Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich zur ersten Plenarsitzung des Deutschen Bundestages nach unserer parlamentarischen Sommerpause. Ich
hoffe, Sie haben sich alle gut erholt und sind gut gelaunt
und hoch motiviert für die beginnende Haushaltswoche
des Deutschen Bundestages nach Berlin zurückgekehrt.
({0})
- Es gefällt mir gut, Frau Künast, dass Sie nicht nur
überhaupt offensichtlich viel schwimmen waren, sondern sich dabei an die Empfehlung gehalten haben, nicht
zu weit hinauszuschwimmen.
({1})
Für den Ablauf dieser Woche will ich nur der guten
Ordnung halber darauf hinweisen, dass wir morgen aus
gegebenem Anlass um 10 Uhr mit den Plenarberatungen
beginnen, am Donnerstag und am Freitag wiederum um
9 Uhr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Ta-
gesordnung eintreten, bitte ich Sie, sich von den Plätzen
zu erheben.
Mit großer Bestürzung haben wir während der parla-
mentarischen Sommerpause vom Tod unseres Kollegen
Jürgen Herrmann erfahren, der am 11. August bei ei-
ner Bergwanderung in Tirol im Alter von 49 Jahren an
den Folgen eines Herzversagens verstorben ist.
Nach Schule und Ausbildung war Jürgen Herrmann
über 20 Jahre im Polizeidienst des Landes Nordrhein-
Westfalen tätig. Zehn Jahre lang, seit 2002, gehörte
Jürgen Herrmann dem Deutschen Bundestag an. Sein
politisches Engagement begann sehr früh. Mit 20 Jahren
war Jürgen Herrmann der CDU in seiner Heimatge-
meinde Brakel beigetreten, wo er schon bald den Vorsitz
der örtlichen Jungen Union übernahm. Später folgte eine
mehrjährige Mandatstätigkeit als Mitglied des Stadtrates
von Brakel, ein Amt, das er bis 1995 wahrnahm. Ein
Jahr später wurde er der Vorsitzende des CDU-Stadtver-
bandes Brakel und 1999 Vorsitzender des CDU-Kreis-
verbandes Höxter.
2002 wurde Jürgen Herrmann als Vertreter des Wahl-
kreises Höxter-Lippe II in den Deutschen Bundestag ge-
wählt, dem er ohne Unterbrechung bis zu seinem Tod
vor wenigen Wochen angehörte. Hier war er vom Okto-
ber 2005 bis zum Oktober 2009 stellvertretender vertei-
digungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion. Seit Beginn dieser Wahlperiode war Jürgen
Herrmann ordentliches Mitglied im Haushaltsausschuss
und ist dort wie als stellvertretendes Mitglied im Vertei-
digungsausschuss ganz besonders den Aufgaben der in-
neren wie der äußeren Sicherheit verbunden geblieben.
Jürgen Herrmann war ein ruhiger und besonnener
Politiker, der aufgrund seiner vielfältigen beruflichen Er-
fahrungen als Polizist, als engagiertes Mitglied der
Gewerkschaft der Polizei und als langjähriger Kommu-
nalpolitiker die Sorgen und Nöte der Menschen vor Ort
genauestens kannte. Jürgen Herrmann hat diese Erfah-
rungen und Kenntnisse in seine Arbeit als Bundestagsab-
geordneter eingebracht und nie die Interessen der Bürger
seiner westfälischen Heimatregion aus dem Blick verlo-
ren, wie die eindrucksvolle Anteilnahme der Bürger-
schaft am Tage seiner Beisetzung deutlich machte.
Mit seinem frühen und tragischen Tod verliert der
Deutsche Bundestag einen fachlich geschätzten und be-
liebten Kollegen. Unser Mitgefühl gilt seinen Angehöri-
gen, insbesondere seiner Ehefrau und seinen beiden Söh-
nen.
Wir werden Jürgen Herrmann und sein politisches
und gesellschaftliches Engagement mit großer Dankbar-
keit in Erinnerung behalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Sommer-
pause hat uns auch die Nachricht vom Tod zweier lang-
jähriger ehemaliger Mitglieder und Vizepräsidenten des
Deutschen Bundestages erreicht. Wir trauern um
Liselotte Funcke, die am 1. August im Alter von
94 Jahren verstorben ist, und um Georg Leber, der am
21. August gestorben ist. Er wurde 91 Jahre alt.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Liselotte Funcke und Georg Leber waren große Per-
sönlichkeiten, die eng mit der Geschichte der Bundes-
republik verbunden sind. Sie werden uns als herausra-
gende Politiker in Erinnerung bleiben. Beide gehörten
einer Generation an, die unsere Demokratie nach dem
Zweiten Weltkrieg entscheidend gestaltet hat.
Am Ende des Ersten Weltkrieges bzw. kurz danach
geboren, erlebten sie ihre Kindheit in der Weimarer Re-
publik, dem ersten, gescheiterten Versuch, in Deutsch-
land eine Demokratie aufzubauen. Ihre Jugend prägten
die bitteren Erfahrungen von Diktatur und Krieg. Für
beide war es deshalb keine Frage, nach dem Zusammen-
bruch des Nationalsozialismus die Geschicke ihres Lan-
des selbst in die Hand zu nehmen und beim Aufbau der
jungen Bundesrepublik mit persönlichem Einsatz zu hel-
fen.
Schon 1946 schloss sich Liselotte Funcke der FDP an.
Georg Leber trat im Jahr darauf in die SPD ein. Zehn
Jahre später, 1957, wurde der gelernte Maurer und über-
zeugte Gewerkschafter Georg Leber zum ersten Mal in
den Deutschen Bundestag gewählt, dem er sieben Legis-
laturperioden lang von 1957 bis 1983 angehörte. Von
1979 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im
Jahr 1983 war Georg Leber Vizepräsident des Bundesta-
ges. In dieses Amt brachte er seine große Fähigkeit zu
Ausgleich und zu Vermittlung ein, die auch nach seinem
Ausscheiden aus den politischen Ämtern von den Tarif-
partnern oft und gerne in Anspruch genommen wurde.
Nicht nur als Parlamentarier, sondern auch als Minis-
ter hat Georg Leber sich Respekt und Anerkennung ver-
dient. Das gilt nicht nur für seine Zeit als Bundesver-
kehrsminister in der ersten Großen Koalition.
Unvergessen ist er vor allem im Amt des Verteidigungs-
ministers, in dem er hohes Ansehen genoss - insbeson-
dere bei den Soldaten.
Liselotte Funcke wurde 1961, nach elf Jahren im
nordrhein-westfälischen Landtag, zum ersten Mal in den
Bundestag gewählt und machte sich einen Namen als
Steuer- und Finanzexpertin. Auch als Vizepräsidentin
wurde sie von den Kolleginnen und Kollegen sehr ge-
schätzt. Zehn Jahre amtierte sie, bewies dabei Umsicht,
traf immer den richtigen Ton für ein gutes Miteinander.
1979 kehrte sie noch einmal in die nordrhein-westfäli-
sche Landespolitik zurück. Auf Wunsch ihrer Partei
wurde die „geborene Politikerin“, wie Walter Scheel sie
einmal genannt hat, Wirtschaftsministerin im Kabinett
von Ministerpräsident Johannes Rau.
Auch nach ihrer Zeit als Parlamentarier und Minister
blieben Liselotte Funcke und Georg Leber der Politik
verbunden. Georg Leber engagierte sich erfolgreich als
Vermittler in schwierigen Tarifverhandlungen. Liselotte
Funcke wurde von 1981 bis 1991 unter den Kanzlern
Helmut Schmidt und Helmut Kohl Ausländerbeauftragte
der Bundesregierung und war ihrer Zeit politisch voraus.
Sie sprach schon damals Themen an, die noch heute ak-
tuell sind: So wies sie auf die Herausforderungen durch
die demografische Entwicklung hin und betonte die
Chancen der Zuwanderung. Manche ihrer zunächst un-
bequemen Empfehlungen sind inzwischen fast zum poli-
tischen Gemeingut geworden.
Lieselotte Funcke und Georg Leber haben sich inner-
halb und außerhalb des Bundestages um unser Land ver-
dient gemacht. Wir werden ihnen ein ehrendes Anden-
ken bewahren. Ihren Angehörigen spreche ich im
Namen des ganzen Hauses meine Anteilnahme aus.
Sie haben sich zu Ehren der verstorbenen Kollegin
und der verstorbenen Kollegen von Ihren Plätzen erho-
ben. Ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun unsere
Tagesordnungspunkte 1 a und b sowie den Tagesord-
nungspunkt 2 auf:
1 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2013 ({2})
- Drucksache 17/10200 -
Überweisungsvorschlag:-
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016
- Drucksache 17/10201 Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
2 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Haushaltsbegleitgesetzes 2013 ({3})
- Drucksache 17/10588 Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss ({4})Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im
Rahmen der Haushaltsberatungen für die heutige Aussprache im Anschluss an die einstündige Einbringung
des Haushalts sechs Stunden, für Mittwoch acht Stunden, für Donnerstag neuneinhalb Stunden und für
Freitag dreieinhalb Stunden vorgesehen. Darf ich Ihr
Einverständnis zu dieser Vereinbarung feststellen? - Das
ist der Fall.
Dann erteile ich nun zur Einbringung des Haushalts
das Wort dem Bundesminister der Finanzen, Herrn
Dr. Wolfgang Schäuble.
({5})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die wirtschaftliche Lage, in die jede Haushaltsberatung eingebettet ist, wird auch in diesem Jahr überschattet von der Vertrauenskrise, die man sich angewöhnt hat verkürzt Euro-Krise zu nennen. Sie ist nicht
vorbei, auch wenn wir Kurs halten. Probleme aufgrund
zu hoher Staatsverschuldung, Instabilitäten im Bankensektor und als Folge Phasen der Unsicherheit auch in der
Realwirtschaft werden Europa und die Welt leider auch
in den nächsten Monaten noch beschäftigen.
Deutschland ist bisher gut durch die Krise gekommen. Die hervorragende wirtschaftliche Entwicklung der
letzten beiden Jahre schwächt sich allerdings etwas ab.
Das ist zum guten Teil eine Normalisierung, die mit dem
Auslaufen eines extrem dynamischen wirtschaftlichen
Aufholens nach der Rezession 2009 notwendigerweise
verbunden ist. Man muss einfach daran erinnern: Wir
hatten als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009
einen bis dahin nicht gekannten und unvorstellbaren
Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 5,1 Prozent.
Wir haben diesen schneller als alle anderen und schneller als erwartet in den Jahren 2010 und 2011 mit Wachstumsraten von jährlich 3,7 und 3,0 Prozent wieder aufgeholt. Aber dieser Prozess verlangsamt sich jetzt, und das
ist auch bei uns zu spüren.
Auch das weltwirtschaftliche Umfeld ist nicht mehr
so gut wie bisher. Im Übrigen blickt die ganze Welt auf
uns in Europa. So stehen in den nächsten Wochen wichtige Weichenstellungen bevor. Das ist der Rahmen, in
dem wir Finanzpolitik und damit den Bundeshaushalt
2013 gestalten müssen. Wir müssen uns wieder und wieder klarmachen, dass die Globalisierung ein Stadium erreicht hat, in dem sich wirtschaftliche oder politische
Entwicklungen in allen Teilen der Welt unmittelbar auf
uns in Europa und in Deutschland auswirken.
Nach dem Zusammenbruch der Bank Lehman
Brothers war die Finanz- und Wirtschaftskrise ja im Wesentlichen noch eine Krise der westlichen Industriestaaten, die zunächst einmal durch eine starke Dynamik in
den Schwellenländern teilweise ausgeglichen worden
ist. Jetzt hat sich aber auch die Dynamik in den Schwellenländern abgeschwächt, in China wie in Lateinamerika. Gleichzeitig bleibt die Wachstumsdynamik der
westlichen Industrieländer - in Europa und jenseits des
Atlantiks - geprägt von großen Unsicherheiten.
Vor den Wahlen in den USA besteht eine große Unsicherheit über den künftigen Kurs der amerikanischen
Politik bei der Bewältigung der viel zu hohen amerikanischen Staatsverschuldung. Daran muss man gelegentlich
erinnern. Die Weltwirtschaft weiß das und ist dadurch
belastet.
Natürlich belastet auch die Unsicherheit im EuroRaum. Investoren halten sich zurück. Sie warten ab, obwohl es - auch das muss man sagen - gute Investitionschancen in Europa gibt. Wir müssen uns darauf einstellen; und wir sind gut darauf eingestellt - anders als vor
zehn Jahren: Da galt Deutschland noch - man muss sich
daran erinnern; man glaubt es kaum - als der kranke
Mann in Europa.
Dass wir heute besser dastehen, ist nicht nur daran
festzumachen, dass wir die niedrigste Arbeitslosigkeit
seit zwei Jahrzehnten, seit der Wiedervereinigung in
Deutschland haben, und daran, dass wir den höchsten
Beschäftigungsstand aller Zeiten aufweisen. In Wahrheit
hat sich noch Grundlegenderes getan - das gibt uns allen
auch für die kommende Entwicklung Zuversicht -:
Deutschland ist ein ganzes Stück schockresistenter geworden. Unsere Widerstandskraft bei unvorhergesehenen Ereignissen ist größer geworden. Unternehmen, Arbeitnehmer, die Politik, wir alle haben im vergangenen
Jahrzehnt die Globalisierung angenommen, und wir haben uns besser darauf eingestellt.
In diesen Tagen hat das World Economic Forum
Deutschland für wettbewerbsfähiger als die Vereinigten
Staaten von Amerika erklärt. Das ist vielleicht nur eine
nette Randnotiz, aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, der harte Kern, der solchen Meldungen zugrunde
liegt, ist entscheidend. Die Unternehmen haben sich in
teils schmerzhaften Prozessen grundlegend restrukturiert; sie haben ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert und
sich damit gestärkt. Wir haben in den zurückliegenden
Jahren außerdem schmerzhafte Reformen unseres Arbeitsmarktes durchgeführt. Sie haben sich aber durch
und durch bewährt. Und die Bundesregierung hat
Deutschland gut durch die von außen kommende Krise
geführt. Sie hat mit ihrer Politik dazu beigetragen, dass
es erstmals seit langer Zeit wieder zu echtem Wirtschaftswachstum in Deutschland gekommen ist.
({0})
Wir haben übrigens auch Vorschlägen aus der Opposition widerstanden, die auf eine Rückabwicklung der erzielten Reformerfolge ausgerichtet gewesen sind.
Wir werden auch die Herausforderungen der Energiewende bewältigen, Schritt für Schritt.
({1})
Auch das ist eine Riesenaufgabe. Weil ich davon spreche, dass unser Land in allen seinen Teilen gegenüber
nicht vorherzusehenden Krisen widerstandsfähiger geworden ist, erwähne ich auch die Energiewende. Niemand konnte mit der Katastrophe Anfang des vergangenen Jahres rechnen. Dass sie Auswirkungen hatte, ist
aber auch klar. Die Energiewende trägt dazu bei, dass
wir auch insoweit widerstandsfähiger werden, dass wir
bezogen auf unvorhersehbare Entwicklungen besser vorbereitet sind. Das ist Vorsorge für die Zukunft, und deswegen werden wir diese Energiewende Schritt für
Schritt umsetzen. Auch daraus erwächst eine Stärkung
unseres Landes.
({2})
Sie können schwerlich bestreiten - Sie haben in den
zurückliegenden Jahren übrigens daran mitgewirkt, Herr
Kollege Poß, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition -,
({3})
dass unser Land insgesamt krisenresistenter geworden
ist, und das ist in einer nicht einfachen Zeit eine gute
Botschaft und eine gute Grundlage für unsere weitere
Arbeit. Das ist kein Grund, nachzulassen in den Anstrengungen, aber es ist eine gute Grundlage.
({4})
Jedenfalls können wir aufgrund dessen, was wir in
Deutschland in den zurückliegenden Jahren geschaffen
haben, zuversichtlich sein, dass selbst ein Nachlassen
der weltwirtschaftlichen Dynamik - das ist der entscheidende Punkt - die deutschen Unternehmen und die deutsche Wirtschaft weniger stark trifft, als das in früheren
Jahren der Fall gewesen wäre. Deswegen können wir
selbst angesichts der eher pessimistischen Schätzungen
wie etwa der jüngsten Schätzung der OECD in der vergangenen Woche, die einen Rückgang der wirtschaftlichen Aktivitäten im dritten und vierten Quartal vorhersagen, davon ausgehen, dass es nicht zu einem starken
Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen wird. Genau darauf hat der Präsident der Bundesagentur in diesen Tagen
erneut hingewiesen. Auch das ist eine wichtige Grundlage für Zuversicht und für weitere konsequente Politik.
({5})
Aber natürlich bleibt die Überwindung der Vertrauenskrise im Euro-Raum von zentraler Bedeutung. Die
Bundesregierung bzw. die Bundeskanzlerin hat wieder
und wieder betont, dass es den einen Befreiungsschlag
nicht geben wird. Wir müssen die Fehler da korrigieren,
wo sie entstanden sind, und wir müssen Schritt für
Schritt verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen.
Die Ursachen liegen - auch das darf man nicht übersehen, und man muss es wieder und wieder in Erinnerung
rufen - in Fehlern der Finanz- und Wirtschaftspolitik der
Mitgliedsländer, und sie können nur dort korrigiert werden.
({6})
Daran führt kein bequemer Ausweg vorbei, weder in
Form einer Vergemeinschaftung der Haftung noch durch
einen lockeren Umgang mit der Banknotenpresse. Diese
Einsicht, dass daran kein Weg vorbeiführt, ist die Grundlage aller Entscheidungen zu europäischen Rettungsschirmen und auch der Europäischen Zentralbank.
Die Europäische Zentralbank ist unabhängig.
({7})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir alle sind gut gefahren mit der Unabhängigkeit dieser vorrangig der
Geldwertstabilität verpflichteten Institution. Deswegen
muss die Unabhängigkeit der EZB verteidigt und respektiert werden.
({8})
Man kann unterschiedlicher Meinung darüber sein, in
welchem Maße eine Zentralbank ihre Entscheidungen
für Märkte berechenbar machen sollte, weil mit Berechenbarkeit immer auch eine Einladung zu Spekulation
verbunden sein könnte. Vor diesem Hintergrund kann
man auch das Wort „unbegrenzt“ unterschiedlich interpretieren und darüber viel diskutieren. Nur, man muss
das zuvor Gesagte bedenken.
Jedenfalls ist entscheidend, dass ohne konsequente
Reformen, ausgehandelt mit den drei Institutionen Internationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank
und EU-Kommission und konsequent durch diese Institutionen überwacht - das ist das, was man „Troika“
nennt -, in den Mitgliedstaaten gar nichts geht. Das
nennt man Konditionalität. Diese Konditionalität ist unabdingbare Voraussetzung für jedes europäische Hilfsprogramm.
({9})
Das steht in den Verträgen, in der EFSF und auch im
ESM, wenn er denn demnächst in Kraft tritt. Daran ändert sich für die Zukunft nichts.
Übrigens weiß auch die Europäische Zentralbank,
dass über Programme der EFSF oder zukünftig des ESM
nur verhandelt werden kann, wenn zuvor der Deutsche
Bundestag der Aufnahme solcher Verhandlungen über
ein Anpassungsabkommen zugestimmt hat. Das ist bekannt, und auch daran wird sich nichts ändern.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit dieser konsequenten, von manchen als engstarrig angesehenen Haltung, dem Bestehen auf Konditionalität, darauf, dass
jede Hilfe immer Hilfe zur Selbsthilfe sein muss und
nicht daran vorbeiführen darf, dass die Ursachen der
Probleme bekämpft werden, mit der Auffassung, dass
wir Zeit kaufen können, aber dass wir nicht anstelle der
Lösung Zeit kaufen dürfen und die Probleme nicht auf
die lange Bank schieben dürfen, mit dieser Haltung also
sind wir in der Krise gut vorangekommen. In Portugal
zeigen die makroökonomischen Kennziffern, dass die
Reformen greifen. Irland ist bereits dabei, wieder Zugang zu den Finanzmärkten zu finden. Selbst Griechenland hat beachtliche Schritte zur Reduzierung seiner
Haushaltsdefizite unternommen.
Der nächste Troika-Report wird ergeben, ob und inwieweit die strukturellen Maßnahmen umgesetzt worden
sind. Aber es ist klar: Alle Verpflichtungen aus dem erst
zu Beginn dieses Jahres vereinbarten Programm müssen
erfüllt werden. Wenn das nicht der Fall wäre, würde
erneut Vertrauen zerstört und erneut die Ansteckungsgefahr für die gesamte Euro-Zone vergrößert werden.
Deswegen kann es in dieser Frage keine neuen Verhandlungen geben. Vielmehr muss das, was vereinbart worden ist, von allen Beteiligten umgesetzt und erfüllt werden.
({10})
Im Übrigen haben alle Länder der Euro-Zone, insbesondere die oft genannten Länder Spanien und Italien,
beachtliche Fortschritte gemacht: in der Finanzpolitik
durch Reduzierung ihrer Defizite, durch strukturelle Reformen zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit.
Insgesamt sind wir in der Euro-Zone auf dem richtigen
Weg.
Die Mängel in der Architektur der Währungsunion,
die wir bei ihrer Gründung in Kauf nehmen mussten
- darüber gab es in den 90er-Jahren eine intensive Debatte - werden konsequent korrigiert. Wir sind in der
haushaltspolitischen Überwachung weit vorangekomBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
men. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat jetzt mehr
Biss, und er kann nicht mehr so leicht ausgehebelt werden wie im Jahre 2003, als er unter den Regierungen
Chirac und Schröder erheblich beschädigt worden ist.
Das ist für die Zukunft ausgeschlossen.
({11})
Im Fiskalvertrag haben sich 25 europäische Staaten
- alle Mitgliedstaaten der Euro-Zone und acht der zehn
weiteren Mitgliedsländer der Europäischen Union dazu verpflichtet, in ihre nationale Rechtsordnung
Schuldenbremsen einzufügen, die der Schuldenbremse
des Grundgesetzes sehr ähnlich sind. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wer vor zwei Jahren vorausgesagt
hätte, dass sich darauf 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichten würden, der hätte im besten
Fall ein mildes Lächeln geerntet. Dies zeigt, dass ein
Einstellungswandel in Europa Platz gegriffen hat: Wir
lernen aus den Fehlern der Vergangenheit; die Krise
führt zu ihren Lösungen.
({12})
Wir sind übrigens auch bei der Finanzmarktregulierung gut vorangekommen. Das kann man länger ausführen, aber das will ich heute nicht tun. Auf eines will ich
jedoch hinweisen: Finanzlehren zu ziehen aus dem Mangel an Regulierung, der zu den Übertreibungen, zur Finanz- und Wirtschaftskrise geführt hat, ist auch ein
wichtiges Ziel; denn dadurch wird dazu beigetragen, die
Staatsschuldenkrise zu überwinden. Wenn die Banken
mehr Eigenkapital halten müssen, wenn das Leveraging
stärker begrenzt wird, wird man zwar bei den Renditeerwartungen nicht mehr von einer Untergrenze von
25 Prozent ausgehen können, aber die Ansteckungsgefahren für Banken in Staatsschuldenkrisen werden reduziert. Auch das trägt dazu bei, dass wir weniger krisenanfällig als in der Vergangenheit werden.
Wir brauchen - auch das hat die Krise gezeigt - eine
Mindestvereinheitlichung im europäischen Bankenrecht.
Ich will das ein wenig präziser darlegen, weil in der öffentlichen Debatte ein paar Dinge durcheinandergehen.
Eine durchgreifende europäische Bankenaufsicht und
klare Regeln zur Restrukturierung notleidender Banken,
die von dieser europäischen Bankenaufsicht durchgesetzt werden können, sind notwendig. Deswegen haben
die Staats- und Regierungschefs die Finanzminister mit
der Konkretisierung einer solchen Aufsicht beauftragt,
und sie haben die Kommission gebeten, Vorschläge dazu
zu erarbeiten. Die Kommission wird morgen ihre ersten
Vorschläge dazu vorstellen, die bis zum Jahresende im
Rat beraten werden sollen.
Erst wenn eine solche europäische Aufsicht unter
Einbeziehung der Europäischen Zentralbank, also ein
wirksamer einheitlicher Aufsichtsmechanismus für Banken des Euro-Währungsgebiets, eingerichtet worden ist,
könnte der Stabilitätsmechanismus ESM gemäß der Vereinbarung der Staats- und Regierungschefs vom 28. Juni
2012 und vorbehaltlich jeweiliger parlamentarischer Zustimmungen die Möglichkeit bekommen, Banken zu rekapitalisieren. Nur wer die Aufsichtskompetenzen hat
- das war der Grund dieser Regelung - und auch Restrukturierung durchsetzen kann, kann notfalls Kapital
zuschießen. Das darf man nicht voneinander trennen.
Im Übrigen will ich darauf hinweisen: Auch wenn ein
solcher Beschluss gefasst würde, der übrigens eine Änderung der Leitlinien für den ESM voraussetzen würde,
die wir wiederum zuvor im Bundestag beraten und verabschieden müssten, würde es dabei bleiben, dass mit einem Mitgliedsland, das einen Antrag für eine solche direkte Bankenrekapitalisierung durch den ESM stellt,
auch entsprechende Anpassungsmaßnahmen - Stichwort
„Konditionalität“ - vereinbart würden. Daran wird sich
nichts ändern, und daran darf sich nichts ändern.
({13})
Im Übrigen muss allen Beteiligten klar sein, dass der
Aufbau einer schlagkräftigen europäischen Bankenaufsicht eine komplexe Aufgabe ist. Gründlichkeit geht vor
Schnelligkeit. Übereilte Scheinlösungen werden uns dabei nicht helfen.
({14})
Wir sollten uns deswegen zunächst auf diejenigen Banken konzentrieren, die auf europäischer Ebene Systemrelevanz haben können.
Mir scheint es unrealistisch zu sein, in sehr kurzer Zeit
eine schlagkräftige europäische Aufsicht für 6 000 bis
8 000 Institute aus dem Boden stampfen zu wollen. Im
Übrigen brauchen wir eine klare Trennung vom geldpolitischen Mandat der Europäischen Zentralbank, die sich
zumindest in den Organisations- und Entscheidungsstrukturen niederschlagen muss. Nicht zuletzt brauchen
wir in jedem europäischen Staat eigene funktionierende
Einlagensicherungssysteme und Rekapitalisierungsregeln.
({15})
Hierzu liegen Regelungsvorschläge der Kommission in
Form ausgearbeiteter Richtlinien vor. Wir setzen uns dafür ein, diese Rechtsetzungsverfahren zügig abzuschließen.
Aber dies alles, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
muss von den Überlegungen, mit denen die vier Präsidenten, die sogenannte Van-Rompuy-Gruppe, beauftragt
sind, streng getrennt werden. Ihnen geht es darum,
grundlegende institutionelle Veränderungen in Richtung
auf eine wirkliche Fiskal- und Bankenunion voranzubringen. Das ist aber ein anderes Thema. Wir müssen
uns auf das konzentrieren, was jetzt auf der Tagesordnung steht, und dürfen das nicht mit anderen Punkten
verwechseln. Man leistet den ernsthaften Bemühungen
um eine schlagkräftige europäische Bankenaufsicht im
Übrigen einen Bärendienst, wenn man sie auf Fragen gemeinsamer oder geeigneter Mittelaufbringung reduziert.
Natürlich versteht mancher in Europa unter dem Stichwort „Bankenunion“ viel mehr. In der kurzen Frist sollte
sich die Europäische Kommission allerdings auf den konkreten Auftrag konzentrieren, also auf das unmittelbar
Anstehende und Machbare. Eine weitergehende Debatte
über eine Bankenunion als Teil einer echten europäischen
Stabilitätsunion hat gewiss ihre Berechtigung. Aber ein
solches Konzept gehört in den Gesamtkontext der notwendigen institutionellen Vertiefung in Europa und in der
Euro-Zone. Dafür werden die vier Präsidenten, Van
Rompuy als Ratspräsident zusammen mit den Präsidenten von Kommission, EZB und Euro-Gruppe, den Staatsund Regierungschefs im Laufe des Herbstes entsprechende Vorschläge vorlegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vertrauenskrise
im Euro-Raum hat - das habe ich eingangs erwähnt natürlich Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in
Europa und der ganzen Welt. Die Bundesregierung hat
das Wirtschaftswachstum mit real 0,7 Prozent in diesem
Jahr und 1,6 Prozent im nächsten Jahr - das waren die
Zahlen der Frühjahrsprognose der Bundesregierung von Anfang an vorsichtig geschätzt. Diese Schätzung ist,
auch was die Entwicklung in diesem Jahr betrifft, mit
Blick auf die aktuellen Zahlen nach unten gut abgesichert.
Die aktuellen Konjunktureinflüsse machen deutlich:
Ohne ein wettbewerbsfähiges Europa und ohne solide
Staatsfinanzen, auch in anderen europäischen Ländern,
wird es auch für uns in Deutschland keine nachhaltige
Entwicklung geben. Das gilt für die Wirtschaft wie für
die öffentlichen Haushalte. Deshalb - ich wiederhole
dies - ist unser Engagement in Europa und für Europa
vor allem eine gute Investition in unsere eigene Zukunft.
Wir leisten mit dem Haushalt 2013 einen wichtigen
Beitrag auch zur Stabilisierung der Euro-Zone. Wir setzen national unseren Weg der wachstumsfreundlichen
Konsolidierung konsequent fort. Wir sind in dieser Legislaturperiode - daran muss man erinnern - mit einer
im Haushaltsentwurf 2010 vorgesehenen Neuverschuldung von rund 86 Milliarden Euro gestartet. Wir konnten die Neuverschuldung seither konsequent abbauen,
auf 18,8 Milliarden Euro im vorliegenden Entwurf des
Bundeshaushalts 2013. Wir senken die Neuverschuldung in diesem Regierungsentwurf auch gegenüber den
im März veröffentlichten und festgelegten Eckwerten
weiter ab. Im Vergleich zum Soll des Jahres 2012 - so
wie es im Haushalt 2012 beschlossen worden ist, einschließlich des Nachtragshaushaltes - handelt es sich um
einen Rückgang der Neuverschuldung um 13,3 Milliarden Euro.
({16})
Wir werden die Neuverschuldung auch im Haushalt 2014, dessen Eckwerte wir im Frühjahr des nächsten
Jahres beschließen und vorstellen werden, weiter konsequent zurückführen. Das ist ein wesentlicher Beitrag der
Bundesrepublik Deutschland, um die gesamtstaatlichen
Verpflichtungen aus dem Europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt und aus dem Fiskalvertrag zu erfüllen.
Ich will hinzufügen: Diese Leistungen aus dem Bundeshaushalt sind umso bemerkenswerter, als dass der
Bund den Ländern und Gemeinden in dieser Legislaturperiode in erheblichem Umfang zusätzliche Finanzmittel
zur Verfügung gestellt hat, die dazu beigetragen haben,
dass die Länder und Kommunen insgesamt gesehen bereits einen nahezu ausgeglichenen Haushalt haben. Auch
das muss man sich gelegentlich in Erinnerung rufen.
({17})
Wir werden die Konsolidierungspolitik zur Reduzierung der Neuverschuldung in den weiteren Jahren des
Finanzplanungszeitraums fortsetzen. Damit gelingt es
uns nicht nur, die Vorgaben der Schuldenbremse im
Grundgesetz einzuhalten, sondern wir übertreffen diese
Vorgaben weit. Der Bund kann noch in dieser Legislaturperiode, also im nächsten Jahr, und damit drei Jahre früher als nach der Schuldenbremse des Grundgesetzes erforderlich, die eigentlich ab 2016 geltende Obergrenze
für das strukturelle Defizit des Bundes von 0,35 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts einhalten und in den Folgejahren deutlich unterschreiten. Das heißt, wir bleiben im
kommenden Jahr um rund 24 Milliarden Euro unterhalb
des vom Grundgesetz erlaubten Defizits.
Herr Kollege Schneider, Ihr Jahr für Jahr wiederholter
und unredlicher Vorwurf, wir würden irgendwelche
Polster ansparen, um am Ende der Legislaturperiode aus
dem Vollen zu schöpfen, ist damit wohl endgültig widerlegt. Ich hoffe, Sie werden ihn heute erstmals nicht erheben.
({18})
Wir senken die Neuverschuldung, indem wir das Ausgabenwachstum strikt begrenzen. So haben wir das
schon im Koalitionsvertrag zu Beginn der Legislaturperiode festgelegt.
Der Regierungsentwurf zum Haushalt 2013 und der
Finanzplan bis 2016 sehen vor, dass die Ausgaben des
Bundes 2013 302,2 Milliarden Euro betragen sollen. Sie
unterschreiten damit das Soll des Jahres 2012 um rund
10 Milliarden Euro. 2014 sollen sich die Ausgaben nach
dem Finanzplan auf 302,9 Milliarden Euro, 2015 auf
303,3 Milliarden Euro und 2016 auf 309,9 Milliarden
Euro belaufen. Wir führen unsere seit Beginn dieser Legislaturperiode eingeschlagene Linie einer fast vollständigen Konstanz des Ausgabevolumens bei veränderter
Prioritätensetzung innerhalb des Plafonds also konsequent fort.
Die Begrenzung der Ausgabensteigerung auf einen
Wert weit unterhalb der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts ist ein Paradigmenwechsel. In vergangenen Legislaturperioden sind die Ausgaben leider in
der Regel stärker gewachsen als die Einnahmen oder das
Bruttoinlandsprodukt. Als Folge daraus ist die Verschuldung des Bundes weiter angestiegen, und die finanzpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten haben abgenommen.
Wir verringern die Verschuldung des Bundes im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt und erhöhen damit den
Gestaltungsspielraum künftiger Generationen.
({19})
Mit dem Haushalt 2013 beraten wir heute auch das
Haushaltsbegleitgesetz, das einige Maßnahmen im Bereich der Sozialversicherungen enthält, die im Saldo zu
einer Entlastung des Haushalts um rund 4,9 Milliarden
Euro führen. Wir senken unter anderem den Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds einmalig um 2 Milliarden Euro, weil dieser Betrag zur Finanzierung des Sozialausgleichs wegen einer entsprechenden einmaligen
Erhöhung um 2 Milliarden Euro für Zusatzprämien nicht
gebraucht wurde. Das ist eine positive Wirkung der guten wirtschaftlichen Entwicklung der Beitragseinnahmen
am Arbeitsmarkt und zeigt: Eine solide Finanz- und
Wirtschaftspolitik zahlt sich auch in Bezug auf die soziale Sicherheit aus.
({20})
Im Übrigen bleibt der Zuschuss zum Gesundheitsfonds
unbeschadet der im Gesundheitswesen anfallenden
Überschüsse auf einem hohen Niveau.
Es gibt übrigens Schlimmeres als Überschüsse in den
gesetzlichen Sozialversicherungskassen, vor allem vor
dem Hintergrund unserer demografischen Entwicklung.
Man meint ja gelegentlich, es gebe kein größeres Problem als diese Überschüsse. Defizite sind jedenfalls ein
sehr viel größeres Problem.
({21})
- Ich wusste natürlich, dass Sie genau an dieser Stelle
protestieren. Überschüsse kennen Sie gar nicht. Sie hatten es immer nur mit Defiziten zu tun.
({22})
Es kommt zu einer Entflechtung zwischen dem Etat
der Bundesagentur für Arbeit und dem Bundeshaushalt.
Damit stärken wir die Eigenständigkeit der Bundesagentur weiter. Für den Wegfall der Beteiligung des Bundes
an den Kosten der Arbeitsförderung braucht die Bundesagentur im Gegenzug keinen Eingliederungsbeitrag
mehr für Langzeitarbeitslose an den Bundeshaushalt zu
leisten.
Die Sozialversicherungen erwirtschaften Überschüsse;
ich habe es gerade gesagt. Ich wiederhole: Es gibt
Schlimmeres. Für die gesetzliche Rentenversicherung
hat das Bundeskabinett am vergangenen Mittwoch eine
Reduzierung des Beitragssatzes zum 1. Januar 2013 beschlossen. Das ist im geltenden Regelwerk aufgrund der
gesetzlichen Rentenformel so vorgesehen, wenn die Reserven in der Rentenversicherung ein bestimmtes Niveau
überschreiten. Ich plädiere sehr dafür: Es ist ein Ausdruck von Berechenbarkeit und Verlässlichkeit, wenn
das für die Rentenversicherung geltende Regelwerk im
Einzelfall konkret angewandt und nicht je nach Kassenlage manipuliert wird.
({23})
Wir stärken auf diese Weise das Versicherungsprinzip
und vor allen Dingen Berechenbarkeit und Verlässlichkeit.
Im Übrigen bedeutet unser Konsolidierungskurs gerade eben nicht, dass wir Zukunftsinvestitionen im Bundeshaushalt zurückfahren.
({24})
- Nein.
({25})
Um für nachhaltiges Wachstum in Deutschland zu sorgen, setzen wir weiter auf gezielte Investitionen in Infrastruktur, in Bildung und Forschung. Die klassischen
Investitionen, insbesondere im Verkehrsbereich, also
Straße, Schiene, Wasserstraße und kombinierter Verkehr,
werden bei einem Betrag in Höhe von rund 10 Millionen
Euro stabilisiert.
({26})
- Entschuldigung, Milliarden! Vielen Dank. Aber Versprecher kommen gelegentlich vor. Das ist nicht der
erste, den ich heute in diesem Saal gehört habe.
({27})
Wir liegen mit diesen 10 Milliarden Euro deutlich
oberhalb des Niveaus vor Beginn der konjunkturellen
Ausgleichsmaßnahmen im Jahre 2009 - das ist die entscheidende Größe -, also vor den Gegenmaßnahmen, die
wir krisenbedingt beschlossen haben. Im Übrigen entfallen rund 53 Prozent, also mehr als die Hälfte, der Gesamtausgaben des Einzelplans des Verkehrsministeriums
auf Investitionsausgaben.
Aber vor allem fließen in den nächsten Jahren erhebliche Mittel in die Bereiche Bildung und Forschung und
damit in unabdingbare Investitionen in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
({28})
Der Einzelplan 30, also der Etat des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung, wächst 2013 um rund
800 Millionen Euro auf nunmehr 13,7 Milliarden Euro.
Der Bund unterstützt damit die Länder, die angesichts
der stark gestiegenen Zahl von Studienanfängern für die
Schaffung zusätzlicher Studienplätze originär zuständig
sind.
Bildung und Forschung sind die klar erkennbare Priorität dieser Bundesregierung. Zwischen 2006 und 2013
ist der Anteil des Einzelplans 30 an den Gesamtausgaben
des Bundeshaushalts um mehr als 50 Prozent gestiegen.
2006 betrug der Anteil 3 Prozent; 2009 betrug er
3,4 Prozent, und im Jahre 2013 liegt der Anteil bei
4,6 Prozent. Die Bundesregierung meint es also ernst mit
dem Motto „Vorfahrt für Bildung und Forschung“. Wir
reden nicht nur davon, wie es andere Regierungen früher
getan haben.
({29})
Wir hatten zu Beginn dieser Legislaturperiode vereinbart und verkündet, dass wir die Mittel für Bildung und
Forschung trotz der notwendigen Konsolidierung insgesamt in der Legislaturperiode um 12 Milliarden Euro
aufstocken werden. Wir haben in dieser Legislaturperiode mehr als Wort gehalten. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal besonders die Bundesmittel
für die erste Säule des Hochschulpakts 2020 erwähnen,
die sich im kommenden Jahr auf rund 1,8 Milliarden
Euro belaufen werden.
Mit Investitionen in Bildung und Forschung und in
die Ausbildung der Jugend, mit Investitionen auch in die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzt die Bundesregierung die richtigen Schwerpunkte, um Wirtschaft und
Gesellschaft auf den demografischen Wandel vorzubereiten. Die Bundeskanzlerin hat wieder und wieder darauf hingewiesen - nicht um neue Ängste zu schüren,
sondern um uns diesen stattfindenden demografischen
Wandel bewusst zu machen -, dass es ein Schwerpunkt
unserer Bemühungen insgesamt, also gesamtstaatlich
und gesamtgesellschaftlich, sein muss, uns auf diesen
Wandel rechtzeitig vorzubereiten und Vorsorge zu treffen. Ich glaube, soweit wir haushalterisch unseren entsprechenden Beitrag leisten können, sind das die richtigen Maßnahmen.
Wir werden übrigens mit dem Haushalt 2013 auch unserer globalen Verantwortung weiter gerecht. Der Bund
hat seine direkten Aufwendungen für Entwicklungszusammenarbeit in den zurückliegenden Jahren erheblich
gesteigert. Nach der OECD-Statistik hat Deutschland im
Jahr 2011 insgesamt rund 14,5 Milliarden US-Dollar an
öffentlichen Mitteln für diesen Bereich aufgewandt. Wir
waren damit in absoluten Zahlen nach den USA der
zweitgrößte Geber weltweit. Man muss das auch einmal
sagen.
({30})
Das hohe Ausgabenniveau des Einzelplans des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, aus dem ein Großteil der Mittel für die
Entwicklungszusammenarbeit finanziert wird, wird
2013 noch einmal auf dann rund 6,42 Milliarden Euro
erhöht. Gegenüber dem bislang geltenden Finanzplan
werden damit zusätzliche Mittel in Höhe von rund
670 Millionen Euro als öffentliche Entwicklungshilfe
- ODA - bereitgestellt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nun will ich von
der Ausgaben- zur Einnahmeseite des Haushalts und damit zur Steuerpolitik kommen.
({31})
- Das mag sein. Manche in der Opposition haben ja ein
fast schon eindimensionales Verständnis von Steuerpolitik, das offenbar nur in eine Richtung geht, nämlich immer mehr Steuererhöhungen. Das ist das Einzige, was
ihnen einfällt. Dieses Verständnis teilt die Bundesregierung ausdrücklich nicht.
({32})
- Herr Kollege Oppermann, wenn man Ihren Zwischenruf „Steuersenkungen auf Pump!“ einen Moment hinterfragt, dann erkennt man, dass das allein schon Ihre
Grundannahme zeigt: Sie gehen davon aus, dass eigentlich alles, was die Bürger nicht an den Staat abführen, irgendetwas ist, das nicht in Ordnung ist. Deswegen sagen
Sie: „Steuersenkungen auf Pump!“ Nein, es geht darum:
Wir erheben Steuern zu nichts anderem als zur Finanzierung staatlicher Aufgaben und Ausgaben.
({33})
Deswegen sind Steuersenkungen lediglich weniger Steuern, die wir einnehmen; sie können gar nicht auf Pump
finanziert werden. Das ist in sich ein logischer Denkschluss. Aber wenn man von dem Ansatz ausgeht, dass
eigentlich alles dem Staat ist, der dann großzügigerweise
den Bürgern ein paar Euro übrig lässt, dann kann man
natürlich zu solchen Zwischenrufen kommen. Sie sollten
in Zukunft solche Zwischenrufe besser nicht machen.
({34})
Im Übrigen sollten wir es einmal klar sagen: Deutschland hat wirklich kein Einnahmeproblem. Das Schwadronieren über eine angebliche Unterfinanzierung unseres Staates mag in manchen Ländern berechtigt sein.
Aber wir in Deutschland haben ein insgesamt auskömmliches Einnahme- und Ausgabenniveau.
({35})
Deshalb, Frau Kollegin Hagedorn, machen wir genau
das andere: Wir schließen die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben nicht, indem wir immer die Steuern
erhöhen, sondern wir schließen diese Schere - die Haushalts- und Finanzpolitik zeigt es -, indem wir die Ausgaben langsamer wachsen lassen als die Einnahmen, und
zwar ohne Steuererhöhungen. Das ist nachhaltige Finanz- und Steuerpolitik.
({36})
Eine moderate Begrenzung des Ausgabenwachstums
ist die beste wachstumsfreundliche Politik. Dazu gehört
im Übrigen auch, dass der Staat nicht heimlich Inflationsgewinne einstreicht: durch verdeckte Steuererhöhungen, die sogenannte kalte Progression, die schleichend immer größere Teile des Einkommens der
Bürgerinnen und Bürger betrifft.
({37})
Neben der Haushaltskonsolidierung und den Investitionen in Wachstumsbereichen gehört für uns zu einer
wachstumsfreundlichen Finanzpolitik auch, durch gesetzgeberische Maßnahmen zu Korrekturen zu kommen,
wenn es inflationsbedingte Mehreinnahmen gibt.
({38})
Der Verzicht auf Einnahmen aus der kalten Progression
ist übrigens auch ein klares Bekenntnis zu dauerhafter
Geldwert- und Preisstabilität und zu größerer Steuergerechtigkeit.
So hoffe ich, dass über unseren Gesetzentwurf im
Herbst im Vermittlungsausschuss eine Einigung mit dem
Bundesrat erzielt werden kann, damit das Gesetz zum
Abbau der kalten Progression rechtzeitig im kommenden
Jahr in Kraft treten kann und die Bürgerinnen und Bürger nicht permanent zusätzlich belastet werden, was
ohne einen Beschluss des Gesetzgebers der Fall wäre.
Es geht dabei um mehr als um einen einmaligen
Schritt. Es geht um die systematische Überprüfung des
Zusammenwirkens von Preissteigerungen und Steuerprogression. Dieses Zusammenwirken soll alle zwei
Jahre überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden,
um einen grundlegenden Ausstieg aus heimlichen, so
vom Gesetzgeber nicht beschlossenen Steuererhöhungen
sicherzustellen. Im Übrigen haben wir im Haushalt 2013
und auch im Finanzplan die Auswirkungen dieses Gesetzes bereits vollständig berücksichtigt. Das zeigt, Herr
Kollege Oppermann, dass der Verzicht auf vom Gesetzgeber nicht beschlossene Steuereinnahmen finanz- und
haushaltspolitisch durchaus möglich ist, ohne dass wir
das Erreichen der Konsolidierungsziele gefährden.
({39})
Ich habe eben gesagt, dass manche in der Opposition
ein etwas eindimensionales Verständnis von Steuerpolitik zu haben scheinen, das immer nur in Richtung höherer Steuerbelastung geht. Das will ich ausdrücklich auch
auf manche absurden Debatten in der Sommerpause über
eine Besteuerung der Reichen beziehen, in denen sich einige ziemlich vergaloppiert haben.
In der Sache betrifft diese Debatte eher die Mittelschicht und damit die mittelständischen deutschen
Unternehmen. Ich will es noch einmal sagen: Unser
Steuersystem weist keinen grundlegenden Mangel an
Gerechtigkeit auf, anders als es den Menschen gelegentlich eingeredet wird. Das obere 1 Prozent in der Einkommenspyramide trägt immerhin deutlich mehr als 20 Prozent zum gesamten Einkommensteueraufkommen bei.
Die oberen 10 Prozent tragen mehr als die Hälfte zum
gesamten Einkommensteueraufkommen bei. Die unteren
50 Prozent in der Einkommensteuerstatistik tragen nur
zu rund 5 Prozent zum Einkommensteueraufkommen
bei. Das alles zeigt: Der soziale Ausgleich über die steuerliche Progression funktioniert in unserem Land ganz
gut, nicht mehr und nicht weniger.
({40})
Ich sage das gar nicht kritisch. Ich weise nur auf die Zusammenhänge hin, weil es gelegentlich in der Öffentlichkeit völlig verzerrt dargestellt wird.
Im Übrigen ist die Besteuerung von Vermögen eben
nicht so trivial, wie Sie gelegentlich zu meinen scheinen.
Es handelt sich bei jeder Art der Besteuerung von Vermögen um eine Steuer, die außergewöhnlich schwierig
zu justieren ist. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht sie schon vor Jahren für verfassungswidrig erklärt.
({41})
- Ja, doch. Ich werde es Ihnen gleich erklären. Wenn Sie
sich einmal beruflich mit Steuerrecht beschäftigt haben,
dann wissen Sie, dass Bewertungsfragen außerordentlich
kompliziert sind. Des Weiteren kommt die Volatilität in
Zeiten der Globalisierung hinzu.
Zunächst zum Bewertungsproblem. Wenn Sie in erster Linie Unternehmensvermögen besteuern wollen,
dann müssen Sie aufpassen, wen Sie treffen. Es ist eben
schwierig, eine gerechte Bemessungsgrundlage für das
Vermögen zu finden, das nicht nur auf dem Papier besteht. Das ist das Problem jeder Bewertung. Wenn Sie
dann unternehmerische Aktivitäten behindern oder Unternehmer ins Ausland treiben, dann haben Sie am Ende
für die Arbeitnehmer nichts gewonnen, im Gegenteil.
Das ist das Problem jeder Besteuerung.
Wenn Sie jede Form von Vermögen gemäß dem Gebot der Gleichheit gleich besteuern, dann haben Sie das
Problem der Bewertung, also das Problem, wie Vermögenswerte bzw. eingesetztes Kapital im Vergleich zu anderen Vermögen, zum Beispiel zu Geldvermögen, unter
Berücksichtigung der Volatilität richtig zu bewerten
sind. Wenn Sie bedenken, wie sehr wir heute dem Druck
durch die Globalisierung ausgesetzt sind und dass Kapital dort investiert wird und Arbeitsplätze dort geschaffen
werden, wo günstige Bedingungen herrschen, dann dürfen Sie nicht so leicht daherschwadronieren, wie Sie es
gelegentlich tun. Auch Sie haben eine Verantwortung für
Wirtschaft und Vollbeschäftigung. Wir sind dieser Verantwortung mit unserer Politik gerecht geworden.
({42})
Ich bestreite nicht, dass wir die Ausgestaltung unseres
Systems weiter verfeinern können und verfeinern müssen. Wenn aber uns und unseren Bürgern für das Jahr
2012 das Bild einer düsteren Wirtschaftslage und eines
Gegensatzes von Arm und Reich gemalt wird, dann ist
das eher ein Hirngespinst und das genaue Gegenteil der
Wirklichkeit, die die Menschen in unserem Land täglich
erleben.
({43})
- Sie können den real existierenden Sozialismus immer
wieder heraufbeschwören. Das Problem ist aber, dass
Sie auch noch versuchen, Ihre Hirngespinste zu realisieren. Die Wirklichkeit war damals so traurig, dass wir das
nicht noch einmal in Deutschland und in Europa erleben
wollen.
({44})
Ich muss in diesem Zusammenhang auch ein Wort zu
dem Steuerabkommen mit der Schweiz sagen. Ich hoffe
sehr, dass es uns gelingt, es noch zu ratifizieren. Wir
sollten aufhören, in einer Weise in Europa aufzutreten,
dass unsere kleineren Nachbarn das Gefühl haben, wir
würden bei ihnen andere Maßstäbe ansetzen.
({45})
- Bleiben Sie doch ganz ruhig.
({46})
Ich habe hinreichend Geduld,
({47})
darauf zu warten, dass Sie in Ruhe den Hinweis akzeptieren, dass es Deutschland nicht gut bekommt, wenn wir
den Eindruck erwecken, wir würden gegenüber Nachbarn in Europa, insbesondere gegenüber kleineren, nicht
die Prinzipien respektieren, die wir selber für uns als
notwendig, richtig und angemessen halten.
({48})
Ich glaube auch gar nicht, dass Sie mir da im Grundsatz
widersprechen.
Deswegen will ich in aller Ruhe sagen: In Deutschland lehnen wir die rückwirkende Einführung von belastenden Gesetzen aus Verfassungsgründen ab. Das ist ein
Prinzip unseres Rechtsstaats. Das brauchen wir uns gegenseitig gar nicht vorzuhalten. Das Verfassungsgericht
würde im Übrigen auch jeden Verstoß dagegen rügen.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das in
Deutschland so ist, dann sollte doch niemand auf die
Idee kommen, von einem Land wie der Schweiz, die
auch ein demokratischer Rechtsstaat ist - manche sagen
sogar, länger als wir -, etwas anderes zu verlangen. Die
Schweiz wird ihre Gesetze genauso wenig rückwirkend
außer Kraft setzen können, wie wir das in Deutschland
tun. Das ist der entscheidende Punkt bei diesem Abkommen. Darüber sollten wir uns nicht hinwegtäuschen.
({49})
- Herr Kollege Oppermann, das ist ein zentraler Punkt.
Wir haben ein Abkommen, mit dem wir für die Zukunft
Anlagen in der Schweiz genauso behandeln wie in
Deutschland. Mehr kann man vernünftigerweise nicht
wollen.
Für die Zukunft gibt es keinen anderen Schutz für
Steuerpflichtige als den in Deutschland. Für die Vergangenheit kann nicht rückwirkend gesetzlich Zugesagtes
aufgehoben werden. Sie müssen zur Kenntnis nehmen,
dass die Steueransprüche, übrigens auch strafrechtliche
Verfolgungsansprüche, in der Regel in zehn Jahren verfallen. Bei allen Vermögen, die schon länger als zehn
Jahre in der Schweiz sind, geht es nur um die Besteuerung von Erträgen. Die Pauschalbesteuerung, die wir für
diejenigen vereinbart haben, für die wir nicht die Regelbesteuerung durchführen konnten, ist höher als die Besteuerung nur der Erträge in diesen zehn Jahren. Mehr ist
mit einer Regelung für die Vergangenheit, wenn man
nicht die Rückwirkung von gesetzlichen Regelungen in
der Schweiz fordern will, wirklich nicht zu erreichen.
In aller Ruhe: Ich habe immer gesagt, dass auch das
OECD-Musterabkommen gilt. Am 18. Juli ist eine neue
Kommentierung des OECD-Musterabkommens auch zu
den Gruppenanfragen in Kraft getreten. Wenn Sie sich
das genau anschauen, dann werden Sie sehen: Alle die
Argumente, die gegen das Abkommen vorgebracht werden, laufen, wenn man sie ernsthaft prüft, völlig ins
Leere. Wenn es kein Abkommen gibt, gibt es auch keine
Regelung, die das Abschleichen aus der Schweiz verhindern wird. Auch das ist klar. Übrigens: Wenn es ein Abschleichen aus der Schweiz geben sollte, dann zeigt das
nur, dass das Abkommen für die Steuerpflichtigen offenbar nicht so attraktiv ist, wie Sie es darstellen. Auch darin liegt ein gewisser Widerspruch. Ich sage mit großem
Ernst: Ich hoffe, dass wir in einer vernünftigen, angemessenen und sachlichen Diskussion unserer Verantwortung gerecht werden.
Dann will ich noch eine weitere Bemerkung machen.
Ja, solange wir den Zustand haben, den wir durch das
Abkommen - und nur durch das Abkommen - ändern
können, solange wir den unbefriedigenden Zustand von
heute haben, haben wir uns in schwierigen, höchst umstrittenen Entscheidungen gelegentlich für den Ankauf
von Datensammlungen ausgesprochen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann ja wohl niemand im
Ernst die Auffassung vertreten, dass die Gesetzmäßigkeit des Vollzugs von Gesetzen als Prinzip, als Regelfall
auf die Zusammenarbeit mit mehr oder weniger kriminellen Figuren gestützt werden soll. Als Ausnahme mag
es im Einzelfall gerechtfertigt sein; diese Entscheidung
haben wir miteinander getroffen. Darauf aber den Regelvollzug der Besteuerung stützen zu wollen, ist die Perversion des Rechtsstaats.
({50})
Eine weitere Bemerkung. Wir sind in der Sommerpause ja geradezu wie mit Sternschnuppen überschüttet
worden mit immer neuen Meldungen von immer neuen
Datensammlungen und Ermittlungsverfahren usw. Ich
habe mich immer wieder dringend erkundigt, auch beim
Bundesamt für Finanzen. Wir hatten vor Jahren eigentlich
eine feste Verabredung zwischen den Steuerverwaltungen
von Bund und allen Ländern, wie in solchen Fällen, auch
im Sinne gegenseitiger Unterrichtung, verfahren wird.
Frau Bundeskanzlerin, ich muss Ihnen sagen: Ich habe
keine Kenntnisse über neue Angebote oder neue Vereinbarungen; ich weiß dazu nichts. Die anderen Bundesländer - ich habe herumgefragt - haben auch keine Kenntnisse. Es gibt aus Nordrhein-Westfalen eine Fülle von
Meldungen, die allerdings bisher nicht in den vereinbarten Unterrichtungsmechanismen irgendeinem anderen
Land mitgeteilt worden sind. Ob das alles stimmt oder
nicht, kann ich nicht überprüfen. Merkwürdig ist es ein
wenig.
({51})
Deswegen sage ich: Lassen Sie uns in allem Ernst zu
einer vernünftigen, sachgerechten, verantwortlichen Lösung bei der Herstellung von Gerechtigkeit beim Vollzug
unserer Steuergesetze und beim Umgang mit unseren
Nachbarn in Europa kommen.
Gleiche Abkommen haben im Übrigen das Vereinigte
Königreich und Österreich - ich glaube, der Bundeskanzler in Österreich ist gar nicht Mitglied der Europäischen Volkspartei; er gehört, glaube ich, Ihrer sozialdemokratischen Parteienfamilie an - abgeschlossen. Wir
alle empfehlen einen entsprechenden Abschluss auch
mit Griechenland. Es scheint wohl doch so zu sein, dass
der Regelungsgehalt unseres Abkommens etwas ist, was
die anderen in Europa genauso sehen. Vielleicht setzt
sich die Vernunft doch gegenüber der etwas verzerrten,
polemischen Darstellung durch.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir haben
vor der Sommerpause in einem breiten parlamentarischen
Konsens dafür gesorgt - ich will dankbar daran erinnern,
dass es gelungen ist -, Entscheidungen zur Bekämpfung
der Euro-Schuldenkrise und auch zur innerstaatlichen
Umsetzung des Fiskalvertrags zu treffen. Wir haben damals vereinbart, dass wir das Kapital für die Europäische
Investitionsbank, die sogenannte EIB, entsprechend aufstocken. Darüber hinaus haben wir mit den Bundesländern vereinbart, dass wir im kommenden Jahr zusätzliche
Finanzmittel für den raschen Ausbau der Kinderbetreuung in Höhe von 580,5 Millionen Euro zur Verfügung
stellen.
Wir wollen das möglichst schnell umsetzen. Deshalb
haben wir uns entschieden, für das laufende Haushaltsjahr einen zweiten Nachtragshaushaltsentwurf vorzulegen, mit dem wir im Einzelnen unseren Verpflichtungen
im Rahmen des europäischen Wachstumspakts und zur
innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags nachkommen wollen. Dieser Entwurf soll die Mittel zur Aufstockung des Kapitals der EIB - das sind 1,6 Milliarden
Euro - enthalten. Damit erreichen wir, dass die Handlungsfähigkeit der Europäischen Investitionsbank schon
jetzt gestärkt wird - das ist dringend notwendig -, dass
sie in kurzer Frist zusätzliche wachstumsfördernde Investitionen anregt und sich selbst günstig refinanzieren
kann.
Mit den den Ländern zugesagten zusätzlichen Mitteln
für den Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige wollen wir, indem wir sie schon jetzt in den Fonds
zum Kindertagesstättenausbau einstellen, Länder und
Kommunen nachdrücklich ermuntern, die vorhandenen
Mittel möglichst schnell - ich sage für manche: schneller
als bisher - abzurufen, damit wir alle, Bund, Länder und
Gemeinden, das Inkrafttreten des Rechtsanspruchs im
kommenden Jahr ermöglichen und eine ausreichende
Zahl an Betreuungsplätzen zur Verfügung stellen.
Es wird uns aufgrund der günstigen Entwicklung in
diesem Jahr bei Einnahmen und Ausgaben gelingen, die
geplante Nettokreditaufnahme von 32,1 Milliarden Euro
für 2012 auch weiterhin, auch mit einem solchen Nachtragshaushalt, einzuhalten und nicht zu überschreiten.
Der weitere Haushaltsvollzug wird dann im Übrigen zeigen, ob und inwieweit wir trotz dieses Nachtragshaushalts am Jahresende im Ist erneut, wie in den vergangenen Jahren, noch besser abschneiden als im Soll.
Mit der vorzeitigen Einhaltung der von der Schuldenbremse erst für 2016 vorgesehenen Obergrenze für die
strukturelle Nettokreditaufnahme haben wir ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Jetzt gilt es, diesen Zielwert für die
Neuverschuldung einzuhalten. Das erfordert von uns allen Ausgabedisziplin.
({52})
Wir müssen davon ausgehen, dass die unseren Haushaltsplanungen zugrunde gelegte gesamtwirtschaftliche
Projektion der Bundesregierung für 2013 - 1,6 Prozent im kommenden Jahr nicht übertroffen werden wird; es
gibt zu viele Unsicherheiten, weltwirtschaftlich und
auch in der europäischen Entwicklung. Das heißt, dass
sich aus der wirtschaftlichen Lage - anders als in den zurückliegenden Jahren - mit einer hohen Wahrscheinlichkeit keine weiteren Spielräume für den Bundeshaushalt
ergeben werden. Also müssen wir davon ausgehen, dass
sich die Steuereinnahmen nicht besser entwickeln werden, als bei der vorangegangenen Steuerschätzung prognostiziert worden ist.
Auch beim Arbeitsmarkt, wo die Lage gut ist, können
wir nicht erwarten, dass sich die Situation gegenüber den
Prognosen weiter verbessern wird.
Aber umgekehrt sind unsere Schätzungen auch nach
unten gut abgesichert, weil der Aufschwung bei den
Menschen angekommen ist und weil der hohe Beschäftigungsstand wie die insgesamt gute Lohnentwicklung die
Einnahmen des Staates insgesamt nachhaltig stabilisieren.
Wir sind, in aller Bescheidenheit, für viele europäische Staaten ein Vorbild, und zwar nicht nur, was unsere
wirtschaftliche Stärke angeht, mit der wir 2009 und 2010
aus der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg herausgekommen sind. Ich will doch noch einmal
daran erinnern: Zum Anfang der Legislaturperiode, Frau
Bundeskanzlerin, wurden Sie gefragt: Was ist denn Ihr
Ziel? Sie haben damals gesagt: Na, wenn wir am Ende
der Legislaturperiode da wären, wo wir vor der Krise
waren, dann wäre es toll oder wäre es schon ganz gut. Wir sind Ende vergangenen Jahres da schon gewesen.
Wir sind gut aus der Krise herausgekommen.
({53})
Wir haben mit unserer Politik in den vergangenen
Jahren wie in diesem Jahr gezeigt, dass Wachstum und
Konsolidierung - das ist die eigentliche Debatte, auch
international - sich nicht ausschließen, sondern beides,
im Gegenteil, zusammengehört. Unser Ansatz wachstumsfreundlicher Konsolidierung hat sich in der Finanzund Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland
bewiesen. Es zeigt sich: Eine konsequente Selbstbindung an vernünftige Konsolidierung ist ein entscheidender Faktor, der zu nachhaltigem Wachstum positiv beiträgt.
({54})
So bieten wir auf der europäischen Ebene eine vernünftige, bessere Alternative zu den vielen Wünschen
nach Vergemeinschaftung, Schuldenunion oder EuroBonds.
({55})
- Na ja, wir haben fest versprochen, dass wir solchen
Forderungen aus den Reihen der Opposition niemals
nachkommen werden.
({56})
Wir vergemeinschaften die Schulden nicht. Sie haben
lange genug die Forderung erhoben, die Haftung zu vergemeinschaften, ohne die Finanzpolitik zu vergemeinschaften, und Ähnliches mehr. Ich will es Ihnen wieder
sagen: Wir bieten mit unserer Politik solider Finanzen
und nachhaltigen Wirtschaftens eine bessere, seriöse Alternative.
