ist grundsätzlich kostenfrei, und für bestimmte Informationen besteht sogar Kostenfreiheit bis zu einem Verwaltungsaufwand von 1 000 Euro. Damit machen wir dem
herrschenden Gebührenwirrwarr ein Ende.
Auch den Unternehmen, die sich übrigens in der vergangenen Woche mit großer Verärgerung über den Gesetzentwurf an mich gewandt haben, möchte ich sagen:
Das Gesetz ist ein fairer Ausgleich zwischen dem berechtigten Anspruch der Verbraucher auf schnellere Informationen und auf Transparenz und dem ebenso berechtigten Interesse der Unternehmen, dass sie nicht an
den Pranger gestellt werden, nicht fälschlicherweise verdächtigt werden bzw. ihre Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse nicht verletzt werden.
({5})
Wir schützen dadurch die redlich arbeitenden Unternehmer, da bei einer Veröffentlichung das öffentliche Interesse gegenüber dem Schutz des Betriebsgeheimnisses
klar überwiegen muss. Außerdem ziehen wir eine Bagatellgrenze ein, damit nicht jeder lapidare Verstoß veröffentlicht wird. Sie liegt bei einer Forderung von
350 Euro. Das wird in jeder Kommune so gehandhabt.
Wir sorgen ebenfalls dafür, dass es zwei amtliche Proben
geben muss, die den Verstoß bestätigen, bevor eine Behörde veröffentlichen darf. Somit gehen wir gegen
Messfehler vor, und wir tragen zu einer gestärkten
Rechtssicherheit für die Unternehmen, aber auch für die
Behörden bei. Das heißt, die verfassungsrechtlichen
Grundsätze sind gewahrt. Die Informationen müssen valide sein. Denn Hysterie hilft keinem Verbraucher, sondern nur tatsächliche und wahre Information.
({6})
Auch der effektive Rechtsschutz ist gewahrt; denn
selbstverständlich steht es den Unternehmen weiterhin
frei, vor einem ordentlichen Gericht zu klagen. Aber wir
verkürzen das Widerspruchsverfahren bei der Behörde
auf maximal 14 Tage. Das ist auch nicht ungewöhnlich;
denn in § 80 der Verwaltungsgerichtsordnung steht
schon heute, Herr Kelber, dass die Länder im Bereich
der landeseigenen Verwaltung auf Widerspruchsverfahren ganz verzichten können.
Anders als die Opposition lehnen wir eine Ausdehnung der Informationspflicht auf Unternehmen ab und
sehen dies bei der Novellierung des VIG auch nicht vor.
Denn redlich arbeitende Unternehmer stehen bereits
heute im Austausch mit ihren Kunden; das interessiert
sie, und sie nehmen diesen Austausch auch wahr.
({7})
Außerdem bieten die Unternehmen umfassende Informationen auf den Produkten und zum Beispiel auch auf
ihren Webseiten an. Ein gesetzlich fixierter Auskunftsanspruch mit Fristen usw. würde zu keiner Verbesserung
der bisherigen Auskunftsmöglichkeiten führen,
({8})
dafür aber zu einer bürokratischen Überfrachtung
({9})
insbesondere kleiner und mittelständischer Unternehmen. Deswegen halten wir einen weitergehenden Auskunftsanspruch gegenüber den Unternehmen direkt für
entbehrlich.
({10})
Meine Damen und Herren, mehr Transparenz statt Bürokratie, einfachere, aber dafür für die Verbraucher verständliche und im Alltag anwendbare Informationen dafür stehen wir als Freie Demokraten, und dafür haben
wir uns als christlich-liberale Koalition bei der Novellierung des Verbraucherinformationsgesetzes eingesetzt.
Durch die Novellierung des Verbraucherinformationsgesetzes wird es nun das, was es schon immer hätte
sein sollen: ein Transparenzgesetz.
Vielen Dank.
({11})
Für die Linken hat jetzt die Kollegin Caren Lay das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Menschen, die Verbraucherinnen und Verbraucher, machen sich sehr viele Sorgen, und sie stellen
sich viele Fragen. Beispielsweise fragen sie, was in den
Lebensmitteln steckt, die sie essen, und welche Dienstleistungen sie wirklich kaufen, zum Beispiel: Hält die
Aufschrift auf der Käseverpackung, was sie verspricht?
Ist der mir angebotene Kredit optimal, oder wird er mir
nur deswegen angeboten, weil die Gewinnspanne für das
Unternehmen besonders groß ist? Ist der Handyanbieter
durch versteckte Kosten aufgefallen? Häufen sich bei einem Energieversorger die Beschwerden? Kann ich der
Hygiene in der Imbissbude vertrauen?
Auf die meisten dieser Fragen bietet der vorliegende
Gesetzentwurf leider keine ausreichende Antwort. Denn
auch künftig werden Verbraucherrechte eingeschränkt
bleiben. Das schwarz-gelbe Verbraucherinformationsgesetz bietet keine Auskunftsmöglichkeit für Dienstleistungen, obwohl dies gerade bei den Finanzdienstleistungen das Gebot der Stunde wäre. Verbraucherinnen und
Verbraucher verlieren jährlich zweistellige Milliardenbeträge allein durch Falschberatung. Hier haben Sie erneut
die Chance verpasst, dieser Abzocke endlich einen Riegel vorzuschieben.
Auch in der Telekommunikations- und der Energiebranche sieht es nicht besser aus. Auch hier häufen sich
die Beschwerden der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ausgerechnet an dieser Stelle kneift die Regierung.
Das ist für uns als Linke einfach nicht hinnehmbar.
({0})
Auch zukünftig muss der Umweg über die Behörden
gegangen werden. Viel einfacher wäre es in der Tat, direkt von den Unternehmen Auskunft zu verlangen, und
wenn die Unternehmen dies nicht freiwillig tun, dann
muss man sie dazu verpflichten. Auch hier beugt sich die
Koalition den Unternehmensinteressen. Wir als Linke
stellen dem konsequent Verbraucherrechte entgegen.
Dann das leidige Thema der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse: Statt konsequent Verbraucherrechte durchzusetzen, verzettelt sich die Regierung in Einschränkungen, um die sogenannten Geheimhaltungsinteressen von
Unternehmen zu schützen. Ich kann nur sagen: Der vorliegende Gesetzentwurf wird an der Geheimniskrämerei
in Amtsstuben und in Vorstandsetagen wenig ändern.
({1})
Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bezahlen
auch die Arbeit der Behörden. Ich denke, es ist ihr gutes
Recht, dass die Informationen, die den Behörden vorliegen, proaktiv veröffentlicht werden. Das können die
Steuerzahler erwarten.
Meine Damen und Herren, was müsste ein modernes
Verbraucherinformationsgesetz leisten, damit es seinen
Namen tatsächlich verdient? Der Entschließungsantrag
der Linken macht einige gute Vorschläge. Wir finden, ob
Futtermittel oder Finanzdienstleistungen, alle Informationen müssen zugänglich sein. Wir wollen also, dass
das Verbraucherinformationsgesetz für alle Produkte und
Dienstleistungen gilt. Das hat in der letzten Wahlperiode
übrigens nicht nur die Linke, sondern auch die FDP gefordert. Ich teile Ihre Kritik, dass der Gesetzentwurf, den
die SPD mitgetragen hat, nicht das Gelbe vom Ei war.
Ich muss aber auch sagen, verehrter Herr Schweickert:
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
({2})
Sie haben am Anfang der Debatte im Verbraucherausschuss angekündigt, dass Sie den ganz großen Wurf planen. Sie wollten das VIG sogar mit dem Informationsfreiheitsgesetz verknüpfen und dadurch den Auskunftsanspruch weiter ausbauen. Jetzt ist aus meiner Sicht ein
lächerliches Gesetz herausgekommen, das im Endeffekt
kaum Verbesserungen bringt.
Wir als Linke fordern deswegen einen direkten Auskunftsanspruch gegenüber Unternehmen.
({3})
Der Behördenweg ist einfach viel zu bürokratisch. Wenn
es so sein sollte, dass die redlichen Unternehmen ohnehin zu Auskünften bereit sind, dann sollten wir heute den
Mut haben, die unredlichen Unternehmen dazu zu zwingen.
({4})
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schweickert?
Aber selbstverständlich.
Herr Schweickert, bitte schön.
Frau Kollegin Lay, herzlichen Dank für das Zulassen
meiner Zwischenfrage.
Gerne.
Sie haben die Zusammenlegung von VIG, IFG und
UIG, wie sie auch im Koalitionsvertrag steht, angesprochen. Ich stelle die Frage: Ist Ihnen bekannt, dass wir als
Bundesgesetzgeber - das hat die Evaluierung dieses Vorhabens ergeben - keine Kompetenz für die Schaffung eines einheitlichen Informationszugangsgesetzes für Bund
und Länder haben? Ist Ihnen bekannt, dass das IFG insbesondere in der Kompetenz der Länder liegt und dass
die Bereitschaft der Länder zur Übernahme der geltenden Modellgesetze des Bundes nicht zu erkennen war?
Das war der Grund, warum es nicht geschehen ist. Ist Ihnen weiterhin bekannt, dass der Verbraucher, wenn er Informationen über Finanzdienstleistungen möchte, diese
trotzdem einholen kann, dann zwar nicht über das Verbraucherinformationsgesetz, aber über das Informationsfreiheitsgesetz? Das ist zwar ein anderes Gesetz, aber
der Verbraucher hat die gleichen Auskunftsansprüche.
Ja, verehrter Herr Kollege, das ist mir selbstverständlich bekannt. Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass ich
zu Beginn dieser Debatte skeptisch war, ob man diese
Gesetze tatsächlich zusammenlegen sollte. Ich kann Sie
aber nur an Ihren Worten und Ihren Taten messen. Sie
waren es, der diesen Vorschlag am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens gemacht hat. Ich muss feststellen:
Vieles von dem, wofür Sie gekämpft haben, wofür Sie
sich zu Recht eingesetzt haben, ist am Ende leider nicht
in dem Gesetzentwurf gelandet. Ich muss Sie hier also
tatsächlich an Ihren Taten messen. Wenn Sie anderen
vorwerfen, dass sie ihren ursprünglichen Versprechungen nicht nachgekommen sind, dann müssen Sie sich
diese Kritik leider auch umgekehrt gefallen lassen.
({0})
Meine Damen und Herren, ein weiterer Gedanke.
Verbraucherinformation darf natürlich keine Frage des
Geldbeutels sein. Deswegen sagen wir als Linke: Die
Anfragen an Behörden müssen kostenfrei sein. Wie gesagt: Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben dafür gezahlt, dass die Behörden diese Informationen sammeln. Deswegen sagen wir: Die Behörden müssen von
sich aus, proaktiv, informieren.
Ich finde es sehr bedauerlich, dass es in dieser Debatte häufig so dargestellt wird, als würde das VIG von
Verbraucherverbänden sowie Journalistinnen und Journalisten ausgenutzt. Ich denke, sie leisten eine gute Arbeit im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher;
das müssen wir anerkennen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Das Verbraucherinformationsgesetz ist das zentrale Verbrauchergesetz. Insofern sollte es gewissermaßen das
Meisterstück der Verbraucherministerin sein. Gemessen
an dem Ergebnis, das Sie uns heute vorgestellt haben,
kann ich nur sagen: durchgefallen!
({2})
Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen die
Ablehnung des Gesetzentwurfes. Dieses Verbraucherinformationsgesetz verdient seinen Namen nicht.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicole Maisch vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin! Die Debatte um das Verbraucherinformationsgesetz steht exemplarisch für Ilse Aigners Verbraucherpolitik. Nur wenige Tage nach Veröffentlichung
des - so kann man es nennen - verheerenden Gutachtens
über die Organisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes in Deutschland, das der Präsident des Bundesrechnungshofes erstellt hat, beweisen Sie mit diesem
Gesetzentwurf wieder einmal: Wir haben es mit einer
Ministerin zu tun, die wenig will und noch weniger erreicht.
({0})
Ich will Ihnen das an zwei Beispielen deutlich machen:
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Der Kabinettsentwurf war in diesem Bereich ein kleiner Schritt in die
richtige Richtung: mehr Abwägung sowie die Feststellung, dass Rechtsverstöße keine Betriebs- und Unternehmensgeheimnisse darstellen. Aber die Mehrheitsfraktionen haben den zarten Vorstoß der Ministerin kassiert: Sie
haben dem Entwurf mit einem Änderungsantrag die
Zähne gezogen. Der Ausschlusstatbestand der „sonstigen
wettbewerbsrelevanten Informationen“, der zu Recht aus
dem alten VIG gestrichen wurde, wird jetzt durch „sonstiges geheimnisgeschütztes technisches oder kaufmännisches Wissen“ ersetzt. Konsequenz: Es ist alles so
schlecht wie zuvor.
Wir haben hier eine Ministerin, die nicht für mehr
Verbraucherschutz kämpft, sondern auch die kleinsten
Verbesserungen mehr oder weniger kampflos kassieren
lässt. Ich finde, das ist für eine Verbraucherschutzministerin sehr dürftig.
({1})
Nehmen wir das zweite Beispiel: Hygienekennzeichnungen an Restaurants. Ich zitiere das Hamburger
Abendblatt vom Herbst 2010:
Aigner will bundesweit einheitliche Smileys für
Restaurants
Im Mai dieses Jahres stand im Focus:
Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner ({2})
sagte zu, die rechtlichen Grundlagen dafür zu
schaffen, dass das Kontrollbarometer bundesweit
einheitlich eingeführt werden kann.
Nur leider steht das nicht im Gesetzentwurf: Dieses Verbraucherinformationsgesetz enthält keine rechtlichen
Grundlagen für ein bundesweit einheitliches Hygienesiegel.
Wer, wie der grüne Stadtrat in Pankow, einen Smiley
einführen will, der muss das mit erheblichen Rechtsunsicherheiten auf Eigeninitiative tun. Wir haben Ihnen aber
hier einen grünen Entschließungsantrag zur Abstimmung gestellt. Dem können Sie zustimmen. Damit ist die
Lösung des Problems zumindest auf den Weg gebracht.
Wir haben von Ilse Aigner gar keine mutigen Schritte
zu mehr Informationsfreiheit erwartet. Nehmen wir die
Ausweitung der Informationsansprüche auf Unternehmen. Das ist ein dringend notwendiger Schritt. Niemand
hat diese Notwendigkeit besser begründet als Staatssekretär Peter Bleser. Ich zitiere, was er an diesem Mittwoch im Ausschuss gesagt hat: Es zeugt von Naivität, zu
glauben, dass ein Unternehmen freiwillig darüber Auskunft geben wird, wo ein Fehler besteht. Das entspricht
nicht der Lebenswirklichkeit. - Wahre Worte aus berufenem Mund, gesprochen an diesem Mittwoch.
({3})
Dem muss man nicht mehr viel hinzufügen. Stimmen
Sie unserem Änderungsantrag auf Informationsansprüche gegenüber Unternehmen zu und folgen Sie den wahren Worten des Staatssekretärs.
({4})
Meine Damen und Herren, mit unseren Anträgen wollen wir nicht weniger als eine neue Informationskultur
gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern erreichen. Es geht um größtmögliche Transparenz und um
einfache, rechtlich abgesicherte Informationen für Verbraucher, aber auch für Medien und für die Verbände,
die im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher
agieren. Ehrlich gesagt halte ich die Kostenregelung
- auch die Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace und
Foodwatch verweisen darauf - für einen Schritt zurück.
Das hätte man sich sparen können.
Wir möchten einen Informationsanspruch gegenüber
Verwaltung und Unternehmen - Herr Bleser hat sehr
wortreich und sehr gut begründet, warum das notwendig
ist -, und wir wollen Informationen zu allen verbraucherrelevanten Bereichen, zu Produkten und zu Dienstleistungen. Wir wollen einen Smiley, ein Kontrollbarometer oder was auch immer. Wir wollen aktive
Informationen durch die Behörden und handhabbaren
Vollzug, damit die Behörde vor Ort nicht ständig Angst
haben muss, beklagt zu werden.
({5})
Dies alles wird die Märkte verändern und echte Wahlfreiheit ermöglichen. Dass Sie das nicht wollen, zeigt,
dass Sie wieder einmal Wirtschaftskompetenz mit
Lobbyismus für Unternehmensinteressen verwechselt
haben. Das ist ziemlich schade.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Mechthild Heil von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem neuen Verbraucherinformationsgesetz werden wir das Recht der Bürger und Bürgerinnen
auf Information und auch auf selbstbestimmte Kaufentscheidung stärken. Das Gesetz wird den Verbrauchern,
die sich dafür interessieren, umfassende, einfache,
schnelle und kostengünstige Informationen bringen: umfassende Informationen, weil ihnen neben Informationen
zu Lebensmitteln und Kosmetika auch Auskunft über
Spielzeug, Haushaltsgeräte und technische Produkte gegeben wird; einfachere Informationen, weil in Zukunft
eine formlose E-Mail oder ein Anruf ausreichen werden,
um eine Anfrage beantwortet zu bekommen; schnelle Informationen, weil wir die Einspruchsmöglichkeiten und
-fristen für Unternehmen optimieren. Hierbei nutzen wir
die verwaltungsrechtlich vorgesehenen Instrumente zur
Beschleunigung der behördlichen Verfahren und übernehmen die seit Jahren bewährten Regelungen aus dem
Umweltinformationsrecht. Unser Gesetz wird zu kostengünstigeren Informationen führen, weil erstmals alle Anfragen bis 250 Euro vollständig kostenfrei sind - darüber
haben wir schon gesprochen -, bei Anfragen zu Rechtsverstößen sogar bis 1 000 Euro. Kein Verbraucher wird
sich in Zukunft von hohen Verwaltungskosten abschrecken lassen.
Allerdings wird es in Zukunft nicht mehr möglich
sein, umfangreiche Recherchen kostenlos bei den Verwaltungen in Auftrag zu geben, die deren Arbeitskraft
auf Tage, Wochen und - wie es leider bei manchen Anfragen in der Vergangenheit im Einzelfall geschehen ist
- auf Monate binden. Diese Kosten werden in Zukunft
nicht mehr von der Allgemeinheit getragen, und das ist
richtig so.
Mit dem runderneuerten Entwurf des Verbraucherinformationsgesetzes ist ein guter Balanceakt zwischen
Verbraucherinteressen auf der einen Seite und Wirtschaftsinteressen auf der anderen Seite gelungen. Warum
ist das für uns als christlich-liberale Koalition so wichtig? Joseph Stiglitz, der Wirtschaftsnobelpreisträger aus
dem Jahre 2001 und frühere Ökonom der Weltbank, hat
gesagt:
Der informierte Verbraucher ist kein Feind der Produzenten, sondern ein wichtiger Partner im Marktgeschehen.
Anders ausgedrückt: Der Verbraucher ermöglicht durch
eine ausgewählte Kaufentscheidung erst den Wettbewerb. Ist der Kunde gut informiert, kann er Akteure am
Markt belohnen und schwarze Schafe aus dem Markt
verdrängen. Dieses Verhältnis von Verbrauchern und
Herstellern ist Bedingung dafür, dass sich gute Produkte
auf unseren Märkten durchsetzen können und dass Unternehmer weiterhin innovativ sein können.
Die Bedeutung von guter Information und freier
Kaufentscheidung wird auch in der Öffentlichkeit wieder hohes Ansehen erlangen, wenn der nächste Lebensmitteleklat oder der nächste Gammelfleischskandal die
Schlagzeilen beherrschen sollte. Wie war das in der
Ehec-Krise? Täglich verloren sorgsam und verantwortlich arbeitende Bauern gutes Geld, weil ein einzelner
Biobetrieb mit Keimen verseuchte Sprossen aus Ägypten eingeführt hat. Genauso beim Dioxingeschehen: Ein
Produzent panscht, eine ganze Branche leidet, verliert
Millionen und muss das kriminelle Fehlverhalten eines
Einzelnen ausbaden. Das ändern wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf.
({0})
Mit diesem Gesetz wird es uns leichter gelingen, Probleme möglichst frühzeitig zu benennen und dann die
Öffentlichkeit, aber vor allen Dingen auch die Unterneh17624
men in der Branche zu informieren und damit letztlich
den Verbraucher zu schützen. Verbraucher und Wirtschaft begegnen sich aufgrund des VIG zunehmend auf
Augenhöhe. So soll es sein.
Der Gegenentwurf der SPD ist recht simpel. Verbraucherschutz ist Sozialpolitik. Das ist das neue Credo.
({1})
Das haben Sie, Frau Drobinski-Weiß, die verbraucherschutzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, gegenüber Hauptstadtjournalisten verkündet. Noch einmal:
Verbraucherschutz ist für Sie Sozialpolitik.
