Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich grüße Sie sehr herzlich. Schönen Nachmittag! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und
Medien, Herr Staatsminister Bernd Neumann. Bitte
schön, Herr Staatsminister Bernd Neumann.
Herr Präsident! Die Bundesregierung hat heute den
Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes beschlossen. Dieses Gesetz ist die
Grundlage der Filmförderung durch die Filmförderungsanstalt, kurz FFA genannt, also das Kernstück der deutschen Filmförderung. Die FFA finanziert sich durch die
Erhebung einer Filmabgabe. Da die Erhebung der Filmabgabe nach dem derzeit geltenden Filmförderungsgesetz zum 31. Dezember 2013 ausläuft, wurde ein Entwurf für ein Siebtes Gesetz zur Änderung dieses FFG
erarbeitet, in dem den technischen und wirtschaftlichen
Veränderungen und Entwicklungen der letzten Jahre
Rechnung getragen wird.
Ohne unser umfangreiches Fördersystem hätten nur
wenige deutsche Filme eine Chance, gegenüber der finanzstarken Konkurrenz durch US-amerikanische Filme
zu bestehen. Die Filmförderung auf Bundes- und Länderebene ist daher unabdingbar, um die Struktur der
deutschen Filmwirtschaft zu verbessern und die Vielfalt
der deutschen Filmlandschaft zu erhalten. Dass die Filmförderung erfolgreich ist, drückt sich darin aus, dass
deutsche Filme mittlerweile internationales Ansehen genießen und weltweit einen guten Ruf haben. Daher können wir, wie ich denke, mit ein wenig Stolz auf unsere
lebendige Filmkultur blicken.
Der Entwurf sieht folgende wesentliche Änderungen
vor:
Zum Schutz der einzelnen Verwertungsstufen, insbesondere um einen exklusiven Auswertungszeitraum für
das Kino zu sichern, enthält das FFG Sperrfristen. Diese
bestimmen, welcher Zeitraum nach der Erstaufführung
eines Filmes im Kino verstreichen muss, bis mit der
Auswertung in der nächsten Verwertungsstufe begonnen
werden kann. Um dem geänderten Nutzerverhalten
Rechnung zu tragen - hiermit ist die Entwicklung bei
den Internetnutzern gemeint -, wird die Sperrfrist für Video-on-Demand-Angebote mit der Sperrfrist für die
DVD-Auswertung gleichgesetzt, das heißt, sie wird von
neun auf sechs Monate reduziert.
Ein weiterer Punkt. Um der oft beklagten Filmflut
und Zersplitterung der Förderung entgegenzuwirken,
werden wichtige Veränderungen bei der Referenzfilmförderung, zum Beispiel erhöhte Referenzschwelle für
besonders teure Filme, und der Projektfilmförderung
- Stichwort „Mindestförderquote“ - vorgenommen.
Die Möglichkeiten der Teilhabe behinderter Menschen - ein besonderer Wunsch des Deutschen Bundestages - an den geförderten Filmen werden verbessert.
Zukünftig muss von allen durch die FFA geförderten Filmen eine barrierefreie Filmfassung mit Audiodeskription für sehbehinderte Menschen und Untertiteln für hörgeschädigte Menschen hergestellt werden.
Durch die Aufnahme der Digitalisierung des Filmerbes in den Aufgabenkatalog der FFA soll sichergestellt
werden, dass das nationale Filmerbe angesichts der zügig voranschreitenden Digitalisierung der Kinos weiterhin wirtschaftlich ausgewertet und öffentlich zugänglich
gemacht werden kann.
Ein vorletzter Punkt. Darüber hinaus wird die Abgabe
auf Video-on-Demand-Anbieter mit Sitz im Ausland
ausgedehnt, die sich durch Internetauftritte in deutscher
Sprache gezielt an deutsche Kunden richten. Derzeit besteht ein deutlicher Wettbewerbsnachteil für Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die eine Abgabe leisten
müssen, gegenüber den Marktführern mit Sitz im Aus24610
land, die bisher keine Abgabe zahlen, obwohl auch sie
zahlreiche deutsche Kinofilme anbieten.
Da der aktuell rasante technische Wandel insbesondere durch die Ausweitung von Video-on-Demand-Angeboten erhebliche Auswirkungen auf die Verwertung
von Kinofilmen hat, lassen sich langfristig die wirtschaftlichen Bedingungen für die verschiedenen Zahlergruppen derzeit nicht absehen. Die Erhebung der Filmabgabe soll daher diesmal nicht um fünf, sondern nur um
zweieinhalb Jahre verlängert werden. Wir werden nach
anderthalb Jahren eine Evaluierung vornehmen, um
dann zweieinhalb Jahre nach Inkrafttreten dieser Regelung gegebenenfalls Korrekturen vornehmen zu können.
So weit zu den Hauptintentionen des Entwurfes für
ein neues FFG.
Vielen Dank, Herr Staatsminister Bernd Neumann. Wir kommen jetzt zu den Fragen, die zu dem Themenbereich gestellt werden, über den gerade berichtet wurde.
Die erste Fragestellerin ist Frau Kollegin Claudia Roth.
Bitte schön, Frau Kollegin Claudia Roth.
({0})
Danke, Herr Vorsitzender. - Herr Neumann, ich
möchte mich auf den Punkt „Erfolg des deutschen
Films“ beziehen und frage Sie, wie Sie die doch recht
heftige Kritik von Feuilletonisten einschätzen, die von
einer „Tendenz zum Konsenskino“ sprechen, weil bei
den großen Festivals in Cannes oder Venedig, wo ja
Filmkunst ausgezeichnet wird, deutsche Filme seit geraumer Zeit faktisch gar nicht mehr vertreten sind. In § 1
des Filmförderungsgesetzes heißt es:
Die Filmförderungsanstalt ({0}) fördert … die
Struktur der deutschen Filmwirtschaft und die kreativ-künstlerische Qualität des deutschen Films als
Voraussetzung für seinen Erfolg im Inland und im
Ausland.
Was läuft da nicht so ganz gut? Liegt es an den Autoren,
liegt es an den Regisseuren, oder liegt es an der Förderung?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Kollegin Claudia Roth, diese Frage unterstellt ja, dass
es mit den internationalen Erfolgen deutscher Filme
nicht so weit her ist. Einer solchen Feststellung - sie
mag hier und dort in Feuilletons anklingen, aber dort
klingt vieles an - widerspreche ich.
Erstens. Gerade in den letzten Jahren kann man eine
gegenläufige Tendenz feststellen; das ist auch ein Erfolg
der Förderung. Selbst bei den letzten Filmfestspielen
von Venedig - das fällt mir in diesem Zusammenhang
ein - gab es einen deutschen Film, einen Krimi. Bei fast
allen Festivals - es gibt ja noch mehr als die Filmfestivals in Venedig oder in Cannes; es gibt viele internationale Festivals -, bei denen es um künstlerisch anspruchsvolle Filme geht, zum Beispiel in San Sebastián, sind
auch deutsche Filme vertreten.
({0})
Zweitens. In den letzten Jahren sind auch vielfach
deutsche Filme bei Oscar-Nominierungen für den besten
ausländischen Film dabei gewesen. Sie wissen: Seit
Schlöndorffs Blechtrommel Anfang der 80er-Jahre gab
es 20 Jahre lang überhaupt keine Nominierung eines
deutschen Films. Es ist in den letzten Jahren aber nicht
nur gelungen, Nominierungen zu erhalten, unter die letzten sechs zu kommen, sondern in zwei Fällen - ich
denke an Das Leben der anderen oder Nirgendwo in
Afrika - sogar den Oscar zu erringen.
Drittens. Alle Produzenten werden es bestätigen: Inzwischen verkaufen sich deutsche Filme sehr gut. Das
war nicht immer so. Es ist aber auch der Sinn der wirtschaftlichen Filmförderung, sich international auszurichten. Vor wenigen Tagen, ich glaube vorgestern, wurde
hier als Europapremiere der Film Der Wolkenatlas gezeigt. Mit 100 Millionen Euro Produktionskosten handelt es sich um die teuerste deutsche Produktion, die es
jemals gegeben hat. Dieser Film finanziert sich allein dadurch - unabhängig von den Zuschauereinnahmen hier
in Deutschland -, dass er international überall verkauft
werden konnte.
Ich finde, diese Entwicklung ist positiv. Ich finde deshalb auch, dass die Förderung und sind die Veränderungen, die wir vornehmen - noch stärkere Konzentration
und Bündelung in manchen Bereichen -, richtig ist. Insofern sehe ich der weiteren Entwicklung eher optimistisch als kritisch entgegen.
({1})
Bitte schön. Eine Nachfrage, Frau Kollegin Roth.
Vielleicht können wir uns einmal damit auseinandersetzen, was die Feuilletonisten unter Konsenskino verstehen.
Ich habe eine Frage - es wird Sie nicht wundern, dass
ich als Grüne sie stelle -: Es gibt mehr und mehr Initiativen, die sich für Green Cinema einsetzen, zum Beispiel
in Potsdam. Sie beschäftigen sich mit der Frage: Wie
kann der Aspekt der Nachhaltigkeit in der Filmproduktion, bei der es zu vielen Emissionen und zu einem hohen Energieverbrauch kommt, besser berücksichtigt
werden? - Ist es für Sie denkbar, dass Sie und wir uns
mit diesen Initiativen treffen? Könnte die Nachhaltigkeit
der Filmproduktion Teil der Förderungskriterien werden?
Ja.
({0})
Ich muss sagen: Diese Anregung ist bisher noch nicht direkt an mich herangetragen worden; aber wenn Sie
gleichzeitig als Mittlerin auftreten würden, sollten wir
uns damit befassen und uns ernsthaft damit auseinandersetzen.
({1})
Dazu sind solche Befragungen auch da. - Nächster
Fragesteller ist unser Kollege Wolfgang Börnsen.
Herr Staatsminister, wir begrüßen es, dass die Bundesregierung für die Regierungsbefragung ein kulturpolitisches Thema vorlegt. Ich glaube, das sollte man in
Zukunft häufiger tun, weil es gerade auf diesem Gebiet
eine deutliche Profilierung gegeben hat. Das gilt auch
für das Thema „Filmland Deutschland“. Ich greife das
auf, was meine Kollegen, gleich, auf welcher Seite des
Hauses, mitgeteilt haben, und stelle fest: Das Filmland
Deutschland findet gerade in den europäischen Nachbarstaaten große Unterstützung.
Meine Fragen beziehen sich auf zwei von Ihnen genannte Punkte.
Erstens. Sie haben gesagt: Die Frage der Barrierefreiheit wird in das FFG neu eingebunden. Sie war schon
einmal Gegenstand einer Novellierung. Was ändert sich?
Nach unserer Auffassung müssen wir beim Film und
auch beim Kino gegenüber allen Menschen, gleich, mit
welcher Behinderung, eine viel größere Offenheit zeigen. Geschieht dies nur bei 1 Prozent der Produktionen,
so finde ich das unvertretbar.
Die zweite Frage. Sie haben darauf aufmerksam gemacht, dass Sie vorhaben, mit dem neuen FFG eine Verbesserung im Bereich des Kinderfilms zu erzielen.
Meine Fraktion hat gemeinsam mit der FDP gerade ein
Fachgespräch zu diesem Thema durchgeführt, unter dem
Titel „Der Kinderfilm in Deutschland - ein Mercedes
ohne Stern?“. Was wollen Sie tun, damit mehr authentische Themen, Themen der Kinderumwelt, in Kinderfilmen eine Rolle spielen und weniger das verfilmte Märchen?
Zur ersten Frage nach Barrierefreiheit: Auch bisher
haben wir schon an die Produzenten appelliert, möglichst barrierefreie Filme herzustellen; aber es gab keinen gesetzlichen Zwang, dies zu tun, wenn man Förderung erhält. Mit dem neuen Entwurf verpflichten wir
jeden Produzenten, der öffentliche Förderung erhält
- unter uns: das sind die meisten -, dass er barrierefreie
Fassungen herstellt.
({0})
Das kann man nicht mehr umgehen; das ist endgültig
Tatsache.
Zu Ihrem zweiten Punkt: Kinderfilm. Natürlich konnten Kinderfilme schon bisher im Rahmen der allgemeinen Förderung durch die FFA unterstützt werden; aber
dies war kein ausdrückliches Gebot. Wir bringen in das
neue FFG eine Vorschrift ein, nach der eine Projektfilmförderung expressis verbis auch bei Kinderfilmen erfolgen soll, die auf Originalstoffen beruhen. Hier haben wir
zwei Aspekte integriert. Zum einen wollen wir speziell
für Kinderfilme etwas tun - übrigens auch an anderer
Stelle, nämlich bei der Absatzförderung -; das war bisher
so ausdrücklich nicht formuliert. Zum Zweiten wollen
wir vermehrt Bezug auf Originalstoffe nehmen. Im Fernsehen, insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern, werden zwar Kinderfilme gezeigt, aber es
werden kaum Kinderfilme mit neuen Stoffen produziert.
Wir brauchen Filme, die sich mit den Problemen auseinandersetzen, mit denen Kinder heutzutage konfrontiert sind. Es ist schön, wenn wir zum wiederholten Male
Das fliegende Klassenzimmer von Erich Kästner sehen
können - das muss auch sein, allein schon wegen des Erhalts des kulturellen Filmerbes. Uns ist aber auch daran
gelegen, dass jüngere Drehbuchautoren eine Chance haben, gefördert zu werden, wenn sie entsprechende Kinderfilme mit neuen Stoffen produzieren. Das ist der Sinn
dieser Vorschrift.
({1})
Nächste Fragestellerin, unsere Kollegin Angelika
Krüger-Leißner. Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Staatsminister, Sie haben heute die Veränderungen, die mit der siebten Novelle zum Filmförderungsgesetz kommen sollen, kurz erläutert. Ich würde Sie
gerne daran erinnern, dass Sie Ihre Pressemitteilung
überschrieben haben mit: „FFG-Novelle justiert Filmförderungssystem neu“. Das hört sich gewaltig an, und genau das haben viele in der Branche erwartet.
Der Kern des Filmförderungsgesetzes ist ja das Abgabensystem, und an diesem Abgabensystem hat sich
nichts ändert. Die Verbände haben ihre Enttäuschung
darüber, nachdem sie den Entwurf gelesen haben, öffentlich gemacht. Das ist in den Stellungnahmen nachzulesen.
Erste Frage: Welche Überlegungen haben maßgeblich
dazu geführt, dass Sie von einer Änderung Abstand genommen haben? Zweite Frage: Spielt dabei vielleicht
auch das noch ausstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Klage der Kinobetreiber eine Rolle?
Ja, letzteres auch. Sollte es Kritik an dem jetzigen
Entwurf gegeben haben - ich konzentriere mich in der
Regel lieber auf das Lob -,
({0})
und würde sie darauf abzielen, dass nichts Substanzielles
geändert worden ist, kann ich nur feststellen, dass das
nicht zutrifft. Ich konnte das auch in einem Gespräch mit
den Verfassern der Stellungnahme, in der es um die Veränderung der Abgaben geht, deutlich machen. Ich will
das hier nicht wiederholen, aber lassen Sie mich noch
einmal auf die Verpflichtung, für Barrierefreiheit zu sorgen, auf die Veränderung der Sperrfrist sowie die Veränderung bei der Förderung hinweisen. Dadurch wollen
wir - ich habe das bereits ausgeführt - die Filmflut reduzieren, die Mittel konzentrieren und mehr für den Absatz
tun. Nehmen Sie als weiteres Beispiel den mutigen Versuch gegenüber der EU, durchzusetzen, dass ausländische Video-on-Demand-Anbieter eine Abgabe entrichten müssen. Das war übrigens eine zentrale Forderung
der vier Verbände. All die genannten Maßnahmen verändern die Filmförderung in hohem Maße.
Zur Schlagzeile in der Presseerklärung: Die muss immer etwas bombastisch sein, damit die Presseerklärung
gelesen wird. Das kennen Sie ja.
({1})
Der zweite Punkt betrifft die Abgabensituation. Die
vier Verbände, die sich zusammengesetzt haben - unter
anderem die Produzenten, die Kinobetreiber, die Videothekenbetreiber -, wollten eine Veränderung bei den
Zahlungen.
({2})
Sie haben gesagt: Wir wollen eine Veränderung der Abgaben, wir selbst wollen weniger zahlen, dafür sollen
zum Beispiel die Telekommunikationsunternehmen, die
durch ihre Leitungen Filme durchleiten, etwas zahlen,
und auch die Fernsehanstalten sollen erhöhte Beiträge
leisten. Nun wäre es besonders intelligent gewesen,
wenn sich alle zusammengesetzt und ein Konsenspapier
erarbeitet hätten. Es zeigte sich nun aber, dass diejenigen, die mehr zahlen sollten, nicht dazu bereit sind.
Das waren einmal die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Sie zahlen die Beträge, die wir ihnen im Rahmen der letzten Novellierung verordnet haben. Wir sind
im Übrigen froh darüber, dass dies vor Gericht Bestand
hatte, und würden dies ungern während eines laufenden
bzw. noch anhängigen Klageverfahrens verändern. Zugleich muss ich akzeptieren, wenn die Fernsehanbieter
sagen: Es gibt keine Gebührenerhöhung für uns, wir
können das nicht abrechnen, und wir sind nur bereit, unseren gesetzlichen Mindestbeitrag zu leisten.
Die Forderung, dass die Telekommunikationsunternehmen mehr zahlen, würde ich sehr gern unterstützen,
weil diese Filme durchleiten. Diese Forderungen sind jedoch nicht EU-konform, weil die EU uns auf unsere
Nachfrage hin gesagt hat: Ihr könnt für die reine Durchleitung nicht Geld nehmen, zumal sie für die Bereitstellung im Kabelnetz ohnehin Geld zahlen. Das war also
nicht möglich und hat dazu geführt, dass wir gesagt haben: Wir würden das gern verändern, aber im Moment
geht das nicht.
Hier bin ich im Einvernehmen mit den Beteiligten zu
einem Kompromiss gekommen. Dieser Kompromiss
sieht so aus, dass wir das Ganze nicht über fünf Jahre
hinweg laufen lassen, sondern, weil sich die wirtschaftlichen Bedingungen in dieser Zeit sehr schnell ändern, nur
einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren vorsehen. Das
heißt, schon anderthalb Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes werden wir evaluieren, um einen Vorschlag zu
machen. Bei diesem Gespräch hatte ich den Eindruck,
dass die Branche dies akzeptiert hat.
Ich bitte um Nachsicht dafür, dass ich dies so ausführlich erklärt habe, aber kürzer geht das nicht.
Sie wollten trotz der Ausführlichkeit der Ausführungen von Herrn Staatsminister Neumann noch eine Nachfrage stellen?
Genau. - Ihre Ausführungen haben zum Teil bestätigt, dass wir an den Kern, also an das Abgabensystem,
nicht herangehen.
Frau Kollegin, hier gibt es ja auch keinen Zwang dahin gehend, dass wir das ändern müssen.
Ja, aber um der Akzeptanz des FFG willen haben wir
darum gerungen, damit wirklich alle dabeibleiben.
Ich möchte die Stellungnahme des Vertreters eines
Verbandes wiedergeben. Er sagte, es handele sich um
wenige Änderungen, übrigens bereits schon in Richtlinien festgehalten. Und: Was die Förderung des Kinderfilms betrifft, so werde dies praktiziert. - Dies sind nur
zwei Beispiele. Lohnt sich also der Aufwand, dieses Gesetz mit all dem Prozedere im nächsten halben Jahr zu
novellieren, bei einer Geltungsdauer von nur zweieinhalb Jahren? Oder wäre nicht eine Verlängerung um
zweieinhalb Jahre auch ein möglicher Weg?
Das wäre die einfachste Lösung gewesen, aber es
wäre nicht die intelligenteste Lösung gewesen. Es ist immer am leichtesten, etwas zu vertagen. Ich dachte, wir
kommen dem besonderen Bedürfnis der engagierten
Filmliebhaber - insbesondere Ihnen - entgegen, wenn
wir mit Ihnen darüber beraten und dann, wenn eine Veränderung der Abgaben im Augenblick nicht möglich ist,
wenigstens die eine oder andere Änderung vornehmen.
Liebe Frau Kollegin Krüger-Leißner, ich muss Ihnen
sagen: Sie saßen mit an dem großen runden Tisch, als
wir anderthalb Tage lang mit über 70 Vertretern aus der
gesamten Filmwirtschaft diskutiert haben. Neben dem
Punkt „Veränderung der Abgaben“ waren auch alle anderen Punkte wichtig für die Beteiligten.
({0})
Wir hätten zum Beispiel sonst die Sperrfrist nicht ändern
können. Wir hätten nicht unserem Wunsch Ausdruck geben können, ausländische Video-on-Demand-Anbieter
aufzufordern, sich an der Finanzierung zu beteiligen
usw.
Das heißt, Sie dürfen die Filmförderung und -bewertung nicht an vier Hauptgruppen ausrichten. Es gibt so
viele, die - angefangen beim Drehbuch bis hin zu den
Schauspielern - an der Entstehung eines Films beteiligt
sind. Es wäre aus meiner Sicht arrogant gewesen, zu sagen: Wir machen erst einmal gar nichts, warten zweieinhalb Jahre und reden dann über andere Themen.
Wir waren der Auffassung, dass es klug ist, in dieser
Zeit Veränderungen, die sich anbieten, vorzunehmen.
Das schlagen wir Ihnen vor. Ich würde mich freuen,
wenn Sie das unterstützen könnten.
Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Kathrin Senger-Schäfer. Bitte schön, Frau Kollegin
Kathrin Senger-Schäfer.
Vielen Dank. Herr Staatsminister. Ich frage mich:
Was passiert mit dem Bereich der filmberuflichen Weiterbildung, wenn diese in der Zukunft im Filmförderungsgesetz wegfällt? Sie begründeten das mit einer zu
starken Zersplitterung und damit, dass wir den Blick auf
die Kernaufgaben richten müssten. Welche Ursachen
sehen Sie denn für diese starke Zersplitterung? Daran
anknüpfend frage ich: Wie soll die filmberufliche Weiterbildung in § 2 Abs. 1 FFG dann konkret geregelt werden? - Danke.
Frau Senger-Schäfer, diese Frage war Gegenstand des
runden Tisches. Am Ende war man einmütig der Auffassung,
({0})
dass es sinnvoll ist, die von uns vorgeschlagene Änderung vorzunehmen. Warum? Im Gesetz ist geregelt - ich
glaube, das steht in § 59 FFG -, dass die FFA generell
den Auftrag hat, Förderungshilfen für Weiterbildungsmaßnahmen zu gewähren. Das hat dazu geführt, dass
viele Einzelmaßnahmen unterstützt wurden: einzelne
Produzenten, einzelne Kinobesitzer. Dies hat auch, weil
die Mittel begrenzt sind, zu einem mehr oder weniger
zerfledderten System ohne Schwerpunkte geführt. Daher
waren alle der Auffassung: Eine solche Förderung bringt
nicht viel.
Hinzu kommt, dass die Beitragszahler, also diejenigen, die die FFA und damit die Filmförderung finanzieren, der Auffassung waren, dass die FFA nicht generell
für Weiterbildung zuständig ist, sondern nur für Weiterbildungsmaßnahmen, die mit dem Auftrag der FFA zu
tun haben. Das ist nicht meine Auffassung, also nicht
Auffassung des BKM, sondern Auffassung der Beitragszahler gewesen.
Was folgt daraus? Weiterbildung wird weiterhin ein
Thema sein. Die Frage, ob Unterstützung gewährt wird
oder nicht, wird in Zukunft vom Präsidium entschieden.
Da wir das Präsidium um einen Kreativen erweitern
- Frau Roth, Wolfgang Börnsen und andere, die dafür
eingetreten sind, werden sich darüber freuen -, kann
man davon ausgehen, dass angemessene Forderungen
gestellt werden.
In Zukunft sollen sich die Fördermaßnahmen auf
Themen beziehen und nicht auf Einzelpersonen. Wir unterstützen beispielsweise den Berlinale Talent Campus.
Hier sagt dann die FFA: Da geht es um Talente; das wollen wir unterstützen. - Es gibt sicherlich noch andere
Förderungsmöglichkeiten, die man sich vorstellen kann.
Ich darf es aber noch einmal sagen: Das war nicht unsere originäre Meinung, sondern wir haben aus dem, was
man uns vorgetragen hat, Konsequenzen gezogen. Wir
haben gesagt: Weiterbildungsmaßnahmen sollen angeboten werden, die Mittel sollen aber konzentriert vergeben werden, und über die Förderung entscheidet das Präsidium, in dem dann alle Gruppierungen einschließlich
der Kreativen vertreten sein werden.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller ist Kollege
Burkhardt Müller-Sönksen.
Herr Staatsminister Neumann, die FDP-Fraktion begrüßt, wie vom Kollegen Wolfgang Börnsen schon ausgeführt, dass die Bundesregierung ein Kulturthema auf
die Tagesordnung gesetzt hat. Das sollte man in diesem
Hause durchaus häufiger tun.
Wir haben gerade gehört, dass die Telekommunikationsanbieter nicht an den Abgaben beteiligt werden,
weil europarechtliche Regelungen dem entgegenstehen.
Deshalb begrüßen wir ausdrücklich, dass Sie die Laufzeit des Gesetzes auf zweieinhalb Jahre begrenzen wollen, um im Anschluss evaluieren zu können. Welche
Roadmap hat die Bundesregierung hinsichtlich dieser
Fragestellung?
Ich möchte meine zweite Frage gleich hinterherschicken: Können Sie uns über den Stand der Umsetzung der
Digitalisierung von Kinos informieren?
Ihre erste Frage betrifft Telekommunikationsunternehmen, die Filme durchleiten, mehr nicht. Diese Unternehmen werden bereits herangezogen, zum Beispiel bei
den Kabelgebühren. Es gibt die Vorschrift - Juristen
wissen das besser -, dass man nicht zweimal für dasselbe herangezogen werden darf. Wir haben es ja versucht. Von der EU wurde uns aber gesagt: Das geht
nicht. Diese Unternehmen leiten nur durch. Da sie schon
für die technischen Möglichkeiten zahlen, können sie
nicht auch noch herangezogen werden, wenn es um inhaltliche Fragen geht. Das bedauere ich sehr, weil die
Unternehmen indirekt trotzdem profitieren und weil die
Unternehmen, an die ich denke, nicht das Prädikat
„Armut“ tragen. Deswegen habe ich mir vorgenommen
- das ist der erste Schritt -, auch in Abstimmung mit
Vertretern der Filmbranche, Gespräche mit den Vertretern der Telekommunikationsunternehmen zu führen und
sie zu animieren, einen freiwilligen Beitrag zu leisten.
Das gab es früher auch. Früher haben Fernsehanstalten
und andere freiwillig Beiträge geleistet nach dem Motto:
Es geht ja hier nur um ein paar Millionen - es geht ja
nicht um Hunderte von Millionen -, die sehr helfen und
die in unserer Bilanz keine so große Rolle spielen. Das
bewahrte dann davor, dass man möglicherweise über andere juristische Schritte nachdachte. Das ist der eine
Punkt.
Ihre zweite Frage betrifft die Digitalisierung. Die Digitalisierung, für die wir ja gemeinsam mit dem Kulturausschuss ein Programm erarbeitet haben, das auch von
Regierung und Kulturausschuss getragen wird, ist - man
muss es so sagen - erfolgreich. Sie ist ein Renner. Ich
sollte darauf hinweisen, dass wir nicht alle Kinos unterstützen, sondern nur die kleineren, die Arthouse-Kinos
usw., die nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft für die
Digitalisierung einer Leinwand aufzukommen. Dieses
Programm setzt sich zusammen aus Beiträgen des Bundes, der Länder, der FFA und - das ist die positive Meldung
- seit kurzem auch sicher einem Beitrag der Verleiher.
({0})
Das war ja bisher offen. Die Verleiher sind die größten
Profiteure der Digitalisierung. Jetzt haben wir die Verbindlichkeit, dass die Verleiher sich beteiligen. Das führt
dazu, dass die von ihnen in der Vergangenheit bei schon
digitalisierten Leinwänden nicht gezahlten Zuschüsse
noch erfolgen.