({57})
Ich will ausdrücklich sagen: Jede Alternative, bei der
versucht würde, mit einer weniger soliden Finanzpolitik
die Probleme kurzfristig zu überwinden, würde am Ende
nicht nur den Steuerzahler teuer zu stehen kommen, sondern sie würde vor allen Dingen nachhaltiges Wachstum
in Europa nicht möglich machen. Alle modernen wirtschaftlichen Untersuchungen belegen, dass nachhaltiges
wirtschaftliches Wachstum nur auf der Grundlage solider finanzpolitischer Entwicklung möglich ist und dass
eine unsolide Finanzpolitik zwar kurzfristig Strohfeuereffekte hat, aber kein nachhaltiges Wachstum generieren
kann. Deswegen entscheidet sich die Bundesregierung
erneut für den Kurs von nachhaltiger, solider, stabiler
politischer Entwicklung.
({58})
Wir nehmen mit unserer Politik als Stabilitätsanker
und Wachstumslokomotive in Europa eine Vorreiterrolle
ein. Wir haben als Konsequenz mit der Schuldenbremse
im Grundgesetz die richtigen Weichen gestellt. Alle machen uns das nach. Es ist ja nicht schlecht, wenn wir sagen können: Andere haben ein Stück weit aus unseren
Erfahrungen gelernt; wir haben ja auch selber genügend
Fehler gemacht. Unsere Finanzpolitik ist glaubwürdig,
und deshalb genießen wir auch das Vertrauen der Anleger an den Märkten in einem Maße, wie es auf die Dauer
schon gar nicht mehr wünschenswert sein kann.
Im Übrigen steht noch etwas außer Zweifel; ich will
noch darauf hinweisen. Die EU-Kommission hat kürzlich den Public Finances Report 2012 veröffentlicht. Darin steht, dass sich eine Konsolidierung der öffentlichen
Finanzen auf lange Sicht positiv und signifikant in höherem Wachstum wie in höherer Beschäftigung niederschlägt. Das ist die Grundlage unserer Politik.
({59})
Wir müssen Kurs halten. Wir müssen in schwierigen
Zeiten und in schwierigem Umfeld unsere Aufgaben
weiterhin meistern. Wir müssen die Herausforderungen
des demografischen Wandels und der Energiewende
meistern.
Wir können in einer immer stärker vernetzten Welt, in
Zeiten der Globalisierung unsere Interessen nur wahrnehmen und unserer Verantwortung nur gerecht werden,
wenn wir Europäer dies gemeinsam tun. Ein starkes, ein
einiges und ein handlungsfähiges Europa ist, wie es in
der Präambel des Grundgesetzes steht, ein Beitrag zum
Frieden in der Welt, aber es ist vor allem die beste Investition in unser aller Zukunft.
Herzlichen Dank.
({60})
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Joachim Poß für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Schäuble, mit Ihrer Rede haben Sie heute
eines bewiesen, nämlich wofür Sie stehen: Sie stehen für
soziale, gesellschaftspolitische Ignoranz.
({0})
Sie ignorieren, dass wir es mit einer Gesellschaft, die
durch wachsende Ungleichheit geprägt ist, zu tun haben.
Wer das ignoriert, der kann für unsere Bevölkerung nicht
die richtige Politik machen.
({1})
Sie haben auch bewiesen, dass Sie das falsch analysieren, indem Sie bei Arbeitslosen und sozial Schwachen
gekürzt und gespart und Vermögende sowie Spitzenverdiener geschont haben. Das war Ihre Politik.
({2})
Ich habe mich manchmal gefragt, warum ein Mensch mit
Ihrer Intelligenz und auch Frau Merkel meinen, eine solche Politik vertreten zu können. Sie haben mir heute die
Erklärung geliefert: Sie leben offenbar in dem Weltbild
eines badischen Konservativen, der zum Beispiel gegen
die steuerliche Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften ist, solange das Verfassungsgericht das nicht festgestellt hat, und der nicht mehr auf
der Höhe der Zeit ist. Ein moderner Sozialstaat braucht
aber einen Finanzminister, der auf der Höhe der Zeit ist.
({3})
Sie können so, wie Sie denken, den Aufgaben, die heute
zu leisten sind, schlicht nicht gerecht werden, Herr
Minister Schäuble. Sie haben sich als überfordert gezeigt.
({4})
Da, wo Sie nicht überfordert sind, verstecken Sie Ihre
Absichten hinter einem dichten Vorhang von Worten. Sie
geben ja manchmal den Finanzphilosophen, aber in der
Tradition der Aufklärung stehen Sie als Finanzphilosoph
nicht, Herr Schäuble. Ihre Philosophie ist vielmehr die
der taktischen Winkelzüge, mit denen Sie versuchen,
Ihre politischen Freunde und Gegner bewusst auszutricksen. Das ist Ihre Methode.
({5})
Sie schmücken Ihre Haushalts- und Steuerpolitik - durchaus geschickt - so, dass eine glänzende Außenfassade
entsteht. Damit wollen Sie die Grundlage für den Wahlkampf im nächsten Jahr legen. Aber die Wirklichkeit
sieht anders aus. Sie versuchen, eine Kontinuität in der Finanzpolitik zu konstruieren, die in dieser miserablen
schwarz-gelben Regierungskoalition nie Realität war.
({6})
Herr Bundesfinanzminister, auch wenn Sie sich als
Gestalter sehen: Letztlich sind Sie, Herr Schäuble, ein
Getriebener und seit drei Jahren ein Erfüllungsgehilfe
von Frau Merkel. Das ist Ihre Rolle in den letzten drei
Jahren gewesen. Frau Merkel aber will und wollte nie
gestalten. Sie wollte auf dem schwankenden Grund ihrer
Koalition immer nur überleben und ihre Macht verteidigen. Dem mussten Sie sich unterordnen, auch da, wo Sie
in der Europapolitik womöglich andere Wege gegangen
wären.
In der Haushaltspolitik zeichnen Sie ein Bild, das
schlicht falsch ist. Ich könnte jetzt lange Zitate der Deutschen Bundesbank - nicht der deutschen Opposition verlesen. Zum Beispiel im August-Monatsbericht der
Bundesbank wird festgestellt, dass die günstige Haushaltsentwicklung weitgehend auf steuerlichen Mehreinnahmen im Gefolge der robusten Entwicklung der deutschen Wirtschaft
({7})
und auf deutlichen Entlastungen beim Schuldendienst
beruht. Weiter stellt die Bundesbank fest, dass Sie sich
vom Konsolidierungsprogramm aus dem Juni 2010 sogar abgekehrt haben.
Zu Ihrer mittelfristigen Finanzplanung, die Sie hier so
gelobt und als realistisch dargestellt haben, stellt die
Bundesbank fest, dass sie nur unter der Annahme anhaltenden gesamtwirtschaftlichen Wachstums, sehr niedriger Zinsen und ausbleibender Belastungen aus Gewährleistungen im Rahmen der Schuldenkrise im Euro-Raum
funktionieren könne. So weit die Analyse der Deutschen
Bundesbank, auf die Sie, gerade Sie von der schwarzgelben Koalition, doch so stolz sind. Eigentlich müssten
Sie zu den Zitaten, die ich gebracht habe, jetzt klatschen!
({8})
Ihre Planung setzt also voraus, dass es mindestens bis
2016 keinerlei Krisen und Abschwünge geben wird. Wer
kann so etwas glauben und annehmen? Es geht Ihnen
nicht um Wahrhaftigkeit, sondern um etwas anderes: Sie
betreiben Schönfärberei mit Blick auf den kommenden
Bundestagswahlkampf.
Sie haben das Sparpaket nur bei den sozial Schwachen umgesetzt. Sie haben die soziale Schieflage in unserem Lande verstärkt. Sie haben die Klientelpolitik zum
Markenzeichen Ihrer Koalition gemacht.
({9})
Eine Ihrer steuerpolitischen Absichten im Koalitionsvertrag war die Bereinigung der Mehrwertsteuer. Nichts
haben Sie an Bereinigung zustande gebracht. Vielmehr
haben Sie einen Ausnahmetatbestand für die Hoteliers
hinzugefügt. Sie haben schon zu Beginn in dieser Koalition reiche Erben und einkommensstarke Hoteliers begünstigt. Daran muss man immer wieder erinnern. Sie
haben heute mit Ihrer Rede gezeigt, wo Sie gesellschaftspolitisch stehen. Da müssen Sie auch gestellt werden.
({10})
Das von Ihnen so unzulänglich ausgehandelte
Deutsch-Schweizer Steuerabkommen ist ein Beispiel für
diese Klientelpolitik. Selbst in der nachverhandelten
Form bleiben die Steuerhinterzieher geschützt und im
Dunkel der Anonymität; sie können auch weiterhin in
Deutschland nichtversteuerte Gelder in die Schweiz
bringen. Das, Herr Bundesfinanzminister, ist eine Provokation der ehrlichen Steuerzahler und nichts anderes.
({11})
Ihnen scheint - dies haben Sie auch in Ihrer Rede gezeigt - die persönliche Gesichtswahrung wichtiger zu
sein als die effektive Verfolgung der Steuerhinterzieher
und ihrer Helfer.
({12})
Als Bundesfinanzminister sollten Sie auf der Seite der
deutschen Steuerfahnder stehen und nicht gegen sie arbeiten oder sich gegen sie äußern.
({13})
Auch in der Euro-Zone sind Sie nicht frei von taktischen, juristisch verbrämten Winkelzügen. Trotz Ihrer
unbestrittenen europäischen Gesinnung, die ich durchaus
anerkenne, folgen Sie dabei der Bundeskanzlerin - die
gerade in die Reihen des Plenums entschwindet -, der
Meisterin der verschlungenen Wege.
({14})
Sie weisen, wie auch Frau Merkel, strikt und entrüstet
die Vergemeinschaftung von Schulden und eine Transfer- und Haftungsunion als großen Irrweg zurück. Das
ist das, was Sie reden. Was Sie und Frau Merkel aber tatsächlich tun, ist etwas anderes: Sie schieben die Verantwortung zur Stabilisierung des Euro auf die Europäische
Zentralbank, weil Sie für die notwendigen Maßnahmen
keine Mehrheit in Ihrer schwarz-gelben Koalition in diesem Parlament haben.
({15})
Sie lassen bewusst eine heimliche Vergemeinschaftung
von Schulden in der Euro-Zone durch die EZB ohne jegliche demokratische Legitimierung zu.
({16})
Hier rächt sich, Herr Schäuble, dass Sie - bei all Ihren
sonstigen europapolitischen Verdiensten - und Frau
Merkel in der eigenen Koalition und gegenüber der Öffentlichkeit nicht für Orientierung gesorgt haben und immer feige weggetaucht sind. Sie suchen immer den Ausweg für Feiglinge,
({17})
anstatt sich zu stellen und in der Öffentlichkeit die notwendige Debatte über die Konsequenzen zu führen, die
wir zur Stabilisierung des Euro benötigen. Das ist ein
historisches Versagen.
({18})
Erhard Eppler schreibt Frau Merkel zu Recht ins
Stammbuch, dass Deutschland nicht immer nur bremsen,
sondern führen soll. Solidarität in Europa wird die Deutschen am Ende weniger kosten als immer wieder neu
von Deutschland erzwungene Zugeständnisse. Eppler
sagt zu Recht: Wer ständig bremst, verliert.
Die schwarz-gelbe Koalition mit Frau Merkel nimmt
die fortbestehende Unsicherheit in Europa und in der
Euro-Zone und die daraus folgenden Mehrkosten aus
parteipolitischen Gründen in Kauf. Warum? Um innenpolitische Feindbilder zu pflegen. Das ist schamlos, das
ist verantwortungslos.
Entgegen all Ihrer Semantik stelle ich fest: Sie haben
in Ihrer Funktion als Bundesfinanzminister versagt, Herr
Schäuble.
({19})
Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Poß, ich will
nicht lange auf Ihre Rede eingehen. Lassen Sie mich aber
feststellen: Eine Opposition, die hier mit so viel Schaum
vor dem Mund auftritt und versucht, die gute Entwicklung mit derart unsachlichen Vorwürfen schlechtzureden,
diskreditiert sich selbst.
({0})
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Sie sagen, es sei
keinerlei Vorsorge für die Entwicklung der kommenden
Jahre getroffen worden. Schauen Sie sich doch einmal
die Finanzplanung bis 2016 an. Sie werden feststellen,
dass wir entgegen Ihrer Aussage bis dorthin 10 Milliarden Euro mehr Zinsausgaben vorgesehen haben.
Dass Sie sich selbst diskreditieren, trifft eigentlich auf
all das zu, was Sie vorgetragen haben. Im Übrigen weise
ich die persönlichen Beleidigungen, die Sie hier gegenüber dem Finanzminister und der Bundeskanzlerin ausgesprochen haben, mit Abscheu und Empörung zurück.
({1})
Lassen Sie mich, bevor ich auf den Haushaltsentwurf
eingehe, in zwei, drei Sätzen aus parlamentarischer Sicht
auf das aktuelle Thema EZB-Anleiheaufkäufe eingehen.
Wir tun gut daran, festzuhalten, dass die Geldpolitik
nicht die Versäumnisse der Finanz- und Wirtschaftspolitik ersetzen kann und darf. Denn erst die notwendigen
strukturellen Reformen schaffen die Basis für ein dauerhaft niedriges Zinsniveau; daran besteht kein Zweifel.
({2})
Als kurzfristiges Krisenreaktionsinstrument können
Anleihekäufe in Ausnahmesituationen durchaus sinnvoll
sein, wenn die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte gefährdet ist. Insofern sehe ich die EZB-Entscheidung als
durchaus hilfreich zur Bekämpfung der Krise an, vor allem vor dem Hintergrund, dass durch die Verknüpfung
mit einem vollen bzw. einem vorsorglichen EFSF- oder
ESM-Programm die volle Konditionalität gewährleistet
ist. Das unterscheidet dieses Programm von dem ersten
Programm, das stattgefunden hat, fundamental. Ich betone: Wir vertrauen darauf, dass die EZB strikt im Rahmen ihres Mandats handelt und dass sich jedes Direktoriumsmitglied der EZB dieser Verantwortung bewusst
ist.
({3})
Ansonsten will ich zu dem Thema Euro-Stabilisierung nichts hinzufügen. Dazu hat Bundesfinanzminister
Dr. Wolfgang Schäuble nicht nur das Notwendige, sondern vor allem auch das Richtige gesagt. Dem schließe
ich mich voll an.
Ich will mich für den Haushaltsentwurf 2013 der Regierung, den der Finanzminister eben eingebracht hat, bedanken. Er zeigt, dass sich das Top-down-Verfahren, das
wir anwenden, bewährt. Dieser Regierungsentwurf ist ein
guter Erfolg, ein Ausweis unserer erfolgreichen Politik
und eine gute Grundlage für die anstehenden Beratungen.
Denn er zeigt: Wir halten konsequent an der vereinbarten
Linie der wachstumsorientierten Konsolidierung fest.
Das ist und bleibt Generalaussage bei allen Haushaltsberatungen. Das zeigt sich auch in der mittelfristigen Finanzplanung, in der vorgesehen ist, dass sich die Neuverschuldung in den kommenden Jahren stetig verringert: In
diesem Jahr liegt sie bei 32 Milliarden Euro, im nächsten
Jahr bei 18 Milliarden, dann bei 13 Milliarden, dann bei
4 Milliarden und im Jahre 2016 bei 0 Milliarden. Für das
Jahr 2016 ist sogar der Beginn der Schuldentilgung mit
Zuführung von 1 Milliarde Euro aus dem Bundeshaushalt an den Schuldentilgungsfonds vorgesehen.
Das ist der Beweis für unsere kontinuierliche und erfolgreiche Politik. Wenn Sie es nicht sagen, dann sage
ich es: Wir sind richtig gut!
({4})
Wenn Sie genau hinschauen, dann werden Sie feststellen, dass wir die Neuverschuldung gegenüber dem
bisherigen Finanzplan für die Jahre 2013 bis 2015 um
über 20 Milliarden Euro verringern. Was sagt die Opposition dazu? Wir hören immer wieder, es müsse noch
schneller und noch mehr gemacht werden. Liebe Kollegen von der Opposition, ich kann nur an Sie appellieren:
Sorgen Sie dafür, dass Ihre Ministerpräsidenten das
Steuerabkommen mit der Schweiz nicht weiterhin blockieren, sondern dass es endlich zustande kommt; denn
dann haben wir Steuermehreinnahmen. Die Experten
sprechen von rund 10 Milliarden Euro, die wir sofort
einnehmen könnten. Diese würden wir sofort zur Absenkung der Nettokreditaufnahme nutzen. Also, handeln Sie
dort, wo Sie können, anstatt Luftblasen zu verbreiten.
({5})
Ein weiterer Punkt, an dem sich unser Erfolg ablesen
lässt, ist die Tatsache, dass wir die Schuldenbremse konsequent einhalten und sogar vorzeitig erfüllen werden,
und zwar nicht, wie vorgeschrieben, erst 2016, sondern
aller Voraussicht nach bereits im kommenden Jahr. Dies
hängt natürlich von der konjunkturellen Entwicklung ab,
die ja die Konjunkturkomponente ausmacht. Aber wir
liegen bei der maximal möglichen Nettokreditaufnahme
wesentlich unter dem, was uns die Schuldenbremse vorschreibt. Wir werden bereits im kommenden Haushalt
einen Puffer in Höhe von 24 Milliarden Euro einhalten.
In den Folgejahren werden es 20 Milliarden, 15 Milliarden und 11 Milliarden sein. Nach dem Jahr 2016 brauchen wir keinen Puffer mehr; denn dann sind wir bei
null.
Ein ganz wichtiger Grund für diese erfolgreiche Entwicklung ist, dass wir Disziplin wahren, und zwar bei
den Ausgaben. Ich will nochmals darauf hinweisen: Wir
hatten im Ist des Haushaltes 2010 Ausgaben von knapp
304 Milliarden Euro. Wir werden im kommenden Jahr
Ausgaben von 302 Milliarden Euro haben und im Jahr
2014 Ausgaben von 303 Milliarden Euro.
({6})
Bei kontinuierlich steigenden Preisen und bei kontinuierlich steigenden Einnahmen das Ausgabenniveau zu
senken, das ist etwas, das bisher noch keine Vorgängerregierung geschafft hat. Das schaffen wir. Die Koalition
aus CDU/CSU und FDP schafft es, bei steigenden Einnahmen weniger auszugeben. Das nennt man bei mir zu
Hause im Schwabenland „sparen“. Ich weiß nicht, wie
Sie „sparen“ definieren. Wer bei mehr Einnahmen weniger ausgibt, der spart. Wir können sparen, und wir tun es.
({7})
Genau mit dieser Strategie wird sich die Schere weiter
schließen, hin zu einem ausgeglichenen Haushalt. Dass
dies nicht ganz einfach ist, das wissen wir. Gerade in guten Zeiten ist Konsolidierung besonders schwer. Erinnern wir uns an die Anfangsjahre der rot-grünen Regierung. Damals wurde uns vor Augen geführt, wie schwer
es ist; denn es fand das Gegenteil statt.
Eine weitere Anmerkung: Mit diesem Haushalt und
der Strategie der wachstumsfreundlichen Konsolidierung halten wir auch internationale Verpflichtungen ein.
Beim G-20-Treffen in Toronto - 2010 war das - haben
sich die Industrieländer dazu verpflichtet, die Staatsdefizite bis 2013 zu halbieren und die Staatsverschuldung in
Relation zum BIP bis 2016 zu senken. Diese Zusage erfüllt Deutschland. Auch das ist im internationalen Kontext wichtig. Denn gerade vor dem Hintergrund der sich
weltweit auswirkenden Staatsschuldenkrise in Europa ist
es entscheidend, dass wir in diesem Punkt unsere Linie
halten und mit gutem Beispiel vorangehen.
({8})
Ich will dies nochmals mit Zahlen unterfüttern: Im
Jahre 2010 betrug das Staatsdefizit 3,3 Prozent gegenüber dem BIP. Im nächsten Jahr, also im Jahre 2013, werden wir bei 0,5 Prozent, bei einem halben Prozent, sein.
Das ist eine hervorragende Entwicklung. Nur zur Erinnerung: Unter Rot-Grün wurde in den Jahren 2002 bis 2004,
drei Jahre hintereinander, dieses 3-Prozent-Ziel nicht eingehalten, sondern jedes Mal überschritten. Sprich: Wir
halten nicht nur die internationalen Verpflichtungen ein,
sondern wir halten auch den europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt und die Vorgaben des Fiskalpaktes ein.
Bereits im vergangenen Jahr waren wir unterhalb des
3-Prozent-Ziels. Deshalb wurde Deutschland in diesem
Jahr aus dem sogenannten Defizitverfahren entlassen.
({9})
Wir setzen damit unsere seriöse Haushaltspolitik fort.
Lassen Sie mich nochmals zurückblicken auf das Jahr
2010. Damals sagte mein Kollege, der haushaltspolitische Sprecher der SPD, Carsten Schneider, bei den Beratungen:
Wenn man sich den Haushalt 2011 ansieht, dann
kann man zu einem ganz klaren Urteil kommen:
Dieser Haushalt wird der Scheidepunkt sein, was
die wirtschaftliche Entwicklung … in den nächsten
Jahren angeht.
Kollege Poß - heute mit Kassandrarufen - hat damals
gemeint, diese Regierung sei für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes eher eine Bedrohung als ein
Pluspunkt.
({10})
Wahr ist genau das Gegenteil.
({11})
Schauen Sie sich die Zahlen der Jahre 2011 und 2012
an: Wir hatten ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent,
die Erwerbslosenquote ging deutlich auf 7,1 Prozent zu22876
rück. Mit über 41 Millionen Beschäftigten verzeichnen
wir Rekordbeschäftigung. Diese Entwicklung setzt sich
weiter fort. Deshalb sind die Kritikpunkte, die Sie hier
vorgetragen haben, mühsam an den Haaren herbeigezogen, aber wenig ernst zu nehmen.
({12})
Im Haushaltsbegleitgesetz für das Jahr 2013 haben
wir diese positive Entwicklung entsprechend abgebildet.
Aufgrund dieser Entwicklung ist es uns möglich, den
Haushalt um rund 5 Milliarden Euro zu entlasten. In den
Konsolidierungsmaßnahmen enthalten sind die geringere Beteiligung des Bundes an den Kosten der Arbeitsförderung, ebenso die einmalige Verminderung des Bundeszuschusses an den Gesundheitsfonds im Jahr 2013
um 2 Milliarden Euro - das sind die 2 Milliarden Euro,
die wir wieder zurückholen - sowie die Kürzungen des
Bundes in der Rentenversicherung um rund 1 Milliarde
Euro.
Das ist alles andere als ein sozialer Kahlschlag, so wie
es die Opposition, vor allem die Linke, immer wieder
darzustellen versucht. Die soziale Sicherung ist nach wie
vor ein Schwerpunkt in diesem Haushalt. Rund 145 Milliarden Euro geben wir für die soziale Sicherung aus; mit
rund 48 Prozent der Gesamtausgaben ist dieser Bereich
der größte Ausgabenblock im Bundeshaushalt. Das ist
ein Beweis dafür, dass wir soziale Verantwortung wirklich ernst nehmen.
Der Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt für 2013
setzt die richtigen Schwerpunkte. Der Bundesfinanzminister hat bereits darauf hingewiesen: Die Ausgaben
für Bildung und Forschung steigen im kommenden Jahr
um weitere 800 Millionen Euro auf 13,7 Milliarden Euro
an. Das bedeutet ein Plus von gut 6 Prozent gegenüber
dem Vorjahr. Auch das hat bisher noch keine Vorgängerregierung geschafft; das ist einmalig in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland. Auch darauf sind wir
stolz.
({13})
Der Haushalt des BMI wird ebenfalls um knapp
330 Millionen Euro ansteigen; das ist ein Plus von 6 Prozent. Hier bildet sich unser Bestreben ab, mehr für die
innere Sicherheit zu tun. Das ist ein wichtiges Anliegen
der Bevölkerung. Hierzu gehört zum Beispiel auch der
Kampf gegen Rechtsextremismus.
Die Verkehrsinvestitionen verstetigen wir auf rund
10 Milliarden Euro. Wir halten das Niveau, auch wenn
vielleicht noch einzelne Umschichtungen vorgenommen
werden müssen.
Die Ausgaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung werden
ebenfalls erneut erhöht, und zwar auf 6,42 Milliarden
Euro. Gegenüber dem alten Finanzplan werden damit
zusätzliche Mittel von rund 670 Millionen Euro bereitgestellt. Damit werden wir internationalen Verpflichtungen gerecht.
Das sind die richtigen Schwerpunkte im Haushaltsentwurf. Sie bilden eine sehr gute Basis für die anstehenden Haushaltsberatungen, die noch bis zum November
andauern werden. Im Laufe der Haushaltsberatungen
werden wir sicherlich noch die eine oder andere Schwerpunktsetzung korrigieren oder Veränderungen vornehmen.
Dabei hoffe ich auf konstruktive Vorschläge seitens
der Opposition, die wir gerne aufnehmen können, wenn
sie denn sinnvoll sind.
({14})
Ich bin davon überzeugt, dass wir nach dem Ende der
Beratungen die Erkenntnis gewonnen haben werden,
dass wir unsere Politik konsequent fortsetzen können. Es
bleibt zu hoffen, dass die Opposition dort, wo sie Einfluss hat - nämlich beim Bundesrat -, darauf hinwirkt,
dass sich auch der Bundesrat zu unserer Gesamtverantwortung, der Konsolidierung unserer Haushalte, bekennt
und nicht konterkariert.
Herzlichen Dank.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Dietmar Bartsch für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Schäuble, Sie haben zu Recht von einer Vertrauenskrise
gesprochen. Hierzu kann ich nur eines feststellen: Ihre
Koalition und die Regierung haben zu dieser Vertrauenskrise einen erheblichen Beitrag geleistet.
({0})
Erinnern Sie sich an die Äußerungen, die in diesem
Sommer gefallen sind: Der Bundeswirtschaftsminister
sagt, die Vorstellung vom Austritt Griechenlands aus der
Euro-Zone habe ihren Schrecken verloren. Der bayerische Finanzminister sagt sogar, man müsse an Griechenland ein Exempel statuieren. Was sind denn das für unverantwortliche Aussagen? Da kann doch kein Vertrauen
entstehen. Sie sind wesentlich mitverantwortlich dafür,
dass es diese Vertrauenskrise in Deutschland und in
Europa gibt.
({1})
Sie sagen, Deutschland sei gut durch die Krise gekommen. Ja, dieser Haushaltsentwurf bringt zum Ausdruck, dass Sie versuchen, bis zum Wahltag im Jahr
2013 zu kommen. Ich behaupte, dass niemand hier im
Hause überblicken kann, ob wir nicht vielleicht ganz
schnell in eine große Krise geraten. Doch nichts von
dem, was notwendig wäre, ist in diesem Haushaltsentwurf abgebildet. Ja, es gibt eine sehr gute Botschaft im
Zusammenhang mit diesem Haushaltsentwurf, und das
ist die Botschaft, dass dies der letzte Haushaltsentwurf
dieser Regierung ist. Das ist die gute Botschaft.
({2})
Das ist Anlass, um eine kritische Bilanz zu ziehen.
Ich will aus Ihrem Koalitionsvertrag zitieren, in dem
steht: „Mit Mut zur Zukunft - Für unser Land.“ Wenn
man sich anschaut, was Sie gemacht haben, stellt man
fest, dass das ganz knallharte Klientelpolitik war. Daran
war nichts mutig, daran ist nichts mutig. Da gibt es keine
Zukunftsorientierung. Sie rennen immer den Entwicklungen in Europa hinterher. Das ist keine Politik für die
Mehrheit der Menschen in diesem Lande, sondern das ist
konsequente Klientelpolitik.
({3})
Ich will zum Kern des Haushaltsentwurfs kommen.
Sie sprechen von soliden Staatsfinanzen, und Sie gerieren sich in Europa immer als Klassenprimus, aber in
Wahrheit wird viel Wasser gepredigt und Wein getrunken. Schauen wir uns die Zahlen an: Auch im nächsten
Jahr wollen Sie neue Schulden machen: 18,8 Milliarden Euro. Wenn man sich die vier Jahre anschaut, stellt
man fest, dass das insgesamt 112,2 Milliarden Euro neue
Schulden sind. Wenn man angesichts dessen von Sparsamkeit spricht, Herr Barthle, ist das für mich wirklich
nicht verständlich. Was hat es mit Sparen zu tun, wenn
man neue Schulden macht? Ich habe das Sinnbild von
der „schwäbischen Hausfrau“ immer so verstanden, dass
man etwas zurücklegt. Das ist hier aber nicht der Fall.
Sie haben in dieser Legislaturperiode über 100 Milliarden Euro neue Schulden gemacht.
Um einen Vergleich zu ziehen: In meinem Bundesland, in Mecklenburg-Vorpommern, beträgt der Haushalt
des gesamten Landes für ein Jahr 7 Milliarden Euro.
({4})
Das sind die Relationen. Sie haben inzwischen in der
Bundesrepublik Deutschland auf der Bundesebene
Schulden in Höhe von 1,2 Billionen Euro angehäuft. Um
das einmal zu veranschaulichen: Wenn wir jeden Monat
1 Milliarde Euro zurückzahlen würden, dann wäre diese
Schuld in 168 Jahren noch nicht getilgt. Und dann sagen
Sie noch, wir hätten kein Einnahmeproblem. Das ist
doch abstrus. Wir müssen bei den Einnahmen etwas tun.
({5})
Ich will etwas zu dem Punkt sagen, den Sie gelobt haben, Herr Schäuble. Sie haben gesagt, dieser Haushaltsplan sei hinsichtlich der Investitionen vorbildlich. Ich
kann nur feststellen: Ja, in der Krise sind Investitionen,
die den Namen verdienen, also Zukunftsinvestitionen,
die Arbeitsplätze bringen und vor allem die Binnennachfrage stärken, sehr dringend notwendig. Aber hier bleibt
der Haushaltsentwurf hinter allen Erwartungen und allen
Anforderungen zurück. Es gibt keine gestaltende
Finanzpolitik. Es wäre nicht einmal mutig, sondern einfach nur normal, im Bereich Investitionen mehr zu tun.
Ich will nur die Themen Städtebauförderung und
energetische Gebäudesanierung aufrufen. Diesbezüglich
bleiben Sie sogar hinter den Forderungen, die die CDULandesminister stellen, zurück.
({6})
Warum hören Sie denn nicht einmal auf die? Die CDULandesminister wollen auch mehr Investitionen, weil dadurch das Handwerk vor Ort und die Konjunktur gefördert werden. In diesem Bereich sind Sie aber nicht nur
zurückhaltend, sondern Sie kürzen sogar. Als weitere
Beispiele nenne ich den Ausbau der Kitas, der dringend
notwendig wäre, und die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Überall
bleiben Sie hinter den Anforderungen zurück. Krankenhäuser, Schienenwege, all das sind Bereiche, in denen
mehr getan werden müsste.
Sie sagen, die Energiewende sei Ihr Anliegen. Abgesehen von der Tatsache, dass es diesbezüglich bisher offensichtlich nur Fehlstarts gab, frage ich mich: Warum
kürzen Sie bei der Energieeffizienzforschung? Das ist
doch völlig irre. Warum kürzen Sie in diesem Bereich,
obwohl das ein Zukunftsthema ist? Das ist eine völlig
absurde Investitionspolitik. Das machen Sie falsch. Sie
setzen weiter auf den Export. Richtig wäre es, die Binnennachfrage zu stärken.
({7})
Die Zahlen zeigen, dass Sie bei den Investitionen kürzen: 0,8 Prozent weniger. Es sind nur noch 26,1 Milliarden Euro. In den Jahren 2014 bis 2016 wollen Sie noch
weiter kürzen. Das ist keine zukunftsorientierte Politik,
Herr Schäuble.
({8})
In Ihrem Haushaltsentwurf gibt es sehr viel Optimismus. Kollege Poß hat von Schönfärberei gesprochen. Ich
glaube, da hat er recht. Alle Risiken wurden ausgeblendet, beispielsweise die Schattenhaushalte und die Zinsentwicklung. Glauben Sie denn, dass das Zinsniveau für
Deutschland so bleiben wird? Das ist doch wirklich eine
absurde Annahme. Das kann sich ganz schnell auch für
uns verändern.
Ich glaube im Übrigen, dass hier endlich die Diktatur
der Finanzmärkte gebrochen werden muss. Bei der Regulierung sind wir nicht vorangekommen. Elementare
Dinge, über die auch Sie geredet haben, sind nicht passiert. Der Schuldenschnitt Griechenlands kostet letztlich
den Haushalt 10 Milliarden Euro. Das ist die Realität.
Die Haftungsgrößenordnungen, die wir haben - über
400 Milliarden Euro -, können ganz schnell zu einem
großen Problem für die Haushalte werden.
Dann sind da noch die vielen Baustellen in Ihrer Koalition. Das Betreuungsgeld könnte teuer werden. Ich
hoffe im Übrigen, Herr Schäuble, dass Sie standhaft
sind, wenn die FDP hier wieder Steuersenkungsvorschläge macht. Es wäre ja noch absurder, jetzt über
Steuersenkungen nachzudenken. Viele andere Dinge
sind risikobehaftet. Deshalb ist diese Haushaltsplanung
unsolide.
({9})
Jetzt will ich Sie einmal zitieren, Herr Schäuble. Es
ist zwar schon ein bisschen her, aber Sie haben einmal
erklärt, aufgrund der Struktur des Bundeshaushaltes
seien Einnahmeverbesserungen zur Haushaltskonsolidierung unvermeidlich. Heute haben Sie etwas ganz anderes gesagt. Ich kann nur sagen: Natürlich haben wir in
Deutschland ein Einnahmeproblem. Sie reden nur über
die Einkommensteuer. Darauf will ich mich jetzt nicht
einlassen. Aber wir haben doch vor allen Dingen ein
Problem bei der Vermögensbesteuerung. Bei den vermögensbedingten Steuern ist Deutschland im Vergleich aller OECD-Staaten - bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt - im unteren Drittel. Daran muss man doch einmal
etwas ändern.
({10})
Die Zahl der Vermögensmillionäre in Deutschland
steigt jedes Jahr. Inzwischen haben wir 924 000. Warum
ist es denn so abstrus, über eine Millionärssteuer nachzudenken? Es gäbe den Freibetrag für Vermögen bis zu
1 Million Euro, und nur das private Vermögen wäre betroffen. Wir würden nicht den Mittelstand gefährden,
aber wirklich Einnahmen gerieren.
Im Übrigen wäre es sinnvoll, diese Steuer europaweit
durchzusetzen, damit auch in Griechenland Millionäre
zur Kasse gebeten werden. Das wäre der richtige Ansatz,
um über Einnahmen nachzudenken.
({11})
Selbst in den vergangenen Krisenjahren ist das private
Geldvermögen noch einmal angestiegen. Warum denken
wir nicht einmal über eine Veränderung bei der Erbschaftsteuer nach? Bis 2020 werden 2,6 Billionen Euro
vererbt.
({12})
- Die Länder, Herr Fricke; das ist mir bekannt. Aber es
ist doch sehr wichtig, dass es auch dort Konsolidierung
gibt. Wir sind es, die die Gesetze dafür verändern. Wir
müssen das machen. Es ist notwendig, die Einnahmen
über die jetzigen 4,2 Milliarden Euro hinaus zu erhöhen.
({13})
Die Geldvermögen in Deutschland sind in den letzten
Jahren weiter gestiegen. Sie haben gesagt, wie viel dafür
bezahlt wird. Aber man muss doch auch einmal feststellen, dass die privaten Geldvermögen in Deutschland im
letzten Jahr auf 4,7 Billionen Euro gestiegen sind. Das
ist, bezogen auf die letzten 20 Jahre, eine Verdoppelung.
Es ist doch etwas nicht in Ordnung, wenn es auf der einen Seite diesen obszönen Reichtum gibt und wir auf der
anderen Seite Rentnerinnen und Rentner haben, die in
Mülltonnen wühlen, weil sie ihre Rente aufpolieren
müssen. Da ist doch irgendetwas nicht in Ordnung.
({14})
In Deutschland besitzt 1 Prozent der Bevölkerung
35,8 Prozent des Vermögens. Da ist doch etwas nicht in
Ordnung. Warum haben Sie nicht den Mut, hier einmal
wirklich anzugreifen, um irgendetwas bei denjenigen abzuholen?
({15})
Mit Ihrem Haushaltsentwurf öffnet sich die Schere
zwischen Arm und Reich immer weiter. Das ist skandalös, das ist nicht akzeptabel. Im Übrigen ist Deutschland
auch hier im OECD-Vergleich unrühmlich an der Spitze.
Reiche sind reicher geworden, und es gibt mehr Menschen in Armut.
({16})
Sie haben jetzt umfassend von dem Jobwunder
Deutschland gesprochen. Erst einmal wird es auch von
der Opposition, von der Linken im Besonderen, begrüßt,
wenn jemand in Arbeit kommt. Aber es muss gute Arbeit sein. Das Problem in Deutschland ist doch die massenweise prekäre Beschäftigung. Ich will Ihnen nur sagen: Vergleichen Sie die Zahl der Arbeitsstunden, als es
5 Millionen Arbeitslose waren, mit der heutigen Zahl.
Interessanterweise ist die Zahl der Arbeitsstunden
gleichgeblieben. Das ist doch ein Ausweis dafür, dass
wir viel Niedriglohn, viel prekäre Beschäftigung haben.
Das müssen wir verändern. Es muss gute Arbeit entstehen, damit nicht immer mehr Menschen in Altersarmut
fallen.
({17})
Dankenswerterweise hat Frau von der Leyen dieses
Problem ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt. Da
muss man wirklich danke sagen. Die Linke spricht darüber schon lange. Aber in dem Fall waren wir mit unserer Öffentlichkeitsarbeit nicht ganz so erfolgreich. Das
wird sich sicherlich verbessern.
Eines will ich im Zusammenhang mit dem Haushaltsentwurf aber sagen: Wie können Sie in einer Situation, in
der alle zum Thema Altersarmut reden, als Kabinett auf
die Idee kommen, die Rentenbeiträge zu senken? Warum
senken Sie in dieser Situation die Rentenbeiträge von
19,6 auf 19 Prozent? - Nein, wir müssen mehr tun für
die Rentnerinnen und Rentner. Das ist doch völlig unbestritten. Es geht um immerhin 71,5 Milliarden Euro. Das
ist fast ein Viertel des Haushalts, wie wir alle wissen.
({18})
Gerade deshalb müssen wir hier ein anderes Konzept
fahren. Die Senkung ist wirklich ein absurder Vorschlag.
({19})
Im Übrigen will ich auf Folgendes verweisen: Altersarmut ist nicht nur ein Zukunftsproblem, sondern auch
ein aktuelles Problem. Es wird immer so getan, als
würde dies erst 2030 ein Problem werden und als ob nur
die sogenannten gebrochenen Erwerbsbiografien davon
betroffen wären. Jetzt wissen wir, dass auch Leute, die
normal beschäftigt sind, in Altersarmut fallen können.
Schon heute gibt es 800 000 Empfänger von Grundsicherung im Alter. Diese Zahl muss uns doch alle alarmieren. In diesem Bereich müssen wir wirklich mehr
tun. Natürlich ist ein Mindestlohn wichtig, aber viel
mehr Maßnahmen sind notwendig. Ich kann sie jetzt
nicht alle darlegen; sicherlich werden Kollegen aus meiner Fraktion dies während der Haushaltsberatungen tun.
Frau Bundeskanzlerin - sie ist nicht mehr da, aber
egal -, Sie haben einmal zu Recht formuliert: „… Kranke,
Kinder und … Ältere. Die Menschlichkeit unserer Gesellschaft entscheidet sich daran, wie wir mit ihnen umgehen.“ Ja, das ist richtig. Ich kann Sie nur auffordern:
Machen Sie das endlich, und reden Sie nicht nur darüber!
Lassen Sie nicht zu, dass sich in Deutschland die Schere
zwischen Arm und Reich weiter öffnet. Mit diesem Haushaltsentwurf tun Sie das. In diesem Sinne ist es wirklich
gut, dass es Ihr letzter ist.
Danke schön.
({20})
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Otto Fricke für
die FDP-Fraktion.
({0})
Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Bartsch, was ist
die größte soziale Sicherheit in der Bundesrepublik
Deutschland? Stabile Haushalte.
({0})
In diesen stabilen Haushalten, Herr Kollege Bartsch, ist
eine für den Sozialstaat richtige Sozialquote notwendig.
Da sind wir uns einig. Das ist das, was wir und auch Sie
als Opposition den Bürgern sagen sollten. Diese Bundesregierung gibt auch weiterhin nahezu 50 Prozent der
Ausgaben für den Sozialstaat aus. Zu sagen, dass das ein
Abholzen ist, dass die Schere auseinandergeht,
({1})
das ist an dieser Stelle schlichtweg der Versuch, mehr
Geld zu bekommen. Man hat das genau gesehen. Das
klang auch bei der SPD an. Es ist der Wunsch der linken
Seite des Hauses, die Einnahmen zu erhöhen. Dafür ist
Ihnen jedes Argument recht.
({2})
Jeder Bürger, der das hört, sagt: Ja, Mensch, es wäre
doch toll, wenn der Staat mehr Einnahmen hat. Vielleicht bekomme ich etwas davon.
({3})
Aber Sie sagen nicht - das ist das Unfaire dabei -, dass
Sie es sich beim Bürger holen werden. Die SPD hat uns
doch mit ihrer Mehrwertsteuererhöhung das typische
Beispiel geliefert. So kann man keine Haushalte sanieren.
({4})
Die rot-grüne Koalition und die Große Koalition haben
es gezeigt. Was ist passiert? Es gab in der Vergangenheit
immer wieder wirtschaftlich gute Zeiten. Auch jetzt befindet sich dieses Land in einer wirtschaftlich guten Zeit,
während es für die Länder im Umfeld schwieriger ist.
Was machen linke Regierungen in wirtschaftlich guten
Zeiten? Sie erhöhen erstens die Steuern,
({5})
so wie Sie es gerade beschrieben haben, und zweitens
- das ist das eigentliche Gift, das wir die ganze Zeit aus
dem Haushalt herausbekommen wollen - sagen Sie jedes Mal, wenn Sie auch nur 1 Euro mehr einnehmen
können: Holla, wir müssen überlegen, wie wir 2 Euro
mehr ausgeben können. Das ist der Grund, warum Ihre
Haushalte nicht gut funktionieren und warum sich unsere Haushalte immer weiter stabilisieren.
({6})
Schauen wir auf die Fakten. Es ist schon von allen gesagt worden, deswegen will ich mich kurzfassen. Wir
halten uns an alle rechtlichen Vorgaben auf nationaler
und auf europäischer Ebene. Wenn Sie in das europäische Ausland fahren, hören Sie von den Menschen dort:
Wie schafft ihr das eigentlich? Wir hätten gerne eure
Zahlen. Hier aber geht die Opposition hin und redet alles
schlecht, macht alles mies und verbreitet Angst; denn
- so denkt wohl die Opposition - auf der Basis von
Angst kann man am besten Politik machen. Nein, es ist
unsere Aufgabe, auf der Basis von Solidität Politik zu
machen. Nur so wird bei den Bürgern das Vertrauen erzeugt, das wir als Politiker und Verantwortliche im Staat
benötigen.
Ich finde es beachtlich, was diese Koalition geschafft
hat. Schauen wir uns das einmal an.
({7})
Der Haushalt 2013 wird niedrigere Ausgaben haben als
der Haushalt 2010. Damit gelingt es dieser Koalition,
dass wir zum ersten Mal seit 30 Jahren am Ende einer
Legislatur weniger Ausgaben haben als am Anfang einer
Legislatur. Das hört sich zuerst nicht toll an, aber wir
wollen doch einmal sehen, wie die SPD das in der Großen Koalition mit ihrem Finanzminister gemacht hat.
Kleine Zahlenkunde: 30 Milliarden Euro mehr Ausgaben in Zeiten von Peer Steinbrück. In vier Jahren wurden
die Ausgaben um 30 Milliarden Euro erhöht.
({8})
- Danke an Rot-Grün; auf die Reaktion habe ich gewartet.
Was hat Rot-Grün in sieben Jahren gemacht? In sieben Jahren, liebe Freunde von den Grünen
({9})
- irgendwie scheint das zusammenzuhängen; man sieht
ja in Baden-Württemberg, dass Sie das dort wieder so
machen wollen -, haben Sie die Ausgaben um 30 Milliarden Euro erhöht. Das ist ein schlimmes Gift. Zuerst
werden die Ausgaben erhöht, und dann wundert man
sich über die Verschuldung.
({10})
Wir halten die Ausgaben stabil, weil wir weiterhin für
Wachstum sorgen wollen. Außerdem sparen wir nicht
dumm, sondern überprüfen genau, welche Investitionen
wir tätigen.
({11})
Ich weiß, dass zum Beispiel der Verkehrsminister
gerne 1 Milliarde Euro mehr hätte. Man muss aber klar
sagen: Auch in diesem Bereich muss man Grenzen setzen. Hier einen Ausgleich hinzubekommen und zu sagen: „Wir haben Steuermehreinnahmen zu verzeichnen,
weil die Wirtschaft wächst; allerdings wächst die Wirtschaft auch deshalb, weil wir die Ausgaben nicht hochfahren“, ist eine Kunst. Das ist eine Kunst, die Sie nicht
beherrschen.
({12})
Meine Damen und Herren, ich will erwähnen, worin
das größte Risiko für den Bundeshaushalt besteht.
({13})
Das größte Risiko für den Haushalt sitzt auf der Bundesratsbank.
({14})
Man kann auch heute wieder sehen: Es ist kein Vertreter
des Bundesrates da. Aber - jetzt appelliere ich an die
Verantwortung von SPD und Grünen - was wird passieren, wenn in den nächsten Wochen der Bundesrat zusammenkommt? Dann wird es vonseiten des Bundesrates
heißen: Es gibt in dem und dem Bereich ein Gesetz, das
kostet uns zwar nichts; aber wir machen nur mit, wenn
es Mehrausgaben gibt. - Ist es denn wirklich die Aufgabe des Bundesrates, den Bundeshaushalt, wo man nur
kann, zu schröpfen?
Sehen wir uns die Zahlen für das nächste Jahr an. Die
Bürger fragen uns: Warum schafft ihr es in guten Zeiten
eigentlich nicht, auf eine schwarz-gelbe Null zu kommen? Zu nennen sind zunächst einmal - ich glaube, da
sind wir uns einig - die Sonderbelastungen durch den
ESM in Höhe von 8 Milliarden Euro. Außerdem muss
man sich fragen: Welche Zusatzbelastungen für den
Haushalt 2013 entstehen dadurch, dass wir Länder und
Kommunen entlasten müssen, obwohl sie mit ihren
Haushalten besser dastehen und mehr Steuereinnahmen
zu verzeichnen haben als der Bund? Hier kommt man
auf einen Betrag von 10 Milliarden Euro. Rechnet man
die durch den ESM bedingten Belastungen in Höhe von
8 Milliarden Euro und die 10 Milliarden Euro für die
Freunde von der Ausgeberbank zusammen, kommt man
auf einen Betrag von 18 Milliarden Euro. Auch die Neuverschuldung des Bundes beträgt im nächsten Jahr etwa
18 Milliarden Euro. Das heißt, der Kernhaushalt des
Bundes, mit dem er seine Aufgaben erfüllt, basiert schon
heute auf einer schwarzen Null.
({15})
Das haben Sie in Ihrer Regierungszeit nie erreicht. Wenn
es nach Ihrer Politik geht, werden Sie das auch nie erreichen.
({16})
Letzter Punkt. Meine Damen und Herren, nach mir
spricht zunächst die Kollegin Hinz und dann der Kollege
Schneider. Ich würde mich freuen, wenn insbesondere
der Kollege Schneider für seine Fraktion erklären würde,
dass von seinen Kolleginnen und Kollegen in den Einzelplandebatten keine weiteren Ausgaben gefordert werden.
({17})
Ich werde mir seine Rede genau anhören. Eben hat Herr
Poß für die Sozialdemokratie geredet - er ist jetzt nicht
da ({18})
und gesagt, wir würden beim Haushalt nicht richtig handeln und nicht genug sparen. Ich würde mich, wie gesagt, freuen, wenn die Sozialdemokraten sagen würden:
Wir werden in den Fachdebatten keine neuen Ausgaben
fordern. - Das werden Sie aber nicht tun. Sie werden
Milliardenforderungen aufstellen.
({19})
Sie sagen heute hü und morgen hott und wundern sich,
dass Ihre Politik genauso wenig konsistent ist wie Ihre
Antwort auf die Frage, wer bei Ihnen Spitzenkandidat
wird.
Meine Damen und Herren, zur Zukunftsfestigkeit.
Der Hauptvorwurf, der vom Kollegen Schneider wahrscheinlich noch erhoben wird, lautet ja: Der Haushalt ist
nicht zukunftsfest. - Das ist sehr bemerkenswert; Herr
Schäuble hat schon darauf hingewiesen. Einerseits wird
von Ihnen behauptet, wir würden uns für den Wahlkampf
ein geheimes Polster zulegen. Ich wette mit Ihnen, dass
Sie gleich sagen werden, wir hätten uns kein Polster für
schlechte Zeiten zugelegt. Sie argumentieren, wie es Ihnen gerade gefällt.
({20})
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben Vorsorge getroffen.
Die Polster in den Sozialversicherungssystemen sind gerade schon erwähnt worden. Der Unterschied ist: Wann
immer Sozialdemokraten an der Regierung waren, waren die Puffer in den Sozialkassen gleich null, weil Sie
immer neue Ausgaben getätigt haben. Das ist übrigens
auch der Grund, warum Sie keine Beitragssatzsenkung
wollen. Sie wollen mehr Geld ausgeben. Wir hingegen
stärken auf der einen Seite die Puffer in allen Sozialversicherungsbereichen und sorgen auf der anderen Seite
dafür, dass wir vom Bürger nur das Geld nehmen, das
der Staat für die Erledigung seiner Aufgaben braucht.
Dieser Haushalt ist nicht nur ein stabiler, sondern auch
ein zukunftsorientierter Haushalt, weil er dafür sorgt,
dass selbst in schlechten Zeiten ausreichende Puffer vorhanden sind, um negative Entwicklungen, die möglicherweise auf uns zukommen, denen diese Regierung aber
entgegenwirkt, abzufangen. Stabile Haushalte sind nämlich die Voraussetzung für weiterhin gutes Wachstum.
Herzlichen Dank.
({21})
Priska Hinz ist die nächste Rednerin für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Otto Fricke, dieser Etatentwurf ist kein Dokument der grandiosen Politik dieser Bundesregierung,
sondern schlicht und einfach ein Dokument des andauernden Versagens der Bundesregierung in der Haushaltspolitik.
({0})
In der Zeit der Euro-Krise wären eine finanzielle Vorsorge, eine Vorsorge für die Sozialpolitik und eine Vorsorge für die Energiepolitik notwendig. Denn in diesen
drei Bereichen stehen wir vor Herausforderungen. Hier
haben wir wichtige Entscheidungen zu treffen, für die
eine finanzielle Vorsorge notwendig ist.
Zusätzlich zu dem Versagen dokumentiert der Etat
auch noch die Widersprüchlichkeit zwischen dem Handeln der Bundesregierung auf europäischer Ebene und
dem Handeln zu Hause. Sie verlangen von anderen europäischen Staaten eine permanente Sparpolitik einseitig
zuungunsten der sozialen Bereiche und der Menschen,
die wenig Geld haben, während Sie hier noch nicht einmal die Mindestanforderungen dafür erfüllen, mit einem
Haushaltsentwurf zu konsolidieren. Auf diesen Punkt
will ich hinweisen. Das ist Ihr Versagen in dieser Politik.
({1})
In den Euro-Staaten frisst die Rezession inzwischen
die Erfolge der Sparpolitik und der rigiden Haushaltspolitik auf. Wir mussten Sie zu einem Investitionsprogramm treiben, um nachhaltige Investitionen in den krisengeschüttelten Ländern voranzubringen. Wir mussten
Sie gegen die FDP dazu treiben, dass es eine Finanztransaktionsteuer geben wird. Natürlich musste die EZB
jetzt wieder eingreifen, weil Sie politisch versagen und
es nicht schaffen, politisch kluge Entscheidungen zu
treffen, um den Zinsdruck von den Ländern zu nehmen,
die in einer Notlage sind, obwohl sie schon rigide Reformprogramme in ihren Ländern durchführen. Das ist
Ihr klassisches politisches Versagen, und das prangern
wir an.
({2})
Die EZB macht das im Moment sehr klug. Sie spielt
den Ball an die politischen Entscheidungsträger im Parlament wieder zurück, indem sie sagt: Wir kaufen Staatsanleihen nur, wenn die Länder auch unter den Rettungsschirm gehen. Das heißt, das deutsche Parlament muss
dazu entscheiden. Das ist besser als das, was die EZB
vorher gemacht hat, nämlich Staatsanleihen aufzukaufen, ohne dass ein Parlament dazu entschieden hat.
Trotzdem sagen wir: Eine andere Entscheidung wäre
wichtiger, nämlich die Entscheidung für einen Altschuldentilgungsfonds. Dadurch gäbe es demokratische Entscheidungen in allen europäischen Staaten und einen
Schuldenabbau auf der einen Seite verbunden mit einer
Vermögensbelastung auf der anderen Seite. Wir werden
Sie so weit treiben, dass Sie auch hier noch den richtigen
Weg gehen werden.
({3})
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich gestehe Ihnen ja gerne zu, dass die Neuverschuldung auf
den ersten Blick ganz gut aussieht. 18,8 Milliarden Euro
neue Schulden sind immerhin 13,3 Milliarden Euro weniger als im laufenden Jahr. Wenn doch eine Konsolidierungsleistung dahinterstecken würde! Aber was tun Sie?
Sie streichen 2 Milliarden Euro beim Gesundheitsfonds,
2 Milliarden Euro bei der Agentur für Arbeit und 1 Milliarde Euro bei der Rentenversicherung. Das ist aber das
Geld der Beitragszahler. Sie benehmen sich, als hätten
Sie ein Girokonto, von dem Sie Geld abbuchen können,
um es in die andere Tasche zu stecken und auszugeben.
Das ist aber doch keine Haushaltskonsolidierung.
({4})
Auch der Rest fällt Ihnen doch durch die äußeren
Umstände in den Schoß: 7,5 Milliarden Euro höhere
Priska Hinz ({5})
Steuereinnahmen, 2,5 Milliarden Euro weniger Zinskosten und 1,4 Milliarden Euro weniger Ausgaben durch
niedrigere Arbeitslosigkeit. Obwohl man schon jetzt
weiß, dass das nicht so bleiben wird und dass wir einen
Puffer bräuchten, einen Vorsorgepuffer, unternehmen Sie
keine eigenen Sparanstrengungen und machen nichts anderes, als auf dieser Konjunkturwelle zu surfen.
Der Kollege Barthle hat eben vorgetragen, in welchen
Einzelplänen die Mittel überall noch erhöht werden.
({6})
- Ja, wunderbar. Sie sollten sich selber beim Wort nehmen, also einsparen
({7})
und das, was Sie anderen Staaten aufoktroyieren, hier
durchführen,
({8})
also strukturelle Reformen im Haushalt durchführen, damit wir auf Dauer insgesamt weniger Ausgaben haben,
und auf stabile Einnahmen setzen. Das wäre Haushaltskonsolidierung.
({9})
Aufgrund der Entwicklung, die ich eben vorgetragen
habe, nimmt der Finanzminister 16 Milliarden Euro ein.
Sie jedoch senken die Nettokreditaufnahme um nur
13 Milliarden Euro. Das heißt, 3 Milliarden Euro werden
schon wieder verbraten, zum Beispiel für die Bundeswehr, die zwar kleiner, aber um 1,3 Milliarden Euro teurer wird. Eigentlich sollten dort 8 Milliarden Euro - das
hatten Sie einmal versprochen - eingespart werden.
Aber nicht nur da geben Sie unnötig Geld aus. Sie setzen dem Ganzen noch die Krone auf, indem Sie das Betreuungsgeld einführen und Eltern Geld dafür geben,
dass Kinder Leistungen nicht in Anspruch nehmen. Was
ist denn das für eine Absurdität von Haushaltspolitik?
Das ist nicht nur inhaltlich und bildungspolitisch eine
Katastrophe, sondern auch haushalterisch ein völliger
Irrweg.
({10})
Der Haushalt verstärkt die soziale Ungerechtigkeit in
diesem Land allein dadurch, dass Sie die Mittel für die
Arbeitsmarktpolitik kürzen. Die Zahl der Arbeitslosen
ist dreimal in Folge wieder gewachsen, und zwar trotz
Fachkräftemangels. Wo senken Sie die Mittel? Woher
nehmen Sie das Geld? Sie kürzen die Mittel für Maßnahmen zur Qualifizierung und Wiedereingliederung. Das
aber ist der falsche Weg. Wir wollen diese Menschen
doch nicht auf Dauer alimentieren, sondern wir wollen
sie qualifizieren, damit sie am Arbeitsmarkt teilhaben
können und ein Einkommen haben. Das stärkt auch wieder die Einnahmeseite des Bundes. Das ist die richtige
Politik, die man machen muss.
({11})
Auch bei der Energiewende liefert die Koalition
nicht. Nach Fukushima ging es gar nicht grün genug voran. Was ist seitdem passiert? Aufgrund der völligen
Fehleinschätzung der Zertifikatepreise wurde der Energie- und Klimafonds unterfinanziert, die Energiewende
konnte nicht ausfinanziert werden. Das verursachte eklatante Mängel, zum Beispiel beim Marktanreizprogramm
Erneuerbare Energien oder bei den Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz. Jetzt sind für 2013 dafür
zwar höhere Mittel eingeplant, aber immer noch in einem Schattenhaushalt.
Wenn dieser Haushalt nicht funktioniert, dann wird
die Energiewende nicht finanziert werden können. Dann
bricht uns eine Wachstumsbranche weg. Dann brechen
uns Arbeitsplätze im Handwerk, im Mittelstand weg.
Das sind aber die, die wir brauchen werden, wenn die
Konjunktur wieder stagniert oder lahmt oder am Ende
einbricht. Wir müssen auf die Energiewende setzen.
Deswegen werden wir Grünen Ihnen zeigen, wie man einen Klimaschutzhaushalt auf den Weg bringt, der die
Energiewende ausfinanziert, ohne den Haushalt über Gebühr zu strapazieren.
({12})
Wir werden Ihnen zeigen, wie man den ökologischen
Umbau der Wirtschaft mit einem konsequenten Konsolidierungskurs zusammenbringen kann, wie man ökologisch schädliche Subventionen abbauen kann. Wir werden Ihnen aber auch aufzeigen, wie man ein gerechtes
Steuersystem auf den Weg bringen kann; denn das brauchen wir.
Sparen ist die eine Seite der Medaille. Aber wir brauchen auch ein gerechtes Steuersystem, weil wir für Maßnahmen gegen Altersarmut Geld brauchen. Wir brauchen Geld für den Ausbau der Kinderbetreuungsplätze.
Wir brauchen Geld für die soziale Teilhabe. Die Menschen im Lande haben auch verstanden, dass wir dafür
Geld brauchen und dass die Steuersenkungsorgie der
FDP kein Glück gebracht hat. Sie haben recht; denn die
Leute wissen, dass neben dem Sparen auch Einnahmen
notwendig sind, um die soziale Infrastruktur in diesem
Land zu erhalten.
({13})
Wir werden ein Konzept für den Schuldenabbau vorlegen, nämlich unser Konzept einer Vermögensabgabe.
Wir sind der Meinung, dass man auch Vermögende beteiligen kann.
({14})
- Ja, das sagen wir auch ganz deutlich. Da nehmen wir
kein Blatt vor den Mund.
({15})
Priska Hinz ({16})
- Herr Fricke, wenn Sie die Länder beschimpfen nach
dem Motto „Die Länder sind schuld daran, dass sie so
viel Geld ausgeben müssen“,
({17})
dann sage ich Ihnen: Sie haben in der Koalition und vor
allem in der FDP mit der Mövenpick-Steuer die Steuerbasis erodiert.
({18})
Deswegen haben die Länder nicht genug Geld für Kitabetreuungsplätze.
({19})
Nur weil man Sie in einer Landesregierung mit der Lupe
suchen muss, meinen Sie auf einmal, Sie könnten die
Länderparlamente und die Landesregierungen beschimpfen. Was ist denn das für ein Umgang miteinander von
Verfassungsorgan zu Verfassungsorgan?
({20})
Unsinnige Ausgaben streichen: Ja. Aber Schuldenabbau durch Vermögensabgabe
({21})
und ein gerechtes Steuersystem: Das ist unsere grüne
Haushaltspolitik. Wir sorgen vor: sozialökologisch und
finanziell. Das werden wir Ihnen in den Haushaltsberatungen bis zum November auch zeigen.
({22})
Vielen Dank, Frau Kollegin Priska Hinz. - Nächster
Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege
Dr. Michael Meister. Bitte schön, Kollege Dr. Michael
Meister.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Entwurf des Bundeshaushalts für 2013 ist ein Dokument
der Stabilität und Verlässlichkeit, und zwar der Stabilität
in Europa und der Stabilität und Verlässlichkeit in
Deutschland. Wir geben nicht nur per Fiskalvertrag und
Maastricht-Vertrag internationale europäische Regeln
der Stabilität vor, sondern wir leben in Europa auch vor,
dass wir die Absicht haben, diese Regeln selbst einzuhalten.
({0})
Ich glaube, das ist ein Unterschied zur Regierung
Gerhard Schröder, Hans Eichel und Joschka Fischer. Sie
haben in Europa an dieser Stelle den größten Sündenfall
begangen, der vorstellbar war:
({1})
Sie haben als Deutsche bewusst europäisches Recht gebrochen und uns damit mit in diese Krise des Euro hineingeführt.
({2})
Deshalb müssen wir jetzt beispielgebend sein, indem
wir nicht nur Regeln einfordern, sondern sie auch selbst
leben. Deshalb stehen wir in Europa für eine Stabilitätsunion, aber nicht für eine Union, die Transfers betreibt
und die Haftung vergemeinschaftet.
({3})
Nein, Stabilität muss in der Euro-Debatte das Ziel sein.
Frau Hinz, Sie haben eben noch einmal für die Haftungsgemeinschaft geworben. Sie haben gesagt: Bei den
Altschulden, Euro-Bonds und Euro-Bills wollen Sie gemeinsame Haftung. Was heißt das denn? Das heißt doch
nicht, dass wir haften. Das heißt, dass der normale Arbeitnehmer, der morgens aufsteht und abends heimkommt, mit seinem Geld für Schulden haftet, die andere
ohne seinen Einfluss machen.
({4})
Das kann nicht sein. Wir müssen der Anwalt des deutschen Steuerzahlers sein, meine Damen und Herren.
({5})
Deswegen wird es eine Transfergemeinschaft und
eine Haftungsgemeinschaft mit uns nicht geben. Wir
werden den Euro stabilisieren, aber ohne dabei den deutschen Steuerzahler Gefahren auszusetzen, auf die er mit
seinem Wahlrecht keinen Einfluss hat.
({6})
Ich will auch klar und deutlich sagen, dass aus meiner
Sicht der Kauf von Staatsanleihen keine Antwort auf die
vorliegenden Probleme in den Finanzmärkten, in den
Haushalten der einzelnen Länder und in der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Volkswirtschaften ist. Die
Antwort ist, dass Strukturreformen in den einzelnen
Ländern erfolgen und wir Wirtschafts- und Finanzpolitik
in Europa zusammenbringen müssen. Das ist die Antwort, und nicht der Aufkauf von Staatsanleihen. Deshalb
müssen wir auch hier dafür werben, dass diese Struktur22884
reformen stattfinden, statt irgendwelche anderen Auswege zu suchen.