({2})
Das SPD-Prinzip heißt salopp formuliert: Super-Nanny
statt Information und Entscheidungsfreiheit,
({3})
keine Begegnung auf Augenhöhe, kein Wettbewerb,
aber eine Entmachtung der Verbraucher zugunsten des
Staates, eine Reduzierung auf ihre angebliche Hilflosigkeit. Diesem Verbraucherbild werden wir uns nicht anschließen.
({4})
Wären Sie ehrlich, Frau Drobinski-Weiß, würden Sie
heute hier keine Kritik an unserem Gesetzentwurf üben,
sondern Ihre Kritik an den A-Ländern, an den SPDgeführten Ländern, formulieren.
({5})
Vielleicht wollen Sie Ihre Kritik noch einmal wiederholen. Ich kann aus einem Brief zitieren. Mit Erlaubnis
des Präsidenten darf ich zitieren:
({6})
Wir haben die Situation, dass die Bundesregierung
verbraucherfreundlicher agiert als die A-Seite.
({7})
Für die Zuhörer: Die A-Seite sind die SPD-regierten
Länder.
({8})
Eine CSU-Ministerin hat einen verbraucherfreundlichen Gesetzentwurf durchgesetzt, den die A-Länder zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher
verwässern.
Sehr geehrte Kollegin, es wäre anständig gewesen,
wenn Sie das auch heute, an dieser Stelle, gesagt hätten.
Ihr Kollege hat aber gleich noch Gelegenheit, das zu sagen.
({9})
Unsere Alternative zur Bevormundung der Verbraucher ist die Information und Stärkung der Souveränität
der Verbraucher. Uns geht es bei der Novellierung des
VIG um eine Kultur der Transparenz - für die Wirtschaft
und für die Behörden.
({10})
Die Internetseite www.lebensmittelwarnung.de war ein
erster Schritt. Das novellierte VIG wird ein weiterer
Baustein dieser Kultur sein.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Kelber von der
SPD-Fraktion.
({0})
Die Reden der Kollegin Heil sind immer ein besonderes Erlebnis. Heute haben wir zusammengefasst lernen
dürfen: Sozialpolitik ist Entmündigung der Menschen.
({0})
Vielen Dank für diese Erkenntnis, für die es tosenden
Beifall Ihrer Fraktion gegeben hat.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer über Verbraucherinformation spricht, sollte am
Anfang über Grundsätze sprechen. Der erste Grundsatz
ist: Alle Informationen, alle Daten, über die der Staat
verfügt, gehören den Bürgerinnen und Bürgern. Das ist
die Auffassung der SPD. Das gilt natürlich gerade für
verbraucherrelevante Informationen wie Ergebnisse von
Hygieneprüfungen, wie Informationen über Verstöße gegen das Lebensmittelrecht, über Datenmissbräuche, über
Gift in Spielzeug, aber auch über die Ergebnisse von Sicherheitsüberprüfungen.
Solange nicht unbeteiligte Dritte betroffen sind und
solange nicht wirklich wichtige Geschäftsgeheimnisse
betroffen sind - teilweise ist es lächerlich, was als Geschäftsgeheimnis deklariert wird -, gelten drei einfache
Regeln: volle Transparenz aller öffentlichen Daten, einfacher, möglichst kostenloser und schneller Zugriff schneller Zugriff, Herr Schweickert,
({1})
nicht zwei Wochen Einspruchsrecht, doppelte Prüfung
etc. ({2})
und als Regelfall die aktive Information durch die Behörden. Man darf die Daten nicht einheimsen und hoffen, dass sich keiner danach erkundigt, damit man auf
den Daten sitzen bleiben kann.
({3})
Keines dieser drei Ziele wird mit dem Gesetzentwurf
von Schwarz-Gelb zur Änderung des Verbraucherinformationsgesetzes erreicht. Frau Aigner, in der Tat - diesbezüglich ist richtig zitiert worden - haben wir uns in
der Großen Koalition gemeinsam für die erste Novelle
des Verbraucherinformationsgesetzes - das ist das, was
heute ansteht - sehr viel mehr Punkte vorgenommen.
Das kann man in den Unterlagen von 2006 nachlesen.
Wo ist denn Ihr Schneid in dieser Frage abgeblieben? Sie
haben es sich in der PR-Ecke der Verbraucherpolitik sehr
gemütlich gemacht.
Warum beschränken Sie das VIG weiterhin auf Produkte? Das ist ein großer Fehler.
({4})
Die Menschen erwarten doch auch Informationen über
Dienstleistungen, Finanzprodukte und, um ein anderes
Beispiel zu nennen, über Testergebnisse bei Indoorspielplätzen. Es kann doch nicht Ihrem Verständnis entsprechen, dass die Bürgerinnen und Bürger jedes Mal, bevor
sie einen Indoorspielplatz besuchen, mit Hinweis auf das
Informationsfreiheitsgesetz des Landes bei einer Behörde anfragen müssen, ob dort Erkenntnisse über Sicherheitsmängel bei dem Indoorspielplatz vorliegen, zu
dem sie mit ihren Kindern fahren wollen. Warum dieser
Rückzieher gegenüber den Plänen der Großen Koalition? Dazu haben Sie, Frau Aigner, nichts gesagt und
auch die Rednerinnen und Redner der Koalition nicht.
({5})
Nach wie vor wird die aktive Information nicht der Regelfall werden. Nach wie vor ist die Abwägungsklausel
enthalten. Nach wie vor ist aus „sollen“ nicht „müssen“
geworden. Haben die Verbraucherinnen und Verbraucher
etwa kein Recht, zu wissen, wer Haltbarkeitsdaten verändert hat, wer Gammelfleisch weiterverkauft hat? Sind
Täuschungen wirklich ein Geschäftsgeheimnis, Frau
Aigner?
({6})
Diese Einstellung kann ich nicht nachvollziehen.
Wer austeilt, muss auch einstecken können. Das gilt
auch für die Unternehmen. Es geht gar nicht um einen
allgemeinen Auskunftsanspruch der kleinen und mittleren Unternehmen, der diese vielleicht überfordern
würde,
({7})
sondern es geht darum, dass Unternehmen, die für ihre
Dienstleistungen oder Produkte werben, indem sie auf
eine besondere Eigenschaft hinweisen, die zum Beispiel
sagen, sie hätten das beste oder sauberste Produkt, einen
Auskunftsanspruch gegenüber den Bürgerinnen und
Bürgern erfüllen müssen. Das ist doch normal: Wer etwas verspricht, muss prüfen lassen, ob er sein Versprechen auch einhält. Wer das verweigert, verweigert Fairness zwischen Verbraucherinnen und Verbrauchern und
Unternehmen, Frau Aigner.
({8})
Schwarz-Gelb will Journalisten und Nichtregierungsorganisationen die Arbeit erschweren. Ich komme noch
einmal auf das Beispiel des Indoorspielplatzes zurück.
Ist es wirklich Ihr Verständnis, dass jeder einzelne Besucher eine Anfrage bezüglich des Indoorspielplatzes stellen muss - jedenfalls wenn es einmal im Verbraucherinformationsgesetz stehen wird; jetzt ist es im
Informationsfreiheitsgesetz - und dass er hoffen muss,
dass die Kosten unter 250 Euro bleiben? Ist es nicht vielmehr normal, dass eine örtliche Zeitung, die über Ausflugsziele informiert, eine entsprechende Abfrage zum
Beispiel bei der Stiftung Warentest vornimmt,
({9})
und zwar über alle Indoorspielplätze, und diese dann
veröffentlicht? Sie sagen: Das würde mehr Geld kosten,
ihr müsstet dafür zahlen.
({10})
Das heißt, sie wollen die schnelle Information der Bürgerinnen und Bürger durch die Zivilgesellschaft erschweren. Ich empfinde das als unanständig.
({11})
Frau Heil - ich erläutere dies, damit Sie es verstehen -, Sie sprechen ja gerne über Anreize. Wenn eine
Behörde alle Kosten, die ihr entstehen, auch dadurch,
dass sie ihre Daten schlecht organisiert hat, den anfragenden Bürgerinnen und Bürgern oder Journalisten aufs
Auge drücken darf, wo ist dann der Anreiz, diese Daten
in eine neue, moderne und schnell abrufbare öffentlich
transparente Form zu übertragen? Schließlich müssen
die Bürgerinnen und Bürger die Kosten tragen. Das geht
so nicht.
({12})
Wir haben Ihnen in der Tat ein umfangreiches Paket
mit ganz konkreten Änderungsvorschlägen vorgelegt.
Die Hälfte davon war übrigens bereits zwischen CDU/
CSU und SPD vereinbart, auch mit dir, lieber Peter
Bleser; damals warst du Sprecher, heute bist du Staatssekretär. Aber man hat schon damals gemerkt, dass es
nicht ehrlich gemeint war. Das musste auch Herr
Schweickert für die FDP feststellen, als er seine Vorschläge zurücknehmen musste.
({13})
Ein solches neues Verbraucherinformationsgesetz
würde eine Gesamtkonzeption für den Verbraucherschutz bilden. Derzeit wird eine Gesamtkonzeption
durch die Ministerin, ihr Themen-Hopping und ihre Kamerasucht verhindert. Man kann Wetten darauf abschließen: Wenn morgens der Verbraucherzentrale Bundesverband eine Forderung erhebt, dann gibt es am Nachmittag
eine Pressemitteilung von Frau Aigner, in der sie Kollegen, Bundesländern oder Unternehmen einen Vorschlag
macht, was diese tun sollen. Wir warten darauf, dass Sie
das tun, was in Ihrem eigenen Schwerpunktbereich liegt.
Sie sollten keine Ankündigungsministerin sein, sondern
eine Tatenministerin.
({14})
Auch diese Novelle führt in die falsche Richtung.
({15})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt das Wort der Kollege Josef Rief von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Der hier vorgelegte Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Verbraucherinformationsgesetzes und
zu Weiterentwicklungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches zeigt die Handlungsfähigkeit der Koalition.
({0})
Der Verbraucherschutz in Deutschland ist ein emotional
sehr geladenes Thema. Emotionen ersetzen aber keine
fachliche Kompetenz.
Wir haben eine erkenntnisorientierte Politik in der Sache zu machen. Die Opposition gibt sich Extremforderungen von einem hoch aufgeheizten Teil einzelner Interessengruppen hin. Wir unterscheiden - anders als
manche von Ihnen - nicht zwischen guten und schlechten Lobbyisten, sondern wir nehmen Verbraucherschutz
sehr ernst und gehen mit dem Informationsbedürfnis der
Verbraucher konstruktiv um.
({1})
Mit diesen Verbesserungen im Lebensmittel- und Futtermittelrecht - die Ministerin hat es ausgeführt - ziehen
wir die Lehren aus der Dioxinproblematik, die uns zu
Beginn des Jahres beschäftigt hat. Wir setzen damit den
Dioxin-Aktionsplan vom Januar und die Erklärung der
Verbraucherschutz- und Agrarminister von Bund und
Ländern um.
Der Umgang der Opposition mit der Situation war
wieder einmal typisch. Statt zur Aufklärung über die Belastung beizutragen, wurde einfach auf die Pauke gehauen. Es war damals schon eine Unverschämtheit
- heute wissen wir es genau -, in diesem Zusammenhang den Rücktritt der Ministerin zu fordern.
({2})
Nicht der Einzelfall - und es war ein Einzelfall - wurde
diskutiert, sondern Panik verbreitet.
({3})
Herr Kollege Rief, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kelber?
Ich glaube, der Erkenntnisgewinn ist am Ende des
Gesetzgebungsverfahrens nicht so hoch. Vielleicht sage
ich noch das, wonach Sie fragen möchten.
({0})
Man könnte sich als Bürger die Hände reiben und
dem Schauspiel vergnügt zusehen, wären nicht den deutschen Landwirten und dem vor- und nachgelagerten Bereich Schäden in Höhe von rund 0,5 Milliarden Euro entstanden. Allein in meinem Wahlkreis Biberach waren es
mehrere Millionen Euro aufgrund von Schäden, die
durch Preisverfall, etwa bei Fleischprodukten, hervorgerufen wurden. Diese Schäden lassen sich auf die Panikmache der Opposition zurückführen. Das geht so nicht!
({1})
Meine Damen und Herren von den Grünen,
({2})
hier bestand zu keiner Zeit auch nur eine geringe Möglichkeit, dass Menschen gefährdet sein könnten. Man
kann nur hoffen, dass die Auswirkungen von Ehec etwas
Demut gelehrt haben. Hier sind bedauerlicherweise
Menschen zu Schaden gekommen, und wir mussten sogar Todesopfer beklagen. Mir tut auch dieser biologisch
wirtschaftende Betrieb leid. Nach allem, was wir wissen,
trifft ihn keine Schuld. An diesen Auswirkungen sehen
Sie, wie unglaublich daneben Ihre Kampagne im Dioxinfall war.
({3})
Mit den heutigen Änderungen stellen wir die Futtermittelbranche nicht unter Generalverdacht. Wir kommen
vielmehr den berechtigten Informationswünschen der
Endverbraucher nach. Denn eines ist sicher: Ein Unternehmer, der vorsätzlich gesetzwidrig handelt, wird dies
niemals freiwillig preisgeben. Wir haben aber Mechanismen geschaffen, die es schwarzen Schafen künftig sehr
viel schwerer machen. Es ist niemandem gedient und es
schadet auch dem Ansehen dieses Hauses, wenn Verbraucherschutz für parteitaktische Spielchen missbraucht wird.
({4})
Beim Verbraucherschutz ist schlichtes Abwägen gefordert und nicht immer weitergehende Forderungen, wenn
der Verbraucherschutz gerade erst weiter verbessert
wurde.
Auch die Forderungen der SPD sind hier nicht sachgerecht.
({5})
Ich sehe schon den Tag, an dem in jeder kleinen Bäckerei an jedem Brötchen ein Zettel hängt, auf dem der
CO2-Fußabdruck, eine Ampel und ein Smiley stehen und
zusätzlich, wer den Weizen angebaut und wer das Mehl
transportiert hat. Der Zettel ist dann so groß, dass man
das Brötchen mehrfach einpacken könnte, und teurer als
das Produkt selbst. Das wird es mit uns nicht geben.
({6})
Verbraucherinformation ist gut und richtig. Sie muss
aber praxistauglich und marktgerecht sein sowie vom
Kunden und nicht nur von einzelnen Interessengruppen
nachgefragt werden.
({7})
Dem trägt unsere Politik mit diesem Gesetz Rechnung.
Vielen Dank.
({8})
Der Herr Kollege Kelber möchte eine Kurzintervention machen, weil ihm eine Zwischenfrage abgelehnt
worden ist. Bitte schön, Herr Kelber.
Die Zwischenfrage wollte ich vorhin nur stellen, weil
gesagt wurde, wir hätten damals in dem Dioxinskandal
für Hysterie gesorgt. Es ging um direkte Ansprache. Ich mache einen kurzen Faktencheck: Am ersten Werktag nach Bekanntwerden des Dioxinskandals ist sowohl
die SPD mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten als auch die Ministerin. Der Vorschlag der Ministerin - der erste, Frau Aigner, es gab ja noch mehrere danach - besagte, sie möchte eine neue Selbstverpflichtung
der Industrie.
({0})
Ein Punkt abgeschlossen.
Die SPD hat in Absprache mit den Bundesländern ein
15-Punkte-Paket vorgeschlagen. Von diesen 15 Punkten
finden Sie 14 zum Teil wortgleich in dem Beschluss der
Länder mit dem Bund wieder, weil diese Punkte natürlich von unseren Ländern dort eingebracht wurden.
Wenn aber alle beschlossenen 14 Punkte ursprünglich
von der SPD vorgeschlagen worden waren ({1})
alle 14 Punkte, die Länder und Bund später beschlossen
haben, waren am ersten Werktag nach Bekanntwerden
des Dioxinskandals Teil von 15 Punkten der SPD -,
dann möchten Sie mir doch bitte erklären, wo wir für
Hysterie gesorgt haben sollen, wenn Sie unsere Vorschläge beschließen. Dann hätten Sie ja unsere Hysterie
übernommen.
Kollege Rief, Sie können erwidern.
Herr Kelber, ich habe mich auf das bezogen, was am
Abend des 11. Januar in einer Sondersitzung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
({0})
von Teilen der Opposition gefordert wurde: der Rücktritt
der Ministerin. Das war nicht hinnehmbar, das war hoffnungslos daneben, das war weit überzogen, weil die
Ministerin sich keinerlei Schuld aufgeladen hatte. Darauf habe ich mich bezogen.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Rechts der Verbraucherinformation. Der Aus-
schuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/7993, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/7374 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen.
Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstim-
men.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Änderungsantrag auf Drucksache 17/8019. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/8020. Wer
stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Än-
derungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen
bei Enthaltung der Linken.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/8021. Wer
stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die-
ser Änderungsantrag ist wiederum abgelehnt mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Oppositionsfraktionen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Entschließungsanträge ab.
Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/8022. Wer stimmt dafür? - Dagegen? -
Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustim-
mung der SPD und der Linken und Enthaltung der Grü-
nen.
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/8023. Wer stimmt dafür? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/8024. Wer stimmt dafür? -
Dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Recht auf ein Guthabenkonto einführen Kontopfändungsschutz sichern
- Drucksache 17/7823 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Rechtsausschuss ({1})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Federführung strittig
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Dr. Gerhard Schick, Ingrid Hönlinger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verbraucherrecht auf Basisgirokonto für jedermann gesetzlich verankern
- Drucksache 17/7954 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Rechtsausschuss ({4})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({5})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Carsten Sieling von der SPDFraktion das Wort.
({6})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
legen Ihnen heute einen Antrag vor, mit dem wir Sozialdemokraten erreichen wollen, dass die Menschen in unserem Lande gleichberechtigt die Möglichkeit haben, am
Geldverkehr teilzunehmen und Bankdienstleistungen in
Anspruch zu nehmen. Man muss wissen, dass insgesamt
670 000 Menschen in diesem Land keine Möglichkeit
haben, ein Girokonto zu bekommen, und damit von vielem ausgeschlossen sind. Das ist etwas, das wir ändern
wollen.
({0})
Dieses Thema ist nicht neu - keineswegs. Seit 1995
gibt es Versuche, hier eine Veränderung herbeizuführen.
Ende Dezember dieses Jahres wird die Bundesregierung
zum Girokonto für jedermann, wie es heißt, den mittlerweile sechsten Bericht seit 2002 vorlegen. 1995 haben
sich die Banken selbst verpflichtet, allen Menschen, die
dies wollen, ein solches Konto anzubieten. Die Lage ist
ernüchternd; die Zahlen, wie viele Menschen von dieser
Möglichkeit nach wie vor ausgeschlossen sind, habe ich
genannt. Es wird schlicht verweigert, den Menschen ein
solches Konto einzurichten. Natürlich wird dieses Recht
vor allem Leuten, die überschuldet sind, verwehrt.
Man muss sich die Situation vor Augen führen: Wenn
Weihnachten vor der Tür steht, stehen auch Weihnachtseinkäufe vor der Tür. Ich vermute, die meisten, die in
diesem Raum sitzen, verfügen über eine Kreditkarte und
haben beim Einkauf, auch wenn sie kein Bargeld bei
sich haben, gar keine Probleme. Wahrscheinlich hat jeder von Ihnen die Möglichkeit, mit seiner EC-Karte
Geld an einem Automaten abzuheben und Rechnungen
online zu bezahlen. Das ist für einen großen Teil unserer
Bevölkerung nicht möglich. Diese Menschen müssen
mit Bargeld ausgestattet einkaufen gehen. Wenn sie eine
Rechnung bekommen, müssen sie in einer Bank eine
Überweisung vornehmen. Das Problem, das im Zusammenhang mit Überweisungen und Einzahlungen in Banken besteht, ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn
Menschen kein Konto haben, bedeutet dies für sie, dass
sie keine Zeitung abonnieren können, dass ihre Miete
nicht automatisch eingezogen wird und dass es für sie
- das betrifft die Vertragsebene - praktisch unmöglich
ist, einen Handyvertrag abzuschließen oder andere
Dinge, die im heutigen Leben, wie ich glaube, ganz normal sind, anzuschaffen.
Warum ist das alles so schwierig, und wodurch wird
die Situation zusätzlich erschwert? Jeder, der schon einmal eine Einzahlung vorgenommen hat, ohne über ein
Konto zu verfügen, weiß, dass pro Überweisung 10,
manchmal sogar 20 Euro Gebühren anfallen. Ich will
deutlich machen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Gerade den Menschen, die kein oder wenig Geld haben,
entstehen dadurch Extrakosten. Das muss geändert werden. Deshalb schlagen wir vor, endlich Nägel mit Köpfen zu machen.
