Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet; nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte Sie vor Eintritt in unsere Tagesordnung auf die
Vereinbarung der Fraktionen aufmerksam machen, die
Unterrichtung der Bundesregierung zum Beitragssatzgesetz 2013 auf der Drucksache 17/11059 dem federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie zur Mitberatung dem Haushaltsausschuss, dem Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie sowie dem Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu überweisen.
Können Sie sich damit anfreunden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann können wir so verfahren.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 und 38 auf:
34 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags
- Drucksachen 17/10976, 17/11011 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
38 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum
Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr
2012 ({1})
- Drucksache 17/10900 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Auch hierzu
stelle ich keine Einwände fest. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Steffen
Kampeter.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir treffen uns heute Morgen, nachdem in Brüssel weitere wichtige und aus deutscher Sicht erfreuliche
Festlegungen für die europäische Integration getroffen
worden sind. Die Schlussfolgerungen des Europäischen
Rates aus der vergangenen Nacht machen deutlich,
welch erfreuliche Fortschritte es gegeben hat für mehr
Stabilität in Europa. Dies ist ein Erfolg für die Frau Bundeskanzlerin. Es ist ein Erfolg für Europa und damit ein
Erfolg für uns alle, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({0})
Europa zeigt sich weiter handlungsfähig. Die Vereinbarungen zeigen allerdings auch, dass unser Wille zur
Einigung nicht zulasten von Qualität geht. Insbesondere
die Festlegungen zur Bankenunion machen deutlich, wie
wichtig die Inkraftsetzung einer einheitlichen europäischen Aufsicht ist. Wir lassen uns da insoweit auch nicht
in qualitativ schlechtere Lösungen drängen. Deswegen
ist es erfreulich, dass die von uns vorgesehene Schrittfolge vom Europäischen Rat bestätigt worden ist. Das
entspricht dem, was die Frau Bundeskanzlerin am vergangenen Donnerstag hier in ihrer Regierungserklärung
deutlich gemacht hat.
Damit schlage ich eine Brücke zu einem Teil dessen,
was wir heute in erster Lesung beraten. Es geht um die
Umsetzung der europarechtlichen Regelungen, die wir
in der Vergangenheit getroffen haben, in nationales
Recht. Der Fiskalvertrag und die Reform des Stabilitätsund Wachstumspakts haben mehrere Dimensionen. Zum
einen geht es um anständige Haushaltspolitik - dass man
auf Dauer nicht mehr Geld ausgeben kann, als man hat -,
zum anderen geht es darum, die nationalen Reformkompetenzen nicht nur in der Euro-Zone zu stärken und diese
Reformkompetenzen mit dem Ziel von mehr Wettbe24086
werbsorientierung fortzuentwickeln. Schließlich geht es
darum, in abgestimmter europäischer Form einzugreifen,
wo sich jemand an europäische Regeln nicht hält. Diese
drei Dimensionen - anständige Haushaltspolitik und
Stärkung der Reformkompetenz bei gleichzeitiger Kontrolle -, das ist das, wofür die Bundesregierung und die
christlich-liberale Koalition angetreten sind. Um das national umzusetzen, haben wir diesen Gesetzentwurf
heute eingebracht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die nationale Umsetzung des Fiskalvertrags macht deutlich, dass
Bund und Länder in der Umsetzung dessen, was haushaltspolitisch geboten ist, zusammenarbeiten müssen.
Das darf nicht zulasten einer einzelnen Ebene gehen.
Gleichwohl weiß ich, dass starke Schultern mehr als
schwächere Schultern tragen können. Föderalismus bedeutet in Deutschland auch Eigenverantwortung. Deswegen müssen die Haushaltsprobleme der Länder vordringlich von den Ländern selbst gelöst werden. Jeder
kehre bitte vor seiner eigenen Tür.
({1})
Trotzdem ermöglichen wir mit dem hier vorgelegten
Gesetzespaket, dass wir uns über diese Fragen abstimmen. Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass
dies nicht die letzte Diskussion über die Bund-LänderFinanzverfassung ist. In der nächsten Legislaturperiode
wird das Thema Föderalismuskommission - unter welcher Überschrift auch immer - zweifelsohne eine größere Bedeutung haben.
Wir Deutschen stehen bei der Umsetzung des Fiskalvertrages aber auch unter besonderer internationaler Beobachtung; denn wer von anderen viel einfordert, muss
bei der Umsetzung der europäischen Regeln in nationales Recht außerordentlich vorbildlich handeln. Deswegen wollen wir unser geltendes Regelwerk um einen
Sicherungs- und Korrekturmechanismus auf gesamtstaatlicher Ebene ergänzen. Kern dieses Mechanismus
ist, dass wir die nach den europäischen Regeln zulässige
Obergrenze für das gesamtstaatliche strukturelle Defizit
von einem halben Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes festschreiben, die Einhaltung dieser Grenze durch
den Stabilitätsrat überwachen lassen und etwaige Sanktionszahlungen innerstaatlich aufteilen. Insgesamt schaffen wir so ein finanzpolitisches Regelwerk in europäischem Geist.
Ich will an dieser Stelle festhalten, dass Befürchtungen, dass Schuldenbremsen - seien sie national oder international initiiert - das Ende von gestaltender Politik
sind, falsch sind. Das Gegenteil ist richtig: Nur wer darauf achtet, mit seinen Haushaltsmitteln auszukommen,
ist von den Kapitalmärkten unabhängig, ist von steigenden Zinsen unabhängig. Die Schuldenbremse des
Grundgesetzes und der Fiskalvertrag auf europäischer
Ebene sind die Rückgewinnung des Gestaltungsraumes
für Politik. Deswegen ist die Schuldenbremse wichtig
und eine notwendige Ergänzung, um aus den Fehlern der
Vergangenheit zu lernen, als man glaubte, nur mit Schulden Politik gestalten zu können. Konsolidierung ist ein
Auftrag an Gestaltung, an Priorisierung, und deswegen
auch im Sinne nachfolgender Generationen notwendig.
({2})
Lassen Sie mich auf den zweiten Gesetzentwurf eingehen, den wir heute dem Deutschen Bundestag vorlegen; er hat mit dem Haushalt zu tun. Ich will nicht verhehlen, dass ich den Eindruck habe, dass die Vorlage
dieses Nachtragshaushaltes dem einen oder anderen
Landesvertreter es etwas leichter macht, dem Fiskalvertrag im Bundesrat zuzustimmen. Es geht um mehrere
Dinge.
Es geht zum einen um mehr Geld für die unter Dreijährigen-Betreuung. Kristina Schröder, die Bundesfamilienministerin, hat auf diesem Kompetenzfeld besondere
Verdienste, weil sie nicht nur dafür eingetreten ist, dass
sich der Bund auf diesem Feld engagiert. Vielmehr ermahnt sie auch kontinuierlich die Länder, ihre Verantwortung wahrzunehmen, die sie bei der unter Dreijährigen-Betreuung verfassungsrechtlich haben.
({3})
Dies ist keine leichte Aufgabe. Vielmehr sollte man ihr
gelegentlich ein bisschen mehr Respekt - statt der Unruhe der Opposition - entgegenbringen. Dies ist nämlich
eine Investition in die Zukunft, die wir absichern.
({4})
Sie wird im Einzelnen noch einmal darauf eingehen.
Als Finanzpolitiker will ich auf eine Sache hinweisen:
Es geht nicht - und das werden wir auch nicht durchgehen lassen -, dass die Länder kassieren, ohne in diesem
Bereich zu investieren. Wie werden ganz genau hinsehen, ob die zusätzlichen Mittel auch dort eingesetzt werden, wofür sie gedacht sind.
({5})
Die zweite Botschaft des Nachtragsetats ist: Wir halten Wort in Europa. Es ist auf dem letzten Gipfel der
Staats- und Regierungschefs im Juni beschlossen worden, dass wir die Europäische Investitionsbank mit mehr
Eigenkapital ausstatten, damit sie mehr Möglichkeiten
hat. Die Europäische Investitionsbank ist ein wichtiges
Instrument unserer Wachstumsförderungsstrategie in
Europa. Deswegen glaube ich, dass die 1,6 Milliarden
Euro, die wir der EIB aus Deutschland bereitstellen, ein
wichtiger Beitrag für mehr Wachstum und Beschäftigung in allen Ländern Europas und sicherlich auch ein
Beitrag zur Linderung der Folgen der Krise in den sogenannten Peripherieländern sind. Deutschland steht zu
seinem Wort. Wir übernehmen Führung bei der Einzahlung der Kapitalverstärkung der Europäischen Investitionsbank.
({6})
Schließlich bleibt zu sagen: Der Hauptstadtflughafen
ist sicherlich kein Glanzstück der Landespolitik von Berlin bzw. Brandenburg. Wir stehen aber auch zu unserer
Verantwortung, wenn es schwierig wird.
({7})
Es ist für das Ansehen Deutschlands nicht sehr vorteilhaft, wenn der Eindruck erweckt wird, wir könnten keine
Flughäfen mehr bauen.
({8})
Trotzdem macht es überhaupt keinen Sinn, jetzt in
Klein-Klein zu verfallen und die notwendige Erneuerung
des Hauptstadtflughafens weiter zu verzögern.
({9})
Hier sagen wir: Für die notwendige Kapitalerhöhung,
vorbehaltlich weiterer Beschlüsse in der Koalition,
schaffen wir eine haushaltsrechtliche Voraussetzung.
Selbst wenn uns der Wind einmal ins Gesicht bläst und
andere nicht so gehandelt haben, wie man sich das gewünscht hätte,
({10})
steht der Bund auch hier zu seiner Verantwortung. Deswegen ist die Entscheidung zum Flughafen Berlin-Brandenburg mit Zustimmung des Bundes zweifelsohne richtig.
Nun könnte man sagen: Das sind nur drei Punkte, und
schon wieder steigt die Nettokreditaufnahme. - Das ist
falsch, liebe Freunde, meine sehr verehrten Damen und
Herren. Richtig ist vielmehr, dass es uns durch die erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland
und das sehr stabile Zinsumfeld möglich wurde,
({11})
diese zusätzlichen Herausforderungen zu schultern. Das
geschieht mit Minderausgaben an anderer Stelle, vor allen Dingen im Zinsbereich.
({12})
Die europäische Solidarität, die Solidarität für die unter Dreijährigen und das Ermöglichen von Leistungen
auf Landesebene führen eben nicht zu Mehrbelastungen
oder zu Einschränkungen an anderer Stelle. Vielmehr ist
die Haushaltspolitik von Wolfgang Schäuble solide.
Wenn zusätzliche Leistungen einmal nötig sind, können
wir sie auch erbringen.
Das ist ein gutes Signal für Deutschland. Damit ist
deutsche Haushaltspolitik sicherlich auch ein Maßstab
für europäische Stabilität in Haushaltsangelegenheiten.
Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({13})
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Carsten
Schneider das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beginnen möchte ich mit einer kurzen Erwiderung zum europäischen Gipfel gestern. Soweit ich es festgestellt
habe, gab es gar keine Ergebnisse, außer der Ankündigung, dass der Termin, zum 1. Januar 2013 eine europäische Bankenaufsicht einzuführen, auch auf Druck der
Bundesregierung verschoben worden ist.
Warum ist das so? Darauf hat der französische Präsident gestern hingewiesen. Er sagte, in Deutschland stehe
ein Wahltermin an. Warum ist dieser Wahltermin für
Deutschland so wichtig? Es handelt sich um die Bundestagswahl, es stehen also wichtige Entscheidungen an.
Was hat die Kanzlerin beim letzten Gipfel zugesagt?
Sie hat zugesagt, dass es eine Direktkapitalisierung von
europäischen Banken aus europäischen Steuermitteln
geben soll. Die größten europäischen Banken werden
sich dann, wenn sie Probleme haben, beim deutschen
Steuerzahler bedienen können. Ich finde, das hätten Sie
auch einmal sagen müssen. Diese Direktkapitalisierung
lehnen wir strikt ab.
({0})
Es war ein Fehler, Ende Juni diesen Beschluss zu fassen. Er bedeutet eine Aufhebung des Zusammenhangs
von Risiko und Haftung und führt zu einem direkten Zugriff auf deutsches Steuerzahlergeld durch europäische
Banken. Das wollen wir nicht. Wir wollen nicht, dass der
Stabilitätsmechanismus, der eigentlich für Staaten gedacht ist, auf diese Weise zu einem Selbstbedienungsladen für Banken wird. Deswegen werden wir darauf bestehen, dass diese Entscheidung korrigiert wird.
Ich komme jetzt zum Nachtragshaushalt. Ja, wir stimmen den einzelnen Maßnahmen zu, die hier geändert
werden sollen. Nein, wir stimmen der hohen Kreditaufnahme nicht zu. Sehr verehrter Herr Kollege Kampeter,
Sie haben nicht gesagt, dass die Zahl von 32 Milliarden
Euro, die Sie jetzt als Kreditaufnahme veranschlagen,
fast doppelt so hoch ist wie die Zahl, die 2011 veranschlagt wurde.
Herr Kampeter, Sie haben auch nicht gesagt, dass
Herr Schäuble in seiner Amtszeit 112 Milliarden Euro
Schulden gemacht hat und die Aufnahme weiterer
Schulden plant, wozu die Regierung Ja gesagt hat. Sie
haben auch nicht gesagt, dass es bei den Zinsen Entlastungen in Höhe von über 20 Milliarden Euro gab. Dies
ist kein Ausweis solider Finanzpolitik, das ist das Gegenteil.
({1})
Die SPD hat in den Haushaltsberatungen 2012 Anträge
eingebracht: zum Steuersubventionsabbau, zu Steuererhöhungen im Spitzenbereich, zu Ausgabenkürzungen,
Carsten Schneider ({2})
um die Kreditaufnahme um 7 Milliarden Euro zu senken.
Sie haben alles abgelehnt.
Im Rahmen der Beratungen zum Nachtragshaushalt
werden wir nach Möglichkeiten suchen - und sie auch
finden -, um die Kreditaufnahme auf ein erträglicheres
Niveau zu senken. Wir wollen Ihnen zumindest verwehren, auf Kosten künftiger Generationen mit dem Geld so
zu schludern, wie Sie es jetzt tun. Deswegen werden wir
dem Nachtragshaushalt, so wie er jetzt vorliegt - mit einer hohen Kreditaufnahme -, nicht zustimmen.
({3})
Zum Zweiten eine kurze Anmerkung zum Flughafen
Berlin-Brandenburg. Die Entwicklung dort ist sicherlich
kein Ruhmesblatt. Aber ich finde, zur Verantwortung des
Bundes, den Sie vertreten, gehört es ja wohl dazu, darauf
hinzuweisen, dass der Bund mit je einem Staatssekretär
aus dem Finanzministerium und dem Verkehrsministerium ebenso im Aufsichtsrat vertreten war und ebenso
nicht gehandelt hat oder die Fehler mit hingenommen
hat.
({4})
Machen Sie sich da nicht vom Acker. Sie gehören genauso mit dazu.
Drittens: Fiskalvertrag. Ja, hier geht es um eine wichtige Entscheidung für die Europäische Union, aber auch
für uns hier in Deutschland. Der Fiskalvertrag - Sie haben darauf hingewiesen - setzt weitestgehend auf der
deutschen Schuldenbremse auf; die Möglichkeit der
strukturellen Verschuldung ist sogar noch höher als nach
deutschem Recht. Das Einzige, was wir wirklich ändern
müssen, ist der Korrekturmechanismus, der greift, wenn
es innerhalb eines Jahres zu Veränderungen kommt oder
die vorgegebenen Zahlen nicht eingehalten werden.
Ich finde, man muss sich das ganz genau anschauen.
In den vergangenen Jahren haben wir erlebt, dass der
Bundestag bei den Entscheidungen, die er tagtäglich,
manchmal auch über Nacht, zu treffen hat, etwa zur Bankenrettung und insbesondere zur Euro-Stabilisierung,
zunehmend Getriebener ist. Oftmals war es so, dass wir
sehr weitgehend von der Expertise der Bundesregierung,
aber auch externem Sachverstand abhängig waren. Ich
finde, dass es richtig ist, in Notsituationen zu entscheiden. Ich finde aber auch, dass man die notwendigen
Konsequenzen daraus ziehen muss. Eine dieser Konsequenzen kann nur sein, den Bundestag als Ort der Debatte und der Entscheidungen, für die wir alle im Endeffekt geradestehen, institutionell so zu stärken, dass er
diese Aufgabe wahrnehmen kann.
Wenn ich mir einerseits das Gesetz anschaue und andererseits die Vorgabe der Europäischen Union zur
Kenntnis nehme, ein unabhängiges Gremium einzurichten, das die Finanzpolitik begutachtet, evaluiert und
letztendlich Bewertungen abgibt, dann komme ich zu
dem Schluss: So wie Sie es bisher vorgeschlagen haben
- ich vermute, es handelt sich um eine Einigung mit den
Bundesländern -, ist es doch sehr stark auf die Exekutive
orientiert und fixiert. Die Benennung der Mitglieder des
unabhängigen Gremiums erfolgt durch die Bundesregierung und den Bundesrat. Letztendlich sind nur drei von
neun Mitgliedern wirklich unabhängig, und sie berichten
dem Bundestag im Zweifel gar nicht; wir haben auch gar
keinen Einfluss darauf. Da aber die Finanzpolitik - Steuern, Verschuldung - Kernbereich der parlamentarischen
Demokratie und unserer Entscheidungsbefugnisse ist,
muss dieses Gremium mit seiner Kontrollmöglichkeit
beim Bundestag eingerichtet werden, damit der Bundestag letztendlich darüber debattieren kann.
({5})
Ich sage das wirklich vollkommen wertungsfrei.
Denn es gibt unabhängig davon, wer gerade zur Regierung oder zur Opposition gehört - ich habe lange genug
im Bundestag eine Regierung mitgetragen -, immer Debatten zwischen Opposition und Regierung. Hier geht es
aber um eine Grundsatzentscheidung - wahrscheinlich
für die nächsten 20 oder 30 Jahre - über die Frage, in
welchem Verhältnis der Bundestag, das Parlament, zur
Regierung steht und inwieweit er langfristig strukturell
in der Lage ist, mit Expertise in die Debatten einzugreifen, die auf europäischer Ebene, in der Wissenschaft und
insbesondere zwischen Bund und Ländern stattfinden.
Ich finde, jetzt ist die Gelegenheit, eine solche Grundsatzentscheidung zu treffen. Deswegen hoffe ich, dass es
uns allen gelingt, dort eine Veränderung vorzunehmen,
um den Bundestag zu stärken, und zum Beispiel dem
Vorschlag der SPD zu folgen, einen nationalen Rat für
Finanzpolitik einzurichten, der es ermöglicht, dass wir
auch in der Öffentlichkeit kritisch, aber konstruktiv über
eine Finanzpolitik für Deutschland diskutieren, mit der
es in Zukunft gelingt, wirklich glaubwürdig und solide
hauszuhalten.
In diesem Sinne: Vielen Dank.
({6})
Florian Toncar ist der nächste Redner für die FDPFraktion.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir beraten heute über die Umsetzung
des Fiskalvertrags und damit über einen ganz entscheidenden Baustein unserer neuen europäischen Stabilitätsunion, eine der Antworten, die die Bundesregierung gemeinsam mit den europäischen Partnern auf die aktuelle
Krise im Euro-Raum gegeben hat und die uns weiterführt, wenn sie jetzt konsequent umgesetzt wird. In Zukunft dürfen Staaten, die den Euro als Währung haben,
und einige andere europäische Staaten nur noch Schulden im Umfang von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts machen. Sie müssen nach diesem Fiskalvertrag
ihre Gesamtverschuldung kontrolliert auf 60 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts abbauen; man muss die Verschuldung also Schritt für Schritt reduzieren. Die europäischen Institutionen, die Kommission und der Gerichtshof, können besser durchsetzen, dass das eingehalten
wird. Das ist ein ganz entscheidender Fortschritt gegenüber dem, was bisher gegolten hat.
Ich will noch einmal daran erinnern, warum dieser
Fiskalvertrag nötig wurde. Es gab beim Euro eigentlich
von Anfang an Regeln, die besagt haben: Ihr dürft nicht
so viele Schulden machen. - Wer beim Euro Mitglied
werden wollte, der durfte höchstens 60 Prozent Verschuldung haben und durfte nicht mehr als 3 Prozent
neue Schulden pro Jahr machen. Das Problem ist nur,
dass diese Regeln nicht eingehalten worden sind, weil
sie von SPD und Grünen gemeinsam mit Frankreich im
Jahr 2004 politisch ausgehebelt wurden. Die Regeln, die
Sie damals ramponiert haben, stellen wir mit dem Fiskalvertrag wieder her.
({0})
Ich finde es übrigens auch ganz interessant, dass man
von Sozialdemokraten und Grünen nie etwas dazu hört,
was sie 2004 gemacht haben.
({1})
- Sie können gleich etwas dazu sagen, Kollege Poß. Eigentlich müssten Sie, da Sie sehen, was mit der Europäischen Währungsunion passiert ist, nachdem Sie die Regeln deformiert haben, ziemlich demütig sein
({2})
und sich bei den Bürgern in Deutschland dafür entschuldigen, was Sie im Jahr 2004 angerichtet haben.
({3})
Herr Kollege Toncar, darf Ihnen der Kollege Poß eine
Zwischenfrage stellen?
Bitte schön.
Lieber Herr Kollege, wollen Sie mit diesen Ausführungen bestreiten, dass erst durch die Änderung des Vertrages die Möglichkeiten eröffnet wurden, die CDU/
CSU und SPD zur Zeit der Großen Koalition genutzt haben, um das Konzept der Schuldenbremse umzusetzen
und die Philosophie des Stabilitäts- und Wachstumspaktes aufzugreifen, und erst dadurch die Voraussetzungen
dafür geschaffen wurden, dass wir in der Krise gemeinschaftlich erfolgreich arbeiten konnten, indem wir zwei
Krisenpakete mit 80 Milliarden Euro verabschiedet haben? Ohne die vertraglichen Änderungen hätten wir
diese Möglichkeiten nicht gehabt. Wollen Sie das mit Ihren Ausführungen bestreiten? Oder haben Sie das nicht
mitbekommen?
({0})
Ich muss schon feststellen, dass der ehemalige Koalitionspartner - bis hin zur Kanzlerin - sein Gedächtnis in
dieser Frage total verloren hat, aber Sie haben es doch
auch aufmerksam verfolgt.
Kollege Poß, ich bin Ihnen zunächst einmal dankbar,
dass Sie sich auf die Diskussion einlassen.
({0})
- Gut. In Ordnung. - Sie sagten gerade allerdings, dass
der Bruch der Regeln, das Deformieren der Regeln 2004
- das haben Sie politisch zu verantworten - dazu geführt
haben, dass man 2009 Probleme lösen konnte, Probleme,
die man ohne den Bruch dieser Regeln nicht oder nicht
in dieser Form gehabt hätte.
({1})
Das ist eine ganz bemerkenswerte Argumentation.
({2})
- Ich hatte das Gefühl, die SPD-Fraktion ist eben schon
einmal zu Wort gekommen, und sie wird im Laufe dieser
Debatte sicherlich noch einmal zu Wort kommen.
Was der Fiskalvertrag jedenfalls beinhaltet, ist, dass
Europa gemeinsam voranschreitet und sagt: Unser
Wohlstand, unser Wirtschaftswachstum dürfen nicht
durch Neuverschuldung erkauft werden. Wohlstand
muss erarbeitet werden und darf nicht über Neuverschuldung generiert werden. Es ist für Regierungen zwar
manchmal verführerisch, Schulden zu machen,
({3})
aber wir werden mit dem Fiskalvertrag diesem Konzept
von Wirtschaftswachstum und Wohlstand, dem Sie ja offenkundig auch noch anhängen, eine Absage erteilen.
Das wird es in Europa in Zukunft nicht mehr geben.
Wir werden im Zuge der Umsetzung des Fiskalvertrags auch die aktuellen politischen Themen noch einmal
aufgreifen und wollen die heutige Debatte nutzen, um
die politische Schwerpunktsetzung der Bundesregierung
auf Bildung zu unterstreichen. Sie wissen, in vier Jahren
investieren wir trotz Haushaltskonsolidierung und ohne
dafür zusätzliche Schulden zu machen 12 Milliarden
Euro in alle möglichen Bereiche von Bildung und Forschung. Dieser Verantwortung kommen wir auch heute
nach, indem wir weitere 580 Millionen Euro in den Ausbau der Kinderbetreuung investieren. Für uns ist es eine
wichtige Investition, weil es Bildungseinrichtungen sind,
in denen Kinder eine gute Zukunft haben sollen, und wir
bekennen uns als Bund dazu, dass wir hier in der Verantwortung stehen.
Wir wissen aber auch, dass sich die Länder, die ursprünglich beim Ausbau der Kinderbetreuung mitgemacht haben, dieses Mal finanziell nicht beteiligen.
Auch das muss man einmal hervorheben: Diese Aufstockung nimmt der Bund ganz alleine vor. Das muss man
einmal betonen, weil - so finde ich - es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Bund, Länder und Kommunen sollten eigentlich gemeinsam für eine gute Kinderbetreuung sorgen. Wie gesagt, wir beschließen diese
Aufstockung heute alleine, weil wir meinen, dass es gut
und richtig ist, etwas für die Kinder zu tun.
({4})
Im Übrigen werden wir im Zuge der Umsetzung des
Fiskalvertrags auch das Haushaltsrecht in Deutschland
ändern. Was den Bund angeht, werden wir die Regeln im
Haushaltsrecht des Bundes festschreiben. So viel ändert
sich nicht, da wir die Schuldenbremse bereits haben. Die
Größenordnungen sind ähnlich. Es mag kleinere statistische Unterschiede geben. Im Grunde geht es um die Botschaft der Schuldenbremse, die jetzt im Haushaltsgrundsätzegesetz festgeschrieben wird.
Aber wir werden uns natürlich auch darüber unterhalten müssen, wie wir in unserem föderalistischen System
mit unterschiedlichen Haushaltspolitiken in den Ländern
umgehen, wenn wir als Gesamtstaat eine solche Obergrenze haben, wenn wir uns als Gesamtstaat verpflichten, nicht mehr als 0,5 Prozent neue Schulden zu machen. In diesem Zusammenhang muss ich sagen: Die
Haushaltspolitiken der Bundesländer liegen sehr weit
auseinander. Bayern beispielsweise gelingt ein Schuldenabbau. Bayern tilgt seine Altschulden. Es hat einen
Haushaltsüberschuss erwirtschaftet, während andere
Bundesländer das nicht hinbekommen. In meinem Bundesland, Baden-Württemberg
({5})
- ein Vertreter dieses Landes wird in der heutigen Debatte zu Wort kommen -, wurde ein besenreiner Haushalt übernommen: ohne Neuverschuldung.
({6})
Bis zum Jahr 2020 werden aber 6 bis 8 Milliarden Euro
zusätzliche Schulden gemacht, die bisher nicht eingeplant waren. Ich glaube, daran kann man erkennen, dass
es einen Unterschied macht, ob man eine bürgerliche
Koalition hat oder Rot-Grün in den Ländern regiert und
dabei die Konsolidierungserfolge, die es gegeben hat,
wieder zurückdreht.
({7})
Um klar zu sagen, was wir hier im Bund machen: Wir
werden die Zielmarke der Schuldenbremse, die 2016 für
uns rechtlich verbindlich ist, nach der derzeitigen Planung mit dem Haushalt 2013 erreichen, also drei Jahre
früher, als wir das müssten. Das ist ein Erfolg. Wer vor
drei Jahren darauf hätte wetten wollen, hätte nicht viele
gefunden, die eingeschlagen hätten. Wir sind wesentlich
schneller vorangekommen, weil wir zusätzliche Einnahmen nicht gleich für zusätzliche Ausgaben genutzt haben, sondern die Höhe der Ausgaben in den letzten zweieinhalb Jahren konstant gehalten haben.
({8})
Das hat dazu geführt, dass die Neuverschuldung immer
weiter gesunken ist.
Ich will das vergleichen mit dem, was in den Jahren
2005 bis 2008 passiert ist, also - ich sage das ausdrücklich - in der Zeit vor der Lehman-Pleite, bevor die Krise
ausgebrochen ist, also in den guten Jahren: In dieser Zeit
sind die Ausgaben des Bundes um knapp 30 Milliarden Euro gestiegen. Die Bedingungen waren damals
ähnlich wie heute. Trotz sinkender Arbeitslosenquote
und guter Wachstumszahlen haben Sie es nicht geschafft, die Ausgaben im Griff zu behalten. Die Ausgaben
sind damals in nur drei Jahren um über 10 Prozent gestiegen - unter der Verantwortung von Finanzminister
Steinbrück, der uns heute erklärt, wie es besser gehen
könnte. Wenn man Herrn Steinbrück an seinen Taten
misst, dann muss man sagen: Er hat relativ wenig vorgelegt, was ihn berechtigt, heute hart über andere zu urteilen, die sich in dieser Krise in der Haushaltspolitik ziemlich gut schlagen.
({9})
Wir werden alles tun, damit Deutschland diesen Konsolidierungskurs fortsetzen kann, damit der Bund weiterhin so gute Haushaltszahlen vorlegen kann wie zurzeit.
({10})
Die Zahlen lügen, glaube ich, nicht. Sie sind sehr erfreulich. Daran werden wir weiter arbeiten. Das heutige Gesetz ist ein erster Schritt. Weitere werden in den nächsten
Wochen folgen.
Vielen Dank.
({11})
Der Kollege Poß erhält nun die Möglichkeit zu einer
Kurzintervention.
Kollege Toncar, um Ihrer Aufforderung nachzukommen, will ich zum wiederholten Male - das haben schon
der Kollege Carsten Schneider, die Kollegin Barbara
Hendricks und andere mehrfach gemacht - auf die Geschichte des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu sprechen kommen und meine Verwunderung darüber ausdrücken, dass Sie, der Sie als Einziger der FDP-Fraktion, als
es um die Schuldenbremse ging, eine gewisse KompeJoachim Poß
tenz gezeigt haben, jetzt Ihre eigene Kompetenz mit diesem Beitrag verleugnen.
Sie haben als Einziger das Konzept der Schuldenbremse akzeptiert, das die Veränderung abbildet, die wir
im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts 2005
vorgenommen haben. Darin besteht die Änderung der
Philosophie: In guten Zeiten vorsorgen, um in schwierigen Zeiten besser handeln zu können. Wir wollten nicht
eine starre 3-Prozent-Grenze haben, die ja auch von anderen Staaten missverstanden wurde - ich erinnere auch
an die Diskussion über die 3,0 Prozent, die insbesondere
in der Union Ende der 90er-Jahre geführt wurde - in dem
Sinne: Dann müssen wir auch 3 Prozent ausnutzen. Nein, seit der Veränderung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes haben wir viel bessere finanzpolitische
Handlungsmöglichkeiten, um mit Krisen umzugehen.
Alles andere ist parteipolitische Feindbildpflege, angefangen bei der Kanzlerin, die leugnet, dass wir an dieser
Stelle eine qualitative Verbesserung bekommen haben,
die nicht versteht, dass es nicht um Aufweichung geht,
sondern um bessere Handhabung, gerade in einer Zeit, in
der wir in Europa Krisen bestehen müssen.
({0})
Herr Kollege Poß, ich bin dankbar, dass Sie noch einmal klargemacht haben, dass Sie eigentlich keine großen
Schwierigkeiten mit dem haben, was Sie 2004 begonnen
haben. Sie glauben, dass das ein Problem löst. Ich bestreite, dass das Schuldenmachen in Europa irgendein
Problem löst. Dadurch wurde das Problem von heute geschaffen; es ist überhaupt erst dadurch entstanden.
({0})
Sie haben die Schuldenbremse angesprochen. Sie
wissen so gut wie ich, dass sich meine Fraktion in der
Föderalismuskommission für ein vollständiges Verschuldungsverbot ausgesprochen hat. Wir haben damals darüber diskutiert, ob man zustimmen soll, obwohl uns
auch 0,35 Prozent zu viel sind, oder nicht. Das sozusagen umzudrehen und zu sagen, die Fraktion sei damals
gegen die Schuldenbremse gewesen, ist verwegen; das
wissen Sie auch.
Ich selber habe mich anders entschieden. Ich habe damals gesagt: besser 0,35 Prozent als die alten Regeln.
Aber es ist trotz allem falsch und auch nicht redlich, daraus, dass sich alle anderen damals enthalten haben - es
gab übrigens in Ihrer Fraktion haufenweise Neinstimmen und Enthaltungen, obwohl Sie damals mitregiert
haben; auch das will ich einmal erwähnen -, den Schluss
zu ziehen, dass die anderen etwas für die Verschuldung
übrighätten. Ganz im Gegenteil: Denen waren Ihre Regeln nicht streng genug.
({1})
Ich bin übrigens jederzeit dafür zu haben, die Schuldenregel im Grundgesetz weiter zu verschärfen. Das ist
meine ganz persönliche Meinung, aber, ich glaube, auch
die Meinung der Mehrheit meiner Fraktion.
({2})
Nun erhält das Wort der Kollege Steffen Bockhahn
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein bisschen abenteuerlich, was man hier hört. Ich lerne gerade von der FDP,
dass Schulden grundsätzlich schlecht sind. Ich habe aber
einmal gelernt, dass eine gesunde Volkswirtschaft ohne
Schulden gar nicht auskommt. Die FDP sollte sich einigen, was sie machen will. Es gibt Situationen, in denen
Schulden sogar sehr sinnvoll sind. Da braucht man sie.
Auch das gehört zur Wahrheit.
({0})
Nächster Punkt. Ich kenne mich mit der Landespolitik
in Baden-Württemberg nicht besonders gut aus; es ist
auch sehr weit weg von Mecklenburg-Vorpommern, dem
bekanntlich schöneren Bundesland, dem schönsten der
Welt. Sie sprachen von einem besenreinen Haushalt in
Baden-Württemberg. Ich glaube, Herr Toncar, Sie haben
vergessen, dass Ihr Sportsfreund Mappus dort eine
kleine Hypothek hinterlassen hat, die jetzt zu tilgen ist.
Das mag nur eines der Probleme sein. Aber dass Sie sich
dort redlich verhalten hätten, ist nicht die ganze Wahrheit.
({1})
Ich finde die Entwicklung gerade hochgradig spannend. Die FDP, die Union, die Grünen und die SPD
wollten den Fiskalpakt, und jetzt sind sie sich plötzlich
nicht mehr einig, wer mit dem Spielzeug spielen darf.
Das ist mein Eindruck. Letztlich haben Sie alle zusammen zugestimmt, dass die gesamtstaatliche Neuverschuldung nur noch 0,5 Prozent betragen darf. Das fanden Sie alle richtig. Wir haben nicht zugestimmt, weil
wir, wie ich vorhin sagte, glauben, dass man sich - im
gesamtstaatlichen und im volkswirtschaftlichen Interesse - auch andere Regelungen erlauben muss.
Das maximale staatliche Defizit darf 0,5 Prozent aller
in ganz Deutschland erzeugten Waren und Dienstleistungen betragen. Anders als bei der Schuldenbremse geht es
hier jetzt nicht nur um Bund und Länder, sondern auch
um die Kommunen und die Sozialkassen. Von diesen
0,5 Prozent fallen immerhin 0,35 Prozent auf den Bund.
Damit bleiben 0,15 Prozent mögliche Schulden für Länder und Kommunen übrig. Das ist, mit Verlaub, eine völlig unrealistische Einschätzung der gegenwärtigen
Finanzlage der Kommunen und ihrer Perspektiven.
({2})
Das ist übrigens auch kein Zufall; denn der Bund
macht sich zulasten der Kommunen immer wieder einen
schlanken Fuß. Ich will Ihnen ein schönes Beispiel nennen: die Entwicklung der Sozialausgaben, die bei den
Kommunen anfallen. Die Zahlen nenne ich Ihnen gleich.
Sie sind nicht von mir, sondern vom Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern. Ich habe sie dem jüngst
vorgestellten Kommunalfinanzbericht entnommen. Sie
zeigen die Entwicklung der Sozialausgaben allein in den
Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern; dieses Bundesland hat bekanntlich nicht so viele Einwohner. 2001
hatten alle Städte und Gemeinden im Land Sozialausgaben in Höhe von insgesamt 600 Millionen Euro. Dann
gab es die von Ihnen allen für richtig befundene Umstellung der Sozialleistungen, auch Hartz-IV-Reform genannt. Heute, zehn Jahre später, liegt die Belastung pro
Jahr bei fast 1,2 Milliarden Euro.
({3})
Das heißt, für die Kommunen hat sich die Last der Sozialausgaben binnen zehn Jahren verdoppelt. Die Einnahmen der Kommunen haben sich in diesen zehn Jahren alles andere als verdoppelt. Das wissen Sie. Wer
darauf keine Rücksicht nimmt, geht sträflich mit den
Kommunen im Land und damit mit der Wiege der Demokratie in der Bundesrepublik um. Da erlebt man immer wieder, was Sozialabbau bedeutet.
({4})
Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Arbeitslosen
nach der offiziellen Lesart gesunken. Das heißt, eigentlich hätte alles viel besser werden müssen. Die Kommunen bekommen von den Ländern stetig weniger Geld,
weniger Zuweisungen und können ihre Pflichtaufgaben
selbst bei steigender Neuverschuldung kaum noch erfüllen.
Der Fiskalpakt wird diese Entwicklung weiter verschärfen. Im Ergebnis können die Kommunen dann
kaum noch investieren. Dabei sind sie schon heute eine
der stärksten Stützen der Wirtschaft. Die Kommunen
sind die Investoren in der Bundesrepublik Deutschland.
Wer ihre Finanzkraft schwächt, schadet der Wirtschaft
insgesamt. Zusammengenommen führt genau das in eine
Abwärtsspirale. Hinzu kommt, dass notwendige Aufgaben nicht mehr erledigt und „weggekürzt“ werden.
Ich darf Ihnen ein kleines feines Beispiel dafür nennen. In einer Gemeinde in der Nähe von Rostock gibt es
einen Jugendklub, der keine Miete bezahlen muss, weil
die Gemeinde eine Immobilie zur Verfügung gestellt hat.
Das ist schon mal eine gute Sache. Für die Jugendlichen
dieser Gemeinde werden pro Jahr genau 1 000 Euro
Sachmittel zur Verfügung gestellt. Ich weiß nicht, wer
von Ihnen sich damit auskennt; aber 1 000 Euro Sachmittel für einen Jugendklub in einer Gemeinde für ein
ganzes Jahr - das kann ich Ihnen verraten - sind zu wenig.
({5})
Die Kommune kann aber gar nicht mehr leisten. Das
Problem besteht darin, dass im Umfeld dieser Gemeinde
schon längst fleißig braune Ökologen arbeiten und Dinge
betreiben, die wir als Demokratinnen und Demokraten alles andere als richtig finden können. Der Fiskalpakt führt
dazu, dass es einen weiteren Rückzug öffentlicher Institutionen und damit einen weiteren Vertrauensverlust geben
muss.
Die Länder haben dieses Ungemach zweifelsfrei geahnt, wenngleich sie natürlich selten frei von Eigeninteressen sind. Die Schwierigkeit besteht darin, dass Sie in
Ihrer Haushaltsbetrachtung ausschließlich einer ausgabenorientierten Denkweise folgen. Das allerdings vernachlässigt, dass man gelegentlich auch Notwendiges
finanzieren muss und dabei nicht zuerst an die Ausgaben, sondern an die Notwendigkeiten denken muss.
Wenn man Defizite begrenzen will, wofür ausdrücklich auch die Linke ist,
({6})
dann muss man sich Gedanken darüber machen, dass die
Einnahmen stimmen. Insoweit will ich Ihnen nur einige
Möglichkeiten nennen: die Vermögensteuer, den Spitzensteuersatz, den Körperschaftsteuersatz, das Ehegattensplitting, die Finanztransaktionsteuer, die Reduzierung der Subvention für energieintensive Unternehmen.
Es gibt so viele Möglichkeiten, die Sie liegen lassen. Sie
verzichten freiwillig auf Einnahmen und beschweren
sich dann, dass Sie kein Geld haben.
({7})
Dieser Nachtragshaushalt ist ein Offenbarungseid von
schlechter Haushaltspolitik und Planlosigkeit.
({8})
Das kann ich Ihnen so knallhart sagen.
Die Zustimmung zum Fiskalpakt haben Sie sich von
den Ländern teuer erkauft. Sie haben sie sich ausschließlich erkauft; Sie haben sie nicht bekommen. Das war
keine Sternstunde der Demokratie. Das war kein Vorbild
für Haushaltspolitik, die transparent und ehrlich ist. Was
empfinden Sie denn dabei, meine Damen und Herren,
wenn sämtliche Zeitungen, egal ob der linken oder der
rechten Ecke zugehörig, schreiben, dass die Verhandlungen über den Fiskalpakt schlicht und ergreifend ein Feilschen auf dem Basar waren? Das war keine vernünftige
Haushaltspolitik. Es ging nur um die Frage: Wie viel
müssen wir zahlen, damit die Länder endlich doch zustimmen, obwohl sie wissen, dass es ihnen schaden
wird?
Dieser Nachtragshaushalt braucht keine neuen Kredite - das stimmt -, und ja, die Kindertagesstätten sind
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dann frage ich
mich aber, warum nach wie vor etwa zwei Drittel der
Kosten für einen Kitaplatz bei den Eltern und bei der
Kommune hängen bleiben. Wo ist denn da die gesamtgesellschaftliche Beteiligung? Da besteht erheblicher
Nachholbedarf. Da ist es jetzt nicht mit den 580 Millionen Euro getan.
Das, was Sie hier machen, zeigt nicht etwa, dass Sie
gut gewirtschaftet haben, wenn Sie nicht zusätzliche
Schulden brauchen - 32 Milliarden Euro sollen es in diesem Jahr werden -, sondern schlicht und ergreifend, dass
viel Luft im Budget war, die Sie jetzt rauslassen. Gute
Haushaltspolitik hätte darauf anders reagiert.
({9})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält die
Kollegin Priska Hinz nun das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Toncar, es ist schon reichlich vergnüglich, wenn Sie
hier so tun, als mache Deutschland eine hervorragende
Sparpolitik, an der sich Europa ein Beispiel nehmen soll.
({0})
Uns liegt heute ein zweiter Nachtragshaushalt vor, der
neue Schulden in Höhe von 32 Milliarden Euro festlegt.
({1})
- Es sind 32 Milliarden Euro neue Schulden, 32 Milliarden Euro, die in diesem Jahr aufgenommen werden sollen - natürlich! -, obwohl wir sprudelnde Einnahmen,
obwohl wir historisch geringe Zinsausgaben haben.
Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Das sind 32 Milliarden Euro zu viel.
({2})
Was die Erhöhung des Kapitals der EIB, die mit dem
Nachtragshaushalt finanziert werden soll, betrifft - diesen Aspekt haben übrigens wir in den Verhandlungen
durchgesetzt -, muss man feststellen: Das war, auch
wenn dafür nun Mittel zur Verfügung gestellt werden,
nicht das Glanzstück der FDP,
({3})
um das einmal deutlich zu sagen.
({4})
- Doch. Wir wollen, dass das finanziert wird.
({5})
An anderen Stellen könnte man im Haushalt allerdings
tatsächlich einsparen.
({6})
Aber was machen Sie? Sie rechnen mit spitzem Bleistift und kommen zu dem Ergebnis, dass in diesem Jahr
geringere Zinsausgaben anfallen werden. Damit wollen
Sie, sozusagen in Klammern, sagen: Deutschland geht
als Gewinner aus der europäischen Krise hervor.
({7})
Erstaunlicherweise sind es 2,2 Milliarden Euro, die wir
weniger für Zinsen ausgeben müssen. Das ist genau der
Betrag, den wir brauchen, um den zweiten Nachtrag zu
finanzieren. Liebe Leute, für so blöd werden Sie uns
doch wohl nicht halten,
({8})
dass wir Ihnen glauben, was Sie uns da vorlegen!
({9})
Natürlich ist der Nachtragshaushalt, wenn man die
getroffene Vereinbarung umsetzen will, richtig.
({10})
Aber schon beim ersten Nachtrag hat Kollege Barthle
behauptet, dass die Einzahlungen in den ESM-Kapitalstock nicht zu einer Erhöhung der Nettokreditaufnahme
führen werden.
({11})
Am Ende kam es doch zu einer Erhöhung. In Anbetracht
der geringeren Zinsausgaben soll der Deckel dieses Mal
aber gleich bleiben.
Ich will deutlich machen, was wir im Rahmen der
Vereinbarungen zum Fiskalvertrag erreicht haben - das
sage ich auch in Richtung der Linken -: Wir Grünen haben erreicht, dass die Regierungspolitik eine Wende nehmen musste.
({12})
Wir haben erreicht, dass Investitionen in Krisenländern
zu einem zweiten Standbein geworden sind. Wir können
die Staaten nicht aus der Krise „heraussparen“. Vielmehr
müssen auch zielgerichtete Investitionen erfolgen, zum
Beispiel in die Netzinfrastruktur, egal ob in den öffentlichen Verkehr, die Mediengestaltung oder in erneuerbare
Energien. Das ist der Punkt, den wir Grünen durchgesetzt haben.
({13})
- Ich rede hier für meine Fraktion. Da manch ein Kanzlerkandidat immer wieder gerne darauf hinweist, was die
SPD-Fraktion durchgesetzt hat,
({14})
Priska Hinz ({15})
werde ich heute erklären, was die Grünen durchgesetzt
haben.
({16})
Wir haben nicht nur Investitionen, sondern auch die
Finanztransaktionsteuer durchgesetzt. Wir sind froh,
dass wir den Widerstand der FDP endlich überwinden
konnten.
({17})
Damit konnten wir dem Finanzminister an dieser Stelle
den Rücken stärken. Wir hoffen, dass elf Mitgliedstaaten
der Europäischen Union diesen Weg bald tatsächlich gehen und eine Finanztransaktionsteuer einführen werden.
Wir wissen aber: Es liegt noch ein langer Weg vor uns.
({18})
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, den Kollege
Schneider angesprochen hat: das unabhängige Kontrollgremium. Ich finde, das, was dazu im Ausführungsgesetz steht, ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Um die
Unabhängigkeit eines solchen Gremiums sicherzustellen, müsste man erstens gewährleisten, dass es keine
Veranstaltung nur der Exekutive ist, und zweitens, dass
es möglichst frei von politischer Einflussnahme ist, was
die Entstehung seiner Prognosen und Empfehlungen im
Hinblick auf den Abbau der Schulden in den Bundesländern und im Bund angeht. Vor diesem Hintergrund halte
ich es für erforderlich, dass wir in den weiteren Beratungen noch einmal darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll und notwendig ist, hier Veränderungen vorzunehmen.
Ich komme zum Schluss. Als letzten Punkt möchte
ich darauf hinweisen: Wir haben ja erfahren, dass heute
ein guter Tag für Europa ist, weil sich die Kanzlerin auf
dem EU-Gipfel durchgesetzt hat.
({19})
Es ist sicher insofern ein guter Tag, als sich die Kanzlerin nicht durchgesetzt hat, als es um den Vorschlag des
Finanzministers ging, einen Währungskommissar einzusetzen, der unabhängig vom Europäischen Parlament in
nationale Haushalte eingreifen darf. Es ist sicher auch
insofern ein guter Tag, als deutlich wurde, dass es keinen
Euro-Zonen-Haushalt geben wird, über den das Europäische Parlament keine Kontrolle hat. Ich muss aber sagen,
dass wir die Regierung in Bezug auf die Bankenunion
weiterhin treiben werden, vor allen Dingen dahin, dass
es nicht nur eine gemeinsame Bankenaufsicht, sondern
auch einen gemeinsamen Bankenrestrukturierungsfonds
gibt.
({20})
Der ist nämlich gleichzeitig notwendig, damit die
Steuerzahler nicht dafür zahlen, wenn Banken in die
Krise geraten sind und ihre Geschäftsmodelle ändern
oder sogar abgewickelt werden müssen.
Insofern ist das heute nur ein weiterer Mosaikstein
auf dem Weg aus der Krise heraus, aber ein richtiger
Mosaikstein, und wir werden beraten, wie wir diesen
Mosaikstein in unserem Sinne weiter zurechtfeilen können.
Vielen Dank.
({21})
Diese Beratungen werden nun durch den Kollegen
Norbert Barthle von der CDU/CSU-Fraktion fortgesetzt.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Lassen Sie mich zunächst einige Worte zur
im Nachtragsetat veranschlagten Verschuldung sagen.
Liebe Frau Kollegin Priska Hinz, Sie wissen ganz genau,
dass sich diese 32 Milliarden Euro strukturell um über
10 Milliarden Euro reduzieren, wenn wir die Zahlungen
an den ESM, 8,7 Milliarden Euro, und die Zahlungen an
die EIB, 1,6 Milliarden Euro, abziehen. Wenn wir dann
auch noch die 1 Milliarde Euro abziehen, die von der
Bank hier links von mir erpresst wurde, sieht die Zahl
schon ganz anders aus. Das zu sagen, gehört auch zur
Wahrheit.
({0})
Bei der Einbringungsrede hat der Kollege Fricke nicht
zu Unrecht darauf hingewiesen, dass das größte Risiko
für den Bundeshaushalt auf dieser Seite des Plenums
sitzt, auf der Bundesratsbank.