({7})
Jetzt komme ich zur Finanzmarktregulierung. Die
Krise hat 2007 mit der IKB bei uns und später mit
Lehman Brothers begonnen. Ich erinnere daran, wann
das Ganze tatsächlich begonnen hat. Das war nicht 2007.
Der Beginn war die Deregulierung der Finanzmärkte
und die Tatsache, dass Rot-Grün Hedgefonds nach
Deutschland geholt und die Regulierung aufgeweicht
hat.
({8})
Was wir heute beiseiteräumen müssen, ist die Folge dessen, was Sie gemacht haben. Sie haben die Märkte dereguliert und puren Kapitalismus nach Deutschland geholt.
Wir müssen jetzt der Aufgabe nachgehen, hier wieder
vernünftige Rahmenbedingungen zu setzen.
({9})
Nun zu Ihrer Monstranz, die Sie vor sich hertragen,
zur Finanztransaktionsteuer. Ja, wir brauchen eine solche
Steuer, weil wir eine bessere Regulierung der Finanzmärkte brauchen. Aber Ihre Monstranz „Finanztransaktionsteuer“ ist nicht der Ablass für die Sünden, die Sie
von Rot-Grün in der Vergangenheit begangen haben.
({10})
Ich komme jetzt zu dem, was geschieht. Wir setzen
gerade die Vorgaben von Basel III um. Das bedeutet
mehr Eigenkapital und Liquidität in den Finanzinstituten. Dort wird tatsächlich etwas für mehr Stabilität im
Finanzsektor getan. Das betreiben diese Koalition und
diese Bundesregierung.
({11})
Wir regeln die Bankenaufsicht nicht nur in Deutschland
- gestern gab es eine entsprechende Anhörung im
Finanzausschuss -, sondern auch in Europa neu. Wir erwarten die Vorschläge von Herrn Barroso. Wir müssen
auch in Europa eine gemeinsame Bankenaufsicht zustande bekommen. Ich werbe allerdings dafür, dass diese
Bankenaufsicht subsidiär erfolgt, dass wir unser Restrukturierungsgesetz, das dazu dient, marktwirtschaftliche
Prinzipien wieder durchzusetzen, von Deutschland aus
auf ganz Europa ausdehnen und dass wir es ermöglichen,
ein Finanzinstitut, das in Schieflage ist, umzubauen oder
abzuwickeln. Darüber müssen wir diskutieren. Das muss
vorangebracht werden, damit wir Marktwirtschaft in der
EU haben und damit auch für den Finanzsektor marktwirtschaftliche Prinzipien gelten.
Die EZB soll dabei einbezogen werden. Die EZB ist
sicherlich eine tolle Einrichtung. Aber ich möchte, dass
dabei die geldpolitische Unabhängigkeit der Zentralbank
gewahrt bleibt. Wir werden nicht zulassen, dass diese
geldpolitische Unabhängigkeit infrage gestellt wird.
Deshalb werden wir auch nicht an das Statut der EZB
herangehen. Ich bin sehr gespannt, was uns Herr Barroso
vorschlagen wird, um entlang der skizzierten Grundlinien zu einer gemeinsamen, besseren Bankenaufsicht in
Europa zu kommen.
Es wird aber nicht nur über eine gemeinsame Bankenaufsicht, sondern auch über eine Bankenunion diskutiert.
Es besteht die Gefahr, dass hier durch die Hintertür nicht
der deutsche Steuerzahler, wohl aber der deutsche Sparer
in die Haftungsgemeinschaft einbezogen wird. Dazu will
ich deutlich sagen: Das ist kein Lösungsmodell, mit dem
wir vorankommen. Wir können den deutschen Sparer
nicht für Risiken in Haftung nehmen, die an anderer
Stelle entstehen.
({12})
Wir haben uns die Ratingagenturen vorgenommen.
Wir reden nicht nur darüber, sondern haben sie unter
Aufsicht gestellt. Das ist das eine. Das andere ist: Wir
haben Registrierungspflichten geschaffen. Das heißt, wir
packen auch an dieser Stelle an. So werden die entsprechenden Informationen mit mehr Qualität ausgestattet.
Wir haben einen „Beipackzettel“ für Anleger geschaffen; denn auch der Anleger auf dem Finanzmarkt muss
besser aufgestellt, besser gerüstet sein. Der Bundesfinanzminister bringt gerade die Themen „Begrenzung
des Hochfrequenzhandels“ und „Mehr Transparenz auf
den Derivatemärkten“ voran. Ich glaube, dass das richtige und wichtige Schritte sind, die gegangen werden
müssen, um die Risiken auf den Finanzmärkten und damit die Risiken für unsere gemeinsame Währung, den
Euro, und für unsere Staatshaushalte zu verringern.
Herr Poß, Sie haben gerade überwiegend über Sozialpolitik gesprochen. Meine Auffassung ist: Sozial ist, was
den Menschen Arbeit und Perspektive gibt.
({13})
Hier hat diese Koalition mehr geleistet als jede Koalition
und jede Bundesregierung zuvor. Wir machen Sozialpolitik für die Menschen, weil wir ihnen Perspektiven
für die Zukunft geben.
({14})
- Sie können so viele Zurufe machen, wie Sie wollen,
das ändert nichts an der Tatsache: Sie möchten, dass die
Menschen in den Sozialsystemen bleiben und dort auf
der Basis von hohen Steuern und Abgaben möglichst gut
versorgt werden. Wir möchten die Menschen aus den
Sozialsystemen herausholen und sie in Arbeit bringen,
damit sie ein selbstbestimmtes Leben führen können.
({15})
Das ist ein ganz anderes Menschenbild. Darüber streiten
wir gerne. Wir wollen niemanden versorgen und einsperren. Wir wollen den Menschen die Freiheit zurückgeben.
({16})
Frau Hinz, Sie haben die Familienpolitik angesprochen. Olaf Scholz hat uns damals als Generalsekretär der
SPD verkündet, dass es um die Lufthoheit über den Kinderbetten geht. Wir diskutieren gern über die Lufthoheit
über den Kinderbetten. Ich möchte aber, dass die Lufthoheit über den Kinderbetten bei den Eltern liegt. Das ist
der Punkt, um den es geht. Wir wollen, dass die Eltern
entscheiden, welches der beste Weg für ihre Kinder ist.
({17})
Wir wollen nicht, dass der Staat das entscheidet, sondern
die Eltern.
({18})
Weil die Eltern die Möglichkeit haben müssen, sich zu
entscheiden, diskutieren wir mit den Kommunen über
den Ausbau von U-3-Betreuungsplätzen. Wir geben viel
Geld dorthin. Es gibt jetzt im Haushalt einen Nachschlag
von einer halben Milliarde Euro. Wir garantieren aber
gleichzeitig denen die Wahlfreiheit, die sich anders entscheiden, die ihre Kinder nicht in die Krippe geben wollen, sondern die Betreuung selbst übernehmen.
({19})
Das ist richtig verstandene Wahlfreiheit der Eltern. Das
ist das Gegenteil der Ideologie, die besagt, der Staat
wisse am besten, was für die Kinder gut sei.
Sie von den Sozialdemokraten fragen immer wieder,
was man denn machen müsse: den Haushalt konsolidieren oder Wachstumspolitik betreiben. Ich bin der Meinung: Zwischen diesen beiden Zielen besteht kein Widerspruch.
({20})
Wir haben in dieser Wahlperiode mit einer wachstumsfreundlichen Konsolidierungspolitik begonnen, die das
Defizit von 86 Milliarden Euro - das war die für 2010
geplante Nettokreditaufnahme - auf unter 20 Milliarden
Euro im Haushalt 2013, über den wir gerade debattieren,
zurückführt. Das ist eine riesige Leistung im Hinblick
auf die Konsolidierung.
Gleichzeitig aber haben wir darauf geachtet, dass die
Wachstumskräfte in unserem Land gestärkt worden sind.
Wir haben die Investitionen und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf einem hohen Niveau gehalten, und wir haben Strukturmaßnahmen beschlossen, um
für die Stärkung der Wachstumskräfte zu sorgen. Auch
hierzu will ich Ihnen etwas sagen: Wer war es denn im
Deutschen Bundestag, der zu Beginn dieser Wahlperiode
gegen das Wachstumsbeschleunigungsgesetz gestimmt
hat? Es war doch die Opposition, die dagegen war,
({21})
die sich bei der Abstimmung hier in diesem Haus gegen
Wachstum gewandt hat. Deshalb: Kommen Sie uns doch
jetzt nicht mit Ratschlägen und sagen, wir müssten
Wachstum mit Konsolidierung verbinden. Wir tun das
seit Beginn dieser Wahlperiode, und wir empfehlen das
all unseren Freunden in Europa: Euro-Plus-Pakt und seriöse Haushaltspolitik.
({22})
Im Gegensatz zu Ihnen konsolidieren wir den Haushalt. Schauen Sie sich die Ausgabenkurve des Bundeshaushalts unter Hans Eichel an. Hans Eichel hat versucht, zu konsolidieren, indem er versucht hat, seine
Einnahmen zu steigern.
({23})
Der Kollege Steinbrück hat versucht, zu konsolidieren,
indem er die Einnahmen gesteigert hat. Es wird niemals
funktionieren, den Haushalt über Einnahmesteigerungen nachhaltig zu konsolidieren. Sie werden den Haushalt nur über die Ausgabenseite nachhaltig konsolidieren.
({24})
Wenn Sie den Haushaltsentwurf und die Finanzplanung anschauen, dann sehen Sie ein nahezu konstantes
Ausgabenniveau. Über dieses nahezu konstante Ausgabenniveau werden wir es schaffen, den Haushalt nachhaltig zu konsolidieren. Das muss unser Ziel sein. Die
Konsolidierung darf nicht nur kurzfristig auf dem Papier
erscheinen, sondern es muss dauerhaft erreicht werden,
dass wir keine neuen Schulden aufzunehmen brauchen.
({25})
Es ist toll, dass wir die Schuldenbremse im Grundgesetz haben. Der Bundesfinanzminister hat heute früh darauf hingewiesen, dass er bereits 2013 die eigentliche
Fassung der Schuldenbremse - strukturelles Defizit maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - erreichen wird. Das heißt, wir erreichen unser Ziel drei Jahre
vor der vorgegebenen Frist, die wir gemeinsam verabredet haben. Das ist aus meiner Sicht eine tolle Leistung.
Diese Schuldenbremse gilt nicht nur für den Bundeshaushalt, sondern auch für die 16 Landeshaushalte. Ich
würde mich freuen, wenn wir nicht erst im Jahr 2019 beginnen, darüber zu diskutieren, wie wir ab 2020 die
Nullverschuldung realisieren. Ich finde es abenteuerlich,
was in Ihrem Heimatland, Herr Poß, geschieht. Dort
wird in konjunkturell guten Zeiten, bei einer hoher Beschäftigungsquote und extrem niedrigen Zinsen die Neuverschuldung noch gesteigert.
({26})
Glauben Sie, dass die Steigerung der Nettokreditaufnahme bei hoher Beschäftigungsquote, hohen Wachstumsraten und niedrigen Zinsen es erlauben wird, im
Jahr 2020 eine Verschuldung von null zu erreichen?
Nein. Dort, wo Sie zu Hause sind, tun Sie das genaue
Gegenteil von dem, was Sie hier sagen. Halten Sie Ihre
Reden vor Ihrer eigenen Landesregierung, damit sie
finanzpolitisch vernünftig wird.
({27})
Wir müssen eines sehen: Wir haben natürlich ein
niedriges Zinsniveau. Das ist etwas, was mir Sorgen
macht. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich die Zeitung
aufschlage und lese, dass Herr Schäuble eine Anleihe
begeben hat, für die er angeblich sogar noch Geld bekommt. Auf der anderen Seite macht mir das Sorgen;
denn das ist kein Zeichen dafür, dass wir in einer normalen Lage sind,
({28})
sondern das ist ein Zeichen dafür, dass wir eine künstlich
geschaffene Situation haben, sowohl für den Staat als
auch für viele private Marktteilnehmer. Ob es um die Altersvorsorge geht oder um Investitionen, das Zinsniveau
ist nicht natürlich.
Wir müssen daran arbeiten, dass wir möglichst
schnell aus der Euro-Krise herauskommen, damit wir
wieder auf ein normales Niveau kommen. Sonst zahlen
wir in einigen Jahren den Preis für die falschen Entwicklungen beim Zinsniveau.
Ich wünsche mir, dass in den Debatten im Haushaltsausschuss nicht immer nur beschworen wird, den Haushalt zu konsolidieren, obwohl gleichzeitig Anträge gestellt werden, in den einzelnen Fachbereichen noch mehr
Geld auszugeben. Ich würde mich vielmehr freuen,
wenn in den uns bevorstehenden Haushaltsberatungen
der eine oder andere Vorschlag gemacht würde, wo zusätzliche Einsparungen vorstellbar sind. In diesem
Geiste sollten wir miteinander diskutieren. Ich freue
mich auf die Diskussionsbeiträge.
Vielen Dank.
({29})
Vielen Dank, Kollege Michael Meister. - Nächster
Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten Kollege Carsten Schneider. Bitte schön,
Kollege Carsten Schneider.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Meister, wenn Sie denn einmal auf
die Vorschläge zugegriffen hätten, die wir in den vergangenen Jahren gemacht haben, dann sähe es um Deutschland und die Finanzen des Bundes bedeutend besser aus.
({0})
Sie haben gerade auf die Erhöhung der Neuverschuldung im Land NRW hingewiesen. Darf ich Sie einmal an
Ihrem eigenen Handeln messen? Für das Jahr 2012, also
das Jahr, in dem wir uns befinden, haben Sie einen
Nachtragshaushalt verabschiedet: 32 Milliarden Euro
neue Schulden - das hat Minister Schäuble eben noch
einmal gesagt - haben Sie hier beschlossen.
({1})
Kennen Sie noch die Zahl des Jahres 2011?
({2})
17 Milliarden Euro neue Schulden. Im Jahr 2012:
32 Milliarden Euro neue Schulden. Das ist eine Erhöhung, oder?
({3})
Die Steuereinnahmen sind explodiert, die Zinsausgaben
sind gesunken, und die Sozialausgaben haben Sie gekürzt. Ich frage mich, wo Sie konsolidieren wollen.
({4})
Wenn man sich die Situation sehr ernsthaft anschaut,
stellt man fest: Wir haben in den letzten beiden Jahren
extrem profitiert: von der Euro-Krise, bei den Zinsen.
Aber bei den Zinsen tickt eine Zeitbombe. Wir haben
außerdem von den Nachholeffekten aus der Konjunkturdelle - Herr Minister Schäuble ist vorhin darauf eingegangen - enorm profitiert. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, in der Zeit, in der die Konjunktur geboomt hat, die
Verschuldung stärker zu senken, damit wir, wenn es einmal schlechter läuft, Rücklagen haben, um aktiv handeln
zu können. Diese Zeit haben Sie vergeudet. Nichts davon ist passiert.
({5})
Betrachten wir nur einmal die Zinsausgaben: Es gibt
natürlich eine Friktion innerhalb der Euro-Zone. So wie
die Spanier zu viel Zinsen zahlen, so zahlen wir zu wenig. Allein die Entlastung durch geringere Zinsausgaben
gegenüber der Finanzplanung, die Sie 2011 für dieses
Jahr aufgestellt haben, beträgt 10,7 Milliarden Euro. Angesichts dessen erschließt sich, warum Ihre Ausgaben
insgesamt in etwa gleich bleiben, auch wenn sie in bestimmten Ressorts steigen.
Der entscheidende Punkt aber ist, dass Sie das Zinsänderungsrisiko - also das Risiko, dass die Zinsen wieder einmal steigen, und das werden sie über kurz oder
lang ({6})
in Kauf nehmen und es versäumen, uns von den Finanzmärkten unabhängiger zu machen.
({7})
Carsten Schneider ({8})
Im Gegenteil: Über die Bundesschatzbriefe konnte
der Bürger ohne Banken, ohne Finanzsektor beim Staat
Geld anlegen, ihm Kredite geben. Diesen direkten Zugang des Bürgers haben Sie, Herr Minister, durch eine
Entscheidung, die Sie im Sommer getroffen haben, ab
Ende dieses Jahres zerstört. Das ist ein weiterer Teil der
Klientelpolitik, die Sie für den Finanzsektor und gegen
die Interessen der Bürger in Deutschland betreiben.
({9})
- Herr Kollege Barthle, die Zinsausgaben steigen vor allen Dingen, weil Sie immer neue Schulden machen, die
natürlich auch finanziert werden müssen. Das sollten Sie
in Ihre Berechnung einbeziehen. Der Vorschlag der SPD,
das, was wir als Alternative zu dem, was Sie heute hier
präsentiert haben, einbringen werden, ist ein konsequenter
Subventionsabbau. Sie haben mit dem sogenannten
Wachstumsbeschleunigungsgesetz, lieber Kollege Meister,
doch neue Subventionen eingeführt. Denken Sie an das
Hotelsteuerprivileg von 1 Milliarde Euro.
({10})
Davon wollen Sie zwar jetzt nichts mehr hören, aber es
ist geltendes Recht in Deutschland. Wir wären sofort dabei, wenn es darum ginge, das zu ändern und diese Subvention abzubauen.
Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel. Auch Sie haben
vorhin gesagt: Gut ist alles, was Arbeit schafft. - Arbeit
ist generell gut. Sie gehört zum Leben dazu. Entscheidend ist aber, dass anständige Löhne gezahlt werden.
Dadurch, dass Sie verhindern, dass wir hier in Deutschland zumindest einen Mindestlohn haben - wer arbeitet,
erhält zumindest so viel, dass er davon leben kann -, entstehen dem Staat Ausgaben von über 8 Milliarden Euro.
Das ist eine der größten Einzelsubventionen, die wir im
Bundeshaushalt haben, die Sie nirgendwo ausgewiesen
haben. Das wollen wir ändern.
({11})
Sie haben keinerlei Vorsorge getroffen. Ich habe am
Anfang Ihrer Konjunktureinschätzung zur Weltwirtschaft ein bisschen zugehört, Herr Minister Schäuble.
Dass sich das eintrübt, kann man sehen. Die OECD reduziert ihre Prognose auf 0,8 Prozent. Wir werden das
sehen. Wir haben das zumindest weltwirtschaftlich nicht
in der Hand. Aber Sie hätten dafür Vorsorge treffen können, hätten früher und eindeutiger auch für eine gerechte
Besteuerung in Deutschland sorgen können und müssen.
Wir haben neben dem Haushalt noch zwei weitere
Faktoren, die in den nächsten Jahren zu einer Belastung
werden. Der eine Faktor ist der Investitions- und Tilgungsfonds. Den haben wir damals in der Großen Koalition aufgelegt. Er kostete 20 Milliarden Euro, die über
Schulden finanziert wurden. Davon haben Sie keinen
Cent getilgt, obwohl die Konjunktur brummt. Erst 2016
wollen Sie das erste Mal tilgen. Ich hoffe, dass wir dann
immer noch Aufschwung haben. Aber wenn ich mir die
Zyklen so angucke, habe ich ernsthafte Zweifel, dass es
einen dauerhaften Aufschwung über sechs oder sieben
Jahre gibt. Auch da machen Sie sich also schuldig, wenn
es um eine nachhaltige Finanzpolitik geht.
Der zweite Faktor sind die Risiken, die wir durch die
Euro-Krise haben. Wir haben sehr direkte Ausgaben
durch die Abwicklungsanstalten der Banken - Hypo
Real Estate, aber auch WestLB - und dort insbesondere
den Schuldenschnitt für Griechenland; knapp 10 Milliarden Euro. Da wird noch einiges hinzukommen. Wie viel
das insgesamt ist, wissen wir nicht. Sie haben verhindert,
dass wir die notwendigen Einnahmen erzielen, um diese
Risiken und die damit verbundenen Ausgaben nicht in
die Zukunft zu verschieben, sondern heute dafür zu bezahlen. Die Risiken sind heute entstanden und haben den
Menschen heute geholfen, vor allen Dingen denjenigen,
die über hohe Vermögen verfügen; denn deren Einkommen wurden gesichert. Das ist die Gerechtigkeitsfrage,
vor der wir stehen, und auf die werden wir als Sozialdemokraten mit einer klaren Vermögensbesteuerung auch
eine Antwort geben.
({12})
Das will ich noch als Letztes sagen - Herr Minister,
Sie sind lange auf die Schweiz eingegangen -: Keiner
der Sozialdemokraten hier hat ein negatives Verhältnis
zur Schweiz; im Gegenteil: ein wunderschönes Land mit
fleißigen Leuten.
({13})
Nur, eines ist auch klar, nämlich dass es kein Geschäftsmodell geben kann, bei dem Politik, Bankenunterstützung und besonderer Geheimnisschutz gezielt dazu führen, dass die Steuerbasis in einem Land erodiert, dass
einem Land gezielt Steuern der Vermögenden abgezogen
werden und einem anderen Land Erträge entstehen. Das
ist unsozial. Das ist ungerecht. Deswegen wird es in der
vorliegenden Form von uns keine Zustimmung geben.
({14})
Vielen Dank, Kollege Carsten Schneider. - Nächster
Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
FDP unser Kollege Dr. Volker Wissing. Bitte schön,
Kollege Dr. Volker Wissing.
({0})
Besten Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Ausführungen von Herrn Kollegen
Schneider zeigen mal wieder das klassische Bild: Je besser die Haushaltspolitik der Regierung ist, umso schwächer werden die Argumente der Opposition.
({0})
Sie fordern in der Finanzpolitik, insbesondere in der
Steuerpolitik, immer das Falsche und lehnen das Richtige ab. Der Finanzminister hat es Ihnen heute noch einmal eindringlich erklärt und Sie ermahnt, den Abbau der
kalten Progression im Bundesrat nicht länger zu blockieren, weil das eine Frage von Steuergerechtigkeit für Bezieher unterer und mittlerer Einkommen ist. Aus wahltaktischen Überlegungen heraus den Beziehern unterer
und mittlerer Einkommen in Deutschland Steuergerechtigkeit zu verweigern, das ist wirklich keine anständige
Politik; das ist wirklich schäbig.
({1})
Das ist auch für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten peinlich.
Aber es gibt noch ein anderes Argument dafür, dass
Sie den Abbau der kalten Progression nicht blockieren
sollten: Der Abbau der kalten Progression ist ein aktiver
Beitrag, ein aktives Bekenntnis zur Stabilitätspolitik, zur
Geldwertstabilität, wie der Finanzminister ausgeführt
hat.
({2})
Deswegen: Beenden Sie die Blockade, stimmen Sie diesem notwendigen, richtigen und wichtigen Gesetz zu
und hören Sie auf, Ihre parteitaktischen Überlegungen
über die Interessen der Bevölkerung in Deutschland zu
stellen!
({3})
Sie fordern auch an anderer Stelle das Falsche; wir
haben das von den Grünen heute wieder gehört. Lauthals
wird eine Vermögensabgabe gefordert. Konkret heißt
das für die Menschen: Sie sollen einen Teil ihrer Immobilien verkaufen, das Geld dem Staat überweisen.
({4})
Das heißt für die Unternehmen: Sie sollen weniger investieren und einen Teil der Unternehmenssubstanz an
den Staat übertragen, so als könnte irgendeiner von Ihnen durch parlamentarische Entscheidungen die Kompetenz privater Investoren ersetzen. Das, was Sie machen,
ist nichts anderes, als dem Land Wachstumschancen zu
nehmen, und das ist das Letzte, was wir in dieser Krise
gebrauchen können.
({5})
Die Leistung der Koalition ist, den Haushalt Schritt
für Schritt zu konsolidieren. Damit erfüllen wir ein
Wahlversprechen, und damit leisten wir einen Beitrag
für solide Staatsfinanzen in ganz Europa.
Das, was Sie mit Ihrer irrlichternden Politik wollen,
die Sie ständig zur Euro-Krise äußern - mal wollen Sie
Euro-Bonds, mal wollen Sie, dass die Notenpresse angeworfen wird, mal suchen Sie die Lösung, indem der
Staat die Bürgerinnen und Bürger enteignet -, ist, einen
Weg zu finden, wie der Staat an mehr Geld kommt.
({6})
Die Wahrheit ist: Nicht neues, billiges Geld ist die Lösung, sondern Strukturreformen sind der Weg aus dieser
Krise. Die Wettbewerbsfähigkeit aller Länder der EuroZone muss wiederhergestellt werden, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({7})
Deswegen gehen wir unseren Weg entschlossen weiter.
Die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit geht am
besten mit stabilem Geld. Dafür muss die Europäische
Zentralbank sorgen; das ist ihre Aufgabe. Dafür hat sie
ein Mandat, und dafür hat sie die geldpolitische Macht.
({8})
Aber die Europäische Zentralbank muss unabhängig
bleiben.
({9})
Deswegen ist uns bei der Umsetzung einer europäischen
Aufsichtsstruktur wichtig, die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank streng im Auge zu haben.
Wir haben auf nationaler Ebene eine Aufsichtsreform
auf den Weg gebracht, die von Sachverständigen großen
Zuspruch erfährt.
({10})
Wir haben die Unabhängigkeit der nationalen Aufsicht gegenüber der Wirtschaft gestärkt. Es war damals
ein Fehler von Rot-Grün, die Wirtschaft in die Aufsicht
selbst zu integrieren. Die Unabhängigkeit, die wir hergestellt haben, ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Aber
Bankenaufsicht, Finanzaufsicht darf nicht unabhängig
vom Staat sein. Sie darf vor allen Dingen nicht unabhängig von der Fiskalpolitik agieren. Deswegen gilt es jetzt,
genau aufzupassen.
Hinsichtlich der europäischen Aufsicht sind wir uns
einig: Wir brauchen sie. Wenn wir, wie wir aus der Krise
gelernt haben, gemeinsam Risiken tragen, dann muss
auch gemeinsam beaufsichtigt werden. Wichtig ist, zu
erkennen, dass die Bankenaufsicht ihre Risikobewertung
nicht von der Fiskalpolitik losgelöst machen kann.
Wenn etwa die EBA, wie wir es gegenwärtig erleben,
den Investoren in Staatsanleihen sagt: „Ihr müsst einen
Risikoabschlag machen, der nicht genau zu beziffern ist
und den wir präzisieren, wenn wir beim nächsten Mal einen Stresstest durchführen“, dann hat das unmittelbare
Auswirkungen auf die Investitionsbereitschaft bei europäischen Staatsanleihen.
({11})
Damit gibt es eine enge Verknüpfung zwischen Aufsicht
und Fiskalpolitik. Ich bin der Meinung, dass das noch
strenger und noch enger verknüpft werden muss.
Wenn man diese Auffassung teilt, darf eines nicht
passieren: Dann darf Aufsicht nicht eng mit Geldpolitik
verknüpft sein.
({12})
Wenn Aufsicht und Fiskalpolitik einen engen Zusammenhang darstellen - davon bin ich fest überzeugt; das
können wir in der Euro-Zone beobachten -, dann muss
eine ganz strenge Brandmauer, eine Schutzmauer zwischen Aufsicht und Geldpolitik vorhanden sein. Das ist
das Entscheidende. Darauf kommt es an, wenn wir eine
europäische Aufsicht schaffen.
({13})
Deswegen ist es klug, den Sachverstand und die
Kompetenz der Europäischen Zentralbank - Sie haben
das gesagt, Herr Minister - einzubeziehen. Das ist eine
Institution, die Vertrauen in Europa hat, die Vertrauen
genießt und deren starke Stellung wir nicht schwächen
wollen.
Aber es ist eben auch wichtig, das Verhältnis zwischen Fiskalpolitik und Aufsicht auf der einen Seite und
Geldpolitik auf der anderen Seite nicht aus dem Blick zu
verlieren. Wir haben Vertrauen, dass Sie, Herr Minister,
das im Blick haben. Wir unterstützen Sie dabei, den Weg
hin zu einer starken europäischen Aufsicht zu gehen.
Das vervollständigt das, was wir als Koalition geleistet
und noch vor uns haben: stabile Staatsfinanzen, wachstumsorientierte Steuerpolitik und strenge, effiziente Aufsicht der Finanzmärkte. Das sind wir den Menschen
schuldig. Da haben wir viel geleistet. Das, was noch vor
uns liegt, wollen wir in der gleichen soliden und guten
Arbeit vollenden, wie wir es in der Vergangenheit getan
haben. Das haben wir den Menschen versprochen, und
das werden wir am Ende auch umsetzen.
Ich danke Ihnen.
({14})
Vielen Dank, Kollege Dr. Wissing. - Nächster Redner
in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU
unser Kollege Bartholomäus Kalb. Bitte schön, Kollege
Barthel Kalb.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Der Regierungsentwurf für den Haushalt
2013 und der Finanzplan bis 2016 sind Ausdruck erfolgreicher Haushaltskonsolidierung und auf finanzpolitische Stabilität ausgerichteter Politik. Die strukturelle
Neuverschuldung können wir bereits früher zurückführen, als in 2010 festgelegt worden ist. Wir werden bereits
im nächsten Jahr die Vorgaben der Schuldenbremse im
Grunde genommen erfüllen, also drei Jahre früher als
vorgesehen.
Es ist wiederholt gesagt worden: Wir konsolidieren
auf der Ausgabenseite. Das Haushaltsvolumen entwickelt sich langsamer als das Bruttoinlandsprodukt. Wir
konsolidieren nicht auf der Einnahmeseite, weil das erfahrungsgemäß immer schiefgeht, Herr Kollege Carsten
Schneider.
Es ist erstaunlich, wie Sie sich vorhin an Ihren Steuererhöhungsplänen, Ihren Steuerneufindungsplänen ergötzt haben. Ich habe hier noch einen Artikel von 2011,
in dem Sie Ihre Konzepte vorgestellt haben: Ehegattensplitting abschaffen, Vermögensteuer einführen, Erbschaftsteuer heraufsetzen, Steuertarife nach oben fahren,
und viele andere Dinge mehr bis hin zu Belastungen
beim Agrardiesel. So können Sie keine Haushaltskonsolidierungspolitik machen.
({0})
Eine Politik der ständigen Mehrbelastung für Bürger
und Wirtschaft führt im Ergebnis zum Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und steigert sie nicht. Finanzminister
Schäuble hat schon berichtet, dass Ergebnisse von Untersuchungen zeigen, dass wir heute in der Wettbewerbsfähigkeit vor den Vereinigten Staaten von Amerika und
vielen anderen Industrieländern liegen. Das hat auch damit etwas zu tun, dass wir in diesem Lande strukturelle
Reformen durchgeführt haben und dass wir sehr darauf
achten, dem Bürger und der Wirtschaft nicht mehr Geld
zu entziehen, als für die Finanzierung der Staatsaufgaben unbedingt notwendig ist.
Diese Politik ist gut für die Menschen. Das können
wir an einigen wenigen Zahlen sehr deutlich ablesen:
Die Zahl der Erwerbstätigen liegt heute bei 41,7 Millionen, der höchste Stand aller Zeiten. Die Arbeitslosigkeit
hat sich gegenüber 2005 fast halbiert; sie liegt bei unter
3 Millionen. Wir haben einen Höchststand bei den versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen: Es gibt
ziemlich genau 3 Millionen mehr versicherungspflichtig
Beschäftigte als im Jahr 2005. Angesichts dieser Zahlen
müssten doch auch Sie einsehen, dass unsere Politik
Wachstumskräfte entfaltet und den Menschen Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Dann sind die Menschen
auch bereit, sich zu engagieren. Den allermeisten Menschen in diesem Lande ist es lieber, ihr Einkommen selber zu erzielen, als auf Transfereinkommen angewiesen
zu sein.
({1})
Die Kollegin Priska Hinz hat vorhin gesagt, wir würden Einsparungen vornehmen, indem wir dem Gesundheitsfonds und der Rentenversicherung Beitragsgelder
entziehen. Dem ist doch nicht so, ganz im Gegenteil: Es
gab Jahre, in denen wir kurzfristig zusätzliche Steuerzuschüsse, Staatszuschüsse an die Sozialkassen geben
mussten. Wenn die Lage jetzt Gott sei Dank so erfreulich
ist, dass es mehr Beitragszahler und damit mehr Einnahmen in den Sozialkassen gibt, dann ist es doch gerechtfertigt, diese Notmaßnahmen, die wir ergreifen mussten,
etwa beim Gesundheitsfonds, aber auch bei den Renten,
bei der Arbeitsverwaltung entsprechend zu reduzieren.
({2})
Herr Kollege Bartholomäus Kalb, es gibt Zwischenfragen, zumindest eine. Zwei Hände waren zu sehen,
aber es ist eine Zwischenfrage. Gestatten Sie die?
Gerne.
Dann nehmen wir jetzt diese Zwischenfrage. - Bitte,
Frau Kollegin.
Lieber Kollege Bartholomäus Kalb, da wir gerade
beim Thema „Griff in die Sozialversicherungssysteme“
sind - damit reden Sie Ihren Haushaltsentwurf 2013
schön -, möchte ich Ihnen ein paar Fragen stellen.
Meine erste Frage ist: Stimmen Sie mir zu, dass das
sogenannte Sparpaket für das Jahr 2013 mit einem Konsolidierungsbeitrag in Höhe von minus 6,5 Milliarden
Euro zu Buche schlägt, allein im Einzelplan der Ministerin Frau von der Leyen mit 2 Milliarden Euro, bei der
Bundesagentur für Arbeit mit 3 Milliarden Euro, bei den
Fördermaßnahmen von Langzeitarbeitslosen zusätzlich
mit 1,5 Milliarden Euro, und das in einer Zeit des Fachkräftemangels - Frau Hinz hat glücklicherweise darauf
hingewiesen -, in der wir die Menschen doch qualifizieren wollen? Sie nehmen dem Staat und der Bundesagentur für Arbeit das Geld, mit dem Menschen in Arbeit gebracht werden könnten.
Zweite Frage. Sie haben schon mit Ihrem sogenannten Sparpaket mit jährlich zusätzlich 2,7 Milliarden Euro
in die Rentenkasse eingegriffen. Schon im letzten Jahr
haben Sie die Rentenbeiträge für die Langzeitarbeitslosen gestrichen; das sind 1,8 Milliarden Euro pro Jahr. In
diesem Jahr greifen Sie erneut in die Rentenkasse und
nehmen 1 Milliarde Euro heraus. Im Finanzplan stehen
sogar 1,25 Milliarden Euro pro Jahr bis 2016. Das sind
nach Finanzplan minus 4,75 Milliarden Euro allein im
Bereich Rente. Wie wollen Sie das alles erwirtschaften?
Vermutlich ist es genau die Milliarde, die Sie durch die
Senkung der Rentenversicherungsbeiträge auf 19,0 Prozent erwirtschaften wollen. Und was machen Sie, wenn
auch Ihre Ministerpräsidenten und Ihre Sozialminister
dieser Beitragssatzsenkung nicht zustimmen? Dann haben Sie ein Loch von 1 Milliarde Euro allein für das Jahr
2013. Was Sie hier machen, ist in höchstem Maße unsolide. Ihr sogenanntes Sparpaket, das ohnehin schon eine
soziale Schieflage hatte, weil es fast nur den Einzelplan
von Frau von der Leyen betrifft, haben Sie durch diese
Kürzungen noch verschlimmert, während all die Kürzungen, die Sie hier zulasten der Wirtschaft, aber auch
für sich selber postuliert haben, ausnahmslos nicht
durchgeführt worden sind.
Das waren - deshalb die zwei Hände - also die Fragen. - Bitte schön, Kollege Bartholomäus Kalb.
Liebe Frau Kollegin Hagedorn, ich weiß nicht, ob ich
so lange antworten kann, wie die Fragen waren.
({0})
Ich könnte es ausreizen, aber ich weiß nicht, ob ich mir
dadurch die Sympathien der Kolleginnen und Kollegen
verspiele.
({1})
Zu Ihren Fragen. Sie wissen ganz genau, dass wir
jährlich zwischen 80 und 90 Milliarden Euro aus Steuermitteln in die Rentenkassen geben.
({2})
- Nein, nein. - Sie wissen ganz genau, dass wir in den
Gesundheitsfonds zusätzliche Mittel hineingegeben haben. Früher gab es überhaupt keinen Bundeszuschuss an
die Krankenkassen; den haben wir erst vor einigen Jahren eingeführt. Sie wissen, dass wir vom Bund aus von
der Bundesanstalt für Arbeit nicht mehr verlangen, dass
die Eingliederungshilfe an den Bund gegeben werden
muss. Es ist aber richtig, dass wir die Steueranteile zurückfahren, die wir zunächst hineingegeben haben.
Ich komme noch einmal darauf zurück, was ich vorhin gesagt habe: Wenn Gott sei Dank die finanzielle Situation aufgrund der guten Entwicklung unserer Sozialversicherungen gut ist, dann ist es auch gerechtfertigt,
dass wir die Zuschüsse wieder zurücknehmen. Dann
können wir andere Prioritäten setzen, die wir im Interesse der Zukunftsfähigkeit unseres Landes dringend setzen müssen. Wenn die Zahl der Langzeitarbeitslosen
sinkt, dann wäre es eigentlich paradox, wenn dort ein
Mehraufwand und nicht eine Minderausgabe getätigt
würde. So viel dazu.
({3})
Ich bleibe bei dem, was ich immer und immer wieder
hier und an anderer Stelle gesagt habe: Haushaltskonsolidierung heißt auf der einen Seite, sparsam und wirtschaftlich mit dem vom Bürger anvertrauten Geld umzugehen,
und es heißt auf der anderen Seite, die Wachstumskräfte
sich entfalten zu lassen und nicht abzuwürgen, weil nur
eine sparsame und wirtschaftliche Haushaltsführung auf
der einen Seite und eine gute wirtschaftliche Entwicklung auf der anderen Seite zu langfristigen positiven Effekten führen. Vor allen Dingen muss man immer der
Versuchung widerstehen, schöne Wohltaten zu verteilen,
sich alles leisten zu wollen, was man sich nicht leisten
kann. Das gilt sowohl für uns als auch für die Länder in
besonderer Weise. Wir sehen es im Wettbewerb der Länder untereinander: Nordrhein-Westfalen kann noch so
viele Schulden machen, es wird nicht auf einen grünen
Zweig kommen.
In Bayern war es auch nicht angenehm, dass der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber den ausgegliBartholomäus Kalb
chenen Haushalt schon sehr früh durchgesetzt hat. In der
aktuellen Ausgabe der WirtschaftsWoche steht: Primus
Bayern - beste Jobchancen, geringste Arbeitslosigkeit,
geringste Zahl an Hartz-IV-Empfängern, niedrigste Kriminalität und die beste Finanzsituation.
({4})
Dies ist ein langer Weg. Das ist harte Arbeit und zum
Teil sehr unpopulär. Aber die Ergebnisse bestätigen, dass
dies der richtige Weg ist und nicht der, das Geld mit lockerer Hand auszugeben.
Ich komme noch einmal zum Kollegen Carsten
Schneider zurück: Geben Sie und Ihre Kolleginnen und
Kollegen den Widerstand gegen das Gesetz für den Abbau der kalten Progression im Bundesrat auf! Warum
gönnen Sie den arbeitenden Menschen nicht das Geld,
das sie durch Tariferhöhungen bekommen, das sie aber
nicht erhalten, indem sie überproportional besteuert werden?
({5})
Geben Sie Ihren Widerstand auf! Vorhin wurde von Ihnen groß die Energiewende angesprochen. Sie verhindern im Bundesrat die Zustimmung zur steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Geben Sie
doch diesen Widerstand auf! Das bringt am Ende - auch
für Sie - mehr und nicht weniger in die Kassen.
({6})
Geben Sie Ihren Widerstand - das ist heute schon mehrfach genannt worden - beim Steuerabkommen mit der
Schweiz auf! Denn dann kommt Geld in die Kassen. Wir
alle könnten dann endgültig auf diese fragwürdigen und
dubiosen Methoden, die fast an Hehlerei grenzen, verzichten, um an Informationen zu kommen. Der Bundesfinanzminister hat sehr deutlich und mit großer Eindringlichkeit gesagt: Gehen wir anständig mit unseren
Nachbarn und Partnern um!
({7})
Wir werden auf jeden Fall die anstehenden Haushaltsberatungen mit großer Ernsthaftigkeit führen. Kollege
Norbert Barthle hat darauf hingewiesen: Große Spielräume haben wir nicht. Wir müssen damit rechnen, dass
die Konjunkturschwäche in Europa auch Rückwirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland hat und damit
auch auf unsere wirtschaftliche Situation, auf die Einnahmesituation beim Staat und bei den Sozialkassen.
Deswegen müssen wir das Vorsichtsprinzip walten lassen. Wir müssen auf der anderen Seite - auch dieses
habe ich wiederholte Male gesagt - das tun, was die
Menschen von uns erwarten, nämlich solide wirtschaften, damit unsere Währung stabil bleibt. Wir haben keine
andere Währung als den Euro. Deswegen ist es aller Mühen wert, dass wir uns für den Euro einsetzen. Das können wir am besten tun,
({8})
wenn wir solide arbeiten, wenn wir solide wirtschaften
und wenn wir die Enden zusammenhalten. Das liegt im
Interesse der Menschen unseres Landes. Das liegt im Interesse unseres Landes. Und das liegt im Interesse Europas.
Herzlichen Dank.
({9})
Vielen Dank, Kollege Bartholomäus Kalb. - Letzter
Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Lothar Binding. Bitte
schön, Kollege Lothar Binding.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Minister Schäuble hat
vorhin einen Satz gesagt, der hieß: Die Bundeskanzlerin
hat wieder und wieder erklärt, dass es den einen Befreiungsschlag nicht gibt.
Wer hätte den erwartet? Wir alle wissen, dass es ihn
nicht gibt. Die Frage ist jetzt: Wo hat sie eine hinreichend komplexe Lösung versteckt? Wir suchen immer
noch nach einer Lösung, die die Kanzlerin präsentiert.
Aber wir finden nichts. Wir merken auch, dass das die
Menschen im Land allmählich nervös macht; denn
Schwarz-Gelb regiert jetzt schon drei Jahre.
({0})
Wir fragen uns: Was ist hinsichtlich einer echten Krisenbewältigung passiert? Wir beobachten nicht viel, im Gegenteil. Wir übernehmen große Verantwortung und haben in Europa einen schlechten Ruf.
({1})
Ich will ein Wort zu Schulden und zum Sparen sagen.
Wir haben eine einmalige Situation: einmalig niedrige
Zinsen, fleißige Arbeitnehmer, gute Manager, verantwortungsvolle Tarifpartner. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Die Sozialkassen haben Überschüsse. Es gibt
Wachstum.
Die Frage ist: Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie die
Nettoneuverschuldung überwinden? Selbst in diesen guten Zeiten tun Sie es nicht. Sie kalkulieren für die nächsten Jahre bis 2016 1,5 Prozent Wachstum. Ich befürchte,
das ist eine sehr optimistische Schätzung, vor allem
wenn Ihre Politik demnächst auch in der Wirtschaft ihre
Wirkung entfalten wird. Möglicherweise wird die Lage
schwieriger; dann wird auch die Nettoneuverschuldung
noch viel schwieriger abzubauen sein. Also warum nicht
jetzt?
({2})
Bei den heutigen Haushaltsberatungen reden wir sehr
viel über Geld. Man fragt sich: Warum streiten die dau22892
Lothar Binding ({3})
ernd über Geld? - Die Antwort ist einfach: Uns geht es
im Kern um Bildung, um gute Arbeit, um soziale Sicherheit, um Infrastruktur etc. etc. Deshalb streiten wir mit
Ihnen über diesen Haushalt, was nicht ganz leicht ist,
weil es immer wieder sehr unseriöse Aussagen gibt, die
wir entkräften müssen.
Ich nenne Ihnen einmal eine solche Aussage: Der
Kollege Meister hat gesagt: Rot-Grün hat Hedgefonds
nach Deutschland geholt. Hierzu muss man wissen: Das
war im Jahr 2003. In den USA war der Hedgefonds ein
altbekanntes Instrument, in England wurde gerade ein
Hedgefondsgesetz gemacht, in Frankreich war eines in
Arbeit. In diesem Zusammenhang haben die deutschen
Banken uns gesagt: Wegen Rot-Grün gehen 80 Milliarden Euro an Deutschland vorbei.
Daraufhin haben wir uns überlegt: Wenn ein deutscher Kunde zu einer Bank kommt, wäre es klug, wenn
er nicht nur Englisch und Französisch können muss, sondern auch einen deutschen Hedgefonds vorfindet. Denn
dann gelten unsere Prospektrichtlinie, alle Verbraucherschutzmaßnahmen - wunderbar.
Wir haben dann Hedgefonds eingeführt - das stimmt -,
aber mit der Maßgabe, sie regulieren zu können. Jetzt,
zehn Jahre später, schauen wir einmal, ob diese Regulierung funktioniert hat: Weltweit gibt es 9 000 Hedgefonds. Wie viele gibt es in Deutschland? Etwa 20. Das
ist kein sehr großer Anteil an den 9 000. Wie groß ist der
Anteil der Hedgefonds in Deutschland an den 80 Milliarden Euro? Ich schaue den Minister an, er müsste nicken, wenn ich die richtige Antwort nenne,
({4})
nämlich weniger als 2 Milliarden Euro. Das ist relativ
wenig. Wir sehen, dass die Schutzmaßnahmen, die RotGrün mit Hedgefonds verknüpft hat, sehr gut funktioniert haben. Das war eine zukunftsorientierte Regulierungspolitik.
({5})
Ich fand einen weiteren Satz, den wir hier sehr oft gehört haben. Den hat Herr Schäuble formuliert - er wird
wie eine Monstranz immer vor ihm hergetragen -: Maastricht sei 2003 beschädigt worden. Jetzt frage ich: Was
würden Sie heute eigentlich machen, wenn Sie auf das,
was wir gemacht haben, nicht zurückgreifen könnten?
Sie nutzen doch genau die Instrumente, die wir geschaffen haben.
({6})
Warum haben wir diese Instrumente geschaffen?
Waigel hatte damals 3 Prozent Nettoneuverschuldung
- 60 Prozent vom BIP - durchgesetzt. Kann jemand
diese Zahlen erklären? Natürlich nicht - 3,5 Prozent
oder 50 Prozent oder 70 Prozent wären genauso schön
gewesen. Diese Zahlen wurden damals so gewählt, weil
man dachte, das Ganze könne Deutschland nicht berühren. Deshalb hat man es in Europa durchgesetzt. Die
Zahlen sind aber egal. Vielmehr war das System falsch.
Denn die Maastricht-Kriterien haben dazu geführt, dass
ein Land, das in einer richtig dicken Krise ist, verschärfend prozyklisch in diese Krise hineinsparen muss. Es ist
verrückt, wenn man die Länder zu ihrem Schaden reguliert.
Deshalb war es klug, die Maastricht-Kriterien mit den
neuen Möglichkeiten zu versehen, um eine zukunftsorientierte Wachstumspolitik, eben auch für Deutschland, in schwieriger Lage zu ermöglichen.
({7})
Ich möchte auf einen weiteren Satz aus der Rede von
Herrn Schäuble zurückkommen, weil dieser Satz die Art
seines Denkens zeigt. Es geht jetzt nicht um den Einzelfall, hierüber ist bereits gesprochen worden. Sie haben
etwas Richtiges gesagt und führen die Menschen trotzdem in die Wüste. Sie haben gesagt: 10 Prozent der Einkommensbezieher zahlen 50 Prozent der Einkommensteuer. - Und das stimmt; da stimme ich Ihnen zu.
Übrigens sind wir dankbar, dass die das machen, selbstverständlich.
Aber muss man nicht auch danach fragen, wie sich
Erträge und Vermögen verteilen? Vielleicht gehören
10 Prozent aller Menschen viel mehr als 50 Prozent der
Einkommen und Erträge aus Vermögen; dann müssten
sie eigentlich mehr bezahlen, und es wäre immer noch
gerecht.
({8})
- Ich habe nur gesagt, dass Herr Schäuble vergessen hat,
den zweiten Teil, der stets zur Wahrheit dazu gehört, zu
erwähnen. Dieses Versäumnis wollte ich nachholen, um
anzudeuten, wie er das gemeint hat.
({9})
Vorhin im Restaurant habe ich meine Kollegen gefragt: Worüber soll ich in meiner Rede eigentlich reden?
Der Kollege Toncar saß an einem Nachbartisch und hat
nach einer kleinen Weile lange Ohren bekommen, hat
zugehört und sagte dann ironisch: „Aber auf hohem Niveau“, nachdem ich gesagt habe: Kommen Sie doch rüber! Auch Sie können mich beraten!
({10})
Dabei hatten wir gar nicht von „Gurkentruppe“ geredet, aber wir hatten darüber geredet, wie Personalpolitik
gemacht wird, zum Beispiel von Herrn Niebel zur Versorgung seiner Parteikollegen im Ministerium.
({11})
Wir schauten auch nach Herrn Ramsauer. Und dann hatten wir das Thema: Was passiert mit den 40 zusätzlichen
Stellen, die jetzt Herr Altmaier bekommt? Das wäre
dann sozusagen die dritte parteiliche Komponente, die in
diesem Haushaltsentwurf eine Rolle spielt.
Lothar Binding ({12})
Jetzt zeigt mir der Präsident an, dass ich aufhören
muss. Weil ich das beherzigen möchte, bedanke ich mich
vielmals für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
- Bitte? Wenn Sie einen Zwischenruf so leise machen,
dass man ihn nicht hört, warum machen Sie ihn dann?
Das ist einfach ineffizient.
Also, alles Gute und eine schöne Zeit! Wir hoffen auf
erfolgreiche Beratungen.
({14})
Vielen Dank, Kollege Lothar Binding.
Wir haben keine weiteren Redner in dieser Aussprache.
Beim Tagesordnungspunkt 2 wird interfraktionell die
Überweisung des Haushaltsbegleitgesetzes 2013 auf
Drucksache 17/10588 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.
Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Bundesregierung Herr Bundesminister Peter Altmaier. Bitte
schön, Kollege Bundesminister Peter Altmaier.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Haushalt des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ist einer der
kleinsten und bescheidensten überhaupt. Das wird sich
auch im neuen Haushaltsjahr nicht grundlegend ändern.
Das Haushaltsvolumen steigt nur sehr moderat, um insgesamt 54,7 Millionen Euro; das sind 3,4 Prozent. Der
Löwenanteil dieser Steigerung geht zurück auf Ausgaben im Bereich der Vorbereitung der Rückholung radioaktiver Abfälle aus der Asse - ein Ziel, das wir uns gemeinsam gesetzt haben.
Im Übrigen glaube ich fest, dass der Erfolg und die
Bedeutung eines Ministeriums nicht an Haushaltszahlen
festgemacht werden können, weil wir alle uns dem Prinzip der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlen. Nachhaltigkeit ist im Bereich der Umweltpolitik erfunden worden.
Nachhaltigkeit ist aber ein übergreifendes Prinzip, und
es gilt auch für die Haushaltspolitik. Das wird deutlich,
wenn Sie sich vor Augen führen, dass in den Ländern
Südeuropas, in denen die Staatsschuldenkrise im Augenblick am schwierigsten zu bewältigen ist, die Spielräume
für Umweltpolitik besonders klein sind, weil nicht vorhandene Haushaltsspielräume in allererster Linie und zuerst zulasten der Umweltpolitik gehen. Aus diesem
Grund haben wir alle ein Interesse daran, dass die Haushaltskonsolidierung und das Einhalten der Schuldenbremse gelingen.
Im Gegensatz zum bescheidenen Haushalt ist die Bedeutung der Umwelt- und Energiepolitik in den letzten
Monaten gewachsen. Sie wird in den nächsten Monaten
weiter zunehmen. Das hat etwas damit zu tun, dass viele
Menschen erkennen, dass Politik nicht alleine auf die
Bewältigung von Banken- und Staatsschuldenkrisen reduziert werden darf, sondern dass die Politik die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen bei uns zu
Hause, aber auch anderswo in der Welt im Auge zu behalten hat.
Wenn wir von natürlichen Lebensgrundlagen reden,
dann müssen wir uns auch darüber klar werden, dass vieles, was in anderen Teilen der Welt geschieht, unmittelbare Auswirkungen auf uns hat. Der europäische Anteil
an den CO2-Emissionen ist mit 17 Prozent relativ gering.
Wir haben unsere Reduktionsziele bislang erfüllt. Wir
werden sie auch in Zukunft erfüllen. Wir haben aber ein
elementares Interesse daran, dass Klimaschutzpolitik
weltweit erfolgreich ist und weltweit dazu beiträgt, dass
auch das Klima in Europa und in Deutschland in einem
vertretbaren Rahmen geschützt wird.
({0})
In diesem Zusammenhang steht ein Thema, das einen
Großteil meiner Arbeitszeit in den letzten Wochen und
Monaten beansprucht hat und weiter beanspruchen wird,
die Energiewende. Die Energiewende ist das größte wirtschaftspolitische Projekt seit dem Wiederaufbau Deutschlands, und es ist das größte umweltpolitische Projekt
überhaupt. Diese Energiewende, die wir eingeleitet haben, hat eine komplette Umgestaltung der Energieinfrastruktur in Deutschland zum Ziel. Sie hat einen Umbau
der Energieversorgung zum Ziel, eben nicht nur den
Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahre 2022, sondern vor allen Dingen auch den Aufbau einer Energieversorgung, die im Jahre 2050 insgesamt zu 80 Prozent
aus erneuerbaren Energien besteht.
Ich glaube, dass das Ziel richtig ist, weil die Importpreise für fossile Rohstoffe steigen werden und weil eine
Weltbevölkerung von 8 Milliarden Menschen, die wir
alle noch erleben werden, ihren wachsenden Energiebedarf nicht ausschließlich aus fossilen Energien und Rohstoffen beziehen kann. Aber, meine sehr verehrten
Damen und Herren, wenn wir das verhindern wollen,
dann müssen wir dafür sorgen, dass die Energiewende in
Deutschland zu einer Erfolgsgeschichte wird. Ob sie
eine Erfolgsgeschichte wird, hängt nicht nur davon ab,
wie viele Windräder, Biogasanlagen und Photovoltaikdächer wir installieren. Es hängt auch davon ab, ob wir
es schaffen, die drittgrößte Industrienation der Welt ökologisch mit einer Energieversorgung aus Erneuerbaren
zu versehen und gleichzeitig den Standort Deutschland,
die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu
erhalten und - ich füge hinzu - auszubauen. Das ist die
Herausforderung, vor der wir stehen.
({1})
Wenn uns das gelingt, wenn wir zeigen können, dass
wir mit einer neuen Energiepolitik weltwirtschaftlich erfolgreich sind, dann wird es international viele Länder
geben, die dies nachahmen, die dies bei sich umsetzen.
Der Beitrag zum Klimaschutz wird dann weltweit größer
sein als der, der durch den Abschluss internationaler Abkommen jemals erreicht werden könnte; denn in vielen
Ländern dieser Welt würde der Einsatz erneuerbarer
Energien nicht dazu führen, dass Kernkraftwerke abgeschaltet werden - die gibt es dort zum Teil nämlich gar
nicht -, sondern dazu, dass fossile Energien - Öl, Kohle
und Gas - durch umweltfreundliche, erneuerbare Energien ersetzt werden.
Wir müssen in dieser Diskussion ehrlich sein: Wenn
die Energiewende funktionieren soll, dann muss sie im
Zusammenhang mit dem Ausbau der Netze und mit der
Entwicklung von Speicherkapazitäten gesehen werden.
Niemand kann ein Interesse daran haben, dass wir Windräder bauen und Solardächer installieren, der Strom aber
anschließend abgeregelt werden muss und nicht genutzt
werden kann, weil die entsprechenden Netze und Verteilmöglichkeiten fehlen. Da ist in der Vergangenheit einiges versäumt worden. Das müssen wir wieder zu einer
guten Ordnung führen.
Wir haben - ich darf das sagen - gemeinsam, alle
Fraktionen in diesem Haus und einstimmig im Bundesrat, vor der Sommerpause die Photovoltaikförderung
nach dem EEG neu geregelt. Sie wissen alle, dass die
Ausbauzahlen zuletzt dreimal so hoch waren, wie im Erneuerbare-Energien-Konzept der Bundesregierung vorgesehen. Wir haben uns dann zu einer mutigen Reform
entschlossen, von der niemand wusste, wie sie wirkt.
Wir wissen es immer noch nicht. Aber ich habe jetzt die
Zahlen: Nach einem Rekordausbau im Juni von
1 800 Megawatt lagen die Zahlen im Juli bei 540 Megawatt und im August bei 320 Megawatt. Das liegt unter
dem viel zu hohen Ausbautempo des letzten Jahres. Das
zeigt, dass unser gemeinsam beschlossenes Gesetz zu
wirken beginnt, und das ist notwendig, damit Berechenbarkeit und Verlässlichkeit auch in der Energiewende
eine Rolle spielen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
dass wir auch über das Thema „Bürgerbeteiligung und
Genehmigungsverfahren für die Trassen von Netzen“ reden müssen. Wenn es richtig ist, dass wir erneuerbare
Energien dort bauen, wo der Wind weht und die Sonne
scheint, dann müssen wir auch für die Transportkapazitäten sorgen, zum Teil quer durch unser Land, die notwendig sind, um die Energie dorthin zu bringen, wo sie
gebraucht wird.
Ich glaube, dass wir uns jetzt nicht darüber unterhalten sollten, ob alle Genehmigungsverfahren und Naturschutzregelungen, wie sie vor Jahren getroffen worden
sind, glücklich sind, sondern wir sollten uns mit den
Bürgerinnen und Bürgern zusammensetzen und versuchen, auf der Grundlage der bestehenden Gesetze einen
Konsens darüber hinzubekommen, welche Netze bis
wann gebaut werden müssen. Ich bin davon überzeugt,
dass dies möglich ist. Wir haben beim Thema Stuttgart 21 gesehen, dass die Bürgerinnen und Bürger viel
verantwortungsvoller sind, als es ihnen viele Politikerinnen und Politiker zutrauen. Auch wenn das Ergebnis
nicht allen hier im Hohen Haus gepasst hat, so zeigt es
doch, dass es sich lohnt, Bürgerinnen und Bürger frühzeitig in Großprojekte einzubeziehen. Ich will mich dafür einsetzen, dass wir diese neuen Formen der Bürgerbeteiligung ernst nehmen und nutzen.
({3})
Ich möchte ferner dazu beitragen, dass wir die internationale und europäische Dimension der Energiewende
entwickeln. Es war unglücklich, dass wir aufgrund der
Umstände, die zum Ausstieg aus der Kernenergie geführt haben - welchen ich für richtig halte -, nicht
imstande waren, mit unseren europäischen und internationalen Nachbarn und Freunden ausführlich über die
Energiewende zu reden. Genau das müssen wir jetzt
nachholen. Wenn wir die Energiewende europäisch anlegen, dann werden wir erreichen, dass die Energiewende
für unser Land preiswerter und bezahlbarer wird und
dass die Stromversorgung sicherer wird. Wir können erreichen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien
auch international, in einem globalen Maßstab in Gang
kommt. Ich habe mir vorgenommen, dass wir von
Deutschland aus einen Klub der Staaten gründen, die
sich erneuerbaren Energien verpflichtet fühlen, weil ich
möchte, dass wir dazu beitragen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien auch in Ländern, in denen die
Sonne stärker scheint als in Deutschland und der Wind
ebenso stark weht, vorankommt. Ich halte es für einen
Skandal, dass einige der Inselstaaten, die am meisten unter dem Klimawandel leiden, immer noch gezwungen
sind, ihre komplette Energie aus veralteten Dieselgeneratoren zu beziehen. Ich glaube, es lohnt sich, daran zu
arbeiten. Das eröffnet dann auch unserer deutschen Wirtschaft und Industrie neue Wachstumschancen.
Im Rahmen der Energiewende gibt es einige Fragen,
die wir klären müssen, um Risiken zu beseitigen und
eine gute Entwicklung sicherzustellen. Aber es gibt auch
große Chancen. Ich persönlich glaube, dass die Energiewende für unsere Volkswirtschaft mit die größte Innovationschance in den letzten Jahrzehnten ist. Das Thema
Energieeffizienz - sparsame Produktion und sparsame
Produkte - ist lange Jahre unterschätzt worden; es trägt
aber dazu bei, dass wir unsere Ingenieure und Entwickler zu Leistungen beflügeln, die dazu führen, dass wir
nicht nur Strom sparen, sondern unsere Produkte auch
wettbewerbsfähiger machen. Deshalb möchte ich, dass
wir den alten und, wie ich meine, falschen Gegensatz
von Wirtschaft und Umwelt endlich überwinden.
({4})
Erfolgreiche Umweltpolitik kann nicht ohne gute Wirtschaftspolitik funktionieren und umgekehrt.
Es gibt für mich keine alten und keine neuen Industrien, keine braunen und keine grünen, sondern ich
möchte, dass wir insgesamt dazu beitragen, dass unsere
Wirtschaft die Potenziale, die mit der Green Economy
verbunden sind, aufgreift und nutzt.
({5})
Wir sind Weltmarktführer im Bereich der umweltfreundlichen Technologien. Wir können in den nächsten Jahren
1 Million Arbeitsplätze in diesem Bereich schaffen. Ich
lade Sie herzlich ein, sich daran zu beteiligen, damit all
dies zum Erfolg wird.
({6})
Mein letzter Punkt. Es kommt nicht nur darauf an,
dass die Energiewende am Ende des Tages gelingt, sondern es kommt auch darauf an, wie sie gelingt. Ich kann
mich erinnern: Vor etwa sechs oder sieben Jahren wurde
das neue Terminal im Flughafen Heathrow eingeweiht.
In den ersten Tagen und Wochen gab es dort ein permanentes Chaos, weil der Umzug in das neue Terminal
nicht glückte. In der englischen Presse, die ich ab und zu
lese, wurde auf ein Beispiel verwiesen, nämlich den Umzug des Münchener Flughafens von Riem ins Erdinger
Moos: Da klappte alles perfekt. Bei Heathrow klappt gar
nichts. Schaut einmal, was die Deutschen Tolles können. Wenn Sie heute eine solche Diskussion hätten, würde
man sich nicht mehr auf den Flughafen im Erdinger
Moos beziehen, sondern auf ganz andere Flughäfen und
ganz andere Probleme. Deshalb sage ich: Für das Image
unseres Landes und den Erfolg der Energiewende insgesamt ist es wichtig, dass sie dauerhaft ein Erfolgsprojekt
ist, nicht nur am Ende, sondern auch jetzt, am Anfang,
und zwischendurch.
({7})
Auf dem Weg in eine wettbewerbsfähige, ökologisch
saubere und bezahlbare Energieversorgung müssen wir
viele mitnehmen. Ich lade Sie herzlich ein. Wir brauchen
in vielen Fragen einen Konsens, nicht nur wegen der
Mitwirkungsrechte des Bundesrates, sondern auch, weil
es Grundsatzfragen gibt, die gemeinsam geklärt werden
müssen, damit sie nicht bei jeder Wahl neu infrage gestellt werden. Dazu gehören die Endlagersuche in Gorleben und die Frage der Meilensteine für die Energiewende.
Ich werde mit Vorschlägen auf Sie zukommen, und
ich lade Sie herzlich ein, sich an dieser Diskussion zu
beteiligen.
({8})
Vielen Dank, Herr Bundesminister. - Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Matthias Miersch. Bitte
schön, Kollege Miersch.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Minister Altmaier, dies ist der erste
Umwelthaushalt, den Sie zu verantworten haben, wahrscheinlich ist es auch der letzte der schwarz-gelben Regierung. Insofern gestatten Sie mir vorweg ein paar
grundsätzliche Bemerkungen.