Die Digitalisierung kommt schneller voran, als wir
dachten. Unser Programm sah fünf Jahre mit je 4 Millionen Euro vor. Wir stellen fest, dass es schneller geht. Die
Kinos wollen schneller digitalisieren, um auch wettbewerbsfähiger zu werden. Ich konnte erreichen, dass im
Nachtragshaushalt 2012 noch einmal 3 Millionen Euro
für die Digitalisierung ausgegeben werden, sodass wir
da schneller vorankommen. Wir hatten ja bisher nur
4 Millionen Euro pro Jahr einkalkuliert. Ich habe jetzt
die Haushälter gebeten, diese Mittel bei der Bereinigungssitzung möglichst noch etwas zu erhöhen. Die Gesamtsumme wird bleiben, aber wir können diesen Prozess der technologischen Veränderung dann durch
unsere Förderung beschleunigen.
Fragen Sie noch einmal nach. Dann habe ich noch
eine Reihe von anderen Wortmeldungen. - Bitte schön,
Herr Kollege Burkhardt Müller-Sönksen.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich habe noch eine
kurze Nachfrage zur Gesamtsumme.
Er antwortet immer so lange.
({0})
Ist die Gesamtsumme auskömmlich, oder droht sie
durch den Erfolg erhöht werden zu müssen?
Das kann ich noch nicht abschätzen, Herr Kollege.
Ich antworte im Sinne des Präsidenten kurz.
({0})
Wobei ja, Herr Staatsminister, alle dankbar sind, dass
dieses Thema heute auf der Tagesordnung steht. Nächster Fragesteller: Kollege Johannes Selle.
Herr Staatsminister, wir begrüßen die Weiterentwicklung des Filmförderungsgesetzes. Denn die Branche befindet sich in einem schnellen Umbruch, wie wir ja
schon beim Thema Kinodigitalisierung gehört haben.
Die Kinodigitalisierung wird dazu führen, dass weniger
Filme herkömmlicher Produktionsart aufgeführt werden
können. Wir als Parlamentarier diskutieren über die Digitalisierung des Filmerbes. Wie ist dafür im Filmförderungsgesetz Vorsorge getroffen worden?
Digitalisierung über Film hinaus - das ist ohnehin das
Stichwort - ist eine große Herausforderung, die wir insgesamt bestehen müssen. Es geht ja nicht nur um Film
- das darf ich als Kulturstaatsminister sagen, der ja nicht
nur für Film verantwortlich ist -, sondern auch um
andere Bereiche. Da stehen wir vor großen Herausforderungen. Wir haben schon - ich hatte Sie im Kulturausschuss darüber informiert - den Beginn einer Digitalisierungsoffensive eingeleitet, indem wir deutlich mehr
Mittel zur Verfügung gestellt haben als bisher; aber diese
Mittel werden wir noch deutlich erhöhen müssen. Wir
werden auch Beiträge Privater brauchen, um dieses Problem zu lösen.
Die Digitalisierung des Filmerbes ist nur ein Aspekt.
Wir haben schon im letzten Haushalt diejenigen, die das
Filmerbe bei uns archivieren, zum Beispiel die
Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und die DEFA-Stiftung, zusätzlich mit mehreren Hunderttausend Euro ausgestattet, darüber hinaus auch das Bundesarchiv, Abteilung Film. Wir haben vor, im neuen Haushalt - ich muss
vorsichtig sein, um mich nicht unbeliebt zu machen;
denn er ist noch nicht beschlossen - allein für die DigitaStaatsminister Bernd Neumann
lisierung filmischen Erbes weitere 1 Million Euro zur
Verfügung zu stellen. Das ist, verglichen mit früher,
schon eine ganze Menge. Das filmische Erbe, das erhaltenswert ist - die Entscheidung darüber treffen übrigens
nicht wir; ich möchte, dass sie von Fachleuten getroffen
wird -, soll also sukzessive und in zunehmendem Maße
durch Digitalisierung gesichert werden.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller: Kollege Marco
Wanderwitz. Bitte schön, Kollege Marco Wanderwitz.
Herr Staatsminister, Sie haben das Thema, um das es
mir geht, schon in einem Nebensatz angesprochen; aber
ich würde ganz gern noch ein paar Sätze mehr dazu hören. Es geht um die Frage: Besteht eigentlich tatsächlich
Veränderungsbedarf bzw. gibt es echte Veränderungen
bei der Besetzung der Gremien der Filmförderanstalt?
Vor diesem Hintergrund würde ich gerne wissen: Erstens. Wie schätzen Sie das Funktionieren der Gremien
der FFA aktuell ein? Zweitens - zu der bereits kurz angesprochenen Änderung -: Welche Motivation hat die
Bundesregierung veranlasst, verstärkt Kreative in die
Gremien zu holen?
Schon früher - in meiner Zeit als Abgeordneter und
Staatsminister ist dies, wie ich glaube, schon die vierte
Novellierung des Filmförderungsgesetzes - haben wir
immer wieder über die Gremien diskutiert. Es gab sogar
einmal eine Auflage des Haushaltsausschusses. Damals
hieß es, die Gremien seien zu groß. Darüber haben wir
dann diskutiert - ich war damals Abgeordneter -, und
die Konsequenz war: Wir haben die Zahl der Mitglieder
leicht erhöht.
({0})
Wir haben sie deshalb erhöht - auch Claudia Roth weiß
das bestimmt noch -, weil wir die Klassischen nicht hinauswerfen wollten, uns aber daran gelegen war, die
Kreativen - Drehbuchschreiber und alle, die sonst noch
dazugehören - mit einzubeziehen. Wir haben also gesagt: Auf zwei Mitglieder mehr kommt es nicht an.
Der Verwaltungsrat der FFA ist in seiner jetzigen Größenordnung ein Gremium, das, wie ich finde, auf wunderbare Weise die gesamte Filmlandschaft widerspiegelt.
Er ist gewissermaßen ein Filmparlament. All diejenigen,
die an dem Prozess beteiligt sind, sind Mitglied. Wir verändern die Zusammensetzung dieses Gremiums an nur
einer Stelle. Das finde ich richtig. Ich möchte nämlich
niemanden streichen.
Das Präsidium ist sozusagen das Handlungsorgan der
FFA. Es ist insofern wichtig, als es einzelne Fördermaßnahmen beschließt. Hier haben wir eine Entscheidung
getroffen, die uns vor vier Jahren wahrscheinlich noch
riesigen Protest der Produzenten beschert hätte, da diese,
was ihre Einstellung angeht, eher konservativ sind. Wir
haben entschieden, den Vorschlag zu machen, einen Vertreter der Kreativen - die zwar keine Beitragszahler sind,
aber entscheidend zur Produktion eines Filmes beitragen mit einzubeziehen. Das wäre neu. Ich gebe zu: Das alles
ist nicht revolutionär. Im Rahmen der parlamentarischen
Beratung besteht durchaus die Möglichkeit, diese Regelung zu ändern. Empfehlen würde ich das aber nicht.
Jetzt folgt die Frage unserer Kollegin Kathrin SengerSchäfer.
Herr Staatsminister, vielen Dank. - Ich habe eine
Frage zur Beschäftigungssituation der Kreativschaffenden in der Filmbranche. Mich würde interessieren, inwieweit in den Aufgaben der FFA, die in § 2 Abs. 1, 2, 5
und 6 des Filmförderungsgesetzes beschrieben sind
- das betrifft die Förderung, Strukturverbesserung, gesamtwirtschaftliche Belange, internationale Zusammenarbeit und Kooperation mit den Rundfunkanstalten -, die
Beschäftigungssituation der Kreativschaffenden Berücksichtigung findet und welche zusätzlichen Vereinbarungen Sie im Bedarfsfall als nötig erachten, um eine Optimierung des Filmförderungsgesetzes hinsichtlich der
Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.
Hier muss man zwischen dem Sachverhalt und dem
Sinn des Gesetzes unterscheiden. Was den Sachverhalt betrifft, bin ich wie Sie der Auffassung - das entnehme ich
Ihrer besorgten Frage -, dass die Beschäftigungssituation
vieler Filmschaffender, insbesondere vieler im schauspielerischen Bereich Tätiger, generell unzureichend ist;
das ist so.
({0})
Wenn man sich, wie im Bericht der Enquete-Kommission nachzulesen ist, vor Augen führt, wie viel
Künstler und Schauspieler im Durchschnitt verdienen,
kann man kaum fassen, dass sie trotzdem ein solch großes Engagement an den Tag legen. Hier besteht Korrekturbedarf. Einen ersten Schritt haben wir in der Großen
Koalition unternommen. Jetzt folgt der zweite Schritt.
Dabei geht es unter anderem um das ALG I und die Anrechnung beim Arbeitslosengeld. Das ist eine schrittweise Verbesserung. Sie könnte noch stärker sein; ich
empfehle das. Das wäre allerdings ein Schritt, den wir in
der nächsten Legislaturperiode tun sollten.
Wir haben das Filmförderungsgesetz von uns aus
schon mit kulturpolitischen Forderungen belastet. Das
geht ein Stück über den eigentlichen Auftrag hinaus;
denn hier geht es praktisch nur um die wirtschaftliche
Förderung. Das FFG kann in keiner Weise die Verantwortung von Tarifpartnern übernehmen. Wir haben einmal diskutiert - Frau Krüger-Leißner wird sich erinnern,
Wolfgang Börnsen auch -, ob man bezogen auf Förderung und Beschäftigung zusätzliche Auflagen machen
kann, sind aber sehr schnell nicht nur auf den Wider24616
stand der gesamten Branche, sondern auch auf rechtliche
Hürden gestoßen. Im Rahmen dieses Gesetzes kann bis
auf Appelle eigentlich nichts mehr gemacht werden.
Ich füge aber hinzu: Ich bin mit Ihnen der Auffassung, dass auf anderen Ebenen für die Verbesserung der
Beschäftigungssituation der Filmschaffenden nach wie
vor mehr zu tun ist.
({1})
Vielen Dank. - Es gibt keine Fragen mehr zu dem Bericht, den Staatsminister Bernd Neumann gegeben hat,
sodass ich jetzt zu den Fragen zu anderen Themen der
heutigen Kabinettssitzung überleite.
Zu Wort gemeldet hat sich unsere Kollegin Dagmar
Enkelmann.
Wie wir alle gelesen haben, hat sich der Koalitionsausschuss am Sonntagabend oder Sonntagnacht unter
anderem mit der sogenannten Lebensleistungsrente befasst. Einem Artikel aus der Welt konnte ich heute entnehmen, dass Frau von der Leyen eine Rentenwohltat
verspricht. Die FDP hat sofort reagiert und vor überzogenen Erwartungen gewarnt. Frau von der Leyen verspricht offenkundig wirklich das Blaue vom Himmel.
Real wird diese Rente - so habe ich das verstanden maximal 10 bis 15 Euro oberhalb der Grundsicherung
liegen, und maximal 2 Prozent der Betroffenen werden
überhaupt einen Anspruch darauf haben, weil die Zugangsmöglichkeiten sehr stark beschränkt sind. Was dort
am Sonntagabend erarbeitet worden ist, ist also bei genauerem Hinsehen alles andere als eine Rentenwohltat.
Mit diesem Thema werden wir uns hier noch beschäftigen.
Meine Frage: Hat sich das Kabinett mit diesen Vorschlägen befasst, und wurde die Ministerin zurückgepfiffen?
Zur Beantwortung steht zur Verfügung Herr Staatsminister Eckart von Klaeden. Bitte schön, Kollege von
Klaeden.
Frau Kollegin Enkelmann, das Kabinett hat sich mit
dieser Frage nicht befasst; deswegen musste auch niemand „zurückgepfiffen“ werden.
Sie haben das Stichwort selber gegeben: Wir werden
uns in diesem Hohen Hause mit der Frage noch beschäftigen.
Zu diesem Bereich oder zu einem anderen Thema der
heutigen Kabinettssitzung unser Kollege Volker Beck.
So weit entfernt ist meine Frage gar nicht: Es geht
auch um die Umsetzung der Ergebnisse des Wahlgeschenkegipfels vom Sonntag.
Ich habe aus den Ausschüssen gehört, dass der Betreuungsgeldantrag, der in den Fachausschüssen beraten
wurde, bezüglich der Altersvorsorge und des Bildungssparens nicht die Elemente enthält, die Sie angeblich
hinzugefügt haben wollen.
Ich möchte wissen, über was wir jetzt eigentlich beraten und wann das Betreuungsgeld in seiner Endform,
wie Sie es vereinbart haben, in den Bundestag eingebracht wird. Beabsichtigen Sie, ein Gesetz, das Sie noch
gar nicht verabschiedet haben, gleich wieder nachzuflicken, oder wie sollen die Beschlüsse des Koalitionsgipfels zum Betreuungsgeld im weiteren Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden?
Herr Staatsminister.
Herr Kollege Beck, dass die am Sonntag beschlossenen Ergänzungen des Betreuungsgeldes in der Formulierungshilfe nicht enthalten sein sollen, ist nicht zutreffend.
({0})
Wir werden beides am Freitag in diesem Hause beraten
und das Betreuungsgeldgesetz in zweiter und dritter Lesung verabschieden.
({1})
Ich beende nun die Themenbereiche der heutigen Kabinettssitzung. Gibt es darüber hinaus sonstige Fragen an
die Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall. Somit beende ich die Befragung.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/11282, 17/11313 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich die dringlichen
Fragen auf Drucksache 17/11313 auf.
Die dringlichen Fragen beziehen sich auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 unseres Kollegen
Niema Movassat auf:
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung vor dem
Hintergrund der Pressemeldungen vom 3. November 2012
({0}) den geplanten Bundeswehreinsatz so zu beschränken, dass dieser nicht dem Parlamentsvorbehalt unterliegt,
bzw. welche genauen Tätigkeiten sieht die Bundesregierung
in ihren derzeitigen Planungen für einen Bundeswehreinsatz
in Mali oder seinen Nachbarländern vor?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Lieber Kollege Movassat, ich habe
ein gewisses Problem, weil ich eigentlich eine Rückfrage stellen müsste;
({0})
denn in der Frage kommt zum Ausdruck - mit Genehmigung des Parlamentspräsidenten wiederhole ich das hier
doch noch einmal -: Laut Pressemeldungen erwägt Bundesverteidigungsminister de Maizière einen Bundeswehreinsatz in Mali ohne Bundestagsmandat usw.
Das kann sich wohl nur auf das Interview in der Süddeutschen Zeitung von Samstag beziehen. Bei einem Interview sind für Fragen bekannterweise die Journalisten
und für Antworten die Gefragten verantwortlich. Eine
Frage des Journalisten lautete:
Bewaffnete Auslandseinsätze muss der Bundestag
billigen. Gibt es Überlegungen, einen Einsatz in
Mali zu beschließen, ohne das Parlament zu fragen?
Antwort:
Die Frage nach einem Mandat des Bundestages
richtet sich nach dem Auftrag unserer Soldaten. Wir
klären jetzt erst einmal, was unser Auftrag sein
könnte und was wir für dessen Erfüllung bräuchten.
Wenn das ein Mandat erforderlich macht, dann werden wir dies selbstverständlich im Bundestag anstreben.
Deswegen, verehrter Herr Präsident, sind mir die Insinuierung und die Interpretation, die aus der Frage herauszuhören sind, die Bundesregierung würde welches
Mandat auch immer anstreben, nicht ganz eingängig.
Deshalb kann ich auf die Frage nur pauschal antworten,
dass die Bundesregierung gegenwärtig prüft, und zwar
im Lichte dessen, was sich in der nächsten Zeit seitens
der Europäischen Union im Hinblick auf das Krisenmanagementkonzept entwickeln wird, das in den nächsten
Wochen zur Beratung ansteht, und natürlich der Entscheidungen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
bzw. von ECOWAS und der dort tätigen afrikanischen
Organisationen und Länder.
Ihre erste Nachfrage.
Danke schön. - Sie haben das richtige Interview zitiert. Was natürlich auch nach der Antwort des Ministers
bleibt, ist, dass er nicht ausschließt, das Parlament nicht
daran zu beteiligen. Deshalb bleibt die Frage an dieser
Stelle wichtig. Es geht um einen Auslandseinsatz der
Bundeswehr. Das ist eine Frage, die die Öffentlichkeit
bewegt. Deshalb wurde dieses Interview ja auch in anderen Medien aufgegriffen.
Insofern fragt man sich schon: Vor welchem Hintergrund will die Bundesregierung kein Parlamentsvotum
bezüglich dieses Bundeswehrmandats? Die Hauptbegründung wird vermutlich sein, es gehe erst einmal um
Ausbildung. Dafür sei es nicht erforderlich, weil es keine
Kampfeinsätze oder dergleichen gebe. Aus Afghanistan
wissen wir aber noch: Das fängt mit der Ausbildung an,
und hinterher ist man mitten im Krieg. Daher habe ich an
dieser Stelle noch einmal die konkrete Nachfrage: Wird
die Bundesregierung, falls es zu diesem Auslandseinsatz
der Bundeswehr kommt, dies dem Parlament vorlegen?
Sehr verehrter Kollege, ich bin dankbar, dass Sie den
im Text Ihrer zweiten Frage beinhalteten Passus: „Kann
die Bundesregierung … mit absoluter Sicherheit ausschließen …?“, der schon denklogisch etwas problematisch ist, nicht wiederholt haben. Ich finde, dass wir uns
hier nicht mit Ausschließungsfragen, sondern mit Sachfragen beschäftigen müssen.
Deswegen sagt die Bundesregierung völlig klar: Wir
sind auf der Grundlage der von mir gerade genannten
Bewertungen der internationalen Gemeinschaft und internationaler Organisationen im Hinblick auf die Krisenlage, die sich im Norden Malis entwickelt hat, und auf
die Kräftigung der Handlungsfähigkeit der malischen
Verantwortlichen im Süden grundsätzlich dazu bereit,
uns dieser internationalen Frage zu stellen und zu nähern. Ob daraus eine militärische, eine Ausbildungs-,
eine zivile oder eine andere Option entsteht, ist bisher
nicht klar und verabschiedet. Deswegen kann ich auch
nichts ausschließen und werde nichts ausschließen.
Ich werde allerdings eines ausschließen: dass die
Bundesregierung sich nicht an § 2 Abs. 1 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes in Verbindung mit dem Urteil
vom 7. Mai 2008 - 2 BvE 1/03 - des Bundesverfassungsgerichts über die Frage, was ein bewaffneter Einsatz ist und dass er, wenn es ein bewaffneter Einsatz ist,
natürlich vom Parlament zu beschließen ist - ergänzt um
den Hinweis, dass das immer parlamentsfreundlich auszulegen ist -, halten wird. Wir werden zu gegebener Zeit
natürlich auch unsere entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen. Weiteres kann ich nicht ausschließen.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Niema Movassat.
Danke. - Können Sie etwas zum aktuellen internationalen Diskussionsstand über die Mission sagen? Es gibt
ja immer wieder mediale Berichterstattungen. Anscheinend ist es so, dass die Diskussionen inzwischen weiter
sind als im Anfangsstadium; man befindet sich in einem
fortgeschrittenen Stadium. Deshalb wäre es für das Parlament interessant, frühzeitig über die Fragen Bescheid
zu wissen: Welches Einsatzgebiet ist vorgesehen? Um
welche Art von Mission handelt es sich? Wie sind die
derzeitigen Diskussionen, und wie beteiligt sich
Deutschland an diesen Diskussionen?
Vielen Dank. - Die international und in vielen Medien aufgeworfene Frage, wie sich die Möglichkeit einer
Befriedung in Mali entwickelt, hat heute in zwei Ausschüssen dieses Hauses eine wichtige Rolle gespielt. Sowohl im Auswärtigen Ausschuss als auch im Verteidigungsausschuss erfolgte dazu eine Unterrichtung durch
die Bundesregierung. Dabei wurde deutlich, dass es verschiedene Optionen gibt, die der Bundesaußenminister
mit seiner sehr tiefgreifenden Reise nach Mali in den
letzten Tagen auch fundiert hat.
Wir haben nach dieser Reise die Erkenntnis gewonnen, dass es notwendig ist, die terroristischen Aggressionen, die sich im Norden Malis ergeben und die dort
schon bestehen, zu befrieden. Es ist abgewogen worden,
welche Verhandlungen möglich sind, ob die verschiedenen Gruppierungen, die sich dem islamistischen Terrorismus zuordnen, bereit sind, an einen Verhandlungstisch
zu kommen. Wir haben Signale von Tuareg-Strukturen
erhalten, die das sehr wohl bejahen. Von anderen Gruppierungen ist dazu bisher nichts zu hören.
Nachdem gerade in der malischen Hauptstadt eine
Konferenz stattgefunden hat, in der über diese Frage gesprochen worden ist, und die Hohe Beauftragte der
Europäischen Union, Frau Ashton, mit der Erarbeitung
eines entsprechenden Krisenmanagementkonzepts beauftragt worden ist, versuchen wir, bis vermutlich Ende
des Monats - am 17./18. dieses Monats findet in Brüssel
eine Sitzung des Rates im Format der Außen- und Verteidigungsminister statt - hierüber zu beraten, wenngleich wir dabei auch zu berücksichtigen haben, dass die
45 Tage umfassende Frist, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bei seiner ersten Resolution bezüglich
Mali eingezogen hat, noch in diesem Jahr abläuft, sodass
wir abzuwarten haben, wie sich der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen danach in dieser Frage betätigt. Hierüber kann ich aber, auch mangels Zuständigkeit, keine
weitere Auskunft geben.
Ich darf nur noch einmal versichern, dass wir uns in
solche Überlegungen mit Bedacht einbringen, aber national von unserer Seite selbst keine stringenten Planungen vorliegen. Sie können deswegen nicht vorliegen,
weil gegenwärtig noch gar nicht geklärt ist, in welchem
Rahmen und mit welchen Mitteln die Befriedung der Situation in Mali erreicht werden kann.
Ich komme jetzt zu den weiteren Nachfragen. Zunächst unsere Kollegin Frau Kerstin Müller.
Herr Staatssekretär, noch einmal in Anlehnung an das
Interview Ihres Ministers in der Süddeutschen Zeitung:
Dort ist die Rede von einer möglichen Ausbildungsmission in Bezug auf die malische Armee. Sie erwähnten
gerade auch die Wünsche der malischen Regierung und
die Wünsche von ECOWAS. Deren Vorstellungen liegen
nun weit auseinander. Sie sagten, Sie werden prüfen.
Können Sie uns wenigstens darüber unterrichten, was
die Bundesregierung prüft? Prüfen Sie, ob man sich an
einer Ausbildung der malischen Armee beteiligen wird,
oder prüfen Sie, ob man sich an einer möglichen europäischen Mission zur Ausbildung der ECOWAS-Truppen beteiligen wird? Bisher gibt es dazu von der Bundesregierung unterschiedliche Aussagen.
Dies befindet sich, Frau Kollegin, noch im Abwägungs- und Planungsstadium. Wir müssen auch in Rechnung ziehen, dass zwischen den malischen und den
ECOWAS-Kräften noch nicht Klarheit darüber besteht,
wer für was unter welcher Führung verantwortlich sein
wird. Nach unseren Erkenntnissen und denen der
ECOWAS wird klar, dass die Ausbildung der malischen
Streitkräfte - ich betone: die Ausbildung - wohl nottut.
Es ist dann allerdings zu klären und zu prüfen, in welchem Rahmen man eine Ausbildung, die per se eine mittel- und langfristig angelegte Aufgabe ist, mit notwendigen Krisenmanagementaufgaben, beispielsweise denen
der ECOWAS, in Einklang bringt.
Ich darf übrigens darauf hinweisen, dass in Mali bis
zum Putsch vor einiger Zeit eine Ausbildung, allerdings
fern von jeder militärischen Mission, im Rahmen der
Ausbildungshilfe in sehr kleinem Rahmen bereits stattgefunden hat, sodass wir in diesem Bereich erste Erfahrungen haben. Ich möchte allerdings für die Bundesregierung hinzufügen, dass wir dies als eine genuin
afrikanische Aufgabe, die dann durch Europa unterstützt
wird, verstehen. Ich betone: von europäischer Seite; es
ist nicht eine deutsche Aufgabe.
Auf europäischer Ebene wird sicherlich Wert darauf
zu legen zu sein, dass die europäischen Staaten, unser
französischer Nachbar und andere, einen Konsens finden. So weit sind wir in der konkreten Planung noch
nicht. Das ist in Arbeit.
Eine weitere Nachfrage unseres Kollegen Jan van
Aken.
Vielen Dank. - Herr Schmidt, Sie verweisen immer
darauf, dass in der EU und im Sicherheitsrat noch entschieden werden muss. Nun ist es aber so, dass diese
Entscheidungen nicht vom Himmel fallen. Zur Erinnerung: Die Bundesrepublik Deutschland ist Mitglied der
EU und verhandelt mit. Die Bundesrepublik Deutschland ist Mitglied im UN-Sicherheitsrat und verhandelt
mit.
Deswegen noch einmal konkret: Was sind Ihre Vorstellungen, die Vorstellungen der Bundesregierung, was
die Ausbildung der malischen Rebellen angeht? Ganz
konkret: Was ist Ihre Vorstellung, wo das stattfindet?
Können Sie sich vorstellen - ist das eine der Verhandlungspositionen, die Sie als Bundesregierung vertreten? -,
dass eine Ausbildung der malischen Armee auf malischem Boden stattfindet, in einem Land, in dem gerade
Bürgerkrieg herrscht und in dem zwei Drittel der Fläche
von Rebellen besetzt worden sind, oder wollen Sie das
für sich ausschließen? Was ist Ihre Verhandlungsposition
bei den momentanen Gesprächen im UN-Sicherheitsrat
und bei der EU?
Herr Kollege, bei der „Ausschließeritis“ gibt es folgendes Problem: Wenn Sie der Infektion erlegen sind,
dann haben Sie keinen klaren Blick mehr für das, was
Sie nutzen müssen, um ein Ziel zu erreichen.
({0})
- Sie haben den Ihren, wir als Bundesregierung haben
den unsrigen. - Wir sind bei den Verhandlungen gegenwärtig zum großen Teil im Bereich der sogenannten Faktenfindung, Fact Finding. Wir müssen also erst einmal
feststellen, wer für was bereit ist und was notwendig ist.
Es wird durchaus darüber nachgedacht, ob es sinnvoll
ist, die Ausbildung im Land oder außerhalb des Landes
durchzuführen. Ich weise darauf hin, dass wir bereits im
Rahmen der EU-Trainingsmission in Somalia die Ausbildung somalischer Sicherheitskräfte - diese sollen
dann in ihr eigenes Land zurückkehren - in einem Nachbarland durchführen. Die Entscheidungsgrundlage im
Falle Malis ist noch nicht so verdichtet, dass man hierüber eine klare Aussage treffen kann. Allerdings zeichnet
sich sehr deutlich ab - das ist auch die Position, die in
Europa eingenommen wird -, dass eine Bekämpfung der
Terroristen im Norden Malis nicht Aufgabe der Europäischen Union oder europäischer Kräfte ist.
Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Katja Keul.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Schmidt, in der
französischen Presse ist zu lesen, dass es schon konkrete
Zeitpläne gibt. Danach beginnen wir schon in den nächsten Wochen und Monaten mit dem Aufstellen von Truppen. Spätestens im März 2013 soll - so ist es im Figaro
zu lesen - die Rückeroberung des Nordens starten. Spiegeln diese Zeitpläne auch die deutsche bzw. die europäische Position wider? Haben Sie miteinander gesprochen,
oder handelt es sich um einen französischen Alleingang?
Ich kann nicht abschätzen, wer den von Ihnen erwähnten Artikel im Figaro, der in Deutschland viel
Beachtung findet, inspiriert hat. Ich will nur sagen:
Zeitungsmeldungen, die mit Zeitplänen zu solchen komplexen Krisenmanagementplänen beitragen sollen, sind
nur sehr beschränkt konstruktiv. Ich möchte deswegen
zu den Aussagen in dem erwähnten Artikel keine Stellung nehmen. Unsere Position wird auf der Grundlage
von gemeinsamen Gesprächen und Erörterungen erarbeitet werden. Darin werden die Position und die Erkenntnisse der Reise des Bundesaußenministers, der
nach seiner Rückkehr die Obleute der beiden Fachausschüsse unterrichtet hat, in starkem Maße einfließen.
Nächste Nachfrage stellt unser Kollege Dr. Rolf
Mützenich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Da ich weiß, dass ich
die Kollegen von der Fraktion Die Linke nicht fragen
darf, ob sie bereits jetzt ausschließen, dem Mandat zuzustimmen, möchte ich die Bundesregierung Folgendes
fragen: Kann man daraus, dass sich die Bundeskanzlerin
so früh in diese Debatte eingemischt hat, schließen, dass
sie gegenüber der Federführung des zuständigen Ressorts eine gewisse Zurückhaltung an den Tag legt angesichts der Erfahrungen, die sie mit dem UN-Mandat
1973 betreffend Libyen und dem Abstimmungsverhalten
des deutschen Vertreters im UN-Sicherheitsrat gemacht
hat?