({1})
So viel zum Thema Neuverschuldung. Ohne diese Beträge lägen die neuen Schulden in einer Größenordnung
von etwa 21 Milliarden Euro. Wir halten den Pfad der
jährlich sinkenden Nettokreditaufnahmen ein. Im kommenden Jahr wird sie bei 18 Milliarden Euro liegen. Ich
darf daran erinnern, dass uns der Kanzlerkandidat der
SPD mit 86 Milliarden Euro zusätzlichen Schulden die
größte Neuverschuldung der Geschichte der Republik
hinterlassen hat. Auch das muss wieder einmal gesagt
werden.
({2})
Kommen wir zu den Gesetzentwürfen, die heute beraten werden. Staatssekretär Steffen Kampeter hat ausführlich dargelegt, was heute rechtlich zur Debatte steht. Da
die Haushalts- und Finanzpolitik sehr viel mit Glaubwürdigkeit zu tun hat, will ich aber nicht über die rechtlichen Inhalte, sondern über die Umsetzung dessen reden,
was der Fiskalvertrag vorsieht; denn hier lohnt ein Blick
sowohl auf den Bund als auch auf die Länder.
Vielleicht zunächst einmal zum Bund: Wir setzen die
Schuldenbremse nicht nur Buchstabe für Buchstabe um
- wir haben rechtlich schon alles erledigt, was notwendig ist -, sondern wir unterschreiten die Grenze der maNorbert Barthle
ximal möglichen Nettokreditaufnahme Jahr für Jahr
deutlich. Das Ziel der Schuldenbremse, das 2016 erreicht werden soll, erreichen wir bereits drei Jahre früher; Kollege Toncar hat darauf hingewiesen. Das ist der
Erfolg dieser Koalition aus CDU/CSU und FDP. Wir
sind besser und schneller, als es uns das Grundgesetz
vorgibt.
({3})
Da sich der Fiskalvertrag aber auf die gesamtstaatliche Verschuldung bezieht und auch die Länder einbezieht, ist es schon lohnend, sich auch einmal die Situation in den Ländern anzuschauen, und zwar vor dem
Hintergrund, dass die Haushaltssituation im Bund viel
gravierender ist als in den Ländern. Die durchschnittliche Pro-Kopf-Verschuldung ist im Bund höher als in den
Ländern. Dennoch hat der Bund die Länder für die Jahre
2010 bis 2016 um mindestens 55 Milliarden Euro entlastet: durch die Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und der Kosten aus dem Hochschulpakt 2020 sowie durch etliche
Steuergesetze, die wir in den letzten Jahren gemacht haben. Die Länder werden immer wieder durch den Bund
entlastet.
Wie sieht die Schuldenbremse bezogen auf die Länder aus? Die Länder müssen sich seit 2011 so aufstellen,
dass sie ab dem Jahre 2020 keine neuen Kredite mehr
aufnehmen müssen.
({4})
Wer sich dies bis 2019 auf Wiedervorlage legt, der läuft
Gefahr, dass er dieses Ziel nicht erreicht.
({5})
Deshalb ist es notwendig, dass die Länder die Schuldenbremse in ihre Landesverfassungen übernehmen.
Einige Länder haben das getan: Schleswig-Holstein,
Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Rheinland-Pfalz.
Andere Länder wiederum haben Änderungen in ihrer jeweiligen Landeshaushaltsordnung vorgenommen. Das
hat allerdings eine deutlich schwächere Bindewirkung;
denn das kann mit einfacher parlamentarischer Mehrheit
jederzeit umgangen und wieder aufgehoben werden. Ein
Teil der Länder hat bisher noch gar keine Maßnahmen
ergriffen. Die Höflichkeit gebietet es, dass ich die Sünder nicht namentlich nenne.
({6})
Ich nenne nur ein Land, leider mein Heimatland,
({7})
Baden-Württemberg.
({8})
Dort ist es noch schlimmer. Die grün-rot geführte Landesregierung hat die Landeshaushaltsordnung verändert, um damit die Möglichkeit zu schaffen, in den
kommenden Jahren fast 7 Milliarden Euro zusätzliche
Schulden zu machen.
({9})
Dazu sagt sie: Die Neuverschuldung senken wir 2020
auf null, also dann, wenn es notwendig ist. - Das ist eine
Politik zulasten der kommenden Generationen. Dabei
kann es nicht bleiben.
({10})
Andere Länder zeigen, dass Haushaltskonsolidierung
und -sanierung durchaus gelingen kann. Ich will an dieser Stelle ganz bewusst Bayern nennen. Auch Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sind gute Beispiele.
Diese Länder haben seit 2006 keine neuen Schulden
mehr gemacht, zum Teil sogar Überschüsse erzielt.
Sachsen hat im Jahr 2011 und Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2007 und 2008 Haushaltsüberschüsse erzielt. Bayern tilgt bereits seine Altschulden.
Daran sehen Sie, dass es gelingen kann, Haushalte zu
konsolidieren.
({11})
Die sogenannten Konsolidierungshilfeländer, diejenigen, die Bundeshilfen zum Ausgleich ihrer Haushalte
bekommen - das sind Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein -, haben immerhin
Verwaltungsvereinbarungen getroffen, um die Schulden
bis 2020 abzubauen.
Also, was können wir feststellen? Die Lage in den
Ländern ist ausgesprochen heterogen. Während der
Bund mit gutem Beispiel vorangeht,
({12})
sind einige Länder sehr zögerlich. Deshalb fordere ich
an dieser Stelle alle Länder in Deutschland auf, die
Schuldenbremse in ihre Landesverfassungen zu übernehmen. Wir als Deutschland sind gefordert, ein Stück
weit als gutes Beispiel voranzugehen. Das sind wir unseren europäischen Partnern schuldig.
Gestern hat hier in Antwort auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin der Kanzlerkandidat der SPD
gemeint,
({13})
wir seien ein schlechtes Vorbild für Europa.
({14})
Ich habe den Verdacht: Er hat die Länder gemeint, in denen seine Parteifreunde regieren. Wir müssen auch in
den Bundesländern als gutes Beispiel vorangehen, gesamtstaatlich die Schuldenbremse und den Fiskalvertrag
einhalten und eine Absicherung im Sinne einer rechtlichen Bindung in die Landesverfassungen aufnehmen,
damit nicht je nach politischer Mehrheit und Gesinnung
anders agiert werden kann. Eines ist doch deutlich: Dort,
wo Grün oder Rot regiert, hält man vom Sparen nicht
sonderlich viel.
({15})
Da wird lustig der Weg in neue Verschuldung gegangen - immer zulasten kommender Generationen. Das
Ganze nennt sich dann nachhaltige Politik.
({16})
Nachhaltige Politik heißt für Rot und Grün: Die nachfolgenden Generationen müssen den Kopf hinhalten für die
Schulden, die andere zuvor gemacht haben. - Das hat
mit Nachhaltigkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun.
({17})
Deshalb noch mal: Der Fiskalvertrag ist ein Vertrag,
der 25 Länder in Europa bindet, eine Schuldenbremse
nach unserem Beispiel in die entsprechende Landesverfassung oder einen rechtsähnlichen Zustand zu übernehmen. Das ist ein Riesenfortschritt für die Stabilitätskultur
in Europa. Das darf nicht von einzelnen Bundesländern
unterminiert werden, sondern muss von den Bundesländern mitgetragen werden. Nur dann können wir als beispielgebendes Land vorangehen. Ich bin froh, dass sich
25 von 27 Euro-Ländern verpflichtet haben, die Schuldenbremse in ihre Landesverfassungen zu übernehmen.
Das ist ein guter Tag für Europa, auch im Blick auf
die Beschlüsse in Brüssel. Die Kanzlerin hat hier gestern
erklärt: Was die Bankenunion und die Bankenaufsicht
angeht, da zählt Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Das ist
ein Ergebnis des Brüsseler Gipfels. Deshalb auch an dieser Stelle nochmals Dank für das gute Verhandlungsergebnis unserer Bundeskanzlerin.
({18})
Das Wort erhält nun der baden-württembergische
Minister für Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten, Peter Friedrich.
({0})
Peter Friedrich, Minister ({1}):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Abgeordneten
des Deutschen Bundestages! Ich danke der SPD-Fraktion, dass ich die Möglichkeit habe, in der Debatte zur
Umsetzung des Fiskalvertrags die Position der Länder zu
erläutern.
Herr Minister, darf ich mir den Hinweis erlauben,
dass Sie diese Möglichkeit auch ohne Genehmigung der
SPD-Fraktion qua Verfassung gehabt hätten?
({0})
Peter Friedrich, Minister ({1}):
Das ist richtig; aber ich möchte nichtsdestoweniger
meinen Dank aussprechen, dass die Fraktion mir dies
ausdrücklich ermöglicht hat. Sie legen ja viel Wert auf
Höflichkeit. Insofern wollte ich Ihren Anforderungen
Genüge tun.
({2})
- Herr Kauder, zu Ihnen komme ich gleich noch.
Gestern hat die Bundeskanzlerin auf die Schwierigkeit hingewiesen, wie gemeinschaftliche Regeln in
Europa mit Haushaltsautonomie und demokratischer Legitimation zu verbinden sind. Es gab eine differenzierte
und gute Debatte zu diesem Punkt. Deswegen sollten wir
auch bei der Frage der Umsetzung des Fiskalvertrages
auf genau diesen Punkt noch einmal eingehen.
Es ist so, dass die Bundesregierung mit dem Fiskalvertrag einen Vertrag unterschrieben hat, der Veränderungen auch für die Schuldenbremse des Grundgesetzes
bedeutet. Deswegen war es für die Länder, und zwar für
alle 16 einvernehmlich, wichtig, dass wir mit dem Bund
ein Verhandlungsergebnis erzielen, das die Haushaltsautonomie der Länderhaushalte gewährleistet und dazu führt,
dass wir in Deutschland die gleiche Architektur von demokratischer Legitimation und Haushaltsautonomie in
den Ländern haben, wie wir sie für Europa anstreben. Es
war ein mühsamer und letztlich guter Verhandlungsprozess, der dazu geführt hat, dass die Haushaltsautonomie
der Länder auch im Haushaltsgrundsätzegesetz festgelegt werden soll.
({3})
Die spannende Frage ist nur, warum das - wenn das
in den Eckpunkten für das Haushaltsgrundsätzegesetz so
enthalten war - wieder aus dem Gesetzentwurf verschwunden ist und der Bund sich jetzt sehr wohl eine
Hintertür offenlässt, über die Verpflichtung der Länder
zur Einhaltung der grundgesetzlichen Schuldenbremse
hinaus in die Haushaltsautonomie der Länder einzugreifen. Damit wird man der demokratischen Legitimation
von Haushaltsrecht in den Ländern nicht gerecht. Insofern verstößt der Bund momentan mit dem, was er hier
vorschlägt, gegen das, was die Bundeskanzlerin gestern
für Europa als Zielsetzung formuliert hat. Deswegen
bitte ich dringend, dass wir in den Beratungen genau diesen Punkt gemeinsam korrigieren.
({4})
Alle 16 Länder bekennen sich zur Schuldenbremse,
wie im Grundgesetz vereinbart. Das haben wir in den
Verhandlungen festgehalten. Einige Bundesländer brauchen da Hilfen. Wir haben, was diese Vereinbarung angeht, darüber hinaus einige Punkte besprochen und beschlossen, die den Pfad für die Länder festlegen.
Herr Toncar und Herr Barthle, ich will darauf hinweisen: Das einzig Besenreine, das wir in Baden-Württemberg übernommen haben, waren die Schatzkammern des
Landes. Das war das Einzige, was wirklich besenrein
war.
({5})
Wir haben in Baden-Württemberg ein strukturelles
Haushaltsdefizit von 2,5 Milliarden Euro übernommen.
Im Haushalt des nächsten Jahres haben wir es auf
1,8 Milliarden Euro reduziert - und im Jahr darauf auf
1,5 Milliarden Euro. Die strukturelle Nullverschuldung
für den Haushalt Baden-Württemberg werden wir 2020
- trotz Länderfinanzausgleich und trotz der Tatsache,
dass der Bund nach wie vor Konnexitätsgrundsätze nicht
Minister Peter Friedrich ({6})
beachtet - erreichen. Das größte Risiko für die Haushalte der Länder und Kommunen ist der Bund, der permanent Aufgaben auf Länder und Kommunen verlagert,
ohne tatsächlich an allen Stellen die Kosten zu übernehmen.
({7})
Herr Barthle, wir haben der CDU-Fraktion in BadenWürttemberg angeboten - wir drängen darauf; ich bitte
Sie, uns darin zu unterstützen -, die grundgesetzliche
Schuldenbremse eins zu eins in den Landeshaushalt zu
überführen. Die CDU-Fraktion in Baden-Württemberg
verweigert momentan die verfassungsgebende Mehrheit,
die dafür notwendig ist.
({8})
Das ist die Wahrheit, die zu erwähnen mit dazu gehört.
Mit Verlaub: Die frühere Landesregierung in BadenWürttemberg wurde vom Landesgerichtshof wegen Verfassungsbruchs in Bezug auf Haushaltsgrundsätze verurteilt, weil man 5 Milliarden Euro neue Schulden am
Haushalt vorbei aufgenommen hatte.
({9})
- Herr Barthle, wer in Haushaltsfragen die Verfassung
bricht, dem glaubt man nicht.
({10})
Ich will noch einen Punkt ansprechen. Es geht um die
Frage, wie mögliche Sanktionen bei Verstoß gegen den
Fiskalvertrag überwälzt werden. Hier gibt es eine Regelung.
({11})
- Ich kann verstehen, dass man beim Thema MappusErbe leicht aus der Haut fahren kann. Wir haben das täglich zu ertragen.
({12})
Die Länder - auch Baden-Württemberg - leisten ihren Beitrag. Wir geben den Kommunen zusätzlich allein
330 Millionen Euro, um dem Ausbau der Kindergartenplätze gerecht zu werden. Wir fordern Sie auf, im Haushalt die Mittel einzustellen, die den Ländern zugesagt
wurden, und zwar im Rahmen einer Lösung, die wir,
glaube ich, gemeinsam finden können, bei der nicht zum
Schluss die Berichtspflichten die Soße teurer machen als
den Braten. Das ist nämlich der Effekt, den wir momentan erleben. Sie wollen Berichtspflichten weit über das
hinaus, was Sinn macht, verankern. Zu dem Ausbau stehen wir, auch finanzieren wir unseren Teil mit. Wir geben den Kommunen das Geld. Lassen Sie uns aber bitte
eine Regelung treffen, die auch funktioniert, und ersparen Sie uns einseitige Schuldzuweisungen. Sie brauchen
die Länder und die Kommunen, um das hinzubekommen. Sie bekommen es nicht dadurch hin, dass Sie in
Zukunft - wie Sie sich das momentan vorstellen - zusätzliche Kontrollverpflichtungen auferlegen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke für die
FDP-Fraktion.
({0})
Geschätzter Herr Präsident; ich wünsche einen angenehmen Wechsel mit der Vizepräsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Die Rede gerade hat gezeigt, dass der Kollege Barthle mit seiner Aussage einfach recht hatte. Das größte Risiko für den Bundeshaushalt sitzt auf der jetzt wieder fast vollkommen leeren
Bundesratsbank.
({0})
Ausdrücklich, Herr Minister Friedrich: Ich finde es gut,
dass Sie gekommen sind, weil das ein Teil dessen ist,
was notwendig ist, damit wir in die Diskussion eintreten.
Das finde ich gut. Ich hätte mir gewünscht, dass Berlin
und Brandenburg ebenfalls hierhergekommen wären;
denn denen helfen wir auch.
Worum geht es in unserer Debatte eigentlich? Es geht
um zwei Gesetze, die im Endeffekt nur deswegen zustande kommen, weil wir den Ländern helfen müssen
und weil wir Europa helfen müssen. Warum müssen wir
Europa helfen? Weil wir als Bundesrepublik Deutschland in Europa eine Verpflichtung haben. Wir können
von unseren europäischen Nachbarn nicht nur verlangen,
dass sie sparen, sondern wir müssen ihnen auch sagen,
dass sie investieren müssen. Dabei müssen wir ihnen
helfen. Deswegen geben wir der Europäischen Investitionsbank das notwendige Eigenkapital, um in Zukunft
entsprechende Investitionen überhaupt zu ermöglichen.
In Richtung Rot und Grün: Es ist immer dasselbe
Spiel, es ist wie in der Schule: Herr Lehrer, ich habe es
aber auch gewusst.
({1})
Es geht doch gar nicht darum. Vielmehr geht es darum,
welche Verpflichtung wir als Bundesrepublik Deutschland innerhalb Europas haben.
({2})
Die erfüllen wir, indem wir 1,6 Milliarden Euro für die
Europäische Investitionsbank zur Verfügung stellen.
Zu Frau Kollegin Hinz - sie ist gerade nicht da -: Die
Aussage, dass wir neue 32 Milliarden Euro Schulden
machen, ist schlichtweg falsch. Ich will das von hier aus
korrigieren. Mit diesem Nachtragshaushalt macht die
Koalition, macht die Bundesregierung
({3})
keinen Cent zusätzliche neue Schulden, keinen einzigen
Cent.
({4})
Warum macht sie das? Sie macht das deswegen, weil sie
Ausgaben hat, durch die sie Europa hilft, und weil sie
Ausgaben hat, die den Ländern helfen, insbesondere
Berlin und Brandenburg; ich komme gleich noch dazu.
Gleichzeitig sagen wir ganz Europa: Wenn ihr so solide
haushaltet, sind wir bereit, euch Geld zu niedrigeren Zinsen zur Verfügung zu stellen. Das heißt nicht, dass wir in
Europa kalt abkassieren. Den Vorteil, den wir dadurch
haben, dass wir innerhalb Europas Hort der Stabilität,
Hort der besten Haushalte sind, geben wir als Zinsgewinn an die Europäische Investitionsbank, damit sich in
anderen Ländern Europas die Wirtschaft wieder erholen
kann. Das verstehe ich auch im Hinblick auf Europa unter gesunder Haushaltspolitik. Das hätten Sie nie hinbekommen, unsere Koalition bekommt das eben hin.
({5})
Zu Berlin und Brandenburg. Das muss ich an dieser
Stelle noch einmal klarstellen: Sie bekommen weitere
300 Millionen Euro für den Flughafen, weil sie nicht in
der Lage sind, ein Großprojekt hinzubekommen.
({6})
Man kann ja froh sein, dass es nicht wie in RheinlandPfalz ist, dass man erst baut und nachher feststellt, dass
der Ministerpräsident gehen muss. Wir haben hier noch
ein bisschen die Finger drauf.
({7})
- Natürlich ist es so, dass der Bund beteiligt ist, deswegen zahlt er ja auch die 300 Millionen,
({8})
und zwar dann - das will ich ausdrücklich für das Protokoll festhalten -, wenn sich der Haushaltsausschuss darüber im Klaren ist, dass die notwendigen Reformen in
Bezug auf den Flughafen erfolgen. Es ist gleichzeitig so
- ich bitte, in den Gesetzentwurf zu gucken -, dass wir
die entsprechenden Vorstandsbeschlüsse der Flughafengesellschaft brauchen, bevor irgendetwas passiert. Wir
geben nicht mal eben einfach so 300 Millionen für den
Flughafen - so wie in den Ländern übrigens -, sondern
wir erwarten einiges mehr.
({9})
Ich will für meine Fraktion ausdrücklich sagen: Was bisher in Bezug auf den Flughafen auch im Personalbereich
und bei den Zuständigkeiten passiert ist, reicht meiner
Fraktion nicht, deswegen die entsprechende qualifizierte
Sperre.
Lassen Sie mich zur Bundesratsbank kommen. Die
Bürger draußen im Land glauben immer, dass die armen
kleinen Länder und die armen kleinen Kommunen gar
keine Steuereinnahmen haben. Liebe Bürger, wenn Sie
sich irgend etwas kaufen und Mehrwertsteuer zahlen, gehen Sie davon aus, dass Sie in dem Moment mehr Mehrwertsteuer an Länder und Kommunen zahlen als an den
Bund. Vor allen Dingen die Länder tun immer so, als
würden sie von Ihnen gar kein Geld kriegen, dabei müssen Sie wissen, dass mehr als 50 Prozent der Steuereinnahmen in Deutschland insgesamt an Länder und Kommunen gehen. Die Länder sagen immer wieder: Wir
haben keine Autonomie! Liebe Länder, dann nehmt euch
dem doch an! Sagt doch: Okay, wir sind bereit, selber
über unsere Steuern zu entscheiden, wir sind bereit, in
einen steuerlichen Wettbewerb unter den Ländern einzutreten, wir nehmen die Zuständigkeit wahr.
({10})
Aber das wollt ihr nicht! Ihr wollt Folgendes haben - das
haben wir gestern im Haushaltsausschuss wieder festgestellt -: Ihr wollt, dass der Bund das macht, um dann am
Ende eure Aufgaben zu bezahlen. Was wir jetzt bei der
Kinderbetreuung machen, ist nie originär unsere Aufgabe gewesen. Man ist aber gerne bereit, das Geld vom
Bund zu nehmen, um dann zu sagen - Herr Schmid, das
finde ich fast eine Unverschämtheit -: Aber bitte keine
Kontrolle, bitte keine Berichtspflicht und bloß nicht den
Bundesrechnungshof dabei haben.
Für uns Haushälter ist immer wieder die Erkenntnis:
Zahlen soll der Bund, obwohl Länder und Kommunen
mehr Geld haben als der Bund, aber einmischen soll er
sich bloß nicht.
Dann kommen Sie immer wieder damit, dass wir neue
Aufgaben übertragen. Wenn ich frage: „Ja, wo sind die
denn?“, dann kommt im Moment nichts. Der Bund hat
das gemerkt, und wir alle wissen, dass wir dieses Spiel
an der Stelle nicht machen können.
Es ist doch im Endeffekt so: Das, was wir an Entlastung geschaffen haben, beläuft sich inzwischen pro Jahr
auf 10 Milliarden Euro. Wir geben für Länder und Kommunen gegenüber den bisherigen Ausgaben 10 Milliarden Euro zusätzlich aus. Wir haben es gestern im Bereich
Bildung festgestellt: Das, was für Bildung ausgegeben
wird, wird teilweise direkt durchgeleitet, weil die Länder
aus ihren Aufgaben herausgehen.
Zum Schluss will ich mich noch einmal kurz mit dem
Land Baden-Württemberg beschäftigen, das Sie hier dargestellt haben. Der Bürger hat gerade gehört, es gebe
dort eine strukturelle Neuverschuldung. „Strukturell“
hört sich immer gut an. Aber wenn man einmal fragt,
was die explizite war, dann sind Sie, Herr Minister, doch
mit mir der Meinung, dass die in Baden-Württemberg
bei null war. Die explizite Neuverschuldung war bei
null. Da war sie bei der Übergabe.
({11})
Dann machen Sie Milliardenschulden, und jetzt
kommt das Allerbeste: Das Land Baden-Württemberg
will eine Schuldenbremse. Man denkt ja, die Schwaben
sind besonders sparsam. Das habe ich bisher immer gedacht. Aber grüne Schwaben scheinen nicht sparsam zu
sein; denn Sie wollen jedes Jahr nur in gleichmäßigen
Schritten davon herunter. Ich sage Ihnen: Wenn man von
einer Null kommt, dann sollte man so schnell wie möglich wieder auf die Null herunterkommen und keine
Pseudoschuldenbremse machen, indem man sagt: Wir
bremsen einmal etwas langsamer und machen das im
Jahre 2020. Sie in Baden-Württemberg wollen bis 2020
6 Milliarden Euro Schulden machen, und zwar - meine
Damen und Herren, halten Sie sich fest - nicht auf Basis
der gegenwärtigen Gesetzgebung, sondern sie machen
6 Milliarden Euro Schulden, obwohl Sie die Steuererhöhungen, die Rot-Grün gerne machen will, mit eingerechnet haben. Das nenne ich nicht mehr schwäbisch, sondern das ist nach meiner Meinung südeuropäisch.
Herzlichen Dank.
({12})
Der Kollege Andrej Hunko hat jetzt für die Fraktion
Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Worüber
reden wir heute? Wir reden über die Umsetzung des Fiskalpaktes, der Ende Juni hier im Bundestag zusammen
mit dem ESM von den vier Fraktionen mit Mehrheit beschlossen wurde, in nationales Recht.
Was ist der Fiskalpakt? Der Fiskalpakt ist die Institutionalisierung einer völlig verfehlten Krisenpolitik und
Krisenanalyse in der Europäischen Union. Das wird jetzt
sozusagen in dauerhaftes Völkerrecht gegossen und
heute hier im Bundestag in nationales Recht umgesetzt.
Warum ist diese Krisenpolitik verfehlt? Sie basiert auf
einer völlig falschen Analyse der Krise in der EuroZone. Wir haben es heute immer wieder gehört. Auch
bei dem Gesetzentwurf ist es so. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, es gäbe eine Staatsschuldenkrise aufgrund überhöhter Ausgabenpolitik. Wenn man sich aber
einmal die offiziellen Zahlen der Europäischen Zentralbank anschaut, so kann man feststellen, dass die Staatsverschuldung in der Euro-Zone in der Zeit von 2000 bis
2008 im Durchschnitt tendenziell rückläufig war, nämlich von etwa 73 Prozent auf 67 Prozent im Jahre 2008
zurückgegangen ist, und erst danach als Folge der Finanz- und Bankenkrise stark angestiegen ist.
Wir haben einmal nachgefragt: Woher kommt denn
dieser Anstieg? Der Kollege Klaus Ernst hat vor wenigen
Wochen gefragt: Um wie viel ist die Staatsverschuldung
in Deutschland als Folge der Banken- und Rettungspakete 2008 angestiegen? Antwort: 322,5 Milliarden Euro,
kumuliert seit 2008. Das ist die Ursache für den Anstieg
der Staatsverschuldung. Das soll jetzt mit dem Gesetz zur
Umsetzung des Fiskalpakts durch Kürzungen im Sozialbereich, im Bildungsbereich, im Gesundheitsbereich, im
öffentlichen Bereich zurückgeführt werden. Deshalb sagen viele Menschen in Südeuropa - das habe ich gerade
erfahren -: Dieser Fiskalpakt ist ein Pakt zum Angriff auf
soziale Rechte, auf Arbeitnehmerrechte. - Wir lehnen das
ab. Wir lehnen diese völlig verfehlte Krisenpolitik ab.
({0})
Es ist auch ein Angriff auf demokratische Rechte der
Haushaltsgesetzgeber, weil die Budgethoheit verlagert
wird. Sie wird zum Teil auf die Ebene der EU-Kommission verlagert. Ein Beispiel dafür ist das strukturelle Defizit. Sie wissen genau, dass die Berechnung des strukturellen Defizits wirtschaftspolitisch sehr umstritten ist. Es
gibt unterschiedliche Schulen; man kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Wer hat denn die Definitionsmacht für dieses strukturelle Defizit? Das werden in Zukunft Wirtschaftswissenschaftler der EU-Kommission haben, die nur sehr fragwürdig demokratisch legitimiert sind. Wir sehen das als
sehr problematisch an: Das ist kein Mehr an Europa,
sondern ein Weniger an Demokratie.
({1})
Drittens ist diese Krisenpolitik und Krisenanalyse in
der Konsequenz auch sozial verheerend. Wir sehen das
in Griechenland und Portugal. Griechenland - ich war
letzte Woche dort - ist am Rande einer humanitären Tragödie.
({2})
Diese Politik wird jetzt auch zunehmend in den zentraleuropäischen Staaten bzw. in Deutschland umgesetzt.
Mit dem Fiskalpakt werden jetzt schon die Sachzwänge
geschaffen, auf die sich dann später berufen wird, wenn
es um Kürzungen etwa im kommunalen Bereich oder im
Länderbereich geht. Wir lehnen das eindeutig ab.
Ich will Ihnen ein aktuelles Beispiel aus meiner Heimatstadt Aachen nennen. Dort hat gestern der älteste
Waggonbauer, Bombardier, angekündigt, den Standort
mit 600 Arbeitsplätzen zu schließen. Es ist der älteste
Waggonbauer in Deutschland. Ich habe mit dem Geschäftsführer gesprochen. Er sagt, die Bahntechnik und
die Auftragslage seien gut; die Probleme seien der erhöhte Wettbewerbsdruck und das Wegbrechen der
Märkte in Südeuropa. Das sind schon Konsequenzen
dieser völlig falschen Politik.
Die Linke wird an der Seite der Menschen stehen, die
sich dagegen wehren. Sie können auf unsere Unterstützung vertrauen.
({3})
Vielen Dank.
({4})
Sven-Christian Kindler hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vorweg zu Norbert Barthle und Otto
Fricke: Sie haben gesagt, das größte Risiko für den Bundeshaushalt säße auf der Bundesratsbank; das seien die
Bundesländer. Das finde ich angesichts der unseriösen
schwarz-gelben Haushaltspolitik eine abenteuerliche Behauptung und Beschimpfung der Länder.
({0})
Was ist denn passiert? Diese Koalition hat die Steuern
für Hoteliers, reiche Erben und Besserverdienende gesenkt und damit auch die Steuerbasis in den Ländern
erodieren lassen. Es war auch so, dass vor allen Dingen
innerhalb dieser Wahlperiode, aber auch schon vorher
die CDU und die FDP konsequent Landtagswahl für
Landtagswahl verloren haben. Deshalb sind Sie neidisch: Sie haben keine Mehrheit mehr im Bundesrat, und
die nächste Landtagswahl werden Sie auch verlieren. In
Niedersachsen wird Schwarz-Gelb komplett abgelöst.
({1})
Noch eine Bemerkung zu Otto Fricke. Unseriöse
Haushaltspolitik hat er pauschal als „südeuropäisch“ bezeichnet. Diese Aussage finde ich abenteuerlich.
({2})
Zum Thema Krise: Spanien hatte bis 2007 super
Haushaltszahlen mit einer geringen Gesamtverschuldung und einem sehr guten Defizit, übrigens besser als
Deutschland in dieser Zeit. Spanien hatte aber hohe
Bankschulden. Das ist das Problem: Es geht um eine
Bankschuldenkrise. Das hat die FDP nicht verstanden.
Ich finde es diffamierend von der FDP, auf dem Rücken
Europas billigsten Stammtischpopulismus zu machen.
Das geht nicht.
({3})
Noch ein paar Anmerkungen zum Nachtragshaushalt
und auch zum Flughafen BER. Dazu wurde schon einiges gesagt. Es wurde gesagt, dass auch der Bund in der
Verantwortung ist. Wir haben im Haushaltsausschuss
und im Verkehrsausschuss viele Fragen dazu gehabt.
Was ist mit dem Baufortschritt und dem Thema Kosten?
Wir haben bisher nur wenige Antworten vom Ministerium zu den Kosten und der Finanzierung bekommen.
Der Bericht zu den Infrastrukturvorhaben, zum Beispiel
zu den Anschlüssen der Deutschen Bahn, liegt immer
noch nicht vor. Wir haben ihn als Haushälterinnen und
Haushälter seit Wochen angefordert; das Verkehrsministerium hat ihn nicht geliefert.
Diese verfehlte Informationspolitik der Bundesregierung muss endlich aufhören. Wir brauchen Klarheit und
Details über die Kosten des BER-Flughafens.
({4})
Jetzt stellen Sie das mit 312 Millionen Euro in die
Verpflichtungsermächtigungen ein. Dabei ist das Finanzierungskonzept noch gar nicht klar. Wir wissen nicht,
um was es nachher wirklich geht. Es wurde bisher kein
Finanzierungskonzept vorgelegt. Wir können das auch in
den aktuellen Haushaltsberatungen besprechen. Wir
müssen es nicht in den Nachtragshaushalt einstellen. Das
ist nicht notwendig.
Zum Aufsichtsrat will ich sagen: Natürlich ist auch
der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Wowereit hier in der
Pflicht. Der Aufsichtsrat hat versagt. Aber auch Minister
Ramsauer und Minister Schäuble haben mit den Staatssekretären Bomba und Gatzer Vertreter in diesem Gremium sitzen. Diese Aufsichtsratsmitglieder haben ebenfalls versagt. Der Aufsichtsrat wusste lange Bescheid
über den mangelhaften Brandschutz bzw. die mangelhafte Entrauchungsanlage. Dieser Aufsichtsrat hat es
nicht gebacken bekommen; er hat versagt. Er muss ausgewechselt werden.
({5})
Noch ein Satz zum Thema Kitaausbau. Es stimmt, wir
brauchen zusätzliche Plätze für die unter Dreijährigen,
um den Rechtsanspruch 2013 zu erfüllen. Aber Kristina
Schröder hat es drei Jahre lang nicht hinbekommen, sich
in dieser schwarz-gelben Koalition gegen Herrn Schäuble
durchzusetzen. Es gab drei Jahre kein Geld mehr für neue
Kitaplätze. Mehr Geld dafür mussten die rot-grün regierten Länder erst in den Verhandlungen über den Fiskalpakt
durchsetzen.
({6})
Jetzt so zu tun, als ob die Länder das Geld, dessen Bewilligung sie selber durchgesetzt haben, nicht wollten,
ist absurd. Was die Länder beklagen, ist, dass die Betriebsmittel für Erzieherinnen und Erzieher nicht wie abgemacht 2013, sondern erst 2015 fließen sollen. Wir
brauchen diese Mittel aber bereits 2013, um den Rechtsanspruch zu erfüllen. Pacta sunt servanda - Verträge sind
einzuhalten. Die Bundesregierung muss ihre Zusagen an
die Länder beim Kitaausbau endlich einhalten und dafür
sorgen, dass die vereinbarten Betriebsmittel rechtzeitig
fließen.
Vielen Dank.
({7})
Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort die Bundesministerin Dr. Kristina Schröder.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sprechen heute nicht nur über das Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags, sondern auch
darüber, ob es gelingt, den Kitaausbau zu beschleunigen.
Der Bund stellt für 30 000 neue Kitaplätze zusätzlich
580 Millionen Euro zur Verfügung. Damit sollen die
30 000 Plätze eingerichtet werden, die mehr gebraucht
werden als 2007 veranschlagt. Wir alle sind uns sicherlich einig, dass es sich kein Land leisten kann, auf dieses
Geld für den Kitaausbau zu verzichten, zumal nur noch
rund neun Monate Zeit bleiben, bis der Rechtsanspruch
auf einen Kitaplatz in Kraft tritt. Trotzdem gab und gibt
es nach der Stellungnahme des Bundesrates einige Irritationen.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich
machen, was die Bundesregierung mit den Ländern vereinbart hat; denn es gab nicht nur umfangreiche Gespräche, Herr Minister Friedrich, sondern eine ausdrückliche
Einigung mit den Ländern. Bereits im August dieses
Jahres haben wir uns auf die Verteilung der 580 Millionen Euro und auf die Förderbedingungen verständigt.
Den Ländern war in diesen Verhandlungen sehr wichtig,
dass das Geld nicht nach dem Maßstab verteilt wird, wo
derzeit noch die meisten Kitaplätze fehlen. Vielmehr bestanden die Länder auf einer Verteilung nach der Zahl
der unter Dreijährigen in den jeweiligen Ländern. Wir
haben dem zugestimmt, weil wir gesagt haben: Wir können nicht monatelang darüber diskutieren. Durch Diskutieren entstehen keine Kitaplätze.
({0})
Wir haben auch zugestimmt, dass die neuen Gelder sogar rückwirkend ab dem 1. Juli 2012 für den Kitaausbau
eingesetzt werden können, damit die Kommunen möglichst sofort mit der Einrichtung weiterer Plätze beginnen können. Wir haben dafür aber auch Bedingungen
vereinbart, weil wir aus den Erfahrungen des bisherigen
Ausbaus lernen müssen.
({1})
Erstens. Wir wollen, dass dort neue Kitaplätze entstehen, wo sie von den Familien gebraucht werden. Wir
wollen, dass das Geld des Bundes dort für den Bau von
Kitaplätzen eingesetzt wird, wo Bedarf da ist. Das kann
auch heißen, dass Gelder, die bis zu einem bestimmten
Termin nicht genutzt werden, dann an andere Länder gehen, die sie für den Kitaausbau dringend brauchen.
({2})
Zweitens. Wir wollen Transparenz. Bund, Länder und
Kommunen haben von Anfang an ausgemacht, den Kitaausbau gemeinsam zu stemmen, und das, obwohl dafür
verfassungsrechtlich der Bund überhaupt nicht zuständig
ist. „Gemeinsam stemmen“, meine Damen und Herren,
heißt aber, dass man mit offenen Zahlen arbeitet. Jeder
soll wissen können: Wo fehlen wie viele Plätze? Jeder
soll wissen können: Wie viele Plätze sind im Bau?
({3})
Jeder soll wissen können: Welches Land hat wie viel von
seinem eigenen Anteil an den Kosten schon erbracht?
Meine Damen und Herren, das ist keine Bürokratie; das
ist eine Selbstverständlichkeit.
({4})
Der Bund zahlt übrigens das Geld auch nur aus einem
einzigen Grund an die Länder: Weil wir es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht direkt an die Kommunen zahlen können.
({5})
Dass wir hier nichts Unmögliches verlangen, das
zeigt der Blick auf ein Land, das für viele hier im Haus
in Sachen Kinderbetreuung der Lieblingsfeind Nummer
eins ist, nämlich Bayern. In Bayern wird nicht nur viel
eigenes Landesgeld für den Kitaausbau in die Hand genommen, sondern Bayern weist auch ganz genau nach,
was damit gebaut wurde, wie hoch jeweils der Bundesanteil ist, wie hoch jeweils der Landesanteil ist. Das
macht kein anderes Land so. Wenn ich eine sozialdemokratische Landesministerin wäre, würde ich mich schämen, dass ausgerechnet das vielgescholtene Bayern hier
seriöser und transparenter arbeitet als man selbst.
({6})
Natürlich könnte der Bund das Geld überweisen und
dann den Ländern sagen: Jetzt macht mal schön! - Verfassungsrechtlich wäre das richtig - der Kitaausbau ist
Ländersache -; vielleicht wäre es auch wahltaktisch klüger, zu sagen: Der Bund zahlt und hält sich ansonsten zurück. - Aber das tun wir nicht, und das werden wir nicht
tun, weil es nicht das Selbstverständnis dieser Koalition
ist, zu zahlen und sich dann zurückzulehnen. Wir wollen
für die Eltern etwas erreichen. Deshalb setzen wir alles
daran, dass zum 1. August 2013 in Deutschland jede Familie, die einen Kitaplatz benötigt, auch einen bekommt;
denn nur dann haben wir in Deutschland Wahlfreiheit für
Familien.
({7})
Wenn es dann im Sinne der Sache einmal rumpelt,
dann ist das eben so. Mir ist es lieber, dass es jetzt rumpelt, als dass Eltern im August nächsten Jahres keinen
Kitaplatz finden. Die Eltern verlassen sich auf den
Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Der Kitaausbau
wird nur gelingen, wenn alle Beteiligten sich ihrer Verantwortung bewusst sind und sich dementsprechend verhalten. Der Bund ist dazu bereit. Ich hoffe, dass alle anderen es auch sind.
Herzlichen Dank.
({8})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Rolf Schwanitz für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Rede noch einmal daran erinnert und gemahnt, dass alle sich ihrer Verantwortung bewusst sein sollen. Ich sage einmal ausdrücklich:
Was Sie in dieser Woche als medialen Rundumschlag
gegen die Länder gemacht haben, ist absolut verantwortungslos. Sie sind Ihrer Verantwortung überhaupt nicht
gerecht geworden.
({0})
Also meine Bitte: Legen Sie bitte an sich selbst dieselben Maßstäbe an!
({1})
Ich will mich als Allererstes beim Bundesrat recht
herzlich bedanken; denn ohne die Länder, ohne die Verknüpfung des Themas Kitaausbau mit dem Thema Fiskalpakt - vorhin ist vom Kollegen Barthle von Erpressung geredet worden - wäre es überhaupt nicht möglich
gewesen, zu erreichen, dass zusätzliche Bundesmittel für
den Kitaausbau bereitgestellt werden.
({2})
Ohne diese Rettungsaktion der Länder im Vermittlungsausschuss wäre der Rechtsanspruch der Kinder
quasi gescheitert, meine Damen und Herren.
({3})
Nachdem Sie das stets abgelehnt haben, wäre gar keine
Möglichkeit mehr gewesen, das Ausbauprogramm bedarfsgerecht, so wie die Bedarfszahlen tatsächlich sind,
aufzustocken. Deshalb mein herzlicher Dank an die Länderseite! Das kommt spät, aber, wie ich hoffe, nicht zu
spät.
({4})
Das hat auch etwas damit zu tun, dass die Bundesministerin diesen zusätzlichen Ausbaubedarf jahrelang ignoriert hat. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir - ich
hoffe es nicht; aber es sieht leider anders aus - eine Bundesfamilienministerin haben, die momentan den letzten
Rest an familienpolitischer Gemeinsamkeit, die wir mit
den Ländern haben, zertrampelt. Ich glaube, dass das ein
großer Fehler ist.
({5})
Ich will noch einmal daran erinnern: Drei Jahre lang
hat diese Ministerin jede Forderung nach einem Krippengipfel abgelehnt. Drei Jahre lang wurde bestritten,
dass es in diesem Land einen höheren Bedarf an Kitaausbau gibt, um den Rechtsanspruch zu retten.
({6})
Erst im Mai 2012 wurde eingeräumt, dass ein Zusatzbedarf von 30 000 Plätzen existiert. Aber selbst dann war
diese Bundesregierung nicht bereit dazu, das Ausbauprogramm aufzustocken. Erst im Juni - über den Bundesrat,
über den Vermittlungsausschuss - ist es gelungen, diesen
Teil noch in das Ausbauprogramm aufzunehmen. Meine
Damen und Herren, das hat nichts mit Frau Schröder zu
tun, es hat überhaupt nichts mit Frau Schröder zu tun.
({7})
Nachdem Sie darauf eingegangen sind, will auch ich
einen Blick in den Gesetzentwurf selbst werfen. Ich will
ausdrücklich sagen: Ich habe nichts gegen Kontrolle.
Aber was Sie hier an Kontrollpflichten aufbauen wollen,
das ist schon das bürokratische Monster, das in diesem
Plenarsaal oft zitiert wird. Sie wollen die Länder zu
neuen monatlichen, neuen halbjährlichen Berichten verpflichten, die bis weit nach 2008 hinein zurückgehen.
Anstatt die Zahl der Kitaplätze auszubauen, wollen Sie
die Bürokratie ausbauen. Das kann nicht sinnvoll sein,
und das ist nicht das, was hier gemacht werden muss.
({8})
Zum Zweiten fällt auf, dass die Verstärkungsmittel für
den Zusatzausbau gestreckt werden: Sie sollen nicht bis
2013 laufen, sondern bis Ende 2014, bei den Betriebskosten sogar bis Ende 2015. Es ist also schon im Gesetz
selber angelegt, dass zum August 2013 der Rechtsanspruch auf Kitabetreuung wegen des Zusatzbedarfs nicht
abgesichert werden kann. Also machen Sie sich ein
Stück ehrlich, Frau Ministerin, und erzählen Sie hier
nicht solche Sachen!
({9})
Zum Dritten fällt auf, dass der Gesetzentwurf bezogen auf den Zusatzbedarf keine richtige Hilfe für den
Kitaausbau bringt. In dem Gesetzentwurf wird eine Mechanik aufgebaut - ich hoffe, wir können sie in den Beratungen noch verändern -, die so aussieht, dass ein
Land, wenn es bis Ende 2012 beim Kitaausbau hinter der
Planung zurückbleibt, faktisch gar keine zusätzlichen
Mittel zur Deckung des Zusatzbedarfs bekommt.
({10})
Das heißt, ausgerechnet dort, wo der größte Nachholbedarf besteht, wird quasi zuerst der Geldhahn zugedreht.
Das ist, als ob in einem Krankenhaus die leichten Fälle
wunderbar mit Medikamenten versorgt, die schweren
Fälle aber vor die Tür gesetzt würden. Das kann keine
sinnvolle Verstärkungsstrategie sein.
({11})
Sie können das, was ich sage, ja für falsch halten.
({12})
Deswegen will ich Ihnen auch sagen, was der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Herr Haseloff - er
gehört nicht zu den Sozialdemokraten, sondern zu Ihrer
Parteicouleur -, dazu gesagt hat: Was jetzt zur Voraussetzung für Zahlungen des Bundes genannt werde, entspreche nicht der Geschäftsgrundlage. - Weiter hat er
gesagt: „Frau Schröder sollte nachdenklich machen, dass
dies von allen Bundesländern übereinstimmend so gesehen wird.“ - Meine Hoffnung auf die Nachdenklichkeit
der Ministerin ist allerdings begrenzt.
({13})
Herzlichen Dank.
({14})
Andreas Mattfeldt hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Mit dem zweiten Nachtragshaushalt
2012 schaffen wir heute die Voraussetzungen dafür, dass
Deutschland die Erhöhung des Eigenkapitals der Europäischen Investitionsbank in Höhe von 1,6 Milliarden
Euro wird leisten können.
Darüber hinaus enthält dieser Nachtrag Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 312 Millionen Euro,
damit die jetzt notwendigen Beschlüsse zur Deckung des
zusätzlichen Kapitalbedarfs der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH getätigt werden können. Die immensen
Verfehlungen beim Flughafenbau sind sowohl für uns
Abgeordnete als auch für die Bevölkerung nicht mehr
nachzuvollziehen. Ich sage hier deutlich: Für eine Industrienation wie Deutschland mit großartigen Leistungen
ist das Thema Flughafen Berlin Brandenburg schon sehr
demütigend.
({0})
Darüber hinaus stellen wir in diesem Nachtrag dar,
dass durch die Bund-Länder-Verpflichtung 30 000 zusätzliche Plätze für die Betreuung von Kindern unter drei
Jahren finanziert werden. Insgesamt wird der Bund dem
Sondervermögen Kinderbetreuungsausbau noch einmal
580,5 Millionen Euro zuweisen. Damit handelt die Bundesregierung erneut zugunsten von Kommunen und Ländern und stellt weitere Gelder für den Kinderbetreuungsausbau zur Verfügung
({1})
- und das, obwohl Kinderbetreuung in die originäre Zuständigkeit der Kommunen und der Länder fällt. Dies
wird leider von vielen rot-grün regierten Bundesländern,
aber auch von den Kommunen, schnell vergessen und
unter den Tisch gekehrt.
({2})
- Wissen Sie, Herr Bockhahn, es ärgert mich schon,
wenn lautstark, wie in den vergangenen Monaten, von
gewissen Kreisen nach mehr Geld vom Bund geschrien
und mitgeteilt wurde, der Bund würde seine Zusagen
zum Ausbau von Kindertagesstätten nicht einhalten.
Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. - Deshalb möchte
ich gemeinsam mit Ihnen auf den Krippengipfel 2007
zurückblicken, auf dem die Schaffung von Krippenplätzen vereinbart wurde. Seinerzeit haben sich auf Initiative
von Ursula von der Leyen Bund, Länder und Kommunen in einem gemeinsamen Kraftakt, weil alle Beteiligten die Notwendigkeit erkannt haben, darauf geeinigt,
bis 2013 ein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren zu schaffen.
({3})
Der Bund, Frau Hagedorn, hat seinerzeit seine Verpflichtung direkt umgesetzt und insgesamt 4 Milliarden Euro
bereitgestellt: 2,15 Milliarden Euro für Investitionen und
sogar - darüber haben wir seinerzeit lange verhandelt 1,85 Milliarden Euro für Unterhalt und Betriebskosten.
({4})
Bei Kommunen und Ländern sah eine sofortige Umsetzung leider in einigen Teilen anders aus. Hier konnten
wir vielfach eine sehr abwartende Haltung beobachten.
Ich weiß aus eigener Erfahrung als seinerzeitiger Hauptverwaltungsbeamter, dass viele Kommunen das Problem
zum Teil vor sich hergeschoben haben. Diese Haltung
hat zu der Verzögerung geführt, vor der wir heute stehen,
und hat die Lücken entstehen lassen, die wir nun erneut
in einem enormen Kraftakt werden füllen müssen.
({5})
An diesem Nachtrag von 580 Millionen Euro für Kindertagesstätten sehen Sie auch, welch eine große Bedeutung die Familienpolitik in dieser Koalition hat. Damit
unterscheiden wir uns fundamental von dem, was die
rot-grüne Koalition in ihrer Amtszeit geschafft hat.
({6})
- Das ist nicht lächerlich.
Während in Ihrer Zeit, Herr Poß, unter Gerhard
Schröder, Familienpolitik als Gedöns bezeichnet wurde
({7})
und bestenfalls stiefmütterlich, wenn überhaupt, behandelt wurde, hat Kristina Schröder in ihrer Amtszeit den
Etat um mehr als eine halbe Milliarde Euro angehoben.
Beispielhaft möchte ich die insgesamt rund 400 Millionen Euro nennen, die von 2011 bis 2014 in die Verbesse24104
rung der Qualität der frühkindlichen Sprachförderung
durch qualifiziertes Personal in 4 000 Schwerpunktkitas
investiert werden. Noch einmal: Auch dies ist eigentlich
originäre Aufgabe der Kommunen. Mit der Finanzierung
durch den Bund bieten wir den Kommunen die Entlastung, die sie immer wieder vom Bund fordern.
Gerade vor diesem Hintergrund ist es für mich der
Gipfel der Unverschämtheit, dass Frau Schwesig der
Ministerin Schröder vorwirft, sie würde immer neue
Forderungen an die Vergabe der Mittel knüpfen und
würde auf der Bremse stehen. Nach den gemachten Erfahrungen kann ich nur sagen, es ist absolut notwendig,
dass die Mittelvergabe an zu erfüllende Pflichten und
vor allen Dingen auch an Fristen gebunden ist.