Ich glaube, die Umweltpolitik der schwarz-gelben
Bundesregierung ist ein Zeugnis, wie man Politik nicht
machen darf. Jeder, der die Politik der letzten dreieinhalb Jahre verfolgt hat, hat erlebt, dass in einem für Verbraucher und Wirtschaft zentralen Bereich 180-GradWendungen erfolgt sind und alles andere als nachhaltig
gehandelt worden ist, Herr Minister.
({0})
Ein bisschen entlarvend war es schon, dass Sie eben
gesagt haben - ich habe es mir extra aufgeschrieben -:
Die Bedeutung der Energie- und Umweltpolitik hat in
den letzten Monaten zugenommen. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Energiewende begann im Jahre 2001.
Sie haben allerdings all die Jahre darauf hingearbeitet,
eine Rolle rückwärts zu machen und die Atomtechnologie wieder hoffähig zu machen. Das ist eine Katastrophe.
Bei Ihnen spielte die Energiepolitik vielleicht erst in den
letzten Monaten eine Rolle. Sie hätte bei Ihnen aber
schon viele Jahre vorher eine Rolle spielen müssen.
({1})
Man sieht das nicht nur an der Laufzeitverlängerung
und ihrer Rücknahme, sondern auch daran, dass
Schwarz-Gelb in einem zentralen Politikbereich den
Minister ausgewechselt hat. Wenn die Regierung einen
Minister auswechselt, fragt man sich: Was für eine Haltung hat der neue Minister eigentlich zur Energiepolitik?
Ich habe einmal recherchiert, welche Position Sie in den
letzten Jahren vertreten haben. Sie haben sich als Parlamentarischer Geschäftsführer zweimal zu diesem Thema
geäußert, und zwar angesichts der Laufzeitverlängerung
vor gut zwei Jahren von diesem Pult aus. Da haben Sie
gesagt, das Gesetz zur Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke sei das modernste, umweltfreundlichste Gesetz zur Energiepolitik, das jemals in diesem Haus verabschiedet worden ist.
({2})
Ich glaube, jeder sollte die Möglichkeit haben, sich zu
revidieren. Das ist auch Ihr gutes Recht. Aber, Herr
Minister Altmaier: Ich habe in den letzten Monaten noch
nicht gehört, wofür Sie stehen. Ich habe auch noch nicht
gehört, welche Argumente Sie denjenigen in Ihren eigenen Reihen entgegenhalten, die gerade wieder aus ihren
Löchern kriechen und hoffen, dass das Ganze gegen die
Wand fährt. Ich glaube, Sie müssen mehr Überzeugung
zeigen. Es reicht nicht, der nette Onkel mit der Windmühle zu sein. Sie müssen für diese Energiewende brennen, Herr Minister. Dazu fordere ich Sie auf.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jedem, der sich mit
diesem Thema auskennt, empfehle ich, die Debatte, die
wir ein Jahr nach Fukushima hier geführt haben, nachzulesen. Die Reden, die in dieser Debatte von manchen
Vertretern von Union und FDP gehalten worden sind,
machen deutlich, dass schon damals versucht wurde, ein
Rollback bzw. ein Hoffähigmachen der Atomtechnologie einzuleiten, und das, obwohl Fukushima nicht einmal
ein Jahr her war. Das ist die Debatte, die wir führen.
Herr Minister, da Sie von Nachhaltigkeit geredet haben, sage ich Ihnen: All denen, die heute wieder versuchen, Atom, Kohle, Gas etc. als billig darzustellen, müssen wir entgegenhalten, welche Kosten damit verbunden
sind und was sie für die heute lebende Generation und
für zukünftige Generationen real bedeuten. Nehmen wir
endlich zur Kenntnis, dass Peak Oil erreicht ist! Die
Hälfte des gesamten auf der Welt verfügbaren Öls wurde
bereits gefördert. Die Nachfrage wird steigen. Es gibt für
Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger nur einen Ausweg: das Zeitalter der erneuerbaren Energien.
({4})
Da ich heute in verschiedenen Tageszeitungen gelesen habe, dass von manchen Truppen schon wieder mehr
Wettbewerb im Bereich der erneuerbaren Energien gefordert wird, frage ich Sie: Wie war das eigentlich bei
Kohle und Gas? Das ist der Kampf, den wir momentan
führen, übrigens nicht nur in diesem Hause. Es gibt vier
große Konzerne, die um ihre Macht bangen und die etwas gegen die Dezentralität haben, die sich gerade überall in diesem Land entwickelt. Herr Minister, hierzu
müssen Sie als Umweltminister Position beziehen. Sie
müssen die kommunalen Stadtwerke, die gerade ihre Renaissance erleben, die Genossenschaften etc. fördern.
Die Chance, dies in Ihrer Rede deutlich zu machen, hätten Sie hier und heute gehabt.
Was machen Sie? Was den Haushalt betrifft, machen
Sie in Ihrem Ministerium etwas, das sehr bemerkenswert
ist. Sie richten 40 neue Planstellen ein und überschreiben
diesen Vorgang mit dem Begriff „Energiewende“. Ihr
Vorgänger, Herr Röttgen, ist leider nicht hier. Ich würde
ihn allerdings gerne einmal fragen: Was ist im BMU eigentlich all die Jahre zuvor geschehen? Mich interessiert
auch: Was sind das für Stellen? Wo wird umorganisiert?
Was macht man mit den Leuten, die bisher in diesem Bereich tätig gewesen sind? Welche Menschen kommen
hinzu? Mein Kollege Lothar Binding hat eben die Frage
gestellt - wir kennen Beispiele aus anderen Ministerien,
Stichwort „Entwicklungshilfe“ -: Wer kommt dorthin?
Sind das Versorgungsposten, oder geht es tatsächlich um
den Aufbau einer Struktur, die in Ihrem Ministerium bis
jetzt nicht vorhanden war?
Ich sage Ihnen voraus: Auch wenn sie noch 100 Planstellen schaffen, gehen Sie nicht an die Wurzel des
Übels. In dieser Regierung gibt es eine organisierte Unverantwortlichkeit. Bei der Energiewende stehen sich
sechs Ministerien gegenüber, die sich gegenseitig blockieren. Es bringt nichts, neue Planstellen unter der
Überschrift „Effizienz“ einzurichten, wenn sich Herr
Rösler in Brüssel durchsetzt und alles, was Sie an Effizienzstandards aufbauen, wieder kaputtmacht. Sie brauchen keine Planstellen, sondern politische Durchsetzungskraft, Herr Minister.
({5})
Es reicht nicht, wenn Sie in diesem Haushalt bezogen
auf die Stellen von der Umsetzung des Energiekonzepts
sprechen, aber nach der Rücknahme der Laufzeitverlängerung nicht einmal Ihr Konzept angepasst haben. Ich
behaupte sogar, Sie haben gar keines. Wo ist der Masterplan, der mit den Bundesländern abgestimmt ist? Wo ist
das Energiekonzept, das die einzelnen Schritte in den
nächsten Jahren beschreibt? Soll das jetzt durch diese
Stellen erarbeitet werden?
Lieber Herr Minister, ich glaube, es bringt nichts, isoliert zu denken. Die Energiewende werden wir nur
bewerkstelligen können, wenn wir das schemenhafte
Denken der Ressorts beenden. Wir brauchen eine koordinierte Energie- und Umweltpolitik. Sie tun bis jetzt das
Gegenteil. Das zweite Mal, dass Sie sich als Parlamentarischer Geschäftsführer zu diesem Thema zu Wort gemeldet haben, war, als wir hier beantragt haben, einen
Ausschuss für die Energiewende einzusetzen. Sie haben
dagegen gesprochen und für das Ressortprinzip plädiert.
Wir sehen heute: Sie sind keinen Millimeter vorangekommen. Wir brauchen eine koordinierte Energiepolitik.
Dazu ist Schwarz-Gelb nicht in der Lage.
({6})
Es geht bei diesem Haushalt natürlich auch um die
Energiepreise. Herr Minister, auch hier erwarte ich von
Ihnen, dass Sie in den nächsten Wochen bzw. Monaten
sagen: Die Behauptung, dass Kohle, Gas und Atomenergie billig gewesen sind, ist eine Mär. Jeder Verbraucher
sieht schon an dem Ansteigen der Heizölpreise und der
Benzinpreise, das sie tagtäglich erleben müssen, dass die
Behauptung nicht stimmt. Die Frage ist, ob der politische Wille vorhanden ist, diese Energiewende sozialverträglich und auch ökonomisch sinnvoll zu gestalten. Ich
glaube, hierzu müssen wir in den Diskurs auch mit denen, die im Moment sagen, das sei unbezahlbar. Auch
Atomenergie und die Energie aus Kohle wären unbezahlbar, wenn die tatsächlichen Kosten, also auch die
Folgekosten, eingepreist worden wären. Es liegt an der
politischen Steuerung, ob die Folgekosten herausgehalten oder andere Zukunftstechnologien gefördert werden.
Sie tun augenblicklich genau das Gegenteil, indem
Sie die Industrie mit der Gießkanne von der Zahlung der
EEG-Umlage befreien. Das hat zur Folge, dass der Mittelstand und die Verbraucherinnen und Verbraucher in
die Bresche springen müssen. Nicht dass wir uns falsch
verstehen: Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt. Aber dieses Gießkannenprinzip hat dazu geführt, dass sich die Zahl der
Unternehmen, die von der Zahlung der Umlage ausgeschlossen sind, im letzten Jahr verdreifacht hat. Das
müssen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen und lieber
Herr Minister, hinterfragen.
Auch dass die Großhandelspreise durch die erneuerbaren Energien gesunken sind, die Konzerne diese PreisDr. Matthias Miersch
reduzierungen aber nicht an die Verbraucherinnen und
Verbraucher weitergeben, ist ein Punkt, den Sie problematisieren und ansprechen müssen. Sie dürfen nicht einfach suggerieren, die Energiewende und die erneuerbaren Energien seien unbezahlbar.
Lieber Herr Minister, ich glaube, Sie müssen in vielen
Bereichen Anwalt der Zukunft sein und dürfen nicht denen auf den Leim gehen, die hier seit Jahren versuchen,
altes Denken durchzusetzen.
Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Ich habe
Ihre Staatssekretärin an dieser Stelle vor einigen Wochen
etwas gefragt. Es ging um das Verhältnis zwischen Erneuerbaren und Naturschutz. Herr Rösler erklärt seine
eigene Untätigkeit und sein Versagen damit, dass es angeblich zu hohe naturschutzrechtliche Anforderungen
gebe. Ich habe Frau Staatssekretärin Heinen-Esser hier
gefragt, ob sie diese Auffassung teile. Sie hat mir ausdrücklich gesagt, wie auf Nachfrage im Übrigen auch
das Wirtschaftsministerium selbst, dass natürlich in Einzelfällen die gesetzlichen Grundlagen ein ausreichendes
Instrumentarium bieten, um Abwägungen vorzunehmen.
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie diese Aussage verteidigen. Was lese ich in den letzten 14 Tagen? Ich lese,
dass auch Sie sagen, es sei zu prüfen, ob die gesetzlichen
Grundlagen in diesem Bereich geändert werden müssen.
Herr Minister, das ist genau das, was nicht passieren
darf. Sie dürfen nicht die Werte und Güter gegeneinander ausspielen. Sie müssen für die Zukunft brennen,
sonst fährt diese Energiewende tatsächlich an die Wand.
Ich glaube, es ist gut, dass dies der letzte Haushalt dieser
schwarz-gelben Regierung ist; sonst wird Zukunft verspielt, sonst wird Investitionsunsicherheit geschaffen,
und das hat Deutschland nicht verdient. Insofern hoffen
wir, dass all das im nächsten Jahr ein Ende hat und tatsächlich an 2001 angeknüpft werden kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Vielen Dank, Kollege Matthias Miersch. - Nächster
Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
FDP unser Kollege Stephan Thomae. Bitte schön, Kollege Stephan Thomae.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen!
Verehrte Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ist in dieser Legislaturperiode für eine der Herkulesaufgaben dieser Wahlperiode verantwortlich. Er ist
mitverantwortlich für die Zukunft der Energiepolitik, er
ist mitverantwortlich für die Zukunft der Energieversorgung in unserem Land. Dem neuen Minister, Herrn Peter
Altmaier, wünsche ich deswegen an dieser Stelle viel
Glück und Erfolg, Durchhaltevermögen und Standhaftigkeit, da, wo es nötig ist, Anpassungsvermögen und da,
wo es nötig ist, Beharrlichkeit. Den Mitarbeitern im
Ministerium will ich Dank und Anerkennung dafür aussprechen, dass sie diese schwere Aufgabe in dieser
Wahlperiode schultern und diesen Haushaltsentwurf mit
vorbereitet haben.
({0})
Umweltpolitik steht genauso wie der Naturschutz in
diesen Tagen häufig etwas im Schatten der Energiediskussion und gerät manchmal auch zwischen die Mühlsteine der Ideologie. Deswegen will ich an dieser Stelle
gerne ein bisschen mehr zum Naturschutz sagen. Aus
christlicher Sicht ist Naturschutz die Bewahrung der
Schöpfung. Nachhaltigkeit - das darf nicht vergessen
werden - ist aber auch ein ökonomisches Prinzip. Das
heißt, mit knappen Ressourcen sparsam zu haushalten.
Für manche Menschen ist Naturschutz bisweilen ein
romantisches Schwärmen von einer unberührten Natur.
Aber unsere Landschaften sind durchweg Kulturlandschaften. Landwirte, die Kulturlandschaften pflegen, tun
dies, weil sie aus dieser Landschaft Nutzen ziehen können. Aus meiner eigenen Allgäuer Heimat weiß ich, dass
die Landwirte diese Kulturlandschaft pflegen und erhalten. Die Menschen sind grundsätzlich natur- und heimatverbunden, und sie gehen grundsätzlich rücksichtsvoll
mit der Natur um. Aber in einer Urlaubsregion, die von
solchen Landschaften geprägt ist, sind die Menschen
auch darauf angewiesen, dass zum Beispiel touristische
Einrichtungen geschaffen, erhalten und bisweilen auch
erweitert werden können. Kulturlandschaft ist eben kein
Heimatmuseum, wo man nichts anfassen darf, sondern
sie ist berührte Natur. Naturschutz ist oft ein Nebeneinander von Nutzflächen und Schutzflächen, zum Beispiel dort, wo renaturierte Hochmoore an zum Teil intensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen angrenzen.
Vor wenigen Wochen war ich mit der Präsidentin des
Bundesamtes für Naturschutz im Ostallgäu unterwegs,
um dort die Allgäuer Moorallianz - Herr Minister, eines
meiner Lieblingsthemen - zu besuchen. Die Renaturierung von Hochmooren ist anfangs von den Landwirten,
die die Grundstückseigentümer sind, sehr argwöhnisch
beäugt worden. Aber die Mitarbeiter des Bundesamtes
für Naturschutz haben hier viel Überzeugungsarbeit geleistet, und die Grundstückseigentümer sind mit öffentlichen Mitteln schadlos gestellt worden. Die Menschen
haben begriffen, dass die Renaturierung eine Aufwertung einer Urlaubsregion sein kann. Aber natürlich
braucht eine solche Region auch das Nebeneinander von
solchen Flächen und einem breiten Freizeitangebot. Man
kann mit kleinen Kindern nicht den ganzen Familienurlaub nur in Hochmooren verbringen. Deswegen werbe
ich hier für eine ideologiefreie Diskussion. Diejenigen,
die früher den Naturschutz immer argwöhnisch beäugt
haben, haben gelernt, dass es nicht um eine entschädigungslose Enteignung von Flächen und Vertreibung von
Betrieben geht. Aber auch diejenigen, die unter Naturschutz früher die weiträumige Tilgung jeder Spur von
Zivilisation verstanden haben, lernen dazu, dass Naturschutz nicht gegen alle wirtschaftlichen Interessen stattfinden kann.
({1})
Dafür ist die Allgäuer Moorallianz ein gutes Beispiel.
Deswegen werden wir dieses Projekt nach beendeter
Planungsphase jetzt in der Umsetzungsphase weiter fördern.
Dieses Nebeneinander verschiedener Annäherungswinkel gibt es auch in der Energiepolitik, die das Hauptthema dieses Haushalts darstellt. Manche sehen in dem
Nebeneinander, auch konkurrierenden Nebeneinander,
des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesumweltministeriums eine Gefahr für die Energiewende. Als
freier Demokrat sehe ich in diesem Abstimmungsbedarf
keine Gefahr, sondern einen Garant dafür, dass unterschiedliche Gesichtspunkte der Beteiligten wirksam in
diese Diskussion einfließen können; denn man kann die
Energiewende nicht einfach anordnen. Der Weg zu dieser Art der Energieversorgung muss erst gefunden werden. Er liegt nicht einfach klar und geradlinig vor uns,
sondern wir brauchen ein Findungsverfahren.
Nun glauben manche: Wenn eine Planungsbehörde
lange genug über diese Wege diskutiert, dann kommt
schon das Richtige dabei heraus, und dann ist das das
richtige Findungsverfahren. Wenn man das Füllhorn
staatlicher Fördergelder weit aufmacht, dann kommt automatisch etwas Gutes und immer das Richtige dabei heraus.
({2})
Wenn sich die Menschen über den Geldregen staatlicher
Subventionen freuen, dann nennt man das Konsens. Wir als Liberale haben unsere Zweifel, ob so etwas auf
Dauer gutgehen kann. Wir haben ein Grundvertrauen in
ein Entdeckungs- und Findungsverfahren, in dem sich
im Wettbewerb der besten Ideen und Angebote das Beste
durchsetzen kann. In dem planwirtschaftlichen Findungsverfahren sehen wir die große Gefahr, dass ein
ineffizientes Verfahren mit Steuermitteln aus ideologischen Gründen durchgedrückt wird. In einem marktwirtschaftlichen Verfahren besteht, wenn der Staat den Ordnungsrahmen richtig setzt, eine erhöhte Chance, dass
sich das effizienteste Verfahren durchsetzt. Deshalb sollten wir bei der Energiewende keine Angst haben, auch
hier mehr Markt zu wagen.
({3})
Die Natur macht es uns eigentlich vor. Sie ist ein gutes
Beispiel dafür, wie sich im Wettbewerb die chancenreichsten Dinge durchsetzen. Denn die Natur lässt alles
entstehen; aber was sich im Wettbewerb nicht bewährt,
geht dort gnadenlos unter. Wenn wir also erfahren wollen, welche Formen der erneuerbaren Energien und der
Energiespeicherung unter den hiesigen Bedingungen am
effizientesten sind, dann sollten wir ruhig mehr Mut und
Zutrauen in das Prinzip „mehr Markt“ haben und etwas
weniger blindes Vertrauen in die hellseherischen Kräfte
von Planungsbehörden.
Diese Regierung will die Energiewende. Aber wir
brauchen das richtige Entdeckungsverfahren für den besten Weg in die Energiezukunft. Diese Regierung kann
das, weil sie ohne Ideologie pragmatisch an das Thema
herangeht.
({4})
Hierfür wünsche ich dem beteiligten Minister, Herrn
Altmaier, viel Erfolg und alles Gute.
({5})
Vielen Dank, Kollege Stephan Thomae. - Nächste
Rednerin für die Fraktion Die Linke ist unsere Kollegin
Eva Bulling-Schröter. Bitte schön, Frau Kollegin Eva
Bulling-Schröter.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Energiepreise sind politische Preise, und zwar
erstens, weil Kohle- und Atomstrom direkt und indirekt
subventioniert wurden und immer noch werden. Der
Förderverein Ökologische Steuerreform hat dies sehr
schön eine verdeckte Atom- und Kohleumlage genannt.
Sie sind zweitens deshalb politische Preise, weil die
herrschende Politik es über Jahrzehnte zugelassen und
befördert hat - Sie wollten das -, dass riesige Energieversorger entstehen konnten. Diese treiben mit ihrem
Oligopol bis heute Preise und Profite nach oben.
Sie sind drittens politische Preise, weil vielfach Menschen in anderen Ländern die Zeche für jenen CO2-Ausstoß zahlen, der hierzulande die Wirtschaft antreibt, von
den Zukunftskosten des Atommülls ganz zu schweigen.
Erst dann kommen wir viertens zu jenem Bereich, der
jetzt so gerne aufgeblasen wird, um die Energiewende in
Verruf zu bringen, also zu den Steuern und Umlagen, die
auf dem Strom liegen. Da wird es wirklich spannend,
wenn wir nicht nur auf die EEG-Umlage, die Stromsteuer und die Netzentgelte schauen, sondern auch darauf, welche Stromkunden durch die Politik von diesen
Kosten befreit werden. Wer wird eigentlich befreit? Die
armen Haushalte, die sowieso zu knapsen haben, Hartz-IVEmpfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger? Natürlich
nicht! Nein, ausgerechnet die energieintensiven Unternehmen werden befreit, und zwar je größer, desto stärker. Die Mehrzahl dieser Unternehmen steht noch nicht
einmal im Wettbewerb mit außereuropäischen Firmen;
das habe ich schon einige Male gesagt. Diese Unternehmen profitieren aber zugleich vom Einspeisevorrang der
regenerativen Energien durch sinkende Großhandelspreise. Sie geben nämlich diesen Preisvorteil nicht weiter. Unter dem Strich verdienen viele große Stromverbraucher netto noch mehr aufgrund der regenerativen
Energien. Als Stichworte hatte ich bereits die Ökosteuer
und das EEG genannt.
Es wird immer behauptet, die Linken setzten Arbeitsplätze aufs Spiel. Das stimmt natürlich nicht. Das ist
eine Lüge, die über uns verbreitet wird. Aber wir wollen,
dass die Beihilfen jetzt endlich genau durchleuchtet werden. Genau das will die Bundesregierung nicht. Sie hält
am bestehenden Subventionssystem fest. Sie baut es sogar noch aus. Stellen Sie sich vor: Im Haushalt sind weitere 300 Millionen Euro als Zuschüsse vorgesehen, um
die Preiswirkung des Emissionshandels aufzuheben.
Die politische Entscheidung heißt also hier: Werfen
wir den großen, energieintensiven Unternehmen Geld in
den Rachen, und verteuern wir die Energiewende für alle
anderen! - Für Privatkunden oder kleinere Unternehmen
und Handwerker ist natürlich nichts mehr da. Diese müssen das Ganze bezahlen. Genau deswegen ist es so
heuchlerisch, wenn FDP, CDU und vor allem die CSU
jetzt jammern und beklagen, dass der Strom so teuer
wird, dass arme Menschen ihn nicht mehr bezahlen können, und gleichzeitig fordern, den Mittelstand zu unterstützen. Wir sehen ja, wie sie das tun. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Ich halte das für einen Skandal.
({0})
Sie wollen den Ausbau der regenerativen Energien stoppen, das EEG abschaffen und für mehr Wettbewerb sorgen. Was dann herauskommt, wissen wir. Es wird dann
noch teurer. Das ist das Gegenteil eines sozial-ökologischen Umbaus.
Was können wir machen? Es gibt den Vorschlag, eine
Abwrackprämie für stromfressende Elektrogeräte einzuführen. Das würde genau den Menschen helfen, die wenig Geld in der Tasche haben, und zusätzlich Arbeitsplätze bei den Herstellern schaffen.
({1})
Aber es sind keine Mittel in den Haushalt eingestellt, um
Energiearmut zu verhindern. Mit einer solchen Ignoranz,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, setzen Sie die Energiewende aufs Spiel. Ich
rede da nicht nur von den Strompreisen. Die energetische Gebäudesanierung kommt noch hinzu. Sie ist zweifellos notwendig und muss beschleunigt werden. Sonst
können wir unsere Klimaschutzziele vergessen. Aber das
wird nicht billig, wie wir alle wissen. Die Warmmietenneutralität von Sanierungen wird in vielen Fällen deutlich verfehlt. Das heißt, die Mieten steigen. Hier müssen
wir den Mieterinnen und Mietern aus sozialen Gründen
unter die Arme greifen. Wenn die sogenannte zweite
Miete zu teuer wird, müssen viele Mieterinnen und Mieter ausziehen. Eine solche Verdrängung wollen wir nicht.
Wir wollen, dass alle Mieter in ihren Wohnungen bleiben können. Der dafür vorgesehene Ansatz im Haushalt
ist viel zu niedrig.
Was die Energieberatung angeht: Es ist immer gut,
wenn man berät. Aber eine solche Beratung kann gezielte Hilfe nicht ersetzen. Wir brauchen eine soziale Begleitung der Energiewende, und zwar mit Konzept. Aber
Sie lassen ein solches Konzept leider vermissen. Sie reden nur darüber. Es reicht aber nicht, nur neues Geld zuzuschießen. Man muss auch schauen, was mit dem alten
passiert. Wie wir sehen, werden die Mittel des Energieeffizienzfonds kaum abgerufen, weil offensichtlich entsprechende Förderrichtlinien noch nicht vorhanden sind.
Herr Altmaier, wir würden schon gern einmal hören, was
mit diesen Förderrichtlinien ist. Interessant wäre auch,
zu erfahren, warum die Förderung für Klimaschutzprojekte in Kommunen über die Kommunalrichtlinie fast
komplett in den Westen geht. Nur 6,5 Prozent der Mittel
fließen in die neuen Bundesländer.
Noch ein Wort zur internationalen Verantwortung, zu
der Sie, Herr Altmaier, auch gesprochen haben. Ich halte
es nicht für zielführend und nicht für ein Zeichen internationaler Verantwortung, wenn Geld für den Bau von
AKW auf internationaler Ebene bereitgestellt wird. Ich
nenne als Stichwörter Angra 3 und Temelin, den Schrottreaktor. Ich bin auch nicht dafür, dass Legebatterien in
der Ukraine mit unseren Geldern finanziert werden. Das
ist nicht nachhaltig, und das ist auch nicht ökologisch,
im Gegenteil, das ist scheinheilig.
Wir wollen eine nachhaltige Umweltpolitik. Sie haben gerade das Erdinger Moos genannt. Ich habe das
nicht ganz verstanden. Wenn man im Erdinger Moos
eine dritte Startbahn baut - vielleicht haben Sie das gemeint -, dann ist das erst recht nicht nachhaltig.
({2})
Vielen Dank, Frau Kollegin Bulling-Schröter. - Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Sven-Christian
Kindler. Bitte schön, Kollege Kindler.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Altmaier, Sie sind
jetzt genau 113 Tage Umweltminister. Es ist Zeit für eine
erste Bilanz. Was haben Sie in der Zeit gemacht? Sie
sind viel durchs Land gereist, haben schöne Fotos gemacht, Sie haben sich Windräder angeschaut, Sie haben
neue Kohlekraftwerke eingeweiht, und Sie haben viel
getwittert. Bei Twitter las ich zum Beispiel am 21. August - ich zitiere -: „Habe gerade ein Erdkabel in den
Sand gesetzt! Energiewende kommt endlich voran!“
Smiley. Tja, Herr Minister, Twitter und Smileys reichen
eben alleine nicht. Diese Bundesregierung setzt gerade
die Energiewende in den Sand, und da haben Sie als
Umweltminister bisher nicht geliefert.
({0})
Das zeigt sich ganz deutlich bei der aktuellen Debatte
über die Strompreise. Da hört man ganz viel Ideologie
und ganz viel Propaganda, aber jetzt einmal zu den Zahlen und Fakten: Im Jahr 2000 lag der durchschnittliche
Strompreis bei 14 Cent pro Kilowattstunde. Das war vor
dem EEG. Heute, 2012, liegt er bei 26 Cent, also 12 Cent
mehr. Die EEG-Umlage liegt aber bei nur 3,5 Cent. Also
ist nur rund ein Viertel des Anstiegs der Strompreise auf
das Erneuerbare-Energien-Gesetz zurückzuführen. Der
Großteil der Steigerung resultiert daraus, dass die Preise
für Steinkohle und Gas in den letzten Jahren massiv gestiegen sind und die vier großen Stromkonzerne richtig
abgezockt haben. Die Konsequenz daraus muss heißen:
Weg von den fossilen Energien, weg vom Machtkartell
der großen Konzerne. Das geht nur mit dem schnellen
Ausbau der erneuerbaren Energien.
({1})
Das Absurde ist, dass die Umlage für die erneuerbaren Energien unnötig aufgebläht wird. Sie könnte viel
günstiger sein. Sie wird um mindestens 1 Cent aufgebläht, weil Schwarz-Gelb riesige Ausnahmen für die
Großindustrie geschaffen hat. Klar, es gibt Unternehmen, die trotz effizienter Technik viel Energie verbrauchen und stark im internationalen Wettbewerb stehen.
Solche Unternehmen sollen - das wollen auch wir - eine
geringere Umlage bezahlen. Das war übrigens auch unter Rot-Grün so. Damals waren aber von der EEG-Umlage 23 Unternehmen befreit, heute sind es 750 Unternehmen. Nächstes Jahr könnten es mit den schwarzgelben Änderungen schon 2 000 Unternehmen sein.
Auch bei den Netzentgelten und der Ökosteuer gibt es
Subventionen in Milliardenhöhe über die Ausnahmen
für die Industrie. Die Zeche müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher und Kleinunternehmen zahlen. Sie
betreiben Lobbyismus, und die wahren Preistreiber sitzen hier auf der Regierungsbank.
({2})
Was sagt Peter Altmaier zu dieser Debatte? Peter
Altmaier hat heute hier im Plenum und in der Financial
Times Deutschland gesagt, er möchte am liebsten den
Ausbau der erneuerbaren Energien bremsen. Der Umweltminister möchte also den Ausbau der erneuerbaren
Energien bremsen. Da trifft er auf gute Freunde in der
FDP. Der Minister für Planwirtschaft, Philipp Rösler,
will das Erfolgsprojekt EEG abschaffen und ein staatlich
festgelegtes Quotenmodell einführen. Das funktioniert
so, dass im Staatsrat von oben bestimmte Quoten für Solarenergie und Windenergie festgelegt werden. Sein
Chef, Rainer Brüderle, geht noch einen Schritt weiter. Er
träumt nämlich von einem Moratorium für die Energiewende. Auch dafür braucht er das Quotenmodell. In seinem Strategiepapier dazu heißt es - ich zitiere -: „Der
weitere EE-Ausbau würde zunächst einmal komplett zusammenbrechen …“
Das zeigt klar, in welche Richtung es geht. Der Erfolg
der erneuerbaren Energien bedroht massiv die großen
Profite der vier großen Stromkonzerne, und diese Bundesregierung, Schwarz-Gelb, will in ihrem Auftrag jetzt
die erneuerbaren Energien plattmachen. Energiewende
bei Schwarz-Gelb, das heißt nämlich übersetzt: Das ist
die Wende gegen die erneuerbaren Energien.
({3})
Das gleiche Trauerspiel gibt es auch bei Ihrem Schattenhaushalt, dem Energie- und Klimafonds. 780 Millionen Euro waren für dieses Jahr geplant. Im laufenden
Haushaltsverfahren musste dieser Fonds massiv zusammengestrichen werden: 450 Millionen Euro gibt es jetzt
nur noch. Fast die Hälfte der Mittel wurde weggenommen. Sie haben den Rotstift vor allen Dingen beim
Marktanreizprogramm, bei Klimaschutzprogrammen
oder beim Energieeffizienzfonds angesetzt.
2013 wird es weiter so laufen. Sie haben eine unsolide
Berechnungsbasis. Sie setzen weiterhin sehr hohe Zertifikatspreise für eine Tonne CO2 an - zunächst 10 Euro
und dann ansteigend -, obwohl der aktuelle Zertifikatspreis bei etwa 8 Euro liegt. Hildegard Müller vom
BDEW hat ebenfalls noch einmal gesagt, dass das eine
unsolide Berechnung ist und dass der Klimafonds so
nicht funktionieren wird. Auf dem Papier präsentieren
Sie tolle Energie- und Klimaschutzprogramme; aber in
der Realität wird der Finanzminister auch nächstes Jahr
wieder ohne Beteiligung des Parlaments den Rotstift ansetzen und massiv kürzen. Das zeigt eben: Diese Bundesregierung setzt bewusst, also mit voller Absicht, die
Energiewende in den Sand. Selbst Sie, Herr Altmaier,
können diese Offensive gegen die erneuerbaren Energien nicht wegtwittern.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Kollege Kindler. - Nächster Redner in
unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU
unser Kollege Dr. Christian Ruck. Bitte schön, Kollege
Dr. Ruck.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte versuchen, von der Legendenbildung meiner Vorredner zum Kern des Ganzen zu kommen.
({0})
Ich glaube, dass Minister Peter Altmaier mit seiner
Einbringungsrede eindrucksvoll dargelegt hat, dass die
Energiewende die Umweltpolitik mehr denn je zu einem
zentralen Gestaltungsfeld der Politik der Bundesregierung macht.
({1})
Ich möchte auch sagen, dass es bei der Energiewende,
die wir natürlich nicht in den Sand setzen, nicht nur darum geht, wie schnell und in welcher Weise die erneuerbaren Energien ausgebaut werden, sondern um viel
mehr: Es geht zum Beispiel um Energieeffizienz, es geht
um Netzausbau, es geht um eine fundamentale wirtschaftliche Weichenstellung mit ökologischem Hintergrund. Diese wirtschaftliche Weichenstellung wird auch
die Zukunft und den Wohlstand Deutschlands auf viele
Jahre und Jahrzehnte sichern können.
({2})
Nachdem Norbert Röttgen in Abwesenheit kritisiert
wurde, möchte ich auch an dieser Stelle sagen, dass ich
ihm hohe Anerkennung zolle für den Mut und auch die
Entschlossenheit - ich kann mich an viele Redeschlachten hier erinnern -, mit der er ganz maßgeblich dieser
Energiewende ein Gesicht verliehen hat und sie vorangebracht hat. Auch das sollte man an dieser Stelle einmal
sagen.
({3})
- Ach, Herr Kelber, sind Sie auch da? Man hört Sie.
Ich bin dem aktuellen und zukünftigen Minister Peter
Altmaier sehr dankbar,
({4})
dass er noch einmal darauf hingewiesen hat, dass die
Energiewende für Deutschland auch der Modernisierungs- und Wachstumsmotor für das 21. Jahrhundert
sein kann. Auch wir als Umweltschützer sollten immer
eine Hoffnung vor Augen haben und diese Hoffnung tatkräftig verfolgen: dass über unsere wirtschaftliche und
technologische Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit ein
internationaler Dominoeffekt erzielt werden kann, der
auch unsere Mitbewerber und Mitwettbewerber, die sich
klimapolitisch bisher mehr denn je zieren, mitreißt. Genau vor diesem Hintergrund hängen auch wir Umweltpolitiker in der Union zu 100 Prozent an dem Gelingen
der Energiewende. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir haben doch in Rio selber erlebt, wie die Welt auf das
schaut, was wir machen, wie die Welt ungläubig darauf
schaut, mit welchem Mut und mit welchem Risiko wir
vorgehen, und wie sie sagt - wenn Sie sich an das Zitat
des UNIDO-Chefs Yumkella erinnern -: Wenn es jemand schafft in dieser Welt, dann sind es die Deutschen
mit ihrer Technologie.
Herr Miersch, Sie haben gesagt: Der Minister muss
brennen. - Der Minister brennt, aber er muss auch denken, und er darf nicht falschen Propheten auf den Leim
gehen, Ihnen zum Beispiel. Wir müssen unsere Fähigkeiten schon in vollem Umfang einsetzen. Das bedeutet
zum Beispiel, dass ich voll und ganz hinter dem Aufwuchs an Personal, den 40 Stellen, stehe. Natürlich ist
mit der Energiewende auch eine personelle Herausforderung verbunden.
({5})
Ich weiß nicht, wie man da herumkritisieren kann, wenn
der Peter Altmaier etwas macht, was durchaus sinnvoll
und in seiner Zuständigkeit ist.
({6})
Aber es geht doch um viel mehr. Es geht nicht nur um
40 Stellen; es geht darum, dass wir auch bei der Energiewende das Dreigestirn „Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit“ haben. Da, glaube
ich, gibt es einen fundamentalen Dissens zwischen uns
und der Opposition. Wir glauben, dass zum Beispiel die
Bezahlbarkeit darüber entscheidet, ob die Energiewende
gelingt.
({7})
Niemand in dieser Welt - niemand! - wird eine Energiewende à la Deutschland mitmachen, wenn uns die Preise
aus dem Ruder laufen.
({8})
Dasselbe gilt für die Versorgungssicherheit. Es ist
doch auch der Opposition nicht verborgen geblieben,
dass wir, seitdem Angela Merkel Bundeskanzlerin ist,
also seit 2005, einen Aufwuchs beim Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion von 10 Prozent
auf 25 Prozent haben.
({9})
Da kann doch niemand ernsthaft behaupten, dass wir etwas gegen die erneuerbaren Energien hätten.
Aber der Punkt ist, dass unser Erfolg, der übrigens auf
ein von der Union initiiertes Gesetz zurückgeht, nämlich
das Stromeinspeisungsgesetz - falls Sie sich doch noch
daran erinnern wollen -,
({10})
natürlich auch zu Problemen führt, Herr Kelber. Das
Einzige, was ich von der Opposition verlange, ist, dass
Sie diese Probleme, die wir zum Beispiel in der Versorgungssicherheit haben,
({11})
die sich bei den Ausbauplänen der Länder noch verstärken werden, adressieren.
Unsere Antwort darauf ist, Frau Höhn: Wir dürfen
nicht an den Zielen wackeln. Die Ausbauziele bis 2050
- ich bin dem Peter Altmaier dankbar, dass er das noch
einmal gesagt hat - sind für mich sakrosankt. Aber es
geht darum, dass wir die verschiedenen Instrumente stärker synchronisieren mit dem Netzausbau,
({12})
mit den Smart Grids, auch mit der Technologie. Wir arbeiten daran.
Aber Sie als Oppositionelle verhalten sich schäbig,
Sie vor allem, Herr Miersch. Sie stellen sich hierher und
verlangen vom Altmaier, er solle die Länder, Europa und
alles Mögliche, auch die Bundesregierung, koordinieren.
Fangen Sie doch einmal damit an, sich mit den rot-grün
regierten Ländern zu koordinieren!
({13})
Die sind wie ein Klotz am Bein, wenn es darum geht,
sinnvolle Änderungen beim EEG durchzusetzen.
Die Oberscheinheiligkeit ist Ihr Verhalten zur steuerlich geförderten Gebäudesanierung.
({14})
Es ist doch der Oberwitz, dass Sie uns vorwerfen, wir
seien die Preistreiber. Dabei treiben Sie selber die Preise
durch diese schäbige Blockadehaltung.
({15})
Wenn Sie etwas für die Energiewende tun wollen, dann
tun Sie es jetzt! Der Minister Schäuble ist den Ländern
weit entgegengekommen. Er hat einen Vorschlag gemacht, der fast alles kompensiert. Jetzt geben Sie sich
endlich auch einen Ruck und stimmen Sie der steuerlich
geförderten Gebäudesanierung zu! Das sind auf einen
Schlag 1,5 Milliarden Euro. Damit können wir viel Gutes tun.
({16})
Wir können uns viele fossile Back-up-Kraftwerke sparen, wenn wir dadurch die Energieeffizienz erhöhen.
({17})
In diesem Sinne stehen wir voll und ganz hinter Peter
Altmaier, hinter seinem gewaltigen Arbeitspensum. Ich
habe überhaupt keine Bedenken hinsichtlich seiner
Durchsetzungsfähigkeit. Viel Glück! Wir stehen hinter
dir, Peter!
({18})
Vielen Dank, Kollege Dr. Ruck. - Nächste Rednerin
ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Bärbel Kofler. Bitte schön, Kollegin Bärbel Kofler.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In vielen Vorreden ist einiges dazu gesagt
worden, wohin man mit der Energiewende möchte und
wie man sie doch umsetzen oder voranbringen könnte.
Mir ist sowohl beim Herrn Minister, der jetzt leider nicht
mehr da ist,
({0})
- er ist doch hier - als auch beim Kollegen Ruck aufgefallen, dass das Thema Energieeffizienz eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat. Ich gehe jetzt gar nicht auf
das Thema Gebäudesanierung ein. Das, was Sie gesagt
haben, Herr Ruck, war wirklich unehrlich; denn die Absenkung der Mittel für die Gebäudeeffizienz in unserem
Bundeshaushalt haben Sie vorangebracht und vorangetrieben. Dann den Ländern den Schwarzen Peter zuzuschieben, ist wirklich eine schwache Leistung Ihrerseits.
({1})
Wenn man das Thema Energieeffizienz zu Recht in
den Mittelpunkt stellen möchte, wie ich es in den Pressemitteilungen des Herrn Ministers und auch von der Frau
Staatssekretärin auf der BMU-Seite gelesen habe, dann
ist das in Ordnung. Energieeffizienz ist ein wesentliches
Thema, und zwar ganz klar aus ökologischen Gründen,
vor allem aber auch aus sozialen Gründen, weil diejenigen Leute, die für Energie nicht bezahlen müssen, weil
sie sie nicht kaufen müssen, etwas davon haben. Dann
wäre es aber gut, wenn man auch im Haushalt und in der
allgemeinen Politik dem Thema Energieeffizienz die Bedeutung beimisst, die es verdient, und sich nicht so verhält, wie das bei diesem Bundeshaushalt von Ihnen gemacht wird.
({2})
Nicht nur ich sage, dass Sie das Thema Energieeffizienz als Stiefkind betrachten, sondern das ist auch eine
Aussage der Deutschen Umwelthilfe, die ganz klar sagt,
Energieeffizienz sei das Stiefkind bei der Energiewende.
Man fragt sich, wie die Deutsche Umwelthilfe darauf
kommt. Vielleicht haben sich die Mitarbeiter die Seite
des BMU angeschaut; das ist ja möglich. Wenn man von
der ersten Seite, auf der die eigenen Pressemitteilungen
stehen, einmal absieht, dann kommt man darauf, dass
dort „Fördermöglichkeiten“ steht. Bei „Energieeffizienz“
zum Beispiel steht „Stand 2008“ und - der interessierte
Bürger und vielleicht auch der an Anlagemöglichkeiten
interessierte Investor kann sich dies herunterladen „Neues Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien
im Wärmemarkt 2008“. Es ist für das Jahr 2013 eine
wirkliche Herausforderung, sich als Bürger, der in diese
Technologieformen investieren möchte, auch wirklich
aktuelle Informationen herunterzuladen. Da ist noch
Nacharbeiten angesagt, damit die Leute, die in Energieeffizienz investieren wollen - sowohl private Besitzer
von Wohnungen, eventuell auch für Mieter, aber auch Firmen, damit auch diese aktuell etwas machen können -, aktuelle Informationen erhalten. Hier muss noch weitergearbeitet werden.
({3})
Aber dazu braucht man eben Geld. Ich bin auch noch
für den Einzelplan für Entwicklungszusammenarbeit zuständig. Auch da gibt es im Haushalt keinen Mittelaufwuchs, und deshalb wird gesagt: Eigentlich ist das Geld
für uns gar nicht so wichtig. Das brauchen wir gar nicht. Dr. Bärbel Kofler
Doch, wir brauchen das Geld, um die Programme für
mehr Energieeffizienz voranbringen zu können.
Ich habe mich gefragt, warum Sie nichts über den aktuellen Stand schreiben. Vielleicht tun Sie das deshalb,
weil im Jahr 2008 noch von 350 Millionen Euro für das
Marktanreizprogramm die Rede gewesen ist. Im letzten
Haushalt, im Einzelplan für Umwelt, sind es nur noch
250 Millionen Euro gewesen. Vielleicht schreiben Sie es
deshalb nicht mehr hinein.
Ich habe mich gewundert, dass sich von der Regierungsseite niemand getraut hat, die eierlegende Wollmilchsau der Energiewende anzusprechen, nämlich das
Thema Energie- und Klimafonds. Vor einem halben Jahr
wäre jetzt sofort der Zwischenruf gekommen: „Haben
Sie das denn nicht gelesen? Im Energie- und Klimafonds
haben wir für Marktanreizprogramme 100 Millionen
Euro zusätzlich eingestellt! Das ist ein toller Mittelaufwuchs!“ Ich kann mich an die Rede zu der Debatte, die
wir hier zum Energie- und Klimafonds geführt haben
- Herr Kindler, Sie nicken -, noch lebhaft erinnern.
Was ist denn übrig geblieben? Es kam ein Brief aus
dem Finanzministerium. Dann wurden die üblichen Buchungstricks gemacht: zuerst eine Absenkung bei den
zukünftigen Ausgaben auf 60 Prozent. Dann hat man
diese auf nur noch 70 Prozent abgesenkt. In der Bilanz
hat man das Ganze sogar noch als Zuwachs verkauft. Für
das Marktanreizprogramm hat das schlicht und ergreifend eine Kürzung um 50 Millionen Euro bedeutet. Das
heißt, dass wir auch im letzten Haushalt unter dem Niveau waren, das 2008 laut dem Ausweis auf der BMUSeite, laut Ihrer eigenen Homepage, für Marktanreizprogramme zur Verfügung gestanden hat.
Warum brauchen wir diese Marktanreizprogramme?
Das ist doch keine Spielerei oder etwas, was ohne Grund
in die Welt gesetzt wird. Es geht um den vielbeschworenen Dreiklang aus Ökonomie, Ökologie und Sozialem.
Man will den Menschen eine effiziente Technologie zur
Verfügung stellen können und ihnen die Möglichkeit an
die Hand geben, in diesen Bereich zu investieren. Da reichen keine Sonntagsreden; da braucht man Geld und
Butter bei die Fische.
({4})
Vor allem braucht man Verlässlichkeit, verlässliche
Mittelzusagen. Damit sind wir wieder bei Ihrem Schattenhaushalt, dem Energie- und Klimafonds. In den nächsten Haushalt ist - es ist angesprochen worden - eine interessante Zahl eingestellt worden. Im letzten Haushalt hat
sich das bewahrheitet, wovor wir in den Haushaltsberatungen gewarnt haben, nämlich dass die Mittel nicht reichen werden. Damals hieß es von Ihrer Seite, nein, das sei
nicht so. Aber nun machen Sie mit Blick auf das Jahr
2013 denselben Fehler wieder. Es wird von einem Zertifikatspreis - die Erlöse aus den CO2-Emissionszertifikaten sind ja die einzige Quelle, aus der sich der Energieund Klimafonds speist - von 10 Euro pro Tonne im Jahresdurchschnitt ausgegangen. Wir wissen alle: Der
Durchschnittspreis in diesem Jahr - da brauchen wir uns
nur die Schreiben des Bundesfinanzministeriums anzuschauen - liegt bei 7,50 Euro. Jetzt liegt er vielleicht bei
8,24 Euro, man war aber auch schon bei 6,60 Euro; im
Schnitt sind es 7,50 Euro. Ich habe das Bundesumweltministerium deshalb gefragt, wie es zu der Annahme
kommt, dass der Preis im nächsten Jahr bei 10 Euro im
Schnitt liegen könnte. Ich dachte, vielleicht gibt es da eine
höhere Weisheit oder irgendein wissenschaftlich fundiertes Berechnungsmodell, irgendetwas ganz Neues. Dann
kam die Antwort vom Bundesumweltministerium - ich
zitiere -:
Konkrete Berechnungsmodelle liegen der Prognose
zur Entwicklung der Zertifikatepreise aus dem
CO2-Emissionshandel nicht zugrunde; dennoch beobachtet die Bundesregierung den CO2-Markt und
die einschlägigen Veröffentlichungen zu den Markterwartungen.
Das nennen Sie seriöse Haushaltsplanung mit Blick
auf die Maßnahmen, die zur Finanzierung der Energiewende nötig sind? Sie beobachten den Markt? Nein, das
machen Sie nicht. Der Markt weist auf ganz andere Zahlen hin. Sie müssen mindestens ein Drittel von dem, was
Sie eingestellt haben, wieder abziehen. Dieser Schattenhaushalt besteht aus Luftbuchungen, sonst gar nichts.
Und daraus soll die Energiewende finanziert werden?
Ich glaube kaum.
({5})
In Ihrer Antwort heißt es weiter - da relativieren Sie
gleich und überlegen, in welche Richtung das Ganze gehen könnte oder wie Sie ein Hintertürchen finden, um
aus der Argumentation mit den 10 Euro wieder herauszukommen -:
Es muss aber auch gesehen werden, dass sowohl in
den europäischen Räten als auch im Europäischen
Parlament und der Europäischen Kommission über
eine Veränderung der Rahmenbedingungen im
EU-Emissionshandel intensiv diskutiert wird.
Ja, das ist so. Aber genau das macht es doch noch unwahrscheinlicher, dass die Preise, die Sie annehmen,
eine reelle Grundlage sind. Ich verstehe ehrlich gesagt
nicht, dass die Haushälter einen so grandios unterfinanzierten Fonds in den Haushaltsberatungen unkommentiert lassen. Die umweltpolitische Konsequenz, wenn
man das nicht so stehen lassen wollte, wäre allerdings,
dass man sich auf europäischer Ebene ganz massiv dafür
einsetzt, die Emissionsminderungsziele nach oben zu
schrauben, und nicht bei dem lapidar festgeschriebenen
Ziel einer Minderung von 20 Prozent bis zum Jahre 2020
bleibt, sondern eine 30-prozentige Minderung ins Auge
fasst. Das wäre eine dringend notwendige Maßnahme von der Herausnahme von überschüssigen Zertifikaten
einmal ganz abgesehen.
({6})
Die Annahmen über die Finanzmittel des Energie- und
Klimafonds lassen eines vermissen: Planungssicherheit
und verlässlichkeit für diejenigen, die in die Energiewende investieren wollen. Mit dem, was Sie vorgelegt haben, wird das nicht gehen. Das ist dramatisch; denn ohne
Geld kann man solche Aufgaben, wie sie vor uns liegen,
nicht stemmen.
Wir haben über das Marktanreizprogramm gesprochen. Einige Kollegen haben auch den nationalen Klimaschutz thematisiert und in diesem Zusammenhang besonders über die Rolle der Kommunen gesprochen und
darüber, welche positiven neuen Technologien und Maßnahmen man dort voranbringen könnte. Das betont im
Übrigen auch das Bundesministerium für Umwelt. Auf
der NKI-Evaluierungskonferenz sagten die Vertreter des
BMU deutlich, dass das ein ganz wichtiges Programm
ist. Nur sagen sie auch ganz deutlich, das BMU habe dafür sehr wenig Geld und versuche, das Beste daraus zu
machen. Also auch hier der deutliche Hinweis: Für die
Nationale Klimaschutzinitiative brauchen wir wesentlich
mehr Mittel.
Jetzt blinkt die Anzeige für das Ende der Redezeit,
aber einen Satz zum Thema „Internationale Klimafinanzierung“ kann ich mir nicht verkneifen. Ich finde es richtig, dass, wie ich gerade in der Presse gelesen habe, mit
den Philippinen ein Abkommen über Klimaschutzmaßnahmen getroffen worden ist und man die Mittel für dort
vorgesehene Klimaschutzprojekte mit Geldern aus dem
IKI-Programmtitel unseres Haushalts aufstockt. Die Begründung finde ich allerdings schon interessant: weil die
Philippinen aufgrund ihrer Politik wichtige Eckpfeiler
eingeschlagen hätten, nämlich ein Klimaschutzgesetz
auf den Weg gebracht hätten, um die eigene Klimaschutzpolitik voranzutreiben.
({7})
Ich finde das spannend. Man könnte auch manchmal von
anderen Ländern lernen; denn als wir hier im Bundestag
ein solches Klimaschutzgesetz einbrachten, wurde es
von dieser Koalition leider abgelehnt.
Danke.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin. Bei einer unserer nächsten gemeinsamen Begegnungen üben wir dann den Satz.
({0})
- Den letzten Satz üben wir dann.
Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser
Kollege Michael Kauch. Bitte schön, Kollege Michael
Kauch.
({1})
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte nicht mit der Energiepolitik beginnen, weil dieses Ministerium tatsächlich auch noch ein paar andere
Aufgaben hat als nur, die Energiepolitik mitzugestalten;
({0})
das wird in der öffentlichen Debatte momentan immer
etwas zu wenig belichtet.
Ein wichtiger Punkt aus dem Zehn-Punkte-Programm,
das Bundesumweltminister Altmaier vorgelegt hat, ist
das klare Bekenntnis, noch in dieser Wahlperiode die
Wertstofftonne einführen zu wollen, also eine haushaltsnahe Erfassung von Rohstoffen, damit mehr Rohstoffe
dem Recycling zugeführt werden. Wenn wir wirklich zu
einer ressourceneffizienten Wirtschaft kommen wollen,
also nicht nur energieeffizient, sondern auch rohstoffeffizient sein wollen, müssen wir, wie ich glaube, das Recycling verbessern, bürgerfreundlicher machen, indem
mehrere unterschiedliche Reststoffe zusammen gesammelt werden, die Leute nicht auf die Wertstoffhöfe verwiesen werden, sondern ihnen wirklich zu Hause über die
gelbe Tonne hinaus eine Möglichkeit gegeben wird,
Wertstoffe zu sammeln.
Wichtig ist aber, dass dabei nicht die Gelegenheit genutzt wird, die Grenzen zwischen kommunaler und privater Entsorgung zu verschieben, weder in die eine noch
in die andere Richtung, weil dieses gute Recyclingprojekt ansonsten im Lobbyismus endet. Es geht inzwischen
vielen Marktteilnehmern erkennbar nicht um den Kampf
gegen den Müll; vielmehr ist der Kampf um den Müll
ausgebrochen. Hier muss die Politik klar sagen: Wir
wollen, dass mit der Wertstofftonne das Recycling verbessert wird, dass die Bürger ein besseres Angebot bekommen, aber nicht, dass sich die Marktchancen der einen oder anderen Firma verbessern.
({1})
Richten wir dann doch den Blick auf die Energiepolitik: Bundesumweltminister Altmaier hat die volle Unterstützung der FDP-Bundestagsfraktion,
({2})
wenn er sich darum bemüht, die Kosten der Energiewende im Griff zu behalten, und gleichzeitig mehr
Markt und Wettbewerb fordert. Wenn ich mir anschaue,
was die SPD zu diesem Thema von sich gegeben hat,
dann kann ich nur sagen: Das grenzt schon an Volksverdummung.
({3})
Meine Damen und Herren, wenn Herr Miersch behauptet - Herr Kindler hat es, glaube ich, auch gemacht -,
dass die Befreiung so vieler Unternehmen von der EEGUmlage der eigentliche Grund dafür sei, dass die Energiekosten steigen, dann - das muss ich sagen - vernebelt
er die wirklichen Gründe.
({4})
Außerdem behaupten Sie, wir würden eine Befreiung
nach dem Gießkannenprinzip vornehmen.
({5})
Man sollte sich einmal genau anschauen, was wir da getan haben. Wir haben nicht etwa die Kriterien, die Sie
damals unter Rot-Grün anscheinend für richtig gehalten
haben, geändert, wann eine Firma als energieintensiv
gilt. Unsere Änderungen haben nur zum Ziel gehabt,
dass nicht mehr allein die energieintensiven Großkonzerne von der Umlage befreit sind, sondern auch der industrielle Mittelstand mit diesen Großkonzernen gleichgestellt wird. Ihr Tun hingegen ist entlarvend. Die SPD
ist, wie unter Schröder, doch nichts anderes als der Genosse der Bosse. Wir kümmern uns um den Mittelstand,
Sie um die Großkonzerne - das ist der Unterschied zwischen Ihnen und dieser Bundesregierung.
({6})
Meine Damen und Herren, mein nächstes Thema ist
die Energieeffizienz im Gebäudesektor. Sie reden viel
darüber, wie wichtig dieses Thema ist. Wir haben die
Mittel für die Gebäudesanierung nicht auf drei Jahre befristet und auf 1,5 Milliarden Euro festgesetzt,
({7})
wie das die SPD-Minister getan haben. Nein, wir haben
ein dauerhaftes Programmvolumen von 1,5 Milliarden
Euro sichergestellt und hier im Deutschen Bundestag zusätzlich ein Gesetz zur steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung beschlossen. Das umfasst noch einmal
1,5 Milliarden Euro. Genau diese steuerlich geförderte
Gebäudesanierung wird von SPD und Grünen im Bundesrat blockiert, und zwar nicht etwa aus Gründen der
Gerechtigkeit. Die Bundesregierung hat ja den Bundesländern längst zugesagt, ihnen bei der Ausgestaltung
entgegenzukommen. Der eigentliche Grund ist, dass der
grüne Umweltminister von Baden-Württemberg und der
grüne Umweltminister von Nordrhein-Westfalen nicht
einen Euro eigenes Geld investieren wollen. Der Bund
soll alle Steuerausfälle übernehmen, auch die der Länder.
Das ist doch der eigentliche Punkt: Sie sind nur dann
für Umweltschutz, wenn Sie es nicht selber bezahlen
müssen. Wenn es Sie selber etwas kostet, ist Ihnen die
Gebäudesanierung nichts mehr wert.
({8})
Die Lebenslüge, die hier verbreitet wird, lautet doch:
Wir Grüne sind immer für den Umweltschutz. - Nein!
Wenn es Ihre eigenen Haushalte betrifft, dann sind Sie
gegen den Umweltschutz.
({9})
Herr Kindler kann hier so viele angebliche Papiere
der FDP-Fraktion zitieren, wie er will - es bleibt dabei:
Es gibt noch keine Positionspapiere der FDP oder der
FDP-Bundestagsfraktion zur Reform des EEG.
({10})
Wir sind die erste Partei, die sich konzeptionelle Gedanken macht. Voraussetzung ist dabei immer die Einhaltung der Ausbauziele der erneuerbaren Energien. Aber
- das haben Sie von den Grünen und den Roten immer
noch nicht verstanden -: Wir sind in einer neuen Phase
des Ausbaus der erneuerbaren Energien.
({11})
Es kommt nicht mehr nur darauf an, möglichst viele Anreize für den Bau neuer Anlagen zu setzen, sondern es
geht auch darum, dass der Strom durch die Anlagen
dann eingespeist wird, wenn der Kunde ihn braucht,
({12})
damit nicht bei ihm die Lichter ausgehen. Sie müssen
auch dort gebaut werden, wo bereits Netze vorhanden
sind, damit die Netzausbaukosten nicht horrend teuer
werden.
({13})
Der Punkt ist: Mit Ihrer alten Politik werden Sie nicht
vorankommen. Deswegen müssen Sie bereit sein, neue
Wege zu gehen.
Kollege Kauch, Sie sind auch in eine neue Phase Ihrer
Redezeit eingetreten. Ich bitte, das zu beachten.
- Die SPD hat gerade mehr als eine 1 Minute überzogen. - Wir arbeiten an nachfragegerechter Produktion,
damit Energie für die Konsumenten bezahlbar bleibt.
Vielen Dank.
({0})
Zur Erklärung für all diejenigen, die unseren Beratungen hier folgen: Es wird immer so sein - das ist so verabredet und guter Brauch in den Haushaltsberatungen -:
Wenn ein Redner einer Fraktion die verabredete Redezeit überzieht, wird dem nächsten Redner dieser Fraktion diese Überziehung auf seine Redezeit angerechnet,
das heißt, er hat dann weniger Redezeit. Das gilt für die
Oppositionsfraktionen ganz genauso wie für die Regierungsfraktionen. Damit sollte das klargestellt sein.
Vizepräsidentin Petra Pau
Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Finden sich in diesem Haushaltsentwurf
Mittel zur Erforschung preiswerter Technologien zur
Abwasseraufbereitung und zur Anpassung dieser Systeme an weniger Menschen? Nein. Werden Gelder bereitgestellt, um Wege für das Medikamentenproblem im
Wasser zu finden? Nein. Gibt es ausreichend Bundesprogramme, um Kommunen Investitionen in Abwassersysteme zu ermöglichen, ohne dass die Kosten für Anwohnerinnen und Anwohner extrem steigen? Nein.
Also werde ich am Beispiel Abwasser belegen, dass
dieser Haushaltsentwurf auch außerhalb des Energiethemas mangelhaft ist.
Milliarden wurden in Klärwerken und Abwasserkanälen verbaut, finanziert aus öffentlichen Mitteln vergangener Haushalte und aus Gebühren. Der Zustand unserer
Flüsse hat sich dadurch verbessert. Aber es gibt weitere
und neue Probleme beim Wasser.
Der Bevölkerungsschwund in weiten Gebieten des
Ostens, Teilen von Nordrhein-Westfalen, von Nordhessen und anderswo sorgt für deutlich weniger Abwasser
in den Kanälen - mit fatalen Folgen. Fließt das Abwasser zu langsam durch die Kanalisation, weil diese zu
groß ist, bilden sich Schwefelwasserstoffe, bekanntlich
die stinkenden Faulgase. Diese zerstören die Kanäle.
Statt 80 Jahre zu halten, wie geplant, müssen erste Kanäle nach 15 Jahren erneuert werden. Menschen und Firmen in den Regionen mit Bevölkerungsverlust werden
doppelt bestraft. Die Kanäle gehen eher kaputt und getätigte Investitionen und Betriebskosten verteilen sich auf
weniger Schultern.
Wurde eine Kläranlage für 50 000 Einwohner gebaut
und die Einwohnerzahl sinkt um die Hälfte, auf 25 000,
so müssen die Verbliebenen die hohen Investitionen und
die Betriebsausgaben komplett tragen. Die Kosten für
die im Abwasserpreis enthaltenen Umlagen steigen dann
von 2,50 Euro je Kubikmeter auf 5 Euro je Kubikmeter.
Unbezahlbar.
Medikamente sind notwendig für uns Menschen, aber
ihre Reste schaden der Umwelt und müssen raus aus
dem Wasser. Gedacht wird an neue Reinigungsstufen in
den Klärwerken. Das würde viel kosten. Die Abwasserund Entwässerungssysteme müssen mit mehr Starkniederschlägen und größeren Niederschlagsmengen, einer
Folge des Klimawandels, klarkommen. Die Anpassung
kostet.
Zu all diesen Punkten findet sich in Ihrem Haushaltsentwurf nichts. Für FDP und CDU scheint dies kein Problem zu sein. Für die Bürgerinnen und Bürger in Thüringen ist es das schon. In anderen Bundesländern verhält
es sich ebenfalls so. In Thüringen wehren sich die Bürger mit dem „Volksbegehren für gerechte und bezahlbare
Kommunalabgaben“ gegen diese Politik. Das unterstützt
die Linke.
({0})
Verbraucherinnen und Verbraucher müssen zahlen,
Baukonzerne verdienen. Die Großkonzerne - Lieblingsklientel dieser Koalition - sind auch beim Wasser wieder
einmal nicht betroffen; denn für diese gibt es großzügige
Ausnahmeregelungen - aus wirtschaftlichen Gründen
wie bei Kali und Salz.
Der Pharmaindustrie werden Forschungsmillionen
zugesteckt. Aber fördert man auch Forschungen zur Bekämpfung von Medikamentenresten im Abwasser? Dazu
habe ich im Haushalt nichts gefunden.
Die Linke fordert eine kommunale Investitionspauschale und eine unabhängige Medikamentenforschung,
auch für eine echt soziale und ökologische Abwasserwirtschaft.
Nun ein anderer Punkt. Umweltpolitik erfordert
Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Mit der Glaubwürdigkeit hapert es. Das Atommüllendlager Gorleben ist ein
Beispiel für Wort und Tat dieser Regierung. Im Haushaltsentwurf werden für 2013 und im Finanzplan ab
2014 jedes Jahr 76 Millionen Euro für das Endlager in
Gorleben bereitgestellt. Für die Suche nach alternativen
Atommülllagerorten werden jedoch nur 3,5 Millionen
Euro veranschlagt. Zwar wirbt Herr Altmaier für eine ergebnisoffene Lagersuche, aber die Zahlen beweisen: Sie
haben sich längst auf Gorleben festgelegt. Die Linke
sagt: Tauschen Sie die Zahlen! Geben Sie 3,5 Millionen
Euro für die sichere Schließung von Gorleben aus, und
investieren Sie 76 Millionen Euro in die Suche nach alternativen Lagerstätten!