Die Bundeskanzlerin, die in der letzten Woche anlässlich der Bundeswehrtagung in Strausberg in ihrer Rede
auf die Möglichkeit eines Mandats betreffend Mali Bezug genommen hat, befindet sich genauso wie die gesamte Bundesregierung in absoluter Übereinstimmung
mit dem federführenden Bundesminister des Auswärtigen und dem Bundesverteidigungsminister.
Nächste Nachfrage stellt unser Kollege HansChristian Ströbele.
Danke, Herr Staatssekretär. - Wie kommt die Frau
Bundeskanzlerin angesichts der Tatsache, dass die Dimension, Ausgestaltung und Planung eines Einsatzes offenbar noch völlig im Nebel sind, und angesichts der
vielfachen Beteuerungen der Bundesregierung, eine militärische Beteiligung nur als Ultima Ratio anzusehen,
eigentlich dazu, die Beteiligung an einer militärischen
Option zuzusagen, wenn bisher alle anderen Möglichkeiten, den Konflikt in Mali zu bewältigen, noch nicht
ausgeschöpft sind?
War der Bundeskanzlerin, als sie diese Zusage für
eine Beteiligung an einer militärischen Option unbekannten Ausmaßes gemacht hat, bekannt, dass eine der
Mudschaheddin-Gruppen in Mali bereits angekündigt
hat, dass sie die Hauptstadt innerhalb von 24 Stunden erobern wird, wenn es zu einem militärischen Eingreifen
des Auslands kommt? Ist es nicht abzusehen, dass es
dann auch mindestens zu einer Art Partnering wie in
Afghanistan mit den sehr desolaten malischen Truppen
kommen muss?
Herr Kollege Ströbele, Ihre exegetischen Fähigkeiten
in allen Ehren,
({0})
aber mir, wie wohl auch der Bundeskanzlerin selbst, hat
sich nicht erschlossen, dass sie eine Zusage im Hinblick
auf ein noch zu bestimmendes Mandat - Stichwort:
CONOPS, Operationsplan usw. - gegeben hätte.
({1})
Es ging um den übrigens auch in diesem Haus mehrfach erhobenen Vorwurf, die Bundesregierung würde
sich nicht rechtzeitig mit internationalen Konflikten, insbesondere solchen in Afrika, beschäftigen. Die Äußerung der Bundeskanzlerin dokumentiert, dass sich die
Bundesregierung politisch mit diesen Fragen beschäftigt, dass sie aber noch zu keiner endgültigen Antwort
gekommen ist. Das Thema liegt allerdings auf dem Tisch
der internationalen Gemeinschaft, und zwar spätestens
seit dem Beschluss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.
Ich darf darauf hinweisen, dass die Bundesrepublik
Deutschland gegenwärtig Mitglied im Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen ist und die Resolution, die Mali betrifft und die im Sicherheitsrat verabschiedet worden ist,
mitgetragen hat. Daraus kann man schließen, dass die
Bundesregierung die Augen vor der Situation in Afrika
und in Mali nicht verschließt. Diese Situation hat übrigens zu einem gewissen Teil auch damit zu tun, dass die
Operation in Libyen Kräfte hervorgebracht hat, die, ausgerüstet mit militärischem Material, in anderen Ländern
vagabundieren und dort Unsicherheit erzeugen.
Es besteht also die Notwendigkeit, sich mit der Lage
in Mali zu beschäftigen. Das heißt aber nicht, dass schon
jetzt eine konkrete Antwort gegeben werden kann. Ich
habe darauf hingewiesen, welche Verfahrens- und Entscheidungsabläufe in den nächsten Wochen zu erwarten
sind.
({2})
Herr Kollege Ströbele, Ihr Fraktionskollege
Dr. Frithjof Schmidt ist an der Reihe. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich habe verstanden, dass Sie momentan noch prüfen, ob und gegebenenfalls welche
Truppen Sie ausbilden. Ich habe eine Nachfrage dazu,
was Sie genau prüfen: Ziehen Sie momentan in Erwägung, in Mali auch Truppen auszubilden bzw. eine solche Ausbildung fortzusetzen, während sie in Kampfhandlungen verwickelt sind, oder können Sie eine solche
Erwägung im Augenblick schon ausschließen?
Herr Kollege Schmidt, die feine Ziselierung Ihrer
Frage spürend,
({0})
will ich sagen, dass wir die Ausbildung prüfen, nicht
Einsätze im Sinne eines Kampfeinsatzes bzw. im Sinne
dessen, was das Bundesverfassungsgericht in besagtem
Urteil erklärt hat. Das habe ich vorhin dargelegt.
Sie werden deswegen von mir keine weitere Antwort
erhalten können, weil wir mit dem Prüfprozess und mit
der Bewertung dessen, was möglich ist, auf nationaler
Ebene noch gar nicht so weit sind. Auch wenn ein Vorschlag auf europäischer Ebene zu beraten sein wird,
kann das nicht heißen, dass automatisch alle Mitgliedstaaten solch einem Vorschlag für das Krisenmanagementkonzept unverändert zustimmen werden. Wir wollen allerdings erreichen, dass die Konsentierung bis zur
Erstellung dieses Konzeptes abgeschlossen ist.
Die Schwierigkeit in Mali wird in der Tat sein - Sie
gestatten, dass ich die Frage der Ausbildung durch die
Bundeswehr, die in diesem Zusammenhang nur eine sehr
nachgeordnete Rolle spielt, behandle -, dass die Hälfte
dieses afrikanischen Landes durch terroristische Kräfte
besetzt ist. Diese Kräfte stehen in einem gewissen Zusammenhang damit, dass sich die gegenwärtige malische
Regierung selbst durch einen Putsch an die Macht gebracht hat. Es gilt, dieses schwierige Geflecht so zu behandeln, dass daraus nicht ein in die Nachbarschaft noch
weiter hineingehender Brandherd entsteht. Das ist die
Aufgabe, die zugegebenermaßen schwierig ist, der wir
uns aber stellen.
Nächste Nachfrage, unser Kollege Uwe Kekeritz.
Herr Staatssekretär, ich habe aus vielen Beiträgen erfahren, dass Sie prüfen, ob ausgebildet werden soll.
Kann ich aus dem, was Sie gesagt haben, schließen, dass
Sie nicht prüfen, aktiv an Militäraktionen teilzunehmen?
Kann ich außerdem schließen, dass dieses Nichtprüfen
zwar länger als zwei, drei Monate andauert, dass Sie
aber danach vielleicht doch prüfen, sich an kriegerischen
oder militärischen Auseinandersetzungen aktiv zu beteiligen?
Es ist nämlich nicht so, dass nur das Magazin Cicero
darüber berichtet, dass Frankreich ganz konkrete Pläne
zu einer militärischen Intervention hat; darüber gibt es
global zurzeit eine Reihe von Nachrichten. Meines Erachtens ist es auszuschließen, dass Frankreich einen Alleingang macht. Sie haben vorhin selber darauf hingewiesen, dass, wenn es zu irgendwelchen Aktionen
kommt, dies europäische Aktionen sein werden.
Herr Kollege Kekeritz, prüfen muss man, wenn man
sich binden will.
Ich will noch einmal festhalten: Stellen Sie sich vor,
ich würde Ihnen hier ungeprüft über Dinge berichten, die
die Bundesregierung erwägt. Was würden Sie dann über
die Bundesregierung denken? Da ich möchte, dass ich
als Vertreter der Bundesregierung in gutem Ansehen
stehe, sage ich das, was ich sagen kann, und nicht das,
wovon man möchte, dass ich es vielleicht tue: dass ich
Ihnen zustimme.
Der Rat für Außenbeziehungen der Europäischen
Union hat am 15. Oktober einen Auftrag erhalten - ich
bin jetzt nicht bei dem, was geprüft wird, sondern bei
dem, was wir beschlossen haben -, eine nichtexekutive
Ausbildungsmission in Mali im Rahmen eines Krisenmanagementkonzeptes zu prüfen. Dies ist tatsächlich
eine Beschränkung auf ein Ausbildungskonzept.
„Nichtexekutiv“ heißt, dass man auf kriegerische Auseinandersetzungen nicht einwirkt. Ich will die völkerrechtlichen Fragestellungen dabei einmal beiseitelassen,
die angesichts der Situation in diesem Land gesondert
betrachtet werden müssten.
Bisher ist beabsichtigt - das ist keine Betrachtung, die
vorbehaltlich der Ergebnisse, die die „Fact-finding Mission“ der EU aus Mali mitgebracht hat, zu anderen Ergebnissen führt -, dass am 19. November der Rat für
Außenbeziehungen der Europäischen Union darüber etwas vorgelegt bekommt. Wir sind grundsätzlich bereit,
uns an einer europäischen GSVP-Ausbildungsmission
für Mali zu beteiligen, wenn die Voraussetzungen dafür
geklärt und gegeben sind. Ich spreche ausdrücklich von
Ausbildungsmission, das heißt nicht von einer Kampfmission.
Es gibt keine weitere Nachfrage zur dringlichen Frage 1
des Kollegen Niema Movassat.
Jetzt kommt die dringliche Frage 2 des Kollegen
Niema Movassat:
Kann die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass sie
nach jetzigem Planungsstand kein Bundestagsmandat für eine
Mali-Mission anstrebt, mit absoluter Sicherheit ausschließen,
dass die Bundeswehr in Kampfhandlungen gleich welcher Art
und gleich welchen Umfangs verstrickt sein wird - wo auch
immer sie im Zusammenhang mit der Mali-Krise zum Einsatz
kommen wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Zu der Frage, ob die Bundeswehr sich in Kampfhandlungen begeben will, kann ich sagen: Es gibt keinerlei
Intentionen in diese Richtung.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Movassat.
Danke. - Der BundeswehrVerband hat sich ja ebenfalls zu dem geplanten Einsatz geäußert - ich zitiere -:
Uns treibt die Sorge um, dass die Bundeswehr wieder einmal unüberlegt und verantwortungslos in einen Einsatz entsendet wird, der Teil einer nur lückenhaften politischen Konzeption ist.
Das ist eine sehr klare Aussage. Der BundeswehrVerband sieht also die Gefahr, dass es aufgrund der Lage im
Land, selbst wenn man da nur im Rahmen einer Ausbildungsmission hineingeht, zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen kann. Daher meine Frage: Wie gehen Sie mit der Kritik des BundeswehrVerbandes um?
Sehr verehrter Kollege, auch der BundeswehrVerband
gibt manchmal Presseäußerungen von sich, die man
nicht unbedingt teilen muss. Denn das, was verkürzt in
dieser Pressemeldung, die Sie zitiert haben, die ich aber
nicht überprüft habe, dargestellt wird, hieße ja, dass
20 Jahre Auslandseinsätze der Bundeswehr per se als
unüberlegt anzusehen wären. Dies jedoch entspricht
nicht der Wahrheit.
Ich habe keine Befugnis, jetzt für alle Mitglieder des
Hohen Hauses zu sprechen. Aber als jemand, der seit
22 Jahren dem Deutschen Bundestag angehört, würde
ich für die Bundesregierung und für den Deutschen Bundestag - wenn Sie gestatten - doch sehr die Bewertung
in Anspruch nehmen, dass sehr wohl sehr intensiv geprüft und dann entschieden worden ist. Ich berichte ja
gerade von intensiver Prüfung. Es schwingt in der Kritik
der Eindruck mit, es würde Abenteuerhaftigkeit bedient.
Das kann ich absolut ausschließen.
Die Bundesregierung teilt in ihrer Zurückhaltung die
Einschätzung, dass bei Einsätzen im Rahmen von UNMandaten und von regionalen Mandaten auch die Eskalationsgefahr betrachtet und, wo notwendig, dann auch
abgewendet werden muss. Jeder Auslandseinsatz der
Bundeswehr muss ein Ausnahmeeinsatz bleiben, und er
bedarf einer guten Begründung. Dem wollen wir nachkommen. Deswegen kann ich die Besorgnis des BundeswehrVerbandes, soweit er diese geäußert haben sollte,
zerstreuen.
Ihre zweite Nachfrage.
Danke schön. - Aber der BundeswehrVerband nennt
konkrete Beispiele, so etwa das Beispiel Afghanistan.
Da ist man zuerst zu Ausbildungszwecken hineingegangen und ist nun in einen Krieg verstrickt. Auch da stand
am Anfang offensichtlich kein überlegtes Vorgehen.
Sonst hätte man ja gewusst, wo das schließlich endet.
Jetzt noch eine Nachfrage. Sie werden ja laufend die
Sicherheitslage im Land überprüfen und Berichte dazu
vorliegen haben. Wenn man sich das einmal von außen
anschaut, dann ergibt sich folgendes Bild: Nordmali ist
besetzt durch Rebellen, und im Süden Malis hat sich die
Regierung an die Macht geputscht. Es gibt genug
Sprengstoff für Konflikte im ganzen Land. Daher die
Frage: Wie schätzen Sie die Sicherheitslage Malis ein?
Schließen Sie aus, dass es auch in Südmali zu Auseinandersetzungen kommen kann?
Herr Präsident, die letzte Frage zu Südmali will ich
noch beantworten. Ich würde allerdings ungern von einer konkreten Frage ausgehend zu einer allgemeinen
Betrachtung der Sicherheitslage Nordafrikas bzw. Malis
übergehen. Dieser Teil der Frage müsste dann in den
Ausschüssen beraten und in einer umfassenden Form beantwortet und bewertet werden.
Was die Sicherheitslage angeht, so will ich auf das
verweisen, was Sie, Herr Kollege, zu Afghanistan sagen.
Natürlich sehen Dinge nach zehn Jahren immer anders
aus. Das zeigt übrigens die allgemeine Lebenserfahrung.
Diejenigen, die nach zehn Jahren sagen, sie hätten von
Beginn an genau gewusst, wohin es geht, mag ich besonders gern - das darf ich einmal sagen -; denn das zeugt
nicht von besonders qualifizierten Kenntnissen. - Herr
Präsident, ich bitte um Entschuldigung für diesen emotionalen Ausbruch, wenn er denn als solcher angesehen
werden sollte.
({0})
Aber ich möchte doch an Sie appellieren, Respekt vor
dem Deutschen Bundestag zu haben, der sich in unzähligen Debatten nun wirklich vertieft mit unterschiedlichen
Positionen zu solchen Fragen beschäftigt hat, und ich
möchte mich gleichzeitig davor hüten, ins Spekulative
abzugleiten. Das würde ich tun, wenn ich Ihre auf die
Zukunft gerichteten Fragen im Detail beantworten
würde.
Die Sicherheitslage in Mali ist im Norden schwieriger
als im Süden. Deswegen kann ich natürlich nicht sagen,
dass wir eine absolut friedliche demokratische Struktur
vorfinden, bei der es nur Auseinandersetzungen in Form
von Disputen und nichts anderem gibt. Deswegen muss
man das in die Planung mit einbeziehen. - Diesen Teil
beantworte ich; die allgemeine andere Frage bitte ich in
zukünftige Debatten zu verlegen.
Was die anderen Kolleginnen und Kollegen fragen,
wird sich jetzt herausstellen. Frau Katja Keul ist die
nächste Nachfragerin.
Herr Schmidt, wir fragen weiter, auch wenn wir
22 Jahre keine Antworten bekommen sollten.
Wir hören von Ihnen, dass Sie umfangreich prüfen:
den gesamtpolitischen Lösungsansatz, die Einbindung
der Region usw. Dabei hören wir auch immer, dass alle
sich darüber im Klaren sind, dass der wichtigste und
größte Player in der Region Algerien ist, sowohl in militärischer Hinsicht als auch möglicherweise in seiner
Rolle als Verhandlungsführer. Jetzt frage ich Sie: Warum
ist der Außenminister bei seiner Reise in die Region ausgerechnet in das Land, das der wichtigste Player in dieser Region ist, nicht gereist, und welche Gespräche führt
die Bundesregierung sonst mit Algerien?
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Wenn ich Ihre emotionale Komponente mit dem Verweis auf die 22 Jahre aufgreifen darf: Wenden Sie sich doch bitte auch an Ihre eigene Fraktion, die einige maßgebliche Entscheidungen
zu Afghanistan mitgetroffen hat. So ist es ja nun nicht,
dass hier Kollegen sitzen - mit Ausnahme der Linken -,
die über Auslandseinsätze nicht intensiv beraten hätten.
Ich gehe davon aus - ich weiß es ja auch aus vielen
Debatten -, dass das bei Ihnen, genauso wie bei uns
übrigens, der Fall war.
Das Thema Algerien, auf das Sie aus Ihrer Erfahrung
in mehrfacher Hinsicht hingewiesen haben, ist aufgenommen worden. Es bedarf bei der Betrachtung der
Möglichkeit, den einen oder anderen Nachbarn mit einzubeziehen, auch eines gewissen konzeptionellen Interesses. Ich will mir versagen, über die algerische Position zu sprechen. Diese ist vernommen worden; dazu
bedarf es aber keiner Reise. Ich gehe davon aus, dass
man, wenn man die Lage betrachtet, sehen muss - das
gilt auch für die Europäische Union -, dass Algerien als
Nachbarland von Mali natürlich eine Rolle spielt. Das
gilt übrigens für andere Nachbarstaaten, etwa für Niger,
nicht in gleicher Weise; aber auch diese Länder müssen
mit einbezogen werden.
Nächste Nachfrage durch unseren Kollegen Dr. Rolf
Mützenich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Schmidt, nachdem sich die Bundeskanzlerin, der Verteidigungsminister und auch der Außenminister sehr frühzeitig in dieser
Debatte geäußert haben, hat sich der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ebenfalls zu diesem Thema eingelassen. Er hat erklärt, dass die Situation
im Norden Malis mit der Situation in Afghanistan - ich
nehme mal an: zum Zeitpunkt der Anschläge vom
11. September in New York und Washington - vergleichbar sei. Teilen Sie diese Ansicht, und halten Sie
diese öffentliche Äußerung für hilfreich für die Debatte,
die die Bundesregierung in diesen Tagen zu bestreiten
hat?
Herr Kollege, die Äußerungen, die Bundesminister
Niebel gemacht hat, sind in den allgemeinen öffentlichen Debattenkomplex einzubeziehen. Ich verstehe das
so, dass er einen warnenden Hinweis geben wollte, nämlich sorgfältig zu prüfen, wohin die Dinge sich entwickeln können, und aufzeigen wollte, welche Perspektiven
man sieht. Die Entscheidung hat er nicht vorweggenommen. Das Bundeskabinett hat sich damit auch noch gar
nicht befasst; wir werden das im Rahmen der allgemeinen Abstimmung auf verschiedenen Ebenen machen.
Sie wissen, dass die Bundesregierung beispielsweise
den Ressortkreis „Zivile Friedenssicherung“ hat, an dem
auch das BMZ beteiligt ist. Schon allein daraus wird erkennbar, dass es eine Vielfalt von Instrumentarien gibt,
um in Regionen eine Befriedung zu fördern. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung hat hier eine große Bedeutung. Aus diesem
Interesse heraus verstehe ich die Wortmeldung des Kollegen Niebel, die sicherlich in weiteren Beratungen einbezogen werden wird.
Nächste Nachfrage durch unseren Kollegen Jan van
Aken.
Herr Schmidt, ich glaube, Sie machen gerade zwei
große Fehler.
Der erste Fehler ist, dass Sie hier nicht klipp und klar
sagen, dass Sie die Option, eine Ausbildungsmission auf
malischem Staatsgebiet durchzuführen, in den Bundestag einbringen werden. Sie verschwurbeln das mit dem
Hinweis auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz und darauf, dass Sie keine Intention, was Kampfhandlungen
betrifft, haben. Sie machen aber keine klare Aussage.
Ich sage Ihnen eines: Sie werden damit nicht durchkommen. Wenn Sie auch nur einen einzigen Bundeswehrsoldaten - mit welchem Mandat auch immer - auf
malisches Staatsgebiet stellen, dann greift das Parlamentsbeteiligungsgesetz. Wenn Sie diesen Fall nicht in
den Bundestag einbringen, werden Sie vor dem Bundesverfassungsgericht verlieren. Das möchte ich Ihnen mit
auf den Weg geben. Es würde Sie nichts kosten, für die
Bundesregierung klarzustellen, dass Sie auf jeden Fall
den Bundestag beteiligen. Dass Sie hier eine Auskunft
verweigern, macht mich nicht nur nachdenklich, sondern
lässt bei mir auch alle Alarmglocken läuten.
Der zweite große Fehler - dieser ist noch viel weitgehender - ist, dass Sie hier systematisch jede Antwort
verweigern. Sie machen es sehr geschickt. Auf jede konkrete Frage gibt es eine unkonkrete Antwort. Das Gleiche haben Sie bei Somalia getan, als es darum ging, den
Einsatz auch auf den Strand zu erweitern. Wochenlang
haben wir hier im Bundestag darüber debattiert, was das
genau heißen soll. Wir haben keine Antworten von Ihnen
bekommen. Das Ergebnis war eine lang andauernde und
große Unsicherheit. Dazu gab es dann keine allgemeine
Zustimmung, was mich gefreut hat; denn ich persönlich
fand diese Maßnahme falsch. Damals haben Sie einen
großen Fehler gemacht, den Sie jetzt wiederholen wollen.
Meine Frage: Gedenken Sie jetzt, Ihre Antworten zu
präzisieren?
Herr Kollege van Aken, ich darf an Ihrer Fehlerlosigkeit einen kleinen Abstrich machen. Bevor nicht die
Bundesregierung eine Entscheidung über eine mögliche
Beteiligung an einem mandatspflichtigen Einsatz getroffen hat, wird sie Ihnen keine Antwort darauf geben. Ein
entsprechender Antrag wurde noch nicht geschrieben; er
ist bis jetzt fiktiv. Das Bundeskabinett wird erst eine entsprechende Beschlussfassung herbeiführen und dann
selbstverständlich einen Antrag in den Deutschen Bundestag gemäß dem Parlamentsbeteiligungsgesetz einbringen. Ihre Sorge, dass sich die Bundesregierung nicht
ganz strikt an die rechtlichen Vorgaben bezüglich der
Beteiligung des Parlamentes halten wird, hoffe ich, Ihnen nehmen zu können. Wenn Sie Ihren diesbezüglichen
Vorwurf von meinem Fehlerkonto streichen würden,
wäre ich dankbar.
Sie können davon ausgehen: Wir kommen darauf zurück, wenn die Notwendigkeit besteht. Am liebsten wäre
mir, wenn wir in Mali nicht mit Mitteln von außerhalb
die Befriedung herbeiführen oder unterstützen müssten.
Ob diese Mittel notwendig sein werden, kann ich nicht
absehen. Ich habe einen Zeitplan genannt und von einigen Wochen gesprochen.
Ich habe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sicherheitshalber noch einmal nachgelesen. Dort heißt es:
… führt erst die qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen zur
parlamentarischen Zustimmungsbedürftigkeit …
Als Indiz hierfür wird das Mitführen von Waffen genannt. Das hat man als Einsatz im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes zu verstehen. Ich weiß um den
eingeschränkten Spielraum der Bundesregierung. Deswegen werden wir uns völlig korrekt, wie Sie es von uns
gewohnt sind und erwarten können, verhalten.
Vielen Dank. - Aus gegebenem Anlass weise ich darauf hin, dass wir in der Fragestunde sind. Nächste Frage
von der Kollegin Kathrin Vogler.
Herr Staatssekretär, ich schließe an das an, was Sie
vorhin zum Engagement des BMZ gesagt haben. Wir haben uns im Unterausschuss „Zivile Krisenprävention
und vernetzte Sicherheit“ am Montag auch mit der Lage
in Mali und im Sahel beschäftigt.
Ich möchte Sie an dieser Stelle gerne fragen, wann
sich der Ressortkreis - der übrigens nicht „Zivile Friedenssicherung“, sondern „Zivile Krisenprävention“
heißt -, dem Ihr Ministerium ja auch angehört, zuletzt
mit der Lage in Mali beschäftigt hat oder wann die Bundesregierung plant, diesen Ressortkreis um eine Beratung zu der Frage zu bitten, was aus Sicht der verschiedenen Ressorts getan werden kann, um die Lage in Mali
nicht weiter eskalieren zu lassen.
Sie haben völlig recht, der Ressortkreis heißt „Zivile
Krisenprävention“. Wie konnte mir dieser Fehler nur unterlaufen? Ich bitte um Entschuldigung.
Der Ressortkreis beschäftigt sich durchgängig und
ständig insbesondere mit den potenziellen Krisenherden
- er heißt ja „Krisenprävention“ -, auch mit denen in
Afrika. Er hat sich im Rahmen seiner Beratungen bereits
mit der Situation in Mali beschäftigt und wird das auch
weiterhin tun. Wenn Sie genaue Daten haben wollen,
dann muss ich allerdings die Sekretariate bitten, Ort und
Uhrzeiten nachzunennen.
({0})
Ich glaube aber nicht, dass das besonders förderlich ist.
Wichtig ist, dass es getan wird.
({1})
Nächster Fragesteller: unser Kollege Uwe Kekeritz. Bitte schön, Kollege Uwe Kekeritz.
Herr Staatssekretär, sicherlich werden Sie auch meine
Frage nicht beantworten. Ich möchte Sie aber trotzdem
mit einer Aussage des Außenministers konfrontieren. Er
sagte nämlich, er wolle zunächst mit zivilen Maßnahmen
in Mali intervenieren und stelle dafür 13,5 Millionen
Euro zur Verfügung. Ich halte das für viel zu wenig.
Darüber hinaus macht mich das Wörtchen „zunächst“
etwas stutzig. Wir wissen, dass es in Mali zurzeit mehr
als 400 000 Vertriebene und Binnenflüchtlinge gibt.
Diese Menschen werden kaum von dem in Aussicht gestellten Geld profitieren, weil es uns oder den Organisationen vor Ort überhaupt nicht möglich ist, Hilfestellungen zu leisten. Das wäre viel zu gefährlich.
Wir wissen aber vor allen Dingen, dass diejenigen,
die das Land erobert haben, die Terroristen, aufrüsten
und ihre Macht festigen. Je länger man wartet, desto
schwieriger wird es, eine Lösung zu finden. Angesichts
dieser Situation kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie
nicht über konkrete Maßnahmen nachdenken. Eine reine
Ausbildung ist ja überhaupt kein Lösungsansatz. Das
müssten Sie doch auch wissen.
Was denken Sie zu tun, und wie interpretieren Sie das
Wörtchen „zunächst“?
Die Bundesregierung ist sich, wie wir gerade im Zusammenhang mit dem Begriff der „zivilen Krisenprävention“ gehört haben, natürlich darüber bewusst, dass
man im Sinne einer zu vermeidenden Eskalation - Sie
gestatten, Herr Kollege, dass ich dieses Wort jetzt verwende - zunächst versuchen muss, mit zivilen Mitteln,
Unterstützung und Hilfe das Problem bei der Wurzel anzugehen.
Die Verwendung des Wortes „zunächst“ durch den
Bundesaußenminister lässt allerdings auch den Hinweis
zu, dass er ähnliche Sorgen und Erkenntnisse hinsichtlich einer möglichen Eskalation durch die verschiedenen
Terrorgruppierungen hat. Es gibt ja auch Terrorgruppierungen, die sich offensichtlich aus anderen afrikanischen
Ländern heraus betätigen; ich will in diesem Zusammenhang nur an Boko Haram und Nigeria erinnern. Im Sinne
einer notwendigen und sofortigen Hilfe - gerade auch im
Hinblick auf die von Ihnen genannten Binnenflüchtlinge, die vor allem vom Norden in den Süden ziehen muss daher etwas getan werden.
Sie mögen daraus aber auch eine grundsätzliche Zurückhaltung vor militärischen Einsätzen erkennen, ungeachtet wer sie durchführt - sei es nun die malische Armee, von der man nicht weiß, ob sie wirklich dazu fähig
und in der Lage ist, oder ECOWAS, die westafrikanische
Wirtschaftsorganisation, die sich bereits engagiert.
Ich will durchaus zugeben, dass wir in manchen Fragen noch zu keiner abschließenden Bewertung gekommen sind und dass es vermutlich schwierig sein wird, sozusagen ein Gesamtbefriedungskonzept vorzulegen, das
dann in den nächsten Wochen oder Monaten nach einem
Stufenplan und mit Benchmarks exakt abzuarbeiten ist.