({1})
Das ist ein Prozess, bei dem schon viele Wege beschritten wurden und der schon sehr lange andauert. Man
ist der Kreditwirtschaft sehr weit entgegengekommen.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es schon 1995
eine freiwillige Vereinbarung gegeben hat. Passiert ist
aber wenig bzw. nichts. Bestenfalls die Sparkassen haben
reagiert. Man hat daher einen zweiten Versuch unternommen und die Verabredung getroffen, das sogenannte
Pfändungsschutzkonto einzuführen. Damit möchte man
für eine Kostenreduktion sorgen und dazu beitragen, dass
sich - quasi im Gegenzug - auf freiwilliger Basis etwas
bewegt. Aber es hat alles nichts genützt. Es hat keine Änderung gegeben. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, gesetzlich zu reagieren. Das ist der Vorschlag, den wir in unserem Antrag machen.
({2})
Es ist nicht etwa so, dass wir hier über ein rein deutsches Problem reden. Die EU-Kommission hat gerade
eine Mitteilung zu diesem Thema auf den Weg gebracht.
Das ist nämlich ein europaweites Problem. Es wäre gut,
wenn wir in Deutschland eine klare Regelung treffen
und auf diesem Gebiet voranschreiten würden. Dazu gehört, dass wir zu dem, was auf europäischer Ebene erarbeitet wird, Stellungnahmen abgeben und entsprechende
Botschaften formulieren.
Wir als SPD legen Ihnen mit diesem Antrag als Erste
ein umfassendes Konzept zu diesem Thema vor.
({3})
Drei Punkte daraus möchte ich nennen: Erstens. Jeder
muss die Möglichkeit haben, ein Girokonto einschließlich der Basisfunktionen zu bekommen. Zweitens. Der
Preistreiberei bei den Pfändungsschutzkonten, den sogenannten P-Konten, indem gerade von den Menschen, die
die größten Schwierigkeiten haben, erhöhte Gebühren
verlangt werden, muss gesetzlich Einhalt geboten werden. Drittens brauchen wir natürlich auch eine funktionierende und aktive Schuldnerberatung; das wird in den
Ländern umgesetzt werden müssen. - Diese drei Dinge
gehören zusammen, um einem großen Teil der Menschen in diesem Lande eine Perspektive zu geben. Ich
hoffe, dass wir mit unserem Antrag die Probleme lösen
können, und werbe um Ihre Unterstützung.
({4})
Ich sage das natürlich insbesondere in Richtung der Koalition, weil es wichtig ist, dass wir an diesem Punkt
nicht in Attentismus verharren. Es muss gehandelt werden; denn alle Menschen in diesem Lande sollen wissen vielleicht gerade auch in den letzten Wochen dieses Jahres -, dass es uns darum geht, die Menschen gleichzubehandeln.
({5})
- Herr Brinkhaus, da Sie so fröhlich dazwischenrufen:
Sie sind ja bekannt als jemand, der bei seinen Reden
zwei Herzen in der Brust hat.
({6})
Auf der einen Seite ist es Ihnen durchaus gegeben, sachlich, an den Fakten orientiert zu argumentieren. Selten
treten Sie hier mit eher - ich darf das einmal salopp formulieren - ideologiegeschwängerten Reden auf.
({7})
Herr Kollege, ich würde mir wünschen, dass Sie heute
- Sie haben gleich die Gelegenheit dazu - Ihre sachliche
Ader entfalten
({8})
und gerade vor Weihnachten deutlich machen, dass Ihre
Koalition diesen richtigen Weg unterstützt. Vielleicht
können Sie dann fröhlich - mit dem Gedanken an ein
Girokonto für alle - „Es ist ein Ros entsprungen“ singen.
Es wäre gut, wenn wir heute, kurz vor dem 2. Advent,
den Anfang machen würden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Damit hat der Kollege Ralph Brinkhaus das Wort, der
ja schon die inhaltlichen Vorgaben geliefert bekommen
hat.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! Ich werde Ihnen einen
Gefallen tun: Ich werde garantiert nicht singen. Ich
glaube, das wäre das Schrecklichste, was ich Ihnen antun
könnte.
Meine Damen und Herren! Es ist tatsächlich ein ernstes Thema. Wenn man in der heutigen modernen Welt
nicht bargeldlos zahlen kann, ist das schlecht. Man hat
an bestimmten Dingen keine Teilhabe, und - Herr
Sieling, Sie haben das erwähnt - es macht das Leben
ziemlich umständlich. Dementsprechend ist es schon legitim, zu fordern, dass die Menschen, wenn irgendwie
möglich, Zugang zu einem Girokonto haben.
Man kann nun schauen, wie das im KWG, im Kreditwesengesetz, geregelt ist. Im Bürgerlichen Gesetzbuch
gibt es dazu keine Regelung; in einigen Sparkassengesetzen - in genau acht - gibt es dazu eine Regelung.
({0})
Man sollte sich eigentlich die Frage stellen: Warum nicht
in allen? Ist es nicht Teil der Legitimation der Sparkassen, allen Menschen ein entsprechendes Konto zur Verfügung zu stellen? Dementsprechend kann man durchaus
einmal nachfragen, ob hier alles richtig läuft.
Wir haben eine Rechtsprechung zu diesem Thema. Es
gibt Urteile, die den Kontrahierungszwang bestätigen:
Banken müssen diese Konten eröffnen, wenn es zumutbar ist. - Auf europäischer Ebene gibt es die Empfehlung, kontolosen Menschen ein Girokonto zur Verfügung zu stellen. Die Europäische Kommission arbeitet
an einer Initiative, so etwas gesetzlich auf den Weg zu
bringen. Darüber hinaus - Sie haben es angesprochen hat der Zentrale Kreditausschuss eine Empfehlung abgegeben. Es gibt auch eine entsprechende Bundesratsinitiative.
Wo ist das Problem? Das Problem ist, dass die Bundesregierung in ihrem Bericht von 2008 attestiert hat
- die Veröffentlichung des nächsten Berichts wird sich
übrigens wegen der Problematik des Pfändungsschutzkontos verzögern -, dass es in Deutschland eine sechsstellige Zahl von Menschen gibt, die gegen ihren Willen
- das ist ganz wichtig - kein Konto haben. Man muss realistischerweise sagen, dass nicht alle Menschen gegen
ihren Willen kein Konto haben; es gibt durchaus auch
andere Gründe, kein Konto zu haben. Insofern sollte
man die Zahlen entsprechend bewerten.
Wir haben durchaus den Anspruch, das, was dieser
Bericht enthält, parlamentarisch umzusetzen und gegebenenfalls in gesetzliche Initiativen münden zu lassen.
Sie haben diesem Verfahren vorgegriffen; das ist Ihr
gutes Recht als Opposition. Sie haben - das gilt nicht nur
für die SPD, sondern auch für die Grünen - Ihre Positionen aufgeschrieben. Diese Positionen werden von uns in
einem erheblichen Umfang geteilt; das ist überhaupt
keine Frage. Wir werden sie auch in das parlamentarische Verfahren einbeziehen, und wir hoffen, dass wir da
zu einem guten Ende kommen.
Was sind Ihre Positionen im Einzelnen? Die SPD
möchte, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt,
dass jedermann unter zumutbaren Bedingungen Zugang
zu einem Girokonto hat. Sie möchte eine europäische
Harmonisierung dieser Regelung. Die Grünen fordern in
Ergänzung dazu mehr Transparenz in diesem Prozess
und die Offenlegung der maßgeblichen Zahlen. Das ist
alles gut und richtig.
Ich will unsere Bewertung dazu relativ kurz ausführen. Erstens. Ein Gesetz zu erlassen, wenn irgendetwas
nicht klappt, ist immer die Ultima Ratio. Wir sollten also
schauen, ob es tatsächlich notwendig ist, diesen Bereich
auf eine gesetzliche Ebene zu hieven. Die Antwort auf
diese Frage haben wir noch nicht gegeben. Das heißt,
wir werden das im parlamentarischen Verfahren prüfen.
Zweitens. Auch wir sind immer dafür, das, was sich auf
europäischer Ebene entwickelt, möglichst auch in
Deutschland zu übernehmen. Es wäre also nicht klug,
zwei Dinge auf einmal zu machen. Dies gilt es meines
Erachtens zu beachten.
Ein weiterer Punkt, den Sie angesprochen haben, betrifft das Pfändungsschutzkonto. Dies haben wir noch in
der Großen Koalition auf den Weg gebracht. Wir haben
dabei den Sachverhalt aufgegriffen, dass gerade die
Menschen, denen ein Konto gepfändet wird, oftmals ein
Problem damit haben, ihr Konto zu behalten. Auch bei
ihnen besteht die Gefahr, ihr Konto zu verlieren. Also
hat man die Möglichkeit zur Einrichtung eines Pfändungsschutzkontos geschaffen.
({1})
Das war erst einmal gut. Es gibt aber zwei Probleme,
die uns das Leben ein wenig schwer machen könnten.
Das erste Problem ist, dass die Pfändungsschutzkonten
- diesbezüglich haben uns einige Informationen erreicht;
es ist allerdings empirisch nicht flächendeckend nachgewiesen - teilweise mit zu hohen Entgelten belegt worden
sind. Das geht nicht; denn Menschen, die kein Geld haben, können in dieser Situation keine Entgelte für ihr
Konto zahlen. Das zweite Problem ist, dass die Information über diese Pfändungsschutzkonten vielleicht etwas
besser hätte sein können. Auch das hat die SPD in ihrem
Antrag - die Grünen haben es nicht getan - adressiert.
Sie haben deswegen vorgeschlagen, dass man eine Entgeltbegrenzung für diese Pfändungsschutzkonten auf
den Weg bringt und dass man durch eine verstärkte
Schuldnerberatung besser informiert.
Auch dazu will ich eine Bewertung abgeben: Erstens.
Auch hier warten wir den Bericht der Bundesregierung
ab. Wir verfolgen sehr genau, wie sich die Entgeltpolitik
im Bereich der Pfändungsschutzkonten entwickelt.
({2})
Zweitens. Wir sehen mit großer Skepsis, dass - so die entsprechende Rechtsprechung - solche Konten mit einem
angemessenen Entgelt belegt werden dürfen. Da müssen
wir gesetzlich eingreifen. Aber auch da muss man abwarten, was passiert.
In einem Punkt besteht Dissens. Sie fordern die Länder auf, die Schuldnerberatung weiter zu verstärken. Es
ist die sozialdemokratische Art der Problembewältigung,
mehr Menschen im sozialen Bereich zu beschäftigen und
so mehr Kapazitäten zu schaffen.
({3})
Das lehnen wir prinzipiell ab. Im Übrigen sind wir für
die Länder nicht zuständig.
Herr Sieling, ich komme jetzt zum emotionalen Teil
meines Beitrags; das muss ich hier auch noch einpflegen. Es gehört zu Ihrer Klientelpolitik, möglichst viel
Beschäftigung im sozialen Raum zu schaffen.
({4})
Ich halte das aber für untauglich.
Insgesamt gesehen, kann man sagen, dass wir in vielen Punkten übereinstimmen. Wir werden das Vorhaben
verantwortungsvoll begleiten und werden ein gut verlaufendes parlamentarisches Verfahren aufsetzen, das die
Bundesregierung unterstützen wird.
Lassen Sie mich im Vorgriff auf die noch folgenden
Beiträge sagen: Ich halte den Versuch der Opposition,
Deutschland verbraucherschutzpolitisch immer wieder
als Entwicklungsland darzustellen, für untauglich. Sie
zeichnen ein Bild von der Verbrauchersituation in
Deutschland, das der Realität in keiner Weise entspricht.
Sie sprechen verharmlosend in Ihren Anträgen davon,
das alles sei notwendig. Nein, Sie machen Parteipolitik
und versuchen, ein Feld aufzumachen
({5})
und dort Probleme zu generieren, wo es keine gibt. Die
meisten Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland - das gilt auch für den Finanzdienstleistungsbereich - sind mit dem, was sie haben, zufrieden.
({6})
Es ist schlichtweg eine Mär, dass die Bundesregierung
auf diesem Feld nichts macht. Wir haben allein im letzten halben Jahr zwei Gesetze dazu auf den Weg gebracht; ich möchte auch die Umsetzung der OGAW-IVRichtlinie nennen.
Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Die christlichliberale Koalition und die von ihr getragene Bundesregierung haben im Bereich Verbraucherschutz mit Blick
auf den Finanzdienstleistungsbereich mehr getan als
viele Regierungen zuvor. Das gilt es hier und heute am
Freitagnachmittag anzuerkennen.
Vielen Dank.
({7})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin Caren Lay.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Heute ist in der Tat der Nachmittag des Verbraucherschutzes. Die Koalition hat heute insgesamt dreimal
die Möglichkeit, die Rechte der Verbraucherinnen und
Verbraucher deutlich zu stärken. Beim vorangegangenen
Tagesordnungspunkt hat sie ihre Chance leider vertan.
Wir hoffen, dass sie bei diesem und beim übernächsten
Tagesordnungspunkt klüger agieren wird.
Meine Damen und Herren, können Sie sich ein Leben
ohne Bankkonto vorstellen? Das Girokonto ist aus dem
Alltag kaum wegzudenken. Egal ob es um die Aufnahme
einer Erwerbstätigkeit, die Überweisung der Miete, die
Begleichung von Strom- und Handyrechnungen oder um
das Zahlen von Versicherungsbeiträgen geht, ein Girokonto wird vorausgesetzt. Es ist für die übergroße Mehrheit der Menschen auch völlig normal, im Supermarkt,
im Restaurant oder an der Tankstelle mit Karte zu zahlen.
Können Sie sich vorstellen, dass über 670 000 Haushalte in Deutschland davon ausgeschlossen sind, dass
Menschen ohne Bankkonto leben müssen? Das bedeutet
nicht nur Benachteiligung bei der Arbeits- und Wohnungssuche. Es kommen auch hohe Extrakosten hinzu.
Jede Bareinzahlung kostet - je nach Anbieter - zwischen
5 und 15 Euro. Das heißt, Erwerbslose bekommen zuerst
kein Konto und müssen dann für eine Barüberweisung
extra zahlen. Das ist wirklich absurd. Es wird höchste
Zeit, dass wir das abstellen.
({0})
Vor allem überschuldete Verbraucherinnen und Verbraucher haben Probleme, ein Girokonto zu eröffnen. Das
heißt, wer ohnehin knapp bei Kasse ist, wird zusätzlich
belastet. Wir als Linke halten das für sozial ungerecht
und unzumutbar.
Die Koalition aus CDU/CSU und FDP hat in der Tat
bislang keinen Schritt unternommen, diesen skandalösen
Zustand zu beenden. Es gibt bereits seit 15 Jahren eine
freiwillige Selbstverpflichtung in Deutschland, dass
Kreditinstitute ein Girokonto für alle anbieten sollen.
Das Ergebnis ist aber: Seit 15 Jahren funktioniert das
nicht. Diese Selbstverpflichtung ist schlichtweg albern.
Herr Kollege Brinkhaus, ein Gesetzentwurf in dieser Sache ist daher nicht die Ultima Ratio, sondern längst überfällig.
({1})
Noch einmal zur Verbraucherpolitik der Bundesregierung. Die Frankfurter Rundschau hat vor ein paar Monaten über folgenden Vorgang berichtet: Die Europäische
Kommission wollte das Recht auf ein Basiskonto im
Rahmen einer rechtsverbindlichen Verordnung veran17632
kern. Auf Drängen der Bundesrepublik Deutschland
wurde aus einer rechtsverbindlichen Verordnung dann
lediglich eine Empfehlung. So sieht schwarz-gelbe Verbraucherpolitik aus. Sie hat ihren Namen nicht verdient.
({2})
Sie hätten hier die Möglichkeit gehabt, zu einer wirkungsvollen gesetzlichen Regelung beizutragen. Aber
Sie haben sie sogar verhindert. Wenn Sie sich nun rühmen, im Bereich des finanziellen Verbraucherschutzes
viel erreicht zu haben, dann kann ich nur sagen: Das entbehrt jeglicher Grundlage.
({3})
- Ich habe zuvor alle Initiativen der Bundesregierung im
Bereich des finanziellen Verbraucherschutzes - so viele
sind es nicht - angesprochen.
({4})
Ich bleibe bei meiner Aussage.
Kommen wir zum P-Konto. Es freut mich, zu hören,
dass auch Ihnen bekannt ist, dass dies kein optimales Instrument ist.
({5})
Es gibt sehr viele Probleme mit dem P-Konto. Wer Pfändungsschutz beantragt, der wird teilweise mit der Kündigung seines Kontos bestraft. Wer ein P-Konto eingerichtet bekommt, dem werden bestimmte Basisleistungen
gestrichen. Kreditinstitute verwehren dann beispielsweise kostenloses Onlinebanking, sperren Kreditkarten
und streichen Daueraufträge. Auf all diese Probleme machen die Verbraucherverbände seit langem aufmerksam.
Es ist daher dringend notwendig, das zu regeln.
({6})
Das Girokonto für alle muss jedem Menschen unabhängig von seiner finanziellen Situation zur Verfügung
stehen. Das ist unsere Position als Linke. Es muss ein
Verbraucherrecht auf ein kostenloses Girokonto für alle
geben; denn für Hartz-IV-Bezieher sind 3 Euro schon
jede Menge Geld.
Selbstverständlich muss ein Girokonto für jedermann
auch alle Basisfunktionen bieten. Dazu gehören Überweisungen, Lastschriften und auch die elektronische
Geldkarte.
({7})
- Zur Dispoabzocke kommen wir beim übernächsten Tagesordnungspunkt. Ich bin sehr gespannt, was Sie an
dieser Stelle anzubieten haben.
({8})
Wir Linke sagen, dass pro Person ein Girokonto automatisch pfändungsgeschützt sein muss. Nur so ist die
Stigmatisierung, die mit der Beantragung eines P-Kontos bisher einhergeht, zu verhindern.
Die Bundesregierung muss aus unserer Sicht endlich
handeln. Sie muss die Banken zwingen, ein Girokonto
für jeden Bürger und für jede Bürgerin anzubieten.
({9})
Für die FDP spricht jetzt der Kollege Dr. Daniel Volk.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Frau Lay, was Sie gerade dargelegt
haben, hat ziemlich deutlich gezeigt, dass wir in diesem
Bereich Probleme haben,
({0})
dass wir aber einige Probleme nicht einfach mit einer
plumpen gesetzlichen Regelung werden ändern können.
({1})
Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.
Ich bin immer sehr zurückhaltend, den Bürgerinnen
und Bürgern dieses Landes zu sagen: Wenn wir ein Gesetz machen, haben wir das Problem gelöst.
({2})
Man sollte sich das Problem etwas genauer anschauen,
um zu sehen, wo wir Änderungen vornehmen müssen
oder wo es möglicherweise auf der jetzigen gesetzlichen
Grundlage schon Verbesserungen gibt.
({3})
Es ist klar, dass das Girokonto für die heutige Teilnahme am Wirtschaftsverkehr unerlässlich ist; das ist
keine Frage. Klar ist auch, dass wir mit dem Pfändungsschutzkonto schon einen deutlichen Schritt nach vorne
gemacht haben. Damit besteht eine sehr gute Einrichtung. Gleichzeitig müssen wir aber zur Kenntnis nehmen, dass die gesetzliche Verpflichtung der Banken, für
jedermann ein Konto einzurichten, in einigen Bundesländern bereits besteht.
({4})
Frau Kollegin Lay, das ist es, was ich vorhin mit dem
Stichwort „Subsidiarität“ meinte: Auf welcher politischen Ebene ist die Frage am besten zu klären?
({5})
Es zeigt sich, dass es in den Bundesländern, die die Regelung im Sparkassengesetz bzw. in einer Sparkassenverordnung verankert haben, die hier aufgezeigten Probleme nicht gibt.
Herr Sieling, hier spreche ich Sie ganz persönlich an.
Sie sind Abgeordneter aus dem Bundesland Bremen.
({6})
Sie waren in der Bremischen Bürgerschaft an einer nicht
unwichtigen Position tätig. Sie haben sich offenbar in
Bremen nicht dazu durchringen können, genau das, was
Sie hier im Bundestag fordern, in der Bremischen Bürgerschaft als gesetzliche Regelung in das dortige Sparkassengesetz oder die Sparkassenverordnung aufzunehmen.
({7})
Dasselbe betrifft das Bundesland Berlin, wo die Linksfraktion über Jahre an der Regierung beteiligt war. In der
Zeit der Regierungsbeteiligung der Linksfraktion in Berlin konnte man sich offenbar nicht durchringen, im Berliner Abgeordnetenhaus eine gesetzliche Regelung
durchzusetzen.
Herr Kollege Volk, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Sieling?
Nein, ich möchte gerne fortfahren. - Insofern ist es
schon etwas verwunderlich, dass Sie dies dort, wo Sie es
machen könnten, nicht machen, und das dort, wo Sie es
nicht machen können, fordern. Vor diesem Hintergrund
kann man sagen, dass der Antrag zumindest in dieser
Richtung wohl eher ein Schaufensterantrag ist.