({1})
Jetzt komme ich zu einem positiven Punkt des Haushalts. Erstmals stellt diese Regierung explizit Mittel für
die Stromspeicher- und Übertragungsnetzforschung bereit; das fordert die Linke seit Jahren. Das ist ein wichtiger Schritt, und wenn Sie jetzt noch unsere Forderungen
nach Last- und Stromerzeugungsmanagement übernehmen, dann könnten Sie die eine oder andere geplante
Stromleitung weglassen - ein Baustein für eine preiswerte Energiewende.
Für die Linke ist dieser Haushalt Stückwerk. Er bearbeitet partiell einige Umweltprobleme, aber es fehlt ein
Gesamtkonzept. Die Linke arbeitet an ihrem Gesamtkonzept für eine soziale, ökologische und demokratische
Gesellschaft. Unser Plan B für den sozialen, ökologischen und demokratischen Umbau ist eine Alternative
zur jetzigen Planlosigkeit. Herr Minister, nehmen Sie die
Anregungen aus unserem Plan B auf. Menschen und
Umwelt werden es Ihnen danken. Ein Exemplar werden
Sie von mir erhalten.
Vielen Dank.
({2})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Ulrich
Petzold.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Lenkert, wir würden ja an der einen oder
anderen Stelle gerne etwas mehr ausgeben; aber bitte
denken Sie daran: Allein in diesem Haushalt geben wir
noch 300 Millionen Euro aus, um die Altlasten des
DDR-Bergbaus und der Wismut zu beheben. Was könnte
man mit 300 Millionen Euro alles anfangen?
({0})
Ich habe allerdings den Eindruck, dass der vorhergehende Redner über alles Mögliche gesprochen hat, nur
nicht über den Haushalt. Erlauben Sie mir deshalb, dass
ich wieder etwas stärker auf den Haushalt zurückkomme.
Ein Haushalt in einer finanzpolitisch unsicheren Situation kann eigentlich nur ein Sparhaushalt sein. Umso
bemerkenswerter ist es, wenn in dieser Situation der
Haushalt eines Ressorts einen Aufwuchs erfährt.
({1})
Herr Bundesminister, Sie haben es geschafft: Ein Volumen von 1,6 Milliarden Euro bedeutet einen Aufwuchs
um 3,4 Prozent.
Nun höre ich gleich wieder: Das geht ja nur in den
Verwaltungshaushalt. Ja, gerade bei den Personalausgaben habe ich seit Jahren eine Stabilisierung eingefordert;
gerade darauf entfällt ein wesentlicher Anteil bei der
Steigerung des Verwaltungshaushalts. Die kegelgerechte
Stelleneinsparung, die über Jahre hinweg einen undifferenzierten Personaladerlass in den Ministerien veranlasst
hat, wird für das Haushaltsjahr 2013 nicht mehr angewandt. Um sich ein Bild davon zu machen, was da in
den vergangenen Jahren gelaufen ist, muss man sich vergegenwärtigen, dass zum Beispiel eine Behörde wie das
Umweltbundesamt mit etwas über 1 100 festen Stellen
seit 2004 etwa 155 Stellen abgeben musste - und das bei
einer deutlichen Ausweitung der Aufgaben.
Es ist richtig, nicht immer mehr Aufgaben an externe
Einrichtungen abzuschieben. Das war aber die Folge,
wenn man die Personalausgaben senkt und den Programmhaushalt ausweitet. Ministerien und Behörden
müssen ihre Kernkompetenzen behalten, um ihren Aufgaben bei der Kontrolle und als Vordenker für Entwicklungen gerecht werden zu können.
Nun muss man jedoch auch fragen: Erfolgt dieser
Schritt in einem Umfang und in einer Art und Weise, wie
es uns Fachpolitikern gefällt, sodass wir ihn nur noch
durchzuwinken brauchten? Mit Sicherheit nicht. Es ist
absolut richtig, dass im Zusammenhang mit der Energiewende im Ministerium ein Zuwachs von mehr als
40 neuen Planstellen erfolgt, sind doch mit der Energiewende mehr als 120 Maßnahmen und ein umfassendes
Berichtswesen verbunden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wer Kritik an fehlender Abstimmung zwischen Bund und Ländern übt,
({2})
der möge doch bitte schön auch sagen, wie das Ganze
ohne neues Personal richtig funktionieren soll.
Auch die 50 neuen Stellen für das Projekt „Asse“
beim Bundesamt für Strahlenschutz sind sicherlich nicht
zu beanstanden. Doch müssen wir noch einmal genauer
hinsehen, ob hier alle Stellen gleichzeitig und mit gleicher Dauer zu besetzen sind, zumal über die Art und
Weise der Rückholung der in der Asse eingelagerten Abfälle noch keine Klarheit besteht und auch der Überblick
über tatsächlich eingelagerte Materialien und deren Lagerort noch aussteht.
Was ich im Rahmen der Endlagerung sorgenvoll sehe,
ist die Tatsache, dass der Betrieb und die Kontrolle der
Endlager Asse und Morsleben in einer Hand liegen,
nämlich in der Hand des BfS. Das ist beileibe kein Misstrauensantrag gegen die Betriebsführung des BfS, aber
aus leidvoller Erfahrung im Sozialismus, wo ich immer
wieder erleben musste, was passiert, wenn der Staat sich
selbst kontrolliert, finde ich, dass eine stärkere Trennung
zwischen Betrieb und Aufsicht vollzogen werden sollte
({3})
oder aber zur Aufsicht und Kontrolle eine zweite Institution herangezogen werden sollte.
({4})
Im Bundesumweltamt sind entsprechende Kompetenzen
vorhanden, die dazu genutzt werden könnten.
Dass die neuen Stellen im Bundesamt für Naturschutz
ganz überwiegend zur Beschäftigung mit Offshorewindkraft und den dafür erforderlichen Netzausbau vorgesehen sind, ist in Anbetracht der forcierten Energiewende
nur logisch und zeigt an dieser Stelle deutlich, dass diese
Koalition mit dem Energieumbau Ernst macht.
Leider setzt sich dies im Umweltbundesamt nicht fort.
Von den 19 dafür beantragten Stellen wurde nicht eine
einzige bewilligt. So wird der Behörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben in diesem Bereich einmal mehr kaum etwas anderes übrig bleiben, als weitere Stellen über den
Aushilfskräftetitel oder über Ausgabenreste zu finanzieren.
Diese Mittel wurden leider schon in der Vergangenheit
sehr stark strapaziert. Wenn ich vorhin von 1 100 Stellen
im Umweltbundesamt gesprochen habe, so war das nur
die halbe Wahrheit. Aktuell sind beim UBA etwa
1 550 Mitarbeiter beschäftigt. Davon sind 470 mit einem
Zeitarbeitsvertrag ausgestattet und sitzen ständig auf gepackten Koffern.
({5})
Dies bringt nicht nur ein Zweiklassenbeschäftigungssystem mit sich. Es bedarf auch nur wenig Phantasie, um
sich vorzustellen, dass die Arbeitsmoral derer, die einen
solchen Arbeitsplatz haben, der von einem Jahr auf das
andere verlängert wird, nicht so gut ist.
({6})
So ist es für mich ein wesentliches Ziel in den Haushaltsberatungen, auch in diesem Jahr wieder, zumindest
im finanzierten Bereich befristete Stellen in Dauerstellen
umzuwandeln. Dies erfolgt haushaltsneutral. Es wird sogar zu kostenneutralen Verbesserungen der Arbeit in den
Behörden führen.
({7})
Damit würde auch ein Zeichen der Anerkennung der Arbeit der Beschäftigten in diesen Behörden gesetzt, genauso wie mit dem Neubau eines Verwaltungstrakts
beim UBA. Wenn hier ein aus Haushaltsresten finanziertes hochmodernes Bürogebäude im Plus-Energie-Standard entsteht, sollten auch die darin beschäftigten Arbeitnehmer diesem Standard entsprechende Arbeitsverträge haben.
({8})
Vielleicht nun doch ein paar Worte zum Programmhaushalt. Auf den ersten Blick sieht es wirklich nicht
schön aus, wenn hier ein Minus von 2,4 Prozent steht, das
etwa 19 Millionen Euro ausmacht. Doch allein 15 Millionen Euro der Kürzung entfallen auf den Titel „Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastungen“. Damit
sind Großprojekte wie die bei der Salzgitter Flachstahl
GmbH oder der ArcelorMittal Eisenhüttenstadt GmbH
gefördert worden. Bei dem letztgenannten Projekt mussten sogar 26 Millionen Euro von 2011 auf 2012 übertragen werden, weil es Terminverzögerungen gab. So ist es
richtig, dort, wo Mittel nicht abfließen, den Haushaltsansatz zu kürzen. Wenn die in Vorbereitung befindlichen
Projekte wie die Förderinitiative für die Abgasnachbehandlung von Seeschiffen oder die Initiative zur Förderung umweltfreundlicher Schienengüterfahrzeuge den
erforderlichen Zulassungsstand haben, kann es jedoch
sinnvoll sein, auch diesen Haushaltsansatz wieder zu
stärken.
Kritisch sehe ich auch den Mittelabfluss im Bereich
der Umweltforschung. Hier sehen wir jetzt eine Ausweitung um 10 Prozent vor.
Auch bei der Förderung von Partikelfiltern gerade für
leichte Nutzfahrzeuge haben wir gehandelt. Dass wir damit etwas für den Mittelstand tun, finde ich absolut richtig.
({9})
Ich glaube, dass dieser Haushaltsentwurf eine sehr
gute Diskussionsgrundlage bietet. Herr Minister, ich
glaube, wir werden sehr gute Haushaltsgespräche führen. Ihr Entwurf ist sehr gut.
Danke.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute den ersten Haushaltsentwurf, den der
neue Minister nach Übernahme seines Amtes vorlegt.
Daher ist es ganz logisch, dass wir uns anschauen, was
Sie, Herr Altmaier, bisher gemacht haben, und direkt Bilanz ziehen.
Sie haben eigentlich Glück gehabt. Ihr Vorgänger ist
zurückgetreten worden. Das gibt einen Sympathiebonus
für den Nachfolger. Wenn der gemütliche, kommunikative Herr Altmaier herbeikommt, dann denkt man automatisch: Das mit dem Amt, das muss gelingen.
({0})
Trotzdem gilt immer noch der alte Spruch des CDUKanzlers Kohl, der gesagt hat: Entscheidend ist, was hinten rauskommt.
({1})
Deshalb werden wir das, was Sie machen, genau unter
die Lupe nehmen.
Die Frage, Herr Altmaier, ist: Reicht es, nett zu sein?
Wir haben uns deshalb einmal - Herr Miersch hat ja darauf hingewiesen, dass wir von Ihnen als Umweltpolitiker in der Vergangenheit noch nicht so viel gehört haben das Zehn-Punkte-Programm vorgenommen. Da habe ich
mir einen Bereich angesehen, der für jeden Umweltminister eigentlich das Herzstück ist, nämlich den Naturschutz. Sie, Herr Minister, haben ja vorhin selbst gesagt,
Ihnen liege der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen
besonders am Herzen.
Ich weiß, dass auch Sie, Herr Ruck, für den Naturschutz brennen, wie es Herr Miersch gesagt hat. Wenn
Sie sich nun aber diese Passage anschauen, dann merkt
man, warum es notwendig ist, dass Sie, Herr Ruck, sich
so demonstrativ hinter den Minister stellen. Im ZehnPunkte-Programm steht nämlich: „Die Belange des Naturschutzes haben für mich einen hohen Stellenwert“.
Schön! Dann geht es aber einzig und allein um die Kompensationsverordnung. Diese hat übrigens Herr Röttgen
schon auf den Weg gebracht. Was heißt das? Das heißt
Eingriffsregelung. Das heißt verstärkte Eingriffsbewältigung. Das heißt Rücksichtnahme - so steht das hier
schön - auf die Landwirtschaft, Rücksichtnahme auf die
Planungserfordernisse der neuen Infrastruktur. Das heißt
letzten Endes Naturzerstörung.
Das Einzige, was Sie hier zum Naturschutz schreiben,
ist: Wie bewältige ich die Naturzerstörung? Das HauptBärbel Höhn
instrument, das Sie hier bringen, ist das Ersatzgeld. Sie
sehen die Kompensation für den Naturschutz einzig und
allein als Ablass: Wir können zahlen, wenn wir die Natur
zerstören. - Das, Herr Altmaier, was Sie hier geschrieben haben, ist ein Armutszeugnis.
({2})
Ich sage das auch deshalb, weil das aus meiner Sicht
ein Stück weit Ihr Problem ist, Herr Altmaier. Sie verstehen sich heute immer noch als Parlamentarischer Geschäftsführer, nicht mehr und nicht weniger. Sie haben
es bis heute nicht geschafft, Anwalt der Umwelt zu sein.
Das zu sein, erwarten wir von Ihnen. Als Minister haben
Sie sich für die Umwelt einzusetzen und nicht wie ein
Parlamentarischer Geschäftsführer nur die verschiedenen Positionen zusammenzubringen. Bei der Art, wie
Sie jetzt Politik machen, kommt nämlich heraus, dass
der Wirtschaftsminister sich durchsetzt, dass der Verkehrsminister sich durchsetzt, dass alle Kollegen sich am
Ende durchsetzen, der Anwalt für die Umwelt aber allein
Kommunikation macht. Das reicht nicht. Setzen Sie sich
endlich einmal für Ihr Ressort ein!
({3})
Es ist schon ein Ding, wenn der Bundesumweltminister sagt, wir wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien drosseln, wir wollen den Ausbau des Ökostroms
bremsen, und sich hier stolz hinstellt und verkündet, dass
die Investitionen in Photovoltaik zurückgegangen sind.
Für was wollen Sie das drosseln? Sie wollen am Ende
mehr Raum für Kohle und Atom. Vielleicht ist es nicht
das, was Sie wollen. Aber es ist die Folge von dem, was
Sie tun.
({4})
Deshalb, Herr Altmaier, sage ich Ihnen: Setzen Sie sich
ein für den Ausbau der Erneuerbaren, und setzen Sie
sich nicht, wie Sie es momentan machen, für die Interessen von Kohle und Atom ein!
({5})
Ja, wir sind in einer neuen Phase. Die Einspeisevergütung für Strom aus Photovoltaikanlagen liegt in diesem
Jahr weit unter dem Preis, den wir für Strom bezahlen
müssen. Für Strom aus einer Dachanlage, die in diesem
Monat auf das Dach gebaut wird, wird pro Kilowattstunde eine Vergütung von 17,5 oder 18,5 Cent gezahlt.
Das liegt weit unter den 26,5 Cent, die an den Energieversorger bezahlt werden müssen. Ihre Aufgabe wäre es,
genau diese Initiativen zu stärken, jetzt zu sagen: „Eigenstromverbrauch!“, jetzt zu sagen: „Photovoltaik auf
die Mietshäuser“, jetzt zu sagen: „Genossenschaften, die
stärken wir“. Das wäre die Antwort auf den Vorstoß der
FDP: Wir wollen Wettbewerb. Wir wollen nicht Ihr Quotenmodell, das am Ende nur den großen Energiekonzernen wieder mehr Gewinn bringt. Wir brauchen Wettbewerb. Wir wollen die Kleinen stärken; denn der
Durchmarsch ist jetzt möglich. Wir könnten genau diese
Phase für die erneuerbaren Energien nutzen.
({6})
Kollegin Höhn, gestatten Sie eine Frage des Kollegen
Altmaier?
Na klar. Bitte, Herr Altmaier.
Frau Kollegin Höhn, ist Ihnen bekannt, dass die Änderungen des EEG, die zu dem Rückgang der überhöhten
Zubauquoten geführt haben, im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss mit allen Vertretern von Bündnis 90/
Die Grünen, unter anderem auch drei Umweltministern
von Bündnis 90/Die Grünen, verhandelt und beschlossen
worden sind,
({0})
weil wir alle der Auffassung waren, dass wir einen verlässlichen Ausbaupfad brauchen, der in dem Rahmen
liegt, wie er im Energiekonzept der Bundesregierung für
erneuerbare Energien vorgesehen ist?
Herr Altmaier, ich war in dem Ministerium, als wir
mit Ihnen zusammen genau diese Verhandlungen geführt
haben. Deshalb habe ich mich auch für diese Regelung
eingesetzt. Aber Ihre Aufgabe ist etwas ganz anderes.
({0})
Die Photovoltaik braucht momentan nicht Geld, sondern die Photovoltaik braucht Rahmenbedingungen. Setzen Sie sich endlich dafür ein, dass ein Mehrfamilienhausbesitzer einfacher Strom an seine Mieter verkaufen
kann! Hauen Sie die Blockaden weg! Stärken Sie die
Energiegenossenschaften! Das bringt den Markt voran.
Das erwarte ich von Ihnen, Herr Altmaier, und nicht,
dass Sie sagen: Wir drosseln die Windkraft in Süddeutschland oder die erneuerbaren Energien insgesamt. Das ist nicht Ihr Job.
({1})
Sie haben dafür zu stehen, dass wir Arbeitsplätze
schaffen. Sie haben nicht für das zu stehen, was Ihr Koalitionspartner, die FDP, will. Die FDP will das EEG abwürgen; das steht sogar in dem mir hier vorliegenden Papier.
({2})
Das ist genau die Antwort. - Hier steht: „Der weitere
EE-Ausbau würde zunächst einmal komplett zusammenbrechen …“
({3})
Das ist das, was Ihr Koalitionspartner will: das Quotenmodell.
Wir bieten Ihnen, Herr Altmaier, an: Lassen Sie uns
die Verhältnisse vor Ort verbessern. Sie brauchen den
Netzausbau viel weniger, wenn Sie die Kräfte vor Ort
stärken. Je mehr wir es schaffen, den Strom, der produziert wird, vor Ort zu verbrauchen und gar nicht mehr ins
Netz einzuspeisen, desto weniger Ausbau der Netze
brauchen wir. Glauben Sie nicht den vielen früheren
Aussagen, dass der große Netzausbau an jedem Punkt
notwendig ist. Wir Grüne wollen ihn, und zwar an wichtigen Stellen, aber vor allen Dingen wollen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien in der Region. Das können wir jetzt schaffen. Das sollten Sie sich endlich
einmal auf Ihre Fahnen schreiben.
({4})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Bernhard
Schulte-Drüggelte das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Höhn, wir wollen nichts weghauen. Unser
Ziel ist eine erfolgreiche Bewältigung der Energiewende. Daran sind selbstverständlich mehrere Ressorts
beteiligt; das ist doch völlig klar. Das gemeinsame Ziel
ist - Sie haben den Begriff gerade gebraucht -, Rahmenbedingungen zu schaffen, um in den nächsten zehn Jahren den Ausstieg aus der Kernenergie und den Umbau zu
erneuerbaren Energien zu erreichen. Das ist das gemeinsame Ziel. Das bedeutet, dass wir die erneuerbaren Energien, vor allen Dingen die Windenergie, ausbauen müssen; das ist klar. Aber das bedeutet auch die Integration
in das gesamte Energiesystem. Das verlangt ein fundiertes Monitoring. Das gehört zusammen.
Die Mehrheit der Deutschen - das muss man aufgrund von Umfragen klar feststellen - ist für diese Energiewende. Alle müssen daran mitarbeiten. Sie haben
dem Minister vorgehalten, immer noch wie ein Parlamentarischer Geschäftsführer zu handeln. Ich zitiere ihn
jetzt als Anwalt für die Umwelt. Er hat Folgendes gesagt: Wir brauchen selbstverständlich einen Konsens,
aber nicht nur hier im Bundestag. Wir brauchen einen
Konsens, der von allen wesentlichen Akteuren mitgetragen wird, vom Bund, von den Bundesländern, selbstverständlich auch von den Parteien, von den Energieerzeugern, von den Netzbetreibern, aber auch von den
Bürgerinnen und Bürgern.
Eigentlich ist das vollkommen klar, aber es gibt eine
Stelle in der Republik, wo man das vielleicht noch nicht
weiß. Ich möchte dieses Negativbeispiel noch einmal
nennen; es wurde hier bereits erwähnt. Es geht um die
Gebäudesanierung. Das Gesetz zur steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung hängt im Bundesrat. Die
Ziele sind Energieeinsparung und Energieeffizienz. Das
sind doch richtige Ziele. Frau Höhn, Sie haben doch Einfluss in Nordrhein-Westfalen. Sie haben vorhin gesagt,
der Minister sei so nett. Ich weiß nicht, ob auch Sie so
nett sind. Aber seien Sie einmal nicht nett, setzen Sie
sich in Nordrhein-Westfalen durch, und beenden Sie die
Blockade im Bundesrat. Das wäre etwas, was Sie machen könnten.
({0})
Kollege Schulte-Drüggelte, gestatten Sie eine Frage
des Kollegen Kelber?
Von wem? - Ach, von Ihnen, Kollege Kelber.
({0})
Bitte, selbstverständlich.
Wir haben uns bisher immer gegenseitig die Fragen
gestattet. - Sie haben eben über Nordrhein-Westfalen im
Zusammenhang mit der Gebäudesanierung eine ähnliche
Behauptung aufgestellt wie vorhin der Kollege Kauch,
bei dessen Rede man leider aufgrund des Stakkatos der
Worte nicht dazu kam, eine Zwischenfrage zu stellen.
({0})
Ist Ihnen bekannt, dass Nordrhein-Westfalen die Mittel
für energetische Gebäudesanierung in Landesprogrammen aufgestockt hat? Ist Ihnen als Haushälter der Unionsfraktion auch bekannt, dass Sie hingegen die Mittel für
Gebäudesanierung im Bundeshaushalt von 2,5 Milliarden
Euro in 2009 auf irgendwo zwischen 500 und 900 Millionen Euro deutlich reduziert haben? Ist das vielleicht
einer der Gründe, warum die Länder nicht gern die Lückenbüßer für die Bundesregierung spielen wollen?
Ich möchte Ihnen wie folgt antworten: Ist Ihnen bekannt, dass dem Bundesrat ein Paket von 1,5 Milliarden Euro vorliegt?
({0})
- Nein. Sie dürfen auch Bemerkungen machen; Sie müssen nicht immer nur fragen. Das ist hier im Bundestag
erlaubt.
({1})
Ist Ihnen also bekannt, dass dem Bundesrat ein Paket mit
einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro vorliegt, mit
dem die Energieeffizienz in Gebäuden verbessert werden könnte
({2})
und das dafür sorgen würde, dass viele Menschen Aufträge bekommen? Meinen Sie nicht, dass es richtig wäre,
die Blockade aufzugeben und auch im Bundesrat verantwortlich zu handeln? Das ist meine Frage an Sie.
({3})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, keine andere
Nation der Welt hat sich so hohe Ziele gesetzt wie
Deutschland. Das bedeutet natürlich auch eine große Verantwortung. Es ist natürlich völlig klar, dass Deutschland
ein wettbewerbsfähiger Industriestandort bleiben muss.
Die Kosten der Energiewende dürfen nicht außer Kontrolle geraten; das ist ebenfalls völlig klar. Energie muss
bezahlbar sein, auch für Menschen mit geringerem Einkommen - ganz selbstverständlich.
Im Haushalt des Bundesministeriums - das wurde vorhin schon angedeutet - sind richtigerweise Verstärkungen
vorgenommen worden, im Sachbereich, aber auch im Personalbereich. Aus dem Energie- und Klimafonds, der
vorhin kritisiert wurde, fließen 521 Millionen Euro in
den Einzelplan des Umweltministeriums; das ist absolut
positiv. Die 40 Stellen, die neu geschaffen werden, sind
bereits erwähnt worden; auch das ist eine richtige Maßnahme.
Im nachgeordneten Bereich werden ebenfalls neue
Stellen geschaffen; auch hier kommt es also zu Verstärkungen. Als Beispiel nenne ich das Bundesamt für
Naturschutz; Stephan Thomae hat gerade die besondere
Bedeutung des Naturschutzes angesprochen. Diese Maßnahmen sind richtig, da das Bundesamt für Naturschutz
in der Lage sein muss, die Begutachtung von Offshoreanlagen vernünftig durchzuführen. Man kann schließlich
nicht einfach sagen: Wir bauen Offshoreanlagen, aber
die Naturschutzgesichtspunkte werden nicht ausreichend
berücksichtigt. - Deshalb ist es richtig, dass zukünftig
mehr Personal zur Verfügung steht, um diese Vorgänge
zu begleiten. Das ist auf jeden Fall zu unterstützen.
({4})
Das Volumen des Einzelplans 16 steigt auf insgesamt
1,65 Milliarden Euro. Die Mittel werden um 54 Millionen Euro erhöht. Das entspricht einer Steigerung um
3,4 Prozent; das ist schon angesprochen worden.
Herr Miersch, Sie haben vorhin gesagt: Es bringt
nichts, isoliert zu denken. - Es ist völlig klar, dass das
nichts bringt. Es bringt aber auch nichts, die Augen vor
den Zusammenhängen zu verschließen.
({5})
- Ja, das ist völlig klar. - Umweltschutz ist eine Querschnittsaufgabe, die auch in anderen Ressorts ihren Niederschlag findet. Vor diesem Hintergrund möchte ich
Ihnen die wesentlichen Zahlen nennen: Im Gesamthaushalt 2013 sind Ausgaben von rund 7,5 Milliarden Euro
veranschlagt; dies betrifft natürlich nicht nur den Umweltbereich. Hinzu kommt das Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ mit weiteren 2,1 Milliarden Euro.
Das zeigt die große Bedeutung, die der Umweltschutz
für diese Koalition hat. Das zeigt aber auch, dass der
Umwelthaushalt im Einklang mit den haushaltspolitischen Zielvorgaben steht. Heute Morgen ist in der allgemeinen Debatte bereits deutlich gemacht worden: Das
Ziel ist eine wachstumsfreundliche Konsolidierung.
({6})
Auch die Investitionsausgaben werden steigen, und
zwar von 704 auf 723 Millionen Euro. Dies betrifft auch
den Umweltbereich: von Investitionen in erneuerbare
Energien bis hin zur Finanzierung von Demonstrationsprojekten zur Vermeidung von Umweltbelastungen. Das
ist sehr positiv zu beurteilen.
({7})
Nun zu den Ausgaben für Wissenschaft und Forschung. Es wird ja immer wieder ganz allgemein gesagt:
Dieser Bereich ist im Augenblick der wichtigste Bereich. - Auch hier steigen die Ausgaben, und zwar von
189 auf 202 Millionen Euro. Hinzu kommen Mittel aus
dem Bundesministerium für Bildung und Forschung,
über dessen Etat gleich im Anschluss diskutiert wird. So
sind 952 Millionen Euro für die Grundlagenforschung
zum Umweltschutz vorgesehen. All das sind positive
Maßnahmen. Sie machen deutlich, welch große Bedeutung dieser Bereich für die Koalition hat.
({8})
Diese Maßnahmen sollte man begrüßen und unterstützen.
Vielleicht gibt es ja im Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeit ein Lob von Ihnen.
({9})
Wenn ein Ministerium Öffentlichkeitsarbeit betreibt,
sagt die Opposition normalerweise: Das ist etwas ganz
Schlimmes. - Ich bin der Meinung, dass es richtig ist,
über die einzelnen Maßnahmen zu informieren. Deshalb
ist es richtig, dass der Haushalt des Ministeriums
4,3 Millionen Euro für Öffentlichkeitsarbeit enthält.
Wenn man das einmal mit dem Vorjahr vergleicht, dann
stellt man fest, dass es 600 000 Euro bzw. über 12 Prozent weniger sind - und das in einem Wahljahr. Ich
würde sagen, die Opposition müsste an dieser Stelle einmal klatschen.
({10})
Ein zentrales Förderinstrument ist das Marktanreizprogramm; Frau Kofler hat das vorhin angesprochen.
Auch das bleibt ein zentrales Förderinstrument. Durch
den Energie- und Klimafonds werden diese Mittel erhöht, sodass dafür im nächsten Jahr mehr Geld als im
laufenden Jahr zur Verfügung stehen wird.
Ich will auch noch etwas zu den Stellen sagen, die
hier schon angesprochen wurden: Nur in den Bereichen,
die eine besonders große Bedeutung haben, gibt es neue
Stellen. Das ist zum einen bei dem Bereich, der mit der
Energiewende zu tun hat - ein Kollege hat mir vorhin
gesagt, weshalb es neue Stellen gibt -, und zum anderen
bei der Schachtanlage Asse der Fall. Deshalb will ich
auch etwas zur Schachtanlage Asse sagen.
Für die Bewältigung der Energiewende werden
40 neue Stellen geschaffen, für die Schachtanlage Asse
sind es 50. Das zeigt eindeutig, dass die Absicht besteht,
das Problem Asse, wie ich es nennen möchte, zu lösen.
Dazu gehören eine Stabilisierung, eine Notfallvorsorge,
eine beschleunigte Faktenerhebung und der Bau des
neuen Schachtes 5.
Dieser Problemschacht Asse wird 2013 einen Schwerpunkt bilden. Der Ansatz dafür wird um 42 Millionen
Euro auf 142 Millionen Euro erhöht. Das ist aber nur
eine relativ geringe Summe. Die Gesamtsumme wird
sehr viel höher sein. Dieser Problemschacht Asse bildet
das eigentliche Risiko im Einzelplan 16.
Herzlichen Dank.
({11})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
mir nicht vor.
Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung,
Einzelplan 30.
Das Wort hat die Bundesministerin Professor
Dr. Annette Schavan.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die wichtigste Grundhaltung
in Zeiten der Unsicherheit ist die Fähigkeit, sich auf
Neues und Unerwartetes einzustellen. Die beste Geldanlage, die eine Gesellschaft in Zeiten des Wandels tätigen
kann, sind Investitionen in das Wissen, das Können und
die Bildung ihrer Bürgerinnen und Bürger. Davon sind
auch die Haushalte für das Jahr 2013 - der Gesamthaushalt der Bundesregierung und ganz besonders auch der
des BMBF - geprägt.
({0})
Dass wir schon seit einer Reihe von Jahren konsequent Schulden abbauen und konsequent mehr in Bildung und Forschung investieren, trägt Früchte. Dass das
nicht nur ein Anliegen des fachlich zuständigen Ressorts, sondern auch der Bundesregierung insgesamt ist,
ist heute Morgen aus der Rede des Bundesfinanzministers sehr deutlich geworden. Die Früchte sind: deutliche
Steigerung und deutliche Stärkung der Innovationskraft
in Deutschland, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit,
deutlich höhere Attraktivität des Forschungsstandortes
und vor allem weitere Stabilisierung der Zukunftschancen der jungen Generation. Zukunftschancen der jungen
Generation: Das ist unser großes Thema - gerade jetzt in
Europa.
({1})
Die Zahlen für Europa sind erschreckend. Ein Viertel
der jungen Menschen im Alter bis zu 25 Jahren ist ohne
berufliche Perspektive. In einzelnen Ländern, beispielsweise in Spanien, sind es bis zu 50 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland ist im vergangenen Juni
auf 7,9 Prozent zurückgegangen.
({2})
Der neue EU-Jugendbericht, den die EU-Kommission
am Montag veröffentlicht hat, bestätigt diese Entwicklung. Er zeigt, dass es deutlich bessere Chancen für die
junge Generation als noch vor einigen Jahren gibt.
({3})
Dafür gibt es viele Gründe. Ein Grund ist der Teil unseres Bildungssystems, der die berufliche Bildung betrifft. Bei der dualen Ausbildung handelt es sich um ein
weit verzweigtes Feld an unterschiedlichen Möglichkeiten und unterschiedlichen Bildungsgängen als Herzstück
der beruflichen Bildung. Ich sage aus aktuellem Anlass,
weil die OECD heute ihren Jahresbericht vorgelegt hat:
Ich habe kein Verständnis dafür, dass die OECD auch in
diesem Jahr wieder die Gleichwertigkeit der beruflichen
Bildung konterkariert, indem sie erklärt, dass Kinder von
Akademikereltern, die selbst nicht den Weg der akademischen Bildung gehen, sondern eine Ausbildung absolvieren, in die Kategorie Abstiegsmobilität fallen. Das ist
abwegig und ganz und gar unverträglich mit der Tatsache, dass sich immer mehr Länder, übrigens auch in
Europa, für unsere duale Ausbildung stark interessieren.
({4})
Deshalb sage ich: Duale Berufsausbildung ist so etwas wie ein bildungspolitischer Anker in der Krise.
Kollegen aus Spanien, Portugal, Italien, Finnland, die
Deutschland besuchen, sagen: Weiterentwicklung, Modernisierung und Internationalisierung der Bildungssysteme, das muss heißen, berufliche Bildung zu etablieren. Große Unternehmen wie SEAT haben angekündigt, das
duale Ausbildungssystem zu übernehmen.
Ganz wichtig ist: Beim Europäischen Qualifikationsrahmen, den wir in Deutschland zurzeit umsetzen, ist die
Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung an wichtigen Stellen durchgesetzt. Deshalb können
und werden wir nicht akzeptieren, dass der Weg hin zum
Optiker, zum Zahntechniker, zum Schreiner, zum Mechatroniker als Abstieg angesehen wird. Für die Deckung des Fachkräftebedarfs, für die Schaffung stabiler
beruflicher Perspektiven, für den Weg in die Selbstständigkeit, für den Weg, ein Unternehmen zu gründen, ein
Unternehmen zu übernehmen, Arbeitsplätze zu schaffen
und junge Menschen auszubilden, ist die berufliche Bildung der Königsweg für viele in Deutschland.
({5})
- Auch wenn der Vater Professor ist, ist es kein Abstieg,
wenn der Sohn Optiker wird.
({6})
- Nein, überhaupt nicht.
({7})
Wenn wir damit anfangen, dann können wir uns gleich
auf eine doppelt so hohe Jugendarbeitslosigkeit einstellen. So einfach ist das.
({8})
Zwischen 2006 und 2011 hat sich der Anteil der Kinder unter drei Jahren, die die Angebote der Kindertagesbetreuung nutzen, von 14 auf 25 Prozent erhöht. 96 Prozent aller Vier- und Fünfjährigen nehmen Angebote der
frühkindlichen Bildung wahr. Damit liegen wir weit über
dem OECD-Schnitt, der bei rund 80 Prozent liegt. Auch
das muss man einmal sagen - das ist heute Morgen so
verkündet worden -: Der Schnitt liegt bei 80 Prozent,
wir liegen bei 96 Prozent.
Wir werden diesen Bereich weiter ausbauen, vor allen
Dingen die Qualität der frühkindlichen Bildung gemeinsam mit den Kommunen und den Ländern verbessern.
Wir haben schon einen guten Stand erreicht, vor allen
Dingen in Bezug auf Kinder mit Migrationshintergrund.
Der Anteil derer mit Hochschulreife in der Altersgruppe der 30- bis 35-Jährigen ist heute doppelt so hoch
wie bei den 60- bis 65-Jährigen. „Aufstieg durch Bildung“ ist auch heute nicht nur möglich, sondern gelingt
zunehmend.
Wir hatten mit den Ländern vereinbart, den Anteil der
Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen,
zu halbieren. Der Anteil ist von 8 Prozent auf 6,5 Prozent gesunken. Nach einer weiteren Abnahme um
2,5 Prozentpunkte ist auch dieses Ziel erreicht.
Ich stelle fest: deutlich mehr Bildungsaufsteiger, deutlich weniger Bildungsabsteiger, ein großer Aufwuchs bei
den Studierenden, endlich das Anerkennungsgesetz, endlich ein Entwurf zum Wissenschaftsfreiheitsgesetz und
weiterhin gute Bildungsfinanzierung. Was das BAföG
angeht: Herr Hagemann, auch wenn es im Vorfeld wieder zu Schlagzeilen gekommen ist, wissen Sie doch genau, dass es einen gesetzlichen Anspruch gibt. Sie wissen genau, dass das BAföG nicht gekürzt wird.
({9})
- Was heißt, es gibt keine Erhöhung? Wir haben so viel
erhöht wie schon lange nicht mehr.
({10})
Sie wissen auch, dass ich den Ländern ein Angebot gemacht habe.
({11})
Kein Bereich ist von Rot-Grün so vernachlässigt worden
wie das BAföG.
({12})
Wir haben etwas gemacht, nachdem jahrelang nichts
passiert ist. Heute wird für das BAföG 25 Prozent mehr
ausgegeben als noch vor fünf Jahren.
Sie wissen: Die Länder haben ein Angebot von mir
erhalten.
({13})
Die Länder sind am Beraten. Sie müssen sich mit uns einigen.
({14})
Was nicht läuft, ist, BAföG als gemeinsame Leistung haben zu wollen, ohne auch etwas dazu beitragen zu wollen. Die Länder sind jetzt in der Pflicht, zu sagen, was
sie wollen.
({15})
Meine Damen und Herren, die große Quelle für künftigen Wohlstand ist der Forschungsstandort Deutschland.
({16})
Kein Land hat einen so großen Anteil an der Wertschöpfung, der auf Forschung basiert. Deshalb ist es so wichtig, dass wir konsequent - seit 2005 um 53 Prozent - die
Investitionen für Forschung und Entwicklung erhöht haben. Das heißt erstens: mehr Mittel für neue Strukturen.
Das prominenteste Beispiel ist die Gesundheitsforschung. Die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung werden der Internationalisierung der Gesundheitsforschung einen großen Schub geben.
Das heißt zweitens - Herr Ruck hat es eben schon angesprochen -: mehr Mittel für Klima, Energie und Umwelt, mehr Mittel für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und für die Hochschulen. Allein in dem
Haushalt 2013 sind 1,8 Milliarden Euro im Hochschulpakt für neue Studienplätze vorgesehen. Hören Sie als
Opposition also auf, immer so zu tun, als würden wir
Rosinenpickerei betreiben! Wir machen Förderung in
der Breite. Viele neue Studienplätze und viele zusätzliche Bildungsaufsteiger: Da beginnt die Förderung der
Hochschulen, bevor es an die Forschung geht.
({17})
Um es mit einer Zahl zusammenzufassen: Allein zwischen 2007 und 2015, also in einem Zeitraum von sieben
Jahren, wird es über 500 000 neue, zusätzliche Studienplätze in Deutschland geben. Ja, es stimmt: Wir haben
einen Teil des Aufwuchses dafür investiert, und wir haben uns entschieden, zugunsten der Studienplätze und
damit der Studierenden bei hohen Projektfördertiteln an
der einen oder anderen Stelle etwas wegzunehmen. Das
ist eine klare und bewusste Prioritätensetzung in diesem
Haushalt.
Der aktuelle Innovationsindikator der Telekom-Stiftung und des BDI bescheinigt unserem Land eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung, was die Innovationskraft angeht. Innerhalb weniger Jahre hat Deutschland
sich aus dem Mittelfeld der 26 untersuchten Industriestaaten auf den vierten Platz vorgearbeitet. Was das 3-Prozent-Ziel angeht: Deutschland hat 2010 bereits 2,8 Prozent erreicht. Damit liegen wir prozentual gesehen und
vor allen Dingen auch bei den absoluten Zahlen in der
EU-Spitzengruppe.
Dieser Haushalt ist ein gutes Fundament, um die langfristig angelegte Politik zugunsten der Zukunftschancen
der jungen Generation und der weiteren Internationalisierung sowie der Stärkung der Attraktivität des Forschungsstandortes Deutschland weiterzuentwickeln.
Vielen Dank.
({18})
Der Kollege Klaus Hagemann hat nun für die SPDFraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Jede Medaille hat zwei Seiten. Frau
Ministerin hat die schöne und gute Seite dargestellt. Vieles davon unterschreibe ich auch.
({0})
- Was positiv ist, Kollege Neumann, muss herausgestellt
werden. Die 810 Millionen Euro zusätzlich sind positiv
zu bewerten. Das sieht auch meine Fraktion so.
({1})
Dieses Geld stellt schließlich nicht die CSU, sondern der
Steuerzahler zur Verfügung.
Aber, um jetzt zu der anderen Seite der Medaille zu
kommen: Ein Blick in die mittelfristige Finanzplanung
zeigt, dass Ihr forschungs- und bildungspolitischer Ehrgeiz ziemlich nachlässt, Frau Ministerin. Denn für die
Zeit nach der Wahl im Jahr 2013 ist kein Ehrgeiz erkennbar, mehr Mittel obendrauf zu packen. Da ist Stagnation
und zum Teil sogar eine Abwärtskurve zu beobachten.
({2})
Also haben Sie hier einen Wahlkampfhaushalt vorgelegt.
Das ist die erste Vorstellung,
({3})
und das müssen Sie sich auch sagen lassen. Von diesem
Ministerium ist auch ein Konsolidierungsbeitrag gefordert worden. Man sollte daher darauf hinweisen, dass
entsprechende Einsparungen vorgenommen werden.
Aber, Frau Ministerin, ich muss Ihnen erneut vorhalten: Es krankt am Einsatz der vielen Mittel, die Ihnen zur
Verfügung gestellt worden sind, und zwar sowohl bei der
Bildung als auch in der Forschung. Viele Ansätze bleiben hinter den oft großartig inszenierten Ankündigungen
zurück. Ich werde das noch an Beispielen deutlich machen. Es werden zwar interessante Projekte ins Schaufenster gestellt. Aber oft stellen sie sich als Mogelpackungen heraus. Zu diesem Schluss kommt man, wenn
man etwas genauer hinschaut.
In der mittelfristigen Finanzplanung von 2014 bis
2016/17 ist kein nennenswerter Aufwuchs mehr zu beobachten. Es muss aber auch nach der Bundestagswahl
weitergehen. Es ist fraglich, ob die FDP 2013 noch in
der Regierung sein wird. Wir werden auf jeden Fall - genauso wie im vergangenen Jahr - einen Antrag einbringen, der zum Ziel hat, dass für Forschung und Bildung
jährlich 2 Milliarden Euro oben draufgesattelt werden,
und zwar gegenfinanziert und über fünf Jahre. Leider haben Sie unseren Antrag voriges Jahr abgelehnt. Wenn
Sie das nicht getan hätten, wären schon 4 Milliarden
Euro mehr für Forschung und Bildung geflossen. Wir
werden auf jeden Fall wieder beantragen, dass 2 Milliarden Euro draufgesattelt werden; denn es darf nach der
Bundestagswahl 2013 nicht zu einer Stagnation kommen.
({4})
Lassen Sie mich meine Kernaussagen noch etwas belegen. 80 Prozent der Projekte - man kann darüber streiten, ob es „nur“ 75 Prozent sind - wurden von der SPD
initiiert oder von ihr mitgetragen. Dazu gehören beispielsweise der Pakt für Forschung und Innovation, die
Hightech-Strategie, die wir in der Zeit der Großen Koalition nach vorne gebracht haben, Frau Ministerin, die Exzellenzinitiative, der Hochschulpakt und der Qualitätspakt „Lehre“. Somit ist der größte Teil von der SPD mit
initiiert worden. Aber dann stellt sich die Frage, welche
lupenreinen schwarz-gelben Projekte es überhaupt gibt.
In diesem Zusammenhang fällt mit nur das Deutschlandstipendium ein. Aber hier läuft es nicht so toll. Es wird
nicht so angenommen, wie Sie es sich erhofft haben.
Lieber Kollege Meinhardt, die steuerliche Forschungsförderung, die Sie mit großem Trara in den Koalitionsvertrag haben hineinschreiben lassen, wird nicht
realisiert. Das wurde herausgekegelt, genauso wie das
Bildungssparen. Das Zukunftskonto „Bildung“ wurde
gestrichen. „Wo hat sich die FDP in diesem Einzelplan
durchgesetzt?“, frage ich mich.
({5})
- Das haben Sie verkündet, lieber Herr Kollege.
Wo sind da Ihre Konzepte? Die Industrie fordert verstärkt entsprechende Konzepte. Ich habe in der Sommerpause bei großen Betrieben - diese haben diesen Punkt
ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt - intensiv nachgefragt und habe immer die Frage zu hören bekommen:
Wo bleibt die steuerliche Forschungsförderung? Hierzu fehlen Ihre Konzepte.
Man hätte durchaus Geld bei Ihrem Lieblingsprojekt,
Frau Ministerin, nämlich beim „Haus der Zukunft“, einsparen können. Hier stellen Sie allein für Baumaßnahmen 168 Millionen Euro zur Verfügung, und das für eine
Halle, die man aufgrund der schwierigen Finanzsituation
zurzeit nicht braucht. Dieses Geld hätte man eigentlich
für das BAföG einstellen sollen. Dann hätte man im entsprechenden Titel keine Kürzungen vornehmen müssen.
Damit hätte man schon viel gewonnen.
({6})
Die Bürokratiekosten sind unter Schwarz-Gelb erheblich angestiegen. Diese Koalition war einst angetreten,
die Bürokratiekosten zu senken. Wir beobachten aber
eine Steigerung von 88 Millionen Euro auf 168 Millionen Euro, also fast eine Verdoppelung. Hier zeigt sich
der Einfluss eines Schattenministeriums in Gestalt der
Projektträger.
Frau Ministerin, Sie sind eine gute Verkäuferin und
eine gute Ankündigungsministerin. Aber an der Umsetzung fehlt es. So wurde angekündigt, die Elektromobilität mit 1 Milliarde Euro zu fördern. Wie viel ist herausgekommen? - 650 Millionen Euro. Wie viel wurde
ausgezahlt? - Bisher 54 Millionen Euro. Das ist alles,
was umgesetzt wurde. Nun findet am 1. Oktober ein Krisengipfel bei der Bundeskanzlerin statt. Sie muss für ein
bisschen Ordnung in der Chaostruppe sorgen. Das ist
notwendig. Ich hoffe, dass sich etwas tut.
Ähnliches gilt für die Energie- bzw. die Photovoltaikforschung. Immer wird mehr angekündigt, als umgesetzt
wird. Ankündigung und Realisierung klaffen weit auseinander.
Ein Projekt möchte ich hier doch einmal erwähnen.
Sie haben kürzlich mit zwei CDU-Ministerpräsidenten
aus den neuen Bundesländern ein Forschungsprogramm
für den Aufbau Ost vorgestellt. Ich frage mich: Warum
nur mit CDU-Ministerpräsidenten? Es gibt dort eine
ganze Reihe Große Koalitionen.
({7})
Sie haben ein Volumen von 500 Millionen Euro angekündigt. Ich habe einmal in den Haushaltsplan hineingeschaut, weil mich das interessiert hat. Wissen Sie, welche Summe darin steht? Es sind 10 Millionen Euro für
das Jahr 2013 vorgesehen. Große Ankündigung, kleine
Wirkung!
({8})
Weitere Beispiele sind zu nennen. Wo sind die angekündigten 1,2 Millionen Arbeitsplätze, die im Rahmen
der Hightech-Strategie entstehen sollten? Wann wird die
Zahl der Schulabgänger, die die Hauptschule ohne Abschluss verlassen, halbiert? Da muss mehr geschehen.
Das Ziel ist nicht voll realisiert worden. 2 Millionen
Menschen haben leider keinen Berufsabschluss und keinen Hauptschulabschluss. Was wird dafür getan, dass
diese Menschen qualifiziert und ins Berufsleben eingegliedert werden? Auch hier ist nichts geschehen. Das gilt
auch für das Projekt Berufsorientierung. Das haben wir
in der Großen Koalition zusammen in die Welt gesetzt.
Dies ist ein gutes Projekt, um Schüler schon in der
Hauptschule auf den Beruf vorzubereiten. Es wird sehr
gut angenommen; aber leider sind zu wenig Mittel vorgesehen, um alle Projekte finanzieren zu können. Stattdessen fängt man ein neues Projekt mit dem Namen
„Bildungsbündnisse“ an. Man verzettelt sich, anstatt
eine Maßnahme zu Ende zu führen.
Ich nenne noch ein anderes Projekt: elektronische Bewerbungsverfahren für Studierende. Das ist dringend
notwendig. Was geschieht? Es gibt Gerüchte, es solle gecancelt werden. Bisher sind über Jahre hinweg 15 Millionen Euro dafür zur Verfügung gestellt worden, aber
nichts ist geschehen.
Ich möchte noch auf die mittelfristige Finanzplanung
eingehen. Wir wissen, dass bis 2013 ausreichend Mittel
zur Verfügung gestellt worden sind. Aber was bleibt von
der groß angekündigten Bildungsrepublik? Zwischenzeitlich hört man den Ausdruck überhaupt nicht mehr,
auch nicht mehr von der Bundeskanzlerin. Wie sind die
großen Projekte, die wir zusammen entworfen haben,
vorfinanziert? Das Projekt der Elektromobilität ist nicht
ausreichend finanziert, ebenso nicht die Energieforschung. 2016 läuft der Pakt für Forschung und Innovation aus. Die zweite Phase des Hochschulpakts geht bis
2020. Hier ist noch eine Menge zu tun. Sie haben Mittel
für den Hochschulpakt vorgezogen; es wird nicht mehr
Geld geben. Herr Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, beispielsweise hat heftig kritisiert, dass
nicht mehr Geld zusätzlich zur Verfügung gestellt wird.
Hier müsste in der Planung entsprechend vorgesorgt
werden, aber das ist nicht ausreichend geschehen.
({9})
Deswegen werden wir erneut einen Antrag einbringen. Diesen werden wir nicht nur dem Haushaltsausschuss, sondern auch dem Plenum vorlegen. Dann werden wir sehen, ob Sie ihn ablehnen. Unsere Vorschläge
sind gegenfinanziert, beispielsweise durch einen höheren Steuersatz.
({10})
Auch für die Länder sind Einnahmen vorgesehen. - Herr
Meinhardt, warum wollen Sie nicht mehr für die Bildung
tun? In der Zukunft müssen dafür genügend Mittel zur
Verfügung stehen. Dies kommt doch auch denen, die viel
verdienen, zugute. Mein lieber Herr Meinhardt, vergessen Sie nicht, dass man auch die heranziehen muss.
({11})
Wir wollen mehr Mittel für die Kleinkinderbetreuung.
Sie haben Mittel für Krippen jahrelang abgelehnt. Es
freut mich, dass Sie, Frau Ministerin, es jetzt für gut halten, dass wir die Zukunft sichern. Ich nenne als weiteres
Projekt das Ganztagsschulprogramm. Die Eltern wünschen - das hat dieser Tage eine Umfrage deutlich gemacht - mehr Mittel zum Ausbau der Ganztagsschule.
Was haben wir miteinander gekämpft, damit dieses Programm zustande kam! Hierfür müssen mehr Mittel zur
Verfügung gestellt werden.
Ich denke weiterhin an den Bereich der Studierenden;
dazu habe ich Beispiele genannt.
Kollege Hagemann.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.
All das wird in den Antrag aufgenommen, und es
werden Finanzierungsvorschläge gemacht. Das betrifft
nicht nur den Einzelplan 30, sondern alle Bereiche, die
mit Bildung zu tun haben; denn uns liegt die Bildungsrepublik wirklich am Herzen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Heinz-Peter Haustein für
die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! „Geld ist rund und rollt weg. Bildung bleibt.“ Dieser Satz stammt von Heinrich Heine
aus dem Jahr 1830 und hat auch heute volle Bedeutung außer im Hinblick auf Papiergeld; das fliegt halt weg.
Diese Regierung hat erkannt, dass in Forschung und Bildung der Schwerpunkt gesetzt werden muss. So verwundert mich schon, lieber Klaus Hagemann, was hier an
Zahlen, Daten, Fakten verdreht wird. Es ist einfach erstaunlich, dass jemand, der diesen Haushalt anschaut,
sagt, diese Regierung tue in diesem Bereich zu wenig.
Es ist ganz gut, auch einmal zurückzuschauen. 1998
hat Rot-Grün mit 7,6 Milliarden Euro in diesem Bereich
begonnen.
({0})
Es hat in sieben Jahren einen Aufwuchs von 908 Millionen Euro - das sind durchschnittlich 1,7 Prozent Aufwuchs pro Jahr - nicht geschafft.
({1})
Das ist der Unterschied zwischen Rot-Grün und einer
christlich-liberalen Regierung. Wir haben in den vergangenen drei Jahren insgesamt 12 Milliarden Euro investiert, und im Haushalt bildet sich ein Anstieg von
10,2 Milliarden Euro auf 13,7 Milliarden Euro ab.
811 Millionen Euro werden in diesem Jahr mehr für Forschung und Bildung zur Verfügung gestellt, und das ist
auch richtig so. Denn bei der gesamten Euro-Krise vergisst man manchmal die anderen Herausforderungen, die
unsere Gesellschaft zu bewältigen hat.
Wir hatten heute einen traurigen Anlass: Unser lieber
Freund, Kollege und auch Fußballspieler Jürgen
Herrmann ist verstorben. Wie schön wäre es, wir schafften es durch Forschung, eine Impfung gegen Herzinfarkt
oder gegen Krebs zu entwickeln. Wir müssen forschen.
Oder denkt ihr, wir bekommen die Energiewende oder
die Elektromobilität ohne Forschung in dem Bereich
Energiespeicher zustande?
Als Haushälter - man ist ja praktisch der Controller
der Regierung - möchte ich noch ein paar Zahlen nennen. Wir geben in dem Bereich „Leistungsfähigkeit des
Bildungswesens, Nachwuchsförderung“ 3,25 Milliarden Euro aus. Davon entfallen auf den Studenten- und
Wissenschaftleraustausch 135 Millionen Euro. Die Begabtenförderung erhält 295 Millionen Euro. Das bedeutet ein Plus von 11,7 Prozent. Die Zuschüsse an Begabtenförderungswerke umfassen 198 Millionen Euro. Das
bedeutet ein Plus von 12,5 Prozent. In Maßnahmen zur
Verbesserung der Berufsorientierung fließen 65 Millionen Euro.
Schauen wir in den nächsten großen Ausgabenblock,
in Kap. 3003: Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftsund Innovationssystems. Dort stehen sage und schreibe
5,64 Milliarden Euro zur Verfügung. Das bedeutet ein
Plus von 16,9 Prozent. Ich möchte in diesem Zusammenhang den Hochschulpakt nennen; er ist bis 2020 konzipiert. Für ihn werden 2,17 Milliarden Euro bereitgestellt.
Das entspricht einem Plus von 48,7 Prozent. Das kann
sich wohl sehen lassen.
({2})
- Danke schön. - Auch der Qualitätspakt Lehre - wir
brauchen Facharbeiter, wir brauchen Handwerker - erhält 200 Millionen Euro. Das bedeutet ein Plus von
14 Prozent. In die Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses fließen 48,5 Millionen Euro. Das entspricht einem Plus von 11,7 Prozent.
Schauen wir auf den nächsten großen Ausgabeblock:
Forschung für Innovationen, Hightech-Strategie. Hierfür
werden 4,99 Milliarden Euro bereitgestellt. Das sind
3,11 Prozent mehr. Darin enthalten ist Forschung auf
dem Gebiet Klima, Energie und Umwelt. Hierfür stehen
458 Millionen Euro zur Verfügung. Das bedeutet ein
Plus von rund 10 Prozent. Erwähnen möchte ich auch
den Titel „Klimaforschung und Lebensraum Erde“ sowie den Bereich der Energie. Der Haushalt sieht dafür
etwa 93 Millionen Euro vor.
Sie sehen also, liebe Freunde: Diese Regierung ist der
Garant dafür, dass Bildung und Forschung als Grundlage
unseres Wohlstandes forciert werden, dass es in diesem
Land aufwärtsgeht.
Ich möchte schließen mit einem Satz von Benjamin
Franklin: „Eine Investition in Wissen bringt noch immer
die besten Zinsen.“
({3})
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge!
({4})
Der Kollege Michael Leutert hat nun für die Fraktion
Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Hagemann hat hier schon zu Recht einen
großen Rundumschlag gemacht. Ich möchte mich auf einen eher kleinen, aber meines Erachtens sehr wichtigen
Bereich beschränken, einen Bereich, in dem einiges
nicht so ist, wie es von Ihnen in der Öffentlichkeit darzustellen versucht wird. Mir geht es um das Forschungsprogramm für zivile Sicherheit, welches bekanntlich ein
Schwerpunkt der Hightech-Strategie ist.
Ich bin etwas ratlos in der Frage, was Sie und Ihr
Haus unter „zivile Sicherheitsforschung“ verstehen. In
dem Programm trifft man nämlich immer wieder auf
namhafte Rüstungskonzerne und auch Bundeswehreinrichtungen. Um es kurz zu machen: Für uns ist ganz klar:
Rüstungsfirmen und Bundeswehreinrichtungen haben in
Ihrem Haushalt nichts zu suchen.
({0})
Militärische Forschung gehört nicht in den Haushalt des
Bildungs- und Forschungsministeriums; dafür gibt es
das Verteidigungsministerium, und dort gehört sie auch
hin. Im Übrigen wird solche Forschung nicht ziviler,
wenn man sie in einem Programm versteckt, welches
sich „zivil“ nennt.
Damit wir uns hier nicht falsch verstehen: Ich denke,
es gibt niemanden hier im Hause, der die Forschung zur
zivilen Sicherheit ernsthaft ablehnt. Es ist sinnvoll, darüber nachzudenken, wie Menschen und Güter vor Naturkatastrophen geschützt werden können. Es ist ebenso
sinnvoll, darüber nachzudenken, wie man Gefahren,
zum Beispiel Massenpanik, eindämmen oder vielleicht
auch verhindern kann. Ich glaube, dass sich jeder darüber im Klaren ist, dass sich Forschungsergebnisse fast
immer sowohl für zivile als auch für militärische Interessen verwenden lassen - das ist nun einmal so -; die
Frage ist jedoch, wie man damit umgeht und in welche
Richtung man steuert.
In Ihrem Haus, Frau Schavan, ist die Richtung ganz
klar, zumindest in diesem Bereich. Am 4. Juli 2006 haben Sie in Karlsruhe eine programmatische Rede zur zivilen Sicherheitsforschung gehalten. Darin haben Sie
ganz eindeutig gesagt - ich zitiere -:
Die Sicherheitsforschung profitiert von der Wehrforschung. … Umgekehrt wissen wir auch, dass
heute nicht mehr die wehrtechnische, sondern die
zivile Forschung führend bei der Erschließung
neuer Technologie ist. Ein Wissenstransfer allein
von der Wehrtechnik in die Sicherheitstechnik
macht daher keinen Sinn.
Diesen Worten folgten dann natürlich auch Taten. Im
Januar 2007 wurde das Forschungsprogramm für die zivile Sicherheit beschlossen, und Anfang dieses Jahres
wurde es bis zum Jahr 2017 verlängert. Das kostet den
Steuerzahler jährlich 57 Millionen Euro.
Schaut man sich an, wer die Finanzmittel bekommt,
findet man unter anderem die Rüstungssparten von
EADS, Rheinmetall oder Diehl. Wie ich schon sagte:
Dies alles sind bekannte Größen der Rüstungsindustrie.
Daneben sind noch Einrichtungen der Bundeswehr zu
finden, zum Beispiel das Wehrwissenschaftliche Institut.
An einem Beispiel möchte ich das kurz verdeutlichen.
Für die Erforschung besserer Schutzkleidung für Rettungs- und Sicherheitskräfte werden circa 8 Millionen
Euro zur Verfügung gestellt. Dabei geht es darum, dass
die Anzüge Extremsituationen standhalten, zum Beispiel
großer Hitze, aber trotz dieser Beanspruchung einen hohen Tragekomfort und eine lange Lebensdauer haben.
Ziel ist unter anderem, dass Sensoren in die Kleidung integriert werden, die eine Ortsbestimmung der Person zulassen oder auch medizinische Parameter übermitteln
können.
Das alles sind sicherlich sinnvolle Sachen, wenn man
an die Feuerwehr und das Technische Hilfswerk denkt.
Aber warum, wenn es rein zivile Forschung ist, bekommen aus diesem Topf ausgerechnet die BundeswehrUniversität in Hamburg knapp eine halbe Million Euro
und das Wehrwissenschaftliche Institut für Schutztechnologien knapp 200 000 Euro für Grundlagenforschung
genau in diesem Bereich?
({1})
Weil natürlich auch die Bundeswehr an den Erkenntnissen zu neuer Schutzkleidung interessiert ist. Das ist völlig verständlich. Allerdings, Frau Ministerin, ist das bewusste Förderung im militärischen Interessenbereich
und bewusste Förderung des Transfers von Forschungsergebnissen in den militärischen Anwendungsbereich.
Genau das aber ist nicht die Aufgabe des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
({2})
Da nützt es, wie gesagt, auch nichts, das als „zivil“ zu
deklarieren.
Wenn es Forschung zur zivilen Sicherheit geben soll,
liebe Kolleginnen und Kollegen, dann dürfen weder
Bundeswehreinrichtungen noch Rüstungskonzerne davon profitieren. Das muss ein wichtiges Kriterium für zivile Sicherheitsforschung sein.
Die Rüstungskonzerne, die bis jetzt Gelder bekommen haben, müssen auch ihre Verwertungspläne veröffentlichen. Es nützt überhaupt nichts, wenn das Ministerium diese Verwertungspläne kennt. Wenn es zivile
Forschung ist, dann kann es auch kein Geheimnis sein,
was mit den Forschungsergebnissen später noch passiert.
Bis jetzt allerdings weigern sich die Firmen, zu sagen,
was sie mit den Erkenntnissen später noch anfangen
wollen.
Die Linke hat im Juni dieses Jahres einen Antrag zu
diesem Thema eingebracht. Darin fordern wir unter anderem Zivilklauseln für die Universitäten und Hochschulen, weil sie in diese Forschung mit eingebunden
sind. Was wir derzeit sofort brauchen, ist eine Zivilklausel für das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Dies werden wir auch beantragen.
({3})
Frau Ministerin, Sie haben vorhin über unser Bildungssystem gesprochen. Wenn Sie sprechen, habe ich
immer das Gefühl: Wir leben in unterschiedlichen Welten.
({4})
- Das sollten Sie einmal mit den Bürgerinnen und Bürgern abklären. Dann wüssten wir nämlich, wer in der
richtigen Welt lebt. - Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn
unsere Schulen und Universitäten annähernd so gut organisiert wären wie dieses quasimilitärische Forschungsprogramm, wenn Ihr Haus vom Prinzip her die Aufgaben machen würde, die es eigentlich hat, dann würde
unser Bildungssystem besser dastehen und dann wären
die Schülerinnen und Schüler sowie die Eltern in unserem Land wesentlich zufriedener.
Danke.
({5})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Kai Gehring das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem 12-Milliarden-Programm sind in den letzten
Jahren tatsächlich viele zusätzliche Bundesgelder in den
Einzelplan 30 geflossen. Die Koalition nutzt aber auch
2013 die gute konjunkturelle Lage nicht, um bei Bildung
und Forschung auf Zukunft umzusteuern. Bildungsmilliarden helfen wenig, wenn sie in völlig falsche Prioritäten fließen wie das bildungsfeindliche Betreuungsgeld
oder die Nuklearforschung, mit der Sie die Energiewende quasi konterkarieren. Das sind schwarz-gelbe
Sackgassen.
({0})
Die zusätzlichen Mittel drohen zudem zu verpuffen,
weil es keine Nachhaltigkeit in der Finanzierung gibt.
Laut Ihrer Finanzplanung endet der Mittelaufwuchs abrupt im Wahljahr 2013. 2014, 2015 und 2016 sind Kürzungen zwischen 170 und 235 Millionen Euro vorgesehen, und das bei strukturellen Kostensteigerungen und
einer globalen Minderausgabe, die bis 2016 auf 300 Millionen Euro ansteigt. Hier agiert ganz offensichtlich eine
Bundesbildungsministerin, die sich für die Finanzierung
der nächsten Legislaturperiode nicht interessiert und
auch nicht mehr verantwortlich fühlt.