({8})
Der Ministerin vorzuwerfen, sie würde den Kitaausbau ausbremsen, ist nahezu ungeheuerlich. Das ist an
Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten und dient nur dem
eigentlichen Zweck, von eigenen Verfehlungen in zahlreichen Bereichen abzulenken.
Meine Damen und Herren, Kitakostenübernahme und
vor allem auch die Kostenübernahme für die Grundsicherung im Alter entlasten die Kommunen erheblich.
Diese Entlastungen und die durch eine kluge Wirtschaftspolitik ausgelösten Steuermehreinnahmen haben
per 30. Juni dieses Jahres bereits zu einer erheblichen
Verbesserung der finanziellen Situation der Kommunen
geführt.
Durch die Verschiebung im Bundeshaushalt zugunsten der Kommunen entlastet diese christlich-liberale Regierung
({9})
die Kommunen finanziell in einer noch nie dagewesenen
Höhe.
({10})
Deshalb, meine Damen und Herren von der Opposition,
verbitte ich mir Ihren Vorwurf, wir würden die Kommunen vernachlässigen. Dieser Vorwurf entbehrt jeglicher
Grundlage.
Herzlichen Dank.
({11})
Die Kollegin Bettina Hagedorn hat das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich muss schon sagen: Was für einen Eindruck
müssen die Zuschauer auf der Tribüne gewinnen! Was
Sie als Regierungsfraktionen angesichts dieser Debatte
- wir reden über die Umsetzung des Fiskalpakts und
über den Nachtragshaushalt - an kleinkariertem Pepita
bieten, das ist unter der Würde dieses Hauses.
({0})
Es ist nämlich so - das wissen vielleicht nicht alle Zuhörer -, dass der Fiskalpakt in diesem Haus mit der Zustimmung von vier Fraktionen eine große Mehrheit gefunden hat und dass es in Deutschland - übrigens im
Gegensatz zu vielen Nachbarländern - eine breite parlamentarische Mehrheit für ganz wesentliche Weichenstellungen auf europäischer Ebene gibt, weil Rot-Grün gemeinsam mit der Regierung eine große europäische
Verantwortung übernimmt.
({1})
Der von Ihnen eingebrachte Nachtragshaushalt enthält drei wesentliche Maßgaben, die damit in einem unmittelbaren Sinnzusammenhang stehen; hierüber ist
schon diskutiert worden. Dabei geht es sowohl um die
Zustimmung der Länder zum Fiskalpakt, die richtig ist,
als auch um die Zustimmung von Rot-Grün.
Nur aufgrund dessen können jetzt ein Wachstumspaket und ein Paket gegen die Jugendarbeitslosigkeit auf
europäischer Ebene verabschiedet werden, was die Aufstockung der Mittel der Europäischen Investitionsbank
erforderlich macht. Nur aufgrund dessen werden in
Deutschland 30 000 neue Kitaplätze geschaffen, was die
Bereitstellung von 580 Millionen Euro erforderlich
macht.
Weil wir in diesem Hause das gemeinsam wollen,
wäre es jetzt eigentlich angemessen, auch gemeinsam
darüber nachzudenken, wie wir das Ganze zu einem guten Ende führen können. Diese Chance auf eine gemeinsame Linie verpassen Sie jedoch mit Ihrem Klein-Klein,
dem Parteiengezänk und Ihrem Kleinmut.
({2})
Zu Recht ist bereits gesagt worden, dass es auf europäischer Ebene jetzt endlich einen Kurswechsel gibt weg von den neoliberalen Rezepten der Regierungen in
ganz Europa unter der Federführung von Frau Merkel,
weg von falschen Kürzungsorgien, die ursächlich zu einer einbrechenden Binnennachfrage, zu einer erlahmenden Wirtschaft und damit letzten Endes zu der hohen Jugendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen Ländern
geführt haben.
Es ist gut und richtig, dass diese Änderungen erfolgen. Zu diesen Maßnahmen erhalten Sie unsere Zustimmung. Dass Sie aber auf der anderen Seite Ihre eigenen
Schularbeiten nicht machen und jetzt nicht durch strukturelle Kürzungen im eigenen Haushalt zu einer soliden
Gegenfinanzierung gelangen, dass Sie sich in Europa als
Sparkommissar gerieren, im eigenen Land aber nichts
davon wissen wollen, das ist ja das Drama.
({3})
Die Gegenfinanzierung - das haben sowohl Frau
Hinz als auch Carsten Schneider und andere schon zu
Recht gesagt - nehmen Sie sozusagen im Schlafwagen
mit, indem Sie für 2012 komischerweise exakt 2,2 Milliarden Euro geringere Zinsausgaben veranschlagen.
In welchem gesamtpolitischen Umfeld bewegen wir
uns denn? Es ist durchaus so, dass wir uns über eine
brummende Konjunktur hier immer gemeinsam gefreut
haben. Es reicht für eine Regierung jedoch nicht aus,
sich lediglich darin zu gefallen. Es ist vielmehr Verantwortung dieser Regierung, Vorsorge für die Zukunft zu
tragen, auch bei sich eintrübenden Aussichten.
Genau dies soll mit der Schuldenbremse erreicht werden, die übrigens von uns gemeinsam beschlossen
wurde. Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Was
tun Sie? Über den Nachtragshaushalt und die geringeren
Zinszahlungen habe ich schon gesprochen. Wir haben es
in dieser Woche aber auch mit der Vorstellung der
Wachstumsprognose für das Jahr 2013 zu tun gehabt. Ich
will nur darauf hinweisen: Sie haben öffentlich so getan,
als sei alles im grünen Bereich;
({4})
tatsächlich ist es so, dass Sie in dem Haushaltsentwurf 2013, den wir in diesem Parlament gerade parallel
beraten, von einem Wachstum von 1,6 Prozent im
Jahr 2013 ausgeht. Aber wo sind wir jetzt? Bei 1 Prozent
Wachstum.
Sie gehen in Ihrem Haushaltsentwurf von 2,78 Millionen Arbeitslosen im Jahr 2013 aus. Und wo sind wir
jetzt? Seit dieser Woche haben wir es schwarz auf weiß:
bei 2,94 Millionen Arbeitslosen; das sind 150 000 Arbeitslose mehr.
({5})
Was bedeutet das? Das bedeutet notwendige Ausgaben im Haushalt 2013, und Sie nehmen das nicht zur
Kenntnis. Sie treffen keine Vorsorge, sondern rechnen
sich alles schön,
({6})
um den Menschen letzten Endes Sand in die Augen zu
streuen, und das, obwohl Sie es in Deutschland mit zwei
verantwortungsbewussten Oppositionsparteien zu tun
haben,
({7})
die im Grunde bereit sind, bei den Dingen, die für die
Menschen in dieser Lage wichtig sind, mit Ihnen an einem Strang zu ziehen und in eine Richtung zu gehen.
Aber Sie ergreifen nicht die Hand, und damit werden Sie
der Verantwortung nicht gerecht.
Ich fordere Sie auf: Greifen Sie die wesentlichen
Punkte auf, die wir Ihnen vorschlagen, insbesondere was
das Expertengremium anbelangt. Stärken Sie dieses Parlament und schaffen Sie ein Gremium, das gegenüber
dem Bundestag rechenschaftspflichtig ist. Lassen Sie
das Gremium nicht zu einem einfachen Instrument verkommen, das der Regierung und auf europäischer Ebene
nur in irgendwelchen Hinterzimmern berichtet.
Vielen Dank.
({8})
Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Antje
Tillmann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben 2009 als eines der ersten Länder in Europa eine Schuldenbremse in
der Verfassung, im Grundgesetz, verankert und ein Jahr
später den Stabilitätsrat mit Kompetenzen ausgestattet,
wie sie heute im Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzung
des Fiskalvertrags verlangt werden.
Der Steinbrück-Entwurf für den Haushalt 2010 sah
noch eine Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro vor,
wir aber werden vermutlich schon im nächsten Jahr die
Vorgaben der Schuldenbremse, die eigentlich erst 2016
eingehalten werden müssen, unterschreiten. Wir sind auf
einem guten Weg. Da ist die Verabschiedung des Fiskalpaktumsetzungsgesetzes heute ein weiterer Schritt, und
zwar ein entscheidender Schritt in einem Bereich, in
dem wir noch nicht gut waren: Die Länder sahen sich bei
der deutschen Schuldenbremse nicht in der Verantwortung für die Kommunen. In unserer Verfassung steht,
dass die Länder in ihren Haushalten bis 2020 eine Neuverschuldung von null erreichen müssen, und die Länder
interpretieren das so, dass sie keine Verantwortung für
die Verschuldung der Kommunen haben. Mit dem heutigen Beschluss ändert sich das. Im Umsetzungsgesetz
steht nämlich eindeutig:
Die Länder tragen im Rahmen des Fiskalvertrags
die Verantwortung für ihre Kommunen.
Das ist ein Meilenstein im Hinblick auf die Haushaltssicherheit der Kommunen.
Ich möchte nur kurz daran erinnern, dass es die SPDLänder sind, in denen es den Kommunen am schlechtesten geht. Die Kommunen mit der höchsten Verschuldung
befinden sich gerade in den SPD-Ländern.
Heute machen wir einen Riesenschritt zum Vorteil der
Kommunen. Neben der finanziellen Entlastung durch
Übernahme der Kosten der Grundsicherung und des Bildungspakets profitieren sie nun auch von Rechtsklarheit
hinsichtlich der Verschuldung.
Der zweite Grund, warum das Gesetz ein Meilenstein
im Hinblick auf die Beteiligung der Kommunen ist, ist
die direkte Beteiligung der Kommunen am Beirat beim
Stabilitätsrat. Das heißt, diejenigen, die von Sparmaßnahmen der Länder betroffen sind, dürfen mitberaten;
sie können mitbestimmen und öffentlich ihre Position
darstellen.
Viele der Äußerungen zu den Kommunen, die hier gemacht worden sind, sind schlichtweg unwahr. Es ist
diese Regierung, die in dieser Legislaturperiode die
größte Entlastung für die Kommunen überhaupt beschlossen hat.
({0})
Auch die Äußerung von Herrn Minister Friedrich, dass
wir durch Übertragung von Aufgaben die Kommunen
belasten würden, ist einfach nur unwahr. Der Bundespräsident dürfte ein solches Gesetz gar nicht unterzeichnen,
weil es verfassungswidrig wäre. Bleiben Sie bei der
Wahrheit. Diese Regierungskoalition von CDU/CSU
und FDP steht hinter unseren Kommunen. Wir entlasten
die Kommunen, binden sie ein und stellen sicher, dass
die Kommunen bei Haushaltsdiskussionen mitberaten
dürfen.
({1})
Das tun wir über den Beirat auch deswegen, weil der
Stabilitätsrat Sanierungsvorschläge für Länderhaushalte
sofort an die Landesregierungen weitergibt, und natürlich müssen an den Beratungen der Landesregierungen
alle Kommunen teilhaben dürfen, denn sie sind von diesen Einsparmaßnahmen betroffen. Insofern werden wir
sicherstellen, dass nicht nur eine betroffene Kommune,
sondern alle betroffenen Kommunen an diesen Beratungen teilnehmen.
Ich freue mich sehr, Herr Minister Friedrich, dass Sie
jetzt wieder anwesend sind; denn ich finde es beim zweiten Thema, dem Kindergartenausbau, entlarvend, dass
ausgerechnet ein Vertreter des Landes heute hier spricht,
das beim alten Kindergartenausbauprogramm zum 24. September den niedrigsten Mittelabruf aufweist. Erst 55 Prozent der Mittel sind von Baden-Württemberg abgerufen
worden. Insofern erachte ich es als schwierig, sich hierhin zu stellen und zu fordern, dass man bei einem neuen
Programm keinen Nachweis erbringen muss. Ihr Auftritt
führt bei mir erst recht dazu, der Ministerin den Rücken
zu stärken, denn wir wollen wissen, was die Länder mit
den Geldern machen. Darüber hinaus sind es nicht
zuletzt SPD-Kollegen in den Kommunen, die uns auffordern, sicherzustellen, dass die Länder das Geld auch tatsächlich für den Kindergartenausbau nutzen. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit sind nämlich schlecht.
Der Evaluationsbericht zeigt ganz deutlich, dass nicht
nachweisbar ist, ob die Länder ihrer Verpflichtung aus
dem alten Programm nachkommen. Auch da zeigt der
Bericht ganz deutlich: Es sind bis zum 24. September
nur 73 Prozent der Mittel abgerufen worden.
Die zweite Forderung der Länder finde ich noch bizarrer. Sie wollen nämlich Betriebskostenerstattungen
für Kindergärten bekommen, die noch gar nicht in Betrieb sind. Das müssen sie erst einmal erklären.
({2})
Wenn ich 2013 Mittel für einen Kindergartenbau abrufe,
dann kann dieser Kindergarten 2013 noch gar nicht in
Betrieb sein. Deshalb hat die Ministerin völlig recht,
dass die Betriebskosten erst dann erstattet werden, wenn
sie tatsächlich anfallen.
({3})
Auch hier glaube ich, dass die Länder über ihre Position
noch einmal nachdenken müssen.
({4})
- Danke für den freundlichen Zwischenruf.
Ich wundere mich schon, denn Frau Haderthauer hätte
die Position der Länder hier sehr viel besser darstellen
können. Einerseits hat sie die Mittel in voller Höhe abgerufen, andererseits ist sie interessanterweise gleichzeitig
dafür, dass nachgewiesen wird, wie die Mittel verwendet
werden.
({5})
Bayern hat nämlich im Gegensatz zu anderen Ländern
nichts zu verstecken. Daher, Herr Minister Friedrich,
werden Sie hier noch einiges hinsichtlich des Mittelabrufs zu erklären haben.
Wir werden nicht auf Kosten der Eltern zocken. Die
Länder, die bereits im Vermittlungsausschuss das Gesetz
zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger von der kalten Progression sowie das Gesetz zur energetischen Gebäudesanierung blockieren, blockieren jetzt den Kitaausbau. Dann ist es aber auch ihre Aufgabe, den Eltern 2013
zu erklären, warum wir noch nicht so weit fortgeschritten sind, wie wir es uns eigentlich wünschten.
Die Eltern können sich auf uns verlassen. Wir werden
den Kitaausbau beschleunigen. Wir sind unseren Verpflichtungen nachgekommen und werden mit diesem
Gesetz unsere Aufgaben erfüllen. Wir werden diese Mittel zur Verfügung stellen, damit die Eltern Sicherheit haben, was die Betreuung ihrer Kinder angeht. Ich hoffe,
bis zum Vermittlungsausschuss ändern die Länder ihre
Position.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Es ist verabredet, die Gesetzentwürfe auf den Druck-
sachen 17/10976, 17/11011 und 17/10900 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überwei-
sen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so be-
schlossen.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 35 a bis c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Energiewende sozial gestalten - Bezahlbare
Strompreise gewährleisten
- Drucksache 17/10800 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Federführung strittig
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Bezahlbare Energie sichern durch Einsparung, Erneuerbare und mehr Verbraucherrechte
- Drucksache 17/11030 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({3})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Federführung strittig
c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Rita Schwarzelühr-Sutter, Rolf Hempelmann,
Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Die Energiewende - Kosten für Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen
- Drucksache 17/10366 Es ist verabredet, anderthalb Stunden darüber zu debattieren. - Auch dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping für die Fraktion Die Linke.
({4})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Strompreise steigen. Seit dem Jahr 2000 sind sie um
70 Prozent gestiegen, und für Menschen mit geringem
Einkommen und für kleine Unternehmen ist damit oft
die Schmerzgrenze erreicht. Ja, für viele ist die Schmerzgrenze sogar überschritten. Davon zeugen bis zu
800 000 Stromsperrungen.
Jedem, der diese Stromsperrungen auf die leichte
Schulter nimmt, empfehle ich den Selbsttest. Versuchen
Sie doch einmal, mehrere Tage ohne Strom zu leben.
Man kann das Handy nicht aufladen. Man hat keinen Zugang zum Internet. Wenn man keinen Gasherd hat, kann
man sich nicht einmal eine Tasse Tee kochen. Familien
mit Kleinkindern können nicht einmal die Babynahrung
aufwärmen.
Wir können hier nicht tatenlos zusehen, wenn sich die
Energiearmut in diesem Land ausbreitet. Die Stromrechnung darf keine Schuldenfalle werden.
({0})
Deswegen müssen wir sozial nachsteuern, und zwar mit
einer sozialen Energiewende.
({1})
Deswegen schlägt Ihnen die Linke ein Konzept für
eine soziale Energiewende vor. Dieses Konzept ist eingebettet in ein größeres Konzept für einen sozialökologischen Umbau. Das ist unser „Plan B“.
({2})
Über diesen diskutieren wir auch im Internet mit allen
Interessierten.
Zu einer sozialen Energiewende gehört unter anderem
ein Stromsockeltarif. Dieser besteht aus zwei Komponenten: aus einem Gratissockel von 300 Kilowattstunden pro Haushalt zuzüglich eines Gratissockels von
200 Kilowattstunden pro Person. Für eine vierköpfige
Familie macht das einen Gratissockel von 1 100 Kilowattstunden. Um diesen Gratissockel zu finanzieren,
wird der darüber hinausgehende Strom teurer. Davon
profitieren Haushalte, die weniger verbrauchen als der
Durchschnitt. Wer weniger verbraucht als der Durchschnitt, zahlt zukünftig deutlich weniger. Wer mehr verbraucht, zahlt deutlich mehr. Es gibt also einen Anreiz
zum Stromsparen.
Gleichzeitig hat dieses Modell eine soziale Dimension; denn wir wissen - laut Statistischem Bundesamt -,
dass mit steigendem Einkommen auch der Stromverbrauch steigt. Genau darum geht es uns. Wir wollen sozialen Ausgleich und Anreize zum Stromsparen zusammen denken; denn soziale und ökologische Komponenten
gehören immer zusammen gedacht und dürfen niemals
gegeneinander ausgespielt werden.
({3})
Außerdem schlagen wir eine Abwrackprämie für
stromfressende Kühlschränke und Waschmaschinen vor.
({4})
Ja, wer ein altes, stromfressendes Modell durch ein besonders stromsparendes ersetzen möchte, der soll von
der öffentlichen Hand einen Zuschuss in Höhe von
200 Euro bekommen. Ich freue mich sehr, dass die Grünen dieses Modell, das ich im Sommer vorgeschlagen
habe, übernommen haben.
({5})
So macht Cross-over Spaß.
Zudem will die Linke die wirklichen Ursachen für die
Strompreisexplosion angehen. Schwarz-Gelb behauptet,
die erneuerbaren Energien bzw. deren Förderung sei daran schuld. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
schlägt in dieselbe Kerbe und plakatiert flächendeckend:
Subventionen lassen Strompreise explodieren! EEG
- also das Erneuerbare-Energien-Gesetz - abschaffen!
Nur zum Hintergrund, für diejenigen, die diese Organisation noch nicht kennen: Hierbei handelt es sich um
eine Organisation, die von der Wirtschaft finanziert wird
und den Auftrag hat, die gesellschaftliche Stimmung im
Interesse der Wirtschaft zu beeinflussen. Hier wird uns
also ein sehr interessantes Schauspiel geboten: Wirt24108
schaftslobbyisten und Schwarz-Gelb entdecken ihre soziale Ader und ziehen in vermeintlich tiefer Sorge um
die Armen in diesem Land gegen die erneuerbaren Energien zu Felde. Wenn es diesen Kräften so wichtig ist, gegen Armut vorzugehen, dann frage ich mich, warum gerade sie alles, aber auch wirklich alles getan haben, um
einen Mindestlohn, der wirklich vor Armut schützt, zu
verhindern.
({6})
Wir sind also gut beraten, Ihr Deutungsmuster zu hinterfragen. Ist die Förderung des Bereichs der erneuerbaren Energien wirklich daran schuld? Wenn man sich die
Zahlen genau anschaut, entsteht ein ganz anderes Bild:
Die Förderung des Bereichs der erneuerbaren Energien
ist nur zu einem Drittel für den Preisanstieg verantwortlich. Das heißt, zwei Drittel, also der viel größere Teil,
gehen auf andere Ursachen zurück. Ich frage Sie, meine
Damen und Herren von Schwarz-Gelb: Warum verschweigen Sie diese Tatsache permanent? Ich meine, Ihnen geht es überhaupt nicht um die Energiearmut. Sie
wollen einfach nur die erneuerbaren Energien in Misskredit bringen, und das ist schäbig.
({7})
Es spricht sich inzwischen herum, dass in den
schwarz-gelben Hinterzimmern daran gearbeitet wird,
die Energiewende auszubremsen, womöglich den Atomausstieg sogar wieder rückgängig zu machen.
({8})
Das ist ein verheerendes Vorhaben; denn eine Energiewende ist, wenn sie sozial ausgewogen ist, finanzierbar.
Atomstrom aber kostet Leben!
({9})
Deswegen darf es nie wieder ein Zurück zum gesellschaftlichen russischen Roulette mit Atomstrom geben;
denn damit spielen wir mit unser aller Leben.
({10})
Zudem will Schwarz-Gelb vom eigentlichen Hauptverursacher ablenken, von den sprudelnden Gewinnen
der großen Stromkonzerne. Es ist schon auffällig: Während die Preise an der Strombörse sinken, steigen die
Preise für die Privathaushalte. Das muss mir einmal jemand erklären. Da gibt es eine Differenz, und diese Differenz stecken sich die Stromversorger in die Tasche.
Die Linke meint: Sprudelnde Gewinne der Stromkonzerne auf der einen Seite und wachsende Energiearmut
auf der anderen Seite - das ist nicht länger hinnehmbar.
Es muss Schluss sein mit dieser Preistreiberei. Deswegen brauchen wir endlich wieder eine funktionierende
Strompreisaufsicht.
({11})
Aber womöglich wollen Sie Ihren Kumpels von den
Stromkonzernen gar nicht so genau auf die Finger
schauen.
({12})
Halten wir fest: Die Hetze gegen erneuerbare Energien nützt wem? Der Atom- und Kohlelobby und den
großen Stromkonzernen. Sie nützt aber mitnichten den
Menschen, die von Stromsperren betroffen sind. Alles in
allem ist diese Debatte über steigende Strompreise und
erneuerbare Energien ein wunderbares Lehrstück; denn
hieran lässt sich ganz hervorragend beobachten, wie die
Herrschenden den Eindruck erwecken,
({13})
es ginge ihnen um die Armen in diesem Land. Dabei machen sie vor allen Dingen bloß eines: Sie machen das
Geschäft der Stromkonzerne. Das ist wirklich schäbig.
({14})
Grüne und SPD verteidigen nun das ErneuerbareEnergien-Gesetz. Ich finde, an dieser Stelle sollte man
einen Namen erwähnen. Ohne diesen Mann bzw. ohne
seinen beharrlichen Einsatz hätte es dieses Gesetz wahrscheinlich nie gegeben: Hermann Scheer, der Träger des
alternativen Nobelpreises, der vor zwei Jahren leider viel
zu früh verstorben ist.
({15})
Ja, das EEG ist zu Recht ein Exportschlager geworden. Allerdings hat Rot-Grün damals einen ganz zentralen Aspekt vernachlässigt: den sozialen Ausgleich. Sie
waren auf dem sozialen Auge leider blind. Diese Unterlassungssünde rächt sich jetzt; denn die Kohle- bzw.
Atomlobby nutzt jetzt die steigenden Strompreise, um
die erneuerbaren Energien schlechtzumachen. Gerade
wenn einem die Energiewende wichtig ist - ich bin wirklich eine leidenschaftliche Kämpferin für eine Energiewende hin zu erneuerbaren Energien und dezentraler
Stromerzeugung -, muss das Soziale mitgedacht werden.
Ökologische Fortschritte dürfen nie mit dem kollektiven
Frieren der Ärmsten erkauft werden. Genau deswegen
heißt es ganz klar: Die Energiewende muss sozial sein,
damit sie nicht scheitert. Dazu unterbreitet Ihnen die
Linke hier Vorschläge.
Vielen Dank.
({16})
Jetzt hat Thomas Bareiß das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Verehrte Frau Kipping, unter Ihrem Plan B, den
Sie gerade beschreiben, haben 15 Millionen Menschen
über vierzig Jahre lang in diesem Land schwer gelitten.
Das ist die Wahrheit.
({0})
Sozialismus war immer teurer für die Menschen. Auch
wenn bei Ihnen Hopfen und Malz verloren sind, auch
wenn Sie bei all dem Unglück und Leid, den der Sozialismus über das Land gebracht hat, immer noch an den
Sozialismus glauben, sage ich Ihnen:
({1})
Markt und Wettbewerb sind immer noch die besten Steuerungselemente, um neue Technologien anzureizen. Darauf setzen wir bei unserer Energiewende; denn darum
geht es.
({2})
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Nein. - Es geht um neue Technologien in unserem
Land. Es geht darum, wie wir Wachstum und Wohlstand
für unser Land generieren. Das ist der zentrale Bestandteil unseres Energiekonzepts. Ich verfolge jetzt die dritte
Debatte in dieser Woche zu diesem Thema. Ich frage
mich manchmal, ob Rot-Grün unser Energiekonzept
überhaupt jemals gelesen und gesehen hat, was alles darin steht.
({0})
Es gab unter Ihrer Ägide in sieben Jahren Rot-Grün
kein Energiekonzept. Wir haben nicht nur wie Sie ausschließlich den Ausstieg organisiert, sondern wir haben
auch den Einstieg in erneuerbare Energien, in Energieeffizienz und in Kraft-Wärme-Kopplung organisiert. Diese
Punkte gehen wir Stück für Stück an, nachdem Sie sieben Jahre lang nichts gemacht haben.
({1})
Das Problem, das wir jetzt haben, beruht darauf, dass Sie
nichts gemacht haben. Dafür müssen wir jetzt teuer zahlen. Wir müssen die Energiewende umso schneller gestalten und die Energieeffizienz steigern.
Ich will in meinem Beitrag auf den Fragenkatalog der
SPD eingehen: 14 Seiten, 137 Fragen, großer Respekt.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass Sie die Exekutive durch Ihre Fragen lahmlegen und die Beamten vor
neue Herausforderungen stellen wollen. Aber auch damit können wir umgehen.
({2})
- Wenn Sie das Energiekonzept lesen würden, würden
sich Ihnen viele Fragen beantworten.
({3})
- Das Konzept, das wir vor einem Jahr vorgelegt haben,
Herr Heil.
({4})
Herr Kollege, möchten Sie jetzt eine Zwischenfrage
zulassen?
Nein.
({0})
Mein erster Eindruck war, dass die Fragen in einem
sozialistischen Zentralbüro gestellt werden. Lieber Herr
Kelber, Sie fragen, wie sich die Energiepreise in den
nächsten Jahren entwickeln werden. Sie wollen wissen,
wie sich der CO2-Preis im Emissionshandel in den
nächsten Jahren entwickeln wird. Sie wollen wissen, was
das Betreiben von Kraftwerken kosten wird und wie sich
die Rohstoffpreise entwickeln werden. Sie haben Fragen
zur Entwicklung der Volllaststunden in den nächsten
Jahren.
Auch hier sage ich: Im Energiebereich wird es in den
nächsten Jahren Markt und Wettbewerb geben müssen.
Wir brauchen eher mehr Markt, als wir derzeit haben.
Wir können nicht alles am Reißbrett planen, wie Sie sich
das vorstellen. Wir brauchen jetzt Zeit. Die Energiewende ist ein Marathonlauf, der die nächsten 30, 40 Jahre
lang andauern wird. Wir haben erst 2 oder 3 Kilometer
hinter uns. Wir können heute noch nicht sagen, welche
Technologiesprünge es in den nächsten Jahren geben
wird und wo wir die Wachstums- und Wohlstandsimpulse, die wir brauchen, erzielen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben
in Ihren Fragen den Emissionshandel angesprochen. Sie
bemängeln, dass hierfür kein funktionierendes Marktinstrument geschaffen wurde. Entgegen dem, was Sie
behaupten, bestimmen Angebot und Nachfrage den
CO2-Preis. Der geringe CO2-Preis hat nachvollziehbare
Gründe:
Erstens wurde in den letzten Jahren erheblich weniger
CO2 emittiert. Industrie und Verkehr haben ihre Emissionen Stück für Stück reduziert. Wir wollten die Nachfrage
und damit auch den Preis reduzieren.
Zweitens - das müssen wir eingestehen; das ist ein
Problem, das wir noch aus rot-grünen Zeiten mit uns herumschleppen -: Die Grundpfeiler des Emissionshandels
und des EEG passen nicht zusammen. Deshalb müssen
wir uns auch in den nächsten Jahren überlegen, wie wir
diese beiden Pfeiler zusammenbekommen, um eine einzige Strategie zu entwickeln und nicht zwei verschiedene Strategien zu verfolgen.
({1})
Wenn Sie in Frage 53 Ihrer Großen Anfrage unterstellen, dass der Emissionshandel nicht funktioniert, wenn
Sie schreiben, wir bräuchten einen Preis von mehr als
25 Euro je CO2-Tonne, dann entgegne ich Ihnen: Man
kann die Spielregeln des Marktes nicht außer Kraft setzen, auch wenn man sich dies wünscht. Wir setzen auf
den Markt und treiben damit die Energiewende und die
CO2-Reduktion voran.
({2})
Kein Land hat ein so hohes CO2-Reduktionsziel wie
wir. Ich glaube, auch das muss man heute wieder einmal
sagen.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
aber auch gerne auf andere Fragen eingehen. Beispielsweise behandeln Sie in Ihrer Frage 4 die EEG-Umlage.
Da schreiben Sie:
Welche Maßnahmen hat sie
- die Bundesregierung zur Begrenzung der Umlagenhöhe ergriffen, und
welche Effekte ergeben sich aus diesen Maßnahmen für den Aufwuchs der erneuerbaren Energien?
Die bessere Frage wäre vielleicht gewesen, warum
Sie uns daran gehindert haben und warum Sie versucht
haben, das entsprechend zu unterbinden. Wir haben mit
dem Abbau der rot-grünen Überforderung nämlich Ernst
gemacht. Den Förderbauch der Solarbranche beispielsweise, der aus Ihrer Zeit kommt, müssen wir jetzt vor
uns herschieben.
({4})
Diesen Bauch, der von Herrn Kelber und Herrn Gabriel
kommt, schieben wir, wie gesagt, vor uns her, und er belastet die Verbraucher in besonderer Weise.
Sie behaupten heute noch, die Sonne schicke uns
keine Rechnung. Aber das Gegenteil ist der Fall.
({5})
Auch hier müssen wir uns die Zahlen genau anschauen.
Der Verbraucher zahlt im kommenden Jahr 5,2 Cent je
Kilowattstunde Umlage.
({6})
- Herr Fell, hören Sie ruhig zu. - Davon kommen
2,2 Cent je Kilowattstunde aus der Photovoltaik, also
aus der Solarbranche.
({7})
Dabei bekommen wir gerade einmal 3 Prozent unseres
Stroms aus der Solarbranche. Das zeigt, dass hier eine
unglaubliche Fehlsteuerung vorhanden ist, die wir in den
letzten Monaten Stück für Stück gegen Ihren Widerstand
abgebaut haben.
({8})
Wir haben den sogenannten atmenden Deckel eingeführt,
({9})
haben versucht, einen Korridor für die nächsten Jahre zu
definieren.
({10})
- Jetzt hören Sie einmal zu, Herr Fell. Sie können noch
etwas lernen. - Wir haben die Vergütung der Solarbranche bis zum Jahr 2012 erheblich heruntergefahren. Sie
betrug im Jahr 2000, also in Ihrer Zeit, noch 50 Cent je
Kilowattstunde und im Jahr 2009 noch 43 Cent je Kilowattstunde. Sie haben also in neun Jahren gerade einmal
eine Reduktion um 7 Cent je Kilowattstunde geschafft,
während wir in nur drei Jahren eine Reduktion auf
19,5 Cent je Kilowattstunde erreicht haben. Das zeigt,
dass wir Schritt für Schritt vorangehen und die Solarbranche auch wirklich marktfähig machen. Damit entlasten wir den Verbraucher massiv. Bei der Freifläche gehen wir sogar herunter auf 13,5 Cent je Kilowattstunde,
und zwar immer gegen Ihren entschiedenen Widerstand.
({11})
Wir haben dank Peter Altmaier einen Fördervolumendeckel eingeführt und haben gesagt: Ab 52 Gigawatt
werden wir keine weiteren Subventionen mehr gewähren. Dann ist die Solarbranche marktfähig und kann sich
dem Wettbewerb stellen. Auch das geht in die richtige
Richtung. Im Rahmen des Marktintegrationsmodells beginnen wir ebenfalls damit, die erneuerbaren Energien
Stück für Stück in den Markt zu bringen. Das ist der
richtige Weg, den wir konsequent beschreiten werden.
All diese Maßnahmen - ich habe es schon gesagt wurden von der Opposition massiv bekämpft. Das hat
dazu geführt, dass der Zubau der Solarpellets sich ganz
vernünftig entwickelt. Im letzten Jahr hatten wir noch
1 800 Megawatt Zubau monatlich; jetzt sind wir bei
540 Megawatt. Das ist ein Maß, das verkraftbar ist und
in die richtige Richtung weist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
noch einige Sätze zum Thema EEG-Ausnahmen sagen
- damit haben Sie ja ein großes Problem; wir haben in
dieser Woche schon viel darüber gesprochen -: Mit der
Neuregelung des EEG sorgen wir dafür, dass nur für Unternehmen des produzierenden Gewerbes Ausnahmeregelungen vorgesehen werden.
({12})
All die Ausnahmeregelungen, die es noch während Ihrer
Regierungszeit gab - Sie haben sie genannt; es gab unter
anderem Ausnahmen für Imbissbuden und Golfplätze -,
haben wir gestrichen. In Zukunft ist die Befreiung von
der EEG-Umlage nur noch für Unternehmen des produzierenden Gewerbes möglich. Auch diese Maßnahme
zielt in die richtige Richtung.
({13})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt viele
weitere Fragen, die ich jetzt beantworten könnte. Ein
wichtiger Aspekt sind die Ausnahmen für die energieintensive Industrie. Sie behaupten, dass die großen Unternehmen von der EEG-Umlage komplett befreit werden. Ich sage Ihnen: ThyssenKrupp zahlt in diesem Jahr
rund 4 500 Euro EEG-Umlage pro Arbeitsplatz, lieber
Herr Fell.
({14})
4 500 Euro pro Arbeitsplatz! Wenn ThyssenKrupp die
volle EEG-Umlage zahlen müsste, wären es 20 000 Euro
je Arbeitsplatz.
({15})
Das würde den Industriestandort Deutschland gefährden.
Ich kämpfe gerne für die 5,7 Millionen Menschen, die in
der Industrie beschäftigt sind. Die Industrie wird nämlich auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands leisten.
({16})
Deshalb ist die Befreiung von der EEG-Umlage für die
Industrie enorm wichtig.
({17})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre eigentlich noch viel zu sagen, zum Beispiel zu den Themen Energieeffizienz und Kraft-Wärme-Kopplung.
Wir haben ein in sich schlüssiges Energiekonzept. Ich
fordere Sie noch einmal auf: Lesen Sie unser Energiekonzept! Dann könnten wir uns die eine oder andere Debatte im Deutschen Bundestag ersparen. Wir sollten dieses große Projekt, bei dem es um ein Mehr an Wohlstand
und Wachstum geht, gemeinsam und konstruktiv angehen.
({18})
Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Akzeptanz der
Menschen für dieses Projekt nicht verlieren. Ich finde,
dass Sie an diesem Projekt engagiert mitwirken sollten.
Ich fordere Sie noch einmal auf - wie immer -: Machen
Sie mit!
Herzlichen Dank.
({19})
Jetzt erteile ich Hubertus Heil das Wort für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Sehr geehrter Herr Bareiß, Sie sind ja schon
richtig im Oppositionsmodus. Sie beklagen eine Situation, obwohl Sie noch an der Regierung sind. In gewisser
Weise kann ich das verstehen. Angesichts des Zickzackkurses Ihrer Bundeskanzlerin in der Energiepolitik der
letzten vier Jahre ist es selbst für ausgewiesene Energiepolitiker ganz schön schwer, dem zu folgen.
({0})
Wir erinnern uns: Wir haben in den letzten vier Jahren
in der Energiepolitik drei Bundeskanzlerinnen Merkel
erlebt.
({1})
Zunächst war da die Klimakanzlerin, die von Gipfel zu
Gipfel geeilt ist und ehrgeizige Klimaschutzziele verkündet hat. Das haben wir gut gefunden; wir waren ja
damals in der Großen Koalition. Nach der Finanzkrise
und nach dem Regierungswechsel zu Schwarz-Gelb war
Frau Merkel die Laufzeitenverlängerungskanzlerin. Ein
halbes Jahr später, nach Fukushima, war sie dann die
Ausstiegskanzlerin.
({2})
Meine Damen und Herren, die Pirouetten, die Sie in
den letzten vier Jahren gedreht haben,
({3})
haben in der Energiewirtschaft dafür gesorgt, dass es
keine Planungs- und Investitionssicherheit mehr gibt.
Nicht die Energiewende ist das Problem. Vielmehr treibt
das grottenschlechte Management der Energiewende
Hubertus Heil ({4})
durch diese Bundesregierung die Preise von Strom und
Energie nach oben.
({5})
Ich will Ihnen eines sagen, Herr Bareiß - das kommt
in Ihren Reden nämlich gar nicht mehr vor -: Als jemand, der sich als Industriepolitiker versteht, bin ich
nach wie vor der festen Überzeugung, dass die Energiewende eine Riesenchance für die Industrienation Bundesrepublik Deutschland ist.
({6})
In einer Welt mit Energiehunger, aufstrebenden Ländern
und Bevölkerungswachstum haben Deutschland und
Europa die Chance, Ausrüster der Welt zu sein, wenn es
um moderne erneuerbare Energien und Energieeffizienztechnik geht. Wenn wir es gut machen, gilt das übrigens
auch hinsichtlich der Frage, wie man eine Energiewende
intelligent managt.
Nur, meine Damen und Herren, genau das ist das Problem. Sie haben gerade gesagt, wir sollten Ihr Energiekonzept lesen. Ich frage Sie: Welches Energiekonzept?
Meinen Sie das Energiekonzept, von dem Herr Altmaier
gestern in einer Talkshow behauptet hat, es gebe es gar
nicht?
({7})
Herr Altmaier hat gestern bei Herrn Beckmann beklagt,
dass es, als er ins Amt kam, keine entsprechenden Pläne
gegeben habe. Das war ja wohl eine Kritik an Herrn
Röttgen, wenn ich das richtig verstanden habe. Wenn ich
mir vor Augen führe, wie widersprüchlich die Aussagen
von Herrn Rösler und Herrn Altmaier sind, schwant mir
Schlimmes. Das ist leider nicht besser, als es bei Röttgen
und Rösler war.
Diese Koalition hat nicht die Kraft, die Energiewende
umzusetzen. Die Koalitionäre blockieren sich gegenseitig. Das treibt die Preise für Verbraucher und Wirtschaft
in diesem Land nach oben. Sie haben auf die wesentlichen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Energiewende stellen, keine schlüssigen Konzepte und Antworten. Ihnen geht es nur noch darum, den Schwarzen
Peter für Ihr Versagen anderen in die Schuhe zu schieben.
Jetzt sage ich Ihnen einmal, worum es im Einzelnen
geht. Wir haben eine extremistische Diskussion über das
EEG auf der einen Seite und über Ausnahmen für energieintensive Betriebe auf der anderen Seite. Wir haben
auf der einen Seite einen Bundeswirtschaftsminister, der
so tut, als sei das EEG der Untergang des Abendlandes,
und wir haben auf der anderen Seite politische Kräfte in
diesem Land, die sagen: Alle Ausnahmen für die energieintensiven Betriebe müssen weg. Das ist nicht unsere
Position.
({8})
Wir wollen natürlich, dass Vorstellungen von einem
zukünftigen Strommarktdesign, die Sie nicht haben, umgesetzt werden. Wir wollen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht gebremst, sondern vorangetrieben wird und dass er mit dem Netzausbau in diesem
Land stärker synchronisiert wird.
({9})
Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Es geht schon darum,
eine Vorstellung vom Strommarktdesign der Zukunft,
die Sie nicht haben, zu entwickeln. Das schaffen Peter
Altmaier und Philipp Rösler aber offensichtlich nicht.
Herr Bareiß, Sie haben damals mit Herrn zu
Guttenberg und Herrn Glos in der Großen Koalition
beim Unbundling verhindert, dass es eine Deutsche
Netz AG geben kann. Das rächt sich jetzt beim Ausbau
der Leitungen bitterlich, weil die notwendige Investitionskraft nicht da ist. Sie müssen sich schon zuschreiben lassen, dass Sie keine Ideen dafür haben, wie man
Energieeffizienz in diesem Land wirklich voranbringen
kann. Sie haben keine Vorstellung davon, wie wir Versorgungssicherheit außerhalb der planwirtschaftlichen
Notinstrumente, die Sie diesen Winter einführen müssen, langfristig sichern können.
Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Wir wollen das
Erneuerbare-Energien-Gesetz vernünftig weiterentwickeln und Stück für Stück dafür sorgen, dass die Erneuerbaren als stabiler Teil der Energieversorgung auch
marktfähiger werden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz
ist kein Fehler gewesen, sondern es hat dafür gesorgt,
dass wir mittlerweile bei einem Anteil der erneuerbaren
Energien von 25 Prozent angelangt sind.
({10})
Es gibt politische Kräfte, die alle Ausnahmen für die
energieintensiven Betriebe „weghauen“ wollen. Ich sage
Ihnen: Sie tragen die Verantwortung dafür, dass die notwendigen Ausnahmen für energieintensive Betriebe in
diesem Land so diskreditiert wurden, weil Sie diese Ausnahmen ohne Sinn und Verstand ausgeweitet haben. Das
ist die Wahrheit.
({11})
Es war die rot-grüne Regierung, die zu Recht dafür
gesorgt hat, dass Unternehmen, die im internationalen
Wettbewerb stehen, an dieser Stelle nicht über Gebühr
belastet werden. Es ist nämlich ganz klar, dass wir eine
Industrienation sind und bleiben wollen. Aber Sie haben
ausgeweitet.
({12})
Hubertus Heil ({13})
Herr Altmaier sagt jetzt, er sei gerne bereit, über diese
Ausnahmen noch einmal zu reden. Selbst Philipp Rösler
und Herr Bareiß stellen sich hin und sagen: Alles in Ordnung. Das passt bei Ihnen vorne und hinten nicht.
({14})
Ich sage an dieser Stelle: Wir wollen eine saubere,
eine sichere und eine bezahlbare Energieversorgung für
die Wirtschaft und die Verbraucher in diesem Land. Es
macht uns keiner etwas vor. Natürlich ist die Energiewende eine Riesenherausforderung. Aber die Tatsache,
dass Sie keinen Masterplan haben,
({15})
führt dazu, dass 16 Bundesländer eigene Energiekonzepte haben, die an dieser Stelle zum Teil nicht zusammenpassen; es fehlt nämlich eine politische Führung.
Die Tatsache, dass sich das Wirtschafts- und das Umweltministerium gegenseitig blockieren und das Bundeskanzleramt tatenlos zuguckt, ist das eigentliche Problem
für die Umsetzung der Energiewende.
({16})
Herr Kollege Heil, Herr Lindner würde Ihnen gerne
eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das zulassen?
Ach, der Herr Lindner. Gerne! Bitte schön. - Ich vermisse übrigens den anderen Lindner, wenn ich Sie sehe.
({0})
Sie bekommen noch mehr Lindner, als Ihnen in der
SPD guttun wird; das kann ich Ihnen sagen.
({0})
Lieber Herr Heil, ich möchte Ihnen durch eine leichte
Verlängerung Ihrer Redezeit einfach die Gelegenheit geben, nun einmal selber eine Antwort zu geben.
Sie behaupten, auch ökonomisch „unterwegs“ zu
sein. Wir wissen, dass es eigentlich immer nur zwei
Möglichkeiten gibt, nämlich entweder die Ausgaben zu
kürzen oder die Einnahmen zu erhöhen.
({1})
Sie sagen jetzt hier, dass Sie auf der einen Seite den Zubau erneuerbarer Energien sogar noch verstärken möchten. Auf der anderen Seite beklagen Sie, dass wir gerade
für mittelständische Unternehmen Ausnahmen haben,
damit sie ihren Industriestandort hier erhalten können.
Sagen Sie mir einmal, wer die Rechnung für den weiteren Ausbau regenerativer Energien bezahlen soll. Auf
der einen Seite beklagen Sie hier die Ausnahmen für die
Industrie, und auf der anderen Seite wollen Sie weiter
ausbauen. Was gilt denn nun eigentlich, Herr Heil? Wer
soll die Rechnung bezahlen?
({2})
Setzen Sie sich doch einmal mit der IG Metall auseinander, die uns schreibt.
Ja, sicher.
Nein, das tun Sie nicht. - Sie hat natürlich Sorge um
die Arbeitsplätze der Menschen, die in diesen Betrieben
arbeiten. Erklären Sie uns doch einmal, wer diese Rechnung aus Ihrer Sicht bezahlen soll.
({0})
Gerne, Herr Lindner. - Bleiben Sie bitte stehen, damit
ich Ihnen antworten kann. - Ich danke Ihnen für diese
Gelegenheit.
Ich habe eben davon gesprochen, dass mir zwei extremistische Debatten wirklich gegen den Strich gehen,
weil sie mit der Sache nicht viel zu tun haben. Sie können mir glauben: Ich habe einen Wahlkreis mit energieintensiven Unternehmen. In meiner Heimatstadt
Peine gibt es ein Elektrostahlwerk, das im internationalen Wettbewerb steht. Für solche Unternehmen sind
diese Ausnahmen zu Recht gedacht. Aber es ist nicht in
Ordnung, dass Sie ohne Sinn und Verstand die Zahl der
Ausnahmen auf Unternehmen ausgeweitet haben, die
nicht im internationalen Wettbewerb stehen,
({0})
und dem Rest der Verbraucher dann die steigenden EEGUmlagekosten aufgebürdet haben.
({1})
Ich sage Ihnen: Ich bin für Ausnahmen für energieintensive Unternehmen, weil wir deren Arbeitsplätze
wirklich brauchen. Wir brauchen die ganze Wertschöpfungskette, angefangen bei der Grundstoffindustrie über
die kleinen und mittleren Unternehmen bis zu den Hightechschmieden. Aber die Ausweitung der Ausnahmen
führt dazu, dass andere die Lasten schultern müssen.
Ein anderer Punkt. Wir haben uns doch auf den
Atomausstieg verständigt. Zumindest hoffe ich, dass
diese Einigung noch steht. Bei Ihnen weiß ich das nicht
so genau. Sie trauern der Atomkraft manchmal vielleicht
noch hinterher.
({2})
Hubertus Heil ({3})
- Gut, dass Sie das an dieser Stelle einmal zugeben.
Aber Sie haben mit zugestimmt, dass wir in einem relativ knappen Zeitraum aus der Atomkraft aussteigen.
Vielleicht stellen Sie es auch wieder infrage. Das kann ja
sein. Ich weiß es nicht, Herr Lindner.
({4})
Gleichzeitig haben Sie sich auf sehr ehrgeizige Klimaschutzziele verständigt. Das ist eine doppelte Energiewende, die Sie im Hinblick auf die Ziele mit unterschrieben haben.
Es behauptet niemand, dass diese Herausforderung
einfach zu bewältigen ist. Aber wir haben 2000 damit
begonnen, den Umbau in der Energieversorgung zu vollziehen. Sie haben an diesem Punkt erst eine Rolle rückwärts gemacht.
({5})
Jetzt wird es mit der Umsetzung zeitlich knapp. Wenn
man soziale und ökonomische Belange im Kopf hat,
dann muss man sich nicht darum kümmern, die Energiewende schlechtzureden, sondern man muss sich darum
kümmern, sie besser zu machen, als Sie es vorhaben,
und die Lasten gerecht zu verteilen.
Frau Merkel hat an einem Punkt vollkommen recht
- Zitat -: Die Energiewende gibt es nicht zum Nulltarif. Das werden auch Sie nicht bestreiten. Machen Sie sich
Gedanken darüber, dass die Energiewende gut und effizient umgesetzt wird und die Lasten gerecht verteilt werden.
({6})
Das ist die Aufgabe, vor der Sie stehen.
({7})
Was Sie machen, ist doch ein Schwarzer-Peter-Spiel. Sie
sind noch an der Regierung; das wird nächstes Jahr Gott
sei Dank vorbei sein. Setzen Sie sich einmal durch und
machen Sie eine vernünftige Energiepolitik.
Sie und die CDU/CSU beschimpfen sich gegenseitig:
Herr Altmaier gegen Herrn Rösler. Herr Altmaier macht einen Vorschlag, angeblich einen Verfahrensvorschlag - das
ist nicht einmal ein Konzept, etwas, was in Ihren Reihen
nicht einmal mehrheitsfähig ist -, und Herr Rösler widerspricht. Dabei geht es auch um Profilbildung einer
schwächelnden FDP vor den Landtagswahlen in Niedersachsen und der Bundestagswahl. Ihnen geht es um die
FDP und nicht um eine vernünftige Energiepolitik, Herr
Lindner. Genau das scheint das Problem zu sein.
({8})
Herr Lindner, das ist eine große Herausforderung.