Es geht darum, die afrikanischen Fähigkeiten zu stärken. Dahinter steckt auch der Gedanke der Ausbildung.
Denn wir sollten - das sollten wir auch sagen - schon
aus dem Grunde, dass Mali und viele andere Länder
Afrikas ehemalige Kolonien europäischer Staaten sind,
mit großer Zurückhaltung vorgehen, wenn es um die
Frage geht, sich dort wie auch immer - oder gar militärisch - zu engagieren. Das ist die Überlegung, die die
Bundesregierung allgemein anstellt und die der Bundesaußenminister auf seiner sehr intensiven Reise in den
Gesprächen mit den Verantwortlichen zum Ausdruck gebracht hat.
Vielen Dank. - Mir liegen hierzu keine weiteren
Nachfragen vor.
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet worden sind, rufe ich jetzt die mündlichen Fragen auf Drucksache 17/11282 in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Helge
Braun zur Verfügung.
Frage 1 kommt von unserem Kollegen Swen Schulz:
Welche für 2013 vorgesehenen Ausgaben aus dem Einzelplan 30 werden aus Sicht der Bundesregierung angesichts der
mittelfristigen Finanzplanung ab dem Jahr 2014 nicht mehr
möglich sein?
Bitte schön, Herr Staatssekretär, zur Beantwortung.
Danke, Herr Präsident. - Lieber Herr Kollege Schulz,
ich kann Sie vollends beruhigen: Wir haben eine mittelfristige Finanzplanung, die eine Finanzierung der Programme des Bundes auch in den kommenden Jahren
möglich macht. Das, was Sie als Sondereffekt sehen, ist
allein dem Umstand geschuldet, dass wir im Haushalt
2013 gegenüber der Grundlinie, die wir ansonsten in den
Haushalten verfolgen, 320 Millionen Euro zusätzlich für
den Hochschulpakt verankert haben. Das geht auf die
Vereinbarung mit den Ländern zurück, dass wir die zusätzlichen Studienplätze, deren Schaffung durch die doppelten Abiturjahrgänge und die Aussetzung von Wehrdienst und Zivildienst motiviert ist, im Jahr 2013
ausfinanzieren.
Kollege Swen Schulz, Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Bedeutet das aber
auch, dass Sie für die nächsten Jahre keine zusätzlichen
Ausgaben vorsehen, etwa um Kostensteigerungen infolge von Nachverhandlungen des Hochschulpakts, ein
höheres BAföG oder anderes zu finanzieren?
Lieber Herr Kollege, die mittelfristige Finanzplanung
ist ein internes Planungsinstrument der Bundesregierung. Die Tatsache, dass beim Wechsel vom damaligen
Finanzminister Steinbrück zum Finanzminister Schäuble
für den gesamten Hochschulpakt in der mittelfristigen
Finanzplanung nicht ein einziger Euro vorgesehen war,
macht zum Beispiel deutlich, dass man hinsichtlich
neuer Projekte, zum Beispiel einer Veränderung des
Hochschulpakts infolge neuer Verhandlungen zwischen
Bund und Ländern, keinerlei Ableitung aus der mittelfristigen Finanzplanung vornehmen kann. Ganz im Gegenteil: Sie können erkennen, dass diese Bundesregierung, beschlossen vom Haushaltsgesetzgeber, mit der
Mehrheit von CDU/CSU und FDP, in jedem Jahr mehr
Geld im Haushalt bereitgestellt hat, als es in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen war. Insofern können Sie auch da beruhigt sein.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Schulz.
Danke schön, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
nun ist das Vereinbaren eines gänzlich neuen Hochschulpakts, den es vorher gar nicht gab, etwas anderes als die
laufende Diskussion über die Hochschulpakte und deren
Verlängerung.
Lassen Sie mich an einem anderen Punkt nachfragen.
Wir haben den Beschlüssen des Koalitionsausschusses
entnommen, dass bereits 2014 viel ambitioniertere
Haushaltsziele erreicht werden sollen. Gibt es schon irgendwelche Planungen oder Überlegungen aufseiten des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung, welcher Beitrag dann aus dem Haushalt des BMBF zu leisten wäre?
Sie können sich auf das verlassen, was die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung gesagt hat: Wir
nehmen das Ziel ernst, in Deutschland einen Anteil der
Ausgaben für Forschung am Bruttoinlandsprodukt von
3 Prozent und für Bildung von 7 Prozent zu erreichen.
Sie hat darauf hingewiesen, dass die Ziele, die wir auf
europäischer Ebene vereinbaren, generell eine höhere
Verbindlichkeit bekommen müssen.
Unter der Federführung unserer Bundeskanzlerin
wird die Bundesregierung diese Ziele erfüllen und entsprechende Mittel in den nächsten Jahren in den Haushalt einstellen.
Vielen Dank. - Es gibt keine weiteren Nachfragen.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Swen Schulz auf:
Ist nach Auffassung der Bundesregierung für die geplante
Kooperation zwischen Charité - Universitätsmedizin Berlin
und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, MDC,
Berlin-Buch, eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich,
und, falls nein, für welche Art von Vorhaben ist die von der
Bundesregierung vorgeschlagene Änderung des Art. 91 b GG
vorgesehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, am Beispiel des Karlsruher Instituts für
Technologie, aber auch am Beispiel Max-Delbrück-Centrum und Charité wird deutlich, dass außeruniversitäre
Forschungseinrichtungen und universitäre Forschungseinrichtungen in Deutschland viel enger zusammenarbeiten müssen. Der Trend der letzten Jahre ist, dass
immer mehr hervorragende Forschung aus den Universitäten ausgelagert und in außeruniversitäre Forschungseinrichtungen überführt wird. Das führt dazu, dass diese
Forschung in den Hochschulen fehlt.
Wir halten diese Entwicklung für nicht richtig. Deshalb hat das Bundeskabinett beschlossen, Art. 91 b
Grundgesetz zu ändern, damit nicht nur durch Verwaltungsvereinbarungen und Kooperationsverträge eine
enge Verzahnung von außeruniversitärer Forschung und
universitärer Forschung, gegebenenfalls auch unter einem Dach, sondern auch eine echte Zusammenführung
solcher Institutionen möglich ist - auch mit kohärenten
Finanzierungsströmen.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege Schulz.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, bedeutet das, dass
Sie die für die Charité und das Max-Delbrück-Centrum
Swen Schulz ({0})
gefundene Lösung nur für die zweitbeste Lösung und
letztendlich für unzureichend halten?
Herr Kollege, nach der aktuellen grundgesetzlichen
Lage ist das die allerbeste Lösung, die man finden kann.
Klar ist, dass Grundlage von Kooperationen wie der zwischen dem Max-Delbrück-Centrum und der Charité sehr
aufwendige, von allen beteiligten Partnern befürwortete
Vereinbarungen sind. Wenn wir in Zukunft in Deutschland die Kooperation zwischen außeruniversitären und
universitären Einrichtungen sowie die Förderung der
Spitzenforschung an Universitäten unabhängig von einer
Kooperation mit außeruniversitären Partnern stärken
wollen, dann brauchen wir die Veränderung des
Art. 91 b Grundgesetz.
Eine zweite Nachfrage? - Nein. Aber der Kollege
Dr. Ernst Dieter Rossmann. Bitte schön, Kollege Ernst
Dieter Rossmann.
Herr Staatssekretär, ich erinnere mich, dass es früher
hieß, dass das Grundgesetz sehr schnell geändert werden
müsse, weil das die Voraussetzung dafür sei, um über-
haupt Fortschritte in Bezug auf die Kooperation zwi-
schen Max-Delbrück-Centrum und Charité zu erreichen.
Können Sie bestätigen, dass es solche Einschätzungen
sowohl aus der Wissenschaft als auch vom Ministerium
gegeben hat? Was hat Sie veranlasst, Ihre Haltung zu än-
dern?
Was Sie sagen, ist mir nicht erinnerlich. Klar ist, dass
wir aktuell Möglichkeiten gefunden haben, eine hervor-
ragende Kooperation, verbunden mit einer tollen For-
schungsagenda und vor allen Dingen auch mit der Mög-
lichkeit der Einrichtung neuer Studiengänge, zum
Beispiel Masterstudiengänge, die spezifisch auf die me-
dizinische Forschung ausgerichtet sind, auf den Weg zu
bringen. Insofern bin ich davon überzeugt, dass die be-
absichtigte Kooperation zwischen Max-Delbrück-Cen-
trum und Charité einer der Leuchttürme in der Gesund-
heitsforschung in Deutschland werden wird.
Wir haben hier eine Lösung gefunden. Eine vergleich-
bare Lösung zum Beispiel für hervorragende Hochschul-
institute, die keine Kooperation mit außeruniversitärer
Forschung eingehen, ist nicht denkbar. Diese Lösung ist
sicherlich nicht der Königsweg, den man auf jeden ande-
ren Standort übertragen kann. Insofern erübrigt sich
durch die hier gefundene Lösung im Hinblick auf eine
Kooperation die Änderung des Art. 91 b Grundgesetz in
keiner Weise.
Vielen Dank.
Die folgenden Fragen, also Frage 3 des Kollegen
Klaus Hagemann, Frage 4 des Kollegen Kai Gehring
und Frage 5 des Kollegen René Röspel, werden schrift-
lich beantwortet.
Ich komme zur Frage 6, die von unserem Kollegen
Michael Gerdes gestellt worden ist:
Wie definiert die Bundesregierung die europäische Inno-
vationsunion, die in dem von Bundesministerin Dr. Annette
Schavan am 31. Oktober 2012 in der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung veröffentlichten Namensartikel angesprochen wurde,
und welche Maßnahmen werden von der Bundesregierung ak-
tuell durchgeführt, um die gewünschte Innovationsunion
Wirklichkeit werden zu lassen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Gerdes bezieht sich auf einen Namens-
artikel von Frau Bundesministerin Annette Schavan vom
31. Oktober 2012 in der Frankfurter Allgemeinen Zei-
tung, in dem sie auf die europäische Innovationsunion
hinweist.
Die Ziele und Inhalte der Innovationsunion sind in
den Kommissionsmitteilungen zur Europa-2020-Strate-
gie und zur Leitinitiative Innovationsunion beschrieben.
Mit der Europa-2020-Strategie aus dem Jahr 2010 legte
die Kommission die Nachfolgestrategie der Lissabon-
Strategie vor. Vor dem Hintergrund der großen gesell-
schaftlichen Herausforderungen wie Klimawandel, de-
mografische Entwicklung oder Endlichkeit der fossilen
Rohstoffe und Energiequellen stellt die Europa-2020-
Strategie eine Vision für eine europäische soziale Markt-
wirtschaft des 21. Jahrhunderts dar.
Kennzeichen sind ein hohes Beschäftigungs- und Pro-
duktionsniveau sowie ein ausgeprägter sozialer Zusam-
menhalt. Als eines der fünf Kernziele bis 2020 wird die
Steigerung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben
auf 3 Prozent des BIP der EU weiterverfolgt.
Ziel der Innovationsunion ist eine Neuausrichtung der
Forschungs- und Innovationspolitik auf die großen ge-
sellschaftlichen Herausforderungen unter Abdeckung
der gesamten Innovationskette. Sie umfasst folgende
drei Grundelemente: a) Ausbau der Wissensbasis und
Förderung von Exzellenz, b) Zugang zu Kapital und
Ausbau der Finanzierungsinstrumente sowie c) die Erleichterung des Marktzugangs für europäische Unternehmen.
Ihre Nachfrage, bitte, Herr Kollege.
Herzlichen Dank. Herr Staatssekretär. - Ich habe
wohl vernommen, dass Sie auf die europäische Ebene
hingewiesen haben. Aber welche Rolle wird dabei
Deutschland explizit spielen?
Im Grunde genommen ist die Innovationsunion etwas, was sehr kongruent zu unserer deutschen HightechStrategie ist. Die Innovationsunion adressiert die großen
globalen Herausforderungen. Hierzu haben wir die zentralen Ziele in unserer Hightech-Strategie verankert. Sie
hebt ab auf die Schlüsseltechnologien, die es zur Bewältigung dieser globalen Herausforderungen gibt. Das sind
die Querschnittstechnologien in unserer Hightech-Strategie. Insofern kann man, so glaube ich, sagen, dass die
Hightech-Strategie ein Stück weit Vorbild für das war,
was jetzt in der Innovationsunion geschehen soll.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Nein. Aber unser Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann.
Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bundesregierung die Chancen für Länder wie Griechenland, Italien,
Spanien und Portugal, sich konstruktiv, innovativ und investiv an dieser Innovationsunion zu beteiligen, wenn
diese Länder gleichzeitig unter eine Haushaltskuratel gestellt worden sind, in deren Zusammenhang wir lesen
können, dass diese Länder speziell in den Bereichen Bildung und Forschung den Anteil von 3 Prozent am Bruttoinlandsprodukt vielleicht erreichen, aber nur deshalb,
weil das Bruttoinlandsprodukt so stark fällt, und nicht
deshalb, weil die Mittel in diesen Bereichen erhöht worden wären? Gibt es ein Monitoring bei der Bundesregierung, um gegebenenfalls zu kreativen Ideen dahin gehend zu kommen, wie man die Innovationskraft in dieser
Forschungsunion erhalten kann?
Lieber Herr Kollege, natürlich gibt es im Rahmen der
Diskussion, die wir jetzt über die mittelfristige Finanzvorausschau der Europäischen Union führen, auch eine
Diskussion über die Frage, wie wir die Wirtschaftskraft
der Länder, die jetzt im Defizitverfahren sind, stärken
können. Diese ist sehr wichtig. Deshalb sind auch viele
Strukturmittel, die in der Europäischen Union vorgesehen sind, grundsätzlich für den Aufbau von Forschungsinfrastrukturen geeignet und nutzbar. Das ist ein Weg,
den wir weitergehen.
Auch die Bundesregierung selber pflegt intensive Kooperationen. Gerade heute, ganz aktuell, haben wir uns
mit Vertretern aus Portugal über das Thema der beruflichen Bildung auseinandergesetzt. Auch mit Vertretern
aus Spanien und Griechenland stehen wir in einem engen Kontakt, um an den unterschiedlichen Grundlagen
für ein solches innovatives Wirtschaften zu arbeiten.
Dazu gehören zuallererst eine gute Bildung sowie die
Fachkräftesicherung in den beteiligten Ländern. Dazu
gehört auch der Aufbau von Forschungsinfrastrukturen.
Wir arbeiten daran, dass die europäischen Programme so
ausgerichtet sind, dass dies in den Ländern zielgerichtet
erfolgen kann. Wir sind in allen Fällen bereit, hierfür
deutsche Expertise bereitzustellen.
Wir kommen zur Frage 7, die ebenfalls von unserem
Kollegen Michael Gerdes gestellt worden ist:
Wann konkret will die Bundesregierung die von der Bundesministerin angesprochene steuerliche Forschungsförderung auf die politische Agenda setzen, und welche weiteren
Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zur Steigerung von
Innovationen bzw. innovativen Ideen, aus denen Produkte und
Dienstleistungen entstehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, Sie fragen nach der Einführung der
steuerlichen Forschungsförderung. Ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Mit Blick auf die Anforderungen des
Art. 115 Grundgesetz sowie die europäischen Vorgaben
zur Haushaltsdisziplin besteht gegenwärtig nur ein begrenzter Spielraum für strukturell wirkende Steuermindereinnahmen. Deshalb ist die Entscheidung über die
Einführung einer steuerlichen Förderung von Forschung
und Entwicklung unter Berücksichtigung des gebotenen
Konsolidierungskurses und der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung zu einem späteren Zeitpunkt zu treffen.
Ihre erste Nachfrage.
({0})
- Da sind Sie sprachlos.
Dann kommen wir zur Frage 8 unseres Kollegen
Dr. Ernst Dieter Rossmann:
Welche Gründe führt die Bundesregierung an, die Zuverdienstgrenze im Bundesausbildungsförderungsgesetz, BAföG,
nicht im Gleichschritt zum Inkrafttreten der neuen Minijobgrenze von 450 Euro im Monat ebenfalls zum 1. Januar 2013
anzuheben, und ist noch in dieser Legislaturperiode eine entsprechende BAföG-Änderung vorgesehen?
Zu Ihrer Frage ist zu sagen, dass es keine notwendige
Verquickung zwischen den Minijobs auf der einen Seite
und den Zuverdienstmöglichkeiten beim Auszubildenden-BAföG auf der anderen Seite gibt. Abgesehen davon, dass es hierbei auch um die Frage der Entbürokratisierung und um die Frage nach Anreizen für einen
Zuverdienst geht, ist festzustellen, dass der Minijob
grundsätzlich in allen Lebenslagen zum Tragen kommt,
auch als Teilzeitbeschäftigung. Bei Auszubildenden
muss die zentrale Frage beantwortet werden, wie viel
Zuverdienst der Ausbildung zuträglich ist. Deshalb wird
über den gesamten Bereich der BAföG-Gesetzgebung
alle zwei Jahre ein Bericht vorgelegt. Im nächsten Expertenbericht zum BAföG erwarten wir Aussagen dazu,
ob es sinnvoll und notwendig ist, die 400-Euro-Grenze
auch für die Auszubildenden anzuheben. Aus der Anhebung der Minijobgrenze ergibt sich eine solche Anhebung aber nicht zwingend.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege.
Es ist bekannt, dass die SPD die Anhebung der Minijobobergrenze nicht positiv sieht und sie ablehnt. Es geht
hier aber um die politische Stringenz. Daher möchte ich
nachfragen: Ist Ihnen bekannt, in welchem Zeitraum es
Unterschiede zwischen der Obergrenze für den Zuverdienst bei BAföG-Bezug und der Obergrenze für Minijobs gegeben hat? Wie begründet man - ich frage nicht
nach der Notwendigkeit, sondern nach der politischen
Betrachtung -, dass man die Grenzwerte verschieden
hoch ansetzt?
Wir haben die Grenze im Rahmen des 22. BAföGÄnderungsgesetzes auf 400 Euro angehoben. Davor war
diese Kongruenz nicht gegeben. Wie sich das in den Jahren davor verhalten hat, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen.
Zu Ihrer Frage nach der politischen Betrachtung: Ich
denke, man muss mit den Experten, die am BAföG-Bericht mitarbeiten, respektvoll umgehen. Insofern ist diese
Frage nicht im Zusammenhang mit den Minijobs zu beantworten. Es geht vielmehr um die Frage, ob ein Zuverdienst, ob eine zusätzliche Tätigkeit der originären Ausbildung zuträglich ist. Hier steht der Ausbildungserfolg
im Vordergrund.
Ihre weitere Nachfrage.
Plant die Bundesregierung, eine weitere BAföG-Novelle in den Bundestag einzubringen? Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt?
Die Bundesregierung führt momentan Gespräche mit
den Ländern. Die Bundesministerin hat die Länder nach
der Vorlage des letzten BAföG-Berichts darum gebeten,
sich dazu zu äußern, wie sie sich die Fortentwicklung
des BAföG vorstellen. Die Rückmeldungen sind uns bisher nicht zugegangen. Auf der Grundlage dieser BundLänder-Gespräche wird dann über eine neue BAföGNovelle zu entscheiden sein.
Eine weitere Nachfrage. - Bitte schön, Kollege
Schulz.
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung führt also
Gespräche mit den Ländern. Hat die Bundesregierung
denn eigene Vorstellungen, wie das BAföG weiterentwickelt werden könnte?
Lieber Herr Kollege Schulz, Sie sind nicht ganz unschuldig daran, dass es jetzt zu diesen Gesprächen
kommt. Im Vorfeld der letzten BAföG-Erhöhung hat die
Bundesregierung in voller Liebe gegenüber den Studierenden einen Vorschlag zur Erhöhung der BAföG-Sätze
unterbreitet. Dabei ging es sowohl um die Freibeträge
als auch um die Höhe des BAföG. Daraufhin hat es einen
Aufschrei gegeben, nicht nur der Länder, sondern unter
anderem auch der Oppositionsfraktionen im Deutschen
Bundestag, dass, wenn die Bundesregierung sich untersteht, einen unabgestimmten Vorschlag zu machen, das
dann natürlich automatisch dazu führt, dass die Bundesregierung das alles allein finanzieren muss. Es gab sehr
unangenehme Diskussionen im Vorfeld der letzten
BAföG-Erhöhung.
Daraus haben wir selbstverständlich gelernt und gehen hier ganz klar nach dem vorgeschriebenen Verfahren
vor. Bund und Länder haben eine gemeinsame Finanzierungsverantwortung für das BAföG. Deshalb werden auf
der Grundlage des Berichts jetzt in interner Runde mit
den Ländern Gespräche geführt. Die Bundesregierung
hat sehr offen gesagt, dass wir, wenn die Länder mitgehen, weitgehend bereit sind, den Bundesanteil zu tragen.
Den nächsten Impuls erwarten wir - auch aufgrund der
Erfahrungen der letzten Runde - jetzt aber eindeutig von
Länderseite.
Jetzt gehen wir weiter zur Frage 9, ebenfalls gestellt
von unserem Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann:
Welche Position bezieht die Bundesregierung zur Situation bei den überbetrieblichen Berufsbildungsstätten, ÜBS,
insbesondere hinsichtlich der Entwicklung der Teilnehmerzahlen und der Konsolidierungserfordernisse, und welche
Vorkehrungen hat sie im Bundeshaushalt getroffen, um eine
nachhaltige leistungsfähige ÜBS-Infrastruktur sicherzustellen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Lieber Herr Kollege Rossmann, überbetriebliche Bildungsstätten spielen eine wichtige Rolle in unserem
Aus- und Weiterbildungssystem. Wir haben seit 2009
eine neu gefasste gemeinsame Förderrichtlinie unseres
Ministeriums und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, die einen breiten Handlungsspielraum bietet, um überbetriebliche Bildungsstätten zu
sanieren.
Wir haben hierfür über viele Jahre einen Jahresbetrag
von 29 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Dieser
Betrag ist im Rahmen der Konjunkturpakete in unserem
Einzelplan auf ein jährliches Volumen von 40 Millionen
Euro aufgestockt worden. Nachdem die Konjunkturpakete ausgelaufen sind, ist der Betrag nicht wieder auf
29 Millionen Euro jährlich zurückgefallen, sondern wir
haben diese zusätzlichen Gelder, die wir im Konjunkturpaket mobilisiert haben, fortgeschrieben, sodass wir jetzt
jährlich 40 Millionen Euro hierfür bereitstellen. Das
Bundesministerium für Wirtschaft wird darüber hinaus
im Haushalt 2013, wenn er so beschlossen wird, wie er
von der Regierung eingebracht wurde, 28,5 Millionen
Euro zur Verfügung stellen.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege Rossmann.
Über welchen Kenntnisstand verfügt die Bundesregierung hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation der
überbetrieblichen Ausbildungsstätten in Deutschland?
Wir hören ja aus Kreisen von Wirtschaft und Gewerkschaften in den betroffenen Regionen, dass es dort allergrößte Sorgen gibt, diese Infrastruktur an ausgebauten
überbetrieblichen Ausbildungsstätten auch über die
nächsten Jahre sinnvoll vorhalten zu können.
Konkrete Zahlen dazu liegen mir nicht vor, aber ich
kann aus der Erfahrung sagen, dass das außerordentlich
heterogen ist. Zum einen ist natürlich die Situation der
überbetrieblichen Bildungsstätten eng mit dem demografischen Wandel verbunden. Deshalb gibt es im Hinblick
auf großstädtische Regionen und ländliche Regionen erhebliche Unterschiede.
Das Zweite ist, dass die verschiedenen ÜBS unterschiedliche Nutzungskonzepte verfolgen. Diejenigen,
die sich aufgrund der Probleme durch den demografischen Wandel, zum Beispiel aufgrund geringer Auszubildendenzahlen, frühzeitig auf Weiterbildungsangebote
als zusätzliches Standbein fokussiert haben, sind in einer
besseren Situation als diejenigen, die dies nicht getan haben. Aber ich glaube, angesichts der heterogenen Trägerschaft und der heterogenen Struktur in den unterschiedlichen Regionen Deutschlands ist eine allgemeine
Aussage darüber nicht möglich.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Rossmann.
Fühlt sich die Bundesregierung dafür mitverantwortlich - dazu ist sie ja eigentlich verpflichtet -, allen Jugendlichen, zumal solchen, die noch keine Ausbildung
haben abschließen können, eine Brücke in Ausbildung
und Beschäftigungsfähigkeit zu bauen? Ist die Bundesregierung daran interessiert, ein differenziertes Bild zu bekommen, und in welcher Weise wird sich die Bundesregierung um ein solches differenziertes Bild bemühen,
bei dem sich tatsächliche Notstandsregionen und andere,
die noch eine gewisse Prosperität haben, zeigen werden,
und in welcher Reihenfolge und Form wird sie dies tun?
Ich glaube, dass wir mit dem Förderprogramm, das
wir haben, und über die Antragseingänge, die wir an dieser Stelle verzeichnen, ein relativ präzises Bild der Bedarfslage bekommen. Wir sind hier nicht allein verantwortlich, sondern auch die Träger haben da große
Verantwortung. Insofern glaube ich, dass die bedarfsgerechte Steuerung dieses Titels im Hinblick auf die Anforderungen und Anträge ein ganz gutes Instrument ist,
um den tatsächlichen Bedarf sicherzustellen.
Die Frage 10 der Kollegin Marianne Schieder wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Oliver Kaczmarek
auf:
Teilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Vorschlages der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft
die Auffassung, dass wirksamere Erkenntnisse über die Leistungsfähigkeit des Bildungswesens zu erhalten seien, indem
innerhalb von Studien über die Feststellung von Schülerkompetenzen - wie dem IQB-Ländervergleich - weniger der Vergleich einzelner Bundesländer und stärker der Vergleich kohärenter Regionen erfolgt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kaczmarek, selbstverständlich hält die
Bundesregierung auch Ländervergleiche für außerordentlich sinnvoll. Die Bildungssysteme sind nämlich
von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Es ist
auch die Aufgabe des jeweiligen Bundeslandes, den regionalen Besonderheiten politische Konsequenzen folgen zu lassen. Insofern begrüßen wir, dass zum Beispiel
das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen
im Auftrag der Länder Bildungsstandards entwickelt hat
und Ländervergleichsergebnisse veröffentlicht. Neben
den Ergebnissen des Vergleichs einzelner Bundesländer
- ich denke, in diesem Sinne halten auch Sie das für
richtig - sind auch die Ergebnisse des Vergleichs von
Großstädten gesondert ausgewiesen und veröffentlicht
worden. Natürlich sind auch solche regionalen bzw. kleineren Analysen in Ergänzung der Ländervergleichsstudien sinnvoll.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung meiner Frage. - Es geht hier ja um wichtiges Steuerungswissen, das uns zur Verfügung gestellt werden soll,
damit wir überprüfen können, wie wirksam bildungspolitische Maßnahmen eigentlich sind. Vor diesem Hintergrund möchte ich mich auf das Rahmenprogramm
„Empirische Bildungsforschung“ beziehen, in dem
wichtige Grundlagen gelegt werden, um soziale Belastungen bzw. Städte und Regionen mit gleicher sozialer
Belastung vergleichen zu können. Liegen Ihnen Anträge
vor, die diesen Gegenstand weiterführen und in denen es
zum Beispiel darum geht, soziale Indizes zu entwickeln?
Hat das Ministerium in diesem Bereich schon etwas gefördert, oder ist das für Sie im Rahmen der empirischen
Bildungsforschung erst einmal kein Schwerpunkt?
Vielen Dank. - Anfang dieses Jahres haben wir eine
große Tagung zur Bildungsforschung 2020 durchgeführt. In diesem Rahmen sind zahlreiche Ergebnisse vorgestellt worden. Über die Frage, welche sozialen Lagen
den Bildungserfolg beeinflussen, ist auf dieser Tagung
natürlich umfassend diskutiert worden. Dieses Thema ist
auch Gegenstand unterschiedlichster Förderinitiativen.
Auch die in die Zukunft gerichtete Frage: „Wie kann
man den Bildungserfolg positiv beeinflussen, und welche Initiativen und Möglichkeiten gibt es, um bei Problemen im Kontext eines Bildungssystems Abhilfe zu
schaffen?“, ist Gegenstand der empirischen Bildungsforschung, auch im Rahmen der Ausschreibungen, die wir
unterstützen. Insofern ist dies eines der wesentlichen
Felder, mit denen wir uns auch im Rahmen unserer Förderbekanntmachungen zur Bildungsforschung befassen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Eine Nachfrage habe ich noch. - Das BMBF ist ja in
der Steuerungsgruppe, die sich mit dem nationalen Bildungsbericht befasst, vertreten. Halten Sie es für denkbar, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass
im nationalen Bildungsbericht eine stärkere Orientierung
an regionalen Ergebnissen statt an den Ergebnissen auf
Länderebene vorgenommen wird?