({1})
Der schwarz-gelbe Bildungshaushalt gibt auf zwei
zentrale Herausforderungen keine Antwort:
Erstens. Er gibt keine Antwort auf die nach wie vor
eklatante Bildungsarmut. Schwarz-Gelb ist zu einer
Politik für Chancengleichheit nicht in der Lage.
Zweitens. Er gibt keine Antwort auf den verschärften
Fachkräftemangel. Schwarz-Gelb sorgt gegen diese drohende Innovations- und Wachstumsbremse Nummer eins
nicht vor.
Fakt ist: Die Zahl der Bildungsgewinner steigt, die
Zahl der Bildungsverlierer bleibt aber konstant. Wir haben mehr Studierende. Die OECD spricht heute von
moderaten Fortschritten. Das ist erfreulich. Die Studierbereitschaft junger Menschen mit Hochschulreife aus
bildungsfernen Schichten ist aber deutlich gesunken, wie
eine Studie von gestern besagt. Das muss uns allen sehr
zu denken geben. Auch weitere Zahlen, die der 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten, der jährlich Zehntausenden Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher sowie
der 1,5 Millionen jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss, sinken kaum bis gar nicht. Das ist skandalös und
beschämend.
({2})
Damit bleibt unser Bildungssystem sozial tief gespalten.
Eine solche Diagnose müsste einer Bundesbildungsministerin eigentlich schlaflose Nächte bereiten. Sie muss
in ihrer Politik gegen diese Spaltung vorgehen. Herkunft
darf nicht länger über Zukunft entscheiden.
({3})
Was Ihnen fehlt, Frau Schavan, ist eine bildungspolitische Vision. Unsere grüne Vision ist, dass Deutschland
zum Bildungsaufsteigerland wird, zu einem Land, das
niemanden zurücklässt, sondern alle ermutigt und individuell fördert, einem Land, das eine neue BildungsexpanKai Gehring
sion anpackt, die Teilhabe für alle ermöglicht, statt Jahr
für Jahr Bildungsverlierer zu produzieren. Nur wenn es
gelingt, Bildungsblockaden wegzuräumen und das Aufstiegsversprechen nicht nur zu erneuern, sondern auch
einzulösen, kann eine Bildungsrepublik entstehen.
Die Botschaft an Kinder, Jugendliche und Erwachsene gerade aus Arbeitslosen- und Arbeiterfamilien - ob
mit oder ohne Einwanderungsgeschichte, mit oder ohne
Handicap - muss sein: Ihr alle werdet wertgeschätzt, ihr
werdet gebraucht. Wir in der Politik garantieren euch
gleiche Rechte. - Aber dazu ist Schwarz-Gelb nicht in
der Lage.
({4})
Eine echte Bildungsrepublik braucht zudem eine Verantwortungspartnerschaft von Bund, Ländern und Gemeinden für eine bessere Bildung und Wissenschaft.
Wer es nicht wagt, das Kooperationsverbot in der Bildung zu überwinden, ist als Bundesbildungsministerin
gescheitert.
({5})
Ohne die Bildungsbremse Kooperationsverbot wäre der
Weg frei für gesamtstaatliche Kooperation, zum Beispiel
für ein dringend benötigtes neues Ganztagsschulprogramm und die Verwirklichung inklusiver Bildung gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention vor Ort. Was
wir dagegen nicht benötigen, ist ein Bürokratiemonstrum wie das Bildungs- und Teilhabepaket, das zwar gut
gemeint, aber schlecht gemacht ist und an vielen bedürftigen Jugendlichen vorbeigeht.
({6})
Frau Schavan, Sie müssen endlich mehr Kooperation
wagen. Noch immer warten wir auf Ihre Einladung zu
einem Reformkonvent, um endlich über eine Grundgesetzänderung zu verhandeln
({7})
und einen Konsens im Bildungs- und Wissenschaftsbereich zu erzielen. Die Signale aus dem Bundesrat stimmen hoffnungsvoll. CDU/CSU und FDP im Bundestag
müssen sich bewegen; denn - um Sie als Ministerin zu
zitieren - Kindeswohl muss vor Kooperationsverbot gehen.
({8})
Auch unsere Hochschulen und Studienberechtigten
brauchen eine Verantwortungspartnerschaft. Doch während die Bundesregierung über Fachkräftemangel lamentiert, hat sie keine verlässliche Vorsorge getroffen,
um die Mittel für den Hochschulpakt deutlich aufzustocken und den dringenden Studienplatzausbau auszufinanzieren.
({9})
Ganz im Gegenteil ziehen Sie stattdessen Gelder vor, die
für 2015 und für 2016 vorgesehen waren. Mit solchen
Manövern für das Wahljahr 2013 nach dem Motto „Was
gehen mich die künftigen Studierenden und Regierenden
an?“ riskieren Sie die Bildungschancen künftiger Studienberechtigter.
({10})
Ich komme zum BAföG. Für das BAföG - als wichtigstes Studienfinanzierungsinstrument für den Bildungsaufstieg - setzt Schwarz-Gelb die Haushaltsmittel um
258 Millionen Euro geringer an. Mit fragwürdigen Prognosen wird die Empfängerzahl kleingerechnet. Einer
notwendigen BAföG-Erhöhung hat Frau Schavan mit
diesem Haushalt ganz offensichtlich endgültig eine Absage erteilt. Das halten wir Grünen für falsch.
({11})
Die Koalition klammert sich lieber an ihr Prestigeprojekt „Deutschlandstipendium“, das nur 0,25 Prozent aller Studierenden erreicht. Gemessen an eigenen Ankündigungen ist Ihr Stipendienprogramm ein fulminanter
Flop und Symbol Ihrer verfehlten Hochschulpolitik.
({12})
Wir fordern, beim BAföG die Fördersätze für Studierende und die Freibeträge für die Eltern um je 5 Prozent
anzuheben. Mittelfristig wollen wir ein Zwei-SäulenModell einführen - mit einem Sockel für alle und einem
Bedarfszuschuss für Bedürftige. So sieht eine gerechte,
moderne, zielgerichtete Studienfinanzierung aus.
({13})
Der Kampf gegen Bildungsbenachteiligung und Fachkräftemangel ist auch in der beruflichen Bildung das Gebot der Stunde. Aber nach dem Motto „Mangel verwalten statt Lösungen gestalten“ hat die Koalition den
Übergangssektor und den Maßnahmendschungel nicht
reformiert. Die Folge: Rund 300 000 Jugendliche drehen
weiterhin Warteschleifen, statt endlich echte Perspektiven zu bekommen. Schwarz-gelbe Ausbildungspolitik in
den letzten drei Jahren glänzt durch Nichtstun. Das muss
sich ändern.
({14})
Dramatisches hören wir im Zusammenhang mit der
Zusammenarbeit in Europa über die europäischen Sozialfonds. Die Bundesregierung muss sich aktiv dafür
einsetzen, dass die Mittel europäischer Solidarität nicht
wie geplant zusammengestrichen werden.
({15})
Die jetzigen ESF-Kürzungspläne würden zum Beispiel
dazu führen, dass Griechenland 40 Prozent der Solidarmittel zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit verliert. Das wäre absolut kontraproduktiv. Dem muss sich
die Bundesregierung in Brüssel klar entgegenstemmen.
({16})
Im Wissenschaftsbereich hat Ministerin Schavan die
Arbeit bereits eingestellt. Zur Überwindung überkommener Personalstrukturen an Hochschulen und unsicherer Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs
gibt es null Konzepte und im Haushalt keine Ansätze.
Wir haben einen Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs
vorgeschlagen; auf Ihre Vorschläge bezüglich eines
neuen Juniorprofessurenprogramms, das ausfinanziert
ist, warten wir vergeblich. Legen Sie endlich etwas vor,
um Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs
zu eröffnen!
({17})
Zur Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft
reicht es nicht aus, das Professorinnenprogramm fortzuführen. Vielmehr bedarf es neuer Impulse wie des Kaskadenmodells. Das haben die Anhörungen ganz deutlich
ergeben. Packen Sie es endlich an. Die Opposition
würde Ihnen applaudieren.
({18})
Forschungsprogramme sollten auf große Herausforderungen und auf Zukunft ausgerichtet sein. Nachhaltigkeit,
Energiewende, Dienstleistungsgesellschaft, Digitalisierung: Die dauernde Erwähnung dieser vier Zukunftsthemen durch die Regierung erweist sich mit Blick auf den
Haushalt als reine Nebelkerze. Entweder werden entsprechende Forschungstitel gekürzt, oder es gibt sie erst
gar nicht. Abermillionen für die völlig rückwärtsgewandte Nuklearforschung, Kürzungen bei der Umwelttechnologie: Das ist unverantwortliche Politik für Dinosaurier und von Dinosauriern, aber eben nicht für die
Zukunftsgestaltung in unserem Land. Ein Umbau zu einer zukunftsfähigen Green Economy wird mit ihren Forschungsschwerpunkten jedenfalls nicht gelingen.
({19})
In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und FDP die
steuerliche Forschungsförderung versprochen; die Bundesregierung hat sie beerdigt. Dabei wäre sie machbar
und finanzierbar, wenn sie auf kleine und mittlere Unternehmen konzentriert wird, also auf jene, die die bisherige Projektförderung kaum erreicht und die erhebliche
Innovationspotenziale aufweisen. Wir haben hierzu Vorschläge gemacht; Sie haben nichts geliefert.
Auch bei der Weiterbildung bleiben Sie ohne Initiative. Im Sommer 2010 gab es noch einen Wettstreit zwischen dem damaligen Wirtschaftsminister Brüderle und
den Ministerinnen Schavan und von der Leyen um das
Ankündigen von Maßnahmen. Nichts Sinnvolles ist seitdem passiert. Der Kreis der Empfänger der Bildungsprämie wurde verkleinert, das Meister-BAföG nicht weiterentwickelt, die Bildungsberatung nicht gestärkt. So
deckeln Sie letztlich die Weiterbildungsbeteiligung von
Frauen, Geringqualifizierten und Migranten. Das kann
so nicht weitergehen. Wenn man Bildungsaufstieg und
lebenslanges Lernen ernst nimmt, dann muss man
gerade bei diesen Gruppen ansetzen, auch um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Wir haben ein Erwachsenen-BAföG vorgeschlagen; Sie haben bei der Weiterbildung nichts geliefert.
({20})
Diese Regierung hinterlässt viele bildungspolitische
Baustellen, ist als Kooperationspartner nicht glaubwürdig und hat die Zukunftsgestaltung offenkundig schon
eingestellt. Wir appellieren an Sie: Erfüllen Sie weiter
Ihren Amtseid, nutzen Sie Ihr letztes schwarz-gelbes Regierungsjahr zum Handeln,
({21})
für mehr Bildungsgerechtigkeit und gegen Fachkräftemangel.
Vielen Dank.
({22})
Der Kollege Albert Rupprecht hat für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Wir diskutieren heute nicht im luftleeren Raum, sondern im Jahr 2012, in einer Zeit, in der wir
auf der einen Seite erleben, wie Länder um uns herum in
Arbeitslosigkeit und Verschuldung versinken, und auf
der anderen Seite, dass Deutschland die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren hat, es mehr Lehrstellen als
Bewerber gibt und das Land so stark dasteht wie selten
zuvor.
({0})
Das alles fällt ja nicht vom Himmel, sondern ist politisch erarbeitet, ist erarbeitet von fleißigen Menschen in
diesem Lande. Natürlich gibt es viele Ursachen für diese
positive Entwicklung in Deutschland. Aber es ist doch
eine Selbstverständlichkeit, dass die Innovationskraft,
der Forschergeist und die Entwicklungskraft, die wir in
unserem Lande haben, zu den wesentlichen, zentralen
Ursachen zählen. Auch das fällt nicht vom Himmel, sonAlbert Rupprecht ({1})
dern ist politisch erkämpft, erarbeitet; es ist das Ergebnis
einer klaren, stringenten Prioritätensetzung.
Ich sage das an dieser Stelle auch mit einem ganzen
Stück Stolz. Denn ich kann mich gut daran erinnern,
dass Sie, Herr Kollege Rossmann, in einer Debatte zu
Beginn der Legislatur, als wir sagten, wir würden in dieser Legislatur 12 Milliarden Euro mehr in Forschung
und Bildung investieren, zu Recht erwidert haben: Ich
höre es gerne, nur mir fehlt der Glaube daran. - Wir erleben heute, da wir hier den Haushaltsentwurf für 2013,
den letzten Haushalt in dieser Legislatur, einbringen,
dass wir Wort gehalten haben: Wir werden nicht nur den
Betrag von 12 Milliarden Euro erreichen, sondern diesen
Betrag sogar noch toppen. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir, die beiden
Fraktionen, die die Regierung tragen, haben Wort gehalten.
({2})
Die Entwicklung des Haushalts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ist in der Tat eine Entwicklung der Superlative. Seit Beginn der Amtszeit von
Kanzlerin Merkel im Jahr 2005 gab es eine dramatisch
positive Steigerung der Mittel des Forschungs- und Bildungshaushalts um sage und schreibe 82 Prozent.
Kollege Rupprecht, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Alpers?
Ja, gerne.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Rupprecht, es
ist immer wieder erstaunlich. Ich freue mich jedes Mal,
wenn Sie sagen: Wir haben im Bereich Ausbildung
deutschlandweit weniger Bewerber und Bewerberinnen
als Plätze.
({0})
Es gibt 7,4 Millionen Menschen bis 35 Jahre, die sich in
prekären Beschäftigungsverhältnissen befinden. Wir beide
wissen doch, dass es über 2,2 Millionen junge Menschen
gibt, denen wir sofort einen Ausbildungsplatz geben
müssten, um Perspektiven für die Zukunft zu schaffen.
Wir wissen beide, dass in der BA-Statistik über
100 000 Menschen als vermittelt ausgewiesen sind, obwohl diese nicht vermittelt wurden, sondern lediglich
der Verbleib nicht geklärt ist. Wir wissen beide, dass sich
2010 über 300 000 junge Menschen im Übergangssystem befanden. Diese Zahl sinkt allerdings, was mich genauso freut wie Sie. Millionen von Menschen haben
keine Ausbildung. Erklären Sie mir bitte, warum all
diese Millionen von Menschen plötzlich kein Interesse
mehr an einer Ausbildung haben. Ihre Behauptung, dass
wir mehr Stellen als Bewerber haben, ist sachlich falsch.
({1})
Liebe Kollegin, diese Aussage ist statistisch korrekt.
Ich gestehe durchaus zu, dass wir noch mit Problemen
aus der Vergangenheit zu tun haben. Es ist richtig, dass
sich Jugendliche noch in Warteschleifen befinden, aber
wir erleben einen dramatisch positiven Wandel. Die Situation hat sich im Vergleich zu vor fünf oder zehn Jahren substanziell und fundamental verändert. Das ist das
Ergebnis auch unserer Arbeit.
({0})
Gegenüber dem Jahr 2005 haben wir einen Anstieg
von 82 Prozent zu verzeichnen. Im internationalen Vergleich gibt es kein anderes westliches Industrieland, das
Vergleichbares vorweisen kann. Die Ausnahme bildet
der asiatische Raum, wo wir ähnliche Dynamiken zu
verzeichnen haben. Auch das Budget des Einzelplans 30
des Jahres 2013 wächst um rund 6 Prozent auf 13,7 Milliarden Euro an, und das, obwohl der Gesamthaushalt ein
Sparhaushalt ist, weil wir aufgrund der richtigerweise
beschlossenen Schuldenbremse insgesamt sparen müssen.
Die Erfolge sind messbar. Wir stellen fest, dass wir im
internationalen Vergleich bei wichtigen Indikatoren, beispielsweise bei den Patenten, zulegen. Es freut mich
- und das kann uns alle ein Stück weit stolz machen -,
dass wir inzwischen doppelt so viele marktrelevante Patente pro Einwohner haben als die USA. Ein anderes
Beispiel: Die Zahl der Beschäftigten, die im Bereich
Forschung und Entwicklung in Deutschland tätig sind,
ist inzwischen erstmals auf über eine halbe Million gestiegen; das sind 72 000 Beschäftigte mehr als 2005. Das
ist ein Riesenerfolg.
({1})
Auch im Hochschulbereich erleben wir eine Bildungsexpansion sondergleichen. Wir hatten 2005 1,9 Millionen
Studierende. Heute, im Jahr 2012, haben wir 2,4 Millionen Studierende, das heißt, eine halbe Million mehr als
2005 oder, anders berechnet, einen Zuwachs in Höhe
von 26 Prozent in sieben Jahren. Auch das ist eine
enorme Entwicklung.
Natürlich gibt es bei derartigen Zuwächsen auch Reibungen, das ist doch vollkommen klar, aber nichtsdestotrotz ist das Horrorbild, das die Linken hier zuweilen
malen - es gäbe nur miese Studienbedingungen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse -, schlichtweg ein Zerrbild. Die Wahrheit ist eine ganz andere. Die Wahrheit ist,
dass die Gemeinschaft der Steuerzahler in Deutschland
es immer mehr jungen Menschen in Deutschland ermöglicht, eine sehr gute Hochschulausbildung zu bekommen. Diese Bildungsexpansion ist ein großartiges Geschenk an die jungen Menschen in unserem Land.
({2})
Diese Expansion, wenngleich sie überwiegend im Zuständigkeitsbereich der Länder liegt, wurde vonseiten
des Bundes mit massivem Mitteleinsatz unterstützt. Wir
geben für den Bereich Hochschulen und Studierende,
obwohl wir nach der Verfassung für viele Bereiche gar
nicht zuständig sind, 2013 mehr als 3,8 Milliarden Euro
Albert Rupprecht ({3})
aus. Das heißt, fast 30 Prozent des gesamten Budgets,
das uns auf Bundesebene zur Verfügung steht, geben wir
für die Bereiche Hochschulpakt, Hochschulbau, Qualitätspakt Lehre und natürlich auch BAföG und Stipendien
aus, obwohl wir für sie nicht originär zuständig sind.
Herr Hagemann, um es noch einmal klarzustellen:
Die Aussage, wir würden das BAföG reduzieren, ist
vollkommener Unsinn. Sie wissen das.
({4})
Es gibt einen Rechtsanspruch. Jede Studentin und jeder
Student hat diesen Anspruch. Die Tatsache, dass wir im
Haushalt weniger eingestellt haben, ist ausschließlich
darin begründet, dass die Zinsen niedrig sind und deswegen Geld zur Verfügung steht.
({5})
Was machen wir mit den freien Mitteln? Die freien
Mittel kommen sehr wohl den Studierenden zugute, indem wir sie im Hochschulpakt mit einstellen. Also:
Geld, das frei wird, wird den Studierenden zur Verfügung gestellt. Wenn wir niedrige Zinsen haben, dann
sind wir doch alle froh darüber.
({6})
Sie verunsichern die jungen Menschen in diesem
Land. Das ist inakzeptabel, Herr Hagemann. Ihre Kampagnen sind jedes Mal wieder Rohrkrepierer. Sie behaupten, der Mittelabfluss funktioniere nicht. Wir haben
einen Mittelabfluss in Höhe von 99,4 Prozent. Es ist der
beste, den wir im Bundeshaushalt überhaupt haben. Sie
kündigen Kampagnen an und veröffentlichen sie. Am
Ende sind sie schlichtweg ohne Substanz.
({7})
Auch im Bereich der Forschung an Hochschulen haben wir massiv Gas gegeben.
Herr Rupprecht, gestatten Sie eine weitere Frage der
Kollegin Sager?
Ja, gerne.
Herr Kollege Rupprecht, ich möchte noch einmal auf
Ihre Ausführungen über die Entwicklung des BAföG zurückkommen. Würden Sie mir in folgender Betrachtung
recht geben und, wenn nein, warum nicht: Bei den Tarifverhandlungen werden die reale Kostenentwicklung und
die reale Inflationsentwicklung berücksichtigt, das heißt,
sie werden als Steigerung in die Gehälter und Löhne eingepreist, natürlich auch in die der Eltern von studierenden Kindern. Diese Einkommensentwicklung führt aber
nicht dazu, dass die Politik die Einkommensgrenze für
das Beziehen von BAföG erhöht; sie bleibt konstant.
Studierende aus Elternhäusern mit relativ bescheidenem
Einkommen verlieren daher zunehmend die Chance auf
das Beziehen von BAföG. Das Nichtanpassen der Einkommensgrenzen führt dann dazu, dass sich die Chancen auf das Beziehen von BAföG für Kinder aus diesen
Elternhäusern verschlechtern. Die Politik hält sich hier
zwar an Gesetze, das BAföG wird aber zunehmend zu
einer Sparmaßnahme.
Liebe Kollegin Sager, ich stimme Ihnen in der Sache
zu.
({0})
Nur, wir haben politisch etwas anderes beschlossen. Ich
sage Ihnen einmal etwas aus dem Innenverhältnis. Bei
der letzten BAföG-Erhöhung gab es als Grundlage - ich
finde zu Recht - einen objektiven Bericht. Dieser Bericht hat genau ermittelt, wie die Preise und die Einkommen in dieser Zeit gestiegen sind. Es ist vollkommen
klar, dass die Studierenden an der Steigerung der Inflationsrate, der Preisentwicklung und der Einkommensentwicklung entsprechend partizipieren sollen. Die Erhöhung des BAföG ging über den durch den Bericht
ermittelten Preissteigerungs- und Einkommenssteigerungsprozentsatz hinaus. Im Innenverhältnis gab es sogar die Diskussion, ob wir die Dimension brauchen.
Ministerin Schavan wollte diese unbedingt. Ich sage Ihnen ehrlich: Man sollte sich die Preissteigerung und die
Einkommensentwicklung genau anschauen und sollte
das BAföG exakt gleich erhöhen. Ministerin Schavan
wollte - nicht unbedingt zu meiner Freude - unbedingt
mehr drauflegen. Das heißt, ich stimme Ihnen zu. Wir
haben die Anpassung gemacht. Wir haben sie überproportional gemacht.
({1})
Deswegen geht es den Studierenden während unserer
Regierungszeit besser als unter Rot-Grün.
({2})
Bei der Hochschulforschung gibt es eine absolut erfreuliche Entwicklung. Der DFG beispielsweise, eine international anerkannte und sehr geschätzte Institution,
haben wir einen Aufwuchs in Höhe von 5 Prozent zugesagt. Die bekommt sie auch. Wir sind verlässlich. Sie erhält erstmals seit ihrem Bestehen mehr als 1 Milliarde
Euro vom Bund.
Noch nie in der Geschichte Deutschlands gab es mehr
Studienanfänger, mehr Studierende, mehr Erstabsolventen, mehr Promovierende, mehr Beschäftigte und mehr
Professoren als heute. Das ist die Wahrheit - von wegen
wir tun nichts für die Hochschulen.
Zentral für die Weiterentwicklung der Hochschulen ist,
dass die Pakte auf verlässliche solide und langfristige
Grundlagen gelegt werden. Entscheidend ist auch, dass
universitäres und außeruniversitäres Forschen stärker verzahnt werden. Deswegen brauchen wir die Änderung des
Art. 91 b des Grundgesetzes. Alle relevanten Akteure in
der Wissenschaftscommunity - Hochschulen, HRK, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, WissenschaftsAlbert Rupprecht ({3})
rat - wollen diese Änderungen und unterstützen uns. Nur
SPD, Grüne und Linke wollen sie verhindern. Sie verhindern damit die wichtigste Weiterentwicklung des
deutschen Wissenschaftssystems, sehr geehrte Damen
und Herren der Opposition.
({4})
Lassen Sie mich angesichts der Zeit nur noch einige
wenige Punkte ansprechen. Ich möchte kurz auf den Kritikpunkt „mittelfristige Finanzplanung“ eingehen. Um es
einmal klarzustellen: Mich als Parlamentarier, als frei
gewählten Abgeordneten im Deutschen Bundestag, interessiert es herzlich wenig, was - mit Verlaub gesagt - irgendwelche Mitarbeiter im Finanzministerium in ihren
Excel-Tabellen für die mittelfristige Finanzplanung vorsehen.
({5})
Das Haushaltsrecht ist das Recht des Parlaments.
({6})
In den letzten Jahren haben die Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums, die natürlich nur Jahresentwicklungen fortschreiben können, weil sie keine politische
Kompetenz haben, ihre Excel-Tabellen fortentwickelt
und entsprechende Pläne gemacht. Wir haben jedoch gesagt: Schön, dass ihr die Pläne gemacht habt, aber wir
haben beschlossen, den Haushalt um 12 Milliarden Euro
aufzustocken, weil wir den politischen Willen dazu haben.
Wer auch immer für die nächste Legislaturperiode die
Zustimmung der Bevölkerung zur Regierungsbildung erhält, wird sich der Frage stellen müssen: Welche Kraft
habt ihr, den Bereichen Forschung und Bildung entsprechende Priorität einzuräumen?
Ich sage an dieser Stelle abschließend: Ich bin stolz
auf meine Fraktion - das sage ich auch als Sprecher der
Unionsfraktion für Forschung und Bildung -; denn es
war kein einfacher Weg, zunächst diese Ankündigung zu
machen und dann vier Jahre lang nicht nur durchzuhalten, sondern überzuerfüllen. Das gilt besonders angesichts der dramatischen weltweiten Situation mit ihren
internationalen Krisen.
Wir haben Wort gehalten. Das ist ein Beweis für unsere Glaubwürdigkeit in diesem Bereich. Wir können
stolz sein; denn diese Regierungszeit wird im Bereich
Forschung und Bildung in der historischen Betrachtung
als herausragend in die Geschichtsbücher eingehen.
({7})
Danke schön.
({8})
Die Kollegin Dagmar Ziegler hat nun für die SPDFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Rupprecht, die Antwort darauf, in welcher
Richtung diese Regierungszeit herausragend war, werden wir noch finden müssen.
({0})
Es stimmt, Sie stellen in Ihrem Haushalt mehr Geld
für Bildung ein. Das haben Sie jetzt ausführlich gewürdigt. Damit haben die guten Nachrichten aber schon ein
Ende, zumal Sie auch Geld für 2014 und 2015 verbraten
wollen und so Ihren Nachlassverwaltern oder Nachlassverwalterinnen große Haushaltslöcher hinterlassen werden.
Sie sagen: Was schert uns die Zukunft im Hinblick
auf die Finanzplanung? Das müssen Sie einmal öffentlich von Herrn Schäuble wiederholen lassen.
({1})
Darüber wird sich die Öffentlichkeit sehr wundern.
Heute wurde schon einmal Ihr Altbundeskanzler zitiert.
Ich werde das auch tun, vielleicht hilft es ja. Er hat gesagt: Entscheidend ist, was hinten rauskommt. - Mehr
Geld alleine reicht nicht aus. Deutschland ist heute von
der Bildungsrepublik, die Kanzlerin Merkel versprochen
hat, genauso weit entfernt wie 2009.
Im Grunde ist es noch schlimmer: Mit der Einführung
des Betreuungsgeldes verschlechtern Sie nämlich ganz
bewusst und wissentlich die Chancen vor allem für benachteiligte Kinder. Das sagen nicht nur wir, sondern das
sagen auch Ihre ehemaligen Ministerinnen Frau Professor Rita Süssmuth und Frau Professor Ursula Lehr, so
vor zwei Wochen in der Zeit.
Selten hat es so großen Widerstand gegen ein politisches Projekt gegeben wie gegen das Betreuungsgeld,
und trotzdem will die Bundeskanzlerin die Bildungsfernhalteprämie einführen.
({2})
- Ich weiß, bei Ihnen hat Haushalt und Politik offensichtlich wenig miteinander zu tun, oder das ist der Widerspruch in sich. Ich weiß es nicht.
({3})
Mit diesem Betreuungsgeld, das Kinder von benachteiligten Familien oftmals von der Bildung fernhält, entlarvt sich Ihr Gerede von einer Bildungsrepublik endgültig als das, was es von Anfang an war: als heiße Luft.
Für viele ist es nur ein Marketinggag oder einfach ein
leeres Versprechen.
Was ist denn das zentrale Problem unseres Bildungssystems? Das zentrale Problem ist, dass für Kinder und
Jugendliche ihre Herkunft zum Schicksal wird, dem sie
kaum entrinnen können. Bildungschancen werden in
Deutschland vererbt, schreibt uns die OECD wieder ins
Stammbuch, und sie hat leider recht.
({4})
Was wir deshalb brauchen, ist eine gute und frühe Förderung für alle Kinder in Kitas und Ganztagsschulen, sodass Bildungschancen und Elternhaus entkoppelt werden
können.
({5})
Wir brauchen ein Bildungssystem, das den Zugang zum
Abitur und zur Hochschule ermöglicht, wenn die Leistung stimmt, und nicht nur, wenn der Geldbeutel der Eltern stimmt. Wir brauchen ein Bildungssystem, das auch
diejenigen mitnimmt, die einmal straucheln oder stolpern, ein System, das zweite, dritte und wenn nötig auch
vierte Chancen einräumt.
({6})
Bildungsrepublik à la Merkel bedeutet stattdessen,
dass die Bundesregierung beim Kitaausbau über Jahre
auf stur geschaltet hat. Dass Kommunen und Ländern
das Wasser bis zum Hals steht, schert Sie nicht, dass für
Kinder und Eltern der Rechtsanspruch auf der Kippe
steht, lässt Sie kalt. Frau Professor Schavan, es waren allein die Länder, die in den Verhandlungen zum Fiskalpakt beim Thema Kitaausbau für Bewegung gesorgt haben.
({7})
Unsere Anträge, die wir dazu im Rahmen der Haushaltsberatungen im letzten Jahr eingebracht haben, haben Sie
rundweg abgelehnt. Jetzt muss der Bund zahlen, und das
ist gut so.
Bildungsrepublik à la Merkel bedeutet auch, jede Initiative zum weiteren Ausbau von Ganztagsschulen
schuldig zu bleiben. Dabei wissen wir alle: Ganztagsschulen sind der Schlüssel, um Kinder mit besseren
Chancen auszustatten. 70 Prozent der Eltern wünschen
sich deshalb für ihre Kinder einen Platz in der Ganztagsschule.
Bildungsrepublik à la Merkel heißt: Fast 2 Millionen
junge Menschen stehen in Deutschland mit leeren Händen da. Sie starten ohne das nötige Rüstzeug in das Leben als Erwachsene. Sie haben keinen Berufsabschluss
und befinden sich auch in keiner berufsqualifizierenden
Maßnahme. Auch hier bleibt die Regierung ein Konzept
schuldig. Kein Ansatz, keine Idee. Die Konsequenz ist,
dass aus den Benachteiligten auf Dauer Ausgeschlossene
werden.
Eine Zahl hat uns alle im letzten Jahr aufgeschreckt:
7,5 Millionen funktionale Analphabeten leben in Deutschland. Jeder siebente Erwachsene im erwerbsfähigen Alter
kann nicht richtig lesen und schreiben. Berufliche und gesellschaftliche Teilhabe sind damit erschwert, oft unmöglich. Auch hier ist die Bundesregierung nicht in der Lage,
ein umfassendes und überzeugendes Konzept zu entwickeln und umzusetzen.
Ihre Untätigkeit in all diesen wichtigen Fragen begründen Sie oft und gerne mit dem Kooperationsverbot.
Ja, tatsächlich stehen wir in der Bildungspolitik vor diesem Dilemma. Die Länder haben die Kompetenz, der
Bund das Geld. Damit der Bund sich an der Schaffung
eines gerechten und zukunftsfähigen Bildungssystems
beteiligen kann, wollen wir Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten das Kooperationsverbot zu Fall bringen.
({8})
- Wir gemeinsam, das muss man der Ehrlichkeit halber
schon sagen. Wir alle gemeinsam wissen auch, dass das
ein grundlegender Fehler war. Nur, wir wollen es abschaffen, Sie leider nicht.
({9})
Auch die Bundesregierung hat einen Vorschlag zum
Kooperationsverbot unterbreitet. Sie wollen aber eine
Grundgesetzänderung - Herr Rupprecht hat das noch einmal hervorgehoben -, die es dem Bund lediglich ermöglicht, exzellente Forschungseinrichtungen zu fördern. Sie
machen aber keinen Vorschlag, wie Schulen finanziert,
die Inklusion verbessert, der Bereich der frühkindlichen
Bildung ausgebaut oder Fortschritte im Kampf gegen Analphabetismus gemacht werden können. All das geht mit
Ihrem Vorschlag nicht, und deshalb geht Ihr Vorschlag
mit uns nicht. Für eine solche Grundgesetzänderung steht
die SPD nicht zur Verfügung. Wir wollen echte und spürbare Verbesserungen - für Bildung im ganzen Land.
({10})
Eine Bildungsrepublik hat Kanzlerin Merkel ausgerufen. Aber der Ruf verhallt wie so vieles in der Wüste dieser „Regierungskollision“.
({11})
Es wird höchste Zeit für mehr Verantwortung und Gestaltungswillen für eine neue Regierung, die bessere
Haushaltszahlen mit besserem Inhalt vorlegt.
Vielen Dank.
({12})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Meinhardt
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Was haben wir unter großen Kraftanstrengungen in den letzten Jahren in der Bildungs- und Forschungspolitik in unserem Land alles erreicht? Die
Menschen sind motivierter, sie trauen sich etwas zu, investieren mehr in Weiterbildung, Türen öffnen sich,
Aufstiegschancen werden genutzt, Lehrer und Erzieher
wollen zeigen, was in ihnen steckt, Forscher wollen unser Land an die Spitze bringen, junge Menschen wollen
gefördert werden. Allen Unkenrufen zum Trotz tut sich
in diesem Land richtig viel. Wissen Sie, was? Darauf
können wir in diesem Land stolz sein.
({0})
Liebe Frau Ziegler, lieber Herr Hagemann, ich bringe
Ihnen jetzt als Übergang einmal ein Zitat:
Das Bildungsniveau ist weiter angestiegen. Die
Zahl der Abiturienten nimmt zu, die Zahl der
Schulabbrecher geht weiter zurück.
Diese Einschätzung zur Gesamtsituation in der Bundesrepublik Deutschland stammt, auch wenn ich sie
teile, nicht von mir, sondern vom sozialdemokratischen
Schulsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, Herrn
Rabe. Ich möchte Ihnen damit einfach nur helfen, Ihre
Hemmschwelle für positive Sätze hier im Deutschen
Bundestag abzubauen.
({1})
Vier Fakten sollte man am Anfang einer Haushaltsdebatte immer und immer wieder klarstellen.
Erstens. Der nationale Bildungsbericht enthält eine
wichtige Zahl für uns. Seit Jahren fordern alle in diesem
Hohen Haus, dass wir 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung investieren. Der nationale Bildungsbericht hat es uns attestiert: Wir haben das erstmals erreicht. Dies ist die erste gute Botschaft.
({2})
Zum Zweiten. Mit 2,8 Prozent im Jahr 2010 und stetigen Verbesserungen im letzten und in diesem Jahr sind
wir schon ganz nahe am innovationspolitischen Ziel,
3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und
Entwicklung zu investieren. Das ist ein unglaublicher
Fortschritt von Wirtschaft, Bund, Ländern und den Forschungseinrichtungen. Auch dies ist hier festzustellen.
({3})
Zum Dritten. Diese Bundesregierung arbeitet in einer
Krise gegen den Trend so vieler anderer Länder und investiert bewusst 12 Milliarden Euro mehr in Bildung
und Forschung. Diese gewaltige Investition, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die beste Krisenprävention. Das
zeigt sich hier und heute.
({4})
Zum Vierten. Mit 13,8 Milliarden Euro legen wir Ihnen einen Rekordhaushalt, den eigentlichen Megahaushalt für Bildung und Forschung vor, um gerade in der
jetzigen Situation einen weiteren Schub für die Bildungsrepublik Deutschland zu erreichen. Das muss in
diesem Hohen Haus auch ganz klar artikuliert werden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Zahl der
Studierenden ist mit 2,38 Millionen so hoch wie noch
nie. Wir haben 667 Millionen Euro zusätzlich investiert,
um im Hochschulpakt eine neue Dynamik entstehen lassen zu können. Genau das ist die richtige Antwort einer
Bundesregierung. Sie sieht die Situation und greift sie
mutig an. Sie packt es an und nimmt weitere 700 Millionen Euro in die Hand. Dies ist ein Zeichen dafür, dass
die Finanzpolitik und eine damit Hand in Hand gehende
Vorsorge für eine Bildungsrepublik gut bei dieser Bundesregierung aufgehoben sind.
({5})
Kollege Meinhardt, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Gehring?
Nein. - Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wenn wir uns den gesamten Bereich der Studien- und
Bildungsfinanzierung anschauen, dann ist festzustellen
- das ist enorm wichtig -: Wir haben klare Akzente im
Bereich des BAföG gesetzt. Das ist und bleibt für diese
Bundesregierung ein zentraler Anker der Studienfinanzierung. Allein der BAföG-Bericht dieses Jahres weist
aus, dass die Zahl der geförderten Studierenden mit
16 Prozent deutlich stärker gestiegen ist als die Zahl der
Studierenden mit 9 Prozent. Zum anderen konnte - um
hier einmal mit einem immer wieder aufgeworfenen Vorurteil aufzuräumen - durch die Erhöhung der Bedarfssätze
der durchschnittliche Förderbetrag um 10 Prozent erhöht
werden. Damit sind die Steigerung der Lebenshaltungskosten und der Inflationsausgleich in vollem Umfang berücksichtigt. Das sind klare Zeichen dafür, wo diese
Bundesregierung ihre Schwerpunkte setzt. Das BAföG
ist ein fester Anker für eine gute, verlässliche Studienfinanzierung.
({0})
Was die Stipendienkultur in der Bundesrepublik
Deutschland angeht, so kann ich, wenn ich mir das anschaue, was hier in diesem Land stattgefunden hat, nur
sagen: Das war bis vor einiger Zeit eine richtige Wüste.
Wir hatten die rote Laterne in der Stipendienkultur. Da
hat sich nun enorm viel getan. 16 000 Studierende haben
in diesem Land ein Stipendium bekommen. Die Zahl
wurde von der rot-grünen Regierung im Jahre 2005 weitergegeben. Heutzutage sind wir bei 37 000.
Wir haben jetzt zusätzlich noch das Deutschlandstipendium. Wir haben damit etwas erreicht, was ich für
enorm wichtig halte. Bei den Begabtenförderungswerken gibt es gerade einmal 8 bis 9 Prozent Studierende,
die aus den Fachhochschulen kommen. Diese Studierenden haben einen enormen Bildungsaufstieg hinter sich
gebracht, sind von der Realschule in den Bereich der beruflichen Schule, Fachhochschule hineingegangen. Beim
Deutschlandstipendium werden nach nur einem Jahr
30 Prozent der Stipendien an Fachhochschulen vergeben
werden. Wir schaffen es also bis Ende dieses Jahres, die
Zahl der Fachhochschüler in diesem Land, die ein Stipendium haben, zu vervierfachen. Das ist eine Leistung,
die nun wirklich grandioser Natur ist.
({1})
Den Wissenschaftsstandort Deutschland, die Exzellenzinitiative voranbringen, der Qualitätspakt Lehre, der
Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“, der Pakt für Forschung und Innovation, all das sind
wichtige Elemente. Gerade wenn wir im Blick haben,
dass die Exzellenzinitiative 2017 ausläuft - wir investieren da jetzt noch einmal 2,7 Milliarden Euro -, ist es für
mich umso unverständlicher, dass die Veränderung, die
wir auf Antrag und mit Unterstützung des Bundeslandes
Bayern vornehmen wollen, nämlich über Art. 91 b GG
künftig bei überregionaler Bedeutung auch Einrichtungen im Bereich der Wissenschaft und Forschung an
Hochschulen zu fördern, im Bundesrat blockiert wird.
Man muss an dieser Stelle eines sehr klar sagen: Wer
diese Änderung des Art. 91 b des Grundgesetzes blockiert,
der muss den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern,
den Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern, den
Rektorinnen und Rektoren und den Studierenden in die
Augen sehen und ihnen sagen: Wir wollen nicht, dass ihr
das Geld bekommt, das die Bundesregierung euch geben
möchte.
({2})
Förderung der wirtschaftspolitischen Innovationen
und Technikförderung, der zentralen Bereiche Hightech,
Validierungsprogramm, Spitzenclusterwettbewerb - dies
sind nur einige Stichworte. Die FuE-Projektförderung
wird einen Aufwuchs von 16,4 Prozent, das heißt
884 Millionen Euro, haben. Die Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie wird über sechs Jahre mit
2,4 Milliarden Euro ausgestattet; der Aktionsplan Nanotechnologie wird ebenfalls von dem Aufwuchs profitieren. Das alles macht eines deutlich: Diese Bundesregierung setzt darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland
ein in sich starker Forschungsstandort wird. Wir werden
weiterhin die Akzente so setzen, wie wir es für richtig
und notwendig halten.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, der beruflichen Bildung die Aufmerksamkeit zu schenken, die die
Ministerin ihr geschenkt hat. Eines ist ganz klar: Wir haben ein hervorragendes System der beruflichen Bildung.
Wir investieren in die Bildungsketten. Wir haben im Berufsorientierungsprogramm mächtige Investitionen. Die
berufliche Bildung ist das Flaggschiff. Die duale Ausbildung ist der beste bildungspolitische Rettungsschirm,
den dieses Land überhaupt hat.
({3})
Was würde in diesem Land fehlen, wenn es nicht die
Initiative für das Wissenschaftsfreiheitsgesetz gäbe? Es
ist enorm wichtig, um Autonomie, Eigenverantwortung
und Transparenz voranzubringen, um flexible Handlungsspielräume im Haushalt, bezüglich Personal, Beteiligungsvorhaben und Bauvorhaben, zu schaffen. Mit
einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz werden wir es schaffen, den Standort voranzubringen und damit einen zentralen Motor für die Wissenschafts- und Wirtschaftsnation Bundesrepublik Deutschland zu schaffen.
({4})
Zum Schluss möchte ich sehr deutlich machen: Diesen Motor für Wissenschaftsfreiheit wollen wir auch in
den Bereichen Hochschule und Schule. Deswegen
schließe ich meine Rede mit einem Zitat:
Schaffen wir ein Bildungswesen, das Leistung fördert, keinen ausschließt, Freude am Lernen vermittelt und selbst als lernendes System kreativ und entwicklungsfähig ist. Setzen wir neue Kräfte frei,
indem wir bürokratische Fesseln sprengen. Entlassen wir das Bildungssystem in die Freiheit.
Recht hatte er, Roman Herzog.
Vielen herzlichen Dank.
({5})
Die Kollegin Dr. Rosemarie Hein hat nun für die
Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Rupprecht hat vorhin das 12-MilliardenEuro-Ziel verteidigt und sich dafür auf die Schulter geklopft, dass die Koalition das hinbekommt. Es ist wahr:
Wenn man es zusammenrechnet, kommt man auf diese
Summe. Aber lassen Sie uns einmal genauer schauen,
was darunter zu verstehen ist, und lassen Sie uns das Ergebnis hinterfragen.
Ich möchte mit der Frage, ob die Mittel überhaupt
auskömmlich sind, anfangen. Je nachdem, welchen Erhebungen man folgt, müssten in die Bildung bundesweit
jährlich zwischen 20 und 40 Milliarden Euro mehr investiert werden. Das 12-Milliarden-Euro-Paket erstreckt
sich aber über vier Jahre; die 12 Milliarden Euro sind die
Summe der Investitionen. Das heißt, pro Jahr fließen,
wenn man den Durchschnitt nimmt, gerade einmal
3 Milliarden Euro mehr in die Bildung. Das ist nicht einmal ein Zehntel der erforderlichen Summe.
({0})
In einer heute veröffentlichten OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ wird demzufolge - dies passiert
immer wieder - der Bundesrepublik Deutschland eine
unterdurchschnittliche Bildungsfinanzierung bescheiDr. Rosemarie Hein
nigt. Nur 5,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wenden
wir für Bildung auf. Der OECD-Durchschnitt liegt inzwischen bei 6,3 Prozent.
Noch schlimmer ist aber, dass diese 12 Milliarden
Euro sozusagen nicht verstetigt werden, also nicht einmal die 3 Milliarden Euro jährlich werden uns erhalten
bleiben. Herr Rupprecht, ich glaube nicht, dass Sie das
beeinflussen und dafür sorgen können, dass diese 3 Milliarden Euro in den nächsten Jahren immer oben draufkommen. Wie gesagt, wir bräuchten viel mehr. Insofern
ist es schon schwierig, wenn diese Mittel sozusagen nur
ein kleiner Geldregenschauer waren, man sie aber nicht
kontinuierlich in die Bildung stecken kann.
({1})
Schon jetzt gibt es im Bildungsbereich nicht nur Aufwüchse, sondern auch Kürzungen. Beim BAföG zum
Beispiel kommt es zu Kürzungen, und das Ausbildungsplatzprogramm Ost läuft aus. Man hätte dieses Geld gut
und gerne umwidmen und in ein Programm zur Förderung der Ausbildung in strukturschwachen Regionen stecken können. Das haben Sie aber nicht getan.
({2})
Es wäre auch besser, wenn im Bereich der Weiterbildung, in dem stark gekürzt werden soll, nicht gekürzt
würde. Sie selbst haben schließlich im Rahmen des
Dresdner Bildungsgipfels das Ziel formuliert, die Weiterbildungsquote auf 50 Prozent zu erhöhen. Das ist mit
Kürzungen nicht möglich.
Frau Kollegin Hein, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kretschmer?
Aber gern.
Frau Kollegin, Sie haben die OECD zitiert, verbunden mit dem Hinweis, dass in Deutschland mehr Geld
für Bildung und Wissenschaft ausgegeben werden soll.
Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass die OECD vor allen Dingen im Bereich der privaten Mittel einen Nachholbedarf sieht und dass sich auch der bekannte Bildungsforscher Schleicher sehr für Studiengebühren
ausspricht?
({0})
Würden Sie das zur Kenntnis nehmen, und könnten Sie
uns dazu vielleicht Ihre Meinung sagen?
Wissen Sie, verehrter Herr Kollege: Auch was die öffentliche Bildungsfinanzierung betrifft, liegt die Bundesrepublik Deutschland unterhalb des OECD-Durchschnitts.
({0})
Ich denke, diesen Umstand sollten wir uns als Erstes anschauen. Wir dürfen uns die Zahlen nicht schönrechnen,
so wie wir sie gerne hätten.
({1})
Dass wir eine Steigerung der privaten Bildungsausgaben
nicht forcieren wollen, können Sie sich vorstellen. Dafür
stehen wir nicht zur Verfügung. Wir wollen mehr öffentliche Mittel für die Bildung. So wie die Finanzierung
momentan abläuft, ist das aber nicht möglich.
({2})
Frau Kollegin Hein, auch der Kollege Rossmann
würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Gerne.
Bitte schön.
Frau Kollegin, können Sie dem Haus in Anbetracht
der Zwischenfrage des Kollegen Kretschmer, des Generalsekretärs des CDU-Landesverbandes Sachsen, vielleicht erklären, wie die Haltung der Sächsischen Staatsregierung in Bezug auf Studiengebühren ist, ob in
Sachsen Studiengebühren eingeführt werden, ob sich der
dortige Ministerpräsident Tillich vehement für die Einführung von Studiengebühren in Sachsen einsetzt und ob
es eben beim Kollegen Kretschmer gegebenenfalls eine
gewisse Bewusstseinstrübung in Bezug auf seine Herkunft aus Sachsen und seinen Verweis auf die OECD gegeben haben könnte?
({0})
Verehrter Herr Kollege Rossmann, von der Einführung von Studiengebühren ist in vielen Ländern - ich
glaube, in den allermeisten - nicht auszugehen. Auch in
Sachsen-Anhalt, dem Bundesland, aus dem ich komme,
ist das bislang nicht der Fall. Das finde ich völlig richtig.
Dabei sollte es auch bleiben. Denn der Weg über die private Bildungsfinanzierung führt dazu, dass immer mehr
vor allem junge Menschen, die es nicht so leicht haben,
Bildung zu finanzieren, von Bildung ausgeschlossen
bleiben. Insofern sind Studiengebühren kontraproduktiv. Insbesondere die Ereignisse der letzten Monate in
Sachsen zeigen ja, dass in der sächsischen Bildungspolitik bei weitem nicht alles in Ordnung ist.
({0})
Dennoch: 12 Milliarden Euro sind mehr als nichts;
das will ich Ihnen gerne zugestehen.
({1})
Ich möchte gerne etwas zur Effizienz der eingesetzten
Mittel sagen. Schauen wir uns einmal das Bildungs- und
Teilhabepaket an. Die Mittel dafür sind im Haushalt des
Sozialministeriums versteckt, bei den Kosten der Unterkunft. Die Gewährung der Mittel für die Teilhabe an
Kultur- und Sportangeboten zum Beispiel hat vor Ort
mitunter dazu geführt, dass für bislang kostenfreie Angebote für Benachteiligte nun Beiträge erhoben werden,
die dann aus dem Teilhabepaket finanziert werden. Auch
bei der Schulsozialarbeit haben manche Kommunen ihr
eigenes Engagement durch Inanspruchnahme der Bundesmittel ersetzt. Das sind dann aber keine zusätzlichen
Mittel mehr.
Oder: Die Lernförderung wird von nur 5 Prozent der
Leistungsberechtigten überhaupt nachgefragt. Aber es
gibt 53 000 Schülerinnen und Schüler, die die Schule
ohne Abschluss verlassen. Die Zahl derer, die eine Lernförderung bräuchten, ist noch viel höher.
Warum eigentlich können wir die Schulen nicht so
ausstatten, dass eine ausreichende und umfassende individuelle Lernförderung möglich ist? Warum müssen
Schulen erst Bankrotterklärungen abgeben, damit die
Lernenden an die Bundesknete kommen? Warum sind
wir immer wieder genötigt, bei der Bildungsfinanzierung Umwege zu gehen? Ich weiß: Es gibt das Kooperationsverbot in der Bildung. Aber: Schaffen wir es doch
einfach ab!
({2})
Zu den wenigen Aufwüchsen im Bildungshaushalt
gehört das mit zunächst 30 Millionen Euro angesetzte
Programm „Kultur macht stark“. Ich habe auf meiner
Sommertour bei den Vereinen einmal nachgefragt, was
bei ihnen ankommt. Die meisten kannten es noch nicht.
Die Vereine vor Ort, die sehr viel für benachteiligte Jugendliche tun, kommen an diese Mittel überhaupt nicht
heran. Ich finde, hier ist eine Nachbesserung angesagt.
Man könnte diese Aufzählung fortsetzen. 12 Milliarden Euro hören sich eben nur in der Summe gut an. Ich
habe leider nicht genug Redezeit, um noch mehr dieser
Unmöglichkeiten aufzulisten, aber es gibt sie. Wir können es zum Beispiel überhaupt nicht akzeptieren, dass
von diesen 12 Milliarden Euro 192 Millionen Euro allein
in die Rüstungsforschung fließen, während für die Umsetzung von Inklusion nicht ein Cent vorgesehen ist. Das
ist nicht hinnehmbar.
({3})
Die Bundesbildungspolitik ist über weite Strecken
nicht mehr als ein Reparaturversuch an einem untauglichen System. Dort, wo es durchaus nützliche Programme gibt, bleibt sie Stückwerk. Es gibt ein Auf und
Ab in den Programmen. Das ist alles andere als Kontinuität.
Wir kämen ein gutes Stück weiter, gelänge es, die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung auf
eine neue Grundlage zu stellen. Dann könnten wir aus
dem Bildungshaushalt tatsächlich einen Bildungshaushalt machen und nicht das, was er jetzt ist, nämlich ein
Stückwerk mit Rumpfcharakter.
Ich danke schön.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Anette Hübinger von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute debattieren wir in der ersten Runde über den Haushalt für
Bildung und Forschung für das Haushaltsjahr 2013. Herr
Hagemann, das ist kein Wahlkampfhaushalt, sondern ein
Haushalt des Versprechen-Einhaltens und der Verlässlichkeit.
({0})
Für den Haushalt im Allgemeinen galt und gilt auch
weiterhin: Die Haushaltskonsolidierung wird vorangetrieben. Angesichts der Euro-Krise ist das keine einfache
Aufgabe.
Dank einer guten Wirtschaftslage und einer guten Beschäftigungslage sprudeln in Deutschland zurzeit zwar
die Steuereinnahmen, doch für Begehrlichkeiten ist kein
Raum. Vielmehr ist verstärkt Vorsorge für die Zukunft
und den politischen Handlungsspielraum der nachfolgenden Generationen zu treffen.
Wir als christlich-liberale Koalition hatten uns vorgenommen, in dieser Legislaturperiode 12 Milliarden Euro
mehr in den Bereich Bildung und Forschung zu investieren. Das wurde heute schon mehrfach erwähnt. Dieses
Versprechen halten wir. Ich gehe davon aus, dass wir,
wenn wir nachher einen Strich darunter ziehen, sehen
werden, dass wir sogar noch darüber liegen.
({1})
Wir erhöhen die Mittel im Einzelplan 30 in diesem
Haushaltsjahr 2013 um 800 Millionen Euro. Das ist eine
Steigerung um 6 Prozent und bedeutet ein Rekordniveau. Auf dem war ein Haushalt für Bildung und Forschung noch nie. 13,7 Milliarden Euro für Bildung und
Forschung: Das ist etwas, was die Zukunft Deutschlands
voranbringt, was für uns von einer immensen Bedeutung
ist.
Wir haben deshalb die Bildungsförderung - es geht
eben um Bildung und Forschung - breit aufgestellt; die
Ministerin hat es schon erwähnt. Von Kleinkindern bis
hin zu Erwachsenen - Stichwort „Weiterbildung“ -: Jeder muss den Zugang zu guten Bildungschancen und damit einhergehend auch zu guten Berufschancen haben.
Wir machen unser Berufsausbildungssystem - das gilt
insbesondere für die duale Berufsausbildung, um die uns
mittlerweile nicht nur Europa, sondern die ganze Welt
beneidet; als Entwicklungspolitikerin habe ich das schon
vor Jahren gehört - fit für die Zukunft. Wir stecken in
diesen Bereich nämlich mehr Mittel und stocken sie von
185 Millionen Euro auf 204 Millionen Euro auf.
Auch wenn die OECD ihre Aussage heute wieder etwas differenziert hat, hat auch sie mittlerweile erkannt,
dass das System der dualen Ausbildung beispielgebend
ist, insbesondere auch für eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit. Deshalb gibt sie den Hinweis, man solle sich daran orientieren.
Spanien hat mittlerweile eine Kooperation mit
Deutschland für diesen Bereich getroffen. Die Firma
SEAT hat die duale Ausbildung eingeführt. Die spanische Regierung trifft im Moment gerade die ersten Vorkehrungen dafür, um dies umzusetzen; denn es zeigt
sich, dass die Verzahnung von Theorie und Praxis einen
großen Vorteil gegenüber einer rein akademischen oder
rein theoretischen Ausbildung bietet.
Herr Kollege Hagemann, Sie sagen, in Bildungsketten würde nicht mehr investiert, um auch Jugendlichen,
die etwas mehr Unterstützung und Begleitung brauchen,
zu helfen. Wir haben dieses Programm auf eine solide
Basis gestellt. Wir haben das im Sozialhaushalt mit einer
50-prozentigen Beteiligung der Länder abgebildet. Da
müssen eben die Länder ihre Hausaufgaben machen.
Also, wir sind hier auf dem richtigen Weg. Dem Bund
kann man hier keine Vorwürfe machen.
({2})
Die akademische Bildung haben wir durch den Hochschulpakt mit den Ländern solide finanziert. Das ist auch
notwendig, weil sich mittlerweile über 50 Prozent eines
Jahrganges für eine akademische Ausbildung entscheiden. Um der weiteren positiven Entwicklung bei den
Studierendenzahlen gerecht zu werden, stocken wir die
Mittel für den Hochschulpakt im kommenden Jahr maßgeblich auf. Bereits 2012 investierte der Bund in diesen
Bereich, in die erste Säule, 1,1 Milliarden Euro - Kollege Rupprecht hat es erwähnt -, und zwar ohne dafür
die originäre Zuständigkeit zu haben. In 2013 werden
wir diese Summe auf 1,8 Milliarden Euro aufstocken.
Das ist eine Herausforderung für jeden Haushalt, aber
ich denke, es ist im Interesse der Studierenden unumgänglich.
({3})
Wenn es mehr Studierende gibt, wächst auch die
Nachfrage nach Stipendien und nach Begabtenförderung. Deshalb ist es folgerichtig, dass die Zuschüsse für
die Begabtenförderungswerke von knapp 176 auf circa
198 Millionen Euro aufgestockt werden. Wo mehr junge
Menschen studieren, muss zugleich auch in die Entwicklung des Hochschul- und Wissenschaftssystems investiert werden. Dieser Haushaltstitel wird daher um knapp
13 Prozent von 235 auf 265 Millionen Euro erhöht. Von
dieser Erhöhung profitieren insbesondere der Qualitätspakt Lehre und die Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses. Ich denke, das ist ein sehr gutes Signal an die
Studierenden.
Auch die Forschung haben wir als christlich-liberale
Koalition auf eine solide finanzielle Grundlage gestellt
und den Fokus auf die Herausforderungen unserer Zeit,
wie Klima, Energie, Mobilität und Gesundheit, um nur
einige zu nennen, gerichtet. Damit haben wir die richtigen Voraussetzungen geschaffen, um der Marke „Made
in Germany“ den guten Ruf zu erhalten. Hier, Herr
Hagemann, möchte ich auch das „Haus der Zukunft“ ansiedeln. Millionen kommen zu uns nach Deutschland
und sehen sich die Kulturstätten an. Was ist besser, als zu
zeigen, in welchen Dingen wir Fortschritte machen und
wohin wir in der Zukunft wollen?
({4})
Ich denke, dass sich viele Touristen für so etwas interessieren werden; denn das kleine Quäntchen mehr in
der Forschung macht es aus, dass die Wirtschaft in
Deutschland weiterhin prosperiert, Arbeitsplätze gesichert werden und damit auch die Steuereinnahmen sprudeln.
Gerade die jährliche Steigerung des Budgets unserer
außeruniversitären Forschungseinrichtungen um 5 Prozent - ich nenne hier Helmholtz-Gemeinschaft und MaxPlanck-Gesellschaft als Beispiele - findet national wie
international eine große Beachtung,
({5})
und das ausgesandte Signal ist eindeutig: Forschung ist
Deutschland viel wert.
Diese positive Außenwirkung ist in Zeiten zunehmender Internationalisierung von Wissen und Forschung
dringend notwendig, um sich im internationalen Wettbewerb klar zu positionieren und als attraktiver Kooperationspartner wahrgenommen zu werden.
({6})
Auch wird die zuverlässige Finanzierung unserer Forschungsinstitute von im Ausland lebenden und forschenden Deutschen, die diese Woche gerade auf der GAINKonferenz waren, mit Sicherheit zur Kenntnis genommen; denn es wirkt auf diese jungen Menschen motivierend, sich mit dem Forschungsstandort Deutschland wieder auseinanderzusetzen und hier ihre Zukunft zu sehen.
Das ist in Zeiten des demografischen Wandels und im
Wettbewerb um die besten Köpfe die richtige Entwicklung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, nehmen Sie zur Kenntnis: Dieser Haushalt schlägt die richtige Richtung ein. Wir müssen nun versuchen, dies auch
in die Zukunft hineinzutragen.
({7})
- Mifrifi. - Das ist angesichts der Euro-Krise und der
Probleme, die voraussichtlich auf uns zukommen oder
schon auf uns zugekommen sind, eine Herausforderung.
Ich danke dem Ministerium, insbesondere Frau
Ministerin Schavan und Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Helge Braun, für die Aufstellung dieses Haushalts und freue mich in der einen oder anderen Detailfrage auf eine konstruktive Zusammenarbeit bis zur
nächsten Haushaltsrunde.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ernst Dieter
Rossmann von der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Um versöhnlich anzufangen: Frau Ministerin,
Sie haben von der europäischen Verantwortung im Bereich berufliche Bildung gesprochen, die wir auch für
die Bildungsentwicklung in den südeuropäischen Ländern haben. Weil Sie heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Artikel mit dem Titel „Zukunft durch
Forschungsförderung“ veröffentlicht haben, will ich bewusst hinzufügen: Wir haben diese europäische Verantwortung auch in Bezug auf die Forschungsförderung.
Um das anschaulich zu machen: Müssen wir nur Projektbonds in Bezug auf das Verkehrsprojekt der Untertunnelung der Meerenge von Messina entwickeln, oder
kann es auch Projektbonds in Bezug auf die Forschungsförderung bzw. Forschungsinfrastruktur in südeuropäischen Ländern geben? Denn die Einheit von Forschung
und Bildung ist auch hier das Entscheidende, was wir
immer zusammenhalten müssen.
Aber es kann nicht nur versöhnlich sein. Die Einheit
von Forschung und Bildung bezieht sich auch auf das
Thema in Ihrer heutigen FAZ-Darlegung. Es geht um
Kooperation. Es geht nicht nur um die Kooperation der
kleinen und größeren Unternehmen mit der Wissenschaft und die Kooperation der Hochschulen mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, sondern auch
um die Kooperation von Bund und Ländern in Bezug auf
Bildung und Forschung. An der Stelle verweigern Sie.
({0})
Das ist ein fundamentaler Unterschied zu uns. Denn
wir sagen: Diese Bildungs- und Forschungsrepublik
Deutschland braucht das Engagement und die Kraft auf
allen Ebenen, die daran mitwirken können. Es wurde
eben angesprochen, dass die vereinigte Wissenschaft
meint, diese Grundgesetzänderung würde ihnen helfen.
Die vereinte Wissenschaft ist aber klug genug, Haushaltspläne zu lesen und zu erkennen: Die Ministerin ist
blank. Wenn sie jetzt für die mittelfristige Finanzplanung
einen Haushalt vorlegen muss, der ein Minus aufweist,
kann sie in Bezug auf die Zukunft ab 2014 nichts anbieten.
({1})
Sie sind blank. Deshalb funktioniert Ihre Politik für die
Zukunft auch nicht mehr, wenn Sie nicht realisieren, was
von der OECD bis hin zur Wissenschaft in Deutschland
mit eingefordert wird, nämlich für Bildung und Forschung in der mittelfristigen Entwicklung zusätzliche
Mittel zu mobilisieren. Dazu gibt es von unserer Seite ein
20-Milliarden-Angebot zusätzlich für Bildung. Auf Ihr
Angebot warten die Menschen noch. Wenn man zurückverfolgt, wie wir seit den legendär schlechten Tagen von
Herrn Kohl und Herrn Rüttgers für Bildung und Forschung bis 1998 in den verschiedenen Legislaturperioden
zusätzliche Mittel mobilisieren konnten, zeigt sich, dass
es immer Umschichtungen und auch besondere Effekte
gab. Unter der Regierung Schröder/Bulmahn gab es unter
anderem die UMTS-Lizenzen, die einen Schub gebracht
haben. In der zweiten Regierungsperiode von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gab es dann das Bemühen, die
durch den Wegfall der Eigenheimzulage eingesparten
Mittel - es ging um 7,6 Milliarden Euro - forschungsrelevant werden zu lassen. Wegen Ihrer Blockade konnten
wir das dann erst in der Großen Koalition realisieren. Beides zusammen hat einen gewaltigen Aufschwung für die
Bildungs- und Forschungsfinanzierung gegeben.
Bei Ihnen unter Schwarz-Gelb gab es schließlich etwas, das man durchaus ambivalent betrachten darf: Die
12 Milliarden Euro werden anerkannt, aber die deutlichen Kürzungen bei der Finanzierungsbasis im Bereich
der aktiven Arbeitsmarktförderung, aber auch in anderen
sozialen Bereichen entsprechen nicht unserem Modell.