Das ist eine ganz anstrengende Aufgabe. Auch in unserer Regierungszeit - das sage ich deutlich - gab es unterschiedliche Auffassungen zwischen Wirtschafts- und
Umweltministerium. Es ist ganz legitim, dass es verschiedene Ressortinteressen und unterschiedliche Herangehensweisen gibt. Der Unterschied ist nur: Es gab damals zwischen Werner Müller und Jürgen Trittin zwar
nicht jeden Tag eitel Sonnenschein, aber am Ende des
Tages sind sie zu gemeinsamen Lösungen gekommen,
weil beispielsweise Frank-Walter Steinmeier im Bundeskanzleramt dafür gesorgt hat. Wo sind eigentlich Herr
Pofalla und Frau Merkel in dieser Debatte? Sie schauen
tatenlos zu, wie diese Jungs die Energiewende vergeigen. Das treibt die Kosten in die Höhe.
({9})
Wir wollen einen Masterplan für die Energiewende in
diesem Land. Wir wollen dafür sorgen, dass Bund, Länder und Kommunen an einem Strang ziehen und nicht
auseinanderdriften. Auch zwischen den Bundesländern
gibt es sehr unterschiedliche Interessen.
({10})
Das ist legitim. Aber für eine Energiepolitik aus einem
Guss, für eine gelungene Energiewende brauchen wir einen nationalen Masterplan.
Sie reden so, als seien Sie gar nicht in der Regierung.
({11})
Ich sage Ihnen: Das wird nächstes Jahr der Fall sein.
Energiewendeversager wie Röttgen, Rösler, Altmaier
und Merkel
({12})
kann das Industrieland Bundesrepublik Deutschland und
können auch die Verbraucherinnen und Verbraucher in
diesem Land nicht weiter gebrauchen.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat der Kollege Klaus Breil für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Heil, bitte beachten Sie bei Ihren
Schimpfkanonaden einfach einmal, dass wir erst die
überbordenden Kosten für die Förderung der Erneuerbaren auffangen und in den Griff bekommen mussten, Kosten, für die Rot-Grün die Grundsteine gelegt hat.
({0})
Verwechseln Sie als Wirtschaftsexperte - ich nehme an,
dass Sie diesen Anspruch erheben ({1})
nicht Anträge und ergangene Bescheide.
Anfang 2010, in einer meiner ersten Reden zum
Thema Energie vor diesem Hohen Haus, war es mein
zentrales Anliegen, Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
über die mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz verbundenen Kosten aufzuklären. Damals ging es um 8,2 Milliarden Euro. Ich warnte vor einem Anstieg auf 10 Milliarden Euro für das darauffolgende Jahr 2011. Heute, im
Jahr 2012, sprechen wir über eine andere Zahl. Wir sprechen davon, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher
im kommenden Jahr für die Förderung erneuerbarer
Energien fast das Doppelte, nämlich rund 20 Milliarden
Euro, zahlen müssen. Damit ist die Schmerzgrenze deutlich überschritten.
({2})
Daher muss es in den kommenden Wochen darum gehen, durch entschiedenes Handeln weitere Belastungen
erstens für die Verbraucher und zweitens für die Industrie bzw. die Wirtschaft in Deutschland zu verhindern.
Meine Damen und Herren, bloße Verfahrensschritte
bringen uns an dieser Stelle nicht weiter. Wenn wir bis
Mai nächsten Jahres nur diskutieren, schaffen wir in dieser Legislaturperiode keine Gesetzesänderung mehr. Wir
Liberalen haben daher als kurzfristige und konkrete
Maßnahme vorgeschlagen, die Stromsteuer so schnell
wie möglich anzupassen, und zwar mindestens um die
Höhe der Mehrwertsteuer, die auf den Betrag der Erhöhung der Umlage gezahlt werden muss. Noch besser
wäre es natürlich, die Stromsteuer um die gesamte
Mehrwertsteuer zu ermäßigen. Der Staat darf sich nicht
auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher an der
Umlagenerhöhung bereichern. In der Wirtschaft nennt
man so etwas Windfall Profits.
({3})
Für wen dieser Betrag pro Haushalt und Monat nur
ein kleiner Fisch ist und wer diese Entlastung um immerhin rund 500 Millionen Euro mit dem Argument abtut, es sei nicht gerecht, der nimmt die Sache nicht ernst.
Wer uns an dieser Stelle die Zustimmung verweigert,
soll den Verbraucherinnen und Verbrauchern ins Gesicht
sagen: Stellt euch 2013 und 2014 weiter auf steigende
Stromkosten ein. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Wenn
wir nicht bald handeln, erreichen wir eine wirksame Gesetzesänderung erst Mitte 2014. Das ist schlichtweg zu
spät.
Lassen Sie mich noch einen zweiten Punkt ansprechen, der schon in der Aktuellen Stunde am Mittwoch
diskutiert wurde: Das sind die Ausnahmen für unsere im
internationalen Wettbewerb stehende Industrie. In ihrem
Antrag sprechen die Grünen von den gesamten Entlastungen für die Industrie und nicht von jenen im Rahmen
des EEG. Im Rahmen des EEG nämlich machen die Entlastungen der besonderen Ausgleichsregelung rund ein
Fünftel der Umlage bzw. rund 1 Euro-Cent aus; das entspricht 2,5 Milliarden Euro. Diese Summe ist nur die
Hälfte dessen, was die Bundesnetzagentur schon heute
für 2012 als Zulagen allein für die hinzugekommenen
neuen Anlagen der Photovoltaik errechnet hat, nämlich
5 Milliarden Euro.
Dabei sichern die energieintensiven Industrien, deren
Entlastung 2,5 Milliarden Euro kosten wird, über
850 000 Arbeitsplätze am Industriestandort. Mit Multiplikatorwirkung bedeutet es - das ist für Sie vielleicht
neu - sicherlich weit über 2 Millionen Arbeitsplätze.
2,5 Milliarden Euro für 850 000 Arbeitsplätze. 7 Milliarden Euro plus wahrscheinlich 5 Milliarden Euro für weniger als 100 000 Arbeitsplätze aktuell. Meine Damen
und Herren der Opposition - insbesondere möchte ich
Herrn Heil als gerade selbsternannten Industriepolitiker
ansprechen; hören Sie gut zu -, bitte, nehmen Sie sich
am Wochenende ein paar Minuten Zeit und lassen Sie
dieses Verhältnis auf sich einwirken.
Danke.
({4})
Hans-Josef Fell hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Energiepreise steigen wegen der erneuerbaren Energien. - So lauteten die Schlagzeilen vieler Medien in den letzten Tagen und Wochen. Schuld sei die
EEG-Umlage. Besonnene Kommentare und differenzierte Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung, der
Zeit oder in der Financial Times Deutschland gehen unter in der von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft organisierten Hetzkampagne gegen die erneuerbaren Energien, die Sie von Schwarz-Gelb auch noch
unterstützen. Doch damit werden Sie nicht durchkommen.
({0})
Schauen wir uns die Energiewelt doch ein bisschen
genauer an, meine Damen und Herren von Union und
FDP. Trotz aller Erfolge des Ausbaus der erneuerbaren
Energien wird die Energie immer noch von den klimaschädlichen fossilen Rohstoffen Erdöl, Erdgas und
Kohle plus ein wenig Atomkraft dominiert. Sie behaupten vielfach, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien
teuer sei, was im Umkehrschluss bedeuten müsste, dass
die Beibehaltung der konventionellen Energien weniger
teuer sei. Genau das aber ist Ihr Trugschluss.
Betrachten wir die makroökonomische Ebene, so
wird exakt das Gegenteil klar. Die fossilen Energien sind
heute schon viel zu teuer, sie destabilisieren unsere Wirtschaft und gefährden unseren Wohlstand. Die Europäische Union ist in besonderem Maße abhängig vom Import fossiler Rohstoffe. So betrug im letzten Jahr die
europäische Importrechnung für Erdöl, Erdgas und
Kohle über 400 Milliarden Euro. Wenn man nun weiß,
dass die EU der 27 ein Außenhandelsdefizit von
120 Milliarden Euro hat, so wird klar, dass die europäische Wirtschafts- und die Euro-Krise auch mit den immer teureren Energieimporten zusammenhängen.
({1})
Das treibt die Staatsverschuldung und die Wirtschaftskrise voran, das steckt hinter der Massenarbeitslosigkeit
in vielen europäischen Ländern, und das ist auch die
Hauptursache für Armut vieler Menschen, die sich schon
heute nicht mehr die Güter für den täglichen Bedarf sowie Energie in ausreichendem Maße leisten können.
Schon jetzt rächt sich, dass Europa in der Vergangenheit nicht auf erneuerbare Energien umgestiegen ist und
das Thema Energieeinsparung sträflich vernachlässigt
hat. Denn genau das sind die Strategien, um unsere
Volkswirtschaften vor der Bedrohung durch die inzwischen kaum mehr bezahlbaren Energieimporte zu erlösen. In der vor gut zwei Jahren aufgelegten Sicherheitsanalyse der Bundeswehr zu Peak Oil hätten Sie das
längst nachlesen können; doch Sie ignorieren konsequent die Zusammenhänge. In Ihren Energiedebatten
kommt dieser Zusammenhang nie vor. Sie versäumen es
damit vollständig, diesen großen Zusammenhang in den
Mittelpunkt zu stellen.
({2})
Dabei würde der konsequente Umstieg auf erneuerbare
Energien im Zuge der Energiewende Deutschland bis
2050 um etwa 570 Milliarden Euro entlasten.
({3})
- Die können Sie nachlesen in
({4})
der Leitstudie des BMU. Sie können das dort in den Studien nachlesen.
({5})
Aber das Schlimmste ist, dass ausgerechnet Sie die
erneuerbaren Energien immer noch kampagnenartig als
Energiepreistreiber diffamieren
({6})
und so eine Lösung verhindern. Sie versuchen permanent, der Bevölkerung einzureden, dass die erneuerbaren
Energien zu teuer seien.
({7})
Schauen wir uns doch einmal die Energiepreise, die
die Privathaushalte zahlen müssen, etwas differenzierter
an. Gemäß einer kürzlich im Landeskabinett SchleswigHolstein vorgestellten Analyse stiegen die Heizölpreise
von 1998 bis 2012 um fast 300 Prozent, die Erdgaspreise
um über 100 Prozent, die Strompreise dagegen nur um
50 Prozent. Selbst die Spritpreise sind wesentlich stärker
gestiegen als die Strompreise. Sie aber reiten nur auf der
Höhe der Strompreise herum und übersehen dabei völlig
den sozialen Sprengstoff, der sich aus den übrigen, wesentlich höheren Energiepreisen ergibt. Das belastet unsere Haushalte schon heute massiv.
({8})
Der Strompreis steigt weniger wegen des Ausbaus der
erneuerbaren Energien, sondern vielmehr wegen des Anstiegs der Preise für fossile Rohstoffe, wegen der hohen
Gewinne der Konzerne und vor allem wegen Ihrer immensen Fehler, die Sie von Schwarz-Gelb in jede EEGNovelle eingebaut haben. Das haben wir gestern ausführlich diskutiert. Sie konnten nichts dagegensetzen.
Wenn wir gerade einkommensschwache Haushalte
vor steigenden Energiepreisen schützen wollen, müssen
wir alles tun, um sie sehr schnell durch Energiesparmaßnahmen zu unterstützen. Damit beschleunigen wir auch
den Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie von
Schwarz-Gelb tun gerade das völlige Gegenteil, indem
sie die Begrenzung des Ausbaus erneuerbarer Energien
durchsetzen wollen. Sie schalten Windkraftanlagen ab,
wenn zu viel Windstrom im Netz ist, und wollen sogar
den weiteren Ausbau der Windkraft begrenzen. Machen
wir es doch lieber wie die Dänen, die bei fast kostenlosem überschüssigem Windstrom Windkraftanlagen nicht
abschalten, sondern diesen Strom in Nah- und Fernwärmenetze geben, damit teures Erdöl und Erdgas ersetzt
werden.
({9})
So können wir Einkommensschwachen helfen, Heizkosten zu sparen, und gleichzeitig die erneuerbaren Energien ausbauen.
({10})
Durch die Umstellung auf erneuerbare Energien fallen natürlich Investitionskosten an, die aber sozial gerecht verteilt werden müssen.
Herr Fell.
In unserem heute vorgelegten Antrag werden Sie vieles finden. Mein Kollege Markus Kurth wird dieses noch
verdeutlichen.
Genau. - Herr Fell!
Frau Präsidentin, zum Schluss fordere ich Union und
FDP auf, unserem Antrag zuzustimmen und endlich die
Hetzkampagne gegen den Ausbau erneuerbarer Energien
zu beenden.
({0})
Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wir
diskutieren dieses Thema - immer ein bisschen unterschiedlich akzentuiert - nun zum dritten Mal in dieser
Sitzungswoche.
({0})
Wenn man etwas dreimal diskutiert, muss man sich natürlich schon fragen: Was bringt die Debatte?
({1})
Meiner Meinung nach bringt sie Folgendes: Ich glaube,
man kann nicht mehr leugnen, dass diese Energiewende
richtig Geld kostet
({2})
und dass die Union und die FDP recht hatten mit dem
Hinweis, dass das teuer wird.
({3})
Das muss man einmal in der Klarheit sagen. Das ist hier
nicht einmal von der Linken bestritten worden;
({4})
denn man müsste keine Verteilungsdiskussionen führen,
wenn man nicht genau wüsste, dass diese ganze Geschichte teuer wird.
Nun wäre es richtig und angemessen, man würde sich
an dieser Stelle darüber unterhalten, was man tun kann,
damit es nicht zu teuer wird, statt Verteilungskämpfe und
Schwarzer-Peter-Diskussionen - das Wort hat der Kollege Heil vorhin gebraucht - zu führen und sich zu überlegen, wer denn an der ganzen Misere schuld sein
könnte. Ich sage Ihnen ganz offen: Mich ärgert es, dass
man das nicht tut; denn ich glaube, es wäre schon notwendig, dass wir hier Lösungen präsentieren und nicht
ständig dieselbe problemorientierte Debatte führen.
Herr Nüßlein, auch das ist wie gestern: Herr Lenkert
würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Okay, wunderbar.
Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Nüßlein, Sie sind ja nun in einer Partei, die die Marktwirtschaft fordert und fördert.
({0})
Nach dem, was ich gelernt habe - ich habe es in den letzten 22 Jahren gelernt -, richtet sich der Preis nach Angebot und Nachfrage. Da stelle ich jetzt die Frage: Wo haben wir in Deutschland viel Stromangebot, und wo
haben wir wenig Stromangebot? Ich stelle die zweite
Frage dazu: Wo ist der Preis des Stromes höher, und wo
ist er niedriger?
Ich gebe Ihnen schon einmal die Antworten vor: In
Norddeutschland und in Ostdeutschland haben wir sehr
viel Strom im Angebot, in Bayern und Baden-Württemberg sehr wenig. Trotzdem ist der Strompreis in Bayern
und in Baden-Württemberg deutlich niedriger als in
Norddeutschland und in Ostdeutschland. Es ist also erst
einmal nicht marktwirtschaftlich.
Jetzt möchte ich von Ihnen wissen: Was tun Sie, um
dieses Missverhältnis auszugleichen? Denn es verstärkt
sich ja noch dadurch, dass energieintensive Unternehmen oder Unternehmen, die einen relativ hohen Stromverbrauch haben, sich gezielt in Süddeutschland ansiedeln, wo wir zwar wenig Strom haben, er aber weniger
kostet, und, wenn wir Pech haben, aus Norddeutschland
oder Ostdeutschland abwandern, weil es sich nicht rechnet, weil der Strom so teuer ist. Was tun Sie gegen dieses
Missverhältnis? Möchten Sie da nicht unseren Vorschlägen folgen, die besagen: „Wir brauchen bundeseinheitliche Netzentgelte“?
({1})
Ich bin in der Tat ratlos und frage mich, wie man eine
solche Frage an der Stelle beantworten soll. Das Einzige,
was man dieser Frage zunächst einmal entnehmen kann,
ist die spannende Abgrenzung, dass wir für die Marktwirtschaft sind und Sie dagegen.
({0})
- Das haben Sie selber so formuliert. Das muss man erst
einmal vorab festhalten, damit man den Unsinn, der danach kommt, irgendwo einordnen kann; denn ich muss
Ihnen ganz offen sagen: Ich habe nicht verstanden, was
Sie mit dieser Frage letztendlich sagen wollen. Wollen
Sie sagen, dass sich Unternehmen sinnvollerweise im
Norden ansiedeln sollen? Die werden einen Grund haben, lieber Kollege Lenkert, warum sie das im Süden
tun. Vielleicht liegt es auch an der einen oder anderen
politischen Ausrichtung und daran, dass wir insbesondere im Süden ordentliche Rahmenbedingungen haben,
nämlich in Bayern, wo die CSU regiert, und nicht da, wo
Sie umeinanderfuchteln. Das mag auch ein Grund dafür
sein, dass die Unternehmen sich so entscheiden. Ich
kann also nicht nachvollziehen, was diese Frage mit dem
Thema zu tun hat und was Sie mir damit gerade eben signalisieren wollten.
Wir sind auch nicht in der von Ihnen favorisierten
Planwirtschaft, in der man dem Unternehmen, das viel
Strom verbraucht, sagt: Du gehst bitte nicht in den Süden, sondern in den Norden, weil dort überschüssiger
Strom vorhanden ist. - Das hat es vielleicht in der DDR
gegeben.
({1})
Aber funktioniert hat es auch da nicht.
({2})
Wenn Sie das nach so vielen Jahren einmal verstehen
würden, in denen Sie es selbst miterlebt haben, dann
wäre das schon eine ganz gute Geschichte. Aber ich entnehme dieser Frage auch, dass Sie mit solchen Haltetden-Dieb-Debatten nach dem Motto „Wer ist denn jetzt
an der ganzen Misere schuld?“ fröhlich weiter Schwarzer Peter spielen wollen. Sie zwingen einen mit dieser
Diskussion dazu, mitzumachen. Das finde ich bedauerlich, weil man in den zehn Minuten auch andere Dinge
darstellen könnte. Aber ich mache dann natürlich mit
und sage: Ja gut, dann müssen Sie sich an die eigene
Nase fassen.
Der Kollege Heil bemängelt fehlendes Management.
Sie nehmen für sich in Anspruch, diese Energiewende
angestoßen zu haben. Ich kann mich aber überhaupt
nicht daran erinnern, dass Sie irgendwo einen Schritt gemacht hätten, der von dem Aufbau erneuerbarer Kapazitäten in Richtung Aufbau der Versorgung geführt hätte.
Dazu gibt es nichts; es gibt keinen Ansatz bei dem, was
Sie damals gemacht haben. Also haben Sie entweder
nicht an den Erfolg des EEG geglaubt, oder Sie haben
gedacht: Die schwierigen Dinge sollen die machen, die
nach uns kommen. - Dass es bei einem volatilen Aufkommen schwierig ist, eine entsprechende Versorgung
aufzubauen, werden Sie uns doch zumindest zubilligen.
Wenn wir über die Frage diskutieren wollen, wo noch
Fehler gemacht worden sind, dann muss sich die grüne
Seite auch an die eigene Nase fassen und zugeben: Jawohl, wir sind mit dem Thema PV zu früh und zu teuer
an den Markt gegangen.
({3})
Alles, was danach gekommen ist, nämlich das mühselige
Bremsen in diesem Bereich, lag daran, dass Sie mit fast
50 Cent an das Thema herangegangen sind, was jenseits
von Gut und Böse war. Sie haben gesagt: Das ist ein Forschungsthema, aber weil wir gerade einen Hebel in der
Hand haben, wollen wir jetzt diesem Forschungsthema
einen Markt zuweisen. - Das hat letztendlich nicht dazu
geführt, dass es vorangeht, sondern es hat dazu geführt,
dass wir einen riesigen Kostenberg vor uns herschieben,
der jetzt auch am Image des EEG kratzt. Sie wissen, dass
mir das auch persönlich wehtut.
Herr Kollege, möchten Sie auch die Frage von Herrn
Heil zulassen?
Ja.
Bitte schön.
Herr Nüßlein, auf die Gefahr hin, dass Sie Zwischenfragen einfach nicht beantworten, die Ihnen gestellt werden, versuche ich, Ihnen zwei Gedanken in Frageform
näherzubringen.
Erstens. Können Sie sich erinnern, dass der rot-grüne
Ausstiegsbeschluss - er war aus meiner Sicht übrigens
intelligenter als das, was Sie gemacht haben - mit dem
Konzept der Übertragung von Reststrommengen in der
damaligen Zeit - es geht übrigens um den Zeitraum 2000
bis 2025 - die Möglichkeit eröffnet hätte, anders mit
dem Thema Versorgungssicherheit und Planbarkeit umzugehen, als es mit Ihrem Ausstiegsbeschluss der Fall
ist?
Sie haben die Jahre definiert. Wir haben damals an
dieser Stelle bewusst gesagt: Wir brauchen für die Versorgungssicherheit den Ausgleich durch flexible Instrumente. Sei’s drum, es ist jetzt anders entschieden worden. Aber ich will auf den Fakt hinweisen, dass wir uns
durchaus Gedanken gemacht haben, wie wir Versorgungssicherheit hinbekommen.
Zweitens. Wenn es Ihnen nicht nur darum geht, anderen Schuld in die Schuhe zu schieben, interessiert mich
beim Thema Reservekapazitäten, die wir alle für notwendig halten - Stichwort Volatilität -, die Frage, wann
Sie mit einem Konzept für strategische Reserve, Kapazitätsmärkte oder wie auch immer Sie es nennen wollen,
herauskommen. Denn Sie sind immer noch in einer Regierungsfraktion, Herr Nüßlein. Das wird zwar nächstes
Jahr vorbei sein,
({0})
aber Sie können doch nicht immer nur auf andere zeigen,
sondern müssen auch sagen, wie Sie das Problem lösen
wollen. Das ist der Punkt. Wann kommt das Konzept zu
Kapazitätsmärkten und Reservestrategien, und wie sieht
es nach Ihrer Vorstellung aus, Herr Nüßlein?
Ich finde den ersten Teil Ihrer Einlassung hochspannend. Darüber sollten Sie sich auch einmal mit Ihrem
früheren Koalitionspartner auseinandersetzen. Denn damit sprechen Sie implizit zwei Punkte an, nämlich erstens: Wir haben fest damit gerechnet, dass die Kernenergie über das Jahr 2022 hinaus nach unserem Konzept
läuft. - Das ist die Quintessenz dessen, was Sie gerade
formuliert haben. Sonst wäre der Hinweis auf diese Flexibilität Makulatur. Das ist doch klar.
({0})
- Genau das haben Sie an der Stelle formuliert. Ich finde
das spannend.
Sie implizieren bei der Gelegenheit noch etwas anderes, nämlich dass die Kernenergie in der Tat eine sinnvolle Ausgleichskapazität gewesen wäre, was die Energiewende vereinfacht hätte. Nur so kann man diese
Einlassung verstehen.
({1})
Wenn man es verständig würdigt, was Sie gerade gesagt
haben, geben Sie implizit der rechten Seite des Hauses
recht, die damals gesagt hat: Wir schaffen mit Laufzeitverlängerungen eine Voraussetzung dafür, die Energiewende auch finanziell und hinsichtlich der Versorgungssicherheit abzufedern. - Genau das sagen Sie jetzt.
({2})
Jetzt ziehen Sie das, was Sie selber gerade formuliert haben, wieder in Zweifel. Was soll ich dazu sagen?
Was den Punkt Reservekapazitäten angeht, werden
wir zu gegebener Zeit etwas organisieren
({3})
- zeitnah -, um auch in den kommenden Wintern - es
geht jetzt nicht um diesen Winter, sondern um die kommenden Winter ({4})
dagegen gewappnet zu sein, dass es bei uns einen Blackout gibt und wir Schwierigkeiten bekommen. Ich prophezeie Ihnen, dass die Diskussion über die Energiewende in der Bevölkerung, wenn es zu einem solchen
Ausfall käme, komplett anders verlaufen würde. Dann
hätten wir alle wieder den Schwarzen Peter, und es
hieße: „Die Politik kann es nicht“, weil wir manchmal
geneigt sind, das eine oder andere zu machen, was riskant ist. Ich gebe ganz offen zu: Die Energiewende birgt,
so wie wir sie uns in zeitlicher Hinsicht und unter dem
Druck, kein Industrieunternehmen aus dem Land vertreiben zu wollen, vorgenommen haben, gewisse Risiken.
Deshalb sollten wir nicht leichtfertig und vor allen Dingen nicht jenseits der Wahrheit darüber diskutieren.
Ich möchte Folgendes ganz deutlich sagen: Was in
den letzten Tagen von der grünen Seite - insbesondere
von Herrn Özdemir und Herrn Trittin; Sie können auch
Herrn Baake mit dazu nehmen - über die Presse verlautbart wurde, ist unterirdisch; das sage ich Ihnen ganz
offen. Zu einem Erstsemester in Jura sagt man in der
Regel: Ein Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung. - Zumindest von einem ehemaligen Minister
müsste man erwarten können, dass er in der Lage ist, einen Gesetzestext wenigstens anzulesen. Im Gesetz steht
im Hinblick auf Befreiungen: produzierendes Gewerbe
und Schienenverkehr. Mir soll einmal jemand erklären,
wie man selbst bei weitestgehender Auslegung und bösartigstem Vorgehen Golfplätze als produzierendes Gewerbe verstehen kann.
({5})
Wenn man das tut, dann gibt es nur zwei Varianten: Es
handelt sich entweder um - ich hätte beinahe Dummheit
gesagt - fahrlässiges Vernachlässigen oder um Vorsatz.
({6})
Nachdem die Diskussion für Sie so schön verlaufen ist
und die falsch behaupteten Ausnahmen permanent wiederholt wurden, unterstelle ich Ihnen mittlerweile Vorsatz. Sie hören ja nicht auf. In drei Debatten hat niemand
von Ihnen den Mumm gefunden, sich hier hinzustellen
und zu sagen: Jawohl, da wurde etwas Falsches behauptet; das war nicht wahr. Das tut uns leid.
({7})
Das Mindeste, was Sie hätten machen müssen, wäre gewesen, zu sagen: Wir haben - ob boshaft oder nicht - etwas Falsches behauptet und versucht, etwas zu diskreditieren, was wir nicht hätten diskreditieren sollen.
({8})
Besser wäre es gewesen, wenn wir darüber diskutiert
hätten, wie wir auf die Erhöhung der EEG-Umlage reagieren sollen.
Angesichts einer EEG-Umlage in Höhe von
5,277 Cent pro Kilowattstunde muss man die Frage stellen, wie es weitergehen soll und wie wir das verteilen
wollen.
(Ulrich Kelber ({9}): Ja, genau! Wie verteilen
wir das? Die Frage haben Sie sich gestellt!
Die Linke sagt: Freibier bzw. Freistrom sowie kostenlos
zur Verfügung gestellte effizientere Kühlschränke für
alle. - Darüber kann man nicht ernsthaft diskutieren. Wir
dagegen haben damals sehr überlegt gesagt: Wir erweitern angesichts der Tatsache, dass sich die EEG-Umlage
vervielfacht hat, den Kreis derjenigen, die eine Befreiung in Anspruch nehmen können, etwas, um die Betreffenden nicht in ökonomische Schwierigkeiten zu bringen. - Ich persönlich halte das für nicht verwerflich.
Wenn Sie mir nicht glauben wollen, dann glauben Sie
vielleicht eher Herrn Trittin. Ich lese Ihnen einmal vor,
was er am 13. November 2003 in der Diskussion über
die Novelle des EEG gesagt hat:
Deswegen haben wir dafür Sorge getragen, dass
beispielsweise nicht nur große, sondern auch mittlere Unternehmen von der Härtefallregelung profitieren …
Wenn das der Leitsatz ist, haben wir richtig gehandelt.
Dass man natürlich besonders sensibel sein muss, wenn
es nicht um 0,2 Cent, sondern um 5,277 Cent geht, ist
doch klar; das leuchtet doch jedem ein. Was Sie wollen,
ist etwas ganz anderes. Sie wollen die Teuerung, die Sie
immer bestritten haben, der rechten Seite in die Schuhe
schieben
({10})
und behaupten, dass wir maßlos Befreiungen bewilligt
hätten. Da ist die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ein ganzes Stück weiter. Dort wurde vorgeschlagen,
im Zusammenhang mit den Offshoreanlagen eine Komplettbefreiung bei den Netzentgelten vorzunehmen. Fragen Sie einmal nach, wie man dort auf einen solchen
- aus Ihrer Sicht - abwegigen Vorschlag gekommen ist.
Das wäre hochspannend. Noch spannender wäre es allerdings, hier bei uns darüber ein bisschen mehr lösungsorientiert und weniger problemorientiert zu diskutieren.
({11})
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir über die Berechnung der EEG-Umlage noch einmal diskutieren
müssen. Dazu muss man Vorschläge machen. Da ist in
der Tat eine Art Zirkelschluss enthalten. Die Mehreinspeisung an erneuerbaren Energien führt am Spotmarkt
zu niedrigeren Preisen, was uns eine höhere EEG-Umlage und mit einem gewissen Automatismus den Unternehmen höhere Gewinne beschert. Das ist etwas, worüber wir sicher nachdenken müssen.
({12})
- Wir kommen ja nicht dazu, das hier zu debattieren,
weil Sie hier letztendlich immer dieselbe Story vortragen.
({13})
Ein weiterer Punkt. Wir haben seitens der CSU einen
sinnvollen Vorschlag gemacht, wie man die EEG-Umlage nicht nur auf 20 Jahre berechnet, was mit der zugesagten Planungssicherheit zusammenhängt, sondern wie
man diese Umlage auch auf die verteilt, die danach kommen.
({14})
- Nein, nicht die nächste Generation. Das ist eine Verunglimpfung.
({15})
- Denken Sie einfach darüber nach und handeln Sie
nicht so fahrlässig, wie Sie es hier sonst immer tun! Es
geht nicht um die nächste Generation; es geht darum,
dass wir jetzt endlich einen Kapitalstock aufbauen müssen, um in Windräder, in Anlagen zu investieren,
({16})
die Fixkosten verursachen, die aber dann den Vorzug haben, keine variablen Kosten zu verursachen. Das heißt,
wenn wir das jetzt machen, wird es welche geben, die
- das können auch noch wir sein; das ist jedenfalls
meine Hoffnung - dann davon profitieren, dass erneuerbare Energien ohne variable Kosten Strom produzieren.
({17})
Denken Sie einfach darüber nach! Man kann sich Gedanken darüber machen, ob man die 5,27 Cent nicht ein
bisschen anders verteilt.
({18})
Herr Nüßlein, jetzt ist das Ende Ihrer Redezeit überschritten.
Dann höre ich an der Stelle auf. Ich weiß, dass der
Reflex parteipolitisch motiviert ist.
Ich bedanke mich trotzdem fürs Zuhören.
({0})
Der Kollege Ulrich Kelber hat das Wort für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Vor drei Monaten hat die SPD-Bundestagsfraktion der Regierung 135 Fragen gestellt
({0})
zu den Grundlagen der Energieversorgung, zu den Kosten von Alternativen in der Energieversorgung. Eine solche Große Anfrage muss die Regierung normalerweise
innerhalb von sechs Wochen beantworten. Wir bekamen
ein Schreiben: Die Regierung kann diese Große Anfrage
Mitte Februar 2013 beantworten.
Zwei Beispiele: Welche Maßnahmen will die Regierung gegen den Anstieg der EEG-Umlage zum 1. Januar
2013 ergreifen? Beantworten wird das die Regierung im
Februar 2013.
({1})
Von welcher Preisentwicklung bei Öl-, Gas- und Kohleimporten geht die Regierung aus? Antwort: Wir müssen
recherchieren. Wir werden antworten im Februar 2013. Herr Minister, wenn man noch nicht einmal die Grundlagen kennt, wie will man dann verantwortliche Entscheidungen in der Energiepolitik treffen?
({2})
Wir erleben drei Jahre chaotische Energiepolitik. Das
sagt nicht nur die Opposition. Der frühere CDU-Ministerpräsident Oettinger, jetzt europäischer Energiekommissar, antwortet auf die Frage „Was sagen Sie zur Energiepolitik in Deutschland?“: Welche Energiepolitik?
Ich komme von einem Treffen mit dem Deutsch-Norwegischen Netzwerk. Die sagen: Wir investieren nicht
mehr in Deutschland - nicht in Netze, nicht in Gas, nicht
in Erneuerbare; wir wissen nicht, ob irgendeine Rahmenbedingung in Deutschland länger als drei Monate
hält.
({3})
2009 haben Sie eine Politik vorgefunden, die - als ein
Beispiel - aus dem Ausstieg aus der Atomenergie bestand. Innerhalb von einem Jahr haben Sie den Ausstieg
aus dem Ausstieg gemacht, ein halbes Jahr später den
Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. Jetzt sagen CDU-Politiker wie Vaatz, wie Bareiß, wie Pfeiffer:
Eigentlich bräuchten wir doch den Ausstieg aus dem
Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. - Wer soll
denn da noch investieren in diesem Land?
({4})
Natürlich ist eine sichere Energieversorgung nicht
umsonst zu haben, übrigens auch dann nicht, wenn man
nicht in Erneuerbare geht. Auch ein auf fossile Kraftwerke ausgerichtetes Netz muss ab und zu erneuert werden. Aber was es teuer macht, ist diese schwarz-gelbe
Konzeptionslosigkeit, der Zickzackkurs an dieser Stelle.
({5})
Ich will Ihnen auch dafür Beispiele nennen: Es gibt
die Umlagen für Netzentgelte und für das ErneuerbareEnergien-Gesetz. Einige werden von der Zahlung befreit; deswegen zahlen andere mehr. Ich habe am Mittwoch in der Fragestunde die Bundesregierung gefragt:
Wie viel von den 1,7 Cent Anhebung der EEG-Umlage
wird benötigt, weil mehr Vergütung gezahlt wird für zusätzliche Anlagen der erneuerbaren Energien? Die Antwort - nachlesbar im Protokoll -: 1,415 Cent der
1,7 Cent haben damit nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Bundesumweltminister Altmaier und Frau
Wir werden diese Befreiungen prüfen. Daher war meine zweite Frage:
Bis wann genau will der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit … die
Ausnahmeregelungen für die Industrie zur Befreiung von der EEG-Umlage prüfen …?
Die Antwort:
Das Bundesumweltministerium hat hierzu ein Forschungsvorhaben in Auftrag gegeben.
({0})
Das Vorhaben … wird bis zum 31. Juli 2014 abgeschlossen sein.
({1})
Das ist die Realität in diesem Land, ebenfalls nachlesbar
im Protokoll vom Mittwoch, das bereits online ist.
Wir müssen damit rechnen, dass zusätzlich zur EEGUmlage 0,5 bis 0,8 Cent weitere Umlagen - für die Offshorehaftungsbefreiung, für weitere Netzentgeltbefreiungen - hinzukommen. Inklusive Mehrwertsteuer unterhalten wir uns also über 3 Cent, die auf den Strompreis
umgelegt werden. Wenn Sie meinen Ausführungen gerade gefolgt sind, haben Sie gesehen, dass 2,5 Cent davon unnötig sind. Ich fand den Begriff, den Bärbel Höhn
dafür geprägt hat, treffend: Das ist die Merkel-Umlage.
({2})
Schwarz-Gelb mobbt die erneuerbaren Energien, damit keiner merkt, dass man drei Jahre chaotische Energiepolitik gemacht hat. Allein die zwei größten Energiekonzerne in Deutschland haben angekündigt, 2012 einen
Gewinn von 19 Milliarden Euro machen zu wollen. Das
ist ein deutliches Plus gegenüber 2011 und übrigens fast
das Achtfache des Betrages von vor über zehn Jahren.
Wo sind die Stimmen aus der schwarz-gelben Regierung, die das Doppelabkassieren bei den CO2-Zertifikaten kritisieren? Erst werden die kostenlos zugeteilten
Zertifikate in den Strompreis eingepreist, und jetzt, wo
die Zertifikate bezahlt werden müssen, sollen die Stromkunden noch einmal dafür bezahlen.
Wie kann man auf die Idee kommen, für Netzinvestitionen eine sichere, feste Rendite von 9 Prozent zuzusichern und für den Fall, dass ein Risiko entsteht, den Verbraucherinnen und Verbrauchern auch noch eine
Risikobefreiungsumlage aufzulasten, damit die 9 Prozent auf keinen Fall geschmälert werden?
Und warum führt der Bundeswirtschaftsminister nicht
Gespräche mit dem Bundeskartellamt? Es gibt immerhin
§ 29 GWB. Warum prüfen wir nicht einmal, warum die
sinkenden Großhandelspreise bei Strom und Gas nicht
an die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden?
Das wäre Regierungshandeln. Stattdessen reden Sie, als
wären Sie schon in der Opposition.
({3})
Herr Altmaier, wir brauchen endlich eine konzeptionelle Energiepolitik. Da reicht nicht das Reden über das
EEG. Wir müssen Maßnahmen ergreifen, um in Süd- und
Südwestdeutschland, wo die Atomkraftwerke nun schneller abgeschaltet werden, Energieversorgungssicherheit
zu garantieren. Dazu brauchen die Länder natürlich eine
konsistente Politik der Bundesebene.
Wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir Systemstabilität gewährleisten können. Natürlich müssen die
Erneuerbaren mehr Systemverantwortung übernehmen;
aber sie müssen sie auch übernehmen dürfen. Wir müssen uns fragen, ob das nicht Dinosauriertechnologie ist,
wenn in Deutschland immer 20 bis 30 Megawatt von
fossilen Kraftwerken bereitgestellt werden müssen, ohne
dass der Strom benötigt wird, nur um Systemdienstleistungen zu erbringen.
Wir müssen den Strommarkt neu regeln, weil seine
Regeln heute weder für Investitionen in Gaskraftwerke
noch für eine Marktfähigkeit der erneuerbaren Energien
reichen.
Und, ja, wir müssen uns über Maßnahmen zur Senkung der Preise und - unideologisch - auch über Sozialtarife unterhalten.
({4})
Dazu gehört die Debatte über ein EEG 2.0, das nicht deckelt, sondern hilft, von 25 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien auf 50 Prozent zu kommen.
({5})
Darüber darf man nicht ein weiteres Jahr reden. Wir bieten Ihnen an, das auch heute zu machen.
Dieses Wursteln in der Energiepolitik, diese Flickschusterei, dieser Aktionismus, diese Schaufensterpolitik mit der Beschränkung auf ein oder zwei Teilaspekte
muss aufhören; sonst bekommen wir alle von SchwarzGelb eine teure Rechnung präsentiert.
({6})
Für den Bundesrat erteile ich jetzt Herrn Minister
Sven Morlok das Wort.
({0})
Sven Morlok, Staatsminister ({1}):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Um es vorwegzuschicken: Der Freistaat Sachsen, die
Staatsregierung, von CDU und FDP getragen, will einen
weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Dies wird
uns in Deutschland nur dann gelingen, wenn wir die Akzeptanz durch die Bevölkerung auf diesem Weg nicht
gefährden.
({2})
Mit Akzeptanz meine ich das Landschaftsbild. Wir müssen darauf achten, dass wir die Landschaft nicht über das
Maß hinaus mit Windkraftanlagen verspargeln.
({3})
Und wir müssen darauf achten, dass die Strompreise auf
einem Niveau bleiben, auf dem sie für die Verbraucher
akzeptabel und bezahlbar sind, auf dem sie die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen nicht gefährden,
auf dem sie die Arbeitsplätze nicht gefährden. Das ist
wichtig, wenn wir die Menschen in unserem Land bei
dieser Politik mitnehmen wollen.
({4})
Woher kommen die Strompreissteigerungen? Bis
2009 waren es Erzeugung, Transport und Vertrieb. Frau
Kipping, Sie müssen zur Kenntnis nehmen: Ab 2010
gibt es dort keine Steigerung mehr. Die Kosten Transport, Vertrieb und Erzeugung blieben konstant. Der
Preistreiber sind die staatlichen Abgaben. Der Preistreiber ist die Steuer. Insbesondere die EEG-Umlage ist der
Preistreiber.
({5})
Ich sage es noch einmal deutlicher formuliert: Preistreiber beim Strom ist der Staat.
({6})
Wir brauchen, sehr geehrte Damen und Herren, einen
Strompreisstopp, wie ihn Ministerpräsident Tillich am
Mittwoch im Landtag gefordert hat. Die Strompreise
dürfen für die Verbraucher nicht weiter steigen. CDU
und FDP sind sich in dieser Sache einig, zumindest in
Sachsen.
({7})
Das EEG wurde geschaffen in einer Zeit, als die erneuerbaren Energien einen Anteil von 3 Prozent hatten.
Der Anteil beträgt jetzt ungefähr 25 Prozent. Es wird
doch jedem deutlich, dass ein System, das damals gepasst hat, heute die Anforderungen nicht mehr erfüllen
kann. Wir brauchen endlich Effizienz bei den erneuerbaren Energien. 20-jährige Vergütungsgarantien mit Einspeisevorrang sind der falsche Weg für die Zukunft.
({8})
Wir wollen, dass erneuerbare Energien an dem Ort
produziert werden, der am günstigsten ist, und dass sie
mit einem Verfahren produziert werden, das ebenfalls
am günstigsten ist.
Staatsminister Sven Morlok ({9})
({10})
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Frau Kipping zulassen?
Sven Morlok, Staatsminister ({0}):
Gerne.
Bitte.
Lieber Herr Morlok, wenn Sie hier zur großen Staatskritik ausholen und sagen, der Staat ist der Preistreiber,
dann will ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass der
Bund von einer schwarz-gelben Regierung geführt wird,
und ob Sie die Kritik an der Regierung und die Kritik an
Ihrer eigenen Partei auf Bundesebene tatsächlich so meinen.
({0})
Sven Morlok, Staatsminister ({1}):
Sehr geehrte Frau Kipping, ich bin als Landesminister
Mitglied im Bundesrat. Wenn ich mir die Debatten im
Bundesrat anschaue, dann werde ich das Gefühl nicht
los, dass wir bei der Energiepolitik, der Energieeffizienz
von Gebäuden und bei vielen anderen Fragen schon
deutlich weiter sein könnten, wenn die Bundestagsopposition den Bundesrat nicht ständig blockieren würde.
({2})
Sehr geehrte Damen und Herren, wir müssen die erneuerbaren Energien in den Markt integrieren. Zur
Marktintegration bedarf es einer Mengensteuerung. Wir
als Freistaat Sachsen schlagen Ihnen in diesem Zusammenhang ein Quotenmodell vor. Wir brauchen dieses
Quotenmodell schnell. Zum 1. Januar 2014 muss
Schluss sein mit dem Kostentreiber EEG. Wir brauchen
eine Änderung noch vor der Bundestagswahl.
({3})
Als Sofortmaßnahme muss die Stromsteuer zum
1. Januar 2013 reduziert werden, und zwar auf das europäische Mindestniveau.
({4})
Das ist genau der Betrag, der durch die EEG-Umlage
obendrauf kommt. Ich kann nicht einsehen, warum man
die Verbraucher im nächsten Jahr mit diesen zusätzlichen Kosten belasten soll. Wir brauchen keine Sozialtarife, wir brauchen eine Senkung der Stromsteuer.
({5})
- Ich bin überhaupt kein Schwätzer, weil ich nämlich
Politik für die Menschen im Freistaat Sachsen mache
und mich für die Interessen der Menschen im Freistaat
Sachsen einsetze. Deswegen, Herr Heil, bin ich nach
Berlin gefahren, um heute hier eine Rede zu halten. Das
ist der Punkt.
({6})
Lassen Sie mich bitte fortfahren.
({7})
Herr Morlok, möchten Sie die Zwischenfrage von
Herrn Heil zulassen?
Sven Morlok, Staatsminister ({0}):
Wenn es der Erkenntnis von Herrn Heil dient.
Bitte schön.
Herr Morlok, Sie sind ja Staatsminister des Freistaats
Sachsen. In Sachsen gab es einmal einen großen deutschen Schriftsteller, der später in München gelebt hat.
Die Rede ist von Erich Kästner. Er hat den schönen Satz
geprägt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Deshalb sage ich Ihnen zum Thema Stromsteuer: Sie
von der schwarz-gelben Koalition dort drüben könnten
ohne Zustimmung des Bundesrates morgen die Stromsteuer senken, wenn Sie denn das Geld haben. Dafür
brauchen Sie keine Opposition, da brauchen Sie keine
Blockaden von den von Rot-Grün oder Rot-Rot geführten Ländern zu befürchten. Wenn Sie das gegenfinanzieren können, dann sollten Sie es einfach machen.
({0})
Das meinte ich vorhin. Ich entschuldige mich für das
leicht ungebührliche, aber im Schwäbischen gebräuchliche Wort „Schwätzer“. Wenn Sie an dieser Stelle etwas
fordern, dann fordern Sie das bitte von Ihren eigenen
Leuten, aber beschimpfen Sie nicht die Opposition. Das
meinte ich damit.
({1})
Fensterreden helfen überhaupt nicht, weder in der sozialen noch in der ökologischen noch in der ökonomischen
Debatte. Sie führen Selbstgespräche zur Energiepolitik
mit Ihren eigenen Leuten: Man müsste mal, man sollte
Hubertus Heil ({2})
mal, man könnte mal. So etwas hält uns in Deutschland
auf.
An dieser Stelle bitte ich Sie um Ihren Beitrag: Wann
rechnen Sie mit dem Beschluss Ihrer schwarz-gelben
Freunde hier in Berlin zur Senkung der Stromsteuer? In
diesem oder im nächsten Jahr? Das ist meine Frage an
Sie.
Sven Morlok, Staatsminister ({3}):
Sehr geehrter Herr Heil, im Gegensatz zur Bundestagsopposition, zur SPD, handelt die Sächsische Staatsregierung. Wir haben einen entsprechenden Antrag im
Bundesrat eingebracht, die Stromsteuer zu senken.
({4})
- Ich rede als Minister für die Staatsregierung im Freistaat Sachsen.
({5})
Wir haben im Bundesrat einen Antrag zur Senkung
der Stromsteuer eingebracht, und zwar um den Betrag,
um den der Strom aufgrund der erhöhten EEG-Umlage
teurer wird.
({6})
Das haben wir getan, sehr geehrter Herr Heil, und dabei
haben wir eine parteiübergreifende Unterstützung gefunden, allerdings keine Mehrheit. Wir haben Unterstützung
erhalten vonseiten der CSU und der FDP in Bayern; wir
haben auch Unterstützung von Ihren Parteifreunden, von
der SPD, gefunden, nämlich vom Bundesland Hamburg,
von Olaf Scholz.
Ich sage ganz klar: Wir werben für diesen Antrag, und
die Zahl der Unterstützer wächst. Deswegen bin ich
heute hierhergekommen. Wir wollen, dass die Zahl der
Unterstützer noch größer wird und dass wir möglichst
bald zu einer entsprechenden gesetzlichen Änderung
kommen können.
({7})
An die Adresse der Bundesregierung möchte ich folgende Worte richten: Herr Altmaier, ich habe Ihren Maßnahmenplan gelesen. Ich muss jedoch deutlich sagen:
Verschonen Sie uns mit neuen Gutachten auf Kosten der
Steuerzahler. Diese brauchen wir nicht mehr.
({8})
Die Bundesregierung leidet nicht an einem Mangel an
Gutachten, sondern an einem Mangel an Einsicht.
({9})
Deswegen fordere ich Sie auf, zügig zu handeln. Da
ich nicht weiß, ob das Ganze tatsächlich funktioniert,
Herr Kollege Heil, bereiten wir im Wirtschaftsministerium in Sachsen - dies zum Thema Handeln - gerade
eine Bundesratsinitiative zu diesem Thema vor. Sicher
ist sicher.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Caren Lay von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich freue mich, dass inzwischen auch die Koalition begriffen hat, dass es beim Thema Strompreise um
eine soziale Schieflage geht. Als wir vor anderthalb Jahren einen ähnlichen Antrag diskutiert haben, ist kaum jemand von Ihnen auf die soziale Frage eingegangen.
Auch heute sind sich die Redner der CDU nicht zu
schade, die Vorschläge der Linken als „DDR-Planwirtschaft“ abzutun.
Ich muss Ihnen jedoch eines sagen: Angesichts der
Tatsache, dass die vier großen Energiekonzerne immer
noch fast 80 Prozent des Marktes beherrschen und die
Preise für die Verbraucherinnen und Verbraucher permanent steigen, kann die FDP doch nicht von einem funktionierenden Markt sprechen.
({0})
- Das haben Sie nicht getan? Ich habe das sehr wohl im
Ohr, und deswegen ist die Debatte, so wie Sie sie hier
aufmachen, völlig falsch angelegt.
Ich muss einmal sagen: Sie hören nicht auf, die
Schuld permanent auf die erneuerbaren Energien zu
schieben. Ich finde das einfach unredlich. Sie schieben
die Schuld auf das EEG und verschweigen die Milliardengewinne der Energiekonzerne. Ich will Ihnen einmal
ein Beispiel nennen: Allein die Gewinne von Eon, RWE
und EnBW seit dem Jahre 2002 betragen weit über
100 Milliarden Euro.
({1})
Innerhalb von sieben Jahren haben sich die Gewinne der
Energiekonzerne vervierfacht. Ich habe hier von den
Rednern der Koalition kein einziges kritisches Wort
dazu gehört. Das werden wir Linke Ihnen nun wirklich
nicht durchgehen lassen.
({2})
Was tut die Koalition angesichts dieser Situation? Sie
verteilt weiter Milliardengeschenke an die Großindustrie: bei den Netzentgelten, bei der EEG-Umlage und
beim Ökostrom. Das kann es doch wirklich nicht sein.
({3})
Deswegen sagen wir als Linke ganz klar: Wer es mit der
sozialen Energiewende ernst meint, der darf über die
Milliardengewinne der Konzerne und die Industrierabatte nun wirklich nicht schweigen.