Ich habe mit großem Interesse die Zwischenrufe der
SPD-Fraktion bezüglich der Schuldnerberatung in den
Bundesländern verfolgt. Wir sind uns einig, dass die
Bundesländer dafür zuständig sind. Deshalb formulieren
Sie in Ihrem Antrag, die Bundesregierung möge die Länder auffordern, sich für den Ausbau der Beratungen einzusetzen.
({0})
Ich sage einmal: Die Länder, die von der SPD und den
Grünen regiert werden, können das von sich aus machen.
Das wäre ganz gut; das ist schließlich Ihre Position.
({1})
Sie haben vorhin in einem Zwischenruf darauf hingewiesen, dass man teilweise sechs Monate auf einen
Schuldnerberatungstermin warten müsse. Sollte ein Bundesland dieses Problem haben, kann ich nur sagen: Es
gibt auch andere Formen der Schuldnerberatung. Es gibt
nicht nur die Schuldnerberatungsstellen, die übrigens einen sehr guten Job machen - das will ich nicht in Abrede
stellen -, sondern auch noch andere Möglichkeiten.
Jemand, der beschränkte finanzielle Mittel hat, kann
sich beim Amtsgericht einen Beratungsschein besorgen
und einen Rechtsanwalt aufsuchen. Ich kann Ihnen versichern: Dort kriegt er sicherlich sehr viel schneller einen Termin für eine Schuldnerberatung als bei einer
Schuldnerberatungsstelle, bei der möglicherweise sechs
Monate Wartezeit besteht. Insofern haben wir auch in
diesem Punkt, meine ich, eine ausreichende gesetzliche
Grundlage.
Im Übrigen empfehle ich, die entsprechenden Berichte der Bundesregierung abzuwarten. Die SPD, die
den Antrag vorgelegt hat, hatte selber über elf Jahre lang
Verantwortung im Finanzministerium und hat die Berichte erst einmal abgewartet. Ich glaube, wir sollten die
Berichte abwarten und uns dann auf der Grundlage dieser Berichte näher mit dem Problem befassen.
Abschließend möchte ich auf eines hinweisen: Ich
glaube, dass wir gut beraten wären, keine bundeseinheitliche Regelung zu machen und darin auch noch die Kontengebühren auf Euro und Cent festzulegen. Ich glaube,
wir sind besser beraten, die Zuständigkeit der Bundesländer zu akzeptieren, entsprechende Regelungen zu
schaffen.
Ich lade die hiesigen Oppositionsfraktionen ein, die
Vorschläge, die sie hier in einem Schaufensterantrag
vorlegen, in den von ihnen regierten Bundesländern umzusetzen.
Vielen Dank.
({2})
Die Ablehnung der Zwischenfragen hat zwei Kurzinterventionen provoziert, und zwar des Kollegen
Sieling und der Frau Kollegin Lay. Ich rufe die beiden
nacheinander auf; dann können Sie im Zusammenhang
antworten. - Bitte schön, Herr Sieling.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Volk, da
Sie auch in Bremen geboren sind und dort sogar zur
Schule gegangen sind,
({0})
bevor Sie in den tieferen Süden geflohen sind, will ich
zur Kenntnis nehmen, dass Sie vielleicht nicht voll informiert sind. Aber ich möchte deutlich sagen, dass es
durchaus eine Initiative für ein Girokonto für alle gegeben hat, und zwar in der Zeit, als ich Fraktionsvorsitzender in der Bremischen Bürgerschaft war.
Das Problem besteht allerdings darin, dass Bremen
eine freie Sparkasse hat. Darüber hat es entsprechende
juristische Auseinandersetzungen gegeben, die gerade
gezeigt haben, dass wir eine bundesweite Regelung
brauchen, um für den gesamten Kreditsektor - darum
geht es im Übrigen; denn wir wollen nicht, dass das private Kreditgewerbe benachteiligt wird - eine Regelung
zu schaffen. Dafür plädiere ich ausdrücklich.
Den von Ihnen angesprochenen Bericht wollen wir
selbstverständlich abwarten. Das ist die erste Initiative.
Ich würde mich freuen, wenn Sie sich den richtigen Ausführungen des Kollegen Brinkhaus anschließen und den
Bericht, wenn er vorliegt, konstruktiv prüfen würden - er
wird uns sicherlich keine Verbesserungen aufzeigen -,
damit wir dann unsere Initiative aufgreifen und umsetzen
können.
({1})
Frau Kollegin Lay.
Herr Präsident! Herr Kollege, auch ich nutze die Gelegenheit zu einer Kurzintervention, weil Sie mir keine
Gelegenheit zu einer Zwischenfrage gegeben haben.
Ich muss darauf hinweisen, dass es die Linksfraktion
war, die beispielsweise im Landtag des Saarlandes beantragt hat, ein Girokonto für alle einzuführen. Das ist von
allen anderen abgelehnt worden. Es ist also auch von der
FDP abgelehnt worden, die dort gemeinsam mit der
CDU an der Regierung ist.
({0})
- Und von den Grünen. - Mich interessiert, wie Sie sich
das erklären. Sie sagen auf der einen Seite: Wir können
auf der Bundesebene keine gesetzliche Regelung schaffen; das sollen die Länder tun. Auf der anderen Seite
sorgt Ihre Partei dafür, wenn wie im Saarland von der
Linken die Initiative eingebracht wird, ein Girokonto für
alle einzuführen, dass dies abgelehnt wird.
Ich muss mich sehr wundern. Der Redner der CDU/
CSU verweist auf ausbleibende Regelungen auf europäischer Ebene.
({1})
Die FDP verweist auf die Subsidiarität und damit auf
die Verantwortung der Länder. Ich habe das Gefühl, dass
ein gemeinsamer Konsens darin besteht, dass Sie sich
auf Bundesebene der Verantwortung entziehen wollen.
Jetzt zur Erwiderung Kollege Volk.
Herr Kollege Sieling, ich möchte darauf hinweisen,
dass in Bremen eine entsprechende Rechtsprechung
existiert, nach der ein Kontrahierungszwang aufgrund
einer fehlenden landesgesetzlichen Bestimmung besteht.
Ich halte die juristischen Argumente, die Sie hier kurz
angedeutet haben, also für vorgeschoben. Ich glaube
sehr wohl, dass es auch im Bundesland Bremen möglich
ist, eine entsprechende Bestimmung in das Sparkassengesetz bzw. die Sparkassenverordnung aufzunehmen.
Frau Kollegin Lay, ich habe noch vor Augen, wie der
Antrag der Linksfraktion im saarländischen Landtag
aussah. Das Problem war nicht das Konto für jedermann,
sondern das Problem waren die weiteren Punkte, die die
Linksfraktion mit aufgenommen hatte. Diese haben dazu
geführt, dass der Antrag von den Regierungsfraktionen
abgelehnt werden musste.
({0})
Dann hat jetzt die Kollegin Nicole Maisch von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
dachte, es würde Konsens darüber bestehen, dass ein Girokonto Voraussetzung für die Teilnahme am Wirtschaftsleben ist und dass man denjenigen, die kein Konto haben,
helfen muss.
({0})
Herr Dr. Volk hat diesen Konsens wortreich, aber inhaltsleer aufgekündigt. Das finde ich ziemlich peinlich
für die FDP.
({1})
Wir wissen alle: Ein Girokonto ist kein Luxus. Vielmehr
ist eine Bankverbindung Grundvoraussetzung für die
Teilnahme nicht nur am Wirtschaftsleben, sondern auch
an vielen, vielen anderen gesellschaftlichen Lebensbereichen. Deshalb hat mich der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses gebeten, dass der Antrag auch in
diesem Ausschuss beraten werden soll. Ich denke, da gehört er auch hin.
Die Kolleginnen und Kollegen haben ausgeführt, dass
es sehr viele Menschen in Deutschland gibt, 670 000
Menschen über 21 Jahre, die über kein Konto verfügen.
Die öffentliche Hand zahlt dafür. Im Jahr 2007 waren
das 17 Millionen Euro an Zusatzkosten für Barauszahlungen. Das heißt, das ist auch für die Verwaltung ein finanzielles Problem.
Viele Menschen bekommen kein Konto, auch wenn
sie ein Recht darauf hätten. Das zeigen uns die Berichte
der Verbraucher- und Schuldnerberatungen. Deshalb ist
es längst an der Zeit, hier einen Rechtsanspruch einzuführen. Ich finde es sehr gut, dass Herr Brinkhaus gesagt
hat, er will das zumindest vorurteilsfrei prüfen.
({2})
Die FDP kann davon noch lernen.
Ich möchte jetzt aber wenig über allgemeine und theoretische Sachen sprechen, sondern ich möchte Sie einladen, sich einfach einmal vorzustellen, wie es ist, ohne ein
Konto zu leben.
Stellen wir uns einmal Sabine P., 43 Jahre alt, zwei
Kinder, vor. Wie lebt sie ohne Konto? Das Kindergeld
wird normalerweise überwiesen. Um das per Scheck
ausgezahlt zu bekommen, ist eine teure und auch ziemlich peinliche Ämterrennerei erforderlich.
({3})
- Sabine P. wohnt in Berlin. Die Geschichte mit der
Scheckauszahlung basiert auf Daten aus Berlin. Für die
anderen Bundesländer habe ich das nicht geprüft, aber
das könnte ich natürlich gern nachreichen.
Der Unterhalt ihres geschiedenen Mannes wird - da
sie kein Konto hat - nicht überwiesen, sondern den bringt
er vorbei, wenn er daran denkt. Manchmal denkt er eben
auch nicht daran. Den Unkostenbeitrag für die Klassenfahrt kann sie nicht auf das Konto der Lehrerin überweisen, sondern muss ihn persönlich in der Schule vorbeibringen. Miete, Gas und Strom zahlt sie per teurer
Bareinzahlung. Das kostet jedes Mal 5 bis 7 Euro Gebühren. Ihr Wohngeld wird dadurch gemindert, dass die Kosten für die Barauszahlungen vom Wohngeld abgezogen
werden. Bei eBay günstig Kinderklamotten zu shoppen,
kann sie vergessen, da eBay und auch andere Onlineshops ohne Girokonto nicht zu nutzen sind. Bezahlpflichtige Onlinedienste wie iTunes oder Onlinevideotheken
sind von ihr nicht zu nutzen. Wenn sie einen Song hören
will, muss sie die gesamte CD kaufen. Einen günstigen
Handyvertrag oder einen Festnetzanschluss hat sie nicht,
sie hat eine Prepaid-Karte mit natürlich völlig überhöhten
Gesprächskosten.
Ich könnte das jetzt ewig weiter ausführen. Stellen Sie
sich einmal vor, sie hat ein Vorstellungsgespräch und
muss sagen: Das Gehalt möchte ich nicht auf mein
Konto überwiesen haben, sondern bitte in der guten alten
Lohntüte!
({4})
Das ist einfach von gestern, das geht nicht mehr. Deshalb
brauchen wir diesen Rechtsanspruch.
Ich finde es gerade von der FDP ziemlich frech, zu sagen, die Opposition soll in den Bundesländern dafür sorgen, dass es ein Girokonto für alle gibt. Hier in Berlin im
Bundestag sind Sie noch im Parlament, anders als zum
Beispiel im Landtag in Rheinland-Pfalz. Hier sitzen Sie
mit in der Regierung, anders als zum Beispiel in BadenWürttemberg, wo Sie nicht mehr drin sind. Aber statt
hier etwas zu regeln, sagen Sie, wir sollen es in den Bundesländern machen. Das finde ich ziemlich absurd.
({5})
- Warum machen Sie denn hier auf der Bundesebene
nichts? Sie müssen schon Ihren eigenen Hintern bewegen.
({6})
Leistung muss sich lohnen, auch hier in der Regierung.
Deshalb können Sie hier einmal Leistung zeigen und
sich um die ärmsten Menschen in diesem Land kümmern. Das ist Ihre Pflicht als Abgeordnete. Sie sollten
nicht immer mit dem Finger auf andere zeigen.
({7})
Jetzt hat das Wort der Kollege Peter Aumer von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
diskutieren über ein in der Tat wichtiges Thema. Sie haben vorhin gesagt, dass der Bundestag 2002 beschlossen
hat, im Zweijahresrhythmus einen Bericht der Bundesregierung über die Situation der girokontolosen Menschen
in unserem Land einzufordern, also der Menschen, die
gerne ein Girokonto anlegen würden, aber es nicht können, etwa weil keine Bank dies zulässt. Ich frage: Wer
war 2002 an der Regierung? Wer hat in dieser Zeit die
Möglichkeit gehabt, etwas in diesem Bereich zu regeln?
Das waren Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren
von der SPD und von den Grünen. Da haben Sie Ihre
Verantwortung ebenfalls nicht genutzt, um dieses Thema
abzuarbeiten und gesetzliche Regelungen auf den Weg
zu bringen. Uns vorzuhalten, dass wir unseren Worten
keine Taten folgen lassen, finde ich schon ein bisschen
dreist und sachlich unangemessen.
({0})
Wir versuchen - der Kollege Brinkhaus hat das vorhin angesprochen -, eine Lösung zu finden, die den
Menschen hilft. Frau Maisch, Ihr Beispiel kann ich
durchaus nachvollziehen. Wenn man versucht, sich vorzustellen, wie man heute ohne ein Girokonto leben
könnte, dann stellt man fest: Das geht in der Tat nicht.
Auch ich könnte mir das nicht vorstellen. Man muss sicherlich Regelungen auf den Weg bringen, die gewährleisten, dass das Ganze funktioniert. Ob solche Regelungen immer gesetzliche Regelungen sein müssen, das ist
die große Frage. Ob eine gesetzliche Regelung wirkt,
muss man sich sicherlich ebenfalls einmal im Detail anschauen. Die Bundesregierung legt den Bericht im
nächsten Jahr vor. Er befindet sich im Moment in der
Ressortabstimmung. Man muss einmal schauen, wie sich
die Dinge seit 2002 geändert haben. Die Menschen, die
kein Girokonto haben, müssen die Möglichkeit bekommen, ein solches Konto einzurichten.
Es kann natürlich nicht sein, dass sich die Kreditinstitute ihrer Verantwortung entziehen und Menschen, die
auf ein Girokonto angewiesen sind, die Möglichkeit der
Kontoeröffnung nicht gewähren. Das zu ändern, liegt
selbstverständlich auch in unserer Verantwortung. Einige Bundesländer haben auf diesem Gebiet schon etwas
gemacht. Die Sparkassen sind hier vorbildlich. Die Sparkassen sind in acht Bundesländern verpflichtet worden,
girokontolosen Menschen Girokonten anzubieten. Es
kann nicht sein, dass man für solche Konten erhöhte Gebühren fordert. All das sind Dinge, die im Moment geregelt werden.
Der entscheidende Punkt unserer Argumentation, der
berücksichtigt werden muss, meine sehr geehrten Damen und Herren der Opposition, ist die Empfehlung der
Europäischen Union. Sie hat in diesem Jahr eine Empfehlung vorgelegt, dass in jedem Mitgliedsland die Einrichtung eines grundlegenden Zahlungsfunktionskontos
unabhängig vom Einkommen zu gewährleisten ist. Ich
glaube, das ist etwas, was in den Mitgliedsländern der
Europäischen Union Nachhall findet.
Auch wir in Deutschland müssen dieser Forderung
gerecht werden. Sie selber und wir haben es angesprochen: Es gab eine legislative Initiative auf europäischer
Ebene, so etwas gesetzlich zu regeln. Unser Bestreben
ist, dass man prüft, was im Moment in Deutschland
Sachstand ist, dass man den Bericht der Bundesregierung abwartet, dass man die Empfehlungen, die von europäischer Ebene kommen, umsetzt. Diejenigen Menschen, die kein Girokonto haben, müssen eines haben
können; das ist grundlegend und muss gewährleistet
sein. Das ist aus meiner Sicht etwas, was den Betroffenen in unserem Land etwas bringt. Wir haben in diesem
Bereich ein Problem; das ist ganz klar. Dem müssen wir
nachkommen. Ein Basiskonto soll allen Menschen die
finanzielle Teilhabe am Leben ermöglichen.
Wir haben gestern über ein wichtiges Thema gesprochen: das Geldwäschegesetz. Da ging es auch um das
E-Geld. Mir ist zum ersten Mal bewusst geworden,
dass es Menschen geben kann, die kein Konto haben.
Das war mir zuvor nicht klar. E-Geld bietet auch diesen
Menschen die Möglichkeit, Geld auf eine Karte zu laden
und damit zu bezahlen. Das kann natürlich nicht in unserem Sinne sein. Wir haben gestern geregelt, dass diese
Karten auf einen Wert von 100 Euro im Monat begrenzt
werden sollen. Sicherlich fällt damit für die Menschen,
über die wir heute sprechen, eine Möglichkeit der Bezahlung weg. Deswegen muss man ganz klar sagen, dass
die Regelung gut werden muss. Wir sind bemüht, eine
gute Regelung zu finden. Deswegen bitte ich auch Sie,
dass wir konstruktiv und nicht ideologisch diskutieren.
Denn Sie hatten in Ihrer Regierungsverantwortung die
Möglichkeit, eine Lösung herbeizuführen. Im Jahr 2002
hat der Bundestag die Bundesregierung entsprechend beauftragt. Damals waren Sie an der Regierung.
({1})
- Ja, Sie haben sich darauf verständigt, zu warten. Warum pressiert es dann heute? Ich denke, man sollte in der
Argumentation fair und ehrlich sein.
({2})
Wir sind es. Wir bereiten die Dinge vor und finden einen
Weg, auf dem wir diesen Menschen helfen können, ein
Konto zu bekommen und am allgemeinen Zahlungsverkehr teilzuhaben. Das ist unser gemeinsames Ziel.
({3})
Sie haben gewartet. Ihre Zwischenrufe können Sie sich
also sparen. Wenn man nicht in der Zeit, in der man handeln kann, tätig wird, dann ist man in der Regierungsverantwortung nicht gut aufgehoben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat jetzt die Kollegin Sonja Steffen das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während
wir im Deutschen Bundestag über Milliardenrettungsschirme für Europa diskutieren, sollten wir die lebensnahen Probleme unserer Bürgerinnen und Bürger beim täglichen Umgang mit den Banken nicht aus den Augen
verlieren. Dazu gehören die immer zahlreicher werdenden Kontopfändungen und der nach wie vor nicht umgesetzte Rechtsanspruch auf ein Girokonto für jedermann.
Das Problem der Kontolosigkeit hat gravierende Auswirkungen für die Betroffenen. Frau Maisch, Sie haben
das vorhin durch ein Beispiel schon sehr anschaulich
dargestellt. In der Tat gibt es heute - das haben wir auch
schon gehört - viele Bürgerinnen und Bürger, die unfreiwillig kein eigenes Girokonto haben und deshalb nach
wie vor von ganz wichtigen Bereichen des wirtschaftlichen Verkehrs ausgeschlossen sind. Dass dies eine Negativspirale auslöst, werden Sie alle wissen. Bereits Verschuldete geraten noch verstärkt in Probleme, wenn für
Lohn-, Gehalts- und Mietzahlungen kein Girokonto besteht. Die Bankgebühren für Bareinzahlungen - darauf
hat Frau Lay schon hingewiesen - betragen mitunter
mehr als 10 Euro, und zwar für jede einzelne Bareinzahlung. Das ist besonders für Personen mit geringem Einkommen eine Belastung, die sie im Grunde gar nicht tragen können.
Nun gibt es seit 1995 eine Empfehlung des Zentralen
Kreditausschusses an alle Banken zur Einrichtung eines
Girokontos für jedermann. Ich denke, es war gut, dass
wir eine Weile gewartet haben, wie das Ergebnis dieser
Empfehlung aussieht. Nun haben wir schon gehört: Wir
haben fünf Berichte hinter uns; die Situation der unfreiwillig kontolosen Bürgerinnen und Bürger in unserem
Land hat sich seitdem nicht nachhaltig verbessert. Die
Empfehlung lässt nämlich den Banken viel zu viele
Möglichkeiten, eine Kontoeröffnung abzulehnen oder
ein bestehendes Konto zu kündigen. Deshalb wird sie bis
heute bei weitem nicht in ausreichendem Umfang umgesetzt. Auch Schuldnerberatungsstellen betonen immer
wieder, dass die Banken vielfach die Kontoführung verweigern.