Sie müssen jetzt aufgrund der Ansage, dass es in der
schwarz-gelben Regierungsplanung 2014 zu einem Minus für Bildung und Forschung kommt, die Frage beantworten, wie Sie die eigentlich positive Entwicklung verlängern wollen. Das geht nur, wenn Bund, Länder und
Kommunen zusammen beschließen, dass wir angesichts
von Schuldenbremsen, die die Länder vehement treffen
würden, für jede dieser Ebenen mehr Geld mobilisieren,
und zwar auch im Sinne rentierlicher Steuereinnahmen.
Alles das, was wir an zusätzlichen Steuereinnahmen aus
der Erbschaftsteuer, Vermögensteuer und vielleicht auch
aus den Spitzensteuerbereichen gewinnen können, rentiert sich, wenn wir es in Bildung und Forschung investieren.
({2})
Es rentiert sich bei den Ländern. Denn die Länder
sind immer noch die Hauptträger von Bildung und Wissenschaft. Es rentiert sich auch über den Bund.
An der Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass es
ein großer Fehler war, dass die Bundeskanzlerin, wie es
manchmal bei ihr der Fall ist - sie ist ein Chamäleon der
Politik -, erst in Richtung Bildungsrepublik gelaufen ist
und dann, nachdem sie den kooperativen Ton mit den
Ländern nicht getroffen hat, eingeknickt ist. Seit 2009 an
keiner Stelle mehr von Bildungsrepublik, Bund-LänderKooperation und anderem zu sprechen, war ein großer
Fehler der Bundeskanzlerin. Wir dürfen und wir werden
diesen Fehler von Frau Merkel nicht wiederholen.
Kollege Meinhardt, wir sind nicht so blind und so einseitig wie die Linke, die so tut, als ob alles ständig
schlechter würde. Ich gestehe gerne zu, dass es auch Gutes gibt. Aber es wird nicht allein durch den Bund, sondern auch durch das massive Engagement der Kommunen, der Wirtschaft und der Länder besser. Sie von der
FDP sollten nicht so tun, als gingen alle Verbesserungen
auf Sie zurück.
({3})
Wenn wir uns den Haushalt genau anschauen, stellen
wir fest, dass die großen Positionen wie die für den
Hochschulpakt, den Pakt für Forschung und Innovation,
die Exzellenzinitiative bis hin zu den ebenfalls bildungsrelevanten Posten für Kurzarbeitergeld und Konjunkturprogramme Ergebnisse der Großen Koalition sind. Alle
diese Posten haben diesen Haushalt nicht zementiert - so
würden Sie es wohl ausdrücken -, wohl aber entscheidend vorgeprägt. Daran waren die Sozialdemokraten beteiligt.
Ich will schließlich perspektivisch eines feststellen:
Wenn man sich die inhaltlichen Schwerpunkte vor Augen
führt, dann ist klar, dass es eine große Übereinstimmung
zwischen SPD und Grünen in Bezug auf die Förderung
des Fundaments von Bildung gibt. Das kulminiert in
Forderungen nach Ganztagsschulen - diese sind für vieles gut -, einer Ausbildungsgarantie - wir dürfen nicht
akzeptieren, dass es 1,5 Millionen junge Menschen ohne
Berufsabschluss gibt -, und einer Grundbildung, die zu
einer stärkeren Alphabetisierung führt, sowie einem besseren Weiterbildungssystem in unserer Bildungsrepublik. Hochschulen müssen außerdem eine gesicherte
Grundfinanzierung bekommen. Das alles bildet trotz aller Unterschiede in Nuancen das Fundament von Rot
und Grün in der Bildungspolitik und stellt eine Alternative zu dem von Ihnen zu verantwortenden Minus im
Jahr 2014 dar. Damit müssen Sie leben, wenn Sie keine
andere Antwort finden. Wir wollen 20 Milliarden Euro
zusätzlich mobilisieren. Sie sind der Meinung, dass ein
Minus von 1,7 Prozent für Bildung und Forschung bereits im Jahr 2014 akzeptabel ist.
Ich komme zum Schluss. Frau Ministerin, da Sie der
Literatur und den Geisteswissenschaften zugetan sind,
folgende Assoziation: Mir kommt es manchmal so vor,
als ob Sie frei nach Theodor Fontane ein weiblicher John
Maynard sind, der über den Eriesee fährt und das brennende Schiff an das rettende Ufer bringt. Das meine ich
durchaus anerkennend. Aber wie Sie wissen, nimmt
diese Ballade ein trauriges Ende. Sie werden in Ehren
gehen, aber Sie müssen dann auch gehen. Denn es müssen neue Kräfte kommen, die Forschung und Bildung in
Deutschland - wie gesagt, Sie wollen die Verantwortung
für ein eingeplantes Minus von 1,7 Prozent im Bundeshaushalt für Bildung und Forschung ab 2014 - dann wieder nach vorne führen.
Danke schön.
({4})
Als letzter Redner zu diesem Haushalt hat das Wort
der Kollege Eckhardt Rehberg von der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Herr Rossmann, es ist richtig: Wir brauchen mehr
Verbindlichkeit. Das bedeutet aber auch mehr Verbindlichkeit in ganz Europa. Alle europäischen Staaten müssen 3 Prozent des Bruttosozialprodukts für Forschung
aufwenden. Mehr Verbindlichkeit bedeutet auch, dass
die Länder dafür sorgen müssen, dass beispielsweise die
fast 5 Milliarden Euro, um die wir die Kommunen bei
der Grundsicherung ab 2014 entlasten, auch wirklich bei
den Kommunen ankommen. Die Länder dürfen nicht
klebrige Finger haben und einen Großteil dieser Gelder
in den Landeshaushalten verschwinden lassen.
({0})
Ich könnte aus den Gesetzen über den kommunalen Finanzausgleich zitieren. Da spielt die Parteifarbe überhaupt keine Rolle mehr.
Ein weiteres Beispiel. Wo sind die 1,8 Milliarden
Euro zur Deckung der Betriebskosten und zur Verbesserung der Qualität in den Kindergärten geblieben, die im
Rahmen der Mehrwertsteuer an die Länder geflossen
sind? Ich kenne kein einziges Land - ich lasse mich
gerne vom Gegenteil überzeugen -, in dem dieses Geld
bei den Kommunen oder den freien Trägern angekommen ist. Bevor wir, der Bund, überhaupt daran denken
können, das Kooperationsverbot aufzuheben, müssen die
Länder erst einmal dafür sorgen, dass die Gelder, die der
Bund an die Kommunen weiterreichen will, auch tatsächlich ankommen und nicht in den Länderhaushalten
versickern.
({1})
Lassen Sie mich auch etwas zum Thema BAföG sagen. Wie war es denn 2011 und 2012, als die Länder die
Daumenschrauben ansetzen und eine günstigere Verteilung zu ihren Gunsten erreichen wollten? Ich bin erst
dann wieder bereit, über BAföG zu reden - das ist meine
ganz persönliche Meinung -, wenn die Länder vorher erklären, was mitzumachen sie bereit sind. Es geht nicht
an, dass der Bund einen Vorschlag macht und dann im
Bundesrat Erpressungsversuche gemacht werden. Wir
alle miteinander haben auszubaden, wenn Pakete zulasten des Bundes geschnürt werden.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD,
den Grünen und den Linken, wir sind hier nicht in einem
Landtag, sondern wir sind im Deutschen Bundestag und
haben eine bundespolitische Verantwortung.
({3})
- Ja, Herr Kollege Hagemann, das ist ein Bundesgesetz.
Nur, die Vereinbarung ist: zwei Drittel, ein Drittel. Das
ist seit Jahrzehnten so. - Ich glaube, es kann nicht so
weitergehen, dass dann, wenn der Bund etwas Gutes für
Studierende tun will, Länder eine Verhandlungsposition
einnehmen, die zulasten der Studierenden und des Bundes geht. Auch hierzu sollten wir über Parteigrenzen hinweg einer Meinung sein.
({4})
Noch ein Satz zum BAföG. Das BAföG ist nicht gekürzt worden. Es gibt einen Einmaleffekt in Höhe von
114 Millionen Euro - Stichwort „behinderte Kinder“ wegen eines höchstrichterlichen Urteils. Es gibt aufgrund der demografischen Entwicklung einen Rückgang
der Schülerzahlen, was sich auf das Schüler-BAföG auswirkt. Weiterhin ist an die 77 Millionen Euro wegen der
günstigen Zinsentwicklung auf den Kapitalmärkten zu
erinnern.
Weil Rot und Grün offenbar an kollektiver Amnesie
leiden, will ich in Erinnerung rufen, wie Sie es geschafft
haben, in sieben Jahren das BAföG zu erhöhen. Beim
Schüler-BAföG gab es eine Steigerung um 28 Euro - in
sieben Jahren -, beim Studierenden-BAföG um 34 Euro.
Dagegen betrug die Steigerung der Höchstsätze in sechs
Jahren unter Bundesministerin Schavan beim SchülerBAföG 190 Euro, beim Studierenden-BAföG 204 Euro.
({5})
Wir brauchen uns auch nicht ansatzweise vorhalten zu
lassen, dass wir, was die soziale Frage betrifft, auf einem
Auge blind seien. Ganz im Gegenteil: Sie von Rot-Grün
haben sich in Ihrer Regierungszeit als Bildungspolitiker
nicht gegen den Finanzminister durchsetzen können.
Frau Schavan hat das hingegen gegenüber Herrn
Steinbrück und auch gegenüber Herrn Schäuble in einer
sehr kooperativen Art und Weise gemacht.
({6})
Herr Kollege Rehberg, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Rossmann zulassen?
Aber gerne.
Bitte schön, Herr Dr. Rossmann.
Herr Rehberg, ich hoffe, dass Sie so fair sind, die
ganze Entwicklung nachzuzeichnen. Nach der ersten
großen BAföG-Verbesserung unter Edelgard Bulmahn
hat ein zweiter Aufschwung beim BAföG dann in der
Großen Koalition stattgefunden. Sind Sie so fair, zuzugeben, dass es einen Fraktionsvorsitzenden der SPD,
Herrn Struck, gab, der dem SPD-Finanzminister gesagt
hat: „Das ist so verdammt wichtig, dass du bestimmte
Prinzipien zurückstellen musst“? - Dadurch hat es einen
gewaltigen Unterstützungsschub für Frau Schavan gegeben, die das alleine nicht geschafft hätte. Das ist nicht
das schlechteste Beispiel dafür, dass Parlamentarier
manchmal sehr viel gegen eine kurzfristig denkende, fiskalpolitisch agierende Regierung durchsetzen können.
Lieber Kollege Rossmann, in einer anderen Funktion
habe ich vor über 15 Jahren gesagt: Die Regierungsfraktionen sind der Arbeitgeber der jeweiligen Regierung.
({0})
- Dazu stehe ich ohne Wenn und Aber. Sie haben vergessen, einen zu nennen, ohne den das nicht möglich gewesen wäre. Peter Struck alleine hat in der Großen Koalition wenig erreicht. Volker Kauder gehörte immer
dazu.
({1})
Wir haben geliefert, und zwar das, was wir 2009 angekündigt haben. Wir haben mehr als 12 Milliarden Euro
geliefert. Das ist nicht nur eine imaginäre Zahl, sondern,
Frau Kollegin Ziegler, wir haben in dieser Zeit dafür gesorgt, dass deutliche, qualitative Verbesserungen im Bildungsbereich eingetreten sind. Die Zahl der Schulabbrecher ist in den letzten fünf Jahren von 8 Prozent auf
6,5 Prozent gesunken, die Zahl der Studienberechtigten
ist in den letzten zehn Jahren von 37 Prozent auf 49 Prozent gestiegen, und wir haben heute eine Studienanfängerquote von 45 Prozent. Das ist die höchste Quote, die es
je in Deutschland gegeben hat. Heute haben wir doppelt
so viele Hochschulabsolventen wie 1995. 86 Prozent der
jungen Deutschen haben Abitur oder eine abgeschlossene
Berufsausbildung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich könnte
dies darüber hinaus zum Beispiel an einem Bereich erläutern, in dem wir eine ganze Menge gemacht haben: in
der beruflichen Bildung. Wir haben mittlerweile, Frau
Hein, nicht über 300 000 Altbewerber, sondern weniger
als 300 000 Altbewerber. Wir haben es in diesem Jahr
geschafft, die Zahl der Altbewerber noch einmal um
über 10 000 und die Zahl derer, die in Übergangsmaßnahmen sind, um über 25 000 zu reduzieren. Das heißt,
das, was wir in den Übergang zwischen Schule und Berufsausbildung investiert haben, ist gut angelegtes Geld.
Bildungsketten, Berufsorientierung, Potenzialanalysen,
all dies wirkt.
Frau Kollegin Hein, wir haben mittlerweile in den
neuen Ländern ein ganz anderes Problem. Wir werden in
Mecklenburg-Vorpommern Ende September nach meiner Rechnung zwischen 1 500 und 2 000 Ausbildungsplätze nicht besetzen können. Das sind nicht nur Ausbildungsplätze für die Berufe Koch oder Kellner - da hält
sich mein Mitleid mit manchem Hotelier und Gastronom
aus unterschiedlichen Gründen wirklich in Grenzen -,
sondern auch für die Berufe Steuerfachgehilfin, Krankenschwester, in der Pflege, auch im gewerblichen Bereich. Das heißt, es besteht nicht die Herausforderung,
Ausbildungsplätze noch zu subventionieren. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, diejenigen Altbewerber, die in den Übergangssystemen sind und keinen
Schulabschluss haben, in berufsvorbereitende Maßnahmen zu bringen, damit sie eine duale Berufsausbildung
antreten können, damit sie ihr Glück selber schmieden
können, damit sie ihr Leben in Freiheit gestalten können.
Es ist viel wichtiger, in diesem Segment Anreize zu geben, als dafür zu sorgen, dass Leute in diesen Systemen
verharren.
Wir haben vorgestern erfahren, dass Deutschland
nach einem Report des Weltwirtschaftsforums im gesamten Bereich „Innovationsförderung, Forschung, Kooperation von Wirtschaft und Wissenschaft, duale Berufsausbildung“ auf Platz vier in der Welt steht.
Angesichts dessen hat sich diese Investition in den letzten vier Jahren gelohnt. Diese 12 Milliarden Euro waren
gut angelegtes Geld.
({2})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15.
Als erster Redner hat das Wort der Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Der Einzelplan des Bundesgesundheitsministeriums wird in diesem Haushaltsentwurf um
2 Milliarden Euro gekürzt. Das ist der größte Kürzungsbeitrag und auch der größte Sparbeitrag, den ein Einzeletat in diesem Bundeshaushalt leistet. Das hört sich an
wie eine schlechte Nachricht, ist es aber nicht; es ist eine
gute Nachricht. Denn als vor zwei Jahren im Haushalt
2 Milliarden Euro zusätzlich für den Einzelplan des
Bundesgesundheitsministeriums zur Verfügung gestellt
worden sind, war das gedacht für einen Sozialausgleich
für aufwachsende Zusatzbeiträge, auch um ein drohendes Defizit in Deutschland zu bewältigen. Heute können
wir festhalten: Diese Regierung hat in den letzten Jahren
eine gute Arbeit geleistet.
({0})
Sie hat dazu beigetragen, dass das größte Defizit, das der
gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland
drohte und zu Kaskadeneffekten bei den Krankenkassen,
zu Kasseninsolvenzen geführt hätte, verhindert werden
konnte. Ja, die Arbeit dieser Bundesregierung war so erfolgreich, dass wir uns heute über die Verteilung und
Verwendung von Überschüssen streiten und nicht mehr
darüber, wie wir Defizite bewältigen. Das ist ein Erfolg
der christlich-liberalen Koalition.
({1})
Dazu hat sicherlich die gute Konjunktur, zu der ja
auch die Bundesregierung beigetragen hat, einen Beitrag
geleistet. Vor allem hat die Gesundheitspolitik einen Anteil daran.
Wir haben in unruhigen Zeiten den Bürgerinnen und
Bürgern Verlässlichkeit versprochen und bewiesen. Wir
haben dafür gesorgt, dass die Zuwächse für Krankenhäuser, für Ärzte und für andere Gruppen begrenzt worden
sind. Wir haben nicht mit der Gießkanne ein bisschen
Geld an alle ausgeschüttet, sondern gezielt dort Geld
ausgegeben, wo wir es dringend für die Versorgung der
Menschen brauchen.
Wir haben einen Paradigmenwechsel vollzogen:
Nicht mehr der Pharmahersteller, nicht mehr das Arzneimittelunternehmen entscheidet selbst über den Preis, und
die Beitragszahler, die Krankenkassen müssen ihn zahlen; nein, wir haben dafür gesorgt, dass jedes neue Arzneimittel sich einer frühen Nutzenbewertung unterziehen
muss und der Preis zwischen Krankenkassen und Herstellern ausgehandelt wird. Das hat dazu geführt, dass
wir enorm sinkende Ausgaben für Arzneimittel haben.
Das Geld kommt den Patienten in Deutschland zugute,
meine Damen und Herren.
({2})
Unter den elf Jahren roter und grüner Führung im
Bundesgesundheitsministerium wurde in Deutschland
mehr Geld für Arzneimittel ausgegeben als für die ambulante Versorgung der Patienten. Erst ein FDP-Minister
im Gesundheitsministerium in einer christlich-liberalen
Koalition hat hier den Richtungswechsel eingeleitet.
Heute können wir feststellen: Es wird wieder mehr Geld
für die ambulante Versorgung der Patientinnen und Patienten in Deutschland ausgegeben als für Arzneimittel.
Das ist die richtige politische Prioritätensetzung, die wir
hier vornehmen.
({3})
An diesem Gesetz wird nicht gerüttelt. Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz ist ein gutes und erfolgreiches Gesetz. International wird mit großem Interesse
verfolgt, wie es uns gelingt, die Arzneimittelausgaben in
den Griff zu bekommen.
Wir haben in dieser Legislaturperiode auch durch
weitere Gesetze Prioritäten gesetzt. Wir geben das Geld
nicht mit der Gießkanne an Ärztinnen und Ärzte, an
Krankenhäuser, sondern wir sagen: Wir müssen Prioritäten setzen. Natürlich haben wir in den Ballungsräumen
eine gute Versorgung. Es macht mir keine Sorgen, wie
die Versorgungssituation in den kommenden Jahren in
Berlin, in Köln, in Hamburg sein wird - da werden wir
aller Voraussicht nach noch genügend Ärztinnen und
Ärzte haben -, aber was mir zunehmend Sorgen macht,
ist: Wie stellen wir die Versorgung in der Fläche sicher?
Diese Koalition war es, die mit dem Versorgungsstrukturgesetz endlich eine Debatte in Deutschland darüber begonnen und erste Lösungen auf den Weg gebracht hat, die gegen den drohenden Ärztemangel
arbeiten. Als noch die SPD die Führung im Gesundheitsministerium hatte, wurde von Regierungsseite geleugnet,
dass uns ein Ärztemangel droht.
({4})
Da haben Sie gesagt: Es gibt genügend Ärzte; die müssen nur zwangsweise besser auf dem Land verteilt werden. - Wir setzen die richtigen Anreize, damit junge Mediziner motiviert sind und Lust haben, in der Fläche für
die Patientinnen und Patienten da zu sein. Das hat diese
Koalition auf den Weg gebracht, meine Damen und Herren.
({5})
Für uns ist die freie Arztwahl ein hohes Gut. Wir wollen, dass die Menschen sich darauf verlassen können,
dass sie die Ärztin oder den Arzt ihres Vertrauens vor
Ort wählen können. In anderen Ländern, die solche Modelle haben, wie Sie sie in der Gesundheitsversorgung
wollen - staatliche Einheitskassensysteme, in denen der
Patient zum Bittsteller wird -, erleben die Menschen die
schlechte medizinische Versorgung. Wir wollen, dass die
deutsche Gesundheitsversorgung mit der Wahlfreiheit,
der freien Wahl des Arztes und der Krankenversicherung, erhalten bleibt, und dafür haben wir in diesen Jahren die Voraussetzungen geschaffen, meine Damen und
Herren.
({6})
Wir wollen, dass die Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, dies mit Freude und Motivation tun.
Leistungsgerechtigkeit gehört auch ins Gesundheitswesen: durch Vielfalt, durch eine leistungsgerechte Vergütung, durch Abbau von Bürokratie. Bei den letzten Gesetzgebungsverfahren haben wir unseren Beitrag dazu
geleistet.
Aber es geht nicht nur um Gesundheit in meinem Geschäftsbereich, sondern es geht auch um Pflege. Das betrifft die demografische Herausforderung einer alternden
Bevölkerung und den Zusammenhang, den zunehmend
mehr Familien erleben. Sie sehen, dass Familie nicht nur
für die guten Zeiten da ist, sondern auch für die Zeit,
wenn ein Familienmitglied die Hilfe der anderen
braucht. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Mutter
oder Vater, Großmutter oder Großvater pflegebedürftig
werden.
Mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz haben wir
dafür gesorgt, dass die Demenz bei der Pflegebedürftigkeit endlich so berücksichtigt wird,
({7})
dass Menschen, die bisher keine oder kaum Leistungen
aus der Pflegeversicherung bekommen haben, nun eine
Leistung für den besonderen Betreuungsbedarf bei Demenz erhalten und selbst entscheiden können, welche
Betreuung sie in Anspruch nehmen.
({8})
Wir haben die Angehörigen gestärkt, weil die Angehörigen, die Familien es sind, die die Hauptlast der
Pflege zu Hause tragen. Die müssen wir unterstützen.
Wir haben die Wahlfreiheit gestärkt, sodass selbst entschieden werden kann, welche Leistung man in Anspruch nimmt. Wir haben als erste Schritte Bürokratie in
der Pflege abgebaut. Wir bauen in Deutschland erstmals
eine private Säule in der Pflege auf, die private Pflegeversicherung. Sie sehen: Auch in der Pflege leisten wir
unseren Beitrag, um dieses System zukunftssicher zu
machen,
({9})
damit sich die Menschen auch in den kommenden Jahren
darauf verlassen können: Pflege - darum kümmern wir
uns; Pflege - das ist etwas, was auch in den kommenden
Jahren den kommenden Generationen noch zur Verfügung steht, meine Damen und Herren.
({10})
Ich möchte konkret etwas sagen zu dem Haushalt und
dem, was uns in den letzten Jahren beschäftigt hat.
({11})
- Es scheint Sie ja zu treffen, dass wir mittlerweile eine
so gute Bilanz vorweisen können, was Dinge angeht, die
wir auf den Weg gebracht haben, und was die Finanzlage
angeht, die sich nämlich solide darstellt. Wir achten weiter mit Augenmaß darauf. Wir geben die Überschüsse
nicht mir nichts, dir nichts, leichtfertig, aus kurzfristiger
Sicht aus, sondern wir bleiben dabei, die Ausgaben mit
Augenmaß im Blick zu haben und trotzdem die richtigen
Prioritäten zu setzen.
({12})
Die Leistungen der Krankenversicherung sind heute
weitgehender und umfassender als zu Beginn der Legislaturperiode. Krankenkassen erstatten mittlerweile wieder OTC-Präparate, die nicht rezeptpflichtigen Arzneimittel, die Sie aus der Erstattungsfähigkeit gestrichen
haben. Das, was Krankenkassen heute an Leistung bringen, ist mehr als das, was wir vorgefunden haben, als wir
die Verantwortung übernommen haben. Das ist doch die
Bilanz der christlich-liberalen Koalition in diesem Jahr.
Wir leisten einen Beitrag dazu, auch andere wichtige
gesellschaftliche Themen auf den Weg zu bringen. In
diesem Haus ist parteiübergreifend ein Beschluss gefasst
worden, der, so finde ich, ein starkes Signal an die BeBundesminister Daniel Bahr
völkerung war und weiterhin ist. 12 000 Menschen in
Deutschland warten auf Wartelisten dringend auf ein Organ. 12 000 Menschen in Deutschland sind krank und
brauchen dringend Hilfe. Sie brauchen die zweite
Chance zu einem Leben. Wir waren uns parteiübergreifend einig, dass wir dieses Thema voranbringen wollen,
weil wir davon überzeugt sind, dass sich die Menschen
durch richtige Aufklärung und richtige Information entscheiden können - entweder für oder gegen die Organspende. Schon damals hatten wir in einigen Bereichen
heftige Diskussionen, weil sich zeigte, dass der eine oder
andere grundsätzlich der Organspende gegenüber skeptisch ist.
Ich sage Ihnen ganz offen: Ich hätte nicht gedacht,
dass ein einzelner Arzt in der Lage ist, zu manipulieren
und damit das Vertrauen in das gesamte System infrage
zu stellen. Deswegen ist die richtige Konsequenz, die
wir aus diesen Vorfällen ziehen, dass wir das Vertrauen
in die Organspende wieder stärken, dass wir eine bessere
Kontrolle, eine bessere Aufsicht schaffen, auch durch
staatliche Institutionen, und dass wir vor allem bei denjenigen, die sich nicht an Recht, Gesetz und Regeln gehalten haben, die richtigen Konsequenzen ziehen. Die
müssen die Konsequenzen spüren, auch damit es andere
abschreckt.
({13})
Wir starten eine Kampagne zur besseren Aufklärung.
In diesem Haushaltsentwurf stehen 9 Millionen Euro für
eine Kampagne zur Aufklärung über die Organspende
zur Verfügung; das sind 6,5 Millionen Euro mehr. Wir
sagen: Wir wollen uns aufgrund der Vorfälle nicht von
unserem Werben für die Organspende abbringen lassen.
Wir sagen: Nein, jetzt erst recht wollen wir die Gelegenheit nutzen, für die Organspende zu werben.
({14})
Alle Bürgerinnen und Bürger werden, beginnend noch in
diesem Jahr, angeschrieben, informiert und aufgeklärt,
um sich bei der Organspende entscheiden zu können.
Ich sage an die Linken und die Grünen eines klipp
und klar: Wer bei diesem Thema Transparenz einfordert
- wir sorgen wie keine Regierung vorher dafür, dass es
diese Transparenz gibt -, der muss auch die Verantwortung zeigen, damit umzugehen.
({15})
Das, was Sie machen, ist verantwortungslos gegenüber
den 12 000 Menschen, die schwer krank sind und im
Moment enorm verunsichert sind, weil sie Angst haben,
ob sie ein Organ gespendet bekommen. Das, was Sie mit
den Vorhaltungen und Verdächtigungen machen, ist eine
Verunsicherung der Bevölkerung, die verantwortungslos ist gegenüber den Menschen, die dringend unsere
Hilfe brauchen.
({16})
Wenn Sie hier mit Zahlen arbeiten, die ein Abgeordneter in seinem Hinterzimmer mal eben mit dem Bleistift
ausgerechnet hat, dann würden Sie, Herr Kollege Terpe,
beim Statistikschein an der Universität, den Sie als Mediziner gemacht haben und den ich als Volkswirt gemacht habe, glatt durchfallen; denn Sie haben die Transplantationen des Jahres 2011 mit der Warteliste für das
Jahr 2012 verglichen und einen perfiden Verdacht in die
Öffentlichkeit gebracht, dass privat Versicherte bevorzugt werden.
({17})
Die Zahlen geben das nicht her. Sie verunsichern die Bevölkerung und tragen mit dazu bei, dass wir bei der Organspende nicht weiterkommen.
({18})
Die Zahlen legen das jetzt erwiesenermaßen dar.
Deswegen: Hören Sie auf damit, bei einem so hochsensiblen Thema Ihr parteipolitisches Süppchen zu kochen, sondern setzen Sie sich mit uns an den Tisch, um
gemeinsam die richtigen Konsequenzen aus den Vorfällen zu ziehen, und verunsichern Sie die Menschen nicht
weiter! Dann kommen wir in der Gesundheitspolitik voran.
Vielen Dank.
({19})
Jetzt hat das Wort der Kollege Ewald Schurer von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Haushälter
bleibt mir erst einmal nur, dem Herrn Minister und dem
Ministerium für das rechtzeitige Bereitstellen der umfänglichen Unterlagen und für die Beratungen zu danken. Dafür ganz herzlichen Dank! Das ist nicht nur Routine, sondern mit viel Arbeit verbunden.
Herr Minister, jetzt alles messen zu wollen, was Sie
gemacht haben, ist schwierig. Sie haben mich mit den
Duftwolken des Eigenlobs, die Sie hier ausgeströmt haben, ein bisschen betört.
({0})
Es ist schon so: Für zwei Sekunden haben Sie mich da
etwas irritiert.
Aber kommen wir zurück zu den Fakten. Sie haben
Entwicklungen, die unzweifelhaft mit der guten Konjunktur verbunden sind, gelobt, zum Beispiel den Sozialausgleich. Ich möchte einige Fakten nennen, die das etwas relativieren. In der Zeit, in der Sie regieren, hat sich
die mangelnde Versorgung mit Ärzten in ländlichen Gebieten nicht verbessert. Wir können über Absichten,
müssen dann aber auch über die Realität reden. Die Realität zeigt, dass ländliche Gebiete in vielen Bundesländern große Schwierigkeiten haben, eine ärztliche Mindestversorgung aufrechtzuerhalten.
({1})
Das ist in den Jahren, seit Sie Verantwortung tragen
- erst als Staatssekretär, dann als Minister -, nicht besser
geworden. Durch die steigenden Kosten in Kliniken und
Krankenhäusern ist ferner ein Kostendruck entstanden,
den Sie nicht unter Kontrolle gebracht haben.
({2})
Ein Stück weit komme ich Ihnen bei dem sehr sensiblen Thema der Organspende entgegen. Zu diesem
Thema möchte ich keine politischen Angriffe formulieren. Ich bin mir aber nicht sicher, wie das in dem umgekehrten Fall, dass die Sozialdemokraten an der Regierung wären, gewesen wäre. Ich glaube, dass man diese
sehr schlimmen Skandale und Manipulationen gegen
eine SPD-Ministerin verwendet hätte. Ich bin mir da
aber nicht ganz sicher. Ich will es nicht tun, weil ich
weiß: Da geht es um Tausende von Menschen; da geht es
um Leben und Tod. Schließlich geht es darum, dass wir
aus den Skandalen lernen und versuchen, künftig Ordnung in diesen Bereich hineinzubekommen. Von alleine
wird das - das wissen Sie, Herr Minister - nicht geschehen. Da muss von politischer Seite nachhaltig insistiert
und für Regelungen gesorgt werden.
Haushaltsdebatten bieten immer die Gelegenheit, Inhalte und Haushaltszahlen in Verbindung zu bringen.
Nach § 221 SGB V erhält der Gesundheitsfonds jährlich
maximal 14 Milliarden Euro einschließlich der 2 Milliarden Euro Sozialausgleich. Die Struktur des Haushaltes wäre - Sie haben es angesprochen - eigentlich unverändert, wenn nicht Minister Schäuble - alleine, so mein
Eindruck - entschieden hätte, die 2 Milliarden Euro einmalig als Rendite einzubehalten.
({3})
In der mittelfristigen Finanzplanung für die Jahre ab
2014, werter Kollege, werden wieder 14 Milliarden Euro
ausgebracht. Trotzdem werden den Kassen die 14 Milliarden Euro ausgereicht. Die Einsparung der 2 Milliarden Euro ist sicherlich auch Folge einer guten ökonomischen Entwicklung gerade in den letzten beiden Jahren,
in denen wir gemeinsam feststellen konnten: Reformen
in unserem Land, Reformen, die auch in den Jahren sozialdemokratischer Regierung entstanden sind, haben
Wirkung gezeigt.
Meine Damen und Herren, trotzdem ist es schwierig,
wenn die Kassen und der Fonds derzeit, Stand August,
22 Milliarden Euro Überschüsse haben und kaum in der
Lage sind, diese unter den obliegenden Verhältnissen
und unter Sicherheitserwägungen wirtschaftlich gut anzulegen. Das ist ein bisschen problematisch. Ich erlebe
in vielen Gesprächen, dass die Versicherten das nur ein
Stück weit oder gar nicht verstehen. Sie erleben sehr
harte wirtschaftliche Entscheidungen der Kassen. Sie erleben, dass Mutter/Vater-Kind-Kuren im ersten Zuge
übermäßig stark abgelehnt werden. Sie erleben auch bei
chronischer Krankheit und trotz Prozentregelung markige Zuzahlungen für Medikamente und erfahren dann
aus den Medien von einem Überschuss in Höhe von
22 Milliarden Euro, der sich bis zum Jahresende, so die
Prognosen, sogar bis auf 27 Milliarden Euro hinaufschrauben kann. Da wären politische Führung und Reaktion von Ihrer Seite nötig.
Sie haben sehr vorsichtig gesagt, Sie könnten sich angesichts der 22 Milliarden Euro vorstellen, dass die Praxisgebühr abgeschafft wird, was wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ebenfalls wollen.
({4})
Aber im Kanzleramt konnten Sie sich nicht durchsetzen.
Vielleicht sind Sie da auch nicht richtig gehört worden.
Da war Ihre Durchschlagskraft oder Ihre Eloquenz, Herr
Minister, mit Verlaub, nicht sehr stark.
Auch an die Zusatzbeiträge haben Sie sich nicht herangewagt. Ich würde mir einen Minister wünschen, der
dieses Thema deutlich und öffentlich wahrnehmbar anspricht,
({5})
auch um den Versicherten angesichts der Überschüsse in
Höhe von 22 Milliarden Euro, die von den Kassen im
Augenblick wirtschaftlich gar nicht gut genutzt werden
können, das Gefühl zu geben, dass etwas geschieht.
Zum Haushalt selbst in aller Kürze. Der materielle
Kern des Haushalts - das wissen wir alle - umfasst nicht
einmal 4 Prozent des Gesamthaushalts, also rund
490 Millionen Euro, für Personal, Programme, Logistik.
Positiv - Sie haben es erwähnt - ist die Erhöhung der
Mittel für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln, BZgA, um 6 Millionen Euro im Zusammenhang mit der Umsetzung des Transplantationsgesetzes.
Negativ ist - das muss man hier deutlich sagen -: Alles, was Programmcharakter hat, in wichtigen Bereichen
wie Sucht und Drogenmissbrauch oder HIV/Aids, wird
von Ihnen weiterhin millionenschwer zusammenkürzt,
zum Teil sogar aufgelöst. Das verstehe ich nicht. Da ist
kein Gedanke, keine Linie zu erkennen, es sei denn, Sie
sagen - das ist schon ein bisschen à la FDP -: Wenn sich
jeder selbst hilft, dann ist allen geholfen.
({6})
So kann man aber nicht wirklich eine nachhaltige, gute
Gesundheits- und Pflegepolitik machen; das muss ich Ihnen schon einmal ganz deutlich sagen.
({7})
Ich finde es schon skandalös - die Kollegin wird noch
darauf eingehen -, dass Sie den kleinen Titel „Förderung
der Kindergesundheit“ ersatzlos streichen. Das verstehe
ich nicht. Kindergesundheit ist auch vor dem Hintergrund der schwierigen sozialen Entwicklungen in dieser
Gesellschaft ein riesiges Thema. Hier sind Sie völlig unsensibel. Sie sind im Bereich „Prävention und Programme“ wiederum sehr schwach aufgestellt.
({8})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, letzten Samstag habe ich eine Pflegeeinrichtung in meiner Region, in Oberbayern, besucht. Natürlich ging es - das besagt schon das Thema - um einen
Dialog mit der Hausleitung und mit den Pflegefachkräften. Da war man zunächst einmal überrascht, dass Sie,
Herr Minister Bahr, das Thema „Zunahme der Demenz
als schwierige Entwicklung in unserer Pflegelandschaft“
überhaupt aufgegriffen haben. Das hat man positiv vermerkt: Der Minister Bahr hat das Thema Demenz als
schwierige Entwicklung im Bereich der Pflege wahrgenommen und andiskutiert. Aber man sagt zur gleichen
Zeit: Das, was Sie da in Angriff genommen haben, ist
nicht mehr als eine symbolische Maßnahme, die vor allen Dingen der privaten Assekuranz, der Versicherungswirtschaft, zugutekommt; diese Rechenmodelle helfen
natürlich in keiner Weise den bedürftigen Menschen. Insofern kann ich sagen: Draußen in meinen vielen Gesprächen mit Menschen in der Fachpflege, ob ambulant
oder in Pflegeeinrichtungen, kommt der Pflege-Bahr so
vor: Man sagt, das sei eine gute Symbolik - immerhin
wurde das Thema erkannt -, aber Sie kämen dem
Wunsch nach einer Umsetzung in Richtung eines Ausbaus der nachhaltigen Pflege nicht nach.
Insofern kann ich sagen: Ihre Duftwolken waren hier
zwar zu Beginn rosig und wohlriechend; aber ich kann
das Schönzeichnen des Zustandes Ihres Ministeriums
nicht nachvollziehen. Ich glaube, Sie haben so ein bisschen versucht, sich durchzuwurschteln; richtig große
Perspektiven haben Sie in diesen Jahren nicht aufgezeigt. Da wird wohl eine neue Bundesregierung kommen
müssen, unter sozialdemokratischer Führung,
({9})
um neue Perspektiven in Gesundheit und Pflege zu eröffnen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Harald Terpe, der ja zuvor persönlich angesprochen worden ist.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister Bahr,
ich möchte entschieden den Vorwurf zurückweisen, hier
ein parteipolitisches Süppchen zu kochen; das war Ihr
Vorwurf. Sie haben auch gesagt, dass ich mich hingestellt und gesagt hätte, dass das statistisch valide Zahlen
sind, und haben auf die statistische Ausbildung von uns
beiden hingewiesen.
Ich glaube, das Problem liegt eher woanders: Wir haben eine unterschiedliche Auffassung davon, ob dem
Transplantationssystem in Deutschland eher damit geholfen ist, dass man im Hinblick auf die Transparenz
eine bleierne Decke darüberlegt,
({0})
oder eher damit, dass man eine transparente Politik betreibt. Die Zahlen stimmen insofern,
({1})
als dass der Vergleich der Zahlen der Warteliste von
2011 mit den Transplantationszahlen von 2011 sogar
noch ungünstiger aussieht; ich habe die Zahlen hier liegen.
({2})
- Nein, das ist kein neuer Vorwurf. Ich habe nicht gesagt, dass das statistisch valide Zahlen sind. Das ist der
Vorwurf, den Sie immer machen.
Der Unterschied - das habe ich ausgeführt - liegt eher
darin, dass Sie mit der Situation so umgehen, dass Sie einer Transparenz und einer besseren Kontrolle bisher
nicht das Wort geredet haben. Sie haben hier heute in der
Rede gesagt, dass Sie etwas unternommen haben. Ich
sage dazu nur: Sie sind da ein Getriebener gewesen und
haben nicht proaktiv selbst die Initiative ergriffen, obwohl Sie im Frühjahr die Möglichkeit gehabt hätten.
({3})
Denn wir haben eigentlich gute interfraktionelle Gespräche geführt. Da ist das Thema auf den Tisch gelegt worden, und an der Stelle ist nichts erfolgt. Nur getrieben
durch die Ereignisse machen Sie jetzt Konzessionen.
Von uns kam ein Vorschlag, wie man das besser machen
kann. Ich bin gespannt, wie wir die Gespräche in Zukunft weiterführen werden; denn es gibt gute Gründe, an
diesem System, was Kontrolle und Transparenz betrifft,
etwas zu verbessern.
({4})
Zur Erwiderung, Herr Bundesgesundheitsminister.
({0})
Lieber Kollege Harald Terpe, Fakt ist, dass das, was
Sie an Zahlen mit einem politischen Vorwurf verbunden
haben, nämlich dass Privatversicherte bei der Organspende bevorzugt werden, nicht zutrifft.
({0})
Die Zahlen, die Sie verwendet haben, geben das nicht
her. Erstens. Wenn Sie die Zahl der Transplantationen
mit der Zahl der Patienten auf der Warteliste vergleichen, dann müssen Sie dasselbe Jahr heranziehen. Das
haben Sie nicht gemacht. Sie haben zwei verschiedene
Jahre miteinander verglichen.
({1})
Zweitens. Sie können nicht einfach nur die Anzahl der
Versicherten auf der Warteliste heranziehen; denn gerade
die Vorfälle in Göttingen und Regensburg zeigen, dass
die Position auf der Warteliste das Entscheidende ist.
Das wird deutlich, wenn man sich mit den Zahlen beschäftigt; nichts anderes will ich sagen.
Auch ich kann leicht mal eben mit dem Bleistift rechnen und dann eine politische Forderung aufstellen. Aber
bei einem so hochsensiblen Bereich rate ich uns allen, so
nicht vorzugehen. Hinter der Debatte steckt eine politische Geisteshaltung. Seit Wochen versuchen die Grünen
immer wieder, das System der Organspende in Deutschland zu diskreditieren.
({2})
Sie verbinden das mit dem Vorwurf, dass privat und gesetzlich Versicherte unterschiedlich behandelt werden.
Genau das steckt bei Ihnen dahinter. Die Zahlen geben
das aber nicht her; vielmehr wurde festgestellt, dass unter den Privatversicherten auf der Warteliste eine höhere
Sterblichkeit zu verzeichnen ist als bei den gesetzlich
Versicherten.
Sie stellen einen Unterschied von 3 Prozent fest. Das
ist nicht viel. In Deutschland werden jährlich 700, 800
oder 900 Lebertransplantationen vorgenommen. 3 Prozent Unterschied zum Anlass zu nehmen,
({3})
einen solch generellen Vorwurf zu erheben, halte ich für
verantwortungslos, für bösartig, für schäbig, erst recht
den Patienten gegenüber, die dringend auf ein Spenderorgan warten. Davon werden Sie mich nicht abbringen.
({4})
Das Interessante ist doch: Die Vorfälle von Göttingen
und Regensburg beschäftigen uns in Bezug auf die
Transplantation. Die Grünen beschäftigen sich in allen
Debatten nicht mit der Transplantation eines Organs,
sondern mit der Organspende, mit der DSO. Die DSO
als Institution hat aber mit den Fällen in Göttingen und
Regensburg überhaupt nichts zu tun; das heißt, Sie führen eine andere Diskussion.
Ich habe von Anfang an gesagt - das können Sie den
Presseveröffentlichungen des Sommers entnehmen -,
dass sich auch die DSO einer kritischen Überprüfung
stellen muss. Wir haben Konsequenzen gezogen. Im
Stiftungsrat werden künftig staatliche Vertreter sitzen,
nämlich des Bundesgesundheitsministeriums und der
Länder.
({5})
Das ist eine wesentliche Änderung in den Strukturen der
DSO. Die Personalentscheidung bei der DSO steht noch
aus, aber klar ist, dass die Strukturen der DSO überarbeitet werden. Wir werden das System der Organspende
und der Verteilung von Organen weiter organisieren und
Konsequenzen ziehen. Wir werden uns gemeinsam mit
den Ländern die Frage stellen, ob strafrechtliche Veränderungen im Gesetz vorgesehen werden müssen. Das
können wir derzeit noch nicht beurteilen. Wir werden die
Kontrollen verbessern, indem wir beispielsweise unangemeldete Kontrollen durchführen werden und anderes
mehr.
Wir können das Vertrauen nur zurückgewinnen, indem wir die richtigen Konsequenzen ziehen und die
richtigen Antworten auf die Vorfälle finden, und nicht,
indem wir Verdächtigungen und Verunsicherung in die
Öffentlichkeit bringen. Damit tragen wir nicht zum Vertrauen in das System Organspende bei. Ich fordere Sie
auf: Kommen Sie mit uns an den Tisch! Ich habe alle zu
Gesprächen eingeladen.
Herr Minister, die Zeit ist abgelaufen.
Führen Sie diese Debatte in Gesprächen mit uns am
Tisch und nicht in der Bild-Zeitung oder anderen Zeitungen! Das ist mein Thema. Wir dürfen die Verunsicherung in der Bevölkerung nicht noch weiter befeuern,
sondern wir müssen der Bevölkerung wieder Vertrauen
geben. Das ist es, was die Menschen brauchen.
({0})
Bitte schön, Frau Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister Bahr,
ich möchte die Gelegenheit nutzen, deutlich zu machen,
dass ich es inakzeptabel finde, dass Sie in Ihrer Antwort
auf die Kurzintervention meinen Kollegen Harald Terpe
und sein Verhalten als bösartig bezeichnen. Das ist inakzeptabel und unangemessen. Man kann in der Sache
streiten, man kann in der Sache hart sein, aber ich finde
es anmaßend, dass Sie als Minister meinen Kollegen und
sein Verhalten als bösartig bezeichnen.
({0})
Darf ich fragen, ob einer der anderen Geschäftsführer
darauf erwidern möchte? - Wenn nicht, dann setzen wir
die Debatte in der vorgeschlagenen Reihenfolge fort.
Das Wort hat der Kollege Johannes Singhammer von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kommen wir wieder zum Hauptpunkt der heutigen
Debatte zurück: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland waren die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung so geordnet, so nachhaltig
und so sicher wie jetzt, im September 2012. Unabhängig
davon, ob am Ende des Jahres im Gesundheitsfonds und
bei den Krankenkassen 20, 22 oder gar 25 Milliarden
Euro angehäuft worden sind: Die rund 70 Millionen
Menschen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung
versichert sind, wissen, dass eine einmalig hohe Reserve
Sicherheit und Vertrauen schafft. Das ist alles andere als
selbstverständlich, und zwar deswegen nicht, weil in der
Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung außerordentliche Schwankungen sowie die Defizitbekämpfung eher die Regel waren.
Wenn wir in das eine oder andere Nachbarland
schauen, dann erkennen wir, dass wir in Deutschland
eine Insel der Stabilität in der Krankenversicherung vorfinden.
({0})
Einige Beispiele: Das neue Ärzteblatt berichtet, dass sich
Frankreich in diesen Tagen nicht die Frage stellt: Was
tun mit den Überschüssen?, sondern: Wie kann man ein
Defizit der staatlichen Krankenversicherung von sage
und schreibe 8,6 Milliarden Euro in den Griff bekommen? Das Gesundheitswesen, früher ein Stolz der
Grande Nation, entpuppt sich als finanzielles Sorgenkind. - Die Krankenversicherten in Spanien plagen sich
mit einem Schuldenberg, welcher die astronomische
Höhe von 16 Milliarden Euro erreicht hat. - Die Menschen in Griechenland sind vielfach in höchster Not. Patienten erhalten Arzneimittel und ärztliche Behandlung
nur noch gegen Barzahlung, weil die Krankenkassen
nicht mehr genügend solvent sind. Einer der großen
Partner im griechischen Gesundheitswesen klagte vor
kurzem: Das Gesundheitssystem bricht zusammen.
Wir, die christlich-liberale Koalition, waren in den
vergangenen Jahren mit der Unterstützung vieler Gutwilliger und Leistungsfähiger so erfolgreich, dass wir
eine komfortable, ich würde fast sagen: Luxusdiskussion
führen können, wie wir mit den Überschüssen richtig
umgehen. Davon hätte Rot-Grün nur träumen können.
Wir tun es.
({1})
Dabei müssen wir sorgfältig und klug vorgehen.
Die krisenhaften Verschlechterungen bei einer Reihe
von europäischen Nachbarn mahnen uns und raten zur
Vorsicht. Wir sollten die einmalige historische Chance
auf Nachhaltigkeit nutzen. Das heißt: Es darf keine Rolle
rückwärts bei den Ausgaben geben. Wir dürfen nicht alle
Hähne wieder aufdrehen. Das Geld der Versicherten ist
zu kostbar, als dass es plötzlich wieder mit vollen Händen ausgegeben werden darf. Wir wollen keinen Wettlauf beim Geldausgeben.
Wir anerkennen, dass die Partner im Gesundheitswesen zum Teil einschneidende harte Sparmaßnahmen
haben hinnehmen müssen, zum Beispiel die Pharmaindustrie mit Zwangsrabatten; aber auch Ärzte, Krankenhäuser und Apotheker haben ihren Anteil erbracht.
Diese einschneidenden Sparmaßnahmen können nicht
unbegrenzt fortgesetzt werden, etwa in den Krankenhäusern, weil dort der größte Anteil der Ausgaben Personalkosten sind. Sie betragen etwa 60 Prozent. Die Beschäftigten in den Krankenhäusern haben ein Anrecht auf
ausreichende, adäquate Entlohnung ihrer großartigen
Arbeit.
({2})
Natürlich tun wir etwas, vorsichtig, überlegt, aber konzentriert.
Selbstverständlich gibt es noch Herausforderungen.
Die größte Herausforderung ist sicherlich, die Gesundheitsstruktur in den ländlichen Räumen zu erhalten. Ich
nehme an, wir alle im Plenum sind für Strukturpolitik.
Aber Strukturpolitik gelingt niemals ohne eine adäquate
Gesundheitsversorgung sowohl in den Ballungsräumen
als auch in den ländlichen Regionen. Es nützt nichts, die
beste Autobahn zu bauen und die schnellste Internetverbindung bereitzustellen, wenn der Arzt, die Apotheke
oder das Krankenhaus erst nach eineinhalb Stunden
Fahrzeit mit dem Auto erreichbar sind. Deshalb wird die
strukturpolitische Absicherung der Gesundheitsversorgung ein ganz zentrales Element der Politik der nächsten
Monate sein.
Um einmal ganz konkret zu sagen, was damit gemeint
ist: Wenn wir jetzt beispielsweise den Festzuschlag der
Apotheker für Arzneimittel - der immerhin seit 2004,
also seit über acht Jahren, unverändert ist - erhöhen,
dann müssen wir uns auch Gedanken machen über einen
Ausgleich für Apotheken, die Not- und Feiertagsdienst
in den ländlichen Regionen leisten. In den Ballungsräumen, zum Beispiel in der Nähe eines großstädtischen
Bahnhofs, ist der Sonn- und Feiertagsdienst für Apotheken keine unattraktive Sache. Im Gegenteil: Manche
Apotheken haben sowohl tagsüber als auch nachts einen
großen Kundenzustrom. Für die Apotheke in einer ländlichen Region jedoch, die im Rahmen eines solchen Notdienstes in 24 Stunden oft nur einmal besucht wird, muss
es einen Ausgleich geben, wenn wir die bestehenden Gesundheitsstrukturen erhalten wollen.
({3})
Dieser Linie entspricht im Übrigen auch die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe, der sich erst vor kurzem zur Frage „Versandhandel
oder Bewahrung der ortsnahen Versorgung“ ganz klar
für letztere Option ausgesprochen hat.
Wir werden auch darauf achten, dass Krankenhäuser
mit nur geringen Bettenzahlen in den ländlichen Regionen nicht dadurch in eine Schräglage geraten, dass
Patienten die Krankenhäuser in den Ballungsräumen
aufsuchen und dadurch dort die Bettenzahlen steigen,
wohingegen die Bettenzahlen bei den regionalen Krankenhäusern sinken und diese am Ende mangels finan22940
zieller Leistungsfähigkeit geschlossen werden müssen.
Das würde wiederum bedeuten, dass eine Abwanderung
einsetzt, die wir nicht wollen. Wir wollen eine gleichmäßige Versorgung erhalten. Darum haben wir das Versorgungsstrukturgesetz auf den Weg gebracht und uns insbesondere der ländlichen Versorgung im Hinblick auf
ausreichende ärztliche Leistung angenommen.
Ein weiteres wichtiges Thema für den Rest der Legislaturperiode ist die Prävention, und zwar nicht, weil dies
immer gerne zum Ende einer Legislaturperiode in den
politischen Schaufensterkasten gestellt wird, sondern
weil es notwendig ist.
({4})
Nach meiner festen Überzeugung wird unser derzeit gefestigtes Gesundheitssystem ohne einen Quantensprung
im Bereich der Prävention die nächsten 10 oder 20 Jahren nicht überleben können. Wenn beispielsweise die
Karrieren im Adipositasbereich bei einer beängstigend
wachsenden Zahl von jungen Menschen sehr früh gestartet werden, dann führt das nicht nur zu einem persönlichen Unwohlsein, sondern auch zu einer Belastung der
gesetzlichen Krankenkassen, die wir bei dem explosionsartigen Anstieg dieser Zahlen dauerhaft nicht bewältigen können. Deshalb ist Prävention notwendig, und
deshalb haben wir als Union vor wenigen Wochen, am
Ende der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause,
ein entsprechendes Grundsatzpapier vorgestellt. Darin
haben wir konkrete Vorschläge gemacht. Ich sage Ihnen:
Auch Prävention gibt es nicht zum Nulltarif. Auch hier
werden wir im Sinne einer nachhaltigen Politik handeln
müssen, die sich aber lohnt, die Gewinn bringt und die
die Menschen gesund erhält.
Bei all diesen Herausforderungen, die wir noch bewältigen werden, brauchen wir immer ein hinreichend
großes Polster, sodass wir in der gesetzlichen Krankenversicherung auf alle wie auch immer gearteten unvorhergesehenen Ereignisse reagieren können und entsprechend vorbereitet sind. Selbstverständlich gilt: Die
gesetzliche Krankenkasse soll keine Sparkasse sein. Das
eingezahlte Geld ist für die Versorgung da, und deshalb
müssen wir immer bedenken, dass es den Versicherten
zusteht. Daher ist es völlig legitim, darüber nachzudenken, wie wir mit dem Geld, das dauerhaft nicht benötigt
wird, umgehen.
Fest steht: Es gibt derzeit nicht einmal im Ansatz ein
Finanzproblem in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Versicherten in Deutschland können ohne
Sorge sein. Denen, die in dieser Phase herummäkeln, das
Ganze schlechtreden und versuchen, ein Haar in der
Suppe zu finden, sage ich: Sie sollten mit diesem
krampfhaften Versuch, die Realitäten umzudeuten, jetzt
bitte schön endlich aufhören und anerkennen, dass es gut
gelaufen ist, dass es in Ordnung ist. Das ist ein Grund,
sich zu freuen, und das sollten wir gemeinsam tun.
({5})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege
Harald Weinberg das Wort.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal muss ich ganz kurz auf das Thema Organspende zurückkommen, weil auch meine Fraktion angesprochen
worden ist. Ich muss den Vorwurf, dass wir in irgendeiner Form ein parteiliches Süppchen daraus gekocht hätten, deutlich zurückweisen.
({0})
Es sind die Vorfälle bei der Organspende selbst, die für
Verunsicherung gesorgt haben - das müssen Sie erst einmal anerkennen -, und nicht die Forderungen nach Aufklärung, Transparenz und Kontrolle.
({1})
Bei dem Thema Aufklärung, Transparenz und Kontrolle
sind wir gefordert. Hierzu hatten wir einen Entschließungsantrag vorgelegt, der sang- und klanglos von der
Koalitionsmehrheit abgelehnt worden ist.
({2})
Er hätte die Möglichkeit geboten, genauer hinzuschauen.
Am meisten freut mich, dass dies der letzte Haushalt
ist, der von dieser schwarz-gelben Bundesregierung eingebracht wird;
({3})
denn die Gesundheitspolitik dieser Regierung besteht
aus einer seltsamen Mischung aus sozialpolitischer Ignoranz und der Unfähigkeit, zu den eigenen Positionen in
der Öffentlichkeit zu stehen.
({4})
Das will ich begründen und blicke deshalb auf das
wichtigste gesundheitspolitische Projekt der Regierung
zurück, die Durchsetzung von Kopfpauschalen. Meine
Damen und Herren, Sie wissen: Kopfpauschalen sind
Krankenkassenbeiträge, an denen sich kein Arbeitgeber
beteiligt und die der Tellerwäscher in gleicher Höhe zahlen muss wie der Millionär. Ihr einziger Zweck besteht
darin, Arbeitgeber aus der Verantwortung zu entlassen
und Gutverdiener auf Kosten der Geringverdiener besserzustellen.
({5})
Das haben die Menschen im Land allerdings bemerkt.
Deswegen hat die Regierung versucht, dem Ganzen einen netteren Namen zu geben, nämlich Gesundheitsprämie. Aber auch das haben die Menschen bemerkt. Selbst
80 Prozent der Anhänger von Schwarz-Gelb waren gegen diese Gesundheitsprämie. Nun bekamen viele in der
Union kalte Füße; an die Diskussion erinnern wir uns
noch. Die FDP-Umfragewerte gingen gleich in den
freien Fall über. Die Regierung konnte aber ohne Gesichtsverlust keinen Rückzieher mehr machen. Also
blieb nur Trickserei: Rösler, Bahr und Co. schrieben
Kopfpauschalen ins Gesetz, versahen sie aber mit einem
Zeitzünder. Die Versicherten werden erst dann geschröpft, wenn die Konten der Krankenkassen leer sind,
und das sind sie derzeit bekanntlich nicht,
({6})
weil gleichzeitig der Beitragssatz erhöht worden ist, sodass die Kassen vermutlich bis zur Bundestagswahl in
einem Jahr genug Geld haben.
({7})
Ließe man das Gesetz nach der Wahl so, wie Sie es
geschaffen haben, dann würden die Kopfpauschalen
Realität. Bis dahin haben wir mit Sicherheit einen verschärften Wettbewerb um die Vermeidung von Kopfpauschalen zwischen den Krankenkassen. Einen solchen
Wettbewerb haben wir ja bereits erlebt. Sie haben mit
diesem Vorhaben zunächst einmal Ihre sozialpolitische
Ignoranz bewiesen. Sie haben sich am Ende aber nicht
getraut, den Wählerinnen und Wählern reinen Wein einzuschenken.
In der ambulanten Versorgung verkommt ein wichtiges Thema leider immer mehr zu einer Schmierenkomödie. Ich meine die Praxisgebühr. Die Linke hat diesen
Unsinn stets abgelehnt und will ihn seit Einführung wieder abschaffen. Nachdem die FDP schon 2011 einen Antrag von uns zur Abschaffung der Praxisgebühr abgelehnt hat und das Thema von der Koalition zwei Jahre
lang nicht angesprochen wurde, polterte die FDP auf
einmal los und stilisierte sich zur großen Gegnerin der
Praxisgebühr. Daraufhin stellten wir im März erneut einen Antrag im Bundestag, die Praxisgebühr abzuschaffen. In diesem Antrag stand nichts anderes als die Abschaffung der Praxisgebühr. Er enthielt nicht einmal den
Hauch einer Bürgerversicherung. Die FDP hätte nun beweisen können, dass sie nicht nur redet, sondern auch
handelt, und hätte gemeinsam mit SPD und Grünen unserem Antrag zustimmen können. Das tat sie aber nicht.
Stattdessen blockiert sie den Antrag seit März im Gesundheitsausschuss und verhindert, dass er hier im Plenum weiter beraten werden kann. Gleichzeitig sammelt
die FDP, wo sie nur kann, Unterschriften gegen die Praxisgebühr, macht also Opposition gegen die eigene
Regierung und gegen die eigene Bundestagsfraktion. Ich
frage Sie von der FDP: Wundern Sie sich, dass ein solches Verhalten draußen niemand mehr versteht? Die
gesetzlich Versicherten zahlen weiterhin Quartal für
Quartal Praxisgebühr, während die Regierung erst zweieinhalb Jahre schweigt, dann seit einem halben Jahr diskutiert und dann unfähig ist, diese einfache Frage zu klären. Ich fordere Sie auf: Springen Sie endlich über Ihren
Schatten! Geben Sie Ihren Widerstand auf! Lassen Sie
uns gemeinsam die Praxisgebühr abschaffen!
({8})
Meine Damen und Herren, zum Haushalt selbst. Bei
einigen sinnvollen Haushaltstiteln - darauf ist ja bereits
hingewiesen worden - wollen Sie kürzen, wie bei Präventionsprogrammen gegen Drogensucht und gegen sexuell übertragbare Krankheiten. Dies und anderes werden wir in der Haushaltsdebatte noch näher beleuchten
müssen. Wir werden auch selber noch Änderungsanträge
zum Haushalt stellen.
Der größte Punkt im Haushalt ist die Kürzung des
Bundeszuschusses, die damit begründet wird, dass der
Sozialausgleich nicht notwendig sei. 2 Milliarden Euro
zahlt der Bund weniger an den Gesundheitsfonds. Ich
selber - das weiß man allgemein - bin kein Fan von
steuerfinanzierten Gesundheitssystemen. Ich halte die
Beitragsfinanzierung nach wie vor für zielführender.
Aber ich bin auch der Meinung, dass wir nicht zulassen
dürfen, dass sozusagen einmal Geld da ist und einmal
Geld nicht, dass es keine verlässlichen Finanzströme
gibt.
({9})
Im Übrigen, am Schluss: Die Abschaffung der Praxisgebühr würde zu Mindereinnahmen von etwa 1,2 Milliarden Euro für die Kassen führen.
({10})
- Nein, das stimmt nicht; denn durch die Überforderungsklausel, durch die Tatsache, dass es andere Zuzahlungen gibt, würden die Mindereinnahmen geringer ausfallen. Da müssten Sie einmal genauer nachschauen. Das
ist im Übrigen ein Papier, das die Koalition selber angefordert hat. - Mit den 2 Milliarden, die Herr Schäuble
nun wieder einkassiert, hätte man also etwa sieben praxisgebührenfreie Quartale finanzieren können - von den
22 Milliarden Euro Rücklagen im System, die wir derzeit haben, ganz zu schweigen. Aber die Bundesregierung zieht es vor, weiter die Praxisgebühr zu erheben,
und entlastet damit den Bundeshaushalt. Dafür stehen
wir, die Linke, nicht zur Verfügung.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender für Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, das war ja schon ein trauriger Auftritt, den Sie hier heute hingelegt haben. Was haben wir
gehört? Sie loben sich für ein längst verabschiedetes Gesetz.
({0})
Sie loben sich dafür, dass einige Krankenkassen so viel
Geld haben, dass sie zusätzliche Leistungen bezahlen
können. Sie packen den Evergreen „freie Arztwahl“ aus,
und dann polemisieren Sie gegen die Opposition wegen
der Forderung nach Transparenz beim Thema Organspende.
({1})
- Was? Das Thema Organspende werde ich jetzt nicht
weiter behandeln. Das machen wir am Freitag im Ausschuss.
Das AMNOG läuft. Dazu gibt es im Moment auch
nichts zu sagen.
Reden wir einmal über „freie Arztwahl“. Sagen Sie
mir einmal, Herr Minister, was eigentlich frei ist an der
Arztwahl, wenn in Baden-Württemberg ein GKV-Patient
in Facharztpraxen hört, dass keine Patienten mehr angenommen werden, und wenig später ein PKV-Patient innerhalb von vier Tagen einen Termin bekommt.
({2})
Was sagen Sie dazu, dass Patienten in Baden-Württemberg im Schnitt 16 Tage länger auf einen Termin beim
Facharzt warten, wenn sie keine Privatpatienten, sondern
GKV-versichert sind? Ich sage Ihnen: Das ist keine freie
Arztwahl, sondern eine ziemlich unfreie Zweiklassenversorgung.
({3})
Das Thema ist nicht „böse Ärzte“. Das Thema ist „falsche Anreize“, weil die Ärzte mit der Versorgung von
PKV-Patienten viel mehr verdienen. Diese Anreize
müsste man beseitigen. Es muss eine einheitliche Honorierung für PKV- und GKV-Patienten geben; aber das ist
Ihr Thema nicht.
({4})
Das wäre auch der Weg zur Bürgerversicherung; aber
das kratzt Sie ja nicht.
So, jetzt reden wir einmal über das Geld der Kassen,
das sie zu viel haben. Da sind wir uns einig:
({5})
Die Überschüsse gehören in die Hand der Versicherten.
({6})
Aber jetzt müssen wir einmal darüber reden, wie die dahin kommen. Der Minister hat ja heute tunlichst vermieden, zu sagen, was er an anderer Stelle äußert, zum Beispiel über die Bild-Zeitung. Da sagt er: Die Kassen
sollen Prämien auszahlen. - Das würde so ablaufen: Erst
erhebt der Arbeitgeber den Krankenkassenbeitrag bei
der Arbeitnehmerin,
({7})
über diverse Stellen landet das Geld schließlich beim
Gesundheitsfonds und als Einheitsbeitrag bei den Kassen. Dann stellen die Kassen fest, dass viel Geld da ist,
zu viel Geld. Sie schreiben dann die Versicherten an:
Lieber Versicherter, gib uns doch einmal deine Kontonummer. Wenn wir diese haben, dann überweisen wir dir
Geld zurück. - Dazu kann ich nur sagen: Bürokratie,
dein Name ist FDP. Ein geniales System!