({4})
Meine Damen und Herren, über die Festlegung der
Strompreise für Privathaushalte organisieren sich die
Versorger zulasten der Haushaltskunden hemmungslos
Sonderprofite. Deswegen fordern wir Linke hier eine
staatliche Preisaufsicht. Ich muss sagen, dass das keine
Vorstellung aus Zeiten der DDR ist; denn wir hatten die
staatliche Preisaufsicht bis zum Jahre 2007. Damals, als
sie abgeschafft wurde, hat sich leider auch die SPD nicht
mit Ruhm bekleckert. Nun habe auch ich noch sehr gut
in Erinnerung, dass die staatliche Preisaufsicht damals
nicht das schärfste Schwert war; aber wir müssen feststellen, dass die Strompreise seit ihrer Abschaffung kontinuierlich weiter angestiegen sind. Deswegen ist die
Abschaffung der staatlichen Preisaufsicht nun wirklich
auch keine Lösung.
({5})
Wir wollen sie wieder einführen; wir wollen sie anders einführen. Wir wollen, dass die Verbraucherverbände hier ein ordentliches Wort mitzureden haben;
denn wir vertrauen nicht darauf, dass beispielsweise ein
Minister der FDP oder der CDU wirklich wagen würde,
den Rotstift bei den Konzerngewinnen anzusetzen.
Meine Damen und Herren, auch zum Thema Energiearmut habe ich von der Koalition kein Wort gehört, und
das vor dem Hintergrund, dass 800 000 Haushalten im
Jahr der Strom abgestellt wird. Das ist eine stille soziale
Katastrophe, zu der wir wirklich nicht schweigen dürfen.
({6})
Eine Stromsperre ist nach nur einer Ankündigung und
ohne Gerichtsbeschluss möglich. Am Ende bekommt
man noch eine satte Rechnung präsentiert, die man gewiss nicht bezahlen kann, wenn man ohnehin schon Gast
bei der Schuldnerberatung ist. Deswegen fordern wir,
dass die Versorgung mit Strom ein Grundrecht wird und
Stromsperren endlich verboten werden.
({7})
Einen letzten Punkt werde ich angesichts der Kürze
der Zeit nicht ausführen können; aber ich möchte ihn zumindest einmal in dieser Debatte erwähnen. Die Stromnetze erfüllen eine öffentliche Aufgabe, sie sind Teil der
öffentlichen Infrastruktur, und deswegen gehören sie
endlich wieder in öffentliche Hand.
({8})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Die Linke legt mit ihrem Antrag Instrumente auf den
Tisch, mit denen Verbraucherinnen und Verbraucher
4 Cent pro Kilowattstunde sparen können. Es wird
höchste Zeit, die Energiewende ökologisch und sozial zu
gestalten.
Vielen Dank.
({9})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Markus Kurth.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin schon verwundert: Wir debattieren hier unter
dem Titel „Soziale Gestaltung der Energiewende“, aber
reden jetzt ausschließlich über einen Bereich, nämlich
über den Strom. Nur rund ein Fünftel der gesamten
Energieausgaben eines durchschnittlichen Haushaltes
entfällt auf den Bereich Strom, der Rest zu etwa gleichen
Teilen auf den Bereich Mobilität und den Bereich Heizung.
Einzig und allein mein Kollege Hans-Josef Fell ist in
seiner Rede in dieser Debatte auf den Preisanstieg bei
den fossilen Energieträgern eingegangen
({0})
- stimmt, Herr Kelber, auch Sie haben über fossile Energien gesprochen - und hat damit die Grundlage dafür
gelegt, sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Belastungen im Wärmebereich auf ärmere, einkommensschwächere Haushalte zukommen.
({1})
In der Folge haben aber auch Sie von der SPD sich lediglich - das muss man sagen - auf den Strompreis konzentriert. Dabei geht selbst die Bundesregierung in einer
Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die
Grünen davon aus, dass der Ölpreis auf 124 US-Dollar
pro Barrel ansteigen wird.
Innerhalb des Strombereichs konzentrieren Sie sich
dann wiederum lediglich auf einen ganz kleinen Ausschnitt, nämlich auf das EEG, und das stellen Sie dann
auch noch falsch dar. Als Sozialpolitiker bin ich ohnehin
erschüttert, in einer energiepolitischen Debatte, die sich
über drei Tage erstreckt, sehen zu müssen, dass sich bei
Ihrer Lernkurve anscheinend nichts bewegt.
({2})
Wenn es Ihnen wirklich um die gesamte Situation im
Energiebereich und um die ärmeren Haushalte gehen
würde, dann würden Sie auch die Bereiche Mobilität und
Heizkosten mit in den Blick nehmen und diese in dieser
Debatte wenigstens einmal erwähnen. Wer über soziale
Energiesparpolitik, die Energiewende und deren sozialverträgliche Gestaltung redet, muss sich mit Instrumenten auseinandersetzen, die alle Energieträger und alle
Bereiche umfassen und vor allen Dingen zielgenau sind.
Sie von der FDP hingegen wollen mit der großen
Gießkanne herangehen. Sie sprechen von der Stromsteuer. Das ist überhaupt nicht zielgenau. Das trifft nicht
diejenigen, die es am nötigsten haben.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen machen Vorschläge,
zum Beispiel die Einrichtung eines Energiesparfonds,
aus dem dann gezielt die Gebäudesanierung und der
Austausch von Geräten bezahlt werden könnte.
({3})
Wir wollen die Mittel aus diesem Energiesparfonds
- und das ist der große Vorteil - vorwiegend für die
Haushalte einsetzen, die am stärksten auf Unterstützung
angewiesen sind.
({4})
Wir hätten damit ein Instrument, mit dem man eine
sozialräumliche Steuerung vornehmen und das Geld
zielgenau einsetzen könnte.
({5})
Wissen Sie, was das auch bewirken würde? Das
würde zusätzlich eine erhebliche Entlastung bei den
kommunalen Kassen bewirken. Denn diese müssen über
die Kosten der Unterkunft, etwa bei den Hartz-IV-Beziehenden, die Heizkosten mittragen. Es käme also zu einem positiven Folgeeffekt für unsere Kommunen.
({6})
Dass Sie kein Interesse daran haben, wie es ärmeren
und einkommensschwächeren Haushalten geht,
({7})
lässt sich auch daran ablesen, dass Sie es waren, die den
Heizkostenzuschuss im Wohngeld gestrichen haben.
({8})
Wir hingegen schlagen vor, einen Klimazuschuss an
das Wohngeld anzudocken, damit die Wohngeldbezieher
mit steigenden Energiepreisen im Wärmebereich zurechtkommen.
Wir schlagen darüber hinaus Folgendes vor: Wenn
Standards bei Gebäuden nicht eingehalten werden, dann
steht den Mietern ein Mietminderungsrecht zu. Das
heißt, wir favorisieren ein Bonus-Malus-System, um die
Immobilienbesitzer dazu zu bringen, ihre Wohnungen zu
sanieren und in den besten Stand zu versetzen.
({9})
Des Weiteren ist es unser Anliegen, Licht ins Dunkel
zu bringen. Wir wollen, dass Untersuchungen durchgeführt werden: Was ist das Energieexistenzminimum?
Was ist Energiearmut? Denn auch wir schlagen vor, einen Tarif einzuführen, der ein gewisses Grundkontingent
enthält. Dieses soll zwar nicht kostenlos sein - wie bei
den Linken -, aber zu einem vergünstigten Preis angeboten werden. Dann soll mit einem progressiv steigenden
Tarif eine Anreizwirkung ausgelöst werden. Um dieses
Grundkontingent allerdings genau bestimmen zu können, müssten Forschungs- und Untersuchungsaufträge
vergeben werden. Das wäre übrigens schon deshalb nötig, um auch Ihren Erkenntnisgewinn zu befördern. Dann
würden Sie nicht im Nebel herumstochern
({10})
und in Bezug auf das EEG Dinge behaupten, die jeder
Grundlage entbehren.
({11})
Abschließend - das muss ich als Sozialpolitiker wirklich sagen -: Sie hätten noch und nöcher Gelegenheiten,
Einkommensschwächere zu unterstützen, zum Beispiel
durch den gesetzlichen Mindestlohn, wie Frau Kipping
es schon richtig angesprochen hat.
({12})
Dann könnte man die EEG-Umlage fünfmal bezahlen.
Ich selbst habe in der Unterarbeitsgruppe zur Verhandlung des Hartz-IV-Regelsatzes im Jahr 2011 mitdiskutiert
({13})
und kann mich noch genau daran erinnern, wie da um
jeden Cent gerungen worden ist. Da hätte es ausreichend
Gelegenheit gegeben, für die Transferbeziehenden im
Rahmen einer vernünftigen Berechnung der Bedarfe die
Spielräume zu berechnen, die notwendig sind, um die
Energiekosten zu bezahlen.
({14})
Solange Sie das nicht erledigen, möchte ich in Diskussionen zur Energiewende nicht mehr von Ihnen hören,
dass Sie besonders besorgt um die Einkommensschwächeren sind.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jens Koeppen von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach Fukushima war der gesellschaftliche Konsens für
die Energiewende sehr groß. Es gab eine breite Mehrheit
dafür in der Bevölkerung, in der Gesellschaft. Es gab
eine sehr breite Mehrheit dafür im Deutschen Bundestag. Ich muss sagen, dass das sehr angenehm war.
({0})
Es ist umso erstaunlicher, dass Sie, Herr Kelber, jetzt,
da die Strompreise ansteigen, alles infrage stellen.
({1})
In den drei Debatten dieser Woche zu diesem Thema
sind Sie teilweise wie eine Dampframme gegen die
Energiewende zu Werke gegangen. Das finde ich unerträglich; denn ich habe nach wie vor die Vision - die
sollten wir alle haben - von einer sauberen, bezahlbaren,
sicheren und immer verfügbaren Energieversorgung.
Wenn wir diesen Konsens herausstellen, wenn wir diesen Konsens weiterverfolgen und nicht nur Nebelkerzen
schmeißen, dann können wir, glaube ich, unseren Kindern und Enkelkindern irgendwann ein Energieversorgungssystem ohne Risikotechnologien übergeben, ein
dezentrales und vor allen Dingen ein autarkes Energieversorgungssystem.
Dazu müssen wir unser Denken aber wahrscheinlich
ändern. Wir können es uns nicht leisten, uns nicht zu
verändern. Schon Einstein hat gesagt: „Wir müssen umdenken, um zu überleben.“ Damit hat er recht. Ich
glaube, das gilt auch für die Energieversorgung. Die
ganzen verkrusteten Strukturen, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, führen dazu, dass Energie teurer
wird. Sie führen in die Abhängigkeit. Deswegen müssen
wir uns von diesen alten Strukturen trennen. Wir müssen
uns auch von der einen oder anderen Überlegung trennen, die im EEG steht - ich komme noch darauf zu sprechen -; denn nur wenn wir komplett umdenken, wird das
Projekt Energieversorgung gelingen, aber auch nur dann.
({2})
Ich bin fest davon überzeugt: Wenn ein Land das
schaffen kann, dann Deutschland. Wenn wir weiterhin
Vorreiter sein wollen, dann müssen wir die Energiewende beherzt angehen, aber auf Basis eines gesellschaftlichen Konsenses.
Ich komme zum Anstieg der Energiepreise. Ja, die
Energiepreise sind gestiegen. Sie sind nach einer neuen
Erhebung von Eurostat im Euro-Raum um bis zu 27 Prozent gestiegen. In Deutschland sind die Preise - in Anführungsstrichen - „sehr moderat“ gestiegen: nur um
knappe 4 Prozent. Strom ist in Deutschland aber trotzdem hinter Dänemark am teuersten.
Wir müssen uns natürlich fragen: Warum ist das so?
Weltweit ist die Nachfrage gestiegen. Allein im vergangenen Jahr wurden fossile Energien für 87 Milliarden Euro importiert. Diesen 87 Milliarden Euro steht
aber keine entsprechende Wertschöpfung in Deutschland
gegenüber. Natürlich sind dadurch auch die Heizkosten
gestiegen. Natürlich sind dadurch auch die Kraftstoffpreise und der Strompreis gestiegen. Der Strompreis ist
- das muss ich sagen - nicht allein aufgrund der EEGUmlage gestiegen; das ist ganz klar. Er ist gestiegen aufgrund von Preissteigerungen in den Bereichen Erzeugung, Transport und Vertrieb, aufgrund der Konzessionsabgabe an die Gemeinden usw., aber eben auch aufgrund
der EEG-Umlage, die infolge des Ausbaus im Bereich der
erneuerbaren Energien gestiegen ist.
Herr Kelber, Sie haben in der gestrigen Debatte gefragt, warum die EEG-Umlage bei Ihnen so niedrig gewesen sei und bei uns so hoch. Weil der Ausbau im Bereich der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren
vorangeschritten ist. Das ist doch ganz logisch. Deswegen musste die EEG-Umlage steigen. Das ist doch ganz
klar.
Herr Koeppen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kelber?
Bitte schön.
Bitte schön, Herr Kelber.
Herzlichen Dank. - Genau zu diesem Punkt, zu der
Frage von gestern, möchte ich drei Zahlen aus diesem
Jahr nennen, die das Problem ein Stück weit deutlich
machen. Wir haben jetzt die Prognose für 2013 erhalten,
auf deren Grundlage die Höhe der EEG-Umlage festgelegt wurde. Wenn man sich diese Prognose anschaut,
stellt man fest, dass von 2009 bis 2013 die Menge des erzeugten EEG-Stroms um 60 Prozent gestiegen ist. Die
dafür benötigte, die ausgeschüttete Vergütung stieg um
100 Prozent. Hier fließt natürlich der Aspekt Solarstrom
ein. Das ist ein Grund, warum der Strom pro Kilowattstunde teurer geworden ist. Die EEG-Umlage steigt aber
nicht um 100 Prozent, sondern um 290 Prozent. Und da
liegt der Konstruktionsfehler, der in den letzten vier Jahren begangen wurde: Man hat zusätzliche Dinge hineingenommen, die mit dem Ausbau der Erneuerbaren nichts
zu tun haben.
({0})
- Ich habe doch die Prognose für 2013 genommen. Daher sind es vier Jahre.
Herr Kelber, da Sie von Konstruktionsfehler sprechen, will ich sagen, dass ich glaube, dass dies auf einen
Konstruktionsfehler des Erneuerbare-Energien-Gesetzes generell zurückzuführen ist. Ich komme nachher
noch dazu.
Aber es ist doch klar: Wenn ich zum Beispiel die Photovoltaik, die am teuersten ist, aber auf dem Markt am
wenigstens zur Stromversorgung beiträgt, auf dem
Markt hinzunehme, dann führt dies zu einem steilen Anstieg der Preise. Das ist doch logisch nachvollziehbar im
EEG beschrieben.
({0})
Wir können daran arbeiten - da bin ich komplett bei Ihnen -, das EEG umzuschreiben und diesen Konstruktionsfehler, wie Sie es nennen, auszumerzen. Das hat aber
nichts mit den letzten drei Jahren zu tun. Ich gehe aber
gleich noch auf das EEG ein.
({1})
Ich war beim Thema Strompreise. Die Erhöhung der
EEG-Umlage führt zu einer Strompreiserhöhung von
etwa 5 Euro pro Monat. Natürlich ist ein solcher Preisanstieg für die Menschen, die sich dies vielleicht nicht leisten können, nicht schön.
({2})
Ich glaube aber, dass diese 5 Euro verträglich sind.
({3})
Durch den Anstieg der EEG-Umlage gibt es natürlich
Handlungsbedarf. Deswegen haben wir in dieser Woche
drei Debatten darüber geführt.
Die Akzeptanz der Energiewende fängt beim eigenen
Portemonnaie an; das ist doch ganz klar. Wir müssen dafür sorgen, dass Energie kein Luxusgut für die Menschen
wird, aber wir müssen genauso dafür sorgen, dass Energie
kein Luxusgut für die Industrie wird. Deswegen haben
Rot-Grün, die Große Koalition und wir in der christlichliberalen Koalition durch Ausnahmen für Standortsicherung und Arbeitsplatzsicherung gesorgt.
Herr Kelber, ich möchte darauf hinweisen, dass das
keine Industriebegünstigungen sind. Wir begünstigen
dadurch niemanden, sondern wir stellen damit klar, dass
wir keine Schwächung unseres Industriemarktes, aber
auch keine Schwächung - es wird immer auf die vielen
Ausnahmen hingewiesen - des industriellen Mittelstandes zulassen. Deutschland geht es zurzeit gut. Wir lassen
700 Ausnahmen zu; diese haben auch Sie zugelassen.
Dabei sollten wir bleiben. Wir sollten das nicht zerreden.
({4})
Die Betriebe können Anträge stellen. 2 000 Anträge sind
gestellt worden. Diese 2 000 Anträge sind bisher nicht
bewilligt, sondern wurden bisher nur gestellt.
({5})
Es gibt drei Bedingungen: Der Betrieb muss energieintensiv sein, der Betrieb muss zum produzierenden
Gewerbe gehören, und er sollte im internationalen Wettbewerb stehen. Das wird geprüft.
({6})
Peter Altmaier hat mehrfach versprochen, dass das geprüft wird. Wenn ein Antrag bestätigt wird, schauen wir
uns das genau an. Wenn einer das macht, was er verspricht, dann ist es dieser Umweltminister. Er wird das
einhalten. Er wird genau darauf achten, dass das nicht
ausartet. Das ist keine Begünstigung, sondern Standortsicherung und Arbeitskräftesicherung. Diesen Weg sollten Sie mit uns gemeinsam gehen.
({7})
Ich hoffe, ich habe noch Zeit, um noch etwas zum
EEG zu sagen. Wir brauchen hier einen Systemwandel.
Ich habe es schon oft gesagt: Das EEG hat in einer außergewöhnlichen und hervorragenden Art und Weise
seinen Dienst erfüllt, und es hat weltweit Anerkennung
gefunden. Aber das EEG hat aus meiner Sicht etwas in
den Markt gebracht, das schon zur Genüge vorhanden
war, nämlich Strom. Jetzt hat es seine Aufgabe erfüllt.
({8})
- Natürlich, Herr Fell, das ist so. - Wir müssen es jetzt
endlich gemeinsam zu einem Innovationsgesetz umgestalten. Das ist kein Abschlachten oder Abschalten, sondern eine Reform.
Ich sagte ja am Anfang: Wir können es uns nicht leisten, uns nicht zu verändern. Wir müssen dafür sorgen,
dass das EEG umgeschrieben wird. Wir müssen wieder
dazu kommen, dass es um Energieversorgung geht und
nicht um Rendite. Wir müssen dazu kommen, dass wir
intelligent einspeisen und nicht blind.
({9})
Wir müssen zu dezentraler und zu autarker Energieversorgung kommen, und wir müssen neue Technologien
belohnen. Dazu brauchen wir die Ingenieure und die
Wissenschaftler. Ich bin Techniker. Ich weiß, dass viele
sagen: Hört uns doch einfach einmal an, wir haben so
viele Ideen und Vorschläge. - Lasst uns diese Menschen
fragen, welche Ideen sie haben, wie weit sie entwickelt
sind und was wir in Serie bringen können.
Wir müssen davon wegkommen, dass wir Windkraftanlagen und Solarstromanlagen einfach nur bauen, ohne
zu wissen, wie wir den dort produzierten Strom abtransportieren können.
Wir müssen außerdem zu einer Priorisierung beim
Netzausbau kommen. Peter Altmaier hat auch hierzu einen ganz konkreten Vorschlag gemacht. Wir müssen nicht
4 000 Kilometer Leitung bauen. Wir haben in Deutschland schon 36 000 Kilometer Höchstspannungsleitung,
75 000 Kilometer Hochspannungsleitung, 500 000 Kilometer Mittelspannungsleitung und 600 000 Transformatoren. Das ist eine gute Infrastruktur. Wir müssen
schauen, ob wir damit nicht auskommen, statt blind auszubauen; denn vielleicht brauchen wir das gar nicht. Wir
brauchen Systemintegration, wir brauchen bedarfsgerechte Stromproduktion. Über all dies müssen wir nachdenken, und das müssen wir ins EEG schreiben.
Ganz wichtig ist noch der Bereich Power to Gas. Wasserstoff spielt eine viel zu geringe Rolle. Wir können aus
- in Anführungszeichen - „überschüssigem“ Strom
Wasserstoff produzieren. Den können wir in die Mobilität stecken, wir können ihn für die Einspeisung in vorhandene Gasnetze nutzen. Wir können daraus wirklich
Speicher machen. Wir müssen dazu kommen, dass wir
diesen sogenannten erneuerbaren Wasserstoff in Kapazitätskraftwerke einspeisen, um die Lücken zu schließen.
Das sind alles Punkte, für die es sich lohnt, unser
Hirnschmalz einzusetzen. Wir sollten nicht an diesen
5 Euro pro Monat herumkritteln. Auch wenn die Energiewende nicht zum Nulltarif zu haben ist, so bekommen
wir letztlich etwas dafür, nämlich eine saubere, eine sichere und eine autarke Energieversorgung.
Vielen herzlichen Dank.
({10})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin
Rita Schwarzelühr-Sutter.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Koeppen, schöne neue Welt. Nur klaffen zwischen den
Reden und Taten sowie den Beschlüssen der Bundesregierung Welten. Lieb- und lustlos werden da sogenannte
Mittelstandsinitiativen zur Energiewende ins Leben gerufen, Plattformen installiert, Energiegipfel veranstaltet.
Dadurch wird mehr als deutlich, dass Sie eigentlich gar
nicht hinter der Energiewende stehen.
Herr Altmaier, Sie haben in der vergangenen Woche
Ihre eigene Ratlosigkeit zu Protokoll gegeben. Sie wollen mit allen Seiten reden, aber vor der Bundestagswahl
nichts mehr entscheiden.
Seitdem die schwarz-gelbe Bundesregierung den
Ausstieg beschlossen hat, ist die EEG-Umlage zum
Maßstab für bezahlbare Strompreise geworden und damit für das Gelingen der Energiewende insgesamt. Die
Kanzlerin selbst versicherte noch 2011, dass die EEGUmlage auf jeden Fall in der damaligen Größenordnung
bestehen bleibt. Damals lag sie bei 3,5 Cent, heute haben
wir 5,3 Cent pro Kilowattstunde. Hat sie einen Wortbruch begangen? Merkel & Co. haben im letzten Jahr
die Anhebung der EEG-Umlage einfach mal aus politischen Gründen verschoben. Das wirkt sich jetzt natürlich doppelt aus.
({0})
Hinzu kommt ein Posten, der noch gar nicht auf der
Stromrechnung zu finden ist, nämlich die Haftungsregelung für den Ausschluss von Offshorewindparks. Das
haben Sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern noch
gar nicht mitgeteilt. Wo bleibt da die ehrliche Information? Stattdessen schüren Sie Ängste bei den Verbrauchern, die Energiepreise könnten explodieren, wohl wissend, dass dem eigentlich nicht so ist.
Der Strompreis wird in Deutschland steigen, aber er
steigt nicht in erster Linie wegen der Energiewende.
Hinter dem Streit um die EEG-Umlage steckt nämlich
tatsächlich viel mehr. Es ist der Machtkampf zwischen
der Bundesregierung, den Befürwortern und den Gegnern der Energiewende sowie den neuen Anbietern und
den etablierten Stromkonzernen.
({1})
Ihnen und Ihren Helfern geht es darum, die Energiewende zu verzögern, zu blockieren und am liebsten umzukehren.
({2})
Der Strompreis ist dabei nur Mittel zum Zweck. Die
Energiewende der schwarz-gelben Bundesregierung entpuppt sich als die Fortsetzung der alten Energiepolitik
mit neuen Mitteln. Statt der Atomkraftwerke sollen Offshorewindparks und neue Kohlekraftwerke den größten
Teil des Stroms liefern - unter der Ägide der Energiekonzerne. Der Strom wird dann über Tausende von Kilometern neuer Netze zum Verbraucher transportiert.
Großkraftwerke und neue Netze sollen eine sichere und
preisgünstige Stromversorgung und den Energiekonzernen eine sichere Rendite garantieren. Alles wie gehabt.
Die Energiepolitik muss sich aber tatsächlich grundlegend ändern und sich auf die Anforderungen der erneuerbaren Energien einstellen. Wir haben heute dezentral
fast 25 Prozent erneuerbare Energien beim Strom. Ein
Weiter-so mit dieser Energiepolitik nur ohne Atom geht
deshalb gar nicht.
Die Mitteldeutsche Zeitung hat in einem Artikel vom
12. Oktober 2012 geschrieben - ich zitiere -:
Die Verlogenheit der Energiedebatte hat … einen
neuen Spitzenwert erreicht. Weil die Ökostromumlage für private Haushalte Anfang 2013 steigt, holen die Gegner der Energiewende zum Gegenschlag
aus.
Ja, so ist es.
Schwarz-Gelb war sich am Mittwoch in der Aktuellen
Stunde noch nicht einmal zu schade, uns den Vorwurf zu
machen, wir würden die Energiewende zerreden. Für
diesen Akt der Verzweiflung muss man der Koalition
schon fast etwas Mitleid zollen.
({3})
Wenn Schwarz-Gelb glaubt, so den Ausstieg aus dem
Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg einleiten
zu können, dann offenbart die Koalition tatsächlich Realitätsferne. Die Wahrheit ist nämlich etwas komplizierter.
({4})
Richtig ist, dass der Abschied von Atomkraft und fossilen Energieträgern Geld kostet. Ein neues Atomkraftwerk kostet 5 Milliarden Euro.
({5})
Wer glaubt denn im Ernst, der Ersatz der deutschen
Atomkraftwerke - und auf lange Sicht auch der Kohlekraftwerke - sei umsonst zu haben?
({6})
Auch Gas und Kohle sind teurer geworden. Die Netzbetreiber haben ja schon lange auf eine Laufzeitverlängerung spekuliert. In den letzten zehn Jahren haben sie fast
überhaupt nicht mehr investiert bzw. nur noch das investiert, was unbedingt notwendig war,
({7})
weil sie, wie gesagt, auf eine Verlängerung der Laufzeit
gesetzt haben.
Bei den Ausnahmeregelungen sind Sie nach dem
Gießkannenprinzip vorgegangen. Zwischen Ihnen und
uns gibt es da durchaus einen Unterschied: Auch wir haben uns zu den energieintensiven Unternehmen bekannt;
wir sind ja nicht betriebsblind. Aber Sie erweitern den
Umfang der Ausnahmeregelungen mal eben um den
Faktor zehn. Da muss man sich schon die Frage stellen
lassen: Tut man das für die eigene Klientel, oder ist man
wirklich dem Verbraucher verpflichtet?
({8})
Um mehr Sachlichkeit in die Debatte zu bekommen,
haben wir bereits im Sommer dieses Jahres eine Große
Anfrage mit dem Titel „Die Energiewende - Kosten für
Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen“ gestellt.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Martin Lindner?
({0})
Ja, gerne.
Finden Sie es nicht ein bisschen unangemessen, mit
Blick auf uns von „Klientel“ zu reden,
({0})
obwohl Sie mittlerweile die dritte Rednerin von EUROSOLAR sind, die hier und heute ganz klar Lobbyismus
betreibt, statt sich ernsthaft an dieser Debatte zu beteiligen?
({1})
Herr Lindner, weil Sie gerade das Thema Lobbyismus
erwähnt haben, komme ich gleich einmal auf Nebeneinkünfte zu sprechen.
({0})
Zur Frage, wer von wem Nebeneinkünfte bezieht, kann
ich Ihnen sagen: Erstens habe ich keine Nebeneinkünfte.
Zweitens ist EUROSOLAR ein Verein.
({1})
Drittens muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen:
({2})
Wenn Sie Klientelpolitik betreiben, dann ist das nun einmal so; das hat jeder gesehen.
({3})
Sie haben Ihrer Klientel mehrere Milliarden Euro zukommen lassen; ich erinnere nur an die Hoteliers. Hinzu
kommt, dass Sie in die Sozialkassen gegriffen haben.
({4})
Vor diesem Hintergrund war es schon fast schizophren,
dass Sie am Mittwoch dieser Woche in einer Aktuellen
Stunde über die Auswirkungen der Strompreise auf die
unteren Einkommensschichten diskutieren wollten. Da
müssen Sie sich schon an die eigene Nase fassen.
({5})
Es ist doch wirklich ein Armutszeugnis, wenn eine
Regierung, die die Energiewende umsetzen will, noch
nicht einmal in der Lage ist, Fakten zu liefern. Sie wollen eine sachliche Debatte? Ich frage Sie: Wo sind die
Fakten? Wo sind Ihre Antworten auf unsere Fragen? Sie
verweisen nur auf den Februar 2013. Wir wollen Fakten
statt Mythen. Wo bleiben die Zahlen?
({6})
Wir wollen wissen: Was hätte es uns gekostet, wenn
wir nicht ausgestiegen und Reinvestitionen auf uns zugekommen wären? Sie geben aber keine Antworten, und
Sie haben keine Zahlen. Wenn Sie aber kein Fundament,
keinen Bauplan und keinen Bauleiter haben, dann bleibt
die Energiewende eine ewige Baustelle. Aufgrund Ihrer
Mutlosigkeit, des Fehlens von Entscheidungen und Ihrer
mangelnden Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, kommt uns diese Baustelle teuer zu stehen.
({7})
Investitionen werden zurückgestellt. Es gibt Menschen, denen der Strom abgedreht wird und die sich
selbst überlassen werden. Außerdem - es wurde schon
darauf hingewiesen - hat diese Koalition im Zuge der
Wohngeldreform die Heizkostenpauschale gestrichen.
Die Energiewende ist aber auch eine Frage der sozialen
Gerechtigkeit. Strom gehört in einem entwickelten Staat
zur Daseinsvorsorge. Wir brauchen eine ehrliche Debatte darüber, wie die Kosten innerhalb der Gesellschaft
gerechter verteilt werden und wie wir die unteren Einkommensschichten unterstützen und vor Stromabschaltungen schützen können.
Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe. Aber Sie schüren Angst. Ich finde, das
Schlimmste ist, dass Sie eine große Errungenschaft des
bisher verfolgten Weges gefährden, nämlich die Beteiligung möglichst breiter Bevölkerungskreise. Nichtstun
hat bekanntlich schon viel Unheil erspart. Aber in diesem Fall ist es anders. Die Energiewende erfordert Tatkraft, Ausdauer und Mut, und die haben Sie nicht.
({8})
Wollen Sie noch regieren? Wir sind gerne bereit, diese
Aufgabe zu übernehmen.
Herzlichen Dank.
({9})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Erik
Schweickert das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um hohe
Strompreise.
({0})
Sie sind das Resultat einer verfehlten Energiepolitik von
Rot-Grün.
({1})
Das muss man hier zu Anfang einmal deutlich betonen;
denn die Fehlentwicklungen, die zu dem heute so hohen
Strompreis geführt haben, dass wir darüber diskutieren,
haben Sie zu verantworten.
({2})
Eigentlich müssten Sie in den Keller gehen, Buße tun
und dem Verbraucher erklären, dass er heute 5,277 Cent
pro Kilowattstunde mehr für seinen Strom bezahlen
muss, weil Rot-Grün die Solarlobby mit dem EEG beglückt hat.
({3})
Wir reden heute im Prinzip über den Trittin-Soli. Statt
der angestrebten 5 D-Mark für den Liter Benzin haben
die Grünen jetzt eine EEG-Umlage von gut 5 Cent pro
Kilowattstunde erreicht. Das ist der Grund dafür, dass
wir heute hier zusammen sind.
({4})
Sie betreiben hier reine Augenwischerei, indem Sie so
tun, als ob Schwarz-Gelb für den Preisanstieg verantwortlich ist. Nein, Ursache dafür ist Ihr ErneuerbareEnergien-Gesetz aus 2000.
Sie haben Traumrenditen über 20 Jahre versprochen,
damit Sie das Ganze von den Verbrauchern nehmen
konnten. Das wollen Sie nicht mehr wissen. Es gibt ein
Dokument des Bundesumweltministerium vom 21. Juli.
Ich zitiere den Titel:
Die wichtigsten Merkmale des Gesetzes für den
Vorrang Erneuerbarer Energien …
Dort heißt es - ich zitiere noch einmal -:
Das EEG sorgt für den Ausbau der umweltschonenden erneuerbaren Energien nicht durch Subventionen, sondern durch eine Umlage.
({5})
In der Realität heißt das, dass die Verbraucher das heute
durch ihre Stromrechnung spüren.
({6})
- 2004.
({7})
Diese Umlage ist nichts anderes als eine Subvention
durch den Verbraucher, die Sie ihm aufladen.
Ihr Herr Trittin versucht jetzt, den Verbrauchern Sand
in die Augen zu streuen, indem er vom eigenen Versagen
ablenkt. Sie behaupten, die hohen Strompreise seien der
Entlastung der Unternehmen zu verdanken. Schauen wir
uns das doch einmal an: Von 3,6 Cent pro Kilowattstunde der EEG-Umlage
({8})
waren 0,6 Cent Folge der Entlastung der energieintensiven Unternehmen. Merken Sie etwas? 0,6 Cent gegenüber 3 Cent!
Es ist also klar, wer der wahre Strompreistreiber ist.
Es ist ganz sicherlich nicht die Industrie;
({9})
denn dieses Gesetz sorgt im Gegensatz zu einem Herrn
Trittin für eine Entlastung von Unternehmen, die
850 000 Arbeitsplätze in Deutschland zur Verfügung
stellen. Das haben Sie früher auch schon einmal besser
gewusst, nämlich im Jahre 2003, als Sie eine Änderung
Ihres Erneuerbare-Energien-Gesetzes beschlossen haben.
({10})
Damals haben Sie die Härtefallregelungen eingeführt
und geschrieben - ich zitiere wieder -:
Ziel der nachstehenden Regelung ist es, eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen zu vermeiden.
({11})
Also stellen Sie sich doch bitte nicht hin und kritisieren das. Sie waren auch schon einmal ehrlicher in diesem Punkt.
({12})
Herr Kollege Schweickert, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenkert?
Ja.
Herr Lenkert, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege
Schweickert, Sie sprachen gerade davon, dass die energieintensive Industrie nicht beteiligt ist. Nach einer Studie von Arepo Consult wird die energieintensive Industrie durch die Befreiungstatbestände jährlich um
10 Milliarden Euro entlastet - über alles gerechnet. Die
Befreiung von der EEG-Umlage entlastet sie um 3 bis
4 Milliarden Euro, und auch die Stromsteuerbefreiung
und die Netzentgeltbefreiung machen jeweils mehrere
Milliarden Euro aus. All diese Befreiungen sind vom
Verbraucher, von uns, über ihre Stromrechnungen für zu
Hause zu bezahlen.
Um das hier auch einmal zu sagen: Der Industriestrompreis beträgt in Deutschland unter 4 Cent je Kilowattstunde bei Direktabnahme. Ich zahle 26 Cent je Kilowattstunde und frage Sie, ob es nicht gerechtfertigt
wäre, dass wenigstens ein Teil dieser Kosten zurückverlagert wird. Alleine die Befreiung von den Netzentgelten
macht inzwischen fast 2 Cent je Kilowattstunde des
Strompreises aus, die wir als Verbraucher mitbezahlen.
Ihre Regierung, Ihre Koalition, hat jetzt den Offshorebetreibern noch ein neues Geschenk gemacht. Die Verbraucherinnen und Verbraucher - die Kollegin von der
SPD sprach es an - müssen jetzt nämlich die Anschlusskosten für die Offshorewindparks und gleichzeitig auch
noch die Kosten für die Versicherung übernehmen, falls
es nicht rechtzeitig zum Anschluss kommt.
({0})
Schon jetzt ist bekannt, dass wir 1 Milliarde Euro dafür zahlen müssen, was für uns Verbraucherinnen und
Verbraucher drei Jahre lang ein zusätzliches Netzentgelt
von 0,25 Cent pro Kilowattstunde bedeutet. Ist Ihnen das
bekannt, und was wollen Sie dagegen unternehmen?
Bitte schön.
Herr Kollege, das war jetzt sehr viel. Ich hoffe, ich
habe die Frage richtig verstanden. Sie sprechen davon,
dass Geschenke gemacht werden. Wer in dieser Situation
von Geschenken spricht, der hat den Schuss nicht richtig
gehört;
({0})
denn unsere energieintensiven Unternehmen stehen im
Wettbewerb. Ich habe Ihnen gerade die Zahlen genannt.
Angesichts der Kosten von 3 Cent pro Kilowattstunde
für die EEG-Umlage, wovon die Ausnahmen für die Unternehmen nur 0,6 Cent ausmachen, können Sie nicht
von Geschenken reden. Es bringt auch dem Verbraucher
nichts, wenn er nachher seinen Arbeitsplatz verliert, weil
wir die Ausnahmetatbestände abgeschafft haben und
sein Unternehmen schließen musste. Aber nochmals: Es
gab Parteien wie die Grünen, die diese Ausnahmen damals in den Gesetzestext hineingeschrieben haben.
Sie haben gefragt: Wie kommen wir zu bezahlbarem
Strom? Wir alle wissen, dass wir mit den Bestandsgarantien leben müssen. Diese sind von der damaligen Regierung gegeben worden. Was tun wir? Wir sorgen dafür,
dass das weitere Ansteigen des Strompreises gebremst
wird. Aber zurzeit ist es so, dass die Opposition im Bundesrat alles verhindert, was man in diesem Bereich tut.
Beim Thema Stromsteuer kann ich nur auf den Kollegen Morlok und die vorliegenden Vorschläge verweisen.
Diesen Weg können wir gerne gemeinsam gehen und die
Windfall Profits, die dabei entstehen, an die Verbraucher
weitergeben. Dafür werden wir uns einsetzen. Aber bitte
tun Sie hier nicht so, als ob das alles Geschenke seien.
Der Verbraucher muss dafür bezahlen.
Das EEG ist nicht mehr zukunftsfähig.
({1})
Wir müssen umsteuern, um zu einer bürgernahen Energiepolitik zu kommen; denn der Strom in Deutschland
muss bezahlbar bleiben. Die Energiewende darf hier
nicht auf dem Rücken der Verbraucher ausgetragen werden.
({2})
Wir wollen den Umstieg auf die erneuerbaren Energien,
aber zu akzeptablen Preisen. Es kann auch nicht sein,
dass man dann Sozialtarife und Abwrackprämien für
Energiefresser fordert. Es ist keine Lösung, Subventionen dadurch zu begegnen, dass man immer weitere Subventionstatbestände schafft. Ich weiß auch nicht, wie
man das in diesem Bereich rechtfertigen soll.
Eine weitere staatliche Überdeckung zulasten der
Verbraucher darf es in diesem Bereich nicht geben. Deswegen werden wir uns diesen Vorschlägen, die weitere
Ausgaben und weitere Subventionen vorsehen, entschieden entgegenstellen.
({3})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt das Wort der Kollege Johannes Röring von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
die ganze Zeit gedacht, wir würden über die Energiewende sprechen, eigentlich ein Erfolgsmodell. Ich bin zu
der Erkenntnis gekommen, nicht nur durch diese Debatte, sondern auch durch die vorhergegangenen zu einem ähnlichen Thema: Wenn Sozialpolitiker über Wirtschaft reden, dann kann das nur schiefgehen. Ich bin sehr
froh, dass Peter Altmaier
({0})
für die Fortentwicklung der Energiewende verantwortlich ist, die ein wichtiges Thema für uns als Kolitionsfraktion ist.
({1})
Eigentlich wollten wir über etwas anderes sprechen,
und zwar über den Antrag der Linken, in dem es um eine
soziale Energiewende und um bezahlbare Strompreise
geht. Ich habe in Ihrem Antrag etwas über kostenlose
Stromkontingente gelesen. Dazu stelle ich die Frage:
Sind diese wirklich sozial? Ich sage Ihnen: Sie sind nicht
sozial. Wissen Sie, wer das am Ende bezahlen muss?
Fleißige Handwerker, fleißige Arbeitnehmer, die jeden
Morgen zur Arbeit gehen und ihre Steuern zahlen. Sie
bezahlen dann am Ende mit ihren Abgaben diese Transferleistungen. Da sage ich Ihnen ganz deutlich: Das ist
nicht sozial.
({2})
Arbeitslosigkeit bekämpft man nicht durch das Aufblähen von Transferleistungen, sondern dadurch, dass man
Menschen in Lohn und Arbeit bringt. Das macht die
CDU/CSU sehr deutlich. Sozial ist, was Arbeit schafft.
Die Linke kritisiert die Befreiung der energieintensiven Unternehmen von der EEG-Umlage als Privilegierung der Großindustrie. Ich sage Ihnen sehr deutlich:
Unsere Industrieunternehmen stehen im Wettbewerb mit
Unternehmen in Ländern, in denen es kein EEG gibt. In
Frankreich etwa sind die Stromkosten noch nicht einmal
so hoch wie unsere EEG-Umlage.
({3})
Insofern ist es an dieser Stelle mehr als notwendig, diese
Befreiungstatbestände zu gewähren; denn wir wollen in
diesen energieintensiven Wirtschaftszweigen wettbewerbsfähige Unternehmen.
({4})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Kipping?
Ja, bitte.
Herr Röring, diese Zwischenfrage ist leider notwendig, weil Sie gerade das Modell der Linken zu einem Sockeltarif vollkommen falsch und verzerrt wiedergegeben
haben. Sie haben hier - wie im Übrigen schon oft die
Kollegen der Koalition - versucht, Erwerbslose gegen
Handwerker und Beschäftigte auszuspielen. Ich muss
aber sagen: Wie so oft ging dieser Vorwurf bzw. dieser
Versuch an der Sache vorbei. Wenn Sie sich die Mühe
gemacht hätten, das linke Modell genau anzuschauen,
wäre Ihnen das aufgegangen.
Insofern frage ich Sie, warum Sie sich das nicht genau
angeschaut haben. Dann hätten Sie bemerkt, dass von
unserem Modell eben alle - Soloselbstständige, Handwerker, Beschäftigte und Hartz-IV-Betroffene - profitieren; denn unser Modell des Gratis-Sockels ist für alle
Haushalte vorgesehen. Finanziert wird es durch eine
stärkere Bepreisung des Stroms, der darüber hinaus verbraucht wird. Ich habe es dargelegt. Unser Modell bevorteilt all diejenigen Haushalte, die weniger Strom verbrauchen, als es der Durchschnitt macht. Das heißt, es
gibt sehr wohl eine soziale Dimension; denn wir wissen,
dass Haushalte mit überdurchschnittlichem Einkommen
einen höheren Stromverbrauch haben. Sie könnten aber
gegensteuern, indem sie einfach weniger Strom verbrauchen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Ihr
Versuch, Erwerbslose gegen Handwerker auszuspielen,
mal wieder danebengegangen ist?
({0})
Ich habe beim Lesen Ihres Antrages nur feststellen
können, dass es ein linkes Modell ist,
({0})
das mit Umverteilung arbeitet. Dazu sage ich ganz deutlich: Das Umverteilen muss von irgendwem bezahlt werden. Deshalb habe ich die fleißigen Menschen angesprochen, die das mit Lohnsteuern bzw. Einkommensteuern
bezahlen müssen. Ich habe deutlich gesagt: Das ist für
mich nicht sozial. Wir müssen, wenn wir über große Unternehmen sprechen, auch die Zulieferer, die kleinen
mittelständischen Unternehmen, die ganz klar von diesen Entwicklungen profitieren, sehen.
Ich komme noch einmal ganz kurz auf das EEG insgesamt zurück. Wir in der Koalition haben ganz deutlich
gesagt, dass wir die Einspeisungstarife - gerade bei PV herunterfahren müssen. Meine Damen und Herren, ich
schaue in die ersten Reihen der Opposition. Als wir angekündigt haben, die EEG-Umlage bzw. die EEG-Vergütung bei PV, auch gemessen an der Kostensenkung bei
den Anlagen, deutlich abzusenken, standen einige aus
der ersten Reihe der Opposition mit den Solarkönigen
- Sonnenkönige kann man auch sagen - hier vor dem
Bundestag und haben demonstriert.
({1})
Uns wurde vorgeworfen, wir machten die gesamte Solarindustrie kaputt. Das muss man an der Stelle ganz
deutlich sagen.
Wir wissen, dass die EEG-Umlage sehr hoch ist. Ich
bezweifle auch gar nicht, dass es für die Bürger eine sehr
große Anstrengung ist, diese mitzahlen zu müssen. Ich
erkenne aber bei Ihnen kein Konzept, wie wir die Energiewende marktwirtschaftlich gestalten können. Wir haben jetzt mittlerweile einen 25-prozentigen Anteil regenerativer Energien. Das ist weit über Plan bzw. weit
mehr, als sich jeder von Ihnen hätte erträumen lassen.
Dass wir jetzt bei 25 Prozent angelangt sind, ist im
Grunde eine Erfolgsgeschichte. Sie wollen das im Moment zerreden.
({2})
Herr Kollege Röring, auch der Kollege Kelber hat das
Bedürfnis, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. Ich sage
aber gleich, dass es die letzte Zwischenfrage ist, die ich
zulasse.
Herr Kollege, Sie haben gerade kritisiert, dass die Opposition die Absenkung der PV-Vergütung verzögert
habe. War es vom Ablauf her nicht vielmehr so, dass
sich die Koalition am 29. März 2012 auf die Absenkung
zum 1. April verständigt hatte und dass dann nach der
gemeinsamen Sitzung im BMU mit der hiesigen Opposition zum 1. April genau diese Absenkung kam? Die gesamte Debatte lief nämlich nur über technische Fragen.
Da ging es zum Beispiel um Überbürokratisierung mit
einem dritten Zähler im Keller etc. Ist es nicht so, dass
kein einziger Cent durch die Opposition verlorenging
und dass kein einziger Tag Verzögerung durch die Opposition bewirkt wurde?
Herr Kelber, ich habe nicht nur das 2012er-EEG angesprochen; beim 2009er ist es ähnlich. Ich habe einfach
meine Beobachtung geschildert, dass bei der notwendigen Absenkung, die wir eigentlich noch etwas ehrgeiziger wollten, von Ihnen - auch von Ihnen persönlich - zusammen mit anderen erheblicher Widerstand kam.
({0})
Das hatte einen medialen Druck ausgeübt, der nicht unbedingt günstig war für die schnelle Absenkung, die wir
wollten.
({1})
Ich komme zum Schluss. Ich bin froh, dass wir mit
Peter Altmaier, Herrn Rösler und vor allen Dingen unserer Bundeskanzlerin keine Politiker haben, die ruckartig,
schnell und von heute auf morgen vorgehen. Ihnen geht
es vielmehr darum, die Energiewende in langfristiger
Perspektive zum Gelingen zu führen. Es ist ein schwieriges Manöver. Ich stelle fest: Wenn Rot-Grün das machen
müsste, würde es nur Schiffbruch erleiden. Die Anträge
von Grünen und Linken lehnen wir somit ab.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/10800 und 17/11030 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der
CDU/CSU und FDP wünschen Federführung jeweils
beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die
Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Federführung jeweils beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Ich lasse zuerst abstimmen über die Überweisungsvorschläge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen. Wer stimmt für diese Überweisungsvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Überweisungsvorschläge sind abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der Linken und der Grünen.
Ich lasse nun abstimmen über die Überweisungsvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, also Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer stimmt für diese Überweisungsvorschläge? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Überweisungsvorschläge sind mit dem gleichen Stimmenverhältnis nur
in umgekehrter Form angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge ({0})
- Drucksache 17/10818 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach von
der CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu
Recht ist das Thema der Altersvorsorge hier im Parlament ein Dauerbrenner, es bleibt eines der wichtigsten
Themen auf der Tagesordnung.
Die größte Herausforderung in den nächsten 20 Jahren ist für uns die demografische Entwicklung, das heißt,
der Altersaufbau unserer Gesellschaft. Wir haben derzeit
in Deutschland etwa 20,5 Millionen Rentenbezieher, und
nach den Prognosen werden wir in 20 Jahren etwa 30 Millionen Rentenbezieher haben. Für die meisten ist die
wichtigste Säule nach wie vor die gesetzliche Rentenversicherung. 17 Millionen deutsche Arbeitnehmer haben
bereits eine betriebliche Altersvorsorge. Inzwischen haben auch etwa 15,6 Millionen einen Riester-Vertrag abgeschlossen, das heißt, sie sorgen auch privat durch eine
staatliche geförderte Altersvorsorge vor.
Die Riester-Rente ist inzwischen zehn Jahre alt. Vor
zehn Jahren ist diese Rentenform unter Rot-Grün aufgebaut worden. Die Große Koalition hat sie vor wenigen
Jahren erweitert, beispielsweise durch eine deutlich besser steuerlich geförderte Kinderzulage und auch durch
den Einbezug der eigenen Immobilie in den Förderprozess.
Mit dem Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz wollen
wir die bestehende Rechtslage deutlich verbessern und
flexibler gestalten; denn der Markt ist für den einzelnen
Konsumenten, der später eine Riester-Rente beziehen
möchte, doch sehr komplex und sehr kompliziert: Man
kann einen Abschluss tätigen über eine Rentenversicherung, man kann ihn tätigen über einen Sparvertrag, einen
Investmentvertrag oder beispielsweise über einen sogenannten Wohn-Riester-Vertrag, also einen Bausparvertrag.
Hier gibt es gute Anbieter, aber auch viele schlechte
Anbieter, wie mancher Test, zum Beispiel bei Finanztest, in den letzten Jahren gezeigt hat. Deswegen ist es
unser Ziel, die bestehende Situation transparenter, flexibler zu gestalten und bürokratische Hindernisse zu vermeiden.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dazu möchte
ich Ihnen fünf Positionen aus dem Entwurf des Altersvorsorge-Verbesserungsgesetzes vortragen.