Hauptgrund ist übrigens, dass die Kontoführungsgebühren die Kosten des Girokontos im Rahmen der Kosten-Nutzen-Rechnung nicht decken. Kostendeckend werden Girokonten nur durch die Guthaben, die Kunden auf
diesen Konten haben, oder durch die Inanspruchnahme
hoher Dispokredite. Aber viele Kundinnen und Kunden
verfügen nicht über ein solches Guthaben, sodass sie sich
für die Banken schlichtweg nicht lohnen. Es gibt das
- man kann schon sagen - Unwort der sogenannten
Schalterhygiene. Es beschreibt die Praxis vieler Banken,
dass sie bestimmten Personen die Eröffnung eines Kontos schlichtweg verweigern oder zumindest massiv erschweren.
Mit Ausnahme des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes lehnen bis zum heutigen Tag alle Verbände
der Kreditwirtschaft unverändert jede verbindliche Regelung von Guthabenkonten ab. Dass es für die Sparkassen in acht Bundesländern eine Regelung gibt, ist schön,
reicht aber bei weitem nicht aus, um das Recht auf ein
Girokonto für jedermann zu installieren.
({0})
- Aber nicht nur die Bundesländer fehlen, sondern es
fehlen auch die Verpflichtungen der anderen Banken. Ich meine, Herr Brinkhaus, wir haben lange genug geschaut, was uns diese Empfehlungen bringen. Sie haben
recht. Es hat eine ganze Weile gedauert, aber inzwischen
müssten wir einsehen, dass wir so nicht mehr weiterkommen und es höchste Zeit ist, das verbindliche Recht
des Kunden auf ein Girokonto festzuschreiben, bevor
uns Europa auch an dieser Stelle überholt.
Ein weiteres Anliegen des Antrages ist bis jetzt wenig
zur Sprache gekommen. Es geht darum, die Inhalte des
Pfändungsschutzkontos gesetzlich verbindlicher zu gestalten. Das Konto, das wissen Sie alle, wurde zum 1. Juli
2010 eingeführt, und es schützt den Kontoinhaber vor
Pfändungen bis zur Höhe des Pfändungsfreibetrages. So
weit, so gut. Das ist eine gute Sache, grundsätzlich also
begrüßenswert; denn dadurch bleibt dem Schuldner der
umständliche Gang zum Vollstreckungsgericht erspart.
Aber in der Praxis hat sich gezeigt, dass das Pfändungsschutzkonto an vielen Stellen Probleme mit sich bringt.
Es ist deshalb wichtig, eine Nachbesserung der gesetzlichen Grundlagen zu fordern.
Der eine oder andere von Ihnen, der schon in der
16. Legislaturperiode dem Bundestag angehörte, wird
wissen, dass der Rechtsausschuss in den Ausführungen
zur Gesetzesbegründung seine Erwartung zum Ausdruck
gebracht hat, dass das P-Konto nicht teurer sein wird als
ein normales Konto. Aber damals wurde von einer verbindlichen gesetzlichen Regelung abgesehen. Diese Erwartung hat sich leider nicht erfüllt. Der Ärger beim
neuen Pfändungsschutzkonto reißt nicht ab. Es gibt Banken, die monatlich bis zu 27 Euro für die Führung eines
P-Kontos verlangen. Das ist ein Unding, besonders wenn
man bedenkt, dass gerade die finanzschwachen Menschen unseres Landes auf den Schutz durch das P-Konto
angewiesen sind.
Aber nicht nur die Gebühren sorgen für Verunsicherung, sondern auch die Bescheinigungen, die von den
Banken verlangt werden. Dies bedeutet, dass die Menschen teilweise von A nach B laufen müssen, um irgendwelche wasserdichten Bescheinigungen zu erhalten.
Dennoch wird nach wie vor gemauert. Kunden, die ihr
bestehendes Konto in ein P-Konto umwandeln wollen,
werden in manchen Banken schlecht behandelt und teilweise sogar öffentlich in der Schalterhalle bloßgestellt.
Das muss sich ändern. Das sagen auch Verbraucherschützer und Schuldnerberater.
({1})
Ich komme zum Schluss. Gerade in Zeiten, in denen
wir über Milliardenkredite und über den Anteil der Banken an der gegenwärtigen Finanzkrise diskutieren, drohen die Menschen, unsere Bürgerinnen und Bürger, immer mehr ihr Vertrauen in die Politik und die Banken zu
verlieren.
Der Deutsche Bundestag sollte hier ein kleines, aber
sehr wichtiges Zeichen setzen und die Banken zumindest
an dieser Stelle in die Pflicht nehmen. Ich habe die Hoffnung, dass zumindest die Fraktion der CDU/CSU gemeinsam mit uns daran arbeiten wird. Bei der FDP ist
Hopfen und Malz verloren.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/7823 und 17/7954 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie an den
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die
Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen jeweils
Federführung beim Finanzausschuss. Die Fraktion der
SPD wünscht Federführung beim Rechtsausschuss, und
die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke
wünschen Federführung beim Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion der SPD, Federführung beim
Rechtsausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungs-
vorschlag? - Dagegen? - Enthaltungen? - Der Überwei-
sungsvorschlag ist mit den Stimmen aller Fraktionen ge-
gen die Stimmen der SPD abgelehnt.
Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die
Linke, Federführung beim Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wer stimmt da-
für? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Über-
weisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitions-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
fraktionen und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der
Linken und der Grünen abgelehnt.
Schließlich stimmen wir ab über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP,
Federführung beim Finanzausschuss. Wer stimmt da-
für? - Dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Vorschlag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Neunter Bericht der Bundesregierung über
ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen
- Drucksachen 17/2840, 17/3110 Nr. 2, 17/7941 Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Steinbach
Christoph Strässer
Annette Groth
Volker Beck ({1})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({2}) zu der Unterrichtung
Menschenrechte und Demokratie in der Welt Bericht über die Maßnahmen der EU - Juli
2008 bis Dezember 2009 - Ratsdok. 8363/10 ({3})
- Drucksachen 17/315 Nr. A.4, 17/4522 Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Steinbach
Christoph Strässer
Katrin Werner
Volker Beck ({4})
Zu dem Neunten Bericht der Bundesregierung liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache wiederum eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der
Fall.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Marina Schuster von der FDP-Fraktion das Wort.
({5})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Neunte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung
umfasst den Berichtszeitraum vom 1. März 2008 bis
zum 28. Februar 2010. Er betrifft also überwiegend die
Zeit der Vorgängerregierung; erstellt wurde er von der
schwarz-gelben Bundesregierung.
Im Ausschuss für Menschenrechte hat es eine öffentliche Anhörung zum Bericht gegeben. Die Gutachter
waren sich einig, dass der Bericht besser geworden ist,
vor allem übersichtlicher und handhabbarer. Ich möchte
an dieser Stelle den Gutachtern ganz herzlich für ihre
wichtigen Stellungnahmen danken, die natürlich in unsere Arbeit einfließen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einen
Schwerpunkt meiner Rede bei der Verbesserung der
internationalen Menschenrechtsschutzsysteme setzen.
Diesen Schwerpunkt haben wir auch im Koalitionsvertrag verankert. Er ist besonders wichtig, weil wir der
Kultur der Straflosigkeit endlich ein Ende machen müssen. Denn in den Ländern, in denen die nationalen Justizsysteme Schwächen haben oder Rechtsstaatlichkeit
gar nicht gegeben ist, ist es für die Betroffenen oft die
einzige Möglichkeit, Recht zu finden, wenn sie sich an
überregionale oder internationale Menschenrechtsschutzsysteme wenden können.
Wir sehen das ganz konkret beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Er ist, wie
wir alle wissen, überlastet: allein 14 300 anhängige Verfahren aus Russland. Deswegen danke ich unserer Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sehr
für ihre aktive Rolle im Reformprozess; denn es ist ganz
wichtig, dass sich der EGMR den schwerwiegenden,
dringenden Fällen widmen kann und nicht vor Überlastung zusammenbricht.
({1})
Nun zum Internationalen Strafgerichtshof. Auch da
hat es eine große Verbesserung, eine große Neuerung gegeben: Es wurde eine Strafbarkeitslücke geschlossen.
Das ist ein Meilenstein, der dank des Engagements der
Bundesregierung und insbesondere von Markus Löning
geglückt ist. Wir konnten jetzt einen neuen Straftatbestand aufnehmen: Crime of Aggression. Er ist definiert
worden und ist nun Bestandteil der internationalen Völkerstrafgerichtsbarkeit. Das ist wirklich ein großer Fortschritt, der in den Medien kaum Niederschlag gefunden
hat. Deswegen ist es so wichtig, dass wir es hier und
heute erwähnen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Menschenrechtsausschuss war im Mai dieses Jahres im Kongo.
Wir haben im Ostkongo ehemalige Kindersoldaten getroffen. Wir hatten mit ihnen ein Gespräch, das uns allen
unter die Haut ging. Wir wissen, dass gerade Kinder die
Hauptleidtragenden in internationalen Konflikten und
Kriegen sind. Deswegen freut es mich sehr, dass es AuMarina Schuster
ßenminister Westerwelle gelungen ist, im Juli bei den
Vereinten Nationen eine Resolution zum Schutz von
Kindern in bewaffneten Konflikten durchzubringen.
Jetzt werden Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser
international geächtet. Das ist ein weiterer Schritt, damit
Kinder besser geschützt werden.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Engagement
der Bundesregierung ist vielfältig. Ich möchte Markus
Löning, den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, noch einmal explizit erwähnen, der sich insbesondere dem Kampf gegen die Todesstrafe verschrieben hat. Er hat dazu auch eine Reise in die USA
durchgeführt. Wir wissen, dass in den USA, im Iran, in
China und Belarus nach wie vor die Todesstrafe vollstreckt wird und dass es sogar Länder gibt, die die Todesstrafe neu einführen wollen, zum Beispiel Uganda,
wo es eine Gesetzesinitiative gab, die für Homosexualität die Todesstrafe vorgesehen hat. Ich will ganz klar sagen: Das werden wir nicht hinnehmen. Wir werden das
auch nicht in dem Fall hinnehmen, dass dieser Gesetzentwurf in Uganda noch einmal eingebracht werden
sollte. Hier gibt es eine klare Antwort: Das ist mit uns
nicht zu machen; die Todesstrafe gehört abgeschafft.
({4})
Leider ist es nicht nur in Uganda ein Problem: Auch
in Nigeria, in Russland und in vielen anderen Ländern
gibt es neue diskriminierende Gesetze gegen Homosexuelle. Deswegen ist es wichtig, dass wir das bei unseren
Gesprächen vor Ort, aber auch dass unsere Botschaften
das ansprechen.
Ich danke ganz herzlich allen, die sich dafür engagieren. Wir haben noch viel vor uns. Der Kampf für Menschenrechte erfordert das Engagement aller. Ich danke
der Bundesregierung sehr herzlich für ihren Neunten Bericht und für ihre Arbeit.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Angelika Graf von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
werde die heutige Debatte über den Neunten Bericht der
Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik nutzen, um insbesondere auf die Situation von Menschenrechtsverteidigern hinzuweisen. Ich wähle dieses
Thema, weil Menschenrechtsverteidiger diejenigen sind,
die für ihre Ideale, nämlich Menschenrechte und Demokratie, kämpfen und sich dabei den größten Gefahren für
Leib und Leben aussetzen. Viele der Demonstranten auf
dem Tahrir-Platz in Kairo oder in den Straßen von Homs
oder Damaskus gehören genauso dazu wie die prominenten Menschenrechtsaktivisten, über die wir in den
Medien hin und wieder Berichte sehen. Sie alle verdienen unsere Aufmerksamkeit, unsere Unterstützung und
unseren Schutz.
({0})
Weltweit haben die staatlichen Übergriffe auf Menschenrechtsverteidiger zugenommen; das dokumentiert
Human Rights Watch sehr deutlich. Autokratische und
diktatorische Staaten agieren dabei so umfangreich wie
grausam. Eritrea, Nordkorea und Turkmenistan sind
Staaten, in denen es kaum Menschenrechtsaktivisten
gibt, weil diese Staaten so grausam gegen sie vorgehen.
In Tschetschenien hat der bewaffnete Konflikt zwar an
Intensität abgenommen, aber Rechtsanwälte, Journalisten und Aktivisten werden nach wie vor reihenweise bedroht. China, Iran und Sudan verbieten regelmäßig Menschenrechtsorganisationen und verhängen massenhaft
Berufsverbote für Anwälte. Malaysia, Aserbaidschan
und Usbekistan verleumden und inszenieren Strafanzeigen gegen Menschenrechtsaktivisten. Ich werde später
noch auf einen Fall eingehen.
Die SPD hat im März 2010 einen eigenen Antrag eingebracht, mit dem wir die Mechanismen zum Schutz von
Menschenrechtsverteidigern in der EU weiterentwickeln
wollten. Wir haben gefordert, dass gefährdete Menschenrechtsverteidiger in der EU Schutz finden sollen.
Leider ist unser Antrag abgelehnt worden. Ich denke, wir
müssen noch mehr - das ist eine Aufforderung an die
Bundesregierung - an der Implementierung der EU-Leitlinien zum Schutz von Menschenrechten arbeiten. Regelmäßige Treffen mit Menschenrechtsaktivisten und
Berichte sind notwendig, aber sie sind nicht hinreichend.
Gerade in diesem Bereich könnte und müsste man sehr
viel mehr tun; denn die Diktatoren und Autokraten dieser Welt müssen von uns die klare Botschaft bekommen:
Ihr dürft eure Bürger und Aktivisten nicht verfolgen,
vergewaltigen, foltern oder töten. Wer sich für Menschenrechte und Demokratie engagiert, bekommt unsere
europäische Rückendeckung.
({1})
Der Schutz von Menschenrechtsverteidigern muss zu
einer wichtigen Säule unserer Außenpolitik werden. Wir
lernen derzeit schmerzlich, dass militärische Interventionen, Staatenbau am Reißbrett oder das Abhalten von
Wahlen in Gesellschaften nicht ad hoc zur Demokratie
führt. Das muss von innen heraus geschehen. Der Schutz
von Menschenrechtsverteidigern schafft einen gesellschaftlichen Raum für den nachhaltigen Aufbau von Demokratien.
Ich will aus gegebenem Anlass auf zwei Menschenrechtsaktivisten besonders eingehen, deren Fälle mich in
der letzten Zeit massiv beschäftigt haben. Der erste ist
Anwar Ibrahim. Er ist der Oppositionsführer in Malaysia. Ich hatte gerade seinen Assistenten Najwan Halimi
über die Vermittlung des Instituts für Auslandsbeziehungen zur Hospitation in meinem Büro.
Angelika Graf ({2})
Anwar Ibrahim wurde bereits mehrmals wegen angeblicher Vergehen angeklagt und hat auch schon eine
sechsjährige Haftstrafe verbüßt. Er organisiert die Opposition in Malaysia und wird nun pünktlich vor den anstehenden Parlamentswahlen wegen abstruser Vorwürfe
- Sodomie steht im Raum - erneut angeklagt. Ich bin
sehr dankbar, dass ich mit Unterstützung des Bundestagsprogramms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ für ihn Aktionen auf den Weg bringen konnte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich empfehle Ihnen
dieses Programm sehr.
({3})
Der zweite Fall, auf den ich hinweisen möchte, ist
Ales Bialiatski. Er ist Vorsitzender des belarussischen
Menschenrechtszentrums Viasna und Vizepräsident der
International Federation for Human Rights. Er wurde gerade zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Beobachter
sehen darin ein politisches Urteil zur Schädigung seiner
Menschenrechtsarbeit. Wer ihn, so wie ich, unterstützen
möchte, der kann sich an die Nichtregierungsorganisation
Libereco wenden. Dort ist man für jedes Engagement
dankbar.
({4})
Zum Schluss unserer Debatte habe ich ein Anliegen.
Aufgrund unseres Engagements in Afghanistan sind
viele langjährig in Deutschland lebende Afghanen, die
einen eigenen Aufenthaltstitel hatten, in ihre alte Heimat
zurückgekehrt. Sie haben ihren Aufenthaltstitel in
Deutschland aufgegeben und helfen beim Wiederaufbau.
Ich habe nun die Befürchtung, dass sie, wenn sich die Sicherheitssituation dort verschlechtert, was verhütet werden möge, keinen neuen Aufenthaltstitel in Deutschland
bekommen. Die Bundesregierung hat mir mitgeteilt, es
wäre unnötig, Rückkehroptionen vorzubereiten. Ich
frage mich: Wem helfen wir damit? Ist es nicht wichtig,
dass diese Menschen Sicherheit haben in ihrem Leben
und Anerkennung finden für das, was sie getan haben?
Ich fasse zusammen: Ich wünsche mir mehr Schutz
von Menschenrechtsverteidigern, mehr Schutz von Menschenhandelsopfern - vorgestern haben wir im Menschenrechtsausschuss eine Anhörung zu diesem Thema
durchgeführt -, eine Harmonisierung des EU-Asylrechts, die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz und die umfangreiche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. All das sind Punkte, die mit
dem Thema Menschenrechte zu tun haben. Wir haben
ein weites Feld vor uns. Wir sollten weiterhin alle miteinander und jeder auf seine Weise daran arbeiten.
Vielen herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat nun Michael Brand für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte beginnen mit einem schwer auszusprechenden
Namen und einer wirklich guten Nachricht für die Menschenrechte auf diesem Globus: Die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ist frei. Sie ist die Hoffnung
ihres Landes. Sie hat gestern Hillary Clinton beim ersten
Besuch einer amerikanischen Außenministerin seit
50 Jahren in ihrem Land dafür gedankt, dass die USA
und die freie Welt sich so nachhaltig und dauerhaft für
Freiheit und Menschenrechte in ihrem Land eingesetzt
haben. Sie hat diese Entwicklung zu Recht als historisch
bezeichnet.
Wir alle, auch wir hier im Deutschen Bundestag, haben gemeinsam mit Aktivisten auf der ganzen Welt über
20 Jahre hinweg nicht lockergelassen. Amnesty International, die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte und internationale Künstler wie die Rockband U2
haben über Jahre hinweg immer wieder für die Freiheit
dieser Frau und dieses Landes gekämpft. Wir haben gemeinsam einen Sieg für die Menschenrechte erreicht.
An diesem wie an anderen Fortschritten war auch unser Land bilateral, aber auch auf der EU- und der UNEbene stark beteiligt. Wir haben in der Bundesrepublik
Deutschland eine gefestigte Tradition aktiver Menschenrechtspolitik, die bei allen Unterschieden von allen Teilen des Deutschen Bundestages mitgetragen wird. Aufgrund der heute stattfindenden Debatte über den
vorliegenden Menschenrechtsbericht will ich mitteilen ich bekenne mich dazu -, dass es in den Beratungen neben der kritischen Erörterung viel Anerkennung für Fortschritte im Bericht wie bei der Menschenrechtspolitik
der Bundesregierung gab.
Ohnehin will ich hier feststellen: Es zeichnet dieses
Land und dieses Parlament aus, dass wir bei der Verteidigung der Menschenrechte immer wieder Gemeinsamkeiten über Parteigrenzen hinweg suchen. Wir kämpfen
hier nicht gegeneinander, sondern miteinander für die
Menschenrechte.
({0})
Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn ich hier für die spätere Abstimmung konkret empfehle, Herr Kollege
Koenigs, der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zuzustimmen.
Eine Debatte zur Lage der Menschenrechte darf nie
selbstzufrieden geführt werden. Im Gegenteil: Es war
und bleibt unsere Aufgabe, gemeinsam mit der Bundesregierung und der Zivilgesellschaft auf Menschenrechtsverletzungen und auf Verfolgung hinzuweisen.
Ich möchte für die Unionsfraktion aus den vielen
Themen einige herausgreifen, die unsere besondere Aufmerksamkeit erfordern. Dabei ist klar, dass es sich hier
nur um eine Auswahl handeln kann; denn der Bericht der
Bundesregierung stellt zu Recht den Schutz der Menschenrechte als Querschnittsaufgabe über alle Politikbereiche dar.
Wir haben als eines der Ziele im Kampf für die Menschenrechte den Kampf gegen die Todesstrafe. Das gilt
vor allem mit Blick auf China, das nicht nur Exportweltmeister ist, sondern leider auch das Land mit den weltweit meisten Hinrichtungen; nicht selten sind davon
auch korrupte Funktionäre betroffen. Wir rufen China
dazu auf, mehr Demokratie und mehr Menschenrechte
zu wagen. Eine große Kulturnation wie China kann auf
Dauer nicht Erfolg haben, wenn die eigenen Kräfte von
der Einparteiendiktatur eingesperrt werden. So rufen wir
auch heute die chinesische Führung zu einem souveränen Umgang mit den Menschenrechten und zu weniger
Angst vor dem großen chinesischen Volk auf. Wir appellieren auch an China, den Friedensnobelpreisträger und
Schriftsteller Liu Xiaobo freizulassen.
Ein zentrales Anliegen der deutschen wie europäischen Menschenrechtspolitik ist die Religionsfreiheit.