({8})
Dabei ginge es viel einfacher. In dem System, das Sie
aufbauend auf den Vorarbeiten der Großen Koalition geschaffen haben, Herr Minister, gibt es einen zentralistischen Einheitsbeitrag und gegebenenfalls einen Zusatzbeitrag. Diesen Einheitsbeitrag könnten Sie ja senken.
({9})
Das wäre eigentlich kein Problem. Aber es gibt dabei ein
Problem: Sie wissen ganz genau, dass es einige Kassen
gibt, die dann wieder in den Mechanismus Zusatzbeitrag
geraten.
({10})
Vor dem, was Sie als Einstieg in die Kopfpauschale politisch gewollt haben, haben Sie jetzt so viel Angst, dass
Sie sich nicht trauen, genau diesen Mechanismus herbeizuführen.
({11})
Sie sind vielleicht mutige Politiker. Sie trauen sich nicht
einmal, sich den Versicherten zu stellen und für die Konsequenzen einzustehen, die Sie selber politisch auf die
Schiene gesetzt haben.
Der wesentlich einfachere und richtigere Weg wäre
der Weg weg von diesem Einheitsbeitrag, weg von dem
Mechanismus Zusatzbeitrag und hin dazu, dass die Kassen wieder selber entscheiden können, welchen Beitrag
sie für ihre Arbeit benötigen. Beitragssatzautonomie der
Kassen, das brauchen wir wieder.
({12})
Dann würden etliche Kassen ihren Beitrag senken, das
heißt, die Arbeitgeber müssten ihn gar nicht erst erheben, die Versicherten hätten das Geld weiterhin im Geldbeutel, und mit einem ordnungsgemäßen solidarischen
Wettbewerb würde das System wieder funktionieren.
Aber genau das wollen Sie nicht. Stattdessen schieben
Sie den Schwarzen Peter den Kassen zu; sie sollen die
Suppe auslöffeln, die Sie ihnen eingebrockt haben. Das
ist garantiert der falsche Weg, Herr Minister.
({13})
Das Wort hat jetzt der Kollege Otto Fricke von der
FDP-Fraktion.
({0})
Geschätzter Herr Vizepräsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich finde etwas bemerkenswert und
darf das in meiner Funktion als Hauptberichterstatter des
Einzelplans hier darlegen. Ich gebe unumwunden zu,
dass ich zu Beginn der Legislaturperiode, als ich auf den
Gesundheitsetat geschaut habe, das Gefühl hatte: Oh,
das wird eine schwierige Kiste. Das wird für einen Haushälter, ähnlich wie beim Sozialhaushalt, sehr problematisch. - Das Komische ist: Ich habe heute in der Debatte
die ganze Zeit darauf gehofft, dass jemand sagt, dass wir
zu wenig Geld haben, dass mehr Geld in den Gesundheitsbereich fließen muss. Stattdessen habe ich gehört,
dass selbst die SPD damit einverstanden ist, dass man
den Zuschuss einmalig um 2 Milliarden Euro absenkt.
Es ist doch richtig, werte Sozialdemokraten, dass man
damit einverstanden ist? Falls nicht, bitte ich meine
Nachrednerin, dies zu korrigieren.
Ich stelle fest: Wir haben im Bereich Gesundheit eine
Diskussion, die so weit geht, dass niemand mehr bereit
ist, auch nur im Ansatz zu sagen: Wir haben finanzielle
Probleme. Das heißt, das, was wir Haushälter manchmal
- Entschuldigung! - „die Ullaritis“ genannt haben, nämlich zu sagen, dass man hier und da noch 1 Milliarde
Euro braucht, ist weggefallen. Wenn es eines letzten Beweises für die Bevölkerung bedurft hätte, dass der Gesundheitshaushalt unter FDP-Führung gut geworden ist,
dann ist dies schlicht die Tatsache, dass der gesundheitspolitische Sprecher Heiner Lauterbach nicht an dieser
Debatte teilnimmt; denn er weiß, wie gut die Zahlen in
diesem Haushalt sind. Dafür danke ich ihm ausdrücklich.
({0})
- Für mich ist das der Heiner Lauterbach.
({1})
Keine Angst, Frau Kollegin, ich finde sehr gut, dass Sie
das erkannt haben. Wenn ich die Wortbeiträge des Kollegen Karl Lauterbach an der Stelle höre, dann muss ich
sagen, dass das nicht mehr viel mit Gesundheitspolitik
zu tun hat.
Nichtsdestotrotz gab es Kritik aus der Opposition;
auch das ist interessant. Kollegin Bender hat schon wieder etwas hilflos versucht, zu sagen: Wenn die FDP das
Gesundheitsministerium führt, ist sie der Totengräber
der GKV. Meine liebe Kollegin, Totengräber sind die,
die die gesetzlichen Krankenkassen immer an den Rand
des Ruins treiben.
({2})
Wir haben als Koalition dafür gesorgt, dass es Reserven
bei den gesetzlichen Krankenkassen gibt.
({3})
- Nein. Frau Kollegin Bender, mir ist es sehr angenehm,
dass die Krankenkassen einen Puffer haben. Für die Koalition bedeutet er nämlich eine gewisse Vorsorge. Dadurch ist gewährleistet, dass auch für schlechte Zeiten
der Puffer, von dem Ihre Haushälterkollegen immer
sprechen, vorhanden ist. Dieser Puffer wird genau so
ausgestaltet, dass er sicherstellt, dass sich die GKVPatienten keine Sorgen machen müssen.
({4})
Das ist der Unterschied: Bei Ihnen hatten die Versicherten stets Angst, weil sie nicht wussten, ob die Versicherung funktioniert. Bei uns hingegen können sie sich sicher sein, dass stets ausreichende Finanzmittel vorhanden sind.
({5})
Das ist für mich als Haushälter und Politiker die beste
Nachricht, die ich einem Versicherten mitteilen kann.
Zum Schluss meiner Rede will ich noch auf zwei, drei
Aspekte eingehen, die im Zusammenhang mit den Programmen erwähnt worden sind. Mein Berichterstatterkollege von der SPD hat gesagt, wir würden das Programm zur Förderung der Kindergesundheit einstellen.
Herr Kollege, könnte es vielleicht sein, dass dieses Programm einmal von Ulla Schmidt aufgelegt und mit Zustimmung der SPD bewusst befristet worden ist? Könnte
es sein, dass Sie sich hier hinstellen und behaupten, wir
würden etwas tun, für das Ulla Schmidt und die damals
handelnden Gesundheitspolitiker um Herrn Lauterbach
verantwortlich sind? Kann das sein?
({6})
Ich glaube, ja.
({7})
Deswegen: Bevor Sie Äußerungen dazu machen, welche
Programme wir angeblich einstellen, sollten Sie erst einmal überprüfen, wofür Sie selbst verantwortlich sind.
Ein allerletzter Punkt - dafür habe ich gerade noch
genug Zeit -:
({8})
Beim Thema Organspende müssen wir eines vermeiden,
nämlich den Versuch, nach Vorurteilen zu handeln. Wir
müssen im Hinblick auf das Thema Organspende alles
dafür tun - das will ich ausdrücklich versöhnend in
Richtung der Opposition sagen -, dass auch von diesem
Haushalt folgende Botschaften ausgehen: a) Wir sorgen
dafür, dass, was immer möglich ist, getan wird, um
Straftaten zu vermeiden. Wir alle wissen allerdings, dass
man keine hundertprozentige Sicherheit gewährleisten
kann. b) Wir sind deswegen bereit - das sage ich aus-
drücklich, weil wir die entsprechenden Vereinbarungen
schon getroffen haben -, an dieser Stelle auch personell
etwas zu tun. Aber wir sollten c) auch mit Blick auf die
Krankenkassen aktiv werden und sie auffordern: Sorgt
bitte mit dafür, dass durch Aufklärung bei den Bürgern
die Bereitschaft geschaffen wird, für seinen Nächsten etwas Gutes zu tun. Das muss, neben allen Wünschen, die
wir in Bezug auf unsere Gesundheit haben und die wir
an den Staat, an die gesetzliche Krankenversicherung
usw. richten, unsere erste Aufgabe sein. Wir müssen jedem Bürger sagen, dass er, wenn es um die Gesundheit
geht, etwas für seine Mitbürger tun kann. Dazu lade ich
Sie ein.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Bärbel
Bas das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Fricke, Sie haben gerade selbst das beste Beispiel dafür geliefert, wie konzeptlos Ihre Politik ist.
({0})
Alte Programme laufen aus, und Ihnen fällt nichts Neues
ein. Das ist das, was Sie gerade dargestellt haben.
({1})
Zur Kindergesundheit. Es ist schlimm genug, dass Sie
Gelder im Bereich der Prävention plan- und kopflos vergeuden; das hat der Kollege Schurer gerade angesprochen. Aber Sie gehen sogar noch einen Schritt weiter:
Sie streichen die Mittel dort, wo sie eigentlich dringend
gebraucht werden, zum Beispiel bei der Förderung der
Kindergesundheit.
({2})
- Ja. Aber Ihnen ist nichts Neues eingefallen. Vielleicht
sollten Sie darüber einmal nachdenken. Das wäre vielleicht nicht schlecht.
({3})
Bereits 2012 haben Sie die Mittel für die Modellvorhaben, die es damals gegeben hat, auf 650 000 Euro heruntergefahren. Diesen Haushaltstitel haben Sie im jetzt
vorliegenden Entwurf komplett gestrichen. Das ist Ihre
einzige politische Aussage zum Thema Kindergesundheit. Diese Kürzungen zeigen, wie Sie Politik betreiben:
Erst kündigten Sie, Herr Bahr, im Sommer dieses Jahres
in einer sehr großen Boulevardzeitung medienwirksam
an - das ist ja der neue Stil Ihrer Politikankündigungen -,
dem Übergewicht bei Kindern den Kampf anzusagen.
Wunderbar! Das taten Sie allerdings, ohne dabei zu erwähnen, dass Sie den Aktionsplan „Gesunde Ernährung
und Bewegung“ bereits im Haushaltsplan 2012 gestrichen haben, ohne ein anderes Konzept dafür vorzulegen.
({4})
Ein anderes Beispiel war Ihr Versuch, das Sommerloch
zu nutzen, indem Sie den Vorschlag machten, Vorbeugeuntersuchungen an Schulen flächendeckend auszubauen.
Sie haben den Kommunen allerdings nicht gesagt, wie
Sie das finanzieren wollen. Wahrscheinlich ist der Vorschlag deshalb schon wieder vom Tisch, weil Ihnen dazu
nichts eingefallen ist.
Deutlich werden der Mangel an Gemeinsamkeiten in
Ihrer Koalition, Ihre ständigen Streitigkeiten und Ihr permanentes Verzögern und Vertagen beim Thema Prävention. Seit drei Jahren erzählen Sie uns, dass Sie eine Präventionsstrategie vorlegen werden, in der alle relevanten
Punkte aufgegriffen werden.
({5})
Kein Mensch glaubt noch daran. Ich bin einmal gespannt, was dazu noch kommen wird. In Ihrem Haushaltsplan für 2013 kann man jedenfalls nichts dazu erkennen, wie Sie Ihren Ankündigungen Projekte folgen
lassen wollen.
Ich will beispielsweise noch einmal das Programm
für Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern und das
Programm zur Gesundheitsbildung erwähnen. Besonders hart treffen hier die Sparmaßnahmen Kinder mit
psychischen Störungen. Diesen Kindern lasten Sie fast
die Hälfte Ihrer Kürzungen im Bereich der Kindergesundheit auf.
Ich habe die Bundesregierung in der letzten Woche
schriftlich gefragt, wie sie zu den Auswirkungen dieser
Kürzung steht. Es wird Sie nicht überraschen, dass die
Bundesregierung in Person der Staatssekretärin
Widmann-Mauz erklärt hat, dass keine Auswirkungen
befürchtet werden. Wir sehen, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen ständig steigt. Deshalb kann ich das wirklich nur noch als
blanken Hohn bezeichnen.
({6})
Als Ersatz für diese auslaufenden Projekte haben Sie
hauptsächlich verschiedene Forschungsprogramme angekündigt. Dagegen ist grundsätzlich nichts zu sagen,
nur scheinen Sie wenig Vorstellung davon zu haben, in
welchen Bereichen Sie überhaupt forschen wollen. Wir
brauchen nämlich konkrete Projekte, um vor allem Kindern aus sozial schwachen Familien ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen.
({7})
Deshalb brauchen wir kluge und kreative Nachfolgeprogramme, die man mit einer entsprechenden BegleitforBärbel Bas
schung nachhaltig gestalten kann, wodurch eine Versorgung in die Fläche ermöglicht wird; denn gerade Kinder
aus einkommensschwachen Familien weisen oft eine
schlechtere Gesundheit auf. Genau diesen Familien kürzen Sie jetzt diese Mittel.
Wir Sozialdemokraten sind davon überzeugt, dass wir
viel mehr Wert auf die Kinder- und Jugendgesundheit legen müssen. Dazu gehört für uns insbesondere auch die
Stärkung der Position der Kinderärztinnen und Kinderärzte, die Erstversorger im Kinder- und Jugendbereich
sind. Wir brauchen aber auch einen Wandel des Krankheitsspektrums und eine entsprechende Anpassung und
Ausweitung der Disease-Management-Programme. Auch
hier kommt von Ihnen keine Idee dazu, wie man Entwicklungs- und Verhaltensstörungen in solchen Programmen berücksichtigen kann.
({8})
Niedrigschwellige präventive Angebote im Setting,
ziel- und zielgruppenorientierte Ansprache: Fehlanzeige
in Ihrem Konzept! Es fehlen Vorschläge dafür, wie Sie
für eine verbesserte Lebensraumgestaltung in Kitas und
in Schulen sorgen wollen. Nichts dazu findet sich in irgendwelchen Maßnahmen wieder, geschweige denn in
Ihrem Haushalt.
Sie sollten die Kindergesundheitspolitik endlich als
eine nationale Aufgabe begreifen. Bund und Länder
müssen hier - das sage ich auch ganz deutlich - schnittstellenübergreifend zusammenarbeiten, um die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit präventiven,
kurativen und auch rehabilitativen Angeboten flächendeckend und nachhaltig zu sichern. Hierzu - davon bin ich
fest überzeugt - müssen nach unserer Auffassung in einem Titel „Förderung der Kindergesundheit“ ausreichend Mittel im Haushalt stehen, damit wir die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen auch
langfristig sichern können.
({9})
Frau Kollegin Bas, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Fricke?
Ach ja.
Bitte schön, Herr Fricke.
Ach danke.
Bitte.
Frau Kollegin Bas, ich bin an der Stelle, dass Sie sagen: Ja, hier gibt es Probleme, es muss etwas getan werden, durchaus offen und sage: Ja, gerne. Sie sagen jetzt:
Wir müssen hier etwas tun, hier müsste es eine Haushaltsstelle geben. - Das ist wohlfeil und nett. Dazu
würde ich gerne eines wissen: Darf ich fragen, wie viel
Finanzmittel nach Ihrer Meinung hier fehlen, damit ich
schon konkret weiß, mit welchen Änderungsanträgen
von Ihrer Fraktion ich im Haushaltsverfahren rechnen
kann? Man muss ja auch einmal gucken, ob man so etwas machen kann, wenn es einen entsprechenden Grund
gibt.
Das ist sehr gut. - Sie haben ja gerade die 2 Milliarden Euro angesprochen, die Herr Schäuble jetzt gekürzt
hat. Die hätten wir zum Beispiel ganz gut dafür benutzen
können.
({0})
- Bitte.
({1})
- Dass man die vollen 2 Milliarden Euro dafür benutzt,
würde ich mir wünschen, aber ich halte das für unrealistisch. Ich wurde aber nach den Mitteln gefragt, die ich
mir vorstellen könnte. Herr Fricke hat das vorhin ja angesprochen.
Wir haben vorhin auch schon die Kürzungen im Gesundheitsfonds angesprochen. Die Kollegin Bender hat
deutlich erklärt, wie es zu den Überschüssen in der
Krankenversicherung gekommen ist. Erst hat man nämlich die Beiträge für alle erhöht, dann hat man 14 Milliarden Euro in den Pott gepackt, dann fing man mit Diskussionen über Prämienauszahlungen an, und als FDP
sträubt man sich nun, die Praxisgebühr abzuschaffen,
was den Patienten, insbesondere den chronisch kranken,
zugute kommen würde.
({2})
All das versuchen Sie jetzt kleinzureden, indem Sie
sagen: Diese 2 Milliarden Euro werden gar nicht gebraucht. - Ich habe Ihnen gerade im Rahmen der Prävention viele Projekte aufgelistet, wo man das Geld durchaus hätte gebrauchen können.
Das Ganze endete dann in einem Schmierentheater,
als Schäuble gesagt hat: Ich nehme die 2 Milliarden
Euro aus dem Gesundheitsfonds heraus, das ist gut für
die Haushaltskonsolidierung. - Insofern war er der lachende Dritte in der ganzen Diskussion. Der Verlierer
Ihrer Politik allerdings ist an dieser Stelle ganz deutlich
der Versicherte. Das muss aufhören.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jens Spahn von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe mir vorhin auf dem Weg ins Plenum die Frage gestellt: Wenn du Oppositionspolitiker wärst,
({0})
was würdest du in dieser Debatte eigentlich sagen? Was
könntest du angesichts einer Bilanz in der Gesundheitspolitik eigentlich kritisieren, über die man, kurz zusammengefasst, sagen kann: „Wir stehen blendend da“?
({1})
Sie müssen die Dinge einfach einmal so sehen, wie
sie sind. Ich mache jetzt seit zehn Jahren Gesundheitspolitik, einige Kollegen hier schon deutlich länger. Wir haben in den letzten 30 Jahren noch keine derart stabile
und gute finanzielle Basis für die gesetzliche Krankenversicherung wie im Moment gehabt. Dass wir mittlerweile fast im Wochenrhythmus medial wie im Parlament
darüber reden, was wir mit Überschüssen und Rücklagen
tun wollen, anstatt darüber - das mussten wir in der Großen Koalition noch tun -, wie wir mit Defiziten umgehen könnten, sollten, müssten, wo wir möglicherweise
Leistungen streichen müssten, wie wir das in der Großen
Koalition leider tun mussten, das macht doch deutlich,
dass unser Mix aus wirtschaftlicher Erholung, vor allem
aber auch aus Sparsamkeit in allen Bereichen in den Jahren 2011 und 2012 gewirkt hat und dass die gesetzliche
Krankenversicherung heute in einem extrem guten Zustand ist und extrem gut dasteht.
Sie haben gefragt: Was ist gut für die Versicherten?
Vor allem für die Versicherten ist wichtig: Sie können
auch in der Zukunft, in drei, vier, fünf oder sechs Jahren,
angesichts dieser Rücklagen damit rechnen, dass sie eine
gute Versorgung bezahlen können.
({2})
Es macht mich schon etwas wuschig, wenn ich höre,
was Sie schon wieder alles fordern. Wir können damit
rechnen, dass Sie im Rahmen der Beratungen in den
nächsten Wochen wieder sagen werden: Gebt doch
1 Milliarde für Investitionen in Krankenhäuser! Gebt
doch 1 Milliarde mehr für Prävention aus!
({3})
Schafft doch die Praxisgebühr ab, was bis zu 2 Milliarden Euro kostet!
Ich will nur darauf hinweisen - mit den Milliarden
wird im Moment sehr munter herumgespielt -: 1 Milliarde Euro ist immer noch eine Menge Geld. Wir haben
im Gesundheitsfonds im Moment eine Rücklage von gut
9 Milliarden Euro. Davon fließen 2 Milliarden Euro zurück in den Bundeshaushalt. Übrigens ist das in der Sache richtig, weil es Steuermilliarden für einen Sozialausgleich waren, den wir nicht brauchen,
({4})
weil die Entwicklung so gut ist, wie sie ist.
Wir brauchen eine Mindestrücklage von gut 3 Milliarden Euro. Das heißt, wir haben sozusagen eine freie
Spitze von etwa 3,5 Milliarden. Das reicht angesichts eines Gesamtvolumens von 180 Milliarden Euro im Jahr
für die gesetzliche Krankenversicherung für wenige
Tage. Niemand von Ihnen würde im privaten Haushalt,
wenn er wüsste, er käme mit seinem gesparten Geld im
Notfall nur ein paar Tage aus, sagen: Ich habe jetzt so
große Rücklagen, dass ich allen alles versprechen kann. Deswegen gehen wir solide mit den Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung um.
({5})
Das ist manchmal nicht so populistisch und populär, wie
Sie es machen, aber es ist verantwortungsvoll im Sinne
von auf Dauer gesicherten Finanzen für die gesetzlich
Versicherten.
({6})
Das Gleiche gilt im Übrigen neben der Finanzierung
für die Bilanz bei der Versorgung der Menschen. Die
Frage ist: Was erleben sie im Alltag tatsächlich im Gesundheitswesen? Wir haben - das ist über Jahre geleugnet worden, wir haben es bei unserem Koalitionspartner
SPD in der letzten Legislaturperiode selbst erlebt - die
Probleme und Defizite für eine flächendeckende Versorgung, gerade im ländlichen Raum, in den Fokus gerückt.
Aber - auch das gehört dazu - auch in manchen großstädtischen Ballungsräumen, in manchen Stadtvierteln
wird es mittlerweile mit der medizinischen Versorgung
schwer.
Wir haben gesagt: Darauf legen wir bewusst den Fokus und stellen dafür zusätzliche Mittel zur Verfügung.
Das wurde uns zum Teil zum Vorwurf gemacht. Der
Grund ist, dass wir eine flächendeckende Versorgung sicherstellen wollen. Das werden wir mit den Ärztinnen
und Ärzten und vor allem mit den Patientinnen und Patienten erreichen. Unserer Meinung nach ist eine gute
Versorgung der Menschen nur mit den Ärzten, mit den
Apothekern, mit den Pflegekräften möglich. Gegen Ihren
Willen werden wir mehr Geld für die ländlichen Regionen zur Verfügung stellen. Das kommt aktiv bei den
Menschen an. Das hilft den unterversorgten Gebieten.
Auch da können wir also sagen: Mission geglückt, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Sie haben Baden-Württemberg angesprochen. BadenWürttemberg als Beispiel für die Wartezeiten zu nehmen, ist das denkbar schlechteste, weil es dort zwischen
Haus- und Fachärzten Vereinbarungen gibt, die sogar garantieren, dass es innerhalb bestimmter Fristen Folgetermine bei entsprechenden Fachärzten gibt. Aber auch dieses Thema haben wir mit in den Fokus gerückt, weil wir
gesagt haben: Ja, das ist erlebte Versorgungsrealität in
Deutschland. Menschen erleben tagtäglich, dass sie gegebenenfalls später einen Termin kriegen, als sie ihn
vielleicht als Privatversicherte bekommen würden, oder
dass sie sehr weit fahren müssen, weil es in bestimmten
Regionen beispielsweise gar keinen Neurologen oder
Zahnarzt mehr gibt.
Das können Sie nicht mit einer Maßnahme oder durch
die Änderung einer Zeile im Gesetz ändern, sondern dadurch, dass Sie die Arbeitsbedingungen gerade im ländlichen Raum und die finanziellen Anreize für eine Versorgung gerade auch gesetzlich Versicherter in dieser
Region verbessern. Deswegen haben wir zu genau diesen Maßnahmen gegriffen. Sie wirken - damit haben Sie
recht - nicht von heute auf morgen.
({8})
Aber wenn man nicht irgendwann anfängt, solche Maßnahmen umzusetzen, dann kann es auch nicht besser
werden. Deswegen schieben wir hier keine Wolken, sondern wir arbeiten konkret an einer besseren Versorgung
der Menschen in Deutschland gerade im ländlichen
Raum.
({9})
Das bringt mich im Übrigen zu einem weiteren Punkt
in der Versorgungsfrage. Denn neben dem umfassenden
Zugang zur medizinischen Versorgung für jedermann in
Deutschland - ich weise darauf hin, dass das ein hohes
Gut ist, das bei weitem nicht in allen Ländern Europas
und schon gar nicht in den USA sichergestellt ist ({10})
haben wir eine gute Versorgung mit zwei Qualitätsmerkmalen. Das Erste ist die flächendeckende Versorgung gerade auch im ländlichen Raum. Das Zweite ist der
schnelle Zugang zu Innovationen.
Wir haben gerade bei den Arzneimitteln dafür gesorgt, dass wir das Preismonopol der Pharmaindustrie
brechen und für neue Medikamente nur so viel mehr
zahlen, wie sie tatsächlich besser sind als das, was schon
auf dem Markt ist. Aber gleichzeitig haben wir durch unseren Mechanismus sichergestellt, dass Patienten von
Innovationen und neuen Medikamenten profitieren können, weil viele Menschen etwa auf neue Krebsmedikamente warten und sich von ihnen Leidminderung oder
gar Heilung erhoffen.
Diesen Spagat zu schaffen, das Preismonopol zu brechen und keine einseitig festgelegten Preise zu zahlen,
aber gleichzeitig den Zugang zu Innovationen sicherzustellen, war nicht leicht. Das hat viele Diskussionen gekostet. Aber wir haben nicht wie Sie vorher jahrzehntelang darüber geredet. Wir haben es umgesetzt. Wir
haben es gemacht, und das System funktioniert - das
zeigen die ersten Ergebnisse - im Interesse der Versicherten, aber vor allem im Interesse der Patienten.
({11})
Abschließend will ich, weil das in den letzten Wochen
gerade auch hier eine große Rolle gespielt hat, gerne etwas zum Thema Organspende sagen. Es war und ist
ohne Zweifel für jeden von uns bitter. Viele Kollegen
waren aktiv mit dabei und haben über Wochen und Monate miteinander verhandelt und darum gerungen, welche Fortentwicklung des Transplantationsgesetzes richtig ist, wie wir die Abläufe in den Krankenhäusern
verbessern können, um dort zu einer besseren Aufklärung und mehr Organspenden kommen, und vor allem
- das soll im November beginnen -, wie wir die Bevölkerung besser aufklären können, indem sie angeschrieben wird und sich jeder zu Hause mit dem Thema beschäftigt und überlegt, ob er zur Organspende bereit ist.
Wir haben also bewusst viel Zeit und Mühe darauf
verwendet. Es war für jeden, der daran beteiligt war, bitter, zu erleben, was dann in der Sommerpause passiert
ist, nämlich dass Menschen, man muss fast sagen, Teams
bzw. Strukturen mit krimineller Energie - ein Einzelner
kann das in einem solchen Krankenhaus nicht -, egal ob
es um Geld oder um Ansehen ging, das man vielleicht
durch möglichst viele Operationen generieren wollte,
mit fast der sensibelsten Frage, die es im Gesundheitswesen geben kann, gespielt haben. Es geht immer um
Verteilungsgerechtigkeit. Aber dass bei Organspenden
und der Frage, nach welchen Kriterien wir das rare Gut
an Organen vergeben - 12 000 Menschen warten, und
jeden Tag müssen drei Menschen sterben, weil wir leider
zu wenig Organspenden in Deutschland haben; das ist
eine der sensibelsten Fragen, die denkbar sind -, ein solches Schindluder getrieben worden ist - so muss man es
ja nennen -, wie es unter anderem in Göttingen und Regensburg der Fall gewesen ist, ist eine bittere Enttäuschung für jeden von uns. Wir sind uns sehr schnell darin
einig, dass es mehr Transparenz, Kontrolle und vor allem schärfere Sanktionen braucht, damit wir auch für die
Zukunft solche Dinge vermeiden helfen.
({12})
Zu den schärferen Sanktionen muss übrigens unbedingt, finde ich jedenfalls, auch der Entzug von Approbationen von Ärzten gehören.
({13})
Es kann nicht damit getan sein, dass irgendwann einmal
jemand versetzt wird. Wer so etwas tut - das ist nach
meinem Dafürhalten mit der ärztlichen Ethik grundsätzlich nicht vereinbar -, dem muss die Approbation entzogen und damit ein Berufsverbot erteilt werden.
({14})
Lieber Harald Terpe, liebe Frau Kollegin Vogler, wir
sind uns einig, dass wir Missstände aufdecken müssen.
Niemand will einen Schleier über irgendetwas legen.
Aber ich will darauf hinweisen, dass es schon vor vier
Jahren eine ähnliche Debatte gab und festgestellt wurde,
dass die Behauptung, Privatversicherte würden bei der
Organspende bevorzugt, nicht richtig ist. Damals hatte
ein Kollege einen ähnlichen Vorwurf erhoben und sich
dabei ziemlich verrannt. Das hat eine gefährliche Komponente. Wenn man solche Vorwürfe erhebt, sollte man
das aufgrund einer guten Erkenntnislage tun. Das kann
im Worst Case lebensgefährlich sein; denn jedes Organ,
das aufgrund der Verunsicherung der Bevölkerung, die
entsteht, wenn es auf Seite 1 einer großen Zeitung heißt,
es gäbe den Verdacht, Privatversicherte würden bevor22948
zugt, nicht gespendet wird, fehlt für jemanden, dessen
Name auf der Warteliste für eine Organspende steht. Das
kann für den Betreffenden im wahrsten Sinne des Wortes
tödlich sein. Deswegen haben wir die große Verantwortung, mit diesem Thema sehr sensibel umzugehen. Wir
müssen sehen, welche Schlussfolgerungen die Zahlen
tatsächlich zulassen. Der Minister hat bereits darauf hingewiesen: Das, was unterstellt wird, lässt sich aus den
Zahlen nicht ableiten. Der Vorwurf bedient auch ein
weitverbreitetes Klischee. Deswegen ist es so „dankbar“,
das auf Seite 1 zu veröffentlichen. Ich sage ganz persönlich, Harald: Wir kennen uns lange und gut und schätzen
die Arbeit des jeweils anderen. Aber es wäre richtig gewesen, zu sagen: Sorry, da habe ich mich verrannt; das
war falsch. Dafür entschuldige ich mich. - Denn gerade
dieses Thema ist höchst sensibel.
({15})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Kathrin SengerSchäfer von der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Gesundheitsetat ist im Bundeshaushalt einer der größten Posten. Er beträgt sagenhafte
12,5 Milliarden Euro. Auch wenn der Zuschuss zum Gesundheitsfonds mit 12 Milliarden Euro hier den größten
Anteil ausmacht, bleiben immer noch rund 489 Millionen Euro, mit denen sich weitere Schwerpunkte setzen
ließen. Bei der Schwerpunktsetzung wird die Pflege allerdings stiefmütterlich behandelt. Dabei ist das Thema
Pflege eines der wichtigsten Themen dieser Gesellschaft. Herr Spahn, da Sie sagen: „Wir stehen blendend
da“, rate ich Ihnen, einmal die Millionen Pflegebedürftigen zu fragen, um zu erfahren, was diese dazu sagen.
({0})
Der einzige Posten, den das Gesundheitsministerium
zur Pflege für 2013 ausweist, sind die Modellmaßnahmen zur Verbesserung der Versorgung Pflegebedürftiger,
veranschlagt mit insgesamt 900 000 Euro. Für die Pflege
sind das läppische 0,18 Prozent des Etats, wohlgemerkt
ohne die 12 Milliarden Euro für den Gesundheitsfonds.
Ich muss schon sagen: Das ist lächerlich.
({1})
Also nicht einmal 1 Prozent des Gesundheitsetats wird
für die Weiterentwicklung der pflegerischen Versorgung
ausgegeben. Das empfinde ich als bemerkenswert, wenn
nicht gar als beschämend.
({2})
Schauen wir uns diesen Posten im Gesundheitsetat
genauer an. Da sind wichtige und innovative Forschungsvorhaben dabei. Es fällt mir nicht schwer, Ihnen
zuzugestehen, dass hier auch Brauchbares finanziert
wird. Aber was ist das für ein Projekt mit dem Titel „Bürokratieabbau bei der Pflegedokumentation“, und wer ist
die Trägerin Elisabeth Beikirch? Das ist die Ombudsfrau
für die Entbürokratisierung in der Pflege, von Bundesgesundheitsminister Bahr am 27. Juni 2011 berufen.
({3})
Natürlich wird die Bürokratie von den Pflegekräften als
überbordend empfunden. Hier sind Verbesserungen nötig. Dennoch habe ich von dem Projekt, zu dem Frau
Beikirch offenbar forscht, nichts gehört außer Worthülsen.
({4})
Dann frage ich mich, was Frau Beikirch für 65 000 Euro
im Jahr 2012 gemacht hat und für 97 000 Euro im Jahr
2013 konkret machen wird. Ob auch nur ein pflegebedürftiger Mensch von der Arbeit der Ombudsfrau bisher
profitieren konnte, ist auch nicht überliefert.
({5})
Fakt ist: Im Jahr der Pflege 2011 wurde mit Pflegedialogen, Presseerklärungen, Interviews und Fototerminen
hektische Aktivität entfaltet, um dann zu verkünden: Reformen gibt es erst später.
({6})
Das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz, welches dann
endlich im Juni 2012 durch das Parlament gepeitscht
wurde, hat den Titel „Reform“ nun wirklich nicht verdient. Nicht einmal ein Reförmchen ist es geworden. Ich
muss schon sagen: Herr Bahr, Sie haben hier reichlich
Weihrauch versprüht.
({7})
Sicher ist auch, dass Frau Beikirch für ihre Aktivitäten
besser bezahlt wird als jede Pflegefachkraft hier im
Land. Für ein pflegepolitisches Placebo - und das ist es,
was Sie hier machen - ist mir das doch zu viel Geld.
({8})
Während schlecht bezahlte Pflegekräfte - hören Sie
einmal zu! - und damit auch Pflegebedürftige schon
heute den Mangel ausbaden, werden sie zunehmend
auch mit dem Thema Altersarmut konfrontiert sein, die
dazu führen wird, dass man weniger auf professionelle
Pflege zurückgreifen kann. Daran zeigt sich, dass es
nicht angehen kann, dass das Thema Altersarmut ohne
das Thema Pflegearmut diskutiert wird.
({9})
Offenbar ist bei einigen immer noch nicht angekommen, dass unter den Menschen, denen aufgrund prekärer
Beschäftigung Altersarmut droht, auch diejenigen sind,
die nicht nur häufiger krank, sondern infolge von Krankheit auch früher von Pflegebedürftigkeit betroffen sind.
Mit der fortwährenden Privatisierung von sozialen RisiKathrin Senger-Schäfer
ken, für die Ihre Politik verantwortlich ist, werden die
Menschen gleich mehrfach in die Armut getrieben. Das
ist nicht nur abgrundtief ungerecht, es birgt auch enormen gesellschaftlichen Sprengstoff.
({10})
Mit der Riester-Rente, dem Pflege-Bahr und nach
dem Willen der Sozialministerin mit der Zuschussrente
legen Sie immer noch eine Stange Dynamit oben drauf.
Niemand hat etwas davon, außer die Versicherungsindustrie. Das ist für uns nicht hinnehmbar.
({11})
Unternehmen Sie stattdessen konkrete Schritte, um
die wirklichen Probleme zu lösen! Das Grundübel der
Pflegeversicherung liegt in der unsolidarischen und Teilkostenfinanzierung der Pflegeversicherung. Die Antworten auf dieses Grundproblem lauten, erstens, solidarische
Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege,
zweitens, Leistungsausweitung in der Pflegeversicherung und, drittens, Überwindung des Teilkaskoprinzips
der Pflegeversicherung. Und - wie Sie, Herr Bahr, nicht
müde werden, zu betonen -: Es ist die Linke, die das
Teilkaskoprinzip infrage stellt. Wir stören Ihre Lethargie
bewusst im Interesse der Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen und der Beschäftigten in der Pflege.
({12})
Jetzt hat das Wort die Kollegin Elisabeth
Scharfenberg vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es gerade von der Kollegin SengerSchäfer gehört: Am 29. Juni wurde die Pflegereform beschlossen. Das ist, wenn wir ehrlich sind, langsam schon
in Vergessenheit geraten. Oder sagen wir es besser und
deutlicher: Die Kolleginnen und Kollegen der Koalition
verdrängen das. Dieses Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz
war und ist wirklich peinlich.
({0})
Sie, Herr Spahn, haben in Ihrer zehnminütigen Rede
die Pflege, die Pflegebedürftigen oder die Pflegereform
nicht einmal erwähnt. Das geht eigentlich überhaupt
nicht, wenn man gesundheitspolitischer Sprecher ist.
Alle anderen vergessen es allmählich, weil man sich an
einen Hauch von nichts eben nur schwer erinnern kann.
Wenn Sie sich selbst gegenüber ganz ehrlich sind, dann
müssen Sie zugeben: Der große Wurf war es einfach
nicht.
Die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, eine solide, eine gerechte, eine nachhaltige Finanzierung der
Pflegeversicherung, gute Unterstützungsleistung für
pflegende Angehörige, wirksame Maßnahmen gegen
den Fachkräftemangel in der Pflege, dazu braucht es
eine umfassende Pflegereform. All das haben Sie, all das
hat Schwarz-Gelb nicht ansatzweise geschafft. Diese Reform - ich muss es ganz deutlich sagen - grenzte eigentlich an Arbeitsverweigerung. Sie ist ein Totalausfall.
({1})
Was am Ende übrig bleibt, ist eigentlich nur der
Pflege-Bahr, dieses peinliche, dieses bürokratische, dieses unnütze, dieses unsoziale Förderprogramm für die
private Versicherungsindustrie, der Pflege-Bahr, der den
Menschen am wenigsten nützt, die es am nötigsten brauchen, nämlich die Geringverdienerinnen und Geringverdiener und natürlich auch die Älteren. Der Pflege-Bahr
hat nur einen Zweck: Er ist der Einstieg in die Privatisierung des Pflegerisikos. Der Pflege-Bahr ist der Ausstieg
aus der Solidarität.
({2})
Wir befinden uns in den Haushaltsberatungen. Wenn
wir uns die Unterlagen für das Gesundheitsministerium
näher anschauen, sehen wir: Da steht, dass die Pflegereform, die nächstes Jahr in Kraft treten soll, den Schwerpunkt der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums bilden
soll. Das heißt, einige Millionen Steuergelder sollen in
die Werbung für eine Reform fließen, die man eigentlich
vergessen kann.
({3})
Es ist offensichtlich: Sie wollen im Wahljahr 2013
jede Kleinigkeit, die Sie mit der Reform geschaffen haben, so aufblasen, als wäre es eine pflegepolitische
Großtat.
({4})
Der Pflege-Bahr wird dabei wahrscheinlich eine ganz
zentrale Rolle spielen,
({5})
und sie werden die mickrigen 5 Euro pro Monat, mit denen der Pflege-Bahr gefördert wird, anbieten wie sauer
Bier. Am Ende dieser Werbekampagne wird das wahrscheinlich mehr kosten als der Pflege-Bahr selbst. Dieses Angebot kann kaum jemand brauchen, und kaum jemand kann es bezahlen. Der Pflege-Bahr ist und bleibt
unnütz und unsozial.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rechnung, die
Sie da aufmachen, wird nicht aufgehen. Sie können Ihr
Versagen in der Pflegepolitik nicht schönreden, auch
nicht mit romantischen Hochglanzbildern von unrealistischen Pflegesituationen. Aber vielleicht hat Ihr geplanter
Werbefeldzug doch etwas Gutes. Diese Koalition wird
damit selbst dafür sorgen, dass wir dieses Versagen, Ihr
Versagen, nicht vergessen und auch nicht verdrängen.
Sie selbst werden die Menschen daran erinnern, dass Sie
an den großen pflegepolitischen Herausforderungen
grandios gescheitert sind. Die Realität in der Pflege, die
Sie ausblenden, heißt: Pflege bis zur Erschöpfung, privat
und professionell. Und Sie lassen alle im Regen stehen:
die Pflegebedürftigen, die Angehörigen und die professionell Pflegenden. Blicken Sie der Realität doch endlich
ins Auge!
({7})
Es ist gut, dass Sie sich selbst darum kümmern, dass
jeder und jede von Ihrem Scheitern erfährt. Vielen Dank
dafür!
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Koschorrek
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben heute ein
erfolgreiches Jahr zu feiern: Wir haben es vor dem Hintergrund einer sehr soliden Finanzierung im Gesundheitswesen geschafft, den Fokus wirklich auf die zu richten, um die es im Gesundheitswesen geht, nämlich um
die Patienten. Wir haben den Patienten deutlich in den
Fokus unserer politischen Bemühungen rücken können,
weil wir eben nicht im Tagesgeschäft von morgens bis
abends damit befasst waren, Lücken in der Finanzierung
zu schließen und ähnliche Dinge wie in den letzten Jahren zu machen. Wir haben endlich ein Patientenrechtegesetz - seit 15 Jahren angekündigt, nie umgesetzt - auf
den Weg gebracht. Wir haben im Bereich des Infektionsschutzes Erhebliches für die Patienten geleistet. Frau
Scharfenberg, ich muss Ihnen sagen: Außerdem haben
wir im Bereich der Pflege vieles neu geregelt.
({0})
Pflege ist und bleibt selbstverständlich ein privates Risiko. Natürlich ist jeder in erster Linie für sich selbst verantwortlich. Die Pflegeversicherung, so wie sie in dieser
Republik etabliert ist, ist Hilfe zur Selbsthilfe, und diese
Hilfe haben wir ertüchtigt. Wir haben vieles für die Stärkung der pflegenden Angehörigen gemacht. Wir haben
im Bereich der Demenzkranken vieles geregelt. Außerdem haben wir durch das, was Sie eben eher verlächerlichend „Pflege-Bahr“ genannt haben, den Versicherten die
Möglichkeit gegeben, privat - sicherlich in überschaubarem Umfang, aber immerhin - dafür Vorsorge zu treffen,
dass sie im Fall des Eintritts einer Pflegebedürftigkeit entsprechend versorgt werden können und dass ihnen geholfen wird.
({1})
Unsere christlich-liberale Koalition steht eben für
eine zielgerichtete, nachhaltige, konsequente Gesundheitspolitik, die weit über den Tag hinausdenkt. Wir stellen die Weichen dafür, dass wir auch angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland über ein
hochwertiges und flächendeckend sehr gutes Gesundheitswesen verfügen und in Zukunft verfügen werden.
Neben einer nachhaltigen tragfähigen Finanzierung
- dazu ist heute schon genug gesagt worden - brauchen
wir in der medizinischen Versorgung vermehrt neue
Technologien und innovative Methoden. Wir brauchen
eine bessere Vernetzung zwischen den jeweiligen Versorgungsbereichen, zwischen ambulanter und stationärer
Versorgung, zwischen Pflege - das schließt auch Präventionsmechanismen ein - und auch der Rehabilitation.
Wir müssen die Leitung der Patienten durch die Systeme
erheblich verbessern. Auch dem haben wir uns verschrieben.
Wir haben dazu einige Dinge auf den Weg gebracht.
Sie tragen dazu bei, die bestmögliche Versorgung zu bieten und medizinisch effiziente und perspektivisch kostensparende Methoden für die Diagnostik und die Therapie zu etablieren. Ein gutes Beispiel dafür ist das, was
wir im Bereich der Telemedizin ermöglicht haben. Dadurch können wir vor allem bei chronischen Erkrankungen, zum Beispiel solchen des Herz-Kreislauf-Systems,
die Lebensqualität des Patienten deutlich verbessern,
Klinikaufenthalte verkürzen oder sogar vermeiden. All
das haben wir durch Erprobungen in verschiedenen Teilen unseres Landes eindeutig belegt. Wir haben nun dafür gesorgt, dass diese Verbesserungen auch Eingang in
den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gefunden haben und nunmehr flächendeckend Bestandteil unserer Versorgung geworden sind.
Darüber hinaus haben wir dafür gesorgt, dass neue
nichtmedikamentöse Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die bisher allein in Krankenhäusern zur Anwendung kommen durften, jetzt auch in der ambulanten
Versorgung genutzt werden können. Unter Aufsicht des
Gemeinsamen Bundesausschusses, der ja für den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zuständig ist, können solche Innovationen, deren besonderer Nutzen noch nicht mit ausreichender Evidenz belegt
ist, zeitlich begrenzt und unter strukturierten Bedingungen bei Kostenübernahme durch Kassen auch ambulant
erprobt werden. Das wird den betroffenen Patienten sehr
schnell und sehr nachhaltig zugutekommen.
({2})
Wir müssen mehr technische Hilfen einsetzen und in
Zukunft noch vermehrt dafür sorgen, dass technische
Hilfsmittel bis hin zu roboterähnlichen Konstruktionen
im Bereich der Pflege und im Bereich der Medikamentenversorgung und Therapie der Patienten in der Versorgungswirklichkeit etabliert werden.
({3})
Auch dazu haben wir in dieser Legislaturperiode einiges
auf den Weg gebracht und werden dafür sorgen, dass sie
in Zukunft zu einer besseren Versorgung der Patienten
mit ihren Bedürfnissen beitragen.
Wir können davon ausgehen, dass der medizinische,
pharmazeutische und technische Fortschritt sowohl in
der Gesundheitsversorgung als auch im Pflegebereich
kontinuierlich zu Veränderungen und Weiterentwicklungen führt. Allerdings können wir nicht präzise vorhersehen - das geht sicherlich uns allen so -, welche Innovationen zur Verfügung stehen werden und welche zu
welchem Zeitpunkt erforderlich sein werden. Dafür haben wir die Selbstverwaltung ertüchtigt.
Wir haben im Gemeinsamen Bundesausschuss und
um ihn herum Strukturen geschaffen, damit neue Verfahren, neue Möglichkeiten evaluiert werden
({4})
und auch sehr schnell, sehr zielgerichtet in die Versorgungswirklichkeit hineinkommen können. Ich glaube,
das ist ein Weg, den wir in Zukunft noch häufiger beschreiten müssen; denn der demografische Wandel in der
Bevölkerung und vor allem der Wandel im Bereich der
Patienten - hier geht die Entwicklung weg vom Patienten mit singulären Erkrankungen hin zu multimorbiden
Patienten - gebieten uns, dass wir uns auf die Zukunft
ausrichten und in der Vernetzung, in der Versorgung mit
Innovationen schneller und besser werden. Auch dem
hat sich diese Koalition gestellt. Wir sind einen gewaltigen Schritt vorangekommen und werden diesen Weg vor
dem Hintergrund gesicherter Finanzen auch in den
nächsten Jahren fortsetzen.
Herzlichen Dank.
({5})
Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Edgar Franke von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bin der Vorletzte in der 90-minütigen Diskussion zum Gesundheitshaushalt. Das hat natürlich einen großen Vorteil: Es kann mir kaum einer widersprechen.
({0})
Der sehr verehrte Herr Karl ist der Einzige, der mir noch
widersprechen kann. Deswegen ist es für mich eine besondere Freude, heute als Vorletzter zum Gesundheitshaushalt zu reden.
Zur Sache ist schon viel gesagt worden. Der geschätzte Kollege Schurer hat zu den einzelnen Haushaltstiteln fast alles gesagt. Frau Bas hat noch zum Bereich Prävention ergänzt.
Herr Fricke, ich darf aber doch noch eine kleine ergänzende Anmerkung machen: Ich habe jahrelang in der
Berufsgenossenschaft, der gesetzlichen Unfallversicherung, im Bereich Prävention gearbeitet. Ich kann Ihnen
sagen: Investitionen in Prävention, wenn man sie gut
macht, wenn man sie mit Konzept macht, bringen wirklich etwas.
({1})
Langfristig - auch Sie sind Haushälter - führen diese Investitionen sogar dazu, dass man Geld einsparen kann.
Ich glaube, das muss man hier im Rahmen der Gesundheitsdiskussion schon einmal sagen.
({2})
- Wenn Sie mir zustimmen, Herr Zöller, freue ich mich
umso mehr.
Ich möchte noch zwei, drei politische Themen ansprechen; die anderen Sachen haben wir ja ausführlich diskutiert.
Ich glaube, man sollte doch noch eine generelle Anmerkung zu den Überschüssen der Krankenkassen machen. Frau Bender hat dieses Thema meiner Ansicht
nach zu Recht angesprochen. Darüber, dass wir im Bereich der Krankenversicherung Überschüsse haben, sind
wir alle froh. Auch der Minister ist darüber froh. Das ist
in Ordnung. Aber die Frage ist doch, wie wir politisch
damit umgehen, wenn wir im Gesundheitssystem Überschüsse von insgesamt 22 Milliarden Euro haben.
({3})
Zu fragen wäre doch, ob der Einheitssatz für die Krankenversicherungsbeiträge zu hoch festgelegt ist. Herr
Minister, gerade wenn man Wettbewerb will, muss man
sich allerdings zuerst einmal fragen: Wie kann dieser mit
einem Einheitssatz möglich sein? Und grundsätzlich entziehen wir ja mit einem zu hohen Einheitssatz den Menschen Kaufkraft in diesem Land. Herr Fricke, Ihr Motto
war ja immer: mehr Netto vom Brutto. - Aber das ist gerade das Gegenteil davon. Wenn wir zu hohe Beiträge
haben, dann kann und muss man da schon politisch rangehen.
({4})
- Wir diskutieren heute nicht über die Rente, Herr Fricke.
({5})
Wir befinden uns im Gesundheitshaushalt, mein sehr
verehrter Herr Fricke.
({6})
Insofern frage ich Sie: Warum hält eine Partei wie die
FDP, die immer von Wettbewerb redet, am Einheitssatz
in der Krankenversicherung fest? Das frage ich Sie. Mir
fällt kein Grund ein, wenn man so hohe Rücklagen hat.
Frau Bender hat richtigerweise gesagt: Beitragsautonomie ist richtig. Aber wenn man Beitragsautonomie
einführt, haben die Krankenkassen ein Problem, weil sie
- auch das hat Frau Bender gesagt - Angst vor Zusatzbeiträgen haben. Denn was passiert, wenn man Zusatzbeiträge erhebt? Diese muss der Versicherte allein bezahlen, und da hat natürlich jede Krankenkasse Angst,
dass ihr dann die Versicherten abhauen. Insofern muss
man nicht nur Beitragsautonomie wiederherstellen, sondern auch Zusatzbeiträge abschaffen.
({7})
Die ärztliche Versorgung auf dem Land wurde mehrmals angesprochen, sowohl vom Minister als auch von
Herrn Spahn. Ich glaube, einmalige Lockprämien bringen nichts. Das Problem muss man, Herr Minister, vielmehr strukturell angehen.
({8})
Es wird immer von der Mär des Ärztemangels gesprochen. Zu Recht wird gesagt: Wir haben - ein Spiegelbild unserer Gesellschaft - relativ viele Ärzte mit
einer gewissen Lebenserfahrung, mit einem hohen Lebensalter. Aber man muss auch ganz klar sagen: Wir hatten noch nie so viele Ärzte in Deutschland wie jetzt. Wir
haben 350 000 Ärzte, davon 150 000 niedergelassene
Ärzte. So viele Ärzte gab es noch nie. Dabei haben wir
schon 1990 von einer Ärzteschwemme gesprochen, aber
jetzt haben wir insgesamt 50 000 Ärzte mehr.
({9})
Ein bisschen Ehrlichkeit braucht man auch in dieser Diskussion, um die Dinge zu hinterfragen.
Vor diesem Hintergrund ist es richtig und wichtig,
wenn wir Überversorgung tatsächlich abschaffen. In
Ballungszentren - dies wissen wir alle - gibt es eine
Überversorgung. Diese Strukturprobleme müssen wir
angehen. Wir müssen den Kassenärztlichen Vereinigungen gesetzliche Vorgaben machen, durch die sie gezwungen werden, Überversorgung abzubauen; denn sonst tut
sich nämlich gar nichts.
({10})
Herr Kollege Franke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Lotter?
Sehr gerne.
Bitte schön.
Verehrter Herr Kollege Franke, vor 200 Jahren haben
die Leute einen Aderlass bekommen und sich gut behandelt gefühlt. Heute sind wir in der Lage, Organe zu transplantieren. Würden Sie mir zustimmen, dass die Medizin
einen gewissen Fortschritt gemacht hat, dass damit der
Versorgungsbedarf und die Versorgungsmöglichkeiten
gestiegen sind und dass wir eine höhere Anzahl an älteren Menschen haben, sodass wir auch mehr Ärzte benötigen?
Wir haben in Deutschland auf jeden Fall hochqualifizierte und engagierte Ärzte;
({0})
auch Sie sind ja einer. Aber auch Sie kennen die Diskussion von 1990. Damals haben wir von einer Ärzteschwemme gesprochen. Wenn wir jetzt 50 000 Ärzte
mehr haben und trotzdem überall von Ärztemangel geredet wird, dann ist doch nachvollziehbar, wenn ich davon
ausgehe, dass eine gewisse Strategie dahintersteckt.
({1})
Wir wollen, geschätzter Kollege, die Ärzte sicherlich
nicht aufs Land prügeln; das bringt nichts.
({2})
Richtige Ansätze gibt es ja, auch im Versorgungsstrukturgesetz. Nur - bitte lassen Sie mich das noch sagen,
Herr Präsident -: Arztsitze bzw. Kassenarztzulassungen
können momentan rechtmäßig vererbt oder verkauft
werden. Durch diese Möglichkeiten wird die Überversorgung in Ballungszentren, zum Beispiel in München
- Sie kommen ja aus Bayern -, nie geringer werden. Vor
diesem Hintergrund muss man die Strukturprobleme
schon grundlegender angehen.
Herr Präsident, ich glaube, ich habe noch 1 Minute
und 36 Sekunden.
Sie müssen die Zeit nicht ausschöpfen.
({0})
Es ist ehrenvoll, vorzeitig abzudanken.
Ich darf vielleicht noch zwei Sätze sagen. - Um die
ärztliche Versorgung im ländlichen Bereich zu stärken,
ist es vor allen Dingen wichtig, dass die Hausärzte gestärkt werden. Das kann geschehen, indem man die
hausarztzentrierte Versorgung stärkt. Das gelingt aber
nicht dadurch, dass man, wie die FDP es gemacht hat, einen durchschnittlichen Fallwert ansetzt, wodurch sich
die hausarztzentrierte Versorgung nicht mehr lohnt. Man
muss ein politisches Signal für die Hausärzte setzen. Das
würde wesentlich mehr für die ärztliche Versorgung im
ländlichen Bereich bringen.
({0})
Ich habe noch 45 Sekunden, und ich könnte, zumal
ich gleich mit den geschätzten Herren Spahn und
Montgomery über Ärztehonorare diskutiere, noch einiges dazu sagen; aber dann würde ich sicherlich noch ein
paar Kurzinterventionen provozieren.
({1})
Ich bedanke mich ganz herzlich für das freundliche
Zuhören und wünsche euch allen noch einen schönen
Abend.
Ich danke euch.
({2})
Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat jetzt der
Kollege Alois Karl das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Franke, der vor mir gesprochen hat, hat
sich als vorletzter Redner schon in Sicherheit gewähnt.
Ich kann Sie, Kollege Franke, in der Tat beruhigen: Es
war nicht viel Verkehrtes in Ihrer Rede und auch nicht
viel Angreifbares.
({0})
Aus diesem Grunde gehe ich auf Ihre Rede nicht weiter
ein.
Frau Scharfenberg, bei Ihnen war das etwas anders.
Sie haben einen in der Tat heiklen Punkt angesprochen,
nämlich die Neuausrichtung der Pflege, die in diesen
Monaten über die Bühne gebracht worden ist. Ich weiß
nicht, ob Sie den Bundesgesundheitsminister gesehen
haben, als Sie gesprochen haben. Herr Bahr hat sich in
den Abendsonnenstrahlen gesonnt, ganz entspannt dagesessen und fast glücklich ausgeschaut.
({1})
- Er hat es verdient. Er hat in den Sommermonaten arbeiten müssen,
({2})
und jetzt genießt er natürlich seinen Haushalt, der außerordentlich gut dasteht. Darauf komme ich noch.
Sie haben gesagt, Frau Scharfenberg, dass das PflegeNeuausrichtungs-Gesetz geradezu peinlich sei und dass
der Minister geradezu Arbeitsverweigerung betrieben
habe. Das stößt einem ungut auf. Schauen Sie einmal in
die jüngere Geschichte zurück: 1994 hat die damalige
christlich-liberale Koalition unter Minister Norbert
Blüm und Staatssekretär Rudolf Kraus die Pflegeversicherung auf den Weg gebracht. 1995 ist das entsprechende Gesetz in Kraft getreten. Die fünfte Säule der Sozialversicherung, die seinerzeit gegründet wurde, war
ein hervorragender Meilenstein, ein Quantensprung in
der Sozialversorgung unseres Landes.
({3})
Das entsprechende Gesetz war gut, aber hatte einen
Nachteil: 13 Jahre lang sind die Pflegeleistungen nicht
dynamisiert, nicht angehoben worden. Erst im Jahre
2008, wieder unter einer CDU/CSU-Regierung, diesmal
zusammen mit der SPD, wurde das geändert, hat man die
Leistungen erhöht und den Geltungsbereich auf Demenzkranke ausgedehnt. Zuvor hatte man 13 Jahre lang
nichts geändert.
({4})
In diesen 13 Jahren waren Sie von den Grünen sieben
Jahre lang mit an der Regierung und hätten etwas Positives machen können. All das haben Sie nicht gemacht.
Sie haben nichts dazu beigetragen, die Pflegeversicherung einigermaßen zu verbessern, auf gesündere Beine
zu stellen. Ich bitte Sie ausdrücklich darum, dass Sie,
liebe Frau Scharfenberg, und Ihre Kollegen von den
Grünen dann auch sagen: Wir waren untätig, und wir
schweigen jetzt.
({5})
In der Tat sind erst wir diese Problematik angegangen.
Manches ist gesagt worden; ich brauche das nicht zu
wiederholen.
Konzentrieren wir uns also ein wenig auf den Haushalt. Dazu muss ich sagen, dass der Bundesfinanzminister die mittelfristige Finanzplanung auf großartige Weise
durchzieht: Heuer kann er die Ausgaben im Bundeshaushalt senken - von 312 Milliarden Euro auf gut 300 Milliarden Euro -, ebenso die Neuverschuldung. Wir haben
eine finanzielle Solidität erreicht. Vor wenigen Jahren
haben wir nicht gedacht, dass uns das so gut gelingt.
Der Haushalt des Bundesgesundheitsministers, lieber
Herr Bahr, trägt das Seinige dazu bei, dass der Bundeshaushalt konsolidiert wird, das heißt, in wenigen Jahren
neuverschuldungsfrei sein kann. Wir tragen heuer 2 Milliarden Euro zu den Einsparungen im Haushalt des Bundesfinanzministers bei; der Beitrag, der an den Gesundheitsfonds zu zahlen ist, schrumpft um 2 Milliarden
Euro; er beträgt nicht, wie vorgesehen, 14 Milliarden
Euro, sondern 12 Milliarden Euro. Man kann in der Tat
fast davon sprechen, dass es sich bei den zusätzlichen
Einzahlungen, die der Bundesfinanzminister 2011 in den
damals finanziell kränkelnden Gesundheitsfonds leisten
musste, um ein Darlehen gehandelt hat, das er sich jetzt
zurückholt - ohne Zinsen; das normale Gebaren bei Darlehen ist natürlich anders.
Ich meine, es müsste doch selbst Sie mit einer gewissen Freude erfüllen, dass der Gesundheitsfonds heute so
super dasteht, dass wir heute Rücklagen in Höhe von
9 Milliarden Euro im Gesundheitsfonds haben, dass die
gesetzlichen Krankenkassen heute etwa 13 Milliarden
Euro Rücklagen haben,
({6})
sich also der Gesundheitsfonds und die Gesundheitspolitik heute in einer finanziell gesunden Situation befinden.
Das ist ganz anders als zu Ihrer Regierungszeit. Ich persönlich und meine Freunde von der CDU/CSU und der
FDP freuen uns jedenfalls darüber; das ist der positive
Ausdruck dieses Nachmittags.
({7})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich
profitieren auch die gesetzlichen Krankenkassen davon,
dass wir eine ganz hohe Rate an Arbeitskräften haben.
Noch nie zuvor hatten 42 Millionen Menschen in unserem Lande eine feste Arbeitsstelle und waren immerhin
über 29 Millionen Menschen in unserem Lande sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das alles hat dazu
beigetragen, dass die Sozialkassen in solch einer Situation sind; andere Generationen und andere Regierungen
vor uns konnten doch nur davon träumen, in diese Richtung zu kommen.
({8})
Der Gesundheitsminister trägt jetzt seinen Anteil
dazu bei, dass wir die Konsolidierung hinbekommen.
Wir werden es 2016 erleben, dass es einen neuverschuldungsfreien Haushalt gibt, vielleicht schon 2015.
({9})
- Lieber Herr Schurer, weil Sie jetzt dazwischenreden
und sich als einer der Mittelalterlichen vielleicht noch
ein bisschen daran erinnern können: Es wird dann
46 oder 47 Jahre her sein, dass der Bund das letzte Mal
mit dem Geld ausgekommen ist, das er eingenommen
hat.
Seit 1969 - in diesem Jahr ist Willy Brandt Bundeskanzler geworden -, ein Zeitpunkt, an dem die Sozialdemokraten sich den Wohlstandsstaat sozusagen als das
Maximum auf die Fahne geschrieben haben, kommt der
Staat mit dem Geld, das er einnimmt, nicht mehr aus.
({10})
Das war bei den Bundeskanzlern der Nachfolgezeit genauso.
({11})
Wir werden einen glücklichen Tag erleben, wenn wir
2016 oder sogar schon 2015 sagen können: Endlich ist
das Werk ist geschafft; der Bund kommt mit seinem
Geld aus. Bis dahin werden wir hart arbeiten, und auch
der Haushalt des Bundesgesundheitsministers wird bis
dahin seinen Beitrag leisten.
({12})
In der Tat werden wir im nächsten Jahr viel Aufklärungsarbeit betreiben. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird viel zu tun haben. Gerade im
Bereich Aidsprävention und Drogenaufklärung werden
die Haushaltsansätze - anders, als Sie es gesagt haben deutlich angehoben;
({13})
Im Zuge des Transplantationsgesetzes werden einige
Ausgaben auf uns zukommen. Wir sollten es unseren
Krankenkassen - insbesondere der AOK oder der Siemens-Betriebskrankenkasse - nicht durchgehen lassen,
dass sie jetzt die Benachrichtigungen zum Thema Organspende nicht verschicken. Das geht zulasten der Patienten, vor allem jener, die auf Transplantationen am
meisten angewiesen sind. Sie haben darauf hingewiesen:
1 000 Patienten sterben jedes Jahr, weil ihnen kein Spenderorgan zur Verfügung steht. Herr Bundesminister, wir
werden den von uns postulierten gesetzlichen Auftrag
durchziehen, auch gegenüber den Krankenkassen, die
sich widerspenstig zeigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme
zum Schluss. Wir werden in den jetzt anstehenden Haushaltsberatungen gewiss viele Details diskutieren. Der
Haushalt wird dann in einer anderen Form verabschiedet, als er uns heute vorliegt. Eines steht aber fest: An
der Konsolidierung des Bundeshaushaltes führt kein
Weg vorbei; daran halten wir fest; dazu leisten wir unseren Beitrag. Wir zahlen dieses Jahr sozusagen 2 Milliarden Euro zurück. Wir zahlen nicht gerne, aber wir zahlen
bar, Herr Bundesgesundheitsminister.
({14})
Ich danke herzlich und wünsche noch einen schönen
Abend.
({15})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 12. September,
10 Uhr - wohlgemerkt 10 Uhr, nicht 9 Uhr! -, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.