Über den nationalen Bildungsbericht wird ja viel diskutiert. Die Autorengruppe hat uns, schon als wir im
letzten Jahr eine Diskussion über Indikatoren geführt haben, inständig gebeten, das Indikatorensystem des nationalen Bildungsberichts nicht ständig anzupassen und zu
verändern. Die Autorengruppe hat gesagt, dass die Qualität der Aussagen des nationalen Bildungsberichts, was
die zeitlichen Verläufe angeht, immer mehr steigt, je
mehr man über eine in sich konsistente Zeitreihe verfügt.
Solche Fragen kann man mit der Autorengruppe besprechen; ich will das auch gerne tun. Aber meine vorsichtige Einschätzung ist, dass wir an dem Kernindex, den
wir im Rahmen des nationalen Bildungsberichts erarbeiten, nicht zu viele Änderungen vornehmen sollten.
Im nationalen Bildungsbericht gibt es jedes Jahr ein
Schwerpunktthema, das nicht jährlich fortgeschrieben
wird, das aber in jedem neuen Bericht wieder behandelt
wird. In diesem Jahr waren es kulturelle Bildung und
kulturelle Kompetenzen. Das Thema des nächsten Bildungsberichts ist auch schon festgelegt: Da wird das
Thema Behinderungen im Kontext von Bildung in den
Mittelpunkt rücken. Darüber hinaus haben wir aber noch
keine Festlegungen getroffen.
Herr Rossmann hat noch eine Nachfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade betont, wie
wichtig es ist, anhand der nationalen Bildungsberichte
konsistente Vergleichsreihen aufzubauen. Dann ist es
aber erst recht plausibel, dass man, wenn man auch in
eine regionale Betrachtung einsteigen will, damit nicht
zu lange wartet. Sonst verkürzt man die Reihe, über die
man zu aussagefähigen Vergleichen kommen könnte.
Deshalb die Frage: In welcher Form und bis wann
wollen Sie darauf dringen, neben der länderspezifischen
Betrachtung zu einer regionalen Betrachtung zu kommen? Wie weit lässt sich das mit dem nationalen Bildungspanel verschränken, bei dem wir erst recht sehr
tiefgreifende individualbezogene Vergleichsverläufe
mitbekommen?
Ich kann Ihnen zusichern: Ich werde mit den Machern
unseres nationalen Bildungspanels Kontakt aufnehmen
und ihnen die Frage stellen, inwiefern auf der Grundlage
dessen, was Sie interessiert, solche Auswertungen möglich sind. Ich werde darüber hinaus die Autoren unseres
nationalen Bildungsberichts fragen, ob sie das für machbar und sinnvoll halten. Damit das in die Realität umgesetzt werden kann, muss aber auch in der Steuerungsgruppe, in der nicht nur der Bund, sondern auch die
Länder vertreten sind, Einigkeit darüber erzielt werden.
Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich das alles in
Ihrem Sinne umsetzen kann. Aber ich werde das ansprechen und es weiter verfolgen.
Die Fragen 12 und 13 des Kollegen Willi Brase, welche sich mit Maßnahmen zur Ozeandüngung befassen,
sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Zur Beantwortung der Fragen steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Dr. Sascha Raabe
auf:
Trifft es zu, dass der Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, dem Auswärtigen Amt „Untätigkeit“ hinsichtlich der Versorgung von
Flüchtlingen im Lager Dadaab, Kenia, vorgeworfen und das
Auswärtige Amt aufgefordert hat, für die mit der Ressortvereinbarung der beiden Bundesministerien übernommene Alleinzuständigkeit für die humanitäre Hilfe „Verantwortung zu
zeigen“ ({0})?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Raabe,
ungeachtet der von Ihnen zitierten PresseberichterstatParl. Staatssekretärin Gudrun Kopp
tung weise ich darauf hin, dass die Ressortvereinbarung
zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ein richtiger und notwendiger Schritt war. Sie
hat eine bessere und klarere Aufgabenteilung zwischen
den Ressorts ermöglicht. Wir haben damit auf mehrjährige Kritik hinsichtlich einer Fragmentierung der deutschen humanitären Hilfe reagiert.
Die medizinische Versorgung der Flüchtlinge in
Dadaab ist nicht eingestellt. Im Einvernehmen mit dem
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung hat das Auswärtige Amt dem Hohen
Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, UNHCR,
zugesagt, die Zuwendungen für 2013 um mindestens
2,2 Millionen Euro aufzustocken, damit der UNHCR die
Versorgung der Flüchtlinge im Lager Dadaab aufrechterhalten kann. Neben Kenia hat das BMZ den UNHCR
in Uganda, Südsudan und Tschad unterstützt. Auch für
die Aktivitäten des UNHCR in diesen Ländern hat das
Auswärtige Amt eine Aufstockung der Zuwendungen an
den UNHCR zugesagt, mindestens in Höhe der bislang
über das BMZ geleisteten Unterstützung. Insgesamt
wird das Auswärtige Amt die Zuwendungen für das humanitäre Engagement des UNHCR in diesen vier Ländern im Jahr 2013 um mindestens 5,8 Millionen Euro
aufstocken.
Herr Raabe, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie sagten: „ungeachtet der …
Presseberichterstattung“. Das hört sich so an, als hätte
sich die Presse etwas ausgedacht. Daher möchte ich bei
Ihnen nachfragen. Der Auslöser war ein Satz von Bundesminister Dirk Niebel. Er hat gesagt:
Es kann nicht sein, dass Menschen in der von Krisen geschüttelten Region am Horn von Afrika unter
der Untätigkeit des Auswärtigen Amtes leiden.
Er hat das Auswärtige Amt ausdrücklich aufgefordert,
endlich Verantwortung zu übernehmen.
Wie passt das mit dem zusammen, was Sie gerade gesagt haben, dass nämlich diese Ressortvereinbarung zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung so
toll sei? Wie passt das mit der Aussage von Dirk Niebel
aus dem Jahr 2010 zusammen: „Wir wollen eine Außenund Entwicklungspolitik aus einem Guss machen“, obwohl doch anscheinend bei der Abstimmung über eine
so gravierende Frage, bei der es wirklich um das Überleben von Menschen geht, ein solches Chaos herrscht, dass
der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung dem Außenminister solch schwere
Vorwürfe macht? Wie passt das mit Ihrer Aussage zusammen, dass das angeblich eine blendende, reibungslose und bessere Vereinbarung sei als die über die Ressortzuständigkeit, die es vorher gab?
Herr Kollege Raabe, die beiden Minister Westerwelle
und Niebel sind seit über zwei Jahrzehnten eng miteinander befreundet. Selbst wenn es an der einen oder
anderen Stelle einmal eine Diskussion gibt, heißt das
nicht, dass die Dinge in der Substanz, wie Sie es dargestellt haben, chaotisch sind. Das weise ich auch ausdrücklich zurück.
Sie haben sehr richtig darauf hingewiesen, dass die
Hilfe für die Flüchtlinge unser gemeinsames Anliegen
ist. Daran bestehen überhaupt keine Zweifel. Ich kann
Ihnen im Namen der beiden Minister, aber auch im Namen der gesamten Bundesregierung bestätigen, dass
diese Hilfe nach wie vor geleistet wird und dass die Zuständigkeiten der Ressorts - Sie wissen: sie sind neu aufgeteilt worden - so gestaltet wurden, dass es funktioniert. Denn es kommt darauf an, dass den Menschen vor
Ort geholfen wird.
Sie müssen sich hier jetzt überhaupt keine Sorgen machen. Wir haben intensiv nachgefragt, wie die Verhältnisse vor Ort sind, und die Rückmeldung bekommen,
dass die nötige Versorgung gewährleistet ist.
Bevor Sie jetzt Ihre zweite Nachfrage stellen, mache
ich vorsorglich darauf aufmerksam, dass wir uns auf
Frage- und Antwortzeiten verständigt haben und dass
zur Unterstützung ein optisches Signal eingeblendet
wird. Wenn die Lampe rot leuchtet, ist diese Zeit tatsächlich abgelaufen. Ich bitte sowohl die Fragenden als auch
die Antwortenden, die Hilfestellung, die die Schriftführerinnen und Schriftführer hier vorne über das Signal
leisten, in Anspruch zu nehmen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Rote Signale sind mir immer sehr sympathisch, Frau
Präsidentin.
Nur damit kein Missverständnis aufkommt: Nicht ich
habe von „Chaos“ geredet, sondern der Minister hat gesagt, dass hier eine Untätigkeit des Auswärtigen Amtes
vorliegt. Ich glaube, das kann man nicht leicht beiseitewischen.
Frau Staatssekretärin, wie passt das eigentlich damit
zusammen, dass Sie in einer Antwort, die Sie uns schriftlich gegeben haben, schreiben, dass das Ministerium bereits im Mai dieses Jahres gegenüber der GIZ davon gesprochen hat, dass die gemeinsamen Projekte mit dem
UNHCR zum Ende des Jahres auslaufen könnten, und
dass Sie im August die Beendigung der Finanzierung
schriftlich bestätigt haben? Das heißt, das Ministerium
wusste lange vor Niebels empörter Aussage Ende Oktober, dass das ausläuft. Wenn das Ministerium monatelang vorher wusste, dass das ausläuft, wie kann es dann
eigentlich sein, dass der Minister Monate später wie aus
heiterem Himmel getroffen auf einmal feststellt: Da ist
aber etwas ganz schön schiefgelaufen?
Herr Kollege Raabe, wie gesagt: Dass die Finanzierung der Soforthilfe aus dem BMZ aufgrund der Neuaufteilung der Ressortzuständigkeiten auslaufen würde, war
klar. Das hat aber gar nichts damit zu tun, dass die Hilfeleistungen vor Ort entsprechend geleistet werden. Sie
wissen selbst: Im Ausschuss hat der UNHCR noch einmal bestätigt, dass für die Flüchtlinge gesorgt ist und
dass hier keinerlei überraschende Notsituation entstanden ist oder entsteht, in der die Menschen in irgendeiner
Weise sich selbst überlassen sind.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Karin Roth das
Wort.
Frau Staatssekretärin, wir haben uns ja am 24. Oktober 2012 im Ausschuss über dieses Thema unterhalten.
Ich bin sehr froh, dass sich Außenminister Westerwelle
aufgrund dieser Debatte, aber auch aufgrund der öffentlichen Äußerung Ihres Ministers offensichtlich noch einmal besonnen hat und dieses Projekt weiter fortsetzen
will. Das hat auch etwas mit parlamentarischem Einfluss
zu tun, auch wenn die Opposition das zunächst auf die
Tagesordnung gesetzt hat. Das ist auch gut so, und es ist
im Interesse aller, die in der Entwicklungspolitik arbeiten.
Deshalb frage ich noch einmal zu meinem Verständnis und für das Protokoll: Ist es richtig, dass die bisherigen 2,2 Millionen Euro, die bisher vom BMZ für dieses
Projekt der Not- und Übergangshilfe gezahlt wurden, das
am 31. Dezember ausgelaufen wäre, und die UNHCR-Beträge in Höhe von insgesamt 6,4 Millionen in gleichem
Umfang für das gleiche Projekt ausgegeben werden und
das Projekt mit den gleichen örtlichen Beschäftigten
weitergeführt wird?
Frau Kollegin Roth, es ist so, dass das BMZ die Förderung im Umfeld des Flüchtlingslagers Dadaab weiter
fortführt. Ich habe Ihnen auch mitgeteilt, dass es darum
geht, die Stärkung der ortsansässigen Bevölkerung und
derjenigen, die sich für längere Zeit in dem Lager aufhalten müssen, mit Mitteln in Höhe von 4,1 Millionen
Euro für den Zeitraum 2011 bis 2014 zu unterstützen.
Zusätzlich wird das BMZ Bildungsprojekte in UNHCRFlüchtlingslagern in Kenia, Dadaab und Kakuma, im
Jahre 2013 mit Mitteln in Höhe von bis zu 1 Million
Euro fördern.
Wir kommen zur Frage 15 des Kollegen Dr. Sascha
Raabe:
Wie wirkt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, auf das Auswärtige
Amt ein, damit die Versorgung der Flüchtlinge im kenianischen Lager Dadaab auch weiterhin aufrechterhalten bleibt,
und sind dem BMZ weitere ähnlich gelagerte Fälle bekannt,
in denen das Auswärtige Amt laufende Hilfsmaßnahmen der
vormaligen Entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe eingestellt hat bzw. die Einstellung plant?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Hierzu kann ich nur auf meine vorherige Antwort verweisen und Ihnen sagen: Ähnlich gelagerte Fälle sind
mir und dem Haus nicht bekannt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, dann möchte ich noch einmal
präziser nachfragen. Es geht ja gerade darum, dass bereits im Mai bekannt war, dass eine Finanzierung, die
vormals vom BMZ durchgeführt wurde, ausläuft. Wir
haben dann gesehen, dass das in einem Zuständigkeitschaos geendet hat und der Entwicklungsminister
„Höchster Alarm!“ - spät, aber immerhin - gerufen hat
und seinen Außenminister in dieser wichtigen Frage mit
sehr scharfen Worten attackiert hat, bis das Auswärtige
Amt endlich reagiert hat. Können Sie ausschließen, dass
es weitere Fälle gibt, in denen die Finanzierung ausläuft,
die noch vom BMZ angeleiert wurde? Können Sie ausschließen, dass so etwas in diesem Bereich wieder passiert? Sprich: Ist überall dort, wo das BMZ eine Finanzierung eingegangen ist, die jetzt vom Auswärtigen Amt
übernommen wird, gesichert, dass der Übergang nun reibungslos funktioniert und das Auswärtige Amt das
durchführt? So habe ich es eben verstanden, und das hat
mich erstaunt.
Herr Kollege Raabe, ich kann Ihnen bestätigen, dass
das BMZ davon ausgeht, dass die mit dem Auswärtigen
Amt vereinbarte Ressortaufteilung reibungslos funktioniert.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Von „reibungslos“ kann sich jetzt jeder ein eigenes
Bild machen. Ich kann dies gar nicht anders kommentieren, als das Ihr eigener Minister gemacht hat. Nachdem
Minister Niebel nun selbst erkannt hat, dass das mit dem
Auswärtigen Amt eben nicht funktioniert - sonst hätte er
ja nicht dem Auswärtigen Amt Untätigkeit vorgeworfen -,
möchte ich Sie fragen, ob es in Ihrem Haus nicht doch
Überlegungen gibt, die damals in einer Nacht-undNebel-Aktion, fast am Haushaltsausschuss vorbei, erfolgte Zusammenlegung von Entwicklungsorientierter
Not- und Übergangshilfe und humanitärer Hilfe, die
dann ins Auswärtige Amt eingegliedert wurde, rückgängig zu machen und Letztere wieder in das BMZ zu verlagern. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass man
Kurz-, Mittel- und Langfristhilfe gar nicht voneinander
trennen kann. Auch alle Entwicklungsexperten sagen
uns immer, die Zuständigkeit läge besser ausschließlich
im BMZ; denn dann wäre sie wirklich in einer Hand,
nämlich in der Hand, in die sie auch gehört. Ich möchte
Sie fragen, ob Sie insoweit endlich zu der richtigen Einsicht gelangen.
Herr Kollege Raabe, unsere Version der richtigen Einsicht ist: Wir möchten, dass diese Ressortvereinbarung
greift, weil es in der Vergangenheit leider üblich war,
dass in Notfällen, in Katastrophenfällen das eine Ministerium quasi die Esstöpfe, die Hardware, und das andere
Ministerium die Lebensmittel, die Software, lieferte. Es
hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass dabei unnötigerweise wertvolle Zeit und auch Kompetenzen verloren
gegangen sind. Deswegen: Nothilfe aus einer Hand in einem Ministerium! Das hat sich nach unserer Meinung
nach wie vor als richtig erwiesen. Das haben wir jetzt
umgesetzt.
Was die strukturbildenden entwicklungspolitischen
Maßnahmen betrifft, die dann sofort auf dem Fuß folgen
müssen, werden wir als BMZ in Zukunft weiter unsere
wertvolle Arbeit leisten. Ich kann Ihnen noch einmal
versichern, dass zwischen unseren beiden Häusern eine
enge Abstimmung erfolgt und dass sie wirklich gut bis
sehr gut funktioniert.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Karin Roth das
Wort.
Frau Staatssekretärin, Sie haben meine Frage vorhin
nur zur Hälfte beantwortet. Deshalb meine zweite Frage
an Sie: Kann ich davon ausgehen - Sie haben vorher für
das Außenministerium, für das Entwicklungsministerium und für die Bundesregierung gesprochen -, dass die
2,2 Millionen Euro zur Fortsetzung des Projektes der
GIZ in Dadaab und in den anderen Flüchtlingslagern in
Kenia vonseiten der Bundesregierung, in dem Fall vonseiten des AA und nicht vonseiten des BMZ, verwendet
werden? Können Sie das jetzt zusagen? Am Anfang Ihrer Beantwortung haben Sie das getan. Jetzt möchte ich
noch einmal bestätigt haben, dass der AwZ erfolgreich
war.
Die von mir am Anfang gemachten Äußerungen sind
richtig. Diese bestätige ich noch einmal ausdrücklich.
Frau Kollegin Roth, ich kann natürlich nicht für das
Auswärtige Amt antworten. Es gibt noch zwei weitere
Fragen zu diesem Komplex, die nachher meine Kollegin
Frau Staatsministerin Cornelia Pieper für das Auswärtige Amt beantworten wird.
Ich habe Ihnen das bestätigt und mache das noch einmal. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Sinne der Menschen, die unsere Hilfe brauchen, hier strukturiert und
verantwortungsvoll handeln.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Wir sind damit
am Ende Ihres Geschäftsbereiches.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Peter Hintze zur Verfügung.
Die Fragen 16 und 17 des Kollegen Oliver Krischer
wie auch die Fragen 18 und 19 der Kollegin Beate
Walter-Rosenheimer sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 20 der Kollegin Katja Keul - ({0})
- Es tut mir leid: Die Frage 16 - hier gab es gerade Widerspruch - ist vom Kollegen Krischer eingereicht worden. Ich glaube, Sie, Kollege Mützenich, sind später an
der Reihe.
Darf ich aufklären, Frau Präsidentin? Der Kollege
Mützenich hat nun die Frage 21. Von ihm ist dann die
nächste Frage.
Gut, das war jetzt der Aufmerksamkeitstest für uns
alle. Wir haben das geklärt.
Ich rufe Frage 20 der Kollegin Katja Keul auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das
Rüstungsgeschäft zwischen der indonesischen Regierung und
dem Konzern Rheinmetall AG, das die Lieferung von modernisierten Panzern an die indonesischen Streitkräfte zum Gegenstand hat, und welche Panzer-Reimporte hat die Bundesregierung in den letzten drei Jahren genehmigt?
Der Herr Staatssekretär hat das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin Keul, der Bundesregierung ist bekannt, dass deutsche Unternehmen
mit Indonesien Gespräche über den Kauf von Panzern
führen. Die Gespräche hierüber sind nicht neu und bedürfen keiner Genehmigung durch die Bundesregierung.
Ein Antrag auf Genehmigung der endgültigen Ausfuhr
von Panzern nach Indonesien liegt der Bundesregierung
nicht vor.
Durch das BMWi wurden in den letzten drei Jahren
folgende Reimporte von Panzern genehmigt: 99 Kampfpanzer Leopard 1 aus Dänemark, 37 Kampfpanzer
Leopard 2 und 2 Fahrschulpanzer für Leopard 2 aus
Österreich, 6 Kampfpanzer Leopard 2 aus der Schweiz
und 11 Kampfpanzer Leopard 2 aus den Niederlanden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. - Meine Frage lautet: Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Firma Rheinmetall derzeit
ältere Leopard-Panzer zu sogenannten MBT-RevolutionModellen umrüstet und dazu schreibt, Kampfpanzer
müssten neben der bisher antizipierten klassischen Duellsituation künftig in asymmetrischen Szenarien bestehen, und dafür sei dieses Modell besser geeignet? Hat
die Bundesregierung eine Herstellungslizenz nach dem
Kriegswaffenkontrollgesetz für den Umbau dieser Leopard-Panzer erteilt?
Das ist mir nicht bekannt.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
In einer heutigen Agenturmeldung heißt es:
Die geplante Unterzeichnung einer Absichtserklärung mit dem Düsseldorfer Rüstungskonzern
Rheinmetall wurde am Mittwoch in Jakarta verschoben, sagte ein Beamter des Verteidigungsministeriums der dpa. Einige technische Details seien
noch offen. Das Ministerium hoffe auf eine Unterzeichnung an diesem Samstag. Nach Angaben aus
Jakarta ist der Kauf von 100 Leopardpanzern und
50 Mardern beschlossene Sache.
Sie haben eben gesagt, ein Antrag auf endgültige
Ausfuhr der Panzer sei noch nicht erteilt. Verstehe ich
Sie dahin gehend richtig, dass eine Voranfrage zur Ausfuhr dieser Panzer positiv beschieden wurde, und wie
begründen Sie gegebenenfalls die Nichtbeantwortung
dieser Frage vor dem Hintergrund, dass das indonesische
Verteidigungsministerium offensichtlich von der Bundesregierung nicht auf die Geheimhaltung solcher Tatsachen hingewiesen wurde?
Die Bundesregierung ist für Äußerungen des indonesischen Verteidigungsministeriums in keiner Weise verantwortlich. Im Übrigen ist vom Deutschlandfunk, der
die Meldung verbreitet hat, klargestellt worden, dass es
sich um das indonesische Verteidigungsministerium handelt. In der ursprünglichen Meldung las sich das noch
anders. Auf jeden Fall handelt es sich um eine Äußerung
aus Indonesien, die wir nicht kommentieren.
Meine Formulierung, dass der Antrag auf Genehmigung der endgültigen Ausfuhr noch nicht vorliegt, bezieht sich darauf, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie einen Antrag zur temporären
Ausfuhr von je einem Leopard-Panzer und einem Marder-Schützenpanzer zur Präsentation auf der Messe Indodefense 2012 vom 7. bis 10. November 2012 positiv
beschieden hat. Ihre Vermutung muss ich im Bereich der
Spekulation belassen, weil wir nach regelmäßiger Staatspraxis Voranfragen prinzipiell nicht im Parlament bekannt geben.
Bevor ich dem Kollegen Jan van Aken das Wort zu einer Nachfrage gebe, mache ich darauf aufmerksam, dass
die Aktuelle Stunde gegen 15.40 Uhr beginnt.
Herr van Aken, Sie haben das Wort.
Ich bedanke mich. - Herr Hintze, da Sie gerade die
Indodefense erwähnt haben: Welche Vertreterinnen und
Vertreter der Bundesregierung sind momentan auf der
Indodefense, und werden in diesem Zusammenhang Gespräche zwischen Vertretern der Bundesregierung und
der indonesischen Regierung über einen Leopard-Panzer- oder Marder-Schützenpanzerverkauf geführt?
Mir ist nicht bekannt, dass Vertreter der Bundesregierung auf der Indodefense sind. Deswegen kann ich Ihre
Frage nicht beantworten.
({0})
- Das liefern wir schriftlich nach.
Der Staatssekretär hat die schriftliche Nachlieferung
zugesagt.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Rolf
Mützenich das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. Es tut mir leid, dass ich
mich eben auf die alte Fassung unserer Tagesordnung
bezogen habe.
Herr Hintze, angesichts der auch von Ihnen bedauerten unterschiedlichen öffentlichen Kommunikation, für
die Sie manchmal Verantwortung tragen und manchmal
nicht, möchte ich Sie fragen: Sind Sie mit mir möglicherweise der Meinung, dass auch die Bundesregierung
bestrebt sein sollte, rechtzeitig und vielleicht im Rahmen
eines besonderen Gremiums den Bundestag etwas stärker in die Erörterung von Rüstungsgeschäften seitens der
Bundesregierung einzubeziehen?
Diese Einschätzung teile ich nicht, unter anderem
deswegen nicht, weil ich nicht glaube, dass das AuswirParl. Staatssekretär Peter Hintze
kungen auf die Äußerungen des indonesischen Verteidigungsministeriums hätte. Dieses hat das Missverständnis
ausgelöst.
Die letzte Nachfrage zu Frage 20 stellt die Kollegin
Vogler.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
liegen der Bundesregierung Anfragen auf Übernahme
einer Exportbürgschaft für eine Panzerlieferung an Indonesien vor, oder haben Sie eine solche Anfrage bereits
beschieden?
Das ist mir nicht bekannt. Wenn es anders sein sollte,
teile ich es Ihnen schriftlich mit.
Nun kommen wir zur mehrfach angekündigten
Frage 21 des Kollegen Dr. Rolf Mützenich:
Unterstützt die Bundesregierung finanziell die von Indonesien bestätigte Lieferung von 130 gebrauchten Leopard-2Panzern, und sind diese Panzer - ebenso wie die für SaudiArabien vorgesehene Version ({0}) - technisch geeignet zum Kampfeinsatz auch gegen die Zivilbevölkerung in
städtischen Räumen?
Frau Präsidentin! Es darf sich keiner wundern: Die
Antwort ist dem Wortlaut und dem Sinn nach ähnlich,
weil es sich hierbei um den gleichen Sachverhalt handelt. Es gibt eine kleine Ausnahme, die aber gleich deutlich wird.
Der Bundesregierung ist bekannt, dass deutsche Unternehmen mit Indonesien Gespräche über den Kauf von
Leopard-Panzern führen. Die Gespräche hierüber sind
nicht neu und bedürfen keiner Genehmigung durch die
Bundesregierung. Die den Gesprächen zugrunde liegenden Geschäfte werden derzeit durch die Bundesregierung nicht finanziell unterstützt. Bisher liegt der Bundesregierung kein Antrag auf Ausfuhr von Leopard-Panzern
zum Verbleib in Indonesien vor. Die Bundesregierung
lehnt Spekulationen über eine technische Eignung der
betreffenden Panzer für angedachte Szenarien ab.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Weil Sie eben die indonesische Regierung kritisiert haben: Würden Sie in
der Konsequenz auch Ihren Verteidigungsminister kritisieren wollen, der in einem ausführlichen Interview, das
in der Süddeutschen Zeitung gestanden hat, auf genau
dieses Rüstungsgeschäft eingegangen ist? Können Sie in
diesem Zusammenhang bestätigen, wie der Verteidigungsminister es getan hat, dass es sich bei der Lieferung, die Sie ja immer noch infrage stellen, offensichtlich nicht um gebrauchte Panzer der Bundeswehr
handelt?
Jetzt haben Sie eine ganze Masse von Fragen, Vermutungen und Behauptungen vorgetragen.
({0})
- Ja, das weiß ich. Ich hoffe, dass wir beide damit intellektuell fertig werden.
Ich habe mit meiner Antwort auf die Frage der Kollegin Keul das Haus informiert, dass es sich bei dem Verteidigungsminister, der zitiert wurde, um den indonesischen Verteidigungsminister handelt, dass er seine
Äußerungen aus seiner Einschätzung, seiner Kompetenz
und seiner Sicht der Dinge gemacht hat und dass die
Bundesregierung hierfür keinerlei Verantwortung hat.
Das ist keine Kritik, sondern eine reine Information.
Was war der zweite Punkt? Helfen Sie mir bitte.
Ich bin der Meinung, dass wir auch dann, wenn wir
uns intellektuell nicht überfordern wollen, im Hinblick
auf die Äußerung des Verteidigungsministers durchaus
die Verantwortung der Bundesregierung zur Kenntnis
nehmen sollten.
Der Verteidigungsminister macht eine ausgezeichnete
Arbeit.
({0})
Ich finde, alle seine Äußerungen sind fundiert und beruhen auf einer stabilen Grundlage. Die Bundesregierung
steht hundertprozentig dahinter.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Wenn die Bundesregierung voll hinter dem Bundesverteidigungsminister steht und auch ausschließen kann,
dass die Lieferung von Panzern nach Indonesien aus gebrauchten Panzern der Bundeswehr bestehen wird, können Sie dann bestätigen, dass ein Rüstungsgeschäft in
den nächsten Tagen zwischen Deutschland und Indonesien mit Zustimmung der Bundesregierung stattfinden
wird?