Mein Kollege Klimke wird dazu später noch einiges ausführen. Es bleibt ein wichtiges Anliegen, dass der UNCharta in allen Ländern Geltung verschafft wird, in der
es heißt, dass niemand wegen seiner religiösen Haltung
diskriminiert werden darf.
({1})
Wir mahnen dies bei uns selbst an: Wir verteidigen die
Freiheit der Religionen, auch der Religionen der Minderheiten, in unserem Land sehr aktiv. Umso mehr fordern wir, dass in China, in Kuba, in Afghanistan, in
Indien und auch in den arabischen Ländern die Menschenrechte gerade bei religiösen Minderheiten geachtet
werden.
Die meisten Weltreligionen predigen Verständnis und
nicht Vernichtung. Wer Andersgläubige ermordet, nur
weil sie Gläubige sind, geht zurück in die Steinzeit. Wer
Andersgläubige unter Druck setzt, sie still oder aktiv unterdrückt, verletzt die UN-Charta in einem zentralen
Punkt. Wir beobachten weiterhin kritisch, wie Toleranz
im Alltag der Gläubigen konkret aussieht. Das betrifft
im Übrigen auch die Länder in unserer unmittelbaren
Nachbarschaft, von der Türkei über die nordafrikanischen Staaten bis hin zu Ägypten und anderen islamisch
geprägten Ländern. Die Achtung vor Gott - das sage ich
als gläubiger Christ - schließt die Missachtung der Menschen aus. Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, hier
nachdrücklich am Ball zu bleiben.
Konkret möchte ich in diesem Zusammenhang das
Kloster Mor Gabriel in der Türkei nennen, dessen kleine
christliche Gruppe sich seit Jahren gegen Diskriminierung, auch vonseiten staatlicher Stellen, wehren muss.
Der manches Mal überselbstbewusste türkische Ministerpräsident Erdoğan gibt gerne Ratschläge an Partnerländer. Wir raten ihm, seinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden und die Religionsfreiheit in seinem
Land zu fördern, statt sie einzuschränken.
({2})
Wohin Intoleranz und Hass führen können, darüber
haben wir in dieser Woche in diesem Hohen Haus diskutiert. Ich spreche nicht nur von den innenpolitischen Debatten über den blinden Hass von Rechtsextremisten.
Ich spreche auch über die Entwicklung auf dem Balkan. Manches Mal diskutieren wir über die Folgen des
größten Krieges in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg
so, als sei die Gefahr schon vorbei. Aus eigener Anschauung kann ich davor nur warnen. Natürlich ist die
EU-Perspektive wichtig. Die Hilfe für die Reformen der
Länder auf dem Westbalkan ist ein wichtiger Beitrag für
Frieden und Stabilität in Europa.
Insbesondere für Bosnien-Herzegowina ist mit dem
Dayton-Vertrag eine Ordnung festgeschrieben worden,
die Minderheitenrechte klein- und Machtverhältnisse
großschreibt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Diskriminierung von Roma und Juden durch diese auch von Deutschland mitverhandelte
Ordnung in einem viel beachteten Urteil gerügt und Änderungen verlangt.
Wer die zweite Bestrafung der Opfer durch die alltägliche Diskriminierung nicht will, wer eine latente Eskalation der Spannungen auf dem Balkan, und zwar nicht
nur im Kosovo, verhindern will, der muss sich mit dieser
Frage befassen. Auch hier gilt: Wer zu spät handelt oder
zu wenig tut, der wird mit einer weiteren Bedrohung der
europäischen Stabilität bestraft.
Ich möchte ein Thema herausgreifen, das mich persönlich vor wenigen Wochen schockiert hat. Die Katastrophe in Somalia ist wirklich eine Katastrophe biblischen Ausmaßes.
Man kann über die Folgen des Klimawandels diskutieren, man muss über die Unterentwicklung sprechen.
Man muss sicher auch die lange Zeit fehlenden Ansätze
für eine Förderung kleinteiliger Landwirtschaft beklagen; hier wurde nun von Minister Niebel Gott sei Dank
massiv umgesteuert. Aber das Elend in dem größten
Flüchtlingslager in Dadaab hat mir im wahrsten Sinne
des Wortes die Sprache verschlagen, das muss ich ganz
persönlich sagen. Diesen hilflosen und völlig ausgemergelten Kindern und ihren Familien teils nur noch beim
Leiden zusehen zu müssen, war wirklich schlimm. Es
waren nicht nur die Kinder, die vor Hunger geschrien haben, sondern ganz besonders erschüttern die Kinder, die
vor Hunger nicht mehr schreien konnten.
Nun hilft es nicht, nur zu klagen. Wir haben natürlich
auch geholfen und weitere Mittel bereitgestellt, um diese
humanitäre Katastrophe zumindest abzumildern. Dennoch wird das alleine nicht reichen. Nach meiner Rückkehr haben wir im Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe eine Anhörung der Hilfsorganisationen durchgeführt, in der klar die dramatische Lage in
Somalia selbst beschrieben wurde. Wir alle wissen, dass
es keine einfachen Lösungen gibt, aber wir müssen mehr
Wege gehen, als nur auf die Öffnung der Zubringer nach
Mogadischu zu hoffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen letzten Appell
erlaube ich mir in diesem Zusammenhang, hoffentlich
im Namen von uns allen im Deutschen Bundestag. Die
Hilfsorganisationen leisten einen Dienst der Menschlichkeit und der Nothilfe. Davon konnte ich mich - wie viele
andere in diesem Haus, der Menschenrechtsausschuss
im Besonderen - vor Ort überzeugen. Ich möchte von
dieser Stelle noch einmal eindringlich an die Menschen
in unserem Land appellieren: Helfen Sie denen, die den
Menschen in Not helfen! Öffnen Sie nicht nur vor dem
christlichen Weihnachtsfest das Herz für die Mitmenschen in der Not! Spenden Sie! Jeder Euro hilft Menschen, die sich in allergrößter Not befinden und vom
Tode bedroht sind. Ich wünsche mir sehr, dass wir den
unschuldigen Opfern dieser Kriege auch als Bürgerinnen
und Bürger unseres Landes mit ein wenig Einsatz helfen
können und das Überleben ermöglichen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat nun Annette Groth für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie
kann ich eine Regierung ernst nehmen, die behauptet,
der Schutz der Menschenrechte sei eine alles staatliche
Handeln umfassende Querschnittsaufgabe, die aber tatsächlich eine Politik macht, in der sie häufig eigene Interessen auf Kosten der Menschenrechte anderer verfolgt?
Ziel der westlichen Politik in der arabischen Welt ist
zum Beispiel nach wie vor die Sicherung wirtschaftlicher und politischer Einflusszonen. Samir Amin, einer
der bedeutendsten arabischen Intellektuellen, schreibt
dazu:
Die Vereinigten Staaten und Europa wollen in der
arabischen Welt wiederholen, was in Mali, auf den
Philippinen und in Indonesien passiert ist: Alles
verändern, um nichts zu ändern. Nachdem die
Volksbewegungen in diesen Ländern ihre Diktatoren gestürzt hatten, haben die imperialistischen
Mächte alles daran gesetzt, dass ihre grundlegenden
Interessen im Bereich des Neoliberalismus und der
Außenpolitik durch die eingesetzten Regierungen
geschützt werden.
Nehmen wir nur das Beispiel der Lieferungen von
Waffen und Überwachungstechnologien. Im Jahr 2010
wurden mehr Waffen als je zuvor von Deutschland exportiert. Das ist ein Skandal. Darum fordern wir ein umfassendes Exportverbot von Waffen.
({0})
„Mit Waffen ‚Made in the West‘ bringen Sie uns um!
Bitte macht das öffentlich!“ Dieser Hilferuf einer jungen
ägyptischen Aktivistin, der uns kürzlich erreichte, unterstreicht unsere Forderung. Am 28. November 2011 haben sich Hafenarbeiter in Suez geweigert, eine Ladung
mit 7,5 Tonnen Tränengas aus den USA zu löschen. Insgesamt hat Ägypten in dieser Woche 21 Tonnen Tränengas erwartet.
Sie, meine Damen und Herren der Regierungskoalition, reden häufig über die Unterstützung der Protestbewegung und liefern trotzdem gleichzeitig Panzer nach
Saudi-Arabien, die dann bei der nächsten gewaltsamen
Niederschlagung von Protesten eingesetzt werden. So
eine Politik ist nur scheinheilig.
Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass die USFirma Blue Coat in Syrien im Einsatz ist. Mit den Geräten von Blue Coat hat das Assad-Regime das Internet
zensiert und überwacht, um gegen die Opposition vorzugehen. Eine Schande!
Wie Frau Graf möchte auch ich einige Worte zu den
Menschenrechtsverteidigern sagen. Noch immer gibt es
keine verbindlichen Vorgaben und Mechanismen, nach
denen unsere Botschaften vor Ort zum Schutz von Menschenrechtlern beitragen müssen. Noch immer hängt es
von den persönlichen Neigungen der Botschafter und
Botschafterinnen ab, ob sie die EU-Leitlinien wirklich
umsetzen. Daher fordert die Linke eine effiziente Koordinierung, Anleitung und Evaluierung durch das Auswärtige Amt sowie eine entsprechende personelle und
sachliche Ausstattung der Vertretungen vor Ort.
({1})
In ihrem Bericht betont die Bundesregierung, dass ihr
die Verhinderung der Straflosigkeit für schwere Völkerrechtsverbrechen ein wichtiges Anliegen sei. Bislang
müssen sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof jedoch fast nur afrikanische Machthaber verantworten. Wo
sind die Anklagen wegen Kriegsverbrechen in Afghanistan, im Irak oder in Gaza? Wo ist die Bundesregierung,
wenn es darum geht, die Empfehlungen des GoldstoneBerichts an den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen und die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen
im Gaza-Krieg zur Rechenschaft zu ziehen? Der Internationale Strafgerichtshof kann nur dann ein glaubwürdiger Ort der Gerechtigkeit werden, wenn der Kampf gegen Straflosigkeit nicht ein selektives Machtinstrument
des Westens bleibt.
Menschenrechtliche Standards und soziale Absicherungsstrukturen werden in vielen Ländern durch Freihandelsabkommen mit Entwicklungs- und Schwellenländern untergraben. Was ich in Ihrem Bericht vermisse,
ist eine selbstkritische Bestandsaufnahme der deutschen
Handelspolitik und ihre fatalen Auswirkungen auf die
Rechte der Menschen in den Staaten des Südens.
({2})
Deutsche und europäische Unternehmen waren und
sind noch stets an Menschenrechtsverletzungen beteiligt,
zum Beispiel ThyssenKrupp in Brasilien, Triumph in
Bangladesch oder Daimler in Südafrika, um nur einige
zu nennen. Auch diese Problematik blendet der Bericht
völlig aus. Im nächsten Menschenrechtsbericht muss die
Bundesregierung zu den Menschenrechtsverletzungen
durch deutsche Unternehmen im Ausland Stellung nehmen und begründen, mit welchen Mitteln und Instrumenten sie diese an die Einhaltung menschenrechtlicher
Standards binden will.
({3})
Solange Sie Doppelstandards anwenden und lediglich
eigene Interessen verfolgen, kann ich die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung nicht wirklich ernst
nehmen. Erst wenn uns das Schicksal der Kinder in
Bahrain, in Ägypten, in Ostafrika - Sie haben es gerade
angesprochen - und überall auf der Welt so am Herzen
liegt, als wären es unsere eigenen Kinder, machen wir
eine echte und glaubwürdige Menschenrechtspolitik.
Setzen wir uns dafür alle ein!
Danke.
({4})
Das Wort hat nun Tom Koenigs für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der neunte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung hat viele gute Seiten. Er ist eingeteilt in einen
Teil A, der sich mit Deutschland und der Europäischen
Gemeinschaft befasst, und die Teile B und C, die sich
mit den übrigen Ländern befassen.
Wenn man sich die Teile B und C wirklich durchliest,
dann kommt man zu einer Erkenntnis: Die Menschenrechte kommen überall da voran und werden entsprechend beachtet und gefördert, wo es starke Menschenrechtsinstitutionen gibt. Das sind Institutionen der
Zivilgesellschaft, Institutionen des Staates und halbstaatliche Organisationen wie die Ombudsleute für Menschenrechte, die Procuradores de Derechos Humanos,
oder die unabhängige Menschenrechtskommission in
Afghanistan. Das ist eine Erkenntnis, die sich durch den
gesamten Bericht zieht.
Wenn man vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis
den Blick auf Deutschland richtet, dann scheint es so, als
ginge es hier gerade darum, die Einrichtungen des Menschenrechtsschutzes eher schwach zu halten. Das ist
doch inkonsistent, sowohl menschenrechtlich als auch
außenpolitisch. Das ist Doppelmoral. Ich nenne Ihnen
hierzu zwei Beispiele:
Erstens. Erst in der letzten Woche hat die Bundesregierung die Mittel der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes gekürzt. Das hat spürbare Konsequenzen. Es
fehlt an Geld für bundesweite Aufklärungskampagnen
und wissenschaftliche Untersuchungen. Das ist ein Affront gegen das Gleichbehandlungsgesetz. Manchmal
hat man das Gefühl, dass Sie das auch wollen; denn Sie
haben das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ja lange
bekämpft. Die Diskriminierungsstelle wird ihre wichtigen gesellschaftspolitischen Aufgaben nur schwer erfüllen können: Aufbau, Stärkung und Schutz einer offenen,
diskriminierungsfreien Gesellschaft.
Zweitens. Die Bundesstelle zur Verhütung von Folter
muss über 300 Gefängnisse und Haftanstalten regelmäßig überprüfen. Diese Mammutaufgabe sollen ein einziger ehrenamtlicher Leiter und drei wissenschaftliche
Mitarbeiter erfüllen? In ihrem Jahresbericht 2010 kritisierte diese Institution zu Recht, dass sie ihre Aufgaben
nur ansatzweise erfüllen konnte. Wie würden wir mit einer solchen Situation umgehen, wenn sie in einem der
beobachteten Länder so wäre? Mit dieser Personalausstattung auszukommen, so sagt die Bundesstelle, ist eine
illusionäre Forderung. Auch der UN-Ausschuss gegen
Folter hat in diesem Monat in seinem abschließenden
Bericht gefordert, die Bundesstelle personell und finanziell besser auszustatten. Das ist eine Kritik, die von außen kommt. Sie wird in diesem Bericht ehrlicherweise
erwähnt. Aber gehandelt haben Sie nicht. Dabei wäre
dies eigentlich der Moment, zu handeln.
Ganz ähnlich sieht es bei der Umsetzung der internationalen Konventionen aus. In der Anhörung, die die
Kollegin Graf erwähnt hat, hat eine frühere österreichische Ministerin gesagt: Oft macht man es so, dass man
die Konventionen ratifiziert und dann sagt, es passt, man
braucht nichts weiter zu ändern. - So wurde endlich der
Vorbehalt zur UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen. Gleichzeitig hat man aber gesagt: Es besteht
keinerlei gesetzlicher Handlungsbedarf. - Die Konsequenz: Flüchtlingskinder werden in Asylverfahren weiterhin wie Erwachsene behandelt. Das widerspricht dem
Kindeswohl und der UN-Kinderrechtskonvention. Kinder sollten nicht in Haft genommen werden.
({0})
Wenn wir vor unserer eigenen Haustür nicht mit dem
gleichen Maß messen wie in der weiten Welt, dann wirft
uns die weite Welt ganz zu Recht Doppelmoral vor. Da
brauchen wir gar nicht bis nach Guantánamo zu schauen,
sondern können schon bei uns selber sehen: Das geht so
nicht. Wir müssen dieselben Standards haben. Sonst sind
die guten Ratschläge, die wir anderen geben, wirkungslos und lächerlich.
Noch ein letzter Satz zu der großen Gemeinsamkeit,
die Herr Brand angesprochen hat. Dieser Bericht hat viele
gute Seiten. Ich freue mich auch, dass es viele Gemeinsamkeiten gibt. Ich bedaure aber, dass sich diese Gemeinsamkeiten im Ausschuss fast nie realisieren lassen. Es
gibt zwar Gemeinsamkeiten; aber wenn es um die parlamentarische Umsetzung geht, stockt es. Gibt es in der
CDU/CSU-Fraktion vielleicht einige Spoiler - oder sollte
ich besser sagen: Spoilerinnen -, die diesen Friedensprozess behindern?
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Pascal Kober für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Tom Koenigs, auch Sie können irren. Es
ist beileibe nicht so, dass wir nach außen Wasser predigen und nach innen Wein trinken, dass wir also in der internationalen Menschenrechtspolitik Forderungen aufstellen, aber untätig bleiben. Ich will Ihnen gerne ein
paar Beispiele nennen.
Die Kinder haben für diese Bundesregierung höchste
Priorität. Wir haben deshalb im Juli 2010 die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen.
({0})
Dies war ein wichtiger Schritt für die Einhaltung der
Kinderrechte in Deutschland. In der Folge ist das Wohl
eines Kindes nun bei allen behördlichen und privaten
Maßnahmen vorrangig zu berücksichtigen. Sämtliche
deutsche Behörden und Gerichte sind in der Pflicht, dem
Vorrang des Kindeswohls Geltung zu verschaffen, indem
sie ihre Entscheidungspraxis an den Erfordernissen der
Kinderrechtskonvention ausrichten. Darüber hinaus haben wir als Regierungskoalition klargestellt, dass Kinderlärm nicht als schädliche Umwelteinwirkung anzusehen ist, und haben damit faktisch den Lebensraum und
den Entfaltungsraum der Kinder in unserem Land vergrößert.
({1})
Wir haben den Kindern aus sozial schwächer gestellten Familien mit der Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets bessere Entwicklungs-, Bildungs- und gesellschaftliche Teilhabechancen eröffnet. Wir haben im
Bereich des Internets das Prinzip „Löschen statt sperren“
durchgesetzt. Damit wird in Zukunft nicht nur der Zugriff auf kinderpornografische Internetseiten erschwert,
sondern es werden auch die Persönlichkeitsrechte der
Kinder und das Kindeswohl geschützt, und zwar dadurch, dass die Bilder dieser grausamen Straftaten in Zukunft aus dem Netz verschwinden werden.
Wir haben den Schul- und den Kindergartenbesuch
für Kinder von Zuwanderern ohne Aufenthaltsstatus ermöglicht, indem wir Meldepflichten gelockert haben.
Wir haben einen eigenständigen Straftatbestand zur
Bekämpfung von Zwangsheirat geschaffen. Wir zeigen
mit dem Gesetz einerseits klare Kante gegenüber den
Tätern, andererseits gibt das eigenständige Rückkehrrecht für die Opfer von Zwangsheirat diesen Menschen
eine Perspektive in unserem Land, da ihr Recht auf Wiederkehr nun unabhängig davon, ob sie ihren Lebensunterhalt in Deutschland sichern können, zur Anwendung
kommen kann.
Dass uns sowohl der Opferschutz als auch die Rechte
von Kindern wichtige Anliegen sind, hat diese Koalition
auch demonstriert, indem sie die Rechte von Opfern in
Ermittlungs- und Strafverfahren gestärkt hat. Damit werden auch die entsprechenden Empfehlungen aus dem
Zwischenbericht des Runden Tisches gegen sexuellen
Kindesmissbrauch umgesetzt.
Die vorgesehenen Maßnahmen in Ermittlungs- und
Strafverfahren sollen dem schwer traumatisierten Opfer
das Verfahren gegen den Straftäter erleichtern, beispielsweise durch die Vermeidung von Mehrfachvernehmungen, durch verbesserte Verfahrensrechte, durch den Anspruch auf kostenlose juristische Beratung und durch die
Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit.
Auch die sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht. Dazu gehört nicht nur der Abbau von Vorurteilen, sondern auch die gleichberechtigte rechtliche
Behandlung unterschiedlicher partnerschaftlicher Lebensentwürfe.
({2})
Aus dieser Grundüberzeugung heraus haben wir in dieser Koalition die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften weiter vorangetrieben. So
haben wir sie bei der Erbschaftsteuer, der Grunderwerbsteuer, dem BAföG und bei Beamten-, Richter- und Soldatenrecht der Ehe gleichgestellt.
Um unser Wissen über die Wurzeln von Homophobie
und Diskriminierung gleichgeschlechtlich liebender Menschen zu erweitern und der Diskriminierung entgegenwirken zu können, haben wir dieses Jahr die MagnusHirschfeld-Stiftung auf den Weg gebracht.
Erst vorgestern haben wir im Ausschuss über das
Thema Menschenhandel gesprochen. Es geht um einen
Straftatbestand. Ich möchte darauf aufmerksam machen,
dass der Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung
von Arbeitskraft in den letzten Jahren auch in Deutschland zugenommen hat. Wir bringen derzeit die Ratifizierung des Übereinkommens des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels voran. Den entsprechenden
Gesetzentwurf haben wir im Oktober hier im Plenum beraten, und er wird nun im federführenden Familienausschuss eingehend bearbeitet.