Die Erste ist das sogenannte Produktinformationsblatt. Für den einzelnen Nutzer des Riester-Sparvertrages wird es grundsätzlich ein Produktinformationsblatt
geben, in dem gebündelt, leicht verständlich und auch
standardisiert die Leistungen, die Garantien und auch die
Kosten dargestellt werden; denn für uns ist einer der
wichtigsten Punkte, dass der Wettbewerb durch mehr
Transparenz gestärkt wird, dass der Einzelne erkennt,
welche Kosten, Leistungen und Garantien im Vertrag
enthalten sind. Es geht hier auch um eine Kostenreduzierung für den Verbraucher, indem er erkennt, welcher
Vertrag der günstigste für ihn ist.
({0})
Wir haben in diesem Gesetzentwurf ausdrücklich
festgehalten, dass für den Einzelnen ein Anbieterwechsel möglich ist. Es kann sich für den Riester-Sparer eine
neue persönliche Situation ergeben. Deswegen soll auch
ein Anbieterwechsel möglich sein.
Wir haben allerdings auch erfahren, dass vielfach versucht wird, aus bestehenden Verträgen abzuwerben,
möglicherweise aus Provisionsgründen. Deswegen werden neue Verträge aufgrund eines Anbieterwechsels nur
maximal mit 50 Prozent der üblichen Abschluss- und
Vertriebskosten belegt werden können.
Meine Damen und Herren, inzwischen hat der sogenannte Wohn-Riester eine sehr hohe Bedeutung. Diesen
gab es zu Beginn der Riester-Förderung noch nicht.
80 Prozent der Deutschen wünschen sich eine eigene
Immobilie, ein eigenes Haus, eine eigene Wohnung, aber
nur etwa 40 Prozent können diesen Wunsch verwirklichen. Dazu ist die Förderung in diesem Bereich ein sehr
wichtiger Baustein; denn wir haben heute nicht mehr die
Eigenheimförderung, wie wir sie früher einmal hatten
- bekannt unter den §§ 7 b, 10 e Einkommensteuergesetz -, und andere Fördermöglichkeiten.
Bisher gab es nur zwei Möglichkeiten, das Guthaben
aus diesem Vertrag zu entnehmen. Eine Möglichkeit bestand in der Kauf- oder Bauphase. Es musste also ein
Kauf, eine Anschaffung getätigt werden, oder es musste
eine Herstellung vorgenommen werden, indem gebaut
wurde. Nur in dieser Phase konnte der Sparer sein Guthaben entnehmen. Eine weitere Möglichkeit bestand,
wenn er ins Rentenalter kam. Dann konnte er das Guthaben entnehmen, um damit möglicherweise Kredite abzubauen.
Das entspricht aber nicht dem Wunsch der RiesterSparer; denn sie möchten jederzeit über das Guthaben
verfügen, um möglicherweise zwischendurch Entschuldungen vornehmen zu können. Deswegen ändern wir
das Gesetz an der Stelle, indem wir sagen: Jederzeit
kann der Sparer sein Guthaben entnehmen. Das schafft
für ihn Klarheit und Sicherheit, und er kann seine Finanzierung in seinem Sinne selbst kalkulieren.
({1})
Zum Bereich des Wohn-Riesters gehört auch die Besteuerung des Wohnförderkontos. Wer eine Förderung
bekommt, muss im Alter auch Erträge versteuern. Das
gilt auch für die Wohnimmobilie.
Hierzu gab es zwei Möglichkeiten: Man konnte das
ratierlich, ausgedehnt bis zum 85. Lebensjahr machen
oder sich in einer Einmalzahlung der Steuerpflicht entledigen. Auch hier sagen wir nun: Jederzeit kann der Sparer diese Steuern abführen. Er wird damit auf alle Zeiten
von weiteren Steuerzahlungen befreit. Wenn er die Möglichkeit der Einmalzahlung in Anspruch nimmt, erhält er
30 Prozent Rabatt auf die Steuerzahlung.
Ein weiterer Punkt in diesem Bereich ist folgender:
Für uns ist sehr wichtig, dass diese Förderung nicht nur
für den Fall in Anspruch genommen werden kann, dass
man baut, kauft oder im Alter das Darlehen ablösen will;
denn für viele ist das Guthaben in dem Riester-Vertrag
oftmals das einzige Guthaben, das sie haben, um beispielsweise im Alter das Haus oder die Wohnung altersgerecht, behindertengerecht oder barrierefrei umzubauen. Es war bisher untersagt, das Geld dafür zu
verwenden. Auch das ändern wir jetzt. Das ist ein besonderer Wunsch der Bürger. Ich glaube, diesem Wunsch
gerecht zu werden, kann nur der richtige Weg sein, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Ich möchte noch kurz einen weiteren Baustein erwähnen. Es geht um die Erwerbsminderungsrente. Bisher
können nur 15 Prozent der Beiträge zur Riester-Rente
für die Erwerbsminderung genutzt werden. Wir erhöhen
dies leicht auf 20 Prozent. Das ist nur ein kleiner Baustein. Aber wir haben auch die Möglichkeit geschaffen,
in der sogenannten Basisrente die Erwerbsminderung
stärker zu fördern. Das heißt, wer einen Vertrag über die
sogenannte Basisrente oder Rürup-Rente abschließt,
kann beispielsweise seine Beiträge zur Berufsunfähigkeitsversicherung absetzen, wenn neben der Absicherung der möglichen Berufsunfähigkeit auch eine Altersrente gezahlt wird.
Wir haben insgesamt für den Aufbau einer eigenen
zusätzlichen Altersvorsorge die Förderhöchstgrenze von
20 000 Euro auf 24 000 Euro erhöht. Sehr viele Menschen sind nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
und können auch nicht auf eine betriebliche Altersversorgung oder auf ein Versorgungswerk zurückgreifen.
Ihnen bieten wir die Möglichkeit, Beiträge für eine eigene Altersvorsorge anzusammeln.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Ich denke, diese Bausteine schaffen es, die Riester-Verträge deutlich attraktiver zu machen. Ich erinnere die
Kollegen der SPD-Fraktion daran, dass immerhin Herr
Walter Riester vor wenigen Tagen bei der Hauptstadtmesse der Fonds Finanz in Berlin deutlich gesagt hat,
dass dies eine ausgesprochen attraktive Verbesserung der
Riester-Rente ist.
Vielen Dank.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin
Petra Hinz.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Flosbach, Sie haben das alles gerade sehr charmant und gewinnend vorgetragen.
({0})
- So ist er halt. Das kann ich in der Tat bestätigen. Aber
das ist das Einzige, das ich heute bestätigen werde.
({1})
Was Sie vorgetragen haben, hört sich vielleicht für
den Laien oder den, der an eine private kapitalgedeckte
Altersvorsorge denkt, um damit sein Alter abzusichern,
Petra Hinz ({2})
sehr gut an. Aber jetzt wollen wir einmal zum Kleingedruckten übergehen. Denn das, was Sie angesprochen
haben, bringt für die Nutzer von Rürup- und RiesterRente zum Teil eine Ungleichgewichtung. Insofern ist
das, was Sie gerade vorgetragen haben, Augenwischerei.
({3})
Wir haben vor der Sommerpause den Antrag der
Fraktion Die Linke „Altersvorsorge von Finanzmärkten
entkoppeln“ im Plenum beraten und ihn an den Finanzausschuss weitergeleitet. Heute beraten wir in erster Lesung den Gesetzentwurf der Regierungskoalition.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte über die
Altersvorsorge - das haben wir gerade gehört - bezieht
sich eigentlich auf zwei Ebenen. Die eine Ebene ist die
Rente im Allgemeinen, und die andere ist die kapitalgedeckte Altersvorsorge. Die erste Ebene wird sicherlich
und zu Recht im Ausschuss für Arbeit und Soziales und,
wie wir gerade gehört haben, auch in anderen Bereichen
diskutiert, und die zweite bei uns im Finanzausschuss.
Trotz alledem möchte ich gerne auch auf die erste
Ebene eingehen, zumal Herr Flosbach gerade noch einmal auf die Bedeutung hingewiesen hat und die Zahlen
der zukünftigen Rentner bzw. der Nutzer genannt hat,
also derjenigen, die bereits Riester- und vergleichbare
Verträge abgeschlossen haben. Wir haben in unserer Regierungszeit 1998 bis 2009 dafür gesorgt, dass die gesetzliche Rentenversicherung die zentrale Säule der Altersvorsorge bleibt.
({4})
Das haben Sie verschwiegen, Herr Flosbach.
({5})
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union und der
FDP, erinnern sich vielleicht an die Diskussionen zur
Abschaffung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung und zum völligen Umstieg auf eine privat finanzierte kapitalgedeckte Altersvorsorge. Das ist
noch gar nicht so lange her.
In der Zwischenzeit kam die Finanzkrise. Die Finanzkrise hat deutlich gemacht, dass unser Weg der richtige
ist: auf einer Seite die gesetzliche Rentenversicherung,
auf der anderen Seite die privat durch Kapital gedeckte
Vorsorge und auf der dritten Seite die betriebliche Altersvorsorge. Auch das ist gerade genannt worden. Aber
auch hier müssen wir der Deutlichkeit und Ehrlichkeit
halber sagen: Nicht jeder hat die Chance und Möglichkeit einer betrieblichen Altersvorsorge.
Heute reden wir also über die drei Säulen, die wir Sozialdemokraten gemeinsam mit den Grünen in der Koalition auf den Weg gebracht haben: die gesetzliche Rente,
die betriebliche Altersvorsorge und die private, kapitalgedeckte Vorsorge. Richtig ist: Wir haben 2008 WohnRiester eingeführt und deutlich gemacht, dass alle
Riester-Produkte vergleichbar sein müssen und dass keines privilegiert wird. Ihr Gesetz, dessen Entwurf nun
vorliegt, bedeutet eine Privilegierung von Wohn-Riester.
Man muss in diesem Zusammenhang über die Frage diskutieren, ob eine Immobilie immer im klassischen Sinne
zur Altersvorsorge taugt. Des Weiteren müssen wir im
weiteren Beratungsverlauf über Doppelförderung und
Doppelfinanzierung diskutieren.
Die von uns mitgetragene Rentenreform und der Ausbau privater Altersvorsorge als Ergänzung und nicht
- ich betone das noch einmal - als Ersatz, wie von CDU/
CSU und FDP gefordert, hatten vor allem das Ziel, die
nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung zu sichern und die Belastung gerade jüngerer
Generationen nicht zu groß werden zu lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und FDP, wenn
wir über die Rentenvorsorge diskutieren, dürfen wir
nicht den Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt und den
Arbeitsplätzen aus den Augen verlieren. Menschen, die
arbeiten und letzten Endes aufstocken müssen, also
Arbeitslosengeld II beziehen, werden natürlich keine
Riester-Verträge abschließen - seien diese noch so optimal für die Gruppe der Geringverdiener zugeschnitten -,
weil sie mit dem, was sie für ihre Arbeit erhalten, gar
nicht auskommen. Sie haben also kein auskömmliches
Einkommen. Insofern stellt sich hier die Frage nach der
Ehrlichkeit. Wir müssen dafür sorgen, dass Mindestlöhne eingeführt werden, dass für gleiche Arbeit der
gleiche Lohn gezahlt wird und dass Frauen bei gleicher
Qualifikation entsprechend gefördert und berücksichtigt
werden. Das sind Ansätze, die es Menschen ermöglichen, während ihres Berufslebens für das Alter anzusparen und so nicht in Altersarmut zu geraten.
({6})
Über die Erfahrungen, die wir in den letzten zehn Jahren mit Riester und seit 2008 mit Rürup gesammelt haben, haben wir bereits vor der Sommerpause hier diskutiert. Wir haben eingeräumt: Es gibt Optimierungs- und
Transparenzbedarf. Genau diesen Punkt Ihres Gesetzentwurfs greifen wir möglicherweise positiv auf. Aber es
handelt sich nur um einen Punkt. Die Produktinformationsblätter müssen so gestaltet sein, dass die Produkte
nachvollziehbar, transparent und vergleichbar sind. Dem
können wir so zustimmen. Bereits in der Debatte vor der
Sommerpause, als wir uns zum ersten Mal aufgrund eines Antrags der Fraktion Die Linke damit befasst haben,
haben wir Sozialdemokraten darauf verwiesen, dass
auch Kostentransparenz gegeben sein muss. Die Gebühren müssen gedeckelt werden. Am besten wäre es, wenn
gar keine Gebühren erhoben würden. Auf jeden Fall
muss das auf den Prüfstand gestellt werden. Die Kostentransparenz muss optimiert werden.
Der Gesetzentwurf geht sicherlich in die richtige
Richtung. Aber gemessen an Ihren großen Ankündigungen muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Sie sind als Bettvorleger gelandet. Sie haben zwar viel Wind gemacht
und für Wirbel gesorgt. Aber unter dem Strich haben Sie
nichts auf den Weg gebracht.
Ein anderer Punkt, den wir in der Diskussion über die
steuerliche Förderung der kapitalisierten Altersvorsorge
angesprochen haben, ist die Grundsicherung. Für viele
Petra Hinz ({7})
Menschen ist ein Grund, keinen Riester-Vertrag abzuschließen, dass sie sich ausrechnen, aufgrund des geringen Entgelts, das sie für ihre Arbeit bekommen, im Alter
in die Grundsicherung zu geraten. Das ist ein großer
Baustein; das müssen wir angehen. Es kann nicht sein,
dass das, was für das Alter angespart wird, möglicherweise angerechnet wird. Nein, auch denjenigen, die
Grundsicherung beziehen, müssen die Erlöse der
Riester-Rente zur Verfügung gestellt werden.
({8})
Wir sind jetzt im parlamentarischen Prozess und werden über den Gesetzentwurf diskutieren, ihn beraten.
Unsere Verbesserungsvorschläge werden wir einbringen.
Ich kann Ihnen nochmals bestätigen und auch zusagen: Die Punkte, in denen Sie uns gefolgt sind, nämlich
im Bereich der Transparenz und der Gebührendeckelung, werden wir gern mittragen.
Warum Sie bei der Basisrente im Alter die Förderhöchstgrenze von 20 000 Euro auf 24 000 Euro erhöhen
und damit eine einseitige Förderung vornehmen wollen,
die Förderhöchstgrenze bei der Riester-Rente aber bei
2 100 Euro belassen wollen, das müssen Sie uns schon
noch erklären. Es sind einige Fragen, die geklärt werden
müssen. In diesem Zusammenhang ist das, wie eben gesagt, die Frage, warum Sie die Förderhöchstgrenze ohne
Not auf 24 000 Euro erhöhen wollen, obwohl doch bei
20 000 Euro die Abschöpfung noch nicht erreicht ist.
({9})
Das sind die Fragen, die wir im Rahmen der Beratungen
noch ansprechen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinne
wünsche ich uns eine gute Beratung. Vielen Dank für
Ihre Aufmerksamkeit. Wie wir im Ruhrgebiet sagen:
Glück auf!
Ich hoffe, Ihnen ist bei meinen Ausführungen deutlich
geworden, lieber Herr Flosbach, dass wir über die steuerlichen Fragen reden können, aber Ursache und Wirkung nicht verwechseln dürfen.
({10})
Faire Löhne und ein auskömmliches Einkommen sind
sehr wichtig, wenn man eine Altersvorsorge aufnehmen
will. Nur wer faire Löhne bekommt, kann auch für sein
Alter vorsorgen.
Wir haben eine Verantwortung für die junge Generation. Wir können ihr nicht immer mehr aufbürden. Wir
sollten deutlich ansprechen, ob wir mit Ihrem Gesetzentwurf Klientelpolitik betreiben oder ob wir gleiche Förderung für alle, Riester- und Rürup-Verträge, gewähren
wollen.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schäffler von
der FDP-Fraktion.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Frau Hinz, bevor Sie hier Vermutungen äußern,
sollten Sie sich über die Sachlage informieren.
({0})
Schon heute ist es so, dass auf die Grundsicherung die
Rürup-Rente, also die Basisrente, wie auch die RiesterRente nicht angerechnet werden.
({1})
- Nein, das ist schon heute der Fall.
Das Gesetz trägt den richtigen Namen, nämlich „Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz“; denn darum geht es.
Wir wollen letztendlich die Flexibilität und den Spielraum für die individuelle Altersvorsorge verbessern
- das ist das Ziel dieses Gesetzes -, und das machen wir
auch; das machen wir sehr konkret.
Was wir zum Beispiel beim Wohn-Riester einführen,
ist letztendlich nichts anderes als die Schaffung des Kapitalwahlrechts, damit die Menschen selbst entscheiden
können, was sie mit ihrem Geld machen, ob sie es verrenten lassen, ob sie es in ihre Immobilie investieren
oder in der Rentenphase zur Tilgung für ihre Immobilie
nutzen. Das ist mehr Freiheit, die die Menschen durch
das Gesetz bekommen.
Das Gesetz folgt auch, finde ich, steuerpolitisch einem richtigen Ansatz; denn steuerpolitisch muss es egal
sein, ob man heute konsumiert oder im Alter konsumiert.
Aber das ist in unserem Steuerrecht leider nicht so. Wer
normal spart, dem nimmt der Staat von den Zinsen, von
der Ernte, jedes Jahr etwas weg.
({2})
Wenn man das über einen langfristigen Sparprozess betrachtet, erkennt man: Der Staat nimmt nicht nur 25 Prozent plus Soli plus Kirchensteuer weg, sondern er wird
dem Normalverdiener am Ende 50 bis 60 Prozent weggenommen haben.
Deshalb hat Rot-Grün das damals geschaffen. Sie von
Rot-Grün haben nämlich Anreize dafür geschaffen, dass
Sparen nicht diskriminiert wird, sondern dass Sparen genauso behandelt wird wie der Konsum heute. Das ist
steuerpolitisch aus meiner Sicht genau richtig.
({3})
- Das ist kein Skandal,
({4})
sondern das ist genau richtig.
Aber was falsch ist, ist das, was Ihr Parteivorsitzender
vorgeschlagen hat, nämlich dass man aus individuellem
freiwilligen Sparen eine Pflicht zum Sparen macht. Das
ist genau der falsche Ansatz. Wir wollen die Menschen
nicht zu ihrem Glück zwingen, ihnen nicht vorschreiben,
ob sie heute sparen oder morgen sparen, ob sie heute
konsumieren oder morgen konsumieren, sondern wir
wollen, dass die Menschen das selbst entscheiden, auch
entscheiden, woraufhin sie sparen. Das ist entscheidend.
({5})
Was Ihr Parteivorsitzender vorgeschlagen hat, ist im
Kern ein Angriff auf das Eigentum der Bürger. Er hat
vorgeschlagen, dass 2 Prozent des Einkommens in eine
betriebliche Altersvorsorge eingezahlt werden müssen.
Das ist das Gegenteil von dem, was wir wollen. Jemand,
der monatlich 2 000 Euro verdient, soll nach dem Vorschlag Ihres Parteivorsitzenden jedes Jahr zwangsweise
480 Euro in eine betriebliche Altersvorsorge einzahlen.
Das kann doch keine vernünftige Forderung sein. Wenn
Menschen für eine Immobilie sparen, haben sie vielleicht gar nicht die Möglichkeit, zusätzlich etwas für
eine betriebliche Altersvorsorge beiseitezulegen.
({6})
- Von Ihrem Parteivorsitzenden rede ich.
({7})
Er hat das vorgeschlagen, das ist sein Papier „Altersarmut bekämpfen - Lebensleistung honorieren - Flexible
Übergange in die Rente schaffen“.
({8})
Ihr Parteivorsitzender hat vorgeschlagen, dass jeder Arbeitnehmer, der 2 000 Euro Einkommen hat, 480 Euro in
eine betriebliche Rente einzahlen soll.
Das ist keine soziale Politik, sondern Gängelung des
Sparers; geben Sie es doch zu!
({9})
- Doch, das ist soziale Politik: weil wir die Menschen in
die Lage versetzen, so vorzusorgen, wie sie es für richtig
empfinden,
({10})
ob durch Vorsorge für die Ausbildung der Kinder, ob
durch Sparen auf eine Immobilie, ob durch eigene Altersvorsorge. Das ist eine Entscheidung, die jeder Einzelne höchstpersönlich treffen können muss.
({11})
Das darf Herr Gabriel den Menschen nicht vorgeben.
Das ist nicht unsere Vorstellung von vernünftiger Politik.
Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass wir
auf diese Krise, die ja eine Verschuldungskrise ist,
({12})
anders reagieren als Sie. Auf eine Verschuldungskrise
muss man mit einer Sparkultur reagieren. Das heißt, man
darf Sparen nicht diskriminieren. Zur Wahrheit gehört:
Inflation und finanzielle Repression führen dazu, dass
Sparen unterminiert wird, dass Sparen unattraktiv wird.
Deshalb müssen wir alle darauf achten, dass das, was die
Menschen in die Altersvorsorge stecken, durch Inflation
oder finanzielle Repression nicht aufgezehrt wird.
({13})
Das wusste Ludwig Erhard, als er sagte:
Die Inflation muß vielmehr als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am
Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.
Wir sollten alle darauf achten, dass das nicht stattfindet.
Vielen Dank.
({14})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege
Matthias Birkwald das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem Entwurf des Altersvorsorge-Verbesserungsgesetzes soll die Riester-Rente transparenter und
vergleichbarer werden. Das hört sich für all jene, die sich
schon mit dem Dickicht der privaten Altersvorsorge beschäftigen mussten, gut an. Wer im Dunkeln steht, kann
eine Taschenlampe gut gebrauchen.
Auch wir Linken wollen, dass jene Menschen, die bereits Riester-Verträge abgeschlossen haben, nicht allein24140
gelassen werden. Doch die Linke will keineswegs zusehen, wie immer mehr Menschen in das Gestrüpp der
privaten Altersvorsorge geschickt werden; denn eine Taschenlampe ändert am Dickicht nichts. Die Linke will
das Dickicht roden, statt es nur ein wenig auszuleuchten.
({0})
Das ist dringend nötig, das wäre verantwortungsvoll,
und das wäre auch machbar.
Doch Union und FDP wollen die kapitalgedeckte Altersvorsorge stärken - so steht es im Gesetzentwurf und dazu die Riester-Rente ein wenig aufhübschen. Die
Bundesregierung will uns glaubhaft machen, dass mit
ein wenig Nachhilfe die Riester-Rente sich so entwickeln könnte wie das hässliche Entlein, das nach und
nach zu einem prächtigen Schwan heranwächst. Das
wäre eine gewaltige Entwicklung; doch daran zu glauben, würde in einer ebenso gewaltigen Enttäuschung enden. Deswegen sollten wir darauf verzichten.
({1})
Meine Damen und Herren, in der Alterssicherung
brauchen wir keine Märchen, sondern Wahrhaftigkeit.
Wir brauchen keine diffuse Hoffnung, sondern Sicherheit. Wie schon Helmut Kohl sagte: „Entscheidend ist,
was hinten rauskommt.“
Wir brauchen keine milliardenschwere Riester-Förderung, sondern jeden Cent, damit die gesetzliche Rente
wieder den Lebensstandard sichern und vor Altersarmut
schützen kann. Das muss heute das Thema sein.
({2})
Darüber müssen wir reden. Dazu müssen wir die richtigen Entscheidungen treffen.
Union und FDP wollen mit dem Gesetzentwurf die
Riester-Vorsorge von einer ganz schlechten Leistung zu
einer nur noch ein bisschen schlechten Leistung ummodeln. Das reicht nicht.
({3})
Die unter SPD und Grünen beschlossene Rasur der
gesetzlichen Rente war - das wissen wir heute alle - eine
vollkommen falsche Entscheidung. Die Altersarmut
steigt. Gestern stand es wieder in den Zeitungen. Mit der
Riester-Rente sollte die politisch gerissene Rentenlücke
geschlossen werden. Das - das ist heute klar - wird
vorne und hinten nicht hinhauen. Das weiß auch die
Bundesregierung. In ihrem eigenen Rentenversicherungsbericht aus dem Jahr 2011 weist sie eindeutig nach:
Früher, als es noch keine Riester-Einkünfte gab, hat die
gesetzliche Rente allein mehr eingebracht als morgen die
gesetzliche Rente und die Riester-Vorsorge zusammengenommen. - Eine gesetzliche Rente, Frau Hinz, die
noch im Jahr 2009 1 000 Euro wert gewesen wäre, wird
selbst mit Riester im Jahr 2025 nur noch 987 Euro wert
sein, und das trotz all der Milliarden, die der Staat dazugibt. Aber es kommt noch schlimmer. Diese Rechnung
stimmt nämlich nur, wenn man durch eine rosarote Brille
auf die Kapitalmärkte blickt, so wie der Kollege
Schäffler eben; denn die Regierung rechnet im Rentenversicherungsbericht mit 4 Prozent Verzinsung. Das ist
vollkommen unrealistisch.
({4})
Die ganze Riesterei ist sozialpolitisch - und das heißt:
vor allem für die Versicherten - ein Riesenflop. Deshalb
muss Schluss damit sein.
({5})
Die Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre zeigen
sehr deutlich, dass die Altersvorsorge nicht dem Treiben
der Finanzmärkte und der Versicherungswirtschaft ausgesetzt werden darf. Das Riester-Problem kann mit den
Instrumenten des Verbraucherschutzes nicht gelöst werden. Mehr Transparenz bei Riester wird nicht zu mehr
Vernunft auf den Finanzmärkten führen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.
Herr Schäffler, noch einmal an Ihre Adresse: Wer bisher kein Geld für eine Riester-Vorsorge hatte, wird nicht
plötzlich welches haben, nur weil die Riester-Angebote
leichter zu verstehen sind. Mehr Transparenz führt auch
nicht dazu, dass die Menschen das notwendige biblische
Alter erreichen, um eine vernünftige Rendite aus der
Riester-Vorsorge zu erhalten. Ich erinnere noch einmal
daran: Eine Frau, die vor zehn Jahren im Alter von
35 Jahren eine Riester-Rente abgeschlossen hat, muss
knapp 80 Jahre alt werden, um ihre eingezahlten Beiträge wieder herauszubekommen. Will sie eine kleine
Rendite von 2,5 Prozent erhalten, muss sie 90 Jahre, bei
5 Prozent Rendite muss sie 20 Jahre älter werden als
Herr Heesters, also 128 Jahre leben. Das heißt doch:
Nicht allein die Umsetzung der Riester-Rente ist falsch,
sondern das ganze Konzept ist falsch.
({6})
Letztendlich erweist sich die Teilprivatisierung der Altersvorsorge als ein gigantisches Förderungsprogramm
für die Versicherungswirtschaft. Deswegen verstehe ich
auch, warum die FDP sich so sehr dafür einsetzt. Seit
2002 brachte das Riester-Geschäft den Versicherern mehr
als 36 Milliarden Euro ein. Angesichts der Finanzmarktkrise ist eine weitere staatliche Subvention von privater
Vorsorge bei gleichzeitigem Abbau der gesetzlichen
Rente unverantwortlich.
({7})
Allein an die sechs größten Anbieter von Riester-Verträgen sind mehr als 4 Milliarden Euro an Zulagen und
rund 14 Milliarden Euro an Beiträgen geflossen. Trotz
dieser immensen Summen weiß die Bundesregierung
nicht, wie hoch die Rentenansprüche der Versicherten
sind. Sie weiß auch nicht, wie viel Kapital zur Deckung
der Rentenansprüche zur Verfügung steht. Das haben wir
abgefragt. Die Riester-Rente gaukelt Sicherheit vor, wo
keine ist. Sie ist also nicht nur sozialpolitisch unsinnig,
sie ist sogar gefährlich.
({8})
Union, FDP, aber auch SPD und Grüne nehmen das einfach so hin. Die Linke macht da nicht mit. Deswegen
wollen wir das grundsätzlich ändern.
({9})
Die Linke fordert: Vorrang für die gesetzliche Rente!
Die für die Riester-Rente ausgegebenen Steuersubventionen in Milliardenhöhe müssen endlich in die gesetzliche Rente umgeleitet werden. Das Drei-Säulen-Prinzip
von gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge ist gescheitert. Das müssen Sie doch endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Wenn die Rente basierend auf
diesen drei Säulen hinterher niedriger ist als die frühere
gesetzliche Rente, dann kann man sagen: Sechs, setzen!
({10})
Das sagt übrigens nicht nur die Linke. Was ich sage,
hat jüngst - natürlich viel freundlicher und wissenschaftlicher formuliert - das Institut für Makroökonomie und
Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung mit der
Studie „Auf dem Weg in die Altersarmut. Bilanz der
Einführung der kapitalgedeckten Riester-Rente“ nochmals eindrucksvoll dargelegt.
Deswegen sage ich: Wir müssen jetzt die gesetzliche
Rentenversicherung so wiederherstellen, dass sie den
Lebensstandard sichert und vor Altersarmut schützt.
Ohne ein ausreichendes Rentenniveau von 53 Prozent
vor Steuern werden nämlich auch Menschen mit guten
Löhnen keine guten Renten erhalten. Denn nur die gesetzliche Rente bietet wirkliche Sicherheit und echte Solidarität.
Herzlichen Dank.
({11})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der
Kollege Dr. Gerhard Schick.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Birkwald, das war jetzt nicht nur „Licht ins
Dickicht bringen“, sondern Sie schlagen ja nichts anderes als einen Kahlschlag vor.
({0})
In der deutschen Sprache gibt es hierfür noch ein anderes Bild: das Kind mit dem Bade ausschütten. Nur
weil es im Riester-Bereich Defizite gibt, heißt das doch
nicht, dass man gleich alles abschaffen muss. Vielmehr
geht es darum, die vorhandenen Probleme konkret anzugehen. Das ist die Aufgabe, die vor uns liegt.
({1})
Man kann nicht nur aus der momentanen Situation an
den Finanzmärkten heraus argumentieren, das reicht
nicht. Vielmehr sollte man grundsätzlich überlegen, ob
es nicht sinnvoll ist, eine Kombination aus umlagefinanzierter Rente und kapitalgedeckter Rente anzustreben,
weil beide unterschiedliche Stärken und Schwächen haben.
Unser grüner Weg lautet: Schwerpunkt der Altersvorsorge bleibt die gesetzliche umlagefinanzierte Rente, es
ist jedoch richtig, eine ergänzende kapitalgedeckte Vorsorge zu haben. Jetzt geht es darum, das Ganze optimal
umzusetzen.
Es gibt ein entscheidendes Problem: Wir stellen fest,
dass eine Reihe von Produkten, die am Markt sind, für
sich genommen nicht attraktiv sind, sondern erst durch
die steuerliche Förderung attraktiv werden. Das heißt:
Der Staat subventioniert mit Steuergeld Produkte, die an
sich keine guten Produkte sind. Das können wir den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern nicht zumuten.
Hier muss korrigiert werden.
({2})
Von daher ist die Grundintention, die Sie mit den Zielen in Ihrem Gesetzentwurf niederschreiben, zunächst
einmal nicht falsch: Stärkung der Verbraucher im Markt
und Verbesserung des Anlegerschutzes. Die Frage ist allerdings: Was machen Sie daraus? Setzen Sie diese Ziele
wirklich um, oder bleiben Sie auf halbem Wege stecken?
Bei einem Blick auf die vorgetragene Kritik wird klar,
dass der Reformbedarf insgesamt groß ist und man daher
mit halben Schritten die Kernprobleme nicht wird lösen
können. Ein Kernproblem liegt im Vertrieb; dort bleibt
viel zu viel Geld stecken. Viele müssen nach einigen
Jahren feststellen, dass sie zwar für eine Beratungsleistung mehr oder minder guter Qualität gezahlt haben,
dass sie aber de facto nur sehr wenig Kapitel für ihre Altersvorsorge haben ansparen können. An dieses Problem
müssen wir herangehen.
Wir müssen überdies darauf hinwirken, dass die Menschen eine klare Vorstellung davon erhalten, wie viel
Geld sie eigentlich ansparen. Es ist aufgrund der vorhandenen Informationen bisher nur schwer möglich, zu erkennen, welche Ansprüche im gesetzlichen umlagefinanzierten Rentensystem gesammelt und wie viele
Gelder in der privaten und betrieblichen Vorsorge angespart wurden.
Erst wenn man alle Ansprüche sinnvoll zusammenrechnen kann, kommt man zu einer realistischen Gesamtvorstellung und fühlt sich nicht mehr Vertretern so
ausgesetzt, die mit einer Altersarmutslücke argumentieren und Menschen damit möglicherweise zu falschen
Formen der Vorsorge überreden.
Deswegen ist uns wichtig, dass der Informationsfluss
verbessert wird. Das Produktinformationsblatt ist in diesem Zusammenhang eine gute Idee. Es ist auch gut, dass
es gesetzliche Vorgaben zu Aufbau, Optik und Inhalt
dieses Informationsblattes geben soll. Hier sollten internationale Erfahrungen aufgegriffen und einbezogen werden.
Aber warum soll das nur für Neuverträge gelten und
nicht für bereits abgeschlossene Verträge? Wir müssen
außerdem darauf achten, dass die Informationen in dem
Produktinformationsblatt nicht ihrerseits irreführend
sind, weil beispielsweise die Berechnungsmethoden
nicht klar sind.
Zweiter wichtiger Punkt beim Thema Information:
Wir wollen, dass die Menschen die Ansprüche aus den
verschiedenen Systemen „zusammendenken“ können.
Das ist in Ihrem Gesetzentwurf bisher nicht vorgesehen.
Da ist eine Lücke; da werden wir nachhaken.
({3})
Sie schaffen eine Produktinformationsstelle Altersvorsorge. Nun muss man sich fragen: Was wird das hier
bringen? Die Stelle soll die Simulationsverfahren festlegen und die Berechnungen durchführen, deren Ergebnisse in die Produktinformationsblätter einfließen sollen.
Aber warum braucht es denn neben der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen und der Zertifizierungsstelle eine dritte Institution? - Das ist in Sachen Bürokratieabbau schon ein sehr interessanter Vorschlag aus
Ihren Reihen. Zudem muss man sich fragen: Werden die
Ergebnisse wirklich offengelegt? Ich glaube, es ist notwendig, die Berechnungsmethoden offenzulegen, um
wirkliche Transparenz und Kontrolle zu ermöglichen.
Denn wir stellen fest, dass es in der Branche eine heftige
Auseinandersetzung darüber gibt, wie man die einzelnen
Kennziffern berechnet, weil sich die verschiedenen Anbieter Vorteile versprechen: Je nachdem, wie es berechnet wird, können sie das eine oder andere Produkt besser
am Markt platzieren. - Wir müssen schauen, dass hier
keine Blackbox entsteht, sondern ein öffentlich überprüfbares Simulationsverfahren, um wirklich gute Informationen für die Menschen sicherzustellen.
({4})
Es ist richtig, dass Sie die Kosten beim Anbieterwechsel angehen. Der Wechsel ist schwierig, deswegen
der Wettbewerb nicht gut. Aber warum bleiben Sie wieder auf halbem Weg stehen? Sie begrenzen die Kosten,
die der bisherige Anbieter in Rechnung stellen darf, auf
150 Euro. Eine kurze Frage, die wir im Gesetzgebungsprozess klären müssen: Wie kommt man eigentlich auf
diese Zahl? - Die Begrenzung der Kosten bezieht sich
aber nur auf das Unternehmen, von dem man wegwechselt, also auf die sogenannten Goodbye-Kosten. Aber bei
den Hello-Kosten, also den Kosten, die entstehen, wenn
man zu einem Anbieter hinwechselt, fehlt eine klare Begrenzung. Deswegen wäre der Anbieterwechsel, wenn
man Ihrem Gesetzentwurf folgte, nach wie vor zu teuer.
Wir meinen, dass man da noch nachlegen muss.
({5})
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Es gibt
meines Erachtens einen interessanten Vorschlag der
Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg. Es
geht um die Frage: Soll es ein staatlich bereitgestelltes
Basisprodukt geben?
({6})
Ich glaube, wir sollten sehr ernsthaft darüber nachdenken. Es geht nicht darum, hier ein Obligatorium, etwas
Verpflichtendes zu schaffen, sondern darum, ernst zu
nehmen, was viele Menschen sagen, nämlich: Ich will
mich damit nicht beschäftigen müssen, weil es für mich
zu kompliziert ist.
({7})
Meine feste Überzeugung ist: Der Staat sollte die private, kapitalgedeckte Vorsorge für die Menschen so einfach wie möglich gestalten.
({8})
- Das eine ist die gesetzliche Rentenversicherung. Aber
auch zur ergänzenden Vorsorge kann man, wenn man
dem schwedischen Beispiel folgt, ein Basisprodukt anbieten und den Menschen die Wahlmöglichkeit lassen,
andere Wege zu gehen, wenn ihnen das Angebot nicht
ausreicht. Ich glaube, das ist ein guter Vorschlag, und
wir werden ihn in die Beratungen einbringen.
Ich finde, da sollte man nicht so ideologisch reagieren, wie Sie von der FDP es gerade tun, sondern sich
einmal fragen: Was ist eigentlich gut für die Menschen
in unserem Lande? - Die Menschen sind bereit, Vorsorge zu leisten. Sie haben aber keine Lust, sich durch
komplizierte Verträge zu wühlen oder sich mit dem Gefühl, vielleicht doch über den Tisch gezogen zu werden,
in ein Beratungsgespräch zu begeben. Ich finde, wir sollten den Menschen eine Wahlmöglichkeit geben, ihnen
also ermöglichen, eine Variante auswählen. Gleichzeitig
sollten wir von staatlicher Seite aus Informationen bereitstellen und einen möglichst einfachen Weg der privaten Altersvorsorge ermöglichen. Dafür werden wir Grünen streiten. Das wird viel Licht bringen. Man muss aber
nicht gleich einen Kahlschlag machen, sondern kann
das, was Sie auf den Weg gebracht wurde, optimieren
und voranbringen.
Danke schön.
({9})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Dr. Mathias Middelberg das Wort.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kollegen! Da hier über die
Rente generell, also auch über die gesetzliche Rente, gesprochen und behauptet wurde, wir, die CDU/CSU, stellten die gesetzliche Rente infrage, möchte ich sagen: Das
ist völliger Unsinn; das haben wir zu keinem Zeitpunkt
getan. Wenn man sehr sorgfältig betrachtet, wer die besten Beiträge zum Thema Stabilisierung der gesetzlichen
Rente leistet, dann erkennt man: Es ist die momentane
Regierung mit ihrer guten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.
({0})
Ich will Sie einmal an die Worte eines bekannten und
erfahrenen Politikers erinnern:
Wenn man sich die Rentenversicherungssystematik
insgesamt anschaut, weiß man: Das Wichtigste, das
man tun kann, ist, für … Arbeit zu sorgen. … Die
spätere Entwicklung hängt davon ab, wie sich die
Arbeitslosigkeit … entwickeln werden.
Dies ist ein, wie ich finde, völlig richtiges und zutreffendes Zitat Ihres früheren Bundesarbeitsministers Franz
Müntefering. Daran wollen wir uns orientieren, wenn
wir heute feststellen, dass wir damals, als diese Worte
gefallen sind, nämlich 2006, 5 Millionen Arbeitslose in
diesem Land hatten und diese Zahl bis heute auf 2,7 Millionen gedrückt haben.
({1})
Wir hatten 2006 26 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, also Einzahler in die sozialen Sicherungssysteme. Wir sind heute bei fast 29 Millionen. Das
heißt, wir haben diese Zahl um 3 Millionen gesteigert.
({2})
3 Millionen mehr Einzahler in die gesetzlichen Versicherungssysteme - das ist der beste Beitrag, den man zur
Stabilisierung dieser Systeme leisten kann.
({3})
Fakt ist aber, dass das Rentenniveau dennoch stetig
sinken wird.
({4})
Das liegt am Verhältnis der Zahl jüngerer Menschen zu
der älterer Menschen, der Bezieher aus diesem System
und derer, die einzahlen. An diesen Fakten werden wir
leider nichts ändern können. 1960 hatten wir noch vier
Erwerbstätige, die einen Rentner finanzierten. Im Jahre
2050 werden es nur noch zwei Erwerbstätige sein, die einen Rentner zu finanzieren haben. Darauf müssen wir
reagieren.
Ich bin froh über große Teile des Beitrags des Kollegen Schick von den Grünen. Ich begrüße auch Ihr Bekenntnis zu einer zusätzlichen Säule der kapitalgedeckten Alterssicherung. Darüber sollten wir uns in großen
Teilen des Hauses einig sein. Wir sehen es aber nicht so,
wie Herr Birkwald es für die Linken hier gerade dargestellt hat. Es geht jetzt darum, dieses System zu stabilisieren und die Produkte besser und attraktiver zu machen.
Es stimmt, was Herr Schick gesagt hat - auch da
stimme ich ihm ausdrücklich zu -: Zu viele Kosten bleiben im Vertrieb hängen. Wir setzen gerade an diesem
Punkt an - das Stichwort „Produktinformationsblatt“ ist
hier schon gefallen; mein Kollege Klaus-Peter Flosbach
hat dazu Ausführungen gemacht -, um die Vertriebskosten, also die Vermittlerprovision, und am Ende auch die
Rendite des Produkts für die Interessenten transparenter
und vergleichbarer zu machen. Wenn man das Ergebnis
in einem auch optisch gut gestalteten Produktinformationsblatt einheitlich und übersichtlich darstellt, wird das
dazu führen, dass auch der Normalverbraucher die verschiedenen Produkte miteinander vergleichen und feststellen kann, welches das für ihn geeignete Produkt ist
und mit welchem Produkt er die beste Rendite erzielt.
Es kann vielleicht sogar staatliche Anbieter geben.
Das würde ich nicht generell ausschließen; aber die Kosten müssen auch dort glasklar und sauber ausgewiesen
sein. Ich habe immer meine Bedenken, wenn wir zu viel
Beteiligung des Staates beschließen. Wir haben das bei
den Landesbanken sehr schön gesehen. Ich bin vorsichtig bei staatlicher Betätigung im wirtschaftlichen Bereich, aber ich würde dazu nicht generell Nein sagen.
Dann müssen allerdings gleiche Spielregeln für alle gelten, und dann wollen wir - ich wiederhole mich - absolute Vergleichbarkeit der verschiedenen Produkte. Das
wird ohne Frage auch zu mehr Wettbewerb zwischen
den Anbietern führen, und das ist letztlich gut, um die
Vertriebskosten zu drücken.
({5})
Ich will auf andere Punkte nur kurz eingehen. Einige
Punkte, die Sie angesprochen haben, Herr Schick - Entschuldigung, dass ich Sie gerade im Gespräch mit Ihren
Kollegen stören muss -,
({6})
sind diskutabel, so etwa zum Stichwort „Anbieterwechsel“. Ich möchte Ihnen und Frau Hinz signalisieren: Wir
haben einige Punkte, über die wir sehr sachlich und offen miteinander sprechen könnten. Das sollten wir positiv mit in die Gespräche nehmen, die vor uns stehen. Wie
gesagt, es gibt durchaus diskutable Ansätze.
Unterm Strich möchte ich feststellen: Es ist vielleicht
kein ganz großer Wurf; aber es sind technisch ganz
wichtige Punkte, an denen wir ansetzen: mehr Transparenz, Vergleichbarkeit, mehr Wettbewerb im System.
Mit den Verbesserungen beim sogenannten WohnRiester sorgen wir nicht für Schlagseite.
({7})
Wir tun damit wirklich etwas für die Menschen. Der altersgerechte Umbau, um nur dieses Stichwort zu nennen,
ist für viele, auch für viele, die heute hier sind, ein wichtiges Thema. Das Thema „altersgerechter Umbau“ beschäftigt viele Menschen. Dass wir den sogenannten
Wohn-Riester diesbezüglich nutzbar machen, ist, um nur
ein Beispiel zu nennen, ein wirklich wichtiger Fortschritt.
({8})
Da wir uns heute unter Finanzpolitikern unterhalten,
will ich mit folgendem Hinweis abschließen - das ist mir
nicht unwichtig in diesem Zusammenhang -: Ihr Honorarredner und jetziger Kanzlerkandidat, Herr Steinbrück,
({9})
hat neulich in der Sendung Günther Jauch seine Ideen
zur Steuerpolitik vorgestellt. In der Sendung ging es um
seine „Honorarreden“. Bei dieser Gelegenheit wurde
ziemlich zum Schluss gefragt: Was wollen Sie eigentlich
steuerpolitisch machen? Dann kam die Ansage: Der
Spitzensteuersatz steigt auf 49 Prozent. 7 Prozent mehr!
Die Abgeltungsteuer steigt auch um 7 Prozentpunkte,
von 25 auf 32 Prozent. Die Vermögensteuer kommt noch
oben drauf. - Was Sie machen, ist ein Generalangriff auf
den Mittelstand, auch auf den betrieblichen Mittelstand.
({10})
Sie sagen, dass Sie den betrieblichen Mittelstand außen
vor lassen wollen. Das wird Ihnen nicht gelingen.
Das wird so laufen, wie es bei der SPD immer läuft:
Sie nehmen den Leuten erst einmal das Geld aus der Tasche.
({11})
Wenn Sie den Spitzensteuersatz nach oben ziehen - das
verschweigen Sie; viele Leute meinen, das würde nur die
Spitzenverdiener treffen -, dann verläuft die ganze Steuerkurve steiler.
({12})
Das heißt, auch all diejenigen, die sich im mittleren Bereich befinden, werden kräftig zur Kasse gebeten.
({13})
Jeder Handwerker, jeder Facharbeiter zahlt drauf. Sie
nehmen den Leuten erst das Geld aus der Tasche, und
nachher kommt der liebe Honoraronkel Steinbrück und
sagt: Ich gebe euch jetzt einen netten Zuschuss zu eurer
betrieblichen Altersvorsorge. - Das ist Ihr Plan.
({14})
Dazu kann ich nur sagen: So können wir das nicht machen. Das ist gar keine Alternative. Man kann den Leuten nicht erst das Geld aus der Tasche ziehen und es ihnen nachher mit gönnerhafter SPD-Geste wieder
zurückgeben.
Herr Middelberg, erlauben Sie zum Abschluss eine
Zwischenfrage des Kollegen Sieling?
Gerne.
Bitte.
Weil ich den Eindruck habe, dass die Dinge hier ein
bisschen durcheinandergebracht werden, möchte ich Sie
fragen, ob Sie vielleicht noch nicht wahrgenommen haben, dass die SPD im Zusammenhang mit dem hier vorgetragenen Einkommensteuerkonzept plant, die Einkommensgrenze, ab der der Spitzensteuersatz zu zahlen
ist, von jetzt 53 000 Euro auf 100 000 Euro zu erhöhen,
wodurch ein ganz anderer Kurvenverlauf entsteht als
der, den Sie hier unterstellen.
({0})
Betroffen wären nur Menschen, die mindestens
6 500 Euro und als Verheiratete mindestens 13 000 Euro
im Monat verdienen. Haben Sie das zur Kenntnis genommen, und können Sie mir bestätigen, dass der Spitzensteuersatz unter Kanzler Helmut Kohl in diesem
Land bei 53 Prozent lag?
({1})
Letzteres will ich Ihnen gerne bestätigen. Da war die
Bemessungsgrundlage aber eine ganz andere. Sie war
nämlich viel enger.
Ad zwei: Ihr Kanzlerkandidat hat in der Jauch-Sendung gerade dies nicht genannt, woraus ich entnehme,
dass das für ihn gar nicht so klar ist. Wir sind ganz gespannt, ob Sie diese Untergrenze, wenn Sie in der Regierungsverantwortung sind, einhalten werden.
({0})
Was ich im Übrigen zum Thema Abgeltungsteuer
festgestellt habe, trifft zu. Auch mit der Vermögensteuer
treffen Sie letzten Endes in der Breite die mittelständischen Betriebe. Darüber müssen Sie sich im Klaren sein.
Es bleibt dabei: Sie nehmen den Leuten erst das Geld
aus der Tasche und wollen nachher großzügig staatliche
Zuschüsse verteilen.
({1})
Das ist immer Ihr Modell gewesen. Das preisen Sie uns
auch jetzt als Lösung an. Ich kann nur jedem raten, das
abzulehnen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer
von der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am liebsten
würde ich meine Redezeit damit verbringen, meinem
Vorredner zu widersprechen,
({0})
aber ich widerstehe dieser Versuchung. Er wird das im
nächsten Jahr schon erleben. Dann hat er einen gewissen
Lerneffekt, und das ist ja auch okay.
Ich habe hier gestern einer Besuchergruppe von mir
erzählt, dass ich heute eine Rede halten werde. Sie fragten mich natürlich sofort, zu welchem Thema ich reden
werde. Ich antwortete: Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz. Daraufhin begann eine Diskussion. Sie fragten
mich sofort: Oh, worüber redest du? Wirst du etwas zu
Frau von der Leyens Zuschussrente und zur Bekämpfung der Altersarmut sagen? Wirst du etwas zur Generationengerechtigkeit, zum Vorschlag der jungen Abgeordneten sagen? Wirst du etwas zum Vorschlag von Herrn
Laumann - wir kommen ja aus dem Münsterland -, also
zum Vorschlag des Arbeitnehmerflügels, sagen? Findest
du nicht auch toll, welche Rentenvorschläge die CSU
hat? - Ich musste die Diskussion leider abwürgen und
habe gesagt: Nein, es geht nur um die steuerliche Förderung der privaten Altersvorsorge. Alles andere regelt
diese Regierungskoalition leider immer noch nicht.