Das ist zwar der kluge und zulässige, aber wahrscheinlich nicht zielführende Versuch, die Regeln über
die Bekanntmachung von entsprechenden Rüstungsgeschäften, wie sie in der ständigen Staatspraxis festgelegt
sind, etwas zu unterlaufen. Ich habe eben vorgetragen,
wie es sich verhält, nämlich dass wir über Voranfragen
nicht informieren, die Entscheidungen in dem jeweiligen
Bericht nachzulesen sind und sich die Bundesregierung
ansonsten dazu nicht äußert.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Jan van Aken das
Wort.
Auch ich habe eine Nachfrage, die den deutschen Verteidigungsminister de Maizière betrifft. Er hat erklärt:
Die 100 Leopard-Kampfpanzer stammen nicht aus Bundeswehrbeständen. - Meine Frage ist: Stammen denn die
50 Marder oder die unbekannte Anzahl Marder-Panzer,
die an Indonesien geliefert werden sollen, aus Bundeswehrbeständen?
Auch dazu kann ich, weil der Sachverhalt noch gar
nicht zur Behandlung ansteht, nichts sagen.
({0})
Im Übrigen wäre die Information, die Sie haben, für den
Kollegen Mützenich interessant, weil sie im Widerspruch zu seiner Frage steht. Sie könnten sich von Partner zu Partner darüber austauschen, damit die Informationsbasis stimmt.
({1})
- Das gibt es schon einmal.
({2})
Das werden die Herren sicherlich in geeigneter Form
noch klären können.
Für heute sind wir am Ende des Geschäftsbereichs
des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht die Staatsministerin Cornelia Pieper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Dr. Rolf
Mützenich auf:
Wie schätzt die Bundesregierung die Probleme Indonesiens - Achtung der Menschenrechte, Einsatz der Streitkräfte
im Inneren, Gewaltenteilungsproblematik, Beziehungen zum
Nachbarn Demokratische Republik Timor-Leste - ein, und
welche politischen Konsequenzen zieht sie aus dieser Einschätzung?
Bitte, Frau Staatsministerin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Es geht im Zusammenhang mit Indonesien um Menschenrechtsfragen. Die
Republik Indonesien, Herr Abgeordneter, hat seit 1998
nach Einschätzung der Bundesregierung eine weitreichende Transformation ihres politischen Systems vollzogen und sich zu einem demokratischen Staat gewandelt.
Die Demokratie in Indonesien hat sich in der zweiten
Amtszeit von Präsident Susilo Bambang Yudhoyono
weiter gefestigt. Die Gewaltenteilung ist in der indonesischen Verfassung verankert, wobei insbesondere im Bereich der Justiz noch Verbesserungsbedarf besteht, wie
Sie ja auch wissen.
Die Menschenrechtslage in Indonesien ist aus unserer
Sicht insgesamt zufriedenstellend. Systemische Defizite
bestehen nicht. Die indonesische Regierung verfolgt
eine Politik der Achtung der Menschenrechte und der
Stärkung des Justizsystems, wenn auch noch nicht mit
dem gewünschten Erfolg. Insbesondere sei die Lage in
Westpapua genannt. Die indonesische Regierung beabsichtigt, erkannte Schwächen im Menschenrechtsschutz
zu beseitigen durch die Umsetzung des für 2012 bis
2014 gültigen Nationalen Menschenrechtsaktionsplans.
Außerdem will sie Verbesserungen im Justizsystem vornehmen.
Die Reform der Streitkräfte und ihre Rolle im indonesischen Staat stehen seit Jahren auf der politischen
Agenda. Das Thema „Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen im Einsatz“ nimmt in der Ausbildung
der Streitkräfte inzwischen einen breiten Raum ein.
Zur Demokratischen Republik Timor-Leste, Herr Abgeordneter, pflegt Indonesien seit der Unabhängigkeit
mittlerweile stabile und wirtschaftlich immer engere Beziehungen, die der Präsident mit einem Besuch von großer Symbolik zur Amtseinführung des neuen timoresischen Präsidenten im Mai 2012 unterstrichen hat.
Indonesien setzt sich zudem für den Beitritt von TimorLeste zur Gemeinschaft südostasiatischer Staaten,
ASEAN, ein.
Die Bundesregierung räumt den Beziehungen zu Indonesien einen hohen Stellenwert ein. Defizite, insbesondere im Menschenrechtsbereich, sind regelmäßig Gegenstand der Gespräche zwischen uns, also in den
bilateralen Kontakten mit der indonesischen Regierung.
Zudem besteht ein regelmäßiger Menschenrechtsdialog
der Europäischen Union mit Indonesien, wie Ihnen
wahrscheinlich bekannt ist.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wenn Sie in Ihrer
Antwort dennoch von Defiziten im Menschenrechtsbereich sprechen, Frau Staatsministerin, sind Sie dann
nicht mit mir der Meinung, dass wir erst einmal die
nächsten Jahre abwarten müssen, insbesondere dahin gehend, dass sich die Menschenrechtssituation und die
Achtung der Gewaltenteilung so verbessern, dass das
Militär innerhalb Indonesiens nicht mehr zum Schutz der
inneren Sicherheit eingesetzt werden soll? Und sind Sie
mit mir in diesem Zusammenhang der Meinung, dass die
Lieferung von Panzern, insbesondere im Hinblick auf
die Aufgabe des Militärs im Inneren von Indonesien, genau die falsche Entscheidung wäre?
Herr Abgeordneter, ich bin fest davon überzeugt - das
sage ich auch im Namen der Bundesregierung -, dass
wir den Menschenrechtsdialog gerade mit Indonesien,
gerade mit der dortigen Zivilgesellschaft fortsetzen und
verstärken müssen. Sie wissen, da gibt es eine sehr lebendige Zivilgesellschaft. Ich durfte dieses Jahr im Auswärtigen Amt den Interface Dialogue begrüßen. Im
April 2013, also nächstes Jahr, wird dieser Dialog mit
der Zivilgesellschaft in Jakarta stattfinden. Ich selbst
werde daran teilnehmen. Ich halte diese zivilgesellschaftlichen Kontakte für außerordentlich wichtig.
Was Ihre Nachfrage zu den sogenannten Panzerlieferungen anbelangt, verweise ich auf die Antwort des von
mir sehr geschätzten Staatssekretärs Hintze.
Herr Mützenich, Sie haben das Wort zu einer zweiten
Nachfrage.
Vielen Dank. - Sie wissen, dass ich den Staatssekretär
ebenfalls schätze.
Ich möchte Sie, überleitend von den Fragen, die ich
zu seinem Geschäftsbereich gestellt habe, fragen, ob Sie
sich in die Meinungsbildung der Bundesregierung im
Hinblick auf die Panzerlieferungen nach Indonesien
durchaus ausreichend einbezogen fühlen. Insbesondere:
Sind Sie ausreichend gefragt worden, ob die Menschenrechte in Indonesien gewährleistet werden?
Ich sagte bereits: Wir sind in ganz intensivem Kontakt
mit Indonesien, was die Menschenrechte anbelangt.
Ich will außerdem sagen: Es ist bei den Menschenrechten noch nicht alles so, wie wir uns das vorstellen.
Sie wissen, dass es noch Benachteiligungen von Christen in Indonesien gibt. Ich habe das Problem Westpapua
genannt. Die Lage dort ist nicht zufriedenstellend. Dort
gibt es immer noch Menschenrechtsverletzungen.
Ich bitte aber, eines nicht zu verwechseln, Herr Abgeordneter: Das Thema Menschenrechte, welches Sie ja zu
Recht zum Thema im Rahmen der Fragestunde gemacht
haben, hat nichts mit der vorhergehenden Frage zu tun.
Im Übrigen stimmen wir uns mit dem Bundeswirtschaftsministerium in allen Fragen sehr gut ab.
Herzlichen Dank, Frau Staatsministerin.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die übrigen
Fragen werden, wie in unserer Geschäftsordnung festgelegt, schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung zu Residenzpflicht und Sondergesetzen für Flüchtlinge sowie Asylbewerberinnen und Asylbewerber
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Stopp aller Abschiebungen, Aufhebung der Residenzpflicht, Schließung aller Isolationslager, Aufhebung der Sondergesetze und gleiche Rechte für alle hier
lebenden Menschen! Kein Mensch ist illegal.
({0})
Seit mehr als sieben Monaten protestieren Flüchtlinge. Sie boykottieren die sogenannten Sammelunterkünfte und verletzen bewusst die Residenzpflicht. Sie
haben einen Fußmarsch von Würzburg nach Berlin unternommen. In Frankfurt am Main, am Oranienplatz in
Friedrichshain-Kreuzberg und am Brandenburger Tor
werben sie für ihre Forderungen. Bis Donnerstag vergangener Woche befanden sie sich im Hungerstreik.
Doch die Staatsmacht denkt nicht daran, die Lebensverhältnisse von Geflüchteten und Asylsuchenden zu verändern. Sie reagiert mit bürokratischen Auflagen, die unsinnig, menschenverachtend und zu einem großen Teil
rechtswidrig sind, so wie das Verbot von Sitzkissen und
Pappen als Sitzunterlagen bei Demonstrationen.
({1})
Selbst diese politisch motivierten, rechtswidrigen
Auflagen wurden in der vergangenen Woche von Polizeibeamten herzlos exekutiert. Es scheint, als hätten
politisch Verantwortliche den Sinn und Zweck des Versammlungsrechts nicht verstanden.
({2})
Es wurde versucht, eine nicht verbotene Demonstration durch faktisches Handeln zu verbieten, indem die
Wahrnehmung des Demonstrationsrechts unmöglich gemacht werden sollte. Erst ein Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin beendete diesen Zustand. Es macht
mich unglaublich wütend, dass in diesem Land ein Verwaltungsgericht notwendig ist, um das Demonstrationsrecht durchzusetzen, und ich finde das Handeln der Verantwortlichen beschämend.
({3})
Die Integrationsbeauftragte hat nach einer Woche
Hungerstreik ein Gespräch mit den Geflüchteten geführt.
Auf die Idee, mit den in Lagern lebenden und häufig isolierten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern solche
Gespräche zu führen, ist Frau Böhmer in den sieben Jahren ihrer Amtszeit zuvor offensichtlich nicht gekommen.
Sonst hätte sie das - ich zitiere - „bewegendste Gespräch als Integrationsbeauftragte“ schon eher haben
können. Doch ein wirkliches Entgegenkommen ist auch
nach diesem Gespräch nicht zu verzeichnen. Frau
Böhmer fragt sich, ob die Residenzpflicht heute noch
zeitgemäß ist. Die Antwort ist einfach: Nein, sie ist es
nicht, und sie wird es auch nie sein.
({4})
Doch statt eine Initiative zur Abschaffung zu ergreifen, wird geprüft. Die Residenzpflicht besagt, dass ein
Verlassen des den Flüchtlingen zugewiesenen Kreises
nur mit Erlaubnis der örtlichen Behörden möglich ist.
Die Residenzpflicht ist damit nichts anderes als eine unsichtbare Kette, mit der die Bewegungsfreiheit von
Flüchtlingen eingeschränkt wird. Die Zeit der Prüfung
ist längst abgelaufen. Ein paar gesetzliche Lockerungen
ändern nichts am menschenrechtswidrigen Charakter der
Residenzpflicht. Schaffen Sie diese diskriminierende
Regelung ab! Stellen Sie die Geflüchteten den anderen
hier lebenden Menschen endlich gleich!
({5})
Frau Böhmer hat darauf gedrungen, dass die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angeglichen
werden. Wir haben ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu. Doch statt tätig zu werden, poltert Innenminister Friedrich durch die Gegend und will Asylbewerberinnen und Asylbewerbern weiter Leistungen
kürzen oder diese sogar nur als Sachleistungen gewähren. Herr Friedrich ist damit nichts anderes als ein Verfassungsfeind.
({6})
Schaffen Sie das Asylbewerberleistungsgesetz ab!
Stellen Sie die Flüchtlinge den anderen hier lebenden
Menschen rechtlich gleich!
Frau Böhmer hat - wie der Integrationsbeirat - vorgeschlagen, dass Flüchtlinge nach sechs Monaten die Möglichkeit bekommen sollen, zu arbeiten. Sinnvoller wäre
ein sofortiger Arbeitsmarktzugang. Falls Sie es noch
nicht bemerkt haben sollten: Die geltende Vorrangregelung beim Zugang zum Arbeitsmarkt besagt im Kern
nichts anderes als die von der NPD menschenverachtend
vorgetragene Losung: Arbeit zuerst für Deutsche. - Also
handeln Sie! Schaffen Sie die Vorrangregelung endlich
ab! Stellen Sie die Geflüchteten den anderen hier lebenden Menschen endlich gleich!
({7})
Frau Böhmer hat auf den Vorschlag des Integrationsbeirats verwiesen, eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung zu schaffen. Etliche Bundesländer fordern Ähnliches. Auch hier gibt es keinen Grund, diesen
Vorschlag nicht umgehend umzusetzen. Handeln Sie
endlich! Beenden Sie die Politik der Stammtische, und
hören Sie damit auf, Stimmung gegen Flüchtlinge zu
machen, indem Sie wie vor 20 Jahren von Asylrechtsmissbrauch und Wirtschaftsflüchtlingen schwadronieren! Hören Sie auf, durch Gettoisierung in Lagern, durch
die Verweigerung einer Arbeitserlaubnis, durch die
Schlechterbehandlung von Flüchtlingen im Rahmen des
Asylbewerberleistungsgesetzes und durch die Residenzpflicht diese Stammtische auch noch zu bedienen!
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz besagt, dass eine Politik der
Abschreckung, das heißt eine Politik, die aus migrationspolitischen Gründen in die Grundrechte Einzelner eingreift, verfassungswidrig ist.
({8})
Art. 1 des Grundgesetzes enthält eine Pflicht zum aktiven Handeln des Staates zum Schutz der Menschenwürde eines jeden Einzelnen. Handeln Sie! Die Zeit ist
reif.
({9})
Stellen Sie die Geflüchteten den anderen hier lebenden
Menschen endlich gleich!
({10})
Für die Bundesregierung hat der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Ole Schröder das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Nicht zuletzt aufgrund unserer Vergangenheit haben wir eine besondere Verantwortung für die
Flüchtlinge weltweit.
({0})
Wir werden dieser Verantwortung auch in besonderer
Weise gerecht.
({1})
Viele kommen zu uns, weil sie wissen, dass unser
Rechtssystem einen umfassenden Schutz vor Verfolgung
bietet. Seit 2007 nehmen wir mehr Asylsuchende in
Deutschland auf. Allein bis Ende Oktober dieses Jahres
wurden 50 344 Erstanträge gestellt. Dazu kommen über
11 000 Folgeanträge. Im EU-Vergleich liegt Deutschland
damit an der Spitze.
Wir haben uns jetzt auch entschieden, an jährlichen
Resettlement-Programmen teilzunehmen, weil wir der
Überzeugung sind, dass wir damit gerade die Menschen
erreichen, die in besonders hilfloser Lage sind. Wir wolParl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
len das auch in 2013 und 2014 tun. Wir wollen jedes Jahr
300 Flüchtlinge dauerhaft in Deutschland aufnehmen.
Wir haben jetzt 201 Menschen aus Shousha aus Tunesien in dieser Art und Weise helfen können. Es handelt
sich um Menschen, die in wirklich aussichtsloser Lage
waren, die doppelt verfolgt waren, zunächst nach Libyen
flüchten mussten und dann aufgrund des Bürgerkriegs
aus Libyen verdrängt wurden. Wir haben im Oktober
noch 105 irakische Flüchtlinge aus der Türkei aufgenommen.
({2})
Wir müssen aber eben auch der Tatsache ins Auge sehen, dass es Asylmissbrauch gibt, dass Menschen zu uns
kommen und Asyl beantragen, die in keiner Art und
Weise verfolgt sind. Wir brauchen Asylverfahren, die
schnell sind, damit wir gerade denjenigen helfen können,
die unserer Hilfe bedürfen.
({3})
Wir haben beispielsweise die Situation, dass seit der
Visaliberalisierung zunehmend Personen aus Serbien
und Mazedonien zu uns kommen, die überhaupt nicht
verfolgt werden. Wir hatten bis Oktober 2012 allein
10 775 Erstanträge aus diesen beiden Herkunftsländern.
Dazu kommen 5 649 Folgeanträge. Allein im Oktober
waren es 4 024 Erstanträge.
Der Zusammenhang mit der Ende 2009 erfolgten
Visaliberalisierung liegt auf der Hand,
({4})
ebenso der Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts,
({5})
das klargestellt hat, dass die Leistungen für Asylbewerber entsprechend ausgeweitet werden müssen. Wir müssen doch einmal feststellen, dass die Anerkennungsquote
bei diesen Menschen bei null liegt.
({6})
Die einzigen, die Schutz bekommen, sind diejenigen, die
hierbleiben müssen, weil sie nicht transportiert werden
können oder Krankheiten haben, die nur hier behandelt
werden können.
Sogenannte Reiseunternehmen organisieren den
Asylmissbrauch in diesen Ländern. Die Vorgehensweise
ist ausgesprochen ausgefeilt.
({7})
Sie reisen nicht in größeren Gruppen. Diesen Personen
werden vor dem Grenzübertritt Barmittel gegeben. Diese
Barmittel werden ihnen nach dem Grenzübertritt wieder
abgenommen. Die Kommunen stoßen mit ihren Kapazitäten an Grenzen.
({8})
Deshalb sind Asylverfahren wichtig, die zügig verlaufen
und dem Recht auf Asyl gerecht werden. Dazu ist die
Residenzpflicht ein wichtiger Baustein.
({9})
Sie stellt sicher, dass Asylbewerber nicht nur eine formale Meldeadresse haben, sondern dass sie sich an dem
ihnen zugewiesenen Ort aufhalten, sodass das Asylverfahren durchgeführt werden kann.
({10})
Das ist im wohlverstandenen Eigeninteresse des Asylbewerbers selbst.
({11})
Eine solche Residenzpflicht ist auch keine übermäßige
Einschränkung der persönlichen Entfaltungsfreiheit. Das
hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1997 eindeutig
entschieden.
Und: Wir haben die Residenzpflicht auch mehrfach
gelockert, das letzte Mal in dieser Legislaturperiode. Seit
Juli 2011 können sich die Betroffenen zusätzlich zu den
Ausnahmen,
({12})
die es ohnehin schon gab, in einem anderen Bezirk oder
einem anderen Land aufhalten, zum Beispiel um die
Schule zu besuchen oder um einem Studium nachzugehen. Das ist möglich.
Darüber hinaus können die Regierungen benachbarter
Länder den Aufenthaltsbereich von Asylbewerbern
grundsätzlich auf den Bereich des Nachbarlandes erstrecken.
({13})
Die Residenzpflicht - das möchte ich hier auch klarstellen - ist ebenfalls wichtig, um mögliche Ausreisepflichten vollziehen zu können. Um eines klarzustellen:
Die Residenzpflicht gilt nur für Asylbewerber, für diejenigen, die sich im Verfahren befinden, und nicht für diejenigen, die anerkannt wurden. Das ist doch ganz entscheidend.
({14})
Ein anerkannter Asylbewerber darf selbstverständlich
die volle Reisefreiheit in ganz Europa in Anspruch nehmen. Er darf selbstverständlich arbeiten. Er darf selbstverständlich auch im vollen Umfang von unserem Sozialstaat profitieren.
({15})
Es macht doch überhaupt keinen Sinn, dass jemand, der
sich im Asylverfahren befindet, von allen diesen Möglichkeiten profitieren kann. Wir meinen, dass wir hier
unterscheiden müssen.
({16})
Wir müssen auch die weiteren Folgen einer Aufhebung der Residenzpflicht im Blick haben. Es würde
nicht nur zu einer Verlangsamung der Asylverfahren
kommen, es käme auch zu einer ungleichmäßigen Verteilung der Asylbewerber und der Lasten auf die Kommunen. Gerade das wollen wir nicht, meine Damen und
Herren.
({17})
Wenn jetzt einige Länder sogar fordern, das Asylbewerberleistungsgesetz in Gänze und damit auch das
Sachleistungsprinzip - darum geht es ja - vollständig abzuschaffen,
({18})
so muss ich sagen: Das führt zu einer zusätzlichen Sogwirkung und dazu, dass vermehrt nicht diejenigen zu uns
kommen, die wirklich verfolgt sind, sondern diejenigen,
die den Weg über das Asylrecht nutzen, um hier zu arbeiten oder womöglich unser Sozialsystem zu missbrauchen. Das wollen wir verhindern.
({19})
Wir haben in den gerade genannten Bereichen besondere Regelungen für Asylbewerber und zum Teil auch
für Geduldete. Das ist unseres Erachtens auch sachgerecht. Der Grund ist, dass während eines laufenden Asylverfahrens noch keine Aussage darüber getroffen werden kann, ob jemand dauerhaft bleiben darf oder nicht.
Genau diese Unterscheidung machen wir.
({20})
Unser Interesse ist es, denen zu helfen, die unseren
Schutz wirklich brauchen. Dazu benötigen wir ein zügiges, effizientes Asylverfahren, das zu sachgerechten
Entscheidungen führt. Dafür sind aus Sicht der Bundesregierung und der Praktiker in Bund und Ländern die
von mir genannten Regelungen erforderlich.
({21})
Wir sind auch nicht der Auffassung, dass es sinnvoll
ist, einem Asylbewerber vom ersten Tag an den Zugang
zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Hierfür gibt es andere Zugangsmöglichkeiten, die in unserem Aufenthaltsrecht geregelt sind, aber eben nicht im Asylrecht. Das ist
auch sachgerecht. Für diejenigen, die bei uns arbeiten
wollen, gibt es Möglichkeiten, zu uns zu kommen; die
entsprechenden Zugangsmöglichkeiten haben wir in dieser Legislaturperiode ausgeweitet.
Das Asylrecht jedoch ist dazu da, denjenigen zu helfen, die wirklich verfolgt werden, und nicht denjenigen
eine Zugangsmöglichkeit zu verschaffen, die in Deutschland arbeiten wollen. Das ist nicht Sinn und Zweck des
Asylrechts. Deshalb sollten wir diese Unterscheidung
vornehmen. Nur so kommen wir am Ende zu sachgerechten Lösungen und werden den Menschen gerecht,
die unsere humanitäre Hilfe wirklich brauchen.
({22})
Bevor wir in der Debatte fortfahren, lassen Sie mich
Folgendes sagen:
Erstens. Für diejenigen, die hier dieser Debatte folgen, möchte ich eine kleine Erklärung geben: Wir befinden uns beim Tagesordnungspunkt „Aktuelle Stunde“.
Eine Aktuelle Stunde hat den Vorteil, dass ein Thema,
welches offensichtlich sowohl Parlamentarier wie auch
die Öffentlichkeit bewegt, hier debattiert werden kann
und die Standpunkte dargelegt werden können. Für die
Parlamentarier hat das jedoch den Nachteil, dass sie ihre
gegensätzlichen Positionen weder durch Zwischenfragen
noch durch Kurzinterventionen darstellen können.
({0})
Das ist die Erklärung für diejenigen, die unsere Debatte
hier verfolgen.
Zweitens. Ich habe eine Bitte, und zwar sowohl an
diejenigen, die jeweils überwiegend das Wort haben
- sprich: von mir das Wort erteilt bekommen haben -,
als auch an diejenigen, die ihrer Zustimmung oder ihrem
Unmut Luft machen wollen oder die ihre Position einbringen wollen, obwohl sie nicht auf der Redeliste ihrer
Fraktion stehen, hier also nicht reden können: Bitte befleißigen Sie sich trotzdem parlamentarischer Ausdrucksformen!
({1})
Nun hat die Kollegin Daniela Kolbe für die SPDFraktion das Wort.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ob wir
unserer Verantwortung gegenüber denjenigen, die
Schutz benötigen - Menschen aus Syrien, aus dem Iran
usw. -, wirklich gerecht werden, das ist die große Frage.
Wenn ich mit Asylsuchenden spreche, kommen mir da
mitunter Zweifel.
Ich war mit meinem Kollegen Rüdiger Veit vor knapp
zwei Wochen, kurz nach Entstehen des Camps, am Brandenburger Tor vor Ort und habe mit den Menschen gesprochen, die dort versuchen, ihre Positionen deutlich zu
machen. Es hat geregnet, es war kalt, wir waren nicht
warm genug gekleidet, und schon nach wenigen Minuten haben wir unsere Mäntel enger um uns geschlungen
und geflucht, dass wir keinen Schirm dabei hatten.
Uns ist dabei mehr als deutlich geworden, dass die
Flüchtlinge das dort auf keinen Fall nur aus Spaß an der
Freude machen, sondern dass ein massiver Leidensdruck
dahinterstecken muss, wenn man unter diesen Bedingungen auf dem Pariser Platz in den Hungerstreik tritt.
Die Flüchtlinge haben uns von ihren Forderungen berichtet, sowohl von denen, die Bedingungen vor Ort zu
verbessern, aber eben auch - darüber will ich vor allem
sprechen - von ihren politischen Forderungen. Das, was
diese Menschen dort auf sich nehmen, ist es wert, dass
wir über ihre Anliegen sprechen, ihre politischen Forderungen ernst nehmen und ihnen hier Raum einräumen.
Ich kann nicht alle Forderungen teilen, die die Flüchtlinge vorbringen. An vielen Stellen jedoch kann ich sie
absolut nachvollziehen; da spürt man förmlich das Leid
der Flüchtlinge. Nach der Jahrtausendwende war ich
sehr viel in Schulklassen unterwegs und habe dort für
Flüchtlingsrechte und gegen Rassismus geworben. Ich
kann Ihnen sagen: Auch Schülerinnen und Schüler haben für vieles von dem, was wir den Flüchtlingen und
Asylsuchenden in unserem Land antun, wenig Verständnis. Sie verstehen zum Beispiel nicht, warum es eine Residenzpflicht gibt, warum Menschen also nicht den
Landkreis verlassen dürfen, dem sie zugeordnet sind. Sie
verstehen nicht, warum diese Menschen nicht arbeiten
dürfen,
({0})
warum wir junge Menschen, die zum Teil gut ausgebildet sind und die hierherkommen, um Schutz zu suchen
oder zu studieren oder um arbeiten zu können, der Agonie des Nichtstuns überantworten. Sie verstehen auch
nicht, warum diese Menschen im ersten Jahr überhaupt
nicht arbeiten dürfen und anschließend an vielen Orten
so etwas wie ein Arbeitsverbot haben, da das Nachrangigkeitsgebot in vielen Teilen der Republik de facto
auf ein Arbeitsverbot hinausläuft. Die Schülerinnen und
Schüler sind erstaunt, dass die Flüchtlinge in vielen Bundesländern keinen Zugang zu einer vernünftigen Gesundheitsversorgung haben, dass vor allen Dingen eine
psychologische Betreuung der Flüchtlinge nicht selbstverständlich ist - es handelt sich doch gerade um Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben -,
dass sie keinen Zugang zu Sprach- und Integrationskursen haben usw. Ich gebe zu: Ich habe das auch nie verstanden; ich verstehe es auch jetzt nicht.
Ich finde, am absurdesten ist die Residenzpflicht. Mit
dem Begriff Residenzpflicht kann schätzungsweise die
Mehrheit der Deutschen nichts anfangen: Was ist denn
das, Residenzpflicht? - Residenzpflicht ist aber ein
Wort, das jeder Asylbewerber, der nach Deutschland
kommt, lernt; ich glaube, es ist das erste deutsche Wort,
das Asylsuchende in Deutschland lernen. Residenzpflicht bedeutet: Menschen dürfen den Landkreis, dem
sie zugeordnet sind, nicht ohne Erlaubnis verlassen.
Asylbewerberheime liegen aber aus Gründen, die wir
alle kennen - diese Gründe führen bei mir immer wieder
zu Magengrummeln -, am Rande von Städten und Landkreisen. So kommt es durch die Residenzpflicht zu absurden Situationen: Straßen dürfen nur in eine Richtung
begangen werden, weil in der anderen Richtung der
Landkreis endet. Supermärkte, die näher liegen, sind
tabu, weil sie eben im falschen Landkreis liegen.
Es gab dazu auch schon kreativen Protest seitens der
Flüchtlinge, zum Beispiel ein Volleyballturnier, bei dem
die Flüchtlinge aus dem einen Landkreis auf der einen
Seite des Feldes standen und Flüchtlinge aus dem anderen Landkreis auf der anderen Seite. Ein Seitenwechsel
war da nicht bzw. nur durch Rechtsbruch möglich, und
das ist absurd. Das ist aber nicht absurdes Theater; es
geht um die Lebenschancen von Flüchtlingen, auch von
jungen Flüchtlingen, die hier ihre Lebenszeit verbringen
und Chancen wollen.