Mit diesem Übereinkommen werden nicht nur die Voraussetzungen für eine engere europäische Zusammenarbeit zur Bekämpfung des Menschenhandels geschaffen,
sondern es enthält auch eine Angleichung der Straftatbestände und Vorschriften zur effizienten Strafverfolgung
sowie zum Schutz von Opfern und Zeugen. Damit werden wir der organisierten Menschenhandelskriminalität
auch in Deutschland besser begegnen können.
Lieber Tom Koenigs, ich hätte mich gefreut, wenn Sie
in Ihrer Rede auch dafür ein anerkennendes Wort gefunden hätten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Vielen
Dank.
({3})
Das Wort hat nun Ullrich Meßmer für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist richtig: Mit dem neunten Menschenrechtsbericht wurden Schwerpunkte gesetzt. Diese Schwerpunkte sind sicherlich auch regierungszeitenübergreifend. Ich will hier
insbesondere drei große Schwerpunkte nennen, nämlich
erstens die Rechte von Frauen und Mädchen - hier geht
es insbesondere auch um die Zwangsverheiratung -,
zweitens die Bekämpfung von Kinderpornografie und
die Ausbeutung von Kindern - dazu ist hier schon einiges gesagt worden, auch aus der Anhörung, die wir dazu
durchgeführt haben - und drittens die Anerkennung des
Menschenrechts auf Trinkwasser und Sanitärversorgung,
weshalb ich hier auch ein bisschen auf die Zeit eingehe,
in der ich das Ganze verfolgen konnte.
Vor allen Dingen wird mit dem Bericht klargestellt,
dass die Menschenrechte unteilbar sind und einen Querschnittscharakter für alle Bereiche der Politik und des
politischen Handelns haben. Albert Einstein hat dies etwas pathetischer ausgedrückt, aber ich finde, dieser Satz
ist noch immer richtig. Er sagte:
Ein Großteil der Geschichte ist erfüllt vom Kampf
um die Menschenrechte, einem ewigen Streit, bei
dem niemals ein endgültiger Sieg zu erringen ist.
Aber in diesem Kampf zu ermüden, würde den Untergang der Gesellschaft bedeuten.
({0})
Ich denke, er hat hier sehr recht.
In diesem Zusammenhang sage ich: In Bezug auf
Menschenrechte ist kein Stillstand zu dulden. Kollege
Kober, bei aller Anerkennung: Wir müssen also weitermachen und uns weiterentwickeln. Deshalb ist es richtig
und notwendig, auf Dinge hinzuweisen, die wir noch behandeln müssen. Ich denke, diese Punkte sollten wir zum
Anlass nehmen, einen kritischen Diskurs zu führen.
Menschenrechte dulden kein Verharren im Status quo.
Es ist erfreulich, wenn es Verbesserungen gibt. Am Beispiel der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Rechte - kurz: WSK-Rechte -, die von den Vereinten
Nationen eingefordert werden, wird dies deutlich. Diese
Rechte schützen elementare Bereiche des Lebens wie
Ernährung, Gesundheit, Bildung und Arbeit. Zugleich
enthalten sie den Anspruch auf Gleichberechtigung, also
einen Schutz vor Diskriminierung jeglicher Art. Mit
Blick auf die vorherige Debatte zum Girokonto sage ich:
Wir müssen aufpassen, dass auch bei uns Menschen
nicht diskriminiert werden, nur weil sie keinen Zugang
zu technischen Möglichkeiten haben, die heute selbstverständlich sind. Auch über dieses Problem müssen wir
bei uns weiterhin diskutieren.
({1})
Die Umsetzung der Menschenrechte trägt also zur
menschenwürdigen Gestaltung der Lebensverhältnisse
auf der Grundlage gleichberechtigter und solidarischer
Freiheit bei. Die WSK-Rechte gelten unmittelbar als
Rechtspflicht für alle Staaten, die sie anerkannt haben.
Wir müssen viel dafür tun, sie durchzusetzen.
Der Bericht stellt in diesem Zusammenhang eine
Reihe von Menschenrechtsverletzungen fest, auch im
Bereich des Rechts auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung; ich habe es schon angesprochen. Ich will
noch einmal in Erinnerung rufen: Ohne Wasser gibt es
keine Nahrung und keine wirtschaftliche Entwicklung.
Es ist noch immer so, dass mehr als 1,2 Milliarden Menschen der Zugang zu sauberem Trinkwasser fehlt. Fast
doppelt so viele haben keinen Zugang zu sanitärer Basisversorgung.
Das ist eines der Themen, das auch in Zukunft auf der
Tagesordnung bleiben muss. Es wird nämlich keine Umsetzung von weiter gehenden Freiheitsrechten geben
- Kollege Brand, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie in
diesem Zusammenhang auf Somalia hingewiesen
haben -, wenn es nicht auch gleichzeitig gelingt, das
Recht auf Wasser und sanitäre Versorgung durchzusetzen und damit das Recht auf Nahrung für die Betroffenen sicherzustellen. Menschenrechte müssen immer in
ihrer Gesamtheit verwirklicht werden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang - ich konnte
das über zwei Jahre beobachten - dem Beauftragten der
Bundesregierung für Menschenrechtspolitik, Markus
Löning, ganz herzlich danken.
({2})
Er hat viele umfangreiche Berichte angefertigt. Er berichtet auch dann sehr offen über Probleme - das will ich
an dieser Stelle ebenfalls sagen, Frau Kollegin Groth -,
wenn es nicht in die regierungsamtliche Linie passt. Mir
gefällt das sehr gut. Deshalb spreche ich ihm meinen
herzlichen Dank aus. Ich hoffe, dass er in dieser Richtung weitermacht und dass er den Ausschuss auch weiterhin entsprechend informiert.
Ich stelle aber auch fest: Wir haben, wenn wir auf die
inneren Verhältnisse schauen - da kann ich den Kollegen
Koenigs nur unterstützen -, noch einiges zu tun. Das Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt ist immer noch nicht
ratifiziert. Wir befinden uns seit zwei Jahren in der Diskussion. Ich finde, dass die Begründung, es sei noch eine
Abstimmung unter den Ministerien erforderlich, nur
noch eine begrenzte Zeit gelten kann. Es ist notwendig,
in dieser Frage voranzukommen. Das sage ich auch mit
dem Hinweis darauf, dass schon vorher mehr hätte passieren müssen. In dieser Frage sind wir uns einig. Daher
sollten wir die Regierung bitten, hier etwas zügiger zu
handeln.
Ich spreche diesen Punkt so deutlich an, weil die Betroffenen, also die Opfer von Menschenrechtsverletzungen, durch dieses Zusatzprotokoll die Möglichkeit bekommen, ihre individuellen Rechte einzufordern. Das
muss auch so sein. Denn wenn ein diskriminierungsfreier Zugang zu Bildung und Arbeit verweigert wird,
dann muss es für die Betroffenen die Möglichkeit geben,
darauf zu reagieren. Das ist auch deshalb dringend nötig,
um den Menschenrechtsverteidigern, die weltweit in den
Betrieben als Gewerkschafter engagiert sind, die notwendige Rückendeckung zu geben. Ich denke da an die
Menschen, die sich beispielsweise in Kolumbien und
Mexiko zu Gewerkschaften zusammenschließen wollen
und deren Leib und Leben deshalb bedroht ist. Daher
wäre es ein gutes Zeichen, wenn wir hier den entsprechenden Schritt gehen würden.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Wir müssen deutlich machen, dass die Achtung der
Menschenrechte in Zukunft Bestandteil von Handelsabkommen mit diesen Ländern sein muss. Ich meine, dass
die Menschenrechte in solche Vereinbarungen verpflichtend und verbindlich aufgenommen werden müssen.
Mein Dank geht an dieser Stelle an das Europäische
Parlament, das vor kurzem ein Abkommen mit Usbekistan wegen der dort weitverbreiteten Kinderarbeit zurückgewiesen hat. Das ist ein gutes Beispiel. Lassen Sie uns
in dieser Richtung weitermachen und entsprechende Signale aus diesem Parlament senden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat nun Jürgen Klimke für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Am vergangenen Sonnabend
demonstrierte ich gemeinsam mit über tausend Menschen in Hamburg für die Freilassung des christlichen
Pastors Youcef Nadarkhani, der im Iran wegen des Abfallens vom islamischen Glauben zum Tode verurteilt
wurde. Jedem, der im Iran seine Religion selbst wählen
will und sich dabei nicht für den Islam entscheidet, droht
das gleiche Urteil. Dürfen wir ein solches Gesetz akzeptieren, selbst wenn es die iranische Bevölkerung mittragen würde? Dürfen wir hinnehmen, dass die Religionsfreiheit in 64 Ländern der Erde mit fast 70 Prozent der
Weltbevölkerung stark eingeschränkt oder überhaupt
nicht existent ist?
Ein weiteres Beispiel bzw. eine weitere rhetorische
Frage. Frau Schuster hat bereits den Gesetzentwurf in
Uganda angesprochen, der die Todesstrafe für homosexuelle Handlungen vorsah. Regierungsmitglieder wollten
ihm zustimmen. Die Bevölkerung hätte das Gesetz möglicherweise akzeptiert. Aber internationaler Druck und
die Drohung der Streichung von Entwicklungsgeldern
aus Deutschland führten dazu, dass der Gesetzentwurf
nicht verabschiedet wurde. Dürfen wir Diskriminierung
aufgrund sexueller Präferenzen hinnehmen?
Ein letztes Beispiel. Vorgestern wurden die vermeintlichen U-Bahn-Attentäter von Minsk zum Tode verurteilt, wahrscheinlich aufgrund von durch Druck und Folter erwirkten Geständnissen, in einem zumindest fragwürdigen Verfahren. Dürfen wir akzeptieren, dass die
Justiz nicht unabhängig ist? Dürfen wir die Todesstrafe
überhaupt hinnehmen, auch in den USA und in Japan?
Menschenrechte sind universal und gelten für uns
alle, auch dort, wo andere Kulturen ihre Andersartigkeit
zum Vorwand nehmen, diese Rechte nicht zu gewähren.
Es ist Aufgabe der Politik, die Einhaltung der Menschenrechte hier in Deutschland zu garantieren. Viel größer ist diese Aufgabe aber außenpolitisch. Es geht darum, gegenüber anderen Regierungen immer wieder die
Einhaltung der Menschenrechte anzumahnen. Es darf
aus unserer Sicht kein Gesetz geben, das den Menschenrechten widerspricht, und zwar nirgendwo auf der Welt.
Es darf auch kein staatliches oder staatlich geduldetes
Handeln geben, das den Menschenrechten widerspricht.
Es kann nicht sein, dass ein Staat auf dem Papier lupenreine Gesetze hat, sich aber faktisch nicht daran hält.
Wir als Menschenrechtspolitiker treten nicht nur
heute anlässlich des bevorstehenden Tages der Menschenrechte für deren Achtung und Einhaltung ein. Wir
sehen das als eine dauerhafte Sisyphusarbeit an, sowohl
in konkreten Einzelfällen als auch im generellen Kampf
für eine bessere Welt. Deshalb sind die Bretter, die wir
Menschenrechtspolitiker bohren, wahrscheinlich die
dicksten überhaupt. Nachlassen dürfen wir nicht. Es gibt
immer wieder Ermutigungen. Eine Ermutigung ist der
arabische Frühling, trotz aller bestehender Unwägbarkeiten und trotz der Situation in Syrien, wo es massivste
Menschenrechtsverletzungen gibt. Ein anderes ermutigendes Beispiel ist Myanmar - es wurde vorhin angesprochen -, wo die Regierung die Opposition unter Führung der Friedensnobelpreisträgerin anerkennt und sich
ernsthaft um Reformen bemüht.
Es gibt aber auch andere Ermutigungen im Einsatz für
Menschenrechte, die quasi von unserer Seite ausgehen.
Ich möchte hier das Menschenrechtskonzept des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung erwähnen, das ich für vorbildlich für
die europäische Menschenrechtspolitik halte. Wir haben
das neulich in Brüssel auf einer Tagung von Menschenrechtspolitikern aus den einzelnen Mitgliedstaaten und
mit Außenpolitikern des Europäischen Parlaments behandeln dürfen. Ich habe gesehen, dass unser Beispiel
wirklich nachahmenswert ist.
Es ist so, dass alle Entwicklungsprojekte zukünftig einem Menschenrechts-TÜV unterzogen werden sollen.
Diese entwicklungspolitische Vorgabe des BMZ beinhaltet unter anderem einen Kriterienkatalog, mit dem
die Regierungsführung und die Menschenrechtssituation
in den Partnerländern bewertet werden. Grundlage sind
die Umsetzung der Menschenrechtskonvention in nationales Recht, die Schaffung entsprechender Institutionen
und Verfahren sowie die Ergebnisse der Umsetzung der
zentralen Menschenrechte. Die Bewertung der Ergebnisse ist dann maßgeblich für unsere Entwicklungsarbeit, also für eine Intensivierung und für die Möglichkeit, dass ein Partnerland auch langfristig ein
Partnerland bleibt.
Das Menschenrechtskonzept des BMZ ist absolut notwendig, um unseren diplomatischen Appellen für Menschenrechte mehr Nachdruck zu verleihen und damit sie
mehr Anklang finden. Es passt nicht zusammen, durch
unsere Außenpolitiker die Menschenrechtssituation in
verschiedenen Staaten zu kritisieren, gleichzeitig aber
Ländern mit menschenrechtlich unerträglichen Situationen Geld bzw. Budgethilfen zukommen zu lassen.
({0})
Insofern ist das Menschenrechtskonzept letztlich auch
ein Beitrag für mehr Kohärenz zwischen Außenpolitik
und Entwicklungspolitik.
Bedarf sehe ich in dieser Richtung noch auf europäischer Ebene. Hier ist mehr Abstimmung, mehr Kohärenz
zwischen den Geberländern notwendig. Das ist ganz eindeutig.
Der Einsatz für Menschenrechte in der Welt endet für
uns jedoch nicht bei den zwischenstaatlichen Beziehungen. Auch wir erkennen, dass es notwendig ist, zum Beispiel international tätige Unternehmen stärker in einer
menschenrechtlichen Verantwortung zu sehen. Diese
Verantwortung hat sich in den Leitlinien der OECD sowie in den Guiding Principles der Vereinten Nationen
auch auf internationaler Ebene niedergeschlagen.
Eines darf aber nicht vergessen werden: Die Hauptverantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte
haben die Staaten gegenüber ihren Bürgern. Sie setzen
den Rechtsrahmen, schaffen Kontrollinstanzen und ahnden Verstöße gegen Menschenrechte.
Unternehmerische Verantwortung kann staatliches
Handeln in keinem Fall ersetzen. Ich habe bei den Kollegen in der Opposition manchmal den Eindruck, dass
diese Erkenntnis bei ihnen noch nicht ganz angekommen
ist. Es geht ihnen vielmehr darum, die Unternehmen
durch viele Sanktionen und Vorschriften zu gängeln.
Wie die Unternehmen damit klarkommen und dann auch
weiter im Wettbewerb bestehen sollen, ist für manche
Gutmenschen sekundär.
Das heißt nicht, dass ich die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen bestreite. Die Unternehmen
können ohne Zweifel einen Beitrag für eine bessere
menschenrechtliche Situation in Entwicklungsländern
leisten. Das tun sie im Übrigen schon sehr intensiv, vor
allen Dingen freiwillig durch Corporate-Social-Responsibility-Aktivitäten. Hier hat die Bundesregierung durch
ihren CSR-Aktionsplan bereits Akzente gesetzt. Wir
wollen uns als Union beim Thema Unternehmensverantwortung in Zukunft stärker einbringen. Eine zukünftige
Frage wird dabei sein, wie wir auch die Verbraucher
stärker sensibilisieren und besser informieren können,
sodass sich die Sozialverträglichkeit unternehmerisch
stärker auszahlt.
Ökologische Nachhaltigkeit und das Bio-Siegel werden vom Bürger akzeptiert. Ich glaube, dass ein SocialMade-Siegel, also ein Siegel für Produkte, etwa Kleidung, die in Entwicklungsländern sozialverträglich hergestellt worden sind, vom Verbraucher akzeptiert werden würde. Er würde viel mehr dieser Produkte kaufen
und wäre vor allen Dingen bereit, dafür mehr zu bezahlen. Das ist das Entscheidende. Deswegen trete ich bei
jeder Gelegenheit für ein derartiges Siegel ein.
Sie sehen, dass der Einsatz für Menschenrechte vielfältig ist. Er reicht von der Unterstützung von Betroffenen und Menschenrechtsverteidigern über die Einflussnahme auf Regierungen, die Menschenrechte verletzen,
bis hin zu der Verantwortung der Privatwirtschaft auf nationaler und internationaler Ebene.
Kollege Klimke, Sie müssen zum Ende kommen.
Ja, Herr Präsident. - Der Tag der Menschenrechte erinnert uns immer wieder neu an die Notwendigkeit, in
unserer intensiven Arbeit in all diesen Bereichen nicht
nachzulassen.
Danke sehr.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe zu dem Neunten Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Bereichen und in anderen Politikbereichen. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/7941, in Kenntnis des Berichts auf
Drucksache 17/2840 eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8025. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von vier
Fraktionen gegen die Stimmen der Linken abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 35 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung mit
dem Titel „Menschenrechte und Demokratie in der
Welt - Bericht über die Maßnahmen der EU - Juli 2008
bis Dezember 2009“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4522, in
Kenntnis des Berichts eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 38 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,
Harald Koch, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Zinssätze für Dispositions- und Überziehungskredite verbrauchergerecht deckeln
- zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch,
Dr. Gerhard Schick, Ingrid Hönlinger, weiterer
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Verbraucherinnen und Verbraucher vor überhöhten Überziehungszinsen schützen
- Drucksachen 17/2913, 17/3059, 17/3586 Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Marianne Schieder ({1})
Christian Ahrendt
Jens Petermann
Ingrid Hönlinger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Erik
Schweickert für die FDP-Fraktion das Wort.
({2})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt kein Recht auf
billige Schulden. Das ist klar. Verbraucherpolitik ist auch
keine verkappte Sozialpolitik. Wer mit seinem Geld
nicht auskommt, der muss sparen. Den Dispokredit ins
Unermessliche auszunutzen, ist keine Alternative zum
Sparen. Keiner ist gezwungen, sein Konto zu überziehen. Erst recht hat keiner einen Anspruch darauf, dass er
diese Überziehung auch noch zu staatlich festgelegten
Kosten durchführen kann.
Dennoch können wir uns mit dem derzeitigen Zustand nicht abfinden. Denn so richtig es ist, wie ich gerade gesagt habe, dass es kein Recht auf billige Schulden
gibt, so richtig ist es auch, dass die Banken kein Recht
haben, sich auf der einen Seite billig Geld am Kapitalmarkt zu leihen und die Kunden auf der anderen Seite
nicht daran teilhaben zu lassen.
Aus meiner Sicht ist das gängige Vorgehen der Banken zu hinterfragen. Denn auf der einen Seite wird begründet, der niedrige Leitzins führe naturgemäß zu geringen Guthabenzinsen. Auf der anderen Seite ist aber
der Dispozins nach wie vor sehr hoch. Die Differenz
zwischen Guthabenzins und Dispozins wird damit größer. Man kann sich also definitiv nicht des Eindrucks erwehren, dass viele Banken die Chance nutzen, ihre Eigenkapitalbasis auf Kosten der Verbraucher zu erhöhen.
Damit zahlt der Verbraucher nun zum dritten Mal die Zeche der Finanzkrise, an der die Banken wahrlich nicht
unschuldig waren. Erst haben die Anleger viel Geld verloren; dann wurden Banken mit Staatsgeldern gerettet,
und nun refinanzieren sich die Banken auf Kosten der
Verbraucher bei den Dispo- und Überziehungszinsen.
({0})
Aber - damit komme ich wieder zum Anfang meiner
Rede, Frau Lay - es ist nicht die Aufgabe des Staates, für
eine billige Refinanzierung der Verbraucher zu sorgen.
Denn im Rahmen der Privatautonomie ist es Sache der
Vertragsparteien - in diesem Fall zwischen den Verbrauchern und den Banken -, über die Angemessenheit von
Preis- und Zinsvereinbarungen zu befinden. Die Bundesregierung hat sich dabei grundsätzlich neutral zu verhalten. Eine Festlegung von Zinsobergrenzen oder eine
Zinssatzdeckelung lehnen wir ab, weil wir darin einen
nicht gerechtfertigten Eingriff in die Vertragsfreiheit sehen.