({1})
Herr Flosbach hat in seiner Rede gesagt, er greife fünf
Punkte heraus. Leider enthält der Gesetzentwurf auch
nur fünf Ziele. Ich weiß nicht, ob wir in der zweiten und
dritten Lesung noch zehn weitere nachgeliefert bekommen. Bei manchen Zielen kann man sagen: Okay, das ist
vielleicht eine kleine Verbesserung. Aber hier eine
Stunde lang darüber zu diskutieren und so zu tun, als ob
wir mit diesen fünf Zielen in der Bundesrepublik etwas
grundlegend verbessern, ist schon ein bisschen unredlich.
({2})
Ich möchte meinen Kollegen von den Linken ein bisschen widersprechen. Wir hatten einen guten Grund für
das Drei-Säulen-Modell. Ich denke, wir sollten es weiterentwickeln und fortführen. Die gesetzliche Rentenversicherung ist natürlich die Grundlage. Sie muss lebensfähig
bleiben. Obwohl wir immer weniger Beitragszahler haben, müssen wir uns überlegen, wie wir das schaffen. Das
ist schwierig genug. Deswegen muss sie mit der betrieblichen Rente ergänzt werden. Das sehe ich genauso wie
mein Parteivorsitzender, dessen Name meinem Vorredner
gar nicht über die Lippen kam. Ich kann gerne sagen, dass
er Sigmar Gabriel heißt.
({3})
Die Idee, so viele wie möglich in eine Betriebsrente als
zweite Säule einzahlen zu lassen, finde ich sehr löblich.
Ich bin auch der Meinung, dass die dritte Säule, die private Altersvorsorge, sinnvoll ist.
Die Riester-Rente haben wir aus guten Gründen eingeführt. Vom System her ist sie so angelegt gewesen,
dass Menschen, die relativ wenig Einkommen haben,
mit Förderanteilen in die Lage versetzt werden, etwas
für ihre Rente zurückzulegen. Dieses Zurücklegen kann
man durchaus wörtlich nehmen. Es war eigentlich nicht
so gedacht, dass man permanent etwas herausnimmt und
sich Häuser davon baut. Diese Erweiterung auf WohnRiester geht an dem ursprünglichen Modell vorbei. Ich
weiß nicht, ob man das so stark privilegieren sollte. Ich
bin da sehr skeptisch.
({4})
Ich komme zur nächsten von Ihnen geplanten Verbesserung: Thema Rürup. Sie haben bei der Versicherung
von Selbstständigen eine offene Flanke. Gegen das Konzept von Frau von der Leyen, Selbstständige zwangszuversichern, gibt es eine Petition, die 80 000 Menschen
unterzeichnet haben. Ich denke, das ist eine große Zahl,
und das zeigt, dass Sie für diese Personengruppe keine
Lösung anbieten. Es reicht, glaube ich, nicht aus, Rürup
etwas transparenter zu machen. Wir müssen für die
Selbstständigen sorgen. Mir wäre es am liebsten, wenn
die Selbstständigen in der gesetzlichen Rentenversicherung wären.
({5})
Darüber sollten Sie vielleicht einmal nachdenken. Der
Sprung von 20 000 auf 24 000 Euro ist keine Revolution. Ich habe grundsätzlich nichts dagegen; aber Sie
sollten zur Kenntnis nehmen, dass das System an den
Menschen, die es brauchen, ein Stück weit vorbeigeht.
({6})
So gut es den heutigen Rentnern auch geht, dürfen wir
nicht verkennen, dass wir momentan 4,2 Millionen Beschäftigte haben, die weniger als 1 500 Euro verdienen.
Das liegt daran, dass es keinen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gibt, dass es prekäre Arbeitsverhältnisse und sehr viele 400-Euro-Jobs gibt.
({7})
- Gut. - In dieser Situation befinden wir uns. Diese
Menschen haben weder Riester- noch Rürup-Verträge.
Um diese Menschen müssen wir uns kümmern; denn sie
werden von Altersarmut betroffen sein.
({8})
Ich möchte Sie daher bitten, Ihr Konzept grundlegend
zu überarbeiten und in ein Gesamtkonzept einzubinden
und die Baustellen, die Sie in anderen Bereichen haben,
endlich anzugehen, ob mit Zuschüssen wie beim Kon24146
zept von Frau von der Leyen, ob mit Pflegeanrechnungszeiten oder anders. Einigen Sie sich bitte auf ein Konzept, damit die Menschen Klarheit haben und sehen, was
sie im Alter erwartet. Das wissen sie nämlich nicht, weil
nicht klar ist, welche Ihrer Vorschläge umgesetzt werden. Machen Sie ein Gesamtkonzept! Dann sehen die
Menschen, wie große ihre persönliche Lücke sein wird,
und können mit Riester oder Rürup darauf reagieren.
Überarbeiten Sie diese fünf Ziele! Ich würde sie um zehn
weitere Ziele ergänzen. Es kann nur besser werden.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Daniel Volk von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sehr auffällig, Frau ArndtBrauer, dass Sie durch Ihren eigenen Redebeitrag im
Grunde gezeigt haben, dass auch Sie das Thema private
Altersvorsorge offenbar viel zu gering einschätzen. Dies
ist vor allem deswegen auffällig, weil es ja gerade Ihre
Partei war, die einige dieser Modelle eingeführt hat. Das
ist ein weiterer Punkt, bei dem sich die SPD von Projekten, die gerade einmal vor zehn Jahren eingeführt worden sind, verabschiedet.
({0})
Das ist tatsächlich ein auffälliger und aufmerksam zu beobachtender Prozess.
({1})
Ich denke schon, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern, den Steuerzahlern, auch die Bedeutung und die
Wichtigkeit einer privaten Altersvorsorge deutlich machen müssen. Insofern ist es, glaube ich, kein guter Beitrag in dieser Diskussion, die private Altersvorsorge ausdrücklich als weniger wichtig darzustellen. Man sollte
sie eher als viel wichtiger darstellen.
({2})
Deswegen ist es gut, dass hier ein Gesetzentwurf vorgelegt worden ist, mit dem die Bürgerinnen und Bürger
dazu gebracht werden, privat für ihre Altersvorsorge zu
sorgen.
({3})
Den Beitrag des Kollegen Schick von den Grünen
fand ich demgegenüber in einzelnen Punkten recht hilfreich. Es ist sicherlich der eine oder andere Punkt angesprochen worden, über den man während der Beratung
diskutieren sollte. Ich meine aber, dass die Idee eines
staatlich angebotenen Vorsorgeproduktes oberflächlich
betrachtet sehr attraktiv klingt, sich aber bei Lichte, bei
genauerer Betrachtung, durchaus die Frage stellt: Wer
soll eigentlich wissen, dass dieses eine staatlich organisierte Vorsorgeprodukt das effizienteste ist?
({4})
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dort, wo der
Staat in die Wirtschaft eingreift, die Effizienz schlichtweg eher leidet. Deswegen habe ich Probleme, diesem
Vorschlag zu folgen.
Bezeichnend war allerdings der Beitrag vonseiten der
Linksfraktion. Herr Birkwald, dass Sie sich hier nicht
hingestellt und einen ehemaligen Sozialminister, nämlich Norbert Blüm, zitiert haben, der „Eines ist sicher:
die Rente“, gesagt hat, wunderte mich.
({5})
Eines ist doch mittlerweile klar geworden, nämlich dass
wir die zwei weiteren Säulen neben der gesetzlichen
Rentenversicherung deswegen etablieren und stärken,
weil ein Vertrauen allein auf die gesetzliche Rentenversicherung schlicht nicht ausreicht. Das ist doch wohl jedem klar geworden.
({6})
Sich vor diesem Hintergrund hier hinzustellen und zu sagen: „Alles andere weg, alles in die gesetzliche Rentenversicherung“, ist wider besseres Wissen und wider jegliche Erfahrung aus der Vergangenheit.
({7})
Im Übrigen wurde hier angesprochen: Na ja, das mit
dem Wohn-Riester ist eigentlich nicht der richtige Ansatzpunkt.
({8})
Ich möchte es genau andersherum betonen. Ich glaube,
wir sollten viel stärker das Wohneigentum der einzelnen
Bürger in den Vordergrund stellen.
({9})
Wenn man sieht, wohin momentan die Geldströme fließen,
({10})
dann sollte man diese Bedeutung wachsen lassen, und
das machen wir mit dem Wohn-Riester.
Sie haben die Frage gestellt: Wer kann sich das denn
leisten? Ich kann Ihnen sagen: Das kann sich derjenige
leisten, der einen Arbeitsplatz hat. Entscheidend ist, dass
wir wieder eine solch gute wirtschaftliche Entwicklung
haben, auch auf dem Arbeitsmarkt, dass sich die Leute
das wieder leisten können.
({11})
Für die private Altersvorsorge wäre es ein Problem,
wenn die Arbeitslosenzahlen wieder in die Höhe schnellen würden.
({12})
Wir haben für eine gute Entwicklung gesorgt. Insofern
ist es nur konsequent, dass wir in einem zweiten Schritt
den Entwurf eines Altersvorsorge-Verbesserungsgesetzes vorlegen.
Ich freue mich auf die Beratungen. Ich denke, Sie
sollten noch einmal darüber nachdenken, ob Sie diesem
Gesetzentwurf nicht doch uneingeschränkt zustimmen.
({13})
Vielen Dank.
({14})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat jetzt die Kollegin Bettina Kudla das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Lassen Sie mich die Debatte zusammenfassen:
({0})
Die Sozialversicherungssysteme zukunftsfest zu machen, ist eine der größten politischen Herausforderungen, jetzt und in den kommenden Jahren.
({1})
Funktionierende Sozialversicherungssysteme sind eine
enorme Errungenschaft der sozialen Marktwirtschaft.
Die Sozialversicherungssysteme tragen sich schon seit
vielen Jahren nicht mehr allein durch die Beitragszahlungen, sondern müssen durch erhebliche Steuerzuschüsse mitfinanziert werden.
({2})
Am größten ist der Zuschuss zur Rentenversicherung,
dann folgt der zur Arbeitslosenversicherung und als
Drittes der Zuschuss zur Krankenversicherung. Für die
CDU/CSU- und die FDP-Fraktion steht dabei immer im
Vordergrund, eine sinnvolle Balance zu finden zwischen
dem, was die Beitragszahler leisten können, und dem,
was aus der Versicherung für die Bürger bezahlt werden
muss.
Die Rentenversicherung hat, gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, die mit Abstand
größte Bedeutung. Von fast jedem Redner wurde das
Dreisäulenmodell angesprochen. Das Dreisäulenmodell
hat sich gerade deswegen bewährt, weil die drei Säulen
unterschiedlich sind. Die gesetzliche Rentenversicherung ist umlagefinanziert.
({3})
Das ist ein einmaliges System, das es nicht in jedem anderen europäischen Land gibt. Es hat sich bewährt, weil
es davon abhängig ist, was die Bevölkerung erwirtschaftet.
({4})
- Es gibt nicht überall umlagefinanzierte Systeme.
({5})
Umso wichtiger ist, dass das Rentenversicherungssystem auf drei Säulen steht. Drei Säulen bieten nämlich
eine größere Sicherheit als zwei Säulen oder gar nur eine
Säule.
({6})
Die Bedeutung der privaten Vorsorge steigt vor dem
Hintergrund der demografischen Entwicklung; ich
werde gleich noch auf sie eingehen.
Ferner wurde in der Debatte dargelegt, wie wichtig
das Wirtschaftswachstum ist. Die Senkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung um immerhin 0,7 Prozentpunkte im kommenden Jahr wäre ohne Wirtschaftswachstum nicht möglich.
({7})
Von den Kollegen der Linken wurde angesprochen,
dass es, bedingt durch die staatliche Förderung der
Riester-Rente, zu Marktverzerrungen gekommen ist.
Hier muss man allerdings berücksichtigen: Staatliche
Anreize haben immer Auswirkungen auf bestimmte
Branchen; das gilt für die Versicherungsbranche genauso
wie für die Solarbranche. Für mich zumindest wiegt die
Tatsache, dass man etwas Positives tut, wenn man die
private Vorsorge fördert, schwerer als irgendwelche
Marktverzerrungen. Ich beurteile es auch nicht als negativ, wenn dies dazu führt, dass eine bestimmte Branche
dann wirtschaftlich tätig werden kann. Das darf natürlich
nicht zu Verwerfungen und Nachteilen führen. Aber es
ist ja gerade die Intention des Gesetzentwurfes, die
Dinge transparenter zu gestalten, um eventuelle Verwerfungen zu vermeiden.
({8})
Kaum ein Redner hat angesprochen, dass der Staat bei
der Riester-Rente eine ganze Menge drauflegt.
({9})
Eine Familie mit zwei Kindern kann pro Jahr fast
1 000 Euro vom Staat dazubekommen.
({10})
- Moment! - Für ein Kind, das nach 2008 geboren
wurde, bekommt man eine Zulage von immerhin
300 Euro pro Jahr. Das ist eine ganze Menge. Auf Ihre
Frage: „Was kommt dabei heraus?“ antworte ich Ihnen:
Bei einem Sparvorgang kommt nichts heraus, wenn man
ein schlechtes Produkt wählt, das an Wert verliert. Das
Produktinformationsblatt ist ja gerade dazu da, die Dinge
transparenter zu machen und die Bürger davor zu schützen, dass sie von der Finanzbranche quasi über den Tisch
gezogen werden.
({11})
Transparenz und Durchschaubarkeit: Das muss das Ziel
sein,
({12})
und nur das sollte der Staat fördern.
Ich denke, hier sollte man auch stärker an die Finanzbranche appellieren, dass sie die Anleger entsprechend
seriös berät. Hier sehe ich nicht nur die Privatbanken,
sondern genauso die Sparkassen und die Volksbanken in
der Pflicht.
({13})
- Es bleibt nicht bei Appellen, Herr Schick, sondern es
bleibt ganz konkret bei dem Produktinformationsblatt,
das auch veröffentlicht werden muss,
({14})
und der Vertrag kann auch drei Jahre lang widerrufen
werden, falls die Angaben in diesem Produktinformationsblatt unrichtig waren.
Es wurde ferner eine sogenannte Privilegierung von
Wohn-Riester angesprochen. Das ist nicht richtig. Es besteht ein Wahlrecht. Man kann entweder eine normale
Rente erhalten oder ein Wohn-Riester-Angebot nutzen.
Ich denke, man sollte auch den Bürgern mit einem geringen Einkommen die Möglichkeit geben, mit staatlicher Unterstützung auf eine Eigentumswohnung oder ein
Eigenheim anzusparen. Sicherlich wird das nicht bei jedem möglich sein, aber ich denke, man sollte nicht so
überheblich sein, kategorisch zu sagen: Die Eigentumsbildung wird bei geringen Einkommen nicht möglich
sein.
({15})
Außerdem ist der ganze Gesetzentwurf behindertenfreundlich.
({16})
Es werden auch Umbaumaßnahmen für Barrierefreiheit
gefördert.
({17})
Insofern kann man festhalten: Der Entwurf des Altersvorsorge-Verbesserungsgesetzes ist eine gute Sache.
Übrigens: Es zeugt von einer kontinuierlichen Politik,
dass die Bundesregierung auch etwas fortsetzt, was eine
Vorgängerregierung eingeführt hat,
({18})
dass sie es mitträgt und dass sie es positiv weiterentwickelt, indem sie die Instrumente flexibler gestaltet.
Die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion sorgen mit ihrer Initiative dafür, dass die Menschen mit einem geringen Einkommen im Alter neben der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch noch eine private
Rente erhalten können und damit im Alter besser abgesichert sind.
Vielen Dank.
({19})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/10818 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Eine gesetzliche Obergrenze für verbrauchergerechte Dispositionszinsen
- Drucksache 17/10988 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Dr. Axel Troost, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Begrenzung der Zinssätze für Dispositionsund Überziehungskredite
- Drucksache 17/10855 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Vizepräsidentin Petra Pau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Carsten Sieling für die SPD-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden hier in diesem Hause heute nicht das erste Mal
über das Thema Dispozinsen. Der Grund dafür ist, dass
das Problem nicht gelöst ist und die Rezepte der Bundesregierung nicht helfen.
({0})
Was ist das Problem? Auf Tausenden von Kontoauszügen finden sich in dieser Republik regelmäßig überhöhte Dispozinsen wieder. Die Stiftung Warentest hat
gerade in dieser Woche veröffentlicht und bekannt gemacht, dass der Durchschnitt der Dispozinsen in
Deutschland bei 11,8 Prozent liegt - und das in einer Situation, in der sich die Banken mit 0,12 Prozent bei der
EZB refinanzieren können. Das riecht verdammt nach
Wucher.
({1})
Ich möchte Ihnen gerne diese Entwicklung grafisch
zeigen, damit man genau sieht, was stattgefunden hat.
({2})
Man sieht sehr genau, wie der Zinssatz von 2003 bis
2010 - das ist die grüne Linie -, insbesondere nach der
Finanzkrise, nach unten gegangen ist, während die Dispozinsen nach oben gegangen sind, also genau gegenläufig. Man sieht fast die Figur eines Krokodils, das das
Maul weit aufreißt, und mittendrin steht der Verbraucher.
Dagegen müssen wir etwas machen.
({3})
- Mit blauem Dach. Das Schlimmste daran ist das Blaue.
Wahrscheinlich ist auch noch ein bisschen Gelb dabei,
lieber Kollege; denn das Schlimme kann in diesem
Hause immer nur von rechts kommen.
({4})
Ich will sagen: Unser Konzept ist es jetzt, gesetzlich
vorzugehen, weil es nicht mehr ausreicht, zu Kaffeekränzchen einzuladen und die Branche zu bitten. Wir haben vier Eckpunkte. Wir stellen in den Vordergrund: erstens das Kundeninteresse, zweitens den Grundsatz der
Vertragsfreiheit - dazu sage ich gleich etwas, weil wir
keine starre Obergrenze vorsehen; auch solche Vorschläge gab es -, drittens die Berücksichtigung der Argumente und Sorgen der Banken, dass ihre Verwaltungskosten nicht gedeckt sein könnten, und viertens die
Tatsache, dass es europarechtskonform ist.
Ich darf Ihnen noch einmal mein schönes Krokodil
zeigen. Anhand dieser Grafik leiten wir unseren Vorschlag ab.
({5})
Sie erkennen hier an der roten Linie - das ist über die
Jahre die Differenz zwischen dem Leitzins und den Dispozinsen -, dass bis zum Ende des Jahres 2008 der Aufschlag auf den Leitzins bei etwa 8 Prozentpunkten gelegen hat. Man kann das als Indiz dafür auffassen, dass
sich hierin die Kostensituation im Durchschnitt der
Branche widerspiegelt. Unvertretbar ist eben, dass diese
Linie nach oben geht.
Wir schlagen deshalb vor, durchaus und bewusst als
sehr marktreagibles Instrumentarium, dass wir auf den
jeweils gültigen Leitzins einen Aufschlag von 8 Prozentpunkten als Obergrenze zulassen. Das bedeutet in der
aktuellen Situation: Der höchste Dispozins, der genommen werden dürfte, läge bei 8,12 Prozent und nicht bei
11,8 Prozent, wie es zurzeit Realität ist.
({6})
Darum ist das, was wir hier vorschlagen, eine deutliche
Verbesserung.
Ich darf auch sagen, dass die Dispozinsen dann, wenn
darüber gegangen wird, also bei geduldeter höherer Inanspruchnahme, höchstens doppelt so hoch sein dürfen.
Das ist die Wuchergrenze nach BGB. Damit würde das
hohe Niveau insgesamt gesenkt, ohne dass man für die
Branche unvertretbare Zustände schafft, aber für den
Verbraucher viel Gutes erreicht. Ein solches Gesetz sollten wir machen. Das schlagen wir als SPD vor.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Marco
Wanderwitz das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege von der Sozialdemokratie hat hier gerade
richtigerweise gesagt: Wir widmen uns hier im Plenum
des Deutschen Bundestages mittlerweile das dritte Mal
in dieser Legislaturperiode demselben Thema.
({0})
- Hören Sie doch erst einmal zu, bevor Sie dazwischenrufen. - Es kann nicht falsch sein, sich Themen regelmäßig anzuschauen, die wichtig sind. Allerdings haben wir
uns die letzten Jahre mit einem durchschnittlich höheren
Dispozins auseinandergesetzt, als das derzeit der Fall ist.
Die Zahlen, Herr Kollege, die Sie hier zitieren, kenne
ich auch. Ich kenne aber auch die Zahlen, die das Bundesfinanzministerium im ersten Halbjahr veröffentlicht
hat. Der Unterschied zwischen den Zahlen des Bundesfinanzministeriums und den Zahlen, die jetzt Finanztest
veröffentlicht hat, ist, dass die des Bundesfinanzministeriums wirklich alle Banken umfassen, während Finanztest natürlich nur die Zahlen aufnehmen konnten, von
denen sie erfahren haben. Nach den Zahlen des Finanzministeriums liegt der durchschnittliche Dispozins bei
10 Prozent und nicht bei 11,8 Prozent.
({1})
- Hören Sie einmal weiter zu, ich erkläre es Ihnen.
Der europäische Durchschnitt liegt bei 8,8 Prozent.
Wir in Deutschland liegen im Durchschnitt bei 10 Prozent, also in der Tat immer noch etwas oberhalb des europäischen Durchschnitts, aber eben bei weitem nicht
mehr so weit darüber wie in den letzten Jahren.
Als wir das letzte Mal hier darüber gesprochen haben,
haben wir auf eine Studie verwiesen, die Bundesministerin Aigner in Auftrag gegeben hat. Mittlerweile kennen
wir die Ergebnisse dieser Studie des Instituts für Finanzdienstleistungen und des Zentrums für Europäische
Wirtschaftsforschung. Des Weiteren gibt es - das meine
ich zumindest - interessante Zahlen einer Forsa-Umfrage zu diesem Thema aus dem Juli 2012. Forsa sagt:
80 Prozent der deutschen Haushalte verfügen über einen
Dispozinsrahmen. Jeder vierte nutzt ihn jährlich, und nur
jeder sechste nimmt ihn regelmäßig in Anspruch. Ich
sage das, damit wir ein bisschen ein Gefühl für die Zahlen bekommen. Manchmal wird in der Debatte so getan,
als ob 100 Prozent der deutschen Bevölkerung regelmäßig mit hohen Summen im Dispo wären.
({2})
- Hier im Haus hat es jetzt wohl niemand gesagt; aber
die Debatte wird teilweise so geführt.
Wenn man bedenkt - wir liegen ein wenig oberhalb
des europäischen Schnitts -, dass wir in Deutschland in
der Fläche ein breites Angebot an klassischen Filialbanken - Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken - haben,
dann ist das einer der Punkte, durch den für mich ein
Stück weit schlüssig wird, warum die Kosten höher sind.
Kundennähe kostet Geld. „Mittelwert“ heißt auch - das
ist, denke ich, leider in Ihrem Redebeitrag absolut zu
kurz gekommen -, dass es einen Durchschnitt gibt. Natürlich gibt es Banken und Sparkassen, die günstiger
sind, und es gibt welche, die teurer sind. So entsteht ein
Durchschnittssatz. Es gibt welche, die teilweise erheblich günstiger sind.
Die Forsa-Umfrage sagt dazu Folgendes: Überhaupt
nur 43 Prozent der Verbraucher kennen ihren Dispozinssatz. Es ist relativ einfach: Man guckt auf seinen Kontoauszug, dann kennt man ihn. Aus solchen Zahlen, meine
ich, kann man Rückschlüsse ziehen. 13 Prozent würden
laut dieser Forsa-Umfrage allein aufgrund eines deutlich
günstigeren Dispozinssatzes ihre Bank wechseln.
In dieser von mir genannten Studie fällt der wichtige
Satz:
… greift es zu kurz, die Zinsdifferenz zwischen
Geldmarktzinsen … und dem Dispozinssatz als Gewinnmarge der Bank darzustellen, wie dies bisweilen in der öffentlichen Diskussion geschieht.
Ich meine, dass genau das der entscheidende Punkt
ist. Es ist nicht so, dass wir das alles hier nicht schon debattiert hätten. Zumindest ist es eine zu einfache Darstellung, zu sagen: Das ist der Refinanzierungszins, und das
ist der Dispozins.
Für die Bildung der Zinshöhe gibt es natürlich noch
weitere Faktoren. Das sind neben den Refinanzierungskosten zum Beispiel die Eigenkapitalkosten. Wir haben
hier politisch mit breitem Konsens gesagt: Die Eigenkapitalquoten der Banken sind uns zu niedrig. Wenn wir
die, was richtig ist, erhöhen, bedeutet das aber auch, dass
für jeden Kredit höheres Eigenkapital hinterlegt werden
muss.
({3})
- Wenn Sie mir bis zum Ende zugehört hätten, hätten Sie
sich auch diesen Zwischenruf ersparen können.
Verschiedene Instrumente der Banken - beispielsweise der klassische Ratenkredit, der Dispokredit oder
die Bürgschaft - werden zweifellos zum einen einzeln
kalkuliert. Zum anderen aber haben wir die Situation,
dass ein Gesamtpaket schlüssig gebildet werden muss.
Jetzt sage ich einfach mal ganz offen: Wenn eine Bank
oder Sparkasse einen Dispositionskredit auf den Markt
bringt, den schon die Filiale einer Bank nebenan günstiger anbieten kann, und der Verbraucher das nicht wahrnimmt, dann stelle ich mir doch - wenn ich einen funktionierenden Preiswettbewerb habe; der ist offensichtlich
in Deutschland vorhanden - die Frage: Warum soll ich
dann als Gesetzgeber mit den von Ihnen vorgeschlagenen scharfen Eingriffen regulieren?
({4})
Darf ich überhaupt regulieren? Darf ich solche Eingriffe
in Eigentum vornehmen? Ich meine, dass wir das in Anbetracht der Preis- und Wettbewerbssituation, wie wir sie
haben, jedenfalls nicht dürfen.
Des Weiteren ist die Situation so, dass wir überhaupt
keine validen Zahlen haben, ob und, wenn ja, wie viele
Verbraucher die teuersten der Dispokredite - die gern als
die Preisprobleme angeführt werden, welche sie zu
Recht darstellen - überhaupt in Anspruch nehmen. Es
gibt keine belegbare Zahl, ob die teuersten der Dispokredite am Markt überhaupt von irgendwelchen Verbrauchern in Anspruch genommen werden. Insofern kann
auch das aus meiner Sicht kein Argument sein, diese Regulierung vorzunehmen.
Es gäbe eine ganze Menge milderer Möglichkeiten. In
Ihrem Antrag ist ein Beispiel enthalten, für das ich
durchaus Sympathie empfinde. Da geht es um die
Pflicht, auf günstigere Kredite hinzuweisen. Ich sehe
aber auch da momentan noch nicht die Notwendigkeit,
gesetzgeberisch tätig zu werden. Unsere Ministerin
Aigner hat vor kurzem auf der Ebene der Banken und
Sparkassen ein Gespräch geführt, bei dem insbesondere
die Thematik „Mehr Transparenz bei den Dispokreditzinsen“ behandelt wurde. Der Finanztest weist zu Recht
darauf hin, dass sich manche Banken wegducken. Transparenz ist, glaube ich, ein wichtiges Thema. Für gesetzliche Regulierungen sehen wir aber derzeit überhaupt
keine Notwendigkeit.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ja, Herr Wanderwitz, Sie haben recht: Wir diskutieren in dieser Legislaturperiode das dritte Mal über
die Deckelung von Dispozinsen. Leider haben Sie vergessen, zu erwähnen, dass wir das dritte Mal auf Grundlage eines Antrages der Linken über die Deckelung der
Dispozinsen diskutieren. Ich möchte Sie an dieser Stelle
fragen: Wo ist eigentlich der Antrag der Koalition zu
diesem Thema?
({0})
Aktuell liegt der durchschnittliche Dispozinssatz in
Deutschland laut Stiftung Warentest - diese Zahl haben
wir - bei fast 12 Prozent, lassen Sie es meinetwegen
10 Prozent sein. Das ändert aber nichts an der Tatsache,
dass es Banken gibt, die Dispozinsen von über 15 Prozent verlangen. Es ändert auch nichts an der Tatsache,
dass sich die Banken ihr Geld für gerade einmal
0,75 Prozent leihen. Das heißt, da liegt eine Gewinnspanne von 11 Prozentpunkten - oder lassen Sie es
9 sein - dazwischen. Das ist viel zu viel. Das geht zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher, und deswegen muss der Gesetzgeber endlich handeln.
({1})
Die Frage ist: Wen trifft das eigentlich? Das trifft vor
allen Dingen Geringverdiener, das betrifft Menschen, die
keinen Kleinkredit bekommen würden, das heißt, die
Banken verdienen ihre Milliarden an den Geringverdienern, die sowieso schon nichts zu verschenken haben.
Das sind diejenigen Menschen, die nicht von heute auf
morgen ihre Bank wechseln können, das sind Menschen,
die vielleicht froh sind, dass sie überhaupt ein Girokonto
haben - Sie stehen immer noch in der Pflicht, das Recht
auf ein Girokonto festzuschreiben -, und deswegen zielen Ihre Argumente völlig ins Leere.
({2})
Wir als Linke bringen jetzt zum dritten Mal einen Antrag zu diesem Thema in den Deutschen Bundestag ein.
Wir fordern nach wie vor die Begrenzung der Dispound Überziehungszinsen. Wir sagen: 5 Prozent über dem
Basiszinssatz sind genug für einen Dispokredit. Was tut
die Bundesregierung? Es ist schon erwähnt worden: Sie
lädt zu Kaffeekränzchen ein, und es werden dauernd
Gutachten in Auftrag gegeben,
({3})
in denen interessante Sachen festgestellt werden - ich
darf zitieren -:
… dass die Erträge aus dem Dispokreditgeschäft
die Kosten, die dem Kreditinstitut … entstehen,
deutlich übersteigen, …
Das heißt doch übersetzt nichts anderes: Die Banken
zocken ab und sanieren sich auf Kosten ihrer ärmsten
Kundinnen und Kunden.
({4})
Das gern bemühte Argument, dass die Banken diese
Gewinnspannen brauchen, um beispielsweise das hohe
Ausfallrisiko bei der Kreditvergabe aufzufangen, stimmt
einfach nicht. Das belegt übrigens auch das Gutachten
der Ministerin. Die Bearbeitungskosten haben sich in
den vergangenen Jahren überhaupt nicht erhöht, und das
Ausfallrisiko bei Dispokrediten liegt gerade einmal bei
0,3 Prozent. Es gibt also keinen einzigen Grund, sich mit
diesen Argumenten die Untätigkeit der Regierung
schönzureden.
({5})
Sie selber wissen genau, dass die Schutzbehauptungen der Banken nicht stimmen. Trotzdem weigern Sie
sich, zu handeln. Da wird auf diskrete Ansprache und
freiwillige Maßnahmen gesetzt. Sie bitten die Bankinstitute höflich um ein Gespräch, damit sie vielleicht das
eine oder andere tun, aber welche Bank würde, ohne
dass der Gesetzgeber eingreift, freiwillig auf Milliardengewinne verzichten wollen? Das Ergebnis des Gespräches der Ministerin mit den Banken und Verbraucherverbänden Anfang Oktober ist mehr als dürftig. Die
Dispozinsen dürfen weiter völlig überhöht bleiben, aber
die Banken versprechen, ihre abgezockten Kunden künftig besser zu informieren. Schönen Dank auch!
Wissen Sie, das ist genau der Unterschied zwischen
der schwarz-gelben Verbraucherpolitik und der linken
Verbraucherpolitik. Sie wollen, dass die Kunden bestenfalls im Kleingedruckten darüber informiert werden, in
welcher Höhe sie abgezockt werden. Wir Linke sagen
ganz klar: Wo den Verbraucherinnen und Verbrauchern
so in die Tasche gegriffen wird, da muss der Gesetzgeber
einfach handeln. Es wird höchste Zeit, dies endlich zu
tun.
({6})
Wir haben es ausgerechnet: Würde das Hohe Haus unserem Vorschlag folgen, dann würden die Verbraucherinnen und Verbraucher alleine bei den Dispozinsen über
2 Milliarden Euro weniger an die Banken abdrücken.
Wenn das kein Argument ist, dem Antrag der Linken zuzustimmen!
Ich freue mich auf die Debatte, und ich freue mich,
dass hier im Hohen Hause endlich einmal eine Mehrheit
für die Deckelung der Dispozinsen entstehen wird. Die
SPD ist - anders als beim letzten Mal - unserem Anliegen schon gefolgt.
({7})
Ich hoffe, dass wir hier am Ende eine entsprechende
Regelung hinbekommen können.
Vielen Dank.
({8})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Professor
Dr. Erik Schweickert das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die hohen
Dispozinsen sind für die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin ein Ärgernis. Es ist auch schwer zu erklären, wenn der Leitzins der Europäischen Zentralbank
derzeit bei 0,75 Prozent steht und der durchschnittliche
Dispozins nach den neuesten Erkenntnissen der Stiftung
Warentest jedoch bei 11,76 Prozent liegt. Während sich
die Banken also sehr günstig Geld bei der EZB leihen
können, blutet der in den Dispozins gerutschte Verbraucher umso mehr. Das ist ärgerlich. Auch dass ein klammer Verbraucher hohe Zinsen zahlt, während der sparsame Verbraucher im Moment für sein Guthaben nur
sehr wenig bekommt, ist ein Ärgernis.
Beim Geld hört der Spaß auf. Das gilt auch für den
vorgezogenen Wahlkampf der SPD. Das führt zu wenig
differenzierten Betrachtungen des vorliegenden Problems. Reflexartige Rufe nach einem Eingreifen des
Staates, wie sie im Moment zum Standardrepertoire der
linken Parteien gehören, sind hier jedoch fehl am Platze.
Wir sind der Meinung, dass nicht jeder Eingriff des
Staates für die Bürgerinnen und Bürger auch eine Verbesserung bringt, ganz im Gegenteil.
({0})
- Sie haben doch die Studien zitiert. Das Institut für
Finanzdienstleistungen, das Zentrum für Europäische
Wirtschaftsförderung haben das Ganze begutachtet. Am
Ende des Tages müssen wir alle uns daran messen lassen, ob wir beim Verbraucherschutz Verbesserungen erzielt haben. Da sind unangemessene Schnellschüsse, die
dazu beitragen, dass wir an anderer Stelle Kollateralschäden aufreißen, nicht geeignet.
({1})
Die angesprochene Studie hat gezeigt, dass es keine
einfachen Lösungen gibt und dass eine Zinsdeckelung,
wie es die Fraktionen der Linken und der SPD vorschlagen, gerade keine effiziente Lösung des Problems darstellt.
({2})
Ich möchte Ihnen sechs Gründe nennen, warum das
nicht der Fall ist.
Erstens. Es gibt heute schon eine Grenze der Zinshöhe, nämlich dort, wo wir den Bereich des Wuchers erreichen. Dort können Gerichte darüber entscheiden, ob
der Tatbestand des Wuchers erreicht ist oder nicht, und
somit auch entsprechende Maßnahmen einleiten.
({3})
- Hören Sie zu.
Zweitens. Dispozinsen sind für die kurzfristige Überbrückung von Zahlungsschwierigkeiten der Verbraucher
gedacht. Sie sind also kein dauerhafter Kredit und auch
nicht als solcher zu verstehen.
({4})
Hier liegt übrigens der schwere Verständnisfehler im
Antrag von Frau Lay. Sie schreiben, dass es sich beim
Dispokredit um einen Kleinkredit handeln würde, den
viele Menschen dauerhaft nutzen. Aber genau das ist der
Fehler; denn der Dispositionskredit ist eben kein auf
dauerhafte Nutzung angelegter Kredit. Er ist ein kurzfristiger Schutzschirm.
({5})
Der Dispo- und Überziehungsbereich eines Kontos ist
nur ein Notpuffer. Manche Verbraucher - da bin ich bei
Ihnen - nutzen den im Moment regelmäßig, so als wäre
es ein Guthabenbereich. Aber dafür zahlen sie natürlich
auch mehr Zinsen. Es gibt kein Recht auf billige Schulden in diesem Bereich.
({6})
Da trägt jeder Verbraucher für sich selbst Verantwortung. Das heißt, er muss schauen, dass er sein Konto
nicht überzieht. Man kann es sich bei der Bank auch so
einrichten, dass das geht. Darüber hinaus gibt es Alternativen: Es gibt den Kleinkredit. Es gibt den Ratenkredit.
Es gibt für Studenten günstige Kreditformen, bei denen
man diese Probleme nicht hat. Da sind die Zinsen geringer als beim Dispokredit.
Außerdem wird er deswegen gern genutzt, weil er unbürokratisch ist, weil man ihn einfach einmal in Anspruch nehmen kann. Es gibt einen schnelleren Zugang,
mehr Flexibilität bei der Aus- und Rückzahlung und
keine festen Raten. Aber deshalb ist er halt auch teurer.
Drittens. Dispokredite bedeuten für die Banken mehr
Aufwand. Der höhere Aufwand rechtfertigt auch höhere
Kosten.
({7})
Viertens. Hier funktioniert der Markt; denn es gibt
beim Dispozins nicht nur die Negativbeispiele mit Zinssätzen jenseits der 13 Prozent, sondern es gibt auch eine
ganze Reihe von Banken, die unter dem von der SPD
vorgeschlagenen Deckelungswert von 8 Prozent liegen.
({8})
Das muss man auch einmal zur Kenntnis nehmen. Es
gibt also die Möglichkeit, die kontoführende Bank zu
wechseln, wenn einem die Dispozinsen zu hoch erscheinen. Nur, es wird viel zu wenig gewechselt. Der Verbraucher nutzt in diesem Bereich seine Marktmacht einfach nicht.
({9})
Somit wird sich der Wettbewerb auch nicht zum Wohle
der Verbraucher entwickeln.
Fünftens. Das Beispiel wirft eine andere Frage auf:
Was ist denn ein angemessener Zinssatz für Dispokredite? Sollen wir uns als Staat anmaßen, zu entscheiden,
was hier gerecht ist? Sollen wir als Staat das tun?
({10})
Sollen wir die besseren Banker spielen? Ich glaube, die
Finanzkrise hat uns gezeigt, dass der Staat auf gar keinen
Fall der bessere Banker ist, meine Damen und Herren.
({11})
Nicht nur der EZB-Leitzins spielt für die Berechnung
des Dispozinssatzes für die Banken eine wichtige Rolle.
Daneben sind auch die Refinanzierungskosten, die Risikokosten und die operativen Kosten wichtige Komponenten des Dispozinssatzes. Die große Spannbreite der
am Markt verfügbaren Dispozinsen zeigt: Es gibt nicht
nur Auswahl; es gibt auch keinen objektiv bestimmbaren
Einheitszins.
Was würde passieren, wenn wir Ihrem Antrag folgen?
Die 2 Milliarden Euro hat Frau Lay uns gerade vorgerechnet. Was würde passieren, wenn wir trotz der geschilderten Bedenken eine Deckelung vornehmen? Es
wäre schlecht für den Verbraucher, weil, wie ich bereits
beschrieben habe, der Dispozins eine von mehreren betriebswirtschaftlichen Entscheidungen einer Bank im
Bereich des Kontos ist. Wenn wir als Staat in diese Entscheidungen eingreifen, dann werden die Banken die
Gebührenstrukturen neu ordnen.
Gestatten Sie eine Frage der Kollegin Lay?
Von Frau Lay immer.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Schweickert, für die
Möglichkeit zu einer Zwischenfrage. Sie haben gesagt,
dass es aus Ihrer Sicht völlig ungerechtfertigt sei, wenn
sich der Staat einmischen und den Banken sozusagen
ihre Zinsen vorschreiben würde. Aber wodurch ist es
dann gerechtfertigt, dass wir an anderen Stellen, beispielsweise im BGB, durchaus eine Deckelung von Zinsen vorsehen? Bei den Verzugszinsen beispielsweise gibt
es das auch wie bei dem Vorschlag, den wir als Linke
eingebracht haben: 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Warum kann das, was jetzt schon im BGB bei Verzugszinsen gilt und was auch die Koalition offensichtlich nicht abgeschafft hat, bei den Dispozinsen nicht
eingeführt werden? Das müssen Sie mir bitte einmal erklären.
Vielen Dank für die Frage, Frau Lay. - Wir haben in
diesem Zusammenhang zwei Bereiche, die man unterscheiden muss. Es gibt zwar die Berechnung eines Verzugszinssatzes durch ein Unternehmen, das sich zu verschiedenen Zinssätzen bei seiner Bank refinanziert.
Dabei wird, wie Sie richtig gesagt haben, genau diese
Regelung angewandt. Es ist aber nicht so, dass der Bürger ein Konto bei dem Unternehmen führt. Das ist der
Punkt, um den es mir geht. Denn wenn wir eine betriebswirtschaftliche Entscheidung der Bank an einer Stelle regeln, dann werden - das zeigt auch das von Ihnen
genannte Gutachten - die Abhebegebühren und die Kontoführung teurer.
({0})
Die Frage ist, ob wir das wollen. Ich sage Ihnen ganz
klar: Das trifft dann die Verbraucher, die den Dispo und
Überziehungszins gar nicht nutzen. Sie zahlen dann das
mit, was die anderen, die in der Kreide stehen, mit dem
Dispo und Überziehungszins nutzen. Genau das Problem
lösen wir dann aus. Somit wäre eine Regelung in diesem
Bereich, wie Sie sie vorschlagen, definitiv nicht positiv
für die Verbraucher.
Es wäre also nicht effizient, weil es genügend Menschen gibt, die verantwortungsvoll mit dem in Anspruch
genommenen Dispokredit umgehen. Über 80 Prozent aller Haushalte in Deutschland verfügen über einen Dispokredit. Ich bin mir sicher: Wenn wir das große Angebot
erhalten wollen, dann müssen wir auch dafür sorgen,
dass es die Möglichkeit der unterschiedlichen Zinssätze
gibt.
Alles in allem komme ich zum Schluss: Wir, die
schwarz-gelbe Regierungskoalition, werden den Dispokredit nicht deckeln. Wir setzen vielmehr darauf, wie Sie
gesagt haben, dass wir zu Gesprächen und freiwilligen
Lösungen in dem Bereich kommen.
({1})
- Herr Sieling, auch der Bundesrat hat sich letzte Woche
aus guten Gründen dagegen ausgesprochen, und dort haben Sie, die Oppositionsfraktionen, sogar die Mehrheit.
Ihre eigenen Leute lehnen also die von Ihnen gemachten
Vorschläge ab, und ich sage: zu Recht.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Nicole Maisch für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Abzocke mit den Dispozinsen ist ein verbraucherpolitisches Dauerärgernis. Deshalb beschäftigt es uns
auch zu Recht dauerhaft im Parlament. Wir könnten die
dauernden Debatten hier verkürzen, wenn Schwarz-Gelb
aktiv werden würde. Deshalb verstehe ich auch den Unmut, dass wir immer und immer wieder darüber reden
müssen, nicht.
({0})
Denn es ist doch so: Während sich die Kreditinstitute ihr
Geld zu niedrigsten Zinsen beschaffen und den daraus
resultierenden Vorteil an die Menschen weitergeben, die
etwas auf der hohen Kante haben, werden die Menschen,
die in der Kreide stehen, ordentlich geschröpft. Es gibt
keine Begründung dafür, 12, 13, 14 oder sogar 15 Prozent für einen Dispositionskredit zu verlangen. Das ist,
wie ich finde, an Wucher grenzende Bereicherung; denn
der Dispo weist im Vergleich zu anderen Kreditformen
eine sehr geringe Ausfallquote auf - das haben Studien
des Verbraucherministeriums belegt - und muss von den
Banken nicht mit Eigenkapital hinterlegt werden, Herr
Wanderwitz. Eine Hinterlegung mit Eigenkapital kann
man also nicht als Argument für höhere Zinssätze gelten
lassen.
Das Problem ist: Obwohl die Zinsen in absoluten
Zahlen gesunken sind - sie liegen im Durchschnitt nicht
mehr bei 13 oder 14, sondern bei 12 Prozent -, ist die
Schere - die SPD hat von einem Krokodil gesprochen zwischen Leitzins und Dispozinsen weiter auseinandergegangen; denn die Zinsen, zu denen sich die Banken
das Geld beschaffen, sind in den letzten Monaten weiter
gesunken. Wir haben es hier also mit mangelndem Wettbewerb und Marktversagen zu tun. Herr Schweickert,
ich habe hier einen Dissens mit Ihnen. Sie sagen, man
könne die Bank wechseln. Machen Sie sich einmal den
Spaß, in Ihrem Wahlkreis zu schauen, wo man einen
günstigen Dispo bekommt, wenn man eine Filialbank
haben will. Die Deutsche Skatbank beispielsweise und
andere Kreditinstitute mögen tolle Zinsen geben, wenn
man Internetbanking betreibt. Wenn man aber so wie ich
konservativ ist
({1})
und einen realen Menschen als Gegenüber in der Bank
haben möchte, dann ist die Auswahl geringer. Es gibt sogar Regionen, in denen man keinen Dispo zu einem
Zinssatz von unter 12 Prozent bekommt. Ich habe mir
notiert, dass Sie beim letzten Mal die Idee hatten, das
Kartellamt einzuschalten. Mich interessiert, was die FDP
zu dem mangelnden Wettbewerb in diesem Bereich sagt.
Wir sind jedenfalls der Meinung, dass wir hier politisch
handeln müssen.
({2})
Handeln bedeutet nicht, dass man die Banken zum Kaffee einlädt; das hat Frau Aigner gemacht, und das ist
sehr höflich von ihr. Aber das wird auf Dauer nichts
bringen.
Sie haben den Bundesrat angesprochen. Die Union
hat hier eine Entscheidung zugunsten der Kundinnen
und Kunden blockiert. Das finde ich sehr schade. Einerseits macht Frau Aigner tolle Pressemitteilungen und
geistert mit dem Thema Dispoabzocke durch die Schlagzeilen. Andererseits werden Lösungen im Bundesrat blockiert. Das finde ich nicht korrekt.
({3})
Dass die Opposition Schwarz-Gelb bei der Programmatik einiges voraus hat, zeigen nicht nur die beiden Anträge der SPD und der Linken sowie der Antrag meiner
Fraktion - dieser wurde bereits abschließend behandelt -, sondern auch die relativ ausführlichen Gegenargumente. So wurde gefragt: Kann denn der Staat sich anmaßen, einen Deckel einzuziehen? - Frau Lay hat darauf
hingewiesen, dass sich der Staat beim Zahlungsverzug
sehr wohl angemaßt hat, einen konkreten Deckel einzuziehen. Darüber, ob 5 Prozent die richtige Größenordnung sind, können wir diskutieren. Sobald ein von
Schwarz-Gelb eingebrachter Gesetzentwurf vorliegt,
können wir im Verbraucherausschuss eine Anhörung
durchführen. Wenn Sie eine Größenordnung von 6,5 Prozent für richtig halten, werden bestimmt weder die Linke
noch die SPD noch wir Grüne sagen: Nein, das kann man
nicht machen. - Legen Sie also etwas vor, und präsentieren Sie uns bessere Lösungen! Ich habe zwar Ihre Kritik
vernommen - darüber kann man diskutieren -, aber eine
bessere Lösung haben Sie bisher nicht vorgelegt. Das
finde ich sehr wenig angesichts der Tatsache, dass wir
nun im dritten Jahr in diesem Parlament über dieses
Thema sprechen.
({4})
Die Kollegin Mechthild Heil hat nun für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Und jährlich grüßt das MurMechthild Heil
meltier! Heute debattieren wir wieder einmal über die
Dispozinsen. SPD und Linke haben Anträge vorgelegt,
in denen sie Zinsobergrenzen fordern, die sich am Basiszinssatz orientieren. Das klingt - das gebe ich zu - beim
ersten Hören gut, entpuppt sich aber schnell als wenig
durchdacht und im Detail völlig inkonsequent.
({0})
So verlangt die SPD nur eine Obergrenze für den vereinbarten Überziehungskredit, aber keine für die darüber hinausgehenden Überziehungen.
({1})
Sie haben wieder unsauber gearbeitet.
({2})
Die Linke hat sich gleich die ganze Arbeit gespart und
den wortgleichen Antrag aus dem Jahr 2010 vorgelegt,
als ob sich in der Zwischenzeit überhaupt nichts verändert hätte.
({3})
Aber es hat sich etwas verändert. Der durchschnittliche
Zinssatz ist gesunken. Lag er 2010 bei 12,5 Prozent, so
liegt er heute - wir haben es eben gehört - bei knapp
10 Prozent.
({4})
Übrigens, Frau Maisch, zum Stichwort „ländlicher
Raum“ - wir kommen ja aus der gleichen Gegend -:
Meine Hausbank, eine Filialbank, verlangt 9 Prozent.
Das ist also auch möglich.
Aber wir müssen noch einmal der Frage nachgehen:
Was denken Sie eigentlich, welche Höhe der Zinsen
denn angemessen ist? Sie machen sich das in Ihren Anträgen wirklich sehr einfach. Klar; bei Ihnen geht es um
Stimmungsmache, um die Öffentlichkeit
({5})
und nicht um eine saubere und praktikable Lösung des
Problems.
({6})
Sosehr ich mich auch darüber freue, dass Sie mit Ihren Anträgen eine plakative Zeitungsüberschrift bekommen und damit natürlich in der Öffentlichkeit auch den
Druck ein wenig erhöhen: Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, auch der Komplexität dieses Problems gerecht zu werden. Davon sind Sie leider ganz weit entfernt.