Was ist eigentlich die Begründung für die Residenzpflicht? Ich habe es so verstanden, dass es auch darum
geht, die Lastenteilung zwischen den Landkreisen und
Ländern sicherzustellen. In Ordnung; aber man kann das
auch anders organisieren,
({1})
und die Bundesregierung organisiert es auch anders,
zum Beispiel bei den Resettlement-Flüchtlingen. Sie
werden auch auf die Länder und Landkreise verteilt;
aber eine Residenzpflicht besteht für sie nicht. Das ist
eine massive Erleichterung für diese Flüchtlinge.
({2})
- Das ist richtig: Sie haben einen anderen Status.
({3})
Aber bei beiden Gruppen geht es um Menschen.
({4})
Viele Bundesländer legen die Residenzpflicht so weit
aus, wie es irgend geht. Das Interessante ist, dass ich von
den Konservativen keinerlei Klagen darüber höre. Das
jüngste Beispiel für ein Bundesland, in dem die Residenzpflicht sehr weit ausgelegt wird, ist Niedersachsen,
bekanntlich von Schwarz-Gelb regiert. Insofern schei24642
Daniela Kolbe ({5})
nen Sie die Residenzpflicht nicht grundsätzlich für so
wichtig zu halten.
Ich möchte es ganz kurz machen: Die Residenzpflicht
ist ein Relikt aus den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts.
Sie bringt nichts; sie diskriminiert nur. Deshalb sollten
wir sie abschaffen; Frau Böhmer, da gebe ich Ihnen ausdrücklich recht.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff für die FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorschläge zur Abschaffung der Residenzpflicht für Asylbewerber oder zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes hat es immer wieder gegeben, auch in dieser
Legislaturperiode; daran ist nicht wirklich etwas aktuell.
Wir haben diese Frage hier im Hause wiederholt beraten.
Zuletzt stand das Aufenthalts- und Asylrecht hier vor
zwei Wochen auf der Tagesordnung. Verbesserungen im
Ausländer- und Asylrecht sind allerdings immer wieder
zu erwägen und zu prüfen.
({0})
Dabei darf es aber nicht einfach nur um die zunächst gefühlte gute Absicht gehen, Herr Kollege Veit. Es müssen
auch die Folgen, die es für alle Beteiligten hat, berücksichtigt werden.
In diesem Zusammenhang kann ich feststellen: Die
FDP ist stolz auf die Erfolge in der Zuwanderungs- und
Integrationspolitik, die sie in der Koalition gemeinsam
mit der CDU/CSU erreicht hat.
({1})
Wir haben die Weichen für eine Kultur des Willkommens gestellt.
({2})
Wir erschließen die Chancen der Zuwanderung für unser
Land besser und stärken den Zusammenhalt unserer
durch Zuwanderer bereicherten Gesellschaft. Das gilt
gerade für die humanitäre Zuwanderung. Aber auch hier
gilt: Fördern und Fordern gehören zusammen.
({3})
Offenkundig passt das einigen aus dem Oppositionslager nicht. Wir haben in den vergangenen Tagen mehrfach gehört, wie sich die Oppositionsparteien einfach
nur gegen das stellen, was die Koalition macht, unabhängig davon, ob die eigene Position kürzlich noch eine andere war.
({4})
Wir aber halten Wort. Die christlich-liberale Koalition
eröffnet Perspektiven für Menschen, die in unser Land
kommen. Im Vergleich zu den Vorgängerregierungen
schneidet diese Koalition auf diesem Politikfeld herausragend ab:
({5})
Wir haben den Einstieg in eine dauerhafte, bundesgesetzliche Bleiberegelung geschaffen. Erstmals wurde für
minderjährige und heranwachsende geduldete Ausländer
ein vom Aufenthaltsrecht der Eltern unabhängiges Bleiberecht in einem Bundesgesetz geschaffen. Das ist humanitäre Rechtssicherheit.
({6})
Wir haben die aufenthaltsrechtlichen Übermittlungspflichten öffentlicher Stellen geändert, um den Schulund Kindergartenbesuch von Kindern zu gewährleisten.
Wir haben - jetzt hören Sie einmal zu! - die Residenzpflicht für Geduldete und Asylbewerber gelockert,
({7})
um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung oder Ausbildung zu erleichtern.
({8})
Wir haben die Stabilisierungszeit für Menschenhandelsopfer auf drei Monate verlängert und sind damit einem
dringenden Petitum von Opferverbänden, aber auch der
Polizei gefolgt.
({9})
Diese Koalition hat es ermöglicht, dass Abschiebehäftlinge auf ihren Wunsch hin von Nichtregierungsorganisationen besucht werden dürfen, und die Bedingungen
für die Abschiebehaft signifikant verbessert. Wir haben
erstmals, lieber Kollege Winkler, ein eigenständiges
Wiederkehr- bzw. Rückkehrrecht für ausländische Opfer
von Zwangsverheiratungen geschaffen und den eigenständigen Straftatbestand der Zwangsheirat eingeführt.
({10})
Das ist aktiver Opferschutz und ein klarer Appell, unsere
freiheitliche Werteordnung zu achten.
({11})
Hartfrid Wolff ({12})
Nichts dergleichen hat seinerzeit die rot-grüne Koalition zustande gebracht. Die rot-grüne Regierung war geradezu inaktiv bei diesen Themen,
({13})
obwohl die Probleme damals schon akut waren. Dass Sie
jetzt noch mehr fordern, wirft ein sehr schräges Bild auf
Ihre eigene Regierungszeit und die jetzige Lage.
Die christlich-liberale Koalition hat Zuwanderung für
Fachkräfte deutlich rationaler gestaltet und die Verfahren
entbürokratisiert und vereinfacht. Das eröffnet auch
Menschen ohne Anspruch auf Asyl eine legale Möglichkeit der Zuwanderung. Wir haben die Visawarndatei eingeführt. Wir erleichtern so für ein weltoffenes Industrieland wie Deutschland den unverzichtbaren
internationalen Reiseverkehr und stärken zugleich die
Sicherheit unseres Landes, und zwar ohne ausufernde
Datenerfassung und unter Wahrung der Bürgerrechte.
({14})
Wir haben, wie gesagt, die Residenzpflicht für Geduldete
und Asylbewerber gelockert, um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung oder Ausbildung zu erleichtern. Damit
steigern wir die Chancen von jungen Migranten, auf dem
Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und sich in unserer Gesellschaft weiterzuentwickeln.
Aktuell ist mir wichtig, zu betonen: Für mich als Liberalen ist das Demonstrationsrecht ein Ausfluss der
freien Meinungsäußerung. Auch wenn ich ganz sicher
nicht alle Anliegen unterstütze oder für tragbar halte, so
bin ich doch der Meinung, dass Dialog immer möglich
sein muss. Deshalb freue ich mich darüber, dass Staatsministerin Böhmer in der letzten Woche durch ihre Initiative ein deutliches Zeichen der Gesprächsbereitschaft
gegeben hat.
({15})
Zum demokratischen Dialog gehört aber auch der Respekt vor geltenden Gesetzen. Wer meint, sich nicht an
das geltende Recht halten zu müssen, bei dem habe ich
gewisse Zweifel, ob wirklich Interesse an einem Dialog
existiert.
({16})
Mit unseren bisherigen Gesetzesinitiativen wurden in
ausgewogener Weise Maßnahmen zur Förderung der Integration und zur humanitären Besserstellung von Ausländern, die in Deutschland Hilfe und Schutz suchen, ergriffen. Wir fördern und fordern. So kommt Deutschland
- und alle, die hier leben wollen - voran. Der Schlüssel
für gesellschaftlichen Zusammenhalt ist erfolgreiche Integration. Diese Koalition stellt dafür die Weichen.
({17})
Das Wort hat der Kollege Josef Winkler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz einen wichtigen Satz geprägt: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.
({0})
Herr Staatssekretär Schröder, daran hat sich das Handeln
der Bundesregierung zu messen. Ich will Ihnen sagen:
Es ist eine Verhöhnung der Flüchtlinge und eine Verhohnepiepelung des Parlamentes, wenn Sie hier das Zerrbild
zeichnen, das deutsche Asylsystem sei das Paradies auf
Erden; es fehlten nur noch die Dreigängemenüs. So geht
das nicht.
({1})
Wir haben ein Asylrecht, das aus meiner Sicht - ich bin
katholisch - weder christlich noch besonders liberal ist.
Die Residenzpflicht ist menschenrechtswidrig. Sie ist
außerdem überflüssig und nicht sachgerecht. Deshalb
muss man sie abschaffen. Das steht an; hier gebe ich
Frau Staatsministerin Böhmer recht.
({2})
Wir haben aber eine Bundesregierung, die hier mit
gespaltener Zunge spricht. Ich will Frau Böhmer nicht
kritisieren. Ich finde es wichtig, dass man im Laufe der
Zeit Positionen überprüft und auch einmal korrigiert. Wo
aber ist Bewegung bei der Unionsfraktion? Wo ist Bewegung bei den sogenannten Liberalen, Herr Wolff? Das,
was Sie hier vorgetragen haben, war doch nicht liberal.
({3})
- Sie können sich an Rot-Grün abarbeiten; zwischendurch gab es aber auch eine Große Koalition. Im nächsten Jahr können Sie, wenn Sie dann noch im Parlament
sein sollten, von der Oppositionsbank aus die neue rotgrüne Regierung kritisieren
({4})
und deren Positionen bewerten.
({5})
Jetzt aber geht es nicht um Rot-Grün. Jetzt geht es um
die Rechtslage, die wir in Deutschland haben. Für meine
Fraktion kann ich erklären: Die Abschaffung der Resi24644
denzpflicht, aber auch die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes sind nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sach- und zeitgerecht.
({6})
Es ist einfach unnötig, dass nur medizinische Notfallbehandlungen durchgeführt werden dürfen. Warum dürfen
diese Leute keine dauerhafte Psychotherapie oder eine
dauerhafte ärztliche Behandlung, sondern nur medizinische Notfallbehandlungen erhalten? Dies war vielleicht
1994, als es Hunderttausende von neuen Flüchtlingen
gab, eine Frage, die man sich einfach aus Kapazitätsgründen stellen musste, aber doch heute nicht mehr. Das
muss einfach nicht mehr sein. Warum wird die Hilfe in
Bayern zum Beispiel nicht bar ausgezahlt, sondern in
Form von Sachleistungen, die nicht immer sachgerecht
sind? Das ist doch reine Schikane.
({7})
Geben Sie es doch zu: Sie wollen die Leute abschrecken und schikanieren. Deswegen wollen Sie die Residenzpflicht beibehalten. Nichts gegen Hintertupfing;
aber deshalb wird man als Flüchtling in Bayern in die
abgelegensten Orte verfrachtet und in verrotteten Kasernen untergebracht. Man wird mit vielen Personen in einem Zimmer untergebracht, und es gibt scheußliche sanitäre Einrichtungen. Sie zeichnen hier ein Bild vom
Paradies auf Erden, das die Menschen aus aller Herren
Länder nach Deutschland locken würde. Glauben Sie im
Ernst, dass diese Menschen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gelesen haben und die Koffer gepackt haben, weil sie gesagt haben: „Oh, das Taschengeld wurde
um 50 Euro erhöht; lasst uns nach Deutschland gehen“?
Das kann doch nicht Ihr Ernst sein; das ist doch absurd.
({8})
Einige Flüchtlinge sitzen hier oben auf der Tribüne.
Wir hatten eben ein Gespräch im Menschenrechtsausschuss, an dem im Übrigen kein Mitglied der FDP-Fraktion teilgenommen hat, Herr Wolff - das nur zu Ihrem
christlich-liberalen Menschenbild.
({9})
- Ich wollte das nur einmal sagen. - Auch wenn wir
nicht jede Forderung teilen und jede Vorgehensweise für
empfehlenswert halten, erklären wir uns solidarisch.
Man muss sich einmal ausmalen, was Menschen in eine
solche Verzweiflung treibt, dass sie in einen Hungerstreik treten. Das machen sie nicht aus Jux und Tollerei.
Das tun sie, um auf die unzumutbare Lage von Menschen in unserem hochentwickelten und nicht so armen
Land aufmerksam zu machen. Dafür bin ich ihnen dankbar. Auch das ist ein Grund dafür, warum meine Fraktion
noch einmal einen Antrag zur Abschaffung der Residenzpflicht eingebracht hat. Somit können wir das
Thema im Ausschuss weiter bearbeiten.
({10})
Die Regierungskoalition hat ihre dafür Beauftragte im
Bundeskanzleramt angesiedelt. Auf diese deutliche Aufwertung ist diese immer stolz. Es wäre schön, wenn
diese Aufwertung praktische Konsequenzen hätte, indem zum Beispiel einer Empfehlung, über die Abschaffung der Residenzpflicht nachzudenken, ernsthaft gefolgt wird.
Herzlichen Dank.
({11})
Der Kollege Reinhard Grindel hat nun für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Wawzyniak, Sie haben es für notwendig erachtet,
die Vorrangregelung im Aufenthaltsrecht mit dem NPDSlogan „Arbeitsplätze nur für Deutsche“ zu vergleichen.
Sie wissen ganz genau, dass die Vorrangregelung für jeden in Deutschland gilt, der eine rechtmäßige Arbeitserlaubnis hat. Diese Vorrangregelung gilt zugunsten von
EU-Bürgern, sie gilt für Angehörige von Drittstaaten, sie
gilt für Bluecard-Inhaber. Was Sie gesagt haben, ist in
der Sache falsch, und der Stil war, was den NPD-Vergleich angeht, unverschämt. Sie sollten das zurücknehmen.
({0})
Das ist nicht zutreffend. Das ist eindeutig falsch. Diejenigen, die sich auskennen, wissen das.
Sie haben heftig reagiert, als der Staatssekretär das
Thema Asylmissbrauch angesprochen hat. Gestern hat
sich die EU-Innenkommissarin, Frau Malmström, mit
den Innen- und Justizministern der Westbalkanländer getroffen. Sie hat darauf hingewiesen, dass wir in der EU
in diesem Jahr 73 Prozent mehr Asylanträge haben als
im letzten Jahr.
({1})
Sie hat sich ausschließlich auf den Bereich Asylmissbrauch bezogen und diesen Hinweis verbunden mit der
Androhung, auf die Visafreiheit, etwa für Serbien, zu
verzichten. Ich bitte Sie, einfach einmal zur Kenntnis zu
nehmen, dass das auch in der EU-Kommission so gesehen wird.
({2})
Wir müssen auch einen Blick auf das Umfeld werfen,
in dem die Debatte stattfindet. Wir haben in Deutschland
in diesem Jahr 60 000 Asylbewerber; das ist weit mehr
als in den letzten Jahren. Sie brauchen für eine erfolgreiche Integrationspolitik auch die Aufnahmebereitschaft
der heimischen Bevölkerung.
({3})
Ich sage Ihnen: Wenn wir weiter eine ungesteuerte Zuwanderung haben - das ist das, wofür Sie hier plädieren -,
dann versündigen wir uns an einer erfolgreichen Integrationspolitik. Das ist der Sachverhalt.
({4})
- Herr Oppermann, wenn man in Hintergrundgesprächen immer wieder deutlich macht, dass man Innenminister werden will, dann muss man sich mit der Sache
schon ein bisschen vertraut machen.
Ich will Ihnen den Sinn der Residenzpflicht erklären.
Die Residenzpflicht ist keine Schikane; mit der Residenzpflicht wird vor allen Dingen das Ziel der Lastenteilung verfolgt.
({5})
Ich will Ihnen eines offen sagen: Die Kommunen, die
sich im Augenblick an den Bund wenden und sagen:
„Wir bekommen das mit den Unterbringungsmöglichkeiten nicht mehr hin“, liegen vor allen Dingen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, und diese
werden von Rot und Grün regiert. Wenn von Rot und
Grün geführte Kommunen vor Ort, wo die Probleme
groß sind, sagen: „Der Bund soll das lösen“, können
SPD und Grüne auf Bundesebene doch nicht die Abschaffung der Residenzpflicht fordern; denn das würde
für noch viel größere Unterbringungsprobleme sorgen.
Das geht nun wirklich nicht. Diese Art von Doppelzüngigkeit ist nicht in Ordnung.
({6})
Die Flüchtlinge haben auch kürzere Verfahren gefordert. Kurze Verfahren setzen voraus, dass der Flüchtling
greifbar ist, wenn man Rückfragen hat.
({7})
Das ist einfach nicht möglich, wenn er sich im Grunde
genommen anmelden kann, wo er will, und die Ausländerbehörde erst einmal ausfindig machen muss, wo er
sich gerade aufhält. Kurze Verfahren und Aufhebung der
Residenzpflicht - das lässt sich nicht miteinander vereinbaren.
Natürlich hat die Residenzpflicht auch den Zweck
- das hat der Staatssekretär zu Recht festgehalten -, dass
diejenigen, die sich zu Unrecht auf das Asylrecht berufen, erfolgreich in ihre Heimatländer zurückgeführt werden können. Eine Politik nach dem Motto „Wer das
Recht hat, in Deutschland zu leben, bleibt hier, und wer
kein Recht hat, in Deutschland zu leben, bleibt auch
hier“ wird die Bevölkerung nicht mitmachen.
({8})
Das führt zu einem Klima, in dem erfolgreiche Integrationspolitik zum Scheitern verurteilt ist. So wird sie
nicht gelingen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Voraussetzung für eine erfolgreiche Steuerung der Zuwanderung ist - das ist auch
Voraussetzung für die Vermeidung eines solchen Missbrauchs des Asylrechts, wie wir ihn zurzeit erleben -,
dass wir innerhalb der EU ein einheitliches rechtliches
Verfahren zur Anerkennung von Asylbewerbern haben.
Ferner müssen wir dahin kommen, dass das Niveau der
sozialen Leistungen in etwa gleich ist. Insofern ist es
richtig, dass sich die EU-Innenminister hinsichtlich der
Möglichkeit, in Deutschland bzw. in der EU zu arbeiten,
auf ein neunmonatiges Arbeitsverbot, nach dem man tätig werden kann, verständigt haben.
Ich sage es noch einmal: Wir müssen angesichts von
60 000 Asylbewerbern, die in diesem Jahr nach Deutschland gekommen sind, darauf achten, dass es nicht zu
weiteren Pull-Effekten kommt. Wir dürfen in der Tat
keine Signale aussenden, dass es gerade jetzt großen
Sinn macht, nach Deutschland zu kommen. Wir müssen
dafür sorgen, dass diejenigen Schutz finden, die tatsächlich verfolgt werden, und diejenigen in ihrer Heimat ihr
Glück machen können, die aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen. Das sind eine kluge Integrations- und auch eine kluge Entwicklungspolitik. Dazu
bekennen wir uns.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Rüdiger Veit für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Auch ein Willkommen an die Zuschauer! Ich war zunächst ganz froh, dass die Linkspartei für heute eine Aktuelle Stunde beantragt hat, um hier
im Parlament über die Forderungen der Flüchtlinge auf
dem Pariser Platz zu sprechen - Prinzip: kurze Wege. Ich
teile allerdings nicht die Wortwahl und auch nicht jede
Ihrer Forderungen, Frau Kollegin. Da ich gerade beim
Loben bin, will ich auch sagen, dass ich Frau Staatsministerin Böhmer und Frau Senatorin Dilek Kolat ganz
herzlich dankbar dafür bin, dass sie mit den Flüchtlingen
die Probleme besprochen haben, dass sie die Forderungen entgegengenommen haben und dass sie erreicht haben, dass der Hungerstreik abgebrochen worden ist. Vielen Dank!
({0})
Ich war heute Vormittag eigentlich noch relativ guten
Mutes und habe in der Sitzung des Innenausschusses darum gebeten, die Beratung unseres SPD-Antrags zur Abschaffung der Residenzpflicht zu vertagen, weil ich der
Hoffnung war - ich tue mich schwer, diese Hoffnung
aufrechtzuerhalten -, dass sich auch bei Schwarz-Gelb
etwas bewegt. Ich würde mir - auch im Sinne des Beitrags des Kollegen Winkler - wünschen, dem Gewicht
von Frau Staatsministerin Böhmer würde Rechnung getragen und ihre Vorschläge würden in der schwarz-gelben Koalition Berücksichtigung finden. Aber diesen Optimismus habe ich nach den Redebeiträgen der Kollegen
Wolff und Grindel verloren.
({1})
Ich will mich den drei Forderungen zuwenden, die die
Flüchtlinge im Einzelnen vorgetragen haben.
Erstens: möglichst baldige Arbeitsaufnahme. Ich erinnere mich dunkel an einen Vorschlag des damaligen bayerischen Innenministers Günther Beckstein und unseres
Innenministers Otto Schily, die gesagt haben: Klar,
Asylbewerber und Geduldete sollen möglichst schon
nach sechs Monaten arbeiten. - Das ist nicht überall auf
Begeisterung gestoßen; aber eigentlich müsste dieser
Vorschlag Ihnen auch aufgrund dieser personellen Allianz relativ nahe liegen. Mit diesem Vorschlag sollten Sie
sich eigentlich nicht so schwertun.
Zweitens: Residenzpflicht. Ich höre wieder und wieder, man müsse die Leute im Verfahren erreichen, sonst
dauere es zu lange, und man müsse sie erreichen, wenn
man sie abschieben will, sonst würde man sie nicht finden. Das ist doch alles praxisfern. Wenn ich, um die Lasten gleichmäßig zu verteilen - das wollen auch wir -,
den Betreffenden einen Wohnort zuweise, an dem sie
sich mit ihren Familien regulär aufhalten, kann ich ihnen
dort auch ein behördliches Schriftstück zustellen. Wer
sich nicht abschieben lassen will, auch nicht unter Anwendung unmittelbaren Zwanges, den treffe ich weder
unter seiner gemeldeten Adresse an noch im Asylbewerberheim, der ist dann weg. Insofern ist das alles praxisfremd.
({2})
Drittens: Asylbewerberleistungsgesetz. Ich darf Ihnen
da vielleicht mit einigen persönlichen Erfahrungen dienen, die ich in meiner früheren Funktion gemacht habe.
Ich will aber zuerst auf einen anderen Punkt in diesem
Zusammenhang zu sprechen kommen. Ich finde es wirklich schlimm, dass Sie heute so diskutieren, als hätten
wir Asylbewerber- und Spätaussiedlerzahlen der Jahre
1990, 1991 und 1992.
({3})
Damals sind in manchem Jahr fast 1 Million Menschen
neu zu uns gekommen. Jetzt reden wir über ein Zwanzigstel dieser Zahl. Ich finde es geradezu absurd, wenn
Kommunalpolitiker,
({4})
egal welcher Couleur - es mögen auch Parteifreunde von
mir dabei sein -, sich hinstellen und sagen: Diese Belastung ist nicht verkraftbar. - Ich sage Ihnen: Selbstverständlich ist diese Belastung verkraftbar. Sie ist für unser
Land, für die Gesellschaft und auch für die Kommunen
problemlos verkraftbar; ich komme auf das Beispiel
gleich noch einmal zurück. Ich finde das unerträglich
und wirklich absurd.
({5})
Ich war von 1985 bis 1998 Landrat in Gießen. Kollege Grindel weiß das; er hat sich dort schon einmal über
mich erkundigt, wie ich neulich gehört habe. Unter anderem war ich für die Unterbringung von Flüchtlingen,
Spätaussiedlern und Übersiedlern zuständig, wobei die
Stadt Gießen als zentrale Aufnahmestelle des Landes
Hessen und als Notaufnahmelager in besonderer Weise
Fluchtpunkt gewesen ist. Ich darf Ihnen sagen: Ich hatte
über all die Jahre hinweg auch konkret mit der Frage der
Unterbringung und Versorgung dieser Zuwanderungsbewegung in der von mir schon geschilderten Größenordnung zu tun. Dank vernünftiger Politik und dank der Unterstützung durch die Zivilgesellschaft und aller
Bürgermeister, egal welcher Couleur, haben wir das hinbekommen, übrigens ohne einen einzigen fremdenfeindlichen Anschlag.
Ich will Ihnen eine weitere Erfahrung schildern. Als
ich 1985 ins Amt kam, habe ich das Elend in den Gemeinschaftsunterkünften gesehen und sie sofort schließen lassen. Wir sind damals dazu übergegangen - rechnen Sie einmal nach, wie lange das schon her ist; es sind
27 Jahre -, die Leute, soweit noch nicht geschehen, in
Häusern mit allenfalls 20, 30 Personen nur einer Ethnie
oder zwei bis drei Familien unterzubringen. Jetzt kommt
der entscheidende Punkt - vielleicht kann ich Sie wenigstens hier abholen -: Das Land Hessen hat bis Mitte
der 90er-Jahre die Kosten für die Unterbringung und Betreuung von Asylbewerberinnen und -bewerbern vollständig erstattet, eins zu eins. Dann ist man zu einer Pauschalierung der Kosten übergegangen, pro Monat bzw.
Tag und Person. Jetzt kommt etwas, das vielleicht auch
Sie ein bisschen zu beeindrucken vermag: Durch diese
Pauschalierung hat die Kasse meines Kreises damals in
einer Größenordnung von etwas mehr als 1 Million
D-Mark profitiert. Unsere Verwaltungspraxis war nämlich nicht nur humaner und einfacher, sondern obendrein
billiger.
Ich kann nur an alle appellieren, die es nicht nur mit
den betroffenen Menschen gut meinen - mehrheitlich
tun wir das hoffentlich, übrigens auch außerhalb der Koalition -, sondern auch die finanzielle Situation der Gemeinden im Blick haben, von der bisherigen Praxis des
Asylbewerberleistungsgesetzes Abstand zu nehmen, die
Menschen menschenwürdig unterzubringen und auf
diese Art und Weise sogar Kosten zu sparen und alte
Zöpfe wie die genannten Gesetze abzuschneiden. Das ist
nach wie vor mein dringender Appell an Sie.
Danke sehr.
({6})
Das Wort hat der Kollege Pascal Kober für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Recht auf Asyl ist kein sozialpolitisches Beiwerk,
sondern ein Grundrecht, dem wir uns alle in diesem
Hause, wie ich glaube, verpflichtet fühlen. Wir sollten
uns dies gegenseitig nicht absprechen.
Lieber Kollege Josef Winkler, Sie haben die Regierungskoalition eindrücklich kritisiert. Ich habe einmal
nachgeschaut: Sie sind bereits seit 2002 Mitglied dieses
Hauses. Sie müssen sich schon fragen lassen, was von all
dem, was Sie jetzt von unserer Regierung fordern und
einklagen, Sie damals bereit und in der Lage waren mit
Ihrem Koalitionspartner SPD umzusetzen. Sie, Herr
Ströbele - Sie haben sich an der Debatte ja vor allem
durch Zwischenrufe beteiligt -, waren 2002, wenn ich es
richtig in Erinnerung habe, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und für die Rechtspolitik Ihrer Fraktion zuständig. Auch Sie müssen sich fragen lassen, was Sie damals getan haben.
({0})
Diese Regierung hat konkrete Verbesserungen für Migranten und im Hinblick auf eine offene Gesellschaft in
Deutschland auf den Weg gebracht; das hat der Kollege
Hartfrid Wolff bereits angesprochen. Auch was die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angeht,
ist diese Regierung nicht untätig gewesen. Bundesministerin Ursula von der Leyen hat verschiedene Runde Tische eingerichtet, um zusammen mit den Ländern und
im Dialog mit den Ländern eine gemeinsame Linie zu
finden.
({1})
Ich kann mich nicht erinnern, dass die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg oder die rot-grüne
Landesregierung eines anderen Bundeslandes hier aufs
Tempo gedrückt hätten; das ist nicht richtig.
({2})
Sie sollten anerkennen, dass dies ein schwieriges Feld
ist, wir gemeinsam Lösungen finden müssen - insbesondere natürlich die Regierungskoalition; es sind allerdings
noch Gespräche notwendig - und die Dinge ihre Zeit
brauchen.
({3})
Das Bundesverfassungsgericht hat sein Urteil gesprochen. Wir werden das Verfahren entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts beschleunigen. In
Kürze wird die Bundesregierung zusammen mit den Koalitionsfraktionen einen entsprechenden Gesetzentwurf
in den Bundestag einbringen, mit dem die Leistungen
des Asylbewerberleistungsgesetzes deutlich und spürbar
verbessert werden.
Für die FDP ist klar: Wir werden mit unserem Koalitionspartner auch darüber diskutieren, wie die Regelungen zur Arbeitserlaubnis für Asylbewerber und Asylsuchende in unserem Land verbessert werden können. Auf
EU-Arbeitsebene ist bereits ein Zeitraum von neun Monaten vereinbart worden.