Das hat übrigens auch der Bundesgerichtshof deutlich
gemacht. Vertraglich vereinbarte Zinsanpassungsklauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind ein
wirksames und transparentes Instrument zur Bewahrung
des Gleichgewichts von Preis und Leistung bei langfristigen Verträgen. Obendrein würde eine schematische
starre Weitergabe von Leitzinssenkungen bzw. -erhöhungen den zahlreichen funktionalen Zusammenhängen bei
der Zinsentwicklung am Geld- und Kapitalmarkt nicht
gerecht werden.
Auch die Kartellbehörden sehen übrigens derzeit
keine Veranlassung, bei den Dispozinsen einzuschreiten.
Es gibt keinerlei Hinweise auf ein abgestimmtes Verhalten der Kreditinstitute bei der Zinshöhe.
Herr Kollege Schweickert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lay von der Linken?
Ja.
Frau Lay, bitte.
Herr Kollege Schweickert, vielen Dank für die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen.
Sie haben argumentiert, es würde sich aus Ihrer Sicht
um einen unzulässigen staatlichen Eingriff handeln. Ich
möchte Sie an dieser Stelle fragen, ob Ihnen bekannt ist,
dass es beim Zahlungsverzug bereits eine staatliche bzw.
gesetzliche Regelung gibt, die besagt - wie wir das auch
in unserem Antrag vorschlagen -, dass im Falle des Zahlungsverzugs ein Zinssatz von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz, der von der Bundesbank berechnet
wird, verlangt werden darf. Warum ist an der einen
Stelle eine gesetzliche Regelung möglich, während Sie
an der anderen Stelle sagen, hier herrsche Vertragsfreiheit und das Ganze sei ein unzulässiger staatlicher Eingriff? Diese Logik und dieses Messen mit zweierlei Maß
wollen sich mir einfach nicht erschließen.
Vielen Dank für die Frage, Frau Lay. - Vielleicht hätten
Sie mit Ihrer Frage noch einen Moment warten sollen. Ich
wollte auf dieses Thema noch zu sprechen kommen. Sie
müssen sich nämlich einmal anschauen, wie sich das
Ganze - Sie schlagen auch bei Dispositionskrediten einen
Zinssatz von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
vor - entwickelt hat. Ich ziehe das einmal vor und fahre
jetzt einfach in meiner Rede fort.
Wir haben uns einmal angesehen, wie die Situation
ist. Es gibt dazu eine Untersuchung der Stiftung Warentest; sie hat in der Oktoberausgabe ihrer Zeitschrift darüber berichtet. Danach ist der durchschnittliche Dispozinssatz im vergangenen Jahr gesunken, Frau Lay,
während sowohl der Leitzins als auch der Euribor gestiegen sind. Gemäß dem Test haben sich im vergangenen
Jahr die Dispozinsen bei den 174 der 642 getesteten Angebote deutlich reduziert. Da funktioniert der Markt sehr
wohl; denn die Testergebnisse belegen, dass die Zinssätze bei den 1 610 Banken sehr deutlich variieren. Nehmen wir einmal ein Beispiel. Die Deutsche Skatbank berechnet nach diesem Test ihren Kunden einen Zinssatz
von lediglich 6 Prozent. Wenn man einen Zinssatz von
5 Prozentpunkten über dem Euribor zugrunde legen
würde, wäre das deutlich teurer.
Wer sich von seiner Bank abgezockt fühlt, der hat die
Möglichkeit, den Anbieter zu wechseln und geringere
Dispozinsen zu verlangen.
({0})
Der Verbraucher kann damit eigenverantwortlich handeln.
Aus meiner Sicht besteht allerdings aufseiten der
Banken Korrekturbedarf. Der Bundesgerichtshof hat ein
einseitiges Preisbestimmungsrecht bei der Festsetzung
der Dispozinsen durch verbraucherfeindliche Klauseln
in den allgemeinen Geschäftsbedingungen - übrigens
völlig zu Recht - für unzulässig erklärt. Danach muss
eine Zinsänderungsklausel das Äquivalenzprinzip beachten und darf eine Bank nicht einseitig begünstigen.
Hier haben wir eine klare Rechtsprechung.
In der Realität findet genau diese einseitige Begünstigung der Banken - da haben Sie recht - nach wie vor
statt. Es ist aber nicht die Aufgabe der Bundesregierung,
die Nichteinhaltung des geltenden Äquivalenzprinzips
zu sanktionieren, sondern es ist Sache der Gerichte, das
zu tun. Durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bestehen heute klare Vorgaben, wie die Banken
ihre Zinsanpassungsklauseln auszugestalten haben.
Nichtsdestotrotz werden wir als christlich-liberale
Bundesregierung diese weitere Entwicklung sehr genau
beobachten und schauen, ob diese Schere weiter geschlossen wird oder ob nicht doch irgendwann gesetzliche Anpassungen erforderlich werden. Zurzeit sehen wir
in diesem Bereich keinen Handlungsbedarf.
Vielen Dank.
({1})
Die Kollegin Marianne Schieder hat ihre Rede zu
Protokoll gegeben.1) Deswegen hat jetzt Ansgar
Heveling für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
1) Anlage 7
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Zinssätze für Dispositionskredite der Banken weichen
erheblich voneinander ab. Manche Banken geben dabei
die günstigen Zinssätze, die ihnen die Europäische Zentralbank bei der Geldversorgung einräumt, weniger erkennbar an ihre Kunden weiter. Der Vorwurf, diese Banken wollten sich nach der Finanzkrise auf dem Rücken
ihrer Kunden sanieren, schwingt in der öffentlichen Debatte an der einen oder anderen Stelle erkennbar mit.
Vor einem Jahr rüttelte uns die Stiftung Warentest mit
ihren Erhebungen zu den teils extrem hohen Dispo- und
Überziehungskrediten auf. Das Ergebnis der neuen Erhebung dieser Stiftung:
Bei 300 Konten lagen die Zinsen immer noch auf
dem hohen Niveau des Vorjahres. Für immerhin
174 Konten zahlen Kunden jetzt niedrigere Zinsen.
Die Tester von Finanztest werten das als kleinen Erfolg nach langjähriger Schelte.
Nur leise, am Rande, klingt bei der Auswertung aber
auch an: Die Verbraucher murrten zwar im vergangenen
Jahr, als sie von den Zahlen hörten, einen Kontowechsel
haben aber offensichtlich nur die wenigsten vorgenommen.
In der Fachpresse waren zu den neuerlichen Daten
folgende Kommentare zu lesen - ich zitiere -:
Zum nicht ganz unwahren Klischee eines typischen
Dispodauernutzers gehört eine geringe Bereitschaft
zum Kontowechsel.
Ich zitiere weiter:
Bankkunden sind nach Ansicht von Finanzexperten
und Branchenkennern selbst
- in Anführungsstrichen ‚mitschuldig‘ an den hohen Dispozinsen. Die
Wechselbereitschaft der meisten Verbraucher ist zu
gering - horrende Zinsen werden klagend, aber
ohne Konsequenzen hingenommen.
({0})
Der mündige Verbraucher - es gilt das moderne Bild
des Verbrauchers, für das vor allen Dingen Transparenz
nötig ist - hat selbst die Gelegenheit, den Markt zu testen. Gerade diejenigen Verbraucher, die ihr Girokonto
oft und für längere Zeit überziehen, sollten angesichts
der Zahlen von Stiftung Warentest einen kritischen Blick
auf die Dispositionszinsen ihrer Bank werfen und dann
Tarifvergleiche vornehmen. In günstigen Fällen kann der
Zinssatz rund 6 Prozent betragen, in teureren aber auch
weiterhin über 14 Prozent. Für Dispokredite werden regelmäßig Zinsen fällig, die höher sind als solche für Ratenkredite. Flexibilität hat eben ihren Preis. Eigenkapitalbindung hat ebenso ihren Preis. Diese Faktoren
fließen natürlich in die Refinanzierungskalkulationen
der Banken ein und beeinflussen den Zinssatz.
Der Dispokredit ist zur kurzfristigen Überbrückung
von finanziellen Engpässen und nicht als dauerhafter
Kredit gedacht. In diesen Fällen empfiehlt sich daher
eher eine Umschuldung auf Ratenkredite, nicht zuletzt,
da dort die Monatsrate neben dem Sollzins auch eine Tilgungsleistung enthält. Ein chronisch ausgereizter Dispo
baut sich nun einmal nicht von selbst ab. Vorausschauende Finanzplanung wäre an dieser Stelle das Gebot.
Zurück zur Transparenz. Die rechtlichen Möglichkeiten für Transparenz sind vorhanden. Das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie verpflichtet die
Banken seit Juli 2010, die Art und Weise der Anpassung
des Sollzinses auch bei Dispositionskrediten und geduldeten Überziehungen in der vorvertraglichen Information und im Kreditvertrag anzugeben. Falls sich der Sollzins an einem Referenzzins orientiert, ist auch dieser
Referenzzinssatz anzugeben. Für solche eventuellen
Zinsanpassungsklauseln gelten die allgemeinen Grundsätze für Preisanpassungsklauseln, die eine Anpassungssymmetrie der Zinssätze beinhalten.
Auch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
macht es den Kartellbehörden, also dem Bundeskartellamt und den Wettbewerbsbehörden der Länder, möglich,
gegen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und
den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
einzuschreiten. Dafür scheint es aber offensichtlich gar
keine Anhaltspunkte zu geben.
Die Auswertung von Stiftung Warentest zeigt zudem
nur die verschiedenen bestehenden Zinssätze; sie zeigt
nicht, ob die teuersten Angebote überhaupt genutzt werden. In Deutschland herrscht nun einmal ein starker
Wettbewerb unter den Banken. Die Verbraucher sollten
daher die Zahlen von Stiftung Warentest erneut zum Anlass nehmen, die Auswahl ihres Geldinstituts zu überdenken und gegebenenfalls einen Wechsel in Erwägung
zu ziehen. Jeder hat jederzeit die Möglichkeit, zu einer
Bank zu wechseln, die andere, günstigere Konditionen
bietet.
({1})
Die Höhe des Dispositionszinssatzes ist dabei ein Baustein, der für viele aber keine Rolle spielt, weil sie ihr
Konto nicht im Soll führen.
Im Frühjahr 2012 ist im Übrigen mit der von Bundesministerin Ilse Aigner in Auftrag gegebenen Studie zu
dieser Thematik zu rechnen. Diese Studie sollten wir abwarten und dieses Thema dann noch einmal aufrufen.
Ganz herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Caren Lay für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fakten sind schon lange klar: Die Dispozinsen in Deutschland sind viel zu hoch. Die Stiftung Warentest hat auch
in diesem Jahr Zahlen dazu geliefert: Die Dispozinsen
betragen im Schnitt 12,4 Prozent, in einigen Fällen sogar
über 14 Prozent. Viele Menschen kennen diese Dispoabzocke seit vielen Jahren aus eigenem Erleben. Auch der
Politik muss dieses Problem wenigstens seit einigen Jahren bekannt sein. Schließlich hat die Fraktion Die Linke
dieses Thema bereits in der letzten Legislaturperiode
aufgeworfen. Daher frage ich mich, ehrlich gesagt, warum die Koalition auch jetzt andeutet, dass sie keine gesetzlichen Initiativen ergreifen möchte, und ich frage
mich, ehrlich gesagt, auch, warum Frau Aigner eine
neue Studie in Auftrag gegeben hat, anstatt zu handeln.
Die Stiftung Warentest - auch Vertreter der Koalition haben sie zitiert - hat ja zuverlässiges Datenmaterial geliefert. Jetzt ist nicht die Zeit, weiter zu analysieren; jetzt
muss endlich ein Gesetzentwurf her.
({0})
Die Tatenlosigkeit der Bundesregierung trifft wieder
einmal Menschen mit kleinem Geldbeutel. Für sie ist der
Dispo die einzige Möglichkeit, finanzielle Notlagen zu
überbrücken. Herr Kollege, ich muss schon sagen, dass
ich es arrogant finde, zu sagen, niemand sei gezwungen,
sein Konto zu überziehen.
({1})
Menschen, die beispielsweise erwerbslos sind, geringfügig beschäftigt sind oder Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sind, haben gar keine andere Möglichkeit, einen
Kredit zu bekommen, als eben in den Dispo zu gehen.
Das muss man an dieser Stelle auch einmal sagen. Es
gibt einfach sehr viele Menschen, die knietief im Dispo
stecken, und die Banken zocken sie ab. Da können wir
uns als Politiker doch nicht hinstellen und tatenlos zusehen.
({2})
Es mag ja sein, dass es sich etwas angeglichen hat. In
der Tat: Der Leitzins der Europäischen Zentralbank ist ja
geringfügig gestiegen. Dennoch steht ein Leitzins von
1,25 Prozent einem Dispozinssatz von durchschnittlich
12 Prozent gegenüber. Das steht doch in keinem Verhältnis, meine Damen und Herren!
({3})
Die Geldhäuser sanieren sich hier auf dem Rücken der
sozial Schwachen, während die Bundesregierung Milliarden für die Bankenrettung ausgibt. Das ist für uns als
Linke einfach nicht hinnehmbar.
({4})
Auch der Markt funktioniert an dieser Stelle offensichtlich nicht. Dieses Problem ist, wie gesagt, ebenfalls
seit vielen Jahren bekannt. Ja, warum wechseln die Menschen die Bank nicht? Vielleicht hängt das damit zusammen - dieses Thema haben wir ja unter einem früheren
Tagesordnungspunkt besprochen -, dass viele Menschen
Angst haben, gar kein Girokonto mehr zu bekommen.
Die Fakten stehen jedenfalls fest: 777 Millionen Euro
haben Verbraucherinnen und Verbraucher allein in den
letzten 15 Monaten durch überhöhte Dispozinsen verloren. Es ist Aufgabe der Politik, hier endlich tätig zu werden.
({5})
Deswegen haben wir als Linke in dieser Legislaturperiode erneut die Initiative ergriffen. Die Lösung liegt in
der Tat auf der Hand: Die Dispozinsen müssen gedeckelt
werden. Ich habe aus Ihrer Begründung kein sachliches
Argument herausgehört, warum das ein unerlaubter
staatlicher Eingriff sein soll. Der Vorschlag der Linken
lautet: Dispozinsen dürfen höchstens 5 Prozentpunkte
über dem Basiszinssatz liegen, den die Bundesbank
halbjährlich veröffentlicht. Das ist ein Modell, das möglich ist und das an anderer Stelle auch gesetzlich angewendet wird. Das ist nämlich der Maßstab für Zahlungsverzug. Es gibt keinen Grund, diesen Maßstab nicht auch
an dieser Stelle anzuwenden.
({6})
Dann hätten wir aktuell einen maximalen Dispozinssatz
von 5,37 Prozent. Damit wären Dispoexzesse beendet,
aber Gewinne der Banken - meine Herren und Damen
von der Koalition, ich kann Sie da beruhigen - wären
immer noch vorhanden, wenn auch in einem sozialverträglichen Rahmen.
({7})
Meine Damen und Herren, wir begrüßen, dass sich
auch die Grünen für eine Obergrenze aussprechen, wenn
auch, ohne einen eindeutigen Rahmen zu nennen. Fest
steht jedenfalls: Schwarz-gelbe Verbraucherpolitik
schützt wieder einmal die Unternehmen und nicht die
Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich werbe um Zustimmung zu unserem Antrag.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat nun Gerhard Schick für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat
sind erhöhte Überziehungszinsen für viele Leute ein relevantes Thema: Viele Menschen überziehen nämlich ihr
Konto dauerhaft, nicht nur kurzfristig bei Spitzenbelastungen. Gerade diese Menschen können ihre Kontoverbindung nicht unbedingt schnell wechseln.
Wir haben es hier schon mit Zinssätzen zu tun, die
aufmerken lassen. Vor einem guten Jahr hat unsere Fraktion die Zinssätze stichprobenartig zusammengestellt.
Wir kamen bei geduldeten Überziehungen auf Zinssätze
von bis zu 19 Prozent. Das ist etwas, was nicht hinnehmbar ist.
({0})
Es gibt auch verschiedene gesetzliche Regelungen.
Das ist schon gesagt worden. Bei dem Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie ist schon ein Referenzzinssatzsystem etabliert worden. Das Problem ist
bloß: Es war gut gemeint, aber nicht gut gemacht; denn
die Zinsspanne wurde häufig in einer Phase festgesetzt,
in der die Diskrepanz sehr hoch war; und diese Spanne
wird dann fortgeschrieben. Nach unserer Ansicht besteht
da Korrekturbedarf. Jetzt muss gehandelt werden. Wir
haben deswegen einen eigenen Antrag vorgelegt; denn
man sollte eigentlich erwarten, dass über ein Jahr nach
Ankündigung einer Studie zu diesem Thema endlich einmal Schlussfolgerungen daraus gezogen würden. Das
Thema ist ja nicht so komplex, dass man Jahrzehnte
braucht, um es zu untersuchen.
Wir haben den Eindruck, dass sich einmal mehr erweist, dass Frau Ministerin Aigner eine Ankündigungsministerin ist. Wenn ein Thema auftaucht, kommt eine
Ankündigung, und danach kommt erst einmal lange
nichts. Damit ist Verbraucherinnen und Verbrauchern
nicht geholfen. Das freut die Journalisten, weil sie etwas
abdrucken können, aber das hilft den Menschen nicht.
Wir meinen: Es darf nicht nur angekündigt werden, sondern da muss auch etwas getan werden.
({1})
Das gilt leider auch für einige andere Punkte, die ich
nennen will. Die Frage der Überziehungszinsen zeigt
beispielhaft, dass das Kräfteverhältnis zwischen Verbraucherinnen und Verbrauchern auf der einen Seite und
Finanzdienstleistern auf der anderen Seite unausgewogen ist und wieder richtig austariert werden muss. Ich
nenne als weiteres Beispiel das Finanzanlagenvermittlergesetz, das wir im Finanzausschuss beraten haben. Darin
werden richtige Punkte aufgegriffen, aber ein zentraler
Problembereich, der eigentlich hineingehört, wurde wieder herausgenommen. Ich spreche von den sogenannten
Schrottimmobilien, die als kreditfinanziertes Finanzanlageprodukt angeboten werden. Wir können wieder beobachten, dass sich Menschen in kürzester Zeit ökonomisch ruinieren, weil sie kreditfinanziert eine Immobilie
kaufen, deren Mieteinnahmen nicht ausreichen, um den
Kredit zu bedienen. In diesem Zusammenhang spielen
sogenannte Mitternachtsnotare eine Rolle. Wir hören,
dass jetzt möglicherweise jemand, der Erfahrung in diesem Bereich hat, neuer Verbrauchersenator in Berlin
werden soll.
({2})
- Sie können uns darüber gerne im Detail aufklären. Dieses Thema hätte unbedingt im Gesetz geregelt werden müssen. Auch da gilt: Ankündigen und nur beobachten reicht nicht; wir müssen auch konkrete Schutzvorrichtungen im Gesetz verankern.
Schließlich haben wir auch zu dem Thema Honorarberatung - auch das fällt unter die Kategorie „Ankündigungsministerin Aigner“ - bisher nur ein weiches Eck17652
punktepapier vorliegen. Hier geht es darum, wie wir das
Verhältnis zwischen Anbieter und Kunde so regeln können, dass nicht systematisch viel Geld in die falschen
Kanäle gerät. Es wird bisher leider nichts Konkretes in
diese Richtung unternommen, sondern dieses Problem
wird weiter nach hinten geschoben. Das darf nicht sein;
denn Verbraucherinnen und Verbraucher haben nur dann
einen wirklichen Nutzen, wenn wir neue Regeln festlegen und sich am Markt etwas ändert. Mit Blick auf die
großen Ankündigungen kann man nur feststellen: Im
Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen gibt es
einfach viel zu viele Lücken.
Vielen Dank.
({3})
Kollegin Kerstin Tack hat ihre Rede zu Protokoll ge-
geben.1)
Damit sind wir am Schluss dieser Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Zinssätze für Disposi-
tions- und Überziehungskredite verbrauchergerecht de-
ckeln“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3586, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2913
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Ko-
alitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der
Linken bei Stimmenthaltung der Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/3059 mit dem Titel „Verbrauche-
rinnen und Verbraucher vor überhöhten Überziehungs-
zinsen schützen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
1) Anlage 7
fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Grünen bei
Enthaltung von SPD und Linken angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 37:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ({0})
- Drucksache 17/7916 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. -
Sie sind damit einverstanden. Damit sind die Reden fol-
gender Kolleginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben:
Marlene Mortler, Gitta Connemann, Josip Juratovic,
Edmund Peter Geisen, Alexander Süßmair, Friedrich
Ostendorff.2)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/7916 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 14. Dezember 2011, 13 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen ein freundliches Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.