({7})
Tatsache ist: Den Kunden erscheinen die hohen Zinsen als Wucher. Es besteht ein empfundenes Missverhältnis zwischen den Zinsen, die die Kunden zu zahlen
haben, und den Zinsen, die die Banken zahlen, wenn sie
sich Geld leihen. Aber wie kommt es zu der Differenz?
Die Kollegen haben schon darauf hingewiesen: Die
Höhe der Dispozinsen hat nur bedingt mit der Refinanzierung der Banken zu tun. Andere Faktoren spielen eine
Reihe, zum Beispiel die betriebswirtschaftliche Risikoeinschätzung, Eigenkapital- und Betriebskosten sowie
Bearbeitungskosten. Und, meine sehr verehrten Damen
und Herren von SPD und Linken: Nicht alle Banken sind
gleich. Es gibt verschiedene Bankmodelle; die Banken
haben natürlich unterschiedliche Kostenstrukturen und
kommen damit auch zu unterschiedlichen Kosten für die
Kunden. So kann eine Direktbank günstiger sein als eine
Filialbank, weil sie zum Beispiel weniger Miet- und Personalkosten hat.
({8})
Sie kann diese Kostenvorteile an die Kunden weitergeben und günstigere Disposätze anbieten.
Sie fordern eine einheitliche Obergrenze für die Zinsen. Damit scheren Sie alle Banken, die wir auf dem
Markt haben, über einen Kamm.
({9})
Das ist Gleichmacherei auf mittlerem Niveau, frei nach
dem sozialistischen Motto: Wenn alles gleich ist, dann
ist es auch gut. Aber so funktioniert unsere Welt nicht
und schon gar nicht unsere Bankenwelt.
({10})
Eine Zinsobergrenze, auch eine, die an den Basiszinssatz gekoppelt ist, wird dazu führen, dass sich die Banken bequem daran orientieren.
({11})
Banken, die jetzt günstig sind, werden ihren Dispozinssatz nach oben anpassen mit dem Argument: Das ist
doch staatlich empfohlen; das ist der gerechte Zinssatz.
Außerdem: Andere Leistungen der Banken können
teurer werden. Zum Beispiel kann die Kontoführungsgebühr steigen, weil die Leistung nicht mehr durch die
Überschüsse aus den Zinsmargen querfinanziert werden
kann.
Ihre Vorschläge sind wirklich nicht durchdacht. Sie
lösen das Problem nicht.
({12})
Deshalb lehnen wir sie auch ab.
Unser Weg ist ein anderer.
({13})
Das Verbraucherministerium hat eine Studie zu Dispozinsen und Ratenkrediten in Auftrag gegeben, um unter
anderem auch die Frage zu klären: Wen trifft denn dieser
hohe Zinssatz?
({14})
Die Studie sagt, dass vor allem Arbeitslose und Alleinerziehende betroffen seien. Allerdings gehört zur Wahrheit, dass diejenigen, von denen die Banken erwarten,
dass sie ihr Konto überziehen, aber nicht ausgleichen
können, meist überhaupt keinen Zugang zu Dispokrediten erhalten. Dieser wird ihnen von den Banken von
vornherein verweigert. Das Ausfallrisiko ist zu hoch,
selbst bei hohen Zinsen.
An dieser Stelle kämpfen wir gemeinsam für ein
Konto für jedermann.
({15})
Dispokredite spielen dabei überhaupt keine Rolle.
Eine Gruppe, die von den hohen Dispozinsen besonders betroffen ist, wird in dieser Diskussion regelmäßig
ignoriert: Das ist der Mittelstand. Das sind die Handwerker, die Selbstständigen, die Dienstleister, die Unternehmer. Eigentlich ist bei ihnen die Geschichte immer die
gleiche: Es gibt einen Liquiditätsengpass beim Unternehmen, weil ein Kunde nicht im geplanten Zeitraum
gezahlt hat oder weil es außerplanmäßige Ausgaben
gibt. Dann wird schon einmal der Spielraum zwischen
eingeräumter und geduldeter Überziehung überschritten,
und dann kommen hohe und als ungerechtfertigt empfundene Zinsen auf das Unternehmen zu. Umschulden
geht nicht so einfach. Beim Wechsel der Bank würden
erst einmal alle Sicherheiten neu bewertet. Weitere Zeit
und weiteres Geld würden so verbrannt. Die Unternehmen sitzen dann in einer Zwickmühle.
Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, die
Höhe der Dispozinsen gehört auf den Prüfstand. Ich bin
froh, dass, nachdem im Juli das Gutachten erschienen
ist, ein Spitzengespräch mit Bankenvertretern stattgefunden hat.
({16})
- Meinetwegen gab es auch Kaffee dabei; ich weiß
nicht, wie Sie Ihre Gäste empfangen.
({17})
Die Banken beginnen, sich unter dem politischen und öffentlichen Druck zu bewegen. Die Banken fangen an, die
Dispozinsen zu senken, und das freiwillig. Informationen
werden transparenter gemacht. Viele Banken sind kundenfreundlich, sie erkennen den Wettbewerbsvorteil, den
es bietet, im Bereich der Dispozinsen transparent, günstig
und serviceorientiert zu sein. Das ist der richtige Weg. Ich
setze deshalb auf eine freiwillige Selbstverpflichtung der
Banken statt auf staatlichen Zwang, wie ihn die linke
Seite dieses Hauses immer will.
({18})
Kollegin Heil, achten Sie bitte auf die Zeit.
Der Verbraucher, der Kunde hat die Macht. Er ist es,
der entscheidet, und das wissen auch die Banken.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Banken sich
einerseits bei der Zentralbank billiges Geld beschaffen, andererseits aber ausgerechnet jene Kunden mit hohen Zinsen abkassieren, die am wenigsten haben.
Das war ein Zitat von Frau Verbraucherministerin Ilse
Aigner vom Februar 2012.
({0})
Frau Aigner hat im Frühjahr dieses Jahres keine Gelegenheit ausgelassen, der geneigten Öffentlichkeit gegenüber ihre Empörung darüber zum Ausdruck zu bringen,
wie schlimm sie es findet, was die Banken den Verbraucherinnen und Verbrauchern mit überhöhten Dispozinsen antun. Keine Schlagzeile war ihr groß genug. Sie
werde das jetzt anpacken, hat sie gesagt.
({1})
Dann nahm die Show wie immer ihren Lauf: Mit Steuergeldern ist ein Gutachten finanziert worden, dessen Ausfluss mitnichten irgendeine Konsequenz für politisches
Handeln der Bundesregierung hat.
({2})
Als das Gutachten im Juli vorgelegt wurde, war Frau
Aigners bekannte Reaktion: Lassen Sie uns freundschaftlich darüber reden, damit wir der Öffentlichkeit irgendetwas präsentieren können. - Regeln wolle sie aber
nichts.
Das ist, finde ich, schon ein bisschen Verarsche derer,
({3})
die sich darauf verlassen haben, dass, wie es vor einem
halben Jahr angekündigt worden ist, gegen zu hohe Dispozinsen etwas getan wird. Da hätte ich es ehrlicher gefunden, wenn man von Anfang an - wie Frau Heil das
hier für die CDU/CSU-Fraktion formuliert hat - gesagt
hätte, dass man findet, dass alles bleiben könne, wie es
ist, und dass man keinen Regelungsbedarf sehe.
({4})
Zuerst verkünden, man sehe großen Handlungsbedarf,
dann aber nichts tun, das ist für jemanden, der zum
Schutze der Verbraucherinnen und Verbraucher ein Ministeramt bekleidet, eindeutig zu wenig.
({5})
Frau Heil, wir schlagen gar nicht vor, dass jede Bank
einen identischen Zinssatz nehmen soll. Um Gottes willen! Was wir vorschlagen, ist ein Prozentsatz, über den
die Banken beim Dispozins nicht hinausgehen können.
Das heißt nicht, dass jede Bank einen identischen Zinssatz nehmen müsste. Wir schlagen vor, dass für darüber
hinausgehende Zinsen der Wucherparagraf, wie im BGB
geregelt - Stichwort „doppelter Zinssatz“ -, greift. Das
muss man nicht erst regeln, das ist schon Bestandteil des
BGB.
({6})
Vorgestern hat die Welt das System der Banken mit
dem Dispokredit ziemlich gut analysiert. „Über Geld
spricht man nicht“, beginnt der Artikel. Dann wird gefragt: Ist es Tugend oder ist es Unverschämtheit von den
Banken, zu meinen, dass man an der Stelle aus eigenem
Handeln heraus keinerlei Gesprächs- und Regelungsbedarf sieht?
Wir wissen, dass das Versprechen von Transparenz
und Selbstverpflichtungen, insbesondere von Banken,
uns bei allen anderen Themen nicht wirklich weitergebracht hat. Das Girokonto für jedermann, Frau Heil, das
Sie gerade angesprochen haben, ist das allerbeste Beispiel dafür, dass uns genau diese Selbstverpflichtung, die
sich die Banken auferlegen, nicht weiterhilft. Hier haben
wir genau die Situation: 600 000 Menschen in Deutschland haben kein Konto - trotz Selbstverpflichtung -, und
Sie wollen nicht regeln. Jetzt warten Sie darauf, dass das
Europa regelt, weil Sie auch hier wieder einmal keinen
Handlungsbedarf sehen. Wir sagen: Der Handlungsbedarf ist nicht nur da, er ist groß, er ist unmittelbar, er ist
akut.
Deshalb bitten wir darum: Überdenken Sie im weiteren Verlauf der Debatten Ihre Position! Wir würden uns
freuen, wenn wir ein gemeinsames Ergebnis erzielen
würden.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/10988 und 17/10855 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 b so-
wie den Zusatzpunkt 8 auf:
39 a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Marieluise
Beck ({0}), Volker Beck ({1}), Sylvia
Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechtsstaatlichkeit in Russland
- Drucksachen 17/7541, 17/9521 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise
Beck ({2}), Volker Beck ({3}), Agnes
Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Modernisierung Russlands ohne
Rechtsstaatlichkeit
- Drucksache 17/11002 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({4})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Gemeinsam die Modernisierung Russlands voranbringen - Rückschläge überwinden - Neue
Impulse für die Partnerschaft setzen
- Drucksache 17/11005 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({5})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Jede Russlanddebatte in Deutschland muss
die unauflösbare historische Verbindung unserer beiden
Länder im Blick haben. Die im Zweiten Weltkrieg an
und in Russland begangenen Verbrechen legen uns eine
Verpflichtung auf, und deswegen gilt es für uns, die Entwicklung in Russland engagiert und kritisch zu begleiten, ohne jegliche Rhetorik des Kalten Krieges, aber
auch ohne ein vorauseilendes Verständnis für deutliche
Fehlentwicklungen in dem Land.
({0})
Ich möchte hier sehr offen bekennen: Ich würde mich
sehr freuen, wenn der Ost-Ausschuss der deutschen
Wirtschaft nicht nur auf die erfreulichen Marktchancen
in Russland schauen würde, sondern sich mit dieser
Grundhaltung beherzt an die Seite der Demokraten und
der Politik, an unsere Seite, stellen würde.
({1})
Aus den bitteren Erfahrungen des politischen Totalitarismus des 20. Jahrhunderts erwächst uns die Verpflichtung, uns an die Seite derjenigen zu stellen, die gegen
Unterdrückung und Bevormundung durch den Staat
kämpfen, die für mehr Pluralismus stehen, die für den
Vorrang des Rechts vor der Machtwillkür ihre Stimme
erheben. Solche engagierten Bürgerinnen und Bürger
sind es, die erst ein modernes Staatswesen begründen
können. Transparenz, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit - das sind die Ingredienzen eines modernen Staates.
Nur eine aktive Bürgergesellschaft ist in der Lage, diese
Prinzipien mit Leben zu erfüllen.
({2})
Dies verkennt die russische Führung seit vielen Jahren. Auch die Hoffnung, die wir mit Präsident
Medwedew verbunden haben, hat sich faktisch in Luft
aufgelöst.
Zwar wird seit vielen Jahren von der russischen Führung erklärt, sie wolle einen modernen Staat aufbauen
- das wurde zum politischen Ziel erklärt -, aber misstraut wird gerade denen, die der Motor für die durchgreifende Modernisierung des Landes sein könnten.
Anstatt die Kräfte der Gesellschaft sich entfalten zu
lassen, wird konsequent die erstarrte und korrupte
Machtvertikale weiter ausgebaut. Der Kreml sorgt dafür,
dass die Justiz willfährig ist, wenn es politisch gewollt
ist. Das haben wir erlebt beim Fall Chodorkowski, wir
haben es auch erlebt beim dramatischen Fall Magnitskij.
In russischen Lagern gibt es viele Namenlose, die eben
dieser Willkür auch aus Korruptionsgründen ausgesetzt
sind.
Im Winter des vergangenen Jahres keimte die Hoffnung auf, dass sich das Land aus der Erstarrung befreien
könne. Die russische Gesellschaft meldete sich zurück.
Friedlich und kreativ forderten die Protestierenden ein
demokratisches und rechtsstaatliches Russland. Anstatt
diese gesellschaftliche Bewegung als große Chance zu
begreifen und mit ihr eine Politik der Öffnung zu beginnen, sagte der Kreml der eigenen Gesellschaft den
Kampf an.
Seit Putins Amtsantritt kam der Abbau von Bürgerrechten Schlag auf Schlag: zuerst die Verschärfung des
Demonstrationsrechts, dann die drastische Erhöhung der
Strafen für Verleumdung, das Internetgesetz, das eine
Bedrohung für die freie Kommunikation im Internet darstellt, ein NGO-Gesetz, das politisch tätige NGOs, die
Zuwendungen aus dem Ausland erhalten, dazu zwingen
soll, sich selbst als ausländische Agenten zu bezeichnen.
Es war Ludmilla Alexejewa, die große alte Dame der
russischen Bürgerrechtsbewegung, die gesagt hat: Ich
werde mich nicht ein zweites Mal in meinem Leben als
ausländische Agentin bezeichnen.
Wir alle wissen, dass dieser Ansatz vor allen Dingen
auf Golos zielt, die wunderbare, in Russland selbst aufgebaute Wahlbeobachtungsbewegung, die allerdings von
Zuwendungen der EU abhängig ist und die offensichtlich seitens des Kreml als die gefährlichste Bewegung
angesehen wird, weil es sonst echte Wahlen in Russland
geben könnte.
Wir alle haben die skandalöse Urteilsfindung im Fall
„Pussy Riot“ verfolgt. Ja, Blasphemie ist auch in
Deutschland verboten, ebenso ist unsittliches und unangemessenes Verhalten in deutschen Kirchen strafbewehrt. Aber hier geht dafür niemand für zwei Jahre in
eine Strafkolonie.
({3})
Deswegen darf es für die deutsche und europäische
Russlandpolitik kein Weiter-so geben. Wir müssen endlich neu nachdenken. Der Kreml in seiner jetzigen Verfassung ist kein verlässlicher Partner und kein Partner
für die Modernisierung. Adressat unserer Bemühungen
um eine Modernisierung Russlands muss die Zivilgesellschaft sein. Dafür brauchen wir einen langen Atem und
politische Fantasie.
Ein Instrument haben wir jedoch selber in der Hand,
und das ist die Visumfreiheit. Die Erfahrung einer offenen Gesellschaft, die Begegnung mit Freiheit, freier Kultur und Vielfalt sind das süßeste Gift, das wir gegen autoritäre Regierungen im Köcher haben. Es ist ein
friedliches Mittel, und wir sollten endlich den Innenpolitikern die Macht nehmen, diesen wunderbaren Weg, den
wir zur Stärkung der russischen Zivilgesellschaft anbieten könnten, zu versperren. Sie machen mit dem verengten Blick der Innenpolitiker Außenpolitik. Das gesamte
Haus sollte sich dem endlich entgegenstellen.
Schönen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich für die
Unionsfraktion.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen! Frau Beck, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür,
dass Sie damit begonnen haben, auf die unauflösbare
historische Verbindung hinzuweisen. In der Tat sollten
wir zu Beginn zunächst einmal würdigen, was sich in
Russland schon gebessert hat, bevor wir auf das zu sprechen kommen, was zu kritisieren ist. Dabei reichen
meine zehn Finger gar nicht aus, um all das aufzuzählen,
was kritikwürdig ist. Ohne diese Wertschätzung wird
Russland - ich habe das so ähnlich auch in einem Ihrer
Anträge gelesen - nur noch nationalistischer und patriarchalischer entscheiden. Ich finde, erfolgreiche Kritik wir wollen, dass die Kritik nicht um der Rechthaberei
willen im Raum steht, sondern am Schluss tatsächlich
eine Veränderung bewirkt - kann es am Ende nur unter
Partnern und Freunden geben, und zu einem gewissen
Maß lässt sich das auf unsere Beziehung zu Russland
übertragen. Für mich gibt es zwei Dinge, die eine beste
Freundschaft ausmachen. Die erste Bedingung ist: Ein
Freund darf mich kritisieren und mir wirklich alles sagen. Die zweite Bedingung ist, dass er es dann auch tut.
Ein Stück weit gehört es zu unserer Partnerschaft mit
Russland, dass wir die Kritik offen aussprechen.
Ich zitiere aus dem Antrag der SPD:
Hinzu kommt, dass Russland sich seit langem nicht
mehr als gleichberechtigter Partner anerkannt fühlt.
Weiter unten heißt es:
Russlands Verlangen, wieder als vollwertiger Partner akzeptiert zu werden, ist daher nachvollziehbar.
Wenn wir es mit der Partnerschaft und der Freundschaft
ernst meinen, dann müssen wir auch vor Augen haben,
was uns das bedeutet - und wir müssen es auch benennen. Deshalb möchte ich mit positiven Aspekten beginnen.
Einige Stichworte: Wir konnten von Russland nicht
nur einige kulturelle Dinge lernen; wir haben die russische Geschichte und Kultur insgesamt zu schätzen gelernt. Ich erinnere auch an die Rolle, die Russland bei
unserer Wiedervereinigung gespielt hat. Ein weiterer
Punkt: die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Beziehungen dürfen nicht allein darauf aufbauen, aber es ist
festzuhalten, dass Deutschland einen Anteil von 8,7 Prozent am russischen Außenhandelsvolumen hat. Ein
Stichwort dazu: die Ostseepipeline. Inzwischen sind
6 300 deutsche Unternehmen in Russland tätig.
Sie haben die Modernisierungspartnerschaft angesprochen - ich komme gleich noch darauf -, die es seit
letztem Jahr zwischen der EU und Russland gibt. Es gilt
anzuerkennen, dass es unter Putin eine gewisse Stabilisierung Russlands gegeben hat. Ich zitiere aus dem Antrag der Grünen:
Der Deutsche Bundestag ist sich der Tatsache bewusst, dass die Transformation Russlands als Teil
der früheren Sowjetunion in einen Rechtsstaat mit
einer offenen und pluralistischen Gesellschaft eine
gewaltige Herausforderung darstellt.
Das ist also nichts, was man gerade einmal so an einem
Wochenende macht; ich glaube, das ist uns bewusst.
Russland ist heute Mitglied im Europarat und hat mit
dem Beitritt die Europäische Menschenrechtskonvention
anerkannt; jetzt können wir uns darauf beziehen. Unsere
Rolle dabei ist: Wir müssen uns mit dem gerade genannten Europarat, aber auch mit der EU und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - er hat Kritikpunkte benannt - abstimmen. Es ist auch zu erwähnen,
dass wir gerade mit Russland bei der Korruptionsbekämpfung zusammenarbeiten. Eine darüber hinausgehende Zusammenarbeit ist möglich, weil Russland in
diesem Jahr der WTO, der Welthandelsorganisation, beigetreten ist.
Jetzt die Missstände. Ich habe gesagt, dass ich zehn
Missstände nennen will - obwohl ich länger als Sie reden darf, kann ich sie nur anreißen -:
Erstens. Da ist das Defizit an Rechtsstaatlichkeit. In
der Antwort der Bundesregierung auf die 87 Fragen der
Großen Anfrage der Grünen - Sie haben sie bekommen heißt es sehr deutlich:
Die Bundesregierung ist besorgt über fortbestehende Defizite an Rechtsstaatlichkeit in der Russischen Föderation.
Trotzdem:
Die Bundesregierung begrüßt, dass Präsident
Dmitri Medwedew
- der ehemalige Präsident die Mängel offen benannt und Maßnahmen zur Bekämpfung der Defizite angekündigt hat. Die Bundesregierung wird Russland auch in Zukunft bei der
Stärkung der Rechtsstaatlichkeit unterstützen.
Das heißt nicht, dass wir die Mängel nicht immer wieder
betonen müssten.
Der zweite Bereich ist der politische Einfluss auf die
Justiz. Sie haben den Fall der Band Pussy Riot genannt,
aber auch den Fall der Oppositionellen Taisia Osipowa.
Es gibt so viele Einzelfälle, die zusammengenommen
ein deutliches Bild des Einflusses auf die Justiz verschaffen. Hier wieder ein Zitat:
Die Bundesregierung teilt die Einschätzung, dass
bei der Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit in Russland Defizite fortbestehen.
Es gibt dort also Stagnation, und das darf so nicht bleiben. Ich glaube, Sie haben es so ausgedrückt: Das können wir nicht weiter so laufen lassen.
Drittens: die Einschränkung der Pressefreiheit.
Viertens: die Zustände in den Gefängnissen. Da gibt
es allerdings zwei Seiten; da muss man fair sein. Die
Bundesregierung hat zur Kenntnis genommen, dass
Medwedew einige Initiativen zur Humanisierung des
russischen Strafsystems angestoßen und zum Teil durch
Gesetzesänderungen umgesetzt hat. Zugleich teilt aber
die Bundesregierung die Einschätzung, dass in den russischen Untersuchungsgefängnissen gravierende Defizite
bei den Haftbedingungen fortbestehen. Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte hat das in seiner Entscheidung im Fall Ananiew gegen die Russische Föderation vom Anfang dieses Jahres sehr deutlich angemahnt.
Fünftens: das repressive Demonstrationsrecht.
Sechstens: die Behinderung der Opposition, zuletzt
bei den Gouverneurswahlen, bei denen viele Kandidaten
entweder nicht zugelassen oder behindert wurden. Die
Parlamentswahlen letztes Jahr im Dezember fanden unter massiven Behinderungen von Wahlbeobachterorganisationen, unter anderem von Golos, statt.
Seit dem Amtsantritt von Präsident Putin sind zahlreiche Gesetze, die gegen die politische Opposition und die
russische Zivilgesellschaft gerichtet sind, oft in einem
Hauruckverfahren in Kraft gesetzt worden. Die Bundesregierung bedauert, dass PARNAS, die Partei der Volksfreiheit „Für ein Russland ohne Willkür und Korruption“, nicht als Partei registriert wurde und an den
Dumawahlen nicht teilnehmen durfte.
Siebtens: der starke Einfluss der Geheimdienste.
Achtens: Ich habe selber als Pastor in der Heilsarmee
einer Freikirche mitbekommen, dass Religionsgemeinschaften, die nicht russisch-orthodox sind, anders behandelt und benachteiligt werden.
Neuntens: das NGO-Gesetz von 2005. Darin werden
den Organisationen kostenaufwendige bürokratische
Pflichten auferlegt, sodass manche Organisationen einfach nicht arbeitsfähig sind.
Zehntens - das ist nicht der letzte Punkt, aber der
letzte Punkt, den ich aufzähle -: die Verschleierung und
Nichtaufklärung politisch motivierter Straftaten, wie sie
zum Beispiel der Fall Magnitskij sehr deutlich vor Augen führt.
Ihre Frage 23 möchte ich kurz vorlesen:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass es trotz des Einsetzens
spezieller Sonderkommissionen und vielfacher Beteuerungen konsequenten Engagements nach wie
vor keine Verurteilungen der Mörder von Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa und ihrer Auftraggeber gibt?
Die Antwort der Bundesregierung ist eindeutig - ich
denke, sie darf heute so im Raum stehen bleiben und sie
muss von uns unterstützt werden -:
Die Bundesregierung erwartet, dass diese und andere Fälle rückhaltlos aufgeklärt werden, und
macht dies gegenüber der russischen Seite deutlich.
Auch ich möchte es hiermit noch einmal verdeutlichen.
Das sind nicht irgendwelche zehn Fälle, sondern das
sind zehn für uns existenziell wichtige Hinweise auf gesellschaftliches Engagement und das Fehlen von Rechtsstaatlichkeit in diesem Land. Es geht um Dinge, die für
uns in Mitteleuropa selbstverständlich sind. Insofern gilt
es, Schlussfolgerungen zu ziehen
({0})
und Forderungen gen Osten zu richten.
Wir fordern die russische Regierung auf, sich an die
freiwillig eingegangenen Verpflichtungen - ich habe das
schon vorhin am Ende meiner Ausführungen zu Punkt 1
gesagt -, die aus der Ratifikation der Europäischen Menschenrechtskonvention erwachsen, zu halten und diese
vollständig umzusetzen, die Hintergründe, die zum Tod
von Sergej Magnitskij geführt haben, in einem rechtsstaatlichen Verfahren rückhaltlos und transparent aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu
ziehen, die Unabhängigkeit von Richtern sicherzustellen
sowie die Unabhängigkeit und Transparenz der Justizbehörden zu erhöhen und uns das auch deutlich zu machen,
die Arbeit von Verteidigern sicherzustellen, sie also
nicht vom Zugang zu notwendigen Dokumenten auszuschließen oder sie politisch unter Druck zu setzen, die
Unabhängigkeit der Medien zu garantieren und gegen
den politisch motivierten Missbrauch der Strafjustiz vorzugehen.
Das waren die Forderungen, die wir nach Osten schicken. Das heißt für uns als Parlamentarier, dass wir uns
- jetzt greife ich ein Zitat aus dem Antrag der SPD auf dafür einsetzen, „den neugewählten russischen Präsidenten Putin an seine Zusagen hinsichtlich der Stärkung der
Meinungs- und Pressefreiheit, des Aufbaus einer unabhängigen Justiz sowie der Modernisierung der Wirtschaft, der staatlichen Verwaltung und des Bildungssystems zu erinnern und ihm umfassende Unterstützung bei
der Umsetzung dieser Projekte anzubieten“, wie es sich
für Freunde und Partner - dann auf unserer Seite - gehört.
Das heißt, den Fall Magnitskij weiterhin in bilateralen
Gesprächen mit Russland, also nicht nur hier von einem
Podium aus, zu thematisieren und auf umfassende Aufklärung zu drängen. Weiterhin bedeutet das, der russischen Seite in bilateralen Gesprächen, vor allem bei den
bevorstehenden Deutsch-Russischen Regierungskonsultationen, deutlich zu machen, dass eine gemeinsame
Modernisierungspartnerschaft nicht auf wirtschaftliche
Themen beschränkt werden darf, sondern nur als ein umfassender gesellschaftlicher Prozess unter Einschluss einer Entwicklung hin zu mehr Demokratie und - Thema
von heute - Rechtsstaatlichkeit gelingen kann.
Die dritte Forderung lautet, Russland im bilateralen
Rahmen und seitens der EU weiterhin zu drängen, dass
es seine eingegangenen Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und soziale Rechte tatsächlich einhält.
({1})
Ich komme zum Schluss und nehme Bezug auf meine
Eingangsbemerkung zum Thema Freund/Partner. Ich bin
der festen Überzeugung, dass gute Freunde beim Wort
genommen werden sollten. Wenn nötig, müssen wir sie
an ihr Wort erinnern. Hier und heute tun wir das ganz offiziell gemeinsam. Wir müssen aber auch in Zukunft, in
jeder weiteren Begegnung, daran erinnern. Dabei handelt es sich teilweise um Begegnungen auf Regierungsebene, teilweise um Begegnungen von einzelnen Parlamentariern und teilweise um Kommunikation über die
Medien.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Kollege Franz Thönnes für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist gut, dass wir heute hier, im Plenum des Deutschen
Bundestages, über das Verhältnis Deutschlands zu Russland diskutieren. Nicht gut ist - das ist ganz offensichtlich; das ist klar und deutlich zu erkennen; das konnten
wir in den vergangenen Tagen in den Medien verfolgen -, dass es innerhalb der Koalitionsfraktionen keine
gemeinsame Auffassung zu diesem Themenkomplex
gibt. Es liegt kein Antrag der Koalitionsfraktionen zu
diesem Thema vor.
({0})
Die Einzigen, die heute einen Antrag eingebracht haben,
sind die Grünen und die SPD. Eine gemeinsame Russland-Politik findet bei Ihnen nicht statt. Das ist Fakt.
({1})
Deswegen ist es ganz wichtig, darauf hinzuweisen,
dass in den Broschüren für das Deutschlandjahr in Russland und das Russlandjahr in Deutschland dankenswerterweise steht: „Deutschland und Russland - gemeinsam
die Zukunft gestalten“. So lautet das Motto beider Länder in dieser Zeit. In beiden Ländern findet in den nächsten zwölf Monaten eine Vielzahl von Veranstaltungen
statt. In den offiziellen Druckschriften heißt es dazu
sinngemäß, dass es, aufbauend auf den historisch gewachsenen, engen deutsch-russischen Beziehungen, das
Ziel ist, mit vielfältigen Aktivitäten das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Deutschland und Russland zu
stärken und nicht zuletzt neue Wege in eine gemeinsame
Zukunft unserer Länder aufzuzeigen.
In der Tat, Geschichte, Kunst und Kultur unserer beiden Länder verbinden uns seit gut 1 000 Jahren. Dazu
gehören viele Tage mit viel Sonnenschein, wie das heute
der Fall ist. Dazu gehört aber auch eine lange Zeit mit
vielen dunklen Tagen und mit Nächten in tiefster Dunkelheit. Die dunkle Zeit haben wir gemeinsam überwunden, und wir haben neue Fundamente für die Zukunft gelegt: Abkommen, Verträge, Konsultationen, Dialoge,
Austausch, ein dichtes Netz wirtschaftlicher, kultureller
und wissenschaftlicher Verpflichtungen und gesellschaftlicher Beziehungen.
Dazu gehören auch die Begriffe „Modernisierungspartnerschaft“ und „strategische Partnerschaft“. Diese
Begriffe sollten und dürfen nicht nur auf den Bereich der
wirtschaftlichen Kooperation begrenzt werden; sie reichen in einem geeinten Europa nicht zuletzt vor dem
Hintergrund unserer geschichtlichen Entwicklung viel
weiter.
Natürlich haben wir eine breite gemeinsame ökonomische Basis. Deutschland ist Russlands zweitgrößter
Handelspartner weltweit, und Russland ist unser viertgrößter Handelspartner außerhalb der EU. Sie haben auf
die 6 300 Unternehmen hingewiesen, die in Russland aktiv sind. Das Volumen deutscher Direktinvestitionen in
Russland beträgt 22 Milliarden Euro. Diese Werte der
Entwicklung sind aber nicht nur das Resultat wirtschaftlicher Leistung, sondern sie hängen auch eng mit den
Strukturen und den bestehenden Werten in Westeuropa
zusammen; denn vor diesem Hintergrund sind sie entstanden.
Dann sprechen wir über Freiheit, über Rechtsstaatlichkeit, über Unabhängigkeit der Justiz, über Menschenwürde, über soziale Verfasstheit, über Pressefreiheit und
über Demokratie. Auf dieser Basis haben wir in den letzten Jahren gearbeitet, und auf dieser Basis haben wir mit
Engagement die Entwicklung in Russland nach dem Fall
des Eisernen Vorhangs vor gut 20 Jahren begleitet und
mit Aufmerksamkeit beobachtet.
Die Entwicklungen in den letzten zwölf Monaten haben einerseits Hoffnungen geweckt, haben andererseits
aber auch zu großen Sorgen geführt. Der Parteitag von
„Einiges Russland“ im September 2011, auf dem der
Wechsel von Medwedew zu Putin bekannt gemacht
wurde, hat bei vielen Menschen Enttäuschung und Protest hervorgerufen. Die Dumawahlen mit offensichtlichen Manipulationen - es gab eine erhebliche Kritik der
OSZE - haben das verstärkt. Rund um die Präsidentschaftswahlen im März dieses Jahres ist es zu den größten und umfassendsten Massendemonstrationen nach
dem Zerfall der Sowjetunion gekommen. Zumeist verliefen sie friedlich.
Am Anfang wusste der Staat nicht so ganz, wie er damit umgehen sollte. Stück für Stück gab es aber auch ein
gewisses Maß an Demonstrationsfreiheit. Einige haben
gehofft, das könnten Schritte in Richtung Entwicklung
einer Bürgergesellschaft sein; denn dahinter stand die
Aufkündigung eines vielleicht stillschweigend akzeptierten Vertrages: Wir sorgen aus dem Kreml heraus für
Wohlstand und Stabilität, und ihr haltet euch aus der
Politik heraus. Dieser „Vertrag“ hat nicht gehalten, sondern er ist aufgekündigt worden.
Präsident Putin hat mit seinen Ankündigungen, Russland zu einer der führenden Industrienationen der Welt
zu machen, hohe Erwartungen geweckt. Doch die ersten
Monate der neuen Amtszeit zeigen eine anhaltende Nervosität der politischen Führung des Landes und machen
deutlich, dass wohl eher wieder Repressionen und Zurückdrängung von Freiheiten auf der Tagesordnung ste24162
hen. Das NGO-Gesetz, das vorsieht, dass sich NGOs als
ausländische Agenten registrieren lassen müssen, ist genannt worden. Das ist eine Geste des Misstrauens, die
auch weiteres Misstrauen schafft.
Es gibt weitere Einschränkungen der bürgerlichen
Freiheiten: Sperrung von Internetseiten, Verschärfung
des Demonstrations- und Versammlungsrechts, restriktive Gesetze gegen sexuelle Minderheiten, unverhältnismäßige Urteile wie im Fall von Pussy Riot, gerade in
den letzten Tagen intensiveres Vorgehen der Sicherheitskräfte mit Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und kurzfristigen Festnahmen. Ein weiterer Punkt ist der Ausschluss des Kollegen Gennadij Gudkow der Fraktion
„Gerechtes Russland“ mit Mehrheitsbeschluss der
Duma. Das alles betrachten wir mit Sorge. Gerade jetzt
wäre es notwendig, dass ein vernünftiger Dialog zwischen Präsident, Regierung und Opposition geführt wird.
An diesem Wochenende wird ein Koordinationsrat der
russischen Opposition gewählt. Ich setze darauf, dass
sich führende Köpfe herausbilden und dass Potenzial
vorhanden ist, um gemeinsam über Zukunftsvorstellungen für Russland zu diskutieren.
Natürlich gibt es auch einige Lichtblicke: den Beitritt
zur WTO, ein Stückchen Freiheit bei den Gouverneurswahlen - es ist immer noch zu wenig -, die Zulassung
von mehr Parteien und die Vereinfachung dabei. Aber
das reicht noch nicht. Für uns, für Deutschland, für die
Europäische Union, stellen sich daher Verantwortlichkeiten für die Bewältigung der zukünftigen Aufgaben.
Die Modernisierungspartnerschaft ist dafür eine gute
Grundlage. Aber sie darf nicht nur verwaltet werden,
sondern sie muss auch mit neuem Leben erfüllt werden.
Normen wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, die in unserer Wertegemeinschaft eine
Rolle spielen, müssen im gemeinsamen Dialog auch auf
Russland übergehen.
Dabei müssen wir ein Stück weit unsere eigene Geschichte bedenken: Kaiserreich, Zerfall der Weimarer
Republik, Hitlerdiktatur und Diktatur in der DDR. Unseren Weg gehen wir nun seit über 60 Jahren. Auch das ist
nicht alles von heute auf morgen passiert. Auch in Russland ist es ein historischer Prozess. Insofern muss man
manchmal vielleicht einen langen Atem haben.
Wir müssen Wandel durch Annährung anstreben und
einen partnerschaftlich-kritischen Dialog betreiben; aber
dabei darf es nie an Nachdruck fehlen. Also ist es wichtig, das zu machen, was der Kollege Heinrich aus unserem Antrag schon zitiert hat; ich muss das nicht wiederholen. Wenn wir über Rechtsstaatlichkeit reden, wenn
wir über Rechtssicherheit reden, wenn wir über den
Kampf gegen die Korruption reden, dann müssen wir
auch deutlich sagen: Das Recht des Stärkeren gilt es
durch die Stärke des Rechts zu ersetzen.
({2})
Folglich ist auf der obersten Ebene darüber zu sprechen, wie die Umsetzung der Inhalte der Charta des Europarates gewährleistet wird. Wir brauchen mehr Dialog,
wir brauchen mehr Zusammenkünfte. Die im Rahmen
der russischen Ostseeratspräsidentschaft beabsichtigte
NGO-Konferenz in Sankt Petersburg, die unter deutscher Leitung stattfinden soll, ist zu nutzen, um darüber
zu diskutieren. Wir brauchen mehr gemeinsame Projekte, die aber auch gemeinsam evaluiert werden und bei
denen über die gemeinsame Erwartungshaltung diskutiert wird. Es ist auch wichtig, mehr Austausch der Sozialpartner zu organisieren, um die soziale Kultur, die
Sozialpartnerschaft über die viele Ebenen umfassende
wirtschaftliche Präsenz in Russland zu verbreitern.
Wir sollten darüber nachdenken, ein deutsch-russisches Jugendwerk zu initiieren, das den deutsch-russischen Jugendaustausch verstärkt. Wir brauchen Partnerschaften zwischen Kommunalpolitikern und zwischen
Regionen. Wir brauchen auch - das ist ganz zentral; das
unterstreiche ich - eine Visaliberalisierung. Langfristiges Ziel sollte, natürlich unter Wahrung unserer Sicherheitsinteressen, Visafreiheit sein.
({3})
Ich muss daran erinnern, dass Frau Merkel vor einem
Jahr beim Petersburger Dialog gesagt hat, dass Deutschland auf der Bremse steht. Man kann der Regierung von
hier aus nur zurufen: Frau Merkel, gehen Sie von der
Bremse herunter und lassen Sie auch die Handbremse
los. Wir brauchen mehr Freiheit, damit die Menschen
häufiger zusammenkommen können und miteinander reden können.
({4})
- Ich habe das ja benannt. Es war nicht „eure“, sondern
unsere AG, unsere Arbeitsgruppe, in der die Koalitionsfraktionen bis heute nicht in der Lage waren, einen gemeinsamen Antrag vorzubereiten und vorzulegen. Das
ist schade, und das ist bedauerlich. Wir werden weiter
darüber streiten und weiter darüber diskutieren müssen.
Ich möchte noch etwas hinzufügen.
Kollege Thönnes, das werden Sie vertagen müssen.
Schauen Sie bitte auf das Signal.
Ich formuliere meine letzten Sätze. Frau Präsidentin,
danke für den Hinweis. - Ich will sagen, dass man auch
im sicherheitspolitischen Bereich, bei der Raketenabwehr, Vertrauen schaffen muss, um in guter Partnerschaft die anderen Probleme zu lösen. Insofern ist es
wichtig, dass wir zusammenkommen und in einem partnerschaftlichen Verhältnis an der Erreichung unserer
Ziele arbeiten, sodass das, was in den Broschüren zum
Deutschlandjahr in Russland und zum Russlandjahr in
Deutschland steht, verwirklicht wird. Es gilt, dafür zu
sorgen, dass Wege in eine gemeinsame gute Zukunft
auch wirklich gemeinsam gegangen werden können.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Patrick Kurth für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Russland ist sowohl innen- als auch außenpolitisch unser größter Nachbar in der Europäischen Union.
Besonders für uns Deutsche muss die Entwicklung besorgniserregend sein. Die Partnerschaft zwischen Russland und der Europäischen Union, aber auch die Partnerschaft zwischen Russland und Deutschland basiert
derzeit offensichtlich auf unterschiedlichen Konzepten.
Putins Bereitschaft zu Reformen hin zur Moderne ist nur
schwerlich zu erkennen: Gesetze wurden verschärft.
Teilnehmern illegaler Demonstrationen drohen hohe
Strafen. Auslandsfinanzierte Nichtregierungsorganisationen werden gezwungen, sich quasi als ausländische
Agenten zu bezeichnen und in ein spezielles Register
einzutragen zu lassen. Prominente Oppositionelle und
Regierungsgegner werden verfolgt, angeklagt und oftmals auch zu hohen Haftstrafen verurteilt. Der Straftatbestand der Verleumdung wurde wieder ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Einschüchterung und Kontrolle
sind oftmals an der Tagesordnung. Immer wieder werden Menschenrechte auch in den Regionen, vor allem im
Nordkaukasus, verletzt. Über die Wahlen muss man wenig sagen. Möglicherweise ist Genosse Putin doch nicht
der lupenreine Demokrat, als der er in diesem Hause
schon einmal bezeichnet worden ist.
({0})
Diese Probleme sind bekannt; aber wir dürfen nicht
müde werden, darauf hinzuweisen. Das russische Verhalten an diesen Stellen ist völlig inakzeptabel. Russland
muss sich auch unserer Kritik stellen.
Einige Fragen an uns sind berechtigt: Wer hat in der
westlichen Welt das größte Vertrauen bei den Russen?
Wer hat den größten Zugang zu Russland? Was und vor
allem wem hilft es, wenn wir uns von Russland vielleicht sogar abwenden? Sind ein manchmal sehr hart formuliertes Urteil und derart klar vorgetragene Vorhaltungen mit Blick auf die Transformationsherausforderungen
ausgewogen? Ist unsere scharfe Kritik auch im Vergleich
zu anderen Ländern und unserem Umgang mit ihnen angemessen?
So richtig und so notwendig diese Kritik ist: Sie muss
verhältnismäßig bleiben. Es ist unerlässlich, Missstände
offen und konsequent anzusprechen. Aber wir sind nicht
der dominante Erziehungsberechtigte Russlands. Kooperation, Zusammenarbeit und Einbindung sind die richtigen Schlagwörter. Es geht um die Verfolgung gemeinsamer Interessen und um die Minimierung gemeinsamer
Risiken. Viele in Europa definieren ihren Umgang mit
Russland im Sinne von Sicherheit vor Russland. Für uns
gilt: Sicherheit mit Russland ist das Entscheidende.
({1})
Für jeden Staat und jede Gesellschaft ist der Weg in
eine Demokratie kein leichter. Auch Deutschland fiel
und fällt der Transformationsprozess gar nicht so einfach, wie man manchmal denkt. Hierfür hatten wir trotzdem sehr günstige Voraussetzungen: gleiche Sprache,
gleiche Geschichte, eine, wenn man so möchte, Information über das andere Land, zumindest was den Osten betraf; man hat ja fast überall im Osten Westfernsehen gehabt. Die Währungsumstellung kam sehr schnell, die
Vereinigung auch. Trotzdem haben wir im Jahr 22 nach
der Einheit diktaturbedingt immer noch Differenzen.
Angesichts dieser Transformationsherausforderungen im
eigenen Land sollten wir uns vorstellen können, was in
anderen Ländern ohne diese Vorbedingungen los ist.
Auch darum geht es, wenn wir über Russland sprechen.
Meine Damen und Herren, wir wollen diesen Transformationsprozess fördern. Wir wollen ihn unterstützen.
Wir wollen Kritik deutlich machen. Wir wollen eine
gleichberechtigte Modernisierungspartnerschaft. Wir
wollen sie erhalten. Wir wollen sie ausbauen. Es muss
eine Balance zwischen Kritik und Zusammenarbeit erreicht werden. Außerdem wollen wir uns davor hüten,
die Brücken zu Russland abzubrechen. Zu einer solchen
Brücke gehört auch das Visaregime. Wenn das Visaregime weiterhin so restriktiv wie gegenüber uns Deutschen gehandhabt wird, dann wird eine weitere Brücke
abgebrochen. Auch wir appellieren an unsere Innenpolitiker, noch einmal darüber nachzudenken, wie man das
Visaregime weiter verbessern kann, sodass es uns insgesamt hilft.
Ein positives Signal für ein Miteinander findet zurzeit
statt: Deutschland feiert das Russlandjahr, Russland parallel dazu das Deutschlandjahr; zahlreiche Projekte vergegenwärtigen die deutsch-russischen Beziehungen der
Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Dieses
Jahr steht unter dem Motto „Deutschland und Russland:
gemeinsam die Zukunft gestalten“. Das ist eine Aufforderung an uns und die Russen. Diesen Weg sollten wir
gehen.
Herzlichen Dank.
({2})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Wolfgang Gehrcke das Wort.
({0})
Das finde ich toll. Schönen Dank. Wenn es notwendig
ist, setze ich mich auch zwischendurch hin und klatsche
mir selber Beifall. Das kann man sicherlich im Wechsel
machen. Das kriegt man schon hin. - Frau Präsidentin!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mir sehr
wünschen, dass wir in dieser Debatte deutlicher zum
Ausdruck bringen, dass wir die Diskussion mit Russland
in der Absicht führen, dazu beizutragen, dass Russland
den Weg hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, weniger
Armut, mehr Demokratie und zur Rechtsstaatlichkeit
geht. Dies sollte auch als Faktor des Friedens politisch
wirksam werden. Ich würde den russischen Bürgerinnen
und Bürgern gerne nahebringen, dass dies unsere Absicht in dieser Debatte ist. Zumindest meine ist es.
({0})
Ich füge hinzu, dass man diese Debatte nicht von
oben herab und belehrend führen darf. Man sollte anderen gegenüber nicht so tun, als könnten sie aus unseren
Erfahrungen alle notwendigen Schlussfolgerungen für
sich selbst ableiten. Ich betrachte diese Diskussion vielmehr als eine sehr gleichberechtigte Debatte. Auch wir
sollten die Bereitschaft zeigen, von der Entwicklung in
Russland zu lernen; auch das ist nämlich möglich.
Ich finde, es ist gut, darauf aufmerksam zu machen,
dass das unverschämte Benehmen und das unverschämte
Agieren der Neureichen in Russland völlig inakzeptabel
sind. Die eigentlich Betroffenen finden Sie in den Metrostationen, wo sie um Schutz und Obdach ersuchen.
Die soziale Frage in Russland wird sich zu einem ungeheuren Sprengsatz entwickeln, wenn man nicht an einer
Lösung der bestehenden Probleme arbeitet.
({1})
- Ja. Auch so etwas gibt es.
Ich möchte gern, dass in Russland begriffen wird,
dass eine demokratische Entwicklung auf sozialer Gerechtigkeit aufbaut und dass Rechtsstaatlichkeit für alle
Teile der Gesellschaft ungeheuer wichtig ist. Schließlich
will man weder der Willkür einer Staatsverwaltung noch
der Willkür eines Parteisekretärs ausgesetzt sein. Ich
finde, das ist eine Schlussfolgerung, die man aus der
Vergangenheit ziehen kann.
({2})
Das alles sage ich nicht belehrend.
({3})
Ich möchte, dass wir endlich damit aufhören, über die
Russland-Politik konjunkturabhängig zu diskutieren.
Sprünge zwischen „lupenrein“ bzw. „hosianna!“ und
„Kreuzigt sie!“ passen mir überhaupt nicht. RusslandPolitik und Außenpolitik sind für mich beständige und
wichtige Angelegenheiten.
Ich habe übrigens nicht mit dem Thema angefangen,
das bei euch in der Regierungskoalition ein Problem darstellt.
({4})
Aber auch mir ist natürlich aufgefallen, dass zu den Inhalten, die debattiert worden sind, aus der Richtung von
Schwarz-Gelb nichts Substanzielles gekommen ist. Damit kommt man nicht durch. Ich möchte stabile Beziehungen zu Russland und Stabilität in Europa. Blickt man
auf den Balkan, nach Moldawien oder in Richtung Kaukasus, stellt man fest: Kaum ein europäisches Problem
ist ohne Russland lösbar. Auch die Nahostprobleme sind
nur gemeinsam mit Russland lösbar, nicht gegen Russland.
Hinzu kommt, dass die Abrüstungsfragen endlich auf
die Tagesordnung kommen müssen.
({5})
Ich bin gegen die Einrichtung eines Raketenabwehrsystems. Eigentlich ist das nämlich ein System, das zweierlei Sicherheit in Europa etabliert. Das können wir nicht
tolerieren, und wir müssen dagegen argumentieren. Ich
denke, dass man, auch was das Verhältnis zu Russland
angeht, einen Weg gehen sollte, den man mit „Wandel
durch Annäherung“ umschreiben kann.
Derzeit finden ja deutsch-russische Regierungskonsultationen statt. Wenn ich für die Tagesordnung dieser
Gespräche verantwortlich wäre, würde ich entscheiden:
Tagesordnungspunkt 1 - Visafreiheit. Das, was wir
Richtung Russland und anderen Ländern signalisieren,
ist: Ihr seid uns nicht willkommen. Ich möchte, dass wir
signalisieren: Ihr seid uns willkommen.
Ihre Fraktionen und Ihre Parteien haben doch Leitungsgremien. Appellieren Sie doch nicht hier an Ihre
Außenpolitiker, dafür einzutreten, dass sich dort etwas
ändert, sondern setzen Sie in Ihrer Fraktion durch, dass
man dafür eintritt, dass sich dort etwas ändert. Es ist
doch beschämend, was hier geschieht.
({6})
Ich möchte gerne, dass über eine Energiepartnerschaft
und eine Demokratiepartnerschaft debattiert wird. Zeigen Sie einmal ein bisschen Kreuz und treten Sie für
politische Veränderungen ein. Wenn Sie nach Moskau
fahren, wird Ihnen gesagt: Fassen Sie sich an die eigene
Nase. Wenn ich mir ansehe, wie mit dieser Frage hier
umgegangen wird, muss ich sagen: Ich finde diese Aussage berechtigt.
Schönen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/11002 und 17/11005 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Vizepräsidentin Petra Pau
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 24. Oktober 2012, 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen zum
kommenden Wochenende auch ein wenig Erholung.