({4})
Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich,
dass sich Staatsministerin Böhmer dahin gehend geäußert hat, dass sie sich einen kürzeren Zeitraum vorstellen
könnte. Das ist auch die Auffassung der FDP. Wir werden hier gemeinsam eine Lösung finden und sie diesem
Hause rechtzeitig vorlegen.
({5})
Wenn wir über Asylsuchende und Flüchtlinge sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf man nicht
vergessen, dass das eigentliche Ziel ist, dass kein
Mensch auf dieser Welt sein Heimatland verlassen und
woanders Asyl beantragen muss. Es ist immer nur die
zweitbeste Lösung, wenn jemand Asyl suchen muss.
Auch in diesem Bereich ist die Bundesregierung mit
deutlichen Verbesserungen vorangegangen: Wir haben
mit Dirk Niebel - ich sehe im Plenum auch den Kollegen Hartwig Fischer ({6})
Entscheidendes zur Verbesserung der Entwicklungszusammenarbeit beigetragen. Beispielsweise - das wird
gerade aktuell diskutiert - haben das Auswärtige Amt
und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine Verantwortung für die
Verbesserung der Lebenssituation von Sinti und Roma
auf dem westlichen Balkan übernommen.
({7})
Auch im Nahen Osten - um eine weitere schwierige Region zu nennen - ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aktiv ge24648
worden. Wir fördern die wirtschaftliche Entwicklung in
der Region. Mit 52 Millionen Euro werden gezielt kleine
und mittlere Unternehmen gefördert. Mit weiteren Millionen fördern wir die Ausbildung junger Menschen. Mit
weiteren Millionen fördern wir die Demokratie in diesen
Ländern. Das alles sind Maßnahmen, die man, wenn
man über Flucht und Asyl und Migration redet, nicht
vergessen darf.
Die Bundesrepublik Deutschland nimmt ihre Verantwortung wahr, hier im Land wie weltweit. Das sollte anerkannt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Gäste! Es freut mich ganz besonders, dass es uns gelungen ist, dass Flüchtlinge dieser Debatte beiwohnen können. - Ich begrüße Sie ganz herzlich.
({0})
Meine Damen und Herren, als damals der Asylkompromiss diskutiert wurde, gab es nicht wenige Politiker,
die ganz offen gesagt haben: Wir brauchen Gesetze, damit Flüchtlinge davon abgeschreckt werden, nach
Deutschland zu kommen. - Man muss ganz klar sagen,
dass der Asylkompromiss, angefangen in dem Moment,
wo Flüchtlinge deutschen Boden betreten, viele Punkte
beinhaltet, die reine Schikane sind. Damit muss endlich
Schluss sein.
({1})
Ein Beispiel ist die Unterbringung in Sammellagern.
Die Sammellager sind häufig dort angesiedelt, wo kein
Mensch hinkommt, wo kein Mensch wohnt. Man kann
auch sagen: Sie sind ein leichtes Ziel für rassistische Angriffe und Attacken; so etwas hat ja stattgefunden. Erst
vor einer Woche ist in Bayern, in Wörth, ein Asylheim
an vier Stellen angezündet worden. Zum Glück ist niemandem etwas passiert. Ich meine, wir sollten alles tun,
damit solche Dinge wie Anfang der 90er-Jahre - brennende Asylheime, Anschläge auf Migranten - nicht wieder passieren.
({2})
Ein weiteres Beispiel ist die Residenzpflicht. Herr
Grindel, Sie haben lang ausgeführt, dass die Residenzpflicht unbedingt nötig ist. Ich frage Sie: Warum ist
Deutschland das einzige Land in der EU, in dem es eine
Residenzpflicht gibt? Es gibt eine Meldepflicht, die
Flüchtlinge sind erreichbar. Eine Residenzpflicht ist völlig überflüssig. Dass wir nach Jahrzehnten immer noch
eine Residenzpflicht haben, ist reine Schikane. Ich halte
das für einen Skandal.
({3})
Bei der Debatte, die ich heute verfolgt habe, konnte
ich meinen Augen und Ohren nicht trauen. Vielleicht
sollte der Innenausschuss hin und wieder öffentlich tagen, damit die Öffentlichkeit mitbekommt, was dort diskutiert wird. Die Bundesregierung musste per Gerichtsbeschluss dazu gebracht werden, Flüchtlingen zum
ersten Mal seit zwanzig Jahren ein paar Euro mehr zukommen zu lassen. Freiwillig haben Sie bisher nichts getan. Sie drücken sich um klare Ansagen, wie es mit dem
Asylbewerberleistungsgesetz weitergehen soll. Dieses
Gesetz gehört längst abgeschafft; denn es ist ein einziges
Ausgrenzungsgesetz.
({4})
Zum Arbeitsverbot haben hier schon viele Kolleginnen und Kollegen etwas gesagt. Auch das ist ein riesiger
Skandal. Es geht hier ja zum einen um Asylsuchende,
vor allen Dingen geht es aber auch darum, dass auf der
einen Seite seit Jahren gefordert wird, sie sollen sich integrieren, während ihnen auf der anderen Seite alle möglichen Verbote auferlegt werden. Wie soll das eigentlich
gehen?
Ich will ganz deutlich sagen: Rechtsstaatliche Mindeststandards werden an zahlreichen Stellen durchlöchert. Einstweiliger Rechtsschutz gegen behördliche
Maßnahmen - übrigens ein wichtiger Schutz vor Behördenwillkür - gilt für Asylsuchende auf vielen Stufen des
Verfahrens nicht. Das muss geändert werden.
({5})
Diese Schikanen - das muss hier auch ganz deutlich
gesagt werden - zermürben die Menschen. Die Evangelische Kirche in Deutschland sagt heute zum Beispiel
ganz klar - ich kann das hier nicht lang zitieren, weil ich
nicht so viel Zeit habe -: „Das Leben in Sammelunterkünften macht psychisch und physisch krank“, und fordert ebenfalls die Abschaffung, weil es genügend Wohnraum gibt, in dem man Flüchtlinge unterbringen könnte.
Viele Betroffene empfinden das übrigens wie einen
Gefängnisaufenthalt, der sie an ihre Herkunftsstaaten erinnert. Einige von ihnen verlieren angesichts dieser
Lebensumstände ihren Lebensmut. Dass es einen Selbstmord eines Iraners gegeben hat, Mohammad R., hat übrigens die protestierenden Flüchtlinge dazu bewogen,
diesen Protestmarsch durchzuführen. Dieser Selbstmord
war der Auslöser für diese Proteste und leider auch das
Ergebnis dieser bürokratischen deutschen Asylpolitik.
Das muss man hier ganz deutlich feststellen.
({6})
Die Umsetzung des sogenannten Asylkompromisses
erfolgte damals in einem bemerkenswerten Klima. Herr
Grindel, Sprüche wie der von Herrn Stoiber, dass eine
durchmischte und durchrasste Gesellschaft zu befürchten ist, Sätze wie der von Ihren Kollegen hier im Bundestag, wie zum Beispiel Norbert Geis: „Die Deutschen
haben ein Recht auf Widerstand gegen die Überfremdung“, Ausdrücke auf Plakaten wie auf denen der CDU:
„Asylmissbrauch beenden“, usw. waren damals auch die
Stichworte für die Brandlegungen von Nazis und von
Rassisten in Asylheimen. Das muss man ganz deutlich
sagen.
({7})
Anlässlich der Erinnerung an die Rostocker Pogrome
vor 20 Jahren ist gerade jetzt noch einmal daran erinnert
worden. Auch von vielen Ihrer Kollegen wurden schöne
Worte gefunden. Man hat aber nicht wirklich Konsequenzen daraus gezogen.
Jetzt hören wir im Grunde genommen ähnliche Sprüche wieder. Vom Bundesinnenministerium hören wir:
„Alle wollen in unser Sozialsystem hinein und daran
partizipieren; es wird Asylmissbrauch betrieben“ usw.,
anstatt die Verfolgungssituation von Roma und Sinti tatsächlich zu begreifen und in den Ländern zu helfen, die
Situation dort zu verändern.
({8})
Die Flüchtlinge kommen nicht hierher, weil sie unbedingt in Deutschland leben wollen, sondern weil sie
wirklich Probleme haben. Sie sind zwar in der Tat auch
Armutsflüchtlinge, haben aber auch einen Anspruch auf
ein Asylverfahren. So ist es in unserem Land vorgeschrieben. Deswegen fordere ich Sie auf: Hören Sie auf,
diese Ängste in der Bevölkerung mit solchen Parolen zu
schüren!
({9})
Ich war in der letzten Woche in Nordrhein-Westfalen
und bin dort durch Asylunterkünfte gegangen.
({10})
Kollegin Jelpke, es tut mir leid, aber achten Sie bitte
auf das Signal.
Ich komme gleich zum Schluss. - Dort habe ich festgestellt, dass die Bevölkerung durch solche Parolen verängstigt wird. Es werden dann Bürgerinitiativen gegen
die Flüchtlinge initiiert.
({0})
Das ist der Anfang vom Ende.
Wir sollten auf jeden Fall darauf achten, dass wir
nicht wieder eine neue Stimmung wie in den 90ern kriegen, als Asylheime brannten und Migranten angegriffen
wurden. Das wissen Sie auch ganz genau, Herr Grindel.
Ich danke Ihnen.
({1})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Michael
Frieser das Wort.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Ich bitte dringend darum, dass man auch in
dieser Debatte rhetorisch etwas abrüstet und nicht so
martialisch spricht,
({0})
und bin sehr dankbar dafür, dass ich hier an der Tafel
nicht das Wort „Sondergesetze“ lesen muss, wie es im
ursprünglichen Antrag der Linken gelautet hat.
Sie beschwören hier ein Bild herauf, das meines Erachtens genau dieser Panikmache und Angst Vorschub
leistet.
({1})
Ich glaube, dass es entscheidend ist, dass wir zu den eigentlichen Wurzeln zurückkehren. Wir haben an dieser
Stelle die Pflicht, das Problem realistisch zu betrachten.
({2})
Niemand will humanitäres Elend, will humanitäre
Notlage herunterreden.
({3})
Die entscheidende Frage ist, ob wir hier an der richtigen
Stelle und mit den richtigen Werkzeugen arbeiten. Es tut
mir leid, aber notwendig ist das pädagogische Prinzip
der Wiederholung. Ansonsten gerät es zu sehr aus dem
Blick.
Diese Regierung und diese Koalition haben dafür gesorgt, dass genau das im Rahmen eines rechtsstaatlichen
Asylkompromisses sichergestellt ist. Herr Veit, der
Rechtsstaat ist kein alter Zopf. Menschen kommen hierher, weil sie sich auf diesen Rechtsstaat verlassen wollen
und weil es im Normalfall in diesem Rechtsstaat besser
funktioniert als an anderer Stelle. 2011 haben wir dafür
gesorgt, dass aus Gründen von Beschäftigung, von
Schule, von Ausbildung und Studium tatsächlich auch
die sogenannte und viel geschmähte Residenzpflicht angegangen und aufgehoben und an dieser Stelle eine Ausnahme gemacht werden kann.
Deshalb muss ich, gerade was die Residenzpflicht anbetrifft, noch einmal deutlich sagen: Natürlich kann man
sich auf der einen Seite, gerade in Deutschland, nicht immer darauf berufen, dass es sich um einen föderalen
Staat handelt, und auf der anderen Seite, wenn es um die
Verteilung der Lasten auf die einzelnen Bundesländer
geht, sagen: An dieser Stelle interessiert uns das nicht. Entweder gilt das eine oder das andere.
({4})
Ich will auch die Situation von Asylheimen nicht herunterreden. Es gibt ernste Situationen, keine Frage. Es
gibt absolut auch Nachbesserungsbedarf, keine Frage.
Herr Winkler, nichts für ungut. Aber jedes Asylbewerberheim in Bayern als ein Dreckloch zu bezeichnen, das
geht nicht nur zu weit, sondern das sollten Sie definitiv
zurücknehmen. Das ist der Lage nicht angemessen.
({5})
Asylbewerberheime sind Unterkünfte und Unterbringungsformen, die nicht auf Dauer angelegt sind. Das ist
ihr Zweck, das ist der Sinn des Ganzen; denn wir müssen
davon ausgehen, dass das Asylverfahren ohne Probleme
durchgeführt werden kann.
Deshalb noch einmal das Entscheidende: Die Residenzpflicht hat den Sinn, die Erreichbarkeit der Adressaten, die Erreichbarkeit derer, die sich in einem Antragsverfahren befinden, zu erhöhen.
({6})
- Frau Wawzyniak, zu Ihnen komme ich noch.
({7})
Im Ergebnis geht es darum: Man kann sich doch nicht
über die Länge eines Verfahrens mokieren und dann denjenigen, der das Ziel dieses Verfahrens ist, durch das gesamte Bundesgebiet ziehen lassen. Das widerspricht sich
definitiv. Denn das Einzige, was wirklich humanitär ist,
ist eine Verkürzung des Verfahrens. Das Einzige, was
wirklich humanitär ist, ist, Menschen eine Perspektive
zu geben, wenn klar ist, dass sie am Ende dieses Verfahrens nicht in diesem Land werden bleiben können. Das
ist humanitärer, das ist menschenrechtlicher Einsatz. Alles andere geht daneben.
({8})
In Anbetracht der Zahlen, die auf uns zukommen,
geht es überhaupt nicht um Panikmache, sondern es geht
um Praktikabilität und auch darum, dass sich die wirklich stöhnenden Kommunen organisatorisch darauf vorbereiten müssen. Deshalb kann ich auch an dieser Stelle
nur sagen: Es geht darum - ich hoffe, dass Sie das wirklich nicht so gemeint haben -: Natürlich schauen die
Länder und diese Welt auf uns, um zu sehen, was wir gerade beim Thema Asylverfahren machen. Nicht jeder
Einzelne packt seinen Rucksack wegen 50 Euro. Aber
wollen Sie allen Ernstes das Geschäft der Schleuser- und
Schlepperbanden betreiben, die genau darauf warten und
schauen, was in diesem Land zum Thema Asylverfahren
passiert?
({9})
Sie kennen die gesamten Diskussionen, Sie kennen
auch die Zahlen der Zuwanderung aus Serbien und Mazedonien, die wir im Augenblick haben. Sie kennen auch
die Zahlen über die Asylbewerberverfahren und wissen,
dass 99 Prozent keinerlei Aussicht auf Erfolg haben. In
diesem Zusammenhang den Innenminister als Verfassungsfeind zu bezeichnen, halte ich für absolut haltlos
und muss ich in aller Deutlichkeit zurückweisen.
({10})
Im Ergebnis läuft es darauf hinaus, dass derjenige, der
das Asylrecht in diesem Land wirklich ernst nehmen
will, auch derjenige ist, der Integrationspolitik in diesem
Land als Grundlage überhaupt erst möglich macht. Ich
will das nicht herunterreden, aber entscheidend ist doch,
dass diejenigen, die sich aus Flucht vor wirtschaftlicher
Problemlage auf den Weg machen, deutlich von denjenigen unterschieden werden müssen, die Asyl suchen, weil
sie tatsächlich eine Bedrohung von Leben und Leib zu
befürchten haben. Nur wer diese beiden Gruppen unterscheidet, ist in der Lage, Integrationspolitik erfolgreich
und praktikabel zu organisieren, sodass wir zu einem gedeihlichen Miteinander kommen. Wer das nicht tut, wird
keiner der beiden Gruppen in irgendeiner Art und Weise
gerecht.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Angelika Krüger-Leißner
für die SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Bilder sagen mehr als Worte.
Die derzeitigen Bilder von den Menschen vor dem Brandenburger Tor sprechen schon Bände. Meine Kollegin
Kolbe hat berichtet, wie dort Asylbewerber seit Tagen
ausharren, um mit ihrer Aktion gegen die restriktive
Asylpolitik in unserem Land zu protestieren.
Vorschläge für eine menschliche Asylpolitik liegen
schon seit vielen Jahren auf dem Tisch, ganz konkret die
Anträge der Oppositionsfraktionen aus dem Jahre 2010.
Aber die Bundesregierung bewegt sich nicht. Dabei ist
ganz offensichtlich, dass das deutsche Asylrecht mit seinen Erschwernissen, seinen Einschränkungen, seinen
Sanktionen weit hinter der Zeit zurück ist.
({0})
Restriktionen wie die eingeschränkte Bewegungsfreiheit
lassen jedwede Menschlichkeit vermissen. In einer so
fortschrittlichen Demokratie wie unserer, in einem so
stark ausgeprägten Sozialstaat ist das für mich ein unhaltbarer Zustand.
Noch schlimmer ist, dass das Bundesverfassungsgericht dieser Regierung am 18. Juli dieses Jahres bescheinigen musste, dass die Höhe der gewährten Leistungen
für Asylbewerber und Flüchtlinge verfassungswidrig ist.
Sie wurde aufgefordert, unverzüglich zu handeln. Bis
heute ist aber nichts passiert. Von Ihnen kamen nur Ankündigungen, Herr Kober. Ich bin gespannt, wann Sie
sie einlösen.
Dabei hat das Bundesverfassungsgericht schon Anfang 2010 in seiner Entscheidung darauf hingewiesen,
dass die Neuregelung der Regelsätze für den Bereich
SGB II auch Auswirkungen auf die Leistungen der Asylbewerber und Flüchtlinge haben wird. Das heißt, Sie auf
der Regierungsbank haben mindestens zwei Jahre geschlafen.
({1})
Ich begrüße in diesem Zusammenhang übrigens die Initiative des Bundesrates, der mit Brandenburg an der
Spitze und Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein einfach sagt: Weg mit dem Asylbewerberleistungsgesetz!
In unserem Antrag „Mehr Bewegungsfreiheit für
Asylsuchende und Geduldete“, den wir hier im letzten
Jahr eingebracht haben, wird die Bundesregierung aufgefordert, endlich tätig zu werden. Wir wollen die räumliche
Beschränkung für Asylbewerber, die Residenzpflicht,
abschaffen. Wir wollen eine einheitliche gesetzliche
Neuregelung zugunsten der Asylsuchenden und Geduldeten in unserem Land. Bisher ist die Aufenthaltsgestattung bei Asylbewerbern auf den Landkreis bzw. die
Stadt bezogen. Das führt bei vielen Betroffenen zu einer
starken Einschränkung der Bewegungsfreiheit und oft
auch zu sozialer Isolation. Das kann doch nicht länger
gewollt sein.
Die Bundesländer sind in dieser Beziehung - Gott sei
Dank, muss man sagen - bereits aktiv geworden. In starkem Kontrast zu Ihrer Untätigkeit stehen nämlich mehrere Länderinitiativen zur Lockerung der Residenzpflicht. Berlin und Brandenburg haben das übrigens
schon gemacht. Sie haben über Verordnungen geregelt,
dass sich Asylbewerber sowohl in dem einen als auch in
dem jeweils anderen Land bewegen können. Dennoch
gibt es in der Praxis aufgrund der oft sehr bürokratischen
und komplizierten Einzelregelungen Einschränkungen.
Wir wollen Bewegungsfreiheit unabhängig vom Ermessen einzelner Behörden. Wir wollen Bewegungsfreiheit
ohne Gebühren und ohne strafrechtliche Sanktionen.
Die Residenzpflicht, über die wir heute debattieren,
gibt es innerhalb Europas bemerkenswerterweise nur
noch in Deutschland. Dieses Relikt aus dem Jahre 1982
findet sich in keinem anderen europäischen Land. Wir
haben eine ganz strikte Bewegungsbeschränkung, wie es
sie in keinem anderen Land gibt. Vor diesem Hintergrund empfinde ich die Haltung des Innenministeriums
als sehr beschämend.
({2})
Sie, Herr Dr. Schröder, haben das zum Ausdruck gebracht: Sie halten an der Residenzpflicht fest, um damit,
wie Sie sagen, eine gleichmäßige Verteilung der mit der
Aufnahme von Asylbewerbern verbundenen Belastungen auf die Länder und Kommunen zu erreichen. Sie
wollen damit sicherstellen, dass die Asylbewerber stets
erreichbar sind.
Lieber Herr Kollege Grindel, Sie haben das wiederholt, und auch der Kollege Frieser hat das gesagt. Um
das, was Sie wollen, sicherzustellen, reicht eine Wohnortpflicht völlig aus. Das steht so in unserem Antrag. Der
Staat sollte weiterhin den Wohnort festlegen.
({3})
Ansonsten wird es zu einer deutlichen Mehrbelastung in
den Ballungsräumen und den Metropolen in unserem
Land kommen. Das wollen wir nicht.
({4})
Abschließend möchte ich auf die Demonstranten am
Brandenburger Tor zurückkommen.
Kollegin Krüger-Leißner, tun Sie das bitte mit Ihrem
letzten Satz.
Ja. - Vielleicht geben diese Demonstranten Ihnen den
Anstoß, sich zu bewegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie diese
Aktuelle Stunde zum Anlass, um zu handeln! Ihre Ignoranz gegenüber notwendigen Änderungen der Asylgesetze ist unerträglich.
({0})
Folgen Sie unseren Vorschlägen! Das wäre ein erster
Schritt hin zu einer humaneren Asylbewerber- und
Flüchtlingspolitik. Wie gesagt, ein erster Schritt.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Tauber für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, dass es wichtig ist, noch einmal deutlich zu machen, dass wir alle hier in diesem Hohen Hause der Meinung sind, dass das Grundrecht auf Asyl eines der we24652
sentlichen Grundrechte des Grundgesetzes ist. Natürlich
sollen sich auch in Zukunft Menschen, die aus rassischen,
religiösen oder politischen Gründen verfolgt werden, in
Deutschland auf das Asylrecht berufen können. Meine
Damen und Herren, Sie werden aber nicht umhinkommen, zuzugeben, dass es immer wieder Menschen gibt,
die sich zu Unrecht auf das Recht auf Asyl berufen.
Mich stört an der bisherigen Debatte auch, dass manche Redner der Opposition den Eindruck erwecken, dass
die Situation in Deutschland für Flüchtlinge und Asylbewerber fast schlimmer sei als die in ihren Heimatländern. Das können wir so nicht stehen lassen. Lieber
Herr Kollege Winkler, wenn Sie solche Fälle, die Sie
beschrieben haben, in den Kommunen kennen, dass
Flüchtlinge und Asylbewerber unter unzumutbaren Bedingungen hausen, dann sollten Sie sie benennen und
vor Ort Druck auf Landräte und Bürgermeister ausüben.
({0})
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es viele Bürgermeister und Landräte gibt, die sich dieser Aufgabe vorbildlich annehmen und sich große Mühe geben, menschenwürdige Rahmenbedingungen für Flüchtlinge in
Deutschland zu schaffen.
({1})
Mir gefällt an dieser Debatte nicht, dass Sie erneut ein
Schwarz-Weiß-Bild malen, das der Wirklichkeit nicht
gerecht wird.
({2})
Mein Landkreis wird von einem sozialdemokratischen
Landrat geführt. Er macht das gut. Ein Nachbarlandkreis, ebenfalls von einem Sozialdemokraten geführt,
steht in Hessen in dem Ruf, auf eine Art und Weise zu
agieren, die von allen Flüchtlingsorganisationen auf das
Heftigste kritisiert wird. Es kommt also auf die Situation
vor Ort an. Sie hat oft nichts mit dem Parteibuch zu tun.
Man muss sich die Situation und die Rahmenbedingungen vor Ort anschauen. Wenn etwas nicht in Ordnung ist,
kann man es benennen. Es geht aber nicht, hier ein Zerrbild von der Wirklichkeit zu zeichnen und am Ende den
Eindruck zu erwecken, dass es Flüchtlingen in ihren
Heimatländern vielleicht besser gehen würde als hier in
Deutschland. Das kann man so nicht stehen lassen.
({3})
Genauso wenig kann man den von Ihnen erweckten
Eindruck stehen lassen, dass das Sachleistungsprinzip
und die Residenzpflicht menschenrechtswidrig seien.
Beides ist vom Verfassungsgericht in seinem Urteil nicht
infrage gestellt worden; das darf man nicht vergessen.
({4})
Warum ist das Sachleistungsprinzip damals eingeführt
worden? Es wurde eingeführt, weil man festgestellt hat,
dass die Auszahlungen in bar bei vielen Familien, die
nach Deutschland kamen, nicht ankamen, weil das Geld
an die Schlepperbanden ging.
({5})
Dieses Prinzip ist also nicht als Repressionsinstrument
gegenüber den Flüchtlingen gedacht, sondern dient dazu,
den Schlepperbanden das Handwerk zu legen. Diese
Seite der Medaille blenden Sie völlig aus.
({6})
Dasselbe gilt für die Residenzpflicht. Natürlich mag
sie im Einzelfall unangenehm sein. Aber wir verlangen
im SGB II auch von deutschen Sozialhilfeempfängern,
erreichbar zu sein
({7})
und sich jederzeit zum Beispiel bei Behörden zu melden.
Auch hier gilt: Lassen Sie uns den Einzelfall betrachten.
Dort, wo man die Residenzpflicht lockern oder abschaffen kann, kann man das tun; das machen auch einzelne
Länder.
({8})
Aber dort, wo diese Pflicht - auch aus verwaltungstechnischen Gründen - sinnvoll ist, sollte man daran festhalten.
Jetzt habe ich mir, weil ich diesem Hohen Hause erst
seit 2009 angehöre, mich aber schon 1991, 1992 und
1993 kommunalpolitisch engagiert habe - das war der
Höhepunkt der Asyldebatte in Deutschland -, die Mühe
gemacht, mir anzuschauen, was hier in diesem Hohen
Hause damals diskutiert worden ist. Ich habe drei Zitate
mitgebracht - die möchte ich Ihnen gerne vorlesen -, die
ich mir - das sage vorab - nicht in jeder Formulierung
zu eigen machen möchte, die ich aber bedenkenswert
finde, weil sie ein schönes Schlaglicht auf die Debatte
heute werfen.
Als Erstes zitiere ich die damalige Bundesministerin
Hannelore Rönsch. Sie hat damals gesagt:
Ich habe großes Verständnis dafür, daß Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland einen Ausweg aus der Armut zu Hause suchen. Sie versprechen sich bei uns im Land ein Leben ohne den
täglichen materiellen Überlebenskampf. Wir alle
müssen Verständnis dafür haben. … Wir können die
Armutsprobleme dieser Welt nicht allein bei uns in
der Bundesrepublik Deutschland lösen. Ich denke,
daß es wichtiger ist, daß wir die Anstrengungen
verstärken, damit diese Menschen in ihren Heimatländern unter guten Bedingungen leben können.
Das zweite Zitat ist von dem Kollegen Wiefelspütz,
Sozialdemokrat. Er hat damals in der Debatte gesagt Dr. Peter Tauber
dies würde ich auf jeden Fall so nicht formulieren wollen, weder damals noch heute,
({9})
aber es ist ganz spannend, es noch einmal zu hören -:
Das Problem ist die ungesteuerte, gegenwärtig zu
massive Einwanderung nach Deutschland. Es ist
nicht nur das Recht der Politik, es ist die Pflicht der
Politik, die Zuwanderung nach Deutschland zu
reduzieren, sie steuerbar zu machen und dabei die
- durchaus beachtliche - Aufnahme- und Integrationskraft der deutschen Gesellschaft nicht zu überschätzen.
Das hat ein Kollege aus Ihrer Fraktion gesagt.
Den schönsten Satz stelle ich an den Schluss der Debatte. Auch der ist von einem Sozialdemokraten, und
den unterschreibe ich voll und ganz. Der Kollege
Wartenberg hat damals in der Debatte gesagt:
Die Asyldiskussion in der Bundesrepublik Deutschland ist traditionell schrill. Moralische Grundpositionen, pragmatisches Handeln, Übertreibung und
Demagogie stehen häufig unvermittelt nebeneinander. Die schrillen Auseinandersetzungen sind häufig genug nicht nur auf der Ebene der Politik zu finden, sondern auch in der veröffentlichten Meinung.
Diese Form der Diskussion in der Bundesrepublik
Deutschland hat häufig genug den Blick für die
Realitäten verstellt.
Genau diesen Blick brauchen wir aber, damit wir den
Ansprüchen von Asylbewerbern und Flüchtlingen gerecht werden. Deswegen: Rüsten Sie ein bisschen ab,
lassen Sie die Hysterie in der Diskussion, und dann kommen wir auch zu guten Lösungen.
Herzlichen Dank.
({10})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 8. November
2012, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.